Zur medialen Konstruktion des Nationalen: Die Schillerfeiern 1859 in Europa und Nordamerika 9783737002370, 9783847102373, 9783847002376

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Zur medialen Konstruktion des Nationalen: Die Schillerfeiern 1859 in Europa und Nordamerika
 9783737002370, 9783847102373, 9783847002376

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Formen der Erinnerung

Band 57

Herausgegeben von Jürgen Reulecke und Birgit Neumann

Thorsten Logge

Zur medialen Konstruktion des Nationalen Die Schillerfeiern 1859 in Europa und Nordamerika

Mit 9 Abbildungen

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0237-3 ISBN 978-3-8470-0237-6 (E-Book) Ó 2014, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Die hundertjährige Schillerfeier in der Academy of Music zu New-York, am 10. November 1859 (Ausschnitt), in: New Yorker Illustrirte Zeitung und Familienblätter, 18. November 1859, S. 25. Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Schiller feiern im europäischen Ausland . . . . . . . . . . . . London . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiller feiern im europäischen Ausland – Zusammenfassung

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III. Schiller feiern in Nordamerika . . . . . . . . . . . . Philadelphia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . New York . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pittsburgh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cincinnati . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . St. Louis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Milwaukee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiller feiern in Nordamerika – Zusammenfassung

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IV. Zur medialen Konstruktion des Nationalen . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen-, Literatur-, Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis . . . . . . Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Schiller feiern in Mitteleuropa . . . . . . . . . . . . Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiller feiern in Mitteleuropa – Zusammenfassung

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Inhalt

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zeitungsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zeitungen, Zeitschriften Gedruckte Quellen . . . Sekundärliteratur . . . Abbildungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis

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Vorwort

Bei dieser Arbeit handelt es sich um meine für den Druck durchgesehene und leicht überarbeitete Dissertation, die 2012 vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen angenommen wurde. Ich danke meinen Betreuern Prof. Dr. Friedrich Lenger und Prof. Dr. Frank Bösch für Ihre Unterstützung und Begleitung. Die Arbeit wurde von 2006 bis 2009 durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und war eingebunden in das Graduiertenkolleg 891 »Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart« an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ich danke ganz besonders den Kollegiatinnen und Kollegiaten der zweiten Generation des Graduiertenkollegs für die inspirierenden und ertragreichen Diskussionen und die gemeinsame Zeit in Gießen. Ergänzt wurde die Arbeit im Graduiertenkolleg von den exzellenten Austauschmöglichkeiten am Gießener International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC). Als Mitglied der ersten Generation des GCSC konnte ich wesentliche theoretische Aspekte meiner Arbeit in dessen Research Areas und im Austausch mit Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftlern diskutieren. Nicht zuletzt unterstützte ein ergänzendes Reisestipendium des GCSC einen längeren Rechercheaufenthalt in den USA im Jahr 2009. Es wäre schön, wenn alle Promotionsvorhaben in einem materiell wie geistig so förderlichen Umfeld entstehen könnten, wie ich es in Gießen vorgefunden habe. Hierzu zählte auch der 2008 ausgelaufene Sonderforschungsbereich 434 »Erinnerungskulturen«, aus dem die Reihe »Formen der Erinnerung« hervorgegangen ist. Ich danke den Reihenherausgebern Prof. Dr. Jürgen Reulecke und Prof. Dr. Birgit Neumann für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe. Auch mein Hamburger Umfeld hat in herausragender Weise zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen. Insbesondere möchte ich mich hier bedanken bei Prof. Dr. Peter Reichel, der mein Interesse an der Nationalismusforschung zu verantworten hat, sowie bei Prof. Dr. Angelika Schaser und Prof. Dr. Dr. Rainer Hering, die mich nach der von ihnen betreuten Magisterarbeit ermutigt haben,

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Vorwort

auch den nächsten Schritt zu wagen. Danken möchte ich auch Gunnar B. Zimmermann, Fabian M. Schindler, Dr. Andreas Strippel, Dr. Claudia Kemper, Dr. Birte Timm und Oliver Petersen, mit denen ich hier nicht nur in verschiedenen Kontexten arbeiten, sondern oft auch kreativ und produktiv streiten durfte. Auch nach meiner Rückkehr nach Hamburg im Frühjahr 2010 habe ich von dem jederzeit ermutigenden, fördernden und fordernden Austausch am Historischen Seminar der Universität Hamburg profitiert. Forschung will und muss auf die eine oder andere Art finanziert werden. Sabine Klein und Karin Stammler danke ich daher ausdrücklich für ihr Vertrauen und die Wiederaufnahme in die Redaktion von tagesschau.de nach drei Jahren Abwesenheit im Mai 2010. Meinen Freunden und meiner Familie danke ich für ihre unterstützende Geduld und Ausdauer. Schließlich und vor allem jedoch danke ich meiner Frau, ohne die diese Arbeit nicht nur nicht abgeschlossen, sondern auch niemals angefangen worden wäre. Hamburg, 28. Februar 2012

Thorsten Logge

Einleitung Ich möchte doch fragen, warum hat er mich gemacht? Doch wohl nicht gar aus Liebe zu mir, der erst ein Ich werden sollte? Hat er mich gekannt, ehe er mich machte? Oder hat er mich gedacht, wie er mich machte? Oder hat er mich gewünscht, da er mich machte? Wusste er, was ich werden würde? Das wollt ich ihm raten, sonst möcht ich ihn dafür strafen, dass er mich doch gemacht hat! Friedrich Schiller : Die Räuber, I/I

Friedrich Schiller ist nicht nur ein »Zeitgenosse aller Epochen«, sondern, wie Ute Frevert schrieb, auch ein »Dichter für viele deutsche Nationen«.1 Immer wieder wurde mit, durch und über Schiller die deutsche Nation verhandelt, bedienten sich Deutungskollektive im Ringen um die sinnhafte Konstruktion der Nation des Dichters und seiner Werke. Zum vorerst letzten Mal wurde Schiller in den Gedenkjahren 1955 und 1959 vor allem in der DDR als nationale Projektionsfläche genutzt und vereinnahmt.2 In der Bundesrepublik hatten zwei verlorene Weltkriege und der Nationalsozialismus die Feier der Nation hingegen gründlich in Verruf gebracht. Gut einhundert Jahre nachdem Friedrich Schiller 1859 posthum in den größten Feiern, die bislang für einen Dichter veranstaltet wurden, nationalisiert worden war, begann sich nun die nationale Ernüchterung der Nachkriegszeit auch gegen ihn, den deutschen Volks- und Nationaldichter, zu richten.3 1 Norbert Oellers: Schiller – Zeitgenosse aller Epochen. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Schillers in Deutschland, Frankfurt am Main 1970/1976; Ute Frevert: Ein Dichter für viele deutsche Nationen, in: Jan Bürger, Giuseppe Bevilacqua (Hg.): Friedrich Schiller. Dichter, Denker, Vor- und Gegenbild, Göttingen 2007, S. 57 – 75. 2 Das SED-Zentralkomitee ließ zu Schillers 150. Todestag wissen, die deutsche Arbeiterklasse habe »in mehr als einem Jahrhundert den wahren Gehalt der Werke Schillers gegen seine Verfälschung durch die Ideologen des preußisch-deutschen Militarismus, des wilhelminischen Imperialismus und des Faschismus verteidigt«. Neues Deutschland, 1. Februar 1955, zitiert nach Karl Obermann: Die deutsche Einheitsbewegung und die Schillerfeiern 1859, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 3 (1955), H. 5, S. 705 – 734, S. 733 – 734; I. M. Lange: Friedrich Schiller – Erzieher der deutschen Nation, in: Geschichte in der Schule. Zeitschrift für den Geschichtsunterreicht 8 (1955), S. 193 – 197; Otto Dann: Friedrich Schiller in Deutschland und Europa, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 9 – 10 (2005), S. 23 – 31, S. 29 – 31; Manfred Jäger: Mein Schiller-Jahr 1955, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 9 – 10 (2005), S. 32 – 38. 3 Zur Wirkungsgeschichte vgl. Michael Hoffmann: Wirkungsgeschichte, in: Matthias LuserkeJaqui (Hg.): Schiller-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2005, S. 561 – 581; Ute Gerhard: Schiller im 19. Jahrhundert, in: Helmut Koopmann (Hg.): Schiller-Handbuch, Stuttgart 1998, S. 758 – 772; Claudia Albert: Schiller im 20. Jahrhundert, in: Helmut Koop-

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Einleitung

Die Gedenkjahre zu Schillers 200. Todestag im Jahr 2005 und zu seinem 250. Geburtstag im Jahr 2009 fanden vorrangig im Feuilleton, den Theatern und in den Programmen der Verlage statt und mussten sich behaupten gegen Jahrestage historischer Zäsuren wie dem Ende des Zweiten Weltkriegs und Jubiläen anderer großer Persönlichkeiten wie Albert Einstein oder Charles Darwin. Und auch für politische Demonstrationen scheint Friedrich Schiller im 21. Jahrhundert nicht mehr so recht zu taugen – auch wenn sich die Studenten im Sommer 2009 in ihrem Protest gegen die Bologna-Studierpläne der »Brotgelehrten« durchaus auf Schiller hätten beziehen können.4 Ob die fehlenden Schiller-Kontroversen der Gedenkjahre 2005 und 2009 allerdings auf das vermeintliche postnationale Zeitalter zurückzuführen sind, wie Ute Freverts Ausblick nahe legt, erscheint fraglich. Denn noch immer – und verstärkt seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Oktober 1990 – ist die deutsche Nation Gegenstand von umfassenden gesellschaftlichen Diskursen und Aushandlungsprozessen. Sie werden allerdings nicht mehr über Friedrich Schiller geführt und beziehen sich seit längerem auf andere Themenfelder wie den Historikerstreit in den 1980er Jahren und seine Fortsetzung in der Goldhagen-Debatte, die Auseinandersetzungen um Asylrecht und Ausländerhass oder die Diskussionen um die Wehrmachtsausstellung in den 1990er Jahren, die Debatten um Flucht und Vertreibung seit der Jahrtausendwende und nicht zuletzt die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, die zu einer (Wieder-)Belebung des »Nationalstolzes« vor allem unter den Deutschen der jüngeren Generationen beigetragen hat.5 Richtig ist allerdings, dass es auch zum bevorstehenden 210. Todestag Schillers kaum vorstellbar erscheint, dass dieser sich noch einmal als Gegenstand oder Projektionsfläche einer Debatte über die deutsche Nation oder zur Mobilisierung großer Menschenmassen verwenden lässt. Fast unvorstellbar erscheint vor diesem Hintergrund heute das Ausmaß dessen, was im November 1859 zu Ehren Friedrich Schillers anlässlich seines 100. Geburtstages veranstaltet wurde. Zehntausende Menschen feierten in unmann (Hg.): Schiller-Handbuch, Stuttgart 1998, S. 773 – 794; Peter Boerner : Schiller im Ausland: Dichter-Denker und Herold der nationalen Befreiung, in: Helmut Koopmann (Hg.): Schiller-Handbuch, Stuttgart 1998, S. 795 – 808. 4 Insbesondere unter Bezugnahme auf: Friedrich Schiller : Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, in: Peter-Andr¦ Alt (Hg.): Friedrich Schiller – Historische Schriften, Sämtliche Werke, Bd. IV, München 2004, S. 749 – 767, hier S. 750 – 751. 5 Beispielhaft hierfür die Spiegel-Titel »Die deutsche Titanic«, Der Spiegel 6 (2002), und »Die Flucht«, Der Spiegel 13 (2002); Zur Fußball-Weltmeisterschaft nur beispielhaft: »Die Stunde der Patrioten«, in: Focus 25 (2006), S. 56 ff.; »Helm ab vor einem ungemein freundlichen und kultivierten Deutschland«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Juni 2006, S. 2; »Deutschland, ein Sommermärchen«, in: Der Spiegel 25 (2006), S. 68 – 76. Zum gestiegenen Nationalstolz vgl. Klaus Ahlheim, Bardo Heger : Nation und Exklusion. Der Stolz der Deutschen und seine Nebenwirkungen, Schwalbach im Taunus 2008.

Einleitung

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zähligen Städten und Ortschaften in den deutschen Staaten, im europäischen Ausland und weltweit, insbesondere in Amerika, die Zentenarfeier des Dichters mit teils mehrtägigen öffentlichen Festen. Prächtig geschmückte Festzüge zogen durch die Straßen, Fackelzüge und festliche Illuminationen erhellten die Nacht, in den Theatern, den Opern- und Konzerthäusern fanden Festvorstellungen statt, mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten hielten Festreden, auf Festbanketten wurden zu Schillerwein und Schillerwurst die Gläser erhoben und zahllose Toasts ausgebracht. Vielerorts wurden Geschäfte und Fabriken vorzeitig geschlossen, um eine möglichst allgemeine Teilnahme an den Festen zu ermöglichen, Deklamationen von Schillergedichten und Gelegenheitsdichtungen wurden nicht nur bei Schulfesten vorgetragen und die Zeitungen waren über Wochen voll mit Berichten und Kommentaren zur Vorbereitung und Durchführung der Feste. Die Schillerfeier von 1859 gilt als Höhepunkt der Schillerverehrung im 19. Jahrhundert. Sie zeichnete sich vor allem aus durch eine gegenwartsbezogene funktionalisierende Bezugnahme auf einzelne Zeilen oder Sentenzen aus dem Werk des Dichters. Schon im Vormärz und während der Revolution von 1848/49 kam es vorrangig durch liberale und demokratische Kreise sowie die Nationalbewegung zur politischen Inanspruchnahme Schillers. Auch wenn die Bezugnahme auf ihn als Fundus für Zitate und Redewendungen keineswegs auf diese Kreise beschränkt blieb.6 Der 100. Geburtstag Friedrich Schillers fiel in ein Jahr großer politischer Veränderungen. Zehn Jahre nach der Niederschlagung der Revolution schienen die deutschen Verhältnisse mit dem Sardinischen Krieg und der in den deutschen Staaten als Bedrohung empfundenen Politik Frankreichs unter Napoleon III. wieder in Bewegung zu geraten. In Diskussionen über die vermeintliche Gefahr Frankreich, die Inspiration der italienischen Nationalbewegung und die reservierte Haltung Preußens in der Kriegsfrage politisierte sich die Öffentlichkeit in den deutschen Staaten zusehends. Die schnelle Niederlage Österreichs, die eine außenpolitische Schwächung zur Folge hatte und innenpolitisch das Ende des nachrevolutionären Neoabsolutismus im Habsburg-Reich einläutete, führte auch zu einer Öffnung in Richtung auf das liberale Bürgertum, wie sie in Preußen bereits seit der Regierungsübernahme des Prinzregenten und späteren Kaisers Wilhelm I. von Preußen unter dem Schlagwort der »Neuen Ära« begonnen hatte. Hoffnungen auf Fortschritte in der offenen Frage der deutschen Nationsgründung keimten auf und drückten sich beispielhaft, allerdings in kleindeutscher Ausprägung, in der Gründung des Deutschen Nationalvereins aus.7 In diesem Kontext fand eine sich zunehmend politisierende und nationa6 Ute Gerhard: Schiller als »Religion«. Literarische Signaturen des XIX. Jahrhunderts, München 1994; Gerhard 1989. 7 Friedrich Lenger: Industrielle Revolution und Nationalstaatsgründung, Stuttgart 2005;

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Einleitung

lisierende Öffentlichkeit in dem bevorstehenden Schillerfest auch eine Möglichkeit zu mehr oder weniger offensichtlichen national-politischen Kundgebungen und Demonstrationen.8 Einen deutschen Nationalstaat gab es 1859 noch nicht. Preußen und Österreich rangelten um die Vorherrschaft im Deutschen Bund und im »Dritten Deutschland« betrieben Ludwig I. und Maximilian II. ein eigenständiges politisches Programm zur Nationalisierung Bayerns.9 Die deutsche Nation war in Form und Inhalt 1859 Gegenstand noch weitgehend offener gesellschaftlicher Diskussionen und Aushandlungen, die unter anderem in den Schillerfeiern ihren Ort und Ausdruck fanden. Als Knotenpunkt im Diskurs über die deutsche Nation und als Meilenstein im deutschen Nationsbildungsprozess eignen sich die Schillerfeiern von 1859 auch angesichts der hohen Quellendichte in Form von Festreden, Gelegenheitsdichtung, Presseberichterstattung und -kommentierung, Memorialpublikationen und vereinzelt auch persönlichen Erinnerungen, Briefen oder Tagebüchern in herausragender Weise dazu, diesen Prozess zu untersuchen und Einblicke in die Soziogenese der deutschen Nation als Imagined Community zu gewinnen.

Konstruktivistische Nationalismusforschung und performanztheoretische Perspektive In meiner Arbeit greife ich auf Ansätze der konstruktivistischen Nationalismusforschung und der Performanztheorie zurück, die sich in der Analyse von Festen und Feiern ertragreich miteinander verbinden lassen. Die konstruktivistische Nationalismusforschung geht davon aus, dass es sich bei der Nation um ein soziales Konstrukt handelt, das in und durch Kommunikation hergestellt wird. Sie wird ausgestattet mit einem Set »erfundener« (invented) Traditionen und erlangt historische Tiefenschärfe durch die erinnerungskulturelle Normierung einer als »national« apostrophierten GeschichWolfram Siemann: Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806 – 1871, München 1995 (Neue Deutsche Geschichte, Bd. 7), S. 401 – 403; Thomas Nipperdey : Deutsche Geschichte 1800 – 1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1998, S. 697 – 704; Heinrich Lutz: Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815 – 1866, Berlin 1998; Hans-Ulrich Wehler : Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3: Von der »Deutschen Doppelrevolution« bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1849 – 1914, München 1995. 8 Wehler 1995, S. 232. 9 Hans-Michael Körner : Geschichte des Königreichs Bayern, München 2006, S. 116 – 121; Karl Borromäus Murr : Nation, Emotion und Geschichte: Zur Konstruktion eines bayerischen Nationalgefühls unter König Ludwig I. (1825 – 1848), in: Michael Zöllner (Hg.): Vom Betreuungsstaat zur Bürgergesellschaft, Köln 2000, S. 176 – 185.

Konstruktivistische Nationalismusforschung

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te.10 Als Produkt sozialer Kommunikation ist die Nation nicht nur gebunden an soziale Gruppen und die kommunikative Interaktion ihrer Mitglieder, sie wird, das legen performanztheoretische Überlegungen nahe, durch diese Interaktion erst hergestellt. Schon Benedict Anderson hat das Lesen von Zeitungen als einen performativen Akt beschrieben, der im lokalen Kontext stattfindet und aus der exemplarisch im unmittelbaren Lebensumfeld vor Augen geführten Gleichzeitigkeit des eigenen Zeitungslesens mit dem der Anderen eine quasi-empirische Evidenz des Gemeinsamen auch über den lokalen Kontext hinaus vermittelt.11 Die durch Jürgen Martschukat und Steffen Patzold in die Geschichtswissenschaft importierte und maßgeblich auf Judith Butler zurückgehende Performanztheorie hebt hervor, dass Bedeutung erst im Augenblick des Äußerns, Aufführens oder sich Verhaltens hervorgebracht wird. Die Herstellung von Bedeutung und Sinn wird somit den historischen Akteuren zugeschrieben, sie ist ein zentrales Produkt ihres kommunikativen Miteinanders. Soziale Kommunikation wird so zu einer zentralen Produktionseinheit von Sinn und Bedeutung – und damit auch von Identitäten.12 Die performanztheoretische Perspektive betont damit ausdrücklich den artifiziellen Charakter der Nation und weist jedweden ihr innewohnenden ahistorischen Bedeutungskern zurück. »Contrary to the primordialist, perennialist and ethno-symbolist position« fasst Sule Toktas diese Sicht pointiert zusammen, »and refuting any essence in nation or ethnicity, national identity, when using the simulation of Butler’s performativity can be reformulated as ›there is no prior national identity prior to its performance‹.«13 Die Nation als kollektive Identität entsteht somit in der Kommunikation selbst und muss fortwährend und immer wieder neu (re)produziert werden. Der Begriff der Nation wird in dieser Arbeit stets in diesem Sinne als kollektive Identität verstanden. Wenn die Nationsbildung auf das notwendig lokal gebundene kommunikative Handeln historischer Akteure zurückgeführt wird und die vorwiegend in Versammlungsöffentlichkeiten stattfindenden nationalen oder nationalisierenden Diskurse die zentralen Produktionsstätten der Nation sind, dann stellt sich die Frage, wie diese vis-a-vis-Gemeinschaft in der Lage ist, sich diskursiv mit der 10 Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt am Main, New York 2005; Eric J. Hobsbawm, Terence Ranger (Hg.): The Invention of Traditions, Cambridge 1983. Eric J. Hobsbawm: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität, Frankfurt am Main, New York 2004. 11 Anderson 2005, S. 41. 12 Jürgen Martschukat, Steffen Patzold: Geschichtswissenschaft und »performative turn«. Eine Einführung in Fragestellungen, Konzepte und Literatur, in: Dies. (Hg.): Geschichtswissenschaft und »performative turn«. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln, Weimar, Wien 2003, S. 1 – 31. 13 Sule Toktas: Nationalism, militarism and gender politics: Women in the Military, in: Minerva: Quarterly Report on Women and the Military, 20 (2002), S. 29 – 44, S. 38.

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Einleitung

abstrakten, überlokalen und imaginierten Gemeinschaft zu verbinden und zugleich die Nation im eigenen Handeln zu manifestieren. Da es nicht möglich ist, eine Kommunikationssituation identisch zu reproduzieren, gehen aus unterschiedlichen Versammlungsöffentlichkeiten im nationalen Diskurs auch abweichende Nationsdeutungen hervor. Mit der Rückkehr der Ereignisse in die Geschichtsschreibung seit den 1990er Jahren ging eine Aufwertung der historischen Akteure einher, die als Produzenten von Wirklichkeit in Strukturen und aus ihnen heraus der Welt deutend Sinn geben oder bestehende Deutungen verändern – und mit ihnen die Strukturen selbst.14 Sinn und Bedeutung werden in und durch die kommunikative Interaktion der Akteure hergestellt und verhandelt. Sie findet in historisch und sozial spezifischen Kommunikationsräumen statt, die auch als Öffentlichkeiten unterschiedlicher Größe und Reichweite verstanden werden können.15 Für die Nationalismusforschung lässt sich durch diese Sicht der historische und soziale Ort der Nation (oder Nationen) bestimmen. Wenn, überspitzt formuliert, im Reden über die Nation die Nation geboren wird, dann lässt sich diese Geburt auch historisch verorten. Auf den ersten Blick einschlägig erscheinende Studien der inzwischen extensiven Nationalismusforschung etwa von Svenja Goltermann, Charlotte Tacke oder Jakob Vogel helfen hier aus unterschiedlichen Gründen nicht weiter. So beschäftigt sich etwa Goltermann mit der Inkorporierung spezifischer Nationsvorstellungen und der Einverleibung nationaler Zuschreibung in der Turnerbewegung ab 1860.16 Sie betont zwar die Heterogenität unterschiedlicher Identitäten, die im Nationalismus aufgegriffen und aktiviert werden, beschäftigt sich jedoch explizit nicht mit dem Aufkommen und der Entwicklung eines Verständnissen von der modernen Nation in ihren Anfängen. Stattdessen behandelt sie die Nation »in einer Phase […], in der sie als politische Ordnungsvorstellungen und Gemeinschaftsideal, wenn auch in ihrer inhaltlichen Ausrichtung umstritten, so doch für eine anwachsende Nationalbewegung zu einer Art Id¦e fixe geworden war«.17 In dieser Arbeit geht es dagegen vor allem um den vorgängigen Formierungsprozess dieser Id¦e fixe und die Konstruktion dessen, was in der Turnbewegung dann inkorporiert und durch stete Wiederholung im Training verstetigt und verfestigt wurde. 14 Manfred Suter, Manfred Hetling (Hg.): Struktur und Ereignis, Göttingen 2001 (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 19); Jacques Revel: Die Wiederkehr des Ereignisses. Ein historiographischer Streifzug, in: Suter/Hettling 2001, S. 158 – 174. 15 Jörg Requate: Öffentlichkeit und Medien als Gegenstand historischer Analyse, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 5 – 32. 16 Svenja Goltermann: Körper der Nation. Habitusformierung und die Politik des Turnens 1860 – 1890, Göttingen 1998. 17 Ebd., S. 17.

Konstruktivistische Nationalismusforschung

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Auch Charlotte Tacke spricht von einer spezifischen Verkörperung der Nation, wenn sie im Denkmal die nationale Gemeinschaft sowie die soziale Ordnung der die Nation bildenden Gesellschaft objektiviert sieht.18 Tacke spricht hier von einer Nation, die sich bereits als Gesellschaft darstellt. Nationale Gesellschaften werden dabei als Entitäten gesetzt. Mir geht es dagegen um die Bildung nationaler Identität auf der Ebene historischer Akteure und um die Rolle der Printmedien im Rahmen des kommunikativen Konstruktionsprozesses der Nation. Und auch Jakob Vogel unternimmt schon in der Anlage seines deutschfranzösischen Vergleichs eine Setzung der Nation als Nationalstaat und untersucht nicht primär die Herausbildung der kollektiven Identität »Nation«, die dem Wunsch nach einer nationalstaatlichen Fassung von Gesellschaft meines Erachtens notwendig vorausgeht.19 Bereits Elfie Rembold hat für die konstruktivistische Nationalismusforschung eine stärkere Hinwendung zum handelnden und sinnerzeugenden historischen Subjekt und eine Historisierung und Kontextualisierung des Nationsbegriffes gefordert, der seine zeitliche und soziale Bedingtheit aufspürt sowie seine Wandelbarkeit und unterschiedliche raumzeitlichen Bedeutungen offenlegt.20 In ihrer vergleichenden Studie über öffentliche Denkmäler in Paris, Berlin und London hat Helke Rausch in diesem Sinne gezeigt, dass spezifische Kommunikationsräume auch spezifische Nationsbilder konstituieren und verhandeln.21 Nationalfeste eignen sich besonders gut für die Untersuchung nationaler oder nationalisierender Kommunikation, weil sie – wie alle Feste und Feiern – zeitlich, räumlich und sozial spezifisch sind. Die in ihnen verdichtete Kommunikation ist beschränkt auf wenige thematische Bezugspunkte, die sich um den Festgegenstand gruppieren oder ihn selbst einbeziehen. Im Akteursbezug und der Konzentration auf die kommunikative Interaktion der Akteure lassen sich konstruktivistische Nationalismusforschung und performanztheoretische Perspektive gut mit den Ergebnissen der interdisziplinären Festforschung vereinen. Beide betonen die Konstruiertheit von Gemeinschaften und Identitäten und die große Bedeutung lokaler (»face-to-face« oder »vis-avis«) Interaktion und Kommunikation in diesem Prozess.

18 Charlotte Tacke: Denkmal im sozialen Raum. Nationale Symbole in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert, Göttingen 1995, hier S. 19. 19 Jakob Vogel: Nationen im Gleichschritt. Der Kult der »Nation in Waffen« in Deutschland und Frankreich 1871 – 1914, Göttingen 1997. 20 Elfie Rembold: Die festliche Nation, Berlin 2000, S. 14 – 15. 21 Helke Rausch: Kultfigur und Nation. Öffentliche Denkmäler in Paris, Berlin und London 1848 – 1914, München 2006.

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Einleitung

Feste und Feiern als Produktionsorte kollektiver Identitäten Fest und Feier sind universalhistorisch existente, soziale Phänomene. So unterschiedlich Feste sind – vom persönlichen Geburtstagsfest bis zur staatlichen Nationalfeier, vom altägyptischen Opet-Fest bis zur Love-Parade –, so unterschiedlich sind die geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Erklärungsversuche dafür. Sie spiegeln unter anderem die Schwierigkeiten wider, das Phänomen Fest unter eine umfassende Definition zu fassen.22 Feste zeichnen sich aus durch ihre Besonderheit in Zeit und Ort. In ihnen wird mittels kollektiven kommunikativen Handelns kultureller Sinn produziert und unter den Teilnehmern in Umlauf gebracht und gehalten, Mitgliedschaft als Identität produziert, vermittelt und bestätigt. Der im Fest produzierte Sinn kann über das Fest hinaus in den Alltag hinein wirken, wo er Alltagshandlungen mit neuer Bedeutung versieht.23 Alle Festhandlungen sind an Akteure gebunden. Diese können Handlungen im Fest im Vorfeld planen und so Einfluss auf die Sinnproduktion nehmen. Eine Festgestaltung durch Festkomitees schränkt grundsätzlich die freie Entfaltung aller Partizipienten im Fest durch Vorgabe bestimmter Programminhalte ein, auch wenn niemals alle Elemente des Festes vorausgeplant werden können. Feste sind selbstreferentiell, unter anderem deshalb, weil es sich bei ihnen immer auch um »Deutungen und Interpretationsleistungen dieser Gesellschaften von sich selber« handelt.24 Zudem lasse die soziale Ordnung des Fest22 Harald Homann: Soziologische Ansätze einer Theorie des Festes, in: Michael Maurer (Hg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln, Weimar, Wien 2004, S. 95 – 113; Paul Hugger : Einleitung. Das Fest – Perspektiven einer Forschungsgeschichte, in: Ders. (Hg.): Stadt und Fest. Zur Geschichte und Gegenwart europäischer Festkultur, Unterägeri, Stuttgart 1987, S. 9 – 24; Michael Maurer : Prolegomena zu einer Theorie des Festes, in: Ders. (Hg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln, Weimar, Wien 2004, S. 19 – 54; Ders.: Feste und Feiern als historischer Forschungsgegenstand, in: HZ 253 (1991), S. 101 – 130; Dieter Düding, Peter Friedemann, Paul Münch (Hg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek bei Hamburg 1988; Manfred Hettling, Paul Nolte (Hg.): Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993; Uwe Schultz (Hg.), Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 1988; Walter Haug, Rainer Warning (Hg.): Das Fest, München 1989 (Poetik und Hermeneutik, 14); Elfie Miklautz: Feste: Szenarien der Konstruktion kollektiver Identität, in: Josef Kopperschmidt, Helmut Schanze (Hg.): Fest und Festrhetorik. Zur Theorie, Geschichte und Praxis der Epideiktik, München 1999, S. 193 – 206; Konrad Ehlich: Politisches Feiern als kommunikatives Handeln, in: Helmut Guggenberger, Wolfgang Holzinger (Hg.): Neues Europa – Alte Nationalismen. Kollektive Identitäten im Spannungsfeld von Integration und Ausschließung, Klagenfurt 1993, S. 117 – 144 sowie die zahlreichen Arbeiten zu Fest, kollektiver Identität und Gedächtnis von Jan und Aleida Assmann. 23 Homann 2004. 24 Hettling/Nolte 1993, S. 10.

Feste und Feiern als Produktionsorte kollektiver Identitäten

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geschehens »immer auch die Ordnung der Gesellschaft erkennen – und zugleich die Utopie zukünftiger Gesellschaft, soweit die Zeitgenossen den realen Verhältnissen im Medium des Festes, bewusst oder unbewusst, Kritik und Gegenentwurf gegenüberstellen«.25 Im konkreten Handlungszusammenhang des Festes als »Brennglas« oder »historischen Mikrokosmos« sehen Hettling und Nolte die sozialen Strukturen des 19. Jahrhunderts repräsentiert. Erlebnis und Erfahrung sozialer Ungleichheit und die symbolische Bekräftigung sozialer Distinktion lassen sich ihrer Ansicht nach im Fest untersuchen.26 Feste sind darüber hinaus selbstreflexiv und selbstvergewissernd. In ihnen thematisiert eine Gruppe ihr Selbstbild und vermittelt es an die Feiernden als Mitglieder dieser Gruppe. Sie vermitteln über Mitgliedschaftszuweisung personale und kollektive Identität zugleich, denn diese ist »ein Bewusstsein von sich, das zugleich ein Bewusstsein der anderen ist: der Erwartungen, die sie an einen richten, der Verantwortung und Haftung, die sich daraus ergibt«.27 Das Fest verleiht dem Dasein und Handeln der Gruppenmitglieder Sinn durch Einbettung der Gegenwart in eine kollektive Vergangenheitskonstruktion. Zur Gegenwartsrepräsentation und Zukunftsprojektion gesellt sich damit eine dritte Dimension, welche die im Fest dargestellte Gegenwart und konstituierte Gemeinschaft begründet und die Zukunftserwartung unter Verwendung des Fortschrittsgedankens legitimiert: die Vergangenheit.28 Feste sind keine im Gegenwärtigen isolierte Einheiten, in ihnen wird über erinnerungskulturelle Narrativierung des Anlasses oder der Festgemeinschaft das kollektive Gedächtnis der feiernden Gruppe hergestellt, verhandelt oder modifiziert. Die Vergangenheit als Inhalt des kollektiven Gedächtnisses ist allerdings nicht gleichbedeutend mit Geschichte, sondern deren funktionale Verzerrung. Geschichte setzt da an, wo die Vergangenheit nicht mehr »gelebt« wird, und hebt sich durch Betonung der vom kollektiven Gedächtnis unterdrückten Brüche und Wandel von demselben ab.29 Soweit Vergangenheit zur gesellschaftsfundierenden Geschichte verdichtet wird, handelt es sich um Mythos. Seine Funktion liegt in der Erhellung der Gegenwart und Zukunft der Gemeinschaft durch funktionale Bezugnahme auf die Vergangenheit, wobei Gegenwärtiges im Licht einer Geschichte als sinnvoll, notwendig oder schicksalhaft gedeutet wird. Wird die 25 Ebd., S. 13. 26 Ebd., S. 16. 27 Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, S. 135. 28 Miklautz 1999, S. 199. Dabei gehen Erinnerung und Vergessen einher. »Als soziales Konstrukt ist kollektive Identität auf kontinuierliche Imagination des Gemeinsamen angewiesen, was über gesellschaftliche Erinnerungsarbeit ebenso erfolgt wie über soziale Amnesie«. 29 J. Assmann 1992, S. 43. Der jeweilige Produzent rekonstruiert allerdings auch nur aus seiner Eingebundenheit in die Kommunikationsrahmen heraus, also keineswegs objektiv. Vgl. A. Assmann 1999, S. 142.

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Gegenwart als defizitär wahrgenommen, kann über den Vergangenheitsbezug das Defizitäre durch Hervorhebung des Fehlenden, Verschwundenen oder Verlorenen betont und die Gegenwart in Erinnerung an eine schönere Vergangenheit transzendiert werden.30 Diese Funktion wird in der Geschichte der deutschen Nationalbewegung mit ihrem Reichsbezug und der Betonung verloren gegangener Einheit der Deutschen, die es gelte wiederherzustellen, besonders deutlich, ist aber nicht darauf beschränkt.31 Feste sind daher auch kollektive Gedenkrituale, die Vergangenes in Szene setzen, um eine bestimmte Deutung durchzusetzen. Öffentlich Erinnertes schlägt in Mythos um, da »die Konservierung einer bestimmten Vergangenheitsversion als Kontinuität erlebbar« gemacht wird. Durch Kanonisierung der »Geschichte« erfährt die Gruppenexistenz eine historische Begründung, die dem gegenwärtigen Zweck untergeordnet ist. Die historischen Bezüge im Fest sagen dann vor allem etwas über die Feiernden selbst aus, die diese Bezüge herstellen, um gegenwärtiges Handeln mit Sinn zu versehen oder zukünftiges als historisch notwendig zu determinieren. Der im Fest hergestellte, artikulierte und reproduzierte kulturelle Sinn stellt einen verbindlichen Orientierungsrahmen als Modell zukünftiger kollektiver Identität bereit – und mit der Darstellung des Gemeinsamen wird zugleich der Glaube daran erzeugt.32

Deutsche Nationalfeste im 19. Jahrhundert Das deutsche Nationalfest, das sich seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts entwickelte, war ein Import aus Frankreich. Die Übernahme der auf Rousseau zurückgehenden französischen Konzeption von Nationalfeiern durch Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt und andere erfolgte von Beginn an unter der Prämisse, die Herstellung und Ausbreitung einer nationalen deutschen Identität zu befördern. Ebenfalls von Beginn an war die translokale mediale Vernetzung der Teilnehmer in die Entwicklung der deutschen Nationalfest-Kultur eingeschrieben. Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein blieben öffentliche Feste in Deutschland auf den lokalen und regionalen Raum beschränkt. Erst dann gestaltete sich die Konzeption von Volks- und Nationalfesten allmählich weiter aus, wurde der »Raum des ›öffentlichen‹ Fests grundsätzlich im Rahmen des Staats, der Nation gedacht«.33 30 31 32 33

J. Assmann 1992, S. 78 – 79. Ebd., S. 83. Vgl. Miklautz, S. 199 – 200. Paul Münch: FÞtes pour le peuple, rien par le peuple. »Öffentliche« Feste im Programm der

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Jean-Jacques Rousseau konzipierte im ausgehenden 18. Jahrhundert das Fest als politische Vermittlungs- und Vergemeinschaftungsinstanz, die in der Lage ist, Gemeinschaft zu stiften und zugleich rationale und abstrakte politische Inhalte emotional angereichert zu vermitteln, sie dauerhaft »in den Herzen« zu verankern und so gegen äußeren Zugriff zu sichern. Unter Verwendung alten Brauchtums sollte die nationale Gemeinschaft sich ihrer selbst und ihrer Verschiedenheit von anderen bewusst werden, vorzugsweise in öffentlichen Volksfesten und Wettkämpfen, die unter freiem Himmel sozialschichtenübergreifend gefeiert werden sollten.34 Auf dieser Grundlage entwickelte sich im revolutionären Frankreich das öffentliche politische Fest in einer neuen Qualität.35 Erstmals nahmen große Menschenmassen auch aktiv am Festgeschehen teil. Die revolutionär-republikanischen Feste Frankreichs fanden unter freiem Himmel statt und ermöglichten so teilweise mehreren zehntausend Menschen die Teilnahme. Subjekt und Objekt zugleich war in diesen Festen das französische »Volk«, das sich in seiner Existenz und in Preisung des gemeinsamen Handelns in der Revolution selbst feierte. Unter bewusster Zuwendung an die Emotionalität der Beteiligten wurde das Fest zur Vermittlung und Verallgemeinerung politischer Inhalte genutzt und trug zur Identitätsbildung bei, indem gemeinsames Handeln in der Vergangenheit als Anlass für gegenwärtiges gemeinsames Handeln im Fest diente.36 Im Zuge der Besetzung linksrheinischer Gebiete durch französische Revolutionstruppen fand der neue Festtypus den Weg über den Rhein. Er zeichnete sich aus durch Öffentlichkeit, Aneignung des öffentlichen städtischen Raumes, Beteiligung großer Menschenmengen, Selbstreferentialität der Feiernden, Verwendung von Symbolen und anderen Elementen und beinhaltete eine Mischung rationaler Inhaltsvermittlung mit emotionaler Ansprache an die Beteiligten.37

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Aufklärung, in: Düding/Friedemann/Münch 1988, S. 25 – 45, S. 35. Als wesentlicher Faktor für diese Entwicklung diente auch die erhöhte Mobilität, die durch technische Neuerungen, wie die Eisenbahn oder das Dampfschiff, befördert wurde. Jean-Jacques Rousseau: Betrachtungen über die Regierung Polens und über deren vorgeschlagene Reform, in: Ders.: Sozialphilosophische und Politische Schriften, München 1981, S. 563 – 655. Ders.: Brief an d’Alambert, in: Henning Ritter (Hg.): Jean-Jacques Rousseau – Schriften, Bd. 1, S. 341 – 474, insbes. S. 462 ff. Zur Festdiskussion in der Aufklärung und bei Rousseau vgl. auch Dieter Narr : Fest und Feier im Kulturprogramm, in: Ders.: Studien zur Spätaufklärung im deutschen Südwesten, Stuttgart 1979, S. 208 – 226; Düding, Einleitung, S. 14; Hugger, S. 11 f. Vgl. Gilbert Ziebura: Frankreich 1790 und 1794. Das Fest als revolutionärer Akt, in: Uwe Schultz (Hg.): Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 1988, S. 258 – 269. Vgl. Düding, Einleitung, S. 14 f.; Dieter Düding: Nationale Oppositionsfeste der Turner, Sänger und Schützen im 19. Jahrhundert, in: Düding/Friedemann/Münch 1988, S. 166 – 190, S. 180. Ottilie Dotzenrod: Republikanische Feste im Rheinland zur Zeit der Französischen Revo-

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Während der »Befreiungskämpfe« und verstärkt nach dem Sieg über Napoleon wurde die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit deutscher Nationalfeste von den Apologeten der deutschen Nationalbewegung in verschiedenen Schriften diskutiert. Namentlich Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn hatten daran großen Anteil. So betonte Jahn bereits 1810, das geeinte deutsche »Volk« müsse durch nationale Feiern seinen Einigungs- und Zusammengehörigkeitswillen unter Beweis stellen.38 Ernst Moritz Arndt knüpfte an Jahns Ausführungen an und schlug 1814 vor, man solle »heilige Feste des ganzen deutschen Namens« veranstalten, insbesondere zu Ehren der Gefallenen und Ermordeten und des Sieges über die Franzosen in der Schlacht von Leipzig.39 Die Ausführungen und Vorschläge Arndts und Jahns waren eindeutig durch die französischen Revolutionsfeste beeinflusst, ließen ihre Leser allerdings über diese Verbindung im Unklaren.40 Die vor allem von Arndt vorgeschlagene und publizistisch von ihm, Jahn, Rudolf Zacharias Becker, Joseph Görres und Anderen vorbereitete Feier des ersten Jahrestages der Schlacht von Leipzig fand am 18. Oktober 1814 statt. Dieter Düding hat dieses erste deutsche Nationalfest als »Matrix der deutschen Nationalfeste im 19. Jahrhundert« bezeichnet, weil es den Fundus für die kommenden Feiern der deutschen Nationalbewegung bereitstellte.41 Hervorragendes Merkmal der dezentral organisierten Feiern des 18. Oktober war die »Feuernacht«: Auf Bergen oder hoch liegenden Punkten und Gebäuden wurden Feuer entzündet. Diese waren auf größere Entfernungen sichtbar und bildeten eine optische Vernetzung der dezentralen lokalen Feste. Gedeutet wurden sie als Zeichen der Freude über den gemeinsam errungenen Sieg im Kampf gegen die Franzosen, als Zeichen der engen Verbundenheit aller Deutschen über Konfessionen und soziale Klassen hinweg und als national-religiöse Dank- und Opferfeuer.42 Die Vernetzung der Feiernden über die Feuer war durchaus gewollt und schon Arndt konzipierte die leuchtenden Knotenpunkte des Netzwerks als

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lution, in: Düding/Friedemann/Münch 1988, S. 46 – 66. Zum Einfluss französischer Revolutionsfeste auf die deutschen Nationalfeste vgl. auch Johannes Willms: Politische Walpurgisnacht. Das Hambacher Fest von 1832, in: Uwe Schultz: Das Fest, München 1988, S. 284 – 294. Vgl. Dieter Düding: Das deutsche Nationalfest von 1814: Matrix der deutschen Nationalfeste im 19. Jahrhundert, in: Düding/Friedemann/Münch 1988, S. 67 – 88, S. 79. Ernst Moritz Arndt: Noch ein Wort über die Franzosen und über uns, o. O. 1814. Ders.: Ein Wort über die Feier der Leipziger Schlacht, Frankfurt am Main 1814. Düding, Matrix, S. 80 f. Vgl. Düding, Matrix. Ute Schneider sieht diese Feier als intellektuelle Konstruktion, die in der tatsächlichen Beteiligung weit hinter den behaupteten Teilnehmern zurückblieb. Vgl. Ute Schneider : Die Feiern der Leipziger Schlacht am 18. Oktober 1814 – eine intellektuelle Konstruktion, in: Blätter für deutsche Landeskunde 133 (1997), S. 219 – 238. Düding, Matrix, S. 71 ff.

Deutsche Nationalfeste im 19. Jahrhundert

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Kommunikatoren, in denen das Fest und sein Gegenstand selbst sich vermittelten.43 Durch das Entzünden eines Feuers wurde es der lokalen Festgemeinschaft möglich, sich in die überlokale Gemeinschaft der Feiernden einzugliedern. Die Feuer selbst wurden zum Medium und kommunizierten das eigene Feiern an die Anderen, während die umliegenden Feuer das Feiern der Anderen repräsentierten. Die im Erfahrungsraum der Akteure sich abspielende konkrete Handlung des Feierns wurde somit abstrahiert und bekam eine zusätzliche, im transzendenten überlokalen Raum liegende Bedeutung. In einem zweiten Schritt wurden die lokalen Erfahrungsräume der Feiernden durch die nächtlichen Feuer in den überlokalen Raum gleichsam eingewoben, das lokale Handeln als überlokal eingebettetes Handeln erlebbar. Die imagined community bewegte sich aus der Imagination heraus und wurde – vor aller Augen – sichtbar. Die vorhergehende national-transzendente Sinngebung des lokalen Handelns in publizistischen Kommentierungen fand so im konkreten Erfahrungsraum der Feiernden ihre Entsprechung und wurde bestätigt, die Abstraktion »Nation« gleichsam konkretisiert.44 Dabei blieb die Interpretation des Gemeinsamkeitssymbols offen, was sich in den unterschiedlichen Deutungen der Brände als Freuden-, Verbrüderungs- oder Dankesfeuer zeigt45, während lokale Spezifika in der medialen Vermittlung ausgeblendet wurden. Diese kommunikative Verknüpfung von lokalem und nationalem Raum, die Konkretisierung des Abstrakten bei gleichzeitiger Abstraktion des Konkreten, ist ein Element aller Nationalfeiern des 19. Jahrhunderts. Dabei wurde der Bezug der Vernetzung zunehmend ins Symbolische verlegt, übernahmen der schwarz-rot-goldene Dreifarb, die Hymne »Was ist des Deutschen Vaterland« von Ernst Moritz Arndt und andere Symbole der Nationalbewegung sowie die sich ausbreitenden Printmedien die verbindende Rolle, die in der Feuernacht von 1814 die einzelnen Signalfeuer übernommen hatten. Mit der Ausbreitung des Pressewesens wurde zudem eine neue Dimension in der Vernetzung erreicht, da Zeitungen mit ihrer Berichterstattung über den unmittelbaren Erfahrungsraum der Feiernden hinaus gemeinsames Handeln vermitteln konnten.

43 Ernst Moritz Arndt: Ein Wort über die Feier der Leipziger Schlacht, Frankfurt am Main 1813, S. 10 – 11. 44 Die Feuer können in Anlehnung an Berger/Luckmann auch als »Objektivationen« verstanden werden, in denen die Nation sich konkretisiert. Vgl. Berger/Luckmann, S. 36 – 38. 45 Vgl. Düding, Turner, S. 179 f.

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Die Schillerfeier 1859 – ein Medienereignis? Mit dem öffentlichen Fest und der Presse fanden bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zwei Medien bürgerlicher Selbstorganisation zunehmend zueinander. Die Ausweitung des Festraumes in den seit 1814 in Deutschland inszenierten Nationalfesten ist ohne mediale Flankierung nicht vorstellbar. Umso erstaunlicher ist es, dass die funktionale Verbindung von Presse und öffentlichem Fest von der Festforschung bislang vor allem vor dem Hintergrund der Zensurproblematik untersucht wurde, nicht jedoch in ihrer raumüberwindenden und kommunikativ-vernetzenden Funktion, die überregionale Kommunikation mit breiter Partizipation erst möglich machte. Für die deutschen Nationalfeste wurde zumindest bis zur Reichsgründung die Existenz einer sich trotz Zensurmaßnahmen ausweitenden begleitenden Festberichterstattung in den Printmedien nachgewiesen. Matthias Schwengelbeck hat am Beispiel von Huldigungsfeiern im 19. Jahrhundert gezeigt, dass Printmedien im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend in die Festkommunikation einbezogen und eingebunden wurden. Sie verhielten sich dabei allerdings nicht passiv, indem sie etwa eine reine Dislokation der lokalen Festkommunikation und damit eine Erweiterung des Kommunikationsraums über die unmittelbare Versammlungsöffentlichkeit hinaus bewirkten. Die Einbindung der Presse wirkte vielmehr auf die Kommunikation der Versammlungsöffentlichkeit und ihre Bedingungen zurück und veränderte diese.46 Bei einer dezentralen Festorganisation, wie sie bei den Schillerfeiern von 1859 vorliegt, ist die mediale Vernetzung der Teilnehmer eine Voraussetzung dafür, dass die Feier überhaupt als überregionales Fest oder Nationalfest wahrgenommen werden kann. Die Menschen in den einzelnen Festorten wurden vorrangig durch Zeitungen und Journale darüber informiert, dass auch in vielen anderen Städten Feste vorbereitet und durchgeführt würden. »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.«47 Das gilt im besonderen Maße für die Nation. Allerdings konnte bislang weder theoretisch noch empirisch befriedigend gezeigt werden, wie sich die nationsweite Öffentlichkeit konkret konstituiert. Und auch für die bürgerlichen Feste, die im 19. Jahrhundert als Nationalfeste begangen wurden, fehlen bislang Einsichten in die Funktion der Medien für diese Feiern und die Konstituierung der nationalen Gemeinschaft. Stattdessen konzentrieren sich die Ansätze vorrangig auf Rituale, Inszenierungsmerkmale und Identitätsbil46 Matthias Schwengelbeck: Die Politik des Zeremoniells. Huldigungsfeiern im langen 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2007. Ähnlich auch Rita Stöckli: Der Savoyerhandel von 1860. Die mediale Konstruktion eines politischen Ereignisses, Zürich 2008. 47 Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien, Wiesbaden 32004, S. 9.

Die Schillerfeier 1859 – ein Medienereignis?

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dungsprozesse auf der Ebene der jeweils lokalen Ereignisse. Die Rolle und Funktion der Medien in Fest und Feier als (immer auch) Medienereignissen wurde dabei bisher kaum beachtet. Gerade für die Entwicklung nationaler Festkulturen ist die Bedeutung der Medien aber von herausragender Bedeutung.48 Die konstruktivistische Nationalismusforschung könnte – wie die Geschichtsschreibung insgesamt – von einer stärkeren Betrachtung medialer Aspekte profitieren. Insbesondere neuere Erkenntnisse über die Performativität der Medien könnten neue Fragestellungen eröffnen dazu, wie die Printmedien dazu beitrugen, Vorstellungen u. a. von der Nation herzustellen und zu verstärken.49 Über die Performativität der Medien ließe sich auch die Medialität der Nation neu diskutieren. Versteht man die Nation als performativ konstruierte kollektive Identität, dann wird darüber nicht nur eine lokale und soziale Verortung der Nationsbildung sondern zugleich die Ereignishaftigkeit der Nation behauptet. Will man also mit Frank Bösch »die jeweiligen medialen Kommunikationsmöglichkeiten und die Ausbildung von historischen Ereignissen als miteinander verschränkt ansehen«50, dann muss auch nach den medialen Bedingungen und Möglichkeit der Nationsbildung im historischen Moment der Ereignung der Nation in ihren historisch spezifischen Versammlungsöffentlichkeiten gefragt und dabei »die Interaktion zwischen der körperlichen ›Aufführung‹ vor Ort und der medialen Grundierung« berücksichtigt werden.51 Die vorliegende Arbeit untersucht die Schillerfeier von 1859 und mit ihr auch die Nation selbst daher als Medienereignis. Medienereignisse sind Schlüsseler48 David Waldstreicher hat den Anteil der medialen Preformation in den amerikanischen Verfassungsfeiern durch Zeitungsberichterstattung betont. Und auch Kathleen N. Conzen schreibt der deutsch-amerikanischen Presse einen Anteil an der Herausbildung einer deutsch-amerikanischen Festkultur seit den Schillerfeiern von 1859 zu. David Waldstreicher : In the midst of perpetual fetes. The making of American nationalism 1776 – 1820, Chapel Hill 1997; Kathleen N. Conzen: Ethnicity as Festive Culture. Nineteenth-Century German America on Parade, in: Werner Sollors (Hg.): The Invention of Ethnicity, New York, Oxford 1989, S. 44 – 76. Den Zusammenhang von Presse und Medien im deutschen Nationsbildungsprozess untersucht auch Kirsten Belgum, Popularizing the nation. Audience, Representation and the Production of Identity in »Die Gartenlaube« 1853 – 1900, Chapel Hill 1998. 49 In Anlehnung an eine Forderung von Frank Bösch an Historikerinnen und Historiker, sich künftig stärker der Frage zu widmen, wie Medien zur Herstellung bestimmter Vorstellungen – in dieser Arbeit die Nation – beitrugen und verstärkt die medialen Prägungen von Ereignissen zu untersuchen. Frank Bösch: Mediengeschichte im 20. Jahrhundert. Neue Forschungen und Perspektiven, in: Neue Politische Literatur 52 (2007), S. 409 – 429, S. 429 und Ders.: Ereignisse, Performanz und Medien in historischer Perspektive, in: Ders., Patrick Schmidt (Hg.): Medialisierte Ereignisse. Performanz, Inszenierung und Medien seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt, New York 2010, S. 7 – 29, S. 28. 50 Bösch 2010, S. 9. 51 Ebd., S. 11.

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eignisse, »die einen Prozess gesamtgesellschaftlicher Kommunikation auslösten«52 und damit »eine besonders intensive, meist grenzübergreifende Verdichtung der Kommunikation auf ein Thema, das von den Zeitgenossen als ein besonderer Einschnitt gesehen wird«53 bezeichnen, wobei sowohl die Gesellschaft also auch die Grenzüberschreitung nachfolgend nicht in nationalstaatlicher Verengung gedacht werden soll. Als Medien sollen dabei vornehmlich diejenigen technischen Verbreitungsmedien verstanden werden, die eine entsprechende translokale und transregionale Verdichtung der Kommunikation leisten können. 1859 handelte es sich hierbei vor allem um Zeitungen und Zeitschriften, also periodisch erscheinende Printmedien aller Art. Diese Arbeit bezieht sich damit vornehmlich auf einen an Jürgen Wilke angelehnten Medienbegriff, wie er auch vom Gießener Graduiertenkolleg »Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart« verwendet wurde, an dem diese Arbeit entstand.54 Mit Anschluss an Reinhart Kosseleck hat Friedrich Lenger die Narrativität und Medialität von Ereignissen betont: »Diese Sinnhaftigkeit, die überhaupt erst ein Ereignis konstituiert, ist […] gebunden an die Integration des Geschehens in eine Erzählung. Letztere erfährt im Prozess der medialen Repräsentation regelmäßig einen Prozess der Konzentration und Verdichtung bis hin zur Kristallisation in einem einzigen Bild.«55 Durch die narrative Struktur von Medienereignissen lassen sich somit das ereignishafte Geschehen und seine mediale Präsentation unterscheiden.56 Ein Medienereignis zeigt »die Existenz eines ihm vorgängigen, wenn auch in ihm selbst abwesenden, Geschehens an«.57 Das vermeintlich »wirkliche« Ereignis (das allerdings als solches bereits ein Arrangement von Vergangenem ist und damit erzählt, also narrativ eingefasst wurde) kann dann mit seinen medialen Repräsentationen verglichen, funktionale Verzerrungen kritisch diskutiert oder in ihrer Wirksamkeit auf unterschiedliche Publika befragt werden.

52 Friedrich Lenger : Einleitung. Medienereignisse der Moderne, in: Ders., Ansgar Nünning (Hg.): Medienereignisse der Moderne, Darmstadt 2008, S. 7 – 13, S. 8. 53 Bösch 2010, S. 9. 54 Justus-Liebig-Universität Gießen, GRK 891 »Transnationale Medienereignis von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart«, Sprecher : Prof. Dr. Friedrich Lenger, Forsetzungsantrag, Gießen 2005, S. 11. Vgl. auch Jürgen Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Köln 2000. 55 Lenger 2008, S. 9. 56 Ebd. Zum Verhältnis von Ereignis und Medienereignis vgl. auch Matthias Thiel: Ereignis und Normalität. Zur normalistischen Logik medialer und diskursiver Ereignisproduktionen im Fernsehen, in: Oliver Fahle, Lorenz Engell (Hg.): Philosophie des Fernsehens, München 2005, S. 121 – 135. 57 Guido Isekenmeier : Medienereignis, in: Ansgar Nünning (Hg.): Grundbegriffe der Kulturtheorie und Kulturwissenschaften, Stuttgart 2005, S. 143 – 144.

Die Schillerfeier 1859 – ein Medienereignis?

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Die Schillerfeiern von 1859 stellen diese Sicht vor eine Herausforderung, da auf der Ereignisebene nicht ein einzelnes ereignishaftes Geschehen, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Handlungsabläufe in Form der lokalen Schillerfeiern vorliegt. Zudem fehlt 1859 eine nationalstaatlich organisierte Medienlandschaft. Nicht zuletzt ist die Frage der Nation sowohl kulturell-identitär wie auch politisch-staatlich 1859 noch unentschieden. Schließlich widmet sich diese Arbeit am Beispiel der Schillerfeiern von 1859 der Nation in ihrer Emergenz und insbesondere der Funktion der Printmedien in diesem Prozess. Das gilt insbesondere für die Schillerfeier als Nationalfest, also das Konglomerat der Einzelfeiern im kollektiv-Singular, für die es 1859 keine ereignishafte Entsprechung außerhalb der Medienberichterstattung gab. Für die Schillerfeier 1859 als Nationalfest einschlägig erweist sich daher die von Nick Couldry und Andreas Hepp in Erweiterung von Dayan und Katz aufgestellte Definition von Medienereignissen als »certain situated, thickened, centering performances of mediated communication that are focused on a specific thematic core, cross different media products and reach a wide and diverse multiplicity of audiences and participants«.58 Die mediale Kommunikation zur Schillerfeier von 1859 in der Presse, die von der Ereignishaftigkeit der Einzelfeste »berichtet«, diese aber zugleich diskursiv zum Nationalfest transformiert und anschließend auf die Ereignisebene zurückspeist, kann daher nicht allein als Quelle betrachtet werden, um die Ereignisebenen zu rekonstruieren, sondern muss in ihrer performativen Kraft ernst genommen werden. »Das Ereignis zeigt sich erst im Medienereignis«, so Guido Isekenmeier in Anschluss an Thomas Rathmann, »es konstituiert sich als solches erst als Medienereignis, indem es ›von sich reden macht‹.«59 Darin gründet die performative Funktion von Medienereignissen. Die Performativität von Medien wurde unter anderem von Jacques Derrida hervorgehoben: »Es ist bekannt, dass die Techniken der unmittelbaren Wiedergabe von Worten und Bildern im selben Maß, in dem sie sich entwickeln, zugleich auch interpretieren, selektieren, filtern und infolgedessen das Ereignis machen anstatt es bloß abzubilden.«60 Dieser produktive Charakter tritt aber nicht offen zutage, denn während eine »Interpretation tut, was sie sagt«, gibt sie gleichzeitig vor, »eine von ihr unabhängige Realität bloß auszusagen, zu zeigen oder zu übermitteln«. Derrida fordert daher, 58 Nick Couldry, Andreas Hepp: Media events in globalised media cultures, in: Dies. (Hg.): Media Events in a Global Age, New York 2009, S. 1 – 20, S. 12. 59 Isekenmeier 2005. Rathmann betont dabei, dass ein Ereignis nicht von sich aus Bedeutung hat, sondern diese erst durch den Diskurs gewinnt und zugesprochen bekommt. Thomas Rathmann: Ereignisse Konstrukte Geschichten, in: Ders. (Hg.): Ereignis. Konzeptionen eines Begriffs in Geschichte, Kunst und Literatur, Köln u. a. 2003, S. 1 – 19, S. 14. 60 Jacques Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, Berlin 2003, S. 22.

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»ein kritisches Wissen von allen Apparaten zu organisieren, die vorgeben, Ereignisse mitzuteilen, die sie aber in Wirklichkeit interpretieren, hervorbringen oder machen«.61 Diese Forderung lenkt den Blick auf die performative Funktion von Medien, die sich hinter einer vermeintlich rein konstitutiven Funktion versteckt, nach der von den Ereignissen ja nur »berichtet« wird. Medien werden nach Sybille Krämer ihrer Aufgabe umso besser »gerecht«, je mehr sie sich selbst im medialen Vollzug neutralisieren und unterhalb der Wahrnehmungsschwelle bleiben.62 Sinn und Bedeutung werden laut Krämer durch Medien nicht einfach vermittelt: Medien »phänomenalisieren«, sie machen wahrnehmbar, indem sie verkörpern, wobei das durch sie Verkörperte nur in der flüchtigen und prozessualen Gegenwärtigkeit des Medienumgangs existiert. Sie sind »Vermittler« in dem Sinne, dass sie vermitteln »zwischen zwei Polen oder Positionen, zwischen denen sie ein Sinnlichkeitskontinuum stiften«.63 Diese Positionen sollen im Nachfolgenden verstanden werden als die konkreten lokalen Handlungsräume der Akteure einerseits und die Nation als imaginierte Handlungsgemeinschaft bzw. überoder translokale Fest- und Handlungsgemeinschaft andererseits. Da die Mitglieder einer Nation als Imagined Community zum allergrößten Teil nicht direkt, sondern nur vermittelt miteinander in Kontakt treten und sich als Gemeinschaft erfahren können, erscheint die Suche nach den Medien ihrer translokalen und transregionalen kommunikativen Vergemeinschaftung sinnvoll und fruchtbar für die Frage, wie und unter welchen Bedingungen sich die Emergenz der Nation vollzieht. Es ist davon auszugehen, dass Zeitungen und Zeitschriften in der Mitte des 19. Jahrhunderts einen relevanten Beitrag dazu leisteten, überlokale und damit virtuelle Gemeinschaften zu konstituieren. Dieser Beitrag wäre schon deshalb besonders zentral, weil Akteure in lokalen Handlungskontexten sich und ihr eigenes Handeln nur dann sinnvoll auf das Handeln ihnen unbekannter Akteure beziehen können, wenn sie von diesen Anderen wissen und sie sich als Teil ein und derselben Gemeinschaften empfinden und bestmöglich auch wahrnehmen können. Diese Bereitstellung von Wissen über das Handeln der Anderen wird im 19. Jahrhundert zunehmend über Zeitungen gewährleistet, die über zunehmende Periodizität, Ausbreitung und Nachrichtenübermittlungs61 Ebd., S. 23. Vgl. zur Forderung nach einer kritischeren Sicht auf die gesellschaftstransformativen Funktionen und Wirkungen von Medien (hier allerdings mit einem weiteren Medienbegriff) auch Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle, Düsseldorf 1968, insbesondere Kapitel 1. Die Performativität von Medienereignissen ist inzwischen als Konsens der Kulturwissenschaften auch lexikalisch definiert bei Isekenmeier 2005. 62 Sybille Krämer: Was haben »Performativität« und »Medialität« miteinander zu tun? Plädoyer für eine in der »Aisthetisierung« gründende Konzeption des Performativen, in: Dies. (Hg.): Performativität und Medialität, München 2004, S. 13 – 32, hier S. 22. 63 Krämer 2004, S. 25.

Fragestellung und methodisches Vorgehen

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geschwindigkeiten eine alltägliche Repräsentanz des Anderen im Hier und Jetzt des lokalen Handlungsraums ermöglichten und erfahrbar machten. Dieser Zugriff auf die horizontale Vernetzung von Akteuren im Nationsbildungsprozess könnte die über die Untersuchung von Erinnerungskulturen oder Invented Traditions bereits gut erforschte vertikale Verknüpfung in der Nationsbildung ergänzen und erweitern. Neben der inhaltlichen Rekonstruktion lokaler Festaktivitäten unter Zuhilfenahme der Printmedien als Quelle für die Ereignisebene, soll in dieser Arbeit daher auch gefragt werden, ob es über die inhaltlichen Festberichte hinaus weitere Ebenen der Nationserzählung in der Schillerfestkommunikation der Printmedien gab und inwieweit diese für Prozesse der kommunikativen Nationsproduktion relevant sein könnten. Wenn also abschließend in Kapitel IV unter Rückgriff auf die entsprechenden Befunde aus den Einzelfesten die Frage der »medialen Konstruktion des Nationalen« in der Schillerfeier von 1859 diskutiert wird, dann folgt dies auch der Forderung von Frank Bösch, »Ereignisse auf ihre mediale Prägung hin zu untersuchen, die sich eben nicht auf die ex-post Berichte über diese reduzieren lassen«.64 Die medial repräsentierte Schillerfeier von 1859 als Nationalfest aber auch die einzelnen lokalen Schillerfeiern, die nicht sinnvoll voneinander getrennt werden können, sollen dabei im Anschluss an Thomas Rathmann als performativer Diskurs verstanden werden, der zugleich produziert, was er beschreibt – nämlich die Handlungsgemeinschaft der Deutschen im Nationalfest und darüber zugleich die deutsche Nation als kollektive Identität.65 Aus dieser Perspektive heraus soll die Funktion der Printmedien in diesem Diskurs betrachtet und bereits in den Einzelkapiteln gefragt werden, wie 1859 eine auf den ersten Blick nicht-narrative Erzählung des Nationalfests Schillerfeier mittels medialer Vernetzung der Festorte gelingen konnte, wie sie bereits in den Freudenfeuern im Nationalfest von 1814 erfolgte.

Fragestellung und methodisches Vorgehen Ziel dieser Arbeit ist es, die kommunikative und medial gestützte Konstruktion der Nation am Beispiel der Schillerfeiern von 1859 darzustellen und zu analysieren. Am Beispiel ausgesuchter Schillerfeiern in Europa und Nordamerika werden die diskursiven Verknüpfungen lokaler Handlungsräume mit dem me-

64 Bösch 2010, S. 28. 65 Vgl. Thomas Rathmann: Geschehen und Geschichten, des Konstanzer Konzils. Chroniken, Briefe, Lieder und Sprüche als Konstituenten eines Ereignisses, München 2000, S. 50 – 51.

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dial vermittelten überlokalen Festraum in der Zeitungsberichterstattung untersucht. Die Schillerfeiern von 1859 ermöglichen dabei nicht nur einen beispielhaften Einblick in die medial gestützte performative Nationsbildung, sie erlauben zugleich durch ihre hohe Anzahl und das Fehlen einer zentralen Festorganisation unterschiedliche lokale Festkonzeptionen und -durchführungen sowie lokal gebundene Diskurse über die Nation in unterschiedlichen Feststädten mit zum Teil erheblich voneinander abweichenden Bedingungen für die Planung und Durchführung der jeweiligen Feiern zu untersuchen. Am Beispiel der Schillerfeiern von 1859 soll in diesem Zusammenhang geklärt werden - welche Rolle und welche Funktion die Medien, insbesondere die Presse, bei der Konstituierung des nationalen Festraums einnahmen, - in welcher Größenordnung Differenzen zwischen Einzelereignis und Medienereignis einerseits und zwischen den medial verknüpften und zur Einheit erklärten differenten Ereignissen andererseits möglich waren, ohne die »nationale Einheit« in der Feier und im medialen Diskurs zu stören oder zu gefährden, und - wie differente lokale Narrative mittels medialer Repräsentation zu einem übergeordneten Narrativ zusammengeführt werden und die Nation plausibel und anschlussfähig erzählt werden konnte. Methodisch folgt aus den theoretischen Vorüberlegungen ein Vorgehen, dass erstens die historischen Akteure und ihr Handeln in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt, zweitens die Funktion von Medien im Kommunikationsprozess sowie ihren bewussten wie unbewussten Einsatz hinterfragt sowie drittens die Narrativierungen von Gemeinschaft im Fest aufzeichnet und analysiert. In diesem Sinne werden in den Kapiteln I. bis III. die Schillerfeiern ausgewählter Festorte in mikrohistorischen Teilstudien rekonstruiert. Die Festorganisatoren und -teilnehmer werden dabei in ihrer Sozialstruktur erfasst und mit den Teilen der Stadtbevölkerung kontrastiert, die der Feier skeptisch bis ablehnend gegenüber standen und sich an ihr wenig bis gar nicht beteiligten. Auf diese Weise werden die Teilnehmer und Teilhaber der Feste identifiziert und neben der Inklusion in die Festgemeinschaft auch der (Selbst-)Ausschluss von Individuen oder Gruppen sichtbar. Auf diese Weise wird eine differenzierte Sicht auf die Reichweiten der Vergemeinschaftung im Fest und der Vergegenwärtigung der Nation in den Schillerfeiern ermöglicht. Die Festorganisatoren in den Vereinigten Staaten waren von Versammlungsverboten, polizeilicher Überwachung, Zensur oder anderen Repressionen nicht betroffen, die Feste konnten hier ohne behördliche Einflussnahme organisiert und durchgeführt werden. Durch die Einbeziehung der nordamerikanischen Schillerfeiern erhält die Frage nach festimmanenten Rollenzuschreibungen, In- und Exklusion, Zirkulation,

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Adaption oder Abwehr identitärer Deutungsinhalte daher eine weitere Dimension, die bei der Untersuchung der Feiern in den deutschen Staaten nicht gegeben ist. Ute Schneider hat kritisiert, dass die Schillerfeiern von 1859 bis heute als Nationalfest gesehen werden. Tatsächlich sei die Schillerfeier in großen Teilen der Bevölkerung überhaupt nicht gefeiert worden. Da, wo sie stattfand, sei sie hoch exklusiv gewesen, die Teilnahme keineswegs allgemein und große Teile der Bevölkerung seien aus sozialen, politischen und konfessionellen Gründen ausgeschlossen oder abgestoßen worden. Das Nationalfest Schillerfeier, so Schneider weiter, sei ein Mythos, der nur entstehen konnte, weil Initiatoren, Organisatoren, Teilnehmer, Berichterstatter und Historiographen der Schillerfeier sämtlich dem liberalen und demokratischen, meist protestantischen Bürgertum entstammten. Ihre Deutungshoheit, die sich auch in der breiten Quellenlage widerspiegle, habe einen Zirkelschluss hervorgebracht, in dem immer wieder der Anspruch und der Willen der Festredner und -berichterstatter für bare Münze genommen werde und die Schillerfeiern als nationalintegrative und allgemeine Veranstaltung auch von der Geschichtsschreibung immer wieder tradiert wurden und werden.66 Es ist fraglich, ob die Heranziehung des Integrations- und Allgemeinheitsanspruches der Nation zur Bewertung von Nationalfesten taugt, unterstellt diese Sicht doch, dass die Nation dem Nationalfest bzw. der nationskonstituierenden Kommunikation vorgängig sei und ein Nationalfest nur dann als solches bezeichnet werden kann, wenn alle Mitglieder dieser Gemeinschaft auch nachweislich an ihm partizipieren. Dem entgegen gehe ich davon aus, dass das Nationalfest die Nation als imaginierte Handlungsgemeinschaft erst konstituiert und konzentriere mich vor allem auf die Frage, wie diese Kommunikation die Imagination ermöglicht und bestärkt und welche Funktionen Printmedien in diesem Prozess übernehmen. Ungeachtet dessen liegt der zentrale und wichtige Punkt in Ute Schneiders Kritik meines Erachtens aber in der Forderung nach einer kritischen und differenzierenden Sicht, die Inklusion und Exklusion angemessen berücksichtigt und sich dem nationalen Diskurs nicht einfach hingibt. Der mikrohistorische Blick auf die einzelnen Festorte ermöglicht eine Überprüfung der Selbstbilder und -beschreibungen vor Ort und macht das lokale Narrativ, über das sich das medial vermittelte, nationale schob, wieder sichtbar. Bei der Rekonstruktion der städtischen Feiern wird es daher auch darum gehen, die Rolle und die Funktion der Printmedien in der Festorganisation und 66 Ute Schneider: »Concordia soll ihr Name sein!« Die Schillerfeiern 1859 in Köln, in: Geschichte in Köln 35 (1995), S. 67 – 80; Dies.: Politische Festkultur im 19. Jahrhundert. Die Rheinprovinz von der französischen Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (1806 – 1918), Essen 1995, S. 149 – 156.

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Festdurchführung – und darüber für den nationalen Diskurs – herauszuarbeiten und zu verstehen. Dazu gehört auch die Verbindung von den Versammlungsöffentlichkeiten der Festkomitees und der Feiern selbst mit der medialen Öffentlichkeit der Zeitungen, die sich beispielsweise durch Mitwirkung von Journalisten in Festkomitees, als Festredner oder Ähnlichem ergibt. Die Inhalte des nationalen Diskurses in der jeweiligen Festkommunikation werden über die Analyse von Festreden, Zeitungskommentaren, Memorialpublikationen und anderen Quellen insbesondere hinsichtlich der Narrativierung von Gemeinschaft untersucht. Im abschließenden Kapitel IV werden die Befunde zur Funktion der Medien im nationsbildenden Kommunikationsprozess noch einmal zusammengeführt und über die Frage nach der medialen Konstruktion des Nationalen in der Schillerfeier von 1859 die Performativität und Medialität der Nation im Nationalfest diskutiert. Als Quellen werden für die Studie Tages- und Wochenzeitungen der betrachteten Feststädte für den Zeitraum der Planung und Durchführung der Feiern, der sich in der Regel von September bis Dezember 1859 erstreckt, herangezogen. Zeitgenössische Festpublikationen, insbesondere Festreden, aber auch die für einzelne Städte verfügbaren zeitgenössischen Festhistoriographien sowie Memorialpublikationen in Form von Zeitungs-Sonderausgaben oder Einzeldrucken werden zur Rekonstruktion der einzelnen Feiern ebenfalls berücksichtigt. Soweit vorhanden ergänzen zeitgenössische Briefe, Tagebucheinträge, Memoiren und andere Ego-Dokumente von Festteilnehmern und Beobachtern die Quellenbasis, ebenso behördliche und polizeiliche Aktenbestände. Für die vorliegende Studie wurden fünf Festorte in verschiedenen deutschen Staaten Europas ausgewählt, zwei Städte im europäischen Ausland und sechs Städte mit einem bedeutenden deutschen Bevölkerungsanteil in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Auswahl und Begrenzung der Festorte unterlag vor allem arbeitspragmatischen Gründen: Vollständigkeit ist bei der großen Zahl der Schillerfeiern ohnehin nicht möglich. Dennoch war es das Ziel, eine größtmögliche Repräsentativität in der Auswahl zu erzielen. Mit den gewählten Festorten Berlin, Wien, Stuttgart und München sind die größten deutschen Staaten, Preußen, das österreichische Kaiserreich sowie die Königreiche Württemberg und Bayern vertreten. Ergänzt werden sie durch die Freie Stadt Hamburg. Berlin und Wien sind dabei als politische Machtzentren und Kontrahenten in der deutschen Nationalstaatsfrage von herausragender Bedeutung, Stuttgart, das eine gemeinsame Feier mit Ludwigsburg und Marbach ausrichtete, auch als biographisch relevanter Ort im Leben des Dichters. Bei dieser Konzentration auf Schillerfeiern im eher großstädtischen Kontext musste in der Auswahl der Festorte der ländliche Raum allerdings in den Hintergrund treten, auch wenn

Warum Schiller?

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viele Schillerfeiern in kleineren Ortschaften und Städtchen stattfanden.67 Diese lassen sich zum Teil über die vorhandene lokal- und regionalhistorische Literatur einbinden. Im nicht-deutschsprachigen europäischen Ausland werden Paris und London betrachtet. Paris und London waren im 19. Jahrhundert und insbesondere nach 1848/49 wichtige Städte des politischen Exils. Viele politische Flüchtlinge und Revolutionäre der deutschen Revolution von 1848/49 zogen sich nach dem Staatsstreich Napoleons III. im Dezember 1851 und der danach einsetzenden repressiveren Politik nach London zurück oder entschieden sich gleich zur endgültigen Auswanderung in Richtung Amerika. In Paris lebte aber auch weiterhin eine große Zahl emigrierter oder exilierter Deutscher, darunter herausragende Persönlichkeiten des politischen Exils. Die Auswahl der Festorte in den Vereinigten Staaten richtete sich vorrangig nach dem jeweiligen Bevölkerungsanteil von Immigranten aus den deutschen Staaten Europas. Neben Philadelphia und New York, die auch als Einwandererhäfen bedeutsam waren, fiel die Wahl hier auf Pittsburgh und die Städte der »German Triangle«, Cincinnati, St. Louis und Milwaukee.

Warum Schiller? Friedrich Schiller war geprägt von der ersten revolutionären Epoche der modernen Demokratiebewegung. Nach Otto Dann fanden fünf zentrale gesellschaftspolitische Problembereiche Aufnahme in Schillers Werk: - die Freiheit des Individuums und des »Volks« gegenüber fürstlichem Absolutismus (Die Räuber, Don Carlos), - die Kritik an der Ständegesellschaft im Zeichen der Menschenrechte (Kabale und Liebe), - die Konstituierung der bürgerlichen Nation (Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande, Wilhelm Tell), - die sich verändernde Stellung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft, - die Erfahrungen und Probleme nach der Französischen Revolution und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Veränderungen (Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Über die ästhetische Erziehung des Menschen). Schiller habe dabei eine antiabsolutistische Position eingenommen und das Prinzip der Humanität über die Nationalität gestellt, ein Punkt, der in der 67 Literarisch sind die kleinstädtischen und provinziellen Bemühungen um angemessene Schillerfeiern verarbeitet worden von Wilhelm Raabe: Der Dräumling, Berlin 1872.

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Schiller-Rezeption mehrfach ignoriert wurde.68 »Schiller«, schreibt Otto Dann, »hatte eine Sprache gefunden, die sich den Gebildeten ebenso vermittelte wie den lesenden Volksschichten; es war ihm gelungen, die zunehmende ›deutsche Sprachdivergenz‹ zwischen Standardsprache und Literatursprache, zwischen Volkskultur und Hochkultur zu überbrücken.«69 Zudem diente Schillers Biographie dem (Bildungs-)Bürgertum als Vorbild. Es sah in Schiller den Dichter, der für die von ihm geforderten politischen Ziele bereits in der Vergangenheit gekämpft hatte. Die Schillerfeier als bürgerliches Oppositionsfest verband daher mit der Schillerverehrung »eine subjektive zeitgenössische Adaption Schillers, die ihn zum Vorbild, Anlass und Signal politischen Handelns für die Herstellung bürgerlicher Freiheit im halbabsolutistischen Staat des Vormärz-Deutschland macht«.70 Gerhard Schmid sieht als Ursache der Schillerbegeisterung von 1859 das »politisch-aktuelle Bedürfnis nach einer Symbolfigur, in der sich gemeinsame Interessen schlagkräftig und zugleich mit einer für die Breitenwirkung notwendigen ›Unschärferelation‹ ausdrücken« konnten.71 Damit korrespondiert die selektive Behandlung seines Werkes und seiner Biographie in den Festreden und den zur Feier publizierten Texten.

Quellen und Literatur Die zeitgenössische Textproduktion zu den Schillerfeiern ist extensiv. Neben der umfassenden Zeitungsberichterstattung erschienen zahllose Festreden als Einzeldrucke, die hier nicht alle aufgeführt werden können. Eine gute Übersicht über die Festreden und Dichtungen zur Schillerfeier bieten zwei Sammelwerke, die kurz nach den Festen zusammengestellt wurden. Mit dem »Schiller-Denkmal« erschien wenige Monate nach den Festlichkeiten ein zweibändiger Sammelband mit Festreden, Prologen und Gedichten aus verschiedenen Festorten, der in Aufmachung und Umfang an Karl Hoffmanns Erinnerungsband an die Siegesfeier von 1814 erinnert.72 In München veröf-

68 Otto Dann: Schiller, in: FranÅois Etienne, Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 2, München 2009, S. 171 – 186, S. 174. 69 Ebd., S. 178. 70 Noltenius 1984, S. 74. 71 Gerhard Schmid: Die Gedenkjahre 1859 und 1905 als Brennpunkte bürgerlicher SchillerVerehrung in Deutschland, in: Walter Dietze, Werner Schubert (Hg.): Impulse. Aufsätze, Quellen, Berichte zur deutschen Klassik und Romantik, Folge 9, Berlin, Weimar 1986, S. 90 – 114, S. 108. 72 Karl Tropus (Hg.): Schiller-Denkmal, Berlin 1860: Vgl. Karl Hoffmann (Hg.): Dank- und Ehrentempel oder Beschreibung wie das aus zwanzigjähriger französischer Sklaverei durch Fürsten-Eintracht und Volkskraft gerettete Teutsche Volk die Tage der entscheidenden

Quellen und Literatur

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fentlichte Karl Maria Kertbeny eine weitere »Sammlung der vorzüglichsten Dichtungen, Prologe und Sprüche zur Schillerfeier« in insgesamt sieben Einzellieferungen.73 Eine nach Orten sortierte Übersicht von Festberichten aus der ganzen Welt findet sich in der »Europa«-Sonderausgabe »Die Schillerfeier in der Alten und Neuen Welt«, in der in kurzen Zügen die wesentlichen Programminhalte einzelner Feiern auf der Grundlage von Zeitungsberichten zusammengeführt wurden.74 Die 1859 letzte noch lebende Tochter des Dichters, Emilie von Gleichen-Rußwurm, hatte im Vorfeld der Feiern in einer in allen bedeutenden Tagesund Wochenzeitungen veröffentlichten Zeitungsannonce um die Übersendung von Schillerfestprogrammen und Festbeiträgen aller Art gebeten. Ein Verzeichnis der eingegangenen Beiträge wurde 1863 veröffentlicht und bietet gemeinsam mit einer zweiten Zusammenstellung von Otto August Seyffert einen guten Überblick über die einzelnen Programminhalte zahlreicher Feiern.75 Die kommerzielle Seite der Schillerfeier schließlich lässt sich erschließen über einen von Adolf Büchting zusammengestellten zeitgenössischen Katalog der zum Fest feilgebotenen Devotionalien und Publikationen.76 Eine Reihe von Quellen zur Schillerfeier fand zudem Aufnahme in Sammelbänden mit Texten zur SchillerRezeption.77 Neben den genannten Übersichten erschienen in einigen Festorten kurz nach der Feier zum Teil umfangreiche Erinnerungsbände und Festgeschichten, zumeist herausgegeben aus dem Kreis der Festorganisatoren. Die bekannteste dieser Festgeschichten stammt wohl von Bernhard Endrulat und beschreibt die Festwoche in Hamburg.78 Ebenfalls aus Hamburg stammt ein mit über 14 Metern

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Völker- und Rettungsschlacht bei Leipzig am 18. und 19. Oktober 1814 zum erstenmale gefeiert hat, Offenbach 1815. Karl Maria Kertbeny (Hg.): Sammlung der vorzüglichsten Dichtungen, Prologe, Vorträge und Sprüche zur Schiller-Feier 1859, München 1859 ff. Die Schillerfeier der Alten und Neuen Welt, Leipzig 1860. Emilie von Gleichen-Rußwurm (Hg.): Schillerfeier 1859. Verzeichnis der zum hundertjährigen Geburtstage Schillers seiner Tochter eingesandten Festgaben, Stuttgart 1863; Otto August Seyffert (Hg.): Schiller-Album vom 10. November 1859. Geordnete Zusammenstellung aller mir zugesendeten Programms vieler Bühnen und Vereine, Leipzig 1860. Adolf Büchting: Verzeichnis der zur hundertjährigen Geburtsfeier Friedrich von Schiller’s erschienenen Bücher, Kunstblätter, Kunstwerke, Musikalien, Denkmünzen etc. mit Angabe des Formates und Verlagsortes, der Verleger und Preise derselben. Ein Beitrag zur SchillerLiteratur, Nordhausen 1860. Norbert Oellers (Hg.): Schiller – Zeitgenosse aller Epochen. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Schillers in Deutschland, Teil 1: 1782 – 1859, Frankfurt am Main 1970; Eva D. Becker (Hg.): Schiller in Deutschland 1781 – 1970. Materialien zur Schiller-Rezeption, Frankfurt am Main 1972. Bernhard Endrulat: Das Schillerfest in Hamburg am 11., 12. und 13. November 1859, Hamburg 1860. Neben der oft zitierten Festgeschichte von Endrulat liegen zur Hamburger Schillerfeier weitere Festbeschreibungen vor: Die Hamburger Schillerfeier, ein deutsches Volksfest. Zur Erinnerung an den 11., 12. und 13. November 1859, Hamburg 1859. Hamburg

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Einleitung

Gesamtlänge in vielerlei Hinsicht einzigartiges Leporello von C. Adler, das den gesamten Hamburger Festzug abbildet.79 Ähnlich umfassend sind die zeitgenössischen Darstellungen über die Feiern in Wien und Stuttgart.80 Die Stuttgarter wie die Münchner Feier wurden zudem auch von offiziellen Stadtchronisten festgehalten.81 Frühe literarische Würdigung erfuhr die Schillerfeier bereits 1872 bei Wilhelm Raabe, der an der Schillerfeier in Wolfenbüttel bei Braunschweig beteiligt war und unter seinem Pseudonym Jakob Corvinus auch ein Gedicht dazu beigesteuert hatte.82 Als »Festgabe der Freunde Schillers in der neuen Welt« erschien zur Schillerfeier in Philadelphia 1859 ein Sammelband mit Gedichten deutscher Emigranten in den USA.83 Moritz Meyer, der Herausgeber der New Yorker Handelszeitung, veröffentlichte einen Sonderdruck, der Festberichte aus den gesamten USA zusammentrug und sich nach den Worten des Herausgebers besonders zum Versand nach Europa eigne.84 Memorialdrucke zu Einzelfesten in den USA gab es kaum. Im Verlag von William Radde erschien ein kleines Buch über die Bedeutung der Schillerfeier in New York, in Philadelphia wurde eine Broschüre veröffentlicht, die das Verhältnis von Friedrich Schiller zur religiöshumanistischen Weltanschauung diskutierte.85 Eine erste wissenschaftliche Behandlung erfuhr die Schillerfeier von 1859 in Albert Ludwigs Rezeptionsgeschichte Schillers im 19. Jahrhundert. Ludwig deutet die Schillerfeier als nationales Integrationsfest und »machtvolle Kundgebung des einigen deutschen Volkes«, das den Weg zu Bismarcks späterer

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und Altona behandelt Johann Peter Lyser : Die Schiller-Tage, November 10 – 13. 1859 in Hamburg-Altona. Gedenkblätter für spätere Tage, Hamburg 1859. C. Adler : Hamburger Festzug zur Gedächtnisfeier des hundertjährigen Geburtstages Friedrich Schiller’s, den 13. November 1859, Hamburg 1859. Friedrich Steinebach: Die Schiller-Feier in Wien. Zur Erinnerung an Schiller’s hundertsten Geburtstag am 10. November 1859, Wien 1859; Otto Elben: Das Schillerfest in Schillers Heimath. Stuttgart, Ludwigsburg und Marbach den 9., 10., und 11. November 1859, Stuttgart 1859. Vgl. Brigitte Huber : Tagebuch der Stadt München. Die offiziellen Aufzeichnungen der Stadtchronisten 1818 – 2000, Ebenhausen bei München 2004; Julius Hartmann: Chronik der Stadt Stuttgart. Sechshundert Jahre nach der ersten denkwürdigen Nennung der Stadt (1286). Wilhelm Raabe: Der Dräumling, Berlin 1872. Das Gedicht findet sich in Anneliese Klingenberg (Hg.): Wilhelm Raabe – Der Dräumling. Mit Dokumenten zur Schillerfeier 1859, S. 189 – 190. Schiller-Album zur hundertjährigen Feier der Geburt des Dichters. Festgabe der Freunde Schillers in der neuen Welt, Philadelphia 1859. Moritz Meyer (Hg.): Die Schillerfeier in den Vereinigten Staaten Nordamerikas, New York 1859. William Radde: Die Bedeutung und Feier des hundertjährigen Geburtstages von Friedrich Schiller, New York, den 8., 9., 10., 11. und 12. November 1859, New York 1859; Ferdinand Lechner : Friedrich von Schiller als Vorläufer der religiös-humanistischen Weltanschauung vom Standpunkt der Freien Gemeinde betrachtet, Philadelphia 1859.

Quellen und Literatur

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Politik geebnet hätte.86 Aus rein nationaler Sicht beschreibt auch Lothar Weinich die Schillerfeier als »Nationalfest von 1859«.87 Der erste Autor, der die nationale Sicht auf die Schillerfeier in gewisser Weise durchbrach und einen differenzierteren Blick auf die Feiernden eröffnete, war Karl Obermann.88 Dieser sieht die Schillerfeiern von 1859 als Ausdruck einer zum Ende der 1850er Jahre erstarkenden demokratischen Volksbewegung in Deutschland. In seiner Perspektive immer auf einen kleindeutschen Fokus beschränkt, stellt er dem »Volk« einerseits die halbabsolutistischen Fürstenhäuser, vorrangig Preußen, entgegen, andererseits das beispielhaft im Nationalverein organisierte Bürgertum als eine bremsende, blockierende und mit den Fürsten paktierende Kraft, die einer teleologischen Entwicklung zur nationalen Einheit Deutschlands entgegenstehe.89 Obermann durchbricht mit seiner Arbeit die vermeintliche Dichotomie zwischen fürstlicher Obrigkeit auf der einen und einem national inspirierten und einigungswilligen Bürgertum auf der anderen Seite und macht auf die Differenzen zwischen den verschiedenen sozialen Schichtungen des deutschen Bürgertums in der Schillerfeier aufmerksam. Seit der Revolution von 1848/49 habe sich das Bildungs- und Besitzbürgertum zunehmend von den unteren Gesellschaftsschichten distanziert und sei auch 1859 keineswegs geneigt gewesen, aufrührerischen oder revolutionären Kräften durch die Feier Vorscub zu leisten.90

86 Albert Ludwig: Schiller und die deutsche Nachwelt, Berlin 1909, S. 401 – 402. 87 Lothar Weinich: Das Nationalfest von 1859, Leipzig (1925). 88 Karl Obermann: Die deutsche Einheitsbewegung und die Schillerfeier 1859, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 3 (1955), S. 705 – 734. 89 Leider finden sich auch einige Ungenauigkeiten in der Argumentation: Die ausführlich dokumentierte Debatte über die Gestaltung der Eintrittspreise bei der Hamburger Festvorstellung im Stadttheater und die daraus hervorgehende gestaffelte Preisgestaltung des Eintritts wird bei Obermann zu »hohen Eintrittspreisen« verkürzt. Seine Feststellung, dass erstmals seit 1849 »die Volksmassen ohne behördliche Genehmigung unter der schwarz-rotgoldenen Fahnen für die deutsche Einheit« demonstriert hätten, ist zumindest für Hamburg und Wien nicht korrekt. Wenn Obermann die Festredner der Hamburger Theaterveranstaltungen und das »Volk« des Festzuges gegenüberstellt, dessen Organisation ausschließlich den Zünften, Gewerken und Vereinen zuschreibt, dann unterschlägt er, dass sowohl die Theaterveranstaltungen als auch der Festzug und die Illumination von einem einzigen Festkomitee geplant, organisiert und durchgeführt wurden. Leider leidet die ansonsten sehr nützliche Einbeziehung sozialer Unterschiede in den Schillerfeiern und der daraus resultierenden Möglichkeiten für die Handelnden unter solchen Ungenauigkeiten. 90 Vgl. hierzu auch Siegbert Prawer: The Schiller Centenary of 1859, in: German Life and Letters 3 (1950), S. 212 – 220; Bruce Duncan: Remembering Schiller, in: Seminar 35 (1999), S. 1 – 23. Duncan betont vor allem die politische Instrumentalisierung und Inanspruchnahme Schillers durch die Feiernden, die Feier selbst sei ein »happy coincidence« gewesen, in dem sich politische, ökonomische und soziale Fragen artikulieren ließen.

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Die bislang einzige und bis heute einflussreiche Monografie zu den Schillerfeiern von 1859 stammt von Rainer Noltenius.91 In einer an Siegmund Freud angelehnten biographischen und psychotherapeutischen Interpretation differenziert er beispielhaft die Schillerrezeption verschiedener Fraktionen des Bürgertums. Auf diese Weise verlässt Noltenius die nationale oder nationalisierende Deutung der Schillerfeier und weist, wie schon Karl Obermann, eine unterschiedliche Rezeption des Dichters in unterschiedlichen Sozialschichten der Gesellschaft nach. Die Deutungskämpfe vor allem um die öffentlichen Festteile und die Festumzüge sieht er als Beleg dafür, dass auch innerhalb des Bürgertums verschiedene Fraktionen in die Deutungskämpfe um Schiller und die Schillerfeier verstrickt sind. Während das Bildungs- und Besitzbürgertum, das die Schillerkomitees weitgehend dominierte, sich für eine eingeschränkte Öffentlichkeit einsetzte, sei im Kleinbürgertum, bei den Handwerkern und Arbeitern, der Wunsch nach größtmöglicher Allgemeinheit und Öffentlichkeit besonders ausgeprägt gewesen. Das Großbürgertum stand von zwei Seiten unter Druck: Von der Obrigkeit und den Behörden, die öffentliche Schillerfeiern unter anderem aus Revolutionsfurcht nicht dulden wollten und von unten durch Handwerker und Arbeiter, die eine breite Beteiligung aller Volksreise einforderten. Zugleich zeige sich beim Bildungsbürgertum besonders ausgeprägt eine Führer-Gefolgschafts-Struktur, die als »deutscher Bonapartismus« den Weg mindestens für die spätere Bismarck-Verehrung geöffnet habe. Besonders diese These wird in den aus der Monografie hervorgegangenen Aufsätzen betont.92 Gerhard Schmid hat die Schillerfeiern von 1859 und 1905 als »Brennpunkte bürgerlicher Schiller-Verehrung in Deutschland« untersucht. Er beschreibt die Begeisterung von 1859 vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen im Europa der späten 1850er Jahre als »Rückzug in die Innerlichkeit« und als »Station auf dem Wege eines politisch-moralischen Niedergangs« von der bürgerlich-emanzipatorischen Schillerverehrung des Vormärz zu Anpassung und

91 Rainer Noltenius: Dichtefeiern in Deutschland. Rezeptionsgeschichte als Sozialgeschichte am Beispiel der Schiller- und Freiligrath-Feiern, München 1984. 92 Rainer Noltenius: Zur Sozialpsychologie der Rezeption von Literatur. Schiller 1859 in Deutschland: Der Dichter als Führer und Heiland, in: Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendung 39 (1985), S. 592 – 616; Ders.: Schiller als Führer und Heiland: Das Schillerfest 1859 als nationaler Traum von der Geburt des zweiten deutschen Kaiserreichs, in: Dieter Düding, Peter Friedemann, Paul Münch (Hg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Hamburg 1988, S. 237 – 258; Ders.: Die Einheit Deutschlands unter einem Schriftsteller als Führer. Raabes SchillerGedicht 1859 als politisches Glaubensbekenntnis, in: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 1991, S. 60 – 89; Ders.: Die Nation und Schiller, in: Helmut Scheuer (Hg.): Dichter und ihre Nation, Frankfurt am Main 1993, S. 151 – 175.

Quellen und Literatur

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Kompromiss mit den einst bekämpften Kräften, die ihre Vollendung dann in den Schillerfeiern von 1905 gefunden habe.93 Die bereits angesprochene Kritik von Ute Schneider schließlich weist einen umfassenden, integrativen Charakter der Schillerfeier vollständig zurück und erkennt in der Rede von der Schillerfeier als Nationalfest einen Mythos, der sich aus der Deutungshoheit der liberalen und demokratischen Kräfte in Vorbereitung, Durchführung und publizistischer Aufarbeitung der Feier speist.94 Bruce Duncan konzentriert sich am Beispiel der Feiern in Stuttgart, Leipzig und Berlin stärker auf die politische Instrumentalisierung Schillers durch die politischen Parteien und weist völlig zu Recht darauf hin, dass schon in den Stuttgarter Schillerfeiern der 1820er Jahre der Dichter von konservativen Nationalisten und liberalen Demokraten vereinnahmt wurde.95 Neben diesen Arbeiten gibt es inzwischen eine Reihe vorwiegend deskriptiver Lokalstudien zu einzelnen Schillerfeiern, die sich in der Frage des nationalen Gehalts der Feiern aber zumeist dem Ton der jeweiligen Quellenlage anschließen oder der Führer-These von Noltenius folgen.96 93 Gerhard Schmid: Die Gedenkjahre 1859 und 1905 als Brennpunkte bürgerlicher SchillerVerehrung in Deutschland, in: Walter Dietze, Werner Schubert (Hg.): Impulse. Aufsätze, Quellen, Berichte zur deutschen Klassik und Romantik, Folge 9, Berlin, Weimar 1986, S. 90 – 114. 94 Schneider 1995a und 1995b. 95 Bruce Duncan: Remembering Schiller, in: Seminar 35 (1999), S. 1 – 23. 96 Manfred Eichkhölter : Das Schillerfest in Lübeck 1859 und seine Folgen. Ein Beitrag zur lokalen Literaturgeschichte, in: Der Wagen. Lübecker Beiträge zur Kultur und Gesellschaft (2004), S. 88 – 113; Angelika Salmen: Bürgerliche Identität und Abgrenzung. Die Schillerfeiern von 1859 und 1905, in: Werner Freitag (Hg.): Vergnügen und Inszenierung. Stationen städtischer Festkultur in Halle, Halle (Saale) 2004, S. 129 – 139; Christiane Wagner : »Seid einig! Einig! Einig!«. Die Schillerfeier 1859 in Weimar, Philosophische Fakultät der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Magisterarbeit 1998; Angela Klein: Die Schillerfeier 1859 in Braunschweig und Wolfenbüttel, in: Braunschweiger Kalender (2005), S. 95 – 97; Roland Köhne: Die Goethe- und Schillerfeiern der Jahre 1849 und 1859 in Bielefeld, in: Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensburg 85 (1998), S. 205 – 218; Otto Schlander: Die Schillerfeier 1859, in: Alt-Offenbach. Blätter des Offenbacher Geschichtsvereins, 34 (1997), S. 2 – 6; Kurt Krolop: Die Schiller-Feier in Prag 1859, in: Alice Stasˇkov‚ (Hg.): Friedrich Schiller und Europa. Ästhetik, Politik, Geschichte, Heidelberg 2007, S. 193 – 206; R. Fischer : Zur Schillerfeier in Prag, in: Weimarer Beiträge 6 (1960), S. 278 – 283; Franz Bandorf: »Die Harmonie des Elysiums«. Interpretationsversuch einer aus Anlass der Schillerfeier des Jahres 1859 in Würzburg erschienenen Satire. Ein Beitrag zur Gesellschaftsgeschichte der Stadt, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 56 (2004), S. 256 – 271; Manfred Koch: Die Schiller-Feiern des Jahres 1859 in Karlsruhe. Unser Schiller?, in: Blick in die Geschichte. Karlsruher stadthistorische Beiträge (2004), S. 1 – 2; Margret Lemberg: Die Schillerfeiern 1859 und 1905 in Gießen, Marburg und Frankfurt am Main, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen 91 (2006), S. 95 – 118; Dies.: »Er war unser« – die Zentenarfeiern zum Geburtstag und Todestag Friedrich Schillers in Hessen, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 55 (2006), S. 149 – 180; Evelyn Weiß: »Nach allem Wahren, Guten, Schönen trachten.« Die pfälzischen Schillerfeiern 1855,

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Einleitung

Die Schillerfeiern in den Vereinigten Staaten blieben in der Forschung bislang weitgehend unbeachtet, hier musste in mehrfacher Hinsicht Pionierarbeit geleistet werden.97 Ausnahmen sind Christiane Hertels Aufsatz über den Schillerkult im 19. Jahrhundert, der auch kurz die Schillerfeiern in New York, Baltimore und Philadelphia anreißt98 und Thomas L. Broadbents kurzer Beitrag über die Schillerfeier im kalifornischen Columbia.99

1859 und 1905, in: Kaiserslauterer Jahrbuch für pfälzische Geschichte und Volkskunde 5 (2005), S. 231 – 236; Juliane Mikoletzky : Bürgerliche Schillerrezeption im Wandel. Österreichische Schillerfeiern 1859 – 1905, in: Siegrid Düll (Hg.): Götterfunken. Friedrich Schiller zwischen Antike und Moderne, Hildesheim 2007, Band 2, S. 167 – 188; Hermann Rösch: Die Londoner Schillerfeier 1859 in: Klassik, modern (1996), S. 94 – 111; Walter Salmen: Ein »grand festival« von 1859 zu Ehren Schillers in Paris, in: Musik in Baden-Württemberg – Jahrbuch (2005), S. 1 – 4. 97 Die Quellensituation ist vor allem hinsichtlich der deutsch-amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften bedenklich. Nach der nicht immer technisch einwandfreien und teilweise qualitativ schlecht ausgeführten Verfilmung wurden Originale z. T. vernichtet. Die deutschamerikanische Presse des 19. Jahrhunderts ist eine wichtige Quelle zur Erschließung des gesellschaftlichen Lebens der deutschen Communities in den USA. Insbesondere für die Migrationsgeschichte ist es von größter Bedeutung, den Quellenbestand zu sichten und schnellstmöglich zu sichern. 98 Christiane Hertel: The Nineteenth-Century Schiller Cult, in: Yearbook of German-American Studies 38 (2003), S. 155 – 204. 99 Thomas L. Broadbent: The Schiller-Centennial in Columbia. California Germans in a GoldRush Town, in: American German Review 29 (1964), S. 7 – 13.

I.

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Berlin Rücksichten auf den angeschlagenen Gesundheitszustand König Friedrich Wilhelms IV., Befürchtungen der Berliner Polizeibehörden um die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Sorge vor einer unter Umständen revolutionären Dynamik in Zeiten einer durch den Italien-Krieg in nationalen Fragen hoch politisierten Öffentlichkeit und wohl auch die Befindlichkeiten einiger Beamten, die nicht rechtzeitig von den geplanten Festivitäten informiert und um Erlaubnis gefragt worden waren – all dies führte zum Verbot einer eigenständig aus den Kreisen des Bürgertums organisierten öffentlichen Schillerfeier in Berlin. Zu halten war dieses Verbot schließlich nicht. Der Hof in Wien nutzte die Berliner Entscheidung dazu, sich gegenüber den bürgerlichen Festaktivitäten in der eigenen Stadt besonders liberal zu geben, die Berliner Bevölkerung und Öffentlichkeit nahm die Verbotsbegründung nicht an und hielt besonders die Krankheit des Königs als Begründung für ein Verbot öffentlicher Festivitäten für unzureichend.100 Die städtischen Behörden suchten schließlich einen Kompromiss: Öffentliche Feier ja, aber unter ihrer Leitung. Beteiligung von Handwerkern und Arbeitern ja, allerdings kontrolliert und begrenzt. Die öffentliche Feier der Grundsteinlegung zum Schillerdenkmal am Berliner Gendarmenmarkt endete schließlich im Tumult, dem »Unfug von Berlin«, bei dem sich meist jugendliche Randalierer gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei und Passanten leisteten. Auch die preußische Hauptstadtpresse geriet über die Schillerfeier in heftige Auseinandersetzungen, insbesondere die Kreuzzeitung trat als entschiedener Gegner einer öffentlichen Schillerfeier in Berlin auf, während die demokratisch-liberale Presse Berlins sich nicht nur für eine größtmögliche Allgemeinheit der Feier aussprach, sondern durch eigene Ver100 Friedrich Wilhelm IV. war u. a. durch einige Schlaganfälle gesundheitlich stark beeinträchtigt, in deren Folge er 1858 auch die Regierungsgeschäfte an seinen Bruder Wilhelm übergeben hatte.

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treter im Schillerkomitee auch ganz direkt an den Planungen des bürgerlichen Festkomitees beteiligt war. 1859 war für Preußen kein Jahr der »moralischen Eroberungen« in Deutschland.101 Die geschickte Neutralitätspolitik, die Preußen im Verlauf des Krimkriegs nationalpolitisch noch einen Prestigegewinn vor allem bei den deutschen Klein- und Mittelstaaten eingetragen hatte, führte 1859 zu einem gegenteiligen Effekt. Entgegen den Erwartungen Österreichs und trotz der zunehmenden nationalen Begeisterung in den Bevölkerungen der deutschen Einzelstaaten nahm Preußen eine neutrale Haltung ein. Der unerwartet schnell geschlossene Friede von Villafranca machte dann allerdings die politischen und diplomatischen Hoffnungen Preußens auf eine Niederlage Österreichs bei gleichzeitiger Schwächung Frankreichs ebenso zunichte, wie die auf einen Auftritt als bewaffneter Vermittler und Moderator von Friedensverhandlungen. Nationalpolitisch hatte Preußen mit dieser Politik in der Öffentlichkeit an Ansehen verloren, da große Teile der Bevölkerung in den deutschen Staaten ein militärisches Eingreifen Preußens an der Seite Österreichs und gegen Frankreich für eine nationale Aufgabe gehalten hatten.102 Auch im Umgang mit der Schillerfeier hatte die Regierung in Berlin keine glückliche Hand und unterschätzte offenbar die symbolpolitische Bedeutung, die einem Verbot öffentlicher Schillerfeiern in Berlin vor allem in der auch medial ausgetragenen Konkurrenz mit Österreich um die Vormachtstellung im deutschen Bund zukam.

Die Berliner Zeitungslandschaft Seit der Revolution von 1848/49 hatte sich in Berlin eine breite Presselandschaft entwickelt. Ende der 1850er Jahre gehörten zu den auflagenstärksten politischen Zeitungen der preußischen Hauptstadt die Volkszeitung, die Nationalzeitung, die Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (nachfolgend Spenersche Zeitung genannt), die Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen (nachfolgend Vossische Zeitung genannt) und die Neue Preußische Zeitung, besser bekannt unter dem Titel Kreuzzeitung. Auch der 101 Diese waren ein oft zitierter Programmteil der Regierungserklärung des Prinzregenten Wilhelm vom 8. November 1858, auf den liberale und demokratische Kreise große Hoffnungen setzten und die den Glauben an den Beginn einer »Neuen Ära« in Preußen begründeten. 102 Friedrich Lenger: Industrielle Revolution und Nationalstaatsgründung (1849 – 1870er Jahre), Stuttgart 2003, S. 265 – 267; Heinrich Lutz: Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815 – 1866, Berlin 1994, 403 – 420; Otto Büsch (Hg.): Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. 2, Berlin, New York 1992, S. 323.

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einflussreiche und viel gelesene Kladderadatsch kam aus Berlin. Daneben existierten zahlreiche kleinere Zeitungen, Zeitschriften und Journale, die in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden konnten.103

Tab. 1: Auflagenhöhen Berliner Zeitungen 1859.104

Die Berliner Zeitungslandschaft bildete einen großen Teil des politischen Spektrums in der preußischen Hauptstadt ab, wobei insbesondere die liberalen und demokratisch gesinnten Blätter überwogen. Die Volkszeitung sprach vorwiegend das kleinbürgerliche Publikum an und konnte in Berlin auch viele klein- und unterbürgerliche Leser erreichen. Auch bei der akademischen Jugend war die Volkszeitung verbreitet.105 Politisch stand das Blatt der bürgerlichen Linken nahe, wenngleich die liberale Führungsschicht sich mehr in der Leserschaft der Nationalzeitung widerspiegelte. Der Volkszeitung gelang es allerdings, liberale Inhalte in untere Schichten hineinzutragen.106 Die Nationalzeitung war 1848 als liberale und demokratische Zeitung begründet worden und entwickelte sich sehr schnell zu einer der auflagenstärksten Blätter Berlins. Bereits in ihrem Gründungsaufruf hatte sich die Nationalzeitung bewusst unter das Programm der nationalen und liberalen Bewegung gestellt.107 Das Blatt geriet in der nachrevolutionären Phase stark unter Druck und verlor – 103 Emil Dovifat: Berlin, in: Walther Heide: Handbuch Zeitungswissenschaft, Bd. 1, Leipzig 1940, S. 454 – 504. 104 Jürgen Frölich: Die Berliner »Volks-Zeitung« 1853 bis 1867. Preußischer Linksliberalismus zwischen »Reaktion« und »Revolution von oben«, Frankfurt am Main u. a. 1990, S. 58; Georg Elkan: Die preußische Zeitungssteuer. Ein Beitrag zur Geschichte der Pressepolitik unter Benutzung von Akten Bismarcks und der preußischen Ministerien, Jena 1922, S. 22, 36; Horst Heenemann: Die Auflagenhöhen der deutschen Zeitungen. Ihre Entwicklung und ihre Probleme, Berlin 1930, S. 41; Während des Sommers 1859 kam es durch den ItalienKrieg und die aufgeheizte innenpolitische Lage zu einer zum Teil starken Auflagensteigerung, die sich im 4. Quartal wieder etwas relativierte. 105 Frölich 1990, S. 66 – 69. Unter »Kleinbürgertum« versteht Frölich Kleinhändler, Beamte, Wirte, Angestellte und Soldaten. 106 Ebd., S. 71 – 72. 107 Jürgen Kahl: National-Zeitung (1848 – 1938), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hg.): Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts, Pullach bei München 1972, S. 177 – 189, S. 177.

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auch infolge einer zunehmend gemäßigten Haltung – viele Leser. Die »Neue Ära« und die politischen Entwicklungen des Jahres 1859 ermöglichten der Nationalzeitung dann aber eine Rückbesinnung auf das nationale Gründungskonzept. In der Italienfrage zeigte sich die Nationalzeitung 1859 als anti-habsburgisch und betont preußisch-kleindeutsch. An der öffentlichen Debatte um die nationale Frage beteiligte sie sich in allen Ressorts.108 An ein eher gehobeneres, gebildetes Publikum richtete sich die Spenersche Zeitung. In politischen Fragen eher zurückhaltend, erreichte die Spenersche Zeitung ihre Leser insbesondere durch ihren Kulturteil.109 Die »Zeitung des vornehmen und gebildeten Bürgertums«110 lasen vor allem höhere und mittlere Beamtenkreise, die Hofgesellschaft, das Offizierskorps und die gebildeten Schichten Berlins sowie Pfarrer und Gutsbesitzer auf dem Lande.111 Die halboffiziöse und konservative Haltung machte das Blatt jedoch für breitere Schichten der Bevölkerung unattraktiv.112 Die Spenersche Zeitung, eine der ältesten Zeitungen Berlins, verlor in den 1850er Jahren rund 20 Prozent ihrer Auflage und setzte 1859 nur noch rund 6500 Exemplare ab. Die älteste Zeitung Berlins, die Vossische Zeitung, hatte im Gegensatz zur Spenerschen Zeitung in den 1850er Jahren ihre Auflage deutlich steigern können und erreichte 1859 einen Spitzenwert von gut 15000 Exemplaren.113 Die Vossische Zeitung hatte sich bereits im Vormärz als »Organ einer liberalen Opposition«114 für eine Verfassung sowie Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit eingesetzt. Sie richtete sich auch nach der Revolution an die unteren Bevölkerungsschichten, was ihr eine breite Absatzbasis verschaffte.115 Den verschiedenen liberalen, demokratischen und national gesinnten Zeitungen der preußischen Hauptstadt entgegen stellte sich die von Otto von Bismarck und Freunden 1848 als politisches Blatt des preußischen Konservatismus ins Leben gerufene Neue Preußische Zeitung bzw. Kreuzzeitung.116 Treu der im Untertitel der Zeitung geführten Devise »Vorwärts mit Gott für König und Va108 Ebd., S. 182. 109 Hans-Friedrich Meyer : Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (1740 – 1874), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hg.): Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts, Pullach bei München 1972, S. 103 – 114, S. 109. 110 Heenemann 1930, S. 35. 111 Meyer 1972, S. 108 – 109, vgl. auch Erich Widdecke: Geschichte der Haude- und Spenerschen Zeitung, 1783 – 1874, Berlin 1925, S. 248 – 249. 112 Meyer 1972, S. 111, Heenemann 1930, S. 36. 113 Heenemann 1930, S. 36; Elkan, S. 36. 114 Klaus Bender: Vossische Zeitung (1617 – 1934), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hg.): Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts, Pullach bei München 1972, S. 25 – 39, S. 35. 115 Heenemann 1930, S. 35; Bender, S. 35. 116 Ebd., S. 38; Meinolf Rohleder, Burkhard Treude: Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung (1848 – 1939), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hg.): Deutsche Zeitungen des 18. bis 20. Jahrhunderts, Pullach bei München 1972, S. 209 – 224, S. 209.

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terland« richtete sich die Kreuzzeitung an die konservativen und royalistischen Kreise Preußens und seiner Hauptstadt und positionierte sich von Beginn an als entschiedener Gegner des Liberalismus.117 Die Leserschaft rekrutierte sich vorwiegend aus der alten preußischen Oberschicht, ihre Leser waren Adelige, Rittergutsbesitzer, Offiziere und hohe Beamte sowie Teile der Geistlichkeit.118 »Die Kreuzzeitung war das ›Sprachrohr‹ der preußischen Konservativen«119 und leistete einen wesentlichen Beitrag beim Aufbau des politischen Konservatismus in Preußen. Die Auflage der Kreuzzeitung stieg in den 1850er Jahren stetig weiter an, lag aber weit unter den Reichweiten der liberalen und demokratischen Zeitungen Berlins – 1859 erreichte sie eine Auflage von rund 7000 Exemplaren.120 Dennoch galt die Kreuzzeitung als bedeutender Akteur im politischen Geschehen Berlins und Preußens und konnte sich stets der wachsamen Beobachtung durch die liberalen Blätter gewiss sein.121 Neben den genannten Zeitungen gab es eine Reihe von Kunst- und Kulturblättern, die staatliche Preußische Zeitung und den ausführlich über die Schillerfeier berichtenden, von A. F. Thiele herausgegebenen Berliner Publicisten. Mit einer Auflage von 33000 lag der humoristische und satirische Kladderadatsch 1859 weit vor den anderen Tages- und Wochenzeitungen Berlins und war auch weit über die Hauptstadt hinaus verbreitet. Gelesen wurde er vom Bildungsbürgertum, Teilen des Adels und auch von Deutschen im Ausland.122 Die Berliner Zeitungen waren an der Planung und Durchführung der Berliner Schillerfeier von Beginn an beteiligt. Vertreter der Tageszeitungen saßen als Mitglieder im Schillerkomitee: Franz Duncker für die Volkszeitung, Otto Lindner und E. E. Müller für die Vossische Zeitung, Dr. Alexis Schmidt für die Spenersche Zeitung, Dr. Friedrich Zabel für die Nationalzeitung. Von den kleineren Blättern war Dr. Eggers für das Kunstblatt im Komitee.123

Die Schillerfeier – ein Bürgerfest Einen ersten Impuls für eine Schillerfeier in Berlin setzte bereits im Frühjahr 1859 die »Berlinische Gesellschaft für deutsche Sprache«, die sich in dieser 117 Rohleder/Treude 1972, S. 213 – 214. 118 Dagmar Bussiek: »Mit Gott für König und Vaterland!«. Die Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung) 1848 – 1892, Münster u. a. 2002, S. 6. 119 Ebd.,; Rohleder/Treude 1972, S. 214. 120 Heenemann 1930, S. 38; Elkan 1922, S. 36. 121 Rohleder/Treude 1972, S. 214. 122 Koch: Die Berliner politisch-satirische Presse von 1848 bis 1890 als Zeit-Kommunikation, in: Bobrowsky/Langenbuch (Hg.): Wege zur Kommunikationsgeschichte, München 1987, S. 373 – 374. 123 Volkszeitung, 15. Oktober 1859, S. 1.

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Angelegenheit am 7. April 1859 an die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin wandte. Die Stadtverordneten hielten eine Befassung mit dem Thema zu diesem Zeitpunkt jedoch für verfrüht und terminierten das Schreiben zur Wiedervorlage auf den 1. Oktober 1859.124 Im Verlauf des Sommers und angefeuert durch den Italienkrieg hatte sich die öffentliche politische Stimmung stark aufgeladen. Die Erfolge der italienischen Nationalbewegung hatten auch in den deutschen Ländern zur Stärkung der nationalen Bewegung beigetragen, die sich u. a. in der Gründung des Deutschen Nationalvereins niederschlug.125 Die bevorstehende Feier des 100. Geburtstags Friedrich Schillers wurde in dieser Stimmungslage vielerorts als Möglichkeit einer nationalen Mobilisierung zu einem deutschen Nationalfest gesehen und genutzt. Auch in Berlin war im September 1859 das Interesse an einer allgemeinen Schillerfeier stark angewachsen und die ursprüngliche Initiative der Berlinischen Gesellschaft für deutsche Sprache, die von Beginn an ihre Schillerfeier in der begrenzten Form eines Festbanketts realisieren wollte (und schließlich auch realisierte), in gewisser Weise marginalisiert durch die übergreifenden Planungen, die das Berliner Schillerkomitee nun anstellte. Zwei der vier ursprünglichen Initiatoren, der Direktor des neuen Realgymnasiums in Berlin, Dr. Ernst Ferdinand August (1795 – 1870), und der Gymnasial-Professor Dr. Adalbert Kuhn (1812 – 1881) fanden sich dann auch im Herbst 1859 unter den Mitgliedern des Berliner Schillerkomitees wieder.126 Ende September hatten konkretere Planungen für eine Berliner Schillerfeier begonnen. Rasch fand sich eine größere Zahl von Interessierten in einem Schillerkomitee zusammen127 und entwarf, begleitet von Vorschlägen in der Berliner Tagespresse128, einen umfangreichen Vorschlag für ein Schillerfestprogramm, das am 15. Oktober der Öffentlichkeit vorgelegt wurde.129

124 LAB A Rep. 000 – 02 – 01 Nr. 1621: Acta der Stadtverordneten-Versammlung zu Berlin betreffend: Die Feier des hundertjährigen Geburtstages Friedrichs von Schiller und die Errichtung eines Schiller-Denkmals. 125 Hans-Ulrich Wehler : Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der »Deutschen Doppelrevolution« bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, Bd. 3, München 1995, S. 228 – 232; Andreas Biefang: Politisches Bürgertum in Deutschland 1857 – 1868. Nationale Organisationen und Eliten, Düsseldorf 1994, S. 34 – 48. 126 LAB A Rep. 000 – 02 – 01 Nr. 1621. 127 Vossische Zeitung, 25. September 1859, S. 3. 128 »Zum Schillertage«, in: Volkszeitung, 23. September 1859, S. 1. 129 Das Programm wurde auf der Sitzung des Schillerkomitees am 13. Oktober beschlossen. Spenersche Zeitung, 15. Oktober 1859, S. 4; Volkszeitung, 15. Oktober 1859, S. 1 sowie erste Hinweise auf das geplante Programm bereits in einem Vorbericht: Volkszeitung, 14. Oktober 1859, S. 1; Publicist, Beilage zur Ausgabe Nr. 243 vom 15. Oktober 1859, S. 1 – 2; Nationalzeitung, 14. Oktober 1859, S. 1 – 2; Beilage zur Nationalzeitung v. 15. Oktober 1859, S. 2; Neue Preußische Zeitung, 18. Oktober 1859, S. 3.

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Das Berliner Schillerkomitee umfasste insgesamt mehr als 50 Männer. Der Vorstand, genannt »Zentral-Komitee«, wurde angeführt von dem Rechtsanwalt und Notar Otto Lewald (1813 – 1876)130, stellvertretender Vorsitzende war Dr. Adolf Lette (1799 – 1868)131. Weitere Mitglieder des Zentral-Komitees waren der Baurat Eduard Knoblauch (1801 – 1865)132, Dr. Karl Friedrich Märcker (1811 – 1874)133, der Schriftsteller Dr. Theodor Mügge (1802 – 1861)134, der Kaufmann Adolph Meyer, Leonor Reichenheim (1814 – 1868)135 und Dr. Friedrich Zabel (1802 – 1875), Redakteur der Nationalzeitung.136 130 Der Rechtsanwalt und Justizrat Otto Lewald (1813 – 1876) war 1848 Verteidiger im sogenannten Polenprozess. 131 Dr. Adolf Lette (1799 – 1868) war Jurist und Sozialpolitiker. Als aktiver Burschenschaftler 1817 wegen Beteiligung am Wartburgfest kurze Zeit inhaftiert. Startete Anfang der 1820er Jahre in den juristischen Staatsdienst. Seit 1848 war Lette politisch aktiv, gehörte zu den Begründern des »Constitutionellen Clubs« in Berlin und saß für die Kasinopartei im Paulskirchenparlament. 1851 wurde Lette Mitglied der 1. Preußischen Kammer, 1852 Mitglied des Abgeordnetenhauses. Lette setzte seine politische Tätigkeit auch nach der Entlassung aus dem Staatsdienst fort, organisierte und unterstützte gemeinnützige Vereine, begründete u. a. den Berliner Handwerkerverein und den Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen, dessen Präsident er wurde. Lette setzte sich auch für die Erwerbstätigkeit und berufliche Bildung von Frauen ein. DBE, NDB 14, S. 356. 132 Eduard (Karl Heinrich) Knoblauch (1801 – 1865) war Architekt und Mitglied der Akademie der bildenden Künste in Berlin. Knoblauch gründete 1824 gemeinsam mit August Stüler den Berliner Architektenverein. Als Architekt errichtete Knoblauch zahlreiche Wohnhäuser und begann 1859 die von Friedrich August Stüler vollendete »Neue Synagoge« in der Oranienburger Straße. Als Mitglied der Akademie der Künste wirkte Knoblauch maßgeblich an einer neuen Bauordnung und der Reorganisation der Bauakademie mit. DBE. 133 Dr. Karl Friedrich Märcker (1811 – 1874), königlich preußischer Hausarchivar (seit 1848), Geheimer Archivrat (seit 1855) sowie Mitglied des preußischen Heroldsamtes. 134 Der Schriftsteller Theodor Mügge (1802 – 1861) veröffentlichte über politische Reformen in England und Frankreich und über die Zensurverhältnisse in Preußen, was ihn in Konflikt mit den Behörden brachte. Mügge gehörte 1848 zu den Mitbegründern der Nationalzeitung und leitete ihr Feuilleton. In Berlin stand Mügge in Verbindung zu den Literaten des »Jungen Deutschlands« und arbeitete regelmäßig an der Zeitung für die elegante Welt mit. Angesichts zunehmender behördlicher Beobachtung wandte sich Mügge der Roman- und Reiseschriftstellerei zu. Mügge gehörte mit seinen Erzählungen und Romanen zu den beliebtesten Leihbibliotheksautoren seiner Zeit. DBE; NDB 18, S. 268 – 269. 135 Der Industrielle und Politiker Leonor Reichenheim (1814 – 1868) wurde im väterlichen Geschäft in Magdeburg kaufmännisch ausgebildet und war seit 1839 Inhaber einer Manufakturenwarenhandlung in Berlin. 1848 erwarb er mit seinen Brüdern eine Baumwollspinnerei in Wüstegiersdorf. Neben seiner Tätigkeit als Kaufmann und Industrieller war Reichenheim seit den 1850er Jahren auch politisch und in Vereinen aktiv. 1856 gehörte er zu den Gründern des Berliner Bank-Vereins. Ab 1858 saß er im preußischen Abgeordnetenhaus, später für die Nationalliberalen im Reichstag des Norddeutschen Bundes. 1867 gehörte Reichenheim zu den Mitbegründern der Nationalliberalen Partei. DBE, NDB 21, S. 307 – 308. 136 Ebenfalls zum Lager der Nationalliberalen zählte Friedrich Zabel, Chefredakteur der Nationalzeitung von 1848 – 1875. Zabel war ein früher Typ des politischen Journalisten, gehörte allerdings weder zum Führungskreis der Liberalen noch zum Kreis der Abgeordneten oder anderweitig politisch tätiger Persönlichkeiten. Trotz der großen inhaltlichen Nähe

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Sieben Subkomitees befassten sich mit unterschiedlichen Spezialaufgaben. Das von Baurat Knoblauch geleitete Festzugskomitee war zuständig für die Organisation eines Festzuges zum Gendarmenmarkt sowie für den dort eingeplanten zentralen Festakt. Ihm gehörten unter anderem die Bildhauer Gustav Bläser und Heydel sowie die Maler Adolph Menzel, Wilhelm Riefstahl und Wilhelm Streckfuß an. Die Mitglieder des Festzugkomitees waren in der Berliner Kunstszene gut vernetzt: Bläser und Menzel waren Professoren und Mitglieder der Akademie der Künste, Streckfuß war Vorsitzender des Vereins der Berliner Künstler. Ein zweites Subkomitee unter der Leitung von Gymnasialdirektor Ernst Ferdinand August hatte die Aufgabe, Schillerfeiern in den Gymnasien und Schulen zu organisieren. Für die Beschaffung und Vorbereitung volkstümlicher Schriften über das Leben und Wirken Friedrich Schillers sowie allgemeiner Memorabilia wie Gedenkblätter, Lithographien, Statuetten und Medaillen wurde ein weiteres Subkomitee eingesetzt, dessen Leitung der Schriftsteller Dr. Theodor Mügge übernahm. Das Subkomitee für Theater- und Musik-Aufführung wurde geleitet von Dr. Otto Lindner, Redakteur der Vossischen Zeitung. Ihm gehörte mit Franz Duncker (1822 – 1888) ein weiterer Vertreter der Berliner Presse an, Duncker war Redakteur der Volkszeitung. Der Historienmaler Dr. Julius Schrader (1815 – 1900) und der königliche Musikdirektor Wilhelm Friedrich Wieprecht vertraten in diesem Unterkomitee die künstlerische Kompetenz. Die Organisation der geplanten Illumination für den Abend des 10. Novembers wurde direkt dem Zentral-Komitee unterstellt. Vorwiegend Kaufleute und Bankiers engagierten sich in den Subkomitees für Festessen in den Stadtbezirken und in der Finanzkommission. Den Vorsitz im Subkomitee für die Festessen übernahm Dr. Karl Friedrich Märcker, die Leitung der Finanzkommission Leonor Reichenheim. Mitglied in der Finanzkommission war unter anderem auch der später als Bankier Bismarcks bekannt gewordene Gerson Bleichröder (1822 – 1893). Die Subkomitees arbeiteten eigenständig und erstatteten wöchentlich am Mittwoch dem Gesamtkomitee Bericht über den Fortschritt der Planungen. Die wöchentliche Generalversammlung entschied zudem über allgemeine Angelegenheiten.137 Zabels zu den Nationalliberalen gelang es ihm, den politischen Kurs der Nationalzeitung in gewisser Weise flexibel und unabhängig zu halten auf eine Art, die Jörg Requate als »unabhängige Parteilichkeit« bezeichnete. Jörg Requate: Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert, Göttingen 1995, S. 295 – 296. 137 Über die Zusammensetzung, Organisation und Arbeitsweise des Berliner Schillerkomitees siehe u. a. Spenersche Zeitung, 15. Oktober 1859, S. 4; Volkszeitung, 15. Oktober 1859, S. 1; Volkszeitung, 16. Oktober 1859, S. 1; Neue Preußische Zeitung, 18. Oktober 1859, S. 3.

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Der Mitte Oktober 1859 vom Schillerkomitee vorgelegte Programmvorschlag sah eine große, dreitägige, möglichst allgemeine und öffentliche Schillerfeier vor. Den Auftakt sollte am Abend des 9. Novembers ein großer Sternzug zum Gendarmenmarkt bilden. Aus vier Richtungen, vom Pariser Platz, vom BelleAlliance-Platz, vom Alexander-Platz und vom Dönhoffs-Platz aus sollten sich gleich vier Festzüge mit Stocklaternen und in Begleitung von Musikchören zum Gendarmenmarkt bewegen. Dort sollte eine vor der Freitreppe des königlichen Schauspielhauses zu errichtende, provisorische Schillerstatue (als Symbol für ein später dort zu errichtendes, dauerhaftes Schillerdenkmal) bekränzt werden.138 Für das Hauptfest am 10. November waren Schulfeiern vorgesehen, bei denen volkstümliche Schriften über das Leben und Wirken des Dichters und andere Memorabilia verteilt werden sollten. Am Nachmittag und am Abend des Festtages sollten Festvorstellungen in den Theatern und anderen öffentlichen Lokalen stattfinden, begleitet von einer abendlichen Illumination möglichst vieler privater und öffentlicher Häuser. Für den Abschluss der dreitägigen Schillerfeier sah das Komitee dezentrale Festlichkeiten in den Stadtbezirken mit Musikaufführungen und Festessen vor. Das Berliner Schillerkomitee legte damit ein umfassendes und ambitioniertes Programm vor, das in seinen Festelementen als repräsentativ für die in den größeren Städten des deutschen Sprachraums geplanten Schillerfeiern gelten kann. Es beinhaltete eine Mischung aus öffentlichen und halböffentlichen sowie kommerziellen Angeboten. Eine große Bedeutung in dem vorgelegten Festprogramm hatte die öffentliche Feier am Vorabend des 10. November. Sie bildete den Mittelpunkt der ansonsten in verschiedene Abteilungen und Einzelfeste zerfallenen Feier und war damit der zentrale Vereinigungspunkt aller Feiernden in Berlin. Darüber hinaus eröffnete sie – anders als Feiern in Lokalen oder Theatern – eine niedrigschwellige Beteilungsmöglichkeit für das städtische Publikum im Sinne der größtmöglichen Allgemeinheit, die von einem großen Teil der Festorganisatoren vehement eingefordert wurde. Öffentliche Umzüge und Fackelzüge ermöglichten nämlich weiten Teilen der städtischen Bevölkerung eine kostenfreie Teilnahme am Fest als Zuschauer und Beobachter. Diese Festelemente standen somit grundsätzlich auch unvermögenden und armen Bevölkerungskreisen offen. Festvorstellungen in den Theatern und Akademien waren hingegen an die Entrichtung von Eintrittspreisen gebunden, die auch dann eine gewisse Barriere für die Teilnahme bedeuteten, wenn das Festkomitee sich um möglichst niedrige Ticket-Preise bemühte.139 Die Teilnahme an Festbanketten und Bällen erforderte den Erwerb 138 Nationalzeitung, 14. November 1859 (Morgenausgabe), S. 1. 139 Vgl. Ebd., 14. Oktober 1859 (Morgenausgabe), S. 2.

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von Eintrittskarten und den Besitz einer gewissen Garderobe. Den kommerziellen Annoncen im Vorfeld der Berliner Schillerfeier ist allerdings zu entnehmen, dass zahlreiche Lokale in Berlin sich die Gelegenheit zum Anschluss an die Schillerfestlichkeiten nicht entgehen ließen. So gab es auch für weniger vermögende Kreise durchaus die Möglichkeit, sich in einem Lokal an einem der zahlreichen Schillerfeste zu beteiligen und sich in geselliger Runde dem Anlass gemäßen Programmen aus Musik und Deklamationen hinzugeben.140

Keine öffentliche Schillerfeier? Die Annoncierung der großen öffentlichen Schillerfeier mit Festzügen durch die Straßen Berlins zum Gendarmenmarkt erfolgte allerdings etwas voreilig – die Berliner Polizeibehörden verweigerten die Zustimmung für den öffentlichen Teil der geplanten Feier und untersagten den geplanten Fackelzug am Abend des 9. November.141 Staatsminister Rudolf von Auerswald (1795 – 1866) sagte dem Komitee zwar seine ideelle Unterstützung zu und übersandte Spenden von Handelsminister August von der Heydt, Justizminister Ludwig Simons, Außenminister Alexander von Schleinitz, Kultusminister August von BethmannHollweg, Finanzminister Robert von Patow und Maximilian von SchwerinPutzar, dem auch »Graf von Schwerin« genannten Minister des Inneren.142 Polizeipräsident Constantin Freiherr von Zedlitz-Neukirch (1813 – 1889) allerdings wies das Komitee in einem Schreiben darauf hin, dass die im Programmentwurf vorgesehenen öffentlichen Festzüge in Berlin nicht genehmigt werden könnten.143 Das Polizeipräsidium kam den Festorganisatoren mit diesem (durchweg in einem freundlichen Ton gehaltenen) Schreiben entgegen: Genehmigungsanträge für öffentliche Versammlungen, auch darauf wies Zedlitz-Neukirch in seinem Schreiben hin, hatten spätestens 48 Stunden vor deren Stattfinden bei der Polizeibehörde vorzuliegen.144 Der geplante öffentliche Teil der Berliner Schillerfeier hätte demnach auch noch kurz vor dem Fest abgelehnt werden können. Durch den Hinweis auf die zu erwartende Ablehnung erhielt das Komitee die Möglichkeit, sich rechtzeitig auf diese Problematik einzustellen, ggf. 140 Vgl. die entsprechenden Annoncen in der Volkszeitung, 8. November 1859, S. 3, 10., November, S. 3. 141 LAB A Pr. Br. Rep 030 Nr. 12948: Acta des königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin betreffend die Feier des 100jährigen Geburtstags Schillers am 10ten November 1859. 142 Ebd., S. 11. Die Höhe der Zuwendungen pro Person lag bei 10 Talern. LAB A Rep. 000 – 02 – 01 Nr. 1621: Acta der Stadtverordneten-Versammlung zu Berlin betreffend: Die Feier des hundertjährigen Geburtstages Friedrichs von Schiller und die Errichtung eines Schiller-Denkmals. 143 Ebd., S. 1. 144 Ebd.

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Alternativen zu suchen oder sich mit den Behörden auf eine Ausführung zu einigen, die genehmigt werden könnte. Das Schreiben des Polizeipräsidenten erreichte das Schillerkomitee allerdings zu spät – das Programm war bereits in den Berliner Zeitungen veröffentlicht. Das Komitee versuchte nun, beim Innenministerium eine Revision dieser Entscheidung zu erwirken und sandte eine Beschwerde gegen das Verbot an Innenminister Maximilian von Schwerin-Putzar. Zugleich bemühte sich das Komitee, den versäumten Genehmigungsantrag bei der Polizeibehörde nachzureichen.145 In der Begründung ihres Antrages wiesen die Organisatoren auch auf die nationale Bedeutung der Schillerfeier hin, die »einen geistigen Mittelpunkt für die nationale Einigung des Vaterlandes« darstelle.146 Beide Appellationen blieben wirkungslos: Der Innenminister erklärte sich in einem Schreiben an das Komitee am 20. Oktober für nicht befugt, das Verbot der örtlichen Polizeibehörden aufzuheben. Gerade die öffentlichen Teile der geplanten Feier gingen nach Ansicht des Ministers über bisher übliche Veranstaltungen bei Erinnerungsfesten weit hinaus. Weiterhin lasse der Gesundheitszustand des Königs eine laute öffentliche Feier gegenwärtig nicht zu. Insgesamt gebe es zudem sehr verschiedene Ansichten darüber, ob eine Schillerfeier öffentlich oder in geschlossenen Räumen abzuhalten sei, sodass schon deshalb aus polizeilicher Sicht durchaus genügend Gründe vorlägen, die Zustimmung zu öffentlichen Festzügen und Feiern zu versagen. Der Innenminister empfahl daher abschließend, das Programm zu modifizieren und zu erwägen, die bislang eingegangenen Mittel alternativ für die Errichtung eines Schillerdenkmals zu verwenden – eine Forderung, die vom Komitee sogleich aufgenommen wurde.147 Das Vorhaben einer öffentlichen Schillerfeier in Berlin schien damit zunächst gescheitert. Trotz der erklärten Bereitschaft des Schillerkomitees, jeder Modifikation des Festzuges im Interesse der Sicherheit zuzustimmen und denselben notfalls auch vom Abend auf den Tag zu verlegen, konnte eine Einigung mit den Berliner Polizeibehörden nicht mehr erzielt werden. Ein ähnlicher Antrag der Buchdrucker und Schriftgießer Berlins auf Genehmigung eines Festzuges vom Brandenburger Tor zum Gendarmenmarkt am Morgen des 10. November wurde von den Behörden ebenso abgelehnt.148 145 Ebd., S. 12 – 13. Darüber hinaus bat das Komitee um die Benennung eines Verbindungsbeamten, um alle noch anfallenden Dinge direkt klären zu können. 146 LAB A Pr. Br. Rep 030 Nr. 12948, In diesem Sinne regte das Festkomitee abschließend auch noch die Umbenennung des Gendarmenmarktes zu »Schillerplatz« an und bat ZedlitzNeukirch, sich beim Prinzregenten entsprechend einzusetzen. 147 Ebd., S. 15 – 17; Beiblatt zur Nationalzeitung v. 23. Oktober 1859, S. 1. Der vollständige Brief des Ministers findet sich u. a. in: Beiblatt zur Nationalzeitung v. 26. Oktober 1859, S. 2. 148 Ebd., S. 19.

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Eine kontrollierte Feier Es spricht viel dafür, dass die Polizeibehörden das Verbot öffentlicher Umzüge am Schillertag aus Furcht vor Unruhen und Krawallen aussprachen. Bereits im Mai 1859 hatte es bei der Überführung des Leichnams von Alexander von Humboldt nach Tegel Störungen und leichte Krawalle gegeben, an die auch jetzt vereinzelt erinnert wurde.149 Die politische Stimmung war nach dem heißen Sommer und dem Italien-Krieg noch immer aufgeladen und beim 9. November handelte es sich in der Tat um einen symbolträchtigen Tag, der für einen großen Teil der demokratischen und liberalen Bewegung ein weiteres Jubiläum markierte – zehn Jahre zuvor war Robert Blum in der Brigittenau bei Wien erschossen worden. Robert Blum hatte schon früh die Politisierung und Nationalisierung Friedrich Schillers betrieben und in den 1840er Jahren die von ihm mitinitiierten Leipziger Schillerfeiern als politische Bühnen genutzt.150 Auch wenn das Polizeipräsidium und das Innenministerium sich in der Begründung des Verbots auf die Rechtslage und den Gesundheitszustand des Königs zurückzogen: Revolutionsangst oder zumindest die Sorge vor einer politisch aufgeheizten und unkontrollierbaren Masse dürfte bei der Entscheidung einen gewissen Einfluss gehabt haben. Rechtlich basierte die Entscheidung von Neukirch-Zedlitz auf Artikel 29 der Preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 und auf dem preußischen Vereinsund Versammlungsgesetz vom 11. März 1850. Die Preußische Verfassung gewährte in Artikel 29 zwar allen Preußen Versammlungsfreiheit, jedoch ausschließlich in geschlossenen Räumen. Das Gesetz vom 11. März 1850 machte in § 9 Versammlungen unter freiem Himmel grundsätzlich anmeldepflichtig. Abgesehen von der rechtlichen Argumentation hatten sicher auch Empfindlichkeiten auf Behördenseite einen gewissen Einfluss auf die Entscheidung. Das Komitee hatte es in seinem Eifer nicht nur unterlassen, Vorabsprachen mit den Polizeibehörden zu treffen, es hatte auch die Bezirksvorsteher gebeten, sich als Anlaufstellen für die Sammlung von Spenden für die Schillerfeier zur Verfügung zu stellen, ohne zuvor mit dem Magistrat eine Einigung darüber zu erzielen, obwohl dieser gegenüber den Bezirksvorstehern weisungsbefugt war.151 Der Magistrat weigerte sich im Verlauf der weiteren Verhandlungen dann auch energisch, mit dem Zentral-Komitee in Kontakt zu treten und gemeinsame Schritte zur Organisation der Schillerfeier zu unternehmen.

149 Publicist, 27. Oktober 1859, S. 1. 150 Peter Reichel: Robert Blum. Ein deutscher Revolutionär 1807 – 1848, Göttingen 2007, S. 34 – 44, Ralf Zerback: Robert Blum. Eine Biografie, Leipzig 2007, S. 113 – 128. 151 Publicist, 22. Oktober 1859, S. 1.

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Mangelnde Akzeptanz des Festverbots in der Berliner Öffentlichkeit, die Kritik der Presse und nicht zuletzt wohl auch die Konkurrenz mit Wien in der politischen Außendarstellung mögen die Verantwortlichen in Berlin schließlich bewogen haben, doch noch eine Schillerfeier unter öffentlichem Himmel stattfinden zu lassen. Der politische Schaden und der öffentliche Imageverlust, den die Berliner Behörden durch das Verbot des Festzuges erlitten hatten, waren immens. Im Wettbewerb mit Österreich bzw. Wien um die Herzen der deutschen Nation hatte Wien in dieser Sache ein feineres Gespür bewiesen und durch eine liberale Haltung gegenüber den Wiener Festorganisatoren einen symbolpolitischen Sieg erringen können. Kaiser Franz Joseph I. drückte seine Unterstützung unter anderem dadurch aus, dass er größere Geldsummen an den Schillerverein spendete, den Redoutensaal für ein Galakonzert zur Verfügung stellte, eine Festvorstellung im Hofburgtheater zugunsten der Schillerstiftung ausrichten ließ und sogar einen öffentlichen Platz nach Schiller benannte.152 Die symbolische Wirkung war verheerend für Berlin und ließ das liberale Ministerium der »Neuen Ära« im Vergleich schlecht aussehen. Sogar die Londoner Times hob die symbolpolitische Bedeutung der Schillerfeier hervor, die von den Wiener Verantwortlichen offenbar eher und besser erkannt wurde, als von der Regierung in Berlin. Die Times kommentierte das Festverbot von Berlin vergleichend mit Wien: »In the first place, it shows that Austria wishes to identify with Germany ; and, secondly, it gives a lesson to the Berlin authorities, who have behaved somewhat illiberally to the Prussian branch of the Schiller Association. There is to be no torch procession in the Prussian capital and great is the indignation of the Berlinese to find that they have less personal liberty than the inhabitants of the Austrian capital.«153

Das konservative Preußische Wochenblatt wies die Kritik auswärtiger, insbesondere süddeutscher und österreichischer Zeitungen am Berliner Festverbot als tendenziöse politische Deutung des Geschehens zurück, deren einziges Ziel es sei, Preußen in den Augen Deutschlands zu diskreditieren.154 Doch auch in der Berliner Bevölkerung wurde das Verbot der öffentlichen Schillerfeier breit diskutiert, wie sich nicht nur den politischen Zeitungen der Hauptstadt, sondern auch den Polizeiberichten über Gespräche in Berliner Lokalen und Caf¦s in den Tagen nach dem Verbot entnehmen lässt.155 So hielten mehrere Herren in der Bierstube Haase nicht den Gesundheitszustand des Königs oder Verstimmungen der Polizeibehörden über das Kom152 153 154 155

Siehe Kapitel »Wien«. The Times, 1. November 1859, S. 23452. Preußisches Wochenblatt, 5. November 1859, S. 2. LAB A Pr. Br. Rep 030 Nr. 12948, S. 7 – 8.

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munikationsverhalten des Komitees für den wahren Grund des Verbots, sondern die politische aufgeheizte Stimmung. Die Polizei befürchte, so die Herren weiter, dass das Publikum bei der Schillerfeier politische Demonstrationen abhalten und den Prinzregenten vielleicht sogar als König oder deutschen Kaiser ausrufen könnte.156 Im Caf¦ Suisse sprachen am 26. Oktober mehrere Herren – darunter der Kreisrichter Heßner – über die Befürchtung, dass es bei einer Aufrechterhaltung des Verbots in Berlin zu Krawallen kommen könnte. Auch diese Runde hielt die Krankheit des Königs nicht für ausschlaggebend, sei doch der Jahrestag der Schlacht von Leipzig kürzlich durchaus in unmittelbarer Nähe des Königs in Potsdam öffentlich gefeiert worden, während dieselbe in Berlin verboten war.157 Dass Angst vor politischen Unruhen oder Demonstrationen ein Grund für das polizeiliche Verbot öffentlicher Feiern in Berlin gewesen sein könnte, wurde auch von den Berliner Printmedien in Erwägung gezogen. Der Kladderadatsch etwa ließ in einem fiktiven Gespräch in einer Weißbierstube mehrere Herren über die Schillerfeier diskutieren. »Schiller«, so heißt es dort, »is ja man bloß vorjeschoben!«158 Tatsächlich wolle man an die rote Republik erinnern, der 10. November sei von der Französischen Revolution bis zur 1848er-Revolution und in der gesamten Weltgeschichte immer schon ein brisantes Datum gewesen: »Schiller heeßt es – und Bäckerladen stürmen, so ist es!«159 Die politischen Zeitungen Berlins, die als Unterstützer und Mitorganisatoren an der Schillerfeier beteiligt waren, zeigten sich überrascht und fassungslos über das Verbot des Polizeipräsidenten und dessen Bestätigung durch das Innenministerium. Die Kreuzzeitung hingegen sah sich in der eigenen skeptischen Haltung gegenüber öffentlichen Schillerfeiern rundweg bestätigt. Der Publicist, der sich grundsätzlich durchaus für Schillerfeiern in der Öffentlichkeit aussprach, konnte die rechtliche Argumentation der Behörden nachvollziehen. Er sah kapitale Fehler in der Kommunikationsstrategie des Komitees als ursächlich für die Entscheidung an und forderte den Rücktritt des gesamten Komitees sowie die Übertragung der Festorganisation an die Behörden, um das Fest noch zu retten. Volkszeitung, Vossische Zeitung und Nationalzeitung lehnten die Entscheidung ab und machten zum Teil das Wirken der Kreuzzeitung dafür verantwortlich.160 156 157 158 159

Ebd., S. 7. Ebd., S. 8. Kladderadatsch, 6. November 1859, S. 202. Ebd. Siehe auch die fiktive Korrespondenz zwischen zwei über die Schillerfeier empörten Adeligen in derselben Ausgabe: »Schreiben des Barons von Prudelwitz an den Baron von Strudelwitz« und »Der Baron von Strudelwitz an den Baron von Prudelwitz«, in: Kladderadatsch, 6. November 1859, S. 203. 160 Zu den Reaktionen der einzelnen Zeitungen auf das Verbot s. u.

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Nach der Bestätigung des Verbots durch das Innenministerium war die öffentliche Schillerfeier in Berlin für den Moment erledigt. Die symbolpolitische Konkurrenz mit Wien und die hohe Unzufriedenheit mit dem Verbot in der Bevölkerung führten jedoch am Ende zu einer Kompromisslösung, die zwar eine öffentliche Feier am 10. November vorsah, diese jedoch der Planung und Kontrolle des Schillerkomitees entzog und die Teilnahmemöglichkeiten stärker regulierte. Bereits in seiner Antwort auf die Beschwerde des Komitees hatte der Innenminister den Weg zum Kompromiss vorgezeichnet, indem er die Errichtung eines Schillerdenkmals als bleibende Erinnerung an den Dichter vorschlug. Das Komitee hatte die Anregung sogleich aufgenommen und die Errichtung einer Schillerstatute in Erz oder Marmor angeregt.161 Tatsächlich eröffnete das Schillerdenkmal den Berliner Behörden einen Ausweg aus der Konfrontationssituation mit dem Schillerkomitee. Es bot ihnen zugleich die Chance, den öffentlichen Teil der Berliner Schillerfeier in die eigene Hand zu nehmen und damit auch die Kontrolle über den einzigen öffentlichen Festteil. Die Behörden beschlossen schließlich, die Grundsteinlegung für ein Schillerdenkmal auf dem Gendarmenmarkt vor dem Schauspielhaus in einem öffentlichen Festakt zu begehen. Die erforderlichen Genehmigungen für die Denkmalerrichtung und die Grundsteinlegung wurden kurzfristig bereitgestellt. Prinzregent Wilhelm stellte sogar 10000 Taler für das Denkmal bereit, weitere 10000 Taler stellte die Stadt Berlin zur Verfügung. Die restlichen Mittel sollten, so der Wunsch des Prinzregenten, aus der Bevölkerung erbracht werden.162 Doch damit nicht genug: Prinzregent Wilhelm stiftete zum Schillertag auch einen Schillerpreis für dramatische Literatur, der alle drei Jahre einen deutschen Gegenwartsschriftsteller für herausragende Leistungen würdigen sollte.163 Ein bemerkenswerter Schritt: Nur vier Jahre zuvor hatte die 1859 noch immer gültige Preußische Regulative für das Volksschul-, Präparanden- und Seminarwesen die Lektüre der deutschen Klassiker für angehende Volksschullehrer untersagt. Das zwischen Magistrat, Stadtverordnetenversammlung und dem Zentralkomitee ausgehandelte öffentliche Fest hatte mit den ursprünglichen Plänen des Schillerkomitees allerdings nicht mehr viel gemein: Die Zahl der Teilnehmer wurde begrenzt, der Zugang zum eigentlichen Festplatz vor dem Schauspielhaus an den Besitz von Eintrittskarten gebunden. Hof, preußisches Militär und Beamtenkorps erhielten Vorzugsplätze auf eigens errichteten Tribünen am Festplatz. Die Berufs- und Arbeitervereinigungen durften teilnehmen, allerdings 161 Volkszeitung, 23. Oktober 1859, S. 1, Beiblatt zur Nationalzeitung v. 23. November 1859, S. 1. 162 Volkszeitung, 5. November 1859, S. 1 – 2, 6. November 1859, S. 1. Bis zur Denkmalsenthüllung kamen über 12000 Taler aus der Bevölkerung zusammen. 163 Königlich Preußischer Staats-Anzeiger, 11. November 1859, S. 1 – 2.

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nicht vollständig, sondern mit Delegationen. Für das allgemeine Publikum wurde ein Straßenabschnitt am Gendarmenmarkt freigegeben, der sich allerdings in einiger Entfernung zum Ort der Grundsteinlegung befand. Schließlich wurde sogar noch ein Festzug zum Gendarmenmarkt genehmigt, der aber mit dem ursprünglich vorgesehenen Sternmarsch ebenfalls nicht mehr viel gemein hatte, da an die Stelle der allgemeinen Teilnahme der Gewerke eine nur eingeschränkte, in Form von zahlenmäßig stark begrenzten Delegationen, trat. Nach dem Verbot der Festzugspläne des Komitees und der schließlich doch noch realisierten öffentlichen Feiern in Form der Grundsteinlegung vervollständigte sich Anfang November das Berliner Schillerfestprogramm wie folgt: Die Festtage wurden am Abend des 9. Novembers in Arnims Hotel mit einem Souper für Herren eröffnet. Der 10. November startete mit Schulfeiern und einem Festakt der Universität. Der Beginn des Festaktes zur Grundsteinlegung auf dem Gendarmenmarkt wurde auf 11 Uhr angesetzt, als Festredner wurden der Berliner Oberbürgermeister Heinrich Wilhelm Krausnick (1797 – 1882) und der Prediger Adolf Sydow (1800 – 1882) festgelegt.164 Die Grundsteinlegung zum Schillerdenkmal am Gendarmenmarkt war zwar durchaus eine öffentliche Veranstaltung in dem Sinne, dass sie unter freiem Himmel stattfand. Sie trug aber jetzt einen völlig anderen Charakter, da sie die Beteiligung der allgemeinen Bevölkerung in viel stärkerem Maße einschränkte. Die Feier war somit stärker kontrolliert und kontrollierbar geworden. Während die ursprüngliche Planung eine Feier für die Massen und eine starke Repräsentation der arbeitenden Mittel- und Unterschichten vorsah, repräsentierte die Festgesellschaft bei der Grundsteinlegung in großem Maße die hauptstädtische und preußische Gesellschaftsordnung. Zu den geladenen Gästen gehörten der Hof, Repräsentanten der Beamtenschaft und des Militärs sowie der bürgerlichen Vereine, Gesellschaften und Berufsvereinigungen. Die breite Bevölkerung, oder das »Volk«, bekam einen Platz am Rande des Festplatzes zugewiesen, um von dort die Grundsteinlegung als Zuschauer zu verfolgen. Der zentrale nicht-öffentliche Festakt, der in der Verantwortung des Schillerkomitees verblieb, war die Festveranstaltung im festlich geschmückten Kroll’schen Etablissement am Abend des 10. November mit Festreden und lebenden Bildern, zu der sich auch eine Reihe Regierungsmitglieder ankündigte.165 Ebenfalls bei Kroll wurde ein Dinner mit Damen und Herren für den 11. November angesetzt. Zahllose Einzelfeiern von Vereinen, Gesellschaften, Berufsverbänden oder kommerziellen Anbietern reihten sich um den 10. No164 Das Programm der Grundsteinlegung findet sich u. a. in Vossische Zeitung, 5. November 1859, S. 3; Volkszeitung, 8. November 1859, S. 1; Neue Preußische Zeitung, 10. November 1859, S. 2. 165 Erste Beilage zur Vossischen Zeitung v. 5. November 1859, S. 2.

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vember. Auch das königliche Theater widmete sich der Schillerfeier und setzte eine Reihe von Schiller-Stücken auf den Spielplan. Schließlich war auch die Erlaubnis zur festlichen Illumination am Abend des 10. Novembers noch erteilt worden. Sie beschränkte sich allerdings vor allem auf Privathäuser und Lokale. Die Stadtverordnetenversammlung hatte eine Illumination der Rathäuser abgelehnt. Städtische Gebäude beteiligten sich daher nicht an der Festbeleuchtung und auch in der Bevölkerung war die Beteiligung nicht in allen Kreisen gleichermaßen groß: »Aristokraten und andere vornehme Leute hatten nicht illuminiert«, berichtete die Polizei.166 Mittelpunkt der Schillerfestlichkeiten in Berlin blieb jedoch die Grundsteinlegung am Gendarmenmarkt, der neben den städtischen Beamten und Würdenträgern, dem Schillerkomitee und den Delegationen der Gewerke und der Arbeiter auch Prinzregent Wilhelm an einem Fenster eines Gebäudes am Festplatz beiwohnte.167 Berlins Oberbürgermeister Heinrich Wilhelm Krausnick eröffnete die Feier mit einer kurzen Ansprache, in der er Schiller in eine Reihe mit Martin Luther und General Gerhard von Scharnhorst stellte und damit das Fest in einen protestantisch-preußischen Kontext einordnete.168 Im Anschluss an die Grundsteinlegung trug der evangelische Prediger Adolf Sydow seine Festrede vor, in der er sich auf das Verhältnis des Dichters zum Christentum konzentrierte.169 Nationalisierende Töne blieben bei dieser offiziellen Feier außen vor.

Der »Unfug von Berlin« Während der Grundsteinlegung vor dem Schauspielhaus war es zunächst weitgehend ruhig geblieben. Die Polizei hatte Anweisungen, sich vorsichtig und zurückhaltend zu verhalten und war bemüht, sich im Gedränge der Anwesenden möglichst defensiv und zurückhaltend zu verhalten, um größere Aufregung und Tumulte zu vermeiden. Doch bereits während des Festaktes auf dem Gendarmenmarkt und unmittelbar nach dem Ende der Grundsteinlegung kam es zu Konfrontationen zwischen Teilen des Publikums und den Polizeibeamten.170 166 LAB A Pr. Br. Rep 030, Nr. 12949, S. 10 – 11. 167 Publicist, 11. November 1859, S. 1 – 2; Spenersche Zeitung, 11. November 1859, S. 1; Vossische Zeitung, 11. November 1859, S. 2 – 5. 168 Der vollständige Text der Ansprache findet sich in Karl Tropus (Hg.): Schiller-Denkmal, Bd. 1, Berlin 1860, S. 26 – 28. 169 Adolf Sydow: Worte bei der Grundsteinlegung zu Schillers Denkmal in Berlin, in: Karl Tropus (Hg.): Schiller-Denkmal, Bd. 1, Berlin 1860, S. 28 – 36. 170 LAB A Pr. Br. Rep 030, Nr. 12949: Acta des königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin betreffend die am 10. November 1859 bei Gelegenheit der Schillerfeier verübten Exzesse. Vgl. auch die

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Einige von ihnen wurden beschimpft und provoziert, polizeilichen Weisungen wurde nicht oder nur mit größtem Widerwillen gefolgt. Dennoch gelang es der Polizei, die Situation in geregelten Bahnen verlaufen zu lassen. Auch im Verlauf des Nachmittags, als sich zahlreiche Neugierige an der Baugrube einfanden, um einen näheren Blick auf den Grundstein zu legen, blieb es noch ruhig.171 Mit Einbruch der Dunkelheit radikalisierte sich die Stimmung dann jedoch zusehends und es kam zu ersten Störungen auf dem Gendarmenmarkt. Die Polizei hielt sich entsprechend ihren Anweisungen weiterhin zurück, entschloss sich aber dann zum gewaltsamen Einschreiten, als die Störungen in gewaltsamen Tumult überzugehen drohten und es zu ersten Angriffen auf Privatpersonen und Polizeibeamte kam.172 Die Angriffe galten dabei vornehmlich gut gekleideten Personen: Damen wurden die Röcke in die Höhe gehoben, Herren die Hüte vom Kopf geschlagen.173 Die Polizei vor Ort sah sich außer Stande, den Tumult zu beenden.174 Als herbeigerufene Verstärkung den Gendarmenmarkt erreichte, herrschte bereits ein erhebliches Durcheinander. Die offenbar vorwiegend jüngeren Angreifer175 und die Angegriffenen – wahrscheinlich Teile des aus dem Theater strömenden Publikums – waren kaum zu unterscheiden, es wurde geschrien und gepfiffen, so dass sich die Polizei mit ihren Aufforderungen, den Platz zu räumen, akustisch kaum Gehör verschaffen konnte. Mit gezogenen Säbeln wurde der Gendarmenmarkt schließlich von der Polizei geräumt. 48 Personen wurden verhaftet.176 Ob und inwieweit die Tumulte geplant waren, lässt sich nicht eindeutig klären. Den unterschiedlichen Berichten und Meldungen der Polizeibeamten sind allerdings verschiedene Andeutungen zu entnehmen, die auf eine gewisse Planmäßigkeit hindeuten und das offenbar verbreitete Gerücht aufgriffen, die Kreuzzeitungspartei habe durch Geldzahlungen und die Verteilung von Branntwein den Skandal herbeigerufen.177 Dass es sich beim »Unfug von Berlin« um den Vollzug eines Volksfestes ohne Genehmigung und eine aktive Aneignung der verstaatlichten Feier durch das ausgeschlossene Volk handelte, dass den Regierenden seine Macht demonstrieren wollte, wie Karl Obermann es beschreibt, ist eher unwahrscheinlich.178 Bei den Exzessen auf dem Gendarmenmarkt waren nicht Polizeibeamte oder

171 172 173 174 175 176 177 178

ausführliche Berichterstattung im Publicisten: Beilage zum Publicisten v. 13. November 1859, S. 1; Berliner Revue 7 (1859), Heft 12, S. 279. LAB A Pr. Br. Rep 030, Nr. 12949, S. 1 – 9. Ebd. S. 6, 12 – 13, 17 – 18. Ebd., S. 10b. Ebd., S. 10b – 11. Ebd., S. 18, 24, 32. Ebd., S. 7 – 8, 11. Z. B. in LAB A Pr. Br. Rep 030, Nr. 12949, S. 23, 32 – 33, 36b, 43, 45, 46, 47. Karl Obermann: Die deutsche Einheitsbewegung und die Schillerfeier 1859, in: ZfG 3 (1955), S. 705 – 734.

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Regierungsvertreter primäre Ziele der Randalierer, sondern gut gekleidete Passanten. Hier gingen Teile des Volkes gegen andere Teile des Volkes vor, während sich die Staatsmacht lange stark zurückhielt. Als sie durch den Einsatz von Polizeipatrouillen und berittenen Polizeieinheiten schließlich doch noch Präsenz und Durchsetzungswillen zeigte, wurde auch sie zum Ziel von Steinewerfern, sodass sie erst durch den Einsatz von Gewalt den Gendarmenmarkt wieder unter Kontrolle bekam. Weit über Berlin hinaus wurde über die Tumulte und Übergriffe des 10. November berichtet. In der deutsch-amerikanischen Presse wurden die Vorfälle scharf kritisiert und zum Anlass genommen, europäisch-deutsche Kritik an der vermeintlichen Sittenlosigkeit der Gesellschaft in den USA zurückzuweisen.179

Die Schillerfeier in den Berliner Zeitungen – die Berliner Zeitungen in der Schillerfeier Die Schillerfeier fand auf unterschiedlichen Ebenen Eingang in die Presseberichterstattung. Die Formen, in denen sich die Festberichterstattung in den Zeitungen und Zeitschriften niederschlug, lassen sich grob unterscheiden in Artikel, Bericht, Meldung und Annonce. Unter Artikel verstehe ich längere, eher deutende und kommentierende Auseinandersetzungen mit der Schillerfeier oder einem Teilaspekt. Sie eröffnen oft als Leitartikel die jeweilige Ausgabe oder einen spezifischen redaktionellen Teilbereich, wie das Feuilleton. Berichte enthalten vorrangig Informationen über spezifische, im Zusammenhang mit der Planung und Durchführung von Schillerfeierlichkeiten stehende Geschehnisse. Berichte sind nicht wertneutral, sie können durchaus kommentierende Anmerkungen der jeweiligen Redaktion beinhalten. Unter Meldungen verstehe ich sehr kurze, in der Regel unkommentierte Mitteilungen. Meldungen und Berichte sind je nach Zeitung oder Zeitschrift oft geographisch sortiert, sie lassen sich daher an fast jeder Stelle im Blatt finden und ordnen sich der allgemeinen Berichterstattung unter. Anzeigen hatten eine organisatorische oder kommerzielle Funktion, indem sie Termine, Versammlungs- und andere Aufrufe, organisatorische Informationen usw. zur Kenntnis brachten oder Produkte und Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit dem Schillerjubiläum standen, bewarben. Drei Themenfelder kamen im Zusammenhang mit der Festberichterstattung zur Schillerfeier immer wieder zur Sprache: der Grad der Öffentlichkeit, den die 179 Freiheits-Freund, 20. Dezember 1859, S. 2.

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Schillerfeier in Berlin erhalten sollte, der »Unfug von Berlin« und seine Ursachen sowie die nationale Bedeutung der Schillerfeier insgesamt.

Die Volkszeitung Die Volkszeitung, das Organ für Jedermann aus dem Volke stellte sich von Beginn an hinter die Idee einer möglichst allgemeinen und öffentlichen Schillerfeier in Berlin. Während sich ab der zweiten Septemberhälfte in Berlin ein Schillerkomitee bildete und einen Programmentwurf diskutierte, beschäftigte sich die Zeitung in zwei Leitartikeln mit der Frage, wie die Schillerfeier zu begehen sei.180 Der Leitartikel »Zum Schiller-Tage« eröffnete am 23. September 1859 die Berichterstattung der Volkszeitung zur Schillerfeier.181 Sehr allgemein wurde hier auf das bevorstehende Jubiläum hingewiesen und eine Reihe von Vorschlägen zur Begehung des Tages in Berlin angeführt. Die Volkszeitung wünschte sich eine Ganztagesfeier, an der sich möglichst viele Menschen, Vereine, Institute usw. beteiligen sollten. Gemeinsamkeit und breite Beteiligung waren der Volkszeitung ein Grundanliegen. Die Zeitung wünschte sich, dass die allgemeine Verehrung für Friedrich Schiller sich nun in eine möglichst umfassende Beteiligung an der Schillerfeier umsetzen ließe. In einer ganztätigen Feier mit Beteiligung der Schulen, der Universität und den beiden Akademien (der Wissenschaften und der Künste) wollte die Volkszeitung den Dichter gefeiert sehen. Verteilung von gedruckten Ansprachen und Erinnerungsblättern unter den Arbeitern, Ausstellungen und Lotterien mit Schiller-Devotionalien, Deklamationen, Konzerte, Unterhaltungsaufführungen, abendliche Theatervorstellungen, gemeinsame Veranstaltungen von Vereinen und Gesellschaften sowie Illuminationen gehörten für sie unbedingt dazu.182 In einem zweiten Leitartikel »Zu Schillers hundertjähriger Geburtstagsfeier« wandte sich die Volkszeitung direkt »an die deutschen Frauen«.183 Während die Männer die Schillerfeier öffentlich begehen, sollten diese die Schillerfeier in das Haus holen, etwa durch Dekorationen und durch das Vorlesen geeigneter Schillerwerke, um auch die Kinder teilhaben zu lassen. Auf diese Weise wäre es den Frauen möglich, sich einer durchaus nationalen Aufgabe zu widmen: Da, wo die Männer im öffentlichen Kampf durch Wort und Tat für die deutsche Nation kämpften, sollten die Frauen – egal ob aus Nord- oder Süddeutschland – zu180 »Zum Schiller-Tage«, in: Volkszeitung, 23. September 1859, S. 1; »Zu Schillers hundertjähriger Geburtstagsfeier. An die deutschen Frauen«, in: Volkszeitung, 9. Oktober 1859, S. 1. 181 Volkszeitung, 23. September 1859, S. 1. 182 Ebd. 183 Volkszeitung, 9. Oktober 1859, S. 1.

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sammenstehen und sich schwören, ihre Kinder zu deutschen Männern und deutschen Frauen zu erziehen und ihnen den »deutschen Geist« nahezubringen, der sich in Freiheit, Wahrheit und Menschlichkeit ausdrücke. Auf diese Weise könnten die Frauen zum Gelingen der Schillerfeier in der Gegenwart beitragen, zugleich aber auch einen Beitrag für die Zukunft leisten.184 Die Volkszeitung sah das Schillerfest von Beginn an als Nationalfest und wünschte sich eine möglichst allgemeine Teilnahme aller Sozialschichten.185 Der erste Programmentwurf des Schillerkomitees fand dann auch die volle Zustimmung des Blattes.186 Am 18. Oktober noch zeigte sich die Volkszeitung erfreut über die positive Aufnahme des Programms in der Bevölkerung und sah sich in seinen Forderungen bestätigt: »Auch gehen aus den verschiedensten Klassen der Bevölkerung Beiträge ein, welche beweisen, wie tief das Gefühl im Volke lebt, dass es sich um ein Nationalfest handelt«.187 Nach dem Verbot öffentlicher Aufzüge durch die Berliner Polizei und der Bestätigung dieser Entscheidung durch den Grafen von Schwerin zeigte sich die Volkszeitung entsprechend enttäuscht. In einer Anzeige forderte sie die Veröffentlichung des Schreibens, um den Grund für das Verbot zu erfahren. Zugleich wurde die nationale Bedeutung der Feier in den Vordergrund gerückt und auf politische Flurschäden hingewiesen, die entstünden, wenn man das Verbot einfach hinnehme. Dabei geriet auch das Schillerkomitee in die Kritik, das aus der Sicht der Volkszeitung zu passiv agierte: »Und kommt es denn nur auf die Einigkeit der Berliner an? Sieht denn das Komitee nicht, dass es sich hier um ein größeres Publikum, um das deutsche handelt, dass es das moralische Ansehen und noch mehr die moralischen Eroberungen Preußens gefährden heißt, wenn bei irgendwelcher nationalen Angelegenheit die preußische Bevölkerung zurückstehen muss, statt voranzuschreiten?«188

Der Verweis auf die Gefährdung der »moralischen Eroberungen« war zugleich eine Kritik am liberalen Kabinett unter Prinzregent Wilhelm. Dieser hatte in seiner Regierungsansprache vom 8. November 1858 die Notwendigkeit moralischer Eroberungen betont, was in großen Teilen der Liberalen und der Nationalbewegung Hoffnung auf eine aktivere Nationalstaatspolitik geweckt hatte. Das Verbot der Schillerfeier jedoch korrespondierte für die Volkszeitung überhaupt nicht mit einer derartigen Politik, weshalb für sie das (vermeintlich)

184 185 186 187 188

Ebd. Ebd., 23. September 1859, S. 1. Ebd., 14. und 15. Oktober 1859, S. 1. Ebd., 18. Oktober 1859, S. 1. Ebd., 25. Oktober 1859, S. 3. Das Schreiben des Grafen von Schwerin wurde am Folgetag abgedruckt. Volkszeitung, 26. Oktober 1859, S. 1.

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liberale und nationale Programm der preußischen Regierung auf dem Spiel stand. Als Beleg für die miserable Außenwirkung der Entscheidung startete die Volkszeitung nun eine kleine Kampagne und veröffentlichte kurz hintereinander verschiedene Artikel, in denen über die Erlaubnis öffentlicher Schillerfeiern außerhalb Preußens berichtet wurde. Am 25. Oktober schrieb das Blatt über die polizeiliche Erlaubnis öffentlicher Fackelzüge in Wien.189 Einen Tag später gab die Volkszeitung bekannt, dass die dänischen Behörden einen großen Fackelzug in Kiel erlaubt hätten.190 Nicht nur Österreich und Dänemark, auch Russland habe offenbar keine Probleme mit der Schillerfeier, schloss die Volkszeitung aus der Ansetzung von »Wilhelm Tell« zum Schillerfest in Riga.191 Am 29. Oktober meldete die Volkszeitung zudem, dass die Wiener Polizei die Erlaubnis zur öffentlichen Schillerfeier erst erteilt habe, nachdem sie vom Verbot der Berliner Feier erfahren habe.192 Mit der kurzen Meldung »Eine öffentliche Schillerfeier ist in Stettin verboten, in Danzig gestattet, in Königsberg verboten – Erklärt mir usw.«, wies das Blatt auf die Uneinheitlichkeit hin, mit der die einzelnen preußischen Städte die Frage der Öffentlichkeit in der Schillerfeier handhabten.193 Als die städtischen Behörden mit den Planungen zur öffentlichen Grundsteinlegung begannen, vermutete die Volkszeitung eine Opposition gegen das Komitee und dass die Kommunalbehörden dem Komitee »die ganze Sache aus der Hand nehmen möchte[n]«.194 Sie erklärte sich allerdings bereit, auch eine von den städtischen Behörden ausgehende Denkmalssetzung für Friedrich Schiller zu unterstützen, wenn die Stadt ihren »Verpflichtungen gegen die Bürgerschaft und die Ehre der Stadt Berlin« nachkomme und eine öffentliche Schillerfeier – etwa anlässlich der Grundsteinlegung des Denkmals – in Berlin ermögliche. »Diese Verpflichtungen lassen sich aber nicht mit einem Geldgeschenk abkaufen. Die Ehre der Stadt Berlin erfordert vielmehr, dass es von ihr nicht in den Jahrbüchern der Geschichte heiße, sie sei die einzige Hauptstadt deutscher Zunge gewesen, welche im Jahre 1859 das Schillerfest nicht öffentlich gefeiert habe.«195

189 Wien: Volkszeitung, 25. Oktober 1859, S. 2. Die Volkszeitung zitiert hier die Ostdeutsche Post und hebt die Erteilung der »Erlaubnis in ausgedehntester Weise« durch Fettdruck hervor. 190 Ebd., 26. Oktober 1859, S. 2. Auch hier arbeitete die Volkszeitung mit Hervorhebungen, besonders betont wurden die Worte »großen Fackelzug« und »Marktplatz«. 191 Ebd., 29. Oktober 1859, S. 2. 192 Ebd. 193 Ebd., 30. Oktober 1859, S. 2. Der Fackelzug in Stettin wurde später doch noch gestattet: Ebd., 5. November 1859, S. 2. 194 Ebd., 27. Oktober 1859, S. 1. 195 Ebd.

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Nachdem die öffentliche Feier der Grundsteinlegung am 10. November feststand, beschäftigte sich die Volkszeitung noch einmal ausführlich mit dem Verbot. Die Zeitung erklärte ihre Zurückhaltung in der Kommentierung des Festzugsverbots damit, dass sie den Festtag nicht durch Streit und Kampf verbittern und das Gefühl polizeilicher Bevormundung nicht verstärken wollte. Der nun gefundene Kompromiss sei für den Moment ausreichend, Berlin müsse sich hinsichtlich der Schillerfeier im Vergleich zum übrigen Deutschland nun nicht mehr schämen. Eine Debatte über die Hauptstadtpolizei und ihre Leitung allerdings stehe weiterhin aus und müsse zu einem späteren Zeitpunkt geführt werden.196 Die Volkszeitung beharrte auch im Verlauf der weiteren Berichterstattung stets darauf, eine möglichst breite Öffentlichkeit bei der Grundsteinlegung zu garantieren.197 Dieses Leitmotiv einer größtmöglichen Allgemeinheit bei der Schillerfeier wurde auch am Vortag der Schillerfeier noch einmal aufgegriffen. Schiller, so die Volkszeitung, werde allgemein gefeiert, weil er allen Teilen der Bevölkerung etwas bedeute. Dass für das Blatt weniger der Dichter selbst, sondern vor allem der Akt des Gedenkens an ihn den Kern der Schillerfeier und ihrer Bedeutung ausmachte, lässt sich am Aufruf der Volkszeitung zur gemeinsamen Begehung der Feier am Vorabend des Dichtergeburtstages verdeutlichen: »Darum Ihr Alle, in Palästen oder Hütten, im Glanze oder in Dürftigkeit, im Glücke oder im Schmerze lebend, lasset die Stimmung des heutigen Vorfesttages wie ein Glockenläuten, das den kommenden begrüßt durch Euer Herz wehen; denn der nahende Tag soll nicht bloß ein Tag des Dankes sein, dass Er gelebt hat im deutschen Volke, sondern ein Tag weihevoller Mahnung, dass Er fortan mehr und mehr in uns zum Leben wiedergeboren werde! Wir sollen des Vergangenen gedenken, dass es sich vergegenwärtige in unserem Dasein. Wir sollen seine Geburt feiern im Bewusstsein, dass Er nie in uns ersterben darf. Nicht das Jahrhundert hinter uns, das vor uns und unseren Kindern liegende soll fortan das Seine sein; nicht dem Erschienenen, dem ewig Lebenden soll die Verherrlichung gelten.«198

Die Volkszeitung sah demnach nicht in der historischen Person Friedrich Schiller den Kulminationspunkt der Festgemeinschaft, sondern im Akt der Erinnerung selbst. Friedrich Schiller wurde in diesem Sinne als Projektionsfläche für die Festgemeinschaft im Hier und Jetzt konstruiert. Zur Verstetigung dieser Gemeinschaft sollte zugleich auch der Akt der Vergemeinschaftung verstetigt werden, deren Gegenstand Friedrich Schiller ist. Die Erinnerung an den Dichter in der Schillerfeier war somit Akt des Gemeinsamen, Begründung der Gemeinschaft und Beweis ihrer realen Existenz zugleich. 196 Ebd., 3. November 1859, S. 1. 197 Ebd., 4. November 1859, S. 1. 198 Ebd., 9. November 1859, S. 1. Hervorhebungen wie im Original.

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Dass es der Volkszeitung mehr um die Festgemeinschaft als um den gefeierten Dichter ging, wird auch aus dem Festgedicht »Zum 10. November« ersichtlich, dass am Festtag auf der Titelseite veröffentlicht wurde.199 In diesem Gedicht wurde jeder verurteilt, der sich der Schillerfeier verweigerte oder nicht von ihr angesprochen fühlte. Schiller wird hier als nationaler Dichter der deutschen Freiheit gesehen, der die geistige Munition bereitstellte für den Befreiungskampf gegen die napoleonische Besatzung. Der »Adel deutscher Nation« habe gerade darin bestanden, die Worte des Dichters verstanden und genutzt zu haben – und auch für bevorstehende Kämpfe halte der Dichter das geistige Rüstzeug bereit: »Noch sieht man hoch am blauen Himmel ragen Des Dichters Sonn’, ein leuchtend Meteor, Ein starker Schild auch in den künft’gen Tagen. Mit Dir der Geist! Du kannst nicht unterliegen, Mein Volk – in diesem Zeichen wirst Du siegen!«200

Die Volkszeitung bezeichnet Friedrich Schiller als den »Volkgekrönten«, also als Führer und Vorbild, das seine Legitimität und Legitimation durch das Volk erhalte, das wiederum in Schiller sich selbst feiere: »Hernieder steige denn zu uns, die wir ja längst die Deinen sind! Hernieder in die Mitte eines Volkes, das nicht zu Deiner, nein zu seiner inneren Verherrlichung Dich heute sehen will, Dich, Du Volkgekrönter!«201 Und zum Abschluss der Schillerfeier brachte die Volkszeitung ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass vor allem die deutsche Nation nachhaltig von der Feier profitieren werde: »Durch Deutschlands weite Gauen geht in diesen Festestagen der Völkerruf seiner [Friedrich Schillers –tl] Verherrlichung. Möge es ein Lebenszeichen des deutschen Volkes sein, dass, so weit die deutsche Zunge reicht, fortan auch sein Streben das des deutschen Volkes werde! […] Sein Denkmal wird uns nicht bloß eine Erinnerung an sein Wirken, sondern eine Mahnung zur Verwirklichung dessen sein, was er selbst als ewiges Denkmal sich im lichten Geist und im freien Worte selbst gesetzt!«202

Als Anfang Dezember die Berichte über die Schillerfeiern in den USA eintrafen, zeigte sich die Volkszeitung überrascht und stellte überwältigt von deren Umfang abschließend fest: »Wir sind eine Nation«.203 Die Zeitung deutete die amerikanischen Schillerfeiern als Zeichen einer realen nationalen Einheit der Deutschen, die auch nach der Auswanderung in eine neue Heimat ihre Gemeinsamkeit bewahren würden. Die Deutschen in Amerika wären der Nation ent199 200 201 202 203

Ebd., 10. November 1859, S. 1. Ebd. Ebd., S. 2. Ebd., 12. November 1859, S. 1. »Wir sind eine Nation«, in: Volkszeitung, 4. Dezember 1859, S. 1.

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gegen aller Befürchtungen durch die Auswanderung nicht verloren gegangen, sondern stellten einen realen Anknüpfungspunkt in der Ferne dar – unabhängig von der vielfachen Zerrissenheit der deutschen Nation in Europa.204 Die Schillerfeiern in den USA wurden somit nachträglich in den Festraum integriert und als Teil einer nun weltweiten Handlungsgemeinschaft der Deutschen im Schillerfest und als Nation gedeutet. Die Volkszeitung verfolgte damit in allen Teilen ihrer Berichterstattung ein nationales bzw. nationalisierendes Programm. Friedrich Schiller wurde als nationaler Dichter und geistiger Befreiungskämpfer der deutschen Nation gedeutet, die Schillerfeier als Akt der nationalen Vergemeinschaftung. In diesem Sinne forderte die Volkszeitung von Beginn an eine möglichst breite, alle Sozialschichten umfassende Beteiligung an einer möglichst öffentlichen Feier ein. Der Festakt zur Grundsteinlegung konnte da nicht mehr als ein Kompromiss sein, um überhaupt noch eine gewisse Öffentlichkeit erreichen zu können. In ihrer Kommentierung der Exzesse am Abend des 10. November (über die nach der Feier nur in aller Kürze unter Bezug auf einen Bericht der Nationalzeitung berichtet wurde205) vertrat die Volkszeitung dann auch die Ansicht, dass die Gewährung der ursprünglich vorgesehenen allgemeinen Festzüge die Exzesse verhindert hätte – das Volk hätte, so die Zeitung, selbst eingegriffen gegen Unruhestörer und Krawallmacher und die Ruhe und Ordnung am Festtag aus eigener Kraft erhalten.206 Die vertikale Vernetzung der Schillerfeier erfolgte damit in der Volkszeitung zugleich auf der sozialen wie auf der zeitlichen Ebene. Sozial, indem alle Teile der Bevölkerung als nationale Gemeinschaft integriert und imaginiert wurden, zeitlich, indem die Erinnerung an die historische Person Friedrich Schiller funktional für die gegenwärtige und eine fortwährende zukünftige Vergemeinschaftung zur Nation gesetzt wurde. Auch in der horizontalen Verknüpfung der Festorte war die Volkszeitung besonders bemüht, die Beteiligung möglichst vieler Städte und Regionen in ihrer Berichterstattung abzubilden. Technisch gelang dies durch zahlreiche Einzelmeldungen und -berichte von Festvorbereitungen und -durchführungen in anderen Städten oder Regionen, die Verdichtung dieser Berichterstattung in Sammelmeldungen erlaubte dabei die bloße Nennung einer großen Zahl von Festorten in Form von Aufzählungen, die den Eindruck allgemeiner Festaktivitäten noch verstärkte. 204 Ebd., 4. Dezember 1859, S. 1. 205 Ebd., 12. November 1859, S. 2 – 3. 206 Ebd., 15. November 1859, S. 2. Ein Interesse an den Exzessen, so die Volkszeitung, hätte vornehmlich die »Reaktion« – gemeint sind konservative Kreise und die Kreuzzeitung – gehabt. Gerüchten, diese Kreise hätten die Unruhen bewusst angestiftet, pflichtete die Volkszeitung zwar nicht bei, gab ihnen aber durch den Abdruck doch ein gewisses Gewicht.

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Keine Berliner Zeitung räumte der Schillerfestberichterstattung einen breiteren Raum ein als die Volkszeitung. Unter Überschriften wie »Zur Schillerfeier« und »Säkularfeier von Schillers Geburtstag« oder »Schillerfeier in Berlin« berichtete die Volkszeitung vom Vortag der Programmveröffentlichung über die Entscheidung des Grafen von Schwerin, das polizeiliche Verbot des Festzuges nicht aufzuheben, bis zu den Festtagen fast täglich im Umfang von rund einer Spalte und auf der Titelseite über die Berliner Schillerfestplanungen.207 Die Volkszeitung vom 9., 10. und 12. November war in weiten Teilen eine Festausgabe und beschäftigte sich fast ausschließlich mit der Schillerfeier in Berlin und anderswo.208 In rund vier Wochen zeichnete das Blatt ein breites Panorama mit Festberichten aus ganz Europa. Insgesamt meldete die Volkszeitung vom 24. Oktober bis zum 26. November 1859 Schillerfestaktivitäten aus 67 Städten und Ortschaften, integrierte mit Mecklenburg, dem Harz, den Pfälzer Bergen, Württemberg, Hohenstaufen, Sachsen, Westfalen und der Schweiz weitere Regionen en bloc in den Schillerfestraum.209 In zwei Sammelmeldungen verdichtete das Blatt in einer fast atemlosen Aneinanderreihung von Feststädten den Eindruck, die Schillerfeier sei überall und von allen Deutschen in den deutschsprachigen Regionen Mitteleuropas und weltweit begangen worden.210 Die Nationalisierung der Schillerfeier erfolgte in der Volkszeitung über die direkte, deutende Nationalisierung des Dichters zum Volksdichter der Deutschen, die Verknüpfung der historischen Person Friedrich Schiller und seiner Werke mit der Geschichte der nationalen Gemeinschaft im anti-napoleonischen Freiheitskampf, die Funktionalisierung der Feier zur Konstituierung einer nationalen Handlungsgemeinschaft im Fest, die Adressierung sozial divergenter Bevölkerungsschichten als nationale Handlungsgemeinschaft und die Abbildung dieser Handlungsgemeinschaft in der Festberichterstattung sowie, nicht zuletzt, die Projektion dieser Handlungsgemeinschaft in die Zukunft. Inhaltliche Positionierung und technische Performance gingen bei der Volkszeitung somit einher. Das Blatt forderte nicht nur die nationale Einheit in der Schillerfeier, es bildete sie zugleich ab und förderte den nationalen Diskurs durch die Bereitstellung nationaler Deutungsangebote für Friedrich Schiller, seine Werke und die Schillerfeier selbst. Zugleich war sie über die Mitgliedschaft ihres Redakteurs 207 Ebd., 14., 15., 16., 18., 19., 20., 22., 23., 26., 27. und 30. Oktober 1859, 1., 3., 4., 5., 6., 8. November 1859, jeweils S. 1. Die Volkszeitung erschien täglich außer am Montag und war dreispaltig. 208 Die Volkszeitung vom 9., 10. und 12. November 1859 war in weiten Teilen eine Festausgabe. Am 11. November erschien die Volkszeitung wegen des Festtages nicht. 209 Volkszeitung, 25., 26., 29., 30. Oktober 1859, 3., 5., 6., 9., 10., 13., 15., 16., 17., 18., 19., 22., 25. und 26. November 1859. 210 Ebd., 17. und 19. November 1859, S. 1.

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Franz Duncker im Berliner Schillerkomitee ganz unmittelbar an der Planung und Durchführung der Berliner Schillerfeier beteiligt. Versammlungsöffentlichkeit und mediale Öffentlichkeit waren somit direkt miteinander verschränkt.

Der Publicist Grundsätzlich reihte sich der Publicist in die Reihe der Festunterstützer ein. In zahlreichen Artikeln berichtete er ausführlich über die Festplanungen, nahm jedoch gegenüber dem Komitee eine eher kritische Haltung ein.211 Als das Verbot der öffentlichen Festzüge bekannt wurde, übte die Zeitung scharfe Kritik an der Kommunikationsstrategie des Festkomitees, das es versäumt habe, sich frühzeitig mit den Stadtbehörden über die öffentlichen Teile der Schillerfeier zu verständigen. Gerade bei öffentlichen Volksfesten sei eine Abstimmung mit den Behörden unerlässlich, da öffentliche Aufzüge grundsätzlich genehmigungspflichtig seien.212 Die Befürchtungen der städtischen Behörden, so die Zeitung weiter, hätten von Anfang an ernst genommen werden müssen. Schließlich sei der 9. November als Todestag Robert Blums für die Behörden ein besonders sensibler Termin, da an diesem Tag politische Demonstrationen besonders wahrscheinlich seien. Die Festorganisatoren hätten durch frühzeitige Gespräche mit den Stadtbehörden vertrauensbildend tätig werden und alle Befürchtungen dieser Art zerstreuen müssen. Durch das Vorpreschen des Komitees und die Veröffentlichung des Programms seien Magistrat und Polizeibehörden verstimmt und es stehe zu befürchten, dass die Feier nicht in der geplanten Form durchgeführt werden könne.213 Wenige Tage später legte der Publicist noch einmal nach: Die Veröffentlichung des Festprogramms habe Tatsachen geschaffen und eine Einigung zwischen Schillerfestkomitee und städtischen Behörden stark erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht.214 Der Publicist, der in der Sache durchaus auch öffentliche Umzüge zur Schillerfeier befürwortete, stellte sich in rechtlicher Perspektive hinter die Entscheidung des Polizeipräsidenten Zedlitz-Neukirch. Auch die Bestätigung des Verbots durch das Innenministerium wurde von der Zeitung als rechtlich und inhaltlich verständlich und begründet bewertet. Der Publicist kam zu dem Schluss, dass das Verbot einer öffentlichen Schillerfeier in Berlin nicht ursächlich auf die Regierung oder die Kommunalbehörden zurückzuführen sei, 211 So bedauerte die Zeitung u. a., dass das Komitee nicht aus Genossenschaftswahlen hervorgegangen sei, was seine Legitimität erhöht hätte. Publicist, 19. Oktober 1859, S. 1. 212 Ebd., 19. Oktober 1859, S. 1. 213 Ebd. 214 Publicist, 22. Oktober 1859, S. 1.

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sondern vor allem auf die verfehlte Kommunikationsstrategie des Komitees.215 Als positives Vorbild nannte das Blatt ausgerechnet das Schillerkomitee in Wien, das vor Feststellung und Veröffentlichung des Festprogramms die Genehmigung von Polizeiminister Hübner eingeholt habe. Erst nach dessen Freigabe habe sich das Wiener Komitee organisiert und unter Beteiligung der Behörden die öffentlichen Teile des Festprogramms festgelegt, »damit die zu treffenden Anordnungen nach keiner Seite hin mit den notwendigen Rücksichten für die öffentliche Ordnung kollidierten«.216 Das Berliner Komitee habe es dagegen nicht nur an Feingefühl vermissen lassen, sondern zudem auch die Rechtslage völlig verkannt, die eine vorausgehende Genehmigung öffentlicher Versammlungen in Berlin notwendig vorschreibe und im Falle von Sachbeschädigungen bei öffentlichen Versammlungen die städtischen Behörden in Haftung nehme.217 Da Krawalle und Unruhen nie völlig auszuschließen seien – der Publicist erinnerte hier noch einmal an die Ereignisse bei der Überführung von Humboldts Leiche nach Tegel im Mai 1859 – und zudem bestimmte Kreise ein Interesse daran hätten, der liberalen Regierung in Preußen etwa durch die Inszenierung von Straßenkrawallen zu schaden, habe Polizeipräsident Zedlitz-Neukirch in der Sache völlig richtig entschieden.218 Statt nun den Dialog zu suchen, habe das Komitee mit seiner Beschwerde und Appellation an das Innenministerium die Sache nur verschlimmert. Schon aus Haftungsgründen sei eine Aufhebung der polizeilichen Entscheidung durch das Innenministerium undenkbar gewesen, da dadurch einerseits das Haftungsrisiko für eventuelle Sachschäden auf das Ministerium übergegangen wäre, andererseits auch die Stellung des Polizeiministers so schwer beschädigt worden wäre, das dessen Rücktritt zur Option hätte werden können. Für alle materiellen und politischen Schäden, die aus eventuellen Straßenkrawallen entstünden, hätte letztlich der Innenminister einstehen müssen. Angesichts der möglichen Folgen hätte, so der Publicist, der Graf von Schwerin gar nicht anders entscheiden können, als mit einer Bestätigung des durch Zedlitz-Neukirch ausgesprochenen Verbots.219 Da nun aber eine öffentliche Feier mit dem gegenwärtigen Komitee nicht mehr möglich sei, forderte der Publicist als notwendige Konsequenz den Rücktritt des Komitees und die Übertragung der Festorganisation an die Stadt – eine Empfehlung, der das Komitee allerdings nicht folgte.220 215 »Der Minister des Innern und die Schillerfeier in Berlin I«, Publicist, 27. Oktober 1859, S. 1, »Der Minister des Innern und die Schillerfeier in Berlin II«, Publicist, 28. Oktober 1859, S. 1. 216 Ebd., 27. Oktober 1859, S. 1. 217 Ebd. 218 Ebd. 219 Ebd., 28. Oktober 1859, S. 1. 220 Ebd.

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Da die mediale Debatte über die Frage der öffentlichen Schillerfeier in Berlin nicht abebbte, beschäftigte sich der Publicist am 5. November in einem weiteren Leitartikel erneut mit dem Thema. Die Diskussion hatte sich inzwischen auf die Frage zugespitzt, ob und inwieweit das Verbot Rückschlüsse erlaube auf einen etwaigen polizeistaatlichen Charakter Preußens.221 Der Publicist wies diesen Gedanken entschieden zurück.222 Erneut konzentrierte er sich auf die rechtliche Argumentation: Die preußische Verfassung garantiere in Artikel 29 Versammlungsfreiheit – in geschlossenen Räumen ohne, unter freiem Himmel mit vorausgehender Erlaubnis. Die Bedingungen öffentlicher Versammlungen wiederum seien im Preußischen Vereins- und Versammlungsgesetz vom 11. März 1850 ausgeführt. Das Verhalten der Behörden sei in diesem Fall rechtlich einwandfrei und stehe eben nicht für Polizeistaatlichkeit, sondern – im Gegenteil – für Rechtsstaatlichkeit, da das Verbot allein auf der Grundlage der genannten Gesetze erfolgt sei. In einem Rechtsstaat allerdings müssten sich Regierende wie Regierte gleichermaßen dem Gesetz unterwerfen – auch und gerade liberale Regierungen.223 Trotz seiner fortdauernden Kritik am Berliner Schillerkomitee positionierte sich der Publicist auch weiterhin als Festunterstützer. In seiner Ausgabe vom 10. November definierte er die Schillerfeier auch ausdrücklich als Nationalfest.224 Das deutsche Volk habe »an dem heutigen Tage treffliche Ursache, nationalstolz zu sein«, da im Schillerfest die deutsche Einheit in einem Umfang realisiert werde, »wie sie noch kein deutscher Kaiser und noch viel weniger die Frankfurter Einheitskünstler zu denken wagten in dem Umfange des Großdeutschlands, das nur in der Poesie, in Vater Arndts beliebtem Liede existiert« – und damit weit über die Grenzen des Alten Reiches hinaus.225 In der Schillerfeier und in der Verehrung des Dichters, so der Publicist weiter, vereinigten sich die Deutschen über alle regionalen, staatlichen und religiösen Unterschiede hinaus.226 Die Gegner Schillers und der Feier seien »ein so kleines und der allgemeinen Missachtung so sehr verfallenes Häuflein, dass sie nicht in Betracht kommen gegenüber den Millionen, die im Einverständnis mit den Gebildetsten und Besten ihres Volkes dies in der Geschichte beispiellose Fest begehen«.227

221 222 223 224 225 226 227

Vossische Zeitung, 4. November 1859, S. 1 – 2. Publicist, 5. November 1859, S. 1. Ebd. Ebd., 10. November 1859, S. 1. Ebd. Ebd. Ebd. Bei den Gegnern handelte es sich nach Ansicht der Zeitung vor allem um religiöse Kreise, die in Schiller vorrangig den Heiden sähen, und um Polizisten (der Publicist fasst hierunter Beamte wie überhaupt polizeilich denkende Menschen), die den Dichter als eine Art Revolutionär und Vorläufer der modernen Demokratie fürchteten.

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Der Publicist bedauerte die nach wie vor bestehende politische wie geographische Zerrissenheit der Deutschen. Diese sei in der Schillerfeier zwar geistig überwunden worden, die materielle Einheit allerdings stehe weiterhin aus.228 Und schließlich wies die Zeitung auch auf den erweiterten politischen Kontext der Schillerfeier hin: In ihrer Ausgabe vom 9. November zeigte sich die Zeitung erfreut, dass das Gedenken an Robert Blum und seinen Todestag nach zehn Jahren endlich wieder möglich sei.229 Auch die historisch-politische Bedeutung des Gendarmenmarktes wurde vom Publicisten hervorgehoben: An ebendieser Stelle, erinnerte die Zeitung, habe der Festredner der Grundsteinlegung, der Prediger Adolf Sydow, bereits am 22. März 1848 als Geistlicher an der Trauerfeier für die Märzgefallenen teilgenommen.230 Auf diese Weise verknüpfte der Publicist das Schillerfest von 1859 direkt mit der Revolution von 1848/49 und damit zugleich mit der liberalen und demokratischen Bewegung in Preußen. Neben der nationalisierenden Deutung der Schillerfeier bildete auch der Publicist einen breiten Festraum in seiner Festberichterstattung ab. Der Berichtsraum des Publicisten umfasste insgesamt 26 Städte, darunter auch Brüssel, Paris, London und Turin. Hier wies die Zeitung allerdings ausdrücklich darauf hin, dass die Turiner Feier nicht auf dort ansässige Deutsche, sondern auf italienische Schriftsteller zurückzuführen sei.231 Aus einer Reihe von Städten wurde mehrfach berichtet, Wien, Stuttgart und Hamburg wurden dabei am häufigsten berücksichtigt. Im europäischen Ausland gerieten Paris, London und Brüssel wiederholt in den Blick des Publicisten. In einer Sammelmeldung am 15. November wurden gleich elf Feststädte en bloc abgehandelt. Sammelmeldungen waren ein beliebtes Mittel, um die ausufernde Zahl der Feststädte aufzurufen, durch exemplarische Aufzählungen abzubilden und – gern mit Verweisen auf die extensive Berichterstattung anderer Zeitungen – zugleich bei beschränktem eigenen Raum, die Unmöglichkeit einer auch nur annähernd vollständigen Berichterstattung zu betonen. Der Publicist schrieb in seiner Einleitung: »Die Zeitungen strotzen von teilweise sehr weitläufigen Berichten über die Schillerfeier in und außerhalb Deutschlands. Abgesehen davon, dass der beschränkte Raum dieser Zeitung uns nicht gestattet, die hierauf bezüglichen Nachrichten auch nur in Form von kurzen Notizen mit annäherungsweiser Vollständigkeit aufzunehmen, glauben wir auch wegen der notwendigen Einförmigkeit dieser Nachrichten voraussetzen zu dürfen, dass unsere Leser damit einverstanden sein werden, wenn wir ihnen in dieser Beziehung nur hervorstechende Einzelheiten melden.«232

228 229 230 231 232

Publicist, 12. November 1859, S. 1. Ebd., 9. November 1859, S. 1. Ebd., 10. November 1859, S. 1. Ebd., 9. November 1859, S. 2. Publicist, Beilage zur Ausgabe 269 vom 15. November 1859, S. 3.

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Die »notwendige Einförmigkeit« bezog sich auf die immer gleiche Aufzählung von Festprogrammen, Meldungen und Berichten von Fackel- und Festumzügen, Festaufführungen und Konzerten in den Theatern und Opern sowie von Bällen und Banketten mit Deklamationen, Musik und Festreden an den unterschiedlichsten Orten. Festorte mit ungewöhnlichem Planungs- oder Festverlauf – wie beispielsweise Hamburg – wurden entsprechend häufiger berücksichtigt, da sie sich von der Masse abhoben. In der Nachberichterstattung bildeten die abendlichen Unruhen am 10. November einen wesentlichen Schwerpunkt. Ausführlich wurde in mehreren längeren Artikeln über die spätnachmittaglichen und abendlichen Vorkommnisse auf dem Gendarmenmarkt berichtet. Der Publicist missbilligte die Unruhen.233 Als Verursacher wurden Knaben und Erwachsene, Lehr- und Fabrikjungen ausgemacht.234 Im Namen der Unparteilichkeit veröffentlichte der Publicist abschließend zwei Leserbriefe. Beide Einsender verurteilten die Vorkommnisse, sahen aber unterschiedliche Gründe als Ursache der Unruhen, einerseits die allgemeine Rohheit des Berliner Pöbels, andererseits das unverhältnismäßige Verhalten der Polizei am Festtag.235

Nationalzeitung Mit 237 Festmeldungen und -berichten aus 132 Festorten in den deutschen Ländern und weltweit präsentierte die Nationalzeitung ihren Lesern zwischen dem 1. September und dem 30. November einen extensiven und national repräsentativen Festraum zur Schillerfeier. In regelmäßigen, ab der zweiten Oktoberwoche täglichen Meldungen und Berichten über Festvorbereitungen und -durchführungen informierte das Blatt über die Details der Festaktivitäten an anderen Orten. Im deutschen Sprachraum war dabei Hamburg mit 14 Nennungen die am häufigsten bedachte Stadt. Die Diskussionen um den Bußtag und die Nähe der Hamburger Schillerfeier zu den bevorstehenden Wahlen leisteten zu dieser häufigen Berichterstattung einen nicht unerheblichen Beitrag.236 An zweiter Stelle folgte Frankfurt am Main mit neun Berichten, Wien und München kamen auf sieben Nennungen, ebenso Potsdam. Aus Stuttgart als biographisch relevanter Stadt wurde sechs Mal berichtet, Hannover und Danzig brachten es auf immerhin je fünf Nennungen, dicht gefolgt von Bremen, Breslau, Dresden, Gotha und Warschau mit je vier. 233 Publicist., 12. November 1859, S. 1 und 3, 13. November 1859, Beilage, S. 1, 18. November, S. 3 – 4. 234 Ebd., Beilage v. 13. November 1859, S. 1. 235 Ebd., 18. November 1859, S. 3 – 4. 236 Siehe Kapitel »Hamburg«

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Mit Amsterdam, London, Liverpool, Paris, Helsinki, Göteborg, Konstantinopel, Moskau und Rom waren wichtige europäische Städte vertreten, aus den USA wurden New York und St. Louis explizit als Feststädte genannt. Die Schweiz wurde in einer Sammelmeldung breiter bedacht, Bern war hier mit vier Meldungen der bevorzugte Festort in der Berichterstattung der Nationalzeitung. Die Nationalzeitung hob die Bedeutung der Schillerfeier für die deutsche Nation ausdrücklich hervor. »[D]ieser Tag findet unsere Nation in einem Moment, wie er günstiger kaum gedacht werden kann. Es ist eine Zeit, in der lebendiger als seit lange [sic! –tl] das Bewusstsein der Einheit, der Zusammengehörigkeit im deutschen Volke erwacht ist, das Bewusstsein der Notwendigkeit, einen lebendigen Ausdruck für dieses Gefühl der Einheit zu finden«, schrieb die Zeitung, die in der Schillerfeier eine Möglichkeit für die deutsche Nation sah, sich der ganzen Welt gegenüber bemerkbar zu machen: »Das Fest des 10. November wird darum eine Bedeutung gewinnen, die weit über die ursprünglichen Grenzen hinausreicht.«237

Die Schillerfeier sei eine günstige Gelegenheit, die Einheit der Deutschen nicht nur zu beschwören, sondern sie auch zu leben: »In jeder Stadt, in jedem Flecken Deutschlands, wo auch nur die geringste Äußerung festlicher Freude an den Tag treten wird, wird das Gefühl überall das mächtigste, das ergreifendste sein, dass gleichzeitig allüberall im deutschen Vaterlande […] ja wo immer deutsche Herzen schlagen, wohin immer deutsche Sitte und deutsches Trachten getragen ist, die Angehörigen deutsche Nation in Einem Aufschwunge sich erheben und in Einer Empfindung ein Fest feiern, welches sie daran erinnert, dass alle Verschiedenheit der Stämme, dass die größte Zersplitterung des politischen und gesellschaftlichen Lebens noch ihren Einigungspunkt finden in dem Bewusstsein, eine Nation zu sein, geeint in einer großen Geschichte und gemeinsamen Kultur.«238

Um den nationalen Charakter der Feier zu garantieren, sprach sich die Nationalzeitung für eine möglichst allgemeine Teilnahme des ganzen Volkes aus, zugleich wünschte sie sich eine möglichst aktive allgemeine Beteiligung an ihrer Organisation und Gestaltung.239 Das Berliner Schillerkomitee habe hierfür einen großen öffentlichen Festzug geplant, der die Bevölkerung einerseits repräsentieren, andererseits deren breite Teilnahme als Zuschauer ermöglichen solle.240 Den direkten Anschluss an die Tradition der deutschen Nationalfeste vollzog die Nationalzeitung durch den Abdruck eines Artikels aus der Frankfurter Zeitung. Diese hatte Mitte Oktober einen »Vorschlag zur Schillerfeier« veröf-

237 238 239 240

Nationalzeitung, 14. Oktober 1859 (Morgenausgabe), S. 1. Ebd. Hervorhebungen im Original. Ebd., 14. Oktober 1859 (Morgenausgabe), S. 1 – 2. Ebd. S. 1.

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fentlicht, der eine direkte Verbindung zur ersten deutschen Nationalfeier von 1814 herstellte: »Was wir im Sinne haben greift keiner anderen Veranstaltung vor, in der man sonst noch eine Gemeinsamkeit der ehrenden Erinnerung für unsern großen Dichter finden zu sollen glaubt; es schließt sich allen als ein äußerlich sichtbar einendes Element an. Und was könnte Dies anders sein, als dass an einem der Abende des Festes von allen Höhen des weiten schönen Vaterlandes, durch alle seine Gauen allem Volke sichtbar leuchtende Flammenzeichen entzündet würden? Wer hätte nicht schon oft bedauert, dass die Feuer, die einst dem Gedächtnis der kampf- und blutreichen Errettungstage aus langer politischer Nacht und Not des Vaterlandes dienten wahrlich nicht zum Frommen unseres Nationalgefühls! erloschen sind?!«241

Die optische Vernetzung der dezentralen Festorte sollte demnach auch zur Schillerfeier die Einzelfeiern medial verknüpfen und darüber ein nationales Gemeinschaftsgefühl herstellen. Auf diese Weise sollten die lokalen Festaktivitäten unabhängig von ihrer konkreten Gestalt und Besonderheit zum über- oder translokalen Fest- und damit zu einem gemeinsamen Handlungsraum zusammenführt werden, um den Teilnehmern die Erfahrung zu ermöglichen, die Nation als Handlungsgemeinschaft in ihrem synchronen Handeln zu beobachten – und zugleich sich selbst als einen Teil davon zu erfahren. Durch den Bezug auf das Nationalfest von 1814 schloss sich die Frankfurter Zeitung – und mit ihr die Nationalzeitung – auch einem antifranzösischen Diskurs an, der sich historisch aus der napoleonischen Besatzungszeit speiste und der 1859 durch die politische Situation in Europa eine Renaissance erlebte. In ihm drückten sich u. a. Ängste vor französischen Gebiets- und Machtansprüchen unter einer erneut napoleonischen Regierung aus, die von vielen Deutschen als Bedrohung empfunden wurde.242 Angesichts ihrer nationalen Sicht auf die Schillerfeier und dem daraus abgeleiteten Wunsch nach einer regional wie sozial möglichst umfassenden Teilnahme war das Verbot der öffentlichen Feier in Berlin für die Nationalzeitung eine Katastrophe. Fassungslos sah sich die Zeitung der Situation ausgesetzt, dass von allen Orten Deutschlands und der ganzen Welt ausgerechnet Berlin keine öffentliche Schillerfeier haben werde.243 Sie berichtete von einem allgemeinen Erstaunen über das Verbot und dessen Bestätigung durch das Innenministerium, das lediglich von den Lesern der Kreuzzeitung nicht geteilt würde. Hier sah die Nationalzeitung dann auch eine Wurzel des Problems: Die Kreuzzeitung habe schließlich seit Wochen gegen die öffentliche Schillerfeier angeschrieben, 241 Nationalzeitung, 18. Oktober 1859 (Morgenausgabe), S. 2. Hervorhebungen und Interpunktion wie im Original. 242 Vgl. Lutz Hoffmann: Das deutsche Volk und seine Feinde. Die völkische Droge, Köln 1994, insbesondere Kapitel 5 und 6. 243 Nationalzeitung, 26. Oktober 1859 (Morgenausgabe), S. 1.

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eine Instrumentalisierung durch die nationale Bewegung befürchtet und regelmäßig Verdächtigungen gegen den geplanten öffentlichen Festzug in die Welt gesetzt, die von anderen Publikationen weiterentwickelt wurden. Hier spielte die Zeitung auf den an dieser Stelle ungenannt bleibenden Publicisten an, der auf das Jubiläum der Robert-Blum-Erschießung am Tag des geplanten Festzuges hinwies.244 Das Verbot der öffentlichen Feier war für die Nationalzeitung deshalb von so großer Bedeutung, weil mit dem Verlust der Öffentlichkeit auch der Verlust des nationalen Charakters der Feier befürchtet wurde. »Was national ist, darf sich öffentlich zeigen und die Straßen und Märkte unter freiem Himmel erfüllen, damit wird ausgedrückt, dass das ganze Land als seine [Schillers –tl] Heimat betrachtet und dass er als ein öffentliches Gut geschätzt wird«, schrieb die Nationalzeitung, »nur dasjenige, dem ein solcher Charakter der Allgemein-Gültigkeit nicht eigen ist, weist der Staat in die Stille der Häuser«.245 Ein Verbot der öffentlichen Feier gebe somit denjenigen Recht, die Friedrich Schiller nicht als einen Mann des Volkes sehen würden und deshalb ein Fest zu seinen Ehren für das ganze Volk nicht für nötig halten.246 Da in Wien und Hannover (»zwei Orten, wo die Polizei nicht schläft«) Festzüge genehmigt und die Festvorbereitungen durch großzügige Zuwendungen sogar unterstützt würden, sei von einer Gefahr durch die nationale Bewegung wohl eher nicht auszugehen und es stelle sich die Frage, ob und warum die Bevölkerung Berlins für aufrührerischer und roher gehalten werde, als die Einwohner zahlloser anderer Städte. Auch die Befürchtung, einzelne (bezahlte) Aufrührer könnten die Volksmassen durch gezielte Aktionen anstacheln, hielt die Nationalzeitung für unbegründet und verwies darauf, dass eine durch Presse und Behörden informierte und vorgewarnte Bevölkerung die Ordnung von sich aus aufrecht erhalten hätte.247 Auch die Ankündigung der öffentlichen Grundsteinlegungsfeier konnte die Nationalzeitung nicht befriedigen, da die Organisation und Durchführung derselben nun von den Stadtbehörden übernommen wurde und die zur Erhaltung des nationalen Charakters notwendige allgemeine direkte Teilnahme nicht mehr gewährleistet war.248 Die Nationalzeitung befürchtete, dass die Berliner Schillerfeier durch die Übernahme der Organisation zu einem Behördenfest »ohne jeden volkstümlichen Charakter« werden könnte und lenkte erst kurz vor dem 10. November auf eine kompromissbereitere Haltung ein.249 244 245 246 247 248 249

Ebd. Ebd., 26. Oktober 1859 (Morgenausgabe), S. 1. Ebd. Ebd., S. 1 – 2. Ebd., 3. November 1859 (Morgenausgabe), S. 1. Ebd.

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Zum Auftakt der Festwoche betonte die Nationalzeitung noch einmal den verbindenden nationalen Charakter der Schillerfeier : »Fortgeräumt sind für diese schönen Tage die Schlagbäume, die unser Vaterland in eine Staaten-Menge teilen und unser Volk in Untertanen streitender Fürsten auflösen; verstummt ist der Hader […] und der bittere dreihundertjährige Pfeil im deutschen Herzen, der eifernde Glaubenszwiespalt, er schmerzt heute nicht. Ein Herzschlag vereinigt die Genossen unseres Namens und unserer Zunge alle, er gibt uns zu einem frohen Fest auch die Verlorenen zurück«,

schrieb die Zeitung unter Einbeziehung aller auch außerhalb der deutschen Staaten und Städte geplanten Schillerfeiern.250 Sie betonte die Bedeutung Schillers und der deutschen Dichtkunst für die kulturnationale Einigung und Einheit der Deutschen, die sich in der SchillerVerehrung auch gegenüber dem Ausland in der Schillerfeier als einige Nation präsentieren könnten. Eben darin sah die Nationalzeitung auch die nationale oder nationalisierende Funktion Friedrich Schillers und der Jubiläumsfeier : Anders als etwa England oder Spanien sei es in Deutschland angesichts der vielfachen politischen und religiösen Spaltungen noch immer nötig, »einen Dichter auf den Schild zu heben, um sich als Volkspersönlichkeit zu fühlen«.251 Am 10. November widmete sich die Nationalzeitung sowohl im Leitartikel als auch im Feuilleton noch einmal ausführlich der Bedeutung Friedrich Schillers als Volks- und Nationaldichter, dessen Werke als geistiges Rüstzeug im antinapoleonischen Befreiungskampf gedient und begeistert hätten und die Nation noch immer zur Einigkeit und Einheit aufriefen und mahnten.252 Die Nationalzeitung trug somit sowohl in ihren deutend-kommentierenden Artikeln als auch durch die Repräsentation eines extensiven Festraumes ganz offen zur Nationalisierung der Schillerfeier bei. Deren Funktion lag für die Zeitung gerade darin, einen Vereinigungspunkt für die Nation zu generieren. Die horizontale Verknüpfung der Festorte durch die besonders breite Festberichterstattung ging dabei einher mit der vertikalen Verknüpfung aller Bevölkerungsschichten, die in der Forderung nach allgemeiner Beteiligung wiederholt zum Ausdruck gebracht wurde. In ihrer Berichterstattung über das Berliner Schillerfest trat die Nationalzeitung in diesem Sinne stets für eine möglichst weitgehende Beteiligung aller Bevölkerungsteile ein und forderte auch nach dem Verbot konsequent eine öffentliche Schillerfeier auch in Berlin. Die öffentliche Grundsteinlegung in der Regie der Berliner Stadtbehörden war für die Zeitung keine Ideallösung, wurde

250 Ebd., 9. November 1859 (Morgenausgabe), S. 1. 251 Ebd. 252 Ebd., 10. November 1859 (Morgenausgabe), S. 1.

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aber nach dem Verbot der ursprünglich vorgesehenen öffentlichen Festzüge schließlich doch noch als Kompromiss akzeptiert.

Vossische Zeitung Die Vossische Zeitung berichtete in allen Rubriken von den Festvorbereitungen in Berlin und außerhalb und auch im Anzeigenbereich fand die Schillerfeier in größerer Breite statt. Hier wurden vor allem Publikationen und Bildnisse des Dichters angeboten, ergänzt von redaktionellen Empfehlungen und Auflistungen von Festpublikationen und Schiller-Memorabilia.253 Lokale und Restaurants bemühten sich um Publikum, indem sie eigene kleine Schillerfeiern anboten.254 Viele Berliner Kaufleute ließen sich etwas einfallen und nutzten das Jubiläum für das eigene Geschäft. Zu den außergewöhnlicheren Angeboten gehörten SchillerRelief-Köpfe, Stocklaternen mit Motiven aus der Glocke und mit dem Portrait des Dichters, Schiller-Bonbons, Schiller-Zigarrenspitzen, Schiller-Toast, Schiller-Hemden, Schiller-Seife und Schiller-Torten.255 Ähnliche Angebote fanden sich – allerdings nicht in dieser Breite – auch in den anderen Zeitungen. Die Vossische Zeitung gehörte von Beginn an zu den Unterstützern des Zentral-Komitees, dem es durch ihren Redakteur E. E. Müller auch angehörte. Mit umfangreichen Berichten aus der Stadtverordnetenversammlung und durch Bekanntmachungen des Komitees und des Magistrats hielt die Zeitung ihre Leser über die Entwicklung der Planungen zur Grundsteinlegung auch nach dem Verbot der öffentlichen Festzüge auf dem Laufenden.256 Auch von den Treffen und Besprechungen der Innungen und Berufsvereinigungen im Vorfeld der Schillerfeier berichtete die Vossische Zeitung umfänglich.257 Die Berliner Einzelfeiern wurden von der Zeitung in ausführlichen Berichten geschildert. Einzelartikel befassten sich mit den Schillerfeiern in den Berliner

253 Beispielhaft: Vossische Zeitung, 30. Oktober 1859, S. 9 – 10; 1. November 1859, S. 2 – 4; 2. November 1859, S. 2 – 4; Sonder-Beilage am 3. November 1859 der Buchhandlung Steinthal, 5. November 1859, S. 1 – 2. 254 Beispielhaft: Zweite Beilage zur Vossischen Zeitung v. 9. November 1859, S. 1; Zweite Beilage zur Vossischen Zeitung v. 10. November 1859, S. 3. 255 Beispielhaft: Beilage zur Vossischen Zeitung v. 30. Oktober 1859, S. 6; Beilage zur Vossischen Zeitung vom 1. November 1859, S. 2, 7; Vierte Beilage zur Vossischen Zeitung vom 2. November 1859, S. 4 – 6; Dritte Beilage zur Vossischen Zeitung v. 4. November 1859, S. 2, 7; Zweite Beilage zur Vossischen Zeitung v. 5. November 1859, S. 7; Dritte Beilage zur Vossischen Zeitung v. 5. November 1859, S. 1 – 2, 7; Vierte Beilage zur Vossischen Zeitung v. 6. November 1859, S. 6. 256 Vgl. Vossische Zeitung, 2. November 1859, S. 2 – 3; 5. November 1859, S. 3; 6. November 1859, S. 1 – 4; 8. November 1859, S. 2. 257 Ebd., 2. November 1859, S. 3 – 4; 9. November 1859, S. 3 – 5.

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Schulen258, der Universität259, den Akademien260 sowie verschiedenen Berufsvereinigungen und Gesellschaften.261 Auch die Hauptfestivitäten, die Grundsteinlegung am Gendarmenmarkt, die Festveranstaltung bei Kroll und die abendliche Illumination am 10. November waren Gegenstand der Berichterstattung.262 Die Exzesse auf dem Gendarmenmarkt wurden hingegen nur kurz gestreift. Die Vossische Zeitung verurteilte den von Straßenjungen und dem Hauptstadt-»Pöbel« veranstalteten Unfug und befasste sich anschließend nicht weiter mit dem Thema.263 Die Allgemeinheit in der Teilnahme am Nationalfest zu Ehren Schillers war auch der Vossischen Zeitung ein wichtiges Anliegen: »In allen Gauen Deutschlands, und weit über Deutschland hinaus, so weit nur die deutsche Zunge reicht, feiern heute alle Klassen der Gesellschaft, Alte und Junge, Hohe und Niedere, Reiche und Arme eines der schönsten, edelsten, erhebendsten Feste«, schrieb die Zeitung in ihrer Festausgabe vom 10. November.264 Auch wenn sie auf das Verbot der öffentlichen Festzüge in Berlin mit Unverständnis reagierte, zeigte sich die Vossische Zeitung mit der Kompromisslösung der Denkmalsetzung und der öffentlichen Grundsteinlegung schließlich einverstanden. Sie bemängelte aber, dass der Teilnehmerkreis am Gendarmenmarkt stark eingeschränkt worden sei. Um jedem Berliner die Möglichkeit der Anteilnahme zu ermöglichen schlug die Vossische ihren Lesern ersatzweise vor, sich an der allgemeinen Illumination am Abend des 10. Novembers zu beteiligen und der Allgemeinheit in der Teilnahme und Teilhabe am Schillerfest auf diese Weise symbolisch Ausdruck zu verleihen: »Mitbürger! Beweist durch den Glanz der Illumination – und der Ärmste wird ein Lichtchen haben – dass Preußens Hauptstadt in Wahrheit dem Genius des geliebtesten deutschen Dichters huldigt.«265 In Friedrich Schiller sah die Zeitung nicht nur den großen Dichter und Menschen, sondern auch den nationalen Helden. Schiller sei einerseits Repräsentant der nationalen Eigenheiten der Deutschen und habe diese in sich und in seinem Wirken dargestellt. Er habe der Nation aber auch geholfen, sich über sich

258 259 260 261 262 263 264 265

Ebd., 13. November 1859, S. 3 – 4. Ebd., S. 2 – 3. Ebd., 10. November 1859, S. 4, 11. November, S. 2. Ebd., 11. November 1859, S. 5; 12. November 1859, S. 7; Erste Beilage zur Vossischen Zeitung v. 13. November 1859, S. 6 – 7; Erste Beilage zur Vossischen Zeitung v. 15. November 1859, S. 3, 7; Erste Beilage zur Vossischen Zeitung v. 18. November 1859, S. 5 – 6. Ebd., 11. November 1859, S. 2 – 6; 12. November 1859, S. 6 – 7; Erste Beilage zur Vossischen Zeitung v. 13. November 1859, S. 5 – 6; Ebd.,12. November 1859, S. 1. Ebd.,10. November 1859, S. 2. Ebd., 10. November 1859, S. 2.

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selbst hinaus zu erheben und zu entwickeln.266 Die deutsche Nation, schloss die Vossische, werde sich in Schiller ihrer selbst und ihrer eigenen Größe bewusst. Schiller einige die deutsche Nation und trage dazu bei, die politischen und religiösen Differenzen unter den Deutschen zu überwinden und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln, dass ein gemeinsames Freiheitsstreben erst möglich mache.267 Entsprechend sah sich die Vossische Zeitung nach dem Fest in ihrer Hoffnung bestätigt, dass die Deutschen durch Schiller und seine Werke tatsächlich ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt hätten. Gerade darin sah die Zeitung den Beweis für die politische Bedeutung des Dichters. Einseitig politisch vereinnahmt, so die Zeitung, würde die Feier nicht durch die Festorganisatoren, sondern durch polizeiliche Widerstände. Insbesondere die politische Instrumentalisierung der Feier durch Österreich wurde von der Vossischen Zeitung scharf kritisiert. Erst nach dem Verbot des Berliner Festzuges und in ganz bewusster politischer Konfrontation zu Preußen sei hier die öffentliche Feier genehmigt worden.268 Und auch beim großen Festmahl in Wien sei die Schillerfeier im Lichte tagespolitischer Fragen begangen worden, hätten die Festredner das Verhältnis von Österreich zu Deutschland sehr stark in den Mittelpunkt ihrer Ansprachen gerückt. Ziel sei es gewesen, so die Vossische Zeitung, mit der Feier Schillers einen Sieg über Preußen zu gewinnen. Damit allerdings sei Wien gescheitert: »Die Schillerfeier in Wien hat, gerade weil sie recht politisch sein wollte, Österreich dem Herzen Deutschlands nicht näher gebracht.«269 In ihrem Rückblick auf die Schillerfeier würdigte die Vossische die allgemeine aber nicht blinde Begeisterung für Friedrich Schiller. Gerade in der kritischen und reflektierten Würdigung des Dichters, wie sie in Berlin etwa an der Universität, von der Akademie der Wissenschaften oder der Akademie der Künste erfolgte, sei ein bleibender Gewinn zu sehen. Gleiches gelte aber auch für die »Niederlage, welche bei dieser Gelegenheit wieder jene Gegner der freien nationalen Entwicklung in Staat und Kirche erlitten haben, die wegen ihrer politischen und kirchlichen Rückschrittsbestrebungen Gegner der nationalen Begeisterung für Schiller sind« und die – namentlich nennt die Vossische Zeitung hier die Kreuzzeitung – vergebens versucht hätten, die öffentliche Schillerfeier zu hintertreiben.270

266 267 268 269

Ebd., S. 3. Ebd. Ebd., 18. November 1859, S. 1 – 2. Ebd., S. 2. Vgl. hierzu auch Ebd., 19. November 1859, S. 2. Die Zeitung verurteilte hier Gottfried Kinkels Bezug auf Robert Blum und verwies darauf, wie die deutsche Nation überall eine maßvolle und taktvolle Schillerfeier gefeiert habe – mit Ausnahme von Wien. 270 Ebd., 17. November 1859, S. 1 – 2.

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Der Berichtsraum der Vossischen Zeitung war von mittlerer Größe. Schillerfeiern wurden gemeldet aus 69 Festorten, 50 davon in den deutschsprachigen Staaten Mitteleuropas. Die häufigsten Nennungen konnten auch hier Hamburg, Wien und Frankfurt am Main verzeichnen. Mit London, Liverpool, Manchester und Edinburgh waren relativ viele britische Städte vertreten, für die USA wurden die Feiern in New York, Philadelphia und San Francisco aufgenommen. Insgesamt lag der inhaltliche Schwerpunkt der Schillerfestberichterstattung der Vossischen Zeitung allerdings auf den Berliner Festlichkeiten, deren Vorbereitung und Durchführung den Großteil der Berichterstattung ausmachten.

Spenersche Zeitung Für die Spenersche Zeitung saß Alexis Schmidt im Berliner Schillerkomitee. Trotz ihrer Beteiligung an der Festorganisation hielt sich die Zeitung in ihrer Kommentierung im Vergleich zu den anderen unterstützenden Zeitungen allerdings außerordentlich zurück und sparte sich nach dem Verbot der öffentlichen Festzüge jede Kritik an den Entscheidungen und dem Verhalten der Regierungsbehörden – über das Verbot wurde lediglich sachlich berichtet.271 Tatsächlich war die Spenersche gegenüber einer Beteiligung der Massen an der Schillerfeier eher skeptisch eingestellt. Aus einer kultur- und gegenwartskritischen Haltung heraus, die sowohl die rohen, anarchischen und gesetzlosen Unterschichten, als auch die moralische und ethische Degeneration der zivilisierten und gebildeten Klassen kritisierte, zeichnete »Onkel Spener« Friedrich Schiller als ein Vorbild für alle Klassen.272 Der Dichter erschien als geradezu herausragender Repräsentant der protestantischen Arbeitsethik. Mehrfach wird auf sein mühsames Ringen mit sich selbst, sein ernsthaftes an sich selbst Arbeiten, sein stetes Mühen verwiesen, das Rohe und Gemeine zu überwinden und zur eigenen Vollendung aufzusteigen.273 »So ist Schillers Kampf und Sieg [mit sich selbst und für das Ideale –tl] eingedrungen in das ganze deutsche Volk, vor Allem in das Bürgertum; es zeigt ihm die Arbeit, aber auch der Arbeit Preis.«274 Während andere Blätter Schiller in Verbindung mit Freiheit, demokratischen und liberalen Freiheitsrechten oder gar als Revolutionär sahen, verband ihn die Spenersche Zeitung mit Begriffen wie Tüchtigkeit, Ehrlichkeit, Fleiß, Selbstdis271 Spenersche Zeitung, 19. Oktober 1859, S. 2 – 4, 22. Oktober 1859, S. 2. Die Spenersche Zeitung hatte gegen allgemeine und öffentliche Feiern grundsätzlich nichts einzuwenden – »wo es die Umstände gestatten«. Spenersche Zeitung, 30. Oktober 1859, S. 1; Vgl. 3. November 1859, S. 1. 272 Spenersche Zeitung, 23. Oktober 1859, S. 1. 273 Ebd., S. 1; 30. Oktober 1859, S. 1; 1. November 1859, S. 1. 274 Ebd., 10. November 1859, S. 1.

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ziplin oder Neidlosigkeit und bezog die Vorbildhaftigkeit des Dichters für die deutsche Nation auf ebendiese Eigenschaften.275 Eine parteipolitische Inanspruchnahme des Jubilars wies die Spenersche Zeitung zurück.276 »Schiller ist kein Volksredner, keine Tendenzdichter«, schrieb die Zeitung in ihrer Festausgabe, »sonst wären seine Lieder längst verklungen, seine Dramen längst vergessen, denn sie hätten nur ihrer Zeit an das Herz gesprochen.«277 Einige Blätter hätten sich stark bemüht, den Dichter und seine Äußerungen im liberalen und demokratischen Parteiinteresse auszuschlachten, andere hätten zu beweisen versucht, dass Schiller eigentlich ein konservativer Politiker gewesen sei, der eine Abscheu vor Volksherrschaft und der Masse gehegt hätte. »Wir halten nichts von solchen Partei-Interesse und wollen nichts von demselben wissen«, schrieb die Spenersche in ihrem Rückblick auf die Berliner Schillerfeier und betonte den unpolitischen und dennoch bildenden Charakter von Kunst und Kultur : »Denn wir würden Schiller wahrlich keine Ehre erweisen, wenn wir ihn zum Führer einer politischen Partei herabsetzen. Nur dann können wir uns Schiller würdig zeigen, wenn wir uns in der Anschauung seines Wesens und seiner Werke über das niedere Parteigezänk zu erheben vermögen, wenn wir den hohen Selbstzweck der Kunst und ihre unwiderstehliche Wirksamkeit auf den Adel der Gesinnung und des Denkens der von ihm berührten Nation uns vergegenwärtigen.«278

Die Exzesse vom Gendarmenmarkt bestärkten die Spenersche Zeitung in ihrer kritischen Haltung gegenüber den Volksmassen. »Nur ein geringer Teil des Volkes hat den Adel der Gesinnung und des Denkens in sich aufgenommen, der von den großen Dichtern und Denkern ausgeht und ausgehen sollte auf die ganze Nation. Viel ist in Sachen Bildung, Sitte und Humanität noch nicht erreicht. Den Massen ist nicht zuzutrauen, dass sie sich selbst regieren.«279

Beleg dafür seien die Vorkommnisse im Anschluss an die Grundsteinlegung. Während die Ordnung der Innungs- und Gewerks-Deputationen das geordnete und gegliederte Volk im Rahmen einer würdigen Feier repräsentiert hätten, habe die »dunkle, unbändige Masse […] den Tag festlicher Weihe mit ihrem Unflug« befleckt.280 Die würdige und angemessene Feier, schloss die Zeitung ihre Kom275 Ebd. 276 Ebd., 30. Oktober 1859, S. 1. Das hinderte die Zeitung aber nicht daran, Schiller in Abgrenzung zu Österreich für Preußen zu beanspruchen und die Vervollkommnung des Dichters dem Norden zuzuschreiben. Vgl. Spenersche Zeitung 30. Oktober 1859, S. 2, 3. November 1859, S. 1. 277 Ebd., 10. November 1859, S. 1. 278 Ebd., 12. November 1859, S. 1. 279 Ebd. 280 Ebd.

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mentierung der Berliner Schillerfeier, habe in geschlossenen Räumen stattgefunden: in den Akademien, der Universität und im Theater.281 Schon im Vorfeld hatte die Spenersche Zeitung einen ausgleichenden Ton gegenüber den Berliner Behörden angeschlagen. Nachdem die Stadtbehörden sich für die öffentliche Grundsteinlegung entschieden hatten, bedankte sich die Zeitung bei allen an der Planung Beteiligten – dem Schillerkomitee, dem Magistrat, den Stadtverordneten, den Behörden und auch den Innungen – und rief zur einträchtigen und gemeinsamen Schillerfeier auf.282 »Also neiden wir den ›offiziellen‹ Kreisen […] ihren berechtigten Einfluss auf das Fest nicht!« forderte die Zeitung, als die Kritik auch nach der Ankündigung der Grundsteinlegung nicht abebbte. Sie sah in den städtischen Behörden die Vertreter der Bürgerschaft Berlins und – ebenso wie in den Innungs- und Korporationsdeputierten – einen Teil des Volkes. »Hört ein Fest dadurch auf, volkstümlich zu sein, weil auch Staat und Stadt sich dabei beteiligen?« fragte sie in diesem Sinne und erinnerte daran, dass Deutschlands Dichter, Maler, Bildhauer, Architekten und Denker ohne die Gunst der Fürsten und die Förderung der Staaten kaum in der Lage gewesen seien, ihre großartigen Leistungen zu vollbringen.283 Von den gebildeten und künstlerischen Kreisen könne man ein Bemühen um die Feier erwarten, einen ungleich höheren Eindruck auch in der Außendarstellung gegenüber ganz Deutschland mache es aber, wenn sich die Vertreter der Stadt mit den Privatvereinen zur Schillerfeier vereinen.284 In diesem Sinne dankte die Spenersche Zeitung im Anschluss an die Schillerfeier dem Königshaus ausdrücklich für die Teilnahme und die großzügige Förderung, die ganz in der Tradition des preußischen Königshauses stehe. »Es ist kein Fürst in Deutschland, der dies Fest mit so hohen Ehren umgeben, so dauernde und unvergängliche Erinnerungen daran geknüpft hätte«, lobte das Blatt die Unterstützung des Denkmalprojekts durch den Prinzregenten, die Beteiligung des Hofs und von Stadt und Staat an der Grundsteinlegung und, nicht zuletzt, die Stiftung eines Förderpreises für deutsche dramatische Dichtkunst durch den Prinzregenten am 10. November.285 Von einer nationalen oder nationalisierenden Narrativierung des gefeierten Dichters kann bei der Berichterstattung der Spenerschen Zeitung nicht gesprochen werden. Die Bezüge auf den nationalen Charakter der Feier blieben stets marginal und fanden nur ganz am Rande statt – etwa wenn sich »das ganze

281 282 283 284 285

Ebd. Ebd., 3. November 1859, S. 1. Ebd., 6. November 1859, S. 1. Ebd. Ebd., 12. November 1859, S. 1.

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gebildete Deutschland« auf die Schillerfeier vorbereitete oder »ganz Deutschland […] in allen Gauen und Städten« feierte.286 Die Berichterstattung der Spenerschen Zeitung über die Berliner Festvorbereitungen und Festivitäten war umfangreich und detailliert. Die Zeitung berichtete ausführlich von den Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung und den Beratungen der Innungsvorstände, in denen nach dem Verbot der öffentlichen Festzüge die öffentliche Grundsteinlegung durch die Kommunalbehörden verhandelt wurde.287 In der Festberichterstattung wurden die zahlreichen Einzelfeiern in Berlin ausführlich besprochen. Angefangen beim zentralen Festakt des Schillerkomitees in Krolls Etablissement288 über die verschiedenen Schulfeiern289, die Festakte in den Akademien und in der Universität290 bis hin zu den Schillerfeiern einzelner Vereine und Gesellschaften291 zeichnete die Zeitung ein breites Panorama von Einzelfeiern. Den Mittel- und Höhepunkt der Berliner Schillerfeier bildete allerdings auch für die Spenersche Zeitung die Grundsteinlegung am Gendarmenmarkt.292 Auch in der Spenerschen Zeitung finden sich im Anzeigenteil zahlreiche kommerzielle Angebote zur Schillerfeier. Neben den gebündelten Empfehlungen und Auflistungen des Schillerkomitees zu Drucksachen und anderen Memorabilia wurden hier u. a. Schiller-Portraits, Schiller-Reliefs, Schiller-Büsten oder Schiller-Stahlfedern angeboten.293 Der Festraum der Spenerschen Zeitung war von mittlerer Größe. Bis zum 10. November brachte die Zeitung gerade einmal 20 Vorberichte oder -meldungen aus 14 Städten im deutschen Sprachraum und weitere 9 Berichte aus 7 europäischen Städten. Erst in der Nachberichterstattung weitete die Zeitung ihre Berichterstattung etwas aus. Der repräsentierte Festraum umfasste schließlich 32 Städte im deutschen Sprachraum aus denen 57 Mal berichtet wurde. Im europäischen Ausland fanden 9 Städte mit insgesamt 17 Meldungen Eingang in die Berichterstattung der Spenerschen Zeitung. 286 287 288 289 290 291 292 293

Ebd., 23. Oktober 1859, S. 1; 10. November 1859, S. 1. Ebd., 28. Oktober 1859, S. 2, 2. November 1859, S. 2 – 4, 6. November 1859, S. 2. Ebd., 12. November 1859, S. 1, 13. November 1859, S. 2. Ebd., 11. November 1859, S. 1, 12. November 1859, S. 3, 13. November 1859, S. 2 – 3, 16. November 1859, S. 4. Ebd., 10. November 1859, S. 3, 11. November 1859, S. 1, 12. November 1859, S. 1. Ebd., 11. November 1859, S. 1, 12. November 1859, S. 3, 13. November 1859, S. 2, 15. November 1859, S. 2, 16. November 1859, S. 1 – 2. Ebd., 11. November 1859, S. 1. Vgl. Ebd., 29. Oktober 1859, S. 3; Beilage zur Spenerschen Zeitung v. 1. November 1859, S. 3; Beilage zur Spenerschen Zeitung v. 4. November 1859, S. 3; Beilage zur Spenerschen Zeitung v. 5. November 1859, S. 2, 3; Beilage zur Spenerschen Zeitung v. 6. November 1859, S. 2.

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Kreuzzeitung Die konservative Kreuzzeitung war ein ausgesprochener Gegner öffentlicher Schillerfeiern. Sie war dem Berliner Schillerkomitee nicht beigetreten und kritisierte die Festvorbereitungen in Berlin und andernorts regelmäßig pointiert und bissig. Insbesondere die vielerorts geplanten öffentlichen Manifestationen in Form von Fest- und Fackelzügen wurden von der Kreuzzeitung in ihrer insgesamt wenig umfangreichen Festberichterstattung kritisch kommentiert.294 Trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einer Schillerfeier als National-, Volks- und Massenfest wollte sich die Kreuzzeitung jedoch nicht als Gegner des Dichters selbst verstanden wissen. In einem Leitartikel legte die Zeitung am 10. November ihre Einstellung zum Schillerfest noch einmal ausführlich dar.295 Die Zeitung trennte das Für und Wider zur Frage der Schillerfeier dabei von der Frage, wie sie zum Dichter selbst stehe. Grundsätzlich hielt die Kreuzzeitung die Säkularfeier von Geburtstagen – anders als etwa von besonderen Begebenheiten – für wenig sinnvoll. Auch die Begehung der Feier ausgerechnet in Berlin wurde kritisch gesehen. Das größte Problem hatte die Kreuzzeitung jedoch mit der von liberalen und demokratischen Blättern stets geforderten größtmöglichen Allgemeinheit der Schillerfeier als ein National- und Volksfest. Schiller selbst, wandte die Kreuzzeitung dagegen ein, habe mit dem gemeinen Volk wenig anfangen können.296 Das Volk selbst wiederum verfüge einerseits über keine lebendige Volkspoesie und habe andererseits keinen Anschluss an die höhere Kunstpoesie, zu der Schillers Werke zu rechnen seien. Zwar würden Schillers Stücke im Theater durchaus gesehen – schlechtere Stücke aber auch. Publikumszuspruch im Theater sei ohnehin kein zwingendes Zeichen für hohe Qualität. Schillers Gedichte seien beim Volk kaum bekannt und auch nicht sonderlich verbreitet. Wenn nun Teile der gebildeten Kreise Berlins die Volksmasse zum Fest riefen, so die Kreuzzeitung, dann ignoriere dies, dass die Volksmasse mit Schiller und seinen Werken wenig bis gar nichts anfangen könne. In den Augen der Kreuzzeitung hatte sich demnach die Schillerfeier auf diejenigen zu beschränken, die mit dem Gefeierten und seinen Werken auch etwas anfangen könnten. Die Hinzuziehung breiterer Bevölkerungskreise wurde dementsprechend als nicht sinnvoll empfunden.297 Aus dieser Haltung erklärt 294 Beispielhaft aus Stuttgart in Neue Preußische Zeitung, 1. November 1859, S. 1 und aus Aachen in Neue Preußische Zeitung, 4. November 1859, S. 1 oder aus Thüringen in Neue Preußische Zeitung, 9. November 1859, S. 1. 295 Neue Preußische Zeitung, 10. November 1859, S. 1 – 2. 296 Schiller, so die Kreuzzeitung, habe die Horaz-Ansicht »Odi profanum vulgus et arceo« (»Ich hasse den Pöbel und distanziere mich von ihm«) geteilt. Neue Preußische Zeitung, 10. November 1859, S. 1. 297 Neue Preußische Zeitung, 10. November 1859, S. 1 – 2.

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sich die vehemente Abwehrhaltung der Kreuzzeitung gegen alle öffentlichen Massenveranstaltungen zur Schillerfeier. Der Kreuzzeitung fiel zudem eine starke Beteiligung des »modernen Judentums« und von Geschäftsleuten aller Art unangenehm auf. Das »moderne Judentum«, das auch bei anderen politischen Nationalitätsbestrebungen stets dabei sei, sorge dafür, dass der deutsche Charakter der Feier zurücktrete. Die Geschäftsleute wiederum seien als vorrangig am Materiellen Interessierte wenig zur Feier des Idealisten Schiller berechtigt.298 Schiller selbst, so die Kreuzzeitung, hätte der Profitjagd und Profitgier des Liberalismus widersprochen.299 Die Kreuzzeitung wandte sich aber nicht nur eindeutig gegen die von anderer Seite geforderte größtmögliche Allgemeinheit in der Schillerfeier, sie kritisierte auch den Allgemeinheitsanspruch des (selbst ernannten) Schillerkomitees, das keineswegs repräsentativ für die Gesamtheit der Berliner Bevölkerung stehe.300 »Aus allen diesen Gründen«, schloss die Kreuzzeitung »nahmen wir […] keinen Anstand, die Schillerfeier, so wie sie von dem Komitee zuerst in Vorschlag gebracht war, als eine Partei-Demonstration des Liberalismus zu bezeichnen.«301 Als Beleg diente der Zeitung dabei auch die Konfrontationshaltung, die liberale Hauptstadtblätter von Beginn an gegen die Kreuzzeitung eingenommen hätten. Auch aus religiösen Gründen hielt die Zeitung eine übertriebene, an Götzendienst grenzende Verehrung Schillers für problematisch.302 Die Ablehnung bestimmter Festformen ging für die Kreuzzeitung keineswegs einher mit einer Ablehnung des gefeierten Dichters. Es wunderte die Zeitung vielmehr, dass liberale, demokratische und national gesinnte Kreise Friedrich Schiller und seine Werke für so anschlussfähig an ihre politischen Positionen hielten. Unter Verweis auf den konservativen Literaturhistoriker August Friedrich Christian Vilmar und seine Geschichte der deutschen Nationalliteratur303 reklamierte die Kreuzzeitung vor allem den späteren Schiller nach Don Carlos für sich. Dessen Opposition sei mit der heutigen Opposition nicht vergleichbar, hatte sie sich doch gegen französische und jüdische Einflüsse am Hof, Materialismus, Willkür und Bürokratie gerichtet.304 Gerade aus den späten Dramen Schillers ließen sich von liberaler Seite höchstens sehr allgemeine Freiheitsanleihen entnehmen. Die Kreuzzeitung untermauerte diese Position mit einer Reihe von Zitaten aus Wallenstein, Wilhelm Tell, Maria Stuart und der Jungfrau Neue Preußische Zeitung, 10. November 1859, S. 1. Ebd., S. 2. Ebd., S. 1. Ebd. Ebd. August Friedrich Christian Vilmar: Vorlesungen über die Geschichte der deutschen National-Literatur, Marburg, Leipzig 1845 und nachfolgende Auflagen. 304 Neue Preußische Zeitung, 10. November 1859, S. 1.

298 299 300 301 302 303

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von Orleans und kam zu dem Schluss, dass sie Friedrich Schiller mit Fug und Recht auch zur eigenen Partei zählen könne: »So viel aber ist gewiss, dass die konservative Partei keinen Grund hat, Schillers geschichtliche Dramen als liberale Tendenzstücke zu betrachten und sie demgemäß in tendenziöser Weise herabzusetzen.«305 Schiller werde auch von konservativer Seite geschätzt und geachtet, das schließe aber grundlegende Kritik an bestimmten Formen der Schillerfeier überhaupt nicht aus, denn »in einen heidnischen Kultus des Genius vermögen wir nicht einzustimmen und glauben mit unserm Widerspruch den Dichter selbst nur zu ehren«.306 Obwohl die Kreuzzeitung Vereinnahmungen aus dem Lager der Liberalen, Demokraten und aus dem Kreis der Nationalbewegung ablehnte, war der überregionale Festraum auch hier in der Berichterstattung repräsentiert. Dieser war zwar weniger umfangreich als in den Zeitungen, die sich als ausdrückliche Befürworter und Unterstützer der Schillerfeier für eine möglichst allgemeine Teilnahme ausgesprochen hatten und diese auch in ihrer Festberichterstattung abzubilden versuchten. Insgesamt berichtete aber auch die Kreuzzeitung im Oktober und November 1859 in 39 Festberichten aus immerhin 21 Festorten, davon 17 in deutschsprachigen Staaten. Ungeachtet der distanzierten und kritischen Haltung, die die Kreuzzeitung gegenüber bestimmten, vor allem öffentlichen Formen der Schillerfeier einnahm, bildete damit auch sie durch ihre und in ihrer Berichterstattung eine überlokale und überregionale Handlungsgemeinschaft ab, die sich zum Zweck der Feier organisierte und aktivierte. Damit spannte auch die konservative Neue Preußische Zeitung ein mediales Netz zwischen unterschiedlichen Festorten und vereinte diese in ihrer Berichterstattung. Die Handlungsgemeinschaft der Schillerfest-Feiernden fand sich somit auch in der Kreuzzeitung repräsentiert.

Das Einzige und der Einzige … Die Berliner Zeitungen waren in der Frage, wie weit Öffentlichkeit und Allgemeinheit bei der Schillerfeierlichkeit gehen sollten, zutiefst unterschiedlicher Ansicht. Während Volkszeitung und Nationalzeitung sie für eine unbedingte Notwendigkeit hielten und aus nationaler Perspektive mit der Kompromisslösung nicht zufrieden sein konnten, waren die Vossische oder der Publicist mit der Grundsteinlegung durchaus einverstanden. Die gegenüber Massenaufläufen ohnehin skeptische Spenersche Zeitung erhob keinen Einspruch gegen das Verbot und die Kreuzzeitung als prononcierter Gegner öffentlicher Schillerfei305 Ebd. 306 Ebd., S. 2.

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ern ohnehin nicht. Einig waren sich alle am medialen Diskurs Beteiligte darüber, dass Friedrich Schiller als Dichter gewürdigt werden könne und auch solle – allein die Form der Würdigung und die Frage, wie breit die Beteiligung daran sein möge, waren Gegenstand der Auseinandersetzung. Unabhängig von der jeweiligen politischen Ausrichtung und der spezifischen Haltung zur Schillerfeier bildeten alle betrachteten Zeitungen einen mehr oder weniger umfangreichen überlokalen und überregionalen Festraum ab. In der täglichen Berichterstattung aus unterschiedlichen Festorten wurde dem Leser eine synchron handelnde, im Fest vereinte Gemeinschaft vor Augen geführt, als dessen Teil er sich fühlen konnte, bereitete doch auch Berlin eine eigene Schillerfeier vor. Berlin reihte sich damit in das Netzwerk der repräsentierten auswärtigen Festorte ein und wurde somit selbst Teil der repräsentierten Gemeinschaft. In der Diskussion über die angemessene Form der Schillerfeier wurde auch über die Autonomie eines bürgerlichen Komitees in der Verfügung über den öffentlichen Raum der preußischen Hauptstadt verhandelt. Sicherlich spielte auch Revolutionsfurcht eine gewisse Rolle bei der Frage, ob und inwieweit die Massen an der Schillerfeier zu beteiligen seien und ob das Volk in der Lage sei, die öffentliche Ordnung und Sicherheit in eigener Verantwortung zu garantieren und einzuhalten. Eine Annäherung der politischen Parteien und ihrer Zeitungen gab es weder vor noch nach der Schillerfeier. Der »Unfug« vom Gendarmenmarkt diente beiden Seiten dazu, die jeweils eigene Position noch einmal zu stärken und zu belegen. Von der Grundsteinlegung des Berliner Schillerdenkmals bis zu dessen Vollendung sollte es noch einmal mehr als ein Jahrzehnt dauern. Der Denkmalsentwurf wurde in den 1860er Jahren von Reinhold Begas geschaffen, die Enthüllung fand am 10. November 1871 vor der Freitreppe des Schauspielhauses auf dem Gendarmenmarkt statt – in der Hauptstadt des gerade erst gegründeten ersten deutschen Nationalstaates.307

Wien Wien war in den 1850er Jahren eine Stadt des Wachstums. Ein enormer Bevölkerungsanstieg führte zur andauernden Wohnungsknappheit, an der auch Stadterweiterung und Wohnungsneubauten wenig änderten. Neben dem Ausbau der Vorstädte ordnete Kaiser Franz Joseph I. 1857 – noch in der Hoffnung, die 307 Zum nationalen Diskurs des Berliner Schiller-Denkmals vgl. Helke Rausch: Kultfigur und Nation. Öffentliche Denkmäler in Paris, Berlin und London 1848 – 1914, insbesondere S. 613 – 620.

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künftige deutsche Hauptstadt zu gestalten – den Beginn der Ringstraßen-Bauprojekte an. Sie führten in den nächsten Jahrzehnten zur Errichtung einer Vielzahl repräsentativer öffentlicher Gebäude um den alten Stadtkern herum.308 Die Haupt- und kaiserliche Residenzstadt Wien befand sich somit städtebaulich seit dem Ende der 1850er Jahre im großangelegten Umbau: »Mitten im ›bürgerlichen‹ 19. Jahrhundert erfolgte die größte Stadterneuerungs- und -erweiterungsaktion Mitteleuropas ganz von oben her.«309 »Von oben her« ist hier ganz wörtlich zu nehmen und bezeichnet die neoabsolutistische Regierungsweise, die Franz Joseph I. nach den Wirren der 48er-Revolution in der Hauptstadt errichtet hatte. Zweimal hatte die kaiserliche Familie während der Revolution aus der Residenzstadt fliehen müssen. Nach ihrer Niederschlagung und der Rückkehr des Hofes nach Wien war es dem Kaiser dann nach und nach gelungen, alle Staatsgewalt wieder in seiner Hand zu vereinigen. Mit dem Silvesterpatent von 1851 wurde schließlich die bereits völlig ausgehöhlte Verfassung von 1849 widerrufen. Unter Franz Joseph wurde die Monarchie straff und zentralistisch reorganisiert und 1852 übernahm der Kaiser nach dem Tod des Ministerpräsidenten Schwarzenberg auch die Leitung des Kabinetts.310 »Damit hatte der erst 22-jährige Monarch den Höhepunkt absolutistischer Herrschaftsgewalt erreicht und zeichnete persönlich für alle innen- und außenpolitischen Entscheidungen verantwortlich.«311 Es herrschte ein System der Überwachung und Kontrolle in Österreich, die Hauptstadt blieb noch Jahre nach dem Ende der Revolution unter Belagerungszustand. »Da die Opposition zum Schweigen verurteilt ist und die Presse streng kontrolliert wird, hat die Staatsgewalt volle Handlungsfreiheit.«312 Der Adel verlor zwar im Verlauf des 19. Jahrhunderts an Bedeutung, bewahrte sich aber seinen starken gesellschaftlichen und politischen Einfluss. Als »Erste Gesellschaft« bestimmte er das Wiener Gesellschaftsleben. In Militär und Verwaltung nahmen Adlige hohe Positionen ein und verfügten über Einfluss am kaiserlichen Hof.313 Der Adel blieb zudem »das gesamte Jahrhundert hindurch ein Vorbild für die gehobenen Schichten des Bürgertums«, die »zweite Gesellschaft«. Sie bestand aus Bankiers, Industriellen, hohen Staatsbeamten, höheren Offizieren, Medizinern und Juristen, deren größter Ehrgeiz es war, im Adel

308 Heinrich Lutz: Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815 – 1866, Berlin 1998, S. 357 – 361. 309 Ebd., S. 358. 310 Bertrand Michael Buchmann: Hof, Regierung, Stadtverwaltung. Wien als Sitz der österreichischen Zentralverwaltung von den Anfängen bis zum Untergang der Monarchie. München 2002, S. 103 – 112. 311 Buchmann, S. 109. 312 Jean-Paul Bled: Wien. Residenz, Metropole, Hauptstadt, Wien, Köln, Weimar 2002, S. 118. 313 Ebd., S. 226 – 232.

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aufzugehen. Das obere Bürgertum orientiere sich in diesem Ansinnen an adligen Werten und adligem Lebensstil und versuchte, diese zu übernehmen.314 Trotzdem viele der 1848/49 erkämpften politischen Freiheiten im Neoabsolutismus wieder zurückgenommen wurden, steigerte sich der Einfluss des Bürgertums zunehmend. Neben der Kontrolle wichtiger Wirtschaftszweige gelang ihm auch der Aufstieg in der Verwaltung.315 »In seinen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen [war das Großbürgertum] der Inbegriff für die Werte der Moderne«, obwohl es nur einen kleinen Teil der Bevölkerung Wiens stellte.316 Steigender Reichtum ermöglicht es der »zweiten Gesellschaft« zunehmend, den Adel als Kunst- und Kulturmäzen abzulösen. Auf politischer Ebene trat das Großbürgertum weiter für die Ideen des Liberalismus ein und somit zugleich gegen den adligen Einfluss. Sobald aber das Gleichgewicht zum Adel erreicht war, tendierte die »zweite Gesellschaft« zu einem »friedlichen Miteinander« in einem »Bündnis der Besitzenden«. Insofern strebte das obere Bürgertum zum Adel hin, auch blieb für seine Vertreter noch lange die »Erhebung in den Adelsstand die Krönung ihres Aufstiegs«.317 Dem Bildungsbürgertum stand als eine der bürgerlichen Teilgruppen der soziale Aufstieg innerhalb des Bürgertums offen. Beamten oder Lehrenden in Staatsdiensten, Ärzten, Apothekern, Juristen oder Journalisten, schließlich auch Künstlern war es unter Umständen möglich, zur »zweiten Gesellschaft« aufzuschließen. Adel und besonders das Bürgertum waren in sich stark differenziert. Während das obere Bürgertum sich in Lebensweise und Lebensstil am Adel orientieren konnte, grenzte das untere Bürgertum an die niederen Sozialschichten. Das Bildungsbürgertum stellte in diesem Spektrum den Kern der Mittelschicht.318 Auf politischer Ebene hatte Österreich sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegenüber den liberalen und nationalen Reformkräften eine Abwehrpolitik leisten können. Sie führte in der 48er-Revolution und darüber hinaus zu einer nationalpolitischen Schwäche, die Österreich schließlich aus der deutschen Nationalstaatsbildung heraustrieb.319 1859 war der Anschluss an Deutschland auf politischer und ökonomischer Ebene bereits weitgehend verpasst – so sehr die deutsche Option auch im Interesse Österreichs gelegen haben mag.320 Die Ergebnisse des Krimkriegs 1853 – 1856 und die Niederlage im Itali314 Ebd., S. 232 f. 315 Ebd., S. 233. 316 Ebd. Der Anteil des Großbürgertums an der Wiener Bevölkerung betrug knapp fünf Prozent. 317 Ebd. 318 Ebd., S. 243. 319 Dieter Langewiesche: Deutschland und Österreich: Nationswerdung und Staatsbildung in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert, in: Ders.: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 172 – 189. 320 Siemann 1995, S. 420 – 425.

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enkrieg 1859, dessen Friedensbedingungen im Verlauf der Vorbereitungen zur Schillerfeier ausgehandelt und am 10. November 1859 in Zürich beschlossen wurden, hatten zusätzlich schwerwiegende wirtschaftliche und politische Folgen für die Monarchie. Das neoabsolutistische Regierungssystem der Nachrevolutionszeit hatte sich überlebt. Am 21. August 1859 wurden der bisherige Innenminister Alexander Bach und Polizeiminister Johann Kempen Freiherr von Fichtenstamm entlassen. Neuer Innenminister wurde Agenor Romuald Goluchowski, neuer Polizeiminister Josef Alexander von Hübner, der bereits am 20. Oktober 1859 von Adolf von Thierry abgelöst wurde. Der nun folgende Beginn des Konstitutionalismus in Österreich ging einher mit einer verstärkten Besinnung auf die deutsche Option, denn: »Die europäische Machtstellung der Monarchie war nun vor allem auf die Ausgestaltung des Einflusses im Deutschen Bund angewiesen.«321

Förderung von höchster Stelle In Wien ist die Initiative zur Abhaltung einer städtischen Schillerfeier auf den Spendenaufruf der »Deutschen Schillerstiftung« zurückzuführen. Nachdem bereits 1858 ein Wiener Schillerverein gegründet worden war, bildete sich nach der endgültigen Konstituierung der Deutschen Schillerstiftung am 10. Oktober 1859 in Dresden ein Wiener Filialkomitee, das mit der Planung einer städtischen Schillerfeier zugunsten des zu errichtenden Schillerfonds begann.322 Das Komitee trat am 14. Oktober 1859 mit einem in verschiedenen Wiener Zeitungen publizierten Aufruf an die Öffentlichkeit und stellte die Stiftung und ihren Zweck mit der Bitte um finanzielle Unterstützung vor.323 Unterzeichnet wurde er unter anderem vom Direktor der Hof- und Staatsdruckerei, Alois Auer von Welsbach (1813 – 1869), dem Dichter und Intendanten des Burgtheaters, Heinrich Laube (1806 – 1884), dem Wiener Bürgermeister Johann Kasper Freiherr von Seiller (1802 – 1888) und einer Reihe bekannter Wiener Dichter, darunter Franz Grillparzer (1791 – 1872) und Friedrich Hebbel (1813 – 1863). Kaiser Franz Joseph I., der schon den Schillerverein finanziell unterstützt hatte, »trat durch die Zeichnung eines hohen Betrages selbst an die Spitze der 321 Lutz 1998, S. 403 – 407, 411 – 415, hier S. 415; vgl. auch Nipperdey, S. 687 – 697, 702 – 704; Wehler, S. 222 – 251, jedoch mit starkem Fokus auf die borussische Schule und Preußen. 322 Die erste Anregung soll vom Burgtheater und Heinrich Laube direkt ausgegangen sein. Vgl. Schillerfeier der Alten und Neuen Welt, S. 59. 323 Die Presse, 14. Oktober 1859; Wiener Zeitung, 15. Oktober 1859, S. 5; Österreichische Zeitung (künftig ÖZ), 15. Oktober 1859; Ostdeutsche Post, 14. Oktober 1859, S. 3, 19. Oktober 1859, S. 3; Morgenpost, 14. Oktober 1859, S. 3 u. a.

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tätigen Förderer«.324 Der Kaiser half nicht nur finanziell. Auch im Verlauf der weiteren Festplanung »stellte sich Seine k. k. apostolische Majestät […] an die Spitze der erhebenden Feier«, indem er dem Schillerkomitee den Redoutensaal in der Hofburg für eine »musikalisch-deklamatorische Akademie« zur Verfügung stellte, eine Festvorstellung im Burgtheater zugunsten der Schillerstiftung anwies und den Platz, der für den Neubau des Burgtheaters bestimmt war, nach Friedrich Schiller benannte.325 Neben dem Schillerkomitee trat auch ein neu gegründeter Journalistenverein namens »Concordia« in die Planungen zur Schillerfeier ein. Diesem Verein, der sich die Förderung finanziell in Not geratener Schriftsteller und Journalisten zur Aufgabe gemacht hatte, stand mit Dr. Franz Schuselka ein demokratischer und liberaler Politiker vor, der seit den 1840er Jahren wiederholt in Konflikte mit der österreichischen Zensur und Polizei geraten war.326 Die vielen einzelnen letztlich dargebrachten Einzelveranstaltungen verteilten sich auf die gesamte Woche vom 6. bis zum 13. November 1859 und wurden von den Zeitgenossen als ein städtisches Gesamtprogramm verstanden.327 Eröffnet wurde die Woche am Sonntag, den 6. November, mit der Aufführung der »Karlsschüler«, einem Stück von Heinrich Laube, Komiteemitglied und damaliger Intendant am Wiener Burgtheater.328 Die Presse berichtete von einer fest324 Friedrich Steinebach: Die Schillerfeier in Wien. Zur Erinnerung an Schillers hundertsten Geburtstag am 10. November 1859, Wien 1859, S. 59 f. 325 Ebd., S. 66 f; Ostdeutsche Post, 28. Oktober 1859. Die Namensgebung wurde dann allerdings weder sofort noch an der vorbestimmten Stelle realisiert. Der heutige Schillerplatz vor der Akademie der Bildenden Künste erhielt seinen Namen erst anlässlich der Enthüllung des Schiller-Denkmals 1876. Des Weiteren regelte Franz Joseph I. auch den TantiemeBezug für Aufführungen im Burgtheater neu. Steinebach 1859, S. 99; Die Presse, 10. Oktober 1859 (Abendausgabe), 11. November 1859. Unter einer »Akademie« wird in Österreich eine literarische oder musikalische Veranstaltung verstanden. 326 Dr. Franz Schuselka (1811 – 1886) war liberaler Politiker, Jurist, Publizist und Schriftsteller. Er verließ 1842 Österreich wegen der Zensur. Als ihn in Weimar 1845 die österreichische Zensurbehörde aufforderte, sich in Wien einer Zensuruntersuchung zu stellen, ignorierte Schuselka die Aufforderung. Weil die Stadt Weimar seinen Aufenthalt daraufhin nur noch duldete, zog Schuselka nach Hamburg, wo er bei Hoffmann & Campe publizieren konnte. 1848 kehrte Schuselka nach Österreich zurück und wurde in den 50er-Ausschuss zur Vorbereitung des Paulskirchenparlaments gewählt, dem er als liberaler Wortführer ebenfalls angehörte. Im gleichen Jahr in den konstituierenden Kremsier Reichstag gewählt, entschied er sich für das Mandat dort und verließ Frankfurt am Main in Richtung Österreich. 1861 wurde Schuselka in den niederösterreichischen Landtag gewählt, den er später wegen finanzieller Schwierigkeiten verlassen musste. 1862 begründete er die »Reform«, der er bis 1869 als Herausgeber vorstand. Schuselka kritisierte Österreichs Politik wiederholt aus deutschnationaler Sicht. 327 Vgl. Wiener Zeitung, 6. November 1859, S. 5; Ostdeutsche Post, 18. Oktober 1859, 6. November 1859; Morgenpost, 19. Oktober 1859, S. 3. 328 Steinebach 1859, S. 67 f. Heinrich Laube stammte aus einer verarmten Handwerkerfamilie. Studierte zunächst Theologie, dann Theaterwissenschaften in Halle und Breslau. Seit 1829

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lichen und gehobenen Stimmung und beobachtete »außerordentlich zahlreiche und starke Beifallsbezeigungen«. »Jedes Wort, das eine Beziehung zur Gegenwart gestattete«, so die Zeitung weiter, »wurde bejubelt.«329 Es war allerdings der auswärtigen Zeitung für Norddeutschland vorbehalten, am 12. November 1859 in einem Bericht über diese Aufführung eine der besagten Stellen mit Gegenwartsbezug auch zu benennen: »Am vergangenen Sonntag hat im kaiserlichen Hofburgtheater bei Gelegenheit der Aufführung von Laubes ›Karlsschülern‹ eine Demonstration im national-deutschen Sinne stattgefunden. Es wurde nämlich eine Stelle des beiläufigen Inhalts: ›Wir wollen nichts wissen von den Leuten, die mit dem Franzmann halten und den Preußen entgegentreten‹, von dem ganzen Hause mit einem lautschallenden anhalten[den] Bravo begrüßt und lebhaft beklatscht. Dieselbe Stelle ist früher immer spurlos an unserem Theaterpublikum vorübergegangen.«330

Der Journalistenverein »Concordia« feierte am 7. November seine Schillerfeier im Theater an der Wien, einem der Vorstadttheater, die sonst eher leichtere Unterhaltung im Programm führten. Trotz des liberaleren Kurses gegenüber der Presse gab es Versuche der Wiener Polizei, die Journalisten-Feier zu verhindern – ohne Erfolg. Franz Schuselka, Vorsitzender des Vereins und einziger Redner des Abends, musste seine Rede vorab bei der Behörde genehmigen lassen. Dort wurde sie wegen ihrer »demokratischen Färbung« als nicht aufführungstauglich eingestuft und Änderungen im Redetext angemahnt. Bei seinem Vortrag während der von einem Polizeibeamten observierten Feier hielt Schuselka sich offenbar nicht an die Zensurvorgaben. Er wurde nach der Feier auf höheren Befehl zur Polizei einbestellt, wo er wegen »Vortragens nicht genehmigter Stellen« in seiner Rede verwarnt wurde und man ihm für den Wiederholungsfall strafrechtliche Konsequenzen androhte.331 Vom Publikum war die Feier nach Presseberichten sehr positiv aufgenommen worden. Das restliche Programm der Concordia-Feier bestand aus einem musikalischen Rahmenprogramm – gespielt wurden Werke von Beethoven, Mendelssohn-Bartholdy, Schubert und spezielle Festkompositionen.332

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als Redakteur für verschiedene Zeitungen tätig. Laube entwickelte sich nach der französischen Juli-Revolution zu einem der Wortführer der »Jungdeutschen«. 1834 aus Leipzig ausgewiesen, ging er nach Berlin, wo er verhaftet wurde und zwei Jahre Festungshaft absaß. Seit 1840 in Leipzig zunehmend dem Theater zugewandt. Verfasste u. a. »Die Karlsschüler«. 1848 Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung. Ab 1849 Künstlerischer Leiter des Burgtheaters in Wien (bis 1867). Gründete 1872 das Wiener Stadttheater. DBE 6 S. 263 f. Die Presse, 7. November 1859; Vgl. ÖZ, 8. November 1859, S. 3. Zeitung für Norddeutschland, Samstag, 12. November 1859. ABPW 1859 – 1860: Fragment eines Rede-Manuskripts ohne Datum, Bericht v. 5. November 1859, Dekret v. 7. November 1859, Bericht v. 9. November 1859, Dekret v. 11. November 1859, Protokoll v. 12. November 1859, Bericht v. 13. November 1859. An diesem Beispiel zeigte sich, dass die »freie« politische Rede 1859 nur bedingt möglich war. Steinebach 1859, S. 68; Die Presse, 5. November 1859 (Abendausgabe), S. 2, 8. November

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Der große Fackelzug zum Schillerplatz Am 8. November 1859 fand mittags die auf »höchsten Befehl angeordnete« Akademie im Redoutensaal der Wiener Hofburg statt, bei der Schiller-Gedichte deklamiert und gesungen wurden und Beethovens »Ode an die Freude« zur Aufführung kam.333 Abends versammelten sich Zehntausende zum öffentlichkeitswirksamen Fackelzug, »an welchem alle Gelehrten, wissenschaftlichen und Künstlervereine, Akademie der Wissenschaften, der Gewerbeverein, das medizinische Doktorenkollegium, der Gemeinderat der Stadt Wien und alle Gesellschaften, die Buchdrucker und Künstler-Korporationen in voller Zahl teilnahmen«.334 Die Teilnehmer waren angehalten, in »dunklen Winterröcken, schwarzen Zylinderhüten und weißen Cravaten« zu diesem Zug zu erscheinen. In drei Abteilungen und ausgestattet mit Standarten, Fahnen, Abzeichen, Fackeln, Glaskugeln und Papierlaternen marschierten sie vom Praterstern im Norden der Stadt durch die Jägerzeile und die Rothenthurmstraße zum Stephansplatz, von dort über Graben und Bognergasse durch das Schottentor auf den geschmückten »Schillerplatz«, auf dem sich eine Gips-Statue Schillers, eingerahmt von vier Gaspyramiden, und ein Rednerpodest befanden.335 Angeführt wurde der Zug von einem Schillerbanner, dessen Träger von sechs berittenen, in mittelalterliche Kleidung gehüllten Trompetern eingerahmt wurde. Ihm folgte die erste Abteilung mit den Innungen, dem Gewerbeverein, der Handelskammer, dem Ingenieursverein, der Handelsakademie, dem polytechnischen Institut und dem technischen Gesangsverein. Ihnen hinterher marschierten die Mediziner und die Mitglieder der Universität, angeführt von der evangelisch-theologischen Fakultät. Den Abschluss der Abteilung bildeten die Sänger des akademischen Gesangsvereins, der Singakademie, des Sängerbunds und des Männergesangsvereins.336 Nach den Sängern kamen in der

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1859 (Abendausgabe). Eine ausführliche Kritik der musikalischen Akademien der »Concordia« und im Theater an der Wien findet sich in: Die Presse, 10. November 1859, S. 1 – 3; vgl. auch ÖZ, 9. November 1859, S. 3, 12. November 1859, S. 3; Ostdeutsche Post, 9. November 1859, S. 3; Morgenpost, 8. November 1859, S. 3. Steinebach 1859, S. 68 f.; vgl. Wiener Zeitung, 8. November 1859, S. 6; Die Presse, 10. November 1859, S. 1 – 3; Fremdenblatt, 9. November 1859, S. 4; Ostdeutsche Post, 10. November 1859, S. 3. Steinebach 1859, S. 69. Das Komitee hatte Einladungen an die meisten gesellschaftlichen Vereine Wiens versandt und darüber hinaus in einer Zeitungsannonce zur Teilnahme aufgerufen. Vgl. Die Presse, 26. Oktober 1859, S. 3, 2. November 1859, 7. November 1859, S. 2; 8. November 1859 (Abendausgabe), S. 2; ÖZ, 3. November 1859, S. 3, 10. November 1859, S. 3; Fremdenblatt, 9. November 1859, S. 4 – 5; Ostdeutsche Post, 9. November 1859; Besonders ausführlich: Morgenpost, 9. November 1859, S. 2 – 3. Steinebach 1859, S. 69 – 78; Die Gaspyramiden bestanden aus vielen einzelnen Gasflammen, die für eine eindrucksvolle Beleuchtung des Platzes sorgten. Vgl. Morgenpost, 27. Oktober 1859 und die Abbildung auf dem Titelblatt des Telegrafen, 13. November 1859. Ebd., S. 70.

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zweiten Abteilung die Mitglieder des Schillerkomitees, die kaiserliche Akademie der Wissenschaften und die k. k. Akademie der Künste, danach verschiedene Künstlergesellschaften, der »Albrecht-Dürer-Verein«, der Verein »Eintracht«, der »ältere Kunstverein« und der Journalistenverein »Concordia« sowie Mitglieder der Wiener Theater. Abgeschlossen wurde die zweite Abteilung vom Orchesterverein »Euterpe«, dem juridisch-politischen Leseverein und weiteren Künstlergesellschaften.337 Die dritte und letzte Abteilung wurde von den Wiener Schützengilden angeführt, denen die Buchhändler, der Stenografen-Verein, die k. k. Hof- und Staatsdruckerei und die Buchdrucker folgten.338 Insgesamt lag die Zahl der Festzugs-Teilnehmer laut Steinebach bei insgesamt etwa 6000 Personen.339 Alle Abteilungen führten Banner und Fahnen mit sich, die das Schillerkomitee in Auftrag gegeben hatte. Sie waren mit Sinnsprüchen aus dem Werk Schillers versehen, trugen dessen Porträt oder eine Kombination aus selbstreferentiellen Symbolen der Korporationen, für die sie gefertigt wurden. Die Fahne der Innungen beispielsweise schmückte das Bild eines Bienenkorbs, ergänzt durch den Spruch »Arbeit ist des Bürgers Zierde« aus der »Glocke«. Die des Ingenieur-Vereins trug das Bild einer Lokomotive mit dem Spruch »Rastlos vorwärts« aus dem Schiller-Gedicht »Sprüche des Konfuzius«.340 Sämtliche Fahnen waren vor dem Fackelzug von Polizeibeamten inspiziert worden. Die ursprünglich von den Studenten geplante Verwendung alter Fahnen wurde untersagt, weil man ihre geschichtsträchtige Erinnerungswirkung fürchtete. Zugelassen waren nur Fahnen, die »unmittelbar auf Schillers Leben und Wirken Bezug nehmen, und auch in sonstiger Beziehung keinen Anstoß erregen«.341 Da es sich bei dem Fackelzug um die einzige öffentliche Veranstaltung ohne Zugangsbeschränkung handelte, war der Andrang besonders groß. Zudem hatte die Berichterstattung über die Schillerfeier nicht nur Publikum aus den Wiener Vororten angelockt, sondern auch aus den Provinzen zahlreiche Vereinsdelegationen und Einzelpersonen veranlasst, sich wegen der Feier in die Stadt zu begeben. Die Zuschauer drängten sich auf den Straßen, die Fenster der Häuser wurden als Aussichtspunkte genutzt.342 337 Ebd., S. 70 f. 338 Ebd., S. 71. 339 Ebd., S. 73. Die Angaben schwanken zwischen 4000 und 6000 Personen. »Die Presse« berichtet von rund 4000 Teilnehmern. Die Presse, 8. November 1859 (Abendausgabe), S. 2; Die ÖZ schätzt 4500 Teilnehmer. ÖZ, 10. November 1859, S. 3; Die Ostdeutsche Post zählte 5500 Teilnehmer. Ostdeutsche Post, 9. November 1859. 340 Steinebach 1859, S. 75; Ostdeutsche Post, 10. November 1859. 341 ABPW 1859 – 1860: Weisung v. 25. Oktober 1859. Vgl. Dekret v. 27. Oktober 1859. 342 Steinebach 1859, S. 72; Die Presse, 7. November 1859 (Abendausgabe), 8. November 1859 (Abendausgabe), S. 2; ÖZ, 9. November 1859, 10. November 1859; Morgenpost 30. Oktober 1859. Mit Verweis auf die Nutzung der Fenster wurde eine Illumination der Häuser abge-

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Als die Fackelträger auf dem Festplatz eintrafen, spielten drei von Erzherzog Wilhelm dem Komitee zur Verfügung gestellte Militär-Musikkapellen auf, anschließend hielt Heinrich Laube eine kurze Rede über die Bedeutung Friedrich Schillers für die Deutschen.343 Nach Laubes Vortrag wurde das Lied »an die Freude« gesungen, bevor sich der Bürgermeister von Wien, Johann Kaspar Freiherr von Seiller, in einer zweiten kurzen Rede bei Kaiser Franz Joseph I. für dessen Unterstützung bedankte.344 Hierauf folgte ein dreifaches »Vivat«, die Volkshymne wurde gesungen und spontan noch einmal eine Strophe des Liedes »an die Freude«, worauf sich die Menge »in corpore in die Lokalitäten der einzelnen Vereine« zerstreute, in denen bis in die Morgenstunden gefeiert wurde.345 Der Wiener Festumzug war eine »Veranstaltung des männlichen Bürgertums«, das sich durch die Kleiderordnung geradezu uniformiert darstellte.346 Aus einem Bericht des Fremdenblatts ist ersichtlich, dass verschiedene Fraktionen des Bürgertums im Zug vertreten waren: »An dem Zuge beteiligte sich nicht nur alles, was Wien an geistigen Kräften besitzt, zu den Vertretern der Kunst und Wissenschaft gesellten sich auch die Vertreter der Industrie, des Handels und der Gewerbe.«347

Über die Binnendifferenzierung der Teilnehmer schreibt Barbara Drucker : »In der Abfolge der einzelnen Gruppen schlägt sich eine sozio-ökonomische Stufenleiter nieder, die den vollen Umkreis bürgerlicher Metiers abdeckt. Die Spitze bildeten die städtischen Honoratioren, gefolgt von der Kaufmannschaft. […] Die zweite Abteilung ist vor allem Ausdruck des Bildungsbürgertums, hierher gehört natürlich das Schillerkomitee, aber auch die Akademien der Wissenschaften und der Künste, Lese-, Künstler- und Gesangsvereine. Die dritte Abteilung setzte sich aus Vereinen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zusammen, den Abschluss bildeten Buchhändler und

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lehnt. Steinebach 1859, S. 71. Die Polizeibehörde hatte ob des erwarteten Andrangs höchste Aufmerksamkeit angemahnt und für die Ankunft »politisch bedenklicher Personen« deren Abweisung oder zumindest strenge Überwachung während ihres Aufenthalts in der Stadt angeordnet. ABPW 1859 – 1860, Weisung v. 3. November 1859. Steinebach 1859, S. 76 f. Den Musikkapellen war eine Begleitung des Zuges durch die Behörden untersagt worden. ABPW 1859 – 1860: Weisung v. 27. Oktober 1859. Steinebach 1859, S. 77 f. Seiller studierte Rechtswissenschaft und Philosophie in Graz und Wien, 1826 promoviert. Seit 1831 Hof- und Gerichtsadvokat in Wien. Als überzeugter Demokrat war Seiller an der 48er-Revolution beteiligt und wurde 1848 in den Gemeinderat von Wien und dort zum Präsidenten gewählt. 1851 wurde Seiller zum Bürgermeister der Stadt Wien gewählt (bis 1861). Seiller war Mitglied zahlreicher humanitärer Vereine und Gesellschaften in Wien. DBE 9, S. 272. Steinbach, S. 78; Das entsprach auch den Vorstellungen der Polizei, die eine schnellstmögliche Zerstreuung der Menge vorgesehen hatte. ABPW 1859 – 1860: Weisung v. 7. November 1859. Drucker, Volksheld, S. 32. Fremdenblatt, 9. November 1859, S. 4.

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Buchdrucker, womit der Zug auch in seiner Abfolge mit einer Referenz an die Literatur geschlossen wurde.«348

Das Bildungsbürgertum formulierte demnach durch seine Position im Wiener Festzug keinen ausgeprägten Führungsanspruch. Als Mitte der bürgerlichen Gesellschaft war auch hier sein Platz in der Mitte. Der Fackelzug war das einzige Festelement, das unter freiem Himmel und mit freiem Zugang stattfand, mithin der einzige Bereich des Wiener Festes, der große Allgemeinheit in der Teilnahme ermöglichte. Er bewahrte die Wiener Schillerfeier davor, »in zahlreiche, gewiss sehr würdige und interessante Einzelfeste zu zersplittern« und gab ihm »den Charakter der Allgemeinheit und der Volkstümlichkeit«. Mit ihm wurden auch »jene Enterbten des Glückes, die kein Theater und keine Akademie besuchen, an keinem Festessen teilnehmen können, ja, die nicht einmal eine Zeitung lesen« einbezogen.349 Ihnen stand allerdings lediglich die passive Rolle des Zuschauers zu. Die aktive Teilnahme am Festzug war an eine Reihe von Bedingungen gebunden: Mitgliedschaft in einer Korporation, Erwerb einer Fackel und Einhaltung der Kleiderordnung waren Grundbedingungen, die ein Großteil der anwesenden Zuschauer nicht erfüllte.350 Auch die Teilnahme von Frauen war grundsätzlich nicht vorgesehen, da ihnen »die zarte Zurückgezogenheit ihres Geschlechtes die Teilnahme an einer öffentlichen Kundgebung auf der Straße verbietet«.351 Ihnen wurde die Aufgabe zugewiesen, die Fenster und Balkone der Häuser an der Wegstrecke des Festzuges zu schmücken, eine passive und dekorative Aufgabe, die sie auch erfüllten, wie die Ostdeutsche Post zu berichten wusste: »Alle Fenster bis in die höchsten Stockwerke hinauf waren geöffnet und mit einem reichen Kranz von Damen besetzt«.352 Trotz des großen Besucherandrangs – die Bahn stellte Sonderzüge bereit –, blieb es während des Abends ruhig. Die schnelle Auflösung und Verteilung der Menge auf die unterschiedlichen Lokalitäten der Stadt verlief reibungslos und ohne Auseinandersetzungen mit den Sicherheitsbehörden, die zwar verstärkten Polizeieinsatz während der Schillerfeier angeordnet hatten, insgesamt aber wenig zu tun bekamen.353

348 Drucker, Volksheld, S. 33. 349 Ostdeutsche Post, 23. Oktober 1859. 350 Die Morgenpost berichtete, dass auch Mitgliedern des polytechnischen Instituts die Preise der Fackeln zu hoch waren. Morgenpost, 30. Oktober 1859, S. 2. 351 Ostdeutsche Post, 1. November 1859, S. 2. 352 Ebd., 9. November 1859. 353 ABPW 1859 – 1860, verschiedene undatierte Aktenstücke und Tabellen über den verstärkten Polizeieinsatz zur Schillerfeier.

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Schillerfesttage in Wien Mit Schulfeiern wurde am 9. November der vierte Festtag eröffnet, um 12 Uhr folgte ein Festakt der Universität im Festsaal der Akademie der Wissenschaften.354 Am Abend kam im Burgtheater als Festvorstellung »Don Carlos« zur Aufführung, zur gleichen Zeit fand im Sophiensaal eine Akademie des akademischen Gesangsvereines statt und das Hofoperntheater gab »Lohengrin« als Festvorstellung zugunsten der Schillerstiftung. Beschlossen wurde der Tag mit einem Festbankett der Studentenschaft und der Schillerfeier des »AlbrechtDürer Künstler-Vereins«, die »durch die Anwesenheit vieler Damen erhöht wurde«.355 Am 10. November 1859 fand die Schillerfeier der protestantischen Gemeinde Wiens statt und das Hofoperntheater führte als zweite Festvorstellung am Abend die »Hochzeit des Figaro« auf.356 Die Hauptveranstaltung des Tages war die »vom ganzen kaiserlichen Hofe besuchte« und vollständig ausverkaufte Festvorstellung des Burgtheaters.357 Aufgeführt wurde ein Festspiel von Friedrich Halm, unterbrochen durch lebende Bilder, sowie Schillers »Demetrius«-Fragment.358 Der Abend wurde beschlossen durch die »Apotheose Schillers«, in der sich zu den Klängen des »deutschen Liedes« von Ernst Moritz Arndt Hauptfiguren aus Schillers Dramen um dessen Standbild auf der Bühne gruppierten.359 Am 11. November wurde diese Vorstellung im Burgtheater wiederholt. Das Vorstadttheater in der Josefstadt gab eine Festaufführung zugunsten des Schillerfonds mit Musik, lebenden Bildern und Szenen aus Schiller-Dramen.360 Das Theater an der Wien bot mit einem gedichteten Prolog von Friedrich Kaiser, lebenden Bildern und »Wallensteins Lager« ein gemischtes Programm, dessen

354 Vgl. Die Presse, 18. Oktober 1859; Der Telegraf, 10. November 1859, S. 3; Ostdeutsche Post, 11. November 1859, S. 3; Morgenpost, 10. November 1859, 11. November 1859. 355 Steinebach 1859, S. 79; Die Presse, 12. Oktober 1859, S. 4, 10. November 1859, 11. Oktober 1859; ÖZ, 11. November 1859, S. 3; Fremdenblatt, 11. November 1859, S. 4. 356 Fremdenblatt, 12. November 1859, S. 3; Morgenpost, 4. November 1859, S. 2. 357 Steinebach 1859, S. 80 – 86; ÖZ, 12. November 1859; Fremdenblatt, 11. November 1859, S. 5; Ostdeutsche Post, 12. November 1859, S. 1 – 2; Morgenpost, 11. November 1859, S. 2. Franz Joseph I. hatte bereits im Voraus einen Betrag von 3000 Gulden an die Schillerstiftung überwiesen, der die Tagesseinnahmen der Veranstaltung deutlich überstieg. Vgl. hierzu Wiener Zeitung Nr. 276 v. 3. November 1859, S. 2; Die Presse, 3. November 1859; ÖZ, 4. November 1859, S. 3. 358 Kritiken des deutschnationalen Stückes finden sich in: Die Presse, 15. November 1859; Fremdenblatt, 11. November 1859, S. 5; Morgenpost, 12. November 1859, S. 2. 359 Steinebach 1859, S. 85 f.; Die Presse, 12. November 1859. 360 Steinebach 1859, S. 86; Die Presse, 11. November 1859; ÖZ, 15. November 1859, S. 3; Fremdenblatt, 11. November 1859, S. 5 – 6; Morgenpost, 12. November 1859, S. 2.

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Einnahmen ebenfalls an die Schillerstiftung gingen.361 Alle drei Vorstadttheater, das Carltheater, das Theater in der Josefstadt und das Theater an der Wien, hatte das Schillerkomitee bereits Anfang Oktober um die Abhaltung von Schillerfeiern gebeten.362 Den offiziellen Abschluss der Schillerwoche bildete ein Festbankett am 12. November im Sophiensaal, »bei welchem sich die Vertreter der Intelligenz, Kunst, Literatur und Gesellschaft, wie nicht minder ein reicher Kranz von Damen gesellig vereinte«, eine, wie Steinebach behauptet, »alle Stände Wiens repräsentierende Gesellschaft von Herren und Damen«.363 Tatsächlich handelte es sich bei den Gästen aber eher um »hohe Autoritäten und Repräsentanten der Aristokratie« und »wie bei dieser Gelegenheit selbstverständlich […], die Koryphäen der hiesigen Literatur und Kunst«.364 Die Schillerstatue war für das Bankett vom Festplatz zum Sophiensaal transportiert worden, Banner und Fahnen des Fackelzuges schmückten den Saal, der im Verlauf des Samstags gegen Eintritt besichtigt werden konnte. Den Abend eröffnete eine Festrede des Burgtheater-Intendanten Heinrich Laube, der eine Reihe von Toasts folgte.365 In ihnen ließ man Kaiser Franz Joseph I., das Vaterland (Österreich im deutschen), Deutschland (mit Österreich), die Stadt Wien, Franz Grillparzer und das Burgtheater hochleben. Gelegenheitsdichtungen wurden ebenfalls vorgetragen, in denen unter anderem die Frauen besonders bedacht wurden.366 Die letzte Schillerfeier, wenn auch nicht als Teil des Gesamtprogramms, begingen die Buchhandelsgehilfen am Sonntag, den 13. November.367 Neben den genannten Veranstaltungen gab es in Wien eine Vielzahl weiterer Aktivitäten zur Schillerfeier. Der Kunstverein etwa stiftete die Eintrittsgelder seiner Ausstellung für die Tage vom 9. bis zum 11. November und die Akademie der Wissenschaften 361 Die Presse, 12. November 1859 (Abendausgabe); ÖZ, 13. November 1859, S. 3; Ostdeutsche Post, 13. November 1859, S. 3; Morgenpost, S. 2. 362 Die Presse, 3. Oktober 1859 (Abendausgabe). Das Carltheater spendete die Einnahmen eines Theaterabends am 4. November der Stiftung. Die Presse, 5. November 1859. 363 Steinebach 1859, S. 86 – 97, hier S. 86 f; Vgl. Die Presse, 14. November 1859; Fremdenblatt, 13. November 1859, S. 5; Ostdeutsche Post, 14. November 1859, S. 1 – 2; Morgenpost, 14. November 1859. 364 Fremdenblatt, S. 5; Die Ostdeutsche Post, S. 2 schrieb: »Alle Notabilitäten der hiesigen Schriftsteller- und Künstlerwelt, die erlauchten Männer des Geldes, die berühmtesten Vertreter der heimischen Industrie und des Handels, die Intelligenz des Beamtenstandes, kurz alle Stände, welche zusammen Geist und Bildung zu tragen pflegen, ferner ein Kranz eleganter Damen beteiligten sich an dem großartigen Schlussfeste.« 365 Die Toasts sind abgedruckt bei Steinebach 1859, S. 89 – 92 und 94 – 96. 366 Steinebach 1859, S. 92 – 94. Grillparzer selbst hatte einen Toast für das Bankett gedichtet, der jedoch abgelehnt worden war. Die Presse, 3. November 1859. »Die Presse« bemerkte in ihrem Bericht über das Bankett über vorgebrachten Gedichte: »Einige derselben hätten wohl ungesprochen und ungedruckt bleiben können.« Die Presse, 14. November 1859. 367 Buchhandelsgehülfen 1860.

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schrieb eine Preisaufgabe aus, die darin bestand, Schillers Verhältnis zur philosophischen und historischen Wissenschaft zu würdigen.368 Neben vielen kleineren Vereinen und Gesellschaften luden auch die Gastwirtschaften, Ballsäle und andere Unterhaltungsetablissements zu Schillerfeiern ein, die jedoch in der Berichterstattung der Tagespresse weitgehend unerwähnt blieben.369 Zur Erinnerung wurden auch in Wien Schillermedaillen angefertigt.370 Schließlich ging, wie in Hamburg und an vielen anderen Orten auch, aus der Wiener Schillerfeier eine Initiative zur Errichtung eines Schillerdenkmals hervor, das 1876 vollendet und vor der Akademie der Bildenden Künste enthüllt wurde.371

Festräume Das Wiener Schillerkomitee traf als Filialkomitee der Deutschen Schillerstiftung auf. Über seine interne Arbeitsweise ist wenig bekannt, das Wiener Stadtarchiv führt keine Akten und Protokolle über das Komitee oder seine Arbeiten. Aus den Zeitungen und den Polizeiakten der Wiener Polizeibehörde lässt sich aber schließen, dass alle Entscheidungen von den Behörden genehmigt werden mussten, vor allem hinsichtlich des Fackelzuges und seiner Ausstattung. Die Organisatoren und Festredner waren in ihrer Tätigkeit also keineswegs frei, wie auch die Vorladung Schuselkas belegt. In seiner sozialen Zusammensetzung repräsentierte das Wiener Schillerkomitee hauptsächlich das Bildungsbürgertum. Die Festgesellschaft rekrutierte sich aus unterschiedlichen Fraktionen des Bürgertums und des Adels. Da sich auch der Hof an den Feiern beteiligte, unter anderem mit großzügigen Spenden an die Schillerstiftung, ist ein Miteinander der Obrigkeit und des Bürgertums festzustellen. In Wien hatte die Aristokratie ebenso ein Interesse am Gelingen der Feierlichkeiten wie das Bürgertum – allerdings aus anderen Motiven. Gefeiert hat in Wien »alles, was nicht bloß vom Brote und für’s Brot lebt«.372 Der Festraum zeichnete sich tatsächlich aus durch eine hohe Exklusivität in 368 Steinebach 1859, S. 97 f.; Wiener Zeitung, 4. November 1859, S. 3; Die Presse, 29. Oktober 1859 (Abendausgabe); Die Presse, 4. November 1859 (Abendblatt), S. 2; Ostdeutsche Post, 30. Oktober 1859, S. 2. 369 Morgenpost, 28. Oktober 1859, S. 3. Die Einnahmen dieser kommerziellen Veranstaltungen gingen in der Regel auch nicht als Spende an die »Deutsche Schillerstiftung«. 370 Geprägt in Gold, Silber, Bronze und Britannia-Metall (Zinnlegierung mit sehr hohem Zinnanteil). Die Presse, 8. November 1859 (Abendausgabe), S. 2; Ostdeutsche Post, 26. Oktober 1859, S. 3. 371 Die wahrscheinlich erste Anregung hierzu findet sich in der Morgenpost, 2. November 1859, S. 2; Vgl. Das Schiller-Denkmal in Wien. Bericht des Comit¦s, ohne Verfasser, Wien 1876. 372 Ostdeutsche Post, 13. November 1859.

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Bezug auf Teilnahme- und Teilhabemöglichkeiten. Wenn die Schillerfeiern der Woche als ein »städtisches Gesamtprogramm« empfunden wurden, dann nur wegen der thematischen Verknüpfung der Einzelelemente und der Berichterstattung der Tagespresse. Ansonsten hatten etwa die Veranstaltungen der Vorstadttheater wenig gemein mit den Festvorführungen des Burgtheaters oder dem besonders exklusiv besetzten Festbankett im Sophiensaal. Da alle Festangebote – mit Ausnahme des Zuschauens beim Fackelzug – mit Eintrittspreisen belegt und zum Teil nur für Begünstigte zugänglich waren, lag die über ökonomische Leistungsfähigkeit definierte Einstiegsbarriere relativ hoch. Sie stieg mit Annäherung zum Hof (Burgtheater, Hofoperntheater, Sophiensaal) zudem an. So war die auf kaiserliche Anordnung durchgeführte Akademie im Sophiensaal, die am frühen Nachmittag stattfand, für Erwerbstätige in der Regel schon aus Termingründen nicht besuchbar. Die kleineren Schillerfeiern der Korporationen setzten in der Regel eine Mitgliedschaft voraus, waren also vorrangig Sache des unteren und mittleren Bürgertums, das sich in ihnen organisierte. Wer Zugang zu einer der Veranstaltungen hatte, sah sich in der Regel einem musikalischen Programm, Deklamationen von Schiller-Gedichten und Gelegenheitslyrik unterschiedlicher Qualität ausgesetzt. Der Wiener Festraum zeichnete sich demnach aus durch geschlossene Räume und Gesellschaften, das Fest fand in einer weitgehend entpolitisierten künstlerisch-literarischen Atmosphäre statt. Politische Färbungen sind vor allem beim Festbankett und der Concordia-Feier zu beobachten. Von einer freien und unbeschränkten Feier in Wien kann nicht ausgegangen werden. Zwar wurde die polizeiliche Zurückhaltung in der Presse gelobt, die Vorgänge um die SchuselkaRede zeigen jedoch die engen Grenzen, in denen sich politisierende Gehversuche in der Schillerwoche halten mussten, um nicht persönliche Konsequenzen nach sich zu ziehen. Barbara Drucker gilt der Wiener Fackelzug als »Probelauf für bürgerliche Selbstregulierung«.373 Tatsächlich kann die gesamte Schillerwoche als Probelauf für den neuen innenpolitischen Kurs der Regierung verstanden werden. Auf dem Prüfstein stand dabei das Verhalten der Polizei- und Zensurbehörden, zugleich aber auch das Bürgertum und die gesamte Festgesellschaft. Die Tagespresse sah die Regierung in der Pflicht, die neue Offenheit durch zurückhaltenden Polizeieinsatz und dem Gewähren der Öffentlichkeit unter geringstmöglichen Einschränkungen in die Tat umzusetzen. Gleichzeitig fühlte sich das Bürgertum verpflichtet, die gewährte Freiheit nicht auszunutzen und durch das Aufrechterhalten der Ordnung zu beweisen, dass es, anders als in der 48er-Revolution, zur Selbstregulation inzwischen in der Lage sei. Dieser Beweis sei erfolgt, »das Volk verstand die hohe Bedeutung des Festes, die wirksamste Wache der 373 Drucker, S. 29.

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Sicherheit und Ordnung war das ehrfürchtige und freudige Gefühl, welches sich in weihevoller Stille und in jubelndem Zuruf kundgab«.374 Die Ostdeutsche Post schrieb dazu: »Man fürchtete den Pöbel und man fand ein verständiges, gemütreiches, für das Edelste empfängliches Volk. Für ganz Wien war der Lichtgedanke des Festes das starke Band der Ordnung, und das Gefühl, dass in Schiller das geehrt wird, was jeder Mensch als das Heiligste im eigenen Busen trägt, war das Gesetz des Anstands und der Sitte. Die Behörden und ihre Organe befanden sich in der angenehmen Lage, an dem Feste eben auch als Teilnehmer teilzunehmen.«375

Die Aufrechterhaltung der Ordnung ausschließlich am »Gesetz des Anstands und der Sitte« festzumachen, greift allerdings zu kurz. Tatsächlich hatte sich der Kaiser selbst durch verschiedene Aktionen an die Spitze der Festgesellschaft gestellt. Als Mäzen der Feier musste ihm – und mit ihm den staatlichen Stellen – das Gelingen der Feier besonders am Herzen liegen. Zustände, wie sie aus Berlin berichtet wurden, sollten in Wien vermieden werden. Gerade der Gegensatz zwischen den beiden konkurrierenden Machtzentren ließ die Donaumetropole in einem guten Licht stehen und als Freund und Förderer der deutschen (kulturellen) Interessen. Die diskursive Verknüpfung des Wiener mit dem nationalen deutschen Festraum war außerordentlich problematisch, da bereits der Wiener Festraum stark fragmentiert war. Wien als Hauptstadt eines Staates, der mit unterschiedlichen Nationalbewegungen und den daraus resultierenden Zentrifugalkräften zu kämpfen hatte, konnte sich nicht vorbehaltlos der deutschen Kulturnation in die Arme werfen. Es war ja gerade das nationale Prinzip, das zum Krieg mit Italien geführt hatte und das in Ungarn und anderen Teilen des Reiches zunahm und den Staat in seinem inneren Bestand gefährdete. Es mag daher nicht verwundern, dass sowohl beim Fackelzug als auch beim Festbankett die Fürstenliebe als übernationales Integrationsmoment dargestellt wurde, unabhängig von Sprache, Nationszugehörigkeit, Religion oder sozialer Herkunft des Einzelnen. Deutlich wird dieser Aspekt auch beim Aufruf der Wiener Universität zur Teilnahme am Fackelzug. In ihm wurde darauf verwiesen, dass die Teilnahme vornehmlich im »Dienste der Wissenschaft und ernster Erkenntnis der Wahrheit« erfolge, denn »die Wissenschaft kennt keinen Unterschied oder Vorrang der Nationalität«.376

374 Ostdeutsche Post, 9. November 1859. Selbst der Cincinnati Republikaner berichtete am 1. Dezember 1859 von der »vollkommenen Ordnung« beim Fackelzug. 375 Ostdeutsche Post, 13. November 1859. 376 Morgenpost, 4. November 1859, S. 2.

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Festreden in Wien Nur wenige der Wiener Festreden wurden gedruckt. Im Folgenden werden die Festreden von Heinrich Laube, Franz Pfeiffer, H. Woyte und Bürgermeister Seiller betrachtet.377 Ergänzt werden sie durch die Toasts, die auf dem Festbankett am abschließenden Samstag der Festwoche ausgebracht wurden: Franz von Thun auf Kaiser Franz Josef I., Freiherr von Baumgartner aufs Vaterland, Senatspräsident von Schmerling auf Deutschland, Fürst Konstantin Czartorisky auf die Stadt Wien und sein Bruder Georg auf das Burgtheater.378 Die vielgelobte Rede von Franz Schuselka im Theater an der Wien ist leider ebenfalls nicht im Druck erschienen. In den Akten der Oberpolizeidirektion Wien findet sich aber ein Schriftwechsel zu dieser Angelegenheit, der auch vier Seiten eines Redemanuskripts enthält, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu Schuselkas Rede gehören.379 Friedrich Schiller wurde in den Wiener Reden als Vorbild bürgerlicher Werte beschrieben. Warum das so sei, fragte Heinrich Laube bei seiner Rede auf dem Festplatz. Aus kleinbürgerlichen Verhältnissen kommend habe sich Schiller trotz aller Widrigkeiten unnachgiebig und konsequent zum ersten deutschen Dichter hochgearbeitet. In seinem Werk habe er nicht nur die deutsche Sprache erhöht, sondern ideale Gestalten geschaffen, die als Vorbild für Menschen jeden Alters und jeder sozialen Herkunft dienen könnten. Schiller sei es gelungen, die jedem Menschen eigenen Sinne für Selbständigkeit, das Vaterland, das Gute und Erhabene anzusprechen.380 Auch in seiner eigenen Arbeitshaltung erfülle der Dichter diese Vorbildfunktion, denn da er »nie ermüdete in der Arbeit der Selbstbildung, im Dienste der Idee und der Wahrheit […] fand und findet an ihm 377 Heinrich Laube: Festspruch beim Fackelzug, in: Steinebach 1859, S. 76 – 78. Ebenfalls abgedruckt in: Die Presse, 8. November 1859 (Abendausgabe), S. 2 und ÖZ, 10. November 1859, S. 3; Laubes Festrede. Gehalten beim Festbankett der Schillerfeier in Wien, in: Sammlung der vorzüglichsten Dichtungen, Prologe, Vorträge und Sprüche zur SchillerFeier 1859, München [1859], S. 312 – 332; Bertold Pfeiffer: Festrede zum Schillerjubiläum 1859 an der Universität Wien. Zur 150. Wiederkehr von Schillers Geburtstag, Stuttgart 1909; H. Woyte: Festrede, in: Buchhandelsgehülfen 1860, S. 5 – 15. 378 Steinebach, 89 – 97. Laube hielt einen weiteren Toast auf Franz Grillparzer. Der ursprünglich von Grillparzer eingereichte Beitrag wurde jedoch vom Komitee abgelehnt, »weil darin einer gereizten Stimmung gegen das Jubelfest und die allgemeine Begeisterung Ausdruck gegeben ist«. Morgenpost, 10. November 1859. 379 ABPW 1859 – 1860: Fragment eines Rede-Manuskripts ohne Datum. Der Gedankengang der Rede stimmt mit den Zeitungsberichten überein. Zudem ist das Schriftstück dem oben erwähnten Vorgang der Überwachung, Vorladung und Verwarnung Schuselkas zugeordnet. Ein klarer Autorenvermerk fehlt allerdings ebenso wie die ersten Seiten der Rede. Einem handschriftlichen Zusatz auf der ersten Seite des Schriftstücks ist zu entnehmen, dass es sich um die Seiten 3 bis 6 der Rede handelt. 380 Laube/Steinebach, S. 76; Vgl. Pfeiffer, S. 12 f.

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der Deutsche das Symbol seines eigenen Wesens, seiner eigenen Bestimmung«.381 Schiller habe »sein ganzes Volk veredelt und erhoben« und sei deshalb der »Dichter des ganzen deutschen Volkes« geworden. Zu diesem gehöre auch Österreich, das sich in die Verehrung Schillers durch alle Deutschen selbstverständlich einreihe.382 Nichts anderes habe auch Kaiser Franz Josef I. getan, weshalb ihm Bürgermeister Seiller in seiner anschließenden Rede grundsätzlich und besonders für die Ausrufung des »Schillerplatzes« dankte, der Wiens und Österreichs Andenken an den Dichter für alle Zeit verewige.383 Auch beim Festbankett am 12. November wurde dem Kaiser durch Franz von Thun im ersten Toast dafür ausdrücklich gedankt, aber auch dafür, dass er »die laute öffentliche Feier des Schillerfestes seinem Volke ungehindert und unverkürzt anvertraut« habe.384 Heinrich Laube erhielt bei dem Bankett im Sophiensaal Gelegenheit, seine beim Festzug geäußerten Gedanken zu präzisieren. In einer biographischen Werkschau skizziert er die Entwicklung Schillers zum Dichter der Deutschen. Im Laufe seines Lebens habe dieser in chronologischer Folge den Sinn für Freiheit, Ideal und Vaterland entwickelt. Diese Sinne waren »Grundkräfte im Schillerschen Genius« und seien zugleich »unseres Volkes Lebensnerven«.385 Die Funktion des Dichters sei es, seinem Volk in der jeweiligen historischen Situation die Losungsworte zu reichen: »Die Verkörperung seiner Wünsche, die Gestaltung seiner Gedanken, ja seiner Träume zeigt ihm der Dichter. Und dies hat Friedrich Schiller für das deutsche Volk getan. Darum ist er der Dichter des deutschen Volkes geworden.«386 Als bevorzugten Ort der Vermittlung zwischen den Gedanken des Dichters und dem Volk nennt Georg Czartorisky in seinem Toast das Theater.387 Franz Pfeiffer erklärte sich den Einfluss Schillers, dem »Dichter, Lehrer und Erzieher des Volkes«, daher, dass er ein nationaler Dichter gewesen sei.388 Zwar sah Schiller sich selbst als »Weltbürger, und auch sonst fehlt es nicht an be381 382 383 384

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Pfeiffer, S. 14. Laube/Steinebach, S. 77. Seiller/Steinebach, S. 77 – 78. Thun/Steinebach, S. 89. Franz von Thun (Franz Anton II. Graf Thun-Hohenstein) studierte Rechtswissenschaften (1827 – 1831). Seit 1850 Ministerrat im Ministerium für Kultus und Unterricht (als Kunstreferent). Ab 1853 Mitglied der k. k. Centralkommission zu Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale Österreichs (bis 1861). Constantin v. Wurzbach (Hg.): Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich, Bd. 45, Wien 1882, S. 43 – 48. Laube, S. 313; »Die Presse« kritisierte die Chronologie in der Ausbildung der drei Aspekte und stellte deren Gleichzeitigkeit der These Laubes entgegen. Die Presse, 14. November 1859. Laube, S. 315. G. Czartorisky/Steinebach, S. 95 f; Vgl. Wiener Zeitung Nr. 279 v. 6. November 1859, S. 5. Pfeiffer, S. 6.

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stimmten Zeugnissen, dass es ihm mehr auf die Menschheit als auf das Nationale ankam, und dass ihm dieses sogar für eine Schranke galt, die der Dichter zu durchbrechen habe«, aber gerade in seinem Kosmopolitismus sei Schiller »echt deutsch« gewesen.389 Schiller sei national durch den »Adel der Gesinnung«, und teile mit der idealen Ethik, dem sittlichen Gemüt und dem »gesinnungsvollen Willen« weitere Grundzüge der deutschen Nationalität, der auch ein »Hang zur Abstraktion« und ein »Streben, Empfindungen mit Ideen zu paaren« eigen sei.390 Allein die letzte Phase in Schillers Werk hätte nach Laube »hingereicht, Schiller zum gesegneten Dichter seines Vaterlandes zu stempeln«.391 Seine Spätwerke hätten grundsätzlich die Idee des Vaterlands als Grundlage, im Wallenstein stelle er etwa die damalige dramatische Situation des Reiches in Not und Gefahr dar, das im Ganzen und in seinen Teilen bedroht gewesen sei. Diese Gegenwartsbezogenheit habe seine Popularität erheblich gesteigert.392 Vorrangig in seinem Spätwerk habe Schiller sich dann mit der Seele der Nation beschäftigt, mit den »Hauptgedanken, welche einer Nation eigentümlich sind«: »Der Sinn für eine sittlich durchgebildete Freiheit, der Sinn für das Ideal, in welchem, allem voraus, das Weib seine Verklärung findet, der Sinn für das Vaterland, welches wir um so heißer lieben, je mehr uns seine Gestaltung erschwert ist – sie sind die Hauptgedanken unseres Volkes, sie bilden die Seele deutscher Nation – und sie bilden die Seele Friedrich Schillers.«393

In Schillers Werk habe in »ausländischen Hüllen« ein »vaterländischer Kern« gesteckt, der »tief in der damaligen Zeit und im deutschen Volk« gewurzelt habe, so Pfeiffer.394 Diese Zeit habe sich durch »Verderbnis«, »Schlaffheit«, politische Unfreiheit ausgezeichnet, gegen die Schiller mit Hilfe der Poesie revoltiert habe.395 Zu Schillers Zeit, führte Woyte hierzu präzisierend aus, war die Freiheit unterdrückt, die Menschenrechte wurden »von oben« mit Füßen getreten, Nation und Adel waren voneinander getrennt, der Bürgerstand durch polizeiliche Bevormundung ohne Selbstgefühl. An einem »sittenlosen Hof« habe ein Fürst seine Untertanen als Kanonenfutter ans Ausland verkauft.396 Mit den »Räubern« und den darauf folgenden Stücken habe Schiller gegen diese Zustände rebelliert.397 Die deutsche Literatur insgesamt habe »sich erhoben aus einem tiefen

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Ebd., S. 7. Pfeiffer, S. 8. Laube, S. 327. Ebd., S. 327 – 331. Ebd., S. 332. Pfeiffer, S. 7. Ebd., S. 10. Woyte, S. 8. Ebd., S. 9. Demnach war »Fiesko« ein fortgesetzter Kampf gegen die herrschenden Miss-

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Verfalle der Nation, aus einem Verfalle des Staatslebens und des Glaubens an sich selbst, wie er bei einem großen starken Volke nie vorgekommen ist im ganzen Lauf der Weltgeschichte«. Die Literatur, »die Poesie [wirkte] auf das vaterländische Gefühl: sie hat das Band der geistigen Einheit, das längst zerrissene, um die deutschen Volksstämme von neuem geknüpft und den verloren gegangenen Glauben des deutschen Volkes an sich, seine Zukunft und Bestimmung erst wieder wachgerufen«.398 Schiller habe die Notwendigkeit kollektiven Selbstvertrauens gelehrt und den »nationalen Stolz« geweckt und zur Begeisterung bei der antifranzösischen Erhebung in den Kriegen gegen das napoleonische Frankreich beigetragen, indem er »die Mahnung zur Einigkeit, zu treuem Zusammenhalten in Not und Gefahr« ausgesprochen habe.399 Im »Tell« habe Schiller die französische Zwangsherrschaft geradezu vorweggenommen. Die Deutschen hätten in diesem Stück Trost gefunden und Motivation für den Kampf gegen die Franzosen.400 Die Mahnung zur Einheit sei danach aber wieder in Vergessenheit geraten, die »sprichwörtlich gewordene deutsche Uneinigkeit« wüte noch immer »dem Ausland zum Gespötte«.401 Die Deutschen seien noch immer politisch getrennt und zerklüftet, die Eintracht selten, die Gemüter entzweit und verbittert. In Schiller jedoch werde all das überwunden, weshalb die Schillerfeier ein Funken der Hoffnung sei.402 Pfeiffer konnte seinen Vortrag deshalb mit einer zuversichtlichen Zukunftsvision beenden: »Auch für uns wird noch die Zeit kommen, wo das Ideal, das uns allen vor der Seele steht, sich mit der Wirklichkeit vermählt, wo die widerstrebenden Elemente sich versöhnen, wo Deutschland geordnet und glücklich im Innern, groß und geachtet nach außen da steht, ›frei im lebendigen Spiel seiner Kräfte‹.«403

Mit seinen Hoffnungen stand Pfeiffer nicht allein. Woyte sah in Wien bereits den Sonnenaufgang herannahen: »Schon wächst die Zahl der Streiter für Wahrheit, Recht und Licht und schon glühen die Gipfel der Berge Norddeutschlands im purpurnen Widerscheine der aufgehenden Sonne der Freiheit – bald werden ihre goldenen Strahlen auch die Finren unserer süddeutschen Alpen treffen; bald recht bald – das hoffen wir alle von ganzem Herzen! Denn Schiller, unser Schiller – der Prophet und Evangelist der Freiheit – hat es ja verkündigt!«404

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stände im Staatsleben, »Kabale und Liebe« Protest gegen die Unterdrückung der Bürger durch Privilegierte. Pfeiffer, S. 15. Ebd.. Woyte, S. 14. Pfeiffer, S. 15. Ebd., S. 16. Ebd. Woyte, S. 15.

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Zwischen Schiller und seinem Volk bestehe nach Laube ein dialektisches Verhältnis, denn »wir sind es, die aus ihm sprechen, aber emporgehoben sind wir durch ihn in die Sphären des Ideals, und wir lieben ihn deshalb so schwärmerisch, weil jeder Mensch den edelsten Teil seiner Seele schwärmerisch liebt«.405 Damit sei, schloss der Freiherr von Baumgartner mit seinem Toast auf das Vaterland beim Bankett an, auch die Arndtsche Frage beantwortet, wo des Deutschen Vaterland liege, nämlich da, »wo man in Schillers Denken und Fühlen die Richtung des eigenen Geistes erkennt«. In Anlehnung an Johann Gottfried Herder bezeichnet er die im Ausland feiernden und dennoch dem Vaterland zugehörigen Deutschen als »die Zweige der deutschen Eiche, die zwar in fremdes Gebiet hinüber ragen, aber doch noch immer vom Stamme, der auf vaterländischen Boden wurzelt, Nahrung erhalten«.406 Die einigende Macht der Schillerverehrung habe viele noch vorhandene Schranken überwinden können, »die leider Deutschland noch spalten«. Deutschland brauche diese Einigkeit und Österreich sei Teil des deutschen Vaterlandes, ihm sei »deutsches Denken und Fühlen« angeboren. Wer Österreichs Volk vom deutschen trennen wolle, so Baumgartner, begehe Verrat an der Natur.407 Für die Zukunft Österreichs wünschte Senatspräsident Anton von Schmerling (1805 – 1893) sich einen starken, dauernden Bund »des herrlichen einigen Deutschlands, des alten Reiches mit dem neuen Österreich«.408 Die in den letzten Wochen erfolgte Unterstützung, die Österreich aus der Bevölkerung verschiedener deutscher Staaten entgegengebracht wurde, müsse zum festen Bund gewoben werden.409 Österreich sei das »engere Vaterland«, das »in Deutschland« existiere.410 In ihm, ergänzte Schmerling, mögen in der Zukunft alle seine Stämme, »wie immer ihre Sprache tönt«, eins sein »in der Liebe für ihren Fürsten« und im Stolz darauf, »Österreich ihr Vaterland zu nennen«.411 Das dies auch jetzt schon möglich sei, beweise seine eigene Anwesenheit beim Fest405 406 407 408 409

Laube, S. 315. Baumgartner/Steinebach, S. 89. Ebd., S. 90. Schmerling/Steinebach, S. 91. Ebd., S. 91. Diesen Wunsch spiegelt auch das Gedicht »Der Stephansdom« von Maximilian Menger wider, der den unvollendeten Wiener Sakralbau mit Deutschland vergleicht, das ebenso wenig vollendet sei und erst mit den beiden »Türmen«, gemeint sind Preußen und Österreich, ein vollendetes Gebäude darstellen werde. Vgl. Maximilian Menger: Der Stephansdom, in: Album zur Schiller-Feier. Von Studierenden der Wiener Universität, ohne Verfasser, Wien 1859, S. 14 – 15; vgl. hierzu auch das Gedicht auf den Seiten 3 – 4 (»Ein Traum«) im gleichen Band. 410 Baumgartner/Steinebach, S. 90. 411 Ebd., S. 91. Anton von Schmerling, Jurist und liberaler Politiker, war 1848 Mitglied des Paulskirchenparlaments, dort Innenminister und Ministerpräsident. Österreichischer Justizminister, Senatspräsident am Obersten Gerichtshof. Wurde 1860 von Franz Joseph zum Staatsminister ernannt, der die Monarchie zum Verfassungsstaat führte.

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bankett, sagte Fürst Konstantin Czartorisky, und die Tatsache, dass er einen Toast auf die Stadt Wien ausbringen dürfe. Wien allein, »Mittelpunkt so verschiedenartiger Elemente«, sei es gelungen, österreichische Bürger unterschiedlicher Stämme, Glaubensrichtungen, politischer Ansichten etc. »unter einem Banner, unter dem Banner Friedrich Schillers, brüderlich« zu vereinen.412 Auch dem Schuselka-Manuskript ist für die Zeit Schillers das Bild eines Deutschlands im Niedergang zu entnehmen. Im Angesicht dieses Niedergangs habe Schiller in seinem Werk den Deutschen »das tröstende Zukunftsbild der Auferstehung« aufgezeigt.413 Schiller, die deutschen Dichter überhaupt, hätten als »Vorgänger der künftigen deutschen Volksunion« die Vorlage geliefert für das, was in der Gegenwart von allen gemeinsam geleistet werden müsse. Ihre Ideen seien inzwischen Gemeingut geworden und könnten jedem als Maxime für das eigene Handeln dienen. Den Aufruf dazu richtete Schuselka direkt an das Publikum, die Feiernden und Verehrer Schillers, denn: »Die Zeit ist vorüber, wo vereinzelte große Geister und gewaltige Charaktere an die Spitze der Völker- und Menschheitsentwicklung gestellt wurden, um für sich allein die ganze schwere Arbeit der Gesamtheit zu vollbringen. Unsere Zeit ist die Zeit der großen allgemeinen Gesamtentwicklung.«414

Die Zukunftsbilder Schillers müssten nun von allen tatkräftig in die Realität umgesetzt werden, Einigkeit sei hierzu ein erster Schritt. Obwohl die ersten Seiten des Manuskripts fehlen, ist hier bereits die »demokratische Färbung« der Rede zu erkennen, die schließlich zum Konflikt mit den Behörden führte.415 Die Rede von Franz Schuselka blieb eine Ausnahme. Die von ihm vorgetragenen Gedanken kamen zwar beim Publikum gut an, wurden jedoch von den Behörden sanktioniert und von der Presse nur in Andeutungen wiedergegeben. Die neue Offenheit hatte offenkundig Grenzen. Die Reden zeigen verschiedene Deutungslinien: Schiller wurde als Repräsentant und Apologet bürgerlicher Werte gedeutet. Die (politisch-staatliche) Uneinigkeit der deutschen Nation in Vergangenheit und Gegenwart werde durch ihn und die Schillerfeier überwunden und deute auf zukünftige Möglichkeiten der Einigung hin. Betont wurde aber auch die Einigkeit Österreichs, unabhängig von Sprache, Kultur, Religion oder Stand. Schließlich wurde die politisch-staatliche Einheit Deutschlands unter der Führung Österreichs als dessen natürlicher Bestandteil herausgestellt. 412 Czartorisky/Steinebach, S. 92. Konstantin Fürst C. Ehemaliger ranghoher Militär in russischen, französischen und polnischen Diensten. Seit 1828 in Wien ansässig. Mäzen der Künste und Wissenschaft. 413 ABPW 1851 – 1860, Fragment eines Rede-Manuskripts ohne Datum. 414 Ebd., S. 2. 415 Auch der staatsnahen Wiener Zeitung gefiel die Rede nicht, sie sei zu sehr am Massengeschmack orientiert. Wiener Zeitung, 9. November 1859, S. 3.

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Die Ostdeutsche Post berichtete fast täglich von den Festplanungen und -aktivitäten in anderen Städten. Dabei wurden die Streitigkeiten um die Feier in Berlin gern mit der großzügigen Unterstützung der Festbestrebungen durch Kaiser Franz Joseph I. kontrastiert.416 Wien und andere österreichische Städte wurden zu deutschen Städten, weil auch sie Schiller feierten. Die Feier wurde zum Beweis der Teilhabe an der Nation – wer nicht feiert, der gehört nicht dazu. Und Wien bestand auf seiner Zugehörigkeit zu Deutschland.

Festdeutungen in der Wiener Presse »Politisch getrennt, in Parteien zersplittert, von den Leidenschaften des Tages erfüllt, sich gegenseitig zerfleischend«, schrieb Die Presse, »sind alle Deutschen einig im Geiste Schillers.«417 Die Verehrung für Schiller speise sich aus der Menschlichkeit in seinem Werk, der Beharrungskraft Schillers in einer Zeit des Niedergangs, »der aufrecht blieb in einer Zeit, wo sich die Größten bückten; der in den Tagen allgemeiner Erniedrigung dem deutschen Volke den Weg zum höheren Ziel zeigte; der es durch die Tat bekundete, dass es die wahre Künstlergröße nicht beeinträchtigt, wenn der Dichter im Namen der Freiheit spricht, und dass er aus seiner olympischen Höhe nicht herabsteigt, wenn er die Leiden seines Volkes mitfühlt, und für dessen Größe sich begeistert.«418 Die Österreichische Zeitung widmete der Schillerfeier am 10. November 1859 ihren Leitartikel.419 Nach Schillers Tod habe Österreich als Deutschlands mächtigste Säule darniedergelegen. Die Gewaltherrschaft der Franzosen jedoch habe den deutschen Geist nicht unterwerfen können. Dessen Grundlage sei durch die deutschen Literaten von Lessing bis Schiller gestärkt worden, sie hätten den deutschen Geist von französischen Banden befreit. »Schiller ist der populärste Dichter der Welt geworden, weil er der deutscheste ist; und der deutsche Geist, jener ernste, sittliche, arbeitende und freie Geist es ist, welcher die Bestimmung hat, die Welt zu erobern, wenn er sich auch in romanischer, slawischer oder orientalischer Hülle verkörpern sollte.«420 Schiller sei »der Triumphator germanischer Bildung« und »Repräsentant von Deutschlands idealer Großmächtigkeit«. »Wir Deutsche sind seit der Zeit seines Todes nicht eins und leider auch nicht einig geworden; aber dieser Eine gehört uns allen, diesen Einen verehren wir alle, und wer 416 417 418 419 420

Morgenpost, 25. Oktober 1859, 28. Oktober 1859, 5. November 1859. Die Presse, 10. November 1859. Ebd. ÖZ, 10. November 1859. Ebd.

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uns diese Liebe vergällt, wer uns diese Freude rauben will, wer uns in dieser Verehrung stören möchte, der stehle sich weg aus dem deutschen Bunde, er fliehe jenseits der Berge oder der Meere hin; in den deutschen Gauen ist sein Vaterland nicht.«421

Schiller solle gemeinsam mit allen »deutschen und nichtdeutschen Brüdern« gefeiert werden, schrieb die Österreichische Zeitung, in Schiller würden alle deutschen Stämme zusammengehen, »und das Band, welches sich durch und mit ihm um unsere Seelen schlingt, wird auch stark genug sein, uns zu einigen in der Stunde der Gefahr, damit wir stehen und kämpfen wie ein Mann für eine Sache, ›ein einig Volk von Brüdern‹, einig im Leben, einig in Sieg und Tod!«422 Man habe es gar nicht nötig, »die Person des Gefeierten mit einer nationalen Bedeutung der Feier […] erst künstlich zu verbinden, man kann ja das Eine vom Andern gar nicht trennen. Schiller […] repräsentiert jene großen idealen Bestrebungen, welche die deutsche Nation mit ihren Dichtern und Denkern in die Mitte der modernen Kulturvölker gestellt. Als diesen Repräsentanten feiert Schiller diese Stadt, ganz Deutschland, die ganze gebildete Welt.«423 Die Schillerfeier wurde sogar zum Maßstab für die Größe des deutschen Vaterlandes erhoben.424 Die Ostdeutsche Post hegte die Hoffnung, dass sich durch ein »gewaltiges Aufflammen der Begeisterung das Uneinige vereint und das Getrennte verbindet« und sich »alle, welche dieselbe Sprache sprechen, auch wirklich als ein Volk fühlen«, sodass »staatliche Einteilung wie etwas Scheinbares und Zufälliges vor dem Wirklichen und Notwendigen: der nationalen Idee, die zum Bewußtsein geworden, verschwinden«.425 »Für Deutschland« habe »die Schillerfeier in diesem Augenblicke eine ernste, weit über rein literarische Zwecke und Interessen hinausgehende Bedeutung«, es gehe in ihr darum, »das alte Problem deutscher Einigkeit zu lösen, und groß und vielfach sind die Schwierigkeiten, die in dieser Riesenaufgabe liegen«.426 Und dennoch wäre die Schillerfeier ein erster Schritt, eine Demonstration des Willens gegenüber den »fremden Nationen« – die mit »schlecht verhehlter Schadenfreude« die »Spaltung und Zersplitterung des Vaterlandes« und seine inneren Kämpfe betrachten –, diese zu überwinden und zu einer staatlichen Einigung zu kommen.427 Als Symbol dieser Einheit solle »von allen Höhen des weiten schönen Vaterlandes, durch alle seine Gauen allem Volke sichtbar leuchtende Flammenzeichen« ent-

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Ebd. Ebd. Ostdeutsche Post, 9. November 1859, S. 3. ÖZ, 6. Oktober 1859. Ostdeutsche Post, 16. Oktober 1859. Ebd. Ebd.

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flammen und so eine optische Verbindung wie beim Nationalfest von 1814 herstellen.428 Die deutsche Einheit berühre Österreich in seiner Substanz. Darum sei die Schillerfeier nach Ansicht der Presse für Wien auch besonders wichtig: »Für uns Österreicher sollte die Feier zu Ehren Schillers eine ganz eigene Bedeutung haben. Sie fiel nicht bloß mit einem ersten freieren Aufatmen unseres öffentlichen Lebens zusammen, sondern sie bot uns zugleich Gelegenheit, zu zeigen, in entschiedener Weise zu zeigen, dass wir uns als Deutsche fühlen, dass wir uns als ein starkes, von Deutschland unabtrennbares Glied betrachten, und dass wir uns trotz alledem und alledem ein warmes Herz erhalten haben, fähig der Begeisterung für ideale Zwecke.«429

Der Anspruch auf österreichische Teilhabe an Deutschland wurde auch an anderer Stelle offensiv vorgetragen: »Auch wir, die Söhne Österreichs, der Grenzmarke Deutschlands, begehen mit festlichem Gepränge den hundertjährigen Geburtstag des größten deutschen Dichters, des Schutzpatrons deutschen Geistes. Wien, die alte deutsche Stadt, die des Reiches Herrlichkeit gesehen und die dem deutschen Reiche einst große Herrscher gegeben, in deren Mitte auch der letzte deutsche Kaiser ruht, Wien zieht heute Festtagskleider an. […] Es ist ein nationales und kein politisches Fest, welches wir begehen. Die Banner, welche heute in Wiens Straßen entfaltet werden, sollen unseren Brüdern im Reiche zeigen, dass wir von Deutschland nicht lassen wollen, dass sie von uns nicht lassen dürfen.«430

Von der Ostdeutschen Post wurde die Teilnahme an der Schillerfeier zum Beweis für die identitäre Positionierung des Staates Österreich stilisiert und zugleich ein Zeichen an die Obrigkeit gesandt, dass es nun an ihr sei, diesen Beweis zu führen: »Österreich hat jetzt die Gelegenheit, zu zeigen, dass es deutsch ist und bleiben will, allen Kleindeutschen zum Trotz. Möge der Schillertag nirgends in den weiten deutschen Landen schöner und festlicher begangen werden als in Österreich, als in Wien! […] Also ein großes, allgemeines, volkstümliches Schillerfest in Österreich, in Wien! Ein solches Fest wäre in diesem Augenblicke mehr als eine dem Genius dargebrachte Huldigung, es wäre eine große und weise nationale Tat! Und wie könnte man das Andenken des nationalen Dichters mehr ehren, als durch eine solche? Freilich müsste die Initiative einer solchen Tat aus den Regionen der Macht kommen.«431

Die »Regionen der Macht« nahmen diesen Faden auf. Über die Anordnungen des Kaisers wurde bereits oben berichtet. Sie wurden durch eine hohe Spendenfreudigkeit der kaiserlichen Familie und der Wiener Aristokratie insgesamt 428 429 430 431

Ebd. Die Presse, 10. November 1859. Extrablatt der »Neuesten Nachrichten« v. 9. November 1859. Ostdeutsche Post, 16. Oktober 1859. Vgl. ÖZ, 6. Oktober 1859.

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ergänzt, deren Großzügigkeit gegenüber der Schillerstiftung in allen Wiener Tageszeitungen regelmäßig veröffentlicht wurde. Auch der Wiener Magistrat beteiligte sich durch finanzielle Zuwendungen und Hilfsleistungen, wie etwa der Aufstellung von Gaspyramiden auf dem Festplatz. Die Resonanz darauf war außerordentlich positiv, wurde aber nicht ausschließlich als Einsatz für die deutschen Ambitionen Österreichs gedeutet. Vielmehr wurden sie auch als Belege für den gewandelten innenpolitischen Kurs der Regierung verstanden: »Die Zeiten furchtsamer Scheu vor jeder Regung öffentlichen Lebens, die Tage polizeilicher Kontrollierung, Hemmung und Zusammenschnürung alles freieren, lauteren Sichkundgebens des Volksgeistes scheinen allen Ernstes vorüber. Beweis dafür ist die Ungehindertheit, mit der sich hier die imposantesten öffentlichen Aufzüge vorbereiten, die Förderung, welche sie allenthalben finden.«432

In einem Bericht der Österreichischen Zeitung aus Schwaben wird deutlich, dass der neue Kurs als eine Kombination aus innen- und außenpolitischer Neuausrichtung der Politik gesehen wurde. In Schwaben stoße demnach die Wiener Festvorbereitung auf positive Resonanz, das Verhalten der österreichischen Regierung gelte »als eine Bürgerschaft dafür, dass das in der Reform begriffene Österreich der Verbindung mit Deutschland den höchsten Wert beilegt. Man erkennt es mit großem Dank und großer Hoffnung an, dass die kaiserliche Regierung für alle Richtungen, in welchen der Volksgeist pulsiert, Sinn und Wohlwollen hat und dem System ungerechtfertigter polizeilicher Beengungen den Abschied gegeben hat«.433

Das Regierungsverhalten wurde gelobt und als erster Schritt auf dem Weg in eine neue Epoche der Geschichte Österreichs gedeutet: »Den Völkerstämmen Österreichs, nicht bloß denen deutscher Zunge, wird die Schillerfeier, die Art und Weise, wie sie sich entfaltet und wie ihre Entfaltung begünstigt wird, als eine schöne Garantie erscheinen, dass das Programm vom 22. August in seiner weitesten Bedeutung zur vollen Wahrheit werden soll.«434 Selbst die Presse stellte sich hinter die Regierungspolitik. Die politische Revolution von 1848 und die ökonomische Revolution der 1850er Jahre seien gescheitert, »die Reform auf beiden muss und wird gelingen«.435 432 Morgenpost, 28. Oktober 1859, 6. November 1859, S. 2; Vgl. auch Ostdeutsche Post, 13. November 1859. 433 ÖZ, 4. November 1859. 434 Morgenpost, 9. November 1859. Vgl. auch Die Presse, 13. November 1859. 435 Die Presse, 13. November 1859; Vgl. ÖZ, 15. November 1859, S. 3. »Ökonomische Revolution« bezeichnet die Phase starken wirtschaftlichen Wachsens seit 1850, die von der Produktion über Handel und Gewerbe bis hin zur Börse alle Bereiche des ökonomischen Lebens erfasste. Beendet wurde sie durch die Weltwirtschaftskrise 1857. Vgl. Wehler, S. 92 – 95. Mit dem Programm vom 22. August sind die am 21. August 1859 vollzogenen Entlassungen von Innenminister Alexander Bach und Polizeiminister Johann Kempen Freiherr

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Die Schillerfeier wurde auf allen Gebieten als Erfolg angesehen. Die Bevölkerung Wiens habe das in sie gesetzte Vertrauen nicht enttäuscht, schrieb Die Presse.436 Aus der Ordnung während der Festtage könne man ersehen, »wie viel man einem Volke anvertrauen kann, wenn man ihm eben Vertrauen schenkt, wenn man sein besseres Bewusstsein erwachen lässt, seinen edlen Gefühlen Raum gibt.«437 »Wien hat eine Probe bestanden«, schrieb die Morgenpost. Der Fackelzug am 8. November habe gezeigt, dass die Wiener Bevölkerung mit den neuen Freiheiten umzugehen wisse. »Der Regierung aber muss der Abend und der Charakter der Bewegung, welcher sie ihre volle Freiheit gelassen, eine hohe Befriedigung sein; er mag ihr als Gewähr dienen, dass die Politik des Vertrauens, im Innern wenigstens, nicht bloß die edelste, sondern zugleich die klügste und sicherste ist.«438 Die Feier habe Männer und Frauen jeglichen Alters, Soldaten, »Menschen fremder Zunge« und sogar einen Slowaken in der Verehrung für den Dichter vereint.439 Die staatsnahe Wiener Zeitung, die über die Schillerfeier vorrangig in der hinteren Blattrubrik »Wissenschaft, Kunst und öffentliches Leben« berichtete und sich weitestgehend jedes über die künstlerischen Aspekte der Feier hinausgehenden Kommentars enthielt, schrieb in einer Rückschau: »Man hat allerwärts empfunden, dass, wo der Name Schiller ausgesprochen wird, dass da Deutschland ist; aus diesem reinen Spiegel ist dem Deutschen Volke sein in der Wirklichkeit so vielfach verzerrtes und zerrissenes Bild in ebenmäßigen, einheitlichen Zügen entgegengekommen, und es hat bei dieser Gelegenheit lebhafter als je gefühlt, dass es für die höchsten Interessen des menschlichen Geistes eine gemeinschaftliche Heimat besitzt. Dieser Zug des Heimatgefühls hat sich auch in Österreich in der erhebendsten Weise kund gegeben. Schiller, das kann man wohl behaupten, ist nirgends mehr gelesen worden, nirgends inniger in Fleisch und Blut des Volkes übergegangen als in Österreich. Wie eine feste Säule steht er seit einem halben Jahrhundert in diesem Lande, eine Säule, um welche sich die allgemeine Bildung geschlungen, an welcher die idealen Interessen einen starken Halt gefunden. Die Männer, welche Österreich von Deutschland abzuschneiden die ebenso frevelhafte als lächerliche Absicht hegen, sie müssten erst Schiller aus den Herzen des österreichischen Volkes reißen, denn durch dieses Band allein – um von anderen nicht minder kräftigen zu schweigen – ist Österreich unauflöslich an Deutschland geknüpft.«440

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von Fichtenstamm gemeint, die zugleich den Beginn des Abbaus des Neoabsolutismus markieren. Die Presse, 10. November 1859. Ostdeutsche Post, 13. November 1859. Morgenpost, 10. November 1859. Ostdeutsche Post, 11. November 1859. Wiener Zeitung, 18. November 1859, S. 6.

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»Das ist des Deutschen Vaterland!« jubelte Die Presse abschließend über die Schillerwoche. »Dieser Gedanke ward lebendig in jedem Geiste, denn zum ersten Mal seit langer, langer Zeit waren die Deutschen einig.«441 Wie bereits in den Festreden finden sich auch hier verschiedene ineinander verwobene Ebenen. Das Einigkeitsthema durchzieht sie alle: die Einheit der Deutschen, in der Schillerverehrung und über die Kulturnation. In der Schillerfeier wurde auch die übernationale Einheit Österreichs, unabhängig von Sprache und Kultur gesehen, die Einheit von Bürgertum und Aristokratie, von Herrscher und Untertanen. Mit der vielfach hervorgehobenen Einheit Österreichs mit Deutschland auf staatlicher Ebene kam ein staatlich-politisches Thema hinzu. In der gesellschaftspolitischen Umbruchsituation wurde die Schillerfeier als Test des neuen Kurses gesehen. Sämtliche Ebenen durchdrangen einander. Besonders die nationalen Ambitionen Österreichs wurden im Zusammenhang mit den innenpolitischen Aspekten gesehen. Letztlich wurde die Schillerfeier in den Zeitungen als Erfolg bewertet. Sie war es, weil während des Fackelzuges beide Seiten – Bürgertum wie Polizei –, es nicht zu Ausschreitungen hatten kommen lassen und erstmals seit 1848 eine bürgerliche Öffentlichkeit in Wien hergestellt werden konnte. Sie war es auch, weil Wien sich in der Feier als deutsche Stadt kenntlich machte und sich so in den nationalen Festraum der deutschen Kulturnation einfügte.

Schiller feiern in der Krise Die in der Wiener Schillerfeier repräsentierten Nationsvorstellungen sind bezogen auf die politische Krisensituation Österreichs nach den außenpolitischen Rückschlägen infolge des Krimkriegs und gegen Italien. Der Monarch und mit ihm das führende deutsche Bürgertum in Wien orientierte sich in ihr nach Deutschland als einer politischen Option und in der Imagination nationaler Verbundenheit der Deutschen auf kultureller Ebene. Über Schiller wurde der Einheitsgedanke thematisiert, der sich als Leitmotiv durch verschiedene Ebenen in der Festdeutung zog. Angesichts des für den Bestand des Staates bedrohlichen nationalen Prinzips, das zum Verlust der Lombardei im Sardinien-Krieg geführt hatte und auch in anderen Teilen des Reiches zunehmend zum Problem wurde, war die Schillerfeier eine Bekräftigung österreichischer Zugehörigkeit zur deutsche Kulturnation und diente zugleich der innenpolitischen Integration. Die Abkehr vom Neoabsolutismus und eine vorsichtige Hinwendung der Obrigkeit zum demokratischen Liberalismus angesichts der staatlichen Krise bestimmte die Deutung 441 Die Presse, 13. November 1859.

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der Schillerfeier ebenfalls. Die in Wien vorgetragenen Einheitsappelle in Richtung Deutschland, aber auch nach innen, auf das vielfach fragmentierte österreichische Staatsvolk, markierten die zahlreichen gesellschaftlichen Bruchstellen in der Donaumonarchie. Sie waren in unterschiedlichen Variationen in der Schillerfeier präsent als: - Einheit in der Schillerverehrung als universal anschlussfähiges Motiv : national, wissenschaftlich, kulturell, geistig usw.; - Einheit in der Liebe zum Fürsten als übernationales Substitut des nationalen Prinzips. Dieses Motiv war von hoher innenpolitischer Relevanz. Der Monarch wurde als integrative Alternative zum nationalen Prinzip dargestellt, die den zentrifugalen nationalen Kräften entgegen wirken sollte;442 - Einheit der Deutschen als kulturelle Grundlage des Gemeinsamen, wie es in der Feier selbst zum Ausdruck kam und als Zukunftsprojektion auf staatlicher Ebene unter der Führung Österreichs; - Einheit der Österreicher, zwischen den verschiedenen im Reich vereinten Nationalitäten, dem Bürgertum und der Aristokratie, den Sozialschichten überhaupt. Das Bürgertum feierte in Wien weitestgehend in Konformität mit der aristokratischen Führung. Indem Franz Joseph I. sich an die Spitze der Festbewegung stellte, wurde er zum bedeutsamen Träger der Wiener Schillerfeier. Sämtliche Aktivitäten des Komitees erfolgten letztlich nur mit Genehmigung der Regierungsstellen. Die Schillerfeier als Prüfstein des neuen Kurses kann als beiderseitig vertrauensbildende Maßnahme verstanden werden. Der Kaiser versicherte sich durch den Schulterschluss mit dem Bürgertum des innenpolitischen Rückhalts und kam im Gegenzug zentralen liberalen Forderungen nach Öffentlichkeit, größeren Freiheiten im Pressewesen und gegenüber der Polizei nach. Die Freiheiten hatten jedoch Grenzen, wie am Beispiel der SchuselkaBehandlung, der Symbol-Zensur im Vorfeld des Fackelzuges und der strengen Überwachung politisch verdächtiger Personen deutlich wurde. Der Kaiser ließ die Zügel locker, aber er ließ sie nicht los. So waren politische Bekundungen in Wien während der Schillerwoche vor lauter Musik und Deklamation kaum zu vernehmen. Auch in Wien fand die reale Lebenswelt Eingang in die Feier : Die Wiener Schillerfeier zeigt das Bild einer nach innen vielfach fragmentierten und auseinandertreibenden Gesellschaft, die sich durch Schiller und die Schillerfeier 442 Dieses Motiv war nicht neu und bereits von Franz I. in den Bestrebungen gegen das napoleonische Frankreich, besonders 1813 genutzt worden. Hannes Stekl: Adel und Bürgertum in der Habsburgmonarchie 18. bis 20. Jahrhundert, Wien 2004 (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien, Bd. 31), S. 38.

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vereint wähnte. Besonders durch die dreifache Einheitsforderung – des Volkes, der deutschen (Kultur-)Nation und Österreichs – zeigte sich das Bürgertum »auf einer ideologischen Gratwanderung begriffen, indem es für sich zugleich eine staatlich österreichische wie eine ethnisch-deutsche Identität zu formulieren suchte«.443 Mit Seitenblick auf die Führer-These von Rainer Noltenius lässt sich für Österreich sagen, dass der Thron des Monarchen keineswegs verwaist war. Auch der Führungsanspruch gegenüber Deutschland und zu dessen staatlicher Einigung wurde in der Wiener Schillerfeier mehr als deutlich erhoben. Dabei kam keineswegs ein Aufgehen Österreichs in Deutschland zum Ausdruck, sondern dessen politischer Führungsanspruch in und selbstverständliche Teilhabe an Deutschland, die in der Presse mit Nachdruck vorgebracht wurde. In diesem Sinne ist auch die konkurrierende Haltung Wiens gegenüber Berlin und dem preußischen Umgang mit der Schillerfeier zu verstehen.

Hamburg Hamburg regierte sich als eine der drei Stadtrepubliken im Norddeutschen Bund selbst.444 In der Stadt war es das Großbürgertum, das die politische Macht ausübte. Bis weit über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus dominierten die alten und vermögenden Bürgerfamilien mit dem Senat und der Erbgesessenen Bürgerschaft die Regierungsorgane Hamburgs.445 Das Großbürgertum hatte seinen Reichtum in der Regel durch Handel erworben. Als wichtigster Glaubensartikel der »herrschenden Ideologie« der Gesellschaft Hamburgs im 19. Jahrhundert galt, dass der (Übersee)Handel die Grundlage des Hamburgischen Wohlstands bilde und dessen Interessen denen der Stadt insgesamt entsprechen würden.446 Die Industrialisierung setzte in der Stadt erst relativ spät ein und wurde auch von der Kaufmannschaft nach Kräften behindert, weshalb es 1859 in Hamburg nur wenige Fabriken gab und das organisierte Handwerk noch immer eine herausragende Stellung einnahm.447 443 Mikoletzky, S. 170. 444 Richard J. Evans: Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Poltik in den Cholera-Jahren 1830 – 1910, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 35. Die anderen waren Lübeck und Bremen. 445 Ebd., S. 37 f. Zugang zur Erbgesessenen Bürgerschaft erlangte man nur, wenn man über unbelasteten Grundbesitz in der Stadt verfügte. »Besitz war also im Hamburg des 19. Jahrhunderts in einem durchaus realen Sinn die Grundlage unmittelbar ausgeübter politischer Macht. Nur wer Kapital besaß, konnte an den Gesetzgebungs- und Verwaltungsentscheidungen teilhaben, die die Zukunft der Stadt bestimmten.« Evans, S. 79. 446 Ebd., S. 60 ff. 447 Ebd., S. 57 f.

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Politisch war das Jahr 1859 für Hamburg – der zu jener Zeit größten und wichtigsten Handelsstadt des europäischen Kontinents – von großer Bedeutung. Nach einem über zehn Jahre währenden Verfassungskonflikt wurde in diesem Jahr die Bürgerschaft erstmals – zumindest teilweise – gewählt und löste die Erbgesessene Bürgerschaft als Verfassungsorgan in der Hansestadt ab. Der Streit ging zurück auf die Zeit der französischen Besatzung und die Eingliederung Hamburgs in das französische Kaiserreich 1810. Mit der Beseitigung der alten Verfassung von 1712 wurden auch Rat und Erbgesessene Bürgerschaft aufgelöst, alle Bewohner politisch gleichgestellt, Justiz und Verwaltung voneinander getrennt, das Finanzwesen reformiert.448 Nach dem Abzug der Besatzer wurde die alte Verfassung jedoch vollständig restauriert.449 Einige Elemente der französischen Verfassung wurden durchaus als vorteilhaft empfunden, jedoch wurden Ansätze zur Verfassungsreform zugunsten der wirtschaftlichen Konsolidierung zunächst zurückgestellt. Erst nach dem großen Brand von 1842 kam wieder Bewegung in die Verfassungsfrage. Es sollte aber bis zur Revolution von 1848/49 dauern, bis mit dem Entschluss zur Wahl einer verfassunggebenden Versammlung, der sogenannten Konstituante, die Erarbeitung einer neuen Verfassung projektiert wurde.450 Der von diesem Gremium erarbeitete Verfassungsentwurf wurde jedoch vom Rat und größeren Teilen der besitzenden Bürgerschaft Hamburgs abgelehnt. Auch in den folgenden Jahren zeigten sich weder der Rat noch die Konstituante zu Kompromissen bereit. Im Streit um die Verfassung ging es auch um die Machtposition des Großbürgertums und den Wunsch des Mittelstands, Zugriff auf politische Machtposition zu erlangen. Nach dem Brand von 1842 war dem von Großkaufleuten beherrschten Senat strukturelle Unfähigkeit vorgeworfen worden. Die städtische Opposition organisierte sich in den 40er und 50er Jahren zunehmend in Bürgervereinen, weil ihr eine direkte politische Einflussnahme auf die Regierungsgeschäfte nicht möglich war, und stellte sich so in Opposition zur Oligarchie des städtischen Großbürgertums.451 Der Ruf nach einer Verfassungsreform wurde dabei immer lauter. 448 Gerhard Ahrens: Von der Franzosenzeit bis zur Verabschiedung der neuen Verfassung 1806 – 1860, in: Werner Jochmann, Hans-Dieter Loose (Hg.): Hamburg. Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner, Bd. 1, S. 415 – 490, S. 422 – 423; vgl. Hubertus-Hinrich Behncke: Kleinstaatliche Verfassungspolitik im Zeitalter der Reaktion. Hamburger Verfassungskämpfe 1852 – 1856, Kiel 1974; Hans Wilhelm Eckardt: Privilegien und Parlament. Die Auseinandersetzungen um das allgemeine und gleiche Wahlrecht in Hamburg, Hamburg 1960, bes. S. 19 – 28. 449 Obwohl einige Elemente der französischen Verfassung durchaus als vorteilhaft empfunden wurden. In den Folgejahren kam es daher auch zu einigen Reformanläufen, die allerdings zu Gunsten einer wirtschaftlichen Konsolidierung der Stadtfinanzen zunächst zurückgestellt wurden. 450 Ahrens, S. 472 – 476. In Hamburg blieb es während der Revolution insgesamt weitgehend ruhig. 451 Evans, S. 69 f.

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Preußen und Österreich, bei deren Regierungen unter anderem die liberale Presse in Hamburg auf wenig Begeisterung stieß, waren ebenfalls in den Konflikt verwickelt.452 1849 besetzten preußische Soldaten, die sich nach der schleswigholsteinischen Erhebung gegen Dänemark auf dem Rückweg befanden, die Stadt, von Januar bis Juli 1851 österreichische Truppen, die eigentlich zur Unterstützung der Bundesexekution gegen Holstein vorgesehen waren. In beiden Fällen waren Unruhen in der Vorstadt St. Pauli zum Anlass für die Besetzung genommen worden. Während 1849 die Militärpräsenz vom Rat für ein energischeres Auftreten in den Verhandlungen mit der Konstituante genutzt wurde, kam er 1851 österreichischen Forderungen nach einer Verschärfung der Pressegesetze nicht nach, sah sich aber veranlasst, eine Revision des Versammlungsund Vereinsgesetzes zu erwirken.453 Die »Neue Ära« in Preußen verschaffte auch den Hamburgern größere Handlungsfreiheiten. Zusätzlich hatte die schwere Wirtschaftskrise von 1857, von der Hamburg schwer getroffen worden war, die Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen, unter anderem der städtischen Finanzen, befördert.454 Beides führte letztlich dazu, dass der Verfassungskonflikt doch noch beigelegt werden konnte. Man einigte sich darauf, zunächst die Wahl der Bürgerschaft durchzuführen, um dann zwischen dieser und dem Rat die inhaltlichen Fragen der Verfassung zu verhandeln. Unmittelbar nach der Schillerfeier fanden im November 1859 diese ersten Wahlen zur Bürgerschaft statt. Nach wenigen Monaten konnte dann die neue Verfassung im September 1860 in Kraft treten. Durch sie wurde unter anderem die Erbgesessene Bürgerschaft endgültig durch eine teilweise gewählte Bürgerschaft abgelöst, Gewaltenteilung eingeführt, das städtische Finanzwesen grundlegend reformiert.455 Hinsichtlich der deutschen Nationalbewegung waren die Hamburger zunächst sehr zurückhaltend. Im Hamburger Bürgertum fand sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts »nur wenig nationale Begeisterung. […] Man wollte die Freiheit, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, nicht aber in ein größeres Staatswesen eingegliedert werden«.456 Abgesehen von der Schles452 Die milde Handhabung der Zensur in Hamburg machte Hamburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aber auch »zu einem Mittelpunkt für demokratisch gesinnte Intellektuelle«. Ahrens, S. 458. 453 Ahrens, S. 478, 481. 454 Vgl. Helmut Böhme: Wirtschaftskrise, Merchant Bankers und Verfassungsreform. Zur Bedeutung der Weltwirtschaftskrise 1857 in Hamburg, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Nr. 54 (1968), S. 77 – 127. 455 Ahrens, S. 482 – 485. 456 Evans, S. 26 ff. Evans führt dies auf die vielen Auslandskontakte der Handelshäuser zurück und auf die Ausbildungspraxis der Kaufmannsfamilien, die ihren Nachwuchs in der Regel in die überseeischen Auslandsvertretungen verschickte, um das Gewerbe zu erlernen.Über den lokalpolitischen und -historischen Kontext der Hamburger Schillerfeier und insbe-

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wig-Holstein-Frage fanden während der 48er-Revolution nationale Aspekte in Hamburg nur geringen Widerhall. Und auch nach 1848 wandte sich der Senat konsequent gegen die Errichtung einer wirksamen deutschen Zentralgewalt.457 Vor diesem Hintergrund bereitete der Direktor des »Hamburger Musikvereins«, Georg Dietrich Otten (1806 – 1890),458 im Sommer 1859 eine Aufführung von Beethovens 9. Sinfonie zur 100-Jahr-Feier des Geburtstags von Friedrich Schiller vor. Erste Absprachen zwischen Otten und dem Hamburger Philosophen und Privatdozenten Dr. Jürgen Bona Meyer (1829 – 1897) über die Ergänzung der musikalischen Darbietung mit Redebeiträgen oder Dichtungen waren bereits erfolgt, als sich ein größerer Kreis des Hamburger Bildungsbürgertums der Angelegenheit annahm und am 11. September 1859 auf Einladung des Hamburger Dichters Adolf Strodtmann (1829 – 1879) unter Einbeziehung Ottens und Meyers zusammenkam, um Möglichkeiten einer allgemeinen und öffentlichen Schillerfeier in Hamburg zu besprechen.459 Nachdem in Erfahrung gebracht werden konnte, dass weder vom Hamburger Zweigverein der Schillerstiftung noch anderweitig eine Veranstaltung geplant war, bildete sich ein zunächst vorläufiges Komitee und begann mit den Planungen einer möglichst allgemeinen, öffentlichen Schillerfeier, deren etwaige Überschüsse zugunsten der Deutschen Schillerstiftung Verwendung finden sollten. Erstes Ziel der Festplanungen war es, »eine möglichst große Anzahl von bekannten Männern Hamburgs, die alle Stände und Berufszweige« umfassen sollte, in die Planungen

sondere deren Bedeutung im Rahmen bürgerlicher Identitätsfindungs- und -bildungsprozesse vgl. insbesondere Dirk Brietzke: Symbolische Repräsentation und politische Emanzipation. Die Hamburger Schiller-Feier 1859 und die Errichtung des Schiller-Denkmals, in: Dirk Hempel (Hg.): Andocken. Hamburger Kulturgeschichte 1848 – 1933, Hamburg 2012, S. 18 – 38. 457 Evans, S. 27. Hamburg trat auch als letzter der norddeutschen Staaten dem neuen Bund und 1871 dem Reich bei. 458 Der Komponist und Dirigent Georg Dietrich Otten (1806 – 1890) begründete 1856 den Hamburger Musikverein. 459 Endrulat, S. 2 – 3; Jürgen Bona Meyer (1829 – 1897) war Philosoph und Mitherausgeber des Hamburger Wochenblatts, Dozent am Akademischen Gymnasium und engagiert im Bereich der Kultur- und Bildungspolitik in Hamburg. ADB 55, S. 560 – 563. 1871 veröffentlichte Meyer in der HZ einen Aufsatz zur Geschichtsphilosophie. Jürgen Bona Meyer : Neue Versuche einer Philosophie der Geschichte, in: HZ 25 (1871), S. 303 – 378. Adolf Strodtmann kämpfte als Kieler Student 1848 im Freiwilligenheer gegen Dänemark, wurde dabei schwer verwundet und geriet in dänische Kriegsgefangenschaft. In den 1850er Jahren studierte er in Bonn, musste die Stadt jedoch wegen seiner radikalen demokratischen und republikanischen Schriften verlassen. In Paris traf er sich mit exilierten deutschen Demokraten, bevor er 1852 nach Amerika ging. 1856 kam Strodtmann zurück nach Europa und ließ sich in Hamburg nieder, wo er als Lehrer und Schriftsteller tätig war. 1870/71 begleitete er als eine Art früher »embedded journalist« die deutsche Armee in den Krieg gegen Frankreich und ließ sich anschließend in Berlin als Journalist nieder. ADB 36, S. 605 – 611.

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einzubeziehen.460 Nach verschiedenen Planungstreffen wurden am 18. September 1859 der bisherige vorläufige Komitee-Vorsitzende, Meyer, und die vorläufigen Schriftführer, Dr. J. R. Bartels und Bernhard Endrulat (1828 – 1886), in ihren Ämtern bestätigt und zur Heranziehung weiterer Komitee-Mitglieder nach ihrem Ermessen beauftragt.461 Am 19. September 1859 trat das erweiterte Komitee für die Schillerfeier in Hamburg zusammen und nahm seine Planungstätigkeit auf. An die Stelle des 1. Vorsitzenden trat Dr. Gustav Buek (1820 – 1874), Jürgen Bona Meyer wurde 2. Vorsitzender.462 Insgesamt bestand das Komitee aus 24 Mitgliedern, überwiegend Angehörigen des Bildungsbürgertums, Juristen, Beamte und einigen wenigen Kaufleuten. Vertreter des Handwerks war der Ältermann des Tischlergewerks.463 Mit Hermann Baumeister (1806 – 1877), Gustav Buek (1820 – 1874), Theodor Dill (1797 – 1885), Gabriel Riesser (1806 – 1863), Georg Ludewig Ulex (1811 – 1883) und Isaac Wolffson (1817 – 1895) war eine Reihe von demokratisch-oppositionellen Aktivisten im Komitee vertreten. Baumeister, Dill, Ulex und Wolffson waren Mitglieder der Konstituante, Buek Ersatzmann derselben.464 Sie alle waren nach 1859 Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft.465 Riesser, der Zeit seines Lebens für die rechtliche Gleichstellung der Juden kämpfte und 1859 zum ersten jüdischen Richter in den deutschen Staaten ernannt wurde, war während der Revolution von 1848 hervorragendes Mitglied des Paulskirchenparlaments und Mitbegründer des Zweigvereins des Deutschen Nationalvereins in Hamburg.466 Die Organisatoren der Schillerfeier in Hamburg waren demnach dem demokratischen Lager zuzurechnen oder standen diesem zumindest nahe.467 Alle bislang beteiligten Personen, die nicht ins Komitee aufgenommen 460 Endrulat, S. 3. 461 Ebd., S. 7. Endrulat brach ein Studium der Philosophie und Philologie in Berlin 1849 ab und beteiligte sich als Soldat an den Kämpfen in Schleswig-Holstein, wo er nach Ende des Krieges blieb. Zwischen 1854 und 1864 war er in Hamburg als Lehrer für Geschichte und Literatur tätig. Nachdem er Hamburg 1864 wieder verlassen hatte, verdingte er sich als Redakteur, Schriftsteller, Lehrer und Archivar. ADB 46, S. 362 – 363. 462 Der Arzt Buek war 1848 Ersatzmann für die Konstituante und wurde 1859 in die Bürgerschaft gewählt, der er insgesamt mehr als zehn Jahre angehörte. Buek engagierte sich auch für die Errichtung des Schiller-Denkmals und in der Bildungspolitik. Wilhelm Heyden: Die Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft 1859 – 1862. Festschrift zum 6. Dezember 1909, Hamburg 1909, S. 23 f. 463 Endrulat, S. 8. 464 Werner Schubert (Hg.): Berichte über die Verhandlungen der konstituierenden Versammlung in Hamburg (1848 – 1850) und Verfassung des Freistaates Hamburg nebst den dazugehörigen organischen Gesetzen, Bd. 1, Vaduz 1992, S. XXII – XXVII. 465 Vgl. Heyden. 466 ADB 28, S. 586 – 589. 467 Etwa die Festredner Anton R¦e (1815 – 1891; Mitglied der Konstituante, Mitglied der Bürgerschaft ab 1859) und Karl Heinrich Schleiden (1809 – 1890; Mitglied der Bürgerschaft 1859 – 1865).

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worden waren, wurden zum »großen Komitee« zusammengefasst, das über die Planungen laufend informiert wurde, und hatten so die Möglichkeit, bei Bedarf Vorschläge einzubringen oder Bedenken anzumelden.468 Die Reform, das Volksblatt für Hamburg und den Norden zeigte sich unzufrieden mit der Zusammensetzung des Hamburger Schillerkomitees, in dem nicht nur die Hamburger Schriftsteller nicht ausreichend vertreten seien, sondern auch die Vertreter der Hamburger Tagespresse fehlen würden. Das Komitee, so die Vermutung der Reform, habe wohl kein Interesse an einer populären und volkstümlichen Feier: »Wie die Sachen stehen, scheint die Schillerfeier eine doktrinär gefärbte F¦te, von der das Volk Nichts hat und Nichts versteht, werden zu wollen«, giftete das Blatt in Richtung der Festorganisatoren.469 Gegen den Vorwurf der Nichtbeachtung verwahrte sich das Komitee in einer kleinen Meldung im neu begründeten und von Emil Lehmann und Jürgen Bona Meyer herausgegebenem Hamburger Wochenblatt. Die Vermissten, so das Wochenblatt in einer Replik auf die Reform, seien durchaus zu den Beratungen des Komitees eingeladen gewesen, hätten dieses aber abgelehnt oder seien schlicht nicht erschienen. »Andere konnten leider nicht eingeladen werden, wenn man nicht einander feindliche Elemente zusammenbringen wollte. Unter solchen Rücksichten ist ein Komitee gebildet aus den verschiedensten Ständen, das keineswegs die Absicht hat, die Schillerfeier zu einer doktrinär gefärbten F¦te zu machen. Wer sich davon überzeugen will, mag die vom Komitee öffentlich angekündigten Sonntagsversammlungen besuchen.«470

Die Reaktion der Reform ließ nicht lange auf sich warten. Man hätte für das Unternehmen die Unterstützung durch einen oder mehrere Senatoren einholen müssen, um zumindest symbolisch das Zusammenwirken von Regierenden und Volk für die beabsichtigte Nationalfeier aufzuzeigen. Die Nichtbeteiligung von Journalisten stellte die Reform nun als journalistisch sinnvollen Akt dar : Das Fernbleiben von Pressevertretern im Komitee, so die Reform, ermögliche den Zeitungen eine größere journalistische Unabhängigkeit in der Berichterstattung über die Schillerfeier und damit auch eine Kommentierung der Komiteearbeit, ohne auf irgendwelche Befindlichkeiten Rücksicht nehmen zu müssen. Die Bewahrung der journalistischen Unabhängigkeit sei schließlich der tatsächliche Grund gewesen, warum die Reform den Beratungen ferngeblieben sei.471 Das Hamburger Schillerkomitee organisierte sich in vier Sektionen (Finanz-, artistische, volkstümlich-künstlerische und Festmahl-Sektion) und trat am 26. September 1859 mittels einer Bekanntmachung in verschiedenen Hambur468 469 470 471

Endrulat, S. 8. Reform, 27. September 1859, S. 2. Hamburger Wochenblatt,1. Oktober 1859, S. 7. Reform, 5. Oktober 1859, S. 3.

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ger Zeitungen an die Öffentlichkeit. Angekündigt wurde darin eine möglichst gehaltvolle Säkularfeier Friedrich Schillers, »ein wahres Nationalfest«, in der sich Rede, Musik, dramatische und bildende Kunst »zu einer einheitlichen Darstellung des schillerschen Genius verbinden sollen, und der auch eine von heiterem Ernste getragene Geselligkeit nicht fehlen würde«.472 Die notwendigen Finanzmittel für die Veranstaltung wurden über Subskriptionsbögen in der Hamburger Bevölkerung aufgebracht.473 Ein auf den 10. November 1859 fallender lokaler Buß- und Bettag führte bereits zu Beginn der Festorganisation zu Streitigkeiten zwischen den Organisatoren, welche sich schließlich darauf einigten, in einer am 21. Oktober eingereichten Bittschrift an den Senat die Verlegung des Bußtages zu erbitten oder, falls dem nicht entsprochen werden könne, zumindest die Erlaubnis zur Abhaltung einer Gedenkfeier am Nachmittag oder Abend desselben Tages zu erhalten.474 Der Senat wies das Anliegen zurück, worauf eine zweite, umfangreichere Bittschrift verfasst wurde, in der das Komitee auf die nationale Bedeutung der Feier hinwies und die Wichtigkeit einer gleichzeitig mit den in ganz Deutschland stattfindenden Schillerfeiern auch in Hamburg betonte. Hamburg, so das Hauptargument, würde sich zu seinem eigenen Schaden selbst ausschließen und isolieren, wenn es nicht am 10. November 1859 mit allen Deutschen gemeinsam den Tag begehen könne. Daher erbat das Komitee erneut, bestärkt durch etwa 540 Unterschriften aus öffentlicher Auslegung der Bittschrift, den Feiertag zu verschieben oder eine Gedenkfeier zu Ehren Friedrich Schillers am selbigen Tage nach Beendigung der Bußtagspredigten zu erlauben.475 Doch auch diese zweite Bittschrift wurde vom Senat am 10. Oktober 1859 zurückgewiesen, worauf sich das Komitee auf die Planung einer Schillerfeier vom 11. bis zum 13. November 1859 konzentrierte. Überlegungen, die Feier in eine der benachbarten Ortschaften zu verlegen, wurden abschlägig beschieden. Der eigentliche Geburtstag Schillers wurde daher in Privatkreisen in Hamburg oder in den umliegenden Städten gefeiert.476 Im Verlauf der weiteren Planung wurden Schulfeiern angeregt, das Stadttheater für eine Hauptfeier am 11. und eine Festaufführung von Schillers »Wilhelm Tell« am 12. November 1859 angemietet. Für beide Veranstaltungen ließ das Komitee in öffentlichen Wettbewerben Festprologe ausschreiben. Aus

472 473 474 475

Endrulat, S. 11 – 12. Ebd., S. 223 – 225. Ebd., S. 16 f.; vgl. Volksfest, S. 5; Lyser, S. 3 f. StaHH 111 – 1 Senat Cl. VII Lit Ha Nr. 3, Vol. 68; Endrulat, S. 19 – 22; Vgl. Hamburger Wochenblatt, 1. Oktober 1859, S. 5 – 6. 476 Endrulat, S. 89.

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den anonym eingesandten Beiträgen wurde zweimal ein Text von Bernhard Endrulat gekürt und für die Aufführung ausgewählt.477 Nachdem am 9. November 1859 eine erste »offizielle« Vorfeier in der Lehranstalt von Dr. Friedrich Dörr in der Vorstadt St. Pauli stattgefunden hatte, waren am 100. Geburtstag Friedrich Schillers in Hamburg weite Teile des mittleren und oberen Bürgertums mit Vorbereitungen für die bevorstehende Schillerfeier beschäftigt. In den lokalen Zeitungen wurde das Programm des Schillerkomitees für die bevorstehenden Festtage veröffentlicht.478 Diese wurden am Freitag, dem 11. November 1859, mit Kanonenschlägen von Schiffen im Hamburger Hafen und dem Festgeläut der Hamburger Hauptkirchen eröffnet, das auf Anfrage des Schillerkomitees von der Hamburger Kirchenbehörde angeordnet worden war.479 Häuser, Straßen, Schiffe im Hafen und auf der Binnenalster waren festlich geschmückt. Der Antiquar J. S. Meyer verteilte vor seinem Geschäftslokal eine erhebliche Anzahl kostenfreier Drucke des »Lieds der Deutschen« von Hoffmann von Fallersleben an das vorbeiströmende Publikum.480 An den meisten Schulen der Stadt, dem Akademischen und Realgymnasium, der Gelehrtenschule des Johanneums, verschiedenen privaten Lehranstalten, auch an Mädchen- oder Armenschulen, fanden am Vormittag Schulfeiern statt, die in Gedichten, Rezitationen, Liedern und Festreden Schillers Rolle für die Jugend und die Deutschen in den Mittelpunkt stellten. Das Komitee ließ 1000 Schiller-Gedichtbände drucken und an einen Teil der Schüler verteilen.481 Ab 18 Uhr fand im nicht ausverkauften Stadttheater die Hauptveranstaltung des Komitees statt, eine Mischung aus Musikdarbietungen, Reden und von Mitgliedern des Künstlervereins entworfenen »Lebenden Bildern«, die unter Mitwirkung Hamburger Lokalprominenz Szenen aus Schillers Dichtung darstellten.482 Die räumliche Kapazität des Hauses beschränkte sich auf rund 2200 Zuschauer, was die Öffentlichkeit der Theaterfeier von vornherein einschränkte.483 Auf die Zusammensetzung des Publikums konnte das Komitee zudem über die Höhe der Eintrittspreise einwirken, da ihm mit der Anmietung 477 478 479 480 481

Ebd., S. 52 f. Der Mietvertrag ist abgedruckt bei Ebd., S. 45 – 48. Ebd., S. 81 – 84. Zur Vorfeier in St. Pauli siehe Ebd., S. 87 f. Endrulat, S. 89 f.; Volksfest, S. 7. Ebd., S. 90 – 94. Ebd., S. 94 – 107. Volksfest, S. 7 – 11. Die für diesen Tag vorgesehene Verteilung von 1000 Gedichtbänden, die das Komitee herstellen ließ, musste auf den nächsten Tag verschoben werden, da die Bücher nicht rechtzeitig fertig gestellt worden waren. Ebd., S. 106. Die Schüler der Armenschulen wurden nicht berücksichtigt, weil »selbst die ältesten Zöglinge dieser Schulen sich« infolge des pietistischen Geistes, in dem diese Schulen geleitet würden, »nicht auf dem Standpunkte befänden, der zum Verständnis einer derartigen Gabe erforderlich ist«. Endrulat S. 62. 482 Endrulat, S. 107 – 122. 483 Ebd, S. 44.

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des Stadttheaters auch der Verkauf der Eintrittskarten und deren Preisgestaltung zukam.484 Um zumindest eine angemessene Repräsentation der Allgemeinheit auch bei der Hauptfeier zu erlangen, waren im Vorfeld verschiedene Preisregelungen diskutiert worden. Grundsätzlicher oder partiell freier Eintritt war dabei unter anderem mit Verweis auf die aus der Anmietung des Gebäudes entstehenden Verbindlichkeiten abgelehnt worden. Auch Vorschläge über die Erhebung sehr niedriger oder sehr hoher Einheitspreise auf alle Plätze konnten keine Mehrheit erzielen. Letztlich hatte man sich auf eine Erhöhung der Preise bei den guten Plätzen, Beibehaltung der Standardpreise bei den mittleren und Absenkung des Eintritts bei den Plätzen auf der Galerie geeinigt. Mittellose Bevölkerungsteile fanden in den Überlegungen keine Berücksichtigung.485 Zur gleichen Zeit wie die Hauptfeier fanden auch im Thalia-Theater und in den Theatern der Vorstadt St. Georg und St. Pauli Festveranstaltungen ähnlichen Inhalts statt.486

Ein Schillerfestzug für Hamburg Die Einschränkung der Öffentlichkeit bei den Theaterabenden veranlasste die Veranstalter, ihren Anspruch auf große Allgemeinheit in der Beteiligung durch öffentliche Festangebote einzulösen.487 Zu ihnen gehörte die um 20 Uhr begonnene Illumination am Abend des 11. Novembers. Sie bestand aus der festlichen Er- und Beleuchtung von öffentlichen und privaten Gebäuden und führte zu einem Massenandrang auf den Straßen Hamburgs.488 Selbst aus den Vororten strömten Menschen herbei, um sich die Festbeleuchtung anzusehen, weshalb die Torsperre um zwei Stunden auf 24 Uhr verschoben worden war.489 Kaufleute hatten ihre Auslagen gegen Schiller- und Luther-Devotionalien – Luthers Geburtstag fällt ebenfalls auf den 10. November –, ausgetauscht. Sinnsprüche und 484 § 8 des Mietvertrags, Endrulat, S. 47. 485 Ebd., S. 51 f. Endrulat schreibt dort, »dass erfreulicherweise die Bevölkerung Hamburgs, selbst die Kreise, die von ihrer Hände Arbeit leben, wohlhabend genug ist, um nicht sonderlich das Geschenk eines Theaterbillets zu bedürfen«. 486 Ebd., S. 134 – 137. Die Theater der Vorstadt waren im Vorfeld vom Komitee um die Abhaltung »möglichst gehaltvoller« Feiern ersucht worden, eine Kooperation zwischen Thalia und Stadttheater wurde angestrebt, kam aber nicht zustande. Ebd., S. 49. 487 Ebd., S. 63. 488 Ebd., S. 122 – 133; Volksfest, S. 11 – 17. Vgl. die Sicherheitsanordnung der Behörden, in: J. M. Jappenberg (Hg.): Sammlung der Verordnungen der Freien Hanse-Stadt Hamburg seit 1814, Bd. 28, Hamburg 1860, S. 253. Wie bereits beim Festzug beschrieben, wurden diese Maßnahmen mit der selbständig aufrechterhaltenen Ordnung durch die Festgesellschaft selbst kommentiert. Vgl. hierzu Endrulat S. 132 und das nachfolgende Kapitel zur Festdokumentation. 489 Ebd., S. 67.

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Gelegenheitsdichtung ergänzten den zusätzlich zur Beleuchtung angebrachten Fassaden- und Fensterschmuck.490 Auf der Binnenalster waren geschmückte und erleuchtete Boote des Elbsegelclubs zu sehen. Der Abend klang auf Festbällen aus, etwa im Apollo-Saal mit großem Orchester »für das bürgerliche Publikum« oder im Union-Saal mit Musik und Fest-Dichtungen.491 Am Folgetag veranstaltete der Bildungsverein für Arbeiter in Hamburg im Wörmerschen Saal eine Feier mit Reden, Gesang und Festmahl, der Bildungsverein für Arbeiter in St. Georg hielt eine kleinere Feier in St. Georg mit etwa 300 bis 400 Teilnehmern ab.492 Im Stadttheater fand die (erneut nicht ausverkaufte) »Tell«-Festvorstellung des Schillerkomitees statt, das Thalia-Theater brachte, wie schon am Vortrag, »Wallensteins Lager« auf die Bühne, in St. Pauli und St. Georg wurde »Maria Stuart« gespielt.493 Da die Aufführungen durch Musikdarbietungen oder Festdichtungen ergänzt wurden, endeten sie allesamt spätabends. Alle Veranstaltungen des zweiten Festtages fanden somit bei eingeschränkter Öffentlichkeit und in geschlossenen Räumen statt. Aus Vorplanungen des Künstlervereins, der Turnerschaft und des Hamburger Bildungsvereins für Arbeiter wurde die Idee eines Festumzugs aufgegriffen und für den abschließenden Festtag am 13. November vorgesehen.494 Öffentliche Festzüge waren in Hamburg bekannt, doch »die Idee eines Zuges, an welchem sich nicht nur alle Gewerke Hamburgs, zünftige und nichtzünftige, sondern auch noch viele andere Genossenschaften beteiligen sollten«, wurde nach Endrulats Bericht zunächst mit einiger Skepsis aufgenommen und konnte sich nur langsam durchsetzen.495 So konzentrierte sich die Planungsarbeit hauptsächlich darauf, die in Hamburg als Ämter bezeichneten Zünfte und ihre Vorsteher (Älterleute) sowie Vereine oder andere Verbindungen von einer Teilnahme am 490 Ebd., S. 127. Berücksichtigung fand auch der preußische General und Reformer Gerhard Johann David von Scharnhorst (1755 – 1813), dessen Geburtstag auf 12. November fiel. An der Dammtorstraße wurde – ohne Eingriff der Polizei – der Revolutionär Robert Blum, der im Vormärz führendes Mitglied im Leipziger Schillerverein war, geehrt. Endrulat S. 128. Zur Rolle Robert Blums bei den vormärzlichen Aktivitäten des Leipziger Schillervereins siehe Noltenius 1984, S. 73. Unter den Schriftzügen fanden sich auch kritische Töne. An einem Gebäude An den Mühren stand, formuliert aus der Sicht des toten Schiller : »Im Leben litt ich Kummer / Und Mangel oft an Geld; / Jetzt, in des Todes Schlummer / Ehrt mich die ganze Welt.« Volksfest S. 16. Die hier geäußerte Kritik an dem Missverhältnis von Schillers Lebensumständen und dem materiellen Aufwand für die Schillerfeier 1859 findet sich beispielsweise auch in der überregionalen Denkschrift »Für und wider die Schillerfeier am 10. November«, einem Sonderdruck des »Volksblatts für Stadt und Land zur Belehrung und Unterhaltung« aus Halle von 1859. 491 Endrulat, S. 136 f. Vgl. die zahlreichen Veranstaltungshinweise im Hamburg-Altonaer Festprogramm. 492 Volksfest, S. 17 – 20; Endrulat, S. 144 – 148. 493 Endrulat, S. 137 – 143. 494 Ebd., S. 68. 495 Ebd., S. 67.

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Festzug zu überzeugen und sie nach Möglichkeit in die Vorbereitungen einzubeziehen. In einem Aufruf wandte sich das Komitee direkt an die Gewerbetreibenden, dem »eigentlichen Kern der Bevölkerung«, und teilte ihnen mit, dass ihre Mitwirkung an der geplanten »volkstümlichen Feier des hundertsten Geburtstages des volkstümlichsten deutschen Dichters« besonders erwünscht sei.496 Zur Organisation des Festzuges wurde ein Ausschuss eingerichtet, in den jede »Körperschaft« oder »Genossenschaft« einen Vertreter entsandte und in dem grundlegende Fragen diskutiert und entschieden werden konnten. Auf diese Weise, betont Endrulat, »ward nichts aufgedrungen, sondern jeder Beschluss ging aus der Mitte der Beteiligten selbst hervor«.497 Das erste Planungstreffen fand am 17. Oktober 1859 statt. Bereits Ende Oktober lagen Zusagen einer ganzen Reihe von Vereinigungen vor, darunter von verschiedenen Berufsvereinigungen, den Künstlern der Hamburger Theater, Studierenden des Akademischen und Realgymnasiums und Schülern des Johanneums sowie die »Fabrikarbeiter des Herrn D. Wamosy«.498 Ihnen selbst oblag die Gestaltung der eigenen Festzugsabteilungen. Das Komitee stellte ihnen, soweit noch nicht vorhanden, Musikkorps zur Verfügung, sodass jede Abteilung mit musikalischer Begleitung ausgestattet wurde. Zudem wurde ein großer Chor für die Gesangsdarbietungen auf dem Heiligengeistfeld aufgestellt. Offenbar wollte man sich nicht auf die stimmlichen Qualitäten der Handwerker und Gewerbetreibenden verlassen.499 Das Komitee legte eine Route quer durch die Stadt fest, ausgehend vom Glockengießerwall im Nordwesten der Stadt über den Rathausmarkt und den Großneumarkt in Richtung Millerntor mit Ziel Heiligengeistfeld, auf dem ein bei dem Hamburger Bildhauer Ludwig Winck in Auftrag gegebenes »kolossales Gips-Standbild« Friedrich Schillers errichtet wurde. Hier sollte eine einfache und kurze Feier unter freiem Himmel stattfinden mit Gesang und einer kurzen Festrede, die auf Ersuchen des Komitees Maurermeister Appel übernahm.500 Eine alternative Route um die Binnenalster wurde zugunsten des gewählten Weges abgelehnt mit dem technischen Hinweis, dass dieser durch seine Geradlinigkeit für einen großen Zug besser geeignet sei und angesichts der erwarteten großen Zahl von Zuschauern eine weniger gefährliche Durchführung ermögliche.501 Von den Behörden ohne Einschränkung genehmigt, wurde der Festzug 496 497 498 499

Ebd., S. 68, 76. Ebd., S. 70. Ebd. Ebd., S. 72. Die musikalischen Kapazitäten Hamburgs waren damit überschritten, Hilfe aus Holstein und Hannover musste herangezogen werden. 500 Ebd., S. 71 – 72, S. 75 – 76. 501 Ebd., S. 75 – 76. Dabei wurde vorgetragen, dass der Festzug so durch die Wohngebiete der

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durch polizeiliche Maßnahmen und Anordnungen umfassend gesichert. Die Straßen wurden ebenso wie das Heiligengeistfeld weiträumig abgesperrt, der Zug selbst durch Polizeieinheiten begleitet.502 Diese Maßnahmen waren zuvor vom Komitee zum Anlass genommen worden, einen am Vortag des Umzuges in den Hamburger Zeitungen publizierten Aufruf »An die Bewohner Hamburgs« zu verfassen, in dem der Festzug »unter den besonderen Schutz der hamburgischen Bevölkerung« gestellt und die Erhaltung von Sicherheit und Ordnung in die Verantwortung der Feiernden selbst gerückt wurde.503 Der Zug setzte sich um 12.30 Uhr vom Aufmarschpunkt am Glockengießerwall in Bewegung und durchlief die geplante Route, gesäumt von reichhaltig geschmückten Häusern und einer großen Zahl Zuschauer, ohne Störungen. Seine Spitze wurde durch Dragoner und eine unbewaffnete Infanterieeinheit gesichert, ihr folgte ein Musikkorps und, in Begleitung einiger Adjutanten, der Architekt Julius Meier, der die Aufstellung des Zuges leitete. Nach Oberpolizeivogt Tittel, dem Hauptmann der Nacht- und Polizeiwache, Matthäus, und dem Kommandeur der Hafenrunde, Schütt, folgte das Schillerkomitee, dem Bernhard Endrulat mit einem schwarz-rot-goldenen Banner voran ging, auf dem die Türme des Hamburger Wappens abgebildet waren.504 Darauf folgten Gäste aus Altona, Kiel, Lübeck und Eutin sowie Offiziere des Hamburger Bürgermilitärs. Nach ihnen kamen insgesamt 24 Festzugsabteilungen, in denen ein Großteil der Ämter, Bildungs- und Sportvereine mit zum Teil sehr aufwendig gestalteten Accessoires zur Symbolisierung ihres jeweiligen Berufs, mit Fahnen, Bannern, Kostümen und anderem Schmuck, durch die Stadt zum Heiligengeistfeld zogen.505 Die ersten drei Abteilungen bildeten das Komitee mit seinen Gästen, Schüler und Lehrer der beiden Gymnasien und des Johanneums, der Schulwissenschaftliche Bildungsverein, dramatische Künstler, Gesangsvereine und der Hamburger Künstlerverein.506 Die 4. bis 16. Abteilung bestand aus Vertretern einer Vielzahl von Berufsvereinigungen, die 17. stellte der Bildungsverein für

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Mittelklasse führe und nicht »vorwiegend die Wohnsitze der vom Glück verschwenderisch bedachten Minderheit« bevorzuge. Ebd., S. 76; Volksfest, S. 58; vgl. Verordnungen 61, 63, 64 und 65, Lappenberg, S. 254 – 256. Ebd., S. 76– 77. Offenbar mit Erfolg: »Die eigene Tüchtigkeit und Gesundheit dieses Volkes schrieb ihm vor, wie es sich einem Feste gegenüber, wie dieses eines war, zu verhalten habe«. Endrulat, S. 77. Volksfest, S. 22; Endrulat, S. 150 – 153. Endrulat unterschlägt in seiner Darstellung die Hamburger Türme und stilisiert das Banner zur politischen Demonstration. Vgl. die Abbildung Endrulats in C. Adlers Festzugslithographie. Endrulat, S. 149 – 209. Ob die Reihenfolge der Abteilungen gelost (Volksfest, S. 22) oder von der für den Festzug zuständigen Komiteesektion bestimmt wurde (Ebd., S. 74), lässt sich leider nicht eindeutig klären. Unter Auslassung der Sicherheitskräfte. Volksfest, S. 21 – 28; Ebd., S. 151 – 169.

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Arbeiter, dem Turner und Turnerbund folgten.507 Die 19. bis 23. Abteilung umfasste erneut unterschiedliche Berufsgruppen und Arbeiter Hamburger Fabriken, die letzte Abteilung bildeten schließlich die Mitglieder des Allgemeinen Alsterclubs und seine Untervereine.508 Den detaillierten Beschreibungen des Festzugs ist zu entnehmen, dass in den einzelnen Abteilungen vor allem Symbole der jeweiligen Berufsstände mitgeführt wurden, Miniaturen und Modelle von Werkzeugen und Produkten der einzelnen Berufsstände waren häufig zu sehen.509 Vereinzelt wurde auch auf mittelalterliche Kostümierungen zurückgegriffen, so bei den Klempnern, in deren Abteilung zwei Ritterrüstungen zu sehen waren, oder in der Abteilung des Hamburger Künstlervereins.510 Soweit vorhanden, trugen einzelne Korporationen einheitliche Kleidung, so etwa die Turner oder die Mitglieder des Allgemeinen Alsterclubs.511 Insgesamt jedoch überwog eine bürgerliche dunkle Ausgehkleidung mit Gehrock und Zylinder, ergänzt durch Schärpen und anderen Schmuck, oft in den hamburgischen Farben Rot und Weiß gehalten, die eine sehr deutliche Dominanz über das eher seltene Schwarz-Rot-Gold im Festzug aufwiesen.512 Auf dem Heiligengeistfeld kam es zu einer kurzen Zeremonie mit einer Art Fahnenappell, Gesang und der Rede des Maurermeisters F. Appel. Spontan wurde zum Abschluss der Kundgebung von der Menge Friedrich Kuhlaus lokalpatriotisches Lied »Auf Hamburgs Wohlergehen« gesungen, bevor sich der Zug in Richtung der Stadt wieder auflöste.513 Insgesamt nahmen mehr als 12.000 Personen an dem Festzug teil, die Zahl der Zuschauer dürfte weit darüber gelegen haben. Nicht aktiv beteiligt am Hamburger Festzug waren die Hamburgische Kaufmannschaft, das Linienmilitär, Teile des Bürgermilitärs und der lutherischen Geistlichkeit. Seitens des Komitees wurden Frauen von der aktiven Teilnahme 507 Volksfest, S. 28 – 50; Endrulat, S. 169 – 196. 508 Volksfest, S. 50 – 57; Endrulat, S. 196 – 209. 509 Die Schornsteinfeger symbolisierten dies dadurch, dass sie »in einer ihrem gewöhnlichen, charakteristischen Geschäftsaussehen nachgeahmten Tracht« erschienen. Endrulat, S. 172; vgl. Volksfest, S. 31 und die Darstellung bei C. Adler. 510 Künstlerverein: Endrulat, S. 163 und Volksfest, S. 25 – 27; Klempner : Endrulat, S. 203 und Volksfest,S. 54 – 55. 511 Volksfest, S. 57 512 Der schwarz-rot-goldene Dreifarb erschien in der Regel gemeinsam mit dem Rot-Weiß Hamburgs. Nach beiden Festzugsbeschreibungen übereinstimmend dominant war er bei den Buchhändlern (Endrulat, S. 183; Volksfest, S. 40), den Stuhlmachern (Endrulat, S. 188; Volksfest, S. 43 – 44), den Posamentierern (stellten Dekorationsmaterial für Kleidung her) und Knopfmachern (Endrulat, S. 192; Volksfest, S. 46) sowie den Korbmachern (Volksfest, S. 47). 513 Volksfest, S. 58 – 63; Endrulat, S. 209 – 216. Diese Entladung »vaterstädtischer Gefühle« wird von Endrulat als »Abschwächung des großartigen Eindrucks der Feier« empfunden. Endrulat, S. 214.

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ausgeschlossen.514 Endrulat erklärt das Fehlen der Kaufleute damit, dass ihnen eine Organisation fehle, kritisiert aber zugleich, dass der Anlass diese nicht herbeigeführt habe.515 Das Hamburger Bürgermilitär hatte seinen Mitgliedern offenbar die Entscheidung zur Teilnahme überlassen, nur ein Teil des Offizierskorps nahm letztlich teil.516 Abgesehen von den Frauen, unterlag die Entscheidung zur Nichtteilnahme den Gruppen selbst, die es offenbar wiederum ihren Mitgliedern überließen, wie sie sich in der Sache zu verhalten gedachten, wie etwa die partielle Anwesenheit von Offizieren des Bürgermilitärs belegt. Die Planung und Durchführung des Festzugs war weitgehend auf den »Mittelstand«, die »Gewerbetreibenden«, ausgerichtet, denen eine zentrale gesellschaftliche Position zugeschrieben wurde. Ihre Teilnahme wurde mit dem Charakter der Feier als Volksfest insgesamt verknüpft. Die Entscheidung für die letztlich gewählte Umzugsroute ist durch Hervorhebung der Durchquerung mittelständischer Wohngebiete ebenfalls positiv in Verbindung mit dem Gewerbe gebracht worden. Auch im Festumzug nahmen die in Zünften organisierten Handwerker mengenmäßig den größten Raum ein, wenngleich sie ihn strukturell nicht dominierten. Die Zugspitze wurde bis zur dritten Abteilung von Vertretern des Bildungsbürgertums gestellt. Sie führten die »Gewerbetreibenden« durch die Stadt. Die geistige Führung der Gesellschaft für die Festzeit, wie sie sich aus der Planung und Gestaltung der Schillerfeier insgesamt ergab, wurde auf diese Weise durch eine körperlich-reale Führungsposition ergänzt. Zudem hatte das Komitee dem Zug einen feingeistigen »roten Faden« verordnet, indem jede Unterabteilung auf sein Bestreben hin musikalisch versorgt worden war. Die »eigentliche Mitte der Gesellschaft« bildete auch die Mitte des Festzugs, der nach Kriterien der Produktivität und ihrer Relevanz für die Gesellschaft geordnet scheint: Die Hüter 514 Endrulat, S. 74. 515 Ebd., S. 72. Volksfest, S. 4 – 5. Von den Kaufleuten wurde allerdings eine Sammlung zugunsten einer neuen Glocke für die beim großen Brand von 1842 vollständig zerstörte St.Nikolai-Kirche organisiert. Die Sammlung für die auf den Namen »Concordia« getaufte Glocke wird von Endrulat scharf kritisiert. Lobend hebt er allerdings die Ankündigung einer Gedenkmünzenprägung durch die Hamburgische Bank hervor, die von Endrulat als Vertretung der Kaufmannschaft verstanden wird. Mit dem Ergebnis war er dann allerdings unzufrieden. Vgl. Endrulat, S. 226 f. 516 Endrulat kritisiert das scharf. Seiner Meinung nach sollte in einem republikanischen Staat wie Hamburg »die Ansicht zu allgemeinerem Bewusstsein gelangt sein, dass stehendes Heer und Bürgerwehr nichts Anderes sind, als der Teil des Volkes, dem augenblicklich die Ausübung des Rechts und der Ehre, zum Schutze des Ganzen die Waffen zu tragen, gestattet ist, und dass demnach, wo das ganze Volk ein Volksfest feiert, auch seine bewaffneten Angehörigen natürlich und selbstverständlich hingehören«. Endrulat, S. 73 f. Die Mitglieder der Kirche, die sich von Festanlass und -durchführung distanziert verhielten, werden von Endrulat als »Überkirchliche« oder »protestantische Ultramontane« bezeichnet. Endrulat, S. 78.

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geistiger Produktivkraft und die Produzenten des Geistigen schreiten voran, die Produzenten materieller Güter und die Dienstleister folgen. Eingebettet in ihrer Mitte repräsentieren Arbeiterbildungsvereine und Turner Möglichkeit, Chance und Notwendigkeit lebenslanger körperlicher und geistiger Bildung. Den Abschluss bildeten mit den Mitgliedern des Allgemeinen Alsterclubs schließlich diejenigen, die am schöpferischen Prozess am wenigsten beteiligt zu sein scheinen, deren ökonomische Situation offenbar eine Konzentration auf die Freizeitgestaltung zuließ. Allen nicht aktiv im Festzug vertretenen Teilen der Bevölkerung verblieb die Möglichkeit, als Zuschauer an ihm zu partizipieren. Diese passive Bewunderungsrolle wurde durch die Quartiersleute, die Lebensmittel und Erfrischungen reichten, und die Steindrucker, die während des Umzugs Schiller-Porträts druckten und an die Zuschauer am Straßenrand verteilten, durchbrochen.517 In beiden Fällen verblieben die Zuschauer als Empfänger der Zuwendungen jedoch in einer eher konsumierende Rolle. Anders als im Festzug selbst waren unter den Zuschauern alle sozialen Schichten vertreten.518 Es gab keine von den Organisatoren ausgehenden Ausschlüsse bestimmter Personengruppen, Selbstausschlüsse wurden kritisiert und teilweise auch über die Feier hinausgehend sanktioniert.519 Das Ziel, durch den Festzug eine größtmögliche Allgemeinheit der Feier zu erzielen, wurde erreicht. Ein Blick auf die Stadtkarte Hamburgs von 1859520 zeigt, dass der durch den Umzug beanspruchte öffentliche Raum einen Großteil Hamburgs umfasste. Zehntausende Teilnehmer und Zuschauer machten den Umzug zu einer Massenveranstaltung. Aktive Teilnahme und die Zuschreibung produktiver Funktionen innerhalb der Gesellschaft wurden in ihm optisch erfahrbar miteinander verbunden. Durch seine Position im Festzug verdeutlichte das Bildungsbürgertum seine Leit- und Führungsfunktion. Ihm schritt wiederum mit dem Komitee ein interessegeleiteter Zusammenschluss von Bürgern voran, in dem Vertreter der nachfolgenden bildungsbürgerlichen Abteilungen vertreten waren, denen in dieser Sache eine hervorgehobene Position innerhalb des Bildungsbürgertums zugeschrieben wurde. Im Festzug ist somit eine hierarchische Gesellschaft repräsentiert, die sich an bildungsbürgerlichen Werten 517 Endrulat, S. 182, S. 186. 518 Endrulat berichtet vom sozialen Frieden, der sich an Kontakten zwischen unterschiedlichen Sozialschichten am Straßenrand widerspiegelt. Endrulat, S. 214 – 215. 519 Endrulat berichtet, dass ein Arbeiter von einer der teilnehmenden Fabriken ob seines Entschlusses zur Nichtteilnahme am Festzug in der Folge von seinen Kollegen als untragbar empfunden wurde und seine Arbeit verlor. Endrulat, S. 213 f. 520 Zur Verfügung stand: Plan von Hamburg nebst Umgebung. Nach der Landvermessung unter Leitung des Ober-Geometers H. Stück ausgeführt in den Jahren 1855 – 1859, gezeichnet von M. Roguski, FHH – Baubehörde / Amt für Geoinformation und Vermessung 1998.

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und sozioökonomischen Funktionen der Teilnehmer orientiert. Dem Zuschauer obliegt es, den aktiven Gesellschaftsteilen zustimmend zuzusehen, ihnen Respekt und Bewunderung zukommen zu lassen. Ihren Abschluss fand die Schillerfeier durch ein Festmahl im »Wörmerschen Saal« im engeren Kreis von rund 500 Personen, das vom Komitee ausgerichtet wurde. Auch hier blieben Frauen außen vor. Sie wurden zum Dank ihrer Mitwirkung vor allem bei der Aufführung der lebenden Bilder im Stadttheater im kleineren Rahmen auf der Galerie des Festsaals verköstigt.521 Auch über die Festtage hinaus wirkte die Erinnerung an Schiller in den Alltag der Hamburger hinein. Aus der Schillerfeier ging eine Initiative zur Errichtung eines Schillerstandbildes hervor, das 1866 neben der Kunsthalle enthüllt wurde.522 Eine Reihe von Festdokumentationen erschien in den Monaten nach dem Fest, von denen C. Adlers Faltlithographie die aufsehenerregendste, Bernhard Endrulats epische Dokumentation die umfangreichste sein dürfte. Einige Reden wurden gesondert in den Druck gegeben, verschiedene Lithographien der Festereignisse fanden im Einzeldruck oder in den genannten Publikationen ihren Platz und trugen so zur visuellen Dokumentation des Geschehens bei.523

Festreden in Hamburg Für Hamburg liegt eine größere Zahl dokumentierter Festreden vor, die weitgehend im Anhang der »Schillerfeier in Hamburg« von Bernhard Endrulat enthalten sind. Vereinzelt wurden Reden zusätzlich im Einzeldruck publiziert. Im Rahmen von Schulfeiern gehaltene Reden sind überliefert von Dr. Eduard Meyer und Prof. Christian Petersen, gehalten während der gemeinsamen Schillerfeier des Akademischen und Realgymnasiums und der Gelehrtenschule des Johanneums, sowie von Karl Heinrich Schleiden, J. R. Bartels und Friedrich Dörr, gehalten während der Feiern in ihren eigenen Lehranstalten.524 Weitere von 521 Endrulat, S. 80. 522 Nach mehrfachem Umzug steht das Denkmal von Carl Börner heute in der Nähe des Dammtorbahnhofs neben einem Multiplex-Kino, des Nachts bunt illuminiert. 523 Siehe oben. 524 Eduard Meyer : Festrede zum hundertjährigen Geburtstage Schillers, gehalten bei der gemeinsamen Feier des Gymnasiums und der Gelehrtenschule des Johanneums am 11. November 1859, in: Endrulat, Anhang, S. 94 – 102; Christian Petersen: Rede zu Schillers hundertjährigem Geburtstage bei der gemeinsamen Feier des Akademischen und RealGymnasiums und des Johanneums am 11. November 1859, in: Endrulat, Anhang, S. 15 – 25; Karl Heinrich Schleiden: Festrede zur Schillerfeier, gehalten in seiner Schule am 11. November 1859, in: Endrulat, Anhang, S. 26 – 31; J. R. Bartels: Festrede zum hundertjährigen Geburtstage Schillers. Gehalten bei einer Schulfeier am 11. November 1859 und seinen

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Bernhard Endrulat erwähnte Festreden, etwa von Dr. Piza und Dr. R¦e in der Israelitischen Freischule oder von A. Werdermann, E. H. Wichmann oder Dr. Nathan in verschiedenen Schulen Hamburgs, liegen leider nicht vor.525 Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die zur Verfügung stehenden Ansprachen für einen Großteil der Schulfeiern beispielhaft sind.526 Die Reden wurden in der Regel in festlich ausgeschmückten Versammlungsräumen der Schulen gehalten und waren eingebettet in ein größeres Programm, das Deklamationen Schillerscher Dichtung durch die Schüler und Gesang umfasste. In einigen Fällen war eine Büste des Dichters aufgestellt, teilweise bekränzt oder »von frischem Grün umgeben«.527 Alle Redner auf den Feiern betonten, dass durch die Schillerfeier alle Deutschen ihr Denken und Handeln auf Friedrich Schiller als gemeinsamen Fixpunkt hin ausgerichtet hätten. Am Tag der Schillerfeier, so Bartels, würden »wir alle von einem Gedanken getragen, und alles, was Herrliches durch unsere Seele zieht, findet heute seinen geweihten Mittelpunkt in dem Namen: Friedrich Schiller«.528 Dessen Andenken werde überall da gefeiert, »wo noch die deutsche Zunge klingt«529, weshalb man in Hamburg auch nicht zurückstehen wolle.530 Ein erhebendes Gefühl der Einheit entstehe bereits, so Eduard Meyer, durch den »Hinblick auf die weiten Kreise unseres teuren Vaterlandes, und darüber hinaus,

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Schülern zum Andenken gewidmet, in: Endrulat, Anhang, S. 32 – 38; Friedrich Dörr : Festrede, am 9. November, dem Vorabende von Schillers hundertjährigem Geburtstage, gehalten vor seinen Schülern, deren Angehörigen und einem Kreise von Freunden, in: Endrulat, Anhang, S. 3 – 11. Das Komitee hatte sich schriftlich an verschiedene Schulvorsteher Hamburgs gewandt und darin um Abhaltung einer angemessenen Schulfeier geworben. Zur Planung der Schulfeiern vgl. Endrulat, S. 56 – 63, Beschreibungen der Feiern bei Endrulat, S. 94 – 106 und Volksfest, S. 7 – 11. Zur Feier der Israelitischen Freischule siehe Endrulat, S. 104 – 106, basierend auf dem Bericht eines Lehrers der Schule. Diesem Bericht ist zu entnehmen, dass sich das Programm der Schule nicht sonderlich von denen anderer Schulen unterschied. Auch die Festreden hielten sich demnach in einem vergleichbaren Rahmen. Nach Endrulat schloss Direktor Dr. R¦e seine Rede »mit Hinweis auf die Einigung Deutschlands […], dessen Karte dereinst nicht so bunt aussehen, dessen schwarz-rot-goldenes Banner dereinst triumphierend über die Lande flattern werde«. Endrulat, S. 105. Vgl. auch Volksfest, S. 9. Eine Reihe von Schulvorstehern war im »Schulwissenschaftlichen Bildungsverein« organisiert, der sich für die Abhaltung von Schillerfeiern ausgesprochen hatte (Endrulat, S. 62; Volksfest, S. 11). Da Endrulat auffällige Ausnahmen nennt, ist davon auszugehen, dass er extreme Abweichungen in seiner Darstellung aufgenommen hätte. Vgl. die Zusammenfassungen nicht dokumentierter Festreden bei Endrulat und Volksfest. Dass sich die Reden dennoch nach Schulart und dazugehörigen Adressaten unterscheiden können, belegt ein eher ablehnender Bericht Endrulats über eine Rede des Lehrers Behncke an der Knaben-Armenschule des IV. städtischen Schuldistrikts, in der er versucht habe, die Christlichkeit Schillers über einen Vergleich Schillerscher Dichtung mit Bibelstellen herauszuarbeiten. Endrulat, S. 101 – 102. Bartels, S. 32. Schleiden, S. 28. Dörr, S. 3.

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welche von denselben Empfindungen der Liebe, der Verehrung, des gerechten Stolzes durchdrungen sind«.531 Einheit und Gemeinsamkeit während der Feier stünden dabei in Kontrast zu einer offenbar alltäglichen Uneinigkeit. »Ist es nicht hehr und erhaben«, fragte Heinrich Schleiden, »mit diesen allen zusammen zu stehen? Hebt und trägt es nicht uns alle empor, dass wir uns einig wissen mit allen Männern deutschen Stammes und haben wir nicht hier wenigstens, die wir suchen, die Einheit unseres Volkes? […] Mit allen Besten und Edelsten unseres Volkes lebt ein Gedanke, ein Gefühl in unserer Brust, und Friedrich Schiller heißt die Parole.«532 Bartels stellte diese Einheit als grundsätzlichen Selbstzweck dar. Seiner Ansicht nach habe es immer etwas Erhabenes, »wenn wir sehen, wie eine größere Anzahl von Menschen sich zum gemeinsamen guten Zwecke zusammenfinden. Jeder fühlt sich da getragen von dem Andern und trägt wiederum nach eigener Kraft den Andern«.533 Deutlicher wurde in dieser Hinsicht Eduard Meyer: »Ist nicht das sichere Bewusstsein, dass auch hier wieder ein unvertilgbarer Mittelpunkt gegeben, um den sich deutsche Liebe, deutsche Gesinnung zusammenschließt, ein wahrhaft erhabenes? Trotz aller Zersplitterung, trotz aller Trennung und Zerrissenheit tritt die tief ursprüngliche Einheit der deutschen Nation hier wieder siegreich ans Licht hervor, wie sonst durch Sprache, Sitte, Religion, Recht und Kunst, so diesmal vermittelt durch den Geist der Dichtung. Die Dichtung schlingt hier das unsichtbare Band um so viele Millionen, die räumlich weit getrennt, durch Geschlecht und Lebensalter, durch Standesunterschied und Berufsart, durch intellektuelle Bildung, durch Schicksale und Erfahrungen, kurz in den mannigfaltigsten Beziehungen unendlich verschieden und gesondert leben.«534

In diesen Tenor stimmte auch Friedrich Dörr ein: »So allgemein war nie ein deutsches Fest!«, rief er jubelnd aus und stellte fest, dass die Schillerfeier den Sieg der Deutschen über die Römer in der Varusschlacht, die Krönung Friedrichs I. Barbarossa, sogar das Reformationsfest, »das höchste der Güter«, überstrahle. »Dieses Mal«, so Dörr weiter, »tritt keiner zurück, diese Feier, der Kultus des Genius, vereinigt Alle, denen die Muttersprache, ihre Literatur heilig ist und 531 Meyer, S. 94. Eduard Meyer (1804 – 1884), Pädagoge. 532 Schleiden, S. 28. Schleiden weist auch darauf hin, dass zum Zeichen dieser Einheit vor dem Schulgebäude eine schwarz-rot-goldene Flagge gehisst worden sei; siehe auch S. 29: »Ja, heilig nenne ich diese Stunde, in der so viele tausend Menschen, die sonst hingehen in den Sorgen und Mühen des Lebens, einmal aufjauchzen in Jubel, nicht weil sie durch Speise und Trank erfreut sind, nicht weil die Notdurft des Lebens befriedigt ist, nicht weil sie irgend einen selbstsüchtigen Vorteil gewonnen haben, sondern weil ihr Herz, erhaben über die gemeine Wirklichkeit der Dinge, hineingreif ›in das Ewige des Guten, Wahren, Schönen‹ und von den Flammen der heiligen Begeisterung durchglüht wird.« Hervorhebungen im Original. 533 Bartels, S. 33. 534 Meyer, S. 94 – 95. Hervorhebungen im Original.

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teuer.«535 Bartels verglich die Schillerfeier gar mit der Nachricht vom Sieg gegen die napoleonischen Truppen bei Leipzig 1813 und betonte, dass nur seltenen Ereignissen »solche zaubermächtige Gemeinsamkeit des augenblicklichen Gleichklangs aller Herzen vorbehalten sein [kann], und ein solches Ereignis in der Geschichte der deutschen Nation ist unser Schillerfest«.536 Der 100. Geburtstag Friedrich Schillers wurde von den Rednern als Möglichkeit gesehen, eine als bekannt vorausgesetzte alltägliche Uneinigkeit der Deutschen zu überwinden und Gemeinsamkeit in ihren Gedanken und ihrem Handeln herzustellen. Die mangelnde Einheit wurde als defizitär empfunden und die Säkularfeier des Dichters als willkommene Möglichkeit begrüßt, das Defizit zumindest temporär zu überwinden. Worin die Uneinigkeit besteht, wird an den Ausführungen nicht deutlich. Tatsächlich wurden von den Rednern über die Schillerfeier hinausgehende Gemeinsamkeiten der Deutschen betont, die von der Uneinigkeit nicht berührt schienen und die nicht erst durch die Festhandlungen hergestellt werden mussten. Meistgenannt war hier die Sprache. Gerade hier bestehe eine besondere Verbindung zwischen den Feiernden und dem Gefeierten, stellte Professor Christian Petersen in seiner Rede fest. Kein Mensch sei einfach nur Mensch, vielmehr müsse jeder Mensch »einem bestimmten Volk angehören und eine bestimmte Sprache sprechen«. Die Sprache habe dabei eine herausgehobene Bedeutung für das gegenseitige Verständnis derjenigen, die ihr mächtig sind. »Weil Schiller ein Deutscher war«, so Petersen, »kann er nur von Deutschen ganz verstanden und empfunden werden.«537 Schiller verbinde die Deutschen durch seine Werke, die wiederum auf der Grundlage der deutschen Sprache basieren. Seine Bücher würden sogar von mehr Deutschen gelesen als die Bibel, »die ja aus konfessionellen Gründen von kaum der Hälfte der Deutschen darf gelesen werden«.538 Deshalb, und weil es aus dem freien Willen des »Volkes« hervorgegangen sei, habe das Schiller-Fest eine Berechtigung, als Volksfest bezeichnet zu werden.539 Der von Eduard Meyer getroffenen Feststellung, die deutsche Nation konstituiere sich beizeiten auch über die Religion, widersprach Petersen. Die Religion galt ihm als trennendes Element in der Gesellschaft, während die Sprache diesen Gegensatz in der Dichtung zu überwinden fähig scheint. Petersen sah die Sprache als schöpferische Kraft, die aus dem »Volk« kommend »auch die ihr entfremdeten Männer der Wissenschaft und die Gebildeten zu ergreifen und zu durchdringen« fähig ist und durch deren Wirken wiederum, gleichsam veredelt, auf das »Volk« zu535 536 537 538 539

Dörr, S. 4. Bartels, S. 34. Petersen, S. 17. Hervorhebungen im Original. Ebd., S. 17. Ebd. Diese Äußerung fand nach Bernhard Endrulat bei der Festgesellschaft besonderen Anklang. Endrulat, S. 95.

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rückwirke. »Die deutsche Dichtung hat«, schloss Petersen, seit Wiedererstarken der deutschen Sprache »in neuer Strahlenkrone glänzend das Volk erleuchtet, und die Wissenschaft, welche deutsch reden lernte, hat den Ertrag ihrer mühsam bearbeiteten Schachte dem Volk zum Dank geboten«.540 Als Vertreter dieser Dichtung habe Friedrich Schiller – alle Redner in Hamburg verzichteten auf das dem Dichter 1802 verliehene adlige »von«, um Schillers Zugehörigkeit zum Bürgertum zu verdeutlichen541 – eine herausragende Bedeutung. Während Heinrich Schleiden sich darauf zurückzog, dass sich Schillers Bedeutung für das »deutsche Volk« erst dem Erwachsenen ganz erschließe und seinen Schülern einstweilen den Dichter hinsichtlich Selbstdisziplin, Arbeitseinsatz, Selbstlosigkeit und moralischer Unbedenklichkeit als Vorbild empfahl, sah Eduard Meyer die Verbindung zwischen den Deutschen und Schiller im Bereich des »Idealen«. Schiller gehe in seinen Werken vom Idealen aus und habe dieses der Wirklichkeit und der Erfahrung durch seine Stücke näher gebracht.542 Auch den Deutschen wohne »vom Anbeginn ein […] Hang zu einer idealen Welt und Lebensauffassung inne«. Folglich wurde Schiller, der »idealste Dichter«, zum »Lieblingsdichter der Nation«, weil die Deutschen »mit Schiller dieselbe Geistesrichtung, dieselbe Weltanschauung« teilten.543 »Es muss also der Deutsche«, so Christian Petersen hierzu, »in Schiller gleichsam sich selbst, wenn auch in verschönertem Bilde wiedererkennen, ihn als Vorbild und Ideal deutschen Sinnes, deutscher Geisteshaltung betrachten«.544 Das Ideale, ergänzte Eduard Meyer, sei allerdings nicht naturgegeben, sondern abhängig vom »Maße der errungenen Bildung«, es sei die »Beschaffenheit der idealen Weltanschauung […] von der Bildung des Einzelnen und der Gesamtheit abhängig, ja mit ihr identisch«. In Anlehnung an Schillers »Ästhetische 540 Ebd., S. 22 – 23. 541 Bernhard Endrulat führt diesen Punkt in seiner Kritik an der im Auftrag der Hamburger Bank-Administration geprägten Schiller-Gedenkmünze aus: »Endlich erregt uns das »Friedrich von Schiller« der Umschrift ein sehr unbehagliches Gefühl. Dass das vermodernde heilige römische Reich noch kurz vor seinem Zerbröckeln dem deutschen Bürgerstande seine Zierden, die Göthe [sic!], die Schiller, die Herder, echteste Kinder des Volkes, dies Wort als Gegensatz zu Adel genommen, zu rauben versuchte, will nicht viel bedeuten, dass aber das deutsche Volk sich diese Entfremdung seiner Angehörigen gefallen lässt, ja in sie sogar einstimmt, ist sehr befremdlich; am befremdlichsten aber, wenn Bürger einer Republik auf einer Münze, die sie zu Ehren eines Bürgersohnes schlagen lassen, sich ihres Anrechts auf seine Zugehörigkeit zu ihnen begeben.« Endrulat, S. 226 – 227. 542 Schleiden, S. 29 – 31; Meyer, S. 98; vgl. Dörr, S. 8; zur Vorbildfunktion Schillers für die Schüler vgl. Dörr, S. 5 ff., besonders auch S. 9 – 10; in Bezug auf die Vorbildlichkeit Schillers als auch die Rückbindung des Idealen an die Wirklichkeit dürfte sich Dr. Piza bei der Schulfeier der Israelitischen Freischule ähnlich geäußert haben. Vgl. hierzu Endrulat, S. 105. 543 Meyer, S. 97; Petersen, S. 16, 18. 544 Petersen, S. 18.

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Erziehung in einer Reihe von Briefen« betonte Meyer den Zusammenhang von poetischer, ästhetischer, moralischer und politischer Bildung und begründet daraus die besondere Bedeutung Schillers als »unerschöpflicher Quell der Bildung für alle« und besonders für die angesprochenen Schüler.545 Bartels griff bei seinem Vergleich der Schillerfeier mit einem Sonnenaufgang in den Polargegenden auf das aufklärerische Motiv des Lichts zurück, das mit dem Bildungsbegriff eng verbunden ist. Die Schillerfeier galt ihm als erstes Anzeichen des Sonnenaufgangs nach langer Nacht, weshalb sie als Künder des beginnenden Tages auch besonders freudig begrüßt werde.546 Friedrich Dörr ging in diesem Punkt noch etwas weiter und sah in Friedrich Schiller den begeisternden und mittels Attinghausen im »Wilhelm Tell« zur Einigkeit mahnenden Freiheitsdichter, der, so er noch lebte, die Jugend »für deutsches Recht am Rhein und jenseits der Eider« einzutreten aufrufen würde.547 Zwar habe Schiller selbst »keine aufregenden Freiheitslieder gedichtet, keine Vaterlandslieder, die das Volk hinrissen in heroischer Zeit«, führte Christian Petersen aus, was jedoch an den Zeitumständen der Abfassung seiner Werke liege, die nun mal keine heroische, sondern »eine schlaffe, zerfahrene Zeit« gewesen sei. Schiller sei es aber gelungen, mit seiner Dichtung »das Volk durch Begeisterung für Freiheit und Vaterland vorzubereiten, auf die Zeit der Not und Tat«.548 Für den Abend des ersten Festtags am 11. November 1859 sind Reden von Heinrich Marr (1797 – 1871), gehalten im Thalia-Theater, von Gabriel Riesser, gehalten auf der vom Schillerkomitee organisierten Hauptveranstaltung im Stadttheater, und ein Prolog zu den Lebenden Bildern von Bernhard Endrulat, vorgetragen ebenfalls im Stadttheater, dokumentiert.549 Am 12. November trug Johannes Fritz eine Rede bei der Schillerfeier des Bildungsvereins für Arbeiter in St. Georg vor. Carl Volckhausen (1822 – 1899) sprach bei der Feier des Bil545 Meyer, S. 100 – 101. Hervorhebungen im Original. 546 Bartels, S. 34 – 35; vgl. Dörr, S. 4. Vgl. auch Woytes Rückgriff auf dieses Motiv in Wien, Kapitel »Wien«. 547 Dörr, S. 8. Dies unbeschadet des Schillerschen Kosmopolitismus, der zwar vorhanden, die »Grenzen des Vaterlandes«, das »Heiligtum der Muttersprache« und das »Recht der Nation« aber niemals vergessen habe, weshalb er sich auch von dem Kosmopolitismus der Gegenwart Dörrs grundlegend unterscheide. Schiller selbst habe seine kosmopolitische Haltung als Deutscher entwickelt und gepflegt. 548 Petersen, S. 24. 549 Heinrich Marr : Festrede zur hundertjährigen Geburtsfeier Friedrich Schillers, gehalten am 11. November 1859 im Thalia-Theater zu Hamburg, in: Endrulat, Anhang, S. 63 – 72; Gabriel Riesser : Festrede zum hundertjährigen Geburtstage Schillers, bei der Gedächtnisfeier im Stadttheater am 11. November 1859, in: Endrulat, Anhang, S. 39 – 54; Bernhard Endrulat: Erster Festprolog zur Feier des hundertsten Jahrestags der Geburt Friedrich Schillers. In einem Zyklus lebender Bilder aus Dichtungen Schillers, gesprochen im Stadttheater zu Hamburg am 11. November 1859, in: Endrulat, Anhang, S. 55 – 62.

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dungsvereins für Arbeiter in Hamburg. Bei der Festvorführung im Stadttheater wurde ein zweiter Prolog von Bernhard Endrulat vorgetragen.550 Am 13. November hielt der Hamburger Maurermeister F. Appel während der Hauptkundgebung des Festumzugs auf dem Heiligengeistfeld eine kurze Ansprache, am Abend wurden während des abschließenden Festmahls Toasts gesprochen unter anderem von Gustav Buek, Heinrich Schleiden und Bernhard Endrulat.551 Die auf den Veranstaltungen der Bildungsvereine in Hamburg und St. Georg sprechenden Carl Volckhausen und Johannes Fritz betonten, ähnlich wie die Redner der Schulfeiern, die Einigkeit, die mittels Besinnung auf Friedrich Schiller unter Deutschen hergestellt werden könne. Die Schillerfeier könne in »allen deutschen Gauen und deutschen Herzen« Anklang finden, unabhängig von Konfession und sozialer Stellung, Alter oder Geschlecht.552 Wie mehr als fünfzig Jahre später Wilhlem II., kannte Carl Volckhausen »unter uns heute auf alle Fälle keine verschiedenen Meinungen, keine Parteien«, und Gabriel Riesser fragte die Festgesellschaft im Stadttheater, »in welchen Namen, in welche Erinnerung drängt sich mehr harmonische Empfindung, mehr eng verbundenes Seelenleben der deutschen Nation als in Schiller?«553 Carl Volckhausen und der Schauspieler Heinrich Marr stiegen in ihre Laudatio auf Schiller ein mit einem historischen Rückblick auf Deutschland zur Zeit seiner Geburt. Dabei erzählten beide Geschichten finstersten Niedergangs. Deutschland habe, so Marr, in der Mitte des 18. Jahrhunderts »ein klägliches Bild von Verkommenheit, Unfreiheit und Erniedrigung« geboten, sei dem Materia550 Johannes Fritz: Festrede zum hundertjährigen Geburtstage Friedrich Schillers, gehalten im Bildungsverein für Arbeiter in St. Georg am 12. November 1859, in: Endrulat, Anhang, S. 88 – 93; Carl Volckhausen: Friedrich Schiller, der Dichter der Ideale. Festrede, gehalten am 12. November 1859 im Bildungsverein für Arbeiter in Hamburg, in: Endrulat, Anhang, S. 81 – 87; Bernhard Endrulat: Zweiter Festprolog zur Feier des hundertsten Jahrestages der Geburt Friedrich Schillers. Zu Schillers »Wilhelm Tell« gedichtet, gesprochen im Stadttheater zu Hamburg von Friedrich Devrient am 12. November 1859, in: Ders., Anhang, S. 76 – 80. 551 Die sehr kurze Ansprache von F. Appel ist abgedruckt in Endrulat, S. 212 – 213. Gustav Buek: Dem Andenken Schillers. Erster Trinkspruch beim Festmahle im großen Wörmerschen Saale am 13. November 1859, in: Endrulat, Anhang, S. 103 – 107; Heinrich Schleiden: Den Gästen. Vierter Trinkspruch bei dem Festmahle am 13. November 1859, in: Endrulat, Anhang, S. 108 – 111; Bernhard Endrulat: Der deutschen Poesie. Sechster Trinkspruch bei dem Festmahle am 13. November 1859, in: Ders., Anhang, S. 117 – 120. Weitere, aber nicht alle an diesem Abend vorgetragene Trinksprüche finden sich ebenfalls in Endrulat, Anhang, S. 112 – 116, 121 – 123. 552 Fritz, S. 88 – 90; Volckhausen, S. 82; Riesser, S. 42; Marr, S. 71 – allerdings mit Schwerpunkt auf der großen Spannbreite in der Rezeption Schillerscher Werke. Vgl. auch SchleidenToast, S. 119. Dieser den Gästen aus Lübeck, Kiel und anderen Städten gewidmete Toast sieht in dem Besuch auswärtiger Delegationen einen Beweis der Einigkeit, deren Anwesenheit mache das »Gefühl deutscher Gemeinsamkeit bei diesem Feste« aus. 553 Volckhausen, S. 82; Riesser, S. 40.

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lismus verfallen gewesen, Pietismus, Mystizismus und Freigeisterei hätten als »ansteckende Krankheiten« gewütet, Deutschland habe keine selbständige, sondern eine »französisierte« Literatur besessen, das Bürgertum sei polizeilich bevormundet und verknöchert gewesen, das »Volk« rechtlos und die Fürsten »entnationalisiert«.554 Schiller wurde, ergänzte Carl Volckhausen, in eine Welt geboren, »die in den Fesseln des Despotismus oder in den Banden der Kirche lag – ein Deutschland, das, zersplittert in Hunderte von Staaten, in Gefahr stand, ganz zu zerbröckeln – eine Bevölkerung, gespalten in Herren und Knechte, in wüst Genießende und ärmlich oder spießbürgerlich das des edleren Inhalts bare Leben Fristende, eine Bildung, die sich beschränkte auf die engsten Kreise und die sich bewegte in den engsten Grenzen«.555

Kunst und Wissenschaft hätten über Veredelung und Aufklärung des inneren Lebens zur Erlösung der Deutschen aus diesen Verhältnissen beigetragen. Schiller selbst habe sich »mit rebellischer Feuerseele der geistigen Revolution« angeschlossen, »die allmählich in Deutschland zum Durchbruch kam«.556 Der Dichter erscheint hier als besonders konsequent: »Keiner konnte der gesamten deutschen Nation so als Muster und Vorbild voran leuchten als er, der alles Gewöhnliche und Kleinliche aus seinem Leben wie aus seinen Dichtungen warf und im festen Glauben an die Gewalt des Geistes auf die Erhebung des Menschen über seine selbstsüchtige Natur hinwies.«557

Schiller habe sowohl den Weg der »bildenden Reform« vorgegeben, der Bildung an die Stelle der Revolution setzt, als auch als einer der Ersten bürgerliche Werte offen eingefordert, indem er »dem deutschen Volk zuerst den hohen Mut ein [hauchte], das freie Wort zu üben« oder Gedankenfreiheit zu fordern.558 Schließlich habe er mit »Wilhelm Tell« den Deutschen ein Denkmal gesetzt, das beispielhaft Befreiung aus Unterdrückung durch Einigkeit vor Augen führe.559 Dieses Stück bezeichnete Johannes Fritz als »Mahn- und Weckruf, gesungen der schmachtenden deutschen Nation, als ihre Großen sich zu Schleppträgern fremden Purpurs herbeiließen« und als »Schlachtengesang unserer Voreltern, als sie sich aufrafften, das Joch der Knechtschaft abzuwerfen«, das dem Volk Mut zuspreche und den Fürsten in der Jungfrau von Orleans die Folgen ihrer Un554 555 556 557 558

Marr, S. 66. Volckhausen, S. 82 – 83. Marr, S. 67 – 68. Ebd., S. 68. Über den Marquis von Posa, der sie allerdings von seinem Fürsten erbat. Vgl. Friedrich Schiller : Don Karlos. III. Akt, 10. Scene, in: Ders.: Sämtliche Werke, München 2004, Bd. 2, Seite 126. 559 Marr, S. 69; durch »Wilhelm Tell« sei gar die Bedeutung des »Volks« ideengeschichtlich erst fundiert worden. Ebd., S. 70.

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einigkeit aufzeige.560 Die Siege gegen Frankreich wären nicht möglich gewesen, »wenn unser Schiller nicht durch seine große Vaterlands- und Freiheitshymne ›Wilhelm Tell‹ die Herzen seines Volkes gegen die französische Unterdrückung empört hätte«, betonte Bernhard Endrulat.561 Doch nicht nur am Beispiel »Tells« werde deutlich, dass Schillers Herz am lautesten für Freiheit und Vaterland geschlagen habe. Beide Themenfelder, so Volckhausen, kehrten im Werk des Dichters »in unzähligen Weisen immer wieder«.562 Gabriel Riesser formuliert an dieser Stelle als einziger Redner zurückhaltender : »Wer möchte unter den Ideen und Gefühlen, die unser Dichter verherrlicht hat, diejenigen vermissen, die eine große Gesamtheit erfüllen und einigen, die des Vaterlandes und der Freiheit. Hüten wir uns jedoch, an den Dichter enge Forderungen im Sinne einer besonderen Richtung, und wäre es auch die edelste, zu stellen, die Unendlichkeit seiner Ziele in die Schranken der unsrigen zwängen zu wollen. Die weite, reiche Welt ist des Dichters Gebiet und Eigentum; aus ihr hat Schiller ohne Beschränkung auf nationale Stoffe, ja ohne irgend eine Bevorzugung derselben, den irdischen Inhalt seiner Dichtungen geschöpft.«563

Schillers Bedeutung liege vor allem in seinem Wirken auf den Gebieten der deutschen Sprache und der Bildung sowie seiner Begeisterung selbst, die aus allen seinen Werken spreche. Zwar habe Schiller die Vaterlandsliebe gepriesen, doch habe er allein »durch sein Dichten und Schaffen, durch den Glanz und die Macht, die er der Sprache, dem eigentlichsten Ausdruck des tiefsten Lebens jedes Volkes, verliehen, durch den Ruhm, mit dem er die deutsche Literatur gekrönt hat, die Liebe der Deutschen zu ihrem Vaterland auf eine höhere Stufe gehoben«. Schiller habe die Liebe zur Sprache und damit auch zum »Volk« erhöht, »dessen Organ der Einheit, dessen lebendig verknüpfendes Band die Sprache ist«.564 560 Fritz, S. 92. 561 Endrulat Toast, S. 119; in lyrischer Form ausgedrückt: »Ein Volk von Tellen hat sein Joch zerbrochen / Und deutsche Fahnen wehten bis Paris!« Endrulat, Prolog II, S. 79 [Hervorhebungen wie dort –tl]; vgl. Endrulat, Prolog I, S. 57, 60. 562 Volckhausen, S. 84 – 85. Dabei werde die schönste Freiheit nach Ansicht des Redners in der Republik verwirklicht. 563 Riesser, S. 46 – 47. 564 Ebd., S. 41, 47; diese vorsichtige Haltung wurde nicht honoriert. Nach Endrulat war das Publikum von der Rede enttäuscht. Wohl um den hochgeschätzten Redner nicht zu hart zu kritisieren, erklärt Endrulat dies zunächst mit einer gesundheitsbedingten Beeinträchtigung der Stimme des Redners. Tatsächlich scheint Endrulat den Misserfolg der RiesserRede darin zu sehen, dass die nationale Bedeutung des Dichters und der Freiheitsinhalt seiner Dichtung nicht angemessen gewürdigt wurde: »Vielleicht […] fehlte es auch einigermaßen an solchen Stellen in der Rede und fehlte es in Folge eines gewissen keuschen Sinnes des Redners, der alles vermied, was wie ein Anruf der augenblicklichen Sympathien, wie ein Tages-Stichwort geklungen hätte. Das aber freilich erwartete das Publikum, oder vielmehr : das war ihm an jenem Abende vollstes Herzensbedürfnis. […] Ein kräftiger, stolzer Hinweis auf die geistige Herrlichkeit der deutschen Nation, zu der Schiller sie erhoben hat, ein zuversichtlicher Ausblick auf die Verwirklichung der Freiheits- und Va-

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Über Schiller werde die deutsche Poesie selbst, die »große herrliche Geistesmacht«, verherrlicht. Sie habe bei den Deutschen einen besonderen Stellenwert, sei ihnen »das Leben selbst und das höchste Gut«.565 Sie habe die deutsche Nation in bedrängten Zeiten zusammengehalten, sie in ihrer Selbständigkeit erhalten können.566 Das gelte bis in die Gegenwart: »Noch sind wir mitten im schweren Ringen um unsere nationale Gestaltung begriffen, noch dreißigfach gespalten, gehen die Wünsche unserer Stämme nach den verschiedensten Seiten auseinander – und doch sind wir eine Nation, eine einige geschlossene Nation, wir sind es durch das alle umschlingende Band einer großen poetischen Nationalliteratur! Und wenn sich die edle, höchst berechtigte Forderung nach vollständiger nationaler Einigung Tag für Tag, Schritt für Schritt, allmählich, aber sicher, ihrer Erfüllung nähert, wer hat einen größeren Anteil an diesem Erfolg als gerade die deutsche Dichtung.«567

Eine weitere Verbindung zwischen dem Dichter und den Deutschen wurde, wie schon von den Rednern bei den Schulfeiern, im Idealismus gesehen. Die Schillerschen Ideale nämlich »sind kein willkürliches Erzeugnis einer Poetenlaune, sondern sie sind Produkte des deutschen Geistes. Jene Ideale von Freiheit und Vaterland, von Frauenwürde und Freundestreue, von Sittlichkeit und Humanität – sie sind aus dem Grunde des germanischen Volksgeistes geschöpft. Jene Schillerschen Ideale sind die deutschen Ideale – die Ideale unseres Volks«.568 Schiller habe diese Ideale neu befruchtet und die Deutschen, die ihnen fremd geworden seien, mittels seiner Poesie wieder für diese Ideale begeistern können. Darin liege sein Erfolg begründet, denn »indem der Dichter dem Volke so gleichsam nur dessen eignes Innere erschloss, weil er ihm nicht Fremdes brachte, sondern nur sein Ureignes, darum hat er auch ein so gewaltiges Echo in der Nation gefunden« und konnte zum »Hüter unserer besten sittlichen Schätze«, »Herold der deutschen Freiheit« und »Prophet des einigen deutschen Reichs« werden.569 Dabei bleiben Schillers Ideale nicht abgehoben und fern der Lebenswelt verhaftet, sie streben vielmehr danach, in der Realität umgesetzt zu werden. Die gesellschaftliche Entwicklung erschien etwa Carl Volckhausen als Geschichte des Fortschritts, denn »die moderne Entwicklungsgeschichte unserer Volkes ist eine Geschichte der freilich langsamen aber sichern Verwirklichung der Schillerschen Ideale; wir können es nachweisen, wie fast von Jahr zu

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terlands-Ideale, die er uns leuchtend vor Augen gestellt hat, und, davon sind wir überzeugt, die Versammlung wäre jubelnd dem Redner beigefallen, wäre mit der Länge seiner Rede sowohl wie mit ihrer wissenschaftlichen Haltung versöhnt gewesen.« Endrulat, S. 109 – 110, S. 112. Endrulat, Toast, S. 118; vgl. Endrulat, Prolog I, S. 57. Ebd., Toast, S. 119. Ebd., Toast, S. 118 – 119. Volckhausen, S. 86. Ebd.

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Jahr die von ihm besungene Humanität, der Freiheitssinn, die Vaterlandsliebe immer tiefere Wurzeln schlagen«. In der Zukunft würden diese Ideale letztlich vollkommen verwirklicht werden.570 Heinrich Marr betonte, dass Schiller in »Wilhelm Tell« Entwicklungen bereits vorweggenommen habe, indem er betonte, dass »ein Volk […] auf dem Boden des Rechts und des Gesetzes seine Freiheit beanspruchen« müsse.571 Tatsächlich sei in der Gegenwart noch längst nicht alles erreicht, wofür Schiller eintrat. Die in der Sprache grundlegende Einheit und Einigkeit des deutschen Volkes müsse auch auf anderen Gebieten nachvollzogen werden. Jemand wie Friedrich Schiller würde in der gegenwärtigen Situation dringend benötigt, »wo Zwietracht im Innern, Gefahren von außen uns bedrohen«.572 Eine weitere Gefahr sah Gustav Buek »in dem Nebel einer materialistischen Anschauungsweise«, in der die Ideale des Lebens zu versinken drohten.573 Die Feier Friedrich Schillers erscheint als erster Schritt auf einem richtigen Weg. Sie entspringe dem Willen des Volkes und sei »den höchsten und den heiligsten Interessen der Gegenwart« gewidmet.574 Heinrich Schleiden sah in ihr »eine große Verschwörung der Geister zum Schutze der edelsten Güter unseres Volkes, für Freiheit und Recht, für Wahrheit und Schönheit«, vergleichbar der geheimen Versammlung auf dem Rütli in »Wilhelm Tell«.575 Bernhard Endrulat drückte seine auf dem Einigungsgedanken beruhenden Zukunftserwartungen in Versen aus: »O goldne Zeit, wenn alle Kräfte fließen Zusammen erst in einem großen Strom ›Seid einig!‹ tonts in allen Bruder-Stämmen, Die wider die Natur so lang sich flohn 570 Ebd., S. 86 – 87; ebenso auch bei Fritz, S. 92 – 93 und Buek, Toast, S. 104, 107; vgl. auch den Toast von Dr. Wolffson beim Festmahl des Komitees, Endrulat, S. 217 – 218. 571 Marr, S. 70. 572 Appel, S. 213; Schleiden erinnert in diesem Zusammenhang an Schleswig-Holstein, Altona oder Lübeck, die allesamt unbefreit seien und um die man sich im nationalen Sinne kümmern müsse. Schleiden, Toast, S. 110. 573 Buek, Toast, S. 106. 574 Appel, S. 212; Gustav Buek betont in seinem Toast beim abschließenden Festmahl am Abend des 13. November 1859, dass angesichts der Festlichkeiten nun alle Zweifel darüber ausgeräumt sein dürften, ob die Schillerfeier in der Lage sei, »die schwer beweglichen Massen unseres Volkes in den Fluss zu bringen«. Auch in Hamburg sei es berechtigt, angesichts der Allgemeinheit der Feier, die Veranstaltung als »Volksschauspiel« zu bezeichnen. Buek, Toast, S. 103. 575 Schleiden Toast, S. 111. Auch Maurermeister Appel ruft auf dem Heiligengeistfeld zur Wiederholung des Rütli-Schwurs auf. Appel, S. 213; ebenso Endrulat, Prolog II, S. 80; Ulex ruft bei der Feier des Bildungsvereins für Arbeiter in Hamburg zum (jährlich zu wiederholenden) gemeinsamen Schwur auf, fortan im Geiste Schillers zu leben. Ulex-Rede s. Endrulat, S. 145 – 147; Gabriel Riesser bleibt auch in dieser Hinsicht vorsichtig. Riesser, S. 51.

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Dann werden wir die giergen Fluten dämmen, Die westwärts schwellend unsern Grenzen drohn!«576

Die vorliegenden Festreden betonen die Einheit der Feiernden und darüber hinaus aller Deutschen. Diese Einheit wird bezogen auf die sich aus der Feier Friedrich Schillers ergebende Gemeinsamkeit als Festgemeinschaft einerseits, andererseit aus einer über die gemeinsame deutsche Sprache und Literatur bestehende Gemeinsamkeit aller Deutschen als Sprachgemeinschaft. Dass es über Sprache und Literatur hinaus, die lediglich anlassbedingt in den Vordergrund gerückt seien, noch weitere Gemeinsamkeiten gibt, wird aus der Rede Eduard Meyers deutlich, der namentlich Sitte, Religion, Recht und Kunst als weitere Elemente der »tief ursprünglichen Einheit der deutschen Nation« benennt. Der grundsätzlichen sprachlichen und der situativen festlichen Einheit der deutschen Nation wird ihre als problematisch und defizitär empfundene Uneinigkeit gegenübergestellt. In Rückgriffen auf die historische Situation zur Geburt Friedrich Schillers wird diese für die Mitte des 18. Jahrhunderts als besonders ausgeprägt illustriert. Ihre Ursachen bleiben diffus, doch wird an den Reden eine Binnendifferenzierung der Gesellschaft deutlich, die über Partizipationsgrade an der als einigendes Moment verstandenen deutschen Sprache erfolgt. Die Krise des 18. Jahrhunderts bestehe demnach gerade in der sprachlichen Fragmentierung der deutschen Gesellschaft. Während sich die deutsche Sprache im »Volk« erhalten habe, hätten sich Kunst, Wissenschaft und Adel von ihr entfernt. Erst eine erneute Zuwendung der Ersteren habe in dieser Sicht einen Weg aus der Krise weisen können, dem sich der Adel nur bedingt anschloss. Weitere Uneinigkeit wird darüber hinaus an einer Konfrontation von Bürgertum und Polizei, kirchlicher Einflussnahme und nicht zuletzt sozialer Ungleichheit gesehen. Deutsche Sprache oder Kultur seien als verbindende Elemente zwar grundsätzlich vorhanden, den Deutschen aber nicht ausreichend bewusst. Warum und zu welchem Ziel oder Zweck dieses Bewusstsein zu entwickeln sei, wird in den Reden nicht deutlich. Die einzigen konkreten Bezüge hinsichtlich der Grenzen der deutschen Nation sind territorialer Art und beziehen sich auf Schleswig-Holstein und Frankreich. Sie sind eingebunden in die Beschwörung innerer und äußerer Gefahren, denen nur eine vereinte deutsche Nation entgegentreten könne. Das Nationsverständnis in den vorliegenden Reden lässt sich treffend unter dem Begriff der Kulturnation fassen. Die auffällige Betonung von Sprache, Literatur und Poesie als konstituierende Komponenten der deutschen Nation er576 Endrulat, Prolog II, S. 79. Diese Stelle kann als ein frühes Zeugnis frühvölkischer Gesinnung der Deutschen gesehen werden, in der die Deutschen als Schutzmacht der europäischen Kultur gegen eine aus dem Osten drohende Gefahr imaginiert werden. Vgl. hierzu Herfried Münkler : Reich, Nation, Europa. Modelle politischer Ordnung, Weinheim 1996, S. 116.

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gibt sich auch aus dem Anlass der Feier. Zahlreiche historische Bezugnahmen verweisen zudem auf die Existenz einer gemeinsam erlebten Geschichte als eine zweite Komponente nationaler Gemeinsamkeiten, auch wenn die Redner diese nicht als solche benennen. Als weitere Komponente wurde auch der Idealismus gesehen, der Schiller und die Deutschen verbinde und der als grundlegender Charakterzug der Deutschen dargestellt wird. Auffällig ist dabei die Betonung der notwendig zur Wirklichkeit drängenden Ideale Schillers, wodurch, konsequent weitergedacht, auch die Realisierungsnotwendigkeit der deutschen Ideale insgesamt behauptet wird – eine Überlegung, die durch den Fortschrittscharakter der historischen Darstellung vor allem in den Reden von Christian Petersen und Heinrich Marr zum Ausdruck kommt. Verweise auf staatliche Organisationsprinzipien wie etwa bei Carl Volckhausen, der die Republik als schönste Form der Freiheit benennt, bleiben Ausnahmen, ebenso – mit Ausnahme der genannten Beispiele – territoriale Grenzziehungen. Somit konstituiert sich die Nation in den ausgewerteten Reden über die gemeinsame Sprache und über die sich aus ihr ableitende Literatur und Poesie, gemeinsame Geschichte und gemeinsames Handeln der Nationsmitglieder in Vergangenheit und Gegenwart. Die Entwicklung des hierfür notwendigen Bewusstseins wird unter dem Begriff der Bildung gefasst, der vor allem bei den Schulfeiern, hier auch bedingt durch das Publikum, hervorgehoben wird. Schiller wird in seiner Funktion für die deutsche Sprache und deren qualitative Entwicklung durch seine Werke gefeiert, gleichzeitig aber auch als Verkörperung bürgerlicher Werte (Fleiß, Strebsamkeit, Selbstüberwindung) verehrt. Die in Schillers Werk vorhandenen Anschlussstellen für eine nationale Deutung, vor allem in »Wilhelm Tell«, wurden von den Rednern für politische Deutungen ihrer Gegenwart genutzt. Dass es den Organisatoren der Schillerfeier in Hamburg – und auch Teilen der Feiernden – bevorzugt auf diese Deutungen ankommt, zeigt die Reaktion des Publikums und die eindringliche Kritik Endrulats an der Rede Gabriel Riessers im Stadttheater. Die Hamburger Schillerfeier war von Anfang an als »Nationalfest« und Teil der Feierlichkeiten »des ganzen deutschen Volkes« angelegt – und als solche auf eine möglichst breite Beteiligung der ganzen Bevölkerung.577 Entsprechend dem Selbstverständnis des Komitees, das sich als Vertretung der Hamburger in dieser Angelegenheit verstand, konzentrierten seine Mitglieder sich zunächst vorrangig darauf, eine größtmögliche Repräsentation aller Bevölkerungsgruppen Hamburgs im Komitee zu erreichen.578 Seine Arbeitsweise entsprach dabei typischen Verfahren bürgerlicher Vereinspraxis. Sektionen wurden eingerichtet, 577 Das Komitee machte dies bereits in seinem ersten öffentlichen Aufruf vom 26. September 1859 deutlich. Endrulat, S. 11 f. 578 Endrulat, S. 8, 40.

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die mit spezifischen Aufgaben der Festgestaltung beauftragt wurden, es gab einen engeren Kreis, der die Arbeit koordinierte, Verhandlungen mit Behörden führte, Korrespondenz erledigte, und es gab mit dem »großen Komitee« einen darüber hinausgehenden erweiterten Kreis, in dem wesentliche Punkte diskutiert und Entscheidungen auf breiter Basis legitimiert wurden.579 Die Schillerfeier wurde auf der Grundlage dieser Organisationsform als ein Ereignis betrachtet, das aus dem Willen der Bevölkerung heraus und von ihr selbstverantwortlich realisiert wurde. In der Rückschau Endrulats wird dieser Punkt noch einmal besonders deutlich. »In Hamburg war«, schrieb er »– und das darf uns zu einigem Stolze gereichen – Alles und Jedes, von Anfang bis zu Ende, Privatsache, Sache des Volkes, und ein Ausschuss, der im Namen des Letzteren dasteht und handelt, darf sich nicht anders als freigebig-dankbar zeigen.«580 Das Komitee setzte sich in seiner Mehrzahl aus Vertretern des Bildungsbürgertums zusammen, Professoren, Lehrern, Schulvorstehern, Musikern, Schriftstellern und Theaterleuten. Eine Minderheit waren Juristen und Kaufleute, Frauen waren nicht vertreten. Ebenso wenig fanden sich in ihm Kirchenvertreter oder Delegierte der sozialen Unterschichten.581 In dem Moment, in dem es seine Arbeit aufnahm, konstituierte es genau genommen bereits den Festraum, da seine Planungstätigkeit die andere Zeit und den anderen Ort eröffnete, die bis zur eigentlichen Festwoche zunehmend auf die gesamte Stadt ausgedehnt und angewandt wurden. Tatsächliche Verfügung über den städtischen Raum als Festraum erlangte das Komitee aber lediglich für die Zeit vom 11. bis zum 13. November 1859. Während der Festwoche waren von allen Veranstaltungen die Schulfeiern hinsichtlich ihrer Öffentlichkeit am exklusivsten. Ihnen wohnten neben Lehrkräften und Schülern höchstens noch Angehörige oder enge Freunde des Schulleiters bei, wie beispielsweise bei der Vorfeier in der Schule Friedrich Dörrs. Ähnlich verhielt es sich mit den Feiern der Bildungsvereine für Arbeiter in Hamburg und St. Georg.582 Der Zugang zu diesen Feiern war mit der Zugehörigkeit zur jeweiligen Lehrinstitution direkt verbunden und auch darauf beschränkt. Bei den Theatervorstellungen war das anders. Mit der Preisgestaltung der Eintrittskarten verfügte das Komitee über ein Mittel, innerhalb der technischen Einschränkung der Öffentlichkeit aus Platzgründen regulierend tätig zu werden. Da sich das Komitee letztlich an den Standardpreisen des Hauses orientierte und deren Tendenz noch verstärkte, kamen über die Eintrittspreise bereits aus der 579 580 581 582

Ebd., S. 1 – 12, 43 – 84. Ebd., S. 225. Ebd., S. 8 f. Ebd., S. 144 – 146.

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Alltagspraxis bekannte ökonomische Selektionsmechanismen zur Anwendung. Eine Vermischung sozialer Schichten wurde dadurch bereits im Vorfeld vermieden, das Publikum blieb nach ökonomischer Leistungsfähigkeit sortiert. Tatsächlich erwies sich selbst der abgesenkte Preis für die Plätze auf der Galerie als nicht niedrig genug, um genügend Zulauf zu erzielen, sie blieb an beiden Abenden schlecht besetzt.583 Über die parallel zu denen des Komitees stattfindenden Veranstaltungen im Thalia-Theater liegen keine Informationen zur Gestaltung der Eintrittspreise vor. Es ist aber davon auszugehen, dass auch hier die Standardpreise Gültigkeit hatten und eine vergleichbare soziale Distinktion wie im Stadttheater zu beobachten war. Eine umfassende Öffentlichkeit erzielte die abendliche Illumination am 11. November 1859. Die Illumination eigener Immobilien war an keine Beschränkungen gebunden und somit jedem möglich, der willens und in der Lage war, die Mittel dafür aufzubringen.584 Als Zuschauer konnte jeder teilhaben, der Zugang war in keiner Weise eingeschränkt. Bernhard Endrulat bezeichnet die Illumination als einen Ersatz für diejenigen, die nicht an den Feierlichkeiten in den Theatern teilnehmen konnten.585 Den Besuchern der bereits gegen 18 Uhr beginnenden Theatervorführungen war sie hingegen ein zusätzliches Ereignis, das sich direkt an das Ende der Aufführungen anschloss und die geistige Erhebung des Abends ergänzte. Als das Publikum nach Ende der Aufführungen aus den Theatern herausströmte, strömte es in eine festlich illuminierte Stadt hinein, die von der gewünschten Allgemeinheit bereits vollständig erfüllt war.586 Wie hier deutlich wird, konnte »Allgemeinheit der Feier« zweierlei bedeuten: die Möglichkeit der Partizipation für einen möglichst großen Teil der Bevölkerung als auch die Möglichkeit der Partizipation an einem möglichst großen Teil der Feierlichkeiten für eine Minderheit. Diejenigen Bevölkerungsteile, die weder über die ökonomischen Mittel zum Erwerb einer Theaterkarte oder Illuminationsmaterial verfügten, noch vom Komitee als aktive Gesellschaftsteile in den Festzug integriert wurden, noch über die notwendigen persönlichen Kontakte verfügten, um als Gäste zum Festmahl des 13. Novembers eingeladen zu werden, mussten sich im Verlauf der Schillerfeier mit einer passiven Zuschauerrolle begnügen. 583 Ebd., S. 108, 142. 584 Endrulat erwähnt, dass selbst im ärmeren Gängeviertel Kerzen in den Fenstern Anteilnahme am Festgeschehen signalisierten. Endrulat S. 132. Ein Friseur in der Fuhlentwiete dichtet über die Kostspieligkeit der Illumination: »Soll ich Schiller würdig ehren, / Bringt mir Zöpfe abzuscheeren, / Dann erfüll ich meine Pflicht / Und brenn’ für Schiller auch mein Licht.« Volksfest, S. 16. Diese Zeile weckte auch die Aufmerksamkeit des Stuttgarter Möbelschreiners Carl Hölder, der sie in seinen Aufzeichnungen zur Hamburger Schillerfeier aufführte. Vgl. StAHH 741 – 1 Handschriftensammlung 2877. 585 Endrulat, S. 67. 586 Ebd., S. 122.

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Wie der Festzug zeichnet sich auch der Festraum in Hamburg insgesamt durch eine sozioökonomische Hierarchisierung der sich in ihm bewegenden Festgesellschaft aus. Dass diese sich trotzdem als Einheit wahrnehmen konnte, lässt sich mit der gemeinsamen Teilhabe an Illumination und Festumzug als Massenerlebnis erklären, in dem sich die Teilnehmer ihrer selbst als Gemeinschaft bewusst werden konnten. Das gemeinsame Erlebnis trat als vereinendes Element vor trennende gesellschaftliche Positionen und Interessen und schob diese für den Moment in den Hintergrund. Dieser Punkt wird auch in der Festdokumentation besonders hervorgehoben.587 Innerhalb des Bürgertums kam den Frauen eine Sonderstellung zu. Sie hatten zwar Zugang zu den Theatervorstellungen, durften sogar während der Aufführung der lebenden Bilder auf der Bühne mitwirken – während des Festumzugs und des abschließenden Festmahls jedoch waren sie lediglich als passive Teilnehmer geduldet.588 Aktive Mitglieder der Festgemeinschaft mit vollständiger Bewegungsfreiheit innerhalb des Festraumes waren somit in der Regel männlich, gebildet und ökonomisch besser gestellt.

Zwischen nationaler und »rein städtischer« Feier Die Einordnung des lokalen Festraums in einen abstrakten nationalen Festraum wird durch die Vorstellung von Gleichzeitigkeit lokalen Handelns mit dem Handeln anderer Nationsmitglieder erleichtert. Für die Säkularfeier Schillers ist das Zeitfenster der potentiellen Synchronizität im Handeln der 10. November 1859, Schillers Geburtstag. Durch das städtische Verbot der Schillerfeier an diesem Tag wurde dieses Zeitfenster für Hamburg jedoch geschlossen und damit eine Verknüpfung des lokalen mit dem nationalen Festraum erschwert.589 Wie bedeutsam den Organisatoren die Gleichzeitigkeit der Hamburger Feier mit den für den 10. November 1859 bereits für viele Städte angekündigten Feiern war, wird aus der zweiten Bittschrift des Komitees an den Hamburger Senat deutlich: »Es wird nun aber Keiner, der der lebendigen Natur der Dinge nicht geflissentlich sein Herz verschließt, behaupten wollen, dass für die Bedeutung einer nationalen Feier die Einheit des Tages ein gleichgültiges Moment sei, dass der mächtige, volltönende Einklang, der ihr Wesen ausmacht, gebrochen werden könne, ohne ihren Charakter zu zerstören, ohne ihre Stimmung zu trüben. Es würde Hamburgs Bürger mit Scham und Trauer erfüllen, an dem Tage in düsteres Schweigen gehüllt bleiben zu müssen, wo in 587 Ebd., S. 215. 588 Ebd., S. 53, 80, 217. 589 Ebd., S. 15 – 23, 85 – 87.

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ganz Deutschland der Jubel der Begeisterung erschallt. Es würde als eine Niederlage ihrer deutschen Gesinnung erscheinen, wenn das vorzugsweise vaterländische Fest des Jahrhunderts einer […] rein städtischen Feier erliegen möge: wenn die Feier nicht an dem wahren, deutschen Festtage begonnen hat, so ist für Hamburg der Lebensnerv der nationalen Bedeutung des Festes durchschnitten.«590

Die Integration des lokalen Hamburger in den nationalen Festraum wird hier unmittelbar von der Gleichzeitigkeit des Feierns abhängig gemacht. Unterbinde man diese Gleichzeitigkeit, so die Argumentation, dann durchschneide man zugleich auch das imaginäre Band, das Hamburg und die Hamburger mit Deutschland und den Deutschen verknüpfe, den »Lebensnerv der nationalen Bedeutung des Festes«. Dabei kam es offenbar nicht allein auf die Hamburger als Feiernde, sondern auch auf die Stadt selbst als Ort der Feier an. Deshalb wurden Ausweichmöglichkeiten auf Hamburger Vororte trotz Aufrechterhaltung des Verbots auch nach der zweiten Bittschrift trotz einiger Fürsprecher letztendlich nicht weiter verfolgt. Das Problem der durch den Bußtag und das Festverbot am 10. November gebrochenen Synchronizität wurde auch von den Hamburger Nachrichten hervorgehoben. »Es ist unmöglich, dass man an dem wahren Festtage der Feier nicht gedenken sollte, über die uns an diesem Tage jede Spalte unserer Tagesblätter aus allen Teilen des deutschen Vaterlandes Berichte bringen wird […] Ist es so unerheblich für die Stimmung des Festes, ob man weiß, an diesem Tage feiern viele Tausende Deines Volkes ein Fest mit Dir, das so nicht wiederkehrt?«, fragte die Zeitung und war sich in der Antwort sicher : »Die Feststimmung aller Verehrer Schillers muss leiden, wenn der Festtag des deutschen Volkes hier am Orte ungefeiert in trüber Stille verläuft.«591 Medial fanden die Befürworter des Bußtages in Hamburg durch den Nachbarn einen Vertreter. Der Nachbar wandte sich strikt gegen eine Verlegung des Bußtags zugunsten der Schillerfeier und lehnte darüber hinaus die in ihr zum Ausdruck kommende Menschenvergötterung entschieden ab. Der Schillertag solle vielmehr genutzt werden zur Einkehr und tiefen Reue, so der Nachbar: »Unser Vorschlag also ist dieser. Alle Blätter bringen Schillers Bild trauernd mit schwarzem Rande. Am Abend wird in einem der größten Säle seine Statue oder Büste schwarz verhängt ausgestellt und einen dem tiefen Ernst der Sache würdig entsprechenden Prolog […] folgte eine musikalische Bußfeier nebst Miserere« – ein Vorschlag, den die Reform ihren Lesern lediglich zur Unterhaltung zur Kenntnis gab.592 590 Endrulat, S. 21, Hervorhebungen im Original. Vgl. Raabe, S. 67; Original in StaHH 111 – 1 Senat Cl. VII Lit Ha Nr. 3, Vol. 68. 591 Hamburger Wochenblatt, 1. Oktober 1859, S. 5 – 6. 592 Der Nachbar, 9. Oktober 1859, S. 162; Reform, 12. Oktober 1859, S. 3.

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Auch die Reform war unzufrieden mit dem Festverbot am 10. November, ging allerdings in der Konsequenz viel weiter. In einem eingesandten und prominent platzierten Beitrag zur Bußtagsfrage wurde die Entscheidung als Sieg der »deutschfeindlichen Partei« der »Pietisten« gedeutet und der Auszug der Schillerfreunde aus der Hansestadt in das benachbarte Altona oder Wandsbeck gefordert, um zeitgleich mit den übrigen deutschen Städten an der Feier teilhaben zu können. Auch hier wurde die große Bedeutung des synchronen Feierns hervorgehoben: »Denn dass die Feier eben nur an dem wirklichen Geburtstage, in dem Bewusstsein der Gemeinsamkeit und der idealen Verbindung mit Deutschland, Europa, ja der ganzen Welt, so weit die deutsche Zunge klingt, Sinn und Bedeutung hat und nur unter dieser Bedingung fähig ist, begeisternde Sympathien zu erwecken empfindet Jeder, der echtes Interesse an der Angelegenheit im Herzen trägt […] Man stehe also entweder von einer Schillerfeier gänzlich ab und überlasse die Verantwortung dieser neuen Schmach und Blamage Hamburgs den Urhebern derselben, oder man zeige, dass man etwas von Schillers Geiste, von seiner Unerschrockenheit und seinem edlen Mannestrotze in sich trage und veranstalte eine Feier des Schillertages auf holsteinischem Gebiete mit einer Einladung an alle freisinnigen und vernünftigen Hamburger, ihren Zwangs-Bußtag den geistigen Krüppeln und Invaliden zu überlassen und am 10. November sich außerhalb ihrer ›freien‹ Stadt zur Beteiligung an dem Feste des idealen Deutschlands zu versammeln.«593

Dass auch die Redaktion der Zeitung dieses Ansinnen unterstützte, zeigt ein weiterer Aufruf an alle Schillerfreunde, sich am 10. November still auf einem freien Platz zu versammeln und zur Schillerfeier gemeinsam in ein geeignetes Lokal auf holsteinischem Gebiet zu ziehen – vorgeschlagen wurde Schmidts Tivoli oder Schloss Wandsbek –, um dort angemessen zu feiern.594 Und auch in Form einer Karikatur machte sich die Reform darüber lustig, dass Hamburg sich wegen des Bußtages von der allgemeinen und allerorts begangenen Schillerfeier entziehen werde (s. Abb. 1). Und schließlich legte Feodor Wehl (1821 – 1890) für die Reform in einem Leitartikel noch einmal nach und auch er stellte das Problem der erzwungenen Asynchronität der Hamburger Feier in den Mittelpunkt seiner Kritik: »Was die Schillerfeier zur großen und erhebenden Sache stempelt, das ist vor Allem ihre Gemeinsamkeit und der Gedanke, dass sie in der ganzen Welt an einem und demselben Tage die Herzen aller Deutschen auch in den entferntesten Gegenden und Ländern in einem Namen zusammenfasst und einig macht. Wenn Hamburg in dieses schöne und in der Geschichte als einzig dastehende Konzert wegen des auf den zehnten November angesetzten allgemeinen Bet- und Bußtages einzutreten verhindert bleibt, so musste, auch unserer Meinung nach, das zusammengetretene Komitee sein Mandat 593 Beilage zur Reform v. 15. Oktober 1859, S. 1. 594 Reform, 19. Oktober 1859, S. 2.

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für erloschen erachten, jede öffentliche Begehung des Festes fallen und somit Hamburg den Ruhm einer bußfertigen Stadt zugleich mit der Schande lassen, im ganzen weiten Vaterlande die einzige große Stadt zu sein, die dem populärsten Dichtergenius der Deutschen ihre Huldigung zu verweigern, den traurigen Mut besitzt. Das Nachhinken mit der Schillerfeier ist eine Art Lächerlichkeit und kompromittiert unsere Stadt nicht weniger, als ein gänzliches Unterlassen derselben. Glaubt Hamburg, dass Gebet und Buße gerade an dem willkürlich festgesetzten 10. November dem Himmel besonders zu passe kommen und wirksamer als an jedem andern Tage seien, nun gut, so mag Hamburg in diesem Glauben selig werden und sich zerknirscht und weinend aus dem Bunde der Millionen stehlen, die an jenem Tage »umschlungen sein werden« in der Erinnerung an Schiller : aber es meine nicht ein Nationalfest oder besser ein Weltfest verschieben und verlegen zu können, ohne dadurch abgeschmackt zu erscheinen.«595

Die ideale Gemeinsamkeit im gemeinsamen Feiern und der Gedanke an die Synchronizität des gemeinsamen Handelns über den lokalen Festraum hinaus werden hier hervorgehoben, zugleich aber auch die Abbildung des gemeinsamen Handelns gegenüber Außenstehenden. Diese Abbildung jedoch konnte allein medial, nämlich in der Berichterstattung über die zahllosen dezentralen Schillerfeiern erfolgen, »über die uns an diesem Tage jede Spalte unserer Tagesblätter aus allen Teilen des deutschen Vaterlandes Berichte bringen wird«, wie das Hamburger Wochenblatt hervorhob.596 Doch nachdem der Senat auch die zweite Bittschrift abgelehnt hatte, mussten sich die Festorganisatoren und -befürworter damit abfinden, dass in Hamburg keine allgemeine Schillerfeier am 10. November 1859 stattfinden würde. Die vom Senat behinderte Eingliederung des lokalen in den nationalen Festraum wurde damit auf der Handlungsebene unmöglich und konnte erst nachträglich, im Rahmen der Festdokumentation und Festberichterstattung, vollzogen werden.

595 Reform, 22. Oktober 1859, S. 2. 596 Hamburger Wochenblatt, 1. Oktober 1859, S. 7.

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Abb. 1: Schillerfeier ohne Schiller in Hamburg – Karikatur der »Reform«.597

Die Hoheit über den öffentlichen Raum Indem das Festkomitee als Vertreter der Hamburger Bürger die Planung, Organisation und Durchführung der Schillerfeier übernommen hatte, lag auch die Gestaltung des öffentlichen Raums während der Festtage weitgehend in seiner Verantwortung. Die während der Illumination und dem Festzug ergriffenen ordnungs- und sicherheitspolitischen Maßnahmen der städtischen Behörden sind von den Komiteemitgliedern anscheinend als äußerer Eingriff in dessen Hoheitssphäre wahrgenommen worden. Der am Vorabend des Festzugs publizierte Aufruf des Komitees und die in ihm vollzogene Übertragung der Verantwortung für Sicherheit und Ordnung an die Hamburger erscheint als Reaktion auf die behördlichen Anordnungen und als Anspruch auf die alleinige 597 Reform, 10. November 1859, S. 1.

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Hoheit der Bürger und ihrer Vertretung über den Festraum. Dass es sich dabei um ein Anliegen allein des Komitees handelte, lässt sich daran ablesen, dass von den vorliegenden Festbeschreibungen lediglich die des Komiteemitglieds Bernhard Endrulat einen umfassenden Anspruch auf alleinige Gestaltungshoheit der Bürger und ihrer Vertretung in der Feier bekräftigt. So erscheint Endrulat die Anführung des Festumzugs durch eine Dragonerabteilung nicht notwendig, »die volle hingebende Sympathie der Bevölkerung tat freiwillig alles Nötige«.598 An anderer Stelle urteilt er ähnlich über sämtliche Sicherheitsvorkehrungen der Behörden: »Wohl hatte die Behörde sorgsam zur Verhütung von Unfällen ihre Anordnungen getroffen, aber heut’ war der in jedem Einzelnen lebende Wunsch, die Schönheit und Freudigkeit des Festes möchte auch nicht durch den geringsten betrübenden Vorfall gestört und entstellt werden, die beste Polizei. Es ist eine hocherfreuliche Tatsache, dass trotz des ungeheuren Gedränges von Wagen und Fußgängern in den Hauptstraßen nicht eine einzige Unordnung vorfiel, nicht eine einzige Verhaftung vorgenommen werden brauchte!«599

Das Wohlverhalten der Hamburger bei der Schillerfeier ergebe sich aus ihrer eigenen »Tüchtigkeit und Gesundheit«, dem Respekt vor Friedrich Schiller und dem Bewusstsein, dass »die Augen der ganzen Nation auf ihm ruhten, – daher der Ernst und die Würde mitten in all der Freude, daher die Besonnenheit und die Ruhe mitten in all der Begeisterung und Aufregung«.600 Auch ihre unmittelbaren Lebensumstände hätten zum Verhalten der Hamburger beigetragen, denn »der Anstand und die Würde, die das hamburgische Volk bei dieser Gelegenheit entfaltete, waren die naturgemäßen Früchte seiner Freiheit«. In Hamburg sei die Bevölkerung »nicht durch die Rechts- und Eidbrüche einer zehnjährigen Umkehr-Regierung, nicht durch den Knechtsinn und die Heuchelei, mit welcher die tonangebenden Kreise zehn Jahre lang die ganze VolksAtmosphäre vergifteten, zu gleicher Verachtung alles Heiligen entsittlicht worden«, wie etwa die Bewohner Berlins.601 Demnach erklärt sich in der Rückschau Endrulats die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit während der Feierlichkeiten in Hamburg aus der Selbstdisziplin der Bürger und der republikanischen Verfasstheit der Hansestadt, während gegenteilige Zustände in Berlin ursächlich der nachrevolutionären Reaktion in Preußen zugeschrieben wurden. Oder, allgemeiner gewendet: Eigenverantwortliche bürgerliche Gesellschaftsformation auf der Grundlage republikanischer Verfasstheit erhöht die individuelle Freiheit bei Erhaltung kollektiver Ordnung und Sicherheit. Damit 598 599 600 601

Endrulat, S. 151. Ebd., S. 132. Ebd., S. 76. Ebd., S. 77; zur Berliner Schillerfeier siehe Kapitel »Berlin«.

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wird über die Festzeit hinaus der politische Anspruch des Bürgertums formuliert, in Eigenverantwortung Öffentlichkeit nicht nur herstellen, sondern auch so gestalten zu können, dass Sicherheit und Ordnung dabei nicht gefährdet werden. Als Beweis dieses Anspruchs dient Endrulat der Verlauf der Schillerfeier in Hamburg.602 In der Schillerfeier sieht Endrulat eine sozialschichtenübergreifende Einigkeit der Gesellschaft im Fest, in dem sich »die entferntesten Schichten der Bevölkerung in seiner hohen und heiligen Idee« vereinen und dadurch einander angenähert hätten.603 Doch dass es so weit kommen konnte, lag nach Endrulat auch daran, dass das Komitee neben der Festplanung und -durchführung auch einen pädagogischen Auftrag erfüllte. Nach seinen Angaben war die Idee des Festes aus der Bevölkerung selbst hervorgegangen und das Komitee als dessen Vertretung mit der Organisation lediglich beauftragt worden. Dennoch war, nach Endrulats Darstellung, dasselbe gezwungen, in der Veröffentlichung der Festplanung behutsam und schrittweise vorzugehen, um die Hamburger mit seinen Ideen nicht zu überfordern und Widerstände zu vermeiden.604 Die Hamburger mussten also durch ihre eigene Vertretung erst von Fest und Festgestaltung überzeugt und dafür erwärmt werden. Auch in der Planung geht in dieser Darstellung das bildungsbürgerlich dominierte Komitee der Gesellschaft voran und voraus. Die Hierarchisierung der Gesellschaft wird allerdings nicht statisch gesehen. Endrulat proklamiert die Möglichkeit sozialen Aufstiegs über Bildung, basierend auf einer grundsätzlichen Egalität in den Anlagen der Menschen.605 Deren Wirkung sei keineswegs allein auf die Jugend beschränkt, auch im Erwachsenenalter böten sich jederzeit noch Wege und Chancen für jeden Einzelnen.606 Einen Beitrag dazu leistete das Komitee allerdings nicht. Die ihm zugänglichen Werkzeuge, bildungsfernen unteren Schichten der Bevölkerung den Zugang zu 602 Auch in einer anderen Hinsicht wird der Festraum argumentativ abgesichert. So verweist Endrulat auf die Überwindung jeglichen Materialismus an den Festtagen, indem er hervorhebt, dass während der Illumination alle Geschäftsleute auf die Zurschaustellung ihrer Waren verzichtet hätten (Endrulat, S. 125). Ganz anders Lyser, der in seinem kurzen Erinnerungsblatt besonders deutlich den »spekulativen Charakter« der Hamburger Schillerfeier hervorhebt und einige besonders skurrile Erscheinungen desselben aufzählt (Lyser, S. 3, 5, 7 – 8). Hier scheint es sich um ein regionales Spezifikum zu handeln. Die bei Lyser kritisierte traditionell starke Betonung des Handels in Hamburg wird von Endrulat in den Hintergrund geschoben und von einer geistigen, dem Ideellen zugewandten Hochstimmung übermalt. Hamburgs Teilnahme soll nicht aus profanen Gründen erfolgt sein, deshalb wird jegliche Motivation von materiellen Interessen getrennt und höheren Idealen zugeschrieben. 603 Endrulat, S. 214, vgl. auch S. 69. 604 Ebd., S. 23, 43 f., 64. 605 Ebd., S. 214 f. 606 Ebd., S. 151.

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den Festelementen zu ermöglichen, die eine verstärkte inhaltliche Beschäftigung mit Friedrich Schiller, seinem Leben und Werk, versprachen, wurden nicht genutzt.607 Während die Einigkeit und potentielle Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder postuliert wurde, kamen alltägliche Mechanismen zur Erhaltung der Ungleichheit auch im Festraum zur Anwendung und setzten sie in ihm fort. Die Hierarchisierung der Gesellschaft in bildungsbürgerliche Führung, in aktive und passive Teilhabe, blieb auch hier bestehen.

Retrospektive Integration der Hamburger Schillerfeier Die interpretatorische Hauptleistung in der Festdokumentation liegt allerdings in der retrospektiven Einbindung des lokalen Festraums in den nationalen. Diese Verbindung, die durch das Feierverbot am 10. November unterbrochen schien, wurde von Bernhard Endrulat nachträglich in einer Art und Weise wiederhergestellt, die es ihm sogar ermöglichte, das Verbot im Nachhinein als förderlich für die Feier zu bezeichnen.608 »Die Lebenden riefen sie nicht!«, kommentiert Endrulat das morgendliche Glockengeläut am Bußtag. Anschließend beschreibt er Vorbereitungs- und Dekorationsarbeiten für die am nächsten Tag beginnenden Feierlichkeiten und behauptet, diese seien durch die verordnete Geschäftsruhe am Bußtag erst ermöglicht worden.609 Flanierer hätten nach seiner Beobachtung die Arbeiten und ihre Ergebnisse insgesamt freudig, hoffnungsfroh und befriedigt begutachtet.610 »Nein! Es war kein Bußtag!«, schreibt Endrulat, das »tiefe, wahre Herzensbedürfnis des Volkes« habe sich letztlich durchgesetzt.611 Trotz eines von außen auferlegten Feierverbots hätten sich die Hamburger mit der feiernden Nation zumindest innerlich verbunden. Zudem konnte in privaten Feiern dieser Innerlichkeit auch in Gesellschaft Ausdruck verliehen werden. Dem Defizit der öffentlichen Partizipation Hamburgs an der nationalen Feier des Dichtergeburtstags wird also von Endrulat eine der Innerlichkeit und Privatheit entgegengehalten. So konnte die Verbindung zwischen lokalem und nationalem Festraum in Endrulats Darstellung auf niedrigem Niveau am 10. November doch 607 Etwa über Freikarten für die Veranstaltungen im Stadttheater. Zur Einschränkung des Adressatenkreises unter den Schülern der Hansestadt s. Fußnote 460. 608 Ebd., S. 15. Diese Sicht wird von Lyser bestätigt, der von einer kritisch-ablehnenden Haltung verschiedener Hamburger Berufsvereinigungen zu Beginn der Planungstätigkeit und einer Zerstrittenheit unter den Interessengruppen berichtet, die erst durch das behördliche Feierverbot für den 10. November überwunden werden konnten. Lyser, S. 3 f. 609 Endrulat, S. 86. 610 Ebd., S. 87. 611 Ebd.

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noch hergestellt werden. Die Diskussion um den Bußtag wird auch von den anderen Quellen aufgegriffen, die Haltung des Senats als rücksichtslos (Volksfest) und mit politischer Motivation in Opposition zu Friedrich Schiller (Lyser), der Bußtag selbst als politisch (Lyser), bedeutungslos und völlig überflüssig (Volksfest) bezeichnet.612

Abb. 2: Der Historiograph der Hamburger Schillerfeier, Bernhard Endrulat (links mit Banner).613

Allein Endrulat stellte in seiner Darstellung die Gleichzeitigkeit der Hamburger mit der nationalen Schillerfeier wieder her. Und er beschränkt sich dabei nicht allein auf die Diskussion über den Bußtag. So beendet er seine Beschreibung der Illumination mit einer direkten Verknüpfung des vor Ort Erlebten mit dem national Möglichen über das Symbol einer sprechenden schwarz-rot-goldenen Fahne: 612 Volksfest, S. 5, Lyser, S. 4 f. 613 Adler 1859 (bearbeitet).

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»Aber da rauschte vielleicht über dem Haupte des so in seinen Zweifeln durch die einsamen Straßen Wandernden eine dreifarbige Fahne, er sah auf, und sie flüsterte ihm zu: ›Du hast wirklich erlebt, was dich berauscht und entzückt! Siehe, so Glorreiches begibt sich, wo ein großes, herrliches Volk wie das deutsche, sich eines Herzens, eines Sinnes zu einem Werke auf eine flüchtige Stunde die Hände reicht! Ahnst du, wie unbeschreiblich Hohes meine wallenden Falten dereinst überflattern werden, wenn es so einig in Allem und für immer dastehen wird?‹«614

Angesichts dieser Szene verwundert nicht, dass Endrulat seine eigene Rolle während des Festzugs, dem er das deutsche Banner mit den Türmen des Hamburger Wappens vorantrug (s. Abb. 2), als nationale Aktion verstanden wissen wollte: »Wer das für eine politische Demonstration erklären will, mag es immerhin tun! Haben wir doch keine heiligere Pflicht als die: fort und fort, und bei jeder Gelegenheit darzutun, dass wir Deutsche sind, Deutsche sein wollen! Geschehe es nur erst im Ernste des Lebens und mit entscheidenden Taten so gern und so entschieden, wie es bei Festen und mit patriotischen Worten zu geschehen pflegt, – unserm Vaterlande und uns wäre geholfen.«615

Das Fest wurde offenbar auch von Bernhard Endrulat als Vorbild und Vorläufer politischen Handelns in der Realität verstanden. Der nationale Bedeutungsgehalt von Endrulats Tat lässt sich aus der Situation selbst nicht ablesen, sondern wurde erst über die Dokumentation bereitgestellt. Ähnlich phantasievoll beschreibt Endrulat die Reaktionen von Zuschauern der Festvorführung im Stadttheater auf die in allen Schillerfeiern wohl meistverwandte Stelle des »Wilhelm Tell«, den Rütli-Schwur. Dieser sei am Abend des 12. November so hervorragend aufgeführt worden, dass »deren [des Publikums –tl] Herzen die schönen Vaterlands- und Freiheitsworte tieferschüttert mitsprachen«.616 Doch sprachen die nationalen Anschlussstellen der Feier und ihrer Inhalte die Hamburger nicht nur emotional besonders an, sie wirkten auch regulierend auf ihr Verhalten während der Feier. Das Handeln unter den »Augen der ganzen Nation« verlieh ihnen nämlich »Ernst und Würde«, »Besonnenheit und Ruhe«. Diese Eigenschaften hätten als Kontrollinstanzen gegenüber Freude, Begeisterung und Aufregung gedient und als solche disziplinierend gewirkt.617 Die »innere Polizei« der Bürger, die ein Eingreifen der behördlichen Sicherheitskräfte überflüssig gemacht hatte, erklärt sich also auch und gerade aus einer selbstdisziplinierenden Einordnung in den nationalen Rahmen. Das konkrete Festgeschehen erhält so eine nationale Bedeutung und wird unter die aufmerksame 614 615 616 617

Endrulat, S. 133. Ebd., S. 152 f. Ebd., S. 140. Ebd., S. 77.

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Beobachtung einer übergeordneten, abstrakten Instanz gestellt. Während das eigene Handeln als Fragment eines abstrakten Gesamthandelns erscheint und dieses eigentlich erst begründet, wirkt die Nation zugleich emotionalisierend und handlungsleitend auf ebendieses Handeln ein. Der Schnittpunkt zwischen dem national-abstrakten und den vielen real-lokalen Festräumen ist die imaginierte Einheit der Beteiligten, sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Das ist der Grund, warum Endrulat so sensibel auf lokalpatriotische Äußerungen reagiert. Sie nämlich stellen sich der nationalen Ausdeutung des Geschehens entgegen oder erschweren sie zumindest. Die bei der Abschlusskundgebung auf dem Heiligengeistfeld spontan zum Ausdruck gebrachte regionale Identität der Feiernden durch Absingen des Liedes »Auf Hamburgs Wohlergehen« wurde von Endrulat scharf kritisiert: »So begreiflich diese Äußerungen, so gut gemeint sie waren, müssen wir sie doch als Abschwächungen des großartigen Eindrucks der Feier missbilligen; an diesem Orte und in dieser Stunde hätten keine anderen Namen als die des Vaterlandes und seines Dichters erklingen dürfen.«618 Bei aller Einfärbung schien den zeitgenössischen Betrachtern einer nationalen Ausdeutung der Hamburger Schillerfeier nichts im Wege zu stehen. Sie avancierte in der Festdokumentation sogar zum zukünftigen Gedächtnisort. Die Erinnerung an die Festtage werde, so die Volksfest-Schrift, »auf viele Jahre lebendig bleiben, ja, sie werden, wie wir glauben, hineinwachsen in die Geschichte des deutschen Volkes und Landes zu einem Momente größter historischer Bedeutung, sodass die Geschichtsschreiber künftiger Zeiten diese Tage als die Vorläufer bezeichnen müssen einer neuen Epoche, einer nationalen und politischen Wiedergeburt Germaniens«.619 Die ursprünglich literarisch konzipierte Feier »ist gewissermaßen eine Auferweckung Deutschlands vom Scheintode geworden, der Name Schiller war das […] Symbol und Schibboleth, das Feuerzeichen für die Vereinigung und Orientierung der Stämme«.620 An ihr sei ablesbar, »dass die alte Sage von der deutschen Einheit doch keine bloße Fabel, dass die Überwindung der partikularen Streitigkeiten doch keine Unmöglichkeit ist, sondern dass es nur darauf ankommt, seinen Herzpunkt zu finden, damit alle deutschen Pulse ihm entgegenschlagen können«.621 Friedrich Schiller erscheint lediglich als Anlass, wesentlicher scheint, dass die Deutschen sich auf ihn als Fixpunkt einigen konnten. Deren im Fest angeblich vollzogene Einheit wurde dann auch als politische Perspektive gesehen: 618 Ebd., S. 214. 619 Volksfest, S. 63. 620 Ebd.; Schibboleth ist eine auf die Bibel zurückführbare Bezeichnung für das Losungswort einer Partei. 621 Ebd., S. 64.

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»Das Volk hat hier wie überall, wo Schiller gefeiert wurde, bewiesen, dass es seinen kleinen Hader wegen Süd- und Nord-, Ost- und Westdeutschland, wegen Katholizismus, Protestantismus und Judentum und wie die Ursachen sonst noch alle heißen mögen, vergessen und einem großen Gedanken unterordnen kann; es hat ferner bewiesen, dass es diesen großen Gedanken durch Haltung, Mäßigung, Ruhe und Hingebung einen würdigen Ausdruck zu geben versteht und dass das Geschwätz von seiner Unreife eitel Täuschung und Unwahrheit ist; es hat endlich gezeigt, welche unüberwindliche materielle Kraft in ihm schlummert. Ja, bisher schlummerte sie, aber der junge Riese hat nur ein einziges Mal die Glieder gerührt, und zu seinem und aller Welt Erstaunen, zum Entsetzen aber aller seiner Wächter und Kerkermeister, ist es zutage gekommen, welche Herkulesarbeiten er verrichten könnte, wenn er nur wollte.«622

Und welche militärische Schlagkraft in ihm steckt, denn das Bild des Hamburger Festzuges zeige »eine stattliche Masse rüstiger, jugendkräftiger Männer«, deren Anblick besonders erfreulich sei, da man sich über sie ein »Heer streitbarer Männer im Schmuck der Waffen und einem Willen, einer Idee gehorchend, und deshalb gehorchend, weil es ihr eigener Wille, ihre eigene Idee ist«, vorstellen könne. Daraus speise sich eine Hoffnung auf die Zukunft, in der die nächste Säkularfeier Schillers »von einer großen, einigen und freien Nation« begangen werde.623 In dieser Hinsicht ist Bernhard Endrulat etwas verhaltener. »Nach Jahren erst«, schreibt er, »wird sich das endgültige Urteil über den waren Wert und die wirkliche Bedeutung des Schillerfestes der Deutschen fällen lassen.«624 Aber auch er sieht die Möglichkeit, dass die Schillerfeier als Gedächtnisort für zukünftige Erinnerungspolitik genutzt werden könnte. So wendet er sich in seinem Ausblick mit einem Appell an die Historiker der Zukunft: »Hat aber der Geschichtsschreiber dereinst von bald erfolgten Siegen deutscher Wahrheit, deutschen Rechts- und Ehrgefühls in Kurhessen und in Schleswig-Holstein zu berichten, hat er von großen deutschen Taten jenseits des Rheins zu erzählen, dann möge er nicht vergessen, die Wiedergeburt und Auferstehung des nationalen Lebens Deutschlands von dem Feste der hundertjährigen Geburtstagsfeier Friedrich Schillers herzuleiten.«625

Das in der Hamburger Schillerfeier zum Ausdruck kommende Nationsbild bezieht sich vorrangig auf die deutsche Kulturnation, auf die deutsche Sprache, Sitte und Kultur als vermeintlich gemeinsame Eigenschaften oder Charakterzüge der Deutschen. Dem wird in historischen Bezügen eine bereits etwas unscharf beschriebene (politische) Uneinigkeit entgegengestellt und auf die Gegenwart der Feiernden verlängert. Dabei wird der Wunsch und die Notwen622 623 624 625

Ebd., S. 64. Ebd. Endrulat, S. 230. Ebd.

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digkeit geäußert, die deutsche Uneinigkeit zu beenden und zu überwinden – allein die politische Form, in der das geschehen sollte, blieb in Hamburg offen. Weder für eine preußische noch für eine österreichische Führung wurde bezüglich der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands bevorzugt Stellung bezogen. Vielmehr bleibt die Einheitsforderung ohne Konkretisierung im Raum stehen. Die von Barbara Drucker für den norddeutschen Raum festgestellten kleindeutschen Einigungswünsche unter preußischer Führung waren in Hamburg jedenfalls kein Thema.626 Hier verblieb man in der Vagheit der deutschen Kulturnation und verwies auf dieser Grundlage auf eine eher abstrakt bleibende Notwendigkeit zur deutschen Einheit angesichts drohender politischer Gefahren, ohne die Gestalt dieser Einheit näher zu bestimmen. Vielleicht bewahrte die Erfahrung mit den deutschen Großmächten Hamburg davor, sich in dieser Frage eindeutig zu positionieren. Vielleicht war es für die Hamburger auch von geringerer Wichtigkeit, wie Deutschland in seiner staatlichen Form letztlich auszusehen habe, solange Hamburg als bürgerlich-republikanisch organisierte Stadt darin Bestand haben würde. Die gesellschaftlichen Vorstellungen des Bürgertums betonten eher die Hochschätzung von produktiver Arbeit und Bildung als Leitwerte bürgerlichen Lebens, anstatt auf konkrete politische Formen der Gesellschaftsorganisation einzugehen. Im Festzug, der als Abbildung der Gesellschaft verstanden wurde, zeigt sich, dass im Mittelstand, im produzierenden Gewerbe, der wichtigste Bestandteil der Gesellschaft gesehen wurde. Der Führungsanspruch allerdings lag beim Bildungsbürgertum. Der Festzug impliziert in seiner Gestalt, dass von den Organisatoren Bildung als lebensstrukturierendes Element begriffen wurde. Die Betonung hoher gesellschaftlicher Wertigkeit des mittleren und Kleinbürgertums und der in der Schillerfeier geführte Beweis, dass diese Gruppe über ein hohes gesellschaftliches Mobilisierungspotential verfügt, hatte auch eine innenpolitische Bedeutung. Im Vorfeld der ersten Bürgerschaftswahl und angesichts der noch immer ungelösten Verfassungsfrage war die Schillerfeier auch eine Demonstration gesellschaftlicher Macht gegenüber den großbürgerlichen Patrizierfamilien, die in Hamburg noch immer die Macht in den Händen hielten. Diese hatten sich von der Schillerfeier selbst ausgeschlossen und mit der Concordia-Sammlung für die St.-Nikolai-Kirche ihre Nähe zur protestantischen Orthodoxie, die der Feier ablehnend gegenüber stand, deutlich gemacht. Auch der großbürgerlich dominierte Rat hatte sich da, wo es ihm möglich war, in Fragen des Bußtages, gegenüber den Festorganisatoren unnachgiebig gezeigt. In der Schillerfeier zeigten die liberalen und demokratischen Kräfte Hamburgs, dass sie das städtische Gemeinwesen gestalten und auch kontrollieren konnten – deshalb die selbstreferentiellen Ordnungsbezüge. 626 Vgl. Drucker, 2004.

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In Hamburg wurden kulturnationale Deutungsangebote erfolgreich mit der Lebensrealität der Feiernden verknüpft. Die nationale Matrix, die Vorstellungen der nationalen Gemeinsamkeiten der Deutschen durch das feiernde Bürgertum, wurden vorrangig in den Festreden und der Festdokumentation konstituiert. Auf dieser Grundlage setzte die Repräsentation hamburgischer Lebenswirklichkeit an, die das gesellschaftliche Leben der Handelsmetropole zu Beginn der Industrialisierung erfasste. Die dreifache Hierarchisierung des Festzugs entlang der strukturierenden Kategorien Bildung, Arbeit und Eigentum entsprach den auch außerhalb der Festzeit gültigen Wertmaßstäben. Im Fest wurde allerdings der im Alltag ideelle Führungsanspruch des Bürgertums Realität, indem es den öffentlichen Raum gestaltend übernahm. Das Repräsentativprinzip wurde hier, bezogen auf eine interessengeleitete Vertretung der an einer Schillerfeier interessierten Personen, durch das Komitee bereits praktiziert.

Die Aufgaben der Tagespresse in der Schillerfeier In seiner Geschichte der Hamburger Schillerfeier resümierte Bernhard Endrulat über die Aufgaben der Presse in diesem Fest: »Von allen deutschen Blättern hat – so weit unsere Beobachtung reichte – vielleicht nur ein einziges die Aufgabe der Tagespresse in den dem Feste vorangegangenen Wochen als eine sehr hohe aufgefasst und sie in diesem Sinne zu lösen getrachtet. Es war das die Berliner ›Volkszeitung‹, das kleine, aber tüchtige und einflussreiche Organ der Demokratie in Preußen. Dieses Blatt wurde nicht milde, seinen Lesern in Leitartikeln, die mit der Wärme innerster Überzeugung geschrieben waren, die Bedeutung des herannahenden Festes von allen dabei einzunehmenden Standpunkten aus vorzuführen, durch Mitteilungen über die an den verschiedensten Orten aufgetauchten Fest-Pläne und die in Angriff genommenen Fest-Anstalten zum Wetteifer anzuspornen, und so die Stimmung allmählich derjenigen Höhe zuzuführen, die der Würde des Tages entsprach.«627

Endrulat benennt hier explizit drei Aufgaben, die von den Printmedien hinsichtlich der Schillerfeier zu erfüllen seien: - die Bereitstellung eines Deutungsangebots für die gegenwärtige Relevanz der Feier und ihres Anlasses, - die Vernetzung der Festorte durch eine wechselseitige Berichterstattung von Festaktivitäten andernorts, - die emotionale Hinführung der Leser zu einer angemessenen, würdevollen Stimmung. 627 Endrulat, S. 39.

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Im Vergleich zur Berliner Volkszeitung wertete Endrulat den Einsatz der Hamburger Tagespresse als eher kühl und matt, wenngleich in der Mehrheit keine Feindseligkeiten auszumachen waren. Das Komitee hatte u. a. Dr. Emil Hartmeyer (1820 – 1902) und Dr. Robert Heller (1814 – 1871) von den Hamburger Nachrichten, den Dramatiker Dr. Carl Töpfer (1792 – 1871), der auch für den Freischütz arbeitete, Dr. A. Runkel vom Hamburgischen Correspondenten und Dr. Feodor Wehl (1821 – 1890) von der Reform zu den Vorbereitungs- und Komiteesitzungen eingeladen, »so dass sicher Niemand, dessen Stellung in der Tagespresse, vorausgesetzt, dass sie mit einer gewissen persönlichen Würde verbunden erscheint, ihm einen Anspruch auf Berücksichtigung gibt, wird behaupten können, er habe sie nicht gefunden«.628 Als Befürworter und Unterstützer der Hamburger Schillerfeier traten der Hamburgische Correspondent, der außer der Insertionssteuer keine Gebühren für die Anzeigen des Komitees erhob, der regelmäßig von den Festvorbereitungen berichtende Freischütz und die Hamburger Nachrichten auf, die mit den Vaterstädtischen Blättern ein Forum stellten, in denen in zahlreichen eingesandten Beiträgen über den Bußtag und die Feier insgesamt diskutiert wurde.629 Auch das Hamburger Wochenblatt lässt sich in die Reihe der Befürworter der Feier einreihen. Ausgesprochene Gegner der Hamburger Schillerfeier waren der religiöse Nachbar, und nach Bernhard Endrulat, auch die Arbeiterzeitung Reform, der vom Autor der offiziellen Hamburger Schillerfestgeschichte eine von Anfang bis Ende ablehnende Haltung gegenüber Komitee und Fest ausgestellt wurde.630 Ein Blick auf die Berichterstattung der Reform zeigt allerdings, dass diese Zeitung zwar gegen eine elitäre und wenig volkstümliche Schillerfeier anschrieb, sich in der Bußtagsfrage und mit fortschreitender Festaktivität jedoch grundsätzlich positiv für die Schillerfeier aussprach.631

628 Ebd. 629 Ebd., S. 40. Siehe hierzu beispielhaft die Beiträge in den Vaterstädtischen Blättern der Hamburger Nachrichten vom 1. Oktober 1859, S. 2 – 3, 5. Oktober 1859, S. 2 und 14. Oktober 1859, S. 3 zur Bußtags-Debatte oder die Einsendungen und Diskussionsbeiträge zur Beteiligung an den Festvorbereitungen (8. Oktober 1859, S. 2 und Beilage v. 2. November 1859). 630 Ebd., S. 41. Beim Nachbarn vgl. insbesondere 2. Oktober 1859, S. 160, 9. Oktober 1859, S. 161 – 162, 20. November 1859, S. 188. Versöhnlicher ein eingesandter Beitrag am 20. November 1859, S. 185 – 186. 631 Reform, 7. November 1859, S. 1; 9. November 1859, S. 1; 15. November 1859, S. 1 – 3. Ob Endrulats Haltung einer grundsätzliche Uneinigkeit mit den Herausgebern der Reform entsprang oder einer Seitenbemerkung aus der Besprechung des preisgekrönten Prologs von Bernhard Endrulat (die Zeitung äußerte den Wunsch, doch auch einmal einige der nicht ausgezeichneten Werke aus dem Wettbewerb zu Gesicht zu bekommen – Reform, 15. November 1859, S. 2), bleibt offen.

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Stuttgart Marbach, Ludwigsburg und Stuttgart waren bedeutende und prägende Orte im Leben des jungen Friedrich Schiller. In Marbach wurde der Dichter am 10. November 1859 geboren, seine Kindheit verbrachte er in Lorch bei Schwäbisch Gmünd und ab 1766 in der Garnisonsstadt Ludwigsburg, wo er bis 1773 mit seinen Eltern, dem Offizier und späteren Hofgärtner des württembergischen Herzogs Carl Eugen, Johann Caspar Schiller (1723 – 1796), und dessen Frau Elisabeth Dorothea (1732 – 1802) lebte. 1773 trat der junge Friedrich Schiller in die herzogliche Militärakademie – die »Karlsschule« – ein, die er bis 1780, zunächst in Ludwigsburg und nach ihrer Verlegung 1775 in Stuttgart, besuchte. Nach bestandener Abschlussprüfung nahm er eine Tätigkeit als Regimentsarzt in Stuttgart auf und betätigte sich nebenher als Schriftsteller. Der Uraufführung seiner »Räuber« in Mannheim wohnte der Autor im Januar 1782 persönlich und ohne Genehmigung seines Dienstherrn bei. Im Mai desselben Jahres reiste Schiller erneut ohne Genehmigung des Herzogs nach Mannheim. Herzog Carl Eugen erfuhr davon und belegte den Dichter unter anderem für die nicht genehmigte Reise mit einer zweiwöchigen Arreststrafe und – für Schiller sicher schwerwiegender – einem Publikationsverbot. Im September 1782 entzog sich Friedrich Schiller der herzoglichen Gewalt durch seine Flucht nach Mannheim.632 Neben dem Geburtsort Marbach waren somit auch Ludwigsburg und Stuttgart biografisch relevante Orte im Leben des Gefeierten. Sie waren damit – anders als die meisten anderen Schillerfestorte des Jahres 1859 – konkrete Erinnerungsorte, die von den Festorganisatoren der Stuttgarter Schillerfeier auch in die Festplanung einbezogen wurden. Stuttgart war zugleich ein Ort der frühen Schillerverehrung: Schillerfeste gab es hier bereits seit 1825 – lange vor den durch Robert Blum in den 1840er Jahren initiierten Feierlichkeiten in Leipzig. Das erste Schillerdenkmal wurde 1839 in Stuttgart eingeweiht. Treibende Kraft hinter dieser aktiven und jährlich wiederholten Verehrung des Dichters war der Stuttgarter Liederkranz unter seinem Vorsitzenden Albert Schott (1782 – 1861). Der Liederkranz war ein 1824 gegründeter Gesangsverein, der in seinen Statuten als eines von drei jährlichen Vereinsfesten die Feier des Todestages von Friedrich Schiller festgeschrieben hatte und diese seit 1825 jeweils zum 9. Mai beging.633 Auch bei der Projektierung und Realisierung des 1839 eingeweihten Stuttgarter Schillerdenkmals war 632 Über Schillers Leben bis zur Flucht nach Mannheim vgl. Peter-Andr¦ Alt: Schiller. Leben, Werk Zeit, Bd. 1, München 2000, S. 17 – 309. 633 Otto Elben: Das Schillerfest in Schillers Heimat Stuttgart, Ludwigsburg und Marbach den 9., 10. und 11. November 1859, Stuttgart 1859, S. 1; Lucie Prinz: Schillerbilder. Die Schillerverehrung am Beispiel der Festreden des Stuttgarter Liederkranzes, Marburg 1994, S. 20 – 25.

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der Liederkranz federführend – die Einnahmen der jährlichen Schillerfeste bildeten die Grundlage für die Denkmalserrichtung und der mit dem Denkmalsprojekt befasste Schillerverein war eine Gründung aus den Reihen des Liederkranzes.634 Es verwundert daher nicht, dass auch die Initiative zur Schillerfeier 1859 in Stuttgart aus den Reihen des Liederkranzes kam. Die Festorganisatoren wurden in der Vorbereitung und Durchführung der Stuttgarter Schillerfeier in vielerlei Hinsicht durch den württembergischen König Wilhelm I. unterstützt. Bereits im Sommer hatte er dem Schillerkomitee die Nutzung des königlichen Reithauses zugesagt. Er genehmigte die Aufführung der Wallenstein-Trilogie im Hoftheater und bestimmte einen Teil der Einnahmen für die Finanzierung der Feier.635 Wilhelm I. hatte 1816 die Regierung übernommen. Unter seiner Regentschaft erlebte Württemberg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen umfassenden wirtschaftlichen, industriellen und sozialen Transformations- und Modernisierungsprozess hin zu einem modernen Flächenstaat mittlerer Größe. Umfassende Verwaltungsreformen, steigende Bevölkerungszahlen, Industrialisierung und immer wieder durch Wirtschafts- und Hungerkrisen ausgelöste Auswanderungswellen, insbesondere in die USA, begeleiteten diesen Prozess. Dabei blieb es während der politischen Erschütterungen, die durch die Revolutionen von 1830 und 1848/49 ausgelöst wurden, in Württemberg und der Residenzstadt Stuttgart auch dank eines taktisch geschickt handelnden Königs relativ ruhig – auch wenn Stuttgart als Ort des Rumpfparlaments eine gewisse Bedeutung im Verlauf der Revolution von 1848/49 erlangte. Politisch suchte Wilhelm I. in der Zeit des deutsch-deutschen Dualismus und der Konkurrenz zwischen Preußen und Österreich den dritten Weg und bemühte sich außenpolitisch um den Erhalt der württembergischen Souveränität, während er nach Innen die Vereinheitlichung und Modernisierung des württembergischen Staatswesens anstrebte. Ein Ziel war es, im Rahmen der Triaspolitik die deutschen Mittelstaaten als dritte Kraft zu sammeln und zu einer aktiven und eigenständigen Politik gegenüber den Großmächten Preußen und Österreich zu vereinen. Die neutrale Haltung im Krimkrieg sowie traditionell und durch Familienbande gestärkte gute Verbindungen nach Russland ermöglichten Wilhelm I. in den 1850er Jahren einige diplomatische Erfolge. Langfristig jedoch konnte die württembergische Eigenständigkeit nicht bewahrt werden, Wilhelms Sohn und Thronfolger Karl I. führte das Land schließlich ins Deutsche Kaiserreich.636 634 Elben 1859, S. 2. 635 Ebd., S. 6. 636 Zur Geschichte Württembergs unter König Wilhelm I. s. Karl Weller, Arnold Weller : Württembergische Geschichte im südwestdeutschen Raum, Stuttgart 101989, S. 223 – 257; Ernst Marquardt: Geschichte Württembergs, Stuttgart 31985, S. 272 – 307; Siemann 1995, S. 38 – 40.

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Stuttgart war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine herausragende Kulturhauptstadt, auch wenn mit dem Verleger Johann Friedrich Cotta (1764 – 1832) einer der bedeutendsten Verleger des 19. Jahrhunderts seine Publikationskraft von hier aus entfaltete und die wichtigsten Klassiker der deutschen Literatur und verschiedene Zeitungen und Zeitschriften herausgab. Als Verleger Schillers beteiligte sich Cotta 1859 mit großem Einsatz an der Stuttgarter Schillerfeier, die für sein Verlagshaus auch wirtschaftlich eine große Bedeutung hatte. Gestützt auf die Erfahrung jährlicher Schillerfeste zum Todestag des Dichters waren erste Überlegungen zur Feier seines 100. Geburtstags bereits Ende 1858 im Liederkranz aufgekommen und ein Komitee zur Organisation der Feier aufgestellt worden. Vorsitzender dieser Gruppe war der Stuttgarter Stadtschultheiß (Bürgermeister) Georg Gottlob von Gutbrod (1791 – 1861), Schriftführer der Journalist und Herausgeber des Schwäbischen Merkur Dr. Otto Elben (1823 – 1899). Zu den weiteren Mitgliedern des Stuttgarter Schillerkomitees gehörten fast ausschließlich Vertreter des Bildungsbürgertums. Insbesondere die künstlerischen Kreise waren stark repräsentiert. Die musikalische Kompetenz im Stuttgarter Schillerkomitee vertraten der Dirigent und Musiker Professor Immanuel Faißt (1823 – 1894), Hofkapellmeister Friedrich Wilhelm Kücken (1810 – 1882) und Musikdirektor Wilhelm Speidel (1826 – 1899), die Regisseure Dr. Karl Grunert (1810 – 1869) und Dr. Franz Feodor Löwe (1816 – 1890) das königliche Hoftheater. Johann Georg Fischer (1816 – 1897), Gustav Pfizer (1807 – 1890), Eduard Mörike (1804 – 1875) und der Mitbegründer der Zeitschrift Über Land und Meer, Friedrich Wilhelm Ritter von Hackländer (1816 – 1877), waren als Journalisten, Schriftsteller und Dichter an den Festplanungen beteiligt, das Druckgewerbe wurde durch Friedrich Cotta und den Buchhändler Karl Hoffmann (1802 – 1883) vertreten. Die Maler Kaspar Obach (1807 – 1868) und Heinrich Rustige (1810 – 1890) und der Bildhauer Theodor von Wagner (1800 – 1880) rundeten den Kreis der Künstler ab. Ihnen standen der Oberreallehrer Dr. Ludwig Blum (1817 – 1879), die Rektoren Erhart und Engler, der Bierbrauer und Gemeinderat J. J. Denninger, der Bankier und belgische Konsul in Württemberg, Friedrich Federer (1799 – 1883), Rechtskonsulent Julius Hölder (1819 – 1887), Konsistorialpräsident August von Köstlin (1792 – 1873), Oberbaurat Christian Friedrich von Leins (1814 – 1892) und der Rechtskonsulent und Obmann des Bürgerausschusses Karl Walcher (1831 – 1906) zur Seite.637 Das Stuttgarter Komitee gliederte sich in sechs Kommissionen. Ein »engeres Komitee« befasste sich mit allgemeinen Angelegenheiten, Einladungen und der Kommunikation nach außen. Die »Musikalische Kommission« organisierte das 637 Elben 1859, S. 6 – 7.

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Musikprogramm, die »Quartierkommission« die Festessen. Mit der äußeren Gestaltung der Festivitäten, Dekorationen und Bauarbeiten zum Fest wurde die »Festordnungskommission« betraut, die »Literarische Kommission« mit der Besorgung einer Festgabe für die Jugend und schließlich organisierte die »Kommission für die Marbacher Feier« einen Ausflug nach Marbach und Ludwigsburg für den 11. November 1859 in Zusammenarbeit mit den dortigen, deutlich kleineren Festkomitees. Ein Vollziehungsausschuss, bestehend aus den Herren Gutbrod, Elben, Blum, Hackländer, Leins, Obach und Walcher sowie acht Adjutanten zu deren Unterstützung, leitete die Ausführungen am eigentlichen Festtag.638 Das Stuttgarter Komitee organisierte für die Tage vom 9. bis zum 11. November 1859 eine dreitägige Schillerfeier in Stuttgart unter Einbeziehung der für die Biografie Schillers ebenfalls bedeutsamen Orte Marbach und Ludwigsburg. Eine zentrale Stütze bei der Organisation der Stuttgarter Feier war die Schwäbische Chronik, die Lokalbeilage des Schwäbischen Merkurs, für die Otto Elben als Redakteur tätig war.

Die Schillerwoche in Stuttgart Otto Elben ist als Schriftführer des Schillerkomitees, Redakteur der Schwäbischen Chronik und Autor der offiziellen Erinnerungsschrift die zentrale Stimme in der Überlieferung zum Stuttgarter Schillerfest. Ähnlich wie bei Bernhard Endrulat in Hamburg, ist es hier die Sicht Otto Elbens, die den Blick auf die Stuttgarter Feier leitet und steuert. Seine ausführlichen Berichte erschienen zunächst als zwölfteilige Serie in der Schwäbischen Chronik und wurden anschließend zu großen Teilen wortgleich in die Festgeschichte übernommen.639 Den Auftakt zur Stuttgarter Schillerfeier bildete eine Ausstellung von Schillerbildern im Festsaal des Museums für Bildende Künste. Von ersten Bildnissen Friedrich Schillers aus seiner Zeit als Karlsschüler bis hin zu einer Zeichnung vom Tag seines Todes erwartete die Besucher der Ausstellung eine große Zahl an Portraits des gefeierten Dichters und seiner Familie.640 Die eigentlichen Festivitäten wurden dann am 9. November eröffnet mit Schulfeiern im Gymnasium, der polytechnischen Schule, der Realanstalt und im 638 Ebd. 1859, S. 7. 639 Elben 1859; Schwäbische Chronik, 9. November 1859, S. 1815; 10. November 1859, S. 1823, 1827 – 1828; 12. November 1859, S. 1835 – 1837, 1839 – 1841; 13. November 1859, S. 1847 – 1849. Nachfolgend sind jeweils beide Fundstellen angegeben. Soweit inhaltlich keine Differenzen in den Berichten vorliegen, folgen die Nachweise der Darstellung in Elben 1859. 640 Schwäbische Chronik, 10. November 1859, S. 1827 – 1828; Elben 1859, S. 8 – 12.

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Katharinenstift.641 Die Schulfeiern waren vom königlichen Kultusministerium landesweit auf den 10. November angesetzt worden, mussten jedoch in Stuttgart auf den 9. November verschoben werden, um eine Kollision mit der Hauptfeier zu vermeiden.642 Die »Literarische Kommission« des Schillerkomitees, der auch Johann Georg Fischer und Eduard Mörike angehörten, hatte eine Auswahl von Schiller-Gedichten zusammengestellt, die als Festgabe für die Schulen bei Cotta erschien.643 Der Verlag stellte 2000 Freiexemplare des Buchs für die Verteilung an Schüler in Stuttgart, Ludwigsburg und Marbach zur Verfügung.644 Ergänzt wurde diese Festgabe durch die Bereitstellung einer größeren Zahl SchillerJugendportraits durch den Stuttgarter Verlagsbuchhändler Karl Göpel. Die allgemeine Verbreitung der Schillerfeierlichkeiten in zahllosen deutschen Städten und Ortschaften hatte die Pläne des Stuttgarter Festkomitees durchkreuzt, »die verdientesten deutschen Namen in Poesie, Kunst und Wissenschaft zum Feste in Schillers Heimat zu versammeln«, da diese oftmals bereits in lokale Feierlichkeiten eingebunden waren.645 Immerhin gelang es, die letzte noch lebende Tochter des Dichters, Emilie von Gleichen-Rußwurm (1804 – 1872), zur Stuttgarter Schillerfeier hinzuzuziehen. Auch ein Enkel Schillers, Rittmeister Ernst Friedrich Ludwig Freiherr von Schiller (1826 – 1877), und die Nachkommen von Schillers jüngster Schwester Luise nahmen an der Stuttgarter Feier teil. Aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen konnte der Vater der Stuttgarter Schillerfeiern, Albert Schott. Unter denen, die nicht nach Stuttgart kommen konnten, waren bekannte Geistesgrößen und Schriftsteller wie Georg Gottfried Gervinus (1805 – 1871), Friedrich Rückert (1788 – 1866), Anton Alexander Graf von Auersperg (1806 – 1876), Franz Dingelstedt (1814 – 1881) oder Berthold Auerbach (1812 – 1882). Diejenigen, die dem Ruf des Stuttgarter Komitees gefolgt waren, versammelten sich am Nachmittag des 9. Novembers in den Räumen der Museumsgesellschaft zur Begrüßung durch das Stuttgarter und das ebenfalls anwesende Ludwigsburger Schillerkomitee.646 Für den Abend des 9. Novembers hatte das königliche Hoftheater Wallensteins Lager und die Piccolomini auf den Spielplan gesetzt. Neben König Wilhelm I. waren auch Schillers Familienangehörige im Theater versammelt. Eröffnet wurde die Festveranstaltung durch einen Prolog des Hoftheaterregisseurs und Komiteemitglieds Dr. Feodor Löwe, in dem der Regisseur und Dichter einerseits die lokale Herkunft des Gefeierten hervorhob, andererseits die FäSchwäbische Chronik, 12. November 1859, S. 1835; Elben 1859, S. 12 – 23. Neues Tagblatt, 16. Oktober 1859, S. 973; Elben 1859, S. 12 – 13. Schiller’s Gedichte. Auswahl für die Jugend, Stuttgart 1859, S. III. Elben 1859, S. 13. Zielgruppe waren 12- bis 16-Jährige. Schiller’s Gedichte. Auswahl für die Jugend, Stuttgart 1859, S. III. 645 Ebd. 1859, S. 23. 646 Schwäbische Chronik, 12. November 1859, S. 1835 – 1836; Elben 1859, S. 23 – 27. 641 642 643 644

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higkeit des Dichtergeburtstages zur Herstellung von Einigkeit und Gemeinschaft unter den sonst vielfach entzweiten deutschen Stämmen lobte: »Und strahlend trägt, dass er ›Seid einig‹ mahne, den Namen Schiller heut die deutsche Fahne.«647 Otto Elben betont in seiner Festgeschichte, dass der Prolog vom Publikum begeistert aufgenommen wurde und der Redner insbesondere bei der genannten Stelle »mit warmem, lange anhaltendem Beifalle unterbrochen« wurde.648 Mit dieser Auftaktveranstaltung im Hoftheater endete der erste Festtag. Das Hauptfest am 10. November wurde durch einen Festzug eröffnet. Mit rund 6000 Teilnehmern und einer großen Zahl an Zuschauern, die sich am Straßenrand und an den Fenstern der Häuser entlang der Festroute verteilten, war dieser Festzug der öffentliche Mittelpunkt der Stuttgarter Schillerfeier. Um möglichst vielen Einwohnern der Stadt die Teilnahme und den Besuch der Feier zu ermöglichen, blieben Geschäfte und Schulen am 10. November geschlossen. Hinsichtlich seiner äußeren Gestaltung schloss der Schillerfestzug an bereits bekannte Formen an, lediglich die thematische Ausrichtung der Dekoration war dem Anlass entsprechend gestaltet.649 »Stuttgart hatte sich zum 10. November geschmückt, als ob es Mai wäre«, schrieb Otto Elben in seiner Festgeschichte und verknüpfte damit das Geburtstagsfest des Dichters mit den traditionellen jährlichen Schillerfesten des Liederkranzes zu dessen Todestag am 9. Mai.650 Ziel des Umzugs war das Schillerdenkmal auf dem Schillerplatz am Alten Schloss, das für den Festtag mit Darstellungen von Figuren aus Schillerdramen verziert worden war. Vor dem Alten Schloss war eine Bühne für die Sänger errichtet worden, an der die Stadtwappen von Marbach, Ludwigsburg, Stuttgart, Mannheim, Jena, Gohlis und Weimar an die wichtigen Stationen im Leben des Dichters erinnerten und damit die biografische Relevanz Stuttgarts in dieser Reihe hervorhoben.651 Der Festzug wurde eröffnet von der berittenen Stadtgarde und einem Fahnenträger zu Pferde, der die Stuttgarter Stadtfahne trug. Es folgten der Gemeinderat und der Bürgerausschuss der Stadt Stuttgart, die Festgäste und das

647 Feodor Löwe: Prolog zur Feier des hundertjährigen Geburtstags Friedrich Schillers, in: Karl Tropus (Hg.): Schiller-Denkmal, Bd. 1, Berlin 1860, S. 588 – 591, S. 590. Löwe wies hier auch auf die Feiernden in der Neuen Welt hin. Zur Festaufführung im königlichen Theater am Abend des 9. Novembers siehe auch Schwäbische Chronik, 12. November 1859, S. 1836; Elben 1859, S. 27 – 29. 648 Elben 1859, S. 27. 649 So kamen u. a. Utensilien des Buchdruckerfests von 1840 zum Einsatz. Schwäbische Chronik, 27. Oktober 1859, S. 1729. 650 Elben 1859, S. 30. 651 Ebd.

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Schillerkomitee.652 Den Studierenden der Universität und den Künstlern schloss sich das für Stuttgart bedeutsame Druckgewerbe an. Buchhändler, Buchdrucker und Buchbinder marschierten gemeinsam mit den Vertretern der angeschlossenen Berufsfelder, darunter Holzschneider, Schriftgießer und Lithografen. Sie führten neben einem vergoldeten Guttenberg-Standbild eine mobile Buchdruckerpresse und eine Steindruckpresse mit sich, die während des Umzuges fortlaufend eine Prachtausgabe des »Liedes an die Freude« und ein Schillerbild druckten, die von den Festzugsteilnehmern an das Publikum entlang der Festroute und auf dem Schillerplatz verteilt wurden.653 Die Abteilung der Polytechniker wurde von drei Herolden eröffnet, die nebeneinander die deutschen (schwarz-rot-gold), die württembergischen (schwarz-rot) und die Stuttgarter Farben (schwarz-gelb) trugen. In den einzelnen Unterabteilungen marschierten die Vertreter von Mathematik und Physik, Chemie, Naturgeschichte, Zeichenkunst und Plastik, Architektur, Ingenieurwesen, Maschinenbau und Handel mit Insignien und Emblemen, die die jeweilige Disziplin repräsentierten.654 Ihnen folgten die Schüler des Gymnasiums, erkennbar an roten Kappen, die durch blaue Kappen gekennzeichneten Schüler der Oberrealschule und eine Gruppe von Mittel- und Volksschülern.655 Der Abteilung der Sänger ging ein Fahnenträger mit der Flagge des Schwäbischen Sängerbundes voran, dem die Gesangsvereine aus Marbach, Ludwigsburg, Esslingen, Cannstatt und Stuttgart folgten, »alle mit der Abwechslung ihrer Fahnen und Sängerzeichen, viele mit den deutschen Farben«.656 Ihnen schlossen sich die Pforzheimer und die Stuttgarter Feuerwehren an, Schützengilde und die Turngemeinde, deren Mitglieder sich zum Teil in ihrer Turnkleidung präsentierten, markierten die Mitte des Festzuges, dessen zweite Hälfte dominiert wurde von Handel, Gewerbe und Handwerk. Die Abteilung der Kaufmannschaft wurde angeführt von 24 schwarz-rot-gold beflaggten Reitern und einem Wagen mit den Fahnen aller Länder, mit denen die deutschen Länder in Handelskontakt standen. Besonderes Aufsehen erregte der Festwagen der Bäcker : Schillers Großväter Johannes Schiller (1682 – 1733) und Georg Friedrich Kodweiß (1698 – 1771) waren Bäcker gewesen, ein Umstand, den sich die Vertreter des Bäckereihandwerks nicht entgehen ließen. Sie führten im Festzug eine Nachbildung des Marbacher Schillerhauses mit sich, stellten während des Umzuges frische Schillerbretzeln her und verteilten sie an die Zuschauer am Stra-

652 Zum Festzug siehe Schwäbische Chronik, 12. November 1859, S. 1836 – 1837; Elben 1859, S. 30 – 37. Nachfolgende Belege nach Elben. 653 Elben 1859, S. 32 – 33. 654 Ebd., S. 33 – 34 655 Ebd., S. 34. 656 Ebd.

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ßenrand. Das Schillerhaus-Modell verwies zudem durch eine Inschrift auf den beruflichen Hintergrund der Dichterfamilie: »Eines Bäckers Enkel, klein geboren in dem Bäckerhaus, Strahlt doch Schillers Ruhm in alle Welt hinaus; Drum die Bäckerzunft vor Allen ist bereit, Würdig zu begehn die heut’ge Festlichkeit.«657

Eine breite Palette von Handwerkern, Landwirten und Händlern zeigte in der zweiten Festzugshälfte Beispiele ihrer Künste und Fertigkeiten. Wo möglich, wurden Bezüge zum gefeierten Dichter hergestellt: Die Gold- und Silberschmiede stellten eine Szene aus dem Schiller-Gedicht »Der Taucher« dar, indem sie König, Königstochter und den Taucher mit einem goldenen Becher als lebendes Bild inszenierten. Schiller-Büsten und andere Gipsgebilde wurden auf einem Ausstellungswagen vorgeführt, die vereinigten Metallarbeiter präsentierten eine Glocke und die Hutmacher hatten einen Karlsschüler-Hut für ihren Schutzpatron, den heiligen Jakobus, hergestellt.658 Das bürgerliche Schützenkorps der Stadt Stuttgart bildete die letzte Abteilung des Festzuges, der die Farben von Stadt, Region und Nation gleichermaßen verteilt aufwies. Sie erschienen im Bild- und Farbprogramm des Festzuges damit auf einer Ebene mit Symbolen und Emblemen von Berufsgruppen, Gesellschaften und Vereinigungen aller Art. Zugehörigkeit zu einer bestimmten beruflichen oder kulturellen Tätigkeit, städtische, regionale und nationale Identität waren somit gleichermaßen repräsentiert und schlossen sich keineswegs aus. Da, wo die deutschen Farben Verwendung fanden, wurden sie entweder durch regionale und lokale Bezüge eingerahmt und ergänzt oder, wie im Fall der Kaufmannschaft, in einen Kontext gestellt mit anderen (hier als Staaten gedachten) Nationen. Durch die Verwendung von historischen Kostümen aus der Zeit des Mittelalters und des Dreißigjährigen Krieges wurden historische Bezüge hergestellt, die allerdings keine besondere Verbindung zum Schillerfest hatten, sondern auch in anderen Aufzügen bereits Verwendung gefunden hatten.659 Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Stuttgarter Schillerfestzug kein dominierendes nationales Bildprogramm aufwies, sondern vielmehr unterschiedliche Ebenen identitärer Bezugsnahme zum Ausdruck brachte, die sich zum Teil auch überlagerten und ergänzten, wie berufliche Tätigkeiten, kulturelle Aktivitäten, bürgerliches Engagement in Vereinen und Gesellschaften aller Art, städtische, regionale und nationale Identität. Da der Festzug nicht vom Schillerkomitee durchorganisiert worden war und auch keine vorherigen Genehmigungen für 657 Ebd. 658 Ebd., S. 35. 659 Vgl. Christa Mack, Bernhard Neidiger (Hg.): Hoffest, Bürgerfeier, Volksbelustigung. 700 Jahre öffentliche Festkultur in Stuttgart, Stuttgart 1989.

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mitgeführte Symbole und Embleme eingeholt werden mussten, waren die einzelnen Festzugsabteilungen Ausdruck des identitären Selbstverständnisses der jeweiligen Teilnehmer – nationale Bezüge dominierten dabei nicht. König Wilhelm I. betrachtete den Festzug vom offenen Fenster des Kronprinzenpalais aus und wurde von den vorbeiziehenden Festzugsteilnehmern wiederholt mit Hochrufen begrüßt.660 Auch Emilie Gleichen-Rußwurm verfolgte das Geschen von einem Fenster in der Königsstraße aus, während die männlichen Mitglieder der Schiller-Familie an der Festzugsspitze mitmarschierten.661 Am festlich geschmückten Schillerplatz wurde der Festzug mit Glockengeläut empfangen – schon die Denkmalsenthüllung war 1838 auf ähnliche Weise eingeläutet worden.662 Die Teilnehmer versammelten sich vor dem Schillerdenkmal und nach einem einleitenden Chorgesang hielt der Komiteevorsitzende und Stadtschultheiß Gutbrod eine kurze Ansprache.663 Auch in Gutbrods Rede wurde eine Verbindung hergestellt zwischen nationalen und lokalen Handlungsebenen. »Wir stehen vor dem schönen Denkmale, welches vor 20 Jahren das deutsche Volk unserem großen Landsmann Schiller erbaute, das wir mit inniger Dankbarkeit und Liebe eingeweiht, als Gemeindeeigentum übernommen und seither mit unserer Hochachtung umgeben und bewacht haben«, führte Gutbrod aus und betonte den nationalen Charakter der Schillerfeier, »ein Fest des deutschen Geistes«. Die Bedeutung der Schillerfeier als Nationalfest lag für Gutbrod in der Unabhängigkeit seiner Begehung von Konfession und politischen Parteien. Insgesamt ist die kurze Ansprache Gutbrods jedoch keineswegs als nationale oder nationalisierende Festrede zu verstehen. Kritischen Stimmen aus religiösen Kreisen, die nicht nur in Stuttgart der Schillerfeier skeptisch bis ablehnend gegenüber standen und in ihr den Vollzug von Götzendiensten befürchteten, trat der Redner ausgleichend und versöhnend gegenüber, indem er den Vorwurf der Vergötterung Schillers zurückwies und betonte, dass alle Begabung des Menschen letztlich von Gott käme und damit in der Verehrung menschlicher Leistungen auch immer die Verehrung Gottes selbst aufgehoben sei.664 Zum Abschluss trugen die Chöre noch einen von Komiteemitglied Speidel komponierten Festgesang vor, anschließend strömte ein großer Teil der Anwesenden zum königlichen Reithaus in der Neckarstraße. Das königliche Reithaus, die größte in der Stadt zur Verfügung stehende Halle, war zum Schillerfest in einen Veranstaltungssaal umgebaut worden. Das Komitee hatte für den Festakt 2600 Karten verkauft, hinzu kamen über 250 Mitwirkende, die direkt in die Aufführung involviert waren, darunter ein ver660 661 662 663 664

Elben 1859, S. 37. Ebd., S. 31, 35. Carl Theodor Griesinger : Stuttgart am achten Mai, Stuttgart 1839, S. 60. Schwäbische Chronik, 12. November 1859, S. 1839; Elben 1859, S. 38 – 39. Elben 1859, S. 38.

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einter Chor aus Mitgliedern des königlichen Hoftheaters, des von Faißt geleiteten Vereins für klassische Chormusik, des Liederkranzes und der Musikschule.665 Die Festrede in der königlichen Reithalle hielt Johann Georg Fischer.666 Auch Fischer hielt sich in seiner Rede mit nationalen Anspielungen zurück und betonte stattdessen den hohen Wert, den Schiller und seine Werke für bürgerliche Kreise habe. Zwar hob Fischer hervor, dass die Deutschen über Schiller und die Schillerfeier ihre nationale Zusammengehörigkeit zum Ausdruck brächten, jedoch blieb dieser Hinweis lediglich eine Randnotiz in seiner Festrede, in der er ausdrücklich die Großherzigkeit des Königs hervorhob, dessen Unterstützung die Feier in der Reithalle erst möglich gemacht hätte.667 Es folgte Musik von Mozart und ein Vortrag der Glocke durch Hoftheaterregisseur Karl Grunert, zum Abschluss des Festaktes wurde Beethovens 9. Symphonie intoniert. Festessen in den Sälen des oberen Museums und in den Räumen der Bürgergesellschaft leiteten den geselligen Ausklang des Festtages ein. Beim Festmahl des Festkomitees wurden Toaste ausgebracht auf König Wilhelm I. von Württemberg, auf Friedrich Schiller, die Festgäste, Württemberg, und – vorgetragen von Otto Elben – auf das deutsche Vaterland.668 Elben freute sich über die weltweite Verbreitung des Schillerfestes und die Vereinigung der Deutschen überall auf der Welt im Andenken an den Schwaben Friedrich Schiller.669 Das deutsche Volk fühle, so Elben, »dass der schönste Inhalt der deutschen Schillerfeier ein nationaler ist«.670 Es sei dabei kein Zufall, dass das Schillerfest »im Geiste des Gefeierten über alle Gaue hin die Weihe der Eintracht« unter den Deutschen ausgegossen habe.671 Deren Vereinigung stellte Elben in einem direkten Zusammenhang mit den politischen Geschehnissen des Jahres 1859: »Das Jahr der Bedrängnis von außen, es lässt uns an seinem schönsten Festtage ahnen, was deutsche Sitte und deutsche Kraft vermöchte, wenn sie nur eins sein wollte. […] Ein Lichtpunkt strahlt hoch über das deutsche Vaterland in der herrlichen Schillerfeier und ›froher blicken wir in die Gegenwart und in der Zukunft hoffnungsreiche Ferne‹.«672

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Schwäbische Chronik, 12.. November 1859, S. 1839 – 1840; Elben 1859, S. 40. Schwäbische Chronik, 12. November 1859, S. 1831 – 1832; Elben 1859, S. 40 – 43. Elben 1859, S. 40. Schwäbische Chronik, 12. November 1859, S. 1840 – 1841; Elben 1859, S. 45 – 54; Neues Tagblatt, 12. November 1859, S. 1061. Elben 1859, S. 47 – 48. Ebd., S. 48. Hervorhebungen im Original. Ebd. Ebd. Hervorhebungen im Original. Das Zitat stammt aus dem Prolog zu Wallensteins Lager.

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Elben definierte die Schillerfeier durchweg als eine nationale Feier, als »großartige Erscheinung im geistigen Leben der deutschen Nation«.673 Ausdrücklich hob er die nationalpolitische Situation des Jahres 1859 als Kontext für die Schillerfeier hervor und machte die aufgewühlte öffentliche Stimmung infolge des Italien-Krieges als zentralen Mobilisierungsfaktor für die Festivitäten aus: Man hatte früher etwa in den größeren Städten Deutschlands eine Feier des 10. November erwartet, an eine Ausdehnung über alle Gaue, über Stadt und Land, ja über das ganze Gebiet deutscher Zunge hatte man nicht gedacht. Was jetzt Alle bewegte, es ist der nationale Inhalt der deutschen Schillerfeier.674

schrieb Elben, und weiter : »[…] die geistige Arbeit auf dem nationalen Felde ist keine vergebliche gewesen, sie hat, begleitet von der überwältigenden Illustration des großen politischen Dramas in Europa, in jedes ehrliche deutsche Herz mit unauslöschlicher Schrift die ernsten Mahnworte geschrieben, dass nur eine wenn auch langsame doch stetige Entwicklung zur nationalen Einheit dem deutschen Volke seine Zukunft verbürgt. In dem Sturm des Jahres 1859 sucht der Deutsche einen Halt, einen geistigen Mittelpunkt. Das Volk hat ein Bedürfnis, sich eins zu fühlen, es will sein Einheitsgefühl laut bekennen, seinem Drange Worte geben: Schiller ist dem deutschen Idealismus der Mittelpunkt.«675

Die Schillerfeier erscheint hier als Gelegenheit zur öffentlichen Artikulation, als eine Art Ventil für ein zunehmendes öffentliches Bedürfnis, Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit zum Ausdruck zu bringen und herzustellen: »Nicht literarische Liebhaberei, oder die Lust lauten Jubelns, oder Modesucht hat die deutsche Schillerfeier geboren, sie ist empfangen in der nationalen Bedrängnis. Und so möge denn die deutsche Nation als schöne Frucht ein Stück Einigkeit aus der Feier erwerben. So einig, so herzlich und brüderlich, wie wir in Schillers Gedächtnis sind, warum können oder wollen wir es denn sonst nicht sein?«676

Gerade in der Unterschiedlichkeit und den Differenzen der deutschen Stämme sah Elben dabei ein Charakteristikum des Deutschen, rief aber zugleich dazu auf, das Gemeinsame, das Nationale stets darüber zu stellen. »Wir haben in unserem so reich gegliederten Volksleben einmal die Summe der deutschen Gegensätze und Unterschiede. Wir haben nicht gleich anderen Völkern jene starre, alles niederkämpfende Zentralisation. Das ist auch ein Stück deutschen Charakters, und aus dieser Eigentümlichkeit, aus dem Unterschiede der Stämme entspringen dem Ganzen seine Früchte. Aber es tut für Alle, für Stämme wie für Fürsten Not, die Sondergeltung in ihrem Maße zu halten. Lasset die Berechtigung der Stämme 673 674 675 676

Ebd., S. III. Ebd., S. 4. Hervorhebungen im Original. Schwäbischer Merkur, 9. November 1859, S. 1815. Ebd. Ebd., S. 5. Hervorhebungen im Original.

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gelten, ja ihre Gegensätze, aber das Höhere muss immer die gemeinsame Mutter sein.«677

Für Otto Elben war die Schillerfeier durch die politischen Entwicklungen des Jahres 1859 von einer literarisch-poetischen Dichterfeier zu einer politischnationalen Einheitsfeier ausgewachsen, von der er sich zugleich Auswirkungen auf die zukünftige nationalpolitische Entwicklung versprach. Das gemeinschaftliche Handeln im Fest, so die hier klar ausgeführte Hoffnung, könne für eine weitergehende, allgemeine und über das Fest hinausweisende Einheit der Deutschen in einer unbestimmten aber erreichbaren Zukunft den Grundstein legen.678 Es ist bei dieser Programmatik wenig verwunderlich, dass der Historiograph der Stuttgarter Schillerfeier nicht nur am Abend des 9. Novembers das Publikum im königlichen Theater in einer durchweg nationalen Stimmung vorfand.679 Auch in seiner abschließenden Bewertung der Stuttgarter Schillerfeier kam der Autor – erneut unter Verwendung des bereits in seinem Toast verwandten Wallenstein-Zitats – zu dem durchweg positiven Schluss, »es war ein Fest Aller, es war ein Volksfest, ein deutsches Volksfest, erhaben in seinem Gehalte, dem bei so viel Liebe und Begeisterung die schöne Form nicht fehlen konnte. Schwaben darf stolz sein auf seinen Teil an der deutschen Schillerfeier, und Deutschland nach solchen Tagen ›froher blicken in der Zukunft hoffnungsreiche Ferne‹.«680 Nur der Schriftsteller Wilhelm Zimmermann schloss sich dieser offen politischen Deutung an und verwies in seinem Toast auf die gefährdete staatsnationale Integrität Deutschlands, indem er auf Schleswig-Holstein und die durch den Italienkrieg verloren gegangene Lombardei verwies: »Mir dünkt, viele Deutsche haben jüngst dieses Wörtlein Schillers vergessen681 als im Süden ein schmerzlicher Riss am Reiche geschah, und abgerissen ward, was tausend Jahre dazu gehört hat. Sie nahmen das hin und rauchten und tranken gemütlich fort, als handelt’ es sich um einen Pfifferling. Lernen wir von Schiller : Keine Scholle Erde soll vom deutschen Vaterland abgerissen werden! Und ich bringe einen Trinkspruch auf unsers Schillers kerndeutsche, nationale Gesinnung. Schiller, der Mann deutschnationalsten Sinns und Worts, Schiller, der Patriot lebe hoch!«682

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Ebd., S. 5. Hervorhebungen im Original. Ebd. Ebd., S. 29. Ebd., S. 78. Hervorhebungen im Original. »Meint er, ich soll ihm ein schönes deutsches Land zum Raube geben – / Am wenigsten sollen die Goten, diese Hungerleider, / Vom Reiche etwas fischen«, Elben 1859, S. 52. Zimmermann führt hier verschiedene Stellen eines Dialogs zwischen Wallenstein Terzky in Schillers Piccolomini, 5. Auftritt, zusammen. 682 Elben 1859, S. 53. Hervorhebungen im Original.

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Schließlich forderte auch Ludwig Uhland die Einheit, die »Concordia« der Deutschen ein und erinnerte daran, dass auch »jenseits des Ozeans […] Deutsche die nun seit zehn Jahren in der Verbannung leben, von einer heftig erregten Zeit her, in welcher selbst die Höchsten und Edelsten nicht auf festem Boden standen, diesen Laut vernehmen [werden], mit schmerzlicher Erinnerung und doch mit freudigem Stolz auf den Gewaltigen aus dem Heimatlande«.683 In den Räumen der Bürgergesellschaft, wo sich der Liederkranz, die auswärtigen Sänger und zahlreiche Festzugsteilnehmer aus dem Kreis der Gewerbetreibenden versammelt hatten, wurden ebenfalls Trinksprüche ausgebracht, wobei auch hier nationale Töne kaum vernehmbar waren.684 Das Neue Tagblatt berichtete von einer spontanen Vernetzung der Festgesellschaft mit auswärtigen Feiernden. Während des Festmahls traf ein Telegramm der Sänger aus Kiel ein, »der voll echter deutscher Gesinnung den schwäbischen Brüdern herzlichen Glückwunsch zur allgemeinen Feier brachte«.685 Der Liederkranz schickte auf telegrafischem Wege sofort eine Antwort gen Norden und bedachte bei dieser Gelegenheit auch die Liederkränze in Weimar, Dresden und Frankfurt am Main.686 Gegen 19 Uhr kam erneut eine Menschenmenge auf dem beleuchteten Schillerplatz zusammen. Mendelssohns Vertonung von Schillers Gedicht »An die Künstler« wurde vorgetragen, ein Hoch auf den Dichter ausgebracht und zum Schluss sangen die Männerchöre den Priesterchor aus der Zauberflöte, während auf den umliegenden Höhenzügen des Stuttgarter Talkessels Freudenfeuer entzündet wurden, »Schillers Verehrung aller Orten verkündend!«.687 Erneut fanden die Feiernden anschließend im Saal der Bürgergesellschaft zusammen, um den Abend gesellig ausklingen zu lassen. Dr. Ludwig Blum vom Liederkranz begrüßte die Festgäste mit einer kurzen Ansprache, in der er noch einmal auf die weite Verbreitung der Schillerfeier und die besondere Bedeutung Stuttgarts als Lebensort des Dichters einging. »Unter allen aber, die den hundertjährigen Geburtstag Schillers festlich begehen, sind wir Schwaben, die Wächter der Wiege Schillers, am höchsten begünstigt. Hier ist der geweihte Boden«, führte Blum aus und erklärte, dass das schwäbische Fest erst durch den Besuch von Festgästen aus verschiedenen Teilen Deutschlands zu einem nationalen Fest geworden sei.688

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Elben 1859, S. 53. Ebd., S. 54 – 56. Neues Tagblatt, 13. November 1859, S. 1065. Ebd. Schwäbische Chronik, 12. November 1859, S. 1840 – 41; Elben 1859, S. 59. Elben 1859, S. 59.

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Ausflug nach Ludwigsburg und Marbach Am dritten Festtag, dem 11. November, fand ein Ausflug zu den benachbarten Schiller-Orten Ludwigsburg und Marbach statt, den viele Teilnehmer zu Fuß oder mit angemieteten Wagen antraten.689 Für die Fahrt nach Ludwigsburg war aber auch ein Sonderzug genehmigt worden, der rund 500 Besucher in die Nachbarstadt beförderte.690 Hier wurden die Gäste aus Stuttgart am Bahnhof von dem Ludwigsburger Stadtschultheiß Dr. Karl Friedrich Bunz empfangen und in einem Rundgang durch die Stadt zu Schillers Wohnhaus geführt, das zum Festtag mit einer Erinnerungstafel ausgestattet worden war.691 Anschließend zog die Festgesellschaft weiter nach Marbach, um das Geburtshaus des Dichters aufzusuchen, das zum Schillerjubiläum erworben, saniert und in Teilen wieder in seinen alten Zustand zurückversetzt worden war.692 Marbach war – wie auch Ludwigsburg – zum Schillertag geschmückt worden, auch hier fand sich der Dreiklang von lokalen, regionalen und nationalen Fahnen und Dekorationselementen, die am Tag zuvor im Stuttgarter Festzug beobachtet werden konnte – das Schillerhaus selbst war mit einer großen schwarzrot-goldenen Fahne ausgestattet worden.693 Der Marbacher Stadtschultheiß Sigel begrüßte die Gäste im Rathaus, anschließend zogen die Feiernden unter Glockengeläut und Kanonenschüssen zum Schillerhaus. Johann Georg Fischer hielt eine kurze Festrede, anschließend wurde das Haus als nationale Gedenkstätte eingeweiht. Als zweiter Höhepunkt wanderten die Teilnehmer nun auf die Schillerhöhe, wo die Grundsteinlegung des Schillerdenkmals erfolgte.694 Das anschließende Festmahl musste einige Gäste bereits frühzeitig verlassen, um rechtzeitig zur Aufführung von Wallensteins Tod im Hoftheater wieder in Stuttgart zu sein. Das Marbacher Fest schloss mit einem Freudenfeuer und einem Fackelzug zum Schillerhaus.695

689 Schwäbische Chronik, 13. November 1859, S. 1847 – 1848; Elben, S. 61 – 64. 690 Ebd. 6. November 1859, S. 1797. 691 Über den Erwerb und die Sanierung des Schillerhauses s. Schwäbische Chronik, 10. November 1859, S. 1823. 692 Siehe auch die Sonderausgabe der in Stuttgart erscheinenden Illustrierten Zeitung Über Land und Meer vom 10. November 1859. 693 Elben 1859, S. 67. 694 Schwäbische Chronik, 13. November 1859, S. 1848 – 1840; Elben 1859, S. 67 – 71. Das Denkmal nach einem Entwurf des Bildhauers Ernst Friedrich Rau wurde erst 1876 eingeweiht und besteht aus französischer Geschützbronze. 695 Elben 1859, S. 74.

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Abb. 3: Das Schillerhaus in Marbach696

Zwischen Region und Nation – Festberichterstattung in Stuttgart Stuttgart, Marbach und Ludwigsburg fanden als biografisch relevante Festorte fast überall Aufnahme in die Festberichterstattung. Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistete auch die Teilnahme von Zeitgenossen Schillers, ehemaligen Karlsschülern und nicht zuletzt von Schillers Tochter, Emilie Gleichen-Rußwurm. Insbesondere Schillers Tochter sorgte mit einer in zahllosen Zeitungen veröffentlichten Zeitungsannonce für erhöhte Aufmerksamkeit, in der sie alle Komitees und Festorganisatoren bat, ihr Festprogramme und Festgaben zur Schillerfeier zu übersenden. Emilie Gleichen-Rußwurm wurde daraufhin von Einsendungen geradezu überschüttet. Programme, Festpublikationen, Sonderausgaben von Zeitungen und Zeitschriften sowie zahllose Telegramme wurden nach Stuttgart übersandt und bilden noch heute im Bestand des Deutschen Literaturarchivs in Marbach eine der umfassendsten Sammlungen zu den Schiller-Festaktivitäten im November 1859. 696 Über Land und Meer, 10. November 1859, S. 753.

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Von den Stuttgarter Zeitungen berichteten der Schwäbische Merkur und die Schwäbische Chronik am umfangreichsten, die Chronik vor allem über die Schillerfeiern in Stuttgart, Württemberg und Baden. Der Merkur berichtete in 62 Meldungen aus 40 deutschsprachigen Städten, davon 11 in der nahen Schweiz. Aus dem nicht deutschsprachigen Ausland wurden Schillerfeiern in 92 Städten gemeldet, allerdings waren 71 davon Teil einer Sammelmeldung über die Festivitäten in den USA.697 Von den deutschen Städten waren Berlin und Wien die meistgenannten Festorte, gefolgt von München, Schleswig und Frankfurt am Main. Aus der Schweiz wurde besonders über Bern, St. Gallen und Zürich berichtet. Paris und Brüssel waren die meistgenannten Schillerfestorte im europäischen Ausland. New York, Philadelphia und San Francisco fanden auch außerhalb der genannten Sammelmeldung mehrfach Aufnahme in die Berichterstattung des Merkur. Inhaltlich wertete die Zeitung die Schillerfeier als »Manifestation des Deutschtums, des politischen und kirchlichen Fortschritts«.698 Besonders wichtig erschien dem Blatt »das Verhalten fremder Nationalitäten«: Während die Dänen und die Ungarn sich teilweise recht offen gegen die Schillerfeier gestellt hätten, sei der Dichter von den Tschechen als kosmopolitischer Dichter entnationalisiert und die Feier als Chance genutzt worden, die Anfänge der eigenen Literatur zu feiern. In Frankreich habe es zwar Feiern in Paris und Bordeaux gegeben, die französische Presse jedoch habe sich eher ablehnend verhalten. In England sei die Schillerfeier freundschaftlich aufgenommen worden, allerdings werde dort die politisch-nationale Seite der Feier verkannt, die über die kulturnationale Einigung der Deutschen, wie sie im Fest zum Ausdruck komme, weit hinausgehe. Insgesamt zeigte sich der Merkur von der Schillerfeier begeistert: »Es war ein noch nicht da gewesener Aufruf an alle in der ganzen Welt zerstreuten Deutschen, die noch deutsch fühlen, an alle Verehrer des deutschen Genius, ein pangermanisches Fest, wie es vielleicht nur der altgriechischen Nation in ähnlicher Weise zu feiern vergönnt war, deren Glieder in alle Welt zerstreut sich auch als Landsleute ihrer großen Dichter fühlten.«699

Die Lokal- und Regionalberichterstattung überließ der Merkur wie gewohnt seiner Beilage, der von Otto Elben betreuten Schwäbischen Chronik. Das Blatt war eine große organisatorische Stütze für die Festvorbereitungen in Stuttgart und berichtete in fast täglichen Artikeln über die Festaktivitäten, druckte Ein-

697 Schwäbischer Merkur, 29. November 1859, S. 1453 – 1454. 698 Ebd., 1. Dezember 1859, S. 1461. 699 Schwäbischer Merkur, 1. Dezember 1859, S. 1461.

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ladungen und Aufrufe zu Chorproben und Versammlungen, gab Programme bekannt und wies auf organisatorische Besonderheiten hin.700 Neben der Chronik diente auch das Neue Tagblatt als Organisationshilfe. Hier wurde mehrfach über die Vorbereitungstreffen der Buchdrucker, der Feuerwehr und verschiedener Innungen berichtet, riefen Anzeigen zu Proben auf, wurden Informationen zur Festzugsorganisation, zum Bezug von Eintrittskarten und zum Ablauf der Festessen bekanntgegeben.701 Auch für kommerziell Interessierte waren die Schwäbische Chronik und das Neue Tagblatt geeignete Ansprechpartner. Gewerbliche Anbieter boten im Anzeigenteil unterschiedliche Produkte und Dienstleistungen im Zusammenhang mit der bevorstehenden Schillerfeier an. Neben den üblichen Druckwerken in Wort und Bild fanden sich hier unter anderem Schiller-Büsten, Transparente, Dekorationsmaterial aller Art, Feuerwerk, Schaumweine mit Schiller-Etiketten, Schiller-Bier, Schiller-Brot, Würste, Schillers Geburtshaus als Modellbausatz für Knaben oder Rollos mit Bildern des Schiller-Geburtshauses in Marbach oder Portraits des Dichters.702 Das Neue Tagblatt bat seine Leser, »dass während der drei kommenden Schillertage bei den verschiedenen Festessen nur deutsche Weine konsumiert werden möchten«, die es durchaus mit Produkten aus dem Ausland aufnehmen könnten.703 Darüber hinaus wurden auch hier Dekorationsmaterialien, NeckarSchaumweine mit Schiller-Bildnissen, Papier-Laternen und Fenster-Rollos angeboten.704 Einige Inserenten nutzten die Chance, Tribünenplätze oder Fenster an der Festzugsroute zur Miete anzubieten.705 Obwohl das Neue Tagblatt der Schillerfeier grundsätzlich positiv gegenüberstand, war der repräsentierte Festraum in ihren Spalten vergleichsweise klein und umfasste lediglich 17 Festorte im deutschen Sprachraum. Mit Liverpool, Paris und Petersburg waren gerade einmal drei Städte im europäischen Ausland vertreten. Auch der Staats-Anzeiger für Württemberg, der nur sehr eingeschränkt über die Feierlichkeiten berichtete, brachte es auf 17 Feststädte in

700 Beispielhaft: Schwäbische Chronik, 27. Oktober 1859, S. 1730, 28. Oktober 1859, S. 1738, 2. November 1859, S. 1767 – 1768, 9. November 1859, S. 1815 – 1816. 701 Neues Tagblatt, 25. Oktober 1859, S. 973, 28. Oktober 1859, S. 1013, 29. Oktober 1859, S. 1017, 30. Oktober 1859, S. 1021, 1. November 1859, S. 1025, 2. November 1859, S. 1030, 6. November 1859, S. 1046, 9. November 1859, S. 1054 – 1055 usw. 702 Vgl. Schwäbische Chronik, 23. Oktober 1859, S. 1717, 29. Oktober 1859, S. 1746, 1. November 1859, S. 1758 – 1759, 5. November 1859, S. 1796, 6. November 1859, S. 1806, 8. November 1859, S. 1812 – 1813, 9. November 1859, S. 1821. 703 Neues Tagblatt, 9. November 1859, S. 1053. 704 Ebd., 5. November 1859, S. 1042; 6. November 1859, S. 1046, 8. November 1859, S. 1059, 9. November 1859, S. 1054 – 1056, 10. November 1859, S. 1059 u. a. 705 Neues Tagblatt, 9. November 1859, S. 1055, 1056; 10. November 1859, S. 1059.

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deutschsprachigen und 3 in europäischen Städten – Brüssel, London und Paris.706 Während in den Stuttgarter Zeitungen der nationale Festraum in üblicher Weise abgebildet wurde, sticht die Festberichterstattung der lokal und regional ausgerichteten Schwäbischen Chronik deutlich hervor. Hier wurde im Verlauf der Festberichterstattung mit 90 Festberichten aus 71 unterschiedlichen Städten und Ortschaften aus Württemberg und dem angrenzenden Baden ein außergewöhnlich umfassendes regionales Netz von teilnehmenden Festorten abgebildet. Eingeleitet wurde diese extensive Berichterstattung zudem mit dem Hinweis, dass eine umfassende Berichterstattung nicht möglich sei und man sich daher gezwungen sehe, lediglich »von jeder Gegend das Eigentümliche, Charakteristische wiederzugeben«.707 Es kann an dieser Stelle nicht geklärt werden, ob und inwieweit diese außergewöhnlich breite regionale Berichterstattung in einem Zusammenhang zu bringen ist mit dem Projekt der Herstellung eines württembergischen Flächenstaats und einer damit verbundenen Integration der unterschiedlichen Landes- und Bevölkerungsteile. Es ist auch denkbar, dass quer zur staatspolitischen Entwicklung Württembergs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine schwäbische Identität hier Berücksichtigung fand – die Einbeziehung von Teilen Badens in die Berichterstattung spricht zunächst dafür. Auf der anderen Seite wurden in der Schwäbischen Chronik Berichte aus Baden gesondert ausgewiesen, die schwäbische Integrität in der Berichterstattung durchaus territorial gebrochen. Vieles spricht m. E. dafür, dass hier auf medialer Ebene ein territorialer und identitärer Integrationsprozess abgebildet wird, der unterhalb der nationalen Ebene eine regionale Einheit repräsentierte und zugleich herstellte. Die Entwicklung des modernen Flächenstaates Württemberg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich jedenfalls nicht auf Fragen der Verwaltungsreform und der verwaltungstechnischen Integration von Landesteilen reduzieren. Hier böte sich eine Möglichkeit für einen Zugriff auf die medial gestützte kulturelle und identitäre Integration der Bevölkerung in den Regionen. Die Schillerfeier in Stuttgart, Ludwigsburg und Marbach zeichnete sich aus durch ein hohes Maß lokalen und regionalen Bewusstseins am Lebensort des gefeierten Dichters. Lokale, regionale und nationale Symbolik fand gleichermaßen Eingang in die Dekoration und das Bildprogramm des Festzuges wie Bezüge zu beruflichen oder kulturellen Tätigkeiten. Eine Dominanz des Natio706 Der Staats-Anzeiger veröffentlichte das Festprogramm und berichtete über die Schulfeiern, den großen Festzug, den Festakt im Reithaus und die Abschlussfeierlichkeiten in Ludwigsburg und Marbach. Staats-Anzeiger für Württemberg, 2. November 1859, S. 2151, 12. November 1859, S. 2215 – 2216, 13. November 1859, S. 2226. 707 Schwäbische Chronik, 15. November 1859, S. 1853.

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nalen lässt sich an keiner Stelle beobachten, obwohl die Berichterstattung – und nach Angabe Elbens auch die Programmgestaltung708 – fast vollständig von Otto Elben beherrscht wurde, der eine explizit nationale Deutung der Schillerfeier vornahm und sie in den tagespolitischen Kontext und Diskurs einordnete. Auch in seinen Lebenserinnerungen widmete Elben dem Fest ein eigenes kleines Kapitel und fasste nochmals seine Sicht auf die Feier pointiert zusammen: »In erhebender Weise war denn auch, wie überall auf dem Erdenrund, wo Deutsche sich fanden, das Fest die schönste Kundgabe von dem erwachten Nationalgefühl, dem ernsten Wollen, endlich auch ein Volk zu sein. Diesen Geist atmete auch unser Fest. […] Es war ein großartiges von nationalem Geist getragenes Fest, wie ich kein zweites zu nennen wüsste.«709

Auch die offizielle Stuttgarter Stadtchronik hielt das Schillerfest als bedeutsames Ereignis des Jahres 1859 fest. Anders als bei Otto Elben stehen hier allerdings Nation und Region auf einer Stufe: »Schillers hundertjähriger Geburtstag wird, wie in der ganzen Welt, wo Deutsche wohnen, so besonders in der Hauptstadt seines Heimatlandes festlich gefeiert – eine landsmännische, dem Stolz: er war unser! und eine deutschnationale, dem Einheitsdrang Ausdruck gebende Feier zumal.«710

München Nach der Regierungsübernahme durch Maximilian II. 1848 wurden in Bayern umfangreiche Reformen eingeleitet, die zu einer Liberalisierung und Öffnung unter anderem in den Bereichen der Presse und der Justiz führten. Lenkende Hand blieben weiterhin der König und der bayerische Außenminister und Vorsitzende des Ministerrats, Ludwig von der Pfordten (1811 – 1880), die gemeinsam die Politik Bayerns in den 1850er Jahren bestimmten.711 Primäres Ziel der Innen- und Außenpolitik war die Erhaltung der bayerischen Eigenständigkeit. Außenpolitisch schlug sich dies nieder in der Triaspolitik, unter der die deutschen Mittelstaaten unter bayerischer Führung vereint werden sollten, um so ein Gegengewicht zu Preußen und Österreich im Deutschen Bund zu schaffen. Innenpolitisch wurde diese Politik ergänzt durch ein groß angelegtes Programm zur Entwicklung und Festigung eines bayerischen Nationalgefühls. Auch die innen-, kultur- und sozialpolitischen Reformen der 1850er Jahre standen im 708 Otto Elben: Lebenserinnerungen 1823 – 1899, Stuttgart 1931, S. 132. 709 Ebd., S. 132 – 133. 710 Julius Hartmann: Chronik der Stadt Stuttgart. Sechshundert Jahre nach der ersten denkwürdigen Nennung der Stadt (1286), Stuttgart 1886, Seite 263. 711 Von der Pfordten trat 1859 zurück.

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Dienst bayerisch-nationalpolitischer Hoffnungen. Maximilian II. investierte dabei einerseits in Projekte zur Begründung und Verankerung der bayerischen Nationalidee, andererseits in die Modernisierung insbesondere der Wissenschaften und der Universität, um die Rückständigkeit Bayerns zu verringern und das Königreich auf Augenhöhe mit Preußen zu führen.712 Der König hatte u. a. Geschichte und Staatsrecht in Göttingen und Berlin studiert und legte als wissenschaftsbegeisterter Monarch während seiner Regierungszeit einen Schwerpunkt auf die Entwicklung und Förderung der Wissenschaften. Er unterschied sich darin von Ludwig I., der sich stärker um die Künste gekümmert hatte und auch weiterhin als Kunst- und Kulturmäzen tätig war. Führende Wissenschaftler wie Justus Liebig oder Leopold von Ranke wurden nach München berufen, mit der Gründung des Historischen Seminars und der Historischen Kommission an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unter Heinrich von Sybel wurden entscheidende Schritte zur Professionalisierung der Geschichtswissenschaft in Bayern mit Wirkungskraft weit darüber hinaus unternommen. Der König schätzte den Austausch mit Wissenschaftlern und Künstlern und veranstaltete wöchentliche Treffen mit den Professoren der Universität, führenden Malern, Dichtern oder Schriftstellern.713 Während einerseits Wissenschaft und Kultur in München durch die Berufungspolitik des Königs enorm profitierten, trug Maximilian II. die Einbindung der »Nordlichter« aber auch Kritik ein, zumal pointiert protestantisch und kleindeutsch eingestellte Männer wie Heinrich von Sybel im katholisch-patriotischen Lager gleich vielfach Widerspruch hervorriefen und das bayerische Nationsbildungsprojekt eher konterkarierten.714 Die Vorbereitung und Durchführung der Münchener Schillerfeier wurde maßgeblich von den wissenschaftlichen und künstlerischen Kreisen um Maxi712 Für den historischen Kontext vgl. Hans-Michael Körner : Geschichte des Königreichs Bayern, München 2006. In den Kontext des bayerischen Nationsbildungsprogramms gehören u. a. die bereits unter Ludwig I. geplante und unter Maximilian II. eingeweihte Ruhmeshalle in München, die Gründung des Bayerischen Nationalmuseums, Trachtenförderung und Bemühungen um eine bayerische Nationalhymne, Schulbuchreformen, Belebung Historischer Vereine, Neugestaltung des Oktoberfests usw.; Vgl. auch Wilhelm Liebhart: Königtum und Politik in Bayern, Frankfurt am Main 1994; Hans-Michael Körner : Staat und Geschichte in Bayern im 19. Jahrhundert, München 1992; Andreas Kraus: Geschichte Bayerns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 32004, S. 493 – 518; Hans Rall: Die politische Entwicklung von 1848 bis zur Reichsgründung 1871, in: Max Spindler (Hg.): Handbuch der Bayerischen Geschichte, Bd. 4/1, München 1974, S. 228 – 282. 713 Manfred Pix (Hg.): Die Symposien König Max II. von Bayern mit Ausführungen über die Symposien seit Platon, München 2001 (Zeitschrift für bayerische Sparkassengeschichte, Beihefte 4). 714 Vgl. Körner 2006. In diesen Kontext gehört auch die Kontroverse um die 1859 von Sybel begründete Historische Zeitschrift, deren Programm energischen Widerspruch u. a. aus katholischen Kreisen erfuhr.

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milian II. getragen und vom Königshaus materiell wie ideell unterstützt. Der König und seine Frau Marie besuchten sämtliche Veranstaltungen der Festwoche, der ehemalige König Ludwig I. stellte die Feldherrnhalle zur Verfügung und auch Prinz Luitpold und Prinzessin Alexandra waren bei den Aufführungen im Hoftheater und im Odeon anwesend.

Ein Künstlerfest in der bayerischen Hauptstadt Die Planungen zur Schillerfeier in München wurden Anfang Oktober 1859 aufgenommen. Bereits in einer ersten Versammlung beschloss ein zunächst noch provisorisches Komitee, nach Möglichkeit eine Beteiligung der Universität herbeizuführen und ein »großartig zu arrangierendes künstlerisches Fest im Odeon« abzuhalten.715 Der Magistrat und die Gemeindebevollmächtigten der Stadt München stellten 500 Gulden für die Feier zur Verfügung, mit der Auflage, dass das Geld nur dann für das Fest verwendet werden mögen, wenn die Kosten nicht durch den Ertrag der Eintrittspreise gedeckt würden. Sollte eine Finanzierung aus eigener Kraft erfolgen, so sollte das Geld der örtlichen Schillerstiftung übergeben werden.716 Das Münchner Schillerkomitee bestand zu einer großen Zahl aus Personen, die dem bayerischen Königshaus nahe standen. Den Vorsitz übernahmen der Maler und Kunsthistoriker Dr. Ernst Förster (1800 – 1885) und der Hofmaler Wilhelm von Dietz (1839 – 1907). Dem Komitee gehörten weiterhin die Maler Anton Seitz (1829 – 1900), Joseph Petzl (1803 – 1871) sowie der musikalisch wie zeichnerisch aktive Franz Graf von Pocci (1807 – 1876) an. Regierungsrat Eduard Fentsch (1814 – 1877), der als Schriftsteller unter dem Pseudonym »Frater Hilarius« wirkte, wurde zum Schriftführer ernannt. Auch das Komiteemitglied Franz Xaver Badhauser, Rechtsrat, betätigte sich nebenher als Schriftsteller. Zu den musikalisch versierten Kräften unter den Komiteemitgliedern zählte Karl Theodor Baron von Perfall (1824 – 1907), Leiter der Münchener Liedertafel. Aus dem Kreis der Wirtschaft saßen Verlagsbuchhändler Rudolph Oldenbourg (1811 – 1903), Leo Hänle, Besitzer einer Fabrik für Gold- und Silberpapier, Bronzefarben und Blattmetall, der Papierfabrikbesitzer Gustav Medicus sowie der Magistratsrat und Versicherungsagent Karl Kaufmann Riederer im Komitee. Die Universität war durch den Physik-Professor Johann Philipp von Jolly (1809 – 1884), den Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht Joseph von Pözl (1814 – 1881) und den Historiker Heinrich von Sybel (1817 – 1895) vertreten. 715 Süddeutsche Zeitung, 9. Oktober 1859, S. 2. Das Odeon war ein von Leo von Klenze errichtetes großes Konzerthaus in München. 716 Ebd., 5. November 1859, S. 4.

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Stadtbauingenieur Arnold Zenetti (1824 – 1891) und nicht zuletzt die zentralen Figuren in der Gestaltung des Schillerfestprogramms in München, der Schriftsteller Friedrich Bodenstedt (1819 – 1892), Generalmusikdirektor Franz Lachner (1803 – 1890) und der Hoftheaterregisseur und Schauspieler Friedrich Dahn (1811 – 1889), rundeten diesen ausgewählten Kreis ab.717 Das Komitee stellte in den folgenden drei Wochen ein anspruchsvolles Programm für eine dreitägige Schillerfeier in München zusammen, das zwei Schiller-Aufführungen im Hoftheater, einen studentischen Fackelzug, eine Festvorstellung im Odeon und ein großes Festmahl umfasste.718 Die Festtage wurden am Vormittag des 9. Novembers durch einen Vortrag des Philosophen Moritz Carri¦re (1817 – 1895) im Auditorium seines Schwiegervaters, Justus Liebig, eröffnet.719 Carri¦re befasste sich mit dem Idealisten Schiller, kam aber zum Schluss seines Vortrages auch auf die tagesaktuelle Bedeutung der Schillerfeier zu sprechen. »Was wollen sie alle, die Feuer auf den Bergen und die Fackeln in den Händen der Jugend, die Festgesänge, die Reden, die aller Orten in Deutschland ertönen?«, fragte der Philosoph. »Ist uns nicht in Schiller und seiner Kunst bei aller staatlichen Verschiedenheit ein vaterländischer, ein allgemein deutscher Einheitspunkt gewonnen, ein hohes, geistiges Gut, in dessen Verehrung und Genuss Nord und Süd über die Spaltung der Konfessionen und die Zerklüftung der Parteien hinaus sich die Hände reichen? […] Und warum scharen sie sich in festlichen Zügen zusammen? Weil sie sich ein Volk fühlen. Weil sie diesem Vaterlandsgefühl einen freudigen Ausdruck geben wollen […] Das ist die rechte Schillerfeier, das ist mehr als der Dichter selbst in begeisterter Stunde geahnt […] An uns aber ist es mit unverbrüchlicher Gesinnung das durch Schiller geweihte Nationalgefühl fortzuhegen, an uns ist es gleichsam dem Geist der Wahrheit und der Liebe uns zu eigen zu geben, gleich ihm dem Ideale treu zu sein.«720

Das gemeinsame Handeln im Fest basiert demnach auf der empfundenen Gemeinsamkeit der Feiern und bildet diese zugleich nach außen ab. Die Basis, das Zentrum oder der Fixpunkt der Gemeinschaft wiederum sei der Dichter selbst, in dem die ansonsten vielfach gespaltenen Deutschen die Möglichkeit zur Überwindung regionaler konfessioneller und politischer Differenzen erst ermöglicht wird. Schiller also ermöglicht erst die Einheit, die im Schillerfest zum 717 Süddeutsche Zeitung, 9. Oktober 1859, S. 2. 718 Ebd., 26. Oktober 1859, S. 4.; 4. November 1859, S. 4; 5. November 1859, S. 4. 719 Ebd., 12. November 1859, S. 2; StdA Jahrbuch der königlichen Haupt- und Residenzstadt München von 1859, S. 263 – 264; Moritz Carri¦re: Festrede bei der Feier von Schillers hundertstem Geburtstag, München 1859; zugleich in: Tropus 1860, Bd. 2, S. 5 – 21. Dem Vortrag war ein Festgedicht von Melchior Meyr (1810 – 1871) vorausgegangen. Melchior Meyr : Zum hundertsten Geburtstag Schillers, in: Tropus 1860, S. 31 – 34; zugleich Neue Münchener Zeitung, 10. November 1859 (Morgenblatt), S. 1272. 720 Carri¦re 1859, S. 14.

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Ausdruck kommt – Signifikant und Signifikat scheinen in Schiller und der Schillerfeier demnach zu verschmelzen. Am Abend des 9. Novembers gab es eine Festvorstellung im königlichen Hoftheater, der auch Königin Marie, König Ludwig, Prinz Luitpold und Prinzessin Alexandra beiwohnten. Regisseur Dahn trug im Gewand eines altdeutschen Priesters einen Prolog des Schriftstellers Hermann Schmid (1815 – 1880) vor, der sich mit nationalen oder gar nationalpolitischen Anspielungen weitestgehend zurückhielt.721 Anschließend deklamierte die achtundsiebzigjährige Sängerin und Schauspielerin Sophie Schröder (1781 – 1868) das »Lied von der Glocke«, schließlich führte das Hoftheaterensemble Wallensteins Lager auf.722 Die Veranstaltung wurde am Samstag, den 13. November 1859, auf Weisung des Königs noch einmal wiederholt. Der König hatte die erste Aufführung verpasst und war erst am 10. November von einer Reise zurückgekehrt. Trotz ihres hohen Alters erklärte sich Sophie Schröder bereit, auch bei dieser zweiten Aufführung noch einmal die Glocke zu deklamieren. Während die Aufführung im Hoftheater noch lief, versammelten sich bereits rund 600 Studierende an der Universität zum großen Fackelzug. Die Studierenden zogen in Begleitung von fünf Musikkapellen zur geschmückten und hell erleuchteten Feldherrnhalle. In der Mitte der Halle war eine Schiller-Büste aufgestellt worden, um sie herum warteten die Gesangsvereine auf das Eintreffen des Fackelzuges, um nach deren Ankunft ein von Generalmusikdirektor Lachner komponiertes Chorstück nach einem Text von Friedrich Bodenstedt zu intonieren. König Ludwig, der die Feldherrnhalle bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte, sah aus dem offenen Fenster einer anliegenden Wohnung dem Aufzug zu. Die Süddeutsche Zeitung deutete den Fackelzug zur Feldherrenhalle als öffentliche und allgemeine Schillerfeier. Durch ihn »war nicht nur die Feier in die Öffentlichkeit hinübergetragen, sondern insbesondere auch der Jugend Gelegenheit geboten, ihr Wort mitzureden.« Die Studierenden zogen nach Ende des Gesangs weiter zum Karlsplatz, wo sie ein »gaudeamus igitur« intonierten und die Fackeln anschließend zum Abbrennen auf einen Haufen warfen.723 Am 10. November fand die große Hauptveranstaltung im königlichen Odeon statt. Eine Deputation des Komitees war zuvor entsandt worden, um die Mitglieder des Königshauses zum Schillerfest im Odeon einzuladen. König Maximilian, Königin Marie und auch König Ludwig sagten ihre Teilnahme zu. König Ludwig präsentierte dabei eine Anekdote: Als er mit 18 Jahren erstmals auf 721 Herman Schmid: Prolog zu Friedrich Schillers hundertjähriger Gedächtnisfeier, München 1859; zugleich in: Tropus 1860, S. 22 – 30. 722 Süddeutsche Zeitung, 10. November 1859, S. 2; Neue Münchener Zeitung (Morgenblatt), 10. November 1859, S. 1272; Jahrbuch 1859, S. 264 – 267. 723 Neue Münchener Zeitung (Morgenblatt), 10. November 1859, S. 1272; Süddeutsche Zeitung, 12. November 1859, S. 2; Jahrbuch, S. 267 – 271.

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Italienreise in Rom weilte, hätte er gerade den Entschluss getroffen, Friedrich Schiller und dessen Familie zum Erholungsurlaub nach Italien einzuladen, als ihn die Todesnachricht Schillers erreichte und tief erschütterte: »Ich versichere Sie, meine Herren, ich war wie vom Blitz gerührt, das Blatt fiel mir aus den Händen.«724 Im Vorfeld der Veranstaltung hatte es Unmut über die Regelung des Kartenverkaufs gegeben. Die namentlich gekennzeichneten Eintrittskarten wurden nur an vorgeschlagene Personen ausgegeben, das Vorschlagsrecht lag ausschließlich bei den Komiteemitgliedern.725 Die Schillerfeier im Odeon war somit eine hoch exklusive Veranstaltung, die – auch bei insgesamt rund 2000 Teilnehmern – einer geschlossenen Gesellschaft glich. Der Saal war für das Fest prachtvoll dekoriert worden. Auf der Bühne befand sich ein großes Schillerstandbild von Thomas Guggenberger (1815 – 1882), davor war eine kleine Theaterbühne eingerichtet worden, auf der die lebenden Bilder zur Aufführung kommen sollten. An den Säulen befanden sich 25 Bilder mit Illustrationen zu Schiller-Gedichten von Eugen Neureuther (1806 – 1882), weitere Dekorationsarbeiten hatten die Maler Simon (1895 – 1878) und Angelo Quaglio (1829 – 1890), Christian Jank (1833 – 1889), Heinrich Döll (†1892) und Wilhelm Hauschild (1827 – 1887) beigetragen.726 Für die Festaufführung waren sämtliche Mitglieder der königlichen Hofkapelle, des Conservatoriums und alle Gesangsvereine unter der Leitung von Franz Lachner zusammengeführt worden. Nach der Ouvertüre zu Mozarts Zauberflöte eröffnete ein Prolog von Friedrich Bodenstedt, gesprochen von Friedrich Dahn, den Abend.727 Bodenstedt hatte auch die erläuternden Worte zu den nun folgenden lebenden Bildern gedichtet, die, jeweils untermalt von passender Musik, Szenen aus Schillers Dramen darstellten. Inszeniert hatten die lebenden Bilder die Maler Moritz von Schwind (1804 – 1871), Carl Theodor von Piloty (1826 – 1886), Arthur von Ramberg (1819 – 1875), Theodor Pixis (1831 – 1907), Heinrich Pechmann (1826 – 1905), Schillerkomiteemitglied Joseph Petzl und Komiteepräsident Anton Dietz. Den Abschluss bildete die Apotheose des gefeierten Dichters, inszeniert von Friedrich Dürck (1809 – 1884). Sie bestand aus der Enthüllung und Bekränzung des Dichterstandbildes durch allegorische Frauengestalten, welche die deutschen Stämme der Bayern, Franken, Schwaben und

724 Süddeutsche Zeitung, 10. November 1859, S. 4; 725 Jahrbuch 1859, S. 271 – 272. 726 Zum Fest im Odeon vgl. Neue Münchener Zeitung (Morgenblatt), 11. November 1859, S. 1277; Süddeutsche Zeitung, 13. November 1859, S. 3; Jahrbuch 1859, S. 271 – 276. 727 Friedrich Bodenstedt: Festspiel zur hundertjährigen Geburtstagsfeier Friedrich Schillers in München, Berlin 1859. Prolog in: Tropus 1860, Bd. 2, S. 28 – 30; zugleich in: Abendblatt zur Neuen Münchener Zeitung, 12. November 1859, S. 1077.

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Sachsen darstellten, angeführt von der Stadtheiligen Munichia. Zum Abschluss ertönte noch der Festchor von Beethoven aus den »Ruinen von Athen«. Den Abschluss der dreitägigen Schillerfeier bildete ein exklusives Festessen mit rund 300 Teilnehmern im Gasthaus »Vier Jahreszeiten«. Hier feierten die Vertreter von Wissenschaft und Kunst weitgehend unter sich.728 Zwischen den zahlreichen Gängen wurden die üblichen Toaste vorgetragen, einzig Prof. Heinrich von Sybel stach hier hervor und pries die zu Unrecht gering geachteten Verdienste Schillers als Historiker.

»… nur ein Künstlerfest, kein Volksfest« »Die Münchener Schillerfeier war in ästhetisch-literarischer Hinsicht ungemein edel gehalten und reich an schönen Einzelheiten, sie trug einen echt künstlerischen Charakter, aber streng genommen war sie eben nur ein Künstlerfest, kein Volksfest«, urteilte die Chronik der gebildeten Welt. Den Grund hierfür sah sie in der kirchlichen Opposition gegen die Feier. Zudem habe »das bekannte Phlegma des bayerischen Naturells jeden ekstatischen Ausbruch der Teilnahme an einem Ereignis [verhindert], dessen national-politische Bedeutung der Bevölkerung des Landes weniger, als den übrigen Süddeutschen […] offenbar zu werden schien«.729 In der Tat waren religiöse Kreise besonders im katholischen Bayern nicht übermäßig begeistert von der Art und Weise, wie in vielen Teilen Deutschlands des Dichters gedacht wurde.730 An der Berichterstattung des Volksboten für den Bürger und Landmann lässt sich diese Haltung exemplarisch zeigen: Die Zeitung verweigerte zunächst die Berichterstattung über die Vorbereitungen zur Schillerfeier und ignorierte die Festaktivitäten. Erst am 9. November widmete sich der Volksbote in einem Leitartikel den bevorstehenden Festlichkeiten: »Diese Woche ›schillerts‹ an allen Ecken und Enden in Deutschland, in Städten und Städtlein; überall soll ›Schillerfeier‹ sein. Die ganze Zeit her haben große und kleine Blätter ihre Spalten fast Tag für Tag damit gefüllt, der Volksbot’ aber hat kein Wort darüber gesagt, nicht, weil er überhaupt der hundertjährigen Geburtsfeier des Dichters, der unbestreitbar der Lieblingsdichter des deutschen Volkes ist, entgegen wäre, sondern einmal, weil dieser an und für sich berechtigten Feier sich sehr unsaubere Elemente beigemischt haben, und andererseits, weil die Sache an gar manchen Orten bis

728 Süddeutsche Zeitung, 13. November 1859, S. 2. 729 Schillerfeier in der Alten und Neuen Welt, S. 55. 730 Ähnlich wie in Stuttgart (s. Kapitel 2.4) oder in den lutherisch-orthodoxen Kreisen Hamburgs (s. Kapitel 2.3).

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Schiller feiern in Mitteleuropa

zur unsinnigsten Überschwänglichkeit, ja sogar zu einer förmlichen Abgötterei getrieben wird.«731

Der Volksbote nannte insbesondere Kirchengeläut zur Schillerfeier, das geplante Absingen des lutherischen Chorals »Eine feste Burg ist unser Gott« sowie die Aufstellung von Schillerbüsten in Kirchen als problematisch und übertrieben. Das Blatt verwies zudem auf den Jahrestag der Erschießung Robert Blums und dessen Engagement für Schiller und impliziert damit zugleich auch den vermeintlichen Radikalismus von Festorganisatoren und Feiernden.732 Eine gänzlich andere Haltung vertrat dagegen die von Karl Brater (1819 – 1869) im Oktober 1859 begründete Süddeutsche Zeitung, die sich dem Programm des Nationalvereins verpflichtet fühlte. Von Anfang an berichtete die Zeitung über die bevorstehende Schillerfeier als ein Nationalfest, das in allen Städten und Orten Deutschlands vorbereitet und begangen werde.733 In der Festberichterstattung dennoch relativ zurückhaltend, präzisierte die Süddeutsche diese Haltung in einem längeren, zusammenfassenden Artikel über »Die Schillerfeier in Deutschland«: »An Deutschlands Größe kann Der nicht mehr zweifeln, der jetzt die aufgetürmten Zeugnisse deutscher Pietät vor sich liegen sieht und mit Beschämung bemerkt, an wie vielen Orten, deren Namen vordem seinen Ohren fremd waren, demselben Schiller dieselbe Huldigung zuteil ward.«734

Ein Dorn im Auge des Königs? König Maximilian II. schien mit der Schillerfeier nicht sehr glücklich gewesen zu sein. Am 14. November 1859 wurde auf einem Symposium über Schiller und den Gegensatz von Konfessions- und Kontemplations-Lyrik gesprochen. Auch Gei-

731 732 733 734

Volksbote, 9. November 1859, S. 1071. Ebd. Süddeutsche Zeitung, 7. Oktober 1859, S. 1. Ebd., 20. November 1859, S. 3 – 4. Vgl. auch den ergänzenden Bericht über »Die Schillerfeier im Ausland«, in dem die Süddeutsche zunächst eine allgemeine Charakterisierung der europäischen Völker im Verhältnis zu Deutschland vornahm und anschließend das Verhalten gegenüber der Schillerfeier in diesem Sinne abarbeitete: »Die Völker germanischen Stammes hören in Schillers Dichtungen Anklänge aus ihrer eigenen Welt; die slawischen fühlen dem Deutschen gegenüber die Verpflichtung der Dankbarkeit, die romanische ehren, mehr oder weniger zuvorkommend, nur den Gastfreund in unserem Dichter. So verhielten sie sich denn auch verschieden zu der Feier, in in ihrer Mitte von den Kreisen der deutschen Fremdlinge ausging und vernehmlich genug nach ihren Sympathien fragte. Es war naturgemäß, dass die verwandten Nationen auch den innigsten Anteil nahmen.« Süddeutsche Zeitung, 22. November 1859, S. 3 – 4.

München

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bels und Heyses Gedichte zum Schillerfest wurden thematisiert. Friedrich Bodenstedt notierte in seinem Tagebuch: »Gestern Abend war zum Erstenmal wieder Symposion beim König und ich konnte aus seinem Benehmen wohl bemerken, dass ihm die ganze Schillerfeier ein Dorn im Auge gewesen. Er fragt immer nach den leitenden Ideen der Zeit und lässt sich Aufsätze darüber schreiben, wenn aber eine Idee verkörpert an ihn herantritt, dreht er ihr den Rücken zu oder will sie nicht verstehen.«735

Der König schien dabei insbesondere mit Bodenstedt unzufrieden gewesen zu sein, der den größten Teil der Texte zur Münchener Schillerfeier beigesteuert hatte. Bodenstedt beklagte sich in seinem Tagebuch, dass es mit der Gunst des Königs seit dem Schillertag vorbei sei. Nachdem ihm durch eine Entscheidung des Königs zunächst ein Auftrag am Theater entgangen war, wurde Bodenstedt auch zu den nachfolgenden Symposien des Königs nicht eingeladen. Erst im Dezember kam es dann wieder zu einer Annäherung und der Dichter wurde wieder zu den Treffen zugelassen.736 Vermutlich war Maximilian II. unglücklich mit der deutsch-nationalen Ausrichtung der Schillerfeier, die, obschon zurückhaltend, auch in der Münchener Feier zum Ausdruck gekommen war. Die darin enthaltene Einigungsund Nationalisierungsrhetorik lief in der Tat seinem bayerischen Nationalisierungsprogramm entgegen. Der ausgewählte Kreis von Künstlern und Wissenschaftlern geriet zudem immer öfter mit der Haltung des Königs in der Frage der deutschen nationalen Einigung in Konflikt. Im Verlauf des Jahres 1859 zeigte sich an verschiedener Stelle, dass die von Maximilian II. nach München geholten »Nordlichter« wenig Verständnis für das Konzept eines politisch und kulturell selbständigen Bayern im Bund aufbringen konnten. Es ist daher denkbar, dass der König die lediglich dezent vorhandene deutschnationale Ausrichtung der Schillerfeier und den in ihr zum Ausdruck gebrachten deutschen Einigungswillen als Symbol einer Politik sah, die der bayerischen Souveränität und Nationsbildung gefährlich werden konnte.737 Die Schillerfeier in München war ein hochgradig exklusives Künstlerfest, das unter weitgehender Kontrolle des Königshofs entworfen und ausgerichtet wurde. Dabei wurde das enorme künstlerische Potential Münchens in der Vorbereitung und Durchführung der Feier aktiviert. Maler, Bildhauer, Komponisten, Musiker und Dichter beteiligten sich mit eigenen Werken oder unterstützten die Dekorationsarbeiten im königlichen Odeon. Dem breiteren Publikum war eine Beteiligung bei dieser Schillerfeier lediglich als Zuschauer beim öffentlichen Fackelzug am 9. November möglich, daneben blieb nur noch der 735 Pix 2001, S. 704. 736 Ebd., S. 705 – 707. 737 Pix 2001, S. 703 – 704.

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Besuch der Vorstadttheater oder privater Gesellschaften.738 Explizit ausgesprochene nationale Inhalte lassen sich in den Festbeiträgen des offiziellen Festprogramms nicht ausmachen. Hier wurde der Dichter und Künstler Schiller von Dichtern und Künstlern geehrt, wurde der Idealismus seiner Werke in den Vordergrund gehoben und eine tagespolitische Ausdeutung weitestgehend vermieden.

Schiller feiern in Mitteleuropa – Zusammenfassung Es ist kaum möglich, sämtliche Schillerfeiern des Jahres 1859 in den deutschsprachigen Staaten Mitteleuropas erschöpfend zu beschreiben. Die ausgewählten Beispiele zeigen jedoch pointiert die unterschiedlichen Aspekte, die in Bezug auf eine medial gestützte Nationsbildung in der Schillerfeier von Bedeutung sind. Die Berliner Schillerfeier wurde von der Forschung bislang vor allem wegen des Verbots des öffentlichen Festzugs und der abendlichen Krawalle auf dem Gendarmenmarkt betrachtet. Beide Beispiele zeigen auch sehr gut soziale und politische Konfliktlinien im Berlin der »Neuen Ära«. Zudem verdeutlichen sie, wie schnell bereits 1859 lokale Entscheidungen und Ereignisse medial verwertet und verbreitet werden und zu symbolpolitischen Katastrophen anwachsen konnten, die auch durch die nachträgliche Einrichtung einer öffentlichen Feier in Form der Grundsteinlegung am Gendarmenmarkt nicht wieder einzuholen waren. Der wesentliche Befund aus der Betrachtung der Berliner Schillerfeier ist jedoch, dass die mediale Vernetzung der Festorte unabhängig von der politischen oder weltanschaulichen Haltung der jeweils berichtenden Zeitung zur Feier oder ihren Urhebern funktionierte. Es ist keine Überraschung, dass ausgesprochen national ausgerichtete Zeitungen großen Wert darauf legten, einen nationalen Charakter der Schillerfeier herauszuarbeiten. Sie deuteten den Gegenstand und die Festhandlungen bewusst national und ergänzten damit die reine Festberichterstattung durch ein einordnendes, nationalisierendes Deutungsangebot. Zugleich bemühten sich diese Blätter darum, die Nation als Handlungsgemeinschaft abzubilden, indem sie möglichst viele Festorte in ihre Berichterstattung aufnahmen und darüber eine größtmögliche, sozialschichtenübergreifende Allgemeinheit in der Teilnahme darzustellen versuchten.

738 Neue Münchener Zeitung (Morgenblatt), 10. November 1859, S. 1272.

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Die Nation wurde in der vernetzenden Berichterstattung gleichsam abgebildet. Diese Abbildung war aber keineswegs abhängig davon, wie eine Zeitung der Feier und ihren Organisatoren gegenüber eingestellt war. Selbst die Kreuzzeitung bildete in ihrer meist kritischen Festberichterstattung eine überregional agierende Gemeinschaft ab – zwar in einem sehr viel kleineren Umfang als etwa die Nationalzeitung, aber dennoch ausreichend, um eine umfassende Aktivität an unterschiedlichen Orten zur Schillerfeier zu erfassen. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob es sich bei den repräsentierten Schillerfesten um erfolgreiche Projekte handelte oder nicht: Auch Berichte über Festverbote oder verhinderte Festpläne zeigten, dass es Festaktivitäten gab. In der medialen Berichterstattung über die Schillerfeiern wurde die Nation zudem als Handlungsgemeinschaft abgebildet. Wichtig war dabei nicht was an einem Ort geschah, oder wie das Geschehen durch die unterschiedlichen Redaktionen gedeutet wurde, sondern dass etwas geschah. Die unterschiedlich langen Festberichte wirkten wie mediale Leuchtfeuer und signalisierten vorrangig eines: Auch hier wird im Namen Schillers gehandelt, auch dieser Ort ist Teil der Gemeinschaft. In Wien wurde diese Teilhabe an der Nation in zahlreichen Festreden zudem als politische Notwendigkeit kommuniziert und versucht, mit einer wohlwollenden Haltung vor allem gegenüber der öffentlichen Schillerfeier Sympathien im Wiener Bürgertum und unter den Bevölkerungen der deutschen Einzelstaaten zu gewinnen. Das Schillerfest war in Wien ausgesprochen politisch, und wurde in betont nationalpolitischer Perspektive betrachtet, beschrieben und genutzt. Hier formulierte Österreich in Festreden, Toasten und Zeitungsartikeln noch einmal ausdrücklich seinen politischen Führungsanspruch in Deutschland. Synchronizität war das bestimmende Thema der Hamburger Feier. Die große und intensive Auseinandersetzung, die in der Hansestadt über den Buß- und Bettag am 10. November geführt wurde, zeigt, wie sehr die Festorganisatoren in Hamburg die Nation als eine reale Handlungsgemeinschaft wahrnahmen. Das Schillerfest als Nationalfest schien eine reale Gleichzeitigkeit im Handeln zu erfordern, damit sich die Feiernden auch tatsächlich als Teil der Gemeinschaft wahrnehmen konnten. Illustrieren lässt sich dies am Beispiel der ersten deutschen Nationalfeier zum Jahrestag der Schlacht von Leipzig: In der Feuernacht von 1814 wäre eine um einen Tag verschobene Teilnahme am Fest durchaus fatal gewesen – die Feiernden hätten im Dunkeln stehend zwar die vielen Freudenfeuer ringsum sehen, sich selbst aber nicht medial in das Netz der Handlungsgemeinschaft einreihen können. Die Berichterstattung in den Zeitungen hob das Problem auf: Indem die Zeitungen über das Nicht-Feiern der Hamburger am 10. November berichteten (und Verantwortliche dafür identifizieren konnten), wurde die Stadt bereits vor der retrospektiven historiografischen Einbindung in

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den Festraum durch den Festchronisten Bernhard Endrulat als Teil der nationalen Festgemeinschaft ausgewiesen. Lokalität und Regionalität als integrative Bestandteile des Nationalen kamen in der Stuttgarter Feier besonders stark zum Ausdruck. Der lokale Handlungsrahmen wurde unter anderem auch dadurch in den Vordergrund gehoben, dass Stuttgart, Marbach und Ludwigsburg als Lebensorte des gefeierten Dichters am Schillerfest teilnahmen. Württemberg und Bayern zeichnen sich insgesamt aus durch eine eher zurückhaltende Verwendung nationalisierender Deutungen und Zuschreibungen. Auch wenn Otto Elben das Schillerfest ganz ausdrücklich als Nationalfest deutete, wurden deutschnationale Bezüge abseits von seiner durchaus monopolartigen Stellung in der Festberichterstattung kaum verwendet. Auffällig ist hier zudem der umfassende regionale Festraum, der in der Berichterstattung der Schwäbischen Chronik aufgezogen wurde. Diese außergewöhnliche Vernetzung lässt sich andernorts lediglich auf nationaler Ebene beobachten und könnte ein Hinweis darauf sein, dass hier eine Technik zur medialen Integration überlokaler Gemeinschaften auf regionaler und damit subnationaler Ebene zum Einsatz kam. Die Münchner Feier schließlich war ein hoch-exklusives und ausgesprochen künstlerisches Fest, in dem deutschnationale Töne kaum wahrnehmbar waren. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die mediale Repräsentation der Nation in der Festberichterstattung unabhängig von der politischen oder weltanschaulichen Ausrichtung einer Zeitung oder Zeitschrift funktionierte. Alle berichtenden Zeitungen und Zeitschriften trugen zur Entfaltung eines medialen Festraums bei, in dem fast tagesaktuell das gemeinschaftliche Handeln der Nation in der Festvorbereitung und -durchführung abgebildet wurde. Die einzige Möglichkeit, sich dem zu entziehen, war die Nicht-Berichterstattung. Die lokalen Festräume konnten in diesen medialen Handlungsraum aufgenommen werden und sich damit als Teil der (nationalen) Festgemeinschaft präsentieren. Von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang die Synchronizität des Handelns insbesondere am 10. November, dem eigentlichen Dichtergeburtstag. Die hohe Relevanz, die die Gleichzeitigkeit im Feiern für die Feiernden einnahm, wird allerdings erst da deutlich, wo sie nicht gegeben war, wie etwa in Hamburg. Die Deutung des Dichters und seiner Werke sowie der Feier selbst konnte höchst unterschiedlich ausfallen. Ob und inwieweit dabei kulturnational, staatsnational, regional, lokal oder rein kulturell und künstlerisch gedeutet wurde, hing stark von lokalen Diskursen und den jeweiligen Versammlungsöffentlichkeiten ab und ist von untergeordneter Bedeutung. Die grundsätzliche Unschärfe des Nationsbegriffes mit seinen vielfältigen Anschluss- und Deutungsoptionen machte dabei Vieles möglich und die Festberichterstattung dampfte die spezifischen Deutungskontexte zusätzlich ein. Die Komplexität der

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lokalen Festorganisation und der damit verbundenen Diskurse und Aushandlungsprozesse ging in der medialen Vermittlung ohnehin weitgehend verloren. Auch Friedrich Schiller erwies sich in diesem Zusammenhang als universal anschlussfähig – als bürgerliches Vorbild, Repräsentant protestantischer Arbeitsethik, Kämpfer gegen Fürstenwillkür und für bürgerliche Freiheitsrechte, Volks- und Nationaldichter, Künstler, Idealist usw. Während die Medien in der Schillerfeier als Organisationsstütze oder in ihrer Funktion als Vernetzende stattfanden, fand die Schillerfeier in den Medien in allen Bereichen der Zeitungen und Zeitschriften ihren Niederschlag: Von der nationalen über die regionale bis zur lokalen Berichterstattung, vom politischen Teil bis zum Feuilleton, vom »Eingesandten« bis zu kommerziellen Anzeigen oder redaktionellen Beiträgen über Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt und bemerkenswerte Memorabilia. Auch diese Totalität ihrer medialen Erscheinung – vom gelehrten politischen Kommentar bis zum profan-banalen Angebot von Schiller-Würsten – dürfte zu einem gewissen Grad dazu beigetragen haben, dass die Schillerfeier in der Erinnerung der Zeitgenossen eine so nachhaltige Wirkung hinterlassen hat und als Meilenstein gelten kann in der Erhebung Friedrich Schillers zum deutschen Nationaldichter.

II.

Schiller feiern im europäischen Ausland

Auch außerhalb der deutschsprachigen Staaten Mitteleuropas wurde im November 1859 der 100. Geburtstag Friedrich Schillers feierlich begangen. In zahlreichen europäischen Städten schlossen sich deutsche Emigranten und Exilanten zur Organisation von Schillerfeiern zusammen und realisierten meist eintägige, zum Teil opulente und gut besuchte Feste. Klassische Ziele des deutschen Exils innerhalb Europas waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Schweiz, Frankreich und England, in geringerem Maße auch Belgien. Nachdem Frankreich und Belgien in den 1830er Jahren ein liberaleres politisches Strafrecht erhielten, in dessen Rahmen die Nichtauslieferung politischer Straftäter die Anfänge des politischen Asyls begründete, stieg die Attraktivität dieser Länder für politische Flüchtlinge stark an. Eine rechtlich normierte Asylgarantie gab es nicht, die Regierungen gewährten Asyl als ein humanitäres Zugeständnis in Abhängigkeit zur jeweiligen innen- und außenpolitischen Großwetterlage. Außenpolitischer Druck konnte ebenso wie innenpolitische Gründe zu Restriktionen oder Repressionen gegen politische Flüchtlinge führen, deren Lage somit grundsätzlich unsicher blieb. Anders war die Situation in Großbritannien und den USA. Beide Länder gewährten vollständige Einwanderungs- und Niederlassungsfreiheit, was einem praktischen Anrecht auf Asylgewährung entsprach. Nach der Revolution von 1848/49 wurde insbesondere in Belgien und Frankreich das liberale Asylrecht wieder massiv eingeschränkt, womit nach dem Staatsstreich Louis Napoleons Frankreich als potentielles Zielland für politische Flüchtlinge fast vollständig ausfiel. In einer Stimmung allgemeinen Misstrauens und verbreiteter Revolutionsfurcht schränkten dann auch Belgien und die Schweiz die Möglichkeiten eines dauerhaften Aufenthalts für politische Flüchtlinge stark ein und versuchten, die Flüchtlinge durch politischen und administrativen Druck zur Rückkehr in ihr Herkunftsland oder zur Abwanderung nach England oder in die Vereinigten Staaten zu bewegen. Letzteres wurde in der Regel auch von den Herkunftsländern unterstützt. Zu den administrativen Mitteln, die hierbei zum Einsatz kamen, gehörte Internierung und polizeiliche Überwachung, die Streichung

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finanzieller Zuwendungen und finanzielle Anreize zur Weiterwanderung, die insbesondere von der Schweiz und Frankreich bevorzugt gewährt wurden. Auch Großbritannien unterstützte in den 1850ern die Weiterwanderung in die USA, übte aber anders als die Regierungen auf dem Kontinent keinen unmittelbaren politischen Druck auf die Flüchtlinge aus und schränkte deren fortgesetzte Zuwanderung auch nicht ein.739 Neben der Verschärfung des Asyls führte das Schwinden zunächst noch weit verbreiteter Revolutionshoffnungen und zunehmende Resignation unter den politischen Flüchtlingen und ehemaligen Revolutionären in den 1850er Jahren zur gesteigerten Bereitschaft, in die Vereinigten Staaten auszuwandern und Europa ganz den Rücken zu kehren. Die politischen Verhältnisse versprachen immer weniger ein Wiederaufflammen der Revolution und ließen Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr in die deutschen Staaten schwinden. Drei Viertel der Flüchtlinge des badisch-pfälzischen Aufstandes etwa gingen von der Schweiz aus direkt in die USA.740 Erst die Amnestien der 1860er Jahre ermöglichten den Exilanten die Rückkehr. Bis dahin hatte sich aber ein Großteil der Flüchtlinge bereits in ihrer neuen Heimat eingerichtet und integriert, nur ein kleiner Teil machte von dem Amnestieangebot auch Gebrauch und kehrte zurück. Die Berühmtheit der politischen Exilanten lässt zuweilen die sehr viel größere Zahl von Auswanderern in den Hintergrund treten, die aus wirtschaftlichen Gründen den Weg in das europäische Ausland suchte. In London und auch Manchester gab es traditionell eine bedeutende deutsche Kaufmannschaft, in Paris lebten Ende der 1850er Jahre ca. 30.000 – 60.000 Deutsche, von denen der größte Teil der Arbeiterklasse angehörte.741 In zahlreichen europäischen Städten außerhalb des deutschen Sprachraums fanden sich 1859 deutsche Migranten zusammen und richteten Schillerfeiern aus. Festberichte liegen unter anderem vor über die Feiern in Moskau und St. Petersburg, Konstantinopel, Rom, Amsterdam, Brüssel, Paris, Manchester und

739 Herbert Reiter : Politisches Asyl im 19. Jahrhundert. Die deutschen politischen Flüchtlinge des Vormärz und der Revolution von 1848/49 in Europa und den USA, Berlin 1992; Wolfram Siemann: Asyl, Exil und Emigration der 1848er, in: Dieter Langewiesche (Hg.): Demokratiebewegung und Revolution 1847 bis 1849, Karlsruhe 1998, S. 70 – 91; Ders.: Exil, Asyl und Wirtschaftswanderung in Westeuropa 1789 – 1860, in: Jürgen Kocka, Hans-Jürgen Puhle, Klaus Tenfelde: Von der Arbeiterbewegung zum modernen Sozialstaat, München 1994, S. 315 – 328. 740 Siemann 1998, S. 75. 741 Rosemary Ashton: Little Germany. Exile and Asylum in Victorian England, Oxford, New York 1986; Mareike König: Brüche als gestaltendes Element. Die Deutschen in Paris im 19. Jahrhundert, in: Dies. (Hg.): Deutsche Handwerker, Arbeiter und Dienstmädchen in Paris. Eine vergessene Migration im 19. Jahrhundert, Paris 2003, S. 9 – 26, S. 12.

London

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London. Auch in Dänemark fanden von Altona bis Kopenhagen Festlichkeiten zum Dichtergeburtstag statt.742 Nachfolgend werden beispielhaft die Feiern in London und Paris besprochen. London war auch 1859 noch die Heimat vieler ehemaliger Revolutionäre, auch wenn sich die Reihen im Verlauf des Jahrzehnts deutlich ausgedünnt hatten und ein wesentlicher Teil der ehemals großen deutschen Kolonie in London inzwischen in die USA abgewandert war. Noch größer war die Abwanderung aus Frankreich gewesen, nachdem das Zweite Kaiserreich den Druck auf die politischen Flüchtlinge erheblich ausgeweitet hatte. Kaum betroffen von diesem Schwenk in der Asylpolitik unter Napoleon III. waren die zahllosen deutschen Arbeiter in der französischen Hauptstadt. Während in den deutschsprachigen Staaten im Frühjahr und Sommer 1859 die Sorge vor einer neuerlichen französischen Gefahr zunahm, richteten die Deutschen in Paris, begleitet von der deutschsprachigen Pariser Zeitung im Herbst 1859, eine große Schillerfeier im Cirque de l’Imperatrice aus und auch in London wurde das Schillerfest mit großem Aufwand im Londoner Kristallpalast begangen. Hier berichtete die von Gottfried Kinkel herausgegebene deutschsprachige Wochenzeitung Hermann von den Festbemühungen.

London Was ein Volke mit dem tiefsten Sehnen seines Gemütes erstrebt, das erreicht es auch, und das ist für Deutschland die Einheit. Dies ist eine Notwendigkeit, die liegt in der Luft, die kommt so gewiss, wie in jedem Lande Eisenbahnen kommen.743

Gegen 10 Uhr trafen die ersten Männer ein. Erst vereinzelt, dann immer zahlreicher und schließlich in Massen strömten sie zum vereinbarten Treffpunkt in der Londoner Innenstadt. Für diesen Tag, für diese Stunde, hatten sie teils jahrelangen Zank und Streit beiseite gelegt, um den »geehrtesten, populärsten deutschen Mann Londons und deutschen Dichter« in einem »Fest der Liebe und Dankbarkeit« zu ehren. Die Straßenzüge mit ihren Fackeln erhellend fanden sie sich schließlich am Treffpunkt zusammen und stellten sich im Halbkreis auf. Eine große, schwarz-rot-goldene Fahne wurde entfaltet, dann erhoben die Männer ihre Stimme zum Gesang und schmetterten deutsch-patriotische Lieder 742 Vgl. hierzu Europa. Chronik der gebildeten Welt, Extra-Nummer als Festgabe zum Beginn des 26. Jahrgangs, Leipzig 1860, S. 69 – 80. 743 Gottfried Kinkel: Brief des Herausgebers an einen Freund in Amerika, in: Hermann, 26. März 1859, S. 90 – 91.

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in die Londoner Nacht. Selbst Mitglieder des Arbeiterbildungsvereins hatten sich diesmal eingefunden und »ihren politischen Parteistandpunkt der höheren Macht der Einheitsnotwendigkeit untergeordnet«. Es war eine »Demonstration«, eine »in London unerhörte, plötzlich so würdig und schön verwirklichte Tatsache deutscher Einheit und Verbrüderung der verschiedensten, sogar feindlichsten Elemente«. Männer fielen sich in die Arme, Feindschaften wurden beendet, Freundschaften geschlossen, der Wein fing »reichlich an zu fließen« und Reden und Gesänge vereinten sich »in zum Teil wilder Begeisterung«.744 Die Feier, die der Londoner Korrespondent der Gartenlaube, Heinrich Beta (1813 – 1876), hier unter dem Titel »Das deutsche Einheitsfest in London« beschreibt, war keine Schillerfeier, sondern eine Geburtstagsüberraschung für Gottfried Kinkel.745 Sie fand statt am 8. August 1859 vor und in Seyd’s Hotel am Finsbury Square, einem bei den Deutschen in London beliebten Hotel, in dem auch der Nationalverein seinen Sitz hatte. Dem in der deutschen Kolonie hoch geehrten und angesehenen Kinkel sollte mit der Feier eine besondere Freude bereitet werden, hatte er sich doch seit seiner Rückkehr auf die öffentliche politische Bühne im Januar desselben Jahres immer wieder und nachdrücklich für die Notwendigkeit der deutschen Einheit ausgesprochen. In der Beschreibung Betas jedenfalls demonstrierte die ansonsten tief zerstrittene deutsche Community in London ihre Fähigkeit, sich zusammenzuraufen und Differenzen zugunsten eines höheren gemeinsamen Ziels zurückzustellen. Gottfried Kinkel (1815 – 1882) war einer der wenigen deutschen Exilanten, denen ihr Ruhm bereits vorausgeeilt war. Seine Reputation als ehemaliger Professor in Bonn, sein Einsatz für die Revolution als überzeugter Republikaner, seine Teilnahme am badischen Aufstand, schließlich seine Festnahme, zwei spektakuläre Prozesse, seine Inhaftierung in Spandau und die abenteuerliche Flucht aus dem Gefängnis über Rostock nach Paris und London, befreit von seinem ehemaligen Schüler Karl Schurz, dem späteren Innenminister der Vereinigten Staaten von Amerika, hatten viel Aufsehen erregt und waren auch im Ausland breit rezipiert worden. Kinkel galt als Held und Märtyrer der Revolution 744 Alle Zitate aus (Heinrich Beta): Das deutsche Einheitsfest in London, in: Gartenlaube 35 (1859), S. 503 – 504. Siehe auch Hermann, 13. August 1859, S. 254 – 255. 745 Johann Heinrich Beta (ursprünglich Bettziech), Journalist und Nationalökonom. Beta studierte in Halle Philosophie und Naturwissenschaften und gehörte zu den Mitarbeitern der Hallischen Jahrbücher. 1838 – 48 arbeitete er in Berlin beim Gesellschafter. 1846 gehörte Beta zu den Mitbegründern des Freihandelsvereins und seines Organs, der Berliner Stafette, Ende der 1840er arbeitete er als Berliner Berichterstatter für den Leuchtturm von E. Keil. Der von Beta gegründete Berliner Krakehler wurde 1849 verboten. Beta floh vor einem drohenden Hochverratsprozess 1850/51 nach London, wo er bis 1861 blieb. Von hier aus trug er als Korrespondent verschiedener deutscher Zeitungen, darunter die Gartenlaube, maßgeblich zur Prägung des England-Bildes des deutschen Bürgertums bei. NDB, ADB, DBE.

London

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und genoss hohes Ansehen – nicht nur unter den Deutschen in London. Ausgestattet mit Referenzschreiben und umgarnt von sämtlichen Fraktionen der deutschen Exilanten in London – mit Ausnahme der Gruppe um Karl Marx746 – war es Kinkel sehr schnell gelungen, sich im englischen Exil zu etablieren und als Lehrer und Dozent ein einträgliches Einkommen zu verschaffen. Kinkel konnte auch deshalb als Integrationsfigur dienen, weil er nach dem Tod seiner Frau eine stark »pragmatische« Politik verfolgte, der zufolge die Einheit Deutschlands den Vorzug zu erhalten habe vor der anschließend zu klärenden politischen Fassung des deutschen Nationalstaats.747

»Hermann« – ein deutschsprachiges Wochenblatt in London Im November 1858 war Kinkels Frau Johanna verstorben. Kurz darauf, im Januar 1859, kehrte Gottfried Kinkel auf die öffentliche politische Bühne zurück und begann mit der Herausgabe der deutschsprachigen Londoner Wochenzeitung Hermann. »Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborener Platz« – mit diesem Zitat aus Wilhelm Tell im Titel erschien am 8. Januar 1859 die erste Ausgabe der Zeitung.748 Dem Ziel der deutschen Einheit, der »Notwendigkeit, die in der Luft liegt«749, fühlte sich der Hermann verpflichtet, er sollte sich nach dem Willen seines Begründers mit dem deutschen Leben auf der ganzen Welt befassen und das nationale Denken bestärken. Für die Deutschen in London wollte der Hermann ein »Sprechsaal« sein, ein »wirkliches Organ der deutschen Demokratie«.750 Anders als die von Karl Marx herausgegebene Zeitung Das Volk, die im Sommer 1859 eingestellt werden musste, überlebte der Hermann und wurde als Vorläufer der Londoner Zeitung, die bis 1914 erschien, eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Zeitungen im nicht-deutschsprachigen Ausland überhaupt.751 746 Karl Marx und Friedrich Engels hatten sich bereits während der Prozesse gegen Kinkel von diesem abgewandt. Sie warfen ihm vor, die Revolution und ehemalige Mitkämpfer in seiner Verteidigung vor Gericht verraten und denunziert zu haben. Ein Vorwurf der überzogen scheint angesichts der Lebensgefahr, der sich Kinkel zu diesem Zeitpunkt ausgesetzt sah. Zwischen Gottfried Kinkel und der Gruppe um Marx führte dies zum Zerwürfnis, eine Annäherung fand nicht wieder statt. Kinkels Ruhm und Ansehen wurde durch die beißende Kritik allerdings nicht beschädigt, eher trieben diese Marx und Engels weiter in die Isolation. Vgl. Rosemary Ashton: Little Germany. Exile and Asylum in Victorian England, Oxford, New York 1986, S. 152 – 153. 747 Über Kinkel im englischen Exil s. ebd., S. 150 – 166. 748 Hermann, 8. Januar 1859. 749 Wie Fußnote 743. 750 Gottfried Kinkel: Brief des Herausgebers an einen Freund in Amerika; Hermann, 26. März 1859, S. 90 – 91. 751 Das Volk war eine bewusst gegen Kinkels Hermann gegründete Zeitung der Londoner

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Die großen Männer des Exils Die deutsche Einheit – gerade in London und unter den Deutschen dort schien sie ferner denn je. Wahrscheinlich war keine deutsche Community im Ausland so zerstritten wie die der politischen Flüchtlinge und Exilanten im London der 1850er und 1860er Jahre.752 Streit, Intrigen, wechselseitige Schuldzuweisungen, Spott und beißende Ironie waren gängige Formen ihres gesellschaftlichen Mitoder Gegeneinanders. »Die großen Männer des Exils«, oft ausgestattet mit einem großen Ego, politischem Sendungsbewusstsein und ausgeprägtem Führungsanspruch, führten nach Marx ihren »Froschmäusekampf«753 mit einer oftmals unerbittlichen Leidenschaft, unterstützt und gestärkt durch ihren jeweiligen Anhang, den sie in Vereinen und Gesellschaften zu organisieren suchten.754 Besonders in der Zeit zwischen 1848/49 und 1853, als die Hoffnung auf eine Fortsetzung oder Wiederbelebung der Revolution für viele der inzwischen in London gelandeten Kämpfer noch groß war und das Exil lediglich ein kurzes Intermezzo im Kampf um Demokratie und Republik zu sein schien, gab es erhebliche Auseinandersetzungen, zahlreiche Organisationsversuche, Spaltungen und Neuformierungen der politischen Kräfte unter ihren jeweiligen Führern. Vereinigungsversuche unter einem Minimalkonsens waren stets nur von kurzer Dauer, brachen schnell auseinander und führten zu neuen Verwerfungen und Zänkereien unter den Exilanten. Als Gottfried Kinkel 1852 von einer weit hinter den Erwartungen zurückbleibenden Agitations- und Akquisitionsreise für eine Revolutions-Anleihe aus Nordamerika nach London zurückkam, verstärkte der Streit um die Verwendung des gesammelten Geldes die Frustrationen, die sich seit Louis Napoleons Staatsstreich in Frankreich und die kurz darauf auch dort einsetzende autoritär-repressive Politik ausbreiteten und die Resignation und Lethargie unter den politischen Flüchtlingen verstärkte. Die Enttäuschung war groß, viele Exilanten verloren jede Hoffnung auf eine neuArbeitervereine und wurde von Karl Marx als Instrument gegen Gottfried Kinkel eingesetzt. Die Zeitung fand jedoch keine ausreichende Unterstützung und musste – nachdem Engels seine Zuwendungen strich – im August 1859 eingestellt werden. Sabine Sundermann: Deutscher Nationalismus im englischen Exil. Zum sozialen und politischen Innenleben der deutschen Kolonie in London 1848 – 1871, Paderborn u. a. 1997, S. 192 – 194. Zum Hermann ebd., S. 195 – 205. 752 Zur deutschen Community in London Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. Ashton 1986; Sundermann 1997; Christine Lattek: Revolutionary Refugees. German socialism in Britain 1840 – 1860, London 2006. 753 Ein auf Homer zurückgeführtes Epyllion, das als Parodie auf homerische Epen die Entstehung und den Verlauf des Krieges zwischen den Mäusen und den Fröschen beschreibt. Der Froschmäusekrieg war als Schullektüre und durch zahlreiche Bearbeitungen weit verbreitet und wurde von Marx in kritisch-polemischer Absicht zur Beschreibung der Londoner Exilgesellschaft herangezogen. 754 Vgl. Karl Marx/Friedrich Engels: Die großen Männer des Exils, in: Dies.: Werke, Bd. 8, Berlin (Ost) 31972, S. 233 – 335.

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erliche, erfolgreichere Revolution und die damit verbundene Chance auf eine baldige Rückkehr in die Heimat. August Willich und viele andere Exilanten in England entschlossen sich in dieser Phase, ihr Glück in Nordamerika zu suchen. Diejenigen, die blieben, zogen sich oft in die innere Emigration zurück und konzentrierten sich fortan primär darauf, ihren Lebensunterhalt zu sichern.755 Besonders politischen Flüchtlingen fiel es im Londoner Exil schwer, ein sicheres Einkommen und eine gute Anstellung zu finden. Sie wirkten oft als Lehrer, gaben Sprachunterricht oder versuchten sich an Übersetzungsarbeiten. Mangelnde Sprachkenntnisse waren bei der Suche nach einer Anstellung hinderlich, wurden aber im Glauben an eine baldige Rückkehr in den deutschen Sprachraum trotzdem nicht immer konsequent behoben. Das eigene Leben allein über Schreiben zu finanzieren, wie es etwa Karl Blind (1826 – 1907)756 gelang, war nur den allerwenigsten vergönnt. Dennoch wirkten einige deutsche Journalisten und Schriftsteller als Korrespondenten für deutsche Zeitungen und Zeitschriften, etwa Lothar Bucher für die Nationalzeitung oder Heinrich Beta für die Gartenlaube. Selten schafften es die deutschen politischen Flüchtlinge, sich und ihren Familien ein einträgliches Einkommen zu sichern. Gottfried Kinkel war hier eine Ausnahme. Als 1859 die nationale Begeisterung in den deutschen Staaten wuchs, die italienische Nationalbewegung begeisterte und die vermeintliche französische Bedrohung ängstigte, als sich die Nationalbewegung im Nationalverein organisierte und die Schillerfeier vor der Tür stand – da mussten die ebenfalls begeisterten politischen Flüchtlinge in London feststellen, dass viele deutsche Emigranten sich inzwischen weitgehend in ihre neue Umgebung integriert hatten und die nationale Begeisterung bei ihnen nur geringe Emotionen hervorzurufen schien.757 Tatsächlich waren es vor allem politische Flüchtlinge in journalistischen oder schriftstellerischen Berufen, die sich an der aktiven Organisation der Schillerfeier in London beteiligten.

Das Schillerfest 1859 in London Der Ablauf der Londoner Schillerfeier und die Streitereien unter den Komiteemitgliedern sind von Hermann Rösch und Sabine Sundermann bereits be755 Lattek 2006. 756 Der Politiker und Schriftsteller Karl Blind studierte von 1844 bis 1847 Rechtswissenschaften in Heidelberg und war als Führer der republikanischen Linken maßgeblich an der badischen Revolution beteiligt. Als Gesandter der badischen Revolutionsregierung aus Paris nach Belgien ausgewiesen, ging Blind nach der Niederlage der Revolution ins Exil nach London. DBE. 757 Sundermann 1997, S. 109 – 110; Hermann, 1. Oktober 1859, 22. Oktober 1859.

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schrieben worden.758 Heinrich Beta blieb auch nach dem von ihm inszenierten »Kinkelfest« (Marx) die treibende Kraft bei der Organisation der Londoner Feier. Auf eigenes Risiko mietete er von Direktor David Ogilvy den Kristallpalast und verpflichtete sich zur Abnahme von 5000 Eintrittskarten. Anschließend trieb Beta die Bildung des Schillerkomitees voran. Ein Exekutivkomitee wurde aufgestellt, dem neben Beta und Gottfried Kinkel u. a. die Verleger Nikolaus Trübner und Albert Petsch, der Journalist und Nachfolger Kinkels als Herausgeber des Hermann, Ernst Juch, der Industrielle und Bankier Isidor Gerstenberg, der Druckereibesitzer Rudolph Hirschfeld und der Publizist (und Agent) Edgar Bauer angehörten.759 Ferdinand Freiligrath hatte zwar Interesse, war aber aus beruflichen Gründen – der Dichter war Bankangestellter bei der Londoner Dependance der Banque G¦n¦rale de Suisse – verhindert. Dennoch kam er in der Folge zumindest sporadisch zu den Sitzungen und ließ sich ansonsten von Karl Blind vertreten und berichten.760 In den vier Wochen bis zum 10. November organisierte das Komitee eine Feier in dem von Beta gebuchten Kristallpalast. Das Programm bestand aus einer Mischung von musikalischen und deklamatorischen Beiträgen und wurde eröffnet durch einen von Carl Wilhelm Groos komponierten Schillermarsch.761 Die Festrede hielt Gottfried Kinkel, Ferdinand Freiligrath steuerte eine Festkantate, das »Festlied der Deutschen in London« bei.762 Im Zusammenhang mit diesen beiden Beiträgen hatte es im Komitee Streit gegeben um die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Schillerbüste enthüllt werden sollte. Freiligrath hatte in seiner Kantate eine entsprechende Textstelle für die Enthüllung vorgesehen, Kinkel hingegen wollte die Büste im Verlauf seiner Festrede enthüllt wissen oder diese zumindest im Anschluss an die Festkantate vortragen, um nicht vor einer verhüllten Schillerbüste sprechen zu müssen. Freiligrath konnte sich in der entscheidenden Abstimmung über diese Frage schließlich durchsetzen, was zu einigen Verstimmungen zwischen den beiden Protagonisten führte.763 758 Hermann Rösch: Die Londoner Schillerfeier 1859, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 115 (1996), S. 94 – 111; Sundermann 1997, S. 109 – 124. 759 Edgar Bauer berichtete der dänischen Regierung u. a. über das Verhältnis zwischen Marx und Kinkel und den Streit zwischen den von ihnen herausgegebenen Zeitungen, über Heinrich Beta sowie die Feier vom 8. August und Kinkels Nachfolger Ernst Juch beim Hermann. Vgl. Edgar Bauer : Konfidentenberichte über die europäische Emigration in London 1852 – 1861, hg. von Erik Gamby, Trier 1989, insbes. S. 505 – 535. 760 Rösch, S. 99 – 102. 761 Hermann, 5. November 1859, S. 350. 762 Gottfried Kinkel: Festrede bei der Schillerfeier im Kristallpalast, 10. November 1859, London 1859; Ferdinand Freiligrath: Festlied der Deutschen in London, in Karl Tropus (Hg.): Schiller-Denkmal, Bd. 2, Berlin 1860, S. 692 – 696; Freiligrath lieferte somit zwei Festlieder zur Schillerfeier 1859. Zum »Festlied der Deutschen in Amerika« siehe Kapitel »Philadelphia«. 763 Rösch, S. 102 – 103.

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Freiligraths »Festlied der Deutschen in London« stellte Schiller in eine Reihe mit dem schottischen Dichter Robert Burns, der ebenfalls 1759 geboren wurde, und Georg Friedrich Händel, dessen Todestag in das Jahr 1759 fällt.764 Friedrich Schiller wird in dieser Reihe gegrüßt von den Feiernden, den »Deutschen bei den Briten«.765 Ansonsten enthielt sich Freiligrath nationalisierenden Deutungen fast vollständig. Die drei Künstler sind allerdings geschickt gewählt. Während Burns und Schiller in ihren jeweiligen (allerdings aus nationaler Perspektive gedachten) Kulturen verblieben, tritt der in Halle a. d. Saale geborene und in London verstorbene Händel als Bindeglied zwischen Deutschland und England auf. In gewisser Weise spiegelt sich in ihm das Schicksal der deutschen Migranten oder Exilanten in London wider, wenngleich deren Gang nach England nicht auf dem gleichen Maß an Freiwilligkeit beruhte, wie bei dem Komponisten. Im Vortrag der Festkantate, in Musik gesetzt von Ernst Pauer (1826 – 1905)766, wurde symbolisch noch einmal die Vereinigung der Deutschen im Londoner Exil vollzogen. Sie wurde von den zu diesem Zweck gemeinsam auftretenden deutschen Gesangsvereinen intoniert, die schon beim »Kinkelfest« die symbolische Vereinigung vollzogen hatten.767 Gottfried Kinkel hatte zuvor den Volksdichter Schiller in seiner Festrede als Beispiel einer bürgerlichen Leistungsbiografie, Kämpfer gegen Fürstenwillkür und Streiter für die nationale Sache beschrieben. Volksdichter sei der einem »ehrlichen protestantischen Bürgerhause« entstammende Schiller auch deshalb geworden, weil er die Not und die Armut am eigenen Leibe erfahren habe. Nur durch harte Arbeit, die schon seinem Vater den Aufstieg vom Unteroffizier zum Hauptmann ermöglicht habe, sei es Schiller möglich gewesen, sich eine gewisse Unabhängigkeit zu erkämpfen und, ebenso wie seinen unbeugsamen Willen, zeitlebens zu bewahren.768 Seine frühen Werke, etwa die »Räuber« und »Kabale und Liebe«, seien im Kampf gegen die Unterdrückung entstanden, dem Schreibverbot seines Herzogs musste sich Schiller schließlich durch Flucht entziehen. Die unmittelbare Erfahrung politischer Unterdrückung, materielle Not, Flucht und Verbannung hätten ihren Niederschlag auch im Werk des Dichters gefunden und machten Schiller, so Kinkel, zum volkstümlichsten 764 765 766 767

Freiligrath 1860, S. 692 – 696. Ebd. S. 694. Ernst Pauer war ein Enkel von Schillers Freund und Fluchthelfer Andreas Streicher. Bei den unterschiedliche politische Richtungen repräsentierenden Vereinen handelte es sich um den Islington Gesangsverein, die Harmonie, den Bund deutscher Männer, die Concordia und den Chor des Communistischen Arbeiterbildungsvereins. Rösch, S. 102. Zu den deutschen Vereinen in London vgl. auch Hermann, 12. März 1859, S. 79, wo die Zwietracht unter den verschiedenen Gesellschaften thematisiert wird: »… es ist auch betrübend, in dem Vereinswesen so oft Uneinigkeit ausbrechen zu sehen, wodurch gutes Blut in böses verwandelt und Kräfte, durch Einigkeit stark, zersplittert und geschwächt werden«. 768 Kinkel 1859, S. 3 – 4.

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Schriftsteller nach Luther.769 Zum nationalen Dichter sei er dann durch die späteren Dramen geworden. So habe Schiller bei der Niederschrift des Wallenstein »ganz die Gräuel des französischen Krieges vor Augen gehabt«.770 Anschließend habe der Dichter im Jahrestakt die Gattung der idealistischen historischen Tragödie begründet und »aus dem Leben eines jeden der großen Völker Europas ein Drama geschaffen«.771 Die auf Wallenstein folgenden Dramen »Johanna von Orleans« und »Wilhelm Tell« seien eine Mahnung, »dass jeder Mensch, Weib oder Mann, zu seinem Volke stehen und den Kampf wagen soll gegen die Unterdrückung des fremden Eroberers«. Schiller habe durch diese Werke dazu beigetragen, dass die Unterdrückung beendet werden konnte, denn: »Das war es, was Deutschland bedurfte, um jene Begeisterung zu wecken, die bei Leipzig schlug; das ist es gewesen, wodurch der große Tragiker sein Stück Weltgeschichte nicht nur gemalt, sondern auch gemacht hat, und um dieser Mannestugend willen liebt und feiert ihn sein Volk.«772 Neben Schiller, erinnerte Kinkel, seien am 10. November auch Martin Luther und Robert Blum geboren, wie jener »Vorkämpfer des Lichts«, deren Werk erst vollendet sein werde, wenn die Deutschen vereint den ihnen zugehörigen Platz unter den Völkern Europas eingenommen hätten. In vollstem Pathos beendete Kinkel seine Rede mit einem Schwur, den er direkt an Friedrich Schiller richtet: »Dir aber, o Geist Schillers schwören wir’s heute: Wir wollen, ob auch im fremden Lande, stehen zu unserm Volke, und was Du gesprochen hast in den Tagen der Schmach, als unsere Heere sanken, als unser Reich zusammenbrach, das wollen wir heut schon sprechen, und wenn einst die Stunde sich erfüllt hat, und Ein Gesetz, Ein Volk, Ein Gebot waltet, so weit Deine Sprache hallt, dann wollen wir es sprechen mit vollem Jubel, was heute im Namen dieser Aller ich Dir nachsprech, o Friedrich Schiller, mit Deinen eigenen Worten: ›Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!‹«773

Gerade der Vergleich mit Robert Blum brachte Kinkel erhebliche Kritik ein, die er mit dem im Hermann veröffentlichten Gedicht »An meine reichen Landsleute in London« beantwortete, das mit den Zeilen schließt »Vom Vaterland darf Keiner sprechen, der schweigen will von Robert Blum«.774 Wenngleich die Rede im Hermann gelobt und auch in englischen Zeitungen als gelungen beschrieben 769 770 771 772 773 774

Ebd., S. 7. Ebd., S. 12. Ebd., S. 11. Ebd., S. 13. Ebd., S. 15. Gottfried Kinkel: An meine reichen Landsleute in London, in: Hermann, 26. November 1859, S. 372. Das Titelzitat dieser Ausgabe stammt von Goethe und scheint in die gleiche Richtung zu zielen, wie das Gedicht: »Mich freu’n die vielen Guten und Tücht’gen / Obgleich so viele dazwischen helfen, / Die Deutschen wissen zu bericht’gen, / Aber sie verstehen nicht nachzuhelfen!«

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wurde775, kam diese deutliche Positionierung Kinkels beim deutschen Publikum offenbar nicht überall gut an und ließ die politischen Differenzen in der deutschen Kolonie noch einmal deutlich werden. Bereits am 5. November hatte der Hermann auf das Zusammentreffen der Geburtstage von Luther, Schiller und Blum am 10. November hingewiesen. Insbesondere sei es Robert Blum gewesen, der 1840 in Leipzig die Tradition der Schillerfeste begründet habe und damit »die ersten Keime zu dem volkstümlichsten, edelsten deutschen Universalfeste, das alle Deutsche der Erde an diesem 10. November mit Einem begeistert erwärmten Herzen feiern, auszustreuen begann«.776 Nach den Beiträgen von Kinkel und Freiligrath folgten das für Chorgesang arrangierten Schillergedicht »Traum und Gesang« und das »Lied von der Glocke« nach der Musik von Andreas Romberg, ein Violinsolo von Henryk Wieniawski und schließlich ein großer Fackelzug durch die Gärten des Kristallpalastes mit gut 600 Fackelträgern (s. Abb. 4).777 Der Fackelzug wurde von der Londoner Presse als neuartig in England und »real German« beschrieben.778 Den Abschluss bildete schließlich ein Festbankett im kleineren Kreis, auf dem die Feiernden das mit mehr als 20.000 Besuchern – davon ein gutes Drittel Engländer – ausgesprochen gut besuchte Fest ausklingen ließen.779 Hermann Rösch wertet die Londoner Schillerfeier im Kristallpalast angesichts der bewusst angestrebten Beteiligung von Engländern unter anderem als Werbeaktion zur Unterstützung republikanischer Kreise in den deutschen Staaten. Zwar sei es auch hier um die Frage der Nation gegangen, soziale Gerechtigkeit und die Republik als politische Form des zu gründenden deutschen Nationalstaats hätten aber eine ebenso wichtige Rolle gespielt.780 Neben dieser politischen Ebene lässt sich aber insbesondere die Planung der Londoner Schillerfeier durch Heinrich Beta als bewusst medial gestützte Inszenierung einer symbolisch-performativen Einheit der Deutschen in Vorwegnahme der staatspolitischen Einigung der deutschen Nation auf dem Kontinent lesen.

775 Daily News, 11. November 1859, S. 4; Daily Telegraph, 11. November 1859, S. 3. 776 (Heinrich Beta/Kreis): Luther, Robert Blum, Schiller, in: Hermann, 5. November 1859, S. 348. 777 Hermann, 19. November 1859, S. 363. 778 Daily News, 11. November 1859, S. 4; Daily Telegraph, 11. November 1859, S. 3. 779 Rösch, S. 111. 780 Ebd.

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Abb. 4: Die Schillerfeier im Londoner Kristallpalast781

Die mediale Vorwegnahme der deutschen Einheit im Fest Mit der Kinkel-Feier vom 8. August sollte nach Betas Darlegungen in der Gartenlaube zweierlei gezeigt werden: Eine Schillerfeier in London ist nur mit Kinkel als Integrationsperson möglich und die deutsche Einheit kann – wenn auch zunächst nur symbolisch und im kleinen Rahmen der Londoner Community – realisiert werden. Kinkel sollte also als »Mittelpunkt« eine zentrale Rolle in der Vorbereitung und Durchführung der Feier spielen, um die zersplitterten und zerstrittenen Deutschen in London zu vereinen. »Die vier größten deutschen Vereine Londons,« erläuterte Beta in der Gartenlaube, »sonst isoliert, oft feindlich gegen einander stehend, waren durch Kinkels Persönlichkeit, lehrendes und während dieses Jahres publizistisches Wirken, das von der Forderung deutscher Einheit beseelt wird, zu dem Gefühl und Bewusstsein gekommen, dass man hier einig sein und wirken und Kinkel selbst als der edelste und würdigste Brennpunkt dieser Einheit und Verbrüderung proklamiert werden müsse.«782 Als besonderen Beleg für die Integrationskraft Kinkels führte Beta die Teilnahme des Arbeiterbildungsvereins an, »bisher ein grimmiger kommunistischer Saulus gegen Kinkel«, der sich nun dem Einfluss von Karl 781 Über Land und Meer 6 (1860), S. 94. 782 Beta 1859, S. 503 – 504.

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Marx entzogen habe und dessen Mitglieder an jenem Abend »als Männer behandelt wurden, die ihren politischen Parteistandpunkt der höheren Macht der Einheitsnotwendigkeit untergeordnet haben«. Und die Demonstration zeigte die erwünsche Wirkung: Kinkel war Beta zufolge von der Demonstration beeindruckt und hielt eine flammende Dankesrede, dem der feuchtfröhliche Ausklang des Abends folgte.783 Nach der Deutung Betas wurde die Einheit Deutschlands an diesem Abend in London bereits im Kleinen symbolisch vollzogen. Der von ihm inszenierte Akt galt ihm als ein Beleg für die »Fähigkeit der großen deutschen Einheitssehnsucht, zu Hause sich zu verwirklichen. Wenn das Pathos lebendig und warm genug aufglüht und ein Mittelpunkt, eine edle, gefeierte, geliebte Persönlichkeit, als Brennpunkt derselben gefunden sein wird, dann schmelzen auch im großen Vaterlande die Partei- und Sonderinteressen in seliger Einheitsglut entweder freudig oder freiwillig oder hingerissen in Furcht und Schwäche, zusammen und halten sich auch später der großen nationalen Macht, Stärke und Notwendigkeit untergeordnet.«784

Ist ein solcher Vereinigungspunkt erst einmal gefunden, dann – und die Feier in London belege dies – könne jedweder Zwist und Streit überwunden und eine neue Form des Miteinanders hervorgebracht werden: »Das deutsche Verbrüderungsfest wurde durch Kinkels Persönlichkeit und Rede zur Tatsache deutscher Einheit, die sich zunächst durch monatliche General-Versammlungen der einzelnen Vereine praktisch fortsetzen« und bei der bevorstehenden Schillerfeier erneut zum Ausdruck kommen werde.785 Für Deutschland empfahl Beta als Konsequenz aus der in London erprobten und vollzogenen Einheit, am 10. November Friedrich Schiller zum »Brennpunkt seiner neuen Lebens- und Einheits-Regungen« zu machen und über ihn zur Einheit und Einigkeit zu kommen. Was in London über Gottfried Kinkel bereits gelang, so die Botschaft, sollte nun über Friedrich Schiller in einem viel größeren Umfange realisiert werden. Für die Deutschen in London hatte die Schillerfeier im Kristallpalast offenbar tatsächlich eine gemeinschaftsbildende Funktion und trug zur Wiederbelebung und Stärkung des nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls untereinander und mit der alten Heimat bei.786 Friedrich Althaus bezeichnet die Schillerfeier von 1859 als Zäsur in der Geschichte der Londoner Kolonie.787 Ihr sei es zu verdanken, dass sich der kulturelle und geistige Austausch in der deutschen Kolonie 783 784 785 786 787

Ebd. Ebd., S. 504. Ebd. Sundermann 1997, S. 117. Nach Sundermann 1997, S. 107.

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merklich belebte.788 Auch Karl Heinrich Schaible berichtet in seinen Lebenserinnerungen positiv von der Londoner Feier und betont besonders das Gefühl der Gemeinschaft in der und durch die Feier : »Mit wenigen Ausnahmen haben die deutschen Exilierten in England, trotz politischer Verfolgung, ein warmes Herz für ihr Vaterland bewahrt. Es sind gerade die Verbannten von 1848 und 1849, welche in England unter den Landsleuten zuerst das deutsche Bewusstsein weckten. Es war dies besonders durch das großartige Schillerfest am 10. November 1859 im Kristall-Palast, wo sich die gesamte deutsche Kolonie Londons – zum ersten Male, seitdem es Deutsche in London gibt – in den riesigen Räumen vereinigt fand. Dieses Fest weckte unter den Deutschen Londons das Gefühl der Zusammengehörigkeit und rief eine große Anzahl deutscher Vereine ins Leben. Dieses Fest aber wurde von Verbannten vorgeschlagen, organisiert und geleitet. Gottfried Kinkel hielt die Festrede, Ferdinand Freiligrath dichtete die Festkantate, Karl Blind verfasste eine englische biographische Skizze Schillers als Festschrift. Von der Heimat verjagt, erweckten die Exilierten zuerst unter den Deutschen Londons das Gefühl für die Heimat. Wie gewaltig sich dieses Gefühl von da an entwickelte und stärkte, zeigte sich zur Zeit des deutsch-dänischen und später des deutsch-französischen Krieges, wo wieder die Verbannten in der ersten Reihe der Patrioten standen und ihre Kräfte der Sache der sie verschmähenden Heimat widmeten.«789

Hoffnungen auf bleibende Erinnerungen an das Schillerfest, etwa durch Errichtung einer Schiller-Anstalt mit Bibliothek als geistiger Mittel- und Vereinigungspunkt der Deutschen in London, erfüllten sich nicht, da der erhoffte Überschuss aus der Feier ausblieb.790 Die Londoner Schillerfeier war mit ihrem eintägigen Festprogramm im Kristallpalast eine der kürzesten und zentralistischsten Feiern überhaupt. Musikalisch-deklamatorische Festaufführung und Fackelzug fanden in einem halböffentlichen Raum statt, der nur durch Zahlung von Eintrittsgeldern zugänglich war. Kostenfreie Veranstaltungen wurden in London nicht angeboten. Mit dem Kristallpalast war ein außerordentlich attraktiver Festort vorhanden, der allerdings in einiger Entfernung zur Stadtmitte lag und eine Anreise erforderlich machte. Dass der 10. November 1859 auf einen Donnerstag und damit einen allgemeinen Arbeitstag fiel, schränkte die Möglichkeit einer Teilnahme vor

788 Ebd., S. 163 ff. 789 Karl Heinrich Schaible: Siebenunddreißig Jahre aus dem Leben eines Exilierten, Stuttgart, London 1895, S. 146 – 147. 790 Hermann, 15. Oktober 1859, 5. Dezember 1859; Sundermann, S. 118. In Manchester ging aus der dortigen Schillerfeier eine Schiller-Anstalt hervor, die bis 1911 für die Deutschen ein kulturelles und gesellschaftliches Zentrum blieb. Vgl. Rainer Liedtke: »… deutsche Geistescultur zu fördern«. Deutsch-jüdische Immigration und die Schiller-Anstalt in Manchester, in: Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 29 (1990), S. 146 – 153; Hermann, 26. November 1859, S. 375.

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allem für arbeitende Bevölkerungsteile weiter ein und sorgte dafür, dass der Besucherkreis relativ exklusiv blieb. Das Phänomen der Schillerfeier wurde auch in der englischsprachigen Presse betrachtet. So erklärte die Illustrated London News die Beliebtheit Schillers nicht aus der literarischen Qualität seiner Werke, sondern: »The secret of his popularity is to be found in the fact that he embodies – what the Germans so ardently long to establish – the Nationality of Germany. Austrians, Prussians, Bavarians, Hanoverians, Saxons, Suabians, and Westphalians lose their remembrance of the political and military demarcations that separate them from each other when they read the pages of Schiller. He is the spiritual and intellectual link that unites empires, kingdoms, principalities, and dukedoms. His is the song that proves to the Germans that they are Germans; his is he inspiration that upholds them to struggle fort he realisation of the great idea; and his, above all other names illustrious in their literature, is hat which appeals most warmly to their political and national sympathies.«791

Die Berichterstattung des Hermann hielt sich auch wegen der wöchentlichen Erscheinungsweise in Grenzen. Am 24. September 1859 meldete das Blatt Festaktivitäten in den biografisch relevanten Festorten in Stuttgart, Marbach und Leipzig. »Aber wo bleibt Deutschland?«, fragte sich die Zeitung und verwies zunächst auf die Vorbereitungen in London.792 Eine Woche später zeichnete die Zeitung ein Bild von weltweiten Schillerfestbemühungen, von den englischen Städten London, Manchester und Bradford über die USA bis nach Australien, die Türkei und das tiefste Sibirien, während in den deutschen Staaten nur wenig Aktivität verzeichnet wurde.793 Und auch als feststand, dass zahllose Ortschaften und Städte in den deutschsprachigen Staaten Europas sich beteiligen würden, berichtete der Hermann vor allem aus Dresden und Berlin, wo insbesondere das Verbot der öffentlichen Schillerfeier und die Exzesse auf dem Gendarmenmarkt Beachtung fanden.794

Paris Folgt man der Berichterstattung der Pariser Zeitung, dann war die Organisation und Durchführung der Pariser Schillerfeier eine große Erfolgsgeschichte: Nachdem das Blatt Anfang September die Durchführung einer Feier auch in 791 792 793 794

The Illustrated London News, 12. November 1859, S. 456. Hermann, 24. September 1859, S. 298. Hermann, 1. Oktober 1859, S. 307, 311. Ebd., 5. November 1859, S. 346, 19. November 1859, S. 363.

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Paris angeregt hatte, fand sich ein zunächst halbprivates, später offizielles Festkomitee zusammen, erstellte einen Programmentwurf und gewann führende Kulturschaffende für die Idee, darunter den in Paris lebenden berühmten Opernkomponisten Giacomo Meyerbeer (1791 – 1864)795, den als Gast in der Stadt weilenden sächsischen Hofschauspieler Bogumil Dawison (1818 – 1872)796 und den Begründer und Direktor der Soci¦t¦ des Jeunes Artistes du Conservatorie, Jules Pasdeloup (1819 – 1887)797 für die musikalische Leitung des Abends. Vorbereitungen und Proben liefen reibungslos, mit dem Cirque de l’Imp¦ratrice auf den Champs-Êlys¦es wurde ein passender Veranstaltungsort gefunden. Hier konnten das große Orchester und die vereinten deutschen und Schweizer Gesangsvereine unter der Leitung von Pasdeloup und in Anwesenheit Meyerbeers rechtzeitig mit den Generalproben beginnen. Der Kartenvorverkauf lief prächtig, der Andrang und das Interesse waren sehr groß. So groß, dass am Abend der Veranstaltung der Saal zum Teil von Zuschauern gestürmt wurde, die im Vorverkauf keine Eintrittskarte mehr bekommen hatten. Einige Zuschauer mit regulären Eintrittskarten mussten daraufhin wegen Überfüllung am Einlass abgewiesen werden und erhielten ihr Eintrittsgeld zurückerstattet.798 Die Veranstaltung selbst war vorwiegend musikalischer Natur und stieß beim Publikum auf allgemeinen Zuspruch. Meyerbeers eigens zum Fest komponierter Schiller-Marsch musste wiederholt werden, die Festkantate von Komiteemitglied Ludwig Pfau (1821 – 1894)799, in Töne gesetzt ebenfalls von Meyerbeer, wurde in der Presse gelobt.800 Die Kantate wurde am 10. November auch in Wien gespielt, nachdem Komponist und Texter auf Anfrage des Wiener Festkomitees 795 Der als Jacob Meyer Beer geborene Komponist gilt als einer der einflussreichsten Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts und Wegbereiter Richard Wagners. DBE. 796 Bogumil Dawison hatte nach dem Besuch der Warschauer Theaterschule in den 1840er und 1850er Jahren in Wilna, Lemberg, am Hamburger Thalia- und dem Wiener Burgtheater als Helden- und Charakterdarsteller große Erfolge. Seit 1853 war Dawison Mitglied des Dresdner Hoftheaters. DBE. 797 Pasdeloup war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Dirigenten Frankreichs. ABF. 798 Pariser Zeitung, 19. November 1859, S. 3. Zur begleitenden Festberichterstattung in Paris vgl. Pariser Zeitung – Journal Allemand de Paris, 27. August 1859 bis 31. Dezember 1859. 799 Der Publizist, Lyriker und Übersetzer Ludwig Pfau studierte Philosophie in Tübingen und Heidelberg. Nach dem Studium wurde Pfau Journalist und gründete 1848 mit dem »Eulenspiegel« die erste politisch-karikaturistische Zeitschrift in Deutschland. Wegen seiner Mitgliedschaft im demokratisch-württembergischen Landesausschuss ging Pfau nach der Niederlage der Revolution ins Exil in die Schweiz und nach Frankreich, wo er als Kunstkritiker für verschiedene Zeitschriften arbeitete. Erst nach der Amnestie von 1863 kehrte Pfau nach Stuttgart zurück, wo er sich an der Gründung der Schwäbischen Volkspartei beteiligte. DBE. 800 Ludwig Pfau: Festlied zu Schiller’s hundertjährigem Geburtstage, in: Karl Tropus: SchillerDenkmal, Bd. 2, Berlin 1860, S. 708 – 709. Zugleich: Pariser Zeitung, Suppl¦ment du num¦ro 11 de la Pariser Zeitung, S. 3

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ihre Zustimmung dazu gegeben hatten. Für Ludwig Pfau hat sich die Dichtung auch finanziell gelohnt: Gemmy Brandus, der Pariser Verleger Meyerbeers, erwarb den Text nach dem Fest für 500 Francs.801 Neben der Festkantate hatte Ludwig Pfau auch einen Prolog verfasst, der von Ida Schuselka-Brüning (1817 – 1908)802 vorgetragen wurde.803 Während des Prologs bekränzte sie eine kolossale, nach dem Dannecker-Vorbild gegossene Schiller-Büste, die eigens für das Fest angeschafft worden war. Die Festrede hielt der Schriftsteller Ludwig Kalisch (1814 – 1882).804 Neben den Festkompositionen Meyerbeers griff man in Paris auf bewährte Musikstücke zurück. Nach der Festrede wurde die Ouvertüre zu Oberon von Carl Maria von Weber gespielt, anschließend Mendelssohns Festgesang auf Friedrich Schillers »An die Künstler« von den versammelten deutschen Chören der französischen Hauptstadt vorgetragen. Der zweite sprachliche Höhepunkt des Abends war der Auftritt des berühmten Regisseurs und Hofschauspielers des Hoftheaters in Dresden, Bogumil Dawison. In einem deklamatorischen Vortrag aus dem Dritten Akt des Don Carlos begeisterte der Schauspieler das Publikum, das – wie so oft bei dieser Stelle – in Jubel ausbrach, als Dawison die Forderung des Marquis Posa nach Gedankenfreiheit deklamierte. Den Abschluss des Festprogramms bildete Schillers »An die Freude« nach der Musik von Beetho-

801 Giacomo Meyerbeer : Briefwechsel und Tagebücher, hg. von Sabine Henze Döhring, Berlin 2004, S. 497. 802 Ida Schuselka-Brüning debütierte 1833 als Solo-Sopranistin am Stadttheater in Reval. In den 1830er und 1840er Jahren sang sie an den Opernhäusern in Königsberg, Danzig, Hamburg und Hannover sowie auf verschiedenen Bühnen in Wien. 1853 kam SchuselkaBrüning an das Dresdner Hoftheater und wechselte ins Schauspielfach. 1855 – 57 leitete sie das Landestheater Linz, 1862 – 65 ein von ihr gegründetes deutschsprachiges Theater in Paris. Ida Schuselka Brüning war in zweiter Ehe mit Franz Schuselka verheiratet, der 1859 in Wien als Festredner beim Schillerfest des Journalistenvereins Concordia Aufsehen erregte. DBE. 803 Ludwig Pfau: Prolog zur Bekränzung von Schiller’s Büste, in: Karl Tropus: SchillerDenkmal, Bd. 2, Berlin 1860, S. 707 – 708. Zugleich: Pariser Zeitung, Suppl¦ment du num¦ro 11 de la Pariser Zeitung, S. 2 804 Der Schriftsteller Ludwig Kalisch war nach dem Studium der Medizin in Heidelberg und München als Schriftsteller und Journalist tätig und veröffentlichte Balladen, Liebes- du Freiheitsgedichte. 1840 ließ er sich in Mainz nieder und wurde kurz darauf Redakteur und 1844 Herausgeber der Karnevalzeitung »Narhalla«. In Gießen studierte er Sprach- und Literaturwissenschaften und promovierte 1847 zum Dr. phil. Als Herausgeber des Mainzer »Demokrat« und Mitglied der provisorischen Regierung der Pfalz war Kalisch in die Revolution 1848/49 involviert und floh nach deren Scheitern nach Paris. 1851 in Abwesenheit zum Tod verurteilt, blieb ihm die Möglichkeit einer raschen Rückkehr verwehrt. Kalisch arbeitete in Paris als Lehrer, Übersetzer und Korrespondent für verschiedene Zeitungen. DBE.

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vens 9. Symphonie und im Anschluss fand im kleineren Kreis mit geladenen Gästen noch ein exklusives Festbankett statt.805 Medial wurde die Pariser Schillerfeier vorrangig von der am 27. August 1859 erstmals erschienenen Pariser Zeitung – Journal Allemand de Paris begleitet. Bereits in ihrer Erstausgabe hatte die deutschsprachige Wochenzeitung, die unter der redaktionellen Betreuung des jungen Autoren und Übersetzers Paul Raymond-Signouret erschien, von Planungen zur Schillerfeier in London berichtet.806 In der zweiten Ausgabe wurde dann angesichts der großen Zahl deutscher Einwohner in Paris807 die Abhaltung einer eigenständigen Feier in der französischen Hauptstadt vorgeschlagen. Jedweder Unternehmung in dieser Richtung erklärte die Pariser Zeitung zugleich ihre Bereitschaft, die benötigte publizistische Unterstützung zu leisten.808 Und sie reklamiert die geistige Urheberschaft, als sie wenige Wochen später die Gründung eines provisorischen Festkomitees und die Aufnahme von Planungen und Vorbereitungen für eine Pariser Schillerfeier vermelden konnte.809 Anders als in anderen Städten ist das Komitee in Paris nicht durch einen Aufruf in der Presse ins Leben gerufen worden, die Idee dazu sei vielmehr zunächst »in befreundeten Kreisen in Anregung gebracht worden«, worauf eine »Versammlung von in Paris ansässigen Deutschen aus den verschiedensten Berufsklassen« zusammengetreten, aus deren Mitte ein Festkomitee ernannt und mit den weiteren Planungen beauftragt worden sei, wie einem in der Pariser Zeitung veröffentlichten Rundschreiben des Komitees zu entnehmen ist.810 Ludwig Kalisch und Ludwig Pfau waren auch Mitglieder des Festkomitees, das von dem bekannten Arzt Dr. Salomon Otterburg (1810 – 1881) geleitet wurde. Meyerbeers Verleger, Gemmy Brandus (1823 – 1873), und der Kaufmann Louis Bauer waren zu Vizepräsidenten des Komitees gewählt worden, der Kaufmann G. Neuhaus wurde zum Schatzmeister ernannt. Als Schriftführer wirkten der Buchhändler Friedrich Klinksieck und der Korrespondent der Berliner Nationalzeitung, Eduard Simon (†1897).811 Unter den weiteren Komiteemitgliedern 805 Pariser Zeitung, 19. November 1859; Die Schillerfeier der alten und neuen Welt, Leipzig 1860, S. 73 – 76. 806 Ebd., 27. August 1859, S. 7. 807 Die Pariser Zeitung spricht von rund 120.000 Einwohnern. Pariser Zeitung, 3. September 1859, S. 1. Mareike König gibt eine Zahl zwischen 30000 und 65000 an. Vgl. Mareike König: Brüche als gestaltendes Element. Die Deutschen in Paris im 19. Jahrhundert, in: Dies. (Hg.): Deutsche Handwerker, Arbeiter und Dienstmädchen in Paris. Eine vergessene Migration im 19. Jahrhundert, Paris 2003, S. 9 – 26, S. 12. 808 Pariser Zeitung, 3. September 1859, S. 1. 809 Ebd., 1. Oktober 1859, S. 1. 810 Ebd., 15. Oktober 1859, S. 1. 811 Karl Marx bezeichnet Simon in seiner Schrift »Herr Vogt« als Spitzel der dezembristischen Polizei und als Leitartikler des »Patrie«. Vgl. Karl Marx: Herr Vogt, Kap. IX.

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finden sich auch der Violinist und Dirigent des Gesangsvereins Teutonia, Jules Offenbach (1815 – 1880), älterer Bruder des bekannten Jacques Offenbach, mit dem er Mitte der 1830er Jahre gemeinsam nach Paris gekommen war, der MusikVerleger Maho und der Buchdrucker Kugelmann.812 Neben den Kaufleuten waren so vor allem Verleger, Buchhändler, Schriftsteller und Journalisten zentral an der Organisation und Durchführung der Pariser Feier beteiligt. Mit Ludwig Kalisch und Ludwig Pfau hatten darüber hinaus zwei journalistisch und schriftstellerisch Erfahrene die Abfassung der Wortbeiträge übernommen. Den gesamten Oktober hindurch berichtete die Pariser Zeitung auf der Titelseite von den Vorbereitungen und Planungen zur Pariser Feier und verzeichnete dabei regelmäßig sensationelle Entwicklungen, besonders hinsichtlich der für das Fest gewonnenen Akteure: Die Mitwirkung Giacomo Meyerbeers, die vom Komitee als erste Amtshandlung erbeten und auch erreicht worden war, wurde bereits am 1. Oktober gemeldet.813 Eine Woche später wurde die Übernahme der musikalischen Leitung des Abends durch Jules Pasdeloup bekannt gegeben.814 Am 15. Oktober meldet die Pariser Zeitung die Verpflichtung weiterer Persönlichkeiten, darunter die bekannte Sopranistin Anna BochkoltzFalconi (ca. 1820 – 1879), die schon an der Mailänder Scala und in Wiesbaden gesungen hatte.815 Und in der letzten Ausgabe vor der Feier jubelte das Blatt, der berühmte Schauspieler Bogumil Dawison sei »wie ein Deus ex machina in Paris angekommen und hat seine Mitwirkung auf das Bereitwilligste zugesagt«.816 Die Ausgabe vom 5. November 1859 enthielt schließlich eine achtseitige Festbeilage mit dem vollständigen Programm der Feier, sämtlichen für den Abend vorgesehenen Dichtungen und dem von Dawison für seinen Vortrag gekürzten Text des Dritten Aktes aus Don Carlos. Die Beilage ist – anders als die Pariser Zeitung sonst – zweisprachig gehalten: sämtliche Texte wurden hier auch in französischer Übersetzung abgedruckt.817 Die beiden Pfau-Gedichte wurden für die Ausgabe von dem Faust-Übersetzer Blaze de Bury ins Französische übertragen.818 Das Sonderheft fand reißenden Absatz. Neben den Exemplaren, die der regulären Ausgabe der Pariser Zeitung beilagen, wurden weitere Einzelexemplare auch im Cirque de l’Imp¦ratrice gratis verteilt. Dennoch gab es

812 813 814 815 816 817 818

Pariser Zeitung, 1. Oktober 1859, S. 1. Ebd. Ebd., 8. Oktober 1859, S. 1. Ebd., 15. Oktober 1859, S. 1. Ebd., 5. November 1859, S. 1. Hervorhebungen im Original. Suppl¦ment du num¦ro 11 de la Pariser Zeitung. Pariser Zeitung, 26. November 1859, S. 3.

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auch über den Festtag hinaus weitere Anfragen nach diesem Sonderdruck, so dass schließlich ein Nachdruck in Auftrag gegeben wurde.819 Während die Proben anliefen und die Dekorationsarbeiten im Cirque de l’Imp¦ratrice begannen, konnte die Pariser Zeitung bereits am 29. Oktober darauf hinweisen, dass die Eintrittskarten im Vorverkauf angesichts des großen Andrangs langsam zur Neige gingen.820 Während der Generalproben wurden noch letzte Korrekturen an der Choreographie vorgenommen. Ein ursprünglich geplanter Zug einer »Mädchenschar in weißer antiker Kleidung« wurde gestrichen, um den Effekt der Musik nicht zu beeinträchtigen.821 Am 10. November selbst ging das Fest als rauschender Erfolg über die Bühne, wie auch französische Zeitungen schrieben.822 Lediglich ein abschließender politischer Appell an die Einheit, die Brüderlichkeit und die Versöhnung der Völker schien in der Pariser Öffentlichkeit nicht gut anzukommen.823

Die deutsche Nation in der Pariser Feier Die Pariser Feier trug den Charakter eines Musik- und Kunstfests. Nationalistische Töne kamen im Festprogramm und in den Wortbeiträgen kaum vor. Die Forderung des Marquis Posa nach »Gedankenfreiheit« lässt sich zwar als politische Forderung nach bürgerlichen Freiheitsrechten verstehen – auch der an dieser Stelle ausbrechende Jubel spricht dafür –, eine nationale Konnotation jedoch liegt dieser Stelle fern. Zwei eigens zum Fest geschriebene Dichtungen stammten von dem Journalisten und Kunstkritiker Ludwig Pfau. Sein Prolog zur Pariser Schillerfeier enthält keinerlei Referenz auf die deutsche Nation und richtet sich allein an den Dichter Schiller, der hier als Künstler geehrt wird.824 Auch die ebenfalls von Pfau gedichtete Festkantate bleibt hinsichtlich der Nation vage, weist aber einige 819 Ebd., 12. November 1859, S. 1, 19. November 1859, S. 1. Offenbar hatte es einige Verwirrungen um die Gratisexemplare im Cirque de l’Imperatrice gegeben, so dass sich die Redaktion veranlasst sah, am 12. November darauf hinzuweisen, dass einige Platzanweiserinnen gegen ihre Anweisungen Geld angenommen hätten, die Beilage am Festtage von Seiten des Verlages eigentlich aber kostenfrei zu haben war. 820 Pariser Zeitung, 29. Oktober 1859, S. 1. 821 Meyerbeer, Giacomo: Briefwechsel und Tagebücher, hg. von Sabine Henze Döhring, Berlin 2004. 822 La Patrie, 13. November 1859, S. 1; Le Pays, 14. November 1859, S. 1; Le SiÀcle, 15. November 1859, S. 1. 823 Vgl. Walter Salmen: Ein »grand festival« von 1859 zu Ehren Schillers in Paris, in: Musik in Baden-Württemberg 12 (2005), S. 1 – 4, S. 4. 824 Ludwig Pfau: Prolog zur Bekränzung von Schillers Büste, in: Pariser Zeitung, Suppl¦ment du num¦ro 11 de la Pariser Zeitung, S. 2.

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politische und nationale Konnotationen auf. So sieht Pfau Schillers Unsterblichkeit in der deutschen Sprache begründet: »Wohl bist du uns geboren, Gestorben bist du nicht: Du lebst so unverloren Wo deutsche Zunge spricht. Du gibst uns, großer Meister, Ein einig Vaterland – Die Brüderschaft der Geister, Das ist der Einheit Band.«825

Schillers Werke, insbesondere Wilhelm Tell, hätten den Deutschen (»uns«) Trost, Stärke und auch die Motivation für den Sieg in der Schlacht bei Leipzig (»am großen Tag der Schlacht«) gegeben. Schiller wird als Dichter der Freiheit und des Volkes beschrieben, dessen Erben zwar »getrennt, doch ungebeugt« stünden. In der abschließenden Strophe allerdings wird Schiller und den Dichtern allgemein eine nationale Exklusivität abgesprochen. Sie, wie auch die Sterne, würden der ganzen Welt und damit der ganzen Menschheit leuchten. Ihre schöpferische Kraft helfe der Menschheit dabei, sich zu vereinen und zu vervollkommnen: »Ihr Völker nah und ferne, Jauchzt unterm Himmelszelt: Die Denker und die Sterne, Sie leuchten aller Welt. Sprich, Genius, dein »Werde!« Bis jede Schranke fiel – Die Menschheit und die Erde: Ein Volk, ein Land, ein Ziel!«826

Auch der Festrede von Ludwig Kalisch liegen nationalistische Töne fern, auch wenn er als Adressaten der Feier die Deutschen in der ganzen Welt sieht.827 Schiller sei als Dichter der Jugend zugleich Dichter aller Altersklassen. Seine Werke seien gekennzeichnet von der »Kraft der Begeisterung für die teuersten und edelsten Güter der Menschheit, für Freiheit und Recht, für die Geistesbildung und hohe Gesittung, für eine Zukunft, die herrlich und üppig emporblühen soll aus den Trümmern der Vergangenheit«.828 Schiller sei auch durch seine Sprache zum Dichter geworden, habe seinem Volk Selbstbewusstsein, Achtung vor den Frauen und Liebe zum Vaterland vermittelt. »Aber«, schränkt Kalisch 825 Pfau/Tropus 1860. 826 Ebd. 827 Ludwig Kalisch: Festrede gehalten am Schiller-Tage, Paris 1859; zugleich in: Tropus, Bd. 2, S. 700 – 707. 828 Kalisch 1859, S. 2.

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ein, »war Schiller auch ein glühender Patriot, so hielt ihn sein Patriotismus doch nicht in einen eng umschriebenen Kreis gebannt. Er war zu reich, um nur ein einziges Volk zu bereichern; sein Geist war zu erhaben, um in den Grenzen des Vaterlandes die Grenzen der Menschheit zu sehen.«829 Vielmehr sei Schiller ein Dichter für die ganze Menschheit gewesen, weshalb die Franzosen ihn auch zum Ehrenbürger ernannt hätten. »Nein, Schillers Herzen war der ausschließliche, beschränkte barbarische Patriotismus fremd, der auf Alles, was außerhalb der Marken des Heimatlandes liegt, mit hochmütiger Ablehnung herabsieht. Ein solcher Patriotismus gehört beschränkten Geistern und einer überwundenen dunkeln Epoche an, wo die Völker sich nur berührten, um sich gegenseitig abzustoßen.«830 Und dennoch: einen bevorzugten Platz habe der Patriotismus des Dichters für die Deutschen durchaus vorgesehen: »Schillers Streben war […], dass am Baume der Menschheit jeder Zweig üppig grüne, am üppigsten aber jener Zweig, an dem er selbst als die schönste, als die herrlichste Blüte prangte«.831 Dieser ohnehin ausgesprochen moderate nationalistische Klang wird von Kalisch dann kurz darauf wieder relativiert, indem er die Teilnahme nichtdeutscher Festteilnehmer an den Schillerfeiern in der ganzen Welt ausdrücklich begrüßt: »Sie verherrlicht unser Fest; sie gibt ihm erst die wahre, echte Weihe; denn sie zeigt uns, dass unser Schiller auch der Eure. Sie bietet ein schönes, lebhaftes Bild von der Völkerverbrüderung, die unser Dichter im Jubel der Menschenliebe mit den Worten verkündet: Seid umschlungen, Millionen!«832 Im Kern feierte Ludwig Kalisch in seiner Rede Friedrich Schiller als Weltbürger und Weltdichter, eine nationale Verengung und Vereinnahmung fand weder im kulturell-ideellen, noch im politischen Bereich statt. Die Rede schien beim Publikum gut anzukommen, wie die Pariser Zeitung in ihrem Festbericht vom 12. November mitteilt. Die »ebenso taktvoll gehaltene als glänzend durchgeführte Festrede« sei an »zahlreichen Stellen von begeistertem Beifall unterbrochen« worden. Einer weiteren Bewertung der Rede enthält sich der Festbericht, allerdings findet sich ein vollständiger Abdruck in derselben Ausgabe.833 Das Fest im Cirque de l’Imp¦ratrice war eine weitgehend exklusive Veranstaltung. Die Eintrittspreise bewegten sich von 10 Francs im ersten über 5 Francs im zweiten zu 2 Francs im dritten Rang. Dem Rechnungsbericht des Komitees ist zu entnehmen, dass insgesamt 2822 Karten für alle drei Ränge für insgesamt 20.103 Francs verkauft worden sind. Für weitere 2110 Francs sind Freikarten an die beteiligten Künstler und an Journalisten ausgegeben worden. Wegen der 829 830 831 832 833

Ebd., S. 2 – 3. Ebd., S. 3. Ebd. Hervorhebungen im Original. Ebd., S. 4. Hervorhebungen im Original. Pariser Zeitung, 12. November 1859, S. 2, die Festrede auf S. 3 – 5.

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Stürmung des Saals mussten an abgewiesene Besucher mit Eintrittskarten aus dem Vorverkauf 1105 Francs an der Abendkasse wieder ausgezahlt werden. Die Pariser Zeitung schätzt die Gesamtbeteiligung auf über 3500, die Sonderausgabe der Zeitschrift Europa – Chronik der gebildeten Welt zählte rund 4000 Zuschauer.834 Gemessen am Anteil der Einwohner aus deutschen Staaten in Paris insgesamt ergibt sich je nach Zugrundelegung der angenommenen Gesamtzahl der Deutschen in Paris eine Beteiligungsquote von ca. fünf bis zehn Prozent.835 Da es sich bei der Pariser Feier aber keineswegs um eine exklusive Veranstaltung für deutsche Migranten und Exilanten gehandelt hat und auch eine größere Anzahl Franzosen dem Fest beiwohnten, ist dieser Anteil noch einmal deutlich zu reduzieren. Ein Grund hierfür dürfte der enorm hohe Anteil an Arbeitern, einfachen Dienstmägden usw. unter den Deutschen in Paris gewesen sein.836 Zum Vergleich: In London lag die Teilnahmequote der deutschen Migranten und Exilanten an der Londoner Schillerfeier bei gut 30 Prozent.837 Die Einladungen des Komitees in Paris wurden von den Gesandten und Diplomaten deutscher Staaten in Paris gern angenommen – trotz der Mitwirkung politischer Exilanten wie Kalisch, Pfau oder auch Moses Heß (1812 – 1875), der ebenfalls dem Komitee angehörte. Die Festveranstaltung im Cirque de l’Imp¦ratrice besuchten sie gemeinsam: »Den Mitgliedern des Komitees und ihren Gästen waren eigene Plätze in dem Halbkreis vor der Estrade reserviert. Die ersten Reihen der Sitze nahmen hier residierende deutsche Gesandte und Geschäftsträger ein, darunter die Freiherren von Wächter und Wendland.« Hinzu kamen »Mitglieder der Akademie, Repräsentanten der französischen Presse und mehrere Schriftsteller«.838

834 Ebd., S. 2; Schillerfeier in der alten und neuen Welt, Leipzig 1860, S. 73. 835 Vgl. hierzu die Angaben bei König, Mareike: Brüche als gestaltendes Element. Die Deutschen in Paris im 19. Jahrhundert, in: Dies. (Hg.): Deutsche Handwerker, Arbeiter und Dienstmädchen in Paris. Eine vergessene Migration im 19. Jahrhundert, Paris 2003, S. 9 – 26. 836 Ebd. 837 Von den rund 20.000 Teilnehmern waren nach Hermann Rösch etwa ein Drittel keine deutschen Migranten oder Exilanten, deren Gesamtzahl in London bei rd. 30 – 40000 lag. Rösch 1996; Lattek 1990. 838 Pariser Zeitung, 12. November 1859, S. 2. Freiherr August von Wächter war der württembergische Gesandte in Paris, von Wendland der Gesandte Bayerns.

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Die Pariser Schillerfeier und die Nation in der Berichterstattung der Pariser Zeitung Die Pariser Zeitung beschrieb die Deutschen, die in der ganzen Welt die Schillerfeier begingen, als Sprach- und Geistesgemeinschaft.839 Als Wochenzeitung hatte die Pariser Zeitung keine Möglichkeit, die fortschreitende Entwicklung und Festvorbereitung der verschiedenen Festorte tagesaktuell zu berichten, sie sah sich daher gezwungen, sich in der Auswahl der Städte und der zu berichtenden Inhalte zu beschränken.840 Neben den biographischen Orten Stuttgart, Marbach und Weimar und den Hauptstädten der deutschen Großmächte, Berlin und Wien, wurden Festaktivitäten vermeldet aus Kiel, Bremen, Stettin, Kassel, Köln, Bonn, Frankfurt am Main, Dresden, Leipzig, Karlsruhe und München. Wiederholt wurde über die Bußtag-Probleme in Hamburg berichtet.841 Auch die Festvorbereitungen außerhalb der deutschen Staaten wurden in die Festberichterstattung aufgenommen. Nachdem Ende August zuerst von den Planungen in London berichtet worden war, fanden im Verlauf der Festberichterstattung neben den französischen Städten Le Havre und Bordeaux auch die russischen Städte Riga und St. Petersburg, Konstantinopel sowie Gent, Brüssel, Antwerpen und Lüttich Aufnahme. Die Schweiz, Russland, England, Belgien, allen voran aber die USA, aus denen Feiern in über 100 Städten gemeldet wurden, sind en bloc als Staaten abgehandelt worden. Auch Meldungen über die Versuche Dänemarks, Schillerfeiern zu verhindern, dienten als indirekter Beleg, dass es dort Bemühungen gab, welche abzuhalten.842 Dass es mit den namentlich genannten Festorten nicht getan sei, stellte die Pariser Zeitung schon am 22. Oktober klar und betonte, dass es in allen deutschen Staaten Festaktivitäten gebe, man aber aus nachvollziehbaren Gründen keine umfassende Berichterstattung darüber bringen könne: »In Deutschland beschäftigt man sich nach wie vor fast ausschließlich mit der Schillerfeier. In fast allen, selbst in den kleinsten, Städten, haben sich Komitees organisiert, um den 10. November auf würdige Weise zu begehen. Es würde uns zu weit führen, wollten wir auch nur die Namen aller Derer aufzählen, die sich bis jetzt der SchillerBewegung angeschlossen haben.«843

Und auch in der Rundschau des 12. Novembers wurde auf die Allgemeinheit und die weite Verbreitung der Feiern in der Presseberichterstattung eingegangen:

839 840 841 842 843

Pariser Zeitung, 1. Oktober 1859, S. 2. Ebd., 19. November 1859, S. 3. Ebd., 1. Oktober 1859, S. 2, 15. Oktober 1859 , S 2. Ebd., 22. Oktober 1859, S. 2. Ebd.

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»Die Schiller-Feier beschäftigte vergangene Woche fast ausschließlich die öffentliche Meinung in Deutschland. Man vergaß darüber die großen europäischen Fragen, und heute, am Tage der Nachfeier, wird auch wohl der Telegraph, der den endlichen Abschluss des Friedens in Zürich berichtet, keinen besonderen Eindruck hervorbringen. Die deutschen Blätter sind noch angefüllt mit Beschreibungen der Vorbereitungen zum Nationalfeste.«844

»Überall wurde dieser Tag aufs feierlichste begangen« schrieb die Pariser Zeitung weiter, »und es gibt in ganz Deutschland wohl keine Stadt, die unserm großen Dichter nicht ihre Huldigung dargebracht hat.«845 Und auch eine Woche nach dem Fest kann die Pariser Zeitung mit Blick auf die Nachrichtenlage aus Deutschland feststellen: »In Deutschland beschäftigt man sich auch noch diese Woche fast ausschließlich mit der Schillerfeier. Dieses große nationale Fest hatte in allen Gauen unseres Vaterlandes eine gleich große Begeisterung hervorgerufen, und obgleich die letzte Woche gerade nicht arm an wichtigen Ereignissen war, so traten dieselben doch vor dem überall herrschenden Jubel ganz in den Hintergrund.«846

Und auch das Festkomitee reihte sich in seinem am 15. Oktober veröffentlichten Rundschreiben mit der Programmankündigung zur Schillerfeier ein: »Ganz Deutschland, von der Ostsee bis zu den Alpen, bereitet sich, diesen Tag als ein nationales Fest in der würdigsten Weise zu begehen. Doch die deutsche Zunge reicht über die Grenzen des großen Vaterlandes hinaus. In Russland, Skandinavien, England, in der Schweiz und jenseits des Ozeans, in Amerika, sind mächtige deutsche Kolonien, welche alle dem Vorgange ihrer Stammesgenossen in der Heimat folgen, welche alle sich erinnern wollen, dass auch ihnen Schiller geboren wurde. Die Deutschen in Paris durften hinter diesem Beispiele nicht zurückbleiben. Es handelt sich für sie darum, vor aller Welt Zeugnis abzulegen, dass, wenn gleich sie ihren Wohnsitz in fremden Lande aufgeschlagen haben, sie geistig sich dennoch als dem Vaterlande angehörend betrachten.«847

Die Beteiligung an der Schillerfeier wird in dieser Sicht zum Erinnerungssignal, das die alte Heimat an die verstreuten Söhne und Töchter im Ausland erinnern sollte. Ihre Teilnahme am weltweiten Schillerfest sollte sie als Teil einer Gemeinschaft sichtbar machen, die aus politischen, sozialen und anderen Gründen über alle Teile der Erde verteilt war, deren Angehörige sich im Innersten jedoch noch immer als Gemeinschaft und dem Vaterland zugehörig empfanden. Der Berichtsraum der Pariser Zeitung ist vergleichsweise weit gestreut, was auf eine flächendeckende Versorgung der Redaktion mit den wesentlichen Zei844 845 846 847

Ebd., 12. November 1859, S. 5. Ebd., 19. November 1859, S. 2. Ebd., S. 1. Zirkularschreiben des Schillerkomitees, in: Pariser Zeitung Nr. 8 v. 15. Oktober 1859, S. 1.

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tungen und Zeitschriften aus den deutschen Staaten zurückzuführen sein dürfte. Allein die biografisch mit Schiller verbundenen Städte Stuttgart und Weimar sowie die politisch bedeutsamen Städte Berlin und Wien werden wiederholt und auch ausführlicher in die Berichterstattung eingebunden.848 Die Aufzählung weiterer mittelgroßer Städte und die wiederholte Betonung der großen Allgemeinheit und Verbreitung der Feier in den deutschen Staaten und auch auf der ganzen Welt, »so weit die deutsche Zunge reicht«849, versuchte, den Mangel an redaktionellen Raum in ihren Spalten zu kompensieren. Dabei stützte sich die Pariser Zeitung ausschließlich auf die Berichterstattung ihr zugehender Zeitungen und Zeitschriften, ein eigenes Korrespondentennetz konnte sie kurz nach ihrer Gründung noch nicht vorweisen.850 Besonders aufmerksam war man in Paris auch gegenüber der Berichterstattung Pariser Korrespondenten in Diensten auswärtiger Blätter. Verschnupft reagierte man etwa auf einen Bericht in den Hamburger Nachrichten vom 17. November 1859. »Dass die hiesige Feier keinen öffentlichen Charakter und keinen die Masse in sich fassenden Rahmen darbieten konnte, wie in den Städten der Heimat«, hieß es darin »versteht sicht von selbst«. In einer nicht-deutschen Weltstadt wie Paris sei es kaum möglich, den Alltag mit einer solchen Veranstaltung zu durchbrechen. Obgleich Paris »die an Zahl bedeutendste deutsche Kolonie im Ausland« sei, habe im Londoner Kristallpalast die größere und prachtvollere Schillerfeier stattgefunden. Anders als dort sei in Paris die Initiative auch nicht von den bedeutendsten deutschen Repräsentanten ausgegangen, »in dem Komitee glänzte kaum einer unserer literarischen, politischen und finanziellen Hauptsterne, wie in London«. Gerade deshalb sei dem Komitee besonders zu danken, »denn da, wo überhaupt um ein gemeinschaftliches Interesse die Vielen sich zu wenig kümmern, ist es immer besser, dass die Wenigen sich um zu viel kümmern, als das Niemand sich um Etwas kümmert.«851 Dem hielt die Pariser Zeitung einen Korrespondentenbericht der Augsburger Allgemeinen Zeitung entgegen. Dieser, vermutlich von Komiteemitglied Moses Heß verfasst, wies den Bericht der Hamburger Zeitung zurück und betonte ausdrücklich die Mitwirkung führender Repräsentanten sowohl der deutschen als auch der französischen Literatur an der Pariser Feier.852 Die Funktion der Schillerfeier lag für die Pariser Zeitung in erster Linie darin, den lokalen Zusammenhalt der Deutschen in Paris herzustellen und zu beför848 Pariser Zeitung, 15. Oktober 1859, S. 2; 22. Oktober 1859, S. 1 – 2; 29. Oktober 1859, S. 1; 5. November 1859, S. 1 – 2; 26. November 1859, S. 2; 3. Dezember, S. 4. 849 Pariser Zeitung, 1. Oktober 1859, S. 2. 850 Erst 1861 finden sich regelmäßige Korrespondenzen aus Berlin von Albert Emil Brachvogel in der Pariser Zeitung. 851 Pariser Zeitung, 26. November 1859, S. 3. 852 Ebd.

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dern. Als erste größere Feier von Deutschen in Paris überhaupt, hoffte die Pariser Zeitung am 6. Oktober, könne dieses Fest vielleicht »ein engeres Band um die jetzt sich größtenteils so fern stehenden Mitglieder der hiesigen deutschen Kolonie schlingen«.853 In ihrem Festbericht vom 12. November kam sie auf dieses Motiv zurück und meldete Vollzug: »Ihm [dem Fest –tl] war es vorbehalten, den sonst so getrennt, in so zerstreuten Kreisen lebenden hiesigen Deutschen einmal einen Vereinigungspunkt zu bieten, auf dem sie sich gegenseitig als Brüder eines Stammes erkennen konnten.«854 Die Teilnehmer »aus allen Gauen des großen Vaterlandes«, seien durch das »Bewusstsein, einem großen, einem starken Volke anzugehören […] nicht mehr getrennt, sondern vereint in der Liebe zu dem Lande, darin unser Schiller, darin wir selbst geboren«.855 Die allgemeine Teilnahme sei zudem ein Beweis dafür, dass den Deutschen in Paris der 10. November »nicht weniger wichtig und feierlich ist, als für unsere Landsleute auf deutschem Boden«.856 Über den Jubilar der Feier, Friedrich Schiller, erfuhr der Leser der Pariser Zeitung nichts, die Lebensgeschichte des Dichters und seine Bedeutung blieben im Dunkeln. Selbst als der französische Schriftsteller Philoxene Boyer (1829 – 1867) in Anwesenheit des eingeladenen Festkomitees am 8. November eine Vorlesung über Friedrich Schiller hielt, wurde diese zwar am vorausgehenden Samstag in der Pariser Zeitung angekündigt, einen anschließenden Bericht über die Veranstaltung oder den Vortrag suchte man jedoch vergebens.857 Weder in der Sonderausgabe zum Schillerfest noch im Festbericht findet sich eine Einordnung des Geschehens oder eine Kommentierung des Gefeierten und seiner Werke. Die deutsche Nation blieb in der Pariser Feier unbestimmt und wurde lediglich in Form der medialen Vernetzung der unterschiedlichen Festorte in der Festberichterstattung der Pariser Zeitung abgebildet. Friedrich Schiller wurde als nationaler Dichter nur indirekt und dann über die Sprachzugehörigkeit definiert. Zugleich wurde Schiller aber auch als Kosmopolit beschrieben, als Dichter der gesamten Menschheit. Die Pariser Schillerfeier ist so vorrangig ein Kunstfest, nationale oder politische Töne blieben außen vor. Dies dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass führende Repräsentanten der deutschen Staaten an diesem Fest überhaupt teilnahmen, obwohl eine Reihe bekannter politischer Exilanten und ehemaliger Revolutionäre an der Organisation und Durchführung der Pariser Feier und im Festkomitee aktiv beteiligt waren. 853 Ebd., 1. Oktober 1859, S. 2. 854 Ebd. 12. November 1859, S. 1. Auch die Vereinigung der verschiedenen Gesangsvereine wurde in diesem Sinne gelobt, ebd. S. 2. Hervorhebungen im Original. 855 Ebd. 856 Ebd. 857 Ebd., 5. November 1859, S. 1.

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Eine langfristige Wirkung auf die Gemeinschaft der Deutschen in Paris hatte das Schillerfest nicht. Zunächst schien eine Belebung und Intensivierung des Soziallebens innerhalb der deutschen Community einzutreten. Die Gesangsvereine veranstalteten eine größere Zahl an Bällen, was die Pariser Zeitung auf die gemeinschaftsbildende Wirkung der Feier zurückführte.858 Ähnlich wie in Manchester kam auch in Paris die Idee auf, aus der temporären Vereinigung in der Feier durch Institutionalisierung eines Kommunikationsraums eine dauerhafte zu machen. In diesem Sinne schlug das Schillerkomitee unmittelbar nach dem Fest die Errichtung einer deutschen Bibliothek in Paris vor.859 Für diesen Zweck sei das Komitee bereit, einige im Laufe der Festvorbereitungen angesammelten Devotionalien zur Verfügung zu stellen, darunter die Schiller-Büste, eine dem Komitee von der Pariser Buchhandlung Hachette überlassene Ausgabe der Werke Schillers in französischer Übersetzung, die Fest-Musikalien und ein vom Wiener Schillerkomitee übersandtes Schillerbuch. Durch Ergänzung dieser Erinnerungsstücke mit Festbeschreibungen, Reden, Gedichten und Sonderdrucken der Presse solle ein »Erinnerungstempel« errichtet werden, »in welchem die dem Schillertag allerwärts entsprossenen Geistesblüten zu einem Kranze vereinigt werde: ein Votivdenkmal nationaler Verehrung Zeugnis ablegend, dass an jenem Tag Ein Gedanke, Ein Gefühl Aller Deutschen Herz durchzuckte, dass Deutschland Einen Tag der Einheit erlebt hat«.860 Doch auch wenn in den nachfolgenden Ausgaben der Pariser Zeitung der Eingang mehrerer Zuwendungen veröffentlicht wurde, verlief sich das Projekt im Laufe des Jahres 1860. Ebenfalls als Nachfolgeprojekte der Schillerfeier und Versuche einer Verstetigung der Kommunikation unter den Deutschen in Paris sind zwei zeitgleiche Versuche aus dem April 1860 zu sehen. Anfang April druckte die Pariser Zeitung eine Einladung zur Bildung einer deutschen Gesellschaft, die zur Gründung eines »ständigen Mittelpunktes der deutschen Bevölkerung in Paris« aufrief.861 »Eine deutsche Gesellschaft, in deren Räumen Literatur und Kunst durch Bücher und periodische Schriften, durch Vorlesungen und sonstige Darstellungen zum Gemeingut erhoben, und namentlich auch dem weniger Bemittelten zugänglich gemacht würden, und die es sich ferner angelegen sein ließe, strebsam deutsche Talente gegen Isoliertheit, Vorurteil, Missgunst und sonstige Hindernisse in Schutz zu nehmen, dürfte dem nächsten Bedürfnis entsprechen.«862

858 859 860 861 862

Pariser Zeitung, 3. Dezember 1859, S. 4. Ebd., S. 3. Ebd., S. 4. Hervorhebungen im Original. Ebd., 7. April 1860, S. 3. Ebd., 7. April 1860, S. 3.

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In der gleichen Ausgabe findet sich ein zweiter, konkurrierender Aufruf zur Gründung eines deutschen Gesellschaftshauses, der von zahlreichen namhaften ehemaligen Schillerkomiteemitgliedern unterzeichnet wurde, darunter dessen ehemaliger Präsident Dr. Otterbach, die ehemaligen Vizepräsidenten Louis Bauer und Gemmy Brandus, der Schatzmeister G. Neuhaus, Ludwig Kalisch und andere.863 Die Finanzierung des von Generalkonsul Eduard Lad¦ (1817 – 1904) vorgeschlagenen deutschen Gesellschaftshauses864 sollte durch Aktien gezeichnet werden, insgesamt wurde ein Grundkapitalbedarf von 100.000 Francs veranschlagt. Beide Projekte verliefen im Sande. Während man von der deutschen Gesellschaft des ersten Aufrufs danach nichts mehr vernahm, lief das Projekt des Gesellschaftshauses zunächst gut an. In mehreren Artikeln wurden die Möglichkeiten eines deutschen Gesellschaftshauses in Paris diskutiert, das mit einem Leseraum, einer Wirtschaft, Sälen für Versammlungen und festliche Anlässe oder Veranstaltungen des Hülfsvereins und der deutschen Gesangsvereine genutzt werden könne. Nicht zuletzt wird die Gründung eines Herrenclubs in Aussicht gestellt. Bis Mai 1860 wurden bereits Anteile in einer Höhe von insgesamt 27.000 Francs gezeichnet, unter den Unterstützern des seit Mai 1860 unter »Deutsches Museum« firmierenden Projekts finden sich Namen wie Fürst Metternich und die Gesandten von Preußen, Bayern und Württemberg.865 Doch obwohl sich eine Aktionärsversammlung konstituierte und Statuten für das »Deutsche Museum« beschloss, sogar bereits geeignete Räumlichkeiten begutachtet wurden, verschwand das »Deutsche Museum« Ende 1860 plötzlich aus der Berichterstattung der Pariser Zeitung. Die Einrichtung eines ständigen Mittelpunktes und Versammlungsortes der Deutschen in Paris schien damit gescheitert. Erst das von Ida Brüning errichtete Deutsche Theater schuf letztlich eine kulturelle Institution der Deutschen in Paris, die über einen längeren Zeitraum existierte.

863 Ebd. 864 Ebd. 26. Mai 1860, S. 2. 865 Ebd.

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Schiller feiern im europäischen Ausland

Abb. 5: Schillerfest im Pariser Cirque de l’Imp¦ratrice866

Schiller feiern im europäischen Ausland – Zusammenfassung Die Schillerfeiern in London und in Paris zielten primär darauf, die in den beiden Städten lebenden Exilanten und Migranten aus den deutschen Staaten Mitteleuropas zusammenzuführen und ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl unter ihnen herbeizuführen und zu bestärken. Während die deutsche Community in London vor allem durch den jahrelangen Streit der führenden politischen Exilanten und den durch sie geleiteten Organisationen und Gesellschaften gespalten war, waren die Deutschen in Paris auch sozial stark differenziert und zahlenmäßig vorrangig in den sozialen Unterschichten repräsentiert. Die Schillerfeiern führten die Deutschen in beiden Städten in der Planung, Vorbereitung und Durchführung der Feier zusammen, verdichteten die Kommunikation vor Ort und brachten zumindest den Wunsch nach einer Institutionalisierung dieser im Fest nur temporären Vergemeinschaftung zum Ausdruck, indem sie die Gründung von Gesellschaftshäusern anregten.

866 Über Land und Meer 6 (1860), S. 92.

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Bei beiden Festen handelte es sich um einzelne, auf einen repräsentativen Ort beschränkte Veranstaltungen. Anders als in vielen deutschen Städten Mitteleuropas fanden hier keine mehrtägigen Festwochen statt. Auch wurde der öffentliche Raum durch die Konzentration auf einen festen Veranstaltungsort nicht in Anspruch genommen. Außerhalb der Festhallen wurde die Schillerfeier hier nur über die Zeitungsberichterstattung wahrgenommen. Sowohl im Cirque de l’Imp¦ratrice als auch im Londoner Kristallpalast war die Teilnahme an die Entrichtung von Eintrittsgeldern gebunden. Auch in den Programmen waren sich die Veranstaltungen weitgehend ähnlich: Musik, Festreden, von angesehenen Dichtern verfasste Gelegenheitslyrik gab es sowohl in Paris also auch in London. Auch blieben die Deutschen bei beiden Feiern nicht unter sich. Die Schillerfeiern in London und Paris waren mitnichten national exklusive Veranstaltungen für deutsche Migranten und Exilanten, sondern kulturelle gesellschaftliche Ereignisse, die ein breites Publikum anziehen konnten. In Paris wurden allerdings auch die französischsprachigen Gäste des Schillerfestes durch die zweisprachige Sonderausgabe der Pariser Zeitung, die am Abend des 10. Novembers 1859 kostenfrei verteilt wurde, in die Lage versetzt, den Wortbeiträgen zu folgen. In beiden Städten waren deutschsprachige Wochenzeitungen in die Planung und Durchführung der Feiern involviert. Während die neu gegründete Pariser Zeitung breit über die Festvorbereitungen in Paris berichtete und in der Festberichterstattung einen für eine Wochenzeitung relativ breiten Festraum aufzog, blieb der Hermann in London gewohnt politisch und beschränkte sich in der Festberichterstattung bevorzugt auf die deutschen Städte, in denen Festverbote oder besondere Vorkommnisse wie die Exzesse auf dem Berliner Gendarmenmarkt eine politische Kommentierung erforderten oder ermöglichten. Ohnehin war die Londoner Feier sehr viel politischer ausgerichtet, als das Fest in Paris, wo sogar die Vertreter deutscher Staaten problem- und gefahrlos teilnehmen konnten, ohne sich politisch kompromittieren zu lassen. In London fanden demokratische und republikanische Forderungen insbesondere in der Festrede von Gottfried Kinkel ihren Niederschlag. Die Stimmung in der sehr viel stärker politisierten deutschen Community in London (auch wegen der sehr viel geringeren Überwachung durch die Regierung) erforderte allerdings auch eine gewisse politische Radikalität, um etwa den in der Schillerfeier erstmals eingebundenen Arbeiterbildungsverein nicht zu vergrätzen. Schiller wurde hier als Kämpfer gegen Fürstenwillkür und Streiter für die nationale Sache dargestellt, während er in Paris primär als Kosmopolit und Dichter der ganzen Welt aufgerufen wurde. Die Schillerfeiern in London und Paris hatten die primäre Funktion, die lokalen deutschen Communities in den beiden Städten zusammenzuführen und ihren Mitgliedern ein größeres Bewusstsein von ihrer nationalen Zu- und Zu-

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sammengehörigkeit zu vermitteln. Dies zeigt sich besonders am Rundschreiben des Pariser Schillerkomitees und dessen Verweis auf die Außenwirkung einer aktiven Beteiligung an Schillerfeiern außerhalb der deutschen Staaten. Gegenüber den anderen Feststädten konnte zudem die Existenz dieser Gemeinschaften durch eine Teilnahme an der Festbewegung in Erinnerung gerufen und verdeutlicht werden. Wenn auch nicht stark betont, stellte die Beteiligung der jeweiligen nicht-deutschen Bevölkerung zudem eine Möglichkeit dar, den hohen kulturellen Wert des Deutschen durch ein möglichst hochwertiges Festprogramm zum Ausdruck zu bringen und auf diese Weise auch in der neuen Heimat das Ansehen der Deutschen zu heben. Auf diese Weise trugen die Feiern einerseits zur Stärkung des Selbstbewusstseins als Deutsche in einer ausländischen Stadt bei, andererseits erinnerten sie daran, dass sich auch zehn Jahre nach der Revolution noch zahlreiche Vorkämpfer für einen demokratischen und republikanischen deutschen Nationalstaat im europäischen Exil befanden – sowohl in London als auch in Paris fanden sich bedeutende Revolutionäre der 1848er-Revolution unter den Festorganisatoren und Festrednern. Sie sandten über ihre Teilnahme an der Feier ein mediales Signal an die Feiernden in den deutschsprachigen Staaten Mitteleuropas und erklärten damit zugleich ihre Zugehörigkeit an der »geistigen« oder vielmehr medialen deutschen Nation.

III.

Schiller feiern in Nordamerika

Auch in Dutzenden Städten Nordamerikas fanden im November 1859 Schillerfeiern statt. Eine zentrale Rolle übernahm dabei das Schillerkomitee in Philadelphia, für das Ferdinand Freiligrath ein eigenes Festgedicht angefertigt hatte, das »Festlied der Deutschen in Amerika«.867 Von Philadelphia aus wurde das Gedicht kostenfrei an alle den Organisatoren bekannten Schillerkomitees in Nordamerika zur freien Verwendung versandt, unter der Voraussetzung, es nicht vor dem 10. November zu veröffentlichen. Freiligrath, der als Revolutionsdichter hohes Ansehen vor allem unter den Achtundvierzigern genoss, schuf mit diesem Festlied ein zentrales gemeinsames Element der amerikanischen Schillerfeier : In allen Festorten der Union berichtete die deutschsprachige Presse über die Korrespondenz zwischen dem Komitee in Philadelphia und dem Revolutionsdichter im englischen Exil, fast überall nahmen die Festorganisatoren das Gedicht an zentraler Stelle in ihre Festprogramme auf und am Festtag wurde das Festlied in den deutsch-amerikanischen, mitunter in englischer Übersetzung auch in den englischsprachigen Zeitungen veröffentlicht. Die Liste der Städte, an die das Komitee in Philadelphia das Freiligrath-Gedicht übersandte, belegt die Existenz von Schillerkomitees in mindestens 72 Städten in ganz Nordamerika. Die deutschsprachige Presse war auch hier in die Festplanung und -durchführung einbezogen, stellte Anzeigenraum zur Verfügung und berichtete über die lokalen und auswärtigen Festvorbereitungen in der Union und – mit einiger Verspätung – auch in Europa. Die Geschichte der deutsch-amerikanischen Presse ist eng verwoben mit der Geschichte der deutschen Migration nach Amerika im 19. Jahrhundert. Die seit den 1830er Jahren stetig zunehmende Einwanderung aus den deutschsprachigen Staaten Europas in die Vereinigten Staaten weitete sich seit Ende der 1840er Jahre noch einmal drastisch aus und erreichte 1854 einen Höhepunkt mit rund 215.000 Einwanderern allein in diesem Jahr. Zwischen 1815 und 1930 emi-

867 Vgl. Kapitel »Philadelphia«.

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grierten insgesamt rund 5,9 Millionen Deutsche in die Vereinigten Staaten.868 Ihren Ursprung hatte die Auswanderung zunächst im südlichen deutschen Raum, seit den 1830er Jahren stieg der Anteil der Auswanderer aus dem Norden und dem Osten, blieb dabei aber aus den südlichen Regionen erhalten. Seit Mitte der 1840er gewannen Westfalen und die Rheinprovinz als Ausgangsregionen der deutschen Amerika-Auswanderung an Bedeutung, bis zum Ende der 1850er Jahre stieg schließlich auch der Anteil der Auswanderer aus dem ostelbischen Preußen und Mecklenburg an, sodass die Auswanderung zunehmend den gesamten deutschsprachigen Raum erfasste.869 Die Auswanderer waren in der Regel männlich, jung und gehörten überwiegend der Unterschicht und der unteren Mittelschicht an.870 Der größte Teil der Amerikawanderung hatte sozioökonomische Ursachen, religiöse Gründe spielten nur bei einer kleineren Zahl von Auswanderern eine Rolle. Zahlenmäßig vergleichsweise gering vertreten war auch die politische Emigration. Insgesamt wird die Zahl der Achtundvierziger, die tatsächlich als politische Auswanderer infolge der 1848er-Revolution nach Amerika kamen, auf 3 – 4000 geschätzt, die der Flüchtlinge der Reaktion in den 1830er Jahren lag noch einmal deutlich darunter.871 Da es sich bei den Achtundvierzigern (wie zum Teil bereits bei den Dreißigern) regelmäßig um gebildete Auswanderer mit Universitätsabschlüssen handelte, um publizistisch, politisch, zuweilen auch militärisch erfahrene und meinungsstarke Persönlichkeiten, fanden sich für viele von ihnen Betätigungsmöglichkeiten im Bereich der sich ausweitenden deutsch-amerikanischen Presse.872 Die Transformation des deutsch-amerikanischen Journalismus zu einer eigenständigen, professionellen Presselandschaft in der Union seit den 1850er Jahre verdankte sich größtenteils dem Wirken dieser untereinander stark vernetzten Neuankömmlinge und begründete ein »goldenes Zeitalter« des deutsch-amerikanischen Journalismus.873 Die Zahl der deutschen Zeitungen in

868 Horst Rößler: Massenexodus: Die Neue Welt des 19. Jahrhunderts, in: K. J. Bade (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992, S. 148 – 156, S. 148. 869 Wolfgang Helbich: »Alle Menschen sind dort gleich …« Die deutsche Amerika-Auswanderung im 19. und 20. Jahrhundert, S. 19; Günter Moltmann: Charakteristika der deutschen Amerika-Auswanderung im 19. Jahrhundert, in: Frank Trommler (Hg.): Amerika und die Deutschen. Bestandsaufnahme einer 300jährigen Geschichte, Opladen 1986, S. 40 – 49. 870 Helbich S. 21. 871 Ebd. S. 37. 872 Carl Wittke: The German-language press in America, New York 1973. 873 James M. Bergquist: The Transformation of the German-American Newspaper Press 1848 – 1860, in: Henry Geitz (Hg.): The German-American Press, Madison 1992, S. 215 – 225; Vgl. Carl Wittke: The German-Language Press in America, New York 1973, über den Einfluss der Achtundvierziger insbesondere S. 59 – 102; Karl J. R. Arndt, May E. Olson: Die deutsch-

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den USA verdoppelte sich zwischen 1848 und 1860, im gleichen Zeitraum verdreifachte sich ihre Auflage. Viele Blätter steigerten ihre Erscheinungsfrequenz von wöchentlich zu täglich und die Zahl der an einem Ort verfügbaren Zeitungen nahm ebenfalls zu. Die deutsche Presse erlebte – wie die deutsche Gemeinschaft insgesamt – eine Diversifikation in politischer, religiöser oder allgemein weltanschaulicher Hinsicht.874 Ende der 1850er Jahre gab es keine Stadt mit größerem deutschen Bevölkerungsanteil, die nicht über mindestens zwei deutsche Tageszeitungen verfügte. Inhaltlich war die deutsche Presse in der Union eine amerikanische Presse, die in deutscher Sprache vornehmlich über amerikanische Angelegenheiten berichtete und so das für eine erfolgreiche Integration benötigte Funktionswissen bereitstellte, das den Neuankömmlingen bei der Orientierung in der neuen Umgebung behilflich war.875 Deutschsprachige Einwanderer siedelten zunächst ausgehend von den Seehäfen der Ostküste (vor allem New York und Philadelphia) der allgemeinen Siedlungsbewegung in Richtung Westen und den Hauptverkehrsrouten folgend in Flussstädten wie Pittsburgh, Cincinnati oder St. Louis, kurz darauf auch an den Great Lakes im Norden, in Milwaukee, Chicago oder Cleveland.876 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts erwiesen sich die Regionen East North-Central und Mid Atlantic als bevorzugte Siedlungsgebiete der Deutschen in der Union, wobei New York immer die höchste Zahl deutscher Einwanderer auswies.877 1860 kamen fast fünf Prozent der Gesamtbevölkerung aus den deutschen Staaten Europas. In Pennsylvania und im Staat New York lag ihr Anteil knapp über dem Bundesschnitt, in Ohio bereits bei über 7 Prozent und in Missouri und Wisconsin bei über 15 Prozent. Unter den Ausländern lag der Anteil der Deutschen 1860 insgesamt bei fast einem Drittel. Im Staat New York lebten in diesem Jahr mehr als 255.000 Deutsche, ein gutes Viertel der gesamten ausländischen Bevölkerung, während die Deutschen in Ohio und Missouri mehr als die Hälfte der ausländischen Bevölkerung stellten (s. Tab. 2).

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sprachige Presse der Amerikas. Geschichte und Bibliographie 1732 – 1968, Bd. 1: Vereinigte Staaten von Amerika, Pullach bei München 31976. James M. Bergquist: The German-American Press, in: Sally M. Miller (Hg.): The Ethnic Press in the United States, New York 1987, S. 131 – 159, S. 138 – 139; vgl. Ders.: German Communites in American Cities. An Interpretation of the Nineteenth-Century Experience, in: Journal of American Ethnic History 4 (1984), S. 9 – 30. Jerzy Zubrzycki: The Role of the Foreign Language Press in Immigrant Integration, in: Population Studies 12 (1958), S. 73 – 82; James M. Bergquist: The German-American Press, in: Sally M. Miller (Hg.): The Ethnic Press in the United States, New York, Westport, London 1987, S. 131 – 159, S. 131; Wittke: German-American Press, S. 6. Bergquist 1984. Helbich, S. 24.

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Tab. 2: Anteil von Einwanderern aus deutschen Staaten in nordamerikanischen Staaten 1860878

Ein guter Teil der deutschen Einwanderer siedelte zwar im ländlichen Raum, doch bereits 1860 stellten Einwanderer aus den deutschen Staaten Europas nach den Iren die größte Einwanderergruppe in den Städten Allegheny City (heute zu Pittsburgh gehörig), Cincinnati, Milwaukee und St. Louis sowie die zweitgrößte in Pittsburgh, New York und Philadelphia. In Cincinnati, St. Louis und Milwaukee erreichte der deutsche Bevölkerungsteil sogar fast ein Drittel der städtischen Gesamtbevölkerung (s. Tab. 3).

Tab. 3: Anteil von Einwanderern aus deutschen Staaten in nordamerikanischen Städten 1860879

Begünstigt durch den starken Anstieg der Einwandererzahlen entwickelten sich in diesen Städten Stadtteile mit einer hohen Konzentration deutscher Siedlungsund Geschäftstätigkeit. Auch wenn diese Viertel nie vollständig deutsch waren und die deutschsprachigen Einwanderer nicht ausschließlich in diesen Vierteln wohnten, bildeten sie mit ihren zahlreichen Geschäften, Restaurants, Biergärten, Weinstuben, Vereins- und Gesellschaftshäusern, gesellschaftlichen, kulturellen, Turn-, Gesangs- und Wohltätigkeits-Vereinen deutsche Ballungszentren, die für Neuankömmlinge eine deutschsprachige Infrastruktur zur Verfügung stellten, die ihnen die Orientierung in der neuen Heimat erleichterte. Was von außen als eine aktive, lebhafte, in sich geschlossene und zahlenmäßig bedeutsame deutsche Stadtkultur erschien (und immer öfter auch Argwohn, 878 Kennedy, Joseph C. G. (Hg.): Population of the United States in 1860. Compiled from the Original Returns of the Eighth Census, Washington 1864, S. XXIX. 879 US Census 1860, S. XXXI – XXXII.

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Missgunst und Fremdenfeindlichkeit hervorrief), war nach innen eine stark diversifizierte Gesellschaft, die über ein breites Angebot an religiösen, politischen, kulturellen und weltanschaulichen Partizipationsmöglichkeiten verfügte. Die ermöglichte es im Allgemeinen, sich nach individuellen Wünschen und Vorstellungen zu organisieren und zu vergemeinschaften, ohne die deutsche Gemeinschaft dabei verlassen zu müssen. So boten die zahllosen deutschen Institutionen und Organisationen, die seit den 1840er Jahren überall aus dem Boden schossen, einerseits vielfältige Anschlussmöglichkeiten innerhalb der deutschen Gemeinschaft, gleichzeitig dokumentierten sie aber auch deren starke innere Diversität, wenn nicht Zerrissenheit. Klassenzugehörigkeit, landsmannschaftliche Verbundenheit, religiöse oder politische Haltung sorgten zwar für einen gewissen Zusammenhalt unter den Einwanderern, führten jedoch zugleich zu Reibungen und Konflikten zwischen den einzelnen Gruppen, die auch auf medialer Ebene ausgefochten wurden. Auch bei der deutsch-amerikanischen Presse ging der Qualitätsschub nach Ankunft der Achtundvierziger einher mit einer zunehmenden Diversifizierung, auch infolge einer prononcierten politischen (Neu-)Ausrichtung vieler Blätter durch die Neuankömmlinge, auf deren politische Ansichten und ausgesprochenen Radikalismus politische, religiöse oder weltanschauliche Gegner mit der Gründung neuer Zeitungen reagierten.880 Eine vergleichbare Entwicklung gab es auch im Bereich der unter den deutschen Einwanderern dominierenden protestantischen Glaubensrichtung. Durch Abspaltungen und Neugründungen aus ehemals vereinten Gemeinden entfaltete sich hier nach und nach ein breites Spektrum religiös-dogmatischer Spielarten – von den Mitgliedern der streng konservativen und orthodoxen Missouri-Synode bis hin zu liberalen und progressiv-reformerischen Gemeinden, wie der Smithfield-Gemeinde in Pittsburgh. Zwischen deutschen Protestanten, Katholiken oder Juden und den zahlenmäßig nicht unbedeutenden Atheisten und Freimännern kam es immer wieder zu heftigen Konflikten, in denen mitunter auch Koalitionen mit irischen Einwanderern oder sogar nativistischen Gruppierungen eingegangen wurden. Grundsätzlich erlaubte die starke Diversifizierung der deutschen Gemeinschaften in den Städten zwar den Verbleib des Einzelnen in der deutschsprachigen Sphäre, allerdings bestand für viele Einwanderer zunächst einmal die vordringliche Notwendigkeit, sich eine Basis für die gegenseitige Verständigung zu verschaffen. Hochdeutsch war zwar die gemeinsame Schriftsprache und die Sprache der Bibel, im Alltag sprachen die Einwanderer aber oft weiterhin in den Mundarten ihrer Heimatregionen, die nicht immer allgemein verständlich waren. »Für viele deutsche Einwanderer bedeutete Amerika die Notwendigkeit, rasch eine neue Sprache zu lernen: 880 Bergquist 1992; Für das Beispiel St. Louis s. Bergquist 1984, S. 14 – 15.

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Hochdeutsch«881 – alternativ wurde insbesondere von der zweiten Generation an die allgemeine Geschäfts- und Verkehrssprache Englisch bevorzugt. Trotz der hohen Fragmentierung der deutschen Einwanderergemeinschaft bildete sich spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine spezifische deutschamerikanische, kulturell begründete Ethnizität heraus, deren Kern Geselligkeit und gemeinschaftliche Gemütlichkeit war, und die vor allem in öffentlichen Festen und Feiern zum Ausdruck kam.882 Durch die Masseneinwanderung wurde die zur Etablierung einer eigenständigen deutsch-amerikanischen Festkultur notwendige Infrastruktur geschaffen, die vor allem vom Aufblühen des Vereinswesens profitierte. »The immigration provided the numbers, the press the information necessary for public celebration, but the Vereine provided many of the occasions and the requisite organization.«883 Deutsch-amerikanisches Feiern sollte einen Gemeinschaftssinn unter den Teilnehmern hervorrufen, sie mit ethnischen Eigenschaften versorgen und beides nach außen kommunizieren.884 In diesem Sinne waren die Feste der Deutschen ein politisch-kultureller Import aus der Alten Welt und auch ihre Träger und Organisatoren unterschieden sich nicht von den liberalen Mittelschichten und Handwerkern, die schon in Europa in Turn- und Gesangsvereinen die Nationsbildung auf kulturellem Gebiet vorangetrieben hatten.885 Im Gegensatz zum vormärzlichen Deutschland waren die Vereine in den Vereinigten Staaten allerdings keine oppositionellen Einrichtungen, eine ins kulturelle verlagerte Camouflage-Politik war hier überflüssig. Die aus Europa importierte Vereinskultur unterlief unter den veränderten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Vereinigten Staaten eine Trans881 Zitat bei Helbich, S. 48; Vgl. Jürgen Eichhoff: Die deutsche Sprache in Amerika, in: Frank Trommler (Hg.): Amerika und die Deutschen. Bestandsaufnahme einer 300jährigen Geschichte, Opladen 1986, S. 235 – 252. 882 Heike Bungert: Demonstrating the Values of »Gemüthlichkeit« and »Cultur«. The Festivals of German Americans in Milwaukii 1870 – 1910, in: Jürgen Heideking, G. Fabre und K. Dreisbach (Hg.): Celebrating Ethnicity and Nation. American festive culture from the revolution to the early 20th century, New York 2001, S. 175 – 194; Heike Bungert: From Celebrating the Old to Celebrating the New. The Formation of a German-American Identity 1859 – 1914, in: U. J. Hebel (Hg.): Sites of Memory in American Literatures and Cultures, Heidelberg 2003, S. 193 – 212; Kathleen N. Conzen: Ethnicity as Festive Culture. Nineteenth German America on Parade, in: W. Sollors (Hg.): The Invention of Ethnicity, New York 1989, S. 44 – 76; Kathleen N. Conzen: Deutschamerikaner und die Erfindung der Ethnizität, in: F. Trommler (Hg.): Amerika und die Deutschen. Bestandsaufnahme einer 300jährigen Geschichte, Opladen 1986, S. 149 – 164. 883 Conzen 1989, S. 49. 884 Ebd., S. 61. 885 Vgl. Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus und Nationalstaat in Europa, München 2000, S. 82 – 169; Wolfgang J. Mommsen: Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte 1830 – 1933, Frankfurt am Main 22002, S. 59 – 75.

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formation. Die Vereine und ihre Vereins- und Festkultur dienten hier vor allem den Neuankömmlingen als Integrationshilfe, indem sie als Repräsentanten des Vertrauten in der Fremde das Einleben erleichterten, Netzwerke bereitstellten und den Übergang in die neue Gesellschaft beförderten.886 Die deutschsprachige Presse hatte eine ähnliche Funktion wie das Vereinsleben: Die Vermittlung der neuen und unbekannten Verhältnisse in der vertrauten deutschen Sprache erleichterte dem Leser die Orientierung und versorgte ihn mit den notwendigen Informationen für eine erfolgreiche Integration in die neue Heimat.887 Mit dem deutschen Vereinswesen breitete sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch die deutsch-amerikanische Festkultur aus. Die Schillerfeier 1859 stellte insofern eine Zäsur dar, als es sich hierbei um das erste unionsweit beobachtbare deutsch-amerikanische Fest überhaupt handelte.888 Erstmals wurde versucht, die verschiedenen Fraktionen der deutschen Stadtbevölkerungen in einer gemeinschaftlichen Feier zu vereinen. Während die deutsch-amerikanische Presse, durch das Wechselblattsystem, persönliche Korrespondenzen und auch telegrafisch miteinander vernetzt, grundsätzlich in der Lage war, die Festaktivitäten in der Union sehr zeitnah zur Kenntnis zu nehmen und darüber zu berichten, konnte über die Festvorbereitungen in Europa nur mit einer starken zeitlichen Verzögerung von rund drei Wochen berichtet werden. Mit dem Dampfer »Africa«, der am 12. November 1859 in Liverpool ablegte und am 25. November in New York eintraf, erreichten die ersten europäischen Schillerfestberichte die USA.889 Anfang Dezember lagen dann auch die umfangreicheren Festbeschreibungen vor. Der vorhandene Raum für die Berichterstattung war in den deutschsprachigen Zeitungen in den Vereinigten Staaten grundsätzlich kleiner als in Europa, da das Gros der deutschamerikanischen Zeitungen einen Umfang von vier Seiten selten überschritt und mindestens die Hälfte des Blattes als Anzeigenraum vorgehalten wurde.

Schiller feiern im Vorfeld des amerikanischen Bürgerkrieges Am 16. Oktober 1859 überfiel eine bewaffnete Gruppe um John Brown (1800 – 1859) das Unions-Arsenal in Harpers Ferry in Virginia. Das Ziel der Verschwörer war es, durch die Einnahme des Arsenals und die Verteilung von Waffen an die 886 Christiane Harzig: Lebensformen im Einwanderungsprozess, in: Klaus J. Bade (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992, S. 157 – 170, S. 166. 887 Ebd. S. 189; Jerzy Zubrzycki: The Role of the Foreign Language Press in Immigrant Integration, in: Population Studies 12 (1958), S. 73 – 82. 888 Bungert 2003. 889 Wöchentlicher Banner und Volksfreund, 6. Dezember 1859, S. 2.

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Schwarzen, einen allgemeinen Sklavenaufstand auszulösen und die Sklaverei durch einen revolutionären Akt zu beseitigen. Der Plan scheiterte, die Aufständischen wurden von einer Gruppe US-Marines unter Robert E. Lee überwältigt. John Brown wurde wenige Tage nach dem Überfall in Charles Town vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und am 2. Dezember gehängt. Prozess und Hinrichtung wurden von der Presse aufmerksam verfolgt, die Öffentlichkeit diskutierte in einer hoch emotional geführten Debatte die Rechtmäßigkeit des Aufstands und der Sklavenhaltung allgemein.890 Die Schillerfeier in Amerika fand somit vor dem Hintergrund einer sich immer stärker zuspitzenden und radikalisierenden öffentlichen Debatte über die Sklaverei statt, die letztlich in die Sezession der Südstaaten und den Bürgerkrieg führen sollte.891 In dieser Frage verdichteten sich mehrere Diskurse und ungeklärte Fragen zu einem explosiven Gemisch, das zunehmend den Zusammenhalt und den Bestand der Union gefährdete. Der Konflikt zwischen den hoch industrialisierten Staaten des Nordens und den landwirtschaftlich geprägten Südstaaten berührte neben der moralisch, juristisch und auch ökonomisch geführten Diskussion über die Sklavenhaltung auch staatsrechtliche und wirtschaftliche Dimensionen. Dabei ging es einerseits um die Autonomität der föderalen Einzelstaaten im Verhältnis zum Bund, andererseits um die Möglichkeit einer Industrialisierung des Südens. Die Hoffnung, auf dem Weg des Kompromisses eine Lösung des Problems zu vertagen und derweil in der Union ein Gleichgewicht herzustellen zwischen den Nordstaaten, die rechtlich weitestgehend gegen, und den Südstaaten, die prinzipiell für den Einsatz von Sklaven eintraten, hatte 1820 zum Missouri-Kompromiss geführt, der unter anderem die Sklaverei nördlich des 36. Breitengrads und damit in weiten Teilen des Louisiana Purchase verbot. Durch die fortgesetzte Ausdehnung gen Westen und die Gründung neuer Staaten, die um Aufnahme in die Union baten, kam das Thema in den folgenden Jahren jedoch immer wieder auf die Tagesordnung. Nachdem der Kansas-Nebraska Act den Missouri-Kompromiss 1854 faktisch aufhob, erklärte ihn die Dred-Scott-Entscheidung des Supreme Court drei Jahre später sogar für verfassungswidrig, da die Richter dem Bund grundsätzlich das Recht absprachen, die Sklaverei in den Bundesterritorien auszuschließen. Das Urteil löste in der durch die Kansas890 Brian McGinthy : John Brown’s Trial, Cambridge 2009; Robert E. McGlone: Jone Browns War Against Slavery, Cambridge 2009; Janet Kemper Beck: Creating the John Brown Legend, Jefferson 2009. 891 Zur Geschichte der Vereinigten Staaten vor dem Bürgerkrieg und den Kampf gegen die Sklaverei vgl. Udo Sautter : Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, Stuttgart 7 2006, insbesondere S. 197 – 220; Reinhard Pohanka: Der Amerikanische Bürgerkrieg, Wiesbaden 22009; Christian Delacampagne: Die Geschichte der Sklaverei, Düsseldorf, Zürich 2002, S. 231 – 237.

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Nebraska-Auseinandersetzung ohnehin schon aufgeheizten öffentlichen Stimmung im Norden einen Sturm der Entrüstung aus. Der Konflikt sorgte in den 1850ern auch für umfassende und grundlegende Veränderungen in der politischen Landschaft der Union. Die Whig-Partei zerfiel nach und nach und zerbrach infolge des Kansas-Nebraska-Acts schließlich vollständig, auch die Demokraten spalteten sich. Im Norden vereinten sich Sklaverei-Gegner aus beiden Lagern mit den Free-Soilern zur Republikanischen Partei, während sich im Süden Teile der Whigs mit den Demokraten vereinten. Von dem politischen Durcheinander der 1850er Jahre profitierte kurzzeitig die ausländerfeindliche Know-Nothing-Partei, die ihre Stimmenanteile ausbauen konnte. Auch gesellschaftlich radikalisierte sich der Diskurs bis hin zur offenen Gewalt. Besonders in Kansas kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die 1856 durch Bundestruppen beendet werden mussten. John Brown war hier bereits in den Kampf gegen die Sklaverei involviert. In nächtlichen Guerilla-Aktionen griffen er und seine Gefolgsleute seit 1855 immer wieder die Farmen von Sklavenhaltern an. Die Vereinigten Staaten waren 1859 eine bereits zutiefst gespaltene Gesellschaft. »A house divided against itself cannot stand«892, sagte Abraham Lincoln in seiner berühmt gewordenen Rede, die er im Juni 1858 in Springfield hielt. Nicht nur für ihn war die Frage der Sklaverei eine politische Grundsatzfrage, die den Bestand der Union selbst berührte. »I believe this government cannot endure, permanently half slave and half free.«893 Freiheit und Einheit waren somit auch in den Vereinigten Staaten zentrale Begriffe des politischen und gesellschaftlichen Diskurses. Dieser hatte sich längst zu einer Auseinandersetzung über den Kern der nationalen Identität entwickelt. Ein Kompromiss schien in dieser Situation kaum mehr möglich, auch, weil in den Südstaaten die Sklavenhaltung abseits von ökonomischen Erwägungen zu einer Frage des Lebensstils, zu einem identitären Bedeutungskern des südtstaatlichen Wesens erklärt worden war. Im Mittelpunkt der folgenden Kapitel stehen die sechs größten Schillerfeiern, die im November 1859 in der Union stattfanden. Den Beginn macht Philadelphia, das durch die Distribution des Freiligrath-Gedichtes die amerikanischen Festorte vernetzte und ihnen ein gemeinsames Festelement verschaffte. New York war, gemessen an der Bevölkerungszahl, nicht nur eine der größten deutschen Städte in der Welt, es war zugleich der Brückenkopf der transatlantischen Kommunikation und ein Zentrum des deutsch-amerikanischen Journalismus. 892 Roy Z. Basler (Hg.): The Collected Works of Abraham Lincoln, Bd. 2, New Brunswick 1953, S. 461. 893 Ebd.

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Hier fand eine der sozial exklusivsten Schillerfeiern in den Vereinigten Staaten statt. Die Schillerfeiern in Philadelphia und New York wurden von der deutschamerikanischen Presse in allen Städten der Union besonders beachtet. Die Planung der Schillerfeier in Pittsburgh war begleitet von zahlreichen Schwierigkeiten in der Festorganisation, mangelnder Beteiligung und dem Rücktritt des Komiteepräsidenten. Unter anderem dem konstanten Einsatz des Turnvereins war es zu verdanken, dass hier schließlich doch noch eine größere Schillerfeier stattfand. Ein vergleichsweise hoher Grad an Öffentlichkeit wurde in Cincinnati erreicht. Neben der Festprozession am eigentlichen Festtag, die in einer öffentlichen Versammlung mit Festreden im Washington Park endete, gab es hier auch einen abendlichen Fackelzug am Vorabend der Feier, der von einer Illumination begleitet wurde. Die »Schiller-Unruhe« in St. Louis und der Streit zwischen dem Anzeiger des Westens und der Westlichen Post und ihren Eigentümern veranschaulicht die zum Teil sehr enge personale Verbindung zwischen Versammlungs- und medialer Öffentlichkeit in den amerikanischen Schillerfeiern. In Milwaukee wurde nach einem Protest des Milwaukee Atlas die auch in den USA fast überall zum Festprogramm gehörende Vertonung der Glocke von Andreas Romberg wegen vermeintlich reaktionärer Textstellen aus dem Festprogramm gestrichen. In den folgenden Kapiteln sollen zum einen die Geschichten der einzelnen Schillerfeiern erzählt und zugleich ein Blick auf die feiernden deutsch-amerikanischen »Communities« eröffnet werden. Die Rolle der Presse in der Organisation der Feiern, ihre Einflussnahme auf deren inhaltliche Gestaltung und die Verknüpfung von medialer und Versammlungsöffentlichkeit ist auch hier von zentralem Interesse, ebenso die deutende Kommentierung der Feier, der Festgemeinschaft und des Dichters selbst.

Philadelphia Pennsylvania und Philadelphia sind traditionelle Ziele der deutschen Überseeauswanderung und waren schon vor Beginn der Massenauswanderung des 19. Jahrhunderts ein bevorzugtes Ziel für Einwanderer aus den deutschsprachigen Staaten Europas. Zunächst durch die Amerikanische Revolution und den Unabhängigkeitskrieg, dann infolge der europäischen Wirren nach der Französischen Revolution und der napoleonischen Neuordnung Europas ging die deutsche Migration in die Vereinigten Staaten um die Wende zum 19. Jahrhundert stark zurück und ließ auch in Philadelphia den Strom deutscher Neuankömmlinge versiegen. Als dann die Zuwanderung in den 1830er Jahren wieder zunahm und sich zur Massenmigration ausweitete, nahm auch die deutsche Bevölkerung in Philadelphia zügig zu. Für 1860 weist der Census unter den

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insgesamt 565.529 Bewohnern Philadelphias 43.643 deutsche Einwanderer aus.894 Mit einem Anteil von 7,72 Prozent stellten die Deutschen damit zwar nur eine kleine, nach den Iren jedoch die zweitgrößte Einwanderergruppe in der Stadt. Die bevorzugten Wohngebiete der Deutschen lagen im Nordosten Philadelphias. Sie erstreckten sich vom zentralen Geschäftszentrum in Richtung Norden über die sogenannten Northern Liberties bis nach Kensington.895 Obwohl relativ dicht zusammenlebend, verhinderte die geringe Gesamtzahl der Deutschen und die in diesen Vierteln insgesamt hohe Bevölkerungsdichte die Herausbildung einer ethnischen Dominanz oder eines deutschen Ghettos. Viele Deutsche kamen bereits als Handwerker in die Vereinigten Staaten – und unter den gelernten Handwerkern Philadelphias stellten die Deutschen den größten Anteil. Die soziale Zusammensetzung der Wohnviertel war insgesamt weniger durch Ethnizität gekennzeichnet, sondern durch Berufszugehörigkeit – die Northern Liberties und Kensington als stark handwerklich geprägte Stadtviertel verfügten daher über einen entsprechend hohen deutschen Bevölkerungsanteil.896 In Philadelphia waren zwischen 1850 und 1880 gut zwei Drittel der Deutschen Handwerker, ein großer Teil von ihnen war als Schuhmacher, Schneider oder Bäcker tätig. Während die Iren vor allem im Bereich der ungelernten Arbeit vertreten waren, nahmen die Deutschen, gemeinsam mit den weißen Einheimischen, die begehrten qualifizierteren Berufe ein.897 Der Anteil der ungelernten Arbeiter unter den Deutschen Philadelphias lag 1850 bei 11,6 Prozent, sank aber in den nächsten drei Jahrzehnten kontinuierlich auf unter 7 Prozent.898 Die Wohnlage war mit der beruflichen Wertschätzung direkt verbunden: je höher das berufliche Ansehen, desto größer die Nähe der Wohnung zum Stadtzentrum. Das Gros der deutschen Einwanderer lebte als Handwerker in mittlerer Entfernung zum Zentrum, in den äußeren Bezirken wohnten die ungelernten Arbeiter und Tagelöhner.899 Von der zunehmenden deutschen Zuwanderung seit den 1830er Jahren profitierte auch das deutsche Vereinsleben in Philadelphia. Sänger-, Turner-, Schützen-, Gewerbe- und Unterstützungs-Vereine wurden gegründet und konnten ihre Mitgliederzahlen schnell ausbauen. Auch das Logenwesen hatte 894 US Census 1860, S. XXXII. 895 Alan N. Burstein: Residential Distribution and Mobility of Irish and German Immigrants in Philadelphia 1850 – 1880, Philadelphia 1975, S. 119. 896 Burstein, S. 175. 897 Bruce Laurie, Theodore Hershberg, George Alter: Immigrants and Industry. The Philadelphia Experience 1850 – 1880, in: Journal of Social History 9 (1975), S. 219 – 248, S. 234. 898 Laurie/Hershberg/Alter, S. 238. 899 Burstein S. 176.

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starken Zulauf. Bei den Freimaurern, den Odd Fellows, aber auch in der originär amerikanischen Bruderschaft der Roten Männer bildeten sich deutschsprachige Logen heraus.900 Der älteste deutsche Verein in Philadelphia war (und ist) die bereits 1764 gegründete »Deutsche Gesellschaft«, ein Hilfs- und Unterstützungsverein, der ins Leben gerufen wurde, um das Leid verarmter deutscher Einwanderer zu lindern, die Transportbedingungen der Überfahrt von Europa nach Amerika zu verbessern und die Auswanderer vor Betrug und Übervorteilung zu schützen. Die Gesellschaft hatte Modellcharakter und diente bei der Gründung von Hilfsgesellschaften in Charleston, New York und Baltimore als Vorbild.901 Am Beispiel der Deutschen Gesellschaft lässt sich bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Phänomen beobachten, dass nach Ansicht des Historikers James M. Bergquist auch ein gutes Jahrhundert später zur schnellen Desintegration der deutschen Communities und ihrer Institutionen in den Vereinigten Staaten beigetragen hat: die Abhängigkeit ihres Fortbestehens von einer fortgesetzten Zuwanderung aus den deutschen Staaten. Die deutschen Einwanderer tendierten dazu, sich relativ schnell in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren – spätestens in der jeweils zweiten, bereits in den USA geborenen Generation. Damit zusammenhängend ließ auch der Gebrauch der deutschen Sprache ab der zweiten Einwanderergeneration stark nach, was sich auf die Auflagenzahlen deutscher Zeitungen und die Mitgliederzahlen deutscher Vereine direkt und auf den vereinsinternen Sprachgebrauch indirekt auswirkte. Diskussionen um den Erhalt der deutschen Sprache und der starke Wille zur Einrichtung deutschsprachiger Schulen oder zumindest von Deutschunterricht an den vorhandenen Schulen lassen sich in allen Zentren deutscher Ansiedlung in der Union im gesamten 19. Jahrhundert beobachten.902

900 Die deutschen Logen forderten und betrieben die Übersetzung der Riten und Regeln der Roten Männer in das Deutsche und stießen dabei auf starke Widerstände in der Bruderschaft. Zu Beginn der 1850er Jahre kam es in der Diskussion über die Sprachfrage zur Spaltung der Roten Männer und zur Bildung des Improved Order of Red Men als ein eigenständiger Zweig der deutsch-amerikanischen Logen. Vgl. Dale T. Knobel: To Be An American: Ethnicity, Fraternity and the Improved Order of Red Men, in: Journal of American Ethnic History 4 (1984), S. 62 – 87. 901 Heinrich Krohn: Und warum habt ihr denn Deutschland verlassen? 300 Jahre Auswanderung nach Amerika, Bergisch Gladbach 1992, S. 33. 902 Die deutschen Institutionen waren nach Bergquist abhängig von einem steten Zustrom neuer Einwanderer, da sich die Deutschen in Amerika, insbesondere in der zweiten Generation, sehr schnell integrierten und im geschäftlichen und alltäglichen Sprachgebrauch das Englische bevorzugten. Dies führte zu Auflagenkrisen der deutschsprachigen Zeitungen und einer hohen Fluktuation in den Institutionen der deutschen Communities, die ihre Stabilität nur behaupten konnten durch einen anhaltend hohen Zustrom neuer Einwanderer. Vgl. Bergquist 1984.

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Auch in der Deutschen Gesellschaft kam es Anfang des 19. Jahrhunderts zu Diskussionen um die Sprachfrage, die schließlich 1818 in den Beschluss mündete, die Verhandlungen und Protokolle der Gesellschaft fortan in Englisch zu führen. Seit den 1830ern brachte dieser Beschluss der Gesellschaft wiederholt den Ruf ein, sich von der deutschen Community in Philadelphia zu isolieren.903 Erst kurz vor der Schillerfeier revidierte die Gesellschaft ihre Entscheidung, kehrte zur deutschen Sprache zurück und versuchte, durch eine stärkere Beteiligung am deutschen Kulturleben wieder den Anschluss an die deutsche Community zu finden.904 Seit den 1830er Jahren weitete sich die deutsche Vereinskultur Philadelphias insgesamt aus. In wenigen Jahren entstanden viele der großen deutschen Institutionen, die das kulturelle Leben der Community in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägen sollten: 1835 wurde mit dem Männerchor der erste deutsche Gesangsverein Philadelphias gegründet.905 Ebenfalls 1835 gründete der ehemalige württembergische Offizier Louis Koseritz mit der Washington-Garde die erste deutsche Freiwilligen-Militärkompanie in der Stadt.906 Gleich drei Turnvereine entstanden 1849 und wurden 1854 zur Social-Demokratischen Turngemeinde vereint. Auch die Arbeiter bauten eigene Organisationen auf. 1848 entstand der erste Arbeiterverein in Philadelphia und gut zehn Jahre später, nach der Gründung des Allgemeinen Arbeiterbundes in New York im Jahr 1857, wurde auch in Philadelphia ein Arbeiterbund gegründet, an dessen Spitze Fritz Reuter als Präsident und Franz Fraas als Sekretär standen. Kurz darauf gründete der Arbeiterbund eine eigene Sonntagsschule. Hier unterrichtete Fritz Reuter als Lehrer und leitete die Schule von 1859 bis 1860 als Präsident. Der Arbeiterbund und die Sonntagsschule wiederum standen in enger Verbindung zur Freien Gemeinde Philadelphias, die ihr unentgeltlich die benötigten Räumlichkeiten zur Verfügung stellte und den Unterricht, der sich vornehmlich auf Lesen, Schreiben, Zeichnen und Singen konzentrierte, förderte.907 In der gleichen Zeit etablierten sich auch die beiden bedeutendsten deutschsprachigen Tageszeitungen Philadelphias, der Philadelphia Demokrat (1839) und die Freie Presse (1848). Der kurz nach seiner Gründung von Ludwig 903 Oswald Seidensticker : Geschichte der Deutschen Gesellschaft von Pennsylvanien. Von der Zeit der Gründung 1764 bis zum Jahre 1876, Philadelphia 1876, S. 54. 904 Philadelphia Demokrat, 29. Oktober 1859, S. 3. Nach der Schillerfeier konnte die Deutsche Gesellschaft einen starken Zulauf und steigende Mitgliederzahlen verzeichnen. 905 Oswald Seidensticker : Geschichte des Männerchors in Philadelphia 1835 – 1885, Philadelphia 1885. 906 Ludwig A. Wollenweber : Aus meinem Leben, in: Mitteilungen des Deutschen PionierVereins von Philadelphia, Heft 14 (1910), S. 1 – 28, S. 12 – 13. 907 C. F. Huch: Geschichte der freien Sonntagsschule des Arbeiterbundes bis zum Jahre 1884, in: Mitteilungen des Deutschen Pionier-Vereins von Philadelphia, Heft 14 (1910), S. 28 – 40.

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A. Wollenweber übernommene, seit 1856 von John W. Hoffmann und Eduard Morwitz herausgegebene Demokrat bediente in politischer Hinsicht und namensgerecht das demokratische Lager der Stadt, während die von Friedrich W. Thomas (1808 – 1877) als Arbeiterblatt gegründete und herausgegebene Freie Presse seit 1856 dem republikanischen Lager angehörte.908 Beide Zeitungen beteiligten sich trotz ihrer unterschiedlichen politischen Ausrichtung engagiert an der Planung und Durchführung der Schillerfeier in Philadelphia. Die eigentliche Initiative allerdings kam aus Vereinskreisen.

Ein Komitee der »Schwarzen Kunst«? Der Entschluss zur Abhaltung einer Schillerfeier in Philadelphia fiel bereits im Januar 1859. Auf einer Feier des Schützenvereins war der bevorstehende Geburtstag Schillers im kleinen Kreis zur Sprache gekommen und ein Ad-hocKomitee zur Einleitung von Festvorbereitungen ernannt worden. Diesem gehörten unter anderen der bekannte Schriftsteller und ehemalige Herausgeber des Philadelphia Demokrat, Ludwig August Wollenweber (1807 – 1888), sowie die Kaufleute Jacob Kemper und Wilhelm Grosholz an. Sie wurden beauftragt, die notwendigen Schritte zur Planung einer Schillerfeier in Philadelphia einzuleiten, »damit auch hier das Gedächtnis an den großen Mann würdig begangen werde«.909 Das Komitee war von vornherein als Provisorium gedacht, um eine konstituierende Sitzung unter Beteiligung möglichst aller deutschen Vereine der Stadt einzuberufen und zu organisieren. Im März forderte es die deutschen Vereine, Logen, Gesellschaften und Militärkompanien Philadelphias per Zeitungsannonce auf, aus ihrer Mitte Delegierte zu wählen und diese zu einer ersten Versammlung in das Lokal des »Alten Männerchors« zu entsenden.910 Vier Logen, vier Gesangsvereine, zwei Unterstützungsvereine, eine Militärkompanie (die »Schwarzen Husaren«), der Druckerverein Typographia, die Turngemeinde und der Grütli-Verein waren durch Delegierte in dieser Versammlung vertreten. Nach Beratungen über die Organisationsform des Komitees, verstärkter Mobilisierung und erneutem öffentlichen Aufruf zur Beteiligung wurden allerdings erst am 15. und 22. Mai Funktionsträger (»Beamte«) und Subkomitees ge-

908 Arndt/Olson, S. 553, 557. Die tägliche Freie Presse ist leider für das zweite Halbjahr 1859 nicht überliefert. Das wöchentliche Sonntagsblatt der Freien Presse berichtete nur sehr begrenzt über die Einzelheiten der Feier in Philadelphia. 909 Philadelphia Demokrat, 27. Januar 1859, S. 3. 910 Ebd., 22. März 1859, S. 2.

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wählt.911 Für konkrete Planungen hielt man es allerdings noch für zu früh und vertagte sich in dieser Sache auf September.912 Zum Präsidenten des Allgemeinen Komitees wählte die Versammlung den Juristen Joseph M. Reichard (1803 – 1872).913 Da dieser die Wahl nicht annahm, rückte der zunächst als einer von acht Vizepräsidenten gewählte Deutschlehrer Frederick A. Röse auf Reichards Position. Zum Schatzmeister bestimmte die Versammlung den Kaufmann William Grosholz, Finanzsekretär wurde der Buchhalter Charles Stein. Als ergänzender wirtschaftlicher Sachverstand wurde der Gründer des Bankhauses Drexel & Co., Francis M. Drexel (1792 – 1863), in das Finanzkomitee gewählt, in dem auch der Arbeiterbund-Präsident Fritz Reuter mitwirkte. Insgesamt versammelten sich im Schillerkomitee auffällig viele Journalisten, Zeitungsherausgeber, Drucker, Buchhändler und Autoren. Der Komitee-Sekretär Julius Hein und sein Assistent Carl Rumberg waren Journalisten beim Philadelphia Demokrat. Ihr Chefredakteur, Gottlieb Theodor Kellner (1819 – 1898), saß im Arrangementskomitee. Der Miteigentümer und Herausgeber des Demokraten, Eduard Morwitz (1815 – 1893), war einer von acht Vizepräsidenten des Allgemeinen Komitees.914 Auch sein Vorgänger, Ludwig A. Wollenweber, wurde in die Reihe der Vizepräsidenten gewählt. Durch die Wahl Mark Richards Muckles vom Public Ledger zum Vizepräsidenten und die Entsendung von Frederick W. Thomas (Freie Presse) in das Arrangements-Komitee, waren auch die Konkurrenzblätter des Demokraten in das Schillerkomitee eingebunden. Mit den Journalisten Kellner, Rumberg, Hein, Muckle, den aktiven und ehemaligen Zeitungsherausgebern und -eigentümern Frederick W. Thomas, Eduard 911 Ebd., 16. Mai 1859, S. 3; 21. Mai 1859, S. 3; 24. Mai 1859, S. 3. 912 Vgl. Ebd., 5. Oktober 1859, S. 2. 913 Joseph M. Reichard (1803 – 1872) war ein politischer Flüchtling der 48er-Revolution. In Abwesenheit wurde er 1851 zum Tode verurteilt. Reichard war Mitglied der Nationalversammlung, und des Landesausschusses für Verteidigung und Durchführung der deutschen Reichsverfassung sowie Kriegsminister der provisorischen Regierung der Pfalz. Im Juni 1849 flüchtete er in die Schweiz, wurde im November aber wegen politischer Gefährlichkeit dort ausgewiesen. Er emigrierte daraufhin nach Amerika und ließ sich in Philadelphia nieder. Hier gab er Anfang der 1850er gemeinsam mit Niklaus Schmitt eine kurzlebige Tageszeitung (»Der Volksvertreter«) heraus. Ab 1853 war Reichard in Philadelphia als Notar tätig. 914 Entgegen der Angaben bei Arndt/Olson S. 553 stieg Eduard Morwitz 1854 beim Demokraten ein und gab die Zeitung seither ohne Unterbrechung gemeinsam mit dem bisherigen Eigentümer, John S. Hoffmann, unter der Firma Hoffmann & Morwitz heraus. Nach dem Tod Hoffmanns 1873 führte Morwitz das Geschäft bis zu seinem Tod 1893 allein weiter, anschließend übernahm sein Sohn John Morwitz, der 1897 die Democrat Publishing Company gründete. C. F. Huch: Deutsche Zeitungen in Philadelphia während der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, in: Mitteilungen des Deutschen Pionier-Vereins von Philadelphia, Heft 9 (1908), S. 1 – 10, S. 9. Auch der Demokrat selbst nennt zumindest für 1859 durchgehend die Firma Hoffmann & Morwitz als Herausgeber.

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Morwitz, Ludwig A. Wollenweber, Nikolaus Schmitt (1806 – 1860)915 und Joseph M. Reichard lassen sich insgesamt neun Komiteemitglieder dem Bereich der Printmedien zurechnen. Mehr Dichter als Journalist war das ArrangementsKomitee-Mitglied Philipp Haimbach (1827 – 1904).916 Neben den Vertretern der Printmedien waren auch die Buchdrucker prominent vertreten. Schon im Januar hatte das Philadelphier Verlagshaus Schäfer & Koradi die kommerziellen Möglichkeiten des Schiller-Jubiläums erkannt, die Veröffentlichung eines Schiller-Albums zum 100. Geburtstag des Dichters mit Beiträgen deutsch-amerikanischer Autoren annonciert und eine Subskriptionsliste eröffnet.917 Der Mitbegründer des Verlages, Rudolph Koradi (1824 – 1907), trat nun auch dem Arrangements-Komitee bei. Die Buchdrucker stellten mit Koradi, den Drucker-Brüdern Paul (Vizepräsident) und Adolph Ketterlinus (Arrangements-Komitee) sowie August Walther (Delegierter der Typographia) die zweitstärkste Gruppe mit vier Vertretern – fünf, wenn man den bereits bei den Zeitungsleuten berücksichtigten Frederick W. Thomas einbezieht, der neben seinem Zeitungsengagement auch als Buchdrucker und Herausgeber preisgünstiger Klassiker-Ausgaben bekannt war.918 Bei Berücksichtigung des Buchhändlers Otto Maaß (1828 – 1896) dominierten somit insgesamt 15 Vertreter der »Schwarzen Kunst« und den ihr angeschlossenen Berufsfeldern das Schillerkomitee deutlich. 915 Nikolaus Schmitt hatte in Kaiserslautern von 1832 – 1849 den Boten für Stadt und Land herausgegeben. In Philadelphia veröffentlichte er für sechs Monate gemeinsam mit Joseph M. Reichard die Tageszeitung »Der Volksvertreter«, anschließend die Monatschrift Gradaus. Carl Wittke: Refugees of the Revolution. The German Forty-Eighters in America, Philadelphia 1952, S. 266. 916 Philipp Haimbach (1827 – 1904) war Mitglied im Mannheimer Freicorps von Franz Sigel. Er wurde nach der Revolution zwar nicht verfolgt, wanderte aber dennoch 1851 mit seiner Frau nach Amerika aus, wo er sich 1852 in Philadelphia niederließ. Hier fand er eine Anstellung als Buchhalter und Korrespondent bei einer Importfirma und blieb bis 1897 im kaufmännischen Bereich tätig. Daneben war er zeitweise Mitarbeiter bei der von Gustav Struve in New York herausgegebenen Socialen Republik und bei der Philadelphia Musikzeitung von Karl Winterstein. Bekannt wurde Haimbach aber mehr für seine Gedichte, die er in verschiedenen Zeitungen wie Die Neue Welt, Philadelphia Sonntags-Journal, Philadelphia Gazette und im New York Monthly sowie in Anthologien veröffentlichen konnte. In Europa erschienen Gedichte von ihm in der Stuttgarter Neuen Musikzeitung, der Straßburger Neu-Deutschland und Neu-Elsass und dem Leipziger Salonblatt. Er schrieb auch das Libretto zu J. H. Bonawitz-Oper Ostrojenke. Vgl. Mitteilungen des Deutschen PionierVereins von Philadelphia, Heft 5 (1907), S. 30 – 32, DBA Teil 2 Fiche 0513, S. 194 – 196. 917 Anzeige im Philadelphia Demokrat, 31. Januar 1859, S. 3. Insgesamt 868 Subskribenten hatten bis zum 15. Oktober 1859 den Subskriptionspreis von $1 eingesandt und werden namentlich im Anhang des Buches aufgeführt. Vgl. Schiller-Album zur hundertjährigen Feier der Geburt des Dichters. Festgabe der Freunde Schillers in der neuen Welt, Philadelphia 1859. 918 Thomas gab 1859 in dieser Reihe eine Ausgabe von Schillers Gesamtwerk für $3 heraus. Beispielhafte Anzeige im Sonntagsblatt der Freien Presse, 6. November 1859, S. 16.

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Kaufleute und Händler erreichten mit mindestens 8 und bis zu 15 Mitgliedern im Komitee einen vergleichbar hohen Stand. Außer dem Schatzmeister Grosholz (Importwaren) waren dies Caspar Schödler, Fredrick Philipp (beide Weinhändler), Rudolph Schwarz, Andreas Leitinger (beide Tabak-Händler), Jacob Kemper (Posamente für Frauenkleider), Martin Laudenberger (Wollstrumpfwaren) und Daniel Gans (Kleidung).919 Kunst und Kultur waren dagegen unterrepräsentiert: Mit dem Pianisten Carl Wolfsohn, dem Schauspieler Adolf Meaubert und dem Bildhauer Edward Stauch, der die Schillerbüste für das Festkonzert herstellte, waren nur drei professionelle Künstler im Komitee vertreten.920 Anders als in den deutschen Staaten waren in Philadelphia die Arbeiter von Anfang an mit Vereins-Delegierten und gewählten Beamten an der Organisation der Schillerfeier beteiligt. Franz Fraas, Sekretär des Arbeiterbundes, war als Delegierter des Gesangsvereins Orpheus in das Komitee entsandt worden, während der Präsident des Arbeiterbundes, Fritz Reuter, als Beamter in das Finanzkomitee gewählt wurde. Als Delegierter des Deutsch-Amerikanischen Arbeiter-Unterstützungsvereins war Andreas Leitinger vertreten und auch die Arbeiter-Unterstützungsvereine Nr. 3, 6 und 8 nahmen mit ihren Delegierten an den Planungen Anteil. Auch in politischer Hinsicht kamen unterschiedliche Fraktionen im Schillerkomitee zusammen. Unter den Organisatoren befanden sich Anhänger der Republikaner und der Demokraten, die auch durch die Teilnahme der beiden deutschen Tageszeitungen repräsentiert waren. Einige der prominenten Mitglieder des Komitees waren zudem seit Jahren an den öffentlichen politischen Auseinandersetzungen in Philadelphia beteiligt. Frederick W. Thomas, Nikolaus Schmitt und William L. J. Kiderlen traten schon seit 1856 für die Republikaner 919 Weitere sieben Mitglieder ließen sich nicht eindeutig identifizieren, gehören aber sehr wahrscheinlich auch noch in diese Gruppe: Bei dem Vizepräsidenten »Col. C. Wilhelm« könnte es sich um den Lampenbauer und -händler Charles (oder Carl) Wilhelm handeln. Der namentlich nicht weiter spezifizierte »Audenried« ist sehr wahrscheinlich der Kohlenhändler-Familie Audenried zuzurechnen. Bei dem Eintrag »Coltes« könnte es sich um den Mexiko-Krieg-Veteranen und Oberst John A. Koltes (1823/27 – 1862) handeln. Koltes organisierte und befehligte in Philadelphia lokale Militäreinheiten, darunter der Männerchor Rifles. Das Philadelphia City Directory von 1861 führt ihn zudem als Dekorations- und Geschenkartikel-Händler. Der im Finanzkomitee ohne Vornamen geführten »Stoll«, ist wahrscheinlich der Tabak-Händler Peter Joseph Stoll. Hinter »Captain Einstein« verbirgt sich mit großer Wahrscheinlichkeit Max Einstein (1822 – 1906), Gründer und Hauptmann der Philadelphia Flying Artillery von 1854 bis 1861, anschließend US-amerikanischer Konsul in Nürnberg. Im City Directory für 1861 ist Max Einstein als Importeur für Bänder, Seide und Blumen eingetragen. Eine namentliche Übereinstimmung gibt es auch für »C. Kaiser«, der ebendort als Importeur und Handelskaufmann geführt wird. 920 Philipp Haimbach ließe sich als Dichter mit journalistischen Erfahrungen, der seinen Lebensunterhalt durch seine kaufmännische Tätigkeit sicherte, auch hier zuordnen.

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ein und hatten sich in mehreren öffentlichen Debatten mit den deutschen Vertretern der Demokraten, darunter Eduard Morwitz, Gottlieb T. Kellner, Philipp Becker (im Schillerkomitee als Delegierter der Militärkompanie »Schwarze Husaren«), Julius Hein und Otto Maaß, auseinandergesetzt.921 In der Organisation und Durchführung der Schillerfeier spielten politische Differenzen allerdings keine Rolle. Größere Auseinandersetzungen, wie sie bei den meisten europäischen Feiern zu beobachten waren, sind für Philadelphia nicht dokumentiert. Auch die freireligiöse Gemeinde schloss sich den Feiernden an. Von Ferdinand Lechner erschien eine kleine Broschüre zum Fest, die Friedrich Schiller zum Vorläufer der religiös-humanistischen Weltanschauung erklärte. Der eigentlich für das Novemberheft der von Friedrich Schünemann-Pott herausgegebenen Blätter für freies religiöses Leben vorgesehene Text war für die Zeitschrift zu lang geworden und deshalb als Broschüre im Einzeldruck erschienen. Schünemann-Pott, Sprecher der Deutschen Freien Gemeinde in Philadelphia, empfahl seinen Lesern das Heft als Festgabe, auch, um der Inanspruchnahme Schillers durch die »christlichen Wortführer« etwas entgegen zu setzen.922

Irritationen und Vereinigung Ende September, Anfang Oktober 1859 kam es kurzzeitig zu einigen Irritationen, als bekannt wurde, dass die Deutsche Gesellschaft ein eigenes Komitee zur Organisation einer Schillerfeier in Philadelphia eingesetzt hatte und dieses bereits ein vollständiges Festprogramm für den 10. November organisiert hatte. Auf Anregung von Wilhelm L. J. Kiderlen war schon auf dem vierteljährlichem Treffen der Gesellschaft am 25. März ein Komitee eingesetzt worden, »to report arrangements for (uniting) in the celebration of the 100th anniversary of the birth of Schiller«.923 921 C. F. Huch: Anschluss der Deutschen Philadelphias an die republikanische Partei im Jahre 1856, in: Mitteilungen des Deutschen Pionier-Vereins von Philadelphia, Heft 21 (1911), S. 1 – 32. Da der Philadelphia Demokrat seine politische Ausrichtung beibehielt, ist davon auszugehen, dass zumindest Eduard Morwitz, Gottlieb T. Kellner und Julius Hein als Eigentümer und führende Mitarbeiter des Blattes auch 1859 noch den Demokraten zuneigten. 922 Ferdinand Lechner : Friedrich von Schiller als Vorläufer der religiös-humanistischen Weltanschauung vom Standpunkte der Freien Gemeinde betrachtet, Philadelphia 1859. Die Empfehlung von Schünemann-Pott wurde gedruckt als Anzeige in: Blätter für freies religiöses Leben, 4 (1859) Nr. 4, S. 64. 923 William L. J. Kiderlen (1813 – 1877) war Buchhändler, Zeitungsherausgeber verschiedener Zeitungen (Deutsche National-Zeitung, Philadelphia Stadtpost, Deutscher Republikaner in Cincinnati), US-Konsul in Stuttgart und Zürich sowie württembergischer Konsul in Philadelphia von 1860 – 1871.

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Kurz zuvor war ein erstes Delegierten-Treffen der Deutschen Vereine und Gesellschaften auf Einladung des Ad-Hoc-Komitees unter Ludwig A. Wollenweber kurzfristig »auf vielfachen Wunsch bis auf weitere Anzeige aufgeschoben« worden.924 Es lässt sich nicht klären, ob die Deutsche Gesellschaft wegen dieser Absage in dem Glauben tätig wurde, dass ohne ihren Einsatz gar keine Schillerfeier organisiert würde, oder ob Kiderlen eine konkurrierende Feier in bewusster Abgrenzung zu den bereits laufenden Aktivitäten plante. Jedenfalls trieb das Komitee der Deutschen Gesellschaft, dem neben ihrem Vorsitzenden Kiderlen auch Otto Maaß und Rudolph Koradi angehörten, die Vorbereitungen zügig voran und erstellte ein vorläufiges Festprogramm.925 Es schlug der Deutschen Gesellschaft am 24. Juni 1859 eine Schillerfeier mit Prolog, Festreden, Deklamationen sowie einem Gesangs- und Instrumental-Konzert in der Academy of Music vor und wurde ermächtigt, entsprechende Vorbereitungen für eine solche Feier zu treffen. Zur Finanzierung stellte die Gesellschaft einen Betrag von $500 Dollar zur Verfügung, der erwartete Überschuss sollte der Armenkasse des Deutschen Instituts zur Beschaffung von Brennmaterial zugute kommen.926 Das Komitee mietete daraufhin für $200 die Academy of Music an. Für die Festreden in deutscher und englischer Sprache konnten der Jurist Gustav Remak (der als Vizepräsident auch dem Allgemeinen Schillerkomitee angehörte) und der Übersetzer von Schillers »Lied von der Glocke«, William H. Furness, gewonnen werden. Mit der Gestaltung des gesamten musikalischen Programms beauftragte das Komitee den Männerchor und stellte ihm dafür ein Budget von $300 Dollar zur Verfügung.927 Ende September waren die Planungen der Deutschen Gesellschaft für ein großes Schillerfestkonzert mit Festreden und Deklamationen am 10. November 1859 bereits weitgehend abgeschlossen, als das Allgemeine Komitee, das sich für die Festplanung auf September vertagt hatte, nun mit den eigenen Vorbereitungen begann: Spezialkomitees nahmen ihre Arbeit auf und entwarfen ein dreitägiges Programm, das aus einem Fackelzug am 9. November, einer Aufführung der Romberg-Glocke durch die beteiligten Gesangsvereine am 10. November und einer Theatervorstellung am 11. November bestehen sollte.928 Als nun die gesonderten und schon sehr weit fortgeschrittenen Planungen der Deutschen Gesellschaft für den 10. November bekannt wurden und sich eine Kollision der vorgesehenen Festprogramme abzeichnete, kam es Anfang Ok924 Philadelphia Demokrat, 23. März 1859, S. 3. 925 GSP Protokoll der Incorporirten Deutschen Gesellschaft, Stated Meeting, Philadelphia Mar. 25, 1859. 926 Ebd., June 24, 1859. 927 Ebd., Sept 29, 1859. 928 Philadelphia Demokrat, 5. Oktober 1859, S. 2.

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tober in einem eingesandten Beitrag an den Philadelphia Demokraten zu einigen Misstönen. Dem Komitee der Deutschen Gesellschaft wurde Eigenmächtigkeit und eine gewisse Arroganz gegenüber dem Allgemeinen Komitee vorgeworfen, die Gesellschaft selbst als isoliert und abgeschieden von den Deutschen Philadelphias kritisiert.929 Eine Einladung an die Gesellschaft und ihr Komitee, sich – wie alle anderen deutschen Vereine und Gesellschaften auch – durch Delegierte dem Allgemeinen Schillerkomitee anzuschließen sei von diesem kurzerhand verworfen worden, Verständigungsversuche seien bislang erfolglos geblieben.930 Ein Nebeneinander zweier Schillerfeiern schien unausweichlich. Damit wollte sich die Redaktion des Demokraten nicht zufrieden geben und veröffentlichte einen Einigungsvorschlag, der das gemeinsame Ziel beider Komitees in den Vordergrund stellte. Die Deutsche Gesellschaft, so der Demokrat, habe schließlich in dem Glauben gehandelt, dass ohne ihre Bemühungen eine Feier nicht zustande kommen werde. Ihr Ziel sei es vielmehr, durch Organisation und Durchführung einer Schillerfeier für alle Deutschen in Philadelphia aus ihrer bisherigen isolierten Stellung herauszukommen. Der Demokrat appellierte an beide Komitees, sich im Sinne der gemeinsamen Sache auf eine wechselseitige Übernahme bereits entstandener Verpflichtungen zu einigen, Gesangsvereine und Orchester zusammenzuführen und das Schillerfest gemeinsam zu begehen.931 Auf dieser Grundlage erfolgte dann tatsächlich kurz darauf die »freundschaftliche Vereinigung« beider Komitees: Das Allgemeine Komitee nahm das Festkonzert in sein Programm auf, die Deutsche Gesellschaft beschloss eine Zwei-Drittel-Beteiligung des Allgemeinen Komitees an dem Reinerlös aus dem Festkonzert, um die Kosten der anderen beiden Festtage zu decken.932 Das von der Deutschen Gesellschaft organisierte Schillerfest konnte somit doch noch mit den anderen Programmteilen zu einer nun vereinten dreitägigen Feier in Philadelphia zusammengeführt werden – mit dem Festkonzert in der Academy of Music am 10. November als Höhepunkt.

929 930 931 932

Ebd., 5. Oktober 1859, S. 2. Ebd. Ebd., 6. Oktober 1859, S. 2. Ebd., 21. Oktober 1859, S. 3; GSP Protokoll der Incorporirten Deutschen Gesellschaft, Annual Meeting, 26. Dezember 1859. Trotz dieser Beteiligung schloss die Schillerfeier in Philadelphia mit einem Defizit, dass die Deutsche Gesellschaft aus ihren Erträgen im Nachhinein ebenfalls beglich. GSP 2. Sitzung des Annual Meeting, 2. Januar 1860.

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Die Festtage in Philadelphia Den Auftakt zur Schillerfeier in Philadelphia bildete ein Fackelzug am Abend des 9. November. Ein eigenes Subkomitee unter der Leitung von Captain Philipp Becker hatte die Organisation der Prozession übernommen, Fackeln organisiert und die Festroute ausgearbeitet. Für die Fackeln war ein Vorzugspreis von 15 Cents für teilnehmende Vereine ausgehandelt worden, Einzelpersonen und nicht vorab gemeldete Organisationen konnten diese noch am Abend des Festzuges zum Einzelpreis von 25 Cents erwerben. Der Fackelzug mit seinen mehreren hundert Teilnehmern teilte sich in vier Divisionen, die jeweils von einer Musikkapelle begeleitet wurden. In der ersten Division marschierten die Mitglieder der deutschen Militärkompanien Philadelphias933, ihnen folgte das Festkomitee in einem Festwagen. Die zweite Division bestand aus den an der Schillerfeier beteiligten deutschen Gesangsvereinen, denen ein Transparent mit dem Bildnis Friedrich Schillers vorangetragen wurde.934 Die dritte Division wurde von einem Wagen mit einer Glocke angeführt, die während des Umzuges fortwährend geläutet wurde. Auf einem großen Transparent war eine weitere Glocke abgebildet. Ihr folgten verschiedene Logen935, der Schiller-Leseverein, der Schweizer Grütli-Verein sowie der RobertBlum-Unterstützungs-Verein. Die vierte Division, angeführt von einer Druckerpresse, stellten die Mitglieder der Typographia, der Deutsch-Amerikanische Unterstützungsverein, der Arbeiterbund, der Hermann-Literaturverein, die Social-Demokratische Turn-Gemeinde sowie die Socialen Arbeiter-Unterstützungsvereine Nr. 3, 6 und 8. Der Sammelpunkt lag am südlichen Ende der Northern Liberties in der York Avenue. Das Fackelzug-Komitee hatte eine Route quer durch das Viertel gewählt und die dort ansässigen Deutschen um Illumination und Dekoration ihrer Häuser gebeten.936 Entlang der Dritten und der Vierten Straße, in denen viele Deutsche ihre Wohnungen und Geschäfte hatten, waren zwischen Vine Street und der Girard Avenue an der Grenze zu Kensington zahlreiche Geschäfts- und Privatleute der Aufforderung nachgekommen. Transparente mit Bildnissen des Dichters und Sinnsprüchen, Illumination und Feuerwerk begrüßten die vorbeiziehenden Fackelträger.937 Auf den Transparenten fanden sich überwiegend 933 Beteiligt waren die Schwarzen Husaren, die Philadelphia Artillerie, die Steuben-Garde, die Lafayette-, Washington-, Pennsylvania- und Schwarzen Jäger. 934 Hierbei handelte es sich um: Liedertafel, Sängerbund, Cäcilia Gesangverein, Junger Männerchor, Arion, Harmonia, Orpheus, Socialer Liederkranz, Arbeiter-Bundes-Gesangsverein, Liedertafel der Freien Gemeinde und der Bridesburg-Gesangverein. 935 Schiller-Logen Nr. 5 und 95, Wartburg-Loge Nr. 5, Humboldt-Loge Nr. 1. 936 Philadelphia Demokrat, 5. November 1859. 937 Die Illumination reichte von einfachen Kerzen, die in die Fenster gestellt wurden, über

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Zitate aus Schiller-Gedichten oder -Dramen, ein einzelner Schriftzug wies auf den gemeinsamen Geburtstag Schillers und Martin Luthers hin. Bildliche Darstellungen bezogen sich ebenfalls auf bekannte Werke des Dichters und stellten Szenen aus der Glocke oder Wilhelm Tell dar. Insbesondere die teilnehmenden Gesellschaften hatten ihre Lokale festlich geschmückt und auch die Redaktionen des Demokraten in der Dritten und der Freien Presse in der Vierten Straße waren mit einigem Aufwand dekoriert und illuminiert worden.938 Von der Vine Street zogen die Fackelträger die Dritte Straße hinauf bis zur Girard Avenue, der Grenze zu Kensington. Dort wandten sie sich nach einem kurzen Schlenker über die Girard wieder gen Süden und zogen durch die Vierte Straße in Richtung Stadtzentrum. Südlich der Northern Liberties wurde die Illumination etwas spärlicher, doch auch an der Race Street und in der Zweiten Straße fanden sich noch einige geschmückte Geschäfte. Der Zug schwenkte über die Walnut auf die Chestnut Street, passierte das State House und erreichte über die Broad Street schließlich sein Ziel, die Academy of Music. Hier formierten sich die teilnehmenden Sänger auf den Stufen der Academy und stimmten ein gemeinsames Lied an. Anschließend hielt Frederick A. Röse eine kurze Ansprache und eröffnete damit die dreitägige Schillerfeier in Philadelphia.939 Die Prozession selbst führte kein aufwendiges Bildprogramm mit sich und hatte neben den Fackeln, dem Schillerportrait, der Glocke und der laufenden Druckerpresse keine weitere dekorative Ausstattung.940 Anders als in den deutschen Staaten konnte die Druckerpresse als Zeichen für Pressefreiheit hier keine Kontroversen provozieren. Ein während des Umzugs produziertes und verteiltes Flugblatt informierte in deutscher und englischer Sprache über den Jubilar als Anlass für die Feier, nannte Schillers Lebensdaten und, beginnend mit Wilhelm Tell, seine wichtigsten Werke. Als Freiheitsdichter, so das Flugblatt weiter, seien nicht nur die Deutschen, sondern alle Freunde der Freiheit eingeladen, sich an der Feier zu beteiligen.941 Während das Schiller-Bildnis eindeutig dem Anlass zuzurechnen war, ließen sich die mitgeführten Glocken im nordamerikanischen Kontext durchaus auch politisch deuten. Sie spielten natürlich in erster Linie auf das berühmte und unter den Deutschen weithin bekannte

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bengalische Feuer und Lampenarrangements bis hin zu komplizierten und ausschweifenden Feuerwerken und Lichtinstallationen. Vgl. Philadelphia Demokrat, 10. November 1859, S. 2, 12. November 1859, S. 3; The Ledger, 10. November 1859, S. 1; Dem Daily Evening Bulletin vom 10. November 1859, S. 1, war zu entnehmen, dass sich das Publikum nicht immer darüber im Klaren war, was oder wer eigentlich gefeiert wurde. Philadelphia Demokrat, 10. November 1859, S. 2, 12. November 1859, S. 3. Ebd., 10. November 1859, S. 2. Das Komitee lehnte vorab jede »Maskerade« in der Prozession ab. Philadelphia Demokrat, 29. August 1859, S. 2. Philadelphia Demokrat, 10. November 1859, S. 2. Die englische Fassung des Flugblattes findet sich in The Ledger, 10. November 1859, S. 1.

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»Lied von der Glocke« an, das durch die englische Übersetzung von William H. Furness auch im englischen Sprachraum seit den 1840er Jahren zugänglich war. Die Glocke war um die Jahrhundertmitte aber auch zum politischen Symbol der amerikanischen Anti-Sklaverei-Bewegung geworden. Die seit 1852 in der Declaration Chamber der Hall of Independence ausgestellte »Liberty Bell«, die in der nationalen Erinnerungskultur der Vereinigten Staaten untrennbar mit der Unabhängigkeitserklärung von 1776 verbunden ist, war noch nicht lange unter diesem Namen bekannt. Bis in die 1830er Jahre kannte man sie vornehmlich unter dem Namen »Inpendence Bell«, »Old Yankee’s Bell« oder einfach »State House Bell«. Erst Mitte der 1830er Jahre wurde sie als wirkungsmächtiges Symbol von der Abolitionisten-Bewegung erkannt und adaptiert. Die Inschrift der Glocke, »Proclaim Liberty throughout all the Land unto all the Inhabitants thereof«, diente dabei als Kurzform der politischen Forderung der Abolitionisten nach einem Ende der Sklaverei.942 Innerhalb weniger Jahre setzte sich die »Liberty Bell« in der Anti-Sklaverei-Bewegung als historisch, politisch und erinnerungskulturell starkes Symbol durch.943 Die Glocke war in den Vereinigten Staaten und insbesondere in Philadelphia 1859 kein unschuldiges oder naives Symbol, das in exklusiver Bezugnahme auf Friedrich Schiller verwendbar war. Das dürfte auch den Organisatoren der Schillerfeier in Philadelphia klar gewesen sein. Durch den Überfall auf Harper’s Ferry am 16. Oktober, die Festnahme John Browns sowie das anschließende Gerichtsverfahren, das mit Browns Todesurteil endete, hatte sich der Konflikt im Vorfeld der Schillerfeier erneut stark aufgeheizt. Doch obwohl Friedrich Schiller hier betont als Freiheitsdichter gefeiert wurde und die Anschlussfähigkeit des Glockensymbols an den Anti-Sklaverei-Diskurs grundsätzlich gegeben war – in der Berichterstattung des Demokraten wurde diese Verbindung nicht hergestellt, ebensowenig in der englischsprachigen Presse. Auch Frederick A. Röse berührte das Thema der Sklaverei in seiner kurzen Ansprache vor der Academy of Music nicht. Er betonte stattdessen die große Allgemeinheit der Feier und drückte im Namen der Deutschen Philadelphias

942 Ihre erste Nennung als »Liberty Bell« erfolgte im ersten Anti-Slavery Record von 1835 durch R. G. Williams. Von 1839 bis 1858 gaben Maria Weston Chapman und die »Friends of Freedom« in Boston zugunsten der Abolitionisten-Bewegung ein jährlich erscheinendes Geschenk-Buch mit Prosa und Lyrik heraus, das unter dem Titel »The Liberty Bell« verkauft wurde. Erstausgabe: Maria Weston Chapman (Hg.): The Liberty Bell, Boston 1839. Diese Ausgabe wird durch ein Sonnett von Maria Weston Chapman eröffnet, das sich direkt auf die Glocken-Inschrift bezieht. Vgl. auch Ralph Thomason: The Liberty Bell and other AntiSlavery Gift-Books, in: New England Quarterly (1934), S. 154 – 168. Abolitionisten-Zeitungen wie der Bostoner Liberator bewarben dieses Buch eifrig 943 Vgl. etwa das Gedicht »The Liberty Bell« von John Rand in The Liberator, 22. September 1843, S. 195.

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seine große Freude über die Teilnahme der Amerikaner an der Feier aus.944 Mit der Verpflichtung von William H. Furness für eine englischsprachige Festrede gab sich das Komitee große Mühe, diese weiter zu erleichtern. Große Teile des Festprogramms waren zudem musikalischer Natur und forderten dem Publikum daher keine deutschen Sprachkenntnisse ab. Die Academy of Music war für das Festkonzert am 10. November mit Blumen, Girlanden und Transparenten dekoriert worden. In der Mitte der blumengeschmückten Bühne befand sich ein römischer Triumphbogen, an dem abwechselnd schwarz-rot-goldene Trikoloren und amerikanische Flaggen befestigt waren. Der Raum zwischen den Säulen des Bogens war mit Tüchern verhangen, hinter ihnen verbarg sich die von Edward Stauch hergestellte Schiller-Büste mit einem Lorbeerkranz auf dem Haupt. Die vereinten deutschen Chöre und das Orchester platzierten sich rechts und links neben dem Triumphbogen, Fahnen und Standarten der teilnehmenden Vereine und Militärkompanien ergänzten den Bühnenschmuck.945 Das musikalische Programm der Festveranstaltung bestand aus Ouvertüren bekannter Opernwerke und der Glocke von Andreas Romberg, eine Komposition, die sich auch unter den Deutschen in den Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert außerordentlicher Beliebtheit erfreute.946 Sie wurde durch die vereinigten Gesangvereine mit insgesamt rund 300 Sängern und Sängerinnen vorgetragen, die Instrumentalmusik kam von dem ergänzten Germania-Orchester unter der Leitung des Dirigenten Carl Sentz.947 Die Musikstücke wechselten sich im ersten Teil ab mit den Festreden von Gustav Remak und William H. Furness. Beide Festreden sind nicht überliefert. Schon der Demokrat bedauerte, dass die Redner nicht bereit waren, ihre Manuskripte für den Druck zur Verfügung zu stellen.948 Der Berichterstattung ist zu entnehmen, dass die Festredner sich vor allem auf den gefeierten Dichter und seine Werke bezogen. Gustav Remak skizzierte die einzelnen Werke Schillers im Urteil ihrer Kritiker und anderer Schriftsteller, während Furness die Entwicklung der deutschen Literatur seit Anfang des 18. Jahrhunderts referierte und ihre Hinwendung an die englische Literatur, namentlich Shakespeare, beschrieb. 944 Philadelphia Demokrat, 10. November 1859, S. 2. 945 Ebd., 11. November 1859, S. 2; diesem Bericht folgt weitgehend NYHZ, S. 9. Die Verwendung von deutscher Trikolore und den Stars and Stripes findet sich auch in The Press, 11. November 1859. 946 ADB 29, S. 109. Ludwig Finscher : Musik für das Bürgertum, in: Schubert-Jahrbuch 2003/05 (2007), S. 173 – 184. Bei den Ouvertüren handelte es sich im ersten Teil des Programms um die Jubel-Ouvertüre op. 59/JV 245 von Carl Maria von Weber und die Egmont-Ouvertüre fMoll op. 84 von Ludwig van Beethoven. Im zweiten Teil spielte das Orchester die Ouvertüre zu der Oper Lohengrin (WWV 75) von Richard Wagner. 947 Für das Festprogramm vgl. beispielhaft Philadelphia Demokrat, 8. November 1859, S. 3. 948 Ebd., 11. November 1859, S. 2.

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Furness sah Schiller, gemeinsam mit Luther und Lessing, als Schöpfer der modernen deutschen Sprache. Schillers Einfluss, das beweise die Schillerfeier selbst, gehe über sein Vaterland, über Raum und Zeit weit hinaus.949 Beide Reden wurden trotz ihrer Länge von der Presse gelobt. Die englischen Zeitungen hielten allerdings vor allem die deutsche Festrede von Gustav Remak für deutlich zu lang, zumal ein großer Teil des Publikums ihrer Schätzung nach des Deutschen nicht mächtig gewesen sei.950 Der zweite Teil des Festkonzerts öffnete mit der Lohengrin-Ouvertüre von Richard Wagner, anschließend trug Gottlieb T. Kellner das eigens für die amerikanische Schillerfeier gedichtete »Festlied der Deutschen in Amerika« von Ferdinand Freiligrath vor.

Das »Festlied der Deutschen in Amerika« Die Idee, Ferdinand Freiligrath im Londoner Exil um die Abfassung eines gemeinsamen Festgedichtes für die Schillerfeiern in den amerikanischen Städten zu bitten, stammt von Gottlieb T. Kellner.951 Auf seinen Antrag beschloss das Allgemeine Schillerkomitee bereits im Juli, »Herrn Ferdinand Freiligrath um die Abfassung eines Festlieds für die Feier des 100jährigen Geburtstags von Schiller in den Vereinigten Staaten zu ersuchen, da wir in ihm den würdigsten Repräsentanten der deutschen Poesie und den edelsten deutschen Volks- und Freiheitsdichter der Jetztzeit verehren und seinen Namen, den Namen des Dichters der deutschen Emigration, dauernd mit dem Gedächtnisfest an unsern ersten Volks- und Freiheitsdichter zu verbinden wünschen, womit wir im Geist aller Deutschen Amerikas zu handeln überzeugt sind«.952

Dieses Festlied sollte durch einen »tüchtigen Komponisten« vertont werden, »damit es an allen Orten in den Vereinigten Staaten, wo das Schillerfest begangen wird, an ein und demselben Tag und zu ein und derselben Stunde abgesungen werde«.953 Den Plan, für die Komposition Richard Wagner zu gewinnen, musste aus Zeitknappheit dann allerdings zurückgestellt werden.954

949 Ebd., 11. November 1859, S. 2. 950 Sunday Dispatch, 13. November 1859, The Press, 11. November 1859. 951 Pittsburger Volksblatt, 3. September 1859, S. 2. (verweist auf Philadelphia Demokrat, 29. August). 952 Philadelphia Demokrat, 21. Oktober 1859, S. 2. 953 Ebd., 29. August 1859, S. 2 und 21. Oktober 1859, S. 2. 954 Ebd., 29. August 1859, S. 2. Das Komitee hatte sich an den amerikanischen Verleger von Freiligraths Werken, Friedrich Gerhard in New York, gewandt und um die Anschrift des Dichters in New York gebeten, diese aber nicht erhalten.

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Ähnlich wie bei der Diskussion um den Bußtag in Hamburg zeigt sich auch hier der ausgesprochene Wunsch, eine Synchronizität im Handeln der Festteilnehmer auch über den lokalen Kontext hinaus herbeizuführen.955 Das gleichzeitige Singen des Festliedes auf allen Schillerfeiern in den USA sollte die Gemeinschaft der Deutschen, die auch im Text des Liedes besungen wurde, nicht einfach zum Ausdruck bringen. Betont wurde die Synchronizität des Gesangs, der »an ein und demselben Tag und zu ein und derselben Stunde« eine tatsächliche Gleichzeitigkeit im Handeln der Feiernden herbeiführen sollte. Eine solche Inszenierung hätte als Performanz der Gemeinschaft dieselbe tatsächlich im Moment des Vollzugs erst hergestellt. Dass diese Performance aus gemeinschaftlichem Singen bestehen sollte, liegt nahe: Singen war unter den Deutschen außerordentlich beliebt. Gesangsvereine gab es nicht nur in Philadelphia in großer Zahl und überall konnten sie wachsende Mitgliederzahlen verzeichnen. Beim Singen als emotionale Form der Vergemeinschaftung ist gemeinschaftliches Handeln zumindest für den Augenblick unabdingbar, um einer Komposition keine Gewalt anzutun. Auf diese Weise ermöglicht der Chorgesang für den Moment die Überwindung von Gegensätzen und Differenzen und schafft eine Gemeinschaftserfahrung, an die in positiver Bezugnahme zu einem späteren Zeitpunkt wieder angeschlossen werden kann.956 Der immer wieder diskutierten Uneinigkeit der Deutschen, die in Philadelphia am Beispiel der eigenständigen Festvorbereitungen der Deutschen Gesellschaft zur Sprache kam957, wurde durch das Festlied ein Moment der Einigkeit entgegengesetzt, die im lokalen Kontext durch den Gesang, im überlokalen Kontext durch die Imagination des Gleichzeitigen eine deutsch-amerikanischen Gemeinschaft im Handeln herstellen sollte. Die Einzigartigkeit und Einmaligkeit des Moments der Aufführung sollte nach dem Willen des Allgemeinen Komitees in Philadelphia dadurch verstärkt werden, dass – abgesehen von den notwendigen Ausnahmen im Festkomitee und bei den Vortragenden – niemand den Text des Festliedes vor der Uraufführung kennen sollte. Aus diesem Grund wurde die unentgeltliche Weitergabe des Gedichts an alle Schillerkomitees in Nordamerika mit der Auflage verbunden, es

955 Vgl. Kapitel »Hamburg«. 956 Vgl. Dietmar Klenke: Der singende »deutsche Mann«. Gesangvereine und deutsches Nationalbewusstsein von Napoleon bis Hitler, Münster 1998. 957 »Dass bei jeder deutschen Angelegenheit niemals Einzelne fehlen dürfen, welche die altberühmte deutsche Uneinigkeit vertreten, weiß Jeder – Derartiges kann Niemanden mehr überraschen – dass aber eine Gesellschaft, die sonst kaum an die Öffentlichkeit getreten, die sich förmlich von allem deutschen Wesen fern zu halten schien, ihr Wiedererwachen zum Deutschtum mit einem solchen Missgriff, mit der Propaganda der alten deutschen Uneinigkeit beginnen sollte – Das ist überraschend, ist tragi-komisch.« Philadelphia Demokrat, 21. Oktober 1859, S. 2.

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nicht vor dessen Vortrag am 10. November in den Zeitungen zu veröffentlichen.958 Da die Schillerfeier »zugleich ein amerikanisches Nationalfest sein soll und durch die Teilnahme unserer eingeborenen Mitbürger werden wird«959, wurde Freiligrath gebeten, auch gleich für die Übersetzung seines Festlieds in das Englische zu sorgen. Ein Vortrag der englischen Fassung war allerdings nicht vorgesehen und wurde auch nirgendwo unternommen. Zudem war die englische Fassung ebenso wie die deutsche von einem Vorabdruck in der Presse ausgenommen. Freiligrath erklärte sich gern bereit und war stolz darauf, ein entsprechendes Festlied für die Schillerfeier in Amerika zu verfassen.960 Das »Festlied der Deutschen in Amerika« traf Mitte Oktober 1859 in Philadelphia ein und wurde von dort an alle dem Allgemeinen Komitee bekannten Schillerkomitees in Nordamerika versandt. Nicht berücksichtigte Komitees wurden gebeten, sich in Philadelphia zu melden, um nachträglich in die Verteilerliste aufgenommen zu werden.961 Da die Zeit für eine musikalische Bearbeitung inzwischen zu weit fortgeschritten war, musste der Vortrag per Deklamation erfolgen. Ein zeitgleiches Absingen des Festliedes war damit unmöglich geworden, die gewünschte synchrone Gesangs-Performance der deutsch-amerikanischen Gemeinschaft nicht mehr in der gewünschten Form möglich. Dennoch wurde das »Festlied der Deutschen in Amerika« zu einem zentralen Festelement der Schillerfeiern in Nordamerika. Fast überall wurde es in die Festprogramme aufgenommen, meist an zentraler Stelle und in Verbindung mit der Enthüllung und Bekränzung der Schillerbüste. In seinem Festlied beschreibt Freiligrath die Deutschen in Amerika als eine besondere, eigenständige Gruppe in dem »großen deutschen Reigen, der jubelnd heut sich um die Erde schlingt!«. In der weltweiten Gemeinschaft der innerlich, im Geiste, miteinander verbundenen Deutschen, sieht Freiligrath die deutschen Auswanderer in den Vereinigten Staaten als »freiste Vorhut«, da sie im Land der Freiheit oder »Zukunftsland« bereits über die demokratischen und republika-

958 Philadelphia Demokrat, 21. Oktober 1859, S. 2. 959 Ebd. 960 Dies erklärte Freiligrath in einem Brief an Theodor Eichmann kurz nach Fertigstellung des Festliedes. Wilhelm Buchner (Hg.): Ferdinand Freiligrath. Ein Dichterleben in Briefen, Lahr 1882, Bd. 2, S. 342. 961 Diese Möglichkeit nutzte beispielsweise das Komitee in St. Louis, das in seiner Sitzung am 26. Oktober beschloss, sich wegen des Gedichtes an das Komitee in Philadelphia zu wenden. Nachdem es eingetroffen war, wurde am 5. November beschlossen, eine Kopie an das Komitee in Belleville weiterzuleiten.

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nischen Freiheiten und Institutionen verfügten, die in den deutschen Staaten noch immer nicht erreicht waren. Friedrich Schiller wird als Dichter der Freiheit und Menschlichkeit vorgestellt, als rastloser Kämpfer in seinem Schaffen, der nach seinem Tod nicht vergessen wurde, sondern zum Volksdichter aufstieg. Schiller, der »zweimal deutschen Fechtern Mut in die Brust gesenkt« – in den sogenannten Befreiungskriegen gegen Napoleon und während der Revolution von 1848/49 –, wird hier zum geistigen Vater der nationalen Befreiung und der demokratischen Erhebung in der Revolution erklärt. Als solcher ist er geographisch nicht auf die deutschen Territorien in Europa festgelegt und wurde, als die Revolutionäre sich nach dem Scheitern ihrer Erhebung in das Exil oder die Emigration begaben, zum geistigen Begleiter und Teil ihres kulturellen Gepäcks: »Und ist mit uns auch übers Meer gefahren / Und lebt mit uns im Lande unsrer Wahl!« lässt Freiligrath die Emigranten ausrufen und betont damit die anhaltende Verbindung der Auswanderer mit dem gefeierten Dichter und über ihn auch mit der deutschen Kultur und der alten Heimat. Diese zentralen Zeilen boten sich für den möglichst effektvollen Vollzug der Enthüllung oder Krönung der Schillerbüste geradezu an und wurden auch in Philadelphia entsprechend genutzt. In dem Moment, in dem Kellner sie aussprach, ertönte das Läuten einer Glocke und die Tücher zwischen den Säulen des Triumphbogens fielen nieder und gaben unter großem Jubel des Publikums die Sicht auf die bekränzte Schiller-Statue frei.962 Freiligrath sah den Freiheitsdichter, der in der Schillerfeier in Amerika seine Wiedergeburt feiere, aber nicht einfach als Erinnerungsstück oder passives Mitbringsel der Emigranten: »Und wird uns heute neu in ihm geboren Und tritt uns festlich, der Erhabne, nah Und wandelt hoch in deinen freien Toren, – Dein Bürger auch, Amerika! Hall’ aus, o Lied! Wir neigen uns, wir schweigen! Seht hin, er schreitet mit Erobrerschritt! Er macht dies Land, dies Zukunftsland, sein eigen Und schafft und baut an seiner Zukunft mit!«

Schiller eignet sich die neue Welt aktiv an, er wird zum Bewohner, zum aktiven Bürger des Land of the Free. Wie die deutschen Einwanderer selbst, hat Schiller der neuen Heimat etwas zu bieten und zu geben und leistet seinen Beitrag zur Gestaltung der Vereinigten Staaten als Land der Zukunft. In dieser Zukunft werden sich die Deutschen nach Freiligrath ihre kulturelle Besonderheit erhalten

962 Philadelphia Demokrat, 11. November 1859, S. 2.

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haben, so dass auch zu Schillers 200. Geburtstag Schillerbüsten durch die Urenkel der gegenwärtig Feiernden bekränzt würden.963 Die Zeitungen beschreiben die Reaktionen des Publikums auf das Festlied durchweg als positiv bis enthusiastisch. Freiligrath war es offenbar gelungen, den Nerv der Deutsch-Amerikaner zu treffen, die sich in seinem Gemeinschaftsangebot aufgehoben fühlten. In St. Louis kam das Festlied bei der Westlichen Post allerdings nicht besonders gut an. Es sei weit hinter dem Ruf und den früheren Leistungen Freiligraths zurückgeblieben und habe der Festgemeinde nicht entsprochen. »Zuweilen schläft eben sogar Homer«, brachte die Post ihre Enttäuschung auf den Punkt und ergänzte, man hätte »denken sollen, dass die gewaltige Kraft von Herakles-Freiligrath sich gerade bei dieser Gelegenheit am wenigsten Zeit genommen hätte, zu rasten.«964 Von dem Londoner Schillerfest-Gedicht Freiligraths, das der Westlichen Post erst Anfang Dezember zuging, zeigte sie sich hingegen begeistert. »Durch dieses ursprüngliche Schillergedicht von Freiligrath wird es uns erklärlich, warum das für Amerika verhältnismäßig so schwach ausfallen musste. Kein Künstler der Welt kann denselben Gegenstand verschiedene Male gleich gelungen behandeln. […] Durch Wiederholung erschöpft sich jede poetische Kraft.«965

Die Kultur-Mission der Deutschen Die Gemeinschaft der Deutschen in Amerika wurde nicht nur in Freiligraths Gedicht adressiert und besungen, auch die deutschsprachige Presse reflektierte über die Deutsch-Amerikaner als besondere Teilgruppe in der weltweiten Festgemeinschaft der Deutschen. Als erstes deutsches Nationalfest seit dem Beginn der Massenauswanderung sollte die Schillerfeier der ganzen Welt zeigen, wie zahlreich die Deutschen überall auf dem Globus seien. Die Schillerfeier war eine Möglichkeit, diese Gemeinschaft zu propagieren und nach außen zu demonstrieren und zugleich den hohen Wert der deutschen Kultur – und darüber der Deutschen selbst – an die Amerikaner zu vermitteln. Das ging bis zur Selbstüberhöhung und zur Behauptung einer deutschen Mission zur Verbreitung von (Hoch-)Kultur auf der Welt: Die deutsche Nation, kommentierte etwa der Philadelphia Demokrat, habe das Erbe der Griechen in 963 Das Festlied wurde in fast allen deutschen Zeitungen in Nordamerika abgedruckt und findet sich auch in Karl Tropus: Schiller-Denkmal, Berlin 1860 , Bd. 2, S. 782 – 783. 964 Westliche Post, 10. November 1859, S. 3. 965 Ebd., 7. Dezember 1859, S. 3. Tatsächlich war das Londoner Gedicht entgegen der hier geäußerten Vermutung die spätere Schöpfung des Dichters. Freiligrath hatte das Londoner Festlied erst im Oktober gedichtet. Vgl. Kapitel 3.2.

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Kunst und Wissenschaft an sich genommen und die Mission, »dieses unser Erbtum mit uns aus dem modernen Griechenland, aus Deutschland, hinaus zu tragen in alle Welt, in alle Kolonien deutscher Zunge und deutscher Abstammung«.966 Es gehe darum, »die Welt zu erfüllen« mit den Werken der deutschen Dichter, Philosophen, Gelehrten, Musiker, Bildhauer und Maler967, schließlich sei die deutsche Kultur in »Intelligenz und Kunstsinn allen anderen Völkern überlegen«.968 Die Schillerfeier solle ein »Fest der Wiedergeburt Deutschlands und der deutschen Nation« werden und zur »festen Begründung ihrer ewigen Herrschaft auf dem Gebiet der Kultur und Humanität als Vorbild aller Nationen« beitragen.969 Am 9. November schließlich trieb der Demokrat den missionarischen Gedanken noch ein gutes Stück weiter : »Wenn deutsche Bildung und deutsche Kunst auch außerhalb Deutschlands einen hoch geachteten Platz einnimmt – wenn ihr Einfluss ununterbrochen an Macht gewinnt, wenn wir selbst als die Vertreter deutscher Kultur in unserm neuen Adoptiv-Vaterland der Anerkennung und Herrschaft derselben Bahn brechen können – die Muse Schillers sei dafür unser erster glänzender Leitstern. Und in diesem Zeichen werden wir siegen!«970

Und nach der Feier hoffte der Demokrat, dass die »Deutschen Amerikas in der Erkenntnis dieser ihrer hohen Mission durch die Feier des Schillerjubiläums wiederum einen Schritt vorwärts getan […] Die Früchte und Resultate davon werden sich bald genug offenbaren.«971 Das Sonntagsblatt der Freien Presse war überzeugt, dass es den Deutschen durch die Feier gelungen sei, sich »unter den eingeborenen Amerikanern Achtung und Anerkennung zu verschaffen«. Schiller werde dazu beitragen, den Weg zu bahnen zur »vollständigen Anerkennung der Gleichberechtigung des Deutschtums in Amerika, mit dem jetzt noch übermächtigen, uns erdrückenden Anglosachsentum«.972 Es ging in der Schillerfeier also zu einem wesentlichen Teil um die Selbstbehauptung der Deutschen als Kollektiv, als eine kulturelle Gemeinschaft, deren Differenz in einem englischsprachigen Umfeld durch die Sprache unmittelbar sichtbar wurde und die in Fragen wie der Sonntagsruhe oder Temperenz mit der angloamerikanischen Gesellschaft im Clinch lag. Bei aller Differenz war die 966 967 968 969 970 971 972

Philadelphia Demokrat, 14. November 1859, S. 2. Ebd. Ebd., 8. November 1859, S. 2. Ebd. Ebd., 9. November 1859, S. 2. Ebd., 14. November 1859, S. 2. Sonntagsblatt der Freien Presse, 20. November 1859. »Manche Vorurteile sind dadurch beseitigt, manche Schranken niedergebrochen worden«, heißt es weiter.

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deutsche »Gemütlichkeit« als gesellige Vergemeinschaftungspraxis ein kultureller Identitätskern der Deutschen in Amerika und wurde bei Angriffen von Außen auch gemeinschaftlich verteidigt. Die Erhaltung des Deutschen vor allem in der Sprache wurde ein zunehmend vorgetragenes Anliegen der Deutschen und drückte sich auch in Forderungen nach deutschen Schulen, zumindest aber der Aufnahme von Deutschunterricht an den allgemeinen Schulen aus. Hinter dieser Forderung, die hier als Mission überhöht wird, standen oft Akademiker, die als Lehrer, Schriftsteller, Verleger oder Journalisten ein unmittelbares auch ökonomisches Interesse an der Erhaltung eines Marktes für ihre Produktion interessiert waren, die ihnen ja auch den Lebensunterhalt sicherte. Die Entscheidung über die Bewahrung der deutschen Kultur und ihre Behauptung gegen den Assimilierungsdruck der neuen Heimat wurde nicht als autonome Entscheidung des Individuums über seine kulturellen Praktiken gesehen, sondern dem Kollektiv der Deutschen übertragen. Streit und Uneinigkeit können dann allerdings zum Symbol für die Fragmentierung des Kollektivs werden, wodurch die kulturelle Einheit und damit auch die Chancen auf den Erhalt der Kultur selbst gefährdet würden. Da beides unter den deutschen Emigranten aber weit verbreitet war, wimmelte es in der Kommentierung des Festgeschehens allerorts von Einheitsforderungen vor der Feier und entsprechenden Erfolgsmeldungen im Anschluss an die Festivitäten. Diese Einheitsforderungen waren im Vorfeld der Feiern vor allem Appelle an das deutsche Publikum, während sie im Nachhinein die tatsächliche Fragmentierung und Friktion der deutschen Einwanderer verdeckten. Schon Ende Oktober hatte das Sonntagsblatt der Freien Presse verkündet, dass die vielerorts vorhandenen Streitereien und Zwistigkeiten unter den Organisatoren endlich überwunden seien, nachdem mancherorts sogar die Feier selbst gefährdet war. Der 10. November solle nun »den Anfang bilden zu einer neuen Ära der Einigkeit, des Zusammenhaltens, der Bewahrung der deutschen Nationalität – das wird die edelste Feier des Tages sein!«973 Und nach der Feier war es für den Demokraten ebendiese Einheit »des gesamten deutschen Bevölkerungselements in den Vereinigten Staaten«, durch die es gelungen sei, »an allen Orten die allgemeinste Aufmerksamkeit unserer Englisch redenden Mitbürger auf sich zu ziehen«.974 In der Schillerfeier sei es sogar gelungen, den Amerikanern Kernbestände des deutschen Wesens zu vermitteln, worunter im Wesentlichen »die angestammte ererbte deutsche Bildung« zu verstehen sei, die durch Schiller repräsentiert werde.975

973 Sonntagsblatt der Freien Presse, 23. Oktober 1859, S. 8. 974 Philadelphia Demokrat, 14. November 1859, S. 2. 975 Ebd., 14. November 1859, S. 2.

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In diesem Sinne hatte das Schillerkomitee kurzfristig noch ein »Kinderfest« am 11. November in der Arbeiterhalle in der Dritten Straße organisiert, das den offiziellen Abschluss der dreitägigen Schillerfeier in Philadelphia bildete.976 Die Dekoration aus der Academy wurde hier erneut verwendet und das Programm glich weitgehend dem großen Festkonzert am Abend zuvor. Die Sonntagsschule des Arbeiterbundes, die deutsche Volksschule, die deutsch-englisch-französische Schule und die Schule der Freien Gemeinde sowie gut 500 Schüler aus anderen Schulen nahmen an diesem Fest teil. Philipp Haimbach schrieb ein Gedicht für den Anlass, das Schiller als Vorbild pries und den Kindern nahe legte, sich darüber zu freuen, Deutsche zu sein, und die deutsche Sprache zu lieben.977 Und auch Dr. Kellner ermahnte die Schüler in seiner kurzen Festrede, als Amerikaner stets immer auch Deutsche zu bleiben. Scheinbar hielt es das Schillerkomitee für nötig, auch dem eigenen Nachwuchs den Wert der deutschen Sprache und Kultur noch einmal nachdrücklich vor Augen zu führen. Die »deutsche Kultur-Mission« in der Schillerfeier zielte insofern nicht nur auf die Amerikaner als Außenstehende, sondern vor allem auch auf die eigene Gruppe, die in ihrem Fortbestand und für die Zukunft keineswegs als so gesichert empfunden wurde, wie es Freiligrath in seinem Festlied zum Ausdruck gebracht hatte.

Medialer Festraum Mit dem Freiligrath-Festlied hatte das Allgemeine Komitee in Philadelphia die Vernetzung der nordamerikanischen Schillerfeier befördert und ein Festelement bereitgestellt, das bei aller Unterschiedlichkeit der Einzelfeiern zumindest eine Gemeinsamkeit in den Festprogrammen sicherstellte (eine zweite war die Aufführung von Andreas Rombergs »Glocke«). Durch den Versand des Gedichts an die bekannten Schillerkomitees in der Union war den Festorganisatoren in Philadelphia zudem schon frühzeitig bekannt, dass es Dutzende Städte gab, in denen Schillerfeiern vorbereitet wurden. In der Festvorberichterstattung schlug sich diese Kenntnis allerdings nicht nieder, hier überwogen die Berichte aus den deutschen Staaten Europas.978 Erst nach dem Ende der Festlichkeiten widmete sich der Demokrat den amerikanischen Schillerfeiern außerhalb Philadelphias. Am 11. November 976 Ankündigung im Philadelphia Demokrat, 10. November 1859, S. 2. 977 Ebd., 12. November 1859, S. 3. 978 Der Demokrat berichtete lediglich von den Festvorbereitungen in Milwaukee. Die Vorberichte aus Europa berücksichtigten hingegen die Festplanungen in Berlin, Weimar, Frankfurt, Stuttgart, Marbach, Hannover, Paris und der Schweiz. Vgl. Philadelphia Demokrat, 7. Juli 1859, 6., 17., 19., 24. und 31. Oktober 1859, 8. und 9. November 1859. Während der Festwoche kam noch Bremen hinzu. Philadelphia Demokrat 12. November 1859.

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veröffentlichte er zunächst eine Liste mit den 72 Städten in den Vereinigten Staaten, in die das Festlied aus Philadelphia versandt wurde (s. Abb. 6).979 Wenige Tage später erhöhte die Redaktion die Zahl der Feststädte auf über 100.980

Abb. 6: Schillerfest-Vereine in der Union981

979 Philadelphia Demokrat, 11. November 1859, S. 3. 980 Ebd., 14. November 1859, S. 2. 981 Westliche Post, 15. November 1859.

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Eine Berichterstattung aus allen Festorten war unmöglich und so beschränkte sich der Demokrat auf eine repräsentative Auswahl großer, mittlerer und kleiner Städte, um den Lesern eine Vorstellung von dem überall begangenen Dichtergeburtstag zu vermitteln. Um die Dimension der deutsch-amerikanischen Schillerfeier zu verdeutlichen, griff die Zeitung zu Verallgemeinerungsformeln, die eine Allgegenwärtigkeit der Festaktivitäten zum Ausdruck brachten: »Nach allen Nachrichten aus den nächsten wie aus den entferntesten Städten und Städtchen der Union gibt es keinen Ort von einiger Bedeutung mit einer deutschen Bevölkerung, in welchem nicht ein Schillerfest gefeiert wurde.«982 Aus den deutschen Wechselblättern wurden einzelne Festberichte übernommen und zum Teil zusammengefasst. Allein am 15. November legte der Demokrat Festberichte aus 16 Städten vor, unter ihnen New York, Pittsburgh, Baltimore, Cincinnati und Chicago, allesamt Städte mit bedeutenden deutschen Communities.983 Zwei Tage später folgten sechs weitere Festberichte, darunter auch Cleveland und St. Louis, tags drauf folgte der Festbericht aus Milwaukee.984 Nachdem die großen Städte abgehandelt waren, folgten Festbeschreibungen aus mittleren Städten wie Burlington oder Davenport. Am 23. und 29. November schließlich wurde die Festberichterstattung aus der Union beschlossen mit Berichten von insgesamt zehn exemplarischen Schillerfeiern in kleineren Ortschaften.985 Insgesamt berücksichtigte der Demokrat in seiner Festberichterstattung 38 Städte in den Vereinigten Staaten. Die bis zu einer halben Spalte umfassenden Einzelberichte nahmen dabei einen erheblichen Anteil des insgesamt zur Verfügung stehenden redaktionellen Raums in Anspruch. Durch die Aufnahme aller wichtigen deutschen Communities in den Großstädten und einer Vielzahl von mittleren und kleineren Ortschaften gelang es dem Demokraten, ein Bild größtmöglicher Allgemeinheit in der regionalen Verteilung der Festteilnahme zu vermitteln. Die Festberichte zählten die – einander oft sehr ähnlichen – Höhepunkte der Feiern auf und behandelten dabei alle Festaktivitäten an einem Ort als Elemente einer städtischen Gesamtfeier. Unabhängig von Differenzen und Streitereien in der Festplanung oder der tatsächlichen Teilnahme erschienen die Feiern in der medialen Berichterstattung zumeist als einträchtige Vergemeinschaftung der Deutschen im Fest und vermittelten so neben der Allgemeinheit in der geo-

982 983 984 985

Ebd. Ebd., 15. November 1859, S. 2. Ebd., 17. November 1859, S. 2, 18. November 1859, S. 2. Ebd., 26. November 1859, S. 3, 29. November 1859, S. 2.

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graphischen Verteilung auch das Bild gemeinschaftlichen Feierns unter Beteiligung aller Deutschen. In der Berichterstattung des Demokraten konstituierte sich in den Tagen nach der Schillerfeier ein eigenständiger nordamerikanischer Festraum, als dessen gemeinsame Elemente das Festlied von Ferdinand Freiligrath, die Verpflichtung englischsprachiger Festredner, die Verbindung der deutschen Trikolore mit den Stars and Stripes und musikalisch-deklamatorische Programminhalte aufgeführt wurden, deren Umfang und Qualität von der Größe der jeweiligen deutschen Gemeinschaft abhängig waren. Der nordamerikanische Nachrichtenraum beförderte die Konstituierung dieses eigenständigen amerikanischen Festraums. Da die technischen Bedingungen der Nachrichtenübermittlung zwar eine zeitnahe Berichterstattung von allen Schillerfeiern der Union ermöglichten, die transatlantische Berichterstattung jedoch nur mit zeitlicher Verzögerung erfolgen konnte, beschränkten sich die Festberichte unmittelbar nach dem Ende der Festwoche notwendigerweise zunächst auf Nordamerika und ließen die Feiern in den deutschen Staaten außen vor. Die deutschen Zeitungen und Zeitschriften mit ihrem Wechselblattsystem sorgten für einen regelmäßigen Austausch von Nachrichten aus den deutschen Communities. Jeder Ort, der über mindestens eine deutsche Tages- oder Wochenzeitung verfügte, war in dieses Nachrichtennetzwerk eingebunden. Die Berichterstattung über die jeweils eigene lokale Feier wurde auf diese Weise an die Feiernden andernorts übermittelt und dadurch zum Bestandteil eines medialen Mosaiks, das in der Gesamtschau der Schillerfeiern in Nordamerika das Bild der nordamerikanischen Schillerfeier im Kollektiv-Singular ergab. Es ist nicht überraschend, dass Moritz Meyers Sonderheft zur nordamerikanischen Schillerfeier, das ausdrücklich für den Versand nach Europa empfohlen wurde, in New York erschien und von dort auch über den Atlantik verschifft wurde. Über New York lief auch 1859 noch die traditionelle transatlantische Nachrichtenübermittlung per Schiff – ein funktionierendes Telegrafenkabel stand noch immer nicht zur Verfügung, auch wenn es bereits erfolgreiche Versuche zur telegrafischen Verbindung der Kontinente gegeben hatte. Die damit einhergehende Zeitverzögerung führte in der Berichterstattung dazu, dass Nachrichten drei Wochen oder mehr benötigten, um an ihr Ziel zu gelangen. Dies bedeutete, dass den amerikanischen Lesern am 10. November lediglich der Stand der Festvorbereitungen in den deutschen Staaten aus der dritten, maximal vierten Oktoberwoche vorgelegt werden konnte. Vom Verbot des Festzuges in Berlin etwa erfuhren die Leser in Amerika erst nach dem Ende der amerikanischen Schillerfeiern. Nach der umfangreichen Festberichterstattung aus Nordamerika beschränkte sich die Redaktion des Demokraten bei den europäischen Schiller-

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feiern auf einige wenige Städte und verwies auf die Spalten der wöchentlichen Vereinigte Staaten Zeitung, in der zusammenfassende Berichte zu finden seien.986 »Eine gute Anzahl unserer Leser sind es gewiss herzlich müde, noch mehr über die Schillerfeier zu hören, nachdem die Besprechungen der Vorbereitungen und später der einzelnen Feste in den Vereinigten Staaten schon in allen deutsch-amerikanischen Zeitungen einen so ansehnlichen Raum eingenommen haben«, entschuldigte sich der Demokrat bei seinen Lesern. Angesichts der hohen politischen Bedeutung vor allem für das »alte Vaterland« sei es aber notwendig, diese zu besprechen: Die europäische Schillerfeier sei dort alles in allem ein Protest gegen die von den Fürsten propagierte Zwietracht gewesen. Ihre zentrale Botschaft liege in der Bekundung des Einigkeitswillens der Deutschen auch und gerade angesichts der politischen Verwerfungen, die während des Italienischen Krieges zu beobachten waren. Die zentrale Botschaft des Protestes sei: »Und wir sind doch ein Volk von Brüdern einer großen Nation und wollen es auch in der Tat sein wie wir es jetzt sind durch gemeinsame Bildung und Abstammung. Und dass wir es werden, Bürge dafür sei die allgemeine Feier für Schiller.«987

New York Die New Yorker Schillerfeier hebt sich unter verschiedenen Gesichtspunkten von den anderen nordamerikanischen Jubiläumsfesten ab. Hier gelang es den Festorganisatoren, ein hoch spezialisiertes Festkomitee aufzustellen, das vor allem im Bereich der künstlerischen Abteilungen eine große Zahl professioneller Künstler vereinen konnte. Deren Beteiligung ermöglichte eine vergleichsweise hohe künstlerische Qualität der Feier, vor allem im musikalischen Bereich. Trotz des hohen deutschen Bevölkerungsanteils in New York und einer relativ dichten und geschlossenen Ansiedlung – der größte Teil der deutschen Einwanderer lebte vor dem Bürgerkrieg östlich der Bowery und südlich der 14. Straße im sogenannten Kleindeutschland – gab es in New York allerdings keinen öffentlichen Fest- oder Fackelzug. Sämtliche vom Schillerkomitee auf das Programm gesetzte Veranstaltungen fanden in geschlossenen Räumen statt und waren an die Entrichtung von Eintrittspreisen gebunden. Auch das »Festlied der Deutschen in Amerika« schaffte es in New York nicht in das offizielle Festprogramm. Das New Yorker Komitee veranstaltete hingegen einen eigenständigen Dicht-

986 Für die zweite Jahreshälfte 1859 ließen sich keine überlieferten Ausgaben dieser Zeitung auffinden. 987 Philadelphia Demokrat, 13. Dezember 1859, S. 2.

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Wettbewerb zum Schillerfest, aus dem der deutsch-amerikanische Autor Reinhold Solger aus Boston als Sieger hervorging.

Die Bevölkerung von »Kleindeutschland« Gemessen an der deutschen Einwohnerzahl war New York 1859 die fünftgrößte deutsche Stadt der Welt. Die 119.884 Einwohner New Yorks, die der Census von 1860 als Einwanderer aus deutschen Staaten auswies, stellten einen Anteil von rund 15 Prozent an der städtischen Gesamtbevölkerung.988 Ein Großteil der New Yorker Deutschen wohnte vor dem Bürgerkrieg in einem zusammenhängenden Gebiet, das von den Amerikanern als »Dutchtown«, von seinen Bewohnern »Kleindeutschland« genannte wurde. Kleindeutschland umfasste große Teile des eher von Handel und Gewerbe geprägten 10. Bezirks, die ärmlichen, dicht besiedelten und von Schiffbau und Schlachthäusern dominierten Bezirke 11 und 13 am East-River und den moderneren, eher wohlhabenden 17. Bezirk, der im Westen an die Bowery grenzte. Kleindeutschland erstreckte sich somit vom East River bis zur Bowery und von der Division Street im Süden bis hinauf zur 14. Straße und vereinte bis zum Bürgerkrieg deutsche Einwanderer aller Sozialschichten und Religionen aus den verschiedensten deutschen Staaten Europas. Der größte Teil von ihnen – gut ein Drittel – stammte aus Bayern, aus Preußen kamen 21,8 Prozent. Der Anteil der Zuwanderer aus Hessen-Nassau lag bei 18,4 Prozent, gefolgt von Baden mit 15,1 Prozent und Württemberg mit 10,9 Prozent.989 Die regionale Herkunft der deutschen Einwanderer blieb auch in New York – neben Religion und später zunehmend Klassenzugehörigkeit – ein wesentliches Unterscheidungskriterium. »German particularism did not end with the voyage across the Atlantic or with the choice of an American city«, kommentiert Stanley Nadel den Umstand, dass Wohnlage, Berufsstand und Sozialkontakte der Deutschen in New York vielfach von der regionalen Herkunft abhängig waren.990 Preußen und Bayern etwa gingen sich in New York schon bei der Wahl des bevorzugten Wohnquartiers aus dem Weg. So wurde der von preußischen Einwanderern bevorzugte 10. Bezirk von bayerischen Emigranten 988 Der Census erfasste lediglich die in den deutschen Staaten Europas geborenen Einwohner als deutsche Einwanderer, ihre in Amerika geborenen Kinder wurden nicht als Deutsche gezählt. Stanley Nadel hält deshalb die Zahl der Deutschen für zu niedrig beziffert. Unter Einbeziehung der bereits in Amerika geborenen Nachfahren schätzt Nadel deren Zahl für 1860 auf insgesamt 200.394 in New York City und 257.162 in der Metropol-Region New York (Nadel S. 42). Auf der Grundlage dieser Schätzung steigt New York bei ihm zur drittgrößten deutschen Stadt nach Wien und Berlin auf. Stanley Nadel: Little Germany. Ethnicity, Religion, and Class in New York City 1845 – 1880, Urbana 1981, S. 1. 989 Nadel, S. 25. 990 Ebd., S. 39.

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weitgehend gemieden. Sie ließen sich vorwiegend in Straßenzügen mit möglichst niedrigem preußischem Bevölkerungsanteil nieder.991 Auch die Berufstätigkeit hing zum Teil mit der regionalen Herkunft zusammen. Vor dem Bürgerkrieg stammte ein so großer Anteil der deutschen Lebensmittelhändler New Yorks aus dem norddeutschen Raum, dass sich das Stereotyp des plattdeutschen Lebensmittelhändlers verbreitete. Ebenfalls aus dem Norden stammte ein großer und im Verlauf des Jahrhunderts noch zunehmender Teil der Geistlichen, während etwa die dominierende Herkunftsgruppe bei den deutschen Schuhmachern zwischen Hessen, Badenern und Württembergern wechselte.992 Schon Moritz Meyer, Herausgeber der New Yorker Handelszeitung, beschrieb in seiner nicht zuletzt für den deutschen Markt in Europa bestimmten Sonderpublikation zur amerikanischen Schillerfeier regional bedingte Unterschiede und Differenzen in der deutschen Einwanderergemeinde New Yorks, wobei sich hauptsächlich die »Platt-« oder »Norddeutschen« und die »Schwaben« oder »Süddeutschen« gegenüberstünden. Während die protestantischen Norddeutschen, die überwiegend als Vertreter der größeren deutschen Handelsfirmen tätig seien, sich schneller, leichter und engagierter in die amerikanische Gesellschaft integrierten, bereite den kulturell weniger integrationsbereiten Süddeutschen, überwiegend Handwerker und Arbeiter, schon ihr provinzieller Dialekt beim Erlernen der englischen Sprache größere Schwierigkeiten. Dafür sei das gesellige Leben der deutschen Bevölkerung in New York eindeutig von den Süddeutschen geprägt und finde seinen Ausdruck in der großen Zahl von Bier- und Weinwirtschaften sowie der lebendigen Vereins- und Festkultur.993 Tatsächlich waren auch in New York viele deutsche Einwanderer als Handwerker tätig. Seit Mitte der 1850er dominierten sie bei den Schneidern, Stiefelund Schuhmachern, den Möbelschreinern und Polsterern sowie den Bäckern, Tabakhändlern, Brauern und Schnapsbrennern. In diesen Berufszweigen stellten deutsche Einwanderer einen Anteil von je über 50 Prozent, und auch unter den Schreinern, Tischlern und Zimmermännern waren sie stark vertreten.994 Einigen Handwerkern und Händlern gelang in New York der soziale Aufstieg, sie wurden selbst zu Arbeitgebern oder sogar Fabrikbesitzern. Im Möbelbau und besonders in der Klavierherstellung machten sich deutsche Firmen wie Steinway einen Namen und trieben die Professionalisierung der Produktion voran. Aus diesen Kreisen erwuchs seit der Jahrhundertmitte eine neue deutsch-amerikanische Wirtschaftselite, die – zunächst noch in Kleindeutschland – eigene, ex991 992 993 994

Ebd., S. 37 – 39. Ebd., S. 67. Meyer 1859, S. 2. Nadel, S. 63.

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klusive Vereine und Gesellschaften bildete und sich sozial, seit den 1860er Jahren dann auch zunehmend räumlich, durch einen Umzug ganzer Familien nach Uptown, von den unteren sozialen Schichten der deutschen Bevölkerung New Yorks abgrenzte.995 Auf der anderen Seite verloren viele deutsche Handwerker in den Wirtschaftskrisen der 1850er Jahre ihre Selbständigkeit und mussten fortan als Lohnarbeiter ihr Auskommen finden. Seit den 1850ern bildete sich in der deutschen Community New Yorks eine Klassengesellschaft heraus, die in den 1860ern und 70ern zur vollen Entfaltung kam und zu harten Auseinandersetzungen zwischen einer wachsenden und stärker werdenden Arbeiterbewegung und einer wohlhabenden deutschen Wirtschaftselite führte. Unternehmer und Arbeitgeber schlossen sich seit den 1860ern ebenfalls organisatorisch zusammen und traten den Gewerkschaften in den Auseinandersetzungen um Lohnsteigerungen und Arbeitszeitbegrenzungen seither entschlossen und vereint entgegen.996

Deutsche Printmedien in New York Die aufstrebende deutsche Wirtschaftselite fand ihren medialen Fürsprecher und Unterstützer in Oswald Ottendörfer (1826 – 1900), dem Redakteur und Eigentümer der demokratischen New Yorker Staatszeitung. Der in Zwittau geborene Ottendörfer hatte in Europa als Freiwilliger in Schleswig-Holstein gekämpft, an der Verteidigung Wiens teilgenommen und sich auch in Leipzig an den Revolutionskämpfen beteiligt. Seine Flucht führte ihn 1850 nach New York, wo er 1851 bei der Staatszeitung eine Stellung bekam und einen schnellen Aufstieg erlebte. Seit 1858 leitender Redakteur, heiratete er 1859 die Witwe des ehemaligen Herausgebers, Anna Uhl, und wurde damit zum Eigentümer der Staatszeitung, deren Aufstieg zur führenden deutschsprachigen Zeitung mit Wirkung und Bedeutung weit über New York hinaus in die Zeit seiner Herausgeberschaft fällt. Bereits 1857 erreichte die tägliche Staatszeitung, die auch in einer wöchentlichen und einer sonntäglichen Ausgabe erschien, eine Auflage von gut 15.000 Exemplaren.997 Politisch standen Zeitung und Herausgeber im 995 Ebd., S. 157; vgl. auch Meyer 1859, S. 2, der schon für 1859 feststellt, dass die wohlhabenderen und gebildeteren Deutschen und vor allem die reichen Kaufleute in der ganzen Stadt verstreut wohnten, während sich das öffentliche Bild von den Deutschen vor allem aus den Vierteln Kleindeutschland speise, wo die kleinen Handwerker und Arbeiter sowie große Armut das Stadtbild prägen. 996 Ebd., S. 122 – 154. Siehe auch Agnes Bretting: Soziale Probleme deutscher Einwanderer in New York City 1800 – 1860, Wiesbaden 1981. 997 Arndt/Olsen S. 397, 399 – 400, 409.

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Lager der Demokraten, die unter den New Yorker Deutschen bis zum Bürgerkrieg auch in Wahlen immer die meisten Stimmen auf sich vereinen konnten.998 Nach eigenen Angaben hatte die New Yorker Staatszeitung anlässlich des Burns-Jubiläums im Januar 1859 zuerst vorgeschlagen, auch in New York eine Schillerfeier abzuhalten. Diese Idee sei dann von der New Yorker Illustrite und Familienblätter ausführlich besprochen und beworben worden.999 Die deutschsprachige Zeitungslandschaft in New York war Ende der 1850er Jahre bereits stark diversifiziert und galt als die bedeutendste Ausländer-Presse der Stadt.1000 Neben der New Yorker Staatszeitung gab es im Herbst 1859 zwei weitere deutschsprachige Tageszeitungen, den republikanischen New Yorker Demokrat und die New Yorker Abendzeitung, die beide auch in einer wöchentlichen Ausgabe erschienen.1001 Die von Moritz Meyer wöchentlich herausgegebene New Yorker Handelszeitung war spezialisiert auf Wirtschaftsnachrichten, verfügte aber auch über einen lokalpolitischen und gesellschaftlichen Teil.1002 Als Organ der freien Arbeiter erschien daneben die Sociale Republik, die von Wilhelm Kopp ediert und vom New Yorker Arbeiterbund herausgegeben wurde.1003 Religiöse und Kirchen-Themen diskutierte Heinrich Ludwigs zweiwöchentlicher Lutherischer Herold – Ein literarisches Blatt für Kirche und Haus.1004 Als römisch-katholisches Wochenblatt erschien die Katholische Kirchenzeitung.1005 Mehr auf Unterhaltung setzte die von Rudolf Lexow (1823 – 1909) herausgegebene New Yorker Criminal-Zeitung & Belletristisches Journal, die, ähnlich wie die Staatszeitung, einen weit über New York hinausreichenden Bekanntheits- und Verbreitungsgrad unter den deutschen Einwanderern in der Union hatte.1006 Daneben erschienen 1859 in New York zwei deutschsprachige Illustrierte Zeitungen, die bereits genannte New Yorker Illustrirte Zeitung und Familienblätter 998 Anders als in den deutschen Communities des Mittleren Westens erreichte Lincoln in Kleindeutschland gerade einmal halb so viele Stimmen, wie sein demokratischer Gegenkandidat. Nadel, S. 135 – 136. 999 Wochenblatt der New Yorker Staats-Zeitung, 8. Oktober 1859, S. 3; New Yorker Illustrirte und Familienblätter, 4. November 1859, S. 52. Vgl. Cincinnati Volksfreund, 20. April 1859, S. 2. 1000 Bretting 1981, S. 135. 1001 Leider sind weder die Tages- noch die Wochenausgaben dieser Zeitungen für 1859 überliefert. Vgl. Arndt/Olsen S. 334, 342, 346, 369 – 70, 410. Zum Demokraten siehe Eintrag New Yorker Herold: Morgenblatt. Die Sonntagsausgabe lief unter dem Titel Beobachter am Hudson. Zeitweise arbeitete der Redakteur der Socialen Republic, W. Kopp, auch für den Demokraten. Die Sonntagsausgabe der Abend-Zeitung erschien unter dem Titel Atlantische Blätter. Einer ihrer Redakteure war Friedrich Kapp. Arndt/Olson S. 334. 1002 Arndt/Olson, S. 368. 1003 Ebd., S. 398. 1004 Ebd., S. 379 – 380. 1005 Meyer 1859, S. 13. Arndt/Olson S. 376. 1006 Arndt/Olsen, S. 345 – 346.

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von Carl Hallberger (1823 – 1890) und die deutsche Ausgabe von Frank Leslie’s Illustrierter Zeitung, die von Hermann M. von Brandis (1821 – 1889) ediert wurde.1007

Alte und neue Elite – Der New Yorker Schillerfest-Verein Im Frühjahr 1859 bildete sich in New York ein erstes Vorbereitungskomitee, die Planungen konkretisierten sich aber auch hier erst nach Ende des Sommers. Das Schillerkomitee in New York konstituierte sich unter dem Namen »New Yorker Schillerfest-Verein« und vereinte eine große Zahl bekannter und wohlhabender Deutscher, die in den üblichen spezialisierten Unterkomitees die Vorbereitungen zur Schillerfeier aufnahmen. Angeführt wurde das New Yorker Komitee von dem bekannten Politiker und letzten Präsidenten des Stuttgarter Rumpfparlaments, Dr. Wilhelm Löwe (1814 – 1886), der sich in New York als Arzt niedergelassen hatte (s. Abb. 7).1008 Erster Schriftführer war der Theologe und Prediger Dr. Karl Schramm (1810 – 1888), 48er-Revolutionär und seit März 1859 Pfarrer an der New Yorker St. George’s Mission Chapel.1009 1007 Wochenblatt der New Yorker Staatszeitung, 8. Oktober 1859, S. 3. 1008 Der am 14. November 1814 in Olvenstadt bei Magdeburg (Sachsen) geborene Löwe praktizierte bis zur Revolution als Arzt in Calbe an der Saale und wurde für diesen Wahlkreis 1848 als Abgeordneter in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt, wo er sich zunächst dem Deutschen Hof, später dem gemäßigten Nürnberger Hof anschloss. Anfang April 1849 war er Mitglied der Kaiserdeputation. Anschließend begleitete er die letzten Tage des Paulskirchenparlaments als dessen letzter Vizepräsident in Frankfurt am Main (29.–31. Mai 1849) und als Präsident des Rumpfparlaments in Stuttgart bis zu dessen Auflösung (6.–16. Juni 1849). Durch die Flucht in die Schweiz entzog sich Löwe einem Hochverratsverfahren. In Abwesenheit wurde er 1851 durch das Obertribunal in Berlin zu lebenslanger Zuchthaushaft verurteilt. 1852 aus der Schweiz ausgewiesen ging Löwe zunächst nach London, wanderte aber bereits 1853 in die USA aus, wo er sich als Arzt in New York niederließ. Auch während seines Exils blieb Löwe politisch umtriebig. Während er in London dem Europäischen Demokratischen Zentralkomitee beitrat, engagierte er sich in New York von Beginn an für die entstehende Republikanische Partei. Nach der preußischen Amnestie vom 12. Januar 1861 kehrte Wilhelm Löwe nach Calbe zurück und schloss sich der Deutschen Fortschrittspartei an, deren Vorsitz er bis 1874 innehatte. Löwe war Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses und Mitglied im Reichstag des Norddeutschen Bundes und des Kaiserreichs, denen er von 1867 bis 1881 angehörte. Wilhelm Löwe starb am 2. November 1886 in Meran (Tirol). Heinrich Best, Wilhelm Weege: Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, Düsseldorf 1996, S. 225 – 226; Bernhard Mann (Hg.): Biographisches Handbuch für das preußische Abgeordnetenhaus 1867 – 1918, Düsseldorf 1988, S. 251. 1009 Karl Schramm wurde am 11. März 1810 in Hückeswagen bei Remscheid geboren. Nach dem Studium der Theologie und Philosophie wurde er 1833 Pfarrvikar in Gleiwitz. 1834 wurde Schramm als Demagoge festgenommen, wegen Hochverrats angeklagt und zum

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Abb. 7: Wilhelm Löwe1010

Neben Löwe und Schramm waren noch weitere Prominente der Revolution von 1848/49 im New Yorker Schillerkomitee vertreten – hier fanden ehemalige Mitstreiter der Linken und äußersten Linken aus der Frankfurter Paulskirche wieder zusammen. Gemeinsam mit Hugo Wesendonck (1817 – 1898)1011 und Tode verurteilt. Nach Umwandlung der Haftstrafe in eine 30jährige Festungshaft war er, zeitweise gemeinsam mit Fritz Reuter, in Graudenz und Silberberg inhaftiert. 1840 vorzeitig entlassen betätigte sich Schramm zunächst als Lehrer, wurde aber bald wieder politisch aktiv und 1848 in die Preußische Nationalversammlung gewählt. 1849 beteiligte er sich am badischen Aufstand und flüchtete nach dessen Niederschlagung in die Schweiz. 1852 wanderte Schramm nach Nordamerika aus, dort wirkte er als Prediger in New York und St. Louis, zeitweise auch als Redakteur für republikanische Zeitungen. Karl Schramm kehrte 1872 nach Deutschland zurück und ließ sich als Privatmann und Schriftsteller in Breslau nieder. Von 1882 bis 1888 war er Prediger der freireligiösen Gemeinde in Nordhausen, wo er am 17. Oktober 1888 starb. Bernd Haunfelder: Biografisches Handbuch für das preußische Abgeordnetenhaus 1849 – 1867, Düsseldorf 1994, S. 230 – 231; Henry Anstice: History of St. George’s Church in the City of New York 1752 – 1811 – 1911, New York 1911, S. 226 – 227. 1010 New Yorker Illustrirte Zeitung und Familienblätter, 18. November 1859, S. 29. 1011 Hugo Maximilian Wesendonck wurde am 24. April 1817 in Eberfeld geboren. In seinem Elternhaus verkehrten liberale Politiker, Künstler und Dichter, darunter auch seine späteren Freunde Ferdinand Freiligrath und Ludwig Uhland. Nach dem Jura-Studium in Bonn und Berlin und dem Referendariat beim Landgericht Elberfeld praktizierte Wesendonck

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Adolf Wiesner (1807 – 1867)1012 hatte Löwe in Frankfurt der linken Fraktion »Deutscher Hof« angehört, bis sich ihre politischen Wege im Zuge der verschiedenen Abspaltungen vom Deutschen Hof trennten: Während Löwe sich dem gemäßigteren Nürnberger Hof anschloss und Mitglied der Kaiserdeputation wurde, schlossen sich Wesendonck und Wiesner der radikalen Linken des Donnersbergs an, zu der auch das Schillerkomitee-Mitglied Friedrich Jacob Schütz (1813 – 1877)1013 gehörte.1014 Im New Yorker Schillerfest-Verein war Wevon 1842 bis 1849 als Anwalt in Düsseldorf, zeitweise gemeinsam mit Ferdinand Lasalle. Der Wahlkreis Düsseldorf sandte ihn in die Frankfurter Nationalversammlung, wo er sich der Linken zunächst im Deutschen Hof, dann im Donnersberg, zuletzt im Märzverein anschloss, dessen Schriftführer Wesendonck wurde. 1849 vom Wahlkreis Koblenz in das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt, kehrte er nach dessen Auflösung in die Paulskirche zurück. Auf Wesendoncks Antrag wurde das Parlament nach Stuttgart verlegt. Nach der Niederschlagung der Revolution flüchtete Wesendonck, der in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde, über die Schweiz und Paris nach Amerika, wo er sich Ende 1849 zunächst in Philadelphia, ab 1859 in New York als Manufakturwarenhändler und Präsident der Germania-Lebensversicherungsgesellschaft bis zu seinem Tod am 19. Dezember 1898 niederließ. Theodor Lemke: Geschichte des Deutschtums New Yorks von 1848 bis auf die Gegenwart, New York 1891, S. 65; Best/Weege, S. 356 – 357; Wolfgang Albrecht: Hugo Wesendonck, in: Wuppertaler Biographien 7, Wuppertal 1967, S. 99 – 110. 1012 Der 1807 in Prag geborene, 1830 in Wien promovierte Jurist Adolph Wiesner war seit Mitte der 1830er Jahre Praktikant beim Kriminalgericht in Wien, seit Anfang der 1840er Angestellter bei einer Lebensversicherungsgesellschaft in Wien und Privatlehrer. Mitte der 1840er Jahre betätigte er sich in Wien und Leipzig als Publizist und wurde 1844 kurzzeitig wegen Verstoßes gegen die Zensurbestimmungen in Haft genommen. Als Freier Publizist, Journalist und Redakteur arbeitete Wiesner u. a. für die Deutsche Zeitung in Heidelberg, die Frankfurter Oberpostamts-Zeitung in Frankfurt am Main, die Augsburger Allgemeine Zeitung, die in Leipzig erscheinende Österreichische Revue und den Leipziger Grenzboten. Der Wahlkreis Österreich unter der Enns (Feldsberg) wählte Wiesner in die Frankfurter Nationalversammlung, wo er sich der Linken im Deutschen Hof, später im Donnersberg und zuletzt im Märzverein anschloss. Der Verfolgung durch die österreichischen Justizbehörden ab 1849 entzog sich Wiesner durch die Flucht in die Schweiz. 1852 dort ausgewiesen wanderte er in die USA aus, wo er sich als Publizist niederließ. Wiesner gab in New York die Zeitschrift Geist der Weltliteratur heraus. Ab 1861 war er Redakteur der Turn-Zeitung in Baltimore und 1866 – 67 der Illinois Staatszeitung in Chicago. Politisch blieb Wiesner auch in den USA aktiv und unterstützte von Beginn an die Republikanische Partei. Adolph Wiesner wurde 1867 amnestiert, starb jedoch auf der Rückreise nach Europa noch in New York am 23. September 1867. Best/Weege, S. 358 – 359. 1013 Friedrich J. Schütz, geboren am 31. August 1813 in Mainz, nahm 1833 am Frankfurter Wachensturm teil, gehörte 1834 zu den Begründern der »Gesellschaft der Menschenrechte« und half bei der Verbreitung des Hessischen Landboten. Nach einer Verhaftung wegen revolutionärer Umtriebe flüchtete Schütz zunächst nach Belgien. 1848 amnestiert, kehrte er nach Mainz zurück und beteiligte sich dort am Demokratischen Verein, dessen Präsident er wurde. Nach seiner Teilnahme am Frankfurter Aufstand im September 1848 flüchtete Schütz nach Brüssel, kehrte jedoch im Januar 1849 wieder nach Frankfurt zurück als Abgeordneter für den Wahlkreis Hessen-Darmstadt (Bingen). In der Nationalversammlung gesellte sich Schütz zu den Abgeordneten des Donnersbergs und des Märzvereins. Im Frühsommer nahm er am badisch-pfälzischen Aufstand teil und übernahm verschiedene politische Ämter der sich in Auflösung befindenden demokratisch-parlamentarischen Bewegung, zuletzt als Geschäftsträger der provisorischen pfälzischen Re-

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sendonck Mitglied des Vorstands, Wiesner saß im »Komitee für die Feierlichkeiten des dritten Tages« und Schütz war Mitglied des »Dramatischen Komitees«. Dem Vorstand des New Yorker Schillerfest-Vereins gehörte auch Alfred Görtz-Wrisberg (1814 – 1868) an. Der aus dem Adel stammende preußische Offizier war vor seiner Emigration als demokratischer Politiker ebenfalls an der Revolution beteiligt gewesen. Er war 1848/49 Mitglied der zweiten Kammer der preußischen Nationalversammlung und nahm auf der Seite der Revolutionäre am badischen Aufstand teil, zuletzt als Militärkommandant von Freiburg im Breisgau und Konstanz.1015 Aus Militärkreisen stammte auch der Achtundvierziger Germain Franz Metternich (1811 – 1862)1016, der mit seinem Gelegenheitswerk »Schillers Gegierung in Paris. Schütz floh über Brüssel zunächst nach Australien, wo er sich als Straßenarbeiter durchschlug bis er eine Stelle als Erzieher im Haus des britischen Gouverneurs in Melbourne bekam. Mitte der 1850er Jahre ging Schütz in die USA und betätigte sich dort ab 1856 als Sprachlehrer in New York. Im selben Jahr trat er der Republikanischen Partei bei, die ihn als amerikanischen Konsul nach Rotterdam entsandte, wo er am 4. März 1877 starb. Best/Weege, S. 310; Manfred Köhler : Der Mainzer Demokrat Friedrich Jakob Schütz in der Frankfurter Nationalversammlung 1849, in: Mainzer Geschichtsblätter 11 (1999), S. 61 – 84; Manfred Köhler : Schütz, Friedrich Jacob, in: Helmut Reinalter (Hg.): Biographisches Lexikon zur Geschichte der demokratischen und liberalen Bewegungen in Mitteleuropa, Frankfurt am Main 2005, Bd. 2, Teil 1, S. 257 – 259. 1014 Zur Fraktion Donnersberg ingesamt siehe Gunther Hildebrandt: Parlamentsopposition auf Linkskurs. Die kleinbürgerlich-demokratische Fraktion Donnersberg in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, Berlin (Ost) 1975. 1015 Alfred (Graf von) Görtz-Wrisberg wurde am 16. Februar 1814 in Hildesheim geboren und schlug zunächst eine standesgemäße Militärlaufbahn ein. 1848/49 war er Abgeordneter und Mitglied des linken Flügels in der Zweiten Kammer der preußischen Nationalversammlung. Wrisberg beteiligte sich am badischen Aufstand und diente als Militärkommandant von Freiburg und Konstanz. Nach der Revolution gelang ihm die Flucht in die Schweiz, von dort wanderte er Anfang der 1850er in die USA aus. Im amerikanischen Bürgerkrieg kämpfte er für die Nordstaaten und stieg zum Captain auf. 1868 folgte seine Ernennung zum Friedensrichter, doch noch im selben Jahr trieben ihn seine bedrängten wirtschaftlichen Verhältnisse in den Selbstmord. Elke Niewöhner : Ein 1848er macht in Amerika seinem Leben ein Ende: Alfred Graf von Görtz-Wrisberg, in: Horst-Rüdiger Jarck (Hg.): Brücken in eine neue Welt. Auswanderer aus dem ehemaligen Land Braunschweig, Wiesbaden 2000, S. 57 – 62; H.-R. Jarck, G. Scheel (Hg.): Braunschweigisches Biographisches Lexikon, Braunschweig, 1996. 1016 Der am 5. April 1811 in Mainz geborene Germain Franz Metternich durchlief 1828 – 32 eine Militärlaufbahn in Hessen. Ab 1832 beteiligte er sich in der freiheitlichen Bewegung des Vormärz, leitete das Mainzer Kontingent beim Hambacher Fest und wurde mehrfach wegen seiner politischen Tätigkeit festgenommen. Mitte der 1830er Jahre flüchtete er in die Schweiz, kehrte aber 1847 nach Mainz zurück, wo er sich in der Turnerbewegung engagierte. April 1848 trat er der Mainzer Ortsgruppe des Bundes der Kommunisten bei. Nach dem Frankfurter Septemberaufstand, an dem Metternich sich beteiligte, flüchtete er erneut in die Schweiz, kehrte aber während der Reichsverfassungskampagne bereits wieder zurück. Nach dem pfälzisch-badischen Aufstand flüchtete er nochmals in die Schweiz. Als er dort 1850 ausgewiesen wurde, wanderte Metternich nach New York aus.

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burt« ein dramatisches Vorspiel für die New Yorker Schillerfeier geschrieben hatte. Mitglied des Schillerkomitees war Metternich nicht, politisch stand er den führenden Funktionären des Komitees jedoch nahe. Franz Heinrich Zitz (1803 – 1877), ebenfalls Mitglied der äußersten Linken in der Donnersberg-Fraktion und Oberst der Mainzer Bürgerwehr, hatte Metternich im Frühjahr 1848 zu seinem Adjutanten ernannt. Auch Metternich war ein Veteran des pfälzisch-badischen Aufstands, ebenso der Buchhändler Sixtus Ludwig Kapff aus Tuttlingen, der in New York das Steuben-Haus, eine vorwiegend von Deutschen besuchte Pension an der Bowery, führte.1017 Im Schillerfest-Verein war Kapff dem Volksfest-Komitee zugeordnet. Beruflich wurde der Vorstand des New Yorker Schillerkomitees von Kaufleuten, Ärzten und Apothekern dominiert und damit von den Berufsgruppen, aus denen sich die deutsch-amerikanische Elite New Yorks zusammensetzte. Erster Stellvertreter des Arztes Wilhelm Löwe war der Auktionator und Nassauische Generalkonsul in New York, Wilhelm August Kobb¦ (1802 – 1881). Der Importwarenhändler und Direktor der International Art Institution, Wilhelm Aufermann (†1902), wurde zum Schatzmeister bestellt, Finanzsekretär war der Buchbinder und Papierwarenhändler Iwan van Auw (1833 – 1904). Des Weiteren gehörten dem Vorstand der Importeur, Spirituosen- und Zigarrenhändler Moses Ostheim (*1804) und die Importeure und Kurzwarenhändler Anton Scheitlin und Leonard J. Stiastny (1830 – 1881) an. Auch der in der Emigration nicht mehr als Jurist tätige Hugo Wesendonck, der in New York mit Manufakturwaren handelte, ist der Gruppe der Kaufleute zuzurechnen. Sie stellten mit mindestens sieben Vertretern die größte Berufsgruppe im Vorstand des New Yorker Schillerfest-Vereins.1018 In den Subkomitees fanden sich mit dem Musikalienhändler Wilhelm Letzeiser und dem Möbelschreiner und -händler Jacob Heintz zwei weitere Kaufleute. Die New Yorker Kaufleute unterstützten die Planung und Durchführung der New Yorker Schillerfeier aber nicht allein durch ihre Mitarbeit im SchillerfestVerein. Der Herausgeber der New Yorker Handelszeitung, Moritz Meyer, wies mehrfach darauf hin, dass die Organisation der Festlichkeiten eine substantielle finanzielle Zuwendung durch die deutschen Kaufmannschaft erfahren habe.1019 Dort engagierte er sich in der Turnbewegung und trat als entschiedener Gegner der Sklaverei auf. Als Freiwilliger trat er der Unionsarmee bei, wurde im Bürgerkrieg zum Oberstleutnant befördert und fiel am 12. Mai 1862 in Tybee, South Carolina. 1017 Wittke, S. 94. 1018 Nicht eindeutig zu klären war die Zuordnung zu beruflichen Tätigkeiten für Louis Schneider (Schlachter, Schumacher oder Möbelschreiner), Görtz-Wrisberg (keine Angaben) und Albert Pfantz (keine Angaben; im Bürgerkrieg Leutnant im 52nd New York Volunteer Infantry Regiment, gefallen am 18. Juni 1862). 1019 New Yorker Handelszeitung, 7. Oktober 1859, S. 9, 11. November 1859, S. 9, 19. November 1859, S. 11.

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Aus den Kreisen des Schillerkomitees wurden von Meyer besonders Wilhelm Aufermann, Hermann Marcuse, Moses Ostheim, Anton Scheitlin und Leonard J. Stiastny hervorgehoben, die »unermüdlich waren in ihrem Eifer, eine würdige Feier zu veranstalten und der Erreichung dieses Ziels manches Opfer brachten«.1020 Nach den Kaufleuten bildeten die Ärzte und Apotheker, die mit Wilhelm Löwe ja auch den Präsidenten stellten, mit acht Vertretern im Gesamtkomitee die zweitgrößte Berufsgruppe. Der Arzt Dr. Hieronymus N. Wilhelm (1810 – 1869) war Mitglied im Finanzkomitee, im Komitee für die Feierlichkeiten des dritten Tages saßen die Apotheker Dr. Gustav L. Ramsperger (1824 – 1912) und Reinhold sowie die Ärzte Dr. Joseph Hafner, Dr. Charles Klein, und Dr. Ehlers.1021 Im Dramatischen Komitee war mit Dr. Herman A. Muhr ein weiterer Arzt vertreten. In der Zusammensetzung des New Yorker Schillerkomitees spiegelte sich eine im Wandel befindliche deutsche Oberschicht. Bis zum Bürgerkrieg nahmen die deutschen Ärzte eine dominierende Stellung in Kleindeutschland ein. Sie hatten sogar eine über die deutsche Auswanderergemeinde hinausreichende Bedeutung für die gesamte Stadt, stellten sie doch nach zeitgenössischen Schätzungen ein gutes Drittel aller Ärzte New Yorks. Viele von ihnen waren bekannte politische Flüchtlinge, wie Wilhelm Löwe, die in Wohltätigkeits- und anderen Freiwilligen-Organisationen die Führung innehatten und den politischen und sozialen Diskurs in Kleindeutschland bestimmten.1022 Die wirtschaftlichen Krisen der 1850er Jahre und damit verbundene Konzentrationsprozesse in Handel, Gewerbe und Produktion waren allerdings von einigen deutschen Einwanderern dazu genutzt worden, ihre Geschäfte zu günstigen Konditionen zu erweitern und auszubauen oder Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen.1023 Eine neue, aufstrebende, wirtschaftsstarke deutsche Elite formierte sich und löste die alte akademisch-politische Elite der Ärzte nach und nach ab. 1859 hielten sich die alte und die neue Führungsschicht im Schillerkomitee noch in etwa die Waage, der Aufstieg der neuen deutsch-amerikanischen Wirtschaftselite wurde jedoch bereits hier sichtbar. Fast alle Vorstandsmitglieder des Schillerfest-Vereins waren zugleich auch Mitglieder der größten und bedeutendsten deutschen Wohltätigkeitsorganisation New Yorks, der 1784 gegründeten Deutschen Gesellschaft.1024

1020 1021 1022 1023 1024

Meyer 1859, S. 3. Dr. Ehlers war entweder Zahnarzt (George) oder Apotheker (William). Nadel, S. 83. Ebd., S. 137. Jahres-Bericht und Mitglieder-Verzeichnis der Deutschen Gesellschaft der Stadt New York am 16. Januar 1860, New York 1860. Die Gesellschaft hatte in den 1850ern vorwiegend wohlhabende Mitglieder. Bretting 1981, S. 55 – 68.

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Zu den weiteren Berufsgruppen im Komitee gehörten der Jurist Ludwig Semler (*1819), der Deutschlehrer und Professor an der New York Free Academy, Theodor G. Glaubensklee (1823 – 1890), beide im Vorstand, und der Bankier Hermann Marcuse (1824 – 1900). Die in Philadelphia das Schillerkomitee dominierenden Drucker und Buchhändler waren mit lediglich zwei Vertretern, dem Vorstandsmitglied Wilhelm Radde (1800 – 1884) und einem Herrn Bernhard, im Volksfest-Komitee nur marginal vertreten. In New York waren die Festorganisatoren in der glücklichen Lage, in den künstlerischen Subkomitees auf die Beteiligung professioneller Künstler bauen zu können. So gehörten dem Dramatischen Komitee der Historienmaler Emanuel Gottlieb Leutze (1818 – 1868)1025, die Maler Ernst Lotichius (1813 – 1876), Friedrich Gross und Alexander Lange sowie der Lithograph L. Meyer an. Ein weiterer Lithograph, Hermann Sturn, war Mitglied des Hauskomitees. Die Maler und Lithographen kümmerten sich um die dekorative Ausstattung der Festlokale, fertigten Transparente und Portraits und arrangierten die Tableux vivants. Aus Theaterkreisen war lediglich der Gründer und Leiter des Deutschen Stadttheaters in New York, Otto Hoym (1823 – 1876), beteiligt. Er gesellte sich zu den graphischen Künstlern im Dramatischen Komitee.1026 Hochkarätig und ausschließlich mit Fachkräften besetzt war auch das Musikkomitee, dem die herausragenden Vertreter des deutschen Musiklebens in New York angehörten. Die Musikdirektoren, Dirigenten und Komponisten Carl

1025 Der am 24. Mai 1816 in Schwäbisch-Gmünd geborene Leutze war bereits als Kind in die USA übergesiedelt. Nach dem Studium der Malerei in Philadelphia studierte er 1841 – 1842 unter Carl Friedrich Lessings an der Düsseldorfer Kunstakademie und spezialisierte sich auf Historienbilder im Stil Karl von Pilotys. Seine Gegenstände suchte er bereits früh in der amerikanischen Geschichte. Studien in München und Italien schlossen sich an. Von 1845 – 1859 war Leutze in Düsseldorf ansässig, wo er u. a. den Künstlerverein »Malkasten« und die »Deutsche Kunstgenossenschaft« mitbegründete. In diese Zeit fällt auch sein heute bekanntestes Werk »Übergang Washingtons über den Delaware« (1850/51). 1859 erhielt Leutze einen Ruf nach Washington zur Ausmalung der Sitzungsräume im Kapitol mit Darstellungen aus der Geschichte der Union, seither lag sein Lebensmittelpunkt in den USA. Er starb am 18. Juli 1868 in Washington D. C. Walther Killy (Hg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 6, München 2001, S. 356; Robert Darmstaedter: Reclams Künstlerlexikon, Stuttgart 1979, S. 425. 1026 Der Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor Otto von Hoym-Söllingen, genannt Otto Hoym, geboren am 12. Januar 1823 in Altenburg, kam über eine Bekanntschaft mit dem Schauspieler Emil Gustav Devrient (1803 – 1872) zum Theater. Nach Engagements an den Theatern zu Chemnitz, Posen, Leipzig, Coburg und Weimar beteiligte er sich 1848 an der Revolution und wanderte anschließend nach Amerika aus. In New York gründete er 1854 das erste stehende deutsche Theater, das Stadt-Theater, seit 1864 Neues Stadt-Theater. 1870 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er sich an den Theatern in Breslau und Nürnberg engagierte. Am 29. Oktober 1876 starb Otto Hoym in Darmstadt. Friedrich Johann von Reden-Esbeck: Deutsches Bühnen-Lexikon, Bd. 1, Eichstätt, Stuttgart 1879, S. 298 – 299.

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Anschütz (1813 – 1870)1027, Theodor Eisfeld (1816 – 1882)1028, Carl Bergmann (1821 – 1876)1029, Agriol Paur (1823 – 1897)1030 und Frederick Krüger hatten dabei große und erfahrene Musikvereine, Chöre und Orchester hinter sich. Sie ermöglichten die Durchführung eines ambitionierten musikalischen Programms auf den Festveranstaltungen des Schillerfest-Vereins, das auch Werke moderner Komponisten wie Richard Wagner berücksichtigte. Ihnen standen im Musikkomitee John Weber vom Deutschen Liederkranz, der Pianist Wilhelm Scharfenberg (1819 – 1895) und der Violinist und Kammermusiker Joseph Mosenthal (1834 – 1896) unterstützend zur Seite. Mitglied des Vorstands und zweiter Stellvertreter des Präsidenten war der Musiklehrer Jacob Windmüller (†1889).

1027 Carl Anschütz, geboren im Februar 1813 in Koblenz, studierte bei dem Komponisten Friedrich Schneider (1786 – 1853) in Dessau und war anschließend bis 1848 Königlicher Musikdirektor in Koblenz. Nach kurzen Aufenthalten als Orchesterleiter und Dirigent in Nürnberg und Amsterdam reiste er 1849 mit einer deutschen Opern-Gruppe nach London, wo er die Orchesterleitung am Drury Lane Theater übernahm. Gastspiele führten ihn unter anderem nach Dublin, Edinburgh und Glasgow. 1857 ging Anschütz mit einer italienischen Opern-Truppe nach Amerika und übernahm 1860 die Leitung der Arion-Gesellschaft in New York. 1862 gründete er hier eine Deutsche Oper. Carl Anschütz komponierte u. a. für Blechbläser und übertrug Beethovens Sinfonien in Blechbläser-Sätze. Anschütz starb 30. Dezember 1870 in New York. Drake: Dictionary of American Biography, Boston 1870, S. 30; Appletons’ Cyclopaedia of American Biography, Bd. 1, New York 1888, S. 80; New York Times, 31. Dezember 1870. 1028 Der aus Wolfenbüttel stammende Theodor Eisfeld studierte Violine bei Karl Müller in Bremen und Komposition bei Carl Gottlieb Reißiger in Dresden. 1839 – 1843 war er Direktor des Hoftheaters in Wiesbaden. 1848 nach Amerika ausgewandert, wurde er 1849 Dirigent der Philharmonic Society in New York, 1850 auch der Harmonic Society. Im Februar 1851 debütierte er mit seinem eigenen Eisfeld-Quartett. Ab 1857 war Eisfeld auch Erster Dirigent der Brooklyn Philharmonic Society. Eisfeld kehrte 1866 nach Europa zurück und starb am 16. September 1882 in Wiesbaden. F. O. Jones: A Handbook of American Music and Musicians, Canaseraga 1886, S. 53; Grove’s Dictionary of Music and Musicians, American Supplement, New York 1920, S. 196 – 197. 1029 Carl Bergmann wurde 1821 in Ebersbach in Sachsen geboren. 1850 kam Bergmann mit dem Germania-Orchester in die USA und ließ sich zunächst in Boston nieder, wo er zugleich die musikalische Leitung der Germania- als auch der Händel-und-Haydn-Gesellschaft übernahm. In der Saison 1854/55 vertrat er den erkrankten Theodor Eisfeld beim letzten Saison-Konzert der New York Philharmonic Society und wurde in der darauf folgenden Saison als Chefdirigent und Musikdirektor der New Yorker Philharmoniker verpflichtet, eine Stelle, die er ab 1858 bis zu seinem Tod am 10. August 1876 fortlaufend innehatte, von 1859 bis 1865 gemeinsam und im Wechsel mit Eisfeld; Jones 1886, S. 12 – 13; Appleton’s Cyclopaedia of American Biography, Bd. 1, New York 1888, S. 245; The National Cyclopaedia of American Biography, Bd. 5, New York 1897, S. 416. 1030 Agriol Paur, geboren 1823 in Bayern, wuchs in einer Klosterschule auf und studierte in München Medizin. 1849 kam er nach New York, wo er sich im Musikleben der Stadt einen Namen als Dirigent des Deutschen Liederkranzes machte, dessen musikalischer Leiter er von 1850 – 1884 war. Hermann Mosenthal: Geschichte des Vereins Deutscher Liederkranz in New York, New York 1897; New York Times, 8. August 1897.

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Als einziges Unterkomitee vorwiegend mit (Kunst-)Handwerkern besetzt war das Medaillenkomitee, in dem unter dem Vorsitz von Karl Schramm der Uhrmacher Gustav Schönke und der Graveur Ludwig Kläbisch dem Stempelmacher A. Kerwien den Auftrag zur Anfertigung einer Schiller-Medaille gaben, die zugleich als Erinnerungs-Münze und als Eintrittskarte für die Festveranstaltungen vorgesehen war. Leider lässt sich nicht für alle Komiteemitglieder die regionale Herkunft belegen. Es ist aber augenfällig, dass sich die bayerische Mehrheit unter den deutschen Einwanderern in New York nicht im Organisationsgremium der Schillerfeier widerspiegelte.

Das New Yorker Festprogramm Der Schillerfest-Verein erstellte ein dreitägiges Festprogramm für die Stadt New York, das drei zentrale Festveranstaltungen vorsah: ein großes Konzert in den City Assembly Rooms am Abend des 9. November, einen Festakt mit deutschen und englischen Festreden im großen Saal des Cooper-Instituts am frühen Nachmittag des 10. November und am Abend desselben Tages eine Festveranstaltung mit Tableux vivants in der Academy of Music. Begleitet wurden die Veranstaltungen des Komitees durch Aufführungen des Deutschen Stadttheaters, das die Festtage mit Heinrich Laubes Karlsschülern und Germain Metternichs Gelegenheitsstück zum Fest, dem szenischen Prolog »Schillers Geburt«, am 8. November eröffnete und mit Wilhelm Tell am 12. November beschloss. Ein Redaktions-Komitee, bestehend aus Hugo Wesendonck, Leonard J. Stiastny und William Radde, ließ das Programm in den Tageszeitungen der Stadt annoncieren und stellte für die Feier eine Broschüre zusammen, die neben dem vollständigen Programm der Feier ergänzende und erläuternde Texte über den Jubilar und seine Werke von Ludwig Wittig enthielt.1031 Das Programmheft erschien zugleich auch in englischer Übersetzung.1032 Das Festkonzert in den City Assembly Rooms hatte Musik aus Richard Wagners Tannhäuser, Beethovens 9. Sinfonie und Schillers Dithyrambe für Männerchor von Julius Rietz auf dem Programm, dargeboten von einem großen Sinfonieorchester und den Chören von Liederkranz und Sängerbund. Für den frühnachmittaglichen Festakt am 10. November im großen Saal des Cooper Instituts hatte das Komitee gleich fünf Festreden vorgesehen. Die Er1031 William Radde: Die Bedeutung und Feier des hundertjährigen Geburtstages von Friedrich Schiller. New York, den 8., 9., 10., 11. und 12. November 1859, New York 1859. 1032 William Radde: Signification and Celebration of the Centennial Birth-Day Anniversary of Frederick Schiller in the City of New York on the 9th, 10th, 11th and 12th November, 1859, New York 1859.

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öffnungsrede hielt der Schillerfest-Vereinspräsident Dr. Wilhelm Löwe, anschließend sprachen abwechselnd in deutscher und englischer Sprache Karl Schramm, der bekannte Dichter und Herausgeber der New York Evening Post, William Cullen Bryant (1794 – 1878), Adolf Wiesner und zuletzt der Präsident des New Yorker Court of Common Pleas, Charles P. Daly (1816 – 1899). Wie schon in Philadelphia zeigten sich die Organisatoren also auch hier bemüht, durch die Einbindung bekannter Persönlichkeiten und Zweisprachigkeit in den Festreden auch ein englischsprachiges Publikum anzusprechen und zur Teilnahme an der Feier anzuregen. Anders als die City Assembly Rooms war der Saal im Cooper-Institut reich dekoriert (s. Abb. 8). Neben Bildnissen und Büsten großer Dichter und Philosophen, darunter die Größen der Weimarer Klassik, Goethe und Herder, aber auch Klopstock, Lessing, Rousseau, Shakespeare, Ariost, Dante und Homer, war in der Mitte zwischen zwei Säulen ein allegorisches Brustbild der Freiheit, »in der einen Hand die Fahne mit der phrygischen Mütze, in der anderen einen Ölzweig haltend« aufgehängt worden.1033 An den äußeren Säulen befanden sich eine amerikanische und eine schwarz-rot-goldene Fahne. Aus dem Kreis der Musen waren Polyhymnia und Melpomene vertreten, die in lebensgroßen Figuren links und rechts neben dem in der Mitte der Bühne aufgestellten Rednerpult platziert wurden, an dem die fünf Festredner ihre Vorträge hielten.1034 Die musikalische Untermalung besorgte das Orchester des Deutschen Stadttheaters.1035

1033 Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung, 19. November 1859, S. 209. Der Ölzweig ist ein Friedenssymbol. Die phrygische Mütze, eine auf antike Ursprünge zurückgehende kegelförmige Mütze mit nach vorne fallender rundlicher Spitze, wurde römischen Sklaven als Zeichen der Freilassung übergeben. In der Französischen Revolution wurde sie als Jakobinermütze zum allgemeinen Freiheitssymbol und zugleich zum Symbol der Französischen Revolution. 1034 Polyhymnia gilt u. a. als Muse der Hymnendichtung, des Tanzes und der Pantomime, Melpomene als Muse der Tragödie. 1035 Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung, 19. November 1859, S. 209.

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Abb. 8: Die Schillerfeier im Cooper-Institut in New York1036

Das Komitee hatte eine größere Zahl bedeutender Persönlichkeiten eingeladen, sich der New Yorker Feier anzuschließen und eine Reihe von Absagen bekommen, die Theodor Glaubensklee im Cooper-Institut dem Publikum vortrug. Neben Präsident Buchanan und dem New Yorker Gouverneur Edwin D. Morgan (1811 – 1883) sah sich auch der gesundheitlich bereits stark angeschlagene Washington Irving (1783 – 1859) nicht in der Lage, der Feier beizuwohnen. Das Komitee hatte auch die Gesandten Preußens und Österreichs, Friedrich von Gerolt (1797 – 1879) und Johann Georg Hülsemann (1799 – 1864) nach New York eingeladen, die aber ebenfalls absagten.1037 August Willich reagierte im Cincinnati Republikaner ärgerlich auf die Einladung Gerolts und Hülsemanns, die ihn »sehr lebhaft an die Halbheiten des deutschen Parlaments von 1848« erinnere und »die Ursache dieser Halbheiten« verrate. »Dass diese Ursachen bei Männern existieren, die in den Reihen europäischer Republikaner und Revolutionäre stehen, bedauern wir tief, dass aber die Antwortschreiben der preußischen und österreichischen Gesandten vor den New Yorker Deutschen haben verlesen werden können, ohne einen Sturm des Unwillens hervorzurufen, ist ein Beweis, wie sehr das eben in Amerika den deutschen revolutionären Geist schon gebrochen hat.«1038 1036 Frank Leslie’s Illustrated Newspaper, 26. November 1859, S. 410. 1037 Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung, 19. November 1859, S. 210. 1038 Cincinnati Republikaner, 13. November 1859, S. 2. Hervorhebungen im Original –tl.

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Schiller habe nicht für Monarchen und deren Diener geschrieben und Willich hielt es für falsch, »zur Feier unseres Freiheitsdichters« die Monarchendiener herbeizurufen. »Ihr New Yorker«, schloss Willich, »fangt an, zu viel Humbug zu machen.«1039 Künstlerischer Höhepunkt der New Yorker Schillerfeier war die Festaufführung in der Academy of Music am Abend des 10. November. Hier wurden sämtliche Register der künstlerischen Bühnen-Unterhaltung gezogen. Das Abendprogramm führte die Protagonisten der musikalischen, bildenden und darstellenden Kunst zusammen und präsentierte in geballter Form die kulturelle Leistungsfähigkeit der deutschen Community in New York. Aufgeführt wurden Lebende Bilder mit Darstellungen aus Schillers Werken, untermalt von zumeist bekannten und beliebten Opern-Ouvertüren vor allem von Ludwig van Beethoven, Carl Maria von Weber und Mozart. Nach der Hälfte der insgesamt neun Tableaux führte das Ensemble des Deutschen Stadttheaters »Wallensteins Lager« auf. Für den 11. November hatte das Komitee zum geselligen Ausklang in zahlreichen Lokalen der Stadt Festlichkeiten und Bälle angesetzt. Die Bandbreite dieser Veranstaltungen reichte vom Schiller-Festessen der Patrizier im Oberklasse-Hotel Astor-Haus am Broadway über die vereinsinternen Schillerfeste einzelner Gesellschaften bis hin zu den allgemein zugänglichen Feiern in den zahlreichen großen Bierhallen und Wirtschaften in Kleindeutschland. Das Programm bestand bei allen Festen in der Regel aus Ball und Bankett, das Publikum konnte überall mit Musik, Gesang, Deklamationen und Festreden rechnen.

»Klassen-Fest« in New York? Die Teilnahme an der New Yorker Schillerfeier war grundsätzlich abhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Feiernden. Eine vollständig kostenfreie Beteiligung, wie sie andernorts durch das Zuschauen vom Straßenrand bei öffentlichen Festelementen wie Prozessionen, Fackelzügen oder Illuminationen ermöglicht wurde, sah die New Yorker Feier nicht vor. Die sich herausbildenden Klassendifferenzen innerhalb der deutschen Community von New York traten somit auch bei der Schillerfeier zutage. Arbeiter oder Handwerker waren an der Organisation der New Yorker Feier kaum beteiligt. Das Schillerkomitee bestand hier vor allem aus Repräsentanten der alten akademischen Oberschicht Kleindeutschlands und einer neuen, aufstrebenden deutschen Wirtschaftselite. Nicht nur organisatorisch, auch materiell 1039 Ebd. Hervorhebungen im Original –tl.

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wurde das Schillerfest von Kaufleuten getragen. Die gesamte künstlerische Besetzung des Komitees bestand aus professionellen und etablierten Musikern und bildenden Künstlern, deren Beteiligung ein künstlerisches Niveau ermöglichte, das auch für das gehobene Publikum ansprechend und attraktiv war. Mit dem Deutschen Liederkranz war zudem ein Oberschichten-Gesangsverein zentral an der Durchführung der Feier beteiligt. Um eine möglichst breite Teilnahme an der Feier zu ermöglichen, hatte das Komitee den Eintrittspreis zu den Veranstaltungen zunächst auf einheitlich 25 Cents festgelegt und die Ausgabe von 5000 Tickets annonciert. Für diesen Preis erhielt der Käufer eine Festmedaille, freien Eintritt zum Festakt im CooperInstitut und eine Ball-Karte. Eine Zuzahlung von weiteren 25 Cents berechtigte darüber hinaus zum Eintritt beim Festkonzert in den City Assembly Rooms oder der Festveranstaltung in der Academy of Music. Zusätzlich erhielten alle Käufer freien Eintritt in die Gemälde-Ausstellung der von Wilhelm Aufermann geleiteten International Art Institution, in der nicht nur eine »große Auswahl Gemälde von lebenden deutschen Meistern« ausgestellt wurde, sondern auch Julius Schraders letztes Portrait des im Mai 1859 verstorbenen Alexander von Humboldt in Lebensgröße.1040 Selbst wenn man die 5000 zum Verkauf ausgeschriebenen Tickets ausschließlich an die deutsche Bevölkerung New Yorks verkauft hätte, wären gerade einmal vier Prozent von ihnen in der Lage gewesen, an der Feier teilzunehmen. Das erklärt einerseits die vollen Säle bei den drei Hauptveranstaltungen, andererseits entband es aber auch von der Notwendigkeit, die Veranstaltung in der Presse besonders stark zu bewerben. Etwas höher wird die Beteiligung letztendlich gewesen sein. Die Aufführungen des Deutschen Stadttheaters kommen noch hinzu und eine Reihe von Vereinen und Gesellschaften veranstalteten ihre eigenen Schillerfeiern. Es ist zudem anzunehmen, dass neben den durch das Komitee in die Schillerfeier integrierten Bierhallen weitere Lokale Ball und Bankett im Namen Schillers angeboten haben. An der hohen Exklusivität der New Yorker Feier änderte dies aber nichts. Nachdem der Vorverkauf sehr gut angelaufen war, wurden gut eine Woche vor Beginn der Feierlichkeiten die Eintrittskarten zu 25 bzw. 50 Cents unvermittelt aus dem Verkauf zurückgezogen. Stattdessen tauchten nun teurere Tickets speziell für die Veranstaltung in der Academy of Music im Vorverkauf auf, die zum deutlich höheren Preis von zwei bis drei Dollar verkauf wurden.1041 Der ursprüngliche Einheitspreis war damit aufgehoben und Berichten der Socialen Republik zufolge hatte dies auch Konsequenzen beim Einlass in der Academy of Music. Die Zeitung beklagte nach der Feier, dass den Inhabern der 1040 Meyer 1859, S. 3. 1041 Sociale Republik, 19. November 1859, S. 4.

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günstigeren Karten der Zutritt durch den Haupteingang verweigert worden sei und sie stattdessen an eine Seitentür der Academy verwiesen wurden. Die Sociale Republic vermutete, dass die kurzfristige Erhöhung der Eintrittspreise zur Finanzierung der Feier durch das teilnehmende Volk nötig geworden sei, nachdem das Komitee Zuwendungen aus der Kaufmannschaft in Höhe von 2000 Dollar1042 ausschließlich für den Guss einer bronzenen SchillerBüste zu verwenden beschlossen habe und schloss: »War das ein deutsches Volksfest, dass man an diesem Tage dem Dollar den Vorzug einräumte?«1043 Selbst Journalisten wurden vom Schillerkomitee nicht in ausreichendem Maße mit Eintrittkarten bedacht. Einer »Danksagung« für äußerst mittelmäßige Platzkarten in der Academy of Music, die der New Yorker Demokrat an das Schiller-Komitee richtete, schloss sich die Redaktion der New Yorker Illustrirte Zeitung und Familienblätter an mit dem Hinweis, man habe für diese Veranstaltung überhaupt keine Eintrittskarten erhalten.1044 Während die Schillerkomitees in anderen Städten durch abendliche Fackelzüge und Illuminationen oder Festumzüge am Tage auch den ärmeren Bevölkerungsschichten eine kostenfreie Beteiligung zumindest an den öffentlichen Teilen der Schillerfeier ermöglicht hatten, fanden derartige Festelemente in New York nicht statt, obwohl die Voraussetzungen – relativ dichte und konzentrierte deutsche Ansiedlung mit hoher Bevölkerungszahl und ein relativ hoher Organisationsgrad in Gesellschaften und Vereinen – durchaus gegeben waren. Und tatsächlich war auch für New York die Organisation eines öffentlichen Umzuges diskutiert worden. Geplant war ein großer Festzug unter Beteiligung sämtlicher deutscher Vereine und Militärkompanien. Wie in Philadelphia sollte eine fahrende Druckerpresse den Zug begleiten und ein eigens für den Anlass verfasstes Festgedicht in deutscher und englischer Sprache gedruckt und verteilt werden.1045 Die anfängliche Euphorie legte sich aber schnell. Anfang August reichte Karl Schramm dem Komitee einen neuerlichen Vorschlag für einen Festzug ein. Seine »Allgemeinen Grundzüge als Vorschläge zu einem Schillerfestzug« wurden jedoch, bevor sie das zuständige Komitee diskutieren und darüber befinden konnte, an die Presse weitergereicht, in der Abendzeitung veröffentlicht und anschließend von anderen deutschen Zeitungen kommentiert 1042 Moritz Meyer berichtet sogar von Subskriptionen aus den Kreisen der Kaufleute in Höhe von $3000. New Yorker Handelszeitung, 19. November 1859, S. 11. 1043 Soziale Republik, 19. November 1859, S. 4. Hervorhebungen im Original. Anders die Criminal-Zeitung, die nicht das Komitee, sondern die Großartigkeit des Festes, das außerordentliche Ausgaben erforderte, die durch den geringen Eintrittspreis nicht gedeckt werden konnten, hervorhob. New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, 11. November 1859, S. 536. 1044 New Yorker Illustrirte Zeitung und Familienblätter, 18. November 1859. 1045 Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 12. Juni 1859.

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und diskutiert. Dies führte in wenigen Tagen zu einer sich immer mehr ausweitenden Debatte über Sinn, Zweck und mögliche Gestaltung eines Festzuges in New York.1046 So stellte sich die Criminal-Zeitung zwar nicht grundsätzlich gegen einen Festzug, drängte aber auf eine zurückhaltende, einfache und würdevolle Inszenierung, bei der historische und mittelalterliche Kostüme ebenso zu unterlassen seien wie aufwendige szenische Darstellungen oder Tableaux vivants aller Art, um sich als Minderheit gegenüber der Bevölkerungsmehrheit nicht unverständlich zu präsentieren.1047 Als sich die Diskussion zum handfesten Streit auszuweiten drohte, zog Schramm seinen Vorschlag kurzerhand zurück. Die Idee eines Festumzuges zur Schillerfeier in New York war damit gescheitert, auch wenn sich eine Kommission zunächst noch einige Zeit um eine Überarbeitung des Vorschlages bemühte und erst im Oktober das endgültige Aus für den Festzug beschlossen wurde.1048 Inzwischen war auch die Criminal-Zeitung in das Lager der Umzugs-Gegner gewechselt, da sie eine zweckgemäße Gestaltung des Festzuges für nicht machbar und eine öffentliche Prozession zur Schillerfeier nun auch grundsätzlich für entbehrlich hielt.1049 Die Sociale Republik vermutete andere Gründe hinter der Absage des Festzuges und mutmaßte, die Organisatoren hätten eine Prozession für pöbelhaft gehalten und befürchtet, sich damit lächerlich zu machen. Die Zeitung sah hier ein grundsätzliches Problem, denn: »Überhaupt äußert sich seit kurzem ein gelehrter Kastengeist, der gegenüber der hiesigen Arbeiterbevölkerung und den Vereinen, welche aus Arbeitern bestehen, nicht sehr schmeichelhaft ist.«1050 Tatsächlich sind Klassenkonflikte in New York als Ursache für die Absage des Festzuges (oder alternativer öffentlicher Festelemente mit der Möglichkeit von Massenbeteiligung) denkbar. Die Schillerfeier fällt in eine Zeit, in der sich Arbeiter und Unternehmer in New York zunehmend konfrontativ gegenüberstanden. Gewerkschaften wurden gegründet, die Arbeiter organisierten sich zunehmend erfolgreich. Zahlreiche Streiks in den 1850er Jahren wurden zum Teil von der herbeigerufenen Ordnungsmacht gebrochen, die Unternehmer konnten dabei auf die Unterstützung der staatlichen Repressionsinstrumente zählen. Da ein guter Teil der Festorganisatoren aus den Kreisen der Unternehmer kam und das Komitee sich insgesamt aus den sozialen Oberschichten rekrutierte, ist es durchaus wahrscheinlich, dass den Arbeitern keine neuerliche 1046 New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, 19. August 1859, S. 345. 1047 Ebd., 5. August 1859, S. 312. Siehe auch New Yorker Illustrirte Zeitung und Familienblätter, 10. August 1859, S. 281, die diese Auffassung teilten. 1048 New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, 12. August 1859, S. 329, 19. August 1859, S. 354, 14. Oktober 1859, S. 472; New Yorker Handelszeitung, 7. Oktober 1859, S. 9. 1049 New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, 14. Oktober 1859, S. 472. 1050 Sociale Republik, 19. November 1859, S. 3 – 4.

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Möglichkeit zur Massenmobilisierung und damit vielleicht eine Plattform für politische Agitation und Demonstrationen geboten werden sollte. Deutsch-Sein jedenfalls war in New York kein ausreichender Grund für gemeinsames Handeln, während Klassenzugehörigkeit sich als primär handlungsleitend darstellt, wie auch am Festessen im Astor-Haus deutlich wird, wo sich die Kaufmannschaft mit Regierungsvertretern traf. Die Veranstaltung war auf Anregungen aus der Kaufmannschaft arrangiert und als Veranstaltungsort das exklusive Astor-Hotel ausgewählt worden.1051 Der Eintrittspreis pro Person wurde auf $10 festgelegt und garantierte eine hohe Exklusivität der Veranstaltung. Hier feierten die Funktionäre des Schillerfest-Vereins mit dem Bürgermeister Daniel F. Tiemann (1805 – 1899) und anderen Notabilitäten unter sich, was den Unwillen der deutschen Presse auch außerhalb New Yorks hervorrief. Während Moritz Meyer die Veranstaltung kurzerhand zur Privatfeier erklärte, giftete der Philadelphia Demokrat, die Haute vol¦e habe »sich ein apartes Vergnügen im Astorhause bereitet, und um ja vor jeglicher Berührung mit dem ›gemeinen Haufen‹ sicher zu sein, den Eintrittspreis auf $10 festgesetzt«.1052 In gewisser Weise schienen durch die Schillerfeier Klassengegensätze aber auch überwindbar zu sein. So lobt Moritz Meyer die Anwesenheit zahlreicher Arbeiter beim Festkonzert. Auch habe das Deutsche Stadttheater von der Schillerfeier profitiert, da zu diesem Anlass zahlreiche Besucher aus den Kreisen der Haute vol¦e dieses sonst von den Oberschichten eher vernachlässigte Haus aufgesucht hätten.1053 Die nicht geringe Zahl derjenigen aber, die selbst die 25 Cent für die Teilnahme am Festakt im Cooper-Institut und einen Ballbesuch nicht aufbringen konnten, waren in New York von der Schillerfeier ausgeschlossen. Da einige deutsche Geschäftsleute am 10. November den ganzen Tag oder ab dem Mittag ihre Geschäfte schlossen, war es zumindest einigen Arbeitern möglich, den Geburtstag des Dichters durch ein paar Stunden unerwartete Freizeit zu begehen.1054 Die anderen mussten im Stillen feiern oder sich mit der Schillerverehrung gedulden bis zur öffentlichen Aufstellung der von C. Ludwig Richter ge1051 Meyer 1859, S. 8; New Yorker Handelszeitung, 22. Oktober 1859, S. 11, 5. November 1859, S. 11. 1052 Meyer 1859, S. 8; Philadelphia Demokrat, 15. November 1859, S. 2. 1053 Meyer 1859, S. 4; Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung, 19. November 1859, S. 215. 1054 New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, 28. Oktober 1859, S. 508 – 509; New Yorker Handelszeitung, 12. November 1859, S. 13; Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung, 5. November 1859, S. 179; Dass bei Weitem nicht alle Geschäfte zur Feier geschlossen waren berichtet das Wochenblatt der New Yorker Staatszeitung, das einen geringen Andrang beim Festakt im Cooper Institut damit begründet, dass die Veranstaltung zur Mittagszeit, »also zu einer Zeit stattfand, wo noch viele Leute in ihren Geschäften zu tun hatten«. Der dennoch beträchtliche Zulauf sei während der Vorträge zudem immer mehr angewachsen. Wochenblatt der New Yorker Staatszeitung, 19. November 1859, S. 1.

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fertigten Schiller-Büste, eine Danneker-Kopie, die im Herbst 1862 – gegossen in Bronze – als erstes Personendenkmal im neuangelegten New Yorker CentralPark aufgestellt wurde.1055

New York als transatlantischer Brückenkopf In ihrer Ausgabe vom 11. November 1859 – Drucklegung war bereits am 8. November und somit vor Beginn der Feierlichkeiten – schrieb die New Yorker Criminal-Zeitung in freudiger Erwartung und Vorwegnahme des Festbeginns: »Wenn jetzt der atlantische Telegraph in Operation wäre, so würde er den Deutschen in London, die im Krystallpalast versammelt sind, den Gruß ihrer Brüder in Amerika bringen. Auf den Schwingen des Blitzes würde dieser Gruß weiter fliegen – nach Deutschland, nach Helvetien, nach dem ehrwürdigen Straßburg und nach Russland, wo inmitten der starren Eiseskälte die deutschen Herzen im Feuer des Schiller’schen Genius erglühen. Ein Gefühl beseelt in diesen Tagen Alles was Deutsch redet, denkt und empfindet, in der alten wie in der neuen Welt.«1056

Das hier zum Ausdruck kommende Bedauern der fehlenden kommunikativen Anbindung an die Feiernden in Europa drückt zugleich auch den Wunsch aus, sich möglichst zeitnah als transatlantische und weltweite Festgemeinschaft zu verständigen und darüber zu konstituieren. 1859 fehlten für eine solche Kommunikation allerdings noch die technischen Voraussetzungen. Im August 1858 war durch die Firma Atlantic Telegraph Co. das erste transatlantische Telegrafen-Kabel zwischen Europa und Nordamerika verlegt worden. Erstmals war durch diese Telegrafenverbindung die Übertragung von Nachrichten zwischen den Kontinenten in nur wenigen Minuten möglich geworden. Trotz der nur wenige Wochen währenden Überlebensdauer der Verbindung war die Öffentlichkeit inspiriert und euphorisch angesichts der neuen, gegenüber der Nachrichtenübermittlung per Schiff unvergleichlich beschleunigten Kommunikationsmöglichkeit. Der Wunsch nach einer kommunikativen Verbindung zwischen den USA und Europa blieb daher auch nach dem Zusammenbruch der Verbindung bestehen.1057

1055 Das Wochenblatt der New Yorker Staatszeitung, 8. Oktober 1859, S. 3, gibt Hinweise, wie Schiller im Stillen verehrt werden könne. Siehe auch Der Deutsche Pionier 4 (1872), H. 6, S. 203. Das Schiller-Denkmal steht heute auf der weitläufigen Mall des Central Park gegenüber der Naumburg Bandshell. 1056 New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, 11. November 1859, S. 535. 1057 Christian Holtorf: Der erste Draht zur neuen Welt. Die Verlegung des transatlantischen Telegrafenkabels, Göttingen 2013; Henry M. Field: History of the Atlantic Telegraph, New York 1866; Heinrich Schellen: Das atlantische Kabel, Braunschweig 1867.

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Angesichts der mehrwöchigen Verzögerung in der transatlantischen Nachrichtenübermittlung konnte über die Festvorbereitungen auf der jeweils anderen Seite des Meeres nur mit erheblichen zeitlichen Einschränkungen berichtet werden. Von den Schwierigkeiten, die etwa bei der Planung der Berliner Feier nach dem Verbot des Festzuges auftraten, erfuhr man in Amerika erst kurz vor Beginn der Festwoche. Völlig unmöglich war unter diesen Bedingungen die Entwicklung eines Wettbewerbs zwischen den Städten diesseits und jenseits des Atlantiks, wiesen doch schon die Wochenzeitungen die Aufgabe der fortlaufenden und aktuellen Berichterstattung eindeutig den Tageszeitungen zu.1058 Doch auch und gerade die Tageszeitungen waren auf Zulieferer angewiesen, die sie mit telegrafisch übermittelten Nachrichten, Korrespondenzen oder über die Zusendung und den Austausch von Wechselblättern mit den benötigten auswärtigen Informationen versorgten. Die mediale Vernetzung der Festorte war auf eine gewisse Aktualität angewiesen, um die eigenen Festvorbereitungen in einen sinnvollen und vergleichenden Bezug zu denen an anderen Orten setzen zu können. Diese Aktualität konnte aber nur innerhalb bestimmter und begrenzter Nachrichtenräume erreicht werden, in denen die notwendige Geschwindigkeit der Nachrichtenübermittlung auch gewährleistet war. Dieser Austausch wurde durch die wachsenden Eisenbahnnetze – in den USA hatte sich die Zahl der Eisenbahnkilometer in den 1850er Jahren mehr als verdreifacht – und die Telegrafie zunehmend einfacher und schneller, stieß jedoch noch immer an Grenzen. Eine davon war der Atlantik. Auf kontinentaler Ebene waren die technischen Voraussetzungen für die Etablierung eines dynamischen und annähernd tagesaktuellen Mediennetzwerks hingegen bereits gegeben und darüber auch die Möglichkeit, eine zeitgleich handelnde überregionale Gemeinschaft medial zu repräsentieren. Auch die Schillerfeier – als mediale Zusammenführung und Amalgamisierung der zahlreichen einzelnen Schillerfeiern – konstituierte sich unter diesen technischen Bedingungen als kontinental begrenzt. Zwar bestand mit der deutschen Sprach- und Kulturnation das Konzept einer deterritorialisierten Gemeinschaft auf der Basis spezifischer sprachlicher und kultureller Eigenarten, die auch in den Vereinigten Staaten als Referenz zum Einsatz kam – die häufigste und einfachste Anwendung dieses Konzepts findet sich in der auf Ernst Moritz Arndt zurückgehenden Redewendung »soweit die deutsche Zunge klingt«. Um diese Gemeinschaft aber als tatsächliche Handlungsgemeinschaft zu erfahren, war sie in der medialen Vermittlung auf eine Aktualität angewiesen, die bei der Über1058 Die Wöchentliche New Yorker Staatszeitung war allerdings der Ansicht, dass in der Schillerfeier »alle größeren Städte der Union und Deutschlands konkurrieren«. Wöchentliche New Yorker Staatszeitung, 8. Oktober 1859, S. 3.

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windung des Atlantiks vor der Einrichtung eines dauerhaften und schnellen Informationsaustauschs nur reziprok in Form der Nachberichterstattung erreicht werden konnte. New York war nicht nur als Einwandererhafen von herausragender Bedeutung. Da Nachrichten von und nach Europa auch 1859 noch auf dem gleichen Wege reisen mussten, wie Menschen oder Waren, war New York auch der bedeutendste Hafen für den Im- und Export von Nachrichten und daher in jeder Hinsicht ein Brückenkopf für den transatlantischen Austausch mit Europa. Deutsch-amerikanische Zeitungen wurden auch in Europa und in den deutschen Staaten gelesen1059, die Verschiffung der Publikationen erfolgte in der Regel über New York. Moritz Meyers Sonderheft zur amerikanischen Schillerfeier zielte sogar ganz bewusst auf den europäischen Markt. Es stellte den Festberichten aus der Union eine Charakterisierung der deutschen Community New Yorks voran und listete im Anhang sämtliche deutschen Gesellschaften, Vereine, Zeitungen sowie wichtige Unternehmen New Yorks auf. Auch im redaktionellen Teil bemühte man sich, einem potentiell auswärtigen Publikum gerecht zu werden. Man habe in diesem Sinne »zur besseren Verständigung manche Punkte näher erörtert, dagegen viele andere, als nur von lokalem Interesse, unerwähnt gelassen«.1060 Die amerikanische Schillerfeier wurde über New York nach Europa vermittelt. Hier wurden deutsch-amerikanische Zeitungen aus verschiedenen Städten der Union und Korrespondentenberichte für europäische Zeitungen, Zeitschriften oder Regierungen verladen und verschifft. Und es ist sicher kein Zufall, dass mit Moritz Meyers Sonderpublikation zur amerikanischen Schillerfeier der einzige zusammenfassende Bericht über die zahlreichen Einzelfeiern in den Vereinigten Staaten in New York entstand. Die Organisatoren und Berichterstatter der New Yorker Schillerfeier waren sich der Bedeutung ihrer Stadt für die Deutschen in Amerika auch vollauf bewusst und sahen sie und sich selbst als Stellvertreter und Repräsentanten aller Deutschen in den Vereinigten Staaten.1061

1059 Ein seit Frühjahr 1858 bestehendes Einfuhrverbot deutschsprachiger Periodika nach Preußen war 1859 wieder aufgehoben worden. Zu den zwischenzeitlich verbotenen Zeitungen gehörten etwa die New Yorker Staatszeitung und der Anzeiger des Westens aus St. Louis. Reiter, S. 329 – 330. Vgl. auch Wolfram Siemann (Hg.): Der »Polizeiverein« deutscher Staaten. Eine Dokumentation zur Überwachung der Öffentlichkeit nach der Revolution von 1848/49, Tübingen 1983, S. 157 – 158. 1060 Meyer 1859, S. 3. 1061 New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, 11. November 1859, S. 535, 536.

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Die Schillerfeier und die Deutschen Die New Yorker Illustrirte und Familienblätter sah die Berechtigung der Deutschen zur Schillerfeier in der unbefriedigenden Situation und Lage des deutschen Vaterlandes in Europa, in dem die öffentlichen Zustände ebenso wie die kulturellen »nur das Bild eines beklagenswerten, man möchte fast sagen trostlosen Verfalls« böten.1062 Die Hinwendung zu großen Personen der Vergangenheit als Zeugen einer besseren Zeit in Festen und Feiern erfolge gerade im Angesicht der unbefriedigenden Zustände in der Gegenwart und mache Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Der Jubilar selbst wird in dieser Hinsicht eher funktional wahrgenommen und sogar bewusst instrumentalisiert: »In Schiller und in der Begeisterung für die idealen Gestalten des Dichters fühlt sich die deutsche Nation in allen ihren Teilen einig, wie in nichts Anderem, und hierin liegt eigentlich die große nationale Bedeutung Schillers. Denn er für sich war im Grunde viel mehr kosmopolitisch als national, er betrachtete nach der Richtung seiner Zeit die nationale Beschränkung als eine Einseitigkeit, und das Schicksal nahm ihn wohlwollend aus der Welt hinweg, bevor er an Ereignissen, die ihn tief erschüttert haben würden, die Unrichtigkeit seiner Ansicht hätte erkennen können.«1063

Die nationale Bedeutung Schillers liegt dieser Ansicht nach also keineswegs im Dichter selbst, der, seinem zeitgenössischen Kontext entsprechend, eher nicht national eingestellt war. Die nationale Bedeutung Schillers erwächst in den Augen der New Yorker Criminal Zeitung vielmehr aus der gemeinschaftlichen Bezugnahme auf Schiller in der Schillerfeier. Sie ist somit rein gegenwärtig und Produkt der aktiven Vergemeinschaftung der Deutschen im Namen von und unter Bezugnahme auf Schiller. Der implizite historische Anker dieser nationalen Gemeinschaft ist die Erhebung gegen die napoleonische Besatzung und deren gewaltsame Beendigung, die allerdings erst nach dem Tod des Jubilars erfolgten. Sie wird hier zum Schlüsselerlebnis der Nation erhoben und das Problem der zeitlichen Nachrangigkeit dadurch gelöst, dass über eine Zeitzeugenschaft Schillers gemutmaßt wird, diese hätte ihn sicherlich von seinen kosmopoliten Einstellungen kuriert. Die Criminal-Zeitung schrieb der Schillerfeier für die Deutschen in Amerika eine besondere Bedeutung zu. Das Blatt hatte sich bereits an anderer Stelle besorgt gezeigt um den Bestand der deutschen Nationalität in der Vereinigten Staaten und ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass das »Deutschtum in Amerika« nicht untergehen, sondern sich konservieren möge.1064 In diesem Sinne sollte das Schillerfest die Deutsch-Amerikaner nun daran erinnern, dass 1062 New Yorker Illustrirte und Familienblätter, 10. November 1859, S. 2. 1063 Ebd. 1064 New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, 14. Oktober 1859, S. 472.

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auch sie Deutsche seien und die Aufgabe hätten, die deutsche Nationalität und Kultur auch in der Fremde zu bewahren. Der Verlauf der Festwoche erfüllte offenbar diese Hoffnungen, denn aus der von ihr beobachteten allgemeinen Begeisterung für die Feier zog die Criminal-Zeitung den Schluss, »dass unsere Nationalität in Amerika nicht untergehen wird und dass die Deutsch-Amerikaner fest entschlossen sind, in allem Schönen und Guten mit ihren transatlantischen Brüdern gleichen Schritt zu halten«.1065 Die Criminal-Zeitung zeigte sich mit dem Ertrag der Feier zufrieden, zum Teil sogar überrascht über das, was die Deutschen in Amerika auf kulturellem Gebiet inzwischen zu leisten in der Lage seien. Bei den Proben zum Konzert in den City Assembly Rooms trieb es einem Redakteur der Zeitung angesichts der dort beobachteten musikalischen Leistungen sogar die Tränen in die Augen: »Wir waren stolz darauf, dass wir ein Deutscher sind, und stolz darauf, dass wir Deutschen es in Amerika so weit gebracht haben.«1066 In der Herstellung von Eintracht und Zusammenhalt unter den Deutschen in Amerika sowie der Überwindung von Zwietracht und Missverständnissen, die vor allem auf persönliche Animositäten zurückgingen, lag nach den Vorstellungen der Criminal-Zeitung eine der Hauptaufgaben der Schillerfeier.1067 Das Einheitsmotiv wurde auch in einem Gedicht von Friedrich Lexow (1826/27 – 1872) bedient, das die Einheit zur Voraussetzung von Freiheit erklärte: »Stets noch Hader? O vereint Euch schleunig! Brüder, nur die Eintracht macht Euch groß! Denkt an Tell! Seid einig, einig, einig, Und die Freiheit sinkt Euch in den Schoß Deutsche, immer noch der Zwietracht Beute? Lasst noch einmal uns die Glocke weihn! Friede, Friede deutet ihr Geläute. Und Concordia soll ihr Name sein!«1068

Lexows Zeilen zielten dabei vor allem auf den europäischen Kontext, wo die fehlende Einheit der Deutschen als Schwächung der Nation gesehen wurde. Die in der Glocke repräsentierte Einheit der Nation muss erst noch hergestellt werden, gleichsam gegossen werden, möglichst unter Beteiligung Aller. 1065 Ebd., 11. November 1859, S. 535; Ebenso in einem Kommentar über die Schillerfeiern in der Union in der Ausgabe vom 25. November 1859, S. 569. 1066 Ebd., 11. November 1859, S. 536. Die Freude währte nur kurz. Bereits in ihrem Jahresausblick sah die Criminal-Zeitung in der Schillerfeier zwar einen glänzenden Beweis für das Nationalgefühl der Deutschen, jedoch keinen genügenden Ersatz für die politische Unfreiheit und Zerrissenheit. 1067 Ebd., 14. Oktober 1859, S. 472 – 473, 4. November 1859, S. 521, 25. November 1859, S. 569. 1068 Friedrich Lexow »Zum Schillerfest«, in: New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, 4. November 1859, S. 522.

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Von den Festrednern im großen Saal des Cooper-Instituts ging vor allem Wilhelm Löwe auf die Bedeutung der Schillerfeier für die Deutschen in Europa und Amerika ein.1069 Während er der Schillerfeier für die Deutschen in Europa vor allem eine Mobilisierungsfunktion für die Fortsetzung des nationalen Befreiungskampfes und zur Herstellung eines deutschen Nationalstaates zuschrieb, bezog Löwe die Bedeutung der Feier für die Deutschen in den Vereinigten Staaten auf das Prinzip des Weltbürgertums. Dieses sei durch die klassische deutsche Literatur und vor allem durch Friedrich Schiller zu einer wesentlichen deutschen Charaktereigenschaft geworden und erleichtere den deutschen Einwanderern nun die Integration in den Vereinigten Staaten, die schließlich auf der Grundlage dieses Prinzips gegründet worden seien.1070 Zugleich empfiehlt sich Schiller nach dieser Deutung dem amerikanischen Publikum als eine Art geistiger Gründungsvater der Union. Gänzlich anders sieht Löwe die Bedeutung der Feier und des Jubilars für den europäischen Kontext. Die besondere Bedeutung Schillers und der Literatur überhaupt für die deutsche Nation ergebe sich aus dem Umstand, dass die Nation in der klassischen deutschen Literatur ihre Auferstehung »aus der tiefsten Niederlage« der konfessionellen Kämpfe des 16. und 17. Jahrhunderts zu verdanken habe. »Man hat uns wohl oft verspottet, um unserer literarischen Nationalität willen, weil in den schlimmsten Zeiten das Leben der Nation uns durch Kunst und Wissenschaft erhalten und weil die gemeinsame Sprache und der gemeinsame Ruf ihrer Literatur das einzige wirkliche Band ist, das die Nation in den schlimmsten Momenten zusammenhält. Wir aber wissen, dass die Nation von dem Augenblick des Eintritts ihrer klassischen Literatur sich langsam, aber stetig von ihrer tiefen Erniedrigung erhoben hat.«1071

Im Schillerfest werde nicht allein der Dichter, sondern zugleich eine gesamt historische Epoche im Zeichen der Freiheit geehrt. In diesem Sinne würden am 10. November gleichermaßen die an diesem Tag geborenen Martin Luther, Friedrich Schiller, Gerhard von Scharnhorst und Robert Blum gefeiert, die sich alle in hohem Maße um die (deutsche) Freiheit verdient gemacht hätten: Luther, indem er die Gefangenschaft der Welt durch das römische Papsttum beendete, Schiller, indem er die Konsequenzen aus dem Prinzip der geistigen Freiheit zog und sie in seinen Werken popularisierte, Scharnhorst, indem er das erste deutsche Volksheer schuf und die Freiheit der Deutschen im Kampf gegen Na1069 Der vollständige Text der Festrede findet sich in: Wochenblatt der New Yorker StaatsZeitung, 19. November 1859, S. 1; Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung, 19. November 1859, S. 210, Tropus 1860, Bd. 2. 1070 Ebd. 1071 Ebd.

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poleon wieder herstellte und schließlich Robert Blum, der in den neuesten Kämpfen der Freiheit und Einheit Schiller als Nationaldichter popularisierte und als Kämpfer für die Freiheit starb.1072 Wilhelm Löwe bezog sich in seiner Festrede auf eine protestantische deutsche Nation, die ihre Freiheit gegen äußere und innere Gegner – dort die katholische Kirche und die Franzosen, hier die deutschen Fürsten als Vertreter einer überkommenen, mittelalterlichen Staatsform – zu erringen hatte und auch zukünftig haben werde. Im Schillerfest sah er den »Charakter eines großen historischen Jubelfestes und des feierlichen Gelöbnisses, dem vor drei Jahrhunderten geschaffenen Geiste treu zu bleiben, ihn weiter zu entwickeln zur vollen und unbedingten Freiheit, ihn zu schützen gegen alle Gefahren und der Nation deshalb die Staatsform zu verschaffen, die diesen Aufgaben entspricht«.1073 Das »dumpfe Grollen der Feinde der Freiheit«, das Löwe hier beschreibt, bezog sich somit keineswegs auf die Befürworter der Sklaverei in den Vereinigten Staaten, sondern meinte die Gegner der deutschen Nation, die er ausschließlich in einem europäischen Kontext im Papsttum, dem mittelalterlichen Staat und fürstlicher Selbstsucht ausmachte. Die Schillerfeier wird bei ihm geradezu zum Symbol und Ausgangspunkt einer neuen Massenmobilisierung im Kampf um die nationale Freiheit: »Und sie alle [die Feinde der Nation –tl] fühlen, dass dieses Fest ein großer Jubelchor der Freiheit ist, in dem Glück und Unglück, Sieg und Niederlage – alle großen Momente vertreten sind von den Hammerschlägen an der Schlosskirche zu Wittenberg bis zu dem Büchsenknall in der Brigittenau, dass es darum gegen sie gefeiert wird, und dass in ihm die Nation zu neuen Kämpfen sich rüstet, in denen sie den letzten Stoß erhalten sollen.«1074 Diese protestantisch-nationale und revolutionäre Inanspruchnahme der Schillerfeier durch den letzten Präsidenten des zerfallenden Paulskirchenparlaments erstaunt vor dem Hintergrund einer bayerischen, mithin katholischen Mehrheit unter den deutschen Einwanderern in New York. Negative Reaktionen in dieser Hinsicht lassen sich jedoch nicht feststellen. Die Trennung von deutsch-europäischem und deutsch-amerikanischem Kontext ist für die New Yorker Kommentierung der Feier typisch und wird auch in der New Yorker Staatszeitung in der vierteiligen Artikel-Serie »Das Schiller1072 Wochenblatt der New Yorker Staats-Zeitung, 19. November 1859, S. 1. 1073 Ebd. 1074 Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung, 19. November 1859, S. 210. Der »Büchsenknall in der Brigittenau« bezieht sich auf die Erschießung Robert Blums am 9. November 1849 in Wien. Eine ähnliche Einordnung nimmt auch die New Yorker Criminal-Zeitung in ihrem Kommentar zur Schillerfeier vor. Der deutsche Geist habe, so die Criminal-Zeitung, seit der Revolution einen »ununterbrochenen Krieg gegen die Finsternis und Unfreiheit« geführt, eine Mission im Dienste des Idealismus. New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, 11. November 1859, S. 535.

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Jubiläum« über die Bedeutung und Gestaltung der Feier sowie im Rahmen der Festberichterstattung vorgenommen.1075 Wie schon in der Festrede von Wilhelm Löwe wird auch hier die Rettung und Bewahrung der Nation durch Schiller und die Literatur herausgearbeitet.1076 Und auch die New Yorker Staatszeitung stellte beide in die Tradition Luthers und der Reformation.1077 Deutschland habe insbesondere den Sieg über Napoleon 1813 seinen Dichtern zu verdanken. Und als nach der Erhebung die politische Selbständigkeit verwehrt wurde, suchte und fand die Nation im Geistigen und in der Literatur eine Zuflucht.1078 Das Schillerfest in den deutschen Staaten Europas war daher für die Staatszeitung eindeutig ein politisches, indem es als nationales, als »gesamtvaterländisches« Fest gefeiert werde. In der gemeinsamen Huldigung werde die Einheit und der geistige Zusammenhalt der ansonsten vielfach gespaltenen und politisch zerrissenen Deutschen bekundet. Die politische Situation habe dies befördert, denn nicht zuletzt die Sorge um Deutschland habe letztlich zum Zusammenschluss in feierlicher Eintracht beigetragen. Die Einheit der Deutschen in der Feier des Dichtergeburtstages, so die Staatszeitung, solle die tatsächliche Einheit anbahnen und vorbereiten. Im Ringen um die Freiheit sollte die Schillerfeier in Amerika nach der Staatszeitung auch ein Gruß und eine Sympathiebekundung an die Deutschen in Europa sein. Mit Kant und Schiller rief die Staatszeitung über den Atlantik hinweg sogar zur Aktion auf: »Deutsche, Ihr könnt, denn ihr sollt, darum werdet frei, einig, groß und mächtig!«1079 In diesem spezifisch europäischen Zusammenhang – und ausschließlich in diesem – wird Friedrich Schiller von der Staatszeitung als Dichter der Freiheit adressiert.1080 Adolph Wiesner hatte neben seinem Auftritt im Cooper-Institut die Möglichkeit, seine Gedanken zum Schillerfest auch medial in einem Leitartikel in Frank Leslie’s Illustrirter Zeitung zu veröffentlichen. Schiller, schreibt er dort, sei der »Sänger der Menschenwürde […] und daher auch der Prophet der Freiheit«. Doch auch Wiesner dachte den Freiheitsbegriff in einem europäischen Zusammenhang: Mit den Räubern habe Schiller den Mächtigen den Fehdehandschuh hingeworfen, in Wilhelm Tell den Deutschen gezeigt, »wie Völker, wenn sie ihre Würde fühlen, wenn sie mannhaft für ihre Menschenrechte kämpfen, 1075 Wochenblatt der New Yorker Staatszeitung, Teil 1 am 8. Oktober 1859, S. 3, Teil 2 und 3 am 15. Oktober 1859, S. 2 und Teil 4 am 22. Oktober 1859, S. 3. 1076 Ebd., 8. Oktober 1859, S. 3. 1077 Ebd., 22. Oktober 1859, S. 3 1078 Ebd., 12. November 1859, S. 3. Nach Friedrich Schiller, Xenien, 383. Ein Achter : »Auf theoretischem Feld ist weiter nichts mehr zu finden, / Aber der praktische Satz gilt doch: Du kannst, denn du sollst!« Schiller greift hier zurück auf Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788, S. 283. 1079 Wochenblatt der New Yorker Staatszeitung, 12. November 1859, S. 3. 1080 Ebd.

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ihre Ketten sprengen und ein neues, höheres Dasein in der Weltgeschichte beginnen können«. Auch für das deutsche Volk wünschte sich Wiesner, dass es die eigene Freiheit endlich erlange. »Am Tag, an welchem Deutschland frei sein wird, wird es die schönste, großartigste bedeutungsvollste Schillerfeier begehen.«1081 In seiner Festrede mahnte Wiesner zudem zur Zurückhaltung. Er beschrieb auch hier Schiller als Dichter der Freiheit, aber, »es sollte eine Freiheit sein, welche das Recht als Spitze trägt«. Schiller habe dem deutschen Volk in Wilhelm Tell, der Jungfrau von Orleans und in seiner Geschichte der Niederlande »mannigfache Beispiele gegeben, wie es sich zu benehmen hat, er hat ihm Vorbilder gezeigt, allein er zeigte ihm auch Maß zu halten, indem er ihm sagte: Vor der Freiheit beugt Euch, aber der Tempel der Freiheit ist zugleich der der Humanität, es soll die Wissenschaft und die Kunst darin verklärt werden und kein Altar darin sein, auf dem ein goldenes Kalb steht.«1082 Ganz anders deutete die Staatszeitung die Bedeutung der Feier für den amerikanischen Kontext. Anders als in Europa könne die Feier in Amerika »nur den Charakter der Pietät und der Liebe für das Andenken des größten und edelsten deutschen Mannes haben«, die Zusammengehörigkeit mit dem Heimatland nur individuell empfunden werden. Ein nationales Fest, wie es in Europa gefeiert werde, sei in der Union schlichtweg nicht möglich.1083 Hier gehe es vielmehr darum, in einfachen Formen und Symbolen zu zeigen, was Schiller für die Deutschen und ihre ästhetische Erziehung bedeute.1084 Die Schillerfeier in Amerika sei schon deshalb besonders, weil hier die Deutschen, anders als in den deutschen Staaten Europas, auf freiem Boden feiern dürften. Besonders New York sei dabei in der Pflicht, denn: »Keine andere Stadt der Welt hat eine so starke deutsche Bevölkerung mit diesem Maße politischer Freiheit aufzuweisen, wie New York.«1085 Von Beginn an stellte sich die Staatszeitung »das Fest als eine der wichtigsten Episoden im geistigen Leben der deutschen Emigration« vor. In ihr solle das gesamte inzwischen angesammelte künstlerische Potential der Deutschen in Amerika zumindest in einer einmaligen großen Kraftäußerung zur Geltung kommen und vielleicht sogar eine neue Periode in der ästhetischen Entwicklung 1081 Adolph Wiesner : Einige Worte über Schillers Bedeutung für die Menschheit und die Deutschen insbesondere, in: Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung, 12. November 1859, S. 193 – 194. 1082 Die Festrede von Adolph Wiesner findet sich u. a. im Wochenblatt der New Yorker Staatszeitung, 19. November 1859, S. 1, Pittsburger Volksblatt, 17. November 1859, S. 3, New Yorker Criminal-Zeitung und Familienblatt, 18. November 1859, S. 553. 1083 Wochenblatt der New Yorker Staatszeitung, 12. November 1859, S. 3. 1084 Ebd., 15. Oktober 1859, S. 2. 1085 Ebd., 8. Oktober 1859, S. 3.

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der deutschen Emigration begründen und ein kontinuierliches künstlerisches und literarisches Wirken anleiten.1086 Die Einmütigkeit und Freude, mit der die Deutschen in der Union die Feier begangen hätten, stimmte die Staatszeitung zuversichtlich, dass die deutsche Bildung sich auch hier ausbreiten und erhalten und einen wesentlichen Beitrag bei der Herausbildung der amerikanischen Nation leisten werde. Überall in der Union habe die Schillerfeier eine einigende Wirkung entfalten können: »Fest, fest stand die deutsche Bevölkerung, die Idee des Festes war die gemeinschaftliche Sonne, die kein Herz erkalten ließ, die Pietät gegen den Dichter schloss feste Bande um sonst widerstrebende Elemente.«1087 Während die Einheit der Deutschen im europäischen Kontext als eine Vorbedingung für den nationalen Freiheitskampf gesehen wurde, wurde sie im amerikanischen Kontext zum Symbol der Hoffnung für den Erhalt deutscher Sprache und Kultur auch in der Emigration. In diesem Sinne waren die Einheitsforderungen, -appelle und -berichte zu einem großen Teil auch Wunsch und Wille, nicht jedoch ein Beleg für die interne oder übergreifende Einheit und Gemeinschaftlichkeit der deutschen Einwanderer-Communities in den USA. Reinhold Solger (1817 – 1886)1088 ging in seinem prämierten Festgedicht stärker auf das Motiv der Freiheit ein, das in Schillers Werken von zentraler Bedeutung sei. Seine Ausführungen gehen in der offenen Form des Gedichts etwas weiter, als die der anderen Festredner und Kommentatoren und öffnen am ehesten eine Anschlussmöglichkeit an den amerikanischen Freiheitsdiskurs im Zusammenhang mit der Sklaverei-Frage. Solger wurde beim Festakt im CooperInstitut als Gewinner des New Yorker Dichtwettbewerbs ausgerufen. Das Preisgedicht übernahm in New York die Funktion, die andernorts dem Freiligrath-Festlied zukam, es wurde zur Bekränzung der Schiller-Büste eingesetzt. Erstmals öffentlich vorgetragen wurde es durch die bekannte und beliebte Schauspielerin Antonie Grahn (1820 – 1871) am 10. November 1859 in der Academy of Music (Abb. 9).1089 1086 Ebd., 8. Oktober 1859, S. 3. 1087 Ebd., 19. November 1859, S. 1. 1088 Reinhold Solger wurde am 17. Juli 1817 in Stettin geboren. Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte in Halle und Greifswald arbeitete er ein Jahr im preußischen Staatsdienst in Potsdam, anschließend vier Jahre als Hauslehrer in England. Solger lernte 1847 in Paris Bakunin kennen, wurde Zeuge der Februarrevolution und nahm anschließend am badischen Aufstand als Sekretär von Ludwig Mieroslawski teil. Der Verhaftung entzog sich Solger durch seine Flucht in die Schweiz. 1853 wanderte er über England in die USA aus, wo er sich als Redner, Schriftsteller und Dichter unter anderem für die Republikaner betätigte. Unter Lincoln bekam er eine Anstellung im Finanzministerium. Sein bekanntestes literarisches Werk ist der Roman »Anton in Amerika« (1862). Reinhold Solger starb am 13. Januar 1866 in Washington D.C.; DBE. 1089 Wie die Criminal-Zeitung berichtete, war das New Yorker Komitee seitens einer Phil-

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In dem Gedicht steht die Bekränzung einer Schiller-Büste unmittelbar bevor, als sich der Bekränzende fragt, ob er, und mit ihm die Feiernden, überhaupt würdig seien, das Haupt des Dichters zu krönen. An dieser Stelle wendet sich Schiller durch die Büste sprechend direkt an die Festgesellschaft und spricht: »Weil Ihr die Zunge sprecht, die ich geweiht Drum glaubt Ihr Euch schon geschaffen Zum Festtriumph der eig’nen Eitelkeit In meinem Ruhm Euch spiegelnd zu begaffen? Bleibt Euch kein andrer Götze, dem Ihr fröhnet Dass Ihr mein aufgegraben Bild entschleiert? Wen, in der Tat! habt Ihr nicht schon gefeiert? Wen, in der Tat! habt Ihr zur Mode nicht gekrönet? Als ich des neuen Bundes Tafelstein Errichtet an des Säkulums Portalen, Da, meint’ ich, solltet Ihr Apostel sein In alle Welt, im Dienst des Idealen. Und wo Ihr immer falsche Götter fändet, Da sollten Eure Scheiterhaufen prasseln, Und wo Ihr hörtet Sklavenketten rasseln, Da solltet rächen Ihr die Menschheit, die geschändet!«

Wenn auch in diesen Zeilen keine explizite Verbindung mit dem amerikanischen Freiheitsdiskurs hergestellt wird, es besteht zumindest eine offene Anschlussmöglichkeit. Der Freiheitskampf wird den Deutschen hier als eine Mission zugeschrieben. Sie gelte in aller Welt, also auch jenseits des nationalen Einheitskampfes in Europa und unabhängig von der nationalstaatlichen Einigung der Deutschen, grundsätzlich und überall. Die Sklaverei als eine Schändung der Menschheit fällt dabei eindeutig in die Zuständigkeit der deutschen Freiheitsmission. Angesichts fortgesetzter Sklaverei auch und gerade in der Union – der Aufstand von Harper’s Ferry und der Prozess gegen John Brown waren ja nur das aktuellste Kapitel in dieser Auseinandersetzung – wurden die hehren Ziele ganz offensichtlich noch nicht erfüllt, womit Solger die Würde der Feiernden grundsätzlich infrage stellte. Der Autor lässt die Bekränzung des Dichters schließlich doch noch geschehen, allerdings verbunden mit einer Selbstverpflichtung der Feiernden, sich in Zukunft für die Ideale des Dichters sehr viel stärker und engagierter einzusetzen und die Mission voranzutreiben: adelphier Zeitung im September darum gebeten worden, von der Idee des Dichtwettbewerbs zurückzutreten. »Da wir einen Freiligrath haben, sind die Bemühungen unserer Dichterlinge hier sehr unnütz«, wird die ungenannte Zeitung zitiert. Die Criminal-Zeitung hielt es angesichts der fortgeschrittenen Zeit für die Ausführung der an sich guten Idee bereits zu spät sei und wies die Forderung aus Philadelphia zurück. New Yorker CriminalZeitung und Belletristisches Journal, 16. September 1859.

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»Der Zukunft Kranz, nicht der Vergangenheit: Für was wir hoffen, nicht was wir verloren, Für den Geburtstag, der uns mitgeboren Zu neuem Geisteskampf in einer neuen Zeit.«1090

Vom Publikum wurde das Preisgedicht überaus positiv aufgenommen. Nach der Krönung der Büste, berichtete Frank Leslie’s Illustrirte, »erscholl ein donnernder, die Räume erschütternder Jubel, der gar nie enden zu wollen schien«.1091 Die Anschlussmöglichkeiten zum amerikanischen Freiheitsdiskurs allerdings wurden von den mehrheitlich demokratischen Deutschen New Yorks offenbar nicht genutzt – eine zeitgenössische Kommentierung des Gedichts vor dem Hintergrund der Sklaverei-Diskussion liegt nicht vor.

Abb. 9: Antonie Grahn krönt die Schiller-Büste in der New Yorker Academy of Music1092

Ein direkter Zusammenhang zur aktuellen Frage der Sklaverei in den Vereinigten Staaten wurde in New York somit weder von den Festrednern im CooperInstitut noch von den journalistischen Kommentatoren der Feier hergestellt. Auf den zweiten Blick finden sich sogar implizite Warnungen davor, es mit der Freiheit zu weit zu treiben. »Wir in diesem Lande besonders müssen Schiller 1090 Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung, 19. November 1859, S. 211. 1091 Ebd. 1092 Frank Leslie’s Illustrated Newspaper, 26. November 1859, S. 403.

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ehren als den Dichter der Freiheit«, hob etwa William C. Bryant in seiner Rede hervor. Zugleich warnte er aber auch vor zu großer Radikalität. Schiller sei ein Reformer gewesen, kein Zerstörer. Er habe die beständige Herausbildung des Neuen aus dem Alten »ohne Gewalt und deren Begleiter, Verwirrung und Elend,« gewollt.1093 War dies eine Warnung an eine amerikanische Gesellschaft, die wegen der Frage, wie weit diese Freiheit gehen darf und für wen sie gültig ist, kurz vor dem Zerbrechen stand? Vor diesem Hintergrund klingt auch Adolph Wiesners Hinweis, dass die Freiheit, für die Schiller eintrat, das Recht als Spitze getragen habe, wie ein indirekter Aufruf zur Mäßigung.1094 Der Freiheitsbegriff wurde auf den Einheits- und Freiheitskampf der Deutschen in Europa beschränkt und mit dem Motiv der Einheit verknüpft. Dieses Motiv wurde auch auf die Deutschen in Amerika angewandt und drückte sich etwa aus in Forderungen nach einer Überwindung von Zwist und Streitigkeiten aller Art. Der Zweck des Zusammenhalts und der Einheit lag allerdings in der Erhaltung und Bewahrung der deutschen Kultur in der neuen Heimat. Religiöse Kreise hielten sich in New York aus der Kommentierung der Schillerfeier größtenteils heraus. In einem einzigen Artikel beschäftigte sich der Lutherische Herold mit dem Thema und enthielt sich darüber hinaus jeglicher Berichterstattung. In ihrem Kommentar ging es der Zeitung dann auch nicht um die Feierlichkeiten selbst, sondern um die Erhebung Schillers zum größten Freigeist. Zwar sei die vereinigende Wirkung des Festes für die Deutschen eine große Freude, Schiller durchaus ein beachtlicher Dichter, so die Zeitung. Auch müsse man sich als Christ der Feier grundsätzlich nicht verschließen. Allerdings sei man in der Feier dort zu weit gegangen und habe Götzendienst betrieben, wo Schiller zum Gott erhoben oder als Vollender der Reformation gepriesen wurde. Der größte und wahre Freigeist, so der Herold, sei mitnichten Schiller, sondern Martin Luther. Schiller habe vielmehr Luther und der Reformation alles zu verdanken, sein christliches Elternhaus habe ihn fürs Leben geprägt. »Somit gehört denn Schiller, der wundervolle Dichter der ganzen Welt«, schloss der Lutherische Herold seinen Kommentar über die »Sünden des 10. November«, »Sein Kopf und dessen Zweifel den modernen Humanisten – uns aber sein Herz. Ja, das Noble in dem Herzen ist auch Frucht des Evangeliums und der Reformation.«1095 1093 Die vollständige Festrede von William C. Bryant findet sich im Wochenblatt der New Yorker Staatszeitung, 19. November 1859, S. 1; Cincinnati Daily Gazette, 14. November 1859; Cincinnati Daily Commercial, 15. November 1859; Philadelphia Evening Bulletin, 12. November 1859; New York Times, 11. November 1859 usf. 1094 Wochenblatt der New Yorker Staatszeitung, 19. November 1859, S. 1. 1095 »Die Sünden am 10. November 1859, dem Geburtstage des größten Freigeistes des letzten Jahrtausends«, in: Der Lutherische Herold, 1. Dezember 1859, S. 115 – 116, 15. Dezember 1859, S. 121 – 122. Der Autor richtet sich in seinen Ausführungen explizit gegen die frei-

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Festberichterstattung Die New Yorker Wochenzeitungen spielten für die Organisation der Schillerfeier keine besondere Rolle. Das Komitee war offenbar in der Lage, die Feier weitgehend selbständig zu organisieren. So fanden sich kaum Journalisten im Schillerfest-Verein, für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit, die vor allem aus der Mitteilung des Festprogramms bestand, sorgte das eigene Redaktionskomitee. Eine bevorzugte Behandlung der Medien etwa durch die Bereitstellung von Kartenkontingenten für die Festveranstaltungen lässt sich ebenfalls nicht feststellen. Es scheint, als wären die Organisatoren der New Yorker Feier nicht an einer breiten öffentlichen Diskussion der Vorbereitungen interessiert gewesen, darauf deutet auch die schnelle Zurücknahme des Festzugsvorschlags von Karl Schramm. »Von der Presse schien der passive Beistand willkommen zu sein; so wählten wir denn diesen«, kommentierte die Staatszeitung das offenbar etwas distanzierte Verhältnis von Schillerkomitee und der deutschsprachigen Presse in New York.1096 Für den exklusiven Charakter des New Yorker Schillerfestes war eine breit angelegte Einbindung der deutschen Zeitungen New Yorks auch nicht unbedingt nötig, da eine Mobilisierung und Organisierung der Massen für öffentliche Festelemente nicht erforderlich war. Da das künstlerische Festprogramm zum größten Teil von professionellen Künstlern ausgeführt wurde, die in enger Verbindung mit den organisierten musikalischen Kräften der Stadt standen, war eine Sammlung und Einbindung von Dilettanten, die andernorts durch öffentliche Aufrufe und Ankündigungen erfolgte, in New York nicht notwendig. Gleiches gilt für die dramatischen Aufführungen, die durch das Deutsche Stadttheater besorgt wurden. Da es weder einen Festzug noch eine Illumination zu organisieren gab, war es auch für die Organisation nicht zwingend nötig, größere Bevölkerungsteile zu erreichen und zu informieren. Wichtig für die organisatorische Durchführung der Schillerfeier waren somit lediglich die Veröffentlichung des Programms und die Bekanntgabe der Vorverkaufsstellen für die Eintrittskarten. In der Berichterstattung über auswärtige Schillerfeiern ergibt sich in New York ein uneinheitliches Bild. Die stark spezialisierten oder weltanschaulichen Parteizeitungen waren in der Festberichterstattung besonders zurückhaltend, die allgemeinen Wochenzeitungen weisen in der Vorberichterstattung einen Schwerpunkt in der europäischen Festberichterstattung auf, der sich in der Nachberichterstattung auf die Vereinigten Staaten verschiebt. religiöse Beanspruchung Schillers als Vorläufer der freireligiös-humanistischen Weltanschauung, wie sie in Philadelphia von Ferdinand Lechner vertreten wurde. Siehe oben, Kapitel »Philadelphia«. 1096 Wochenblatt der New Yorker Staatszeitung, 8. Oktober 1859, S. 3.

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Die Sociale Republik brachte keinerlei Vorberichterstattung und blieb mit ihrem Kommentar zur New Yorker Feier stark lokal ausgerichtet. Sechs US-Feste wurden lediglich genannt, Details über Programminhalte oder gar Ausführungen zu diesen Feiern gab es nicht. Im Lutherischen Herold finden sich gar keine Schillerfestberichte und lediglich ein Kommentar über die Vereinnahmung Schillers durch freireligiöse und humanistische Kreise. Staats- und CriminalZeitung konzentrierten sich in ihrer Vorberichterstattung vor allem auf die europäischen Feiern. Beide hatten dabei einen besonderen Fokus auf Berlin, aus dem jeweils mehrfach berichtet wurde. Vorberichte aus der Union gab es hingegen kaum, hier konzentrierte man sich in beiden Zeitungen auf die unmittelbare Umgebung. Bei der Staatszeitung standen somit 21 Vorberichten aus Europa (davon 7 aus Berlin und lediglich 2 aus nicht-deutschsprachigen Ländern) nur 2 Vorberichte aus der Union gegenüber – beide kamen aus Philadelphia. Ähnlich war das Bild bei der Criminal-Zeitung, die vorab aus fünf europäischen Städten berichtete, in der Union neben Philadelphia aber nur die New Yorker Vororte Hoboken und Williamsburg berücksichtigte. Als die Nachrichten über die Schillerfeiern in der Union eintrafen, änderte sich bei beiden Zeitungen das Bild. Bei der Staatszeitung übertraf die Zahl der US-Festberichte schließlich sogar die der europäischen: 25 Schillerfeiern in den Vereinigten Staaten standen nun 15 Feiern in Europa gegenüber, davon lediglich 11 in deutschen Staaten. Die Criminal-Zeitung brachte Berichte aus jeweils acht amerikanischen und deutschen Städten. Ausschließlich auf die New Yorker Feier beschränkte sich Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung, während die New Yorker Illusrtirte Zeitung und Familienblätter über New York und darüber hinaus ausschließlich aus Europa berichtete. Diese Zeitung erzielte mit ihrer Sonderausgabe zum Schillerfest, die sich ausschließlich mit dem Leben und Wirken Friedrich Schillers beschäftigte, einen großen Verkaufserfolg und konnte in kürzester Zeit 30.000 Exemplare dieser Ausgabe verkaufen.1097 Das Gegenbild hierzu war die New Yorker Handelszeitung, die überhaupt keine Festberichte aus Europa enthielt, dafür aber neben der ausführlichen Behandlung der New Yorker Feier 14 Vor- und 15 – allerdings sehr kurze – Nachberichte aus der ganzen Union veröffentlichte. Für die ausführlichen Berichte wurde auf das Sonderheft verwiesen, das der Herausgeber der Handelszeitung, Moritz Meyer, zusammenstellte und in der Handelszeitung bewarb. Hier fanden sich neben einem ebenfalls sehr ausführlichen Bericht zur New Yorker 1097 Dieser Verkaufserfolg wurde in zahlreichen Zeitungen auch außerhalb New Yorks gemeldet, u. a. Westliche Post (St. Louis), 15. November 1859, Freiheits-Freund (Pittsburgh), 19. November 1859; New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal 11. November 1859.

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Feier weitere 27 teils umfangreiche Festberichte aus den gesamten Vereinigten Staaten. Von einer systematischen Vor- und Nachberichterstattung und einer organisierten Etablierung eines medial repräsentierten amerikanischen Festraums kann hier trotzdem nicht die Rede sein. Vielmehr scheinen Umfang und Zahl der amerikanischen Feiern die Zeitungs-Redaktionen in New York eher überrascht zu haben. Zum Teil liefen die Berichte über fortgeschrittene Festvorbereitungen wohl auch zu spät ein, um von den Wochenzeitungen noch in den Ausgaben vor der Feier umfassend gewürdigt zu werden. Auch hier half man sich mit inkludierenden und verallgemeinernden Formulierungen, um die Ausbreitung des Festraumes zu beschreiben. »Aus allen Teilen der Vereinigten Staaten kommen die erfreulichsten Nachrichten«, schrieb etwa die Criminal-Zeitung in ihrer Ausgabe vom 4. November, »und es erliegt keinem Zweifel, dass wirklich eine schöne, großartige Nationalfeier, ein Fest für die ganze deutsch-amerikanische Bevölkerung an den Gestaden des Atlantischen, wie an denen des Stillen Oceans, im Osten, wie im fernsten Westen und im Süden der Republik zu Stande kommt.«1098 Auch die New Yorker Handelszeitung beschrieb den amerikanischen Festraum der Schillerfeier zusammenfassend in Form einer Auflistung verschiedener Festorte mit ihren jeweils wichtigsten Programmpunkten: »Aus den verschiedenen Städten der Union liegen jetzt die Programme der Feste vor […] Sie sehen sich im Allgemeinen ziemlich ähnlich«.1099

Pittsburgh Bei kühlem Wetter versammelten sich am 10. November ab 10 Uhr morgens die deutschen Militär-Kompanien Pittsburghs und einige amerikanische MilitärEinheiten vor der Masonic Hall in der Fünften Straße. Neben den Allegheny Rifles unter Captain Caspar Gang, den Jackson Independent Blues unter Samuel McKee, der Nationalgarde von Birmingham unter Leutnant Adam Washington, den Turner Rifles unter Captain Amelung und der Washington Infantry unter Captain T. A. Rowley marschierten Jungs Orchester und die Balers City Band als musikalische Begleitung auf. Die ebenfalls eingeladenen deutschen Vereine, Gesellschaften und Logen waren – wohl wegen des kühlen und regnerischen Wetters – nicht erschienen, und so war es vorrangig am Militär, den vom 1098 New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, 4. November 1859, S. 521. 1099 New Yorker Handelszeitung, 5. November 1859, S. 10. Die Handelszeitung weist zudem darauf hin, dass öffentliche Umzüge und Paraden fast überall aufgegeben worden seien.

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Schillerkomitee angesetzten Festzug durchzuführen. Nachdem sich auch der Mexiko-Veteran und General James S. Negley mit seinem Stab eingefunden hatte, gab der gewählte Festmarschall der Schillerfeier in Pittsburgh, OberstLeutnant Franz Hardtmeyer, ein Zeichen, und der Festzug setzte sich in Bewegung.1100 Hardtmeyer und Negley folgte, auf zwei Wagen verteilt, das Pittsburgher Schillerfestkomitee. In militärischer Ordnung und mit Begleitung durch die beiden Musikgruppen marschierte der Zug durch die Hauptstraßen Pittsburghs, durchquerte durch die Smithfield Street den gesamten dritten Bezirk in Richtung Norden, vorbei an der United German Evangelical Protestant Church of Pittsburgh Richtung Fluss. Hier schwenkte er nach Osten und durchquerte den fünften Bezirk entlang der Penn Street. An der Mechanic Street Bridge setzte die Prozession über den Fluss nach Allegheny City, marschierte die beiden Hauptverkehrsachsen der jungen Stadt entlang, kehrte von dort über die Hand Street Bridge zurück nach Pittsburgh und endete schließlich wieder in der Fünften Straße.1101 Hunderte Teilnehmer hatten sich zunächst der Militär-Prozession angeschlossen, »but toward noon a slight rain sprang up, which dampened not only the streets, but also the ardor of those forming the procession, and dispersed some two or three hundred people who were following after«, berichtete noch am selben Abend der Pittsburgh Evening Chronicle.1102 Nachdem der Festzug nach gut drei Stunden »a little wet« (Pittsburgh Gazette) wieder vor der Festhalle angekommen war, löste sich die Menge auf. Lange Zeit zum Aufwärmen und Trocknen blieb nicht, denn bereits für 15 Uhr war der Beginn des ersten Festaktes in der Masonic Hall angesetzt. Das Anfang der fünfziger Jahre errichtete Freimaurer-Gebäude in der Fünften Straße war nicht nur der Treffpunkt der zahlreichen Freimaurer-Logen Pittsburghs und Alleghenys, es verfügte in der zweiten Etage auch über einen gern und oft genutzten Konzertsaal, den das Schillerkomitee für die Feier angemietet hatte.1103 Der Nachmittag war den Festreden vorbehalten. Wie fast überall gab es auch in Pittsburgh eine englische und eine deutsche Festrede. Für die englische An1100 General James S. Negley stellte im Bürgerkrieg ein Pittsburgher Freiwilligenregiment auf, das er als Brigade-General anführte. Die Allegheny Rifles unter Captain Gang bildeten Company B im 7. Regiment dieser Pennsylvania Volunteers, die Jackson Indpendent Blues unter Captain Samuel McKee gingen als Company B im 12. Regiment auf, die Washington Infantry dienten im 13. Regiment als Company A und D und die Pittsburgh Turner Rifles unter Captain Amelung stellten später Company B des 5. Regiments. Die oft aus sportlichen und gesellschaftlichen Gründen gegründeten Einheiten, die hier noch den Dichter ehrend durch die Straßen Pittsburgh paradierten, zogen also auch 1861 großteils gemeinsam in den Krieg. 1101 Pittsburger Volksblatt, 10. November 1859. 1102 Pittsburgh Evening Chronicle, 10. November 1859, S. 3. 1103 Vgl. George Thornton Fleming: History of Pittsburgh and Environs, Band 3, S. 594.

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sprache hatte das Festkomitee den Redakteur der Pittsburgh Gazette, Daniel L. Eaton, gewonnen, der – nach einer musikalischen Einleitung durch Jungs Orchester – als erster die Bühne betrat. Leider sind die Pittsburgher Festreden nicht überliefert, jedoch ist den Berichten der lokalen Presse zu entnehmen, dass Eaton Friedrich Schiller als Dichter der ganzen Welt würdigte, auf den insbesondere die Amerikaner ein Anrecht hätten, da dieser als Mann der Freiheit zugleich Todfeind aller Sklaverei und Unterdrückung gewesen sei. Nach Eaton trug der Präsident des Schillerbundes, wie das Schillerkomitee in Pittsburgh sich selbst benannt hatte, und Pastor der »Deutschen evangelischprotestantischen Gemeinde«, Carl Walther, eine Festrede in deutscher Sprache vor, in der er sich vor allem der Lebensgeschichte des Dichters widmete. Zugleich erinnerte er daran, dass der 10. November auch der Geburtstag Martin Luthers und Robert Blums sei. »Die Erwähnung von Robert Blums Namen schlug wie ein Blitz der Begeisterung in der Versammlung ein«, schrieb das Pittsburger Volksblatt, »ebenso die Hinweisung, dass Schiller als Jüngling für den amerikanischen Unabhängigkeitskampfe für Washington und Franklin enthusiasmiert gewesen sei.«1104 Mit Walthers Vortrag endete der rednerische Teil der Pittsburgher Schillerfeier und das Publikum zerstreute sich erneut. Der künstlerische Höhepunkt, der »Glanzpunkt des Festes« (FreiheitsFreund), war die Festveranstaltung am Abend des 10. November, für den das Festkomitee ebenfalls die Masonic Hall angemietet hatte. Der Festsaal war festlich geschmückt, auf einem erhöhten Sockel war eine von Herrn Meyer hergestellte Kopie der Dannecker-Büste aufgestellt.1105 Der Andrang war groß, bereits im Vorverkauf waren die meisten der Eintrittskarten zu 50 Cent für einfachen Eintritt und 75 Cent für reservierte Plätze abgesetzt worden. »Nearly all the seats for the evening are already taken«, warnte die Pittsburgh Post am Morgen des 10. November, »and the Hall will doubtless be denseley crowded.«1106 Der Saal sei »zum Brechen voll« gewesen (Pittsburger Volksblatt), »every seat was occupied, and hundreds were obliged to stand in the aisles«.1107 Angekündigt war ein musikalisch-deklamatorischer Abend mit Musik, Gesang, Rezitationen aus Schiller-Werken und Lebenden Bildern zu Szenen aus Schillers »Glocke«, vorgeführt vom deutschen Turnverein, und Freiligraths »Festlied der Deutschen in Amerika«. Auch für die Abendmusik war wieder Jungs Orchester engagiert worden, das den Abend mit der Preciosa-Ouvertüre von Carl Maria von Weber eröffnete. Die für das Fest vereinten deutschen Gesangsvereine Teutonia und Frohsinn unter der Leitung von Adolph Knauff, dem Begründer und Leiter der 1104 Pittsburger Volksblatt, 11. November 1859. 1105 Freiheits-Freund, 10. Oktober 1859, S. 3. Die Büste wurde nach Ende der Feierlichkeiten vom Pittsburgher Leseverein für 20 $ erworben und in dessen Bibliothek aufgestellt. 1106 Pittsburgh Post, 10. November 1859, S. 1. 1107 The Pittsburgh Daily True Press, 11. November 1859, S. 3.

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Teutonia, intonierten »Die Macht des Gesangs«, dessen Text der Pittsburgh Evening Chronicle am Festtag in englischer Übersetzung abgedruckt hatte.1108 Pastor Walther hatte für den Anlass eigens einen einleitenden Prolog verfasst. In dieser von Philip R. Mertz vorgetragenen Anmoderation weihte er das Festprogramm dem gefeierten Dichter, kündigte die Hauptelemente des Abends an und eröffnete so den künstlerischen Teil des Schillerfestes. Das von dem TabakHändler Gottlieb Ludwig rezitierte Festlied Freiligraths wurde vom Publikum mit stürmischem Beifall aufgenommen. Hauptattraktion des Abends waren aber die zwölf Tableux vivant der Turner zu Bildern aus Schillers »Glocke« sowie die daran anschließende Krönung der Schiller-Büste. Die Deklamation der Verse hatte Herr A. Charles übernommen. Das Publikum war begeistert und forderte einige der Tableaux da capo. Nach der Krönung der Schiller-Büste folgte das Finale der »Glocke« in der Musik von Romberg, ebenfalls intoniert von den Gesangsvereinen Teutonia und Frohsinn, die zum Abschluss auch noch das Schiller-Gedicht »An den Frühling« sangen. Das eintägige Schillerfest in Pittsburgh war – abgesehen von den witterungsbedingten Einschränkungen beim morgendlichen Festumzug – ein Erfolg, auch die englischen Zeitungen besprachen vor allem die abendliche Festveranstaltung in der Masonic Hall wohlwollend und lobend. »We congratulate our German friends on so successful and happy a day for them as was yesterday«, schrieb die Pittsburgh Gazette, und der Pittsburgh Dispatch war überzeugt, »that all who were present were pleased, and those who were not, missed a treat, which we regret is not offered more frequently to Pittsburg audiences«.1109 Der Abend, »was a grand and interesting affair, and attracted one of the most brilliant and enthusiastic audiences of the season«, schrieb der Pittsburgh Evening Chronicle und die Pittsburgh True Post ergänzte, »the whole performance was excellent, and reflected great credit upon those who designed and executed it«.1110 Dass die Schillerfeier in Pittsburgh schließlich doch noch zu einem Erfolg wurde, war lange Zeit nicht abzusehen.

German Pittsburgh Die aufstrebenden Städte Pittsburgh und Allegheny, gelegen im westlichen Pennsylvania am Zusammenfluss von Allegheny und Monongahela zum Ohio River, hatten in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine zahlenmäßig bedeutende 1108 Pittsburgh Evening Chronicle, 10. November 1859, S. 1. 1109 Pittsburgh Gazette 11. November 1859, S. 2; Pittsburgh Dispatch, 11. November 1859, S. 3. 1110 Pittsburgh Evening Chronicle, 11. November 1859, S. 3; The Pittsburgh Daily True Press, 11. November 1859, S. 3.

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deutsche Einwohnerschaft. Zusammen hatten die beiden Städte um 1860 rund 80.000 Einwohner, von denen gut zwei Drittel im älteren und größeren Pittsburgh lebten. Von den 49.217 Einwohnern, die 1860 in Pittsburgh gezählt wurden, waren 9.297 irische Einwanderer. Sie stellten mit einem Anteil von 18,89 Prozent an der Gesamtbevölkerung die größte Einwanderergruppe, gefolgt von den 6.049 Einwanderern aus deutschen Staaten, die einen Anteil von 12,29 Prozent ausmachten.1111 Schwerpunkte deutscher Ansiedlung in Pittsburgh waren der dritte Bezirk im Zentrum des alten Pittsburghs, das südliche Ufer des Allegheny und das nördliche des Monongahela River. Weiter östlich befand sich mit Lawrenceville ein weiterer deutscher Siedlungsschwerpunkt am südlichen AlleghenyUfer. In Allegheny City waren die Deutschen die größere Einwanderergruppe. Hier stammten 1860 von den 28.702 gezählten Einwohnern 3.653 aus den deutschen Staaten, ein Anteil von 12,73 Prozent, während die Einwanderer aus Irland hier einen Anteil von gut 10 Prozent stellten.1112 Deutsche Siedlungsschwerpunkte in Allegheny City waren der dritte und vierte Bezirk, das so genannte Dutchtown. Die aus der Schweiz stammende Voegtley-Familie hatte in diesem Gebiet bereits in den dreißiger Jahren in großem Stil Land erworben und in den späten 1840ern bevorzugt an deutschsprachige Zuwanderer verkauft.1113 Der Schillerfestzug durchquerte also am 10. November 1859 die namhaften Schwerpunkte deutscher Ansiedlung in Pittsburgh und Allegheny City. Wie überall in den Vereinigten Staaten organisierten sich auch die Deutschen in Pittsburgh und Allegheny in zahlreichen Vereinen und Gesellschaften, in Gesangsvereinen oder bei den Turnern, in Freimaurerlogen, wohltätigen Gesellschaften oder militärischen Freiwilligen-Kompanien und pflegten in regelmäßigen Treffen, Picknicks, Konzerten und Festen geselliges Beisammensein. Die erste größere Welle deutscher Einwanderer kam in den 1830er Jahren nach Pittsburgh. Viele von ihnen brachten Kapital und Fertigkeiten mit, die in der noch jungen und wachsenden Stadt gefragt und willkommen waren. Mit der zweiten Welle, die in den 1840ern einsetzte, kamen Tausende ärmere Einwanderer hinzu, vor allem Iren und Deutsche, die ihre Arbeitskraft bei der Transformation der Doppelstadt vom Handelszentrum zum expandierenden Industriestandort einbrachten und für einen schnellen und grundlegenden Wandel in der demographischen Zusammensetzung der Stadt sorgten. Da die meisten von 1111 US Census 1860, S. XXXII. 1112 Ebd., S. XXXI. 1113 Nora Faires: Ethnicity in Evolution. The German Community in Pittsburgh and Allegheny City, Pennsylvania, 1845 – 1885, Ann Arbor 1982, insbesondere S. 176 – 211; Charles W. Dahlinger : Old Allegheny, in: Western Pennsylvania Historical Magazine, 1 (1918) H. 4, S. 161 – 223, S. 199 f.

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ihnen junge und arbeitsfähige Menschen waren, bildeten die Neuankömmlinge einen wichtigen Teil der arbeitenden Bevölkerung. Die Deutschen in Pittsburgh verrichteten vor allem körperliche Arbeit. Sie arbeiteten als Ungelernte oder Hilfsarbeiter und hatten einen starken Schwerpunkt im Handwerk, seltener waren sie als Facharbeiter angestellt, auch wenn sie ihren Anteil hier stetig ausbauten. Insgesamt waren in diesen Berufsfeldern gut drei Viertel der Deutschen beschäftigt. Die gut ausgebildeten deutschen Handwerker dominierten vor allem bei den Schneidern, den Schuhmachern und zunehmend auch bei den Fassbindern, Gerbern, Schlachtern, Bäckern und Konditoren sowie bei den Brauern. Die wenigen Geschäfte, die von deutschen Einwanderern betrieben wurden, waren zumeist Lebensmittelgeschäfte. Ein Schwerpunkt bildete sich im Hotelgewerbe und der Gastronomie. Viele Hotels, Gastwirtschaften und Saloons in Pittsburgh wurden von Deutschen betrieben, bis 1870 konnten sie ihren Marktanteil in Pittsburgh in diesem Bereich auf fast 50 Prozent ausbauen. In Allegheny City war die Berufsstruktur der in Pittsburgh grundsätzlich ähnlich. Auch hier gingen die Deutschen vor allem körperlicher Arbeit nach. Der nördliche Nachbar Pittsburghs war weniger stark industrialisiert, das Handwerk war hier etwas stärker vertreten. Innerhalb des Handwerks jedoch entsprach die ethnische Verteilung auf die verschiedenen Berufszweige der Pittsburghs, auch hier waren die meisten Schneider und Schuhmacher, Möbelschreiner, Gerber und Schlachter deutsche Einwanderer. In Allegheny konzentrierte sich zudem das Brauereigewerbe stärker als in Pittsburgh, auch hier waren zahlreiche Deutsche vertreten. Deutlich unterrepräsentiert waren sie in beiden Städten bei den akademischen und Angestellten-Berufen, die fast vollständig von Amerikanern beherrscht wurden. Das Anwachsen der deutschen Communities schuf allerdings nach und nach einen eigenen Beschäftigungssektor innerhalb der EinwandererGemeinschaft, in der unter anderem für die entstehenden und wachsenden deutschen Schulen und Kirchengemeinden Fachkräfte benötigt wurden. Sowohl in Pittsburgh als auch in Allegheny waren die Deutschen somit nicht direkt in den dynamischsten Wachstumsbereich Pittsburghs, die Industrie, eingebunden. Sie waren eher indirekt vom Strukturwandel betroffen, im Negativen durch die zunehmende Erosion des klassischen Handwerks mit der wachsenden Industrialisierung, aber auch im Positiven, etwa bei den Bäckern oder Schlachtern, die von dem fortwährend wachsenden und sich ausweitenden städtischen Markt profitierten. Mit der Zeit gelang es einer Reihe von Deutschen dann auch, einen zunächst bescheidenen, später auch mittleren Wohlstand in beiden Städten zu erlangen.1114 1114 Faires, 1981.

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Deutsche Presse in Pittsburgh In Pittsburgh gab es 1859 mit dem Freiheits-Freund, dem Pittsburger Republikaner und dem im August 1859 neu begründeten Pittsburger Volksblatt drei deutschsprachige Tageszeitungen, die alle auch in einer wöchentlichen Ausgabe erschienen. Mit dem Pittsburger Courier, der bis 1860 als eigenständige Wochenzeitung herausgegeben und dann mit dem Freiheits-Freund vereint wurde, gab es in Pittsburgh 1859 insgesamt vier deutschsprachige Wochenzeitungen, wobei die Wochenausgaben inhaltlich in großen Teilen mit den Tagesausgaben übereinstimmten.1115 Der Freiheits-Freund wurde 1834 von Henry Ruby als Wochenzeitung in Chambersburgh, Pennsylvania, begründet. 1837 übernahm der damalige Redakteur Victor Scriba die Zeitung und verlegte sie nach Allegheny bzw. Pittsburgh. Neben der Wochenausgabe erschien vom Freiheits-Freund ab 1847 auch eine tägliche Ausgabe. 1850 übernahmen die langjährigen Mitarbeiter William und Louis Neeb die Zeitung von Scriba. Bis zur Vereinigung mit dem Volksblatt 1901 wurde der Freiheits-Freund von den Neeb-Brüdern, die zu den einflussreichsten Akteuren des Pittsburgher Journalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörten, herausgegeben.1116 Zu seinen Redakteuren bis zum Bürgerkrieg gehörten unter anderen Heinrich Bauer, Adolph Lange und Karl Friedrich Bauer. Der Achtundvierziger Karl Friedrich Bauer (1824 – 1889), der sich in den Vereinigten Staaten auch Charles F. Bauer nannte, legte am 11. August 1859 die Redaktion des Freiheits-Freundes nieder. Verstimmung über Fehltritte der Partei – der Freiheits-Freund war bis 1856 ein demokratisches Blatt, wechselte dann jedoch zum republikanischen Lager, dem er bis 1901 zugeneigt blieb –, persönliche Gründe und der Wunsch, sich eine selbständigere Stellung zu verschaffen, lägen diesem Schritt zugrunde, teilte Bauer in einer Abschiedsnotiz den Lesern mit.1117 Als Nachfolger stellte sich mit Adolph Lange ein aus New York zugereister, ehemaliger Mitarbeiter der dortigen Abend-Zeitung vor, der nach eigenen Worten bereits seit Jahren für die Begründung und Befestigung der republikanischen Partei gewirkt habe.1118 1115 Arndt/Olson S 580. Leider sind sowohl vom Republikaner, bei dem es sich um ein römischkatholisches Blatt gehandelt haben soll, als auch vom wöchentlichen demokratischen Pittsburger Courier nur Einzelausgaben überliefert, aus dem Jahr 1859 liegen keine Ausgaben vor. Vollständig erhalten sind hingegen der Freiheits-Freund und das Pittsburger Volksblatt, die für die Berichterstattung der Schillerfeier 1859 von Juli bis Dezember des Jahres ausgewertet werden konnten. 1116 Ebd., S 581. 1117 Freiheits-Freund, 11. Juli 1859, S. 2. 1118 Ebd., 12. Juli 1859, S. 2.

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Karl F. Bauer kehrte bereits nach kurzer Zeit mit einem neuen Zeitungsprojekt in die Öffentlichkeit zurück. Gemeinsam mit Sigismund Löw gründete er das Pittsburger Volksblatt, eine täglich und wöchentlich erscheinende, politisch und religiös unabhängige und unparteiische Zeitung, die einen Schwerpunkt in der lokalen und telegrafischen Berichterstattung haben sollte und mit der man ebenso schnell informieren wollte, wie die englischen Zeitungen am Ort.1119 Das am 8. August 1859 erstmals veröffentlichte Pittsburger Volksblatt wurde neben dem Freiheits-Freund zur erfolgreichsten deutschen Zeitung in Pittsburgh. 1901 wurden beide Zeitungen vereint und erschienen fortan und bis 1942 unter dem Namen Volksblatt und Freiheits-Freund.1120 Neben Karl F. Bauer und Sigismund Löw war auch John G. Backofen (1807 – 1889) zwischenzeitlich an dem neuen Zeitungsprojekt beteiligt. Der in Nürnberg geborene Backofen war ein Pionier des deutschsprachigen Buchhandels in Pittsburgh. Neben dem Handel mit Büchern, Papierwaren und Künstlerbedarf machte er sich als Importeur homöopathischer Medizin und Wegbereiter der Homöopathie in Pittsburgh einen Namen. Anfang der 1840er Jahre war Backofen Herausgeber und Redakteur des Pittsburger Courier, den er Ende der 1850er Jahre gemeinsam mit Heinrich Bauer herausgab und redaktionell betreute.1121 Nachdem der Courier 1860 eingestellt wurde, arbeitete Bauer mit den NeebBrüdern beim Freiheits-Freund, während Backofen sich Anfang der 1860er kurzzeitig bei Karl F. Bauers und Löws Volksblatt beteiligte, bevor er sich ganz aus dem Zeitungsgeschäft zurückzog.

Eine Schillerfeier für Pittsburgh Die Initiative zur Pittsburgher Schillerfeier war im Sommer 1859 vom deutschen Turnverein ausgegangen. In einer Anzeige im Freiheits-Freund rief er die deutschen Vereine und Logen Pittsburghs und Alleghenys für Samstag, den 23. Juli auf, zur Besprechung eines möglichen Festprogramms im Athenäum zusammenzukommen.1122 Neben dem Turnverein entsandten die Gesangsvereine »Teutonia«, »Harmonie«, »Fortschritt«, »Frohsinn« (Karl F. Bauer) und »Loreley Männerchor« Delegierte zu dieser Versammlung, weitere Mitglieder 1119 Flugblatt: »Eine neue deutsche Zeitung«. Ohne Datum (Juli 1859); Arndt/Olson, S. 584 – 585. 1120 Arndt/Olson, S. 585. 1121 Im Pittsburgher Directory bewerben Backofen & Bauer ihre täglich und wöchentlich erscheinende Zeitung als auflagenstärkste Zeitung unter allen deutschen Zeitungen in West-Pennsylvania und im östlichen Ohio. George H. Thurston (Hg.): Directory for 1856 – 57 of Pittsburgh and Allegheny Cities, Pittsburgh 1857, S. 118. 1122 Freiheits-Freund, 19.–23. Juli 1859.

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anderer Vereine, wie John G. Backofen, Präsident des Lesevereins, waren ebenfalls anwesend, jedoch nicht als offizielle Gesandte, da ihre Vereine in der Kürze der Zeit eine offizielle Entscheidung über eine Teilnahme nicht hatten treffen können. Die Versammlung konstituierte sich provisorisch, Charles Reichspfarr wurde zum Vorsitzenden, der Buchhalter Joseph G. Siebeneck zum Sekretär ernannt. Die Versammlung berief eine Kommission zur Erarbeitung eines ersten Programmentwurfs für die Feier, der nach seiner Fertigstellung einer Massenversammlung zur Genehmigung vorgelegt werden sollte. Außerdem wurden die noch nicht assoziierten Vereine und Gesellschaften zur Entsendung von Delegierten aufgerufen.1123 Angesichts dieser ersten Schritte zeigte sich der Freiheits-Freund erfreut, »dass auch in Pittsburgh die nötigen einleitenden Schritte getan sind, um das hundertjährige Geburtsfest unseres Dichters auf passende Weise zu feiern«.1124 Dass die Initiative zur Pittsburger Schillerfeier von den Vereinen ausging, erschien dem Freiheits-Freund nur natürlich, da diese »der Zentralisationspunkt des geselligen und geistigen Lebens« seien. Gleichzeitig seien »die Vereine selbst […] aber weit entfernt, dem deutschen Publikum hiesiger Gegend ein Fest aufoktroyieren zu wollen«, vielmehr sei jeder aufgefordert, durch Rat und Tat zum Gelingen des Projekts beizutragen und Vorschläge zur Gestaltung der Feier – in schriftlicher Form – dem Komitee einzureichen.1125

Der Pittsburgher Schillerbund Bis zur zweiten Versammlung hatten eine Reihe weiterer Vereine und Logen ihre Vertreter bestimmt und so konnte sich am 6. August das Zentralkomitee auf breiterer Grundlage konstituieren. Zum Präsidenten wurde der Vorsitzende und Delegierte des Pittsburgher Lesevereins, der Buchhändler John G. Backofen, gewählt, Vizepräsident wurde der Bauingenieur Charles Reichspfarr. In den Posten des Sekretärs wählte die Versammlung den Buchhalter Joseph G. Siebeneck, Schatzmeister wurde Philip R. Mertz, Kassierer der Pittsburgh Trust Company. Inzwischen lag auch ein erster Programmentwurf vor: Am 10. November sollte der Festtag mit einhundert morgendlichen Kanonschüssen begonnen werden. Im Anschluss sollte am Vormittag eine Prozession der deut1123 Ebd., 26. Juli 1859, S. 3. 1124 Ebd.; Zwei Wochen später äußert sich das Volksblatt ähnlich: »Die Feier des hundertjährigen Geburtstages unseres unsterblichen Dichters Schiller«, heißt es dort, »welche überall begangen werden wird, wo die deutsche Zunge klingt, ist nunmehr von den Deutschen Pittsburgs und Umgegend mit Ernst und Eifer in Angriff genommen worden.« Pittsburger Volksblatt, 8. August 1859, S. 2. 1125 Freiheits-Freund 26. Juli 1859, S. 3.

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schen Vereine, Kompanien und Logen folgen, am Nachmittag eine Massenversammlung mit deutschen und englischen Reden sowie schließlich ein abschließendes Abendkonzert mit Deklamationen und lebenden Bildern.1126 Zur Umsetzung des Entwurfs wählte die Versammlung ein Ausführungskomitee, dem neben Joseph G. Siebeneck und Karl F. Bauer noch der Turnvereins-Delegierte Frederick Haupt angehörte. Die soziale Zusammensetzung des Pittsburgher Komitees war gemischt, die Berufsstruktur stark differenziert. Mit Ausnahme der Apotheker, die mit Eduard Fendrich und J. August Zwinger zwei Vertreter im Komitee hatten, waren sämtliche Berufe je einfach vertreten. Insgesamt gehörten sechs Handwerker (Schneider, Wagenbauer, Kesselschmied, Schuhmacher, Polsterer, Brauer), ein Bauingenieur, sechs Akademiker (zwei Apotheker, je ein Arzt, Jurist, Lehrer und Pastor), drei Angestellte (Buchhalter, Bankkassierer, Büroangestellter), zwei Händler (Bücher, Lebensmittel) und ein Journalist dem Pittsburgher Komitee an, wobei keine Funktionärsstelle mit einem Handwerker besetzt wurde. Das Pittsburgher Komitee konstituierte sich als Delegierten-Versammlung aus den Vereinen und Gesellschaften der Stadt. Während der gesamten Planungsphase und auch bei der Durchführung der Feier war der Pittsburgher Turnverein als einer der aktivsten deutschen Vereine in der Stadt federführend beteiligt. Er war im März 1851 von emigrierten deutschen Turnern gegründet worden, und sah sich selbst als ein Kind der revolutionären Bewegungen, da sich besonders in den Anfangsjahren eine Reihe sozialer und politischer Flüchtlinge unter seinen Mitgliedern befanden. Daneben waren auch viele Fabrikarbeiter im Turnverein aktiv. Trotz hoher Fluktuation entfaltete der Verein in den 1850ern eine rege Tätigkeit, errichtete eine Sonntags- und Gewerbeschule, gründete eine Schützensektion und den Leseverein. Ende Juli 1859 weihte der Turnverein seine erste eigene Halle in Pittsburgh, die »Philo Hall« ein.1127 Auch bei der Schillerfeier engagierte sich der Turnverein sehr. Ohne den Einsatz der Turner wäre in Pittsburgh ein großer Teil des Schillerfestprogramms ausgefallen.

Schwierigkeiten in der Festorganisation Nach dem schwungvollen Auftakt schien dem Komitee recht schnell die Luft auszugehen. Die Fertigstellung des endgültigen Programms zog sich hin, die Delegiertenversammlungen am 13. und 14. August mussten mangels Fortschritt in der Programm-Kommission sogar vertagt werden. In der »schwach besuchten« Sitzung am 20. August trat Carl Walther, Pastor der »Deutschen evange1126 Freiheits-Freund, 8. August 1859, S. 3. 1127 Ebd., 1. August 1859, S. 3.

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lisch-protestantischen Gemeinde« in der Smithfield Street, dem Festkomitee als Delegierter der Freimaurer-Loge »Salomon Nr. 281« bei.1128 Die Versammlung konstituierte sich erneut, indem sie sich eine aus drei Paragraphen bestehende Verfassung gab, in der neben Zweck und Organisation des Schillerbundes, wie sich das Pittsburgher Schillerkomitee von nun an nannte, auch die Verteilung und Übernahme etwaiger Verluste oder Erträge aus der Feier geregelt wurde. Man vereinbarte eine solidarische Aufteilung etwaiger Kosten unter allen Beteiligten und eine Verteilung eventueller Gewinne »im Verhältnis der bei der Abendfeier unmittelbar Mitwirkenden«.1129 Ein engerer Ausschuss wurde gebildet, bestehend aus den bereits gewählten Funktionsträgern und drei Beisitzern, der von nun an für die Planung und Ausführung des Programms sorgen sollte. Nur noch auf Einladung des engeren Ausschusses sollte der allgemeine Ausschuss zusammenkommen, der sich fortan aus »je einem Vertreter für zwanzig Konstituenten« zusammensetzte, was die Stärke der Mitgliedszahlen in der Repräsentation stärker berücksichtigte als die zuvor vereinbarte Entsendung von je einem Delegierten pro Verein.1130 Als Beisitzer wurden Pastor Walther, Frederick Haupt und F. Meyer in den engeren Ausschuss gewählt.1131 Doch auch die Neuorganisation änderte an der zurückhaltenden Beteiligung nichts. Das Volksblatt beklagte mehrfach, dass die Versammlungen des allgemeinen Festausschusses nur schwach besucht seien.1132 »Frisch Hand ans Werk gelegt und das Eisen nicht kalt werden lassen!« mahnte das Volksblatt erstmals am 23. August und wies darauf hin, dass die Zeit bis zur Feier langsam knapp werde.1133 Zur Sitzung des allgemeinen Ausschusses am 17. September verschärfte das Volksblatt den Ton erneut: »Das Schillerfest-Komitee (das General-Komitee) hält heute Abend eine Sitzung im Athenäum. Alle Mitglieder sollten erscheinen, es ist ohnehin schon zu viel Zeit vertrödelt worden und wenn das Fest nicht in die Brüche gehen soll, so heißt’s: Tüchtig gearbeitet! Wir mochten bis jetzt Nichts darüber sagen, aber es hat uns in der Seele leid getan, dass in der Sache anscheinend gar nichts getan wurde.«1134

Doch auch dieser Aufruf zeigte nicht die gewünschte Resonanz, keine zehn Delegierten erschienen zur Sitzung. Daraufhin trat John G. Backofen als Präsident des Schillerbundes zurück. Die Versammlung beschloss, die Neuwahl des Präsidenten zunächst um eine Woche zu verschieben und rief, offenbar auf der 1128 1129 1130 1131 1132 1133 1134

Pittsburger Volksblatt, 22. August 1859, S. 3. Ebd. Ebd. Ebd., 23. August 1859, S. 2. Ebd., 22. August 1859, S. 3, 19. September 1859, S. 3, 26. September 1859, S. 3. Ebd., 23. August 1859, S. 3. Ebd., 17. September 1859, S. 3.

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Suche nach Erklärungen für die mangelnde Beteiligung, die Presse auf, sich mehr zu engagieren und »bezüglich des Festes anregend auf das Publikum zu wirken«, was das Volksblatt nicht ohne bissigen Kommentar hinnehmen wollte: »Letzterer Beschluss scheint uns – mit aller Achtung vor dem guten Willen, welcher ihn diktierte […] – überflüssig. Die hiesige Presse hat bei ähnlichen Anlässen noch immer freiwillig ihre volle Pflicht getan. Auch für das Schillerfest hat sie beim Publikum vorgearbeitet, soweit es überhaupt nötig und nützlich war, und Vorschläge gemacht, die nicht nur hier, sondern auch auswärts Anerkennung fanden. Wenn bis jetzt die Vorbereitungen zum Fest nicht weiter gediehen sind, so ist die Presse sicherlich nicht dafür verantwortlich. An dem Komitee war es, ihr und dem Publikum bestimmte Anhaltspunkte zu geben, und dies ist eben nicht geschehen. Wir wollen hier keine Anklage erheben; aber so viel steht fest, dass, wenn man nicht jetzt ohne Verzug mit aller Energie arbeitet, das Schillerfest (welches ohnehin von seinen ursprünglichen Umrissen schon viel eingebüßt hat) eine verhunzte Geschichte wird. Was wir tun können, um die Kalamität zu verhindern, soll recht gern geschehen und die nämliche Bereitwilligkeit wird ohne allen Zweifel von der ganzen deutschen (und englischen) Presse an den Tag gelegt werden.«1135

Das Volksblatt verschärfte den Ton noch einmal und erklärte die Feier des Dichtergeburtstages nun zu einer Frage der Ehre, der Selbstachtung und Selbstdarstellung gegenüber den Amerikanern: »Wenn auch die Schillerfeier in Pittsburg von den ursprünglich projektierten Dimensionen schon etwas – oder ziemlich viel – verloren hat, so sollte man sich doch dadurch nicht abschrecken lassen, alle Kräfte anzuspannen, um wenigstens noch so viel als möglich aus derselben zu machen. Nicht nur sind die Deutschen es ihrer eigenen Ehre schuldig, sondern ihre Stellung den Angloamerikanern gegenüber legt ihnen auch die Pflicht auf, das Andenken ihres größten Volksdichters würdig zu feiern. Und Pittsburg hat Kräfte genug, um immer noch eine Feier zu Stande zu bringen, die den Deutschen keine Schande macht. Unsere deutschen Künstler (Maler sowohl als Bildhauer) werden es sich gewiss nicht nehmen lassen, ihr Möglichstes dazu beizutragen, und dass das Publikum im Allgemeinen bei solchen Anlässen immer willig und opferbereit ist, hat es seit Jahren bewiesen.«1136

Doch trotz dieser neuerlichen nachdrücklichen Aufforderung, kamen am 24. September erneut nur neun Delegierte zur Beratung der Feier zusammen. Das Scheitern der Veranstaltung schien immer greifbarer zu werden. Eine Anfrage bei allen teilnehmenden Gesangsvereinen hatte ergeben, dass lediglich die Gesangsvereine »Frohsinn« und »Teutonia« ihre Teilnahme fest zugesichert hatten. Der »Fortschritt« zeigte sich unentschlossen, der »Loreley Männerchor« war nicht erreichbar.1137 Eine klare Absage an die Schillerfeier kam vom Ge1135 Ebd., 19. September 1859, S. 3. 1136 Ebd., 23. September 1859, S. 3. 1137 Freiheits-Freund, 24. September 1859.

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sangsverein »Harmonie«, der in einem Schreiben an das Komitee seine ursprüngliche Beteiligungszusage zurückzog, da die vorgesehenen Lieder in der inzwischen zu knappen Zeit nicht mehr eingeübt werden könnten.1138 Auch die »Odd Fellows« erklärten wenig später, sie würden sich nicht als Gesamtes am Fest beteiligen. In dieser Phase erwies sich lediglich der Turnverein als verlässliche Stütze des Unternehmens. Er hatte Ende September bereits mit der Auswahl der Bilder für die geplanten Tableux vivant begonnen und ging nun zur Beschaffung der Kostüme und zur Einübung der Tableux über.1139 Schwierig gestaltete sich auch die Suche nach einem geeigneten Veranstaltungsraum in Pittsburgh. Das zunächst favorisierte und angefragte ApolloTheater war für den Festabend bereits anderweitig gebucht und stand somit nicht zur Verfügung.1140 Kurzzeitig wurde die Anmietung der Masonic Hall erwogen, dann aber wieder verworfen zugunsten des Athenäums, das gegen Überlassung der für die Feier vorgesehenen Dekorationen und ohne weitere Zuzahlung zu haben war.1141 Das Volksblatt, das bereits bei der Kommentierung des Festprogramms in Cincinnati eine mangelnde Beteiligung des amerikanischen Publikums kritisiert hatte, hielt das Athenäum für wenig geeignet, da es zu sehr eine Einrichtung der Deutschen in der Stadt war, und fragte sich und seine Leser angesichts dieser Wahl: »Wie viele Amerikaner werden denn da hingehen?«1142 Die Diskussion um einen geeigneten Veranstaltungsort setzte sich fort, noch am 14. Oktober wurde im Komitee in der Angelegenheit diskutiert.1143 Als auch am 21. Oktober noch immer keine Lösung in Sicht war, zeigte sich das Volksblatt erstmals leicht resigniert. Es sei »ein wahres Elend, wie dem Schillerfest so manches in die Quere kommt. Die City Hall kann zur Hauptaufführung gemietet werden; aber es ist daran die Bedingung geknüpft, dass die Arbeiten zur Herrichtung der Bühne, Dekoration der Halle etc. erst am Tage vor dem Feste begonnen werden, was sehr genant [beschwerlich; lästig –tl] sein würde. Der Turnverein lässt sich übrigens dadurch nicht beirren und wird seinen Teil der Festaufführung jedenfalls in würdiger Weise produzieren. Ein passendes Lokal wird trotz alledem noch zu bekommen sein.«1144

Erst Ende Oktober fiel die endgültige Entscheidung für die Masonic Hall, wo am Freitag den 28. Oktober endlich die erste Probe stattfinden konnte.1145 1138 1139 1140 1141 1142 1143 1144 1145

Pittsburger Volksblatt, 26. September 1859, S. 3. Ebd. Freiheits-Freund, 17. September 1859, 24. September 1859. Pittsburger Volksblatt, 10. Oktober 1859, S. 3. Ebd., 3. Oktober 1859, S. 3. Ebd., 17. Oktober 1859, S. 3. Ebd., 21. Oktober 1859, S. 3. Ebd., 26. Oktober 1859, S. 3.

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Ein neuer Präsident: Carl Walther Der nach dem Rücktritt John G. Backofens verwaiste Präsidentenposten des Schillerbundes wurde in der Sitzung am 24. September mit Pastor Walther neu besetzt. Carl Walther war 1853 an die Smithfield-Gemeinde in Pittsburgh berufen worden. Anfang 1854 trat er sein Pastorat an, das er bis zu seinem Tod 1868 ausfüllte. Es mag zunächst verwunderlich erscheinen, dass der Schillerbund ausgerechnet einem Geistlichen die Präsidentschaft im Festkomitee übertrug, ihn zum zentralen Festredner ernannte und auch noch einen Prolog zur Abendfeier verfassen ließ. Tatsächlich war die Pittsburgher Smithfield-Kirche eine der wenigen Kirchen, die sich eine progressiv-liberale Verfassung gegeben hatte und sich in ihrer Politik von vielen Kirchen – katholisch und protestantisch – entschieden abhob. Walther selbst war als politischer Flüchtling und Achtundvierziger in die Vereinigten Staaten eingewandert. Studiert hatte er Theologie und Philosophie in Leipzig und Jena, unterbrochen durch den Krieg gegen die napoleonische Besatzung, an dem er als Freiwilliger teilnahm. Nach dem Studium war Walther zunächst in Hamburg, dann im Königreich Hannover in den Kirchendienst eingetreten, wo er bis zum Superintendenten aufstieg. Im Vormärz und in der Revolution geriet er wegen seiner Freiheitsliebe und seiner Nähe zur Opposition in Konflikt mit der Hannoveranischen Regierung, die ihm sämtliche Ämter entzog. Daraufhin schloss sich Walther dem Strom der Auswanderer in Richtung Amerika an. Nach kurzen Gastspielen in Gemeinden in New Jersey und New York fand Walther dann in der Smithfield-Gemeinde in Pittsburgh eine geistliche und politische Heimat. Hier wurde das Geistliche mit dem Weltlichen in einer Weise verbunden, die ihresgleichen suchte. Auf diese Weise wurde Smithfield zu einer Heimat für Achtundvierziger und politisch Nahestehende, die es nach Pittsburgh verschlug. Das vielerorts problematische Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurern oder Odd Fellows war hier mehr als entspannt: Mitglieder von Bruderschaften waren in Smithfield ausdrücklich willkommen. Die Kirche stand zudem auch politischen Aktivitäten offen. Auf seiner Reise durch die Vereinigten Staaten hielt Lajos Kossuth bei seinem Besuch in Pittsburgh eine Rede in der völlig überfüllten Smithfield-Kirche von Pastor Walther. Die Gemeinde brachte ihre Offenheit auch in ihren Statuten zum Ausdruck, in denen es unter anderem hieß: »We hold that each individual is free to interpret truth for himself as revealed in the Bible, and all areas of human experience.«1146 Die starke Rolle der 1146 Nora Faires: Revolutionaries in a Rationalist Church: Forty-Eighters in the Smithfield Congregation in Pittsburgh, in: Charlotte L. Brancaforte (Hg.): The German Forty-Eighters in the United States, New York u. a. 1989, S. 231 – 241. Zu Carl Walther siehe auch: Fr. Ruoff: Geschichte der Ersten Deutschen Vereinigten Evangelisch-Protestantischen Ge-

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Smithfield-Kirche und ihres Pastors in der Pittsburgher Schillerfeier erklärt sich also gerade aus der Abweichung dieser Gemeinde von der Mehrheit der Kirchen und deren grundsätzlich eher skeptisch-ablehnender Haltung gegenüber dieser Veranstaltung. Neben Pastor Walther, der als Präsident des Schillerbundes auch die Aufgabe übertragen bekam, eine der geplanten zwei deutschen Festreden zu übernehmen, wurde Karl F. Bauer als zweiter deutscher Festredner ausgewählt. Doch selbst die Findung der Festredner wurde in Pittsburgh zu einer quälenden und zeitraubenden Angelegenheit. Bauer lehnte die Wahl für seinen Teil umgehend ab, woraufhin Pfarrer Kredel als zweiter deutscher Festredner bestimmt wurde.1147 Doch auch Kredel entschloss sich nach längerer Überlegung, lieber keinen Vortrag zu halten, woraufhin nun Pfarrer Zimmermann um einen Redebeitrag gebeten wurde – den dieser ebenfalls ablehnte.1148 Die Suche nach einem zweiten Festredner hatte sich inzwischen bis weit in den Oktober hineingezogen, wohl auch deshalb wurden weitere Bemühungen in dieser Sache nun eingestellt und es blieb bei der einen deutschen Festrede von Pastor Walther. Neben Walther wurde Daniel L. Eaton, Redakteur der Gazette, gebeten, eine englische Rede vorzutragen. Diese Wahl erwies sich als glücklicher : Eaton sagte seine Beteiligung zu.1149 Vergleichsweise einfach verlief die Planung des Festumzugs. Am 8. Oktober wählte das Komitee den aus der Schweiz stammenden Achtundvierziger Dr. Fanz Hardtmayer zum Festmarschall und beschloss, die deutschen Militär-Kompanien durch ihre Delegierten zur Teilnahme an dem geplanten Umzug einzuladen. Daraufhin kamen am 11. Oktober die Offiziere der deutschen Kompanien zu einer Versammlung zusammen und beschlossen, der Einladung des Komitees zu folgen.1150 Nachdem die Beteiligung der Kompanien feststand, lud das Komitee auch General James S. Negley und seinen Stab zur Teilnahme am Umzug ein.1151 Außer dem Militär schien sich allerdings kaum jemand für eine Beteiligung am Festzug zu interessieren, so dass Ende Oktober sogar über eine Aufgabe des Umzuges diskutiert wurde. Nur ein Antrag des Turnvereins, der sich für die Erhaltung dieses Programmpunktes stark machte, verhinderte die Aufgabe des öffentlichen Umzuges.1152

1147 1148 1149 1150 1151 1152

meinde zu Pittsburgh, Pa., anlässlich ihres hundertjährigen Jubiläums, Pittsburgh 1882 und Carl August Voss: Gedenkschrift zur 125-jährigen Jubel-Feier der Deutschen evangelisch-protestantischen (Smithfield) Gemeinde zu Pittsburgh, PA, Pittsburgh 1907. Pittsburger Volksblatt, 26. September 1859, S. 3. Ebd., 10. Oktober 1859, S. 3; 17. Oktober 1859, S. 3; 24. Oktober 1859, S. 3. Ebd., 10. Oktober 1859, S. 3. Eingesandt: Pittsburger Volksblatt, 13. Oktober 1859, S. 3. Freiheits-Freund, 17. Oktober 1859, S. 3. Pittsburger Volksblatt, 26. Oktober 1859.

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Festberichterstattung Dass der Pittsburgher Schillerbund nicht allein war mit seinen Problemen, illustrierte das Pittsburger Volksblatt durch Berichte über Schwierigkeiten in der Festplanung und Einschränkungen ursprünglich vorgesehener Festprogramme in anderen Städten der Union. In Chicago etwa habe – einem Bericht der Illinois Staatszeitung folgend – »mit echt deutscher Nachlässigkeit jeder sich auf den andern verlassen und fast Niemand etwas getan […] Das Finanz-Komitee lässt seine Listen schlummern, das Umzugs-Komitee hat ›bis zuletzt‹ Zeit, das Festreden-Komitee hat eine einzige Besprechung zwischen zwei Mitgliedern, das Theater-Komitee wird schließlich als impotent gekappt, die Idee, Schillers Räuber zu geben, wird aufgegeben, weil man die dazu nötigen $300 nicht aufzubringen hofft. In solcher Weise ist die Zentifolien-Rose des ursprünglichen Schillerfest-Ideals bedeutend entblättert und ihre Dimensionen auf das reduziert, was wir von Anfang an als das Wesentliche ansahen, nämlich die rein geistige Feier durch eine gediegene Rede, welche die Bedeutung Schillers für das deutsche Volk darlegt.«1153

Auch Milwaukee habe mit Problemen zu kämpfen und müsse inzwischen von der ursprünglich geplanten Aufführung der Glocke absehen.1154 Am 19. Oktober berichtete das Volksblatt über die Probleme der Hamburger Organisatoren wegen des Bußtages am 10. November und am 21. Oktober über die Streichung des Festbanketts in St. Louis, die sich auf Streitereien unter den Deutschen dort zurückführen lasse.1155 Die Deutschen in Pittsburgh, so machten diese Berichte deutlich, waren nicht die Einzigen, die Probleme bei der Organisation ihrer Schillerfeier hatten und Kürzungen am Festprogramm vornehmen mussten. In Pittsburgh waren bis zuletzt Misstöne zu hören, wie sich auch der Programmankündigung des Volksblattes vom 9. November entnehmen lässt: »Wir bringen heute das hiesige Programm des Schillerfestes und hätten es schon früher publiziert, wenn man den Takt gehabt hätte, es in allen deutschen Zeitungen gleichzeitig veröffentlichen zu lassen. Zumal so nahe vor dem Feste wollen wir darüber nicht viele Worte verlieren; aber das steht fest, dass, wenn man die ganze deutsche Bevölkerung zu einem Feste heranziehen will, man auch alle deutschen Blätter gleichmäßig berücksichtigen sollte.«1156

Der Freiheits-Freund hatte bereits fünf Tage zuvor, am 4. November, das Programm der Feier veröffentlicht.1157 1153 1154 1155 1156 1157

Ebd., 5. Oktober 1859, S. 2. Ebd., 10. Oktober 1859, S. 2; Vgl. auch Kapitel »Milwaukee«. Pittsburger Volksblatt, 19. Oktober 1859, S. 2, 21. Oktober 1859, S. 2. Ebd., 9. November 1859. Freiheits-Freund, 4. November 1859.

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Von der Einigkeit der Deutschen in Pittsburgh und der angekündigten Allgemeinheit in der Teilnahme am Schillertag waren dann auch weder das Volksblatt noch der Freiheits-Freund nachhaltig überzeugt. In mehr oder weniger verschleierten Aufrufen zur Teilnahme, die als vermeintliche Selbstverständlichkeit dargestellt wurde, versuchten beide Zeitungen in der Woche vor dem Fest ein letztes Mal, die deutsche Bevölkerung zu zahlreicher Mitwirkung zu bewegen. »Wir glauben kaum, dass es nötig sein wird, die Deutschen von Pittsburg und Umgegend zur Teilnahme an dem nächsten Donnerstag stattfindenden Schiller-Jubiläum anzuspornen«, schrieb das Volksblatt am 5. November. »Die Bedeutung dieses Anlasses wird von Jedem, der auch nur entfernt mit dem Geiste des ersten deutsche Volksdichters bekannt ist, begriffen und es wird der Feier an Teilnahme gewiss nicht fehlen«, sekundierte der Freiheits-Freund. Und auch wenn das Programm den vorhandenen Kräften nicht entspreche und hinter den Möglichkeiten zurückbleibe, werde »Jeder nach Vermögen dazu [beitragen], dass das Programm, so wie es einmal ist, möglichst gut und eindrucksvoll durchgeführt werde«.1158 »Jung und Alt, Klein und Groß werden am nächsten Donnerstag in voller Herzensfreude zum Feste eilen und nach ihren Kräften beitragen, dass die Feier zur Ehre des großen Dichters und zur Ehre der deutschen Bevölkerung ausfalle«, glaubte der Freiheits-Freund, mahnte aber zugleich: »Deutsche seid eingedenk: der nächste 10. November ist ein wahrer, echter deutscher Fest- und Feiertag! Alles, was wir zur Verherrlichung dieses Tages tun, wird uns nicht nur selbst Freude schaffen, es wird uns auch in der Achtung unserer neuen Mitbürger, unserer nicht-deutschen Landsleute heben.«1159 Der Festtag wurde vom Freiheits-Freund auch am Festtag noch einmal zum Tag der Bewährung erhoben, denn »heute müssen wir dem Jubeldichter unsere Huldigung und Verehrung durch die Tat beweisen«.1160 Die Funktion der Schillerfeier für die Deutschen in Amerika lag demnach darin, sich als Gemeinschaft gegenüber der Mehrheitsbevölkerung zu präsentieren. Hier bot sich einer bedeutenden Minderheit die Möglichkeit, einmal die eigene Kultur – und damit sich selbst – vorzustellen und vorzuführen. Durch die Präsentation deutscher Kultur in Literatur, darstellender Kunst und Musik erhoffte sich der Freiheits-Freund positive Effekte auf das Image und das Ansehen der Deutschen in der englischsprachigen Bevölkerung. Das Volksblatt stand dem Freiheits-Freund in dieser Sache nicht nach. Auch das Volksblatt erklärte den Deutschen die Teilnahme an der Schillerfeier zur Pflicht, eine Pflicht, die sich aus ihrer Stellung den Amerikanern gegenüber ergebe. Letztlich zielte auch die 1158 Ebd., 5. November 1859, S. 3. 1159 Ebd., 4. November 1859, S. 2. Hervorhebungen im Original. 1160 Ebd., 10. November 1859, S. 3.

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Kritik des Volksblatts an der Wahl des vorrangig von Deutschen als Kultur- und Gesellschaftszentrum genutzten Athenäums als Veranstaltungsort in die gleiche Richtung. Die Bedeutung der Schillerfeier für die Deutschen in den Vereinigten Staaten lag in dieser Sicht in der Selbstvergewisserung als Kulturgemeinschaft in der Fremde und der Präsentation deutscher Kultur und ihres Wertes gegenüber der Mehrheitsgesellschaft in der Hoffnung auf Anerkennung und Akzeptanz. Eine Feier, bei der die deutsche Bevölkerung unter sich blieb, musste diesen Zweck allerdings ebenso verfehlen, wie eine zu geringe Teilnahme seitens der deutschen Bevölkerung, der beide Zeitungen durch imperative Mobilisierungsversuche zu begegnen suchten. Um möglichst viele Amerikaner für die Schillerfeier zu begeistern und zur Teilnahme zu bewegen, hatte man auch in Pittsburgh zur Überwindung der Sprachbarriere einen englischen Festredner eingeplant. Mit Daniel L. Eaton, der als Journalist zudem über eine breitere öffentliche Reichweite verfügte, wurde auch hier eine stadtbekannte Persönlichkeit für diesen wichtigen Programmpunkt gewonnen. Der Freiheits-Freund hob vor allem die Einigkeit der Deutschen in der Feier und die große Allgemeinheit in der Teilnahme hervor. Die Schillerfeier diene neben der »Verherrlichung unseres großen Volksdichters« auch der »Verherrlichung des gemeinsamen Bandes zwischen uns und der alten Heimat, der Verherrlichung unserer deutschen Sprache«.1161 In der Sprache liege dabei das vorrangige verbindende Element zwischen den Feiernden in der ganzen Welt. Darüber hinaus werde »das Bewusstsein, dass alle unsere Brüder an ihr Teil nehmen […] überall die Begeisterung und festliche Stimmung an dem Festtage erhöhen. Je näher er rückt, je häufiger treffen vom alten Vaterlande Nachrichten über seine festliche Begehung ein.«1162 In diesen Zeilen kommt der FreiheitsFreund den Ausführungen Bernhard Endrulats über die Aufgabe der Presse in der Schillerfeier sehr nahe, »durch Mitteilungen über die an den verschiedensten Orten aufgetauchten Fest-Pläne und die in Angriff genommenen Fest-Anstalten zum Wetteifer anzuspornen«.1163 In seiner Ausgabe vom 4. November kam der Freiheits-Freund noch einmal auf das zentrale Motiv der Einheit zurück, das jedoch vor allem auf den europäischen Kontext bezogen wurde. In der bevorstehenden Feier, so die Zeitung, würden die Deutschen alles ablegen, was sie sonst trenne, »an diesem Tage vergisst das deutsche Volk die engen Schranken, welche die 37 Landesväter und Landesväterchen als trennende Scheidelinien um sie gezogen haben; es vergisst 1161 Ebd., 25. Oktober 1859, S. 2. 1162 Ebd. Es folgt anschließend ein Bericht über die Festvorbereitungen in München, dass sich nun auch mit einem Fest in die Reihe der teilnehmende Städte begeben werde. 1163 Endrulat, S. 39. Siehe Kapitel »Hamburg«.

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den Hass, den intolerante, fanatische Pfaffen hervorgerufen und in welchen es sich aus ›Christenliebe‹ gegenseitig verfolgt und zerfleischt hat; es vergisst alle Standesunterschiede und Vorurteile, das deutsche Volk wird an diesem Tage zu Brüdern einer großen gemeinsamen Mutter.«1164 Der Freiheits-Freund erinnerte zugleich an die Geburtstage von Luther, Scharnhorst und Robert Blum. Martin Luther, habe als »Schöpfer einer deutschen Volkssprache« die Deutschen zuerst zum Denken gebracht, Scharnhorst in den napoleonischen Kriegen viel zur deutschen Selbständigkeit beigetragen und Robert Blum, »ein Märtyrer deutscher Freiheit«, lebe in den Herzen der Deutschen weiter und gebe, wie die vielen anderen – darunter auch Schiller – »Trost für die Zerfahrenheit des deutschen Volkes, das sich um solche Namen einig schart«.1165 Hier zeigt sich nicht nur eine gewisse Ähnlichkeit zu den Ausführungen des Festredners Wilhelm Löwe in New York, sondern zugleich erneut die hohe Funktionalität, die dem Fest und dem Jubilar im Rahmen der Konstituierung von Gruppenidentität zugeschrieben wurde. Es ist nicht der Jubilar, es ist dessen Position im kollektiven Gedächtnis, seine Verknüpfung mit anderen Trägern identitärer Bedeutungen, die hier herausgestellt wird. Schiller ist in dieser Hinsicht primus inter pares und die Feier seines 100. Geburtstags vor allem hinsichtlich ihrer Funktionalität interessant. Das Volksblatt hielt sich mit einer eigenen Einschätzung und Deutung der Feier und ihrer Bedeutung zurück. Stattdessen veröffentlichte es am 4. November die Denkschrift der Augsburger Allgemeinen Zeitung zur Nationalisierung der Schillerfeier und knüpfte damit direkt an den europäischen Diskurs an. Zur Person des Jubilars veröffentlichte das Volksblatt am 10. November noch einen längeren biographischen Artikel über das Leben des Dichters, der sich allerdings vollständig auf die Darstellung seines Lebensweges beschränkte und keine darüber hinausgehenden Deutungen enthielt.1166 Auf die Festreden von Carl Walther und Daniel L. Eaton gingen beide Zeitungen kaum ein: »Dieselben wiesen auf die Bedeutung des Festes hin«, so der Festbericht, »gaben einen langen Abriss des Lebens des Dichters und eine wohl gelungene Charakterisierung seiner Werke und Dichtungen. Herr Walt[h]er schloss seine Rede mit einer Betrachtung über die hohe Bedeutsamkeit Schillers für Gegenwart und Zukunft, während Herr Eaton den Einfluss und die Bedeutung Schillers […] auf die Bildung der Amerikaner hervorhob.«1167 Das Programm wurde in seinen Einzelteilen aufgerufen, diese jeweils gelobt, so dass der Festbericht, dem der Abdruck des Freiligrath-Gedichts folgte, mit der 1164 1165 1166 1167

Freiheits-Freund, 4. November 1859, S. 2. Ebd., 10. November 1859, S. 3. Volksblatt 10. November 1859, S. 2. Freiheits-Freund, 11. November 1859, S. 3.

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zufriedenen Feststellung schließen konnte: »So ist das Jubelfest unseres Volksbarden auf eine erhebende, würdevolle Weise gefeiert und wir sagen Allen, welche es entstehen halfen und so vortrefflich durchführten, den öffentlichen Dank.«1168

Mediale Festräume Das Pittsburger Volksblatt hatte drei regionale Schwerpunkte in seiner Berichterstattung aus der Union, die neben Pittsburgh insgesamt 15 Festorte berücksichtigte. Neben den Ostküstenstädten New York, Philadelphia und Baltimore gab es einen zweiten Schwerpunkt am Michigan See mit Chicago und Milwaukee. Der dritte Schwerpunkt repräsentierte die Region westlich von Pittsburgh bis nach Cincinnati, mit den kleineren Ortschaften Lawrenceville, Canton oder Johnstown. Die meisten dieser Festorte wurden lediglich ein oder zwei Mal erwähnt, während Philadelphia (6 Nennungen) und New York (5 Nennungen) regelmäßig Gegenstand der Berichterstattung waren. St. Louis als Frontstadt im Westen wurde im Verlauf der Schillerfestberichterstattung drei Mal berücksichtigt. Der europäische Berichtsraum des Volksblattes berücksichtigt alle deutschen Regionen Mitteleuropas relativ gleichmäßig. Mit Zürich, Bern, Paris (3) und London (2) wurden zudem wichtige Städte des deutschen Exils berücksichtigt. St. Petersburg im Nordosten, Moskau im Osten und Konstantinopel im Südosten begrenzen den europäischen Berichtsraum. Im deutschen Sprachraum wurden Wien (4) und Berlin (3) am häufigsten genannt, es folgten Frankfurt am Main, Hamburg, Königsberg und München sowie die für die Biographie Schillers relevanten Städte Mannheim, Marbach, Stuttgart und Weimar mit jeweils zwei Nennungen. Insgesamt berichtet das Volksblatt aus 28 deutschsprachigen Städten (exklusive Schweiz) sowie den Regionen Niederbayern (wo eine Feier wegen der Jesuiten nicht zustande gekommen sei), Schleswig und Tirol. Des Weiteren wurden mit Bern, Zürich und dem Rütli drei Festorte in der Schweiz genannt sowie neun weitere Festorte in ganz Europa. In der Wochenausgabe erschien ein Teil der Meldungen in unverändertem Abdruck erneut. Von den Festvorbereitungen in Pittsburgh und den zahlreichen dabei auftretenden Problemen wurde hier allerdings nicht berichtet. Es finden sich lediglich Meldungen über die Komiteegründung, die Aufnahme von Festvorbereitungen, das Treffen der Militär-Kompanien und die Buchung der Ma-

1168 Ebd.

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sonic Hall als Festlokal Ende Oktober.1169 Da das wöchentliche Volksblatt am Freitag erschien, verteilte sich die Festberichterstattung aus Pittsburgh auf die Ausgaben vom 11. und 18. November. Lediglich die Schillerfeiern in den größeren Städten der Union fanden hier Aufnahme, Lawrenceville, Canton oder Johnstown wurden nicht aufgeführt. Auch die europäischen Festorte sind in der Wochenausgabe weniger zahlreich vertreten. Ein Bericht über die Absage des Festzuges in Berlin, erschien exklusiv im wöchentlichen Volksblatt.1170 Im Dezember wurde dann vorrangig aus den großen Städten berichtet, insgesamt zehn Städte im deutschen Sprachraum (exklusive Schweiz), darunter Berlin, Wien, München, Stuttgart und Hamburg. Aus der Schweiz kamen Berichte über die Feiern in Bern und in Zürich, von den großen europäischen Städten außerhalb des deutschen Sprachraums findet sich lediglich London.1171 Exklusiv in der Wochenausgabe findet sich zudem ein zusammenfassender Bericht über die Schillerfeiern in Schleswig und Holstein, in dem namentlich Rendsburg, Kiel, Izehoe und Glückstadt als Feststädte aufgeführt wurden.1172 Im Vergleich mit dem Volksblatt spannte der Freiheits-Freund einen eher kleinen Berichtsraum zur Schillerfeier auf. In der Union fanden sich darin neben Pittsburgh lediglich New York, Philadelphia, Cincinnati, Chicago und Milwaukee wieder, wobei auch hier nur New York und Philadelphia mehrfach Gegenstand der Festberichterstattung waren. In seiner Berichterstattung aus Europa beschränkte sich der Freiheits-Freund vor allem auf die deutschsprachigen Staaten Mitteleuropas. Insgesamt neun Städte (inklusive der Festorte in der Schweiz) wurden aufgeführt, zudem Paris als einzige europäische Großstadt außerhalb des deutschen Sprachraums. Auch der Freiheits-Freund und Pittsburger Beobachter, die Wochenausgabe des Freiheits-Freundes informierte nur eingeschränkt von den Pittsburgher Festvorbereitungen.1173 Aus Milwaukee, Philadelphia und New York wurde vor allem berichtet, dass es auch dort Einschränkungen des ursprünglich vorgesehenen Festprogramms gegeben habe.1174 Daneben findet sich hier die bereits im täglichen Freiheits-Freund veröffentlichte Denkschrift über die Bedeutung der Schillerfeier in Amerika und eine bissige Kommentierung des »Unfugs von Berlin«, in der betont wird, dass derartige Grobheiten in den Vereinigten Staaten noch nicht vorgekommen seien.1175 1169 Pittsburger Volksblatt (Wochenausgabe), 26. August 1859, 21. Oktober 1859, 28. Oktober 1859. 1170 Ebd., 25. November 1859. 1171 Ebd., 6. Dezember 1859. 1172 Ebd., 16. Dezember 1859. 1173 Freiheits-Freund und Pittsburger Beobachter, 29. Juli 1859, 7. Oktober 1859. 1174 Ebd., 7. Oktober 1859, 14. Oktober 1859. 1175 Ebd., 28. Oktober 1859, 23. Dezember 1859.

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Der Achtundvierziger Karl F. Bauer beschrieb in seinem Volksblatt somit einen größeren und differenzierteren Festraum zur Schillerfeier, der in der Union die wesentlichen Zentren deutscher Ansiedlung repräsentierte. Für Europa findet sich ein weit gespanntes Netz von Festorten, das neben den großen Metropolen der wichtigen deutschen Staaten auch alle bedeutenden Städte des deutschen Exils in Europa berücksichtigte, wodurch eine hohe Repräsentation aller bedeutenden Regionen im deutschsprachigen Raum Mitteleuropas erreicht wurde. Zudem findet sich im Volksblatt auch eine (allerdings importierte) nationalisierende Deutung der Schillerfeier, während sich der Freiheits-Freund auf die Bedeutung der Schillerfeier für die Deutschen in Amerika beschränkte und ihr die Funktion einer Werbeveranstaltung zuschrieb, in der die deutschen Einwanderer sich und ihre Kultur gegenüber der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft zu präsentieren hatten.

Cincinnati Am 16. Oktober 1859 fand in der Jefferson Hall in Cincinnati ein großes BenefizKonzert zum Besten der Schillerfeier statt. Das dortige Schillerkomitee hatte sich entschieden, die benötigten Geldmittel zur Ausrichtung der bevorstehenden Feier auf diesem Wege zu beschaffen und ein abwechslungsreiches Abendprogramm zusammengestellt, das auch ein wenig Vorfreude auf den eigentlichen Dichtergeburtstag wecken sollte. Als Veranstaltungsort wurde die Jefferson Hall in »Over-the-Rhine« gebucht und ein moderater Eintritt von 25 Cent festgelegt. Dem Zuschauer bot sich dafür ein buntes Abendprogramm mit Orchestermusik, Chorgesang, Deklamationen aus Schiller-Werken und gymnastischen Übungen der Turngemeinde, darunter die beliebten menschlichen Pyramiden. Unterstützt wurde die Benefizveranstaltung von der deutschen Presse der Stadt, Volksfreund und Republikaner empfahlen die Veranstaltung nachdrücklich.1176 Die Schillerfeier in Cincinnati hatte zwei Gesichter. Einerseits wurde hier mit zwei Prozessionen und einer zentralen Festveranstaltung mit Festreden unter freiem Himmel ein reichhaltiges öffentliches und kostenfrei zugängliches Programm für die Allgemeinheit aufgestellt. Andererseits zerfiel die Feier in mehrere, zum Teil zeitgleich stattfindende Festveranstaltungen. Die Fragmentarisierung der deutschen Einwanderer-Community in Cincinnati schlug sich somit auch in der Schillerfeier nieder.

1176 Cincinnati Republikaner, 11.–16. Oktober 1859; Cincinnati Volksfreund 11.–16. Oktober 1859.

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Over-the-Rhine Cincinnati, die »Königin des Westens«, entwickelte sich im 19. Jahrhundert angesichts der großen Zahl deutscher Einwanderer, die sich hier niederließen oder die Stadt als Zwischenstation auf ihrem weiteren Weg nach Westen nutzten, zum östlichen Eckstein der »German Triangle«. Cincinnati im Osten, St. Louis im Westen und im Norden Milwaukee waren die Eckpunkte dieses deutschen Dreiecks. Diese Städte nahmen seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine große Zahl deutschsprachiger Einwanderer auf, die einen immer größeren Anteil an der insgesamt stark wachsenden Gesamtbevölkerung ausmachten und so zum prägenden und gestaltenden Faktor im Wirtschafts-, Kultur- und Geistesleben dieser Städte wurden. Fast ein Drittel (27,28 Prozent) der Einwohner Cincinnatis waren 1860 Einwanderer aus den deutschen Staaten Europas.1177 Sie wohnten in der ganzen Stadt verstreut, jedoch gab es um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine starke deutsche Konzentration im damaligen siebten, zehnten, elften und zwölften Bezirk der Stadt, dem sogenannten »Over-the-Rhine«. Im Norden erstreckte sich dieses Gebiet bis zum Fuße der Hügel, etwa bis zur Hamilton Road (heute McMicken Avenue), im Süden und Westen wurde es durch den Miami-ErieKanal begrenzt, dem »Rhein«, wie er im Volksmund genannt wurde, weil auf seiner anderen Seite, over the Rhine, die Deutschen wohnten. Over-the-Rhine war das deutschsprachige kulturelle Zentrum der Stadt.1178 Hier gab es viele deutsche Biergärten und Lokale, Restaurants, Geschäfte und Märkte, Theater und Musik hatten hier ebenso ihre Heimat wie zahlreiche deutsche Vereine und Gesellschaften, darunter die zahlenmäßig besonders stark vertretenen Sänger und Turner. Das Viertel war auch ein Zentrum der Geselligkeit, die mitten durch Over-the-Rhine verlaufende Vine Street war bereits Ende der 1850er Jahre als Ausgeh- und Amüsiermeile in der ganzen Stadt bekannt und beliebt.1179 Die frühen deutschen Siedler in Cincinnati waren bis zum Ende der 1830er Jahre vorwiegend ausgebildete Handwerker und Facharbeiter. Mit der Massenauswanderung der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre stieg die Zahl der ärmeren Zuwanderer und ungelernten Arbeiter stark an. In der rapide wachsenden Stadt am Ohio fanden allerdings vor dem Bürgerkrieg gelernte wie 1177 Census 1860. 1178 Peter M. Harsham: A Community Portrait: Over-the-Rhine 1860, in: Cincinnati Historical Society Bulletin 40 (1982), S. 63 – 72; Don H. Tolzmann: Cincinnati’s German Heritage, Bowie, MD, 1994. Carl Wittke: The Germans of Cincinnati, in: Bulletin of the Historical and Philosophical Society of Ohio, Cincinnati, 20 (1962) H. 1, S. 3 – 14. 1179 Rainer Vollmar : Cincinnati – River Metro im Herzland. Eine Stadtbiographie von 1788 – 2000 mit deutschen Beiträgen zum urbanen Leben, Frankfurt am Main, London 2005, S. 123 f.

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ungelernte Arbeiter und Handwerker ein Auskommen. So war Cincinnati lange vor Chicago das Zentrum der fleischverarbeitenden Industrie, die einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Stadt war. Von dem großen und weiter steigenden Bedarf nach Gebäuden und Verkehrsinfrastruktur profitierte auch die Bauwirtschaft mit allen angrenzenden Handwerken und die verkehrsgünstige Lage machte Cincinnati zu einem wichtigen Handelszentrum bei der weiteren Erschließung des Westens. Auch für den Buchdruck und das Verlagswesen entwickelte sich die Stadt zu einem wichtigen Standort. Die deutsche Community in Cincinnati war vor dem Bürgerkrieg eine Mittelschichtengesellschaft. Die Einwanderer aus den deutschen Staaten Europas waren besonders stark in den Handwerksberufen, Handel und Gewerbe vertreten. Mehr als 60 Prozent der Deutschen in Over-the-Rhine arbeiteten 1860 in Handwerksberufen. Sie stellten knapp die Hälfte aller Handwerker in diesem Gebiet. Bei den Ungelernten hatte sich der Anteil der Deutschen im Verlauf der 50er Jahre stark reduziert, er lag 1860 bei noch gut einem Viertel.1180 Die größte Glaubensgemeinschaft unter den Deutschen Cincinnatis bildeten die Katholiken, daneben gab es verschiedene protestantische Gemeinden, Lutheraner, Reformierte, Methodisten, Presbyterianer und Baptisten.1181 Die 1814 gegründete St. Johannes-Kirche war unter dem liberalen Pastor August Kröll, der sein Pastorat 1841 antrat, jahrzehntelang die führende protestantische Gemeinde in Cincinnati, auch wenn sich seit den 1840ern das evangelische Lager Cincinnatis stärker ausdifferenzierte.1182 Pastor Kröll war auch Herausgeber und Redakteur der wöchentlich erscheinenden Protestantischen Zeitblätter, 1859 gemeinsam mit Gustav W. Eisenlohr.1183 Das katholische Lager veröffentlichte seit 1837 den Wahrheits-Freund, das erste deutsche Katholikenblatt in den Vereinigten Staaten.1184 Der WahrheitsFreund geriet immer wieder in publizistische Streitereien mit den Protestantischen Zeitblättern und dem Christlichen Apologeten, der 1838 gegründeten Methodisten-Zeitung in Cincinnati.1185 Südlich des Kanals befand sich die jüdische Nachbarschaft Cincinnatis. Ende der 1850er Jahre dehnte sie sich vom Kanal bis zur fünften Straße aus und wurde im Westen durch die Elm Street, im Osten durch die Main Street begrenzt, mit 1180 Harsham, S. 70 – 71; White, S. 12 – 57. 1181 Vollmar, S. 164 – 170; Robert C. Rau: History of the German Evangelical Churches in Cincinnati, in: Don H. Tolzmann: Das Ohiotal – The Ohio Valley. The German Dimension, New York u. a. 1993, S. 159 – 163; Don H. Tolzmann: Cincinnati’s German Heritage, Cincinnati 1994, S. 52 – 69. 1182 Vgl. Tolzmann 1994 und White. 1183 Tolzmann, S. 55. Arndt/Olson S. 450. Protestantische Zeitblätter 1859. 1184 Arndt/Olson S. 457. 1185 Tolzmann 1994, S. 59 u. 63; Zum Christlichen Apologeten vgl. Arndt/Olson S. 436.

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Ausnahme der Straßenzüge zwischen fünfter und sechster Straße, wo sie sich bis zur Smith Street im Westen und im Osten über den Broadway hinaus erstreckte. Die deutsch-jüdische Bevölkerung Cincinnatis war vorwiegend aus Bayern zugewandert, ein kleinerer Teil kam aus Preußen, Württemberg und HessenNassau.1186 Sie blieb auch in Cincinnati der deutschen Kultur, an der sie vor allem den hohen Wert der Bildung schätzte, stark verbunden.1187 Nach der Berufung des liberalen Rabbis Isaak M. Wise (1819 – 1900) an die ehemals konservativorthodoxe Yeshurun-Gemeinde entwickelte sich Cincinnati in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Zentrum des amerikanischen Reformjudentums. Wise begründete und veröffentlichte das jüdische Monatsblatt The Israelite, dem Die Deborah als deutschsprachiges Supplement beilag.1188 Neben den religiösen Wochenzeitungen und der monatlichen Deborah erschienen in Cincinnati 1859 drei deutschsprachige Tageszeitungen: der Cincinnati Volksfreund, der von August Willich herausgegebene Cincinnati Republikaner und das Cincinnati Volksblatt, das leider für 1859 nicht überliefert ist.1189 Der Cincinnati Republikaner war als Organ der Arbeiter eng mit dem Socialen Arbeiterverein und dem Verein des Deutschen Instituts (ein deutschsprachiges Theater in Cincinnati) verbunden und wurde zunächst von Emil Klauprecht, später von August Willich, als entschieden politisches Blatt geführt.1190 Ein aggressiv streitbarer Ton und die stete Bereitschaft, sich mit politischen Gegnern publizistisch direkt auseinanderzusetzen, führten regelmäßig zu heftigen Auseinandersetzungen mit den anderen deutschsprachigen Publikationen in der Stadt.1191

Cincinnati – Hochburg des deutsch-amerikanischen Vereinswesens Auch in Cincinnati organisierten sich die Deutschen in wohltätigen, karitativen, Turn- und Gesangs-Vereinen, Gesellschaften, Clubs, Logen oder berufsständi1186 Vollmar, S. 149. 1187 Ebd., S. 157. 1188 Der am 29. 3. 1819 im böhmischen Steingrub geborene Wise war 1846 in New York angekommen. 1854 ging er nach Cincinnati und war an der Gründung wichtiger Institutionen, wie der Union of American Hebrew Congregations (1873), das Hebrew Union College (1875) und der Central Conference of American Rabbis (1889) beteiligt. Vgl. Temkin, Sefton D.: Isaac Mayer Wise. Shaping American Judaism, Oxford 1992. Zur Deborah siehe Arndt/Olson S. 438 – 439. 1189 Arndt/Olson, S. 455. 1190 Ebd., S. 441 – 442. 1191 Im Vorfeld der Schillerfeier entwickelte sich etwa ein intensiver Streit zwischen dem Republikaner und dem Volksfreund über die Sonntagsgesetze.

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schen Organisationen. Die Selbstorganisation war eine Hilfestellung für die zahllosen Neuankömmlinge, um sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden und erleichterte den Einstieg unter den erschwerten Bedingungen des Neuanfangs. Sie diente zugleich der Interessenwahrnehmung und Selbstbehauptung in einer vor allem in den Anfangsjahren noch stark fremdenfeindlichen und aggressiv ablehnenden Gesellschaft und nicht zuletzt ermöglichte sie ihren Mitgliedern das gesellige Beisammensein, die Traditionspflege und damit auch die Identitätsfindung und -erhaltung.1192 Das Spektrum der Vereinigungen umfasste neben dem Turner- und Sängerwesen auch sozial-politische Vereinigungen wie den Freimänner- oder den Arbeiter-Verein oder funktional-pragmatische Zusammenschlüsse wie Bau- oder Berufsvereine, karitative Hilfsvereine und zum Teil hoch exklusive Clubs oder Logen. Cincinnati gilt als die Wiege des deutsch-amerikanischen Gesangswesens. Hier fand im Sommer 1849 das erste nordamerikanische Sängerfest statt, auf dem auch der Nordamerikanische Sängerbund gegründet wurde. Gesungen wurde gern und viel, neben den eigentlichen Gesangsvereinen bildeten sich auch in den Reihen einiger Gesellschaften eigenständige Chöre, wie etwa bei den Turnern. Die 1848 von Friedrich Hecker und weiteren Achtundvierzigern gegründete Cincinnati Turngemeinde war die erste ihrer Art in Nordamerika. Ihre Mitgliederzahl stieg stetig und bereits 1851 konnte eine erste eigene Turnhalle eröffnet werden. Unter den Turnern Cincinnatis fanden sich viele deutsche Demokraten und sozial engagierte Linke, die in der Turngemeinde nicht allein körperlich-gymnastische Übungen betrieben. So wurde etwa neben der schon erwähnten Sektion für Musik und Gesang auch eine eigene Bibliothek eingerichtet und für gesellige oder festliche Zusammenkünfte verfügten die Turner über ein eigenes Lokal im Gebäude der Turnhalle.1193 Turner waren auch in den städtischen Militär-Kompanien vertreten. Die aus Freiwilligen bestehenden paramilitärischen Milizen nahmen gern an Festumzügen und öffentlichen Festen teil, dienten der deutschen Bevölkerung aber auch bis weit in die 1850er hinein als schlagkräftiger Schutz in den teils sehr handfesten Auseinandersetzungen mit den nativistischen Gruppierungen Cincinnatis und Umgegend.1194

1192 Vollmar, S. 180. 1193 Ebd., S. 100 – 113. 1194 Ebd., S. 103 – 113.

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Auseinandersetzungen vornehmlich mit religiösen Kreisen leisteten sich die so genannten Freimänner. Der Anfang der 1850er als »Verein für geistige und soziale Reform« von Friedrich Hassaurek und Karl Obermann gegründete Freimänner-Verein, dessen Zweck es war, »dem immer weiter um sich greifenden Anmaßungen und freiheitsfeindlichen Bestrebungen des Pfaffentums einerseits, dem Indifferentismus und der geistigen Versumpfung andererseits einen kräftigen Damm entgegenzusetzen«, war bekannt für seinen politischen Radikalismus und radikalen Antiklerikalismus und stand deshalb auch im Konflikt mit vielen religiösen, insbesondere katholischen Deutschen.1195 Der Achtundvierziger Hassaurek war in den 1850er Jahren der führende Kopf der Freimänner und bis 1857 Herausgeber des Hochwächters, dem Organ der Freimänner, das allerdings kein reines Vereinsblatt war, sondern auch außerhalb des Freimänner-Vereins seine Leserschaft fand. Hassaurek machte sich zudem als Volksredner und Agitator bis weit über die Stadtgrenzen Cincinnatis hinaus einen Namen.1196 Neben diesen größeren Vereinigungen gab es eine unübersichtliche Fülle weiterer Zusammenschlüsse in Orden, Clubs, Logen und kleineren Vereinen, wobei die Deutschen keineswegs exklusiv unter sich blieben. So hatten auch amerikanische Clubs Deutsche und Deutsch-Amerikaner unter ihren Mitgliedern.1197 Die Vereine und Gesellschaften mit ihren regelmäßig veranstalteten Konzerten, Festen, Ausflügen oder Picknicks waren Herz und Motor des kulturellen Lebens in Cincinnati. »Die kulturelle Landschaft mit ihren Gesangsvereinen und Gesangsfesten«, schreibt Rainer Vollmar, »geht auf die national-romantische Periode in Deutschland zurück, wo in den 1840er Jahren die ersten großen Festveranstaltungen abgehalten wurden. Bei den Amerika-Deutschen waren sie in guter Erinnerung und machten in Übersee den Wunsch lebendig, die noch junge Tradition weiterzuführen. Cincinnati war darin keine Ausnahme und begann mit bescheidenen lokalen Feiern gegen Ende desselben Jahrzehnts.«1198 Als zehn Jahre später die Vorbereitungen zur Schillerfeier in Cincinnati aufgenommen wurden, konnte also bereits auf eine gewisse Festerfahrung zurückgegriffen werden. Der hohe Organisationsgrad der Deutschen ermöglichte zudem die Aufstellung eines Delegierten-Komitees, das somit bei der Organisation der Schillerfeier auf bereits bestehende Strukturen zurückgreifen konnte. Es war das

1195 Zitat nach C. F. Huch: Die freireligiöse Bewegung unter den Deutschamerikanern, in: Mitteilungen des Deutschen Pionier-Vereins von Philadelphia 11 (1909), S. 1 – 33, S. 8. 1196 H. H. Fick: Cincinnati und sein Deutschtum, Cincinnati 1901, S. 80 – 83; Heinrich Rattermann: Friedrich Hassaurek, in: Der Deutsche Pionier 17 (1883), S. 3 – 20. 1197 Vollmar, S. 186. 1198 Ebd., S. 188.

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deutsche Vereinswesen, das maßgeblich die Organisation der Schillerfeier in Cincinnati trug.

Ein Delegierten-Komitee zur Schillerfeier Insgesamt 26 deutsche Vereine und Gesellschaften beteiligten sich seit Sommer 1859 an der Planung und Durchführung der Schillerfeier in Cincinnati. Sie bildeten mit ihren Delegierten das »Generalkomitee«, die Vollversammlung der Schillerfestplanung, die abschließend über das Festprogramm zu befinden hatte und aus der die Subkomitees gewählt wurden.1199 Unter den teilnehmenden Vereinen befanden sich neben der Cincinnatier Turngemeinde auch die Turnvereine der südlichen Nachbarstädte Covington und Newport, der Sociale Arbeiterverein und der Arbeiterbund, die beiden Unterstützungsvereine Deutsche Gesellschaft und Gambrinus, der Männerchor, die exklusive jüdische Allemania-Gesellschaft, der Deutsche Institutsverein, der Harugari-Leseverein, die Lafayette-Garde sowie acht Logen und die Berufsvereinigungen der Maschinenbauer, Buchdrucker, Bäcker, Schneider, Gerber und Brauer Cincinnatis.1200 Um das Komitee und die Schillerfeier nicht auf die Vereine und ihre Mitglieder zu beschränken, und um eine möglichst breite Beteiligung der deutschen Bevölkerung Cincinnatis zu ermöglichen und zu erreichen, entschloss sich das Komitee, auch den nicht in Vereinen organisierten Deutschen der Stadt mit zehn Delegierten eine Vertretung im Generalkomitee zu verschaffen. Zu ihnen gehörten auch der spätere Präsident des Generalkomitees, Georg F. Eichenlaub, sowie Philip Reiß und der Rechtsanwalt Johann B. Stallo.1201 Zur besseren arbeitsteiligen Vorbereitung der Feier bildeten sich Anfang August Unterkomitees. Neben dem Arrangement-Komitee, das insbesondere für Bälle, Konzerte und Festreden zuständig war, gab es ein Komitee für Gesang, Musik und Theater, ein pyrotechnisches Komitee mit dem Aufgabengebiet Feuerwerk, Fackelzug und Kanonenschießen sowie ein Dekorationskomitee.1202 Das Generalkomitee zur Schillerfeier traf sich sonntags um 10 Uhr in der Sängerhalle in der Vine Street, Ecke Mercer, im Zentrum von Over-the-Rhine. Zwischen Juli und Mitte November fanden hier mindestens zwölf Versammlungen statt, hinzu kamen die Sitzungen des Musik- und Theaterkomitees. Die anderen Subkomitees verlegten ihre Sitzungen hingegen in die benachbarte »Deutsche Republik«, einem 1199 1200 1201 1202

Cincinnati Republikaner, 8. November 1859, S. 3. Ebd., 31. August 1859, S. 3. Ebd., 28. Juni 1859, S. 2. Cincinnati Volksfreund, 9. August 1859, S. 2.

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Weinlokal in der Walnut Street, das von Louis Hoffmann betrieben wurde.1203 Sämtliche Sitzungen des Generalkomitees und der verschiedenen Subkomitees wurden mehrere Tage im Voraus in der deutschsprachigen Tagespresse Cincinnatis angezeigt, zuerst jeweils in August Willichs Cincinnati Republikaner, versehen jeweils mit der Bitte an Volksblatt und Volksfreund, die Anzeigen zu kopieren, wo sie dann in der Regel ein bis zwei Tage später erschienen. Darüber hinaus diente der Republikaner auch als Poststelle und Kartenbüro des Festkomitees.1204 Valentin Eichenlaub (1818 – 1870)1205, Betreiber einer Holzwoll-Mühle, wurde zum Präsidenten gewählt, Sekretär wurde Frederick J. Werner (*1830), einer von wenigen Büroangestellten unter den Organisatoren. Beruflich dominierten Handwerker mit mindestens elf Vertretern das Cincinnatier Schillerkomitee. Neben den Handwerkern waren jeweils zwei Kaufleute, zwei Vertreter aus dem Bereich der Gastronomie, zwei Arbeiter und zwei Künstler vertreten. August Wilde lässt sich als Buchdrucker und Papierwaren-Händler nicht eindeutig einer Kategorie zuordnen. Bei den beiden Künstlern handelte es sich um den Lithographen Friedrich Bertsch, der den Vorsitz im Arrangements-Komitee übernahm, sowie den Musiker und Chorleiter Carl Barus (1823 – 1908).1206 Vorsitzender des Komitees für Gesang, Musik und Theater wurde der Zigarrenmacher August Fröhlich, das Feuerwerks-Komitee leitete der Bierbrauer Peter Constans aus Newport. Der Buchbinder Karl Helmerich übernahm die Leitung des Dekorations-Komitees. Eine akademische Ausbildung hatten im Generalkomitee

1203 Ebd., 16. September 1859, S. 3. Vgl. German American Annals (1916), S. 143. Hoffmann hatte in der badischen Revolutionsarmee unter General Sigel eine Artillerie-Batterie befehligt. Es ist also wahrscheinlich, dass er als Mitglied im pyrotechnischen Komitee für den Bereich Kanonenschießen zuständig war. Vgl. Cincinnati und sein Deutschthum. Eine Geschichte der Entwicklung Cincinnati’s und seines Deutschthums, mit biographischen Skizzen und Illustrationen. Cincinnati, 1901, S. 110. 1204 Cincinnati Volksfreund, 28. Juni 1859, S. 2; Cincinnati Republikaner 7. Oktober 1859, 11.–16. Oktober 1859, 29. November 1859, S. 3. 1205 Valentin Eichenlaub stammte aus der bayerischen Pfalz und war bereits 1837 in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Über New Orleans kam er im Juni 1837 in Cincinnati an. 1206 Carl Barus, geboren am 12. Oktober 1823 im preußischen Schurgast, erwarb seine musikalische Ausbildung in Brieg und Breslau. Aus Berlin wanderte er 1849 in die Vereinigten Staaten aus und ließ sich zunächst als Farmer in Saginaw, Michigan, nieder. Kurze Zeit später schloss er sich einer reisenden Opern-Truppe an, die er einige Zeit begleitete, bis er in Cincinnati hängen blieb. Hier wurde Barus Musikdirektor des Deutschen Theaters und Organist verschiedener Glaubensgemeinschaften. Carl Barus war eine wirkungsmächtige Persönlichkeit im musikalischen Leben der Stadt Cincinnati. Er leitete verschiedene Chöre und Orchester, war Direktor der Philharmonic Society und Präsident mehrerer Sängerfeste. Als Komponist schrieb er Hymnen und Psalmen für den jüdischen Gottesdienst. 1882 zog es Carl Barus nach Indianapolis, wo er ebenfalls als Chorleiter wirkte, und wo er am 7. Juni 1908 starb.

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lediglich Carl Barus und der Rechtsanwalt Johann B. Stallo (1823 – 1900)1207, die beide ohne Leitungsfunktion im Komitee mitwirkten.

Das Festprogramm Die Komitees stellten ein Programm zur Schillerfeier in Cincinnati zusammen, das aus drei Hauptabteilungen bestand: einem Fackelzug am Abend des 10. Novembers, einem großen Festumzug am Vormittag des 11. Novembers mit anschließenden Festreden im Washington Park und einem abendlichen Festkonzert in der Smith and Nixon’s Hall. Parallel zum zentralen Festprogramm des Schillerkomitees setzten der Cäcilien-Verein und die Allemania-Gesellschaft eigenständige Schillerfeiern für den Abend des 10. Novembers an. Zur gleichen Zeit wie das Festkonzert des Generalkomitees fand am Abend des 11. November auch ein Schillerfest des Arbeiterbundes in dessen eigener Halle statt. Auch das Deutsche Institut richtete seinen Spielplan ganz auf die Schillerfeier aus und nahm neben den Karlsschülern von Heinrich Laube Don Carlos und Wilhelm Tell in sein Programm auf.1208 In einer ersten Fassung war das Festprogramm für Cincinnati noch deutlich umfangreicher ausgefallen. Ende August veröffentlichte das Komitee einen Programmentwurf für eine insgesamt dreitägige Schillerfeier in Cincinnati, die zusätzlich zu Fackelzug und allgemeinem Festumzug noch ein großes Freiluftkonzert am 11. November auf einem der umliegenden Hügel oder auf einem öffentlichen Areal in Over-the-Rhine vorsah. Außerdem sollte bei geeignetem Wetter am Samstag, den 12. November, ein großes Volksfest im Freien mit 1207 Johannes Bernhard Stallo wurde am 16. März 1823 in Lierhausen, Oldenburg, geboren. Er war ein enger Freund von August Willich und Friedrich Hecker. Nach dem Besuch des Lehrerseminars in Vechta wanderte er 1839 in die USA aus und ließ sich im Herbst desselben Jahres in Cincinnati nieder. Hier arbeitete er zunächst als Deutsch-, Latein- und Griechisch-Lehrer und studierte nebenher Mathematik, Physik und Chemie. 1844 übernahm er eine Professur in diesen Fächern am St. John’s College in New York. In New York studierte Stallo Jura und ging nach seinem Abschluss zurück nach Cincinnati, wo er 1849 als Anwalt zugelassen wurde. Mitte der 1850er war Stallo einige Jahre Richter am Common Pleas and District Court in Hamilton County, betätigte sich aber ab 1855 wieder als Rechtsanwalt. Politisch engagierte sich Stallo bei den Republikanern und bei der liberalrepublikanischen Bewegung. 1857 verteidigte er erfolgreich eine größere Zahl deutschamerikanischer Turner, die im Rahmen einer Auseinandersetzung mit Nativisten 1856 angeklagt worden waren. Von 1885 bis 1889 war er US-Gesandter in Italien und verlebte seinen anschließenden Ruhestand in Florenz, wo er am 6. Januar 1900 starb. Vgl. Vollmar, S. 112 – 113. 1208 Cincinnati Republikaner, 9. November 1859. Eine sehr ausführliche eingesandte Besprechung der beiden Schiller-Stücke bringt der Cincinnati Volksfreund am 14., 15. und 16. November 1859.

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Musik, Reden, Turnübungen, Tanz, Spielen und Vergnügen aller Art stattfinden.1209 Gegen diese Pläne hatte es aber Widerstände gegeben, so dass sich das Komitee zur Überarbeitung und Kürzung des Programms veranlasst sah und vier Wochen nach dem ersten Entwurf ein zweites Programm präsentierte, bei dem sowohl das samstägliche Volksfest wegfiel, als auch das große Nachmittagskonzert im Freien. Stattdessen wurde den Vereinen mehr Zeit für eigene Veranstaltungen eingeräumt. »Die Feier des Nachmittags bleibt jedem Verein und Bürger selbst überlassen«, teilte das Komitee nun mit und verschob das musikalische Programm auf den Abend des 11. Novembers.1210 Mit dem Festkonzert des Schillerkomitees, der Festaufführung von Wilhelm Tell im Deutschen Institut und dem Schillerfest des Arbeiterbundes konnte das Publikum in Cincinnati am Hauptfesttag, dem 11. November, also aus drei Veranstaltungen wählen, wobei lediglich das Fest des Arbeiterbundes freien Eintritt vorsah. Die Eintrittskarten für das Festkonzert wurden für 25 bis 30 Cent verkauft.1211 Die Zersplitterung in mehrere Einzelfeiern wurde allerdings von der Presse kritisiert. Nachdem die Gazette sich und ihre Leser gefragt hatte, warum die Deutschen in Philadelphia, Baltimore oder St. Louis große allgemeine Feiern veranstalten würden, während in Cincinnati statt einer allgemeinen drei kleinere Feste stattfänden, griff auch der Volksfreund das Thema auf. »Wenn sie nur alle vereinigt werden könnten!«, zitierte der Volksfreund am 2. November die Gazette, »wenn nur Arrangements getroffen werden könnten, wodurch die angelsächsischen Verwandten der Deutschen sich bei der Verehrung eines Mannes beteiligen könnten, der allgemeiner bekannt, gelesen und unter ihnen mehr beliebt ist, als irgendein anderer Deutscher. Wir wissen nicht, ob es nicht schon zu spät ist, um diese Feierlichkeiten zu vereinigen, und die Feier auf eine der Stadt und des Tages würdige Weise zu begehen. Kann dieses nicht geschehen, meine Herren?«1212 Es geschah nicht, der Aufruf blieb folgenlos. Allerdings zeigt dieser Vorfall, wie stark die Berichterstattung über auswärtige Festaktivitäten beachtet, mit den eigenen Bemühungen verglichen und als Argument in der Diskussion über die eigene Programmgestaltung einbezogen wurde. Wie in Pittsburgh, hatte es auch in Cincinnati Probleme mit der Motivation der Komiteemitglieder gegeben, mehrfach mahnten Komitee-Präsident Eichenlaub und Sekretär Werner zahlreiches und pünktliches Erscheinen bei den Sitzungen des Generalkomitees an. Auch hier wurde auf die Gefahr des Scheiterns hingewiesen. So hieß es bereits Mitte September in einer Anzeige, es werde 1209 1210 1211 1212

Ebd., 24. August 1859, S. 3; Cincinnati Volksfreund, 25. August 1859, S. 2. Ebd., 21. September 1859, S. 3. Ebd., 9. November 1859. Cincinnati Volksfreund, 2. November 1859, S. 2.

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Zeit, »dass wir mit Ernst an die Arbeit gehen, wenn diese Feier eine der stolzen Porkopolis würdige werden und den Deutschen Cincinnatis zur Ehre gereichen soll«.1213 Noch drängender klang ein zweiter Aufruf in gleicher Richtung am 22. Oktober, in dem Präsident und Sekretär mitteilten, es werde erwartet, dass sich alle Mitglieder »von nun an regelmäßig einfinden, die den Deutschen Cincinnatis die Schande ersparen wollen, ein mit großem Enthusiasmus begonnenes Unternehmen auf dem Sand auslaufen zu lassen«.1214 Am 8. November richtete sich das Generalkomitee noch einmal an das deutsche Publikum mit der Bitte, sich geschlossen und umfassend an der bevorstehenden Feier zu beteiligen: »Möge der Kaufmann seine Bücher und Store schließen, der Handwerker Hammer und Meißel und der Gelehrte die Feder auf einen Tag bei Seite legen, möge der Indifferente seine Lethargie abschütteln und der Kleinliche seine Differenzen vergessen; mögen alle nur einen Gedanken haben: den einer würdigen Feier, und man wird mit Staunen sehen, was ein ernster Wille zu leisten vermag.«1215

Öffentliche Festelemente Den Auftakt zur Schillerfeier in Cincinnati bildete ein großer Fackelzug am Abend des 10. November.1216 Die Fackeln wurden an der Sängerhalle in der Vine Street an die Teilnehmer ausgegeben, von wo aus der Zug um kurz nach 8 Uhr in Richtung untere Stadt aufbrach. Durch die Court Street und die Western Row zogen die von zwei Musikkapellen begleiteten rund 1500 Fackelträger hinunter bis zur Sechsten Straße, schwenkten von dort in die Walnut Street in Richtung Norden und durchquerten Over-the-Rhine bis hinauf zur Hamilton Road, von wo der Zug wieder auf die Vine Street gelangte.1217 Bevor die Prozession zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrte, wurden die Fackeln an der Kreuzung Hamilton Road und Vine Street auf einen Haufen geworfen und verbrannt.1218 Entlang der Festroute hatten zahlreiche dort ansässige Deutsche die Fenster ihrer Häuser illuminiert. Auch die Nationalhalle, das Deutsche Institut, der 1213 Cincinnati Republikaner 16. September 1859, S. 3; Cincinnati Volksfreund, 18. September 1859, S. 2. »Porkopolis« spielt auf die Bedeutung Cincinnatis als Zentrum der Schweineschlachterei und -verarbeitung bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs an. 1214 Cincinnati Volksfreund, 22. Oktober 1859, S. 3. 1215 Cincinnati Republikaner, 8. November 1859, S. 3, Hervorhebungen im Original. 1216 Aufruf im Cincinnati Volksfreund, 10. November 1859, S. 2; Bericht im Cincinnati Volksfreund, 11. November 1859, S. 2. 1217 Die Zahl der Fackelträger variiert in der Berichterstattung stark. Der Cincinnati Republikaner berichtete von mehr als 1000 Fackeln, die New Yorker Handelszeitung sprach von 2 – 3000. 1218 Cincinnati Republikaner, 11. November 1859, Meyer 1859, S. 12.

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Löwengarten und andere öffentliche Lokale erstrahlten in festlichem Licht und waren teilweise zusätzlich mit Transparenten geschmückt. »Ferner waren noch vor mehreren öffentlichen Plätzen schöne aber auch mitunter herzlich schlechte Bilder von unserem großen Dichter angebracht«, berichtete der Volksfreund, lobte aber auch den Schmuck eines Privathauses an der Walnut Street, an dem ein von der deutschen und der amerikanischen Flagge flankiertes Ölgemälde mit dem Portrait Schillers befestigt worden war. Unter dem Ensemble prangten die Worte aus der Glocke: »So lasst uns denn mit Fleiß betrachten / Was durch die schwache Kraft entspringt.«1219 Ergänzt wurden die Lichtspiele in der Stadt durch Freudenfeuer, die auf den umliegenden Hügeln und Erhebungen entzündet wurden, und durch Salut-Schüsse aus den Kanonen der deutschen Militärkompanien. Am Morgen des 11. Novembers fand der vom zentralen Schillerkomitee organisierte große Festumzug durch die Straßen Cincinnatis statt.1220 Von den umliegenden Hügeln und in den Straßen eröffneten schon bei Tageseinbruch Kanonenschüsse den Festtag. An der Main Street, Ecke Zwölfte Straße, versammelten sich die Teilnehmer des Festzuges und stellten sich in den ihnen zugewiesenen Abteilungen auf. Die erste Sektion wurde angeführt von Großmarschall F. Schmidt, Gehilfsmarschall Philip Reiß und Adjutant Jacob Baumgardner und bestand aus den Washington Dragonern zu Pferde, der Lafayette Garde, den Turnvereinen von Cincinnati, Covington und Newport, darunter die Schützen, die Fechtsektion und der Turner-Nachwuchs, sowie den Mitgliedern des Brauervereins. Weitere Gehilfsmarschälle waren über den gesamten Festzug verteilt. Die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft nahmen mit schwarz-rotgoldenen Schärpen geschmückt am Festzug teil, ihnen folgte der noch junge Schuhmacherverein. Auf einem mit Girlanden verzierten Wagen befand sich, umgeben von kleinen Mädchen und vier erwachsenen Jungfrauen, eine Büste des Dichters, erhöht auf einem Podest, an dessen Seite der Name Friedrich Schillers prangte. Die Kinder und Frauen auf dem Wagen waren in weiße Kleider mit rosafarbenen Schärpen gehüllt, im Haar trugen sie Kränze aus Immergrün. Die Wagenseiten waren geschmückt mit Inschriften aus Schillers Werken, den Namen der Musen und einer Auswahl berühmter Männer aus Literatur und Wissenschaft, darunter Rousseau, Lessing, Goethe, Burns, Cooper, Humboldt, Montesquieu, Shakespeare und Dante.1221 Der Schiller-Büste folgte ein weiterer Wagen mit den Festrednern Friedrich Hassaurek und Isaac M. Wise, dem Präsidenten des Schillerbundes, Eichenlaub, und dem Komitee-Sekretär Werner. 1219 Cincinnati Volksfreund, 11. November 1859, S. 2. 1220 Ebd., 12. November 1859, S. 2. 1221 Cincinnati Daily Gazette, 12. November 1859, S. 5.

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Auf dem Wagen des Buchdruckervereins stand ein als Johannes Guttenberg verkleideter Buchdrucker mit einer Bibel in der rechten Hand und zwei Jungen in historischen Kleidern des 16. Jahrhunderts an seiner Seite. Mit einer mobilen Handpresse fertigten die Buchdrucker während des Festzuges Drucke des Freiligrath-Festliedes und verteilten sie unter dem Publikum am Straßenrand. Dem Buchdrucker-Wagen folgten die Mitglieder der Hermann-Loge und des Freimänner-Vereins, die fast vollzählig zum Festzug erschienen waren. Den Abschluss bildete der Bäckerverein mit einem aufwendig gestalteten Wagen. Auf ihm fertigte eine voll funktionsfähige Bäckerei fortwährend Brezeln, Cracker und kleine Kuchen, die von den Bäckern dem begeisterten Publikum gereicht wurden. An dem Wagen waren Schiller-Verse, vorwiegend aus der Glocke, befestigt und »ein Strom von Kindern folgte jeder Bewegung dieses Brot-Wagens«.1222 Um kurz nach 9 Uhr setzte sich der Zug mit seinen geschätzt 2500 Teilnehmern in Bewegung.1223 Durch die Main Street ging es zunächst in südlicher Richtung in die untere Stadt bis zur Sechsten Straße. Über den Broadway bewegte sich die Prozession anschließend weiter Richtung Fluss bis hinab zur Vierten Straße, durch diese Richtung Westen bis zur Vine Street. Hier schwenkte der Festzug in nördliche Richtung, gelangte über den Kanal zurück nach Overthe-Rhine und durchquerte das Quartier bis zur Hamilton Road. Über diese gelangte er wieder zurück zur Main Street und mit einem kleinen Schwenker über Dreizehnte und Walnut kam er schließlich zur Zwölften Straße, über die er gegen zwölf Uhr sein Ziel erreichte, den als Ausflugsziel und Festplatz oft genutzten Washington Park zwischen Elm und Race Street. Nach einer kurzen Begrüßungsansprache des Schillerbund-Präsidenten Eichenlaub hielt hier zunächst Friedrich Hassaurek eine Festrede in englischer Sprache, anschließend sprach Rabbi Wise auf Deutsch. Der ursprünglich als zweiter deutscher Festredner angekündigte Emil Klauprecht war aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig ausgefallen und so löste sich die Versammlung nach Wises Ansprache auf.1224

Schillerfestreden in Cincinnati An den Festreden in Cincinnati lässt sich die hohe Zielgruppenabhängigkeit der Deutungsangebote, die mit dem Jubilar und der Festgemeinschaft je nach Kontext verbunden wurden, besonders gut veranschaulichen. Von den vier be1222 Cincinnati Volksfreund, 12. November 1859, S. 2. 1223 Cincinnati Daily Commercial, 12. November 1859. 1224 Cincinnati Volksfreund, 12. November 1859, S. 2.

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kannten Festreden sind die englische Festrede von Friedrich Hassaureck, ein Vortrag von August Willich bei der Schillerfeier in der Arbeiterhalle und die Ansprache des Arztes Dr. Albert Rosenfeld beim Schillerfest der AllemaniaGesellschaft vollständig überliefert. Von Isaak M. Wises Festrede im Washington Park veröffentliche der Volksfreund lediglich eine ausführliche Zusammenfassung. Demnach hob der Festredner in seiner Ansprache den nationalisierenden Wert der Feier hervor und zeichnete Friedrich Schiller als den menschlichsten und größten Dichter der Welt, ein Revolutionär, dessen Größe sich auf seine Menschenliebe gründe und sich in seinen Werken in »demokratischen Bildern« zeige. Bei der Schiller-Lektüre hätten seine Leser die Fürstenherrschaft verachten und die Freiheit lieben gelernt und gerade als Dichter der Freiheit erfahre Schiller besondere Hochachtung. In der demokratischen Forderung nach einem freien Vaterland habe sich der Dichter allerdings nicht auf das eigene beschränkt, sondern sei als Kosmopolit stets der ganzen Welt zugewandt gewesen.1225 Auch wenn der Text der Ansprache nicht überliefert ist, lässt sich durch die Zusammenfassung sagen, dass der Festredner Friedrich Schiller in einen demokratischen, anti-feudalen, betont nationalen (europäischen) Kontext einbettete.

Friedrich Hassaurek – »… two civilizations, uniting the flowers of both« Friedrich Hassaurek setzte sich in seiner Festrede im Washington Park mit dem in Cincinnati oft schwierigen Verhältnis von deutschen Einwanderern und Amerikanern auseinander. Hassaurek sah in der Schillerfeier eine Gelegenheit, sich über die Nationsgrenzen hinweg die Hände zu reichen und zumindest für den Augenblick einen gemeinsamen Zweck zu verfolgen. Seine auf Englisch gehaltene Ansprache richtete sich vorwiegend an die amerikanische Bevölkerung und arbeitete Gemeinsamkeiten zwischen ihr und den deutschen Bevölkerungsteilen auf Basis der Freiheitsliebe heraus. So begründe sich die bevorzugte Wahl der Vereinigten Staaten als Zielland der deutschen Auswanderung gerade in den politischen und persönlichen Freiheiten, die den Einwanderern in den Vereinigten Staaten geboten würden. »Gentlemen! We have been welcomed to the genius of American institutions, to a hospitable home. We have read the Declaration of Independence, and have read it over and over again, until it has become the text-book of our political thoughts and reflections. We have enjoyed the blessings of free institutions in the country of our

1225 Ebd.

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adoption, and have vowed eternal fidelity to the principles of true democratic selfgovernment and equal justice to all men.«1226

Hassaurek bot seinen Zuhörern einen Deal an, der zu einem fruchtbaren Miteinander von Deutschen und Amerikanern in der Zukunft führen solle und eine Integration der Deutschen mitsamt ihrer Kultur erlaube. Diese, so der Festredner, sei es wert, in eine zukünftige gemeinsame Zivilisation, die das Beste beider Kulturen in sich vereine, einzugehen: »This was what we received, but we shall not receive without returning. It is not alone the labor of our hands, which we devote to the interests of our adopted country. It is not alone the cultivation of the soil, the spreading of vineyards, the building of factories and the clearing away of primeval forests, by which we intended to reciprocate the boon of free institutions, as we enjoy them in our new home. No, gentlemen, we have brought our Goethe and Schiller along. We have brought along the vast treasures and precious riches of our German literature to wed them to your own; and when our children shall grow up by the side of your children, they will side by side gather riches of Anglo-Saxon literature, and mix them with the beauties and riches of that which we have brought along, and so a race will spring up, in possession, as it were, of two civilizations, uniting the flowers of both, and thus forming one of the grandest and most memorable samples of mental amalgamation which the world has ever seen.«1227

Neben der im Alltäglichen immer wieder bewiesenen Leistungsfähigkeit der Deutschen beim Auf- und Ausbau der amerikanischen Zivilisation, die in Form von v. a. körperlicher Arbeit zum Ausdruck kam, haben die Deutschen nach Hassaurek auch ein kulturelles, geistiges Angebot in Form ihrer Literatur einzubringen. In der Vereinigung von deutscher und angelsächsischer Kultur und Literatur in Amerika – und zugleich beschränkt auf diese – sah Hassaurek ein verheißungsvolles Versprechen für die Zukunft, in der sich die beiden Kulturen vereint haben würden zu einem neuen, glanzvollen Gemeinsamen. Als Beispiel bereits vorhandener Anknüpfungspunkte zwischen Deutschen und (weißen) Amerikanern vor allem auf dem Gebiet der Freiheit führte der Festredner den gefeierten Dichter Friedrich Schiller an. Hassaurek stellt Schiller dem amerikanischen Publikum als einen republikanischen Volks- und Freiheitsdichter vor, der stets gegen Fürstenwillkür und Despotismus und für bürgerliche Freiheiten eingetreten sei. Gerade als Dichter der Freiheit sei er den deutschen Auswanderern von großem Wert, da diese die Unfreiheit selbst erlebt hätten. Schiller und die Deutschen (und damit auch der Freiheitsbegriff) seien daher untrennbar miteinander verbunden und dies sei auch der Grund für die Feier des Dichtergeburtstages in der neuen Heimat: 1226 Cincinnati Daily Gazette, 12. November 1859. 1227 Ebd.

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»We think that we cannot better perform our duty to our new country, than by fondly cherishing the beautiful and sublime, which distinguishes the mental life of our old home […] The glory of conquerors will fade into nothing, but the names of nature’s noblemen will, like the one whose birth day we celebrate today, be forever crowned with the wreath of immortality.«1228

Die Bedeutung der Schillerfeier für die Deutschen in den Vereinigten Staaten lag nach Hassaureck somit darin, in der Feier die Vorzüge der deutschen Literatur und Kultur zu präsentieren und deren große Verbundenheit mit der Freiheit als einem wesentlichen Gründungsideal der Vereinigten Staaten aufzuzeigen. Indem er die Freiheit als konstituierendes Element der Vereinigten Staaten und zugleich die Freiheitsliebe als wesentlichen Charakterzug der Deutschen definierte, arbeitete er den Freiheitsbegriff als gemeinsames Moment beider Gesellschaften heraus. Auf dieser Grundlage sollte die Vereinigung beider Kulturen erfolgen, jedoch nicht als Assimilation und Amerikanisierung der Deutschen, sondern in Form einer gleichberechtigten Vereinigung oder Verschmelzung, in der das Beste aus beiden Kulturen erhalten bleiben sollte. Hassaureck beschrieb damit einen dritten Weg zwischen Assimilation in die Mehrheitsgesellschaft und Selbstbehauptung als Parallelgesellschaft. Zugleich schloss er Schwarze, Native Americans sowie alle anderen Einwanderergruppen von dieser Gemeinschaftsbildung aus.

August Willich – Schiller als Sozialrevolutionär In der überfüllten Arbeiterhalle feierte am Abend des 11. November der Arbeiter-Verein seine Schillerfeier.1229 Auch hier wurde eine Schillerbüste bekränzt, gab es Deklamationen, Ausschnitte aus Schiller-Werken, Musik und Chorgesang sowie Lebende Bilder. »Es trug das Ganze den Stempel einer Weihe«, beschrieb der Republikaner die quasi-religiöse Stimmung der Feier, »einer sich selbst bewussten Geistessammlung, wie sie die Christen oder Juden in ihrem Gottesdienste nicht empfinden können.«1230 Die zentrale Festrede in der Arbeiterhalle wurde von August Willich gehalten, den Text seines Vortrags veröffentlichte er in einer leicht gekürzten Fassung am 12. November im Republikaner.1231 Die 1228 Ebd. 1229 Ankündigung im Cincinnati Republikaner, 10. November 1859, S. 3, Bericht ebenda am 12. November 1859, S. 3. Laut Cincinnati Republikaner war die Arbeiterhalle »bis zum Äußersten gefüllt, Hunderte mussten zurückkehren, weil sie keinen Raum zum Stehen mehr finden konnten.« Bericht auch im Cincinnati Daily Commercial, 12. November 1859 1230 Cincinnati Republikaner, 12. November 1859, S. 3. 1231 Ebd.

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Grundgedanken seiner Rede hatte Willich bereits in den Ausgaben des Republikaners vom 7. und 10. November veröffentlicht.1232 Willich machte Friedrich Schiller in seiner Rede zum Revolutionär und geistigen Kämpfer für die Sache all derer, die sich seit der europäischen JuliRevolution für Demokratie, Liberalismus, die Republik oder die Nation exponiert hatten. Er stellte die Feier in einen größeren Zusammenhang, den er durch das Entstehen einer neuen Weltanschauung gekennzeichnet sah, welche »die verlorene Einheit zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen, zwischen Sterblichkeit und Unendlichkeit, zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Leben und der Glückseligkeit wiederherstellen« werde. Als politische Ideologie sah Willich die neue Weltanschauung in Konfrontation zu Kirche und Fürstenhäusern als Apologeten des Alten und Überkommenen. Die sinnstiftende Funktion dieser neuen Weltanschauung, die das nach der Säkularisierung atomisierte Individuum wieder zurückführen sollte in einen überindividuellen Kontext und das Leben des Einzelnen als Element und Baustein eines größeren Ganzen definiert, lässt sich am ehesten unter dem Schlagwort der Nation als Ideologie oder als politische Religion fassen. Hierfür spricht auch die deutliche Abgrenzung des Festredners von jener Religion, die das Jenseits als Ziel und Verheißung postuliere. Nicht im Jenseits, so Willich, liege das versprochene Paradies, es könne durch Arbeit, Denken und Kampf bereits in dieser Welt realisiert werden. Willich hielt sich mit biographischen Details aus Schillers Leben oder einer Auseinandersetzung mit einzelnen Werken des Dichters nicht auf, ihm ging es bei seinem Vortrag um grundlegende Fragen der sozialen Ungleichheit und Ausbeutung und die Aufgabe der Arbeiter, diese Ungleichheit möglichst rasch zu beenden. Nach einigen einführenden Worten kam er zügig zu der Frage, was die Gemeinschaft der Feiernden in der Arbeiterhalle eigentlich ausmache. »Wer sind wir« fragt Willich, »dass wir mit Stolz sagen können: unter uns würde er [Schiller] seine Heimat finden?« Wir, das sind für Willich die deutschen Arbeiter, insbesondere diejenigen, die in Amerika das gemeinsame Schicksal des Auswanderers in weiter Entfernung von der alten Heimat teilten und nur noch im Geiste mit dem alten Vaterlande verbunden seien. Willich beschreibt die Arbeiter als die ehrliche und hart arbeitende Basis der Gesellschaft, auf deren Kosten und Schultern die höheren Gesellschaftsschichten ihre Herrschaft errichtet hätten. Diese Herrschaft sei eine Welt des Scheins, die mit Ausbeutung legitimiert und aufrechterhalten werde. Die Aufgabe der Dichter und Denker, die schon immer für die Unterdrückten der Gesellschaft geschrieben hätten, sei es, den Schein der Herrschenden zu zerstören und auf diese Weise die Unterdrü1232 Ebd., 7. und 10. November 1859. Alle nachfolgenden nicht einzeln ausgewiesenen direkten Zitate ebd.

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ckung aufzuheben. Darum bedeute den Unterdrückten die Dichtung auch mehr als den Herrschenden. Für diese sei Dichtung bloße Unterhaltung und Zeitvertreib, jenen aber unmittelbarer Ausdruck ihres Sehnens und Hoffens. Deshalb seien die Dichter und Denker auch geistige Führer im Kampf gegen Schein, Unrecht, Unterdrückung und die Unterdrücker selbst, ihre Dichtung immer auch ein Aufruf zum Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse. Wie alle Dichter und Denker habe auch Schiller eigentlich allein für die Unterdrückten geschrieben: »Alle jene, welche sich von dem Volke trennen, welche über ihm thronen wollen, für sie hat Schiller nicht geschrieben, sie haben kein Anrecht an ihm.« In diesem Sinne verurteilte August Willich im Republikaner auch die Einladung der Gesandten von Preußen und Österreich durch das New Yorker Schillerkomitee.1233 Schillers Menschenideal habe die Möglichkeit einer Welt ohne Unrecht vorgezeichnet und vermittle eine Ahnung von der neuen Weltanschauung, was sich nicht zuletzt in der weltweiten begeisterten Teilnahme an der Schillerfeier und der ablehnenden Haltung der Priester und der Regierungen in den deutschen Staaten Europas zeige. Es gelte, Schillers Ideal nachzueifern, um die Throne, Altäre und die »Schuldbücher der Sklaverei« zu ersetzen durch einen Tempel der Wahrheit, des Schönen und Guten. Die neue Zeit komme allerdings nicht von selbst, sondern müsse erarbeitet und erkämpft werden. Ganz im Sinne Oliver Cromwells gelte es deshalb, das Pulver trocken und sich für den bevorstehenden Kampf bereit zu halten. August Willich verstand es in seiner Festrede glänzend, die adressierte Gemeinschaft zur eigentlichen und wahren Festgemeinschaft zu stilisieren und den Gefeierten als geistigen Führer im Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung für die Arbeiter zu reklamieren. Durch die Erhebung Schillers zum geistigen Revolutionär und Vorkämpfer gegen die Herrschenden, die im amerikanischen Kontext aktualisiert und in den kapitalistischen Ausbeutern gesehen wurden, verband Willich die Schillerfeier mit dem sozialen Kampf der Arbeiter und empfahl zugleich die Schiller-Lektüre als geistiges Rüstzeug für diesen Kampf. Das hier unter dem Namen der »neuen Weltanschauung« postulierte Nationsbild beschreibt eine Gesellschaft der Gleichen als eine im Kampf zu realisierende gesellschaftliche Zukunftsvision, der in der Gegenwart die Kirche sowie die alten und neuen Herrschenden im Wege stünden. Bereits vorab hatte August Willich das Schillerfest im Republikaner als Teil einer umfassenden sozialen und politischen Aufbruchsbewegung der Deutschen in Europa dargestellt, deren neues Leben sich »durch eine gemeinsame Äuße-

1233 Cincinnati Republikaner, 13. November 1859. Hervorhebungen im Original. Vgl. auch Kapitel »New York«.

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rung« im Fest dokumentiere.1234 Das Schillerfest, so Willich, falle zusammen mit der politischen Bewegung der Deutschen in Europa, ihrem Ringen nach Selbstund Eigenständigkeit auf der ganzen Welt und einer daraus resultierenden Hoffnung auf eine soziale und politische Zukunft als Resultat der gegenwärtigen Bewegungen, deren erster allgemeiner Ausdruck die Schillerfeier sei. Ausgehend vom Volk, das in Schiller sich selbst feiere, wirke das Fest »wie alle Revolutionen von unten nach oben« und signalisiere den wachsenden Widerstand der Deutschen gegen ihre gegenwärtigen Institutionen, in denen sie sich weder repräsentiert noch in ihren Bedürfnissen befriedigt sähen, während das soziale und politische Leben inzwischen »bis zur Unerträglichkeit demoralisiert« worden sei. Die Reformation sei ein erster Schritt gewesen, um Gott in die Welt zu holen und die Vernunft in das Leben zurückzurufen. Nun sei die Zeit gekommen, »die religiösen Gespenster und die politischen Gewalthaber sowie die Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und zu besiegen«. Die Schillerfeier sei ein erstes Zeichen für den bevorstehenden Aufbruch zur Vereinigung der Deutschen und zur Vollendung der Reformation für die Menschheit. Diese Ausführungen beschreiben eine übergeordnete, allgemein-politische Bedeutung der Schillerfeier für die Deutschen vor allem in Europa und integrieren sie in ein sozialistisches Konzept zur Beendigung sozialer Ungleichheit und politischer Unfreiheit. Die Schillerfeier wird hier zum revolutionären Auftakt des bevorstehenden politischen Kampfes um eine andere und bessere Welt stilisiert und als Beweis für den bereits begonnenen Aufbruch herangezogen. August Willich beschränkte diesen Kampf nicht auf den europäischen Kontext, er verband ihn auch direkt mit dem US-amerikanischen Freiheitsdiskurs, der in der Diskussion um die Sklaverei und den Aufstand von Harper’s Ferry seinen derzeit lebendigsten Ausdruck fand. Die Anteilnahme der Deutschen am Schicksal John Browns sah Willich direkt begründet in der durch das Schillerfest ausgelösten allgemeinen Aufbruchstimmung. Schließlich habe »die Begeisterung für unsern edlen Dichter schon soweit in den alten Spinneweben unseres politischen Rechtsbewusstseins aufgeräumt […], dass wir als unmittelbares Resultat davon die Anerkennung und die Feier des mit Ehren am Galgen gestorbenen John Brown allgemein werden sehen. Diese Brown-Bewegung und dieses Zurückkehren der Masse der Deutschen auf die Grundprinzipien der Republik, werden es verständlich machen, warum die römische Priesterschaft und alle Reaktionäre gegen die Schillerfeier geeifert haben, so weit sie es aus Furcht vor der Volksstimme tun konnten.«1235

1234 Cincinnati Republikaner, 7. und 10. November 1859. Alle nachfolgenden nicht einzeln ausgewiesenen direkten Zitate 7. November. 1235 Cincinnati Republikaner, 5. Dezember 1859.

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Albert Rosenfeld – Schillerliebe als Selbstliebe Einen gänzlich anderen Zusammenhang beleuchtete Dr. Albert Rosenfeld, Festredner beim Allemania-Schillerfest und anerkannter Experte auf dem Gebiet der deutschen Klassiker, der bereits Vorlesungen über Goethe und Schiller gehalten hatte.1236 Er konzentrierte sich mehr auf den Dichter selbst und seine allgemeine nationale Bedeutung. »Schiller ist aus dem Geist der Nation herausgeboren, er ist das glänzendste Muster der echten deutschen Volkstümlichkeit. Er war und ist der Dichter des Volkes, der Liebling der deutschen Nation«, führte Rosenfeld aus. Die Einzigartigkeit Schillers erkläre sich dabei aus der Einzigartigkeit der deutschen Nation, denn »nur sie konnte sich einen so edlen und gedankenvollen Dichter zum Liebling erwählen« und so leben Schillers Schöpfungen »– mehr wie die Schöpfungen irgendeines anderen Geistes – in der Liebe, im Denken und Empfinden, ja in der ganzen Weltanschauung des heutigen deutschen Volkes fort«. In der Schillerliebe offenbare sich allerdings auch die Selbstliebe der Deutschen: »Ja in Friedrich Schiller […] liebt die deutsche Nation die eigene Liebenswürdigkeit, in ihm findet sie überhaupt ihr eigenstes wieder, in der Freude am Auffluge seine Genius, am Hinschweben desselben zwischen dem Reiche des Dichtens und des Denkens, der Empfindung und der Idee, der farben- und gedankenweisen Anschauung und der strengen ernsten Welt philosophischer Maße und Schlüsse erfreuen wir uns an dem was mehr und minder unser aller Richtung bezeichnet.« Rosenfeld betonte im Gegensatz zu August Willich stärker die integrierende Funktion des Dichters bei der Überwindung nationaler Gegensätze. In ihm würden die Deutschen »zugleich die Vereinigung aller Gegensätze, die sich inmitten des deutschen Volkes seit Jahrhunderten geltend gemacht haben, das Zusammenfließen des reicheren, gemütund phantasievollen Wesens des Süddeutschen mit dem strengeren, verständigen Norddeutschen« feiern. Indem der in Süddeutschland geborene Poet Schiller die Ideen und Gedanken des norddeutschen Kant in seinem Werk inkorporierte, habe er dessen starre Ideen zu Menschen gemacht, seine Wahrheiten in »lebendige, lichtstrahlende Göttergestalten« verwandelt und dadurch erst zum Leben erweckt.1237 Auch das weitere Programm der Allemania-Feier verwies stark auf den europäischen Kontext. In einem von Dr. Rothenheim verfassten Festprolog wurde das Bild eines durch Schiller geleiteten Aufbruchs aus düsteren Zeiten gezeichnet und die Fragmentierung der Deutschen als Quelle und Ursache ihrer 1236 Für den Festbericht und die nachfolgenden Auszüge aus der Festrede von Albert Rosenfeld s. Cincinnati Volksfreund, 11. November 1859, S. 2. 1237 Vergleiche zum Kontrast zwischen Nord- und Süddeutschen auch die Ausführungen in Meyer 1859.

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Schwäche beschrieben. In der Anrufung des Dichters, so Rothenheim, liege letztlich die Anrufung der Deutschen selbst, die, durchdrungen vom Geist des Freiheitsdichters seine Freiheitslieder anstimmen, den Dichter und damit sich selbst wieder zum Leben erwecken und den Kampf um die Freiheit aufnehmen. Die Festreden von Friedrich Hassaurek, August Willich und Albert Rosenfeld zeigen die große Bandbreite, innerhalb derer eine Bezugnahme auf Friedrich Schiller und sein Werk im Rahmen der Schillerfeierlichkeiten möglich war. Friedrich Hassaurek adressierte mit seiner englischen Ansprache vornehmlich das weiße amerikanische Publikum und nutzte die Schillerfeier zur Werbung einerseits für die deutsche Kultur und Literatur, andererseits für ein Integrationsmodell, das eine Integration der Deutschen unter Beibehaltung ihrer kulturellen Besonderheiten und in Vereinigung mit der angelsächsisch-amerikanischen Kultur anpries. Bei August Willich wird Schiller zum Revolutionsdichter, der als geistiger Führer den Arbeitern in ihrem sozialrevolutionären Kampf voranschreite. Schillerfeier und der Jubilar selbst dienten dabei vorrangig zur Abgrenzung und Selbstdefinition der Arbeiter als progressive Kämpfer für den sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt. Albert Rosenfeld wiederum beschrieb Schiller als Kind der Nation und idealen Überwinder territorialer und weltanschaulicher Gegensätze unter den Deutschen Europas. In philosophischer Sicht sah er Schiller als Aufklärer und Sänger der Philosophie Kants und pries seine hohe Integrationsfähigkeit. Deutlich wird hier vor allem die stark zielgruppenorientierte Inanspruchnahme und Funktionalisierung Schillers, die auch innerhalb eines lokalen Festkontextes auf der Ebene der Versammlungsöffentlichkeit vollzogen werden konnte. Jeder Festredner fand für die von ihm jeweils adressierte Gruppe einen eigenen Zugang zu dem Dichter, wobei vor allem Hassaurek und Willich sich ohnehin nicht länger mit dem Gefeierten und seinem Werk aufhielten, sondern ihr (gesellschafts-)politisches Programm lediglich oberflächlich mit dem Anlass der Feier verknüpften.

Festberichterstattung Abgesehen von August Willichs Kommentierung der Schillerfeier und Hinweise auf neu annoncierte Versammlungsankündigung fand eine inhaltlich-redaktionelle Unterstützung der lokalen Festvorbereitungen im Republikaner nicht statt. Weder wurde über die Verhandlungen des Festkomitees berichtet, noch gab es eine begleitende Kommentierung der Planungen mit Vorschlägen oder Anregungen zum Festprogramm. Die Beschlüsse und Planungen des Generalkomitees wurden lediglich als eingesandte Beiträge in das Blatt aufgenommen und stellten bis Anfang November 1859 die einzige lokale Schillerfest-Bericht-

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erstattung des Republikaners dar. Auch über auswärtige Festvorbereitungen wurde hier nur in Ausnahmefällen berichtet. So begrüßte der Republikaner am 30. September eine Entscheidung des Komitees in Milwaukee, die Aufführung der Glocke nach der Musik von Romberg wegen reaktionärer Textstellen zu suspendieren, berichtete am 4. November über den Beschluss des Frankfurter Senats, eine Schiller-Gedenkmünze prägen zu lassen und am 12. November über klerikale Einwände gegen die Festvorbereitungen in Berlin.1238 Der Feier in Cincinnati wandte sich der Republikaner, der am 11. November nicht erschien, erst in seinen Ausgaben vom 12. und 13. November zu. Die Nachberichterstattung des Republikaners war etwas umfangreicher, wenngleich aus der Union lediglich über die Feiern in Philadelphia und Evansville berichtet wurde. Über die Wiener Vorfeier wurde bereits Ende November berichtet, die allgemeinen Festivitäten auf der ganzen Welt wurden mit Verweis auf die Berichterstattung der New Yorker Staatszeitung als enthusiastisch, allgemein und einzigartig abgehandelt, ohne aber auf Einzelfeiern tiefer einzugehen.1239 Zum Teil sehr kurze Einzelberichte erschienen zu den Feiern in Hamburg, München, Wien, Bukarest, Konstantinopel, London und Paris.1240 Der Volksfreund brachte seinen zusammenfassenden Schillerfest-Bericht bereits einen Tag vor dem Republikaner und hatte mit Hamburg, Bremen und Hannover einen relativen Schwerpunkt im Norden, berücksichtigte allerdings auch Dresden, München, Stuttgart und Weimar sowie die Schillerfeier im Londoner Kristallpalast.1241 Weder Wien noch Berlin fanden hier Aufnahme, allerdings geriet Berlin gut zwei Wochen später noch in den Blick durch Aufnahme eines Artikels aus dem Anzeiger des Westens, in dem anlässlich des »Rowdytums in Berlin« über den aus Europa gegenüber Amerika vorgetragenen Vorwurf der Kulturlosigkeit räsoniert wurde.1242 Auch im Cincinnati Volksfreund gab es nur eine sehr eingeschränkte Vorberichterstattung zur Schillerfeier in der Union. Neben einzelnen Notizen zu den Vorbereitungen in St. Louis, Philadelphia und den Festplanungen der Gelehrten in Cambridge gab es nur aus dem benachbarten Evansville wiederholt Festberichte.1243 Für Europa ergibt sich ein ähnliches Bild. Nachdem im August über die Feier in Russland informiert wurde, berichtete der Volksfreund noch über die

1238 Cincinnati Republikaner, 30. September 1859, S. 2, 4. November 1859, S. 2, 12. November 1859, S. 2. Zur Auseinandersetzung um die Glocke s. Kapitel »Philadelphia«. 1239 Cincinnati Republikaner, 29. November, 5. Dezember 1859. 1240 Ebd., 1. Dezember, 5. Dezember, 9. Dezember 1859. 1241 Cincinnati Volksfreund, 10. November 1859, 4. Dezember 1859. 1242 Ebd., 16. Dezember 1859. 1243 Ebd. 4., 17. und 29. September 1859, 21. und 23. Oktober 1859, 7. und 11. November 1859.

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Renovierung des Schillerhauses in Marbach, das Verbot des Festumzugs in Berlin und die Festvorbereitungen in Stuttgart und Osnabrück.1244 Die Bedeutung der Schillerfeier wurde im Cincinnati Volksfreund in drei Artikeln kommentiert, darunter findet sich auch hier ein Abdruck des Artikels aus der Augsburger Allgemeinen Zeitung über die Nationalisierung des bevorstehenden Festes.1245 Der Volksfreund zeigte sich überzeugt, dass die in Schillers Werken enthaltenen »Lehren der allgemeinen Bruderliebe […] auf den Pfad der Eintracht« führen würden. Er sei »ein Diener der Wissenschaft, ein Freund seiner Zeitgenossen und ein Wohltäter der spätesten Nachwelt«, er habe »eine neue schöne Sphäre geschaffen, in welcher der denkende, fühlende Mensch, sich über den Materialismus emporschwingt.«1246 Hervorgehoben wurde auch die globale Dimension der Schillerfeier : »Zwei Weltteile haben sich gestern über Meerestiefen die Hand gereicht, um das Andenken des unsterblichen Schiller zu feiern« und »um aus Schillers Geist eine große Bruderkette zu winden«.1247 Zugleich bedauerte der Volksfreund, dass eine ungehinderte Feier nicht überall möglich sei und in Europa die Feier vielerorts unterdrückt wurde. »Doch wenn auch noch mit Spott das 100jährige Fest in Deutschland unterdrückt wird, mit desto offener Freude feiert ganz Amerika den Tag. Von allen Seiten kommen Programme zu dem heutigen Feste und auch die Königin des Westens steht wahrlich Andern nicht zurück.«1248 Die religiösen Wochenzeitungen hielten sich in der Berichterstattung über die Schillerfeier insgesamt stark zurück. Die Protestantischen Zeitblätter zeigten sich allerdings da, wo sie berichteten, als Unterstützer der Veranstaltung. »Das einzig Erfreuliche, was sich aus Deutschland melden lässt«, schrieben die Zeitblätter etwa am 3. November, »sind die mehr oder weniger großartigen Vorbereitungen zur würdigen Begehung der Schillerfeier. Fast in allen Städten von irgendwelcher Bedeutung wird der größte Dichter seines Jahrhunderts auf diese oder jene Weise gefeiert werden.«1249 Und auch über die Berichte über die umfassende und zahlreiche Beteiligung in allen deutschen Städten und kleineren Ortschaften freute sich die Zeitung.1250 Auch indirekt brachten die Zeitblätter ihre Sympathie für die Schillerfeier zum Ausdruck, indem sie ablehnende Berichte aus katholischen oder protestantisch-orthodoxen Zeitungen in Auszügen abdruckten und verurteilten als 1244 1245 1246 1247 1248 1249 1250

Ebd., 19. August 1859, 23. September 1859, 9. November 1859, 10. November 1859. Ebd., 30. Oktober 1859, S. 2; 10. und 11. November 1859, S. 2. Cincinnati Volksfreund, 10. November 1859, S. 2. Ebd., 11. November 1859, S. 2. Ebd. Protestantische Zeitblätter, 3. November 1859. Ebd., 8. Dezember 1859.

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»Geheul« und »widerliches Gekrächz« von »Unken und Eulen«.1251 In den Ausgaben vom 17. und 24. November veröffentlichten die Zeitblätter schließlich noch eine von Edward Graf in der unabhängigen protestantischen Gemeinde von Columbus, Ohio, gehaltene Festrede und bewarben die neue Schiller-Biographie von Gottfried Becker. Auf weitere Beiträge zum Schillerfest wurde verzichtet.1252 Der Wahrheits-Freund, das Wochenblatt für katholisches Leben, Wirken und Wissen zeigte sich hinsichtlich der Schillerfeier noch zurückhaltender. Am 6. Oktober gab es einen kurzen Bericht über die Vorbereitungen zur Schillerfeier in Russland1253, am 17. November Notizen über das Schillerhaus in Marbach, den in der Plahn’schen Buchhandlung in Berlin gefundenen Brief des zwölfjährigen Schiller und über die beabsichtigte Teilnahme Emilie Gleichen-Rußwurms bei der Stuttgarter Feier.1254 Eine darüber hinausgehende Auseinandersetzung mit der Feier fand nicht statt. Allerdings beschäftigte sich der Wahrheits-Freund am 10. November grundsätzlich mit der Frage der »Christlichkeit unserer Klassiker« und kam zu dem Schluss, dass sowohl Goethe als auch Schiller keine eindeutige Position in konfessionellen Fragen bezogen hätten, weil sie angesichts der konfessionellen Zwietracht befürchten mussten, es sich bei einer eindeutigen Positionierung gleich mit der Hälfte des Publikums zu verscherzen. In der gleichen Ausgabe findet sich allerdings auch eine polemische Korrespondenz zur Schillerfeier aus Schwaben. »Dieser ekelhafte Menschenkultus widert mich an«, schrieb darin ein Korrespondent aus Stuttgart und ereiferte sich über die dortigen Festvorbereitungen. Ganz anders als zur Einweihung des Stuttgarter Schillerdenkmals 1839 gäbe es 1859 weder ein anständiges Festkomitee, noch irgendwelche Anzeichen für eine würdige Feier. »Auch die Spekulation hat sich bereits der Sache bemächtigt; es regnet Schilleralbums [sic! –tl], Schillerbiographien, Schillerportraits usw.«1255 Eine andere Korrespondenz des Wahrheits-Freundes aus St. Louis verurteilte die Festrede von Dr. Löwe in New York als Frontalangriff gegen den Katholizismus und den Papst, den der Korrespondent mit zynischem Ton und antijüdischem Ressentiment zurückwies.1256 Auch die englischsprachige Presse berichtete über den Schillergeburtstag in der Stadt. Die Cincinnati Daily Gazette und der Cincinnati Daily Commercial 1251 Ebd., 15. Dezember 1859. Angriffe des Pariser Univers wurden in der gleichen Ausgabe als Ehrenbezeugungen für die Schillerfeier kommentiert: »Dass der Schatten Schillers das ›Univers‹ und ähnliche Organe zu solchen Angriffen herausfordert, vermehrt nur seinen Ruhm und vervollständigt seine Feier.« 1252 Ebd., 17. und 24. November 1859. 1253 Wahrheits-Freund, 25. August 1859, S. 9. 1254 Ebd., 17. November 1859, S. 153. 1255 Ebd., 10. November 1859, S. 139. 1256 Ebd., 1. Dezember 1859, S. 170 – 171, zur Rede von Löwe siehe Kapitel »New York«.

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veröffentlichten am 10. November eine ausführliche Schiller-Biographie, alle Veranstaltungen wurden grundsätzlich positiv besprochen, auch wenn dem Enquirer die Festrede von Dr. Rosenfeld beim Allemania-Fest deutlich zu lang war.1257 Die Gazette stellte die Schillerfeier in eine Reihe mit zwei anderen Festen des Jahres, dem Burns-Jubiläum und dem Händel-Fest und stellte fest, dass in diesen Künstlerfesten eine Welt jenseits des in Amerika wie nirgendwo sonst auf der Welt das alltägliche Leben dominierenden Materialismus geehrt und gefeiert worden sei. Die Wertschätzung auch des Ideellen gebe Hoffnung, »that there shall yet be a higher standard of morals than pecuniary profits, and that right and wrong shall be read out of some other books than the cash-book and ledger«.1258 Durch die Schillerfeier sei zudem die hohe Wertschätzung der Deutschen für die Freiheit zum Ausdruck gekommen. Schiller habe als Freiheitsdichter deshalb eine so große Resonanz bei den Deutschen gefunden, weil diese die Unfreiheit selbst erfahren hätten. »Did not such men and women feel, as they rendered homage to Schiller, that they were doing honor to someone who was more than a poet – an apostle of Freedom?«1259 Auch die Werke des gefeierten Dichters wurden dem englischsprachigen Publikum zugänglich gemacht. Englische Übersetzungen verschiedener Schiller-Gedichte, aber auch von zeitgenössischen Autoren zum Fest verfasste Dichtungen fanden um den 10. November ihren Weg in die Spalten der englischen Tagespresse Cincinnatis. Die Gazette veröffentlichte ebenso wie der Cincinnati Daily Commercial eine Übersetzung von Freiligraths Festlied, zudem druckte der Commercial die englische Version von Schillers Berglied in der Übersetzung des Schiller-Biographen Thomas Carlyle, Johannas Abschied von der Heimat aus dem Prolog der Jungfrau von Orleans in einer Übersetzung von Pastor Charles T. Brooks, ein für den Daily Commercial verfasstes Schillerfestgedicht von Sarah T. Bolton aus Indianapolis, sowie Übersetzungen von den Schiller-Gedichten »Lied an die Freude« und »Die Macht des Gesanges«.1260 Moncure D. Conway, Unitarier-Prediger an der First Congregational Church in Cincinnati, nahm die Schillerfeier sogar zum Anlass, am Sonntag nach der Feier eine Predigt über »Schiller – The Poet Whom the People Love« zu halten, die anschließend im Commercial veröffentlicht wurde.1261 Der überzeugte Abolitionist beschrieb Schiller darin als freiheitsliebenden Kämpfer, Dichter des Volkes und Propheten des Ideals, dem er selbst immer entsprochen habe. Die

1257 Cincinnati Enquirer, 11. November 1859; Cincinnati Daily Gazette, 10., 11. und 12. November 1859; Cincinnati Daily Commercial, 10., 11. und 12. November 1859. 1258 Cincinnati Daily Gazette, 12. November 1859. 1259 Ebd. 1260 Cincinnati Daily Commercial, 10., 11., 14. und 15. November 1859. 1261 Ebd., 14. November 1859.

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Schillerfeier sah er als Heldenverehrung mit weit reichender Wirkung auf alle Menschen, die sie erleben durften. »All the sermons preached in a nation for a year do not so immediately and powerfully bear upon its growing life as one such ovation. The music, the homage, the illumination speak to every child on the street, or peering from the window, saying, ›This is the world’s hero. To be such a man is to reach earthly success. Let the name on our transparencies be your standard and example!‹«1262

Die Schillerfeier in Cincinnati wurde weit über die deutsche Gemeinde hinaus von der Stadtbevölkerung wahrgenommen, viele Amerikaner ließen sich durch die Sprachbarriere nicht von einer Teilnahme an den Festveranstaltungen abhalten und die Einbindung einer englischsprachigen Festrede sowie die verschiedenen Übersetzungen taten ein Übriges, um das Publikum auch über die deutsche Community hinaus zu erreichen.

Finanzielles Desaster Bei aller Freude über die gelungenen Veranstaltungen: In finanzieller Hinsicht erwies sich die Schillerfeier in Cincinnati als Verlustgeschäft und die vorfestliche Ankündigung, Überschüsse aus den Einnahmen der Feier als Beitrag zur Errichtung einer »höheren deutschen Lehranstalt« zu verwenden, war bereits kurz nach Ende der Feier obsolet.1263 Obwohl am 13. November die bevorstehende Rechnungslegung angezeigt und um Einreichung noch offener Rechnungen für den Verlauf der bevorstehenden Woche erbeten wurde, musste der Republikaner am 15. November melden, dass die Schillerfeier mit einem Verlust zu Ende gegangen sei und bat das Publikum um Spenden zum Ausgleich der entstandenen Schulden in Höhe von $450.1264 Statt sich aufzulösen sah sich das Generalkomitee nun gezwungen, auch im November und Dezember seine regelmäßigen Sitzungen fortzusetzen und eine Lösung für die Finanzprobleme zu finden, was sich angesichts einer nur begrenzten Spendenbereitschaft als schwierige Aufgabe erwies. Eine anonyme Einsendung an den Republikaner, deren Tenor sich die Redaktion anschloss, brachte darüber höchste Unzufriedenheit zum Ausdruck und bezeugte noch einmal die tiefen Gräben zwischen den einzelnen Fraktionen der Deutschen in Cincinnati. Während in New York die Kaufleute $3000 Dollar für die Feier zur Verfügung gestellt hätten und ein 1262 Ebd. 1263 Cincinnati Republikaner, 8. November 1859, S. 3. 1264 Ebd., 13. und 15. November 1859. Die Summe der Verbindlichkeiten wird genannt in einer anonymen Einsendung im Cincinnati Republikaner vom 25. November 1859.

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Überschuss von $1000 Dollar erwirtschaftet worden sei, habe die Feier in Cincinnati bei Gesamtkosten von nur $600 Dollar ein Defizit von $450 ergeben. »Das Generalkomitee bemüht sich mit allen Kräften, dieses fatale Defizit zu decken und die Ehre der deutschen Bevölkerung Cincinnatis zu retten. Statt dass man ihm freundlich entgegenkommt, überhäuft man es mit Vorwürfen. Man sagt ihm, dies und jenes habe anders gemacht werden müssen, dieser oder jener Beamte habe nichts getaugt usw. Und wer macht diese Vorwürfe? Diejenigen, welche bei der Veranstaltung und den Arbeiten der Feier sich trotz aller Aufforderungen zurückgezogen und jede Mitwirkung verweigert haben.«1265

Schließlich wurde auf ein bewährtes Finanzierungskonzept zurückgegriffen, das schon im Vorfeld der Schillerfeier erfolgreich gewesen war : Das Komitee organisierte für den ersten Weihnachtstag ein zweites Benefizkonzert.1266 Erst durch die Einnahmen dieses erfolgreichen Weihnachtskonzerts in der neuen Turnhalle, »eines der schönsten, von den verschiedenen hiesigen Gesang- und MusikVereinen bisher aufgeführten«, bei dem neben Chorgesang, Musik und Deklamationen auch wieder Lebende Bilder und gymnastische Übungen der Turner zum Programm gehörten, konnte das Defizit der Schillerfeier in Cincinnati ausgeglichen werden.1267 Eine bleibende Erinnerung in Form eines Denkmals oder einer sozialen Einrichtung ging aus der Schillerfeier in Cincinnati nicht hervor.

St. Louis Der Auftakt zur Vorbereitung einer Schillerfeier in St. Louis datiert bereits auf den Anfang des Jahres 1859. Kurz nach der auch hier begangenen Burns-Feier war eine gut besuchte Versammlung von Deutschen zusammengetreten, um Möglichkeiten einer Schillerfeier zu diskutieren. Ein vorläufiges Komitee wurde gewählt, das im Frühjahr einige Sitzungen abhielt, jedoch keine konkreten Ergebnisse vorlegte.1268 Anfang Juni wurde ein Planungskomitee unter Dr. Alfred Behr beauftragt, konkretere Vorschläge für ein Festprogramm auszuarbeiten, doch erst im August nahmen die Festplanungen in St. Louis konkretere Gestalt an.1269 In einer allgemeinen Versammlung im Deutschen Institut erstattete Dr. Behr Bericht über die bisherigen Aktivitäten und die Versammlung beschloss die Abhaltung einer möglichst einfachen Feier mit einer Festaufführung im Theater 1265 1266 1267 1268

Ebd., 25. November 1859. Ebd., 29. November 1859. Ebd., 27. Dezember 1859. St. Louis Tageschronik, 27. Januar 1859, 2. April 1859, 24. April 1859; Westliche Post, 28. Februar 1859; Der Salon, 27. Januar 1859. 1269 Westliche Post, 24. August 1859, 26. August 1859, 27. August 1859.

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und einem Festkonzert am 10. November. Mit der Ausführung und weiteren Planung wurde ein zehnköpfiges Ausführungs-Komitee beauftragt, das nun mit der eigentlichen Festplanung begann.1270 Infolge eines Streits zwischen dem Herausgeber des Anzeiger des Westens, Heinrich Börnstein, und dem Eigentümer der Westlichen Post, Karl Dänzer, gerieten die Planungen in St. Louis im September und Oktober aber sogleich wieder ins Stocken und führten die hiesige Feier an den Rand des Scheiterns. Nachdem der Streit beigelegt werden konnte, konstituierte sich das Komitee Ende Oktober noch einmal neu als Delegierten-Versammlung der deutschen Vereine und Gesellschaften. Allgemeine Differenzen unter den Vereinen führten aber auch über die Festtage hinaus zu Reibereien zwischen den Organisatoren, die vor allem in der Diskussion um die Verwendung des Überschusses aus der Schillerfeier zum Ausdruck kamen.

Deutsche Einwanderer in St. Louis vor dem Bürgerkrieg Die deutsche Zuwanderung nach St. Louis begann Mitte der 1830er Jahre. Angezogen von dem 1829 veröffentlichten euphorischen Erlebnisbericht Gottfried Dudens, der Mitte der 1820er Jahre eine Farm in Warren County bei St. Louis betrieben hatte, erreichten seit 1832 Auswandererorganisationen wie die »Berliner Gesellschaft« oder die Reste der Gießener Auswanderergesellschaft die Stadt am Mississippi.1271 Die Zahl der unorganisierten Einwanderer stieg ebenfalls schnell an und brachte in dieser ersten Zuwanderungswelle eine heterogene Gruppe aus fast allen deutschen Staaten und Städten nach St. Louis, die alle sozioökonomischen Klassen abdeckte. 1860 lebten 150.510 Einwanderer aus deutschen Staaten in St. Louis. Als größte Ausländergruppe lag ihr Bevölkerungsanteil bei 35,2 Prozent.1272 Ein rein deutsches Quartier gab es in St. Louis nicht, die Deutschen wohnten über die gesamte Stadt verstreut. Besonders hoch war ihr Anteil allerdings im ersten Bezirk, wo sie schon 1850 gut zwei Drittel aller Einwohner stellten. Auch im zweiten, fünften und sechsten Bezirk kamen sie auf einen Bevölkerungsanteil von über 30 Prozent, und selbst in den weniger stark von Deutschen besiedelten Vierteln lag er noch immer bei mehr als 10 Prozent.1273 1270 Ebd., 26. August 1859; St. Louis Tageschronik, 27. August 1859. 1271 Gottfried Duden: Bericht über eine Reise nach den westlichen Staaten Nordamerikas, Elberfeld 1829. Vgl. Stefan von Senger und Etterlin: Neu-Deutschland in Nordamerika. Massenauswanderung, nationale Gruppenansiedlungen und liberale Kolonialbewegung 1815 – 1860, Baden-Baden 1991. 1272 Census 1860. 1273 Audrey L. Olson: St. Louis Germans 1850 – 1920, New York 1980, S. 20, 662.

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Die wohnliche Verteilung der Deutschen lag zum Teil auch in ihrer Berufsstruktur begründet. In der rapide wachsenden Stadt, die als Tor zum Westen schnell zum herausragenden Handelsposten aufstieg, waren besonders die ausgebildeten deutschen Handwerker und geschäftstüchtige Händler gefragt. Auch unter den Hoteliers, Pensions- und Saloon-Betreibern waren die Deutschen stark vertreten, bei den akademischen Berufen fanden sie sich vor allem bei den Ärzten und Apothekern. Fabrikproduktion im größeren Stil gab es in St. Louis vor dem Bürgerkrieg nicht, es dominierten die kleineren Geschäfte mit drei bis vier Angestellten. Da Handwerksbetriebe und Kaufläden in der fußgängig organisierten Stadt in der Nähe potentieller Kunden lagen, waren sie über ganz St. Louis verstreut. In der Minderheit blieb bis zum Bürgerkrieg der Anteil der Ungelernten und Hilfsarbeiter.1274 Während sich die soziale Oberschicht im Alltag eher von der ethnischen Gemeinschaft fern hielt und die Nähe der amerikanischen Oberschicht suchte, blieb sie über das Vereinswesen sozial weiterhin mit dem deutschen Mittelstand verbunden. Die deutsche Community von St. Louis war eine stark heterogene, vorwiegend mittelständische Gesellschaft, deren Gemeinsamkeit nach Olson vor allem in der Kulturpraxis der »Gemütlichkeit« zu finden war. »Gemütlichkeit« bezeichnet das gesellige Miteinander in Feiern, Festen, gemeinsamen Ausflügen, Bällen oder Konzerten, das vor allem von dem breiten Vereinsleben der Deutschen organisiert und getragen wurde.1275 Im Alltag waren die Deutschen in St. Louis in mehrfacher Hinsicht fragmentiert. So gab es zwischen den Einwanderern der ersten Generation und den mit der einsetzenden Masseneinwanderung ebenfalls nach Missouri drängenden Achtundvierzigern vor allem in politischer Hinsicht Verwerfungen. Die »Grauen«, wie die älteren Einwanderer auch genannt wurden, waren oft nicht gewillt, den anhaltenden Reformeifer der als unerfahren und zu radikal wahrgenommenen »Grünen« zu akzeptieren. In der Frage der Sklaverei etwa gab es unter den Dreißigern zwar keine nennenswerten Befürworter, der radikale Abolitionismus einiger Neuankömmlinge in dieser Frage ging ihnen aber trotzdem oft zu weit. Politisch standen die »Grauen« dann auch eher den Demokraten, die »Grünen« eher den Republikanern nahe.1276 Selbst während der keineswegs auf St. Louis beschränkten fremdenfeindlichen Übergriffe der 1850er Jahren, als es in den Hochzeiten des Nativismus immer wieder auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen deutschen Einwanderern und

1274 Ebd., S. 30 – 34. 1275 Ebd., Kapitel V, insbes. S. 134 – 153. 1276 Ebd., S. 123.

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fremdenfeindlichen Einheimischen kam, bildeten die Deutschen keine geschlossenen Reihen.1277 Auch das deutsche Vereinswesen war schon vor dem Bürgerkrieg stark diversifiziert. Kirchengruppen, Turnverein, Berufsvereinigungen, sieben Gesangsvereine, eine Hilfsgesellschaft und sechs Militärkompanien fanden sich unter den von Deutschen gegründeten Gesellschaften, die auch in St. Louis ein reges Kulturleben entfalteten mit regelmäßigen geselligen Zusammenkünften und reichlich »Gemütlichkeit«.1278

Deutsche Zeitungen in St. Louis An vielen Festorten waren die Versammlungsöffentlichkeiten der Schillerkomitees und -feiern und die mediale Öffentlichkeit eng verbunden. Ein Streit zwischen Heinrich Börnstein, Theaterdirektor und Eigentümer des Anzeiger des Westens und Carl Dänzer, Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts und Eigentümer der Westlichen Post, wurde im Oktober 1859 zugleich in der Versammlungsöffentlichkeit des Schillerkomitees und in den Spalten beider Blätter ausgetragen und auch über St. Louis hinaus zur Kenntnis genommen. Das Belletristische Journal in New York veröffentlichte am 30. Dezember einen zusammenfassenden Korrespondentenbericht zum Schillerstreit von St. Louis: »Schon vorigen Sommer bildete sich hier ein Schillerkomitee, welches jedoch (Dank der deutschen Einigkeit) nichts tat oder nichts tun konnte; später setzte das Deutsche Institut ein Komitee zusammen, welches jedoch auch sitzen blieb und nach langem Laborieren weiter nichts fertig brachte als eine Bürgerversammlung zu berufen. Diese Versammlung tat das Beste was sie tun konnte, sie erließ eine Aufforderung an alle deutsche Gesang- und Musikvereine, Logen, Militärkompanien, Turner usw., je einen Abgeordneten zur Schillerkomitee zu schicken. Dieser Aufforderung kamen viele nach, und ein wirklich tätiges, aus allen Klassen der deutschen Bevölkerung zusammengesetztes Komitee konstituierte sich. Hätten wir nun keine deutschen Zeitungen gehabt, so wäre Alles ganz gut gegangen, so aber ging der Teufel richtig, wie immer, auch diesmal los.«1279

Welchen »Teufel« hatten die deutschen Zeitungen in St. Louis im Rahmen der Festplanungen zum Schillergeburtstag entfesselt? Welche Auswirkungen hatte die Auseinandersetzung auf die Organisation der Schillerfeier und wer stand hinter den streitenden deutschen Tageszeitungen?

1277 Ebd., S. 171. 1278 Ebd., S. 138 – 140. 1279 Belletristisches Journal, 30. Dezember 1859.

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1859 erschienen in St. Louis insgesamt drei deutschsprachige Tageszeitungen, der Anzeiger des Westens, die Westliche Post und die katholische St. Louis Tageschronik des erfolgreichen Maurers und Kirchenbaumeisters Franz Joseph Saler (1808 – 1893), die von Adalbert Löhr redigiert wurde.1280 Alle vierzehn Tage erschien seit 1844 der konservative Lutheraner, herausgegeben von der Deutschen Evanglisch-Lutherischen Synode von Missouri unter der Leitung von Carl Ferdinand Wilhelm Walther (1811 – 1887).1281 Hinter den beiden anderen deutschen Tageszeitungen, der Westlichen Post und dem Anzeiger des Westens, standen zwei außerordentliche Charaktere, die bereits vor ihrer Auswanderung nach Amerika ein bewegtes Leben in Europa gelebt hatten. Heinrich Börnstein (1805 – 1892) wurde in Hamburg geboren, ging aber noch als Kind mit seinen Eltern nach Österreich, wo er in Lemberg die Schule besuchte. Nach einer militärischen Ausbildung betätigte er sich als Schriftsteller, Journalist, Theater-Direktor und Schauspieler an verschiedenen Orten und übernahm 1842 die Regie der Deutschen und Italienischen Oper am Th¦–tre Ventadour in Paris. Zugleich betätigte er sich journalistisch, schrieb als Theaterkorrespondent für die Augsburger Allgemeine Zeitung und die Deutsche Schnellpost in New York und begründete 1844 mit dem Vorwärts die erste deutschsprachige Zeitung in Paris. Über den Vorwärts kam Börnstein in Kontakt zu den Mitarbeitern der Deutsch-französischen Jahrbücher um Karl Marx, Arnold Ruge und Karl Ludwig Bernays, mit dem er bis zu dessen Tod freundschaftlich verbunden blieb. Nach der Wahl Louis Napoleons zum französischen Präsidenten Ende 1848 emigrierte Börnstein, gemeinsam mit Bernays, nach Amerika.1282 1850 übernahm er in St. Louis den Anzeiger des Westens und baute im Verlauf der 1850er Jahre seine Geschäftstätigkeiten in verschiedenen Feldern aus, wodurch er sich eine herausragende Stellung und großen Einfluss unter den Deutschen in der Stadt erwarb, die allerdings nicht unumstritten blieb.1283 Neben 1280 Arndt/Olson, S. 271. 1281 Ebd., S. 262 – 263. 1282 Heinrich Börnstein: 75 Jahre in der Alten und Neuen Welt. Memoiren eines Unbedeutenden (1881), Reprint Frankfurt am Main 1986, Bd. 1, insbesondere S. 347 – 354 und 435 – 448. 1283 Börnstein war ein stark konfrontativer Charakter, der ein Talent dafür besaß, mit seinem Umfeld in Streit zu geraten. Sein ausgeprägter Führungsanspruch wurde schon von Zeitgenossen kritisch gesehen: »Seine Eitelkeit verleitete ihn sogar zu der unklugen Äußerung, dass er, der Anzeiger, über die Neigungen, Ansichten und Stimmen der Deutschen gebiete. Persönlichkeiten und ganze Vereine, die ihm nicht zu Willen waren, wurden unbarmherzig angegriffen und er hatte nicht selten Erfolg.« Daniel Hertle: Die Deutschen in Nordamerika und der Freiheitskampf in Missouri, Chicago 1865, S. 52 – 53. Hertle war Mitherausgeber der Westlichen Post. Über Börnsteins Zeit in St. Louis vgl. auch Heinrich Börnstein: 75 Jahre in der Alten und Neuen Welt. Memoiren eines Unbedeutenden (1881), Reprint Frankfurt am Main 1986, Bd. 2. Über Börnstein siehe Steven Rowan: Introducing

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dem Anzeiger des Westens betrieb Börnstein mehrere Lokale in St. Louis, ein Hotel und eine Brauerei. Im Herbst 1859 pachtete er das Varieties Theatre in der Market Street und machte es unter dem Namen »Deutsches Opernhaus« zum ersten stehenden deutschen Theater in St. Louis und zur neuen Heimat für die von ihm schon 1848 gegründete »Philodramatische Gesellschaft«.1284 Bei Ausbruch des Bürgerkrieges trat Börnstein als Freiwilliger in den Militärdienst und führte das Zweite Missouri Freiwilligenregiment, mit dem er in die Sicherung des St. Louis Arsenal und die Camp Jackson Affair verwickelt war. Mitte der 1860er kehrte Börnstein zurück nach Europa und lebte als amerikanischer Generalkonsul in Bremen bis er 1869 nach Wien übersiedelte. Hier leitete er unter anderem das Josefstädter Theater und blieb als Korrespondent für die Illinois Staatszeitung in Chicago und die Westliche Post auch dem deutsch-amerikanischen Journalismus weiter verbunden. In die Vereinigten Staaten kehrte Börnstein nicht wieder zurück, er starb am 10. September 1892 in Wien. In St. Louis und darüber hinaus wurde Heinrich Börnstein vor allem als Herausgeber des Anzeiger des Westens bekannt, der 1835 als erste deutschsprachige Zeitung westlich des Mississippi von Heinrich Bimpage gegründet worden war.1285 Der Anzeiger erschien zunächst als Wochenzeitung, ab 1846 und bis zu seiner Einstellung 1912 als Tageszeitung. Von 1836 bis 1850 stand das Blatt unter der Leitung des Dreißigers Wilhelm Weber, der eine liberale Haltung gegen die Sklaverei vertrat. 1851 übernahm Heinrich Börnstein zunächst als Redakteur, später auch als Herausgeber den Anzeiger und machte seinen Freund Karl Ludwig Bernays zum Chefredakteur. Börnsteins Radikalismus und ausgesprochener Antiklerikalismus erregten mehrfach Anstoß in St. Louis, vor allem im religiösen Lager der Stadt.1286 Politisch unterstützte der Anzeiger zunächst die Free-Soil-Bewegung, ab 1856 die Republikaner. Als Börnstein bei Beginn des Bürgerkriegs seine Geschäfte in St. Louis niederlegte und sich zum Militärdienst meldete, erfuhr das Blatt einen Niedergang und wurde 1863 ausgerechnet von Börnsteins Konkurrenten und ehemaligen Gegner des Anzeigers, Carl Dänzer, erworben und zum größten unabhängig-demokratischen Konkurrenten der

Henry Boernstein a.k.a. Heinrich Börnstein, in: Steven Rowan (Hg.): Memoirs of a Nobody. The Missouri Years of an Austrian Radical 1849 – 1866, St. Louis 1997, S. 3 – 25. 1284 Daniel L. Padberg: German Theatre Professionalism. Heinrich Börnstein and the St. Louis German Theatre 1850 – 1865, in: H. Fassel, P. S. Ulrich (Hg.): »welt macht theater«. Deutsches Theater im Ausland vom 17.–20. Jahrhundert. Funktionsweisen und Zielsetzung, Bd. 2, Berlin 2006, S. 187 – 212. 1285 Arndt/Olson, S. 250 – 251. 1286 Insbesondere durch seinen antiklerikalen Verschwörungsroman »Die Geheimnisse von St. Louis«, der zuerst 1851 als Fortsetzungsroman im Anzeiger des Westens erschien und in den Folgejahren mehrere Auflagen erlebte.

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Westlichen Post ausgebaut. 1898 wurden die Konkurrenten vereint, der Anzeiger erschien anschließend als Abendausgabe der vereinten Zeitungen bis 1912.1287 Carl Dänzer (1800 – 1906) war einer der herausragenden deutsch-amerikanischen Journalisten im 19. Jahrhundert.1288 Dänzer wurde im badischen Odenheim geboren und studierte nach dem Besuch des Gymnasiums Rechtswissenschaft in Freiburg und Heidelberg, wo er sich auch burschenschaftlich organisierte. Einer Verurteilung zu sechs Monaten Arbeitshaus wegen Majestätsbeleidigung entzog er sich 1847 durch Flucht in die Schweiz. Nach seiner Rückkehr wurde Dänzer im Juni 1849 als Abgeordneter in die Konstituierende Landesversammlung Badens gewählt, musste jedoch nach der Niederschlagung der Revolution vor den herannahenden Preußen erneut in die Schweiz flüchten. In Abwesenheit zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, entschied sich Dänzer, als er 1852 wegen politischer Betätigung auch aus der Schweiz ausgewiesen wurde, für die Auswanderung in die USA, wo er sich in St. Louis niederließ. Er erhielt eine Assistenz-Stelle in der Redaktion von Börnsteins Anzeiger des Westens, dessen Mitherausgeber er 1854 wurde. 1857 verließ Dänzer »after some differences with Börnstein« den Anzeiger und gründete die Westliche Post, die er bis 1860 als politisch unabhängiges Blatt leitete und ab 1858 gemeinsam mit Daniel Hertle herausgab.1289 Die Post entwickelte sich nach dem Bürgerkrieg unter Emil Preetorius und Carl Schurz zu einer der wichtigsten und einflussreichsten deutschen Zeitungen in den Vereinigten Staaten, an der auch Joseph Pulitzer seine ersten journalistischen Erfahrungen sammelte. Dänzer war 1859 zudem Vorstandsmitglied im Deutschen Institut für Wissenschaft, Kunst und Gewerbe in St. Louis, einer 1857 gegründeten Bildungseinrichtung mit Lesezimmer und Bibliothek, die auch ein Vorlesungswesen unterhielt.1290 Nach einem kurzzeiti1287 James M. Bergquist: »Anzeiger des Westens (Western Informer)«, in: Thomas Adam (Hg.): Germany and the Americas, Santa Barbara 2005, S. 92 – 93. 1288 Carl Dänzer wurde gemeinsam mit Carl Schurz und Emil Preetorius geehrt durch eine Denkmalsetzung in St. Louis, dem von Wilhelm Wandschneider ausgeführten und von den Deutschen in St. Louis finanzierten Monument »The Naked Truth«, das 1914 in St. Louis enthüllt wurde. 1289 Bergquist 2005, S. 92 – 93; Arndt-Olson S. 274. Daniel Hertle (1821 – 1870) war am pfälzischen Aufstand beteiligt und wanderte als Achtundvierziger 1850 in die USA aus. In New York und in Chicago arbeitete Hertle als Journalist und wurde 1858 Mitarbeiter und Mitherausgeber bei der Westlichen Post. Der Grund für den Streit ist nicht zu ermitteln, allerdings wird Börnstein als wenig sozial agierender Arbeitgeber beschrieben. William Hyde, Howard L. Conard: Encyclopedia oft he History of St. Louis, Bd. 3, New York 1899, S. 1636 f. 1290 Deutsche Akademie der Wissenschaften und Künste in St. Louis, MO, in: Atlantis N.F. 5, Heft 6, Dezember 1856, S. 443 – 446; Far West (= Friedrich Münch): Bemerkungen über das deutsche Institut für Wissenschaft, Kunst und Gewerbe in St. Louis«, in: Atlantis N.F. 6, Heft 3, Februar 1857, S. 145 – 149; Das deutsche Institut in St. Louis und das Projekt einer deutschen Hochschule, in: Atlantis N.F. 6, Heft 3, März 1857, S. 217 – 222; Carl Rösch:

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gen Aufenthalt in Mannheim, wo er mit einem Zeitungsprojekt scheiterte, kehrte Dänzer 1863 nach St. Louis zurück und erwarb kurz darauf den von Börnstein inzwischen verlassenen Anzeiger des Westens, dem er bis zur Vereinigung beider Blätter 1898 verbunden blieb. Nachdem Carl Dänzer seine Beteiligungen verkauft hatte, ging er endgültig zurück nach Europa und lebte die letzten Jahre seines Lebens in der Heimatstadt seines Vaters, dem württembergischen Neckarsulm, wo er am 19. September 1906 starb.1291

Die Schiller-Unruhe Die Schiller-Unruhe von St. Louis brach im Oktober 1859 aus, als die Festplanungen in ihre entscheidende Phase traten. In ihr wurden Fraktionskämpfe ausgetragen, die mit der Feier oder dem Dichter selbst wenig zu tun hatten, sondern auf lange gehegten Feindschaften und Streitfragen beruhten, die in der Festvorbereitung lediglich ausgetragen und weitergeführt wurden. Da mit Heinrich Börnstein und Carl Dänzer zwei Zeitungsleute in die Auseinandersetzung involviert waren und mit dem Theater eine für die Durchführung der Feier zentrale Institution unter Börnsteins Leitung stand, war die Diskussion nicht auf den medialen Raum begrenzt, sondern wirkte sich unmittelbar auf die Versammlungsöffentlichkeit des Schillerkomitees und damit auf die Planungen der Feier in St. Louis aus. Zu Beginn der Festplanungen hatte sich Heinrich Börnstein spendabel gezeigt und dem Komitee die Hälfte der Brutto-Einnahmen aus dem Schillerfest im Theater zur freien Verwendung in Aussicht gestellt. Daraufhin wurde in einer Komitee-Sitzung am 25. August beschlossen, einen etwaigen Reinertrag aus der Feier je zur Hälfte der Bibliothek und der Realschule des Deutschen Instituts zukommen zu lassen, das in dieser Phase der Festplanungen noch federführend war.1292 Die Festberichterstattung der Westlichen Post löste dann im Oktober den Eklat aus. Bei einer Sitzung des Komitees war beschlossen worden, Heinrich Über die Gegenwart und Zukunft des »deutschen Instituts für Wissenschaft, Kunst und Gewerbe« in St. Louis, in: Atlantis N.F. 6, Heft 3, Mai 1857, S. 377 – 382. 1291 Georg Hertweck: Carl August Dänzer, in: Arbeitsgemeinschaft hauptamtlicher Archivare im Städtetag Baden-Württemberg (Hg.): Revolution im Südwesten. Stätten der Demokratiebewegung 1848/49 in Baden-Württemberg, Karlsruhe 1998, S. 459 – 460; August Dänzer-Banotti: Carl Dänzer. Ein deutscher Zeitungsmann in den Vereinigten Staaten 1820 – 1906, in: Mein Heimatland. Badische Blätter für Volkskunde, Heimat- und Naturschutz, Denkmalpflege, Familienforschung und Kunst 24 (1937), H. 3, S. 285 – 288; »Carl Daenzer Dead. Nestor of German Press in America Dies in his Native land«, in: New York Times, 23. September 1906. 1292 Westliche Post, 26. August 1859.

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Börnstein bei Gelegenheit der Festveranstaltung im Theater einen Prolog vortragen zu lassen, was die Westliche Post zu der Stichelei veranlasste, es sei zu hoffen, dass der geplante Prolog Börnsteins nicht wieder eine »Hanswurstiade und Schweinigelei wie der Prolog bei Eröffnung des Theaters« werde.1293 Börnstein geriet über diesen Kommentar dermaßen in Rage, dass er mit der Rücknahme seiner Zusage für die Benefiz-Veranstaltung drohte und seine Beteiligung an der Feier grundsätzlich in Frage stellte. Börnstein, der für seinen Jähzorn und seine medialen Fehden bekannt war, muss sich auch in den Spalten des täglichen Anzeigers mit eindeutigen Worten geäußert haben, denn am 21. Oktober druckte die Post den Wortlaut jener Selbstverpflichtung, die seit der Vergrößerung des Wochenblattes im Juni jeder Ausgabe des Anzeigers vorangestellt war.1294 Im Namen eines qualitativ hochwertigen Journalismus erklärte der Anzeiger in dieser »Richtschnur« seinen Verzicht auf jedwede Zeitungspolemik und schloss Antworten auf persönliche Angriffe in den eigenen Spalten grundsätzlich aus.1295 »Wir hoffen noch immer auf den ›sober second Thought‹«, schrieb die Westliche Post ergänzend, »und dass die Schwierigkeiten, die plötzlich, das Publikum weiß nicht wie, am Horizonte erschienen sind, beseitigt werden mögen. – Sollte diese Hoffnung nicht in Erfüllung gehen, so werden wir dem Publikum und der auswärtigen Presse diese ›Schiller Unruh‹ in das gehörige Licht setzen.«1296 Dies geschah bereits in der nächsten Ausgabe und noch vor einer Sondersitzung, die das Komitee »in Rücksicht eingetretener Schwierigkeiten für Begehung der Schillerfeier« und angesichts des drohenden materiellen und künstlerischen Debakels, das mit einem Rückzug Börnsteins und des Theaters verbunden gewesen wäre, kurzfristig in die Turnhalle einberief.1297 Die Westliche Post vermutete hinter Börnsteins scharfer Reaktion etwas anderes als nur gekränkte Ehre über den Prolog-Kommentar, sie vermutete eine politische Aktion gegen das Deutsche Institut. Carl Dänzers Mitgliedschaft im Vorstand dieser Gesellschaft ließ Börnstein offenbar vermuten, dass hinter dem Angriff der Zeitung ein Angriff des Instituts selbst stand, für das er nun nicht mehr spielen wollte. So jedenfalls interpretierte es die Westliche Post und unterstellte dem Theaterdirektor, dass er den Kommentar gegen seinen Prolog lediglich als Vorwand nutze, »um von seinem Versprechen, für das ihm verhasste deutsche Institut zu spielen und von der unliebsamen Lage, unter der Kontrolle des Schillerkomitees zu stehen, los zu kommen«.1298 Börnsteins »Staatsstreich gegen die Schillerfeier«, vermerkte die Post weiter, entspringe seiner Herrsch1293 1294 1295 1296 1297 1298

Ebd., 18. Oktober 1859. Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 19. Juni 1859. Westliche Post, 21. Oktober 1859. Ebd. Ebd. Ebd. 22. Oktober 1859.

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sucht, einem lange gepflegten Hass gegen das Institut und gekränkter Eitelkeit, da ihm die Festrede verweigert worden sei. »Herr Börnstein hat zu allen Zeiten Alles zu ruinieren gesucht, was er nicht beherrschen und zu seinen Zwecken ausbeuten konnte«, schloss die Zeitung schließlich und er habe »dem Publikum mit diesem Theaterstreiche weiter nichts bewiesen, als dass man ohne den Besitzer des Varieties Theaters nicht im Varieties Theater spielen kann – was alle Welt sattsam wusste – voila tout!«1299 Nachdem sich die Auseinandersetzung medial hochgeschaukelt hatte, fand am 22. Oktober schließlich die einberufene Bürgerversammlung zur Klärung der Angelegenheit in der Turnhalle statt.1300 Das Schillerkomitee erstattete Bericht über die bisherigen Vorbereitungen, legte die Streitpunkte der aktuellen Auseinandersetzung dar und erklärte daraufhin seinen Rücktritt, um den Weg frei zu machen für die Organisation einer würdigen Feier.1301 Ein anschließender Versuch Heinrich Börnsteins, eine offizielle Verurteilung der Westlichen Post durch die Versammlung herbeizuführen, scheiterte nach dem Bericht der Mississippi-Blätter an dem Einspruch und ausdrücklichen Wunsch der Versammlung, den Streit aus dem Komitee und der Schillerfeier herauszuhalten: »Wir wollen nichts von Persönlichkeiten hören! Macht eure Streitigkeiten in der Presse aus, zur Ordnung!«, hielten die versammelten Delegierten dem Bericht zufolge den Streitenden entgegen.1302 Die Auseinandersetzung zwischen Börnstein und Dänzer wurde von der Versammlung als Störung und Gefährdung des Zwecks ihres organisatorischen Zusammenschlusses gesehen. Insofern nun die Vermengung beider Sphären dem Unternehmen nicht nur als nicht förderlich, sondern hinderlich, wenn nicht gefährdend eingeschätzt wurde, betrieb die Versammlung mit der Aufforderung, die Streitigkeiten in der Presse auszumachen, die Trennung beider Öffentlichkeiten zumindest in dieser Angelegenheit. Die Zurückweisung des Streits in den medialen Raum diente insofern der Wiederherstellung der Versammlungsöffentlichkeit als einer funktionalen Gemeinschaft zur Organisierung der Feier. Dass der Platzverweis als Ordnungsruf daherkam, bestärkt diesen Eindruck. Tatsächlich zeigte der ausdrückliche Wunsch der Versammlung nach einem Ende der Streitigkeiten Wirkung. Börnstein beruhigte sich und erklärte nun, dass er zu seinem Wort stehen werde, eine Benefiz-Vorstellung zugunsten des Komitees zu veranstalten.1303 Der Rücktritt des Komitees wurde zurückgewiesen und ein Antrag Carl Dänzers auf dessen Erweiterung durch Delegierte aus den deutschen Vereinen der Stadt von der Versammlung angenommen. Jeder Verein 1299 1300 1301 1302 1303

Ebd. Mississippi Blätter, 23. Oktober 1859; St. Louis Tageschronik, 23. Oktober 1859. Ebd., 23. Oktober 1859. Mississippi Blätter, 23. Oktober 1859. Ebd.

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sollte fortan durch die Entsendung eines Delegierten im Komitee repräsentiert sein. Zur Unterstützung des Komitees stellte Dänzer kostenfreien Anzeigenraum in der Westlichen Post in Aussicht unter der Voraussetzung, dass die ursprünglichen Beschlüsse zur Mittelverwendung beibehalten würden.1304 Am Montag nach der Versammlung veröffentlichte Heinrich Börnstein, offenbar noch immer gekränkt, den umstrittenen Prolog in voller Länge im Anzeiger und bat das Publikum, selbst zu entscheiden, »ob die von einem hiesigen Blatte vorgebrachte gehässige Bezeichnung desselben in irgend einer Weise berechtigt war«. Da ein bedeutender Teil des Prologs ursprünglich aus der Feder des österreichischen Schriftstellers und Satirikers Moritz Gottlieb Saphir (1795 – 1858) stamme, »so fällt wohl jede Möglichkeit einer ›Schweinigelei‹ oder ›Hanswurstiade‹, wie ein gebildeter Kollege hier diesen Prolog bezeichnete, von selbst weg«.1305 »Wir haben den Prolog gelesen und Verschiedenes darin vermisst, was bei dem mündlichen Vortrage eine Hauptrolle spielte«, antwortete die Post, die bei ihrem ablehnenden Urteil blieb. »Wenn sich in der ganzen deutschen Presse in Amerika auch nur eine Stimme erhebt, welche ein anderes Urteil fällt, so wollen wir dem Verfasser abbitten oder – zur Buße mit Linsen in den Schuhen eine Wallfahrt nach Walldürn antreten.«1306 Die Auseinandersetzung um den Theater-Prolog war nach diesem neuerlichen Waffengang beendet, nicht jedoch die Frage der Mittelverwendung aus der Festvorstellung des Theaters.

Neustart der Festplanungen Nach der formellen Beilegung des Streits zwischen Börnstein und Dänzer wurde das Komitee um Delegierte aus verschiedenen deutschen Vereinen erweitert und konstituierte sich nach deren Aufnahme am 25. Oktober noch einmal neu. Es setzte sich nun zusammen aus den Delegierten aller deutschen Vereine, Gesellschaften, Militärkompanien und Berufsvereinigungen, die sich für eine Teilnahme an der Feier entschlossen hatten. Insbesondere die Gesangsvereine bildeten eine starke Fraktion von sieben Mitgliedern in dieser Delegiertenversammlung.1307 Der Arbeiterverein und der Arbeiter-Unterstützungsverein waren vertreten, ebenso der Schmiede- und Wagner-Unterstützungsverein, die Turner vom St. Louis Turnverein und der Germania, das Humboldt-Institut, vertreten 1304 Westliche Post, 25. November 1859. 1305 Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 30. Oktober 1859. 1306 Ebd., 24. Oktober 1859. Anspielung auf das nördlich von Neckarsulm gelegene Walldürn. Der Ort ist als Wallfahrtsort des Blutwunders von Walldürn bekannt. 1307 Dabei handelte es sich um: Teutonia Liedertafel, Concordia Gesangverein, Socialer Sängerchor, Germania Sängerbund, St. Louis Sängerbund, Deutscher Männerchor, St. Louis Liederkranz und die Druiden Gesangssektion.

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durch seinen Gründer Dr. Hammer, der deutsche Lehrerverein, die beiden Schweizer-Vereine Grütli und Helvetia und insgesamt sechs deutsche Logen. Die soziale Zusammensetzung des Komitees entsprach der allgemeinen Sozialstruktur der deutschen Community in St. Louis: Handwerker, Händler und Saloon-Betreiber dominierten deutlich, ergänzt wurden sie von mehreren Vertretern teils gehobener Angestelltenberufe, einigen Lehrern, Ärzten und Apothekern. Die Versammlung wählte Dr. Döhn, Delegierter der Freien Gemeinde (nördliche Gruppe), zu ihrem Vorsitzenden, Sekretär wurde der Geschenke- und Spielwarenhändler Eugen Haas vom Germania Turnverein. Mit Verweis auf den Komitee-Beschluss, nur einen Delegierten pro Verein zuzulassen, wurde ein Antrag des Deutschen Instituts auf Zulassung von drei Delegierten aus seinen Reihen nach längerer Diskussion abgeschlagen, was die Post als Vertreibung des Deutschen Instituts aus dem Komitee deutete.1308 Bereits getätigte Auslagen des Instituts für Musikalien wurden erstattet und das neu gebildete Komitee trieb anschließend in einer Doppelsitzung am 25. und 27. Oktober durch eine Reihe von Beschlüssen die Planungen zur Feier entschlossen und zügig voran.1309 Die Komiteesitzungen fanden nun nicht mehr in den Räumen des Deutschen Instituts statt, sondern in der Turnhalle, zunehmend auch im Humboldt-Institut, einer im Oktober neu eröffneten naturwissenschaftlich-medizinischen Schule.1310 Das Komitee suchte jetzt auch eine engere Zusammenarbeit mit der Presse, beschloss die Veröffentlichung der Verhandlungsprotokolle in allen drei deutschen Tageszeitungen und die Ausgabe von Freikarten an die drei Blätter für die Theatervorstellung und das Festkonzert.1311 Ein Redaktionskomitee zur Abfassung eines Festaufrufs an die Bevölkerung von St. Louis wurde gebildet, die Veröffentlichung des Aufrufes in allen deutschen Zeitungen sowie darüber hinaus in 500 Exemplaren als Einzeldruck beschlossen.1312 Um dem englischen Publikum Inhalt und Zweck der Schillerfeier näher zu bringen, wurde der Rechtsanwalt Christian Kribben gebeten, »die Schillerfeier in den englischen Blättern dem amerikanischen Publikum durch einen oder mehrere Artikel vorzuführen«.1313

1308 Westliche Post, 25. November 1859. 1309 St. Louis Tageschronik, 29. Oktober 1859. 1310 Vor allem die Sitzungen nach Ende der Feierlichkeiten fanden dort statt. St. Louis Tageschronik, 3. November 1859, 19. November 1859. 1311 St. Louis Tageschronik, 29. Oktober 1859. 1312 Ebd., 29. Oktober 1859, 3. November 1859. 1313 Ebd. Dass die Mission Kribbens erfolgreich war berichtete die Westliche Post am 10. November 1859.

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Trotz der Kürze der verbliebenen Zeit gelang es dem Komitee, ein zweitägiges Festprogramm aufzustellen, bestehend aus der vieldiskutierten Vorfeier im St. Louis Opernhaus und einer Hauptfeier am 10. November mit morgendlichen Salutschüssen, einer Festparade der deutschen Militär-Kompanien und einem abendlichen Festkonzert in der Mercantile Library Hall mit Festreden und Musik. Heinrich Börnstein spielte in beiden Veranstaltungen eine bedeutende Rolle. Im Deutschen Opernhaus setzte er eine Schiller-Festwoche auf das Programm und ließ sein Ensemble nach Laubes Karlsschülern sechs Schiller-Dramen in acht Tagen spielen: Die Räuber, Kabale und Liebe, Fiesko, Maria Stuart, Wallensteins Tod und zum Abschluss Wilhelm Tell.1314

Die Festlichkeiten in St. Louis Die Fiesko-Vorstellung im Deutschen Theater diente zugleich als Vorfeier zum Schillerfest und wurde mit dem Festlied von Ferdinand Freiligrath eröffnet. Börnstein hatte sich zunächst geweigert, den Text vorzutragen, da dieser ungenügend sei und »die deutsch-amerikanische Bevölkerung so wenig im Auge gehabt« habe, ließ sich aber doch noch überzeugen und trug schließlich eine von ihm überarbeitete und ergänzte Fassung des Freiligrath-Festliedes vor, in dessen Verlauf eine in ein antikes Gewand gehüllte allegorische Figur der Freiheit die Schillerbüste bekränzte.1315 Links und rechts neben der Büste hingen als Dekoration die deutsche Trikolore und die Fahne der Union, darüber war ein amerikanischer Adler angebracht.1316 Die Kombination von deutschen und amerikanischen Fahnen fand sich auch in der Festdekoration vieler Lokale und Privathäuser wieder.1317 Der Hauptfesttag am 10. November wurde mit Salutschüssen und einer festlichen Parade der deutschen Militär-Kompanien eröffnet.1318 Bereits am späten Nachmittag begann das Festkonzert in der Mercantile Library Hall, für das Eintrittspreise in Höhe von 50 Cent für einfache Karten und $1 für reser1314 Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 6. November (Artikel vom 2. November 1859). 1315 In den Zeitungen wurde allerdings lediglich die Originalversion des Freiligrath-Gedichtes veröffentlicht. Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 13. November 1859 (Ursprünglicher Bericht vom 12. November). Zur Bekanntschaft mit Ruge vgl. Börnstein 75 Jahre, Bd. I, S. 350. Arnold Ruge: Friedrich Schillers Leben, der Charakter seiner Schriften und seines Strebens. Zum 100jährigen Geburtstage unseres Dichters, 10. November 1859, St. Louis 1859. 1316 Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 13. November 1859 (Ursprünglicher Bericht vom 12. November). 1317 St. Louis Tageschronik, 12. November 1859. 1318 Eine Beschreibung der Parade liegt nicht vor.

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vierte Plätze erhoben wurden. Das Dekorationskomitee hatte die deutschen Vereine und Gesellschaften der Stadt aufgefordert, ihre Fahnen zur Verzierung der Bühne abzugeben und sie um eine Kopie von Dannekers Schillerbüste drapiert.1319 Als Festredner für die Hauptfeier hatte das Komitee Heinrich Börnstein ausgewählt, der einen Schillertext von seinem alten Freund und Korrespondenten des Anzeigers, Arnold Ruge (1802 – 1880), vortrug.1320 Die zweite Festrede, auch hier in englischer Sprache gehalten, übernahm mit Thomas C. Reynolds ein weiterer Freund Börnsteins.1321 Den musikalischen Höhepunkt des Abends bildete die Aufführung der Glocke unter Beteiligung der vereinigten deutschen Gesangsvereine von St. Louis. Da das Komitee auf ein gemeinsames Bankett verzichtet hatte, ließen die Feiernden den Abend auf einem der zahlreichen Bälle und Bankette ausklingen, die von den Militär-Kompanien, Vereinen und Gastwirten der Stadt angeboten wurden, oder sie besuchten die Aufführung von Maria Stuart im Theater.1322 Eines der größten Bankette wurde vom Turnverein ausgerichtet. Die Turnhalle war illuminiert und mit zahlreichen Transparenten geschmückt. Neben einem Bildnis von Schiller prangten die Namen von George Washington und der deutschen Generäle Friedrich Wilhelm von Steuben und Johann de Kalb, die im Unabhängigkeitskrieg auf amerikanischer Seite gekämpft hatten. Auf weiteren Transparenten standen die Namen von Robert Blum, Goethe, Humboldt, Lessing, Wieland, Börne und Heine sowie jeweils zu zweit auf je einem Transparent die der französischen Denker Rousseau und Voltaire, die der Humanisten und

1319 St. Louis Tageschronik, 9. November 1859; Westliche Post, 12. November 1859. 1320 Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 13. November 1859 (Ursprünglicher Bericht vom 12. November). Es handelt sich hierbei um eine von Börnstein gekürzte Fassung von Arnold Ruges Text »Friedrich Schillers Leben, der Charakter seiner Schriften und seines Strebens«, eine Lobrede auf den Idealisten Schiller. Vgl. Friedrich Schiller in America, S. 83 – 84. 1321 Auch diese Festrede ist nicht überliefert. In einem kurzen Auszug, den der Anzeiger des Westens abdruckte, lobte der Festredner die zivilisatorische Entwicklung der Stadt St. Louis von einem kleinen Franzosendorf zur Zeit der Geburt Schillers hin zur großen Stadt mit einer großen deutschen Bevölkerung, die ihre Dichter feiere. Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 13. November 1859 (Ursprünglicher Bericht vom 12. November). Zur Bekanntschaft mit Reynolds siehe Börnstein, 75 Jahre, Band 2, S. 252 – 253. Der demokratische Politiker und Jurist Thomas C. Reynolds (1821 – 1887) kam ursprünglich aus Charleston, SC. Während eines mehrjährigen Aufenthalts in Europa hatte er in München und ab 1840 in Heidelberg Jura studiert. Toepke, Gustav (Hg.): Die Matrikel der Universität Heidelberg (5. Teil): Von 1807 – 1846, Heidelberg 1904, S. 645. Reynolds, der 1861 Vizegouverneur von Missouri wurde, sprach seit seinem Aufenthalt in Deutschland fließend Deutsch, verlor aber später die Unterstützung der Deutsch-Amerikaner wegen seiner ProSklaverei-Haltung. 1322 Vgl. die zahlreichen Ankündigungen und Anzeigen zu diesen Veranstaltungen: St. Louis Tageschronik, 10. November 1859, Westliche Post, 10. November 1859.

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Kirchenkritiker Ulrich von Hutten und Martin Luther sowie die der amerikanischen Gründerväter Thomas Paine und Patrick Henry.1323 Nach einem Bericht der Mississippi-Blätter gerieten beim Bankett in der Turnhalle Daniel Hertle von der Westlichen Post und Dr. Adam Hammer in ein Wortduell über Schillers Idealismus. Hammer war der Ansicht, dass Schiller eigentlich kein Idealist gewesen sei, sondern ein Realist, der seine Ideen lediglich in ein ideales, schönes Gewand gekleidet habe. Hertle trug dagegen vor, dass der Materialismus nicht in der Lage sei, Begeisterung für die Ideen von Freiheit und Wahrheit zu wecken. Schiller habe den Menschen »nicht als ein bloßes chemisches Gemisch von Phosphor usw. betrachtet«. Der Naturwissenschaftler und Mediziner Hammer reagierte darauf gereizt und wurde von der Gesellschaft ermahnt, nicht persönlich zu werden.1324 Die tiefere Dimension dieses Wortduells lag in einem seit zwei Jahren schwelenden Streit in den gebildeten Kreisen von St. Louis und betraf die Aktivitäten des Deutschen Instituts. Dr. Hammer gehörte 1857 zu dessen Mitbegründern und hatte von Anfang an eine stärkere naturwissenschaftliche Ausrichtung des Instituts gefordert, namentlich die Einrichtung einer medizinischen Abteilung, die allerdings von der Mehrheit der Instituts-Mitglieder nicht unterstützt worden war.1325 Schon 1857 hatte Hammer mit dem Gedanken gespielt, eine eigenständige medizinische Schule außerhalb des Deutschen Instituts zu gründen. Im Spätsommer 1859 erfolgte diese Gründung schließlich in Form des Humboldt-Instituts, das im Oktober eröffnet wurde. Der Fakultät des Humboldt-Instituts gehörte unter anderem auch Dr. Georg J. Bernays an, Professor der Physiologie und Geburtshilfe und Bruder des Börnstein-Freundes und Chefredakteurs des Anzeigers, Karl Ludwig Bernays. Auch die Vorlesungsverzeichnisse des Instituts wurden beim Anzeiger des Westens gedruckt, der zudem begeistert über die Neugründung berichtete.1326 In den Räumen des Humboldt-Instituts fanden auch die abschließenden Sitzungen des Schillerkomitees statt. In einer Danksagung wurde zunächst dem Publikum, den Mitwirkenden und insbesondere Heinrich Börnstein für seine umfassende Beteiligung an der Feier gedankt, ebenso der Tageschronik und dem Anzeiger des Westens, »die so bereitwillig und erfolgreich dem Schillerkomitee zur Seite standen und dadurch so viel zum Gelingen und Verherrlichen des Festes beitrugen«.1327 Anschließend schritt das Komitee zur Schlussabrechnung Mississippi-Blätter, 13. November 1859, S. 8. Ebd. Siehe hierzu die Artikel im Atlantis in Fußnote 1290. James Moores Ball: Dr. Adam Hammer, o. O. 1859, S. 10 – 12; Dr. Adam Hammer, Surgeon and Apostle of Higher Medical Education, in: Journal of the Missouri State Medical Association 6 (1909) H. 3, S. 155 – 177. 1327 St. Louis Tageschronik, 16. November 1859. 1323 1324 1325 1326

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und beschloss auf seiner letzten Sitzung, den festgestellten Überschuss in Höhe von $60,27 dem Humboldt-Institut – und nicht, wie ursprünglich vereinbart, dem Deutschen Institut – zur kostenfreien Ausgabe von Arzneimitteln an die Armen zu übergeben.1328 Die Westliche Post hatte bereits vor der Sitzung von dem Vorhaben erfahren und fühlte sich nun ihrerseits nicht mehr an ihre ursprüngliche Zusage gebunden, kostenfreien Anzeigenraum für die Schillerfeier bereitzustellen. Dem Komitee stellte sie deshalb geschaltete Zeitungsannoncen im Wert von $25 in Rechnung. Anschließend veröffentlichte sie einen Artikel über die Hintergründe der Rechnungslegung, in dem sie erklärte, dass sie gern über die Verwendung ihres Geschenks mitbestimmt hätte und anstelle von Arzneien die Anschaffung von Ochsenfleisch oder Kartoffeln für die Armen anregte – zumindest im Gegenwert der von ihnen veranschlagten 25$.1329 Das Komitee beschloss auf seiner letzten Sitzung, diese Rechnung nicht zu bezahlen und die Post verfolgte die Angelegenheit anschließend nicht weiter. Die Differenzen der Festgesellschaft in St. Louis schlossen somit an Streitthemen an, die bereits seit Jahren innerhalb der deutschen Gemeinschaft ausgetragen und in der verdichteten Kommunikation der Schillerfestplanung lediglich fortgeführt wurden. Differenzen über das Fest selbst oder seine Bedeutung gab es jedenfalls nicht. In dessen Bewertung waren sich die deutschen Zeitungen in St. Louis einig: Für die Tageschronik war die Schillerfeier »in jeder Beziehung gelungen und das schönste Fest, das von der deutschen Bevölkerung von St. Louis bisher gehalten wurde« und für den Anzeiger des Westens war Schillers Geburtstag in St. Louis »mit einer Würde und einer Feierlichkeit begangen worden, die der größten europäischen Stadt zu Ehre gereicht haben würde.1330 »Gelungen! Gelungen! Und dreimal gelungen!!« rief sogar die Westliche Post nach der Feier begeistert aus und zeigte sich lediglich über das Festlied von Freiligrath enttäuscht, in das sie im Vorfeld der Feier noch sehr hohe Erwartungen gesetzt hatte.1331

1328 Westliche Post, 25. November 1859; St. Louis Tageschronik, 25. November 1859. Von Heinrich Börnstein wurden dem Komitee $238,62 als Hälfte der Brutto-Einnahme der Theater-Vorstellung übergeben. Insgesamt beliefen sich die Einnahmen auf $537,12, die Ausgaben beliefen sich auf $476,85. 1329 Westliche Post, 25. November 1859. 1330 Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 13. November 1849 (Bericht vom 12. November). 1331 Westliche Post, 9. November 1859, 10. November 1859, 12. November 1859.

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Festberichterstattung Wie andernorts in der Union übte sich auch die religiöse Presse in St. Louis in Zurückhaltung bei der Berichterstattung über die Schillerfeier und zeigte sich eher ablehnend. »Gegenwärtig findet man in den Zeitungen fast nichts als entsetzlich lange Beschreibungen der Schillerfeier an allen Orten und Enden« grämte sich der vom Evangelischen Kirchenverein des Westens herausgegebene Friedensbote, ärgerte sich über die Menschenvergötterung und freute sich, dass die »Komödie« in kurzer Zeit wieder vergessen sein werde.1332 Über diesen Kommentar hinaus beschäftigte sich die Zeitung weder mit dem Jubilar, noch mit den Feierlichkeiten. Ein zentrales Motiv in der Deutung und Bewertung der Schillerfeier war die zu erreichende Einheit der Deutschen in dem und durch das Fest. Ein »deutscher Jüngling« hatte schon im Januar seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass der Dichtergeburtstag »unter uns Einmütigkeit und allseitige Beteiligung veranlassen werde«. Da Schiller als »Mann des Volkes« ein »Lieblingsdichter Aller ist, so mögen auch Alle sich vereinigen […] um den Beweis zu liefern, dass wir verdienen, seine Landsleute zu sein […] Schiller gehört uns Allen, und das bevorstehende Fest soll ein allgemeines, ein Volksfest der Deutschen sein.«1333 Einheit, Einmütigkeit und Allgemeinheit waren auch im November die Hauptmotive in der Kommentierung des Festes durch die deutsche Presse. Der Anzeiger des Westens sprach die Hoffnung aus, dass die »deutsche Menschheit« auf der ganzen Welt zum 10. November ihre landsmannschaftliche Zugehörigkeit zugunsten der nationalen zurückstellen werde. Auch wenn die Deutschen sich sonst über nichts vereinigen könnten, zum Schillergeburtstag gelinge es, weil sie in Schiller, dem »Inbegriff des deutschen Wesens«, sich selbst feiern würden: »Der Glaube an Schiller ist der Glaube der deutschen Menschheit an sich selbst und an ihr wunderbares Geschick! Darum sind die Deutschen dies eine Mal einig, dass sie ein Fest feiern wollen! Wie sie es feiern, das ist dabei die Nebensache! Aber feiern sollen es Alle, Alle ohne Unterschied.«1334 Der Glaube an die eigene Nation wurde vom Anzeiger als eine Religion konzipiert, deren Träger die Dichter und Philosophen seien und die in der Schillerfeier zum Ausdruck gebracht werde. Diese neue Religion habe keine besonderen Formen, keine stereotypen Gebräuche, keine aristokratisch und hierarchisch geheiligten Zeremonien, »sondern sie überlässt es jedem, nach seinen eigenen Kräften, nach seinem eigenen Gefühle, nach seinem eigenen 1332 Der Friedensbote, 1. Dezember 1859, S. 183. 1333 Der Salon, 27. Februar 1859. 1334 Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 6. November 1859 (Bericht vom 2. November). Hervorhebungen im Original.

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Bewusstsein zu einer allgemeinen Feier beizutragen. Dass wir […] dieses Fest Alle feiern, dies ist sein Hauptwert; wie wir es feiern, dies gebe jedem sein deutscher Genius ein!« Jeder Deutsche solle sich in der Feier zu seinem Glauben, und damit zur Nation, bekennen, und »jeder Deutsche gebe irgend ein Zeichen von sich, dass er der Gemeinschaft angehöre, die in dem großen Dichter das Wesen des Deutschtums ehrt, und keiner wird in der Wahl seiner Mittel fehl gehen.«1335 Trotz anfänglicher Schwierigkeiten sei es ja auch in St. Louis gelungen, eine würdige Feier zu arrangieren, das Komitee habe sein Bestes getan, um den deutschen Bürgern der Stadt dabei zu helfen, »den Tag zu dem zu machen, was er sein soll, ein Ehrentag des Deutschtums in Amerika«. St. Louis werde nicht hinter seinen Schwester-Städten zurückstehen.1336 Der Anzeiger des Westens hob auch die weltgeschichtliche Bedeutung der gegenwärtigen Epoche hervor. Er verglich das gegenwärtige »Schillerjahrhundert« mit dem »Christusjahrhundert«. Beide hätten »im Namen der Menschenrechte zwei alte Welten niedergebrochen, das Eine das Römer- und Heidentum, das andere das Feudalwesen und den Autoritätsglauben […] Das Christusjahrhundert befreite die Menschheit, um sie zu Sklaven der Gottesidee zu machen, das Schillerjahrhundert befreite sie, um sich selbst, und um der Idee der Freiheit willen, frei zu sein.« Die Deutschen seien daher eng mit der Freiheit verbunden und würden überall auf der Welt für sie einstehen. Daher wenden sie sich auch gegen die Sklaverei, gegen alle Standesunterschiede und Privilegien. »Sie sind vor allem die unermüdlichen Mauerbrecher und Stürmer des religiösen Aberglaubens und der Orthodoxie« und zählten zu den treuesten Republikanern in der Union. Die Schillerfeier stellte sich schließlich für den Anzeiger als eine Bewährungsprobe dar : »Je allgemeiner […] die Beteiligung bei der heutigen Feier sein wird, desto gründlicher kann man annehmen, sind die Gedanken und Ideen des Schillerjahrhunderts ins deutsche Bewusstsein gedrungen. Und diese Ideen sind es vor allem, die uns, das fremde Volk, auf fremden Boden in unserer Kulturarbeit heben und kräftigen müssen.«1337

Der repräsentierte Festraum des Wöchentlichen Anzeigers des Westens war stark begrenzt, insbesondere in der Vorberichterstattung, die in der Union lediglich New York, in Europa nur London, Berlin und Wien umfasste.1338 Da die Ausgabe vom 20. November nicht überliefert ist, lässt sich über die Festberichterstattung aus der Union wenig sagen, späteren Anmerkungen ist aber zu entnehmen, dass umfassend berichtet wurde. Als Anfang Dezember die Festberichte aus Europa 1335 1336 1337 1338

Ebd., 13. November 1859 (Bericht vom 9. November). Ebd., 13. November 1859 (Bericht vom 10. November). Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 13. November 1859 (Bericht vom 10. November). Ebd., 12. Juni 1859, 30. Oktober 1859, 6. November 1859.

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eintrafen, sah sich der Anzeiger gezwungen, eine engere Auswahl von Festberichten zu veröffentlichen. Die europäische Schillerfeier musste hinter aktuellen politischen und gesellschaftlichen Nachrichten aus der Union zurückstehen: »So groß auch der Raum unseres jetzigen Formates ist, reicht er doch nicht immer aus, wenn sich aus zwei Weltteilen Neues von gleich wichtigem Interesse zusammendrängt. So trafen gestern Nachrichten und Briefe über die Schillerfeier aus Europa mit den in so trauriger Weise interessanten Details zur Hinrichtung von John Brown aus Charlestown zusammen, und wir waren gezwungen, die erfreulichen Botschaften aus Europa den düsteren Bildern aus dem eigenen Lande nachzusetzen.«1339

Die Feiern in Europa wurden dann in einem Sammelbericht aus Zeitungsmeldungen, Korrespondentenberichten und persönlichen Briefen abgehandelt, der insgesamt zwölf Festorte berücksichtigte, darunter die wichtigen Hauptstädte der deutschen Staaten. Es überwogen in diesen Festberichten die politischen und nationalen Deutungen. Die Schillerfeier wurde in einer norddeutschen Korrespondenz beschrieben als »ideale Vorfeier der Freiheit und Einheit Deutschlands«.1340 »Zum ersten Male seit dem Jahre 1848 loderten die Feuer auf den Bergen und verkündeten durch Deutschlands Gauen, dass ein deutsches, ein nationales Fest gefeiert wurde«, beschrieb ein Heidelberger Festbericht die Stimmung und einem Privatbrief aus Würzburg war zu entnehmen, dass die Schillerfeier »wirklich eine kolossale politische Demonstration« gewesen sei, »die dem nationalen Interesse Deutschlands ohne Zweifel genützt hat«.1341 Die Schillerfeier sei »die Generalprobe des Einigkeitsdramas« auf dessen wirkliche Aufführung man noch warte. »Das Streben nach Einigkeit ist bei den gebildeten Klassen in eklatanter Weise zu Tage getreten, es hat auch schon die Massen erfasst […] Überhaupt sagen Sie Herrn Börnstein, dass die Berichte deutscher Blätter gar nicht übertrieben sind bezüglich der echten Begeisterung, welche bei der Schillerfeier sich äußerte. Wir sind wirklich schon weiter als man vermutet hätte.«1342 Mit der gebündelten Festberichterstattung und einigen ergänzenden Meldungen war der Raum, den der Anzeiger der europäischen Schillerfeier bereitstellen wollte, allerdings auch schon aufgebraucht. Umfängliche Berichte von der Schillerfeier aus Genf, die von Carl Vogt eingesandt worden waren, wurden lediglich zusammenfassend referiert, da sie einerseits zu lang seien, »und außerdem nimmt uns jetzt die amerikanische und Staatspolitik zu sehr in An1339 1340 1341 1342

Ebd., 4./7. Dezember 1859. Ebd., 14./15. Dezember 1859 (Korrespondenz aus Norddeutschland). Wöchentlicher Anzeiger des Westens, 14./15. Dezember 1859. Ebd., 15. Dezember 1859 (Bericht vom Dienstag, 13. Dezember : Privatbrief aus Würzburg).

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spruch und verwischt das Interesse an dem großen Ereignis der europäischen Schillerfeier«.1343 Erneut entschied sich der Anzeiger hier bewusst für die amerikanischen Angelegenheiten und stellte die überdies älteren Nachrichten aus Europa dahinter zurück. Dennoch gelang es dem Anzeiger durch die Auswahl der Festorte und die Inhalte der abgedruckten Briefe, eine Vorstellung von der Allgemeinheit der Feier in den deutschen Staaten und ihren politischen und nationalen Charakter zu vermitteln. Trotz der Selbstbeschränkung in Sachen Schillerfestberichterstattung ließ es sich der Anzeiger dann aber doch nicht nehmen, die anfänglich als »Missklang«, dann aber zunehmend als Krawalle und »Rowdytum« sich darstellenden Vorkommnisse bei der Berliner Schillerfeier umfassend zu besprechen, allerdings weniger aus Interesse am Schillerfest, sondern aus einer dezidiert amerikanischen Perspektive und vor dem Hintergrund der Zurückweisung deutscher Kulturkritik gegenüber den Verhältnissen in den Vereinigten Staaten: »Worauf wir aufmerksam machen, ist […] die gänzliche Grundlosigkeit der ewigen Vergleiche europäischer und amerikanischer Zivilisation zum Nachteile der letzteren! Gebt das auf, gute Deutsche!«, forderte der Anzeiger am 15. Dezember.1344 Zwar sei man in Amerika nicht besser, »aber so viel ist jetzt klar, dass die ewigen Anfeindungen der deutschen Presse nicht auf dem Bewusstsein der absoluten Sittsamkeit des deutschen Volkes beruhen«.1345 Mit dieser Aufforderung in Richtung der deutschen Zeitungen in Europa, ihre Vorurteile gegenüber den amerikanischen Verhältnissen zu überdenken, schloss der Anzeiger seine Festberichterstattung und belegte gleichzeitig noch einmal seine tiefe Verwurzelung im Amerikanischen. Nicht umsonst waren es die »Bilder aus dem eigenen Lande«, also aus den Vereinigten Staaten, denen der Anzeiger hier den Vorzug gab. Die Tageschronik enthielt sich einer eigenen Deutung der Schillerfeier und übernahm stattdessen das Angebot der Augsburger Allgemeinen Zeitung.1346 Auch nach der Feier verließ sich die Tageschronik auf fremde Federn und veröffentlichte die Bewertungen der Berliner Volkszeitung und der Kölnischen Zeitung, die auch der Anzeiger des Westens in seine Spalten aufnahm.1347 Die Tageschronik berichtete lediglich von zwei Feiern in der Union: Philadelphia und Chicago. Demgegenüber ist der europäische Festraum mit insgesamt 17 Städten im deutschen Sprachraum und weiteren 9 Städten zwischen London und Moskau sehr umfassend repräsentiert, allerdings mit einem südöstlichen Schwer1343 1344 1345 1346 1347

Ebd., 15. Dezember 1859 (Bericht vom Mittwoch, 14. Dezember). Ebd., 15. Dezember 1859 (Bericht vom Mittwoch, 13. Dezember). Ebd., 22. Dezember 1859. St. Louis Tageschronik, 4. November 1859. Ebd., 23. Dezember 1859. Der Bericht findet sich auch im Wöchentlichen Anzeiger des Westens, 29. Dezember 1859.

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punkt, der sich bis zu einer Linie von Danzig über Berlin nach Frankfurt erstreckt und nördlich dieser Linie lediglich Hannover und Bremen berücksichtigt. Neben den Städten, in denen Schiller lebte, fanden aus dem deutschen Sprachraum lediglich Berlin, Wien, München und Frankfurt mehrfach Eingang in die Berichterstattung. Von deutschen Exilfeiern sticht Paris mit drei Nennungen hervor. Der Festraum der Tageschronik ist somit eindeutig auf Europa orientiert. Die Westliche Post berücksichtigt in ihren Festberichten sowohl Europa als auch die Union umfassend. 15 größere Städte im deutschen Sprachraum und weitere 20 allein in Württemberg wurden in der Post aufgezählt und repräsentierten damit – abgesehen von Berlin, Wien und Pressburg (Bratislava) – geographisch einen starken westlichen Schwerpunkt, dessen Ostgrenze von Hamburg nach Stuttgart verlief. Aus dem westlichen Europa waren neben London und Paris auch Amsterdam, Brüssel, Lüttich, Porto und Lissabon vertreten, aus Osteuropa Warschau und Bukarest und im Mittelmeer Malta. Die Post wies zudem die gesamte Union als einen umfassenden deutschamerikanischen Festraum aus. Begeistert zählte sie in einem Artikel gleich 26 amerikanische Festorte auf und veröffentlichte an anderer Stelle noch einmal eine Liste von 72 Feststädten, an die das Komitee in Philadelphia das FreiligrathGedicht versandt hatte.1348 Über die bloße Nennung hinaus wurde vor allem aus New York, Philadelphia und Chicago berichtet. Kurz vor der Feier erinnerte die Post an die zeitgleichen Geburtstage von Martin Luther und Robert Blum und wies damit auf eine protestantisch-revolutionäre Dimension der Feier hin.1349 In der Deutung des Festes bezog sie sich dann vor allem auf die Person Schiller, integrierte ihn aber in den amerikanischen Kontext: »Der Charakter Schillers ist die echte Repräsentation des Menschen«, schreibt die Post, »der durch eigene Kraft zu dem sich macht, wozu ihn seine Gaben berufen – ein ›self made man‹, wie es deren so viele in Amerika gibt.« Zugleich sei er aber auch von seinen Zeitgenossen verkannt worden. Dieses Schicksal treffe bis in die heutige Zeit viele Geistesgrößen auch in der Union. »Schiller ist tot und hat keine Erben seines Genius hinterlassen, am wenigsten in den Vereinigten Staaten«, klagte die Post weiter und fragte sich und ihre Leser, wo denn die Geistesgrößen in Amerika seien, die, wie einst Schiller, mit den Waffen des Geistes kämpften. Die Schillerfeier solle »das geistige Leben der deutschen Nation ehren und die Liebe zu ihm wecken und befördern«. Wenn die Deutschen in Amerika künftig das geistige Leben mehr schätzen und unterstützen würden, dann hätte die Schillerfeier ihren Zweck erfüllt.1350 1348 Westliche Post, 15. November 1859, 17. November 1859. 1349 Ebd., 2. November 1859. 1350 Ebd., 10. November 1859.

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Kurzfristig profitierten von der Schillerfeier in St. Louis jedoch zunächst einmal das Humboldt-Institut und die Armen, denen die Ärzte des Instituts durch die Zuwendung des Schillerkomitees kostenfreie Arzneien verschreiben konnten. Schatzmeister in diesem Komitee war Charles G. Stifel (1819 – 1900), Achtundvierziger aus Württemberg, Bürgerkriegsveteran und erfolgreicher Brauereibesitzer in St. Louis. Stifel blieb Schiller Zeit seines Lebens verbunden. Im November 1898 wurde ein von ihm gestiftetes Schiller-Denkmal im St. Louis Place Park enthüllt. Bis heute erinnert es daran, welche Bedeutung Friedrich Schiller im 19. Jahrhundert einmal für die Deutschen von St. Louis hatte.1351

Milwaukee Die erst Mitte der 1830er Jahre begründete Siedlung am Michigan-See erlebte in den beiden Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg einen extensiven Zustrom neuer Siedler, darunter große Mengen deutscher und irischer Einwanderer. Die verkehrstechnisch günstige Lage der Frontierstadt und ihres landwirtschaftlichen Hinterlandes ließ Milwaukee zu einer Durchgangsstation auf dem Weg zur Besiedlung Wisconsins werden und förderte die rasche Expansion der jungen Siedlung. Milwaukee war für viele Menschen eine Zwischenstation, entsprechend hoch war die Fluktuation in der Stadtbevölkerung, die durch anhaltende und steigende Zuwanderung trotz des stets hohen Durchlaufs rasch und kontinuierlich stieg. Zwischen 1840 und 1860 explodierte die Bevölkerung Milwaukees von 1.629 auf über 45.000, ein Anstieg um mehr als das 25fache. Unter den Neuankömmlingen befanden sich ab Mitte der 1840er auch immer mehr deutsche Einwanderer, vorwiegend aus Preußen, Bayern, Baden und Sachsen. Sie erhöhten den deutschen Bevölkerungsanteil bis 1860 auf 35,3 Prozent.1352 Als einzige Einwanderergruppe waren die deutschen Einwanderer in allen sozioökonomischen Klassen vertreten, mit einer leichten Überrepräsentation in den Handwerksberufen und bei den Arbeitern. Auch wenn ihnen die obersten Regionen des Geschäftslebens, besonders in den Bereichen des überregionalen Handels, des Großhandels sowie in der Massenfabrikation, verschlossen blieben, war es 1860 einer Reihe von Deutschen bereits gelungen, herausragende Positionen im städtischen Geschäftsleben einzunehmen.1353 1351 Die Statue ist eine Kopie des Marbacher Denkmals von Thorwaldsen. Es steht heute am Memorial Plaza in der Nähe der Public Library. 1352 Die Gesamtzahl der deutschen Einwanderer in Milwaukee belief sich 1860 auf 15.981. Census 1860. Für die nachstehenden Ausführungen vgl. Kathleen N. Conzen: Immigrant Milwaukee 1836 – 1860. Accomodation and Comunity in a Frontier City, Cambridge 1976. 1353 Vgl. Conzen Kapitel 3 und 4.

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Auch für Gebildete und Intellektuelle eröffneten sich bei ungebremst steigender Bevölkerungszahl zunehmend Betätigungsfelder außerhalb der in einer Frontierstadt immer stark nachgefragten akademischen Berufe des Arztes und des Juristen, und so konnten seit Ende der 1840er Jahre immer mehr Schriftsteller, Journalisten, Lehrer oder Musiker ein Auskommen in Milwaukee finden. In den 1850ern entfalteten die Zuwanderer aus den gebildeteren Kreisen ein aktives und vielfältiges Kulturleben, das der Stadt den Titel »Deutsch-Athen« eintrug.1354 Die Achtundvierziger bildeten zwar eine zahlenmäßig vergleichsweise kleine, in ihrer kulturellen, politischen und medialen Wirkung aber bedeutsame Gruppe in Milwaukee, die einerseits das geistige Leben der Stadt bereicherte und ausweitete, zugleich aber auch für eine stärkere soziale Distinktion eintrat. Klassen- und Bildungsunterschiede, aber auch religiöse Zugehörigkeit und politische Positionierung führten zur weiteren Diversifizierung der deutschen Bevölkerung, die im Jahrzehnt vor dem Bürgerkrieg immer mehr den Charakter einer eigenständigen Community annahm. In ihr war nicht nur die gesamte Spannbreite sozioökonomischer Positionen repräsentiert, sondern auch eine ausreichend breite religiöse, politische, intellektuelle und kulturelle Diversifikation, um als Mikrokosmos, als Abbild der städtischen Gesamtstruktur gesehen zu werden.1355 Innerlich stark fragmentiert, grenzte sich die deutsche Community zugleich stark von der englischsprachigen Bevölkerung ab und bildete im Stadtbild sichtbare, eigenständige urbane Strukturen aus. So verfügte das nördlich des Stadtzentrums gelegene »German Town«, das den zweiten, sechsten und neunten Bezirk umfasste, über eine eigene Downtown, einen Geschäftsbereich mit der East Water Street und dem Marktplatz als Zentrum des öffentlichen Lebens, exklusive Wohngebiete sowie Vororte mit Arbeitersiedlungen und kleinen Holzhütten. Hier lebten vor allem die ungelernten und einfachen Arbeiter, während sich Facharbeiter, gelernte Handwerker und die soziale Oberschicht eher im Bereich des Zentrums niederließen.1356 Ausgehend von Wirtschaften und Kneipen entwickelte sich auf der Grundlage des aus den deutschen Staaten importierten Vereinswesens auch in Milwaukee eine breite Palette an Logen, Vereinen, Gesellschaften und Organisationen, die den sozialen Austausch verfestigten und verstetigten. Kirchliche Organisationen, insbesondere katholische, waren dabei zunächst führend, doch auch außerhalb der Kirche fanden kulturelle, intellektuelle oder politische Interessen feste organisatorische Formen und etablierten Gemeinschaften, die als Veran1354 Conzen, S. 172; Vgl. Wilhelm Hense-Jensen: Wisconsins Deutsch-Amerikaner bis zum Schluss des neunzehnten Jahrhunderts, Milwaukee 1900, Kapitel 7. 1355 Vgl. Conzen, Kapitel 3 und 4. 1356 Ebd., Kapitel 5.

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stalter von Vorlesungen, Debatten, Festen oder Bällen das soziale Leben in der Stadt belebten. Die meisten Deutschen waren in den Logen und den kirchlichen Organisationen aktiv, allerdings waren die kulturellen Aktivitäten der zahlenmäßig deutlich kleineren sozialen Oberschicht dank der Presseberichterstattung stärker sichtbar. Am größten blieb stets der Anteil der Unorganisierten, der Durchreisenden und kurzzeitig in der Stadt lebenden Deutschen, deren Gemeinschaft aus ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, Nachbarschaft, Arbeitsplatz, Kneipe oder der Straße bestand.1357 Unter den Vereinen war auch für die Deutschen in Milwaukee der Turnverein von herausragender Bedeutung. Er war 1853 von einer Gruppe eher unbekannter junger Männer gegründet worden, zog aber sehr schnell auch prominentere Achtundvierziger und Geschäftsleute an. Mit seiner breiten Ausrichtung – der Turnverein verfügte über eine eigene Schützeneinheit, Sektionen für Theater und Gesang sowie eine Bibliothek – und mit den vom Turnverein ausgehenden Gemeinschaftsaktivitäten, wie Sportwettkämpfen, Ausstellungen, Vorlesungen, Debatten und Bällen, wurde er zu einem wichtigen kulturellen Impulsgeber und zum Zentrum des intellektuellen Lebens der Deutschen in Milwaukee. Mit den Turnern eng verbunden waren die Freimänner, deren eigene Organisation in Milwaukee nicht von Dauer war. Unter ihnen war der Anteil der politisch Aktiven und der pointiert Antiklerikalen hoch, was zu regelmäßigen Konfrontationen mit den deutschen Katholiken – der größere Teil der später Zugewanderten war katholischen Glaubens – führte.1358 Der zweite für das deutsche Kulturleben Milwaukees besonders bedeutsame Verein war die 1849 gegründete »Milwaukee Musical Society«.1359 Sie ging hervor aus einem Zusammenschluss aktiver Musiker und Sänger und wurde von den musikinteressierten Kreisen der Stadt auch über die deutsche Community hinaus unterstützt. Präsident der Gesellschaft war der Weinhändler Jacob Mahler, die musikalische Leitung lag bis 1860 bei Hans Balatka (1827 – 1899).1360 1357 Ebd., Kapitel 6 und 7. 1358 Conzen, S. 179. 1359 John Jacob Schlicher : Hans Balatka and the Milwaukee Musical Society, in: The Wisconsin Magazine of History 27 (1943) H. 1, S. 40 – 55. Oskar Burckhardt: Der Musikverein von Milwaukee 1850 – 1900. Milwaukee 1900. Conzen, S. 175. 1360 Der am 5. März 1827 im mährischen Hoffnungsthal geborene Hans Balatka war Schüler des Kapellmeisters Heinrich Proch und studierte Komposition bei Simon Sechter in Wien. 1848 war er Mitglied der Akademischen Legion und flüchtete nach Niederschlagung der Revolution in die USA. Nach einer kurzen Phase des Landlebens auf seinem eigenen Gut in Wisconsin zog Balatka nach Milwaukee und widmete sich fortan wieder der Musik. 1850 übernahm er hier die musikalische Leitung der Musical Society. 1860 wechselte er nach Chicago, wo er als Direktor der philharmonischen Gesellschaft und später als Leiter des Germania-Männerchors wirkte. Hans Balatka trug wesentlich zur Verbreitung deutscher Musik und des Chorgesangs in Nordamerika bei. Er starb am 17. April 1899 in Chicago.

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Auch Rufus King vom Milwaukee Sentinel war Mitglied des Vorstands. In den 1850er Jahren entwickelte sich die Musical Society – trotz ihrer zum Teil dilettantischen Musikanten, die wiederholt zum Ziel von Spott und Kritik der Zeitungen wurden – zur ersten Adresse für musikalische Aufführungen in Milwaukee und Wisconsin. Neben der Musik etablierte sich in den 1850ern auch das deutsche Theater in Milwaukee – zunächst ebenfalls vornehmlich von Dilettanten bespielt.1361 Die erste deutsche Theateraufführung in Milwaukee wurde von den Druckern und Schriftsetzern des Banner und Volksfreund auf die Beine gestellt. Diese Laiengruppe existierte nur kurzzeitig und auch die Bemühungen des Ende 1849 gegründeten »Liebhabervereins« waren kein durchschlagender Erfolg. Das frühe deutsche Theater in Milwaukee litt unter anderem unter der Konkurrenz mit dem Musikverein, der beim Publikum großen Anklang fand. Erst Anfang 1852 entstand aus einer Benefiz-Aufführung eine neue Laiengruppe unter Joseph Kurz, die in ungezwungener Atmosphäre aufspielte und jede Aufführung mit musikalischen Darbietungen von Kurz auf dem Piano ausklingen ließ. Als 1853 das Englische Theater niederbrannte, erhielt das deutsche Laien-Theater zusätzlichen Zulauf, erweiterte sein Repertoire und mietete 1854 die Markthalle an, um dem anhaltenden Publikumszulauf entsprechen zu können. Wie überall auf den sich ausbreitenden deutschen Bühnen in Nordamerika gehörten Schillers Räuber und Wilhelm Tell zu den ersten ernsteren Stoffen, die in Milwaukee gespielt wurden.1362 Das deutsche Theater professionalisierte sich zunehmend und engagierte erfahrenere Theaterleute, die stärker auf Berufsschauspieler setzten. Streitereien und Grabenkämpfe über Besetzungsfragen und politische Differenzen unter den Mitgliedern des Theatervereins führten 1858 zur zwischenzeitlichen Spaltung des Theaters. Eine Gruppe führender Demokraten wie Moritz Schöffler (1813 – 1875) vom Banner und Volksfreund oder Theodore Wettstein, der auch führend bei der Gründung des Musikvereins mitgewirkt hatte, zogen sich von der alten Theatergesellschaft zurück, die von Republikanern und führenden Achtundvierzigern, angeführt von Bernhard Domschke, unterstützt wurde.1363 Die Verbindungen zwischen Markthallen-Theater und Musikverein waren eng, 1859 wurde die Leitung des Theaters Hans Balatka und Louis Pelosi übertragen. Das Publikum bevorzugte vor allem in der Anfangszeit die leichteren und unterhaltenden Stücke. Erst ab Mitte der 1860er Jahre entwickelte sich ein Bedürfnis nach einem ernsthafteren Theaterbetrieb mit hö-

1361 Francis Magyar : The History of the early Milwaukee German Theatre (1850 – 1868), in: The Wisconsin Magazine of History 13 (1930) H. 4, S. 375 – 386. 1362 Vgl. Hermann E. Rothfuss: The Beginnings of the German-American Stage, in: The German Quarterly 24 (1951), S. 93 – 102. 1363 Conzen S. 176.

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herem künstlerischem Niveau, das letztlich 1868 zur Gründung des ersten professionellen deutschen Theaters in Milwaukee führte.

Die deutschsprachige Presse in Milwaukee Die erste deutschsprachige Zeitung in Milwaukee war der demokratische Wisconsin Banner, der 1844 mit Unterstützung Franz Hübschmanns (1817 – 1880)1364 von Moritz Schöffler begründet wurde. Er konnte seine Auflage beständig steigern und war schon 1850 das zweite Blatt der Stadt hinter dem englischsprachigen Sentinel.1365 Neben Anzeigen enthielt der Banner vorrangig Übersetzungen aus amerikanischen Zeitungen, öffnete seine Spalten aber auch für die lokale Berichterstattung und Meldungen aus den Vereinen.1366 Rufus King, Redakteur des Whig-Blattes Sentinel, wollte dem Einfluss des Banner etwas entgegensetzen und unterstützte 1847 die Gründung des Volksfreunds als zweite deutsche Zeitung in Milwaukee. Das Blatt konnte Kings Erwartungen aber nur kurzzeitig erfüllen, da der von ihm verpflichtete Redakteur Friedrich Fratny das Blatt ebenfalls demokratisch ausrichtete. Die trotz der politischen Übereinstimmungen bestehende scharfe Konkurrenz zwischen den beiden deutschen Zeitungen ließ mit der Zeit nach und Fratny übertrug kurz vor seinem Tod 1855 den Volksfreund an Schöffler, der die ehemaligen Konkurrenten zum Banner und Volksfreund zusammenführte.1367 Regelmäßige antiklerikale Attacken in beiden Zeitungen führten schon im Dezember 1851 zur Gründung des katholischen Seeboten, der zunächst als Wochenblatt, ab Januar 1852 auch in einer täglichen Ausgabe erschien. Der Seebote entwickelte sich unter der Leitung von Armand de St. Vincent und Christian Ott zu einer der führenden demokratischen Zeitungen in Wisconsin.1368 Um die demokratische Lufthoheit auf dem deutschen Zeitungsmarkt in Milwaukee zu brechen, bemühten sich die Republikaner ab 1854 um einen publizistischen Ausgleich und gewannen Bernhard Domschke (ca. 1827 – 1869) für ein republikanisches Zeitungsprojekt.1369 Nach einigen Fehlversuchen gelang 1364 Der Arzt Franz (Francis) Hübschmann war 1842 nach Abschluss seines Medizinstudiums in Jena in die USA ausgewandert und ließ sich als erster deutscher Arzt in Milwaukee nieder. Er nahm als Demokrat eine führende Position in der Stadtpolitik ein und wurde Anfang 1851 und erneut in den 1860er und 70er Jahren zum State Senator gewählt. Er war einer der Mitbegründer der »Milwaukee Musical Society«. 1365 Mit rund 4000 Abonnenten des Wochenblattes und 1400 der Tagesausgabe. 1366 Conzen, S. 184; Arndt/Olson S. 672. 1367 Ebd., S. 184 – 186; Arndt/Olson S. 694 – 695; Koss, S. 233, 250. 1368 Conzen, S. 187. Arndt/Olson S. 690 – 691. 1369 Bernhard Domschke war 1849 als junger Mann an den Dresdner Barrikadenkämpfen

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ihm mit dem Atlas die Einführung eines langlebigeren deutschsprachigen Republikaner-Blattes, das 1858 seine Periodizität auf tägliches Erscheinen umstellen konnte, nachdem Domschke von den Republikanern staatliche Druckaufträge übertragen bekommen hatte. Auch die Redaktion wurde nun erweitert und neben Fritz Anneke (1818 – 1872) konnte auch Carl Schurz (1829 – 1906)1370 beteiligt und wanderte nach der Niederschlagung der Revolution nach Amerika aus. In Brooklyn versuchte er sich zunächst als Lehrer und Gründer einer Freigemeinde. 1852 wurde er zum Sprecher einer Freigemeinde in Boston gewählt, wo er erste Versuche zur Vernetzung der amerikanischen Freigemeinden durch Einrichtung eines Korrespondenzbüros unternahm. Journalistische Erfahrungen sammelte Domschke bei der NeuEngland-Zeitung und beim Herold des Westens in Louisville, von wo aus er 1854 nach Milwaukee übersiedelte, um mit dem Corsar das erste deutschsprachige RepublikanerBlatt in der Stadt zu gründen. In einem ausgeprägt demokratischem Umfeld erschien der Corsar 14 Monate, musste aber 1856 sein Erscheinen wieder einstellen. Kurz darauf versuchte Domschke mit erneuter Unterstützung durch die Republikaner mit dem Journal eine republikanische Tageszeitung zu etablieren, scheiterte aber erneut. Erst mit dem Atlas gelang ihm die Etablierung. Domschke war neben seinen Polemiken und Spottgedichten auf politische Gegner bekannt für seine Theater- und Musikkritiken. Als Liebhaber der Musik von Richard Wagner war er auch dem Musikverein in kritischer Zuneigung verbunden. Nach dem Ende des Atlas gründete Domschke mit dem Milwaukee Herold zwar noch einen Nachfolger, jedoch war auch dieses Projekt nach nur wenigen Monaten wieder beendet, als sämtliche Mitarbeiter des Blattes sich als Freiwillige der Nordstaatenarmee anschlossen. Im Bürgerkrieg geriet Domschke in Kriegsgefangenschaft, von deren Folgen er sich nicht wieder erholte. Zwar nahm er 1866 die Arbeit am Herold wieder auf, seine Gesundheit verschlechterte sich aber zusehends und am 5. Mai 1869 starb Domschke im Alter von nur 42 Jahren in Milwaukee. Der Herold wurde neben dem Seeboten zu einer der einflussreichsten und bedeutendsten Zeitungen im Nordwesten. John Jacob Schlicher : Bernhard Domschcke. A Life of Hardship, in: The Wisconsin Magazine of History 29 (1946) Nr. 3, S. 319 – 332; Ders.: Bernhard Domschcke. The Editor and the Man, in: The Wisconsin Magazine of History 29 (1946) Nr. 4, S. 435 – 456. Vgl. auch Oskar Burckhardt: Der Musikverein von Milwaukee 1850 – 1900, Milwaukee 1900; Conzen, S. 187. 1370 Carl Schurz ist heute einer der bekanntesten Deutsch-Amerikaner. Der Unterstützer Lincolns und spätere Innenminister unter Präsident Hayes, hatte sich 1859 als Rechtsanwalt in Milwaukee niedergelassen, befand sich aber meistens im Wahlkampf und auf Vortragsreisen im Dienst der Republikaner. Er hatte im April in Boston eine viel beachtete Rede über »True Americanism« gehalten, in der er sich gegen den Nativismus und die Benachteiligung der Einwanderer in den Vereinigten Staaten aussprach. Gestärkt durch seine erfolgreichen öffentlichen Auftritte wollte Schurz bei den Gouverneuswahlen in Wisconsin im Herbst 1859 als Spitzenkandidat der Republikaner antreten und den zur Wiederwahl stehenden bisherigen republikanischen Geouverneur Alexander W. Randall in seinem Amt beerben. In Wisconsin rechnete Schurz sich angesichts des hohen Anteils deutscher Einwanderer gute Chancen auf einen Wahlsieg aus und sah in seiner Kandidatur auch die Chance, die Partei der Republikaner von dem Vorwurf des Nativismus in den eigenen Reihen zu befreien. Ende August 1859 erlitt Schurz beim Nominierungskonvent seiner Partei allerdings eine schwere Niederlage und lehnte anschließend die ihm angebotene Nominierung für die Vize-Gouverneus-Kandidatur ab. Trotz seiner Niederlage engagierte sich Schurz für Randall im Gouverneurswahlkampf nach Kräften und widmete sich anschließend dem Präsidentschaftswahlkampf Lincolns. Vgl. Rudolf Geiger : Der deutsche Amerikaner. Carl Schurz. Vom deutschen Revolutionär zum amerikanischen Staatsmann. Gernsbach 2007.

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für regelmäßige Beiträge gewonnen werden. Bis 1861 erschien der Atlas täglich, musste dann aber kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs sein Erscheinen einstellen. Seit 1851 standen den Deutschen in Milwaukee somit die meiste Zeit drei deutschsprachige Zeitungen zur Auswahl: der Seebote als eine demokratischkatholische Zeitung, der Banner, später Banner und Volksfreund, als ein liberales Blatt der Mitte, sowie der Volksfreund und die nacheinander von Bernhard Domschke gegründeten und geführten (radikalen) republikanischen Zeitungen Corsar, Journal, Atlas und zuletzt Herold. 1859 hießen die deutschsprachigen Tages- und Wochen-Zeitungen in Milwaukee Banner und Volksfreund, Seebote und Atlas.1371

Festplanungen und -verwerfungen Die Initiative zur Schillerfeier in Milwaukee ging von der »Musical Society« aus, die vor allem in der Person Hans Balatkas eine führende Rolle in der Festorganisation einnahm.1372 Bereits Ende Mai 1859 hatte die Gesellschaft ein vereinsinternes Komitee berufen und mit der Planung einer allgemeinen Vorbereitungssitzung beauftragt. Dieses Komitee – bestehend aus Hans Balatka, seinem Schwiegervater, dem Arzt und Apotheker Dr. Christian Fessel (1801 – 1888)1373, dem Tabakhändler B. Löwenbach, dem Wein- und Spirituosen-Händler Jacob 1371 Des Weiteren wird die Existenz einer von Ernst F. Herzog herausgegebenen Wochenzeitung mit dem Titel Volksblatt erwähnt, für die jedoch keinerlei Nachweise zu ermitteln waren. Vgl. Atlas, 27. Oktober 1859, S. 2; Arndt/Olson, S. 694. Der Tägliche Seebote ist für das zweite Halbjahr 1859 nicht überliefert, die beiden anderen Zeitungen befinden sich in einem streckenweise sehr schlechten Zustand und sind zum Teil schwer beschädigt. Der nur als Mikrofilm überlieferten Kopie des Atlas fehlen zudem viele ausführlichere Artikel zur Schillerfeier. Die Artikel wurden gezielt entfernt und sind wahrscheinlich Teil einer Zeitungsausschnittssammlung mit unbekannter Provenienz. Insgesamt fehlen 11 Artikel, die mit großer Wahrscheinlichkeit der Schillerfestberichterstattung zuzurechnen sind. Ich danke James L. Hansen, Bibliothekar der Historical Society of Wisconsin in Madison, für die freundliche Unterstützung bei der leider erfolglosen Suche nach der Zeitungsausschnittsammlung und einer zweiten, unbeschädigten Kopie des Atlas. 1372 Banner und Volksfreund, 6. Juni 1859. 1373 Johann Gottlieb Christian Fessel (1801 – 1888) hatte in Berlin Medizin studiert und war als politischer Flüchtling und Achtundvierziger nach Amerika ausgewandert, nachdem er bereits in den 1820ern als Burschenschaftler in Konflikt mit den preußischen Autoritäten geraten war. Als »Latin Farmer« war Fessel wenig erfolgreich und ließ sich schließlich wieder als Arzt in Milwaukee wieder, wo er zu den einflussreichen Intellektuellen gezählt wurde. 1859 betrieb er auch eine Apotheke. Neben der Medizin war Fessel begeisterter Musiker, hatte als Violinist mit seinem Schwiegersohn Hans Balatka und anderen das erste Streichquartett des Westens gegründet und war auch an der Gründung und den Aktivitäten des Musikvereins von Beginn an beteiligt. Louis Frederick Frank: The Medical History of Milwaukee 1834 – 1914, Milwaukee 1915, S. 20 – 22.

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Mahler sowie dem Musiker und Betreiber des Markthaus-Kellers, Charles F. Reis – lud die deutsche Bevölkerung Milwaukees über die deutschsprachigen Zeitungen der Stadt für den 9. Juni in den Probesaal des Musikvereins ein, um über die Angelegenheit zu beraten.1374 Die nicht besonders gut besuchte Versammlung1375 beschloss die Abhaltung einer allgemeinen Schillerfeier unter Beteiligung der deutschen Vereine und aller in Milwaukee ansässigen Deutschen. Ein Komitee wurde berufen und mit dem Entwurf eines Festprogramms beauftragt. Vorsitzender dieses Programmkomitees wurde der Arzt Dr. Franz Hübschmann, Hans Balatka Sekretär. Zu den weiteren Mitgliedern gehörten unter anderem auch der Bankkassierer W. H. Jacobs, der Drucker Hans Böbel und Carl Schurz, der sich allerdings wegen fortwährender Abwesenheit nur selten aktiv an den Vorbereitungen beteiligen konnte.1376 Innerhalb von 14 Tagen entwarf das Komitee ein Festprogramm und legte es am 24. Juni einer erneut einbestellten Vollversammlung zur Beratung vor.1377 Vorgeschlagen wurde eine zweitägige Schillerfeier am 10. und 11. November.1378 Für den ersten Festtag sah der Entwurf eine Aufführung der Romberg-Glocke durch den Musikverein vor, lebende Bilder der Turner, eine Festrede sowie die Enthüllung und Bekränzung der Schillerbüste. Am zweiten Tag sollten die vereinten deutschen Sänger Milwaukees öffentlich ein patriotisches Lied vortragen, anschließend war eine Prozession durch die Straßen Milwaukees geplant, mittags ein großes Bankett und abends die Aufführung eines Schiller-Dramas im Theater. Der vorgelegte Programmentwurf wurde von der Versammlung nach kurzer Debatte einstimmig angenommen und ein Ausführungskomitee berufen, dessen Vorsitz Hans Balatka übernahm. Nach diesem schwungvollen Auftakt verschwand die Schillerfeier in den folgenden Wochen zunächst aus dem Blick der Öffentlichkeit. Als Balatka Ende September zu einer neuen Vollversammlung einlud, wurde klar, dass seitens des Komitees in dieser Zeit auch nicht viel unternommen worden war. Nur drei Mitglieder hätten sich aktiv beteiligt, klagte Balatka der einberufenen Versammlung und forderte die Berufung eines neuen Komitees oder alternativ die 1374 Täglicher Milwaukee Seebote, 9. Juni 1859, S. 3; Banner und Volksfreund, 6. Juni 1859, S. 3, 9. Juni 1859, S. 3. 1375 Atlas, 11. Juni 1859, S. 3. 1376 Banner und Volksfreund, 11. Juni 1859, S. 3; Täglicher Milwaukee Seebote, 11. Juni 1859, S. 3; Atlas, 11. Juni 1859, S. 3. 1377 Banner und Volksfreund, 24. Juni 1859; Banner und Volksfreund 27. Juni 1859; Banner und Volksfreund, 7. Juli 1859; Täglicher Milwaukee Seebote, 22. Juni 1859. 1378 Die Vorfeier legte das Komitee auf den 10. November und bezeichnete den 11. November als Hauptfesttag. Offenbar ging man zunächst davon aus, dass der Geburtstag Schillers auf den 11. November falle. Vgl. hierzu den klärenden Artikel im Atlas, 28. September 1859, S. 2.

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Ermächtigung der drei aktiven Herren, die Ausführung der bisherigen Vorschläge vorzunehmen.1379 Eine Aussage über die soziale Zusammensetzung des aktiveren Teils des Festkomitees ist angesichts der mangelnden Beteiligung schwierig, da nicht eindeutig geklärt werden kann, wer als aktives Mitglied wesentlich zur Planung und Durchführung der Feier beitrug und wer als passives Mitglied sich lediglich ideell für die Sache hingab. Unter den im Verlauf der Festberichterstattung genannten Beteiligten war der Anteil der Händler und Kaufleute mit Abstand am größten, gefolgt von Handwerkern, Ärzten und Apothekern sowie Künstlern. Neben der mangelnden Beteiligung im Ausführungskomitee erwies sich auch die Finanzierung der Schillerfeier als Streitpunkt. Balatka schätzte die anfallenden Kosten beider Festtage auf insgesamt rund $250. Der Chirurg Wilhelm Finkel war der Ansicht, dass über die Aufführung der Glocke am ersten Festtag das benötigte Kapital eingespielt werden müsste, während das benötigte Kapital für den zweiten Festtag über eine Kollekte oder Subskriptionen eingebracht werden könnte. Den Vorschlag, die Mittel durch Subskriptionen einzuholen, hielt Balatka für aussichtslos, da bereits ein Versuch gescheitert sei, die Finanzierung auf diesem Wege zu bewerkstelligen. Der Atlas plädierte dafür, die Einnahmen aus der Theaterveranstaltung, die bislang noch nicht einkalkuliert worden waren, zur Finanzierung der Gesamtfeier mit heranzuziehen. Da höhere Eintrittspreise zum Ausschluss der Arbeiter- und Mittelklasse führen würden und eine Kollekte wenig oder gar nichts einbrächte, bliebe keine andere Möglichkeit, die Feier zu finanzieren.1380 Die Versammlung einigte sich schließlich darauf, das Ausführungskomitee zu ermächtigen, sich nach Bedarf selbst um weitere Mitglieder zu ergänzen und endgültige Entscheidungen für den weiteren Verlauf der Planungen und die Feier selbst zu treffen. Der Schriftsteller Ernst A. Zündt (1819 – 1897)1381, der bei den bisherigen Versammlungen bereits als Sekretär gewirkt hatte, und ein Herr

1379 Banner und Volksfreund, 18. September 1859, S. 2 und 3, 22. September 1859, S. 3. 1380 Atlas, 21. September 1859, S. 3. 1381 Ernst Anton Joseph Zündt war ein deutsch-amerikanischer Schriftsteller und Journalist. Geboren wurde Zündt als Sohn eines österreischen Adeligen am 12. Januar 1819 in St. Georgenburg als Ernst Anton Freiherr von Kenzingen. Seinen Adelstitel legte er aus politischer Überzeugung nieder und verzichtete auf alle Erbansprüche. Zündt studierte Philosophie und Jura in München. 1857 emigrierte er in die USA, lebte zunächst in New York und zog von dort weiter nach Wisconsin, wo er als Zeitungsherausgeber, Lehrer und Regisseur am Stadttheater in Milwaukee wirkte. 1864 ging Zündt nach St. Louis und wurde Redakteur bei der Westlichen Post, später gab er in Minneapolis die Freie Presse heraus. Ende der 1880er Jahre lebte Zündt in Jefferson City, wo er bis zu seinem Tod für verschiedene Zeitungen arbeitete. ADB 45, S. 486 – 489; Katja Rampelmann: Im Licht der Vernunft, Stuttgart 2003, S. 274 – 275; R. E. Ward: Ernst Zündt, in: Grand Prairie Historical Bulletin 14 (1971), S. 1 – 6; Der deutsche Pionier 5 (1874), H. 12, S. 382 – 384.

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Seibert1382 wurden daraufhin in das Komitee aufgenommen. Sie zählten fortan neben Hans Balatka zu den aktivsten Mitgliedern des Schillerkomitees. Auch Charles F. Reis wird als Betreiber des Lokals, in dem die Komiteesitzungen stattfanden, zu den aktiven Organisatoren zu zählen sein, ebenso wie Hans Böbel, der die Verbindung zum Turnverein bildete. In der ersten Oktoberhälfte kam es auch über die Inhalte des Festprogramms zu einer Auseinandersetzung, der schließlich die Aufführung der RombergGlocke zum Opfer fiel. Bernhard Domschke hielt die Zeilen »Wenn sich die Völker selbst befreien, da kann die Wohlfahrt nicht gedeihen« in der Glocke für unpassend, anti-freiheitlich und ungeeignet für eine Aufführung in Amerika und startete eine Kampagne gegen das Stück. Schnell entwickelte sich daraus ein auch medial geführter Streit, bei dem sich vor allem Domschkes Atlas und der katholisch-demokratische Seebote, der die Glocke für durchaus verträglich mit der amerikanischen Freiheit hielt, beteiligten. Domschke setzte sich schließlich durch und das Komitee nahm die Romberg-Glocke aus dem Programm – sehr zum Ärger des Musikvereins. Als Ersatz wurde Schillers »Lied an die Freude« aufgenommen, für dessen Vertonung Eduard Sobolewski (1808 – 1872)1383 gewonnen wurde.1384 Ebenfalls im Oktober stellte sich heraus, dass die ursprünglichen Dimensionen des Festprogramms nicht eingehalten werden konnten. Aus dem zweitägigen Schillerfest wurde schließlich eine eintägige Feier, die auf öffentliche Prozessionen und Vorträge unter freiem Himmel gänzlich verzichtete. Übrig

1382 Entweder der Musiklehrer Edward Seibert oder der Arzt Dr. J. Seibert. 1383 Eduard Sobolewski, geboren am 1. Oktober 1808 in Königsberg, erhielt seine musikalische Ausbildung in Königsberg, Berlin und Dresden, unter anderem bei Carl Maria von Weber. Bis 1854 wirkte Sobolewski als Kapellmeister, Musikdirektor, Organist und Leiter der Philharmonischen Gesellschaft und der Musikakademie in Königsberg. Einem vierjährigen Aufenthalt in Bremen folgte 1858 die Auswanderung in die USA, wo er sich zunächst in Milwaukee niederließ. 1860 ging Sobolewski nach St. Louis und wurde dort Dirigent der Philharmonischen Gesellschaft. Hier lebte Eduard Sobolewski bis zu seinem Tod am 23. Mai 1872. 1384 Atlas, 15. Oktober 1859, S. 3; Wöchentliche Milwaukee Seebote, 19. Oktober 1859, S. 333. Einschlägig sind sehr wahrscheinlich auch drei der verlorenen Artikel im Atlas vom 8., 10. und 11. Oktober 1859. Die Streichung der Romberg-Glocke war eine Niederlage des Musikvereins und Auftakt zu einer noch größeren Auseinandersetzung. Kurz nach der Schillerfeier wurde mit großer Unterstützung Bernhard Domschkes die »Philharmonische Gesellschaft als Konkurrenzverein zur »Musical Society« gegründet und Sobolewski als Leiter dieser Gesellschaft eingestellt. Nach lediglich zwei schlecht besuchten Konzerten und heftigen öffentlichen Streitereien zwischen beiden Vereinen wurde die Unternehmung allerdings bereits im Frühjahr 1860 wieder beerdigt. Der Musikverein führte die Glocke nur einen Monat später anlässlich des 100. Jubiläumskonzertes am 20. Dezember 1859 doch noch auf, diesmal ohne Interventionen von Domschke. Vgl. Oskar Burckhardt: Der Musikverein von Milwaukee 1850 – 1900, Milwaukee 1900, S. 38 – 40.

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blieben zwei Festveranstaltungen in der Albany Hall am Nachmittag und Abend des 10. Novembers.1385 Immerhin gelang eine Einigung mit dem Turnverein. Nach längerer Diskussion beschloss dieser Ende September, einer Bitte von Hans Balatka nachkommend, sich der allgemeinen Schillerfeier anzuschließen. Der Plan einer anfangs geplanten eigenständigen Feier des Turnvereins wurde damit fallen gelassen zugunsten einer vereinten und allgemeinen Veranstaltung.1386 Die Schillerfeier in Milwaukee ruhte schließlich zu großen Teilen auf den Schultern des Musik- und des Turnvereins, deren Repräsentanten das Komitee führten und deren Mitglieder große Teile des Festprogramms bestritten. Der Festakt am Nachmittag des 10. November bot bei freiem Eintritt ein musikalisches Rahmenprogramm mit bekannten Opern-Ouvertüren und Chorgesang, eine Deklamation des Festlieds von Ferdinand Freiligrath durch Hans Böbel und eine Festrede von Carl Schurz. Schurz lieferte als erfahrener Redner eine solide Festrede ab, in der Schiller als Freiheitsdichter gewürdigt wurde.1387 Die deutschen Morgenblätter hatten vereinbart, am 11. November nicht zu erscheinen, um ihren Mitarbeitern die Teilnahme an der Feier zu ermöglichen. Offenbar waren nicht viele deutsche Betriebe diesem Beispiel gefolgt, so dass die Veranstaltung am Nachmittag trotz des freien Eintritts nicht übermäßig stark besucht war. Da die Organisatoren in Milwaukee es versäumt hatten, einen englischen Festredner zu gewinnen, war auch der Anreiz für die anglo-amerikanische Bevölkerung nicht sehr hoch, diesen zum großen Teil aus deutschen Wortbeiträgen bestehenden Festakt zu besuchen. Besser besucht war die Veranstaltung am Abend, für die vom Komitee ein Eintrittspreis in Höhe von 25 Cent festgelegt worden war. Auch hier gab es musikalische Beiträge, die Turner führten Lebende Bilder nach Motiven aus Schiller-Werken auf und die Frauenrechtlerin und Abolitionistin Mathilde Franziska Anneke (1817 – 1884) deklamierte das Schiller-Gedicht »Resignation«. Von der ursprünglich geplanten Aufführung eines ganzen Schiller-Dramas war nicht mehr viel übrig geblieben, gespielt wurde lediglich der symbolträchtige

1385 Für das Festprogramm siehe Banner und Volksfreund, 9. November 1859, S. 3; Atlas, 10. November 1859, S. 3. 1386 Atlas, 23. September 1859, S. 3; Banner und Volksfreund, 22. September 1859, S. 3, 30. September 1859, S. 3. 1387 Banner und Volksfreund, 12. November 1859, S. 3; Wöchentliche Milwaukee Seebote, 16. November 1859, S. 366; Atlas 12. November 1859, S. 3. Die Festrede ist nicht überliefert. Der Kommentierung der deutschen Zeitungen zufolge war der Vortrag stark biographisch ausgerichtet und zu lang, weshalb Schillers Zeit in Jena und Weimar vom Vortragenden nicht mehr ausgeführt werden konnte. Kritisiert wurde außerdem, dass Schurz nicht frei gesprochen hatte, sondern vom Blatt ablas.

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Dritte Akt aus »Wilhelm Tell«. Den Höhepunkt des Abends bildete schließlich die Aufführung des »Liedes an die Freude« zur Musik von Sobolewski. Beim vorwiegend deutschen Publikum und der deutschen Presse kam die Schillerfeier in Milwaukee gut an und wurde von allen Blättern positiv besprochen. Finanziell endete das Fest jedoch trotz verschiedener Versuche, die Finanzierung der Feier über Subskriptionen und Kollekten zusammenzutragen, mit einem Defizit in Höhe von $53,03. Im Namen des Komitees veröffentlichte Hans Balatka am 16. November die Abschlussrechnung in der deutschen Presse und bat ein letztes Mal um freiwillige Beiträge zur Deckung des Defizits.1388 Für die vorausgehenden Sammlungen zugunsten der Schillerfeier weist die Schlussabrechnung eine Summe von $39 aus freiwilligen Zuwendungen aus – über den Erfolg der letzten Kollekte ist nichts bekannt.

Festdeutungen Inhaltliche Kommentierungen des Festanlasses oder der Bedeutung der Schillerfeier waren in Milwaukee rar und wurden zu großen Teilen aus der Berichterstattung der deutschen Wechselblätter aus anderen Städten der Union übernommen. Wie andernorts auch wurde Friedrich Schiller als Freiheitsdichter bezeichnet, der Seebote übernahm von der Westlichen Post aus St. Louis zudem die Sicht auf den Dichter als »Self Made Men« und schloss sich damit der narrativen Kontextualisierung und Integration Schillers in US-amerikanische Diskursfelder an.1389 Einige Kommentare beschäftigten sich mit der Bedeutung der Schillerfeier für die Deutschen in Europa und die deutschen Einwanderer in Amerika. Der Atlas wählte dabei durch die Veröffentlichung eines Festgedichtes von Emil Klauprecht aus Cincinnati eine europäische Perspektive. Klauprecht beschreibt in seinem Festgedicht den Niedergang der deutschen Nation und des alten Reichs, Zwietracht unter den Deutschen, den Dualismus zwischen Preußen und Österreich und die Kleinstaaterei einhergehend mit französischer Fremdherrschaft als eine Art finis Germaniae. Schillers Dichtung habe zur geistigen Erneuerung der Deutschen beigetragen, die der militärischen Befreiung von der napoleonischen Herrschaft vorausging. Auch heute, wo sich die Deutschen auf der ganzen Welt zur Schillerfeier vereinigten, bestehe wieder Gefahr für Deutschland, stünden alte Feinde und erneut ein Napoleon bereit, das uneinige Deutschland zu vernichten. Weder Preußen noch Österreich, so Klauprecht, 1388 Banner und Volksfreund, 16. November 1859, S. 3. Vgl. Banner und Volksfreund, 7. November 1859, S. 3; Atlas, 7. November 1859, S. 3. 1389 Wöchentliche Milwaukee Seebote, 23. November 1859, S. 373.

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seien allerdings imstande, die Einheit Deutschlands, die in der Schillerfeier bereits vorweggenommen wird, zu bewerkstelligen – dies werde die Aufgabe der kommenden nationalen Revolution sein.1390 Die Überlieferungslage lässt über den Abdruck dieses Gedichtes hinaus keine Rückschlüsse auf die Kommentierung der Schillerfeier und ihrer Bedeutung in der Berichterstattung des Atlas zu. Der Seebote warb im Vorfelde der Schillerfeier vor allem um die Einheit der Deutschen im bevorstehenden Fest. Angesichts der Diskussionen um die Aufführung der Romberg-Glocke bat die Zeitung eindringlich darum, bis zur Feier die Streitereien zurückzustellen und zumindest für einen Tag so geschlossen und vereint aufzutreten, wie es den Schotten beim Burns-Jubiläum gelungen sei. »Lasset uns doch einmal im Leben Deutsche sein«, appellierte der Seebote, »lasset doch das erste Jubiläum unseres für sein Vaterland so hochbegeisterten Schiller nicht in Uneinigkeit und leerem Wortgezänk vorübergehen – sein zweites 100jähriges Geburtsfest werden wir ohnedies wohl schwerlich mehr begehen können. Darum einig – einig – einig!«1391 Auffällig ist an diesem Aufruf die Gleichsetzung gleich gesinnten und vereinten Handelns mit dem Deutsch-Sein. Hier wird Handeln zur Grundlage eines bestimmten Seins und das Sein somit in Abhängigkeit von bestimmten Praktiken gedacht. Indem das Verhalten in der Schillerfeier zum Prüfstein für das Deutsch-Sein der Feiernden stilisiert wird, wird die Schillerfeier selbst zum (potentiellen) Produktionsort für die Nation erhoben – und die Feiernden zu ihrem potentiellen Produzenten. Während die deutsche Nation im Allgemeinen als Sprach- und Kulturgemeinschaft definiert wurde, steht somit hier die Performativität des Nationalen im Mittelpunkt. Dass die Herstellung deutscher Einigkeit und Einheit in der Schillerfeier für den Seeboten nicht nur l’Art pour l’Art war, zeigt sich in der nachfeierlichen Kommentierung des Festgeschehens, in der vor allem auf die Wirkung der deutschen Selbstpräsentation auf die anglo-amerikanische Bevölkerung und Medienöffentlichkeit geachtet wurde. Zufrieden notierte der Seebote nach Durchsicht der englischen Presse, dass es den Deutschen durch die Feier gelungen sei, als vereinte und geeinte Gemeinschaft wahrgenommen zu werden und schloss sich – ohne dies in seiner Berichterstattung kenntlich zu machen – dem Kultur-Missions-Gedanken des Demokraten aus Philadelphia an, dessen Kommentierung zur Bedeutung der Feier der Seebote zu großen Teilen wörtlich übernahm.1392 1390 Emil Klauprecht: Ein Festgedicht zum Schiller-Jubiläum, in: Atlas, 14. November 1859, S. 2. 1391 Wöchentliche Milwaukee Seebote, 19. Oktober 1859, S. 333. Hervorhebungen im Original –tl. 1392 Milwaukee Wöchentliche Seebote, 23. November 1859, S. 370.

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Auch im Banner und Volksfreund wurde der Erfolg der Feier über den Grad der Einheit und Einigkeit der Deutschen bemessen. »Will man von dem Erfolge des Festes reden«, bilanzierte die Zeitung, »so darf man sagen, dass sich unsere deutsche Bevölkerung für den Moment erinnerte, dass die ›ideale Welt der Deutschen ein gemeinschaftliches Heiligtum und dessen Wahrung ihrer Aller Beruf sei‹; wie weit aber diese Erinnerung für die Dauer Kraft behalte, das ist eine andere Frage.«1393 Auf die Erhaltung des Deutschen wies auch ein Festbericht aus Green Bay in Wisconsin hin. In diesen Bericht nahm der Banner und Volksfreund entgegen seiner üblichen Festberichterstattung, die oft nur aus kursorischen Besprechungen des Festgeschehens bestand, einen Auszug aus der Festrede eines Herrn Lehmann auf, die dieser in Green Bay vorgetragen hatte, und empfahl den Inhalt allen Deutschen zur genauen Beachtung. Der Festredner warnte in dem abgedruckten Auszug vor dem Untergang der deutschen Nationalität in den Vereinigten Staaten durch Abwendung von der deutschen Sprache und Literatur. Er klagte in seiner Rede die Deutschen in Amerika an »als bewusste oder unbewusste Räuber ihrer eigenen, unserer aller Nationalität […] Sie bereiten der deutschen Sprache und damit der Nationalität den gewissen Untergang, indem sie mit völliger Gleichgültigkeit, ja oft mit einer gewissen inneren Befriedigung zusehen, wie ihre Kinder nach und nach ein deutsches Wort nach dem andern vergessen […] sie graben endlich der deutschen Nationalität das Grab, indem sie Herz und Auge total verschließen gegen unsere deutsche Literatur, indem sie diese als unnützen, unpraktischen Bücherkram ansehen«. Lehmann appellierte dem entgegen für eine größere Wertschätzung der deutschen Sprache, die in Wort und Schrift genutzt und durch Weitergabe an die nachfolgenden Generationen erhalten bleiben sollte, um mit ihr auch das Deutsche in der Fremde zu erhalten.1394

Festberichterstattung und Festräume Von Anfang an wurde von den Organisatoren und der deutschen Presse die Konkurrenz mit anderen deutschen Ansiedlungen in Nordamerika in der Ausrichtung von Schillerfeiern hervorgehoben. Bereits im ersten Aufruf des Musikverein-Komitees hieß es: »Aus allen Teilen der Union kommen uns Berichte zu, dass zur hundertjährigen Feier des Geburtsfestes eines der größten deutschen Dichter, Friedrich von Schiller, imposante Feste stattfinden sollen. Die deutsche Bevölkerung Milwaukees kann und soll 1393 Banner und Volksfreund, 12. November 1859, S. 3. Hervorhebungen im Original. 1394 Ebd., 22. November 1859, S. 2.

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nicht zurückbleiben, wenn es gilt das Andenken eines für die deutsche Nation so sehr verdienten Dichters zu feiern.«1395

Dieser Gedanke wurde vom Banner und Volksfreund aufgenommen: »Es steht mit Bestimmtheit zu hoffen, dass die deutsche Bevölkerung Milwaukees bei dieser Gelegenheit […] nicht hinter den Deutschen anderer Städte unseres neuen Vaterlandes zurückstehen werde.«1396 »Haben bereits die meisten Städte dieser großen Union, wo das deutsche Element weniger vorherrschend ist, als in ›Deutsch Athen‹ großartige Vorkehrungen […] getroffen«, schrieb der Seebote, »so ist es eine selbstverständliche Sache, dass Milwaukee vor diesen nicht beschämt zurücktreten darf« und forderte die Deutschen der Stadt nachdrücklich zur Teilnahme an der Festorganisation auf.1397 Auch in Milwaukee schien die deutschsprachige Presse von der Zahl und dem Umfang der amerikanischen Schillerfeiern überrascht. Eine Festvorberichterstattung aus den Städten der Union fand jedenfalls nur sehr eingeschränkt statt. So berichtete der Atlas von Festplanungen in lediglich drei US-Städten, der Wöchentliche Seebote brachte gar keine Vorberichte, weder aus amerikanischen noch aus europäischen Feststädten. Auch der Banner und Volksfreund berichtete aus lediglich vier Städten der Union, dafür allerdings mehrfach aus New York und Philadelphia. Im Anschluss an die Festtage und nach dem Eintreffen der deutschen Wechselblätter stieg die Zahl der Festberichte dann rapide an. Der Atlas meldete 8, der Wöchentliche Seebote 25, Banner und Volksfreund 24 Schillerfeiern in der Union. Die Wochenausgabe des Banner und Volksfreund nahm immerhin noch 20 Feiern in seine zusammenfassende Festberichterstattung auf. Durch Mehrfachnennung und kommentierende Berichte wurden vor allem die Festlichkeiten in New York und Philadelphia hervorgehoben. Weder im Atlas noch im Wöchentlichen Seeboten finden sich Vorberichte aus Europa. Umfassender war allerdings die Festvorberichterstattung des Banner und Volksfreund, der 21 Mal aus 12 deutschen Städten berichtete. Mehrfach berücksichtigt wurden dabei Berlin, Wien, München und Frankfurt am Main. Darüber hinaus gab es Vorberichte aus sieben weiteren europäischen Städten. Die eigentliche Festberichterstattung aus Europa wurde dann im Dezember zusammenfassend präsentiert. Der Sammelbericht des Wöchentlichen Seeboten umfasste dabei 11 Städte im deutschen Sprachraum, hinzu kamen Württemberg als Region und das Rütli, sowie mit Bukarest und Konstantinopel zwei Festorte außerhalb des deutschen Sprachgebiets. Auch der Banner und Volksfreund be1395 Ebd., 6. Juni 1859. 1396 Ebd. 1397 Täglicher Milwaukee Seebote, 9. Juni 1859.

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richtete in Form einer Sammelmeldung in seiner Wochenausgabe. Mit 15 Festberichten aus 10 deutschsprachigen Städten sowie 8 Berichten aus 5 Städten außerhalb des deutschen Sprachraums trat die Festberichterstattung aus Europa damit deutlich hinter der aus der Union zurück und kehrte somit das Verhältnis aus der Vorberichterstattung um. Auch in Milwaukee griff die Presse zu Verallgemeinerungsformeln, um auf die weit über die in den Festberichten präsentierten Festorte hinausreichende Verbreitung der Festaktivitäten hinzuweisen. »Die Zeitungen von allen Orten sind gefüllt mit massenhaften Berichten über die Festlichkeiten am 10. November«, schrieb etwa der Wöchentliche Seebote. »Nach allen Nachrichten aus den nächsten wie aus den entferntesten Städten und Städtchen der Union gibt es keinen Ort von einiger Bedeutung mit einer deutschen Bevölkerung, in welchem nicht ein Schillerfest gefeiert wurde.«1398 In gleicher Form wurde auch die Dimension der europäischen Schillerfeier verallgemeinert. »In Deutschland ist keine Stadt und kein Städtchen gewesen, das nicht an der allgemeinen Feier teilgenommen und die deutschen Zeitungen sind voll von Festberichten aus allen Gauen des Vaterlandes«, hieß es etwa über die Festlichkeiten in den deutschen Staaten Europas. In gleicher Weise wirkte der Hinweis auf die Unmöglichkeit, die vorliegenden Berichte auch nur auszugsweise zu veröffentlichen.1399 Der Banner und Volksfreund griff in der Einleitung zu seiner Berichterstattung aus der Union auf eine ähnliche Formel zurück: »Alle unsere deutschen Wechselblätter aus den verschiedenen Staaten vom 9., 10. und 11. November beschäftigen sich fast ausschließlich mit der Schiller-Feier. Wir haben natürlich keinen Raum, die ausführlichen Schilderungen der Feierlichkeiten mitzuteilen«.1400 Der europäische Schwerpunkt der Vorberichterstattung in den deutschsprachigen Zeitungen Milwaukees wich somit im Anschluss an die Festlichkeiten einer breiten Besprechung der amerikanischen Schillerfeiern, die möglichst umfassend in ihrer geografischen Verteilung, allgemeinen Teilnahme und vor allem in der Präsentation deutscher Einheit und Einigkeit als Kulturnation dargestellt wurden, die von der amerikanischen Bevölkerung und der englischsprachigen Presse wahrgenommen und positiv kommentiert wurde.

1398 Wöchentlicher Seebote, 23. November 1859, S. 370. 1399 Ebd., 14. Dezember 1859, S. 400. 1400 Banner und Volksfreund, 15. November 1859, S. 2, Wöchentlicher Banner und Volksfreund, 22. November 1859, S. 1.

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Schiller feiern in Nordamerika – Zusammenfassung Die nordamerikanischen Schillerfeiern von 1859 markieren eine Zäsur in der Geschichte der deutschen Festkultur in den Vereinigten Staaten. Die aus Europa mitgebrachten Festpraktiken der deutschen Einwanderer hatten sich auf lokaler Ebene seit Beginn der Massenauswanderung rasch ausgebreitet und waren zu einem wesentlichen Bestandteil des geselligen Miteinanders geworden. Initiiert und getragen wurde die deutsche Festkultur in den Vereinigten Staaten in der Regel vom ebenfalls importierten deutschen Vereinswesen, insbesondere von den Turnern und Sängern, die auch in den USA über einen besonders hohen Organisationsgrad und Zulauf verfügten. Von ihnen gingen auch die ersten Ansätze zu einer überregionalen Festkultur und Vernetzung aus, die Sänger organisierten seit 1844, die Turner seit 1851 zentrale Feste an wechselnden Orten, auf denen Vereinsdelegationen aus den unterschiedlichen Regionen zusammenkamen. Die Schillerfeier von 1859 war – ähnlich wie in den deutschen Staaten Europas das Nationalfest von 1814 – das erste dezentral organisierte und an vielen Orten zugleich begangene Fest deutscher Einwanderer in den Vereinigten Staaten und wurde bereits von den Teilnehmern im Kollektiv-Singular als deutsch-amerikanische Schillerfeier wahrgenommen. Bei der Konstituierung des deutsch-amerikanischen Festraums spielte die deutschsprachige Presse eine herausragende Rolle. Der in ihrer Ausbreitung, Periodizität und journalistischer Qualität noch jungen, durch das Wechselblattsystem aber bereits gut untereinander vernetzten deutsch-amerikanischen Presse gelang es vor allem in der retrospektiven Betrachtung des Festgeschehens, der amerikanischen Schillerfeier eine spezifische Bedeutung zuzuschreiben, in der die Besonderheiten der deutschen Einwanderer in Amerika benannt, ihre überregionale Gemeinschaft als Deutsch-Amerikaner durch die medial repräsentierten Festräume der Berichterstattung konstituiert wurde. Auch in den Vereinigten Staaten ließ die Festberichterstattung die spezifischen Bedingungen der lokalen Festorganisation verschwimmen und stellte die reine Existenz von Festaktivitäten in den Vordergrund. Die New Yorker Schillerfeier, organisiert und maßgeblich durchgeführt von der sozialen Oberschicht der Deutschen, schloss die ärmeren Teile der Einwanderer-Community von der Feier aus, indem sie alle öffentlichen Festelemente auf offener Straße aus dem Festprogramm strich. Auf diese Weise war es nicht möglich, ohne Entrichtung eines Eintrittsgeldes an der New Yorker Feier teilzunehmen. Auch wenn die zahlreichen von den Bierhallen und Lokalen ausgerichteten bunten Abende zur Schillerfeier nur ein kleines Eintrittsgeld verlangten bzw. deren Besuch lediglich den Konsum von Getränken erforderte,

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waren große Teile der Bevölkerung dadurch von der aktiven Teilnahme und Teilhabe am Festprogramm ausgeschlossen. Ein Besuch der Vorstellungen im Theater war nur den allerwenigsten möglich, zumal die zunächst moderaten Eintrittspreise in den Tagen vor der Feier noch einmal kräftig erhöht wurden. Zugleich bemühte man sich – wie auch in fast allen anderen Festorten der Union – durch den Einsatz englischer Festredner um das englischsprachige Publikum. Zum Ausklang der New Yorker Schillerfeier separierte sich das Festkomitee erneut von den ärmeren Kreisen und zog sich mit der amerikanischen Oberschicht in das Astor-Hotel zu einem Bankett zurück, dessen hoher Eintrittspreis für die gewünschte Exklusivität sorgte. Das von einem Komitee der »Schwarzen Kunst« organisierte Schillerfest in Philadelphia bemühte sich demgegenüber um eine zumindest im symbolischen Bereich integrierende und zusammenführende Schillerfeier. Auch wenn sich die ursprüngliche Idee, durch das zeitgleiche Absingen des Freiligrath-Festliedes alle Festorte in der Union performativ zu vereinigen, nicht realisiert wurde, entwickelte sich das von hier aus an zahlreiche Komitees versandte Gedicht zur Schillerfeier in Amerika zu einem zentralen Festelement vieler Feiern. Dass die Schillerfeier auch von religiösen Kreisen gefeiert werden konnte, zeigt das Beispiel Pittsburgh, wo die – allerdings aufklärerisch-religiöse – Smithfield-Kirche eine zentrale Rolle bei der Organisation und Durchführung spielte. An den Festreden von Friedrich Hassaurek, August Willich und Albert Rosenberg auf verschiedenen Schillerfeiern in Cincinnati konnte gezeigt werden, wie stark sich Friedrich Schiller und sein Werk im Rahmen der Schillerfeier zielgruppenorientiert funktionalisieren und instrumentalisieren ließen, während die Schiller-Unruhe in St. Louis verdeutlicht, wie alte Konflikte und Streitereien in der verdichteten Kommunikation der Festorganisation zu neuem Streit führen konnte, der die Schillerfeier lediglich zum Anlass nahm. Gerade der Fall St. Louis zeigt, dass in der medialen Einbindung einer Feststadt in den amerikanischen Festraum die konkreten Inhalte von Auseinandersetzungen nicht vermittelt wurden. Als sich im Verlauf des Sommers und des Frühherbstes herausstellte, dass vielerorts die ursprünglichen Festplanungen nicht aufrechterhalten werden könnten, Kürzungen im Festprogramm und auch – allerdings recht allgemein – Berichte über Streit unter den Organisatoren die Runde machten, wurde dieser Umstand durch das Wort vom »streitenden Deutschen« zur Charaktereigenschaft erhoben und damit relativiert. Die Berichterstattung über auswärtige Schillerfeiern blieb auch in der Union zumeist auf der Oberfläche und erreichte oft nicht mehr als den Status von Aufzählungen oder reinen Programm-Mitteilungen. Details von den einzelnen Feiern, insbesondere eine detailreiche Darstellung von Streitereien unter den Organisatoren und Teilnehmern, unterblieb. Wesentlich war lediglich die Vermeldung, dass es Vorbe-

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reitungen zu einer Schillerfeier und damit aktive Teilhabe an der Gemeinschaft geben werde. Das Beispiel Milwaukee zeigt, dass diese Teilhabe auf lokaler Ebene immer in Abhängigkeit von den lokalen Ressourcen und dem Einfluss der Medien erfolgte.

Die deutsch-amerikanischen Festkomitees Die Schillerfeiern in den Städten der Union waren durchweg voluntaristische Veranstaltungen und auf die Initiative und Aktivität der jeweiligen Community angewiesen. Aus den Kreisen der kommunalen Regierungen war hier keine Unterstützung zu erwarten, allerdings fehlte auch jeder politische Widerstand von dieser Seite. Die deutschen Communities waren in der Festorganisation ganz auf sich selbst gestellt und mussten die Organisation aus den ihnen zur Verfügung stehenden Kräften heraus selbst bewältigen. Insbesondere das New Yorker Festkomitee konnte dabei auf Ressourcen zurückgreifen, die keiner anderen deutschen Einwanderercommunity in den Vereinigten Staaten zur Verfügung standen. Nirgendwo sonst wurden derart hohe Summen aus den wohlhabenden Kreisen für die Ausrichtung der Feier bereitgestellt, keine andere Stadt war in der Lage, die künstlerischen Subkomitees mit einer so großen Zahl bekannter und bedeutender Künstler zu besetzen und nirgendwo sonst war die Zahl professioneller oder semi-professioneller Chöre und Orchester größer, als hier. Das Potential der New Yorker Feier gründete in der Sozialstruktur der dortigen deutschen Einwanderergesellschaft, die zahlenmäßig alle anderen Städte der Union bei weitem übertraf. Der großen Menge armer Einwanderer stand hier eine wohlhabende Wirtschaftselite gegenüber, die sich bereits anschickte, die alte akademisch gebildete Elite aus Ärzten und Apothekern an Rang und Einfluss abzulösen. Kunst und Kultur profitierten von diesem Umfeld und trugen mit ihrer bereits vor dem Bürgerkrieg erreichten Professionalität zu einer hohen künstlerischen Qualität der New Yorker Schillerfeier bei. Die von der alten und neuen Elite gleichermaßen auf die Beine gestellte Schillerfeier in New York war nicht auf die Mobilisierung der deutschen Bevölkerung angewiesen, um die Chöre zu erweitern oder Lebende Bilder aufzuführen. Dem Komitee war es auch kein besonderes Anliegen, den ärmeren Bevölkerungsteilen eine Teilnahme an der Schillerfeier zu ermöglichen. Zwar achtete man zumindest zunächst auf gleichmäßig günstige Eintrittspreise und freute sich im Nachhinein auch über die Sichtung einiger Arbeiter bei den Veranstaltungen, verzichtete aber zugleich auf sämtliche öffentliche Festelemente wie Umzüge oder Illuminationen, die auch den ärmsten Bevölkerungskreisen eine Teilnahme zumindest als Zuschauer ermöglicht hätten. Außerhalb von New York wurden an verschiedenen

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Festorten öffentliche Festelemente in das Festprogramm aufgenommen, etwa in Philadelphia, Pittsburgh, Cincinnati oder St. Louis. Zugleich achtete man stets darauf, das amerikanische Publikum durch Übersetzungsleistungen zu erreichen. Die Schillerkomitees in den anderen Festorten standen in ihrer Zusammensetzung stärker im Einklang mit der sozialen Zusammensetzung der jeweiligen Einwanderer-Community. Sie hatten neben den auch hier stark vertretenen Kaufleuten einen hohen Anteil von Handwerkern in ihren Reihen, unter den Akademikern waren vorwiegend Ärzte und Apotheker vertreten, andere Intellektuelle waren eher in der Minderzahl. Regelmäßig fanden sich Arbeitervertreter als Delegierte von Arbeiter-Vereinen oder -Gesellschaften in den Komitees. In Philadelphia, einer Hochburg des deutschsprachigen Verlags- und Buchdruckwesens, war die Berufsstruktur der Komiteemitglieder mehrheitlich an die Berufe der »Schwarzen Kunst« gebunden, hier waren Drucker, Setzer, Verleger und Zeitungsherausgeber sowie Journalisten eindeutig in der Mehrheit. Eine derartige berufsbezogene Dominanz der Komitees ließ sich für die anderen USStädte nicht belegen. Hier dominierte die Form des Delegierten-Komitees, in das die teilnehmenden deutschen Vereine und Gesellschaften einen oder mehrere Vertreter beriefen. Die Organisation ruhte hier auf den Schultern des jeweiligen deutschen Vereinswesens, wobei sich die Turn- und Gesangsvereine regelmäßig als federführend erwiesen. Auch an kleinen Orten waren sie in der Lage, ein Festprogramm mit Chorgesang und Lebenden Bildern, gymnastischen ShowEinlagen oder Theateraufführungen zu gewährleisten.

Ausschlüsse Es lassen sich anhand der deutsch-amerikanischen Presse keine öffentlich vertretenen Selbstausschlüsse von religiösen oder politischen Gruppen dokumentieren. Demokratische und Republikanische Zeitungen unterstützten im Allgemeinen die Idee der Feier, auch unabhängige oder katholische Zeitungen stellten sich ihr nicht offen entgegen. Religiöse Periodika mit größerer Nähe zu kirchlichen Institutionen zeigten sich zwar zuweilen kritisch gegenüber der Vergötterung des Dichters, die sie als Götzendienst ablehnten, oder ignorierten die Veranstaltung einfach, zeigten aber mitunter auch Sympathien für die Feiern und freuten sich über die zahlreiche Beteiligung. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass die politische Gesinnung der federführend an der Organisation der Feiern beteiligten Personen und Vereine Teile der deutschen Einwanderergemeinschaft von der Teilnahme abgeschreckt hat. So war unter den Organisatoren und beteiligten Vereinen der Anteil von

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Freireligiösen, Antikirchlichen und Achtundvierzigern sehr hoch. Mit der führenden Beteiligung der Turnvereine, die vielerorts ein Sammelbecken für ehemalige Revolutionäre und Radikale sowie aktive Republikaner waren, lag die Schillerfeier fast überall in den Händen der »Grünen«. Unter ihnen befanden sich auch viele exilierte und emigrierte Demokraten und Unterstützer der deutschen Nationalbewegung, ehemalige Parlamentarier der Paulskirche und Teilnehmer des badischen und pfälzischen Aufstands, die zum größten Teil auch am Aufbau der Republikanischen Partei beteiligt waren. Sie trafen in den Komitees auf die Einwanderer früherer Migrationswellen, wie die Dreißiger oder Deutsch-Amerikaner der zweiten oder dritten Generation, die eher den Demokraten zugeneigt waren. Mit zwei Problemen hatten unter diesen Umständen fast alle Schillerkomitees in den Städten der Union zu kämpfen: mangelnde Teilnahme und Streit unter den Organisatoren. Die zum Teil sehr früh gegründeten Komitees hatten fast überall das Problem, sich über den Sommer zu retten. Mancherorts gelang im Spätsommer die Aktivierung des alten Organisatorenkreises, vereinzelt war ein Neustart der Festplanungen nötig. In den Zeitungen finden sich in den Monaten bis September fast überall Aufrufe zur stärkeren Beteiligung, zuweilen verbunden mit Appellen an die Ehre der jeweiligen Einwanderergemeinschaft, sich nicht gegenüber den Amerikanern vor Ort und den Deutschen andernorts durch Passivität der Lächerlichkeit preis zu geben. Regelmäßig führte die mangelnde Beteiligung zu Einschränkungen im ursprünglichen Festprogramm, wurden planungsintensive und auf starke Beteiligung angewiesene Festelemente wie öffentliche Festumzüge oder mehrtägige Festlichkeiten gestrichen und zusammengekürzt, um den Bestand der Feier selbst nicht zu gefährden. Da, wo die Größe der Community und die Höhe des Organisationsgrades eine besonders umfangreiche Festaktivität erwarten ließ, kam es zugleich auch zu Separation unter den Feiernden, etwa in Form sozialer Exklusivität, wie in New York, oder vereinsinternen Parallelveranstaltungen, wie in Cincinnati. Auch die zerstrittenen Organisatoren in St. Louis verzichteten auf ein gemeinsames Bankett – um dann auf dem Bankett des Turnvereins doch wieder aneinander zu geraten. Die Einheitsforderung aus Wilhelm Tell erhielt unter diesen Bedingungen eine spezifisch deutsch-amerikanische Bedeutung, indem sie als Einheitsappell die deutschen Einwanderer ermahnte und aufforderte, sich ihrer kulturellen Gemeinsamkeiten als Deutsche bewusst zu werden, den religiösen und politischen Hader zumindest für die Zeit der Schillerfeier zurückzustellen, sich der gemeinsamen, kulturell begründeten deutschen Nationalität bewusst zu werden und die Schillerfeier gemeinsam zu begehen. Das Beispiel St. Louis zeigt, dass die Auseinandersetzungen während der Festplanungen ihre Ursache selten in der Feier selbst hatten, sondern auf zum Teil seit Jahren schwelenden und ausgetragenen Konflikten beruhten, die in der

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verdichteten Kommunikation der gemeinsamen Festorganisation lediglich fortgeführt wurden oder erneut zum Ausbruch kamen. Gestritten wurde nicht nur über Schiller, gestritten wurde in den deutschen Communities und der deutsch-amerikanischen Presse ohnehin – und die Schillerfeier war lediglich ein erneuter Anlass. In die Berichterstattung gingen die nicht näher präzisierten Auseinandersetzungen im Verlauf der Schillerfestplanungen als eine Art Leitmotiv ein und wurden zur Gemeinsamkeit erhoben, indem sie als Charakterzug der Deutschen gedeutet wurden, der seine Ursache in der vielfachen politischen und religiösen Spaltung der Deutschen hätte, sowie in ihren unterschiedlichen regionalen Wesensarten, die nach Moritz Meyer zumindest zwischen Nord- und Süddeutschen auszumachen seien.

Festprogramme Trotz aller Differenzen konnte schließlich an allen Festorten der Union ein musikalisch-deklamatorisches Festprogramm unterschiedlichen Umfangs realisiert werden. Lokale Gesangskräfte, teils aus Gesangsvereinen und Orchestern, teils aus musikalischen Laien und Dilettanten bestehend, trugen Vertonungen von Schiller-Gedichten oder andere bekannte Musikstücke vor. Schiller-Gedichte oder Gelegenheitsdichtungen wurden deklamiert, Festreden in deutscher und englischer Sprache vorgetragen. Sobald die musikalischen Kapazitäten es erlaubten, kam die »Glocke« zur Musik von Andreas Romberg zur Aufführung, zuweilen nur das Finale, oft aber auch das gesamte Stück. Lediglich in Milwaukee wurde die Glocke wegen vermeintlich reaktionärer Textzeilen aus dem Programm gestrichen und durch eine eigens für die Schillerfeier komponierte Vertonung des »Liedes an die Freude« von Eduard Sobolewski ersetzt. Zu allen größeren Feiern gehörte die Aufführung von Tableaux vivants zu Bildern aus Schiller-Werken, in Szene gesetzt durch deutsche Theater-Ensembles oder Mitglieder der örtlichen Turnvereine und untermalt von bekannten Opern-Ouvertüren. Als ein gemeinsames Festelement fast aller Schillerfeiern in der Union erwies sich das »Festlied der Deutschen in Amerika«, das auf Anfrage des Philadelphier Komitees von Ferdinand Freiligrath in London eigens für die amerikanische Schillerfeier gedichtet wurde. Auch wenn die ursprüngliche Idee des Komitees, das Festlied von Richard Wagner in Musik setzen zu lassen und es zeitgleich an allen Festorten absingen zu lassen, nicht realisiert werden konnte, bildete es ein zentrales gemeinsames Festelement der meisten amerikanischen Schillerfeiern. Fast überall wurde es während der Krönung der Schiller-Büste vorgetragen und gehörte somit zum jeweiligen Höhepunkt der einzelnen Feiern. Von den grö-

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ßeren Feststädten verzichtete lediglich New York auf den Vortrag, da es mit Reinhard Solgers Festgedicht als Gewinner des New Yorker Preisgedicht-Wettbewerbs zum Schillerfest über eine eigene Produktion zur Büsten-Krönung verfügte.

Gemeinschaften Die in der deutsch-amerikanischen Schillerfeier adressierte Gemeinschaft hatte zwei Dimensionen, eine europäische und eine amerikanische. Grundsätzlich wurden die Deutschen als Kulturnation gesehen, als Sprach- und Kulturgemeinschaft, der auch die Schweizer zugerechnet wurden. Diese weltweite Gemeinschaft der Deutschen wurde oft in Anlehnung an Ernst Moritz Arndts Formulierung »so weit die deutsche Zunge klingt« adressiert. Im europäischen Kontext bezogen sich die Kommentatoren auf das auch in den europäischen Schillerfeiern bemühte Narrativ eines Niedergangs der deutschen Nation, der seinen Höhepunkt im Zusammenbruch des Alten Reichs und der napoleonischen Fremdherrschaft fand. Friedrich Schiller wurde in diesem Zusammenhang eingeordnet in das Feld der klassischen deutschen Literatur, die zunächst die geistige Erhaltung, Wiederbelebung und Mobilisierung der deutschen Nation besorgte, von der schließlich die nationale Erhebung ausging, die zur Befreiung von der napoleonischen Fremdherrschaft führte. Als Ursachen für den Niedergang wurden Zwietracht, Kleinstaaterei, Fürstenwillkür und zum Teil die Einflussnahme der Kirche verantwortlich gemacht. In dieser Sicht waren die Kirche und die Fürsten die inneren Feinde, die Franzosen die äußeren Feinde der deutschen Nation, wobei sich die Kritik an der Kirche vor allem auf den Katholizismus bezog, während etwa Martin Luther als geistiger Vater Schillers und dieser als Vollender der Reformation gefeiert wurde. Die Situation im Europa des Jahres 1859 wurde vor diesem historischen Hintergrund als eine neue Gefahrensituation in Konfrontation mit alten Feinden gesehen, in der die Uneinigkeit der Deutschen und ihrer Fürsten und die Bedrohung durch den neuen Napoleon und Frankreich als unmittelbare Gefahren für die ganze Nation empfunden wurden. Der deutsche Freiheitskampf, der unter geistiger Führung der klassischen Literatur und Friedrich Schillers im Kampf gegen Napoleon begann, seine Fortsetzung im Ringen der Nationalbewegung um einen deutschen Nationalstaat und gegen die Fürsten und die Reaktion seine Fortsetzung fand und in der Revolution 1848/49 fast seine Vollendung gefunden hatte, stand nun angesichts der Vorkommnisse von 1859 wieder im Mittelpunkt des Interesses. Die Schillerfeier wurde in diesem Zusammenhang als ein Symbol und Zeichen der deutschen Einheit und Vorwegnahme der staatlichen Vereini-

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gung als Nationalstaat gedeutet, das Feiern der Deutschen außerhalb der deutschen Staaten als Solidaritätskundgebung für die Deutschen im alten Vaterland. Die Charakterisierung Schillers als Freiheitsdichter und die Einheitsforderungen standen dabei ausschließlich im Bezug zum Freiheits- und Einheitskampf der Deutschen in Europa und entbehrten jeglicher Verbindung zu dem Einheitsund Freiheitsdiskurs, der zur gleichen Zeit den Zusammenhalt der US-amerikanischen Nation auf das Tiefste erschütterte. Neben der europäischen Dimension entwickelte sich zugleich ein spezifisch deutsch-amerikanischer Deutungsrahmen, in dem der Schillerfeier eine besondere Bedeutung für die Gemeinschaft der Deutschen in Amerika zugeschrieben wurde. In dieser Sicht stellten die deutschen Einwanderer in den Vereinigten Staaten unter den auf der ganzen Welt verstreuten Deutschen eine besondere Gruppe dar, deren Mitglieder schon jetzt unter den Bedingungen der politischen, religiösen und individuellen Freiheiten leben durften, für die sie in Deutschland gekämpft hatten und die den Deutschen in Europa noch immer verwehrt blieben. Die besondere Erfahrung der Massenmigration, die sprachlich bedingte Sonderrolle, die den Deutschen die Integration in Amerika im Vergleich zu den irischen und englischen Einwanderern erschwerte und schließlich die Erfahrung des Nativismus wurden als gemeinschaftlicher Erfahrungshorizont vieler deutscher Einwanderer adressiert, unabhängig von bestehenden Differenzen innerhalb der deutschen Emigrantengemeinschaft. Die Schillerfeier wurde im deutsch-amerikanischen Kontext als eine Chance und Möglichkeit gesehen, Gemeinsamkeiten zu betonen, die Zugehörigkeit zur deutschen Gemeinschaft zu postulieren und sich als Gruppe gegenüber den anderen ethnischen Gemeinschaften zu präsentieren und zu behaupten. Angesichts des hohen Bevölkerungsanteils, den die deutschen Einwanderer an vielen Orten bereits erreicht hatten, versprach eine deutsche Sammlung unter ethnischen Vorzeichen nicht nur im Abwehrkampf gegen nativistische Strömungen einen Eindruck zu hinterlassen, sie war auch unter politischen Gesichtspunkten und mit Blick auf bevorstehende Wahlen interessant. Vor allem aber war der Dichtergeburtstag eine herausragende Möglichkeit, sich als Vertreter einer deutschen Hochkultur zu inszenieren und diese zugleich in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen vorzuführen. Die Festprogramme, in denen Musik, Literatur, Theater und bildende Künste zu gemeinschaftlichen Anstrengungen verpflichtet und eingesetzt wurden, repräsentierten – in Abhängigkeit von den jeweils lokal verfügbaren Ressourcen – die gesamte Spannbreite dieser Kultur. In der Hoffnung, dass die Mehrheitsgesellschaft den hohen Wert der deutschen Kultur in der Schillerfeier kennen und wertschätzen lernen würde, erhofften sich die Kommentatoren auch Zugeständnisse und Vorteile im Bereich der Integration. Einer vollständigen Assimilierung und Amerikanisierung der Deutschen wurde hier das Bild einer Integration durch kulturelle Amalgami-

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sierung oder Verschmelzung entgegengesetzt, bei der die Besonderheiten und Leistungen der deutschen Kultur erhalten und in die noch zu bildende gemeinsame Nation eingebracht werden sollten. Insofern zeigt sich in der Schillerfeier bereits eine Tendenz zur Leistungsbilanz, wie sie in späteren Jahren von der filiopietistischen deutsch-amerikanischen Historiographie perfektioniert werden sollte. In ihrer stärksten Ausprägung konnte sie auch in der Propagierung eines kulturellen Missionsgedanken gipfeln, in dem die Deutschen als Nachfahren der Griechen zur Zivilisierung und Kultivierung der ganzen Welt antraten.1401 Um diese Botschaft auch an den Adressaten zu bringen, waren Übersetzungsleistungen zu erbringen. Hierfür engagierten die Festkomitees fast überall bekannte und respektierte amerikanische Festredner, die dem englischsprachigen Publikum den hohen Wert Friedrich Schillers und der deutschen Literatur und Kultur vermitteln sollten. Mit Ausnahme von Milwaukee – wo die Teilnahme der amerikanischen Bevölkerung auch nicht sehr groß war – gab es bei allen deutsch-amerikanischen Schillerfeiern neben den deutschsprachigen Festreden auch mindestens eine in englischer Sprache, vorgetragen von Journalisten, Autoren, Übersetzern und Kennern der deutschen Literatur, die in ihren Ansprachen den Dichter und sein Werk dem amerikanischen Publikum näher brachten und damit auch einen Beitrag zur verstärkten Wahrnehmung Friedrich Schillers in der Union leisteten. Von Anfang an war auch eine Übersetzung des Freiligrath-Festliedes vorgesehen, Übersetzungen von Schiller-Gedichten oder Gelegenheitswerken zum Fest fanden Eingang in die Spalten der Zeitungen, zweisprachige Flugblätter informierten das Publikum bei Festumzügen über den Gegenstand der Feier – mit Erfolg: Die nordamerikanischen Schillerfeiern waren keine ethnisch exklusiven Veranstaltungen, in denen die deutschsprachige Bevölkerung unter sich blieb. Tatsächlich wurde die Schillerfeier weit über die deutschen Communities hinaus wahrgenommen, der Anteil amerikanischen Publikums an den Festveranstaltungen war zum Teil beträchtlich, vor allem da, wo der Anteil musikalischer Darbietungen hoch war, die auch ohne Sprachkenntnisse unproblematisch aufgenommen werden konnten. Die amerikanische Presse berichtete zum Teil ausführlich und grundsätzlich positiv von den Veranstaltungen, teilweise mit biographischen Skizzen über Friedrich Schillers Leben und Anmerkungen zu seinen wichtigsten Werken. Auch in der Festdekoration bemühten sich die Festorganisatoren darum, nationale Symbole der alten und der neuen Heimat zu vereinen. Ein einfaches

1401 Es ist dieser Zeitgeist, dem auch Emanuel Geibels Gedicht »Deutschlands Beruf« entsprang.

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Mittel hierzu war die Kombination der schwarz-rot-goldenen Fahne mit dem Star-Spangled Banner. Neben der Büste des gefeierten Dichters fanden sich vielerorts weitere Büsten, Abbildungen und Namenszüge von Dichtern, Philosophen und Kirchenkritikern aus der ganzen Welt. Hier wurde Friedrich Schiller zum Mitglied einer kosmopolitischen Weltbürgergesellschaft erklärt, die sich ihre Vor- und Leitbilder über Nationsgrenzen hinweg suchte und fand. Die Verwendung von amerikanischen und schwarz-rot-goldenen Fahnen bei den amerikanischen Schillerfeiern, die Kontextualisierung Schillers in eine Weltgemeinschaft des Geistes und der Dichtung, die Einsetzung von englischsprachigen Festreden, die Übersetzung des Freiligrath-Festliedes und nicht zuletzt die Übersetzung von Schiller-Werken in Handzetteln oder Publikationen deuten auf den Vermittlungscharakter der nordamerikanischen Schillerfeier. Die Konstituierung der Deutschen als Deutsch-Amerikaner, als ethnische Gemeinschaft unter ethnischen Gemeinschaften, war verbunden mit dem Wunsch, neben der tagtäglichen Arbeitsleistung auch ein spezifisches kulturelles Erbe der Deutschen zum Ausdruck zu bringen, das diese bei ihrer Einwanderung als kulturelles Mitbringsel quasi im Gepäck mitgebracht hätten, und das als Zeichen ihrer besonderen Integrationsfähigkeit diene. Indem der Freiheitsdichter Friedrich Schiller stets als Freiheitsdichter und Volksdichter zugleich vorgestellt wurde, wurde über Schiller zugleich auch eine besondere Freiheitsliebe der Deutschen herausgestellt, was im Land of the Free die grundsätzliche Übereinstimmung mit den zentralen Gründungswerten der amerikanischen Republik bedeutete und darüber eine besondere Befähigung der deutschen Einwanderer zur Integration hervorhob. Der Wunsch zur Integration, zum Aufbau eines Gemeinwesens im wahrsten Sinne des Wortes brachte die Rede von Friedrich Hassaurek in Cincinnati sehr pointiert zum Ausdruck. In der Vermählung der deutschen Literatur mit der amerikanischen hoffte Hassaurek auf eine Vermischung beider Kulturen – und keiner weiteren – in der Zukunft, »thus forming one of the grandest and most memorable samples of mental amalgamation which the world has ever seen«.1402

Schillerfeier und Sklaverei Friedrich Schiller wurde in weiten Teilen der biographischen Kommentierung durch Festredner und in der Presse als Freiheitsdichter benannt und gewürdigt, ohne dass dabei ein Zusammenhang zum zeitgenössischen Freiheitsdiskurs in den USA und die Frage der Sklaverei hergestellt wurde. Vereinzelt stellten 1402 Cincinnati Daily Gazette, 12. November 1859, S. 4.

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Kommentatoren zwar offen diese Verbindung her, zwei der wenigen Ausnahmen waren August Willich in Cincinnati und Erich Thieme in Cleveland1403, alles in allem jedoch beließ man es maximal bei Andeutungen oder sehr vagen Hinweisen, wie Reinhard Solger in seinem New Yorker Preisgedicht. War in der Schillerfeier die Rede vom Freiheitskampf, dann war in aller Regel der Freiheitskampf der Deutschen auf dem europäischen Kontinent gemeint, keineswegs jedoch der Freiheitskampf der Schwarzen in den USA. Wurde in der amerikanischen Schillerfeier zur Einheit und Einigkeit aufgerufen, dann war dies wahlweise an die Deutschen in Europa oder die in Amerika gerichtet, nicht jedoch an die Schwarzen oder die Bürger der zerbrechenden Union. Dabei fehlte es keineswegs an Möglichkeiten, diese Verbindung herzustellen, man denke nur an die Glocke, die im kulturellen Gedächtnis der USA als Freiheitssymbol gewürdigt wird und für die Anti-Sklaverei-Bewegung zum Zeitpunkt der Schillerfeier bereits ein Symbol der Sklavenbefreiung war. Kam es dann aber doch zu einer Kontextualisierung Schillers oder der Feier, dann fand sie an eher überraschenden Stellen statt, etwa in der Stilisierung des Dichters zum Self-Made-Man und damit Vorbild und Beispiel für den amerikanischen way of life. Oder in der Erhebung Schillers zum geistigen Gründungsvater der Vereinigten Staaten. Soweit die Schillerfeier mit einer eigenständigen deutsch-amerikanischen Bedeutung versehen wurde, betraf sie vor allem die Gemeinschaft der Deutschen in den USA in ihrem Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft. Ziel war es, die Deutschen als ethnische Gemeinschaft zu konstituieren und zu präsentieren, ihren kulturellen Wert herauszuarbeiten und in der Feier vorzuführen sowie ihren Beitrag bei der Ausgestaltung der amerikanischen Nation zu verdeutlichen. Nicht zuletzt kam hier ein gesteigerter Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung durch die amerikanische Mehrheitsgesellschaft zum Ausdruck. Dass die Adressierung Friedrich Schillers als Freiheitsdichters in weiten Teilen ohne Bezugnahme auf den Freiheitsdiskurs um die Sklaverei erfolgte, bleibt auffällig. Im Nachhinein wurde das Ausbleiben jeglicher Kommentierung des Schiller’schen Freiheitsbegriffs in Richtung Sklaverei von Johann Christoph Hermann Gittermann in seinem Anti-Sklaverei-Buch »Revolution oder Abolition« noch einmal thematisiert:

1403 »Freund Thieme vom ›Wächter am Erie‹ hat die Prinzipienfrage in die Schillerfeier hineingeworfen und sagt: ›Wir bedauern, dass sich der edle Schiller, der für die Freiheit aller Menschen wirkte, hier von Leuten muss feiern lassen, die Jahr auf Jahr ein sich heiser gegen das Menschenrecht des armen Negers schreien‹«. Pittsburger Volksblatt, 7. November 1859, S. 2.

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»Und was tut Deutschland? – Deutschland hat in Europa keine Sklaven mehr zu befreien, in Deutschland drüben hat die Leibeigenschaft längst aufgehört. Doch Deutschland in Amerika? Was tut Deutschland in Amerika? Deutschland in Amerika sucht die olympischen Spiele der Alten zu verdunkeln durch tagelange Feste, die es zu Ehren seiner dahingeschiedenen großen Männer anstellt. Noch klingen uns die Melodien des Schillerfestes in den Ohren, noch graut uns vor jenen endlosen Artikeln des deutschen Moniteur und aller seiner hiesigen Gesinnungsgenossen. Schiller sagt: Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, Und würd’ er in Ketten geboren. Lasst euch nicht irren des Pöbels Geschrei, Nicht den Missbrauch rasender Thoren! Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht, Vor dem freien Menschen erzittert nicht! Glaubt ihr, meine deutschen Mitbürger, dass Schiller heutzutage anders gedichtet haben würde? Glaubt ihr, dass er der Sklaverei Loblieder gesungen haben würde? Glaubt ihr, dass, wenn Schiller heutzutage hier unter uns lebte, deutsche Redner und deutsche Zeitungen ihm denselben verdienten Weihrauch streuen würden, den sie ihm hundert Jahre nach seinem Tode gestreut haben? O nein, gewiss nicht! Doch Schiller war ein Phantast; – so werden unsere deutschen Prosklaverei-Gelehrten sagen, man muss seinem poetischen Genius diese kleine Schwäche schon verzeihen; – wenn er die Neger kennen gelernt haben würde, wie wir, […] so würde er die ›drei Worte des Glaubens‹ nicht gesungen haben.«1404

Mediale Festräume Der nordamerikanische Festraum etablierte sich in der medialen Vernetzung der Festorte erst reziprok und unterscheidet sich darin vom medialen Festraum der europäischen Schillerfeier, der bereits in der Vorberichterstattung aufgespannt wurde. Die Vorberichterstattung in der deutsch-amerikanischen Presse wurde zunächst beherrscht von Meldungen aus den deutschen Staaten und Europa. Die Vorbereitungen in den nordamerikanischen Festorten hingegen wurden mit Ausnahme von New York und Philadelphia kaum berücksichtigt. Von einem 1404 Johann Christoph Heinrich Gittermann: Revolution oder Abolition, Stuttgart 1860, S. 75 – 76. Das Buch war eine freie Übersetzung und Bearbeitung von Hinton Rowan Helper: The Impending Crisis of the South. How to Meet It, New York 21860. Die angegebene Textpassage wurde von Gittermann in der zweiten Auflage eingefügt.

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medial angeheizten Wettbewerb einzelner Festorte kann daher in den Vereinigten Staaten keine Rede sein, eine direkte Konkurrenz mit europäischen Festorten schied durch die Zeitverzögerung in der Berichterstattung ohnehin aus. Das Bild änderte sich nach dem Ende der Festwoche grundlegend. Viele Tages- und Wochenzeitungen berichteten jetzt ausführlich und umfassend von der nordamerikanischen Schillerfeier und bemühten sich, die große Allgemeinheit in der Teilnahme und geographische Verteilung der Feiern herauszuarbeiten. Dabei bediente sich die deutsch-amerikanische Presse – wohl auch wegen des zum Teil nur geringen verfügbaren Raumes – der repräsentativen Auswahl, zuweilen reduziert bis hin zur reinen Aufzählung. Verallgemeinerungsformeln wurden eingesetzt, um die überragenden Dimensionen der amerikanischen Schillerfeier zu veranschaulichen. Sämtliche Hochburgen deutscher Ansiedlung in der Union waren in dieser Berichterstattung repräsentiert, besondere Berücksichtigung durch Mehrfachnennung oder pointierte Kommentierung fanden Philadelphia und New York. Die Etablierung eines eigenständigen deutsch-amerikanischen Festraumes war auch technisch bedingt. Der Wunsch nach einer kommunikativen Anbindung an die Feiernden in Europa war durchaus vorhanden, konnte aber mangels einer funktionierenden transatlantischen Telegrafenverbindung 1859 nicht realisiert werden. Der beschleunigte Nachrichtenaustausch über die kontinentalen Telegrafennetze und ein durch die Eisenbahn ebenfalls immer schneller werdendes Wechselblattsystem fand somit in der nach wie vor auf die Dampfschifffahrt angewiesenen transatlantischen Nachrichtenübermittlung seine Grenze. Die tagesaktuelle Vernetzung der Festorte im unmittelbaren Vergleich war somit auf den nordamerikanischen Kontinent begrenzt und trug in Gemeinschaft mit der auf den amerikanischen Kontext bezogenen Kommentierung der Feier zur Konstituierung der deutsch-amerikanischen Schillerfeier in den Vereinigten Staaten und damit auch zur Konstituierung einer überlokalen und überregionalen deutsch-amerikanischen Festgemeinschaft bei. In der nordamerikanischen Schillerfeier wurde somit erstmals eine Imagined Community der Deutsch-Amerikaner medial konstituiert. Die Berichterstattung in den Zeitungen war auch in den USA gestaffelt nach Periodizität – Tageszeitungen gewährten der Schillerfestberichterstattung den breitesten Raum, Wochenzeitungen folgten dicht dahinter. Weltanschauliche oder religiöse Zeitungen wiesen nur geringe Zahlen an Festberichten auf und beschränkten sich zumeist auf die Kommentierung der Feier. Es lässt sich allerdings für Nordamerika keine eindeutige Zuordnung zwischen atheistischantiklerikaler Zustimmung und religiöser Ablehnung der Schillerfeier ziehen. Der Katholizismus und die protestantische Orthodoxie zeigten sich zwar in einigen ihrer Publikationen ablehnend oder ignorierten die Feiern gleich ganz.

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Tatkräftige Unterstützer aber fand die Feier in liberalen, rationalistischen und Reform-Gemeinden der protestantischen Christen und im Reformjudentum. Mit dem Pastor der progressiv-liberalen Smithfield-Gemeinde in Pittsburgh, Carl Walther, und dem Vorkämpfer für das liberale Reformjudentum in den USA, Rabbi Isaak M. Wise in Cincinnati, traten zwei Geistliche sogar als zentrale Festredner auf. Wise scheute sich dabei keineswegs, das Rednerpodium beim zentralen Festakt in Cincinnati mit dem führenden Antiklerikalen Friedrich Hassaurek zu teilen. Besondere Beachtung fand in der inhaltlichen Kommentierung der amerikanischen Schillerfeier durch die deutschsprachige Presse die Wirkung der Feier auf die Amerikaner. Sie wurde allgemein als groß und positiv beschrieben, in diesem Sinne galt die Feier als ein Erfolg. Als Voraussetzung für diesen Erfolg wurde die zumindest temporäre Einheit und Einigkeit der Feiernden gedeutet, in der die Deutschen eine übergeordnete Gemeinsamkeit auf dem Gebiet des Geistes und der Bildung zum Ausdruck gebracht hätten, die sämtliche im Alltag gegenwärtigen Differenzen überstrahle. Auch in diesem Sinne galt die amerikanische Schillerfeier den Printmedien als Erfolg.

IV.

Zur medialen Konstruktion des Nationalen Es ist der Geist, der sich den Körper baut1405

Die Schillerfeiern in Europa und Nordamerika wurden von bürgerlichen Festkomitees organisiert und durchgeführt. Unter den Komiteemitgliedern war das jeweilige städtische Bildungsbürgertum zahlreich vertreten. Politisch lassen sich die Festorganisatoren mehrheitlich der demokratischen und liberalen Fraktion zurechnen, unter den Komiteemitgliedern befanden sich sowohl in Europa als auch in den USA viele ehemalige Revolutionäre von 1848 und Unterstützer der Nationalbewegung. Die Komitees entwarfen ein Festprogramm, das im Rahmen der jeweils vorhandenen Möglichkeiten eine ein- bis mehrtägige Schillerfeier vorsah. Während die Festorganisatoren in den USA ihre Vorstellungen ohne Einschränkungen und Restriktionen durch Regierungsbehörden umsetzen konnten, mussten sich die Komitees in Europa mit den Behörden vor Ort abstimmen. Öffentliche Festelemente wie Festumzüge, Versammlungen oder Volksfeste waren hier unter Umständen genehmigungspflichtig oder wurden mit Auflagen versehen. Da die Festorganisatoren den Festraum inhaltlich vorstrukturierten, fielen hier auch die Entscheidungen über die Wortbeiträge, die im Verlauf der jeweiligen Feier platziert wurden. Neben den Theatern, die im Rahmen der Programmgestaltung ebenfalls Prologe oder Festreden in den Ablauf der Festveranstaltungen integrieren konnten, waren es somit vor allem die Festkomitees, die das Wort in der Schillerfeier vergaben. Neben den Vorträgen, Festliedern und Gedichten fand die inhaltliche Deutung des Festes und seines Gegenstands vornehmlich in den Spalten der Zeitungen statt. Der Einfluss der Komitees war hier zwar grundsätzlich begrenzt, jedoch gelang es fast überall, eine oder mehrere Zeitungen zu integrieren, indem Journalisten als Mitglieder in das Komitee aufgenommen wurden. Auf diese Weise konnten vielerorts Zeitungen und Zeitschriften in die Festplanungen eingebunden werden, die dann zentrale Funktionen in der Kommunikation der Festplaner übernahmen, etwa durch die Veröffentlichung von Bekanntmachungen der Komitees. Zugleich wurden durch die Mitwirkung von Journalisten 1405 Friedrich Schiller : Wallensteins Tod, 3. Akt, 13. Szene.

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in den Festkomitees Versammlungsöffentlichkeit und (massen-)mediale Öffentlichkeit strukturell zusammengeführt. Die Zeitungen wirkten über ihre Vertreter in den Komitees an der Gestaltung dessen mit, worüber sie anschließend berichteten. Da, wo im Anschluss an die Schillerfeiern lokale Festgeschichten verfasst wurden, gingen diese in der Regel ebenfalls aus dem Kreis der Festorganisatoren hervor. Hier lässt sich der von Ute Schneider formulierte Zirkelschluss eindeutig bestätigen: Da die Initiatoren und Organisatoren der Schillerfeiern einen großen Teil der Kommunikationskanäle dominierten, strukturierten sie auch die Inhalte der über diese Kanäle laufenden Kommunikation. Die Festorganisatoren bestimmten zunächst die Sprecher und die Inhalte der jeweiligen lokalen Festkommunikation, die in Festreden, Prologen, Festliedern und Gedichten zum Ausdruck kam. Die »embedded journalists« zugeneigter Zeitungen trugen die Deutungen und Bekanntmachungen der Komitees in die (massen)mediale Öffentlichkeit und kommentieren somit das von ihnen mitgestaltete Festgeschehen. In der retrospektiven Betrachtung der Veranstaltungen fassten schließlich Festhistoriographen, erneut aus dem Kreis der Komitees, unter Hinzuziehung dieser Berichterstattung das Geschehen noch einmal für die Nachwelt zusammen und dokumentierten die Wortbeiträge zur jeweiligen Feier. Auf diese Weise entstand in der Tat ein weitgehend geschlossenes Diskursfeld, in dem die Sicht der Festinitiatoren eine ausgesprochen hohe Dominanz einnahm. Zugleich entstand dabei ein enorm breites und zugleich dichtes Quellenkonvolut, das diese Sicht in die Historiographie hineintrug und damit die Deutung der Schillerfeier von 1859 als Nationalfest tradierte und bis heute beeinflusst. Zwar gab es sowohl in der Kommentierung des Festgeschehens in der zeitgenössischen Presse als auch durch Gegenpublikationen, wie in der kleinen Festgeschichte von Lyser in Hamburg, Stimmen, die eine andere Sicht auf die Schillerfeier darlegten. Diese waren allerdings in der Minderheit und konnten gegen die publizistische Wucht, mit der die Schillerfeier von Seiten ihrer Befürworter dokumentiert wurde, wenig ausrichten. Ute Schneider kritisiert an dieser Stelle, dass dieser mediale Diskurs zu stark verallgemeinert und verabsolutiert werde und verweist auf die großen Teile der Bevölkerung, die an der Schillerfeier mitnichten beteiligt waren und dieser kritisch bis ablehnend entgegentraten. Aus diesem Grund könne auch nicht von einem Nationalfest im Sinne tatsächlicher Allgemeinheit gesprochen werden.1406 Grundlage dieser Kritik ist der zumindest implizite Glaube, dass die Nation eine faktische Integration aller behaupteten Mitglieder zu leisten habe. Die Nation geht in dieser Sicht der Nationalfeier voraus und das Nationale an der Schillerfeier wird gemessen am Grad der Beteiligung derjenigen, die der Nation zu1406 Schneider 1995a, 1995b.

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geschrieben werden. Wenn dann eine signifikante Anzahl derjenigen, die prae festum der Nation zugerechnet wurden, nicht an der Feier teilnimmt, ist es nur folgerichtig, die Schillerfeier nicht als Nationalfest gelten zu lassen. Das würde aber auch bedeuten, dass es so etwas wie die Nation gibt.

Die Schillerfeier – ein Nationalfest? Ein vergleichender Blick auf die verschiedenen Schillerfeiern des Jahres 1859 scheint diese Einschätzung Schneiders zunächst zu bestätigen: Ein größerer Teil der jeweiligen städtischen Bevölkerung nahm nicht an den Feiern teil. Akteure beider Konfessionen und des konservative Lagers verhielten sich zurückhaltend bis ablehnend und schlossen sich teilweise selbst von der Gestaltung und der Teilnahme an den Schillerfeiern aus. Die Feste wurden in der Tat fast überall von Achtundvierzigern, Liberalen, Demokraten oder Sozialisten veranstaltet und die Nationalbewegung bemühte sich nach Kräften, das Fest zu politisieren und in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. Eine zum Teil hohe Exklusivität schloss an mehreren Festorten soziale Unterschichten, zum Teil auch bürgerliche Mittelschichten von einer Teilnahme an der Feier aus, insbesondere da, wo es keine frei zugänglichen, öffentlichen Festelemente gab. Doch selbst unter den Festbefürwortern gab es erhebliche Unterschiede in der Deutung des nationalen Charakters der Feier. Die Unschärfe des Nationsbegriffs aber auch der universal deutbare Friedrich Schiller ermöglichten nicht nur jedem Festort, einen eigenen Diskurs über die Gestalt des Nationalen und die Deutung des Dichters und seiner Werke zu führen, zum Teil war es sogar möglich, in unterschiedlichen Versammlungsöffentlichkeiten in ein und derselben Stadt verschiedene Nationsbilder zu adressieren. Solange sich die Feiernden als Teile der deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft definieren konnten, war ein Anschluss an die Festnation der Schillerfeier möglich. Die spezifische Ausdeutung dessen, was unter dieser Nation zu verstehen sei, konnte deutlich differieren. Sie war auch nicht von herausragender Bedeutung für die Integration der einzelnen Festorte in die nationale Festgemeinschaft.

Printmedien als Organisationsinstrument Zeitungen und Zeitschriften erfüllten wesentliche Funktionen bei der lokalen Organisation und Durchführung der Schillerfeiern in Europa wie in den USA. Sie dienten als Organisationsinstrument für die Festorganisatoren vor Ort, indem sie regelmäßig Sitzungs- und Probentermine, Bekanntmachungen, Hinweise und Ankündigungen der Komitees und Subkomitees sowie die Festprogramme

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der städtischen Feste veröffentlichten. Auf diese Weise wurde der Verlauf der Planungen öffentlich protokolliert und auch denjenigen eine Einsicht in den Stand der Festvorbereitungen ermöglicht, die nicht als Mitglieder den Komitees angehörten oder als Gäste an deren Sitzungen teilnahmen. Die lokale Presse erleichterte durch die Veröffentlichung organisatorischer Details die Vorbereitung und Durchführung der Feiern erheblich. Sie gewährleistete damit nicht nur den Informationsfluss unter den zum Teil mehreren Dutzend Mitgliedern der Festkomitees, die sich oft in verschiedenen Untergruppen organisierten, sie sorgte auch dafür, dass die Schillerfeier im Gespräch blieb und erzielte auf diese Weise indirekte Werbeeffekte. Die Komitees schalteten in diesem Sinne Anzeigen, versorgten die örtlichen Printmedien aktiv mit Informationen oder nahmen Redakteure von Zeitungen in die Festkomitees auf, um einen direkten Informationsfluss zu befördern. Lokale Geschäftsleute nutzten die Presse darüber hinaus, um auf ihre Dienstleistungs- oder Warenangebote zur Schillerfeier hinzuweisen. Hierzu gehörten kleinere Festivitäten, Bankette und Bälle in Gasthäusern oder Lokalen, Festdekoration und Feuerwerkstechnik, aber auch Bücher, Sonderdrucke, Bilder, Gedenkmünzen bis hin zu kreativen Angeboten wie Schiller-Würste, Schiller-Bonbons, Schiller-Zigarrenspitzen, Schiller-Toast, Schiller-Hemden, Schiller-Seife oder Schiller-Torten.

Vertikale Vernetzungen – explizite Erzählungen von der Nation Die Feiernden in den Schillerfeiern wurden auf doppelte Weise diskursiv mit der Nation vernetzt: vertikal und horizontal. Mit vertikaler Vernetzung lässt sich die erinnerungskulturelle Bezugnahme auf Friedrich Schiller und die Geschichte der deutschen Nation im Schillerfest bezeichnen. Sie fand ihren Ort vornehmlich in den Festreden, den ausführlichen und deutenden Artikeln der Festberichterstattung sowie der Festhistoriografie. Friedrich Schiller wurde dabei im Hier und Jetzt der Feiernden vor allem als Projektionsfläche adressiert – wie auch die Geschichte der deutschen Nation insgesamt. In den in den Schillerfeiern weit verbreiteten Niedergangsgeschichten des Alten Reichs im 18. Jahrhundert, die in die napoleonische Besatzungszeit mündeten und die deutsche Nation in Abgrenzung und Feindschaft zu Frankreich begründeten, wurde direkt an Themenfelder des gegenwärtigen Nationsdiskurses im Jahr 1859 angeschlossen: - die Wahrnehmung Frankreichs als Bedrohung, verstärkt durch die Person Napoleon III. als Nachkomme Napoleon Bonapartes, - die Wahrnehmung mangelnder Einheit in den deutschen Staaten als Schwäche gegenüber äußeren Feinden,

Vertikale Vernetzungen – explizite Erzählungen von der Nation

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- die Wahrnehmung italienischer Einheit auf dem Weg zum Nationalstaat als Stärke und Inspiration für die deutsche Nationalbewegung. In diesem Kontext erfolgte auch der Anschluss an die Werke des Dichters, insbesondere an Wilhelm Tell. Die vertikale Vernetzung erfolgte auf der sozialen wie der zeitlichen Ebene: Sozial durch Integration und Imagination aller Sozialschichten als Mitglieder der nationalen Gemeinschaft, zeitlich durch die Erinnerung an die historische Person Friedrich Schiller und deren funktionale Einbindung in die gegenwärtige Vergemeinschaftung in Form der Schillerfeier sowie eine sich verstetigende, fortwährende, zukünftige Vergemeinschaftung hin zur deutschen Nation in einem deutschen Nationalstaat. Die Erinnerung an den Dichter in der Schillerfeier begründete dabei die nationale Gemeinschaft und diente zugleich als Beweis ihrer realen Existenz. Das von Heinrich Beta inszenierte und in der Gartenlaube veröffentlichte, der Schillerfeier im Londoner Kristallpalast vorausgehende Kinkelfest in London lässt sich als Matrix oder Muster deuten. Beta erzählt die Vereinigung der widerstreitenden Deutschen in London, um einen Dichter (hier Kinkel) zu feiern. Trotz aller Differenzen gelingt in dieser Erzählung die Vereinigung der unterschiedlichen Fraktionen im Interesse des gemeinsamen Ziels und führt dazu, dass die Deutschen in London erstmals als eine Gemeinschaft agieren. Betas Geschichte vom Kinkelfest in London dient damit als Empfehlung dafür, auch in der Schillerfeier im Interesse gemeinsamer Ziele zu handeln bzw. über die Konzentration auf eine konsensfähige Person (hier Schiller) alle Differenzen zurückzustellen. Bei Beta wie in der Schillerfeier insgesamt verschränkte sich Vergangenheitsdeutung aus Gegenwartsbedürfnissen mit einem hoffnungsvollen Blick auf zukünftiges Handeln als Nation. Indem Schiller und seine Zeit in der Schillerfeier funktional für den deutschen Nationsdiskurs erzählt wurden, wurden die Feiernden vertikal mit einer spezifischen Deutung von Vergangenheit verknüpft, die Antworten auf Gegenwartsfragen bereitstellte und zugleich zukünftiges Handeln hinführend auf die deutsche Nationsbildung implizierte. Geschichte erscheint also auch in der Schillerfeier als »ein ereignishafter zeitlicher Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart (mit einem Ausblick in die Zukunft), der durch seine Repräsentation in Form einer Erzählung Sinn und Bedeutung für die Orientierung der gegenwärtigen Lebenspraxis hat«.1407 Der nationale Diskurs lässt sich nicht hegemonial für alle Schillerfeiern behaupten und weicht von Festort zu Festort zuweilen stark voneinander ab. Während etwa in Hamburg kulturnationale Bezüge auf die gemeinsame deut1407 Jörn Rüsen: Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft, Köln u. a. 2013, S. 46.

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sche Sprache, Literatur und Kultur überwogen, war in Wien auch eine stark staatsnationale Perspektive vorhanden. Je stärker die künstlerisch-literarische Atmosphäre einer Schillerfeier ausgesprägt war, desto stärker entpolitisiert wurde sie wahrgenommen. Das gilt für Wien gleichermaßen wie für Paris, aber auch für München – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Während die Deutschen in Paris wohl auch aus Gründen der politischen Zurückhaltung in einem Jahr erhitzter politischer Diskussionen über Frankreichs europapolitische Ambitionen das Künstlerische stärker in den Vordergrund hoben und der König in München angesichts seiner bayerischen Nationalisierungspolitik einen deutschnationalen Diskurs eher ablehnte, sah man sich in Wien der Problematik ausgesetzt, dass einerseits die staatsnationale und nationalpolitische Vormachtstellung in Deutschland nicht aufgegeben werden wollte und sollte, andererseits das Nationalitätenprinzip die Habsburgmonarchie erschütterte und kulturell wie politisch zunehmend auseinanderdriften ließ. In Wien zeigte sich besonders deutlich, dass das Nationalitätenprinzip eben gerade nicht notwendig integrativ wirken musste, sondern – das war auch eine Lehre der politischen Entwicklung in Italien – vielmehr eine Bedrohung für die Integrität Österreichs darstelle. Bei der Wiener Schillerfeier mussten insbesondere am Hof Rücksichten auf ganz unterschiedliche und wachsende nationale Befindlichkeiten auch im Inneren genommen werden. Während hier einerseits erneut eine politische Führungsrolle in einem noch zu bildenden Nationalstaat Deutschland beansprucht wurde, bemühte man sich in einem im Nachhinein hilflos wirkenden Versuch zugleich, über das übernationale Integrationsprinzip der Fürstenliebe, das sowohl beim Fackelzug als auch beim Festbankett zum Ausdruck kam, unabhängig von Sprache, Nationszugehörigkeit, Religion oder sozialer Herkunft des Einzelnen eine anschlussfähige Gemeinsamkeit für die gesamte Bevölkerung der Habsburg-Monarchie zu finden. Außerhalb der deutschen Staaten Mitteleuropas lässt sich der auch dort sich vollziehende, auf den ersten Blick jedoch weniger offensichtliche Identitäts- und Gemeinschaftsdiskurs besonders gut verdeutlichen. Hier wurde die gemeinschaftsbildende und -stärkende Funktion der Feiern für die Deutschen als Minderheit in einer nicht-deutschen Stadt besonders betont. In Paris und in London sollten diese in der und über die Feier vereint und – so möglich – auch längerfristig als Gemeinschaft zusammengeführt werden. Beide Feiern hatten die explizite Aufgabe, die lokalen deutschen Communities zu vereinen und bei ihren Mitgliedern ein größeres Bewusstsein für deren nationale Zu- und Zusammengehörigkeit zu evozieren. Diese Zusammengehörigkeit sollte einerseits der Mehrheitsgesellschaft am Festort, andererseits aber auch gegenüber der alten Heimat verdeutlicht werden. Neben der lokalen Funktion der Gemeinschaftsbildung wurde mit der aktiven Beteiligung an den Schillerfeiern hier also auch der Wunsch verbunden, die Feiernden in den deutschen Staaten Mittel-

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europas daran zu erinnern, dass auch außerhalb dieser Staaten noch Mitglieder der nationalen Gemeinschaft existierten – zum Teil gewollt, oft aber auch im Exil und damit zwangsweise weit entfernt von ihren heimatlichen Festorten. Auch in den USA war die Selbstpräsentation und Selbstvergewisserung in der und durch die Schillerfeier von herausragender Bedeutung. Sie sollte einerseits dazu beitragen, die vielerorts landsmannschaftlich sich organisierenden deutschen Migranten und ihre Nachkommen als Deutsche zusammenzuführen und durch Herausbildung eines Zusammengehörigkeitsgefühls eine stärkere Selbstbehauptung in der Mehrheitsgesellschaft zu ermöglichen. Zugleich konnte in der Schillerfeier der Wert dieser Gemeinschaft über künstlerische Veranstaltungselemente präsentiert und kommuniziert werden. Deshalb sorgten die Festorganisatoren hier auch überall dafür, dass sprachliche Inhalte wie Reden oder Gedichte durch Übersetzungen den englischsprachigen Besuchern zugänglich gemacht wurden. An den Festreden in Cincinnati zeigt sich auch die hohe Zielgruppenabhängigkeit der Deutungsangebote zum Schillerfest und warum es sinnvoll ist, den Versammlungsraum der Akteure und ihr kommunikatives Handeln vor Ort genauer in den Blick zu nehmen. Hier konnte innerhalb eines städtischen Kontext gezeigt werden, dass die Versammlungsöffentlichkeit in der face-toface-Kommunikation der Feier selbst als zentraler Produktionsort kollektiver nationaler Identität anzusehen ist.

Horizontale Vernetzungen – implizite Erzählungen von der Nation Die vertikale Vernetzung der Feiernden über erinnerungskulturelle Erzählungen und Deutungen des Dichters Friedrich Schiller und der deutschen Nation wurde ergänzt durch die horizontale Vernetzung der Feiernden in der Festberichterstattung. Anders als bei den Festreden oder den deutenden Artikeln und Kommentaren in den Zeitungen oder der Festhistoriographie wurde die Nation in der horizontalen Vernetzung der Feiernden durch die Festberichterstatung nicht explizit erzählt. Sie wurde in einer vermeintlich konstativen Berichterstattung vielmehr implizit als Handlungsgemeinschaft repräsentiert und darüber auch erzeugt. Die gegenüber der expliziten Nationserzählung für den nationalen Diskurs eher versteckte Funktion der Medien lag somit darin, die einzelnen Festorte der dezentral durchgeführten Schillerfeiern durch die fortlaufende Festberichterstattung zu vernetzen. Fast täglich wurden die Leser darüber informiert, welche Städte, Ortschaften oder Regionen sich auf den 10. November vorbereiteten, was sie planten, welche Schwierigkeiten oder Besonderheiten es an den einzelnen Festorten gab und mit welchen Widerständen die Komitees zu kämpfen hatten.

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Diese Festberichterstattung konnte umfangreich sein und in längeren Artikeln detailreich die Festaktivitäten darlegen und kommentieren oder in kleinen bis kleinsten Statusmeldungen die reine Partizipation einer Ortschaft an der sich immer weiter ausweitenden Festgemeinschaft zur Kenntnis geben. Die horizontale Vernetzung der einzelnen Festorte ließ sich bei allen Städten nachweisen und wurde am Berliner Beispiel besonders ausführlich dargestellt. Hier zeigte sich, dass die politische Ausrichtung einer Zeitung für die Abbildung der national gedeuteten Handlungsgemeinschaft in der Schillerfeier nicht ausschlaggebend war – sie wirkte sich lediglich auf den Umfang der Berichterstattung aus sowie auf die Tendenz der inhaltlichen Deutung Schillers und der Festorganisatoren. Dass hier liberale und nationale Periodika mit großer Nähe zu den Festorganisatoren und der Nationalbewegung eine besonders extensive Festberichterstattung an den Tag legten, mag nicht verwundern. Doch selbst die gegenüber öffentlichen Schillerfeiern besonders ablehnend eingestellte Kreuzzeitung, die einen vergleichsweise moderaten Festraum in ihrer Festberichterstattung abbildete, war an dessen Konstituierung beteiligt. Trotz der distanziertkritischen Haltung bildete damit auch die Kreuzzeitung durch ihre und in ihrer Berichterstattung eine überlokale und überregionale Handlungsgemeinschaft ab, die sich zum Zweck der Feier organisierte und aktivierte. Und damit war auch die konservative Kreuzzeitung daran beteiligt, ein mediales Netz zwischen unterschiedlichen Festorten zu spannen, sie in ihrer Berichterstattung zu vereinen und als einen mehr oder weniger umfangreichen überlokalen und überregionalen Festraum abzubilden. Über diesen wurde den Lesern eine synchron handelnde, im Fest vereinte Gemeinschaft vor Augen geführt, als dessen Teil (oder Gegner) sie sich fühlen konnten. Unabhängig davon also, wie umfangreich die Berichterstattung von einem bestimmten Festort war – sie bildete immer die Teilhabe des Berichtsortes an der allgemeinen Schillerfeier ab. Wie die Freudenfeuer auf den umliegenden Hügeln im Nationalfest von 1814 signalisierten diese Berichte, die oftmals aus der bloßen Aufzählung von Programmen bestanden, dass es auch an anderen Orten Schillerfeste geben würde, dass die Menschen dort mit dem gleichen Ziel handelten, wie die Menschen hier. Auf diese Weise wurden die konkreten Handlungsräume der Zeitungsleser miteinander vernetzt und verwoben. Eine Bedingung hierfür war eine größtmögliche Aktualität in der Berichterstattung und eine hohe Periodizität der Zeitungen. Der Anschluss an die eingangs skizzierte mediale Vernetzung im Nationalfest von 1814 wurde in der Schillerfeier auch ganz direkt adressiert. So nahmen etwa die Berliner Nationalzeitung und die Ostdeutsche Post in Wien den Vorschlag der Frankfurter Zeitung aus dem Oktober 1859 auf, »an einem Abende des Festes von allen Höhen des weiten schönen Vaterlandes, durch alle seine Gauen allem Volke

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sichtbar leuchtende Flammenzeichen« entzünden zu lassen.1408 Die Feuer von 1814, die nach der Frankfurter Zeitung auch 1859 zum Einsatz kommen sollten, sollten also erneut die Nation als Handlungsgemeinschaft sichtbar und über die mediale Vernetzung ihrer Partizipanten wahrnehmbar machen. Die Zeitungen konstituierten mit dem Schillerfestraum zugleich das Bild einer nationalen Handlungsgemeinschaft, die sie einerseits abbildeten, zugleich aber auch erst herstellten. Erst durch sie wurde es möglich, sich nicht nur als Teil einer überregionalen Gemeinschaft zu empfinden oder vorzustellen, sondern diese auch zu erleben. Die Abbildung der Nation in den technischen Verbreitungsmedien könnte grundsätzlich und wesentlich zur »Nationalisierung der Massen« (George L. Mosse) im 19. Jahrhundert beigetragen haben. In den Zeitungen und durch sie wurden die konkreten Lebenswelten der Zeitungsleser und ihr unmittelbares Handlungsfeld in einen überregionalen Kontext und untereinander verknüpft. Fernere Handlungsräume wurden durch zunehmende Geschwindigkeiten in der Nachrichtenübermittlung und erhöhte Periodizität immer mehr zu tagesaktuell erfassbaren Lebenswelten. Die Erfahrung der Zugehörigkeit zur medial konstituierten Festgemeinschaft, die über lokale Diskurse und Zeitungskommentare als nationale Gemeinschaft gedeutet und definiert wurde, ermöglichte dabei die Aufladung lokalen Handelns mit nationaler Bedeutung. Das im konkreten Handlungsfeld der historischen Akteure stattfindende Handeln erhielt so eine zusätzliche Bedeutung, die über den lokalen Kontext hinauswies, diesen aber nicht aufhob. Auf diese Weise wurde es möglich, lokale und regionale Identitäten zu bewahren und mit nationalen Bedeutungsinhalten zu verschmelzen. Weil die lokalen und regionalen Spezifika in der medialen Vermittlung größtenteils marginalisiert wurden, musste zwischen den sich vernetzenden Orten kein Ausgleich gefunden werden, bestand keine Notwendigkeit, divergierende Nationsvorstellungen untereinander zu verhandeln und auszugleichen. Die besonders im Hamburger Schillerfest stark diskutierte Frage der Synchronizität der Einzelfeiern, die angesichts des lokalen Bußtages in Hamburg für den 10. November in actu unterbunden wurde, zeigt, dass dank der horizontalen Vernetzung der Festorte in der Festberichterstattung eine synchrone Teilnahme und Teilhabe am Schillerfest für die Repräsentation in der medial-nationalen Festgemeinschaft nicht ausschlaggebend war. Hamburg etwa war Teil dieser virtuell-medialen Gemeinschaft – auch wenn vor Ort am 10. November kein Schillerfest abgehalten werden konnte. Diese Teilhabe wurde auch verbürgt durch die regelmäßige Berichterstattung von den fortgesetzten Bemühungen der Hamburger Festorganisatoren, Verbote einer Feier am 10. November, Eingaben an den Senat und schließlich die dreitägige Hamburger Schillerfeier im An1408 Nationalzeitung, 18. Oktober 1859 (Morgenausgabe), Ostdeutsche Post, 16. Oktober 1859.

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schluss an den Dichtergeburtstag – auch wenn vor Ort ganz offenkundig (noch) Widerstände zu überwinden waren. Für eine Integration in den medialen Handlungsraum waren also nicht nur der politische Standpunkt der einzelnen Zeitungen und ihre Haltung zur Schillerfeier von geringer Relevanz, um die Nation als Handlungsgemeinschaft im Fest zu repräsentieren. Die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft wurde sogar hergestellt, wenn eine ereignishafte und zeitlich synchrone Teilnahme am Fest nicht oder nur eingeschränkt möglich war. Anders als beim Nationalfest von 1814, wo ein nicht brennendes Feuer automatisch auch die Wahrnehmbarkeit eines Festortes als Teil der Festgemeinschaft unterbunden hätte, konnte in der Schillerfeier über die Vor- und Nachberichterstattung die Teilhabe eines Festortes auch dann repräsentiert sein, wenn vor Ort Schwierigkeiten in der Durchführung auftraten. Wichtig war grundsätzlich nicht, was an einem Ort geschah (oder wann), oder wie das Geschehen durch die unterschiedlichen Redaktionen gedeutet wurde, sondern dass etwas geschah. Die einzelnen Festorte wirkten in den Spalten der Zeitungen wie mediale Leuchtfeuer und signalisierten vorrangig eines: Auch hier wird im Namen Schillers gehandelt, auch dieser Ort ist Teil der Gemeinschaft. Während die Deutung des Dichters und seiner Werke oder die Feiern selbst stark von lokalen Diskursen und den jeweiligen Versammlungsöffentlichkeiten vor Ort abhingen, dampfte die Festberichterstattung die spezifischen Deutungskontexte zusätzlich ein. Die Komplexität der lokalen Festorganisation und der damit verbundenen Diskurse und Aushandlungsprozesse ging in der medialen Vermittlung weitgehend verloren. Dies konnte insbesondere am Beispiel St. Louis aufgezeigt werden, wo lokale Streitereien aus Anlass der Schillerfeier zwar einen erneuten Höhepunkt erlebten, sich auf die mediale Repräsentation der Stadt in der Festberichterstattung aber keineswegs hinderlich auswirkten, auch wenn hier sogar Mitglieder des örtlichen Schillerkomitees kurzweilig darauf drangen, die Versammlungsöffentlichkeit des Komitees und die mediale Öffentlichkeit der widerstreitenden Zeitungen in St. Louis voneinander zu trennen, um dem eigentlichen Fest nicht zu schaden. Gleiches gilt für die Schillerfeier in Cincinnati, die in der Innensicht mit sehr unterschiedlichen Deutungen von Festgegenstand und der Feier selbst aufwartete, in der Außendarstellung jedoch auf die reine Teilhabe am Schillerfest reduziert wurde. Wie schon bei den Freudenfeuern von 1814 die lokalen Begebenheiten in der äußeren Repräsentation der Festorte durch das Feuer zurückblieben, waren auch in der Schillerfeier von 1859 die Bedingungen vor Ort für die mediale Repräsentation von untergeordneter Bedeutung. Die Marginalisierung lokaler Vorkommnisse wurde dabei durch die Periodizität der Zeitungen beeinflusst. Während Tageszeitungen in der Regel umfänglicher über die Festplanungen und

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-aktivitäten vor Ort berichteten und zum Teil als Pfeiler der Festorganisation fungierten, waren Wochenzeitungen in der Darstellung der Details eher zurückhaltend – zum Teil mangels Platz, zum Teil wegen der schnell schwindenden Aktualität dieser Berichte, zum Teil sicherlich auch wegen der mangelnden Bedeutung für diejenigen Leser, die in größerer Entfernung zur Stadt lediglich die Wochenausgabe bezogen und für die eine unmittelbar die Festorganisation betreffende Informationsweitergabe nicht interessant war. Es ist anzunehmen, dass es sich bei der horizontalen Vernetzung der Festorte in der Presse um eine Technik handelt, die nicht notwendig an die Nation gebunden sein muss. Dies lässt sich am Beispiel der Stuttgarter Feier veranschaulichen. Hier bestätigte sich durch das Zusammenspiel von städtischer, regionaler und nationaler Identität in der Schillerfeier einerseits, dass die Nation andere Identitäten nicht ablöst, sondern vielmehr im Zusammenspiel verschiedener Identitäten erst entsteht.1409 Andererseits weist die regionale Festberichterstattung der Schwäbischen Chronik darauf hin, dass über die medial gestützte Vernetzung von überlokalen und überregionalen Handlungsgemeinschaften grundsätzlich ein Beitrag zur Herausbildung kollektiver Identitäten geleistet werden kann. Vieles spricht m. E. dafür, dass auch hier auf medialer Ebene ein territorialer und identitärer Integrationsprozess abgebildet wird, der unterhalb der nationalen Ebene eine regionale Einheit repräsentierte und zugleich herstellte. Ein ähnlicher Befund lässt sich aus dem medialen Festraum der deutsch-amerikanischen Schillerfeier in den USA ableiten, der einerseits technisch begrenzt war, andererseits durch die Erzählung der gemeinsamen Migrationsgemeinschaft die ansonsten eher landsmanschaftlich organisierten Einwanderer aus den deutschen Staaten Mitteleuropas und ihre Nachkommen zusammenführte. Die Zeitungen verzichteten in der horizontalen Vernetzung darauf, sämtliche Schillerfeiern in die Festberichterstattung aufzunehmen. Große und wichtige Städte waren grundsätzlich in allen Zeitungen repräsentiert. Darüber hinaus griffen die Zeitungen auf Verallgemeinerungsformeln zurück, um auf weit über die räumliche Enge der eigenen Spalten hinausweisende Festaktivitäten zu verweisen. Das Mittel der repräsentativen Auswahl mittlerer und kleiner Festorte oder die Verdichtung auf ganze Regionen oder Länder sorgte ebenfalls dafür, dass den Lesern eine in ihrer Gänze nicht fassbare, weil weit ausufernde Teilnahme und Teilhabe an der Schillerfeier vermittelt wurde. Gleichzeitig wurden die Berichte von Festaktvitäten dazu genutzt, die Organisatoren vor Ort zu mehr Engagement zu bewegen oder eine Festplanung überhaupt erst zu initiieren. Ganz im Sinne der von Bernhard Endrulat in 1409 Vgl. u. a. Alon Confino: The nation as a local metaphor. Württemberg, imperial Germany, and national memory 1871 – 1918, Chapel Hill 1997.

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Hamburg hervorgehobenen Aufgaben der Presse wurde die Konkurrenz mit anderen Festorten geschürt, indem das Zurückbleiben des eigenen Ortes gegenüber den Aktivitäten andernorts bemängelt und kritisiert wurde. Auch hier zeigt sich, dass zwischen einer ereignishaften Ebene der einzelnen Schillerfeiern und der medial repräsentierten Schillerfeier als Nationalfest nicht sinnvoll unterschieden werden kann, da sich beide Ebenen von Beginn an wechselseitig durchdrangen und aufeinander einwirkten.

Synchronizität – die Nation als Handlungsgemeinschaft im Hier und Jetzt In der medial repräsentierten Schillerfeier wurden die unterschiedlichen lokalen Lebenswelten der einzelnen Festorte verdichtet und auf einen Punkt konzentriert, wodurch ein erhöhter Eindruck von Synchronizität im Handeln der Gemeinschaft vermittelt werden konnte. Die Nation als Handlungsgemeinschaft wurde durch die dezentrale Schillerfeier in der medialen Vernetzung unmittelbar sichtbar und damit auch konkret erfahrbar. In den Zeitungen konnten die Leser »lernen«, dass sie Teil einer übergeordneten Handlungsgemeinschaft waren. Auf diese Weise trugen alle berichtenden Medien zur Nationalisierung ihrer Leser bei, indem sie diese in das nationale Handlungsfeld integrierten, über das sie vordergründig lediglich berichteten. Aus diesem Grund ist es auch problematisch, Ereignisse »im Spiegel« von Medien zu betrachten. Medien spiegeln keine Ereignisse, sie konstruieren sie oder tragen zumindest zu ihrer Konstruktion bei. Die Synchronizität konnte auf verschiedenen Ebenen als zentrales Element der nationalen Vergemeinschaftung identifiziert werden. In Hamburg wurde Synchronizität als Problem des nicht-synchronen Handelns mit der Nation durch ein lokales Feierverbot am 10. November diskutiert. Hier wurde durch die zeitgenössische Festhistoriografie retrospektiv die Reintegration Hamburgs in die nationale Handlungsgemeinschaft realisiert, indem vor allem die Innerlichkeit als synchrone Teilhabe am nationalen Feiern hervorgehoben wurde. In der nordamerikanischen Schillerfeier konnte das Vorhaben des Festkomitees in Philadelphia, alle deutsch-amerikanischen Feiern durch das gemeinsame Singen des »Festliedes der Deutschen in Amerika« performativ zu vereinen nicht realisiert werden. Doch auch wenn mangels musikalischer Untermalung das ursprüngliche Vorhaben nicht zustande kam, wurde durch das Freiligrath-Gedicht ein gemeinsames Element für die nordamerikanischen Schillerfeiern bereitgestellt. Verbunden mit der Feier selbst und den in Festreden und Kommentaren ausgeführten Erzählungen von der Gemeinsamkeiten der Migrationserfahrung

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der Deutschen in Amerika trug auch der Freiligrath-Text dazu bei, dass sich erstmals in der Schillerfeier von 1859 eine deutsch-amerikanische kollektive Identität herausbildete, die über die Festberichterstattung der deutsch-amerikanischen Presse medial gestützt und befestigt wurde.

Technisch bedingte Grenzen der Vergemeinschaftung? Ebendiese erstmalige breite Artikulation einer eigenständigen deutsch-amerikanischen Identität ist eine Besonderheit der Schillerfeiern in den USA. Während sich auch die Feiernden hier als Teil der weltweit verstreuten deutschen Sprachgemeinschaft empfanden, etablierte sich unterhalb dieser sehr allgemeinen Gemeinsamkeit (v. a. vor dem Hintergrund der vielen deutschen Dialekte, die in den USA durch das Pennsylvania German noch um eine Variante ergänzt wurden) ein spezifisch deutsch-amerikanischer Deutungsrahmen, der die hinsichtlich ihrer regionalen Herkunft, Konfessionalität und politischen Haltung divergenten Deutschen unter dem Begriff der Migrationserfahrung vereinte. Hierzu gehörte etwa die Erfahrung des Fremdseins in einem unbekannten Land und einer ungewohnten Sprachumgebung, der Genuss von politischen Freiheiten, für die viele Deutsche in Europa lange und vergebens gekämpft hatten aber auch die Erfahrung von Fremdenhass und Anfeindungen durch die Mehrheitsgesellschaft. Die Schillerfeier bot den Deutschen in Amerika die Möglichkeit, sich gegenüber ihren Mitbewohnern als Träger einer Hochkultur zu präsentieren, weshalb man hier auch besonderen Wert darauf legte, dass die Wortbeiträge übersetzt und die Amerikaner möglichst zahlreich an der Feier beteiligt wurden. Über diesen unmittelbaren Effekt hinaus erfuhren die deutschen Communities in der Festberichtestattung der deutsch-amerikanischen Presse, dass es in den USA rund 100 Feiern zum Geburtstag des Dichters gegeben hatte – die Deutschen in Amerika nahmen sich dadurch als Gemeinschaft war und wurden in die Lage versetzt, sich als Teil einer großen und in der Union verteilten Gruppe zu empfinden. Die rasante Entwicklung des deutschamerikanischen Journalismus in den 1850er Jahren hat hierfür die technischen Voraussetzungen geschaffen, indem die Zahl der deutschsprachigen Zeitungen sich in den Jahren vor der Schillerfeier rasant ausgeweitet und auch die Periodizität der deutschen Zeitungen sich im Zuge technischer Neuerungen und dank einer zuwanderungsbedingten Nachfragesteigerung erhöht hatte. Erst die Vernetzung der deutsch-amerikanischen Zeitungen setzte diese technisch in die Lage, einen konsistenten Handlungsraum in einer fortlaufenden wechselseitigen Berichterstattung abzubilden. In der Schillerfeier ermöglichte die Vernetzung der deutsch-amerkanischen Communities durch die Medien die Herausbildung einer deutsch-amerikanischen Identität.

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Auch wenn der Wunsch nach einer kommunikativen Anbindung an den deutschen Festraum in Europa bestand – die technische Situation im Jahr 1859 erlaubte es nicht, die beiden Festräume zu verkoppeln. Die technischen Bedingungen der Nachrichtenübermittlung ermöglichten zwar eine zeitnahe Berichterstattung von den Schillerfeiern innerhalb der Union – die transatlantische Berichterstattung war 1859 jedoch noch immer durch das Fehlen einer funktionierenden Telegrafenverbindung zwischen den Kontinenten eingeschränkt. Es lässt sich angesichts der fehlenden kommunikationstechnischen Anbindung nicht klären, ob sich die Deutschen in Amerika auch bei einer tagesaktuelleren Berichterstattung aus und nach Europa als deutsch-amerikanische Gemeinschaft empfunden, oder ob sie den kommunikativen Anschluss an die alte Heimat gesucht hätten. Es ist aber auffällig, dass die beiden kontinentalen Festräume eine durchschnittliche Nachrichtenübermittlungszeit zwischen den einzelnen Festorten von drei bis vier Tagen aufwiesen, während die transatlantische Nachrichtenübermittlung mehrere Wochen in Anspruch nahm. Ist die besonders in Hamburg eingeforderte Synchronizität im Handeln nur dann als gemeinschaftskonstituierendes Moment funktionabel, wenn sie von den Beteiligten weitgehend tagesaktuell wahrgenommen werden kann? Auf kontinentaler Ebene jedenfalls waren die technischen Voraussetzungen für die Etablierung eines annähernd tagesaktuellen Mediennetzwerks 1859 durchaus gegeben. Hier war es möglich, eine zeitgleich handelnde überregionale Gemeinschaft medial zu repräsentieren. Die Schillerfeier als mediale Zusammenführung und Amalgamisierung der zahlreichen einzelnen Schillerfeiern erwies sich auf beiden Seiten des Atlantiks als kontinental begrenzt.

Die Nation ist ein Ereignis Die konstruktivistische Nationalismusforschung geht davon aus, dass die Nation (gemeinhin verstanden als kollektive Identität, nicht als Staat) ein Produkt sozialer Kommunikation ist und also in und durch Kommunikation hergestellt wird. Primärer Ort der Nationsproduktion ist aus dieser Sicht die Versammlungsöffentlichkeit, in der die Kommunikation als face-to-face-Austausch ihren Ort findet. Versteht man die Versammlungsöffentlichkeit als Produktionsort der Nation, die in ihm versammelten Akteure als ihre Produzenten und deren Kommunikation als Akt ihrer Produktion, dann wird darüber zugleich auch die Ereignishaftigkeit der Nation behauptet. Die Nation, so ließe sich hier festhalten, ereignet sich in der Kommunikation, sie ist Ereignis. Die konstruktivistische Nationalismusforschung kann von performanztheoretischen Überlegungen profitieren. Wenn es die Handlungen von Akteuren sind, die Bedeutung und Sinn im Moment des Äußerns oder Aufführens erst

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herstellen, dann ist auch die kollektive Identität Nation ein Produkt des kommunikativen Handelns dieser Akteure. Dieser Ansatz radikalisiert die konstruktivistische Perspektive der Nationalismusforschung: Die in Performances hergestellten Bedeutungen sind singulär und bezogen auf die jeweils spezifische Kommunikationssituation. Sie sind höchst fragil und es bedarf der permanenten zitatmäßigen Wiederholung, um einen Eindruck von Stabilität oder Natürlichkeit zu erzeugen. Aus dieser Sicht konstruiert jede Versammlungsöffentlichkeit ihre eigene Nation. Es ist daher wenig sinnvoll, im Bereich von kollektiven nationalen Identitäten von der Nation zu sprechen, vielmehr sind es die Nationen, die in unterschiedlichen Kommunikationsräumen verhandelt und darüber konstituiert werden. Damit sich eine Versammlungsöffentlichkeit als Teil einer über sie hinausreichenden Gemeinschaft verstehen kann, muss das Konzept Nation ausreichend offen und anschlussfähig sein und darf keinen eng gefassten identitären Exklusivitätsanspruch erheben. Dass Letzteres nicht der Fall ist, ist konnte auch in dieser Arbeit bestätigt werden: Die Nation ist stets eine von vielen Identitäten. Sie wird stets situativ mit anderen Identitäten (Religion, regionale Zugehörigkeit, Geschlecht, Klasse usw.) verknüpft.

Die Nation ist ein Medienereignis Nationalfeiern sind kommunikative Groß- oder Schlüsselereignisse, in denen es vornehmlich um die Nation geht. Wichtige Quellen zur Erschließung von Nationalfesten im 19. Jahrhundert sind Zeitungsberichte und zeitgenössische Memorialpublikationen. Indem die historiographische Rekonstruktion der Nationalfeste sich vornehmlich auf diese Quellen stützt, lässt sich zunächst festhalten: Das Ereignis Nationalfest ereignete sich in den Medien, es ist in diesem Sinne stets auch Medienereignis. Die Festberichterstattung lässt sich in einem ersten Schritt als konstativ fassen: Zeitungen und Zeitschriften berichten von der Festvorbereitung und – nach dem Ende der Feste – von deren Durchführung. Bei zentralen Nationalfesten bezieht sich die Berichterstattung auf einen zentralen Festakt. Bei dezentralen Nationalfesten wie den Schillerfeiern von 1859 berichten die Zeitungen auf gleiche Weise, jedoch von unterschiedlichen Festen. Diese Berichterstattung ist auf dem ersten Blick ebenfalls konstativ : Es wird gesagt, was passiert, die Zeitungen scheinen »die historischen Ereignisse so zu beschreiben, wie sie sich zugetragen haben«.1410 1410 Derrida 2003, S. 21.

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Zugetragen aber haben sich viele Einzelfeste, die erst in der Summe als Nationalfest verstanden werden können. Das Nationalfest selbst jedoch ist als Gesamtes nur über die Berichterstattung erfass- und erlebbar. Durch die Berichterstattung über viele zeitgleich stattfindende Feiern wird die nationale Handlungsgemeinschaft im Fest daher nicht nur abgebildet oder widergespiegelt, sie wird über diese hergestellt: Das Einzelfest wird in der medialen Vernetzung mit anderen Festen als Teil der überlokalen und überregionalen Festgemeinschaft konstituiert. Hier erscheint das Nationalfest als Medienereignis. Und da im Nationalfest die Nation als Handlungsgemeinschaft im Fest agiert, ist im Medienereignis Nationalfest auch die Nation mit aufgehoben. Die Imagined Community der Nation als kollektive Identität lässt sich daher grundsätzlich als Medienereignis verstehen, insofern sich die in ihr adressierte Gemeinschaft ausschließlich medial vermittelt. Das lokale Handeln der deutend sich in ihrem eigenen Handeln die Nation vergegenwärtigenden Akteure wird auf diese Weise nationalisiert.

Mediale Leuchtfeuer im Nationsdiskurs Nationsbildung findet auf vielen Ebenen statt – verwaltungstechnisch, politisch, sozial und, nicht zuletzt, medial. Am Beispiel der Schillerfeiern von 1859 lässt sich beobachten, wie die Printmedien im 19. Jahrhundert eine konstituierende Rolle im Nationsbildungsprozess einnahmen, indem sie nicht nur über die Nation berichteten, sondern sich unmittelbar an ihrer Konstituierung beteiligten. Während im Nationalfest von 1814 noch die unmittelbare Wahrnehmung von Freudenfeuern innerhalb des Wahrnehmungsfeldes der historischen Akteure dazu führte, dass sich die Festteilnehmer als Mitglieder einer überlokalen Gemeinschaft fühlen konnten, ermöglichten die Tageszeitungen Mitte des 19. Jahrhunderts bereits die Integration konkreter Handlungsräume in eine überregionale, nationale Gemeinschaft. Die technische Entwicklung hatte es innerhalb von wenigen Jahrzehnten möglich gemacht, die mediale Erfahrung von Zugehörigkeit zu einer abstrakten Gemeinschaft räumlich erheblich auszudehnen und trug damit zur Nationalisierung der Massen bei. Sie hob dabei den Unterschied zwischen den lokalen, inhaltlich in ihrer konkreten Ausprägung und ihrem Deutungsinhalt divergenten Schillerfeiern und der national gedachten, die Einzelfeiern integrierenden Schillerfeier im Kollektiv-Plural nicht auf, sondern trug dazu bei, beide Ebenen gleichberechtigt zu integrieren. In den Schillerfeiern von 1859 wurden viele deutsche Nationen verhandelt. Die Nation ist angesichts der großen Divergenz der in ihr zu vereinigenden Menschen auch darauf angewiesen, diese Unschärfe zu haben, um möglichst

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Vielen den Anschluss zu ermöglichen. Die technischen Bedingungen für diesen Anschluss stellten die Printmedien.

Quellen-, Literatur-, Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis

Ungedruckte Quellen Archiv der Bundespolizeidirektion Wien: Schillerfeier, 100-jähriger Geburtstag, div. Schriftverkehr, Schachtel 1851 – 1860. Landesarchiv Berlin – LAB A Rep. 000 – 02 – 01 Nr. 1621: Acta der Stadtverordneten-Versammlung zu Berlin betreffend: Die Feier des hundertjährigen Geburtstages Friedrichs von Schiller und die Errichtung eines Schiller-Denkmals. Landesarchiv Berlin – LAB A Pr. Br. Rep 030, Nr. 12948: Acta des königlichen PolizeiPräsidii zu Berlin betreffend die Feier des 100jährigen Geburtstags Schillers am 10ten November 1859. Landesarchiv Berlin – LAB A Pr. Br. Rep 030, Nr. 12949: Acta des königlichen PolizeiPräsidii zu Berlin betreffend die am 10. November 1859 bei Gelegenheit der Schillerfeier verübten Exzesse. Staatsarchiv Hamburg – StaHH 111 – 1 Senat Cl. VII Lit Ha Nr. 3, Vol. 68. Staatsarchiv Hamburg – StAHH 741 – 1 Handschriftensammlung 2877. Stadtarchiv München – StdA München Jahrbuch der königlichen Haupt- und Residenzstadt München von 1859 German Society of Pennsylvania, Philadlphia – GSP Protokoll der Incorporirten Deutschen Gesellschaft, 1859 bis 1860

Zeitungen, Zeitschriften Berliner Revue, Berlin. Kladderadatsch, Berlin. Königlich Preußischer Staats-Anzeiger, Berlin. Nationalzeitung, Berlin. Neue Preußische Zeitung, Berlin. Preußisches Wochenblatt, Berlin. Der Publicist, Berlin. Spenersche Zeitung, Berlin.

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Quellen-, Literatur-, Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis

Volkszeitung, Berlin Vossische Zeitung, Berlin. Fremdenblatt, Wien. Morgenpost, Wien. Die Presse, Wien. Österreichische Zeitung, Wien. Ostdeutsche Post, Wien. Der Telegraf, Wien. Wiener Zeitung, Wien. Hamburger Wochenblatt, Hamburg. Der Nachbar, Hamburg. Die Reform, Hamburg Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Corespondenten, Hamburg Neues Tagblatt, Stuttgart. Schwäbische Chronik, Stuttgart. Schwäbischer Merkur, Stuttgart. Staats-Anzeiger, Stuttgart. Über Land und Meer, Stuttgart Neue Münchener Zeitung, München. Süddeutsche Zeitung, München. Volksbote, München. Hermann, London. Daily News, London. Daily Telegraph, London. The Illustrated London News, London. The Times, London Pariser Zeitung, Paris La Patrie, Paris Le Pays, Paris Le SiÀcle, Paris Blätter für freies religiöses Leben, Philadelphia. Philadelphia Demokrat, Philadelphia Sonntagsblatt der Freien Presse, Philadelphia. Daily Evening Bulletin, Philadelphia. The Ledger, Philadelphia. The Liberator, Philadelphia. Philadelphia Evening Bulletin, Philadelphia. The Press, Philadelphia. Sunday Dispatch, Philadelphia.

Gedruckte Quellen

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Pittsburger Volksblatt, Pittsburgh. The Pittsburgh Daily True Press, Pittsburgh. Pittsburgh Dispatch, Pittsburgh. Pittsburgh Evening Chronicle, Pittsburgh. Pittsburgh Gazette, Pittsburgh. Pittsburgh Post, Pittsburgh. Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung, New York. New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal, New York. New Yorker Handelszeitung, New York. New Yorker Illustrirte Zeitung und Familienblätter, New York. New Yorker Staats-Zeitung, New York. New Yorker Staats-Zeitung (Wochenblatt), New York. Sociale Republik, New York. Cincinnati Daily Commercial, Cincinnati. Cincinnati Daily Gazette, Cincinnati. Cincinnati Enquirer, Cincinnati. Cincinnati Republikaner, Cincinnati. Cincinnati Volksfreund, Cincinnati. Protestantische Zeitblätter, Cincinnati. Wahrheits-Freund, Cincinnati. Mississippi Blätter, St. Louis. Der Friedensbote, St. Louis. Der Salon, St. Louis. St. Louis Tageschronik, St. Louis Westliche Post, St. Louis. Wöchentlicher Anzeiger des Westens, St. Louis. Atlas, Milwaukee. Banner und Volksfreund, Milwaukee. Täglicher Milwaukee Seebote, Milwaukee. Wöchentlicher Banner und Volksfreund, Milwaukee. Die Gartenlaube, Leipzig

Gedruckte Quellen Adler, C.: Hamburger Festzug zur Gedächtnisfeier des hundertjährigen Geburtstages Friedrich Schiller’s, den 13. November 1859, Hamburg 1859. Arndt, Ernst Moritz: Ein Wort über die Feier der Leipziger Schlacht, Frankfurt am Main 1813.

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Abkürzungsverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Schillerfeier ohne Schiller in Hamburg – Karikatur der »Reform« Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, A 1949 / 3669 Abb. 2 Der Historiograph der Hamburger Schillerfeier, Bernhard Endrulat Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, FX 89 Abb. 3 Das Schillerhaus in Marbach Stadtarchiv Stuttgart, 2137 Abb. 4 Die Schillerfeier im Londoner Kristallpalast Stadtarchiv Stuttgart, 2137 Abb. 5 Schillerfest im Pariser Cirque de l’Imp¦ratrice Stadtarchiv Stuttgart, 2137 Abb. 6 Schillerfest-Vereine in der Union Newspaper Collection, Missouri History Museum Abb. 7 Wilhelm Löwe Microform & Electronic Resources Center, Library of Congress, LC-AP .N55 Abb. 8 Die Schillerfeier im Cooper-Institut in New York Microform & Electronic Resources Center, Library of Congress, LC-Microfilm 02282 Abb. 9 Antonie Grahn krönt die Schiller-Büste in der New Yorker Academy of Music Microform & Electronic Resources Center, Library of Congress, LC-Microfilm 02282 Tab. 1 Auflagenhöhen Berliner Zeitungen 1859 Tab. 2 Anteil von Einwanderern aus deutschen Staaten in nordamerikanischen Staaten 1860 Tab. 3 Anteil von Einwanderern aus deutschen Staaten in nordamerikanischen Städten 1860

Abkürzungsverzeichnis ABPW ADB DBE GSP LAB NDB WBI

Bundespolizeidirektion Wien – Archiv Allgemeine Deutsche Biographie Deutsche Biographische Enzyklopädie German Society of Pennsylvania, Philadelphia Landesarchiv Berlin Neue Deutsche Biographie World Biographical Index

S. 146 S. 150 S. 171 S. 200 S. 218 S. 253 S. 262 S. 271 S. 288

S. 41 S. 224 S. 224

Personenregister

Alexandra Amalie von Bayern 177, 179 Althaus, Friedrich 201 Amelung, Captain (Pittsburgh) 292 f. Anneke, Fritz 365 Anneke, Mathilde Franziska 370 Anschütz, Carl 268 Appel, F. (Maurermeister, Hamburg) 122, 124, 133, 137 Ariost, Ludovico 270 Arndt, Ernst Moritz 18, 20 f., 67, 94, 103, 278, 382 Auerbach, Berthold 161 Auersperg, Anton Alexander Graf von 161 Auerswald, Rudolf von 48 Aufermann, Wilhelm 265 f., 273 August, Dr. Ernst Ferdinand 44, 46 Auw, Iwan van 265 Bach, Alexander 87, 108 Backofen, John G. 299 f., 302, 305 Badhauser, Franz Xaver 177 Balatka, Hans 362 f., 366 – 371 Bartels, J. R. 116, 127 – 130, 132 Barus, Carl 320 f. Bauer, Edgar 196 Bauer, Heinrich 298 f. Bauer, Karl Friedrich 298 f., 301, 306, 313 Bauer, Louis 206, 217 Baumeister, Hermann 116 Baumgardner, Jacob 324 Baumgartner, Andreas Freiherr von 99, 103

Becker, Gottfried 336 Becker, Philipp 238, 241 Becker, Rudolf Zacharias 20 Beethoven, Ludwig van 89 f., 115, 166, 181, 244, 268 f., 272 Begas, Reinhold 84 Behr, Dr. Alfred 339 Bergmann, Carl 268 Bernays, George J. 353 Bernays, Karl Ludwig 343 f. Bernhard (Buchhändler, New York) 267 Bertsch, Friedrich 320 Beta, Heinrich 192, 195 f., 199 – 201, 395 Bethmann-Hollweg, August von 48 Bimpage, Heinrich 344 Bismarck, Otto von 34, 36, 41 f., 46 Bläser, Gustav 46 Bleichröder, Gerson 46 Blind, Karl 195 f., 202 Blum, Dr. Ludwig 159, 160, 169 Blum, Robert 50, 65, 68, 72, 76, 121, 157, 182, 198 f., 241, 282 f., 294, 310, 352, 359 Böbel, Hans 367, 369 f. Bochkoltz-Falconi, Anna 207 Bodenstedt, Friedrich 178 – 180, 183 Bolton, Sarah T. 337 Börne, Ludwig 352 Börnstein, Heinrich 340, 342 – 349, 351 – 354, 357 Boyer, Philoxene 215 Brandis, Hermann M. von 261 Brandus, Gemmy 205 f., 217 Brater, Karl 182

430

Personenregister

Brooks, Charles T. 337 Brown, John 227 – 229, 243, 287, 331, 357 Bryant, William Cullen 270, 289 Buchanan, James 271 Bucher, Lothar 195 Buek, Dr. Gustav 116, 133, 137 Bunz, Dr. Karl Friedrich 170 Burns, Robert 197, 260, 324, 337, 339, 372 Bury, Blaze de 207

Eisenlohr, Gustav W. 315 Eisfeld, Theodor 268 Elben, Dr. Otto 34, 157 – 163, 165 – 170, 172, 175, 186 Endrulat, Bernhard 33, 116, 119 – 128, 130 – 133, 135 – 139, 141, 147 – 153, 155 f., 160, 186, 309, 401 Engler (Rektor, Stuttgart) 159 Erhart (Rektor, Stuttgart) 159

Carl Eugen (Württemberg) 157 Carlyle, Thomas 337 Carri¦re, Moritz 178 Charles, A. 295 Constans, Peter 320 Conway, Moncure D. 337 Cotta, Johann Friedrich 159, 161 Czartoryski, Adam Georg 100 Czartoryski, Konstantin Alexander 104

Faißt, Immanuel 159, 166 Fallersleben, Hoffmann von 119 Federer, Friedrich 159 Fendrich, Eduard 301 Fentsch, Eduard 177 Fessel, Dr. Christian 366 Finkel, Wilhelm 368 Fischer, Johann Georg 159, 161, 166, 170 Förster, Dr. Ernst 177 Fraas, Franz 233, 237 Franz Joseph I. 51, 84 f., 87 f., 92, 94 f., 104 f., 111 Fratny, Friedrich 364 Freiligrath, Ferdinand 196 f., 199, 202, 221, 229, 245, 247 – 249, 252, 255, 262, 286 f., 294 f., 310, 325, 337, 351, 354, 359, 370, 377, 381, 384 f., 402 f. Friedrich Wilhelm IV. 39 Fritz, Johannes 132 – 134 Fröhlich, August 320 Furness, William H. 239, 243 – 245

99,

Dahn, Friedrich 178 – 180 Daly, Charles P. 270 Dannecker, Johann Heinrich 205, 294 Dante Alighieri 270, 324 Dänzer, Carl 340, 342, 344 – 349 Dawison, Bogumil 204 f., 207 Denninger, J. J. 159 Dietz, Anton 180 Dietz, Wilhelm von 177 Dill, Theodor 116 Dingelstedt, Franz 161 Döhn, Dr. (St. Louis) 350 Döll, Heinrich 180 Domschke, Bernhard 363 – 366, 369 Dörr, Dr. Friedrich 119, 127 – 132, 140 Drexel, Francis M. 235 Duden, Gottfried 340 Duncker, Franz 43, 46, 65 Dürck, Friedrich 180 Eaton, Daniel L. 294, 306, 309 f. Eggers, Dr. (Berlin) 43 Ehlers, Dr. (New York) 266 Eichenlaub, Georg F. 319 Eichenlaub, Valentin 320, 322, 324 f.

Gang, Caspar 292 f. Gans, Daniel 237 Gerolt, Friedrich von 271 Gerstenberg, Isidor 196 Gervinus, Georg Gottfried 161 Glaubensklee, Theodor G. 267, 271 Gleichen-Rußwurm, Emilie von 33, 161, 165, 171, 336 Goethe, Johann Wolfgang von 198, 270, 324, 327, 332, 336, 352 Goluchowski, Agenor Romuald 87 Göpel, Karl 161 Görres, Joseph 20 Görtz-Wrisberg, Alfred 264

431

Personenregister

Graf, Edward 336 Grahn, Antonie 286, 288 Grillparzer, Franz 87, 95, 99 Groos, Carl Wilhelm 196 Grosholz, Wilhelm 234 f., 237 Gross, Friedrich 267 Grunert, Dr. Karl 159, 166 Guggenberger, Thomas 180 Gutbrod, Georg Gottlob von 159 f., 165 Guttenberg, Johannes 163, 325 Haas, Eugen 350 Hackländer, Friedrich Wilhelm Ritter von 159 f. Hafner, Dr. Joseph 266 Haimbach, Philipp 236 f., 252 Hallberger, Carl 261 Halm, Friedrich 94 Hammer, Dr. Adam 350, 353 Händel, Georg Friedrich 197, 337 Hänle, Leo 177 Hardtmeyer, Dr. Franz 293 Hartmeyer, Emil 156 Hassaurek, Friedrich 318, 324 – 327, 333, 377, 385, 389 Haupt, Frederick 301 f. Hauschild, Wilhelm 180 Hebbel, Heinrich 87 Hecker, Friedrich 317, 321 Hein, Julius 235, 238 Heine, Heinrich 352 Heintz, Jacob 265 Heller, Robert 156 Helmerich, Karl 320 Henry, Patrick 353 Herder, Johann Gottfried 103, 131, 270 Hertle, Daniel 343, 345, 353 Heß, Moses 211, 214 Heßner (Kreisrichter, Berlin) 52 Heydel (Bildhauer, Berlin) 46 Heydt, August von der 48 Hirschfeld, Rudolph 196 Hoffmann, John S. 235 Hoffmann, John W. 234 Hoffmann, Karl 32, 159 Hoffmann, Louis 320

Hölder, Julius 159 Homer 194, 249, 270 Hoym, Otto 267 Hübner, Josef Alexander von 66, 87 Hübschmann, Dr. Franz 364, 367 Hülsemann, Johann Georg 271 Humboldt, Alexander von 50, 66, 273, 324, 349 f., 352 – 354, 360 Hutten, Ulrich von 353 Irving, Washington

271

Jacobs, W. H. 367 Jahn, Friedrich Ludwig 18, 20 Jank, Christian 180 Jolly, Johann Philipp von 177 Juch, Ernst 196 Kaiser, Friedrich 94 Kalb, Johann de 352 Kalisch, Ludwig 205 – 207, 209 – 211, 217 Kapff, Sixtus Ludwig 265 Karl I. 158 Kellner, Gottlieb Theodor 235, 238, 245, 248, 252 Kempen Freiherr von Fichtenstamm, Johann 87, 108 f. Kemper, Jacob 234, 237 Kerwien, A. 269 Ketterlinus, Adolph 236 Ketterlinus, Paul 236 Kiderlen, William L. J. 237 – 239 King, Rufus 363 f. Kinkel, Gottfried 76, 191 – 202, 219, 395 Kinkel, Johanna 193 Kläbisch, Ludwig 269 Klauprecht, Emil 316, 325, 371 f. Klein, Dr. Charles 266 Klinksieck, Friedrich 206 Klopstock, Friedrich Gottlieb 270 Knauff, Adolph 294 Knoblauch, Eduard 45 f. Kobb¦, Wilhelm August 265 Kodweiß, Georg Friedrich 163 Kopp, Wilhelm 260 Koradi, Rudolph 236, 239

432 Koseritz, Louis 233 Kossuth, Lajos 305 Köstlin, August von 159 Krausnick, Heinrich Wilhelm 54 f. Kredel (Pfarrer, Pittsburgh) 306 Kribben, Christian 350 Kröll, August 315 Krüger, Frederick 268 Kücken, Friedrich Wilhelm 159 Kugelmann, G. (Buchdrucker, Paris) Kuhlaus, Friedrich 124 Kuhn, Dr. Adalbert 44 Kurz, Joseph 363

Personenregister

Ludwig I. 12, 176 f., 179 Luitpold von Bayern 177, 179 Luther, Martin 55, 120, 198 f., 242, 245, 282, 284, 289, 294, 310, 353, 359, 382

207

Lachner, Franz 178 – 180 Lad¦, Eduard 217 Lange, Adolph 298 Lange, Alexander 267 Laube, Heinrich 87 – 89, 92, 95, 99 – 101, 103, 269, 321, 351 Laudenberger, Martin 237 Lechner, Ferdinand 238, 290 Lehmann, Emil 117 Lehmann (Milwaukee) 373 Leins, Christian Friedrich von 159 f. Leitinger, Andreas 237 Lessing, Gotthold Ephraim 105, 245, 270, 324, 352 Lette, Dr. Adolf 45 Letzeiser, Wilhelm 265 Leutze, Emanuel Gottlieb 267 Lewald, Otto 45 Lexow, Friedrich 281 Lexow, Rudolf 260 Liebig, Justus 176, 178 Lindner, Otto 43, 46 Löhr, Adalbert 343 Lotichius, Ernst 267 Löw, Sigismund 299 Löwe, Dr. Franz Feodor 159, 161 f. Löwe, Dr. Wilhelm 261 – 263, 265 f., 270, 282 – 284, 310, 336 Löwenbach, B. (Tabakhändler, Milwaukee) 366 Ludwig, Gottlieb 295 Ludwig, Heinrich 260

Maaß, Otto 236, 238 f. Mahler, Jacob 362, 366 f. Maho, Jacques 207 Märcker, Dr. Karl Friedrich 45 f. Marcuse, Hermann 266 f. Marie von Preußen 177, 179 Marr, Heinrich 132 – 134, 137, 139 Marx, Karl 193 f., 196, 201, 206, 343 Matthäus (Polizeihauptmeister, Hamburg) 123 Maximilian II. Joseph 12, 175 f., 179, 182 McKee, Samuel 292 f. Meaubert, Adolf 237 Medicus, Gustav 177 Meier, Julius 123 Mendelssohn Bartholdy, Felix 89, 169, 205 Menzel, Adolph 46 Mertz, Philip R. 295, 300 Metternich, Germain Franz 264 f., 269 Meyer, Adolph 45 Meyer, Dr. Eduard 127 – 132, 138 Meyer, Dr. Jürgen Bona 115 – 117 Meyer, F. 302 Meyer, J. S. 119 Meyer, L. 267 Meyer, Moritz 34, 255, 258, 260, 265, 274, 276, 279, 291, 381 Meyer (Künstler, Pittsburgh) 294 Meyerbeer, Giaccomo 204 – 207 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de 324 Morgan, Edwin D. 271 Mörike, Eduard 159, 161 Morwitz, Eduard 234 – 236, 238 Mosenthal, Joseph 268 Mozart, Wolfgang Amadeus 166, 180, 272 Muckle, Mark Richards 235 Mügge, Dr. Theodor 45 f. Muhr, Dr. Herman A. 266 Müller, E. E. 43, 74, 268

433

Personenregister

Napoleon Bonaparte 20, 248, 284, 382, 394 Napoleon III. 11, 31, 189, 191, 194, 343, 382, 394 Nathan, Dr. Samson Philip 128 Neeb, Louis 298 f. Neeb, William 298 f. Negley, James S. 293, 306 Neuhaus, G. 206, 217 Neureuther, Eugen 180 Obach, Kaspar 159 f. Obermann, Karl 318 Offenbach, Jacques 207 Offenbach, Jules 207 Ogilvy, David 196 Oldenbourg, Rudolph 177 Ostheim, Moses 265 f. Ott, Christian 364 Otten, Georg Dietrich 115 Ottendörfer, Oswald 259 Otterbach, Dr. (Paris) 217 Otterburg, Dr. Salomon 206 Paine, Thomas 353 Pasdeloup, Jules 204, 207 Patow, Robert von 48 Pauer, Ernst 197 Paur, Agriol 268 Pechmann, Heinrich 180 Pelosi, Louis 363 Perfall, Karl Theodor Baron von 177 Petersen, Prof. Christian 127, 130 – 132, 139 Petsch, Albert 196 Petzl, Joseph 177, 180 Pfau, Ludwig 204 – 209, 211 Pfeiffer, Franz 99 – 102 Pfizer, Gustav 159 Pfordten, Ludwig von der 175 Philipp, Fredrick 237 Piloty, Carl Theodor von 180, 267 Pixis, Joseph Theodor 180 Piza, Dr. Joseph de Mose 128, 131 Pocci, Franz Graf von 177 Preetorius, Emil 345

Pulitzer, Joseph

345

Quaglio, Angelo

180

Radde, Wilhelm 34, 267, 269 Ramberg, Arthur von 180 Ramsperger, Dr. Gustav L. 266 Ranke, Leopold von 176 Raymond-Signouret, Paul 206 R¦e, Dr. Anton 116, 128 Reichard, Joseph M. 235 f. Reichenheim, Leonor 45 f. Reichspfarr, Charles 300 Reinhold (Apotheker, New York) 266 Reis, Charles F. 367, 369 Reiß, Philip 319, 324 Remak, Gustav 239, 244 f. Reuter, Fritz 233, 235, 237, 262 Reynolds, Thomas C. 352 Richter, C. Ludwig 276 Riederer, Karl Kaufmann 177 Riefstahl, Wilhelm 46 Riesser, Gabriel 116, 132 f., 135, 137, 139 Rietz, Julius 269 Romberg, Andreas 199, 230, 239, 244, 252, 295, 334, 367, 369, 372, 381 Röse, Frederick A. 235, 242 f. Rosenfeld, Dr. Albert 326, 332 f., 337 Rothenheim, Dr. Wolf 332 f. Rousseau, Jean-Jacques 18 f., 270, 324, 352 Rowley, T. A. 292 Ruby, Henry 298 Rückert, Friedrich 161 Ruge, Arnold 343, 351 f. Rumberg, Carl 235 Runkel, Dr. A. 156 Rustige, Heinrich 159 Saler, Franz Joseph 343 Saphir, Moritz Gottlieb 349 Schaible, Karl Heinrich 202 Scharfenberg, Wilhelm 268 Scharnhorst, Gerhard von 55, 121, 282, 310 Scheitlin, Anton 265 f.

434 Schiller, Elisabeth Dorothea 157 Schiller, Ernst Friedrich Ludwig Freiherr von 161 Schiller, Johann Caspar 157 Schiller, Johannes 163 Schleiden, Karl Heinrich 116, 127 – 129, 131, 133, 137 Schleinitz, Alexander von 48 Schmerling, Anton von 99, 103 Schmid, Hermann 179 Schmidt, Dr. Alexis 43, 77 Schmidt, F. 324 Schmitt, Nikolaus 235 – 237 Schödler, Caspar 237 Schöffler, Moritz 363 f. Schönke, Gustav 269 Schott, Albert 157, 161 Schrader, Dr. Julius 46, 273 Schramm, Karl 261 f., 269 f., 274 f., 290 Schröder, Sophie 179 Schubert, Franz 89 Schünemann-Pott, Friedrich 238 Schurz, Carl 192, 345, 365, 367, 370 Schuselka, Franz 88 f., 96 f., 99, 104 Schuselka-Brüning, Ida 205, 217 Schütt (Kommandeur der Hafenrunde, Hamburg) 123 Schütz, Friedrich Jacob 263 f. Schwarz, Rudolph 237 Schwarzenberg, Felix zu 85 Schwerin-Putzar, Maximilian von 48 f., 59, 64, 66 Schwind, Moritz von 180 Scriba, Victor 298 Seibert (Milwaukee) 369 Seiller, Johann Kasper Freiherr von 87, 92, 99 f. Seitz, Anton 177 Semler, Ludwig 267 Sentz, Carl 244 Shakespeare, William 244, 270, 324 Siebeneck, Joseph G. 300 f. Sigel (Stadtschultheiß, Marbach) 170, 236, 320 Sigel, Franz 236 Simon, Eduard 206

Personenregister

Simon (Maler, München) 180 Simons, Ludwig 48 Sobolewski, Eduard 369, 371, 381 Solger, Reinhold 257, 286 f., 382, 386 Speidel, Wilhelm 159, 165 St. Vincent, Armand de 364 Stallo, Johann B. 319, 321 Stauch, Edward 237, 244 Stein, Charles 235 Steuben, Friedrich Wilhelm von 352 Stiastny, Leonard J. 265 f., 269 Stifel, Charles G. 360 Streckfuß, Wilhelm 46 Strodtmann, Adolf 115 Sturn, Hermann 267 Sybel, Heinrich von 176 f., 181 Sydow, Adolf 54 f., 68 Thiele, A. F. 43 Thierry, Adolf von 87 Thomas, Friedrich W. 234 – 237 Thun, Franz von 99 f. Tiemann, Daniel F. 276 Tittel, Carl Gottlieb 123 Töpfer, Dr. Carl 156 Trübner, Nikolaus 196 Uhl, Anna 259 Uhland, Ludwig 169, 262 Ulex, Georg Ludewig 116, 137 Vilmar, August Friedrich Christian Vogt, Carl 357 Volckhausen, Carl 132 – 136, 139 Voltaire 352

82

Wagner, Richard 204, 244 f., 268 f., 365, 381 Wagner, Theodor von 159 Walcher, Karl 159 f. Walther, August 236 Walther, Carl 294 f., 301 f., 305 f., 310, 389 Walther, Carl Ferdinand Wilhelm 343 Wamosy, D. (Hamburg) 122 Washington, Adam 292

Personenregister

Washington, George 294, 352 Weber, Carl Maria von 205, 244, 272, 294, 369 Weber, John 268 Weber, Wilhelm 344 Wehl, Feodor 144, 156 Welsbach, Heinrich Alois Auer von 87 Werdermann, A. 128 Werner, Frederick J. 320, 322, 324 Wesendonck, Hugo 262 – 265, 269 Wettstein, Theodore 363 Wichmann, E. H. 128 Wieniawski, Henryk 199 Wieprecht, Wilhelm Friedrich 46 Wiesner, Adolf 263 f., 270, 284 f., 289 Wilde, August 320 Wilhelm, Dr. Hieronymus N. 266 Wilhelm I. (Preußen) 11, 40, 53, 55, 59, 79 Wilhelm I. (Württemberg) 158, 161, 165 f. Wilhelm von Österreich 92

435 Willich, August 195, 271 f., 316, 320 f., 326, 328 – 333, 377, 386 Winck, Ludwig 122 Windmüller, Jacob 268 Wise, Isaak M. 316, 324 – 326, 389 Wittig, Ludwig 269 Wolffson, Isaac 116, 137 Wolfsohn, Carl 237 Wollenweber, Ludwig August 233 – 236, 239 Woyte, H. 99, 101 f., 132 Zabel, Dr. Friedrich 43, 45 f. Zedlitz-Neukirch, Constantin Freiherr von 48 f., 65 f. Zenetti, Arnold 178 Zimmermann (Pfarrer, Pittsburgh) 306 Zimmermann, Wilhelm 168 Zitz, Franz Heinrich 265 Zündt, Ernst A. 368 Zwinger, J. August 301

Zeitungsregister

Anzeiger des Westens (St. Louis) 230, 274, 279, 334, 340, 342 – 347, 349, 351 – 358 Atlas (Milwaukee) 230, 365 – 372, 374 Augsburger Allgemeine Zeitung (Augsburg) 214, 263, 310, 335, 343, 358 Banner und Volksfreund (Milwaukee) 227, 363 f., 366 – 368, 370 f., 373 – 375 Berliner Revue (Berlin) 56 Blätter für freies religiöses Leben (Philadelphia) 238 Christlicher Apologet (Cincinnati) 315 Chronik der gebildeten Welt (Leipzig) 181, 191, 211 Cincinnati Daily Commercial (Cincinnati) 289, 325, 328, 336 f. Cincinnati Daily Gazette (Cincinnati) 289, 322, 324, 327, 336 f., 385 Cincinnati Enquirer (Cincinnati) 337 Cincinnati Republikaner (Cincinnati) 98, 271, 313, 316, 319 – 321, 323, 328 – 331, 333 f., 338, 341 Cincinnati Volksfreund (Cincinnati) 260, 313, 316, 319 – 326, 332, 334 f. Daily Evening Bulletin (Philadelphia) 242 Daily News (London) 199 Daily Telegraph (London) 199

Frankfurter Zeitung (Frankfurt am Main) 70 f., 398 f. Frank Leslie’s Illustrirte Zeitung (New York) 270 f., 276, 282 – 285, 288, 291 Freie Presse (Philadelphia) 233 – 236, 242, 250 f. Freiheits-Freund (Pittsburgh) 57, 291, 294, 298 – 301, 303 f., 306 – 310, 312 f. Freischütz (Hamburg) 156 Fremdenblatt (Wien) 90, 92, 94 f. Friedensbote (St. Louis) 355 Gartenlaube (Leipzig) 395

23, 192, 195, 200,

Hamburger Nachrichten (Hamburg) 143, 156, 214 Hamburger Wochenblatt (Hamburg) 115, 117 f., 143, 145, 156 Hermann (London) 191 – 199, 202 f., 219 Illustrated London News (London)

203

Kladderadatsch (Berlin) 41, 43, 52 Kreuzzeitung (Berlin) 39 – 44, 46, 52, 54, 63, 71, 76, 81 – 83, 185, 398 Kunstblatt (Berlin) 43 Liberator (Philadelphia) 243 Lutherischer Herold (Philadelphia) 289, 291 Milwaukee Sentinel (Milwaukee)

260,

363 f.

438 Mississippi Blätter (St. Louis) 348, 353 Morgenpost (Wien) 87 f., 90 f., 93 – 96, 98 f., 105, 108 f. Nachbar (Hamburg) 143, 156 Nationalzeitung (Berlin) 40 – 47, 49, 52 f., 63, 69 – 73, 83, 185, 195, 206, 398 f. Neue Münchener Zeitung (München) 178 – 180, 184 Neues Tagblatt (Stuttgart) 161, 166, 169, 173 New York Evening Post (New York) 270 New York Times (New York) 268, 289, 346 New Yorker Abendzeitung (New York) 260, 274 New Yorker Criminal-Zeitung und Belletristisches Journal (New York) 260, 274 – 277, 279 – 281, 283, 285 – 287, 291 f. New Yorker Demokrat (New York) 260, 274 New Yorker Handelszeitung (New York) 34, 258, 260, 265, 274 – 276, 291 f., 323 New Yorker Illustrirte Zeitung und Familienblätter (New York) 260, 262, 274 f., 280 New Yorker Staatszeitung (New York) 259 – 261, 276 – 279, 283 – 286, 289 – 291, 334 Ostdeutsche Post (Wien) 60, 87 f., 90 f., 93 – 96, 98, 105 – 109, 398 f. Österreichische Zeitung (Wien) 87, 105 f., 108 Pariser Zeitung (Paris) 191, 203 – 208, 210 – 217, 219 Patrie (Paris) 206, 208 Pays (Paris) 208 Philadelphia Demokrat (Philadelphia) 233 – 236, 238 – 240, 242 – 256, 276, 372 Philadelphia Evening Bulletin (Philadelphia) 289 Pittsburger Courier (Pittsburgh) 298 f. Pittsburger Republikaner (Pittsburgh) 298

Zeitungsregister

Pittsburger Volksblatt (Pittsburgh) 117, 121, 245, 285, 293 f., 298 – 300, 302 – 304, 306 – 313 Pittsburgh Daily True Post (Pittsburgh) 295 Pittsburgh Dispatch (Pittsburgh) 295 Pittsburgh Evening Chronicle (Pittsburgh) 293, 295 Pittsburgh Gazette (Pittsburgh) 293 – 295, 306 Pittsburgh Post (Pittsburgh) 294 Press (Philadelphia) 244 f. Presse (Wien) 87 – 91, 94 – 96, 99 f., 105, 107 – 110 Preußisches Wochenblatt (Berlin) 51 Preußische Zeitung (Berlin) 41, 43 Protestantische Zeitblätter (Cincinnati) 315, 335 f. Publicist (Berlin) 43 f., 50, 52, 55 f., 65 – 69, 72, 83 Public Ledger (Philadelphia) 235, 242 Reform (Hamburg)

117, 143 – 146, 156

Salon (Berlin) 339, 355 Schwäbische Chronik (Stuttgart) 160 – 163, 165 f., 169 f., 172 – 174, 186, 401 Schwäbischer Merkur (Stuttgart) 159 f., 167, 172 Seebote (Milwaukee) 364 – 367, 369 – 372, 374 f. SiÀcle (Paris) 208 Sociale Republik (New York) 236, 260, 273 – 275, 291 Spenersche Zeitung (Berlin) 40 – 44, 46, 55, 77 – 80, 83 Staats-Anzeiger für Württemberg (Stuttgart) 173 f. Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten (Hamburg) 156 St. Louis Tageschronik (St. Louis) 339 f., 343, 348, 350 – 354, 358 f. Süddeutsche Zeitung (München) 177 – 182 Sunday Dispatch (Philadelphia) 245

Zeitungsregister

439

Telegraf (Wien) 90, 94 Times (London) 51

Vossische Zeitung (Berlin) 40 – 44, 46, 52, 54 f., 67, 74 – 77, 83

Über Land und Meer (Stuttgart) 159, 170 f., 200, 218

Wahrheits-Freund (Cincinnati) 315, 336 Westliche Post (St. Louis) 230, 249, 254, 291, 295, 300, 339 f., 342 – 350, 352 – 354, 359, 368, 371 Wiener Zeitung (Wien) 87 f., 90, 94, 96, 100, 104, 109

Vaterstädtische Blätter (Hamburg) 156 Volk (London) 193 f. Volksbote für den Bürger und Landmann (München) 181 f. Volkszeitung (Berlin) 40 f., 43 f., 46, 48, 52 – 54, 58 – 64, 83, 155 f., 358

Zeitung für Norddeutschland (Hannover) 89