Zum Begriff der Gesetzesumgehung im materiellen Strafrecht und seiner Bedeutung für die praktische Anwendung des Rechts [1 ed.] 9783428537846, 9783428137848

Nach einer Bestandsaufnahme möglicher Umgehungshandlungen im deutschen Strafrecht geht Thomas Schröder im ersten Teil se

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 9783428537846, 9783428137848

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Schriften zum Strafrecht Heft 241

Zum Begriff der Gesetzesumgehung im materiellen Strafrecht und seiner Bedeutung für die praktische Anwendung des Rechts Von

Thomas Schröder

Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS SCHRÖDER

Zum Begriff der Gesetzesumgehung im materiellen Strafrecht und seiner Bedeutung für die praktische Anwendung des Rechts

Schriften zum Strafrecht Heft 241

Zum Begriff der Gesetzesumgehung im materiellen Strafrecht und seiner Bedeutung für die praktische Anwendung des Rechts

Von

Thomas Schröder

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-13784-8 (Print) ISBN 978-3-428-53784-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-83784-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Ich möchte mich herzlich für die vielfältige Unterstützung bedanken, die wesentlich dazu beigetragen hat, diese Dissertation fertigzustellen: Mein Doktorvater, Herr Professor Dr. Gerhard Dannecker, regte an, das Problem der Gesetzesumgehungen im Strafrecht zum Thema meiner Dissertation zu machen. Mit den Herren Professoren Dr. Fritz Loos und Dr. Peter Rackow sowie Herrn Dr. Alexander Thiele konnte ich auf sehr hilfreiche Weise über Probleme meiner Arbeit diskutieren. Frau Dr. Pia Lange und Herr Dr. Michael Fuhlrott lasen die Arbeit gründlich Korrektur. Die Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützte mich großzügig durch ein Promotionsstipendium. Frankfurt am Main, im Dezember 2012

Thomas Schröder

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 A. Zur Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Vorrangigkeit einer abstrakten Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Induktion versus Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Ein vorläufiger Umgehungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Die allgemeine Strafrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Umgehungsnormen im Allgemeinen Teil des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Die Organ- und Vertreterhaftung, § 14 III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Die selbständige Strafbarkeit der Beteiligten, § 29 StGB . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Die Bekämpfung des „Reichenprivilegs“ in § 5 Nr. 9 StGB . . . . . . . . . . . . . 38 2. Die Erschleichung von Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) Die Notwehrprovokation als klassischer Fall der Normerschleichung? – Zur Notwendigkeit, die vorläufige Begriffsbestimmung von gesetzesumgehendem Verhalten fortzuentwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 aa) Die absichtliche Notwehrprovokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (1) Die Absichtsprovokation als Problem des Allgemeinen Teils . . . . . . 47 (2) Die Absichtsprovokation als Fall der Erschleichung . . . . . . . . . . . . . 48 (3) Subsumtion unter den Begriff der Erschleichung im Einzelnen . . . . 49 (a) Die Streitfragen bei der Absichtsprovokation . . . . . . . . . . . . . . . 49 (b) Konkretisierungsbedarf des Umgehungs-/Erschleichungsbegriffs 51 (aa) Objektive Elemente des Täterverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . 52 (bb) Subjektive Elemente des Täterverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . 53 (cc) Der Erfolg der Umgehungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (dd) Der Argumentationsaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 bb) Die „sonst schuldhafte“ Herbeiführung einer Notwehrlage . . . . . . . . . . 68

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Inhaltsverzeichnis b) Die Erschleichung eines rechtswidrigen, bindenden Befehls . . . . . . . . . . . . . 71 c) Die actio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Die Streitfragen um die actio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Relevanz der Streitfragen für die Einordnung der actio libera in causa als Fall der Umgehung bzw. Erschleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (1) Die absichtliche actio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (a) Die Unvereinbarkeitsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (b) Das Ausnahmemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (c) Die Tatbestandslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (2) Die einfach vorsätzliche und fahrlässige actio libera in causa . . . . . 89 II. Der Besondere Teil inklusive des so genannten Nebenstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Steuerhinterziehung und Steuerumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Voraussetzungen der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 aa) Die Abgrenzung von Scheinhandlungen (§ 41 II AO) und Steuerumgehung (§ 42 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der strafbaren Steuerumgehung gemäß § 370 AO in Verbindung mit § 42 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Die Steuerumgehung als strafrechtliche Umgehungshandlung . . . . . . . . . . . 101 aa) Vorliegen der objektiven Umgehungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Vorliegen möglicher subjektiver Umgehungselemente . . . . . . . . . . . . . . 108 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Das Zollstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Der „Ameisen“- und anderer Zigarettenschmuggel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Der Kaviarfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Die Subventionserschleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Voraussetzungen der Strafbarkeit wegen Subventionsbetrugs in Verbindung mit dem Vorliegen einer Subventionserschleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Die strafbare Subventionserschleichung als strafrechtliche Umgehungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 c) Subventionserschleichungen im Zusammenhang mit dem Investitionszulagengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4. Die so genannte faktische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

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5. Die Verschleierung von Sacheinlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Die gesellschaftsrechtliche Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Die strafrechtliche Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 6. Umgehungen des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 a) Zum Endverbleib von Rüstungsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Zur Zusammensetzung von Warensendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 7. Progressive Kundenwerbung, § 16 II UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 8. Straftaten im Zusammenhang mit der Vermeidung des deutschen Gesellschaftsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Das deutsche Gesellschaftsstatut und die europäischen Grundfreiheiten . . . 149 aa) Urteil im Fall „Centros“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 bb) Urteil im Fall „Überseering“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 cc) Urteil im Fall „Inspire Art“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 dd) Konsequenzen der europäischen Rechtsprechungsentwicklung für das nationale Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Konsequenzen für das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 aa) Anwendbarkeit deutschen Strafrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 bb) Umgehung deutschen Strafrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 9. Nutzung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis bei Entziehung der inländischen Fahrerlaubnis und Ablauf der Sperrfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 10. Die Rechtsmissbrauchsklausel für das Umweltstrafrecht, § 330d Nr. 5 StGB . . 165 11. Umgehung eines Berufsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 12. Die Additionsklausel im Wuchertatbestand, § 291 I S. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . 168 13. Betrug, § 263 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 14. Computerbetrug, § 263a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 15. Erschleichung von Leistungen, § 265a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 16. Das so genannte Raubkopieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 17. Das „Leerspielen“ von Spielautomaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 18. „Verschleierte“ Umgehungsstrafgesetze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 19. Weitere, von Stöckel beschriebene Sachverhalte; insbesondere die Ersatzhehlerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

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C. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I. Die Gesetzesumgehung als Problem der Normgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 II. Umgehungen und Erschleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Scheinhandlungen und Scheingeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 IV. Wissenschaftliche und rechtstatsächliche Relevanz der Problematik . . . . . . . . . . . . 184 V. Zum Erfolgskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 VI. Mehraktigkeit der Umgehungshandlung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 VII. Identität der Umgehungsproblematik für jede Deliktsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 VIII. Die Verwendung des Umgehungs- und Erschleichungsbegriffs durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 IX. Problemfälle für die Feststellung einer normzweckverletzenden Handlung . . . . . . . 190 X. Offene Fragen zum Umgehungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Das Verhältnis der Gesetzesumgehung zu verwandten Begriffen . . . . . . . . . . . . 191 2. Subjektivität bzw. Finalität des Umgehungsbegriffs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Bisherige Begriffsbildungen zur Umgehung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Stöckel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Tiedemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Nippoldt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 4. Bruns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 5. von Burchard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 6. Pohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 7. Vogel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 8. Reisner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Zum Verständnis der Umgehung in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Zum Verständnis der Umgehung in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 9. Der Begriffskern weiterer Umschreibungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

Inhaltsverzeichnis

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II. Ein Seitenblick auf die Behandlung der Gesetzesumgehung im Zivilrecht . . . . . . . 213 1. Teichmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Westerhoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Sieker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 4. Benecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 III. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Die Gesetzesumgehung als eigenständiges Rechtsinstitut . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2. Sinn- und Zweckwidrigkeit der Tatbestandslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3. Verwandtschaft zur Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 4. Die Ungewöhnlichkeit bzw. Künstlichkeit des Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 5. Verwandtschaft zum Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 6. Der Sachverhaltsdurchgriff und die faktische Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . 235 7. Die subjektive Seite der Gesetzesumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 8. Die (rechtspolitische) Bewertung der Gesetzesumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 IV. Entwicklung eigener Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs . . . . . . . . 243 1. Mögliche Zwecke einer Umgehungsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Die Gesetzesumgehung als Fall der zweckwidrigen Nichtanwendbarkeit einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) Die „teleologische Lücke“ als gemeinsames Fundament aller Umgehungsumschreibungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 aa) Methodologische Bewertung der teleologischen Reduktion . . . . . . . . . . 246 bb) Gesetzesumgehung als Lücke der Norm oder der Rechtsordnung? . . . . 246 b) Inhaltliche Kriterien für die Bestimmung einer „teleologischen Lücke“ . . . . 248 aa) Die Kritik Westerhoffs an der Lückenterminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 bb) Das Fehlen von Kriterien zu der Umgrenzung des Begriffs der „teleologischen Lücke“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 cc) Die „teleologische Lücke“ definierbar als Fall gleicher Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 dd) Mittelbare Erträge aus der Erörterung des Strafwürdigkeits- und des Strafbedürftigkeitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (1) Zur Trennbarkeit von Strafwürdigkeits- und Strafbedürftigkeitserwägungen für den Umgehungszusammenhang . 251 (2) Umgehungswertung und Strafwürdigkeitswertung . . . . . . . . . . . . . . 253

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Inhaltsverzeichnis ee) Die „teleologische Lücke“ als einzelfallabhängige Begutachtung des von der jeweiligen Strafnorm intendierten Rechtsgutsschutzes und seiner Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (1) Echte Gesetzesumgehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (2) Sonderfälle: Die Gesetzesumgehungen auf Rechtswidrigkeitsund Schuldebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (3) Scheinbare Gesetzesumgehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (4) Gesetzesumgehung trotz Fehlens einer teleologischen Lücke? . . . . . 256 c) Die Eignung der „teleologischen Lücke“ zur abschließenden Bildung des Umgehungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 3. Die Gesetzesumgehung – ein Fall des Rechtsmissbrauchs? . . . . . . . . . . . . . . . . 260 4. Kennzeichnung der Gesetzesumgehung als künstliches Verhalten . . . . . . . . . . . 263 a) Deskriptive Funktionen des Künstlichkeitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 aa) Das Moment der Ungewöhnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (1) Notwehrprovokation und actio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (2) Weitere Gesetzesumgehungen ohne Ungewöhnlichkeitscharakter . . 266 (3) Zur Tauglichkeit des „Ungewöhnlichkeits-Urteils“ in den vergleichsweise eindeutigen Sachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 bb) Die besondere Aktivität des Täters im Vorfeld der strafrechtlich relevanten Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Beweisrechtliche Funktionen des Künstlichkeitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . 272 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 5. Die subjektive Seite der Gesetzesumgehung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Aus dem geltenden Recht ableitbare Mindestvoraussetzungen für jede Umgehung des materiellen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 aa) Subjektive Mindestvoraussetzungen für den Rechtsfolgenkontext der Gesetzesumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) Subjektive Mindestvoraussetzungen für den deskriptiven Kontext der Gesetzesumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) Weitergehende subjektive Merkmale der Gesetzesumgehung im Strafrecht . 277 aa) Besondere subjektive Umgehungsmerkmale im Rechtsfolgenkontext . . 279 (1) Auseinanderfallen von Umgehungsziel und Handlungsziel . . . . . . . 279 (2) Das Verhältnis der Umgehungsabsicht zu sonst im StGB formulierten Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (3) Umgehungsabsicht als das Ziel, normzweckwidrig zu handeln? . . . 280

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(4) Besondere subjektive Merkmale als Erfordernis eines schuldprinzipkonformen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (a) Besondere subjektive Merkmale auf Rechtswidrigkeits- und Schuldebene und im sonstigen Kernstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 283 (b) Besondere subjektive Merkmale im so genannten Nebenstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (c) Zu der Vorhersehbarkeit staatlicher Strafe bei der Steuerumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (5) Strafbegründende subjektive Umgehungsmerkmale? . . . . . . . . . . . . 292 bb) Besondere subjektive Umgehungsmerkmale im deskriptiven Kontext . . 294 (1) Der rechtsfolgenorientierte Umgehungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (2) Idealtypische Umgehungsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (3) Zu den fehlenden Grundlagen für eine Entscheidung zwischen dem rechtsfolgenorientierten und einem idealtypischen Umgehungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 E. Relevanz und Tauglichkeit des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 I. Der grundsätzliche Beurteilungsspielraum des Richters bei der Rechtsfindung . . . . 300 II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 1. Die Auswirkungen der Auslegungszielbestimmung auf den Umgehungstopos . 303 a) Die so genannte subjektive Auslegungszielbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 304 b) Die so genannte objektiv-teleologische Auslegungszielbestimmung . . . . . . . 305 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 aa) Bindet Art. 103 II GG an die „subjektive“ Auslegungszielbestimmung? 311 bb) Binden Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip an die „subjektive“ Auslegungszielbestimmung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 cc) Vom Nutzen der Wortlautgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 dd) Konsequenzen der freien Methodenwahl in der Rechtsprechung für die Gesetzesumgehung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 2. Die Gesetzesumgehung und die Auslegung von Art. 103 II GG . . . . . . . . . . . . 320 a) Zur Einschränkbarkeit des Gesetzlichkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 aa) Naturrechtliche Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 (1) Die Rechtsprechung zu der Strafbarkeit der so genannten Mauerschützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

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Inhaltsverzeichnis (2) Übertragung auf den Umgehungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . 328 (a) Materiale Gerechtigkeitserwägungen für die Gesetzesumgehung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 (b) Zurückweisung jedes überpositiven Einschränkungsansatzes . . . 333 bb) Verfassungsrechtliche Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 (1) Einschränkung durch Verwirkung von Grundrechten . . . . . . . . . . . . 334 (2) Einschränkung durch teleologische Reduktion des Art. 103 II GG . 334 (3) Einschränkung von Art. 103 II GG im Wege praktischer Konkordanz 336 (a) Stellungnahme zu der verfassungsimmanenten Einschränkung von Art. 103 II GG für die Tötungshandlungen an der innerdeutschen Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 (b) Stellungnahme zu der verfassungsimmanenten Einschränkung von Art. 103 II GG für den Umgehungszusammenhang . . . . . . . 342 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 b) Grenzen der Gesetzesumgehung aus Art. 103 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 aa) Erfassungsmöglichkeiten für den richterlichen Rechtsanwender durch das bestehende Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 (1) Die Gesetzesumgehung als allgemeines Rechtsinstitut . . . . . . . . . . . 349 (2) Restriktive Auslegung und Gegenanalogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 (3) Die faktische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 (4) Übernahme von Analogien aus dem außerstrafrechtlichen Vorfeld der Strafnorm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 (5) Besonderheiten für den Allgemeinen Teil des StGB? . . . . . . . . . . . . 354 bb) Möglichkeiten zur Erfassung durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . 361 (1) Der Sinn des Bestimmtheitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 (2) Das relative Verständnis von Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 (a) Die gegen einen rigorosen Bestimmtheitsmaßstab angeführten Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 (b) Die durch die Rechtsprechung zugelassenen Relativierungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 (c) Positionen des Schrifttums zum Bestimmtheitsgrundsatz und seinen Relativierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 (d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 (aa) Bestimmtheitsanforderungen für den Allgemeinen Teil des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 (bb) Bestimmtheitsanforderungen an blankettausfüllende Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 (3) Die Konsequenzen für Umgehungsstrafgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 (a) Aufstellung eines allgemeines Umgehungsverbots im Allgemeinen Teil des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

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(b) Existieren „gesetzlich angeordnete Analogien“? . . . . . . . . . . . . . 384 (c) Bereichsspezifische Umgehungsklauseln in Strafgesetzen . . . . . 385 (d) Außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 (aa) Anforderungen an Blankettmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 (bb) Anforderungen an normative Tatbestandsmerkmale . . . . . . 389 (e) Erschleichungskonstellationen auf Rechtfertigungs- und Schuldebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 (aa) Die gesetzliche Bestimmtheit von § 32 StGB hinsichtlich der Notwehrprovokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 (bb) Die gesetzliche Bestimmtheit von § 20 StGB bezüglich der actio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 3. Zusammenfassung: Verfassungsrechtliche Grenzen für die Erfassung von Gesetzesumgehungen und die rechtsfolgenorientierte Anwendung des Begriffs bzw. des Arguments „Gesetzesumgehung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 III. Der verbleibende methodologische Wert des Umgehungsbegriffs für die Rechtsfolgenbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 F. Was bleibt von dem Phänomen „Gesetzesumgehung“ im Strafrecht? . . . . . . . . . . 401 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445

Einleitung Die strenge Gesetzesbindung ist das wohl hervorstechende Merkmal der deutschen materiellen Strafrechtsordnung. § 1 StGB und der wortgleiche Art. 103 II GG, die „Magna Charta des Verbrechers1“, gebieten eine vorherige und bestimmte Festlegung der Strafbarkeit eines Verhaltens durch den Gesetzgeber.2 Die damit verbundene, selbst auferlegte3 Begrenzung der Möglichkeiten, durchaus strafwürdigem Verhalten mit einer staatlichen Sanktion zu begegnen, findet ihre Rechtfertigung durch diejenigen Grundsätze mit Verfassungsrang, die allgemein mit dem „Nullum-crimen-Satz“ in Verbindung gebracht werden: Das Rechtsstaats-, das

1 Der Urheber dieser berühmten Sentenz, Franz von Liszt, hatte dabei natürlich nicht auf das Grundgesetz Bezug genommen, er meinte vielmehr das Strafgesetzbuch von 1871 selbst, vgl. v. Liszt, S. 80. Zwar erscheint diese Wendung „paradox“ (so v. Liszt selbst, aaO.); ihm aber einen logischen Fehlschluss mit dem Argument vorzuhalten, der vom StGB straflos Gestellte sei gerade kein Verbrecher (so Roxin, AT I, § 5 Rn. 3 Fn. 3 im Anschluss an Schünemann, S. 1, Fn. 2), ist zu hoch gegriffen: Das Strafgesetz, so v. Liszt nämlich weiter, verbriefe dem sich gegen die Rechtsordnung und Gesamtheit aufbegehrenden Einzelnen das Recht, nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen bestraft zu werden (aaO.). Der Begriff „Verbrecher“ beschreibt in diesem Zusammenhang also vornehmlich einen Normunterworfenen, der strafwürdige Devianz an den Tag legt, nicht aber ausschließlich eine Person, die einen Straftatbestand erfüllt. 2 Eine vergleichbare Regelung besteht in Art. 7 I S. 1 EMRK, von dem jedoch insbesondere in Hinblick auf die Gesetzesgebundenheit der strafbegründenden Norm bislang angenommen wird, dass er gegenüber Art. 103 II GG/§ 1 StGB geringere Anforderungen aufstellt; vgl. EMRK/GG Konkordanzkommentar-Kadelbach, Kap. 15 Rn. 6 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 15. 3 Auch ohne Selbstbeschränkung bleibt die Gesetzesumgehung wegen der Unzulänglichkeit von Sprache ein ewig junges Problem des Rechts. Gegenüber dem, was sie beschreiben soll (die Wirklichkeit!), bleibt die Sprache unzulänglich. Der Wortschatz ist „[…] stets nur wie eine Handvoll Räume, um ein ganzes Volk unterzubringen“ (Walter, S. 31). In diesem Zusammenhang – dem Bewusstsein der Unzulänglichkeit des Gesetzeswortlauts – können zudem noch unbewusste Lücken entstehen: Der Gesetzgeber muss nämlich nicht nur ungenau im dem bleiben, was er zu regeln in der Lage war, er wird auch regelmäßig zu kurz greifen, indem er Lebenssachverhalte übersieht, die in dem konkreten Zusammenhang gleichfalls regelungsbedürftig waren (Zippelius, S. 190 ff.). Dies wiederum kann auf zwei Weisen geschehen: Die unbewusste Gesetzeslücke kann schon bei dem In-Kraft-Treten des Gesetzes bestanden haben, sie kann aber auch durch einen Wandel der Rechtstatsachen oder des Normumfeldes, d. h. der rechtlichen Wertungen entstanden sein (Wank, S. 81). In dem Maße, in dem diese unzulänglichen Normen wiederum durch Freiheitsverteilung die Freiheitsentfaltung des Normunterworfenen zu begrenzen versuchen, wird der Einzelne mit (verständlichem) Vermeideverhalten reagieren. Wegen seiner einschneidenden, ja oft die bürgerliche Existenz bedrohenden Rechtsfolgen liegt es nahe, dass dabei gerade das Strafrecht von diesem Phänomen betroffen ist (Stöckel, S. 4).

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Demokratie- und auch das Schuldprinzip4 wiegen höher als das staatliche Strafbegehren aus Anlass eines als sozial gefährlich eingeschätzten Verhaltens; mit Art. 103 II GG besteht daher eine speziell strafrechtliche Flankierung der Freiheitsrechte5. Notwendige Folge dieser (verfassungsrechtlich gewollten) Unvollkommenheit der Gesetze ist sonach die Möglichkeit des Rechtsunterworfenen, durch die Maschen des Strafrechts hindurchzuschlüpfen, was aber hinzunehmen sein soll: „Dass auf diese Weise gelegentlich ein besonders raffiniertes, sozialschädliches und deshalb6 strafwürdiges Tun straflos bleibt, ist der (nicht zu hohe) Preis, den der Gesetzgeber für Willkürfreiheit und Rechtssicherheit (d. h. die Berechenbarkeit des Einsatzes staatlicher Strafgewalt) zahlen muss.7“ Von diesem „gelegentlichen“, nämlich dem – aus Tätersicht8 erfolgreichen – raffinierten Tun wird diese Arbeit handeln. Es soll der allgemeinen rechtstheoretischverfassungsrechtlichen Problemstellung, was im Strafrecht strafbares und strafloses Verhalten bei Annahme gleicher Strafwürdigkeit voneinander scheidet, unter dem Blickwinkel der „Umgehungshandlung“ nachgegangen werden: Was ist gemeint, wenn es heißt, das Strafrecht sei „umgangen“ worden? Was unterscheidet Umgehungsverhalten von „bloß“ straflosem Verhalten? Welche Besonderheiten ergeben sich für das „ewige Spannungsverhältnis“9 zwischen Rechtssicherheit und materieller (Straf-)Gerechtigkeit aus dem strikten Gesetzlichkeitsprinzip einerseits und der

4 Eine weitere, speziell strafrechtliche Herleitung des Gesetzlichkeitsprinzips bezieht sich seit v. Feuerbach auf die Generalprävention: Eine Abschreckung des Publikums von Straftaten ist nur zu erreichen, wenn die verbotene Handlung schon vor der Tat möglichst genau bestimmt war; vgl. hierzu Roxin, AT I, § 5 Rn. 22 f.; mit ähnlicher Argumentation auch BGHSt 28, 72 (73 f.). 5 Über die genannten Verfassungsgrundsätze als Ratio des Art. 103 II GG besteht – von erheblichen unterschiedlichen Gewichtungen allerdings abgesehen – sowohl in der strafrechtlichen als auch in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur Einvernehmen: Entsprechende Inhaltsbestimmungen von Art. 103 II GG finden sich etwa in BGHSt 18, 136 (140); 23, 167 (171) einerseits und BVerfGE 25, 269 (285 f.); 47, 109 (120); 73, 206, (234 f.) andererseits; aus dem strafrechtlichen Schrifttum vgl. nur LK12-Dannecker, § 1 Rn. 51 ff. m. w. N.; aus der verfassungsrechtlichen Literatur Sachs-Degenhart, Art. 103 Rn. 53 ff., ebenso m. w. N. 6 Hervorhebung nicht im Original. 7 Roxin, AT I, § 5 Rn. 3; vgl. auch LK11-Gribbohm, § 1 Rn. 52. 8 An dieser Stelle muss bereits eine salvatorische Klausel eingebracht werden: Der Begriff des Täters soll hier und im weiteren Verlauf der Arbeit für eine Person stehen, deren Strafbarkeit diskutiert wird. Angesichts der Tatsache, dass sich diese Arbeit mit Verhaltensweisen beschäftigt, die mehr oder weniger auf der Grenze zur Strafbarkeit liegen, ist zuzugeben, dass eine neutralere Formulierung angebrachter erscheinen könnte. Da aber Formulierungen, die etwa auf die „womöglich strafbare Person“ abstellen, auf die Dauer allzu hölzern erscheinen und die Verwendung des Begriffs des „Verdächtigen“ wenig zutreffend ist, sei der Ausdruck des „Täters“ vorgezogen, ohne dass damit eine auch nur vorläufige strafrechtliche Wertung verbunden sein soll. 9 Faller, DB 1972, 1757 (1760).

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möglichen Anerkennung einer Sonderform der Strafvermeidung, nämlich der „Umgehung“, andererseits? Mit anderen Worten: Gegenstand der Untersuchung ist die Erforschung der Wechselbeziehungen zwischen dem „Nullum-crimen-Satz“ und der Gesetzesumgehung im Strafrecht sowie deren Erscheinungsformen. Dabei wird für diese Korrelationen insbesondere zu beachten sein, dass das oben angesprochene Spannungsverhältnis durch die Verfassung grundsätzlich zugunsten der Rechtssicherheit entschieden worden ist. Jede noch so strafwürdige Fallgestaltung ist nur innerhalb der Grenzen des in Art. 103 II GG festgehaltenen Grundsatzes nullum crimen, nulla poena sine lege strafbar. Wie aus den bisherigen Ausführungen schon erkennbar ist, soll diese Arbeit allein von Umgehungen des materiellen Strafrechts durch den Straftäter handeln. Nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind andere Zusammenhänge, in denen der Begriff der Umgehung im Strafrecht zur Anwendung kommt bzw. diskutiert wird. Ausgespart sind daher alle Rechtsgestaltungen im Strafprozessrecht von Seiten der Verteidigung, die – zuletzt besonders ertragreich von Fahl in seiner Habiliationsschrift10 – im Zusammenhang mit dem Begriff des Rechtsmissbrauchs oder der unzulässigen Erschleichung von Rechtspositionen diskutiert werden. Umgekehrt sollen auch nicht die unzulässigen Umgehungen schützender Formen der Strafprozessordnung durch die Strafverfolgungsbehörden diskutiert werden, wie sie etwa anzunehmen sind, wenn Ermittlungsbeamte die informatorische Befragung einer Person vortäuschen, obwohl sie bereits einen Anfangsverdacht gegen sie hegen11 oder Privatpersonen auf Veranlassung der Ermittlungsbehörden ein auf Beweiserlangung gerichtetes Gespräch führen, ohne dass Erstere ihre Ermittlungsabsicht aufdecken12. Nicht zu behandeln sind ferner Umgehungshandlungen der Gerichte, z. B. bei der Anwendung des Sanktionenrechts.13 Auch soll nicht auf Umgehungen Bezug genommen werden, wie sie dem wissenschaftlichen Kontrahenten häufig in der juristischen Diskussion über die dogmatisch richtige Auslegung des Rechts zum Vorwurf gemacht werden, etwa wenn es heißt, die Rechtsprechung umgehe durch ihr Verständnis von §§ 253, 255 StGB die für den furtum usus (§ 248b StGB) auch bei einem Vorgehen mit Raubmitteln vorgesehene Privilegierung.14 Weiterhin sind Umgehungshandlungen des Gesetzgebers denkbar, etwa wenn – wie im Rahmen der Terrorismusbekämpfung diskutiert – weit reichende Inhaftnahme-Möglichkeiten für die Polizeigesetze der Länder vorgeschlagen werden, die ungeachtet der vorgeblich 10

„Rechtsmissbrauch im Strafprozess“ (Heidelberg 2004). Zu dieser Problematik vgl. Beulke, Rn. 113, 118. 12 Siehe zu dieser Frage den Beschluss des GSSt des BGH, 1/96 v. 13. 5. 1996 (JZ 1997, 736) mit Anmerkung von Renzikowski, JZ 1997, 710 ff. 13 Stöckel, S. 20, 111 f. nennt etwa den Fall, in dem zwar die Voraussetzungen zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis nicht vorliegen, das Gericht dem Verkehrssünder aber zur Bewährungsauflage macht, sechs Monate selbst nicht zu fahren; siehe auch OLG Hamm VRS 10, 49. 14 Dieser Vorwurf wird etwa von Joecks, § 255 Rn. 4 in den Raum gestellt. 11

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bezweckten Gefahrenabwehr in ein erhebliches Spannungsverhältnis zur Unschuldsvermutung geraten können. Schließlich betrifft diese Arbeit allein die Möglichkeiten der Umgehung von tatbestandlichen Voraussetzungen einer Norm, die Umgehung von Rechtsfolgen des Strafrechts soll nur dann behandelt werden, wenn sie ihrerseits Anknüpfungspunkt von Straftatbeständen ist.15 Außerdem ist klarzustellen: Wenn zwar im Folgenden Handlungen im materiellen Strafrecht diskutiert werden sollen, deren Straflosigkeit als besonders störend empfunden werden kann, so ist es deshalb nicht das Ziel dieser Arbeit, einer Strafausweitung das Wort zu reden. Die Arbeit soll keine rechtspolitische sein; eine „unbegrenzte Auslegung“16 ist nicht das angestrebte Ergebnis dieser Untersuchung, sondern eine Bestimmbarkeit der Gesetzlichkeitsprinzipskonkretisierungen „lex certa“ und „lex stricta“ im geltenden Strafrecht in Bezug auf den Umgehungsgedanken. Ohne bereits an dieser Stelle den Versuch einer Begriffsbildung vornehmen zu wollen, kann doch zum besseren Verständnis des Vorhabens bereits Folgendes zu der näheren Bestimmung von „Gesetzesumgehung“ dargelegt werden, um über ein bloßes, mit dem Begriff in Verbindung gebrachtes Judiz17 hinauszugelangen: Aus der unendlichen Zahl von straflosen Sachverhalten, durch die fremde Rechtsgüter oder rechtlich geschützte Interessen verletzt oder zumindest gefährdet werden, müssen zunächst diejenigen Fälle herausgearbeitet werden, die eine besondere Nähe zu einem Straftatbestand aufweisen und deren Strafwürdigkeit und -bedürftigkeit bei einem Vergleich mit der nahen Strafnorm jedenfalls nicht von vornherein abzustreiten ist. Aus der Vielzahl dieser (historischen) Beispiele für „umgehungsneutrale“ straflose Sachverhalte seien hier zur Illustration einige genannt: (1) Wer vor 1900 fremde elektrische Energie entzog, konnte nicht wegen Diebstahls verurteilt werden und blieb straffrei, weil das Reichsgericht elektrischer Energie die Sachqualität absprach und es sich nicht zur Rechtsfortbildung berechtigt sah.18 15 So kann der Versuch, die zeitweilige Sperrung für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis zu umgehen, eine Strafbarkeit gemäß § 21 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis) nach sich ziehen. Strafbar ist gemäß § 145c StGB auch die Umgehung eines Berufsverbots, dass zuvor in einer Verurteilung ausgesprochen worden war. Siehe hierzu B. II. 11. 16 So der Titel der Habilitationsschrift von Rüthers von 1966/1967, die sich mit dem Wandel der Zivilrechtsordnung im Nationalsozialismus auseinandersetzt. 17 Mit Judiz ist hier allerdings noch weniger als das intuitiv richtige Vor-Urteil für eine gerechte Entscheidung gemeint (dementsprechend die Definition von „Judiz“ bei Gröschner, JZ 1987, 903 (907), sondern das Rechtsgefühl, unter dessen Zuhilfenahme bisher das Spannungsverhältnis von Gesetzlichkeitsgrundsatz und bestimmten Formen der Strafnormvermeidung nachgezeichnet worden war. 18 RGSt 29, 111 (116); 32, 165 (186 f.); die genannte Regelungslücke wurde durch das „Gesetz betreffend die Bestrafung der Entziehung elektrischer Arbeit“ vom 9. 4. 1900 geschlossen, welches die Einfügung von § 248c StGB vorsah. Vgl. zu dieser Rechtsentwicklung und der Kritik hieran Kohlrausch, ZStW 20 (1900), 459 ff.

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(2) R überreicht T eine geladene Pistole mit der Aufforderung, damit dem O ins Bein zu schießen. R geht dabei davon aus, dass T um die geladene Pistole weiß. T bemerkt es aber nicht und drückt nur zum Scherz in Richtung des O ab, der erhebliche, aber keine dauerhaften Verletzungen davonträgt.19 Neben T kann auch R nur wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB bestraft werden.20 (3) Vor der Schaffung des § 268 StGB war die Fälschung technischer Aufzeichnungen straflos, da etwa die Diagramme eines zuvor manipulierten Fahrtenschreibers mangels verkörperter menschlicher Gedankenerklärung keine Urkunden i. S. d. § 267 StGB darstellen.21 (4) V verkauft K eine Hose für 50 E, wobei er mehrfach die Qualität „reine Schurwolle“ zusichert (die dem K wichtig ist). Hosen dieser Art sind gewöhnlich teurer. Tatsächlich enthält die Hose, wie V weiß, zu 50 % Kunststoffgewebe, ist aber „ihr Geld wert“.22 Der Bundesgerichtshof lehnte für diesen Sachverhalt eine Betrugsstrafbarkeit ab, da der Anspruch auf eine Wollhose im Moment der Täuschung noch nicht Vermögensbestandteil des Verfügenden geworden sei. Es sei vielmehr nur eine erhoffte Vermögensmehrung ausgeblieben, die aber nicht den Schutz des § 263 StGB genieße.23 (5) P macht sich einen Spaß daraus, Stubenfliegen die Flügel auszureißen und sie anschließend langsam zu zerdrücken. P kann nicht wegen Tierquälerei bestraft werden, da § 17 des Tierschutzgesetzes nur die Tötung und Misshandlung von Wirbeltieren sanktioniert. 19

Beispiel bei Roxin, AT I, § 7 Rn. 48. Für eine Bestrafung wegen gefährlicher Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft (§§ 224 I Nr. 2 und 5, 25 I Alt. 2 StGB) fehlt es am Tatherrschaftsvorsatz des R; für eine Bestrafung wegen gefährlicher Körperverletzung in Mittäterschaft gemäß §§ 224 I Nr. 2, 4 und 5, 25 II StGB – sofern der von R gedachte Beitrag zur vorsätzlichen Körperverletzung überhaupt für mittäterschaftsbegründend gehalten werden kann – fehlt es am gemeinsamen Tatplan; der Bestrafung wegen versuchter Körperverletzung in Mittäterschaft gemäß §§ 224 I Nr. 2, 4 und 5, 22, 25 II StGB steht nach vorzugswürdiger Auffassung das Fehlen eines unmittelbaren Ansetzen bei T und damit auch bei R entgegen (vgl. zur Problematik des untauglichen Versuchs bei Mittäterschaft Roxin, AT II, § 29 Rn. 308 ff. m. w. N.); eine vollendete Anstiftung (§§ 224 I Nr. 2 und 5, 26 StGB) hat nicht stattgefunden, da T keine vorsätzliche Haupttat begangen hat; eine versuchte Anstiftung scheidet schließlich aus, weil § 30 StGB ein Verbrechen als Gegenstand des Anstiftervorsatzes voraussetzt. 21 OLG Stuttgart NJW 1959, 1379; OLG Hamm NJW 1959, 1380; für die Zeit nach der Einfügung von § 268 StGB am 1. 9. 1969: BayObLG NJW 1981, 774; zum Ganzen: LK11Gribbohm, § 268 Rn. 1 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 65 V. Rn. 81. 22 Fall nach BGHSt 16, 220; zusammengefasst bei Rengier, BT I, § 13 Rn. 74. 23 BGHSt 16, 220 (223); LK11-Tiedemann, § 263 Rn. 201; Rengier, aaO.; SK-Hoyer, § 263 Rn. 245 ff. Eine beachtliche Mindermeinung im Schrifttum kommt hingegen für diese Konstellation zu der entgegengesetzten Auffassung. Führe ein Vergleich zu einem Minus der tatsächlichen Leistung gegenüber der geschuldeten, so sei ein Vermögensschaden i. S. v. § 263 StGB zu bejahen, denn der Käufer zahle mehr als er es nach den Regeln des Zivilrechts (aufgrund seines Minderungsrechts aus §§ 434 I, III, 437 Nr. 2, 441 BGB) müsste; Otto, JZ 1993, 652 (657); Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 41 Rn. 117 m. w. N. 20

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(6) Amtsträger T erteilt seinem Freund, dem Unternehmer U, bewusst eine fehlerhafte Genehmigung zum Betrieb einer kerntechnischen Anlage, um diesem einen Gefallen zu tun. Der stets um Rechtstreue bemühte U kennt die die Fehlerhaftigkeit der Genehmigung begründenden Umstände nicht.24 T kann in dieser Konstellation weder als mittelbarer Täter noch als Teilnehmer belangt werden; er bleibt straffrei.25 Die grundsätzliche Straffreiheit der handelnden Personen26 beruht in den soeben aufgeführten Fällen auf Gründen, die man bei vordergründiger Betrachtungsweise für zufällig halten mag, letztendlich ist sie allein den Grenzen des jeweiligen Straftatbestandes und/oder den Strukturen der allgemeinen Zurechnungsvoraussetzungen geschuldet. Jedenfalls handelt es sich bei den geschilderten Fallkonstellationen nicht um Täterverhalten, das man bereits mit dem Umgehungsbegriff in Verbindung bringen würde. Denn das „Um-Gehen“ ist mehr als die bloße Straflosigkeit: Es ist kein Kriterium dafür ersichtlich, um den Handelnden hier eine „Mitverantwortung“ für ihre Straflosigkeit anlasten zu können. Weder haben die Akteure auffällige und künstlich wirkende Aktivitäten entfaltet, die für Dritte ihren Sinn nur in der Vermeidung der unter Strafwürdigkeitsgesichtspunkten nahe liegenden Strafbarkeit haben konnten noch war ihr Verhalten von der Absicht der Strafvermeidung (mit)bestimmt. Auch erscheint ihr Verhalten nicht offensichtlich rechtsmissbräuchlich zu sein. Erst das Vorliegen dieser oder ähnlicher Kriterien27 aber lässt es sinnvoll erscheinen, die Straflosigkeit zumindest auch als „Werk“ des Handelnden anzusehen und nicht als bloß logische Folge der von der konkreten Straftatbestandsausformung und Dogmatik vorgegebenen Eingrenzungen der Strafbarkeit. Es bedarf also einer weiteren Präzisierung über die bisher gewählten Sachverhalte hinaus. Nicht die Nähe zu der vermeintlich einschlägigen Strafnorm an sich scheint für die Formung des Umgehungsbegriffs entscheidend zu sein, sondern die Frage danach, welche Umstände dazu führten, dass nur die Tatbestandsnähe, jedoch gerade nicht Subsumierbarkeit gegeben ist. Diesem Gedanken nachgehend soll die bereits eröffnete Reihe von Beispielen zu besonders gelagerten Fällen von Straflosigkeit im Nachfolgenden um mögliche „typische“ Umgehungshandlungen erweitert werden.

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Fall nach Haft, S. 310. Eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Betreibens von Anlagen gemäß §§ 327 I Nr. 1 Alt. 1, 25 I Alt. 2 StGB scheidet aus, da § 327 StGB ein Sonderdelikt ist; zum Sonderdeliktscharakter vgl. Fischer, § 327 Rn. 16. Eine Teilnahmestrafbarkeit des T besteht mangels Haupttat nicht, denn die nach den Maßstäben des Verwaltungsrechts rechtswidrige, aber wirksame Genehmigung wirkt im Falle des § 327 StGB bereits tatbestandsausschließend; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 58 Rn. 7 f. m. w. N. Auch § 330d Nr. 5 StGB greift nicht ein. 26 Im zweiten Fall kann R jedenfalls nicht wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung bestraft werden. 27 Die Tauglichkeit dieser Kriterien für eine nähere Bestimmung des Umgehungsbegriffs für das Strafrecht soll E. IV. näher untersucht werden. 25

Einleitung

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(7) Ein Unternehmen aus Bayern lieferte während des ersten Golfkriegs unter anderem die Einzelteile von sog. Aufschlagzündern für Scud-Raketen in den Irak. Die Einzelteile konnten mit einfachen Werkzeugen zu kompletten Aufschlagzündern zusammengesetzt werden. Der Bundesgerichtshof hat den Angeklagten, den Geschäftsführer des Unternehmens, wegen Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz und dem Kriegswaffenkontrollgesetz verurteilt.28 (8) Weil sie die günstige Gelegenheit zu einer willkommenen tätlichen Auseinandersetzung suchte, ging eine Gruppe von Schlägern ihren angriffslustigen Gegnern mit Knüppeln bewaffnet entgegen, verhielt sich dann aber – von Reizungen abgesehen – anfangs zurückhaltend. Sollten die anderen sich auf Grund der Provokationen dazu hinreißen lassen, zuerst loszuschlagen, so wollten die Angeklagten mit ihren Stöcken einmal ordentlich unter ihnen aufräumen und dazwischenschlagen. Das Geschehen nahm den von den Angeklagten geplanten Verlauf.29 Der Bundesgerichtshof hat den Angeklagten das Notwehrrecht mit der Begründung verwehrt, dass kein wirklicher, sondern nur ein vorgetäuschter Verteidigungswille vorliege, wenn eine Tätlichkeit des Gegners nur hervorgerufen werde, um diesen bei ihrer Abwehr zu misshandeln. (9) T hat schon mehrfach im betrunkenen Zustand sexuelle Nötigungen begangen. Eines Abends beschließt er, sich sinnlos zu betrinken. Dabei rechnet er damit, auf seinem Heimweg volltrunken möglicherweise eine ihm begegnende Frau zu vergewaltigen. Er nimmt dies aber in Kauf, auch weil er aus einem früheren Strafprozess weiß, dass ihn der Rausch vor Strafe bewahren könnte. Tatsächlich begeht T später in einem die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand (§ 20 StGB) eine sexuelle Nötigung an einer Passantin. Der Bundesgerichtshof hat für diesen Sachverhalt eine Verurteilung wegen Vergewaltigung (§ 177 I StGB a. F.) in Verbindung mit den Grundsätzen der actio libera in causa (a.l.i.c.) für das richtige Ergebnis gehalten.30 (10) A und B hatten die für ihre Tätigkeiten im Rahmen verschiedener Bauherrenmodelle erhaltenen Provisionen für den Zeitraum 1980 bis 1982 weder der Umsatzsteuer unterworfen noch bei der Einkommenssteuer als Einkunft erklärt. Sie brachten zu ihrer Verteidigung vor, im Auftrag einer britischen Limited tätig ge28 BGH wistra 1996, 145; die Verurteilung erfolgte unter Anwendung von § 34 I Nr. 2 und 3 AWG a. F. sowie §§ 1, 22a KWKG; ob die vom Bundesgerichtshof hierfür herangezogene „Werkzeugtheorie“ die Verurteilung wirklich tragen konnte, wird noch zu erörtern sein. Ablehnend in Hinblick auf Art. 103 II GG etwa Pottmeyer, wistra 1996, 121 ff. m. w. N. 29 BGH bei Dallinger, MDR 1954, 335; soweit ersichtlich die einzige Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die in dem festgestellten Sachverhalt die Voraussetzungen der viel diskutierten, so genannten Absichtsprovokation gegeben sah, wenn diese Einordnung des Sachverhalts als „Absichtsprovokation“ auch zum Teil bezweifelt wird (so von Loos, Deutsch-FS, S. 233 ff. [236 m. Fn. 22]). Weitere Ausführungen zu den Voraussetzungen der Absichtsprovokation durch den Bundesgerichtshof in NJW 1962, 308 (309), NJW 1983, 2267, NJW 2001, 1075 erfolgten allein als obiter dictum. Es ist also (fast) zutreffend, wenn Kühl (§ 7 Rn. 231) und Loos, aaO. konstatieren, der Fall der Absichtprovokation sei bisher allein im Schrifttum aufgetreten. 30 Fall nach BGHSt 21, 381 (383).

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Einleitung

worden zu sein, auf deren Schweizer Konto die Verrechnungsschecks auch zum größten Teil weitergeleitet worden seien. A und B wurden wegen Umsatz- und Einkommenssteuerhinterziehung zu Freiheitsstrafen verurteilt, da nach dem Landgericht Dortmund die Zwischenschaltung einer Basisgesellschaft im niedrig besteuerten Ausland hier wegen rechtsmissbräuchlicher Gestaltung im Sinne des § 42 AO nicht anzuerkennen war.31 (11) Die in Aachen wohnhafte schwangere A begibt sich für einen Schwangerschaftsabbruch in die nahegelegenen Niederlande, weil sie durch entsprechende Beratung erfahren hat, dass eine Abtreibung nach 22. Schwangerschaftswochen dort noch legal ist, in der Bundesrepublik Deutschland für ihren Fall hingegen nicht. Ein niederländischer Arzt nimmt den Schwangerschaftsabbruch in Amsterdam vor. A ist strafbar gemäß § 218 I StGB i. V. m. § 5 Nr. 9 StGB. Ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen Beispielen und der unter (1) bis (6) aufgeführten Fallgruppe besteht nun im Verhalten des Täters: Die angestrebte Straflosigkeit soll gerade durch ein zur Tathandlung hinzutretendes (Vor-)Verhalten des Täters selbst, durch sein Raffinement bewirkt werden. Die Versendung der Zünder in Einzelteilen, die vollständige Berauschung, die Provokation der Gegner und auch die Zwischenschaltung der britischen Limited sind im Zusammenhang mit der im Raum stehenden Verwirklichung von Straftatbeständen deshalb ungewöhnliche Verhaltensformen, weil sie dazu gemacht scheinen, die Strafbarkeit der Beteiligten auszuschließen. Dabei ist auf zwei weitere Auffälligkeiten der gewählten einführenden Beispiele hinzuweisen, die en miniature die Fragestellungen dieser Arbeit erhellen: Zum einen sind die Beispiele der Gruppe (7 – 11) – ungeachtet der sie einenden Unterscheidbarkeit von denen der ersten Gruppe (1 – 6) – in sich heterogen. Dies betrifft nicht allein ihr Auftreten in den unterschiedlichen Teilgebieten des Strafrechts – „Kernstrafrecht“ auf der einen Seite, Wirtschaftsstrafrecht auf der anderen Seite – oder die Verteilung auf die einzelnen Ebenen des Verbrechensaufbaus32, sondern auch die Kriterien, nach denen das Vorgehen als Gesetzesumgehung zu qualifizieren sein könnte: So kann für die Fälle (7) und (10) beobachtet werden, dass sich jedenfalls die Ungewöhnlichkeit des Verhaltens bereits aus den objektiven 31 BGH wistra 1990, 307 (308). Diese die Verurteilung tragenden Argumente des Tatgerichts will sich auch der Bundesgerichtshof zu eigen machen, wenn für die Einschaltung der Basisgesellschaft wirtschaftliche oder sonst einleuchtende Gründe fehlen, mit anderen Worten die Wahl des Sitzes und der Rechtsform nur mit steuerlichen Zielsetzungen zu erklären ist; BGH aaO. Die aus Sicht des Strafrechts bestehenden Bedenken gegen die strafbegründende Wirkung des § 42 AO werden nicht zur Sprache gebracht. Die Anwendung von § 42 AO im Strafrecht wird in Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot und das Analogieverbot etwa von Wenderoth, S. 280 ff. und Röckl, S. 263 und 283 abgelehnt. 32 Für die Fälle (7) und (10) gewinnt die Problematik der Umgehung bereits auf der Ebene des Tatbestands Bedeutung. Für den Fall (8) hingegen wird das Problem erst bei der Rechtswidrigkeit relevant; für das Beispiel (9) ist es Ebene der Schuld, die von der Frage berührt wird. Für Fall (11) ist hingegen die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts entscheidend.

Einleitung

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Umständen ergibt, während für die Fälle (8) und (9) die Einbeziehung des Tatplans erforderlich ist, um ein Umgehungsmoment hervortreten zu lassen. Zu unterscheiden sind auch die Modalitäten des Vermeideverhaltens: Für die Fälle des Rüstungsexports und der Steuerhinterziehung kann von einer direkten Umgehung der Verbotsnormen ausgegangen werden, während die Beispiele zur provozierten Notwehr und zur actio libera in causa durch den mittelbaren Versuch der Strafvermeidung qua Erschleichung einer begünstigenden Norm gekennzeichnet sind. Endlich sind diese beiden zuletzt genannten Fälle allein nach den positiven Regeln und Grundsätzen des Strafrechts zu lösen, während für die Entscheidung über die Strafbarkeit des Umgehungsverhaltens in den vom Wirtschafts- und Steuerrecht geprägten Sachverhalten auch der Rückgriff auf die Anordnungen dieser Rechtsgebiete unerlässlich ist. Alle diese – hier in ihren Untiefen bloß angedeuteten – Differenzierungskriterien betreffen bereits die Frage, wie der strafrechtliche Begriff der Gesetzesumgehung zu fassen sein könnte. Ihr soll vor allem in den Abschnitten B. und D. auf den Grund gegangen werden. Zum anderen überrascht auf den ersten Blick das Ergebnis, das der Bundesgerichtshof in allen hier zur Einführung reproduzierten Fallgestaltungen33 gefunden hat: Die Beteiligten wurden allesamt für strafbar befunden, die Umgehungshandlungen blieben also nach Ansicht der Richter gerade ohne „Erfolg“. Gleichwohl ist den Sachverhalten auch gemeinsam, dass die Entscheidungen gerade wegen ihrer Überwindung der durch die Täter gesetzten Hürden für eine Bestrafung umstritten geblieben sind.34 Die weiterhin bestehende Diskussion über diese Sachverhalte zeigt, dass trotz der höchstrichterlich besiegelten Verurteilung ein Erfolg der handelnden Personen zumindest möglich gewesen wäre; es ihnen also fast gelungen wäre, die Lücke zwischen Telos und Wortlaut der Norm zu finden.35 Die Möglichkeiten und Grenzen der strafrechtlichen Erfassung von Gesetzesumgehungen durch die Rechtsprechung und den Gesetzgeber sollen Gegenstand des Abschnitts E. dieser Arbeit sein. Anhand der skizzierten Beispielsfälle sind damit die Fragestellungen dieser Untersuchung deutlicher hervorgetreten: Was ist die Gesetzesumgehung und in welchen Konstellationen ist sie strafbar?

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Gemeint sind die Fälle zu den Umgehungshandlungen, (7) bis (10). Die Strafbarkeit der schwangeren Frau in Fall (11) ist allerdings unstrittig gegeben, wenn auch § 5 Nr. 9 StGB unter völkerrechtlichen Aspekten scharfer Kritik unterworfen worden ist; siehe hierzu noch im B. I. 1. c). 35 In diese Kurzform wird der Begriff der Gesetzesumgehung häufig gebracht, so etwa bei Stöckel, S. 14; Westerhoff, S. 21 f., 205; Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 1; Teichmann, S. 104; Pohl, Rn. 8; Wank, S. 69. Siehe hierzu auch sogleich im Text. 34

A. Zur Vorgehensweise I. Vorrangigkeit einer abstrakten Begriffsbestimmung In dieser Arbeit soll zunächst ein umfassender Versuch unternommen werden, den Begriff der Gesetzesumgehung näher zu bestimmen, bevor der Frage nachgegangen wird, ob und in welchen Fällen Umgehungshandlungen strafbar sind und welche Rolle das Umgehungsargument bei dieser Grenzziehung spielt bzw. spielen darf. Die Wahl dieser Reihenfolge erscheint allerdings anfechtbar, denn die nähere Festlegung dessen, was eine Umgehungshandlung im Einzelfall ausmacht, könnte durchaus und wesentlich von der Fragestellung abhängen, ob diese Handlung strafbar ist oder nicht. Gerade weil es sich bei der „Gesetzesumgehung“ zugegebenermaßen (noch) um einen wenig greifbaren „Verlegenheitsbegriff“1 handelt, erscheint die Einteilung eines in diesem Zusammenhang untersuchten Verhaltens in die Kategorien „strafbar“/„nicht strafbar“ einen wichtigen Halt für die Begriffsbestimmung zu bilden; die Begriffsbildung und das Ergebnis der Strafbarkeitsprüfung erscheinen dann untrennbar miteinander verbunden zu sein. Angesichts von Art. 103 II GG, der die Normfortbildung qua Analogie in malam partem strikt untersagt, lässt sich indessen umgekehrt sagen, dass eine rechtsgutsverletzende Handlung, die sich außerhalb der Wortlautgrenzen bewegt, ein strafrechtliches Nullum darstellt. Allein mit dieser Feststellung ihrer strafrechtlichen Irrelevanz ist für die Verständigung über die Eigenschaften des Umgehungsverhaltens im Strafrecht aber nicht viel gewonnen. Insbesondere bleibt die gerade interessierende Frage, was die Umgehung von anderen straflosen Handlungsweisen unterscheidet, unbeantwortet. Es muss daher wenigstens versucht werden, die Charakteristika der Gesetzesumgehung unabhängig von der Strafbarkeit des Verhaltens herauszuarbeiten. Dabei kann sich dann immer noch herausstellen, dass eine derart von der verbindlichen Entscheidung über die Strafbarkeit einzelner Verhaltensweisen losgelöste Begriffsbestimmung nicht zu leisten ist. Doch auch wenn die Begriffsanalyse demnach nicht unbedingt zu einer Entscheidungshilfe bei der strafrechtlichen Untersuchung konkreter Fallgestaltungen taugen sollte, kann sie wenigstens zur gedanklichen Klarheit beitragen. Daneben sprechen noch weitere Gründe für eine vorgezogene, von der Strafbarkeitsprüfung abstrakte Verständigung über den Umgehungsterminus. So kann die Begriffsanalyse einer Versachlichung der Diskussion dienlich sein, da die unre1 Stöckel, S. 9; v. Bar/Mankowski, S. 131 meinen sogar, die nähere Definition der Umgehung sei unmöglich, da jeder Versuch wegen des vorzunehmenden Bezugs auf die umgangene Norm „notwendig zirkulär“ sei.

II. Induktion versus Deduktion

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flektierte Verwendung des Umgehungsbegriffs bei der Strafbarkeitsprüfung einzelner Vorgänge geeignet ist, dem nach dem laienhaften Wortgebrauch latent pejorativen Beiklang des Wortes eine gegenüber den verfassungsrechtlichen Grenzen der Strafrechtsanwendung übertriebene Bedeutung beizumessen und die Auslegung zu präjudizieren.2 Zudem ist wohl nur bei einer genaueren Klärung des Umgehungsterminus die Frage zu beantworten, ob das Umgehungsargument überhaupt eine wichtige Rolle bei der strafrechtlichen Subsumtion entsprechender Sachverhalte einnimmt. Schließlich ist die vorherige Begriffsanalyse auch ein Gebot der Arbeitsökonomie, da es sich durch diese Vorgehensweise verhindern lässt, dass breite Untersuchungen zu der strafrechtlichen Relevanz bestimmter Fallkonstellationen erfolgen, die sich im Nachhinein als unzweckmäßig erweisen, weil die diskutierten Sachverhalte fernab des für zutreffend erachteten, präzisierten Umgehungsbegriffs liegen.

II. Induktion versus Deduktion Weiterhin ist darüber zu entscheiden, ob eine induktive oder eine deduktive Herangehensweise an den Umgehungsbegriff die zweckmäßigere ist. Eine als deduktiv zu bezeichnende Herangehensweise wäre darin zu sehen, einen abstrakten Umgehungsterminus aufzustellen bzw. aus anderen Untersuchungen zu der Problemstellung zu übernehmen, um ihn anhand verschiedener Sachverhalte zu überprüfen und gegebenenfalls zu falsifizieren. Als induktive Vorgehensweise ist demgegenüber das Aufsuchen und die Beschreibung von (möglichen) Umgehungsphänomenen im Strafrecht zu bezeichnen, welche anschließend als Folie für die Bildung eines Umgehungsbegriffs genutzt werden können. Der Vorteil der deduktiven Methode ist darin zu sehen, dass von Anfang an ein handfester Bezugspunkt für die Überprüfung anhand einzelner Fallgestaltungen besteht, der Umgehungsbegriff muss nicht – wie im Falle der Induktion – mühsam aus den einzelnen tatsächlichen Erscheinungsformen herauspräpariert werden. Dabei ist die Behandlung von Einzelfällen als Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung unter der Maßgabe, dass kein bereits definierter Untersuchungsgegenstand besteht, in jedem Fall misslich: Wird der induktive Ausgangspunkt orthodox interpretiert, werden möglicherweise Sachverhalte diskutiert, von denen sich im Nachhinein – also nach der erfolgten Begriffsbestimmung – herausstellt, dass sie für den Untersuchungsgegenstand wertlos waren. Wird, um dies zu verhindern, die Auswahl und Analyse von Sachverhalten stillschweigend in den für adäquat er-

2 Sei findet sich etwa in Wahrigs Deutschem Wörterbuch, S. 3682, zum Wort „umgehen“ die Erläuterung zur Umgehung von Gesetzen oder Vorschriften: „nicht einhalten, ohne sich strafbar zu machen“. Für das Zivilrecht lehnt Teichmann, S. 105 f., den Begriff der „Umgehung“ für die Bewertung von Rechtsgeschäften gerade auch mit dem Argument ab, es veranlasse häufig zu einem gefühlsbestimmten ethischen Vorwurf gegen die Parteien. Zur negativen Verwendung des Umgehungsbegriffs vgl. auch Stöckel, S. 36.

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A. Zur Vorgehensweise

achteten Umgehungsbegriff eingebettet, so ist die Vorgehensweise nicht in dem Maße eine induktive wie es zuvor angekündigt worden ist. Doch hat auch die Herangehensweise vom Allgemeinen hin zum Besonderen erhebliche Nachteile; jedenfalls ist dies für den hier erörterten Untersuchungsgegenstand der Fall. Die deduktive Methode muss stets von Prämissen ausgehen, die ihrerseits als wahr zu erweisen sind oder wenigstens hypothetisch als wahr vorausgesetzt werden.3 Es müsste daher – jedenfalls bei dem Wunsch nach einer einigermaßen ökonomischen Vorgehensweise – möglich sein, ohne jede Anschauung einen Begriff der Gesetzesumgehung zu bilden, der einer anschließenden Überprüfung anhand von Fallgruppen schon beim ersten Versuch jedenfalls insoweit standhält, als er sich nicht als vollkommen abseitig erweist. Eine derart präzise Umschreibung der Umgehungshandlung im Sinne einer notwendigen Wahrheit scheint aber nicht a priori möglich zu sein, jedenfalls soll eine derart rationalistische Erkenntnisfähigkeit hier nicht in Anspruch genommen werden.4 Auch ein vermeintlich durch Deduktion zustande gekommener Umgehungsbegriff wird sich daher eines Verfahrens bedienen müssen, dem intensionale Beziehungen zugrunde liegen. Erst aus Beispielen der Erfahrungswelt heraus kann auf einen Begriff geschlossen werden, der – wenn auch nicht logisch zwingend – immerhin mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gelten kann. Diese Verfahrensweise ist aber wiederum eine induktive und keine rein deduktive mehr.5 Angesichts dieser Schwierigkeiten, vor die die beiden erörterten „Schulverfahren“ zur Erkenntnisgewinnung hier gestellt sind, ist eine sachgerechte – grundsätzlich auch von Stöckel bereits gewählte6 – Vorgehensweise wohl die Beschreitung eines Mittelwegs. Danach soll in dieser Untersuchung zwar die induktive Methode verwendet werden, die sich allerdings auf eine Begriffshypothese, also einen vorläufigen Umgehungsbegriff stützen kann und soll7. Im Anschluss an diese Einzelfallbetrachtungen kann der vorläufige Umgehungsbegriff dann anhand dieses Anschauungsmaterials präzisiert, korrigiert und vervollständigt werden. Die Bearbeitung der einzelnen Fallkonstellationen soll sich dabei nicht auf ihre bloße Umschreibung beschränken; stets wird zugleich untersucht werden, inwieweit ihre zunächst nur in Form der These vorgetragene Verbindung zum Umgehungsbegriff tatsächlich gegeben ist. Dieses ausführliche Vorgehen bei der Untersuchung der einzelnen Sachverhalte hat den Vorteil, bereits zu diesem relativ frühen Zeitpunkt wichtige Vorarbeiten für die spätere endgültige Begriffsfestlegung leisten zu können. Neben der bereits erwähnten wichtigsten Funktion der Fallstudien, die für das 3

Klaus/Buhr, S. 216. Auch Stöckel (S. 9) meint, dass es eine schwierige, wohl unlösbare Aufgabe sei, einen wesensgemäß weit gespannten und unpräzisen Begriff wie Gesetzesumgehung für einen Teilrechtsbereich auf deduktivem Wege auch nur annähernd genau zu umreißen. 5 Klaus/Buhr, S. 520. 6 Vgl. Stöckel, S. 9 ff. 7 Stöckel, aaO., nennt es „eine Art Arbeitsdefinition“. 4

III. Ein vorläufiger Umgehungsbegriff

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Umgehungsthema irrelevanten Konstellationen auszuschließen, kann durch die soeben vorgestellte Vorgehensweise auch untersucht werden, welchen Stellenwert das Thema der Gesetzesumgehungen für die Strafrechtswissenschaft überhaupt einnimmt und in welchen Fällen der Umgehungsgedanke explizit und implizit zur Anwendung kommt bzw. zur Anwendung gebracht werden könnte. Schließlich zeichnet diese Reihenfolge der Untersuchung in gewisser Weise auch die Abfolge der ewigen Auseinandersetzung zwischen Normgeber und Normunterworfenen nach: Der Versuch, den Umgehungsbegriff von vornherein richtig zu bestimmen, erscheint ohne den Bezug zu den relevanten Sachverhalten ebenso unmöglich wie der Versuch des Gesetzgebers, seine Normen a priori umgehungsfest zu formulieren.8

III. Ein vorläufiger Umgehungsbegriff Die zu wählende „Arbeitsdefinition“ sollte geeignet sein, den ambivalenten Charakter des Umgehungsverhaltens wiederzugeben. Die erfolgreiche Umgehung des Strafgesetzes ist zwar straflos, gleichwohl besteht ein erhebliches Unbehagen gegenüber diesem Ergebnis. Rechtstheoretischen Ausdruck findet dieses Unbehagen in der Feststellung Vogels, in Fällen der Umgehung bestünde eine „teleologische Lücke“9 für die betreffende Strafnorm. Diese Begrifflichkeit ist wiederum nur die Kurzfassung einer Umgehungsbeschreibung, die sich in den meisten Untersuchungen zum Umgehungsbegriff im Strafrecht finden lässt. Diese Umschreibungen beziehen sich stets auf das Spannungsverhältnis zwischen dem eigentlichen Sinn und Zweck der Norm einerseits und dem Wortlaut der Norm andererseits, in dem der verfolgte (Schutz-)Zweck nur unzureichend zum Ausdruck kommt. So meint etwa Reisner10 : „Bei der Umgehung belastender Normen werden die Voraussetzungen einer Norm nicht erfüllt, so dass die Belastung als Rechtsfolge nicht eintritt. Nach dem Zweck der Norm hätte diese Handlung jedoch auch von der belastenden Rechtsfolge erfasst werden sollen. Aufgrund dieser mangelnden Übereinstimmung von Normvoraussetzungen und Normzweck liegt eine Regelungslücke vor, die durch Analogie geschlossen werden könnte.“11

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Alle Kunst, so heißt es bereits anschaulich bei v. Jhering, S. 264, die der Gesetzgeber aufbiete, sein Gesetz gegen Umgehung zu schützen, sei derjenigen, die das Leben aufwende, es „zu durchlöchern, zu untergraben und zu stürzen“, kaum gewachsen. 9 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (162). 10 Reisner, S. 10. 11 So auch Stöckel, S. 28; Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 1; Pohl, Rn. 8; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (162); Bruns, GA 1986, 1 ff. (7) unter Bezugnahme auf eine nahezu gleiche Definition bereits des Reichsgerichts (RG JW 1918, 451); Nippoldt, S. 14 f.; v. Burchard, S. 159; Handbuch Wabnitz/Janovsky-Dannecker, § 1 Rn. 110.

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A. Zur Vorgehensweise

Ähnlich definieren auch Arbeiten zum Umgehungsbegriff im Zivilrecht die Umgehung12, wobei die Diskussion um die Gesetzesumgehung in der Zivilrechtswissenschaft nicht – wie im geltenden deutschen Strafrecht – zugleich die Grenze zwischen rechtsfolgenbehaftetem und rechtsfolgenlosem Verhalten betrifft, sondern allein von der weitgehend folgenlosen Fragestellung geprägt ist, ob die zweifelsohne mögliche Erfassung von Umgehungsmöglichkeiten durch ein Rechtsinstitut eigener Art zu erfolgen habe oder restlos in den allgemeinen Regeln zur Analogienbildung im Recht aufzugehen habe.13 Mit dieser vorläufigen Definition, die die Umgehung als die Ausnutzung einer Lücke zwischen Wortlaut und Telos einer Norm begreift, sollen nun möglichst umfassend diejenigen Sachverhalte diskutiert werden, die als Umgehungshandlungen im Strafrecht aufgefasst werden könnten. Anknüpfungspunkt werden dabei zum einen Gestaltungen sein, die mit dieser Arbeitsdefinition in Verbindung gebracht werden könnten, zum anderen aber natürlich auch diejenigen Konstellationen, die bereits seit jeher explizit mit dem Begriff der Gesetzesumgehung in Verbindung gebracht werden; insbesondere dann, wenn sie Gegenstand einer so genannten Umgehungsklausel des Strafrechts oder des vom Strafrecht in Bezug genommenen Wirtschaftsverwaltungs- oder Steuerrechts sind. Wenn hier soeben relativ ungeschützt von einem „Ausnutzen“ einer teleologischen Lücke die Rede ist, so ist damit zugleich angedeutet, dass bei der Erörterung der einzelnen Fallgestaltungen bereits darauf zu achten sein wird, inwiefern der Gesetzesumgehung auch stets ein subjektives Element zu eigen ist, wie es etwa in einer bereits aus der zivilrechtlichen, aber auch aus der strafrechtlichen Diskussion bekannten „Umgehungsabsicht“ zu sehen sein könnte.14

12 Teichmann, JZ 2003, 761 ff. (762); Benecke, S. 208; Schröder, S. 12; Westerhoff, S. 185; Maday, S. 29; wohl auch Sieker, S. 11 f. 13 Zu dieser Diskussion siehe Teichmann, JZ 2003, 761 ff. sowie in dieser Arbeit die Darstellung unter D. II. 14 Zu der Diskussion um die subjektive Seite der Umgehung im Zivilrecht vgl. Benecke, S. 153 ff. m. w. N.; zu der Diskussion im Strafrecht Stöckel, S. 26 ff.; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 f. (172 f.) und in dieser Untersuchung noch in D. IV. 5.

B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht Das Problem der Gesetzesumgehung ist nicht im gesamten Strafrecht gleichermaßen virulent. Die sogleich erfolgenden Einzeluntersuchungen zum materiellen Strafrechts werden ein uneinheitliches Bild ergeben; dies jedenfalls dann, wenn – wie hier – bei der Untersuchung zwischen der allgemeinen Strafrechtslehre einerseits und dem Besonderen Teil des Strafrechts andererseits unterschieden wird. Neben der Nachweismöglichkeit dieser These sollen die nachstehenden Sachverhaltsstudien in dem bereits zuvor erläuterten Sinne1 auch dazu dienen, dem schillernden Begriff der Gesetzesumgehung erste Konturen zu geben, um damit eine abstrakte Definition – sofern überhaupt möglich – im nächsten Arbeitsschritt vorzubereiten.

I. Die allgemeine Strafrechtslehre Den Rang eines allgemeinen Problems von grundlegender Bedeutung für das Strafrecht hat das hier zu behandelnde Thema, jedenfalls unter dem Begriff „Gesetzesumgehung“, nach wie vor nicht. Auf seine geringe Bedeutung für die allgemeine Dogmatik des Strafrechts haben zuletzt Bruns2, Vogel3 und Tiedemann4 wieder hingewiesen. Der Versuch einer Eingliederung in die allgemeine Strafrechtsdogmatik bleibt fast durchgängig aus. In der Kommentarliteratur findet sich – bei wenigen Autoren – allein der Hinweis unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die sich aus Art. 103 II GG ergebenden Möglichkeiten einer „Umgehung“5 des Tatbestandes seien als Folge der Verpflichtung des Gesetzgebers hinzunehmen, die Voraussetzungen der Strafbarkeit durch die konkrete Umschreibung der Tatbestandsmerkmale möglichst präzise zu bestimmen.6 Rudolphi mahnt in den Fällen der Gesetzesumgehung über diesen Hinweis hinaus zu einer genauen Prüfung, ob das fragliche Verhalten bei einer teleologischen Auslegung

1

Siehe A. („Zur Vorgehensweise“). Bruns, GA 1986, 1. 3 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. 4 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 137. 5 Hervorhebung durch Anführungszeichen bereits in der Entscheidung BVerfGE 71, 206 (217). 6 LK11-Gribbohm, § 1 Rn. 52 unter Verweis auf die identischen Ausführungen in BVerfGE aaO.; ähnlich MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 59. 2

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

nicht vielleicht doch noch von dem Wortlaut des Gesetzes erfasst wird.7 Schließlich finden sich im Zusammenhang mit Umgehungshandlungen noch vereinzelt bündige Anmerkungen zu den Problemen von Blankettstraftatbeständen und der „tatsächlichen bzw. faktischen Betrachtungsweise“ und zu den verfassungsrechtlichen Grenzen ihrer Anwendung,8,9 was bei einer Fundstelle auch in den Zusammenhang mit Umgehungshandlungen gestellt wird.10 Eine systematische Zusammenstellung der durch das gesetzesumgehende Verhalten aufgeworfenen Rechtsprobleme findet sich alleine in der Kommentierung Danneckers zu § 1 StGB im Leipziger Kommentar.11 Hiervon abgesehen bleibt die Problematik gänzlich ausgeklammert. Für die Lehrbuchliteratur zum Allgemeinen Teil des StGB ergibt sich ein ähnliches Bild: Die Umgehung von Strafnormen wird kaum als allgemeines Problem der Strafrechtsdogmatik wahrgenommen. Einzig Jakobs geht (in einer Fußnote) auf diesen Begriff überhaupt ein. Die rechtlich negativ zu wertenden Intentionen, so Jakobs, mit denen Umgehungen geschehen, änderten aber nichts an der Geltung von Art. 103 II GG.12 Deutliche Hinweise auf den Gegenstand dieser Untersuchung finden sich daneben noch in den Lehrbüchern von Roxin sowie Baumann/Weber/Mitsch im Zusammenhang mit dem Grundsatz nullum crimen sine lege.13 Auch bei diesen Stellungnahmen handelt es sich um eine mehr oder weniger apodiktisch anmutende Wiedergabe des geltenden Rechtszustands, eine genauere Auseinandersetzung mit der Fragestellung findet nicht statt. Beide Autoren sprechen auch die Reichweite des Analogieverbots bzw.

7

SK-Rudolphi, § 1 Rn. 23. Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 56; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 60. 9 Mit der faktischen Betrachtungsweise ist eine Auslegungsmethode gemeint, der zufolge die wirtschaftsrechtliche und die strafrechtliche Auslegung eines Begriffs auseinanderfallen können. Das mögliche zivilrechtsakzessorische Verständnis eines Tatbestandsmerkmals (z. B. „fremd“ bei § 242 StGB) wird dabei zugunsten einer speziell auf das Telos der Strafnorm zugeschnittenen Auffassung der Norm (z. B. nach h. M. „Vermögen“ in § 263 StGB) in den Hintergrund gedrängt. Die durch das Analogieverbot bedingten Grenzen dieser Methode sind dabei – trotz (oder gerade auch wegen) der Teilregelung der Fragestellung in § 14 III StGB – insbesondere für den „faktischen Geschäftsführer“ strittig geblieben. Vgl. zum Ganzen Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 124 ff. und hier sogleich und in E. 2. b) aa) (3). 10 Lackner/Kühl, § 1 Rn. 7. 11 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 263 ff. 12 Jakobs, 4. Abschn., Rn. 42a mit Fn. 72c. 13 Roxin, AT I, § 5 Rn. 3; vgl. dazu auch bereits S. 20 dieser Untersuchung; bei Baumann/ Weber/Mitsch, § 9 Rn. 96 heißt es anschaulich: „Gerade dem Anfänger will oft nicht einleuchten, daß der schlaue und gerissene Täter, der die Lücken des Strafrechts kennt und nutzt, der Strafe entgehen soll. Besonders dann ist ihm das unverständlich, wenn die benutzte Strafrechtslücke merkwürdig, willkürlich und eigentlich durch nichts zu rechtfertigen ist. Aber auch hier muß man sich auf die Notwendigkeit der Rechtssicherheit besinnen […]. Dem Schmerz der Grenze werden wir, wie Hellmuth Mayer einmal formuliert hat, doch nie entgehen.“ 8

I. Die allgemeine Strafrechtslehre

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des Bestimmtheitsgrundsatzes gemäß Art. 103 II GG für Blankettgesetze, etwa für § 370 AO an.14 Vereinzelt finden sich schließlich noch Hinweise auf die tatsächliche bzw. die faktische Betrachtungsweise und Bemühungen um ihre Einbindung in die Besonderheiten der Auslegung im Strafrecht. Danach ist diese Betrachtungsweise keine eigenständige Auslegungsmethode des Strafrechts, sondern ein Element innerhalb der teleologischen Auslegung von Strafrechtsnormen.15 Breiten Raum nimmt die Diskussion um die faktische Betrachtungsweise allerdings erst bei der Auslegung von Vorschriften des Wirtschaftsstrafrechts und damit für den Besonderen Teil des StGB und des so genannten Nebenstrafrechts ein. In monographischer Form haben sich bisher vier Arbeiten mit dem Problem von Umgehungshandlungen aus Sicht der allgemeinen Strafrechtslehre beschäftigt. Allein die Dissertation von Stöckel aus dem Jahr 1966 beschäftigt sich – unter Einbeziehung rechtshistorischer und rechtsvergleichender Aspekte – ausschließlich mit einer allgemeinen strafrechtsdogmatischen Einordnung der Umgehungshandlung sowie den möglichen staatlichen Reaktionen hierauf.16 Großes Gewicht haben die Beschäftigung mit dem Umgehungsterminus und die staatlichen Reaktionen auf Gesetzesumgehungen auch in den Dissertationen von Nippoldt und Pohl, die sich diesen Fragen im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Implikationen des Subventions- bzw. Steuerrechts zuwenden.17 Die Dissertationsschrift Reisners widmet sich der Strafbarkeit von Schein- und Umgehungshandlungen in der EG, wobei sie auch ausführlich die nationalen Rechtslagen Deutschlands, Frankreichs und Englands die Fragestellung betreffend behandelt.18 Auch in den Fachzeitschriften bleibt eine allgemeine Auseinandersetzung mit der Fragestellung – soweit ersichtlich – weitestgehend aus. Stöckel hat das Thema seiner Dissertation nach zehn Jahren noch einmal aufgenommen19 ; eine (vergebliche) Anregung zu vertiefter Diskussion der von Stöckel angesprochenen Probleme erfolgte durch seinen akademischen Lehrer Bruns – der das Thema bereits 1956 aufgegriffen hatte20 – wiederum ein Jahrzehnt darauf.21 In jüngster Zeit haben sich 14

Roxin, AT I, § 5 Rn. 40; Jakobs, aaO. Otto, AT, § 2 Rn. 53; Tiedemann, Anfängerübung, S. 83 f.; Jakobs, 4. Abschn., Fn. 62a, 21. Abschn., Rn. 14. 16 „Gesetzesumgehung und Umgehungsgesetze im Strafrecht“, Neuwied u. a. 1966. 17 Nippoldts Dissertation trägt den Titel „Die Strafbarkeit von Umgehungshandlungen, dargestellt am Beispiel der Erschleichung von Agrarsubventionen“ (Gießen 1974), der Titel von Pohls Arbeit lautet „Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung. Zugleich eine Studie zur Umgehungsbekämpfung im Strafrecht“ (Frankfurt am Main 1990). 18 Die Arbeit trägt den Titel „Die Strafbarkeit von Schein- und Umgehungshandlungen in der EG: ein rechtsvergleichender Beitrag zum strafrechtlichen Schutz der Finanzinteressen der EG“ (Freiburg im Breisgau 1995). 19 Stöckel, ZRP 1977, 134 ff. 20 Bruns, JZ 1956, 147 ff. 21 Bruns, GA 1986, S. 1 ff. 15

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allein Tiedemann22 und – wie bereits erwähnt – Vogel23 um die Erörterung des Problems verdient gemacht24. 1. Umgehungsnormen im Allgemeinen Teil des StGB Diese weitestgehende Ausklammerung der hier diskutierten Problematik mag auch damit zusammenhängen, dass der Allgemeine Teil des StGB mit wenigen Ausnahmen kaum Regelungen erkennen lässt, die schon dem Wortlaut nach mit dem Umgehungsgedanken in Zusammenhang gebracht werden könnten. a) Die Organ- und Vertreterhaftung, § 14 III StGB Ausnahme von der Regel könnte § 14 III StGB sein, welcher bestimmt, dass die so genannte Organ- und Vertreterhaftung nach § 14 I und II StGB auch dann greift, wenn die Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis begründen sollte, unwirksam ist. Danach soll auch das so genannte faktische Organ bzw. der faktische Geschäftsführer Adressat der Vorschrift werden. Allerdings ist § 14 III StGB aus zwei Gründen nicht geeignet, als Beispiel für den generellen Einzug des Umgehungsgedankens in den Allgemeinen Teil des StGB herzuhalten. Zum einen bildet § 14 StGB den Kern des wenig ausgeprägten deutschen Unternehmensstrafrechts und betrifft sowohl nach dem Willen des Gesetzgebers als auch im Tatsächlichen im Wesentlichen Sonderdelikte des Wirtschaftsstrafrechts, nachdem die ursprüngliche Beschränkung des Täterkreises in den Sonderdelikten des Besonderen Teils und des Nebenstrafrechts in vielfacher Weise unzeitgemäß und unzulänglich geworden war.25 Vor allem aber gilt § 14 III StGB nach richtiger Ansicht nur insoweit, als es tatsächlich zu einem Bestellungsakt gekommen ist, der allerdings unwirksam geblieben ist. § 14 III StGB erfasst daher nur den Fall des fehlerhaft bestellten Vertreters, nicht aber den des faktischen Geschäftsführer, der die in § 14 I und II StGB genannte Stellung neben einem eingetragenen Geschäftsführer ausfüllt, ohne dass es zu einem Bestellungsakt gekommen ist.26

22 Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 137 ff.; zuvor bereits ders., Tatbestandsfunktionen, S. 56 ff.; ders. Gutachten Juristentag, C 22, C 53 ff.; ders., NJW 1990, 2226 (2230 f.). 23 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. 24 Im Zusammenhang mit der Erörterung des Rechtsmissbrauchs-Arguments im Strafrecht geht auch Kölbel auf den Begriff der Gesetzesumgehung ein, GA 2005, 36 ff. (41). 25 LK12-Schünemann, § 14 Rn. 1 ff.; MüKo-StGB-Radtke, § 14 Rn. 55 f. 26 MüKo-StGB-Radtke, § 14 Rn. 112; Lackner/Kühl, § 14 Rn. 6; Schönke/SchröderLenckner/Perron, § 14 Rn. 42/43; SK-Hoyer, § 14 Rn. 83 ff.

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Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre allerdings sollen auch diese Sachverhalte grundsätzlich erfasst sein.27 Schließlich habe der Gesetzgeber die ihm bekannte Rechtsprechung zum faktischen Geschäftsführer bei Sonderpflichtdelikten unterstützen und nicht desavouieren wollen.28 Eine weite Auslegung von § 14 III StGB ergebe sich zudem aus der Gesetzgebungsgeschichte. Der Gesetzgeber habe in den Materialien deutlich gemacht, dass es nur darauf ankomme, dass der Vertreter oder Beauftragte im Wirkungskreis des eigentlichen Normadressaten mit dessen Einverständnis oder dem Einverständnis der hierzu Befugten dessen Stellung tatsächlich eingenommen hat.29 Diese vermeintliche Zielsetzung des Gesetzgebers hat jedoch keine ausreichende Stütze im Gesetzeswortlaut erfahren. Vielmehr geht der Wortlaut davon aus, dass die Unwirksamkeit des Bestellungsaktes von den Beteiligten unbeabsichtigt gewesen sein muss: § 14 III StGB nennt die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis, das begründet werden „sollte“. Diese vom Gesetzgeber aufgestellte Auslegungsbarriere mit dem Argument einreißen zu wollen, angesichts der aus dem Gesetzgebungsverfahren eindeutig hervorgehenden weitergehenden Intension des Normsetzers müsse von einem bloßen und zu vernachlässigenden Redaktionsversehen ausgegangen werden30, überzeugt nicht. Art. 103 II GG bindet den Richter – für unerträgliche Wertungswidersprüchen mag etwas anderes gelten31 – auch bei Redaktionsversehen; sie können nicht als Ermächtigung zu einer Analogienbildung herhalten, so sinnvoll diese im Einzelfall auch immer sein mag.32 Von der Geltung des Art. 103 II GG für § 14 StGB muss trotz der Stellung der letzteren Vorschrift im Allgemeinen Teil des StGB (für den die Geltung des „Lex-stricta-Satzes“ bekanntlich umstritten ist33) angesichts der strafbegründenden Funktion von § 14 StGB ausgegangen werden.34 Damit gilt § 14 III StGB nicht für Sachverhalte, in denen etwa ein Strohmann installiert wird, weil die tatsächlich die Geschäfte des Unternehmens führende Person im Hintergrund zivil- und strafrechtliche Konsequenzen etwa der Innehabung einer Geschäftsführerstellung vermeiden wollte. Wenn § 14 III StGB somit allein 27 BGHSt 3, 32; 21, 101; 31, 118; 46, 62; Fuhrmann, Tröndle-FS, S. 139 ff. (150 f.); LK12Schünemann, § 14 Rn. 71 m. w. N. 28 LK12-Schünemann, aaO. 29 LK12-Schünemann, § 14 Rn. 69. 30 So LK12-Schünemann, § 14 Rn. 69 a. E. 31 Zur Diskussion um die Korrektur von Redaktionsversehen in diesen Fällen vgl. Krey, ZStW 101 (1989), 838 (869 f.); ders., JZ 1978, 465 (467 f.); Jähnke, Spendel-FS, S. 537 ff. (544 f.). 32 SK-Hoyer, § 14 Rn. 86; Danckert, S. 121 ff. am Beispiel der so genannten berichtigenden Auslegung zu § 246 StGB a. F. 33 Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 30 f. m. w. N. 34 Zur Geltung des Analogieverbots auch im Allgemeinen Teil des StGB bei über den Besonderen Teil hinausgehenden strafbegründenden Vorschriften Roxin, AT I, § 5 Rn. 41 sowie E. II. 2. b) aa) (5).

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Fälle erfasst, in denen eine Vermeidung von Strafbarkeit von den Beteiligten überhaupt nicht intendiert war, lässt sich die Vorschrift jedenfalls dann nicht mit dem Problem von Umgehungshandlungen verbinden, wenn ein solcher Vorsatz dem Umgehungsbegriff immanent sein sollte. Damit ist hingegen noch nicht über die Anwendbarkeit der faktischen Auslegung im Strafrecht insgesamt entschieden. Sie ist auch über § 14 III StGB hinaus relevant für den Umgehungs-Topos, wird allerdings überwiegend als Problem bestimmter Sonderdelikte des Wirtschaftsstrafrechts wahrgenommen und daher auch in dieser Untersuchung erst in jenem Zusammenhang angesprochen.35 b) Die selbständige Strafbarkeit der Beteiligten, § 29 StGB Mit der Einführung der Vorläufervorschrift des heutigen § 29 StGB, des § 50 StGB a. F., durch die StrafrechtsangleichungsVO im Jahre 1943 wurde die limitierte Akzessorietät36 zum Grundsatz im System der Teilnahmestrafbarkeit erhoben. Zuvor war Voraussetzung der Strafbarkeit von Anstifter und Gehilfe stets gewesen, dass eine vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhafte Haupttat als Bezugsobjekt der Teilnehmerhandlung bestand. Die Verantwortlichkeit des Haupttäters wurde mit der Einführung der besagten Vorschrift irrelevant für die Bestrafung des Teilnehmers. Doch kann die Einführung des § 50 StGB a. F. wegen dieser Einschränkung der Teilnahmevoraussetzungen nicht als Maßnahme zur Erfassung von Umgehungen angesehen werden, denn die Ausnutzung einer wegen Notstands, Geisteskrankheit oder unvermeidbaren Verbotsirrtums entschuldigten bzw. schuldunfähigen Person zur Begehung von Straftaten war auch schon vor 1943 in der Regel von der mittelbaren Täterschaft erfasst.37 Damit kann auch der heutige § 29 StGB nicht als Umgehungsklausel im Allgemeinen Teil des StGB gedeutet werden. c) Die Bekämpfung des „Reichenprivilegs“ in § 5 Nr. 9 StGB Ein Beispiel, das zwar nicht allein aus dem Wortlaut heraus, aber immerhin nach den Motiven des Gesetzgebers mit dem Problem der Gesetzesumgehungen in Verbindung gebracht werden könnte38, ist § 5 Nr. 9 StGB, der die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen gemäß § 218 StGB auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland dann für strafbar erklärt, wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher ist und seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB hat. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien nämlich sollte § 5 Nr. 9 StGB auf Grundlage

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Siehe sogleich unter B. II. 4. Vgl. zu diesem Begriff statt aller Joecks, Vor §§ 26, 27 Rn. 3. Schönke, Vorbem. § 47 III. 2. a). Siehe bereits Stöckel, S. 20 m. w. N.

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absoluter aktiver Personalität insbesondere dem „Reichenprivileg“39 entgegenwirken, also der Strafvermeidung durch Personen, die sich eine Fahrt in das und eine ärztliche Behandlung im Ausland leisten können.40 Die Umgehungsbekämpfung bei Tatbegehung im Ausland hatte 40 Jahre zuvor den NS-Gesetzgeber in einem gänzlich anderen Zusammenhang, nämlich auf dem Gebiet der Rassen(„gesetz“41)gebung, zu einer vergleichbaren Vorgehensweise veranlasst.42 Anders als die Staatsgewalten der Bundesrepublik war das NS-Regime 39 2. Bericht, BTDrucks. V/4095 S. 5 f. Siehe auch das Protokoll der 135. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, S. 2878, wonach es vom Vorsitzenden als ein Ärgernis empfunden wird, dass sich arme Menschen strafbar machen, reiche jedoch nicht. Nach Dreher (Protokoll der 142. Sitzung, S. 3124), seinerzeit Vertreter des Bundesjustizministeriums, sei eine strafanwendungsrechtliche Regelung erforderlich, um einer ungerechtfertigten rechtlichen Bevorzugung von finanziell besser gestellten Frauen entgegenzuwirken. 40 Schönke/Schröder-Eser, § 5 Rn. 17; LK11-Gribbohm, § 5 Rn. 52; NK-Lemke, § 5 Rn. 19; kritisch zur Möglichkeit der Rechtfertigung der Geltungsbereichserweiterung allein aufgrund des Umgehungsarguments MüKo-StGB-Ambos, § 5 Rn. 29. Gemäß § 218 StGB strafbar ist nach § 5 Nr. 9 StGB allerdings auch ein im grenznahen Inland lebender Arzt, der z. B. als Belegarzt in einer im Ausland befindlichen Klinik Abtreibungen vornimmt (SK-Hoyer, § 5 Rn. 24). Insofern geht die Abfassung von § 5 Nr. 9 StGB über den eigentlichen gesetzgeberischen Zweck, dem „Reichenprivileg“ entgegenzutreten, hinaus (LK11-Gribbohm, aaO.). Allein aufgrund dieser Diskrepanz zwischen dem mit dieser Klausel vorgeblich verfolgten Ziel und ihrer tatsächlichen Reichweite ist § 5 Nr. 9 StGB Kritik ausgesetzt (so z. B. bei Oehler, Rn. 794 m. Fn. 40). 41 Jenseits einer streng positivistischen Auffassung von Recht muss die Rechtsnatur der nationalsozialistischen Bestimmungen zum „Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. 9. 1935 in Zweifel gezogen werden. Auf Vorschriften wie diese bezogen sich jedenfalls die berühmten Worte Gustav Radbruchs, mit denen er sich in nunmehriger Gegnerschaft zu einem relativistischen Positivismus – unabhängig von den unscharfen Grenzen seiner Formel zum Ausgleich des Konflikts zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit – imstande erklärte, Gesetzen ihren Rechtscharakter absprechen zu können: „[…] wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ,unrichtiges Recht‘, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur“; Radbruch, SJZ 1946, 105 (107). 42 In § 1 des Blutschutzgesetzes (Gesetz vom 15. 9. 1935, RGBl. I, S. 1146) wurden „Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ untersagt. „Trotzdem geschlossene Ehen“, so § 1 weiter „sind nichtig, auch wenn sie zur Umgehung des Gesetzes im Ausland geschlossen sind.“ Schwierigkeiten bereitete allerdings der nach §§ 2, 5 NS-BlutSchutzG dem Mann im Inland bei Strafe untersagte „außereheliche Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“, der durch den NS-Jargon auch als Tatbestand der „Rassenschande“ bekannt geworden ist. Für ihn war keine entsprechende Umgehungsklausel vorgesehen, so dass sich Schwierigkeiten ergaben, die Verlegung der Beischlafhandlungen ins Ausland (im Sprachgebrauch der Zeit „Wochenendverbrechen“) zu bestrafen. Das Reichsgericht (St 72, 91 [96]) hielt es für die Bestrafung nach dem BlutschutzG aber für ausreichend, dass der Auslandsaufenthalt gerade zum Zwecke des Beischlafs (gemeint ist wohl auch: zum Zwecke der Gesetzesumgehung) erfolgte (vgl. dazu auch Pohl, Rn. 281 ff.). Auf die gleiche Weise wie in § 1 BlutSchutzG wurde in § 3 I S. 2 NS-EhegesundheitsG (Gesetz vom 18. 10. 1935, RGBl. I, S. 1246) eine im Ausland geschlossene Ehe für unwirksam erklärt, wenn sie Zwecke der Umgehung des Heiratsverbotes

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allerdings wohl ohnehin nicht von der Einfügung dieser Klauseln abhängig, um missliebigen Gesetzesumgehungen zu begegnen.43 Die These, dass man es bei der Bekämpfung des Reichenprivilegs mit einer Reaktion auf eine offensichtliche Umgehungshandlung zu tun habe44, lohnt allerdings eine nähere Betrachtung. Dafür ist zunächst von einer Fallgestaltung auszugehen, wie sie von § 5 Nr. 9 StGB erfasst sein soll; es sind also mit anderen Worten die rechtlichen Auswirkungen eines Sachverhaltes aufzuzeigen, wie sie sich ohne die Existenz von § 5 Nr. 9 StGB darstellten. Danach macht sich etwa eine schwangere Deutsche, die nach entsprechender Beratung in der 23. Woche der Schwangerschaft eine Abtreibung des außerhalb des Mutterleibs noch nicht lebensfähigen Embryos in den Niederlanden vornehmen lässt, nach niederländischem Recht nicht strafbar.45 Eine Anwendung von § 218 StGB auf eine im Ausland durchgeführte Abtreibung kommt nach dem in §§ 3, 9 StGB zum Ausdruck kommenden Territorialitätsprinzip nicht in Frage; auch über § 7 II Nr. 1 StGB ist eine Bestrafung nicht zu erreichen, da seine Voraussetzungen gerade wegen der fehlenden Strafbarkeit der Handlung in den Niederlanden nicht vorliegen. Unter der Geltung von § 5 Nr. 9 StGB hingegen ist das Verhalten der Schwangeren als Schwangerschaftsabbruch strafbar gemäß §§ 218 I S. 1, 218a I, IV S. 1 StGB und dies unabhängig davon, ob sie die Abtreibung in der BRD oder den Niederlanden durchführen lässt. Hat nun – § 5 Nr. 9 StGB hinweggedacht – eine Umgehung von § 218 I StGB stattgefunden, wenn die Schwangere in Kenntnis der divergierenden Strafrechtsordnungen das Nachbarland aufgesucht hat, um die Schwangerschaft noch straffrei beenden zu können? Nach der bisherigen, konzeptuellen Definition ist ein Umgehungssachverhalt dadurch gekennzeichnet, dass der Täter mit seinem Verhalten nicht dem Wortlaut einer Strafnorm unterfällt, vom Sinn und Zweck der Vorschrift her aber genauso geschah, wie es in § 1 NS-EhegesundheitsG für den Fall einer körperlichen oder geistigen Behinderung eines der Verlobten vorgesehen war. 43 Es kann nämlich nicht unterstellt werden, dass die Machthaber im nationalsozialistischen Deutschland für die Erfassung von Umgehungshandlungen auf Neuerungen des positives Rechts angewiesen gewesen wären, um das ausgegebene kriminalpolitische Ziel „Nullum crimen sine poena“ zu verwirklichen (exemplarisch für die Befürworter dieses Schlagwortes C. Schmitt in seinem programmatischen Beitrag anlässlich der Übernahme der Herausgeberschaft der DJZ [DJZ 1934, Sp. 691, 693]; ausführlich dazu Rüping, Oehler-FS, S. 27 ff.). Ein strenger Gesetzespositivismus war nämlich mit der Ideologie und dem Machtanspruch der NSMachthaber angesichts vieler älterer, nicht ohne weiteres unter die NS-Vorstellungen zu subsumierenden Normen ohnehin schwer vereinbar, so dass der juristische Positivismus entgegen verbreiteter Auffassung nur schwer als alleiniger „rechtstheoretischer Sündenbock“ (Rüthers, S. 98 f.) für die Pervertierung des Rechts im Nationalsozialismus dienen kann. 44 Dieser Auffassung sind etwa LK11-Gribbohm, aaO.; SK-Hoyer, aaO.; ebenso bzgl. Umgehungshandlungen mit Bezug auf den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts ganz allgemein Bruns, GA 1986, 1 ff. (7 m. Fn. 22); Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (167 m. Fn. 56); Stöckel, S. 12, 20; anders ders. für die Strafbarkeit de lege lata, S. 109 ff. 45 Scholten, Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, S. 991 ff. (1019 f.).

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strafwürdig handelt. Der Schwangerschaftsabbruch im Ausland ist mit dieser Begriffsbestimmung nicht ohne Weiteres in Deckung zu bringen, denn das Verhalten erfüllt zweifelsohne die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 218 StGB. Seiner Anwendung stehen vielmehr die allgemeinen Regeln über den räumlichen Geltungsbereich des StGB im Wege. Eine Umgehung von § 218 StGB durch den beschriebenen Sachverhalt ist danach nur gegeben, wenn das Telos von § 218 StGB so verstanden werden müsste, dass § 218 StGB (mitsamt § 218a StGB) überall zu gelten habe und eine Unstimmigkeit zu dieser normativen Festlegung zwar nicht im Wortlaut von § 218 StGB selbst zu sehen sei, wohl aber in den Regelungen der §§ 3 ff. StGB, die eine entsprechende Allzuständigkeit des § 218 StGB in zweckwidriger Weise nicht vorsehen. Anhand dieser Überlegungen wird bereits deutlich, dass die in § 5 Nr. 9 StGB für strafbar erklärte Handlung der Schwangeren möglichenfalls keinen typischen Umgehungsfall darstellt, denn die Strafwürdigkeit des Schwangerschaftsabbruchs im Ausland ist § 218 StGB nur insoweit (und allenfalls mittelbar) zu entnehmen, als diese Strafvorschrift den Schwangerschaftsabbruch in der 23. Schwangerschaftswoche jedenfalls für die deutsche Rechtsordnung bei Fehlen einer entsprechenden Indikation nach § 218a II, III StGB auch für die Schwangere selbst für strafbar erklärt. Die Folgerung, dass dieses Verhalten auch außerhalb der BRD gleich strafwürdig sei, bedarf aber einer weiteren Begründung, zumal der deutsche Gesetzgeber durch den in den § 3 ff. StGB geregelten Grundsatz des erweiterten Territorialitätsprinzips46 gerade deutlich macht, dass die Geltung deutschen Strafrechts außerhalb der BRD an besondere Voraussetzungen gebunden und nicht die Regel sein soll, wobei insbesondere die Voraussetzungen des § 7 StGB als Ausdruck des nach Art. 25 GG zu berücksichtigenden völkerrechtlichen Grundsatzes der Nichteinmischung aufgefasst werden können.47 Der Sinn der gesetzlichen Anknüpfungsnormen des Strafanwendungsrechts ist es gerade, trotz genereller materieller Strafbarkeit zahlreiche Handlungen im Ausland aus der Strafgewalt des jeweiligen Staates herauszunehmen.48 Zugegebenermaßen überspitzt formuliert könnte man den Unterschied zwischen der Umgehungshandlung mit allein nationalen Bezügen und der Umgehungshandlung unter dem Einfluss des Strafanwendungsrechts also darin sehen, dass etwa die im Ausland abtreibende Schwangere die Geltung von § 218 StGB viel eher respektiert, als wenn sie einen Weg fände, einen straflosen Schwangerschaftsabbruch im Inland zu veranlassen, der unter Ausnutzung einer planwidrigen Regelungslücke in § 218 StGB erfolgt. Natürlich ließe sich diese Argumentation auch dergestalt umkehren, dass es wohl die offensichtlichste aller Umgehungen sei, wenn eine zweifelsohne tatbestandliche, rechtswidrige und schuldhafte Handlung bei identischem Ausführungsverhalten in das benachbarte Ausland verlegt wird. Doch ist eben diese Umkehrung der Argumentation begrün46 47 48

Vgl. zu diesem Grundsatz statt vieler Joecks, Vor § 3 Rn. 3. Zu diesem Grundsatz siehe Ambos, § 3 Rn. 39 ff. Stöckel, S. 109.

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dungspflichtig: Es gilt angesichts der dargelegten Prinzipien des deutschen Strafanwendungsrechts nachzuweisen, aus welchem Grund § 218 StGB auch für das benachbarte Ausland zu gelten habe, in dem eine entsprechende Handlung straffrei ist. Es erscheint hierfür naheliegend, als Begründung eben die konkrete Motivation des Gesetzgebers – also die Bekämpfung des „Reichenprivilegs“ – anzuführen und diese Zielrichtung zugleich als maßgeblich für die Identifikation der Abtreibung im Ausland als Umgehungssachverhalt anzusehen. Doch hat der Gesetzgeber die Möglichkeit der Abtreibung im Ausland im Allgemeinen nicht zum Anlass für die Schaffung einer Umgehungsklausel erklärt, entscheidend war vielmehr der Wille zur Herstellung von Strafgleichheit zwischen Personen und nicht allein zwischen den äußeren Geschehensabläufen im Übrigen. Ein strafwürdiges „Ärgernis“ war nämlich nach den Stellungnahmen der an der Gesetzgebung Beteiligten gerade die Straflosigkeit der wohlhabenden Frauen bzw. die Strafbarkeit derjenigen Schwangeren, die sich eine Reise ins Ausland zum Zwecke des Schwangerschaftsabbruchs nicht leisten konnten49, nicht aber die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs im Ausland im Allgemeinen. Im Gesetzeswortlaut haben diese Gleichheitserwägungen allerdings keinen Ausdruck gefunden, „reich“ und strafbar ist nach § 5 Nr. 9 StGB vielmehr jede Schwangere, die durch den Schwangerschaftsabbruch im Ausland bewiesen hat, dass sie die Mittel hierfür aufzubringen in der Lage war. Strafbar sind damit auch diejenigen Frauen, die die Abtreibung nicht aus eigenen Mitteln bestreiten konnten, sondern hierfür unentgeltlich Gelder Dritter annahmen, etwa von Verwandten oder von Organisationen, die hierdurch die Verwirklichung von Frauenrechten gefördert sehen.50 Angesichts dieser im Wortlaut von § 5 Nr. 9 StGB festgelegten weltweiten Anwendbarkeit von § 5 Nr. 9 StGB ist wohl die Beobachtung zutreffend, dass die Vorschrift über die nach dem Ergebnis der subjektiv-historischen Auslegung dort festgelegte „Reichen-Erfassung“ hinaus auf denjenigen Wertvorstellungen fußt, die auch sonst mit dem absoluten aktiven Personalitätsprinzip in Verbindung gebracht werden müssen, für das § 5 Nr. 9 StGB ein typisches Beispiel liefert. Strafgrund ist danach auch, dass die Schwangere eine „Treuepflicht“51 bzw. „Sonderpflicht“52 gegenüber ihrem Heimatstaat verletzt hat, wie sie angenommen werden kann, sofern man dazu bereit ist, die bloß staatsangehörigkeitsrechtliche Verbindung zwischen Heimatstaat und Täter ideologisch zu überhöhen.53 Der Geltungsgrund von § 5 Nr. 9 StGB wird auf diese Weise gleichgesetzt mit der Bewahrung der Rechts- und Sittenordnung des Heimatlandes und die Vorschrift ist Ausdruck einer politisch und 49

Vgl. o. Fn. 9. Die Einteilung in wohlhabende und arme Schwangere, welche für die faktischen Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs im Ausland ausschlaggebend sein sollte, dürfte inzwischen ohnehin an Bedeutung verloren haben; MüKo-StGB-Ambos, § 5 Rn. 29. 51 Ambos, § 3 Rn. 40. 52 Oehler, Rn. 794. 53 Ambos, aaO. 50

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moralisch-grundsätzlichen Lösung54 bzw. eines „weltanschaulichen Kompromisses“55 und des Misstrauens gegenüber den materiell-strafrechtlichen Anordnungen der Nachbarstaaten. Ob nun das Vorgehen gegen ein „Reichenprivileg“ allein und/oder eine ungeschriebene Treuepflicht zur ubiquitären Beachtung der nationalen Vorschriften zum Schutz des ungeborenen Lebens ausschlaggebend für die Einfügung von § 5 Nr. 9 StGB waren, ist für die Fragestellung dieser Untersuchung letztendlich ohne Belang. Von Interesse für die Einordnung der Vorschrift in den Umgehungszusammenhang ist allein, dass sich weder § 218 StGB noch den § 3 ff. StGB (§ 5 Nr. 9 StGB natürlich wiederum ausgenommen) ein Verbot zum Schwangerschaftsabbruch im Ausland (für unseren Fall: in den Niederlanden) entnehmen lässt. Etwas anderes könnte sich allerdings daraus ergeben, dass § 218 StGB einfachgesetzlicher Ausdruck von Art. 2 II S. 1 Alt. 1 GG ist. Es gilt die grundlegende Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Tötung eines Embryos Zerstörung menschlichen Lebens ist und dass die Wertordnung des Grundgesetzes es unverzichtbar gebietet, diesen Sachverhalt als schwerwiegendes Unrecht zu kennzeichnen.56 Bei der Entscheidung, wie die ihm damit aufgegebenen grundrechtlichen Schutzpflichten wirksam zu erfüllen sind, ist der Gesetzgeber an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, der es nicht zulässt, bei elementaren Schutzaufgaben auf den Einsatz auch des Strafrechts frei zu verzichten. Andernfalls würden die Mindestanforderungen grundrechtlicher Schutzpflicht verfehlt, womit das so genannte Untermaßverbot verletzt wäre.57 Der Schutz des menschlichen Lebens durch alle staatlichen Organe ist auch vor Eingriffen durch Dritte zu gewährleisten, was sich aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte ergibt.58 Danach erscheint es möglich, dass § 5 Nr. 9 StGB eine Umgehungsklausel zum Schutze der Geltung nicht nur des einfachen Rechts, sondern von Art. 2 II S. 1 1. Alt. GG selbst ist. Dafür wäre nach der hier aufgestellten vorläufigen Umgehungsdefinition notwendig, dass der Schwangerschaftsabbruch im Ausland nicht unter Strafe gestellt ist, obwohl dies in § 218 StGB bzw. §§ 3 ff. StGB nach dem Sinn und Zweck von Art. 2 II S. 1 1. Alt. GG hätte geregelt sein müssen. Fraglich ist allerdings bereits, inwieweit die Schutzpflichten des nationalen Verfassungsrechts überhaupt für den europäischen Rechtsraum gelten.59 Jedenfalls haben Gesetzgeber und vollziehende Gewalt bei der Wahrnehmung von Schutz54

Zieher, S. 138. Vogler, Grützner-FS, S. 149 ff. (158). 56 BVerfGE 39, 1 (42 ff., 46); 88, 203 (255). 57 Siehe zum Untermaßverbot BVerfGE 88, 203 (254 ff.); Umbach/Clemens-Wiedemann, Art. 2 II Rn. 342; LK12-Weigend, Einl. Rn. 2. 58 BVerfGE 39, 1 (41 f.); 77, 170 (214); 79, 174 (201 f.); Jarass-Pieroth-Jarass, Art. 2 Rn. 91 ff. 59 Vgl. dazu Szczekalla, S. 529, 909 ff., 933 ff.; Handbuch der Grundrechte-Calliess, § 44 Rn. 15 ff. m. w. N. 55

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pflichten einen mehr oder weniger weiten inhaltlichen Einschätzungs-, Wertungsund Gestaltungsspielraum, da die Ausgestaltung und Verwirklichung der Schutzpflichten im Einzelnen erheblichen Justitiabilitätsgrenzen unterliegt.60 Danach kann ein Verstoß gegen das Untermaßverbot nicht schon darin gesehen werden, dass diejenigen Schwangerschaftsabbrüche im Ausland nach dem deutschen Strafrecht straffrei gestellt bleiben, die das Schutzniveau der §§ 218 ff. StGB unterbieten. Jedenfalls muss dies dann gelten, wenn die ausländische Rechtsordnung gleichfalls Strafvorschriften zum Schutz des Embryos vorsieht und ein beachtlicher Schutzbereich für das ungeborene Leben bestehen bleibt. Dies ist jedenfalls für die Niederlande, die hier als Beispiel dienen sollten, entgegen landläufig vertretener Anschauungen durchaus der Fall.61 Die Schlussfolgerung, dass auch der Schwangerschaftsabbruch nach § 218 StGB im Ausland strafbar sein muss, ist nach alledem auf Ableitungen angewiesen, die nicht allein aus einem positiv-rechtlichen, sondern aus einem ethisch-politischen (insbesondere christlich-naturrechtlichen) Wertesystem für diese heikle Thematik schöpfen, wonach der nach dem nationalen Recht gewährleistete Mindestschutz des ungeborenen Lebens durch ausländisches Sachrecht keineswegs unterschritten werden darf. Damit unterscheidet sich § 5 Nr. 9 StGB wesentlich von Umgehungssachverhalten mit allein nationalen Bezügen. Für die Feststellung von Umgehungssachverhalten im deutschen Recht nämlich ist die Inbezugnahme der lex lata unentbehrlich. Zwar soll nicht bestritten werden, dass auch die Bestimmung des Umgehungsterminus – und erst recht seine eventuelle Heranziehung zur Strafbegründung bzw. Straferweiterung – im nationalen Recht von moralischen Wertungen abhängig sein könnte, selbst wenn sie sich in Formulierungen hüllen, die z. B. auf die gleiche Strafwürdigkeit des Verhaltens, einen vermeintlichen Rechtsmissbrauch oder die Umgehungsabsicht des Täters abstellen. Der Begriff der Umgehung bzw. der Erschleichung ist schließlich schon nach dem natürlichen Sprachgebrauch pejorativ unterlegt und beschreibt damit schlaglichtartig die das wissenschaftliche Interesse weckenden Besonderheiten dieses Teilbereichs von straflosen Verhaltensweisen. Doch besteht ein rechtliches Junktim für das nationale Recht wenigstens durch den Bezugspunkt der Umgehung, welcher durch die umgangene Norm selbst gebildet wird: „Keine Rechtsnorm kann zugleich auch die zu ihrer Umgehung begangenen 60 BVerfGE 46, 160 (164); 77, 170 (214 f.); 92, 26 (46); 96, 56 (64); Umbach/ClemensWiedemann, Art. 2 II Rn. 334. 61 Die Strafandrohung für den Schwangerschaftsabbruch ist in den Niederlanden sogar höher als in der Bundesrepublik Deutschland: Für den Schwangerschaftsabbruch ist in den Niederlanden ein Regelstrafrahmen von bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen, durch Qualifizierungen kann der Regelstrafrahmen 10 Jahre übersteigen, Eser/Koch, S. 158. Das Fristenmodell der Niederlande sieht für den Schwangerschaftsabbruch eine Obergrenze bei Lebensfähigkeit des Fötus vor, also zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche, Eser/ Koch, S. 78; Scholten, Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, S. 991 ff. (1019 f.).

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Taten unmittelbar erfassen, jedenfalls solange man an der Auslegungsgrenze des Wortlauts festhält. […] Echte, geglückte Gesetzesumgehung liegt außerhalb des zulässigen Auslegungsbereichs der umgangenen Norm.“62 Dieser Bezugspunkt fehlt der hier diskutierten Fallgestaltung aus dem Bereich des internationalen Strafanwendungsrecht: Eine durch den Schwangerschaftsabbruch in den Niederlanden umgangene Norm des positiven Strafrechts ist schlicht nicht auszumachen, denn auch und gerade § 218 StGB ist nicht ohne Weiteres zu entnehmen, an welchen Orten die Vorschrift Schutzwirkung entfalten soll. Nur wer demnach bereit ist, den §§ 218 ff. StGB einen für alle Deutschen verpflichtenden, universell gültigen zivilisatorischen Mindeststandard zuzuschreiben bzw. § 218 StGB entnimmt, das Arme und Reiche für den Schwangerschaftsabbruch unbedingt gleichermaßen zu bestrafen sind, kann – trotz der in den §§ 3 ff. StGB nicht vorgesehenen Strafbarkeit – einer Abtreibung im benachbarten Ausland63 Umgehungscharakter beimessen und § 5 Nr. 9 StGB als die entsprechende Reaktion hierauf deuten. Wer hingegen der Auffassung ist, dass die §§ 218 ff. StGB nicht mit Hilfe dieser allein ethisch-rechtspolitischen Kategorien unterfüttert werden dürfen, muss zu dem Ergebnis kommen, dass es sich bei § 5 Nr. 9 StGB um keine Umgehungsklausel handelt, da die Geltung der lex lata von der Schwangeren bei Nicht-Geltung von § 5 Nr. 9 StGB weder direkt noch indirekt in Zweifel gezogen worden ist. Tatsächlich scheint der Schwangerschaftsabbruch in den Niederlanden häufig deshalb als Umgehungssachverhalt aufgefasst zu werden, weil aus § 218 StGB Aussagen über seinen Geltungsbereich herausgelesen werden, die vom Normausleger zuvor selbst hineininterpretiert worden sind. Dem geltenden Recht sind diese Annahmen jedoch nicht zu entnehmen. Die Einordnung von § 5 Nr. 9 StGB als gesetzgeberische Reaktion auf einen Umgehungssachverhalt hat sich damit als sehr viel voraussetzungsvoller erwiesen, als es zunächst den Anschein hatte. Bei genauer Trennung zwischen der konkreten Strafanordnung im Besonderen Teil des StGB und den Regeln über den räumlichen Geltungsbereich des deutschen Strafrechts im Allgemeinen Teil jedenfalls wird diese Einreihung nach den hier angestellten teleologischen Erwägungen mehr als zweifelhaft. Zu einem anderen Ergebnis kann allerdings gelangt werden, wenn der Umgehungsbegriff allein subjektiv bestimmt wird, denn die Tatsache, dass die Schwangerschaftsabbrüche im Ausland (abgesehen von eventuell auch relevanten finanziellen Überlegungen) gerade zur Vermeidung der deutschen Strafrechtsordnung stattfinden, kann wohl nicht ernsthaft bestritten werden. Für die endgültige Festlegung des Umgehungsbegriffs im zweiten Teil dieser Arbeit wird daher mit ausschlaggebend sein, in welches Verhältnis die Determinanten Rechtsgutsverletzung, Normzweck und Absicht der Strafvermeidung zueinander gesetzt werden müssen. Es könnte sich noch – so die an dieser Stelle nur anzudeutende These – herausstellen, 62

Stöckel, S. 88 f. Stets zu unterstellen ist dabei natürlich, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht schon nach den Strafvorschriften des Nachbarlandes zu ahnden ist. 63

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dass § 5 Nr. 9 StGB nicht so sehr die Umgehung des Gesetzes verhindern will, sondern vielmehr die Umgehung der Strafe durch die Schwangere. 2. Die Erschleichung von Rechtfertigungs-, Entschuldigungsund Schuldausschließungsgründen Dogmatische Problemstellungen aus dem Allgemeinen Teil des StGB, die auch als Problem der Umgehung von Strafgesetzen gesehen werden könnten, werden gerade unter diesem Blickwinkel allein in den in Hinblick auf den Umgehungsgedanken ohnehin einschlägigen Diskussionsbeiträgen von Stöckel, Bruns und Vogel genannt und diskutiert. Sie gehen dabei besonders auf die seit langem umfangreich diskutierten Fragestellungen um die absichtliche Notwehrprovokation und die vorsätzliche actio libera in causa ein64, angesichts deren Prominenz in der wissenschaftlichen Diskussion es zunächst umso erstaunlicher erscheinen muss, dass der Umgehungsgedanke auf sie bisher kaum angewendet wurde. a) Die Notwehrprovokation als klassischer Fall der Normerschleichung? – Zur Notwendigkeit, die vorläufige Begriffsbestimmung von gesetzesumgehendem Verhalten fortzuentwickeln Die breit angelegte Diskussion über die sozialethischen Grenzen der Notwehr in der Strafrechtswissenschaft reflektiert einen Umbruch in der forensischen Praxis der Anwendung von § 32 StGB (bzw. § 53 StGB a. F.), der vor fast 50 Jahren einsetzte und bis heute nicht abgeschlossen ist.65 Wenn dabei hier der Behauptung beigepflichtet wird, die Diskussion um die Notwehrprovokation werde zu Unrecht nicht mit dem Umgehungsgedanken in Verbindung gebracht, so folgt hieraus natürlich zugleich die Pflicht, zu begründen, was die Notwehrprovokation denn überhaupt zu einem für diese Arbeit relevanten Phänomen machen soll. Dabei sollen die Ausführungen zunächst auf die so genannte Absichtsprovokation beschränkt bleiben, deren hoher Stellenwert in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung allerdings in einem frappanten Gegensatz zu ihrer – wegen offensichtlicher Beweisschwierigkeiten – geringen forensischen Bedeutung steht.66

64 Stöckel, S. 20 ff.; Bruns, GA 1986, 1 (7); Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (167). Je ein Beispiel für Notwehrprovokation und die actio libera in causa waren bereits in der Einleitung dieser Untersuchung genannt worden. Erwähnung findet die Problematik auch bei Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 137. 65 Loos, Deutsch-FS, S. 233 mit umfangreichen Nachweisen. 66 Roxin, AT I, § 15 Rn. 65; Loos, Deutsch-FS, S. 233 ff. (236).

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aa) Die absichtliche Notwehrprovokation Dass die absichtliche Notwehrprovokation als Fall der Umgehung im Strafrecht eingeordnet wird, überzeugt zunächst unmittelbar. Kaum eine Gestaltung ist besser geeignet, die intuitiven, dafür aber umso stärkeren Bedenken dagegen abzubilden, dass sich Straftäter durch eine bewusst gewählte Situationsgestaltung dort Straflosigkeit verschaffen, wo ihre Bestrafung vermeintlich ein Gebot der Gerechtigkeit ist. Doch zeigt der nähere Blick, dass gerade dieses so augenscheinliche Beispiel für seine Einordnung in den Umgehungszusammenhang einen weitaus größeren Begründungsaufwand verlangt, als es das Rechtsgefühl vermuten ließe. Diese sogleich zu erörternden Schwierigkeiten ergeben sich aus der Begründung für eine Einschränkung des Notwehrrechts bei Provokationen und aus der Übertragbarkeit dieser Begründungen auf den Umgehungsterminus einerseits sowie aus der Struktur der Notwehr andererseits, die einen allgemeinen Erlaubnissatz, also eine begünstigende Norm darstellt. Nach der zuvor bereits vorgestellten „Arbeitsdefinition“ zeichnet es den gesetzesumgehenden Täter aus, dass es ihm gelingt, mit seinem Verhalten die Lücke zwischen Wortlaut und Telos einer Strafnorm zu finden, deren analoge Anwendung dem Rechtsanwender durch Art. 103 II GG verwehrt ist.67 Der Täter bleibt nach den Buchstaben des Gesetzes straffrei, obwohl sein Verhalten dieses Privileg nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht genießen sollen dürfte. Für die Notwehrprovokation nun bestehen Besonderheiten, die sie von den Fällen, auf die die eben benannte, vorläufige Umgehungsformel abzielt, unterscheiden könnte. Zum einen stellt sie sich als Problem im Zusammenhang mit einer Regel des Allgemeinen Teils dar, welche für die gesamte Strafrechtsordnung Geltung beansprucht; das Problem der Notwehrprovokation bezieht sich also nicht auf die Umgehung eines Einzelstraftatbestandes aus dem Besonderen Teil des StGB. Zum anderen will der Notwehrprovokateur ja gerade erreichen, dass sein Verhalten dem Regelungsbereich von § 32 StGB unterfällt, eine Normvermeidung in Form der Normumgehung kann gerade nicht Ziel seines Handelns sein, sondern vielmehr die Einbeziehung seines Verhaltens unter einen Erlaubnissatz. (1) Die Absichtsprovokation als Problem des Allgemeinen Teils Zur ersten Besonderheit: Der Allgemeine Teil des StGB ist ein Produkt der Abstraktion, er enthält alles, was sich von den Voraussetzungen und Folgen strafbaren Handelns vor die Klammer der im Besonderen Teil beschriebenen Einzeldelikte ziehen lässt.68 Die Regeln über die Notwehr lassen sich daher also auch als ein jeweils weiterer Absatz eines jeden Strafgesetzes hinzudenken. Daraus, dass die Notwehr im Allgemeinen Teil des StGB geregelt ist, ergeben sich also für die hier 67 68

Siehe A. III. Roxin, AT I, § 1 Rn. 15.

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interessierende Fragestellung zunächst keine Schwierigkeiten.69 Auch die Frage danach, ob die Notwehrprovokation gegenüber anderen Erscheinungsformen der Umgehung aufgrund ihres Regelungsortes (also dem Allgemeinen Teil des StGB) deshalb leichter zu erfassen sein könnte, weil nach Auffassung vieler das Programm des Art. 103 II GG für die Erlaubnissätze nicht oder nicht in vollem Umfang greift70, braucht an dieser Stelle, die nur eine Zuordnung diverser Fallgestaltungen zum (noch vorläufigen) Umgehungsbegriff leisten soll, nicht erörtert zu werden.71 (2) Die Absichtsprovokation als Fall der Erschleichung In Hinblick auf das Ziel des Täters – die Einbeziehung des Verhaltens in den Regelungsbereich einer Norm – ist den bisherigen Analysen zu dieser Besonderheit des Untersuchungsgegenstandes beizupflichten, dass die Umgehung und die im Fall der Notwehrprovokation vorliegende „Erschleichung“ begrifflich scharf zu trennen sind.72 Dies gilt insbesondere für die noch zu diskutierenden verfassungsrechtlichen Grenzen der Erfassung von Umgehungshandlungen einerseits und Erschleichungshandlungen andererseits, weil die Differenzierung dort auch Folgen zeitigt: Während für Umgehungen die Trennung von noch zulässiger (extensiver) Auslegung und verbotener Analogie das Kernproblem bildet, ist für Erschleichungen im Strafrecht die Abgrenzung von noch zulässiger restriktiver Auslegung und unzulässiger „Gegenanalogie“73 bei Unterschreitung des Wortlauts durch Eingriffe in den „Begriffskern“ des gewährenden Rechtssatzes maßgeblich.74 Gleichwohl besagen beide Wendungen für das vom Täter angestrebte rechtliche Ergebnis dasselbe. Denn für die von ihm ins Auge gefasste Straflosigkeit ist es einerlei, ob der Tatbestand einer Norm unmittelbar vermieden wird oder dieses Ergebnis mittelbar durch die Erschleichung eines Erlaubnissatzes erreicht wird. Die Begriffe „umgehen“ und „erschleichen“ beleuchten also letztendlich die gleiche Frage, nämlich das Verhältnis des Täterverhaltens zur Strafnorm, von verschiedenen Seiten.75 Insbesondere 69

Mit diesem Hinweis auf die Gesetzestechnik des Einfügens der Erlaubnissätze in den Unrechtstatbestand einer jeden Strafnorm ist noch keine Festlegung darüber getroffen, ob die Erlaubnissätze als so genannte negative Tatbestandsmerkmale zu deuten sind, vgl. hierzu Roxin, AT I, § 10 Rn. 13 ff. m. w. N. 70 Dieser Auffassung sind etwa Roxin, AT I, § 5 Rn. 42; ders., Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 31 f.; Krey, Studien, S. 233 ff.; Erb, ZStW 108 (1996), 266 ff.; Günther, Grünwald-FS, S. 213 ff.; erhebliche Bedenken in Bezug auf die Einschränkung der Notwehr durch das Rechtsmissbrauchsargument äußert hingegen Dannecker, Otto-FS, S. 25 ff. (35 f.) m. w. N. 71 Zu dieser Problemstellung siehe noch E. II. 2. b) aa) (5); bb) (2) (d) (aa); bb) (3) (e) (aa). 72 Stöckel, S. 22; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (164 f.); Reisner, S. 125; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 141. 73 Als Schöpfer dieses Begriffs kann Dahm (Deutsches Recht, S. 62) gelten. 74 OLG Hamm NJW 1982, 1405 ff.; Reisner, S. 88 f.; Nippoldt, S. 59 ff.; LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 109 m. w. N.; ders., Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 11 f. m. w. N. 75 Stöckel, aaO.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 141; ders., in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 2; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (153).

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zeichnet beide Erscheinungsformen gleichermaßen aus, dass sie im Gegensatz zu Scheinhandlungen gerade wegen normbezogener Rechtsanwendungsprobleme erhebliche Schwierigkeiten bereiten.76 Beides sind letztendlich Umgehungen der Strafbarkeit, wobei gerade der Täter der absichtlichen Notwehrprovokation nicht anders kann, als sich zu der Strafvermeidung eines Erlaubnissatzes zu bedienen, denn die Verwirklichung des Tatbestandes eines Strafgesetzes, z. B. einer Körperverletzung, ist gerade Ziel seines Handelns. Für das mit dem Begriff der Normerschleichung verbundene Problem wird zum Teil auch der Terminus der „Ergehung“ benutzt, der sprachlich allerdings wenig geglückt ist. Auch wenn deshalb im Folgenden an der „Erschleichung“ festgehalten werden soll, so muss wenigstens die berechtigte Kritik an diesem Wort Gehör finden: Es ist sicherlich zutreffend, dass der Begriff der Erschleichung noch mehr als der Umgehungsterminus sowohl negativ besetzt ist als auch ein bewusstes, also ein notwendigerweise vorsätzliches Verhalten beschreibt.77 Diese Bedenken aufnehmend sollte es allerdings möglich sein, weiterhin den Begriff der Erschleichung zu verwenden, ohne für die Begriffsbestimmung oder die Auslegung von Normen voreingenommen zu sein. (3) Subsumtion unter den Begriff der Erschleichung im Einzelnen Mit der Sichtung dieser Vorfragen ist allerdings noch immer nicht dargelegt, warum das vom Provokateur an den Tag gelegte Verhalten entgegen dem auf den ersten Anschein einschlägigen Wortlaut des § 32 II StGB nicht als Notwehr einzuordnen und zugleich als ein Fall der Gesetzesumgehung (in Form der „Gesetzeserschleichung“) einzuschätzen ist. (a) Die Streitfragen bei der Absichtsprovokation78 Schon die Herleitung einer teleologisch begründeten Einschränkung von § 32 StGB muss verhältnismäßig schwer ausfallen, weil das Telos einer etwa im Wirtschaftsverwaltungsrecht angesiedelten gewährenden Norm grundsätzlich leichter zu ermitteln sein wird,79 als dies für die Notwehr der Fall ist, deren Grenzen häufig im Zusammenhang mit ihrer Zweckbestimmung und damit mit der Auseinandersetzung über die beiden Grundprinzipien der Notwehr und ihrem Verhältnis zueinander diskutiert werden. Andere behelfen sich bei dieser schwierigen Auslegungsfrage damit, auf die Voraussetzungen von § 32 II StGB zurückzuverweisen. Häufig wird 76

Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (164 f.). Benecke, S. 35, Westerhoff, S. 7. 78 Zum im Folgenden dargestellten Streitstand um die Begründung der Notwehreinschränkungen bei absichtlicher Provokation siehe MüKo-StGB-Erb, § 32 Rn. 198 ff.; Roxin, AT I, § 7 Rn. 65 ff.; Kühl, § 7 Rn. 228 ff. und hier im Text im 1. Teil bei B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd). 79 Vgl. etwa die Diskussion um die Erschleichung von Subventionen nach dem Investitionszulagengesetz vor der Schaffung von § 264 StGB, B. II. 3. c). 77

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dabei das provozierende Vorverhalten in den Blick gerückt und z. B. als Obliegenheitsverletzung oder Risikoübernahme gedeutet; zum Teil wird argumentiert, es fehle am Verteidigungswillen, oder es wird das Argument der Ingerenzhaftung gegen das Täteranliegen, gerechtfertigt zu handeln, verwendet. Diesen Ansichten nach stellt sich das Problem einer teleologisch begründeten Einschränkung vermeintlich erst gar nicht80. Andere versagen dem Provozierenden die Notwehr bündig mit dem Argument des Rechtsmissbrauchs. Schließlich soll die Notwehr nach den Grundsätzen der actio illicita in causa ausgeschlossen sein. Zum Teil werden die Argumente auch kumulativ verwendet. Insgesamt sind die Ansätze zur Lösung der Absichtsprovokation von fast schon „verwirrender Vielfalt“81. Es zeigt sich, dass die Verknüpfung der von der fast einhelligen Auffassung für richtig empfundenen Rechtsfolge (Einschränkung des Notwehrrechts bis hin zur vollständigen Versagung) mit dem mit einem plakativen Begriff belegten Tatbestand („Absichtsprovokation“) schwer fällt. Deutlich wird allein der die Ansichten einigende Wille, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.82 Doch auch über die Begründung für die Einschränkung der Notwehr hinaus bestehen erhebliche Uneinigkeiten. So wird nicht eindeutig beantwortet, wie weit die Einschränkungen des Notwehrrechts für den Provokateur gehen sollen: Soll das Notwehrrecht ganz ausgeschlossen sein, ist der Täter zunächst auf weniger einschneidende Maßnahmen zu verweisen oder hat die vorherige absichtliche Provokation überhaupt keine negativen Folgen in Bezug auf die Abwehrrechte des Angegriffenen?83 Auch schon der Begriff der Provokation selbst erscheint als erheblich klärungsbedürftig. Mit ihm hat man keineswegs einen rechtlichen, entscheidungstragenden Begriff an der Hand, vielmehr handelt es sich um nicht mehr als ein illustrierendes Schlagwort.84 Eindeutig ist zunächst nur, dass die bloße Urheberschaft des späteren Verteidigers nicht für eine die Notwehrrechte beschränkende „Provokation“ herangezogen werden kann, liefert das Opfer einer Straftat in den allermeisten Fällen doch bereits durch offensichtlich sozial adäquate Eigenschaften und Verhaltensweisen einen Kausalbeitrag zu dem späteren Angriff auf seine Rechtsgüter.85 Zu denken ist etwa an das bloße Innehaben einer Eigentums- bzw. Gewahrsamsposition 80 So heißt es bei Hirsch, BGH-FS, S. 199 ff. (202): „Die Fälle der Notwehrprovokation lassen sich jedoch unschwer und sachentsprechend bereits im Rahmen der gesetzlichen Notwehrdiskussion lösen.“ Ob dieser These von ihren Vertretern tatsächlich ohne Rückgriff auf Wertungen entsprochen wird, die sich nicht aus dem Wortlaut von § 32 II StGB ableiten, wird allerdings noch zu überprüfen sein. 81 Kühl, § 7 Rn. 233; nach LK12-Rönnau/Hohn ist das Spektrum der vertretenen Ansichten „denkbar weit“. 82 Ebenso das Urteil Sydows, S. 225 über die verschiedenen dogmatischen Konstruktionen, die für eine Strafbarkeitserweiterung im Fall der „actio libera in causa“ vertreten werden. 83 Vgl. Kühl, § 7 Rn. 245 ff. 84 LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 245. 85 LK12-Rönnau/Hohn, aaO.

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über einen Gegenstand (Anlass für §§ 242 ff. StGB), die körperliche Unterlegenheit des Opfers (§ 223 StGB) oder seine persönlichen Vorlieben und Neigungen (häufig Anlass für § 185 StGB). Jenseits dieser Grundposition besteht – insbesondere für die Frage, ob das Vorverhalten seinerseits rechtswidrig oder bloß sozial missbilligenswert gewesen sein muss – erhebliche Uneinigkeit über die „Qualität“, die die der Notwehr vorausgehenden Handlungen des später Notwehr Übenden gehabt haben müssen, um von einer (absichtlichen) Notwehrprovokation ausgehen zu können.86 Schließlich sei noch auf die allen so genannten „sozialethischen“ Einschränkungsversuchen der Notwehr zugrunde liegende Streitigkeit hingewiesen, ob sich die Begrenzungen des Notwehrrechts allein aus einer teleologischen Einschränkung der Notwehr durch Aktualisierung ihrer immanenten Schranken bzw. durch das Rechtsmissbrauch-Argument erklären lassen oder ob nicht mit § 32 I StGB sogar eine taugliche Stütze im Wortlaut der Notwehrvorschrift gegeben ist.87 Die bei diesen Streitfragen nahe liegenden Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Vorschrift (jedenfalls bzgl. § 32 I StGB) und ihrer möglicherweise unzulässig verengenden Auslegung („Gegenanalogie“) sind dabei noch bewusst ausgeklammert geblieben88, weil – wie bereits erwähnt – allein für die UmgehungsBegriffsbildung relevante Diskussionspunkte hier aufgeführt werden sollten. Es stellt sich nun die Frage, ob und inwieweit diese Agglomeration von Unbestimmtheiten, welche die Diskussion um die absichtliche Notwehrprovokation belasten (und welche für die Fälle der „sonst schuldhaften Herbeiführung“ nicht weniger werden), der eingangs vertretenen These, die absichtliche Notwehrprovokation sei in die Gruppe der Umgehungshandlungen einzuordnen, im Wege stehen könnte. (b) Konkretisierungsbedarf des Umgehungs-/Erschleichungsbegriffs Angesichts der Unübersichtlichkeit der Diskussion um die absichtliche Notwehrprovokation wird deutlich, dass die an dieser Stelle bemühte Arbeitsdefinition der Umgehung bereits zu grob ist, um überhaupt die Frage beantworten zu können, ob ein bestimmtes rechtliches Phänomen (auch) als Umgehungshandlung des Strafrechts einzuordnen ist, ohne dass eine nähere Bestimmung des Umgehungsbegriffs und der (verfassungs)rechtlichen Grenzen seiner Erfassung an dieser Stelle bereits die Aufgabenstellung wäre. Die hier angewandte, provisorische Methode der Begriffsbestimmung, das Vorliegen einer Umgehungshandlung mit der Ausnutzung einer Lücke zwischen Wortlaut und Telos einer Norm (bzw. für die Erschleichung:

86

Vgl. zu diesen Fragen Kühl, § 7 Rn. 213 ff., 225 m. w. N. Siehe hierzu Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 44; MüKo-StGB-Erb, § 32 Rn. 180; Roxin, § 15 Rn. 55 ff. 88 Siehe OLG Hamm aaO.; LK11-Tiedemann, aaO.; ders., Verfassungsrecht und Strafrecht, aaO. sowie hier im Text: E. II. 2. b) aa) (2), (5). 87

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der Ausnutzung einer verdeckten Lücke89) gleichzusetzen, muss an ihre Grenzen stoßen, wenn sowohl die Erträge der Wortlautinterpretation (im Sinne der Fragestellung: erfasst nicht schon § 32 I StGB die Absichtsprovokation?) als auch der Diskussion um das Telos der Norm (im Sinne der Fragestellungen: unter welchen Voraussetzungen, mit welcher Begründung und mit welchen Folgen im Einzelnen verändert die absichtliche Provokation das Notwehrrecht?) beschränkt bleiben. Ohne eine hinreichend deutliche Klärung dieser beiden Begriffsmerkmale (also „Wortlaut“ und „Telos“) muss auch die Einordnung des provozierenden Verhaltens als Umgehungsverhalten ein unscharfes und unbefriedigendes Unterfangen bleiben. Aufschlussreicher könnte es demgegenüber sein, gewisse Konkretisierungen bzw. Abänderungen des Umgehungsbegriffs vorzunehmen und diese dann daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie mit den zu den einzelnen Streitfragen der Notwehrprovokation vertretenen Ansichten in Einklang stehen. Dabei können zum einen das Täterverhalten und der Tatplan, der Erfolg des Täterverhaltens oder aber die Reaktion des Rechtsanwenders bzw. des Gesetzgebers als Kriterien herangezogen werden. Eine Vollständigkeit der Konkretisierungsmöglichkeiten soll damit nicht verbunden sein; die Hoffnung, dass diese Auswahl nicht dem Vorwurf der Willkürlichkeit ausgesetzt ist, liegt darin begründet, dass mit den soeben genannten gerade solche Kriterien zur vorläufigen Annäherung an den Umgehungsbegriff gewählt werden, die zugleich wichtige Aspekte der Diskussion um die absichtliche Notwehrprovokation widerspiegeln und die damit geeignet sind, wenigstens eine Entscheidung über die Strukturähnlichkeit oder aber Verschiedenheit der beiden Phänomene – „absichtliche Notwehrprovokation“ einerseits und „Gesetzesumgehung“ andererseits – herbeizuführen. (aa) Objektive Elemente des Täterverhaltens Denkbar wäre es etwa in Anlehnung an noch zu behandelnde Beispiele aus dem Wirtschaftsstrafrecht, die Umgehungshandlung danach zu bestimmen, dass der Täter eine künstlich wirkende Sachverhaltsgestaltung wählt, die ihm gegenüber dem üblichen Weg besondere Aussichten verschafft, straffrei zu bleiben und die unter keinem anderen Aspekt, vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten, Sinn ergibt.90 Die direkte Übertragbarkeit dieses auf ökonomisch-rationalem Täterverhalten basierenden Ansatzes auf die absichtliche Notwehrprovokation ist allerdings nicht gegeben, ist die Vorgeschichte tätlicher Auseinandersetzungen doch meist von Irrationalitäten geprägt. Die Übertragung dieses typisch wirtschafts- und steuerrechtlichen Kriteriums auf die Notwehrprovokation kommt daher ohne eine Kenntnis des Tatplanes des Provokateurs nicht aus, denn der Ablauf etwa einer Schlägerei kann nur dann als künstlich bezeichnet werden, wenn bekannt ist, dass der Täter statt der direkten Attacke die vorherigen Sticheleien nur deshalb gewählt hat, 89 Zur Schließung von verdeckten Lücken im Gesetz durch die teleologische Reduktion vgl. Wank, S. 87 f. 90 In diesem Sinne etwa Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (156 ff.).

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um die angestrebte Verletzung seines Gegenübers unter dem Deckmantel der Notwehr ausüben zu können. (bb) Subjektive Elemente des Täterverhaltens Sinnvoller erscheint es daher, die Umgehungsbestimmung bei besonderem Augenmerk auf das Täterverhalten jedenfalls für die absichtliche Notwehrprovokation allein an den Absichten des Täters festzumachen. Eine Umgehung ist demnach gegeben, wenn der Täter seinen Tatplan in Kenntnis der – bei Ausbleiben von strategischem Vorverhalten – gegebenen Rechtswidrigkeit seines tatbestandsmäßigen Verhaltens ganz wesentlich danach ausrichtet, straffrei zu bleiben und sich sein Vorgehen danach bestimmt. Dabei ist zu beachten, dass die Notwehrprovokation als Umgehung bzw. Erschleichung im Sinne dieser subjektiven Begriffsbestimmung zusätzlich voraussetzt, dass der Täter schon im Zeitpunkt der absichtlichen Provokation den Plan der gewaltsamen Abwehr des Angreifers gefasst haben muss, da anderenfalls von einem – gerade auch in Hinblick auf die Rechtfertigung des tatbestandlichen Verhaltens – strategischen Vorgehen des Täters nicht die Rede sein kann. Die Absichtsprovokation ist also nur dann als ein Umgehungsfall einzuordnen, wenn ein anderer nicht nur provoziert i. S. v. „verärgert“ werden, sondern zu einem rechtswidrigen Angriff gebracht werden soll. Dazu muss Motiv für diese Anstachelung gerade der hier interessierende „rechtliche“ Erfolg des Vorgehens, also die Straflosigkeit sein. Die Annahme einer absichtlichen Umgehungshandlung wird zweifelhafter, wenn es dem Täter bei seiner Provokation lediglich darauf ankam, sein bisher einer Schlägerei abgeneigtes Opfer zu einer tätlichen Auseinandersetzung zu bewegen. Die Mehraktigkeit dieses Geschehensablaufs (Provokation – Angriff – Trutzwehr) muss also mit anderen Worten Teil des Umgehungstatplans sein; die absichtliche Verletzung des Angreifers infolge einer für den Täter überraschenden körperlichen Attacke nach vorangegangenen und absichtlich – allerdings nur um ihrer selbst willen – geäußerten Sticheleien stellt keine Erschleichungshandlung dar. Zweifelhaft bleibt ihr Vorliegen auch, wenn der Täter nur provozierte, um es zu einem tatsächlichen Erfolg, nämlich einer Prügelei kommen zu lassen. Eine besondere Bedeutung des subjektiven Elementes der Umgehung lässt sich übrigens für die absichtliche Notwehrprovokation – impliziterweise – aus der aufschlussreichen Festlegung von mancher Seite erkennen, dass für die Absichtsprovokation wohl jede Form des Vorverhaltens für eine Einschränkung des Notwehrrechts ausreichend sein soll, während für die sonst schuldhafte (also insbesondere die fahrlässige) Notwehrprovokation nach denselben Autoren ein rechtswidriges oder wenigstens sozialethisch missbilligenswertes Vorverhalten unabdingbar sei.91 Der frühzeitig feststehende Tatplan des Täters in Richtung auf die Verletzung des Angreifers ersetzt somit den objektiven Unwert des die Notwehr auslösenden Vorver-

91 Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 55, 59; Heinrich, Rn. 375, 380; Wessels/ Beulke, Rn. 347, 348; Krey, AT I, Rn. 510, 514.

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haltens, ohne dass die üble Gesinnung des Provokateurs als notwehrausschließendes Faktum offen benannt würde.92 Es bleibt jedenfalls festzuhalten, dass die Absichtsprovokation nach dieser konkretisierenden subjektiven Definition ganz offensichtlich einen Umgehungsfall darstellt, sofern auch ein „rechtlicher“ Erfolg der Provokation beabsichtigt war. (cc) Der Erfolg der Umgehungshandlung Eine andere Form der Konkretisierung der aus den Elementen von Wortlaut und Telos zusammengesetzten Basisdefinition der Umgehung könnte in der Fokussierung auf den Erfolg hin bestehen. Schließlich ist das, was die Umgehungshandlung gerade erörterungswürdig macht, die Möglichkeit, dass Personen entgegen den Intentionen des positiv-rechtlichen Strafrechtsgefüges straffrei bleiben und zugleich die mit ihrem Verhalten verbundenen sonstigen Handlungsziele erreichen, also für die mit ihren Handlungen verbundene sozial schädliche persönliche Nutzen- und Freiheitsmaximierung nicht einmal den von der Strafrechtsordnung veranschlagten Preis zu entrichten haben. Danach wäre eine Gesetzesumgehung nur dann gegeben, wenn der Täter mit seinem auf Straffreiheit ausgerichteten Verhalten auch Erfolg hat. Bei einer Subordination dieses Konkretisierungsvorschlags muss die absichtliche Notwehrprovokation nach der überwiegenden Auffassung als Fall einer Umgehungshandlung ausscheiden, billigt doch nur eine Minderheitsansicht dem Absichtsprovokateur das volle Notwehrrecht zu. Auch nach den als vermittelnd zu bezeichnenden Ansichten, die in der Rechtsfolge das Notwehrrecht jedenfalls dann aufrechterhalten wollen, wenn der Absichtsprovokateur zunächst versucht auszuweichen bzw. Schutzwehr zu üben, hat das Vorhaben des Provozierenden keinen vollen Erfolg gehabt, hat ihm der Sinn doch eben nicht nach einer Pflicht zum Ausweichen oder nach bloßer Schutzwehr gestanden. (dd) Der Argumentationsaufwand Schließlich könnte eine nähere Bestimmung des Umgehungsbegriffs auch dadurch zu erreichen sein, dass auf die rechtliche Reaktion bzgl. eines bestimmten Täterverhaltens abgestellt wird. Indizien für das Vorliegen einer Umgehungshandlung wären danach z. B. die Einführung besonderer Klauseln durch den Gesetzgeber oder die Bemühung besonderer Auslegungsmethoden durch den Rechtsanwender und/oder die Rechtswissenschaft. Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass das Bestehen einer Gesetzesumgehung davon abhängt, dass sich Rechtsprechung und/oder Literatur zu einem Sachproblem dementsprechend eingelassen haben, zumal ein bloßes Reaktionsverhalten als solches sich noch nicht ausgerechnet mit einem vorangegangenen Umgehungsverhalten in Verbindung bringen lassen muss; die Anlässe zur erweiternden 92

Zu den stattdessen vorgetragenen Begründungen vgl. sogleich im Text.

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Auslegung einer Strafnorm (bzw. hier zur eingrenzenden Auslegung eines Erlaubnissatzes) sind unübersehbar. Umgekehrt aber könnte die problem- und friktionslose Einordnung eines Täterverhaltens unter eine Strafnorm (bzw. in diesem Zusammenhang: die problemlose Aussonderung des Verhaltens aus dem schützenden Bereich eines Erlaubnissatzes) trotz der erkennbaren Bemühungen des Täters um eine gerade straflose Gestaltung seines Vorgehens dafür sprechen, dass es sich nicht um eine Gesetzesumgehung handelt oder wenigstens um einen schon von vornherein so kläglichen Versuch derselben, dass er keine besondere Aufmerksamkeit in Hinblick auf das Umgehungsproblem verdient hat. Gegenüber Umgehungshandlungen in anderen Rechtsgebieten lassen sich dabei die „besonderen“ Auslegungsbemühungen im Strafrecht deshalb überdurchschnittlich deutlich erkennen, weil sie sich jedenfalls für Umgehungshandlungen auf Tatbestandsebene stets an den von Art. 103 II GG vorgegebenen Grenzen messen lassen müssen. Die Leistungsfähigkeit dieses verfassungsrechtlichen Indikators für die Beschäftigung von Rechtsprechung und Literatur mit einem Umgehungssachverhalt wird allerdings für die hier diskutierte Thematik sogleich wieder abzuschwächen sein, sofern man die These der wohl herrschenden Auffassung teilt, dass das strenge Gesetzlichkeitsprinzip für Rechtfertigungsgründe nicht zur Anwendung gelangt.93 Dann jedenfalls kann von der regelmäßig durch die Geltung von Art. 103 II GG vorgezeichneten Zuspitzung der Erfassungsbemühungen von Umgehungshandlungen im Strafrecht nicht die Rede sein. Für die Überprüfung dieses Konkretisierungskriteriums ist es notwendig, die zur Lösung der Provokationsproblematik entwickelten Auffassungen dahingehend zu untersuchen, inwieweit sie sich Argumenten bedienen, die implizit94 als Rekurs auf die Umgehungs- bzw. Erschleichungsthematik zu verstehen sind. Keine besonderen Auslegungsbemühungen zur Lösung95 der Problematik der absichtlichen Notwehrprovokation sind, auch angesichts des deutlichen Wortlautes von § 32 II StGB, von denjenigen Autoren zu erwarten, die dem Provokateur ungeachtet der strafrechtlichen Qualität seines Vorverhaltens und seiner Intensionen das volle Notwehrrecht erhalten wollen96, von Ausnahmekonstellationen einmal abgesehen97. Denn sofern ein Bedürfnis für eine Einschränkung des Notwehrrechts in 93

Vgl. statt vieler Roxin, AT I, § 5 Rn. 42 und Stöckel, S. 104 f.; für die Gegenauffassung MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 13 ff. 94 Um die Suche nach der Herstellung eines expliziten Zusammenhanges kann es dabei natürlich nicht gehen, ist doch eingangs der Erörterungen zur Notwehrprovokation dargelegt worden, dass die ausdrückliche Bezugnahme auf den Umgehungsgedanken bis auf wenige Ausnahmen gerade ausbleibt. 95 Etwas anderes gilt natürlich für die Auseinandersetzung mit den Argumenten der zu einer Einschränkung des Notwehrrechts führenden Theorien. 96 LK11-Spendel, § 32 Rn. 281 ff.; Bockelmann/Volk, § 15 B. I. 2. f); Hillenkamp, S. 125 ff.; Hassemer, Bockelmann-FS, S. 225 ff. (243 f.); Renzikowski, S. 302; Hohmann/Matt, JuS 1993, 131 ff. (135 f.). 97 Hierzu LK11-Spendel, § 32 Rn. 306.

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dieser Fallgruppe nicht gesehen wird, besteht auch kein Anlass, sie mehr oder minder mühevoll aus § 32 I StGB, dem Rechtsmissbrauchsgedanken, den der Notwehr immanenten Schranken oder noch ganz anderen Anknüpfungspunkten herzuleiten. Es ist es nach dem hier überprüften Kriterium zur näheren Bestimmung des Umgehungs- bzw. Erschleichungsbegriffs auch nur folgerichtig, dass besondere Bemühungen um eine ausdehnende Anwendung einer Strafnorm bzw. hier um die einschränkende Auslegung einer Erlaubnisnorm nicht stattfinden, sofern man der Meinung ist, dass das nach der Subsumtion der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen gefundene Ergebnis keinen unerträglichen Spannungsbogen zum Telos einer Norm (in Anbetracht der von dem Handelnden verfolgten Zielen und seinem Vorverhalten), zum Rechtsgefühl, der materialen Gerechtigkeit oder ähnlichen Kriterien erzeugt. Mithin ist die absichtliche Notwehrprovokation nach diesen Autoren auch kein Fall der Erschleichung, sofern das Kriterium der besonderen Auslegungsbemühungen herangezogen wird. Es zeigt sich damit zugleich, dass die Absichtlichkeit, mit der auf eine straflose Sachverhaltsgestaltung hingewirkt wird, keineswegs in Widerspruch zu Sinn und Zweck der begünstigenden Norm treten muss, sofern besondere Umstände – so wie bei der Notwehr die Verteidigung gegen einen rechtswidrigen Angriff – hinzutreten, die diese Zielrichtung des Täters in Einklang mit der Rechtsordnung erscheinen lassen könnten. Die Berufung auf den Umgehungsgedanken scheint dagegen insbesondere für die Auffassung der herrschenden Meinung nahe zu liegen, der zufolge das Notwehrrecht im Falle der Absichtsprovokation wegen des vom Täter betriebenen Rechtsmissbrauchs zu versagen sei. Das schon nach dem Judiz vermeintlich richtige Ergebnis – die Versagung der Notwehr wegen ihres Fehlgebrauchs – scheint dabei freilich soviel an Überzeugungskraft zu besitzen, dass eine nähere Erläuterung für die Anwendung des Rechtsmissbrauchs-Arguments auf die absichtlich herbeigeführte Notwehrsituation zum Teil ausbleibt98 bzw. lediglich weitere Floskeln zu den Erlaubnistatbestandsmerkmalen der Verteidigung oder des Verteidigungswillens ergänzt werden, die ihrerseits einer petitio principii zumindest nahe stehen und zudem – beim Wort genommen – eigentlich schon zu einer Verneinung der Voraussetzungen des § 32 II StGB führen müssten.99 Wer hingegen das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs zwar näher erläutert, dies aber mit Bezug auf die Grundprinzipien der Notwehr tut100, muss 98

Etwa bei Stratenwerth/Kuhlen, § 9 Rn. 84. BGH NStZ 1983, 452; JR 1984, 205; NJW 2001, 1075; Wessels/Beulke, Rn. 347 zufolge ist die Berufung des Absichtsprovokateurs auf sein Notwehrrecht deshalb rechtsmissbräuchlich, weil er selbst der Angreifer sei; ebenso Heinrich, aaO.; Gropp, aaO.; Rengier, AT, § 18 Rn. 86 ff. (Notwehrausschluss jedenfalls für die als Folge der absichtlichen Provokation einkalkulierten Verletzungen). Ähnlich Joecks (§ 32 Rn. 24 f.), demzufolge der Täter bei der absichtlichen und rechtswidrigen Provokation rechtsmissbräuchlich handelt, weil derjenige nicht die Rechtsordnung bewahrt, der einen anderen unter dem Deckmantel der Notwehr verletzen will. Nach Welzel (§ 14 II. 3.) liegt im Fall der absichtlichen Notwehrprovokation keine Verteidigung des Rechts gegen das Unrecht vor. 100 Roxin (§ 15 Rn. 65) etwa versucht die Versagung der Notwehr wegen Rechtsmissbrauchs mit den beiden Grundprinzipien der Notwehr in Einklang zu bringen. Zum einen 99

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sich ebenfalls fragen lassen, inwieweit dann neben der Bezugnahme auf das Telos der Notwehr und seiner positivrechtlichen Verankerung in § 32 I StGB überhaupt der Rückgriff auf das Argument des Rechtsmissbrauchs nötig und sinnvoll gewesen ist.101 Wenn demnach das Rechtsmissbrauchs-Argument zur Versagung der Notwehr im Falle der absichtlichen Provokation entweder unzureichend oder überflüssig erscheint, findet es wohl vor allem wegen seiner (jedenfalls dem ersten Anschein nach) unmittelbaren Überzeugungskraft Anwendung, soll doch die Unmaßgeblichkeit erschlichener Rechtspositionen „naturrechtliches Gemeingut der Rechtsordnungen“ und „Evidenzfall materialer Gerechtigkeit“ sein.102 Auch im Strafrecht sei der Rechtsmissbrauch danach ein auf allen Deliktsebenen wirksamer Grundsatz der Zurechnung sozialen Verhaltens.103 Es bleibt das Problem, dass ohne die detaillierte Rechenschaft über die Verwendung des Missbrauchs-Arguments für die Notwehrprovokation auch keine Klärung über seine Verwandtschaft zum Umgehungsbegriff bzw. der Erschleichung herbeigeführt werden kann. Auch eine allgemein gültige, vom jeweiligen Gebrauchszusammenhang unabhängige Definition des Missbrauchsbegriffs kann nicht anstelle der fehlenden Argumentation im Einzelfall herangezogen werden, weil es sie nicht gibt. Dies zeigt etwa der unlängst für das Strafrecht unternommene Versuch, der RechtsmissbrauchsFigur etwas von ihrer „blankettartigen Unbestimmtheit“ zu nehmen und sie in einen rationalen Argumentationszusammenhang einzustellen.104 Diese „Substantiierungsstrategie“ hat zum Inhalt, ein unredliches Deliktsvorgeschehen nur dann als strafrechtlich beachtlich (also im Rechtssinn missbräuchlich) anzusehen, wenn es die Funktion der fraglichen Bestimmung konterkariert. Auf anstößiges Beteiligtenvorverhalten werde also aus einem allein normzweckbezogenen Blickwinkel dogmatische Rücksicht genommen.105 Dieser grundsätzlich begrüßungswerte Ansatz, aus dem Rechtsmissbrauchsargument als einem bloßen Versuch, eine allgemeine, um Gesinnungselemente ergänzte „Sozialethik“ normativ aufzufüllen106, ein handhabedürfe der Provokateur nicht des Individualschutzes gegen die vorsätzliche Selbstgefährdung, die er sich durch sein rechtswidriges Verhalten bereitet hat; zum anderen bewähre er nicht das Recht, wenn er als rechtswidriger Provokateur einen Angriff allein zu Schädigungszwecken inszeniert. Nach Heinrich, Rn. 375 ist dem Rechtsmissbrauchsgedanken als allgemeinem Grundsatz des Rechts zu entnehmen, dass derjenige keinen Schutz durch die Rechtsordnung benötigt, der sich sehenden Auges und vorsätzlich in eine Situation begibt, die für ihn gefährlich werden kann; ähnlich Gropp, § 6 Rn. 94. 101 Deutlich etwa Bitzilekis, S. 104: „Wozu aber wird ein Missbrauchsprinzip benötigt, das seinen Inhalt den Besonderheiten eines Rechtsstoffes entnimmt, statt selbst den Weg zur rechtlichen Behandlung des Stoffes aufzuzeigen?“ Zu den weiteren Kritikpunkten an dem Gedanken des Rechtsmissbrauchs bzw. seiner Anwendung auf § 32 StGB vgl. Fahl, S. 23 ff. 102 Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513 (523 f.). 103 Otto, Jura 1986, 426 ff. (431); Wohlers, JZ 2001, 850 ff. (854). 104 Kölbel, Das Rechtsmissbrauchsargument im Strafrecht, GA 2005, 36 ff. 105 Kölbel, GA 2005, 36 ff. (51 f.). 106 Bitzilekis, S. 103.

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bungsfähiges Auslegungskriterium zu schaffen, ist – unabhängig davon, ob es als Meta-Regel107 oder als Element neben den klassischen Canones der Auslegung zur Anwendung kommt108 – damit aber nicht anderes als die Umschreibung der teleologischen Reduktion bzw. der Gegenanalogie.109 Das ist für den hier relevanten Zusammenhang allerdings kein Schaden, denn wenigstens diese generelle Eigenschaft wird man dem Rechtsmissbrauchsbegriff zuordnen können: Im Falle des Missbrauchs droht der Normtext für Sachverhalte in Anspruch genommen zu werden, die sich von seinen normalen Gebrauchsfällen durch ihre (von dem Norminterpreten missbilligte) Vorgeschichte unterscheidet.110 Die Missbrauchsfigur soll korrigieren, was die angesichts der abstrakt-generellen Fassung heutiger Gesetze unvermeidbaren normtextlichen Lenkungsdefizite möglich machen.111 Dieser starke Bezug zur Teleologie zeigt sich auch für den von Kölbel in Bezug genommenen Luhmann, für den hinter dem Rechtsmissbrauchsgedanken die These steht, dass „[…]Rechtsnormen bestimmten Zwecken dienen und zwar auch mit Sinn für Nebenzwecke verwendet werden dürfen, aber nur solange, als der eigentliche Zweck gewahrt bleibt.“112 Diese Umschreibung des Rechtsmissbrauchs deckt sich mit der hier vorgenommenen vorläufigen Umschreibung des Erschleichungsbegriffs, wonach diese durch ein Verhalten gekennzeichnet ist, das zwar dem Wortlaut einer begünstigenden Norm entspricht, nach dem Sinn und Zweck der Norm aber nicht begünstigt werden soll.113 Diesen Zusammenhang zwischen Rechtsmissbrauch und 107 Neumann, S. 180 f. 283; Otto, Jura 1995, 134 ff., 139; Hassemer, Meyer-Goßner-FS, S. 127 ff. (137 f.). 108 Kölbel, GA 2005, 36 ff. (51), Fahl, S. 124; Christensen/Kudlich, Norm und Entscheidung, S. 203 ff. (220 ff.). 109 Diesen Umstand räumt auch Kölbel, GA 2005, 36 ff. (52) selbst ein. Damit sprechen die oben genannten Auffassungen (Fn. 29), die den Rechtsmissbrauch bei der absichtlichen Notwehrprovokation auf die Verfehlung des Notwehr-Telos stützen, den richtigen Zusammenhang an, ohne aber deutlich zu machen, dass die Zweckverfehlung stets Identitätsmerkmal des Rechtmissbrauchs ist. 110 Kölbel, GA 2005, 36 ff. (49). 111 Kölbel, aaO., Luhmann, S. 206; ähnlich auch die Umschreibung des Rechtsmissbrauchs im Zivilrecht; so wird der Rechtsmissbrauch bei Enneccerus/Nipperdey, § 239 III. als zweckwidrige, funktionswidrige Ausübungshandlung bezeichnet, die durch den Inhalt des Rechts nicht mehr gedeckt wird. 112 Luhmann, aaO. 113 Wenn auch für diesen Zusammenhang nicht entscheidend, so sei doch ein weiterer gewichtiger Einwand gegen das Rechtsmissbrauchsargument im Kontext der Notwehr hier angesprochen: Die von ihren Anhängern für die Behandlung der Absichtsprovokation in Anspruch genommene Rechtsmissbrauchslehre ist zivilrechtlicher Provenienz und beschreibt dort einen Maßstab für die Begrenzung der unerträglichen Ausübung eines individuellen Rechts. Die Notwehr aber ist kein bloßes Individualrecht, das dem Einzelnen zur Förderung seiner eigenen Individualinteressen eingeräumt ist, sondern ist ein Kriterium zur Bestimmung des Unrechts. Inhalt und Ausübung des Notwehrrechts lassen sich daher nicht voneinander trennen. Wird das Vorliegen von Notwehr verneint, kommt eine Notwehrrecht nicht nur in seiner Ausübung, sondern auch in seinem Inhalt nicht mehr in Betracht; ausführlich Bitzilekis, S. 151 ff.; Hassemer, Bockelmann-FS, S. 225 ff. (242). Diese Kritik wird allerdings weniger schlagend,

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Umgehung/Erschleichung stellt auch Kölbel selbst her, der die Theorie der Gesetzesumgehung als eine übertatbestandliche Auslegungslehre beschreibt, die ein Tatbestandsmanko, das auf (strategischem) Vorverhalten des Normadressaten beruht, teleologisch ausgleichen soll.114 Umgekehrt betonen fast alle Untersuchungen zur Gesetzesumgehung die Strukturnähe dieser Figur zum Rechtsmissbrauchsargument.115 Offen bleibt allerdings aus begriffstheoretischer Sicht, inwieweit ein strategisches (also absichtliches!) Vorgehen noch dazu kommen muss, damit von Rechtsmissbrauch bzw. Erschleichung generell die Rede sein kann. Da für den hier diskutierten Zusammenhang ja gerade die Absichtlichkeit des Verhaltens unterstellt wird, muss diese Frage hier aber (noch) nicht erörtert werden. Somit kann die absichtliche Notwehrprovokation jedenfalls nach denjenigen Ansichten, die sich zur Begründung für die (vollständige) Einschränkung des Notwehrrechts auf den vom Täter verübten Rechtsmissbrauch stützen, jedenfalls im Rahmen dieser vorläufigen Einordnung auch als Fall der Gesetzesumgehung bzw. -erschleichung angesehen werden. Für die Ansichten, die sich ohne Rekurs auf den Rechtsmissbrauch für eine Verweigerung bzw. Einschränkung des Notwehrrechts bei absichtlicher Provokation auf die beim Täter gegebene Verfehlung der Grundprinzipien der Notwehr stützen116, ist die implizite Nähe zum Erschleichungsgedanken deutlich, wird doch die Bezugnahme auf das nicht erreichte Telos der Notwehr noch deutlicher, wenn auf den vorgeschalteten „Verstärker“, nämlich das Rechtsmissbrauchsargument, verzichtet wird. Gegen die Validität dieser These könnte indes vorgebracht werden, die Verwehrung des Notwehrrechts werde von diesen Autoren schlüssig und anscheinend mühelos aus den Grundgedanken der Notwehr hergeleitet, damit fehle es an einer besonderen Auslegungsanstrengung, was ja das der Konkretisierung des Erschleichungsbegriffs dienende und hier überprüfte Definitionselement gerade ausmachen soll. Dieser Einwand ist jedoch allein für das Ergebnis zutreffend, nicht hingegen für die Argumentation selbst, die zum einen durchgängig in Antithese zu den doch „eigentlich“ gegebenen Voraussetzungen von § 32 II StGB aufgebaut wird und zum anderen durch die oftmals fehlende nähere Begründung der aufgestellten Behauptungen zu den vom Provokateur angeblich verfehlten Grundgedanken der Notwehr erkennen lässt, wie sehr ein dem Rechtsgefühl und damit vermeintlich zugleich der wenn „Rechtsmissbrauch“ nicht individuell, sondern institutionell verstanden wird; vgl. dazu unten D. III. 5.; IV. 3. 114 Kölbel, GA 2005, 36 ff. (41). 115 Siehe D. III. 5. 116 Kühl, § 7 Rn. 239 f.; Otto, AT, § 8 Rn. 98; Jescheck/Weigend, § 32 III. 3. b); NKHerzog, § 32 Rn. 115; Bitzilekis, S. 174; Stöckel, S. 24.

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materialen Gerechtigkeit entsprechendes Ergebnis erzielt werden soll. Warum zum Beispiel der Täter aufgrund einer angeblichen vorsätzlichen Selbstgefährdung keines Individualschutzes bedarf117, ist jedenfalls für lebensgefährliche Angriffe des Provozierten nicht ohne weiteres einzusehen, ist diese Intensität des Angriffs doch nicht immer vorhersehbar und auch die Dispositionsbefugnis des Provokateurs über das Rechtsgut Leben (gemeint ist natürlich sein eigenes) für diese Gefährdungs-Konstellationen alles andere als unumstritten118, wenn hier einmal – wenn auch ohne vertiefte Diskussion und deshalb relativ ungeschützt – davon ausgegangen wird, dass nach den von der herrschenden Meinung vertretenen allgemeinen Abgrenzungsregeln im Falle der Absichtsprovokation in Wahrheit keine Selbstgefährdung119, sondern eine Fremdgefährdung vorliegt.120 Ohnehin ist die These einer freiwilligen Selbstgefährdung in dieser Allgemeinheit ohnehin mehr behauptet als bewiesen, weil sich der Provokateur in vielen Fällen der Absichtsprovokation durch sein strategisches Vorgehen gerade die Möglichkeit eröffnen will, eine Selbstgefährdung auszuschließen. Dazu kommt, dass – wenn man sich dieser Kategorien der Lehre von der objektiven Zurechnung in diesem Zusammenhang schon bedienen will – eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs wohl viel eher durch die bewusste Selbstgefährdung des Angreifers gegeben ist, was eher für als gegen eine Rechtfertigung von Verteidigungshandlungen mit einer „Provokations-Vorgeschichte“ spricht.121 Ebenso wenig ist stichhaltig, dass der rechtswidrig Provozierende bei seiner Verteidigung nicht die Rechtsordnung verteidigt.122 Voraussetzung für die ungetrübte Überzeugungskraft dieser Behauptung ist nämlich, dass gerade das Erschlei117

Roxin, AT I, § 15 Rn. 61. Vgl. statt vieler Kühl, § 9 Rn. 29 f.; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 103, jeweils m. w. N. 119 So etwa Roxin, AT I, § 15 Rn. 65 und insbesondere Maurach/Zipf, § 26 Rn. 43 zur Notwehrprovokation: „[…]ein der Einwilligung und der bewussten Risikoübernahme ähnlicher Verzicht auf den Rechtsgüterschutz bei seinen eigenen disponiblen Rechtsgütern“. 120 Für die Rechtsprechung ist maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen Selbstgefährdung und Fremdgefährdung „die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme“, BGHSt 53, 55; 49, 34 (39), zuvor bereits ebenso z. B. in St 46, 279 (288) und NJW 2003, 2326 (2327). Nach diesen Maßstäben liegt die Tatherrschaft über den zur Notwehr führenden Angriff bei dem (regelmäßig freiverantwortlich handelnden) Provozierten, sofern man nicht mit der sehr großzügigen Anwendung der ohnehin nicht allgemein anerkannten Fallgruppe des „Irrtums über den konkreten Handlungssinn“ zu einer mittelbaren Täterschaft des Provokateurs kommt (vgl. zu diesem Modell der mittelbaren Täterschaft Otto, AT, § 21 Rn. 88 ff. m. w. N.). Wer mit Teilen der Literatur das entscheidende Abgrenzungselement hingegen in dem eigenverantwortlichen Eingehen der Gefahr bei Kenntnis der Risiken sieht (etwa Otto, AT, § 6 Rn. 61 ff.), wird eher zum Vorliegen einer Selbstgefährdung gelangen können. Im Ergebnis besteht dann kein Unterschied zu denjenigen, die eigenverantwortliche Selbst- und Fremdgefährdung bei Einhaltung gewisser Voraussetzungen gleichstellen, wie es etwa von Hellmann, Roxin-FS, 271 ff. (282 ff.) und Roxin, AT I, § 11 Rn. 105 ff. vertreten wird. 121 Loos, Deutsch-FS, 233 ff. (240 f.). 122 So aber z. B. Jescheck/Weigend, aaO., Roxin, aaO. 118

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chungsziel des Täters in den Vordergrund gerückt wird und die Rechtswidrigkeit und Gegenwärtigkeit des zumeist freiverantwortlich Angreifenden (also des zuvor Provozierten) argumentativ vollständig (!) in den Hintergrund gedrängt wird.123 Damit zeigt sich auch bei den rein teleologischen Lehren ein zur Erzielung des gewünschten Ergebnisses besonderer Begründungsaufwand als Reaktion auf das Erschleichungsverhalten des Provokateurs. Hiergegen kann auch nicht vorgebracht werden, die Einschränkung der Notwehr im Fall der Provokation stünde mit § 32 I StGB („geboten“) ohnehin im Gesetz und mache aufwendige, teleologisch unterfütterte Argumentationen überflüssig, denn auch diejenigen, die diesem Schlagwort mit Berufung auf die subjektiv-historische Auslegung zurecht eine tatsächliche Bedeutung für die sozial-ethischen Einschränkungen der Notwehr i. S. e. gesetzlichen Verankerung zubilligen, kommen nicht umhin, angesichts der Inhaltsleere dieses Wortes konkretisierende teleologische Erörterungen zu den einzelnen Fallgruppen der Notwehreinschränkung wegen fehlender „Gebotenheit“ zu ergänzen.124 Ebenso nur auf den ersten Blick „umgehungsneutral“ gibt sich die Lösung der Problematik über die Rechtsfigur der actio illicita in causa. Das Verteidigungsverhalten des Provokateurs selbst ist dieser Lehre nach zu rechtfertigen, da alle zur Einschränkung des Rechts auf Notwehr dieser Handlung vorgetragenen Lösungswege zu verwerfen seien. Bestraft wird dagegen das Vorverhalten als „eine Handlung, die unerlaubt ist im Ursprung“125. Die „Vorgeschichte“ der Verteidigungshandlung wird so zum Anknüpfungspunkt einer Bestrafung aus der entsprechenden Vorsatztat, weil das Gesamtgeschehen von der Provokation bis hin zu der Verletzung des Angreifers vom Tatplan des Provokateurs erfasst war. Auf die berechtigte Kritik, die dieses Modell erfahren hat, braucht hier im Einzelnen nicht eingegangen werden.126 Für den hier interessierenden Zusammenhang gilt festzuhalten, dass die besondere Begründungspflicht für eine Bestrafung der Notwehrprovokation trotz Vorliegens von § 32 II StGB durch die Anwendung der Regeln über die actio illicita in causa nicht aufgehoben, sondern nur verschoben wird. Erklärungsbedürftig nämlich wird für diese Ansicht zwar nicht die von anderen Auffassungen befürwortete Versagung des Notwehrrechts selbst, umso mehr aber, was denn das Vorverhalten selbst in Hinblick auf die später gerechtfertigte Tat123

Für den Erhalt der Rolle des Provokateurs als Repräsentant und Bewährer der Rechtsordnung zu Recht Hillenkamp, S. 127 ff.; Bockelmann, Honig-FS, S. 19 ff. (31); Mitsch, S. 403. 124 Kühl, § 7 Rn. 162 ff.; Roxin, AT I, § 15 Rn. 54 f.; Jescheck/Weigend, § 32 III. 2, alle auch mit Hinweisen zu den Begründungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, welcher die Gebotenheitsklausel ausdrücklich mit Hinweis auf die sozial-ethischen Einschränkungen der Notwehr im StGB belassen wollte. 125 Schmidhäuser, StuB., 6. Kapitel Rn. 82; Baumann/Weber/Mitsch, § 16 Rn. 71 ff.; Mitsch, JuS 2001, 751 ff. (755); Freund, § 4 Rn. 40 f.; mit Einschränkungen Schönke/ Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 61; zuvor bereits Schröder, JR 1962, 187 ff. (189). 126 Vgl. hierzu Kühl, § 7 Rn. 243; Roxin, AT I, § 15 Rn. 68; jeweils m. w. N.

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handlung zu einer beispielsweise vorsätzlichen und rechtswidrigen Körperverletzung macht. Die Ausführungen der Anhänger der actio illicta in causa zu der Rechtswidrigkeit des Vorverhaltens bleiben jedoch in sich uneinheitlich oder vage.127 Es müssen wohl zwei Konstellationen unterschieden werden: Stellt das provozierende Vorverhalten eine Straftat dar, so steht seine Rechtswidrigkeit zwar nicht in Frage; offen bleibt gleichwohl, warum die etwa vom Provokateur ausgesprochene Beleidigung zugleich eine tatbestandliche Körperverletzung darstellen soll.128 Noch deutlicher tritt das Begründungsproblem zu Tage, wenn das Vorverhalten selbst nicht den Unrechtstatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Für diese Fallgestaltung führt die actio illicita in causa zu dem Ergebnis, „[…] daß die Beabsichtigung einer rechtmäßigen Handlung (gerechtfertigte Verteidigung) die an sich unverbotene Verursachung dieses Verhaltens rechtswidrig machen soll“129. Geschlossen wird diese Begründungslücke dann mit bereits bekannten Argumenten, wenn es etwa heißt, zu beanstanden sei das „Hineinmanövrieren“130 in die Notwehrlage seitens des Provokateurs bzw. der von ihm betriebene „Rechtsmissbrauch“, durch die „vorsätzliche Herbeiführung dieser Notwehrsituation“131. Die actio illicita in causa ist also eine bloße Zweckkonstruktion, die den Zweckkonstruktionen der actio libera in causa entliehen ist. Sowohl das eine132 wie das andere133 wird auch von ihren Vertretern gar nicht in Abrede gestellt, wobei letzteres leugnen zu wollen angesichts der teilidentischen Namensgebung auch einigermaßen verwunderlich wäre.

127 Nach Schröder, aaO. begibt sich der Provokateur vorsätzlich in eine Situation, in der ihm die Ausübung des Notwehrrechts in Hinblick auf das Rechtsmissbrauchsargument versagt bleiben muss, sofern er eine Ausweichmöglichkeit hat. Hat er sich jedoch diesen Ausweg unmöglich gemacht und muss daher zur [gerechtfertigten] Trutzwehr greifen, so muss er dafür zur Verantwortung gezogen werden, dass er diese Situation geschaffen hat. Für Schmidhäuser, aaO. hingegen ist dem Provokateur die Verletzung des Angreifers auf der Grundlage der Vorhandlung nach den Regeln über die objektive Zurechnung zuzuordnen, weil die vorhergehende Provokation den späteren Angreifer bereits in vorhersehbarer Weise einer Gefährdung aussetze. Den Ausführungen von Baumann/Weber/Mitsch, aaO. und Freund, aaO. ist eine greifbare Bestimmung der Qualität des Vorverhaltens (über seine vom Provokateur erkannte „Reizauslösungseignung“ hinaus) nicht zu entnehmen. 128 Bitzilekis, S. 155. 129 LK11-Spendel, § 32 Rn. 291. 130 Freund, § 4 Rn. 40. 131 Schröder, aaO. 132 So heißt es bei Baumann/Weber/Mitsch, aaO.: „Schließlich ist noch auf eine abweichende Rechtsanwendungsmethode hinzuweisen, die den Streit um die Einschränkung der Notwehr umgeht und dennoch zu dem Ergebnis führt, daß der Täter wegen seines Vorverhaltens mit dem Vorwurf der rechtswidrigen Tat konfrontiert werden kann.“ 133 Nach Schmidhäuser, aaO sind actio libera in causa und actio illicita in causa „in der Struktur ähnlich“, Freund, § 4 Rn. 30 stellt die Behandlung der actio illicta in causa unter die Überschrift „Exkurs: Problematik der actio libera in causa und anderer Fälle fehlerhaften Vorverhaltens“.

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Damit zeigt sich, dass auch die actio illicita in causa trotz ihrer vermeintlichen Überlegenheit den Rechtsmissbrauchsmodellen gegenüber allein zum Ziel hat, eine vom Täter unter Berufung auf den Wortlaut einer privilegierenden Vorschrift angestrebte Straflosigkeit für Fälle zu vereiteln, die als normzweckwidrig erscheinen. Auch die actio illicita in causa ist daher nach dem hier untersuchten Konkretisierungsvorschlag zur Bestimmung des Umgehungs- bzw. Erschleichungsbegriffs – der Frage nach dem Auslegungsaufwand – ein Fall der Erschleichung im Strafrecht. Für die Überprüfung dieses Umgehungs- bzw. Erschleichungskriteriums ist weiterhin die bisher noch nicht erwähnte Auffassung zur absichtlichen Notwehrprovokation anzusprechen, wonach die Versagung bzw. Einschränkung der Notwehr bereits mit den fehlenden Voraussetzungen des § 32 II StGB begründet werden könne. Wenn schon die einzelnen zur Rechtfertigung führenden Merkmale des § 32 II StGB nicht gegeben sind, so möchte man meinen, scheint die Bewältigung der Provokationsfrage dieser Meinungsgruppe im Vergleich zu anderen Konzepten anscheinend keine besonderen Schwierigkeiten zu bereiten. Die Notwehrprovokation wäre dann keine Erschleichungshandlung. Dies trifft jedoch nicht zu, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll. Die These einiger Autoren134, das Notwehrrecht entfalle wegen des im provozierenden Verhalten zu sehenden einwilligungsähnlichen Verzichts auf Rechtsgüterschutz, war bereits an anderer Stelle in diesem Abschnitt angesprochen worden. Auch bei dieser Konstruktion ist das Bemühen mit Händen zu greifen, durch die Bezugnahme auf Unrechts-Ausschlussgründe, die auf die Dispositionsbefugnis des Einzelnen über seine Rechtsgüter abzielen, den Blick weg vom rechtswidrigen Angriff des Provozierten hin auf den Verteidiger zu lenken, dessen von diesen Autoren unterstellte Einwilligung in eine Verletzung oder auch nur bloße Gefährdung höchst zweifelhaft ist. Mit dem Bezug auf die Einwilligung geht es wohl viel eher darum, die Rechtsauffassung, dass der Provokateur seine Rechtsgüter nicht straffrei verteidigen dürfen soll, in Rechtsinstitute überzuleiten und einzukleiden, denen zufolge der Betroffene seine Rechtsgüter nicht geschützt sehen will.135 Dieser unzulässige Schluss vom Sollen aufs Sein136 wird noch deutlicher für diejenige bereits auf der Ebene des § 32 II GG eingreifende Ansicht, die die fehlende Verteidigungshandlung bzw. den fehlenden Verteidigungswillen des Provokateurs als Grund für den Ausschluss des Notwehrrechts ausgemacht hat: „Die Fälle der Notwehrprovokation lassen sich jedoch unschwer und sachentsprechend bereits im Rahmen der gesetzlichen Notwehrdefinition […] lösen; denn es fehlt an einer 134

Vgl. Fn. 252. Ähnlich auch schon Jakobs, 12. Absch. Rn. 150 Fn. 106, demzufolge die (zweifelhafte) Lauterkeit des Wollens und das (zweifellos gegebene) psychische Faktum eines Wollens vermengt werden. 136 Mit „sein“ soll auf das psychische Faktum der Dispositionsbereitschaft des Provokateurs hinsichtlich seiner Rechtsgüter verwiesen sein. 135

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

Verteidigung, solange der Täter seine Angriffsabsicht realisiert. Es geht nur um ein vorgetäuschtes Verteidigen.“137 Diese Auffassung löst den üblichen Begriff der „Verteidigung“ damit allein für Fälle des auf die Verletzung des Gegenübers ausgerichteten Tatplanes mit eben dieser Begründung vollkommen auf. Die Trutzwehr, allgemein anerkannter Fall einer Verteidigungshandlung i. S. d. § 32 II StGB, soll nur noch Angriff sein, weil der Täter schon bei der Provokation die spätere Trutzwehr im Blick hatte. Mehr noch: Die Verteidigungshandlung soll nur eine simulierte Handlung sein, die die einzig beachtliche dissimulierte Handlung – nämlich den Angriff – verdeckt. Macht man mit diesen durchaus dem Rechtsgedanken des § 117 BGB ähnlichen Schlussfolgerungen allerdings ernst, so zeigt sich die Unhaltbarkeit dieser Begründung: Der Absichtsprovokateur hat zum Ziel, einen Straftatbestand gerade gerechtfertigt zu verwirklichen, daher wird es ihm auch darauf ankommen, die in § 32 II StGB hierfür aufgeführten Merkmale tatsächlich und eben nicht nur zum Schein zu erfüllen. Ihm das Gegenteil zu unterstellen zeigt nur, dass man die Absichten des Täters durchschaut hat und sie missbilligt, nicht aber, dass diese Unterstellung zutreffend wäre. Auch ohne eine entsprechende rechtsbezogene Tatgestaltungsmotivation des Täters ist es schlicht irreführend, den in § 32 II StGB nahezu legal definierten Begriff der Verteidigung (Verteidigung als die erforderliche Abwendung eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs) wegen des von vornherein bestehenden Verletzungsvorsatzes in einen Angriff umzudeklarieren, obwohl die Voraussetzungen des § 32 II StGB gegeben sind. Einigermaßen schlüssig wäre es noch, bei anfänglichem Angriffswillen vom Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements auszugehen, doch soll ja bereits objektiv keine Verteidigungshandlung gegeben sein. Dies wird jedoch nur behauptet; mit dem Wortlaut von § 32 II StGB ist diese Auffassung nicht vereinbar. Damit zeigt sich, dass auch diese Lehren besondere Wege beschreiten müssen, um zu der Strafbarkeit des Absichtsprovokateurs zu gelangen, „unschwer und sachentsprechend“138 lässt sich die Problematik jedenfalls nicht anhand des Verteidigungsbegriffs des § 32 II StGB lösen. Diesen Vorwürfen ist nicht ausgesetzt, wer in der Notwehrprovokation einen der Ingerenz ähnlichen Fall erblickt und die Pflicht des Provokateurs zur Zurückhaltung daher mit der Erwägung begründet, dass den Aufwand zur Lösung eines Konflikts derjenige mit zu tragen hat, der die auslösende Gefahr so geschaffen hat, dass sie sich 137 Hirsch, BGH-Festgabe, S. 199 ff. (202); so auch Fischer, § 32 Rn. 43 („Entscheidend […] ist […], dass der Täter Verteidigungswillen nur vortäuscht, in Wahrheit aber angreifen will.“) mit Verweis auf BGH NJW 1983, 2267; NStZ 2001, 143; ähnlich vielleicht auch Krey, AT I, Rn. 510, der die Behauptung eines fehlenden Verteidigungswillens aber zusätzlich noch mit der Berufung auf die fehlende Gebotenheit der Notwehr stützt, was wiederum darauf gestützt wird, dass die Wurzeln der Notwehrbefugnis nicht gegeben seien, was seinerseits z. T. darauf beruhen soll, dass der Provokateur bei wertender Betrachtung der Angreifer sei. 138 Hirsch, aaO.

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keiner anderen Person (voll) zuordnen lässt.139 Allerdings belastet diese Herangehensweise die – wie bereits gezeigt – bedenklich unbestimmte Grenzziehung und Diskussion die sozialethischen Einschränkungen der Notwehr betreffend zusätzlich mit der Unbestimmtheit der Ingerenzlehren, die bereits für sich genommen Anlass zu verfassungsrechtlichen Bedenken geben140 und deren Übertragung aus dem Unterlassungsbereich auf die dem Provokateur vorgeworfene Handlung (Tun!) weitere Fragen aufwirft, was die angeblich „formell und inhaltlich gleiche Aufgabe“141 zwischen Unterlassungs- und Notwehrproblematik angeht.142 Der Gewinn, der diesem Preis gegenübersteht, ist wiederum die Möglichkeit der Einschränkung der Notwehr bei vorangegangener Provokation. Auch für diese Begründung zeigt sich damit letztlich, dass um des begehrten Ergebnisses willen die komplexesten Konstruktionen bemüht werden, von denen sich nur schwer vorstellen lässt, dass sie schon vor dem zum Anwendungsfall erklärten Sachproblem erwogen worden sind. Somit steht fest, dass letztlich alle zur Strafbarkeit der absichtlichen Notwehrprovokation vertretenen Auffassungen einen besonderen Begründungsaufwand betreiben müssen, wenn sie zu dem aus dem Wortlaut des § 32 II StGB nicht ohne weiteres ersichtlichen Ergebnis, der Einschränkung der Notwehr, gelangen wollen. Werden die besonderen Auslegungsbemühungen also zum Konkretisierungsmerkmal für den bisher nur vorläufigen Umgehungs- bzw. Erschleichungsbegriff gemacht, stellt die absichtliche Notwehrprovokation damit nach fast allen Ansichten einen Fall der Erschleichung im Strafrecht dar. Zu einem anderen Ergebnis gelangt nur die Auffassung, der zufolge trotz absichtlicher Provokation vom vollen Notwehrrecht auszugehen ist. Dabei bildet die Notwehrprovokation allerdings einen Sonderfall, weil bei den die Straflosigkeit des Provokateurs befürwortenden Autoren nicht von einer ärgerlichen, aber aus rechtsstaatlichen Gründen hinzunehmenden Strafbarkeitslücke die Rede ist (dann wäre ja gerade eine typische Umgehung gegeben!), die leider gerade auch wegen der mangelnden Überzeugungskraft der übrigen hierzu vertretenen Lehren nicht geschlossen werden kann. Vielmehr wird die Straflosigkeit des Provokateurs auch teleologisch für das richtige Ergebnis gehalten. (ee) Zusammenfassung Angesichts des Geflechts von Problemen im Zusammenhang mit der absichtlichen Notwehrprovokation wurden verschiedene Konkretisierungen der bisherigen Arbeitsdefinition des Umgehungsbegriffs vorgenommen und auf die Diskussion um die provozierte Notwehr angewandt, um zu ermitteln, ob und inwieweit die Absichtsprovokation einen Fall der Umgehung bzw. der Erschleichung im Strafrecht 139

Jakobs, 12. Absch. Rn. 49; im Ansatz ebenso Marxen, S. 56 ff. Vgl. statt vieler Roxin, AT II, § 32 Rn. 143 ff. 141 So aber Marxen, S. 59. 142 Zur ausführlichen Kritik an dieser Ansicht vgl. Bitzilekis, S. 164 ff.; dazu auch Loos, Deutsch-FS, S. 233 ff. (241 f.). 140

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darstellt. Dabei hat sich gezeigt, dass das auf die Künstlichkeit des Täterverhaltens abstellende Konkretisierungselement, wie es im Wirtschaftsstrafrecht zur Ermittlung von Umgehungsverhalten Anwendung findet, für von Irrationalität geprägte Sachverhalte wie die Provokationen im Vorfeld einer tätlichen Auseinandersetzung nicht ohne Berücksichtigung der Tätervorstellungen verwendbar ist. Wird der Tatplan hingegen mitberücksichtigt und die Gesetzesumgehung als ein Verhalten näher bestimmt, das von der Absicht des Täters getragen ist, die fehlende Deckung von Telos und Wortlaut für sich auszunutzen, so ist die Absichtsprovokation dann ein Fall der Umgehung bzw. Erschleichung, wenn es dem Täter gerade auf diesen rechtlichen Erfolg ankam und nicht bloß darauf, das allzu friedliebende Gegenüber zu einer tätlichen Auseinandersetzung anzustacheln. Dieses Ergebnis – also die Einordnung als Umgehungshandlung – wird größtenteils auch dann erreicht, wenn eine nähere Bestimmung des Umgehungsterminus danach erfolgt, ob das Verhalten des Täters Gesetzgeber und/oder Rechtsanwender zu besonderen Reaktionen und Bemühungen veranlasst. Denn es hat sich gezeigt, dass die zur Begründung von Notwehreinschränkungen bei vorhergehender Provokation angeführten Ansichten sich fast immer – wenn auch auf verschiedene Art und Weise – als besondere Bemühungen zur Abwendung des nach § 32 II StGB naheliegenden Ergebnisses (Rechfertigung auch des Absichtsprovokateurs) verstehen. Ein anderes Ergebnis zeigt sich nur für die Ansichten, die eine Verletzung des Telos von § 32 II StGB oder einen Rechtsmissbrauch durch den Absichtsprovokateur nicht zu entdecken vermögen. Ob gleichwohl auch nach diesen Ansichten von einer Erschleichungshandlung die Rede sein kann, nur weil sich der Täter die Straflosigkeit durch eine absichtliche Situationsgestaltung verschafft hat, wird bei der genaueren Untersuchung der Elemente des Umgehungsbegriffs im zweiten Teil dieser Arbeit noch zu klären sein. Gegen das Vorliegen einer Erschleichung könnte allerdings ein letztes, nämlich das Erfolgskriterium sprechen, denn von der genannten Minderheitsansicht im Schrifttum einmal abgesehen besteht weitestgehende Einigkeit darüber, dass die absichtliche Notwehrprovokation zumindest zu einer Einschränkung des Notwehrrechts führen muss. Die Voraussetzung für die Festlegung in der Frage darüber, ob die absichtliche Notwehrprovokation eine Umgehung darstellt, ist also – wie für fast alle noch zu nennenden Beispiele auch – zunächst die Entscheidung darüber, welche Bedeutung dem Ergebnis des Rechtsauslegungsprozesses für die Begriffsbestimmung zukommt. Setzt die Zuschreibung „Fall der Umgehung/Fall der Erschleichung im Strafrecht“ voraus, dass der Täter straffrei bleibt oder verhält sich das Ergebnis der Subsumtion der einschlägigen Strafvorschriften neutral gegenüber den Definitionsversuchen? Unzweifelhaft muss der Erfolg der Umgehungshandlung sein, dass die Geltung des Strafrechts für einen Lebenssachverhalt in Zweifel steht. Ist dem Täter durch seine Vorgehensweise nicht einmal die Hervorrufung solcher Bedenken gelungen, erübrigt sich jede weitere Diskussion über die Geltung des materiellen Rechts für seine Handlungen. Eröffnet das Täterverhalten jedoch Zweifel an der Geltung einer Strafvorschrift (bzw. eines Privilegierungstatbestandes) für einen Einzelsachverhalt,

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hat eine Verständigung darüber stattzufinden, ob und inwieweit die jeweilige Vorschrift trotz etwaiger Bedenken (typischerweise in Hinblick auf die Grenzen des Normwortlautes) noch Anwendung finden kann. Es besteht dadurch während des Auslegungsvorgangs zumindest die Möglichkeit, dass die Strafvorschrift X für den Sachverhalt Y nicht zur Anwendung kommen kann. Insofern ist als Erfolg des Umgehungsverhaltens also eindeutig erforderlich, dass der Subsumtionsvorgang zunächst offen erscheint und sowohl die Strafbarkeit des Verhaltens als auch seine Straflosigkeit als mögliche Ergebnisse des juristischen Syllogismus nicht ausgeschlossen erscheinen. Dafür, dass z. B. die absichtliche Notwehrprovokation als Fall der Umgehung einzuordnen ist, ist demnach erforderlich, dass es bei unbefangener Anwendung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Erlaubnissatzes zur Rechtfertigung und damit zur Straflosigkeit des Täters kommen könnte. Es ist im Rahmen der Bestimmung des Umgehungsbegriffs dann möglich, jedem dieser beiden denkbaren Zwischenergebnisse der Subsumtion (Zwischenergebnis 1: Strafbarkeit, Zwischenergebnis 2: Straffreiheit wegen Rechtfertigung) diejenigen weiteren Attribute zuzuordnen, die für die Einordnung des Verhaltens als Umgehungshandlung konstitutiv sein könnten (z. B. die mögliche Zweckverfehlung des Erlaubnissatzes, die Absichtlichkeit des Tätervorgehens, in anderen Fällen die Künstlichkeit des Tätervorgehens, usw.). Das Erfolgselement der Umgehungshandlung wäre danach lediglich, dass sich der Rechtsanwender mit ihrem möglichen Erfolg auseinandersetzen muss(te), unabhängig von der im Auslegungsdiskurs schließlich getroffenen Entscheidung.143 Es ist demnach identisch mit einem weiteren hier vorgestellten Element des Umgehungsbegriffs, nämlich den durch das Täterverhalten veranlassten besonderen Auslegungsbemühungen des Gesetzesanwenders bzw. einer Reaktion des Gesetzgebers. Wird es für die Begriffsfassung der Umgehung hingegen als erforderlich angesehen, dass auch am Ende der für zutreffend gehaltenen Normanwendung die Straflosigkeit des Täters feststeht, so sind alle Sachverhalte, deren Subsumtion letzten Endes zu einer Bestrafung des Täters führen, als Fälle der „scheinbaren Gesetzesumgehung“ denen der „echten Gesetzesumgehung“ gegenüberzustellen.144 Zugleich steht dann auch fest, dass das subjektive Element (i. S. einer Umgehungsabsicht) für die Begriffsbestimmung keine entscheidende Rolle spielen kann, denn der erfolglose „Umgehungsversuch“ ist nach Auffassung von Stöckel auch bei Vorliegen von Umgehungsabsicht nur eine Scheinumgehungshandlung. Für die Verständigung darüber, was den Umgehungsterminus ausmacht, kann dem Erfolg der Umgehung allerdings keine so übergeordnete Bedeutung beigemessen werden, denn die objektiven und subjektiven Merkmale der Gesetzesumgehung sind unabhängig davon erkennbar, ob die Rechtsanwendung noch einen Weg 143

Dazu, dass der konkrete Inhalt von Rechtsnormen- und positionen erst in juristischen Handlungsprozessen, die die vorhandenen Normtexte zur Entscheidungsfindung verarbeiten, entstehen muss, Kölbel, GA 2005, 36 ff. (49) m. w. N. 144 So explizit Stöckel, S. 86 f.

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

findet, das entsprechende Strafrecht auf den entsprechenden Sachverhalt zu übertragen oder nicht. Schließlich offenbart sich die normtheoretische Auffälligkeit der Umgehungshandlung – das ist die (strategische) zweckwidrige Strafvermeidung durch Umgehung eines Straftatbestandes oder Erschleichen einer Strafe ausschließenden Vorschrift – nicht allein schon durch das Eintreten von Straflosigkeit, sondern auch schon dadurch, dass die Rechtsanwendung gezwungen ist, dieses Ereignis als Ergebnis der Auslegung ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Zuzugeben ist Stöckel sicher, dass von einer erfolgreichen Umgehungshandlung nur dort die Rede sein kann, in der es dem Täter tatsächlich gelingt, eine Lücke zwischen Wortlaut und Telos der Norm für sich auszunutzen. Ob deshalb erfolglose Handlungen des Täters, die auf die Umgehung des Strafrechts ausgerichtet waren und bei der Subsumtion unter die möglicherweise einschlägige Strafvorschrift auch tatsächlich die entsprechenden Schwierigkeiten bereiteten, als „scheinbare Umgehungshandlungen“ zu bezeichnen sind, hängt wohl eher von der Gewichtung des subjektiven Elementes im Verhältnis zum Erfolgselement ab. Ein Umgehungsversuch nämlich, der sonst alle Elemente eines noch zu bestimmenden Umgehungsbegriffs aufweist (also z. B. die Umgehungsabsicht und die hervorgerufenen besonderen Auslegungsbemühungen), ist auch ohne den gewünschten Erfolg (die Straflosigkeit) ein Fall der Umgehung genauso wie der untaugliche Versuch eines Totschlags auch noch ein Fall des Totschlags und kein scheinbarer Totschlag ist.145 Dazu kommt, dass die zur Strafbarkeit des Umgehungs- oder Erschleichungsverhaltens hervorgebrachten Theorien ja – wie am Beispiel der Absichtsprovokation gezeigt – oft auf das gewünschte Ergebnis hin ausgerichtet sind und daher in ihrer ganzen – auch am fragwürdigen Argumentationsstil zu erkennenden – Zweckmäßigkeit besser nicht als Entscheidungsträger dafür fungieren sollten, was die echte von der scheinbaren Umgehungshandlung trennt. Somit gilt festzuhalten, dass die absichtliche Notwehrprovokation jedenfalls für die Rechtsprechung und den ganz überwiegenden Teil der Literatur ein Fall der Umgehung bzw. Erschleichung im Strafrecht ist. bb) Die „sonst schuldhafte“ Herbeiführung einer Notwehrlage Unter dem Begriff der „sonst schuldhaften“ bzw. „sonst vorwerfbaren“ Herbeiführung einer Notwehrlage146 werden (praktisch wesentlich bedeutsamere) Fall145

Stöckel selbst hält die Unterscheidung von scheinbaren und echten Gesetzesumgehungen nicht streng durch; so werden die Fälle der absichtlichen Notwehrprovokation und der vorsätzlichen actio libera in causa mit Hilfe des Rechtsinstituts „Umgehung“ für strafbar erklärt, ohne dass diese Sachverhalte als „scheinbare Gesetzesumgehungen“ bezeichnet würden, vgl. Stöckel, S. 104 f. 146 Diese gebräuchliche Sammelbezeichnung (z. B. bei Wessels/Beulke, Rn. 348; Lackner/ Kühl, § 32 Rn. 14; Kühl, § 7 Rn. 248) bedarf stets der Konkretisierung, weil sie nicht in ausreichender Weise zwischen der objektiven und subjektiven Seite der das Notwehrrecht einschränkenden Provokationshandlung unterscheidet; Loos, Deutsch-FS, S. 233 ff. (236).

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gruppen diskutiert, die jenseits der absichtlichen Provokation einer Rechtfertigungslage eine Einschränkung der Notwehr wegen des Vorverhaltens des Verteidigers begründen sollen. Denkbar ist die wissentliche Herbeiführung einer Notwehrlage ebenso wie ihre Verursachung mit dolus eventualis; breit erörtert werden auch Fälle der fahrlässigen Auslösung einer Notwehrsituation147, wobei sowohl an bewusste als auch an unbewusste Fahrlässigkeit zu denken ist. Der Begriff der Provokation wird hier zu Recht seltener verwandt, da er am ehesten auf die gezielte Reizung eines anderen, d. h. auf die „Absichtsprovokation“ zugeschnitten ist148, jedenfalls aber als „fahrlässige Provokation“ schwer denkbar ist. Mit dem Wegfall des Absichtselements entfällt auch ein wesentlicher Bestandteil für die Lösung dieser vom zielgerichteten Handeln dominierten Fallgruppe der Notwehr-„Provokation“, ohne dass die diskussionsprägende Wirkung dieses subjektiven, fast schon „suggestiven“ Elements stets zugegeben worden wäre. Insofern war das Absichtselement nicht nur Argumentationshilfe sondern zugleich auch Problemfaktor bei der Diskussion um die Absichtsprovokation, weil es – wie gesehen – zu einen Diskussionsstil führte, der von Argumenten des moralischen und rhetorischen Typs geprägt war und ist.149 Die Diskussion um die „sonst schuldhaft herbeigeführte“ Notwehr erfährt daher ohne die Möglichkeit einer Berufung auf das Absichtselement jedenfalls in Teilen eine Modifikation; durchsichtiger freilich wird sie infolge dieser Abänderungen leider auch nicht:150 Uneinigkeit besteht etwa bzgl. der objektiven Qualität des Vorverhaltens, des Grades151 und Gegenstandes152 der Sorgfaltspflichtverletzung, der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch den rechtswidrig handelnden Angreifer, der Rechtsfolgen und natürlich der Begründung der Einschränkung selbst. Während die allein auf Rechtsmissbrauch oder den fehlenden Verteidigungswillen gestützten Thesen für letzteren Streitpunkt naturgemäß nicht zum Tragen kommen können, werden zur Einschränkung der fahrlässig heraufbeschworenen Notwehrsituation ebenso wie für die Absichtsprovokation teleologische Erwägungen (insbesondere in Hinblick auf das angebliche Fehlen einer rechtsbewährenden Handlung), die actio illicita in causa, der Gedanke der Ingerenz bzw. das Prinzip der Mitverantwortung ins Felde geführt. Wenn diese Lehren schon für die Absichtsprovokation nicht unkritisiert geblieben sind, so ist es naheliegend, dass diese Kritik für die Fälle der nicht absichtlichen oder gar nur 147

Kühl, § 7 Rn. 248 ff.; Loos, Deutsch-FS, S. 233 ff. (237 f). Kühl, § 7 Rn. 248. 149 Hassemer, Bockelmann-FS, S. 225 ff. (230 f.); Loos, Deutsch-FS, S. 233 ff. (233 f.). 150 Vgl. zu den nun folgenden Streitfragen Loos, Deutsch-FS, S. 233 ff. (236 ff.); Roxin, AT I, § 15 Rn. 69 ff.; Kühl, § 7 Rn. 248 ff., jeweils m. w. N. 151 Insbesondere stellt sich die Frage nach einer Untergrenze der Sorgfaltspflichtverletzung. Während nach einer Auffassung in der Literatur Fälle leichter Fahrlässigkeit (z. B. irrtümliches Öffnen der falschen Hotelzimmertür) auszuscheiden sein sollen, sind solche Restriktionen der Rechtsprechung nicht zu entnehmen; vgl. dazu Kühl, § 7 Rn. 251; Jakobs, 12. Abschn. Rn. 54. 152 Fraglich ist nämlich, ob Bezugspunkt allein der „provozierte“ Angriff ist oder aber auch die Verteidigungshandlung respektive deren Erfolg; dazu Loos, Deutsch-FS, S. 233 ff. (238). 148

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fahrlässigen Notwehrprovokation erst recht gelten muss.153 Wenn jedenfalls die Kritik an der Einschränkung der Notwehr in den Fällen nicht absichtlicher Angriffsverursachung vernehmlicher wird, so folgt daraus für den Gegenstand dieser Untersuchung, dass eine Einordnung dieser Sachverhalte als Umgehungs- bzw. als Erschleichungshandlung mit umso mehr Hindernissen verbunden sein muss. Je nachdrücklicher bestritten wird, dass die nicht absichtlich verursachte Notwehrlage zu einer Beschränkung des Notwehrrechts führen könne, umso weniger lässt sich diese Konstellation bereits unter die bisher verwendete „Arbeitsdefinition“ des Umgehungsverhaltens bzw. ihre Umformung für die Erschleichungssituation subsumieren. Erforderlich wäre nämlich für den Erschleichungszusammenhang danach stets die zweckwidrige Inanspruchnahme einer nach dem Wortlaut zu weit geratenen Erlaubnisnorm; wird jedoch ein teleologisch begründetes Einschränkungsbedürfnis abgewiesen, so ist auch keine Erschleichung der Notwehr und damit keine Umgehungshandlung im Strafrecht gegeben. Damit ist das anlässlich der Untersuchung der Diskussion um die Absichtsprovokation vorgeschlagene, begriffskonkretisierende Kriterium der besonderen Auslegungsbemühungen gleichfalls nur noch für diejenigen Ansichten zu gebrauchen, die auch für die nicht absichtliche Notwehrverursachung im Falle von sonstigem (objektivem wie subjektivem) Vorverschulden für eine Einschränkung des § 32 StGB plädieren. Jedenfalls für die fahrlässige Notwehrverursachung ist schließlich das ebenfalls anlässlich der Absichtsprovokation eingeführte Konkretisierungselement der Umgehungs- bzw. Erschleichungsabsicht hinfällig und seine Anwendbarkeit für die zwar vorsätzliche, aber nicht absichtliche Notwehrverursachung in seiner Anwendbarkeit zumindest zweifelhaft. Um eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die nicht absichtliche, lediglich sonst schuldhafte Notwehrverursachung als Erschleichungsfall einzuordnen ist, erscheint es somit erforderlich, zunächst die Bedeutung subjektiver Elemente für den Umgehungs- und Erschleichungsbegriff und gegebenenfalls ihren Inhalt und Gegenstand festzulegen. Diese Diskussion ginge jedoch weit über die hier verfolgte vorläufige Fallsammlung möglicher Umgehungshandlungen im materiellen Strafrecht hinaus. Die Frage danach, ob insbesondere die fahrlässige Notwehrverursachung (aber auch, ob die mit Wissentlichkeit oder dolus eventualis heraufbeschworenen Notwehrlagen) das Thema dieser Arbeit betreffen, kann also noch nicht endgültig beantwortet werden. Ein Erkenntnisgewinn über die Bedeutung der subjektiven Elemente des Umgehungsbegriffs und damit auch die Einordnung der sonst schuldhaften Herbeiführung einer Notwehrlage wird aber hoffentlich im weiteren Fortgang dieser Arbeit möglich sein, wenn sowohl die hier vorgenommene induktive Annäherung an den Umgehungsbegriff als auch die noch zu erfolgende abstrahierte Diskussion der Umgehungsmerkmale abgeschlossen sind.

153 Von der Zulässigkeit des argumentum a maiore ad minus in diesem Zusammenhang gehen etwa auch Kühl, § 7 Rn. 257; Loos, Deutsch-FS, S. 233 ff. (236 mit Fn. 23); Bockelmann, Honig-FS, S. 19 und Kiefner, S. 9 aus.

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b) Die Erschleichung eines rechtswidrigen, bindenden Befehls Als Umgehungsfall wird von Stöckel auch die Erschleichung eines bindenden, entschuldigenden Befehls genannt, die zum Beispiel durch eine bewusste Falschmeldung erreicht werden konnte.154 Dabei nimmt er Bezug auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in einem Kriegsverbrecherprozess155, für die noch das MStGB von 1872 anzuwenden war. Nach der heutigen Rechtslage ist diese – ohnehin recht gesucht wirkende – Fallgestaltung für die Umgehungsthematik allerdings gegenstandslos geworden156, denn kraft positiv-rechtlicher Regelung ist der Befehl, dessen Ausführung die Erfüllung eines Straftatbestands bedeutete, für den untergebenen Soldaten ausdrücklich unverbindlich, vgl. § 11 II S. 1 SG, § 22 I S. 1 WStG. Zwar handelt der Soldat bei Befolgung eines solchen Befehls grundsätzlich ohne Schuld, doch gilt dies nicht, wenn er erkennt, dass durch die Befolgung eine Straftat begangen wird, § 11 II S. 2 SG, § 5 I WStG.157 Diese Kenntnis muss dem Untergebenen in der Erschleichungssituation unterstellt werden, so dass die Begehung einer Straftat des Untergebenen auf Befehl hin weder verpflichtend noch entschuldigt ist. Auf diese Weise wird das Spannungsverhältnis zwischen Gehorsamspflicht und Rechtstreue auch für Beamte, Zivildienstleistende, öffentliche Angestellte etc. in § 56 II S. 3 BBG, § 38 II S. 2 BRRG, § 7 II UZwG, § 30 II, III ZDG, § 97 II StVollzG und weiteren Landesbeamten- und Landespolizeigesetzen aufgelöst, so dass auch in diesen Unterordnungsverhältnissen das Erschleichen eines verbindlichen und damit rechtferti154

Stöckel, S. 20. BGH NJW 1964, 57. 156 Es ist allerdings fraglich, inwieweit der von Stöckel geschilderten Sachverhalt auch unter Zugrundelegung der alten Rechtslage als erfolgreiche Umgehungshandlung bewertet werden konnte: Gemäß § 47 S. 1 MStGB ist allein der befehlende Vorgesetzte verantwortlich zu machen, „wenn durch die Ausführung seines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt [sic!] wird“. Nach § 47 S. 2 MStGB trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen unter anderem dann die Strafe des Teilnehmers, wenn ihm bekannt war, dass der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte. Zwar ist diese Einschränkung ersichtlich auf den Fall ausgerichtet, dass dem Untergebenen strafrechtlich relevante Ziele bekannt waren, die nicht er, sondern ein anderer (also der Vorgesetzte) mit dem Befehl bezweckt hat, doch findet wohl noch keine Überschreitung des Wortlautes statt, wenn § 47 S. 2 WStGB auch für Sachverhalte Anwendung findet, in denen es der Untergebene selbst war, der kriminelle Pläne verfolgte und sich zu ihrer Ausführung einen bindenden Befehl erschlich. Damit stellte die von Stöckel beschriebene Fallgestaltung schon nach dem alten Recht nur insoweit einen Umgehungssachverhalt dar, als der Untergebene in dem von Stöckel genannten Beispiel anstelle der dem Vorgehen angemessenen Strafbarkeit als mittelbarer Täter lediglich die Strafe des Anstifters oder Gehilfen zu erwarten hatte. Es blieb aber die Möglichkeit, die volle Strafbarkeit mit Hilfe eines der actio libera in causa ähnlichen Zurechnungsmodells oder mittels des Umgehungsgedankens doch noch zu erreichen, sofern man diese Handhabe für zulässig erachtet (für letzteres Stöckel, S. 105). 157 Ambos, JR 1998, 221 ff.; zu der Problematik der Rechtfertigung aufgrund rechtswidrigen, verbindlichen Befehls allgemein Roxin, AT I, § 17 Rn. 15 ff.; Kühl, § 9 Rn. 118a ff.; LK11-Spendel, § 32 Rn. 74 ff. 155

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genden bzw. entschuldigenden Befehls158 bei der Begehung von Straftaten nicht in Betracht kommt. c) Die actio libera in causa Ferner könnten die mit dem Begriff der actio libera in causa in Verbindung gebrachten Sachverhalte einen Umgehungsfall bilden. Zur Einführung in die Problematik der actio libera in causa sei zunächst ein kurzer, fiktiver Sachverhalt geschildert159 : P hat in Erfahrung gebracht, dass die Schuldunfähigkeit bei Begehung einer Straftat vor Gericht zu einer erheblichen geringeren Strafe gegenüber der für den voll verantwortlich Handelnden vorgesehenen führt. Vor der seit langer Zeit geplanten Tötung seiner Ehefrau betrinkt sich P daher in einem Maße, dass er den Zustand der Schuldunfähigkeit i. S. v. § 20 StGB herbeiführt.160 Daraufhin ersticht er seine schlafende Frau. Bei unbefangener Betrachtung des Wortlauts von § 20 StGB erscheint eine Bestrafung des P wegen Mordes aus Heimtücke gemäß §§ 212, 211 II, 2. Gruppe, 1. Var. StGB ausgeschlossen, denn P handelte bei Begehung der Tat ohne Schuld. Eine Bestrafung des P kann nur gemäß § 323a StGB erfolgen, der als Höchstmaß eine angesichts des verwirklichten Mordunrechts im Vergleich zum dortigen Strafmaß geringe Freiheitsstrafe von fünf Jahren vorsieht. Dass diese Besserstellung des P nicht ohne Weiteres mit dem Rechtsgefühl in Einklang zu bringen ist, kann wohl nicht ernsthaft bestritten werden. Diese Fälle der Schuldunfähigkeit kann der Gesetzgeber bei Schaffung des § 20 StGB nicht im Auge gehabt haben: Das deutsche Strafrecht beruht auf dem Schuld- und Verantwortungsprinzip, welches Verfassungsrang hat. Strafe setzt Schuld voraus.161 Dabei kann der Gesetzgeber davon ausgehen, dass der volljährige Bürger grundsätzlich schuldfähig ist.162 § 20 StGB soll daher dem Schuldgrundsatz dadurch Rechnung tragen, dass er diese Regelvermutung 158 Die Frage, ob der Untergebene bei Erfüllung der Weisung gerechtfertigt oder nur entschuldigt ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Zum Streitstand mit ausführlichen Nachweisen Roxin, AT I, § 17 Rn. 18. 159 Zu einem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall siehe St 21, 381. 160 Zu den Schwierigkeiten der Feststellung der Schuldunfähigkeit, insbesondere zur Abwägung des Stellenwertes von „Promillediagnostik“ gegenüber „Psychodiagnostik“ vgl. BGHSt 43, 66 mit Anmerkung Loos, JR 1997, 514 ff.; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 20 Rn. 16a. Diese Erkenntnisschwierigkeiten, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, sind gerade für die vorsätzliche actio libera in causa von Bedeutung, zeigt der Täter durch sein strategisches Vorgehen doch eigentlich, dass er trotz einer u. U. im toxischen Bereich liegenden Blutalkoholkonzentration in der Lage ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zu Recht beschreibt Leupold, S. 205 diese Gegebenheit als paradox und weist darauf hin, dass – neben weiteren Beweisschwierigkeiten – gerade diese Widersprüchlichkeiten auch Grund dafür sein könnten, dass die vorsätzliche actio libera in causa das Schrifttum sehr viel intensiver beschäftigt hat als die Praxis. 161 BVerfGE 95, 96 (131); 96, 245 (249); BGHSt 2, 194 (200); Wessels/Beulke, Rn. 396. 162 LK11-Jähnke, § 20 Rn. 13; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 20 Rn. 1.

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für Ausnahmefälle offen lässt.163 In dem soeben geschilderten Fall bezieht sich P also auf eine Ausnahmeregel, deren Voraussetzungen er selbst absichtlich herbeigeführt hat, gerade um sich auf sie berufen zu können. Diese Umstände können schwerlich mit dem Sinn und Zweck des § 20 StGB in Einklang gebracht werden.164 Damit scheint die planvolle Inanspruchnahme eines Schuldausschließungsgrundes für die Begehung einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Straftat auch offensichtlich ein Fall der Strafumgehung in Form der Erschleichung eines privilegierenden Tatbestandes zu sein, scheinen doch Wortlaut von § 20 StGB einerseits und Telos der Vorschrift andererseits für diese Fallgestaltung deutlich auseinander zu fallen. Gleiches gilt für die Möglichkeit der Umgehung eines unechten Unterlassungsdeliktes; so im Fall des Schrankenwärters, der sich vorsätzlich derart betrinkt, dass er bei Ankunft des Zuges nicht mehr in der Lage ist, die Schranke zu schließen.165 aa) Die Streitfragen um die actio libera in causa Dieser vorgeblich offensichtliche Zusammenhang zwischen vorsätzlicher actio libera in causa und dem Begriff der Erschleichungshandlung ist jedoch schnell wieder verdunkelt, wenn der Begriff der a.l.i.c. genauer in den Blick genommen wird. Gegenüber der Notwehrprovokation nämlich hat sich der Interessierte im Rahmen der actio libera in causa mit einem noch einmal gesteigerten „Wildwuchs von Theorien“166 auseinandersetzen.167 Communis opinio ist wohl zumindest, dass mit dem Schlagwort „a.l.i.c.“ die Frage zu verbinden ist, ob ein Täter, der im schuldunfähigen Zustand eine Tat begeht, für die er im schuldfähigen Zustand gerade in Bezug auf die Schuldunfähigkeit vorsätzlich oder fahrlässig eine Ursache gesetzt hat, entgegen dem natürlichen Verständnis des Wortlauts von § 20 StGB für diese Tat – über § 323a StGB hinaus168 – strafrechtlich verantwortlich ist.

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MüKo-StGB-Streng, § 20 Rn. 2. Dieses Ergebnis ist nach LK11-Jähnke, § 20 Rn. 78; Krey, AT I, Rn. 672 ff. und Stratenwerth/Kuhlen, § 10 Rn. 47 sogar eindeutig anhand der subjektiv-historischen Auslegung der Norm belegbar. 165 Die Problematik der so genannten „omissio libera in causa“ (vgl. Schönke/SchröderStree, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 144) soll hier nicht weiter verfolgt werden, da sich grundsätzlich dieselben Probleme wie auch für die actio libera in causa ergeben; zu möglichen Unterschieden im Detail siehe Satzger, Jura 2006, 513 ff. (516 ff.). 166 Hruschka, S. 303; ders., S. 49, bezeichnet die actio libera in causa auch als „Schlagwort“, „Zauberwort“ und „strafrechtlichen Mythos“. 167 Hettinger, S. 32, spricht angesichts des Streitstandes bzgl. der actio libera in causa gar von einem „chaotischen Zustand“. 168 Für die Befürworter der actio libera in causa müsste es präziserweise „anstelle des § 323a StGB“ heißen, denn nach herrschender Ansicht schließt die Bestrafung nach den Regeln der a.l.i.c. den § 323a StGB schon tatbestandlich aus, BGHSt 2, 17; Roxin, AT I, § 20 Rn. 75 f. 164

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

Abgesehen davon kann eigentlich jeder Aspekt dieser Problemstellung als umstritten gelten. Die einzelnen Streitfragen seien im Folgenden kurz angesprochen, um wie schon für die Notwehrprovokation im Anschluss untersuchen zu können, welcher dieser Diskussionspunkte bzw. welches seiner Ergebnisse einer Einordnung der actio libera in causa als Fall der Umgehung bzw. Erschleichung im Wege stehen könnte. Schon über die Benennung der Problematik bestehen erhebliche Differenzen im Schrifttum, aber auch innerhalb der Rechtsprechung, da man sich vor allem nicht darüber einig ist, ob mit der actio libera in causa ein bestimmter Geschehensablauf beschrieben werden soll und/oder die rechtliche Bewertung desselben.169 Strittig ist nach wie vor ferner und vor allem, ob die als actio libera in causa gekennzeichnete Sachverhaltskonstellation jenseits des Vollrauschtatbestands de lege lata überhaupt strafbar ist.170 Unter den Befürwortern der Strafbarkeit wiederum herrscht Streit darüber, wie die Strafbarkeit der actio libera in causa zu begründen ist. Während von der nach wie vor herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur das so genannte Tatbestandsmodell vertreten wird, dem zufolge für die tatbestandsmäßige Handlung (auch) auf das Sich-Berauschen abzustellen ist171, ist nach einer starken Minderheitsauffassung die actio libera in causa als echte, gewohnheitsrechtliche Ausnahme zu § 20 StGB zu verstehen. Tatbestandliche Handlung bleibe daher das Verhalten im schuldunfähigen Zustand selbst.172 Unter den Anhängern der actio li169

Hettinger, S. 24 ff. mit ausführlichen Nachweisen zu dem betreffenden Streitstand. Gegen eine Bestrafung der im Rausch begangenen Straftat über § 323a StGB hinaus Hettinger, S. 436 ff.; Sydow, S. 78 ff., 164; Stühler, S. 111 ff., 121 ff.; NK-Paeffgen, vor § 323a Rn. 1 ff.; Köhler, S. 397; Baier, GA 1999, 272 ff. (283); Ambos, NJW 1997, 2296 ff.; Fahnenschmidt/Klumpe, DRiZ 1997, 77 ff.; Salger/Mutzbauer, NStZ 1993, 561 ff. und Rönnau, JuS 2000, L 28 ff. (29 ff.); so inzwischen auch Hruschka, JZ 1996, 64 ff. 171 Wer als strafrechtlich relevante Handlung allein auf die den Defekt herbeiführende Handlung abstellt, vertritt die so genannte Vorverlegungstheorie (Terminologie nach Hillenkamp, Probleme, S. 73 f.), so jedenfalls für die Erfolgsdelikte uneingeschränkt BGHSt 17, 259; 21, 381; 42, 235 (239); NStZ 2002, 28; Bockelmann/Volk, S. 119; Hirsch, Lüderssen-FS, S. 253 ff. (262 ff.); Maurach/Zipf, § 36 Rn. 54 ff.; Schlüchter, Hirsch-FS, S. 345 ff.; Wolter, Leferenz-FS, S. 545 ff. (554 ff.); wohl auch Fischer, § 20 Rn. 49, 55; mit Einschränkungen für eigenhändige und verhaltensgebundene Delikte, für die reinen Tätigkeitsdelikte oder Fälle verminderter Schuldfähigkeit: Baumann/Weber/ Mitsch, § 19 Rn. 35; Heinrich, Rn. 603; Jakobs, 17. Abschn. Rn. 64 ff.; Joecks, § 323a Rn. 28 f.; Roxin, AT I, § 20 Rn. 59 ff. und SKRudolphi, § 20 Rn. 28d f.; nach dem „Ausdehnungsmodell“ ist der Wortlaut des § 20 StGB („Begehung der Tat“) dahingehend zu verstehen, dass auch das Vorverhalten schuldrelevanter Anknüpfungspunkt der Bestrafung werden kann, soweit es wenigstens zum Versuch der Tat im schuldunfähigen Zustand kommt. Dieses Modell wird von MüKo-StGB-Streng, § 20 Rn. 128 ff.; Frisch, ZStW 101 (1989), 538 ff. (608 ff.); Küper, S. 82 ff. und Kuhn-Päpst, S. 116 ff. vertreten. Von einer besonderen Relevanz des Vorverhaltens für die Unrechtsbewertung geht Schmidhäuser, actio libera in causa, S. 27 ff. aus. 172 Otto, AT, § 13 Rn. 15 ff.; Jescheck/Weigend, § 40 VI; Jerouschek, Hirsch-FS, S. 241 ff. (255 ff.); Jerouschek/Kölbel, JuS 2001, 417 ff. (420 ff.); Kühl, § 11 Rn. 9 ff., 18; Lackner/Kühl, § 20 Rn. 25; und Hruschka, JuS 1968, 554 ff.; ders., JZ 1989, 310 ff. (der heute allerdings von der Unvereinbarkeit des Ausnahmemodells mit dem geltenden Recht ausgeht, siehe dazu 170

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bera in causa besteht ferner Streit darüber, ob und inwieweit Geltungsausnahmen für eigenhändige und verhaltensgebundene Delikte sowie für die reinen Tätigkeitsdelikte vorzusehen sind. In mancher Hinsicht unabhängig von den jeweiligen Ausgangspunkten gehen ferner die Meinungen über die Berechtigung bzw. Notwendigkeit der Figur der fahrlässigen actio libera in causa auseinander.173 Zum Teil werden die jeweiligen Begründungsmodelle für die vorsätzliche actio libera in causa auf die Fahrlässigkeitskonstellation übertragen, teilweise wird die Berechtigung auch für diesen Bereich bestritten, anders als die vorsätzliche actio libera in causa wird sie für den Fahrlässigkeitsbereich auch schlicht für überflüssig gehalten, da die fahrlässige Bewerkstelligung der Tat nicht an die Grenze von § 22 StGB gebunden sein soll.174 Weitere Diskussionen betreffen die Frage nach der konkreten Straffestsetzung (also der Rechtsfolge) im Falle der generellen Anerkennung der Rechtsfigur, nach den Grenzen der strafbaren Versuchszone der actio libera in causa, nach dem Vorsatzgegenstand und -inhalt, der Anwendbarkeit der Figur auf weitere Merkmale des Straftatbestands175, nach der Anwendbarkeit der actio libera in causa für § 21 StGB176 und schließlich ist auch die Behandlung der diversen denkbaren Irrtumskonstellationen umstritten177. bb) Relevanz der Streitfragen für die Einordnung der actio libera in causa als Fall der Umgehung bzw. Erschleichung Eine wichtige Strukturparallele zur Notwehrprovokation besteht insoweit, als das zur Strafvermeidung zunächst geeignet erscheinende Verhalten des Täters nicht auf die direkte Umgehung einer Strafnorm ausgerichtet ist, sondern auf die „Ergehung“ eines das tatbestandsmäßige Verhalten privilegierenden Tatbestandes aus dem Allgemeinen Teil des StGB. Während dort das Ziel die Rechtfertigung des Verhaltens ist, soll hier die persönliche Vorwerfbarkeit des begangenen Unrechts ausgeschlossen sein. Die These, dass auch die Erschleichung einer privilegierenden Vorschrift aus dem Allgemeinen Teil einen Fall der Umgehungshandlung im Fn. 170). Einige Autoren gehen nicht von einer Ausnahme zu § 20 StGB aus, da sich die Berechtigung der actio libera in causa schon aus einer – angeblich auch durch das Ergebnis der subjektiv-historischen Auslegung bestätigten – teleologischen Reduktion des § 20 StGB ergebe, so Wessels/Beulke, Rn. 415; Krey, AT I, Rn. 672 ff.; LK11-Jähnke, § 20 Rn. 78; Stratenwerth/Kuhlen, § 10 Rn. 47. 173 Vgl. Hettinger, S. 31; Kühl, § 17 Rn. 95. 174 Die letztgenannte Auffassung vertreten neben dem Bundesgerichtshof (St 40, 341 [343]; 42, 235 [236]) Horn, GA 1969, 289 ff.; Otto, AT, § 13 Rn. 33, Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513 ff. (524 ff.); Puppe, JuS 1980, 346 ff. (350). 175 Vgl. zu diesen Streitfragen statt aller Hettinger, S. 28 ff. mit umfangreichen Nachweisen. 176 Vgl. Roxin, AT I, § 20 Rn. 69 m. w. N. 177 Vgl. Kühl, § 11 Rn. 23 m. w. N.

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

Strafrecht bildet, war bereits für die Notwehrprovokation näher begründet worden. Anlass, diese Ausführungen für die actio libera in causa als nicht oder nur beschränkt gültig anzusehen, besteht nicht. Damit kann auf diese Ausführungen entsprechend verwiesen und festgehalten werden, dass der Einordnung der actio libera in causa als Umgehungssachverhalt des Strafrechts jedenfalls nicht entgegensteht, dass sie einen möglichen „Erschleichungsfall“ aus dem Umfeld einer Norm des Allgemeinen Teils bildet. Ebenfalls keiner umfangreicheren Erörterung mehr bedarf die Frage, ob das für die herrschende Meinung feststehende Ergebnis der Auseinandersetzung mit der vorsätzlichen actio libera in causa – also die volle Strafbarkeit des Täters – ihrer Einordnung als Umgehungs- bzw. Erschleichungsfall entgegensteht. Im Zusammenhang mit der absichtlichen Notwehrprovokation war bereits ausgeführt worden, dass die Straffreiheit des Täters zwar Bestandteil des Begriffs der erfolgreichen Umgehung, entgegen der von Stöckel vertretenen Auffassung nicht aber Bestandteil des Umgehungsbegriffs an sich ist.178 Auch die erwähnten Detailprobleme die actio libera in causa betreffend (etwa bzgl. der Rechtsfolge, der Anwendbarkeit bei § 21 StGB oder der Irrtumsfragen) sind für die an dieser Stelle zu erreichende vorläufige begriffliche Einordnung ebenso wenig von Belang wie die Diskussion die Frage betreffend, ob der Terminus „actio libera in causa“ eine Sachverhaltskonstellation oder ihre rechtliche Behandlung betrifft. (1) Die absichtliche actio libera in causa Es ist nun zu diskutieren, inwieweit einzelne zur Begründung der actio libera in causa vertretene Ansichten quer zu der anfangs geäußerten Annahme stehen könnten, die a.l.i.c. bilde einen Erschleichungsfall. Hierfür bieten sich die bereits für die absichtliche Notwehrprovokation aufgestellten Zusatzkriterien an179, denn sie könnten auch zur Klärung des Verhältnisses von a.l.i.c. und Gesetzesumgehung dienlich sein. Dem die subjektive Tatseite betonenden Kriterium zufolge war eine Gesetzesumgehung gegeben, wenn der Täter seinen Tatplan in Kenntnis der Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens ganz wesentlich auch danach ausrichtet, straffrei zu bleiben und sich sein Vorgehen auch danach bestimmt.180 Danach kann die absichtliche actio libera in causa nur unter bestimmten Voraussetzungen als Erschleichungsfall eingeordnet werden. Denn selbst die Tatsache, dass eine absichtliche Berauschung gerade zu dem Zweck der späteren Begehung einer bestimmten Straftat im Zustand des Vollrausches erfolgt, sagt noch nichts über das Motiv des Täters für die finale Verknüpfung der beiden Ereignisse (also der Berauschung und 178 179 180

Siehe B. I. 2. a) aa) (3) (b) (bb), (dd). Siehe B. I. 2. a) aa) (3) (b). Siehe B. I. 2. a) aa) (3) (b) (aa).

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der eigentlichen Tatausführung) aus; als psychologisch besonders naheliegender Beweggrund wird in der Literatur fast ausschließlich das Motiv „Mut antrinken“ genannt181, der Begriff der Erschleichung wird – soweit ersichtlich – nur von Otto angesprochen182. Wer sich zur eigenen Ermutigung betrinkt, also des Alkoholkonsums bedarf, um zu der Ausführung der Tat psychisch überhaupt in der Lage zu sein, dem kommt es auf eine zweckwidrige Inanspruchnahme von § 20 StGB nicht an. Anders liegen die Dinge, wenn der Täter die rechtlichen Folgen der eigenen Schuldunfähigkeit reflektiert und – wie im obigen Beispielsfall – für seine Zwecke einsetzt. Nur in diesem Fall kann von einer absichtlichen Erschleichung des § 20 StGB die Rede sein. Diese mögliche Ambivalenz der Motive für den straftatorientierten Berauschungsvorgang zeigte sich neben der actio libera in causa auch schon für das die absichtliche Notwehrprovokation prägende Vorverhalten. Wer provoziert, um dem darauf folgenden Angriff entgegnen zu können, kann für diesen „Umweg“ des z. B. auf eine Körperverletzung ausgerichteten Tatplans zum einen den Grund haben, einen Straftatbestand gerechtfertigt verwirklichen zu wollen, es kann jedoch auch die Motivation vorherrschen, den anderen überhaupt erst zu einer tätlichen Auseinandersetzung zu bewegen.183 So wie also der Absichtsprovokation nicht stets eine auf die Rechtsebene abzielende Motivation immanent sein muss184, können auch die Beweggründe für die zu der Begehung einer Straftat durchgeführte Selbstberauschung tatsächliche sein. Nur wenn die Berauschung auch vorteilhafte rechtliche Auswirkungen für den Täter haben soll, ist die absichtliche actio libera in causa zugleich ein Fall der Erschleichung im Strafrecht, jedenfalls wenn mit dem hier vorgestellten und subsumierten subjektiven Umgehungsbegriff operiert wird.

181 Kühl, § 11 Rn. 6; Krey, AT I Rn. 666; Heinrich, Rn. 612; Roxin, AT I, § 20 Rn. 56; Stratenwerth/Kuhlen, § 10 Rn. 44; Jescheck/Weigend, § 40 VI. 1.; Maurauch/Zipf, § 36 Rn. 61; Wessels/Beulke, Rn. 415; Hruschka, S. 37, nennt als weiteres Motiv für die Berauschung Langeweile; bei Otto, AT, § 13 Rn. 17 werden sowohl das Motiv „Mut antrinken“ als auch das Motiv der Strafvermeidung angesprochen. 182 Otto, AT, § 13 Rn. 26 begründet die Strafbarkeit der actio libera in causa u. a. mit der „Unmaßgeblichkeit von erschlichenen Rechtspositionen“. Allerdings ist ein engerer Zusammenhang mit dem hier verwendeten Erschleichungsbegriff unter anderem deshalb zweifelhaft, weil Otto zur weiteren Begründung ausführt, niemand dürfe sich zu seinen eigenen Gunsten auf seine Schändlichkeit berufen. Eine Erschleichung nach dem hier zum Ausdruck gekommenen Verständnis setzt jedoch voraus, dass der Täter sich nicht nur im Nachhinein (typischerweise im Strafverfahren) auf die eigene Schuldunfähigkeit beruft, sondern die rechtliche Vorteilhaftigkeit der eigenen Berauschung schon vor der Tat erkannt und dementsprechend zu dem zentralen Bestandteil des Tatplans gemacht hat. Diese Anforderungen stellt Otto eindeutig nicht, um von einer Anwendbarkeit des von ihm favorisierten „Schändlichkeitsprinzips“ ausgehen zu können, denn nicht „[…] erforderlich ist, dass der Täter sich berauscht, um die Tat zu begehen“ (Otto, AT, § 13 Rn. 28). 183 Andere Motive, wie etwa die zusätzliche Demütigung des ohnehin Provozierten durch z. B. eine Körperverletzung mögen im Einzelfall auch eine Rolle spielen. 184 Dies ist ohnehin nur dann der Fall, wenn im Zeitpunkt der Provokation bereits der Plan bestand, im Rahmen der Verteidigungshandlung den Tatbestand eines Strafgesetzes zu erfüllen (s. o.).

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

Evident ist, dass die im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht beheimatete objektive Bestimmung der Umgehungshandlung danach, ob der Täter eine künstlich wirkende Sachverhaltsgestaltung wählt, die ihm gegenüber dem üblichen Weg besondere Aussichten verschafft, straffrei zu bleiben, und die unter keinem anderen Aspekt, vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten, Sinn ergibt185, wie schon für die Notwehrprovokation auch im Rahmen der actio libera in causa als Zusatzkriterium bei der Begriffsbestimmung nicht anwendbar ist. Ohne Kenntnis des Täterplans sind Erwägungen darüber, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, die eigene Volltrunkenheit herbeizuführen, eher unfreiwillig komisch als zielführend. Gleiches gilt für das von Stöckel vorgeschlagene Konkretisierungsmerkmal der „künstlichen“ i. S. v. „ungewöhnlichen“ Tatbestandsvermeidung“186. Damit können sich die Ausführungen im Folgenden auf die Ausgangsdefinition des Umgehungsbegriffs und ein weiteres Zusatzkriterium, den betriebenen Argumentationsaufwand der Rechtsprechung und Literatur187, stützen und fokussieren. (a) Die Unvereinbarkeitsthese Einer Einordnung der actio libera in causa als Erschleichungsfall könnte zum einen die im Schrifttum vertretene Ansicht, die mit dem Namen a.l.i.c versehenen Sachverhalte seien über § 323a StGB hinaus nicht strafbar, entgegenstehen. Dies wäre dann der Fall, wenn deren Befürworter die These der weitestgehenden Straflosigkeit auf das Argument stützten, ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wortlaut der für die Fallgestaltung einschlägigen Vorschrift und ihrem Telos bestünde gar nicht. Dann wäre schon nach der hier gewählten Arbeits- und Ausgangsdefinition kein Umgehungssachverhalt gegeben. Zu diesem Ergebnis war diese Untersuchung für eine Ansicht im Meinungsstreit um die Absichtsprovokation gelangt, deren Straflosigkeit die Verfechter jener These auch damit begründet hatten, dass es bereits keine materialen Erwägungen geschuldeten Gründe dafür gebe, vom Wortlaut des § 32 II StGB und der danach gegebenen Rechtfertigung der Tat abzuweichen. Für die actio libera in causa liegen die Dinge aber anders, denn kein Gegner des a.l.i.c.Gedankens argumentiert auf diese Weise. Vielmehr werden die Strafbedürftigkeit der vorsätzlichen a.l.i.c. und ein Spannungsverhältnis zum Rechtsgefühl, zum Sinn und Zweck des § 20 StGB oder zu Prinzipien der materialen Gerechtigkeit nicht bestritten und die eigene Überzeugung resultiert vielmehr daraus, dass keine der für das „bessere“, das „richtigere“ Ergebnis vertretenen Theorien für überzeugend genug gehalten wird, um die rechtsstaatlichen Bedenken in Bezug auf die zur Strafbarkeitsbegründung im Wege der a.l.i.c. entwickelten Modelle überwinden zu können.188 Nicht selten wird daher auch von den Gegnern der actio libera in causa mit 185

Siehe B. I. 2. a) aa) (3) (b) (aa). Stöckel, S. 28. 187 Siehe B. I. 2. a) aa) (3) (b) (cc). 188 Hruschka, JZ 1997, 22 ff. (24); Sydow, S. 165 ff.; NK-Paeffgen, Vor § 323a Rn. 1; Baier, GA 1999, 272 ff. (278); Rönnau, JA 1997, 707; Salger/Mutzbauer, NStZ 1993, 561 ff. (565); 186

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Nachdruck zu einer gesetzlichen Regelung der Problematik nach dem Vorbild gesetzlicher Vorverschuldensregelungen, z. B. in § 35 I S. 2 und II S. 1 StGB oder § 17 S. 2 StGB aufgefordert, um der Strafwürdigkeit der a.l.i.c. angemessen Rechnung tragen zu können.189 Damit zeigt sich, dass auch die erfolgreiche Strafvermeidung des Täters nach der hier verwendeten, auf das Telos der vermiedenen Norm abstellenden Arbeitsdefinition nur dann eine Umgehungshandlung ist, wenn die Straflosigkeit als ein Widerspruch zu der nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift gegebenen Strafwürdigkeit des Verhaltens erscheint. Deshalb ist die Straflosigkeit der absichtlichen Notwehrprovokation jedenfalls nach der Begründung der Anhänger einer Straflosigkeitsthese kein Umgehungsfall, die (bis auf § 323a StGB bestehende) Straflosigkeit der absichtlichen actio libera in causa hingegen schon. (b) Das Ausnahmemodell Die Einordnung des so genannten Ausnahmemodells als Erschleichungsfall scheint ebenfalls keine Schwierigkeiten zu bereiten, ist es doch schon seinem Namen nach eine offensichtliche Reaktion auf ein Verhalten, das entgegen dem Wortlaut von § 20 StGB und damit entgegen der gewöhnlichen Auslegungsregeln keine Entschuldigung verdient haben soll. Die unter dem Sammelbegriff „Ausnahmemodell“ aufzunehmenden Argumentationslinien befinden sich allerdings nicht in vollkommener Deckung, da teleologische und kriminalpolitische Erwägungen sowie die Berufung auf den Rechtsmissbrauchsbegriff alternativ oder kumulativ verwendet werden, ohne dass ihre Beziehung zueinander stets deutlich (gemacht) würde. Für Otto zum Beispiel wird der Wortlaut von § 20 StGB durch die Entfaltung von Zurechnungsregeln überspielt, von denen die hier einschlägige besagen soll, dass niemand sich zu seinen eigenen Gunsten auf seine Schändlichkeit berufen kann: Turpitudinem suam allegans non auditur. Die Unmaßgeblichkeit von erschlichenen Rechtspositionen sei nachgerade naturrechtliches Gemeingut der Rechtsordnungen.190 Das Rechtsmissbrauchsargument bemühen auch Jerouschek/Kölbel, subjektive Rechte dürften nicht gegen ihre Intention gewendet und zur Destruktion des Rahmens, in dem sie sich entfalten sollen, benutzt werden. Diese „Auslegung“191 von Fahnenschmidt/Klumpe, DRiZ 1997, 77 ff. (81); Ambos, NJW 1997, 2296 ff. (2298); Stühler, S. 111 f.; eine Wertung des de lege lata gefundenen Ergebnisses offen lassend Hettinger, S. 41 ff. (46 f.); Köhler, S. 393 ff. 189 Hruschka, JZ 1996, 64 ff. (68 ff.); Sydow, S. 172 ff.; Salger/Mutzbauer, aaO.; Fahnenschmidt/Klumpe, aaO.; Ambos, aaO.; Stühler, S. 126 ff. NK-Paeffgen, Vor § 323a Rn. 66 hält ein Eingreifen des Gesetzgebers bis zur allfälligen Reform allerdings nicht für dringend notwendig. 190 Otto, AT, § 13 Rn. 26. 191 Da Anhaltspunkte im Wortlaut von § 20 StGB für eine Ausnahme für den Fall der vorsätzlichen a.l.i.c. schwer auszumachen sind, wäre es wohl methodenehrlicher, nicht von teleologischer Reduktion i. S. einer einengenden Auslegung zu sprechen, sondern von einer „Gegenanalogie“ (vgl. zu diesem Begriff OLG Hamm NJW 1982, 1405 ff.; LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 109 m. w. N.; ders., Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 11 f. m. w. N.). Mit der Gegenanalogie aber ist der Bereich der Normauslegung verlassen, denn auch die Gegenanalogie

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§ 20 StGB werde auch durch das teleologische Argument gestützt, da sie ein rechtspolitisch nahezu einhellig gewünschtes Resultat erreicht.192 Auch das Schuldprinzip sei nicht verletzt, da die zum Berauschungszeitpunkt vorliegende und den Schuldvorwurf rechtfertigende subjektive Täterperspektive auf einer sachlichen Beziehung zum objektiven Geschehen beharre, wonach sich die subjektiven Gegebenheiten in der Begehung einer Straftat realisieren müssen.193 Das zuletzt genannte Argument findet sich schon bei Hruschka und später als tragend bei anderen Vertretern des Ausnahmemodells, denen zufolge die Ausnahme von § 20 StGB ihre Rechtfertigung in dem Vorsatz hinsichtlich der Defekttat findet, welcher eine durchgehende Linie der Vorwerfbarkeit vom Tatentschluss bis zur Tat entstehen lasse, die das im Zeitpunkt der Tatausführung fehlende Schuldmoment, ähnlich wie in anderen Fällen des Vorverschuldens, ausgleiche. Gegenüber der freien Vorsatzfassung sei die Defektbegründung ein sekundärer Umstand.194 Für Krey wiederum wäre die prinzipielle Ablehnung der vorsätzlichen a.l.i.c. kriminalpolitisch unerträglich195 : weil dem Gesetzgeber von 1969 bei Schaffung von § 20 StGB die Figur der actio libera in causa wohlbekannt gewesen sei, könne § 20 StGB für diese Fälle restriktiv ausgelegt werden.196 Differenzen bestehen damit zum einen darüber, was materialer Kern der Wertung in Bezug auf das Zustandekommen der Ausnahme sein soll. Während der Stoff für diese Einschätzung der vorsätzlichen a.l.i.c. für die meisten Autoren dem Telos des Schuldprinzips selbst in Verbindung mit der Vorsätzlichkeit der Herbeiführung zu entnehmen sein soll, verlassen sich andere voll und ganz auf ihr Rechtsgefühl197; manche greifen wiederum „[…] hinauf getrosten Mutes in den Himmel […]“198, für sie also ist das Naturrecht und damit eine von der Strukturbedingung der a.l.i.c. ist Rechtsfortbildung, im Zusammenhang mit § 20 StGB eine Ausnahme eben. Auch die Behauptung, der Gesetzgeber habe mit § 20 StGB die Fälle der a.l.i.c. von jeher nicht erfassen wollen (so LK11-Jähnke, § 20 Rn. 78; Krey, AT I, Rn. 672 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, § 10 Rn. 47), ändert hieran nichts, denn seine Intensionen müssen sich für eine Auslegungsrelevanz stets im Wortlaut wiederfinden; auch der Gesetzgeber muss sich also für eine Auslegung intra legem „beim Wort nehmen lassen“; so in ähnlichem Zusammenhang auch das BVerfGE 71, 108 (116). Instruktiv zur Bindung des gesetzgeberischen Willens an den Wortlaut Rüthers/Höpfner, JZ 2005, 21 ff. Zutreffend insoweit daher auch die Ausführungen in BGHSt 42, 235 (242) gegen die Ausnahmetheorie. 192 Jerouschek/Kölbel, JuS 2001, 417 ff. (421); so auch schon Jerouschek, Hirsch-FS, S. 421 ff. (257). 193 Jerouschek/Kölbel, JuS 2001, 417 ff. (422). 194 Hruschka, JuS 1968, 554 ff. (558); so auch Wessels/Beulke, aaO.; ähnlich LK11-Jähnke, aaO. und Jescheck/Weigend, aaO., die allerdings jede Form der Vorhersehbarkeit genügen lassen. 195 Der Standpunkt, der Täter der vorsätzlichen a.l.i.c. begehe die Tat ohne Schuld, ist für Krey, AT I, Rn. 668, „schlicht abwegig“. Eine nähere Begründung für diese dezidierte Stellungnahme erfolgt allerdings nicht. 196 Krey, AT I, Rn. 673 f. 197 Krey, aaO. 198 Stauffacher auf dem Rütli, in: Schiller, Wilhelm Tell, 2. Aufzug, 2. Szene.

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grundsätzlich unabhängige Meta-Regel ausschlaggebend für das Verdikt der Nichtbeachtung von § 20 StGB bei Vorliegen der vorsätzlichen a.l.i.c.-Konstellation199. Unklarheit besteht auch darüber, ob die aus diesen Wertungen resultierende Ausnahme von § 20 StGB eine „echte“ sein soll oder nur eine scheinbare, weil die Vorschrift für die Fälle der actio libera in causa von vornherein (in Form der teleologischen Reduktion) restriktiv auszulegen sei.200 Wichtig ist für die hier unternommene induktive Einengung des Umgehungsbegriffs allein, dass diese Autoren die Überzeugung eint, dass § 20 StGB gerade für denjenigen, der das Eintreten der Voraussetzungen der Vorschrift vorsätzlich bewirken will, in Bezug auf die eigentliche Handlung, also die „actio illibera“201, nicht gelten soll. Diese sachliche Übereinstimmung ist ungeachtet der unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe und ungeachtet der differenzierenden Bewertungsgrundlagen und der (methodologischen) Einkleidung als Ausnahmefall und/oder als Fall der teleologischen Einschränkung deutlich. Die Ausnahmetheorie befindet sich daher im Einklang sowohl mit der Grunddefinition des Umgehungsbegriffs als auch seiner im Rahmen der absichtlichen Notwehrprovokation vorgenommenen Konkretisierung in Hinblick auf den Argumentationsaufwand. Auch nach dem „Ausnahmemodell“ handelt es sich bei der absichtlichen actio libera in causa daher um einen Erschleichungs- bzw. Umgehungsfall.202 (c) Die Tatbestandslösungen Am ehesten könnte die absichtliche actio libera in causa noch nach den Tatbestandstheorien als Erschleichungs- bzw. Umgehungsfall ausscheiden, vertreten die Befürworter dieser Lehren doch die Auffassung, die Bestrafung des schuldunfähig Agierenden aus dem entsprechenden Vorsatzdelikt mit dem Wortlaut von § 20 StGB friktionslos in Einklang bringen zu können. Sollte die vollständige strafrechtliche Erfassung der a.l.i.c.-Konstellation unabhängig von der Berufung auf eine Ausnahme zu § 20 StGB ohne Weiteres möglich sein, so erscheint eine Subsumtion unter die hier zugrunde gelegte Arbeitsdefinition der Umgehung unmöglich, weil eine Lücke 199 Otto, aaO., Jerouschek/Kölbel, aaO. Die Letztgenannten nehmen allerdings sogleich eine Rückzugsposition ein, da sie ausdrücklich einräumen, dass das Rechtsmissbrauchsverbot inhaltlich erst noch konkretisiert werden muss, für die a.l.i.c. z. B., ob nur das vorsätzliche Herbeiführen der Schuldunfähigkeit die Berufung auf § 20 StGB verwehrt und ob die Vorsatzstrafbarkeit einen Doppel-Vorsatz der Berauschung verlangt; JuS 2001, 417 ff. (421, Fn. 32). 200 Siehe hierzu bereits Fn. 141. 201 AK-Schild, § 20 Rn. 82. 202 Am Rande sei bemerkt, dass das gerade für die Umgehungs- bzw. Erschleichungssituation typische Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und materialen Gerechtigkeitsvorstellungen sich auch in dem Unbehagen zeigt, mit dem Anhänger des Ausnahmemodells ihre Lösung betrachten; anders ist wohl nicht zu erklären, dass z. T. auch sie nach einer positiv-rechtlichen Lösung der Problematik verlangen, die der Rechtssicherheit Rechnung tragen soll, vgl. etwa Otto, AT, § 13 Rn. 26, Fn. 17; Lackner/Kühl, § 20 Rn. 25; Wessels/Beulke, Rn. 415; Hruschka, S. 302 f.

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zwischen Wortlaut und Telos nicht gegeben ist. Das Tatbestandsmodell hätte dann nämlich tatsächlich den Vorzug für sich, dass es sich „[…] als sachentsprechende Konsequenz aus im Gesetz verankerten allgemeinen strafrechtstheoretischen Grundsätzen ableitet“203. Damit wird jedoch allein das Ergebnis der Tatbestandslösungen in den Blick gerückt; die zu diesem scheinbar harmonischen Ergebnis führende Argumentation selbst aber könnte die Tatbestandslösungen als bloße Zweckkonstruktionen in Reaktion auf Erschleichungsverhalten überführen. Bereits für die Notwehrprovokation war erörtert worden, dass Konstruktionen, die zwar die gegenüber dem Normalfall zu verzeichnende Ungewöhnlichkeit der eigenen Normanwendung durch die im Ergebnis behauptete Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Vorschrift kaschieren wollen, in ihrem ganzen Begründungszusammenhang aber allein als Mittel zur Erfassung von Umgehungs- oder Erschleichungshandlungen Sinn ergeben, den Umgehungscharakter der entsprechenden Fallgestaltung nicht weniger in Frage stellen als diejenigen Lehren, die diese Ergebnisorientiertheit ihrer Argumentation von Beginn an relativ unverblümt darlegen. Danach haben die Befürworter der Tatbestandslösungen zu erklären, warum eine entgegen der üblichen Lehren ausgedehnte bzw. vorverlegte Grenze der tatbestandlichen Grenzen für die a.l.i.c.Konstellation in schlüssiger Weise in die Strafrechtsdogmatik einfügbar ist. Die seit der „Milchfahrer-Entscheidung“ des Reichsgerichts204 bruchlos fortgesetzte Argumentationslinie der Rechtsprechung, die auch in der Literatur nach wie vor ihre Anhänger hat, lässt einen unverstellten Blick auf die Letztbegründung für das Vorverlegungsmodell zu. Die actio praecedens (hier: „der Genuss übermäßiger Mengen geistiger Getränke“205), so das Reichsgericht, habe den tatbestandlichen Erfolg (in dem zu entscheidenden Fall: eine Körperverletzung) verursacht.206 Habe der Täter während des Trinkvorgangs diesen Erfolg für möglich gehalten, dann habe er ihn vorsätzlich verursacht und sei „dieserhalb“ verantwortlich.207 Dieser subjektiven Verknüpfung, also der Vorverlegung der Versuchsgrenzen entgegen der üblichen Regeln auf Grund einer besonderen subjektiven Beziehung zur Tat, ist die Rechtsprechung treu geblieben.208 Nun ist aber die Fassung des Tatentschlusses 203

Hirsch, NStZ 1997, 230 ff. (232). RGSt 22, 413. 205 RGSt 22, 413 (414). 206 Diese Annahme ist auf dem Boden der Conditio-sine-qua-non-Formel für den vom Reichsgericht zu entscheidenden Fall zweifellos richtig gewesen, bestand die tatbestandliche Handlung doch in der Verursachung eines offensichtlich alkoholbedingten Verkehrsunfalls. Für andere Taten, deren Geschehensablauf sich auch ohne die Alkoholintoxikation erklären lässt, wird dieser Zusammenhang aber zweifelhaft; vgl. zur Diskussion Roxin, AT I, § 20 Rn. 60; Sydow, S. 79 ff. mit umfangreichen Nachweisen. 207 RG aaO. 208 So heißt es in BGHSt 17, 333 (334 f.), die Rauschtat werde, obwohl sie keinen schuldhaft zu verwirklichenden Straftatbestand darstellt, in den strafrechtlichen Vorwurf mit einbezogen, weil der Täter in noch verantwortlichem Zustand bereits eine vorwerfbare innere Beziehung zu 204

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einem jedem strafbaren Versuch immanent; auch die zusätzliche subjektive Beziehung, die Tat im schuldunfähigen Zustand begehen zu wollen, kann an den Grenzen einer dem Tatstrafrecht verpflichteten Bestimmung des § 22 StGB – ohne zusätzliche Erwägungen209 – nichts ändern.210 Die Auffüllung der somit entstandenen Begründungslücke wird durch die Erzielung des für geboten gehaltenen Wunschergebnisses vermittelt: „Dieser Haftungsgrund wird angenommen, weil anderenfalls der Schuldgehalt des Sichberauschens in einem solchen Fall nicht ausreichend strafrechtlich geahndet würde.“211 Am Ende der Beweisführung steht mithin das Ergebnis, dass die Vorverlegung der tatbestandlichen Handlung und damit auch der Grenze des strafbaren Versuchs wegen des für richtig gehaltenen, ohne diese Maßnahme aber nicht erzielbaren Ergebnisses selbst richtig ist. Damit wird deutlich sichtbar, dass die Darlegungen der Rechtsprechung eine spezifische Reaktion auf die Gefahr sind, dass der Täter trotz seines nach den Überlegungen der Richter zu Sinn und Zweck der Schuld- und Schuldausschließungsregeln für strafwürdig gehaltenen Verhaltens einer Sanktion entgeht bzw. lediglich die Rechtsfolgen des § 323a StGB erfährt. An diesem motivatorischen Zusammenhang für die Strafbegründung bei der actio libera in causa mag man zunächst zweifeln, wenn – wie im Schrifttum häufig – die Vorverlegung der tatbestandlichen Handlung für die a.l.i.c. in Anlehnung an die mittelbare Täterschaft dogmatisch untermauert wird. Der Täter benutzt sich danach durch die Berauschung als mittelbares Werkzeug, denn er habe sich ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Schuldunfähigkeit nicht mehr selbst in der Hand. Die Vorverlegung der Strafbarkeitsgrenzen befinde sich daher im Einklang mit den Regeln über den Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft und damit den allgemeinen Versuchsregeln.212 ihr hergestellt habe, indem er sich in dem Bewusstsein betrank, er werde eine bestimmte Straftat begehen und diesen Erfolg billigte. BGHSt 21, 381 f. führt aus, entscheidende Ursache für die der Berauschung folgende, plangerechte Ausführung der Taten sei, dass eine Verabredung und Planung der Tat im voll verantwortlichen Zustand erfolgte. Deshalb trügen die Täter nach den Grundsätzen über das verantwortliche In-Gang-Setzen der Ursachenreihe (a.l.i.c.) die volle Verantwortung für die Tatbegehung. Mit gleicher Begründung auch BGHSt 42, 235 ff.; Bockelmann/Volk, S. 119; Maurach/Zipf, § 36 Rn. 54 ff.; Wolter, Leferenz-FS, S. 545 ff. (555 f.); ähnlich auch Baumann/Weber/Mitsch, § 19 Rn. 35. 209 Eine solche Erwägung ist etwa in der sogleich noch zu erörternden Lehrmeinung, der Täter mache sich zum schuldlosen Werkzeug, zu sehen. Diese Argumentation hat der Bundesgerichtshof sich jedoch nicht zu eigen gemacht. 210 Zu der Beziehung zwischen dem Prinzip des Tatstrafrechts einerseits und der Bestimmung der Grenzlinie zwischen Vorbereitung und Versuch der Straftat andererseits Roxin, AT II, § 29 Rn. 102; Sydow, S. 91 m. w. N. 211 BGHSt 17, 333 (335). Auch Wolter, aaO., hält die Anwendung für „geboten“. 212 Fischer, § 20 Rn. 49 ff.; SK-Rudolphi, § 20 Rn. 28d; Roxin, AT I, § 20 Rn. 61; Joecks, § 323a Rn. 27; Jakobs, 17. Abschn. Rn. 68; Heinrich, Rn. 602; ähnlich Hirsch, NStZ 1997, 230 ff.; Schlüchter, Hirsch-FS, S. 345 ff. (358 ff.) und Rengier, AT, § 25 Rn. 15, die formal weiterhin § 25 I 1. Alt. StGB anwenden und nur auf die Begründungsstruktur der mittelbaren Täterschaft abheben.

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Fraglich ist jedoch, ob dieses „pädagogisch nutzbare Bild“213 zugleich auch eine tragfähige Konstruktion bietet. Eine obligatorische Antwort muss zu dieser Frage hier nicht getroffen werden, doch können die gegen diese Figur vorgetragenen Einwände immerhin Aufschluss darüber geben, welchen Preis die Vertreter auch dieser Variante des Vorverlegungsmodells offenbar zu zahlen bereit sind, um zu dem für notwendig erachteten Ergebnis214 zu gelangen. Schon der Wortlaut des § 25 I 2. Alt. StGB, der ausdrücklich die Begehung der Tat „durch einen anderen“ vorsieht, steht dieser Begründungsvariante des Vorverlegungsmodells entgegen, denn auch unabhängig von einer womöglich verfassungswidrigen Überschreitung der Wortlautgrenze215 ist die Aufspaltung der Täterpersönlichkeit in ein handelndes Subjekt und in ein von diesem Subjekt benutztes Werkzeug unnatürlich und bloße Fiktion216, zumal auch nicht plausibel erscheint, warum der Gesetzgeber dem Tatbestandsmerkmal „einem anderen“ in § 25 I 2. Alt. StGB eine andere Bedeutung zumessen sollte als im Besonderen Teil des StGB (z. B. in § 223 StGB).217 Ferner kennzeichnet die mittelbare Täterschaft die Tatherrschaft des Hintermannes. In Konsequenz des Vorverlegungsmodells aber ist ein Hintermann im Zeitpunkt der Tatausführung gar nicht mehr existent, denn die „juristische Ich-Spaltung“218 des nun Betrunkenen führt schließlich dazu, dass nunmehr allein der Persönlichkeitsbestandteil „Tatmittler“ existent ist und der Persönlichkeitsbe213

Otto, Jura 1986, 426 ff. (428). Wenn das Vorverlegungsmodell und die es unterstützende Heranziehung der mittelbaren Täterschaft eine nahe liegende Möglichkeit der Auslegung von § 20 StGB bildete, so müsste die kriminalpolitische Notwendigkeit des auf diese Weise erzielten Ergebnisses wohl nicht immerzu ergänzend in die entsprechenden Abhandlungen eingefügt werden. Derartige Bemerkungen fehlen jedoch auch bei den Vertretern dieses zur Erfassung der a.l.i.c. herangezogenen Modells selten: „Denn kaum jemand will, dass es in solchen Fällen nur bei einer Strafbarkeit nach § 323a StGB bleibt“ (Hirsch, Lüderssen-FS, S. 253 ff. [264]). Nach Fischer, § 20 Rn. 55 besteht ein „erhebliches praktisch-normatives Bedürfnis für die Berücksichtigung des Vorverhaltens“; die Straffreiheit dafür, dass der Tatplan des Täters gerade gelingt, wäre „unerträglich“. Schlüchter, Hirsch-FS, S. 345 ff. (361) hält ihre Lösung aus „Gerechtigkeitsgründen für besonders vordringlich“. Roxin, AT I, § 20 Rn. 56, 59 meint, weitgehende Einigkeit bestünde darüber, dass aus dem Vorsatzdelikt bestraft werden muss; der Weg zur Strafbarkeit könne dabei nur über das Tatbestandsmodell führen. Ähnlich formuliert Rengier, AT, § 25 Rn. 1, demzufolge „die Rechtslage dem ersten Anschein nach höchst unbefriedigend ist […]“ und der die sodann folgende Behandlung der a.l.i.c. unter der Frage diskutiert, ob „dieser Strafbarkeitsmangel“ mit Hilfe der a.l.i.c. „überwunden“ werden könne. Für Heinrich, Rn. 607 ist für die Notwendigkeit einer vollen Strafbarkeit in a.l.i.c.-Konstellationen ausschlaggebend, dass bei einer Strafbarkeit lediglich nach § 323a StGB eine stimmige Strafandrohung und überhaupt eine angemessene Tenorierung in Bezug auf das begangene Unrecht fehlten. 215 So etwa Fahnenschmidt/Klumpe, DRiZ 1997, 77 ff. (78). 216 Besonders anschaulich etwa die Kritik bei Hettinger, S. 409 Fn. 369: „Es ist eben nicht zulässig, eine Person gerade dann ,aus ihrer Haut herauszudefinieren‘, zu einem ,anderen‘ i. S. des § 20 und des § 25 Abs. 1 2. Alt. zu erklären, wenn anders ihre Defekthandlung nicht als Straftat erfaßt werden kann.“ 217 Sydow, S. 132. 218 Jerouschek, JuS 1997, 385 ff. (387). 214

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standteil „Hintermann“ dahinschwindet.219 Mag man diese Gegebenheit noch nicht für einen stichhaltigen Einwand halten, da auch sonst Fälle denkbar sind, in denen der Hintermann im Ausführungszeitpunkt nicht mehr die Tatherrschaft innehat220, so bleibt von dieser Replik jedoch die Kritik unberührt, dass von einer Herrschaft des Hintermannes über das Tatgeschehen im Zeitpunkt der Ausführung keineswegs stets die Rede sein kann; das betrunkene „ich“ zeigt ja gerade durch die genaue Ausführung der mitunter koordinativ anspruchsvollen Tatausführung, dass es selbst noch die Handlungsherrschaft über das Tatgeschehen innehat.221 Der Wegfall der normativen Ansprechbarkeit darf eben nicht mit dem Wegfall der Handlungsherrschaft über das Geschehen gleichgesetzt werden.222 Die Stoßrichtung (das ist die Bekämpfung der Erschleichung von § 20 StGB) dieser Variante des Vorverlegungsmodells zeigt sich auch für den Bereich des § 21 StGB. Die Tatsache, dass die Anlehnung an § 25 I 2. Alt. StGB in Fällen der lediglich verminderten Schuldfähigkeit zur Begründung der actio libera in causa nicht tragfähig ist, weil der „nur“ mäßig Berauschte das Geschehen zu keinem Zeitpunkt aus der Hand gibt, sei nämlich, so die aufschlussreiche Formulierung Roxins, „kriminalpolitisch unbedenklich“, weil dem bis zu dem Grad der verminderten Schuldfähigkeit berauschten Täter die in § 21 StGB vorgesehene fakultative Strafmilderung gerade des Vorverschuldens wegen in der Regel zu versagen sei. Daher werde das Strafmaß für die a.l.i.c. durch das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen lediglich des § 21 StGB, nicht aber des § 20 StGB, im Ergebnis nicht beeinflusst.223 Die Ergebnisorientiertheit des hier diskutierten Erfassungsmodells zeigt sich schließlich am deutlichsten in seinen Auswirkungen für die Versuchsstrafbarkeit der actio libera in causa.224 Danach soll der Versuch der a.l.i.c. mit der Herbeiführung der Schuldunfähigkeit225 begonnen haben. Damit ist auch derjenige mangels Rück219 Diese Folge der Heranziehung der mittelbaren Täterschaft für das Vorverlegungsmodell hält z. B. Otto, AT, § 13 Rn. 23 zugleich für den entscheidenden dogmatischen Schwachpunkt dieses Modells, denn die Täterschaft des Hintermannes beruhe stets auf seiner Herrschaft über das Werkzeug, die aber mit Eintritt der Schuldunfähigkeit verloren gehe. 220 So Baumann/Weber/Mitsch, § 19 Rn. 46. 221 So zutreffend Ambos, NJW 1997, 2296 ff. (2297); Sydow, S. 135 f.; Fahnenschmidt/ Klumpe, DRiZ 1997, 77 (78); Salger/Mutzbauer, NStZ 1993, 561 ff. (565). Das von Schlüchter, Hirsch-FS, S. 345 ff. (358 ff.) bemühte Bild des Ingangsetzens einer „Tötungsautomatik“ muss jedenfalls als deutlich übertrieben angesehen werden. 222 Hettinger, S. 408 f. 223 Roxin, AT I, § 20 Rn. 69; so auch Fischer, § 20 Rn. 50. 224 Die nun folgenden Ausführungen gelten erst recht für die von der Rechtsprechung befürwortete Begründungsvariante des Vorverlegungsmodells, der zufolge für die Bestimmung des Versuchsbeginns die Regeln für die unmittelbare Täterschaft gelten müssen. Versuchsbeginn der a.l.i.c. ist danach der Beginn des Alkoholgenusses, der die Schuldunfähigkeit herbeiführen soll. 225 Jedenfalls Jakobs, 17. Absch. Rn. 68; Roxin AT I, § 20 Rn. 61; Heinrich, Rn. 609; Hirsch, NStZ 1997, 230 ff. (231 f.); Joecks, § 323a Rn. 33; SK-Rudolphi, § 22 Rn. 21; Baumann/Weber/Mitsch, § 19 Rn. 49 (die auch der von der Rechtsprechung vertretenen Variante

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trittsmöglichkeit wegen versuchten Mordes strafbar, der sich vor der Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs in seiner Stammkneipe Mut antrinkt und infolge übertriebener Gründlichkeit (im bereits schuldunfähigen Zustand) ohnmächtig vom Barhocker sinkt. Dieses Ergebnis kann schwerlich überzeugen.226 Diese Folgen vermutlich scheuend, damit aber die ganze Zweckhaftigkeit ihrer Konstruktion erst recht offenbarend, wird von Vertretern der Tatbestandslösung vereinzelt vorgeschlagen, das Sich-Betrinken nur dann (also mit Wirkung ex tunc227) als Begehung der Tat anzusehen, wenn es später zumindest zu einem Versuchsbeginn nach denjenigen Abgrenzungskriterien zu § 22 StGB kommt, die zu gelten hätten, wenn die konkrete Tatausführung nicht im Defektzustand ausgeführt würde.228 Abgesehen von der Vermeidung des soeben beschriebenen unannehmbaren Ergebnisses für den fehlgeschlagenen Versuch hat diese Lösung wenig für sich, denn wie eine derart im Vorfeld eines strafrechtlichen Verbots liegende Vorbereitungshandlung retrospektiv zum Teilstück einer verbotenen Tatbegehung werden soll, bleibt unklar229, wie inzwischen auch Herzberg selbst einräumt230. Nicht diese, aber andere für das gewollte Ergebnis offenbar in Kauf zu nehmende Unstimmigkeiten betreffen eine weitere Variante des Tatbestandsmodells, die so genannte Ausdehnungstheorie, nach welcher unter den Begriff der „Tat“ i. S. d. § 20 StGB nicht nur die eigentliche Tathandlung, sondern schon das Sich-Berauschen zu subsumieren ist. Der besondere Vorzug dieser Theorie soll sein, dass es keiner Vorverlegung des Versuchsbeginns bedarf, sondern erst im Fall der eigentlichen Tatausführung im Defektzustand die zunächst rechtlich indifferente Vorbereitungshandlung als schuldrelevant in den Blick genommen wird.231 Diese Art der Verwendung des Tatbegriffs in § 20 StGB bezeichnet Sydow zu Recht als das große Problem der Ausdehnungslösung.232 So spricht bereits die subjektiv-historische Auslegung eindeutig gegen die von den Vertretern des Ausdehnungsmodells vorgebrachte These, die Bedeutung des Tatbegriffs sei immer nur in Hinblick auf die Funktion der Regelung zu bestimmen. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mehrfach verwendeten Begriffen, wie auch dem in §§ 16, 20 und 11 I Nr. 5 StGB verwendeten Tatbegriff, die gleiche Bedeutung zukommen lassen, also nur die eigentliche Tat-

des Vorverlegungsmodells nahe stehen) meinen, schon der Beginn des Trinkvorgangs bedeute das unmittelbare Ansetzen zur Tat. 226 Die Tatsache, dass die soeben geschilderte Fallgestaltung eher theoretischer Natur ist (so zu Recht Fischer, § 22 Rn. 30), mag tröstlich sein, ändert allerdings nichts an der Unannehmbarkeit des Ergebnisses; wie hier Kindhäuser, § 23 Rn. 19 (die Versuchsstrafbarkeit ist „[…] ein Gedanke, der bislang noch nicht ernsthaft erwogen wurde.“). 227 Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 20 Rn. 35. 228 LK11-Spendel, § 323a Rn. 32 ff.; Herzberg, Spendel-FS, S. 203 ff. (235 f.). 229 Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, aaO. 230 Herzberg, Roxin-FS, S. 749 ff. (770 m. Fn. 49). 231 Zu ihren Vertretern s. o. Fn. 171. 232 Sydow, S. 151.

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handlung in Form von Versuch und Vollendung umschrieben wissen.233 Zudem widerlegt das von Streng vorgebrachte Argument, auch die §§ 17, 35 StGB würden Vorverschulden berücksichtigen234, gerade das, was es beweisen soll, denn das Fehlen einer Ausnahmeregelung in § 20 StGB kann nicht dafür sprechen, sie gerade deshalb in den Tatbegriff hineinzulesen.235 Ein weiterer berechtigter Vorwurf geht dahin, dass die nach dem Ausdehnungsmodell vorzunehmende Erstreckung des Tatbegriffs auf bloße Vorbereitungshandlungen dazu führte, dass kaum noch Fallgestaltungen denkbar wären, in denen der Täter nicht zu irgendeinem Zeitpunkt schuldfähig gewesen wäre, der Anwendungsbereich von § 20 StGB würde also sehr eingeschränkt.236 Eine solche, auch in Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz bedenkliche Ausweitung von § 20 StGB darf allerdings nicht allen Vertretern237 des Ausdehnungsmodells in dieser Pauschalität unterstellt werden, denn die Schuldwertung soll jedenfalls nach Streng nicht irgendein im noch schuldfähigen Zustand begangenes Verhalten betreffen, sondern gerade das Vorverschulden bezüglich der bei Tatbestandsverwirklichung bestehenden Schuldunfähigkeit.238 Gleichwohl bleibt die Frage offen, warum diese Auslegung des § 20 StGB von Streng allein auf das Sich-Berauschen im Rahmen der actio libera in causa beschränkt bleibt239, wo ein Vorverschulden auch für anders gelagerte Fallgruppen des § 20 StGB denkbar ist.240 Da eine Festlegung für diese Frage – soweit ersichtlich – nicht stattfindet241 und die a.l.i.c. wohl auch nicht in einem weiten Sinne als allgemeines Zurechnungsprinzip verstanden wird, muss unterstellt werden, dass es gerade der Täter der a.l.i.c.Konstellation ist, dem der Erfolg seines Vorverhaltens, also die weitgehende Straflosigkeit, verwehrt bleiben soll und die Begründung diesem Ergebnis nachfolgt. Der Vorwurf, ebenfalls eine Ad-hoc-Konstruktion zu sein, trifft das Ausdehnungsmodell auch deshalb, weil – wie auch z. T. für eine andere Variante des Tatbestandsmodells – eine retrospektive Umgestaltung des Verbrechensaufbaus erfolgt: Die Vorbereitungshandlungen sollen nach dieser Auffassung schließlich „zunächst“ rechtlich indifferent sein, um im Rahmen der ab Versuchsbeginn „dann“ erforderlichen Gesamtbewertung für die Schuldwertung bedeutsam zu werden.242 Es bleibt daher auch hier die Vermutung unwiderlegt, dass das gewünschte Ergebnis die 233

BR-Drucks. 200/62, 114, Sydow, S. 152; Hettinger, Geerds-FS, 623 ff. (649). MüKo-StGB-Streng, § 20 Rn. 128. 235 Sydow, S. 153. 236 BGHSt 42, 235 (241); Gropp, § 7 Rn. 54; Sydow, S. 152 f. 237 Wohl aber Frisch, ZStW 101 (1989), 538 ff. (608 ff.). 238 MüKo-StGB-Streng, § 20 Rn. 133. 239 MüKo-StGB-Streng, § 20 Rn. 114 ff., anders Frisch, aaO. 240 Vgl. zu diesen Fallgruppen statt vieler LK11-Jähnke, § 20 Rn. 37 ff. 241 Untersucht wurden MüKo-StGB-Streng, § 20 Rn. 114; ders., JuS 2001, 540 ff. (542 ff.); ders., Alkohol, Strafrecht und Kriminalität, S. 69 ff. (77 ff.); ders., JZ 2000, 20 ff. (22 ff.); ders., JZ 1994, 709 ff. (711 ff.); etwas allgemeiner über das Sich-Berauschen hinaus noch die Ausführungen dess., ZStW 101 (1989), 273 ff. (308 ff.). 242 MüKo-StGB-Streng, § 20 Rn. 133. 234

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Argumentation bestimmt, zumal auch Streng die Zurechnung nach a.l.i.c.-Grundsätzen als materiell berechtigt ansieht und dies auch als die einhellige Überzeugung in Rechtsprechung und Literatur darstellt.243 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die soeben vorgenommene Bewertung des Ausdehnungsmodells im Grunde für alle unter dem Begriff der Tatbestandslösungen zusammengefassten Begründungsansätze gelten kann: Sie sind reine Zweckkonstruktionen244 und lassen sich eben nicht als sachentsprechende Konsequenz aus im Gesetz verankerten Grundsätzen ableiten, wie sich angesichts der bei ihrer Anwendung verursachten dogmatischen Verwerfungen hat nachweisen lassen. Die Tatbestandslösungen sollen dasselbe Ergebnis erzielen wie auch das Ausnahmemodell, letzteres unterscheidet sich von ihnen methodologisch aber durch seine größere Ehrlichkeit.245 Die Tatbestandslösungen zwingen – um eine selbst häufig strapazierte Metapher zu verwenden – die üblichen Zurechnungsregeln in ein Prokrustesbett, damit das gewünschte Ergebnis – ein „sachgerecht“ gedehnter Anwendungsbereich für § 20 StGB – entstehen möge. Durch die offenbar gewordene starke teleologisch-kriminalpolitische Basis ihrer Argumentation befinden sich damit auch die Tatbestandslösungen in Deckung mit der hier verwendeten vorläufigen Definition des Umgehungsbegriffs, die nach einem Spannungsverhältnis zwischen Wortlaut und Telos der Norm verlangt; allerdings durfte wie auch sonst in jeder rechtswissenschaftlichen Diskussion von den Vertretern der Tatbestandslösungen nicht erwartet werden, dass sie die neben dem sachgerechten Ergebnis bestehende, angeblich bruchlose Übereinstimmung246 ihres Modells mit dem geltenden Recht selbst in Zweifel ziehen würden. (d) Zusammenfassung Die absichtliche Herbeiführung der eigenen Schuldunfähigkeit, um straffrei eine bestimmte Straftat begehen zu können, ist ein Fall der Erschleichung bzw. Umgehung im Strafrecht. Es hat sich gezeigt, dass sich alle zu dieser Thematik vertretenen Auffassungen in dem für den Umgehungstopos typischen Spannungsfeld von Wortlautgrenze einerseits und Telos bzw. Strafwürdigkeit andererseits bewegen, und dies unabhängig davon, ob die Problematik einer Diskrepanz zwischen der Wortlautlösung und der vom Rechtsgefühl vorgegebenen Lösung offen zugegeben wird oder nicht. Damit ist die absichtliche Herbeiführung der a.l.i.c.-Konstellation noch uneingeschränkter ein Umgehungssachverhalt als die absichtliche Notwehrprovokation, weil auch die die Straffreiheit der actio libera in causa de lege lata befürwortenden Autoren der Meinung sind, dass dieses Ergebnis unbefriedigend sei. Dies 243

MüKo-StGB-Streng, § 20 Rn. 129; ähnlich Frisch, ZStW 101 (1989), 538 ff. (609). Kühl, § 11 Rn. 18; als reine Zweckkonstruktionen sehen die Tatbestandslösungen auch LK11-Jähnke, § 20 Rn. 78 und Hruschka, JZ 1997, 22 ff. (23); ähnlich Sydow, S. 99 („in einem hohen Maß konstruiert“). 245 So zu Recht Kühl, aaO. 246 Roxin, AT I, § 20 Rn. 59, gesteht immerhin ein, dass das Tatbestandsmodell manche konstruktive Schwierigkeiten bietet. Diese seien aber überwindbar. 244

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war in Bezug auf die Straflosigkeit der Absichtsprovokation nicht der Fall, was wohl dort insbesondere mit dem Auftreten eines weiteren Protagonisten – dem rechtswidrigen Angreifer – zu tun haben dürfte. (2) Die einfach vorsätzliche und fahrlässige actio libera in causa Der für die Zwecke dieser Untersuchung gebildete „Wunschfall“ einer absichtlichen a.l.i.c. ist für die Praxis wegen offensichtlicher Beweisschwierigkeiten247 von geringer Bedeutung; er bleibt bis auf weiteres – wie bereits 1847 von Savigny bemerkt – weitestgehend ein „Konstrukt der juristischen Phantasie“248; eine positive richterliche Feststellung einer entsprechenden Absicht wird es jedenfalls nur höchst selten geben. Von nennenswertem forensischem Belang waren daher seit jeher allein die „nur“ vorsätzliche (also mit dolus eventualis begangene) sowie die fahrlässige actio libera in causa.249 Die Beantwortung der Frage, ob diese praxisnahen – in ihren Einzelheiten wiederum umstrittenen250 – Fallgestaltungen auch als Erschleichungshandlungen im Strafrecht einzustufen sind, ist recht voraussetzungsvoll, weil sie wiederum davon abhängt, ob und welche subjektive Elemente den Umgehungsbegriff prägen. Es zeigte sich, dass bei einer starken Gewichtung subjektiver Elemente sogar die absichtliche a.l.i.c. keinen Erschleichungsfall bildet, wenn der Täter sich nur berauscht, um sich Mut anzutrinken, denn es fehlt an der Absicht, die Sachverhaltsgestaltung mit der aktiven Rechtsgestaltung, also der Erschleichung zu verknüpfen. Sollte allerdings der Erschleichungscharakter der a.l.i.c. schon bei dem Bestehen von dolus directus 2. Grades bezüglich der Strafumgehung feststehen, so wären auch a.l.i.c.-Fälle als Erschleichung einzuordnen, in denen der Täter zwar lediglich dolus eventualis in Hinblick auf das Sich-Berauschen und eine bestimmte Rauschtat, dabei aber positive Kenntnis von der Regelung des § 20 StGB hat. Wird auf subjektive Elemente des Umgehungsbegriffs ganz verzichtet, so könnte sogar die fahrlässige actio libera in causa einen Erschleichungsfall bilden. Die Frage danach, welche der vielen denkbaren a.l.i.c.-Kombinationen die subjektive Tatseite betreffend251 jenseits des eindeutigen Falles einer actio libera in causa mit dreifach vorliegender Absicht252 als Erschleichungsfall zu kategorisieren ist, kann daher erst nach einer Entscheidung über die Bedeutung subjektiver Elemente für den Umgehungsbegriff ganz allgemein einer endgültigen Klärung zugeführt 247

Zu den Beweisschwierigkeiten bei der vorsätzlichen a.l.i.c. Loos, Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, S. 261 ff. (274). 248 Zitiert nach Goltdammer, S. 353; ähnlich Schlüchter, Hirsch-FS, S. 345 ff. (350), die von „Lehrbuchkriminalität“ spricht. 249 Vgl. Hettinger, S. 179 ff. 250 Vgl. etwa zum Streit um den „doppelten“ Vorsatz bzgl. der actio libera in causa LK11Jähnke, § 20 Rn. 79 ff. 251 Einen instruktiven Überblick liefert Otto, AT, § 13 Rn. 17, 28 ff. 252 Damit ist gemeint, dass sich der Täter 1) absichtlich berauscht, weil er sich zum Ziel gesetzt hat 2) eine Handlung zu begehen, die strafrechtliches Unrecht verwirklicht und er dabei 3) diesen Geschehensablauf gerade wegen der Aussicht auf Straffreiheit in Gang setzt.

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werden. Jedenfalls erfüllt nur die auf Strafvermeidung ausgerichtete absichtliche actio libera in causa alle Voraussetzungen der bisher aufgestellten Elemente des vorläufigen Umgehungsbegriffs.

II. Der Besondere Teil inklusive des so genannten Nebenstrafrechts Gegenüber der als gering eingeschätzten Bedeutung der Fragestellung für die allgemeine Strafrechtslehre ist die Umgehungsproblematik fester Bestandteil von gerichtlichen Entscheidungen und wissenschaftlichen Abhandlungen zu zahlreichen Tatbeständen des Besonderen Teils des StGB und anderen Spezialvorschriften, welche zum großen Teil dem Wirtschaftsstrafrecht – dem auch das Steuerstrafrecht angehört253 – zuzuordnen sind. Dabei ist das Wirtschafts- und Abgabenstrafrecht nicht nur aktueller Schwerpunkt der Diskussion zur strafrechtlichen Erfassung von Umgehungshandlungen, sondern auch der historische Ausgangspunkt dieser Erörterungen.254 Die zahllosen Bezüge zwischen den einzelnen Straftatbeständen des Wirtschaftsstrafrechts und der ihm vorgelagerten und oftmals – wenn auch nicht stets streng akzessorisch – in Bezug genommenen Vorschriften des Wirtschaftsverwaltungsrechts bieten dem Täter zahlreiche Anreize und Möglichkeiten, durch Umgehungshandlungen zu einer für ihn wirtschaftlich vorteilhaften Gestaltung zu gelangen, ohne hierfür den Preis der eigenen Strafbarkeit entrichten zu müssen. Es muss also nicht wie im „10-Gebote-Strafrecht“ (gemeint ist das so genannte Kernstrafrecht) die fragliche Strafnorm selbst umgangen werden, sondern der Täter kann Straffreiheit z. B. auch dadurch erlangen, dass er die für die Strafbarkeit notwendige Erfüllung eines Tatbestandes des Wirtschaftsrechts vermeidet bzw. einen begünstigenden Tatbestand (häufig aus dem Subventionsrecht) erschleicht. Umgekehrt ändern sich mit dieser Erweiterung des Rechtskreises auch die Möglichkeiten, Umgehungsverhalten zu begegnen. Dabei kann mit und seit Stöckel grundsätzlich von zwei Möglichkeiten ausgegangen werden, von Staatsseiten auf strafnormumgehendes Verhalten zu reagieren: Zum einen kann der Gesetzgeber bisher straflose Verhaltensweisen besonders unter Strafe stellen, zum anderen ist es Aufgabe der Gerichte, außerhalb dieser speziellen Umgehungsstrafgesetze im Wege der Auslegung zu ermitteln, inwieweit ein gesetzesumgehendes Verhalten strafbar ist.255 253 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 2, 13; von einer Zugehörigkeit der Steuerstrafvorschriften zum Wirtschaftsstrafrecht wird auch in Abs. 1 Nr. 3 von § 74c GVG ausgegangen, welcher den sachlichen Zuständigkeitsbereich der Wirtschaftsstrafkammern an den Landgerichten festlegt. 254 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (152); Bruns, GA 1986, S. 1; Stöckel, S. 56 f. 255 Stöckel, S. 117 ff.; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (153 f.); Bruns, GA 1986, 1 (11 ff.); Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 137 ff.

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Für das Wirtschaftsstrafrecht bedeutet dies, dass es möglich sein könnte, dass Umgehungshandlungen im Vergleich zum Kernstrafrecht auch mit Umgehungsklauseln aus dem Wirtschaftsrecht selbst erfasst werden können, die unter Umständen nicht wie Vorschriften des StGB vom strengen Gesetzlichkeitsprinzip gemäß Art. 103 II GG betroffen sind. Bei der Auslegung wirtschaftsstrafrechtlicher Vorschriften ohne die Möglichkeiten, Umgehungsklauseln in Bezug zu nehmen, könnte demgegenüber eine eigenständige strafrechtliche Auslegung dazu beitragen, dass eine Strafbarkeit des Täters nicht an einer zivilrechtsakzessorischen Auslegung scheitern muss.256 Zu dieser Aufteilung der Methoden muss allerdings bereits an dieser Stelle gesagt werden, dass sie nicht mehr als eine idealtypische ist, denn auch bei der Anwendung expliziter Umgehungsgesetze können natürlich erhebliche Auslegungsschwierigkeiten, vor allem in Form verfassungsrechtlicher Auslegungsgrenzen bestehen; und dies eben auch dann, wenn außerstrafrechtliche Umgehungsvorschriften vom Strafrechtsanwender in Bezug genommen werden.257 In den nun folgenden Einzeldarstellungen zu typischen Erscheinungsformen der Gesetzesumgehung auf dem Gebiet des Besonderen Teils sind entsprechend den soeben getroffenen Vorüberlegungen sowohl Sachverhalte zu erörtern, die für sich genommen im Zusammenhang mit der Umgehungsproblematik stehen könnten, sowie diejenigen Fallkonstellationen, für die der Gesetzgeber bereits mit einer Umgehungsklausel Einfluss auf das gewünschte Subsumtionsergebnis genommen hat. Dabei soll mit den möglichen Umgehungshandlungen im Wirtschaftsstrafrecht begonnen werden, um im Anschluss daran zu untersuchen, inwieweit im sonstigen Besonderen Teil des StGB die hier interessierenden Fallgestaltungen aufzufinden sein könnten. 1. Steuerhinterziehung und Steuerumgehung Steuernormen sind vom Gesetzgeber selten vollkommen trennscharf zu formulieren; ihre konkreten Ziele sind jenseits dem der staatlichen Einkommenserzielung häufig nicht oder nur schwer erkennbar. Für die unübersichtliche Materie des Steuerrechts trifft besonders zu, was für Rechtsvorschriften allgemein gilt: Der Gesetzgeber kann nicht in der Lage sein, alle denkbaren Lücken und Umgehungsmöglichkeiten vorherzusehen. Die Wirtschaftssubjekte sind daher regelmäßig der Versuchung ausgesetzt, bis an die Grenzen des Zulässigen zu gehen, soweit dies ökonomisch rational erscheint.258 Die Erörterung der strafbaren Steuerumgehung soll dabei im Wesentlichen darauf beschränkt sein, sich mit der Funktion des § 42 AO auseinanderzusetzen; insbe256 257 258

Zu dieser wirtschaftlichen bzw. faktischen Auslegung im Strafrecht siehe B. II. 4. Vgl. hierzu E. II. 2. b) bb) (3) (d). Röckl, S. 73.

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sondere die in Einzelheiten gehende Diskussion um die Steuerumgehung mit Auslandsbezug – also die „Steuerflucht“ – würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen.259 a) Voraussetzungen der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts Im Steuerrecht hat die Fragestellung der Gesetzesumgehung insbesondere durch die Vorschrift des § 42 AO – und seit jeher durch seine Vorgängervorschriften – Bedeutung, welcher (neben zahlreichen weiteren Sondervorschriften zur Behandlung der Steuerumgehung260) bestimmt, dass durch den Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten das Steuergesetz nicht umgangen werden kann. aa) Die Abgrenzung von Scheinhandlungen (§ 41 II AO) und Steuerumgehung (§ 42 AO) Zunächst grundsätzlich von der in § 42 AO ins Auge gefassten Steuerumgehung zu trennen ist die steuerrechtliche Unerheblichkeit von Scheingeschäften und Scheinhandlungen im Sinne von § 41 II AO. Während § 42 AO eine zivilrechtlich wirksame, aber missbräuchliche Gestaltung voraussetzt, erfasst § 41 AO alle zivilrechtlich unwirksamen Rechtsgeschäfte. Beide Vorschriften sind nicht nebeneinander anwendbar.261 Dabei entspricht § 41 II AO der zivilrechtlichen Regelung in § 117 BGB und ist gleich auszulegen; ein Geschäft kann daher nicht zugleich zivilrechtlich gewollt und steuerrechtlich nicht gewollt sein.262 Entscheidend für die häufig schwierige Abgrenzung von § 41 AO und § 42 AO in foro ist, ob die Parteien zur Erreichung des erstrebten Erfolgs ein Scheingeschäft für genügend oder ein ernst gemeintes Rechtsgeschäft für notwendig erachtet haben. Dabei sind die Interessenlage und die verfolgten wirtschaftlichen Zwecke wie auch die Frage zu berücksichtigen, ob die Beteiligten ein durch ein Scheingeschäft verdecktes Geschäft wirklich gewollt haben.263 Demgegenüber kennzeichnet Umgehungsgeschäfte, dass die Steuervermeidung nur zu verwirklichen ist, wenn das Umgehungsgeschäft wirklich gewollt ist.264 Diese Unterscheidung ist deshalb besonders wichtig, weil 259

Zu der ausführlichen Auseinandersetzung mit der Steuerflucht und ihrer Bekämpfung auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts vgl. die gleichnamige Dissertation von Bürger (2006). 260 Umfangreiche Nachweise zu diesen Vorschriften bei Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 20. Den Anlass zu einer ersten Umgehungsvorschrift (§ 5 RAO 1919) lieferte der so genannte „Mitropa-Fall“, der zugleich den ersten bekannten Fall des Mantelkaufs bildete; siehe dazu Hübschmann/Hepp/Spitaler-Fischer, § 42 Rn. 1 m. w. N. 261 Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 1230. Hübschmann/Hepp/Spitaler-Fischer, § 41 Rn. 172. 262 BGH WM 1992, 1987, Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 1231. 263 BGH wistra 2002, 221 („Fall Yeboah“). 264 BFH/NV 1995, 659 (660).

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§ 41 II AO bei fehlender Ernstlichkeit des Geschäfts oder der Handlung die steuerliche Anerkennung ohne weiteres versagt, § 42 AO hingegen für die volle Besteuerung voraussetzt, dass das an sich wirksame Rechtsgeschäft als missbräuchlich eingeordnet werden kann. Dieser Gegensatz in den Voraussetzungen von § 41 II AO und § 42 AO spiegelt letztlich die grundlegende, allgemeingültige Differenz zwischen Scheinhandlungen einerseits und Umgehungshandlungen andererseits wieder: Die Problematik der Scheinhandlungen liegt allein auf der Sachverhaltsebene. Durch ihr Auftreten besteht die Gefahr, dass der Rechtsanwender nicht den richtigen Sachverhalt zum Gegenstand der Normanwendung macht, sondern irrtümlich den nur vorgetäuschten. Ist diese rein tatsächliche Schwierigkeit allerdings einmal aufgedeckt, bestehen jedenfalls der Theorie nach nur geringe Hindernisse, der Scheinhandlung entgegenzutreten, denn es ist eine grundsätzliche, bereits dem materiellen Recht angehörige Regel, dass der Rechtsanwendung grundsätzlich der tatsächliche, und nicht der scheinbare Sachverhalt zugrunde gelegt werden muss. § 117 BGB ist daher ebenso wie § 41 AO im Grunde eine deklaratorische Vorschrift, denn beide wiederholen eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit:265 Scheinhandlungen sind nicht anzuerkennen.266 Die Rechtsanwendungsprobleme der Umgehungsproblematik hingegen liegen dem Schwerpunkt nach auf der Norm die, wie bereits kennengelernt, zwar nicht dem Telos, wohl aber dem Wortlaut nach, erfolgreich – weil eben auch ernstlich gewollt – umgangen wird. Damit wird auch offenbar, warum die Umgehungsthematik nicht nur die ungleich schwierigere, sondern auch die um vieles interessantere Thematik gegenüber den Scheingeschäften und Scheinhandlungen ist, selbst wenn beide gemeinsam haben mögen, dass sie Vermeide- bzw. Erschleichungsstrategien darstellen: Während die „Bestandskraft“ der zuletzt genannten Verhaltensweisen leicht zu beseitigen ist, kann die Lösung von Umgehungsfragen nicht einseitig gefunden werden, sondern muss im Spannungsfeld zwischen Zweck (vorgeblich: die materielle Gerechtigkeit) und Wortlaut (wiederum grob entgegengesetzt: die Rechtssicherheit) entwickelt werden.267 Dabei bleibt unbestritten, dass die Abgrenzung von Schein- und Umgehungshandlungen – hier die Abscheidung der § 41 II AO und § 42 AO voneinander – im Einzelfall erheblich Schwierigkeiten aufwerfen mag, ja vielleicht trotz der der Theorie nach möglichen scharfen Trennmöglichkeit nicht stets möglich ist.268 Die von Vogel269 konstatierte nach wie vor bestehende Tendenz bei der Rechtsauslegung, im Falle normativer Tatbestandsmerkmale (er nennt als Beispiel aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre den Begriff des Rechtsbindungswillens) in die Bewertung 265

Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (161). Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 155. 267 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (162). 268 So Meine, wistra 1992, 81 (82), Hübschmann/Hepp/Spitaler-Fischer, § 42 Rn. 131. 269 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (161 f.); so auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 155. 266

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einer Sachverhaltskonstellation als bloße Scheinhandlung normative Erwägungen einfließen zu lassen270, ist dabei nicht allein auf das Wirtschafts(straf)recht beschränkt. Überdeutlich hatte sich dies im Zusammenhang mit der Untersuchung der Notwehrprovokation gezeigt, war doch von einer Auffassung die These vertreten worden, die Reaktion des Provokateurs auf den rechtswidrigen, gegenwärtigen Angriff sei nur eine scheinbare Verteidigungshandlung, in Wirklichkeit aber ein Angriff.271 bb) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der strafbaren Steuerumgehung gemäß § 370 AO in Verbindung mit § 42 AO Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts, so § 42 I S. 1 AO, kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein von § 42 II AO näher definierter Missbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch gemäß § 42 I S. 3 AO so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. § 42 II AO bestimmt: „Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.“

Seine derzeitige Fassung verdankt § 42 AO dem Jahressteuergesetz 2008.272 In seiner bis zum 29. 12. 2007 gültigen Fassung lautete der hier relevante Abs. 1 von § 42 AO noch: „Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Missbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.“

Die Neufassung von § 42 AO beinhaltet damit im Wesentlichen zwei vermeintliche Neuerungen: Zum einen ist der Begriff des „Missbrauchs“ nun erstmals gesetzlich definiert, zum anderen wird der Steuerpflichtige mit der Nachweispflicht dafür belastet, dass für die von ihm gewählte Gestaltung außersteuerlich beachtliche Gründe bestanden haben.273 Mit seiner Definition des Missbrauchs hat sich der Gesetzgeber – wie sich sogleich zeigen wird – deutlich auf die vom BFH entwickelte und auch im herrschenden Schrifttum vertretene Definition des Missbrauchs zu § 42 AO a. F. gestützt. Beachtenswerte Änderungen in der Handhabung des § 42 AO (und 270 Bevor die teleologische Gesetzesauslegung ihre Anerkennung fand, war es sogar die Regel, das Problem des Umgehungsgeschäfts durch seine Einordnung als Scheingeschäft zu lösen, vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler-Fischer, § 41 Rn. 202. Diese Tendenz besteht auch für das heutige französische und italienische Recht, siehe D. I. 8. a). 271 Siehe hierzu C. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd). 272 Gesetz vom 20. 12. 2007, BGBl I 2007, 3150. 273 Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 ff.; Dörr/Fehling, Bucerius Law Journal 2008, 20 ff.

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ihren Schwierigkeiten!) sind daher trotz der mit der Neufassung verbundenen Hoffnungen des Gesetzgebers auf eine präzisere Auslegbarkeit des § 42 AO nicht zu erwarten.274 Gleiches ist für die gesetzlich geregelte Beweislastumkehr zu vermuten, sofern sie als Regelung der objektiven Beweislast verstanden wird: Schon nach bisheriger BFH-Rechtsprechung nämlich soll bei unangemessener Steuergestaltung eine tatsächliche Vermutung bestehen, dass hierfür außersteuerliche beachtliche Gründe nicht vorliegen. Für diese Fälle traf den Steuerpflichtigen auch bisher schon eine Obliegenheit zur erhöhten Mitwirkung bezüglich derjenigen Umstände, aus denen sich der Ausschluss einer missbräuchlichen Gestaltung ergeben konnte.275 Auf die in der Kabinettsfassung vom 8. August 2007 noch vorgesehene, tatsächliche Neufassung des § 42 AO war nach heftiger und berechtigter Kritik verzichtet worden. § 42 I AO des Kabinettsentwurfs lautete: „Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine zu einem Steuervorteil führende ungewöhnliche Gestaltung gewählt wird, für die keine beachtlichen außersteuerlichen Gründe durch den Steuerpflichtigen nachgewiesen werden. Ungewöhnlich ist eine Gestaltung, die nicht der Gestaltung entspricht, die vom Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der Verkehrsanschauung zum Erreichen bestimmter wirtschaftlicher Ziele vorausgesetzt wurde. Liegt ein Missbrauch vor, entsteht der Steueranspruch wie bei einer gewöhnlichen rechtlichen Gestaltung.“276 Rechtsstaatlich bedenklich war insbesondere, dass die Ungewöhnlichkeit der Gestaltung an den Motiven des Gesetzgebers „in Übereinstimmung mit der Verkehrsanschauung“ gemessen werden sollte. Erschien es selbst schon ungewöhnlich genug, dass die „eigentlichen“ Motive des Gesetzgebers als Tatbestandsmerkmal den Steueranspruch begründen sollen,277 so blieb der Rückgriff auf die Verkehrsanschauung als eine Art Bekräftigung der Richtigkeit der vom Gesetzgeber vorausgesetzten Gestaltung ausnehmend unverständlich. Schließlich kann sich die Verkehrsanschauung in der Zeit ändern und die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung gerade als unzeitgemäß erscheinen lassen. Andererseits kann die „Übereinstimmung mit der Verkehranschauung“ wohl auch nicht als ein den § 42 I AO des Kabinettsentwurfs einschränkendes Merkmal gemeint gewesen sein. Das Terminus „Verkehrsanschauung“ ist mithin als ein zweifelhaftes Instrument zu interpretieren, um der Finanzverwaltung die endgültige und praktisch kaum widerlegliche Deutungshoheit über die steuerliche Anerkennung rechtlicher Gestaltungen zu vermitteln.278 274 So auch die Einschätzung von Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 ff. (186) und Dörr/ Fehling, Bucerius Law Journal 2008, 20 ff. (21 f.); Drüen, Ubg 2008, 31 ff. (38); Wienbracke, DB 2008, 664 ff. (669). 275 BFH, NJW 1994, 680; Mack/Wollweber, aaO. 276 Einsehbar unter http://rsw.beck.de/rsw/shop/default.asp?docid=238923, abgerufen am 17. Juni 2008. 277 Crezelius, DB 2007, 1428 f.; Brockmeyer, DStR 2007, 1325 ff. (1327). 278 Brockmeyer, DStR 2007, 1325 ff. (1329).

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§ 42 AO gilt nach allgemeiner Auffassung als spezialgesetzliche Ausprägung des Umgehungsgedankens bzw. der Erfassungsmöglichkeiten von Gesetzesumgehungen.279 Sie gehört inzwischen zu den am häufigsten angewendeten Vorschriften der Abgabenordnung280, dies wohl auch deshalb, weil die Vorschrift nach der heute herrschenden Auffassung neben den allgemeinen Auslegungsregeln nicht überflüssig281, sondern notwendig ist, um eine Erfassung von missbräuchlicher Steuervermeidung auch über den Wortlaut der Besteuerungstatbestände hinaus zu ermöglichen.282 § 42 AO greift dabei nicht nur dann ein, wenn der Steuerpflichtige eine Steuernorm vermeidet (Tatbestandsvermeidung), sondern auch, wenn eine steuermindernde Vorschrift entgegen ihrem Zweck in Anspruch genommen wird (dann Tatbestandserschleichung).283 § 42 I AO begegnet der Steuerumgehung also mit der Fiktion des angemessenen Sachverhalts, die für unangemessen befundene Gestaltung wird durch die hypothetisch angemessene Gestaltung ersetzt.284 Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten war nach der bisherigen und nun Gesetz gewordenen h. M. vor allem dann gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wurde, die, gemessen an dem wirtschaftlichen Hintergrund, unangemessen war, der Steuerminderung dienen sollte und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen war.285 § 42 AO bewertete somit nicht die Angemessenheit der wirtschaftlichen Vorgänge, sondern allein die rechtliche Gestaltung des frei wählbaren wirtschaftlichen Verhaltens des Steuerpflichtigen.286 Bekannte Beispiele für eine Steuerumgehung sind etwa die eingangs geschilderte Einschaltung von Basisgesellschaften in einem Niedrigsteuerland287, die Kettenschenkung, die Vermietung an unterhaltsberechtigte Angehörige, die Zahlung geschuldeter Mitgliedsbeiträge als Spenden, Ring-Darlehen, die Zwischenvermietung von Grundstücken zur Erlangung des Vorsteuerabzugs oder auch der Missbrauch von 279

Hübschmann/Hepp/Spitaler-Fischer, § 42 Rn. 1, 9 ff., 53 ff., 71; Tipke/Kruse-Kruse/ Drüen, § 42 Rn. 1; Koch-Hoffmann, § 42 Rn. 2; Klein-Brockmeyer, § 42 Rn. 8; Kühn/Hofmann, § 42 Rn. 1; Wenderoth, S. 7; Pohl, Rn. 11 ff.; v. Burchard, S. 156. 280 Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, aaO. 281 So aber Danzer, S. 83, 95; Walz, S. 224, 226; Gassner, S. 90, 96; Thiel, StbJb. 1963/ 1964, 197 ff. 282 BFH BstBl. 77, 253; 83, 429; Hensel, Zitelmann-FS, S. 217 ff. (244); Hübschmann/ Hepp/Spitaler-Fischer, § 42 Rn. 199; Koch-Hoffmann, § 42 Rn. 3; Klein-Brockmeyer, § 42 Rn. 2; Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 8 ff.; letztere dort auch zu der Frage, ob § 42 AO die Zulässigkeit der steuerverschärfenden Analogie im Steuerrecht oder nicht vielmehr seine Analogiefähigkeit betrifft. 283 Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 47. 284 Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 11. 285 BFH IV R /57/74, BStBl. Teil II, S. 843 f.; Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 30 ff.; Meine, wistra 1992, 81, jeweils m. w. N. 286 Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 30 ff. 287 Siehe Fall (10) der Einleitung.

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Doppelbesteuerungsabkommen.288 Das von Tiedemann genannte aktuelle Beispiel der Vermeidung der auf Alcopops erhobenen Sondersteuer durch den Vertrieb von Alkohol-Mixgetränken in Brausepulverform289 gehört wohl auch in diese Reihe, da auch missbräuchliches tatsächliches Verhalten dem § 42 AO unterfallen soll.290 Liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung gemäß § 42 AO vor, so hat ein – im Ergebnis erfolgloser – Umgehungsversuch des Steuerrechts stattgefunden. Damit darf jedoch keinesfalls bereits auf das Vorliegen einer strafbaren Steuerhinterziehung nach § 370 AO geschlossen werden, denn ansonsten wäre jeder Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten, sofern er vorsätzlich in Hinblick auf die Steuervermeidung erfolgte, bereits strafbar. Pönalisiert wird jedoch nicht die Steuerumgehung durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO an sich, sondern das Verschleiern derjenigen Tatsachen, die es den Finanzbehörden ermöglichten, das Vorliegen der Voraussetzungen von § 42 AO festzustellen.291,292 Umgehungshandlungen auf dem Gebiet des Steuerrechts, die für das Steuerstrafrecht von Bedeutung sein sollen, sind mithin auch stets durch ein Scheinelement gekennzeichnet, weil nämlich der Handelnde das Fehlen eines vernünftigen Grundes wegen seiner sonst drohenden Erfassung durch § 42 AO vor den Finanzbehörden verborgen hält.293 Umgekehrt wird es für die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte im Rahmen der Prüfung des § 370 AO für Steuerumgehungsfälle erforderlich sein, auf § 42 AO zu rekurrieren, um überhaupt zu dem Vorliegen einer Steuerverkürzung zu gelangen.294 Diese muss stets vorliegen, denn § 370 AO ist ein Erfolgsdelikt.295 Daraus ergibt sich zwangsläufig das Problem, wie das Verhältnis von § 42 AO und § 370 AO zu bestimmen ist, bzw. die nach wie vor strittige Frage danach, ob beide Vorschriften sich an Art. 103 II GG messen lassen müssen, oder aber, ob für § 42 AO trotz Einbeziehung zur Tatbestandserweiterung im Steuerstrafrecht weiterhin allein das steuerrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip zu gelten hat. Angesichts der – auch durch höchstrichterliche 288 Vgl. zu diesen Beispielen Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 55 mit umfangreichen Nachweisen. 289 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 115. 290 Klein-Brockmeyer, § 42 Rn. 11; unklar Pohl, Rn. 743, der zwar Realakte erfasst sieht, nicht aber bloßes „tatsächliches Verhalten“. 291 Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 1237; Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 6; Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 Rn. 139. 292 Zu Recht weist Stahl, StraFo 1999, 223 (225) allerdings darauf hin, dass ein Steuerpflichtiger die Vollständigkeit seiner Angaben nur dann richtig einschätzen kann, wenn er die Rechtslage und dabei insbesondere die kasuistische Rechtsprechung zu § 42 AO kennt. Siehe hierzu auch noch im Text. 293 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (158). 294 Daher trifft es nicht zu, wenn Poepel, S. 21 behauptet, die Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung sei schon begrifflich nicht denkbar, weil der Steuerumgeher ja gerade die Lücken im Steuergesetz auszunutzen versuche, während der Steuerhinterzieher klar den Wortlaut von § 370 AO erfülle. 295 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 97.

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

Entscheidungen belegten296 – hohen praktischen Relevanz dieser Fragestellungen im Spannungsfeld von Steuerrecht, Strafrecht und Verfassungsrecht ist es nicht verwunderlich, dass das Thema bereits vielfältige Berücksichtigung gefunden hat, so in den Dissertationen von Wenderoth297, Pohl298 und Röckl299, aber auch in weiteren (Lehr-)Büchern300, Kommentaren301 und zahlreichen anderen Beiträgen302. Unabhängig von den Bedenken in Hinblick auf die Unbestimmtheit von § 42 AO – und zwar sowohl bzgl. Art. 103 II GG303 als auch der Bestimmtheitsanforderungen an Steuergesetze304 – wegen seiner Eigenschaft, belastende Rechtsfolgen herbeizuführen, bestehen schon erhebliche methodische Schwierigkeiten, eine einigermaßen trennscharfe Abgrenzung von legaler Steuervermeidung und unzulässiger Steuerumgehung zu gewährleisten. Im Grundsatz ist niemand verpflichtet, die von ihm zu beeinflussenden Sachverhalte so zu gestalten, dass der Steueranspruch entsteht. Es steht jedermann frei, die Steuer zu vermeiden und rechtliche Gestaltungen zu wählen, die eine möglichst geringe Steuerbelastung nach sich ziehen.305 Dieser Gestaltungsfreiheit soll § 42 AO eine Missbrauchsgrenze ziehen. Wie der „Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts“, das zentrale Tatbestandsmerkmal des § 42 AO, näher auszufüllen ist, bleibt aber trotz zahlreicher – nun auch legislativer – Umschreibungsversuche nach wie vor recht undeutlich; dies liegt nicht zuletzt daran, dass § 42 AO keine be296

BVerfGE 13, 331 (344); 13, 290 (315); BGH Urteil vom 9. 1. 1979, 1 StR 574/78 (unveröffentlicht); BGH wistra 1982, 108 f.; BGHSt 32, 60 (64); BGH wistra 1990, 307 (308); daneben seien noch Entscheidungen des OLG Bremen Strafverteidiger 1985, 284 ff., des OLG Düsseldorf wistra 1989, 72 ff. und des LG Frankfurt, wistra 1997, 152 (153) erwähnt. Letztere Entscheidung schätzt Röckl, S. 272, als Meilenstein in der Rechtsprechung zu § 42 AO und seinem Verhältnis zum Steuerstrafrecht ein. 297 „Die Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG“ (München 1990). 298 Pohl, Rn. 739 ff., 965 ff. 299 Röckl, S. 258 ff. (S. 261 ff.). 300 Kuhn/Weigell, Rn. 68 ff.; Steuerstrafrechtshandbuch-Bruhnke, Rn. 977 ff. Handbuch Müller-Gugenberger/Bieneck-Küster, § 43 Rn. 27. 301 Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 1230 ff.; Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 Rn. 135 ff.; Suhr/Naumann/Bilsdorfer, Rn. 299. 302 Wolsfeld, PStR 2000, 158; Stahl, StraFo 1999, 223 ff.; Meine, wistra 1992, 81 ff.; Ulmer, DStZ 1986, 292; Schulze-Osterloh, Strafverfolgung und Strafverteidigung, S. 43 ff.; Kirchhof, StuW 1983, 173 ff.; Fromm, BB 1980, 1155, Kruse, StBJb 1978/79, S. 443 ff.; Schick, WiSt 1976, 325 ff. 303 Wenderoth S. 234, 263, 283 und Pohl, Rn. 965 ff. etwa halten die Anwendung von § 42 AO im Rahmen des Steuerstrafrechts wegen Verstoßes gegen das Analogieverbot und das Bestimmtheitsgebot für verfassungswidrig. Allein einen Verstoß gegen das Bestimmheitsgebot konstatieren Röckl, S. 280 ff. und Schulze-Osterloh, Strafverfolgung und Strafverteidigung, S. 64. 304 Siehe hierzu Pohl, Rn. 815 ff. 305 BVerFGE 9, 237 (249 f.); BFH BStBl. 51, 181; 96, 158; Hensel, Zitelmann-FS, S. 217 ff. (228); Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 3.

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reichsspezifischen Grenzen kennt, sondern – abgesehen von Spezialvorschriften306 – für das gesamte Abgabenrecht Geltung beansprucht.307 § 42 AO ist eine Generalklausel, deren Tatbestandsvoraussetzungen dazu noch aus unbestimmten Rechtsbegriffen bestehen.308 Bedenken ausgesetzt bleibt insbesondere das übliche Unterscheidungsmerkmal, zwischen der Unangemessenheit der Gestaltung einerseits und einer rechtlichen Konstruktion andererseits zu unterscheiden, die einen vernünftigen wirtschaftlichen Zweck verfolgt oder durch sonstige außersteuerliche Gründe mit beeinflusst worden ist.309 Für die Ermittlung der Vernünftigkeit des wirtschaftlichen Zwecks soll dabei darauf abzustellen sein, ob sich verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts, insbesondere des erstrebten wirtschaftlichen Ziels, für die rechtliche Konstruktion des Steuerpflichtigen entscheiden würden.310 Umgekehrt soll von Unangemessenheit auszugehen sein, wenn sich der Steuerpflichtige in erster Linie abwegiger rechtlicher Kniffe und Schliche bedient und hierfür vernünftige wirtschaftliche Gründe nicht erkennbar sind.311 Entscheidend ist also nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass auf einem ungewöhnlichen Weg ein steuerlicher Erfolg angestrebt wird, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel, Steuern zu sparen, nicht erreichbar sein soll.312 In einem Versuch weiterer Präzisierung haben Kruse/Drüen angemessene Gestaltungen als einfach, zweckmäßig und übersichtlich bezeichnet, unangemessene Gestaltungen hingegen als umständlich, kompliziert, schwerfällig, unökonomisch, gekünstelt, unnatürlich, absonderlich, z. T. überflüssig, widersinnig oder undurchsichtig und nicht selten wenig effektiv.313 Zu Recht hat Isensee gemeint, dass alle diese Bemühungen, allgemeine, inhaltliche Maßstäbe für das Angemessene zu finden, etwas „rührend Hilfloses“ hätten.314 Ein Präzisierungsvorschlag seinerseits erfolgt allerdings nicht. Ein praktisch bedeutsamer Nachteil des (insgesamt wohl unmöglich genau zu bestimmenden315) Begriffs der Angemessenheit ist zudem, dass nach den bisher 306 Die in einzelnen Steuergesetzen zur präventiven Umgehungsverhütung aufgestellten Spezialtatbestände (z. B. § 7b I S. 4 EStG, § 10 V UStG, § 26 UmwStG) sperren § 42 AO nach der Kollisionsregel lex specialis derogat legi generali; Tipke/Kruse-Kruse/ Drüen, § 42 Rn. 20. §§ 1, 7 ff. AStG schließen § 42 AO hingegen nicht aus, Tipke/Kruse-Kruse, § 42 Rn. 100. 307 Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 19 m. w. N. 308 Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 35. 309 Steuerstrafrechtshandbuch-Bruhnke, Rn. 982. 310 BFH v. 20. 11. 1991, BStBl II 1992, 695; BFH v. 25. 1. 1995, BStBl II 1994, 748, 740; Steuerstrafrechtshandbuch-Bruhnke, Rn. 981. Suhr/Naumann/Bilsdorfer, Rn. 299. 311 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 Rn. 138; Steuerstrafrechtshandbuch-Bruhnke, Rn. 982. 312 Siehe nur BFHE 202, 219 m. w. N.; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 1236. 313 Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 34. 314 Isensee, S. 93. 315 Auch Wenderoth, S. 226 kommt am Ende einer ausführlichen Untersuchung zu § 42 AO zu dem Ergebnis, dass die Definitionsversuche für die allgemeinen Missbrauchsvoraussetzungen abstrakt und damit für eine Konkretisierung des § 42 AO ebenso ungeeignet ausfallen

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aufgestellten Kriterien die Möglichkeit besteht, dass auch derjenigen rechtlichen Gestaltung ihre steuerrechtliche Anerkennung versagt wird, die nicht zur Umgehung des Steuergesetzes vorgenommen wurde, sondern aus Unerfahrenheit, Rechtsunkenntnis oder Ungeschicklichkeit erfolgte. Nicht jede schwerfällig und unökonomisch wirkende Gestaltung muss aber auf Rechtsmissbrauch hinweisen. Ein solches Ergebnis scheuend setzt ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i. S. v. § 42 I AO für die herrschende Meinung daher stets außerdem voraus, dass die Wahl eines objektiv unangemessenen Weges auf der nachweisbaren Absicht der Steuerumgehung beruhte.316 Mehr als eine beschwichtigende „Rückversicherung“ über die Richtigkeit der aufgestellten objektiven Konkretisierungen von § 42 AO ist damit allerdings wohl nicht verbunden und in der Praxis für den Steuerpflichtigen kaum etwas gewonnen, soll das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen von § 42 AO doch zugleich Indiz für das Bestehen der Umgehungsabsicht sein.317 Auch die Rechtsfolgenseite von § 42 AO, die ja erst die Feststellung einer Steuerverkürzung ermöglicht, birgt erhebliche Unsicherheiten in sich. § 42 I S. 3 AO ordnet an, dass im Fall des Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten der Steueranspruch so entsteht, wie er bei einer den wirtschaftlichen Gegebenheiten angemessenen Gestaltung entstanden wäre. Nun ist es nicht nur so, dass sich auf diese Frage nicht nur eine Antwort finden lässt, vielmehr lässt sich für jede Steuerart gesondert entscheiden, ob die Gestaltung unangemessen war. Jedenfalls verfährt der BFH auf diese Weise.318 Dies könnte aber bei der Inbezugnahme von § 42 AO für das Steuerstrafrecht dazu führen, dass der „angemessene“ Sachverhalt bei der Ermittlung einer Umsatzsteuerhinterziehung ein anderer ist als z. B. bei der Einkommenssteuerhinterziehung.319 Insgesamt ist § 42 AO sowohl nach seinem Tatbestand als auch nach seiner Rechtsfolge eine äußerst schwierig zu handhabende Vorschrift, was auch Folgen für die Einordnung als Umgehungsvorschrift zeitigt.

wie dessen Tatbestandsvoraussetzungen selbst. Röckl, S. 281 spricht den wechselnden Definitionen der Rechtsprechung „Leerformel-Charakter“ zu, die praktische Anwendung von § 42 AO sei reine Kasuistik. Für Pohl, Rn. 744 sind die Klärungsversuche zur Begriffsbestimmung von § 42 AO bisher „eher unergiebig“. 316 BFH BStBl. 85, 494; 86, 496; 88, 604; 92, 532 (536); Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 Rn. 138; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 115, LK11-ders., § 264 Rn. 117; Steuerstrafrechtshandbuch-Bruhnke, Rn. 980; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 1235; Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 44; a. A. BFH BStBl. 89, 396 (399); 93, 253 (255); Hübschmann/Hepp/Spitaler-Fischer, § 42 Rn. 103 ff.; Bruns, GA 1986, 1 ff. (29); Nippoldt, S. 227. Suhr/Naumann/Bilsdorfer, Rn. 300 sehen zumindest vor, dass der Steuerpflichtige weiß oder für möglich hält, dass der von ihm gewählte Weg ungewöhnlich war. Nach Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 339, ist dolus directus 2. Grades ausreichend. 317 BFH BStBl. 92, 532 (536); 93, 253 (255); Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 44; Pohl, Rn. 747. 318 BFH/NV 1997, 462 (463). 319 Röckl, S. 266.

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b) Die Steuerumgehung als strafrechtliche Umgehungshandlung Wie stets für die bisher erörterten Konstellationen im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Teil des StGB ist nun auch hier der Frage nachzugehen, inwieweit die Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung gemäß § 370 AO i. V. m. § 42 AO einen Umgehungssachverhalt nach der hier zugrunde gelegten Arbeitsdefinition darstellt. Hierfür müsste § 42 AO Verhaltensweisen erfassen, die sonst zwar außerhalb der Erfassungsmöglichkeiten der Besteuerungstatbestände liegen, nach dem Sinn und Zweck von § 370 AO jedoch erfasst sein müssten. aa) Vorliegen der objektiven Umgehungselemente Die strafbare Steuerumgehung scheint auf den ersten Blick ein Musterbeispiel für eine Umgehungshandlung im Strafrecht zu sein, denn das Verhalten, das diese Form der Steuerhinterziehung charakterisiert, wird von § 42 AO sogar ausdrücklich als Umgehung beschrieben. Auch nach seiner Entstehungsgeschichte ist zentrale Aussage des § 42 AO die Verhinderung der Steuerumgehung.320 Gleichwohl sind die Zusammenhänge bei näherer Betrachtung so leichtfasslich nicht, wie sich im Folgenden zeigen wird. Zunächst gilt es, die Feststellung zu wiederholen, dass auch der erfolglos gebliebene Versuch der Steuerumgehung als solcher gerade nicht strafbar ist. Charakteristisch sollte für eine strafrechtlich relevante Umgehungshandlung aber sein, dass der Erfolg bzw. Nicht-Erfolg der Umgehungshandlung auch entscheidend dafür ist, ob ein Verhalten strafbar oder straffrei ist. Umgekehrt ist die in § 370 AO umschriebene Tathandlung, die erst die Strafbarkeit des Steuerumgehers auslöst, eben keine Umgehungshandlung, sondern eine Täuschungshandlung (u. U. in Form einer Scheinhandlung) gemäß § 370 I Nr. 1 AO oder ein pflichtwidriges Unterlassen nach § 370 I Nr. 2 AO. Rechtliche Gestaltung und falsche bzw. fehlende Angaben werden also erst durch die Zusammenschau dieser beiden Akte zu einer strafrechtlich relevanten Handlung und damit zu einer Handlung im Sinne dieser Untersuchung. Es ist daher zumindest unpräzise, von „Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung“ zu sprechen321, denn die kriminelle Steuerhinterziehung entsteht vielmehr erst durch das Verschweigen der Tatsachen, welche die zuvor verwirklichte strafrechtlich irrelevante Steuerumgehung als solche erkennbar machen könnten (s. o.). Diese für Umgehungshandlungen sicher alles andere als ungewöhnliche „Zweiaktigkeit“ des Umgehungsverhaltens ist zwar auch für die bereits erörterte Notwehrprovokation, den Schwangerschaftsabbruch im Ausland oder die actio libera in causa kennzeichnend gewesen, doch war in diesen Fällen die Erfassungsmöglichkeit des Umgehungsverhaltens gleichbedeutend mit der Strafbarkeit des 320

Hübschmann/Hepp/Spitaler-Fischer, § 42 Rn. 1 ff., 71. So aber Pohl, passim, der allerdings inhaltlich klarstellt, dass die Steuerumgehung als solche straffrei ist (Rn. 878). 321

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diskutierten Vorgehens gewesen. Im Steuerrecht ist dagegen die Umgehung der auch von § 370 AO in Bezug genommenen Steuernormen für sich genommen strafrechtlich irrelevant. Auch war der zeitliche Zusammenhang in den zuvor bereits erörterten Fällen wesentlich enger als in den Fällen der strafbaren Steuerumgehung. Ein weiterer Unterschied ist darin zu sehen, dass sich das strafauslösende Moment der Steuerumgehung gerade auf das Verschweigen einer Umgehungshandlung und damit auf ein grundsätzlich tatsächliches322 Faktum bezieht, während die Strafbegründung in den übrigen Konstellationen nicht auf die Verheimlichung eines Sachverhalts gestützt werden kann, sondern die Anwendbarkeit der möglicherweise umgangenen Norm selbst gewährleistet werden muss. Die Erfassung etwa der Notwehrprovokation wird dadurch zu einem reinen Subsumtionsproblem. Dieser Verlegenheit ist der Anwender des § 370 AO durch die Existenz von § 42 AO enthoben; ob diese „Auslagerung“ der normbezogenen Probleme bei der strafrechtlichen Erfassung von Umgehungshandlungen in das Steuerrecht auch verfassungsrechtlich angängig ist, muss allerdings noch näher bestimmt werden. Fraglich ist auch, inwieweit § 42 AO überhaupt eine Umgehungsvorschrift im Sinne der hier verwendeten Arbeitsdefinition ist, denn die nähere Umschreibung der Steuerumgehung in dieser Vorschrift scheint nicht auf die Feststellung einer Verletzung des Sinn und Zwecks der umgangenen Steuernorm hinauszulaufen, sondern auf die Feststellung einer unangemessenen Verhaltensweise des Steuerpflichtigen. Ebenso ordnet § 42 AO dann auch nicht die Erweiterung der zweckwidrigen umgangenen Steuernorm an, sondern die Ersetzung der unangemessenen rechtlichen Gestaltung durch die fiktive angemessene Gestaltung. Es ist deshalb auch vertreten worden, § 42 AO begegne der Umgehung gar nicht im Sinne einer analogieähnlichen Klausel, sondern sei durch den Weg des „Sachverhaltsdurchgriffs“ ein Beispiel für die Positivierung der Lehre von der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“.323 Diese Vorstellung von der Wirkungsweise des § 42 AO ist zwar „rhetorisch brillant“324, 322 Das Verschweigen derjenigen Umstände, welche das Verhalten des Steuerpflichtigen als rechtsmissbräuchlich gemäß § 42 AO erscheinen lassen könnten, ist bei seiner rechtlichen Einordnung in Hinblick auf § 370 AO auch mit erheblichen normativen Schwierigkeiten verbunden. So ist etwa alles andere als durchsichtig, welche Tatsachen der Steuerpflichtige überhaupt als steuererheblich mitzuteilen hat und inwieweit die Mitteilungspflicht diesem zumutbar ist; vgl. Röckl, S. 278 ff.; Stahl, StraFo 1999, 223 (225). Zudem ist angesichts der kasuistischen Rechtsprechung zur Konkretisierung des „Angemessenen“ ein strafrechtlich erheblicher Irrtum des Steuerpflichtigen die Einordnung seiner Gestaltung als missbräuchlich betreffend häufig nicht fernliegend; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (173); Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 115. Grundsätzlich unberührt bleibt von diesen Problemen gleichwohl der Vorteil des § 42 AO für den Rechtsanwender des § 370 AO, der steuerrechtlichen Umgehungshandlung nicht allein auf der Ebene dieser Strafvorschrift begegnen zu müssen. Nochmals: Von den allein methodologischen Vorteilen dieser Lösung der Umgehungsproblematik gänzlich unabhängig ist zu erörtern, ob § 42 AO sich an den Maßstäben des Art. 103 II GG messen lassen muss und ob er diesen rechtsstaatlichen Ansprüchen standhält. 323 So etwa Bruns, GA 1986, 1 ff. (25, 27); Jachmann, JA 1995, 511 ff. (513); Kottke, LSW 1994, 93 ff. (94). 324 So das vergiftete Lob Röckels, S. 277.

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aber nicht zutreffend: Nach allgemeiner Ansicht ist unter der Analogie die Übertragung der für einen Tatbestand (A) im Gesetz gegebene Regel auf einen vom Gesetz nicht geregelten, ihm „ähnlichen“ Tatbestand (B) zu verstehen.325 Maßstab für die Vergleichbarkeit ist dabei stets das Telos des Rechtssatzes, dessen Anwendbarkeit nur für Fall (A) gegeben ist.326 Auch für die Gesetzesumgehung ist die Situation kennzeichnend, dass zwei Sachverhalte bestehen, für die die Anwendbarkeit der selben Rechtsnorm teleologisch angezeigt erscheint, diese aber nur für einen der Sachverhalte zur Anwendung kommen kann. Ob zur Erfassung des ungeregelten Sachverhaltes nun der Wirkungsbereich der entsprechenden Norm erweitert oder der Sachverhalt durch fiktive Angleichung dem unveränderten Wirkungsbereich der Norm zugeführt wird, ist eine bloße façon de parler327. § 42 AO bedient sich mithin ungeachtet der rechtstechnisch angewendeten Methode des Sachverhaltsdurchgriffs eines analogischen Verfahrens, womit sich die Rechtsnatur der Vorschrift in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Arbeitsdefinition des Umgehungsterminus zeigt.328 Dieses Ergebnis entspricht auch der vom Bundesfinanzhof in einer Entscheidung aufgestellten Voraussetzung für den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten, die über die im Wortlaut des § 42 AO explizit genannten Voraussetzungen hinausgeht. Die gewählte Gestaltung, so der BFH, müsse nicht nur unangemessen sein, sondern bei sinnvoller, Zweck und Ziel der Rechtsnorm berücksichtigender Auslegung vom Gesetz missbilligt werden.329 Ungeachtet der Tatsache, dass § 42 AO den Rechtsanwender in besonderem Maße dazu auffordert, sich der analogischen Grundstruktur jeder Auslegung zu bedienen330, ist die Vorschrift keine Analogieklausel.331 Vielmehr liegt keine Analogie vor, gerade weil der Gesetzgeber zu einem analogischen Verfahren auffordert. Eine „gesetzlich angeordnete Analogie“ kann es nicht geben, da es gerade der gesetzlichen Zulassung wegen an einer Regelungslücke fehlt!332 Rechtsdogmatisch ist § 42 AO daher nicht als Analogie, sondern als Aufforderung zu der extensiven Auslegung der vorhandenen Steuerrechtssätze einzuordnen.333 325

Larenz/Canaris, S. 202. Larenz/Canaris, aaO. 327 So zu Recht Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (164); ebenso Röckl, S. 280; Pohl, Rn. 805 ff.; Westerhoff, S. 94 f. 328 Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu der oben abgelehnten Auffassung, § 42 AO sei seiner Rechtsnatur nach eine deklaratorische Analogieermächtigung, denn diese These war nur insoweit angegriffen worden, als sie mit der Behauptung zugleich verbunden wird, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 42 I AO seien für den Analogieschluss unbeachtlich. 329 BFH BB 1987, 459; inwieweit ein konkreter Zweckverstoß bei Steuernormen überhaupt und stets ermittelbar ist, wird allerdings noch zu erörtern sein. Siehe hierzu sogleich. 330 Zur analogischen Grundstruktur der Auslegung vgl. statt vieler LK12-Dannecker, § 1 Rn. 247 m. w. N. 331 So aber wohl Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (164 f.). 332 Kuhlen, Otto-FS, S. 89 ff. (98). 333 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 266. 326

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Ferner scheint beim ersten Studium des § 42 AO die Deutung nahe zu liegen, es werde nicht das Steuerrecht, sondern das Recht, das die Gestaltungsmöglichkeit eröffnet – also das Zivilrecht –, missbraucht.334 Diese Sichtweise aber führte zu dem seltsamen Ergebnis, dass die in § 370 AO geschützten Normen, nämlich die Steuernormen, für den Fall der Steuerumgehung nicht mehr alleiniger Schutzgegenstand wären, sondern dieser um das vorgelagerte Zivilrecht erweitert würde. Es ist aber schon soeben darlegt worden, dass § 42 AO der Sache nach als analoge Normerweiterung des Steuerrechts aufzufassen ist, der Missbrauch muss also stets mit Blick auf die umgangene Norm bestimmt werden. Die von § 42 AO gegen Umgehung geschützte Norm ist aber die fragliche Steuernorm, nicht das Zivilrecht. Mit anderen Worten: Die Unangemessenheit der rechtlichen Gestaltung wird auf dem Gebiet des Zivilrechts ermittelt, Gegenstand des Missbrauchs-Urteils ist jedoch stets die Steuernorm selbst.335 Wenn zutreffend sein soll, dass die strafbare Steuerumgehung ein Umgehungsfall nach der hier vorgestellten vorläufigen Definition der Umgehungshandlung ist, so muss schließlich noch nachgewiesen werden, dass die bei Hinwegdenken des § 42 AO nicht steuerpflichtigen Gestaltungen des Täters überhaupt einen Verstoß gegen die ratio des Steuerrechts bilden. Fraglich ist dabei für diese Problemstellung bereits, welche Vorschrift überhaupt Gegenstand einer solchen offenen oder verdeckten teleologischen Lücke336 sein soll. Zunächst ist § 370 AO selbst von dem Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten betroffen, dient die Vorschrift doch nach h. M. dem Schutz der staatlichen Steueranspruchs337, der im Fall einer erfolgreichen Umgehungshandlung des Steuerrechts nicht gewährleistet werden kann, weil es an dem im Tatbestand vorausgesetzten Erfolg der Steuerverkürzung fehlt. Allerdings können dem Straftatbestand der Steuerhinterziehung selbst keine näheren Hinweise zur Bestimmung der Steuerverkürzung und ihrem möglichen Umgehungscharakter entnommen werden; es kommt vollständig auf die Wertungen des Steuerrechts an und dies unabhängig davon, ob § 370 AO mit der wohl überwiegenden Auffassung als Blankettvorschrift einzuordnen ist338 oder aber als hochgradig normativ bestimmter Straftatbestand.339 Ein Verstoß gegen das Telos von § 370 AO durch die erfolgreiche Steuerumgehung ist demnach nur dann anzunehmen, wenn die fehlende

334 So können etwa mit Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (162 m. Fn. 37) entsprechende Ausführungen Stöckels, S. 92 gedeutet werden. 335 Vogel, Madrid-Symposium, aaO. 336 Eine offene Lücke besteht für den Fall der Tatbestandsvermeidung, eine verdeckte Lücke für den Fall der Tatbestandserschleichung; zu Begriff und Arten von Gesetzeslücken vgl. Larenz/Canaris, S. 191 ff. (198). 337 Klein-Gast-de Haan, § 370 Rn. 2; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 98 f., jeweils m. w. N. 338 Tipke/Lang-Seer, § 23 Rn. 22; Klein-Gast-de Haan, § 370 Rn. 5. 339 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 149 m. w. N.

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Erfassungsmöglichkeit einer Steuervermeidungsstrategie auch zweckwidrig im Sinne des vorgelagerten Steuerrechts selbst ist.340 Für das Steuerrecht ist bereits erläutert worden, dass der in § 42 AO vorausgesetzte Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts stets auf die zweckwidrige Vermeidung von Steuernormen zu beziehen ist; ein Missbrauch des Zivilrechts selbst ist nicht gemeint. Weiterhin hatten die bisherigen Erörterungen zu dem Ergebnis geführt, dass § 42 AO trotz der rechtstechnischen Verwendung eines Sachverhaltsdurchgriffs methodologisch als gesetzgeberische Aufforderung an den Rechtsanwender zu verstehen ist, sich unter den im Tatbestand festgelegten Voraussetzungen einer äußerst extensiven Auslegung des Steuerrechts zu bedienen, die das jeder Auslegung immanente analogische Verfahren gleichsam auf die Spitze treibt. Mithin ist für das Vorliegen von § 42 AO stets notwendig, dass die materiellen Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der nicht mehr einschlägigen Steuernorm (bzw. die Voraussetzungen für eine Gegenanalogie) bestehen. Die Analogiefähigkeit der individuellen Steuernormen wiederum kann nicht pauschal beurteilt werden. Vielmehr zeigen sich erhebliche Unterschiede je nach betroffener Steuerart. Dabei muss grundsätzlich zwischen Fiskalzwecknormen und Sozialzwecknormen unterschieden werden. Bei Fiskalzwecknormen geht es dem Gesetzgeber um die Verteilung der Belastungswirkungen, die mit der staatlichen Steuerlast verbunden sind, während mit der Erhebung von Lenkungssteuern die Hoffnung auf den Eintritt bestimmter Gestaltungswirkungen verbunden ist.341 Daher sind Sozialzwecknormen nach ihrem Sozialzweck auszulegen, Fiskalzwecknormen dagegen danach, wie die Gesamtsteuerlast nach einem bestimmten Maßstab (zu nennen ist insbesondere das Leistungsfähigkeitsprinzip) auf die einzelnen Steuerpflichtigen zu verteilen ist.342 Wählt der Steuerpflichtige nun eine rechtliche Gestaltung, die trotz wirtschaftlicher Vergleichbarkeit vom Wortlaut einer Sozialzwecknorm nicht mehr erfasst ist und wird dadurch der soziale Lenkungszweck der Steuer verfehlt, so lässt sich ein Analogieschluss häufig sachgerecht begründen.343 Etwas anderes gilt für die zahlenmäßig weit überwiegenden Fiskalzwecknormen, denn es gibt schlechthin keinen Sachverhalt, der seiner Natur nach besteuert werden müsste. Auch die Ausrichtung der in Frage stehenden Steuer an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen kann nicht die entscheidende Rolle des für die Analogie erforderlichen Vergleichsmaß-

340 Das Rechtsgut des § 370 AO ist daher nach der herrschenden Meinung das öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen der einzelnen Steuern, zum Streitstand vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 37 ff.; Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 Rn. 14. 341 Birk, Rn. 204 f. m. w. N. 342 Tipke/Lang-Lang, § 5 Rn. 43. 343 Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 10.

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stabs spielen.344 Die Ermittlung der ratio legis einzelner Fiskalzwecknormen ist mithin mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet, weshalb für eine beachtliche Minderheitsansicht des steuerrechtlichen Schrifttums nicht allein die Zulässigkeit der Analogie (genauer in Hinblick auf die Generalklausel des § 42 AO: die Zulässigkeit einer extensiven analogischen Auslegung) für die einzelnen FiskalzweckSteuertatbestände in Frage steht, sondern schon ihre Analogiefähigkeit.345 Diesem Einwand scheint nicht ausgesetzt zu sein, wer als Rechtfertigung für die steuerrechtliche Unbeachtlichkeit des Gestaltungsmissbrauchs nicht auf den individuell umgangenen Steuertatbestand abstellt, sondern pauschal den Grundsatz der steuerlichen Belastungsgleichheit gemäß Art. 3 I GG346, eines der systemtragenden Prinzipien eines rechtsstaatlichen Steuerrechts, ins Felde führt, wie es häufig in Hinblick auf die ratio des § 42 AO getan wird.347 Bei Verwendung dieser Argumentationslinie ist es dann nicht notwendig, die teleologische Lücke im Tatbestand einer einzelnen Steuernorm herauszuarbeiten, vielmehr erscheint durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gleich der Sinn und Zweck des gesamten Steuerrechts verfehlt zu werden. Doch büßt auch diese Beweisführung an Überzeugungskraft ein, wenn man sich vor Augen führt, dass gerade Lastengleichheit in der Besteuerung Gesetzmäßigkeit voraussetzt348, was schon in der Legaldefinition des Steuerbegriffs nach § 3 AO deutlich zum Ausdruck kommt. Will man einen Einfluss der Lastengleichheit der Besteuerung für die Rechtsfortbildung im Steuerrecht anerkennen, so kann gleichwohl eine Kollision der entgegenstehenden Verfassungsprinzipien, Gleichmäßigkeit und Gesetzesvorbehalt, nicht dahingehend gelöst werden, dass der Gesetzesvorbehalt gänzlich leerläuft.349 Zudem ist Flume350 beizupflichten, dass die unkritische Übertragung der dem Zivilrecht entstammenden, überkommenen Gleichsetzung der Analogievoraussetzungen mit der „Lückenthese“351 auf die Methodologie des Steuerrechts grundlegende Unterschiede zwischen Zivilrecht und Steuerrecht verkennt: Zivilrechtlich relevante Tatbestände müssen materiell-rechtlich geregelt werden, um der Interessenlage der streitenden Parteien gerecht zu werden und Rechtsfrieden zu stiften; aus prozessualer Sicht steht

344 Kruse, S. 46 ff.; Woerner, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 1 ff. (50); Arndt, Mühl-FS, S. 17 ff. (29); Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, aaO.; a. A. Kirchhof, StuW 1984, 297 ff. (301). 345 Flume, StbJb 1985/1986, 277 ff. (294); Brinkmann, S. 114 f.; Tipke/Kruse-Kruse/ Drüen, aaO. 346 Siehe zu diesem Grundsatz statt vieler Tipke/Lang-Lang, § 4 Rn. 70 ff. 347 BVerfGE 13, 290 (316); Klein-Brockmeyer, § 42 Rn. 8; Birk, Rn. 343; Danzer, S. 24; Hübschmann/Hepp/Spitaler-Fischer, § 42 Rn. 22; Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 15. 348 Zur Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung („nullum tributum sine lege“) siehe Tipke/Lang-Lang, § 4 Rn. 150 ff. 349 Röckl, S. 277. 350 Flume, StBJb 1985/1986, 297 ff. (279 f., 294 f.). 351 Vgl. statt aller Larenz/Canaris, S. 191 ff.

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der Zivilrichter dabei zusätzlich unter Entscheidungszwang352. Die Frage für das Steuerrecht ist aber angesichts seiner in § 3 AO zum Ausdruck kommenden positivistischen Natur gerade, ob das Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten eine solche Beeinträchtigung erfährt, dass eine analoge Anwendung der Fiskalzwecksteuernormen aus Gerechtigkeitsgründen erfolgen muss.353 Ohne diese Streitfrage hier im Letzten entscheiden zu können, so ist hoffentlich gleichwohl deutlich geworden, dass der Umgehungscharakter jedenfalls für Fiskalzwecknormen ungleich schwerer festzustellen ist, wenn – wie hier vertreten – ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne von § 42 AO nicht nur mit der Künstlichkeit der Rechtsgestaltung seitens des Steuerpflichtigen gleichgesetzt wird, sondern zugleich stets die Feststellung einer Zweckverletzung der Steuernorm bzw. des Steuerrechts zur Voraussetzung gemacht wird. Wenn man deshalb nicht bereits den Umgehungserfassungscharakter des § 42 I AO für Fiskalzwecknormen in Zweifel ziehen will (wofür insbesondere die Argumentation Flumes und seiner Anhänger einen beachtlichen Grund liefert), so muss die Anwendung von § 42 I AO doch wenigstens allein schon aus rechtstheoretischen Gründen restriktiv erfolgen. Es hat sich gezeigt, dass diese Klausel nicht, wie etwa vom Bundesfinanzhof354 behauptet, geeignet ist, der Anwendung der Analogie im Steuerrecht durch das zusätzliche Erfordernis eines Gestaltungsmissbrauchs stets Grenzen zu setzen. Vielmehr birgt die Rechtstechnik des Sachverhaltsdurchgriffs die Gefahr in sich, dass Fälle wegen der Fokussierung auf das in § 42 AO vorgesehene allein tatsächliche tertium comperationes (also die artifizielle und sachlich unbegründete Sachverhaltsgestaltung) der Steuerpflicht unterworfen werden, für welche die rechtliche Vergleichbarkeit mit dem gesetzlich geregelten Fall und damit die Analogiefähigkeit alles andere als eindeutig sind. Eine Vernachlässigung der Feststellung einer tatsächlichen Zweckverletzung des Steuerrechts kann so dazu führen, dass sich die Steuerumgehung zwar aus § 42 AO, nicht aber aus dem von dieser Umgehungsklausel in Bezug genommenen Steuerrecht ergibt, was ein offenkundig sachwidriges Ergebnis darstellt. Die Umgehungsklausel des § 42 AO wäre ein „autopoetisches System“. Ingesamt lässt sich festhalten, dass der Umgehungscharakter der strafbaren Steuerumgehung im Sinne der hier verwendeten vorläufigen Begriffsbildung (Umgehung als Ausnutzung einer teleologischen Lücke im Strafrecht) unzweifelhaft 352 Diese Entscheidungspflicht ergibt sich für zivilrechtliche Streitigkeiten aus dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch, den das Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip herleitet; BVerfGE 54, 277 (291); 88, 118 (124); 107, 395 (401, 406 ff.); Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 211; Pieroth/Schlink, Rn. 1006, 1009. 353 Flume, aaO. Die herrschende Meinung im Steuerrecht teilt diese Bedenken freilich nicht, sondern kritisiert ihrerseits, dass dieser Rückzug auf einen positivistischen Ansatz den Aspekt der Steuergerechtigkeit vollkommen vernachlässige; vgl. für die herrschende Auffassung Tipke, StuW 1981, 189 ff. (191); Tipke/Lang-Lang, § 5 Rn. 58 ff. 354 BFHE 130, 188.

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nur für Lenkungssteuern bejaht werden kann und dies auch nur insoweit, als das in § 42 AO beschriebene Verhalten des Steuerpflichtigen einerseits und seine in § 370 AO vorausgesetzte Tathandlung andererseits als einheitliches Gesamtgeschehen begriffen werden. bb) Vorliegen möglicher subjektiver Umgehungselemente Diskussionswürdig erscheint auch für die strafbare Steuerumgehung, inwieweit die für das Vorliegen einer Gesetzesumgehung möglicherweise zu fordernden subjektiven Elemente gegeben sind. Als strengste subjektive Voraussetzung des Umgehungsbegriffs wäre die Umgehungsabsicht anzusehen, wobei diese Anforderung noch einmal verschärft werden kann, wenn es für das Bestehen einer strafrechtlichen Umgehungshandlung nur als folgerichtig empfunden wird, dass auch gerade eine Umgehung des Strafrechts angestrebt sein muss. Werden diese Maßstäbe an die strafbare Steuerumgehung angelegt, so müssen nun die beiden Akte, die nach den hier angestellten Überlegungen aus objektiver Sicht erst zusammen die strafbare Steuerumgehung bilden, in subjektiver Hinsicht betrachtet werden. Wie bereits erörtert ist der erste, noch straffreie Akt des Steuerpflichtigen in einer zivilrechtlichen Gestaltung zu erblicken, der gemäß § 42 AO die steuerliche Anerkennung versagt bleibt. Für diese Handlung war bereits dargelegt worden, dass sie nach Auffassung der h. M. mit Umgehungsabsicht erfolgen muss, wenn sie unter § 42 AO subsumierbar sein soll. Von dieser Umgehungsabsicht ist jedoch zu sagen, dass sie sich wohl nur in Ausnahmefällen auch auf die Umgehung von § 370 AO bezieht, denn dies würde voraussetzen, dass der Steuerpflichtige im Entscheidungszeitpunkt für eine bestimmte zivilrechtliche Konstruktion auch schon darauf abzielte, eine Steuerverkürzung im Sinne des § 370 AO zu vermeiden. Daran ist zwar zutreffend, dass das Nichtvorliegen einer Steuerverkürzung gemäß § 370 AO und das vom Täter angestrebte Ziel (die steuerrechtlich anerkannte Minderbelastung infolge der Gestaltungswahl) ein und dieselbe Tatsache sind, doch ist die Unterstellung einer von vornherein rechtsordnungsübergreifend355 begriffenen Umgehungstaktik im Regelfall wohl unbegründet, selbst wenn man den Einfallsreichtum der Täter gerade im Bereich des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts in Rechnung stellt. Erst wenn dem Steuerpflichtigen unterstellt würde, Steuern in jedem Fall sparen zu wollen und auf dieser Grundlage zwei Strategien verglichen werden (Steuervermeidung durch Steuerumgehung einerseits, Steuervermeidung durch einen offensichtlichen Fall der Steuerhinterziehung andererseits356), mag auch das Motiv der Strafvermeidung in den Vordergrund treten. Zutreffender ist es jedoch wohl, den Handlungssubjekten die 355

Mit „rechtsordnungsübergreifend“ ist hier gemeint, dass sich der Täter mit einer Umgehungshandlung sowohl steuerliche als auch strafrechtliche Vorteile verschaffen will. 356 Etwa, indem der Steuerpflichtige Einnahmen in seiner Einkommenssteuererklärung schlicht unterschlägt.

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Vorstellung von anderen Handlungsalternativen zu unterstellen, nämlich die Zahlung der fälligen Steuern einerseits und die Steuervermeidung durch Steuerumgehung andererseits. Bei diesem Vergleich tritt allein der Antrieb der Steuerersparnis hervor; das Ziel der Straflosigkeit wird dann nicht der entscheidende Anlass zur Wahl einer bestimmten zivilrechtlichen Gestaltung gewesen sein, weil die dritte Handlungsvariante, die vergleichsweise „plumpe“ Steuerhinterziehung, von vornherein nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wurde.357 Für den zweiten Akt der strafbaren Steuerumgehung, die Tathandlung nach § 370 I Nr. 1 AO bzw. § 370 I Nr. 2 AO, kann ein von Umgehungsabsicht getragenes Vorgehen keinesfalls angenommen werden: Wenn der Steuerpflichtige § 370 I AO mit dolus directus 1. Grades verwirklicht358, dann deshalb, weil es ihm bei der Angabe falschen oder unvollständigen Tatsachen (§ 370 I Nr. 1 AO) bzw. bei einem pflichtwidrigen Unterlassen (§ 370 I Nr. 2 AO) auf die Steuervermeidung ankommt. Durch dieses Verhalten kann er aber nicht zugleich die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung vermeiden wollen, er begeht die in § 370 AO beschriebene Handlung von finanziellen Beweggründen geleitet vielmehr trotz des Risikos, sich strafbar zu machen. Auch die Tatsache, dass sich die falschen Angaben gerade auf eine Umgehungshandlung i. S. v. § 42 AO beziehen, ändert an diesem von der Tatbestandsstruktur des § 370 AO vorgegebenen psychischen Faktum nichts: § 370 AO kann nicht in Umgehungsabsicht verwirklicht werden. Damit steht fest, dass die strafbare Steuerumgehung im Regelfall keine strafrechtliche Umgehungshandlung ist, wenn die Absicht zur Umgehung gerade strafrechtlicher Normen zum Begriffselement erhoben wird. Immerhin zeichnet sich die strafbare Steuerumgehung aber dadurch aus, dass sie überhaupt von einer Umgehungsabsicht, wenn auch bezogen auf das Steuerrecht, getragen wird. Sie kann daher wenigstens als „strafrechtlich relevante Umgehungshandlung“ bezeichnet werden. Wird für eine strafrechtliche Umgehungshandlung hingegen lediglich die subjektive Voraussetzung aufgestellt, dass das Täterverhalten von der Absicht getragen sein muss, einen von strafrechtlichen Vorschriften geschützten Regelungsbereich zu umgehen, so steht der Einordnung der Steuerhinterziehung in Verbindung mit dem Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO in den Umgehungszusammenhang jedenfalls insoweit nichts entgegen.

357

Es ist allerdings zuzugeben, dass diese These nur auf ihre hier behauptete psychologische Plausibilität bauen kann; sie könnte daher durch empirische Studien – auf die im Rahmen dieser Untersuchung verzichtet wurde – durchaus noch zu widerlegen sein. 358 Erforderlich ist in Abweichung von § 392 II RAO indes (in der Regel) nur dolus eventualis, Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 Rn. 238; v. Briel/Ehlscheid, § 1 Rn. 160; KleinGast-de Haan, § 370 Rn. 92.

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c) Zusammenfassung Die Einordnung der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 AO in den allgemeinen Umgehungszusammenhang unter Zugrundelegung der hier verfolgten „Arbeitsdefinition“ ist nur begrenzt möglich. Zum einen ergibt sich der strafrechtlich relevante Umgehungscharakter des Vorgehens des Steuerpflichtigen erst aus der Zusammenschau des Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO einerseits und der Tathandlung des § 370 AO (häufig eine Scheinhandlung!) andererseits. Weiterhin führte die hier für zutreffend erachtete stete Einforderung eines teleologischen Bezugs zur umgangenen Steuernorm bei der Anwendung des § 42 AO dazu, dass eine Verletzung der ratio legis durch die zivilrechtliche Ausgestaltung des wirtschaftlichen Vorgangs wohl nur bei Sozialzwecknormen als eindeutig bezeichnet werden kann, während dieser analogische Zusammenhang für Fiskalzwecknormen aufgrund des zutreffenderweise als positivistisch zu bezeichnenden Charakters des Steuerrechts zu Recht in Zweifel gezogen worden ist. Weitere Einschränkungen ergeben sich für die innere Tatseite, wenn es für Umgehungshandlungen im Strafrecht kennzeichnend sein sollte, dass der Täter gerade die Umgehung von Normen des Strafrechts anstrebt. Dies trifft für die strafbare Steuerumgehung nicht zu. Sollte es für den Umgehungsterminus hingegen hinreichend sein, dass der Täter wenigstens das von der Strafnorm in Bezug genommene Rechtsgebiet mit Absicht umgangen hat bzw. umgehen wollte, so kann die strafbare Steuerumgehung dem allgemeinen Umgehungsbegriff jedenfalls in Bezug auf die innere Tatseite ohne weiteres zugeordnet werden. 2. Das Zollstrafrecht Im Zusammenhang mit dem Überschreiten nationaler Grenzen – sei es über offizielle Grenzübergangsstellen359, sei es durch Schmuggel über die so genannte grüne Grenze360 – können eine Vielzahl von Straftaten begangen werden. Eine eigenständige Kodifikation des Zollstrafrechts besteht für die Bundesrepublik Deutschland nicht, die Delikte mit Bezug zum grenzüberschreitenden Warenverkehr sind über die verschiedensten Regelwerke verstreut.361 Dabei lässt sich eine grobe Einteilung in zwei große Kriminalitätsfelder durchführen; in die illegale Steuerver359

Diese Form der Zollhinterziehung klassifiziert Bender als „Intelligenzschmuggel“, Handbuch Müller-Gugenberger/Bieneck-Bender, § 45 Rn. 12 ff. 360 Die Zollhinterziehung durch Überschreiten der „grünen Grenze“ bezeichnet Bender (Handbuch Müller-Gugenberger/Bieneck-Bender, § 45 Rn. 7) als „klassischen Schmuggel“, welcher aber rückläufig sei: „Der Schmuggler in heutiger Zeit nimmt nicht mehr die Unbequemlichkeiten des Einschwärzens von Waren durch Wälder und Gebirge auf sich, sondern hinterzieht Einfuhrabgaben vom Schreibtisch aus; er ist der Typ des ’White collar criminal’, der den Finanzämtern bei der Hinterziehung von Besitz- und Verkehrssteuern seit jeher bekannt ist.“ 361 Janovsky, NStZ 1998, 117 ff.

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meidung zum einen362 und in Verstöße gegen gesetzliche Ein-, Aus- oder Durchfuhrverbote363 zum anderen.364 Die Detailliertheit und die „technische“ Natur der Zolltatbestände bieten den Zollpflichtigen dabei besondere Anreize dafür, belastenden (Besteuerungs-)Tatbeständen durch besondere Gestaltungen auszuweichen bzw. dieses zu unternehmen.365 Eine Sonderstellung nehmen dabei die zollrelevanten Marktordnungsregeln der EG ein, welche im höchsten Maße kriminogen sind, machten doch die Ausgaben für Ausfuhrerstattungen auf dem Agrarsektor z. B. im Jahr 2000 knapp 20 % des gesamten EG-Haushaltes aus.366 Der Europäische Rechnungshof hat die (nicht notwendig kriminellen) „Unregelmäßigkeiten“ bei Subventionen (bei einem Jahreshaushalt von über 100 Mrd. Euro) für das Jahr 2006 mit etwa 5 % , unter Einbeziehung der Dunkelziffer mit etwa 8 % angegeben.367 Die Ausfuhrerstattungen – auf die sich angesichts der gebotenen Anreize die kriminellen Interessen fokussieren368 – 362 Zölle (im einzelnen zusammengesetzt aus Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und Verbrauchsteuern) sind Abgaben im Sinne der Abgabenordnung, vgl. Dannecker, IWB 2004, 2087 (2090); Janovsky, NStZ 1998, 117 (118); daher ist die Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO auch eine der wichtigsten Strafvorschriften des Zollrechts, wobei insbesondere auf die Möglichkeit der strafbaren Hinterziehung von Eingangsabgaben anderer EG-Staaten und der EFTA-Staaten nach § 370 VI AO hinzuweisen ist. Darüber hinaus sind § 370a AO (gewerbsmäßige oder bandenmäßige Steuerhinterziehung), § 373 AO (gewerbsmäßiger, gewaltsamer und bandenmäßiger Schmuggel) sowie § 374 AO (Steuerhehlerei) für die illegale Steuervermeidung im grenzüberschreitenden Warenverkehr von Bedeutung. 363 Aus der Vielzahl der strafbewehrten Verbote seien hier die Bedeutsamsten genannt: Aus dem StGB die Ein- und Ausfuhr verfassungsfeindlicher Propaganda (§§ 86 ff, 130 StGB), die Einfuhr von Pornographie auf dem Wege des Versandhandels (§ 184 StGB), der Subventionsmissbrauch bei Ausfuhr aus der EU (§§ 264 I Nr. 1, StGB) die Ein- und Ausfuhr radioaktiver Stoffe (§ 328 StGB), aus dem Bundesnaturschutzgesetz das Einführen streng geschützter Arten (§ 66 II BNatSchG), aus dem Markengesetz die Einfuhr von Waren, die unerlaubt mit einem Zeichen versehen worden sind (§ 143 I S. 3 MarkenG) und aus dem Außenwirtschaftsgesetz die illegale Ausfuhr genehmigungspflichtiger Technologien und Waffen (§ 34 AWG). Nur wenn das Ein-, Aus- oder Durchfuhrverbot nicht selbst als Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt wird, kommt eine Strafbarkeit wegen Bannbruchs gemäß § 372 AO in Betracht. Der Hauptanwendungsbereich dieser Vorschrift liegt derzeit bei einem Verstoß gegen das Branntweinmonopolgesetz; Janovsky, NStZ 1998, 117 (119). Eine vollständige Übersicht über die derzeitigen Verbote und Beschränkungen für den grenzüberschreitenden Warenverkehr bietet z. B. das Handbuch Wabnitz/Janovsky-Wamers/Brandl, Kapitel 20 Rn. 248 ff. 364 Neben den im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Warenverkehr relevanten Straftatbeständen ist im internationalen Grenzverkehr die illegale Einreise bzw. das Einschleusen von Ausländern gemäß den §§ 95 ff. AufenthG unter Strafe gestellt. 365 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (152). 366 Handbuch Wabnitz/Janovsky-Brandl, Kapitel 20 Rn. 150. 367 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 130. 368 Zu anderen Erscheinungsformen der Zollstraftatbegehung mit europarechtlichem Einschlag, etwa im Zusammenhang mit Einfuhrabschöpfungen, EG-Sonderkontingenten, Karussellgeschäften, Phantasieprodukten, Warenmanipulationen etc. siehe Handbuch Wabnitz/ Janovsky-Brandl, Kapitel 20 Rn. 154 ff.; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (154 f.); Reisner, S. 25 ff.

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dienen dem Zweck, die Preisunterschiede zwischen Binnenmarkt und Drittlandsmarkt in dem Sinne auszugleichen, dass der Exporteur auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist.369 In Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit für erhaltene Ausfuhrerstattungen gemäß § 264 StGB370 gilt es, einen beträchtlichen Teil an Luft-, Umgehungs-, Schein- und wirtschaftlich unsinnigen Geschäften zu ermitteln.371 Für die Erfassung dieser Handlungen – insbesondere der Umgehungshandlungen – muss dabei das europäische Recht selbst Lösungsmöglichkeiten bereithalten, da nach h. M. die §§ 41, 42 AO, § 4 II SubVG wegen des Vorrangs des Europarechts keine Anwendung finden dürfen.372 Während Scheinhandlungen – etwa durch bloße Umdeklarierung – auch in der Vergangenheit keine Schwierigkeiten bereiteten373, tat sich der Europäische Gerichtshof mangels einer hinreichenden europäischen Umgehungsklausel schwer, durch Umgehung oder Erschleichung erwirkte Ausfuhrerstattungen bzw. die Nichtentrichtung von Abschöpfungsabgaben als rechtswidrig zu erfassen und damit die zolltarifliche Grundlage für eine Bestrafung nach §§ 263, 264 StGB, § 370 AO bereitzustellen.374 Diese gravierende Lücke für die Abwehr des Subventionsmissbrauchs durch Umgehung (bzw. Erschleichung) europäischer Wirtschaftsförderungsbestimmungen ist inzwischen durch Art. 4 III EG VO Nr. 2988/95 v. 18. Dezember 1995 geschlossen worden. Diese Vorschrift bestimmt, dass Handlungen, die nachgewiesenermaßen die Erlangung eines Vorteils, der den Zielsetzungen der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften zuwiderläuft, zum Ziel haben, indem die Voraussetzungen für die Erlangung dieses Vorteils geschaffen werden, zur Folge haben, dass der betreffende Vorteil nicht gewährt bzw. entzogen wird.375 Auch im sonstigen Zollstrafrecht werden zur Vermeidung der Zollpflichten in den meisten Fällen bloße Scheinhandlungen zur Täuschung der Zollbeamten vorgenommen, deren rechtliche Erfassung keine besonderen Schwierigkeiten bereitet. Die 369

Handbuch Wabnitz/Janovsky-Brandl, Kapitel 20 Rn. 153. Zu der Abgrenzung von § 370 AO vgl. LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 27 f. 371 Handbuch Wabnitz/Janovsky-Brandl, Kapitel 20 Rn. 154. 372 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (174) m. w. N. 373 So etwa im „griechischen Maisskandal“, als jugoslawischer Mais unter Mithilfe von griechischer Behörden zu griechischem umdeklariert wurde, um die Pflicht zur Zahlung von Einfuhrabschöpfungen zu vermeiden, EuGH Slg. 1989, 2965. 374 Im „Rohwurstfall“ (EuGH Slg. 1973, 975) z. B. entschied der EuGH, dass den von einer Tarifstelle des europäischen Rechts als Rohwurst „und andere“ deklarierten Produkten auch solche Würste unterfielen, die nur aus Schlachtabfällen und Fett bestehen und keinesfalls zum menschlichen Verzehr geeignet sind. Eine „gesunde und handelsübliche Qualität“ sei im Übrigen erreicht, wenn die „anderen“ Würste noch zu Seife verarbeitet werden können. Eine Analogie zu Lasten des Zollpflichtigen lehnt der EuGH jedenfalls für das Zolltarifrecht ab, EuGH Slg. 1981, 1931; siehe dazu auch ausführlich Reisner, S. 48 f., 52 f.; Vogel, MadridSymposium S. 151 ff. (175 ff.); Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 154; ders., NJW 1993, 23 (28). 375 Zu den Auswirkungen dieser Vorschrift auf die Erfassung von Umgehungshandlungen Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, aaO. 370

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Einordnung als Scheinhandlung ist ohne Weiteres einsichtig, wenn etwa zollpflichtige Waren in Kraftfahrzeugen versteckt werden und die Frage des Zollbeamten, ob er etwas zu verzollen habe, vom Täter verneint wird. Eine offenkundige Zollhinterziehung ist auch gegeben, wenn der Täter die Ware zwar gestellt, aber falsche Angaben über Menge, Beschaffenheit, Zollwert, etc. macht. Ersterer Sachverhalt ist charakteristisch für den Schmuggel im Reiseverkehr, der zuletzt genannte typisch für die (gewerbsmäßige) Zollhinterziehung im Importhandel.376 Schließlich können zollpflichtige Waren ohne falsche Erklärung direkt über die so genannte grüne Grenze geschmuggelt werden. Auch diese heimliche, gleichwohl aber augenscheinlichste Form der Zollvermeidung kann keinen rechtlichen Umgehungserfolg im Sinne mangelnder Subsumierbarkeit unter Steuerstrafgesetze nach sich ziehen: Entsprechend dem Zollstraßenzwang (§ 2 ZollVG) und der Beförderungsund Gestellungspflicht (Artt. 87, 92, 95 Zollkodex [„ZK“]) muss der Täter die Zollstraßen einhalten, die Ware unverzüglich zur Zollstelle befördern und dies der Zollstelle mitteilen. Durch Nichtbefolgung dieser Pflichten lässt der Täter die Zollbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis und verwirklicht § 370 I Nr. 2 AO, unter Umständen sogar § 373 II AO.377 a) Der „Ameisen“- und anderer Zigarettenschmuggel Wird der Zollperson hingegen ein Umstand verschwiegen, der sich nicht derart offensichtlich als eine steuerlich erhebliche Tatsache darstellt, so wird die Erfassungsmöglichkeit als Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit (in Hinblick auch auf Umgehungshandlungen) zweifelhafter und das Vorliegen einer erfolgreichen Umgehungshandlung rückt in den Bereich des Möglichen. Als Beispiel möge der so genannte Ameisenschmuggel378 von Zigaretten dienen, im Zuge dessen der Täter die Grenze mehrfach täglich unter Ausnutzung der in der Einreise-Freimengen-Verordnung (EF-VO)379 festgeschriebenen Höchstmenge passiert, um die so gehortete Ware schließlich weiterverkaufen zu können. Zeigt er die Zigaretten an der Kontrolle vor, verschweigt aber sowohl, dass er die Reise nach dem Überschreiten der Grenze nicht bis zum inländischen Wohnort fortgesetzt, sondern die Grenze unmittelbar darauf bereits wieder passieren wird bzw. schon 376

Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 Rn. 220c. Auch die infolge der zwischen der Europäischen Kommission und dem chinesischen Handelsministerium geschlossenen Vereinbarung über Einfuhrquoten für chinesische Textilartikel entwickelten Vermeidestrategien von Textilimporteuren sind überwiegend als Scheinhandlungen einzuordnen, da zumeist unzutreffende Angaben über Herkunft und Menge gemacht werden; vgl. hierzu Rogmann/Klötzer, AW-Prax 2006, 155 ff. 377 Handbuch Müller-Gugenberger/Bieneck-Bender, § 45 Rn. 20 f. 378 Siehe zu diesem Begriff Janovsky, NStZ 1998, 117 (118). 379 Verordnung über die Einfuhrabgabenfreiheit von Waren im persönlichen Gepäck der Reisenden vom 3. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3377), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 22. Dezember 2003 (BGBl. 2004 I S. 21).

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passiert hatte, als auch, dass er gewerbliche Ziele mit der Ware verfolgt, so kommt eine Strafbarkeit gemäß § 370 I Nr. 1 AO in Betracht. Hierfür müssten zunächst gegenüber der Zollbehörde unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht worden sein. Eine Angabe ist unrichtig, wenn die in ihr enthaltene Behauptung mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt.380 Die vom Einreisenden gemachten Angaben selbst entsprechen der Wahrheit, denn der Täter zeigt alle zu versteuernden Waren vor. Fraglich ist vielmehr, ob seine Aussage unvollständig war. Dabei wird man die Unvollständigkeit nicht daran messen dürfen, ob eine vollständige Angabe eine Besteuerung ermöglicht hätte, da so die Begrenzung auf bestimmte Erklärungspflichten in § 370 I Nr. 2 AO ausgehebelt würde. Vielmehr ist im Einzelfall zu ermitteln, ob der Erklärende im Widerspruch zur Wirklichkeit ausdrücklich oder konkludent mitbehauptet, er habe sämtliche erheblichen Umstände aus einem bestimmten Umkreis vollständig erklärt.381 Dabei kann für die Ermittlung der Unvollständigkeit auch auf die zum Betrug entwickelte Lehren zum Täuschungsbegriff zurückgegriffen werden. Eine unvollständige Aussage wird demnach dadurch unrichtig, dass Umstände unerwähnt bleiben, die nach der Verkehrsauffassung zu dem Gesamtinhalt der Aussage gehören; das Fehlen derartiger Umstände gilt als konkludent miterklärt.382 Unvollständigkeit der Angaben wäre hier demnach gegeben, wenn dem Vorzeigen der mitgeführten Zigaretten, Kaffee, Spirituosen, etc., der Benutzung des „grünen Ausgangs“ am Flughafenzollamt oder dem Durchfahren des Landstraßenzollamtes ohne Halt383 nicht nur der Erklärungsgehalt zukommt, keine einfuhrabgabepflichtige Ware bei sich zu führen, sondern auch, dass die Reise bis zum Wohnort fortgeführt werden und die Ware nur dem persönlichen Verbrauch zugute kommen solle. Ein derart weitgehender schlüssiger Erklärungswert ist dem Passieren der Zollstelle nicht beizumessen, denn von einem objektivierten Empfängerhorizont aus ergeben sich hierfür keine Anhaltspunkte aus dem Verhalten des Reisenden. Auch besteht keine ständige Übung an der Zollstelle dergestalt, dass dem bloßen Passieren der Zollstelle ein derart weit reichender Erklärungswert ohne Weiteres zuzuschreiben wäre. Mangels einer gesetzlichen Erklärungspflicht kommt im Zeitpunkt des Passierens der Zollstelle auch eine Strafbarkeit gemäß § 370 I Nr. 2 AO nicht in Betracht.384 380

Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 Rn. 129. Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 247; Franzen/Gast/Joecks-Joecks, aaO.; Hübschmann/Hepp/Spitaler-Hellmann, § 370 Rn. 81. 382 LK10-Lackner, § 263 Rn. 30; Tiedemann, Lackner-FS, S. 743 f. 383 Beispiele im Handbuch Müller-Gugenberger/Bieneck-Bender, § 45 Rn. 8. 384 Eine strafbewehrte Erklärungspflicht nach § 370 I Nr. 2 AO könnte sich schließlich aus der § 2 EF-VO zuwiderlaufenden, entgeltlichen Weitergabe der Waren nach Abschluss der Warenanhäufung ergeben, genauer aus Art. 109 ZK i. V. m. Art. 292 I S. 2 ZK-DVO (a.F.). Hiernach bedarf es einer schriftlichen Bewilligung der besonderen Verwendung (also hier des persönlichen, nicht-gewerblichen Gebrauchs), sofern letztere Voraussetzung für die abgabenfreie Einfuhr ist. Die Anwendbarkeit von Art. 292 I S. 2 ZK-DVO auf die Regeln für Reisefreimengen erscheint allerdings zweifelhaft. Zwar können auch die Tatbestände der europäischen Zollbefreiungsverordnung (Verordnung [EWG] Nr. 918/83 des Rates über das gemein381

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Da mithin weder das mehrfache Passieren der Grenze noch der Weiterverkauf der Ware eine Strafbarkeit nach § 370 AO auslöst, ist der Ameisenschmuggel insoweit eine Möglichkeit, das Zollstrafrecht zu umgehen. Allerdings wird sich der Täter häufig spätestens bei der Einkommensteuererklärung strafbar machen, wenn er die aus dem Verkauf der auf diese Art in den Bereich des Zollkodex gebrachten Ware erlangten Einnahmen verschweigt. Dazu kommt, dass der organisierte internationale Zigarettenschmuggel ohnehin auf ganz anderem Wege vor sich geht, da der Ameisenschmuggel sehr ineffizient ist.385 Dabei ist auch die für den Groß-Schmuggel verwendete, sogleich zu schildernde Methode für die organisiert handelnden Täter doppelt erfolgreich, denn sie erzielen mit den geschmuggelten Zigaretten nicht nur beträchtliche Gewinne, sondern scheinen – jedenfalls bzgl. des Schmuggels – nach dem geltenden Recht sogar straffrei zu bleiben. Zu ihrer Straffreiheit bedienen sich die Hintermänner der Schmuggler folgender Tatgestaltung386 : Die Zigaretten werden im Laderaum von LKW oder in einem Container hinter doppelten Wänden, in ausgefrästen Hohlräumen von Paletten, Kanthölzern oder auf ähnliche Weise versteckt und über die Grenze gebracht, ohne dass der für deren Gestellung notwendige ausdrückliche Hinweis auf die versteckten Zigaretten abgegeben wird. Vom Fahrzeugführer ist eine solche Erklärung auch nicht zu erwarten, denn entsprechend den Praktiken der organisierten Kriminalität ist er in die Zusammenhänge der Tat nicht eingeweiht; jedenfalls ist ihm der für § 370 AO erforderliche dolus eventualis in Hinblick auf das Vorhandensein von Zigaretten häufig nicht nachzuweisen. Durch die vorschriftswidrige Verbringung der Zigaretten in das Zollgebiet der Gemeinschaft ist eine Zollschuld nach Art. 46 ZK entstanden; die fehlende vorherige Festsetzung der Einfuhrabgaben führt zu einer Verwirklichung jedenfalls des objektiven Tatbestands von § 370 I Nr. 2 AO.387

schaftliche System der Zollbefreiungen vom 28. März 1983) – welche in der EF-VO integriert ist – grundsätzlich Gegenstand von Art. 109 ZK und damit der zollamtlichen Überwachung werden (Witte-Alexander, Art. 82 Rn. 11), doch erscheint dies gerade für die in Artt. 45 ff. ZollbefrVO/§ 2 EF-VO erfassten so genannten Reisemitbringsel einigermaßen absurd, da Sinn und Zweck von Artt. 45 ff. ZollbefreVO ja gerade ist, die Abfertigungen im modernen Massenverkehr zu erleichtern (Witte-Kampf, Anhang 1 Rn. 63). Dieses Argument findet eine gesetzlich Stütze darin, dass für Artt. 45 ff. ZollbefrVO im Gegensatz zu vielen anderen Zollbefreiungstatbeständen der ZollbefrVO keine ausdrückliche – und damit aufwendig zu überwachende – Zweckbindungsklausel vorgesehen ist. 385 Allein durch privaten und gelegentlichen Schmuggel ließe sich etwa nicht erklären, dass allein von 2004 bis 2006 etwa 1.568.000.000 Zigaretten geschmuggelt wurden, vgl. Die Bundeszollverwaltung, Jahresstatistik 2006, S. 13, http://www.zoll.de/e0_downloads/d0_ve roeffentlichungen/jahresstatistik_2006.pdf, 13. 3. 2007. Der Steuerschaden durch den Zigarettenschmuggel wurde allein 2004 auf mehr als 1. Mrd. Euro geschätzt, Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 125. 386 Fallschilderung nach Bender, wistra 2006, 41 (42). 387 Bender, wistra 2006, aaO.

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

Entscheidend ist nun, wen nach dem Zollkodex die Pflicht zur Gestellung betraf. Nach der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs388 verbringen diejenigen Personen Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft, „[…] die die Herrschaft über das Fahrzeug im Zeitpunkt der Verbringung haben, nämlich u. a. die Fahrer, und zwar derjenige, der das Fahrzeug lenkt, und sein Beifahrer oder Ersatzmann, sofern er sich im Fahrzeug befindet.“ Eine Minderheitsansicht interpretiert diese Entscheidung dahingehend, dass nur die in dem Lkw befindlichen Personen und damit nicht die Organisatoren und Profiteure der Tat gestellungspflichtig sind.389. Diese wiederum können nicht als Nebentäter bzw. mittelbare Täter zur Verantwortung gezogen werden, sofern mit der herrschenden Auffassung davon ausgegangen wird, dass § 370 I Nr. 2 AO als Sonderdelikt390 nur die Gestellungspflichtigen erfasst. Eine Teilnahmestrafbarkeit schließlich ist aufgrund der Akzessorietät der Teilnahme häufig ausgeschlossen, §§ 26, 27 StGB erfordern schließlich eine vorsätzliche Haupttatbegehung. Damit soll es für bestimmte Sachverhalte des internationalen Zigarettenschmuggels dazu kommen, dass alle Beteiligten jedenfalls von einer Vorsatzstrafbarkeit frei bleiben: Der Gestellungspflichtige selbst unterliegt einem Tatbestandsirrtum, die Strafbarkeit der Hintermänner wird durch die allgemeinen Beteiligungsregeln des Strafrechts gehemmt.391 Inzwischen hat indes der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Auslegung des „Verbringer“-Begriffs in Artt. 38, 40 ZK (a. F.) durch den Europäischen Gerichtshof auch die Hintermänner erfasst, denn „Herrschaft“ über das Kraftfahrzeug hätten neben dem Fahrer selbst auch die Hintermänner kraft ihrer Weisungsbefugnis.392 Nur mit der soeben skizzierten Minderheitsauffassung ist daher der Zigarettenschmuggel, der gutgläubige Transporteure ausnutzt, noch ein aus Tätersicht erfolgreicher Umgehungssachverhalt. Im Unterschied zur strafbaren Steuerumgehung im Allgemeinen ist der Ameisenschmuggel in subjektiver Hinsicht in der Regel wohl nicht von Umgehungsabsicht – auch von keiner Umgehungsabsicht bezüglich des Steuerrechts – getragen. Ziel des Täters ist es vielmehr, durch ein Scheinverhalten die für die über den Eigenbedarf hinausgehenden Zigarettenimporte vorgesehenen Abgabenzahlungen zu 388

Urteil vom 4. März 2004 in den Rechtssachen C-238/02 [Viluckas] und C-246/02 [Jonusas,] wistra 2004, 376 (378). 389 Bender, wistra 2004, 368 (370); Weidemann, wistra 2006, 45 f.; ders., ZfZ 2005, 354 ff.; so auch vor der EuGH-Entscheidung Kampf, ZfZ 2000, 392 ff. sowie Witte, AW-Prax 2000, 112. 390 BGH wistra 1987, 114; Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 Rn. 18; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 14, 97; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 108, a. A. Bender, wistra 2004, 368 ff. 391 Bender, wistra 2004, aaO. (anders nun ders., wistra 2006, 41 [44] m. w. N.); Weidemann, wistra 2006, aaO.; ders., ZfZ 2005, aaO. 392 Beschluss v. 1. 2. 2007, ZfZ 2007, 187 (189) mit zustimmender Anmerkung von Jatzke, ZfZ 2007, 191 f.; ebenso zuvor bereits BFH v. 7. 5. 2002 ZfZ 2002, 309; ZfZ 1999, 379; FG Düsseldorf v. 6. 4. 2001 ZfZ 2001, 245 sowie Kerath, ZfZ 2001, 355 ff.

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vermeiden. Die strafrechtliche Umgehungswirkung dieser Vorgehensweise ist dabei ein sicher willkommener Nebeneffekt, handlungsleitend ist er hingegen nicht. Ob der Ameisenschmuggel daher der Problematik der Gesetzesumgehung zuzuordnen sein wird, hängt wie schon etliche Beispiele zuvor davon ab, ob es der Umgehungshandlung im Strafrecht wesenseigen ist, von Umgehungsabsicht getragen zu sein.393 b) Der Kaviarfall Sowohl der Fall des Ameisenschmuggels als auch des organisierten Zigarettenschmuggels zeigen, dass durch die unterschiedliche Bewertung der Reichweite der Gestellungspflicht sowie ihrer Einordnung in § 370 AO (konkludente Täuschung gemäß § 370 I Nr. 1 AO oder pflichtwidriges Unterlassen nach § 370 I Nr. 2 AO?) ein und dasselbe kriminelle Verhalten zu „Freispruch oder Zuchthaus“394 führen kann. Dies zeigt sich auch für den berühmten, vom Reichsgericht entschiedenen KaviarFall395, der in einer Untersuchung zu Umgehungen im Strafrecht nicht fehlen darf. Ein Kaufmann importierte Anfang der dreißiger Jahre Kaviar nach Deutschland. Nach dem Zolltarif von 1932 war der Zoll nach dem Gewicht von Inhalt und Verpackung gestaffelt. Dahinter stand das Verständnis, dass besonders hochwertiger Kaviar in kleinen Mengen eingeführt zu werden pflegte; er sollte also mit einer Form des Luxuszolls belastet werden.396 Neben einer vergleichsweise plumpen Form der Zollhinterziehung qua Scheinhandlung (Verstecken der Kaviardosen in Fässern) hielt es das Reichsgericht im Kaviarfall auch für möglich, dass der Kaufmann den „Dosenkaviar“ kurz vor der Grenze in Fässer umgefüllt hatte und ihn damit zu scheinbar minderwertigem und niedriger besteuertem „Fasskaviar“ gemacht hatte. Das Reichsgericht hielt auch für letztere Variante eine Verurteilung wegen Zollhinterziehung für zulässig, weil der Täter den wirtschaftlichen Zweck des Zolltarifs durch das Umpacken der Ware unmittelbar vor Passieren der Grenze in einer Weise 393 Anders sind die Beweggründe für das Verhalten der Hintermänner des organisierten Zigarettenschmuggels zu bewerten. Hier liegt es nahe, dass die Vermeidung eigenhändiger Schmuggelhandlungen von der Absicht getragen ist, das eigene Strafbarkeitsrisiko zu minimieren. Allerdings legen es die Organisatoren wohl eher darauf an, allein die den Fahrzeugführern drohende Bestrafung zu vermeiden, die für den Fall einer erfolgreichen Grenzkontrolle des Lkw drohen kann, um das Schmuggelgut nicht zu gefährden. Umgehungscharakter hat das Passieren der Grenze ohne Gestellung der im Fahrzeug versteckten Zigaretten indes nicht. Es liegt vielmehr eine Scheinhandlung vor. Die Organisatoren des Zigarettenschmuggels handeln mithin zwar in Strafvermeidungsabsicht, nicht aber mit Umgehungsabsicht. Auch der organisierte Zigarettenschmuggel in der soeben geschilderten Form ist daher nur dann als strafrechtliche Umgehungshandlung zu qualifizieren, wenn die Umgehungsabsicht nicht als Begriffsmerkmal der Gesetzesumgehung anzusehen sein sollte. 394 So die drastische Formulierung von Bender, wistra 2006, 41 (45), der hierbei allerdings eher Bezug auf die zusätzliche Komplizierung der Zoll(straf)rechtsmaterie durch das sekundäre Gemeinschaftsrecht nimmt. 395 RGSt 71, 135. 396 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 138; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (152).

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

zu vereiteln suchte, die jedem Handelsbrauch zuwider war.397 Vor allem aber konnte sich das Reichsgericht für eine Verurteilung des Kaufmanns trotz dessen scheinbarer Einhaltung der Zolltarifsregeln auf § 1 VIII der ZollsicherungsVO des Hamburgischen Freihafenamts vom 20. 7. 1927 stützen, wonach „das […] Umpacken von Waren zum Zwecke der Zollersparnis bei der Einfuhr […] und das nicht handelsübliche, auf Täuschung berechnete Herrichten von Waren zum Zwecke des Schmuggels bei der Einfuhr“ untersagt war. Diese Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 369 IV RAO zu sehen, wonach die Steuerhinterziehung in Form der Steuerumgehung strafbar war, wenn der Täter vorsätzlich Pflichten verletzte, die ihm im Interesse der Steuerpflicht oblagen.398 3. Die Subventionserschleichung Eine zu der Steuerhinterziehung durch Umgehung parallele Problematik besteht für den Subventionsbetrug gemäß § 264 I StGB, wenn dieser mit Umgehungshandlungen – genauer: mit Erschleichungshandlungen399 – im vorgelagerten Wirtschaftsverwaltungsrecht verbunden ist. a) Voraussetzungen der Strafbarkeit wegen Subventionsbetrugs in Verbindung mit dem Vorliegen einer Subventionserschleichung Ähnlich § 370 I AO bestraft § 264 I StGB die Angabe unrichtiger oder unvollständiger Tatsachen (§ 264 I Nr. 1 StGB) bzw. das pflichtwidrige Unterlassen von Angaben (§ 264 I Nr. 3 StGB), jeweils in Bezug auf subventionserhebliche Tatsachen. Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit wegen Subventionsbetrugs in Verbindung mit dem Umgehungsgedanken ist insbesondere die Unterlassungsvariante gemäß § 264 I Nr. 3 StGB, die an die Rechtsmissbrauchsklausel des § 4 II SubvG anknüpfen kann.400 § 4 II SubvG, der § 42 AO nachempfunden ist401, bestimmt, dass durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten die Bewilligung oder die Gewährung von Subventionen oder Subventionsvorteilen ausgeschlossen ist.402 397

RGSt 71, 135 (136). Beide Vorschriften zitiert nach Vogel, Madrid-Symposium, aaO.; demgegenüber meint Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 140, dass eine Verurteilung nur deshalb erfolgen konnte, weil zur Tatzeit (das Urteil erfolgte am 18. 3. 1937) das Analogieverbot vom NS-Gesetzgeber aufgehoben war. 399 LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 111. 400 MüKo-StGB-Wohlers, § 264 Rn. 86; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 264 Rn. 53. Zur Strafbarkeit von Subventionserschleichungen vor Schaffung des § 264 StGB und § 4 II SubvG allgemein Nippoldt, passim und Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 337. 401 LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 102, 108 f., 112. 402 Für den Bereich der EG- und Euratom-Subventionen gilt seit 1995 die wiederum § 264 StGB nachempfundene entsprechende Vorschrift des Art. 4 III EG-VO Nr. 2988/95, um dem erheblichen Ausmaß der kriminellen Subventionsunregelmäßigkeiten des im hohen Maße kriminogenen EU-Subventionsrecht Herr zu werden; siehe hierzu bereits B. II. 2. (Das Zoll398

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Ausweislich der § 4 II S. 2 und S. 3 SubvG soll für das Verdikt des Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten namentlich die künstliche Schaffung der förmlichen Subventionsvoraussetzungen ausschlaggebend sein, welche dem Subventionszweck zuwiderläuft. Dabei muss der Subventionszweck nicht identisch mit den Vergabebestimmungen sein.403 Die begriffliche Konkretisierung der „unangemessenen Gestaltung“ nach § 4 II S. 2 SubvG ist grundsätzlich nach den schon für § 42 AO umschriebenen Merkmalen vorzunehmen404 und ist damit auch den gleichen Unbestimmtheitsvorwürfen ausgesetzt. Präziser ist § 4 II SubvG allerdings insoweit, als – wie soeben erwähnt – durch die Wahl der Gestaltung schon nach dem Gesetzeswortlaut stets eine Verletzung des Subventionszwecks festzustellen ist405 und die „künstliche“ Schaffung der formellen Voraussetzungen einer Subvention in einer dem Subventionszweck widersprechenden Weise als wesentliches Merkmal der Unangemessenheit hervorgehoben wird. Im Gegensatz zu § 42 AO sind als tatbestandsmäßige Handlungen ausdrücklich sowohl die Vornahme eines Rechtsgeschäfts als auch einer Handlung vorgesehen.406 § 4 II SubvG erhält also für diejenigen Fälle Bedeutung, in denen die einschlägigen Vergabevoraussetzungen formal zwar erfüllt sind, die Gewährung der Subvention aber dem Sinn und Zweck derselben nicht entspricht.407 Der entsprechend § 42 AO analogieähnliche Charakter des § 4 II SubvG ergibt sich daraus, dass die Versagung der Subvention trotz der eindeutig formal erfüllten Voraussetzungen durch die Anordnung einer weitreichenden teleologischen Einschränkung bewirkt werden soll.408 Nach der herrschenden Meinung indessen ist in § 4 II SubvG wohl nicht mehr zu sehen als eine deklaratorische Hilfestellung für die Behörden und Gerichte bei der Auslegung der Subventionstatbestände. Diese Auffassung beruht auf der Vorstellung, eine Verletzung gesetzlicher Bestimmtheitsvorschriften könne nur durch die Überschreitung des Wortlauts zustande kommen; eine „Unterschreitung“ sei hingegen nicht möglich.409 Das ist insofern unzutreffend, als es auch für strafrecht). Eingehend (und kritisch) zu Art. 4 III EG-VO Nr. 2988/95 Dannecker, ZStW 108 (1996), 577 ff. (604 ff.); zur Entwurfsfassung Reisner, S. 303 ff. 403 BVerwG NJW 1996, 1766 (1767); Wendt/Elicker, RIW 2006, 372 ff. (374). 404 LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 112; Wendt/Elicker, RIW 2006, 372 ff. (374 f.). 405 Kritisch dagegen LK11-Tiedemann, aaO., weil die unscharfen Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 II SubvG durch die Verbindung mit der Zweckverfehlung an Kontur kaum gewönnen, weil und soweit der Subventionszweck nicht oder nur schwierig zu ermitteln ist. 406 Allerdings wird von § 42 AO wohl auch tatsächliches Verhalten erfasst; vgl. KleinBrockmeyer, § 42 Rn. 11, 61. 407 MüKo-StGB-Wohlers, § 264 Rn. 86. 408 Von mehr also nur Analogieähnlichkeit des § 4 II SubvG gehen Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (164 f.); Nippoldt, S. 59 ff.; Canaris, S. 22, 83 f.; Reisner, S. 88 f.; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 187 und Nippoldt, aaO. aus. Ebenso wohl auch Pohl, Rn. 987 ff. Aufgrund der gesetzlichen Anordnung der Einschränkung kann streng genommen aber nicht mehr von Gegenanalogie gesprochen werden. 409 So der Sache nach für die so genannten „Investitionszulagenfälle“ BGHSt 32, 256 (in der Entscheidung unterscheidet der Bundesgerichtshof zwar zwischen Auslegung einerseits und

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begünstigende Tatbestände ohne weiteres möglich ist, eine Auslegung zu betreiben, deren auf die Einschränkung des Tatbestandsmerkmale zielende Stoßrichtung nicht mehr vom Wortlaut gedeckt ist, weil sich das Ergebnis in keiner der möglichen Verständnismöglichkeiten des betreffenden Wortes mehr wieder findet, der Ausschlussgrund sich also in der Norm nicht mit der notwendigen Deutlichkeit wiederfindet.410 Deshalb ist die Vorschrift ebenso wie bereits für § 42 AO erörtert auch keine bloße Positivierung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise mittels des fingierten „Durchgriffs“ auf den „vernünftigen“ Sachverhalt.411 Da die Einschränkung der Subventionstatbestände durch § 4 II SubvG jedoch gesetzlich angeordnet wird, ist für diese Konstellation aus strafrechtlicher Sicht nicht ein Verstoß gegen das Analogieverbot, sondern allenfalls gegen das Bestimmtheitsgebot zu bedenken. Die in noch viel größerer Zahl auftretenden Scheingeschäfte und Scheinhandlungen bei dem Versuch, in den Genuss von Subventionen zu gelangen, werden dagegen durch den – ohnehin nur deklaratorischen412 – Abs. 1 des § 4 SubvG entsprechend § 117 BGB, § 41 AO II für unerheblich erklärt. Voraussetzung für eine Strafbarkeit der Subventionserschleichung ist freilich stets, dass die für die Entscheidung über die Subventionsbewilligung relevanten Teile des Sachverhalts – also insbesondere die gewählte Gestaltung – nicht mitgeteilt werden. Eine solche Offenlegungspflicht ergibt sich aus § 3 SubvG, wonach der Subventionsnehmer verpflichtet ist, dem Subventionsgeber unverzüglich alle Tatsachen mitzuteilen, die der Bewilligung, Gewährung, Weitergewährung, Inanspruchnahme oder dem Belassen der Subvention entgegen stehen. Werden vom Antragsteller die Tatsachen offen gelegt, welche der zuständigen Behörde die Einordnung des Vorgangs als missbräuchlich ermöglichen, kann eine Strafbarkeit nach § 264 I Nr. 3 StGB – ebenso wie für die Parallelkonstellation im Rahmen des § 370 AO – nicht eintreten.413 Für Sachverhalte, in denen zwar ein Subventionsbegehren unzulässig erscheint, die teleologische Reduktion der normativen Anspruchsvoraussetzungen aber an ihre Grenzen stößt, kann also erst durch die Klausel des § 4 II SubvG eine Strafbarkeit gemäß § 264 I Nr. 3 StGB herbeigeführt werden, ohne dessen zusätzliche Voraussetzungen der falschen oder unterlassenen Angaben die auf die missbräuchliche Subventionsinanspruchnahme ausgerichtete Gestaltung allein wiederum nicht strafbar wäre.

der Anwendung von Umgehungsklauseln andererseits, legt den Begriff der Bestellung aber gleichwohl bedenklich weit aus, BGHSt 32, 256 [260]); Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 56; Bruns, aaO., für das Zivilrecht vgl. Teichmann, S. 48 f.; Benecke, S. 34 ff. 410 Tiedemann, Dünnebier-FS, S. 519 ff. (533); ders., in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 2; Pohl, Rn. 805 ff., 987 ff.; Westerhoff, S. 66. 411 So aber Bruns, GA 1986, 1 ff. (26 f.). 412 LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 103. 413 LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 118; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 264 Rn. 46; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (172).

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Wie bei § 42 AO ist auch für § 4 II SubvG nicht unumstritten, ob die Vorschrift erst bei Bestehen von Umgehungsabsicht zur Anwendung kommen darf.414 Der Wortlaut von § 4 II S. 2 SubvG ist jedoch wenig zweideutig: „Ein Missbrauch liegt vor, wenn jemand eine […] unangemessene Gestaltungsmöglichkeit benutzt, um eine Subvention […] für sich […] in Anspruch zu nehmen oder zu nutzen, obwohl dies dem Subventionszweck widerspricht. § 4 II SubvG verlangt mithin Umgehungsabsicht im technischen Sinne, nach strafrechtlichen Definitionsmaßstäben also dolus directus 1. Grades. b) Die strafbare Subventionserschleichung als strafrechtliche Umgehungshandlung Zunächst ist für die strafbare Subventionserschleichung festzuhalten, dass die besondere Eigenschaft des Täterverhaltens, nicht dem Wirkungsbereich einer Norm auszuweichen, sondern in den Tatbestand einer gewährenden Vorschrift zu gelangen, dem Umgehungscharakter des Verhaltens insgesamt nicht von vornherein entgegensteht. Schon im Rahmen der Untersuchungen zur Notwehrprovokation war dargelegt worden, dass die gerade normbezogenen Schwierigkeiten der Erfassung einerseits und die strafrechtlich relevante Folge dieser Verhaltensweisen andererseits, nämlich die möglicherweise der ratio legis widersprechende Straffreiheit des Tätervorgehens, Umgehungs- und Erschleichungsverhalten gleichermaßen kennzeichnet.415 Deshalb ist auch die Subventionserschleichung ein für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit generell bedeutsamer Problemkreis. Wie auch für die Frage nach den Tatbestandsvoraussetzungen der strafbaren Subventionserschleichung kann auch für ihre Einordnung in den allgemeinen Umgehungszusammenhang im Übrigen auf die Ausführungen zur Umgehungsrelevanz der strafbaren Steuerumgehung nach §§ 370, 42 I AO zurückgegriffen werden. Bei diesem Vergleich ergeben sich sowohl gewichtige Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen den beiden Problemstellungen. So zeichnet beide Konstellationen gleichermaßen aus, dass sie nur in der Zusammenschau zweier Teilakte als Umgehungshandlung bzw. als Erschleichungshandlung im Strafrecht qualifiziert werden können. Für § 264 StGB i. V. m. § 4 II SubvG gilt, was schon §§ 370, 42 I AO in entsprechender Weise betroffen hatte: Die von der strafbaren Handlung gemäß § 264 StGB zu trennende rechtliche oder tatsächlich unangemessene, zweckwidrige Gestaltung mag zwar Umgehungscharakter (genauer: Erschleichungscharakter) besitzen, strafbar ist sie für sich genommen keinesfalls. Die unterlassene Aufklärung gemäß § 264 I Nr. 3 StGB hingegen zeichnet sich weder durch typische Umgehungs- oder Erschleichungsmuster aus. 414 Für die Voraussetzung dolus directus 1. Grades Wendt/Elicker, RIW 2006, 372 ff. (375); Hübschmann/Hepp/Spitaler-Fischer, § 42 Rn. 106; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (172 f.); Spoerr, WiB 1996, 655 (656); lediglich dolus directus 2. Grades halten Schönke/ Schröder-Lenckner/Perron, § 264 Rn. 45 und LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 118 für erforderlich. 415 Siehe B. I. 2. a) aa) (2).

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Erst die Gesamtbetrachtung der durch § 4 II SubvG entgegengetretenen rechtsmissbräuchlichen Gestaltung und der in § 264 I Nr. 3 StGB unter Strafe gestellten unterbliebenen Aufklärung hierüber ergeben eine strafrechtlich relevante Erschleichungshandlung. Eine strafbefreiende Erschleichung im engeren Sinne hat dagegen nicht stattgefunden, da weder § 264 I Nr. 3 noch § 4 II SubvG direkt strafausschließend wirken bzw. strafbefreiend wirken müssten, wie dies etwa für § 32 II StGB und die Erschleichung seiner Voraussetzungen der Fall ist. Gemeinsam ist beiden Fallgestaltungen auch die nur beschränkte Strafrechtsbezogenheit der Umgehungsabsicht bzw. Erschleichungsabsicht, sofern diese – wie hier vertreten – überhaupt zur tatbestandlichen Voraussetzung von § 42 AO und § 4 II SubvG gemacht wird: Auch für die von § 4 II SubvG ins Auge gefasste rechtliche oder faktische Gestaltung ist zu unterstellen, dass das Motiv des Subventionsnehmers für die konkrete Gestaltung die finanzielle Vorteilsgewährung ist und nicht die mögliche strafrechtliche Privilegierung gegenüber anderen Subventionsnehmern in Hinblick auf § 264 StGB dadurch, dass die Subventionserschleichung Erfolg hat. Der zweite Teilakt der strafbaren Subventionserschleichung, die Verwirklichung von § 264 I Nr. 3 StGB, erfolgt – ebenso wie die Verwirklichung von § 370 AO – gerade zur Absicherung der durch die Erschleichungshandlung im wirtschaftsrechtlichen Vorfeld der Strafnorm angestrebten Vorteile trotz der damit verbundenen Gefahr, sich bei fehlender Anerkennung der zivilrechtlichen bzw. faktischen Gestaltung (etwa, weil § 4 II SubvG zur Anwendung kommt) strafbar zu machen. Damit zeigt sich, dass der Täter einer strafbaren Subventionserschleichung aufgrund der vorgegebenen tatbestandlichen Strukturen des Zusammenwirkens von § 264 StGB und § 4 II SubvG nicht zugleich die Erschleichung des subventionsrechtlichen Vorteils und die Strafbarkeitsvermeidung zum Ziel seines Handelns machen kann. Wie auch für die strafbare Steuerumgehung ist die strafbare Subventionserschleichung allenfalls von einer strafrechtlich relevanten Erschleichungsabsicht gekennzeichnet, nicht aber von Absicht zur Erschleichung einer Vorschrift gerade zur Strafvermeidung. Ein erheblicher Unterschied, was die Umgehungscharakteristik der beiden Fallgestaltungen betrifft, ergibt sich allerdings in Hinblick auf die Feststellbarkeit einer teleologischen Lücke, wie sie nach der in dieser Untersuchung zugrunde gelegten Arbeitsdefinition stets Voraussetzung für das Bestehen einer Umgehungshandlung ist. Während für § 42 AO die These, ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts setzte wie jede Umgehungshandlung stets einen Verstoß gegen die ratio legis der vermiedenen Norm bzw. des Normenkreises voraus, noch auf eine umfassende teleologische Auslegung des § 42 AO selbst angewiesen war und ohnehin keineswegs allgemeine Anschauung ist, ist diese These für die Subventionserschleichung geschriebene Voraussetzung: Gemäß § 4 II S. 2 SubvG muss die für die angestrebte Subvention benutzte unangemessene Gestaltungsmöglichkeit dem Subventionszweck widersprechen. Die Ermittlung einer solchen teleologischen Lücke selbst ist jedenfalls dem Grundsatz nach für § 4 II SubvG ebenfalls vor deutlich geringere Schwierigkeiten

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gestellt als es für die Fiskalzwecktatbestände des Steuerrechts der Fall war, denn das Subventionsrecht ist primär ein Recht der wirtschaftspolitischen Verhaltenslenkung.416 Subventionen sollen gestalten; erhält der Subventionsnehmer Mittel trotz Vereitelung eines solchen Gestaltungserfolgs, ist der Subventionszweck selbst vereitelt. Dabei soll natürlich nicht behauptet werden, dass die Bestimmung des Subventionszwecks im Einzelfall nicht mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein kann. So darf etwa nicht übersehen werden, dass der konkrete Endzweck der Subventionsgewährung nicht identisch mit dem Gesamtinhalt der – oft aus verschiedenen Rechtsquellen schöpfenden und daher z. T. in sich widersprüchlichen – Vergabevoraussetzungen sein muss.417 Auch ist ein Gebot der „optimalen“ Subventionsförderung abzulehnen; so hat etwa das Bundesverwaltungsgericht einen Missbrauch des Subventionsrechts zu Recht abgelehnt, weil der konkrete Mitteleinsatz in Hinblick auf den Subventionszweck nicht gänzlich untauglich gewesen sei.418 Auch ist zuzugeben, dass eine Ermittlung des Subventionszwecks ohnehin nur für die so genannten Kultursubventionen möglich ist, während dies für die meisten Sozialsubventionen ungleich schwieriger ist.419 Es ist daher zutreffend, wenn in der Literatur schon seit Längerem die Feststellung eines „eindeutigen“ Missbrauchs gefordert wird.420 Gleichwohl besteht insofern ein kategorischer Unterschied zu den im Zusammenhang mit § 42 AO diskutierten Fiskalzwecknormen, da für die Subventionsproblematik im Fall unangemessener Gestaltung eine Zweckverfehlung der einzelnen Tatbestände wenigstens überhaupt feststellbar ist. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich die strafbare Subventionserschleichung jedenfalls nach dem hier verwendeten Arbeitskriterium der „teleologischen Lücke“ grundsätzlich in den allgemeinen Umgehungsbegriff eingliedern lässt, sofern § 264 I Nr. 3 StGB und § 4 II SubvG als objektive Sinneinheit aufgefasst werden. Einschränkend ist jedoch zu bemerken, dass auch die strafbare Subventionserschleichung nicht als Umgehungshandlung bezeichnet werden kann, wenn aus subjektiver Sicht hierfür stets die Umgehungs- bzw. Erschleichungsabsicht gerade in Bezug auf die Vermeidung des Strafrechts zur Voraussetzung gemacht werden sollte.

416 Die Zweckhaftigkeit des Subventionswesens ergibt sich schon aus dem überkommenen nationalen Subventionsbegriff: „Subventionen sind finanzielle Zuwendungen oder geldwerte Vorteile des Staates oder eines anderen Verwaltungsträgers für Private zu Förderung eines im öffentlichen Interesse liegenden Zwecks ohne marktmäßige Gegenleistung“; BVerfGE 17, 210 (216); Achterberg/Püttner/Würtenberger-Schmidt, § 1 Rn. 149; Wendt/Elicker, RIW 2006, 372 ff. (374). 417 BVerwG NJW 1996, 1766 (1767); Spoerr, WiB 1996, 655 ff. (656); Wendt/Elicker, aaO. 418 BVerwG vom 23. 4. 2003 – 3 C 25/02, Rn. 24; dazu Wendt/Elicker, aaO. 419 LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 13. 420 Tiedemann, NJW 1980, 1557 ff. (1560); LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 116, allerdings auch in Hinblick auf die Unschärfe der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 II SubvG.

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c) Subventionserschleichungen im Zusammenhang mit dem Investitionszulagengesetz Eine anschauliche Verdichtung der bisher geschilderten rechtlichen Schwierigkeiten bei der strafrechtlichen Behandlung von Subventionserschleichungen liefert die Diskussion um Straftaten im Zusammenhang mit dem Investitionszulagengesetz (InvZulG)421. In seinem Begünstigungstatbestand § 4a (später § 4b) sah das Gesetz Investitionszulagen für abnutzbare Güter i. H. v. 7, 5 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten für den Zeitraum vom 1. 12. 1974 bis zum 30. 6. 1975 vor. Genereller Zweck des Gesetzes war es, einer konjunkturellen Baisse entgegenzuwirken.422 Dass die Ausgestaltung der Vorteilsgewährung im InvZulG im höchsten Maße kriminogen wirken musste423, zeigte sich alsbald, denn viele Subventionsbewerber wurden durch den zeitlichen Rahmen dazu motiviert, ihre kurz vor Beginn des Begünstigungszeitraumes abgeschlossenen Kaufverträge etwa über ein neues Kraftfahrzeug aufzuheben und neu abzuschließen, um in den Genuss der begehrten Zulage zu kommen. Diese Rechtsgeschäfte waren in der Regel ernstlich gewollt.424 Die Möglichkeit zu diesem Kunstgriff wurde den Subventionsnehmern durch die Abfassung des InvZulG eröffnet, welches lediglich darauf abstellte, dass „[…] die Wirtschaftsgüter nachweislich nach dem 30. November 1974 und vor dem 1. Juli 1975 vom Steuerpflichtigen bestellt worden sind […]“. Weil Auflösung und Neuabschluss bei Beantragung der Investitionszulage aber verschwiegen wurden, sah der Bundesgerichtshof in einer Verurteilung wegen Betruges gemäß § 263 StGB das richtige Ergebnis.425 Ratio des InvZulG sei nur der zusätzliche426 wirtschaftsfördernde Effekt im Zeitraum der Zulagenbewilligung, deshalb war nach Auffassung des Bundesgerichtshofs der Begriff der „Bestellung“ im Sinne einer teleologischen Reduktion dahingehend auszulegen, dass er nur die „Erstbestellung“ erfasst.427 Der Begriff der Bestellung wird hier also vom Bundesgerichtshof nicht zivilrechtsakzessorisch im Sinne des letztendlich obligatorischen Vertragsschlusses ausgelegt, sondern wirtschaftlich-faktisch als „Entschluss“ zu einer Investition.428 Weil sich die Angaben des Subventionsbewerbers aber nicht auf die so für ausschlaggebend erachtete „Erstbestellung“ bezogen, habe eine Täuschung i. S. d. § 263 StGB stattgefunden.429 421

InvZulG in der Fassung v. 24. 2. 1975, BGBl. I 528 ff. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 149. 423 Tiedemann, aaO. 424 Reisner, S. 123. 425 Beschluss v. 7. 2. 1984. Die Tat wurde im Februar 1976 begangen und damit vor der Schaffung des § 264 StGB am 29. 7. 1976 durch das 1. WiKG, BGBl. I 2034 (Inkrafttreten am 1. 9. 1976). Deshalb war allein § 263 StGB einschlägig. 426 Hervorhebung bereits im Original. 427 BGHSt 32, 256 (259). 428 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (153). 429 BGHSt 32, 256 (260). Zu einer Strafbarkeit gemäß §§ 263, 264 im Zusammenhang mit Angaben das InvZulG betreffend gelangten auch BGHSt 31, 94; OLG Koblenz JZ 1980, 736; 422

II. Der Besondere Teil inklusive des so genannten Nebenstrafrechts

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Gegen diese Entscheidung wurde zum einen hervorgebracht, in dieser Eindeutigkeit lasse sich der Subventionszweck des InvZulG auf zusätzliche Effekte nicht beschränken, was zugleich einer teleologischen Reduktion des Bestellungsbegriffs den Boden entzöge.430 Mangels eindeutigen Subventionszwecks gelte mittlerweile gleiches auch für die Feststellung eines Missbrauchs i. S. d. § 4 II SubvG.431 Zum anderen ergebe die nähere Betrachtung, dass die vorgenommene Restriktion sogar den „Begriffskern“ des § 4b InvZulG einengt, da die Verengung der Bedeutung des Begriffs „Bestellung“ auf „Erstbestellung“ keine zulässige Auslegung, sondern bereits eine „Gegenanalogie“ darstelle, die wie die eigentliche Analogie durch Art. 103 II GG verboten werde.432 § 4b InvZulG enthalte mithin eine „verdeckte Regelungslücke“, deren Schließung im Wege der Auslegung dem Rechtsanwender untersagt ist.433 Eine Entschärfung der Problematik hat inzwischen insoweit stattgefunden, als in der Neufassung des InvZulG von 1993 zunehmend Begriffe Verwendung finden, die einer „wirtschaftlich faktischen Auslegung“434 zugänglicher sind als der Begriff der „Bestellung“. So wird in § 6 auf den „Abschluss“ von Investitionen oder die „Leistung“ von Anzahlungen abgestellt.435 Auch das InvZulG 2007436 stellt für die Festlegung des Investitionszeitraums in § 3 nicht auf zivilrechtsakzessorische Begriffe ab, sondern darauf, dass ein „Erstinvestitionsvorhaben […] begonnen hat […].“ Die Verwendung faktisch-deskripiver Begriffe ersetzt so die Notwendigkeit zur faktischen Auslegung bzw. zum Rückgriff auf Umgehungsklauseln wie etwa § 4 II SubvG, die – wie gesehen – rechtstheoretischen und verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sind.

OLG Frankfurt JZ 1982, 477; BayObLG NStZ 1983, 128; zustimmend Ranft, NJW 1986, 3163 (3167 ff.) Findeisen, JR 1981, 225 ff.; Schmidt-Hieber/Küster, FR 1979, 426 ff. 430 Tiedemann, NJW 1990, 1557 ff. (1559); AG Ingolstadt, Urteil v. 29. 11. 1979 – Ds 63 Js 107 820/79; AG Mainz, Urteil v. 3. 7. 1979 – 105 Js (Wi) 20211/79-20 L; AG Konstanz, Urteil v. 26. 2. 1980 – Cs 705/79. 431 Tiedemann, NJW 1990, 1557 ff. (1559 f.); zustimmend AG Alsfeld NJW 1981, 2588 f. (2589). 432 Tiedemann, NJW 1980, 1557 ff. (1558 ff.); ders., Dünnebier-FS, S. 519 ff. (533); AG Alsfeld NJW 1981, 2588; Fromm, BB 1980, 1155 ff.; Kohlmann, FR 1979, 279 ff.; wohl auch Schwarz, BB 1982, 2176 (2180). 433 Tiedemann, NJW 1980 (1557 ff. (1559) m. w. N. 434 Zu diesem Terminus sogleich im Text unter B. II. 4. 435 Vgl. hierzu Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 151; LK11-ders., § 264 Rn. 109 m. Fn. 82. 436 Gesetz v. 15. 6. 2006, BGBl. I 1614.

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

4. Die so genannte faktische Auslegung437 Die soeben bereits angesprochene wirtschaftliche Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale hat für das gesamte Wirtschaftsstrafrecht insbesondere als so genannte faktische Auslegung (bzw. als „tatsächliche Betrachtungsweise“) große Bedeutung. Unter dieser von der Rechtsprechung entwickelten Vorgehensweise ist eine speziell strafrechtliche Auslegung von Begriffen zu verstehen, deren Ergebnisse sich nicht mit denen decken müssen, die für den wortgleichen Begriff im der Strafnorm vorgelagerten zivilen und öffentlich-rechtlichen (Wirtschafts-)Recht ermittelt worden sind. Die übereinstimmende Wortwahl führt also nicht zwingend zur „Begriffsakzessorietät“438, es entstehen Fälle der „Normspaltung“.439 Im Zusammenhang mit Umgehungshandlungen wird diese Auslegungsmethode gerade im Gesellschaftsstrafrecht immer wieder genannt, weil sie geeignet ist, etwa Personen strafrechtlich haftbar zu machen, die ihre Bestellung zum Organ gerade vermieden haben, gleichwohl die Stellung z. B. eines Geschäftsführers einer GmbH tatsächlich wahrnehmen.440 Die Unwirksamkeit der Bestellung zum Gesellschaftsorgan wird häufig nämlich nicht allein darin begründet sein, dass unbemerkt zivilrechtliche Mängel bestanden441 oder eine unbewusste Verlagerung der tatsächlichen Funktionsverteilung im Unternehmen weg von dem eigentlich zuständigen Organ etwa auf den Prokuristen erfolgte; häufig soll eine formale Bestellung bewusst vermieden werden, z. B. weil ihr gesetzliche Hindernisse entgegenstehen442, weil die Bindungswirkungen des Organstatus vermieden werden sollen oder weil – und dies ist für den Gegenstand dieser Arbeit maßgeblich – einer zivilrechtlichen Haftung

437

Synonym wird auch der Begriff der „tatsächlichen“ Betrachtungsweise verwandt, vgl. etwa Bruns, JR 1984, 131 ff. Im Wirtschaftsrecht wird diese Form der Auslegung (naheliegenderweise) auch als wirtschaftliche Auslegung bezeichnet, Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 124. 438 Lackner/Kühl, § 1 Rn. 7. 439 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 124. 440 Vgl. aus der Rechtsprechung die grundlegenden Entscheidungen BGHSt 3, 32 (37); 11, 102 (104); 20, 333 (338); 21, 101 (103 ff.); 31, 118 (121 ff.); aus der Fülle der Literatur zur faktischen Betrachtungsweise im Strafrecht seien hier zunächst die Monographien von Gübel („Die Auswirkungen der faktischen Betrachtungsweise auf die strafrechtliche Haftung faktischer GmbH-Geschäftsführer“, Baden-Baden 1994), Montag („Die Anwendung der Strafvorschriften des GmbH-Rechts auf faktische Geschäftsführer“, Berlin 1994), Cadus („Die faktische Betrachtungsweise: ein Beitrag zur Auslegung im Strafrecht“, Berlin 1984) und Wiesener („Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Stellvertretern und Organen“, Frankfurt am Main 1971) genannt. Der Sache nach schon Bruns, Befreiung des Strafrechts, S. 6, 15. 441 Nur dann kann nach der hier vertretenen Auffassung die Organ- und Vertreterhaftung nach § 14 III StGB entstehen, die allerdings nicht als Umgehungsklausel aufzufassen ist, siehe hierzu bereits B. I. 1. a). 442 Der Bestellung z. B. zum Geschäftsführer einer GmbH kann ein Berufsverbot nach § 70 StGB oder ein sonstiger Ausschlussgrund nach § 6 II S. 3 und 4 GmbHG und anderen Berufs- oder Standesordnungen entgegenstehen.

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ebenso wie einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit entgangen werden soll443. Auf diese Weise können unbedarfte Personen vorgeschoben werden, während im Hintergrund die eigentlichen kriminellen Drahtzieher agieren.444 In einem Schlagwort zusammengefasst werden kann die wirtschaftliche Betrachtungsweise in der englischen Formulierung „substance over form“.445 Gegen diese Auslegungsweise der einschlägigen Strafvorschriften (die faktische Betrachtungsweise ist insbesondere für §§ 263, 264, 265, 266, 283 ff. StGB, §§ 82, 84, 85 GmbHG; § 399 AktG; § 95 BörsenG a. F., § 34 AWG relevant geworden446) ist aus dem Schrifttum erhebliche Kritik vor allem in Hinblick auf ihr methodologisches Fundament einerseits447 und – zumindest in ihrer sehr weitgehenden Anwendung durch die Rechtsprechung – den Lex-stricta-Satz andererseits448 erhoben worden.449 Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich vor allem die Frage, für welche Delikte insbesondere die Rechtsfigur des faktischen Geschäftsführers tragfähig ist (fraglich etwa für die Insolvenzstraftaten) und welche Machtposition im Unternehmen für die Annahme faktischer Geschäftsführerschaft zu verlangen ist.450 Interessanterweise ist aber auch in umgekehrter Weise eine täterfreundliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs451 („Teerfarben“-Entscheidung zu § 38 I Nr. 1 GWB a. F.) von der Literatur heftig kritisiert worden452, weil der Bundesgerichtshof die zumindest nahe liegende Anwendung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise für das Kartellordnungswidrigkeitenrecht mit Blick auf das Gesetzlichkeitsprinzip453 443 Montag, S. 22 f. Ausdrücklich als Mittel zur Bekämpfung von Gesetzesumgehungen wird die faktische Betrachtungsweise von Lackner/Kühl, § 1 Rn. 7; Handbuch Müller-Gugenberger/Bieneck-Schmid, § 30 Rn. 10; Otto, Jura 1999, 97; Gübel, S. 80; Bruns, JR 1984, 133 (141); ders., GA 1986, 1 (12 f.); v. Burchard, S. 152 und Fuhrmann, Tröndle-FS, S. 139 bezeichnet. LK12-Dannecker, § 1 Rn. 304 sieht sie als legitimes Mittel gegen „Formenmissbrauch“. 444 Handbuch Wabnitz/Janovsky-Raum, 4. Kapitel Rn. 14. 445 Reisner, S. 13. 446 Vgl. Gübel, S. 135 ff.; Cadus, S. 67 f., 160 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 124 ff. 447 Cadus, S. 98 ff., 145 f., 155 f.; Montag, S. 65 ff.; Schmidt, Rebmann-FS, S. 419 ff. (431 f.); Joerden, wistra 1990, 1 f.; Otto, Jura 1989, 328 ff. 448 Scholz-Tiedemann, § 84 Rn. 20 ff; LK11-Tiedemann, Vor § 283 Rn. 68 ff.; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 55 ff. Altmeppen/Roth, § 84 Rn. 8 ff., Hachenburg (Großkomm. GmbHG)-Kohlmann, § 84 Rn. 15 f.; Kaligin, BB 1983, 790, Reich, DB 1967, 1663 (1667); Hoyer, NStZ 1988, 369 f.; Kratzsch, ZGR 1985, 506 (512). 449 Zu den weiteren Kritikpunkten, die faktische Betrachtungsweise verletze den Gesetzeszweck der angewendeten Strafvorschriften und unterlaufe die Sperrwirkung nach § 14 III StGB, vgl. Montag, S. 52 ff. m. w. N. 450 Siehe hierzu Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 130 ff. m. w. N. 451 BGHSt 24, 54 (61 f.). 452 Heuss, NJW 1972, 11 f.; Willoweit, NJW 1971, 2045 ff.; Raiser, JZ 1971, 394 ff.; zustimmend hingegen Faller, DB 1972, 1757 ff. 453 Art. 103 II GG gilt auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht, BVerfGE 38, 348 (371 f.); 71, 108 (114); BGHSt 42, 79; Immenga/Mestmäcker-Dannecker/Biermann, Vor § 81 Rn. 28.

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

abgelehnt hatte. Hier hatte der Bundesgerichtshof die Vereinbarung einer Wettbewerbsbeschränkung verneint, weil kein Vertrag im Sinne der zivilrechtlichen Rechtsgeschäftslehre vereinbart worden war, sich die Hersteller der Farben bei einem Treffen allerdings auf eine Preiserhöhung um acht Prozent verständigt hatten. Auch infolge dieses Urteils verbietet § 1 GWB heute nicht nur vertragliche Vereinbarungen, sondern auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen.454 Für die in diesem Abschnitt besonders interessierenden methodologischen Einwände gegen die faktische Betrachtungsweise ist besonders die Diskussion um den fehlenden eigenständigen Wert der faktischen Betrachtungsweise bedeutsam. Nach einer insbesondere von Bruns vertretenen Auffassung soll die faktische bzw. „tatsächliche“ Betrachtungsweise eine eigenständige, spezifisch strafrechtliche Auslegungs- und Begriffsbildungsmethode darstellen.455 Überzeugend ist dieser These aber entgegengehalten worden, dass die faktische Betrachtungsweise die Strafbarkeit etwa des faktischen Geschäftsführers nicht positiv begründen könne, denn selbst bezogen auf ein einzelnes Rechtsproblem besage diese „Methode“ nur, dass das Tatbestandsmerkmal X in der Norm A eine andere Bedeutung haben kann als in der Norm B: „Der Blick auf das dahinter stehende Phänomen kann in seiner Allgemeinheit erhellend wirken (Stichwort: ,Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken‘456). Der methodische Einsatz der Regel bei der Lösung von Einzelproblemen sei jedoch nichts als die Besinnung auf eine Banalität.“457 Die Auffüllung des auf dem Weg der faktischen Auslegung gefundenen allein formalen, inhaltsleeren Ergebnisses, ein Begriff könne im Strafrecht etwas anderes bedeuten als im Zivilrecht, geschieht daher auf einem anderen, wohl vertrauten Weg: Im Ergebnis handelt es sich bei der tatsächlichen Betrachtungsweise um nichts anderes als eine „rein teleologische Auslegung“458, die den Grenzen des Art. 103 II GG unterworfen ist wie jede Rechtsauslegung im Strafrecht sonst auch.459 Für die Einordnung in den Umgehungszusammenhang bestätigt diese „Entzauberung“ nur, dass die faktische Betrachtungsweise – einmal abgesehen von den z. T. gegen sie bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken – zu einem dem Schutzzweck der jeweiligen Strafnorm entsprechenden Ergebnis führen soll, wo das übliche (zivilrechtliche) Verständnis der Norm zu einem in Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Sachverhalte unbefriedigenden Ergebnis führt.

454

Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 125. Bruns, JR 1984, 133 ff.; ders., GA 1986, 1 ff. 456 Hier bezieht sich Schmidt auf die Habilitationsschrift Bruns aus dem Jahre 1937. 457 Schmidt, Rebmann-FS, S. 419 ff. (431). 458 Cadus, S. 146; ihm folgend Schmidt, Rebmann-FS, S. 419 ff. (432); ebenso Joerden, wistra 1990, 1 ff (2); Röckl, S. 257 ff.; ähnlich Otto, Jura 1989, 328 ff. (329); ders., AT, § 2 Rn. 53; so indirekt auch Bruns selbst, JR 1984, 133 ff. (135 f.). 459 Joerden, aaO. 455

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Die „faktische Betrachtungsweise“ dient also zur Auffüllung einer teleologischen Lücke und steht mithin in einem eindeutigen Zusammenhang zu dem Gegenstand dieser Untersuchung. Aus subjektiver Sicht bleibt wie auch zuvor für die Steuerumgehung und Subventionserschleichung anzumerken, dass die Absicht zur Umgehung gerade strafrechtlicher Normen – sollte sie begriffsprägend sein – auch für die Anwendungsfälle der faktischen Betrachtungsweise zweifelhaft sein wird, da z. B. die Gründe für die Installation eines Strohmann-Geschäftsführers häufig auf anderen Beweggründen beruhen werden (s. o.). Die Anwendung der „faktischen Betrachtungsweise“ im Zusammenhang mit strafrechtlichen Umgehungshandlungen soll nun für zwei weitere Konstellationen erörtert werden. Dabei geht es zum einen um die so genannte Verschleierung von Sacheinlagen und zum anderen um Handlungen zur Umgehung von Exportbeschränkungen im Außenwirtschaftsrecht. 5. Die Verschleierung von Sacheinlagen Sowohl für das AktG als auch für das GmbHG sind Fragen in Bezug auf die Verschleierung von Sacheinlagen von großer Bedeutung. Dabei ist für das Gesellschaftsrecht die Frage nach der Beachtlichkeit derartiger vermeintlicher Bareinlagen ähnlich umstritten wie die hierauf Bezug nehmende strafrechtliche Problemstellung, ob dieses Verhalten auch strafbar gemäß § 82 GmbHG bzw. § 399 AktG ist. Vorgänge, die mit dem Begriff der verschleierten Sacheinlage in Verbindung gebracht werden, sind insbesondere die Einzahlung einer Bareinlage im Zusammenhang mit einer Gesellschaftsgründung oder einer Kapitalerhöhung, welche aber rasch wieder an den Inferenten zurückgezahlt wird. Den Rechtsgrund für die Rückzahlung kann z. B. eine Kaufpreisschuld für vom Gesellschafter an die Gesellschaft veräußerte Immaterialgüter bilden; Anlass für die Rückzahlung kann auch die Erfüllung einer Darlehensschuld aus einem zwischen Gesellschafter (als Darlehensgeber) und Gesellschaft (als Darlehensnehmer) geschlossenen Darlehensvertrag sein oder die Tilgung einer sonstigen Forderung des Gesellschafters durch die Gesellschaft.460 Durch dieses Vorgehen werden eigentlich Sacheinlagen eingebracht, die als Forderungen in der Krise der Gesellschaft nicht mehr ihren vollen Wert hätten, wenn und soweit die Liquidität der GmbH keine volle Deckung der Forderungen zulässt. Aus diesem Grund ist die – an und für sich zulässige – Einbringung von Sacheinlagen an Schutzvorschriften geknüpft, die vor allem die zutreffende und genaue Bewertung der Sacheinlage und die vorab zu erfolgende Verlautbarung der Vereinbarung einer Sacheinlage zum Inhalt haben. Auch im Falle der baldigen Zahlung auf eine bereits bestehende Kaufpreisschuld ist die Einlage der Gesellschaft

460

Scholz-Tiedemann, § 82 Rn. 116.

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wirtschaftlich betrachtet im Ergebnis nicht dauerhaft zugeflossen.461 Diese Schutzvorschriften werden durch den Inferenten umgangen, wenn er eine Bareinlage einzuzahlen nur vorgibt. Gegenstand der gesellschafts(strafrechtlichen) Diskussion um „verschleierte Sacheinlagen“ sind also falsche Angaben in Bezug auf die Bareinlage, indessen nicht falsche Angaben über eine Sacheinlage.462 a) Die gesellschaftsrechtliche Sicht Um zu erreichen, dass das Kapital der Gesellschaft auch wirklich auf Dauer zufließt, hat der Gesetzgeber sowohl für das Recht der GmbH (§ 19 II GmbHG) als auch für das Recht der Aktiengesellschaften (§ 66 I S. 2 AktG) ein Aufrechnungsverbot verfügt. Diese Vorschriften schließen für den Gesellschafter eine Aufrechnung mit der Einlageforderung der Gesellschaft aus. Erfolgt dessen ungeachtet eine Aufrechnung seitens des Gesellschafters, bleibt diese ohne rechtlichen Erfolg; § 19 II S. 2 GmbHG, § 66 I S. 2 AktG lassen die Forderung bestehen bleiben. Nach der herrschenden Ansicht im zivilrechtlichen Schrifttum soll nun § 19 II GmbHG über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus ein umfassendes Umgehungsverbot zu entnehmen sein.463 Nach der Gegenauffassung ist die Berechtigung dieser Konstruktion jedenfalls in ihrer derzeitigen Reichweite in Frage zu stellen464 ; von einer weiteren Meinung werden jedenfalls europarechtliche Bedenken geltend gemacht, weil die fehlende Anerkennung von Bareinzahlungen in den genannten Fällen gegen die so genannte Kapitalschutzrichtlinie verstoßen könnte.465 Entscheidend soll dabei nach den für das Zivilrecht allgemein aufgestellten Kriterien zur Erfassung von Umgehungen die künstliche Aufspaltung der eigentlich angestrebten Sacheinlage in eine Bareinlage und ein weiteres Rechtsgeschäft sein.466 Für die Feststellung und das Vorliegen einer künstlichen Gestaltung sollen wiederum die Intentionen der Beteiligten467 bzw., – wenn diese nicht nachweisbar sind – der enge sachliche und zeitliche Zusammenhang der Geschäfte sein. Aus dem letzteren (objektiven) Kriterium wird (jedenfalls von der herrschenden Meinung) dann das 461

Michalski-Dannecker, § 28 Rn. 164; Scholz-Tiedemann, § 82 Rn. 117. Tiedemann, Lackner-FS, S. 737 ff. (742); Baumbach/Hueck-Schulze-Osterloh/Servatius, § 82 Rn. 16. 463 Die fehlende Anerkennung einer nur vermeintlichen Bareinlage ist ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. BGHZ 15, 52; 28, 314 (319); 96, 231 (241); 110, 47; 113, 335; 122, 180; aus dem Schrifttum vgl. Priester, ZIP 1991, 345 ff.; Henze, ZHR 154 (1990), 105 ff.; Ulmer, ZHR 154 (1990), 128 ff.; Scholz-Tiedemann, § 82 Rn. 116; Steinmetz, S. 47 ff., 70 f. 464 Altmeppen/Roth, § 19 Rn. 29 ff. 465 Einsele, NJW 1996, 2681 (2683 f.); Meilicke, DB 1990, 1173 ff.; Wilhelm, ZHR 152 (1988), 333 ff.; der EuGH hat hierzu eine Sachentscheidung abgelehnt, ZIP 1992, 1076 (1078). 466 Eine Minderheitsmeinung geht dagegen schon bei einem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Veräußerung sacheinlagefähiger Vermögensgegenstände und einer Kapitalerhöhung bzw. -einlage von (der Vermutung) einer verschleierten Sacheinlage aus; Langenfeld, GmbHR 1981, 53 ff. 467 BGHZ 132, 139, Michalski-Dannecker, § 82 Rn. 165. 462

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Vorliegen einer unbeachtlichen Umgehung im Wege einer zivilrechtlichen Vermutung abgeleitet.468 Aufgrund dieses die Vermutung begründenden objektiven Zusammenhangs soll es dann grundsätzlich auch unerheblich sein, in welcher zeitlichen Reihenfolge die Bareinlage und die Zahlung der Gesellschaft an den Gesellschafter stattfinden.469 Eine Einschränkung findet die zivilrechtliche Erfassung der verschleierten Sacheinlage allerdings insoweit, als normale Verkehrsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern im Rahmen des laufenden Geschäftsverkehrs keine Umgehungsgeschäfte im oben beschriebenen Sinne darstellen.470 Allenfalls die evidente Unterwertigkeit des Geschäfts kann eine strafrechtlich bewehrte Pflicht zur Offenlegung nach sich ziehen.471 Nach dem im Zuge des „MoMiG“472 seit dem 1. November 2008 neu gefassten § 19 IV GmbHR473 soll die verdeckte Sacheinlage auch künftig zwar nicht unmittelbaren Erfüllung der Einlageverpflichtung führt, nun aber der Wert der als verdeckte Sacheinlage erbrachten Leistung auf die Einlageschuld angerechnet werden können. Es bleibt allerdings bei der Offenlegungspflicht gegenüber dem Register und der Verpflichtung des Geschäftsführers, zu erklären, dass ihm der Wert der Einlage endgültig zur freien Verfügung steht. Da die Anrechnung der Einlage erst nach der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister erfolgen kann, bleibt auch nach neuem Recht eine solche Versicherung des Geschäftsführers über verdeckte und nicht vollwertige Sacheinlagen unzulässig und im Falle einer vorsätzlichen, positiven Falschangabe bedenklich in Hinblick auf § 82 I Nr. 1 – 3 GmbHG.474 b) Die strafrechtliche Sicht Aufgrund der Garantien des Art. 103 II GG ergeben sich für das Strafrecht in Hinblick auf das Analogieverbot und den Bestimmtheitsgrundsatz gegenüber der gesellschaftsrechtlichen Rechtslage noch einmal gesteigerte Schwierigkeiten, die im 468

BGHZ 125, 141 (143 f.); 132, 139; OLG Köln ZIP 1998, 400; Frage nach dem zusätzlichen Erfordernis einer Absprache offen gelassen von BGHZ 110, 47 (63 ff.); Schäfer, GmbHR 1993, 717 (726 mit umfangreichen Nachw. zum Streitstand); Scholz-Tiedemann, § 82 Rn. 117. 469 BGHZ 28, 319 f. 470 OLG Karlsruhe ZIP 1991, 27; OLG Hamm BB 1990, 1222; Michalski-Dannecker, § 82 Rn. 166; Scholz-Tiedemann, aaO (seines Erachtens gilt dies sowohl für die Zeit vor wie nach dem Inkrafttreten des MoMiG). 471 Michalski-Dannecker, aaO.; Scholz-Tiedemann, aaO.; a. A. Gadow/Heinichen (Großkomm. AktG)-Otto, § 399 Rn. 67, der auch Verkehrsgeschäfte einbezieht, dafür allerdings allein die subjektive Verknüpfung der von Bareinlage und Rückzahlung für die Bejahung eines unbeachtlichen Umgehungsgeschäfts ausreichen lässt. 472 „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen“ vom 26. Juni 2008. 473 Dieser gilt gemäß § 56 GmbhG auch für die Kapitalerhöhung. 474 König/Bormann, DnotZ 2008, 652 ff. (660 f.); Hein/Suchan/Geeb, DStR 2008, 2293 ff. (2294 ff.); Scholz-Tiedemann, § 82 Rn. 118.

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

Zusammenhang mit der Verschleierung von Sacheinlagen einschlägigen Strafvorschriften § 82 I GmbHG sowie § 399 I AktG („Falsche Angaben“) auf die die Problemstellung kennzeichnenden Sachverhalte anzuwenden, wobei das Telos beider Vorschriften durch die nur scheinbare dauerhafte Einzahlung von Bareinlagen offensichtlich berührt ist. Sowohl § 82 GmbHG als auch § 399 AktG sollen mit ihrer Strafdrohung sicherstellen, dass gegenüber dem Registergericht bzw. in öffentlichen Ankündigungen keine falschen Angaben über bestimmte, für das Vertrauen der Allgemeinheit475 in die Richtigkeit der Handelsregistereintragungen wesentliche Umstände gemacht werden.476 Fraglich ist, ob die in der Zivilrechtsdogmatik von der herrschenden Auffassung vorgenommene Gleichstellung der nicht dauerhaften Bareinlage mit einer jedenfalls nicht offen vereinbarten Sacheinlage bei ihrer Übertragung auf § 82 I GmbHG bzw. § 399 I AktG eine verbotene Analogie darstellt.477 Wenn auch das Verhältnis von Gesetzesumgehung und Analogie hier noch nicht ausführlich zu diskutieren ist, so kann doch bereits der Grundsatz festgehalten werden, dass die strafrechtliche Erfassung der Umgehungshandlung unzulässig sein muss, wenn sie zu einer Überschreitung des möglichen Wortsinns der entsprechenden Straftatbestandsmerkmale führt.478 Mit der Überschreitung dieser Grenze in malam partem ist der Satz nullum crimen sine lege stricta und damit ein Teil des Anordnung in Art. 103 II GG verletzt.479 Der einfachste Ausweg aus diesem Dilemma wäre zweifelsohne, eine „zivilrechtsakzessorische“ Auslegung der Strafvorschriften in einer Weise vorzunehmen, die die im zivilrechtlichen Bereich gebildete Analogie ohne weiteres übernimmt.480 Sofern aber § 82 I GmbHG und § 399 I AktG ein blankettartiger Charakter zugesprochen wird481, ist dieser Weg nicht gangbar. Für Blankettgesetze nämlich erstreckt sich das Analogieverbot auch auf die außerstrafrechtlichen Vorschriften, soweit auf diese hinsichtlich der Strafbarkeitsvoraussetzungen verwiesen wird. Auch die

475 Insbesondere in Gestalt der Gesellschaftsgläubiger, Aktionäre und sonstiger gutgläubiger Dritter, die zu der Gesellschaft rechtliche und wirtschaftliche Beziehungen unterhalten oder solche begründen wollen. 476 BGHZ 105, 121 (125); MüKo-AktG-Schaal, § 399 Rn. 3 ff.; Rowedder-Schaal, § 82 Rn. 1; Scholz-Tiedemann, § 82 Rn. 2. 477 Altmeppen/Roth, § 82 Rn. 13 ff. 478 Stöckel, S. 106; Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 2; Bruns, GA 1986, 1 (8); Steinmetz, S. 111. 479 NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 70 ff.; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 55 ff., beide m. w. N. 480 So LG Koblenz WM 1988, 1630 (1635); Höpfel, JurBl. 1979, 575 (585 f.). 481 Baumbach/Hueck-Schulze-Osterloh/Servatius, § 82 Rn. 4; dagegen Michalski-Dannecker, § 82 Rn. 168; Scholz-Tiedemann, § 82 Rn. 8; ders., Lackner-FS, S. 737 ff. (750 f.); Steinmetz, S. 130 f.

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Auslegung dieser Zivilrechtsnormen muss folglich das Analogieverbot beachten.482 Infolgedessen ist es nicht ausgeschlossen, dass es hinsichtlich der Reichweite der außerstrafrechtlichen Vorschrift zu einer Normspaltung kommt: Wird die Vorschrift im zivilrechtlichen Zusammenhang angewendet, ist sie der Analogienbildung zugänglich; als blankettausfüllende Norm ist sie am Lex-stricta- und auch am lex-certaSatz gemäß Art. 103 II GG zu messen.483 Auch besteht keine Umgehungsvorschrift wie etwa § 42 AO, die hier in Bezug genommen werden könnte. Es sind also allein die in § 82 GmbHG bzw. § 399 AktG zur Umschreibung der Tathandlung verwendeten Begriffe selbst, die eine auch strafrechtliche Erfassung der verschleierten Sacheinlagen zulassen müssten. Dabei ist offensichtlich, dass die Umgehung deskriptiver Tatbestandsmerkmale nur schwer zu erfassen ist, während normative Tatbestandsmerkmale (vorbehaltlich ihrer hinreichenden Bestimmtheit) eher einer weiten Auslegung zugänglich sind.484 Nach diesem Maßstab ist es zulässig, die in den § 82 I GmbHG, § 399 I AktG verwendeten Begriffe wie „eingezahlt“, „eingebracht“ oder „Leistung der Einlagen“ im Sinne einer extensiven Auslegung zu verstehen, die erforderlich ist, um eine effektive Aufbringung des Stammkapitals sicher zu stellen. Diese Tatbestandsmerkmale sind nämlich unbestimmte Rechtsbegriffe, die nicht (nur) zivilrechtlicher, sondern (auch) faktischer Natur sind485 ; Angaben über Bareinlagen, denen eine Verschleierung von Sacheinlagen in dem oben erläuterten Sinne beizumessen ist, sind dann auch „falsch“ im Sinne der § 82 I GmbHG, § 399 I AktG, ohne dass der

482 BVerfGE 14, 174 (185); 75, 329 (342); Roxin, AT I, § 5 Rn. 40; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 19, 49; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 106. 483 Tiedemann, Dünnebier-FS, S. 519 ff. (530); ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 111 ff. m. w. N. 484 Abgrenzung und Einteilung deskriptiver und normativer Tatbestandsmerkmale sind im Einzelnen höchst umstritten. Keinen Bestand kann dabei jedenfalls die lange Zeit überkommene Auffassung (vgl. aus dem älteren Schrifttum etwa Mezger/Blei, S. 110 f. [aufgegeben von Blei, § 23 II.]) haben, die als deskriptiv jene Merkmale erfasst, die bestimmte körperliche oder seelische Gegebenheiten wiedergeben und vom Richter kognitiv festgestellt werden können. Normativ dagegen sollen hiernach alle Merkmale sein, die eine Bewertung voraussetzen. Der mit dieser Begriffsbildung unterschlagene – häufig vom Telos der jeweiligen Strafnorm abhängende – normative Einschlag bei der überwältigenden Mehrzahl der so genannten deskriptiven Tatbestandsmerkmale tritt schon anhand von Beispielen wie „Mensch“ oder „Wegnahme“ deutlich hervor (LK12-Vogel, § 16 Rn. 22 m. Fn. 44 und weiteren Beispielen). Richtigerweise wird man allein reine Maßangaben als deskriptive Tatbestandsmerkmale auffassen können. Danach ist z. B. die Umgehung von zahlenmäßigen Gewichtsangaben des Zolltarifs auch durch eine extensive Auslegung innerhalb der Grenzen des Wortlauts nicht mehr erfassbar (Tiedemann, Lackner-FS, 737 ff. [750 f.]). Für alle anderen Merkmale ist die Trennung nicht durchführbar, es überwiegt mal der deskriptive, mal der normative Faktor (NKHassemer/Kargl, § 1 Rn. 30 ff.; Roxin, AT I, § 10 Rn. 57 ff., jeweils mit ausführlichen Nachweisen zum Streitstand). 485 Michalski-Dannecker, § 82 Rn. 168; Tiedemann, Lackner-FS, S. 737 ff. (750 f.); Steinmetz, S. 130 f.

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Gesetzeswortlaut einer solchen Interpretation der Vorschriften entgegensteht.486 Diese Schwierigkeiten ergeben sich hingegen von vornherein nicht, wenn in jedem Fall, in dem die gewollte Sacheinlage künstlich in zwei Geschäfte aufgespaltet wird, von einer bloßen Scheinhandlung ausgegangen wird.487 Diese Auslegung führt freilich zu weit. Nicht alle Akte manipulativen Charakters sind durch in § 117 BGB zum Ausdruck kommenden Scheingedanken erfassbar. Zahlt z. B. der Inferent seine Bareinlage ein, damit aus ihr seine schon früher entstandene Forderung gegen die Gesellschaft beglichen wird, so ist diese Einzahlung als Bareinlage ernsthaft gewollt.488 Die Behandlung bestimmter Bareinlagen als zur Erfüllung der Einlageverpflichtung ungeeignet müsste bei ihrer Sanktionierung mit den Mitteln des Strafrechts auch dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 II GG genügen. Jenseits der soeben erwähnten Scheingeschäfte und Scheinhandlungen (etwa im Fall von bloßem „Vorzeigegeld“489) erscheint es geboten, den Anwendungsbereich der hier diskutierten einschlägigen Strafvorschriften insofern einzuschränken, als nur falsche Angaben über Umstände erfasst werden, deren Relevanz für die Einordnung der Leistung als verschleierte Sacheinlage hinreichend sicher ist.490 Unbestimmt erscheint etwa das im Zivilrecht zur Ermittlung einer rechtsgültigen Bareinlage grundsätzlich anerkannte Erfordernis der endgültigen und freien Verfügung, da sowohl das zeitliche Moment als auch die Verfügungsfreiheit im Einzelnen unsicher bleiben.491 Zur Wahrung des Bestimmtheitsgebots sollten also nur die Sachverhalte strafrechtlich erfasst werden, in denen die zur Annahme einer verschleierten Sacheinlage führenden Umstände allgemein als solche anerkannt sind und daher diese Einordnung als gesichert gelten kann.492 Auch praktikabel erscheint etwa der auf das MoMiG abgestimmte Vorschlag, positive Falschangaben über wesentliche Umstände weiterhin unter Strafe zu stellen, für bloß unvollständige Angaben bei Vollwertigkeit der Einlage die Strafbarkeit indes entfallen zu lassen.493

486

Rowedder-Schaal, § 82 Rn. 44; Michalski-Dannecker, aaO. Gadow/Heinichen (Großkomm. AktG)-Otto, § 399 Rn. 66. 488 Tiedemann, Lackner-FS, S. 737 ff. (752). 489 Instruktiv zu diesem Vorgang Tiedemann, Lackner-FS, S. 737 ff. (744) m. w. N. 490 Michalski-Dannecker, aaO.; ähnlich Scholz-Tiedemann, § 82 Rn. 60: „[…] Strafbarkeit nur bei eindeutig feststehender Unrichtigkeit […].“ 491 Tiedemann, Lackner-FS, S. 737 ff. (752 ff.). 492 Michalski-Dannecker, § 82 Rn. 169; Steinmetz, S. 150; a. A. hingegen Altmeppen/Roth, aaO., die generell die Strafbarkeit hinsichtlich von Angaben zur verdeckten Sacheinlage als Verstoß gegen Art. 103 II GG ansehen. 493 Scholz-Tiedemann, § 82 Rn. 118. 487

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Mit diesen Einschränkungen erscheint die auch strafrechtliche Erfassung verschleierter Sacheinlagen als Fall der Gesetzesumgehung in Hinblick auf Art. 103 II GG akzeptabel.494 c) Zusammenfassung Anhand der vorangegangenen Ausführungen sollte deutlich werden, dass das Problem der verschleierten Sacheinlagen zahlreiche Kriterien, die in Bezug auf den Begriff der Umgehung und ihre Erfassung genannt werden und bereits in den vorangegangenen Fallgestaltungen zum Vorschein kamen, in sich vereint. Typisch für die strafrechtlichen Umgehungsfälle, die ihren Ausgangspunkt im Wirtschafts- bzw. im Steuerrecht haben, ist zunächst, dass der Täter eine Rechtslage vorfindet, deren Manipulation ihm finanzielle Vorteile bringt – auch im Fall der verschleierten Sacheinlagen wird er dadurch motiviert, dass er mehrere Gestaltungsmöglichkeiten im Gesetz vorfindet, so dass der Täter sein Verhalten danach ausrichten kann, die für ihn günstigere Gestaltung zu wählen. Charakteristisch sind ferner die mehrstufigen Fragestellungen und Probleme, die es zu bewältigen gilt, soll der Täter trotz seiner geschickten Bemühungen um eine für ihn vorteilhafte und „wasserdichte“ (Straf-)Tatbestandsvermeidung dennoch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Zunächst gilt es überhaupt festzustellen, dass der Täter mit seinem Verhalten nicht oder auf den ersten Anschein nicht von einer Norm erfasst werden kann, obwohl es vom Sinn und Zweck der Norm her gerade erfasst werden soll.495 Hierfür ist es häufig erforderlich, die zutreffende wirtschaftliche Einschätzung des Vorganges vorzunehmen. Danach leistet der Inferent nach dem ersten Anschein eine Bareinlage. Durch ihre (subjektive oder wenigstens objektive) Verknüpfung z. B. mit Ansprüchen gegen die Gesellschaft kommt sie in ihrem wirtschaftlichen Wert aber bloß einer Sacheinlage gleich, deren Zulässigkeit aus Gründen der Publizität und Wertdeckungskontrolle besonderen Voraussetzungen (etwa § 5 IV GmbHG) unterliegt. Nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften wäre also ihre Anwendung auch auf scheinbare Bareinlagen erforderlich, dies sehen jedoch weder das GmbHG noch das AktG vor.496 Auf der nächsten Ebene ist zu ermitteln, weshalb dem Täter der ihm durch sein Verhalten zuteil werdende tatsächliche oder rechtliche Vorteil doch noch zu versagen sein könnte und auf welchem methodischen Wege diese Versagung zu erreichen sein 494 MüKo-AktG-Schaal, § 399 Rn. 83; Hellmann/Beckemper, Rn. 431 ff. (435 f.); a. A. wegen der angeblichen Unbestimmtheit von § 399 I Nr. 4 AktG: LG Koblenz ZIP 1991, 1284 (1287 ff.). 495 Für den Fall der Erschleichung ist diese Beurteilung umzukehren: Sie liegt vor, wenn das Täterverhalten unter den Wortlaut einer ihn begünstigenden Norm zu subsumieren ist, obwohl die mit der Norm bezweckte Besserstellung den Täter gerade nicht betreffen soll. 496 Eine Ausnahme bilden einzig die Aufrechnungsverbote gemäß § 19 II GmbHG und § 66 I S. 2 AktG.

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könnte. Als Versagungsgrund kommt insbesondere das Vorliegen der Voraussetzungen für die Analogiebildung in Betracht, wobei die vergleichbare Interessenlage zwischen geregeltem Fall und planwidrig nicht geregelten Fall insbesondere auf die bisher immer wieder genannten Kriterien der Umgehung (also die Umgehungsabsicht, die Künstlichkeit und anderweitige Sinnwidrigkeit des Verhaltens, der Rechtsmissbrauch) gestützt werden kann.497 Diese Kriterien wurden auch im Zusammenhang der Erfassung von verschleierten Sacheinlagen eingesetzt, wobei noch das Element des „engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs“ hinzuzufügen wäre.498 Die Methode zur Versagung des durch die Umgehung für den Täter zu erhoffenden Vorteils ist jedenfalls für die Zivilrechtsdogmatik die Analogiebildung bzw. die Anwendung des Rechtsinstituts der Umgehung oder – sofern vorhanden und notwendig – der für den entsprechenden Bereich vorgesehenen Umgehungsklauseln.499 So beruht auch die für die herrschende Ansicht im Zivilrecht auf § 19 II GmbHG gestützte These, verschleierte Sacheinlagen bildeten keine wirksame Einlagenleistung, auf der analogen Anwendung dieser Vorschrift und/oder auf der Heranziehung des Umgehungsgedankens, sofern es sich nicht bereits um bloße Scheineinlagen handelte. Auf einer weiteren Stufe, der strafrechtlichen Ebene, können sich über die außerstrafrechtliche Erfassung hinaus weitere erhebliche Schwierigkeiten bei der Pönalisierung des zivilrechtlich erfolgreich vereitelten Umgehungserfolges ergeben. Diese betreffen – wie für die Verschleierung von Sacheinlagen augenfällig – zum einen das Analogieverbot und damit den Strafrechtsanwender und zum anderen das Bestimmtheitsgebot und damit den Gesetzgeber.500 Hier gilt es zu überprüfen, welche Teile der außerstrafrechtlichen Erfassungsmethodologie unter der Herrschaft des strengen Gesetzlichkeitsprinzips übernommen werden können. Die auch für die verschleierten Sacheinlagen bestehenden Streitigkeiten zeigen dabei deutlich, dass – sofern keine spezifisch strafrechtliche Umgehungsklausel besteht – sowohl die extensive Auslegung (wie für § 82 I GmbHG, § 399 I AktG) als auch die Übernahme außerstrafrechtlicher Umgehungsklauseln (etwa § 42 AO, § 4 II SubVG) häufig an verfassungsrechtliche Grenzen stoßen. Dies gilt für den in diesem Abschnitt diskutierten Zusammenhang umso mehr, als bereits die Methode und die Reichweite der 497 Besonders in der Zivilrechtsdogmatik ist angesichts der auch hier deutlich werdenden Verwandtschaft zwischen Umgehung und Analogietatbestand umstritten, ob das Institut der Umgehung sich überhaupt von den Lehren über den Analogieschluss unterscheidet. Vgl. hierzu D. II. 498 Gänzlich unabhängig ist dieses Kriterium von den bisher genannten jedoch nicht, soll doch der sachliche und zeitliche Zusammenhang zwischen Bareinlage und schuldrechtlichem Rechtsgeschäft die tatsächliche Vermutung zu entnehmen sein, dass eine Abrede zur Verknüpfung der beiden Rechtsgeschäfte und damit zur Gesetzesumgehung bestand (im Einzelnen sehr strittig; siehe Schäfer, GmbHR 1993, 717 [726] m. w. N.). 499 Vgl. hierzu D. II. 500 Weitere Schranken für das Problem der verschleierten Sacheinlagen ergeben sich – wie bereits ausgeführt – daraus, dass die Übernahme zivilrechtlicher Vermutungen im Strafrecht nicht zulässig ist.

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außerstrafrechtlichen Erfassung der vorgetäuschten Bareinlagen alles andere als unumstritten ist. Abschließend sei in Hinblick auf 2. Teil dieser Arbeit wiederum darauf hingewiesen, dass die Umgehungsabsicht des Täters – sofern sie nachweisbar ist – in erster Linie wohl auf das Gesellschaftsrechts abzielt; auf eine Umgehung gerade des Strafrechts als Ziel seines Handelns kommt es dem Inferenten eher nicht an. Es wird sich daher noch zeigen müssen, inwieweit die Verschleierung von Sacheinlagen dem Thema der Umgehungen im Strafrecht zuzuordnen ist. 6. Umgehungen des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes Umgehungshandlungen im Außenwirtschaftsrecht, die durch die Strafvorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG) auch erhebliche strafrechtliche Relevanz haben, sind nicht selten, da die Überwindung der strengen staatlichen Überwachung insbesondere von Rüstungstransporten auf dem Wege der formalen Anpassung des Handelns oftmals Erfolg versprechender erscheint als das schlichte Schmuggeln in das Ausland bzw. der heimliche Transport im Inland.501 Die Umgehungen insbesondere von Exportverboten lassen sich dabei in zwei große Gruppen aufteilen. Zum einen betreffen sie Angaben bezüglich des Bestimmungs- oder Verbrauchslands, zum anderen Angaben zu der Zusammensetzung der Warensendungen.502 Bei diesen Sachverhalten, von denen unstrittig ist, dass sie Verschleierungs- und Vermeidestrategien im weitesten Sinne sind503, wird jedoch nicht stets deutlich zwischen Schein- und Umgehungshandlungen getrennt.504 Zur Verdeutlichung der Abgrenzungsschwierigkeiten505 501

Handbuch Müller-Gugenberger/Bieneck-Bieneck, § 62 Rn. 34 ff. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 84. 503 Zu den vielfältigen Methoden zur Verschleierung eines illegalen Technologietransfers vgl. Handbuch Wabnitz/Janovsky-Harder, Kapitel 21 Rn. 47 ff.; Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, § 25 Rn. 13. 504 So heißt es etwa im Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, § 25 Rn. 10, bei Umgehungshandlungen werde der durch Auslegung ermittelte Geltungsbereich der Strafnorm durch eine formale „Scheinanpassung“ des Handelns eingeschränkt; der „juristische Umgehungsbegriff“ wird mit „Verschleierungshandlungen“ gleichgesetzt (Rn. 13) und zu seiner Voraussetzung wird erhoben, dass „Sachverhaltsgestaltungen konstruiert und vorgegeben werden, die zum Schein den gesetzlichen Vorschriften entsprechen“. (Rn. 12). Diese Umschreibungen treffen den juristischen Umgehungsbegriff jedoch nicht, denn eine Simulation bzw. Dissimulation die tatsächliche Seite betreffend muss für Umgehungshandlungen gerade nicht stattfinden. Kennzeichnet für Umgehungshandlungen ist vielmehr die Erfassungsproblematik auf der Rechtsanwendungsseite; Schwierigkeiten bei der Ermittlung des der Rechtsanwendung zugrunde zu legenden Sachverhalts kennzeichnen hingegen die Scheinhandlungsproblematik. Siehe hierzu bereits B. II. 1. a) aa). 505 Die Beobachtung, dass viele als Umgehungshandlungen bezeichnete Verhaltensweisen oftmals eher als Scheinhandlungen zu bezeichnen sind, findet sich bereits bei Tiedemann, Spendel-FS, S. 591 ff. (604) und Reisner, S. 116. 502

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sollen zu den beiden geschilderten Umgehungskonstellationen im Folgenden jeweils zwei Beispielsfälle erörtert werden. a) Zum Endverbleib von Rüstungsgütern506 Im Jahr 1976 hatte die Rheinmetall GmbH aus Düsseldorf mit dem Saudi-Arabischen Verteidigungsministerium einen Liefervertrag über 1500 Maschinengewehre mitsamt den zugehörigen Ersatzteilen geschlossen, dessen „Erfüllung“507 aber sowohl die Verweigerung der Beförderungsgenehmigung nach dem KWKG als auch der Ausfuhrgenehmigung nach dem AWG entgegenstanden. Über Umwege gelang es der Rheinmetall gleichwohl, ihren Zusagen nachzukommen. Aufgrund eines Scheinkaufvertrags mit der italienischen Firma W wurden Genehmigungen für eine Lieferung von 999 MG nach Italien beantragt, deren Erteilung aufgrund des NATOStatus des Landes für sicher erachtet wurde. In Unkenntnis des wahren Endverbleiblandes wurden die erforderlichen Genehmigungen durch das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft auch erteilt. Entsprechend den Anweisungen der Rheinmetall wurden die Maschinengewehre durch die Firma W und ein weiteres Hilfsunternehmen nach Saudi-Arabien versandt. Die Bezahlung der Waffen durch das Saudi-Arabische Verteidigungsministerium erfolgte auf direktem Wege an die Rheinmetall GmbH. In einem weiteren angeklagten Tatkomplex ging es um die Lieferung einer Munitionsfüllanlage zur Herstellung von Artilleriemunition und Raketensprengköpfen an ein südafrikanisches Rüstungsunternehmen im Umweg über eine eigens hierzu gegründete paraguayische Handelsfirma. Da den Angeklagten bekannt war, dass sie für die Lieferung der Anlage an das vom damaligen Apartheitsregime regierte Land die notwendige Genehmigung nach dem AWG nicht erhalten würden, schlossen sie mit der paraguayischen Handelsfirma einen Vertrag über die Lieferung der Munitionsfüllanlage. Zugleich verpflichtete sich diese Firma in einer weiteren, textlich auf den ersten Vertrag abgestimmten Vereinbarung gegenüber dem südafrikanischen Unternehmen zur Lieferung der Anlage nach Südafrika, wobei der Preis nur um die Frachtkosten von Paranaguá nach Durban erhöht wurde. In Unkenntnis dieser Vereinbarungen genehmigte das zu dieser Zeit noch zuständige Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft die Genehmigung zur Ausfuhr nach Paraguay. Dort verblieb die Anlage sechs Wochen, bevor sie umgeladen und nach Durban verschifft wurde. Für den ersten Sachverhalt, die Lieferung von Maschinengewehren nach SaudiArabien, muss von einem Nebeneinander von Scheinelementen und Umgehungselementen ausgegangen werden. Die nur zum Schein mit der als Käufer auftretenden 506

LG Düsseldorf, NStZ 1988, 231 ff. („Rheinmetall“). Der Begriff der Erfüllung soll hier nicht im engen zivilrechtlichen Sinne verstanden werden. Es braucht hier daher nicht zu diskutiert werden, ob nicht schon das obligatorische Geschäft gemäß § 134 BGB nichtig gewesen sein könnte. 507

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Firma W abgeschlossenen Verträge sollten verdecken, dass das Endverbleibsland für die Waffen nicht Italien, sondern Saudi-Arabien sein würde. Hier hat keine Umgehungshandlung stattgefunden, sondern eine Scheingeschäft, das den Anschein eines Endverbleibs in Italien erwecken sollte. Andererseits ist es zu dem in dem Genehmigungsantrag angegebenen Transport der MG nach Italien auch tatsächlich gekommen. Diesbezüglich stellte sich also nach Ermittlung der dissimulierten Handlung das allein rechtsanwendungsbezogene Problem, ob eine Exportgenehmigung nach Italien gemäß dem damaligen § 3 III KWKG auch für den Fall des Weitertransports der Gegenstände Wirksamkeit entfaltete, sofern sie von Anfang an auf das Betreiben des Antragstellers zurückzuführen war. Nur auf den ersten Blick ändert sich für den zweiten Fall etwas an dieser Bewertung, in dem die Lieferung von Rüstungsgütern nach Südafrika über den Umweg Paraguay erfolgte. Es ist davon auszugehen, dass die Rechtsgeschäfte zwischen Rheinmetall und der paraguayischen Firma sowie zwischen dieser Firma und dem südafrikanischen Unternehmen ernsthaft gewollt waren und damit keine bloßen Scheinverträge. Gleichwohl sollte diese Gestaltung unabhängig von ihrer zivilrechtlichen Wirksamkeit in Hinblick auf den Endverbleib ebenso Scheinwirkung entfalten wie der bloße scheinbare Vertragsabschluss im Falle des Lieferumwegs über Italien. Die verbleibende Umgehungsproblematik, nämlich die Frage nach der Genehmigungsreichweite für den Fall eines Weitertransports, stellte sich damit für beide Sachverhalte gleichermaßen. Die rechtlichen Schwierigkeiten bei der Erfassung des nur vorgetäuschten Endverbleibs ergaben (und ergeben) sich aus der Verwaltungsakzessorietät der Strafvorschriften des AWG und des KWKG, welche auf ein „Handeln ohne Genehmigung“ abstellen. Die tatbestandsausschließende Wirkung liegt jedoch auch bei fehlerhaften Genehmigungen vor, die zwar rücknahmefähige, aber (zunächst) wirksame Verwaltungsakte sind, § 48 VwVfG.508 Nach herrschender Auffassung findet auch bei Erschleichung und sonstigem Missbrauch der Genehmigung jedenfalls dann kein Durchgriff auf die Rechtswidrigkeit des wirksamen Verwaltungsaktes statt, wenn es um eine tatbestandsausschließende Erlaubnis geht.509 Wenn im Straftatbestand ausdrücklich ein Handeln ohne Genehmigung vorausgesetzt ist, wäre es mit dem Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 103 II GG fernerhin nicht vereinbar, die verwaltungsrechtlich wirksame Genehmigung mit Rechtsmissbrauchserwägungen hinwegzueskamotieren.510 Die hier ansetzende und § 48 VwVfG ausnahmsweise durchbrechende Rechtmissbrauchsklausel in § 34 VIII AWG511 existierte noch nicht. Danach handelt (auch) ohne Genehmigung, wer aufgrund einer durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Genehmigung han508

Vgl. zu dieser Problematik Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, § 25 Rn. 21. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 206; v. Burchard, S. 74 ff.; Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, aaO. 510 Wimmer, JZ 1993, 67 ff. (69); Tiedemann, Spendel-FS, S. 591 ff. (599). 511 Eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuchs und anderer Gesetze vom 28. 2. 1992, BGBl. I 372. 509

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delt.512 Nach Auffassung des Landgerichts Düsseldorf513 und zuvor des Oberlandesgerichts Düsseldorf514 kam es auf diese Problematik indessen im Fall der Rheinmetall-Exporte nicht an, denn die Angeklagten hätten ganz ohne Genehmigung gehandelt, weil die erhaltenen Genehmigungen die von den Tätern von Anfang an beabsichtigten und tatsächlich vorgenommenen Waffenexporte nicht abdeckten. Vom Umfang der Genehmigung war also nach Auffassung der Gerichte nur gedeckt, was vom Antragsteller auch tatsächlich zur Genehmigung gestellt worden war und was die Behörde genehmigt hatte. Die Einbeziehung des geplanten Endverbleibs in die Interpretation des § 3 III KWKG (und damit für die Frage nach der Existenz einer Genehmigung) meinten die Düsseldorfer Richter aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck des § 3 III KWKG bzw. den Bestimmungen des AWG herleiten zu können. Das Kriegswaffenkontrollgesetz sei in Ausführung von Art. 26 II GG erlassen worden. Sinn und Zweck des Gesetzes sei die Kontrolle der aus der Bundesrepublik Deutschland gelangten Kriegswaffen und deren Endverbleib. Diese Kontrolle sei laut Verfassungsauftrag schon im Interesse des friedlichen Zusammenlebens der Völker (Art. 26 I 1 GG) geboten.515 Eine Berücksichtigung des Endverbleibslandes ergebe sich auch für das außenwirtschaftsrechtliche Genehmigungsverfahren nach dem AWG aus den in § 7 AWG vorgesehenen Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs zum Schutz der Sicherheit und der auswärtigen Interessen der Bundesrepublik. Die auswärtigen Beziehungen der BRD seien durch die Lieferung der Anlage nach Südafrika erheblich gestört worden, weil sie die Bundesregierung in den Verdacht gebracht hätten, ein von ihr mitgetragenes Waffenembargo gegen Südafrika zu unterlaufen. Um diese Folgen zu verhindern, sei es erforderlich, dass die zuständigen Behörden auch über den Endverbleib informiert werden, da sie anderenfalls die Beschränkungsmöglichkeiten z. B. nach § 7 AWG nicht ausschöpfen könnten. Daraus folge, dass sich die außenwirtschaftsrechtliche Genehmigung nicht nur auf das getätigte Geschäft, sondern auch auf das vom Antragsteller angegebene Ausfuhr- und Endverbleibsland erstrecke.516 Heute hat der Gesetzgeber einen anderen Weg zur Erfassung dieser Umgehungen gefunden, der nicht auf diese recht weitgehende teleologische Auslegung nicht nur der Genehmigungstatbestände, sondern der exportkontrollierenden Normen allgemein angewiesen ist: Indem er ausdrückliche Endverbleibsklauseln in die Geneh512 Damit ist § 34 VIII AWG als spezialgesetzlicher Kompromiss für die bei Umgehungssachverhalten stets kollidierenden Rechtsprinzipien der Rechtssicherheit (hier: Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand eines Verwaltungsakts) und der materiellen Einzelfallgerechtigkeit (hier: die Strafwürdigkeit einer erschlichenen rechtswidrigen Genehmigung) anzusehen; Wimmer, JZ 1993, 67 ff. (72). 513 LG Düsseldorf, NStZ 1988, 231 ff. (231 f.). 514 Das OLG Düsseldorf (NStZ 1987, 565 f.) hatte in dem dem Hauptverfahren vor dem LG Düsseldorf vorangehenden Ermittlungs- und Zwischenverfahren über eine Haftbeschwerde der Angeschuldigten zu entscheiden. 515 OLG Düsseldorf, aaO. 516 LG Düsseldorf, aaO.

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migung sowohl nach dem KWKG als auch nach dem AWG aufgenommen hat, wird die subjektive Richtigkeit der Angaben zum Genehmigungsinhalt und ist nicht – wie zuvor – bloße Genehmigungsvoraussetzung (vgl. etwa § 10 I KWKG).517 Dies bedeutet, dass eine durch bewusste Falschangaben erschlichene Genehmigung unbeachtlich ist und damit keine tatbestandsausschließende Wirkung mehr entfalten kann.518 Aufgrund der speziellen Endverbleibsklauseln ist ein Rückgriff auf die allgemeine Erschleichungsklausel in § 34 VIII AWG in diesen Konstellationen kaum noch notwendig.519 Spezielle Klauseln zur Erfassung von Umgehungshandlungen, die sich auf das Bestimmungsland der Waren beziehen, finden sich im Außenwirtschaftsrecht neuerdings auch für die Terrorismusbekämpfung und die damit verbundenen Embargo-Vorschriften.520 Zu den Endverbleibsfällen ist weiterhin festzustellen, dass sie nicht nur ambivalent in Hinblick auf die Trennung zwischen Schein- und Umgehungsverhalten sind, sondern auch die Einordnung als Umgehungs- oder Erschleichungshandlung nicht ganz eindeutig ist: Zwar sollen durch die Tathandlungen die vom AWG und dem KWKG aufgestellten Schranken des Außenwirtschaftshandels umgangen werden, doch bedienten sich die Mitarbeiter der Rheinmetall GmbH zu diesem Ziele einer Erschleichungsstrategie. Die rechtlichen Export-Hürden sollten durch die Erschleichung einer Genehmigung überwunden werden. Auf die soeben geschilderten Sachverhalte trifft ferner zu, was auch bereits die Notwehrprovokation, die actio libera in causa, die strafbare Steuerumgehung oder die Subventionserschleichung gekennzeichnet hatte: Der Umgehungscharakter des Tätervorgehens offenbart sich nicht durch die eigentliche Tathandlung, sondern durch sein strategisches Vorverhalten, so dass auch hier die Vorplanungen des Täters (also der Abschluss von Scheinverträgen oder die Gründung einer Handelsfirma in Paraguay) und die tatbestandliche Handlung (im Falle des AWG die Ausfuhr selbst, für das KWKG bereits der Transport innerhalb der BRD521) zusammen betrachtet werden müssen, um von einem strafrechtlich relevanten Umgehungssachverhalt im Sinne dieser Untersuchung ausgehen zu können. Schließlich ist in Hinblick auf mögliche subjektive Charakteristika des Umgehungsterminus einmal mehr darauf hinzuweisen, dass jedenfalls eine Absicht gerade zur Umgehung strafrechtlicher Vorschriften (§§ 22a KWKG, § 34 AWG) auch für 517 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 208; Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, § 25 Rn. 16; Handbuch Müller-Gugenberger/Bieneck-Bieneck, § 62 Rn. 38. 518 Tiedemann, aaO.; Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, aaO. 519 Tiedemann, aaO.; Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, § 25 Rn. 23. 520 So ist in Art. 4 der VO (EG) Nr. 881/2002 (Taliban-Embargo) und Art. 3 der VO (EG) Nr. 2580/2001 (Terrorismus-Embargo) die Umgehung der jeweiligen Beschränkungen als Tathandlung formuliert; siehe dazu Handbuch Müller-Gugenberger/Bieneck-Bieneck, § 62 Rn. 36, 105, 111 m. w. N. 521 Das AWG stellt bzgl. der Genehmigung vor allem auf die Ausfuhr ab, während nach dem KWKG schon der Transport innerhalb des Bundesgebiets für genehmigungspflichtig erklärt wird, zu diesen Unterschieden siehe Tiedemann, Spendel-FS, S. 591 ff. (600).

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die so eben erörterten Fallgestaltungen des Außenwirtschaftsrechts fraglich ist.522 Die Verschleierung des wahren Endverbleibslandes ist vielmehr Ausdruck der Erkenntnis, dass das wirtschaftliche Ziel, nämlich die Erfüllung von Lieferverträgen mit dem Endverbleibsland, auf dem üblichen, also unzweifelhaft rechtmäßigen Wege nicht genehmigungsfähig ist. Auch für den Verzicht auf einen schlichten Schmuggel der Waffen muss die Strafvermeidung nicht das ausschlaggebende Motiv, jedenfalls nicht das einzige Motiv sein, denn die Folge eines missglückten Schmuggels ist nicht nur die mögliche persönliche Bestrafung der am Schmuggel beteiligten Personen, sondern auch das überaus kostspielige Scheitern der vereinbarten Rüstungsgüterlieferung: §§ 36 I AWG, 24 KWKG sehen über den Rahmen des im allgemeinen Strafrecht in §§ 74 ff. StGB Vorgesehenen hinaus die Einziehung von Gegenständen vor, auf die sich die Straftat lediglich bezogen hat („Beziehungsgegenstände“).523 §§ 36 I AWG, 24 KWKG ermöglichen es also, dem Täter bzw. dem Unternehmen (vgl. § 75 StGB) das illegal Ausgeführte bzw. das innerhalb der BRD unerlaubt Transportierte auf Dauer zu entziehen. b) Zur Zusammensetzung von Warensendungen Eine weitere große Fallgruppe der Vermeidestrategien im Außenwirtschaftsrecht betrifft die Zusammensetzung von Rüstungsgüterlieferungen bzw. die Angaben hierüber. Auch für diese Sachverhalte ist die Einordnung des Tätervorgehens als Scheinhandlung oder Umgehungshandlung nicht stets deutlich zu treffen. Im „Maschinenpistolen-Fall“524 hatte der Bundesgerichtshof zu entscheiden, ob ein Vertrag über das Überlassen von Kriegswaffen, die sich außerhalb der BRD befinden, ohne Genehmigung abgeschlossen worden war (strafbar gemäß § 16 I Nr. 7 KWKG a. F.525). Problematisch war das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „Kriegswaffe“, da der Kriegswaffenliste526 nach Teil B I Nr. 29c nur vollautomatische Pistolen unterfielen, deren Lauf und Verschluss mithin für Dauerfeuer geeignet ist. Kaufgegenstand waren Handfeuerwaffen, die dieser Beschreibung zwar nahezu entsprachen, aufgrund eines eingebauten „Sicherungshügels“527 jedoch nur halbautomatisches Feuer abgeben konnten. Weil aber durch das Abschleifen dieser Sicherung mit einer einfachen Feile die vollautomatische Feuerbereitschaft ohne 522

Allerdings wird für die Erfüllung von § 34 VIII AWG selbst direkter Vorsatz zu verlangen sein; Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, § 25 Rn. 27. 523 Vgl. zu dieser Form der erweiterten Einziehung Handbuch AußenwirtschaftsrechtBieneck, § 26 Rn. 28 ff. m. w. N. 524 BGH NStZ 1985, 367 f.; Bezeichnung nach Reisner, S. 114. 525 Heute § 22a I Nr. 7 KWKG. 526 Zur Systematik der Kriegswaffenliste vgl. Handbuch Wabnitz/Janovsky-Harder, Kapitel 21 Rn. 57 ff.; Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Pathe/Wagner, § 38 Rn. 4 ff., zum materiellen Kriegswaffenbegriff Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Pathe/Wagner, § 38 Rn. 12 ff. 527 Formulierung des BGH, aaO.; Reisner, S. 115, spricht dagegen von einem „Sicherheitsbügel“, Tiedemann, Spendel-FS, S. 591 ff. (604) von einem „Sicherungsbügel“.

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Weiteres wieder herzustellen war, verwarf der Bundesgerichtshof die Rechtsauffassung der Eingangsinstanz, die den Angeklagten wegen des Fehlens der Kriegswaffeneigenschaft freigesprochen hatte: „Eine solche Waffe [also eine Kriegswaffe] verliert diese Eigenschaft nicht schon dadurch, daß bei ihr Vorrichtungen eingebaut sind, die zwar ihre volle Funktionsfähigkeit zunächst behindern, aber mit geringem Aufwand und verhältnismäßig einfachen Mitteln von jedermann beseitigt werden können, der sich über die Möglichkeit dazu informiert. Jede andere Auslegung würde der Umgehung der Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes Vorschub leisten und mit dem Zweck des Gesetzes nicht vereinbar sein, das die Herstellung, den Verkehr und den Handel mit allen zur Kriegsführung geeigneten und deshalb in die Kriegswaffenliste aufgenommenen Waffen und Waffenteilen der staatlichen Kontrolle unterwerfen will.“528 Dieses Kriterium wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf für den hier bereits im Zusammenhang mit der Endverbleibsfrage diskutierten „Rheinmetall-Fall“ in umgekehrter Weise übernommen. Die von den Angeschuldigten nicht komplett, sondern in Baugruppen vormontiert aus der BRD ausgeführten Panzerkanonen und Maschinenpistolen seien entgegen der Verteidigungsauffassung als Kriegswaffen i. S. des § 16 I Nr. 4 KWKG a. F.529 einzustufen, weil ihre Einsatzbereitschaft durch die Möglichkeit der schnellen Zusammensetzung mit allgemein gebräuchlichen Werkzeugen jederzeit gewährleistet gewesen sei.530 Mit der gleichen Argumentation wurde vom Bundesgerichtshof 1995 unter der Verwendung der „anspruchsvollen Bezeichnung“531 „Bausatztheorie“532 auch die Verurteilung des Geschäftsführers eines bayrischen Rüstungsunternehmens bestätigt, der die Aufschlagzünder für Scudraketen während des ersten Irak-Golfkriegs in Einzelteilen in den Irak geliefert hatte. Diese Einzelteile ließen sich mit einfachen Werkzeugen zu kompletten Aufschlagzündern zusammensetzen.533 Der Begriff der Kriegswaffe wird hier also vom Bundesgerichtshof wie zuvor auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf wirtschaftlich-faktisch ausgelegt.534 Die zuletzt genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum KWKG (die auch auf das Außenwirtschaftsrecht übertragen werden kann535) hat im Grundsatz weitest-

528

BGH, aaO. Heute § 22a I Nr. 4 KWKG. 530 OLG Düsseldorf, NStZ 1987, 565 f. 531 So die Formulierung von Tiedemann, Spendel-FS, S. 591 ff. (604); ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 129, der sich zurecht darüber wundert, warum es der Bundesgerichtshof für angemessen hält, das eigene, nicht übermäßig außergewöhnliche Auslegungshandwerk mit einer „Theorie“-Bezeichnung zu adeln. 532 BGHSt 41, 348 (355). 533 BGHSt 41, 348 (352 ff.); siehe dazu bereits Fall 7 in der Einleitung zu dieser Arbeit. 534 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, aaO. 535 Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, § 25 Rn. 15; Holthausen, wistra 1997, 129. 529

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gehend Zustimmung gefunden536, wenn auch eine Minderheitsmeinung im Schrifttum537 der Ansicht ist, dass die wirtschaftlich-faktische Auslegung von der Rechtsprechung hier zu weitgehend betrieben wird und ein Verstoß gegen das Analogieverbot aus Art. 103 II GG festgehalten werden muss.538 Die Umgehungserfassung qua Auslegung im Wege der „Bausatztheorie“ hat inzwischen an Brisanz verloren, als der Gesetzgeber in die Ausfuhrliste zum AWG539 in vielen Positionen inzwischen auch Bestandteile von Waren aufgenommen hat, um zu verhindern, dass die Genehmigungspflicht durch eine Aufteilung der Ware entfällt.540 In der Anwendungsvorschrift zur Ausfuhrliste finden sich weiterhin Bestimmungen zur Genehmigungspflicht für gebrauchte Waren (zur Verhinderung von Umgehungen durch eine vorherige kurzfristige Ingebrauchnahme) und unfertige bzw. vorübergehend funktionsunfähige Waren.541 Angaben über diese Eigenschaften der Ware werden damit zum Genehmigungsinhalt; die allgemeine Erschleichungsklausel in § 34 VIII AWG ist daher nur dann von Relevanz, wenn die falschen oder pflichtwidrig unterlassenen Mitteilungen an die Behörde die Warenteile betreffend ausnahmsweise nur Genehmigungsvoraussetzung sind.542 Ganz überflüssig ist § 34 VIII AWG wohl auch in Zukunft nicht, denn die in den Ausfuhrlisten zum Ausdruck kommende Enumerationstechnik wird – wie jede ins Detail gehende Erfassungsmaßnahme – ihrerseits stets dem technisch-wissenschaftlichen Fortschritt und dem Erfindungsreichtum geschickter Gesetzesumgeher hinterherhinken.543 Nun vertritt Tiedemann die Auffassung, dass sowohl die Bausatz-Fälle als auch der „Maschinenpistolenfall“ nicht als Umgehungssachverhalte zu qualifizieren seien, sondern als Scheinhandlungen, weil die Manipulation der Gegenstände ihre wahre Eigenschaft, nämlich die einer Kriegswaffe, verdecken solle.544 Dieser These kann jedoch nur bedingt zugestimmt werden, denn die Aufklärung über den „wahren“ Sachverhalt (eine solche Notwendigkeit zur Aufklärung setzt freilich voraus, dass die Täter z. B. behauptet haben, bei den Einzelteilen der Aufschlagzündern handele es sich etwa um landwirtschaftliche Technik bzw. im Maschinen536 Bieneck, wistra 2000, 441 (442); Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Pathe/Wagner, § 38 Rn. 28; Holthausen, wistra 1997, 129; ders., NStZ 1996, 284; Kreuzer, NStZ 1996, 555; Handbuch Wabnitz/Janovsky-Harder, Kapitel 21 Rn. 58. 537 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 129 nennt sie das „Lobby-Schrifttum“. 538 Pottmeyer, wistra 1996, 121 ff.; Langkeit, WiB 1996, 323; Epping, S. 93 f., wohl auch Reisner, S. 116. 539 Zum Begriff der Ausfuhrliste Handbuch Wabnitz/Janovsky-Harder, Kapitel 21 Rn. 12. 540 Gleiches gilt für die Kriegswaffenliste (KWL) nach dem KWKG; Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Pathe/Wagner, § 38 Rn. 25. 541 Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, § 28 Rn. 20 ff.; Tiedemann, Spendel-FS, S. 591 ff. (605); ders., Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 84. 542 Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, § 25 Rn. 23. 543 Tiedemann, Spendel-FS, aaO. 544 Tiedemann, Spendel-FS, S. 591 ff. (604); diese Erwägung findet sich auch bei Reisner, aaO. wieder.

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pistolenfall, die Pistolen seien nicht mehr zu vollautomatischen Waffen umzubauen) führt nicht ohne Weiteres zur Anwendbarkeit der für einschlägig erachteten Strafnormen des KWKG. Vielmehr bleibt ein normbezogenes Rechtsanwendungsproblem bestehen, nämlich die Frage danach, ob der entgegen dem ersten Anschein ohne Weiteres zur einsatzbereiten Kriegswaffe umzufunktionierende Gegenstand gerade deshalb selbst bereits Kriegswaffe ist. Nach den Überlegungen Tiedemanns scheint hingegen kein Rechtsanwendungsproblem im Sinne fraglicher Subsumierbarkeit übrig zu bleiben: Der Schein betrifft demnach einen nicht einsatzfähigen bzw. nicht zum Dauerfeuer einsatzfähigen Gegenstand, der aber in Wirklichkeit schon Kriegswaffe ist. Mit dieser Schlussfolgerung wird das Subsumtionsergebnis indes vorweggenommen. Dies wird deutlich, wenn der Maschinenpistolenfall dergestalt umgebildet wird, dass zur Herstellung der Dauerfeuerbereitschaft nicht nur das Abfeilen eines Bügels erforderlich ist, sondern das aufwendige Aufbohren des Pistolenlaufs mit Spezialwerkzeug. Hier wird der Täter eine Scheinhandlung nicht wollen können, da auch die Kenntnis über diese Umbaumöglichkeiten wohl nichts daran ändert, dass die unaufgebohrte Pistole nicht unter den Kriegswaffenbegriff fällt.545 Umgekehrt ist eine Qualifizierung des Täterverhaltens als Scheinverhalten im Maschinenpistolen-Grundfall nur dann möglich, wenn der Existenz des Sicherungsbügels a priori und im Sinne der „Bausatztheorie“ keine Bedeutung in Hinblick auf den Kriegswaffenbegriff beigemessen wird. Zuzugeben ist Tiedemann daher, dass die Täter womöglich allein auf die Herbeiführung eines Scheins abgezielt hatten. Die Auswirkungen ihres Verhaltens hatten gleichwohl Umgehungscharakter, weil auch die Ermittlung der „wirklichen“ Eigenschaften der transportierten und ausgeführten Gegenstände nicht ohne weiteres ihre Subsumierbarkeit unter den „Kriegswaffenbegriff“ sicherstellt, sondern diese auf die „Bausatztheorie“ angewiesen ist. Der Einordnung dieser Sachverhalte in den allgemeinen Umgehungszusammenhang steht daher aus objektiver Sicht nichts entgegen, da das Tätervorgehen im Übrigen stets mit einer eindeutigen Verletzung der ratio legis sowohl des AWG als auch des KWKG verbunden war. Dagegen zeigt sich für die Umgehungsabsicht – sofern sie begriffsnotwendig sein sollte –, dass die Errichtung eines normbezogenen Subsumtionshindernisses wohl nicht stets als Ziel des Tätervorgehens anzunehmen war, sondern die Hervorrufung eines bloßen Scheins in dem von Tiedemann beschriebenen Sinne. Zudem ist in Parallele zu den bereits erörterten Sachverhalten zu Fragen des Endverbleibs zu unterstellen, dass eine Vermeidung gerade des Strafrechts nicht allein kennzeichnend für die Tätermotivation ist, sondern die Umgehung der Verwaltungsvorschriften des

545 Ein praktischer Lösungsvorschlag zu dieser Abgrenzungsfrage wird in Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Pathe/Wagner, § 38 Rn. 27, 31 angeboten. Hiernach soll nur noch von einer Kriegswaffe auszugehen sein, wenn der zur Vervollständigung noch notwendige Aufwand im Verhältnis zum gesamten Herstellungsaufwand nicht mehr als 25 % beträgt.

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Außenwirtschaftsrechts zumindest gleichrangige Bedeutung für die Tatplanung hat.546 Insgesamt lässt sich für die Diskussion um Verhalten mit strafvermeidender Tendenz im Zusammenhang mit dem Rüstungsgüterhandel festhalten, dass ihre Relevanz für diese Untersuchung durch mehrere Faktoren beeinträchtigt wird: In objektiver Hinsicht ist das Täterverhalten durch ein stetes Nebeneinander von Schein- und Umgehungshandlungen gekennzeichnet, die zu trennen erhebliche Schwierigkeiten bereitet. In subjektiver Hinsicht ist jedenfalls für diejenigen Sachverhalte, die sich auf Manipulationen der Wareneigenschaft beziehen, bereits fraglich, ob überhaupt eine Umgehungsstrategie oder nicht vielmehr ein Scheinverhalten vom Täter geplant ist. Zudem bleibt für alle erörterten Fallkonstellationen zweifelhaft, ob sie gerade zur Umgehung strafrechtlicher Normen ins Werk gesetzt werden. Verneinendenfalls handelt es sich bei den hier diskutierten Fällen zum Außenwirtschaftsrechts lediglich um Umgehungsfälle mit Relevanz für das Strafrecht, jedenfalls sofern die Umgehungsabsicht gerade des Strafrechts eine Notwendigkeit des strafrechtlichen Umgehungsterminus sein sollte. 7. Progressive Kundenwerbung, § 16 II UWG Die wechselseitigen Bedingungen zwischen tatbestandslosem, aber strafwürdigem Verhalten einerseits und den oft entweder durchlässigen oder verfassungsrechtlich bedenklichen Reaktionen der Gerichte und des Gesetzgebers andererseits lassen sich gut aus der Geschichte der Strafbarkeit der progressiven Kundenwerbung ablesen, die in Teilbereichen gemäß § 16 II UWG (und zuvor durch den durch das 2. WiKG vom 15. 5. 1986 eingefügten § 6c UWG) als strafbare Werbung erfasst ist. Zuvor hatte die höchstrichterliche Rechtsprechung dem Phänomen der massenhaft durch unredliche Versprechungen in den Produktabsatz eingespannten Laienverkäufer mit den zu diesem Zeitpunkt vorhandenen strafrechtlichen Mitteln begegnen müssen.547 Das Verhalten wurde (unter bemerkenswert extensiver Geset546

Eine ähnliche Fallkonstellation beschäftigte 1918 bereits das Reichsgericht (JW 1918, 451). Zu entscheiden war über die Anwendbarkeit von § 134 BZG, der die Ausfuhr von neuen Lederschuhen als Konterbande bestrafte. Die Angeklagte, die ihren im Ausland lebenden Verwandten Schuhe per Post zukommen lassen wollte, sorgte für ein „Gebraucht-Sein“ der Schuhe, indem sie Kratzer in die Sohlen mancher Schuhe machte, an anderen Schuhen geringfügig Leder abkratzte und an einem dritten Schuh die Sohlennägel etwas abschabte. Das Reichsgericht hörte die Angeklagte mit dem Einwand, sie habe zum einen der Auskunft eines Postbeamten Glauben geschenkt, von § 134 BZG seien nur neue Schuhe erfasst und zum anderen die Schuhe in der Überzeugung verschickt, aus neuen erfolgreich gebrauchte Schuhe gemacht zu haben. In seiner Anmerkung zu diesem Urteil hält es Köhler (JW 1918, 451) aber für erheblich nahe liegender, dass die Angeklagte nicht einer Selbsttäuschung über den Begriff der gebrauchten Schuhe erlag, sondern die Behörden über die Eigenschaft der Schuhe als neue täuschen wollte. 547 MüKo-UWG-Brammsen, § 16 Rn. 7.

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zesauslegung548) strafrechtlich als Öffentliche Lotterie, § 286 I StGB a. F.; unerlaubtes Ausspielen gemäß § 286 II StGB a. F. und/oder als Werbedelikt nach § 4 UWG a. F. eingeordnet.549 Angesichts der – auch vom Bundesgerichtshof in einer Entscheidung geteilten550 – Einsicht in die Unzulänglichkeit des bisherigen strafrechtlichen Schutzes gegen eine als besonders schwerwiegende Form des unlauteren Wettbewerbs angesehene Geschäftspraxis sah sich der Gesetzgeber 1986 dazu veranlasst, mit § 6c UWG a. F. einen besonderen Straftatbestand in das Lauterkeitsrecht einzufügen.551 Dieses „Laienwerbungsdelikt“ sollte von nun an diverse Formen der progressiven Kundenwerbung erfassen, z. B. die sog. Schneeball-, Pyramiden-, Geldgewinnspiel- und Kettenbriefsysteme.552 Schon bald ergaben sich aber Schwierigkeiten, die so genannten gesteuerten Kettenbriefsysteme und deren Weiterentwicklung, die Geldgewinnspiele, etwa in Form von Pyramiden-Gewinnspielen, zu erfassen. Den bis heute andauernden Meinungsverschiedenheiten über die Strafbarkeit dieser Spiele liegt folgendes, hier typisiertes System zugrunde:553 Ausgangsplan der Pyramiden-Gewinnspiele ist der Aufbau einer mehrstufigen Pyramide von Teilnehmern. Sind die für die neuen Teilnehmer vorgesehenen Plätze der untersten Ebene vollständig belegt, kommt es zu einem Aufrücken der bereits zuvor an dem Spiel Beteiligten und die Pyramide teilt sich. Die neuen Teilnehmer haben anlässlich ihres Beitritts zum Teil ganz erhebliche Teilnahmegebühren an den Verwalter des Spiels bzw. Spielbeiträge an die sich auf höheren Ebenen befindlichen Spielteilnehmer zu entrichten. Die durch das Aufrücken bedingten freien Plätze werden wiederum durch Neueinsteiger belegt. Dabei tritt der Veranstalter des Spiels nach einmal erfolgter Initiierung nunmehr als dessen Verwalter auf und erhält dafür Aufnahme- und Bearbeitungsgebühren, wird jedoch nicht Vertragspartner der Spieler. Rechtsgeschäftliche Beziehungen entstehen allein zwischen den Teilnehmern des Spiels. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang das Merkmal der „besonderen Vorteile“ in § 16 II UWG.554 Teilweise wird die Anwendung von § 16 II UWG bzw. 548

LK11-v. Bubnoff, Vor § 287 Rn. 6 ff. m. N. zur Kritik an der damaligen Rechtsprechung aus dem Schrifttum. 549 BGHSt 2, 79; 139; OLG Karlsruhe NJW 1972 1963. 550 BGH GA 1978, 332. 551 Fezer-Rengier, § 16 Rn. 116 f.; MüKo-UWG-Brammsen, aaO.; Otto, Jura 1999, 97 (99); LK11-v. Bubnoff, Vor § 287 Rn. 6 ff., 11. Die Strafwürdigkeit der progressiven Kundenwerbung wird allerdings nun von Krack, Otto-FS, S. 609 ff. (617) grundsätzlich in Frage gestellt. 552 Ein Überblick über die verschiedenen Spielsysteme findet sich z. B. bei Otto, Jura 1999, 97 (98 ff.); Fezer-Rengier, § 16 Rn. 120 ff.; MüKo-UWG-Brammsen, § 16 Rn. 56 ff. 553 Darstellung der Grundidee der Pyramiden-Gewinn-Spiele nach Otto, Jura 1999, 97 (100 ff.). 554 Die zuvor ebenfalls strittige Frage, ob der zu gewährende Vorteil vom Veranstalter oder sogar vom Täter selbst stammen muss, ist durch die Neuregelung von § 16 II UWG vom 1. 9. 2000 (BGBl. I S. 1374) entschärft worden, so dass die Herkunft der Zuwendungen nunmehr ohne Belang ist; Fezer-Rengier, § 16 Rn. 148, 151.; MüKo-UWG-Brammsen, § 16 Rn. 94.

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seiner Vorgängervorschrift § 6c UWG a. F. mit der Argumentation abgelehnt, dass die Vorschrift nicht passe, wenn das progressive System ohne Koppelung mit dem Vertrieb echter Waren usw., gewissermaßen also pur, letztendlich als Gewinnspiel selbst Gegenstand des Verkaufs und der Abnahme sei. Die erworbene Ware und der Vorteil seien wirtschaftlich identisch, da die Ware nur mit der ihr innewohnenden Gewinnchance etwas wert sei.555 Nach der Gegenauffassung ist eine Trennung ohne weiteres möglich: Gegenstand der Abnahme ist demnach das Mitgliedschaftsrecht inklusive damit verbundener weiterer Vorteile und Administrativrechte, „besonderer Vorteil“ demgegenüber der Anspruch auf Zahlung von Provision bzw. Werbeprämien.556 Wichtiger als eine Entscheidung dieser Streitigkeit ist für die hier interessierende Thematik jedoch die Frage, inwieweit das – jedenfalls nach einer gewichtigen Auffassung – tatbestandslose Veranstalten eines Pyramidengewinnspiels zugleich auch eine Tatbestandsumgehung darstellt. Dies ist nicht ohne weiteres einsichtig, denn die Pyramiden-Gewinnspiele repräsentieren nur eines von hunderten – oftmals nur in Einzelheiten voneinander abweichenden – progressiven Kundenwerbungssystemen. Ihre Straflosigkeit erscheint mehr oder weniger zufällig; der Gesetzgeber hat nicht ein bestimmtes Werbungssystem als strafwürdig und -bedürftig vor Augen gehabt. Allerdings spricht die amtliche Begründung des § 16 II UWG dagegen, dass dem Gesetzgeber deshalb nur an einem fragmentarischen Schutz vor den so genannten „Schneeballsystemen“ gelegen gewesen wäre. Der Normzweck ist nach der amtlichen Begründung nämlich in einem „generalisierten Schutz gegen Täuschung, glücksspielartige Willensbeeinflussung und Vermögensgefährdung“ zu sehen.557 In Hinblick auf den systematischen Zusammenhang mit § 16 I UWG (strafbare Werbung) wird es im Schrifttum für angemessen erachtet, neben dem Verbraucher auch den Mitbewerber und das Allgemeininteresse in den Schutzbereich einzubeziehen.558 Es spricht angesichts des von § 16 II UWG intendierten weiten Schutzbereichs daher einiges dafür, die jedenfalls für ein beachtliches Meinungsquorum bestehende Straflosigkeit der beschriebenen Variante von Geldgewinnspielen als Zweckvereitelung des § 16 II UWG einzuordnen. Überdies ist behauptet worden, die Entkoppelung der progressiven Gewinnspielsysteme von dem Vertrieb echter Waren oder ähnlichen sei ein Entwicklungsschritt besonders gerissener Veranstalter gewesen, der bewusst darauf ausgerichtet gewesen sei, die straftatbestandlichen Klippen des § 6c UWG a. F. zu umschiffen.559 555 BayObLG wistra 1990, 240; OLG Stuttgart wistra 1991, 234; OLG Rostock, wistra 1998, 234; OLG Brandenburg, wistra 2003, 74; LK11-v. Bubnoff, Vor § 287 Rn. 15 ff.; Otto, Jura 1999, 97 (102 ff.); MüKo-UWG-Brammsen, § 16 Rn. 92 m. w. N. 556 BGHSt 43, 270 (274 ff.); OLG Bamberg, wistra 1997, 114; Fezer-Rengier, § 16 Rn. 148 ff.; Beckemper, wistra 1999, 169 (171 f.); Richter, zuletzt in wistra 1990, 216 (217 f.); Wegner, wistra 2001, 171 (172). 557 BT-Drucks. 10/5058 S. 38 f. 558 Fezer-Rengier, § 16 Rn. 118 m. w. N. 559 LK11-v. Bubnoff, Vor § 287 Rn. 5; Otto, Jura 1999, 97 (100).

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Unter diesem Blickwinkel wäre die neutrale Stellung des Veranstalters im Spiel nicht mehr eine dem bloßen Zufall geschuldete System-Variante unter vielen, sondern eine allein auf Straflosigkeit kalkulierende Änderung der Kontrollmöglichkeiten über die Spielteilnehmer. Ohne dass die Richtigkeit dieser These über die Beweggründe für das Aufkommen der zentral gesteuerten Kettenbriefsysteme hier nachgewiesen oder falsifiziert werden könnte, zeigt sich an dieser Stelle einmal mehr, dass die Begriffsbildung der Gesetzesumgehung davon abhängen könnte, mit welcher Zielsetzung der Täter eine Geschäftsgestaltung gewählt hat, deren Subsumtion unter einen Straftatbestand bereits unabhängig von etwaigen Umgehungsvorhaben im Streit steht. Mit Kenntnis der Täterplanung erscheint seine Straflosigkeit im konkreten Fall nicht mehr allein als eine über ihn gekommene Wohltat, die der Verfassungsgeber mit Art. 103 II GG für alle (Straf-)Normunterworfenen vorgesehen hat, sondern auch als eine Frucht seiner eigenen Bemühungen. 8. Straftaten im Zusammenhang mit der Vermeidung des deutschen Gesellschaftsstatuts Eine bisher wenig diskutierte, in ihren praktischen Konsequenzen aber sehr bedeutsame Fragestellung ist, ob die unter der Herrschaft des Europarechts zulässige absichtliche Umgehung deutschen Gesellschaftsrechts durch Errichtung von Zweigniederlassungen bestimmter Auslandsgesellschaften (vor allem der „private company limited by shares“) im Bereich der Bundesrepublik auch dazu geführt hat, dass gesesllschaftsstrafrechtliche Vorschriften und sonstige Vermögensdelikte aus dem StGB auf den Geschäftsführer („director“) dieses Unternehmenstyps keine oder nur erschwert Anwendung finden können. a) Das deutsche Gesellschaftsstatut und die europäischen Grundfreiheiten Durch die EuGH-Entscheidungen in den Sachen „Daily Mail“560, „Centros“561, „Überseering“562 und „Inspire Art“563 sind Fragen des Gesellschaftsstatus – genauer: der Umgehungsmöglichkeiten des nationalen Gesellschaftsstatuts – für das internationale Gesellschaftsrecht in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Kern des Problems ist das Spannungsverhältnis zwischen dem bis Mitte der neunziger Jahre in Deutschland vorherrschenden Gesellschaftsstatut (die „Sitztheorie“) und den europäischen Grundfreiheiten, insbesondere der Niederlassungsfreiheit gemäß den Artt. 49, 54 AEUV (ex-Artt. 43 und 48 EGV). Das deutsche

560 561 562 563

EuGH Rs. C-81/87, Slg. 1988, I-5483, 5511. EuGH Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459. EuGH Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919. EuGH Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155.

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Internationale Privatrecht enthält keine Kollisionsnormen über juristische Personen, vgl. Art. 37 Nr. 2 EGBGB. Nach der Sitztheorie bestimmt sich das Gesellschaftsstatut nach dem tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung; für die vorwiegend im anglo-amerikanischen Rechtskreis vertretene Gründungstheorie richtet sich das Statut dagegen dauerhaft nach dem Recht des Staates, in dem die Gesellschaft gegründet wurde. Nach einmal wirksamer Gründung einer Gesellschaft stehen der effektiven Sitzverlegung ins Ausland oder der Gründung einer Zweigniederlassung keine Hindernisse mehr im Wege.564 Die deutsche Rechtsprechung und Literatur sahen den besonderen Vorteil der Sitztheorie in ihrer „Umgehungsfestigkeit“. Sie verhindere Rechtsmissbrauch, indem sie unterbindet, dass eine Rechtsordnung gewählt wird, die nationalen Gläubiger-, Arbeitnehmer- und Minderheitsaktionärsinteressen zuwider läuft.565 Die Gründungstheorie dagegen führe zu einem multilateralen Wettlauf um das regelungsschwächste Gesellschaftsrecht, zum so genannten „Delaware-Effekt“566, oder, allgemeiner gesprochen, zu einem „race to the bottom“567 die Gesellschaftsstatuten betreffend. Die Sitztheorie ist damit zugleich eine Schutztheorie: Die Privatautonomie des Gründers die Wahl der Rechtsordnung betreffend soll hinter dem Verkehrsschutz im Sitzland zurückstehen; eine identitätswahrende Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes ist nicht möglich.568 aa) Urteil im Fall „Centros“ In dem Fall „Centros“ hatten dänische Eheleute bei einem Aufenthalt in Großbritannien eine private limited company (plc) nach britischem Recht gegründet und als Sitz die Adresse eines Bekannten verwendet, um daraufhin die Geschäfte dieser plc ausschließlich in Dänemark zu führen. Der Europäische Gerichtshof kam in seinem Urteil im Jahr 2000 zu dem Ergebnis, dass die Artt. 49, 54 AEUV (ex-Artt. 43 und 48 EGV) den dänischen Registerbehörden die Möglichkeit verwehrten, diese Gesellschaft mit der Begründung den Vorschriften des dänischen Gesellschaftsrechts zu unterwerfen, dass die Gesellschaft nur scheinbar eine britische Gesellschaft sei, und die Eintragung der dänischen Niederlassung der Gesellschaft abzulehnen. Es 564

Hülk/Timme, JA 2003, 765; Kegel/Schurig, S. 502. OLG Oldenburg, NJW 1990, 1422; LG Marburg, NJW-RR 1993, 222 (223). 566 Der „Delaware-Effekt“ beschreibt einen Prozess im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht und in der Praxis der Unternehmensgründung bzw. -verlagerung. Infolge der Rechtsprechung des Supreme Court gilt innerhalb der USA die Gründungstheorie. Damit besteht weitestgehende Niederlassungsfreiheit. In Zuge dessen zielte die Wirtschaftspolitik der Bundesstaaten darauf ab, eine Ansiedelung von Unternehmen durch ein möglichst liberales Gesellschaftsrecht zu fördern. Die großzügigen Regelungen des Bundesstaates Delaware brachten dabei besonders großen Erfolg mit sich, vgl. Hülk/Timme, JA 2003, 765 (767 mit Fußnote 29). 567 Auch dieser Begriff ist ökonomischer Provenienz. Er umschreibt in der Institutionenökonomik den möglichen Abbau von Rahmenbedingungen und Standards unter Wettbewerbsbedingungen, vgl. Ribhegge, S. 365 (369 f.). 568 Benecke, S. 306; Kegel/Schurig, S. 502. 565

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stelle, so der Europäische Gerichtshof, für sich allein keine missbräuchliche Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit dar, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedsstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen und in anderen Mitgliedsstaaten Zweigniederlassungen gründet.569 Im Anschluss an diese Entscheidung entbrannte zunächst ein heftiger Streit um die Frage, ob die Sitztheorie (insbesondere: ihre Folgen für die Möglichkeit einer identitätswahrenden Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes) noch mit der Niederlassungsfreiheit zu vereinbaren ist.570 bb) Urteil im Fall „Überseering“ Eine Klärung dieser Streitfragen erfolgte in der drei Jahre später erfolgenden Entscheidung „Überseering“. Auf Vorlage des Bundesgerichtshofs entschied der Europäische Gerichtshof, dass die Niederlassungsfreiheit verletzt sei, wenn einer im Heimatland wirksam gegründeten Gesellschaft bei Sitzverlegung die Rechtsfähigkeit im Zuzugsland abgesprochen wird. Eine Gesellschaft, die nach dem Statut eines EU-Mitgliedsstaates wirksam gegründet wurde, bleibe gemäß Artt. 43 und 48 EG auch dann nach den Bedingungen ihres Gesellschaftsstatuts rechts- und parteifähig, wenn sie ihr unternehmerisches Entscheidungszentrum, also ihren Sitz, in einen anderen Gemeinschaftsstaat verlagert hat. Im Ergebnis folgt aus dieser Entscheidung, dass die Sitztheorie in Zuzugsfällen nunmehr wohl keinen Bestand mehr haben kann, da ein Mitgliedsstaat verpflichtet ist, die Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft entsprechend ihrer rechtlichen Geltung im Gründungsstaat zu achten, sofern sie dort fortbesteht.571 cc) Urteil im Fall „Inspire Art“ Eine konkretisierende Weiterführung dieser Rechtsprechung erfolgte im gleichen Jahr mit der Entscheidung im Falle „Inspire Art“. Der niederländische Gesetzgeber hatte „formal ausländischen Gesellschaften“ mit Niederlassung im Inland ein „Mindeststatut“ vorgeschrieben, das insbesondere eine persönliche Haftung der 569

EuGH Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 27. Nach einer Auffassung [Behrens, IPRax 1999, 323 (326); Freitag, EUZW 1999, 267 (268 ff.); Geyrhalter, EWS 1999, 201 (203)] war nach „Centros jedenfalls im Anwendungsbereich der Artt. 49, 54 AEUV (ex-Artt. 43 und 48 EGV) kein Raum mehr für die Sitztheorie; die Gegenauffassung [Timme/Hülk, JuS 1999, 1055 ff.; Ebke, JZ 1999, 656 (658 ff.); Kindler, NJW 1999, 1993 (1996)] maß der Entscheidung nur eine geringe Reichweite zu, denn sie sollte ausschließlich das Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten betreffen, die – wie England und Dänemark – beide von der Sitztheorie ausgehen. Für eine beschränkte Reichweite der Entscheidung spreche auch, so Leible, NJG 1999, 300 (301), dass es gerade nur um eine Zweitniederlassung ging. 571 EuGH Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn. 95; Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 824, Horn, NJW 2004, 893 (896); Herdegen, § 17 Rn. 25 ff.; Benecke, S. 311. 570

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

Geschäftsführer, eine Mindestkapitalisierung und Publizitätspflichten enthielt. Der Europäische Gerichtshof hielt diese besonderen Publizitätspflichten nicht für vereinbar mit der elften gesellschaftsrechtlichen europäischen Richtlinie betreffend die Publizität von Zweigniederlassungen. Der niederländische Gesetzgeber dürfe die darin festgelegten Anforderungen nicht übertreffen, denn es reiche nicht aus, so der Europäische Gerichtshof, wenn der Zuzugsstaat dem Grundsatz nach die Rechts- und Parteifähigkeit der zuziehenden Gesellschaft anerkennt. Vielmehr besteht eine Pflicht des Zuzugsstaates, auf die Auferlegung irgendwelcher rechtlichen Erschwernisse in Bezug auf diese Gesellschaften zu verzichten.572 Der Umstand – so der Europäische Gerichtshof ausdrücklich und unter Hinweis auf die eigene Rechtsprechung im Fall „Centros“ –, dass die „Inspire Art“ im Vereinigten Königreich gegründet wurde, um die Vorschriften des niederländischen Gesellschaftsrechts zu umgehen, schließe es nicht aus, dass die Errichtung einer Zweigniederlassung dieser Gesellschaft in den Niederlanden unter die Niederlassungsfreiheit nach den Artt. 49, 54 AEUV (ex-Artt. 43 und 48 EGV) falle. Etwas anderes gelte nur für die – hier nicht gegebene – Überschreitung der Missbrauchsgrenze, denn die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf das Gemeinschaftsrecht sei nicht gestattet.573 dd) Konsequenzen der europäischen Rechtsprechungsentwicklung für das nationale Zivilrecht In Zusammenfassung der geschilderten Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung kann konstatiert werden, dass die absichtliche Umgehung nationaler Gesellschaftsstatuten für die angesprochenen Konstellationen vom Europäischen Gerichtshof explizit zugelassen wird. Für die Anwendung der Sitztheorie ist bei Fällen des Zuzugs von Unternehmen574 im Bereich der EU575 kein Raum mehr geblieben.576 572

EuGH Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 100 ff. EuGH Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 105, 136. 574 Für die Wegzugsfreiheit indes hat der EuGH im Fall „Cartesio“ (Rs. C-210/06, Urteil vom 16. 12. 2008) inzwischen (überraschend) entschieden, dass es mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, wenn ein Mitgliedsstaat die identitätswahrende Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes einer nach nationalem Gesellschaftsrecht im Inland gegründeten Gesellschaft (also den Wegzug) in einen anderen Mitgliedsstaat gesetzlich unterbindet. Es ist demnach z. B. der britische Gesetzgeber selbst, der es in der Hand hätte, die Attraktiviät der Ltd. für ausländische Unternehmer durch eine Änderung des nationalen Gesellschaftsrechts drastisch einzuschränken. 575 Gleiches gilt aus anderen Gründen für das deutsch-amerikanische Gesellschaftsrecht, für das nach Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs aufgrund eines bilateralen Handelsabkommens aus dem Jahr 1954 jedenfalls in Bezug auf die Rechts- und Parteifähigkeit für USamerikanische Gesellschaften das Gründungsrecht entscheidend sein soll, BGH DB 2003, 818; Benecke, S. 310. 576 BGH NJW 2005, 1648 ff.; Ulmer, NJW 2004, 1201 (1209); Bayer, BB 2003, 2357 (2363). 573

II. Der Besondere Teil inklusive des so genannten Nebenstrafrechts

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Als Konsequenz aus der faktischen Aufgabe der Sitztheorie durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und der Bindungswirkung dieser Judikatur für die deutschen Gerichte wird in stärkerem Maße auf die Verabschiedung und Umsetzung einer europäischen Sitzverlegungsrichtlinie hingewirkt, um zu einer Harmonisierung des gesellschaftsrechtlichen Ordnungsrahmens zu gelangen. Bereits verabschiedet, aber noch nicht umgesetzt ist die „Zehnte Richtlinie zur grenzüberschreitenden Fusion“, welche einen seit 1997 bestehenden Vorentwurf zur vierzehnten Sitzverlegungsrichtlinie inzwischen überholt hat.577 Daneben gibt es die Möglichkeit, bei der Gesellschaftsgründung innerhalb der EU auf eine der verschiedenen europäischen Gesellschaftsformen zurückzugreifen.578 Überdies bleibt es den EU-Mitgliedsstaaten unbenommen, eine Übereinkunft über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften auf der Grundlage von ex-Art. 293 EGV zu schließen und damit eine Harmonisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts herbeizuführen. Eine Verbesserung des Gläubigerschutzes in der Bundesrepublik Deutschland nach der EuGH-Entscheidung zu Inspire Art mag schließlich noch durch eine extensive Anwendung des nationalen Deliktsrechts, insbesondere von § 826 BGB zustande kommen, dessen Anwendbarkeit nach Art. 40 EGBGB grundsätzlich eröffnet ist. Das nationale Deliktsrecht ist allerdings wiederum im Lichte der Niederlassungsfreiheit auszulegen.579 Eine Rechtfertigung der Einschränkung von Grundfreiheiten kann sich indes aus den bereits ausgeführten Ausnahmen für Fälle des Rechtsmissbrauchs in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit oder aus der Cassisde-Dijon-Formel ergeben.580 Insbesondere für Fälle des existenzvernichtenden Eingriffs oder der eindeutigen materiellen Unterkapitalisierung kann eine Haftung nach § 826 BGB auch für ausländische Gesellschaften eingreifen, die den Anforderungen an eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit aus den Entscheidungen von „Cassis-de-Dijon“ bis hin zu „Inspire Art“ gerecht wird.581 Werden im Rahmen dieser Konstellationen Straftaten verwirklicht (etwa §§ 263, 266, 266a, 283 StGB), so kommt auch eine mit den Artt. 45 ff. AEUV (ex-Artt. 39 ff. EGV) konforme Haftung aus § 823 II BGB in Betracht.582

577

Hirte, § 1, Rn. 1.51. Frenz, Rn. 2047 ff. 579 Skeptisch daher in Hinblick auf ein Eingreifen von § 826 BGB Kiethe, RIW 2005, 649 (654); Spindler/Berner, RIW 2004, 7 (14); Bayer, BB 2003, 2359 (2364). 580 Kiethe, RIW 2005, 649 (652 f.); Benecke, S. 312; nach der vom EuGH aufgestellten Cassis-de-Dijon-Formel sind durch Mitgliedstaaten aufgestellte Hemmnisse der Warenverkehrsfreiheit unzulässig, die nicht notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen des Allgemeinwohls gerecht zu werden, EuGH Rs. 120/78, Slg 1979, 649, 662. Der Rechtfertigungsgrund der Cassis-Rechtsprechung wird vom EuGH für alle Grundfreiheiten anerkannt, EuGH Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37 (Gebhard). 581 Benecke, S. 313; Kiethe, RIW 2005, 649 (655); Eidenmüller, JZ 2003, 526 (529). 582 Kiethe, aaO. 578

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

Bei alledem darf schließlich nicht übersehen werden, dass sich die vermeintlichen Vorteile insbesondere der Ltd. gegenüber der GmbH den Gründungsaufwand betreffend durch spätere Nachteile in Bezug auf die Vermögensbindung, den Aufwand bei Gründung einer Zweitniederlassung, die Organisationsverfassung und den Jahresabschluss zu großen Teilen wieder aufheben.583 Hinzu kommt, dass das 1. November 2008 in Kraft getretene „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen“ (MoMiG) verspricht, die deutsche GmbH erheblich attraktiver zu machen.584 b) Konsequenzen für das Strafrecht aa) Anwendbarkeit deutschen Strafrechts? Während die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum internationalen Gesellschaftsstatut zu einer – noch andauernden – breiten Diskussion in der gesellschaftsrechtlichen Literatur gegeben hat, steht die Kontroverse um die strafrechtlichen Implikationen dieser aus den Wirkungen der europäischen Grundfreiheiten herrührenden Veränderungen der nationalen Wirtschaftsrechtsordnungen erst an ihrem Anfang, eine letztinstanzliche Entscheidung steht noch aus.585 Diese komplexe Thematik kann im Rahmen dieser Arbeit nur in ihren Umrissen skizziert werden. Selbst, um zu einer nur vorläufigen Einschätzung über die Strafbarkeit der für die Ltd. handelnden Personen gelangen zu können, müssen die wechselseitigen Beziehungen des deutschen Straf-, Gesellschafts- und Verfassungsrechts, der europäischen Grundfreiheiten und ihren Einschränkungsmöglichkeiten sowie des ausländischen Gesellschafts- und Strafrechts zueinander in das richtige Verhältnis gesetzt werden. Als Grundlage für die Erörterung der beachtlichsten Fragestellungen soll eine Entscheidung des Amtsgerichts Stuttgart dienen, die Ende 2007 zu dem geschilderten Problemkreis erging.586 Die Entscheidung – hier stark verkürzt wiedergegeben – erging gegen den T. als Verantwortlichen der T. & C. Ltd. & Co. KG (nachfolgend „KG“) mit Sitz in Stuttgart, als deren Leiter er nach innen und außen hin auftrat. Die T. & C. Ltd. (nachfolgend „Ltd.“), die einzige Komplementärin der KG, war 2003 als Vorratsgesellschaft ohne eigene Geschäftstätigkeit mit Sitz in London gegründet worden. 583

Kallmeyer, DB 2004, 636 ff m. w. N. Als Schwerpunkte des MoMiG sind zu nennen: die Einführung einer neuen Unternehmergesellschaft mit einer Mindeststammeinlage von nur noch einem Euro; die nunmehr gegebene Möglichkeit für die GmbH, ihren Sitz ins Ausland zu verlegen; die Beschleunigung des Eintragungsverfahrens bei der Gründung der GmbH; siehe hierzu Kindler, NJW 2008, 3249 ff. 585 Zur beginnenden Auseinandersetzung im Schrifttum vgl. etwa Schlösser, wistra 2006, 81 ff.; Rönnau, ZGR 2005, 832 ff.; Hoffmann, Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 227 ff. 586 Urteil vom 18. Dezember 2007 – 105 Ls 153 Js 47778/05 (rechtskräftig), wistra 2008, 226 ff. 584

II. Der Besondere Teil inklusive des so genannten Nebenstrafrechts

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Die gesondert verfolgte E. war zur einzigen Direktorin der Ltd. bestellt worden und hielt seitdem den einzigen gezeichneten Anteil am Stammkapital im Nennbetrag von einem Pfund treuhändlerisch für den T. Die im Juni 2004 in den Geschäftsräumen der KG eröffnete Zweigniederlassung der Ltd., die vom Angeklagten T. geleitet wurde, war zugleich die faktische Hauptniederlassung der Ltd. Spätestens im November 2004 war die KG zahlungsunfähig und auch überschuldet. Mit Eintritt der Überschuldung der KG überstiegen auch die Verbindlichkeiten der Ltd. deren (nicht vorhandenes) Vermögen, so dass auch die Ltd. zumindest seit diesem Tag als überschuldet gelten musste, was dem T. bekannt war. In den darauffolgenden Monaten entzog der T. in zahlreichen Einzelfällen der KG planmäßig diejenigen Mittel, auf welche die KG und die Ltd. zur Begleichung ihrer fälligen Verbindlichkeiten angewiesen waren, indem er Schuldner der KG veranlasste, Zahlungen, die für die KG bestimmt waren, mit schuldbefreiender Wirkung auf sein Privatkonto zu leisten und indem er anschließend erhebliche Beträge von diesem Privatkonto in bar abhob, um sie für andere Zwecke als für die Begleichung von Verbindlichkeiten der KG einzusetzen. Die Bilanz der Ltd. für das Jahr 2004 wurde nicht erstellt. Drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der KG stellte auch die Ltd. ihre Zahlungen ein. Das Amtsgericht Stuttgart hat den T. hinsichtlich der Ltd. wegen Untreue gemäß § 266 StGB nach dem Treubruchstatbestand und wegen vorsätzlichen Bankrotts, §§ 283 I Nr. 7b, 14 I Nr. 1 StGB verurteilt. Bezüglich des Untreuetatbestandes hat das Gericht eine Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten aus dem britischen Gesellschaftsrecht abgeleitet587, seine Anwendung als solche allerdings nicht erläutert.588 Aus Gründen der soeben umrissenen EuGH-Rechtsprechung dürfte die Anwendung des Fremdrechts und nicht des deutschen Gesellschaftsrechts insoweit ohnehin unumgänglich gewesen sein.589 Ernstzunehmen sind allerdings die von Rönnau geäußerten – und vom Gericht auch der Sache nach nicht aufgegriffenen – Bedenken gegen diese Fremdrechtsanwendung, welche sich maßgeblich auf die unzureichende Beachtung des Bestimmt-

587

„Hinsichtlich der Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten als faktischem Geschäftsführer, der auch im englischen Recht als sog. ,shadow director‘ dem förmlich[en] ,director‘ gleichsteht, hat das Gericht auf britisches Recht abgestellt […]“, AG Stuttgart wistra 2008, 226 ff. (229). An anderer Stelle der Urteilsgründe (wistra 2008, 226 ff. [228]) hat das Gericht die Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten allerdings auch aus Deliktsrecht sowie aus seinem mit der KG und der Ltd. zumindest konkludent geschlossenen Arbeitsvertrag abgeleitet. 588 AG Stuttgart wistra 2008, 226 ff. (229). 589 Ebenso Schumann, wistra 2008, 229 ff. (230); Schlösser, wistra 2006, 81 ff. (86); Rönnau, ZGR 2005, 832 ff. (854); jeweils m. w. N.

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

heitsgrundsatzes und des (von Rönnau dagegen ausdrücklich abgegrenzten590) Parlamentsvorbehalts stützen.591 In Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt mag Rönnau noch entgegengehalten werden, dass die gesellschaftsrechtlichen Grundpflichten etwa eines GmbH-Geschäftsführers in Einzelheiten auch bei einem rein innerdeutschen Sachzusammenhang wohl nicht zwingend durch ein formelles Gesetz festgehalten sein müssten; § 266 StGB ist dann eine ausreichende (parlaments)gesetzliche Grundlage der Strafbarkeit. Problematisch bleibt jedoch die Frage der Vorhersehbarkeit der Strafe, denn auch für das „Expertenstrafrecht“592 hat das Bundesverfassungsgericht mit Recht eine Relativierung des Bestimmtheitsgrundsatzes nur insoweit zugelassen, als sich die Strafnorm ausschließlich an Fachpersonen richtet, von denen allgemein erwartet werden kann, dass sie imstande sind, den Regelungsgehalt der in Bezug genommenen Fachtermini zu verstehen und ihnen konkrete Handlungsanweisungen zu entnehmen.593 Dies ist zumindest bei den von deutschen Einzelunternehmern gegründeten und geleiteten kleinen Limited-Gesellschaften oftmals fraglich, so dass nur Verstöße gegen die nach jeder Gesellschaftsrechtsordnung evidenten Treuepflichtinhalte dem Tatbestand des § 266 StGB unterfallen sollten. Den Eintritt eines Vermögensnachteil i. S. d. § 266 StGB sah das Amtsgericht Stuttgart als gegeben an, weil T. das Vermögen der Ltd. gemäß §§ 128, 161 HGB durch den Entzug des Vermögens der KG bei bestehen bleibender Schuldenlast zumindest konkret gefährdet habe.594 Die argumentative Nähe zur haftungsrechtlichen Figur des existenzvernichtenden Eingriffs ist damit deutlich erkennbar. Doch erscheint es – abgesehen davon, dass diese Bezugnahme angesichts der offensichtlichen Vermögenslosigkeit der T. & C. Ltd. in diesem Fall wohl ohnehin nicht erforderlich war – sehr zweifelhaft, dass die anhand nationaler Rechtsfälle entwickelte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung und Strafbarkeit des 590 Zu der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung, dass sich die Idee des Parlamentsvorbehalts (auch) unmittelbar Art. 103 II GG entnehmen lässt, vgl. E. II. 2. b) bb) (1). 591 Rönnau, ZGR 2005, 832 ff. (855 ff.); ähnlich bereits zuvor OLG Karlsruhe NStZ 1985, 317 (zu § 283b StGB): es fehle jeder Anhaltspunkt dafür, dass der Geltungsanspruch ausländischer (Handels-)Gesetze auf inländischem Rechtssetzungswillen beruhe; siehe dazu auch LK11-Tiedemann, § 283 Rn. 244. Weniger eingängig sind dagegen die Vorbehalte von Schlösser, wistra 2006, 81 (87); der durch die Anwendung von § 266 StGB auf Sachverhalte wie den vorliegenden aus ganz praktischen Gründen das Rechtsstaatsprinzip betroffen sieht: es müsste von Strafrichtern verlangt werden, dass sie sämtliche „gelebte“ Gesellschaftsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten beherrschten. Diesen Schwierigkeiten nämlich kann nicht dadurch entgangen werden, dass die ordentlichen Gerichte gesellschafts- und strafrechtliche Tatbestände schlicht nicht anwenden; vgl. bereits Rönnau, ZGR 2005, 832 ff. (855). Gegebenenfalls haben die „betroffenen“ Gerichte Gutachten einzuholen (so der Vorschlag von Schlösser, aaO., selbst, der sich damit gegen eine Generalisierung der zuvor eigens angeführten rechtsstaatlichen Bedenken wendet). 592 Rönnau, ZGR 2005, 832 ff. (856). 593 BVerfGE 48, 48 (57). 594 AG Stuttgart, aaO.; zustimmend Schumann, wistra 2008, 229 ff. (230 f.).

II. Der Besondere Teil inklusive des so genannten Nebenstrafrechts

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Geschäftsführers bei unmittelbarer Existenzgefährdung der Gesellschaft (insbesondere „Bremer Vulkan“595) auf die nach britischen Recht gegründete, aber in Deutschland ansässige Ltd. in europarechtlich zulässiger Weise übertragbar ist.596 Verneinendenfalls wird ein Vermögensnachteil jedenfalls bei divergierenden Ergebnissen wiederum nach britischem Gesellschaftsrecht zu bestimmen sein, was einmal mehr die bereits skizzierten Probleme des strafrechtlichen Gesetzesvorbehaltes gemäß Art. 103 II GG bei der Fremdrechtsanwendung aufwirft. Die größte Hürde für eine Verurteilung des T. wegen Bankrotts betraf die Tatbestandsformulierung in § 283 I Nr. 7b StGB, der Täter müsse es „entgegen dem Handelsrecht“ versäumt haben, eine fristgemäße Bilanz aufzustellen. Die sich aus dieser Abfassung des Tatbestands ergebende Frage, ob bei wirtschaftlicher Betätigung einer Limited in Deutschland auf deutsches Handelsrecht, auf deutsches und (i. S. v. kumulativ) britisches Handelsrecht oder nur auf UK-GAAP bzw. IFRS abzustellen sei, konnte nach Auffassung des Gerichts offen bleiben, da T. überhaupt keine Bilanz erstellt habe, wozu er sowohl nach britischen Recht in seiner Eigenschaft als „shadow director“ als auch nach deutschem Recht als faktischer Geschäftsführer verpflichtet gewesen wäre.597 Mit dieser Einschätzung hat es sich das Amtsgericht Stuttgart allerdings wohl etwas zu leicht gemacht, denn die besseren Gründe sprechen dafür, in der Anwendung des deutschen Handelsrechts und der daraus resultierenden doppelten Pflicht zur Bilanzierung – sowohl nach den §§ 238 ff. HGB (wegen der wirtschaftlichen Betätigung in Deutschland) als auch nach UK-GAAP bzw. IFRS (Bilanzierungspflicht durch den Gründungsstaat) – eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit aus Artt. 49, 54 AEUV (ex-Artt. 43 und 48 EGV) zu erblicken.598 Ohnehin führte eine Qualifizierung der Rechnungslegungsvorschriften als öffentliches Recht (mit der Folge, dass das HGB zur Anwendung kommt) zu keinem anderen Ergebnis, denn gemäß § 325a HGB i. V. m. Art. 3 der Zweigniederlassungsrichtlinie599 erstreckt sich die Pflicht zur Offenlegung nur auf die Unterlagen der Rechnungslegung, die nach dem Recht des Mitgliedsstaates, dem die Gesellschaft unterliegt, erstellt worden sind.600 Durch den obligatorischen Rückgriff auf britische Bilanzierungsvorschriften durch deutsche Strafgerichte ist jedoch einmal mehr zweifelhaft, ob die – jedenfalls dem Wortlaut nach mögliche601 – Anwendung des § 283 I Nr. 7b StGB auf die in Deutschland tätige Ltd. mit den Ausprägungen des Grundsatzes nullum crimen sine 595

BGHZ 149, 10; BGHSt 49, 147. Ablehnend Rönnau, ZGR 2005, 832 ff. (854); Schlösser, wistra 2006, 81 ff. (86). 597 AG Stuttgart, aaO. 598 Rönnau, ZGR 2005, 832 (846 m. Fn. 71); Just, Rn. 258 f. 599 Elfte Richtlinie des Rates vom 21. 12. 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedsstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (89/666/EWG), Abl. EG Nr. L 395 vom 30. Dezember 1989, S. 36. 600 Rönnau, ZGR 2005, 832 (846); Just, aaO. 601 LK11-Tiedemann, aaO. 596

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

lege certa vereinbar ist.602 Mittelfristig könnte diese verfassungsrechtliche Problematik allerdings durch eine EU-weit verbindliche Implementierung der gesellschaftsrechtlichen Rechnungslegung nach IFRS entschärft werden.603 Richtigerweise hat das Amtsgericht Stuttgart den Tatbestand der Insolvenzverfahrensverschleppung nach § 84 I Nr. 2 i. V. m. § 64 I GmbHG unangewendet gelassen, denn diese Vorschriften können ihrem Wortlaut und systematischen Zusammenhang nach allein Anwendung auf die deutsche GmbH finden. Ihre analoge Anwendung auch auf für die Ltd. handelnde Personen verstieße gegen das Analogieverbot.604 Dabei ist auch der Weg über die sog. faktische Betrachtungsweise versperrt, denn sie muss stets auf die betroffene Gesellschaftsform beschränkt bleiben: Zu vergleichen sind demnach z. B. der fehlerhaft oder gar nicht bestellte Geschäftsführer einer GmbH mit dem formal zutreffend bestellten GmbH-Geschäftsführer605 ; Vergleichsobjekt ist gerade nicht der „director“ einer Ltd.606,607 Je nachdem, inwieweit aus den soeben skizzierten verfassungsrechtlichen Bedenken Konsequenzen für die Anwendbarkeit insbesondere von §§ 266, 283 StGB gezogen werden, hat die Anerkennung einer Umgehung deutschen Gesellschaftsrechts seitens des Europäischen Gerichtshofs zum Schutze der Niederlassungsfreiheit für die vom Europarecht bisher scheinbar nur „mittelbar“ betroffenen nationalen materiellen Strafrechtsordnungen also erhebliche Konsequenzen.608 602

Schumann, ZIP 2007, 1189 ff. (1194 f.); Rönnau, ZGR 2005, 832 ff. (847 ff.). Siehe hierzu Kahle/Dahlke, DStR 2007, 313 ff. (317); insbesondere zu der Möglichkeit, einen gesonderten internationalen Rechnungslegungsstandard für mittelständische Unternehmen einzuführen. 604 Schlösser, wistra 2006, 81 (84); Rönnau, ZGR 2005, 832 (839); Kienle, GmbHR 2007, 696 ff. (697); Schumann, wistra 2008, 229 ff. (229 f.). 605 Hoffmann, Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 227 ff. (250 f.). 606 Schließlich können auch britische Strafvorschriften mit paralleler Schutzrichtung nicht herangezogen werden, denn ihre Anwendung ist den deutschen Strafverfolgungsbehörden untersagt; Schlösser, wistra 2006, 81 (88); Rönnau, ZGR 2005, 832 (839 f.). 607 Weitere, auch vom Amtsgericht Stuttgart nicht erörterte Fragestellungen, die für die Verurteilung des T. zu klären waren, sollen nur an dieser Stelle Erwähnung finden, da sie gegenüber den soeben im Text erörterten Problemen wohl nicht vergleichbare Rechtsanwendungsschwierigkeiten zeitigen: Sie betreffen die Anwendbarkeit von § 14 I S. 1 StGB auf den „director“ der Ltd. (dazu Rönnau, ZGR 2005, 832 [842 ff.]); den Maßstab für den Eintritt der Überschuldung i. S. d. § 283 StGB (vgl. Schumann, ZIP 2007, 1189 ff. [1195]; Kienle, GmbHR 2007, 696 ff. [698]); und schließlich den Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung nach § 283 VI StGB (hier führen Artt. 3 f. EuInsVO – Verordnung [EG] Nr. 1346 [2000] des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren – für die in Großbritannien gegründete, aber in Deutschland tätige Ltd. in der Regel zur Zuständigkeit deutscher Gerichte unter Anwendung deutschen Insolvenzrechts; vgl. Rönnau, ZGR 2005, 832 [852 f.]; Schumann, ZIP 2007, 1189 ff. [1193]; Kienle, aaO.). 608 Der Einfluss der Grundfreiheiten auf das Strafrecht der Mitgliedstaaten zeigte sich auch für die Anwendbarkeit nationaler (in diesem Fall italienischer) Strafvorschriften das verbotene Glückspiel betreffend (EuGH, Urteil vom 6. 3. 2007, C-338/04 – Placanica; abgedruckt in CR 2007, 323 ff.). Eine in Hinblick auf die Artt. 49, 56 AEUV (ex-Artt. 43 und 49 EGV) unverhältnismäßige Beschränkung der Konzessionierung des Sammelns von Wetten durch nationale 603

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bb) Umgehung deutschen Strafrechts? Erörterungsbedürftig bleibt, inwieweit das Verhalten des T. – vor allem, sofern es straffrei gestellt werden sollte – als Umgehungshandlung im Sinne dieser Untersuchung, also als Umgehung des materiellen Strafrechts, aufgefasst werden kann. In dieser Hinsicht gilt zunächst festzustellen, dass sich eine mögliche strafrechtlich relevante Umgehungshandlung für Sachverhalte mit Bezug zum internationalen Gesellschaftsrecht, wie zahlreiche bereits erörterte Fallkonstellationen zuvor, aus zwei Akten zusammensetzt.609 Dabei ist die Umgehungshandlung selbst bereits in der Unternehmensgründung nach britischem Recht zu sehen; die strafrechtliche Relevanz erhält dieser Rechtsakt erst durch die (mögliche) Verwirklichung des jeweiligen nationalen Straftatbestands. Dabei können sich die Auswirkungen der europarechtlich grundsätzlich legitimierten Umgehung nationalen Gesellschaftsrechts schon alsbald zeigen, etwa wenn die Unterkapitalisierung der gegründeten Gesellschaft nach den § 266 StGB oder § 82 I Nr. 1 GmbHG auf ihre Strafbarkeit zu untersuchen ist. Für andere Straftatbestände, zu denken ist insbesondere an das Insolvenzstrafrecht, können hingegen Jahre vergehen, bis die europarechtliche Überdeterminierung des deutschen Gesellschaftsrechts auch strafrechtliche Folgen zeitigt. Die Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts lassen sich weiterhin für die im Rahmen dieser Untersuchung nicht ganz unwichtige Frage erkennen, ob durch die vom Europäischen Gerichtshof vertretene Interpretation des europäischen Primärrechts überhaupt eine teleologische Lücke im anzuwendenden nationalen Strafrecht aufgerissen worden ist, wie es nach der hier verwendeten vorläufigen Definition stets Voraussetzung für das Vorliegen eines Umgehungssachverhaltes sein soll. Zwar wurde bereits aufgezeigt, dass infolge der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit je nach Rechtsauffassung empfindliche Lücken bei nationalen Strafvorschriften zum Vermögensschutz allgemein und zum Gläubigerschutz im Besonderen auftreten können. Doch ist bereits nach deutschem Recht fraglich, ob es etwa dem Sinn und Zweck gerade von § 82 GmbHG oder § 85 GmbHG entsprechen kann, dass auch der „Director“ der englischen Ltd. von diesen Sondervorschriften erfasst wird. Jedenfalls sind die deutschen Strafvorschriften europarechtskonform auszulegen, wenn nicht sogar bereits von einem Vorrang des Primärrechts (also hier der Grundfreiheiten) vor den einzelnen Strafvorschriften ge-

Regelungen, so der EuGH, vermöge keine Strafbarkeit des einzelnen Wettanbieters zu begründen. Zur Einschränkung des damaligen § 47 I Nr. 2 AuslG durch die in Art. 39 (ex-Art. 48) EG verankerte Arbeitnehmerfreizügigkeit im Fall EuGH Slg. 1977, 1495 ff. (Sagulo) vgl. Dannecker, Jura 2006, 173 ff. 609 Als „zweiaktige“ Umgehungs- bzw. Erschleichungssachverhalte waren etwa die Notwehrprovokation, die actio libera in causa, die Steuerumgehung oder die Subventionserschleichung eingeordnet worden.

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sprochen werden muss.610 Bei einer die Normenhierarchie beachtenden Betrachtungsweise ist daher zweifelhaft, ob überhaupt eine teleologische Lücke bei deutschen Strafvorschriften zustande kommt, weil das die §§ 266, 283 StGB, §§ 82 ff. GmbHG einschränkende Auslegungsergebnis gerade im Einklang mit der Gesamtrechtsordnung de lega lata besteht, deren Spitze eben das Gemeinschaftsrecht bildet611. Dies wird erst recht zweifelhaft, wenn die Anwendung der deutschen Strafvorschriften nicht von einer besonderen Rechtfertigung nach Art. 52 AEUV (ex-Art. 46 EGV) oder nach den vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Rechtfertigungsgründen zur Einschränkung der Grundfreiheiten gedeckt sein sollte. Nun könnte dieser Argumentationslinie entgegengehalten werden, dass die Ablehnung einer Zweckwidrigkeit der Straffreistellung mit Hinweis auf das Prinzip der Normenhierarchie konsequenterweise auch für das Verhältnis des materiellen Strafrechts zu Art. 103 II GG gelten müsste. Eine teleologische Lücke im Strafrecht wäre danach stets abzulehnen, weil dieses Ergebnis (also die Straflosigkeit der Umgehungshandlung) für das einfache Recht durch das höherrangige Verfassungsrecht gewollt sei. Doch können die Auswirkungen des in Art. 103 II GG verankerten Gesetzlichkeitsprinzips mit denen des Vorrangsprinzips für das Gemeinschaftsrecht in dieser Weise nur schwerlich gleich gesetzt werden. Dies wird schon für die Art und Weise offenbar, in der die beiden Rechtsanwendungsregeln zu einer Einschränkung der Strafvorschriften führen: Art. 103 II GG verbietet mitnichten die Feststellung einer teleologischen Lücke, der Satz „nullum crimen sine lege stricta“ untersagt allein die Schließung einer solchen Lücke qua Analogie.612 Deshalb ist es der Strafrechtsdogmatik nicht verwehrt, im Rahmen eines dem Verfassungsrecht gegenüber eigenständigen teleologischen Systems zu der Feststellung einer planwidrigen Gesetzeslücke zu gelangen. Für eine autonome Teleologie der einfachgesetzlichen Strafrechtsnormen spricht zudem, dass Art. 103 II GG ungeachtet der unstrittig mit dem Gesetzlichkeitsprinzip verbundenen rechtstaatlichen Garantien im Grunde eine formalisierte Rechtsicherheitsvorschrift ist; mit anderen Worten, das herausragende „Rechtsprinzip unserer Strafrechtsordnung“613, das dem Individuum die freiheitseröffnende Orientierungsmöglichkeit darüber geben soll, was strafbar und was straflos ist.614 Art. 103 II GG engt das Verfahren der Rechtsfindung für das materielle Strafrecht also grundsätzlich ein, weil dieser Weg zur Verwirklichung der mit Art. 103 II GG in Verbindung gebrachten Grundsätze sicherer erscheint als etwa der (theoretisch denkbare) Weg, die Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit durch ein in Fallgruppen auszugestaltendes Willkürverbot zu gewährleisten. Das die Umge610 Siehe zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Strafrecht und der Pflicht zur gemeinschaftskonformen Auslegung des nationalen Strafrechts Handbuch Wabnitz/ Janovsky-Dannecker, § 2 Rn. 110 ff., 119 ff.; Gärditz/Gusy, GA 2006, 225 ff. (231 ff.); Hecker, § 9 Rn. 1 ff.; Satzger, § 8 Rn. 11 ff., 90. 611 Vgl. statt aller Arndt/Fischer, S. 99 ff. 612 Vgl. statt aller Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 24. 613 MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 10 (Kursivdruck nicht im Original). 614 BVerfG NJW 2005, 2289 ff. (2294); Dannecker, Otto-FS, S. 25 ff. (29 f.).

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hungsproblematik kennzeichnende Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und materieller Einzelfallgerechtigkeit ergibt sich gerade daraus, dass zwei Sachverhalte, auf die ein Straftatbestand nach der ratio legis gleichermaßen Anwendung finden müsste, aus Prinzip nicht gleichermaßen bestraft werden sollen, weil die in Art. 103 II GG zum Ausdruck kommende formale Barriere es so vorsieht. Der Respekt vor dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Gesetzlichkeitsprinzip verbietet es indessen nicht, die erfolgreiche Umgehungshandlung ohne Berücksichtigung auf den in Art. 103 II GG zum Ausdruck kommenden Vorrang der Rechtssicherheit in unserer Strafrechtsordnung als einen Sachverhalt von gleicher Strafwürdigkeit anzusehen, der nach dem Gedanken der materiellen Einzelfallgerechtigkeit die gleiche Bestrafung verdienen würde. Ein anderes Bild gegenüber dieser formalisierten Beschränkung des Strafrechts gemäß Art. 103 II GG ergibt sich für die Pflicht zur europarechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts. Die europarechtskonforme Auslegung ist als notwendige und zulässige Methode anerkannt und hat ihre Grundlage im Gemeinschaftsrecht.615 Sie knüpft in den hier interessierenden Fällen an die Grundfreiheiten an, welche Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung der Mitgliedstaaten binden.616 Kollidieren der Schutzbereich der Grundfreiheiten und das nationale Recht, kommt dem Gemeinschaftsrecht (Anwendungs-)Vorrang zu.617 Die Einschränkung der Anwendbarkeit deutschen Rechts durch die Grundfreiheiten bzw. das aus ihnen abgeleitete Diskriminierungsverbot erfolgt dabei nicht in Anwendung eines formalen Prinzips, sondern zur Verwirklichung europäischer Wertvorstellungen über die Formenflexibilität des Wirtschaftsrechts und den Rang der Niederlassungsfreiheit gegenüber gegenläufigen (Gläubiger-)Interessen bzw. den von dem jeweiligen Mitgliedsstaat durch seine Gesellschaftsrechtsordnung für schutzwürdig erachteten Interessen. Die Grundfreiheiten sind Stützpfeiler der europäischen Wirtschaftsverfassung und sollen zur Herstellung von Marktfreiheit und Marktgleichheit führen, stellen allerdings zugleich subjektive Recht dar.618 Sie

615

Gärditz/Gusy, GA 2006, 225 ff. (231); Handbuch Wabnitz/Janovsky-Dannecker, aaO. Ehlers-Ehlers, § 7 Rn. 43; Arndt/Fischer, S. 131. 617 EuGH, Slg 1964, 1251 ff. (1271) – Costa; Slg 1970, 1125 Rn. 3 – Internationale Handelsgesellschaft; Slg. 1990, I-2433, Rn. 18 – Factortame. Auf die vom Bundesverfassungsgericht durch die so genannte Solange-Rechtsprechung eingeführten Kautelen bzgl. des absoluten Vorrangs des Gemeinschaftsrechts (BVerfGE 37, 271 ff. [280 ff. – Solange I; 73, 339 ff. [375 ff.] – Solange II; 89, 155 [174 f.]; 102, 147 ff. [161 ff.]) kommt es hier nicht an, da die einzig denkbare Verletzung unabdingbaren Grundrechtsschutzes nach deutscher Lesart durch die Einwirkung der hier relevanten Niederlassungsfreiheit in einer Abmilderung des strafrechtlichen Gläubigerschutzes nach dem deutschen Recht zu sehen ist. Eine verfassungswidrige Verletzung des Untermaßverbotes in Hinblick auf Art. 14 GG kann hierin nicht gesehen werden. Zum Untermaßverbot siehe auch bereits B. I. 1. c). 618 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, vor Art. 39 – 55 EGV Rn. 2 ff.; Ehlers-Ehlers, § 7 Rn. 1. 616

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dienen also einerseits der Verwirklichung des institutionellen Binnenmarktzieles und haben andererseits grundrechtsähnlichen Charakter.619 Maßgeblicher Unterschied zwischen den Grundfreiheiten und Art. 103 II GG ist nun, dass die Vorrangentscheidung für das Gemeinschaftsrecht (hier also: die Niederlassungsfreiheit) im Kollisionsfall mit dem einfachen nationalen Recht zugleich mit einem Urteil über den Inhalt des nationalen Rechts verbunden ist. Die den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit tangierenden nationalen Regeln sollen (von den möglichen Rechtfertigungsgründen einmal abgesehen) nicht gelten und werden durch eine andere, grundfreiheitskonforme Wertung diesen Regelungsbereich betreffend ersetzt. Eine solche inhaltliche Bewertung soll mit Art. 103 II GG keineswegs verbunden sein. Dieser Unterschiede wegen ist die eigenständige teleologische Systembildung des Strafrechts im Falle seiner Einschränkung durch die Grundfreiheiten zweifelhafter als für die Fälle, in denen die Einschränkung durch das Prinzip des Art. 103 II GG erfolgt.620 Zeigt sich für die jeweils untersuchte Strafvorschrift, dass eine „teleologische Lücke“ wegen des Einflusses des Europarechts nicht gegeben ist, so liegt auch kein Umgehungssachverhalt im Sinne des hier zugrunde gelegten Arbeitsbegriffs vor. Schließlich ist für die noch anstehende Diskussion um den endgültigen Umgehungsterminus von Neuem darauf hinzuweisen, dass die subjektive Seite der Strafvermeidung – sofern sie zum Begriffsinhalt gemacht wird – wohl auch für die Umgehung deutscher Gesellschaftsrechtsnormen nur bedingt gegeben sein wird. Jedenfalls wird eine Absicht zur Umgehung gerade des Strafrechts kaum einmal bestimmend oder auch nur mitbestimmend für die Wahl der Ltd.-Rechtsform sein. Selbst die positive Kenntnis der vorteilhaften Rechtsfolgen bzgl. des Strafrechts, die mit der Ltd.-Gründung anstelle der GmbH-Gründung in Verbindung gebracht werden können, wird angesichts der Komplexität und fehlenden Klärung der Materie wohl nur in Ausnahmefällen unterstellt werden können. Die allerorts anzutreffende Werbung britischer Unternehmen, deren Dienstleistungsangebot in der Unterstützung bei einer Ltd.-Gründung besteht, ist jedenfalls – soweit ersichtlich – ausnahmslos auf außerstrafrechtliche Vorteile der Limited-Rechtsform ausgerichtet. Dabei könnte das Vorliegen von Umgehungsabsicht oder wenigstens von positiver Umgehungskenntnis hier ausnahmsweise durchaus von Bedeutung sein, denn der 619

Arndt/Fischer, S. 116 f. Allerdings ist nochmals darauf hinzuweisen, dass eine Anwendung nationaler Strafvorschriften auf den Geschäftsführer der Ltd. nicht erst an der grundfreiheitskonformen Auslegung der entsprechenden Strafnormen scheitern muss. Schon Art. 103 II GG kann z. B. der Strafbarkeit des „Directors“ gemäß den §§ 82 ff. GmbHG entgegenstehen. Doch auch für den letzteren Fall ist das Bestehen einer teleologischen Lücke fraglich, denn die Gesetzeslücke in den §§ 82 ff. GmbHG ist wiederum auf die Einflüsse des Gemeinschaftsrechts im gesellschaftsrechtlichen Vorfeld der Strafnorm zurückzuführen. Art. 103 II GG selbst trifft keine Aussage darüber, ob eine teleologische Lücke in den §§ 82 ff. GmbHG für die Ltd. gegeben ist und das Gesetzlichkeitsprinzip verbietet nur die Schließung der Lücke per Analogie, sofern deren Voraussetzungen als gegeben angesehen werden. 620

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Europäische Gerichtshof hatte im „Centros“-Urteil und den in der Folge zu den Artt. 49 ff. AEUV (ex-Artt. 43 ff. EGV) ergangenen Urteilen stets betont, dass zwar die mit Umgehungsabsicht erfolgende Rechtsformwahl allein der Berufung auf die Niederlassungsfreiheit nicht entgegenstehen könne, die Ausübung der Grundfreiheiten gleichwohl eine Missbrauchsbegrenzung erfahre: Nicht auszuschließen sei, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen könnten.621 Die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf das Gemeinschaftsrecht sei nicht gestattet.622 Ob diese Voraussetzungen bei der mit direktem Vorsatz vorgenommenen Strafvermeidung durch Inanspruchnahme der Artt. 49, 54 AEUV (ex-Artt. 43 und 48 EGV) gegeben sein könnten, muss hier – auch angesichts der (notwendigerweise) elastischen und zurückhaltenden Diktion des Gerichts – offen bleiben. Angesichts der Tatsache, dass der Europäische Gerichtshof das Ziel der Unterkapitalisierung ausdrücklich nicht für eine Eingriffsrechtfertigung hat ausreichen lassen623, wird man bei der Annahme eines Missbrauchstatbestands im Bereich der Niederlassungsfreiheit äußerst zurückhaltend sein müssen624. Insbesondere für das Strafrecht wenig geeignet erscheint jedenfalls ein Präzisierungsversuch der „Centros“-Rechtsprechung, wonach von einem Missbrauch der Niederlassungsfreiheit dann auszugehen sei, wenn zu der Umgehung nationalen Rechts weitere Elemente hinzutreten, die die Rechtsumgehung als „anstößig“ erscheinen lassen.625 Inwieweit nämlich durch diese formelhafte Wendung eine Umgrenzung des Missbrauchs-Begriffs erfolgen können soll, bleibt im Dunkeln. Es sind letztlich wohl nur deliktische Handlungen nach Gesellschaftsgründung denkbar, welche – um zirkelschlüssige Begründungen in Hinblick auf den Missbrauchsbegriff zu vermeiden – ganz offensichtlich nicht durch Artt. 49, 54 AEUV (ex-Artt. 43, 48 EGV) legimiert werden können. Zu denken ist hierbei etwa an die Gründung einer Niederlassung, um gestohlene Gegenstände zu vertreiben oder die Ausübung sonstiger (organisiert) krimineller Tätigkeiten626, etwa des Betäubungsmittelhandels.627 Ein rechtsanwendungsbezogener Nutzen der festgestellten Umgehungsabsicht entfällt damit aber größtenteils, denn der Täter handelt in diesen Fällen ohnehin objektiv und subjektiv tatbestandsmäßig bezüglich der soeben angeführten Delikte. 621

EuGH Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn. 92 („Überseering“). EuGH Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 105, 136 („Inspire Art“). 623 EuGH Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 18 („Centros“). 624 Zur restriktiven Anwendung des Rechtsmissbrauchsarguments für die Grundfreiheiten Ehlers-Ehlers, § 7 Rn. 58; Frenz, Rn. 2284 ff. 625 Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 48 Rn. 55. 626 Frenz, Rn. 2286. 627 In der Regel werden diese Fälle allerdings ohnehin die Gründe des Art. 46 EG oder sonstige, ungeschriebene Rechtfertigungsgründe eingreifen (Frenz, aaO.). 622

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9. Nutzung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis bei Entziehung der inländischen Fahrerlaubnis und Ablauf der Sperrfrist Ein weiteres, profaneres Beispiel für die umgehungsrelevante Einwirkung des Europarechts auf das deutsche (Straf-)Recht betraf für geraume Zeit die Nutzung einer EU-Fahrerlaubnis nach Ablauf der Sperrfrist im Anschluss an eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Inland.628 Nach deutschem Recht hat die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) bei gleichzeitiger Anordnung einer Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis (§ 69a StGB) zur Folge, dass die Fahrerlaubnis am Ende der Sperrfrist neu erworben werden muss, denn das Sperrfristende bedeutet nicht, dass automatisch wieder gefahren werden dürfte bzw. die Fahrerlaubnis anstandslos wieder erteilt werden müsste.629 Wer nach Ablauf der Sperrfrist dennoch öffentliche Straßen befährt, ohne sich erfolgreich um eine Neuerteilung bemüht zu haben, macht sich strafbar wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 StVG. Allerdings bestand die Möglichkeit, noch innerhalb der Sperrfrist eine Fahrerlaubnis im EU-Ausland zu erwerben. Sie galt grundsätzlich auch für die Bundesrepublik Deutschland, denn gemäß § 28 I der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) durften Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge auch im Inland führen. Zwar galt dies gemäß § 28 IV Nr. 4 FeV nicht für Personen, denen aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden durfte, doch blieb dann noch ein Spielraum für Umgehungshandlungen, wenn die Fahrerlaubnis zwar noch während der Sperrfrist erworben, aber erst nach deren Ablauf von ihr Gebrauch gemacht wurde.630 Auf diese Weise war es nämlich insbesondere möglich, der in der Bundesrepublik Deutschland

628

Vgl. zu dieser Problematik Kudlich, JA 2007, 465 ff. Kudlich, JA 2007, 465 ff. (466); Fischer, §69a Rn. 47 m w. N. 630 Dem Oberlandesgericht München zufolge, das sich mit einem solchen Sachverhalt zu beschäftigen hatte (Urteil vom 29. 1. 2007 – 4 St RR 222/06, StV 2007, 190), müsse der drohende „Führerscheintourismus“ als Konsequenz der fehlenden Harmonisierung der Rechtslage in den einzelnen Mitgliedstaaten hingenommen werden, denn auch das von der Staatsanwaltschaft im Revisionsverfahren vorgebrachte Argument, die Verhaltensweise des Angeklagten sei als Rechtsmissbrauch einzustufen, könne eine Strafbarkeit nicht begründen. Anders das OLG Stuttgart (Urteil vom 15. 1. 2007 – 1 Ss 560/06, StV 2007, 192), das der Ansicht ist, die Sicherheit im Straßenverkehr einerseits und das Interesse an einer vorbehaltlosen Anerkennung jeglicher Führerscheinerteilung durch einen anderen EU-Mitgliedsstaat andererseits könnten durchaus zur Abwägung gebracht werden. Außerdem falle der Angeklagte unter die Ausnahmevorschrift des § 28 IV Nr. 3 FeV, da es entscheidend nicht auf den Zeitpunkt der Benutzung der Fahrerlaubnis ankomme, sondern auf den Zeitpunkt ihrer Ausstellung. Der Tatbestand des § 21 StVG sei demnach erfüllt gewesen. Die eigentlich fällige Vorlage dieser Streitfrage zwischen den beiden Oberlandesgerichten an den Bundesgerichtshof gemäß § 121 II GVG erfolgte übrigens wohl deshalb nicht, weil die Urteile nahezu zeitgleich ergingen, vgl. Kudlich, JA 2007, 465 ff. (466 m. Fn. 8). 629

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vor allem bei Alkoholdelinquenz vorgesehenen und äußerst unbeliebten medizinisch-pyschologischen Untersuchung (vulgo: „Idiotentest“) zu entgehen.631 Inzwischen hat sich die soeben geschilderte (Umgehungs-)Problematik durch die Umsetzung von Art. 11 IV der 3. EG-Führerscheinrichtlinie vom 20. 12. 2006632 entschärft.633 Danach werden ausländische EU-Fahrerlaubnisse, die ab dem 19. 1. 2009 ausgestellt werden, in Deutschland künftig nicht mehr anerkannt, wenn ihren Inhabern zuvor in Deutschland die Fahrerlaubnis wegen schwerer Verkehrsdelikte entzogen wurde. Der zuvor bestehende Grundsatz der ausnahmslosen gegenseitigen Anerkennung der von einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheine ist damit zur besseren Bekämpfung des „Führerscheintourismus“ eingeschränkt worden. 10. Die Rechtsmissbrauchsklausel für das Umweltstrafrecht, § 330d Nr. 5 StGB Ein typisches Beispiel für eine speziell strafrechtliche Reaktion des Gesetzgebers auf Umgehungsverhalten bzw. Erschleichungsverhalten ist im Umweltstrafrecht anzutreffen. Dort findet sich seit dem 2. UKG634 mit § 330d Nr. 5 StGB eine so genannte bereichsspezifische Umgehungsklausel, die ihre Existenz der Verwaltungsakzessorietät bzw. Verwaltungsaktsakzessorietät des 29. Abschnitts des StGB verdankt. Grundsätzlich handelt nur tatbestandlich bzw. rechtswidrig, wer ohne die erforderliche verwaltungsrechtliche Genehmigung handelt. Rechtswidrige Verwaltungsakte hingegen, die nicht bereits nichtig nach § 44 I, II VwVfG sind oder nach § 43 II VwVfG zurückgenommen wurden, haben grundsätzlich tatbestandsausschließende635 bzw. rechtfertigende636 Wirkung637, wie es auch bereits für das Außenwirtschaftsrecht deutlich geworden war.638 Daher könnte eine Person, die sich planmäßig eine rechtswidrige Genehmigung etwa zur Einleitung hochgiftiger Industrieabfälle in die Nordsee mittels Drohung oder Bestechung verschafft hat, nicht gemäß § 324 I StGB bestraft werden, da die bloße Existenz der verwaltungsrechtlich

631

Kudlich, JA 2007, 465 ff. (466 m. Fn. 4). Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU Nr. L 403/18. 633 Die die besagte Richtlinie umsetzende Dritte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 7. 1. 2009 (BGBl. I S. 29 f.) ist zum 19. 1. 2009 in Kraft getreten. 634 Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität – 31. StrÄndG v. 27. 6. 1994 (BGBl. I S. 1440); § 330d Nr. 5 berichtigt durch Gesetz v. 20. 2. 1995 (BGBl. I S. 249). 635 So für §§ 324a, 325, 325a, 327, 328, 329 StGB. 636 Dies gilt für §§ 324, 326 I StGB. 637 Zu den Gründen für die jeweilige Einordnung der Einschränkungen auf Tatbestandsbzw. Rechtswidrigkeitsebene vgl. SK-Horn, Vor § 324 Rn. 7 ff. m. w. N. 638 Ganz herrschende Meinung, vgl. etwa Fischer, Vor § 324 Rn. 7; Gössel/Dölling, § 45 Rn. 10; a. A. Schmitz, S. 31 ff., 61; Schall, NJW 1990, 1263 ff. (1267 f.); Geulen, ZRP 1988, 323 ff. (325). 632

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wirksamen Genehmigung grundsätzlich639 rechtfertigende Wirkung hat.640 Zur Abwehr derartiger strafvermeidender Verhaltensweisen bestimmt § 330d StGB unter anderem, dass ein Handeln ohne Genehmigung auch dann vorliegt, wenn es auf Grund einer durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Genehmigung erfolgte. § 330d Nr. 5 StGB hebt dadurch den Grundgedanken der §§ 43, 48 VwVfG – d. i. die Wirksamkeit auch rechtswidriger Verwaltungsakte bis zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung – für das Strafrecht, allerdings auch nur für das Strafrecht auf.641 Er beinhaltet also eine Durchbrechung der Verwaltungsrechtsakzessorietät.642 Dabei sind die Anleihen bei § 48 II S. 3 Nr. 1 und Nr. 2 VwVfG einerseits sowie vor allem bei § 34 VIII AWG, der in weiten Teilen gleich lautenden Umgehungsklausel, andererseits unverkennbar. Die Vorschrift des § 330d StGB entspricht ohnehin weitestgehend der vor ihrer Schaffung dominierenden Rechtsauffassung im Strafrecht, dass im Verwaltungsrecht anerkannte Fälle des Rechtsmissbrauchs auch für das Strafrecht keine strafbefreiende Wirkung entfalten können.643 Jedenfalls dann, wenn der Begünstigte die Genehmigung durch ein Verhalten erwirkt hatte, das gerade darauf angelegt war, materiell rechtswidrig einen formellen Rechtfertigungsgrund zu schaffen, wurde es als verfehlt angesehen, den Strafrechtsschutz leer laufen zu lassen.644 § 330d StGB dokumentiert damit das Anliegen des Gesetzgebers, der Umgehung von Strafgesetzen mittels der Erschleichung begünstigender oder jedenfalls strafeinschränkender Vorschriften des vorgelagerten Verwaltungsrechts – anders als etwa in § 42 AO oder § 4 II SubvG – mit einer speziell strafrechtlichen Umgehungsklausel entgegenzutreten und damit dem ansonsten problematischen Bezug auf den Rechtsmissbrauch einerseits und auf außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln des Wirtschafts- und Steuerrechts andererseits eine verfassungsrechtlich unanfechtbare Grundlage zu geben. Ungeachtet dieser rechtsstaatlichen Vorteile einer originär strafrechtlichen und bereichsspezifischen Umgehungsklausel sind Bedenken bzgl. der Erfassungsmaßnahmen im 29. Abschnitt weiterhin angebracht, da der Gesetzgeber im Bemühen um die Lückenlosigkeit der Vorschrift in Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz mit dem Begriff der „Kollusion“ in § 330d Nr. 5 StGB neuen Anlass zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegeben hat.645

639

Zu Ausnahmen wegen rechtsmissbräuchlichem Verhalten siehe sogleich. SK-Horn, § 324 Rn. 8. 641 H. M.; vgl. Schönke/Schröder-Cramer/Heine, § 330d Rn. 28; MüKo-StGB-Schmitz, § 330d Rn. 24, jeweils m. w. N. 642 MüKo-StGB-Schmitz, aaO. 643 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 58 Rn. 9; LK11-Steindorf, § 330d Rn. 6; SKHorn, Vor § 324 Rn. 14; Schmitz, S. 15 f. 644 Bloy, ZStW 100 (1988), 485 (504). 645 MüKo-StGB-Schmitz, § 330d Rn. 34 ff.; SK-Horn, § 330d Rn. 12; Schönke/SchröderCramer/Heine, § 330d Rn. 38; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, aaO. 640

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Der Nachteil einer bereichsspezifischen Positivierung der zuvor auf den Gedanken des Rechtsmissbrauchs gestützten Umgehungserfassung in einzelnen Tatbestandsmerkmalen besteht auch für das Umweltstrafrecht darin, dass der Gesetz gewordenen Regelung ein abschließender Charakter zukommt, so dass die in weitergehenden Vorschlägen der Literatur und bisherigen Gerichtsentscheidungen zum Ausdruck kommenden Rechtsmissbrauchslösungen, die über die Regelung des § 330d Nr. 5 StGB hinausgehen, eine Absage erteilt werden muss.646 Für § 330d Nr. 5 StGB ergibt sich diese Begrenzungs- und Klarstellungsfunktion sogar ausdrücklich aus den Gesetzgebungsmaterialien.647 11. Umgehung eines Berufsverbots Ein Musterbeispiel für die Erfassung der Gesetzesumgehung durch den Gesetzgeber qua Vertatbestandlichung des Umgehungsverhaltens soll ferner in § 145c StGB zu sehen sein, welcher (§ 70 III StGB strafrechtlich flankierend648) den Verstoß gegen ein Berufsverbot unter anderem in der Tatbestandsalternative unter Strafe stellt, dass jemand einen Beruf trotz strafrichterlichen Verbots durch einen anderen für sich ausüben lässt.649 Bruns weist zu Recht darauf hin, dass in vielen Fällen die Mittel der Gesetzesauslegung zur Erfassung des den Strohmann einsetzenden Hintermannes auch ohne die Einfügung dieser Alternative ausgereicht hätten650, insbesondere, wenn es sich bei der Einsetzung des Vordermannes um bloße Scheingeschäfte handelt. Für die Sachverhalte aber, in denen die mit dem Berufsverbot belegte Person rechtlich wirksam einen anderen mit der Wahrnehmung der Geschäfte betreut (etwa Einsetzung zum Geschäftsführer einer GmbH), die tatsächliche Herrschaft über die Geschäfte des Unternehmens aber beibehält, müsste auf die in dieser Reichweite verfassungsrechtlich bedenkliche faktische Betrachtungsweise zurückgegriffen werden, um auch diese Sachverhalte unter § 145c StGB subsumieren zu können. Die in Hinblick auf Art. 103 II GG sicherere Maßnahme war es daher allemal, durch Einfügung der besagten Variante alle Konstellationen der verbotenen Berufsausübung eindeutig zu erfassen651, wobei sich das Ziel der Ab646 MüKo-StGB-Schmitz, § 330d Rn. 23; § 330d Rn. 12; Schönke/Schröder-Cramer/Heine, § 330d Rn. 24. 647 Vgl. BT-Drucks. 12/7300, S. 25. 648 Allerdings geht § 145c StGB zur Absicherung der in § 70 III StGB genannten Verbote recht weit, da nicht nur der Adressat des § 70 III StGB mit Strafe bedroht wird, sondern auch eine andere Person, wenn sie für den von dem Berufsverbot Betroffenen nach seinen berufsbezogenen Weisungen (etwa als Strohmann) in dem vom Berufsverbot betroffenen Gebiet tätig wird oder ihn für sich eine Tätigkeit in diesem Bereich ausüben lässt; vgl. Schönke/SchröderStree/Sternberg-Lieben, § 145c Rn. 4. 649 Bruns, GA 1986, 1 (13), siehe auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 145; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (153 f.). 650 Bruns, aaO. 651 Dies gesteht auch Bruns, aaO., selbst einer der größten Fürsprecher einer großzügigen Anwendung der faktischen Betrachtungsweise, ein.

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sicherung gegen Umgehungen auch den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen lässt.652 Neben einer Umgehungsabsicht in Hinblick auf das Berufsverbot selbst ist es – sofern dem Täter die strafrechtliche Absicherung des Berufsverbots bekannt ist – auch nahe liegend, dass die nach seiner Vorstellung mögliche Vermeidung des § 145c 1. Alt. StGB mitbestimmend für die Entscheidung war, den Beruf durch einen anderen für sich ausüben zu lassen. Allerdings werden solche Umgehungsabsichten sowohl in Hinblick auf § 70 III StGB als auch § 145c StGB eher die Ausnahme sein, da beide Vorschriften die Ausübung des Berufs durch einen anderen untersagen bzw. unter Strafe stellen und der Umfang des Berufsverbot schon bei seiner Anordnung dem Verurteilten bekannt gemacht werden wird.

12. Die Additionsklausel im Wuchertatbestand, § 291 I S. 2 StGB Eine weitere gesetzliche Regelung eines Umgehungsfalles ist Tiedemann zufolge der so genannten Additionsklausel des § 291 I S. 2 StGB (Wucher) zu entnehmen.653 Sie ist vor allem für Kreditgeschäfte relevant.654 § 291 I S. 2 StGB ordnet für die Berechnung des auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung beim Wucher an, dass bei dem Zusammenwirken mehrerer Personen oder Unternehmen als Leistende, Vermittler „oder in anderer Weise“ alle Leistungen (z. B. Vermittlungsgebühren, Kredit, Zinsen, etc.) zu addieren sind. Wirken die an einem Geschäftsvorgang Beteiligten bei der Ausbeutung der Zwangslage o. ä. bewusst und gewollt zusammen, so ergibt sich ihre Strafbarkeit als Täter des § 291 StGB bereits aus § 291 I S. 1 i. V. m. den allgemeinen Regeln über die Mittäterschaft nach § 25 II StGB. Fehlt es jedoch an dem erforderlichen Zusammenwirken oder ist ein solches Zusammenwirken nicht nachweisbar, so wären ohne die Regelung des § 291 I S. 2 StGB die Beteiligten – wenn überhaupt – lediglich als Gehilfen zu bestrafen. Dieses Ergebnis hat der Gesetzgeber in Hinblick auf den Schutz der vom Kreditwucher Betroffenen für nicht hinnehmbar gehalten und daher die in § 291 I S. 2 StGB enthaltene Anordnung getroffen, um dem Sinn und Zweck des § 138 BGB Rechnung tragen zu können.655 Sie wird überwiegend für eine gesetzlich geregelte Form der Nebentäterschaft656, z. T. auch als Vertäterschaftlichung einer qualifizierten Beihilfe eingeordnet.657 Erforderlich ist für die Verwirklichung des Wu652 Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 4. Band, S. 565; 13. Band, S. 603. 653 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 272; ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 147. 654 Schönke/Schröder-Stree/Heine, § 291 Rn. 30. 655 BT-Drucks. 7/5291 S. 20. 656 Schönke/Schröder-Stree/Heine, § 291 Rn. 33; Fischer, § 291 Rn. 21; LK11-Schäfer/ Wolff, § 302a Rn. 46; MüKo-StGB-Pananis, § 291 Rn. 40. 657 SK-Hoyer, § 291 Rn. 56.

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chertatbestandes nach § 291 I S. 2 StGB, dass jeder Mitwirkende sich oder einem Dritten im Rahmen eines einheitlichen Geschäftsvorgangs unter Ausnutzung einer Zwangslage einen übermäßigen Vermögensvorteil versprechen oder gewähren lässt, wobei sich zwischen der Summe der einzelnen Vermögensvorteile und sämtlichen Leistungen dann ein auffälliges Missverhältnis ergeben muss.658 Wenn auch soweit Einigkeit darüber zu bestehen scheint, dass der Sinn und Zweck der Schaffung von § 291 I S. 2 StGB in der Schließung einer Strafbarkeitslücke bzw. in der Erfassung eines vor allem das Kreditgeschäft betreffenden strafwürdigen Ausbeutungsverhaltens bestand659, so kann der von Tiedemann vertretenen Auffassung, § 291 I S. 2 StGB sei als spezielle Umgehungsklausel zur Erfassung der materiellen Fälle der Mittäterschaft einzuordnen, nur unter Einschränkungen beigetreten werden. Wie schon für viele der zuvor dargestellten Konstellationen könnte die Zustimmung zu der von ihm getroffenen Einschätzung der Vorschrift nämlich einmal mehr von der Frage abhängig sein, ob dem Umgehungsterminus ein subjektives Element wesenseigen zu sein hat. Wird für das Vorliegen einer Umgehungshandlung verlangt, dass der Täter seine Handlung zur Umgehung des Strafgesetzes (Umgehung gewissermaßen mit „dolus directus 1. Grades“) oder wenigstens in Kenntnis des umgangenen Strafgesetzes („dolus directus 2. Grades“) vornimmt, so kann von einer Umgehung jedenfalls in den Fällen keine Rede sein, in denen die Täter keinen Gedanken an § 291 I S. 2 StGB oder wenigstens an § 138 II BGB und den für sie unvorteilhaften Rechtsfolgen dieser Normen verloren hatten. Dies unterscheidet § 291 I S. 2 StGB dann nämlich wesentlich von Vorschriften wie etwa §§ 145c, 330d StGB, § 42 AO oder § 34 VIII AWG, deren Sinn und Zweck es ja gerade ist, der vom Täter beabsichtigten rechtlichen Gestaltung entgegenzutreten, deren Auswirkung sonst auch die Straffreiheit in den entsprechenden Fallkonstellationen wäre. 13. Betrug, § 263 StGB Grundsätzlich dienen die nicht selten geradezu aufwendigen und phantasiereichen Täuschungskonstrukte von Betrügern in erster Linie nicht dazu, strafrechtliche Normen oder vom Strafrecht in Bezug genommene Vorschriften zu umgehen bzw. dieselben zu erschleichen – vom bereits angesprochenen Betrug in Subventionssachen und vom Subventionsbetrug selbst (§ 264 StGB) einmal abgesehen. Vielmehr handelt der Täter regelmäßig deshalb auf eine vergleichsweise gerissene Art und Weise, weil ihm diese Verhaltensweise als die beste Möglichkeit erscheint, die angestrebte Bereicherung zu verwirklichen. Der vom Täter betriebene Aufwand bezieht sich daher nicht auf Strafnormen oder auf diesen vorgelagerte Vorschriften des Zivil- oder Verwaltungsrechts, sondern auf die Hervorrufung eines Irrtums bei der zu 658

Schönke/Schröder-Stree/Heine, § 291 Rn. 31 ff. Schäfer/Wolff, § 302a Rn. 37 ff.; Schönke/Schröder-Stree/Heine, § 291 Rn. 30; NKKindhäuser, § 291 Rn. 40; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 43 Rn. 19 f., letztere mit eingehender Kritik an der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung. 659

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einer Verfügung zu überzeugenden Person. Daher ist der Betrugstatbestand in seiner mannigfachen Wandlungen unterworfenen Geschichte (vom diffusen, auch Urkundenfälschung und Aussagedelikte erfassenden „falsum“ bzw. „stellionatus“ bis hin zu seiner Herausbildung als reines Vermögensverschiebungsdelikt im 19. Jahrhundert) zu keiner Zeit – soweit ersichtlich – als eine Vorschrift zur Umgehungserfassung angesehen worden.660 Eine Sachverhaltskonstellation, in der die betrugsrelevante Täuschung in den Zusammenhang mit der hier interessierenden Problemstellung rückt, könnte jedoch gegeben sein, wenn der Täter durch geschickte Gestaltung von Angebotsschreiben beim Opfer den Eindruck erweckt, eine Rechnung vorliegen zu haben, die noch zu begleichen sei.661 Nach dem vollständigen Wortlaut seiner Erklärung hatte der Täter gerade keine Täuschung begangen, so dass durchaus die Möglichkeit bestand, dass der Täter trotz seiner verwerflichen Vorgehensweise straffrei bleiben würde. Die herrschende Meinung allerdings kommt auf verschiedenen Wegen zu einer Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Täuschung“; die die Subsumtion der geschickt gestalteten Insertionsofferten jedenfalls bei Geschäftsunerfahrenen ermöglichen soll. Gemeinsamer Nenner dieser Auffassungen ist es, dass auf den Gesamteindruck der Erklärungen abzustellen sei.662 Die Subsumtion des Täterverhaltens unter den Betrugstatbestand wird dagegen von einer Minderheitsauffassung, die die so genannte viktimodogmatische Auslegung bestimmter Straftatbestände propagiert, rundweg abgelehnt, weil die Vertreter dieser Ansicht die Schutzwürdigkeit des Opfers bei einer normativ objektivierenden Auslegung des Betrugstatbestands nicht für gegeben ansehen.663 Nach dieser Auffassung kann die Straflosigkeit auch nicht als unbequemes, in Hinblick auf Art. 103 II GG aber hinzunehmendes Ärgernis eingestuft werden, sondern als Ergebnis der für richtig gehaltenen Auslegung des § 263 StGB selbst. Bezüglich der überwiegenden Auffassung im Schrifttum ist es dagegen zwar angesichts des erreichten Subsumtionsergebnisses (die Strafbarkeit des Anzeigen660

Zur geschichtlichen Entwicklung des Betrugstatbestands: LK11-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 12 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 41 Rn. 1 ff.; Schaffstein, Wieacker-FS, S. 281 ff. 661 Vgl. BGHSt 47, 1 ff.: Der Täter hatte aus 240 Tageszeitungen die Todesanzeigen systematisch ausgewertet und zwei bis drei Tage nach dem Erscheinen der Anzeige ein als Insertionsofferte bezeichnetes Schreiben mit einem teilweise vorausgefüllten Überweisungsträger versandt. Dieses Schreiben wies eine Vielzahl von Merkmalen auf, die bei bereits erbrachten Leistungen und damit bei Rechnungen üblich sind. Nur wenigen Empfängern erschloss sich unmittelbar, dass die Schreiben lediglich ein Angebot für eine erneute Veröffentlichung der bereits erschienenen Todesanzeige im Internet enthielten, an der kaum ein Interesse bestehen konnte. 662 Vgl. Schönke/Schröder-Cramer/Perron, § 263 Rn. 16c; MüKo-StGB-Hefendehl, § 263 Rn. 81 ff.; Fischer, § 263 Rn. 16. Rackow, S. 415 ff. 663 So z. B. Pawlik, StV 2003, 297 ff.

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versenders) natürlich spekulativ, ob eine Straflosigkeit des hier diskutierten Verhaltens als teleologische Lücke empfunden würde, doch kann die Aufmerksamkeit, die dieser Fallgestaltung geschenkt worden ist, gleichwohl als Bemühen um das für richtig gehaltene Ergebnis gedeutet werden. Angesichts der Gesamtumstände des Tatverhaltens kann jedenfalls der besondere Begründungsaufwand im überwiegenden Teil des Schrifttums auch als Anstrengung gedeutet werden, einer Straflosigkeit der Fallgestaltung entgegenzuwirken. Der objektive Umgehungscharakter des Täterverhaltens könnte sich auch aus dem bereits aus anderen dem Wirtschaftsstrafrecht entnommenen Beispielen bekannten Merkmal der Künstlichkeit des Täterverhaltens ergeben, denn es ist unter Zugrundelegung normaler wirtschaftlicher Vorgänge sehr ungewöhnlich, ein Angebot als Rechnung zu gestalten. Den Schwierigkeiten einer objektiv-normativen Täuschungsinterpretation unter Einbeziehung von Sorgfalts-Obliegenheiten des Opfers wich der Bundesgerichtshof insoweit aus, als er zur Begründung einer Täuschungshandlung ganz wesentlich auf die Absicht des Täters abstellte, beim Opfer eine vom vollständigen Erklärungsgehalt der Insertionsofferte abweichenden Eindruck erzielen zu wollen. Entscheidend für die Strafbarkeit des Angebotsautors ist nach der Argumentation des Bundesgerichtshofs also, dass sich der Täter für die Straffreiheit seines Verhaltens nicht auf die vermeintliche Richtigkeit seiner Angaben berufen kann, sofern das „äußerlich verkehrsgerechte Verhalten“ gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt, die Irrtumserregung mithin nicht die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist.664 Sofern der Gesetzesumgehung begriffsnotwendig auch ein subjektives Moment beigemessen wird, erscheinen die Fälle der rechnungsähnlichen Insertionsofferten nicht als „unverfälschte“ Beispiele für Umgehungshandlungen im Strafrecht, wenn der Zeitpunkt der Tat und der Zeitpunkt des Strafprozesses voneinander getrennt werden: Hier motiviert den Täter zu der Tatgestaltung vor allem der angestrebte Vermögensvorteil, dort findet eine „Umwidmung“ dieses Vorteils durch die Verteidigung statt: Das Verhalten wird nun (vielleicht sogar zum ersten Mal) auch als ein möglicherweise tatbestandsloses erkannt und die Argumentation dementsprechend ausgerichtet; sie ist mithin oftmals eine durch das Strafverfahren bedingte, nachträgliche Ad-hoc-Konstruktion der Verteidigung. Allein aber aus der Tatsache, dass der Angeklagte oder seine Rechtsbeistände das angeklagte Verhalten im Strafverfahren für straflos erachten und dieses Vorbringen zusammen mit der objektiv gewitzten Tatgestaltung den nahe liegenden Eindruck vermitteln könnten, darauf habe 664

BGHSt 47, 1 (7). Sowohl das Ergebnis als auch seine Begründung – vor allem das Abstellen auf die innere Tatseite als Hauptargument für das Bestehen einer Täuschung – sind auf Kritik gestoßen, vgl. Rackow, aaO.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 41 Rn. 41; Pawlik, aaO.; Krack, JZ 2002, 613; Baier, JA 2002, 366; Rose, wistra 2002, 13 ff. Zur Kritik an der Hervorhebung der subjektiven Zwecksetzung der Täuschung durch den Bundesgerichtshof unter dem Gesichtspunkt der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des § 263 StGB Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 ff. (713 f.). Dem Bundesgerichtshof zustimmend hingegen Otto, Jura 2002, 606 (607); Loos, JR 2002, 77 ff.

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es der Täter von Anfang an angelegt, darf noch nicht auf eine von vornherein absichtliche Umgehung geschlossen werden. In einer solchen Schlussfolgerung wäre ein so genannter Rückschaufehler (in der Ökonomik auch „hindsight bias“665 genannt) zu sehen.666 Es ist also noch klärungsbedürftig, inwieweit von einer Gesetzesumgehung im Sinne dieser Untersuchung auszugehen ist, wenn der Täter aus hauptsächlich wirtschaftlichen Motiven eine ungewöhnliche Fallgestaltung wählt, die trotz gleicher Strafwürdigkeit vom Wortlaut der Strafnorm nur schwer erfassbar ist und sich der Täter auf diese mögliche Strafbarkeitslücke im Strafverfahren beruft, ohne dass sein Handeln von vornherein gerade auf das Ausnutzen einer eventuell bestehenden strafrechtlichen Regelungslücke angelegt gewesen ist. 14. Computerbetrug, § 263a StGB Auch für den Computerbetrug gemäß § 263a StGB, der sich –inhaltlich wie regelungstechnisch – direkt an den Betrug anschließenden Strafvorschrift, stellt sich die Frage, ob diese Norm eine direkte Reaktion des Gesetzgebers auf tatbestandsvermeidendes Täterverhalten darstellt. Den Materialien zur Entstehungsgeschichte ist jedenfalls sicher zu entnehmen, dass es vor allem in Hinblick auf das ganz einhellig anerkannte Irrtumserfordernis bei § 263 StGB darum ging, eine echte Gesetzeslücke im Vermögensstrafrecht zu schließen.667 Für die Einführung einer Parallelvorschrift zum Betrugstatbestand bestand deshalb ein unabweisbares kriminalpolitisches Bedürfnis, weil der steigende Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen, insbesondere zwecks Abwicklung des Zahlungsverkehrs im Bankbereich, die Gefahren ihrer missbräuchlichen Verwendung deutlich zu Tage gefördert hatte. Die bisherige Ausgestaltung des § 263 StGB vermochte Verhaltensweisen nicht zu erfassen, in denen ein Vermögensschaden nicht durch die irrtumsbedingte Vermögensverfügung einer natürlichen Person vermittelt wird, es also nicht zu der Täuschung einer Kontrollperson kommt, sondern der Vermögensschaden vielmehr durch einen Eingriff in das System der Datenverarbeitungsanlage herbeigeführt wird.668 Fraglich ist, ob aufgrund der beschriebenen Zielrichtung der Gesetzesinitiative („Lückenschließung“) zugleich der weitergehenden These Ottos beigepflichtet werden kann, § 263a StGB sei als gesetzgeberische Entscheidung zu interpretieren, 665

Schmidt, Hindsight-bias-Effekt, S. 19 ff.; Eidenmüller, JZ 2005, 216 (218). Das Gesagte gilt entsprechend auch für weitere Fälle „unverdächtiger Täterschaft“, etwa das Provozieren eines Auffahrunfalls durch „äußerlich verkehrsgerechtes“ Fahrverhalten; siehe dazu BGH NJW 1999, 3132; Rackow, S. 423 ff. m. w. N. 667 Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Tagungsberichte der Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, Band XII (Zwölfte Arbeitstagung vom 22. – 26. 11. 1976); Bundestagsvorlage zum 2. WiKG vom 26. 8. 1983 (BT-Drucks. 10/318 S. 19); eingehend zur Gesetzgebungsgeschichte Lackner, Tröndle-FS, S. 41 ff. (43 ff.); Achenbach, Gössel-FS, S. 481 ff.; LK11-Tiedemann, § 263a Rn. 2. 668 Schönke/Schröder-Cramer/Perron, § 263a Rn. 1. 666

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der Tatbestandsumgehung des Betruges durch Vermeidung der Täuschungshandlung keinen Raum zu geben.669 Zutreffend ist diese Vermutung insoweit, als ein Täter, der sich anstelle des Kontakts mit einer natürlichen – und damit täuschbaren – Person eines Computers bediente, um zu der angestrebten Bereicherung zu gelangen, vor Einfügung von § 263a StGB durch das 2. WiKG vom 15. 5. 1986 straffrei bleiben musste. Sofern der Täter beide Vorgehensmöglichkeiten hatte und sich aus dem genannten Grund – der Strafvermeidung – gegen eine (betrugsrelevante!) Kommunikation mit einem anderen Menschen entschied, hatte er durchaus planvoll seine Strafbarkeit vermieden. Doch auch bei Anerkennung der Tatsache, dass mit der Schaffung von § 263a StGB eine echte Gesetzeslücke im System des strafrechtlichen Vermögensschutzes geschlossen worden ist, bleibt zweifelhaft, ob die zuvor mangels Täuschung straffrei gestellten Sachverhalte gerade eine „teleologische Lücke“ im Tatbestand des § 263 StGB darstellten. Für Umgehungssachverhalte ist schließlich nicht irgendeine Lücke im Gesamtnormensystem charakteristisch, sondern gerade die Vereitelung des Zwecks der vermiedenen Norm. Sinn und Zweck des § 263 StGB ist jedoch nicht der Schutz gegen jede Form des Vermögensverlusts, sondern nur der Schutz gegen täuschungsbedingte Vermögensverschiebungen in rechtswidriger und stoffgleicher Bereicherungsabsicht. Der fragmentarische Charakter gerade des Vermögensstrafrechts670 gebietet mithin, die auf Ähnlichkeitsgesichtspunkte gestützte Vergleichbarkeit der Strafwürdigkeit keinesfalls mit einer Zielverfehlung der nicht einschlägigen Strafnorm zu verwechseln: § 263 StGB war nie dazu gedacht, täuschungsneutrale Vermögensschädigungen zu sanktionieren; eine aus der Gesamtstrafrechtsordnung gefolgerte und schließungsbedürftige Regelungslücke kann natürlich gleichwohl bestehen. Auch aus einem anderen Grund bleiben an der These Ottos Zweifel bestehen: Wer zum Beispiel unbefugt in den Besitz einer fremden EC-Karte gelangt und auch über die entsprechende PIN verfügt, für den ist die Erlangung von Bargeld aus dem Kontoguthaben eines anderen durch die Abhebung am Automaten leichter und die Entdeckung der fehlenden Berechtigung unwahrscheinlicher, als wenn der Täter unter Vorzeigen der EC-Karte am Kundenschalter des Kreditinstituts eine Auszahlung verlangte. Die zur Schaffung des § 263a StGB Anlass hat gebende technische Entwicklung hat auf diese Weise nicht in erster Linie neue Möglichkeiten der Strafvermeidung, sondern vor allem neue Möglichkeiten der rechtswidrigen Bereicherung erschlossen, deren Straflosigkeit bloßer – wenn auch äußerst willkommener Reflex – der eigentlichen Tätermotivation war, sich unentdeckt an fremdem Vermögen bereichern zu können. Durch die Eröffnung neuer technischer Möglichkeiten haben gerade deren Anbieter Straftätern einen neuen, direkteren Weg zu dem Vermögen ihrer Kunden eröffnet, durch dessen Beschreitung der Täter keinen

669 670

Otto, Jura 1999, 97 (98). Siehe hierzu Otto, BT, § 1 Rn. 1 ff. m. w. N.

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(künstlichen) Umweg, sondern die Direttissima zu der Verwirklichung seiner Ziele wählt. Nach alledem kann § 263a StGB nur schwerlich als die Antwort des Gesetzgebers auf Umgehungen von § 263 StGB bezeichnet werden. Die soeben gegenüber gestellten Sachverhaltsalternativen zum EC-Karten-Missbrauch zeigen im Übrigen, dass die Umgehung von Strafvorschriften im Sinne einer Vermeidung der Subsumierbarkeit und die „Umgehung im kriminalistischen Sinn“671 begrifflich voneinander getrennt werden müssen. Dieser Problematik soll nun anhand dreier weiterer Fallgestaltungen (die Erschleichung von Leistungen, das „Raubkopieren“ sowie das Leerspielen von Geldautomaten) weiter nachgegangen werden. 15. Erschleichung von Leistungen, § 265a StGB Für die dritte Tatbestandsvariante des § 265a StGB, die Erschleichung der Beförderung durch ein Verkehrsmittel („Schwarzfahren“), ist heftig umstritten, welche Anforderungen an dieses Merkmal zu stellen sind. Nach der von der Rechtsprechung und Teilen der Literatur vertretenen Auffassung ist von strafbarem Schwarzfahren auszugehen, wenn der Täter entweder Kontrollmaßnahmen umgeht oder sich mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt.672 Damit wird letztendlich jede unbefugte Inanspruchnahme der Beförderung unter Strafe gestellt, denn Voraussetzung für die Straffreiheit wäre, dass sich ein Fahrgast ohne gültigen Fahrschein beim Betreten einer Straßenbahn in den Augen eines fiktiv anwesenden Kontrolleurs besonders auffällig aufführen müsste.673 Überzeugend hält die herrschende Meinung innerhalb des Schrifttums dieser Auslegung von § 265a StGB entgegen, dass das Verhalten des Schwarzfahrers, der es nicht auf die Umgehung einer Kontrolle anlegt, sondern schlicht auf deren Ausbleiben hofft, nicht den Anforderungen entspricht, die an ein „Erschleichen“ zu stellen sind.674 Erforderlich ist daher stets ein Umgehen von

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Damit soll auf eine Charakteristik der überwältigenden Mehrheit von Straftaten angesprochen sein, die darin besteht, dass der Täter seine kriminelle Energie nicht allein auf die Verwirklichung des Tatbestandes richtet, sondern auch auf die Geheimhaltung der Tat, der Täterschaft und ggf. des Opfers: „Es ist daher fast schon eine Faustregel, dass Straftäter bei der Deliktsplanung in Hinblick auf das Risiko strafrechtlicher Verantwortlichkeit bemüht sind, sich einer Begehungsweise zu bedienen, die ihrer Ansicht nach die Ermittlungen erschwert und die Aufklärung wesentlicher Umstände überhaupt unmöglich macht.“, Holyst, Arch. f. Krim. 173 (1984), 173. „Umgehen“ i. S. d. Schaffung eines Sachverhalts, der sich nicht unter ein Strafgesetz subsumieren lässt, hebt sich von diesen typischen Verdeckungsbemühungen als ein Sonderfall indes deutlich ab. 672 BayObLG StV 2002, 428; OLG Düsseldorf NJW 2000, 2120; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 269; OLG Stuttgart NJW 1990, 924; Rengier, BT I, § 16 Rn. 6; Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT I, § 41 Rn. 223; Otto, BT, § 52 Rn. 19. Nach Auffassung des BVerfG (NJW 1998, 1135 [1136]) verstößt diese Auslegung von § 265a StGB nicht gegen Art. 103 II GG. 673 MüKo-StGB-Wohlers, § 265a Rn. 38. 674 MüKo-StGB-Wohlers, § 265a Rn. 57.

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Kontrollmaßnahmen675, auch um die aus systematischen Erwägungen heraus erforderliche Täuschungsähnlichkeit des Verhaltens klarzustellen.676 Die in der Rechtsprechung verwendete Formel suggeriere sprachlich unzutreffend ein aktives Handeln, welches sie in einem „Sich-verhalten-wie-alle-anderen“ kaum wird finden können.677 Eine „Umgehung“ von § 265a StGB ist demnach durchaus möglich, allerdings ist sie gerade nicht in einem unauffälligen Verhalten zu sehen. Skurrilerweise wäre § 265a StGB gerade dann vermieden, wenn sich der Täter offen zu der vertragswidrigen Beförderung bekennt, indem er etwa auf dem Weg zu dem U-Bahn-Waggon ein großes Schild hochhält, auf dem deutlich geschrieben steht: „Sehr geehrte Damen und Herren Angestellte der Verkehrsbetriebe, ich fahre heute schwarz“. Während also in den bisherigen Fallgestaltungen zur Umgehung von Straftatbeständen stets die Frage erörtert wurde, ob das besonders geschickte und auf Sanktionslosigkeit gerichtete Verhalten des Täters noch unter eine Strafnorm subsumierbar ist, ist demgegenüber hier die Veranlassung für die Meinungsverschiedenheit durch die Fragestellung gegeben, ob ein solches Umgehungsverhalten gerade für die Tatbestandsmäßigkeit zu fordern ist. Die Strafwürdigkeit der rechtswidrigen Inanspruchnahme eines tatsächlichen Vorteils wird hier also – sofern der herrschenden Literaturmeinung gefolgt wird – von einer besonders gearteten Vermeidung der entstehenden Zahlungspflicht abhängig gemacht. Das Umgehungsverhalten ist daher im Rahmen des § 265a StGB kein – wie in den meisten anderen Konstellationen bisher kennen gelernt – dem Telos der Norm entsprechendes, aber vom Wortlaut nicht erfassbares Verhalten, sondern ein Vorgehen, das dem Wortlaut der Norm entspricht und erst überhaupt das Telos der Norm erfüllt; Verhaltensweisen ohne Erschleichungscharakter sollen nach richtiger Auffassung gar nicht bestraft werden. Indessen könnten Entstehungsgeschichte und Tatbestandsfassung von § 265a StGB darauf hindeuten, dass die Vorschrift nicht zur Umgehungsabsicherung 675 MüKo-StGB-Wohlers, aaO.; LK11-Tiedemann, § 265a Rn. 36, 47; Wessels/Hillenkamp, BT/2, Rn. 672; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 265a Rn. 11; SK-Hoyer, § 265a Rn. 8 f., 21; Fischer, § 265a Rn. 21; Krey/Hellmann, BT 2, Rn. 512a; Ingelfinger, StV 2002, 429 f. 676 Fischer, aaO. 677 Fischer, aaO. Auch kann auch die vom Bundesverfassungsgericht, aaO. vorgetragene Argumentation, eine weite Auslegung der Vorschrift sei deshalb angebracht, weil der Gesetzgeber sie ausdrücklich zur Schließung von Gesetzeslücken eingeführt habe, nicht überzeugen, da der Gesetzgeber 1935 die Bedingungen des modernen Massentransportes mitsamt dem Abbau von Kontrollpersonal und -einrichtungen und die damit einhergehenden neuen Möglichkeiten des „Schwarzfahrens“ wohl nicht vor Augen gehabt haben wird. Ein zur Rechtfertigung einer weiten Tatbestandsauslegung ins Feld geführter subjektiv-historischer Auslegungsansatz muss sich aber seiner durch den Horizont des historischen Gesetzgebers bedingten Grenzen bewusst bleiben und kann den Willen des Gesetzgebers nicht auf Sachverhalte übertragen, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Norm überhaupt nicht vorauszusehen waren und daher auch einen „mutmaßlichen Willen“ des historischen Gesetzgebers nicht stützen können.

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

norminterner Anwendungsfälle dient678, sondern zur Sicherstellung des ursprünglich von § 263 StGB angestrebten Schutzes. Tatsächlich ist § 265a StGB als Auffangtatbestand zum Betrug zu verstehen und soll Lücken schließen, die durch die Automatisierung vieler Lebensvorgänge für die Anwendbarkeit des Täuschungsmerkmals entstanden sind.679 Gleichwohl erscheint eine Umgehung von § 263 StGB gerade im Sinne einer Zweckvermeidung dieser Strafvorschrift aus dem bereits für § 263a StGB angeführten Argument heraus fraglich: Es war gerade nicht der Zweck von § 263 StGB, täuschungsneutrale Vermögensschädigungen zu pönalisieren.680 Überdies kann von einer Umgehung nur in den Fällen die Rede sein, in denen der Täter bei feststehenden Zielvorstellungen zwei Verwirklichungsmöglichkeiten hat, die ihn vor die Wahl stellen, sich entweder offensichtlich strafbar zu machen oder über besondere Maßnahmen die Subsumierbarkeit seines Verhaltens unter die betreffende Strafnorm in Frage zu stellen. Wer aber heute z. B. die Untergrund-Bahn in einer deutschen Großstadt benutzt, hat gar nicht die Möglichkeit, vor Fahrtantritt täuschend auf eine natürliche Person einzuwirken, selbst wenn er es noch so sehr darauf anlegt. Durch das „Schwarzfahren“ kann § 263 StGB also häufig gar nicht umgangen werden.681 Aus mehreren Gründen ist § 265a StGB daher (trotz seines Tatbestandsmerkmals „erschleichen“) nicht von unmittelbarem Interesse für dieser Untersuchung.682 16. Das so genannte Raubkopieren Ein weiteres Beispiel für die bereits für § 265a beschriebene Art der Verwendung des Umgehungs- und Erschleichungsbegriffs im Strafrecht betrifft die Frage nach der Strafbarkeit der insbesondere von der Film- und Musikindustrie als „Raubkopieren“ bezeichneten rechtswidrigen Vervielfältigung von Bild- und Tonträgern, insbesondere wenn sie mit der Umgehung eines von dem Hersteller für den Datenträger vorgesehenen Kopierschutzes verbunden ist. Für die unrechtmäßige Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke kommen diverse Straftatbestände in Betracht.

678 Damit sind Lebenssachverhalte gemeint, die jedenfalls nach der ratio legis § 265a StGB unterfallen müssten. 679 Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 265a Rn. 1. 680 Siehe B. II. 14. 681 Etwas anderes mag gelten, wenn der Täter den hinteren Eingang eines Busses benutzt, um den Kontakt mit dem Fahrer zu vermeiden. In subjektiver Hinsicht ist für diesen Fall allerdings wiederum zweifelhaft, ob es der Täter gerade auf die Strafvermeidung anlegt. Viel naheliegender ist wohl, dass er durch den Einstieg durch die hintere Tür vermeiden möchte, vom Busfahrer schon an der Mitfahrt gehindert zu werden. 682 A. A. wohl Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 145, der in dem Kapitel „Scheinund Umgehungshandlungen“ hervorhebt, dass neuerdings auch der Gesetzgeber die Begriffe des Umgehens (für § 108b I Nr. 1 UrhG) und des Erschleichens (für § 265a StGB) als ausdrückliche Tatbestandsmerkmale verwende.

II. Der Besondere Teil inklusive des so genannten Nebenstrafrechts

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Von Interesse ist dabei § 108b I Nr. 1 UrhG; hier ist die „Umgehung“ technischer Maßnahmen ein Tatbestandsmerkmal.683 Sowohl das Täterverhalten (z. B. das unerlaubte Erstellen einer Tonträgerkopie) als auch die Umschreibung dieses Verhaltens in § 108b I Nr. 1 UrhG betreffen jedoch nicht die Umgehung von Strafvorschriften oder die strafbefreiende Wirkung der Erschleichung gewährender Tatbestände, sondern eine Vorgehensweise, deren Umgehungscharakter sich auf das tatsächliche, durch die Sicherungsvorkehrungen des Tatobjekts bedingte Methode des Täters bezieht, ohne dass hierdurch besondere rechtliche Schwierigkeiten entstünden. Um es an einem Beispiel aus dem so genannten Kernstrafrecht zu illustrieren: Nur, weil ein Täter bei der Entwendung etwa eines Elektrorasierers die außen an dem Gerät angebrachte elektronische Artikelsicherung durch die Auskleidung seiner Einkaufstasche mit Aluminiumfolie „umgeht“, ist an dem Vorliegen eines Diebstahls gemäß § 242 I StGB nicht zu zweifeln. Die illegale Vervielfältigung von Datenträger unter Umgehung eines Kopierschutzes ist daher keine Kriminalitätsform, die für die dieser Untersuchung zugrunde liegende Problematik von besonderem Interesse ist.684 17. Das „Leerspielen“ von Spielautomaten Schließlich sei mit dem – aus technischen Gründen heute weniger bedeutsamen685 – computerunterstützten „Leerspielen“ von Geldspielautomaten noch ein letztes Beispiel für Sachverhalte genannt, in denen sich der Begriff der Umgehung nicht auf die Schwierigkeiten der Subsumtion unter eine Strafnorm bezieht, sondern allein die Geschicklichkeit illustriert, mit der der Täter zu Werke geht, wenn es darum geht, die mit der Tat angestrebten Vorteile zu erlangen. Um einen Geldspielautomaten „leer zu spielen“ verschafft sich der Täter zunächst (legal686 oder illegal687) Kenntnisse über das Programm des Automaten. Mit Hilfe dieser Daten und eines mit sich geführten Laptops kann er daraufhin ermitteln, an welcher Stelle des Programms sich der Spielautomat befindet bzw. vorausberechnen, ob sich ein Drücken der Risikotaste lohnt.688 Beim Leerspielen des Automaten selbst ist das Verhalten des Täters dann von dem eines normalen Automatennutzers nicht zu unterscheiden. Nach h. M. ist dieses Vorgehen als Computerbetrug gemäß § 263a

683 Bzgl. dieser Spezialvorschrift vgl. Leipold, NJW-Spezial 2006, 327; Hellmann/Beckemper, Rn. 636 ff. mit Fallbeispielen einschließlich ausführlicher Subsumtion. 684 A. A. wiederum wohl Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 145 a. E. sowie LK12Dannecker, § 1 Rn. 264. 685 LK11-Tiedemann, § 263a Rn. 61. 686 So etwa in dem Fall, den das OLG Celle zu entscheiden hatte, NStZ 1989, 367. 687 Eine illegale Verschaffung des Programms lag etwa einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu diesem Problemkreis zugrunde, BGHSt 40, 331. 688 Bühler, S. 2 f.; Achenbach, Jura 1991, 225 ff.

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

StGB strafbar689, wobei insoweit Uneinigkeit besteht, ob § 263 I 3. Var. StGB690 oder § 263a 4. Var. StGB691 anzuwenden sei692. Daneben kommen auch §§ 202a, 303b und § 106 UrhG sowie für Fälle der illegalen Erlangung des Programms § 17 II UWG in Betracht.693 Wie schon für das illegale Kopieren von Datenträgern unter der Umgehung eines Kopierschutzes ist das geschickte Verhalten des Täters hier vor allem dem Umstand geschuldet, dass er sich mit dem beschriebenen Vorgehen die größten Chancen ausrechnet, das von ihm verfolgte Ziel (hier: die im Spielautomaten befindlichen Münzen) zu erreichen. Daneben mag das äußerlich unscheinbare Vorgehen (ähnlich dem Vorgehen beim „Schwarzfahren“) den Vorteil für sich haben, bei der Tatausführung unbemerkt zu bleiben. Doch selbst bei einer (Über-)Betonung des letzteren Motivators für die Vorgehensweise des Täters – also des Schutzes vor Strafverfolgung – erlangt das Leerspielen von Geldspielautomaten für diese Untersuchung keine Bedeutung, kann durch das Raffinement des Täters doch allein die tatsächliche Entdeckung der Tat erschwert werden, eine besondere rechtliche Erschwernis wird den Strafverfolgungsbehörden durch den Täter nicht bereitet: Die Anwendung der einzelnen Tatbestandsmerkmale auf das Leerspielen von Geldautomaten steht zwar im Streit, doch ohne, dass der Täter es auf das Verlassen des Anwendungsbereichs der Vorschrift angelegt hätte oder sein Verhalten allein unter diesem Blickwinkel Sinn ergeben würde, weil es künstlich oder wirtschaftlich unsinnig erscheint. Es liegt also allenfalls eine „Gesetzesumgehung im kriminalistischen Sinne“ vor.694 Das Gesagte gilt ebenso für ähnlich gelagerte Fälle äußerlich unauffälligen Verhaltens im Rahmen des § 263a StGB, etwa für das Verwenden einer wieder aufgeladenen Telefonkarte oder für die Beschickung eines Leergutautomaten mit zuvor entwendeten Pfandflaschen.695 18. „Verschleierte“ Umgehungsstrafgesetze? Wird der Begriff der Umgehung in einer Norm ausdrücklich zum Tatbestandsmerkmal gemacht, an dessen Folge sich unmittelbar oder mittelbar eine Sanktion anknüpfen soll, so können derartige Vorschriften durchaus als offene bzw. aus689

Für Tatbestandslosigkeit plädieren hingegen MüKo-StGB-Wohlers, § 263a Rn. 40, 54, 58; OLG Celle NStZ 1989, 367 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I § 41 Rn. 234; Zielinski, NStZ 1995, 345. 690 BayObLG JR 1991, 298; Hilgendorf, JuS 1997, 130 ff.; SK-Hoyer, § 263a Rn. 45 (letzterer nur unter der Voraussetzung, dass der Täter Informationen über den Programmablauf auf rechtswidrige Weise erlangt hat). 691 Joecks, § 263a Rn. 37; LK11-Tiedemann, aaO., Rengier, BT I, § 14 Rn. 32; Lackner/ Kühl, § 263a Rn. 14a; Wessels/Hillenkamp, Rn. 612. 692 Offengelassen von BGHSt 40, 331. 693 Bühler, S. 141 ff.; 154 ff., 158 f., 169 ff. 694 Zu diesem Begriff siehe bereits Fn. 671. 695 Siehe hierzu Joecks, § 263a Rn. 38 f. m. w. N.

II. Der Besondere Teil inklusive des so genannten Nebenstrafrechts

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drückliche Umgehungsstrafgesetze bezeichnet werden, sofern nicht – wie in den zuletzt erörterten Fallgestaltungen – der Begriff der Umgehung in einem allein tatsächlichen Kontext verwendet wird. Daneben soll es aber auch Vorschriften geben, die das Ziel der Umgehungserfassung zwar nicht klar zum Ausdruck bringen, aber als sog. verschleierte bzw. versteckte Umgehungsstrafgesetze fungieren sollen. Von den Anhängern dieser Terminologie werden dabei § 145c StGB, vor allem aber §§ 315, 315b StGB angeführt.696 In der Kritik stehen insbesondere §§ 315, 315b StGB hinsichtlich der Tatbestandsvarianten in § 315 I Nr. 4 StGB bzw. § 315b I Nr. 3 StGB, die beide einen den vorherigen Tatbestandsvarianten vergleichbaren Sachverhalt für strafbar erklären, sofern er nur ähnlich und ebenso gefährlich ist und die schon im Gesetzgebungsverfahren als kriminalpolitisch notwendige „Analogieklauseln“ bezeichnet wurden.697 Beide Vorschriften, so der Vorwurf, verstoßen gegen das Analogieverbot698 bzw. gegen das Bestimmtheitsgebot699, wobei die Wahl zwischen den beiden in Art. 103 II GG enthaltenen und in den §§ 315, 315b StGB vermeintlich verletzten Prinzipien davon abhängt, wie man das Verhältnis der beiden Prinzipien zueinander bestimmt. Die herrschende Meinung hingegen hält beide Vorschriften für ausreichend bestimmt700 und auch das Analogieverbot für nicht betroffen, da es sich um eine verfassungsgemäße „innertatbestandliche“ Analogie handele, deren Bildung für §§ 315, 315b StGB intra legem, nicht aber, wie für den Verstoß gegen Art. 103 II GG vorausgesetzt, praeter legem erfolge701. Unabhängig von der verfassungsrechtlich gelagerten Diskussion702 ist jedoch bereits zweifelhaft, ob § 315 I Nr. 4 StGB und § 315b I Nr. 3 StGB überhaupt Umgehungsklauseln darstellen. Es trifft zwar zu, dass diese Vorschriften es gewährleisten, auch solche Handlungen einbeziehen zu können, die durch Auslegung der anderen Tatalternativen nicht mehr erfasst werden und die der Gesetzgeber im Einzelnen nicht zu beschreiben vermag, deren Unrechtsgehalt den umschriebenen aber nicht nachsteht.703 Richtig ist auch, dass auf diese Weise ein sonst strafloses, Verhalten doch mit Strafe bedroht werden kann.704 Gleichwohl ist es aber wohl zu 696 Stöckel, S. 124 mit weiteren Beispielen, Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (153 f.); Bruns, GA 1986, 1 (14); Nippoldt, S. 199. 697 Regierungsvorlage zum 2. StraßenVSichG (BT-Drucks. IV/651, S. 22 f.). 698 NK-Herzog, § 315 Rn. 18 (anders aber für § 315b StGB, hier sollen die Bedenken bloß „theoretischer Natur“ sein, NK-Herzog, § 315b Rn. 12); Bruns, GA 1986, 1 (14 ff.); Stöckel, S. 145 f.; ders., ZRP 1977, 134 (136). 699 Isenbeck, NJW 1969, 174 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 53 II Rn. 16; für eine in Hinblick auf den Lex-certa-Satz besonders restriktive Auslegung Fabricius, GA 1994, 164 (166 ff.). 700 BVerfG BvR 182/69 v. 11. 6. 1969; BGHSt 22, 365 (366 f.); LK11-König, § 315 Rn. 41; MüKo-StGB-Barnickel, § 315 Rn. 44; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, § 315 Rn. 13, § 315b Rn. 9. 701 Kuhlen, Otto-FS, S. 89 ff. (97 f.); Krey, Studien, S. 223; Fabricius, GA 1994, 164 (166). 702 Siehe hierzu noch E. II. 2. b) bb) (3) (b). 703 Stöckel, S. 125 f. 704 Stöckel, S. 125.

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B. Mögliche Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht

weit gegriffen, in den Vorschriften gerade eine Reaktion oder Vorbeugemaßnahme gegen Umgehungshandlungen zu sehen, denn weder die subjektiv-historische Auslegung noch der gewachsene Anwendungsbereich von §§ 315 I Nr. 4, 315b I Nr. 3 StGB liefern Anhaltspunkte dafür, dass die beiden Vorschriften spezifisch gegen künstliche und/oder absichtliche Tatbestandsvermeidungen gerichtet sind. Kritikwürdig ist auch die Formulierung, man habe es mit „verschleierten Umgehungsgesetzen“ zu tun, weil sie suggeriert, der Gesetzgeber habe verdecken wollen, dass er eine Umgehungsklausel in das Gesetz aufgenommen hat. Die Motivation zur Schaffung von §§ 315 I Nr. 4, 315b I Nr. 3 StGB war jedoch die Lückenschließung ganz allgemein, die als Teilmenge auch die Erfassung möglicher Umgehungshandlungen erfasst. Gegen die Einordnung der beiden Vorschriften als „verschleierte“ Umgehungsgesetze spricht nicht zuletzt die forensische Praxis, denn die von §§ 315 I Nr. 4, 315b I Nr. 3 StGB erfassten Fälle mit Umgehungscharakteristika werden gegenüber den erfassten Fällen ohne Umgehungscharakter deutlich in der Minderheit sein. Die Vornahme eines ähnlichen und ebenso gefährlichen Eingriffs ist in der Regel kein (absichtlicher) Umweg des Täters, um einer Strafbarkeit gemäß § 315 I Nr. 1 – 3 StGB bzw. § 315b I Nr. 1 – 2 StGB zu entgehen. 19. Weitere, von Stöckel beschriebene Sachverhalte; insbesondere die Ersatzhehlerei Für weitere mögliche Umgehungssachverhalte, die hier nicht mehr im Einzelnen diskutiert werden sollen, sei auf die Auflistung bei Stöckel verwiesen705 Dort findet sich auch der Fall einer Person (P), die den Dieb veranlasst, das von diesem entwendete Geld vor der Übergabe an sie wechseln zu lassen. P bleibt dadurch straflos in Bezug auf die Geldannahme.706 Das Vorliegen einer „teleologischen 705

Stöckel, S. 19 f. Eine Strafbarkeit des P gemäß § 259 I StGB durch „Sich-Verschaffen“ setzt voraus, dass das Tatobjekt unmittelbar durch die Vortat erlangt worden ist. Die so genannte Ersatzhehlerei ist nicht tatbestandsmäßig (Schönke/Schröder-Stree, § 259 Rn. 14). Die durch P erlangte tatsächliche Verfügungsgewalt an den gewechselten Scheinen bezog sich daher nicht auf ein taugliches Tatobjekt. Der Wertsummengedanke ist wegen des klaren Wortlauts von § 259 StGB nicht zu Lasten des P anwendbar. Auch das Einwechseln der Geldscheine begründet keine Vortat i. S. d. § 259 StGB, da an dem „großen“ Geldschein gemäß §§ 929, 932, 935 II BGB Eigentum erworben konnte und damit ein Betrug gemäß § 263 StGB gegenüber dem Einwechselnden ausscheidet. Ferner ist die bloße Aufforderung an den Dieb, das Geld zu wechseln, nicht bereits als Absatzhilfe zu qualifizieren, denn Absetzenhelfen als Hehlereihandlung i. S. d. § 259 StGB ist nur die weisungsgebundene, unselbständige Unterstützung für den Vortäter; vgl. statt aller Wessels/Hillenkamp, BT/2 Rn. 870. Schließlich begeht P durch die Annahme der Scheine auch keine Unterschlagung gemäß § 246 StGB, da er bezüglich des nun gewechselten Geldes vom Berechtigten erwirbt und damit keine rechtswidrige Zueignung mehr begeht. Sollte der Diebstahl (also die Vortat) allerdings gewerbs- oder bandenmäßig begangen worden sein, könnte die Annahme der gewechselten Scheine inzwischen gemäß § 261 I Nr. 4a, II StGB zu bestrafen sein, sofern nicht § 261 VI StGB eingreift (zu den Streitfragen bei § 261 VI StGB 706

II. Der Besondere Teil inklusive des so genannten Nebenstrafrechts

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Lücke“ ist für diesen scheinbar offensichtlichen Umgehungsfall indessen nicht ausgemacht. Zwar wird das von § 259 StGB geschützte Rechtsgut, das Vermögen, auch durch die Ersatzhehlerei beeinträchtigt und das Verhalten des P und des D entspricht auch durchaus dem Wesen der Hehlerei, eine durch die Vortat geschaffene rechtswidrige Vermögenslage aufrechtzuerhalten oder zu vertiefen.707 Gleichwohl beschränkt sich § 259 StGB zum Beweis des „fragmentarischen Charakters“ gerade des Vermögensstrafrechts708 darauf, nur bestimmte Angriffe auf das Rechtsgut zu pönalisieren. Zu diesen Bedingungen gehört eben auch die Sachidentität des Tatobjekts; die Ersatzhehlerei soll also nicht strafbar sein. Der gleichwohl empfundene Umgehungscharakter des Täterverhaltens ist daher wohl darin begründet, dass P durch sein Verhalten zwar keine Zweckvereitelung erreicht hat, wohl aber eine Art von „Strafvereitelung“, da er ohne die vor der Übergabe initiierte „Umtauschmaßnahme“ eindeutig nach § 259 StGB zu bestrafen gewesen wäre. Es wird daher noch zu erörtern sein, ob auch ohne die Erzeugung einer „teleologischen Lücke“ infolge des tatsächlichen Täterverhaltens von Gesetzesumgehung gleichwohl deshalb die Rede sein kann, weil der Täter durch sein „künstliches“ und/oder „absichtliches“ Vorverhalten eine nahe liegende, allerdings fiktive Sachverhaltsentwicklung vermeidet, die ihn hätte straffällig werden lassen. Unabhängig von den Bedenken für diesen Einzelfall kann festgehalten werden, dass sich weitere Umgehungskonstellationen ohne Zweifel noch zu Dutzenden konstruieren lassen. Doch soll die Untersuchung von einzelnen Gesetzesumgehungen im Strafrecht hier ihr Ende finden, da die möglichen Bezüge von Umgehungshandlungen zum materiellen Strafrecht anhand des bisherigen – möglichst nach seiner auch praktischen Relevanz ausgewählten – Fallmaterials bereits ausreichend umschrieben sind und eine Erörterung weiterer erfundener Beispiele keinen erheblichen weiteren Erkenntnisgewinn verspricht.

siehe Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 110 Rn. 28). Daneben kann eine fehlende Erklärung über die Geldeinnahme u. U. gemäß § 370 AO strafbar sein. 707 Vgl. zum Rechtsgut und zur Struktur des § 259 StGB statt vieler Schönke/SchröderStree, § 259 Rn. 1. 708 Siehe hierzu vgl. Otto, BT, § 1 Rn. 1 ff. m. w. N.; zum fragmentarischen Charakter des Strafrechts allgemein Maiwald, Maurach-FS, S. 9 ff.

C. Zwischenergebnisse Die bisherigen beispielsbezogenen Untersuchungen haben bereits einige Feststellungen über die Gesetzesumgehung befördert, doch bleiben nach wie vor einige Fragestellungen offen. Die bisherigen Fortschritte lassen sich im Einzelnen wie folgt kennzeichnen:

I. Die Gesetzesumgehung als Problem der Normgeltung Im ersten Teil dieser Arbeit wurde eine erste Einordnung des Umgehungsbegriffs vorgenommen. Dabei wurde gleich zu Beginn die These aufgestellt, dass die Untersuchung dieses Problems nichts anderes bedeutet als eine Betrachtung des Spannungsverhältnisses zwischen materieller Strafgerechtigkeit bei gleicher Strafwürdigkeit der Fälle einerseits und den sich in dem Grundrecht aus Art. 103 II GG verkörpernden formalen Sicherungen des Strafrechts andererseits.1 Angesichts der mit dem Nullum-crimen-Satz in Verbindung gebrachten, den Rechtsstaat auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts konstituierenden Werte kann allerdings nicht von einer schlichten Abwägung von Gerechtigkeit einerseits und Rechtssicherheit andererseits ausgegangen werden, da die in Art. 103 II GG – über das, was dem Prinzip der Rechtssicherheit an Eigenwert ohnehin zukommt2– zum Ausdruck gebrachten Sicherungen einen hohen rechtsethischen Eigenwert beinhalten. Das dieser Untersuchung zugrunde liegende Spannungsverhältnis ist daher am besten als „ein Konflikt der Gerechtigkeit mit sich selbst“3 beschrieben. Die Erörterung der strafrechtlichen Umgehungsbeispiele hat gezeigt, dass sich das geschilderte Spannungsverhältnis bei der Anwendung der Normen als „teleo-

1

Siehe dazu bereits in der Einleitung dieser Untersuchung. Hierzu Radbruch, S. 73 ff.; ders., SJZ 1946, 105 (107); Zippelius, S. 122 ff.; Henkel, § 35, jeweils m. w. N. 3 Radbruch, SJZ 1946, aaO. Die Stoßrichtung dieser berühmt gewordenen Formulierung Radbruchs war natürlich eine andere, so dass die Parallelität der Begrifflichkeiten beim Inhaltlichen ihr Ende findet: Radbruch zielte auf die Frage ab, welche Geltung inhaltlich anfechtbare, aber positive Gesetze gegenüber gerechtem, aber nicht in Gesetzesform gegossenem Recht beanspruchen können. Ihm ging es um den Widerspruch zwischen „scheinbarer und wirklicher Gerechtigkeit“ (aaO.). Hier soll aber natürlich nicht die These vertreten werden, Strafgesetze, die auf besonders augenfällige Weise anfällig für ihre Umgehung sind, büßten ihre Geltung ein oder dürften ihrer Unzulänglichkeit wegen in ihrem Anwendungsbereich per Analogieschluss erweitert werden. 2

II. Umgehungen und Erschleichungen

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logische Lücke“ im Sinne der hier gewählten Arbeitsdefinition4 wiederfindet. Die bei Beachtung der Wortlautgrenze bestehende Reichweite der Vorschrift ist nicht identisch mit der Reichweite, wie sie die ratio legis gebietet. Eine mit dem Gedanken der materiellen Einzelfallgerechtigkeit begründete Anwendung der Vorschrift über den Wortlaut hinaus darf im Strafrecht aus Gründen der Rechtssicherheit, die in der Verfassung festgeschrieben sind, prinzipiell nicht erfolgen.

II. Umgehungen und Erschleichungen Umgehungshandlungen im Strafrecht erfolgen auf zwei grundsätzlich voneinander zu trennenden Wegen. Für diese beiden Möglichkeiten haben sich die Termini „Umgehung“ einerseits und „Erschleichung“ andererseits durchgesetzt. Bei Vorliegen einer Umgehung umfasst die Vorschrift nicht diejenigen Sachverhalte, deren Erfassung zweckmäßig wäre. Es liegt eine offene Gesetzeslücke vor. Den umgekehrten Fall beschreibt der Begriff der Erschleichung: Das Gesetz erfasst Sachverhalte, die es nach seinem Sinn und Zweck nicht erfassen sollte. Es besteht eine verdeckte Gesetzeslücke. Es hat sich bereits gezeigt, dass sich diese begrifflich gebotene Unterscheidung auch in den unterschiedlichen strafrechtlichen Erfassungsmöglichkeiten der beiden täterseitigen Vorgehensweisen fortsetzt: Während der Strafbarkeit der erfolgreichen Umgehung nach fast allgemeiner Meinung das Analogieverbot entgegensteht, hat sich die Auffassung, dass auch im Fall von Erschleichungen Eingriffe in den Begriffskern einer Erlaubnis- oder Gewährungsnorm als „Gegenanalogie“ im Strafrecht durch Art. 103 II GG verboten werden, bisher nicht durchsetzen können. Hier wird zumeist von einer – verfassungsrechtlich angeblich unbedenklichen – teleologischen Reduktion ausgegangen.5 Die Unterscheidung von Umgehungs- und Erschleichungshandlungen ist also für den verfassungsrechtlich gebundenen Auslegungsvorgang von erheblicher Relevanz; für die Charakterisierung des hier erörterten Problems indes ergibt sich ungeachtet der Gegensätzlichkeit im Sinne der Lücken-Terminologie kein kategorischer Unterschied: Bei Anerkennung der Möglichkeit einer Gegenanalogie beleuchten beide – Umgehungs- wie Erschleichungshandlung – das Problem der Normgeltung lediglich von verschiedenen Seiten, denn beide Vorgehensweisen eint, dass sie im Erfolgsfall die Straflosigkeit entgegen der ratio legis herbeiführen.6

4 5 6

Siehe zu dieser vorläufigen Bestimmung des Umgehungsbegriffs A. III. Vgl. B. I. 2. a) aa) (2); II. 3. a). Vgl. B. I. 2. a) aa) (2).

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C. Zwischenergebnisse

III. Scheinhandlungen und Scheingeschäfte Umgehungshandlungen sind nur solche Handlungen, die ein Rechtsanwendungsproblem auf der Normseite entstehen lassen. Scheingeschäfte und Scheinhandlungen stellen ein Sachverhaltsproblem der Rechtsanwendung dar und sind vergleichsweise einfach zu lösen, da nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (die z. B. in § 117 BGB oder § 41 AO auch Gesetz geworden sind) der Normanwendung stets der wahre Sachverhalt zugrunde zu legen ist. Die besonderen Probleme der Umgehungshandlungen ergeben sich hingegen daraus, dass trotz eindeutigem bzw. aufgeklärtem Sachverhalt ein gesetzesbezogenes Rechtsanwendungsproblem bestehen bleibt; mit anderen Worten: ein Subsumtionsproblem, welches nicht auf einen unklaren oder verschleierten Sachverhalt zurückzuführen ist.7 Diese der Theorie nach trennscharfe Abgrenzung von Gesetzesumgehung und Gesetzeserschleichung kann in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bereiten; dies auch deshalb, weil Umgehungshandlungen nicht selten unter Missachtung dieser Trennungslinie zu Scheinhandlungen umdefiniert werden.8 Gerade im Bereich von Straftaten im Außenwirtschaftshandel hat sich gezeigt, dass bei der strafrechtlichen Bewertung eines Vorgehens Umgehungs- und Scheinhandlungen auch kumulativ auftreten können.9

IV. Wissenschaftliche und rechtstatsächliche Relevanz der Problematik In der allgemeinen Strafrechtslehre hat der Umgehungsbegriff kaum einen Stellenwert. Man wird wohl angesichts des Schweigens des überwiegenden Teils des Schrifttums umgekehrt davon ausgehen müssen, dass die Straflosigkeit von Umgehungshandlungen angesichts der allgemeinen Akzeptanz des Gesetzlichkeitsprinzips für eine banale und damit wenig erörterungswürdige Themenstellung gehalten wird. Mögliche Umgehungskonstellationen, die die allgemeinen Lehren des materiellen Strafrechts betreffen, sind zwar selten, dafür aber durchaus prominent. Sie betreffen die Notwehrprovokation, die actio libera in causa und den Schwangerschaftsabbruch im Ausland. Dieser Befund gilt nicht für das Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts, für das Umgehungshandlungen auf vielen Sachgebieten relevant sind. Sie betreffen etwa das Steuerstrafrecht (mit Zollstrafrecht), das Subventionsstrafrecht, das Außenwirtschaftsrecht und grenzüberschreitende gesellschaftsrechtliche Vorgänge. Diese Umgehungshandlungen beziehen sich allerdings ausnahmslos auf die Umgehung des 7 8 9

B. II. 1.; B. I. 2. a) aa) (2); II. 1. a), d); II. 2.; II. 3. a); II. 5. b); II. 6; II. 6. a), b); II. 11. B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd); II. 1. a). B. II. 6. b).

V. Zum Erfolgskriterium

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vorgelagerten Wirtschafts- und Steuerrechts selbst. Die Häufigkeit der dort auftretenden Umgehungs- und Erschleichungshandlungen ergibt sich für diese Bereiche daraus, dass die Tatbestandsvermeidung bzw. die Tatbestandserschleichung mit erheblichen wirtschaftlichen Vorteilen verbunden sein kann, deren Inanspruchnahme allerdings wiederum von dem auch rechtlichen Geschick und dem rechtlichen Kenntnisstand der Täter abhängig ist.10 Gute Rechtskenntnisse sind also stets Voraussetzung für die annähernd optimale Erreichung finanzieller Zielvorstellungen; die aus dieser Motivation heraus erlangten Rechtskenntnisse reizen wiederum zu Gestaltungen am Rande der Legalität, die noch gewinnbringender zu sein versprechen. Finanzielle Anreize bzw. der unter Marktbedingungen stets bestehende Zwang zum wirtschaftlichen Erfolg11 und Kenntnisse des Steuer- und Wirtschaftsrechts führen also in einem gegenseitigen Bedingungszusammenhang zu einem besonders häufigen Auftreten von Umgehungshandlungen im Bereich des Steuer- Subventionsund sonstigen Wirtschaftsrechts. Bestärkt wird dieser Zusammenhang noch durch die nicht selten erhebliche kriminogene Wirkung staatlich gesetzter Verhaltensanreize für das Wirtschaftsrecht, wie es etwa am Beispiel des Investitionszulagengesetzes oder der EU-Ausfuhrsubventionen deutlich wurde.12 Der hohe Stellenwert dieser wirtschaftsrechtlichen Umgehungshandlungen auch für die Diskussion im Wirtschaftsstrafrecht hängt damit zusammen, dass die mögliche Inbezugnahme der außerstrafrechtlichen Umgehungserfassung durch entsprechende Auslegung oder gesetzliche Umgehungsklauseln einen Verstoß gegen Art. 103 II GG entweder ausschließt oder wenigstens nicht so offensichtlich erscheinen lässt wie dies für Sachverhalte im Kernstrafrecht der Fall ist.

V. Zum Erfolgskriterium Von der offenkundigen Tatsache, dass die erfolgreiche Umgehungshandlung in ihren Rechtsfolgen in einem scharfen Gegensatz zum erfolglosen Versuch der Gesetzesumgehung steht, ist die Frage zu trennen, ob deshalb nur die Umgehungshandlung, die zum Ziel führte, diese Bezeichnung auch verdient. Die Antwort kommt nicht umhin, die Gründe bzw. die Begründung für die Strafbarkeit von Umgehungsverhalten in den Blick zu nehmen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Gesetzesauslegung oder die angewendeten Normen selbst in vielen Konstellationen gerade vom Umgehungsargument oder verwandten Begriffen, etwa dem Rechtsmissbrauchsargument, beherrscht oder wenigstens beeinflusst waren.13 10

Vgl. auch Stöckel, S. 37 f. Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (153). 12 Zum Investitionszulagengesetz vgl. B. II. 3. c).; zu den Subventionsbestimmungen europäischer Provenienz B. II. 3. 13 So etwa für die Notwehrprovokation, die actio libera in causa, die Steuerumgehung oder die Umgehungshandlungen im Außenwirtschaftsrecht. 11

186

C. Zwischenergebnisse

Das Ziel, diese als Gesetzesumgehung, Gesetzeserschleichung oder Rechtsmissbrauch wahrgenommenen Verhaltensweisen zu erfassen, führte dabei nicht selten zu einer Rechtsauslegung, die – ohne der Untersuchung der Erfassungsmöglichkeiten von Umgehungshandlungen vorweg greifen zu wollen – erhebliche Zweifel an ihrer dogmatischen Überzeugungskraft und/oder Verfassungsmäßigkeit weckte.14 Es erscheint daher wenig sinnvoll, das Ergebnis einer gerade vom Willen zur Umgehungserfassung getragenen Auslegungsdoktrin zum Merkmal des Umgehungsbegriffs zu machen, da auch das jeweilige Ergebnis der mit einer solchen Tendenz vorgenommenen Auslegung selten unbestritten geblieben ist. Die Merkmale des Umgehungsbegriffs sind mithin unabhängig vom Eintritt des konkreten Umgehungserfolgs zu bestimmen.15 Damit nicht auch ein „grob unverständiger Versuch“ der Strafvermeidung als Gesetzesumgehung qualifiziert wird16, ist allerdings eine Anbindung an den Umgehungserfolg insoweit – aber nur insoweit – zu verlangen, dass das vorherige Täterverhalten die Subsumierbarkeit der Tat jedenfalls während des Subsumtionsvorgangs in Frage gestellt hat.17 Der mögliche Vorwurf, durch dieses Kriterium werde ein künstlicher Zwischenschritt in den juristischen Syllogismus eingefügt, ist nicht berechtigt. Zwar hat das Ergebnis des Subsumtionsvorgangs, also die conclusio, stets ein eindeutiges Urteil zum Gegenstand, doch kann ungeachtet dieses obligatorischen Ergebnisses für jede juristische Zuordnungsarbeit nicht darüber hinweggegangen werden, dass die Subsumtion selbst ein wertender, ergebnisoffener Vorgang ist, für den zwar feststeht, dass das Ergebnis „SV ~ TB“ oder „SV ~ TB nicht“ lauten wird, aber keineswegs, welcher dieser Sätze gelten wird.18 Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die Reichweite der Rechtsbegriffe eine Frage der normativen Zuordnung ist, was angesichts der Relativität von Werterkenntnis und damit auch von Werturteilen häufig zu der Einsicht führen muss, dass mehrere Ergebnisse vertretbar erscheinen. In der wertenden Zuordnung liegt dann auch das eigentliche Problem der Subsumtion19 ; die conlusio als solche ist demgegenüber nachgerade trivial.20 Die im Zuge des Subsumtionsvorgangs auftretende Möglichkeit, dass die Unterordnung des Tätervorgehen unter die auf den Tatvorgang angewendete Norm 14

Vgl. dazu die soeben genannten und ausführlich erörterten Problemkreise. Die Frage, welcher Stellenwert dem Erfolg bei der Begriffsbestimmung zukommt, war bereits für die Notwehrprovokation erörtert worden, vgl. B. I. 2. a) aa) (3) (b) (cc), (ee). 16 Zu denken ist etwa an eine Fallgestaltung, in der ein juristisch interessierter Straftäter behauptet, einer Strafbarkeit wegen Raubes durch das vorherige Niederschlagen des Opfers entgangen zu sein, weil Ohnmächtige keinen Gewahrsam innehaben könnten. 17 B. I. 2. a) aa) (3) (b) (cc), (ee). 18 Müller, Rechtslehre, S. 250 ff.; Kölbel, GA 2005, 36 ff. (49). 19 Pawlowski, Rn. 277 ff., 376 ff.; Larenz/Canaris, S. 94; Looschelders/Roth, S. 94; Bydlinski, S. 396. 20 Looschelders/Roth, aaO. 15

VI. Mehraktigkeit der Umgehungshandlung im Strafrecht

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unsicher erscheint, ist damit ein Phänomen, das (in verschiedener Intensität) jede Rechtsanwendung auszeichnet, wenn auch das schließlich gefundene Subsumtionsergebnis der Normanwendbarkeit stets eindeutig ist und sein muss. Die Erfassungsmöglichkeit von Umgehungshandlungen muss wie jeder konkrete Inhalt von Rechtsnormen- und positionen sonst auch erst in juristischen Handlungsprozessen, die die vorhandenen Normtexte zur Entscheidungsfindung verarbeiten, entstehen.21 Damit von einer Umgehungshandlung die Rede sein kann, ist hinsichtlich der Zweifelsintensität zu verlangen, dass (bereits existente Umgehungsklauseln natürlich hinweggedacht) die – im Übrigen normzweckwidrige – Straflosigkeit des Verhaltens zunächst ernsthaft in Erwägung gezogen werden muss.

VI. Mehraktigkeit der Umgehungshandlung im Strafrecht Umgehungshandlung und strafbare Handlung fallen so gut wie nie zusammen. Um es an einigen bereits erörterten Beispielen deutlich zu machen: Selbst bei einem unterstellten Umgehungsvorsatz mit dolus directus 1. Grades ist die Aufforderung zum Eintauschen von Geldscheinen gegenüber dem Dieb nicht das tatbestandliche „Sich-Verschaffen“ der Geldscheine gemäß § 259 StGB.22 Die Wahl einer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit i. S. d. § 42 AO ist nicht die fehlende Angabe über diese Gestaltung nach § 370 AO.23 Die Fahrt einer Schwangeren in das benachtbarte Ausland ist nicht zugleich ein Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 StGB.24 Mithin setzen sich Umgehungshandlungen im Strafrecht häufig aus einem Umgehungsakt und dem eigentlich strafauslösenden Akt zusammen. Sie sind mithin mehraktig. Der letzte Akt wird allerdings durch die vorhergehende Handlung gerade seiner strafauslösenden Eigenschaft beraubt, sofern der mit dem ersten Akt bezweckte rechtliche Erfolg, nämlich der Umgehungserfolg eintritt. Allerdings bestehen auch für das Strafrecht Umgehungskonstellationen, die von dem soeben erläuterten Muster abweichen, weil das Verhalten eher als „einaktig“ aufzufassen ist. Dies gilt zum Beispiel für die entkoppelte Veranstaltung von Geldgewinnspielen oder die Umgehung eines Berufsverbots durch die wirksame Bestellung eines Strohmannes.25 Ziel einer strafrechtlichen Umgehungserfassung ist es daher stets, entweder bereits den Umgehungsakt zum strafauslösenden Moment zu erklären oder den Umgehungsakt unerheblich werden zu lassen. Den erstgenannten Weg gehen die Lehre von der „actio illicita in causa“ und die Tatbestandslösungen für die „actio libera in causa“, der zweitgenannte Weg ist für alle Umgehungsklauseln charakteristisch (vgl. 21 22 23 24 25

Vgl. Kölbel, aaO. C. II. 19. B. II. 1. a) bb). B. I. 1. c). Siehe dazu B. II. 7., 11.

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C. Zwischenergebnisse

etwa § 34 VIII AWG, § 42 AO oder § 4 II SubvG), aber auch für einige Auslegungsmaximen (Idee des „Sachverhaltsdurchgriffs“ oder der Rechtsmissbrauchsgrenze). Dabei können für den zuletztgenannten Weg wiederum zwei Vorgehensweisen unterschieden werden: Auf der Ebene der Sachverhaltsfeststellung kann die Umgehungshandlung durch die umgangene Handlung ersetzt werden (vgl. etwa § 42 AO), auf der Ebene der Norm kann die tatbestandliche Handlung um als Umgehung erkannte Sachverhalte erweitert werden (siehe z. B. § 5 Nr. 9 StGB).26 Ungeachtet der angewendeten Methode sind beide Vorgehensweisen (also die Sachverhaltsangleichung und die Normerweiterung) gleichermaßen analogieähnliche27 Verfahren.28 Unterschiedlich sind auch die allgemeinen Strafbarkeitsvoraussetzungen für die Umgehungsakte bzgl. vieler wirtschaftsstrafrechtlicher Umgehungsakte einerseits und der sonstigen Umgehungsakte andererseits: Während die Frage nach der Strafbarkeit der Notwehrprovokation, der actio libera in causa oder des Schwangerschaftsabbruchs im Ausland unabhängig davon zu beurteilen ist, ob der Täter sein Umgehungsverhalten offen legt oder nicht, ist ein zusätzliches Täuschungsverhalten hierüber gerade Voraussetzung für die Sanktion der Umgehung bzw. Erschleichung etwa nach § 370 AO oder § 264 StGB. Strafbar ist hier nur die „verschleierte Umgehung“29. Der Grund für diese unterschiedlichen Strukturen ist darin zu sehen, dass durch die Offenlegung der Umgehung in den genannten wirtschaftsstrafrechtlichen Zusammenhängen ihre Erfassung und damit die Normzweckverwirklichung noch erreicht werden kann; diese Schutzmöglichkeiten durch Offenlegung bestehen für die im Zusammenhang mit der Notwehrprovokation, der actio libera in causa oder dem Schwangerschaftsabbruch im Ausland betroffenen Rechtsgüter nicht.

VII. Identität der Umgehungsproblematik für jede Deliktsebene Die Fallbearbeitung hat bestätigt, dass die Umgehungsproblematik grundsätzlich jede Deliktsebene betreffen kann. Für das Wirtschaftsstrafrecht ist die Tatbestandsvermeidung bzw. die Tatbestandsvermeidung ganz dominierend, was überwiegend mit der zur Umgehung reizenden technischen Natur der einzelnen SteuerSubventions- und Genehmigungstatbestände zu tun hat. Im so genannten Kernstrafrecht sind tatbestandliche Umgehungshandlungen wenig bekannt bzw. „Kathederfälle“; die bekanntesten Sachverhalte betreffen dort die Rechtswidrig26

Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (164). Die Verfahren sind deshalb nur analogie-ähnlich, weil mit der Schaffung einer Umgehungsklausel streng genommen nur die Anweisung zu einer besonders extensiven Auslegung verbunden werden kann, LK12-Dannecker, § 1 Rn. 266. 28 B. II. 1. b) aa). 29 Begriff von Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 4; bereits schon ders., Subventionskriminalität, S. 344. 27

VIII. Verwendung des Umgehungs- und Erschleichungsbegriffs

189

keits- und Schuldebene. Für Fälle mit Auslandsbezug wird durch das Täterverhalten bereits die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts in Frage gestellt. Offen ist hingegen noch, ob die einzelnen Umgehungskriterien auf alle Gruppen gleichermaßen zutreffen. Es ist bereits deutlich geworden, dass das Kriterium der künstlichen Tatbestandsvermeidung bzw. der unangemessenen oder ungewöhnlichen Gestaltung, wie es zur Bestimmung von Umgehungs- und Erschleichungshandlungen im Wirtschaftsstrafrecht häufig Verwendung findet30, auf die absichtliche Notwehrprovokation oder die absichtliche actio libera in causa nur schwerlich zur Anwendung kommen kann.31 Umgekehrt ist in subjektiver Hinsicht wohl festzustellen, dass die Vermeidung gerade strafrechtlicher Rechtsfolgen das Umgehungshandeln im Steuer- und sonstigen Wirtschaftsstrafrecht selten bestimmt. Die teleologische Lücke zeigte sich nicht in allen, auch nicht in seit langem als typische Umgehungsfälle benannten Sachverhalten gleichermaßen. Das Auftreten von möglichen Umgehungsfällen auf den verschiedenen Deliktsebenen offenbart damit noch ein recht uneinheitliches Erscheinungsbild, so dass noch zu überprüfen bleibt, welche Rückwirkungen diese Unterschiedlichkeiten für die Möglichkeit einer allgemeinen Begriffsbildung haben könnten. Ungeklärt ist zudem noch die Frage, ob und welche Unterschiede sich für die strafrechtliche Erfassung durch das Auftreten von Umgehungshandlungen auf den verschiedenen Deliktsebenen ergeben, insbesondere für die Rechtfertigungs- und Schuldebene im Verhältnis zur Tatbestandsebene.

VIII. Die Verwendung des Umgehungs- und Erschleichungsbegriffs durch den Gesetzgeber Der Umgehungsbegriff als normbezogenes Subsumtionsproblem muss allerdings nicht nur von Scheinhandlungen und Scheingeschäften unterschieden werden, sondern auch von einer Verwendung, die er zum Teil durch den Gesetzgeber erfahren hat. Wenn § 265a StGB das Erschleichen von Leistungen unter Strafe stellt32 oder § 108b UWG die Umgehung technischer Maßnahmen33, so wird auf einen Umgehungsbegriff Bezug genommen, den man kriminalistisch oder kriminologisch34 30

Vgl. B. II. 1. a) bb) cc); II. 2.; II. 3. a); II. 5. a), b), c). B. I. 2. a) aa) (3) (b) (aa); I. 2. c) bb) (1). 32 B. II. 15. 33 B. II. 16. 34 Eine Umgehungshandlung „kriminalistisch“ nennen mag man dann, wenn der Täter seine Strafbarkeit durch die Verdeckung von Tat und Täterschaft vor, während oder nach der Tat zu vermeiden sucht (Siehe hierzu bereits B. II. 14. m. Fn. 671). Eine Umgehungshandlung im kriminologischen Sinne könnte dadurch beschrieben werden, dass der Gesetzgeber hier im Tatbestand die Umgehung von Schutzvorrichtungen oder ähnlichem, also das typische Tätervorgehen und damit einen allein faktischen Gegenstand der Rechtswirklichkeit unter Strafe 31

190

C. Zwischenergebnisse

nennen mag. Gemeint ist damit, dass der Gesetzgeber ein Verhalten umschreibt, das die typische Vorgehensweise des Täters bei der Überwindung von Sicherheitsmaßnahmen oder Kontrollen kennzeichnet. „Umgehungen“ und „Erschleichungen“ in diesem Sinne beschreiben damit die Ausschaltung tatsächlicher, nicht aber rechtlicher Hindernisse durch den Täter und sind daher für diese Untersuchung nicht von besonderem Interesse.

IX. Problemfälle für die Feststellung einer normzweckverletzenden Handlung Die Feststellung der grundsätzlich jede Umgehungshandlung kennzeichnenden teleologischen Lücke bereitete in nicht wenigen Konstellationen, die auf den ersten Blick offensichtlich dem Untersuchungsgegenstand unterfielen, erhebliche Schwierigkeiten. Dabei können die Feststellungsschwierigkeiten einerseits dadurch bedingt sein, dass die in nicht unerheblichen Maße begründungsbedürftige Normauslegung (für §§ 20, 32 StGB: die vom Wortlaut wenig gestützte restriktive Auslegung der beiden Vorschriften) zum Normalfall erklärt wird, die sich zwanglos in die allgemeine strafrechtliche Dogmatik einpasse. In diesen Fällen musste die von diesen Lehrmeinungen befürwortete außergewöhnliche Auslegung erst als eine solche offen gelegt werden, um den Sachzusammenhang etwa der Notwehrprovokation oder der actio libera in causa mit der Umgehungsthematik beweisen zu können.35 Gerade umgekehrt findet die vom Rechtsgefühl oder der überkommenen Meinung vorgegebene Wertung, ein bestimmtes tatbestandsloses Verhalten müsse nach dem Sinn und Zweck einer Norm den gleichen Rechtsfolgen unterworfen werden wie das vermiedene, bei einer näheren Untersuchung des Regelungszusammenhangs in manchen, durchaus „prominenten“ Sachverhalten keine oder eine nur abgeschwächte Bestätigung. So hat sich gezeigt, dass die Vermeidung der Besteuerung nach Fiskalzwecknormen wegen des positivistischen Charakters des Steuerrechts nur schwerlich als Verletzung des Regelungszwecks dieser Art von Steuertatbeständen oder des Steuerrechts allgemein verstanden werden kann.36 Auch für Umgehungshandlungen mit Auslandsbezug ist eine Zweckverletzung deutschen Strafrechts (das Beispiel hier: § 218 StGB) durch die nach dem Begehungsort straffreie Handlung aus der lex lata nicht ohne Weiteres begründbar.37 Ferner erschien es für die absichtliche stellt. Kriminalistischer und kriminologischer Umgehungsbegriff zeichnen sich gegenüber dem hier verfolgten Untersuchungsgegenstand gleichermaßen dadurch aus, dass das Umgehungsverhalten allein die Sachverhaltsebene zum Gegenstand hat; Umgehungshandlungen im Sinne dieser Untersuchung dagegen führen trotz unstreitigem Sachverhalt ein Rechtsanwendungsproblem herbei. 35 B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd); I. 2. c) bb) (1) (a) – (d). 36 B. II. 1. b) aa). 37 B. I. 1. c).

X. Offene Fragen zum Umgehungsbegriff

191

Notwehrprovokation nicht überzeugend, in dem tatbestandsmäßigen Verhalten des Absichtsprovokateurs eine vom Telos der Notwehr vollkommen losgelöste Handlung zu erblicken.38 Schließlich führt die europarechtliche Überdeterminierung des nationalen Gesellschaftsrechts auch zwangsläufig zu der Frage, ob die infolge dieser Entwicklung gegebene Nichtanwendbarkeit deutscher Strafnormen für gesellschaftsrechtlich relevante Fallgestaltungen überhaupt als eine planwidrige Regelungslücke angesehen werden kann.39

X. Offene Fragen zum Umgehungsbegriff Neben den soeben angesprochenen Problemen bei dem Versuch, eine allgemeine Begriffsbestimmung der Gesetzesumgehung im Strafrecht zu entwickeln, bestehen nach wie vor zwei besondere, bisher nur ganz unzureichend geklärte Fragestellungen, denen im weiteren Verlauf dieser Studie nachzugehen sein wird. 1. Das Verhältnis der Gesetzesumgehung zu verwandten Begriffen Nach der hier verwendeten Arbeitsdefinition ist die Gesetzesumgehung durch das Bestehen einer teleologischen Lücke gekennzeichnet. Wenn es auch nach den bisherigen Untersuchungen wenig Grund gibt, daran zu zweifeln, dass diese Bestimmung ein wesentliches Element des Umgehungsbegriffs ist, so ist eine Gleichsetzung doch nicht möglich: Die Umgehung des Strafrechts setzt stets voraus, dass der Täter bei Verwirklichung seiner Ziele überhaupt die Möglichkeit hätte, sich strafbar zu machen. Umgehungshandlungen ereignen sich nur dann, wenn Gestaltungsalternativen für den Straftäter bestanden, von denen eine zur Strafbarkeit geführt hätte. Dies zeigte sich besonders deutlich am Beispiel des § 265a StGB: Die Automatisierung vieler Lebensvorgänge hatte erhebliche Lücken in den strafrechtlichen Vermögensschutz geschlagen, was vor allem durch die fehlende Anwendbarkeit des § 263 StGB mangels einer Täuschung bedingt war. § 265a StGB diente daher der Lückenschließung. Gleichwohl kann z. B. die nicht bezahlte U-Bahnfahrt keine Umgehung des § 263 StGB darstellen, denn es fehlt im System der modernen Untergrundbeförderung an jeder Möglichkeit, täuschend auf eine natürliche Person einzuwirken.40 Ein weiteres, noch bekannteres Beispiel für die fehlende Gleichsetzbarkeit von „teleologischer Lücke“ und Umgehung im eben erläuterten Sinne betrifft die Entziehung elektrischer Energie vor Schaffung des § 248c StGB.41 Es gilt daher noch zu ermitteln, was die Gesetzesumgehung über das Bestehen einer teleologischen Lücke hinaus auszeichnet. In diesem Zusammenhang stellt sich 38 39 40 41

B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd), (ee). B. II. 8. b) bb). Siehe bereits B. II. 15. Vgl. Beispiel (1) der Einleitung dieser Untersuchung.

192

C. Zwischenergebnisse

auch die Frage, in welcher Beziehung das Phänomen der „teleologischen Lücke“ zu Begriffen steht, die in der Diskussion um die Gesetzesumgehung ebenfalls häufig Verwendung finden. Fraglich ist etwa, ob die Beschreibung der Umgehung als „künstliche Tatbestandsvermeidung“ letztendlich das gleiche meint oder eine andere Begriffsbestimmung anstrebt. Zu klären ist ferner, in welchem Verhältnis die Gesetzesumgehung zum Topos des Rechtsmissbrauchs steht. Weiterhin ist noch näher zu bestimmen, inwieweit die Auslegung nach der „tatsächlichen Betrachtungsweise“ einer Begriffsannäherung dienlich ist. Zwar hatte sich bereits in einzelnen Fällen gezeigt, dass das Künstlichkeitskriterium, die tatsächliche Betrachtungsweise und auch das Rechtsmissbrauchsargument letztendlich darauf angewiesen sind, Rückgriff auf die ratio legis der jeweils erörterten Rechtsvorschriften zu nehmen42, doch steht eine allgemeine Bestätigung dieser Behauptung bzw. ihre Widerlegung noch aus. Unklar ist bisher auch, wie die „teleologische Lücke“ selbst zu bestimmen ist und welche Kriterien hierfür entscheidend bzw. mitentscheidend sein können. Zur Auswahl stehen in sich wiederum unbestimmte und oftmals schwer trennbare Elemente wie das Bestehen einer Rechtsgutsverletzung, die gleiche Strafwürdigkeit des Verhaltens, die Künstlichkeit des Täterverhaltens beziehungsweise die Absicht zur Vermeidung des Straftatbestands. Das häufig verwendete, scheinbar objektive Umgehungsmerkmal der „Künstlichkeit“ könnte allerdings ein subjektives sein könnte: Wenn von einer künstlichen Gestaltung im Zusammenhang mit Umgehungshandlungen die Rede ist, könnte schließlich damit gemeint sein, dass das Verhalten des Täters – seine wirtschaftliche Vernunftbegabung unterstellt – keinen anderen Schluss zulässt, als dass er ein bestimmtes Gesetz umgehen wollte. Die „Künstlichkeit“ ist dann nicht mehr als ein Indiz für die Absichtlichkeit der Tatbestandsvermeidung.43 Umgekehrt soll die Künstlichkeit auch anhand der Intensionen der Parteien erkennbar sein.44 2. Subjektivität bzw. Finalität des Umgehungsbegriffs? Von entscheidender Bedeutung für die Gesetzesumgehung im Strafrecht könnte es sein, welche subjektiven Elemente die Gesetzesumgehung auszeichnen. Damit soll nicht nur nach den Anforderungen an die Tätervorstellungen gefragt sein, die dafür erforderlich sind, den einzelnen Umgehungssachverhalt zu bestrafen; zu klären ist vielmehr auch, ob und welche Vorstellungen des Täters bei der Begehung einer 42 Für den Begriff der Künstlichkeit war dies im Zusammenhang mit der Steuerumgehung diskutiert worden, siehe B. II. 1. b) aa). Die Nähe der tatsächlichen Betrachtungsweise zur teleologischen Auslegung war unter II. 4. erörtert worden. Zum Verhältnis von teleologischer Auslegung und dem Argument des Rechtsmissbrauchs siehe B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd). 43 Der BFH vertritt etwa die Auffassung, das Vorliegen der Voraussetzungen von § 42 I AO sei Indiz für das Bestehen der Steuerumgehungsabsicht, vgl. B. II. 1. a). 44 So etwa vertreten für die Verschleierung von Sacheinlagen, siehe B. II. 5. a).

X. Offene Fragen zum Umgehungsbegriff

193

Handlung (ob strafbar oder nicht) vorliegen müssen, um sie „Umgehungshandlung“ nennen zu können. Je schärfer die Anforderungen sind, die an die subjektive Seite des Umgehungsbegriffs gestellt werden, umso mehr der erörterten Sachverhalte scheiden in begrifflicher Hinsicht aus dem Umgehungszusammenhang aus. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die „Gesetzesumgehung“ auf Sachverhalte zu beschränken sein sollte, in denen das Rechtssubjekt gerade zur Vermeidung bzw. Erschleichung der Norm handelt. Noch einmal gesteigert wird diese Anforderung, wenn es für strafrechtliche Umgehungshandlungen auch nur als folgerichtig empfunden wird, dass es der Täter mit seinem Verhalten gerade auf die Strafvermeidung, also die das Strafrecht kennzeichnende Rechtsfolge abgesehen haben muss. Von den in dieser Untersuchung unter strafrechtlichen Gesichtpunkten erörterten Fällen sind danach die meisten keine Umgehungsfälle: Alle Beispiele aus dem Steuerstrafrecht und sonstigen Wirtschaftsstrafrecht zeichnen sich dadurch aus, dass die handelnde Person typischerweise das sie beeinträchtigende Wirtschafts- und Steuerrecht umgehen will bzw. die Vorteile des Subventionsrechts zu erschleichen sucht. Die mögliche Strafbarkeit des Verhaltens wird lediglich in Kauf genommen, ist aber nicht handlungsbestimmend. Etwas anderes kann nur mit genau gegensätzlichen Unterstellung vertreten werden, der Plan des Täters sei von Anfang an von der Motivation getragen, in jedem Fall eine Steuerhinterziehung, eine Subventionserschleichung oder eine Ausfuhr ohne Genehmigung zu begehen, die nach einer Rückbesinnung über die strafrechtlich nachteiligen Folgen dann als Umgehungsoder Erschleichungshandlung ausgestaltet werden, um die tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Strafnorm zu umschiffen. Wenn auch durch empirische Studien nicht abgesichert, so kann doch bei lebensnaher Betrachtung wenigstens mit aller Vorsicht die These geäußert werden, dass eine solche Abfolge des Willensbildungsprozesses psychologisch wenig plausibel wäre: Am Anfang einer wirtschaftlichen Gestaltungsplanung steht die Frage nach ihrer Wirtschaftlichkeit, nicht nach ihrer Strafbarkeit.45 Damit bliebe für den Umgehungsbegriff kein besonderer Anwendungsbereich. Lediglich die strafanwendungsrechtsbezogenen Sachverhalte (die aber aus objektiven Gesichtspunkten nur mit Einschränkungen von Relevanz waren46) und die zu Anschauungszwecken mehr oder minder erdachten Konstellationen – zu diesen gehören angesichts des fehlenden forensischen Nachweises auch die absichtliche Notwehrprovokation und die absichtliche actio libera in causa – blieben von Interesse. Die Aufstellung dieses strafrechtsbezogenen Absichtserfordernisses führt dann auch dazu, dass das Ergebnis die Relevanz von möglichen Umgehungshandlungen im Strafrecht betreffend umgekehrt wird: Strafrechtliche Umgehungshandlungen 45 46

Siehe dazu B. II. 1. b) bb). Vgl. B. I. 1. c).

194

C. Zwischenergebnisse

betreffen hauptsächlich Sachverhalte, für die der Schwerpunkt der Rechtsanwendungsproblematik auf den Regeln des Allgemeinen Teils liegt und die nur selten explizit mit dem Umgehungsgedanken in Verbindung gebracht werden. Die zahlreichen Vermeidestrategien im Steuer- und sonstigen Wirtschaftsstrafrecht sind lediglich Umgehungshandlungen mit Relevanz für das Strafrecht, obwohl der Zusammenhang mit dem Umgehungstopos hier häufig offen angesprochen wird. Ein höheres Vorkommen der Umgehungsabsicht wäre nur zu konstruieren, wenn das Verteidigungsvorbringen im Strafprozess, das sich auf die objektiv gewitzte Gestaltung des Beschuldigten mit tatbestandsvermeidender Tendenz bezieht, dahingehend verstanden würde, die Motivation der Strafvermeidung habe von Anfang an bestanden. Darin ist jedoch eine offensichtliche – wenn auch möglicherweise unbewusste – Unterstellung zu sehen.47

47

Siehe zu einer solchen Unterstellung bzw. einem Rückschaufehler bereits unter B. II. 13.

D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus Den im Verlaufe der bisherigen, induktiven Begriffsbestimmung noch nicht geklärten Fragen den Umgehungsterminus betreffend soll nun nachgegangen werden. Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt erläutert, betrifft diese Aufgabenstellung zwei Themenkreise: Zum einen den genauen Inhalt der „teleologischen Lücke“ und ihre Beziehung zu verwandten Umschreibungsversuchen des Umgehungsterminus1, zum anderen die Frage nach Existenz und Ausgestaltung subjektiver Umgehungselemente2. Ergebnis soll es sein, das Phänomen der Umgehung von Strafnormen so präzise und allgemeingültig wie möglich beschreiben zu können. War es für eine induktive Herangehensweise noch zulässig, das Schrifttum zu der Gesetzesumgehung im Strafrecht jeweils im Zusammenhang mit der gerade diskutierten Fallgestaltung – und damit selektiv – zu behandeln, so ist es nun – da sich der Ertrag dieser Herangehensweise für bestimmte Problemstellungen als unzureichend erwiesen hat – erforderlich, sich einen Überblick über die bisherigen Stellungnahmen zu diesen Fragen zu verschaffen (I. – III.). Die eigenen Vorstellungen davon, was die Gesetzesumgehung im Strafrecht genau auszeichnet, werden dann in Auseinandersetzung mit dem bisherigen Forschungsstand und den aus den bisherigen eigenen Ausführungen erlangten Erkenntnissen entwickelt (IV.).

I. Bisherige Begriffsbildungen zur Umgehung im Strafrecht Wenn bis hierher festgestellt wurde, dass das Problem der Umgehungshandlungen im Allgemeinen in der allgemeinen Strafrechtslehre bisher keine besondere Beachtung gefunden hat3, so sind damit natürlich umfangreiche Versuche einer Begriffsbestimmung ebenfalls gemeint. Auch die monographischen Arbeiten, die sich Umgehungshandlungen mit strafrechtlicher Relevanz widmen, wählen als ihren Schwerpunkt die Erfassungsmöglichkeiten von Umgehungshandlungen; der Durchdringung des Begriffs selbst gilt – jedenfalls gemessen am Umfang der Arbeiten – nicht das Hauptaugenmerk.

1 2 3

Vgl. C. X. 1. Vgl. C. X. 2. Vgl. B. I.; C. IV.

196

D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

1. Stöckel Stöckels Dissertation ist nach wie vor die einzige monographische Studie, die das Phänomen der Gesetzesumgehung im Strafrecht in allgemeiner Hinsicht in den Blick genommen hat. Stöckel nimmt zunächst eine Trennung des rechtlichen Gegenstandes seiner Untersuchung vom soziologischen Ausgangspunkt vor. Im soziologischen Sinne, so Stöckel, mag als Gesetzesumgehung jeder Versuch angesehen werden, sich an Normen des geschriebenen Rechts vorbeizuwinden. Die „Umgehung“ sei bei dieser Verwendung jedoch nicht mehr als ein Verlegenheitsausdruck für alle Arten des Ausweichens gegenüber einer Rechtsnorm oder des Vereitelns einer erwarteten Rechtsfolge. Mit Blick auf dieses Handeln im sozialen Sinne sollte vielmehr ermittelt werden, wann dieses Verhalten im Rechtssinne umgehender Natur sei.4 Als erstes Kriterium der Gesetzesumgehung lässt sich Stöckel zufolge die Art und Weise der Tatbestandsvermeidung entnehmen, sie müsse einen künstlichen, unnatürlichen Charakter aufweisen. Mit diesem Merkmal verbindet er zweierlei, das Moment der Ungewöhnlichkeit und den Gedanken des künstlich Geschaffenen, also die besondere Aktivität des Umgehers.5 Im Unterschied zum gewöhnlichen, außerhalb der Strafnorm liegenden Verhalten führe das Umgehungsverhalten das Fehlen des Tatbestandes durch eigenes Handeln herbei, das Täterverhalten habe in diesen Fällen etwas Unnatürliches, Sinnwidriges, Gezwungenes an sich.6 Für das materielle öffentliche Recht sei diese Umschreibung der Gesetzesumgehung in Rechtsprechung und Literatur bereits so weit verbreitet, dass sie als allgemein anerkannte Begriffsbestimmung gelten könne.7 Dieses Kriterium meint Stöckel auch für die Erschleichungsfälle8 im Bereich der allgemeinen Strafrechtslehren anwenden zu können, denn auch hier „tue“ der Täter irgendetwas in Hinblick auf die erstrebte Straffreiheit, so dass nicht lediglich die ihm vom Gesetz gegebenen Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe genutzt, sondern selbst geschaffen würden. Das Wort „schaffen“ aber ist für Stöckel mit dem Begriff „künstlich“ gleichzusetzen.9 Die Künstlichkeit sei allerdings nur in Verbindung mit der Zweckverletzung ein objektiv gesetzesumgehendes Verhalten10: Obwohl der Zweck der Strafnorm ver4

Stöckel, S. 9 f. Stöckel, S. 13. 6 Stöckel, S. 23. 7 Stöckel, S. 11. 8 Umgehungen und Erschleichungen werden terminologisch scharf getrennt, wenn auch beide Begriffe für Stöckel im Ergebnis die gleiche Frage (nämlich das Verhältnis des Täterverhaltens zur Strafnorm) nur von verschiedenen Seiten beleuchten, Stöckel, S. 22; ebenso, B. I. 2. a) aa) (2). 9 Stöckel, S. 23. 10 Stöckel, S. 23 ff. 5

I. Bisherige Begriffsbildungen zur Umgehung im Strafrecht

197

eitelt wird, bleibe der Täter straflos, weil er es verstanden hat, den Tatbestand der betreffenden Norm künstlich zu vermeiden bzw. die objektiven Voraussetzungen einer strafausschließenden Norm künstlich zu erschleichen.11 Ausführlich geht Stöckel auch auf das Verhältnis von Umgehung und Rechtsmissbrauch ein. Gesetzesumgehendes Verhalten, so seine These, ist zugleich ein Rechtsmissbrauch der Umgehungsnorm.12 Umgehungsnormen seien diejenigen Rechtssätze, die die vom Täter erstrebte Straflosigkeit im Ergebnis garantierten. Umgehungsnormen sind seiner Ansicht nach daher z. B. Art. 103 II GG, die §§ 3 ff. StGB, § 32 StGB oder auch § 20 StGB.13 Der auf das Strafrecht zugeschnittene Begriff des Rechtsmissbrauchs ist Stöckel zufolge gleichzusetzen mit dem Verstoß gegen den Zweck der geltend gemachten, für den Täter günstigen Norm und damit „materielles Unrecht“14. Werden beide Begriffe in Beziehung zueinander gesetzt, so ergibt sich für Stöckel folgendes Ergebnis: Der Gesetzesumgeher entfremdet die ihm Straffreiheit gewährenden (Verfassungs-)Normen ihrem normalen Zweck, den Rechtstreuen weitgehend vor Eingriffen der staatlichen Strafgewalt zu bewahren, indem er unter ihrem Schutz Zielen nachstrebt, die mit dem Zweck sowohl der einzelnen Norm als auch der Strafrechtsordnung als Ganzem in Widerspruch stehen.15 Der Grundsatz aber, dass der offene Missbrauch des Rechts keinen Rechtsschutz beanspruchen kann, finde seine Grenzen für diejenigen Rechtssätze, auf die sich der Täter auch im Falle ihrer missbräuchlichsten Benutzung berufen dürfen muss. Von solcher Art sei der Grundsatz „nullum crimen sine lege“, der für das rechtsstaatliche Strafrechtssystem kontinentaleuropäischer Prägung schlechthin konstituierend sei. Das Recht, sich auf das Analogieverbot zu berufen, könne nicht verwirkt werden.16 Die Umgehungshandlung ist also für Stöckel stets zugleich ein Fall des Rechtsmissbrauchs, was gleichwohl an der Wirksamkeit von Art. 103 II GG in diesen Fällen nichts ändern soll. Dass zum Umgehungsverhalten auch subjektive Momente gehören, steht für Stöckel außer Frage. Untersuche man das diskutierte Fallmaterial nach subjektiven Gemeinsamkeiten, so zeige sich, dass die Täter alle ihr Verhalten bewusst in Bezug auf die betreffende Strafnorm hin ausrichteten.17 In Hinblick auf die allgemein anerkannten Strafbarkeitsvoraussetzungen (gemeint ist der Inhalt des heutigen § 15 StGB) könne auch die Umgehungshandlung nur dann strafrechtlich von Bedeutung sein, wenn der Täter ihre objektiven Voraussetzungen wissentlich und willentlich verwirkliche. Es wäre systemwidrig, das unvorsätzliche Umgehen eines Tatbestands

11 12 13 14 15 16 17

Stöckel, S. 13 f., 25, 28. Stöckel, S. 90 ff. Stöckel, S. 91. Stöckel, S. 93. Stöckel, S. 94. Stöckel, S. 102 ff. Stöckel, S. 26.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

zu sanktionieren, der nur vorsätzlich verwirklicht werden könne.18 Ein Umgehungsfall besteht für Stöckel daher erst, wenn der Täter sich nicht nur objektiv wie ein Umgehungstäter verhält, sondern subjektiv das Gesetz umgehen will. Erst die subjektive Komponente macht seiner Ansicht nach aus dem schlichten tatbestandsvermeidenden Geschehen eine gesetzesumgehende Handlung.19 Dem weitergehenden begrifflichen Erfordernis einer Umgehungsabsicht wird hingegen von Stöckel eine Absage erteilt. Hierfür könnten lediglich semantische Argumente vorgebracht werden, weil zugegebenermaßen sowohl das Merkmal „künstlich“ als auch der Begriff der „Umgehung“ selbst einen „gewissen subjektiven Einschlag“20, eine „besondere Zweckbezogenheit“21, einen „besonderen finalen Charakter“22 erkennen ließen. Der finale Charakter, so Stöckel, kann sich allerdings durchaus in bloßer Vorsätzlichkeit erschöpfen.23 Darüber hinaus sprechen für ihn gewichtige Argumente gegen die Übernahme der Umgehungsabsicht in die begriffliche Festlegung des gesetzesumgehenden Verhaltens. Gemeinsam sei zwar allen Umgehungsfällen, dass die Täter ihr Verhalten bewusst in Bezug auf die betreffende Strafnorm hin ausrichteten. Die fragliche Norm sei ihnen umrisshaft bekannt, sie wüssten, was sie nicht tun dürfen, um nicht strafbar zu werden, und verhielten sich deshalb so, dass eines oder mehrere Merkmale des jeweiligen Tatbestandes entfallen.24 Gleichwohl muss diese Tätereinstellung Stöckel zufolge nicht als Umgehungsabsicht aufgefasst werden, denn dieses zusätzliche subjektive Unrechtselement müsste dem Täter nachzuweisen sein. Ebenso wenig aber wie der vorsätzlich handelnde Täter im Regelfall die Absicht haben müsse, sich strafbar zu machen, könne diese Absicht vom Umgehungstäter verlangt werden.25 Das Absichtselement ist für Stöckel allerdings nicht nur forensisch unzweckmäßig, sondern schlicht überflüssig, denn in der Kenntnis des objektiven Umgehungstatbestands (d. i. für Stöckel die künstliche, zweckwidrige Tatbestandsvermeidung) sei alles vorhanden, was die Umgehungsabsicht aussagen will.26 Mit Ausnahme von Bruns27 ist Stöckel der Einzige, der den Begriff der Gesetzesumgehung aber noch in einem anderen Sinne, nämlich im Sinne eines Rechtsinstituts verwendet. Das Rechtsinstitut Gesetzesumgehung besage, dass eine gesetzesumgehende Handlung rechtlich wie eine gesetzesverletzende zu behandeln sei;

18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Stöckel, S. 15. Stöckel, S. 28. Stöckel, S. 23 m. Fn. 81. Stöckel, S. 16. Stöckel, S. 17. Stöckel, aaO. Stöckel, S. 26. Stöckel, S. 27. Stöckel, aaO. Bruns, GA 1986, 1 ff. (31).

I. Bisherige Begriffsbildungen zur Umgehung im Strafrecht

199

es ist, so Stöckel, als „ungeschriebene strafrechtliche Einrichtung“ zu verstehen.28 Den Wert dieses Instituts schätzt er jedoch selbst als gering ein, da es auf Tatbestandsebene und für das Strafanwendungsrecht aufgrund von Art. 103 II GG unzulässig sei und für die Ebenen der Rechtswidrigkeit und Schuld keine anderen Ergebnisse erziele als die konventionellen Lösungen auch.29 Ergiebig sei es daher eigentlich nur für das „theoretische Strafrecht“.30 2. Tiedemann Als Gesetzesumgehung ist nach Tiedemanns Auffassung ein Verhalten zu bezeichnen, das darauf abzielt, die Anwendung einer Verbotsnorm oder Gebotsnorm künstlich zu vermeiden. Die Gesetzesumgehung unterscheide sich von der legalen Vermeidung des Anwendungsbereichs durch das Zweckwidrigkeitskriterium, die Umgehung sei daher strukturell weitestgehend ein Problem der Analogie.31 Bezüglich der Kriterien für die Feststellung eines Umgehungsverhaltens stellten § 42 AO, § 4 II SubvG zutreffend auf den Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten ab, welcher wiederum besonders durch die wirtschaftlich sinnlose Gestaltung der Verhältnisse durch die Beteiligten zu erkennen sei.32 Jedenfalls für § 4 II SubVG und auch § 42 AO sei die Zweckverfehlung allein nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nicht ausreichend für das Vorliegen einer Umgehung.33 Entscheidend für die Zweckvereitelung durch künstliche Sachverhaltsgestaltung ist nach Tiedemann vor allem das Fehlen sachlicher Motive für die Abweichung vom Üblichen und Angemessenen; das Täterverhalten dürfe also nur deshalb als wirtschaftlich sinnvoll erscheinen, weil es Normvoraussetzungen vermeide bzw. erreiche.34 Allerdings räumt Tiedemann ein, dass die üblichen Inhaltskriterien für die Beantwortung der Frage, ob eine Umgehungshandlung vorliegt, „[…] vielfältig, zum Teil tautologisch und nicht selten vom Ergebnis des Einzelfalls her bestimmt […]“35 sind. Die Gesetzesumgehung ist für Tiedemann eng mit der Figur des Rechtsmissbrauchs verwandt. Umgehung, Erschleichung und Rechtsmissbrauch seien Fälle der Analogie und deshalb schwer zu erfassen: Der Täter achte in allen Fällen formal die

28

Stöckel, S. 50 f. Stöckel, S. 112. 30 Stöckel, S. 112 f. 31 Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 1; ders., Tatbestandsfunktionen, S. 58; ders., Spendel-FS, S. 591 ff. (603); ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 140; LK11-ders., § 264 Rn. 109. 32 Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 3. 33 LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 114. 34 Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 342 f. 35 Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 340. 29

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Grenze des Normwortlautes, während der Rechtsanwender diese Grenze überschreiten müsste, um die Fälle angemessen zu erfassen.36 Anders als für das Zivilrecht sei im Strafrecht ebenso wie im Steuerrecht stets die Absicht der Umgehung bzw. der Erschleichung erforderlich.37 Dabei versteht Tiedemann Absicht hier wohl im Sinne von dolus directus 2. Grades, denn er umschreibt die Umgehungsabsicht als die bewusste Inkaufnahme einer Vereitelung der gesetzlichen Zwecksetzungen.38 Im Übrigen wird auch bei Tiedemann die Umgehungsabsicht nicht als allgemeines subjektives Wesensmerkmal von Umgehungsverhalten allgemein diskutiert, sondern als subjektive Strafbarkeitsvoraussetzung erörtert: Erst Vorliegen und Nachweis der Umgehungsabsicht rechtfertigten es, jene Rechtssicherheitsgarantie zu durchbrechen, die in der Abschichtung und Formalisierung der Gesetzeszwecke durch Benennung punktueller, typischer Voraussetzungen zur Zweckerreichung bzw. Verhinderung der Zweckvereitelung liege.39 Dem subjektiven Umgehungselement komme allerdings noch eine weitere Funktion zu, die Tiedemann mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs40 anspricht: Das Vorhandensein der Absicht (zur Steuerumgehung) spreche gerade für die Ernstlichkeit und damit Wirksamkeit der vorgenommenen Geschäfte und Vertragsgestaltungen. Sie diene damit der Abgrenzung zum Scheingeschäft.41 3. Nippoldt Die Dissertation Nippoldts beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Strafbarkeit von Umgehungshandlungen, dargestellt am Beispiel der Erschleichung von Agrarsubventionen; die vorangestellten Bemühungen um eine Definition des Umgehungsbegriffs sollen allgemein und vorläufig im Sinne einer Arbeitshypothese zu verstehen sein.42 Eine endgültige allgemeine Begriffsbildung erfolgt dann allerdings nicht mehr, die einzelnen möglichen Umgehungskriterien werden vielmehr in Hinblick auf die Bekämpfung der Steuerumgehung und Subventionserschleichung diskutiert.43 Im Anschluss an Stöckel unterscheidet Nippoldt die Gesetzesumgehung im weiteren und im engeren Sinne.44 In einem weiteren Sinne werde mit „Umgehen“ jedes Ausweichen vor einer Rechtsnorm und ihren Rechtsfolgen beschrieben, soweit auf irgendeine Weise eine Sachnähe zu der umgangenen Norm vorhanden sei bzw. 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Tiedemann, Spendel-FS, S. 591 ff. (603). Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 4. Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 339. Tiedemann, aaO. RFH 5, 247 (260); 6, 118 (120). LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 107. Nippoldt, S. 25. Nippoldt, insbesondere die Seiten 219 ff. Nippoldt, S. 6 ff.

I. Bisherige Begriffsbildungen zur Umgehung im Strafrecht

201

vermutet werde. Wenn der Umgehungsbegriff zur Beschreibung von Verhaltensweisen im Grenzbereich der Normanwendbarkeit verwendet wird, so seien die daraus gezogenen Konsequenzen solche, die ohne den Rekurs auf die Gesetzesumgehung ohnehin gezogen worden wären. Umgekehrt diene die Gesetzesumgehung häufig nicht zur rechtlichen Begründung einer Verurteilung, obwohl sie deren tieferen Grund bildete.45 Ein solch extensiver Umgehungsbegriff, der das entsprechende Verhalten übrigens auch neutral oder sogar positiv bewerten könne, dürfe aber nicht die Grundlage für eine strafrechtlich relevante Kategorie der Gesetzesumgehung abgeben. Sie kann sich für Nippoldt nur auf einen kleinen Teilbereich des weiten Umgehungsbegriffs, also die „Gesetzesumgehung im engeren Sinne“ beschränken.46 Die Abgrenzung dieser beiden Umgehungsbegriffe soll dabei über Kriterien erfolgen, die die Modalität des dem gesetzlichen Anwendungsbereich ausweichenden Verhaltens bezeichneten.47 Zustimmung verdient für Nippoldt dabei die Definition, die für die Gesetzesumgehung das Verhältnis der tatbestandsvermeidenden (bei belastenden Normen) bzw. verwirklichenden (bei begünstigenden) Verhaltensweisen zum jeweiligen Normzweck in den Mittelpunkt rückt. Die Umgehung sei demnach als „Vereitelung eines Rechtssatzes durch Ausbeutung des Mißverhältnisses zwischen seinem Tatbestand (Wortlaut) und seinem Zweckgedanken“ zu verstehen.48 Gegenüber alternativen objektiven Bestimmungskriterien bleibt Nippoldt skeptisch: Die in § 6 StAnpG (inzwischen abgelöst durch die Umgehungsklausel in § 42 AO) verwendete Formulierung des „Missbrauchs von Formen oder Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts“ könne nicht als Legaldefinition herangezogen werden, da durch eine solche Umschreibung nur ein Teilbereich der Gesetzesumgehungen, nämlich diejenigen qua Rechtshandeln erfasst werden könnten. Gerade für Umgehungshandlungen im Strafrecht überwögen aber die Realakte.49 Wer hingegen Normumgehungen als „Rechtsbetrug“ auffasse50, weil die Umgehung eine „auf Irreführung der Rechtsanwendung hinzielende Simulation“51 sei, verwechsle Umgehungs- und Scheingeschäfte.52

45

Nippoldt, S. 7. Nippoldt, S. 8. 47 Nippoldt, aaO. 48 Nippoldt, S. 23; zuvor bereits S. 14 f., 22. Die in wörtlicher Rede wiedergegebene Textpassage ist eine von Nippoldt selbst zitierte Begriffsbestimmung Römers (dort S. 18). 49 Nippoldt, S. 20 f. 50 So Fuchs, S. 4, 84 f. 51 Fuchs, S. 70. 52 Nippoldt, S. 14, 21. 46

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Auch mit einer weiteren, weit verbreiteten Auffassung, die Gesetzesumgehung sei als künstliche Vermeidung des Tatbestands zu verstehen53, ist für Nippoldt gegenüber der Definition der Umgehungshandlung als zweckverletzendes, tatbestandsloses Handeln kein großer Erkenntnisgewinn verbunden. Durch die Künstlichkeitsumschreibungen werde nur das Wesentliche der Umgehungshandlung neu und seinerseits konkretisierungsbedürftig umschrieben.54 Die subjektive Seite des Umgehungsbegriffs wird von Nippoldt unter der Überschrift „Der subjektive Tatbestand der Gesetzesumgehung“ behandelt. Zunächst geht er der Frage nach, ob die Umgehungsabsicht ein allgemeines Umgehungsmerkmal darstellen kann. Welchen Inhalt und Gegenstand diese Umgehungsabsicht haben könnte, wird von ihm – soweit ersichtlich – nicht erläutert.55 Für das allgemeine Erfordernis einer Umgehungsabsicht könnten Nippoldt zufolge zwei Gründe sprechen: Zum einen scheine schon den römischen Quellendefinitionen der Gesetzesumgehung („in fraudem legis agere“) wie auch der heute vorherrschenden Umschreibung („künstliche“ Tatbestandsvermeidung) nach dem natürlichen Sprachgebrauch eine subjektive Tendenz eigen zu sein; die Termini seien „subjektiv gefärbt.“56 Zum anderen solle nach mancher Ansicht die Umgehungsabsicht für die Abgrenzung von sonstigen Tatbestandsvermeidungen notwendig sein, um zu verhindern, dass nicht gutgläubige und ahnungslose Personen unter Rückgriff auf das Umgehungsargument von rechtlichen Sanktionen betroffen werden.57 Gewichtiger sind für Nippoldt allerdings die Argumente der von ihm als „objektive Theorie“ bezeichneten Ansicht, der zufolge vor allem aus Gründen der Praktikabilität (also der schwierigen Nachweisbarkeit wegen) auf das Element der Umgehungsabsicht zu verzichten sei. Auch unter Berücksichtigung der verschiedenen Anforderungen der einzelnen Rechtsgebiete ergebe sich nichts anderes. Zwar könnte aus Gründen der Rechtssicherheit und damit der Tatbestandsbestimmtheit eine Umgehungsabsicht für das Strafrecht und Steuerrecht eher zu fordern sein als für das Zivilrecht, doch sei dennoch kein Grund ersichtlich, warum das Unrecht der Gesetzesumgehung nicht genauso wie die direkte Tatbestandserfüllung ausreichend durch einen objektiven Tatbestand beschrieben werden könne.58 Nicht die böse 53 Im Zuge der von ihm durchgeführten Literaturauswertung kann Nippoldt die verschiedensten Umschreibungsversuche für „das Künstliche“ nachweisen. So sollen der vom Täter eingeschlagene Weg im Fall der Umgehung „ungewöhnlich“, „atypisch“ oder „unzweckmäßig“ sein, also durch „Umwege“, „Schleichwege“ oder „Nebenwege“ zu charakterisieren sein; Nippoldt, S. 24 mit umfangreichen Nachweisen. 54 Nippoldt, aaO. 55 Überprüft wurden die Seiten 25 ff., 224 ff. sowie 279 f. der Dissertation Nippoldts. 56 Nippoldt, S. 25 f., die als wörtliche Rede gekennzeichnete Beschreibung stammt wiederum von Römer, S. 43. 57 So etwa der von Nippoldt (S. 26) zitierte Maday (S. 39 ff.); letzterer versteht unter Umgehungsabsicht allerdings allein den Willen, einen sonst verpönten materiellen Erfolg zu erreichen, ein Handeln „in fraudem legis“ sei nicht zu verlangen. 58 Nippoldt, S. 27 f.

I. Bisherige Begriffsbildungen zur Umgehung im Strafrecht

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Absicht unterscheide die Gesetzesumgehung im engeren von der Gesetzesumgehung im weiteren Sinne, sondern allein die Vereitelung des Normzwecks auf bestimmte Art und Weise. Auch das Faktum, dass Umgehungshandlungen häufig oder typischerweise mit Umgehungsabsicht vorgenommen werden, zwinge nicht zur Aufnahme dieses Merkmals in die allgemeine Umgehungsdefinition.59 4. Bruns Die von Bruns angestellten Untersuchungen zur Umgehungsproblematik sollen nach seinem eigenen Bekunden dazu dienen, Leitlinien für die noch nötige Fortführung der Diskussion über eine Rechtsfigur zu liefern, die zunehmend als selbständiges Institut Bestandteil der Rechtsordnung geworden, rechtsdogmatisch aber noch wenig geklärt sei.60 Sein Hauptaugenmerk gilt der strafrechtlichen Erfassung des gesetzesumgehenden Verhaltens, seine Ausführungen anlässlich der Diskussionen um das Investitionszulagengesetz und die so genannte Parteispendenaffäre beschränken sich dabei ausdrücklich auf Umgehungshandlungen auf Tatbestandsebene.61 Eine allgemein gültige, strafrechtlich verwendbare Definition der Gesetzesumgehung gibt es für Bruns nicht. Unter Bezugnahme auf die Dissertation Stöckels – seines akademischen Schülers – umschreibt er die Gesetzesumgehung als Tatbestandsvermeidung mit einem gewissen künstlichen, unnatürlichen Charakter, als Verstoß gegen Sinn und Zweck einer Norm, deren Anwendung durch Aussparung eines ihrer Merkmale vermieden werden soll62 ; dies sei zumindest die „übliche Definition“63 der Gesetzesumgehung. „Die Möglichkeit der Gesetzesumgehung ergibt sich daraus, dass besonders geschickte Straftäter mit Erfolg versuchen, die unvermeidbaren Lücken zwischen dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes durch ,Missbrauch‘ ihrer rechtlichen Gestaltungsfreiheit zu ihren Gunsten auszunutzen, indem sie gezielt ,tatbestandsähnliche‘ Handlungen vornehmen, die von den einschlägigen Strafbestimmungen nicht mehr erfaßt werden und wegen des verfassungsrechtlichen Analogieverbots an sich straflos bleiben müßten.“64 Die Erfassung von Umgehungshandlungen wird von Bruns trotz der verwendeten Begriffsumschreibung im Sinne eines normzweckwidrigen, tatbestandslosen Verhaltens nicht stets als ein analogisches Verfahren angesehen. Ein solches Verfahren meint Bruns zwar für die von ihm so genannten verschleierten Umgehungsgesetze erkennen zu können, die als verfassungswidrige Analogieermächtigungen aufgefasst 59 60 61 62 63 64

Nippoldt, S. 28. Bruns, GA 1986, 1 ff. (31). Bruns, GA 1986, 1 ff. (7 f.). Bruns, GA 1986, 1 ff. (8). Bruns, GA 1986, 1 ff. (26). Bruns, GA 1986, 1 ff. (31)

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

werden müssten65, nicht aber für § 42 AO oder § 4 II SubvG. Bei deren Anwendung finde ein Durchgriff auf einen anderen, steuer- bzw. subventionsrechtlich vernünftigen Sachverhalt statt, der anstelle des künstlich konstruierten im Wege einer Fiktion für die Entstehung des Steueranspruchs zugrunde gelegt werden müsste.66 Der Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten sei daher besser als Nichtgebrauch der vom Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der Verkehrsauffassung für typisch gehaltenen rechtlichen Gestaltungen zur Erreichung bestimmter wirtschaftlicher Ziele zu definieren.67 Die nicht von der allgemeinen Gestaltungsfreiheit gedeckten künstlichen Gesetzesumgehungen können für Bruns so ohne Verstoß gegen das Analogieverbot für die rechtliche Beurteilung ausgeschlossen werden, der Umgeher werde so behandelt, als hätte er den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht.68 Die auch von der Rechtsprechung in Strafsachen praktizierte tatsächliche Betrachtungsweise sei wiederum nichts anderes als eine Variante dieser Methode: die gekünstelte zivilrechtliche Form werde beiseitegeschoben, so dass auf die wirkliche Lage zurückgegriffen werden könne.69 Bemerkenswert an dieser Methodologie ist, dass Bruns trotz seiner mit der hier verwendeten Arbeitsdefinition in Einklang stehenden Einordnung der Gesetzesumgehung als Fall der „teleologischen Lücke“ der Auffassung ist, dass die Lückenschließung ohne Rückgriff auf analogische Verfahren im Wege der Aufdeckung des vernünftigen Sachverhalts erfolgen könne. Die Ersetzung des künstlichen durch ein hypothetisches, „vernünftiges“ Verhalten muss zwar auch Bruns zufolge unstrittig durch den Blick auf den Sinn und Zweck der vermiedenen Norm erfolgen (s. o.), gleichwohl soll das Analogieverbot durch das „Umschalten“ auf die tatsächliche Betrachtungsweise bzw. den Sachverhaltsdurchgriff „legal umgangen“70 sein. In Hinblick auf den Inhalt subjektiver Umgehungskomponenten findet sich bei Bruns lediglich der Hinweis, dass Gesetzesumgehungen final ausgerichtete Tätigkeiten und Bezeichnungen seien, die eine sorgfältige Prüfung des Vorsatzes erforderten. Gleichwohl sei fraglich, ob ein Umgehungsvorsatz verlangt werden sollte.71 Darüber hinaus möchte er die subjektive Rechtslage bei Gesetzesumgehungen offen lassen, da sie noch weniger geklärt sei als ihre objektive Beurteilung72. Aus diesen 65

Bruns, GA 1986, 1 ff. (14 ff.). Bruns, GA 1986, 1 ff. (27). 67 Bruns, GA 1986, 1 ff. (10). 68 Bruns, GA 1986, 1 ff. (27). 69 Bruns, GA 1986, 1 ff. (12 f.; 27). 70 Bruns, GA 1986, 1 ff. (4, 32); wie diese Argumentation zu würdigen ist, war bereits bei der Erörterung der Steuerumgehung [B. II. 1. b) aa)] und der faktischen Betrachtungsweise (B. II. 4.) angesprochen worden. Weiteres sogleich im Text im Anschluss an diesen darstellenden Abschnitt. 71 Bruns, GA 1986, 1 ff. (4, 32). 72 Bruns, GA 1986, 1 ff. (29 f.). In Hinblick auf § 42 AO findet sich immerhin die Festlegung, dass die Umgehungsabsicht als Tatbestandsmerkmal wohl abzulehnen sei, für die 66

I. Bisherige Begriffsbildungen zur Umgehung im Strafrecht

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wenigen Anmerkungen wird immerhin deutlich, dass die subjektive Seite der Gesetzesumgehung wiederum nicht als Element des Umgehungsterminus als solchem angesprochen wird, sondern als Teil einer Strafbarkeitsbegründung. Bruns Ziel ist schließlich die Einordnung der „Rechtsfigur Gesetzesumgehung“ in die allgemeinen Tatbestandslehren.73 5. von Burchard Die Dissertation v. Burchards befasst sich im Wesentlichen mit Umgehungsgeschäften beim Waffenexport aus strafrechtlicher Sicht. Im Zuge dessen strebt er auch eine Klärung des Umgehungsbegriffs allgemein an. v. Burchard leitet seine Bestimmung eines allgemeinen Umgehungsbegriffs zunächst aus den entsprechenden Untersuchungen zu dieser Fragestellung in den Teilrechtsgebieten des Zivilrechts und des Öffentlichen Rechts ab. Gemeinsam sei den dortigen Umschreibungsversuchen der Gesetzesumgehung, dass das Handlungssubjekt unter Vermeidung ihrer Rechtsfolgen den von der umgangenen Norm in Bezug genommenen Erfolg erreicht, indem er Gestaltungsfreiheiten ausnutzt.74 Wenn dabei Umgehungen häufig als „künstliche Tatbestandsgestaltung“ definiert werden, so sei es angesichts der bereits festgestellten Normvermeidungseigenschaft aller Umgehungshandlungen treffender, von „künstlicher Tatbestandsvermeidung“ zu sprechen.75 Mit diesem Terminus werde außerdem der Umstand bezeichnet, dass die Umgehung allein bezwecke, die Nichtanwendbarkeit der umgangenen Norm zu erreichen; die Entscheidung für den „künstlichen“ Weg also nur aus diesem Motiv heraus zu verstehen gewesen sei.76 Entsprechend dieser jedenfalls teilweise subjektiven Zielrichtung des Künstlichkeitsbegriffs kommt v. Burchard für sein „eigentliches“ Thema, die Strafbarkeit von Umgehungshandlungen beim Rüstungsexport, deshalb zu einer „Künstlichkeit“ der Straftatbestandsvermeidung, weil die Ausfuhr von Waffen mit einer erschlichenen Genehmigung unter Angabe eines Bestimmungsortes, der nicht der tatsächlich avisierten Destination entspricht, allein zum Zwecke der Verschleierung vorgenommen werde.77 Der Begriff des „Vermeidens“ allein ermögliche allerdings keine scharfe Abgrenzung zwischen gesetzesumgehendem und sonstigem tatbestandlosen Verhalten. Das tatbestandsvermeidende Verhalten müsse daher stets dem Sinn und Zweck des betreffenden Strafgesetzes zuwiderlaufen.78

Subventionserschleichung i. S. v. § 4 II SubvG aber dolus directus 2. Grades zu fordern sei, (29). 73 Bruns, GA 1986, 1 ff. (1, 9). 74 v. Burchard, S. 158. 75 v. Burchard, S. 159. 76 v. Burchard, aaO. 77 v. Burchard, S. 177. 78 v. Burchard, S. 175 f.

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Eine abschließende Stellungnahme zu der Frage der Umgehungsabsicht gibt v. Burchard unter Hinweis auf die Problemstellung seiner Arbeit nicht ab. Jedenfalls bei der bewussten Täuschung über den Endverbleib umgehe der Täter das Gesetz mit dolus directus 2. Grades, eine darüber hinausgehende Motivation ist seiner Ansicht nach nicht zu verlangen.79 6. Pohl Pohl stellt in seiner Dissertation „Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung“ dem Umgehungsbegriff recht bündig vor: „Die Gesetzesumgehung besteht darin, daß jemand sich so verhält, daß das Gesetz (seinem Wortlaut zufolge) nicht anwendbar ist, obwohl sein Verhalten dem Zweck des Gesetzes entspricht oder widerspricht.“80 Ausführlicher behandelt Pohl das Verhältnis der Gesetzesumgehung zur Figur des Rechtsmissbrauchs. Er unterscheidet im Anschluss an Teichmann81 zwischen dem Rechtsmissbrauch im individuellen und im institutionellen Sinne.82 Der Rechtsmissbrauch im individuellen Sinne bezieht sich danach auf die ungerechtfertigte Ausnutzung von Rechtspositionen, die aus einer Sonderverbindung entstanden sind. Der für die Gesetzesumgehung interessantere Begriff des Rechtsmissbrauchs im institutionellen Sinne besage, dass jede Rechtsstellung durch immanente Schranken begrenzt ist, die enger sein können als die durch den Gesetzestext vorgegebenen Grenzen. Die immanenten Schranken werden dabei für Pohl, vereinfacht formuliert, durch den Zweck der Rechtsstellung bestimmt.83 Wie im Fall des Normenmissbrauchs versuche auch der Gesetzesumgeher, von einer Norm einen sinn- und zweckwidrigen Gebrauch bzw. Nichtgebrauch zu machen, zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch bestehe daher ein unmittelbarer Zusammenhang. Mit jeder Gesetzesumgehung sei ein Rechtsmissbrauch verbunden.84 Mögliche subjektive Elemente eines allgemeinen Umgehungsbegriffs werden von Pohl nicht ausdrücklich behandelt. In Hinblick auf den subjektiven Tatbestand von § 42 AO stellt er fest, dass die Frage nach dem Erfordernis einer Umgehungsabsicht theoretischer Natur sei, da sich bei Vorliegen des objektiven Tatbestandes die Umgehungsabsicht ohnehin regelmäßig aus Indizien belegen lasse. Für das Steuerstrafrecht könne auf einen entsprechenden subjektiven Tatbestand ohnehin nicht verzichtet werden.85 Im Übrigen zur Kennzeichnung der Umgehungsproblematik gewählte Formulierungen Pohls lassen allerdings vermuten, dass der Umgehungsabsicht jedenfalls implizit eine wenigstens deskriptive Bedeutung beigemessen wird. 79 80 81 82 83 84 85

v. Burchard, S. 178. Pohl, Rn. 8. Teichmann, S. 76. Pohl, Rn. 42. Pohl, Rn. 43. Pohl, Rn. 44. Pohl, Rn. 747.

I. Bisherige Begriffsbildungen zur Umgehung im Strafrecht

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So heißt es etwa zur Kennzeichnung des Umgehungsverhaltens: „Der Gesetzesumgeher sucht die Tatbestandsmerkmale einer Norm zu erfüllen bzw. zu vermeiden, je nachdem, ob die Norm ihn begünstigt oder belastet.“86 Diese stillschweigend vorausgesetzte Subjektivität des Umgehungsbegriffs wird an anderer Stelle noch deutlicher: „[…] namentlich im Steuer- und Subventionsrecht […] ist es geradezu typisch, daß Delinquenten versuchen, Lücken einer Rechtsnorm auszunutzen und Rechtsnormen zu umgehen.“87 7. Vogel Bei seiner Beschäftigung mit der Umgehungsproblematik widmet Vogel der Begriffsklärung und methodischen Grundlegung des Umgehungsbegriffs besondere Aufmerksamkeit. Wie Stöckel vor ihm unterscheidet auch Vogel zwischen objektiven und subjektiven Umgehungselementen: Der Terminus Umgehungsverhalten betreffe die objektive Erscheinung der Umgehung, der Begriff der Umgehungshandlung beziehe dagegen diejenigen subjektiven Elemente ein, welche Handlungen im rechtstheoretischen Sinne kennzeichneten.88 Die Ausführungen zum Umgehungsverhalten betreffen zunächst seine Abgrenzbarkeit zum Scheinverhalten, die, so Vogel, bereits objektiv möglich sei. Beim Scheinverhalten werde die wirkliche (faktische) Verhaltensweise mit einer nur dem Schein nach gegebenen verglichen. Im Umgehungsfall hingegen sei das Umgehungsverhalten das wirkliche (also faktische) und werde mit dem nur vorgestellten und in diesem Sinne kontrafaktisch umgangenen Verhalten verglichen.89 Für die Bestimmung der beiden Verhaltensweisen kommt dann auch die vermiedene Norm in unterschiedlicher Weise als tertium comparationis zum Tragen: Die Einordnung des Scheinverhaltens als solchem sei bereits außerrechtlich möglich, denn der Schein müsse vom Täter kommunikativ vermittelt werden. Allerdings besteht für diese Einordnung nach Vogel stets eine normative Vorprägung, denn rechtliche Bedeutung bekommt das Scheinverhalten eben in Hinblick auf die zur Tatbestandsvermeidung qua Scheinverhalten anregende Norm.90 Maßgeblicher noch sei die Norm für die Ermittlung des umgangenen Verhaltens: Dies sei stets dasjenige, welches unter den Tatbestand gefallen wäre.91 Vogel zufolge ist für die Umgehung darüber hinaus noch ein weiteres normatives Kriterium von Relevanz: Für das Umgehungsverhalten dürfe es keinen vernünftigen Grund geben als denjenigen, die Anwendung der umgangenen Norm zu vermeiden.92

86 87 88 89 90 91 92

Pohl, Rn. 44. Pohl, Rn. 60. Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (155 f.). Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (156). Vogel, aaO. Vogel, aaO. Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (156 ff.).

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

In subjektiver Hinsicht lässt sich Vogel zufolge auf begrifflich-theoretischer Ebene lediglich feststellen, dass der Umgehungstäter den Umgehungserfolg anstrebt. Daraus könne rechtstheoretisch allerdings nicht auf das Erfordernis der Umgehungsabsicht bei Umgehungshandlungen geschlossen werden, da die Frage danach, ob der Umgehungserfolg eintritt oder nicht, gerade eine Rechtsfrage sei.93 Das Erfordernis einer Umgehungsabsicht ergebe sich vielmehr aus der Teleologie des jeweiligen Rechtsgebiets.94 Wenn Vogel schließlich doch noch zu dem scheinbar eindeutigen Ergebnis kommt, strafwürdig sei nur ein Verhalten, das in Umgehungsabsicht vorgenommen werde95, so ist in dieser These gleichwohl keine Aussage darüber enthalten, ob die Umgehungshandlung schon ihrem Begriff nach zielgerichtetes Umgehungshandeln meint, denn Vogels Positionierung bezieht sich – wie sich eindeutig aus ihrem Zusammenhang ergibt – allein auf die subjektiven Anforderungen an eine strafbare Umgehungshandlung. Zudem bezieht sich das Erfordernis der Absicht allein auf den Umgehungserfolg, hinsichtlich der Normzweckwidrigkeit des Vorgehens hält er dolus eventualis für ausreichend.96 Diskutiert wird über diese Grundlegungen hinaus auch die Fragestellung, in welchem Verhältnis die zur Beschreibung und rechtlichen Bewältigung der Umgehungsproblematik verwendeten Begriffe und Rechtsinstitute zueinander stehen. Es wurde bereits angesprochen, dass Vogel die Gesetzesumgehung als normbezogenes Rechtsanwendungsproblem begreift: Der Sachverhalt der Umgehungshandlung steht als wirklicher und wirklich gewollter fest, die Norm ist aber jedenfalls prima facie auf den Sachverhalt als belastende nicht anwendbar bzw. als begünstigende anwendbar.97 Es bestehe daher eine teleologische Lücke; die Lösung muss Vogel zufolge für das Strafrecht im Spannungsfeld zwischen Zweck (d. i. materielle Gerechtigkeit) und Wortlaut (d. i. Rechtssicherheit) entwickelt werden.98 Wenn das Verhalten des Umgehungstäters als künstlich bezeichnet werde, so sei damit zugleich die Möglichkeit angedeutet, einen hypothetischen Sachverhalt zu bilden, der angemessen, eben nicht künstlich ist, und damit die umgangene Handlung bildet. Auf ihn sei die belastende Norm ohne weiteres anwendbar bzw. die begünstigende Norm nicht anwendbar.99 Dieser Gedankengang beweist für Vogel aber nur, dass bei der Ermittlung der umgangenen Handlung von der umgangenen Norm her gedacht wird.100 Die Künstlichkeit der Gestaltung ergibt sich für ihn stets aus dem Vergleich zwischen den im Tatbestand vertypten Sachverhalten und dem Umgehungssachverhalt sub specie Rechtsfolge und hieraus erhellendem Normzweck der 93

Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (157). Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (160). 95 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (172). 96 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (173 f.). 97 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (162). 98 Vogel, aaO. 99 Vogel, aaO. 100 Vogel, aaO. 94

I. Bisherige Begriffsbildungen zur Umgehung im Strafrecht

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umgangenen Norm.101 Daher sei z. B. § 42 AO ungeachtet des dort angeordneten Sachverhaltsdurchgriffs nicht Ausdruck einer eigenständigen faktischen oder wirtschaftlichen Betrachtungsweise, sondern eine Form des Analogieschlusses, denn es bestehe für die Einordnung als Analogie kein Unterschied, ob der wirkliche durch den ähnlichen Sachverhalt ersetzt wird oder die Norm auf den ähnlichen Sachverhalt angewendet wird.102 Der Lehre vom Rechtsmissbrauch misst Vogel teleologisch keine eigenständige Bedeutung bei. Wenn der Gesetzgeber de lege lata den „Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten“ voraussetze, werde dieser Missbrauch schließlich stets mit Blick auf die umgangene Norm ermittelt.103 Der Vorstellung eines Missbrauchs von Handlungsfreiheitsgewährungen bedürfe es für dieses Ergebnis nicht. Je nach Rechtsgebiet könne der Begriff des Rechtsmissbrauchs darüber hinaus sogar irreführend sein und berge zudem stets die Gefahr in sich, aus einem diffusen rechtsethischen Vorwurf Rechtsfolgen abzuleiten.104 8. Reisner Auch für Reisner, die die Umgehungsproblematik in ihrer Dissertation einer rechtsvergleichenden Analyse unterzieht, besteht das Problem der Gesetzesumgehung darin, dass eine (offene oder verdeckte) teleologische Lücke besteht.105 Sie unterscheidet grundsätzlich zwischen legaler und missbräuchlicher Gesetzesumgehung. Grundsätzlich sei die Vermeidung einer belastenden Norm ebenso zulässig wie der Anspruch auf einen gesetzlichen Vorteil, wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.106 Die missbräuchliche Gesetzesumgehung aber zeichne sich durch die Ausnutzung der Gesetzeslücken durch künstliche, unsachgerechte, wirtschaftlich völlig unsinnige Handlungen oder durch rechtliche Gestaltungen aus, die keinen anderen Zweck erfüllten, als einen gesetzlichen Vorteil zu erlangen bzw. den gesetzlichen Nachteil zu vermeiden und damit gegen den Sinn des Gesetzes zu verstoßen.107 Merkmal dieser „illegalen Form“ der Umgehungshandlung sei daher auch eine Missbrauchsabsicht.108 Diese Absicht des Täters sei auch geeignet, das Ergebnis der Subsumtion zu präjudizieren, wenn nämlich die Missbrauchszwecke zu erheblichen Tatsachen des festzustellenden Sachverhalts gemacht würden. Die objektiv wahren 101 102 103 104 105 106 107 108

Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (165). Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (164). Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (165) und hier bereits unter B. II. 1. b) aa). Vogel, aaO. Reisner, S. 10, siehe auch schon A. III. Reisner, S. 5. Reisner, aaO. Reisner, aaO.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Angaben würden so zu falschen Angaben in Hinblick auf das fragliche Tatbestandsmerkmal, z. B. das „Herkunftsland“.109 Diese Bedeutung der Täterziele für die Sachverhaltsauslegung lassen sich Reisner zufolge bereits im frühen 19. Jahrhundert wiederfinden. Als „Scheingeschäft“ seien zu dieser Zeit auch Umgehungsgeschäfte aufgefasst worden, die durch ihre ungewöhnliche Gestaltung das in Wirklichkeit vorliegende und beabsichtigte Rechtsgeschäft verdeckten und dessen Rechtsfolgen vereitelten. Das wirklich beabsichtigte Geschäft konnte also auch durch ein anderes, wirksames Geschäft verdeckt werden.110 Das Hauptaugenmerk von Reisners Untersuchung gilt im Übrigen dem strafrechtlichen Schutz der Finanzinteressen der EG gegen Schein- und Umgehungshandlungen, wobei insbesondere das französische und englische Steuer- und Subventions(straf)recht rechtsvergleichend in den Blick genommen wird. Soweit dabei auch das Verständnis des Umgehungsbegriffs in den jeweiligen Rechtsordnungen erörtert wird, sollen diese Ausführungen auch hier angesprochen sein, um gegebenenfalls Rückschlüsse für den hier diskutierten Umgehungsbegriff deutscher Lesart ziehen zu können. a) Zum Verständnis der Umgehung in Frankreich Subjektive Elemente sind nach Reisner auch für die rechtswissenschaftliche Diskussion der Umgehungsproblematik in Frankreich von großer Bedeutung. In der französischen Rechtsprechung hat sich danach ein weiter Begriff des Scheingeschäfts (der Lehre von der „simulation“) entwickelt. Ein solches liegt bereits vor, wenn der Täter seine unzulässigen wahren Absichten und Motive verdeckt, selbst wenn ein Geschäftsabschluss ernsthaft gewollt ist. Dies führt dazu, dass formal wirksame Rechtsgeschäfte aufgrund missbräuchlicher Absichten – sofern beweisbar – für nichtig erklärt werden können.111 Dieses Verständnis der „simulation“ hat für das Strafrecht weitreichende Folgen, denn grundsätzlich wird im französischen Strafrecht die Rechtsfolge der Unerheblichkeit der steuerrechtlichen „fraude à la loi“ (also der Gesetzesumgehung) nicht übernommen. Die Verletzung des Gesetzeszwecks allein ohne Erfüllung des Wortlauts könne nicht bestraft werden.112 Diese These wird in Frankreich mit der Verpflichtung zur „interprétation restrictive“ im Strafrecht begründet.113 Die Bestrafung der missbräuchlichen Gesetzesumgehung als solcher wird abgelehnt.114 Durch das weite Scheingeschäftsverständnis wird dann 109

Reisner, S. 12. Reisner, S. 12 f.; zum „Scheingeschäft“ in der Rechtsgeschäftslehre des 19. Jahrhunderts Schröder, S. 13 f., 108 ff.; Teichmann, S. 7 f. 111 Reisner, S. 130 f.; Bredin, Rev.trim.dr.civ. 1956, 261 ff. (265, 270 ff.). 112 Ligeropoulo, S. 294 f.; Vidal, S. 97. 113 Reisner, S. 166. 114 Reisner, S. 192. 110

I. Bisherige Begriffsbildungen zur Umgehung im Strafrecht

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aber doch noch die Strafbarkeit der handelnden Personen herbeigeführt, indem Gestaltungen, die in der Bundesrepublik Deutschland als Umgehungsgeschäfte gelten würden, als bloße „simulation“ nicht beachtet werden bzw. zum Bestehen einer als Steuerhinterziehung strafbaren Falschangabe führen.115 Bedenken in Hinblick auf das auch in Frankreich geltende Analogieverbot zu Lasten des Beschuldigten werden dabei nur selten geäußert.116 b) Zum Verständnis der Umgehung in England Eine allgemeine Theorie oder Definition der Gesetzesumgehung gibt es in England Reisner zufolge nicht.117 Hingegen sei seit Ende des 19. Jahrhunderts eine enge – und mit der deutschen Rechtsordnung vergleichbare – Definition der Scheinhandlung und des Scheingeschäfts („sham“) anerkannt. Ein Scheingeschäft sei demnach nur gegeben, wenn Rechtsfolgen vorgetäuscht werden, die in Wirklichkeit von den Parteien nicht beabsichtigt sind.118 Anders als in Frankreich sind die Gerichte daher nicht dazu übergegangen, grundsätzlich wirksame Gestaltungen etwa zur Steuervermeidung, die für rechtsmissbräuchlich erachtet wurden, allein aufgrund der mit der Ausgestaltung verfolgten Ziele als „sham“, also als unwirksames Rechtsgeschäft zu behandeln.119 Bei der Feststellung und Beurteilung relevanter Tatsachen z. B. des Steuerrechts oder der Zolltarifierung werden Motive und Absichten also grundsätzlich nicht berücksichtigt.120 Allerdings sollen vollends künstliche Gestaltungen mit dem Ziel der Steuerersparnis steuerrechtlich gleichwohl unbeachtlich sein.121 Die mit dem Umgehungsverhalten verbundene Problematik der „teleologischen Lücke“ besteht für das englische Strafrecht nicht nur aufgrund des engen Verständnisses der Scheinhandlung, sondern zudem deshalb, weil auch die englische Strafrechtsordnung das Verbot der Analogie in malam partem trotz einzelner

115 Reisner, S. 131, 192 f.; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (178); eine ähnliche Verdrängung der Eigenständigkeit der Gesetzesumgehung zugunsten eines weiten Verständnisses des Scheinbegriffs ist nach Tiedemann (Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 144) auch in Italien zu beobachten. 116 Reisner, S. 193. Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (179) weist allerdings darauf hin, dass das Gesetzlichkeitsprinzip durch die dogmatisch unterschiedliche Einordnung der Vermeidehandlungen gar nicht berührt sei, da sich die französische Rechtsprechung auf ausdrückliche gesetzliche Regelungen berufen könne. Als ungeschriebenes Rechtsinstitut sei die Umgehung daher auch im französischen Recht keineswegs anerkannt. 117 Reisner, S. 226. 118 Reisner, S. 197 f., 225 f. 119 Inland Revenue Commissioners v. Duke of Westminster [1936] AC 3 – 31; Griffith v. Harrison [1963] AC 26 f. (Fall von „Dividend-stripping“); Ramsay v. Inland Revenue Commissioners [1982] AC 300 – 340. 120 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (179); Reisner, S. 230, 253 m. w. N. 121 Vogel, aaO.; Reisner, S. 251 ff.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Durchbrechungen grundsätzlich anerkennt122 und außerdem in der englischen Auslegungsmethodik (anders als im deutschen Recht!123) die subjektiv-historische Auslegungszielbestimmung vorherrschend ist124. Überdies kann im Fall von nach dem Wortlaut mehrdeutigen Vorschriften und fehlenden Anhaltspunkten für einen präjudizierenden Willen des Gesetzgebers nicht etwa auf eine teleologisch begründete extensive Auslegung zurückgegriffen werden, sondern es kommt – jedenfalls für die „statutory offences“125 – der dem deutschen Strafrecht jedenfalls in diesem Zusammenhang fremde Auslegungsgrundsatz „in dubio mitius“ („im Zweifel für die mildere Auslegungsmöglichkeit“) zum Zuge.126 Wenn also auch das englische Strafrecht den Grundsatz nullum crimen sine lege stricta in der Regel achtet, so gilt dies nicht in einem auch nur annähernd mit der deutschen Strafrechtsordnung vergleichbaren Maße für den „Lex-certa-Satz“, da viele englische Strafnormen nach wie vor dem nicht kodifizierten common law entstammen. Zudem steht eine Überprüfungs- und Verwerfungskompetenz von Normen bezüglich ihrer Unbestimmtheit englischen Gerichten wegen des Grundsatzes der „Sovereignty of Parliament“ nicht zu.127 Umgehungshandlungen, die wie im deutschen Strafrecht z. B. die strafbare Steuerumgehung durch ein zusätzliches Element der Täuschung oder Verheimlichung gekennzeichnet sind, können in England daher durch den nach deutschen Maßstäben bedenklich weiten Commonlaw-Tatbestand der „conspiracy“ erfasst werden.128 9. Der Begriffskern weiterer Umschreibungsansätze In weiteren strafrechtlichen Fundstellen, die sich wesentlich straffer als die bisher erörterten Autoren mit dem Umgehungsbegriff beschäftigen, kann der Umgehungsterminus stets auf die folgende Kernumschreibung zurückgeführt werden: Die

122

Ashworth, S. 76 ff. (dort klassifiziert als „principle of strict construction“ als Ausformung des „principle of legality“); Bennion, S. 676. Für das britische Steuerrecht Weisflog, StuW 1982, 136 ff. (142 f.). 123 Im deutschen Rechtskreis ist die objektiv-teleologische Auslegungszielbestimmung vorherrschend, vgl. BVerfGE 1, 312; 6, 75; 11; 129 f.; Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 40 ff. mit umfangreichen Nachweisen. Siehe dazu auch noch in dieser Untersuchung ausführlich: E. II. 1. 124 Reisner, S. 262 f. 125 Zu den beiden Rechtsquellen des englischen materiellen Strafrechts (common law einerseits und statute law andererseits) Ashworth, S. 4 ff.; Reisner, S. 257. 126 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (179); Reisner, S. 260 ff. 127 Reisner, S. 256; Ashworth, S. 73. 128 Vogel, aaO. Wie der Name der „conspiracy“ schon verrät, ist dieses ungeschriebene common law offence allerdings nur dann anwendbar, wenn die Tat von mehreren Personen begangen wird, vgl. Reisner, S. 271 f.

II. Behandlung der Gesetzesumgehung im Zivilrecht

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Gesetzesumgehung ist ein Verhalten, durch das der Täter versucht, in normzweckwidriger Weise Gesetzeslücken für sich auszunutzen.129

II. Ein Seitenblick auf die Behandlung der Gesetzesumgehung im Zivilrecht Der überwiegende Teil der zivilrechtlichen Literatur lehnt es ab, einem Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung bzw. des Umgehungsgeschäfts neben den allgemeinen Lehren der juristischen Methodik eigene Bedeutung zuzumessen.130 Die Methode der Umgehungserfassung sei vielmehr inhaltsgleich mit der – und daher nichts anderes als die – Rechtsfortbildung qua Bildung einer Analogie. Nachweislich instanzgerichtlicher Entscheidungen verleiteten die Vorschrift und der in ihr festgehaltene Umgehungsgedanke sogar zu methodischer Nachlässigkeit bei Gesetzesauslegung und Analogiebildung.131 Aus den genannten Gründen heraus hält die vorherrschende Auffassung im zivilrechtlichen Schrifttum auch Umgehungsklauseln – etwa auf dem Gebiet des Verbraucherschutzrechts die § 312 f S. 2 BGB (besondere Vertriebsformen), § 475 I S. 2 BGB (Verbrauchsgüterkauf), § 487 S. 2 BGB (Teilzeit-Wohnrechte-Vertrieb) sowie § 506 S. 2 BGB (Verbraucherdarlehen) – für verzichtbar.132 Wohl nicht zu Unrecht wird diese Akkumulation von Umgehungsvorschriften für diesen Bereich außerdem deshalb kritisiert, weil es Zweifel des Gesetzgebers an der eigenen Normsetzung und daneben an der Methode der Rechtsfindung durch die Gerichte erkennen lässt.133 Nur eine Einzelstimme im Schrifttum plädierte dagegen für eine eigenständige Bedeutung einer Lehre von der Gesetzesumgehung.134 Begründet wurde diese Auffassung damit, dass gerade Verbotsgesetze keine unbegrenzte Auslegung erfahren dürften. In Hinblick auf den Grundrechtsschutz der Privatautonomie bleibe 129 RG JW 1918, 451 f.; Handbuch Wabnitz/Janovsky-Dannecker, § 1 Rn. 110; Handbuch Müller-Gugenberger/Bieneck-Bieneck, § 62 Rn. 36; Handbuch Außenwirtschaftsrecht-Bieneck, § 28 Rn. 9; Röckl, S. 261. Keine Bestimmung des Umgehungsbegriffs findet sich – soweit ersichtlich – in der Dissertation Wenderoths, Die Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG, Göttingen 1988 (München 1990). 130 BGHZ 110, 47 (64); Teichmann, S. 105; Flume, § 17, 5; Medicus, Rn. 660; Enneccerus/ Nipperdey, § 190, III.; Larenz/Wolf, § 40 Rn. 31; Soergel-Hefermehl, § 134 Rn. 37; Schurig, Ferid-FS, S. 375 ff. (399 f.); wohl auch Ulmer/Brandner/Hensen-Schmidt, § 306a Rn. 3 f.; wohl auch Wolf/Lindacher/Pfeiffer-Lindacher, § 306a Rn. 1 f. 131 Soergel-Stein, § 7 AGBG Rn. 1. 132 Bamberger/Roth-Schmidt, § 306a Rn. 1; zu weiteren Beispielen für gesetzliche Regelungen der Gesetzesumgehung vgl. Benecke, S. 54 ff. 133 Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, § 306a Rn. 1. 134 MüKo-BGB4-Mayer-Maly/Armbrüster, § 134 Rn. 11 ff., im Zuge der Neubearbeitung aufgegeben; vgl. MüKo-BGB5-Armbrüster, § 134 Rn. 13 ff.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

jede Auslegung eines Verbotsgesetzes an die vom Gesetzgeber festgeschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen des Verbots gebunden. Über die ohnehin gebotene und zulässige Analogie und Auslegung sei daher der zusätzliche Rechtsgedanke des allgemeinen Umgehungsverbots als spezifische Reaktion auf Umgehungsversuche erforderlich, dessen Rechtsfolgen an § 134 BGB zu messen seien.135 Maßgebliche Kriterien für die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts wegen Verbots gegen ein allgemeines Umgehungsverbot sollten dabei zum einen in objektiver Hinsicht die Zweckvereitelung der Vorschrift sowie in subjektiver Hinsicht das Bestehen von Umgehungsabsicht sein.136 Für eine wohl als vermittelnd zu bezeichnende Ansicht ist die Gesetzesumgehung nicht stets ein Unterfall der Analogie, die Vertreter dieser Auffassung erkennen jedoch kein eigenständiges Rechtsinstitut der Umgehung an, sondern plädieren für eine Rechtsfortbildung extra legem.137 Eine weitere Minderheitsauffassung will die Nichtigkeit von Umgehungsgeschäften über die Anwendung von § 138 BGB erreichen, da § 138 BGB ausdrücklich zur Schließung von Lücken vorgesehen sei und daher jedem richterrechtlich gestalteten Umgehungsverbot vorgehen müsse.138 Der Bundesgerichtshof schließlich hat mehrfach die Rechtsauffassung vertreten, dass bei Umgehungsversuchen von Verbotsgesetzen, denen nicht mit den Mitteln der Auslegung beizukommen ist, § 134 BGB direkt zur Anwendung kommen könne.139 Der von der Vorschrift missbilligte Erfolg dürfe nämlich nicht durch Umgehung des Gesetzes erreicht werden.140 Dabei führt der Bundesgerichtshof jedoch nicht aus, auf welche Weise es zur Anwendung von § 134 BGB kommen soll, wenn die von dieser Vorschrift vorausgesetzte Verletzung eines Verbotsgesetzes bei einer erfolgreichen Gesetzesumgehung doch gerade nicht vorliegt.141 Schlussendlich wird die Gesetzesumgehung als eigenständiges Rechtsinstitut zwar anerkannt, die Frage über die anzuwendende Methode in Bezug auf die Unbeachtlichkeitserklärung von Umgehungsgeschäften aber für die Praxis für bedeutungslos erklärt.142 Der soeben referierte ausdifferenzierte Meinungsstand belegt, dass Gesetzesumgehung im Gegensatz zu den allgemeinen Lehren des Strafrechts für den Allgemeinen Teil des Zivilrechts als ein bedeutsames Rechtsproblem angesehen wird. Diese Diskrepanz erschöpft nicht darin, dass das Phänomen in der privatrechtlichen 135

MüKo-BGB4-Mayer-Maly/Armbrüster, § 134 Rn. 11 ff. MüKo-BGB4-Mayer-Maly/Armbrüster, § 134 Rn. 17 f. 137 Benecke, S. 181 ff. (189). 138 Staudinger-Sack, § 134 Rn. 153. 139 BGHZ 44, 171 (176); 58, 61 (65); 59, 343 (348); BGH ZIP 1991, 110 (112); ebenso nun MüKo-BGB5-Armbrüster, § 134 Rn. 13 ff. 140 BGHZ 85, 39 (46). 141 Zu Recht kritisch in Bezug auf die Anwendung von § 134 BGB daher Staudinger-Sack, § 134 Rn. 149. 142 Palandt-Ellenberger, § 134 Rn. 28 sowie Bamberger/Roth-Wendtland, § 134 Rn. 20. 136

II. Behandlung der Gesetzesumgehung im Zivilrecht

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Literatur als solches regelmäßig angesprochen und begreiflich gemacht wird, sondern sie zeigt sich auch dadurch, dass Bemühungen unternommen werden, das Umgehungsverhalten und seine Erfassung dogmatisch einzuordnen und die für die Erfassung anzuwendende Methode zu ermitteln. Ein eigenständiges Rechtsinstitut neben Auslegung und Analogie wird allerdings in Gefolgschaft zu der weite Teile des Schrifttums überzeugenden These Teichmanns143 nicht mehr für nötig erachtet. Jedenfalls belegen alleine zwei Habilitationsschriften zu dieser Thematik seit 2000, dass das Problem in der Zivilrechtswissenschaft ungeachtet dieser weit überwiegenden Mehrheitsauffassung nicht als ausdiskutiert gelten kann.144 Die von der überwiegenden Lehre postulierte Überflüssigkeit einer speziellen Umgehungstheorie für die Rechtsfolgensetzung neben den Auslegungs- und Analogielehren muss hingegen nicht daran hindern, das für rechtsfolgenneutral erachtete Institut „Gesetzesumgehung“ wenigstens trennscharf zu umschreiben. Jedenfalls die elaborierteren Auseinandersetzungen der jüngeren Zivilrechtswissenschaft mit dem Umgehungsbegriff lohnt es sich hier darzustellen, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Umschreibungsbemühungen offen legen zu können. 1. Teichmann Die Ergebnisse von Teichmanns Dissertation zur Gesetzesumgehung bilden nach wie vor die herrschende Auffassung in der zivilrechtlichen Diskussion zu dieser Thematik. In dieser Untersuchung ermittelte er, ob die Umgehung als ein eigenständiges Rechtsinstitut zu behandeln sei oder in anderen von der juristischen Methodologie entwickelten Instrumenten – insbesondere der Normauslegung oder Analogie – aufzugehen habe.145 Als Gesetzesumgehung sind für Teichmann diejenigen Sachverhalte nicht einzuordnen, die einen Verstoß gegen den Sinn und Zweck einer Rechtsnorm beinhalten. Dieses zunächst überraschende Ergebnis erklärt sich daraus, dass Sinn und Zweck einer Norm für Teichmann nur innerhalb der Wortlautgrenzen zu ermitteln sind. Es könne keinen „Sinn“ geben, der sich nicht durch Auslegung ermitteln lasse.146 Gesetzeslücken bestehen seiner Ansicht nach daher erst jenseits des Normzwecks und beruhten auf einer Diskrepanz zwischen Normenanordnung und Rechtsordnung.147 Die Gesetzesumgehung sei mithin ein Problem der Geltung einer Rechtsnorm über ihren Sinn hinaus.148 143

Teichmann, S. 105. Zu seinen Überlegungen im Einzelnen sogleich unter D. II. 1. Benecke, Gesetzesumgehung im Zivilrecht: Lehre und praktischer Fall im allgemeinen und Internationalen Zivilrecht, Göttingen 2002 (Tübingen 2004); Sieker, Umgehungsgeschäfte: typische Strukturen und Mechanismen ihrer Bekämpfung, Berlin 1999 (Tübingen 2001). 145 Teichmann, S. 13, 67, 78, 104, 105 f. 146 Teichmann, S. 62 f. 147 Teichmann, S. 79. 148 Teichmann, S. 67. 144

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Von dieser Erkenntnis ausgehend untersucht Teichmann, ob die Gesetzesumgehung womöglich eine von der Auslegung unabhängige Rechtserscheinung im Sinne eines Rechtsinstituts sein könnte. Um diese Frage beantworten zu können, sei es wesentlich, die Kriterien zu bestimmen, die das Rechtsinstitut „Gesetzesumgehung“ von anderen Erscheinungen abhebt und es damit selbst kennzeichnen sollen.149 Als mögliche Kriterien werden der Umgehungsvorsatz, die Sittenwidrigkeit und der Rechtsmissbrauch erörtert. Die „dolose Absicht“ ist für Teichmann kein Mittel, durch das die Umgehung von Fällen der gewöhnlichen Nichtanwendbarkeit abgegrenzt werden könnte. Umgehungsabsicht sei zwar in den meisten Fällen gegeben150, doch dürfte die Umgehung als ein Problem der Rechtsgeltung und Rechtsanwendung gerechterweise nur nach objektiven Merkmalen abgegrenzt werden. Es wäre ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz, wenn zwei gleiche und auch gleich gewollte Vorgänge nur deshalb mit unterschiedlichen Rechtsfolgen belegt würden, weil für den einen der beiden verglichenen Vorgänge die eine Partei die Vorschrift mit der entsprechenden Lücke kennt und daher mit Umgehungsabsicht handelt.151 Die Sittenwidrigkeit ist nach Ansicht Teichmanns gleichfalls ungeeignet, das Institut „Gesetzesumgehung“ zu kennzeichnen, da sowohl der Tatbestand als auch die Rechtsfolge des § 138 BGB ganz unterschiedlich zur Gesetzesumgehung seien.152 Schließlich ist für Teichmann auch der Rechtsmissbrauch kein notwendiges Kennzeichen der Gesetzesumgehung. Zunächst sei der im Steuerrecht anhand § 5 bzw. § 10 RAO (später § 6 StAnpG, heute § 42 AO) entwickelte Missbrauchsbegriff als Konkretisierung des entsprechenden Tatbestandsmerkmals dieser Umgehungsvorschriften untauglich, für das Zivilrecht allgemeine Verwendung zu finden, da alle hierzu bisher vorgeschlagenen Definitionen allesamt unbefriedigend geblieben seien.153 Dies gelte insbesondere für den überwiegend anzutreffenden Deutungsversuch, einen Missbrauch dort anzunehmen, wo der von den Parteien gewählte Weg „ungewöhnlich“ bzw. ein „Nebenweg“ oder „Schleichweg“ sein soll.154 Die Ungewöhnlichkeit kann nach Teichmann jedoch unmöglich das entscheidende Kriterium für das Vorliegen einer Umgehung sein, denn sie setzt voraus, dass bereits eine entgegengesetzte Gewohnheit besteht. Dies sei jedoch nicht stets der Fall, etwa wenn das wirtschaftliche Bedürfnis für eine bestimmte Gestaltung neu aufkomme. Würde die Häufigkeit den Ausschlag für den Missbrauch von Gestal149

Teichmann, S. 67. Diese Annahme zeigt sich auch in mancher Formulierung Teichmanns, etwa, wenn er die Umgehung beschreibt als „[…] Versuche […], gewissen lästigen Rechtssätzen durch Umgestaltung des Sachverhalts auszuweichen“ (S. 50) und Erschleichungen als das „[…] Bestreben, […] die günstigen Folgen einer Norm unberechtigterweise herbeizuführen“ (S. 48). 151 Teichmann, S. 69 f. 152 Teichmann, S. 70 f. 153 Teichmann, S. 75. 154 Teichmann, S. 72 ff. 150

II. Behandlung der Gesetzesumgehung im Zivilrecht

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tungsmöglichkeiten geben, müsste zudem unter Umständen eine Unsitte gebilligt werden.155 Für das allgemeine Zivilrecht folge die Unbeachtlichkeit des dort verwendeten Rechtsmissbrauchsbegriffs für das Umgehungsthema aus dem richtigen Verständnis des so genannten „institutionellen Rechtsmissbrauchs“, der keine eigenständige Bedeutung aufweise, sondern mit dem Problem der teleologischen (einengenden) Auslegung einer Norm identisch sei.156 In Bezug auf die Gesetzesumgehung wiederum treffe der so verstandene Rechtsmissbrauchsbegriff lediglich eine Aussage darüber, welche Norm nicht anzuwenden sei, eine positive Feststellung, welche Vorschrift anwendbar sei, könne dem auf diese Weise interpretierten Rechtsmissbrauchsbegriff gerade nicht entnommen werden.157 Alle zur Kennzeichnung eines eigenständigen Rechtsinstituts „Umgehung“ naheliegenden Kriterien sind mithin nach Teichmanns Ansicht als ungeeignet zurückzuweisen gewesen. Danach bleibt Teichmann noch die Möglichkeit, die Gesetzesumgehung als ein Problem der Analogie einzuordnen. Aus seinem bereits beschriebenen Verständnis des Verhältnisses von Telos und Analogie folgt dabei, dass Teichmann den Maßstab für die inhaltlich-wertende Bestimmung der Ähnlichkeit zwischen dem gesetzlich geregelten Fall und dem ungeregelten Sachverhalt nicht in dem Sinn und Zweck der Norm zu erblicken vermag. Auch auf andere Weise – etwa durch das Abstellen auf den „wirklichen Willen“ des Gesetzgebers – sei es ebenfalls nicht möglich, einen außerhalb des Gesetzessinnes liegenden gemeinsamen Obersatz zu bilden.158 Die Analogie lasse sich daher nur durch das Nebeneinander gleichartiger Elemente ohne Bezugnahme auf eine gemeinsame Spitze darstellen: „Voraussetzung für einen Analogieschluss ist demnach, daß um eine Norm ein Ähnlichkeitskreis gebildet werden kann, dessen Glieder ihr so sehr gleichen, daß es gerechter erscheint, sie ihr zuzuordnen als sie anders zu regeln.“159 Den (naheliegenden) Vorwurf des Dezisionismus weist Teichmann mit dem Argument zurück, dass das Merkmal der Ähnlichkeit die Analogie genügend zu der freien Rechtsfindung abgrenzen könne.160 Anhand verschiedener Fallkonstellationen aus dem Zivilrecht, die von der Rechtsprechung unter dem Aspekt der Gesetzesumgehung diskutiert worden sind, demonstriert Teichmann anschließend, dass diese „Umgehungsgeschäfte allesamt qua Analogieschluss“161 zu lösen seien. 155

Teichmann, aaO. Teichmann, S. 77. 157 Teichmann, S. 78. 158 Teichmann, S. 83 ff. 159 Teichmann, S. 86. 160 Teichmann, S. 89. 161 Teichmann, S. 89 ff. Für die Ermittlung des „Ähnlichkeitskreises“ muss jedoch gesagt werden, dass auch Teichmann letztlich auf altbekannte Kriterien zurückgreift, die sich durchaus auf teleologische Kriterien bzw. auf den Zweckvereitelungsvorsatz stützen. So wird von ihm für 156

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Zusammenfassend kommt Teichmann zu dem Ergebnis, dass für die Gesetzesumgehung keine eigenen Merkmale festzustellen sind; ihr Problembereich decke sich mit dem der Auslegung und Analogie. „Sie hat damit keine Eigenständigkeit und kann aus der juristischen Erörterung ausscheiden. […] Die Übersetzungen ,Umgehung‘, ,Schleichweg‘ müssen […] abgelehnt werden, weil sie häufig einen gefühlsbestimmten ethischen Vorwurf gegen die Parteien veranlasst haben, der schließlich zur Forderung der Feststellung eines Umgehungsvorsatzes oder gar zur Gleichsetzung von Umgehungsgeschäft und sittenwidrigem Geschäft führte.“162 Welche Charakteristika die Umgehung gegenüber anderen Fällen der Analogie auf Sachverhaltsebene auszeichnet, bleibt damit letztendlich unbeantwortet. 2. Westerhoff Die Dissertation Westerhoffs untersucht die Frage nach dem Wesen der Gesetzesumgehung und ihren möglichen Rechtsfolgen. Gleich zu Beginn der Arbeit erfolgt eine terminologische Festlegung: Die Begriffe „Umgehung“ und „Erschleichung“ seien nur zu verwenden, wenn das diskutierte Verhalten eine Unwertkennzeichnung verdient habe, die Tatbestandsvermeidung sei stets rechtlich zu verurteilen.163 Mit dieser Bewertung der beiden Termini ist für Westerhoff jedoch zunächst nur die Fragestellung der Arbeit umrissen; offen bleibe noch die Frage, aus welchen Gründen die Verurteilung erfolge.164 Das Problem der Gesetzesumgehungen beginnt für Westerhoff erst jenseits der durch den möglichen Wortsinn vorgegebenen Grenzen der (ausdehnenden und einschränkenden) Auslegung. Durch Auslegung erfassbare Umgehungsversuche seien nur unechte, weil „misslungene“ Umgehungen.165 Wie alle bisherigen Auffassungen zuvor macht auch Westerhoff stets die Rechtsähnlichkeit zur Voraussetzung für eine Umgehung, die bloße Tatbestandsvermeidung reiche nicht aus. „Die bei der Gesetzesumgehung auftauchenden Fragen sind insoweit die gleichen wie bei der Analogie.“166 In manchen Fällen werde die analoge Anwendung einer Norm allerdings deshalb abgelehnt, weil das Gesetz eine deutliche tatbestandliche Grenze ziehe, auch wenn der zu entscheidende Sachverhalt dem Tatbestand der Bestimmung die Feststellung einer Gesetzeslücke auf den „Missbrauch“ der qua Gesetz eingeräumten Freiheiten abgestellt (S. 92); die „Aushöhlung“ gemeinschaftlicher Testamente soll davon abhängig sein, ob die Veräußerungen an Dritte als „unbillig“, „treuwidrig“ und „missbräuchlich“ einzuschätzen waren bzw. ob „beachtliche Beweggründe zu dem Verhalten der Parteien Anlaß gaben“ (S. 94 f.); schließlich soll der Ähnlichkeitskreis, der die Tatbestände des § 38 I 1 GWB a. F. und des § 38 II 2 GWB mit umfassen soll, dadurch mitbestimmt sein, dass eine „Eignung zur Beeinflussung der Marktverhältnisse“ besteht (S. 100). 162 Teichmann, S. 105 f. 163 Westerhoff, S. 7. 164 Westerhoff, aaO. 165 Westerhoff, S. 67 f. 166 Westerhoff, S. 22.

II. Behandlung der Gesetzesumgehung im Zivilrecht

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rechtsähnlich ist. Aus diesem Grund könne von einer Bekämpfung der Umgehung im Strafrecht keine Rede sein.167 Der herrschenden Meinung innerhalb der juristischen Methodenlehre, dass Voraussetzung für die Analogiebildung stets eine vorhandene Gesetzeslücke sei, könne jedenfalls für Umgehungssachverhalte nicht entsprochen werden, denn in diesen Fällen bestünde gerade nicht der Eindruck, dass der Gesetzgeber den verwirklichten Sachverhalt nicht geregelt habe, vielmehr sei das Gegenteil der Fall: „Die Notwendigkeit der ,Lückenfüllung‘ ergibt sich aus dem Sinn der ihrem Wortlaut nach vermiedenen Norm.“168 Ein letztendlich gleichfalls Analogie zu nennendes Verfahren sei die vor allem im Steuerrecht anzutreffende Methode, statt des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts einen anderen Sachverhalt zu fingieren, der unter den Tatbestand der umgangenen Norm fällt. Für die Begründung einer Entscheidung dürfte indessen die Analogie meist vorzugswürdig sein, weil nur durch sie die Gründe für die ausdehnende Anwendung der Rechtsfolge angegeben werden könnten. Die Gleichstellung qua Fiktion habe dagegen etwas Künstliches und erscheine als eine um des Ergebnisses willen vorgenommene Unterstellung.169 Zwar steht damit für Westerhoff fest, dass die „Ahndung der Gesetzesumgehung“170 grundsätzlich ein Problem der analogen Rechtsanwendung sei, doch müsse man sich fragen, ob bei Gesetzesumgehungen nicht doch weitere Umstände vorlägen, die gegenüber sonstigen Analogiefällen eine besondere Behandlung erforderten. Die Reaktion des Rechtsgefühls auf Umgehungen sei jedenfalls mit dem Gedanken der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung wohl nicht hinreichend zu erklären.171 Zur Ermittlung möglicher besonderer Gesichtspunkte untersucht Westerhoff die verschiedenen Merkmale, die bisher wiederholt mit dem Umgehungsbegriff in Verbindung gebracht worden sind. Als erstes Merkmal, das für die rechtliche Beurteilung von Umgehungen wesentlich sein könnte, wird der Rechtsmissbrauch in den Blick genommen. Besondere Bedeutung hat dieser Begriff für Westerhoff allerdings nicht: Als allgemeines Unwerturteil verstanden stelle seine Anwendung eine petitio principii dar und auch seine Interpretation als zweckwidriger Normgebrauch sei einerseits beweisbedürftig und andererseits selbst bei erbrachtem Beweis überflüssig, denn diese Aussage treffe bereits der Gedanke der teleologischen Auslegung bzw. der Analogie in Umgehungsfällen.172

167 168 169 170 171 172

Westerhoff, S. 35 f. Westerhoff, S. 92. Westerhoff, S. 93 ff. Westerhoff, S. 120. Westerhoff, S. 120 f. Westerhoff, S. 122 ff.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Die Frage nach der Umgehungsabsicht stellt sich für Westerhoff, weil sie ein rechtlich wesentlicher Gesichtspunkt für die Bewertung sein könnte, auch wenn die Frage nach der Zulässigkeit analoger Normanwendung im Grundsatz unabhängig von der Umgehungsabsicht sei.173 Als Umgehungsabsicht versteht Westerhoff ganz wörtlich die Absicht zur Umgehung eines Gesetzes.174 Relevant sei das Bestehen von Umgehungsabsicht für die Analogie deshalb, weil durch sie ein schutzwürdiges Vertrauen des Handelnden in den Nicht-Eintritt der gerade von der Wortlautgrenze der Normen vorgegebenen Rechtsfolgen entfalle. Ein typischerweise gegen die analoge Normanwendung vorgebrachtes Argument werde dadurch im Umgehungsfall entkräftet.175 Eine weitere vom Rechtsgefühl diktierte Vorstellung sei, dass es dem Umgeher des Gesetzes ganz recht geschehe, wenn er durch diese Handlung Nachteile erleidet. Werde einmal – trotz des fehlenden strafrechtlichen Charakters – die analoge Erfassung der Gesetzesumgehung im Zivilrecht als eine Form der Vergeltung verstanden, so sei das Vorliegen von Umgehungsabsicht so etwas wie der Schuldnachweis, wie er für jede Form der Vergeltung erforderlich sei.176 Ein selbständiges Kriterium der Gesetzesumgehung ist die Umgehungsabsicht für Westerhoff jedenfalls unmittelbar nicht, denn die bloße Absicht könne nicht als Kriterium für die objektive Rechtswidrigkeit einer Handlung dienen.177 Die häufig genannte Besonderheit von Gesetzesumgehungen, ungewöhnliche oder unangemessene Gestaltungen darzustellen, sei für sich genommen unbeachtlich, denn vom Standpunkt des Rechts könne sicherlich nicht schon verurteilt werden, was selten geschehe. Nähme man das an, so läge eine Verwechslung von statistischer und ethischer Norm vor. Zur rechtlichen Missbilligung eines ungewöhnlichen Vorgehens müsse vielmehr stets hinzukommen, dass der vom Handelnden erreichte Erfolg als ungerecht oder unbillig empfunden wird.178 Auch die für das Steuerrecht vorgebrachte These, „unangemessen“ sei eine Handlung, die ihrem wirtschaftlichen Hintergrund nicht entspreche179, ist für Westerhoff ohne den Blick auf die in Frage stehende Norm unbrauchbar. Es gebe viele Handlungen, die mit den übrigen Umständen eines Gesamtvorgangs nicht im Einklang stünden; Steuerumgehungen seien sie deshalb noch lange nicht. Entscheidend sei stets, ob ein wirtschaftlicher Hintergrund bestehe, der für die in Frage stehende Rechtsfolge relevant ist.180 Letztendlich sei also auch das Kriterium der „ungewöhnlichen Gestaltung“ vom Analogiegedanken beherrscht.181 Die dominierende Vorgehensweise der Steuer173 174 175 176 177 178 179 180 181

Westerhoff, S. 141. Westerhoff, S. 143. Westerhoff, S. 143 f. Westerhoff, S. 148 ff. Westerhoff, S. 146. Westerhoff, S. 152 f. So Böhmer, S. 96 ff. Westerhoff, S. 154. Westerhoff, S. 162 ff.

II. Behandlung der Gesetzesumgehung im Zivilrecht

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rechtslehre, nicht wie sonst im Zivilrecht vom Sinn und Zweck der konkreten Gesetzesnorm, sondern von der Ungewöhnlichkeit des Sachverhalts auszugehen, könne zwar nicht gerechtfertigt, wohl aber erklärt werden: Die teleologische Betrachtungsweise, so Westerhoff, führt im Steuerrecht schlicht nicht weiter, da dort alle Normen den gleichen Zweck haben: Die Beschaffung von Mitteln für die öffentliche Hand.182 Bedeutsam sei die ungewöhnliche Gestaltung jedenfalls mittelbar dadurch, dass sie ein Indiz für das Vorliegen von Umgehungsabsicht sein könne. Das ungewöhnliche Verhalten, das zwar nicht für sich genommen ein rechtlich erheblicher Vorgang sei, hat so Westerhoff zufolge eine Hinweisfunktion auf ein anderes Merkmal (also die Umgehungsabsicht), das man für rechtlich relevant halten kann.183 Auch könne die Ungewöhnlichkeit der Handlung bzw. der Rechtsgestaltung nicht nur die Umgehungsabsicht allgemein indizieren, sondern auch als Maßstab dazu dienen, mit welcher Intensität der Handelnde seine Umgehungsabsicht verfolgt. Es mache schließlich einen Unterschied, ob man sich auf eine vorgefundene Rechtslage berufe oder die Voraussetzungen für die Anwendung bzw. Nichtanwendung der fraglichen Norm selbst künstlich schafft.184 Insgesamt, so Westerhoff, sprechen insbesondere die subjektiven Merkmale der Umgehung für eine Überschreitung der tatbestandlich gesetzten Grenzen durch den Rechtsanwender, da der Umgeher bei Kenntnis seines Verhaltens kein schutzwürdiges Vertrauen genieße und auch der Steuerungs- und der Vergeltungsgedanke eine analoge Normanwendung nahe legten.185 Gegen die analoge Normanwendung seien jedoch stets die entgegenstehenden Wertungsgesichtspunkte in Erinnerung zu behalten, nämlich die Rechtssicherheit, die Verkehrssicherheit, die Rechtsklarheit und der Gedanke der Gewaltenverschränkung.186 Schließlich sei über diese allgemeine Abwägung hinaus für die Analogie stets zu beachten, ob die im Einzelfall zu vergleichenden Sachverhalte tatsächlich rechtsähnlich sind.187 Die Erfassung von Umgehungshandlungen im Wege der Analogie ist für Westerhoff mithin stets das Ergebnis eines Abwägungsprozesses im Einzelfall. Die Problematik der Umgehung sei also nicht nur ein Problem der Zwecksetzung; es kämen stets noch besondere Bewertungsgesichtspunkte hinzu.188 Die Bildung eines allgemeinen gesetzlichen Umgehungstatbestandes würde seiner Meinung nach diesen notwendigen Wertungsvorgang nur verdecken und nivellieren, statt die erforderlichen Differenzierungen möglich zu machen. Zudem 182 183 184 185 186 187 188

Westerhoff, S. 160 f. Westerhoff, S. 164 f. Westerhoff, S. 166. Westerhoff, S. 171 f. Westerhoff, S. 172. Westerhoff, aaO. Westerhoff, S. 205.

222

D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

bestünde insbesondere bei der Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Tatbestandsmerkmale (wie etwa „Missbrauch“ oder „unangemessene Gestaltung“) stets die Gefahr, dass in diese Rechtsvoraussetzungen etwas hineingelegt werde, was man eigentlich erst durch Auslegung und Subsumtion aus ihnen gewinnen möchte.189 Die gleichen Gründe sprechen nach Westerhoff auch dagegen, einen nicht positivierten, theoretischen Umgehungsbegriff zu verwenden.190 Gleichwohl sollte der Ausdruck „Gesetzesumgehung“ seiner Meinung nach weiterhin Verwendung finden, um den diskutierten Fragenkomplex zu umschreiben; der Begriff „Umgehung“ hat für Westerhoff daher allein die Zugehörigkeit zu einer Kategorie missbilligter Handlungen festzulegen, ohne damit auf die mit dem Terminus verbundenen rechtlichen Fragen bereits eine Antwort geben zu können.191 3. Sieker Siekers Habilitationsschrift beschäftigt sich ausweislich des Titels mit typischen Strukturen von Umgehungsgeschäften und ihrer Bekämpfung. Zu einem recht frühen Zeitpunkt ihrer Untersuchung legt sich Sieker im Sinne der herrschenden Auffassung dafür fest, dass mit der Anerkennung der teleologischen Auslegung und der prinzipiellen Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung im Zivilrecht das Bedürfnis für eine eigenständige Lehre vom Umgehungsgeschäft entfallen sei. Auch der Aussagegehalt einer allgemeinen Lehre der Gesetzesumgehung sei gering, da es für ihre Bestimmung ohnehin auf die ratio der einzelnen Norm ankomme.192 Die Qualifizierung einer Gestaltung als Umgehungsgeschäft habe daher eine bloß deskriptive Funktion.193 Mit dem Begriff des Umgehungsgeschäfts werden für Sieker Sachverhalte „mit Manipulationsverdacht“ beschrieben, die typische strukturelle Merkmale aufweisen.194 Zumindest eine Partei berufe sich auf eine Rechtsposition, die nur bei formaler, oberflächlicher Betrachtung zu bestehen scheint; die Umgehungsgestaltung bestehe mithin typischerweise in der Wahrnehmung einer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit, die ihrer äußeren Gestalt nach geeignet ist, die Rechtsfolgen einer belastenden Norm zu vermeiden oder die Anwendung einer begünstigenden Norm auszulösen.195

189

Westerhoff, S. 182 f. Westerhoff, S. 184. Aus dem Kontext ergibt sich, dass Westerhoff mit dem „theoretischen Umgehungsbegriff“ wohl dasselbe meint wie andere Autoren, wenn von einem „Rechtsinstitut Umgehung“ die Rede ist. 191 Westerhoff, S. 185 f. 192 Sieker, S. 8 ff., 45. 193 Sieker, S. 11. 194 Sieker, S. 11, 45. 195 Sieker, S. 11 ff. 190

II. Behandlung der Gesetzesumgehung im Zivilrecht

223

Der Gedanke des institutionellen Rechtsmissbrauchs habe für die Beurteilung potentieller Umgehungssachverhalte ebenfalls keinen eigenständigen rechtlichen Gehalt, da dieser Terminus auch auf die (teleologische) Auslegung rekurrieren müsse; er sei daher als Rechtsbegriff in diesem Zusammenhang genauso entbehrlich wie der der Gesetzesumgehung.196 Mit dem Verzicht auf eine eigenständige Rechtsfigur der Umgehung entfalle zugleich das Erfordernis der Umgehungsabsicht, verstanden als zielgerichteter, subjektiv vorwerfbarer Wille, der Anwendung einer zwingenden Rechtsnorm auszuweichen.197 Anderenfalls, so Sieker, würde die Entscheidung über Lebenssachverhalte, die einer versuchten Umgehung verdächtig sind, von einer Gesinnungsprüfung abhängig gemacht werden, was zu Recht kritisiert worden sei.198 Subjektive Umstände könnten daher nur dann relevant sein, wenn die einschlägige Norm entsprechende Tatbestandsvoraussetzungen aufweist oder innere Tatumstände den Sachverhalt konkretisieren, der zu subsumieren ist.199 Ungeachtet der von Sieker postulierten Unbeachtlichkeit der Umgehungsabsicht für die Möglichkeit der direkten bzw. analogen Anwendung der fraglichen Norm ist indessen augenscheinlich, dass subjektive Elemente den ihrer Arbeit zugrunde gelegten Umgehungsbegriff maßgeblich konturieren.200 Offen dargelegt wird diese Bedeutung der Umgehungsabsicht für ihr Verständnis vom Umgehungsbegriff aber nicht; es hat den Anschein, dass Sieker dieses psychologische Faktum als Bestandteil des Phänomens „Gesetzesumgehung“ für selbstverständlich erachtet. 4. Benecke In ihrer Habilitationsschrift, die sich dem Umgehungsproblem für das nationale und internationale Zivilrecht widmet, wendet Benecke sich unter anderem umfangreich der Frage zu, wie der Umgehungsbegriff zu bestimmen sei. Wie die im 196

Sieker, S. 16. Sieker, S. 40. 198 Sieker, aaO. 199 Sieker, S. 44 f. 200 Die (nur implizite) Subjektivierung des Umgehungsbegriffs durchzieht die gesamte Schrift. Bereits die subjektive Konnotation der Begriffe „Umgehung“ oder „Tatbestandsvermeidung“ wird – soweit ersichtlich – nicht angesprochen. Schon auf der ersten Seite der Einleitung ist dafür davon die Rede, dass es stets „Versuche“ geben werde, den die Handlungsfreiheit einschränkenden Regeln „auszuweichen“; Parteien, so heißt es weiter, „trachteten stets danach“, die Anwendung als „lästig empfundener Normen […] zu verhindern […]“. Weiter meint Sieker, gerade das Steuerrecht böte aus naheliegenden Gründen in besonderem Maße Anreize, „[…] sich der drohenden Steuerbelastung zu entziehen […]“ (Sieker, S. 3). Durchgängig ist zudem von „Umgehungsstrategien“ die Rede (siehe etwa Sieker, S. 4, 46, 53 f., 57, 215), ebenso von „fehlgeschlagenen Umgehungsversuchen“ (Sieker S. 217) oder „planmäßigen Kombinationen mehrerer Rechtsgeschäfte“ (Sieker, S. 215) bzw. von Gestaltungen, von denen sich die Beteiligten „erhoffen“, einen erwirtschafteten Erlös der Einkommenssteuer „entziehen zu können“ (Sieker, S. 55). 197

224

D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Zivilrecht überwiegende Meinung auch begreift Benecke die Gesetzesumgehung zunächst als ein Problem der Geltung des Umfangs einer Norm: Auslegung und Umgehung schließen sich für sie gegenseitig aus; eine Gesetzesumgehung liege daher nur dann vor, wenn zumindest ein Analogieschluss erforderlich sei.201 Gegenüber der bloßen Gesetzesvermeidung bestehe auch Einigkeit darüber, was die Gesetzesumgehung ausmache, nämlich der Verstoß nicht gegen den Wortlaut, aber gegen den Inhalt der Rechtsnorm.202 Präzisierungswürdig sei indessen, dass der Inhaltsverstoß häufig mit einer Verletzung von Sinn und Zweck der Norm gleichgesetzt werde, denn „Sinn“ sei nur der Bereich des Gesetzes, der von der Auslegung ermittelt werden kann, also sein unmittelbarer Geltungsbereich. Davon zu unterscheiden sei das Ziel des Gesetzes, dessen Intention.203 Ein Gesetz könne daher umgangen werden, wenn sein Ziel im konkreten Fall weiter sei als sein Sinn. Das Normziel bilde daher die erste Stufe zu einer Umgehungsdefinition: Die Gesetzesumgehung ist ein Fall fehlender Normzielerreichung.204 Diese grundlegende Definition kann Benecke zufolge aber nur der Ausgangspunkt sein, denn für den praktischen Fall sei von Interesse, ob die Gesetzesumgehung zu anderen Ergebnissen führe als die bloße Gesetzesvermeidung. Schließlich würden nicht alle Fälle der Zielvermeidung von der Praxis als unwirksam behandelt werden. Für die Beantwortung dieser Frage sei daher entscheidend, eine umgehungsspezifische zweite Wertungsstufe zu entwickeln, die von ihr (im Anschluss an Schurig205) als die Prüfung der „Eingriffsschwelle“ bezeichnet wird.206 Der naheliegende Schluss der Teichmann folgenden herrschenden Meinung im Zivilrecht, die Gesetzesumgehung sei stets ein Unterfall der Analogie (und das Vorliegen ihrer Voraussetzungen gleichbedeutend mit dem Erreichen der „Eingriffsschwelle“), gehe jedoch fehl. Zwischen dem Anwendungsbereich des Analogieschlusses und Umgehungsfällen bestehen für Benecke nämlich gewichtige methodische Unterschiede. Kennzeichnend für die Gesetzesumgehung sei eine schon vorhandene Regelung, die die fragliche Fallgestaltung nach ihrem Schutzzweck und der gesamten Zielrichtung bereits erfasse und vor Umgehungen geschützt werden müsse. Die Analogie hingegen setze eine Regelungslücke voraus und führe zu der Erweiterung des gesetzlichen Anwendungsbereichs auf wertungsmäßig ähnliche Fallgestaltungen. Die Umgehung bezieht sich Benecke zufolge daher auf die Aushöhlung des betroffenen Gesetzes, während es für die Analogie nur auf die Ähn201

Benecke, S. 84 f. Benecke, S. 91. 203 Benecke, S. 92, 109, 208. Sie bezieht sich dabei ausdrücklich auf die hier bereits genannte These Teichmanns (S. 62 f.), der „Sinn“ einer Norm könne nur innerhalb ihrer Wortlautgrenzen existieren. 204 Benecke, aaO. 205 Vgl. Schurig, Ferid-FS, S. 375 ff. (401). 206 Benecke, S. 120. 202

II. Behandlung der Gesetzesumgehung im Zivilrecht

225

lichkeit der Fallgestaltungen ankomme.207 Diese Unterschiede hätten allerdings in der Praxis wenige Auswirkungen, da die analoge Normanwendung der wichtigste Lösungsansatz für Gesetzesumgehungen bleibe.208 Das Verhältnis der beiden Institute zueinander müsse gleichwohl genau umgekehrt zu der herrschenden Auffassung bestimmt werden: Die Analogie sei eine Methode zur Lösung von Umgehungsfällen.209 Die Sichtung und Einordnung von Wertungskriterien, die die Bestimmung der „Eingriffsschwelle“ ermöglichen sollen, ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da, so Benecke, in Rechtsprechung und Literatur einheitliche und vorhersehbare inhaltliche Kriterien fehlten; es bestehe daher Rechtsunsicherheit bis an die Grenze der Willkür.210 Bei genauerer Untersuchung kristallisierten sich aber gewisse Schwerpunkte heraus. Die von Benecke vorgenommene Einteilung dieser Schwerpunkte lässt sich dabei im Groben als dreigliedrig bezeichnen: Relevant sind für sie zum einen Besonderheiten des umgangenen Gesetzes. Die Eingriffsschwelle sei hier umso niedriger, je mehr das umgangene Gesetz dem „Schutz des Schwächeren“ diene. Zusätzliche, vor allem subjektive Kriterien würden für diese Normengruppe nur selten bemüht.211 Des Weiteren kommen Benecke zufolge häufig objektive und wertende Kriterien zum Einsatz, die oftmals zusammen mit subjektiven Kriterien auftreten. Ein solches, in der Literatur häufig angesprochenes Kriterium sei etwa die Atypizität im Sinne einer ungewöhnlichen, künstlichen und konstruierten Gestaltung.212 Den eigenständigen Wert der Atypizität für die Ermittlung der Eingriffsschwelle hält Benecke allerdings aus verschiedenen Gründen für gering. So sei der Grund für Abweichungen vom Strukturtypus häufig der Entwicklung neuer, an den bisherigen Rechtsformtypus angelehnter Rechtsformen geschuldet und nicht als Umgehung zu qualifizieren. Umgekehrt müssten Gesetzesumgehungen nicht unbedingt von der gesetzlichen Typisierung abweichen.213 Atypizität sei daher im Grunde gar kein wertendes Kriterium, sondern stelle auf einen Vergleich zwischen typischen und ungewöhnlichen Rechtsformen ab. Von größerer Bedeutung für die Bewertung der Eingriffsschwelle werde sie vielmehr mittelbar, wenn sie ein Indiz für die Feststellung anderer wertender Kriterien, insbesondere subjektiver Umgehungsmerkmale, bilde.214

207 208 209 210 211 212 213 214

Benecke, S. 167 f.; 211 f. Benecke, S. 168. Benecke, S. 168, 179 f., 212. Benecke, S. 123, 161. Benecke, S. 125 ff., 131. Benecke, S. 140. Benecke, S. 141. Benecke, S. 145.

226

D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Zusätzliche, im weitesten Sinne objektive Kriterien sind Benecke zufolge die Sittenwidrigkeit und der Rechtmissbrauch, wobei sie dem Rechtsmissbrauch als solchem gegenüber der Umgehung keinen übergeordneten Stellenwert einräumt:215 Die Gesetzesumgehung im (institutionellen) Rechtsmissbrauch aufgehen zu lassen hieße, ein ungeklärtes Rechtsinstitut durch ein anderes zu ersetzen.216 Umgehungsfälle bildeten trotz ihrer Ähnlichkeit zum Rechtsmissbrauch nicht einen seiner Unterfälle, sondern seien diesem gegenüber ein Aliud.217 Das dritte umgehungsspezifische Wertungskriterium zur Ermittlung der Eingriffsschwelle betrifft nach Benecke die subjektive Seite der Umgehung. Dass die herrschende Meinung im Schrifttum diese Sonderfrage der Umgehungsproblematik überwiegend für unbeachtlich hält und auch die Rechtsprechung heute die Umgehungsabsicht selten als entscheidend ansieht, führt Benecke auf zwei Gründe zurück. Zum einen habe die Umgehung als eigenständiges Rechtsinstitut keine Anerkennung gefunden und bedürfe – als reines Analogieproblem verstanden – keines eigenen subjektiven Tatbestands. Außerdem werde in der Literatur häufig auf die Schwierigkeit hingewiesen, Umgehungsabsicht zu beweisen.218 Für Benecke hingegen ist die subjektive Seite der Gesetzesumgehung bei der Lösung praktischer Fälle von erheblicher Bedeutung. Die innere Einstellung sei zwar nicht allein ausschlaggebend, doch müsse sie als entscheidendes Kriterium für die Wertung – also für die Eingriffsschwelle – angesehen werden, jedenfalls sofern auch objektiv eine Gesetzesumgehung vorliege.219 Auch von den Gerichten würden unbewusste und zufällige Gesetzesumgehungen nur im Falle besonderer Schutzgesetze und nur ausnahmsweise als unbeachtliche Umgehungsgeschäfte bzw. Umgehungshandlungen aufgefasst.220 Als subjektives Kriterium der Eingriffsschwelle sei allerdings der Begriff „Umgehungsabsicht“ zu weitreichend, denn die in der Praxis Handelnden wiesen oftmals keinesfalls die Absicht auf, sich bewusst gegen das Recht zu stellen. Sie gingen vielmehr davon aus, lediglich eine rechtliche Möglichkeit zu nutzen.221 Die subjektive Seite der Umgehung zeichne mithin kein rechtsfeindlicher „Umgehungsdolus“ ganz im Sinne des Rechtsinstituts „Umgehung“ aus, sondern die Zweckhaftigkeit des Verhaltens. Dieser auch von der Rechtsprechung als solcher bezeichnete „Umgehungszweck“ beschreibe ein bewusstes sowie in der Regel gezieltes und geplantes Vorgehen, das auf das Erreichen des Umgehungserfolgs ausgerichtet sei. Zudem müsse dem Umgeher die Vergleichbarkeit dessen, was das Gesetz verhindern will, mit dem, was mit der Um-

215 216 217 218 219 220 221

Benecke, S. 47 ff., 145 ff. Benecke, S. 48. Benecke, S. 49. Benecke, S. 154. Benecke, S. 156. Benecke, S. 125 ff.; 155 f. Benecke, S. 157.

III. Zusammenfassung und Ausblick

227

gehung erreicht wird, bewusst sein.222 Erst der Umgehungszweck kann Benecke zufolge eigentlich legale und legitime Handlungen in eine Umgehung verwandeln.223 Zum Nachweis dieses „Umgehungszwecks“ könne in der Regel aus objektiven Kriterien auf die subjektive Seite geschlossen werden; Indiz sei hier vor allem eine atypische, künstliche Konstruktion des Geschäftsvorgangs.224 Bei einer Verbindung der drei wesentlichen Wertungskriterien kommt Benecke zu der Schlussfolgerung, dass fast immer entscheidend sei, welche Schutzrichtung das „Objekt“ der Gesetzesumgehung (also die umgangene Norm) und welche innere Einstellung die „Subjekte“ der Gesetzesumgehung (mithin die handelnde Person) hätten. Betrachte man beide Faktoren zusammen, so lasse sich auch zwischen ihnen ein gemeinsamer Nenner finden, nämlich die Schutzwürdigkeit des Umgehers. Dieser ist für Benecke umso weniger schutzwürdig, je ausgeprägter die Schutzwirkung des von diesem umgangenen Gesetzes ist und je mehr dessen Verhalten von einem Umgehungszweck getragen ist. Bei einer „Objektivierung“ der subjektiven Faktoren lasse sich letztendlich feststellen, dass sich die Schutzwürdigkeit der handelnden Person anhand der Wahrscheinlichkeit ermitteln lasse, mit der diese mit der Anwendung der umgangenen Norm rechnen musste; die Schutzwürdigkeit wird also letztendlich anhand eines verobjektivierten Vorhersehbarkeitsmaßstabes bestimmt.225 Am Ende ihrer Untersuchung kommt Benecke zu dem Ergebnis, dass der Begriff der Gesetzesumgehung nicht überflüssig sei, obwohl es weder ein eigenständiges Rechtsinstitut „Gesetzesumgehung“ gebe noch die Umgehungsfälle einer einheitlichen Lösung zugeführt werden könnten. Ein modernes Verständnis von Gesetzesumgehung müsse diese als Aufgabe ansehen, als Aufgabe der Rechtsanwendung auf einen bestimmten Fall.226 Die Lösung von Umgehungsfällen anhand der die Eingriffsschwelle bestimmenden spezifischen Wertungen verhindere, dass mit der Gesetzesumgehung nur ihre „Bekämpfung“ gesehen wird und sie dadurch – darüber das zivilrechtliche Ziel des sachgerechten Interessenausgleichs verfehlend – als undifferenziertes Argument für pure Dezision verwendet werde.227

III. Zusammenfassung und Ausblick Die Diskussion um den Begriff der Gesetzesumgehung zeichnet sich rechtsgebietsübergreifend dadurch aus, dass eine wenigstens grundsätzliche Übereinkunft darüber besteht, dass bestimmte Kriterien bzw. Merkmale für die Annäherung an die 222 223 224 225 226 227

Benecke, aaO. Benecke, S. 162. Benecke, S. 215. Benecke, S. 162 f. Benecke, S. 374. Benecke, S. 374 f.

228

D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Problematik der Umgehungshandlungen von Relevanz sind. Welche Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede hinsichtlich der Bewertung der einzelnen Umgehungskriterien konkret bestehen, ist Gegenstand der nachstehenden Ausführungen. Im Anschluss daran wird eine kritische Bewertung erfolgen und eine eigene Konzeption vorgestellt werden (IV.). 1. Die Gesetzesumgehung als eigenständiges Rechtsinstitut Die Gesetzesumgehung ist nach fast einhelliger Auffassung nicht als eigenständiges Rechtsinstitut mit eigenen Voraussetzungen und darauf abgestimmten Rechtsfolgen anzusehen. Dies wird jedenfalls für die jüngere Rechtswissenschaft nur noch von Stöckel228 und Mayer-Maly/Armbrüster229 vertreten, wobei Stöckel zu dem Ergebnis gelangt, dass die praktische Bedeutung eines solchen Rechtsinstituts für das Strafrecht als äußerst gering einzuschätzen sei.230 Dies bedeutet indessen nicht, dass die im sonstigen Schrifttum vorzufindenden Umschreibungen des Umgehungsbegriffs allesamt auf eine deskriptive Veranschaulichung des Umgehungsbegriffs beschränkt wären, wie sich im Folgenden insbesondere für die subjektiven Umgehungselemente zeigen wird. 2. Sinn- und Zweckwidrigkeit der Tatbestandslosigkeit Vollkommene Übereinstimmung besteht darüber, dass die Gesetzesumgehung als ein Problem der Rechtsgeltung zu begreifen ist. Fast einhellig wird dieses Problem für die Gesetzesumgehungen im Strafrecht wie im Zivilrecht darauf zurückgeführt, dass sich zwischen dem Wortlaut einer Norm und ihrem Sinn und Zweck eine Lücke auftun kann, in die der Täter vorzustoßen vermag. Einzig Teichmann und – mit Abstrichen – Benecke treffen eine andere Bestimmung dieses Normgeltungsproblems, da beide nur den auslegungsintern ermittelbaren Sinn und Zweck einer Norm – gemeint ist die Wortlautgrenze – als Ausgangspunkt für teleologische Erwägungen anerkennen. Während Benecke aber jenseits des durch den Wortlaut begrenzten Normsinns immerhin noch Normziele für wertungsleitend hält, muss der vom Ausgangspunkt her kompromisslosere Teichmann den „Geltungsanspruch“ der nicht direkt anwendbaren Norm für Umgehungssachverhalte aus dem allgemeinen lückenlosen Regelungsbedürfnis der (Zivil-)Rechtsordnung unter der Bedingung der notwendigen Lückenhaftigkeit positiven Rechts schließen. Eine möglicherweise in Hinblick auf den Umgehungssachverhalt passende Vorschrift kann nach Teichmann

228

Stöckel, S. 50 f.; ähnlich allerdings auch Bruns, GA 1986, 1 ff. (31). MüKo-BGB4-Mayer-Maly/Armbrüster, § 134 Rn. 11 ff., im Zuge der Neubearbeitung aufgegeben; vgl. MüKo-BGB5-Armbrüster, § 134 Rn. 13 ff. 230 Stöckel, S. 112 f. 229

III. Zusammenfassung und Ausblick

229

für den Fall Anwendung finden, dass sie ähnlich genug ist, um eine analoge Rechtsanwendung rechtfertigen zu können.231 3. Verwandtschaft zur Analogie Die Verwandtschaft des Umgehungsbegriffs zu der Rechtsfortbildung qua Analogieschluss wird – wohl angesichts des in Art. 103 II GG für Kriminalsanktionen festgelegten Analogieverbots in malam partem – für das Zivilrecht erheblich ausführlicher diskutiert als dies für das Strafrecht der Fall ist. Immerhin liegt es nahe, dass es diese verfassungsrechtliche Schranke der strafrechtlichen Rechtsfortbildung ist, die das strafrechtliche Schrifttum überwiegend dazu führt, jedenfalls hier232 deutlich zwischen der Problembeschreibung und ihrer Bewältigung zu trennen. Allerdings muss dies nicht heißen, dass Tiedemann und Bruns, die im Gegensatz zu den sonstigen Stellungnahmen des strafrechtlichen Schrifttums das Problem der Umgehungshandlung nicht nur als teleologische Lücke, sondern ausdrücklich als ein in seinen Strukturen der Analogie vergleichbares Problem begreifen233, diese Ebenen der Phänomencharakterisierung einerseits und der rechtlichen Handhabung andererseits durch die Verwendung des Analogiebegriffs verwischen. Denn es ist in der juristischen Methodenlehre weitgehend anerkannt, dass die zur Lückenfeststellung und die zur Lückenschließung erforderlichen Denkschritte weithin übereinstimmen.234 Ob die Lückenfeststellung für Umgehungssachverhalte allerdings tatsächlich den üblichen Lehren zum Analogieverfahren folgt, wird noch zu erörtern sein. Umso erstaunlicher ist es daher, wenn Bruns die Erfassung von Umgehungshandlungen durch den von ihm favorisierten „Sachverhaltsdurchgriff“ nicht wenigstens in einem Spannungsverhältnis zu Art. 103 II GG sieht, obschon er das Problem der Umgehungshandlungen zuvor in einem durchaus als „analogieähnlich“ zu bezeichnenden Erkenntnisverfahren als die gezielte Vornahme ,tatbestandsähnlicher‘ Handlungen beschreibt, die von den einschlägigen Strafbestimmungen nicht mehr erfasst würden und des verfassungsrechtlichen Analogieverbots wegen an sich straflos bleiben müssten.235

231

Zur Einordnung des Teichmannschen Analogie-Verständnisses in die Diskussion um das Verhältnis der juristischen Analogie zu den Analogiefiguren der Logik vgl. Bydlinski, S. 475 f. m. w. N. 232 Zu dem überwiegenden Verständnis des Schrifttums, was den Inhalt und die Funktion der subjektiven Umgehungskriterien betrifft, siehe sogleich. 233 Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 1; ders., Tatbestandsfunktionen, S. 58; ders., Spendel-FS, S. 591 ff. (603); ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 140; LK11-ders., § 264 Rn. 109; Bruns, GA 1986, 1 ff. (7). 234 Canaris, S. 71 ff.; Bydlinski, S. 474; Larenz/Canaris, S. 220 f.; jeweils m. w. N. 235 Bruns, GA 1986, 1 ff. (31).

230

D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Seit Teichmann kann es im Zivilrecht als herrschende Anschauung gelten, dass der Umgehungstopos restlos im Analogiebegriff aufgeht und daher keine eigenständige Bedeutung hat.236 Diese Betrachtungsweise zeigt deutlich, dass die Beschäftigung mit der Gesetzesumgehung und die Bestimmung ihres Näheverhältnisses zur Analogie im zivilrechtlichen Schrifttum allein von der Rechtsfolgenseite her bestimmt werden. Weil Umgehungshandlungen durch die Rechtsfortbildung qua Analogie erfasst werden können, so der Kern dieses Standpunktes, könne der Umgehungsterminus aus der rechtswissenschaftlichen Diskussion ausscheiden.237 Angesichts der pejorativen Konnotation seiner Verwendung sei dies auch nur opportun.238 Diese Identität von Gesetzesumgehung und Analogie wird von Westerhoff und Benecke aus unterschiedlichen Gründen angezweifelt. Ersterem kommt es vor allem darauf an, darzulegen, dass der Vorgang der Analogiebildung besondere Umgehungsgesichtspunkte zu berücksichtigen habe. Außerdem betreffe die Rechtsfortbildung im Umgehungsfall nicht die sonst für die Analogie übliche Schließung von „Lücken“ im Recht, da den Umgehungsfall gerade eine vom Sinn und Zweck her einschlägige und nur durch die Wortlautgrenze von der Anwendung ausgeschlossene Norm kennzeichne.239 Ebenso argumentiert auch Benecke, die deshalb die Gesetzesumgehung nicht als Unterfall der Analogie ansieht, sondern umgekehrt die Analogie als eine – wenn auch die im Regelfall zu wählende – Möglichkeit zur Erfassung von Umgehungen einordnet.240 Die von beiden Autoren gegenüber den allgemeinen Analogievoraussetzungen hervorgehobenen umgehungsspezifischen Wertungskriterien kommt dabei eine Doppelfunktion zu. Zwar dienen sie auch der präzisierenden Beschreibung einer besonderen Verhaltensweise, also ihrer Kennzeichnung, doch werden diese Kriterien stets im Zusammenhang mit der Frage erörtert, inwieweit ihr Vorliegen für oder gegen die Anordnung von Rechtsfolgen sprechen könnte. Eine allein deskriptive Aufgabe haben diese Merkmale und hat die Auseinandersetzung mit ihnen daher nicht; ihre Relevanz wird weitestgehend an ihrer dogmatischen Leistungsfähigkeit für die Bestimmung der „Eingriffsschwelle“ gemessen. Wenngleich sich insbesondere anhand der Erörterung der strafbaren Subventionserschleichung bereits gezeigt hatte, dass die Erfassung von Erschleichungen durch die teleologisch begründete Einschränkung einer Norm das Gegenstück zur Erfassung von Umgehungshandlungen qua Analogie ist, so findet der mögliche Rechtsfortbildungscharakter der teleologischen Reduktion gerade in der Rechtsprechung erstaunlich wenig Beachtung. Aus der Literatur ist bereits vielfach darauf hingewiesen worden, dass Eingriffe in den Begriffskern einer Vorschrift die Wort-

236 237 238 239 240

Siehe die Nachweise unter D. II. Sieker, S. 8 ff., 45, Teichmann, S. 105 f. Vgl. Teichmann, aaO. Westerhoff, S. 92, 120 f. Benecke, S. 167 f.

III. Zusammenfassung und Ausblick

231

lautgrenze ebenso tangieren können wie die analoge Erweiterung von Normen241, selbst wenn die Rechtsprechung diesen Vorgang eskamotierend gern als „einengende Auslegung“ bezeichnet.242 Die methodologische Parallelität von Analogie und teleologischer Normeinschränkung steht mithin nur hinsichtlich der Lückenfeststellung außer Zweifel, was sich schon an dem Begriffspaar der „offenen“ bzw. „verdeckten“ Lücken zeigt.243 Beider Methoden Eigentümlichkeit, auslegungsextern, also rechtsfortbildend zu wirken, ist hingegen nur für die Schließung offener Lücken allgemein anerkannt. 4. Die Ungewöhnlichkeit bzw. Künstlichkeit des Vorgehens Die Auffassung, dass es neben der Zweckwidrigkeit das Umgehungshandlungen kennzeichnende Merkmal sei, mit einem ungewöhnlichen bzw. künstlichen Verhalten oder einer eben solchen rechtlichen Gestaltung verbunden zu sein, ist im Strafrecht weit verbreitet. Die Ansicht hingegen, die künstlich herbeigeführte Tatbestandslosigkeit ohne feststellbare Zweckverletzung sei eine Umgehungshandlung, wird – soweit ersichtlich – nicht vertreten.244 Die Betonung gerade der Künstlichkeit bzw. Ungewöhnlichkeit der zweckwidrigen Tatbestandsvermeidung bzw. -erschleichung zeigt allerdings umgekehrt, dass das Bestehen einer teleologischen Lücke allein überwiegend als unzureichendes objektives Bestimmungskriterium der Gesetzesumgehung angesehen wird. Die Frage, ob nur die Umgehungshandlungen, die sich auf der Ebene des objektiven Tatbestands auswirken, durch „künstliches“ Verhalten beschrieben werden können oder ob dies grundsätzlich für jedes Umgehungsverhalten zutrifft, kommt kaum ausdrücklich zur Sprache. Einzig Stöckel vertritt mit wünschenswerter Deutlichkeit, dass mit dem Künstlichkeitskriterium Umgehungshandlungen auf jeder Deliktsebene definiert werden können.245 Eine Beschränkung auf die Tatbestandsebene könnte sich wenigstens mittelbar für die besprochenen Untersuchungen von Bruns und Vogel vermuten lassen, da sie mit ihren Ausführungen allein Umgehungshandlungen auf Tatbestandsebene diskutieren und die Erörterung möglicher 241

Dahm, S. 62; Larenz/Canaris, S. 211; Canaris, S. 22, 83 f.; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (164 f.); Nippoldt, S. 59 ff.; Reisner, S. 88 f.; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 187; ebenso wohl auch Pohl, Rn. 987 ff.; Fromm, BB 1980, 1155 ff.; Kohlmann, FR 1979, 279 ff.; wohl auch Schwarz, BB 1982, 2176 (2180). Die zustimmende Rechtsprechung einzelner Gerichte, etwa des OLG Hamm (NJW 1982, 1405 ff.) oder des AG Alsfeld (NJW 1981, 2588) hat die herrschende Ansicht bisher ebenfalls nicht zu beeindrucken vermocht. 242 Siehe dazu Larenz/Canaris, aaO. 243 Vgl. hierzu Wank, S. 81; Larenz/Canaris, S. 191 ff. (198). 244 Etwas anderes gilt, wie bereits erwähnt, für die Rechtsfolgenseite der Umgehung nach dem Verständnis von Bruns (GA 1986, 1. ff. [S. 27, 32]), da er in der „Korrektur“ des künstlichen Verhaltens durch das angemessene kein analogisches Verfahren zu erblicken vermag. 245 Stöckel, S. 11 ff., 23.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Umgehungshandlungen, die die Rechtswidrigkeit oder Schuld betreffen, ausdrücklich ausklammern.246 Die Begriffe „künstlich“ und „ungewöhnlich“ werden häufig synonym verwendet; Stöckel kommt das Verdienst zu, die möglichen objektiven Bedeutungsunterschiede dieser Termini angesprochen zu haben. Sie weisen einerseits darauf hin, dass das Täterverhalten im Vergleich zu verwandten Sachverhalten als atypisch gelten muss, andererseits können sie auch zur Kennzeichnung der Tatsache dienen, dass der Täter überhaupt besondere Aktivitäten im Vorfeld der eigentlichen Tatbestandshandlung entfaltet hat.247 Auch eine weitere denkbare Doppelfunktion der Künstlichkeit, einerseits eine objektive Eigenschaft von Umgehungshandlungen zu sein, andererseits ein Indiz für ein anderes, subjektives Merkmal, nämlich die Umgehungsabsicht zu bilden, wird für das Strafrecht nur durch v. Burchard präzise unterschieden.248 Die Formulierungen Tiedemanns249 und Reisners250, die ungewöhnliche Gestaltung sei nur unter Berücksichtigung eines Umgehungszwecks als wirtschaftlich sinnvolles Verhalten anzusehen, lassen offen, ob „Künstlichkeit“ als selbständiges objektives Kriterium oder als Indiz für Umgehungsabsichten aufzufassen ist bzw. welche dieser beiden möglichen Funktionen überwiegen soll. Die Tauglichkeit des Künstlichkeitsmerkmals wird aus strafrechtlicher Sicht nur von Nippoldt bezweifelt; neben dem Zweckwidrigkeitskriterium komme ihr kein eigenständiger Wert zu.251 Diese Skepsis eint ihn mit der mehrheitlich geäußerten Bewertung des „Künstlichkeit“-Merkmals durch die genannten zivilrechtlichen Untersuchungen. Die Kritik ist hier allerdings nicht darauf ausgerichtet, den Eigenwert des Ungewöhnlichkeitsmerkmals neben der festgestellten Zweckwidrigkeit des Verhaltens in Zweifel zu ziehen, sondern bezieht sich darauf, die Wertung der Zweckwidrigkeit durch das Kriterium der Atypizität ersetzen zu wollen. Eine solche Bestimmung der Gesetzesumgehung bedeutete, sachwidrig aus der Eigenschaft eines Verhaltens als selten oder innovativ seine Normzielwidrigkeit abzuleiten.252 Größere Bedeutung 246 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (167), Bruns, GA 1986, S. 1 ff. (7 f.). Welche Reichweite das Künstlichkeitskriterium nach Auffassung von Tiedemann, v. Burchard oder Reisner haben soll, ist nicht ersichtlich. Als allgemeines Umgehungsmerkmal wird die Künstlichkeit/Ungewöhnlichkeit von Pohl nicht angesprochen. 247 Stöckel, S. 23. 248 Vgl. v. Burchard, S. 159. Stöckel weist immerhin darauf hin, dass der Begriff „künstlich“ wesensgemäß einen gewissen subjektiven Einschlag habe, weil er die besondere Zweckbezogenheit des Handelns erkennen lasse (Stöckel, S. 23 m. Fn. 81, S. 16). 249 Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 342 f. 250 Reisner, S. 5. 251 Nippoldt, S. 24; ähnlich für § 42 AO aber wohl auch Vogel, Madrid-Symposium S. 151 ff. (162). 252 Benecke, S. 140 ff.; Westerhoff, S. 152 ff. Auch Teichmann (S. 72 ff.) lehnt es zwar ab, aus der Seltenheit bzw. Atypizität eines Verhaltens rechtliche Rückschlüsse abzuleiten; die

III. Zusammenfassung und Ausblick

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wird dem Künstlichkeits- bzw. Ungewöhnlichkeitsmerkmal als Indiz für das Vorliegen subjektiver Umgehungsmerkmale zugesprochen.253 Auch wenn die untersuchten Arbeiten zum Umgehungsbegriff ihre Quelle für die Aufstellung des Atypizitäts-Kriteriums nicht allesamt explizit oder implizit ansprechen, so kann doch festgestellt werden, dass die häufige Nennung und auch Anerkennung dieses Umgehungsmerkmals ohne das Steuerrecht kaum denkbar wäre.254 Für die steuerrechtliche Provenienz sprechen die lange Tradition, die diese Form der Umgehungsbestimmung im Steuerrecht – und damit dem bis heute zentralen Gebiet von Umgehungshandlungen255 – seit der Verabschiedung von RAO 1919 hatte256, ihre Bekanntheitssteigerung durch ihre Übernahme für das Subventionsrecht in § 4 II SubVG und auch die seit jeher große Beachtung, die gerade die Umgehungen und Erschleichungen im Steuer- bzw. im Subventionsrecht in der rechtswissenschaftlichen Diskussion im Vergleich zu Umgehungshandlungen im Allgemeinen gefunden haben. 5. Verwandtschaft zum Rechtsmissbrauch Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass die Gesetzesumgehung Ähnlichkeit mit dem Rechtsmissbrauch haben soll. Sofern dabei der verwendete Rechtsmissbrauchsbegriffs erläutert wird, dann im Sinne der bereits von Windscheid und v. Gierke für das materielle Zivilrecht vertretenen, von Siebert ausgeformten und heute herrschenden „Innentheorie“, wonach sich die Beschränkungen der Rechtsausübung aus den immanenten Schranken des jeweiligen Rechts ergeben. Dabei soll Tatbestandslosigkeit eines solchen Verhaltens wie soeben im Text ins Verhältnis zur „Normzielwidrigkeit“ setzen zu wollen, kann für ihn angesichts seiner bereits erörterten Auffassung, Wortlautgrenze und teleologische Auslegungsgrenze seien identisch, allerdings nicht die treffende Begriffsbildung darstellen. 253 Westerhoff, S. 164 ff.; Benecke, S. 145. 254 Stöckel, S. 11 ff.; Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 3.; Nippoldt, S. 24 (mit umfangreichen Nachweisen auch aus dem älteren Schrifttum); v. Burchard, S. 159; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (162 ff.); Teichmann, S. 72 ff. und Westerhoff, S. 152 ff. beziehen sich für ihre Ausführungen zum Künstlichkeits- bzw. Ungewöhnlichkeitsmerkmal ausdrücklich auf die zum Steuerrecht entwickelten Umschreibungen des gesetzesumgehenden Verhaltens; bei Reisner, S. 5 ist diese Verbindung jedenfalls nicht aus der Luft gegriffen, da ihre Untersuchungen ausschließlich Umgehungshandlungen auf dem Gebiet des Steuer- und Subventionsrecht zum Thema haben. 255 Vgl. nur Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (152). 256 Schon § 5 RAO 1919 bestimmte in Abs. 2 Nr. 1, dass ein Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des Bürgerlichen Rechts vorliege, wenn zur Umgehung der Steuer dem wirtschaftlichen Vorgang nicht entsprechende, „ungewöhnliche“ Rechtsformen gewählt würden. Die später an seine Stelle tretenden § 6 StAnpG von 1934 und § 42 AO von 1977 verzichteten auf diese Legaldefinition und ersetzten sie durch die Maßgabe, dass anstelle des Umgehungssachverhalts der den wirtschaftlichen Vorgängen „angemessene“ Vorgang steuerlich Berücksichtigung zu finden habe; vgl. zur Geschichte der Steuerumgehung Pohl, Rn. 320 ff., 377 ff.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

der für Umgehungshandlungen relevante Rechtsmissbrauch nicht in der unzulässigen Übervorteilung der gegnerischen Partei zu sehen sein („individueller Rechtsmissbrauch“), sondern in der zweckwidrigen und allgemeinen Rechtsgrundsätzen zuwiderlaufenden Inanspruchnahme der Norm selbst („institutioneller Rechtsmissbrauch“).257 Die Schlussfolgerungen aus dieser beobachteten „Ähnlichkeit“ oder „Verwandtschaft“ sind allerdings unterschiedlich. Die überwiegende Einschätzung, mit der Rechtsfigur des institutionellen Rechtsmissbrauchs sei letztlich auf das teleologische Auslegungsverfahren zurückverwiesen, führt jedenfalls die untersuchten zivilrechtlichen Studien allesamt zu dem Ergebnis, ihre Verwendung als überflüssig zu betrachten.258 Überraschend ist hingegen, dass die strafrechtliche Diskussion dem sich ja nicht gerade durch ungewöhnliche Inhalts- bzw. Randschärfe auszeichnenden Rechtsmissbrauchsbegriff eher unkritisch gegenübersteht. Einzig Vogel weist seine Verwendung als zum einen überflüssig und zum anderen methodologisch bedenklich zurück.259 Während Tiedemann es bei der Erwähnung des Näheverhältnisses belässt260, ist Stöckel und Pohl zufolge in jeder Umgehungshandlung zugleich ein institutioneller Rechtsmissbrauch zu sehen, weil in beiden Fällen ein zweckwidriger Normgebrauch stattfinde. Dabei ist der Unterschied zu beachten, dass Pohl als Missbrauchsobjekt wohl die jeweils umgangene bzw. erschlichene Norm versteht261, Stöckel hingegen stets die „Umgehungsnorm“ (also für Umgehungsfälle Art. 103 II GG, für Erschleichungssachverhalte die jeweilige Gewährungsnorm) als missbraucht ansieht262.

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Zur Theorie des Rechtsmissbrauchs vgl. Siebert, S. 83 ff., 151 ff.; Fahl, S. 15 ff. Die Argumentation bewegt sich allerdings trotz des gleichen Ergebnisses auf verschiedenen Bahnen: Für Teichmann (S. 77 f.) muss der Rechtsmissbrauchsbegriff untauglich sein, weil die teleologische Auslegung nach seinem Verständnis bereits methodologisch an die Wortlautgrenze gebunden ist und daher zur Erfassung von Umgehungshandlungen nichts beitragen kann. Für Sieker (S. 16) gehen Rechtsmissbrauch und Umgehungsbegriff rückstandslos in der teleologischen Auslegung und im Analogieverfahren auf; ebenso Westerhoff (S. 122 ff.), der das Argument des Rechtsmissbrauchs außerdem stets der Gefahr des Zirkelschlusses ausgesetzt sieht. Benecke (S. 47 ff.) lehnt die Verwendung des Rechtsmissbrauchsbegriffs dagegen deshalb ab, weil er gegenüber dem Terminus Gesetzesumgehung keinen Präzisierungsvorteil bieten könne. Sie will es diesbezüglich bei der bloßen Nähe von Rechtsmissbrauch und Gesetzesumgehung belassen, beide Rechtsfiguren blieben ein Aliud zueinander. 259 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (165). 260 Tiedemann, Spendel-FS, S. 591 ff. (603). 261 Pohl, Rn. 42 ff. 262 Stöckel, S. 90 ff. Mit seiner zugleich damit verbundenen These, dieser Rechtsmissbrauch des Strafrechts sei „materielles Unrecht“ (S. 93), wagt sich Stöckel für eine Strafrechtsordnung, die Rechtsgüter nur im Rahmen des strengen Gesetzlichkeitsprinzips schützt, recht weit vor. 258

III. Zusammenfassung und Ausblick

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Noch weitergehend müssen die Stellungnahmen von Bruns und Reisner verstanden werden. Für Bruns ist die Gesetzesumgehung der „Mißbrauch“263 von Gestaltungsfreiheiten264, Reisner trennt „legale Formen der Umgehung“ und „illegale Formen der Umgehung“, die sich unter anderem durch das Merkmal der „mißbräuchlichen Ausnutzung der Gesetzeslücken“ und durch „Mißbrauchsabsicht“ voneinander unterscheiden ließen265. Hier wird der Missbrauch also zum konstituierenden Element des Umgehungsbegriffs erhoben. Eine nähere Erläuterung des verwendeten Missbrauchsbegriffs wird von beiden allerdings – soweit ersichtlich – nicht vorgenommen. Eine enge Verknüpfung von Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch hat zweifelsohne für zentrale Umgehungsprobleme jedenfalls dem Wortlaut nach durch den Gesetzgeber stattgefunden. Er bestimmt für § 42 AO und § 4 II SubvG, dass durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten eine Steuerumgehung bzw. Subventionsgewährung nicht erreicht werden kann. Indessen war bereits zur Sprache gekommen, dass der Missbrauchsbegriff beider Tatbestände in der Praxis und im Schrifttum (für § 4 II SubvG sogar ausdrücklich durch § 4 II S. 2 und 3 SubvG) durch andere Kriterien der Gesetzesumgehung, insbesondere die Künstlichkeit, die Unangemessenheit, die Ungewöhnlichkeit und die Zweckwidrigkeit weitestgehend ersetzt wird.266 Der in § 42 AO vorausgesetzte Missbrauch ist damit ein „PseudoTatbestandsmerkmal“267. 6. Der Sachverhaltsdurchgriff und die faktische Betrachtungsweise Den Auslegungsfiguren der „faktischen Betrachtungsweise“ und des „Sachverhaltsdurchgriffs“ wird für die definitorische Festlegung dessen, was sie bekämpfen sollen, keine Bewandtnis zugesprochen und sie finden in diesem Zusammenhang keine Erwähnung. Ihre Bedeutung ist vielmehr für die Rechtsfolgenseite, also für die Erfassung von Gesetzesumgehungen anerkannt.268 Gewisse Berührungspunkte ergeben sich gleichwohl mit dem Ungewöhnlichkeits- bzw. Künstlichkeitskriterium, da sowohl die „faktische Betrachtungsweise“ als auch der „Sachverhaltsdurchgriff“ darauf abzielen, eine den „wahren“ Verhältnissen entsprechende Rechtsfolge entweder durch eine vom Zivilrecht abweichende Auslegung des einzelnen Tatbe263 Anführungszeichen und Kursivdruck bereits im Original, was zusammen mit seinen zuvor getroffenen Bemerkungen zum Rechtsmissbrauch (Bruns, GA 1986, 1 ff.) die Vermutung rechtfertigt, dass Bruns nicht seine eigene, sondern die „übliche“ Definition der Umgehungshandlung wiedergegeben wissen wollte. 264 Bruns, GA 1986, 1 ff. (31). 265 Reisner, S. 5. 266 So auch Vogel, aaO. 267 Geerling/Gorbauch, DStR 2007, 1703 ff. (1706). 268 Siehe B. II. 4.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

standsmerkmals oder durch die Fingierung eines angemessenen Sachverhalts herbeizuführen.269 7. Die subjektive Seite der Gesetzesumgehung Die deutlichsten Meinungsverschiedenheiten sind für die Interpretation etwaiger subjektiver Umgehungselemente zu beobachten. Was die bisherigen Stellungnahmen indessen noch allesamt eint, ist die Rechtsfolgenorientierung der Erörterungen. Mit anderen Worten: Wenn in den bisherigen Studien das Problem thematisiert wurde, ob z. B. eine Umgehungsabsicht erforderlich bzw. nicht erforderlich sein soll, so ist damit nur ganz selten die Fragestellung angesprochen gewesen, ob für die analytische Umschreibung des Umgehungsbegriffs (im Sinne der randscharfen Kennzeichnung eines rechtlichen Phänomens) bestimmte Vorstellungen und Motive des Täters notwendigerweise mit einzubeziehen sind. Das „Erfordernis“ subjektiver Umgehungselemente soll vielmehr nach fast einhelliger, rechtsgebietsübergreifender Anschauung eine Voraussetzung für die Erfassung von Umgehungshandlungen sein. Daraus könnte geschlossen werden, dass sich das Umgehungsphänomen nach einmütiger Auffassung schon durch die bereits erörterten objektiven Merkmale von anderen Fallgestaltungen abgrenzen lässt. Es hat sich schließlich – soweit ersichtlich – kein Autor gefunden, der sich die Wahl des Wortes „Gesetzesumgehung“ bereits schon von der begrifflichen Kennzeichnung her versagt hätte, weil es an einem subjektiven Umgehungselement gemangelt hat.270 Allerdings zeigt sich bei einer genaueren Betrachtung der bisherigen Stellungnahmen, dass die Vorsätzlichkeit von Umgehungshandlungen häufig stillschweigend vorausgesetzt und als nachgerade selbstverständliches psychisches Faktum in den Subtext verlagert wird, um der als weitaus relevanter empfundenen Diskussion Raum zur Verfügung zu stellen, ob diese Vorsätzlichkeit erforderlich ist, um Umgehungshandlungen den rechtlichen Erfolg verweigern zu können. Am deutlichsten schreibt noch Stöckel, alle von ihm erörterten Fallbeispiele hätten gemeinsam, dass die Täter ihr Verhalten an der entsprechenden Strafnorm ausrichten, was auch von anderer Seite en passant als empirisch zutreffend bestätigt wird: „Typischerweise“271, „in der Regel272“, „in den meisten Fällen273“ sei ein

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Bruns, GA 1986, 1 ff. (27). Zwar heißt es z. B. bei Stöckel, S. 28 und Benecke, S. 162, erst das Vorliegen der subjektiven Umgehungselemente mache aus einem bloß tatbestandsvermeidenden Verhalten eine Gesetzesumgehung, doch ist es wiederum nicht möglich, bei diesen Bemerkungen trennscharf zwischen einem analytisch gemeinten und einem rechtsfolgenorientierten Umgehungsbegriff zu unterscheiden. 271 Nippoldt, S. 23. 272 Benecke, S. 157. 273 Teichmann, S. 70. 270

III. Zusammenfassung und Ausblick

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Umgehungsvorsatz gegeben.274 Die dem „beschreibenden“ Umgehungsterminus überwiegend unterstellte subjektive Komponente zeigt sich auch an den meisten, vorgeblich objektiven Definitionen der Gesetzesumgehung. So heißt es etwa, im Fall der Gesetzesumgehung sei der Täter straflos, weil er es „verstanden hat“ die Norm zu vermeiden.275 An anderer Stelle wird die Gesetzesumgehung als ein Verhalten umschrieben, dass darauf „abzielt“, eine Norm zu vermeiden276, andere wiederum fassen sie auf als die „Zweckvereitelung durch Ausbeutung der Tatbestandsgrenzen“277, prägend soll zudem sein, dass die Täter Gestaltungen „ausnutzen“278, nach anderer Formulierung ist die Gesetzesumgehung wiederum der „Versuch“ des zweckwidrigen Normgebrauchs279. Gleich vierfach subjektiviert präsentiert Bruns die Gesetzesumgehung, denn sie zeichnet sich seiner Ansicht dadurch aus, dass „besonders geschickte“ Straftäter mit Erfolg „versuchen“, die Gesetzeslücken zu ihren Gunsten „auszunutzen“, indem sie „gezielt“ tatbestandsähnliche Handlungen vornehmen.280 Auch ist ein rein objektives Verständnis der häufig genannten „Umgehungsstrategien“281 kaum denkbar.282 Ferner wurde schon von verschiedener Seite283 und hier284 auf die subjektive Einfärbung und Funktion des Künstlichkeitsbegriffs aufmerksam gemacht. Und schließlich weisen bereits die Worte „Umgehung“, „Erschleichung“ sowie das vermeintlich neutralere „Vermeidung“ nach dem natürlichen Sprachgebrauch auf ein planvolles Vorgehen hin. Der Streit um die rechtsfolgenbezogene Relevanz der Umgehungsabsicht gestaltet sich recht unübersichtlich. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass selten eine Aufklärung über die zugrunde gelegte Vorsatzintensität und insbesondere über den Gegenstand der subjektiven Elemente erfolgt. Zum Teil wird von den Befürwortern 274 Ähnlich Bruns, GA 1986, 1 ff. (4, 32), für den Gesetzesumgehungen „final ausgerichtete Tätigkeiten“ sind; auch Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (157) setzt in der Rechtwirklichkeit voraus, dass Umgehungstäter den Umgehungserfolg anstreben; für Reisner ist die „illegale Gesetzesumgehung“ stets durch „Missbrauchsabsicht“ gekennzeichnet, was allerdings dazu führt, dass ihre hier bereits für den objektiven Zusammenhang kritisierte Verwendung des Rechtsmissbrauchsbegriffs (siehe D. III. 5.) auch die subjektive Konkretisierung des Umgehungsterminus verdunkelt. 275 Stöckel, S. 13. 276 Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 1. 277 Nippoldt, S. 23. 278 v. Burchard, S. 158; Reisner, S. 5. 279 Pohl, Rn. 44. 280 Bruns, GA 1986, 1 ff. (31). 281 Vgl. z. B. Sieker, S. 4, 46, 53 f., 57, 215. 282 So heißt es im Duden, Fremdwörterbuch, zur „Strategie“: Genauer Plan des eigenen Vorgehens, der dazu dient, ein militärisches, politisches, psychologisches o. ä. Ziel zu erreichen und in dem man diejenigen Faktoren, die in die eigene Aktion hineinspielen könnten, von vornherein einzukalkulieren versucht. 283 Vgl. v. Burchard, S. 159; Stöckel, S. 23 m. Fn. 81, S. 16; Westerhoff, S. 164 ff.; Benecke, S. 145. 284 D. III. 4.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

subjektiver Umgehungselemente „Umgehungsabsicht“ vorausgesetzt, die allerdings nur zum Teil als Absicht im technischen Sinne285 und zum Teil als direkter Vorsatz286 verstanden wird; nach anderer Ansicht wird eine „Missbrauchsabsicht“287, ein „Umgehungszweck“288 bzw. bloßes „Wissen und Wollen der objektiv erforderlichen Merkmale“289 für erforderlich gehalten.290 Als Gegenstand der Umgehungsabsicht oder ähnlicher Vorsatzformen wird überwiegend nur „das Gesetz“ bezeichnet, allein Tiedemann, Vogel und Benecke werfen die Frage auf, ob sich die Absicht des Täters auf die Zweckwidrigkeit oder vielmehr auf den Umgehungserfolg an sich beziehen muss. Vogel und Benecke entscheiden sich für letzteres,291 Tiedemann292 hingegen für dolus directus 2. Grades hinsichtlich beider Bezugspunkte.293 Bisweilen wird die Aussagekraft der einzelnen Erörterungen zu den subjektiven Umgehungselementen dadurch zusätzlich begrenzt, dass sich die Ausführungen entweder nur auf einzelne Deliktsgruppen beziehen oder dies jedenfalls in Hinblick auf den jeweiligen Untersuchungskontext nahe liegt.294 Das Für und Wider rechtsfolgenbezogener subjektiver Umgehungselemente wird mit den folgenden Argumenten ausgetragen: Gegen subjektive Voraussetzungen gleich welcher Form wird zumeist angeführt, die Erfassung von Gesetzesumgehungen sei letztlich eine allein nach objektiven Maßstäben zu entscheidende Rechtsfrage, so dass böse oder üble Gesinnungen nicht ausschlaggebend sein könnten.295 Anderenfalls unterwerfe man gleich gewollte Sachverhalte unter285

Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (172); wohl auch Westerhoff, S. 141 ff. Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 339; v. Burchard, S. 178 287 Reisner, S. 12. 288 Benecke, S. 157 ff. 289 Stöckel, S. 27; auch Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (173) lässt in Bezug auf die Zweckwidrigkeit der Umgehungshandlung dolus eventualis genügen. 290 Noch zurückhaltender Bruns, GA 1986, 1 ff. (4) mit seiner Einschätzung, Gesetzesumgehungen seien „final ausgerichtete Tätigkeiten“. 291 Benecke, aaO.; Vogel, aaO. 292 LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 97. 293 Der Vorsatzgegenstand der Umgehung ergibt sich bei Stöckel immerhin mittelbar aus dem von ihm aufgestellten Erfordernis, der Täter müsse mit Wissen und Wollen hinsichtlich der objektiv erforderlichen Merkmale handeln. Der Täter muss unter Zugrundelegung der von Stöckel vertretenen objektiven Umgehungsmerkmale demnach Kenntnis davon haben, dass er einen Tatbestand vermeidet und überdies erkennen, dass er dies auf künstliche Art und Weise tut. Worin das voluntative Vorsatzelement für Umgehungshandlungen bestehen soll, bleibt indessen unerläutert. 294 Einen uneingeschränkten Anspruch auf Allgemeingültigkeit für das Strafrecht kann wohl nur der Arbeit von Stöckel beigemessen werden, da sich die übrigen Beiträge den subjektiven Umgehungselementen in Hinblick auf das Steuerstrafrecht, das Subventionsstrafrecht oder das Außenwirtschaftsrecht zuwenden. Allesamt grundsätzlicher Art sind dagegen die genannten zivilrechtlichen Untersuchungen. 295 Nippoldt, S. 25 ff. (jedenfalls bezogen auf das Erfordernis der Umgehungsabsicht); Teichmann, S. 67 ff.; Sieker, S. 40 ff. 286

III. Zusammenfassung und Ausblick

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schiedlichen Rechtsfolgen, sofern eine Person zufällig zuvor die entsprechenden Rechtskenntnisse erlangt habe.296 Auch unter den Befürwortern subjektiver Umgehungselemente wird von mancher Seite jedenfalls die Umgehungsabsicht abgelehnt, die Begründungen erfolgen wiederum uneinheitlich: So spielen für Stöckel Beweisschwierigkeiten ebenso eine Rolle wie die Tatsache, dass eine eigenständige „Umgehungsabsicht“ neben dem seinerseits befürworteten Inhalt des Umgehungsvorsatzes überflüssig sein soll.297 Benecke hingegen führt ins Feld, dass das Motiv für Gesetzesumgehungen selten die zielgerichtete Zweckverletzung einer Norm, sondern vielmehr die Erreichung des angestrebten Umgehungserfolgs sei.298 Die für die Anerkennung subjektiver Elemente vorgebrachten Argumente richten sich zum Teil nach den Eigenarten des jeweils betroffenen Rechtsgebiets: Im Strafrecht sei ein Umgehungsvorsatz, so ein vorgetragenes Argument, als allgemeine Strafbarkeitsvoraussetzung im Sinne von § 15 StGB wie der Vorsatz sonst auch unverzichtbar.299 Anders argumentiert Tiedemann für das Erfordernis direkten Umgehungsvorsatzes: erst sein Vorliegen und sein Nachweis könne den mit der Anerkennung tatbestandlicher Grenzen zum Ausdruck kommenden Eigenwert der Rechtssicherheit aufwiegen.300 Überdies ist die Umgehungsabsicht für Tiedemann ein wichtiges Indiz zur Abgrenzung von Schein- und Umgehungsgeschäften.301 Für die Befürworter subjektiver Umgehungselemente im Zivilrecht kommt der Umgehungsabsicht bzw. dem Umgehungszweck als Abwägungsfaktor für die Analogiebildung oder die „Eingriffsschwelle“ eine wesentliche, nie aber eine allein entscheidende Bedeutung zu. Das subjektive Element dient danach insbesondere dazu, die objektive Schutzwürdigkeit des Gesetzesumgehers festzulegen.302 Während also die Gegner subjektiver Umgehungselemente deren Befürworter des gleichheitswidrigen Gesinnungs(straf)rechts zeihen, halten letztere es für ein nachgerade rechtsstaatliches Erfordernis, nur die vorsätzliche, zum Teil sogar nur die absichtliche Umgehungshandlung den Rechtsfolgen der umgangenen Norm zu unterwerfen. 8. Die (rechtspolitische) Bewertung der Gesetzesumgehung Bis hierher wurde es unternommen, die rechtsethische bzw. rechtspolitische Bewertung des gesetzesumgehenden Verhaltens so weit wie möglich auszusparen, um die nüchterne rechtliche Betrachtung von Umgehungshandlungen nicht von 296 297 298 299 300 301 302

Teichmann, aaO. Stöckel, S. 26 ff. Benecke, S. 157. Stöckel, S. 15; Pohl Rn. 747. Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 339. LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 107. Westerhoff, S. 141 ff.; Benecke, S. 162 f.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

vornherein durch ein rechtspolitisches Programm jedweder Art zu verzerren. Es kann indessen kein Zweifel daran bestehen, dass die Gesetzesumgehung von wenigen Ausnahmen abgesehen als etwas Unerwünschtes und Entgegnungswürdiges angesehen wird. Bereits die Wortwahl der Begriffe „Umgehung“ und „Erschleichung“, die wegen ihrer bisher allgemeinen Verwendung und der Unzweckmäßigkeit verwirrender Wortneuschöpfungen auch für diese Arbeit getroffen wurde, weist nicht nur auf eine unterstellte Finalität des beschriebenen Verhaltens hin, sondern beinhaltet gegenüber den neutraleren Formulierungen der „Vermeidung“ oder „Erlangung“ bereits ein pejoratives Präjudiz.303 Hingegen hat die „Umgehung“ diesen negativen Beiklang in anderen Zusammenhängen nicht, die Umgehung im Sinne eines militärischen Vorhabens (etwa die „Umgehung“ der gegnerischen Flanke) oder die „Umgehung“ einer Ortschaft beim Straßenbau etwa sind nicht abwertend gemeint. Im Unterschied zu diesen beiden außerrechtlichen Beispielen rührt der abwertende Beiklang der „Umgehung“ im juristischen Sinne wohl davon her, dass es als pflichtgemäß oder wenigstens „normal“ betrachtet wird, den jeweiligen Normbereich einzuhalten.304 Die negative Bewertung von Umgehungshandlungen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum bleibt natürlich nicht bei dieser Begründung stehen, doch wird auch in der einhellig getroffenen Umschreibung der Umgehung als normzweckwidrigem Verhalten häufig bereits der latente Vorwurf des Normungehorsams enthalten sein, zumal diese Umschreibung – wie bereits ausgeführt – oftmals mit der Feststellung eines Verwandtschaftsverhältnis zum (eindeutig pejorativen) Rechtsmissbrauchsbegriff einhergeht305 und die Gesetzesumgehung – bewusst oder unbewusst – als typischerweise vorsätzliches Verhalten „geschickter“ oder „gerissener“ Handlungssubjekte hingestellt wird. Diese rechtspolitische Einstellung zu Umgehungshandlungen wird indessen nur von wenigen deutlich kenntlich gemacht.306 Eine ausführliche Begründung dafür, 303

So auch Stöckel, S. 36, Teichmann, S. 105 f.; Westerhoff, S. 7. So wird die Umgehung im juristischen Sinne bei Mackensen, S. 1088, als „Nichtbeachtung, Nichtbefolgung“ definiert; auch Wahrig, S. 3682 versteht „umgehen“ u. a. als „nicht einhalten, ohne sich strafbar zu machen“. 305 Für die latente Abwertung des Umgehungsverhaltens spricht nämlich, dass nur wenige den Rechtsmissbrauchsbegriff zurückweisen, weil er ein diffuses Werturteil über den Rechtsunterworfenen beinhaltet (vgl. aber Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (165), Teichmann, S. 105 f.), sondern dies deshalb tun, weil er jenseits der auch auf anderem Wege erlangbaren Erkenntnis, dass die Gesetzesumgehung eine Normweckverletzung beinhalte, nichts Brauchbares beizusteuern habe. 306 Stöckel, S. 37 meint, es sei so überdeutlich, dass Gesetzesumgehungen aus kriminalpolitischer Sicht unerwünscht sind, dass es hierfür kaum einer Begründung bedürfe. Für Nippoldt (S. 29) besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass die Gesetzesumgehung unerwünscht und daher zu bekämpfen ist. Auch Reisner, die die „legale“ von der missbräuchlichen und daher „illegalen“ Gesetzesumgehung unterscheidet (S. 5), fordert, dass die illegalen Umgehungsfälle bekämpft werden (S. 14). Für Westerhoff, S. 7 ist der Begriff Umgehung nur dann angebracht, wenn die fragliche Handlung verurteilt werden soll. Verhaltensweisen, die keine Unwertkennzeichnung verdienten, sollten eher mit dem technischen 304

III. Zusammenfassung und Ausblick

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dass es wünschenswert sei, im Strafrecht gegen Gesetzesumgehungen vorzugehen, ist bisher alleine von Stöckel entfaltet worden. Aus kriminalpolitischer Sicht wird dabei von ihm besonders deutlich (und kraftvoll) der Gedanke der positiven Generalprävention hervorgehoben: Es sei ein Verlust des Normvertrauens bei den gesetzestreuen Bürgern zu befürchten, wenn verwegene und phantasiebegabte Täter straflos blieben; die gemeinschaftsschützende Ordnung geriete in Gefahr, ihr Gesicht zu verlieren, es drohe die „Bankerott-Erklärung der Rechtspflege“.307 Systematische Gesetzesumgehung könne für die Strafrechtsordnung bei fehlenden Gegenreaktionen mithin eine „notstandsähnliche Lage“ begründen, Umgehungsbekämpfung sei für die Geltungskraft des Strafgesetzes daher ein „Gebot der Selbsterhaltung“308. Umgekehrt bestünde kein Anlass, den gerissenen und skrupellosen Berufsverbrecher, die „Schlauheit des Asozialen“ zu belohnen und ihn durch seine Straflosigkeit noch zusätzlich zu motivieren.309 Die für Stöckel feststehende ethische Missbilligung von Gesetzesumgehungen gerade im Strafrecht310 wird von ihm sogleich gegen den antizipierten Vorwurf der „Moralisierung des Rechts“ in Schutz genommen. Es sei unzutreffend, den Gedanken der Umgehungsbekämpfung als Rückgriff auf die Sittenwidrigkeit für das Strafrecht von vornherein abzulehnen, denn in seiner Wurzel ginge das Strafrecht ebenso wie der Dekalog auf eine Ordnung zurück, die selbst primär sittlicher Natur sei.311 Schließlich streite auch der Aspekt der Strafgleichheit und der sozialen Gerechtigkeit für die Umgehungsbekämpfung, weil der Begüterte ansonsten die lückenhafte Rechtsordnung durch den Einsatz erheblicher Kosten und Mittel für seine eigentlich mit Strafe bedrohten Ziele ausnutzen könnte, während dem weniger Begüterten zum gleichen Ziel nur der direkte Normverstoß bliebe.312

Begriff „Tatbestandsvermeidung“ versehen werden. Auch bei dem Begriff der Erschleichung komme ein Unwerturteil zum Ausdruck, bei „benutzen“ oder „erstreben“ indessen nicht. Dem Rechtsgefühl zufolge geschehe es dem Umgehenden ganz recht, dass sein Verhalten erfasst werde; dieser Strafgedanke sei in Einzelfällen praktisch nicht auszuschalten (S. 150). 307 Stöckel, S. 30, 39. 308 Stöckel, S. 40, 41, 43; ähnlich Bruns, GA 1986, 1 ff. (31), wonach der Staat nicht tatenlos zusehen dürfe, wenn seine Gesetze durch Umgehungsverhalten unterlaufen würden. Dieses Argument ist Stöckel zufolge auch aus rechtstheoretischer Sicht für die Umgehungsbekämpfung ins Felde zu führen, denn wenn auch nur einzelne Normen vereitelt werden dürften, so werde die Autorität der Rechtsordnung aufs Spiel gesetzt. Die besonders „heimtückische Kraft“ der Gesetzesumgehung liege darin, dass sie das Gesetz übertritt, ohne ihm förmlich den Gehorsam aufzukündigen (S. 44 f.). 309 Stöckel, S. 40. 310 Der „Unwert“ der Gesetzesumgehung geht nach Ansicht von Stöckel indessen noch über ihre ethische Missbilligung in der Gesellschaft hinaus, denn sie benutze das formelle Recht als Mittel, um materiell Unrecht zu begehen (S. 46). 311 Stöckel, S. 44. 312 Stöckel, S. 46 f.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Neben der bereits angesprochenen Tatsache, dass die Gesetzesumgehung überwiegend als ein vorsätzliches, dem Rechtsmissbrauch nahestehendes Verhalten eingeschätzt wird, ergibt sich der abwertende Standpunkt des überwiegenden, aber gegenüber Stöckel weniger drastisch formulierenden Schrifttums aus der Verwendung eines tendenziösen, vielleicht sogar „aggressiven“313 Vokabulars. Dies betrifft jedenfalls Formulierungen, wonach die „Bekämpfung“314 der Umgehungshandlungen mit Hilfe des juristischen „Arsenals“315 geboten sei; Hensel hat dieses martialische Sinnbild auf die Spitze getrieben.316 Doch auch, wenn die „Lösung“ der Umgehungsproblematik einseitig in ihrer Erfassung gesehen wird317 und dabei auf die Schwierigkeit hingewiesen wird, die Gesetzesumgehung von der „legalen“ Vermeidung des Normanwendungsbereichs zu trennen318, ist wohl eine negative Vorwertung im Spiel. Die Ermahnung, das Problem der Gesetzesumgehung gerade (vor)wertungsneutral anzugehen und zu bewältigen, ist demgegenüber selten vorzufinden.319 Die Forderung Teichmanns, auf den Begriff der Umgehung seiner tendenziösen Deutung wegen ganz zu verzichten, hat bisher keine Fürsprecher gefunden. Sein Ansinnen erklärt sich wohl vor allem daraus, dass Teichmann seiner ganzen Grundkonzeption nach in Gesetzesumgehungen keine Zweckverletzungen, sondern allein die notwendigen Lücken einer kodifizierten Zivilrechtsordnung zu erblicken vermag, die zu schließen die Forderung der Gesellschaft an ein funktionierendes Bürgerliches Recht an sich, jedoch nicht eines konkreten Norm-Telos ist.320 So weit geht Benecke, die die Möglichkeit der Normzielverletzung auch bei fehlender Subsumierbarkeit des Verhaltens unter die fragliche Norm im Gegensatz zu Teichmann durchaus kennt, nicht. Wenn sie die einseitige Fokussierung auf die „Bekämpfung“ der Gesetzesumgehung rügt321, dann deshalb, weil ihr daran gelegen ist, die rechtliche Lösung der Umgehungsproblematik präjudizienfrei zu halten. Es 313

So die Einschätzung Beneckes, S. 374. Wortwahl bei Stöckel, aaO.; Pohl, Rn. 68; Reisner, aaO.; Nippoldt, aaO.; Siekers Habilitationsschrift „Umgehungsgeschäfte“ trägt bereits den Untertitel „typische Strukturen und Mechanismen ihrer Bekämpfung“. 315 Pohl, aaO. 316 „[…] so unterschätzt der Umgeher, dessen Versuch durch erweiternde Auslegung abgeschlagen wird, die Wachsamkeit des Feindes; der zu umgehende Feind hat seine Posten und Wachen viel weiter im Gelände verteilt, als der Umgeher vermutet, und die unerwartet auftauchenden feindlichen Truppen sind imstande, den Angriff abzuschlagen.“; Hensel, Zitelmann-FS, S. 217 ff. (238). 317 So Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 140; v. Burchard, S. 171. 318 Vgl. Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 1; ähnlich Reisner, aaO. 319 Teichmann, S. 105 f.; Benecke, S. 374; als vollkommen wertungsneutral ist für das Strafrecht allein die Untersuchung von Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. einzuschätzen. 320 Vgl. zu Teichmanns Verständnis der Bindung des Normsinns an die Auslegungsgrenzen D. II. 1. 321 Benecke, aaO. 314

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

243

dürfe nicht übersehen werden, dass es sich bei der [erfolgreichen] Gesetzesumgehung um ein grundsätzlich nicht verbotenes Verhalten handele. Die umgehungsspezifische Wertung ergebe sich vielmehr erst aus der interessengerechten Abwägung des starken Interesses an einer dem Einzelfall gerecht werdenden Lösung einerseits und den Interessen an einer kontinuierlichen, willkürfreien Rechtsanwendung andererseits.322 Durchgängig undurchsichtig bei der Bewertung der Gesetzesumgehung bleibt im Übrigen, ob es der Umgehungserfolg, das Umgehen im Sinne einer strafvermeidenden Handlung selbst oder aber beides ist, welches den Gegenstand eines abwertenden Urteils bildet. Insgesamt kann jedenfalls für das Strafrecht festgehalten werden, dass die Sympathien dem „besonders geschickten“323 „gerissenen“324 und „raffinierten“325 Gesetzesumgeher – wenn überhaupt – nur in der Art gehören, wie sie auch dem Hauptmann aus Köpenick, den Postzugräubern aus England oder dem Kaufhauserpresser „Dagobert“ zuteil geworden sind. Wie auch für diese berühmt gewordenen Kriminalfälle ändert die partiell geäußerte Anerkennung der täterseitigen Findigkeit nichts daran, dass das Verhalten überwiegend für strafwürdig bzw. „bekämpfungswürdig“ gehalten wird. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass sich das Recht Weber zufolge als Wertmaßstab nur dann verstehen lässt, wenn der Inhalt von Rechtssätzen gerade nicht als empirischer, sondern als ideell gültiger gedacht wird. Die erfolgreiche Gesetzesumgehung bedeutet danach für die (Straf-)Rechtsdogmatik nicht allein den evidenten Ausfall des Rechts als eines faktisch wirksamen Bestimmungsgrundes, sondern die Nichtbefolgung von Rechtsregeln, die als gelten sollend gedacht werden können.326

IV. Entwicklung eigener Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs Nachfolgend werden nun die eigenen Vorstellungen vom Wesen der Gesetzesumgehung im Strafrecht dargelegt. Hierfür werden sowohl die bisherigen eigenen Erkenntnisse aus den anfangs niedergelegten Sachverhaltsstudien als auch der Ertrag der Untersuchungen zu den bis dato entwickelten Begriffsbildungen im strafrechtlichen und sonstigen Schrifttum herangezogen.

322

Benecke, aaO. Bruns, GA 1986, 1 ff. (31). 324 Stöckel, S. 39. 325 Roxin, AT I, § 5 Rn. 3. 326 Zum soziologischen und juristischen Rechtsbegriff Webers vgl. Loos, Wert- und Rechtslehre, S. 93 ff. und insbesondere die hier zitierten S. 108 f. 323

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

1. Mögliche Zwecke einer Umgehungsdefinition Vor allen anderen Fragen ist zu entscheiden, welches Ziel mit der Ermittlung eines möglichst präzisen Umgehungsbegriffs verfolgt wird. Nach den bisherigen Stellungnahmen scheinen zwei Stoßrichtungen voneinander unterscheidbar zu sein. Die eine Zielsetzung besteht darin, sich der Gesetzesumgehung allein deskriptiv anzunähern und möglichst präzise zu ermitteln, was sie von anderen Sachverhalten, in denen eine Norm nicht zur Anwendung kommen kann bzw. entgegen dem Rechtsgefühl angewendet werden muss, unterscheidet. Die Alternative wäre, den Begriff der Gesetzesumgehung zugleich als ein „Rechtsinstitut“ zu begreifen327 oder zu dem zentralen Tatbestandsmerkmal einer entweder generellen oder bereichsspezifischen oder auf eine Einzelnorm bezogenen strafrechtlichen Umgehungsklausel bzw. einer außerstrafrechtlichen Vorschrift zu machen, auf die das Strafgesetz Bezug nimmt328. Der Umgehungsterminus hat dann nicht nur die Aufgabe, ein spezielles Rechtsanwendungsproblem zu kennzeichnen, sondern ist zugleich eine wesentliche Komponente für die Lösung dieses Problems, indem er als Merkmal eines Rechtsinstituts bzw. eines Tatbestandes fungiert, die beide zur Erfassung des in Bezug genommenen Verhaltens dienen sollen. Fraglich ist indessen, ob die Verwendung des Umgehungsbegriffs im Sinne der zweiten Möglichkeit von der Verpflichtung entbinden kann, das in Bezug genommene Verhalten im Sinne des ersten, deskriptiven Erkenntnisinteresses trennscharf zu definieren. Dies ist keineswegs der Fall, vielmehr ist das Gegenteil richtig: Wird ein so diffuser Terminus wie „Gesetzesumgehung“ bzw. „Gesetzeserschleichung“ zum Anknüpfungspunkt von Rechtsfolgen, insbesondere strafrechtlicher Rechtsfolgen, erklärt, so besteht die Verpflichtung, bereits diesseits der beachtlichen von Art. 103 II GG aufgestellten Hürden Rechenschaft darüber abzulegen, wie aus einer judiz-betonten Sachverhaltseinschätzung ein handhabbarer, willkürferner Rechtssatz wird, der über eine Einladung zu der von persönlichen rechtspolitischen Überzeugungen geprägten Dezision hinausgeht. Erst die präzise Umschreibung der Gesetzesumgehung kann zudem die Frage klären, ob mit dem „Rechtsinstitut Gesetzesumgehung“ gegenüber der teleologischen Auslegung, der zur Analogie entwickelten Methodologie oder der Prüfung einer „Eingriffsschwelle“ im Sinne Schurigs und Beneckes überhaupt ein Rechtssicherheitsvorteil erreicht werden kann. De lege lata kommt diesem wertvollen rechtsanwendungsbezogenen Nutzen einer Begriffsklärung indessen deshalb wenig Gewicht zu, weil der Gesetzgeber in Vorschriften, denen hier bereits in Hinblick auf ihre Eigenschaft als Umgehungs- bzw. 327 Wie ein solches Gesetzesinstitut „Gesetzesumgehung“ im Strafrechtssystem ausgestaltet sein könnte, zeigt der Vorschlag von Stöckel, S. 51: „Wer den Tatbestand eines Strafgesetzes künstlich durch eine Handlung vermeidet, die gegen den Sinn dieses Gesetzes verstößt, (,tatbestandliche‘ Voraussetzung), wird behandelt, als hätte er den Tatbestand erfüllt. (Rechtsfolge der Gesetzesumgehung)“. 328 Zu diesen Möglichkeiten vgl. Stöckel, S. 130 ff.; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (169 ff.).

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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Erschleichungsklauseln nachgegangen wurde, selten den entsprechenden Begriff verwendet329 oder ihm zumindest andere Merkmale zur Seite stellt330. Gleichwohl kann die abstrakte Erhellung des Ausdrucks „Gesetzesumgehung“ immerhin dazu dienen, sich vor Augen zu führen, ob die Einordnung einer bestimmten Vorschrift als Umgehungsklausel gerechtfertigt ist. Dies gilt gleichermaßen für das Urteil über die verschiedenen, in dieser Arbeit bereits in Hinblick auf ihren „Umgehungscharakter“ untersuchten Sachverhalte im Allgemeinen und Besonderen Teil des Strafrechts, auf die (bisher) nicht mit einer besonderen Vorschrift reagiert worden ist. Da die Charakterisierung eines Vorgehens als Gesetzesumgehung überwiegend zugleich das Argument für die „Bekämpfung“ dieses Verhaltens bildet, erscheint es gerade angesichts der kriminalpolitischen Provenienz dieser Aufforderung zur extensiven Auslegung und Gesetzesneuschöpfung geboten, diesen wertungsbeladenen Begriff – wenn überhaupt – nur dann zum Leitmotiv der Auslegung und etwaiger Gesetzgebungstätigkeiten zu machen, wenn sein Inhalt verlässlich bestimmbar ist. Mithin ist die Verständigung über den deskriptiven Umgehungsbegriff stets auch dann geboten, wenn dieser Terminus zum Anknüpfungspunkt von Rechtsfolgen wird sowie immer dann, wenn „Gesetzesumgehung“ als Argument für die erweiternde Auslegung von Gesetzen oder die Ausformung neuer „Umgehungsstrafgesetze“331 herangezogen wird. Schließlich soll das erreichte Verständnis über einen beschreibenden Umgehungsbegriff auch wesentlich zu der Klärung der Frage beitragen, welche tatsächliche Bedeutung der Umgehungsproblematik für das Strafrecht beigemessen werden kann. 2. Die Gesetzesumgehung als Fall der zweckwidrigen Nichtanwendbarkeit einer Norm a) Die „teleologische Lücke“ als gemeinsames Fundament aller Umgehungsumschreibungen? Das Bestehen einer „teleologischen Lücke“ kann grundsätzlich als die Grundeigenschaft einer jeden Gesetzesumgehung bzw. Gesetzeserschleichung angesehen werden. Wenn das straflose Verhalten des Täters nicht die Zweckvereitelung oder wenigstens den Anschein dieser Gefahr hervorzurufen in der Lage ist, so ist ein kaum erwähnenswerter Normalfall der Rechtsgeltung gegeben: Eine Vorschrift findet dann nämlich für ein Verhalten keine Anwendung, auf das sie auch nicht anwendbar sein soll. Ebenso kann der Fall, in dem eine Person gerade entsprechend ihrem Sinn und 329 Die §§ 5 Nr. 9, 14 III, 145c, 291 I S. 2 StGB sowie § 4 II SubvG erwähnen die „Umgehung“ oder „Erschleichung“ nicht. 330 Vgl. § 42 AO, § 34 VII AWG, § 330d Nr. 5 StGB. Die in § 265a StGB und § 108b I Nr. 1 UrhG verwendeten Begriffe der „Umgehung“ bzw. „Erschleichung“ berühren die Thematik dieser Arbeit nicht, vgl. B. II. 15., 16. 331 Zu diesem Ausdruck vgl. Stöckel, S. 120.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Zweck von einer begünstigenden Norm betroffen wird bzw. sich betroffen „macht“, nicht als Problem der Rechtsgeltung angesehen werden. Der Täter erreicht nicht nur das von ihm, sondern gerade auch das von der Norm bezweckte. aa) Methodologische Bewertung der teleologischen Reduktion Gleichwohl kann die „teleologische Lücke“ aus zwei Gründen nicht als der kleinste gemeinsame Nenner der Diskussion um Umgehungshandlungen bezeichnet werden. Zum einen ist von neuem darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit einer teleologischen Lücke nur für Umgehungssachverhalte im engeren Sinne anerkannt ist; für die Erschleichung begünstigender Tatbestände hingegen geht die herrschende Meinung nach wie vor von der Möglichkeit der wortlautkonformen teleologischen Reduktion aus. Dann aber ist eine teleologische Lücke nicht gegeben, weil nie die Gefahr bestand, dass der (zu weit geratene) Wortlaut der Begünstigungsnorm und die eigentlich gewollten Begünstigungstatbestände auseinanderfallen könnten. Nur eine Minderheitsansicht geht dagegen davon aus, dass auch die teleologische Reduktion an die Auslegungsgrenzen gebunden ist und Eingriffe in den Begriffskern der Tatbestandsmerkmale eine „Gegenanalogie“ darstellen.332 Es muss überraschen, dass die letztere Auffassung nicht mehr Anhänger gefunden hat, denn der mögliche rechtsfortbildende Charakter der teleologischen Reduktion findet ja durchaus Anklang in der allgemein anerkannten Formulierung, die „einengende Auslegung“ von Normen sei an die Voraussetzung gebunden, dass eine „verdeckte Lücke“ gegeben sei.333 Für den Zusammenhang dieser Untersuchung ist jedenfalls in Anerkennung der Lehre von der „Gegenanalogie“ festzuhalten, dass nur diejenigen Sachverhalte die Bezeichnung „Erschleichung“ verdienen, für die das Ziel der Begünstigungsverweigerung deshalb zumindest in Zweifel stand, weil sie nur durch die teleologische Reduktion extra legem erreichbar schien. Nur dann ist das für die Umgehungsproblematik charakteristische Normgeltungsproblem für die Erschleichungssachverhalte gegeben. bb) Gesetzesumgehung als Lücke der Norm oder der Rechtsordnung? Zum anderen ist die abweichende Auffassung Teichmanns zu vergegenwärtigen, derzufolge die Gesetzesumgehung gerade nicht als Lücke zwischen Wortlaut und Normsinn angesehen werden kann. Das Vorhandensein von Gesetzeslücken beruht für ihn vielmehr auf der Erkenntnis, „daß die Rechtsordnung wegen des Verbots der richterlichen Rechtsverweigerung notwendigerweise geschlossen und umfassend sein muß, während die Gesamtheit der einzelnen Normen […] nicht jeden konkreten 332 333

Siehe D. III. 3. Vgl. Larenz/Canaris, S. 210 ff.

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

247

Fall […] erfassen kann“334. Gesetzeslücken ergeben sich damit nicht aus dem gegenüber dem Wortlaut „überschießenden“ Zielprogramm einzelner Normen, sondern aus dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch335 und seinen materiellrechtlichen Auswirkungen auf das notwendigerweise unvollkommene positive Recht. Nach diesem Verständnis von Gesetzeslücken aber gibt es keine Gesetzesumgehung im Strafrecht. Eine Pflicht zur Regelung strafwürdiger Sachverhalte besteht für das Strafrecht aufgrund seines grundsätzlich „fragmentarischen Charakters“336 nur begrenzt; die einzig positivierte, vom Verfassungsrecht in Form des „Untermaßverbots“ vorgegebene Regelungspflicht trifft überdies hauptsächlich den Gesetzgeber337. Die Strafgerichte sind dieser Aufgabe wegen des Art. 103 II GG festgelegten Analogieverbots jedenfalls in malam partem enthoben. Zudem ist es dem Gesetzgeber durch das Bestimmtheitsgebot untersagt, Straftatbestände von derartiger Unverbindlichkeit zu schaffen, dass sie es dem Richter ermöglichen, jedes von ihm für strafwürdig erachtete Verhalten zu pönalisieren. Es zeigt sich letztlich, dass die von Teichmann vorausgesetzten Verpflichtungen und Grenzen der richterlichen Rechtsanwendung (entsprechend dem Gesamtanliegen seiner Arbeit) einzig auf das Zivilrecht zugeschnitten sind. Das staatliche Gewaltmonopol in zivilrechtlichen Fragen lässt sich sicherlich nur rechtfertigen, wenn es in rechtsfriedenssichernder Weise für jede bürgerlich-rechtliche Streitigkeit einen interessengerechten Ausgleich offerieren kann.338 Rechtliche Meinungsverschiedenheiten unter Privatleuten sind indessen unabhängig von jeder Rechtsordnung in der Welt, das Verbrechen im juristischen Sinne aber existiert in einem Rechtsstaat nur dann, wenn es zu einem solchen erklärt wird. Allein über den staatlichen Strafanspruch diese festgeschriebenen Verbrechen betreffend haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen; über einen sonstigen Interessenausgleich zwischen Täter und Opfer hat die Strafjustiz jedenfalls als notwendige Hauptaufgabe (derzeit) nicht zu entscheiden. Teichmann ist daher nicht zu folgen. Ohnehin ist nicht einsichtig, weshalb sich Teichmann der teleologischen Auslegung einer Norm jenseits ihrer Wortlautgrenzen in Gänze verschließt. Selbst wenn man ihm mit Benecke insoweit zustimmt, dass Sinn und Geltungsbereich der umgangenen Norm ein und dasselbe sind, so ist dadurch nicht ausgeschlossen, dass jedenfalls das Ziel des Gesetzes über seinen Geltungsbereich hinausgehen kann: 334

Teichmann, S. 79. Siehe hierzu BVerfGE 54, 277 (291); 88, 118 (124); 107, 395 (401, 406 ff.); DreierSchulze-Fielitz, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 211; Pieroth/Schlink, Rn. 1006, 1009. 336 Vgl. statt vieler Jescheck/Weigend, § 7 II. 1.; dies gilt unabhängig davon, ob man mit dem fragmentarischen Charakter des Strafrechts eine normative Vorgabe anspricht oder nur auf ein empirisches Faktum hinweist; siehe zu dieser Frage Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 63 b m. w. N. 337 Zum Untermaßverbot siehe B. I. 1. c) sowie unten E. II. 2. a) bb) (3). 338 Zu der rechtsfriedenssichernden Funktion des Zivilrechts und des Zivilprozesses vgl. Lüke, Rn. 351. 335

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

„Das Ziel des Gesetzes ist ebenfalls mit Methoden der Auslegung zu ermitteln, aber ohne deren Grenzen.“339 So ist für viele der bisher erörterten Umgehungssachverhalte jedenfalls die Zielvereitelung des Gesetzes deutlich auszumachen gewesen, etwa für die absichtliche actio libera in causa, die Subventionserschleichung, den rechtswidrigen Rüstungsexport oder die Verschleierung von Sacheinlagen. b) Inhaltliche Kriterien für die Bestimmung einer „teleologischen Lücke“ aa) Die Kritik Westerhoffs an der Lückenterminologie Die Standpunkte Teichmanns sind immerhin Grund genug, den Begriff der „teleologischen Lücke“ kritisch zu hinterfragen. Dabei muss allerdings Westerhoffs Beanstandung der „Lückenterminologie“ für den Umgehungszusammenhang zurückgewiesen werden. Er erachtet diesen Begriff für unplatziert, weil in Umgehungskonstellationen gerade nicht der Eindruck entstehe, dass der Gesetzgeber den verwirklichten Sachverhalt nicht geregelt habe, sondern sich gerade umgekehrt die Notwendigkeit der „Lückenfüllung“ aus dem Sinn der ihrem Wortlaut nach vermiedenen Norm ergebe.340 Diese Kritik mag auf die allgemeine Verwendung des Lückenbegriffs auf Umgehungssachverhalte zutreffen, der hier verwendete Ausdruck der „teleologischen Lücke“341 aber berücksichtigt gerade die Erkenntnisse Westerhoffs und auch Beneckes342: In Umgehungssachverhalten bildet nicht die Gesetzeslücke den Ausgangspunkt der Falllösung, sondern die umgangene Norm und allein die in ihr enthaltene teleologische Lücke.343 bb) Das Fehlen von Kriterien zu der Umgrenzung des Begriffs der „teleologischen Lücke“ Wenn auch in Abweichung von Teichmann in dieser Untersuchung mit der sonst einhellig vertretenen Auffassung durchaus die Möglichkeit anerkannt wurde, aus der Normauslegung eine wortlautexterne Zielverletzung ableiten zu können, so mahnt seine in jeder Hinsicht der Wortlautgrenze verpflichtete Auslegungslehre doch immerhin dazu, das Bestehen einer „teleologischen Lücke“ gerade in Zusammenhang mit dem Umgehungsgedanken stets mit großer Sorgfalt zu ermitteln. Kennzeichnend für sämtliche zum Strafrecht untersuchten Stellungnahmen zum Umgehungsbegriff ist nämlich, dass zwar vollkommene Einigkeit darüber besteht, dass die Gesetzesumgehung eine Lücke zwischen Wortlaut und Telos der Norm voraussetzt, die Kriterien für die Ermittlung der Zweckverfehlung indessen zumeist im Dunkeln 339 340 341 342 343

Benecke, S. 91 ff., 109. Westerhoff, S. 92. Siehe bereits Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (162). Benecke, S. 164 ff. Benecke, S. 167.

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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bleiben. Die Benennung und Gewichtung dieser Kriterien sind jedoch entscheidend, um die erforderliche Ähnlichkeit zwischen geregeltem und nicht geregeltem Sachverhalt zu ermitteln und für Dritte nachprüfbar zu machen. Anderenfalls kann es bei der Umsetzung der „Lückentheorie“ in die Praxis schnell vorkommen, dass die wichtige Abgrenzung der „Gesetzeslücke“ gegenüber allein rechtspolitischen (also in diesem Zusammenhang: kriminalpolitischen) Wünschen und Vorstellungen unterschlagen wird.344 Ohne eine nähere Darlegung der Gründe dafür, dass eine Lücke anzunehmen sei, besteht sogar die Gefahr, dass die Bildung des Umgehungsbegriffs im Wege des Zirkelschlusses erfolgt: Die Gesetzesumgehung wird danach als „teleologische Lücke“ definiert und deren Existenz wiederum damit begründet, dass der Täter den Wortlaut der Norm (typischerweise vorsätzlich und in wenigstens rechtsmissbrauchsähnlicher Weise345) vermieden habe. Angesichts der überwiegend anzutreffenden rechtspolitischen und im Wege der eben skizzierten petito principii in den Umgehungsbegriff eingeführten Bewertung der Gesetzesumgehung346 wäre die „teleologischen Lücke“ als ausschließlich kriminalpolitischer Terminus anzusehen, der ohne eine wirkliche Lückenfeststellung auskommt. Nun wäre das Ergebnis dieser Untersuchung, dass der Ausdruck „Gesetzesumgehung“ ein allein rechtspolitischer sei, nicht notwendigerweise unhaltbar, doch wäre immerhin seine Verwendung in der strafrechtsdogmatischen Diskussion nicht mehr hinnehmbar, weil er jede verlässliche Anbindung an die geltende Strafrechtsordnung verloren hätte. Es ist daher notwendig zu ermitteln, ob mit der – jedenfalls dem ersten Anschein nach – straflosen Täterhandlung tatsächlich eine Zweck- bzw. Zielverletzung allein der jeweils in Frage stehenden Norm verbunden ist bzw. wäre. Zu Recht hat Benecke herausgestellt, dass die Erfassung von Gesetzesumgehungen gerade nicht mit der Analogiebildung gleichgesetzt werden kann, denn die teleologische Lücke ist allein von der umgangenen Norm her zu bestimmen, nicht von der Rechtsordnung als solcher.347 Um eine teleologische Lücke zu ermitteln, ist daher für jede Strafnorm individuell festzustellen, ob sie durch die jeweilige Handlungsmodalität in ihren Zwecken bzw. Zielen über ihren Wortlaut hinaus überhaupt verletzbar ist und worin die Zweckverletzung im Einzelnen steht.

344 345

4., 7. 346 347

Vgl. zu dieser Problematik Bydlinski, S. 473, Canaris, S. 73 ff. Zu diesen der Gesetzesumgehung typischerweise zugeordneten Attributen siehe D. III. Vgl. D. III. 8. Siehe dazu ausführlich D. II. 4.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

cc) Die „teleologische Lücke“ definierbar als Fall gleicher Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit? Für diese Auslegungsarbeit erscheint es zunächst reizvoll, sich die Ermittlung der „teleologischen Lücke“ für das Strafrecht dadurch zu erleichtern, dass auf zwei häufig genannte und vermeintlich besonders auf die Belange des Strafrechts zugeschnittene Wertungsmaßstäbe zurückgegriffen wird. Eine teleologische Lücke könnte demnach immer dann gegeben sein, wenn das tatbestandslose Verhalten des Täters die gleiche Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit aufweist wie die eindeutig der fraglichen Strafnorm unterfallenden Lebenssachverhalte. Mit der Verwendung dieser beiden Termini ist allerdings nur etwas Entscheidendes gewonnen, wenn ihnen ein greifbarerer Inhalt entnommen werden könnte als dem Umgehungsbegriff selbst. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zutreffend wird gerade die Strafwürdigkeit als „einigermaßen diffus[er]“348 und „etwas verschwommener, in vielfältigen Bedeutungen verwendeter“349 Begriff bezeichnet. Schon über ihre Funktion besteht Uneinigkeit: Während eine Minderheitsansicht der Strafwürdigkeit eine eigenständige Bedeutung im Deliktsaufbau neben den überkommenen Kategorien der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld beimisst350, bezeichnet sie für die herrschende Meinung nur den sachlichen Grund der bereits durch die drei herkömmlichen Kategorien hinreichend gekennzeichneten Strafbarkeit351. Auch ist umstritten, ob sich die Begriffe der Strafwürdigkeit einerseits und Strafbedürftigkeit andererseits überhaupt voneinander trennen lassen. Nach einer Anschauung soll dies durchaus möglich sein; die Strafwürdigkeit bezeichnet demnach das Wertungsmoment, die Strafbedürftigkeit das (kriminalpolitisch gemeinte) Zweckmoment des materiellen Verbrechensbegriffs.352 Nach anderer Ansicht hingegen ist die Trennung beider Begriffe nicht notwendig353 bzw. nicht möglich354. Die inhaltliche Bestimmung des „Strafwürdigen“, also die nähere Legitimation des Strafwürdigkeitsurteils, muss sich jedenfalls für die herrschende Meinung, der zufolge die Strafwürdigkeit keine eigenständige Kategorie des Verbrechensaufbaus bildet, aus dem Unrechtstatbestand und der Schuld ergeben. Bedeutungsvoll für die Erhebung eines sozialethisch missbilligenswerten Verhaltens zu strafwürdigem Unrecht soll dabei insbesondere der Rang des Rechtsguts in der „objektiven Wer348

Volk, ZStW 97 (1985), 871 ff. (872). Roxin, AT I, § 23 Rn. 34. 350 Sax, JZ 1976, 9 ff., 80 ff., 429 ff.; JZ 1977, 332 ff.; Schmidhäuser, Lehrbuch, 12. Kapitel, Rn. 1; Langer, S. 275 f., 327 ff., 360 ff. 351 Jescheck/Weigend, § 7 I. 1. a) mit Fn. 3; Roxin, AT I, § 23 Rn. Rn. 35 f.; Schönke/ Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 13 f.; Volk, ZStW 97 (1985), 871 ff. (898), Otto, Schröder-GS, S. 53 ff. (68, 70 f.). 352 Bloy, S. 243; Jescheck/Weigend, aaO.; im Grundsatz auch Otto, Schröder-GS, S. 53 ff. (57); ebenso wohl Alwart, S. 73. 353 Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, aaO.; Roxin, AT I § 23 Rn. 38; Altpeter, S. 38 ff. 354 Volk, ZStW 97 (1985), S. 871 ff. (897 ff.). 349

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teordnung“ des Grundgesetzes und die Schwere der Rechtsgutsverletzung sein, daneben aber auch die Art und Weise sowie die Gefährlichkeit des Angriffs und schließlich die vom Täter an den Tag gelegte Gesinnung.355 Je größer der Erfolgsunwert sei, desto geringer sollen die Anforderungen an den Handlungsunwert der Tat sein; umgekehrt gelte dasselbe.356 Der Strafwürdigkeitsbegriff und noch mehr eine eigenständige Strafwürdigkeitskategorie sind damit aus mehreren Gründen ungeeignet, aus sich selbst heraus das Ziel dieser Untersuchung, nämlich die Annährung an den Umgehungsbegriff, zu befördern: Das vornehmliche Hindernis ist darin zu sehen, dass bisher keine Einigkeit darüber erzielt werden konnte, ob der Begriff der Strafwürdigkeit auch die Ebene des kriminalpolitischen Arguments zu berücksichtigen hat oder dies einem gerade eigenständigen Strafbedürftigkeitsbegriff vorbehalten bleiben muss. Diese Schwierigkeit, die norminterne von der rechtspolitischen Bewertung zu scheiden, war jedoch gerade schon für den Umgehungsbegriff aufgetreten und hatte dazu veranlasst, den Strafwürdigkeitsterminus klärend heranzuziehen. Es hat sich aber inzwischen gezeigt, dass dieser Terminus mit ähnlichen Abgrenzungsschwierigkeiten behaftet ist. Überdies führt der Blick auf den Terminus „Strafwürdigkeit“ nicht weit, weil er seinerseits begründungsbedürftig ist. Der Strafbedürftigkeitsbegriff ist mithin als solcher zur Lösung von Legitimationsproblemen der Strafe unergiebig, denn der Satz, eine Handlung sei strafwürdig, weil ihretwegen bestraft werden sollte, enthält eine „reine Tautologie“.357 dd) Mittelbare Erträge aus der Erörterung des Strafwürdigkeitsund des Strafbedürftigkeitsbegriffs Trotz der Ungewissheiten, die für die Abgrenzbarkeit, die Funktion und den Inhalt der Begriffe „Strafwürdigkeit“ und „Strafbedürftigkeit“ zurückbleiben, können aus ihrer Erörterung dennoch wichtige Rückschlüsse für die Bestimmbarkeit der „teleologischen Lücke“ gezogen werden. (1) Zur Trennbarkeit von Strafwürdigkeits- und Strafbedürftigkeitserwägungen für den Umgehungszusammenhang Rückschlüsse können etwa für die bereits angesprochene Abgrenzung der tatsächlichen Lücke von bloßen kriminalpolitischen Wunschvorstellungen gezogen werden, die für die Rechtsfortbildung im Sinne der Lückentheorie für grundlegend erachtet wird. Es stellt sich die Frage, ob diese Trennregel der heute herrschenden 355 Otto, Schröder-GS, S. 53 ff. (54 ff.); Jescheck/Weigend, § 7 I. 1; Altpeter, S. 247 ff. Die Kriterien für die Legitimation des Strafwürdigkeitsurteils bleiben demgegenüber bei Alwart, S. 46 f. noch vager: Eigenschaften der Strafwürdigkeit sind ihm zufolge das „Gerechtigkeitsprinzip“, das „Schuldprinzip“ und auch „Normen wie etwa das Analogieverbot“. 356 Altpeter, S. 34 f.; Otto, Schröder-GS, S. 53 ff. (56). 357 So Alwart, S. 44.

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juristischen Methodenlehre für den Umgehungszusammenhang überhaupt durchzuhalten ist. Für die Gesetzesumgehung gilt es nämlich die insbesondere von Benecke herausgearbeitete Unterscheidung zum Analogieverfahren zu beachten: Am Anfang der juristischen Auseinandersetzung mit Umgehungshandlungen steht nicht die Gesetzeslücke, sondern die Norm, deren Geltung jedenfalls ihren Zielen nach verletzt sein könnte.358 Nicht irgendeine im Zuge der Gesamtschau und Analyse des Geltungsanspruchs359 einer Kodifikation erkannte Regelungslücke ist entscheidend, sondern die Möglichkeit einer durch das Täterverhalten verursachten Zielverfehlung gerade der fraglichen Einzelnorm. Für Straftatbestände gilt es dabei festzuhalten, dass ihr Inkrafttreten mit einem positiven Urteil über die Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit des umschriebenen Verhaltens verbunden ist.360 Der Grundsatz, die Gesetzesumgehung bezeichne die mangelnde Anwendbarkeit einer Strafvorschrift entgegen ihrem Sinn und Zweck, setzt folglich zwingend voraus, dass Umgehungssachverhalte für ebenso strafwürdig und strafbedürftig erachtet werden wie die eindeutig der vermiedenen Strafnorm unterfallenden Sachverhalte. Wenn davon gesprochen wird, eine Strafnorm müsste nach ihrem Telos bzw. Ziel Anwendung finden, so wird auch die Strafwürdigkeitsund Strafbedürftigkeitswertung übertragen; anderenfalls wäre ernsthaft zu behaupten, der zum Gegenstand der „teleologischen Lücke“ erklärte Lebenssachverhalt sei weniger strafwürdig und -bedürftig. Von einem Normgeltungsproblem könnte dann nicht mehr gesprochen werden, denn das wesentliche Charakteristikum positiver Strafrechtsnormen ist es, Fälle strafwürdigen und strafbedürftigen Unrechts festzuschreiben. Damit ist deutlich geworden, dass die Lückenfeststellung für die Gesetzesumgehung nicht ohne kriminalpolitische Wertungen auskommen kann, weil diese Bewertungen bereits der umgangenen, für die zielbezogene Auslegung in Bezug genommenen Norm im Zuge ihrer Genese innewohnten. Handlungsbeschreibung und Handlungsbewertung können für die Umgehung im Strafrecht mithin nicht voneinander getrennt werden.

358

Benecke, S. 167 f.; 211 f. Damit ist die bereits soeben erörterte Frage angesprochen, ob eine Kodifikation nach ihrem Wesen Lückenlosigkeit beanspruchen kann und muss. Das materielle Zivilrecht etwa muss für den Streitfall stets eine Regelung bereithalten, das materielle Strafrecht ist hingegen fragmentarischer Natur. 360 Für die Zwecke dieser Untersuchung soll diese simplifizierende Feststellung genügen. Sie soll nur so verstanden werden, dass jedenfalls der Gesetzgeber bei Verabschiedung der jeweiligen Strafnorm ein positives Strafwürdigkeits- und Strafbedürftigkeitsurteil gefällt hat; natürlich können sowohl die Strafwürdigkeit als auch die Strafbedürftigkeit (sofern beide Begriffe als voneinander trennbar beurteilt werden) einer Fallkonstellation bestritten bleiben, nachdem die rechtspolitischen Vorstellungen der Initiatoren Gesetz geworden sind. 359

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(2) Umgehungswertung und Strafwürdigkeitswertung Damit ist aber noch nicht darüber entschieden, welche Kriterien das Urteil erlauben, eine Strafnorm sei auch über den Wortlaut hinaus in ihren Zielen verletzt. Aus den bisherigen Ausführungen folgt, dass das Postulat der gleichen Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit zwar in die richtige Richtung führt, jedoch offen lässt, welche Vergleichskriterien heranzuziehen sind. Das im Begriff der „teleologischen Lücke“ selbst enthaltene Unterscheidungszeichen, der Zweck der Vorschrift, ist in dieser Allgemeinheit vorgetragen ebenfalls wenig geeignet, eine Antwort auf diese entscheidende Frage zu liefern.361 Erforderlich ist vielmehr stets die einzelfallabhängige Untersuchung, wie sie hier bereits für einige mögliche Umgehungs- und Erschleichungsfälle vorgenommen wurde. Erst diese Begutachtungen machen es möglich, festzustellen, insbesondere welche Angriffsmodalitäten auf das Rechtsgut von der jeweiligen Vorschrift nach ihrem Wortlaut und ihrem Ziel geschützt sein sollen. Da viele Rechtsgüter durch das Strafrecht nur fragmentarisch im Sinne bestimmter Angriffsrichtungen geschützt werden, kann auch eine Umgehungshandlung nur dann als Normgeltungsproblem angesehen werden, wenn sich ihre Strafwürdigkeit daraus ergibt, dass auch durch sie gerade derjenige Ausschnitt des Rechtsgüterschutzes betroffen wird, dessen Verletzung schon der Gesetzgeber für die umgangene Norm für strafwürdig erachtet hatte. Insofern sind die zur Substanzbestimmung der „Strafwürdigkeit“ genannten Kriterien durchaus geeignet, auch zu der Feststellung der „teleologischen Lücke“ für den Umgehungskontext beizutragen. Es ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, dass von einer Zweckverletzung362 der fraglichen Strafnorm durchaus die Rede sein kann, wenn die erfolgreiche Umgehungshandlung die gleiche Schwere der Rechtsgutsverletzung, eine identische Angriffsrichtung mit vergleichbarer Gefährlichkeit und eine ähnliche Tätergesinnung aufweist wie die nach dem Wortlaut und dem Willen des historischen Gesetzgebers unzweifelhaft erfassten „Regelsachverhalte“.363

361 Nachgerade bedenklich wird die ungeschützte Berufung auf den „Zweck“ der Strafvorschrift zu der Begründung einer Umgehungscharakteristik, wenn sie im Sinne der „objektivteleologischen“ Methode vorgetragen wird, da auf diese Weise dem Straftatbestand auf uferlose Art und Weise all das entnommen werden kann, was vorher vom Interpreten hineingelegt worden ist. Zu der Streitfrage um die „richtige“ Auslegungszielbestimmung und ihren Auswirkungen für die Umgehungsthematik siehe noch unten E. II. 1. 362 Oder nach Benecke, S. 92, 109 und 208, von einer „Zielverletzung“. 363 Zu diesen materiellen Kriterien des Strafwürdigkeitsbegriffs vgl. Otto, GS-Schröder, aaO.; Jescheck/Weigend, aaO.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

ee) Die „teleologische Lücke“ als einzelfallabhängige Begutachtung des von der jeweiligen Strafnorm intendierten Rechtsgutsschutzes und seiner Reichweite Werden diese Kriterien auf diejenigen in dieser Untersuchung bereits erörterten möglichen Umgehungs- und Erschleichungskonstellationen angewendet, die nicht bereits aus anderen Gründen als diesem Thema unzugehörig ausgesondert wurden, so zeigt sich einmal mehr die Verschiedenartigkeit der mit dem Umgehungsbegriff in Verbindung gebrachten Sachverhalte. Bei dem Versuch einer Kategorisierung können immerhin drei Gruppen unterschieden werden. (1) Echte Gesetzesumgehungen Zu einer ersten Kategorie vereinigen sich diejenigen Sachverhalte, für die sich eine Normzielverletzung jenseits des Wortlautes relativ sicher feststellen lässt. Für die Umgehungsfälle ergibt sich diese Feststellbarkeit daraus, dass sich der durch die Strafvorschriften intendierte Rechtsgüterschutz nicht auf bestimmte Angriffsmodalitäten beschränkt; umgekehrt folgt für Erschleichungsfälle dieser ersten Kategorie die Feststellbarkeit einer „teleologischen Lücke“ daraus, dass mit der Wortlaut„Unterschreitung“ zugleich die mit der Begünstigung verfolgten Lenkungsziele verfehlt werden. Im einzelnen sind hier die Steuerumgehung bei Sozialzwecktatbeständen364 zu nennen sowie die Subventionserschleichung365, die Erfassung etwa des faktischen Geschäftsführers durch die tatsächliche Betrachtungsweise366, die Verschleierung von Sacheinlagen367, die Umgehungen des Außenwirtschaftsrechts und des Kriegswaffenkontrollgesetzes368, die Pyramidengewinnspiele369, das Fahren ohne gültigen deutschen Führerschein370, die Rechtsmissbrauchsklausel für das Umweltstrafrecht371, die Umgehung eines Berufsverbots372 sowie die Additionsklausel im Wuchertatbestand373. Für die weitaus überwiegende Anzahl dieser Sachverhalte kann die „teleologische Lücke“ indessen nicht dem Strafrecht selbst entnommen werden, die Normzweckverletzung bzw. Normzielverletzung ist vielmehr der jeweiligen Materie des vorgelagerten Wirtschaftsverwaltungs- oder

364

B. II. 1. b) aa). B. II. 3. b), c). 366 B. II. 4; wenn auch für manche Anwendungsfälle der faktischen Auslegung zweifelhaft bleiben muss, ob der historische Gesetzgeber sie vor Augen hatte oder ihre Anwendung wenigstens seinem mutmaßlichen Willen entsprechen würde. 367 B. II. 5. 368 B. II. 6. 369 B. II. 7. 370 B. II. 9. 371 B. II. 10. 372 B. II. 11. 373 B. II. 12. 365

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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Steuerrechts zu entnehmen, da dieses schließlich auch der Gegenstand der Umgehungshandlung war. (2) Sonderfälle: Die Gesetzesumgehungen auf Rechtswidrigkeitsund Schuldebene In eine zweite Kategorie sind die Notwehrprovokation und die actio libera in causa einzuordnen, da sich beide Fallgestaltungen gleichermaßen dadurch auszeichnen, dass sie sich der Ermittlung einer „teleologischen Lücke“ auf dem eben praktizierten Wege entziehen. Zwar wird für die actio libera in causa einhellig und für die Notwehrprovokation weit überwiegend – wenn auch zu Unrecht – vertreten, dass die Gewährung einer Schuldausschließung bzw. jedweder Rechtfertigung den Sinn und Zweck der §§ 20, 32 StGB konterkarieren würde374, doch lässt sich diese Bewertung nicht aus der strafrechtlichen Schutzstruktur der jeweils von diesen Taten betroffenen Rechtsgüter ermitteln, da sich die Tatbestandsebene in diesen Konstellationen eben „umgehungsneutral“ verhält. Erschleichungshandlungen auf Rechtswidrigkeits- und Schuldebene sind daher anhand der diesen Kategorien eigenen Zweck- und Zielvorstellungen zu untersuchen, ohne dass auf den der tatbestandlichen Ebene zu entnehmenden Zuschnitt des jeweiligen Rechtsgutsschutzes Bezug genommen werden könnte. Wie soeben erwähnt, kam diese Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der rechtliche Erfolg einer absichtlich herbeigeführten A.l.i.c.-Konstellation unstrittig als „verdeckte teleologische Lücke“ zu behandeln wäre. Auch für die absichtliche Notwehrprovokation ist dies zwar die herrschende Meinung; die Gegenansicht, die dem Absichtsprovokateur eine nach ihrer Meinung dem Zweck des Notwehrrechts entsprechende, wenigstens eingeschränkte Verteidigungshandlung zugesteht, dürfte allerdings die besseren Argumente auf ihrer Seite haben.375 (3) Scheinbare Gesetzesumgehungen Die dritte Kategorie bilden Sachverhalte, für die es als überaus zweifelhaft gelten muss, ob sich durch das Täterverhalten tatsächlich eine „teleologische Lücke“ aufgetan hat. Im Rahmen dieser Untersuchung ist diese Einordnung für die Bekämpfung des „Reichenprivilegs“ in § 5 Nr. 9 StGB376 ebenso zu treffen gewesen wie für die Straftaten im Zusammenhang mit der Vermeidung des deutschen Gesellschaftsstatuts377, den Computerbetrug378, die Erschleichung von Leistungen379 und 374

Vgl. B. I. 2. a), c). Siehe B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd), (ee). 376 B. I. 1. c). 377 B. II. 8. b) bb). Für diese Sachverhalte besteht zum Teil die von der üblichen Problematik abweichende Fragestellung, ob die europarechtskonforme Auslegung der jeweiligen Straftatbestände schutzzweckwidrig sein kann, siehe B. II. 8. b) aa). 378 B. II. 14. 379 B. II. 15. 375

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

die vom Täter veranlasste Ersatzhehlerei380. Einen Sonderfall bildet die Steuerumgehung bei Fiskalzwecknormen381, da hier bereits die Analogiefähigkeit der konkreten Tatbestände einer sorgfältigen Einzelfallprüfung unterzogen werden muss. (4) Gesetzesumgehung trotz Fehlens einer teleologischen Lücke? Es lässt sich indessen auch für die Fallgestaltungen der dritten Kategorie nicht leugnen, dass ihnen ein gewisser Umgehungscharakter eigen ist. Der Gebrauch des Umgehungsbegriffs in diesen Zusammenhängen kann sich allerdings allein auf Kriterien außerhalb des Normzwecks stützen. Mit „Gesetzesumgehung“ ist also in diesen Fällen vor allem gemeint, dass der Täter unter Erreichung seiner Ziele der „eigentlich“ für ihn vorgesehenen Rechtsfolge ausgewichen ist.382 Der Umgehungsbegriff bezeichnet so verstanden keine Zweckvereitelung, sondern vornehmlich eine „Strafvereitelung“ durch den Täter. Ohne Möglichkeit der Argumentationsanbindung an das Telos der vermiedenen Norm ist aber begründungsbedürftig, warum der Täter „eigentlich“ strafbar sein müsste. Hierfür bieten sich die bereits hinlänglich bekannten Kriterien an, insbesondere die „Künstlichkeit“ und die „Absichtlichkeit“ des Vorgehens. Doch wird sich sogleich zeigen, dass beide Merkmale bei einer von der Strafnorm und ihrem Schutzzweck isolierten Anwendung recht unbrauchbar sind, weil sie nur beschreibende Attribute für die Modalität des Umgehungsverhaltens sind. Die vermeintlich einfachste Auflösung des Umgehungsbegriffs könnte zunächst darin zu sehen sein, die Absichten des Täters in Bezug zu der umgangenen Norm zu setzen. „Gesetzesumgehung“ wäre das betreffende Verhalten demnach deshalb zu nennen, weil der Täter eigentlich die betreffende Norm verwirklichen wollte: Als P den gestohlenen Geldschein wechseln ließ und das gestohlene Geld annahm, wollte er dieser These zufolge eigentlich eine Hehlerei begehen; als der Rüstungsfabrikant mit einer erschlichenen, rechtswidrigen Genehmigung exportierte, wollte er eigentlich ohne Genehmigung handeln. Es zeigt sich jedoch schnell, dass diese Vorgehensweise mit Fiktionen, vielleicht auch mit Unterstellungen arbeiten muss. Schließlich ist die Herbeiführung der fehlenden Sachidentität in dem geschilderten Hehlereifall ebenso gewollt wie der Erhalt einer wirksamen, wenn auch erschlichenen Genehmigung für die Fälle des Rüstungsexports. Hier wird das Rechtsproblem also unzulässig zu einem Scheinhandlungsproblem umdeklariert, weil dessen Bewältigung verspricht, mit weitaus geringeren Schwierigkeiten behaftet zu sein als die Auseinandersetzung mit wirklich gewollten, indessen rechtlich bzw. rechtspolitisch unerwünschten Gestaltungen des Täters. Zu welchen Zweckkonstruktionen diese „Fiktionsmethode“ führen kann, zeigte sich etwa am Beispiel der für die

380

B. II. 19. B. II. 1. b) aa). 382 Besonders greifbar wird der Unterschied zwischen „Zweckvereitelung“ und „Strafvereitelung“ für die Ersatzhehlerei, siehe B. II. 19. 381

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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Notwehrprovokation von manchem vertretene These, der sich verteidigende Täter wolle in Provokationsfällen „eigentlich“ Angreifer sein.383 Allein die Täterabsicht, den Tatbestand zu vermeiden, ist ebenso wenig geeignet, eine täterseitige Strafbarkeitsvermeidung zu konstruieren, die es lohnt mit dem Begriff der Gesetzesumgehung in Verbindung gebracht werden. So wäre es etwa in dem hier besprochenen Fall der Ersatzhehlerei384 auch als absichtliche Straftatbestandsvermeidung zu bezeichnen, wenn P vor der Annahme des gestohlenen Geldes dieses nicht eintauschen lässt, sondern stattdessen das ihm bekannte Opfer um dessen Einwilligung bittet und sie erhält, etwa, weil der vom Diebstahl Betroffene dem P ohnehin noch Geld schuldete. Ebenso wenig hat eine schwangere Frau „Umgehungsabsicht“, wenn sie den Schwangerschaftsabbruch nicht – wie in dem in dieser Untersuchung geschilderten Sachverhalt385 – im Ausland vornehmen lässt, sondern im Inland und frühzeitig vornimmt, um dessen Illegalität zu einem späteren Zeitpunkt zu vermeiden. Schon diese wenigen Beispiele zeigen: Die Absicht zur Tatbestandsvermeidung wird ohne Blick auf die dabei verwirklichte Handlung zu einer Banalität. Die Gesetzesumgehung nur als künstliche Tatbestandsvermeidung umschreiben zu wollen, hieße, die Strafbarkeit demgegenüber zum normalen Verhalten zu erklären.386 Die Gesetzesumgehung kann aber schlechthin nicht nur dadurch definiert werden, dass sich das eigene Verhalten gegenüber dem Straftäter als ungewöhnlich auszeichnet. Erst wenn schon zuvor ermittelt ist, dass eine „gesetzesentsprechende Lage“387, also eine dem Norm-Telos entsprechende Situation geschaffen wurde, mag es möglich sein, der dabei an den Tage tretenden atypischen bzw. irrationalen Vorgehensweise des Täters einen umgehungsspezifischen Sinn abzugewinnen. Es hat sich somit als unumgänglich erwiesen, das vom Täter vorgenommene Verhalten stets mit Blick auf die vermiedene Norm zu analysieren. Wie sich soeben gezeigt hat, lässt sich dies ebenfalls dann nicht vermeiden, wenn als „Gesetzesumgehung“ auch die Sachverhalte bezeichnet werden, in denen eine „teleologische Lücke“ nicht feststellbar war. In diesen Fällen muss indessen eine Ersetzung der Normzielverletzung durch das Urteil stattfinden, es habe eine „ähnlich“ strafwürdige Handlung stattgefunden. Diese Einschätzung soll auch gar nicht bestritten werden; zweifelsohne kann z. B. der Schwangerschaftsabbruch im Ausland, die Ersatzhehlerei oder die mögliche Vermeidung des deutschen Insolvenzstrafrechts durch die Gründung einer Ltd. für strafwürdig und strafbedürftig gehalten werden. Von dieser kriminalpolitischen Bewertung muss jedoch das Problem der Normgeltung getrennt werden. Es besteht nach den Ergebnissen dieser Untersuchung für die genannten Sachverhalte nicht, da die Gründe für die Strafwürdigkeit des Verhaltens jenseits des 383 384 385 386 387

Siehe hierzu B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd). B. II. 19. B. I. 1. c). Stöckel, S. 13. Stöckel, aaO.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Wortlautes und des Zwecks/Ziels der vermeintlich umgangenen Norm gefunden werden müssen. Diese Konstellationen sind daher apokryphe Gesetzesumgehungen, die den wirklichen Gesetzesumgehungen deshalb zum Verwechseln ähnlich sind, weil der Täter in beiden Fällen durch sein (womöglich planvolles) Vorverhalten eine tatbestandsverwandte Situation schafft und gleichwohl seine Handlungsziele straffrei erreicht. Er hat indessen eben nicht nur den Wortlaut der Norm umschifft, sondern auch ihr konkretes Normziel. Der Begriff der „Gesetzesumgehung“ muss indessen für die mit einer Normzielverletzung verbundenen Handlungen reserviert bleiben, um dem ohnehin diffusen Umgehungsbegriff eine Nähe zu der Auslegung der Einzelnormen zu erhalten. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass der Vorwurf der Strafvermeidung den Vorwurf der Normzielverletzung mit einschließt, ohne dass hierfür der erforderliche konkrete Nachweis erbracht wird. Die Gesetzesumgehung würde so zu einem sich selbst tragenden Argument, das die eigentliche Pflicht für Sachverhalte jenseits der Normzweckverletzung, die Vergleichbarkeit des verwirklichten und des vermiedenen Sachverhalts darzulegen, sachwidrig ersetzt. Dies ist gerade für das Strafrecht besonders misslich, weil es ihm nicht wesenseigen ist, eine alle (vermeintlich) strafwürdigen Sachverhalte umfassende Regelungsdichte jenseits der sich erweiternden Kreise „Normwortlaut“ und „eigentliches Normziel“ anzustreben. Die Anhänger der „Umgehungsbekämpfung“ können mithin in diesen Bereichen nicht für sich die Sicherung der Normgeltung in Anspruch nehmen. Sie betreiben vielmehr Rechtsfortbildung und/oder Kriminalpolitik unter falscher Berufung auf die geltenden Strafnormen und ihre spezifischen Schutzzwecke. Von einer teleologischen Lücke und damit einer Umgehungshandlung kann somit nur dann ausgegangen werden, wenn das tatbestandslose Verhalten des Täters den von der Strafvorschrift intendierten Rechtsgüterschutz auf gleiche Weise beeinträchtigt, seine Handlung also dasselbe Rechtsgut durch die gleiche Angriffsrichtung, dasselbe Opfer, die gleichen eventuell vom Gesetz verlangten Absichten und Gesinnungsmerkmale und mit den gleichen Folgen verletzt. c) Die Eignung der „teleologischen Lücke“ zur abschließenden Bildung des Umgehungsbegriffs Von einer Festlegung dessen, was nach der hier vertretenen Auffassung allein mit dem Begriff der teleologischen Lücke gemeint sein kann, muss die Frage getrennt werden, ob die Einordnung eines Sachverhalts als Fall einer „teleologischen Lücke“ zugleich hinreicht, um von einer Umgehungshandlung sprechen zu können. Davon kann nicht ausgegangen werden, denn das Vorliegen einer zweckwidrigen Lücke besagt schließlich nur, dass das Ergebnis eines Subsumtionsvorgangs unter Beachtung der Wortlautgrenze und das ermittelte Regelungsziel einer Norm auseinanderfallen. Die Besonderheit von Gesetzesumgehungen, eine spezielle Beziehung zwischen vorherigem Täterverhalten und daraus entstehenden Normgeltungsproblemen aufzuweisen, kommt überhaupt nicht zum Ausdruck.

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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So ist etwa der Sinn und Zweck des § 324 StGB auch dann verletzt, wenn der Täter erkennt, dass er infolge seines ordnungsgemäßen – und daher nicht § 330d Nr. 5 StGB unterfallenden – Antrags eine rechtswidrige Genehmigung erhalten hat und diese zur Gewässerverunreinigung benutzt. Sein Verhalten ist nach h. M. straflos.388 Gleiches gilt für den u. U. straflosen, „faktischen“ Geschäftsführer, dessen fehlende offizielle Stellung nicht von Strohmanngeschäften herrührt, sondern von einem fehlerhaften Bestellungsakt ohne eine Sorgfaltspflichtverletzung seinerseits. Ebenso wenig dem Täter zuzuschreiben ist die von der herrschenden Meinung mit teleologischen Erwägungen begründete Einschränkung des Notwehrrechts bei Angriffen Schuldloser: Die Vorstellung, dass trotz der eindeutig gegebenen Voraussetzungen von § 32 II StGB das volle, „schneidige“ Notwehrrecht unzulässig sein soll, wird für diese Fallgruppe aus den Grundgedanken des Notwehrrechts, insbesondere dem Rechtsbewährungsprinzip abgeleitet, ohne dass das Vorverhalten des Täters eine Bedeutung für diese Überlegungen hätte.389 Die „teleologische Lücke“ könnte daher nur dann als ausreichend präzises Definitionskriterium angesehen werden, wenn die Merkmale, die in den Begriff der Lücke hineingelesen werden, zugleich diejenigen sind, die geeignet sind, die „teleologische Lücke“ von anderen Fällen der zweckwidrigen Tatbestandslosigkeit390 zu unterscheiden. Dieser Weg scheint von den bisherigen Stellungnahmen zum Umgehungsbegriff jedenfalls insoweit gegangen worden zu sein, als Umgehungssachverhalte häufig (aber stillschweigend) als geplantes, also vorsätzliches Verhalten gedeutet wurden.391 Andererseits wird ein neben der Vorsätzlichkeit geeignetes Kriterium zur Konkretisierung des Umgehungsterminus, nämlich die „Künstlichkeit“ des Verhaltens, stets von der Zweckwidrigkeit getrennt. Die Gesetzesumgehung, so die häufig anzutreffende, ungefähre Aussage, sei ein Fall „künstlicher, zweckwidriger Tatbestandsvermeidung“392. Es kann damit festgehalten werden, dass das Vorliegen einer „teleologischen Lücke“ stets erforderlich ist, damit von einer Gesetzesumgehung bzw. einer Gesetzeserschleichung die Rede sein kann. Für eine möglichst präzise Definition müssen indes weitere Merkmale hinzutreten. Die „teleologische Lücke“ ist mithin

388

Siehe zum Streitstand bzgl. der tatbestandsausschließenden bzw. rechtfertigenden Wirkung rechtswidriger, indessen wirksamer Genehmigungen Schönke/Schröder-Cramer/Heine, Vorbem. §§ 324 ff. Rn. 15 ff. und in dieser Untersuchung B. II. 10. 389 Zur methodischen Einordnung der sozialethischen Einschränkungen der Notwehr als teleologische Reduktion, bei der die „immanenten Schranken des Notwehrrechts“ aufgewiesen werden: Kühl, § 7 Rn. 157 ff.; zur Fallgruppe der Notwehreinschränkung bei Angriffen Schuldloser ders., § 7 Rn. 192 ff. 390 Für Erschleichungsfälle: Tatbestandsmäßigkeit. 391 Vgl. zu diesem Ergebnis der im Rahmen der vorliegenden Untersuchung vorgenommenen Literaturauswertung D. III. 7. 392 Vgl. Stöckel, S. 28; Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 1, 3; Bruns, GA 1986, 1 ff. (8); v. Burchard, S. 175 f.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

ein notwendiges, nicht aber ein hinreichendes Kriterium für die Umschreibung der Gesetzesumgehung im Strafrecht. 3. Die Gesetzesumgehung – ein Fall des Rechtsmissbrauchs? Eine Präzisierung des Umgehungsbegriffs kann durch die Zuhilfenahme des Rechtsmissbrauchsgedankens nicht erwartet werden. Das Gegenteil ist der Fall. Am deutlichsten wird seine Untauglichkeit, wenn der Begriff des „Missbrauchs“ bzw. des „Rechtsmissbrauchs“ ohne weitere Erläuterungen verwendet wird.393 Bei diesem großzügigen und ungeschützten Gebrauch des Rechtsmissbrauchsbegriffs besteht stets die Gefahr, dass „Rechtsmissbrauch“ nicht als Argument, sondern anstelle eines Arguments in die Diskussion eingeführt wird. Der Ausdruck dient auf diese Weise zur kraftvollen Absicherung einer für selbstverständlich erachteten rechtlichen Bewertung oder soll dem Verwender jedenfalls das Gefühl vermitteln, eindeutig die zutreffende Einschätzung vorgenommen zu haben. Der Rechtsmissbrauch dient damit nicht selten als Zauberwort der Rechtswissenschaft, das im schlimmsten Fall zugleich die Handlungsbeschreibung, die Handlungsbewertung und die Rechtsfolgenfestsetzung beinhaltet. Angesichts seiner offensichtlichen pejorativen Einfärbung soll die Einbringung des Missbrauchsbegriffs in die juristische Debatte nicht nur das gewünschte Ergebnis vermitteln, sondern seinem Urheber gegenüber seinen Diskurspartnern auch versichern, auf der „richtigen“ Seite, auf der Seite des Rechts zu stehen. Gerade eine Bestätigung dieser methodisch fragwürdigen Beweisführung sind etwa Bekräftigungen, die Unmaßgeblichkeit erschlichener Rechtspositionen sei „naturrechtliches Gemeingut der Rechtsordnungen“ und „Evidenzfall materialer Gerechtigkeit“.394 Bestrebungen, den Ausdruck „Rechtsmissbrauch“ zu präzisieren, führten diese Untersuchung und die hier erörterten Studien ausnahmslos zu dem Ergebnis, dass der Rechtsanwender letztlich auf die Feststellung der Normzweckverfehlung und damit auf die teleologische Auslegung bzw. die teleologische Reduktion zurückverwiesen wird.395 Diese Erkenntnis deckt sich vollständig mit dem hier bereits ermittelten Verständnis des Begriffs der „teleologischen Lücke“, der wegen seines nüchterndeskriptiven Gehalts und seiner Eigenschaft, auf die konkrete, allein schutzzweckbezogene Lückenfeststellung aufmerksam zu machen, dem Kraftausdruck „Rechtsmissbrauch“ jedenfalls für die Umschreibung von Umgehungshandlungen im Strafrecht eindeutig vorzuziehen ist. 393

S. 5. 394

So etwa für den Umgehungszusammenhang von Bruns, GA 1986, S. 1 ff. (31); Reisner,

Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513 (523 f.). C. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd); Siebert, S. 83 ff., 151 ff.; Kölbel, GA 2005, 36 ff. (52); Luhmann, S. 206, Enneccerus/Nipperdey, § 239 III.; Stöckel, S. 93; Pohl, Rn. 43; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (165); Teichmann, S. 77; Westerhoff, S. 122 ff.; Sieker, S. 16; in Bezug auf das Zivilrecht auch Fahl, S. 15 ff. 395

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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Der Gedanke des Rechtsmissbrauchs lässt überdies eine Trennbarkeit zwischen negativer Handlungsbewertung und negativer Erfolgsbewertung vermissen, so dass eine Auftrennung von Erfolgsunwert und Handlungsunwert auch für den Umgehungszusammenhang im Dunkeln bleibt. Dies ist deshalb bedenklich, weil auf diese Weise dem Täter womöglich nicht nur die Verwirklichung eines vom Schutzzweck der Norm umfassten Erfolgs zum Vorwurf gemacht wird, sondern auch der Missbrauch der entsprechenden Strafvorschrift bzw. von Art. 103 II GG durch die Umgehungshandlung als solche.396 Ihm wird damit aber ein gegenüber dem „normalen“ Straftäter doppelter Vorwurf gemacht: Zum einen die Erfüllung des Straftatbestandes seinem Zweck und Ziel nach, zum anderen die missbräuchliche Inanspruchnahme der Straffreiheit gewährenden Norm. Von dieser argumentativen Grundlegung aus ist es nicht mehr weit, unter Verzicht auf eine sorgfältige Feststellung der konkreten Schutzrichtung der Strafvorschrift einen Rechtsmissbrauch und – bei Unterstellung der Identität beider Ausdrücke397 – damit zugleich auch eine Gesetzesumgehung allein durch die Erreichung von Straffreiheit zu definieren. So aber wird die Gesetzesumgehung sachwidrig nicht mehr als Zweckvereitelung, sondern als missbräuchliche „Strafvereitelung“ interpretiert.398 Auch unter diesem Blickwinkel birgt die Lehre vom Rechtsmissbrauch also die Gefahr in sich, dass „ein im rechtlichen Niemandsland beheimatete[s] […] allgemeine[s] Übelnehmen Rechtsfolgen hat“399. Darüber hinaus ist es sehr fragwürdig, ob in der Gesetzesumgehung tatsächlich stets der von Pohl und Stöckel behauptete Rechtsmissbrauch gesehen werden kann. So ist für die von Pohl gebrauchte Festlegung, für belastende Normen sei der Rechtsmissbrauch in dem zweckwidrigen Nichtgebrauch der Norm zu sehen400, zu fragen, welcher Gebrauch denn bei einem Nichtgebrauch überhaupt bestehen kann. Soll es danach etwa ein Rechtsmissbrauch von § 16 II UWG sein, wenn der Täter seine Anwendbarkeit durch die Entkoppelung der progressiven Gewinnspielsysteme von dem Vertrieb echter Waren verhindert?401 Oder findet durch die Verschleierung von Sacheinlagen ein Rechtsmissbrauch des § 82 GmbHG für den Fall statt, dass das Täterverhalten wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht unter diese Vorschrift subsumiert werden kann?402 Es zeigt sich, dass von einem Rechtsmissbrauch nur dann gesprochen werden kann, wenn eine zugewiesene Rechtsposition über die ihrem Sinn und Zweck nach bestehenden Grenzen ausgedehnt wird. Die konkrete 396 So etwa Stöckel, für den der „Unwert“ der Gesetzesumgehung u. a. darin besteht, dass der Täter das formelle Recht als Mittel benutzt, um materiell Unrecht zu begehen (S. 46). 397 So Stöckel, S. 90 ff.; Pohl, Rn. 42 ff. 398 Zum tatsächlich aber bestehenden Unterschied zwischen echten und unechten Gesetzesumgehungen siehe bereits D. IV. 2. ee) (4). 399 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (165); das seinerseits verwendete Zitat stammt von Pestalozza, dass Vogel bei Hübschmann/Hepp/Spitaler9-Fischer, § 42 Rn. 63 ausfindig gemacht hat. 400 Pohl, Rn. 41 ff. (44). 401 Siehe dazu B. II. 7. 402 Vgl. zur Verschleierung von Sacheinlagen B. II. 5.

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Strafnorm beinhaltet jedoch nicht die Aussage, dass ihren Wortlaut überschreitendes Verhalten rechtstreu (i. S. v. nicht rechtsmissbräuchlich) sei, sofern es nur nicht dem Sinn und Zweck der Strafnorm entspreche. Insofern wird der vermeintliche Rechtsmissbrauch durch Umgehungsverhalten von Stöckel treffender beschrieben, wenn er durch die Gesetzesumgehung stets die den Täter begünstigende Norm (in Stöckels Terminologie die „Umgehungsnorm“403) als missbraucht ansieht. Für Erschleichungssachverhalte sei daher stets die jeweilige Gewährungsnorm missbraucht, für Umgehungsfälle im engeren Sinne Art. 103 II GG selbst.404 Diese Bestimmung mag für Erschleichungen einzelner begünstigender Normen noch zutreffen405, doch vermag seine Begründung für den vermeintlichen Missbrauch des in Art. 103 II GG verankerten Gesetzlichkeitsprinzips in den übrigen Fällen nicht zu überzeugen: „Der Gesetzesumgeher“, so Stöckel, „entfremdet die ihm Straffreiheit gewährenden Normen ihrem normalen Zweck, ihrer sozialen Bestimmung, den Rechtstreuen weitgehend vor Eingriffen der staatlichen Staatsgewalt zu bewahren, indem er unter ihrem Schutz Zielen nachstrebt, die mit dem Zweck der Strafrechtsordnung im ganzen und mit dem Sinn der einzelnen umgangenen Normen in Widerspruch stehen […].“406 Mit dieser Deutung des Gesetzlichkeitsprinzip wird isoliert der Vertrauensschutzgesichtspunkt in den Vordergrund gestellt407; dieser Aspekt ist jedoch keineswegs das einzige Art. 103 II GG tragende Argument. Keineswegs werden nämlich die objektiv-rechtlichen Funktionen des Nullum-crimenSatzes, die staatliche Strafe an die Wertentscheidungen des parlamentarischen Gesetzgebers und den Richter an das positive Gesetz zu binden, durch die Gesetzesumgehung in Mitleidenschaft gezogen.408 Bezüglich der negativen Generalprävention, für die Art. 103 II GG eine Wirkungsvoraussetzung sein soll409, mag zugestanden sein, dass sie den Umgeher des Gesetzes jedenfalls nicht hat davon abschrecken können, im Sinne der „teleologischen Lücke“ der Strafnorm gleichwertig zu handeln; gleichwohl entsteht ein schiefes Bild, wenn von einem Missbrauch der Lehre vom „psychologischen Zwang“ ausgegangen wird, denn ihr wesentliches Ziel ist nicht der Schutz des Einzelnen vor dem strafenden Leviathan, sondern die op-

403

Stöckel kann für den Begriff der „Umgehungsnorm“ auf vorherige Studien Madays (S. 44) rekurrieren. 404 Stöckel, S. 90 ff. 405 Reichlich vage bleibt allerdings Stöckels Erklärung für die teleologische Reduktion des Notwehrrechts im Falle vorheriger Provokationen, vgl. Stöckel, S. 24. 406 Stöckel, S. 94. 407 Zur Überbetonung dieses Aspekts in Rechtsprechung und Literatur seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vgl. Dannecker, Otto-FS, S. 25 ff. (29) m. w. N. 408 Zur Rückführung des Nullum-crimen-Satzes auch auf das Rechtsstaats- und auf das Demokratieprinzip vgl. S. 20 der Einleitung m. Fn. 4 sowie Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 1a; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 50 ff. m. w. N. 409 Vgl. S. 20 der Einleitung m. Fn. 4.

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timale Wirksamkeit des staatlichen Strafrechts.410 Damit zeigt sich letztlich, dass Stöckels Behauptung, mit der Gesetzesumgehung finde ein Missbrauch des Nullumcrimen-Satzes statt, zu kurz greift. Art. 103 II GG ist nicht nur ein subjektives Freiheitsrecht, sondern Garant objektiver Verfassungsgrundsätze für das materielle Strafrecht411, die durch die Umgehung von Gesetzen überhaupt nicht tangiert werden. Die These, jede Gesetzesumgehung sei ein Fall des Rechtsmissbrauchs, lässt sich daher in dieser Allgemeinheit nicht halten. Für die bisweilen anzutreffende Feststellung, die Gesetzesumgehung und der Rechtsmissbrauch stünden wenigstens in einem „Ähnlichkeitsverhältnis“412, kann nach dem Vorstehenden im besten Fall konstatiert werden, dass sie – wegen des teleologischen Bezugs beider Termini – zutreffend, aber unergiebig ist. Angesichts der angesprochenen methodologischen Ungewissheiten und Nachteile, die mit dem Terminus des Rechtsmissbrauchs verbunden sind, erscheint es jedoch angebracht, selbst dieser Einschätzung zu entsagen und auf den Begriff des Rechtsmissbrauchs als konkretisierendes Merkmal der Gesetzesumgehung ganz zu verzichten. Diese Forderung wird nicht dadurch entkräftet, dass auch der Gesetzgeber in § 42 AO und in § 4 II SubvG den Gedanken des Rechtsmissbrauchs für die rechtliche Bewältigung von Umgehungs- und Erschleichungsverhalten herangezogen hat. Die Verwendung des Rechtsmissbrauchsgedankens hat gerade für § 42 AO trotz jahrzehntelanger Bemühungen weder zu einer entscheidenden Erhellung des Rechtsmissbrauchsbegriffs noch seines Verwendungskontextes geführt.413 Auch seine weitgehende Substitution in der steuerrechtlichen Diskussion durch die Merkmale der „Unangemessenheit“, des „Künstlichen“ oder des „Ungewöhnlichen“ beweist letztlich nur, welche Schwierigkeiten bestehen, willkürfreie und verlässliche Handlungsbeschreibungen und -bewertungen aus dem Begriff des Rechtsmissbrauchs abzuleiten. 4. Kennzeichnung der Gesetzesumgehung als künstliches Verhalten Es hat sich gezeigt, dass die Neigung des strafrechtlichen Schrifttums, die Gesetzesumgehung mit dem im wesentlichen der steuerrechtlichen Diskussion entliehenen Merkmal des „künstlichen“ bzw. des „ungewöhnlichen“ Verhaltens zu verknüpfen, nicht stets mit einer Präzisierung der Funktion dieses Begriffs verbunden wird. Allein deutlich ist geworden, dass „Künstlichkeit“ nicht (jedenfalls nicht ge410 Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 112 f.; Krey, Studien, S. 209. Dabei soll nicht unterschlagen werden, dass v. Feuerbach mit dem Nulla-poena-Satz auch das Anliegen verfolgte, das Strafrecht möglichst von staatlicher Willkür freizuhalten; siehe Krey, Studien, S. 210; Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 115 ff. 411 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 54 ff. 412 Tiedemann, Spendel-FS, S. 591 ff. (603); Benecke, S. 49. 413 Siehe B. II. 1. a) bb).

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

wollt), wie im zivilrechtlichen Schrifttum befürchtet, an die Stelle der „teleologischen Lücke“ rücken soll, denn stets tritt das Merkmal des atypischen Verhaltens in den Definitionen der Gesetzesumgehung neben das Kriterium der Zweckwidrigkeit.414 Es fragt sich damit zugleich, was die Kennzeichnung des Verhaltens als „künstlich“ über das Merkmal der Zweckwidrigkeit hinaus an Erkenntnisgewinnen vermitteln und wozu die Feststellung der Künstlichkeit dienen soll. a) Deskriptive Funktionen des Künstlichkeitsbegriffs Treffenderweise hat Stöckel darauf hingewiesen, dass mit dem Merkmal der Künstlichkeit zwei deskriptive Merkmale zu verbinden sein könnten, die ihrerseits geeignet sind, den Begriff der Gesetzesumgehung über die Feststellung einer Zweckverletzung hinaus zu konturieren415 : So weisen „Künstlichkeit“ und „Ungewöhnlichkeit“ nach ihrem natürlichen Wortgebrauch vor allem darauf hin, dass eine vom Normalverhalten abweichende Vorgehensweise, eben eine „gezwungene“ und „gewundene“ Verhaltensweise zu beobachten gewesen ist.416 Gleichzeitig, so Stöckel, beinhaltet dieser Befund die Feststellung, dass der Täter überhaupt bezüglich der Gesetzesumgehung gehandelt hat; die Deutung eines Verhaltens als „ungewöhnlich“ könnte daher auch die „besondere Aktivität des Umgehers“417 als solche betreffen. Inwieweit diese Eigenschaften tatsächlich bestehen und ob sie wirklich geeignet sind, zu einer exakteren Konturierung des Umgehungsverhaltens zu gelangen, ist im Folgenden zu erörtern. aa) Das Moment der Ungewöhnlichkeit Die These, bei Gesetzesumgehungen und Gesetzesumschleichungen habe man es kennzeichnenderweise mit atypischem, mit unnatürlichem Verhalten zu tun, kann nicht die behauptete Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen. Voraussetzung einer solchen Einschätzungsmöglichkeit ist nämlich stets, dass eine außerrechtliche Verhaltensnorm besteht, gegenüber der sich das von dem Täter an den Tag gelegte Verhalten als „abnormal“ abhebt. Das Künstlichkeitsurteil bedarf mithin stets einer – gerade von dem untersuchten Gesetz unabhängigen – sinnstiftenden Verhaltensrichtlinie, an der die Vorgehensweise des Täters gemessen werden kann. Eine solche Richtlinie existiert im Grundsatz zweifelsohne für wirtschaftliche Zusammenhänge. Normal ist im Wirtschaftsleben stets das am Markt zweckmäßige, also das auf Gewinnmaximierung, Wachstum, Marktanteile und mithin auf langfristiges 414

Siehe D. III. 4. Stöckel, S. 13. 416 Die Begriffe „gezwungen“ und „gewunden“ sind wiederum Synonyme für das Wort „künstlich, vgl. Duden, Synonymwörterbuch, S. 568. 417 Stöckel, aaO. 415

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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Marktverbleiben418 ausgerichtete und damit ökonomisch-rationale Verhalten. Die Künstlichkeit ergibt sich damit aus dem Leitbild des „homo oeconomicus“ Dies bedeutet aber zugleich, dass dieses Kriterium umso mehr an Nutzen verliert, je weniger der betrachtete Ausschnitt der Lebenswirklichkeit dazu geeignet ist, nach bekannten zweckrationalen Verhaltensmustern bewertet zu werden. (1) Notwehrprovokation und actio libera in causa Derartige Vergleichsmöglichkeiten zu zweckrationalen Verhaltensmustern fehlen in Hinblick auf einige der hier erörterten Sachverhalte, für die das Bestehen einer „teleologischen Lücke“ jedenfalls nach der weit überwiegenden Ansicht außer Frage steht. Ohne Kenntnis des Tatplans war es insbesondere für die absichtliche Notwehrprovokation und die absichtliche actio libera in causa nicht möglich gewesen, das Täterverhalten als „ungewöhnlich“ oder „gezwungen“ einzuordnen.419 Es ist kein außerhalb der §§ 20, 32 StGB zu suchender Bewertungsmaßstab existent, der eine verbale Auseinandersetzung mit dem späteren Angreifer oder den übermäßigen Alkoholkonsum vor der Begehung von Straftaten für „unnatürlich“ erklären könnte. Schon ein Blick in die Polizeiberichte der Tageszeitungen zeigt, dass eher die gegenteilige kriminologische Beurteilung angebracht ist. Wenn diese im Vorfeld der eigentlich tatbestandsmäßigen Handlung liegenden Handlungen daher trotzdem als „nicht normal“ eingeordnet werden, so kann damit nur gemeint sein, dass das Verhalten „nicht normgemäß“ ist, also nicht den Regelfall dessen darstellt, was beiden Vorschriften eigentlich unterfallen sollte. Damit ist wieder vollständig auf die teleologische Auslegung zurückverwiesen; die „Ungewöhnlichkeit“ und „Künstlichkeit“ des Verhaltens erklärt sich also allein aus dem Sinn und Zweck des erschlichenen Rechtfertigungsgrunds bzw. Schuldausschließungsgrunds und hat keinerlei eigenständige Bedeutung.420 Als per se auffällig könnte das Verhalten des Notwehrprovokateurs und des A.-l.i.-c.-Täters allenfalls dann charakterisiert werden, wenn die eigentlichen Handlungsziele des Täters bekannt sind; mit anderen Worten die Kenntnis vorhanden ist, dass der gesamte Vorgang einschließlich der vorbereitenden Akte allein darauf ausgerichtet war, eine Straftat zu begehen. So gesehen ist es natürlich ein unbequemer Umweg für den Straftäter, vor dem eigentlichen Handlungsziel, etwa einer 418

Zu diesen üblichen Unternehmenszielen vgl. Woll, S. 698. Vgl. für die Notwehrprovokation B. I. 2. a) aa) (3) (b) (aa); für die actio libera in causa B. I. 2. c) bb) (1) (a). 420 Für Stöckel (S. 23) ist das Künstlichkeitskriterium auch auf die Erschleichungsfälle hinsichtlich §§ 20, 32 StGB anwendbar: „Auch hier tut der Täter irgend etwas in Hinblick auf die erstrebte Straffreiheit. […]. Er nutzt also nicht lediglich die ihm vom Gesetz gegebenen Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe, er schafft sie sich selbst.“ Bei dieser Subsumtion unterschlägt Stöckel indessen das Prägende des von ihm selbst wenige Zeilen zuvor aufgestellten Künstlichkeitsbegriffs, nämlich die Eigenschaft künstlichen Verhaltens, etwas „Unnatürliches, Sinnwidriges, Gezwungenes“ (Stöckel, aaO.) zu besitzen. Dieses Charakteristikum wird sich für diese Erschleichungsfälle auch nicht finden lassen. 419

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Körperverletzung gemäß § 223 StGB, Provokationen auszuüben bzw. sich zu berauschen. Gerade bei Kenntnis der inneren Tatseite trifft es im wahrsten Sinne des Wortes zu, wenn diese Handlungen im Vorfeld der Rechtsgutsverletzung als „gewolltes“421 Verhalten bezeichnet wird. Das „Künstlichkeitsmerkmal“ erhebt freilich den Anspruch, die Umgehungshandlung bereits objektiv von anderen tatbestandslosen Handlungen abzuheben, so dass auch diese Modifikation an der Untauglichkeit des Atypizitätskriteriums für die genannten Erschleichungskonstellationen auf Rechtswidrigkeits- und Schuldebene nichts ändert. (2) Weitere Gesetzesumgehungen ohne Ungewöhnlichkeitscharakter Das Fehlen einer ungewöhnlichen Sachverhaltsgestaltung ist indessen keineswegs auf die Notwehrprovokation und die a.l.i.c. beschränkt. Auch Umgehungshandlungen auf Tatbestandsebene müssen nicht stets mit einer von den üblichen Verhaltenserwartungen abweichenden Handlungsabfolge verbunden sein. Die Installation eines Strohmannes durch Eintragung als Geschäftsführer der GmbH und die langjährige wirkliche Ausübung der Unternehmensleitung durch einen anderen, den „faktischen Geschäftsführer“422 als die „Seele des Geschäfts“423 kann durchaus als eine Zweckverletzung des vom GmbHG intendierten Haftungssystems angesehen werden und vermag auch den Umgehungscharakter der möglichen Nichtanwendbarkeit etwa der §§ 266, 283 ff. StGB in eigentlich strafwürdigen Sachverhalten zu erklären.424 An und für sich auffällig müssen diese Gestaltungen indessen nicht sein; Änderungen in der betrieblichen Organisationsherrschaft können vielerlei Hintergründe haben und sind nicht derart exzeptionell, dass ihr Auftreten sogleich hervorstechen würde. Ein unabhängig von dem betreffenden Gesetz definierbares normales Verhalten für die Organisation von Schneeballsystemen konnte gleichfalls nicht ausgemacht werden.425 Die Veranstaltung entkoppelter Geldgewinnspiele ist daher keine Geschäftsidee, die ohne Ansehung des § 16 II UWG als auffällig oder sogar widernatürlich eingeschätzt werden könnte. Es erscheint ferner – bei unterstellter Unkenntnis der Rechtlage – nicht per se eigentümlich, dass eine mit einem Berufsverbot belegte Person einen anderen mit der Ausführung der Geschäfte beauftragt.426

421 „Gewollt“ ist wiederum ein Synonym für „künstlich“, vgl. Duden, Synonymwörterbuch, S. 568. 422 Zur faktischen Auslegung als Reaktion auch auf Umgehungsverhalten siehe B. II. 4. 423 Urteilsfeststellung zu einem typischen Strohmann-Fall nach BGHSt 3, 33 (37). 424 Vgl. etwa den „Baumaschinen-Fall“, BGHSt 3, 33; dazu Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 131 f. 425 Siehe B. II. 7. 426 Zu dem Charakter des § 145c StGB als Umgehungsklausel siehe B. II. 11.

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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Schließlich ist auch das Zusammenwirken mehrerer bei wucherischen Geschäftsabschlüssen, dessen Strafbarkeit durch die Additionsklausel gemäß § 291 I S. 2 StGB sichergestellt ist427, nicht als ein Verhalten zu bewerten, dass von der „normalen“ Wucherei als gekünstelt oder ungewöhnlich abgeschieden werden könnte. (3) Zur Tauglichkeit des „Ungewöhnlichkeits-Urteils“ in den vergleichsweise eindeutigen Sachverhalten Natürlich bestehen auch Fallgestaltungen, in denen die Einschätzung, die Gesetzesumgehung sei mit einem „künstlichen“ (i. S. v. „widernatürlichen“) Verhalten verbunden, zutreffend ist. Dies gilt zum Beispiel für die Versuche, die Begünstigungen des Investitionszulagengesetzes in Anspruch zu nehmen. Es ist nicht üblich, einen Kaufvertrag zu schließen, ihn aufzuheben und wortgleich neu abzuschließen.428 Ineffizient und damit auffällig ist auch die Zahlung und schnelle Rückzahlung von Bareinlagen, wenn ebenso gut aufgerechnet hätte werden können.429 Unverständlich ist es für den (Steuer-)Rechtsunkundigen auch, wenn sich z. B. die beiden Erwerber eines geteilten Doppelhauses die jeweiligen Haushälften gegenseitig, also „über Kreuz“ vermieten.430 Geradezu unsinnig erscheint es, Schusswaffen ab Werk mit einem Sicherungsbügel zu versehen, der am Bestimmungsort wieder beseitigt werden muss, um die Maschinenpistolen voll funktionsfähig zu machen.431 In diesen Konstellationen ist der Begriff der Künstlichkeit deskriptiv weiterführend; das umgangene Verhalten ist zugleich stets das vernünftigerweise vorzunehmende.432 Doch auch für diese eindeutig das Künstlichkeitskriterium stützenden Sachverhalte konnte eine deskriptive Präzisierung des Umgehungsterminus nur deshalb erfolgen, weil eine außerrechtliche Konvention von gewisser Dauerhaftigkeit überhaupt existierte und alternative rationale Erklärungsmöglichkeiten annähernd ausgeschlossen werden konnten. Die „Künstlichkeit“ ist also nur dann ein beständiges, Rechtssicherheit vermittelndes Kriterium, sofern die lebensbereichsspezifische Einteilungsmöglichkeit in „das typische“ und „das untypische“ Verhalten selbst beständig ist und der Gesetzgeber bei der Ausformung von Normen darauf Bezug genommen hat. So wird es zu allen Zeiten ungewöhnlich sein, eine Waffe, die vereinbarungsgemäß bestimmte Leistungsmerkmale aufweisen soll, nur mit annä427

In Bezug auf den Umgehungscharakter des § 291 I Nr. 2 StGB vgl. B. II. 12. Siehe B. II. 3. c). 429 Zu der Verschleierung von Sacheinlagen siehe B. II. 5. 430 Durch diese Gestaltung sollen die Schuldzinsen sowie die Anschaffungskosten über den achtjährigen Begünstigungszeitraum der Grundförderung nach § 10e EStG hinaus steuerlich geltend gemacht werden können, Pohl, Rn. 796. 431 Zu Schein- und Umgehungshandlungen bei der Zusammensetzung von Warensendungen B. II. 6. b). 432 Vgl. Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (156), dort am Beispiel des Kaviarschmuggels. 428

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

hernd diesen Eigenschaften abzuliefern. Ebenso „traditionell kurios“ ist es wohl, Vereinbarungen abzuschließen, aufzuheben und identisch erneut zu treffen. Zu Recht ist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hingewiesen worden, dass eine veränderte Wirtschafts- oder Rechtslage das Bedürfnis nach neuen zivilrechtlichen Gestaltungen oder faktischen Verhaltensweisen aufkommen lassen kann.433 Das Typische kann so über Nacht unzweckmäßig sein, das bisher Atypische unversehens die sinnvollste Verhaltensweise.434 Ein klassisches Beispiel für die zeitund umstandsbedingte Relativität des Künstlichen und Unangemessenen bildet die Gesellschaftsform GmbH & Co., die zunächst verfemt war, nun aber selbstverständlicher Bestandteil der Steuerrechtsordnung selbst ist (siehe etwa § 15 III RN. 2 EStG).435 So ist auch das Schrifttum zum Steuerrecht entgegen der bisweilen noch immer dem Wortlaut des § 5 RAO 1919 verhafteten Rechtsprechung436 längst zu der Erkenntnis gelangt, dass die Ungewöhnlichkeit des Verhaltens nicht alleinentscheidend (wohl aber indiziell von Bedeutung) sein kann: „§ 42 [AO] zwingt den Steuerpflichtigen jedoch nicht, fortschrittliche rechtliche Wege zu meiden“.437 Erforderlich ist vielmehr, dass die rechtliche Gestaltung einen über die (hinweg zu denkende) Steuerersparnis hinaus gehenden vernünftigen wirtschaftlichen Zweck nicht erkennen lässt.438 Aufschlussreich ist indessen, dass für die Bemühungen um eine Konkretisierung des § 42 AO und der Steuerumgehung im Steuerrecht allgemein, die mehrheitlich auch vom strafrechtlichen Schrifttum für die Bestimmung der Gesetzesumgehung herangezogen wurde439, kaum auf die teleologische Auslegung der betroffenen 433

Teichmann, S. 72 ff.; Benecke, S. 140 f.; Nippoldt, S. 221. Hierzu ein fiktives Beispiel: Der Bund beschließt, vielgenutzte Autobahnabschnitte in der Absicht, das Haushaltseinkommen zu erhöhen, für ihre Passage mit einer Maut zu belegen. Von dieser Abgabenpflicht ist auch der neue Hamburger Elbtunnel betroffen. Berufskraftfahrer X weicht daraufhin auf seiner täglichen Route Hannover – Kiel – Hannover auf die Hamburger Elbbrücken aus. Da diese Streckenwahl gegenüber der Befahrung des Elbtunnels die Fahrzeit um eine knappe Stunde erhöht, kann dieses Verhalten als ungewöhnlich und als sachlich nicht gerechtfertigt bezeichnet werden. Schon bald jedoch hat das Betreiberkonsortium „PrimaCollect“ mit erheblichen technischen Schwierigkeiten zu kämpfen, was zu einer erheblichen Fahrzeugschlangenbildung vor den Kassierschaltern an den Tunneleingängen führt. X ist auf seiner Ausweichroute nun eine halbe Stunde schneller als seine Kollegen, die zunächst weiterhin den Elbtunnel befahren und im Stau stehen. 435 Kühn/Hofmann, § 42 Rn. 2. 436 § 5 RAO bezog sich nicht auf „unangemessene“, sondern auf „ungewöhnliche“ Gestaltungsweisen; diesen Begriff hat die Rechtsprechung (z. B. BFH BStBl. 53, 284; 92, 239; 98, 235) weitergeschleppt; so jedenfalls die Einschätzung von Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 37. 437 Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 38; ebenso Klein-Brockmeyer, § 42 Rn. 12; Kühn/ Hofmann, aaO. 438 Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 39 m. w. N.; vgl. außerdem die Erörterung hier im Text, B. II. 1.a). 439 Siehe D. III. 4. 434

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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Steuernormen zurückgegriffen wird.440 Dies überrascht zunächst deshalb besonders, weil § 42 AO sowohl die Termini „Umgehung“ und „Missbrauch“ verwendet; beides sind Begriffe, für die sich erwiesen hat, dass sie bei der Erforschung ihrer Substanz fast ausnahmslos – und dies zu Recht – mit der Auslegung der Gesetze nach ihrem Sinn und Zweck in Verbindung gebracht worden sind.441 Ein Grund für diese Auslassung ist sicherlich in der Gesetzestechnik des § 42 AO zu sehen, denn die Anordnung eines „Sachverhaltsdurchgriffs“ in § 42 I S.3 AO auf die den wirtschaftlichen Vorgängen angemessene rechtliche Gestaltung muss zu einer Fokussierung auf dieses Merkmal führen.442 Die geringe Berücksichtigung der teleologischen Reduktion kann daneben womöglich auf die Besonderheiten der steuerrechtlichen Gesetzgebungstechnik zurückgeführt werden. Der Gesetzgeber knüpft nämlich bei der Ausprägung der Steuertatbestände an den „üblichen“ Gebrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten an.443 Weil bestimmte rechtliche Gestaltungen zur Erreichung bestimmter wirtschaftlicher Ziele für typisch erachtet werden, erscheinen sie als der zweckmäßigste Bezugspunkt der Steuererhebung.444 Die mit dem Erlass der Steuergesetze verfolgten konkreten Steuerungsziele oder jedenfalls die Ziele der Gleichheit der Besteuerung und des gesetzmäßigen Vollzugs des Steuergesetzes sind daher nur erreichbar, wenn das Verhalten des Steuerpflichtigen in den erwarteten wirtschaftlichen Bahnen verläuft, sein Verhalten also wenigstens auch die vom Gesetz antizipierten außersteuerlichen Gründe hat.445 Wird die bereits erörterte Minderheitsauffassung im steuerrechtlichen Schrifttum – die mit guten Gründen gerade die Analogiefähigkeit von Fiskalzwecknormen anzweifelt446 – noch in diese Erwägungen eingebracht, so spricht einiges dafür, dass die Umgehung im Steuerrecht nicht selten gerade in der ungewöhnlichen und wirtschaftlich irrationalen Gestaltung gesehen werden muss. Zugespitzt formuliert: Jedenfalls für Fiskalzwecknormen ist atypisches und wirtschaftlich paradoxes Verhalten bereits eine Umgehung des Steuerrechts.447 440

Diskutiert werden zumeist allein die Konkretisierungen, die sich zu § 42 AO traditionell herausgebildet haben, so insbesondere die Kriterien des „Ungewöhnlichen“ und des „Unangemessenen“; vgl. etwa Klein-Brockmeyer, § 42 Rn. 11 ff.; Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 30 ff.; Kühn/Hoffmann, aaO. 441 Siehe D. III. 2., 5.; IV. 2. 442 Zum Verhältnis von „Sachverhaltsdurchgriff“ und Analogie in § 42 AO vgl. B. II. 1. b) aa) und Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 11. 443 Kühn/Hofmann, § 42 Rn. 1. 444 Tipke/Kruse-Kruse/Drüen, § 42 Rn. 24. 445 Zu diesen Zielen der Steuergesetzgebung vgl. Kühn/Hoffmann, aaO.; Tipke/KruseKruse/Drüen, § 42 Rn. 15 ff. 446 Siehe B. II. 1. b) bb). 447 So auch Westerhoff, S. 160: Die Betrachtung der ratio legis, die im Privatrecht meist einen deutlichen Hinweis auf den gewollten Anwendungsbereich der Normen gebe, führe im Steuerrecht nicht weiter, da dort alle Normen – von Nebenzielen abgesehen – den gleichen Zweck hätten, nämlich die Beschaffung von Mitteln für die öffentliche Hand.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Umso bedenklicher erscheint damit die Verwendung des Künstlichkeitsbegriffs für den strafrechtlichen Zusammenhang: zum einen, weil sich die in Bezug genommene neuere Steuerrechtslehre keineswegs mit der bloßen Ungewöhnlichkeit des Verhaltens begnügt; zum anderen, weil eine besondere Akzentuierung des Künstlichkeitselements Gefahr läuft, auch im Strafrecht bereits das abweichende Verhalten zum Umgehungsfall zu erklären. Von einer Gesetzesumgehung sollte nach der hier vertretenen Auffassung jedoch nur bei Bestehen einer „teleologischen Lücke“ die Rede sein. (4) Zwischenergebnis Die These, Gesetzesumgehungen im Strafrecht seien stets mit einem künstlichen, also ungewöhnlichen Verhalten verbunden, hat sich als unzutreffend erwiesen. Diese setzt fälschlich voraus, dass das im Vorfeld der eigentlichen Tathandlung liegende Verhalten nach außerrechtlichen Maßstäben stets den Kategorien „gewöhnlich“ oder „ungewöhnlich“ zugeteilt werden könnte. Es lassen sich jedoch auf jeder Deliktsebene Umgehungssachverhalte finden, für die sich diese Einteilung nicht vornehmen lässt. Auch für Sachverhalte, in denen ein Atypizitäts-Urteil getroffen werden kann, hat es nur einen begrenzten Wert, denn das Merkmal der Künstlichkeit ist auf zeitbeständige Konventionen angewiesen. Für den strafrechtlichen Umgehungsbegriff ist die „Künstlichkeit“ i. S. v. „Ungewöhnlichkeit“ allerdings nicht nur ein begrenzt zweckmäßiges Kriterium, sie droht auch sachwidrige Einordnungen hervorzubringen. Die undifferenzierte Ausrichtung des strafrechtlichen Umgehungsbegriffs an der steuerrechtlichen Diskussion nämlich kann zu einer Überbetonung des Wertes des Atypizitätskriteriums führen und damit die Grenze zwischen echter und unechter Gesetzesumgehung verwischen.448 Damit werden auch die unterschiedlichen Funktionen des Atypizitätskriteriums in den beiden Rechtsgebieten nivelliert: Die „Ungewöhnlichkeit“ soll in der strafrechtlichen Diskussion überwiegend der Handlungsbeschreibung und zum Teil dem Vorsatznachweis dienen449, § 42 AO – bzw. seine Auslegungstradition – hingegen machen die Atypizität zu einem weDieser m. E. zutreffende Ansatz Westerhoffs muss allerdings in zweifacher Hinsicht relativiert werden, da zum einen jedenfalls die Sozialzwecknormen durchaus eine konkrete ratio besitzen und zum anderen die Besteuerungsmaßstäbe, gerade das Leistungsfähigkeitsprinzip, im Einzelfall durchaus zu der Feststellung einer individuellen Normzweckverfehlung beitragen können. Dies gilt aber längst nicht für alle Fiskalzwecknormen. Siehe hierzu bereits B. II. 1. b) bb). 448 Zu dem hier zugrundeliegenden Verständnis der Abgrenzung echter und unechter Gesetzesumgehungen siehe D. IV. 2. b) ee) (4). 449 Ausnahmen von dieser Bewertung bilden sowohl Stöckel, S. 75 ff., der die als künstliche, zweckwidrige Tatbestandsvermeidung definierte Gesetzesumgehung auch zu einem Rechtsinstitut erklären will, welches die rechtliche Gleichstellung mit dem umgangenen Verhalten nach sich ziehen soll als auch Bruns, GA 1986, 1 ff. (12 f., 27), der ähnlich Stöckel auf den „vernünftigen“ Sachverhalt durchgreifen möchte.

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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sentlichen Merkmal der Handlungsbewertung und zu einer der Kernvoraussetzungen des in § 42 AO vorgesehenen Sachverhaltsdurchgriffs. Aus diesen Gründen erscheint es sinnvoll, die steuerrechtliche Orientierung der strafrechtlichen Begriffsbildung für diesen Zusammenhang aufzugeben und auf das Künstlichkeitskriterium zu verzichten. bb) Die besondere Aktivität des Täters im Vorfeld der strafrechtlich relevanten Handlung Mit dem Künstlichkeitsurteil soll das Täterverhalten nach Auffassung Stöckels nicht nur für ungewöhnlich befunden werden, es beinhalte zudem die Feststellung, dass der Täter zuvor besonders aktiv geworden sei. Diese Beobachtung ist überwiegend zutreffend. Tatsächlich zeichnet es Umgehungshandlungen im Strafrecht neben dem Bestehen einer teleologischen Lücke zumeist aus, dass der Täter im Vorfeld des eigentlich strafrechtlich relevanten Verhaltens Vorsorge dafür getroffen hat, dass die belastende Norm nicht anwendbar wird oder die begünstigende Vorschrift auf ihn angewendet werden kann.450 Diese Eigenschaft gesetzesumgehenden Verhaltens ist auch durchaus verwendbar, um die Gesetzesumgehung bereits objektiv von anderen Fällen einer „teleologischen Lücke“ zu unterscheiden. Irreführend ist es aber, wenn Stöckel meint, dieses Charakteristikum der Umgehung mit dem Begriff der Künstlichkeit treffend umschreiben zu können. Es ist erst die Norm, welche die Einschätzung tragen kann, ein Vorverhalten sei wegen der vom Täter selbst (absichtlich) herbeigeführten, zweckwidrigen Tatbestandslosigkeit als künstlich im Sinne von „konstruiert“451 aufzufassen. Daneben mag die Einordnung eines Verhaltens als „ungewöhnlich“ in vielen Fällen auch die Feststellung tragen, das Verhalten sei durch eine besondere Aktivität ausgezeichnet gewesen. Der Ausdruck „künstlich“ ist für dieses Charakteristikum von Umgehungshandlungen im Strafrecht aber nicht treffend. Zielführender erscheint es daher, die hier bereits als „Mehraktigkeit“ umschriebene besondere Aktivität des Täters im Vorfeld auch als solche zu benennen: Die Gesetzesumgehung im Strafrecht zeichnet also im Gegensatz zu Umgehungssachverhalten im Zivilrecht in fast allen Konstellationen452 ein die Straffreiheit begründendes Vorverhalten des Täters selbst aus, welche als zweckwidrig im Sinne einer „teleologischen Lücke“ der betreffenden Strafnorm zu bezeichnen ist.

450

Siehe C. VI. „Konstruiert“ ist wiederum ein Synonym von „künstlich“; Duden, Synonymwörterbuch, S. 568. 452 Zu den Ausnahmen von der „Mehraktigkeit“ der Gesetzesumgehung im Strafrecht vgl. C. VI. 451

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Eine genauere allgemeingültige Beschreibung der erfolgreichen Gesetzesumgehung im materiellen Strafrecht nach objektiven Kriterien ist meines Erachtens nicht möglich. Die Betrachtung von Gesetzen unter dem teleologischen Blickwinkel enthüllt allerdings eine weitere Eigenschaft des Untersuchungsgegenstandes: Er ist ein Paradoxon der Rechtstheorie, denn die Gesetzesumgehung beschreibt die unilaterale Normänderung durch den eigentlich Normunterworfenen. b) Beweisrechtliche Funktionen des Künstlichkeitsbegriffs Neben der deskriptiv-präzisierenden Funktion, die das strafrechtliche Schrifttum dem Künstlichkeitsmerkmal überwiegend zuspricht, wird das Künstlichkeitsmerkmal auch in einem beweisrechtlichen Zusammenhang angeführt. Danach soll das Vorliegen einer künstlichen Gestaltung auch Rückschlüsse auf die Umgehungsabsicht bzw. den Umgehungsvorsatz des Täters ermöglichen.453 Die „Künstlichkeit“ des Täterverhaltens fungiert mithin als Indiz, also als äußere Tatsache, aus deren Vorhandensein auf eine andere, hier eine innere Tatsache geschlossen werden kann.454 Die Ebene der reinen Handlungsbeschreibung wird mit diesem Blickwinkel verlassen, die Ebene der rechtsfolgenorientierten Handlungsbewertung betreten. Offensichtlich ist ein solches Instrument zum Vorsatzbeweis aber nur dann erwähnenswert, wenn der Nachweis subjektiver Umgehungselemente überhaupt für erforderlich erachtet wird.455 Einsichtig sollte zudem sein, dass eine forensische Verwendung des „Künstlichkeitsmerkmals“ nur zulässig sein kann, wenn seine Feststellung auf der vorgelagerten Ebene der Handlungsbeschreibung zutreffend gewesen ist. Es hat sich jedoch gezeigt, dass bereits das Künstlichkeitsurteil als Handlungsbeschreibung für viele Umgehungssachverhalte zu vorschnell gefallen war. Ist diese Feststellung korrekt getroffen worden, so bleibt daran zu erinnern, dass mit dem Bestehen eines Indizes gerade noch kein Nachweis der fraglichen Tatsache (hier: der möglichen subjektiven Umgehungselemente) geführt ist, sondern das Indiz (mit) geeignet sein muss, die richterliche Überzeugung hinsichtlich der fraglichen Tatsache erst herbeizuführen.456 453

v. Burchard, S. 159; Westerhoff, S. 164 ff.; Benecke, S. 145. Zum Indizbegriff vgl. Deutsches Rechts-Lexikon-Köbler, S. 2292; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 7. 455 Ein bekannter Umgehungsfall, für dessen Erfassung nach h. M. Umgehungsabsicht erforderlich ist und für den die Künstlichkeit als entsprechendes Indiz herangezogen wird, ist § 42 AO. Vgl. dazu B. II. 1. a) bb). Ob und in welchem Umfang gerade die Umgehungsabsicht ein Strafbarkeitsvoraussetzung ist, ist allerdings noch näher zu untersuchen; siehe dazu D. IV. 5. b) aa). 456 Zwar liegt es in der Natur innerer Tatsachen, dass sie – abgesehen von einem Geständnis – nur mittelbar von äußeren Tatsachen abzuleiten sind (vgl. Loos, Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, S. 261 ff. (270 ff.); Vest, S. 58 f.), doch darf selbst aus äußeren Vorgängen, deren Vorsatz-Typik sich geradezu aufdrängt, nicht ipso iure auf die Planmäßigkeit des Tä454

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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Es ist deshalb bedenklich, wenn dieser weitere Wertungsakt durch das Künstlichkeitsmerkmal eingeebnet wird, wenn also aus der wirtschaftlichen Unsinnigkeit des Verhaltens ohne weiteres die Umgehungs- bzw. Erschleichungsabsicht abgeleitet wird.457 Auf diese Weise wird vorgegeben, eine bloße Handlungsbeschreibung vorzunehmen, die indessen bereits eine – ihrerseits eigentlich noch begründungsbedürftige – Handlungsbewertung enthält. Der Maßstab des homo oeconomicus, der bereits anzulegen war, um zunächst zu einer Feststellung der Atypizität zu gelangen, wird übergangslos zur Vorsatzermittlung herangezogen: Weil sich auch der wirtschaftlich sinnlos Handelnde nicht irrational verhalten wollen werde, könne er nur die Normumgehung bzw. Normerschleichung im Sinn gehabt haben. Für diese Anschauung spricht im Wirtschaftsleben tatsächlich Einiges; eine die richterliche Überzeugungsbildung ersetzende Erkenntnis in eine Naturgesetzmäßigkeit ist sie jedoch bestimmt nicht und an eine Rückkehr zu Vorsatzvermutungen für den Strafprozess denkt niemand.458 c) Zusammenfassung Das Sammelsurium an Interpretationsmöglichkeiten, die das Wörterbuch für den Begriff der „Künstlichkeit“ bereithält, hat sich auch in seiner Verwendung für die Gesetzesumgehung wiedergefunden. Die „Künstlichkeit“ wird als Synonym für ein generelles Aktivwerden verstanden, sie soll aber auch die Ungewöhnlichkeit des Täterverhaltens kennzeichnen. Die Bezeichnung der Tatbestandsvermeidung als „künstlich“ hat zum Teil einen bloß beschreibenden Charakter, andererseits soll sie Voraussetzung für das Rechtsinstitut Gesetzesumgehung oder den „Sachverhaltsterverhaltens geschlossen werden. Vielmehr ist es für den Vorsatznachweis erforderlich, dass der Richter in einem psychischen Zwischenschritt im Anschluss an die bloße Feststellung eines aus der allgemeinen Lebenserfahrung geschöpften probabilistischen Zusammenhangs zwischen Indiztatsache und nachzuweisender innerer Tatsache seine eigene Überzeugung formt, also im Wege eines inneren Für und Wider ermittelt, ob die Gesamtumstände und gegebenenfalls weitere Beweismittel seine Erwägung tragen, aus bloßer Wahrscheinlichkeit eigene Gewissheit werden zu lassen (zu den Voraussetzungen der Verwertung von Indizien im Rahmen der freien Beweiswürdigung siehe LR-Gollwitzer, § 261 Rn. 60 ff. m. w. N.). 457 So jedenfalls lassen sich die entsprechenden Ausführungen Tiedemanns, Subventionskriminalität, S. 342 f. und Reisners, S. 5, am ehesten interpretieren. Zwar lässt sich nach Ansicht Stöckels, S. 27 aus dem objektiven Merkmal „künstlich“ eine besondere Zweckbezogenheit des Handelns erkennen (S. 16), doch verlangt er für das Vorliegen der subjektiven Umgehungskomponente, dass der Täter die Künstlichkeit (d. i. im Sinne Stöckels: „entgegen der Vorstellung des Gesetzes straffrei zu bleiben durch Abweichen vom normalen Weg, durch besondere Manipulationen, durch Kniffe und Schliche“ [S. 27]) seines Verhaltens auch erkennt. Überzeugend ist diese subjektive Wendung des Künstlichkeitsmerkmals nicht, denn sie dreht sich im Kreis. Der objektive Künstlichkeitsbegriff Stöckels, auf den sich der Umgehungsvorsatz beziehen soll, setzt schließlich bereits eine subjektivierte Definition des Künstlichen, nämlich „besondere Manipulationen, Kniffe und Schliche“ voraus. 458 Argumente gegen die Vorsatzvermutung im Strafrecht bei Loos, Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, S. 261 ff. (277) m. w. N. Dazu, dass der Vorsatz als einmalige, höchstpersönliche Tatsache nicht allein anhand von Erfahrungssätzen festgestellt werden darf vgl. BGH NStZ 2004, 51 (52); LK12-Vogel, § 15 Rn. 67.

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durchgriff“ sein. „Künstlichkeit“ ist indessen auch Indiz für subjektive Umgehungskomponenten, für manche steht mit der künstlichen, also wirtschaftlich unsinnigen Gestaltung der Umgehungsvorsatz sogar bereits fest. Insbesondere für Erschleichungssachverhalte auf Rechtswidrigkeits- und Schuldebene hat sich indessen gezeigt, dass die Kennzeichnung „ungewöhnlich“ letztlich auf das (vermeintliche) Telos der Normen zurückverweist. Von dieser Fülle an Aussagen haben sich nur zwei als generell belastbar erwiesen: Es ist deskriptiv zutreffend, dass nahezu alle Fälle der Gesetzesumgehung im Strafrecht durch ihre „Mehraktigkeit“ gekennzeichnet sind. Der Täter wird im Vorfeld der strafrechtlich eigentlich relevanten Handlung in besonderer Weise aktiv, denn er führt das normzweckwidrige, möglicherweise durchschlagende Subsumtionshindernis selbst herbei. Mit dem Ausdruck „künstlich“ ist dieses Verhalten allerdings sprachlich unzutreffend beschrieben. Unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen ist es außerdem für den rechtsfolgenorientierten Blickwinkel zulässig, die Künstlichkeit des Verhaltens als Indiz für subjektive Umgehungskomponenten heranzuziehen, sofern etwa die Umgehungsabsicht zur strafrechtlichen Erfassung des Umgehungsverhaltens überhaupt erforderlich sein sollte. Bedingung hierfür ist zum einen, dass das untersuchte Tätervorgehen nach den Maßstäben des entsprechenden Lebensbereichs tatsächlich als ungewöhnlich zu bezeichnen ist, denn die bloße Normzweckwidrigkeit kann das Verhalten gerade nicht „atypisch“ machen. Zum anderen sollte für den Indizienbeweis nur auf Konventionen mit einer gewissen Zeitlosigkeit Bezug genommen werden, um eine innovative Gestaltungsmöglichkeit nicht prompt als absichtliche Gesetzesumgehung zu disqualifizieren. 5. Die subjektive Seite der Gesetzesumgehung im Strafrecht Für das richtige Verständnis der subjektiven Komponenten der Gesetzesumgehung ist es von elementarer Bedeutung, ihre Aufgabe bei der Kennzeichnung der Gesetzesumgehung einerseits und ihre Funktion für die Erfassung der Gesetzesumgehung (also für die Rechtsfolgenseite) andererseits auseinander zu halten. Aus den bisherigen Untersuchungen war deutlich geworden, dass die Gesetzesumgehung überwiegend als ein (typischerweise) planvolles Verhalten aufgefasst wird, ohne dass diese Einschätzung deutlich zur Sprache kommen würde.459 Das Interesse galt vielmehr der Bedeutung subjektiver Elemente für die Erfassung von Umgehungsverhalten, wobei die Meinungen sowohl für das Strafrecht als auch das Zivilrecht deutlich auseinanderfielen.

459

D. III. 7.

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a) Aus dem geltenden Recht ableitbare Mindestvoraussetzungen für jede Umgehung des materiellen Strafrechts Das Erfordernis subjektiver Umgehungselemente könnte sich für das materielle Strafrecht zwingend bereits aus § 15 StGB ergeben. aa) Subjektive Mindestvoraussetzungen für den Rechtsfolgenkontext der Gesetzesumgehung Für die Strafbarkeit von Verhaltensweisen, die objektiv als Umgehungsverhalten charakterisiert werden können, ergibt sich das Vorsatzerfordernis dann, wenn die umgangene Vorschrift eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nicht kennt. § 15 StGB nämlich ordnet an, dass strafbar nur vorsätzliches Verhalten ist, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Verhalten ausdrücklich mit Strafe bedroht. Der alleinige Bezug auf die umgangene Norm ergibt sich aus dem hier zugrunde gelegten Verständnis, dass die Bestrafung von Umgehungsverhalten nicht der Schließung beliebiger Lücken im Gesamtstrafrechtssystem und der Verteidigung gegen besonders gerissene Täter dienen darf, sondern gerade der konkreten Schutzrichtung der umgangenen Vorschrift verpflichtet sein muss.460 Deshalb hat sich die Vorsatzbestimmung der Umgehungsbestrafung an den subjektiven Voraussetzungen für die umgangene Norm zu richten, was auch besondere Absichten und Gesinnungsmerkmale mit einschließt.461 Dies gilt für die Erfassung der Gesetzesumgehung de lege lata und de lege ferenda. Die Anschauung Teichmanns und Siekers, eine Erfassung von Gesetzesumgehungen sei letztlich allein nach objektiven Maßstäben zu entscheiden, da böse oder üble Gesinnungen nicht ausschlaggebend sein dürften462, kann für das Strafrecht mithin keinen Bestand haben. Für das geltende Recht zeigt sich dieser Grundsatz ganz selbstverständlich daran, dass die (jedenfalls überwiegend) für strafbar erachteten Umgehungshandlungen nur bei Kenntnis der gesetzlichen Umstände bestraft werden können. Dies ist für die Umstandskenntnis bzgl. § 145d StGB oder § 330d StGB offensichtlich und gilt genauso etwa für die Verschleierung von Sacheinlagen oder die Versendung von Kriegswaffen in Einzelteilen. Auch die Bezugnahme auf außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln entbindet nicht von dem Vorsatzerfordernis und seinem Nachweis. Daher muss der Täter von § 264 I Nr. 1 und Nr. 3 StGB auch die Subventionserheblichkeit der (unterlassenen) Angaben nachvollziehen und mithin § 4 II SubvG kennen sowie richtig bewerten.463 Ebenso ist es erforderlich, dass der Steuerhinterzieher Vorsatz hinsichtlich der Steuererheblichkeit derjenigen Tatsachen hat, aus denen sich die Bewertung seiner Handlung als Umgehungsverhalten (nach § 42 AO) 460

Siehe D. IV. 2. b) ee) (4). Auch für Stöckel (S. 15) ist es systemwidrig, die vorsatzlose Umgehung eines Tatbestands zu sanktionieren, der nur vorsätzlich verwirklicht werden kann. 462 Teichmann, S. 67 ff.; Sieker, S. 40 ff. 463 Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 264 Rn. 62; LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 120. 461

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erst ergibt.464 Da es nach der h. M. hierbei ausnahmslos um die (faktische) Interpretation normativer Tatbestandsmerkmale geht465, muss ein entsprechender Irrtum zu einem Vorsatzausschluss nach § 16 StGB führen.466 Für die erörterten Erschleichungsfälle auf Rechtswidrigkeits- und Schuldebene dagegen kann wegen der zu unterstellenden vollständigen Kenntnis der Sachlage eine Fehleinschätzung über die Strafbarkeit des Verhaltens nur nach den allgemeinen Regeln, also über § 17 StGB zu einer Straflosigkeit bzw. -milderung führen. bb) Subjektive Mindestvoraussetzungen für den deskriptiven Kontext der Gesetzesumgehung Das in § 15 StGB festgeschriebene Vorsatzerfordernis betrifft nicht allein die Bestrafung von Verhalten mit Umgehungscharakter, es wirkt sich auch auf die Frage aus, welche Sachverhalte überhaupt als Gesetzesumgehung bezeichnet werden sollten. Für die Begründung dieser These ist zum Kern des hier vertretenen objektiven Umgehungsbegriffs zurückzukehren. Die Gesetzesumgehung zeichnet sich demnach durch eine „teleologische Lücke“, also durch eine Zielverfehlung aus: Die Strafnorm sollte nach ihrem Sinn und Zweck und abweichend von ihrem Wortlaut anwendbar oder – für den Erschleichungsfall – nicht anwendbar sein. Zu dem Tatbestand einer Strafnorm gehören üblicherweise – von den nach der überkommenen Meinung bestehenden Besonderheiten der Fahrlässigkeitsdelikte einmal abgesehen – stets objektiver wie subjektiver Tatbestand. Die unvorsätzliche Verwirklichung einer Vorsatzstrafnorm kann zwar generell als Unrecht bezeichnet werden467, strafrechtliches Unrecht ergibt sich indessen erst aus personalem Unrecht. Nur das Vorliegen des vom Gesetz in concreto vorgegebenen Handlungsunwertes kann zusammen mit dem Sachverhaltsunwert den – jedenfalls durch das Vorliegen von Rechtferti-

464 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (173); dort auch der Hinweis auf die vom Bundesverfassungsgericht artikulierte verfassungsrechtliche Dimension dieses Vorsatzerfordernisses: E 78, 205 (213) betont, dass der Betroffene bei den auf außerstrafrechtliche Wertungen abstellenden Straftatbeständen durch das strafrechtliche Vorsatzerfordernis in hinreichendem Maße geschützt werde; zu der überwiegend vertretenen „Steueranspruchstheorie“, der zufolge der Vorsatz des Täters eben auch alle Umstände umfassen muss, die im Einzelfall die Steuerpflicht begründen vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 634 m. w. N., dort auch zu der Normativität des Merkmals „steuerlich erhebliche Tatsachen“ in § 370 AO. 465 Auch für die mit einem Sicherungsbügel versehene Waffe gilt, dass ihre Einordnung als Kriegswaffe eine Bewertung voraussetzt [zum „Maschinenpistolenfall“ vgl. B. II. 6. b)]. Damit zeigt sich zugleich einmal mehr die Untauglichkeit der überkommenen Abgrenzungskriterien für deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale; siehe dazu bereits B. II. 5. b) m. Fn. 484. 466 Vogel, aaO.; LK11-Tiedemann, aaO.; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 672 mit umfangreichen Nachweisen zum Meinungsstand. 467 Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass auch dem unvorsätzlichen Angriff mit dem Notwehrrecht begegnet werden darf; zu diesem Grundsatz und seinen Ausnahmen siehe Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 3 m. w. N.

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gungsgründen ausgeschlossenen – strafrechtlichen Unrechtstatbestand bilden.468 Die nach ihrem Telos gebotene Anwendung einer Strafnorm für Umgehungssachverhalte setzt daher voraus, dass eine Vergleichbarkeit der beiden Sachverhalte469 nicht nur hinsichtlich der Rechtsgutsbeeinträchtigung und der Art und Weise des Angriffs auf das Rechtsgut besteht, sondern dass in beiden Sachverhalten auch die gleiche Umstandskenntnis gegeben ist. Es ist kein Grund ersichtlich, warum für den Umgehungssachverhalt ein geringerer Handlungsunwert als für die eindeutig gesetzlich erfassten Fälle erforderlich sein sollte. Ist die umgangene Norm also nur vorsätzlich begehbar, so darf von einer Gesetzesumgehung im Strafrecht nur dann ausgegangen werden, wenn auch hier die entsprechende Umstandskenntnis gegeben ist. Für die Rechtswirklichkeit zeigt sich jedenfalls nach den für diese Untersuchung herangezogenen Beispielen, dass die unvorsätzliche Gesetzesumgehung eine sehr geringe Bedeutung hat. Die auf Tatbestandsebene betrachteten Sachverhalte betrafen fast durchgängig Vorsatzdelikte.470 Für die Erschleichung der Notwehr gilt – bei Vernachlässigung denkbarer Kathederfälle471 – das gleiche. Schließlich bildet auch die so genannte fahrlässige actio libera in causa keinen Fall der fahrlässigen Gesetzesumgehung, sofern man sich vergegenwärtigt, dass sie angesichts der Unzuständigkeit des Kongruenzprinzips für Fahrlässigkeitsdelikte nach zutreffender Ansicht als schlicht überflüssig gelten darf.472 Somit kann jedenfalls im Rahmen des für diese Arbeit untersuchten Fallmaterials festgehalten werden, dass auch der analytisch-beschreibende Begriff der Gesetzesumgehung stets von vorsätzlichem Verhalten auszugehen hat. b) Weitergehende subjektive Merkmale der Gesetzesumgehung im Strafrecht Nach den bisherigen Ausführungen ist die Gesetzesumgehung im Strafrecht als das Bestehen einer teleologischen Lücke zu verstehen, die vom Täter selbst in Kenntnis der Tatumstände herbeigeführt worden ist. 468

Zum gegenwärtigen Stand der Unrechtslehre vgl. statt vieler Otto, AT, § 7 Rn. 47 ff. m. w. N. 469 Gemeint sind der normtypische, subsumierbare Sachverhalt einerseits und der Umgehungssachverhalt andererseits. 470 Ausnahmen von dieser Regel bilden allerdings § 378 AO und § 264 IV StGB, welche auch die leichtfertige Begehung unter Strafe stellen. 471 Vorstellbar ist z. B. der Fall, dass Förster X den irrtümlich für ein Reh gehaltenen Kollegen O in eben jenem Moment erschießt, als O seinerseits aus dem Gebüsch heraus in Richtung des X abdrücken wollte, um sich für vorherige Provokationen des X zu rächen. Hier von einem „erschlichenen“ Notwehrrecht zu sprechen, erscheint mehr als zweifelhaft, da es X nicht auf die Heraufbeschwörung einer Notwehrsituation abgesehen hatte und aus zwei Gründen keine Ausweichmöglichkeit hatte: zum einen, weil für ein Ausweichen keine Zeit blieb und zum anderen, weil der fahrlässig handelnde Notwehrtäter nur ganz selten überhaupt Kenntnis von einem Angriff haben wird. 472 Vgl. dazu bereits B. I. 2. c) aa) m. Fn. 174.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Die Vorstellung, dass der Begriff der Gesetzesumgehung mit dieser Umschreibung erschöpfend behandelt worden sein soll, muss auf ein gewisses Unbehagen treffen, welches daher rührt, dass mit dem „Gesetzesumgeher“ überwiegend ein noch wesentlich zugespitzter Sachverhalt – von manchen vielleicht sogar ein besonderer Tätertypus – in Verbindung gebracht wird. Die Literaturauswertung hatte gezeigt, dass die Gesetzesumgehung zumeist mit einem gewissen Raffinement, einem Plan, einer Strategie oder einem Versuch zur Ausnutzung von Lücken in Verbindung gebracht wurde.473 Danach zeichnet es den Umgehungstäter nicht nur aus, dass er die Umstände erkennt, die sein Verhalten zu einem tatbestandslosen und normzweckwidrigen Verhalten werden lassen, vielmehr bezieht er die Lückenhaftigkeit der Rechtnormen von vornherein in sein Vorhaben ein. Das am Anfang stehende Ziel der Normvermeidung ist mit anderen Worten conditio-sine-qua-non des (meist mehraktigen) objektiven Umgehungsgeschehens. Mit dieser subjektiv akzentuierten Beschreibung von Umgehungsverhalten ist jedoch keine Antwort darüber getroffen, ob etwa die Umgehungsabsicht oder der Umgehungszweck überhaupt notwendig sind, um einerseits eine Erfassung von Umgehungsverhalten zulässig erscheinen zu lassen und andererseits zu einem präzisen, beschreibenden Umgehungsbegriff zu gelangen. Die bloße Beobachtung, dass die Gesetzesumgehung bisher – oft ohnehin nicht mehr als unterschwellig – als strategisches Verhalten beschrieben worden ist, besagt noch nichts über die Funktion dieser subjektiven Zuschreibung. Die Charakterisierung der Gesetzesumgehung als typischerweise planvolles Verhalten könnte auch als didaktische Zuspitzung zu verstehen sein, um das Problem der durch den Täter selbst herbeigeführten zweckwidrigen Normgeltung für sich selbst und das Leserpublikum besonders zu verdeutlichen. Es ist daher zu klären, ob und inwieweit für die Gesetzesumgehung über den normalen Tatvorsatz hinausgehende Elemente erforderlich sind, die jenseits der bloßen Veranschaulichungshilfe liegen. Anders als für das Erfordernis der Umstandskenntnis besteht für die besonderen subjektiven Merkmale auf den ersten Blick keine zwingende Ergebniskongruenz zwischen der deskriptiven und der rechtsfolgenorientierten Ebene: Es erscheint möglich, dass für die Bestrafung von Umgehungshandlungen im einzelnen Normkontext das Bestehen und der Nachweis von Umgehungsabsicht erforderlich ist, der rechtstheoretische Begriff der Gesetzesumgehung im Strafrecht indessen ohne diese Absicht definierbar ist. Umgekehrt könnte sich zeigen, dass eine abstrakte Beschreibung der Gesetzesumgehung und ihre Abgrenzung von anderen Sachverhalten zwar nur unter der Voraussetzung besonderer subjektiver Merkmale zu erreichen ist, die Pönalisierung dieser Sachverhalte aber keinen durchgreifenden (verfassungs-) rechtlichen Bedenken für den Fall begegnet, dass in subjektiver Hinsicht der einfache Vorsatz für ausreichend erachtet wird. Es wäre im letzteren Fall dann zwar möglich, das untersuchte Verhalten unter Strafe zu stellen, es könnte nur nicht als Umgehungshandlung klassifiziert werden. 473

D. III. 7.

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aa) Besondere subjektive Umgehungsmerkmale im Rechtsfolgenkontext Die am weitesten gehende vorstellbare These, für die Gesetzesumgehung sei stets eine Umgehungsabsicht bzw. eine Erschleichungsabsicht im technischen Sinne zu verlangen, lässt sich in dieser Pauschalität nicht halten. Dies gilt unabhängig davon, ob der Gegenstand der Umgehungsabsicht der Umgehungserfolg selbst und/oder die Normzweckwidrigkeit des Umgehungserfolgs ist. Diese Annahme setzt nämlich voraus, dass die Strafwürdigkeit eines Verhaltens mit Umgehungscharakter, das objektiv noch unter eine Strafnorm subsumiert werden kann, erst gegeben sei, wenn Umgehungsabsicht bestehe. Grundsätzlich muss der Umgehungstäter jedoch nicht mehr wissen oder wollen als jeder andere Straftäter auch: „Ebensowenig aber wie im Regelfall der Täter, der alle Tatbestandsmerkmale bewusst und gewollt erfüllt, die Absicht haben muß, sich dadurch strafbar zu machen, kann man eine solche Absicht beim Umgehungstäter verlangen.“474 Es ist daher prinzipiell ausreichend, dass der einfache Tatbestandsvorsatz gegeben ist sowie die sonstigen subjektiven Merkmale, die gegebenenfalls vom jeweiligen Straftatbestand vorausgesetzt werden. Sofern der Umgehungstäter allerdings meint, erfolgreich der in casu betroffenen Strafnorm bzw. der in Bezug genommenen außerstrafrechtlichen Norm ausgewichen zu sein – und dies wird spätestens sein Verteidiger vorbringen – steht die Frage im Raum, ob womöglich ein strafausschließender Irrtum des Täters bestanden hat, der je nach Sachverhalt nicht allein mit dem Hinweis auf § 17 S. 2 StGB abgetan werden kann. Inwieweit die Besonderheiten der Umgehungsmaterie bereits erhöhte Anforderungen an die subjektive Seite des Unrechtstatbestandes stellen könnten, soll im Folgenden ausgeführt werden. (1) Auseinanderfallen von Umgehungsziel und Handlungsziel Klarzustellen ist für die „Umgehungsabsicht“ von vornherein, dass der tatbestandliche Erfolg nicht stets den eigentlichen Grund zum Tätigwerden abgegeben haben wird. Selbst für die Fälle der absichtlichen Notwehrprovokation und der absichtlichen actio libera in causa, in denen es dem Täter mit seinem Vorverhalten gerade auf den rechtlichen Erfolg (also den Erschleichungserfolg) ankommt, muss dieser Umgehungserfolg nicht das eigentliche Ziel des Täters bilden. Dieses kann vielmehr auch der anlässlich der Straftat erreichte Erfolg sein, im Falle eines Mordes z. B. Wiederherstellung gekränkter „Ehre“ oder die begehrte Erbschaft. Das Handlungsziel ist in solchen Umgehungssachverhalten also „außer-außertatbestandlich“, weil es nicht nur jenseits der Wortlautgrenze des Garantietatbestandes zu finden sein wird, sondern generell unabhängig vom tatbestandlich geschützten Rechtsgut gelegen ist.475 474

Stöckel, S. 27. Für die übliche Bestimmung der Absicht als Vorsatzform gilt nichts anderes: In der Sache besteht Einigkeit darüber, dass insbesondere der Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs 475

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Ein engerer Zusammenhang besteht dagegen für die Subventionserschleichung oder die Steuerhinterziehung. Die gewährte staatliche (Steuer-)Vergünstigung ist zugleich Umgehungserfolg wie auch das eigentliche Ziel des Täters. Anderes gilt indessen für weitere Bereiche des Wirtschaftsstrafrechts, etwa für das Außenwirtschaftsrecht bei Umgehungshandlungen im Kontext der Zusammensetzung von Rüstungslieferungen: das Endziel des Täters ist hier die Entrichtung des vereinbarten Kaufpreises durch den Käufer im Ausland, Erschleichungserfolg ist hingegen die Erlangung einer rechtswidrigen, aber wirksamen Genehmigung, die eine Umgehung der Straftatbestände des KWKG und – bei tatsächlich erfolgten Export – des AWG nach sich ziehen kann. Hier ist der Umgehungserfolg als solcher nicht das Motiv für die strafrechtlich relevante Aktivität und erst recht nicht ist es die Absicht im Sinne dolus directus 1. Grades, sich normzweckwidrig zu verhalten. Wenn also im Folgenden die Umgehungsabsicht im technischen Sinne angesprochen wird, so muss sie dahingehend verstanden werden, dass sie das Verhalten des Täters nicht stets ausschließlich determiniert, sondern lediglich mitbestimmt hat und dabei insbesondere den Weg zu der Erreichung sowie die rechtliche Absicherung seiner eigentlichen Ziele. (2) Das Verhältnis der Umgehungsabsicht zu sonst im StGB formulierten Absichten Die damit in das richtige Verhältnis zu den eigentlichen Handlungszielen gesetzte Umgehungsabsicht unterscheidet sich folglich deutlich von den z. B. in §§ 242 I, 263 I StGB festgeschriebenen Absichten. Dort soll erst eine bestimmte wirtschaftliche Zwecksetzung, die über die eigentliche Rechtsgutsverletzung hinausgeht, den Unrechtstatbestand konstituieren; die Umgehungsabsicht dagegen macht die Etablierung des Unrechtstatbestandes davon abhängig, dass der Täter das Ziel hat, eine Strafnorm (oder eine vorgelagerte außerstrafrechtliche Norm) nicht erfüllen zu wollen476 (Umgehungsabsicht hinsichtlich ihres rechtlichen Erfolgs) bzw. es darauf anlegt, den Zweck der Norm zu vereiteln (Absicht der Normzielbeeinträchtigung).477 (3) Umgehungsabsicht als das Ziel, normzweckwidrig zu handeln? Die anfangs aufgestellte These, dass eine Umgehungsabsicht nicht pauschal zu fordern sein wird, ist jedenfalls dann schnell einsichtig, wenn sie auf die Normnicht alleiniger Endzweck des Täters sein muss; es genügt, dass er aus Sicht des Täters notwendiges Mittel zur Erreichung eines auch außertatbestandlichen Handlungsziels gewesen ist; LK12-Vogel, § 15 Rn. 81 m. w. N. 476 Für Erschleichungskonstellationen gilt wiederum das Umgekehrte: Hier hat der Täter das Ziel, eine strafrechtliche oder außerstrafrechtliche Norm auf sich zu lenken. 477 Daher geht Vogel mit seiner Bemerkung (Madrid-Symposium, S. 151 ff. (172), durch das Erfordernis der Umgehungsabsicht komme kein dem Strafrecht fremdes Gesinnungselement ins Spiel, weil die Unrechtsmaterie – wie bei §§ 242, 263 StGB – selbst durch eine Absicht gekennzeichnet sei, von einer Vergleichbarkeit aus, die so nicht gegeben ist.

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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zweckwidrigkeit des Verhaltens bezogen wird. Zutreffend hat Benecke darauf hingewiesen, dass es keinem Gesetzesumgeher gerade darum gehen wird, sich zweckwidrig zu verhalten. Es kann zwar durchaus eine positive Kenntnis der „teleologischen Lücke“ bestehen, angestrebt wird indessen nicht die Zweckwidrigkeit des Umgehungserfolgs, sondern die Gesetzesumgehung selbst.478 Die objektive Bestimmung der Gesetzesumgehung als „teleologische Lücke“ kann mithin nicht vollständig kongruent mit dem subjektiven Umgehungstatbestand sein. Hier trifft zu, was für die objektive Bestimmung der Gesetzesumgehung zurückgewiesen wurde: Der Täter strebt den Umgehungserfolg unabhängig davon an, ob er damit auch die Schutzrichtung der entsprechenden Strafnorm tangiert oder nicht. Die Umgehungsabsicht bezieht sich also auf „echte“ und „unechte“ Gesetzesumgehungen gleichermaßen.479 (4) Besondere subjektive Merkmale als Erfordernis eines schuldprinzipkonformen Strafrechts Für die auf den Umgehungserfolg gerichtete Absicht trifft dieser gegen die Zweckverletzungsabsicht vorgebrachte Einwand nicht zu, denn gerade für die im Wirtschaftsstrafrecht gelagerten Sachverhalte liegt es angesichts der äußeren Umstände nahe, häufig von einer entweder auf die Tatbestandsvermeidung bzw. auf das Erreichen einer begünstigenden Norm bezogenen Absicht auszugehen. Die Frage bleibt aber, ob eine solche Absicht auch für die Auslösung strafrechtlicher Rechtsfolgen vorauszusetzen sein soll. Für die Ablehnung eines solchen Absichtserfordernisses kann jedenfalls das Problem des forensischen Nachweises nicht ausschlaggebend sein. Diese Schwierigkeit für den Strafrechtspraktiker ist unbestritten und gerade die Strafrechtsdogmatik und höchstrichterliche Rechtsprechung sollten sie sich vor Augen führen, wenn immer komplexere subjektive Zurechnungsvoraussetzungen aufgestellt werden, ohne dass ihre beweisrechtliche Handhabung in Rechnung gestellt wird.480 Gleichwohl müssen diese praktischen Erwägungen auch für den Umgehungszusammenhang zurückstehen, wenn die Funktion subjektiver Deliktsmerkmale in Erinnerung gerufen wird. § 15 StGB ist eine Ausprägung des Schuldprinzips, das nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und allgemeiner Auffassung im Schrifttum Verfassungsrang hat.481

478

Benecke, S. 157. Zu der objektiven Abgrenzbarkeit echter und unechter Gesetzesumgehungen vgl. D. IV. 2. b) ee) (4). 480 Loos, Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, S. 261 ff. (268 f.). 481 BVerfGE 20, 323 (331); 91, 1 (27); LK12-Vogel, Vor § 15 Rn. 45, § 15 Rn. 4 m. w. N. 479

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Dieser Rang der subjektiven Sanktionsvoraussetzungen wird auch nicht durch den Determinismus-Indeterminismus-Streit482 in Frage gestellt, worauf insbesondere Loos hingewiesen hat: „Die Funktion der subjektiven Merkmale besteht nämlich immer noch darin, daß der einzelne sein Verhalten so soll einrichten können, daß er mit dem strafenden Staat nicht in Konflikt gerät. Er soll jedenfalls den schwersten Strafen, den Vorsatzstrafen, nicht ohne eine typischerweise bewußte und insofern freie Entscheidung ausgesetzt werden […]“.483 Der Täter kann also nach der Verfassung einen gewissen Vertrauensschutz für eine strafrechtlich relevante Handlung beanspruchen, der Schuldgrundsatz ist die „[…] auf den einzelnen Bürger bezogene Ergänzung des generellen Grundsatzes nulla poena sine lege.“484 In diese Richtung gehen letztlich auch die (wenigen) weiteren Stellungnahmen, die sich mit dieser Funktion subjektiver Merkmale für den Umgehungszusammenhang beschäftigt haben.485 Die Aufstellung besonderer subjektiver Umgehungsmerkmale muss mithin geeignet und erforderlich sein, um dem Täter vor Augen zu führen, dass er sich mit Vornahme oder Nichtvornahme einer bestimmten Handlung strafbar machen wird. 482 Zu den unterschiedlichen Positionen vgl. Hillenkamp, JZ 2005, 313 ff., der selbst für die Beibehaltung des Schuldstrafrechts plädiert, anders als Loos aber nur unter Rückzug auf eine agnostische Position. 483 Loos, Maiwald-FS, S. 155 ff. (164 ff.); ders., Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, S. 261 ff. (267 f.) mit Verweis auf ähnliche Erwägungen bei Hart, dort S. 45 ff., 74 ff., 158 ff. 484 Loos, Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, S. 261 ff. (268). 485 Der bereits erwähnten Rechtsprechung des BVerfG (E 78, 205 [213)] zufolge ist der Betroffene bei den auf außerstrafrechtliche Wertungen abstellenden Straftatbeständen (in dem zu entscheidenden Fall ging es um die rechtliche Einschätzung von Eigentumsverhältnissen) gerade durch das strafrechtliche Vorsatzerfordernis in hinreichendem Maße geschützt. Siehe dazu auch Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (173) in Hinblick auf die Irrtumsregeln und LK12-Dannecker, § 1 Rn. 149. Erst Vorliegen und Nachweis der Umgehungsabsicht, so etwa Tiedemann (Subventionskriminalität, S. 339), rechtfertigen es, jene Rechtssicherheitsgarantie zu durchbrechen, die in der Abschichtung und Formalisierung der Gesetzeszwecke durch Benennung punktueller, typischer Voraussetzungen zur Zweckerreichung bzw. Verhinderung der Zweckvereitelung liegt. Für das Zivilrecht bestimmte Benecke (S. 162 f.) die Eingriffsschwelle für die Erfassung von Umgehungshandlungen ganz wesentlich nach der Schutzwürdigkeit des Gesetzesumgehers und der Vorhersehbarkeit der rechtlichen Erfassung seines Verhaltens. Hierfür soll wiederum der Umgehungszweck, also die Absicht der Normvermeidung, mit entscheidungstragend sein; ähnlich Westerhoff, S. 171 f. Auch die Erfassung der Gesetzesumgehung im bürgerlichrechtlichen Kontext kann damit vom Vertrauensschutz abhängig gemacht werden, wobei den dadurch für das Zivilrecht aufgestellten Erfordernissen der Rechtssicherheit natürlich das handfeste verfassungsrechtliche Gebot des individuellen Vertrauensschutzes fehlt, wie es das Strafrecht durch das Gesetzlichkeits- und das Schuldprinzip auszeichnet. Auf den Vertrauensschutz, wie er von Benecke und Westerhoff durch subjektive Erfordernisse abgesichert sein soll, könnte im Zuge der Erfassung auch verzichtet werden, ohne dass die analoge Anwendung von umgangenen Zivilrechtsnormen stets verfassungswidrig genannt werden müsste.

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

283

Deshalb ist es letztlich richtig, dass Vogel es rechtstheoretisch nicht für entscheidbar hält, ob generell eine Umgehungsabsicht zu verlangen ist oder nicht, sondern diese Frage von der Teleologie des jeweiligen Rechtsgebiets abhängig macht.486 Die fallgruppenorientierte Differenzierung der für die Umgehungserfassung erforderlichen subjektiven Merkmale ergibt sich allerdings nicht so sehr aus dem Sinn und Zweck der umgangenen Normen, sondern aus dem Telos des Vorsatzerfordernisses und seinen durch Art. 103 II GG gewährleisteten Wirkungsvoraussetzungen.487 Die Aufstellung besonderer subjektiver Umgehungsmerkmale ist also abhängig von der Bedeutung des Vertrauensschutzes auf dem Gebiet des Strafrechts und von der Erkennbarkeit des objektiven Umgehungscharakters in der jeweiligen Fallkonstellation. (a) Besondere subjektive Merkmale auf Rechtswidrigkeitsund Schuldebene und im sonstigen Kernstrafrecht Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass für die auf Rechtswidrigkeits- und Schuldebene gelagerten Erschleichungssachverhalte die besondere Absicht des Täters, die Subsumierbarkeit des eigenen Verhaltens unter die §§ 20, 32 StGB zu erreichen, nicht zu verlangen ist. Die „Appellfunktion“ des Tatbestandes ist hier gegeben und wird auch nicht – wie im Falle des Erlaubnistatbestandsirrtums – durch eine falsche Sachverhaltseinschätzung des Täters überlagert. Die Regelung des § 17 StGB ist daher zum Schutze des Gesetzesumgehers in diesen Gestaltungen vollkommen ausreichend. Auch für die Umgehungssachverhalte, die das so genannte Kernstrafrecht betreffen (etwa §§ 145c, 291 I S. 2 StGB488), kann die Umstandskenntnis als ausreichend erachtet werden, um das eigene Verhalten als strafbar einschätzen zu können.489 Eine anhand der „Künstlichkeit“ des Vorgehens zu beweisende Umgehungsabsicht ist für diese Fallgestaltungen also gar nicht erforderlich; doch kann ein ungewöhnliches Vorgehen immerhin als Indiz dafür gelten, dass der Täter die die Strafbarkeit einer alternativen Gestaltung begründenden Umstände gesehen und sein Verhalten dementsprechend umgestaltet hat.

486 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (157, 160). Dazu muss allerdings gesagt werden, dass Vogel diese Aussage auf etwas anderes bezieht, nämlich auf die Unmöglichkeit, eine Handlung mit auf den Handlungserfolg bezogenen subjektiven Kriterien als Umgehungshandlung qualifizieren zu wollen. 487 Auch diesen Blickwinkel spricht Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (173) zum Ende noch an: „Nur diese Auffassung dürfte auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügen“. 488 Siehe B. II. 11., 12. 489 § 291 I S. 2 StGB setzt über die Umstandskenntnis hinaus ohnehin voraus, dass der Täter die Schwäche oder Zwangslage des Opfers gezielt zur Erzielung eines übermäßigen Vermögensvorteils ausnutzt; siehe dazu auch Schönke/Schröder-Stree/Heine, § 291 Rn. 36.

284

D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

(b) Besondere subjektive Merkmale im so genannten Nebenstrafrecht Das Vorstehende gilt nicht uneingeschränkt für die Tatbestände des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, die auf außerstrafrechtliche Bewertungen angewiesen sind, um zu einer strafrechtlichen Relevanz der vom Täter getroffenen bzw. nicht getroffenen Angaben zu gelangen; so etwa bei § 264 StGB, § 370 AO, § 82 GmbHG oder § 399 AktG. Hier erscheint es nicht ausreichend, dass der Täter nur die Umstände kennt, die seine Angaben falsch oder unvollständig machen. Es ist so nämlich nicht gewährleistet, dass der Täter nachvollzieht, weshalb die entsprechenden Angaben von (strafrechtlicher) Relevanz sind und hätten geleistet werden müssen. Es weist daher in die richtige Richtung, wenn § 4 II SubvG für die Unerheblichkeit der Subventionserschleichung voraussetzt, dass der Täter seine Gestaltung gerade in der Absicht vornehmen muss, eine Subvention in Anspruch zu nehmen.490 Auf welche Weise sich der Strafrechtsanwender Gewissheit darüber verschafft, dass der Täter die strafrechtliche Relevanz seiner Angaben (bzw. des Unterlassens von Angaben) vor Augen hatte, ist allerdings von untergeordnetem Interesse, solange überhaupt eine besondere Überprüfung der inneren Tatseite bei unrichtigen Angaben in Bezug auf (das letztlich erfolglose) Umgehungs- und Erschleichungsverhalten stattgefunden hat. Es muss daher nicht endgültig darüber entschieden werden, ob dem Vorschlag Vogels, dolus directus 1. Grades hinsichtlich des Umgehungserfolgs und dolus eventualis hinsichtlich der Zweckwidrigkeit zu verlangen491, oder der Empfehlung Tiedemanns, hinsichtlich des Erfolges und der Zweckwidrigkeit dolus directus 2. Grades zu fordern492, der Vorrang einzuräumen ist. Allerdings führt das Ansinnen Tiedemanns bereits deshalb zu einer restriktiven Handhabung der entsprechenden Straftatbestände, weil dem Täter das sichere Wissen hinsichtlich der Zweckwidrigkeit anhand äußerer Indizien nachzuweisen ist. Eine gerichtliche Überzeugungsbildung erscheint mithin nur für die eindeutigen Fälle des Missbrauchs möglich, so dass sich das Gebot einer restriktiven Handhabung der außerstrafrechtlichen, lediglich blankettartig in Bezug genommenen Umgehungsklauseln nicht nur aus dem mit Art. 103 II GG verbundenen Lex-certa-Satz im Allgemeinen ergibt, sondern auch aus seiner individuellen Wendung durch die Aufstellung besonderer subjektiver Umgehungsmerkmale.493 Der Täter befindet sich daher in einem den Tatbestandsvorsatz ausschließenden Tatumstandsirrtum, wenn ihm im Rahmen der Tathandlung des § 264 I Nr. 3 StGB nicht deutlich ist, dass die von ihm begehrte Förderung dem Subventionszweck widerspricht.494 Vorsatzlos handelt auch, wer bei der Leistung einer verschleierten

490

Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (172). Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (172 f.). 492 LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 117 f. 493 So bereits LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 116 ff. 494 LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 118, 120; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 264 Rn. 45; wohl auch Lackner/Kühl, § 264 Rn. 23. 491

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

285

Sacheinlage die zivilrechtliche Bewertung einer geleisteten Bareinlage als verschleierte Sacheinlage nicht kennt.495 Die früheren Schwierigkeiten, die innere Tatseite bei strafrechtlich relevanten Umgehungssachverhalten mit Bezug auf Rechtmissbrauchserwägungen (und mithin teleologischen Erwägungen!) hinreichend festzustellen, sind für das Außenwirtschaftsrecht nicht so sehr durch die Schaffung der Umgehungsklausel in § 34 VIII AWG entschärft worden als vielmehr durch die Aufnahme spezieller Klauseln in das Genehmigungsverfahren. Sie betreffen insbesondere das Endverbleibsland, die Warenzusammensetzung, den Neuwert und die Funktionsfähigkeit der Waren, die subjektive Richtigkeit der diesbezüglichen Angaben wird bereits Genehmigungsinhalt. Inlandstransport und Ausfuhr von Waren nach bewusster Falschangabe erfolgen damit bereits genehmigungslos, ohne dass es auf das Rechtsmissbrauchsargument oder entsprechende Klauseln ankäme.496 An einer – auch strafrechtlich relevanten – Mitteilungspflicht bezüglich der den objektiven Umgehungscharakter begründenden Umstände können für den Täter daher keine Zweifel bestehen. Im Ergebnis scheint auch Stöckel dieser Lösung zuzuneigen, wenn er zwar eine besondere Umgehungsabsicht im Rechtsfolgenkontext für nicht erforderlich hält, gleichwohl fordert, dass der Täter in Parallele zum Straftatbestand mit „Wissen und Wollen“ hinsichtlich der objektiven Umgehungsmerkmale, also auch der Zweckwidrigkeit gehandelt haben muss.497 Etwas undeutlich bleibt allerdings, welchen Vorsatzgrad Stöckel voraussetzt, denn seine Formulierung des „Wissens und Wollens“ verweist auf den üblichen Tatbestandsvorsatz i. S. d. § 15 StGB, also lediglich auf dolus eventualis. An anderer Stelle heißt es hingegen, durch das Vorsatzerfordernis wisse der Täter, dass er gegen den Zweck des betreffenden Gesetzes verstoße498, indem er die tatbestandsvermeidende Situation „bewusst schafft“499. Nicht zu überzeugen vermag indessen die Auffassung Stöckels, vor allem das Wissen des Täters darum, sich künstlich zu verhalten, besorge einen Vertrauensschutz, weil der Täter damit erkenne, durch besondere Manipulationen und Abweichen vom normalen Wege entgegen der Vorstellung des Gesetzes straffrei zu bleiben.500 Bezieht sich der Vorsatz auf das Künstlichkeitskriterium in seiner de495 Scholz-Tiedemann, § 82 Rn. 119, 175; Michalski-Dannecker, § 82 Rn. 25; differenzierend Gadow/Heinichen (Großkomm. AktG)-Otto, § 399 Rn. 67; ders., Gitter-FS, S. 715 ff.: Die Verknüpfung der Barzahlung mit der Sacheinlage müsse gewollt sein, was dem Täter auch nachzuweisen sei. Aufgrund des Charakters des § 399 AktG als abstraktes Gefährdungsdelikt komme jedoch nur ein persönlicher Strafausschluss in Betracht, wenn die Parteien ungeachtet der Verknüpfungsabsicht immerhin wussten und wollten, dass das Sachgeschäft den Wert der Einlage nicht mindert. A. A. wohl Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff-Fuhrmann, § 399 Rn. 37, der stets von einem bloßen Subsumtionsirrtum auszugehen scheint. 496 Vgl. B. II. 6. 497 Stöckel, S. 27. 498 Stöckel, aaO. 499 Stöckel, S. 28. 500 Stöckel, S. 27.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

skriptiven Funktion, so ist er in dem Maße zur Verhaltensorientierung ungeeignet, wie das Künstlichkeitskriterium selbst zur Verdeutlichung des Umgehungsverhaltens ungeeignet ist.501 Auch die Kenntnis des Täters, dass sein Verhalten häufig als Indiz für den Nachweis von Umgehungsabsicht herangezogen wird, verdeutlicht ihm zwar im gewissen Maße das Strafbarkeitsrisiko seines geplanten Vorgehens, jedoch sind subjektive Merkmale im Strafrecht gewiss nicht darauf ausgelegt, den Täter von einem Verhalten abzuhalten, weil es ihm in foro als vorsätzlich ausgelegt werden könnte. Die soeben beschriebene freiheitssichernde Funktion subjektiver Tatmerkmale bleibt ohnehin recht beschränkt, wirkt das Vorliegen der objektiven Umgehungsmerkmale doch zumeist als ein derartig deutliches objektives Indiz, dass dem Beschuldigten für die innere Tatseite faktisch eine Pflicht des Gegenbeweises auferlegt wird, die gerade im Steuerrecht häufig schwer einzulösen sein wird.502 (c) Zu der Vorhersehbarkeit staatlicher Strafe bei der Steuerumgehung Der durch die Aufstellung subjektiver Deliktsmerkmale erreichbare Schutz des vorsätzlichen Gesetzesumgehers im Strafrecht muss jedoch – wie im Folgenden anhand der strafbaren Steuerumgehung pars pro toto dargestellt werden soll – an seine Grenzen stoßen, wenn die Rechtslage und dabei insbesondere das Telos und die Reichweite der umgangenen Norm in der konkreten Handlungssituation objektiv erst gar nicht verständlich sind. Es muss also mit anderen Worten objektiv erkennbar sein, was subjektiv hätte erkannt werden müssen. Für die Steuerhinterziehung gemäß § 370 I AO in Verbindung mit § 42 I AO ist dies jedoch zweifelhaft; die Pflicht zur vollständigen Angabe der für die Entscheidung der Finanzbehörde notwendigen Tatsachen kann nur richtig einschätzen, wer die Pflicht auch kennt und kennen kann.503 Wie bereits in anderem Zusammenhang gezeigt, besitzt die Rechtsprechung zu § 42 AO nicht mehr als „Leerformel“-Charakter und selbst die in aufwendiger Kasuistik ermittelten „eindeutigen“ Fallgruppen ändern sich im Laufe der Jahre wenigstens graduell.504 Fraglich ist allerdings, inwieweit diese Problematik bereits durch die Einordnung des Rechtscharakters des § 370 AO entschärft werden kann.

501 Ungeeignet ist es insbesondere für die Sachverhalte, in denen es gegenüber dem Zweckwidrigkeitskriterium redundant ist, sich künstliches Verhalten objektiv überhaupt nicht erkennen lässt oder beständige Konventionen für die Trennung von typischem und atypischem Verhalten fehlen. Siehe dazu im Einzelnen D. IV. 3. a) aa). 502 Vgl. dazu bereits B. II. 1. a) bb), cc). 503 Röckl, S. 279 ff.; Stahl, StraFo 1999, 223 (225). 504 Röckl, S. 281 f.

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

287

Nach der wohl herrschenden Meinung ist § 370 AO als echter Blanketttatbestand einzuordnen505, was häufig dazu führt, dass die Bestrafung der Steuerumgehung wegen der Anwendung von § 42 AO für verfassungswidrig gehalten wird: Nach allgemeiner Ansicht sind die von echten Blankettgesetzen in Bezug genommenen Normen genauso wie die verweisende „Strafnorm-Hülle“ an Art. 103 II GG zu messen506, § 42 AO nimmt diese Hürde nach Ansicht der gerade dieser Frage nachgehenden Untersuchungen sowohl in Hinblick auf das Analogieverbot als auch den Bestimmtheitsgrundsatz nicht.507 Zwar wird der Irrtum über die Ausfüllungsnormen eines Blankettstraftatbestandes üblicherweise als bloßer Verbotsirrtum nach § 17 StGB behandelt, doch führten die fragwürdigen Ergebnisse dieser starren Einteilung bald dazu, dass die Schuldtheorie gerade im Bereich des „ethisch indifferenten“508 Steuerrechts nur noch „elastisch“ zur Anwendung kam, indem z. B. die Unvermeidbarkeit des Irrtums (gemäß § 17 StGB) großzügig angenommen wurde, Blankette bei Bezug auf Einzelanordnungen ohne weiteres § 16 StGB unterworfen wurden oder – wiederum besonders für das Steuerstrafrecht – Blankettmerkmale für die Irrtumsfrage im Nebenstrafrecht generell wie normative Tatbestandsmerkmale (also mit der Folge, § 16 StGB anwenden zu können) behandelt wurden.509 Diese letztlich inkonsequente Irrtumsbehandlung bei Blankettmerkmalen ist der Einsicht geschuldet, dass die in Art. 1 EGStGB angeordnete Anwendbarkeit der §§ 16, 17 StGB für das Nebenstrafrecht an der Tatsache vorbeigeht, dass viele Normen des 505 BVerfG wistra 1991, 175; BGH NStZ 1984, 510; Pohl, Rn. 867 ff.; Wenderoth, S. 63 ff.; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 672; Franzen/Gast/Joecks-Joecks, Einl. Rn. 5. m w. N. 506 Vgl. statt vieler LK12-Dannecker, § 1 Rn. 150 ff. 507 Wenderoth S. 234, 263, 283 sowie Pohl, Rn. 965 ff. halten die Anwendung von § 42 AO im Rahmen des Steuerstrafrechts wegen Verstoßes gegen das Analogieverbot und das Bestimmtheitsgebot für verfassungswidrig. Allein einen Verstoß gegen den Lex-certa-Satz erkennen Röckl, S. 280 ff. und Schulze-Osterloh, Strafverfolgung und Strafverteidigung, S. 43 ff. (64). 508 Maiwald (Unrechtskenntnis im Steuerstrafrecht, S. 38 f.) will mit dieser Formulierung damit keineswegs zum Ausdruck bringen, dass es moralisch nicht verwerflich wäre, seine Steuern zu hinterziehen. Ethisch indifferent sei das Verhalten deshalb, weil das Entstehen einer bestimmten Steuer aus der Sicht des Bürgers oft etwas Zufälliges hat und nur historisch erklärlich ist, so z. B. für die Salzsteuer, die Leuchtmittelsteuer, die in manchen Bundesländern erhobene Speiseeissteuer oder auch die Umsatzsteuer, die zur Finanzierung der Kriegsausgaben eingeführt worden ist. Deshalb haben für Maiwald die steuerlich erheblichen Tatsachen, von denen § 370 AO spricht, für sich genommen nicht die Appellwirkung, die von den Tatbestandsmerkmalen des Kernstrafrechts ausgeht. 509 Zu diesen „Aufweichungen“ vgl. die ausgezeichnete Darstellung bei LK12-Vogel, § 16 Rn. 37 ff. (40); Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 225, Schönke/Schröder-Cramer/ Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 99 ff.; Kohlmann, Steuerstrafrecht, Rn. 672; Franzen/Gast/JoecksJoecks, § 370 Rn. 234 ff.; Maiwald, Unrechtskenntnis im Steuerstrafrecht, S. 40. Der Sache nach so schon das Reichsgericht, dass den Irrtum über solche Vorschriften des Steuerrechts, die nicht Vorschriften des Steuerstrafrecht sind (darunter waren insbesondere die die Steuerpflicht festlegenden Normen zu verstehen), als außerstrafrechtlichen Rechtsirrtum ansah, der dem § 59 StGB a. F. zugeschlagen wurde und damit beachtlich war, vgl. etwa RG 40, 373 (374); 68, 99 (101); siehe dazu auch Maiwald, Unrechtskenntnis im Steuerstrafrecht, S. 8; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 224.

288

D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Nebenstrafrechts einen sozialethisch wenig fundierten, farblosen Bereich betreffen, für den die Tatumstandskenntnis keineswegs mit der das „10-Gebote-Strafrecht“ kennzeichnenden und die strenge Irrtumsregelung des § 17 StGB rechtfertigenden „Appellwirkung“ zusammentrifft.510 Nach der Gegenauffassung ist § 370 I AO kein Blankettstraftatbestand, sondern enthält normative Tatbestandsmerkmale. Die Abgrenzung zwischen Blankettmerkmalen und normativen Tatbestandsmerkmalen soll anhand der Differenzierung vorgenommen werden, ob das Merkmal das Schutzobjekt des Straftatbestandes bezeichnet, weil dann das fragliche Merkmal dem Schutz des außerstrafrechtlichen Rechtsinstituts dient.511 § 370 AO ist danach an sich vollständig und muss nicht erst durch den Verweis auf das Steuerrecht zur Existenz gebracht werden, auch wenn sich die steuerliche Erheblichkeit und die Steuerverkürzung aus dem Steuerrecht ergeben. Der Täter muss demzufolge die normativen Bezüge – aber eben nur die der Tatbestandsmerkmale des § 370 AO selbst – richtig erfasst haben, damit von Vorsätzlichkeit ausgegangen werden kann.512 Eine beachtliche Minderheitsansicht hält diese Unterscheidung zwischen Blankettgesetz und normativen Tatbestandsmerkmal für § 370 AO513 nicht für relevant. Für den strafrechtlichen Vorsatz komme es allein darauf an, dass sich der Täter gegen das Rechtsgut entschieden hat; er müsse sich also der Verletzungsbedeutung seines Verhaltens bewusst sein. Hat der Täter die rechtsgutsbezogene Komponente des jeweiligen Tatbestandsmerkmals nicht erkannt, bestehe ein den Vorsatz ausschließender Tatumstandsirrtum.514 Daher muss dem Täter auch dann, wenn § 370 AO als Blankettstrafnorm aufgefasst wird, die „teleologisch-reduzierte Sachverhaltssicht“ der auf die Ausfüllungsnorm bezogenen Tatumstände gelungen sein.515 Vom theoretischen Ausgangspunkt her ist durchaus zuzugeben, dass die Einordnung des § 370 AO als Blankettstraftatbestand tatsächlich die Gefahr in sich trägt, dass „heute unter der Flagge der Schuldtheorie eine Auffassung vorherrscht, die für 510

LK12-Vogel, Vor § 15 Rn. 30 ff. m. w. N. Str.; vgl. LK12-Dannecker, § 1 Rn. 149; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 100 m. w. N. Siehe hierzu noch ausführlicher E. II. 2. b) aa) (4). 512 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 108, 228; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 149; zum gleichen Ergebnis mit anderer Abgrenzungsterminologie („Lehre von den Regelungseffekten“) kommen Jakobs, 4. Absch. Rn. 42a; 19. Absch. Rn. 18 ff. und Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (169, 173); LK12-ders., § 16 Rn. 35 m. w. N; im Ergebnis auch schon Welzel, NJW 1953, 486 ff., auch wenn sich aus seiner später vertretenen Lehre des „Zusammenlesens“ jedenfalls für Blankettstraftatbestände ein gegenüber der 1954 geäußerten Auffassung täterunfreundlicherer rein deskriptiver Tatbestand ergab, für den ein Vorsatznachweis leicht zu führen ist; vgl. dazu Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 220 ff. 513 Für eine grundsätzliche Gleichbehandlung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blanketten im Rahmen der Irrtumsdogmatik streitet Enderle, S. 283 ff., 342 ff. 514 Schlüchter, wistra 1985, 43 ff. (44). 515 Schlüchter, wistra 1985, 43 ff. (44); ähnlich bzgl. der Bedeutungslosigkeit der Abgrenzung Maiwald, Unrechtskenntnis im Steuerstrafrecht, S. 15 ff., der allerdings zu dem Ergebnis gelangt, die Unkenntnis der Steuerpflicht sei Verbotsirrtum (S. 15 ff., 37 ff.). 511

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

289

den Täter erheblich ungünstiger ist als etwa die RG-Rechtsprechung […]“516, was sich auch in einzelnen Entscheidungen gezeigt hat.517 Gerade für § 370 AO aber ist Schlüchter recht zu geben, das vom Ergebnis her die Rechtsnatur des Tatbestandes der Steuerhinterziehung für die hier diskutierten Vorsatzfragen nicht abschließend geklärt werden muss. Es hat sich nämlich gezeigt, dass auch diejenigen, die § 370 AO Blankettcharakter zumessen, die – von ihrem Standpunkt aus konsequente – Lösung der Irrtumsfrage über § 17 StGB nicht für sachgerecht erachten, weil sich der soziale Sinngehalt (und damit der Tatbestandsvorsatz518) der „zusammengelesenen“ Steuerhinterziehung eben nicht aus der bloßen Kenntnis der Umstände erschließen lässt. Nach allen Ansichten ist vom Steuerumgeher mehr als die bloße Umstandskenntnis zu verlangen, wenn er gemäß § 370 AO strafbar sein soll.519 Für die strafbare Steuerumgehung ist also unabhängig von ihrer dogmatischen Einordnung zu verlangen, dass der Täter im Rahmen vorsätzlich unrichtiger und unvollständiger Angaben seine zivilrechtliche Gestaltung betreffend erkannt hat, dass die ordnungsgemäße Erklärung eine Anwendung des Steuerrechts mittels § 42 AO ermöglicht hätte. Nur dann weiß der Täter nämlich um die Steuererheblichkeit der Tatsachen, die Gegenstand seiner Erklärung bzw. dies gerade nicht waren.520 Mithin muss dem Steuerhinterzieher auch die Wertung des § 42 AO selbst geläufig sein und dies unabhängig davon, ob sich seine Vorstellungen auf § 42 AO direkt beziehen oder auf das höchst normative Tatbestandsmerkmal „steuerlich erhebliche Tatsachen“, welches ja erst § 42 AO ins Spiel bringt. Führt man sich die vielen Unwägbarkeiten bei der Auslegung des § 42 I AO vor Augen, so wird Tiedemanns Vorschlag, subjektive Vorhersehbarkeit für die Vorsatzdelikte im so genannten Nebenstrafrecht zu erreichen, jedenfalls zum Teil 516

Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 224. Siehe etwa BGH NJW 1981, 354 (355) zur Insolvenzverschleppung gemäß § 283 I Nr. 7b wegen des Versäumnisses, gesetzliche Bilanzierungsfristen einzuhalten; dazu Besprechung bei Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 220 ff. 518 Den sozialen Bedeutungsgehalt der Tatumstände zu erkennen ist vorsatz- und nicht erst schuldkonstituierend; er kann gerade im Vermögens- und Wirtschaftsstrafrecht ohne die zutreffende rechtliche Qualifikation nicht verstanden werden; zu dieser zutreffenden, zwischen Vorsatz- und Schuldtheorie „mittelnden“ These Otto, AT, § 7 Rn. 12 ff.; Roxin, AT I, § 12 Rn. 103 f., 108 m. Fn. 201; Enderle, S. 331 f. Ähnlich LK12-Vogel, § 15 Rn. 39: „Das beim Vorsatz vorhandene […] Wissen muss einer rechtstreuen Person Anlass geben, das Verbotensein ihrer Handlung zu bedenken, und das Unrechtsbewusstsein muss durch bloße Rechtskenntnis erlangbar sein (Appellfunktion des Tatbestandswissens)“. 519 So die ganz h. M. Kenntnis des Bestehens eines Steueranspruchs verlangen etwa BGHSt wistra 1989, 263; BayObLG MDR 1990, 655, Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 228; Roxin, aaO.; LK12-Vogel, § 16 Rn. 35; ders., Madrid-Symposium, S. 151 ff. (173); Jakobs, 8. Abschn. Rn. 56; Schlüchter, wistra 1985, 43 ff. (47); a. A. Maiwald, aaO. 520 Angaben sind unvollständig i. S. d. § 370 I Nr. 1 AO, wenn der Erklärende im Widerspruch zur Wirklichkeit ausdrücklich oder konkludent mitbehauptet, er habe sämtliche erheblichen Umstände aus einem bestimmten Umkreis vollständig erklärt; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 247; Franzen/Gast/Joecks-Joecks, aaO.; Hübschmann/Hepp/SpitalerHellmann, § 370 Rn. 81; siehe dazu bereits B. II. 2. aa). 517

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

fehlgehen: Seine These, für § 264 StGB dolus directus 2. Grades hinsichtlich der Normzweckwidrigkeit des Erschleichungsvorgehens zu fordern521, ist für §§ 42, 370 I AO häufig nicht zu praktizieren. Pointiert formuliert: Nur in den Fällen einer langjährig anerkannten „Fallgruppe“ des § 42 I AO522 besteht angesichts der diffusen Anwendungspraxis dieser Norm überhaupt die Möglichkeit, dass der Täter – auch wegen der wirtschaftlichen Sinnlosigkeit seiner Gestaltung – positiv weiß, dass er bei Steuertatbestandsvermeidung gegen das Ziel einer Steuernorm verstößt. Dies gilt umso mehr, sofern es sich bei der vermiedenen Norm um eine Fiskalzwecknorm handeln sollte, für die eine bestimmtes Ziel und damit eine Zielvermeidung nicht selten schwer zu begründen ist.523 Unbefriedigend bleibt für die strafbare Steuerhinterziehung auch die Lösung Vogels, dolus directus 1. Grades hinsichtlich des Umgehungserfolgs und dolus eventualis bzgl. der Zweckwidrigkeit vorauszusetzen.524 Da das Ziel der rechtlichen Gestaltung, die Vermeidung einer Steuerlast, auf die „legitime“ Steuervermeidung genauso wie für die „illegitime“ Steuerumgehung zutrifft, kann der soziale Sinngehalt des Handelns nur durch den Eventualvorsatz die Zweckwidrigkeit betreffend nachvollzogen werden. Die Möglichkeitsvorstellung, dass einer rechtlichen Gestaltung von den Finanzbehörden die steuerliche Anerkennung versagt bleiben wird, wird jedoch überaus häufig anzutreffen sein. Diese Möglichkeitsvorstellung führte letztendlich zu der Verpflichtung des Steuerpflichtigen, bei der veranlagenden Finanzbehörde nachzufragen, ob sie denn nicht in seinen steuerlichen Verhältnissen einen Gestaltungsmissbrauch erblicken könne, weil doch einige Umstände dafür sprechen könnten.525 Das Für und Wider einer solchen Verpflichtung im Rahmen von § 16 StGB muss allerdings gar nicht erst zur Sprache gebracht werden, war doch die Finanzverwaltung bisher ohnehin nicht bereit, über das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs vor Verwirklichung des Sachverhalts und dem Abschluss der Veranlagung verbindliche Auskunft zu erteilen.526 Das Anerkennungsrisiko wird damit selbst auf Nachfrage dem Steuerpflichtigen aufgebürdet werden; wohl, weil die Finanzverwaltung an der Schaffung von Steuerausfällen nicht auch noch mitwirken will.527 Das Prinzip der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens wird, so Röckl vollkommen zu Recht, ad absurdum geführt, wenn selbst der Steuerstaat noch nicht

521

LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 117 f. Als solche mag z. B. die Einschaltung so genannter Basisgesellschaften in Niedrigsteuerländern gelten; siehe dazu Kohlmann, Steuerstrafrecht Rn. 1239 m. w. N. 523 Zum positivistischen und ethisch indifferenten Charakter der Fiskalzwecksteuernormen vgl. Maiwald, Unrechtskenntnis im Steuerrecht, S. 38 und B. II. 1. b) aa). 524 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (172 f.). 525 Röckl, S. 279. 526 Siehe dazu Röckl, S. 281 f. mit Verweis auf ein entsprechendes Rundschreiben des BMF, BStBl I 1987, 474, dass derartige Auskünfte von vornherein ausschließt. 527 So die Einschätzung von Kaligin, DStZ 1988, 367 (368). 522

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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„weiß“, ob es über § 42 AO zu einer Anwendung der Steuernormen kommen soll und er sich diese Entscheidung bis zu der nächsten Betriebsprüfung vorbehält.528 Diese Umstände und insbesondere die Tatsache, dass alle Bemühungen, allgemeine, inhaltliche Maßstäbe für das Angemessene/das Ungewöhnliche zu finden, angesichts der problematischen Anknüpfungspunkte des § 42 AO seit jeher etwas „rührend Hilfloses“ hatten529, lassen es nicht mehr als gewährleistet erscheinen, dass überhaupt irgendein über die Umstandskenntnis hinausgehendes besonderes subjektives Merkmal denkbar ist, das geeignet sein könnte, dem Täter stets eine bewusste und insofern freie Entscheidung zwischen der straffreien und strafbaren Verhaltensalternative zu ermöglichen.530 Mit anderen Worten: Unabhängig von einer Verletzung weiterer mit dem Bestimmtheitsgrundsatz gemäß Art. 103 II GG in Verbindung gebrachter objektiver Prinzipien531 kann sich die freiheitsschützende Funktion der subjektiven Tatseite für §§ 370, 42 AO mangels Vorhersehbarkeit der Auslegung des § 42 AO kaum entfalten. Die ausgedehnte Bestrafung der Steuerumgehung ist daher auch bei vorsätzlich falschen und unvollständigen Angaben im Sinne des § 370 AO grundsätzlich nicht mit dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Schuldprinzip in Einklang zu bringen. Anhand der strafbaren Steuerumgehung wird damit einmal mehr deutlich, dass Art. 103 II GG zugleich eine Grundlage des verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatzes ist.532 Strafrechtliche Rechtsfolgen des Steuermissbrauchs nach § 42 AO können daher nur dann noch hingenommen werden, wenn diese Generalklausel streng restriktiv gehandhabt wird533. Ihre Heranziehung im Rahmen von § 370 AO sollte dem Strafrichter nur erlaubt sein, sofern er sich auf eine offensichtliche, seit jeher anerkannte Fallgruppe der Steuerumgehung i. S. d. § 42 AO beziehen kann.534

528

Röckl, S. 282. Isensee, S. 93. 530 Dies gilt auch für den von Stöckel (S. 27) vorgeschlagenen subjektiven Umgehungstatbestand, der Täter müsse mit Wissen und Wollen hinsichtlich einer künstlichen und zweckwidrigen Tatbestandsvermeidung handeln, denn nach den hier vorgetragenen Erwägungen ist ein solches Wissen und Wollen angesichts der Unschärfe des § 42 AO und des Unwillens der Finanzbehörden, zur vorherigen Rechtssicherheit für den Steuerpflichtigen beizutragen, in vielen Fällen nicht erreichbar. 531 Siehe dazu LK12-Dannecker, § 1 Rn. 54 m. w. N. 532 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 374 ff., § 2 Rn. 75 jeweils in Hinblick auf das Rückwirkungsverbot. 533 Ähnlich für den Untreuetatbestand Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 266 Rn. 50 m. w. N.: „Die notwendige Korrektur eines dem Wortlaut nach zu weitgefassten objektiven Tatbestands kann jedoch nur durch seine sinnvolle restriktive Auslegung erfolgen.“ 534 Ähnlich LG Frankfurt, wistra 1997, 152 f.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 266; Röckl, S. 259; wohl auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 118, 145. 529

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

(5) Strafbegründende subjektive Umgehungsmerkmale? Bisher war der Topos besonderer subjektiver Umgehungsmerkmale allein unter dem Blickwinkel erörtert worden, ob diese theoretisch einzufordern und praktisch nachzuweisen sind, um ein Verhalten mit Normvermeidungstendenz bestrafen zu können. Umgekehrt bleibt noch die Frage anzusprechen, ob das Bestehen einer Umgehungs- oder Erschleichungsabsicht Sachverhalte strafrechtlich relevant werden lassen kann, die es ohne diese besondere Zwecksetzung nicht wären. Dies kann grundsätzlich nicht möglich sein. Zur Begründung ist in diesem Zusammenhang nicht so sehr der auf Ulpian zurückgehende Satz „cogitationis poenam nemo patitur“535 entscheidend, sondern das Prinzip des Tatstrafrechts, dessen Vorzug vor einem gesinnungsorientierten Strafrecht durch die 1949 getroffene Entscheidung für ein striktes, verfassungsrechtlich abgesichertes Gesetzlichkeitsprinzip vorgegeben ist.536 Auch eine noch so asoziale und rechtsfeindliche Gesinnung vermag danach das Fehlen der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen nicht zu ersetzen. In einem Tatstrafrecht müssen die die Strafbarkeit konstituierenden Merkmale (auch die eines Rechtsinstituts „Gesetzesumgehung“) im Unrechtstatbestand angesiedelt sein, nicht hinreichend ist ihre Positionierung als Gesinnungselemente auf Schuldebene. Der gleichwohl bestehende Anreiz, subjektive Merkmale in einem straferweiternden Zusammenhang zu verwenden, ergibt sich gerade für den Umgehungskontext daraus, dass der Täter mit seinem Gesamtverhalten die Vermeidung eines Sachverhalts anstrebt, der gerade strafbar wäre. Von hier aus liegt es nahe, dem Täter „rechtsmissbräuchliches Verhalten“ zu unterstellen und das Missbrauchs-Argument wiederum gegen ihn zu verwenden. Diese Zielsetzungen des Täters dürfen jedoch gerade nicht gegen ihn angeführt werden; das Vorliegen von Umgehungsabsicht spricht im Gegenteil vielmehr dafür, dass keine übereilte Erfassung nach den Regeln über die Bewertung von Scheingeschäften und Scheinverhalten erfolgen darf. Die Umgehungsabsicht zeigt, dass die Tatbestandsvermeidung wirklich gewollt ist.537 Rechtlich irrelevant – und gegenüber der Normvermeidungsabsicht ohnehin ohne eigenen methodischen Nutzen538 – ist gleichfalls der Vorwurf an den Täter, sich durch die Umgehungsstrategie an sich bereits rechtsmissbräuchlich zu verhalten, sofern nicht dargetan wird, was diesen Willen zu einem rechtsmissbräuchlichen macht. Der Täterwille allein, eine Straf535

Wörtlich übersetzt lautet dieser Rechtsspruch: Niemand erleidet eine Strafe für das, was er denkt. 536 Roxin, AT I, § 6 Rn. 1 m. w. N. 537 LK11-Tiedemann, § 264 Rn. 107. Diese Erkenntnisse die innere Tatseite betreffend sind auch erforderlich, um Schein- und Umgehungsverhalten voneinander trennen zu können. Die These Vogels (Madrid-Symposium, S. 151 ff. [155 ff.]), Schein- und Umgehungsverhalten bereits stets objektiv trennen zu können, steht und fällt mit der Möglichkeit, dem „unvernünftigen“ Umgehungsverhalten stets das „vernünftige“ Umgehungsverhalten gegenüberstellen zu können; sie ist jedoch für viele Umgehungskonstellationen nicht gegeben; vgl. D. IV. 3. a). 538 Siehe D. IV. 3.

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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norm nur ihrem Sinn und Zweck nach zu verwirklichen, kann mithin keine strafrechtliche Sanktion tragen. Es ist daher nicht akzeptabel, wenn einige Vertreter des Schrifttums im Fall absichtlicher Notwehrprovokation auch dann zu einer Einschränkung des Notwehrrechts gelangen, wenn das Vorverhalten des Täters objektiv rechtmäßig war, indessen für die fahrlässige Notwehrprovokation stets ein rechtswidriges oder wenigstens sozialwidriges Vorverhalten voraussetzen.539 Diese Würdigung wäre nur haltbar, wenn – was allerdings selbst kaum überzeugt – das Notwehrrecht auch von dem Auftreten eines unvorhergesehenen Angriffs abhängig gemacht würde. Diese Argumentation wird allerdings – soweit ersichtlich – von niemandem vertreten. Die Pflicht, bei der Notwehr zum mildesten, gleich wirksamen Mittel zu greifen, betrifft nur die konkrete Notwehrsituation; sie konstituiert grundsätzlich keine Handlungspflicht (etwa Inanspruchnahme obrigkeitlicher Hilfe oder vorzeitige, weil schonendere Abwehr nach § 34 StGB) im Vorfeld der Notwehrsituation.540 Jenseits der durchaus verständlichen rechtsethischen Empörung über absichtliches Provokationsverhalten bleiben damit die rechtsdogmatischen Gründe für die Schlechterstellung der vorsätzlichen Notwehrprovokation im Dunkeln. Aus den Grundprinzipien des Notwehrrechts lassen sie sich jedenfalls nicht so gradlinig herleiten, wie es beständig beteuert wird.541 Die unzulässige, weil allein mit der Umgehungsabsicht gestützte Strafbegründung kann ferner besonders deutlich an einer Entscheidung des Reichsgerichts zum NS-BlutSchutzG exemplifiziert werden.542 Obwohl für den als „Rassenschande“ berühmt-berüchtigt gewordenen Vorgang nach § 2 NS-BlutSchutzG im RStGB nur eine Strafbarkeit für die Begehung der „Tat“ im Inland vorgesehen war, bestrafte das Reichsgericht tatbestandliche Beischlafhandlungen im Ausland auch dann, wenn die Reise in das benachbarte Ausland gerade zum Zwecke des Beischlafs (gemeint ist wohl auch: zum Zwecke der Gesetzesumgehung) angetreten worden war. Ebenso wenig ist es angängig, das Vorliegen objektiver Tatbestandsmerkmale mit der deliktischen Gesinnung des Täters zu begründen, wie es der Bundesgerichtshof für die Fälle der „Insertionsofferten“543 und für provozierte Verkehrsunfälle durch „an sich korrekte Fahrmanöver“544 vertreten hat. Diese Fallgruppen äußerlich „un539

Siehe B. Fn. 91. Siehe dazu Jakobs, 12. Abschn. Rn. 32. 541 Vgl. bereits B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd). 542 St 72, 91 (96). 543 BGHSt 47, 1 (5 f.). Zur Kritik an dieser Begründung vgl. die unter B. Fn. 664 aufgeführten Autoren. Die apologetische Bemerkung Hefendehls (MüKo-StGB, § 263 Rn. 83), der Bundesgerichtshof werde mit dem Vorwurf, er subjektiviere den Täuschungsbegriff, überinterpretiert, ist angesichts der deutlich subjektiven Argumentation in dem besagten Urteil nicht nachvollziehbar. 544 BGH NJW 1999, 3132 (3133) mit ausführlicher kritischer Besprechung durch Rackow, S. 423 ff. 540

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

verdächtiger Täterschaft“545 sind zwar – wie bereits erörtert546 – keine Umgehungssachverhalte im engeren Sinne, weisen durch ihre äußerliche Neutralität allerdings eine gewisse Verwandtschaft zum Umgehungsverhalten auf. Die (in foro nachgewiesene) besondere innere Einstellung des Täters zum objektiven Umgehungsgeschehen darf folglich im Strafrecht nur herangezogen werden, um im konkreten Fall die Vorhersehbarkeit der staatlichen Strafe individuell zu bestätigen, keinesfalls jedoch, um ein fehlendes oder nicht nachweisbares äußeres Geschehen zu substituieren. bb) Besondere subjektive Umgehungsmerkmale im deskriptiven Kontext Auch für den deskriptiven Kontext – so soll die an den Anfang dieser Überlegungen gestellte These lauten – sind keine Gründe ersichtlich, die es jedenfalls grundsätzlich als zwingend erscheinen lassen, nur solche Handlungen Umgehungen des Strafrechts zu nennen, die darauf angelegt sind, eine fehlende Subsumierbarkeit des eigenen, dem Normschutzzweck entsprechenden Verhaltens zu erreichen. Dabei soll hier natürlich ein Umgehungsbegriff diskutiert werden, der die Umgehungshandlung beinhaltet; also diejenigen subjektiven Elemente, welche Handlungen im rechtstheoretischen Sinne kennzeichnen.547 Umgekehrt braucht eine analytisch orientierte Erörterung von Umgehungsverhalten – womit das „äußere Erscheinungsbild“ der Gesetzesumgehung gemeint ist – diese Diskussion im Grundsatz nicht zu führen. Eine wichtige Verschränkung von Umgehungsverhalten und Umgehungshandlung, also der äußeren und inneren Umgehungselemente, ergibt sich indessen daraus, dass sich das gegenüber bloßem Scheinverhalten hervorgehobene subsumtionsbezogene Rechtsanwendungsproblem der Umgehung erst dann stellen kann, wenn der Täter die vorgenommene Gestaltung ernstlich gewollt hat.548 Von dieser Vorbedingung abgesehen ist Umgehungsverhalten nur nach objektiven Kriterien zu bestimmen; nach dem Ergebnis dieser Untersuchung ist das (erfolgreiche) Umgehungsverhalten ein die Straffreiheit begründendes und im Vorfeld der eigentlichen Tathandlung gelagertes Vorgehen des Täters selbst, welches als 545

Terminologie Rackows, S. 367 ff. Siehe B. II. 13. 547 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (155). 548 A. A. Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (155 ff.), wonach sich Umgehungsverhalten und Scheinverhalten bereits stets objektiv unterscheiden lassen: Beim Scheinverhalten werde die wirkliche (faktische) Verhaltensweise mit einer nur dem Schein nach gegebenen verglichen. Im Umgehungsfall hingegen sei das Umgehungsverhalten das wirkliche (also faktische) und werde mit dem nur vorgestellten und in diesem Sinne kontrafaktisch umgangenen Verhalten verglichen. Um die entscheidende Frage klären zu können, was wirklich und was nur dem Schein nach gegeben ist, kommt es aber bei allen nicht faktischen Gesetzesumgehungen (also rechtsgeschäftlichen Umgehungsgestaltungen) darauf an, ob der Täter die Vereinbarung wirklich gewollt oder nur dem Schein nach abgeschlossen hat. 546

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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zweckwidrig im Sinne einer „teleologischen Lücke“ der betreffenden Strafnorm zu bezeichnen ist.549 Ob daraus je nach Sachverhalt auch eine Umgehungshandlung und damit eine begrifflich vollständige Umgehung des Strafrechts erwächst, hängt für den deskriptiv-analytischer Kontext aber davon ab, welche subjektiven Anforderungen an den Umgehungsbegriff zu stellen sind, was im Folgenden zu erörtern sein wird. Die die Überlegungen leitende Frage wird dabei sein, ob nur absichtliche Vermeidehandlungen Umgehungshandlungen sind. Semantische Gründe können für diese analytisch-deskriptive Problemstellung keine ausschlaggebende Bedeutung haben, denn der Begriff „Umgehung“ – und dabei auch der Begriff „Umgehungshandlung“ – können zulässigerweise als ein unvorsätzliches Verhalten verstanden werden, dass die von dieser Untersuchung herausgestellten objektiven Züge von Umgehungsverhalten trägt. Auch ein nicht absichtliches Verhalten im soeben beschriebenen Sinne ist daher nicht unzweckmäßig betitelt, wenn es Gesetzesumgehung genannt wird. Nach dem natürlichen Sprachgebrauch besteht hingegen für den Begriff der „Erschleichung“ weniger Spielraum. Dieser Terminus weist ungleich stärker auf eine zweckgerichtete Vorgehensweise hin, weil er den Weg zum Erfolg nicht wie das Umgehen recht farblos als die Wahl eines alternativen Weges schildert, sondern mit dem beinhalteten Ausdruck „schleichen“ auf eine besondere Technik, also auf ein zu einem bestimmten Ziel besonders eingesetztes Mittel hinweist. In ihrem juristischen Kontext ist die Verwendung des Begriffs „Erschleichung“ – insbesondere als Pendant zur „Umgehung“ – gleichwohl auch dann noch verständlich und damit sinnvoll, wenn nicht ein absichtliches Verhalten impliziert ist. Der Eingeweihte kann verstehen, dass auf ein besonders gelagertes Normgeltungsproblem im Zusammenhang mit einem begünstigenden Tatbestand hingewiesen sein soll. Eine allein auf AlltagssprachlichIntuitives abstellende Bestimmung der subjektiven Seite des Umgehungsbegriffs erscheint daher ähnlich unergiebig wie die bekannte Diskussion darüber, ob dem Begriff der „Täuschung“ im Sinne des § 263 StGB ein subjektives Element wesenseigen sei.550 Auch der bereits erörterte Rechtsfolgenkontext besonderer subjektiver Umgehungsmerkmale liefert nur ganz beschränkt Argumente dafür, dass nur die planvolle Tatbestandsvermeidung als Umgehung bezeichnet werden sollte. Als Konsequenz der personalen Unrechtslehre war festgehalten worden, dass allein solche Sachverhalte Umgehungssachverhalte genannt werden sollten, deren auch subjektive Unrechtsmerkmale mit dem zum Vergleich herangezogenen eindeutig subsumierbaren Sachverhalt übereinstimmen.551

549

Siehe D. IV. 4. a) bb). Siehe BGHSt 47, 1; Rengier, BT I, § 13 Rn. 5; Wessels/Hillenkamp, BT/2 Rn. 493, jeweils m. w. N. 551 Siehe D. IV. 5. a) bb). 550

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Dementsprechend muss eine begriffliche Bindung auch für diejenigen Umgehungskonstellationen eintreten, für die hier angenommen wurde, dass dem verfassungsrechtlichen Zweck subjektiver Merkmale nur durch gegenüber der schlichten Umstandskenntnis erhöhte subjektive Anforderungen entsprochen werden kann. Für diese Sachverhalte, die insbesondere Straftaten mit Bezug zu vorgelagertem Wirtschaftsrecht und dort vorzufindende Umgehungsklauseln betreffen, sollte daher nur dann die Bezeichnung „Umgehung“ gewählt werden, wenn die für eine Bestrafung des Verhaltens erforderlichen Kenntnisse, Vorstellungen und Zwecke beim Täter gegeben sind. Doch muss diesen gegenüber dem einfachen Vorsatzerfordernis erhöhten Anforderungen nicht zwingend durch eine Umgehungsabsicht im Sinne dolus directus 1. Grades entsprochen werden552; im Übrigen ist ohnehin nur ein Teilbereich der hier geschilderten Umgehungshandlungen von diesen erhöhten Anforderungen betroffen, zumeist genügt der einfache Vorsatz.553 Es besteht mithin größtenteils Entscheidungsfreiheit darüber, ob die Umgehungsabsicht dem deskriptiven Umgehungsbegriff zugrunde gelegt werden sollte. Für welche Deutung der „Gesetzesumgehung“ man sich festlegt, ist daher allein davon abhängig, welche Zwecke mit der Begriffsbildung verfolgt werden und welcher von diesen Zwecken (sollten sie zu einem unterschiedlichen Begriffsinhalt führen) als der sinnvollere erachtet wird. Für den Zusammenhang dieser Untersuchung erscheinen zwei Begriffsbildungen als sinnvoll: die rechtsfolgenorientierte und die idealtypische Begriffsbildung. (1) Der rechtsfolgenorientierte Umgehungsbegriff Schon ein Blick in das Stichwortverzeichnis eines beliebigen Kommentarwerks zeigt, dass die allermeisten Begriffe der Rechtswissenschaft rechtsfolgenorientiert sind. Die Begriffsbildung und das begriffsorientierte Argumentieren sollen den Rechtsstoff systematisieren.554 Die Schaffung von abstrakten, nicht notwendigerweise positivierten Begriffen dient – ganz im Sinne der juristischen Methodenlehre allgemein – als Entscheidungshilfe für eine überzeugende oder zumindest richtige Anwendung des Rechts. Das Ziel der Rechtsanwendung wiederum ist die Rechtsfolgenbegründung.555

552 Vgl. soeben D. IV. 5. b) aa) (4) (b): erforderlich und ausreichend zugleich ist, dass die subjektiven Anforderungen es dem Täter im Zeitpunkt der Entscheidung für die Straftat mit Umgehungscharakter ermöglichen, die Umstände, auf die sich die Tatbestandsmerkmale beziehen, ihrem sozialen Sinn nach zu begreifen; es muss also „Bedeutungskenntnis“ (LK12Vogel, § 16 Rn. 26) vorliegen. Dies kann auch durch das Vorliegen sicheren Wissens [Vorschlag Tiedemanns, siehe dazu gleichfalls D. IV. b) aa) (4) (b)] erreicht werden. 553 Siehe D. IV. 5. b) aa) (4). 554 Haverkate, S. 27. 555 Zu dieser wesentlichen Funktion der juristischen Methodik vgl. Müller/Christensen, Rn. 4; Vogel, Methodik, S. 6 ff.; Schmalz, Rn. 1 ff.

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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Diese Ausrichtung der juristischen Terminologiebildung spricht dagegen, ein Verhalten, bezüglich dessen Subsumierbarkeit wegen seines objektiven Umgehungscharakters Überlegungsbedarf besteht, nicht Gesetzesumgehung zu nennen, wenn zwar letztlich die objektiven und subjektiven Voraussetzungen für die Bestrafung erfüllt sind, aber eben keine Umgehungsabsicht bestand. Diese Fälle von der Benennung als Umgehungsfälle abzuschneiden, hat für den Rechtsanwender in der Entscheidungssituation keinen methodischen Wert, weil die Umgehungsabsicht eben nicht entscheidungsrelevant ist.556 Vielmehr ist der Hinweis auf das spezifische Normanwendungsproblem bei Umgehungshandlungen auch ohne die entsprechende Zwecksetzung beim Täter hinreichend gewährleistet; im Falle von Umgehungsabsicht erfährt das Problem der Gesetzesumgehung zwar eine „didaktische“ Zuspitzung, die dem Verständnis für den Problemkreis dienen kann, sie ist aber rechtsfolgenneutral. (2) Idealtypische Umgehungsbegriffe Das Gegenteil zu einem rechtsfolgenorientierten Umgehungsterminus ist ein idealtypischer Umgehungsbegriff. Der Begriff des Idealtypus ist ein Instrument der soziologischen Erkenntnis, das die Wissenschaftstheorie vor allen anderen Weber zu verdanken hat. Der Idealtypus in seinem Sinne dient einerseits der Darstellung der sozialen Wirklichkeit, andererseits hat er aber vor allem heuristischen Wert.557 Idealtypen sind reine Typen, die als solche nicht in der historischen Wirklichkeit vorkommen, da diese stets einzigartig ist, aber die doch aus Elementen der Wirklichkeit in Hinblick auf bestimmte Gesichtspunkte konstruiert sind und zum Verständnis derselben beitragen.558 Sie werden gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus vorhandenen Einzelerscheinungen zu einem in sich einheitlichen Gedankenbild.559 Die Verwendung eines idealtypischen Ansatzes in dem Zusammenhang dieser Untersuchung muss indessen auf den Einwand treffen, dass dieses Hilfsmittel maßgeblich darauf ausgerichtet ist, der Hypothesenbildung in der Soziologie den Weg zu ebnen560 ; es steht also bereits seine Übertragbarkeit auf die dogmatische Rechtswissenschaft in Frage. Grundsätzlich wird indessen alles wissenschaftliche Erkennen idealtypisch verfahren. Weil die gegebene Wirklichkeit mit menschlichen Mitteln nie in ihrer Gänze erfasst werden kann, muss alles Erkennen, Beschreiben und Erklären in Vereinfachungen der Wirklichkeit, durch die Bestimmung von 556

Nochmals: Die Umgehungsabsicht ist keine Voraussetzung für die Bestrafung eines objektiv noch subsumierbaren Verhaltens mit Umgehungscharakter; umgekehrt kann das Vorliegen von Umgehungsabsicht die fehlende Tatbestandsmäßigkeit nicht substituieren. 557 Weber, S. 198; Loos, Wert- und Rechtslehre, S. 31. 558 Carbonnier, S. 89. 559 Ryffel, S. 67. 560 Loos, aaO.

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D. Weitere Annäherung an den Umgehungsterminus

Ausschnitten erfolgen.561 Die zu treffende Auswahl ist dabei nicht nur von ihrer objektiven Zweckmäßigkeit abhängig, sondern legitimerweise ganz wesentlich von den Erkenntnisinteressen des jeweiligen Modellanwenders bestimmt.562 Es ist daher auch für die Rechtswissenschaft prinzipiell angängig, Idealtypen zu entwickeln, in diesem Zusammenhang also die Gesetzesumgehung im Sinne einer stilisierten Nachkonstruktion zu verstehen. Die idealtypische Umgehungshandlung soll für diese Untersuchung eine subjektiv pointierte sein. Es wird daher folgendes heuristisches Umgehungsmodell aufgestellt: Von einer Umgehungshandlung im Strafrecht ist nur dann zu sprechen, wenn es der Täter mit seinem gesamten Verhalten gerade auf die Vermeidung von Strafe angelegt hat bzw. dieses Motiv ihn wenigstens auch geleitet hat. Das Ziel eines solchen Umgehungsbegriffs, der von den tatbestandlichen Strafbarkeitsvoraussetzungen losgelöst ist, kann es dann nur sein, zwar nicht die richtigen Antworten zu geben, aber die richtigen Fragen zu stellen. Er dient als Folie für die juristische Diskussion über Umgehungshandlungen, hat aber nicht den Anspruch, aus sich selbst heraus für die Lösung der Problematik Gewähr zu bieten. (3) Zu den fehlenden Grundlagen für eine Entscheidung zwischen dem rechtsfolgenorientierten und einem idealtypischen Umgehungsbegriff Auf den ersten Blick unterliegt die Entscheidung für einen idealtypischen Umgehungsbegriff einem erheblichen Rechtfertigungsdruck. Es ist nämlich erklärungsbedürftig, weshalb ein ohnehin unspezifischer Terminus wie die „Umgehungshandlung“ durch Aufstellung eines – wenn auch semantisch nahe liegenden – idealtypischen subjektiven Merkmals von einer zugleich für die Rechtfolgenseite interessanten begrifflichen Eingrenzung weiter entfernt wird. Zu diesem Einwand gegen einen subjektiv zugespitzten Umgehungsbegriff ist allerdings festzustellen, dass auch ein an der Auslösung strafrechtlicher Rechtsfolgen orientierter Umgehungsbegriff einen nur sehr begrenzten praktischen Wert haben könnte. Dies liegt zunächst daran, dass diese Begriffsbestimmung uneinheitlich bleiben muss, da sich gezeigt hat, dass die subjektiven Anforderungen an eine strafbare Umgehungshandlung je nach dem betroffenen Teilgebiet des Strafrechts unterschiedlich ausfallen können.563 Ganz entscheidend ist daneben sicherlich, dass auch der festgestellte Umgehungscharakter eines Verhaltens angesichts der objektiv-rechtsstaatlichen und damit über den bloßen Vertrauensschutz hinausgehenden Funktionen von Art. 103 II GG kein rechtsfolgenrelevantes Argument ergeben könnte. Es darf als einhellige Meinung der gegenwärtigen Rechtsprechung und Literatur gelten, dass Art. 103 II GG durch Umgehungsverhalten grundsätzlich 561 562 563

Ryffel, aaO. Ryffel, aaO. Siehe D. IV. 5. b) aa).

IV. Kriterien eines strafrechtlichen Umgehungsbegriffs

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nicht verwirkt werden kann.564 Die noch so präzise Fassung von Umgehungsvoraussetzungen kann daher nicht dazu führen, am strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzip vorbei belastende Rechtsfolgen zu erzeugen.565 An dieser die Strafrechtswirklichkeit beherrschenden „magna charta des Verbrechers“ bei den Zielvorstellungen einer Begriffsbildung vorüberzugehen, bedeutet, sich dem mit der Kritik an der Begriffsjurisprudenz verbundenen Vorwurf der „Ent-Wirklichung“ des Rechts566 in einem besonders hohen Maße auszusetzen. Der einzig Begünstigte des Versuchs, aus dem Umgehungsbegriff als solchem präzise Rechtsfolgen abzuleiten, wäre der bereits durch v. Jhering verspottete juristische „Begriffshimmel“ Puchtas.567 Etwas anderes mag indessen für die Bereiche des Strafrechts gelten, in denen die Betroffenheit des Art. 103 II GG entweder generell oder jedenfalls im Einzelfall umstritten ist. Zu nennen sind hier insbesondere der Allgemeine Teil des StGB, die Anwendungsbereiche der faktischen Betrachtungsweise und die Bezugnahme von Strafvorschriften auf außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln des Steuer-, Wirtschafts- und Wirtschaftsverwaltungsrechts. Doch selbst wenn das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip in diesen Konstellationen nicht greifen sollte, ist die Frage offen, inwieweit gerade die Gesetzesumgehung ein den Auslegungsvorgang bestimmendes Argument sein sollte und dabei insbesondere, welchen Mehrwert der Umgehungsbegriff gegenüber der subjektiv-historisch bzw. objektiv-teleologisch orientierten Auslegungsarbeit aufweist. Ohne die Behandlung dieser Fragestellungen erscheint es aussichtslos, eine Entscheidung darüber zu treffen, welchen Nutzen eine nicht-idealtypische, sondern rechtsfolgenorientierte Begriffsbestimmung hat. Vor der Entscheidung über den sinnvollsten Gebrauch des Umgehungsterminus im Strafrecht ist mithin zu eruieren, inwieweit dieser Begriff einer rechtsfolgen- und damit praxisorientierten Verwendung offen steht. Den damit verbundenen Fragen wird im nächsten Kapitel nachzugehen sein („E.“). Erst danach soll die Frage nach der zweckmäßigsten Verwendung des Begriffs der Gesetzesumgehung wieder aufgenommen und entschieden werden („F.“).

564

Siehe D. IV. 2. Zu diesem Ergebnis kommt auch Stöckel (S. 112 f.) für das von ihm entwickelte „Rechtsinstitut Gesetzesumgehung“. 566 Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 465. 567 Zu v. Jherings Abkehr von der Begriffsjurisprudenz vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 463 f. 565

E. Relevanz und Tauglichkeit des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis Nach dem Vorstehenden muss der praktische Wert eines präzisen Umgehungsbegriffs bzw. des Arguments „Gesetzesumgehung“ zum einen von der Fragestellung abhängig sein, welche Freiheit die deutsche Verfassungsordnung den Strafgerichten und dem Gesetzgeber zugesteht, den Umgehungsbegriff bzw. das Umgehungsargument zu der Grundlage ihrer Entscheidungen zu machen. Den äußeren Grenzen, die der strafrechtlichen Rechtsprechung und Gesetzgebung für den Gegenstand dieser Untersuchung gesetzt sind, soll hier zunächst nachgegangen werden (I., II.). Im Anschluss ist zum anderen die Frage zu erörtern, welchen methodologischen Wert der Umgehungsbegriff für die Rechtspraxis für diejenigen Sachverhalte hat, in denen seine Verwendung dem Gesetzgeber und Rechtsanwender grundsätzlich von Verfassungs wegen offen steht (III.).

I. Der grundsätzliche Beurteilungsspielraum des Richters bei der Rechtsfindung Ist über einen Sachverhalt zu entscheiden, für den sich – im Zuge des Auslegungsvorgangs selbst – herausstellt, dass er Umgehungscharakter aufweist, so kommt der Rechtsanwender nicht umhin, zunächst überhaupt das Ziel seiner juristischen Arbeit am konkreten Sachverhalt festzulegen. Er begegnet dieser Frage stets bei der Hauptarbeit der juristischen Normanwendung, nämlich der Auslegung von Gesetzen.1 Was aber ist das Ziel dieser Auslegung? Die Antwort scheint sich mühelos finden zu lassen: Die Gesetzesauslegung strebt Erkenntnisse über den Sinn des Gesetzes zum Zwecke seiner Anwendung auf den konkreten Fall an.2 So einfach dieser Ausgangspunkt erscheint, so voraussetzungsvoll erweist sich die Umsetzung dieses Programms. Die Subsumtion kann sich nämlich nicht in einer schlicht logischen Unterordnung des Lebenssachverhalts unter den gesetzlichen Obersatz erschöpfen. Wenn auch die Regeln der Logik, wie sie sich in dem Verfahren des juristischen Syllogismus wiederfinden, eine auch durch die Existenz von Rechtsmitteln abgesicherte Kontrolle der Widerspruchsfreiheit der richterlichen Normanwendung ermöglichen, so können sie allein doch nicht den Vorgang und das 1 2

Vgl. statt vieler Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 677 ff. (684). Larenz/Canaris, S. 134; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 293.

I. Der Beurteilungsspielraum des Richters bei der Rechtsfindung

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Ergebnis der Subsumtion ausmachen. Kern des Rechts und der Rechtsanwendung ist nicht die Logik, sondern der mit den jeweiligen Normen verfolgte Regelungszweck.3 Auf der Suche nach der zutreffenden Rechtsanwendung kann es daher keine zuverlässige Anleitung geben, die zum „einzig richtigen Ergebnis“ führt, vielmehr verlangt das Recht nach einer wertenden Entscheidung seines Anwenders.4 Die Logik ist daher richtigerweise als die Dienerin der Teleologie angesehen worden; die Kunstsprache Recht muss angesichts der unendlichen Vielfalt der zu würdigenden Lebenssachverhalte und der Genauigkeitsverluste im Subsumtionsvorgang (besser daher: im Subordinierungsvorgang) selbst versagen, wenn sie aus sich selbst heraus stets die logisch richtigen Ergebnisse produzieren soll.5 Der Richter kann daher nicht, wie noch Montesquieu postulierte, der „bouche de la loi“ sein, sondern er geht mit ihm schöpferisch um.6 Wichtige Bindungselemente finden sich daher nicht in der Norm allein, sondern im Handeln des Richters selbst. Damit ist die Bindung durch mehr oder weniger formelle Programme gemeint (z. B. Auslegungsregeln, Präjudizien, Dogmatik oder die Erfahrung des Richters bei der Beweiswürdigung), deren Wirksamkeit nicht allein normativ vorgegeben, sondern vor allem im Faktischen begründet ist.7 Gerade weil sich dabei die Rechtsanwendung auf Umgehungshandlungen im Grenzbereich der Subordinierbarkeit abspielt, wohnt der Rechtsgewinnung – dort wie sonst auch – eine gewisse „dezisionistische Determinante“8 inne. Inwieweit sich der Richter zu dieser Eigenwertung berufen fühlt, hängt – wie sich sogleich zeigen soll – allerdings ganz entscheidend davon ab, welche Auslegungszielbestimmung er getroffen hat. Natürlich soll mit diesen Erwägungen nicht der Beweis angetreten werden, die Gesetzesbindung des Richters – und die des Strafrichters allemal – sei eine bloße Chimäre. Die verfassungsrechtliche Existenz der Gewaltenverschränkung und der Gesetzesbindung des Richters sowie ihre verfassungspolitische Bedeutung kann und soll angesichts ihrer mehrfachen und prominenten Hervorhebung (Artt. 20 III, 97 I, 103 II GG, § 1 StGB) gar nicht bestritten werden; eine „königliche Freiheit“ des Richters für die nicht ganz ausdrücklich und eindeutig vom Gesetz geregelten Fälle9,

3 So bereits Jhering in seinem unvollendet gebliebenen zweiten Hauptwerk „Der Zweck im Recht“, passim, zuerst erschienen Leipzig 1877 und 1883; zu dieser These siehe Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 518 ff.; 681 f. 4 Schmalz, Rn. 311 ff. 5 Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 693 f. 6 Hassemer, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 251 ff. (261) m. w. N. 7 Hassemer, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 251 ff. (262 ff.). 8 Zu diesem Element wertender Rechtsanwendung Schmalz, Rn. 314; Kaufmann, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 26 ff. (122). 9 Zu dieser Grundaussage der Freirechtsschule vgl. statt vieler Kunz/Mona, Kapitel 4 Rn. 272 ff.

302

E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

also die „hard cases“10, besteht nicht.11 Gleichwohl können angesichts der unvermeidbaren, soeben skizzierten „Unschärfe-Relationen“ zwischen Erlass eines abstrakt formulierten Gesetzes und der Anwendung dieser Norm auf einen konkreten Lebenssachverhalt auch unter der Herrschaft der strengen Gesetzesbindung im Strafrecht mehrere Ergebnisse vertretbar sein, die sich zum Teil diesseits, zum Teil jenseits der Strafbarkeitsgrenze bewegen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass natürlich auch Art. 103 II GG als Rechtsnorm selbst der Auslegung bedarf, was wiederum die durch diese Vorschrift vorgegebenen Grenzen der Strafrechtsanwendung selbst relativiert. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es auch idealiter stets mehrere „richtige“ – im Sinne von vertretbare – Entscheidungen gibt12, denn es ist ein factum brutum, dass der Rechtsanwender in der gegebenen knappen Zeit mit den gegebenen beschränkten Erkenntnismitteln zu einer Entscheidung zwischen mehreren vertretbar erscheinenden Auslegungsvarianten kommen muss.13

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung Für den richterlichen Beurteilungsspielraum bei der rechtlichen Beurteilung von Umgehungsverhalten ergeben sich gegenüber diesem allgemeinen Verhältnis von „dezisionistischer Komponente“ zu „Gesetzesbindung“ keine grundlegenden Abweichungen. Auch für dieses Sonderproblem der Gesetzesauslegung hat der richterliche Rechtsanwender einen gewissen Beurteilungsspielraum. Damit ist aber mitnichten gemeint, dass der Richter, wenn er den Umgehungscharakter eines strafrechtlich zu würdigenden Lebenssachverhalts festgestellt hat, frei darüber entscheiden könnte, ob er dieses Verhalten an der Grenze des Wortlautes noch unter Strafe gestellt sehen möchte. Seine Unfreiheit ist dem Umstand geschuldet, dass Kernelement der Gesetzesumgehung – so das Ergebnis der bisherigen Erörterungen in dieser Untersuchung – die mögliche Zweckvereitelung der entsprechenden Norm infolge des Täterverhaltens ist. Die Etikettierung eines Lebenssachverhalts als „Umgehungshandlung“ setzt also voraus, dass Zweck und mögliche Zweckverfehlung als Ergebnis der Auslegung bereits feststehen. Damit aber ist zugleich auch die Frage danach vorentschieden, ob dieses Verhalten von der betreffenden Norm erfasst werden soll: Wie bereits angeführt, hat jede Auslegung der Verwirklichung der mit dem Gebotsinhalt verfolgten Normzwecke zu dienen.14 10

Mit diesem Begriff fasst H. L. A. Hart die Sachverhalte zusammen, die eindeutig dem positiven Recht unterfallen; siehe dazu Kaufmann, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 26 ff. (121). 11 Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 610 m. w. N. 12 Dagegen Dworkin, S. 144 ff., 448 ff. aufgrund seiner „one right answer thesis“. 13 Larenz/Canaris, S. 116. 14 Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 725.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Dabei war die insbesondere von Teichmann vertretene Auffassung, der Zweck bzw. das Ziel einer Einzelnorm könnten nicht jenseits der Wortlautgrenze der Vorschrift existieren, zurückgewiesen worden.15 Die Rechtsanwendung des Strafrichters hat daher grundsätzlich danach zu streben, die durch das Umgehungsverhalten drohende teleologische Lücke zu schließen. Daran ist der Richter auch nicht durch eine allgemeine Pflicht zur restriktiven Auslegung des Strafrechts gehindert, denn Art. 103 II GG oder das allgemeine Rechtsstaatsprinzip enthalten eine solche Maxime grundsätzlich nicht.16 Ein Spielraum zur Eigenwertung besteht für die Judikative bei Umgehungshandlungen daher jedenfalls dann nicht mehr, wenn eine Festlegung dafür erfolgt ist, in der möglichen Straffreistellung des jeweiligen Sachverhalts eine drohende Zweckverletzung des betreffenden Strafgesetzes zu erblicken. Ein möglicher Entscheidungsspielraum des Richters ergibt sich dagegen aus zwei weiteren Auslegungsfragen, die bei der Beschäftigung mit Umgehungsverhalten – aber auch ganz allgemein – große Bedeutung für die Rechtsfindung haben. Zugleich sind sie ganz entscheidend für die Fragestellung, welcher Stellenwert der Umgehungsproblematik selbst im heutigen Strafrecht zukommt. Dies betrifft zum einen die Fragestellung, auf wessen Regelungswillen bei der Bestimmung des Normtelos vorrangig abzustellen ist. In Betracht kommen – bei einer weitere Varianten zunächst einebnenden Vereinfachung – entweder der Wille der normsetzenden Instanz oder derjenige des gegenwärtigen Rechtsanwenders (hierzu sogleich unter 1.). Zum anderen ist für Umgehungssachverhalte im Strafrecht typischerweise die Frage aufgeworfen, welche Reichweite und welchen Inhalt Art. 103 II GG und damit die zentrale Auslegungs- und Rechtssetzungsgrenze im Strafrecht selbst hat (siehe dazu 2.). 1. Die Auswirkungen der Auslegungszielbestimmung auf den Umgehungstopos Wenn auch schon durch die Festlegung, eine Fallkonstellation sei als Gesetzesumgehung zu qualifizieren, feststeht, dass eine Zweck- bzw. Zielverletzung der Norm durch ihre mögliche Nichtanwendbarkeit droht, so ist nach den bisherigen Ausführungen noch im Dunkeln geblieben, nach welchem Maßstab die Zielver15

Siehe dazu D. IV. 2. a) bb). LK12-Dannecker, § 1 Rn. 293 m. w. N. Etwas anderes gilt indessen für die Bereiche des Wirtschaftsstrafrechts, in denen es für die Strafbarkeit des Täters auf die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und dabei insbesondere auf außerstrafrechtliche Maßstäbe sowie Maßfiguren und Maßstäbe ankommt. Dort (etwa für das Insolvenzstrafrecht oder für den – im Zusammenhang mit dieser Untersuchung bereits erörterten – § 4 II SubvG) müssen unbestimmte Rechtsbegriffe insofern „bestimmter“ gemacht werden, dass der wirtschaftlichen und rechtlichen Eigenbewertung durch den Täter seine Gestaltung betreffend eindeutig die Anerkennung zu versagen sein muss; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT Rn. 114 ff. 16

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

fehlung zu ermitteln ist. Damit ist die Frage nach der Auslegungszielbestimmung angesprochen, also nach der Überlegung des Rechtsanwenders, zu welchem Ende er den Kanon der Auslegungsmethoden auf eine Einzelnorm anwendet. Über diese Problemstellung herrscht in der juristischen Methodenlehre seit langem ein erbitterter Streit zwischen den Anhängern der so genannten subjektiven Theorie und der so genannten objektiven Theorie17, wobei die zahlreichen Varianten, Zwischenformen und Abschwächungen der beiden „reinen“ Lehrmeinungen hier aus Gründen der Übersichtlichkeit zunächst weitestgehend ausgeklammert werden.18 Ein Ende der Debatte ist bisher nicht abzusehen, wobei die „objektive Theorie“ sicherlich als die vorherrschende Ansicht bezeichnet werden darf, wenn auch das Bekenntnis zur „subjektiven“ Auslegungszielbestimmung im Vordringen begriffen zu sein scheint.19 a) Die so genannte subjektive Auslegungszielbestimmung Die „subjektive Theorie“ legt bei der Gesetzesauslegung das Hauptaugenmerk auf den Regelungswillen des (historischen) Gesetzgebers.20 Die historische Normzweckforschung sei als die richtige Methode der Gesetzesauslegung anzusehen.21 Durch die Feststellung des wahren gesetzgeberischen Willens sind dann Rückschlüsse möglich, welche Fälle überhaupt vom Tatbestand erfasst werden sollen.22 Erkenntnisquellen der subjektiv-historischen Auslegung sind der (gesellschafts-) historische Kontext des Gesetzes, die Gesetzesmaterialien mit den in ihnen enthaltenen Entwürfen, Begründungen und den (parlamentarischen) Diskussionen sowie der historische Regelungszustand und die über ihn in Judikatur und Schrifttum 17

Die Terminologie ist nicht eindeutig, zum Teil wird anstelle der „subjektiven Theorie“ auch von der „historischen“ oder der „subjektiv-historischen“ Auslegungszielbestimmung gesprochen; siehe dazu Loos, Wassermann-FS, S. 123 ff. Hier soll der Begriff der „subjektiven Theorie“ Verwendung finden. Allerdings werden die angebrachten Zweifel daran, ob die objektive Theorie wirklich objektiv und die subjektive Theorie tatsächlich subjektiv ist, hier zunächst zurückgestellt. Bis zu der Erörterung dieser Problemstellung sollen daher die Begriffe „objektive Theorie“ und „subjektive Theorie“ nur unter Vorbehalt benutzt werden. 18 Zu ihnen vgl. Simon, S. 210; Krey, Studien, S. 179, jeweils m. w. N. 19 Loos, Wassermann-FS, S. 123 ff. (133). 20 Zu ihren Anhängern im Strafrecht gehören etwa LK12-Dannecker, § 1 Rn. 296, MüKoStGB-Schmitz, § 1 Rn. 88; NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 115 ff.; Loos, Wassermann-FS, S. 123 ff. (129), Engisch, S. 95; für zumindest methodologisch „ehrlicher“ hält sie auch Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 796 ff. (Rn. 813 f.); wohl auch Wank, S. 34 f., dessen „geltungszeitlich-subjektive Theorie“ eine Annäherung an die „objektive“ Theorie mit sich bringt: Für ältere Gesetze habe eine Fortschreibung zu erfolgen, die auf den hypothetischen/realen heutigen Gesetzgeber abstellt (S. 46). Die Änderung von Rechtstatsachen oder des Normumfeldes sei daher sowohl nach der richtig verstandenen subjektiven Theorie als auch nach der so genannten objektiven Theorie zu berücksichtigen, so dass der Streit zwischen den beiden Zielbestimmungen in weitem Umfang dahinstehen könne (S. 51). 21 Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 796. 22 MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 72.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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ausgefochtenen Debatten.23 Besonders weit geht dabei Naucke, für den die subjektive Auslegungszielbestimmung durch den Nullum-crimen-Satz vorgegeben, also obligatorisch ist. Die historische Auslegungsmethode sei verpflichtender Inhalt des § 2 PrStGB und seiner durch den Gesetzgeber inhaltlich nicht veränderten Nachfolgenorm Art. 103 II GG geworden.24 Mit einer so beschaffenen (Selbst-)Verpflichtung, nur die bereits vom (historischen) Gesetzgeber berücksichtigten Anwendungsgebiete auch in der Gegenwart als rechtsfolgenrelevant einzuordnen, geht eine tendenziell eingeschränkte Relevanz der Umgehungsproblematik einher. Nur diejenigen Rechtsguts- oder Interessenverletzungen, für die sich eindeutig erweist, dass der historische Gesetzgeber sie mittels eines bestimmten Normtatbestandes als Rechtsgutsverletzung Strafe unterwerfen wollte, sind überhaupt dafür geeignet, umgangen zu werden. Vermeintliche Umgehungskonstellationen, die zum Entstehungszeitpunkt des Strafgesetzes nicht als strafwürdig bedacht waren, stellen daher schon deshalb keine teleologische Lücke dar, weil das Telos der Norm nicht betroffen ist, auch wenn der spätere Rechtsanwender nach seinem Verständnis vom Schutzzweck der Norm (bzw. vom „Willen des Gesetzes“) zu einem anderen Ergebnis gelangt. b) Die so genannte objektiv-teleologische Auslegungszielbestimmung Für die „objektive Theorie“ ist es Ziel der Auslegung, das aktuelle Telos einer Norm, also ihren Gegenwartssinn zu ermitteln.25 Dabei wird die teleologische Auslegung zum Teil als „Krone des Auslegungsverfahrens“ bezeichnet, die übrigen Auslegungsmethoden sind demnach im Grunde nur Hilfsmittel der eigentlichen Sinnerforschung.26 Überwiegend wird die so genannte objektive Theorie im strafrechtlichen Schrifttum allerdings nicht ohne jede Berücksichtigung des ursprünglichen Gesetzgebungswillens vertreten. Vielmehr sei ein Kompromiss bzw. eine Synthese zwischen subjektiver und objektiver Theorie dahingehend zu finden, dass die Entstehungsgeschichte der Norm bei ihrer Zweckermittlung Berücksichtigung findet, dem „objektivierten Wille“ des Gesetzes indessen bei älteren Gesetzen und allemal unter veränderten gesellschaftlichen und technischen Verhältnissen der Vorrang gebührt.27 Wenn auch die historischen bzw. subjektiven Vorannahmen bei 23

Loos, Wassermann-FS, S. 123 ff. (124 f.); Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 780 ff. Naucke, S. 184 ff. (189). 25 Fischer, § 1 Rn. 12. 26 Jescheck/Weigend, § 17 IV. 1. b); SK-Rudolphi, § 1 Rn. 32. 27 Larenz/Canaris, S. 170 f.; Baumann/Weber/Mitsch, § 9 Rn. 74 ff.; Schmalz, Rn. 263 f.; Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 44; Jescheck/Weigend, § 17 IV 2.; Jakobs, 4. Abschn. Rn. 21 f. Nicht ganz eindeutig zuzuordnen ist die Stellungnahme Stöckels zur Auslegungszielbestimmung, wenn er die Erfassung von Umgehungshandlungen einerseits ausschließt, soweit der Gesetzgeber die richterliche Ausfüllung der betreffenden Lücke ausdrücklich oder stillschweigend ausgeschlossen hat (S. 98) und andererseits die Umgehungserfassung für zulässig erachtet, sobald der Gesetzgeber die vom Täter genutzte Lücke bei Abfassung des Ge24

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

einigen dieser Autoren – etwa bei Jakobs28 – erhebliches Gewicht eingeräumt wird, so zeigt doch die insoweit einheitlich vertretene Kollisionsregel, bei unterschiedlichen Ergebnissen den „Willen des Gesetzes“ vorzuziehen, dass auch die sich selbst als Kompromiss- oder Synthesetheorien begreifenden Lehren zur Auslegungszielbestimmung letztlich so genannte objektive Theorien sind.29 Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist in der Frage nach der Auslegungszielbestimmung uneinheitlich. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge schreibt die Verfassung keine bestimmte Methode der Auslegung vor.30 In ständiger Rechtsprechung spricht das Bundesverfassungsgericht allerdings zugleich der historischen Auslegung einen besonderen Stellenwert ab. Ihr komme nur die Bedeutung zu, die Richtigkeit der nach den übrigen Methoden ermittelten Auslegung zu bestätigen oder Zweifel zu beheben.31 Das Bundesverfassungsgericht bekennt sich daher proklamatorisch zu der so genannten objektiven Theorie.32 Die rechtstatsächlich vorzufindende starke Gewichtung der historischen Methode in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht dazu in einem deutlichen Widerspruch33 ; zu Recht vermutet Rüthers eine handfeste richterrechtspolitische Funktion dieses (nur) formellen Bekenntnisses zur „objektiven Theorie“.34 Der Bundesgerichtshof räumt in seiner strafrechtlichen Rechtsprechung keiner Auslegungszielbestimmung einen generellen Vorrang ein. Es lassen sich subjektiv akzentuierte35, mit der „objektiven Theorie“ konforme36 wie auch den „SyntheseLehren“37 entsprechende Normauslegungen in den einzelnen Entscheidungen nachweisen. Eine prinzipielle Selbsteinschränkung der Rechtsanwendungsbefugsetzes nicht kannte und daher nicht berücksichtigen konnte (S. 106). Subjektiv-teleologische Grenzen der objektiven Methode ergeben sich für Stöckel demnach nur, wenn der Gesetzgeber selbst auf diese im Zeitpunkt des Normerlasses hingewiesen hat. 28 Jakobs, aaO.; ähnlich Rengier, AT, § 5 Rn. 11, 22, demzufolge die „teleologische Interpretation“ grundsätzlich Vorrang habe, die „subjektive Theorie“ bei neueren Rechtsvorschriften und unveränderten sozialen Verhältnissen allerdings erheblich an Gewicht gewinne. 29 So auch die Einschätzung etwa von LK12-Dannecker, § 1 Rn. 295. 30 BVerfGE 88, 145 (166 f.). 31 BVerfGE 1, 299 (312); 10, 234 (244); 11, 126 (130). 32 LK12-Dannecker, aaO.; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 799. 33 Vgl. Krey, Studien, S. 176 f.; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 800 mit Hinweisen auf den Band BVerfGE 80, 396 (Register zur „Auslegung“), und die umfangreichen Erträge der Rechtsprechungsstudien von Röhl, § 76 VII. 2. und Sachs, DVBl. 1984, 73 ff. (77); siehe auch BVerfGE 54, 277 (297). 34 Rüthers, Rechtstheorie, aaO. 35 BGHSt 14, 116 (118 ff.); 25, 97 (99); 27, 52 (54 ff.). 36 BGHSt 1, 74 (76); 10, 157 (159 f.): „Kein Gesetz verträgt eine starre Begrenzung seiner Anwendbarkeit auf solche Fälle, die der vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Ausgangslage entsprechen; denn es ist nicht toter Buchstabe, sondern lebendig sich entwickelnder Geist, der mit den Lebensverhältnissen fortschreitet und ihnen sinnvoll angepasst weiter gelten will, solange dies nicht die Form sprengt, in die er gegossen ist“; 29, 196 (198). 37 BGHSt 6, 147 (149 ff.); 24, 40 (41 ff.).

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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nisse durch ein Bekenntnis zur subjektiven Theorie kann der BGH-Judikatur jedenfalls nicht entnommen werden. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass die Wahl der Methode von dem jeweils gewünschten Ergebnis abhängig ist.38 Die Festlegung auf die „objektive Theorie“ – jedenfalls ihre Bevorzugung gegenüber den mit der „subjektiven Theorie“ einhergehenden Restriktionen des Normanwenders – muss zunächst dazu führen, dass der Gesetzesumgehung als Rechtsproblem zu höherrangiger Bedeutung verholfen wird. Schließlich ist der Rechtsanwender bei der Bestimmung der intendierten Reichweite der Norm nicht an das ursprünglich gemeinte Telos des Gesetzes – und damit sind im Strafrecht insbesondere der Umfang und die Richtung des Rechtsgutsschutzes zu verstehen – gebunden, sondern dazu befähigt und berufen, den gegenwärtig gewollten Rechtsgutsschutz des Strafgesetzes zu ermitteln. Es können sich mithin „teleologische Lücken“ nach dem Gegenwartsverständnis eines Straftatbestandes auftun, die den (orthodoxen) Anhänger der „subjektiven“ Auslegungszielbestimmung nicht berühren, weil er für den gleichen Sachverhalt eher zu der Annahme einer Freistellung bereit ist.39 Die Konsequenzen der „objektiven Theorie“ für die Umgehungsproblematik sind damit allerdings nur zur Hälfte angesprochen. Nach den bisherigen Ausführungen erscheint aus Sicht des Strafnormunterworfenen noch keine der beiden im Streit stehenden Auslegungsmaximen als für ihn vor- oder nachteilhaft, trifft doch das im Einzelfall möglicherweise anzutreffende diskrepante Auslegungsergebnis „teleologische Lücke“ (Tendenz der „objektiven Theorie“) versus „Freistellung des Verhaltens“ (Tendenz der „subjektiven Theorie“) bisher nur eine Aussage darüber, ob ein Verhalten mit Umgehungstypik gegeben ist oder nicht. Eine Vorentscheidung über die Erfassungsmöglichkeiten des Täterverhaltens scheint damit noch nicht verbunden zu sein, sofern davon auszugehen sein sollte, dass die Wortlautgrenze beide Auslegungslehren gleichermaßen bindet. Ihre Bindungswirkung wird mehrheitlich nicht angezweifelt: Eine Erfassung von Umgehungsverhalten über die Grenze des alltagssprachlichen, noch möglichen Wortsinns40 der Norm hinaus verstößt als Rechtsfortbildung im Wege der Analogie gegen das Programm des Art. 103 II GG; hierüber besteht sowohl im Lager der „objektiven“ wie der „subjektiven“ Theorie heute überwiegend Einigkeit.41 38

So auch die Einschätzung von Röhl, aaO.; Simon, S. 385. Von diesen Unterschieden zwischen „objektiver“ und „subjektiver“ Theorie bei der Ermittlung von Lücken im Gesetz geht auch Röhl, aaO. aus. 40 Zu dieser Bestimmung der Wortlautgrenze durch das herrschende Schrifttum vgl. statt vieler LK12-Dannecker, § 1 Rn. 300 ff. m. w. N. Für die Gegenansicht, wonach die Fachsprache Vorrang vor der Alltagssprache hat, siehe Simon, S. 111 ff.; der davon ausgeht, dass sich auch der Bundesgerichtshof an der Grenze des (rechts)wissenschaftlichen Wortverständnisses orientiert. 41 Vgl. für die „objektive“ Theorie BVerfGE 47, 124; 73 235; BGHSt 3, 303; 37, 230; Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 37; Fischer, § 1 Rn. 10 ff.; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 29, für die 39

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Allerdings ist die Wortlautgrenze der Auslegung auch für die Gegenwart mit verschiedenen Begründungen in Zweifel gezogen worden. Der wichtigste Einwand gegen die richterliche Bindung an den Gesetzeswortlaut ergibt sich aus dem Befund der neueren juristischen Methodenlehren, dass jede Auslegung gesetzlicher Merkmale – von deskriptiven Tatbestandsmerkmalen abgesehen42 – auf ein analogisches Verfahren angewiesen ist, da die Anwendung des Gesetzes auf einen Sachverhalt, der nicht vollkommen identisch mit einem bereits entschiedenen ist, stets auf einen Ähnlichkeitsvergleich angewiesen ist.43 Hieraus wird von einigen Vertretern des Schrifttums der weitergehende Schluss abgeleitet, dass eine semantische Abgrenzung von noch zulässiger Auslegung und bereits unzulässiger Analogiebildung nicht zu leisten sei. Daraus wird wiederum zum Teil gefolgert, statt von dem Analogieverbot sei von einem „Generalisierungsverbot“ auszugehen.44 Nach anderer Auffassung ist die – im Falle gegebener „Rechtsähnlichkeit“ – nicht verbotene Analogie allein von der unzulässigen „freien Rechtsfindung“ abzugrenzen.45 Schließlich wird dafür plädiert, zwischen analogiefähigem „Wortlauttatbestand“ und nicht analogiefähigem „Auslegungstatbestand“ zu differenzieren, wobei die Grenze zwischen diesen beiden Tatbestandstypen durch eine Abwägung zwischen teleologischer Auslegung und der fragmentarischen Natur des Strafrechts zu finden sein soll.46 Gemeinsam ist diesen Lehrmeinungen, dass das Ergebnis der Normauslegung nach ihrem „objektiven“ Gegenwartssinn einen solchen Stellenwert im Auslegungskanon einnimmt, dass divergierende Ergebnisse der methodologisch vermeintlich inferioren grammatischen Interpretationsmethode zurückzustehen haben.47 Ohne die Kontrollinstanz eines objektiv nachprüfbaren Kriteriums wie der alltagssprachlichen Wortlautgrenze wird so zusammen mit einer „objektiv-teleologischen Methode“ die strafrechtliche Erfassung jedes Sachverhalts möglich, der sich hingegen für die herrschende Meinung nach der hier gewählten Definition der „subjektive“ Theorie NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 95; LK12-Dannecker, aaO.; MüKo-StGBSchmitz, § 1 Rn. 67; Rüthers/Höpfner, JZ 2005, 21 ff. 42 Zu dem hier zugrunde gelegten Verständnis des Terminus „deskriptive Tatbestandsmerkmale“ siehe B. II. 5. b) m. Fn. 484. 43 NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 95; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 247. 44 Jakobs, 4. Abschn. Rn. 33 m. Fn. 60. 45 Sax, S. 148 ff.; ähnlich im Anschluss Stratenwerth/Kuhlen, § 3 Rn. 31 ff., die jedenfalls im Grundsatz auf den „wahren Sinn“ der Vorschrift abstellen wollen. 46 Schmidhäuser, StuB., 3. Kapitel Rn. 52 f. 47 Dies ist für die von Sax, Stratenwerth/Kuhlen und Schmidhäuser (jeweils aaO.) entwickelten Auslegungslehren bereits aufgrund der gewählten Begrifflichkeiten unmittelbar erkennbar. Doch auch das von Jakobs entwickelte „Generalisierungsverbot“ liegt auf dieser Linie, denn eine verbotene Generalisierung soll nicht bestehen, wenn die Voraussetzungen „(1) Kontinuität der Rechtsentwicklung, (2) ansonsten bestehende Wertungswillkür, (3) gleichrangige Regelungsbedürftigkeit und (4) Geeignetheit“ gegeben sind (Jakobs, 4. Abschn. Rn. 41). Jakobs, aaO., ordnet daher etwa die Entscheidung BGHSt 10, 375 (Lastwagen als „bespanntes Fuhrwerk“ gemäß § 3 I Nr. 6 des Preußischen Forstdiebstahlgesetzes) als „Fall im Grenzbereich“ ein.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Umgehungshandlung im Bereich einer straffreien „teleologischen Lücke“ abspielen würde.48 Der Richter hat dann allein darüber Rechenschaft abzulegen, warum es sich bei der von ihm unter Strafe gestellten Fallgestaltung um einen rechtsähnlichen Sachverhalt handelt; seine Verfehlung der gebräuchlichen Wortlautinterpretation indessen muss dieser Minderheitsauffassung zufolge nicht vor Art. 103 II GG bestehen. Es stellt sich die Frage, ob diese drastischen Konsequenzen der wenigstens faktischen Aufgabe des Analogieverbots durch die genannten Autoren auch die weit überwiegende Meinungsgruppe innerhalb der „objektiven Theorie“ im Strafrecht betrifft, die auf einer richterlichen Bindung durch die Wortlautgrenze insistiert. Dies scheint nicht der Fall zu sein, wird die teleologische Auslegung doch vermeintlich wirksam durch die grammatikalische Auslegung gebunden. Indessen ist zutreffend beobachtet worden, dass die Favorisierung einer „objektivteleologischen“ Auslegung stets die Neigung mit sich bringt, das Gesetz wortlautfern zu interpretieren.49 Wer der teleologischen Methode eine Sonderposition als Krone des Auslegungsverfahrens einräumt50 und den Rest des Auslegungskanons als ihr bloßes Hilfsmittel gering schätzt51 oder sogar vor einer Überbewertung des Gesetzeswortlautes52 warnt, für den muss die Wortlautbindung etwas „Ungeliebtes“ bleiben.53 Aus diesen Gründen ist zu vermuten, dass in der Rechtsprechung häufig nicht nur die Entscheidung für die „objektive“ oder die „subjektive“ Auslegung von dem Ergebnis gesteuert wird, das erreicht werden soll54, sondern auch die Entscheidung für eine hinlängliche oder nur unzureichende Berücksichtigung der Wortlautgrenze. Die prinzipielle Anerkennung des Analogieverbots durch die Judikative stellt mithin keine wirksame Grenze für eine den Wortlaut des Tatbestandes überschreitende Auslegung dar, wenn das Ergebnis bei wortlautgetreuer Normauslegung im Einzelfall „nicht passen“ sollte.55 Die Auslegung der §§ 14256, 24057, 25258 48 Das parallele Problem kann sich zugegebenermaßen – wenn auch weitaus seltener – für die „subjektive“ Theorie stellen. Gedacht sei an einen Sachverhalt, für den sich bei historischer Auslegung ergibt, dass der Gesetzgeber ihn unter Strafe stellen wollte, er bei Abfassung des Wortlautes diesem Gestaltungswillen aber nur ganz unzureichend Rechnung getragen hat. Hier muss Art. 103 II GG zu einem Anwendungsverbot des vom Rechtsanwender im Wege der „subjektiven“ Theorie ermittelten Subsumtionsergebnisses führen, sofern die Wortlautgrenze für bindend gehalten wird; Rüthers/Höpfner, JZ 2005, S. 21 ff. (24). 49 NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 92; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 86; Simon, S. 482. 50 Jescheck/Weigend, § 17 IV.1. b). 51 SK-Rudolphi, § 1 Rn. 32. 52 LK10-Tröndle, § 1 Rn. 50. 53 So die zutreffende Beobachtung durch Röhl, aaO.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 351; Otto, AT, § 2 Rn. 51; Loos, Wassermann-FS, S. 123 ff. (125 ff.), letzterer anschaulich am Beispiel von Schmidhäusers Argumentation für das Festhalten an der Vorsatztheorie trotz Einführung der §§ 16, 17 StGB in der Fassung von 1975. 54 Zu dem Verhältnis von gewünschtem Auslegungsergebnis und Wahl der Auslegungszielbestimmung vgl. Naucke, Engisch-FS, S. 274 ff. (278 ff.); LK12-Dannecker, aaO. 55 MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 64.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

StGB in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Beispiele für diese Tendenz. Mit der Berufung auf einen bleibenden Normzweck oder den gesetzlichen Grundgedanken ist die objektiv-teleologische Auslegung geneigt, das Analogieverbot im Ergebnis auszuhebeln; sie selbst kann einem gewünschten Ergebnis der Auslegung nie im Wege stehen.59 Die mit einer gezielt teleologischen, am geschützten Rechtsgut orientierten Auslegung verbundenen Gefahren für die Beachtung der Wortlautgrenze zeigten sich für den Gegenstand dieser Untersuchung nicht zuletzt bei der so genannten faktischen Auslegung; durch sie wird das jedenfalls traditionelle zivilrechtliche Begriffsverständnis zugunsten der strafrechtlichen Erfassung des zu beurteilenden Sachverhalts beiseitegeschoben.60 Die Auslegung z. B. der Tatbestandsmerkmale „Kriegswaffe“ nach dem KWKG61 oder – für die Frage der Gegenanalogie – der „Bestellung“ nach dem InvestitionszulagenG 197562 waren hierfür anschauliche Beispiele. Es ergibt sich mithin auch für die Gesetzesumgehung im Strafrecht eine tendenziell weitergehende Subsumierbarkeit für Anhänger der „objektiven Theorie“, da zum einen auch Sachverhalte zum Normzweckinhalt postuliert werden können, die der historische Strafgesetzgeber nicht vor Augen hatte und zum anderen die Neigung zu einer wortlautfernen Auslegung der „objektiv-teleologischen“ Methode besonders innewohnt. c) Stellungnahme Um entscheiden zu können, inwieweit schon die Privilegierung einer bestimmten Auslegungszielbestimmung die Bedeutung der Umgehungsproblematik im Strafrecht vorbestimmt, sind verschiedene Gesichtspunkte voneinander zu trennen. Bis hierher sollte gezeigt werden, dass die (bewusste oder unbewusste) Entscheidung zwischen verschiedenen Auslegungszielen tatsächlich Auswirkungen sowohl auf die Häufung von Umgehungsphänomenen als auch ihre Subsumierbarkeit unter Strafgesetze haben kann und diese Unterschiede in der Natur der jeweiligen Auslegungsmaximen begründet sind. Über die Häufigkeit diskrepanter Ergebnisse soll damit keine Aussage getroffen sein, sondern nur über die Gründe für ihr Zustan56

BGHSt 28, 129 (Berechtigtes oder entschuldigtes Entfernen vom Unfallort i. S. v. § 142 II StGB erfasse auch das unvorsätzliche Verlassen des Unfallorts); diese Auslegung ist mittlerweile durch Kammerbeschluss des BVerfG v. 19. 3. 2007 – 2 BvR 2273/06 (NJW 2007, 1666) wegen Verstoßes gegen das Analogieverbots für verfassungswidrig erklärt worden. 57 BGHSt 23, 46 (Versperren einer Durchfahrt durch Sitzenbleiben als Gewalt). 58 BGHSt 26, 95 („Betroffenwerden“ auch dann, wenn der Täter das Bemerktwerden durch Gewalt verhindert). 59 NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 94, 114. Vgl. dazu auch die Beispiele, die Simon, S. 172 ff., 477 ff. zusammengetragen hat. 60 Siehe B. II. 4. 61 Vgl. B. II. 6. b). 62 Dazu bereits B. II. 3. c).

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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dekommen. Man wird allerdings – wie im Übrigen für Normen ganz allgemein – vermuten dürfen, dass Unterschiede in den Ergebnissen63 vor allem dann auftreten, wenn Strafgesetze älteren Datums einem zeitlichen Wandel der Rechtstatsachen oder der rechtlichen Wertungen begegnen müssen.64 Zu fragen bleibt, ob sich der Rechtsanwender frei für die von ihm favorisierte Auslegungsmaxime entscheiden kann oder ob nicht Vorgaben verfassungsrechtlicher Natur bestehen, die ihn dazu zwingen, eine bestimmte Auslegungszielbestimmung anzuwenden. aa) Bindet Art. 103 II GG an die „subjektive“ Auslegungszielbestimmung? Eine zwingende, durch Art. 103 II GG vorgegebene Bindung an die „subjektive“ Auslegungszielbestimmung ist – wie schon angesprochen – bisher allein von Naucke vertreten worden. Über die Bedeutung, die der historische Gesetzgeber den Merkmalen eines Straftatbestandes gegeben hat, darf dieser Ansicht nach nicht hinausgegangen werden; nur durch Kommentierungsverbote und strengste richterliche Bindung an den historischen Willen des Gesetzgebers lasse sich das Problem „nullum crimen sine lege“ lösen.65 Näher wird diese These damit begründet, dass bereits die Schöpfer von § 2 PrStGB diese Norm mit dem Gebot verbunden sehen wollten, die einzelnen Straftatbestände allein subjektiv auszulegen.66 Naucke schließt also aus der subjektiven Auslegung von § 2 PrStGB, dass diese Vorschrift den Anwender von Straftatbeständen an die subjektive Auslegung binden sollte, der Befehl zur historischen Auslegungsmethode mithin Inhalt von § 2 PrStGB selbst wurde. Für die Gegenwart zwingend soll dieses Ergebnis wiederum durch Nauckes Postulat werden, dass der positivrechtliche Gehalt des § 2 PrStGB heute – da durch einen Akt der Gesetzgebung nicht geändert – in Art. 103 II GG aufgenommen worden sei und daher auch Art. 103 II GG allein subjektiv-historisch ausgelegt werden dürfe.67 Diese Verabsolutierung der historischen Auslegungsmethode geht aus mehreren Gründen fehl. Zunächst ist festzuhalten, dass der Wille des Gesetzgebers auch dann noch berücksichtigt ist, wenn die Rechtsprechung neuartige Fälle unter das Gesetz 63

Der Plural von „Ergebnis“ wird hier gewählt, um nochmals deutlich werden zu lassen, dass die Auslegungszielbestimmung sowohl die Charakterisierung eines Geschehnisses als Umgehungshandlung als auch seine (straf)rechtliche Erfassung beeinflussen kann. 64 Zu den Auswirkungen des zeitlichen Wandels auf die Auslegung vgl. Wank, S. 33 f. Simon, S. 383 warnt allerdings zu Recht davor, zu pauschalisieren: Die subjektiv-historische Auslegung stehe einem dynamischen Verständnis der gesetzgeberischen Wertentscheidung nur entgegen, wenn das gesetzgeberische Ziel abgewandelt oder umgedeutet werde. 65 Naucke, S. 189. 66 Naucke, S. 185. 67 Naucke, S. 184, 189.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

subsumiert. Voraussetzung hierfür ist, dass diese neuen Konstellationen denjenigen Sachverhalten gleichen, die Motiv für die Schaffung der gesetzlichen Regelung waren. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass der Gesetzgeber die Entscheidung über die Ausfüllung der Norm in Einzelfragen der Rechtsprechung und Wissenschaft überlässt. Das Auslegungsergebnis darf sich also nur nicht in Widerspruch zu dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des historischen Gesetzgebers begeben.68 Ein Kommentierungsverbot ist für diese Zielstellung einer so verstandenen „subjektiven Theorie“ weder geeignet oder erforderlich. Zudem ist die Behauptung Nauckes, die Väter und Mütter des Grundgesetzes hätten 1949 bei Schaffung von Art. 103 II GG durch die äußerlich beständige Übernahme von § 2 PrStGB auch die inhaltlichen Vorstellungen seiner Schöpfer im Jahre 1851 unverändert übernommen, sehr fragwürdig. Die bundesweite Wiedereinführung des Gesetzlichkeitsprinzips 1949 darf wohl vor allem als Antwort auf seine formelle Aufhebung durch § 2 RStGB v. 28. 7. 1935 und die willkürliche, menschen- und bürgerrechtsfeindliche Rechtssetzung und Rechtsprechung des NSRegimes und seiner Justiz verstanden werden. Das Gesetzlichkeitsprinzip sollte ein (Justiz-)Grundrecht werden.69 Kaum wird dem Herrenchiemseer Verfassungskonvent oder dem Parlamentarischen Rat maßgeblich das gesetzgeberische Motiv von 1851 vor Augen gestanden haben, der willkürlichen Justiz der einzelnen Landesherren entgegenzuwirken.70 Wenn Naucke dann allerdings von sich aus konstatiert, ein festes Gesetz sei zu der Ermöglichung von Generalprävention und für die Freiheit der Bürger heute ein genauso dringendes Anliegen wie zu der Zeit der Entstehung des PrStGB71, so zeigt sich letztlich, dass er sich selbst eine Vorstellung vom Gegenwartssinn des Art. 103 II 68

LK12-Dannecker, § 1 Rn. 297 m. w. N. Dies zeigt etwa der Bericht des Unterausschusses III des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee. Die Kommentierung des dort verhandelten Art. 119 I („Eine Handlung kann nur dann mit Strafe belegt werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.“) vermerkt: „Abs. 1 entspricht wörtlich Art. 116 der Weimarer Verfassung und hat dieselbe Bedeutung. […] In beiden Absätzen handelt es sich um Menschenrechte. Es wird daher zu erwägen sein, ob diese Bestimmung bei den Grundrechten oder wegen des Sachzusammenhangs in den Abschnitt über die Rechtspflege einzustellen ist […]“; Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949; S. 335. Nach der Begründung des Entwurfs von Herrenchiemsee verdankt der spätere Art. 103 GG seine Entstehung dem Bestreben, „alte bewährte Grundsätze wieder zu Ehren kommen zu lassen“ (gemeint ist der Grundsatz nulla poena sine lege) oder „früher unbekannten, in der nationalsozialistischen Zeit eingerissenen Missbräuchen für die Zukunft den Boden zu entziehen“ (gemeint sind das Prinzip des rechtlichen Gehörs und der Grundsatz ne bis in idem); zitiert nach AK-GG-Wassermann, Art. 103 Rn. 6. Vgl. zu diesen Motiven der Grundgesetzschöpfer auch Krey, Strafe, Rn. 98. 70 Diese historische Deutung von § 2 PrStGB nimmt Naucke, S. 186 m. w. N. selbst vor. 71 Naucke, S. 188 mit der weiteren Bemerkung, dass das Problem des Art. 103 II GG, das Problem juristischen Denkens überhaupt, nur in Hinblick auf die jüngste deutsche Geschichte verstehen und zu lösen sei. 69

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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GG zwar durchaus zutraut und zubilligt, den Vätern und Müttern des Grundgesetzes indessen diese Überlegungen nicht zugestanden hat.72 Schlussendlich kann damit von einer aus Art. 103 II GG resultierenden Pflicht zur „subjektiven“ Auslegungszielbestimmung nicht ausgegangen werden. bb) Binden Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip an die „subjektive“ Auslegungszielbestimmung? Unabhängig von der soeben erörtern Problematik der Bindungswirkung des Art. 103 II GG für die juristische Methodik stellt sich die Frage, ob der Rechtsanwender nicht durch die Verfassungsgrundsätze der Demokratie, der Gewaltenteilung und der richterlichen Gesetzesbindung an die historische Methode gebunden wird. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage verneint. Aus dem Grundgesetz lasse sich nicht ablesen, dass einer bestimmten Art der Auslegung der Vorzug gebühre.73 Diese pauschale Festlegung wird den soeben angesprochenen Prinzipien des Grundgesetzes, wie sie in Artt. 20, 97 GG festgelegt sind, jedoch nicht gerecht. Durch die Behauptung der „Objektivisten“, mit der Verabschiedung des Gesetzes habe der Gesetzgeber die Herrschaft über das Gesetz verloren74, wird letztlich erklärt, eine Bindung an das Gesetz gebe es nicht.75 Wer aber ohne Begründung vom gesetzgeberischen Normzweck abweicht, schwingt sich vom Diener zum Herren des Gesetzes auf.76 Nun bleibt die „objektive Theorie“ eine Begründung scheinbar nicht schuldig, gibt sie doch schon ihrer Namensgebung nach vor, nicht Rechtsfortbildung betreiben zu wollen, sondern den objektiv gültigen Sinn einer Vorschrift ermitteln zu können. Diese Programmatik ist jedoch methodologisch unredlich. Es entsteht der missverständliche Eindruck, als sei der „heutige Normsinn“ etwas, das als bereits vor dem Akt der Normkonkretisierung feststehend lediglich aufzufinden sei; die Auslegung erhält damit den Charakter eines „Erkenntnisaktes“.77 Der gerade aus der „objektiven Theorie“ resultierende normbildende Charakter der Gesetzesanwendung wird durch

72 Zu dieser „Wendung“ Nauckes hin zur Teleologie und den eigenen kriminalpolitischen Ansichten siehe auch die Kritik Tiedemanns (Tatbestandsfunktionen, S. 185 f.). 73 Vgl. BVerfGE 88, 145 (166 f.). Anders noch BVerfGE 54, 277 (297 f.): „Zumal bei zeitlich neuen und sachlich neuartigen Regelungen kommt den anhand des Gesetzgebungsverfahrens deutlich werdenden Regelungsabsichten des Gesetzgebers erhebliches Gewicht bei der Auslegung zu, sofern Wortlaut und Sinnzusammenhang der Norm Zweifel offen lassen. Über die erkennbare Regelungsabsicht darf die Auslegung in solcher Lage nicht hinweggehen […]“. 74 Vgl. statt vieler Larenz/Canaris, S. 150: „Ihre Billigung [scil. der Abgeordneten] gilt insoweit dem Text als solchem, nicht einer bestimmten Auslegung einzelner Textstellen.“ 75 Wank, S. 34 f. 76 Röhl, § 76 VII. 2.; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 812. 77 Krey, Studien, S. 183.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

diese fiktionale Objektivität des Gesetzestextes verschleiert.78 Unredlich ist auch die Behauptung der objektiven Theorie, die Rechtwissenschaft als hermeneutische Wissenschaft könne ihre Ergebnisse vollständig von den Aussageabsichten der Textinterpreten ablösen und stets „objektiv richtige“ Aussagen über den Inhalt von Normtexten treffen. Eine Objektivität hermeneutisch gewonnener Aussagen gibt es jedoch nicht.79 Dies muss vor allem dann der Fall sein, wenn – wie von der „objektiven Theorie“ vertreten – die ermittelte ursprüngliche Intention des Gesetzgebers nur dazu dienen kann, das „objektiv“ gefundene Ergebnis zu bestätigen. Der hohe Anteil der richterlichen Eigenwertung, der aus der Abwertung der historischen Auslegungsmethode resultieren muss, wird durch die Begriffe „objektiv“ und „Auslegung“ gleich zweifach vernebelt und die faktisch stattfindende gerichtliche Normsetzung kaschiert.80 Typisch für diese Form der Sinnstiftung fern der ursprünglich gegebenen konkreten gesetzgeberischen Intensionen ist dann auch die Berufung auf außergesetzliche Auslegungsmaximen81 wie die „Natur der Sache“82, „zwingende Gründe der Gerechtigkeit“83, die „Entwicklung der Verhältnisse“84, den „Geist der Zeit“85, die „gerechte und zweckmäßige Ordnung“86, den „Grundgedanken des Gesetzes“87 und materiale „Wertprinzipien“88, wobei diese Reihe für das Strafrecht um den „Rechtsgüterschutz“89 (gerade seine Betonung ist eine eigentlich augenfällige petitito principii, schließlich soll die Reichweite des durch die Strafnorm intendierten Rechtsgutsschutzes durch die Auslegung ja erst ermittelt werden90) ergänzt worden ist. Die Methode und das Argumentationsmuster der „objektiven Theorie“ sind damit nur begrenzt rational nachprüfbar, die „objektivteleologische Methode“ beinhaltet daher zu einem nicht unerheblichen Teil einen rechtsgestaltenden Willensakt des Rechtsanwenders.91 Demgegenüber steht die „subjektive Theorie“ für das Bemühen, anhand der historischen Umstände, des juristischen Streitstandes zum Zeitpunkt des Normer78

Krey, aaO. Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 807. 80 Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 814. 81 Ausführlich zu den Bedenken gegen dieses Auslegungsstil Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 820. 82 Larenz/Canaris, S. 154 f. 83 Jescheck/Weigend, § 17 IV 2. 84 Jescheck/Weigend, aaO. 85 Jescheck/Weigend, aaO. 86 Schmalz, Rn. 286; ähnlich Larenz/Canaris, S. 155. 87 Stratenwerth/Kuhlen, § 3 Rn. 33. 88 Schmidhäuser, StuB, 3. Kapitel, Rn. 41, der diese Prinzipien zwar nicht dem StGB, aber immerhin dem Grundgesetz und seiner Wertordnung entnehmen will. 89 Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 48; Maurach/Zipf, § 9 Rn. 21. 90 Baumann/Weber/Mitsch, § 9 Rn. 69. 91 Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 808, 815; Röhl, aaO. 79

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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lasses und der Gesetzgebungsmaterialien (insbesondere der amtlichen Begründungen) das ursprüngliche Ziel des verabschiedeten Gesetzestextes zu ermitteln. Die „subjektive Auslegungszielbestimmung“ ist also bestrebt, objektiv nachvollziehbar zu sein. Die Begrifflichkeiten sind in der Diskussion um die vorzugswürdige Auslegungszielbestimmung daher im Grunde genommen vertauscht worden: „subjektive“ Auslegung ist in Wirklichkeit objektiv, „objektive“ Auslegung dagegen subjektiv.92 Vor diesem Hintergrund ist der gegen die historische Auslegung vorgebrachte Einwand, die Regelungsabsichten des Gesetzgebers seien oft nur (noch) schwer feststellbar, bemerkenswert. Schließlich lässt er sich für die Anhänger einer „objektiv-teleologischen“ Methode nur allzu leicht führen, hat sich diese Auslegungslehre doch gewollt von diesem externen Kriterium (scil. der subjektiv-historischen Auslegung) abgeschirmt. Gleichwohl sind diese Bedenken gegen die subjektivhistorische Auslegung zutreffend und werden auch von ihren Befürwortern gar nicht in Abrede gestellt. Tatsächlich ist die Feststellung des wahren gesetzgeberischen Willens zum Scheitern verurteilt, wenn sich in den Gesetzgebungsmaterialien kein Hinweis auf die Vorstellungen des demokratischen Gesetzgebers findet, sondern nur auf Vorstellungen einzelner Ministerialbeamter.93 Zudem ist die gesetzliche Gestaltung in einer parlamentarischen Demokratie oft ein zäh ausgehandelter Kompromiss; der Wille „des Gesetzgebers“ unterscheidet sich darum vom Willen all derjenigen, die die Norm zustande gebracht haben, er liegt gleichsam dazwischen.94 Die subjektive Auslegungszielbestimmung taugt aufgrund der ihr eigenen Schwächen mithin nicht dazu, eine Meta-Theorie der Auslegungstheorien bereitzustellen.95 Es kann daher nur darum gehen, einen Vorrang der historischen Methode „im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten“96 einzufordern. Ihre Funktion muss darin bestehen, als externer Auslegungsfaktor der „objektiv-teleologischen“ Methode obligatorische Grenzen zu setzen. Soweit der erklärte oder mutmaßliche Willen des Gesetzgebers ermittelt werden konnte, darf die „objektiv-teleologische“ Methode nur angewendet werden, wenn sich ihr Ergebnis nicht in Widerspruch zu dem Ergebnis der subjektiv-historischen Methode setzt.97 Als unerträglich emp92

Röhl, aaO.; Rüthers, Rn. 820; ähnlich MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 87. MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 73; Schönke/Schröder-Eser § 1 Rn. 41; Loos, Wassermann-FS, S. 123 ff. (124 f.); Larenz/Canaris, S. 149 f. 94 NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 117; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 315. 95 NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 120; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 88. 96 Loos, Wassermann-FS, S. 123 ff. (129). 97 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 295 ff.; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 87 f.; NK-Hassemer/ Kargl, § 1 Rn. 113 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 812; wohl auch Loos, Wassermann-FS, S. 123 ff. (129), der sich eine „stabilisierende Funktion“ von der historisch-teleologischen Interpretation erhofft, indessen Zweifel daran äußert, dass es für den Verfassungsstaat eine Sinnaffinität zu einer der Auslegungslehren gibt (S. 130). Schließlich wird auch Krey, Studien, S. 182 ff. der hier vertretenen Ansicht nahe stehen, wenn er eine Bindung des Rechtsanwenders an die rechtspolitische Wertentscheidung des historischen Gesetzgebers einfordert. 93

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

fundene Strafbarkeitslücken im Zusammenhang mit Umgehungshandlungen, die sich bereits hieraus ergeben, sind hinzunehmen und gegebenenfalls durch den Gesetzgeber zu beseitigen. cc) Vom Nutzen der Wortlautgrenze Subjektive wie objektive Theorie haben überdies Strafbarkeitslücken zu respektieren, die sich aus dem Prinzip der Wortlautgrenze ergeben. Es darf als ein nicht-teleologisches, gegenüber der richterlichen Eigenwertung externes Kriterium98, bei dem alle Auslegung zu beginnen hat, nicht preisgegeben werden. Damit sollen die zum Teil ganz erheblichen Schwierigkeiten, den möglichen Wortsinn eindeutig zu bestimmen, mitnichten bagatellisiert werden. Dies betrifft insbesondere die Problematik, wie zu verfahren ist, wenn ein einheitlicher alltäglicher Sprachgebrauch nicht auszumachen ist und die Fragestellung danach, ob im Zweifel das juristisch-technische, das außerjuristisch-technische oder das laienhafte Wortverständnis vorrangig zu berücksichtigen ist.99 Dessen ungeachtet erscheint der zum Teil verfochtene „semantische Nihilismus“100, dessen Befürworter zugleich die Abgrenzbarkeit von Analogie und Auslegung in Abrede stellen, als stark übertrieben. Die in den meisten Fällen tatsächlich durchführbare und ausreichende Begrenzung möglicher Wortbedeutungen ergibt sich allein schon daraus, dass eine Verständigung zwischen Menschen ohne diese Handhabe gar nicht möglich wäre.101 Handfeste Grenzen eines einheitlichen Sprachgebrauchs sind ferner daraus ersichtlich, dass dieser Gebrauch der Sprache regelmäßig in Wörterbüchern zur deutschen Sprache zusammengefasst werden kann.102 Die zutreffende Einsicht, dass die durch die Sprache vorgegebene Einfassung der Auslegung nicht für jeden Fall eindeutig sein kann, rechtfertigt es nicht, „auch noch diese unvollkommene Begrenzung über Bord zu werfen“103.

98

Siehe dazu NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 114. Siehe zu diesen Problemstellungen Simon, S. 82 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 300 ff.; NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 106. Aus Gründen der Vorhersehbarkeit staatlicher Strafe – und damit in Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz – erscheint es allerdings grundsätzlich vorzugswürdig, auf den Verständnishorizont des Normadressaten abzustellen; vgl. BVerfGE 71, 108 (116); 73, 206 (236); Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 179; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 182. 100 NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 121. So auch Baumann/Weber/Mitsch, § 9 Rn. 89: „Daß die objektive Grenze nicht immer eindeutig zu finden ist, kann nicht bedeuten, nunmehr aus Verzweiflung zu einem subjektiven Dezisionismus übergehen zu dürfen.“ 101 Roxin, AT I § 5 Rn. 37; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 56. 102 Frister, 4. Kapitel Rn. 28. 103 Frister, aaO.; der Sache nach ebenso Krey, Studien, S. 152 f.; Simon, S. 189; LK12Dannecker, § 1 Rn. 306. 99

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Eine Gesetzesanwendung im Strafrecht, die gegen die Beliebigkeit ihrer Ergebnisse abgesichert werden soll, ist damit sowohl auf die bestmögliche Beachtung der historischen als auch der grammatikalischen Auslegungsmethode angewiesen. Umgehungshandlungen sollten daher nur dann strafrechtliche Rechtsfolgen auslösen, wenn sie dem Wortlaut des Strafgesetzes seinem alltagssprachlichen Verständnis nach noch unterfallen und die Bestrafung des Täters dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des historischen Gesetzgebers entspricht. dd) Konsequenzen der freien Methodenwahl in der Rechtsprechung für die Gesetzesumgehung im Strafrecht Der Bundesgerichtshof wie auch das Bundesverfassungsgericht haben sich die Wahl und Gewichtung der Auslegungsmethoden für den jeweils zu entscheidenden Fall stets offen gehalten. Etwaige die betreffende Wahl bestimmende übergeordnete methodologische Prinzipien, insbesondere Erklärungen dafür, von einer andersgearteten Gewichtung der Auslegungsmethoden in früheren Urteilen abgewichen zu sein, waren dabei nicht zu erkennen. Der Grund für diese häufig diskrepante methodische Festlegung der entscheidenden Spruchkörper in ihren Einzelentscheidungen ist wohl nicht so sehr in der rechts- und staatsphilosophischen, vielleicht sogar politischen Determination der einzelnen Richter zu suchen104, sondern vielmehr in einer Ad-hoc-Entscheidung für das jeweils gewünschte Ergebnis.105 Fallen jedenfalls das Ergebnis von „subjektiv-teleologischer“ und „objektiv-teleologischer“ Auslegung106 für einen Umgehungssachverhalt auseinander, so kann das erkennende Gericht nach dem in der Praxis derzeit vorherrschenden Verständnis von juristischer Methodik faktisch frei darüber entscheiden, ob es eine „teleologische Lücke“ annehmen möchte oder nicht. Damit hat sich eine erste Teilantwort auf die in diesem Kapitel aufgeworfene Fragestellung, inwieweit der Begriff der Gesetzesumgehung und die mit ihm in Zusammenhang gebrachte Problem der Normgeltung für die Rechtsanwendung im Strafrecht relevant sind, ergeben. Für die Konstellationen, in denen die „subjektivteleologische“ und die „objektiv-teleologische“ Auslegung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist die Relevanz der Gesetzesumgehung davon abhängig, ob das entscheidende Gericht den betreffenden Lebenssachverhalt unter Strafe stellen will. Aufgrund ihres selbst autorisierten Entscheidungsspielraums gibt es für diese 104 In Bezug auf das Schrifttum zur juristischen Methodenlehre hat Loos, Wassermann-FS, S. 123 ff. (131) die Hypothese aufgestellt, die Entscheidung für eine „objektive“ oder „subjektiv-historische“ Auslegungszielbestimmung sei insbesondere von der rechtsphilosophischen Grundposition des Gelehrten abhängig. Skeptisch-pessimistisch-konservativ Gestimmte tendierten eher zur „subjektiv-historischen“ Auslegung, Naturrechtler, Quasi-Naturrechtler, aber auch „progressiv Gestimmte“ dagegen eher zum Objektivismus. 105 Naucke, Engisch-FS, S. 274 ff. (278 ff.); Röhl, § 76 VII. 2; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 351. 106 Zu diesem Begriffspaar vgl. LK12-Dannecker, § 1 Rn. 316 m. w. N.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Bereiche der diskrepanten Auslegungsresultate für die Gerichte nicht „die“ Subsumtion des Umgehungsverhaltens, sondern hinsichtlich der Normzielbestimmung zwei Subsumtionsergebnisse, von denen das erkennende Gericht das (rechtspolitisch) erwünschtere wählen kann. Zu bedenken ist aber, dass sowohl die Wahl der „objektiv-teleologischen“ Methode als auch ihre Anwendung im Zusammenhang mit der Gesetzesumgehung der Gefahr ausgesetzt sind, unter einem spezifischen Begründungsdefizit zu leiden. Mit einer betont „objektiv-teleologischen“ Methode begibt sich der Rechtsanwender nämlich ohnehin in die Nähe der analogen Rechtsanwendung107 und das übliche Verständnis dessen, was die Gesetzesumgehung angeblich ausmachen soll, verstärkt diese Tendenz noch: Die Einschätzung eines Verhaltens als „künstlich“ und „planvoll“ sowie die Folgerung, bei „normalem“ und unstrategischen Verhalten hätte sich das Handlungssubjekt strafbar gemacht, tragen häufig die Feststellung der Ähnlichkeit des Umgehungsverhaltens gegenüber dem eindeutig geregelten Fall.108 Zwar haben die bisherigen Begriffsbestimmungen stets betont, für das Vorliegen einer Gesetzesumgehung müsse neben das „Künstlichkeits-Kriterium“ noch die Normzweckwidrigkeit des Verhaltens treten109, doch ist mit dem Eintreten für dieses zusätzliche Erfordernis nichts gewonnen, sofern nicht dargelegt wird, nach welchen (gegenüber den sonstigen angeführten Umgehungscharakteristika) externen Kriterien die Normweckwidrigkeit einer Straffreiheit festgestellt werden soll. Dass dies mit einem pauschalen Hinweis auf die gleiche Strafwürdigkeit des Verhaltens oder auf das Schutzgut des Tatbestands nicht geleistet werden kann, ist bereits dargelegt worden.110 Es ist gleichwohl zu befürchten, dass die Bestimmung einer „teleologischen Lücke“ auf diesem zu generalisierenden Wege erfolgt: Wenn bereits die Ungewöhnlichkeit des Täterverhaltens und sein strategisches Vorgehen zur Erlangung von Straffreiheit die Einschätzung der Tatbestandsähnlichkeit tragen, muss die Straffreiheit des Täters ungerecht wirken und seine Bestrafung umgekehrt als gerecht, weil sie „dem Grundgedanken der Norm“ oder der „Natur der Sache“ entspricht. Naturrechtliche oder pseudo-naturrechtliche Erwägungen bilden jedenfalls eine häufig anzutreffende Gemeinsamkeit der Befassung mit der „objektiv-teleologischen“ Methode einerseits und mit Umgehungshandlungen andererseits. In beiden Zusammenhängen besteht die Zielvorstellung, „der Gerechtigkeit“ zum Durchbruch verhelfen zu können. 107 Siehe dazu bereits E. II. 1. b) sowie MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 77; NK-Hassemer/ Kargl, § 1 Rn. 77. 108 So die überwiegende Auffassung im strafrechtlichen Schrifttum zur Umgehungsproblematik; vgl. dazu bereits D. III. 4. 109 Stöckel, S. 23 ff.; Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 1; Nippoldt, S. 23; Bruns, GA 1986, 1 ff. (8, 26); v. Burchard, S. 175 f.; Pohl, Rn. 8; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (162); Reisner, S. 10; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 263. 110 Siehe D. IV. 2. b).

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Damit wird jedoch die Frage, ob das Täterverhalten tatsächlich normzweckentsprechend ist, also ebenso wie die „hard cases“ Strafe unterfallen sollte, nicht beantwortet. Vielmehr drohen die Grenzen zwischen den Sachverhalten zu verschwimmen: Wird die Beurteilung, es habe eine normzweckwidrige Strafvermeidung stattgefunden, überhaupt noch dem tatsächlichen Täterverhalten entnommen oder ist es nicht vielmehr das von ihm vermiedene Verhalten, das die Feststellung der Rechtsähnlichkeit trägt? Sollte letzteres der Fall sein, so wird die Vergleichbarkeit der Fälle letztlich nur durch etwas vermittelt, was der Täter nicht getan hat. So ergibt sich der vermeintliche Umgehungscharakter des von Stöckel gebildeten Falls, bei dem ein Hehler den Dieb noch vor Übergabe des gestohlenen Geldes dazu bringt, die betreffenden Scheine einzutauschen, nur daraus, dass das vom Täter vermiedene Verhalten nicht nur eindeutig dem Wortlaut des § 259 StGB unterfiele, sondern auch seinem Telos.111 Die hier verwirklichte straflose Ersatzhehlerei hingegen soll nach dem Willen des Gesetzgebers gar nicht strafbar sein. Die Gefahr, diese Unterschiede zwischen echten und unechten Umgehungshandlungen112 einzuebnen, ist der „objektiv-teleologischen“ Methode immanent, weil ihre Anhänger wohlbewusst darauf verzichten, die ursprünglichen Zielvorstellungen des Gesetzgebers als externe Erkenntnisquelle und zur Kontrolle der eigenen Überlegungen vom vermeintlichen „Willen des Gesetzes“ heranzuziehen. Die deshalb für den Zusammenhang dieser Untersuchung drohende Verwechslung der Umgehung von Strafe mit der Umgehung von Gesetzen lässt letztlich eine Sinndeutung von Gesetzen entstehen, welche die vom Gesetzgeber beanspruchte Monopol-Position für die Schließung von Lücken im fragmentarischen Strafrechtsgefüge in Frage stellt. Die bereits angesprochene Neigung jeder teleologischen Methode, die erarbeiteten Erkenntnisse über den „wahren“ Sinngehalt des Gesetzes den Forderungen der grammatikalischen Auslegung in Einzelfällen vorzuziehen, entfernt die Auslegung in Umgehungsfällen zusätzlich von dem im Normtext niedergelegten Willen des parlamentarischen Gesetzgebers. Während eine Überwindung der Wortlautgrenze für den soeben angesprochenen Fall der Ersatzhehlerei angesichts des eindeutigen Normtextes ausgeschlossen erscheint113, musste die Vagheit der „objektiv-teleologischen“ Methode auf das Auslegungsergebnis durchschlagen, wenn die anzuwendenden Tatbestandsmerkmale wenig bestimmt sind (etwa §§ 370, 42 AO) oder 111 Stöckel, S. 101, rechtfertigt die Anwendung des Umgehungsgedankens auf den Hehlereifall damit, dass der Täter § 259 StGB „bewusst ausgeschaltet“ habe. 112 Zu der Unterscheidung zwischen echten und unechten Gesetzesumgehungen vgl. D. IV. 2. b) ee) (3), (4). 113 Anders gleichwohl Roxin, Mayer-FS, S. 467 ff. (472 ff.); Meyer, MDR 1970, 377 ff. und Rudolphi, JA 1981, 1 ff. (4), wonach bei der Geldhehlerei das Erfordernis der formalen Sachidentität durch das Erfordernis einer materiellen Wertidentität zu ersetzen sei. Der Wortlaut des § 259 StGB („… eine Sache, die …“) steht dieser Auslegung indessen nicht offen, auch wenn hinter einer solchen Lösung „die Vernunft der Dinge“ (Roxin, aaO.) stehen sollte; vgl. statt vieler MüKo-StGB-Lauer, § 259 Rn. 47 m. w. N.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

die Geltung des Analogieverbots gemäß Art. 103 II GG für die betreffende Rechtsfrage in Abrede gestellt wird (z. B. für die so genannte Gegenanalogie oder die Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe des Allgemeinen Teils des StGB). Diese Unwägbarkeiten der „objektiv-teleologischen“ Methode zeigen deutlich, wie sehr eine rechtsstaatliche Strafrechtspraxis darauf angewiesen ist, den „Schmerz der Grenze“114 bei der Auslegung von Gesetzen nicht der persönlichen Leidenstoleranz des jeweiligen Rechtsanwenders zu überantworten, sondern so wie wie möglich eine Rückanbindung an den historischen Gesetzgeber vorzunehmen. Führen subjektiv-teleologische und objektiv-teleologische Auslegung allerdings übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass das Täterverhalten der Strafnorm ihrem Sinn und Zweck nach unterfällt (bzw. einer täterbegünstigenden Norm nicht unterfällt), so besteht für Umgehungssachverhalte insoweit kein Raum zur Dezision, als der Richter die Normzweckwidrigkeit der Straffreiheit festzustellen hat. Eine Strafbarkeit kommt allerdings nur dann zustande, wenn das Gesetzlichkeitsprinzip gemäß Art. 103 II GG nicht begrenzend eingreift. Welche Auswirkungen es auf die Strafbarkeit von Umgehungshandlungen im Einzelnen hat, ist im Folgenden darzulegen. 2. Die Gesetzesumgehung und die Auslegung von Art. 103 II GG Der vorherige Abschnitt hat aufgezeigt, dass Grenzen der Auslegung bestehen sollten, die sich nicht allein aus der durch den Nullum-crimen-Satz in den Mittelpunkt gerückten Wortlautgrenze ergeben, sondern bereits aus der Bindung an eine gemäßigt „subjektive“ Auslegungszielbestimmung, welche mit den Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes und dem Gebot einer transparenten juristischen Methodenlehre besser in Einklang zu bringen ist als die objektiv-teleologische Methode. Eine in Theorie und Rechtswirklichkeit weitaus bedeutsamere sowie handfestere Grenze für den Nutzen des Umgehungsbegriffs bzw. des „Rechtsinstituts Umgehung“115 für die Rechtsanwendung könnte hingegen das grundgesetzlich verankerte Gesetzlichkeitsprinzip gemäß Art. 103 II GG, § 1 StGB sein. Es ist die formale Grundnorm, die, an die Spitze des Strafgesetzbuches gestellt, die Idee der Selbstbeschränkung der staatlichen Staatsgewalt widerspiegelt.116 Für den Zusammenhang dieser Untersuchung sind dabei besonders seine Ausprägungen „Nullum crimen sine lege stricta“ (das Analogieverbot) sowie „Nullum crimen sine lege certa“ (das Bestimmtheitsgebot) relevant. Art. 103 II GG scheint – so das im Schrifttum gele-

114 115 116

Mayer, S. 126. Stöckel, S. 50 f. LK12-Weigend, Einl. Rn. 40.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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gentlich und mit Entschiedenheit vermittelte Bild117 – der Erfassung von Gesetzesumgehungen im Strafrecht eine unüberwindbare Hürde zu bereiten. Sollte diese Einschätzung zutreffen, so ist die Verwendung des Umgehungsarguments für die Rechtsfolgenbegründung im Strafrecht ohne jeden Wert. „Gesetzesumgehung“ ist dann ein rein deskriptiver Begriff, für den synonym auch von normzweckwidriger Straffreiheit gesprochen werden könnte. a) Zur Einschränkbarkeit des Gesetzlichkeitsprinzips Inwieweit sich die Gesetzesumgehung, verstanden als Prinzip, Argument oder Rechtsinstitut, gegen das Programm des Art. 103 II GG durchzusetzen vermag, ist zunächst von der Rangstellung des Nullum-crimen-Satzes im geltenden Recht abhängig. Nach einhelliger Meinung ist Art. 103 II GG ein herausragendes Prinzip des materiellen Verfassungsrechts.118 Da die Vorschrift verfassungsbeschwerdefähig ist (Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG) und ihr Inhalt zum klassischen Bestand verfassungsstaatlicher Grundrechtskataloge zählt, ist Art. 103 II GG dabei nicht bloß als subjektives „grundrechtsgleiches“ Recht anzusehen119, sondern als echtes Grundrecht.120 Auch die Bezeichnung der Norm als „Prozessgrundrecht“121 ist nicht unbedenklich, da diese Kennzeichnung ihren umfassenden Grundrechtscharakter eher verdunkelt als erklärt: Anders als Art. 103 I GG bezieht sich der Satz „Nullum crimen, nulla poena sine lege“ nicht vorrangig auf das gerichtliche Verfahren als solches, sondern legt generell die Ausübung aller staatlichen Strafgewalt auf elementare rechtsstaatliche Voraussetzungen fest.122 Daraus erhellt, dass eine Durchbrechung der in Art. 103 II GG enthaltenen Bindungen unter Hinweis auf eine Gesetzesumgehung ihrerseits eine Rechtsgrundlage in der Verfassung oder in einem für das positive Verfassungsrecht verbindlichen überpositiven Recht finden muss.

117 Die Einschätzung des strafrechtlichen Schrifttums, Gesetzesumgehungen seien im Strafrecht nicht rechtsfolgenrelevant, ist nur deshalb gelegentlich aufzufinden, da sich viele Kommentare und Lehrbücher überhaupt nicht zu dieser Problematik äußern; siehe zu diesem Sachstand bereits B. I. 118 Umbach/Clemens-Zierlein, Art. 103 Rn. 113 f.; Sachs-Degenhart, Art. 103 Rn. 53 f.; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 2; NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 1; Roxin, AT I § 5 Rn. 1 ff. 119 So aber BVerfGE 85, 69 (72); Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 103 Rn. 43; Dreier-SchulzeFielitz, Art. 103 II Rn. 14; Pieroth/Schlink, Rn. 1084; Epping, Grundrechte, Rn. 907; SachsDegenhart, Art. 103 Rn. 53. 120 v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte, Art. 103 Abs. 2 Rn. 103; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 53. 121 Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 191; ähnlich Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf-Schmahl, Art. 103 Rn. 1: „Art. 103 GG enthält drei unabhängig nebeneinander stehende Prozessgrundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte“. 122 Dreier-Schulze-Fielitz, aaO.; v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte, aaO.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

aa) Naturrechtliche Begründungen Es muss zunächst fernliegend erscheinen, dass naturrechtlich unterfütterte Erwägungen die Strafwürdigkeit des Täterverhaltens betreffend das Gesetzlichkeitsprinzip, die Grundnorm eines rechtsstaatlichen Strafrechtssystems, einreißen könnten. Schließlich scheint sich aus Art. 103 II GG selbst zwingend ein positivistischer Strafbegründungsansatz zu ergeben123 und es wäre darzulegen, mit welcher Berechtigung Wertvorstellungen, die weder dem materiellen Verfassungsrecht selbst noch ihm übergeordneten positiven Normen (d. i. das Europarecht) zu entnehmen sind, im Umgehungskontext zu einer Verkürzung des Schutzbereiches von Art. 103 II GG führen können. Für das geltende Recht hat es bisher keine Ansätze dafür gegeben, einen solchen Beweis anzutreten und auch diejenigen Autoren, die ihre negative Bewertung von Umgehungs- und Erschleichungsverhalten über die bestehende Normzielverletzung hinaus mit ethischen und naturrechtlichen Überlegungen begründet haben, äußern keine Zweifel an der prinzipiellen Geltung des Art. 103 II GG nach dem geltenden Recht.124 (1) Die Rechtsprechung zu der Strafbarkeit der so genannten Mauerschützen Allerdings muss festgestellt werden, dass Art. 103 II GG von Anfechtungen überpositiver Art nicht stets freigehalten worden ist. Die strafrechtliche Bewältigung der DDR-Vergangenheit durch die bundesdeutsche Rechtsprechung hat jedenfalls für den Lex-praevia-Satz Einschränkungen mit sich gebracht, die nicht ohne (mittelbare) Berufung auf das Naturrecht auskamen. In den beiden wichtigsten seiner zahlreichen Entscheidungen125 zu den so genannten Mauerschützen-Fällen konnte der Bundesgerichtshof deshalb zu einer Be123

LK12-Dannecker, § 1 Rn. 451. So ist Stöckel, der in jeder Gesetzesumgehung zugleich einen Rechtsmissbrauch (Stöckel, S. 94) und materielles Unrecht (Stöckel, S. 93) erblickt, sie für ethisch missbilligenswert (Stöckel, S. 44) und ihre Bestrafung für gerecht (Stöckel, S. 93) hält, dezidiert der Auffassung, dass jeder noch so strafwürdige Täter nicht das Recht verlieren kann, sich auf das Analogieverbot zu berufen (Stöckel, S. 103 f.). Und auch Otto, der die Unbeachtlichkeit der vorsätzlich selbst herbeigeführten Schuldunfähigkeit im Anschluss an Paeffgen daraus folgert, dass die Unmaßgeblichkeit von erschlichenen Rechtspositionen „nachgerade naturrechtliches Gemeingut der Rechtsordnungen“ sei (Otto, AT, § 13 Rn. 26), will mit dieser Argumentation keine Einschränkung des Art. 103 II GG für die actio libera in causa begründen. Vielmehr seien die Zurechnungsregeln des Allgemeinen Teils, zu denen auch § 20 StGB gehöre, nicht abschließend ausformuliert, die Entfaltung von Zurechnungsregeln durch Rechtsprechung und Lehre berühre daher das Gesetzlichkeitsprinzip – seine Geltung für den Allgemeinen Teil des StGB unterstellt – gar nicht (Otto, AT, § 2 Rn. 26, § 13 Rn. 25). 125 Zu weiteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu dieser Thematik siehe die Nachweise bei Dannecker/Stoffers, JZ 1996, 490 m. Fn. 3; Ambos, JA 1997, 983 ff. (984) m. Fn. 6. 124

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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strafung der Grenzsoldaten wegen Totschlags kommen, weil er den das Schützenverhalten rechtfertigenden § 27 II GrenzG der DDR wegen offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte für unwirksam erklärte. Das positive Recht müsse in einem solchen Fall, so die Richter unter ausdrücklicher Berufung auf „die Radbruch’sche Formel“, der Gerechtigkeit weichen.126 Der Bundesgerichtshof bezog sich dabei ganz auf den ersten Teil des Radbruch’schen Diktums, die so genannte „Unerträglichkeitsformel“.127 Dabei sah sich der Bundesgerichtshof in der Lage, die von Radbruch unter dem direkten Eindruck der NS-(Justiz)Verbrechen entwickelte Formel durch die mittlerweile entwickelten „konkretere[n] Prüfungsmaßstäbe“128 des Völkerrechts und der menschenrechtsfreundlichen Auslegung des § 27 II DDR-GrenzG aufzufüllen. Ihre Anwendung stützt nach Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs die sich bereits aus dem Radbruch’schen Diktum ergebende Unbeachtlichkeit eines Erlaubnistatbestandes, der auch tödliche Schüsse auf die eigenen Staatsbürger zulässt, die lediglich ausreisen wollen.129 Eine Straffreiheit der Mauerschützen hatte daher nach Meinung der Bundesrichter ebenso wenig bestanden wie ein im Sinne von Art. 103 II GG schutzwürdiges Vertrauen der Grenzsoldaten auf einen menschenrechtswidrigen Rechtfertigungsgrund.130 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur bestätigt, sondern das strafrechtliche Rückwirkungsverbot für die Aufarbeitung staatsverstärkten strafwürdigen Unrechts ausdrücklich relativiert.131 Das Rückwirkungsverbot, so das Bundesverfassungsgericht, finde seine rechtsstaatliche Rechtfertigung in der besonderen Vertrauensgrundlage, welche die Strafgesetze tragen, wenn sie von einem an die Grundrechte gebundenen demokratischen Gesetzgeber erlassen werden.132 Diese besondere Vertrauensgrundlage entfalle für vom Träger einer anderen Staatsmacht gesetztes extremes Unrecht; dieses könne sich nur solange behaupten, wie die dafür verantwortliche Staatsmacht faktisch existiere. Den strikten Vertrauensschutz durch Art. 103 II GG in dieser ganz besonderen Situation nicht wegen des Gebots der materiellen Gerechtigkeit zurücktreten zu lassen, hieße, 126

St 41, 101, (105); zuvor bereits 39, 1 (15 f.); 39, 168 (183 f.). Gustav Radbruchs berühmte Äußerung setzt sich streng genommen aus zwei Formeln zusammen: Aus der „Unerträglichkeitsformel“, wonach unerträglich ungerechten Gesetzen die Rechtsgeltung abzusprechen ist und aus der Verleugnungsformel, wonach Gesetze, bei deren Setzung die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit bildet, bewusst verleugnet wird, der Rechtsnatur ganz entbehren, Radbruch, SJZ 1946, 105 ff. Die Verleugnungsformel hat in der Rezeption durch die Rechtsprechung kaum eine Bedeutung gehabt, da man sich wohl nicht mit dem schwierigen Beweis des Vorsatzes bei den DDR-Machthabern, die Gerechtigkeit durch die Schaffung und Auslegung von § 27 II DDR-GrenzG verleugnet haben zu wollen, abmühen wollte; Dreier/Paulson, S. 235 ff. (245). 128 St 39, 1 (16). 129 St 39, 1 (16 ff., 22 ff.); 41, 101 (109 ff.). 130 St 39, 1 (29 f.); 41, 101 (111 ff.). 131 E 95, 96. 132 E 95, 96 (133). 127

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

die Strafrechtspflege der Bundesrepublik zu ihren rechtsstaatlichen Prämissen in Widerspruch treten zu lassen.133 Diese deutsche Jurisdiktion ist schließlich auch vom EGMR sanktioniert worden.134 Neben einiger Zustimmung aus dem Schrifttum135 an der auf Gerechtigkeits- und Naturrechtserwägungen beruhenden Strafbegründung der deutschen Judikatur hat es von Seiten der Wissenschaft auch nicht an – teilweise heftiger – Kritik an diesem Vorgehen und der damit einhergehenden Aufweichung des Art. 103 II GG gefehlt. Diese Kritik136 erfolgte zu Recht. Die zu der Bestrafung der Mauerschützen und zu der Befriedigung des Rechtsgefühls hinleitenden Argumente überzeugen nicht. Die beachtlichen Einwände gegen die Beweisführung der Rechtsprechung können hier nicht erschöpfend diskutiert werden; zur Sprache allerdings sollen diejenigen berechtigten Kritikpunkte kommen, die sich mit der naturrechtlichen Einschränkbarkeit des Gesetzlichkeitsprinzips beschäftigen. Bereits die Vorstellung, rechtsstaatliche Garantien könnten „der“ Gerechtigkeit weichen, suggerieren einen für den Menschen erkennbaren, einheitlichen Kern des Rechts und der Gerechtigkeit, den es nicht gibt.137 Schon der Schöpfer der hier für die Verurteilung der Mauerschützen bemühten Formel stellte hinsichtlich der Erkennbarkeit von Werten fest: „Sie sind nicht der Erkenntnis, sondern nur des Bekenntnisses fähig.“138 Der somit hier zum Ausdruck gebrachte Werterkenntnisskeptizismus ist ungeachtet der seit etwa sechzig Jahren in der westlichen Welt grundsätzlich unbestrittenen Anerkennung elementarer Menschen- und Bürgerrechte keine bloße Sophisterei, sondern bestätigt sich bei einer Naturrechtsvergleichung nach Ort und Zeit. So kann nicht nur für die jüngste Vergangenheit etwa zwischen einem christlichen, islamischen oder marxistischen Naturrecht unterschieden werden, sondern – nur an der Menschheitsgeschichte gemessen weit zurückblickend – zwischen den 133

E 95, 96 (133). EGMR NJW 2001, 3035 ff. 135 Fischer, § 1 Rn. 15a; Schönke/Schröder-Eser, Vorbem. §§ 3 – 7, Rn. 99 ff.; SK-Hoyer, Vor § 3 Rn. 48; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 42; NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 48; Wessels/ Beulke, Rn. 51; Baumann/Weber/Mitsch, § 9 Rn. 49 m. Fn. 76; Sachs-Degenhart, Art. 103 Rn. 74; wohl ebenso Krey, AT I Rn. 84; von Kritik an einzelnen Begründungssträngen abgesehen auch Alexy, S. 30 ff.; die Bestrafung der Mauerschützen und ihrer Hintermänner wurde bereits von Schroeder (JZ 1992, 990 ff.) gefordert, bevor die hier genannten Urteile ergingen. 136 So von Jakobs, GA 1994, 1 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 447 ff.; ders./Stoffers, JZ 1996, 490 ff.; Frister, 4. Kapitel, Rn. 34; Rosenau, S. 133 f.; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 31; Ambos, JA 1997, 983 ff.; Dreier, JZ 1997, 421 ff.; Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 103 Rn. 69; v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte, Art. 103 Abs. 2 Rn. 124 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf-Schmahl, Art. 103 Rn. 40; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 103 II Rn. 47 ff.; Maunz/ Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 255c; gegen eine Strafbarkeit kraft Naturrechts bereits zeitlich vor BGHSt 39, 1 Schreiber, Regierungskriminalität, S. 53 ff. (63 f.). Die Möglichkeit der strafrechtlichen Ahndung von DDR-Alttaten, so Schreiber, sollte nicht die Preisgabe rechtsstaatlicher Substanz rechtfertigen. 137 Ambos, JA 1997, 983 ff. (985). 138 Radbruch, S. 15. 134

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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verschiedenen Naturrechtsvorstellungen der Antike oder des Mittelalters. Die daraus abgeleiteten Rechtfertigungen der Sklaverei (Aristoteles, Thomas von Aquin), totalitärer Staatsauffassungen (Hobbes, sich dem „Realismus“ des Thukydides anschließend) oder des Vorrechts des Stärkeren (Kallikles) gelten heute naturgemäß als unhaltbar.139 Angesichts dieses Pluralismus der Naturrechtsordnungen erscheint die Wertungssicherheit des Bundesgerichtshofs beneidenswert, dessen noch in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts offenbarten Naturrechtsvorstellungen zur Familien- und Geschlechterordnung140 heute – übertrieben vorsichtig formuliert – die Mehrzahl der Leser nicht mehr unmittelbar überzeugen werden.141 Allein schon der zweifelhaften Fähigkeit menschlicher Richter wegen, das (womöglich tatsächlich existente) Naturrecht zu erkennen, ist es daher bemerkenswert, wie relativ mühelos die Schranke des positiven Verfassungsrechts für die Mauerschützen-Fälle überwunden worden ist142. Denn wenn soeben von einer nur formalen Wahrung des Rückwirkungsverbots durch den Bundesgerichtshof die Rede war, dann deshalb, weil das positive Recht nicht die Strafbarkeit herstellt, wenn das Naturrecht einen positiv-rechtlichen Rechtfertigungsgrund beseitigt hat. Es bleibt bei einer naturrechtlich begründeten Strafbarkeit als teilweiser Ersatz des positiven Rechts.143 Zu bedenken ist ferner, dass bereits die vom Bundesgerichtshof bejahte „Subsumtion“ unter die Radbruch’schen Formel nicht ganz zweifelsfrei ist, denn das von der NS-Diktatur verwirklichte Unrecht, welches dem berühmten Rechtsphilosophen 1946 noch direkt vor Augen stand, ist nicht mit dem durch das DDR-Regime begangenen gleichzusetzen.144 Eine Verharmlosung der DDR-Diktatur und die Herabwürdigung ihrer Opfer soll mit dieser Feststellung keinesfalls verbunden sein, doch verbietet umgekehrt die Achtung vor den Millionen von Toten, die das so genannte Dritte Reich zu verantworten hat, eine unangemessene Aufrechnung der jeweiligen staatlichen Verbrechen. Diese Unterschiede hat auch der Bundesgerichtshof gesehen; von seiner Berufung auf Radbruch ist er deshalb nicht abgerückt.145 139

Dreier, JZ 1997, 421 ff. (429). Nach dem in BGHZ 11 (Anhang, S. 34 ff.) abgedruckten Rechtsgutachten des Bundesgerichtshofs für das Bundesverfassungsgericht soll sich die alleinige Entscheidungskompetenz des Mannes für wichtige Fragen innerhalb des Familienverbundes aus der „seinsmäßigen Zueinanderordnung von Mann und Frau in der Einheit der Familie“ ergeben (S. 68); in einer Entscheidung zur Strafbarkeit der Kuppelei konstatierte der Bundesgerichtshof, das Sittengesetz gebiete, dass sich der Verkehr der Geschlechter „grundsätzlich nur in der Ehe“ vollziehe (St 6, 46 [53 f.]). 141 Dreier, JZ 1997, 421 ff. (430). 142 Damit soll hier nicht verkannt werden, dass gerade die Grundrechte „geronnenes Naturrecht“ verkörpern könnten, doch kann ungeachtet dessen kaum darüber hinweggesehen werden, dass sie eben festgeschriebenes Recht sind. 143 Jakobs, GA 1994, 1 ff. (12); Ambos, JA 1997, 983 ff. (984 f.); Rosenau, S. 133. 144 Ambos, JA 1997, 983 ff. (985); Dannecker/Stoffers, JZ 1996, 490 ff. (492); Vest, Gerechtigkeit, S. 181, 185. 145 St 39, 1 (16); 41, 101 (109). 140

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Die schwierige, bei prinzipieller Akzeptanz der Radbruch’schen Formel verbleibende intrasystematische Wertungsfrage, ob der Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze und seine teilweise positiv-rechtliche Rechtfertigung in § 27 II DDR-GrenzG bereits ein unerträgliches Maß an Ungerechtigkeit erreicht haben und deshalb der Gerechtigkeit weichen müssen, kann kein eindeutiges Ergebnis haben. Nach den weiteren Äußerungen Radbruchs zu den Geltungsgrenzen positiven Rechts erscheint es jedenfalls vertretbar, den an der deutsch-deutschen Grenze positivrechtlich gebilligten letalen Schusswaffengebrauch als Anwendungsfall der Formel zu begreifen.146 Festzuhalten bleibt indessen, dass der Bundesgerichtshof trotz der vermeintlichen Offenkundigkeit des unerträglichen Unrechts „32 Seiten mühevolle Begründung“147 benötigte, um das Strafbarkeitsurteil zu fällen. Bemerkenswert ist dabei, dass die Lostrennung von dem unikalen historischen Bezug der Formel nicht in dem Zusammenhang der staatsnegierenden Rechtsbegründung des Ungehorsams oder gar des Widerstandes stattfindet, sondern gerade für die Begründung von Strafe, also der schärfsten staatlichen Repressionsform, instrumentalisiert wird.148 Ob diese Ausweitung noch im Sinne Radbruchs sein konnte, muss letztlich offen bleiben. Immerhin hat Radbruch selbst noch die „furchtbaren Gefahren für die Rechtssicherheit“ hervorgehoben, wenn der Ausnahmecharakter der Formel keine Beachtung finden sollte.149 Überaus fragwürdig ist dagegen die vom Bundesverfassungsgericht vorgetragene These, das Gebot materieller Gerechtigkeit untersage die Anwendung von § 27 II DDR-GrenzG, weil eine Gewährung von Vertrauensschutz durch Art. 103 II GG die Strafrechtspflege der Bundesrepublik in Widerspruch zu ihren rechtsstaatlichen Prämissen geraten ließe.150 Die weitaus näher liegende Überlegung, dass gerade die Versagung des sich aus Art. 103 II GG ergebenden Vertrauensschutzes von rechtstaatlichen Grundsätzen abweicht, hat für das Bundesverfassungsgericht keine durchschlagende Bedeutung; vielmehr könne ein uneingeschränktes Vertrauen in das Rückwirkungsverbot nur für Strafgesetze anerkannt werden, die von einem an die Grundrechte gebundenen demokratischen Gesetzgeber erlassen worden sind.151 Diese letzte Behauptung des Bundesverfassungsgerichts ist, so Dreier überaus

146 Eine detaillierte Abwägung der für und gegen eine Subsumtion der Tötungen an der innerdeutschen Grenze unter die Formel Radbruchs sprechenden Argumente findet sich bei Rosenau, S. 127 ff. 147 Hillenkamp, JZ 1996, 179 ff. (184). 148 Zu dieser eher ungewöhnlichen Verwendung des Naturrechts bereits Jakobs, GA 1994, 1 ff. (11 ff.) und Dreier, JZ 1997, 421 ff. (428 f. m. Fn. 97). 149 Radbruch, SJZ 1946, 105 ff. (107); ders., SJZ 1947, Sp. 131 ff. (136). In dieser späteren Veröffentlichung hat Radbruch allerdings durchaus deutlich angesprochen, dass der Bestrafung nationalsozialistischer Gewalttaten dadurch gedient werden kann, die Rechtsnatur extremen staatlichen Unrechts mittels naturrechtlicher Erwägungen zu negieren. 150 BVerfGE 95, 96 (133). 151 BVerfG, aaO.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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treffend, „[…] eine schlichte Erfindung des Gerichts – und keine besonders gute.“152 Vielmehr muss nach der gesamten verfassungs- und ideengeschichtlichen Entwicklung des Rückwirkungsverbots gerade derjenige schutzwürdig sein, der einem nicht durch das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip gezügelten Leviathan unterworfen ist. Art. 103 II steht nicht unter Systemvorbehalt.153,154 Wenig überzeugend ist zudem, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu den Mauerschützen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit gegeneinander in Stellung bringt. Bei einem Vergleich des Streitstandes um das allgemeine Rückwirkungsverbot i. S. v. Art. 20 III GG und der Regelung des Art. 103 II GG zeigt sich schnell, dass der vermeintlich für die Mauerschützenfälle auftretende Konflikt zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit qua Rückwirkungsverbot für das Strafrecht bereits positiv-rechtlich zugunsten der Rechtssicherheit entschieden ist.155 Die Erörterung möglicher Ausnahmen von dem Lex-praevia-Satz wird daher bereits unter den falschen Vorzeichen (nämlich nach den Maßstäben von Art. 20 III GG) geführt: Die Relativierung des Rückwirkungsverbots erscheint nach der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts wegen „zwingender Belange des Allgemeinwohls“156 als geboten. Mit dieser Relativierung jedoch interpretiert das Bundesverfassungsgericht allein zugunsten des im Falle der Mauerschützen offenbar für zwingend geboten erachteten Subsumtionsergebnisses das strenge Rückwirkungsverbot nach Art. 103 II GG von der Problemlösung zum Problem um157 und

152

Dreier, JZ 1997, 421 ff. (432). Dreier, aaO.; Haußühl, S. 120 f.; zu den hier nur angedeuteten ideengeschichtlichen Hintergründen des Rückwirkungsverbots siehe Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, insbesondere S. 107 ff., S. 159 ff. sowie S. 162 ff. 154 Wenn demnach für den Zweiten Senat ein Vertrauensschutz i. S. d. Art. 103 II GG für die DDR-Grenzsoldaten durch § 27 II DDR-GrenzG gar nicht erst entstehen konnte, so ist überdies gänzlich ungereimt, warum nach Meinung der Verfassungsrichter der strikte Schutz von Vertrauen durch Art. 103 II GG für die Schüsse an der innerdeutschen Grenze aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit zurücktreten muss. Ein nie existenter Vertrauensschutz braucht schließlich nicht durch Gerechtigkeitserwägungen beseitigt zu werden. 155 Dreier, aaO.; vgl. zum Streit um die Zulässigkeit einer „echten“ Rückwirkung im Rahmen von Art. 20 III GG etwa Sachs-Sachs, Art. 20 Rn. 132 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf-Hofmann, Art. 20 Rn. 76 ff. 156 Unter anderem diese Voraussetzung macht die echte Rückwirkung gegenüber der Regel des Art. 20 III GG ausnahmsweise zulässig; BVerfGE 88, 384 (404); 97, 67 (79 ff.); 101, 239 (263 f.); Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 20 Rn. 72. Demgegenüber betont das Bundesverfassungsgericht in seiner Mauerschützenentscheidung (E 95, 96) noch im ersten Leitsatz: „Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG ist absolut und erfüllt seine rechtsstaatliche und grundrechtliche Gewährleistungsfunktion durch eine strikte Formalisierung.“ Wie großzügig das Bundesverfassungsgericht den Begriff „absolut“ interpretiert, zeigt sich dann allerdings prompt an den weiteren Leitsätzen und der hier bereits angesprochenen Entscheidungsbegründung selbst. 157 Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 103 II Rn. 48; nach Rosenau, S. 224, ist die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts daher zirkulär, denn die Auflösung des Konflikts zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit werde mit der Existenz dieses Konflikts begründet. 153

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

zerredet das Erfordernis strikter Positivität für das Strafrecht158 durch – nur scheinbar empirisch abgesicherte159 – „schwammige naturrechtliche Maßstäbe“160. (2) Übertragung auf den Umgehungszusammenhang Aufzuhellen bleibt, in welchem Zusammenhang die eben beschriebene Aufweichung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots aus Art. 103 II GG mit dem Gegenstand dieser Untersuchung stehen soll. Auf den ersten Blick fallen zunächst die Unterschiede ins Auge: Die Gesetzesumgehung ist ein ewiges und zugleich alltägliches Problem für die Rechtssetzung und die Rechtsanwendung161, die strafrechtliche Aufarbeitung von staatlichem Systemunrecht dagegen ein zwar nicht einzigartiges, doch immerhin vergleichsweise seltenes Ereignis, das die Protagonisten der staatlichen Gewalten vor außerordentliche Herausforderungen stellt. Eine abweichende Bewertung könnte sich zudem daraus ergeben, dass die Relativierung rechtsstaatlicher Standards für historisch einmalige und daher außerordentlich zugespitzte Gerechtigkeitskonflikte womöglich eher erlässlich erscheint als für Umgehungssachverhalte, die im Bereich der tagtäglichen Strafrechtsanwendung angesiedelt sind. Der Bundesgerichtshof wie auch das Bundesverfassungsgericht haben schließlich selbst auf den Ausnahmecharakter ihrer Rechtsauslegung hingewiesen. Weiterhin wurde die Diskussion um die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Grenzsoldaten maßgeblich in Hinblick auf den „Lex-praevia-Satz“ geführt, die absolute Geltung des für den Umgehungszusammenhang besonders relevanten Bestimmtheitsgebots sowie des Analogieverbots wurden von den höchsten deutschen Gerichten nicht in Zweifel gezogen. Darüber hinaus und insbesondere muss es abwegig erscheinen, Art. 103 II GG oder vom Täter erschlichene Begünstigungstatbestände162 für Sachverhalte, in denen die Bestrafung einer Umgehungshandlung als besonders dringlich erscheint, mittels der Radbruch’schen Formel als staatliches Unrecht außer Kraft zu setzen. Die naturrechtliche Einschränkung des Gesetzlichkeitsprinzips zu fordern, allein um die Bestrafung besonders geschickter Straftäter und ihres objektiv strafwürdigen Verhaltens zu erreichen, kann nur auf die Bedenkenlosigkeit eines rechtspolitischen Provokateurs zurückzuführen sein.

158

LK12-Dannecker, § 1 Rn. 451. Zu der geringen Überzeugungskraft der Ausweichstrategien des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts gegenüber der Radbruch’schen Formel durch die Heranziehung des Völkerrechts und der menschenrechtsfreundlichen Auslegung des § 27 II DDR-GrenzG vgl. Dreier, JZ 1997, 421 ff. (424 ff.) sowie Erb, ZStW 108 (1996), 266 ff. (281 ff.). 160 Formulierung von Ambos, JA 1997, 983 ff. (985). 161 Siehe dazu die bereits durch v. Jhering, S. 264 getroffene Einschätzung (in dieser Arbeit wiedergegeben in A. Fn. 8). 162 Zu denken ist hier etwa an §§ 20, 32 StGB oder die diversen Steuer- und Subventionstatbestände. 159

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Es führt indessen kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass das Gesetzlichkeitsprinzip zum Zwecke der Strafbegründung durch den Bezug auf überpositive Gerechtigkeitserwägungen tatsächlich eingeschränkt worden ist. Da die höchste ordentliche und die verfassungsrechtliche Gerichtsbarkeit durch ihre Rechtsprechung zu den Mauerschützen den hohen Rang des Nullum-crimen-Satzes im Grundsatz nicht in Frage stellen wollten, seine uneingeschränkte Geltung aber angegriffen hatten, war nunmehr nicht nur erklärungsbedürftig, warum Art. 103 II GG beschränkt werden durfte, sondern zudem, weshalb dieses Grundrecht im Übrigen unangetastet bleiben würde. Mit Hinweis auf die uneingeschränkte Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips durfte die letztere Fragestellung nicht mehr beantwortet werden, denn wer ein absolutes Rechtsprinzip einschränkt, kann die absolute Fortgeltung der entsprechenden Bestimmung (hier: Art. 103 II GG) für die verbliebenen Anwendungsfälle nicht mehr allein mit dem Hinweis auf die vormalige Existenz eines absoluten Prinzips begründen. Das Bundesverfassungsgericht hat dies zwar versucht163, doch ist diese Bekräftigung angesichts der vom Gericht gestatteten Relativierung des Rückwirkungsverbots eher als eine Art bemühte Deklamation einzuordnen, deren offenbare Revidierung wenige Zeilen später das Bundesverfassungsgericht sich wenigstens nicht einmal die Mühe gemacht hat zu verdecken. Das Bundesverfassungsgericht muss daher wohl folgendermaßen verstanden werden: Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 II GG ist absolut, mit Ausnahme der Fälle, in denen es nicht absolut ist. Näher definiert das Gericht diesen „absoluten Teil“ des absoluten Rückwirkungsverbots mit der bereits erörterten Behauptung, das Rückwirkungsverbot im Sinne von Art. 103 II GG gelte uneingeschränkt für alle Gesetze, die von einem an die Grundrechte gebundenen demokratischen Gesetzgeber erlassen worden sind.164 Nach der Begründungsstrategie des Bundesgerichtshofs wiederum gilt Art. 103 II GG weiterhin für diejenigen Normen uneingeschränkt, die mit den Menschenrechten vereinbar und daher zumindest in noch erträglicher Weise ungerecht sind. Die Unbestimmtheit dieser Grenzziehungen, insbesondere derjenigen des Bundesgerichtshofs, öffnet Art. 103 II GG normativen Abstufungen. Seit der Verurteilung der Mauerschützen ist die Geltung des Gesetzlichkeitsgrundsatzes keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern eine Frage der Einzelfallwertung geworden. Dies gilt umso mehr, als – wie bereits angeführt – allein die Übertragung der Radbruch’schen Formel auf das DDR-Grenzregime einen ganz beachtlichen Wertungsschritt beinhaltete. Der Preis, den die Gerichte mit ihrer Berufung auf den vielleicht wichtigsten, aber zugleich leider auch vagsten Bestandteil der Rechtsidee165 (d. i. eine erkennbare und unveränderliche Gerechtigkeit) zum Zwecke der 163 Noch einmal sei der erste Leitsatz der Entscheidung E 95 (96) zitiert: „Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG ist absolut und erfüllt seine rechtsstaatliche und grundrechtliche Gewährleistungsfunktion durch eine strikte Formalisierung.“. 164 E 95, 96 (133). 165 Als Bestandteile der Rechtsidee sollen hier die Gerechtigkeit, die Zweckmäßigkeit und die Rechtssicherheit gelten; zu dieser Einteilung vgl. Radbruch, insbesondere S. 73 ff.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Strafbegründung zahlen müssen, ist daher die Preisgabe des Gesetzlichkeitsgrundsatzes als Prinzip. (a) Materiale Gerechtigkeitserwägungen für die Gesetzesumgehung im Strafrecht Die Gründe für die unterschiedliche Berücksichtigung von Art. 103 II GG bei der Bewältigung von DDR-Alttaten einerseits (Relativierung des Gesetzlichkeitsprinzips) und bei der Behandlung von Umgehungsverhalten andererseits (absolute Geltung des Nullum-crimen-Satzes) sind damit natürlich nicht weniger offenkundig, doch sind es auf Grundlage der herrschenden Meinung nur noch Unterschiede dem Grade nach. Dabei kann gar nicht übersehen werden, dass gerade die Umgehungsthematik dem naturrechtlichen Erwägungen gegenüber aufgeschlossenen Rechtsanwender einige lohnende Hebelpunkte dafür bietet, das vom Verfassungsrecht für das Strafrecht eigentlich entschiedene Vorrangverhältnis zwischen materieller Gerechtigkeit und (vermeintlich nur formaler166) Rechtssicherheit zugunsten der Gerechtigkeit zu verschieben. Viele der ein solches Vorhaben tragenden Einschätzungen der Gesetzesumgehung sind in dieser Untersuchung bereits zur Sprache gekommen. Der deutlichste Zusammenhang ergab sich aus dem Standpunkt, die Unmaßgeblichkeit erschlichener Rechtspositionen sei „naturrechtliches Gemeingut der Rechtsordnungen“ und „Evidenzfall materialer Gerechtigkeit“.167 Auffällig war ferner, dass die Strafbegründung mit dem mehr oder weniger schlichten Hinweis auf das diffuse, da zum Teil teleologisch, teilweise kriminalpolitisch und dann wieder rechtsethisch gewendete Rechtsmissbrauchsargument besonders dann zum Tragen kam, sobald das vom Umgehungs- oder Erschleichungsverhalten betroffene Rechtsgebiet – jedenfalls der vorherrschenden Auffassung zufolge – nicht dem Anwendungsbereich des Art. 103 II GG unterfallen sollte.168 Abgesehen von diesen speziellen Anwendungsfällen des Rechtsmissbrauchsgedankens wurde von vielen Autoren auch ganz allgemein die 166 Zu der materialen Ungerechtigkeit einer Rechtsordnung ohne Rechtssicherheit siehe nur Radbruch, S. 73 ff. 167 Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513 (523 f.); zustimmend Otto, AT, § 13 Rn. 26. 168 Für die Rechtsmissbrauchstheorien im Zusammenhang mit der absichtlichen Notwehrprovokation siehe B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd); zu den Rechtsmissbrauchserwägungen des Ausnahmemodells (Begründungsmodell für die actio libera in causa) vgl. B. I. 2. c) bb) (1) (b); zu der Unbeachtlichkeit von rechtsmissbräuchlich erlangten Genehmigungen für das Umweltstrafrecht vor Einführung des § 330d Nr. 5 StGB siehe B. II. 10. Diese Erschleichungskonstellationen zeichnen sich dadurch aus, dass Art. 103 II GG nach einer gewichtigen Ansicht nicht berührt sein soll; weder für den Allgemeinen Teil des StGB noch für das durch den Rechtsmissbrauchsgedanken modifizierte Verwaltungsrecht, auch wenn es von den §§ 324 ff. StGB in Bezug genommen werden sollte. Die für die Umgehungsproblematik zentralen § 42 AO und § 4 II SubvG führen den Begriff des Missbrauchs bereits im Namen und haben ihrer Stellung außerhalb des Strafrechts wegen bisher die herrschende Meinung dazu veranlasst, ihre Anwendung im Strafrecht weder wegen Verstoßes gegen das Analogieverbot oder das Bestimmtheitsgebot für verboten zu halten; vgl. B. II. 1. a) bb); 3. a).

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

331

Nähe der Gesetzesumgehung zum Rechtsmissbrauch betont.169 Die Einordnung als Missbrauch verband sich zudem mit der – nicht stets offen angesprochenen – Beurteilung, die Gesetzesumgehung erfolge typischerweise absichtlich.170 Weitere Überlegungen mit Blick auf die materiale Gerechtigkeit – wenn damit auch nicht unbedingt auf Naturrecht –, die für eine „Bekämpfung“ der Gesetzesumgehung streiten sollen, sind insbesondere bei Stöckel aufzufinden,171 der – um es nochmals zu betonen – diese Bewertung grundsätzlich nicht mit der Forderung verbindet, Art. 103 II für den Umgehungszusammenhang zu beseitigen.172 Mit dem Sühnegedanken173 spricht Stöckel eine besondere, für die Umgehungsthematik zur Strafbarkeit hindrängende naturrechtliche Erwägung an, nämlich das im Gefolge des deutschen Idealismus lange Zeit übermächtige Prinzip „punitur, quia peccatum est“. Die Notwendigkeit von Strafe ergibt sich für die absoluten Straftheorien nicht aus pädagogischen oder sozialen Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern aus der Aufgabe, zweckfreie und mithin metaphysische Gerechtigkeit zu verwirklichen.174 Sicherlich ein Grund für die nach wie vor bestehende sozialpsychologische Eindruckskraft175 der Vergeltungstheorien ist ihr Versprechen, durch die Verhängung von Strafe das durch das Verbrechen in Frage gestellte Recht wieder herzustellen. Und so drängt auch für den Umgehungstopos das Rechtsgefühl mit einer gewissen Berechtigung nach der Wiedereinrichtung einer gerechten Rechtsordnung, weil die vom Straftatbestand gesicherten Rechtsgüter in der vom Normgeber vorgesehenen Modalität und entsprechend dem intendierten Schutzumfang verletzt worden sind und nun der Verursacher dieser Gutsbeeinträchtigung nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er dem Garantietatbestand und damit der Strafe mit Vorbedacht aus dem Wege gegangen ist. Die Gesetzesumgehung ruft also nach Vergeltung und dieses Verlangen kann nur deshalb nicht befriedigt werden, weil das zu Vergeltende und die Verwirklichung der Strafzwecke an einen strengen positiv-rechtlichen Begriff von Verbrechen und Strafe gebunden sind. Nicht weit von diesen Überlegungen entfernt sind auch vermeintlich relative Strafbegründungen – insbesondere positiv-generalpräventive Erwägungen – sofern sie sich selbst davon frei zeichnen, ihre Wirkungsweise im Wege der empirischen Erfassung offen zu

169

Siehe dazu D. III. 5. Vgl. auch hierzu die Zusammenfassung der bisherigen Stellungnahmen im strafrechtlichen Schrifttum zum Umgehungsgedanken, D. III. 7. 171 Zu Stöckels kriminalpolitischer und rechtstheoretischer Rechtfertigung der Umgehungsbekämpfung siehe Stöckel, S. 36 ff. und hier D. III. 8. 172 Stöckel, S. 103 f. jedenfalls in Hinblick auf das Analogieverbot; anders ders., S. 43 f., hierzu sogleich im Text. 173 Stöckel, S. 41. 174 LK12-Weigend, Einl. Rn. 58; Roxin, AT I § 3 Rn. 2 ff.; Maurach/Zipf, § 6 Rn. 3 f., 13 ff. 175 Dazu Roxin, AT I § 3 Rn. 7. 170

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

legen.176 Im Sinne dieses letztlich gemischt absolut-relativen Ansatzes kann auch die von Stöckel kriminalpolitisch gemeinte Wendung aufgefasst werden, die Umgehungsbekämpfung sei in Hinblick auf die Geltungskraft des Strafrechts ein Gebot der Selbsterhaltung.177 Resümierend ließen sich auch für die Gesetzesumgehung im Strafrecht die folgenden beachtenswerten Gründe anführen, um eine Einschränkung des Gesetzlichkeitsprinzips aus materialen Gerechtigkeitserwägungen heraus zu rechtfertigen: Dies sind die Unmaßgeblichkeit erschlichener Rechtspositionen als Naturrecht „sui generis“, der überwiegend angenommene Rechtsmissbrauchscharakter der Gesetzesumgehung, der Erhalt der Normtreue beim Publikum angesichts von Straftätern, die das „formelle Recht als Mittel“ benutzen, um „materiell Unrecht zu begehen“178, die – teils verdeckte – Verknüpfung dieser Überlegung mit der absoluten Straftheorie, wonach die Vergeltung durch Strafe das Vehikel zu der Wiederherstellung von Gerechtigkeit ist und schließlich die Möglichkeit zur offiziellen ethischen Missbilligung der Gesetzesumgehung, welche sich aus der sittlichen Natur einer jeden Strafrechtsordnung herleiten soll. Für den hier erörterten Zusammenhang der materialen Gerechtigkeitserwägungen für die Mauerschützenrechtsprechung einerseits und für die Umgehungsthematik andererseits ist auffällig, wie sich das insbesondere von Stöckel ins Felde geführte generalpräventive Gebot einer Bekämpfung von Umgehungen des Strafgesetzes und die zentrale Argumentation des Bundesverfassungsgerichts annähern. Das Bundesverfassungsgericht hat den strikten Vertrauensschutz durch Art. 103 II GG für die DDR-Grenzsoldaten mit dem Argument zurücktreten lassen, die Strafrechtspflege der BRD würde anderenfalls in Widerspruch zu ihren rechtsstaatlichen Prämissen geraten.179 Welche rechtstaatlichen Prämissen der Strafrechtspflege spricht das Gericht hier an? Der Beschluss selbst erläutert die aufgeworfene These nicht weiter.180 Das Gesetzlichkeitsprinzip kann der Senat jedenfalls nicht meinen. In Hinblick auf den Wortlaut des das Rechtsstaatsprinzip verankernden Art. 20 III GG liegt die Vermutung nahe, dass das Gericht entweder auf die „verfassungsmäßige Ordnung“ oder das „Recht“ rekurrierte und damit die Aufhebung des Vertrauensschutzes entweder als eine Forderung der materiellen Gerechtigkeit betrachtete oder jedenfalls als Forderung des Publikums an eine gerechte und damit vertrauenswürdige

176 Zu Elementen der absoluten Straftheorien (insbesondere der Negationslehre Hegels) „im Gewande“ positiv-generalpräventiver Erwägungen vgl. Momsen/Rackow, JA 2004, 336 ff. (338 f.); Roxin, AT I, § 3 Rn. 31. 177 Stöckel, S. 41. 178 Stöckel, S. 46. 179 E 95, 96 (133). 180 Aufschluss über diese Fragestellung ergaben auch nicht die zu Rate gezogenen Anmerkungen zu der Entscheidung, nämlich Ambos, StV 1997, 39 ff.; Arnold, JuS 1997, 400 ff. sowie Starck, JZ 1997, 147 ff.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Strafrechtsordnung.181 Letztlich werden damit auch für das Mauerschützenurteil Elemente der absoluten Straftheorie und/oder der positiven Generalprävention Teil der Strafbegründung. (b) Zurückweisung jedes überpositiven Einschränkungsansatzes Die jedenfalls vordergründig einleuchtenden Gerechtigkeitserwägungen, die für eine Bestrafung von Umgehungshandlungen auch jenseits der Grenzen des Art. 103 II GG streiten, legen beinahe mehr als die berechtigte Kritik an der Rechtsprechung zu den Mauerschützenfällen selbst offen, welche Gefahren der Gesetzesgebundenheit des Strafrechts drohen, wenn sie für vermeintlich dringliche Sonderfälle aufgeweicht wird. Wenn auch auf materialen Überlegungen gänzlich anderer Art beruhend, so erweist sich nämlich die Gesetzesumgehung neben der strafrechtlichen Bewältigung von staatlichem Systemunrecht als ein weiterer klassischer Fall, in dem die Straffreiheit der entsprechenden Protagonisten als zutiefst ungerecht empfunden werden kann. Die grundsätzliche Einschränkbarkeit von Art. 103 II GG für die Gesetzesumgehung kann daher nur mit dem Argument als unvertretbar abgetan werden, dass die mit der Straffreistellung des Umgehers entstehende Ungerechtigkeit offensichtlich nicht mit der Ungerechtigkeit gleichgesetzt werden kann, die durch die täterfreundliche Berücksichtung von § 27 II DDR-GrenzG aufgetreten wäre. Das Urteil hierüber steht und fällt jedoch allein mit der Erkenntnisfähigkeit bzw. dem Bekenntnismut des betreffenden Rechtsanwenders, der die für seine Entscheidung erforderliche materiale Vergleichswertung vorzunehmen hat. Es muss jedenfalls schwer fallen, dem Richter die Verkennung eines prinzipiellen Unterschieds zwischen den Mauerschützen einerseits und dem Gesetzesumgeher andererseits vorzuwerfen, wenn er die Bestrafung von Umgehungshandlungen zum Gebot der materialen Gerechtigkeit erklärt. Es liegt zwar auf der Hand, dass eine erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung, die Art. 103 II GG unter Hinweis auf eine Gesetzesumgehung des Täters und die Gebote materieller Gerechtigkeit offen verletzt, derzeit keinen Bestand haben wird, doch kann die Aufhebung eines solchen Urteils seit der Rechtsprechung zu den Mauerschützen nicht mehr darauf beruhen, dass Art. 103 II GG universell gelte, sondern nur noch darauf, dass gegenwärtig ein stabiler Konsens der höchsten Gerichte über den wertungsmäßigen Unterschied zwischen Ungerechtigkeit und extremer Ungerechtigkeit besteht. Angesichts der fließenden und überdies dem Zeitgeist unterworfenen Grenzen materialer, überpositiver und naturrechtlicher Abwägungen erweist es sich jedenfalls als illusorisch, das Gesetzlichkeitsprinzip für einen vermeintlich besonderen Fall in Hinblick auf eben solche Überlegungen einzureißen und es zugleich als formales Prinzip für alle anderen, nämlich die „normalen“ Fälle bewahren zu wollen. Ein 181 Diese Deutung liegt deshalb nahe, weil das Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip schon zuvor das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit abgeleitet hat; E 7, 92; 7, 196; 20, 331; 25, 290.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Prinzip unter Gewährung einer wertenden Ausnahme ist kein Prinzip mehr, sondern eine Regel, über deren weitere zulässige Ausnahmen in Zukunft Streit unter ebenso wertender Berufung auf den Präzedenzfall geführt werden darf. Wenn eine Fragestellung des Strafrechts einen solchen Versuch lohnte, dann wäre es die Gesetzesumgehung. Sie ist ein Lehrstück für die Forderungen nach materieller Gerechtigkeit im Strafrecht und dafür, was sie anrichten können.182 Die Lösung dieser Bedrängnisse für ein rechtsstaatliches Strafrecht kann nur darin bestehen, das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip gemäß Art. 103 II GG, § 1 StGB weder für die Mauerschützenfälle, noch die Gesetzesumgehung, noch für sonst denkbare Konstellationen durch überpositive Begründungen einzuschränken. Das Erfordernis strikter Positivität hat ohne jede Einschränkung zu gelten.183 bb) Verfassungsrechtliche Begründungen Das Erfordernis strikter Positivität wäre hingegen nicht verletzt, wenn dem positiven Verfassungsrecht selbst eine Berechtigung dafür zu entnehmen sein sollte, das Gesetzlichkeitsprinzip für den Fall der Gesetzesumgehung einzuschränken. (1) Einschränkung durch Verwirkung von Grundrechten Keine Bedeutung kann bei diesen Überlegungen der Verwirkungsgrundsatz184 erlangen, denn Grundrechte sind nur unter den besonderen Voraussetzungen des Art. 18 GG zu verwirken. Da Art. 103 II GG schon in dem abschließenden Katalog185 des Art. 18 GG nicht aufgeführt ist, kann das Gesetzlichkeitsprinzip schlechterdings nicht durch gesetzesumgehendes Verhalten – selbst in seiner denkbar offensichtlichsten, provozierendsten und daher „rechtsmissbräuchlichsten“ Form – nicht verwirkt werden.186 (2) Einschränkung durch teleologische Reduktion des Art. 103 II GG Ferner kann eine Einschränkung des Gesetzlichkeitsprinzips für den Umgehungskontext nicht im Wege der teleologischen Reduktion erzielt werden. Eine solche „Korrektur“ des Art. 103 II GG im Auslegungswege kann schon vom Ansatz her nicht überzeugen, denn der Sinn und Zweck der im Gesetzlichkeitsprinzip 182

Ähnlich Stöckel, S. 112 f. LK12-Dannecker, § 1 Rn. 451; Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 103 Rn. 69 f.; Dreier, JZ 1997, 421 ff. (432); Schünemann, S. 26; Schlink, NJ 1994, 433 ff. (436); ehedem auch BVerfGE 18, 429 (439); 25, 269 (289): „[…] rückwirkende Gesetze sind – außerhalb des von Art. 103 Abs. 2 GG erfassten Sachbereichs – nicht schlechthin unzulässig.“ 184 Zur Verwirkung von Grundrechten siehe Isensee/Kirchhof-Lerche, § 121 Rn. 51, § 122 Rn. 44 m. w. N. 185 Allein die in Art. 18 GG aufgeführten Grundrechte dürfen für verwirkt erklärt werden, vgl. statt aller Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 18 Rn. 6 m. w. N. 186 So auch Stöckel, S. 103 f. 183

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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verankerten Bindungen der staatlichen Strafgewalt erschöpft sich keineswegs in der Gewährung von Vertrauensschutz, dessen sich der Gesetzesumgeher gerade bei absichtlichem Verhalten nicht bedürftig gezeigt haben könnte. Weder die freiheitsgewährende Funktion des „Nullum-crimen-Satzes“ noch seine objektiv-rechtlichen Begründungsansätze, die sich insbesondere auf das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip beziehen, können durch die Ausnutzung einer teleologischen Lücke in Mitleidenschaft gezogen werden.187 Im Gegenteil erweisen sich das staatliche Willkürverbot und das Postulat von der Bindung des Strafrichters an die Wertentscheidungen des parlamentarischen Gesetzgebers gerade dann als wirkungsmächtig, wenn das Gesetzlichkeitsprinzip nicht für Umgehungsverhalten beschränkt wird. Überdies gibt der Wortlaut von Art. 103 II GG eine solche, nachgerade standardisierte Einschränkung der Norm für Gesetzesumgehungen kaum her, so dass der Eingriff in den Begriffskern der Vorschrift zu bedenken ist. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre eine solche, den Begriffskern berührende Normanwendung aber keine teleologische Reduktion mehr, sondern bereits eine Gegenanalogie, die nicht mehr als Auslegung der entsprechenden Vorschrift verstanden werden darf.188 Schließlich hätte die teleologische Reduktion des Art. 103 II GG in Hinblick auf seine vermeintlich rechtsmissbräuchliche Ausnutzung zur Folge, dass dieses Grundrecht mit eben jener Begründung eingeschränkt würde, die den Grundgedanken für Art. 18 GG, der Verwirkung von Grundrechten, bildet.189 Ein Missbrauch der Freiheitsrechte zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, wie ihn Art. 18 GG voraussetzt, wird aber den wenigsten Gesetzesumgehern vorzuwerfen sein. Mit der Anerkennung einer umgehungsspezifischen Einschränkung von Art. 103 II GG seinem Sinn und Zwecke nach wären mithin letztlich die in Art. 18 GG aufgestellten strengen Voraussetzungen für eine Verwirkung von Grundrechten unterlaufen. Die Überlegung, Art. 103 II GG im Wege der teleologischen Reduktion zu beschneiden, führt mithin nicht weit und ist daher auch – soweit ersichtlich – bisher nicht ausdrücklich vertreten worden.190 187

Zu Sinn und Zweck des Gesetzlichkeitsprinzips siehe NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 5 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 50 ff.; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 163 ff.; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 103 II Rn. 10 ff.; Mangoldt/Klein/Starck-Nolte, Art. 103 Abs. 2 Rn. 102 sowie hier bereits die Einleitung m. Fn. 4 sowie D. IV. 3. 188 Zur Unterscheidung von teleologischer Reduktion und Gegenanalogie siehe B. I. 2. a) aa) (2); II. 3. c); C. II. 189 Zum Grundrechtsmissbrauch als Grund der Verwirkung von Grundrechten vgl. (neben dem Wortlaut des Art. 18 GG selbst) Isensee/Kirchhof-Lerche, aaO.; Epping, Grundrechte, Rn. 1010 ff. 190 Die BVerfG-Entscheidung zu den Tötungen an der innerdeutschen Grenze (E 95, 96) mag ihrer Begründung wegen als teleologische Reduktion des Art. 103 II GG in Hinblick auf

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

(3) Einschränkung von Art. 103 II GG im Wege praktischer Konkordanz Wiederum im Zusammenhang mit den tödlichen Schüssen an der deutsch-deutschen Grenze ist die Auffassung vertreten worden, das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip gemäß Art. 103 II GG könne im Wege praktischer Konkordanz eingeschränkt werden.191 Die praktische Konkordanz hat nach dem Urheber des Begriffs, Hesse, folgendes Vorgehen zum Inhalt: „Verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter müssen in der Problemlösung einander so zugeordnet werden, daß jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt. […] Beiden Gütern müssen Grenzen gesetzt werden, damit beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen können.“192 Diese weitgehend anerkannte Form des Interessenausgleiches zwischen kollidierendem Verfassungsrecht, die auch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Abwägung von Grundrechten und sonstigen Verfassungsgütern der Sache nach193 – zum Teil aber auch mit ausdrücklichem Bezug auf die praktische Konkordanz194 – vornimmt, ermöglicht mithin die Einschränkung vorbehaltlos gewährter Grundrechte, beschränkt jedoch zugleich gerade unter Berücksichtigung ihrer Vorbehaltlosigkeit den Eingriff im Wege einer am Einzelfall ausgerichteten Verhältnismäßigkeitsprüfung.195 Um zu einer Relativierung des Grundrechts aus Art. 103 II GG gelangen zu können, musste zunächst dargelegt werden, dass diese Verfassungsnorm zwar vorbehaltlos, nicht aber grenzenlos gewährleistet wird. Keine der diversen Theorien zur dogmatischen Fundierung des Gesetzlichkeitsprinzips, so die entsprechende Argumentation Buchners und Rosenaus, habe plausibel machen können, weshalb dem Rückwirkungsverbot ein prinzipiell höherer Rang als kollidierendem Verfassungsrecht zukommen sollte.196 Einzig die Verandas Rückwirkungsverbot verstanden werden, das Gericht selbst hat diese Terminologie aber nicht gewählt, sondern von einer Ausnahme gesprochen (E 95, 96 [133 f.]). Alexy, S. 35, schlägt zwar vor, Art. 103 II GG im Falle der Mauerschützen restriktiv auszulegen; doch die Gründe hierfür findet er nicht im positiven Recht, sondern in dem extremen Unrecht der Taten, den fundamentalen Rechten der Opfer und der erheblichen generalpräventiven Wirkung einer Bestrafung. Der in einer Diskussion geäußerte Vorschlag, Art. 103 II GG für die Aufarbeitung der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze teleologisch zu reduzieren (Schünemann nach Hefendehl, Regierungskriminalität, S. 77 ff. [81]) blieb auf die Bestrafung der Mitglieder des Politbüros sowie der Exzess-Täter beschränkt. 191 Buchner, S. 265 ff.; Rosenau, S. 256 ff. 192 Hesse, Rn. 72. 193 E 30, 173 (195); 35, 202 (225); 59, 231 (261 ff.); 67, 213 (228); 81, 278 (292). 194 E 93, 1 (21). 195 Epping, Rn. 72 ff.; Jarass/Pieroth-Jarass, Vorb. vor Art. 1 Rn. 49; Isensee/KirchhofStern, § 109 Rn. 82; kritisch wegen Methodologie und Ausdehnung der praktischen Konkordanz Pieroth/Schlink, Rn. 321 ff. 196 Buchner, S. 278 ff.; Rosenau, S. 247 f. Wenn Rosenau (S. 240 m. Fn. 1333) der Kommentierung von Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 255 entnimmt, auch dort werde eine Einschränkung von Art. 103 II GG „in Ausnahmefällen“ zugelassen, so wäre noch zu

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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kerung von Art. 103 II GG im Schuldgrundsatz, der über Art. 1 I GG an der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG teilnimmt, könnte eine solche Stellung rechtfertigen, doch nach einhelliger Auffassung sei der Bezugspunkt des Schuldvorwurfs nicht das Strafgesetz, sondern einzig das Verbot der betreffenden Handlung.197 Auch die systematische Konfrontation von Art. 103 II GG mit Art. 20 III GG198, der deutsche Vorhalt gegen Art. 7 II EMRK199 (der eine Durchbrechung des Gesetzlichkeitsprinzips vorsieht) und die an der Grundrechtstheorie Alexys orientierte Einordnung von Art. 103 II GG als strikte Regel200 könnten nichts daran ändern, dass dem Gesetzlichkeitsprinzip a priori kein höherer Rang zugebilligt werden kann als anderen Verfassungsrechten. Weiterhin wird gegen den absoluten Rang von Art. 103 II GG argumentiert, der Satz nullum crimen, nulla poena sine lege gelte nur eingeschränkt im Völkerrecht201; überdies könne sich aus dem Verfassungsgebot der materiellen Gerechtigkeit als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips in Kombination mit dem Strafverfolgungsmonopol des Staates eine Pflicht zur angemessenen Strafverfolgung entwickeln.202 In einem zweiten Schritt ist darzulegen, dass mit Art. 103 II GG kollidierendes Verfassungsrecht besteht. Diesen – ihrer Meinung nach leistbaren – Nachweis entwickeln die Autoren aus sehr unterschiedlichen Ansätzen heraus. Für Buchner ergibt sich eine Kollisionslage durch das Recht auf Leben aus Art. 6 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (IPBPR) sowie durch das völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche als völkerrechtliches ius cogens über Art. 25 GG Teil der deutschen Rechtsordnung geworden seien.203 Anders als die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die zwischen dem einfachen Recht und dem Verfassungsrecht stehen, genössen die Regeln des zwingenden Völkerrechts, sofern sie über Art. 25 GG rezipiert sind, Verfassungsrang.204 Rosenau zufolge kollidiert das strafrechtliche Rückwirkungsverbot mit der staatlichen Schutzpflicht für menschliches Leben aus Art. 2 II S. 1 GG, da zwar des Unterganges der DDR wegen zur Zeit keine weiteren tödlichen Schüsse im staatlichen Auftrag mehr zu besorgen seien, indessen aber die Chance zu ergreifen sei, generalpräventive Wirkungen auf künftige Generationen zu entfalten und wertvolle

ergänzen gewesen, dass gerade die Strafbarkeit der Grenzsoldaten für Schmidt/Aßmann keinen solchen Ausnahmefall darstellt. 197 Rosenau, S. 246 f., 248; Buchner, S. 279 f. 198 Rosenau, S. 249 f. 199 Rosenau, S. 250 ff. 200 Rosenau, S. 254 ff. 201 Buchner, S. 274 ff. 202 Buchner, S. 281 f. 203 Buchner, S. 205 f., 253 ff., 265 ff., 270 f. 204 Buchner, S. 268.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Richtlinien für politisch erlaubtes Verhalten zu bilden.205 Es bestehe daher für die Bundesrepublik Deutschland von Verfassungs wegen eine Verpflichtung, den menschenrechtswidrigen Einsatz der Schusswaffe an der innerdeutschen Grenze mit Mitteln des Strafrechts zu verfolgen.206 Die praktische Konkordanzprüfung selbst, also die Abwägung mit dem Ziele der Optimierung der kollidierenden Verfassungsgüter führt beide Autoren zum gleichen Ergebnis: Jedenfalls bei vorsätzlichem Gebrauch der Schusswaffe gegen die so genannten Republikflüchtlinge sei die Bestrafung der Grenzsoldaten verfassungsrechtlich geboten, Art. 103 II GG habe insoweit zurückzutreten.207 (a) Stellungnahme zu der verfassungsimmanenten Einschränkung von Art. 103 II GG für die Tötungshandlungen an der innerdeutschen Grenze Die Ansicht, Art. 103 II GG könne im Wege praktischer Konkordanz eingeschränkt werden, überzeugt bereits für diesen besonderen Anwendungsfall nicht. Selbst wenn man zugestehen wollte, dass sich das Gesetzlichkeitsprinzip im Grundsatz wie fast jedes andere Grundrecht Einschränkungen im Wege der Kollision materiellen Verfassungsrechts gefallen lassen muss, so wird nicht überzeugend dargelegt, wie eine solche Situation für Art. 103 II GG entstehen sollte. Der Ansatz Buchners, der für den Umgehungszusammenhang durch die Berufung auf zwingendes Völkergewohnheitsrecht ohnehin nur von begrenztem Interesse ist, ist sehr voraussetzungsvoll. Zweifelhaft ist bereits, ob überhaupt der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllt wurde.208 Nicht eindeutig wird zudem, warum aus der völkerrechtlichen Bindung der BRD an den Lebensschutz nach dem IPBPR eine völkerrechtliche Verpflichtung entstehen soll, die Grenzsoldaten zu bestrafen. Eine solche Pflicht besteht nämlich allenfalls für schwerste Menschenrechtsverstöße.209 Und schließlich führt die Berufung auf das Völkergewohnheitsrecht dazu, dass der Abwägungsakt nach Buchner nicht nur wenig von dem Rückwirkungsverbot übrig lässt, sondern auch den Bestimmtheitsgrundsatz erheblich beschneidet, denn die Nicht-Anwendbarkeit von § 27 II DDR-GrenzG und damit letztlich die Strafbegründung als solche wird letztlich auf internationale Grundsätze gestützt, die sich auf nationaler Rechtsebene allein in Art. 25 GG und damit überaus flüchtig wiederfinden. Das Ergebnis der von Buchner vorgenommenen Verhältnismäßigkeitsprüfung ist mithin von dem Optimierungsgebot der praktischen Kon-

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Rosenau, S. 226 ff., 234 ff. Rosenau, S. 236 f. 207 Rosenau, S. 256 ff. (258, 260); Buchner, S. 268 ff. (274). 208 Ablehnend Ambos, JA 1997, 983 ff., 985; Rosenau, S. 225; an der weitreichenden Interpretation der Artt. 6, 12 IPBPR zweifelnd auch Dreier, JZ 1997, 421 ff. (425). 209 Ambos, aaO.; Rosenau, aaO. 206

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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kordanz für beide betroffenen Verfassungsgüter recht weit entfernt.210 Daher wäre es ungeachtet des unsicheren Inhalts von Art. 19 II GG211 durchaus angebracht gewesen, die Frage zu stellen, ob die auf Völkergewohnheitsrecht gestützte Einschränkung von Art. 103 II GG noch mit dem Wesensgehalt der Gesetzlichkeitsgarantie staatlicher Strafe in Einklang zu bringen war. Auch die von Rosenau aus einer strafrechtlichen Pönalisierungspflicht gemäß Art. 2 II S. 1 GG hergeleitete Rechtfertigung einer Einschränkung des Gesetzlichkeitsprinzips im Wege praktischer Konkordanz vermag letztlich nicht zu überzeugen. Bereits der Ansatz, die Grundrechtsfunktionen „status positivus“ und „status negativus“212 gegeneinander abzuwägen, hätte für die Mauerschützen-Problematik weiterer Erläuterung bedurft, denn im grundrechtsdogmatischen Diskurs besteht Streit darüber, inwieweit als Voraussetzung des Eingreifens einer staatlichen Schutzpflicht stets zu fordern ist, dass die vom Staat geforderte Maßnahme gegen einen privaten Dritten als Gefahrverursacher gerichtet ist.213 Danach war klärungsbedürftig, inwieweit auch die durch einen völkerrechtlich souveränen Drittstaat 210 Fragwürdig erscheint insbesondere der Gedankengang Buchners „gegen eine positivistische Auffassung von Art. 103 II GG“ (S. 283). Erkenne man die grundsätzliche Existenz naturrechtlicher Normen an, so Buchner, dann sei das Rückwirkungsverbot als Gebot von Gerechtigkeit und Moral selbst dem Naturrecht zuzuordnen. Der „Nullum-crimen-Satz“ stehe daher gleichberechtigt neben anderen naturrechtlichen Grundsätzen. Da Normen gleichen Rangs nie ganz unbeeinflusst nebeneinander stünden, sondern sich gegenseitig begrenzten, müsse das Rückwirkungsverbot schon in seiner naturrechtlichen Ausprägung als durch gleichartige Normen beschränkbar gesehen werden; Buchner, aaO. Damit ist jedoch keineswegs die Frage beantwortet, inwieweit geschriebenes Verfassungsrecht, und damit auch das Grundrecht aus Art. 103 II GG, durch Naturrecht derogiert werden kann. Insbesondere erscheint der pauschale Hinweis auf die naturrechtliche Provenienz von Grundrechten kaum geeignet, ihre Einschränkung durch „kollidierendes Naturrecht“ zu begründen, denn Buchner setzt sich damit etwa der Frage aus, warum nicht auch die Menschenwürdegarantie gemäß Art. 1 GG durch die Abwägung mit anderen, unter Umständen erst zum Zwecke des konkret gewünschten Abwägungsziels zum Leuchten gebrachten Naturrechtsgrundsätzen offen steht. Gerade die Menschenwürde als ein Begriff mit einer langen und wechselseitigen Naturrechtsgeschichte (zum geistesgeschichtlichen Hintergrund der Menschenwürdegarantie Pieroth/Schlink, Rn. 353 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf-Hofmann, Art. 1 Rn. 1; Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Rn. 7 ff., 17 ff.) böte sich für ein solches Abwägungsverfahren durchaus an. 211 Für Art. 19 II GG stellt sich zunächst die Auslegungsfrage, ob die Bestimmung des Wesensgehalts individuell auf den einzelnen Grundrechtsinhaber oder generell auf das Grundrecht zu beziehen ist. Weiterhin lassen sich der Rechtsprechung keine klaren Aussagen darüber entnehmen, ob der Wesensgehalt absolut oder relativ zu deuten ist (BVerfGE 80, 367 [373]; dazu auch BVerwGE 84, 375 [381]. Vgl. Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 19 Rn. 8 f. 212 Vgl. zur Klassifizierung der Grundrechtsfunktionen statt vieler Pieroth/Schlink, Rn. 57 ff. 213 Isensee/Kirchhof-Isensee, § 111 Rn. 5, 79 (m. Fn. 174), 89; Unruh, S. 21 ff. In E 66, 39 („Raketenstationierung“) sowie E 77, 170 („Chemiewaffen“) hat das Bundesverfassungsgericht allerdings erkennen lassen, dass es den Schutz, den die Bundesrepublik ihren Bewohnern gegen von anderen Staaten ausgehende militärische Gefahren gewährt, der grundrechtlichen Schutzpflicht zuordnet.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

begründeten Gefährdungen und Störungen des Rechts auf Leben der Schutzpflichtlehre unterfallen können. Führt man sich ferner Rosenaus in ihren Erfolgsaussichten höchst ungewisse generalpräventive Zielsetzung einer Bestrafung der Mauerschützen unter Eingriff in den Schutzbereich des Art. 103 II GG vor Augen, so bestehen im Rahmen der anzustellenden Verhältnismäßigkeitsprüfung (und nichts anderes ist die Herstellung praktischer Konkordanz214) bereits ernsthafte Zweifel daran, dass der Vorschlag Rosenaus überhaupt die Hürde der Geeignetheit nimmt. Die im Schrifttum zum Teil vorgeschlagene Änderung von Art. 103 II GG215 erscheint in generalpräventiver Hinsicht erfolgversprechender zu sein, sofern solche spekulativen Prognosen in Hinblick auf die Abschreckungsfähigkeiten des Strafrechts in zukünftigen menschenrechts- und rechtsstaatsfeindlichen Systemen überhaupt für angebracht gehalten werden dürfen. Jedenfalls der Auffassung, dass die Einschränkung des Art. 103 II GG für den mit der Bestrafung der Grenzsoldaten erhofften höheren Schutz des menschlichen Lebens auch angemessen sei (gemeint ist also die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne), kann nicht zugestimmt werden. Dabei ist schon die abstrakte Gewichtung der kollidierenden Interessen (der „Höchstwert ,Leben‘“216 einerseits, das Gesetzlichkeitsprinzip andererseits) nur dann nicht zu beanstanden, wenn mit Rosenau von einer generellen Abwägbarkeit des Art. 103 II GG ausgegangen wird. Seine Beurteilung der konkreten Betroffenheit der sich bei der Abwägung gegenüberstehenden Verfassungsgüter ist dann allerdings auch von diesem Ausgangspunkt her nicht mehr einleuchtend. Die verfassungsrechtlich gebotene Schutzpflicht auch für fliehende DDR-Bürger wird nämlich synonym als „Pönalisierungspflicht des Staates“217 bezeichnet. Die wünschenswerte Klarheit über das punctum saliens – die verfassungsrechtlich komplexe Frage nämlich, ob und für welche Sachverhalte sich staatliche Schutzpflichten zu Handlungspflichten verdichten können – ist dadurch für die Mauerschützenproblematik nicht erreicht. Schutzpflicht und Handlungspflicht des Staates werden vielmehr gleichgesetzt. Als Begründung hierfür hatte Rosenau lediglich die bereits angesprochenen Chancen einer generalpräventiven Wirkung auf zukünftige Generationen angeführt. Bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten aber hat der Staat einen erheblichen Spielraum.218 Nur selten wird die Schutzpflicht derart konkret sein, dass allein das Ergreifen einer bestimmten Maßnahme verfassungsgemäß ist.219 Das der staatlichen Schutzpflicht entsprechende Recht des Einzelnen auf staatlichen Schutz ist dem 214

Epping, Grundrechte, Rn. 88 ff. LK12-Dannecker, § 1 Rn. 452; Frister, 4. Kapitel, Rn. 34. 216 Rosenau, S. 257. 217 Rosenau, S. 257, 259. 218 BVerfGE 46, 160 (164); 56, 54 (80 ff.); 79, 174 (202); 85, 191 (202); Jarass/PierothPieroth, Art. 2 Rn. 92. 219 BVerfGE 77, 170 (215); Jarass/Pieroth-Pieroth, aaO. 215

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Bundesverfassungsgericht zufolge nur verletzt, „wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückbleiben“220. Würde der Staat z. B. auf den strafrechtlichen Schutz menschlichen Lebens gänzlich verzichten, so wäre das so genannte Untermaßverbot eindeutig verletzt.221 Für das Ergreifen einer bestimmten Maßnahme muss sich das Ermessen der staatlichen Organe indessen auf Null reduziert haben und sich ein Nichthandeln als evidente Verfehlung des staatlichen Schutzauftrages erweisen.222 Hinsichtlich der Kontrolldichte ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings uneinheitlich geblieben.223 Adressat der Schutzpflichten ist nach dem Bundesverfassungsgericht primär der Gesetzgeber; für Judikative wie Exekutive besteht vor allem ein Vollzugsauftrag.224 Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund erscheint es keineswegs zwingend, dass der Lebensschutz der Bürger des mittlerweile wiedervereinigten Deutschlands allein dadurch in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang gewährleistet werden kann, dass durch die dritte Gewalt ein general-präventives Signal unter Verletzung des Rückwirkungsverbotes ausgesendet wird, um damit tatgeneigte Protagonisten zukünftiger Unrechtsregime auf deutschem Boden von Tötungen ihrer Mitbürger abzuhalten.225 Mithin geht Rosenau bei der Herstellung praktischer Konkordanz von verzerrten Voraussetzungen aus. Richtigerweise standen sich Art. 103 II GG einerseits und Art. 2 II S. 1 GG andererseits gegenüber, wobei das eine Grundrecht ganz konkret betroffen war und das andere Grundrecht nur insoweit, als eine Freistellung der Mauerschützen von Strafe zwar weniger normzielkonform gewesen wäre, der Bundesgerichtshof bei einem Freispruch (im Sinne von § 354 I StPO) für die Mauerschützen indessen kaum hätte befürchten müssen, dass das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des „Untermaßverbots“ aus Art. 2 II S. 1 GG aufhebt.226 220

E 92, 26 (46). BVerfGE 88, 203 (254). 222 Siehe zu den Maßstäben des Untermaßverbotes BVerfGE, 77, 170 (215); aaO.; Isensee/ Kirchhof-Isensee, § 111 Rn. 90; Epping, Rn. 91 f. 223 Handbuch der Grundrechte-Calliess, § 44 Rn. 6. 224 Isensee/Kirchhof-Isensee, aaO.; Unruh, S. 23 mit umfangreichen Nachweisen. Im Einzelfall soll sich die Schutzpflicht an Exekutive und Judikative auch unabhängig von einem gesetzlichen Auftrag wenden; BVerfGE 84, 212 (226 f.); 96, 56 (64). 225 Ähnlich zum Verhältnis von status positivus und status negativus im Rahmen der praktischen Konkordanzprüfung Lenz/Leydecker, DÖV 2005, 841 ff. (848): „Denn nur soweit das Untermaßverbot ein eingreifendes Handeln zwingend erfordert, liegt überhaupt eine Kollisionslage vor.“ 226 Wenn Rosenau zugunsten einer Einschränkung des Rückwirkungsverbots noch das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 III GG anführt, weil der Rechtsstaat, dessen Gerichte auch die 221

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

(b) Stellungnahme zu der verfassungsimmanenten Einschränkung von Art. 103 II GG für den Umgehungszusammenhang Die Diskussion um die verfassungsimmanente Einschränkung von Art. 103 II GG hinsichtlich der Schüsse an der deutsch-deutschen Grenze zeigt indessen nicht nur auf, dass ein entsprechender Vorstoß für diesen konkreten Zusammenhang zurückzuweisen war, sondern belegt – wie sogleich darzulegen ist – darüber hinaus, dass eine Einschränkung von Art. 103 II GG im Wege praktischer Konkordanz auch im Übrigen kaum vorstellbar ist. Dabei soll insbesondere aufgezeigt werden, welche Gefahren dem traditionellen Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat durch eine Hypertrophie des Schutzpflichtgedankens drohen und warum gerade anhand der Gesetzesumgehung diese Bedrohung der Freiheitsrechte musterhaft andemonstriert werden kann. Für einen Eingriff in den Schutzbereich des Gesetzlichkeitsprinzips zum Zwecke der Bestrafung von Umgehungshandlungen ist zunächst darzulegen, welche Verfassungsgüter gegen den Nullum-crimen-Satz in Stellung gebracht werden können. Grundsätzlich ist eine Schutzpflicht hinsichtlich aller Freiheitsgrundrechte, der wichtigsten Verfassungsprinzipien und auch der Staatszielbestimmungen denkbar. Keineswegs entspricht es jedenfalls der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, allein hinsichtlich des menschlichen Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 II S. 1 GG Schutzpflichten des Staates anzunehmen. Beispielsweise hat das Bundesverfassungsgericht Schutzpflichten gegenüber der chemischen Verseuchung von Luft und Wald227 ebenso angenommen wie für die sichere Religionsausübung228, zur Funktionssicherung und zum Grundrechtsschutz in der Universität229, zur Sicherung des Bestands einer gesellschaftlichen Einrichtung bei der Privatschule230 oder für das chancenlose Grundrecht im privatrechtlichen Konflikt bei Art. 12 I GG231. Die Tatsache, dass sich die Aufmerksamkeit des Schrifttums hingegen bisher im Wesentlichen auf den schmalen Anwendungsbereich der Schutzpflichten aus Art. 2 II S. 1 GG konzentriert hat, muss also nicht bedeuten, dass die grundrechtliche Schutzpflicht nicht Geltung für alle Freiheitsrechte intendierGerechtigkeit als absoluten Rechtswert zu verwirklichen hätten, ansonsten in einen „Selbstwiderspruch“ gerate (S. 258), so lässt sich diese Argumentation wie schon bei der ganz ähnlichen Argumentation des BVerfG (E 95, 96 [133]) ebenso gut umkehren: Nicht weniger gerät der Rechtsstaat in einen Selbstwiderspruch, wenn er mit Art. 103 II GG einen Grundgedanken der Rechtssicherheit, welcher als einklagbares Grundrecht ausgestaltet ist, der Einzelfallgerechtigkeit überantwortet. Durch die einseitige Betonung rechtsstaatlicher Grundsätze sollten die Waagschalen also nicht in Bewegung gebracht werden können. 227 NJW 1996, 651; 1998, 3264. 228 E 93, 1 (16); NVwZ 2001, 908. 229 E 35, 79 (120 ff.); 47, 327 (370); 111, 333 (353 ff.). 230 E 75, 40 (62 ff.). 231 E 81, 242 (255); 92, 26 (46); weitere Beispiele bei Pieroth/Schlink, Rn. 95; Isensee/ Kirchhof-Isensee, § 111 Rn. 78; Starck, S. 57 ff.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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te.232 Diese Ausweitung im Besonderen ist auch nicht mehr als die konsequente Umsetzung der Ausdehnung der Grundrechtsfunktionen durch das Bundesverfassungsgericht im Allgemeinen. Die Interpretation insbesondere der Freiheitsgrundrechte als objektiv-rechtliche Wertentscheidung der Verfassung233 zielte nämlich darauf ab, den Grundrechten über die Abwehrfunktion hinaus zusätzliche Grundrechtsfunktionen zu entnehmen, vor allem Leistungs- und Schutzgehalte.234 Danach erscheint es durchaus möglich, die Pönalisierung von Umgehungskonstellationen, denen in dieser Untersuchung nachgegangen worden war, nicht nur als Ausdruck spezifisch strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes zu begreifen, sondern auch als Verwirklichung grundrechtlicher Schutzpflichten des Staates gegenüber seinen Bewohnern. Die Bestrafung der Subventionserschleichung gemäß § 264 StGB i. V. m. § 4 II SubvG235 entspricht dann der Schutzpflicht des Staates hinsichtlich der Funktionsbedingungen des Wettbewerbs aus Art. 12 GG236, die Erfassung von Umweltstraftaten bei Verwendung einer erschlichenen Genehmigung durch § 330d Nr. 5 StGB237 dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen nach Art. 20a GG oder – um die Reichweite einer solchen Konzeption besonders deutlich zu illustrieren – die Pönalisierung von wucherischem Verhalten in § 291 I S. 2 StGB238 der Schutzpflicht des Staates für Eigentum und allgemeine Handlungsfreiheit des Tatopfers aus Artt. 2 I, 14 I GG239. Eine ganz andere Fragestellung ist dann aber, ob es zum Schutz dieser Verfassungsgüter angemessen im Sinne der Herstellung praktischer Konkordanz sein kann, bei der richterlichen Beurteilung von Umgehungshandlungen das Analogieverbot zu missachten oder bei dem Erlass neuer Umgehungsgesetze das Bestimmtheitsgebot zu verletzen. Sie ist zu verneinen. Angesichts der bereits erörterten weiten Spielräume aller staatlichen Gewalt bei der Gewährleistung der Schutzfunktionen lässt sich schlechterdings kein Sachverhalt denken, in dem ein Zurücktreten des Gesetzlichkeitsprinzips ein verhältnismäßiges Abwägungsergebnis bildete. Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine zugespitzte Kollisionslage entsteht, wäre nämlich zunächst, dass ein Eingriff in Art. 103 II GG durch das Untermaßverbot geboten wäre. Der Freispruch für einen geschickten Umgehungstäter müsste sich also zu232

Isensee/Kirchhof-Isensee, § 111 Rn. 86; Pieroth/Schlink, Rn. 94; Sachs-Sachs, vor Art. 1 Rn. 35. 233 BVerfGE 7, 198; 49, 89 (141 f.); 56, 54 (73); 73, 261 (269); 96, 56 (64). 234 Jarass/Pieroth-Jarass, Vorb. vor Art. 1 Rn. 3, 6; Isensee/Kirchhof-Isensee, § 111 Rn. 80; Pieroth/Schlink, Rn. 73 ff.; Ipsen, Rn. 96 ff.; Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf-Kannengießer, Vorb. v. Art. 1 Rn. 2 ff. 235 Siehe B. II. 3. 236 Zur Herleitung der Wettbewerbsfreiheit aus Art. 12 I GG vgl. BVerfGE 32, 311 (317); 46, 120 (137). 237 Dazu B. II. 10. 238 Vgl. B. II. 12. 239 Zu den Folgen der Ausgestaltung der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG als Schutzgrundrecht vgl. Handbuch der Grundrechte-Calliess, § 44 Rn. 14.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

gleich als das Unterlassen einer verfassungsrechtlich gebotenen Handlung darstellen, auf die der Betroffene (also der aus der grundrechtlichen Schutzpflicht Berechtigte) ein einklagbares Recht hat. Bei infolge Umgehungsverhalten offenbar werdenden Strafbarkeitslücken, deren Schließung als notwendig erachtet wird, dürfte indessen der Erlass eines mit Art. 103 II GG konformen Strafgesetzes das vorzugswürdige Mittel sein. Eine solche Reaktion des Gesetzgebers hat schließlich für viele der hier diskutierten Umgehungsgestaltungen bereits stattgefunden. Auch mit viel Einfallsreichtum lässt sich kaum eine Fallgestaltung ersinnen, in der eine Verschärfung des Strafrechts unter Bruch mit dem Gesetzlichkeitsprinzip das einzige Mittel ist, um einer Grundrechtsbeeinträchtigung im Sinne der grundrechtlichen Schutzfunktion in schutzpflichtkonformer Weise beizukommen. Es mögen zwar Fallgestaltungen denkbar sein, in denen das Aufkommen neuer Umgehungsstrategien den Gesetzgeber über rechts- und kriminalpolitische Erwägungen hinaus in Hinblick auf die Schutzpflichtlehre auch verfassungsrechtlich zwingend zum Handeln treibt, doch werden die mit dem (zunächst) straflosen Verhalten einhergehenden Rechtsgutsverletzungen kaum derart gravierend sein, dass ein Abwarten des Gesetzgebungsverfahrens die Grundrechte des Einzelnen und/oder den Bestand des Gemeinwesens ernsthaft gefährden würde und den Strafrichter daher dazu zwingen, die strafrechtliche Sanktion im Wege des Analogieschlusses in malam partem zu gewährleisten. Insbesondere ist es auch für den Umgehungszusammenhang unzulässig, die dogmatische und argumentative Lücke zwischen dem abstrakten Bestehen einer Schutzpflicht und der Verdichtung zu einer ganz bestimmten Handlungspflicht des Staates durch vage und anfechtbare Strafzweckerwägungen schließen zu wollen. So wie Rosenau im Falle der DDR-Grenzsoldaten die Chance ergriffen sehen möchte, durch die heutige Bestrafung der im Auftrage der DDR handelnden Mauerschützen „generalpräventive Wirkungen“ und „Risikoeffekte“240 für zukünftige Befehlsempfänger einer Diktatur zu setzen, wäre es gerade im ständigen Ringen mit geschickten, rechtskundigen Umgehungstätern im Bereich des Wirtschafts- und Steuerrechts ein Leichtes, Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 103 II GG mit der Abschreckungswirkung einer Verurteilung der Beschuldigten zu begründen. Wie schon für die Einschränkung des Gesetzlichkeitsprinzips mit dem Bezug auf überpositives Recht kann gegen die Übertragung dieser Argumentation auf den Umgehungszusammenhang nicht eingewendet werden, sie habe nur für einen Ausnahmefall (nämlich den konkreten Anwendungsfall „Mauerschützen“ selbst) gelten sollen, denn eine solche generelle und immanente Grenze ist für diese Form der Beweisführung nicht auszumachen. Zwischen dem generalpräventiven Argument in Bezug auf die Bestrafung der Mauerschützen und seiner Verwendung hin-

240

Rosenau, S. 236.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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sichtlich der Pönalisierung von Umgehungsverhalten bestehen allein Unterschiede dem Grade nach, nicht aber kategorischer Art. Anhand der Diskussion um die Einschränkung von Art. 103 II GG im Wege praktischer Konkordanz zeigt sich damit einmal mehr, wie relativ mühelos der Umgehungs-Topos Argumentationsmuster adaptiert, die in anderen Zusammenhängen von einfallsreichen Norminterpreten entwickelt worden sind, um die hinderlichen formellen Bindungen des Strafrechts zu überwinden. Überzeugen kann diese Berufung auf grundgesetzliche Schutzpflichten jedoch weder für den einen noch für den anderen Zusammenhang, denn die zugrunde gelegten Handlungspflichten für die staatlichen Gewalten werden deutlich überzeichnet. Vielmehr zeigt die erkennbar gewordene Fehlinterpretation staatlicher Schutzpflichten deutlich, welches Risiko der Lehre von den staatlichen Schutzpflichten selbst innewohnt. Schon in einem Sondervotum zu der ersten Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Abtreibungsfrage wurde harsche Kritik an der Schutzpflichtidee geübt: „Wenn die in einer Grundrechtsnorm enthaltene objektive Wertentscheidung zum Schutz eines bestimmten Rechtsguts genügen soll, um daraus die Pflicht zum Strafen herzuleiten, so könnten die Grundrechte unter der Hand aus einem Hort der Freiheitssicherung zur Grundlage einer Fülle von freiheitsbeschränkenden Reglementierungen werden. Dies verkehrt die Funktion der Grundrechte in ihr Gegenteil.“241 Diese Warnung kann auch heute noch als aktuell gelten, zumal im Unterschied zu der dogmatisch gefestigten und unumstrittenen Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte hinsichtlich der grundrechtlichen Schutzpflicht nach wie vor vieles ungeklärt und umstritten ist.242 Dies gilt insbesondere für die Kontrolldichte bei der Prüfung der bisherigen staatlichen Maßnahmen sowie für die Frage, ab welcher Gefährdungsschwelle die Schutzpflicht aktiviert wird und die Art und den Umfang der Verpflichtung, die Schutzpflichten zu erfüllen.243 Insgesamt ist daher bei der Heranziehung von kollidierendem Verfassungsrecht zur Begrenzung vorbehaltloser Grundrechte große Zurückhaltung geboten.244 Solange die für den Schutzpflichtzusammenhang vorzunehmenden Abwägungen verfassungsdogmatisch nicht determiniert und nicht determinierbar sind, stellen sie sich als Gestaltung des Gemeinwesens – also als politisches Handeln – dar.245 Durch die latente Vermischung des verfassungsrechtlich Gesollten mit dem rechtspolitisch Gewollten entsteht für die Schutzpflichtenlehre mithin ein Kompetenzproblem.246 Die Befürworter einer Einschränkbarkeit des Art. 103 II GG im Wege praktischer 241 242 243 244 245 246

BVerfGE 39, 1 (68, 73). Handbuch der Grundrechte-Calliess, § 44 Rn. 11; Szczekalla, S. 404 f. Epping, Grundrechte, Rn. 74 ff. m. w. N. Epping, Grundrechte, Rn. 77; Pieroth/Schlink, Rn. 336; Ipsen, Rn. 106. Ipsen, Rn. 107. Ipsen, aaO.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Konkordanz sind daher dem Vorwurf ausgesetzt, Rechtspolitik unter dem Deckmantel des Verfassungsrechts zu betreiben. Der trügerische „Nutzen“ dieser Strafbegründungsstrategie: Während die freimütig bekundete Auffassung, Art. 103 II GG habe für strafrechtlich relevante Umgehungsfallgestaltungen mit einem dringlichen Abschreckungs- und Normbewährungsinteresse zurückzutreten, als offensichtlich verfassungswidrig abzuweisen wäre, ist dasselbe Argument ungleich schwerer zu entkräften, wenn seine verfassungsrechtliche Verstärkung unter Rückgriff auf die Schutzpflichtlehre zugelassen wird. Einer solchen Umkehr der ursprünglichen Abwehrfunktion der Grundrechte müssen Grenzen gesetzt werden. Die durch das strenge Gesetzlichkeitsprinzip bedingte Existenz von Strafbarkeitslücken als solche ist nicht als Verstoß gegen staatliche Schutzpflichten aufzufassen, denn diese These wäre gleichbedeutend mit der Aufgabe der Gesetzesgebundenheit des Strafrechts. Aus der von der Verfassung verbindlich getroffenen Wertentscheidung für das strenge Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht muss vielmehr folgen, die angesichts der notwendigen Unzulänglichkeiten der Sprache und der menschlichen Gesetzgebung unvermeidbare Lückenhaftigkeit der Strafgesetze als systemimmanent hinzunehmen und sie nur in wiederum verfassungskonformer Weise anzuwenden und zu ändern247. cc) Zwischenergebnis Weder die Bezugnahme auf überpositives Recht noch auf das Verfassungsrecht haben einen überzeugenden Grund dafür abgeben konnten, das Gesetzlichkeitsprinzip für den Umgehungszusammenhang einzuschränken. Die These von der absoluten Geltung des Art. 103 II GG kann also nicht allein deshalb aufrecht erhalten werden, weil dieses Ergebnis bei einer Auslegung dieser Verfassungsnorm nahe liegt, sondern weil sich die denkbaren Angriffe als zu wenig stichhaltig erwiesen haben, um diese These zu falsifizieren. Bis zu dem Beweis des Gegenteils ist davon auszugehen, dass Art. 103 II GG als vorbehaltlos gewährtes Grundrecht der staatlichen Strafgewalt uneinschränkbare Grenzen setzt. Dieser Befund hat sich nicht im Behauptungsstil ergeben, sondern in Auseinandersetzung mit den Gegnern dieser strikten Auslegung von Art. 103 II GG. Die hier vertretene Annahme, dass das Gesetzlichkeitsprinzip ohne jede Relativierung Beachtung finden muss, ist daher kein „romantischer Optimismus“248, sondern ein Faktum des positiven Rechts.

247 Im Ergebnis ebenso Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 177: „Wegen seiner klaren Vorgaben und seiner strukturellen Besonderheiten als einer auf jeden Fall verlässlich verhaltenssteuernden Norm ist Art. 103 Abs. 2 GG selbst einer begrenzten Abwägung nicht zugänglich.“ 248 Rosenau, S. 240, seinerseits H. L. A. Hart zitierend.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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b) Grenzen der Gesetzesumgehung aus Art. 103 II GG Aus dem vorangegangenen Abschnitt hat sich ergeben, dass die Strafbarkeit umgehungsrelevanter Sachverhalte nach den allgemeinen Regeln des Art. 103 II GG bestimmt werden muss. Das Auslegungsergebnis darf also mit dem Argument „Gesetzesumgehung“ nicht entgegen Art. 103 II GG, § 1 StGB korrigiert werden. Ebenso wenig ist der Gesetzgeber dazu berechtigt, Umgehungsverhalten mit einer strafrechtlichen Normgebung entgegenzuwirken, die nicht mit dem „Lex-certa-Satz“ in Einklang zu bringen ist. Die strafrechtlichen Erfassungsmöglichkeiten der Gesetzesumgehung lassen sich also durch eine grobe Zweiteilung systematisieren: Einerseits kann nach den Erfassungsmöglichkeiten schon durch den richterlichen Rechtsanwender gefragt werden [hierzu sogleich unter aa)], andererseits nach den Reaktionsmöglichkeiten des parlamentarischen Gesetzgebers [dazu sodann unter bb)]. In den bisherigen systematisierenden Arbeiten zu dieser Problemstellung sind die Einteilungen durchaus vergleichbar. Stöckel sowie Vogel – wohl in Anlehnung an ersteren – erörtern als größte Einheiten allerdings die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsinstituts „Umgehung“ einerseits und die Zulässigkeit von „Umgehungsstrafgesetzen“ andererseits. Für Letztere wird noch einmal zwischen einer „strafrechtlichen“ und einer „verwaltungsrechtlichen“ Lösung unterschieden.249 Diese Einteilung will Bruns noch durch eine Vorfrage ergänzt wissen, nämlich der Frage danach, inwieweit die Gesetzesumgehung nicht bereits durch teleologische Gesetzesauslegung des Richters, den so genannten „Sachverhaltsdurchgriff“ erfasst werden könne.250 Tiedemann wiederum unterteilt in seinem Lehrbuch zum Wirtschaftsstrafrecht nach der Erfassung durch die Auslegung von Tatbestandsmerkmalen einerseits und durch die (restriktive) Anwendung allgemeiner Umgehungsoder Missbrauchsklauseln andererseits.251 Wesentliche Unterschiede sachlicher Art ergeben sich aus diesen Kategorisierungen zur strafrechtlichen Umgehungserfassung gegenüber der hier vorgenommenen Aufteilung nicht. Auch die zunächst sperrigen Begriffe vom „Rechtsinstitut Gesetzesumgehung“ und „Sachverhaltsdurchgriff“ können der in dieser Untersuchung gewählten größten Einteilungskategorie „Erfassung durch den richterlichen Rechtsanwender“ zugewiesen werden. Ein Anlass zur Diskussion über die nur in Nuancen voneinander abweichenden formalen Einteilungen der staatlichen Reak249 Stöckel, S. 95 ff., 135 ff.; ders., ZRP 1977, 134 ff. (135 ff.); Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (166 ff.). Vergleichbar auch der Aufbau der Darstellung bei LK12-Dannecker, § 1 Rn. 263 ff. 250 Bruns, GA 1986, 1 ff. (11 ff.); zu der Lehre vom Sachverhaltsdurchgriff siehe bereits B. II. 1. b) aa) sowie B. II. 4 und D. I. 4. 251 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 155; ders. in: HWiStR, Art. Umgehung, hatte zuvor noch von einem wohl nicht spezifisch strafrechtlichen Standpunkt aus formuliert, bei Erfassung des Umgehungsverhaltens durch Auslegung bedürfe es keines Rückgriffs auf den Umgehungsgedanken oder ausdrückliche gesetzgeberische Umgehungsklauseln.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

tionsmöglichkeiten auf Umgehungsverhalten im Strafrecht, wie sie bisher vorgenommen wurden, besteht daher nicht. Hinsichtlich inhaltlicher Unterschiede bei der Beurteilung der Strafbarkeit von Umgehungshandlungen wird indessen natürlich Stellung zu nehmen sein. Wenn im folgenden Abschnitt diese Strafbarkeitsgrenzen nachgezeichnet werden, so soll dies nicht mehr in allen Details für jeden denkbaren Umgehungssachverhalt geschehen. Eine solche Vorgehensweise sprengte nicht nur den Rahmen dieser Untersuchung von ihrem schieren Umfang her, sondern kann und soll in einer Studie, die sich mit den Grundlagen der Umgehungsproblematik im Strafrecht beschäftigen will, in dieser Ausführlichkeit gar nicht geleistet werden. Angesichts der zahlreichen profunden Arbeiten gerade zu der Strafbarkeit der Gesetzesumgehung im Einzelzusammenhang252 soll vielmehr ein Überblick darüber geboten werden, ob und welche Möglichkeiten dem Richter und dem Gesetzgeber für die Erfassung von Gesetzesumgehungen im Rahmen von Art. 103 II GG allgemein eröffnet sind. aa) Erfassungsmöglichkeiten für den richterlichen Rechtsanwender durch das bestehende Strafrecht Der Strafrichter ist bei der Bewertung von Sachverhalten mit Umgehungscharakter innerhalb des Geltungsbereichs von Art. 103 II GG für die Strafbegründung streng und ausnahmslos an das positive Strafrecht, also an die geltenden Straftatbestände gebunden. Es ist ihm aufgrund des verfassungsrechtlichen Rechtssatzes „Nullum crimen sine lege scripta“ gemäß Art. 103 II GG untersagt, neue Strafgründe zu schaffen, selbst wenn dies mit Verweis auf eine ständige Übung der Strafinstanzen geschehen sollte.253 Die wichtigsten Grenzen für die Anwendung des positiven 252

Von den bereits im Text angesprochenen monographischen Arbeiten seien an dieser Stelle nochmals exemplarisch genannt: für die strafbare Steuerumgehung die Dissertationen von Röckl (Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld des Verfassungs- und Europarechts, 2002), Wenderoth (Die Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG, 1990) und Pohl (Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung. Zugleich eine Studie zur Umgehungsbekämpfung im Strafrecht, 1990); zur Steuerflucht die Untersuchung von Bürger (Steuerflucht, Berlin 2006); zur Strafbarkeit von Schein- und Umgehungshandlungen auf europäischer Ebene die Arbeit von Reisner (Die Strafbarkeit von Schein- und Umgehungshandlungen in der EG: ein rechtsvergleichender Beitrag zum strafrechtlichen Schutz der Finanzinteressen der EG, 1995); zur Subventionserschleichung die Studie von Nippoldt (Die Strafbarkeit von Umgehungshandlungen, dargestellt am Beispiel der Erschleichung von Agrarsubventionen, 1974); zum Umgehungsgeschäft beim Waffenexport die Untersuchung durch v. Burchard (Das Umgehungsgeschäft beim Waffenexport in Drittländer aus strafrechtlicher Sicht, 1987); zur faktischen Betrachtungsweise z. B. die Dissertation von Cadus (Die faktische Betrachtungsweise: ein Beitrag zur Auslegung im Strafrecht, 1984); zur Notwehrprovokation die Untersuchung von Bitzilekis (Die neue Tendenz zur Einschränkung des Notwehrrechts, 1984) und für die actio libera in causa die Habilitationsschrift von Hettinger (Die „Actio libera in causa“ – Strafbarkeit wegen Begehungstat trotz Schuldunfähigkeit?: Eine historisch-dogmatische Untersuchung, 1988). 253 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 169 ff.; Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 9 f.; Dreier-SchulzeFielitz, Art. 103 II Rn. 24 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte, Art. 103 Abs. 2 Rn. 136 f.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Rechts sind dem Strafrichter durch eine subjektiv-historische Auslegungszielbestimmung im Rahmen ihrer Möglichkeiten einerseits und die natürliche Wortlautgrenze andererseits gesetzt. Nach der hier vertretenen Auffassung darf sich die Auslegung des Strafgesetzes nicht in Widerspruch zu den ermittelbaren Zielvorstellungen des historischen Gesetzgebers setzen; sie muss zudem – trotz der in nicht wenigen Fällen unzweifelhaft verbleibenden Unschärfen – innerhalb des durch den natürlichen Sprachgebrauch gesetzten Rahmens verbleiben.254 (1) Die Gesetzesumgehung als allgemeines Rechtsinstitut Von diesem Ausgangspunkt her ist es offenkundig, dass es ein generelles Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung, wonach etwa jede Strafnorm des materiellen Strafrechts zugleich das Verbot ihrer Umgehung enthält, im Besonderen Teil des StGB255 nicht geben kann. Eine solche pauschale Regelung müsste sich außerhalb der Grenzen des natürlichen Wortsinnes der jeweiligen Straftatbestandsmerkmale bewegen und wäre daher bestenfalls eine Gesetzesanalogie256, sie ist jedenfalls durch den „Lex-stricta-Satz“ und den „Lex-scripta-Satz“ untersagt.257 (2) Restriktive Auslegung und Gegenanalogie Während der Anwendung von strafrechtlichen Verbotsnormen über ihren natürlichen Wortsinn hinaus nach der zutreffenden und weit überwiegenden Auffassung das Verbot „Nullum crimen sine lege stricta“ entgegensteht, hat sich die Einsicht, dass auch das besonders restriktive Verständnis von Tatbestandsmerkmalen einer Erlaubnis- oder Gewährungsnorm als „Gegenanalogie“ im Strafrecht durch Art. 103 II GG verboten ist, bisher nicht durchsetzen können. Vielmehr geht die herrschende Meinung für diesen Fall nach wie vor von einer verfassungsrechtlich vermeintlich unbedenklichen auslegungs-„internen“ teleologischen Reduktion aus. Der methodologische Gleichlauf von Analogie und teleologischer Reduktion ist daher für die überkommene Auffassung nur insoweit anerkannt, als es darum geht, zunächst eine „offene“ bzw. eine „verdeckte“ Lücke festzustellen.258 Der ausle254 Zu der Bindung des Rechtsanwenders an den Willen des historischen Gesetzgebers und die natürliche Wortlautgrenze siehe bereits E. II. 1. c). 255 Ob sich diese Aussage auch für den Allgemeinen Teil des StGB halten lässt, ist sogleich noch zu erörtern [E. 2. b) aa) (5)]. 256 Es kann sich nur deshalb „bestenfalls“ um eine Gesetzesanalogie handeln, da bei einem Rückgriff auf ein „Rechtsinstitut Umgehung“ zu besorgen ist, dass nicht die sorgfältig geprüften und bejahten Voraussetzungen einer Gesetzesumgehung (insbesondere die Ermittlung einer teleologischen Lücke) das Fundament der Straferweiterung bilden, sondern ein rechtsethischer Vorwurf und/oder ein rechtspolitischer Gestaltungswillen ohne Anbindung an die vom Tatbestand tatsächlich unter Strafe gestellte Form der Rechtsgutsverletzung. 257 So auch Stöckel, S. 106, ders., ZRP 1977, 134 ff. (135 f.) Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (167); Bruns, GA 1986, 1 ff. (7); Tiedemann, in: HWiStR, Art. Umgehung, S. 2. 258 Zu der Lehre von den Lücken im Recht vgl. Larenz/Canaris, S. 191 ff. (198); Wank, S. 80 f.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

gungsexterne Charakter der Ausübung einer teleologischen Reduktion, die den Kern des natürlichen Verständnisses eines Begriffs beschneidet, wird hingegen nicht selten übersehen oder verschwiegen. Jedenfalls für den Besonderen Teil des materiellen Strafrechts muss aber beachtet werden, dass das Gesetzlichkeitsprinzip die Analogie ebenso wie die Gegenanalogie untersagt, denn Eingriffe in den Begriffskern einer Vorschrift berühren die Wortlautgrenze nicht weniger als die Extension einer Norm über ihren Wortlaut hinaus.259 (3) Die faktische Auslegung Für die so genannte faktische Auslegung bzw. die „tatsächliche Betrachtungsweise“260 gelten in Hinblick auf Art. 103 II GG keine Privilegierungen. Die Tendenz dieser Auslegungspraxis, insbesondere Umgehungskonstruktionen im zivilrechtlichen Kontext der Strafnorm dadurch zu begegnen, dass die bürgerlich-rechtliche Formenwahl mit Blick auf den „wahren“ Gehalt wirtschaftlich-sozialer Vorgänge für unerheblich erklärt wird, ist rechtsstaatlich durchaus bedenklich, da die Bindung an rechtliche Formen und damit die Rechtssicherheit zugunsten (vermeintlich) einzelfallgerechter Ergebnisse zurückgedrängt wird.261 Anhand der faktischen Auslegung zeigt sich mithin einmal mehr die Neigung jeder objektiv-teleologischen Auslegungsmethode (und nichts anderes ist die Lehre von der „tatsächlichen Betrachtungsweise“262), die Tatbestandsbestimmtheit und die Wortlautgrenze für das gewünschte Ergebnis bis an die Grenzen des Zulässigen zu belasten. Dies gilt umso mehr, als eine Systematik hinter den jeweiligen Entscheidungen der Rechtsprechung, einerseits streng zivilrechtsakzessorisch (etwa für den Eigentumsbegriff), andererseits unmittelbar-faktisch (z. B. für Handeln als Vertreter i. S. d. § 14 StGB) auszulegen, nicht zu erkennen ist. Sie handelt nach wie vor „intuitiv“.263 Zur rechtsstaatlichen Einhegung der faktischen Auslegung ist es daher erforderlich, stets auf die Einhaltung der allgemeinen strafrechtlichen Auslegungsgrenzen zu achten, von denen die beiden in rechtsstaatlicher Hinsicht wichtigsten nach der hier vertretenen Auffassung die natürliche Wortlautgrenze sowie die gesetzgeberischen Normzielvorstellungen sind.264 Dabei ist gerade für den Problemkreis der faktischen Ausle259 Ebenso OLG Hamm NJW 1982, 1405 ff.; AG Alsfeld NJW 1981, 2588; Dahm, S. 62; Larenz/Canaris, S. 211; Canaris, S. 22, 83 f.; Vogel, Madrid-Symposium , S. 151 ff. (164 f.); Nippoldt, S. 59 ff.; Reisner, S. 88 f.; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 187; wohl auch Pohl, Rn. 987 ff. 260 Zur Erläuterung dieser Termini und der Bedeutung der „tatsächlichen Betrachtungsweise“ für die Problematik der Gesetzesumgehung siehe bereits B. II. 4. 261 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 322. 262 Cadus, S. 146; ihm folgend Schmidt, Rebmann-FS, S. 419 ff. (432); ebenso Joerden, wistra 1990, 1 ff. (2); Röckl, S. 257 ff.; siehe bereits B. II. 4. 263 Tiedemann, Wirtschaftskriminalität, S. 26 ff. (32); LK12-Dannecker, § 1 Rn. 321 f. 264 Ebenso LK12-Dannecker, § 1 Rn. 322; Faller, DB 1972, 1757 ff. (1759); Vogel, MadridSymposium, S. 151 ff. (168); letzterer mit dem Hinweis darauf, dass die Pflicht zur restriktiven Handhabung der faktischen Auslegung auch auf „in dubio pro“ rückführbar sein könnte.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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gung einmal mehr darauf hinzuweisen, dass Art. 103 II GG gleichermaßen die Überschreitung wie die Unterschreitung der natürlichen Wortlautgrenzen untersagt. Von der Wortlautgrenze, wie sie der natürliche Sprachgebrauch vorgibt, sollte im Rahmen der faktischen Auslegung indessen abgewichen werden, wenn das Strafrecht auf zivil- und verwaltungsrechtlich geprägte Begriffe verweist, also auf Termini, die von vornherein auf ein bestimmtes rechtswissenschaftliches Wortverständnis angewiesen sind. Ausgangspunkt muss hier sein, dass die strafrechtliche Auslegung nicht über den außerstrafrechtlichen Anwendungsbereich hinausgehen sollte.265 Dies gilt insbesondere für Straftatbestände, deren Unrechtsgehalt sich gerade nicht in einer Rechtsgutsverletzung erschöpft, die auch durch „tatsächliches“ oder „faktisches“ Verhalten erbracht werden kann. Deshalb mag es noch zulässig sein, auch den faktischen Geschäftsführer wegen veruntreuender Unterschlagung gemäß § 246 I, II StGB zu bestrafen, umgekehrt ist es eine Überschreitung der Wortlautgrenze, die § 84 I Nr. 1 und 5, die die Verletzung von Organpflichten unter Strafe stellen, auch auf den denjenigen anzuwenden, der die Geschäftsführung nur tatsächlich wahrnimmt, ohne vertretungsberechtigtes Organ zu sein.266 Ist hingegen ein wirtschaftlicher Vorgang unmittelbar zu bewerten (z. B.), ist die faktische/wirtschaftliche Betrachtungsweise ohnehin unbedenklich.267 Unter Zugrundelegung dieser durch Art. 103 II GG und das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 III GG vorgegebenen Auslegungsbegrenzungen erscheint es daher rechtsirrig – und zugleich bezeichnend für seine Aversion gegen jede Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts –, wenn Bruns die pauschalisierende These aufstellt, das Analogieverbot könne durch die faktische Betrachtungsweise (die der größeren „Wirklichkeitsnähe“ des Strafrechts entspreche) verdrängt werden.268 Vielmehr erlaubt der Lex-stricta-Satz die faktische Auslegung allein im Rahmen seiner gerade bei dieser Methodenwahl für jeden Straftatbestand sorgfältig zu ermittelnden Grenzen.269 Unzutreffend ist es überdies, mit der tatsächlichen Betrachtungsweise, also einer Spielart der teleologischen Auslegung, einen „Durchgriff auf die tatsächlichen Verhältnisse“ zu verbinden270, denn es bestehen bei der Gesetzesumgehung nicht, wie Bruns suggeriert, ein künstlich geschaffener Umgehungssachverhalt und ein anderer, „tatsächlicher“ Sachverhalt, sondern es existiert natürlich nur eine Rechtswirklichkeit mit möglicher Normambivalenz bei einerseits wirtschaftsrechtlicher und andererseits strafrechtlicher Auslegung. Es hieße Schein- und Umgehungsverhalten unzulässig zu vermischen, wenn man allein durch Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Norm einen anderen Sachverhalt konstruieren wollte. 265 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 124; Lüderssen, Hanack-FS, S. 487 ff. (488 f.); LK12-Dannecker, § 1 Rn. 324. 266 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 132, 135; LK12-Dannecker, aaO. 267 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 323. 268 Bruns, GA 1986, 1 ff. (12 f.). 269 So auch Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (168). 270 Bruns, GA 1986, 1 ff. (12, 27, 31).

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

(4) Übernahme von Analogien aus dem außerstrafrechtlichen Vorfeld der Strafnorm? Soweit Umgehungsverhalten im zivil- oder verwaltungsrechtlichen Vorfeld einer Strafnorm durch Analogiebildung erfasst werden kann, ist der Strafrechtsanwender durch Art. 103 II GG nicht durchweg daran gehindert, diese Analogien für die strafrechtliche Würdigung des (Umgehungs-)Sachverhalts zu übernehmen. Dies zeigt sich an einem verhältnismäßig einfachen Beispiel aus dem Vermögensstrafrecht: Es ist dem Strafrichter nicht verboten, wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB zu verurteilen, selbst wenn er für die Annahme fremden Eigentums an dem Tatobjekt auf eine Analogiekonstruktion oder auf die praeter legem entwickelte Figur des Sicherungseigentums zurückgreifen muss.271 Umgekehrt aber wäre es in Hinblick auf den Lex-stricta-Satz nicht zulässig, z. B. denjenigen nach § 58 I Nr. 2 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) qua Analogieschluss zu bestrafen, der einen Stoff als Lebensmittel in Verkehr bringt, welcher bloß geeignet ist, die Gesundheit zu gefährden, denn Voraussetzung von § 58 I Nr. 2 LFGB i. V. m. § 5 II Nr. 1 LFGB ist das Inverkehrbringen eines tatsächlich gesundheitsschädlichen Stoffs.272 Während die Beschreibung des Straftatbestandes im Fall von § 58 I LFGB erst durch die Verweisung auf eine Ergänzung im selben Gesetz vervollständigt wird, schließt sich § 242 StGB zwar der Begriffsbildung des Tatbestandsmerkmals „fremd“ in einem anderen Rechtsgebiet an, ist aber vom Strafgesetzgeber inhaltlich selbst gestaltet und damit vollständig. Die Fremdheit nach § 242 StGB ist daher ein normatives Tatbestandsmerkmal, § 58 I LFGB enthält dagegen (unechte) Blankettmerkmale.273 Für den ersten Fall, das Vorliegen normativer Tatbestandsmerkmale, ist die Übernahme von Analogien des vorgelagerten Wirtschafts- und Verwaltungsrechts zulässig, denn die strafrechtliche Regelung knüpft an das außerstrafrechtliche Rechtsinstitut als solches an, ohne seine Umschreibung oder Benennung zu einer strafrechtlichen zu machen.274 Allerdings muss die Belastung des Normunterworfenen durch die analoge Erweiterung der ihn in Freiheit und Eigentum beeinträchtigenden Tatbestände für das jeweilige Rechtsgebiet natürlich auch zulässig sein.275 Für Blankettmerkmale ist dies indessen nicht zulässig, denn durch Blankettgesetzgebung wird die in Bezug genommene Norm zwar keine Strafnorm im eigentlichen Sinne, doch kann der Straftatbestand bei Blanketten erst durch die Zusam271

LK12-Dannecker, § 1 Rn. 258; Roxin, AT I, § 5 Rn. 40. Handbuch Müller-Gugenberger/Bieneck-Pfohl, § 72 Rn. 14. 273 Zu dieser allgemeinen Differenzierung Roxin, AT I § 5 Rn. 40; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 149; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 99 f., Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 103 II Rn. 27. 274 BVerfGE 78, 205 (213); LK12-Dannecker, aaO.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 108; Roxin, aaO. Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 234. 275 Das Steuerrecht etwa darf die den Bürger belastenden Steuertatbestände grundsätzlich nicht im Wege des Analogieschlusses begründen; vgl. statt vieler Pohl, Rn. 645 ff., 666 ff., 673 ff., 700. 272

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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menschau von Verweisungs- und Ausfüllungsnorm gebildet werden, so dass sich grundsätzlich auch die in Bezug genommenen Normen an den strafrechtlichen Maßstäben des Art. 103 II GG messen lassen müssen.276 Angesichts dieser Auswirkungen hat die Abgrenzbarkeit dieser beiden Kategorien fundamentale Bedeutung, wobei sich der Rang dieser Fragestellung keineswegs in der Analogiefrage erschöpft, sondern auch für das Bestimmtheitsgebot und die Irrtumsproblematik erhebliches Gewicht erlangt.277 Eine einheitliche Lösung für die Abgrenzung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen konnte indessen noch nicht erzielt werden, vielmehr erscheint der Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor ausgesprochen unübersichtlich.278 In ihrer Untersuchung zu den Blankettstrafgesetzen zeigt Enderle auf, dass die meisten der zahlreichen Abgrenzungsvorschläge mit und seit Binding von einem formalen und einem materialen Kriterium für die Abgrenzung zu normativen Tatbestandsmerkmalen ausgehen.279 Als Ergebnis ihrer Studie konnte sie zunächst festhalten, dass allein formale Abgrenzungsversuche die Abgrenzung nicht voranbringen können.280 Der Vorschlag etwa, danach zu unterscheiden, ob der Straftatbestand ausdrücklich oder nur stillschweigend auf andere Normen und Akte verweist281, muss der Beliebigkeit der jeweiligen gesetzgeberischen Formulierungen ebenso anheimfallen282 wie der Ansatz, in der Gesetzestechnik der Trennung von Strafgesetz und ausfüllender Norm das entscheidende Merkmal der Blankettnorm zu erblicken283. Um diesem Mangel nicht auch bei der Verwendung materialer Abgrenzungskriterien284 ausgesetzt zu sein – und dies ist auch bei der von der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht gewählten Differenzierung zwischen inhaltlich „offenen“ und „geschlossenen“ Unrechtsvertypungen die Gefahr285 –, erscheint es am sinnvollsten, die Abgrenzung danach vorzunehmen, ob das Merkmal das Schutzobjekt des Straftatbestandes bezeichnet, da in diesem Fall das jeweilige Merkmal dem Schutz des außerstrafrechtlichen Rechtsinstituts dient. Wird demnach 276

BGHSt 24, 54 [61 f. („Teerfarben“)]; Enderle, S. 173 ff., 205 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 152; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 201; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 49; zu pauschal wird dagegen von Stöckel, ZRP 1977, 134 ff. (137); Höpfel, JurBl. 1979, 575 ff. (585) und, letzterem folgend, Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 33 bei jeder Verweisung strafrechtlicher Begriffe auf andere Teile der Rechtsordnung die Übernahme von Analogien für zulässig erachtet. 277 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 101, 220 ff. 278 Enderle, S. 110. 279 Enderle, S. 82. 280 Enderle, S. 82 ff. (89 f.). 281 So BVerfGE 37, 201 (208 f.). 282 So zu Recht Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 100; Enderle, S. 83. 283 Erbs-Fuhrmann, § 56 KWG Rn. 1; KK-OWiG-Rogall, Vor § 1 Rn. 16. 284 Einen instruktive Auseinandersetzung mit der Vielzahl verschiedener Ansätze bietet Enderle, S. 90 ff. 285 BVerfGE 78, 205 (213); dazu Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 100, 107.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

durch das fragliche Merkmal etwa die Eigentumsordnung als solche geschützt, ist von einem normativen Tatbestandsmerkmal auszugehen.286 § 370 AO ist demnach ein normativ bestimmter Tatbestand, nicht aber eine Blankettstrafvorschrift.287 Die Einordnung eines Tatbestandsmerkmals als normatives Tatbestandsmerkmal mit der Folge, dass die in Bezug genommene außerstrafrechtliche Norm nicht an dem „Lex-stricta-Satz“ im Sinne von Art. 103 II GG zu messen ist, führt allerdings nicht zu der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der in Frage stehenden Strafnorm, wenn die Vorhersehbarkeit staatlicher Strafe durch die unstetige Auslegungspraxis der außerstrafrechtlichen Norm (wie im Falle von § 42 AO288) derart ungewiss wird, dass die Schutzfunktion des strafrechtlichen Vorsatzerfordernisses289 bei Straftatbeständen, die auf außerstrafrechtliche Wertungen abstellen, nicht mehr gewährleistet ist. (5) Besonderheiten für den Allgemeinen Teil des StGB? Für Umgehungs- und Erschleichungshandlungen mit Bezug auf Rechtsinstitute des Allgemeinen Teils des StGB (zu denken ist dabei vor allem an die Notwehrprovokation und die actio libera in causa) könnte hingegen Anlass bestehen, über eine von den bisherigen Auslegungsmaximen abweichende Anwendung des Art. 103 II GG nachzudenken. Zu beachten ist nämlich, dass der Allgemeine Teil des StGB bei vordergründiger Betrachtungsweise keine unmittelbaren, strafbewehrten Verbote und Gebote aufstellt, an denen sich das Verhalten des Publikums auszurichten hat, sondern die generellen Regelungen über die Geltung und Anwendung der einzelnen Straftatbestände enthält.290 Indessen ist die Existenz eines Allgemeinen Teils keine „sachlogische Struktur“ des Strafrechts, vielmehr sind die meisten seiner Normen Ausdruck einer der Rechtseffizienz geschuldeten Verweisungstechnik; der Allgemeine Teil ist ein „Produkt der Abstraktion“291. Es wäre daher nicht undenkbar, sondern nur undenkbar unpraktisch, z. B. die allgemeinen Regelungen über Versuch 286 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 108, LK12-Dannecker, § 1 Rn. 149. So wohl auch Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (169), wobei durch die von ihm vorgeschlagene Erweiterung, normative Tatbestandsmerkmale bezeichneten als Schutzobjekt nicht nur das außerstrafrechtliche Rechtsinstitut als solches, sondern auch den außerstrafrechtlichen „Regelungseffekt“ (Jakobs, 4. Abschn. Rn. 42a; 8. Abschn. Rn. 47), nicht viel gewonnen scheint, denn mit „Regelungseffekt“ bezeichnet Jakobs, aaO. – sofern ich ihn richtig verstanden habe – nicht mehr als die durch außerstrafrechtliche Analogien (wie etwa die in § 42 AO sanktionierte Steuerrechtsanalogie) entsprechend veränderte und vom Strafrecht in Bezug genommene außerstrafrechtliche Rechtslage. Zudem befürwortet Jakobs die Zulässigkeit der Übernahme von Generalisierungen nebst „Regelungseffekten“ aus dem vorgelagerten Zivilrecht ausgerechnet für Blankettgesetze. 287 LK12-Dannecker, aaO. 288 Siehe dazu bereits D. IV. 5. b) aa) (4) (c). 289 Vgl. zu dieser Funktion des Vorsatzes im Nebenstrafrecht BVerfGE 78, 205 (213); LK12Dannecker, aaO.; Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (173). 290 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 82; Jescheck/Weigend, § 3 III. 2. 291 Roxin, AT I, § 1 Rn. 15; Frister, 4. Kapitel Rn. 35; Dannecker, Otto-FS, S. 25 ff. (31).

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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und Rücktritt, Täterschaft und Teilnahme oder Notwehr und Notstand als weitere Absätze hinter den jeweiligen Straftatbestand einzufügen. Handelt es sich aber demnach bei den Normen des Allgemeinen Teils um „vor die Klammer gezogene“ Bestandteile des Besonderen Teils, so muss Art. 103 II GG auch für sie gelten.292 Das Bundesverfassungsgericht, der Bundesgerichtshof wie auch große Teile des Schrifttums gehen jedenfalls im Grundsatz davon aus, dass das Gesetzlichkeitsprinzip auch auf den Allgemeinen Teil Anwendung finden muss.293 Je nach konkreter Ausprägung des Gesetzlichkeitsprinzips und betroffener Einzelrechtsfrage des Allgemeinen Teils werden dem Rechtsanwender allerdings von der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur gewisse Aufweichungen des Nullum-crimen-Satzes gegenüber seiner Handhabung für den Besonderen Teil zugestanden. So wird das Analogieverbot von der ganz überwiegenden Auffassung zwar für die offensichtlich strafbarkeitsbegründenden Regeln des Allgemeinen Teils (etwa für die Regeln über Vorsatz und Fahrlässigkeit, die Versuchsstrafbarkeit oder die Strafbarkeit der versuchten Beteiligung) für uneingeschränkt gültig erachtet294, doch ist die Geltung des Lex-stricta-Satzes für die Rechtfertigungsgründe umstritten. Während die herrschende Meinung – in Abweichung von der sonst vorherrschenden Vermengung von einschränkender Auslegung und Gegenanalogie – für die gesetzlich geregelten Rechtfertigungsgründe jede den möglichen Wortsinn unterschreitende Auslegung als unzulässigen Eingriff in die Wertentscheidung des Gesetzgebers begreift295, wird das Absehen von der Wortlautgrenze nach anderer Auffassung mit dem Hinweis auf die „Einheit der Rechtsordnung“ für nötig erachtet.296 Aus demselben Grund soll Art. 103 II GG auch für die außerstrafrechtlich geregelten oder richtergewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgründe nicht zur Anwendung kommen.297 Ein und derselbe Rechtfertigungsgrund könne nicht hier und dort unterschiedliche Voraussetzungen haben mit der Folge, dass eine Handlung etwa bürgerlich-rechtlich als schadensersatzbegründendes Unrecht angesehen werde, im Strafrecht dagegen als gerechtfertigt dem Schutz der Rechtsordnung unterstehe.298 292

LK12-Dannecker, § 1 Rn. 83 f.; Frister, aaO. BVerfGE 96, 68 (97); BGHSt 35, 347 (350); 39, 374 (378); 40, 167; 42, 158 (161); 42, 235; 45, 64; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 197; Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 14a, 23, 26; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 13 ff.; NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 72; Stratenwerth/Kuhlen, § 3 Rn. 8; Frister, aaO.; Roxin, AT I § 5 Rn. 41; Maurach/Zipf, § 10 Rn. 21; Dannecker, Otto-FS, S. 25 ff.; Erb, ZStW 108 (1996), 266 ff.; a. A. Hardwig, ZStW 78 (1966), 1 ff. (8 f.). 294 BGHSt 42, 158 (161); LK12-Dannecker, § 1 Rn. 260; Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 26; jeweils m. w. N.; differenzierend hingegen Jakobs, 4. Abschn. Rn. 43.; a. A. Stöckel, S. 104 f. 295 Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 231; NK-Hassemer/Kargl, aaO.; Erb, ZStW 108 (1996), 266 ff. (279, 296 f.); LK12-Dannecker, § 1 Rn. 260 ff.; KK-OWiG-Rogall, § 3 Rn. 63; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 13; Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 14a. 296 Roxin, AT I, § 5 Rn. 42; Krey, Studien, S. 234 ff. 297 Roxin, aaO.; Krey, aaO.; Jescheck/Weigend, § 13 III. 3.; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 25a. 298 Roxin, aaO.; Krey, aaO. 293

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Besonders überzeugend ist dieser Einwand indessen nicht, denn der – ohnehin umstrittene299 – Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung vermag es nicht, Eingriffe in den Bestand des Gesetzlichkeitsprinzips zu fundieren. Der fehlende Gleichlauf der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Unrechtsbewertung ist der freiheitssichernden Funktion des strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips immanent und muss grundsätzlich hingenommen werden.300 Rechtfertigungsgründe, die für die strafrechtliche Bewertung von Sachverhalten herangezogen werden, müssen daher unabhängig von ihrer Provenienz den strafrechtlichen Garantien entsprechen.301 Das (Gegen-)Analogieverbot gilt mithin auch für die Rechtfertigungsgründe im Strafrecht uneingeschränkt. Eine Kontroverse besteht auch hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit der Lexscripta-Satz für den Allgemeinen Teil des StGB zu berücksichtigen ist. Es ist unumstrittenerweise Vorgabe des Gesetzlichkeitsprinzips für den Besonderen Teil des Strafrechts, dass auf die Strafbarkeit eines Verhaltens nur aus dem positiven Recht und nicht aus einem Gewohnheitsrecht geschlossen werden darf, wobei strafbegründendes Gewohnheitsrecht auf dem Gebiet des Strafrechts ohnehin nur Richtergewohnheitsrecht sein kann.302 Da sich auch die analoge Strafbegründung im Strafrecht nicht auf geschriebenes Recht stützen kann, liegen die Ausprägungen des Art. 103 II GG „lex scripta“ einerseits und „lex stricta“ andererseits sehr nahe beieinander. Überflüssig ist das Verbot von Gewohnheitsrecht indessen nicht, denn seine Ausübung kann unabhängig davon verboten werden, ob der Nachweis einer analogen Rechtsanwendung gelungen ist.303 Im Schrifttum wird nun nach wie vor die Ansicht vertreten, strafbegründendes und strafschärfendes Gewohnheitsrecht sei für den Allgemeinen Teil nicht verboten und könne auch gar nicht verboten werden, da der Entfaltung der allgemeinen Begrifflichkeiten der §§ 1 – 79b StGB durch Auslegung – auch dann, wenn diese den Täter belastet – gewohnheitsrechtliche Geltung zuzuschreiben sei.304 An dieser Überlegung ist durchaus zutreffend, dass die Konkretisierung von Begriffen wie etwa Vorsatz, Fahrlässigkeit, mittelbare Täterschaft oder Unterlassen nicht unter dem Verbot strafschärfenden Gewohnheitsrechts steht. Dies erklärt sich aber nicht aus der Aussparung des Allgemeinen Teils des StGB aus dem Wirkungsbereich des Gesetzlichkeitsprinzips, sondern schlicht daraus, dass diese von den Gerichten vorgenommenen Konkretisierungen normativer Gesetzestermini nicht als Gewohnheits-

299 So Roxin, AT I § 13 Rn. 90 selbst; zum Postulat der „Einheit der Rechtsordnung“ vgl. auch Jakobs, 11. Abschn. Rn. 4 ff. 300 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 262; Erb, ZStW 108 (1996), 266 ff. (274 ff.). 301 NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 67; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 13; LK12-Dannecker, aaO. 302 Vgl. statt vieler MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 24; NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 64 ff. 303 MüKo-StGB-Schmitz, aaO.; ihm folgend nun auch NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 66. 304 Maurach/Zipf, § 8 Rn. 41; Jescheck/Weigend, § 12 IV. 2.; LK11-Gribbohm, § 1 Rn. 71.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

357

recht qualifiziert werden können.305 Höchst zweifelhaft ist dabei bereits aus empirischer Sicht, ob sich für den Allgemeinen Teil des Strafrechts überhaupt eine von der Judikatur entwickelte Rechtsfigur finden lässt, die im Zuge ihrer gleichmäßigen, lang andauernden Rechtsausübung allgemeine Anerkennung genossen hätte – also Gewohnheitsrecht war und ist. Bereits anhand der ersten Vorlesung im Strafrecht wird dem angehenden Juristen schnell deutlich, dass es kaum Fragestellungen der allgemeinen Strafrechtslehre gibt, die nicht seit jeher oder wenigstens neuerdings umstritten wären. Von einer allgemeinen Rechtsüberzeugung kann daher gerade für angeblich gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsfiguren (so wird es etwa für die actio libera in causa behauptet306) nicht die Rede sein.307 Auch geht die Annahme, die allgemeinen Lehren des Strafrechts seien Gewohnheitsrecht, aus rechtstheoretischer Sicht fehl. Wenn der Gesetzgeber Bereiche der allgemeinen Strafrechtslehren nicht detailliert regelt und ihre Ausformung der Rechtsprechung überlässt, so wird damit nicht dem Gewohnheitsrecht Raum gegeben, sondern der Auslegung und damit der Vervollständigung des vorgegebenen, unvollkommenen Normrahmens.308 Die pauschale Anerkennung „echten“ Gewohnheitsrechts auf dem Gebiet des Allgemeinen Teils müsste zudem eine beliebige Ausdehnung der Strafbarkeit nach sich ziehen, da die möglichst bestimmte Fassung der einzelnen Straftatbestände durch richterrechtlich installierte Rechtsinstitute des Allgemeinen Teils ohne weiteres überspielt werden könnte.309 Das beste Beispiel hierfür wäre die bereits für den Besonderen Teil angesprochene Regel, wonach jede Kriminalnorm des materiellen Rechts zugleich das Verbot ihrer Umgehung enthält. Es widerspräche Wortlaut und Telos von Art. 103 II GG, wenn die offensichtliche Unzulässigkeit einer solchen pauschalen Erweiterung des jeweiligen Straftatbestandes durch ihre Umetikettierung zu einem gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtsinstitut des Allgemeinen Teils vermieden werden könnte. Genauso wäre es z. B. unzulässig, die versuchte Beihilfe zu einem Verbrechen unabhängig von § 30 StGB im Wege des Richterrechts für strafbar zu erklären. Der Grund für die Verfassungswidrigkeit solcher Rechtsfortbildungen ist darin zu sehen, dass der Gesetzgeber auch für den Allgemeinen Teil des StGB die Ausdifferenzierung des Rechts der Rechtsprechung nur insoweit überlassen kann, als er über die wesentlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit selbst entschieden hat.310 Dabei zeigen die auch nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts311 nie verstummten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 13 StGB 305

So mit Recht Roxin, AT I, § 5 Rn. 47; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 174; Jakobs, 4. Abschn. Rn. 46; Otto, AT, § 2 Rn. 29; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 223. 306 LK11-Jähnke, § 20 Rn. 78; Krey, AT I, Rn. 672 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, § 10 Rn. 47 gehen jedenfalls davon aus, dass der Gesetzgeber die Fälle der actio libera in causa seit jeher nicht erfassen wollte. 307 MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 25; Roxin, aaO. 308 Roxin, aaO.; LK12-Dannecker, aaO.; Jakobs, 4. Abschn. Rn. 46. 309 Jakobs, aaO.; MüKo-StGB-Schmitz, aaO.; NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 67. 310 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 173 m. w. N. 311 E 96, 68 (98 f.).

358

E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

– allerdings heutzutage hauptsächlich in Bezug auf das Bestimmtheitsgebot –, dass auch eine Rechtsfortbildung „intra legem“ die Gesetzlichkeit von elementaren Strafbarkeitsvoraussetzungen nicht ersetzen darf.312 Kaum weniger bedenklich ist die nur bruchstückhafte Regelung der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit.313 Es bleibt also bei dem eingangs postulierten Grundsatz: Das Analogieverbot in malam partem gemäß Art. 103 II GG gilt auch für den Allgemeinen Teil des StGB unbeschränkt. Nach den soeben angestellten Überlegungen hat der Rechtsanwender für die Einschränkung der Notwehr gemäß § 32 StGB wegen vorhergehenden Provokationsverhaltens und die Versagung von § 20 StGB nach den Grundsätzen der actio libera in causa – die beiden wichtigsten und umstrittensten Umgehungssachverhalte im Allgemeinen Teil des StGB – von den folgenden durch Art. 103 II GG gesetzten Grenzen auszugehen: Hinsichtlich der Erschleichung der Voraussetzungen von § 32 II StGB kann eine Bestrafung der Verteidigungshandlung nur zulässig sein, soweit die Möglichkeit zur Einschränkung des Notwehrrechts – unabhängig davon, auf welchem Wege und wie überzeugend sie dogmatisch begründet wird – dem natürlichen Wortlaut des § 32 StGB entnommen werden kann. Eine teleologische Reduktion der Notwehr bzw. ihre gewohnheitsrechtliche Einschränkung mit Hinweis auf das Rechtsmissbrauchsargument, die keine wortlautimmanente Stütze finden kann, wäre als verfassungswidrig anzusehen, da die Strafbarkeit des Täters durch Einschränkung des Erlaubnistatbestandes unmittelbar erweitert wird.314 Mit der herrschenden Meinung ist nun davon auszugehen, dass dem Begriff des „Gebotenseins“ in § 32 I StGB die zusätzlichen Einschränkungen für sozialethisch bedenkliche Fälle der Notwehrausübung entnommen werden können. Es ist zwar zutreffend, dass dieses wertungsoffene Normmerkmal ein ganz beträchtliches Maß an Unbestimmtheit erzeugt315, doch gibt dieser Terminus – auch angesichts des eindeutigen Willens des Gesetzgebers316 – insoweit eine ausreichende Stütze der sozialethischen Notwehreinschränkungen her, als dass überhaupt von einer gesetzlichen Regelung dieser Einschränkungen gesprochen werden kann. Zu weit geht daher die Kritik, die willkürlich beliebige Interpretation des Gebotenheitsmerkmals ginge schlicht an den sprachlichen Gegebenheiten vorbei, weil es keinen Ansatzpunkt für die Aufstellung zusätzlicher

312 MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 47 geht wegen der erheblichen Unbestimmtheit von § 13 StGB von der Verfassungswidrigkeit unechter Unterlassungsdelikte aus. Überaus skeptisch auch Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 232; Jakobs, 4. Abschn. Rn. 44. 313 Vgl. statt vieler MüKo-StGB-Duttge, § 15 Rn. 33 ff.; MüKo-StGB-Schmitz, aaO.; LK12Vogel, § 15 Rn. 203 ff.; jeweils m. w. N. 314 A. A. wiederum Roxin, AT I § 5 Rn. 49, wonach die gewohnheitsrechtliche Einschränkung von Rechtfertigungsgründen partiell zulässig sein soll. 315 MüKo-StGB-Erb, § 32 Rn. 179 f.; Kratzsch, Grenzen, S. 35 ff., 52. 316 BTDrucks. V/4095, S. 14.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

359

Rechtfertigungsvoraussetzungen biete.317 Diese (durchaus nachvollziehbare) Kritik an der vermeintlichen Leistungsfähigkeit des Gebotenheitsbegriffs richtet sich indessen letztlich gegen die Offenheit der gesetzlichen Formulierung, nicht aber gegen das Fehlen einer gesetzlichen Regelung als solcher. Von einem unzulässigen Eingriff in den Begriffskern der Gebotenheitsklausel in § 32 I StGB kann ebenfalls nicht ausgegangen werden, denn der höchst normative Terminus des Gebotenen ist jedenfalls nicht so eindeutig, dass es schon aus semantischen Gründen untersagt sein müsste, anhand seiner der Notwehr über den Begriff des Erforderlichen hinaus weitere Einschränkungen zu entnehmen. Mehr als diese Möglichkeit zur „Hineindeutung“ von Einschränkungen ist in Hinblick auf das Verbot der Gegenanalogie als Ergebnis der grammatikalischen Auslegung des „Gebotenheitsbegriffs“ nicht zu verlangen. Ob die von der ganz herrschenden Meinung befürworteten drastischen Einschränkungen des § 32 StGB für die Absichtsprovokation auch vor dem Grundsatz „Nullum crimen sine lege certa“ bestehen können, ist eine Fragestellung, die von der hier erörterten unabhängig zu behandeln sein wird. Die Forderungen des Bestimmtheitsgebots richten sich vornehmlich an den Gesetzgeber und nur nachrangig an den Anwender des Strafrechts, dessen verfassungsrechtlich fundierte Pflichten bei der Norminterpretation hier soeben erörtert wurden. Die vom Normalfall des § 32 II StGB abweichende Strafbarkeitserweiterung für Fälle der Notwehrprovokation ist jedenfalls in Hinblick auf das Analogieverbot und das Verbot von Gewohnheitsrecht, wie sie Art. 103 II GG auch für den Allgemeinen Teil vorgeben, nicht zu beanstanden. Auch für die actio libera in causa gelten die entsprechenden Grundsätze. Die Einschränkung des § 20 StGB muss auf eine Stütze im Wortlaut des Schuldausschließungstatbestandes rückführbar sein, denn jede Einengung von § 20 StGB führt unmittelbar zu einer Erweiterung der Strafbarkeit.318 Damit ist der so genannten Ausnahmetheorie der Boden entzogen. Dem Wortlaut des § 20 StGB lassen sich nicht nur keine Anhaltspunkte für dieses Modell finden, vielmehr steht die gesetzliche Anordnung dieser Interpretation sogar eindeutig entgegen: „Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat […] unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ Nach dem geltenden Recht ist die Ausnahmetheorie mithin verfassungswidrig. Auch die zur Verteidigung der Ausnahmetheorie vorgebrachten Argumente vermögen diesen Vorwurf nicht zu entkräften. Da die Rechtsprechung die Ausnahmetheorie nie zu der Begründung der actio libera in causa herangezogen hat und der Bundesgerichtshof ihr unlängst sogar mit Verweis auf Art. 103 II GG eine ausdrückliche Absage erteilt hat319, ist schon aus ganz pragmatischen Gründen die These nicht haltbar, die actio 317 318 319

MüKo-StGB-Erb, aaO. Sydow, S. 148. BGHSt 42, 235 (241 f.).

360

E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

libera in causa sei eine gewohnheitsrechtliche bzw. richterrechtlich anerkannte Ausnahme zu § 20 StGB320. Auch die Überlegung, für den Bereich der allgemeinen Zurechnungsregeln habe der Gesetzgeber in Kenntnis der A.l.i.c.-Problematik ihre Lösung Rechtsprechung und Literatur zur Entfaltung überlassen, ist nicht zielführend. Zwar trifft es zu, dass den positivierten Regeln des Allgemeinen Teils nicht abschließend entnommen werden kann, wann dem Täter eine Tat als eigene, rechtswidrig und schuldhaft verwirklichte Tat zuzurechnen ist321, doch ist mit diesem Hinweis für die Anhänger des Ausnahmemodells nichts gewonnen. Soweit sich nämlich dem Allgemeinen Teil eindeutige Zurechnungsgrenzen entnehmen lassen, ist alle staatliche Strafgewalt durch Art. 103 II GG an diese Wortlautschranken gebunden. Die Notwendigkeit, die zum Teil nur ganz rudimentär im Gesetz angelegten allgemeinen Strafbarkeitsvoraussetzungen mit dem Ende einer leistungsfähigen Dogmatik weiterzuentwickeln, kann es nicht rechtfertigen, an den wenigen Stellen, an denen auf einen handfesten Wortsinn zurückgegriffen werden kann, zur Auslegung contra legem überzugehen.322 Dabei ist das Argument, der Gesetzgeber selbst billige seit jeher die richterrechtliche Haftungserweiterung im Wege der ihm bekannten Rechtsfigur actio libera in causa323, gänzlich unerheblich, denn auch der parlamentarische Normgeber muss sich beim Wort nehmen lassen; schließlich ist die entsprechende subjektiv-historische Auslegung an die Wortlautgrenze ebenso gebunden wie es die systematische und objektiv-teleologische Auslegung sind.324 Hätte der Gesetzgeber der Lösung der A.l.i.c.-Problematik im Wege der Ausnahmelösung beipflichten wollen, wäre daher eine entsprechende Öffnungsklausel in § 20 StGB vonnöten gewesen.325 Die Vereinbarkeit der zur dogmatischen Fundierung der actio libera in causa entwickelten Tatbestandsmodelle mit dem Analogie- und Gewohnheitsrechtsverbot ist vom Ausnahmemodell abweichend zu beurteilen. Im Ergebnis zutreffend – wenn auch ohne nähere Begründung326 – hat der Bundesgerichtshof die Tatbestandslösung für eigenhändige verhaltensgebundene Delikte für nicht anwendbar erklärt.327 Immerhin kann der Entscheidung der entscheidende Lösungsansatz mittelbar entnommen werden, der im Wortlaut der jeweiligen Normen und dem Gesetzlich320

VI. 1. 321

So aber LK11-Jähnke, § 20 Rn. 78; Wessels/Beulke, Rn. 415; Jescheck/Weigend, § 40

Otto, Jura 1986, 426 ff. (430). Sydow, S. 145 ff.; Maiwald, Gesetzgebung, S. 120 ff. (122); LK12-Dannecker, § 1 Rn. 178, SK-Rudolphi, § 1 Rn. 21. 323 So etwa LK11-Jähnke, aaO.; Wessels/Beulke, aaO. 324 BGHSt 42, 235 (242); Rüthers/Höpfner, JZ 2005, 21 ff; zur Wortlautbindung der historischen Auslegungsmethode siehe bereits hier im Text: B. I. 2. c) bb) (1) (b) m. Fn. 382. 325 Sydow, S. 150; inzwischen auch Hruschka – ein bedeutsamer Fürstreiter des Ausnahmemodells – selbst (JZ 1996, 64 ff. [68]; JZ 1997, 22 ff. [24]). 326 Der Bundesgerichtshof führt lediglich aus, die Anwendung des Tatbestandsmodells für Tätigkeitsdelikte sei „nicht gerechtfertigt“ (St 42, 235 [239]). 327 BGHSt 42, 235, (239 f.). 322

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

361

keitsprinzip zu finden ist. Die Formulierung der Straßenverkehrsdelikte lässt eine Anwendung des Tatbestandsmodells in den Grenzen von Art. 103 II GG schlicht nicht zu, denn der natürliche Wortsinn der Wendung „Wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt“ wird überspannt, wenn ein vorhergehendes Verhalten für tatbestandsmäßig erklärt wird.328 Die semantischen Grenzen der schlichten Erfolgsdelikte lassen dagegen einen ausreichenden Randbereich für die Anwendung der Tatbestandslösung offen. Zwar ist es nach dem laienhaften Wortverständnis das naheliegendste, etwa als „Töten“ allein die unmittelbare Ausführungshandlung im direkten Vorfeld der Einwirkung auf das Opfer zu sehen (z. B. das Schießen, Stechen, etc.), doch lässt sich bereits anhand zahlreicher Fallgestaltungen ohne jeglichen Bezug zur actio libera in causa demonstrieren, dass auch die zeitlich weit vor dem Einwirkungszeitpunkt liegende Tathandlung ohne Weiteres als tatbestandliches „Töten“ aufgefasst werden kann. Als Beispiele mögen die Installation einer Selbstschussanlage329 oder das Aufstellen vergifteter Lebensmittel330 dienen. In Hinblick auf die Rechtssätze „Lex stricta“ und „Lex scripta“ kann mehr als dieses mögliche grammatikalische Verständnis der jeweiligen Tathandlungen der schlichten Erfolgsdelikte bei Anwendung des Tatbestandsmodells nicht verlangt werden. Es muss aber zugleich betont werden, dass die ganz beachtlichen übrigen dogmatischen Einwände gegen diese offenkundige Zweckkonstruktion dadurch nichts von ihrer Überzeugungskraft einbüßen und das Tatbestandsmodell daher aus anderen Gründen als dem Analogieverbot nicht zu überzeugen vermag.331 Auf die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots durch das Tatbestandsmodell wird ohnehin noch zurückzukommen sein. bb) Möglichkeiten zur Erfassung durch den Gesetzgeber Denjenigen Umgehungssachverhalten im Strafrecht, die nach der lex lata bei Einhaltung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Auslegungsgrenzen nicht unter Strafe gestellt sind, für die aber ein erhebliches Strafbedürfnis ausgemacht wird, muss durch die Legislative begegnet werden. In dem breiten Korridor zwischen Übermaß- und Untermaßverbot hat der Gesetzgeber anerkanntermaßen einen erheblichen Ermessensspielraum bei der Entscheidung darüber, welchen sozial ge-

328

So wohl auch Baumann/Weber/Mitsch, § 19 Rn. 41. Vgl. hierzu statt vieler Roxin, AT I, § 15 Rn. 51 ff. 330 BGHSt 43, 177 („Bayerwaldbärwutz“). 331 Diese Kritikpunkte wurden zum überwiegenden Teil bereits ausführlich in einem anderen Zusammenhang angesprochen [siehe B. I. 2. c) bb) (1) (c); vgl. im Übrigen die Zusammenstellung der Kritikpunkte bei Sydow, S. 78 ff. und Kindhäuser, § 23 Rn. 16 ff.]. Besonders kritikwürdig erscheinen die Verwerfungen für Versuch und Rücktritt, die durch das Tatbestandsmodell entstehen, die Fragwürdigkeit dieses Begründungsmodells in Hinblick auf das Koinzidenzprinzip und den Schuldgrundsatz sowie das Fehlen einer §§ 17 S. 2, 35 I S. 2 StGB entsprechenden Klausel zur Vorverlagerung des Schuldvorwurfs in § 20 StGB. 329

362

E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

fährlichen Verhaltensweisen er mit der Kriminalstrafe entgegentritt.332 Auch für den Umgehungszusammenhang hat der parlamentarische Gesetzgeber daher die originäre Entscheidungskompetenz darüber, welche zurzeit noch sanktionslosen Gesetzesumgehungen neu und eigenständig unter Strafe zu stellen sind. Dabei ist es zwar verfassungsrechtlich nicht grundsätzlich zu beanstanden, wohl aber in Hinblick auf den „Ultima-ratio-Charakter“ staatlicher Strafe333 wichtig zu differenzieren, ob das neu geschaffene Umgehungsgesetz der Gesetzesumgehung oder nur der Strafumgehung – also entweder der echten oder der unechten Gesetzesumgehung – entgegentreten soll.334 Im letzteren Fall wird nicht die teleologische Lücke eines bestimmten Gesetzes geschlossen und damit ein bereits in der Norm angelegtes Strafbedürfnis vervollständigt, sondern einem kriminalpolitischen Anliegen Rechnung getragen, das sich aus der als unbillig empfundenen Straffreistellung des Täters herleitet. Sollte der Gesetzgeber etwa zu der Entscheidung kommen, aufgrund spektakulärer Fälle von Ersatzhehlerei335 auch diese in § 259 StGB als Hehlerei336 unter Strafe zu stellen, so ist mit diesem legislatorischen Akt keine bisher erfolgreiche Strategie zur Gesetzesumgehung unbrauchbar gemacht worden. Vielmehr wird nun auch derjenige bestraft, der aufgrund seines tatsächlichen Verhaltens zwar nach dem Normtelos gar nicht von § 259 StGB erfasst sein sollte, dessen vermiedenes Verhalten aber eindeutig als Hehlerei strafbar gewesen wäre. Der legislatorischen Tätigkeit als Reaktion auf Umgehungsverhalten kann noch aus einem anderen Grunde die Tendenz innewohnen, sich über die eigentlich intendierte Bekämpfung der konkreten Gesetzesumgehung als „Anlasstat“ hinaus straferweiternd auszuwirken. Durch die Ambition nämlich, in dem ständigen Wettrennen zwischen Normunterlaufenden und Normgebenden durch den Erlass eines Umgehungsgesetzes für länger als nur einen Augenblick in Führung zu gehen, kann der Strafgesetzgeber (über das ohnehin schon übliche Maß hinaus) versucht sein, die Umgehungsfestigkeit des Umgehungsgesetzes selbst durch die Verwendung wenigstens relativ unbestimmter Tatbestandsmerkmale, insbesondere „generalklauselartiger Wertbegriffe“337, zu gewährleisten. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der weiten Formulierung von außerstrafrechtlichen Umgehungsklauseln (etwa § 4 II SubvG, § 42 AO), die zumindest in ihrem dortigen Verwendungskontext nicht am strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz zu messen waren. 332

BVerfGE 22, 49 (80); 27, 18 (28 ff.); 45, 272 (289); LK12-Weigend, Einl. Rn. 1 ff., 20 ff.; MüKo-StGB-Joecks, Einl. Rn. 16 ff. 333 Vgl. zur Diskussion um die Subsidiarität strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes Roxin, AT I § 2 Rn. 97 ff.; Jakobs, 2. Abschn. Rn. 26 ff. 334 Zu der Unterscheidung der echten von der unechten Gesetzesumgehung siehe bereits D. IV. 2. b) ee). 335 Gedacht sei an den hier bereits diskutierten Sachverhalt Stöckels, vgl. dazu B. II. 19. 336 Im Falle gewerbsmäßigen Handels bzw. bei Handeln als Mitglied einer Bande ist das Verhalten nach geltendem Recht u. U. bereits als Geldwäsche nach § 261 StGB strafbar; siehe dazu B. II. 19. 337 Roxin, AT I, § 5 Rn. 69.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

363

Da also dem Strafgesetzgeber eine zugleich bestimmte und sachlich treffende Formulierung nicht nur entgegen seiner Absicht misslingen kann, sondern gerade für die Gesetzesumgehung durchaus Konstellationen gegeben sein können, in denen er eine Rechtslage unbestimmt halten will338, muss das Gesetzlichkeitsprinzip auch gegenüber dem Gesetzgeber seine Verwirklichung einfordern. Alle Bemühungen um eine willkürfreie und gesetzesgebundene Anwendung des Strafrechts durch die Gerichte müssen vergeblich bleiben, wenn schon die Vagheit der Strafgesetze die Strafbarkeit unvorhersehbar macht und sich der Strafrechtsanwender aufgrund der Beliebigkeit der gesetzlichen Formulierungen vermeintlich gezwungen sieht339, anstelle des Gesetzgebers die Voraussetzungen der Strafbarkeit im Einzelnen festzusetzen. Insbesondere die Erfahrungen der nationalsozialistischen Zeit haben die Erkenntnis wachsen lassen, dass gesetzliche Bestimmungen für Willkür weit geeigneter sein können als eine von der Rechtsprechung maßvoll geübte Analogie.340 Garant der Rechtsstaatlichkeit, so musste schmerzvoll erfahren werden, kann nicht allein der formale Bestand von Gesetzen, sondern erst ihr rechtsstaatlicher Inhalt sein.341 Nach wie vor treffend ist daher die Analyse Welzels: „Die eigentliche Gefahr droht dem Grundsatz nulla poena sine lege nicht von der Analogie, sondern von unbestimmten Strafgesetzen!“342 Wenn die Legislative daher der Gesetzesumgehung mit den Mitteln des Strafrechts entgegentritt, müssen sich die hierzu erlassenen Strafnormen am Grundsatz „nullum crimen sine lege certa“ messen lassen. In den nun folgenden Überlegungen hierzu wird insbesondere die Fragestellung zu berücksichtigen sein, inwieweit sich aus den verschiedenen „Tatorten“ der Gesetzesumgehung (also im AT des StGB/im BT des StGB/in vorgelagerten Rechtsmaterien) auch unterschiedliche Bestimmtheitsanforderungen für die Reaktion des Strafgesetzgebers ergeben. (1) Der Sinn des Bestimmtheitsgrundsatzes Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot343 lässt sich der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zufolge auf einen „doppelten Zweck“344 zurückführen.345 338

Zu dieser Zielsetzung des (Straf-)Gesetzgebers NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 16. Er hat indessen die Möglichkeit der Vorlage nach Art. 100 GG, die für Strafgesetze allerdings selten zur Anwendung kommt. 340 Stöckel, S. 137. 341 Stöckel, aaO. 342 Welzel, § 5 II. 3. 343 In dem Zusammenhang dieser Untersuchung interessiert allein das Bestimmtheitserfordernis für die Strafbarkeitsvoraussetzungen; die Einzelfragen zum Bestimmtheitsgrundsatz im Bereich der Deliktsfolgen (vgl. dazu statt vieler LK12-Dannecker, § 1 Rn. 223 ff.) dürfen dagegen vernachlässigt werden. 344 Zuletzt E 105, 135 (153), 92, 1 (12); 87, 209 (224). 345 Zu weiteren angeführten Zwecken des Bestimmtheitsgrundsatzes – insbesondere seiner dienenden Funktion für das Schuldprinzip und für die generalpräventive Wirkung der Strafe – 339

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Zum einen soll jeder Einzelne vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist, damit er sein Verhalten eigenverantwortlich darauf einrichten kann und keine willkürlichen staatlichen Reaktionen befürchten muss.346 Dieser rechtsstaatlichen Schutzrichtung des Bestimmtheitsgrundsatzes wegen müssen die einzelnen Elemente der Bestimmtheitsgarantie auf die Bedürfnisse des Bürgers zugeschnitten sein, der Wortsinn der Strafnormen ist daher „aus der Sicht des Bürgers“ zu bestimmen. Im Grundsatz muss es dem Einzelnen also anhand der gesetzlichen Vorschrift möglich sein, die Strafbarkeit seines Verhaltens vorauszusehen.347 Zum anderen soll das Bestimmtheitsgebot Garant dafür sein, dass der Gesetzgeber selbst und nicht erst der Rechtsanwender über die für die einzelnen Straftatbestände vorgesehene Ausdehnung der Strafbarkeit entscheidet.348 Damit soll die Bestimmungsmacht des Parlaments herausgestellt sein, denn zur Entscheidung über die Beschränkung von Grundrechten ist nach dem von der Verfassung vorgegebenen Verteilungsprinzip allein der Gesetzgeber berufen.349 Entscheidend für die Einhaltung dieser staatsorganisationsrechtlichen Entscheidungszuständigkeit dürfte sein, ob Sinn und Umfang eines Tatbestandes noch objektiv durch Auslegung ermittelt werden können; der Richter darf den Wertungsakt des Gesetzgebers also nur ausfüllen und zu Ende denken, sich aber durch seinen Wertungsakt niemals an die Stelle des Gesetzgebers setzen.350 Zusammengefasst entfaltet der Bestimmtheitsgrundsatz also zugleich eine freiheitsgewährende und eine kompetenzwahrende Funktion.351 Das Bestimmtheitssiehe Roxin, AT I § 5 Rn. 67; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 179; Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 17; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 182. 346 BVerfGE 25, 269 (285); 71, 108 (114 ff.); 73, 206 (234 f.); 78, 374 (381 f.); 87, 363 (391); 87, 399 (411); 92, 1 (12); Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 179; v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte, Art. 103 Abs. 2 Rn. 140; Umbach/Clemens-Zierlein, Art. 103 Rn. 125; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 103 II Rn. 33; Sachs-Degenhart, Art. 103 Rn. 67; LK12Dannecker, § 1 Rn. 179; Roxin, AT I, § 5 Rn. 67; Müko-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 39; Schönke/ Schröder-Eser, § 1 Rn. 17. 347 BVerfGE 71, 108 (116); 73, 206 (236); Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, aaO.; LK12Dannecker, § 1 Rn. 182. 348 BVerfGE 47, 109 (120); 87, 399 (411); NJW 1995, 3050 (3051); Maunz/Dürig-SchmidtAßmann, Art. 103 Rn. 180; v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte, aaO.; Dreier-Schulze-Fielitz, aaO.; Sachs-Degenhart, aaO.; LK12-Dannecker, aaO.; Roxin, aaO.; MüKo-StGB-Schmitz, aaO.; Schönke/Schröder-Eser, aaO. 349 BVerfGE 105, 135 (153); Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, aaO.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 55 f., 179; Schönke/Schröder-Eser, aaO.; Roxin, AT I, § 5 Rn. 69, 75; Frister, 4. Kapitel Rn. 11. 350 Stöckel, S. 137; Roxin, AT I, § 5 Rn. 75 ff. 351 Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 178 ff. Ebenda wird zutreffend darauf hingewiesen, dass es das Bestimmtheitsgebot unter Umständen auch erfordert, dass seine beiden wesentlichen, soeben zur Sprache gebrachten Funktionen untereinander zum Ausgleich gebracht werden: „So mag die Ausrichtung einer Strafnorm an einer subtilen juristischen Fachsprache sehr wohl zur Grenzziehung zwischen legislatorischer und richterlicher Gewalt

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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gebot steht damit im Zentrum der anderen Ausprägungen des Gesetzlichkeitsprinzips. Nur durch hinreichend bestimmte Gesetze lässt sich erkennen und korrigieren, ob die einzelne gerichtliche Entscheidung auf einer unzulässigen Analogie bzw. auf bloßem Gewohnheitsrecht beruht.352 Art. 103 II GG soll dabei ein speziell strafrechtliches, strenges Bestimmtheitsgebot zu entnehmen sein, deshalb könne zur näheren Inhaltsbestimmung der durch diese Vorschrift aufgestellten Bestimmtheitserfordernisse nicht auf die Auslegung zum allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 20 GG verwiesen werden, wie er sich als Forderung des Rechtsstaatsprinzips ergibt.353 Auch wenn sein Adressat vornehmlich die Legislative ist, entnimmt das Bundesverfassungsgericht Art. 103 II GG zudem ein den Gerichten auferlegtes Verbot, ein unbestimmtes Gesetz selbst nachbessern zu wollen.354 Der einzig zulässige Weg355 zum Umgang mit verfassungswidrig unbestimmten Gesetzen ist daher Art. 100 I GG zu entnehmen, der die Vorlage des für grundgesetzwidrig gehaltenen Gesetzes durch das Instanzgericht vorsieht.356 (2) Das relative Verständnis von Bestimmtheit (a) Die gegen einen rigorosen Bestimmtheitsmaßstab angeführten Gründe Die soeben skizzierte Ausgangslage gibt allerdings bekanntlich nicht die tatsächlich vorherrschenden Überzeugungen in Hinsicht auf die notwendige „Bestimmtheit des Bestimmtseins“357 wieder. Aus mehreren Gründen – so die insoweit heute allgemeine, wenn auch in der Gerichtspraxis nicht immer offen reflektierte Überzeugung – können beide mit dem Bestimmtheitsgrundsatz in Verbindung gebrachten Zwecke nicht zu optimaler Wirksamkeit gelangen. taugen, die Vorhersehbarkeit für den Normadressaten ist damit jedoch nicht gewährleistet. Und umgekehrt mag die Verlagerung der wesentlichen Merkmale einer Strafnorm in eine genau ausformulierte Rechtsverordnung zwar die Vorhersehbarkeit sichern, aber der Einfluß parlamentarischer Entscheidung kann dabei auf der Strecke bleiben.“ 352 NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 15. Dieses Verständnis von einer „Rangfolge“ der Ausprägungen des Nullum-crimen-Satzes zeigt sich auch in der Kommentierung Gribbohms (LK11, § 1 Rn. 69), der das Verbot der Analogie, des Gewohnheitsrechts und der Rückwirkung unter der Überschrift „Folgerungen aus dem Erfordernis der Gesetzesbestimmtheit“ abhandelt. 353 BVerfGE 71, 108 (114); 78, 374 (381 ff.); Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 185; Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 103 Rn. 51; Sachs-Degenhart, Art. 103 Rn. 67; Jescheck/ Weigend, § 15 III. 3.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 181; a. A. Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 103 II Rn. 34. Auf die bisher allerdings geringen praktischen Konsequenzen dieser Unterscheidung für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte, Art. 103 Abs. 2 Rn. 138 zu Recht hingewiesen. 354 E 47, 109 (120); 73, 206 (235); 105, 135 (152 f.); Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 178; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 180. 355 Jedenfalls, wenn von der Möglichkeit zur verfassungskonformen Auslegung im Einzelfall einmal abgesehen wird. 356 LK12-Dannecker, aaO.; KK-OWiG-Rogall, § 3 Rn. 26. 357 Schmidhäuser, Martens-GS, 231 ff. (232).

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Schon aus sprachtheoretischen Aspekten heraus kann es dem Gesetzgeber nicht gelingen, Tatbestände zu schaffen, die nicht mehr auslegungsfähig sind (und damit die Gewaltbeschränkung des Richters idealiter verwirklichen würden) und zugleich geeignet sind, die komplexe und ständigem Wandel unterworfene Lebenswirklichkeit hinreichend abzubilden.358 Solche einer Montesquieuesken Vorstellung von Staatsgewalt geschuldete Strafnormen müssten entweder unendlich lang sein oder bei ihrer Anwendung eine solche Unbeweglichkeit offenbaren, dass den kriminalpolitischen Anforderungen an das Strafrecht überhaupt nicht mehr entsprochen werden kann.359 Zudem wäre zu bedenken, dass die Vorhersehbarkeit der Strafe durch ein Strafgesetzbuch in der methodischen Tradition des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794 weitaus weniger gewährleistet wäre als durch die Straftatbestände des geltenden Rechts, die sich wertausfüllungsbedürftiger Tatbestandsmerkmale bedienen. Die Weite und Unsicherheit des Sprachverstehens – insbesondere wenn die Sprache einer hochentwickelten Kulturstufe angehört und sie zur Erfüllung normativer Aufgaben eingesetzt wird – sind daher bei der Diskussion um die Bestimmtheit der Strafgesetze bis zu einem gewissen Maße hinzunehmen.360 Zudem bestehen legitime Schutzgüter, die sich plastisch oder auf niedriger Abstraktionsstufe kaum beschreiben lassen. Soziale Erscheinungen wie etwa die Beleidigung, deren Bestrafung auf das nur schwer greifbare Rechtsgut „Ehre“ zurückzuführen ist, können ohne normative Umschreibungen schlicht nicht erfasst werden.361 Es besteht also ein begrenzt berechtigter Bedarf nach Vagheit: Wäre das Bestimmtheitsgebot als der Befehl an den Gesetzgeber zu verstehen, die jeweils engste und präziseste Beschreibung zu wählen, wären große Teile des StGB verfassungswidrig; denn es besteht kein Zweifel daran, dass vieles exakter formuliert werden könnte, wenn man nur wollte.362 (b) Die durch die Rechtsprechung zugelassenen Relativierungen im Einzelnen Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung zu Art. 103 II GG insgesamt tief gehende Relativierungen der eigens aufgestellten Anforderungen an ein mit den Zwecken des Bestimmtheitsgrundsatzes vereinbares Strafgesetz zugelassen. Im Mittelpunkt dieser Einschränkungen steht die Aussage des Gerichts, der Gesetzgeber sei nicht gehalten, alle Einzelheiten im förmlichen Gesetz selbst zu regeln; er könne seine Vorgaben vielmehr abstrakt umreißen und dabei auch auf unbestimmte Gesetzesbegriffe zurückgreifen, sofern diese der näheren Deutung im 358 BVerfGE 105, 135, 153 ff.; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 40; Frister, 4. Kapitel Rn. 12; Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 19. 359 Roxin, AT I, § 5 Rn. 69. 360 Schmidhäuser, aaO.; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 185. 361 v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte, Art. 103 Abs. 2 Rn. 142 f.; Roxin, aaO. 362 NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 17.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Wege der Auslegung zugänglich seien.363 Es sei sogar eine Häufung unbestimmter Rechtsbegriffe mit Art. 103 II GG vereinbar, soweit mit den üblichen Methoden eine hinreichend bestimmte Auslegung der Norm erzielt werden könne.364 Beständig hat das Bundesverfassungsgericht daneben betont, dass die Bestimmtheitsanforderungen an ein Strafgesetz von der Schwere der angedrohten Strafe abhängen können. Es geht daher von einer stufenweisen Abschichtbarkeit der Bestimmtheitsanforderungen bei den Strafbarkeitsvoraussetzungen aus.365 Je schwerer die für das tatbestandsmäßige Verhalten vorgesehene Sanktion sei, um zu präziser müssten die Voraussetzungen der Strafbarkeit durch den Gesetzgeber geregelt werden.366 Umgekehrt darf daraus geschlossen werden, dass an die Bestimmtheit der Strafgesetze im Bereich der so genannten Bagatellkriminalität dem Bundesverfassungsgericht zufolge eher geringe Ansprüche zu stellen sind. Eine darüber hinausgehende Abschwächung des Bestimmtheitsgrundsatzes dürfte darin liegen, dass das Bundesverfassungsgericht – wenn auch nur in Grenzfällen – die Vorhersehbarkeit staatlicher Strafe schon dann als gewahrt ansieht, wenn dem Täter aufgrund der einschlägigen Vorschriften das Risiko einer Bestrafung erkennbar war.367 Weiterhin – so das Bundesverfassungsgericht – dürfe bei der Frage danach, ob ein Strafgesetz den Anforderungen des Lex-certa-Satzes entspricht, das besondere Fachwissen des Adressatenkreises der Norm berücksichtigt werden. Richte sich eine Strafnorm ausschließlich an Personen, bei denen aufgrund ihrer Ausbildung oder praktischen Erfahrung bestimmte Fachkenntnisse regelmäßig vorauszusetzen sind, und regelt sie Tatbestände, auf die sich solche Kenntnisse zu beziehen pflegen, so begegne die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe unter dem Gesichtspunkt von Art. 103 II GG keinen Bedenken, wenn allgemein davon ausgegangen werden könne, dass der Adressat auf Grund seines Fachwissens imstande sei, den Regelungsgehalt solcher Begriffe zu erfassen und ihnen konkrete Verhaltensanweisungen zu entnehmen.368 Diese Grundsätze entstanden zunächst durch die Spruchtätigkeit des Bundesverfassungsgerichts zum Disziplinarrecht der Beamten und dem Standesrecht der Anwälte369; später wurden sie auf Kaufleute nach dem HGB und der (früheren) Konkursordnung370 und die Betreiber bestimmter technischer Anlagen übertragen371. 363

E 75, 329 (341); 78, 374 (389). E 87, 209 (225); 96, 68 (97 ff.). 365 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 186. 366 E 14, 245 (251 f.); 26, 41 (43); 75, 329 (342); 41, 314 (320); 81, 70 (94); 86, 288 (311); 105, 135 (155 f.). 367 E 87, 206 (224); 87, 363 (391 f); 92, 1 (12); kritisch Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 254 ff.; Schünemann, S. 29 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 184. 368 E 48, 48 (57); 74, 329 (343, 345). 369 E 26, 186 (204). 370 E 48, aaO. 364

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Insbesondere eine Abschwächung der kompetenzwahrenden Funktion des Bestimmtheitsgrundsatzes geht mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts einher, Strafvorschriften, die eigentlich bedenklich unbestimmt sind, könnten dadurch dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit entgehen, dass sie zum überlieferten Normenbestand gehörten und durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung konkretisiert worden seien.372 Bei jüngeren Gesetzen, zu denen noch keine gefestigte Rechtsprechung ergangen ist, müssten daher höhere Anforderungen an die gesetzliche Bestimmtheit gestellt werden.373 Das Bundesverfassungsgericht geht damit von einer nachträglichen Heilungsmöglichkeit374 für unbestimmte Strafgesetze aus, sofern diese ihre „wilden Anfangsjahre“ überstehen, ohne der konkreten Normenkontrolle oder der Urteilsverfassungsbeschwerde anheim gefallen zu sein. Eine gesondert anzusprechende, wohl deutlich weniger bedenkliche Variante dieser vom Bundesverfassungsgericht für ausreichend erachteten „Bestimmbarkeit qua Auslegung“ ist gegeben, wenn die in Frage stehende Strafnorm dadurch ihre Bestimmtheit erlangen können soll, dass die Gerichte sie restriktiv und damit verfassungskonform auslegen und auf die Subsumtion unter die Strafnorm in ihren diffusen Randbereichen verzichten.375 Eine solche Selbstbeschränkung der Gerichte auf den jedermann erkennbaren Kern der jeweiligen Strafvorschrift steht mit beiden Funktionen des Bestimmtheitsgrundsatzes in Einklang, denn sie wahrt die Vorhersehbarkeit staatlicher Strafe und beweist den gebotenen Respekt vor der ursprünglichen Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers, die es nach Möglichkeit aufrecht zu erhalten gilt (Gebot des favor legis376). Als gegenüber der zuvor angesprochenen „Bestimmbarkeit qua Auslegung“ im Allgemeinen weniger bedenklich anzusehen ist die restriktive Auslegung deshalb, weil ihr Ziel die Herausarbeitung von Fallgruppen ist, die – gemessen am alltagssprachlichen Wortsinn – der Strafnorm seit jeher unzweifelhaft unterfallen mussten und daher dem Normunterworfenen als strafrechtlich risikoträchtige Verhaltensweisen von vornherein einsichtig werden konnten. Das vermutlich augenfälligste Indiz für die Relativierung der Anforderungen an die Bestimmtheit der Strafgesetze in der forensischen Praxis ist allerdings nicht in 371 E 74, aaO.; dazu Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 189; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 211. 372 E 28, 175 (183 ff.); 37, 201 (208); 41, 314 (320 ff.); 45, 363 (371 f.); BVerfG NJW 1997, 1910 (1911). 373 E 105, 135 (161) in Hinblick auf die Bestimmtheit der Strafandrohung. 374 Umschreibung bei MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 46. 375 E 48, 48 (61); 71, 108 (122); 87, 209 (224); 92, 1 (19); 93, 266 (292 ff.) BVerfG NJW 2005, 349 ff.; zu den Kriterien enger Auslegung im Strafrecht, insbesondere zur Auslegungsbestimmtheit und der verfassungsrechtlichen Pflicht zur „Normspaltung“ im Rahmen der Auslegung siehe Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 105, 111 ff., 114 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 326 ff., insbesondere 339 ff. mit umfangreichen Nachweisen. Auf vergleichbare Weise, aber ohne die hier verwendete Teleologie geht Jakobs, 4. Abschn. Rn. 30 ff. vor. 376 Siehe dazu LK12-Dannecker, § 1 Rn. 326.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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diesen Ansatzpunkten für die Abschwächung eines rigorosen Bestimmtheitsverständnisses im Einzelnen zu erblicken, sondern vielmehr darin, dass die Rechtsprechung in Anwendung der soeben vorgestellte Leitlinien nur äußerst selten Anstoß an der Unbestimmtheit von Tatbeständen genommen hat. Als zu unbestimmt wurden bislang nur wenige, extrem unbestimmte Tatbestände verworfen – und dies überwiegend nicht durch das Bundesverfassungsgericht selbst.377 Umgekehrt ist selbst die Bestrafung „groben Unfugs“ (§ 360 Nr. 11 StGB a. F.) vom Bundesverfassungsgericht für ausreichend bestimmt erachtet worden378, ebenso hielt das Gericht die Vorhersehbarkeit der Strafe auch für mehrfach gestufter Blankette (etwa § 34 IV AWG)379 oder § 13 StGB als Umschreibung der Garantenstellungen für gegeben an.380 Allein an diesem rechtstatsächlichen Befund zeigt sich, dass das Bundesverfassungsgericht – ungeachtet der schönen Worte, die es für den Bestimmtheitsgrundsatz auch bezüglich des Gegenstandes dieser Untersuchung schon gefunden hat381 – bisher nur ganz ausnahmsweise gewillt war, den Strafgesetzgeber in seine Schranken zu weisen. Ob sich daher der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts tatsächlich eine Änderung hin zu einer stärkeren Beachtung der Bestimmt377 Für zu unbestimmt erklärte das Bundesverfassungsgericht – soweit ersichtlich – bisher nur zwei strafrechtliche Normen bezüglich ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen: § 15 II lit. A) FAG a.F., da im Gesetz jedwede Bestimmung der Strafbarkeitsvoraussetzungen fehlte (E 78, 374 [383 ff.]) sowie §§ 1 II Nr. 1, 2 I, 46 II, 60 Personenbeförderungsgesetz a. F., weil sich die Strafbarkeit erst aus einer Ermessensentscheidung der Verwaltung ergab (E 17, 306 [314 f.]). Von anderen Gerichten für nicht bestimmt genug erachtet wurden die Formulierungen „dem Anschluß- und Benutzungszwang zuwider[zu]handeln“ (OLG Köln NuR 1995, 163 f.); „nach Art eines Land- oder Stadtstreichers herum[zu]treiben“ (VGH Baden-Württemberg NJW 1984, 507 [508]); Handeln gegen die „öffentliche Ordnung“ (BayVerfGHE 4, 194 [204]) oder gegen die „Interessen der Allierten Streitkräfte“ (BayVerfGH BayGVOBl. 1953, 75 [76]); vgl. dazu Müko-StGB-Schmitz, aaO.; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 103 II Rn. 38. 378 E 26, 41 (43), zur Kritik an dieser Entscheidung siehe Roxin, AT I, § 5 Rn. 76. 379 BVerfG NJW 1993, 1909 (1910); zu dieser Problematik vgl. MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 49. 380 E 96, 68 (97 f.); a. A.: MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 47; zumindest äußerst skeptisch auch Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 232; Jakobs, 4. Abschn. Rn. 44. 381 So führte der Erste Senat des BVerfG (E 71, 206 [217]) im Zusammenhang mit der Überprüfung von § 353d StGB (Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen) aus: „[Aus dem begrenzten Schutzumfang der Strafgesetze] sich ergebende Möglichkeiten einer „Umgehung“ des Tatbestandes sind Folge der Verpflichtung des Strafgesetzgebers, die Voraussetzungen der Strafbarkeit durch konkrete Umschreibung der Tatbestandsmerkmale möglichst präzise zu bestimmen (Art. 103 Abs. 2 GG); ein Verhalten, das die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, bleibt ungeahndet.“ In einem Urteil des Ersten Senats zur Strafbarkeit von Sitzblockaden (E 73, 206 [236]) heißt es: „Dies [d. i. die Pflicht zum Freispruch bei einer anderenfalls wortlautüberschreitenden Strafnormauslegung] gilt auch dann, wenn als Folge der wegen des Bestimmtheitsgebots möglichst konkret abzugrenzenden Strafnorm besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, mag auch das Verhalten in ähnlicher Weise strafwürdig erscheinen. Insoweit muß sich der Gesetzgeber beim Wort nehmen lassen […]“.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

heitsanforderungen entnehmen lässt382, bleibt ungeachtet der bedeutsamen Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der Vermögensstrafe nach § 43a StGB383 – welche nicht den „Nullum-crimen-Satz“, sondern den Grundsatz „Nulla poena sine lege certa“ betraf – abzuwarten. (c) Positionen des Schrifttums zum Bestimmtheitsgrundsatz und seinen Relativierungen Sowohl die Mehrheit des verfassungsrechtlichen384 wie auch des strafrechtlichen385 Standard-Schrifttums beschränkt sich nach wie vor auf eine weitestgehend unkritische Wiedergabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder macht nicht mehr als (milde) Beanstandungen in Einzelfragen geltend386. Eine Minderheit insbesondere innerhalb der Strafrechtswissenschaft hat sich hingegen überaus kritisch mit der Interpretation des Bestimmtheitsgrundsatzes durch das Bundesverfassungsgericht auseinandergesetzt.387 Die Diskussion betrifft nahezu alle der vom Bundesverfassungsgericht für statthaft erklärten Einschränkungen des Lex-certa-Satzes. Dabei gehen nur wenige der Rechtsprechungs-Kritiker soweit, allgemeine Begriffe im Strafrecht für von vornherein unzulässig zu erachten. Bedenklich erscheinen der Mehrheit vielmehr das Maß der einzelnen Relativierungen, das durch ihre Kombination hervorgerufene zusätzliche Schwinden von Vorhersehbarkeit und die letztlich damit herbeigeführte „Elastizität“ des Bestimmtheitsgrundsatzes. Dabei stützt sich die Kritik auch auf den Wortlaut des Nullum-crimen-

382 So die optimistische Einschätzung Reichenbachs (JR 2005, 405) und Danneckers [OttoFS, S. 25 ff. (26)]; skeptisch dagegen MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 46 und auch LK12-Dannecker, § 1 Rn. 195. 383 BVerfG wistra 2002, 175 (178). 384 Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 103 II Rn. 33 ff.; Sachs-Degenhart, Art. 103 Rn. 67 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf-Schmahl, Art. 103 Rn. 32 ff.; Pieroth/Schlink, Rn. 1019 ff.; Ipsen, Rn. 923; Manssen, Rn. 760 ff. 385 Wessels/Beulke, Rn. 47; Maurach/Zipf, § 10 II. A. 2.; Jescheck/Weigend, § 15 III. 3.; Heinrich, Rn. 28 ff.; Freund, § 1 Rn. 22, 35 f.; Krey, AT I, Rn. 111 ff.; Otto, AT; § 2 Rn. 2 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, § 3 Rn. 14 ff.; Baumann/Weber/Mitsch, § 9 Rn. 6 ff.; Joecks, § 1 Rn. 5 ff.; Fischer, § 1 Rn. 2 ff.; Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 17; LK11-Gribbohm, § 1 Rn. 45 ff.; Lackner/Kühl, § 1 Rn. 2.; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 11 ff.; Dölling/Duttke/RössnerRössner, § 1 Rn. 6 f. 386 Umbach/Clemens-Zierlein, Art. 103 Rn. 127; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 186, 232; v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte, Art. 103 Abs. 2 Rn. 143 ff.; NK-Hassemer/ Kargl, § 1 Rn. 14 ff.; Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 103 Rn. 51 f.; Rengier, AT, § 4 Rn. 26 ff. (28). 387 Krahl, S. 258 ff., 338 ff., 402 ff.; Naucke, Generalklauseln, S. 3 ff., 18 ff.; Schünemann, S. 8 ff.; Schmidhäuser, Martens-GS, S. 231 ff.; Roxin, AT I, § 5 Rn. 70 ff.; Frister, 4. Kapitel Rn. 14 ff.; Jakobs, 4. Abschn. Rn. 23 ff.; Gropp, § 2 Rn. 28 ff.; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 39 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 181 ff., 201 ff.; v. Münch/Kunig-Kunig, Art. 103 Rn. 27 ff; AK-GG-Wassermann, Art. 103 Rn. 52.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Satzes: Art. 103 II GG biete zu den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Relativierungen und Differenzierungen keinen Anlass.388 Hervorzuheben sind dabei die Einwände gegen die nachträglichen Konkretisierungsmöglichkeiten für die Rechtsprechung und die These des Bundesverfassungsgerichts, die Präzisierungspflichten des Gesetzgebers seien von der Schwere der angedrohten Strafe abhängig. Die letztere Einschränkung halte der Prüfung nicht stand, denn diese unangebrachte Einführung eines „Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“ für das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip eliminiere für die so genannte Kleinkriminalität praktisch das Recht auf Vorhersehbarkeit der Strafe.389 Auch die nachträgliche „Heilungsmöglichkeit“ zunächst unbestimmter Gesetze durch die konkretisierende Spruchpraxis der Strafgerichte soll danach bedenklich erscheinen, denn sie hebe die Gewaltenteilung auf, nehme dem Bürger im Zeitraum vor einer gefestigten Rechtsprechung die Möglichkeit zur Normorientierung und stelle dem Gesetzgeber gleichsam einen Freibrief zur Verletzung von Art. 103 II GG aus.390 Auch an der Häufung unbestimmter Rechtsbegriffe – nicht zuletzt im Allgemeinen Teil (§§ 13, 15 StGB) – und der Verwendung mehrfach gestufter Blankette entzündet sich Kritik, denn sie vermindere die Erkennbarkeit strafbaren Verhaltens für den vom Bundesverfassungsgericht angegebenen Adressaten (den einzelnen Bürger nämlich) erheblich, zumal diesem entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch bei bestehenden Fachkenntnissen keine Informationspflicht aufgebürdet werden dürfe.391 Aus diesen als übermäßig empfundenen Einschränkungen ist vereinzelt sogar der Schluss gezogen worden, der Bestimmtheitsgrundsatz sei – zumindest in seiner strengen Form – eine „rechtsstaatliche Utopie“392 und von der Rechtsprechung „weitestgehend preisgegeben“; er stelle den „Tiefpunkt des nulla-poena-Satzes“ dar393. Jenseits der bloßen Missbilligung der herrschenden Auslegungspraxis zum Lexcerta-Satz sind im Schrifttum eigene Ansätze entwickelt worden, die den Schwierigkeiten bei der richtigen Festlegung der Bestimmtheitsanforderungen an Straftatbestände begegnen sollen. Nach einer Auffassung ist der Gesetzgeber verpflichtet, stets nach der größtmöglichen Bestimmtheit zu streben. Der Gebrauch wertausfüllungsbedürftiger 388

v. Münch/Kunig-Kunig, Art. 103 Rn. 29. AK-GG-Wassermann, aaO.; Roxin, AT I, § 4 Rn. 70; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 186; Schünemann, S. 32 f.; v. Münch/Kunig-Kunig, Art. 103 Rn. 29. 390 MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 46; ähnliche Einwände in Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz erheben Frister, 4. Kapitel Rn. 14; Roxin, aaO.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 201; v. Münch/Kunig-Kunig, aaO. 391 MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 45, 47, 49. 392 Schmidhäuser, Martens-GS, S. 231 ff. (241). 393 Schünemann, S. 6, 8. 389

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Begriffe und Generalklauseln soll demnach spätestens dann verfassungswidrig werden, wenn diese Gesetzestechnik vermeidbar wäre.394 Der Formulierung nach ganz ähnlich, in der Sache aber durchaus bereit, gewissen von der Praxis entwickelten Relativierungen von Art. 103 II GG beizutreten, sind andere Teile des Schrifttums der Ansicht, der Gesetzgeber unterliege einem Präzisierungs- bzw. Konkretisierungsgebot.395 Diese auch als „Optimierungsgebot“ bezeichnete Pflicht gebiete dem Gesetzgeber, sich vermeidbarer Unbestimmtheit zu enthalten, ohne auf die erforderliche Allgemeinheit des Gesetzes zu verzichten.396 Dabei wird als Mindeststandard häufig der Schutzzweck der Norm ins Spiel gebracht. Danach soll eine Strafvorschrift noch hinreichend bestimmt sein, wenn und soweit sich ihr ein klarer gesetzgeberischer Schutzzweck entnehmen lasse und der Wortlaut der willkürlichen Ausdehnung der Auslegung jedenfalls noch Grenzen setze.397 Darüber hinausgehend wird zum Teil – sich der zuerst genannten, strengeren Ansicht annähernd – für erforderlich gehalten, dass das Gesetz die tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen umschreibt.398 Als demgegenüber eigenständig können zwei weitere Ansätze gelten, die sich darum bemüht haben, grundsätzliche Maßstäbe für die Anforderungen an inhaltlich hinreichend bestimmte Gesetze anzugeben. So spricht sich eine Auffassung offen dafür aus, die Grenzen der Bestimmtheit im Wege einer normativen Gegenüberstellung für die jeweilige Strafnorm zu bestimmen. Die Gesetzgeber habe abzuwägen zwischen den Belangen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit, wobei die Lösung nur nach dem Grundsatz des überwiegenden Interesses gefunden werde könne.399 Ein Verstoß gegen Art. 103 II GG soll danach erst anzunehmen sein, wenn eine andere Entscheidung als die, dass überwiegende Gründe für die Rechtssicherheit sprechen, nicht mehr vertretbar sei.400 Die Bestimmung des § 13 StGB dagegen müsse ungeachtet ihrer „geringen Prägnanz […] um höherer Gerechtigkeitsbelange willen in Kauf genommen werden“.401

394 Naucke, Generalklauseln, S. 3 ff., 19 ff.; AK-GG-Wassermann, Art. 103 Rn. 52; wohl auch Müko-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 41 ff.; jedenfalls für den Besonderen Teil des StGB ebenso Jakobs, 4. Abschn. Rn. 25. 395 NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 14 ff., 35 ff., 40 f., LK12-Dannecker, § 1 Rn. 195 ff.; wohl auch Frister, 4. Kapitel Rn. 11 ff.; ähnlich Schmidhäuser, Martens-GS, S. 231 ff. (242 ff.): „Gebot der relativen Bestimmtheit des Strafgesetzes“. 396 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 196; vergleichbar NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 41. 397 Roxin, AT I § 5 Rn. 75; LK12-Dannecker, aaO.; Gropp, § 2 Rn. 29. 398 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 127, 196; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 255, 258 ff. 399 Lenckner, JuS 1968, 304 ff. (305); ähnliche Abwägungsvorschläge finden sich bei SKRudolphi, § 1 Rn. 13 sowie Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 21. 400 Lenckner, aaO. Er nennt als Beispiel die Bestimmung des „groben Unfugs“ gemäß § 360 Nr. 11 StGB a. F. 401 Lenckner, JuS 1968, 304 ff. (306).

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Schließlich soll die Problematik der gesetzlichen Bestimmtheit einer quantitativen Lösung zugänglich sein. Der Begriff der Bestimmtheit sei dahingehend zu definieren, dass der Anteil der noch hinreichend bestimmten Tatbestandsmerkmale an der Begrenzung des strafbaren Verhaltens jedenfalls mehr als 50 % betragen müsse.402 Hinter diesem Ansatz steht das Ziel, die unbestimmten Strafbarkeitsvoraussetzungen – wenn sie schon nicht ganz vermeidbar sind – durch die Einrichtung einer „Mindestquote“ jedenfalls nicht überhand gewinnen zu lassen.403 (d) Stellungnahme Zutreffend ist der Ausgangspunkt, dass der Strafgesetzgeber um der Funktionalität des Strafrechts willen, aber auch bereits aus sprachtheoretischen Gründen heraus nicht daran gehindert sein kann, innerhalb gewisser Grenzen allgemeine, wertausfüllungsbedürftige Begriffe zu verwenden. Dem berechtigten Bedürfnis des Normgebers, in seinen Strafgesetzen der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden, kann jedoch nur im Rahmen von Art. 103 II GG Rechnung getragen zu werden. Das Argument der notwendigen Anpassungsfähigkeit der Strafgesetze darf nicht dazu herangezogen werden, um den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz übermäßig zu beschneiden. Um zu verhindern, dass die Positionierungen zu Gunsten des Lex-certa-Satzes nicht mehr als ein bloßes „Verbalbekenntnis“404 sind, ist jede Relativierung des Bestimmtheitsgrundsatzes dahingehend zu analysieren, ob sie sich mit dem Sinn und Zweck dieses Grundsatzes noch in Einklang bringen lässt. Hinsichtlich dieser Prüfungspflicht muss sich nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch das Bundesverfassungsgericht beim Wort nehmen lassen. Es hatte – unter fast uneingeschränkter Zustimmung des Schrifttums – dem Bestimmtheitsgrundsatz zutreffend eine freiheitswahrende und eine kompetenzwahrende Funktion zugeschrieben. Der Schutz dieses Grundsatzes gegen eine zu starke Relativierung liegt nun in der genauen Analyse, wie die beiden Funktionen des Art. 103 II GG in seiner hier relevanten Ausprägung möglichst optimal zur Geltung gebracht werden können.405 Mit diesen Anforderungen vertragen sich einige der vom Bundesverfassungsgericht für zulässig erachteten Einschränkungen des Lex-certa-Satzes nicht, weil sie wenigstens eine dieser beiden Zielvorgaben des Lex-certa-Satzes verfehlen. So leuchtet nicht ein, weshalb der Täter eines „Bagatelldelikts“ mit einem weniger bestimmten Straftatbestand zurechtzukommen hat als derjenige, der sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat. Auch die Kriminalstrafe im Bereich der Kleinkriminalität ist mit einem erheblichen staatlichen Eingriff in die Freiheitsrechte des Einzelnen verbunden und vor dem Hintergrund des Grundrechtscharakters von 402 403 404 405

Schünemann, S. 35 ff. So die Bewertung Roxins, AT I, § 5 Rn. 74. So die sorgenvolle Einschätzung Krahls, S. 412. Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 186.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Art. 103 II GG ist der mit dem Grundsatz „Je schwerer die Strafandrohung, desto bestimmter der Straftatbestand“ ins Leben gerufene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für das Gesetzlichkeitsprinzip vollkommen fehl am Platz.406 Auch bleibt unverständlich, warum die durch das Bestimmtheitsprinzip geschützte Gewaltenverschränkung für verhältnismäßig gering bestrafte Taten eher zu vernachlässigen sein soll als für Kapitalverbrechen. Ebenso abzulehnen ist die These, eigentlich verfassungswidrig unbestimmte Gesetze könnten durch die Rechtsprechung hinreichend konkretisiert werden. Zwar mag hierdurch das konkrete Strafbarkeitsrisiko für den Einzelnen nach einem gewissen Zeitablauf (allerdings eben auch erst dann!) erkennbar werden, doch bleibt es bei einer Verletzung der kompetenzwahrenden Funktion des Bestimmtheitsgrundsatzes: Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, allzu unbestimmte Strafnormen erst durch Auslegung verständlich zu machen. Jedes der „ nachträglichen Heilung“ der jeweiligen Strafvorschrift dienende Urteil vertieft daher unweigerlich die Verletzung der staatsorganisationsrechtlichen Funktion des Bestimmtheitsgrundsatzes, selbst wenn seine Urheber mit dem guten Willen handeln, seiner freiheitswahrenden Funktion zum Durchbruch zu verhelfen. Allenfalls eine restriktive und damit verfassungskonforme Auslegung, besser noch die Vorlage einer solchen jungen, „noch“ unbestimmten Strafnorm vermag dieses Dilemma aufzulösen. Überdies sei angemerkt, dass hinsichtlich der unter Bestimmtheitsaspekten kritischen Fragen (gedacht sei etwa an das Merkmal „Gewalt“ in § 240 StGB oder die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 266 StGB) eine gefestigte und widerspruchsfreie Rechtsprechung ohnehin nicht der Regelfall ist.407 Die bloße Existenz von Rechtsprechung darf aber erst recht nicht herangezogen werden, um das Verdikt der verfassungswidrigen Unbestimmtheit abzuwenden. Die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht die Bestimmtheitsanforderungen vom Kreis der Adressaten abhängig gemacht hat, ist demgegenüber weniger bedenklich. Voraussetzung für diesen besonderen Zuschnitt des Empfängerhorizonts muss allerdings – so hat Bundesverfassungsgericht selbst treffend festgehalten – sein, dass sich die Strafnorm, die unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, ausschließlich an Fachpersonen richtet, von denen allgemein erwartet werden kann, dass sie imstande sind, den Regelungsgehalt der entsprechenden Termini zu verstehen und ihnen konkrete Handlungsanweisungen zu entnehmen.408 Nur wenn diese Bedingungen ernst genommen werden, können eigentlich bedenklich unbestimmte Rechtsbegriffe ausnahmsweise zulässig sein, denn das Strafrecht richtet sich grundsätzlich an die Allgemeinheit schlechthin und entsprechend allgemein verständlich müssen seine Tatbestandsmerkmale ausgestaltet sein.409 Keineswegs kann 406

Krahl, S. 319. LK12-Dannecker, § 1 Rn. 201. 408 BVerfGE 48, 48 (57). 409 Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 182. Eine restriktive Handhabung dieser Relativierung des Bestimmtheitsgrundsatzes ist überdies deshalb geboten, um zu verhindern, 407

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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ein Straftatbestand daher dadurch Bestimmtheit erlangen, dass sich im Rahmen des Strafverfahrens herausstellt, dass der (schlecht verteidigte) Täter wider Erwarten mit den einzelnen überaus ausfüllungsbedürftigen Merkmalen zutreffend genaue Handlungsgebote und -verbote verknüpft hatte. Zu erinnern bleibt jedenfalls daran, dass auch den solchermaßen an ein Fachpublikum gerichteten und deshalb verständlichen Strafnormen die grundsätzlichen Wertungen des Gesetzgebers bereits entnehmbar sein müssen. Sollte dies einmal nicht der Fall sein, ist jedenfalls die kompetenzwahrende Funktion des Bestimmtheitsgrundsatzes verfehlt und die entsprechende Strafnorm letztendlich doch verfassungswidrig. Für die vom Bundesverfassungsgericht weitestgehend offen gelassene Frage, in welchem Ausmaß wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmale Verwendung finden dürfen, ist auf die zu dieser Fragestellung im Schrifttum entwickelten Konzepte zurückzukommen. Keinen Beifall verdient der Ansatz, wonach die Bestimmtheitsanforderungen an Strafgesetze von einer Abwägung von Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit abhängig zu machen sind. Er begegnet bereits deshalb erheblichen Bedenken, weil die Wertungen, die sich hinter den diffusen Termini „materielle Gerechtigkeit“410 bzw. „höhere Gerechtigkeitsbelange“411 verbergen sollen, nicht weiter konkretisiert werden. Von allgemeinen rechtsethischen Schlagwörtern darf das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip jedoch nicht abhängig gemacht werden. Zudem überträgt dieses Modell die Entscheidung über die Einhaltung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Bestimmtheitsvorgaben den jeweiligen richterlichen Gerechtigkeitsvorstellungen.412 Schließlich ist zu konstatieren, dass diese Ansicht – da sie dem Gesetzgeber letztlich nicht mehr aufgibt, als seine Abwägung von „verständigen Erwägungen“413 abhängig zu machen – das Gebot strikter Positivität im Ergebnis vollends preisgibt. Eine solche Relativierung des Gesetzlichkeitsprinzips gemäß Art. 103 II GG zugunsten individueller Gerechtigkeitsvorstellungen ist jedoch nicht angängig, wie im Rahmen dieser Untersuchung bereits ausführlich dargelegt wurde.414 Das Gebot gesetzlicher Bestimmtheit wird auch durch die Aufstellung von prozentmäßigen Mindestquoten deutlich verfehlt: Schon bei Unbestimmtheit eines einzigen Tatbestandsmerkmals ist schließlich der gesamte Straftatbestand unbestimmt, zumal eine quantitative Abschätzung nach Prozenten kaum mit hinreidass durch das Strafrecht eine Informationspflicht aufgestellt wird, deren Verletzung mit dem Verstoß gegen das Strafgesetz gleichgesetzt wird; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 45, 49. 410 Lenckner, JuS 1968, 304 ff. (305). 411 Lenckner, JuS 1968, 304 ff. (306). 412 Roxin, AT I, § 5 Rn. 72. 413 Lenckner, JuS 1968, 304 ff. (305). 414 Siehe E. II. 2. a) aa).

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

chender Sicherheit durchführbar sein dürfte.415 Zudem beinhaltet dieser Ansatz geradezu eine Einladung an den Gesetzgeber, bedenklich unbestimmte Strafnormen durch ihre Auffüllung mit einer ausreichenden Anzahl deskriptiver Merkmale „vorlage- und verfassungsbeschwerdefest“ zu gestalten. Es erscheint daher am überzeugendsten, die allgemeinen Mindestvoraussetzungen der Bestimmtheit vom Telos der jeweiligen Norm abhängig zu machen. Eine Strafvorschrift ist daher hinreichend bestimmt, wenn und soweit sich ihr ein klarer, auch dem Normadressaten verständlicher gesetzgeberischer Schutzzweck entnehmen lässt, ihr Wortlaut der beliebigen Auslegung Grenzen setzt und sie eine wenigstens grobe Umschreibung der tatbestandlichen Verhaltensweisen enthält.416 Insoweit trifft den Gesetzgeber also ein Optimierungsgebot.417 Das Gericht darf dabei in dem bereits genannten Umfang auch die Fachkenntnisse des Normadressaten berücksichtigen. 415

MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 41; Roxin, AT I, § 5 Rn. 74. LK12-Dannecker, § 1 Rn. 196; Roxin, AT I, § 5 Rn. 75. 417 Zu Recht ist allerdings denjenigen, die vom Gesetzgeber stets die größtmögliche bzw. eine optimierte Bestimmtheit einfordern, eine gewisse Inkonsequenz entgegen gehalten worden: Nähme man ihre Forderungen beim Wort, wären schließlich nicht unerhebliche Teile des deutschen Strafrechts verfassungswidrig (MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 41). Dieser Vorwurf kann auch nicht dadurch vollends entschärft werden, dass eben nur die mögliche Bestimmtheit eingefordert worden sei, denn die vermeintlichen Hinderungsgründe einer optimalen Bestimmtheit vermögen nicht gleichermaßen zu überzeugen. Während die bereits angesprochenen Schwierigkeiten sprachtheoretischer und rechtsgutsbezogener Art zu einer begrenzt vagen Ausgestaltung der Tatbestandsmerkmale berechtigen können, weist das auch vom Schrifttum vereinnahmte Dogma des Bundesverfassungsgerichts, die Straftatbestände hätten dem Wandel der Verhältnisse und der Besonderheit des Einzelfalls Rechnung zu tragen (E 75, 329 [342]), mehr auf normative, wenn nicht sogar allein rechtspolitische Grenzen der Bestimmtheit hin als auf von der Semantik und dem jeweiligen Rechtsgutszuschnitt vorgegebene und schwer überwindbare Schwierigkeiten bei der Formulierung eines optimal bestimmten Strafgesetzes. Angesichts der Uneinschränkbarkeit von Art. 103 II GG ist im Übrigen nicht ohne Weiteres verständlich, wie das Bestimmtheitsgebot durch „Gegenprinzipien der Verfassung“ (LK12Dannecker, § 1 Rn. 196 m. w. N.) begrenzt sein soll. Es ist daher wohl zutreffend, dass Jakobs für das Bestimmtheitsverlangen zwischen einem „maximalen Bestimmtheitsverlangen“ und „optimaler Effektivität“ unterscheidet. Nur die letztere Sichtweise verhindere, dass der Bestimmtheitsgrundsatz zu einer utopischen leitenden Idee ohne Verbindlichkeit für den Einzelfall verkomme (Jakobs, 4. Abschn. Rn. 1). Damit soll nicht einer Abwägbarkeit von Art. 103 II GG das Wort geredet werden; vielmehr ist seine Relativierung für den Lex-certa-Satz solange zulässig, soweit er durch sie erst funktionabel gemacht wird und sich mehr als nur kriminalpolitische Zweckmäßigkeitserwägungen für das jeweilige Vorgehen des Gesetzgebers finden lassen. Allein schon aus Gründen der Methodenehrlichkeit aber sollte stets zwischen sprachtheoretischen Hemmnissen und rechtspolitischen Bedenken hinsichtlich einer präzisen Tatbestandsformulierung unterschieden werden und die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten haben ihre wahre Motivationslage bei der Gestaltung der Straftatbestände aufrichtig zu überprüfen. Die Alternativen könnten in Anlehnung an die Frank’sche Formel wie folgt formuliert werden: „Ich kann nicht zur Bestimmtheit kommen, selbst wenn ich es wollte“ und „Ich will nicht zur Bestimmtheit kommen, selbst wenn ich es könnte.“ 416

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Lassen sich dem Straftatbestand diese Voraussetzungen nicht entnehmen, kann und sollte sich das Gericht bemühen, sie im Wege der restriktiven Auslegung doch noch herbeizuführen. Gelingt dies nicht, ist es dem Strafrichter untersagt, sein eigenes Verständnis von der Strafvorschrift in Stellvertretung des Gesetzgebers in einer Verurteilung zum Ausdruck zu bringen.418 Er hat – sofern er von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt ist – die fragliche Strafvorschrift dann dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Welchen Grad an gesetzlicher Bestimmtheit der einzelne Straftatbestand haben muss, lässt sich wohl nicht noch näher konkretisieren. Dem Bundesverfassungsgericht ist darin zuzustimmen, dass sich der konkrete Einzelfall letztlich nur anhand der „Besonderheit des einzelnen Tatbestandes“419 entscheiden lässt420, was jedenfalls exemplarisch für die Umgehungsgesetze- und Klauseln, die Gegenstand dieser Untersuchung waren, sogleich geschehen soll. Zunächst ist jedoch noch auf zwei für diese Arbeit besonders relevante Sonderfragen des Bestimmtheitsgrundsatzes einzugehen, nämlich die Bestimmtheitserfordernisse für den Allgemeinen Teil des StGB und für in Bezug genommene außerstrafrechtliche Rechtsvorschriften. (aa) Bestimmtheitsanforderungen für den Allgemeinen Teil des StGB Die Problemstellung, inwieweit die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 II GG auch für die im Allgemeinen Teil des StGB enthaltenen Regelungen maßgeblich sind, ist wenig geklärt.421 Aus dem Umstand, dass sich das Bundesverfassungsgericht422 und der Bundesgerichtshof423 überhaupt inhaltlich mit den Bestimmtheitsanforderungen an Vorschriften des Allgemeinen Teils auseinandergesetzt haben, lässt sich immerhin ableiten, dass beide Gerichte jedenfalls in Bezug auf die jeweils entscheidungsrelevante Norm aus dem Allgemeinen Teil des StGB von der grundsätzlichen Geltung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 103 II GG ausgegangen sind. Stellungnahmen des Schrifttums zu dieser wichtigen Sonderfrage sind selten. Nach wohl überwiegender Ansicht sollen die 418 Die forensische Normauslegung unbestimmter Strafgesetze, die nicht restriktive Auslegung ist, kann – unabhängig von der drohenden Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes – schon deshalb nur bedingt dazu taugen, zu einem präziseren Tatbestandsverständnis zu gelangen, weil die Bevorzugung der objektiv-teleologischen Auslegungszielbestimmung in der Praxis dazu geeignet ist, die dieser Methode innewohnende Willkürlichkeit in den Vorgang der gerichtlichen Herstellung von Bestimmtheit hineinzutragen. 419 E 41, 314 (319 f.). 420 Ebenso v. Münch/Kunig-Kunig, Art. 103 Rn. 30; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 200. 421 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 218. 422 E 96, 68 (97 f.) hatte sich mit der Problemstellung auseinanderzusetzen, ob § 13 StGB mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II vereinbar ist und bejahte sie. Für § 78a StGB hat das Bundesverfassungsgericht die Frage offen gelassen (NJW 1992, 223). 423 Nach St 39, 1 (27) sind die Rechtfertigungsgründe nicht generell vom Anwendungsbereich des Gesetzlichkeitsprinzips ausgeschlossen.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Anforderungen an die gesetzliche Bestimmtheit für den Allgemeinen Teil herabgesetzt sein424; als Rechtfertigung wird hierfür zum Teil angeführt, der Gesetzgeber habe diese Partien absichtlich nicht geregelt und der Entwicklung durch Rechtsprechung und Literatur überlassen, so dass von einer immanenten (und sachlich wohlbegründeten) Einschränkung des Gesetzlichkeitsprinzips auszugehen sei425. Die Voraussetzungen im Allgemeinen Teil müssten demnach nicht ausschließlich der Quelle des förmlichen Rechts entspringen; auch die ständige Praxis der Gerichte sei im Allgemeinen Teil prinzipiell als Rechtsquelle anerkannt, wenn und soweit sich die Rechtsprechung in dem vom Gesetzgeber gesteckten Rahmen bewege.426 Eine solche Rechtsfortbildung „intra legem“ könne allerdings nur zulässig sein, soweit der Gesetzgeber über die wesentlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit selbst entschieden habe.427 Auf indirekte Weise zeigt sich allerdings an den ablehnenden Stellungnahmen anderer Autoren zu dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem § 13 StGB für ausreichend bestimmt erklärt worden ist, dass das Gericht nach ihrem Dafürhalten die (wenn vielleicht auch nur reduzierten) Bestimmtheitsanforderungen an Normen des Allgemeinen Teils nur unzureichend beachtet hat.428 Vergleichbare Positionierungen ergeben sich auch aus anderen Diskussionen; fragwürdig sollen in Hinblick auf den Lex-certa-Satz z. B. die so genannten sozialethischen Einschränkungen der Notwehr sein429, und Kritik entzündet sich auch an der Regelung der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach § 15 StGB, weil sich der Gesetzgeber dort jeder Definition enthalten habe.430 Aus dem bereits dargelegten Sinn und Zweck des Lex-certa-Satzes nach Art. 103 II GG folgt zwingend, dass alle Regelungen, die die Strafbarkeit begründen oder erweitern, unabhängig davon, in welchem Bereich des StGB sie festgeschrieben sind, ausreichend bestimmt sein müssen. Der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz gilt damit im Grundsatz auch für den Allgemeinen Teil. Der freiheits- wie der kompetenzwahrenden Funktion des Bestimmtheitsgrundsatzes entstünde schwerer Schaden, wenn sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der allgemeinen Strafbarkeitsvoraussetzungen jeglicher Bestimmtheit enthalten könnte. Wie schon bezüglich des Verbots von strafbegründendem Gewohnheitsrecht und von Analogien zu Lasten des Täters wäre auch für den Bestimmtheitsgrundsatz ansonsten zu befürchten, dass alle Bemühungen um seine Beachtung für den Besonderen Teil des Strafrechts 424 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 172 f., 220; Jakobs, 4. Abschn. Rn. 26; Roxin, AT I, § 5 Rn. 78. 425 Roxin, aaO. 426 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 173. 427 LK12-Dannecker, aaO. 428 MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 47 f.; NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 23; Köhler, S. 89. 429 MüKo-StGB-Erb, § 32 Rn. 179 f.; Kratzsch, Grenzen, S. 35 ff. 430 MüKo-StGB-Schmitz, aaO.; NK-Hassemer/Kargl, aaO.; Müko-StGB-Duttge, § 15 Rn. 33 m. w. N.

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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vergeblich wären, wenn die dadurch erreichten gesetzlichen Bindungen der staatlichen Strafgewalt durch in den allgemeinen Vorschriften platzierte und durch ihre Vagheit zur Willkür anleitende Sanktionsausdehnungen unterlaufen werden könnten. Prinzipiell ist daher auch der Allgemeine Teil des StGB dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz unterworfen. Was den Grad der Bestimmtheit betrifft, ist den wenigen allgemeinen Stellungnahmen zu dieser Thematik darin zuzustimmen, dass eine gewisse Abmilderung der Maßstäbe, die für den Besonderen Teil aufgestellt wurden, unausweichlich ist. Für den dortigen Zusammenhang war die Auffassung vertreten worden, dass sich dem Straftatbestand ein dem Normadressaten verständlicher gesetzgeberischer Schutzzweck entnehmen lassen, sein Wortlaut der beliebigen Auslegung Grenzen setzen und er eine wenigstens grobe Umschreibung der tatbestandlichen Verhaltensweisen enthalten muss. Es entspricht indessen der Natur der Regelungen in den §§ 1 – 79b StGB, dass sie nicht durch eine schutzzweckbezogene Auslegung präzisiert werden können. Ebenso muss es schwer fallen, aus den generell-abstrakten Umschreibungen der (strafbegründenden) Rechtsfiguren des Allgemeinen Teils (etwa §§ 13, 15, 25 ff. StGB) eine für jeden Einzelfall sachgerechte Beschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens abzuleiten. Was z. B. einen Totschlag durch Unterlassen ausmacht und für welche Sachverhalte etwa von einer Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft auszugehen ist, ist im Einzelnen durch die Rechtsprechung und Literatur zu entwickeln. Wenn damit eine bis in die Details gehende Gesetzgebung für den Allgemeinen Teil auch kaum möglich erscheint, ist immerhin die Forderung danach, dass der Gesetzgeber zumindest über die wesentlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit selbst entscheiden muss, umso ernster zu nehmen. Diesen Anforderungen entsprechen etwa §§ 13, 15 StGB m. E. nicht mehr; dies auch deshalb, weil nach der hier vertretenen Auffassung die zu diesen Normen nachträglich entwickelte und (jedenfalls zum Teil) gefestigte Rechtsprechung keinen Ersatz für die fehlende gesetzliche Bestimmtheit sein kann. Das durchaus legitime Ziel, Freiräume für die Fortentwicklung der Dogmatik auf dem Gebiet der allgemeinen Strafbarkeitsvoraussetzungen zu belassen, hat – soweit dies möglich ist – hinter dem in Art. 103 II GG klar zum Ausdruck gekommenen Auftrag des Grundgesetzes an den Strafgesetzgeber zurückzustehen. Sofern die Bereitschaft besteht, diese Beeinträchtigung der Rechtsfortbildung hinzunehmen – und der Verfassungsrang des Gesetzlichkeitsprinzips sollte diese Entscheidung leichter machen – ist es entgegen mancher Auffassung durchaus möglich, die Voraussetzungen für die Strafbarkeit des unechten Unterlassungsdelikts und des Fahrlässigkeitsdelikts präziser zu fassen, wie ein Blick auf Art. 11 des Schweizerischen Strafgesetzbuches oder § 6 ÖStGB beweist.431

431

So zutreffend MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 47.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

(bb) Bestimmtheitsanforderungen an blankettausfüllende Regelungen Die Verwendung von Blankettstrafgesetzen ist im Wirtschaftsstrafrecht – und damit auch für viele Umgehungskonstellationen – typisch. Unter Bestimmtheitsaspekten muss diese Gesetzgebungspraxis nicht von vornherein bedenklich sein, kann doch gerade durch die Inbezugnahme detaillierter außerstrafrechtlicher Bestimmungen ein hoher Grad an Präzision und damit an Vorhersehbarkeit erreicht werden.432 Auch die Tatsache, dass viele dieser Normgefüge nicht für jedermann verständlich sind, ist in Hinblick auf den Lex-certa-Satz nicht verfänglich, sofern die Berücksichtigung des Normadressaten nur in dem bereits beschriebenen begrenzten Umfang erfolgt. Allerdings können sich selbst bei der Berücksichtigung von Fachwissen Bedenken ergeben, wenn der Gesetzgeber wie in § 34 IVAWG a. F. eine mehrfache Stufung der Blankette vorsieht.433 Es entspricht der einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass die Anwendung der Blanketttechnik den Gesetzgeber nicht von den Anforderungen des Art. 103 II GG frei zeichnen kann. Sowohl die verweisende als auch die in Bezug genommene Vorschrift – die ja eigentlich keine Strafvorschrift ist – unterliegen grundsätzlich dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz und sind an seinen Maßstäben zu messen.434 Dies bedeutet im Einzelnen zunächst, dass das verweisende Strafgesetz für jede Variante von Blankettgesetz hinreichend bestimmt sein muss und die jeweilige Ausfüllungsnorm und deren möglichen Gegenstand und Inhalt hinreichend genau zu bezeichnen und abzugrenzen hat.435 Für die weiteren Anforderungen an Blankettgesetze ist zu differenzieren: Verweist die Strafnorm lediglich auf eine andere Vorschrift innerhalb desselben Gesetzes (so genannte Binnenverweisung) oder auf ein anderes Gesetz im formellen Sinne, so liegt lediglich ein Blankettstrafgesetz im weiteren Sinne (bzw. ein „unechtes“ Blankettstrafgesetz) vor.436 Hier ist es ausreichend, wenn sich die erfor-

432

LK12-Dannecker, § 1 Rn. 216. MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 49; LK12-Dannecker, Rn. 165, 216; jeweils m. w. N. Weitere Bedenken gegen Blankettstrafgesetze, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, ergeben sich, wenn so genannte dynamische Verweisungen zum Einsatz kommen und dies insbesondere, wenn sie auf das Gemeinschaftsrecht abzielen. Bedenklich ist ferner die Zulassung von so genannten Rückverweisungsklauseln. Zu diesen Fragestellungen vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 109 f.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 158 ff.; MüKo-StGBSchmitz, § 1 Rn. 50 f. 434 BVerfGE 14, 245 (251); 37, 201 (208); 41, 314 (319); 75, 329 (342); 78, 374 (382 f.); BVerfG NJW 1992, 107; BGHSt 28, 72 (73 f.); Enderle, S. 173 ff., 205 ff.; Fischer, § 1 Rn. 5a; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 49 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 150 ff., 216; Schönke/ Schröder-Eser, § 1 Rn. 8; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 99 ff.; Umbach/ClemensZierlein, Art. 103 Rn. 128 ff.; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 103 II Rn. 37. 435 BVerfG 23, 265 (269); 75, aaO.; 78, aaO.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 151; v. Münch/ Kunig-Kunig, Art. 103 Rn. 23. 436 Zur Terminologie Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 99; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 150; jeweils m. w. N. 433

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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derliche Bestimmtheit erst aus der Ausfüllungsnorm, genauer, durch ein Zusammenlesen von verweisendem Strafgesetz und Ausfüllungsnorm ergibt.437 Sofern das Blankett hingegen nicht auf Gesetz im formellen Sinne verweist, sondern auf andere Normen oder Verwaltungsakte rekurriert (Blankettstrafgesetz im engeren Sinne/„echtes“ Blankettstrafgesetz), muss bereits die Blankettnorm selbst hinreichend bestimmt sein. Dies ergibt sich zwingend aus dem bereits dargelegten staatsorganisationsrechtlichen Telos des Bestimmtheitsgrundsatzes, wonach der demokratische Gesetzgeber selbst zumindest eine Grundentscheidung darüber getroffen haben muss, welche Sachverhalte er unter Strafe gestellt wissen will. Materielle Gesetze und Regelungen der Verwaltungsbehörden dürfen daher nur dazu dienen, die in diesem Sinne bereits getroffene Grundentscheidung weiter zu präzisieren.438 Verwendet der Gesetzgeber statt einer Blankettnorm oder einer Vorschrift mit eigenen Detailregelungen hingegen einen Straftatbestand, der normative Tatbestandsmerkmale enthält, so gilt Art. 103 II GG nach h. M. für das auf diese Weise in Bezug genommene Rechtsgebiet nicht.439 Es bleibt indessen daran zu erinnern, dass der Gesetzgeber auch für diese Fälle Begriffe zu wählen hat, die auch für den Laien nach ihrem sozialen Sinngehalt verstehbar sind.440 Die Abgrenzung von Blankettstrafgesetzen zu normativen Tatbestandsmerkmalen richtet sich dabei nach den bereits dargelegten Grundsätzen.441 (3) Die Konsequenzen für Umgehungsstrafgesetze442 Das soeben skizzierte Verständnis des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes zugrunde gelegt, soll nachfolgend dargetan werden, welche Reaktionsmöglichkeiten dem Gesetzgeber im Einzelnen offen stehen, um Umgehungs- und Erschleichungsverhalten entgegenzutreten. Nochmals: Es sollen nicht jede Umgehungsklausel des geltenden und alle denkbaren Umgehungsnormen des kommenden Rechts einzeln diskutiert werden. Vielmehr ist es das Anliegen der folgenden Ausführungen, darzulegen, ob und welche Unterschiede sich daraus ergeben, dass die Umgehungsnormen unterschiedlich verortet werden. Anders formuliert: Kann der Strafgesetzgeber bei der Reaktion auf Umgehungsverhalten seinen Spielraum dadurch erweitern, dass er die von ihm ersonnene Umgehungsvorschrift nicht im 437 MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 49; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 152; 216; Umbach/Clemens-Zierlein, Art. 103 Rn. 131; Dreier-Schulze-Fielitz, aaO. 438 BVerfGE 75, 329 (342); 78, 374 (381 ff.); LK12-Dannecker, § 1 Rn. 153; MüKo-StGBSchmitz, § 1 Rn. 50; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 102 ff.; Umbach/ClemensZierlein, aaO.; Dreier-Schulze-Fielitz, aaO. 439 BVerfGE 78, 205 (213); Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 101, 106 ff.; LK12Dannecker, § 1 Rn. 149; a. A. Wenderoth, S. 66. 440 MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 43. 441 Siehe E. II. 2. b) aa) (4). 442 Begriff nach Stöckel, S. 135.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Besonderen Teil des StGB positioniert, sondern in seinem Allgemeinen Teil oder in dem von den Strafnormen in Bezug genommenen Wirtschafts- und Verwaltungsrecht? (a) Aufstellung eines allgemeines Umgehungsverbots im Allgemeinen Teil des StGB Ein in den Allgemeinen Teil des StGB aufzunehmendes generelles Umgehungsverbot ist mit dem Gesetzlichkeitsprinzip nicht vereinbar. Eine solche Vorschrift könnte in Anlehnung an die bereits herausgearbeiteten Merkmale der Gesetzesumgehung z. B. lauten: § 13a StGB: Begehen durch Umgehung (I)

Wer das Strafgesetz umgeht, wird nach dem umgangenen Gesetz bestraft.

(II) Gesetzesumgehung ist jedes Vorverhalten des Täters, infolgedessen der Straftatbestand entgegen seinem Sinn und Zweck nicht verwirklicht wird. (III) Der Gesetzesumgehung steht es gleich, dass der Täter durch sein Vorverhalten eine ihn begünstigende Vorschrift entgegen deren Sinn und Zweck auf sich zieht und dadurch straflos bleibt.

Ungeachtet der in den Absätzen zwei und drei erbrachten groben Definition der Gesetzesumgehung und der Gesetzeserschleichung kann eine solche Generalklausel nicht mit den Funktionen des Bestimmtheitsgrundsatzes in Einklang gebracht werden, denn es fehlt jede Beschreibung des inkriminierten Verhaltens als solchem. Sie ist damit in höchstem Maße unbestimmt. Dem Normunterworfenen erschließt sich aus ihr allein, dass sein Verhalten dem Schutzzweck eines Straftatbestandes unterfällt, dessen dem Appell zur Rechtstreue dienende Handlungsumschreibung er aber gerade nicht verwirklicht hat. Der hier erdachte „§ 13a StGB“ abstrahiert sich durch seinen allein teleologischen Bezug damit von jeder Umschreibung tatsächlichen Verhaltens oder tatsächlicher Umstände wie Tatobjekt und Tatsubjekt. Neben die mangelnde Vorhersehbarkeit einer auf „§ 13a StGB“ fußenden Strafbarkeit tritt die Verletzung der vom Bestimmtheitsgrundsatz vorgegebenen Gewaltenaufteilung, da eine Generalklausel der soeben exemplifizierten Art den Strafrichter dazu verpflichtet und berechtigt, einen vom Wortlaut der Strafnorm nicht erfassten Fall allein anhand vergleichbarer – vor allem am jeweiligen Rechtsgutszuschnitt des umgangenen Strafgesetzes gewonnener – Strafwürdigkeitserwägungen unter Strafe zu stellen. Überdies kann eine solche Norm ihren Rechtsanwender noch nicht einmal dazu verpflichten, ein bestimmtes Strafgesetz zu dem umgangenen zu erklären; der Richter wird daher notgedrungen das ähnlichste Gesetz wählen. Werden diese Eigenschaften von § 13a StGB“ und die durch die in der Praxis vorherrschende, angeblich „objektiv-teleologische Methode“ zusätzlich in den Rechtsfindungsprozess hineingetragene Gefahr einer beliebigen Auslegung zusammenfassend betrachtet, so zeigt sich, dass eine solche Generalklausel kaum einen

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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rechtsstaatlichen Fortschritt gegenüber § 2 RStGB von 1935 böte, welcher das Analogieverbot im Strafrecht ausdrücklich beseitigte.443 Die denkbaren Ansätze, mit denen gegen die Verfassungswidrigkeit einer derartig generellen Umgehungsklausel argumentiert werden könnte, erscheinen allesamt nicht überzeugend. Ein erster Vorschlag könnte lauten, die Generalklausel durch die Erhöhung der subjektiven Anforderungen bestimmter zu machen. Doch selbst in einem subjektiven Tatbestand, der hinsichtlich des Umgehungserfolges und der Zweckwidrigkeit Absicht im Sinne dolus directus 1. Grades voraussetzt, wäre angesichts des entgrenzten objektiven Tatbestandes der besagten Generalklausel nicht mehr zu sehen als die Einforderung eines diffusen dolus malus, der keine Präzisierung mit sich bringen kann. Subjektive Merkmale können eben nur vertrauensschützend wirken, wenn dasjenige, was subjektiv nachvollzogen werden soll, im objektiven Tatbestand überhaupt erkennbar ist.444 Ferner ist ein Gewinn an Bestimmtheit für die Generalklausel nicht durch die Verwendung alternativer Tatbestandsmerkmale zu erwarten. Der Begriff der „rechtsmissbräuchlichen Tatbestandsvermeidung“ etwa bedeutete nach den im Rahmen dieser Untersuchung bereits getroffenen Überlegungen noch bestenfalls, dass auf das Telos der umgangenen Norm zurückverwiesen wird, womit gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag nichts gewonnen wäre. Schlimmstenfalls ermächtigt der Rechtsmissbrauchsbegriff den Strafrichter dazu, durch ein „allgemeines Übelnehmen“445 Rechtsfolgen auszulösen.446 Schließlich führt die deutlich begrenzte Tauglichkeit des „Künstlichkeitskriteriums“ dazu, dass auch dieser umschreibende Begriff keine Präzisierung der Generalklausel leisten könnte.447 Nach der hier vertretenen Auffassung kann die Generalklausel auch nicht durch sich im Zuge der Zeit entwickelnde Fallgruppen einer beständigen Rechtsprechung bestimmt gemacht werden.448 Dieses „Privileg“ können allerdings nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ohnehin nur ältere Gesetze für sich in Anspruch nehmen; unbestimmte, neu geschaffene Strafgesetze sind von dieser das Bestimmtheitsgebot relativierenden Bevorzugung ausgeschlossen.449 Trotz der in Hinblick auf die kompetenzwahrende Funktion des Art. 103 II GG geringen Über443

Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (170). Zu dieser am Beispiel von § 370 AO i. V. m. § 42 AO dargestellten Problematik siehe D. IV. 5. b) aa) (4) (c). 445 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (165). 446 Zur Kritik an der Verwendung des Rechtsmissbrauchsbegriffs siehe bereits B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd) sowie D. IV. 3. 447 Zu den Einwänden gegen das Künstlichkeitsmerkmal siehe D. IV. 4. 448 Vgl. E. II. 2. b) bb) (2) (d). 449 BVerfGE 105, 135 (161); v. Mangoldt/Klein/Starck-Nolte, Art. 103 Abs. 2 Rn. 150. 444

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

zeugungskraft dieser Differenzierung wäre dem Bestimmtheitsgrundsatz wenig geholfen, wenn für den hier in den Raum gestellten „§ 13a StGB“ im Sinne eines „argumentum tu quoque“ darauf beharrt würde, dass die Vorschrift jedenfalls nach ihrer Konkretisierung durch Rechtsprechung das gleiche Existenzrecht wie etwa §§ 13, 15 StGB habe. Eine Präzisierung des „§ 13a StGB“ oder einer ähnlichen Vorschrift qua Rechtsprechung wird durch das Grundgesetz ausgeschlossen, denn sie ist mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht vereinbar. (b) Existieren „gesetzlich angeordnete Analogien“? Im Schrifttum ist die Meinung geäußert worden, die Verwendung von Tatbestandsmerkmalen wie „umgehen“ oder angeblich verschleierter Umgehungstermini wie „ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff“ (§ 315b StGB)450 sei nicht – wie hier vertreten – am Bestimmtheitsgrundsatz zu messen, sondern verstoße gegen das Analogieverbot.451 Durch solche Merkmale würde der Gesetzgeber den Richter dazu zwingen, strafrechtliche Tatbestände für den Einzelfall neu zu bilden und damit ad hoc die Analogie im Strafrecht für zulässig erklären.452 Richtig an dieser Auffassung ist jedoch allein, dass der Richter vom Gesetzgeber durch diese unbestimmten Merkmale mehr als sonst schon und in höchst bedenklicher Weise dazu aufgefordert wird, das jedem Auslegungsverfahren immanente analogische Verfahren anzuwenden.453 Mit einem Verstoß gegen das Analogieverbot hat dies nichts zu tun; eine „gesetzlich angeordnete Analogie“ kann es nicht geben, weil es gerade ihrer gesetzlichen Zulassung wegen an einer Regelungslücke fehlt.454 Bei dem Verstoß gegen das Analogieverbot wird das Gesetzlichkeitsprinzip (allein) durch die Überschreitung der vom Gesetzgeber aufgestellten Wortlautgrenzen verletzt; die Nichtbeachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass bereits der Gesetzgeber die Vorgaben aus Art. 103 II GG nicht beachtet. Durch die Verwendung extrem unbestimmter Termini kann es dem Gesetzgeber deshalb jedenfalls der Theorie nach „gelingen“, dem Rechtsanwender den Verstoß gegen das Analogieverbot geradewegs unmöglich zu machen.455 Das Ana450

Zum Begriff des „verschleierten Umgehungsgesetzes“ siehe bereits B. II. 18. Bruns, GA 1986, 1 (14 ff.); Stöckel, S. 145 f.; ders., ZRP 1977, 134 (136); NK-Herzog, § 315 Rn. 18. 452 Stöckel, ZRP 1977, aaO. 453 Analogisch ist jede Auslegung deshalb, weil die Anwendung des Gesetzes auf einen Sachverhalt, der nicht vollkommen identisch mit einem bereits entschiedenen ist, auf einen Ähnlichkeitsvergleich angewiesen ist; NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 95; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 247. 454 Kuhlen Otto-FS, S. 89 ff. (98). 455 Vgl. etwa § 4 der Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. 9. 1939 (RGBl. I, S. 1679): „Wer vorsätzlich unter Ausnutzung der durch den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen Verhältnisse eine sonstige Straftat begeht, wird unter Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren, mit lebenslangem Zuchthaus oder mit dem Tode bestraft, wenn dies das gesunde Volksempfinden wegen der besonderen Verwerflichkeit der Straftat erfordert.“ Kaum noch analogiefähig ist auch das ganz und gar unbestimmte Verbot, 451

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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logieverbot richtet sich hingegen allein gegen die Rechtsfortbildung praeter legem, nicht gegen eine Interpretation intra legem.456 (c) Bereichsspezifische Umgehungsklauseln in Strafgesetzen Verfassungsrechtlich unbedenklich sind dagegen die „bereichsspezifischen Umgehungsklauseln“457, also diejenigen strafrechtlichen Umgehungstatbestände, mit denen der Gesetzgeber speziell auf ein gesetzesumgehendes Verhalten reagiert und dieses Verhalten in einem gesonderten Tatbestand des Besonderen Teils umschreibt.458 Hinreichend bestimmte Straftatbestände dieser Art sind z. B. §§ 145c, 291 I S. 2, 330d Nr. 5 StGB. Aus den bereits für die generelle Umgehungsklausel im Allgemeinen Teil des StGB dargelegten Gründen muss es dagegen unzulässig sein, das schlichte „Umgehen“ oder „Erschleichen“ einer Vorschrift in einem weiteren Absatz der betreffenden Norm unter Strafe zu stellen. Zwar hat die Positionierung einer solchen Klausel im Besonderen Teil es für sich, dass nun immerhin die umgangene Vorschrift erkennbar wird, doch fehlt es weiterhin an jeglicher Umschreibung des von dieser Klausel unter Strafe gestellten Verhaltens.459 Dieses ergibt sich nur höchst mittelbar aus den Schutzzielen des nach seinem Wortlaut gerade nicht verwirklichten Straftatbestandes. An Umgehungsklauseln zeigt sich damit besonders deutlich, dass es für die hinreichende Bestimmtheit eines Straftatbestandes erforderlich ist, dass ihm ein klarer gesetzgeberischer Schutzzweck und eine wenigstens grobe Umschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens entnommen werden kann.460 Zu diesen Grundsätzen stehen § 108b I Nr. 1 UrhG und § 265a StGB nur scheinbar in Widerspruch, die das Umgehen einer technischen Maßnahme bzw. das Erschleichen von Leistungen unter Strafe stellen. Diese Vorschriften sind zu Recht als hinreichend bestimmt beurteilt worden.461 Die Verwendung dieser Tatbestandsmerkmale in den genannten Normen ist indessen deshalb unbedenklich, weil es sich gegen die „Interessen der Alliierten Streitkräfte“ zu handeln; siehe dazu BayVerfGH BayGVOBl. 1953, 75 [76]). 456 Kuhlen, Otto-FS, S. 89 ff. (97 f.); Krey, Studien, S. 223; Fabricius, GA 1994, 164 (166). 457 Formulierung nach Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (170). 458 Stöckel, S. 147; Vogel, Madrid-Symposium, aaO.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 264; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 145. Cramer, NStZ 1996, 136 hält § 145c StGB hingegen für verfassungswidrig unbestimmt, weil der Umfang des Berufsverbots erst durch die Gerichte festgelegt werde. Da Cramer aber anscheinend selbst nicht davon ausgeht, dass der das Berufsverbot aussprechende Strafrichter an die Fallgruppen gebunden ist, die Cramer zwecks Präzision beispielhaft in § 145c StGB aufgenommen sehen möchte, erscheint der Bestimmtheitsgrundsatz durch seinen Vorschlag kaum besser verwirklicht. 459 Ebenso Stöckel, aaO., der die Verfassungswidrigkeit derartig unbestimmter Umgehungsklauseln allerdings – wie soeben erörtert – m. E. unzutreffend aus dem Analogieverbot herleitet (Stöckel, S. 142 ff.). 460 Ebenso Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 206 ff.; 258 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 127, 196. 461 LK12-Dannecker, § 1 Rn. 264.

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

bei ihnen – wie bereits dargelegt worden ist – gerade nicht um Umgehungsklauseln handelt.462 Während das gesetzliche Merkmal „Umgehung“ in dem bisher erörterten Zusammenhang nicht mehr als die (teleologisch relevante) Nicht-Verwirklichung des Straftatbestandes beschreiben konnte, verweisen dieselben Begriffe in § 108b I Nr. 1 UrhG und § 265a StGB auf ein bestimmtes tatbestandsmäßiges Verhalten in Bezug auf einen konkreten, ebenfalls im Tatbestand umschriebenen Gegenstand, nämlich die technische Maßnahme bzw. die in § 265a StGB aufgeführten Leistungen. Beide Vorschriften stellen mithin nicht pauschal eine vom Schutzweck erfasste Normvermeidung unter Strafe, sondern das Erreichen eines tatsächlichen Vorteils auf eine bestimmte Art und Weise. Die Merkmale „Umgehung“ und „Erschleichung“ wirken hier also durch ihre Umschreibung des Tatmodus sogar normpräzisierend. (d) Außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln Fraglich ist, ob der Gesetzgeber in Hinblick auf die strafrechtliche Erfassung von Umgehungsverhalten dadurch an Handlungsspielraum gewinnen kann, dass er eine entsprechende gesetzliche Regelung außerhalb des direkten strafrechtlichen Regelungszusammenhanges platziert. Diese Frage ist rechtstatsächlich von vordringlicher Bedeutung, finden sich doch die bekanntesten – und gegebenenfalls auch strafrechtlich relevanten – Umgehungsklauseln nicht im Strafgesetzbuch selbst, sondern in der vorgelagerten und von den Strafnormen in Bezug genommenen Vorschriften des Wirtschafts- und Steuerrechts. Die wohl prominentesten Beispiele des nationalen Rechts dürften dabei § 42 AO sowie § 4 II SubvG bilden.463 Für diese Konstellationen, in denen der Gesetzgeber nicht-strafrechtliche Umgehungsnormen wählt bzw. vorfindet, bietet es sich an, von der außerstrafrechtlichen bzw. „verwaltungsrechtlichen Lösung“464 der Umgehungsproblematik im Strafrecht zu sprechen. Diese außerstrafrechtliche Lösung zeichnet sich dadurch aus, dass die jeweilige Umgehungs- bzw. Erschleichungsklausel dem Umgehungsverhalten bereits unabhängig vom Strafrecht entgegentritt und zu einer gegenüber den sonstigen Auslegungsregeln erweiterten bzw. verengten Anwendbarkeit des jeweiligen Tatbestandes führt. Das Strafrecht knüpft erst dann an die außerstrafrechtlich veränderten, „neuen“ Tatbestände an.465 Es stellt sich nun die Frage, ob und inwieweit die grundsätzlich selbständige Reaktion des Wirtschafts-, Steuer- und Verwaltungsrechts auf Umgehungsverhalten auch vom strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzip gemäß Art. 103 II GG unberührt bleibt, wenn die Anwendung außerstrafrechtlicher Umgehungsbestimmungen zur Strafbegründung notwendig wird. Fraglich ist also, ob der Satz „Nullum crimen sine 462

Vgl. B. II. 15. und 16. Auf europäischer Ebene ist Art. 4 III EGVO Nr. 2988/95 vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften für den Umgehungszusammenhang die wichtigste Regelung. 464 Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (170); ähnlich Stöckel, ZRP 1977, 134 ff. (136 f.). 465 Stöckel, ZRP 1977, 134 ff. (137). 463

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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lege certa“ zum Beispiel für die Abgabenordnung oder das Subventionsgesetz gilt, wenn ihre Umgehungsklauseln durch § 370 AO oder § 264 StGB in Bezug genommen werden. Ebenso wie für die Problematik, ob das Analogieverbot des Art. 103 II GG die außerstrafrechtliche, letztlich strafbegründende Rechtsfortbildung betreffen kann, ist auch für eine sachgerechte Lösung der Lex-certa-Fragestellung zu differenzieren. Die Tatsache allein, dass eine Umgehungsvorschrift außerhalb des unmittelbaren strafrechtlichen Zusammenhangs platziert wurde, kann für sich genommen sicherlich keine Begründung dafür abgeben, Art. 103 II GG für unzuständig zu erklären. Umgekehrt kann nicht jede Inbezugnahme außerstrafrechtlicher Vorschriften und Wertungen durch rechtsnormative Tatbestandsmerkmale dazu führen, dass die angesprochene Teildisziplin des Rechts pauschal dem strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzip unterworfen wird. Anderenfalls müsste etwa das im dritten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches kodifizierte Sachenrecht den Anforderungen des Art. 103 II GG genügen, wenn es für die Subsumtion z. B. unter das Tatbestandsmerkmal „fremd“ in §§ 242, 246, 303 StGB in Anspruch genommen wird. Entscheidend erscheint daher, auf welche Art und Weise die Umgehungsklauseln des Wirtschafts-, Steuer- und Verwaltungsrechts durch Straftatbestände einbezogen werden.466 Hierfür kommen abschließend zwei Möglichkeiten in Betracht: Die Umgehungsklausel kann durch ein Blankettmerkmal in Bezug genommen werden oder durch ein rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal.467 (aa) Anforderungen an Blankettmerkmale Wird die außerstrafrechtliche Umgehungsklausel durch ein Strafgesetz in Bezug genommen, das als Blankettstrafgesetz einzuordnen ist, so gelten die allgemeinen, soeben benannten Anforderungen468 an Strafgesetze dieser Art. Das Gesetzlichkeitsprinzip strafrechtlicher Ausprägung nach Art. 103 II GG hat Anwendung zu finden. Da die Umgehungsklausel strafbegründend wirkt, kann auch sie von den durch Art. 103 II GG aufgestellten Regeln nicht ausgeschlossen bleiben. Dies hat im Einzelnen zur Folge, dass es verfassungsrechtlich unzulässig ist, echte Blankettstrafgesetze durch außerstrafrechtliche Klauseln im Rang eines nur materiellen Gesetzes gegen ihre Umgehung zu schützen. Das ergibt sich daraus, dass die Ausfüllungsregelungen für echte Blankette nicht durch den parlamentarischen Gesetzgeber geschaffen werden, sondern durch nachgeordnete Exekutivinstanzen. Die kompetenzwahrende Funktion des Bestimmtheitsgrundsatzes aber gebietet es, dass die wesentlichen Voraussetzungen der Strafe durch den demokratischen Gesetzgeber selbst niedergelegt werden. Die Straferweiterung qua Umgehungsklausel ist eine solche wesentliche Voraussetzung der Strafe, denn sie begründet eine Sanktion 466

So schon Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (171 f.). BVerfGE 78, 205 (213); Pohl, Rn. 834 f.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 99 ff.; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 148 f.; jeweils m. w. N. 468 E. II. 2. b) bb) (2) (d) (bb). 467

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E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

jenseits des eigentlichen Anwendungsbereichs der Norm. Finden sich daher in dem echten Blankettstrafgesetz selbst keine hinreichend präzisen Umschreibungen für eine durch Rechtsverordnung oder Verwaltungsakt zu schaffende Umgehungsklausel, so ist eine auf diese Klausel gestützte Bestrafung nicht mit Art. 103 II GG in Einklang zu bringen, mag die Umgehungsklausel selbst auch noch so präzise formuliert sein. Grundsätzlich zulässig ist dagegen die Inbezugnahme von außerstrafrechtlichen Umgehungsklauseln durch die so genannten unechten Blankettstrafgesetze, da hier Verweisungs- wie Ausfüllungsnorm von derselben Normsetzungsinstanz herrühren und die wesentlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit bereits aus den förmlichen Gesetzen selbst ersichtlich sind. Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist allerdings zum einen, dass die Umgehungsklausel durch das verweisende Gesetz „hinreichend klar“469 bezeichnet und abgegrenzt wird und zum anderen, dass die außerstrafrechtliche Umgehungsklausel selbst den Anforderungen des Lex-certa-Satzes gemäß Art. 103 II GG genügt. Umgehungsklauseln, auf die durch unechte Blankettstrafgesetze verwiesen wird, sind daher nach den allgemeinen Regeln für Umgehungsklauseln innerhalb des StGB zu messen, wie sie hier bereits für die entsprechenden Vorschriften dargelegt worden sind.470 Die Inbezugnahme von generalklauselartigen Umgehungsbestimmungen dürfte demnach verfassungsrechtlich nicht statthaft sein; die Anwendung hinreichend abgrenzbarer, „bereichsspezifischer“ Umgehungsklauseln ist hingegen zulässig. Wäre § 370 AO als Blankettstrafgesetz einzuordnen471, so müsste die strafrechtliche Anwendung der steuerrechtlichen Generalklausel nach § 42 AO in Hinblick auf ihre Unbestimmtheit und Weite472 – auch bei restriktiver Auslegung – tatsächlich als überaus fragwürdig bezeichnet werden.473 Bedenken eigener Art bestehen gegen Umgehungsregelungen, die im Wege „extensionaler Verweisungstechnik“, also durch mehrfach gestufte Blankette vom Strafrecht in Bezug genommen werden, da die Erkennbarkeit der Verbotsmaterie sich durch diese Gesetzgebungstechnik mehr und mehr verflüchtigt.474 Ein Beispiel mit Relevanz für diese Untersuchung ist die im gemeinschaftsrechtlichen „Taliban469

Formulierung des BVerfG [E 110, 33 (62 ff.)]. E. II. 2. b) bb) (3) (a), (b). 471 Nach der hier vertretenen Aufassung enthält § 370 AO allein normative Tatbestandsmerkmale und ist keine Blankettstrafvorschrift; vgl. E. II. 2. b) aa) (4). 472 Zur Kritik an der Bestimmung des § 42 AO siehe bereits ausführlich B. II. 1. a) bb), cc). 473 Für die Verfassungswidrigkeit der Anwendung von § 370 AO bei Anwendung auf Umgehungszusammenhänge daher Pohl, Rn. 867, 971. M. E. dagegen deutlich zu großzügig ist Stöckel, S. 138 ff; ders., ZRP 1977, 134 ff. (137), demzufolge nur die Anwendung evident und offenkundig unbestimmter außerstrafrechtlicher Umgehungsklauseln verfassungswidrig sein soll. 474 MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 49; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 163 ff. 470

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Embargo“ enthaltene Umgehungsklausel475, die zu einer Strafbarkeit nach § 34 IV AWG führen kann. (bb) Anforderungen an normative Tatbestandsmerkmale Für außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln, auf die bei der Auslegung rechtsnormativer Straftatbestandsmerkmale zurückgegriffen wird, gilt nach den allgemeinen Regeln der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz nicht.476 Sie sind daher allein an den Bestimmtheitsanforderungen des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips oder an dem für die jeweilige Spezialmaterie gültigen Gesetzesvorbehalt zu messen.477 Das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip betrifft also in diesen Fällen nur die Strafnorm selbst. Dies hat für den Umgehungszusammenhang zwei Folgen: Zum einen hat der Strafgesetzgeber tendenziell einen größeren Zugriff auf gesetzesumgehendes Verhalten, wenn auf außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln nicht durch Blankettmerkmale, sondern durch rechtsnormative Tatbestandsmerkmale zurückgegriffen wird. Da nach der hier vertretenen Auffassung die Abgrenzung von Tatbeständen, die rechtsnormative Tatbestandsmerkmale enthalten und Blankettstraftatbeständen danach vorzunehmen ist, ob das Merkmal das Schutzobjekt des Straftatbestandes bezeichnet – und damit die Abgrenzung in einem gewissen Umfang bereits vorgegeben ist – dürften die Einflussmöglichkeiten des Gesetzgebers auf die entsprechende Rechtsnatur der jeweiligen Strafnorm allerdings begrenzt sein. Zum anderen führt die Verwendung normativer Tatbestandsmerkmale zu einer Verlagerung der grundgesetzlich vorgegebenen Garantie der Vorhersehbarkeit staatlicher Strafe in den Vorsatzbereich.478 Soweit allerdings – wie im Falle des außerordentlich vagen § 42 AO – objektiv kaum mehr erkennbar ist, was Gegenstand des Vorsatzes sein soll, muss der freiheitsschützenden Funktion des strafrechtlichen Vorsatzerfordernisses durch eine äußerst restriktive Handhabung der außerstrafrechtlichen Umgehungsklausel zum Durchbruch verholfen werden.479 Damit hat die These Tiedemanns, dass die Unterscheidung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen für die „Garantiefunktion“ des Straftatbestandes von fundamentaler Bedeutung sei480, auch für die Problematik der Gesetzesumgehung ihre Bestätigung gefunden.

475

Art. 4 der VO (EG) Nr. 881/2002. Siehe E. II. 2. b) bb) (2) (d) (bb). 477 § 42 AO etwa hat dem Maßstab des steuerrechtlichen Gesetzesvorbehaltes zu entsprechen, vgl. dazu ausführlich Pohl, Rn. 614 ff. 478 BVerfGE 78, 205 (213), Vogel, Madrid-Symposium, S. 151 ff. (173); LK12-Dannecker, § 1 Rn. 149 und hier bereits D. IV. 5. b) aa) (4) („besondere subjektive Merkmale als Erfordernis schuldkonformen Strafrechts“). 479 Für eine restriktive Handhabung von § 42 AO auch LG Frankfurt, wistra 1997, 152 (153); Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 145; LK12-Dannecker, § 1 Rn. 266. 480 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 101. 476

390

E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

(e) Erschleichungskonstellationen auf Rechtfertigungsund Schuldebene Schließlich bleibt noch die Fragestellung zu erörtern, welche Konsequenzen sich für die Problemkreise Notwehrprovokation und actio libera in causa daraus ergeben, dass sich nach der hier vertretenen Auffassung auch die strafschärfenden und strafbegründenden Normen des Allgemeinen Teils grundsätzlich am strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz messen lassen müssen. (aa) Die gesetzliche Bestimmtheit von § 32 StGB hinsichtlich der Notwehrprovokation Gegen die Geltung des Lex-certa-Satzes für die Rechtfertigungsgründe im Speziellen ließe sich anführen, dass es sich bei den Erlaubnissätzen um strafbarkeitseinschränkende und infolgedessen den Täter begünstigende Normen handelt, so dass ein Schutz des Täters durch das Gesetzlichkeitsprinzip gar nicht vonnöten sei. Doch zeigt sich bei einem positivierten Rechtfertigungsgrund, dessen (bewusst) vage Formulierung mit der möglichen Alternative einer bestimmteren Fassung verglichen wird, dass der Täter durch einen Rechtfertigungsgrund, der seine Straffreiheit auf eine unsichere Grundlage stellt, schlechter gestellt werden kann.481 Ebenso wenig ist – wie bereits angesprochen wurde – die Bezugnahme auf die „Einheit der Rechtsordnung“ ein schlagkräftiges Argument, durch das die Rechtswidrigkeitsebene im Strafrecht von den Anforderungen des Gesetzlichkeitsprinzips prinzipiell frei gestellt werden könnte.482 Andererseits war einzuräumen, dass für den Bestimmtheitsgrundsatz im Allgemeinen Teil nicht die gleichen Maßstäbe gelten können wie für die im Besonderen Teil des StGB aufgeführten einzelnen Straftatbestände. Namentlich für die Erlaubnissätze ergibt sich diese Auslegung von Art. 103 II GG daraus, dass Rechtfertigungsgründe häufig eine umfassende Interessenabwägung erfordern und dem Rechtsanwender daher naturgemäß ein Spielraum für einzelfallbezogene Wertungen überlassen sein muss.483 Im Rahmen des sprachlich Möglichen bleibt indessen auf der Forderung zu beharren, dass auch für den gesamten Allgemeinen Teil des StGB bereits der Gesetzgeber selbst zumindest über die wesentlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit entschieden haben muss. Nach diesen Maßstäben ist jedenfalls der vollständige Ausschluss des Notwehrrechts für die absichtliche Notwehrprovokation nicht mit Art. 103 II GG vereinbar. Den wesentlichen inhaltlichen Mindestkriterien gesetzlicher Bestimmtheit, nämlich einer wenigstens rudimentären Handlungsumschreibung und der teleologischen Eingrenzbarkeit des fraglichen Tatbestandsmerkmals, vermag der Begriff der „Gebotenheit“ im Kontext des § 32 StGB jedenfalls für die von der herrschenden 481

Erb, ZStW 108 (1996), 266 ff. (285). E. II. 2. b) aa) (5). 483 Erb, ZStW 108 (1996), 266 ff. (285 f.); insoweit treffend LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 40; Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 14. 482

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

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Meinung gewünschte Rechtsfolge – also den gänzlichen Ausschluss des Notwehrrechts – nicht zu entsprechen: Zunächst ist dem höchst normativen Gebotenheitsmerkmal selbst kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen eine zur Abwehr an sich erforderliche Handlung ausnahmsweise nicht erlaubt sein soll. Gegen diesen Kritikpunkt mag noch eingewendet werden, dass es die teleologische Reduktion gerade auszeichnet, dass sich die angemessene Lösung nicht auf augenfällige Art und Weise dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen lässt. Entscheidend ist nun, dass sich der absolute Notwehrrechtsausschluss für die Absichtsprovokation auch nicht (man ist versucht zu sagen: noch nicht einmal) dem Sinn und Zweck des § 32 StGB entnehmen lässt, denn weder die individualistische noch die überindividualistische Grundlage des Notwehrrechts kann durch die absichtliche Provokation vollständig entfallen.484 Deshalb kann auch nicht, wie häufig behauptet, ein Fall des Rechtsmissbrauchs gegeben sein, sofern man jedenfalls bereit ist, diesen Begriff auf seinen sachlichen Kern (d. i. die Zweckverfehlung) zurückzuführen.485 In ihrer weitgehend gefühlsbedingten Reaktion hat die herrschende Meinung weithin den Provokateur, doch immerhin Angegriffenen und nicht den Angreifer, auch wenn schon Provozierten im Auge.486 Bei einer rationalen Abgrenzung der Verantwortungsbereiche verbietet sich aber eine Lösung allein zu Lasten des Provozierenden.487 Sollte daher der Gesetzgeber den von der herrschenden Meinung befürworteten pauschalen Ausschluss des § 32 StGB für den Absichtsprovokateur für eine sachgerechte Lösung halten, so trifft ihn die Verpflichtung, diesem Willen in § 32 StGB Ausdruck zu verleihen. Jedenfalls de lege lata geben weder Wortlaut noch Telos der Norm diese aus verfassungsrechtlicher Sicht höchst bedenkliche Einschränkung des Notwehrrechts her.488 Faktisch ändert dieser Befund allerdings wohl nichts an der Strafbarkeit der absichtlichen Notwehrerschleichung, da derjenige, der es mit seinem gesamten Verhalten auf die Verletzung seines Gegenübers angelegt hat, nicht – wie es von ihm angesichts des sicherlich verminderten Rechtsbewährungsinteresses verlangt werden darf – dem Angriff ausweichen oder sich zunächst auf Schutzwehr beschränken wird.

484

Zur Begründung dieser These siehe bereits ausführlich B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd). Zu den möglichen Inhalten des Rechtsmissbrauchsbegriffs siehe B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd) sowie D. IV. 3. 486 LK11-Spendel, § 32 Rn. 290. 487 Jakobs, 12. Abschn. Rn. 50; MüKo-StGB-Erb, § 32 Rn. 201 m. w. N. 488 Ähnlich Erb, ZStW 108 (1996), 266 ff. (296 ff.); allerdings m. E. zu weitgehend für die Verfassungswidrigkeit aller sozialethischen Einschränkungen der Notwehr, denn andere Fallgruppen der teleologischen Notwehreinschränkung sind durchaus mit den Grundgedanken der Notwehr in Einklang zu bringen und deshalb noch hinreichend gesetzlich bestimmt. 485

392

E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

(bb) Die gesetzliche Bestimmtheit von § 20 StGB bezüglich der actio libera in causa Das zur Begründung der actio libera in causa herangezogene Tatbestandsmodell, welches im Gegensatz zum Ausnahmemodell jedenfalls für die schlichten Erfolgsdelikte noch mit dem Analogieverbot vereinbar ist, muss in Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz ähnlichen Bedenken wie die Bestrafung der Absichtsprovokation ausgesetzt sein. Zwar erscheint es nach dem natürlichen Wortlautverständnis vertretbar, als „Begehung der Tat“ bereits das Sich-Berauschen zu begreifen, doch würde nach den derzeitigen Gesetzesfassungen wohl niemand allein bei Kenntnis des Wortlautes des StGB damit rechnen, dass über § 323a StGB hinaus eine Möglichkeit besteht, ihn bereits für den Trinkvorgang zu bestrafen.489 Immerhin lässt sich zugunsten der Einschränkung des § 20 StGB für A.l.i.c.-Konstellationen sagen, dass sie anhand des eigentlichen Sinn und Zwecks von Schuldausschließungsgründen erklärbar gemacht werden kann. Dieser Zustand gesetzlicher Unbestimmtheit für das Sachproblem actio libera in causa ist deshalb besonders unverständlich, weil der Gesetzgeber ohne Weiteres Abhilfe schaffen könnte, wie die bereits vorhandenen Regelungen für Vorverschulden in §§ 17 S. 2, 35 I S. 2 StGB deutlich dokumentieren. Diese Vorschriften zeigen, dass auch für den nur begrenzt positivierbaren Allgemeinen Teil die ausdrückliche Regelung von Zurechnungsausschlüssen und ihren Gegenausnahmen durchaus durchführbar ist. Im Ergebnis ist das Tatbestandsmodell wegen seines zutreffenden teleologischen Bezugs wohl noch mit dem Lex-certa-Satz vereinbar. Die von seinen Befürwortern um des angestrebten Ergebnisses willen anscheinend in Kauf genommenen dogmatischen Unstimmigkeiten490 sollten den Gesetzgeber gleichwohl zu der Einsicht gelangen lassen, dass nicht jedes umstrittene Sachproblem der allgemeinen Strafrechtslehre dafür geeignet ist, es zugunsten einer forensischen und sonstigen rechtswissenschaftlichen Diskussion ad infinitum ungeregelt zu belassen. 3. Zusammenfassung: Verfassungsrechtliche Grenzen für die Erfassung von Gesetzesumgehungen und die rechtsfolgenorientierte Anwendung des Begriffs bzw. des Arguments „Gesetzesumgehung“ Zum Abschluss des vorangegangenen Kapitels („D.“), das sich mit der weiteren Annäherung an den Begriff der Gesetzesumgehung beschäftigte, war deutlich geworden, dass die Fragestellung, inwieweit eine rechtsfolgenorientierte Verwendung des Begriffs bzw. des Arguments „Gesetzesumgehung“ möglich ist oder ob nicht allein eine idealtypische Begriffsbildung und -verwendung eine sinnvolle ist, nicht 489 490

Sydow, S. 102. Zur Kritik am Tatbestandsmodell siehe B. I. 2. c) bb) (1) (c).

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

393

abstrakt entschieden werden kann. Vielmehr war festzustellen, dass der Nutzen von Erkenntnissen über das Phänomen „Gesetzesumgehung“ in dem von Verfassungs wegen strikt positiven Strafrecht davon abhängig sein muss, in welchen Grenzen Verhalten mit Umgehungscharakter überhaupt strafrechtlich erfassbar ist und welche Funktionen der Umgehungsterminus selbst bei dieser Rahmenbestimmung einnehmen kann. Die anfangs vollzogenen methodologischen Überlegungen haben dabei zu dem Ergebnis geführt, dass der dem Rechtsanwender unweigerlich zustehende Spielraum zur Dezision bei der Gesetzesauslegung auch für die Auseinandersetzung mit Gesetzesumgehungen besteht.491 Allerdings zeigt sich dieser Spielraum nicht unmittelbar darin, dass es dem Richter etwa frei stünde, ein Verhalten mit Umgehungscharakter unter Strafe zu stellen. Vielmehr ergeben sich die Entscheidungsspielräume mittelbar. Zum einen ist damit die Frage angesprochen, unter welchen Prämissen der Richter dazu gelangt, die Normzweckrelevanz eines Verhaltens festzustellen: Schließt sich der Rechtsanwender einer so genannten objektiven Auslegungszielbestimmung an, so verschafft er sich gegenüber den so genannten subjektiven Auslegungszielbestimmungen einen größeren Handlungsfreiraum in der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten von dem Sinn und Zweck einer Strafvorschrift erfasst ist. Über diesen mit der Favorisierung der „objektiv-teleologischen“ Methode im Einzelfall geschaffenen Spielraum hinaus gewinnt die Rechtsprechung dadurch an zusätzlicher Bewegungsfreiheit, dass sie sich für jeden Fall ohnehin offen hält, welche der Auslegungszielbestimmungen sie für vorzugswürdig hält.492 Aus verfassungsrechtlicher wie methodologischer Hinsicht überzeugender ist indessen eine Bindung der Judikative an eine gemäßigt subjektiv-teleologische Methode im Rahmen ihrer Möglichkeiten.493 Die Auslegung von Gesetzen darf sich danach nicht in Widerspruch zu den Prämissen des historischen Gesetzgebers setzen. Die von der herrschenden Meinung favorisierte, vermeintlich objektive Auslegungszielbestimmung ist dagegen methodisch weitgehend ungebunden, sie hat die Tendenz zur wortlautfernen Auslegung und trägt gerade für den Zusammenhang der Gesetzesumgehung die Gefahr in sich, das positive Subsumtionsergebnis von rational nur begrenzt überprüfbaren materiellen Gerechtigkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen abhängig zu machen.494 Zum anderen entscheidet ganz wesentlich das Verständnis von Art. 103 II GG darüber, welche Handhabe dem Strafrichter zur Erfassung von Gesetzesumgehungen im Strafrecht zur Verfügung steht. 491

E. I., II. E. II. 1. a), b). 493 Zur Ablehnung einer orthodox-subjektivistischen Auslegungszielbestimmung im Sinne Nauckes E. II. 1. c) aa). 494 E. II. 1. c) bb) dd). 492

394

E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Für die Gesetzesumgehung hat Art. 103 II GG – wie sonst auch – uneingeschränkt zu gelten. Es besteht weder eine überpositiv fundierte noch eine dem Grundgesetz selbst zu entnehmende Berechtigung dafür, das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip für den Umgehungszusammenhang einzuschränken. Vielmehr wurde anhand der in Rechtsprechung und Literatur für die Mauerschützenproblematik befürworteten Einschränkungen des strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips deutlich, wie gefährlich die Aufweichungen eines mit gutem Grund strikt formalisierten Prinzips sind. Gerade der Topos der Gesetzesumgehung böte sich dazu an, eine weitere Fallgruppe zu entwickeln, für die der Grundsatz der Rechtssicherheit vermeintlich zwingenden Erfordernissen der materialen Gerechtigkeit bzw. bestimmten kollidierenden Verfassungsgütern zu weichen hat. Von den gegen ein solches Anliegen vorzubringenden rechtspolitischen Bedenken abgesehen, vermochten diese Angriffe auf den Nullum-crimen-Satz auch rechtsdogmatisch nicht zu überzeugen.495 Schließlich darf auch das Vorliegen besonderer subjektiver Merkmale (insbesondere von Umgehungsabsicht) in einem Tatstrafrecht die objektiven Strafbarkeitsvoraussetzungen nicht ersetzen.496 Die Erfassung von gesetzesumgehendem Verhalten kann damit nur strikt innerhalb der durch Art. 103 II GG gezogenen Grenzen erfolgen. Das Auslegungsergebnis darf nicht mit dem Argument „Gesetzesumgehung“ entgegen Art. 103 II GG korrigiert werden. Ebenso wenig ist der Normgeber dazu befugt, Umgehungsverhalten mit einer strafrechtlichen Gesetzgebung entgegenzuwirken, die nicht mit dem „Lexcerta-Satz“ in Einklang zu bringen ist. Das wichtigste externe Kriterium der Gesetzesauslegung, das der richterlichen Rechtsfolgensetzung im Strafrecht Grenzen setzt, ist die Wortlautgrenze. Sie darf als Prinzip nicht zugunsten einer allein teleologischen Grenzziehung der Tatbestände preisgegeben werden, selbst wenn sich in nicht wenigen Fällen die Leistungsgrenzen dieses allein semantischen Auslegungstopos offenbaren.497 Ein allgemeines Rechtsinstitut „Gesetzesumgehung“, demzufolge jede Strafnorm des materiellen Strafrechts zugleich das Verbot ihrer Umgehung enthielte, kann es im Besonderen Teil des StGB daher nicht geben.498 Das Analogieverbot gilt für die Überschreitung des natürlichen Wortsinnverständnisses ebenso wie für die Unterschreitung des natürlichen Wortsinnverständnisses qua „Gegenanalogie“.499 Auch die so genannte faktische Auslegung genießt in Hinblick auf Art. 103 II GG keine Privilegien. Sie kann immerhin für die Tatbestandsmerkmale des Wirtschafts-

495 496 497 498 499

E. II. 2. a). D. IV. 5. b) aa) (5). E. II. 1. c) cc). E. II. 2. b) aa) (1). E. II. 2. b) aa) (2).

II. Der Beurteilungsspielraum bei der Gesetzesumgehung

395

und Steuerstrafrechts, die nicht zwingend zivilrechtsakzessorisch auszulegen sind, eine zulässige ausdehnende Auslegung der betreffenden Merkmale begründen.500 Das Analogieverbot und das Verbot von Gewohnheitsrecht gelten auch für die strafbegründenden bzw. straferweiternden Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB.501 Das zu der Begründung der actio libera in causa herangezogene Ausnahmemodell ist daher verfassungswidrig, die Einschränkung der Notwehr für provozierendes Vorverhalten dagegen ist jedenfalls in Hinblick auf das Analogieverbot grundgesetzkonform.502 Um Gesetzesumgehungen strafrechtlich zu erfassen, ist es zulässig, auf Analogiebildungen außerhalb des Strafrechts zurückzugreifen, soweit sie für die Auslegung normativer Tatbestandsmerkmale herangezogen werden und in dem jeweils in Bezug genommenen Teilbereich der Rechtsordnung selbst zugelassen sind. Unzulässig ist dagegen die Anwendung außerstrafrechtlicher Analogien, soweit sie durch Blankettmerkmale in Bezug genommen werden. Die Abgrenzung zwischen normativem Tatbestandsmerkmal und Blankettmerkmal richtet sich dabei danach, ob das jeweilige Merkmal das Schutzobjekt des Straftatbestandes bezeichnet.503 Der Strafgesetzgeber darf erfolgreichem Umgehungsverhalten nur ganz punktuell entgegenwirken. Mit dem Bestimmtheitsgrundsatz wäre es nicht vereinbar, schlicht die „Umgehung“ eines Straftatbestandes unter Strafe zu stellen. Eine solche Regelung wäre unabhängig davon unrechtmäßig, ob sie als Generalklausel im Allgemeinen Teil des StGB platziert würde oder als weiterer Absatz eines Straftatbestandes des Besonderen Teils beigefügt wäre. Zulässig ist es dagegen, so genannte bereichsspezifische Umgehungsklauseln einzufügen, soweit diese das (nunmehr) tatbestandsmäßige Verhalten wenigstens in seinen Grundzügen umreißen.504 Der Bestimmtheitsgrundsatz gilt – obzwar gewisser unvermeidbarer Einschränkungen – auch für den Allgemeinen Teil des StGB.505 Der Ausschluss jeglicher Notwehrrechte für den Absichtsprovokateur ist danach mit Art. 103 II GG nicht in Einklang zu bringen.506 Noch hinnehmbar – wenn auch dogmatisch äußerst frag-

500

E. II. 2. b) aa) (3). Der gegenteiligen Auffassung Stöckels, S. 105, kann daher nicht zugestimmt werden. Er geht (ohne weitere Begründung) davon aus, dass auf der Ebene von Rechtswidrigkeit und Schuld das Analogieverbot keine Geltung habe. Das Rechtsinstitut „Gesetzesumgehung“ sei daher auf diesen Ebenen unbeschränkt zulässig. 502 E. II. 2. b) aa) (5). 503 E. II. 2. b) aa) (4). 504 E. II. 2. b) bb) (3) (a), (b). 505 E. II. 2. b) bb) (2) (d) (aa). 506 E. II. 2. b) bb) (3) (e) (aa). 501

396

E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

würdig – ist dagegen die Bestrafung der actio libera in causa unter Zuhilfenahme des von der herrschenden Meinung vertretenen Tatbestandsmodells.507 Ein differenziertes Bild ergibt sich für außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln, auf die mit strafbegründender Wirkung durch Strafgesetze Bezug genommen wird: Außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln, die zur Auslegung normativer Tatbestandsmerkmale herangezogen werden, unterliegen nicht dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, sondern nur dem für das jeweilige Rechtsgebiet geltenden Gesetzesvorbehalt. Gleichwohl kann es für die Vorhersehbarkeit staatlicher Strafe erforderlich sein, insbesondere generalklauselartige Umgehungsnormen – und hier vor allem den nach wie vor vagen § 42 AO – nur äußerst restriktiv anzuwenden. Die Anwendung außerstrafrechtlicher Umgehungsklauseln im Falle echter Blankettstrafgesetze ist verfassungswidrig, sofern die in Bezug genommenen Umgehungsklauseln selbst nur im Rang eines materiellen Gesetzes stehen. Umgehungsklauseln im Rang eines formellen Gesetzes, auf die durch unechte Blankettstrafgesetze verwiesen wird, dürfen hingegen grundsätzlich zur Strafbegründung herangezogen werden. Sie müssen sich aber an Art. 103 II GG messen lassen.508 Im so genannten Kernstrafrecht ist geschicktes Umgehungsverhalten damit sowohl für den unmittelbar reagierenden Rechtsanwender als auch für den auf den Plan gerufenen Gesetzgeber nur ganz begrenzt und separat zu erfassen. Dadurch, dass erfolgreichem Umgehungsverhalten hier nur mit den so genannten bereichsspezifischen Klauseln entgegnet werden kann, wird der Strafgesetzgeber gegenüber dem Umgehungstäter immer besonders schwerfällig, für manchen sogar machtlos wirken. Für Umgehungs- und Erschleichungskonstellationen auf Rechtswidrigkeits- und Schuldebene ist eine gegenüber dieser Einschätzung abweichende Beurteilung nur ganz geringfügig – und zwar für den Bestimmtheitsgrundsatz – angezeigt. Doch selbst die zugestandene Abmilderung der Anforderungen an den Lex-certa-Satz für den Allgemeinen Teil des StGB ändert nichts daran, dass die Bestrafung der beiden prominentesten Erschleichungsfälle – der actio libera in causa, vor allem aber der absichtlichen Notwehrprovokation – erheblichen Bedenken ausgesetzt ist. Für das so genannte Nebenstrafrecht, in dem Gesetzesumgehungen am häufigsten zu beobachten sind, bestehen tendenziell zugleich die besten Möglichkeiten zur strafrechtlichen Erfassung dieser Fallgestaltungen. Hier ist zum einen häufig eine faktische Auslegung der betroffenen Merkmale möglich, zum anderen gilt jedenfalls hinsichtlich normativer Tatbestandsmerkmale Art. 103 II GG insoweit nicht, als zur Erfassung von Umgehungsverhalten Analogien und (relativ) unbestimmte Umgehungsklauseln der vorgelagerten Rechtsmaterie herangezogen werden. Diese Vorteile gelten allerdings nicht, soweit sich der Gesetzgeber der Blanketttechnik bedient. Hier gilt das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip in vollem Umfang.

507 508

E. II. 2. b) bb) (3) (e) (bb). E. II. 2. b) bb) (3) (c).

III. Wert des Umgehungsbegriffs für die Rechtsfolgenbegründung

397

Rechtstatsächlich ist an das bereits in der Einführung angesprochene, zunächst erstaunliche Phänomen zu erinnern, dass die Praxis die derzeit bekanntesten Umgehungs- und Erschleichungssachverhalte – zum Teil entgegen der hier vertretenen Auffassung – allesamt unter Strafe gestellt hat. Diese die Rechtswirklichkeit betreffende Beobachtung beweist jedoch nur, dass gerade auf als gravierend empfundene Umgehungsverhalten stets eine staatliche Reaktion erfolgte, die den für den Normunterworfenen zunächst bestehenden Vorteil wieder beseitigte. Allein dieser Umstand zeigt, dass die Problematik der Gesetzesumgehung zu rechtsstaatlich fragwürdigem Aktionismus zurzeit wenig Anlass bietet. Auch für die mit Sicherheit zukünftig auftretenden Umgehungsfälle sollte daran erinnert sein, dass der Konflikt zwischen Rechtssicherheit und materialer Einzelfallgerechtigkeit durch Art. 103 II GG bereits entschieden worden ist. Aufgrund der Tatsache, dass diese Wertentscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Rechtssicherheit einen hohen eigenen materialen Gerechtigkeitsgehalt aufweist, sollte es leichter zu ertragen sein, dass ein an sich strafwürdiges Verhalten solange straffrei bleibt, bis sich der demokratische Gesetzgeber zu einer maßvollen Gegenreaktion entscheiden sollte. Zu einer gemäßigten staatlichen Reaktion sollte weiterhin beitragen, dass sich das Klischee des gerissenen Straftäters, der gerade das rechtsethisch aufgeladene Strafrecht zu seinen Gunsten vermeiden will, bisher nicht bewahrheitet hat. Gerade die Vermeidung einer gerechten Strafe ist so gut wie nie die Motivation für das Umgehungsverhalten der Täter gewesen, vielmehr betrafen die meisten Beispiele die Erlangung wirtschaftlicher Vorteile, um deretwillen eine Bestrafung vielmehr in Kauf genommen wurde, sofern das Umgehungsverhalten keine Anerkennung finden sollte. Zu den bekanntesten Lehrbuchfällen „echter“ Strafgesetzumgehung, nämlich der Absichtsprovokation und der absichtlichen actio libera in causa, besteht keine Rechtsprechung, die das Tätermotiv, Strafe zu vermeiden, für die Wirklichkeit bestätigt hätte. Für den Schwangerschaftsabbruch im Ausland wiederum war mehr als fraglich, ob überhaupt von einer teleologischen Lücke in den §§ 218 ff. StGB ausgegangen werden konnte. Damit bleiben kaum Fälle zurück, in denen tatsächlich eine Umgehung gerade des Strafrechts angestrebt war. Die hier vielleicht zu nennenden berühmt-berüchtigten „Wochenendverbrechen“ nach dem NS-BlutschG konnten nur von einem strikt positivistischen Standpunkt aus als Umgehung von Gesetzen bezeichnet werden.

III. Der verbleibende methodologische Wert des Umgehungsbegriffs für die Rechtsfolgenbegründung Die Verwendung des Umgehungsbegriffs gerade zur Erfassung von Umgehungsverhalten ist dem Rechtsanwender und Gesetzgeber im Strafrecht nach den Ergebnissen dieser Untersuchung zu großen Teilen verwehrt.

398

E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

Mit dem Hinweis darauf, ein Tätervorgehen sei als Umgehungsverhalten zu qualifizieren, kann der Rechtsanwender nur für den Fall, dass dieses Argument eine – von einem normativen Tatbestandsmerkmal in Bezug genommene – außerstrafrechtliche Analogie des Zivilrechts trägt, zu einer Erweiterung der Strafbarkeit gelangen. In allen anderen Bereichen steht einem strafbegründenden Rechtinstitut „Umgehung“ bzw. „Erschleichung“ das (Gegen-)Analogieverbot entgegen. Die für das Zivilrecht im Anschluss an Schurig509 durch Benecke510 entfalteten objektiven und subjektiven Kriterien für das Überschreiten einer „Eingriffsschwelle“ (dies sind insbesondere der Schutzzweck des umgangenen Gesetzes, die Sittenwidrigkeit des faktischen Verhaltens bzw. des Rechtsgeschäfts sowie der Umgehungszweck des Verhaltens511) können in Hinblick auf die durch Art. 103 II GG gesetzten Grenzen für die Rechtsanwendung im Strafrecht gleichfalls nicht weiterführend sein. Ebenso kann der Strafgesetzgeber den Umgehungsbegriff nur ganz beschränkt gegen den Umgehungstäter verwenden, da die Tatbestandsmerkmale „Umgehung“ bzw. „Erschleichung“ alleinstehend zu unbestimmt sind, um in einer Umgehungsklausel Verwendung zu finden. Auch im legislativen Zusammenhang erscheint eine strafbegründende Verwendung des Umgehungsbegriffs daher nur zulässig, wenn in normativen Straftatbestandsmerkmalen auf außerstrafrechtliche Klauseln verwiesen wird, die diesen Begriff enthalten und die den Bestimmtheitsanforderungen für das jeweilige Rechtsgebiet genügen. Allemal vorzugswürdig ist auch für solche Umgehungs-/Erschleichungsklauseln eine Regelung im Sinne von § 4 II SubvG512, die deutlich werden lässt, was den sachlichen Kern der Verwendung des Umgehungsbzw. Erschleichungsbegriffs als Tatbestandsmerkmal ausmacht, nämlich die Anweisung des Gesetzgebers zu einer teleologisch begründeten erweiterten oder verengten Auslegung der umgangenen bzw. erschlichenen Norm. Unabhängig von Art. 103 II GG bleibt zu überprüfen, ob und inwieweit die Rechtsfindung für diejenigen Sachverhalte von Erkenntnissen über die Gesetzesumgehung profitieren kann, für die sich ein Täterverhalten mit Umgehungscharakter noch als unter einen Straftatbestand subsumierbar erweist. Mit anderen Worten: Zu fragen ist, ob die Auslegung von Strafgesetzen durch besondere Auslegungsgrundsätze für die Gesetzesumgehung verbessert werden kann. 509

Schurig, Ferid-FS, S. 375 ff. (401). Benecke, S. 120 ff. 511 Vgl. hierzu im Einzelnen D. II. 4. 512 § 4 II SubvG lautet: „Die Bewilligung oder Gewährung einer Subvention oder eines Subventionsvorteils ist ausgeschlossen, wenn im Zusammenhang mit einer beantragten Subvention ein Rechtsgeschäft oder eine Handlung unter Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vorgenommen wird. Ein Missbrauch liegt vor, wenn jemand eine den gegebenen Tatsachen oder Verhältnissen unangemessene Gestaltungsmöglichkeit benutzt, um eine Subvention oder einen Subventionsvorteil für sich oder einen anderen in Anspruch zu nehmen oder zu nutzen, obwohl dies dem Subventionszweck widerspricht. Dies ist namentlich dann anzunehmen, wenn die förmlichen Voraussetzungen einer Subvention oder eines Subventionsvorteils in einer dem Subventionszweck widersprechenden Weise künstlich geschaffen werden.“. 510

III. Wert des Umgehungsbegriffs für die Rechtsfolgenbegründung

399

Werden die einzelnen Charakteristika der Gesetzesumgehung, die im Einzelnen bereits Gegenstand dieser Untersuchung waren513, erneut in den Blick genommen, so zeigt sich, dass dem Umgehungsbegriff ein solcher Nutzen nicht zukommen kann. Die meisten Merkmale, die die Gesetzesumgehung auszeichnen bzw. angeblich auszeichnen, sind für die Gesetzesauslegung im Strafrecht irrelevant. So ist der Subsumtionsarbeit nicht mit der Erkenntnis gedient, dass ein bestimmtes (Vor-) Verhalten des Täters künstlich im Sinne von ungewöhnlich gewesen ist. Im Gegenteil verführt die Feststellung „künstlichen“ Verhaltens dazu, die Umgehung von Strafe und die Umgehung von Gesetzen zu verwechseln.514 Auch die Feststellung einer Umgehungsabsicht des Täters (Absicht in Hinblick auf den Umgehungserfolg oder die Normzweckwidrigkeit der Straffreistellung oder beides) kann in einem Tatstrafrecht das Auslegungsergebnis nicht zu Lasten des Täters beeinflussen.515 Umgekehrt muss der Umgehungstäter grundsätzlich nicht mehr wissen oder wollen als jeder andere Täter der betreffenden Straftat auch.516 Weiterhin führt die häufig anzutreffende – und unzutreffende – Behauptung, mit jeder Gesetzesumgehung sei auch ein Rechtmissbrauch verbunden, nicht weiter, denn allein aus diesem Vorbringen dürfen im Strafrecht keine belastenden, die Wortlautgrenze missachtenden Rechtsfolgen abgeleitet werden. Wird das Rechtsmissbrauchsargument auf einen sachlichen Kern zurückgeführt, hat es gegenüber der teleologischen Auslegung keinen Mehrwert.517 Schließlich ist auch die sachlich zutreffendste Beschreibung der Gesetzesumgehung als teleologische Lücke nicht von eigenständigem Wert für die Auslegung im Strafrecht, denn diese Charakterisierung verweist vollständig auf die teleologische und grammatikalische Gesetzesauslegung und damit auf vergleichsweise wohldurchdachtere Instrumentarien des Juristen zurück.518 Der Gedanke der Teleologie und nicht der Umgehungsgedanke leitet schließlich auch die so genannte faktische Auslegung im Strafrecht. Die Berufung auf die Gesetzesumgehung im Zuge der Gesetzesauslegung ist damit bestenfalls überflüssig. Es steht aber zu befürchten, dass der Hinweis auf Umgehungsverhalten des Täters nicht nur auslegungsneutral bleibt, sondern sich auf eine rationale, nachvollziehbare Strafbegründung negativ auswirkt. Indem die Gesetzesumgehung in die Nähe zum absichtlichen Rechtsmissbrauch gerückt, wenn 513

D. Siehe dazu, D. IV. 2. b) ee) (4) sowie D. IV. 4. a) aa) (4). 515 Dazu D. IV. 5. b) aa) (5). 516 Vgl. D. IV. 5. b) aa). Soweit hier für den Tatbestandsvorsatz im Nebenstrafrecht eingefordert wurde, dass der Täter stets den sozialen Bedeutungsgehalt seines Verhaltens nachvollzogen haben muss [D. IV. 5. b) aa) (4)], war damit eine allgemeine Anforderung an die subjektive Tatseite angesprochen, die auch losgelöst vom Umgehungskontext Bestand hat. 517 D. IV. 3. 518 Ebenso Simon, S. 539: „Drohende Gesetzesumgehungen gehen demnach in der teleologischen Auslegung auf. Besonderer Grundsätze für ihre Behandlung bedarf es nicht.“ 514

400

E. Relevanz des Begriffs der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis

nicht sogar mit diesem gleich gesetzt wird, droht sie – ebenso wie der Rechtsmissbrauchsbegriff selbst – auslegungsersetzend zur Verwirklichung vermeintlich zwingender Gebote der materiellen Gerechtigkeit eingesetzt zu werden. Jede Gesetzesauslegung im Strafrecht sollte daher auf den Begriff oder das „Argument“ Gesetzesumgehung verzichten.

F. Was bleibt von dem Phänomen „Gesetzesumgehung“ im Strafrecht? Nach alledem kann im Strafrecht mit dem Begriff der Gesetzesumgehung nur die (idealtypische) Beschreibung einer rechtlichen Problemstellung gemeint sein, für deren Bewältigung Erkenntnisse über das Phänomen Gesetzesumgehung ohne Bedeutung bleiben müssen.1 Antworten auf diese Herausforderung gleichermaßen des Rechts wie der Rechtswissenschaft sind durch die Benennung und Präzisierung des Problems allein nicht zu erreichen. Den größten Nutzen für das Recht und die Rechtswissenschaft könnte daher – so sei hier zugegebenermaßen überspitzt bemerkt – die Umgehungshandlung selbst entfalten, weil sie den Anstoß zu einer anscheinend überfälligen Anpassung des Rechts an die tatsächlichen Verhältnisse geben kann. Die Gesetzesumgehung wäre damit ein Exempel für Mandevilles Bienenfabel2. Es mag auf das Gerechtigkeitsempfinden irritierend wirken, wenn die Klassifizierung eines Verhaltens als strafwürdiges Umgehungsverhalten nicht zu einer Ahndung desselben führt, doch sollte diesem Ergebnis in Hinblick auf den Eigenwert eines an ein strenges Gesetzlichkeitsprinzip gebundenen Strafrechts auch etwas Beruhigendes abzugewinnen sein. Der Kern eines möglichst treffenden deskriptiven Umgehungsbegriffs ist darin zu sehen, dass ein Strafgesetz entgegen seinem Sinn und Zweck infolge einer besonderen Aktivität des Täters nicht mehr zur Anwendung zu gelangen droht. Zwei weitere, idealtypische Zuspitzungen dieses Begriffskerns, die mit Rücksicht auf die üblichen Vorstellungen von der Gesetzesumgehung zugelassen werden können, wären darin zu sehen, (1.) nur die erfolgreiche Gesetzesumgehung als Gesetzesumgehung zu bezeichnen und (2.) anzunehmen, dass der besonders gerissene Umgehungstäter die Vermeidung des Strafgesetzes stets mit Absicht vornimmt. Der Vorteil einer solchen – auch in subjektiver Hinsicht – „didaktischen Zuspitzung“ des Umgehungsbegriffs ist darin zu sehen, dass sie – an der Rechtswirklichkeit gemessen – einige Vorstellungen von der Gesetzesumgehung im Strafrecht gründlich widerlegt: (Zu 1.) Zum Teil entgegen hier vertretener Rechtsauffassungen sind nahezu alle in dieser Untersuchung vorgestellten Sachverhalte der Gesetzesumgehung von der Rechtsprechung für strafbar erklärt worden. 1

Ähnlich auch schon die Einschätzung Beneckes, S. 374 für das Zivilrecht. Am Beispiel eines Bienenstaates stellte Bernard Mandeville („Die Bienenfabel oder private Laster, öffentliche Vorteile“, 1714) die provokante These auf, dass das selbstsüchtige Verhalten Einzelner letztlich von gesellschaftlichem Nutzen sei. 2

402

F. Was bleibt von dem Phänomen „Gesetzesumgehung“ im Strafrecht?

(Zu 2.) Es hat sich kaum ein Fall, auf den der objektive Kern des hier aufgestellten Umgehungsbegriffs zutrifft, finden lassen, in dem es dem Täter gerade auf die Vermeidung des Strafrechts angekommen wäre. Die Gerichte haben sich fast ausnahmslos mit Tätern zu beschäftigen gehabt, die andere als Strafgesetze zur Erlangung wirtschaftlicher Vorteile umgingen; die mögliche Umgehung flankierender Strafvorschriften war bloße Folge dieser Vorhaben. Trotz seiner drastischen Rechtsfolgen ist es daher wohl gerade nicht das Strafrecht, das „in besonderem Maße dem Versuch ausgesetzt [ist], verbotene Ziele zu erreichen, aber dabei doch straflos zu bleiben“3. Vielmehr zeigt die besondere Bedeutung der Gesetzesumgehung für das Wirtschafts- und Steuerrecht, dass sich das Strafrecht erst nachrangig mit den Folgen einer bei weitem geläufigeren Tätermotivation beschäftigen muss: Es geht dem Gesetzesumgeher der Rechtswirklichkeit – so die hier mangels entsprechender empirischer Studien nur als These formulierbare Aussage – um wirtschaftlichen Erfolg, nicht um die Freiheit vor Strafe.

3

Stöckel, ZRP 1977, 133 ff. (135).

Zusammenfassung der Ergebnisse 1.

In dieser Studie wurden zwei miteinander verbundene Fragestellungen untersucht: Was ist die Gesetzesumgehung und in welchen Konstellationen ist sie strafbar?1

2.

Die Problematik der Gesetzesumgehung zeigt sich für das Strafrecht mit besonderer Eindringlichkeit, da dem Rechtsanwender die wortlautüberschreitende Rechtsfortbildung durch Art. 103 II GG untersagt ist. Es ist ebenfalls Art. 103 II GG, der es dem Gesetzgeber grundsätzlich verbietet, durch vage gehaltene Strafgesetze der Gesetzesumgehung entgegenzuwirken. Die erfolgreiche Gesetzesumgehung bleibt straffrei. Trotz dieser rigorosen Rechtsfolge überrascht es, dass die Umgehungsproblematik in der allgemeinen Strafrechtslehre kaum einen Stellenwert hat, sondern nur in einigen Monographien und sonstigen Einzelstudien näher erörtert wird.2 Die wenigen möglichen Umgehungskonstellationen, die den Allgemeinen Teil des StGB berühren, sind zwar selten, dafür aber prominent. Sie betreffen die Notwehrprovokation, die actio libera in causa und den Schwangerschaftsabbruch im Ausland.3 Auch im Besonderen Teil des StGB sind Umgehungshandlungen selten aufzufinden.4 Auf dem Gebiet des übrigen Wirtschafts- und Steuerstrafrechts sind Umgehungshandlungen dagegen alltäglich.5 Sie betreffen insbesondere das Steuerstrafrecht (mit Zollstrafrecht), das Subventionsstrafrecht, das Außenwirtschaftsrecht und grenzüberschreitende gesellschaftsrechtliche Vorgänge. Diese Umgehungshandlungen beziehen sich allerdings ausnahmslos auf die Umgehung des vorgelagerten Wirtschafts- und Steuerrechts selbst. Gesetzesumgehungen sind hier regelmäßig mit erheblichen wirtschaftlichen Vorteilen verbunden, deren Inanspruchnahme allerdings wiederum von dem auch rechtlichen Geschick und dem rechtlichen Kenntnisstand der Täter abhängt. Finanzielle Anreize und Kenntnisse des Steuer- und Wirtschaftsrechts führen so in einem gegenseitigen Bedingungszusammenhang zu einem besonders häufigen Auftreten von Umgehungshandlungen in diesen Bereichen, bestärkt noch durch die staatlich gesetzten Verhaltensanreize insbesondere für das Wirtschaftsverwaltungsrecht, die in erheblichem Maße kriminogen sind. Der hohe Stellenwert dieser Umgehungshandlungen zugleich für die wissenschaftliche Diskussion hängt auch damit 1 2 3 4 5

Vgl. die Einleitung (S. 19 ff.). B. I. (S. 33 ff.). B. I. 1. und 2. (S. 36 ff.). B. II. 10. bis 19. (S. 165 ff.). B. II. 1. bis 8. (S. 91 ff.).

404

Zusammenfassung der Ergebnisse

zusammen, dass die hier anwendbaren Instrumentarien (insbesondere die so genannte faktische Auslegung, die Inbezugnahme von außerstrafrechtlicher, durch Auslegung oder Analogiebildung leistbarer Umgehungserfassung durch das Strafrecht oder von Umgehungsklauseln des Steuer- und Wirtschaftsrechts) eine grundgesetzkonforme Erfassung von Umgehungshandlungen Erfolg versprechender erscheinen lassen, als dies für Sachverhalte im Kernstrafrecht der Fall ist. 3.

Der Erörterung der begrifflichen Fragestellungen wurde eine „Arbeitsdefinition“ der Gesetzesumgehung zugrunde gelegt. Sie bezieht sich auf das Spannungsverhältnis zwischen dem eigentlichen Sinn und Zweck einer Strafnorm einerseits und dem Wortlaut der Strafnorm andererseits, in dem der verfolgte (Schutz-)Zweck nur unzureichend zum Ausdruck kommt. Als Kurzfassung dieser Umschreibung wurde die Gesetzesumgehung als Fall einer „teleologischen Lücke“ hinsichtlich der betroffenen Norm bezeichnet.6 Diese weite Definition hat sich im weiteren Gang der Untersuchung als zutreffend herausgestellt.7

4.

Umgehungshandlungen im Strafrecht können als „Umgehung“ (im engeren Sinne) einerseits und „Erschleichung“ andererseits stattfinden. Bei einer Umgehung umfasst die Vorschrift nicht diejenigen Sachverhalte, deren Einbeziehung zweckmäßig wäre. Es liegt eine offene Gesetzeslücke vor. Im umgekehrten Fall hat eine Erschleichung stattgefunden: Das (für den Täter günstige) Gesetz betrifft Sachverhalte, die es nach seinem Sinn und Zweck nicht erfassen sollte. Es besteht eine verdeckte Gesetzeslücke. Beide Vorgehensweisen des Täters eint ungeachtet ihrer Gegensätzlichkeit im Sinne der „Lücken-Terminologie“, dass sie die Straflosigkeit entgegen der ratio legis herbeiführen. Umgehungs- wie Erschleichungshandlung beleuchten das Problem der Normgeltung lediglich von verschiedenen Seiten. Dieser methodische Gleichlauf im Sinne der „Lücken-Terminologie“ bei der Feststellung einer Normzweckverletzung besteht allerdings nach herrschender Meinung nicht mehr für die Schließung dieser Lücken, denn während der Anwendung von strafrechtlichen Verbotsnormen über ihren natürlichen Wortsinn hinaus nach fast einhelliger Auffassung das Analogieverbot entgegensteht, hat sich die Einsicht, dass auch das besonders restriktive Verständnis von Erlaubnis- oder Gewährungsnormen als „Gegenanalogie“ im Strafrecht durch Art. 103 II GG verboten ist, bisher nicht durchsetzen können. Die überwiegende Ansicht geht hier unzutreffend – jedenfalls für viele der für diese Untersuchung relevanten Fallgestaltungen – von einer lediglich auslegungsinternen „teleologischen Reduktion“ bzw. „restriktiven Auslegung“ aus. Das Gesetzlichkeitsprinzip untersagt jedoch die Analogie ebenso wie die Gegenanalogie, denn Eingriffe in den Begriffskern einer Vor-

6 7

A. III. (S. 31 ff.). D. IV. 2. (S. 245 ff.).

Zusammenfassung der Ergebnisse

405

schrift berühren die Wortlautgrenze nicht weniger als die Extension einer Norm über ihren Wortlaut hinaus.8 5.

Die Gesetzesumgehung lässt ein Rechtsanwendungsproblem auf der Normseite entstehen. Scheingeschäfte und Scheinhandlungen hingegen stellen ein Sachverhaltsproblem der Rechtsanwendung dar. Da nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (die z. B. in § 117 BGB oder § 41 AO positiviert wurden) der Normanwendung stets der wahre Sachverhalt zugrunde zu legen ist, ist Scheingeschäften und Scheinhandlungen (sofern der Sachverhalt natürlich aufklärbar ist!) vergleichsweise leicht beizukommen. Die besonderen Probleme der Umgehungshandlungen ergeben sich hingegen daraus, dass trotz eindeutigem bzw. aufgeklärtem Sachverhalt ein gesetzesbezogenes Rechtsanwendungsproblem bestehen bleibt; mit anderen Worten: ein Subsumtionsproblem, welches nicht auf einen unklaren oder verschleierten Sachverhalt zurückzuführen sein muss.9 Schein- und Umgehungsverhalten sind oftmals schwer voneinander zu trennen10 ; zum Teil wird Umgehungsverhalten auch sachwidrig zu Scheinverhalten umdeklariert, weil letzteres eine einfachere Lösung der Sachproblematik verspricht.11 Scheinverhalten und Umgehungsverhalten mit rechtsgeschäftlichem Charakter können nicht objektiv voneinander getrennt werden, sondern nur in Hinblick darauf, ob bei dem Täter / den Tätern Erklärungsbewusstsein vorlag.12

6.

Die Umgehungscharakteristik eines Sachverhalts sollte unabhängig davon bestimmt werden, ob ein konkreter Umgehungserfolg eingetreten ist. Eine vom Umgehungserfolg gänzlich unabhängige Umschreibung der Umgehungsproblematik wäre allerdings allein auf die Tätervorstellung angewiesen, was zu sachwidrigen Ergebnissen führte und dem Begriff der Gesetzesumgehung jede Kontur nähme. Eine Anbindung an den Umgehungserfolg ist daher insoweit, aber eben auch nur insoweit zu verlangen, als das vorherige Täterverhalten die Subsumierbarkeit der Tat in Frage gestellt hat. Damit von einer Umgehungshandlung die Rede sein kann, ist für den Auslegungsvorgang näher zu fordern, dass die Straflosigkeit des Verhaltens wenigstens zunächst ernsthaft in Erwägung gezogen werden musste.13

8

C. II. (S. 183 f.); D. IV. 2. a) aa) (S. 246 f.); E. II. 2. b) aa) (2) (S. 349 f.). C. III. (S. 184). 10 Dies wurde insbesondere für die hier erörterten Sachverhalte zum illegalen Rüstungstransport deutlich, vgl. B. II. 6. (S. 137 ff.). 11 Dies gilt z. B. für das im Zusammenhang mit der absichtlichen Notwehrprovokation vorgetragene Argument, der Provokateur sei zu bestrafen, weil er eigentlich der Angreifer sei, siehe dazu B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd) (S. 54 ff.). 12 D. IV. 5. b) bb) (S. 294 f. mit Fn. 548). 13 C. V. (S. 185 ff.); zu dieser Fragestellung zuvor bereits unter B. I. 2. a) aa) (3) (b) (cc) (S. 54 f.) sowie B. I. 2. a) aa) (3) (b) (ee) (S. 65 ff.). 9

406

Zusammenfassung der Ergebnisse

7.

Das wenigstens drohende Auftreten einer teleologischen Lücke aufgrund des Täterverhaltens – und damit eine Umgehungshandlung – ist auch dann gegeben, wenn die in nicht unerheblichem Maße begründungsbedürftige Normauslegung (im Fall der §§ 20, 32 StGB: die vom Wortlaut wenig gestützte restriktive Auslegung der beiden Vorschriften) zum Normalfall erklärt wird, der sich angeblich zwanglos in die allgemeine strafrechtliche Dogmatik einpasse. Konstruktionen aber, die zwar die gegenüber dem Normalfall zu verzeichnende Ungewöhnlichkeit der eigenen Normanwendung durch die im Ergebnis behauptete Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Vorschrift kaschieren wollen, in ihrem ganzen Begründungszusammenhang aber allein als Mittel zur Erfassung von Umgehungs- oder Erschleichungshandlungen Sinn ergeben, stellen den Umgehungscharakter der entsprechenden Fallgestaltung nicht weniger in Frage als diejenigen Lehren, die diese Ergebnisorientiertheit ihrer Argumentation von Beginn an relativ unverblümt darlegen.14

8.

Umgehungshandlungen im Strafrecht setzen sich häufig aus einem Umgehungsakt und dem eigentlich strafauslösenden Akt zusammen. Sie sind daher zumeist mehraktig. Der letztere Akt wird allerdings durch die vorhergehende Handlung gerade seiner strafauslösenden Eigenschaft beraubt, sofern der mit der vorhergehenden Handlung bezweckte Erfolg, nämlich der Umgehungserfolg eintritt. Ziel einer strafrechtlichen Umgehungserfassung muss es daher stets sein, entweder bereits den Umgehungsakt zum strafauslösenden Moment zu erklären oder den Umgehungsakt unerheblich werden zu lassen. Die Mehraktigkeit ergibt sich für viele Zusammenhänge aus der faktischen – also nicht rechtsgeschäftlichen – Natur des Umgehungsverhaltens im Strafrecht (etwa die Reise einer Schwangeren in ein Nachbarland zum Zwecke des straffreien Schwangerschaftsabbruchs), für andere strafrechtliche Zusammenhänge hingegen daraus, dass der Gesetzgeber das Umgehungsverhalten erst bei Hinzutreten einer weiteren Täuschungs- bzw. Unterlassungshandlung für strafbar erklärt (so etwa im Fall von § 370 AO i. V. m. § 42 AO oder für § 264 StGB i. V. m. § 4 II SubvG). Der Grund für diese unterschiedlichen Strukturen ist darin zu sehen, dass durch die Offenlegung der Umgehung in den zuletzt genannten wirtschaftsstrafrechtlichen Zusammenhängen ihre Erfassung und damit der Schutzzweck der entsprechenden Norm noch verwirklicht werden kann; diese Schutzmöglichkeiten durch Offenlegung bestehen für die im Zusammenhang z. B. mit der Notwehrprovokation oder dem Schwangerschaftsabbruch im Ausland betroffenen Rechtsgüter nicht.15

9.

Die Begriffe „Umgehung“ bzw. „Erschleichung“ im Sinne eines normbezogenen Subsumtionsproblems sind von einer Verwendung zu unterscheiden, die sie

14 Vgl. insbesondere die Diskussion um die absichtliche Notwehrprovokation, B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd) [(S. 54 ff.) und die actio libera in causa, B. I. 2. c) bb) (1) (S. 76 ff.) sowie C. IX. (S. 190 f.). 15 Vgl. C. VI. (S. 187 ff.) sowie die in B. erörterten möglichen Umgehungssachverhalte im heutigen Strafrecht (S. 33 ff.).

Zusammenfassung der Ergebnisse

407

durch den Gesetzgeber erfahren haben. Wenn § 265a StGB das Erschleichen von Leistungen unter Strafe stellt oder § 108b UWG die Umgehung technischer Maßnahmen, so wird auf einen Umgehungsbegriff Bezug genommen, den man kriminalistisch16 oder kriminologisch17 nennen mag. Gemeint ist damit, dass der Gesetzgeber ein Verhalten umschreibt, dass die typische Vorgehensweise des Täters bei der Überwindung von Sicherheitsmaßnahmen oder Kontrollen kennzeichnet. „Umgehungen“ und „Erschleichungen“ in diesem Sinne beschreiben damit die Ausschaltung tatsächlicher, nicht aber rechtlicher Hindernisse durch den Täter und sind daher nicht von Bedeutung für das Thema dieser Untersuchung.18 10. Innerhalb der strafrechts- wie der zivilrechtswissenschaftlichen Diskussion besteht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass bestimmte Kriterien bzw. Merkmale für die Umgehungsproblematik relevant sind. Über ihre Bewertung im Einzelnen bestehen allerdings zum Teil deutliche Unterschiede, die sich nicht allein auf die dogmatischen Unterschiede zwischen dem Strafrecht und dem Zivilrecht zurückführen lassen, sondern – abgesehen von der generell zu verzeichnenden Unschärfe des zu beschreibenden Phänomens – der Tatsache geschuldet sind, dass der Begriff „Gesetzesumgehung“ einerseits deskriptiv, andererseits rechtsfolgenbezogen verwendet wird. Dabei wird nicht immer deutlich, welche der beiden unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten des Begriffs gerade angesprochen sein soll. Fast einhellige Meinung ist, dass die Gesetzesumgehung als teleologische Lücke in Hinblick auf eine bestimmte Einzelnorm beschrieben werden kann. Die ganz herrschende Meinung sieht in der Gesetzesumgehung kein Rechtsinstitut eigener Art. Während die meisten Stellungnahmen aus der strafrechtlichen Literatur die Gesetzesumgehung zusätzlich in die Nähe „künstlicher“ und „rechtsmissbräuchlicher“ Verhaltensweisen rücken, werden diese beiden möglichen Charakteristika von Gesetzesumgehungen im Zivilrecht zurückhaltend bewertet oder abgelehnt. Häufig bleibt dabei undeutlich, ob das Künstlichkeitsmerkmal eine allein deskriptive Funktion übernehmen soll und / oder dem Nachweis subjektiver Vorgänge, insbesondere der Umgehungsabsicht dienen soll. Auch die Auseinandersetzung mit möglichen subjektiven Umgehungsmerkmalen ist nicht stets transparent. Zumeist wird die Zweckgerichtetheit von Umgehungsverhalten im deskriptiven Kontext für derart selbstverständlich gehalten, dass die für beide Rechtsdisziplinen kontrovers geführte Diskussion darum, ob Umgehungsabsicht oder sonstige subjektive Merkmale „erforderlich“ seien, wohl nur in einem Rechtsfolgenkontext gemeint sein kann. Für die Einschätzung von Umgehungsverhalten ist schließlich festzuhalten, dass es in strafrechtlichen Stellungnahmen überwiegend negativ bewertet wird; einige der zivilrechtlichen 16 17 18

Zu diesem Begriff siehe B. Fn. 671. Zu Umgehungen im kriminologischen Sinne vgl. C. Fn. 34. B. II. 15. (S. 174 ff.) und 16. (S. 176 f.) sowie C. VIII. (S. 189).

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Zusammenfassung der Ergebnisse

Untersuchungen zu dieser Fragestellung sind dagegen auffallend um einen (rechtspolitisch) neutralen Ton bemüht. Ob die Missbilligung von Gesetzesumgehungen die Umgehungshandlung, den Umgehungserfolg oder beides betrifft, tritt dabei nicht durchgehend deutlich zu Tage.19 11. Eine nähere Beschäftigung mit dem Definitionskriterium „teleologische Lücke“ offenbarte, dass die bereits für das Zivilrecht vertretene Auffassung20, dass die Umgehungsfrage strukturell nicht als Problem der Analogie bezeichnet werden kann, für das Strafrecht erst recht ihre Bestätigung finden muss. Aufgrund des fragmentarischen und positivistischen Charakters des Strafrechts kann nicht eine Lücke in der Rechtsordnung als solcher ausschlaggebend sein, sondern die Lücke muss allein von der umgangenen Norm her bestimmt werden. Kennzeichnend für die Gesetzesumgehung ist nämlich eine schon vorhandene Regelung, die die fragliche Fallgestaltung nach ihrem Schutzzweck und ihrer gesamten Zielrichtung bereits erfasst und von der Umgehung betroffen wird. Die Analogie hingegen setzt eine Regelungslücke voraus und führt zu der Erweiterung des gesetzlichen Anwendungsbereichs auf als vergleichbar zu bewertende Fallgestaltungen.21 12. Um zu ermitteln, ob das Täterverhalten zum Auftreten einer teleologischen Lücke geführt hat, kann (allerdings nur mittelbar) auf materielle Strafwürdigkeitskriterien zurückgegriffen werden. Das Bestehen einer teleologischen Lücke liegt demnach nahe, wenn das gleiche Rechtsgut verletzt wird, die Schwere der vom Täter bewirkten Rechtsgutsverletzung mit derjenigen identisch ist, die die betreffende Strafnorm voraussetzt, das Täterverhalten die gleiche Angriffsrichtung auf das Rechtsgut nimmt, es ähnlich gefährlich ist und der Täter vergleichbare subjektive Unrechtsmerkmale bzw. Schuldmerkmale aufweist. Die Überprüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann stets nur eine Einzelfalluntersuchung sein.22 13. Durch entsprechende Einzelfallbetrachtungen ergab sich, dass einige Umgehungssachverhalte nur als „unechte Gesetzesumgehungen“ bezeichnet werden können. Diese treten auf, wenn das tatsächliche Verhalten des Täters weder dem Wortlaut noch dem Ziel einer Norm unterfällt, das von ihm vermiedene Verhalten aber eindeutig strafbar wäre (Beispiel für § 259 StGB: Vor dem „SichVerschaffen“ veranlasst der Täter klugerweise den Dieb dazu, die gestohlenen Geldscheinen gegen andere einzutauschen; Beispiel für § 84 I Nr. 2 GmbHG: der Täter hatte keine GmbH als Rechtsform für sein Unternehmen gewählt, sondern eine englische Ltd.). In diesen Konstellationen hat keine Gesetzesumgehung, sondern eine Strafumgehung stattgefunden. Diese Sachverhalte sind 19 Vgl. D. I. (S. 195 ff.) und II. (S. 213 ff.); eine Zusammenfassung findet sich anschließend unter D. III. (S. 228 ff.). 20 D. II. 4. (S. 224 ff.). 21 D. IV. 2. b) bb) (S. 248 ff.). 22 D. IV. 2. b) dd) (S. 251 ff.).

Zusammenfassung der Ergebnisse

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nicht mit dem Begriff der Gesetzesumgehung in Verbindung zu bringen, denn ansonsten droht die Gefahr, dass unter unberechtigter Berufung auf den Schutzzweck der Norm eine Strafe eingefordert wird. Ein Normgeltungsproblem ist aber mit unechten Gesetzesumgehungen nicht verbunden, der Ruf nach Strafe in diesen Konstellationen ist allein eine Forderung, die das Telos kommender Strafgesetze betreffen kann.23 14. Für eine allgemeingültige Beschreibung der Gesetzesumgehung sind die weiteren hierfür oftmals angeführten Kriterien nicht tauglich. Die Gesetzesumgehung ist kein Rechtsmissbrauch, denn die Funktionen des Art. 103 II GG werden durch die Gesetzesumgehung zum überwiegenden Teil nicht berührt. Der sachliche Kern des Rechtsmissbrauchsbegriffs weist ohnehin vollständig auf die teleologische Auslegung zurück, so dass die Einführung des Rechtsmissbrauchsbegriffs im günstigsten Fall überflüssig ist. Es steht indessen vielmehr zu befürchten, dass die Verwendung des juristischen Kraftausdrucks „Rechtsmissbrauch“ zu judiz-dominierten und methodisch ungebundenen strafrechtlichen Entscheidungen führt.24 Das der steuerrechtlichen Umgehungsdiskussion entliehene Künstlichkeitskriterium ist nur von begrenztem Nutzen, denn dieses Merkmal ist auf das Vorhandensein außerrechtlicher Vergleichsmaßstäbe zwischen „normalem“ und „unnormalen“ Verhalten angewiesen, die sich für Umgehungskonstellationen außerhalb des Wirtschafts- und Steuerrechts jedoch oftmals nicht finden ließen. Zudem ist das Künstlichkeitskriterium auch für das Wirtschafts- und Steuerrecht auf stabile Verhaltenserwartungen angewiesen und muss beim Auftreten innovativer wirtschaftlicher Gestaltungen enttäuschen oder sachwidrige Ergebnisse hervorbringen. Die häufig gewählte Ausrichtung des strafrechtlichen Umgehungsbegriffs an der steuerrechtlichen Diskussion um die Merkmale des § 42 AO führt zudem zu einer Überbetonung des Wertes des Atypizitätskriteriums und ist damit geeignet, die Grenze zwischen echter und unechter Gesetzesumgehung zu verwischen: ungewöhnliches Verhalten mag darauf schließen lassen, dass der Täter die Rechtsfolgen der Norm vermeiden möchte, das Bestehen einer teleologischen Lücke auf der Tatbestandsseite der Norm kann damit jedoch nicht dargetan werden. Sinnvoll ist das Künstlichkeitskriterium daher allenfalls, um die Absicht der Gesetzesumgehung zu indizieren; dies jedoch nur insoweit, als die Umgehungsabsicht für die Auslösung strafrechtlicher Rechtsfolgen überhaupt von Bedeutung ist.25 15. Die Definition der Gesetzesumgehung ist daher objektiv nur wie folgt vorzunehmen: Die Gesetzesumgehung im Strafrecht ist ein die Straffreiheit begründendes Vorverhalten des Täters selbst, welches als zweckwidrig im Sinne einer „teleologischen Lücke“ der betreffenden Strafnorm zu bezeichnen ist. Die 23 D. IV. 2. b) ee) (S. 254 ff.), dort auch weitere Beispiele für „unechte Gesetzesumgehungen“. 24 B. I. 2. a) aa) (3) (b) (dd) (S. 54 ff.); D. IV. 3. (S. 260 ff.). 25 D. IV. 4. (S. 263 ff.).

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Zusammenfassung der Ergebnisse

Gesetzesumgehung ist – bei allein teleologischer Betrachtungsweise – zugleich ein Paradoxon der Rechtstheorie, denn sie beschreibt die unilaterale Normänderung durch den eigentlich Normunterworfenen.26 16. Hinsichtlich der subjektiven Seite der Gesetzesumgehung ist sorgfältig zwischen der deskriptiven Rolle subjektiver Elemente und ihrer Funktion für die Rechtsfolgenseite zu unterscheiden. Es bestehen folgende Mindestanforderungen: Für die Bestrafung von Sachverhalten mit Umgehungscharakter sind offensichtlich wenigstens die gleichen subjektiven Anforderungen zu stellen wie an Fälle, die eindeutig der betreffenden Strafnorm unterfallen. Auch in deskriptiver Hinsicht gilt das gleiche: Ist die umgangene Norm nur vorsätzlich begehbar, so darf ein Sachverhalt, den eine „teleologische Lücke“ kennzeichnet, nur dann als Gesetzesumgehung gekennzeichnet werden, wenn auch hier die entsprechende Umstandskenntnis und die sonst von der Norm vorausgesetzten subjektiven Merkmale gegeben sind.27 17. Die Bestrafung von Sachverhalten mit Umgehungscharakter setzt keine besondere Umgehungsabsicht voraus, im Grundsatz genügt der allgemeine Tatbestandsvorsatz. Gegebenenfalls erhöhte subjektive Anforderungen für einzelne Straftatbestände sind kein Umgehungsspezifikum, sondern ergeben sich aus der allgemeinen Funktion subjektiver Deliktsmerkmale: § 15 StGB ist eine Ausprägung des Schuldprinzips, das nach allgemeiner Auffassung Verfassungsrang hat; der Schuldgrundsatz ist dabei die auf den einzelnen Bürger bezogene Ergänzung des generellen Grundsatzes nulla poena sine lege. Deshalb ist es etwa für § 370 AO oder § 264 StGB im Umgehungszusammenhang erforderlich, dass der Einzelne über die bloße Kenntnis der Umstände hinaus die Steuer- bzw. Subventionserheblichkeit seiner falschen oder unvollständigen Angaben erkennt. Welche Vorsatzform im Einzelnen für die Funktionsabsicherung subjektiver Unrechtsmerkmale eingefordert wird, ist nicht von vornehmlicher Bedeutung, sofern sich der Strafrichter Gewissheit darüber verschaffen kann, dass der Täter die strafrechtliche Relevanz seiner Angaben (bzw. des Unterlassens von Angaben) vor Augen hatte. Die individuell-freiheitssichernde Funktion des strafrechtlichen Vorsatzerfordernisses kann sich jedoch nur entfalten, wenn die konkrete Norm überhaupt objektiv erkennen lässt, was subjektiv hätte erkannt werden müssen. Vage Umgehungsklauseln – hier ist vor allen anderen § 42 AO zu nennen – dürfen daher selbst bei erhöhten subjektiven Anforderungen nur ganz restriktiv zur Begründung strafrechtlicher Rechtsfolgen herangezogen werden.28 18. Umgekehrt aber kann die Absicht des Täters, eine Norm zu umgehen oder zu erschleichen, unter keinen Umständen Sachverhalte strafrechtlich relevant werden lassen, die es ohne diese besondere Zwecksetzung des Täters nicht 26 27 28

D. IV. 4. a) bb) (S. 271 ff.). D. IV. 5. a) (S. 275 ff.). D. IV. 5. b) aa) (S. 279 ff.).

Zusammenfassung der Ergebnisse

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wären. Die gerichtlich nachgewiesene besondere innere Einstellung des Täters zum objektiven Umgehungsgeschehen darf im Strafrecht nur herangezogen werden, um im konkreten Fall die Vorhersehbarkeit der staatlichen Strafe individuell zu bestätigen. Sie darf nach dem in Art. 103 II GG zugrunde gelegten Prinzip des Tatstrafrechts jedoch keinesfalls dazu verwendet werden, ein fehlendes oder nicht nachweisbares äußeres Geschehen zu substituieren.29 19. Es sind für die Deskription der Gesetzesumgehung im Strafrecht keine zwingenden Gründe vorhanden, nur die absichtlich auf den Umgehungserfolg gerichtete Umgehungshandlung als Gesetzesumgehung zu bezeichnen. Für den alleinigen Gebrauch eines auf dieses subjektive Element hin zugespitzten, „idealtypischen“ Begriffs der Gesetzesumgehung mag das alltagssprachliche Wortverständnis von „Gesetzesumgehung“, vor allem aber von „Gesetzeserschleichung“ sprechen; ebenso der Umstand, dass viele Gesetzesumgehungen im Bereich des Wirtschafts- und Steuerrechts tatsächlich absichtlich geschehen und schließlich der didaktische Wert eines auf diese Weise pointierten Begriffs für die weitere Diskussion über Gesetzesumgehungen. Gegen diese idealtypische Definition von Gesetzesumgehungen im Strafrecht spricht allerdings, dass sie nicht mit den (tatsächlich geringeren) subjektiven Voraussetzungen übereinstimmt, die für die Bestrafung von Sachverhalten mit Umgehungscharakter vorliegen müssen. Eine endgültige Entscheidung über die sinnvollste Verwendung des Begriffs „Gesetzesumgehung“ ist mithin davon abhängig, welcher Nutzen einem an der Rechtsfolgenbildung orientierten (also nichtidealtypischen) Umgehungsbegriff bei der praktischen Anwendung des Strafrecht überhaupt zukommen kann.30 20. Der rechtsfolgenorientierte (also praktische) Wert eines präzisen Umgehungsbegriffs bzw. des Arguments „Gesetzesumgehung“ muss zunächst von der Fragestellung abhängen, welche Freiheit die deutsche Verfassungsordnung den Strafgerichten und dem Gesetzgeber zugesteht, den Umgehungsbegriff bzw. das Umgehungsargument zu der Grundlage ihrer Entscheidungen zu machen. Für den Rechtsanwender ist außerdem zu ermitteln, ob und gegebenenfalls welchen zusätzlichen methodologischen und/oder verfassungsrechtlichen Bindungen er bei der Bestimmung seines Auslegungsziels unterworfen ist. Schließlich kann – an die Antworten auf diese Problemstellungen anknüpfend – der Frage nachgegangen werden, welchen methodischen Wert der Umgehungsbegriff für die Rechtspraxis in Hinblick auf diejenigen Sachverhalte hat, in denen seine Verwendung dem Gesetzgeber oder Rechtsanwender grundsätzlich von Verfassungs wegen offen steht.31 21. Die Bedeutung der Gesetzesumgehung für die Rechtspraxis ist von der jeweiligen Auslegungszielbestimmung des Rechtsanwenders abhängig. Mit einer 29 30 31

D. IV. 5. b) aa) (5) (S. 292 ff.). D. IV. 5. b) bb) (S. 294 ff.). E. (S. 300 ff.).

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Zusammenfassung der Ergebnisse

Favorisierung der so genannten subjektiven Auslegungszielbestimmung geht eine tendenziell eingeschränkte Relevanz der Umgehungsproblematik einher: Nur diejenigen Rechtsguts- oder Interessenverletzungen, für die sich eindeutig erweist, dass der historische Gesetzgeber sie mittels eines bestimmten Normtatbestandes als Rechtsgutsverletzung Strafe unterwerfen wollte, sind überhaupt dafür geeignet, umgangen zu werden. Die Bevorzugung der so genannten objektiven Theorie führt dagegen dazu, dass der Gesetzesumgehung als Rechtsproblem zu höherrangiger Bedeutung verholfen wird: Der Rechtsanwender ist bei der Bestimmung der intendierten Reichweite der Norm nicht an das ursprünglich gemeinte Telos des Gesetzes – und damit sind im Strafrecht insbesondere der Umfang und die Richtung des Rechtsgutsschutzes zu verstehen – gebunden, sondern nach der „objektiv-teleologischen“ Methode dazu befähigt und berufen, den gegenwärtig gewollten Rechtsgutsschutz des Strafgesetzes zu ermitteln. Fallen das Ergebnis von „subjektiv-teleologischer“ und „objektivteleologischer“ Auslegung für einen Umgehungssachverhalt auseinander, so kann das erkennende Gericht nach dem in der Praxis derzeit vorherrschenden Verständnis von juristischer Methodik faktisch frei darüber entscheiden, ob es eine „teleologische Lücke“ annehmen möchte oder nicht. Sowohl aus Gründen der Methodik als auch in Hinblick auf das Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip ist jedoch eine „subjektive“ Theorie „im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten“32 vorzugswürdig. Die „objektive“ Theorie tendiert hingegen zu einer wortlautfernen Auslegung und bringt die Gefahr mit sich, dass der Gesetzesanwender auch für unechte Gesetzesumgehungen (als vermeintlich normzielimmanente Sachverhalte) auf eine Bestrafung hinarbeitet. Umgehungshandlungen sollten indessen nur dann strafrechtliche Rechtsfolgen auslösen, wenn die Bestrafung des Täters dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des historischen Gesetzgebers nicht widerspricht.33 22. „Subjektive“ wie „objektive“ Theorie haben die Strafbarkeitslücken zu respektieren, die sich aus dem Prinzip der Wortlautgrenze ergeben. Es darf als ein nicht-teleologisches, gegenüber der richterlichen Eigenwertung externes Kriterium, bei dem alle Auslegung zu beginnen hat, nicht aufgegeben werden. Die zutreffende Einsicht, dass die durch die Sprache vorgegebene Einfassung der Auslegung nicht für jeden Fall eindeutig sein kann, rechtfertigt es nicht, auch noch diese unvollkommene Begrenzung der Auslegung einem „semantischen Nihilismus“34 auszuliefern.35 23. Das Gesetzlichkeitsprinzip aus Art. 103 II GG gilt absolut. Weder die Bezugnahme auf überpositive Rechtsvorstellungen noch auf angeblich kollidierendes Verfassungsrecht haben einen überzeugenden Grund dafür abgeben können, das 32 33 34 35

Loos, Wassermann-FS, S. 123 ff. (129). E. II. 1. (S. 303 ff.). NK-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 121. E. II. 1. c) cc) (S. 316 ff.).

Zusammenfassung der Ergebnisse

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Gesetzlichkeitsprinzip für den Umgehungszusammenhang einzuschränken. Zu diesem Ergebnis ist diese Untersuchung auch für den ursprünglichen Kontext dieser Angriffe auf das Gesetzlichkeitsprinzip (nämlich die Mauerschützenproblematik) gelangt. Anhand der Diskussion um die Einschränkung von Art. 103 II GG im Wege naturrechtlicher Erwägungen bzw. praktischer Konkordanz wurde dabei offenbar, wie relativ mühelos der rechtsethisch aufgeladene Umgehungs-Topos Argumentationsmuster adaptiert, die in anderen Zusammenhängen von einfallsreichen Norminterpreten entwickelt worden sind, um die hinderlichen formellen Bindungen des Strafrechts zu überwinden. Die Gesetzesumgehung ist daher ein Lehrstück für die Forderungen nach materieller Einzelfallgerechtigkeit im Strafrecht und dafür, was sie anrichten können.36 24. Die Erfassung von gesetzesumgehendem Verhalten kann damit nur strikt innerhalb der durch Art. 103 II GG gezogenen Grenzen erfolgen. Das Auslegungsergebnis darf nicht mit dem Argument „Gesetzesumgehung“ entgegen der von Art. 103 II GG vorgesehenen Wortlautgrenze korrigiert werden. Ebenso wenig ist der Normgeber dazu befugt, Umgehungsverhalten mit einer strafrechtlichen Gesetzgebung entgegenzuwirken, die nicht mit dem „Lex-certaSatz“ in Einklang zu bringen ist.37 25. Dem Rechtsanwender ist die Erfassung von Umgehungshandlungen nur ganz beschränkt möglich. Ein allgemeines Rechtsinstitut „Gesetzesumgehung“, demzufolge jede Strafnorm des materiellen Strafrechts zugleich das Verbot ihrer Umgehung enthält, ist durch den Grundsatz „Nullum crimen sine lege stricta et scripta“ aus Art. 103 II GG untersagt. Dabei gilt das Analogieverbot für die Überschreitung des natürlichen Wortsinnverständnisses ebenso wie für die Unterschreitung des natürlichen Wortsinnverständnisses qua „Gegenanalogie“. Auch die so genannte faktische Auslegung genießt in Hinblick auf Art. 103 II GG keine Privilegien. Sie kann immerhin für die Tatbestandsmerkmale des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, die nicht zwingend zivilrechtsakzessorisch auszulegen sind, eine zulässige ausdehnende Auslegung der betreffenden Merkmale begründen. Das Analogieverbot und das Verbot von Gewohnheitsrecht gelten auch für die strafbegründenden bzw. straferweiternden Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB. Das zu der Begründung der actio libera in causa herangezogene Ausnahmemodell ist daher verfassungswidrig, die Einschränkung der Notwehr für provozierendes Vorverhalten dagegen ist jedenfalls in Hinblick auf das Analogieverbot grundgesetzkonform. Um Gesetzesumgehungen strafrechtlich zu erfassen, ist es zulässig, auf Analogiebildungen außerhalb des Strafrechts zurückzugreifen, soweit sie für die Auslegung normativer Tatbestandsmerkmale herangezogen werden und in dem jeweils in Bezug genommenen Teilbereich der Rechtsordnung selbst zugelassen sind. Unzulässig ist dagegen die Anwendung außerstrafrechtlicher Analogien, soweit sie durch 36 37

E. II. 2. a) (S. 321 ff.). E. II. 2. b) (S. 347 ff.).

414

Zusammenfassung der Ergebnisse

Blankettmerkmale in Bezug genommen werden. Die Abgrenzung zwischen normativem Tatbestandsmerkmal und Blankettmerkmal richtet sich dabei danach, ob das jeweilige Merkmal das Schutzobjekt des Straftatbestandes bezeichnet.38 26. Der Strafgesetzgeber darf erfolgreichem Umgehungsverhalten stets nur ganz punktuell entgegenwirken, wobei sich seine Handlungsmöglichkeiten erweitern, sobald vorgelagerte außerstrafrechtliche Normen ins Spiel kommen. Mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 II GG ist es unvereinbar, schlicht die „Umgehung“ eines Straftatbestandes unter Strafe zu stellen. Eine solche Regelung wäre unabhängig davon verfassungswidrig, ob man sie als Generalklausel im Allgemeinen Teil des StGB platzierte oder als weiteren Absatz in Straftatbestände des Besonderen Teils einfügte. Zulässig ist es dagegen, so genannte bereichsspezifische Umgehungsklauseln einzufügen, soweit diese das (nunmehr) tatbestandsmäßige Verhalten wenigstens in seinen Grundzügen umreißen. Der Bestimmtheitsgrundsatz gilt – wenngleich mit gewissen unvermeidbaren Einschränkungen – auch für den Allgemeinen Teil des StGB. Der Ausschluss jeglicher Notwehrrechte für den Absichtsprovokateur ist danach mit Art. 103 II GG nicht in Einklang zu bringen. Verfassungsrechtlich noch hinnehmbar – dogmatisch aber wenig überzeugend – ist die Bestrafung der actio libera in causa unter Zuhilfenahme des von der herrschenden Meinung vertretenen Tatbestandsmodells. Ein differenziertes Bild ergibt sich für außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln, auf die mit strafbegründender Wirkung durch Strafgesetze Bezug genommen wird: Außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln, die zur Auslegung normativer Tatbestandsmerkmale herangezogen werden, unterliegen nicht dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, sondern nur dem für das jeweilige Rechtsgebiet geltenden Gesetzesvorbehalt. Ungeachtet dessen kann es für die Vorhersehbarkeit staatlicher Strafe erforderlich sein, insbesondere generalklauselartige Umgehungsnormen – und hier vor allem den nach wie vor vagen § 42 AO – nur äußerst restriktiv anzuwenden. Die Anwendung außerstrafrechtlicher Umgehungsklauseln bei echten Blankettstrafgesetzen ist verfassungswidrig, sofern die in Bezug genommenen Umgehungsklauseln selbst nur im Rang eines materiellen Gesetzes stehen. Umgehungsklauseln im Rang eines formellen Gesetzes, auf die durch unechte Blankettstrafgesetze verwiesen wird, dürfen hingegen grundsätzlich zur Strafbegründung herangezogen werden. Sie müssen sich aber am Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG messen lassen.39 27. Im „Kernstrafrecht“ ist Umgehungsverhalten damit nur ganz begrenzt und separat zu erfassen. Hier kann erfolgreichem Umgehungsverhalten weitestgehend nur mit den so genannten bereichsspezifischen Klauseln entgegnet werden, so dass der Staat bei der strafrechtlichen Verfolgung von Umgehungshandlungen in 38 39

E. II. 2. b) aa) (S. 348 ff.). E. II. 2. b) bb) (S. 361 ff.) und dabei insbesondere E. II. 2. b) bb) (3) (S. 381 ff.).

Zusammenfassung der Ergebnisse

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diesem Bereich stets besonders unbeweglich erscheinen wird. Für Umgehungsund Erschleichungskonstellationen auf Rechtswidrigkeits- und Schuldebene ändert selbst die hier zugestandene Abmilderung der Anforderungen an den Lex-certa-Satz für den Allgemeinen Teil des StGB nichts daran, dass die Bestrafung der beiden prominentesten Erschleichungsfälle – der actio libera in causa, vor allem aber der absichtlichen Notwehrprovokation – erheblichen Bedenken ausgesetzt ist. Im Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht, das am häufigsten von Gesetzesumgehungen betroffen ist, bestehen vergleichsweise weitgehende Möglichkeiten, Umgehungsgestaltungen strafrechtlich zu erfassen. Hier ist zum einen häufig eine faktische Auslegung der betroffenen Merkmale möglich, zum anderen gilt jedenfalls hinsichtlich normativer Tatbestandsmerkmale Art. 103 II GG insoweit nicht, als zur Erfassung von Umgehungsverhalten Analogien und (relativ) unbestimmte Umgehungsklauseln der vorgelagerten Rechtsmaterie herangezogen werden dürfen. Diese Vorteile gelten allerdings nicht, soweit sich der Gesetzgeber der Blanketttechnik bedient. Hier gilt das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip in vollem Umfang.40 28. Die strafbegründende Verwendung des Begriffs bzw. des Arguments „Gesetzesumgehung“ ist damit dem Rechtsanwender wie dem Gesetzgeber größtenteils verwehrt. Der Begriff kann als Gesetzesbestandteil nur zur Anwendung kommen, wenn in normativen Straftatbestandsmerkmalen auf außerstrafrechtliche Umgehungsklauseln verwiesen wird, die diesen Begriff enthalten und die den Bestimmtheitsanforderungen des jeweiligen Rechtsgebiets genügen.41 29. Unabhängig von Art. 103 II GG kann die Auslegungsmethodik für das Strafrecht durch besondere Auslegungsgrundsätze für die Gesetzesumgehung nicht gewinnbringend fortgebildet werden kann. Dass dem Umgehungsbegriff dieser Nutzen nicht zukommen kann, wird offenbar, wenn die einzelnen Charakteristika der Gesetzesumgehung noch einmal vergegenwärtigt werden. Die meisten von ihnen sind für die Gesetzesauslegung im Strafrecht irrelevant. Dies betrifft vor allem die Umgehungsabsicht, das Künstlichkeitskriterium und die Verknüpfung der Gesetzesumgehung mit dem Rechtsmissbrauchsbegriff. Auch die sachlich zutreffende Beschreibung der Gesetzesumgehung als teleologische Normlücke ist nicht von bleibendem Wert für die Auslegung im Strafrecht, denn diese Charakterisierung verweist vollständig auf die teleologische und grammatikalische Gesetzesauslegung und damit auf bereits etablierte Auslegungsmethoden zurück. Die Berufung auf die Gesetzesumgehung im Zuge der Gesetzesauslegung ist damit bestenfalls überflüssig. Jedoch ist zu bedenken, dass der Hinweis auf den Umgehungscharakter des Täterverhaltens nicht nur auslegungsneutral bleiben wird, sondern sich auf eine methodisch fundierte, verfassungsgemäße und nachvollziehbare Strafbegründung negativ auswirken

40 41

E. II. 3. (S. 392 ff.). E. III. (S. 397 ff.).

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Zusammenfassung der Ergebnisse

kann. Jede Gesetzesauslegung im Strafrecht hat daher auf den Begriff oder das „Argument“ Gesetzesumgehung zu verzichten.42 30. Mit dem Begriff der Gesetzesumgehung sollte im Strafrecht daher allein die Beschreibung einer rechtlichen Problemstellung gemeint sein, für deren Bewältigung Erkenntnisse über das Phänomen Gesetzesumgehung ohne Bedeutung bleiben müssen. Den sachlichen Kern des Umgehungsbegriffs bildet die „teleologische Lücke“. Weitere idealtypische Zuschreibungen, die mit Rücksicht auf allgemeine Vorstellungen vom Wesen der Gesetzesumgehung nahe lägen43 und besonderen Anlass für gesetzgeberische Aktivitäten gäben, werden für die Gesetzesumgehung im Strafrecht durch die Strafrechtswirklichkeit falsifiziert: 1. Nahezu alle in dieser Untersuchung vorgestellten Sachverhalte der Gesetzesumgehung sind nicht folgenlos geblieben, sondern von der Rechtsprechung für strafbar erklärt worden. 2. Ungeachtet seiner scharfen Rechtsfolgen ist es rechtstatsächlich wohl nicht ausgerechnet das Strafrecht, das in besonderem Maße dem Versuch ausgesetzt ist, verbotene Ziele zu erreichen, aber dabei doch straflos zu bleiben. Umgehungstäter werden von anderen, wirtschaftlichen Antrieben geleitet; die Strafbarkeit ihres Verhaltens nehmen sie dabei gerade in Kauf.44

42

E. III. (S. 397 ff.). Das ist zum einen die Überlegung, nur erfolgreiche Strafnormvermeidungen als Gesetzesumgehung zu bezeichnen und zum anderen die Vorstellung, der Begriff der Gesetzesumgehung bezeichne stets die absichtliche Umgehung der jeweils betroffenen Vorschrift. 44 F. (S. 401 f.). 43

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Personenverzeichnis Alexy, Robert 337 Aquin, Thomas von 325 Aristoteles 325 Armbrüster, Christian 228 Benecke, Martina 223 – 228, 230, 238 f., 242, 244, 247 – 249, 252, 281, 398 Binding, Karl 353 Bruns, Hans-Jürgen 33, 35, 46, 128, 167, 198, 203 – 205, 229, 231, 235, 237, 347, 351 Buchner, Silke 336 – 338 Burchard, Friedrich von 205 f., 232 Dannecker, Gerhard 34 Dreier, Horst 326 Drüen, Klaus-Dieter 99 Enderle, Bettina

353

Fahl, Christian Flume, Werner

21 106 f.

Gierke, Otto von

233

99

Jakobs, Günther 34, 306 Jerouschek, Günter 79 Jhering, Rudolf von 299 Kallikles 325 Kölbel, Ralf 58 f., 79 Krey, Volker 80 Kruse, Heinrich Wilhelm

58

Mandeville, Bernhard de 401 Mayer-Maly, Theo 228 Mitsch, Wolfgang 34 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de 301, 366 Naucke, Wolfgang 305, 311 f. Nippoldt, Rolf 35, 200 – 202, 232 Otto, Harro

77, 79, 172 f.

Pohl, Rolf 35, 98, 206, 234, 261 Puchta, Georg Friedrich 299

Hensel, Albert 242 Herzberg, Rolf Dietrich 86 Hesse, Konrad 336 Hobbes, Thomas 325 Hruschka, Joachim 80 Isensee, Josef

Loos, Fritz 282 Luhmann, Niklas

99

Radbruch, Gustav 323, 325 f., 328 f. Reisner, Sigrun 31, 35, 209 – 211, 232, 235 Röckl, Edgar 98, 290 Rönnau, Thomas 155 f. Rosenau, Henning 336 f., 339 – 341, 344 Roxin, Claus 34, 85 Rudolphi, Hans-Joachim 33 Rüthers, Bernd 306 Savigny, Friedrich Carl von 89 Schlüchter, Ellen 289 Schurig, Klaus 224, 244, 398 Siebert, Wolfgang 233 Sieker, Susanne 222 f., 275 Stöckel, Heinz 30, 35, 46, 67 f., 71, 76, 78, 90, 180, 196 – 200, 203, 207, 228, 231 f., 234, 236, 239, 241 f., 261 – 264, 271, 285, 319, 331 f., 347 Streng, Franz 87 f. Sydow, Dorothee 86 Teichmann, Arndt 206, 215 – 218, 224, 228, 230, 242, 246 – 248, 275, 303 Thukydides 325

444

Personenverzeichnis

Tiedemann, Klaus 33, 36, 97, 144 f., 168 f., 199 f., 229, 232, 234, 238 f., 284, 289, 347, 389 Ulpian, Domitius

292

Vogel, Joachim 31, 33, 36, 46, 93, 207 – 209, 231, 234, 238, 283 f., 290, 347

Weber, Max 243, 297 Weber, Ulrich 34 Welzel, Hans 363 Wenderoth, Dieter 98 Westerhoff, Rudolf 218 – 222, 230, 248 Windscheid, Bernhard 233

Stichwortverzeichnis Absichtsprovokation 25, 46, 50, 52 – 54, 56, 58, 60, 65 f., 68 – 70, 77 f., 89, 359, 391 f., 397 Abtreibung 26, 39 f., 42, 45 actio illicita in causa 50, 61 – 63, 69, 187 actio libera in causa 25, 27, 46, 50, 62, 68, 71 – 81, 83, 85, 87 – 89, 101, 141, 159, 184 f., 187 – 190, 193, 248, 255, 265, 277, 279, 322, 330, 348, 354, 357 – 361, 390, 392, 395 – 397, 403, 406, 413 – 415 Additionsklausel 168, 254, 267 Analogie 28, 31, 48, 96, 103, 105, 107, 112, 125, 132, 160, 162, 179, 199, 209, 211, 213 – 215, 217 – 221, 224, 229 f., 244, 269, 307 f., 316, 349, 360, 363, 365, 384, 398, 404, 408 Analogieverbot 26, 34, 37, 98, 118, 120, 131 f., 136, 144, 158, 179, 183, 197, 204, 211, 251, 287, 308, 310, 320, 322, 330 f., 343, 351, 355 f., 358 f., 361, 383 – 385, 387, 392, 394 f., 398, 404, 413 Auslegungszielbestimmung 212, 253, 301, 304 – 307, 309 – 311, 313, 315, 317, 320, 349, 377, 393, 411 Ausnahmemodell 74, 79, 81, 88, 330, 360, 392, 395, 413 Außenwirtschaftsgesetz 25, 111, 137 Befehl 71, 311, 366 Berufsverbot 126, 167 f., 266, 385 Bestimmtheitsgrundsatz 35, 87, 131, 134, 156, 166, 287, 291, 316, 338, 362 – 365, 369 – 371, 373, 376, 378, 380, 382, 384 f., 389 f., 392, 395 f., 414 Betrug 114, 169, 172, 176, 180 Beurteilungsspielraum 300, 302 Bienenfabel 401 Centros 149 – 152, 163 Computerbetrug 172, 177, 255

Deduktion

29 f.

Endverbleib 138 – 140, 206 Erfassungsmöglichkeiten 96, 101, 183, 186, 195, 307, 347 f. Ersatzhehlerei 180 f., 256 f., 319, 362 Erschleichung 21, 27, 35, 44, 46, 48 f., 51, 53, 56 f., 59, 63, 65 f., 68, 70 f., 73 – 75, 77, 85, 88 f., 112, 122, 135, 139, 141, 166, 174, 177, 183, 188, 193, 199 f., 218, 237, 240 f., 245 f., 255, 277, 295, 348, 358, 386, 398, 404, 406 Erschleichung von Leistungen 174, 255 Fahrerlaubnis 21 f., 164 f. Faktische Auslegung 38, 125 f., 128, 144, 310, 350 f., 394, 396, 399, 404, 413, 415 Faktische Betrachtungsweise 34 f., 126 – 129, 158, 167, 235, 299, 351 Finalität 192, 240 Gegenanalogie 48, 51, 58, 79, 105, 119, 125, 183, 246, 310, 320, 335, 349, 355, 359, 394, 404, 413 Gesellschaftsstatut 149 f., 154 Gesetzlichkeitsprinzip 20, 55, 91, 97, 128, 160, 162, 211, 262, 292, 299, 312, 320, 322, 329, 332 – 334, 336 – 338, 340, 344, 346, 350, 355, 361, 363, 371, 374 f., 382, 384, 386 f., 389 f., 394, 396, 401, 404, 412, 415 Grundfreiheiten 149, 153 f., 158 f., 161 – 163 Grundrechte 43, 321, 323, 325 f., 329, 334 – 336, 340 – 346 Idealtypischer Umgehungsbegriff 297 f. Induktion 29 Inspire Art 149, 151 – 153, 163 Investitionszulagengesetz 49, 124, 185, 203

446

Stichwortverzeichnis

Kaviarfall 117 Kriegswaffe 140, 142 – 145, 275 f., 310 Künstlichkeit 66 f., 107, 136, 171, 192, 196, 205, 208, 231 f., 235, 256, 259, 263 – 265, 267, 270 – 274, 283 Leerspielen

174, 177 f.

Materielle Gerechtigkeit 93, 208, 375 Mauerschützen 322 – 324, 327, 329, 333, 336, 339 – 341, 344 Mehraktigkeit 53, 187, 271, 274, 406 Missbrauch 57, 92, 94 – 98, 100, 103 – 107, 109, 118, 121 – 123, 139, 163, 174, 197, 199, 203 f., 209, 216, 218, 222, 233, 235, 261 f., 269, 331, 335, 398 Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten 92, 94 – 98, 100, 103 – 107, 109, 118, 122, 204, 209, 217, 235, 398 Naturrecht 80, 322, 324 f., 331 f., 339 Nebenstrafrecht 35 f., 284, 287, 289, 354, 396, 399 Normerschleichung 46, 49, 273 Normgeltung 182 f., 257 f., 278, 317, 404 Notwehrprovokation 46 – 48, 50 – 61, 63 – 68, 70, 73 – 79, 81 f., 88, 94, 101, 121, 141, 159, 184 – 186, 188 – 191, 193, 255, 257, 265 f., 279, 293, 330, 348, 354, 359, 390, 396, 403, 405 f., 415 Omissio libera in causa

73

Praktische Konkordanz 336, 338 – 341, 343, 345 f., 413 Progressive Kundenwerbung 146 f. Raubkopieren 174, 176 Rechtsfolgenorientierter Umgehungsbegriff 296 Rechtsgut 60, 105, 181, 250, 253, 258, 277, 279, 288, 310, 345, 366, 408 Rechtsinstitut 32, 63, 68, 136, 198, 208, 211, 213 – 217, 222, 226 – 228, 244, 270, 273, 288, 292, 299, 320 f., 347, 349, 352 – 354, 357, 394 f., 407, 413

Rechtsmissbrauch 21, 44, 50 f., 56 – 59, 62, 66, 69, 100, 136, 150, 164, 166, 186, 197, 199, 206, 209, 216, 219, 226, 233 – 235, 242, 260 – 263, 322, 331, 399, 409 Rechtsmissbrauchsklausel 118, 165, 254 Rechtspraxis 46, 72, 89, 100, 150, 180, 184, 214, 224 – 226, 235, 249, 300, 317, 368, 372, 377 f., 382, 397, 411 f. Rechtssicherheit 20 f., 34, 39, 81, 93, 140, 161, 182 f., 202, 208, 221, 239, 267, 282, 291, 326 f., 329 f., 342, 350, 372, 375, 394, 397 Reichenprivileg 39, 43 Relativierung des Bestimmtheitsgrundsatzes 156, 373 Relevanz 29, 74 f., 98, 134, 137, 144, 146, 159, 181, 183 f., 193, 195, 207, 228, 230, 237, 284, 300, 305, 317, 388, 410, 412 Sachverhaltsdurchgriff 204, 229, 235, 269, 274, 347 Scheingeschäft 92, 94, 120, 134, 139, 167, 184, 189, 200 f., 210 f., 292, 405 Scheinhandlung 49, 92 – 94, 101, 110, 112 f., 117, 120, 134, 137, 142, 144 f., 184, 189, 211, 405 Schwangerschaftsabbruch 26, 40 – 45, 101, 184, 187 f., 257, 397, 403, 406 Schwarzfahren 174 – 176, 178 Sperrfrist 164 Spielautomat 177 f. Steuerhinterziehung 27, 35, 91 f., 97 f., 101, 104, 108 – 111, 118, 193, 206, 211, 213, 280, 286, 289 f., 348 Steuerumgehung 35, 91 f., 94, 96 – 98, 100 – 102, 104, 107 – 110, 116, 118, 121 f., 129, 141, 159, 185, 192, 200, 204, 206, 212 f., 233, 235, 254, 256, 268, 286 f., 289 – 291, 348 Strafbedürftigkeit 78, 250 – 253 Strafwürdigkeit 20, 22, 41, 44, 79, 88, 140, 147, 161, 172 f., 175, 182, 192, 250 – 253, 257, 279, 318, 322 Subjektivität 192, 207 Subventionsbetrug 118, 169 Subventionserschleichung 118, 120 – 124, 129, 141, 159, 193, 200, 205, 230, 248, 254, 280, 284, 343, 348

Stichwortverzeichnis Tatbestandslösung 81 f., 86, 88, 187, 360 f. Teleologische Lücke 31 f., 104, 106 f., 122 f., 129, 159 f., 162, 171, 173, 181, 183, 189 – 192, 195, 204, 208 f., 211, 229, 231, 245 f., 248 – 260, 262, 264 f., 270 f., 276 f., 281, 295, 303, 305, 307, 309, 317 f., 335, 349, 362, 397, 399, 404, 406 – 410, 412, 416 Teleologische Reduktion 58, 75, 79, 81, 120, 124 f., 183, 230, 246, 260, 269, 334 f., 349, 358, 391, 404 Telos 27, 32, 34, 41, 47, 49, 51, 54, 56 – 59, 66, 68, 73, 78, 80, 82, 88, 93, 103 f., 132 f., 175, 191, 217, 242, 248, 252, 256 f., 274, 277, 283, 286, 305, 307, 319, 357, 376, 381, 383, 391, 409, 412 Überseering 149, 151, 163 Umgehungsabsicht 32, 44, 67 f., 100, 108 f., 116 f., 121 f., 136 f., 145 f., 162 f., 168, 194, 198, 200, 202, 204, 206, 208, 214, 216, 220 f., 223, 226, 232, 236 – 239, 257, 272, 274, 278 – 280, 282 f., 285 f., 292 f., 296 f., 394, 399, 407, 409 f., 415 Umgehungselemente 101, 108, 138, 195, 207, 228, 236, 238 f., 272, 275, 294 Umgehungsklausel 32, 38 f., 42 f., 45, 91, 107, 112, 120, 125 f., 136, 165 f., 169, 179 f., 185, 187 f., 201, 213, 244 f., 266, 275, 284 f., 296, 299, 347, 362, 381, 383, 385 – 389, 395 f., 398, 404, 410, 414 f. Umgehungssachverhalt 40, 42, 44 f., 55, 71, 76, 78, 88, 101, 116, 140 f., 144, 159,

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162, 173, 180, 192, 208, 219, 223, 228 f., 246, 248, 252, 259, 270 – 272, 277, 279, 283, 285, 294 f., 303, 317, 320, 328, 348, 351, 358, 361, 406, 408, 412 Umgehungsstrafgesetz 90, 178 f., 245, 347, 381 Umgehungsverbot 130, 214, 382 Umweltstrafrecht 165, 167, 254, 330 Ungewöhnlichkeit 26, 82, 95, 196, 216, 221, 231 f., 235, 264 f., 268, 270, 273, 318, 406 Unvereinbarkeitsthese 78 Verschleierung von Sacheinlagen 129, 132 f., 136 f., 192, 248, 254, 261, 267, 275 Vorfeld 66, 86, 122, 162, 232, 265 f., 270 f., 274, 293 f., 352, 361 Vorhersehbarkeit 80, 156, 160, 282, 286, 289 – 291, 294, 316, 354, 365 – 371, 380, 382, 389, 396, 411, 414 Wirtschaftliche Betrachtungsweise 102, 120, 127, 209 Wortlautgrenze 28, 84, 88, 183, 215, 220, 224, 228, 230 f., 233 f., 247 f., 258, 279, 303, 307 – 310, 316, 319 f., 349 – 351, 355, 360, 384, 394, 399, 405, 412 f. Zigarettenschmuggel 113, 115 – 117 Zollstrafrecht 110, 112, 115, 119, 184, 403 Zweckwidrigkeit 160, 228, 231 f., 235, 238, 259, 264, 281, 284 f., 290, 383