Zeitschrift für Psychologie: Band 185, Heft 1 1977 [Reprint 2021 ed.]
 9783112581629, 9783112581612

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Band 185 (1977)

Heft 1

Zeitschrift für Psychologie mit Zeitschrift für angewandte Psychologie

Schriftleitung Friedhart Klix, Berlin • Hans-Dieter Schmidt, Berlin • Hubert Sydow, Berlin Redaktion: Jürgen Mehl, Berlin • Friedrich Kukla, Berlin

Unter Mitwirkung

von

C. Clauß, Leipzig H. Düker, Marburg H.-J. Eysenck, London P. Fraisse, Paris J . J . Gibson, Ithaca, N. Y. W. Hacker, Dresden H. Hiebsch, Jena A. Kossakowski, Berlin D. Koväc, Bratislava

A. N. Leontjew, Moskau B. F. Lomow, Moskau A. R. Luria, Moskau D. A. Oschanin, Moskau J . Piaget, Genf H. D. Rösler, Rostock W. P. Sintschenko, Moskau W. Straub, Dresden D. Wendt, Hamburg

Z . Psychol.

EVP 12,50 M je Heft

JOHANN AMBROSIUS BARTH

LEIPZIG

INHALT (Dresden). Zur Anforderungsabhängigkeit der Nutzung von hierarchischer Ordnung in Sequenzen. Mit 8 Abbildungen

1

M E H L und EDITH K A S I E L K E (Berlin). Zum Problem der Kriterienwahl bei der Effektivitätsbestimmung in der Psychotherapie. Mit 3 Abbildungen

34

und G. I . Ü E R (Düsseldorf). Über das Problemlösen bei der Konstruktion elektrischer Stromkreise. Mit 1 Abbildung

61

und H . LOHMANN (Berlin). Entscheidungsstrukturen als Grundlage für den Strategiewechsel zwischen Ziel- und Informationssuche im menschlichen Problemlosen, dargestellt am Zerlegungsproblem. Mit 20 Abbildungen

86

HACKER, W .

FEOHBUBO, INGE, J . H E L M , J .

PUTZ-OSTERLOH, WIEBKE,

KRAUSE, W . ,

und K . - F . KÖPCKE (Leipzig). Entwicklungspsychologische Aspekte der intellektuellen Lernfähigkeit im Erwachsenenalter. Mit 10 Abbildungen 128

ROETHER, D . , U . GALOW, B . GÖBNER, I I . H E N K E L , H . KÖPCKE

Buchbesprechungen

149

für Originalabhandlungen und R e f e r a t e werden an Dr. J. Mehl, Sektion Psychologie der Humboldt- Universität, DDR —102 Berlin, Oranienburger Straße 18, erbeten. Für diese Zeitschrift werden grundsätzlich nur Arbeiten angenommen, die vorher weder im Inland noch im Ausland veröffentlicht worden sind. Das Manuskript ist satzfertig einzusenden, damit das Lesen der Korrektur bei Zeitmangel von der Redaktion veranlaßt werden kann. Jede Abhandlung ist mit einer kurzen Zusammenfassung in 3facher Anfertigung für die Übersetzung in russischer und englischer Sprache abzuschließen. Mit der Annahme des Manuskriptes und seiner Veröffentlichung geht das alleinige Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung auf den Verlag über. Von Originalarbeiten liefert der Verlag an Stelle eines Honorars 50 Sonderdrucke. Buchbesprechungen werden nicht vergütet, dafür wird das Besprechungsexemplar Eigentum des Referenten. Der Bezugspreis betrügt für den Band mit 4 Heften 50,—M zuzüglich Postgebühren. Bestellungen nehmen entgegen: Der gesamte Buch- und Zeitschriftenhandel. Die Lieferung erfolgt bis zur Abbestellung, die nur für das Ende eines Bandes ausgesprochen werden kann. Adresse des Verlages: Johann Ambrosius Barth, DDR— 701 Leipzig, Salomonstr. 18b, Postfach 109, Ruf 29 52 45. Manuskripte

Anzeigen werden erbeten an DEWAG LEIPZIG (Inland), DDR - 705 Leipzig, Oststr. 105, Ruf 7 97 43 03: Interwerbung GmbH (Ausland), DDR - 104 Berlin, Tucholskystr. 40, Ruf 282 5196. Für die Anzeigenpreise gelten die Festlegungen gemäß Preiskatalog Nr. 286/1 vom 1. 7. 1975.

ZEITSCHRIFT FÜR P S Y C H O L O G I E Band 185,1977

Heftl

mit Zeitschrift für angewandte Psychologie

Band 92

Aus der Sektion Arbeitswissenschaften der Technischen Universität Dresden Lehrbereich Psychologie

Zur Anforderungsabhängigkeit der Nutzung von hierarchischer Ordnung in Sequenzen Von W.

HACKER1

Mit 8 Abbildungen

1. Problemlage Beim wiederholten Ausführen von Tätigkeiten entstehen relativ stabile interne Repräsentationen der zu berücksichtigenden Bedingungen, welche zunehmend die Regulation übernehmen und dadurch Leistung und Beanspruchung bestimmen. Für theoretische und praktische Zwecke interessiert, welche Sachverhalte in welcher Form in diesen regulierenden Repräsentationen abgebildet sind. Hier geht es um die Abbildung einer besonderen Art von Tätigkeitsbedingungen: Zahlreiche Vorgänge sind weder aufgebaut aus Sachverhaltsklassen, die durch gemeinsame Merkmale definiert sind, noch aus Gruppen, die durch externe Gruppierungsfaktoren wie Abstand oder Rhythmus gebildet sind, sondern aus Einheiten, die durch Regeln a u s e i n a n d e r e r z e u g t w u r d e n . RESTLE [19, 20], RESTLE u n d BROWN [21], SIMON

[22] oder JONES und ZAMOSTNY [11] haben hauptsächlich für nichtsprachliches Material gezeigt, daß mit hierarchisch organisierten Regeln umfangreiche Ereignissequenzen beschrieben werden können. SYDOW (1973) stellte einen verallgemeinerten, mathematischen hierarchischen Strukturbegriff vor und leitete dabei konkrete Fragestellungen für die Begriffsbildungs- und Problemlösungsforschung ab. RESTLE und BROWN suchten nachzuweisen, daß das Erfassen der Regelhierarchie ausschlaggebend die Leistung beim Prädiktieren von Ereignisfolgen beeinflußt. HUYBRECHTS [10] legte eine generelle Tendenz zur Regelanwendung mit seinem Befund nahe, daß die Probanden versuchen, auch statistische Sequenzen als deterministische Folgen mit gestörter Regelhaftigkeit aufzufassen. In gedächtnispsychologischen Untersuchungen wird /im Sinne von MANDLERS [15] Vorschlägen geprüft, inwieweit hierarchische Systeme von Merkmalen und Beziehungen erkannt oder sogar gesucht, behalten und ausgenutzt werden zur E n t l a s t u n g l a n g f r i s t i g e n B e h a l t e n s (z. B . COLLINS u n d QUILLIEN [3], K L I X [13]).

Für das Ordnen begrifflichen Materials im Langzeitgedächtnis haben z. B. WORTMAN 1

A n der Versuchsdurchführung und -auswertung waren F r a u v. SUCRO und Herr M. BECKE

beteiligt, denen für ihre Hilfe herzlich gedankt wird. 1

Z. Psychologie 185-1

2

Z. Psycho!. Bd, 185 (1977) H. 1

u n d GREENBERG [27] drei S t u f e n wahrscheinlich g e m a c h t : Ausgehend v o m E r f a s s e n der Kategorienhierarchie werden Einheiten der niedrigsten Ordnung gebildet und sodann Beziehungen zwischen diesen auf der nächsthöheren Hierarchie-Ebene erkannt. Fortschreitend von kleineren zu größeren Einheiten setzt sich dieser Vorgang bis zur K o m p l e t t i e r u n g der S t r u k t u r fort. F ü r die visuelle F o r m e r k e n n u n g benannte K L I X [12] analog als k o n s t i t u t i v e Operationen das Ausfiltern von Teilfolgen und E r m i t t e l n ihrer V e r k n ü p f u n g e n durch Prüfen gespeicherter (hierarchischer) Verknüpfungsregeln. Die psychologische R e l e v a n z der als hierarchisches Regelsystem a u f f a ß b a r e n Phrasenstruktur- und T r a n s f o r m a t i o n s g r a m m a t i k e n analysierten bei sprachlichem Material

u. a. GOLDMAN-EISLER

[6],

FODOR u n d

BEVER

[5] u n d

RIEGLE

(1969;

z i t . n a c h B O U R N E , E K S T R A N D u n d DOMINOWSKI [ 1 ] ) .

F ü r unser T h e m a interessieren besonders die E r g e b n i s s e zur N u t z u n g der hierarchischen Erzeugungsregeln von Sequenzen nichtsprachlicher Items. Hierzu beh a u p t e n R E S T L E [ 1 9 , 2 0 ] s o w i e R E S T L E u n d BROWN [ 2 1 ] , d a ß d i e

hierarchischen

Erzeugungsregeln entdeckt und als Prädikationshypothesen und R e k o n s t r u k t i o n s mittel genutzt werden, daß das E n t d e c k e n von lokalen Subeinheiten zur globalen S t r u k t u r aufsteige, daß die Leistung vorwiegend von der globalen S t r u k t u r und nur wenig von lokalen Eigenschaften a b h ä n g e und daß die Fehlerhäufigkeit b e i m Prädiktieren eine monotone F u n k t i o n steigender Regelhierarchie-Ebenen sei. Gegen die angedeuteten E r g e b n i s s e der hier betrachteten Art hierarchischer bzw. g r a m m a t i s c h e r A n s ä t z e z u m Erwerb serialer S t r u k t u r e n werden E i n w ä n d e vorgebracht. Generell scheinen sie der E r w a r t u n g (z. B . PRIBRAM [18]) zu widersprechen, daß menschliche Informationsverarbeitung k o n t e x t a b h ä n g i g sei. Im einzelnen ist zunächst unklar, inwieweit der RESTLEsche B e f u n d von den mit der HierarchieE b e n e zunehmenden Fehlern auch d e u t b a r ist als mitbedingt durch einen p r i m a c y / recency-Effekt, der d e m Erkennen von Subeinheiten überlagert ist. Auch u n a b hängig d a v o n folgt aus den Ergebnissen nur, daß der Mensch beim Zwang z u m Prädiktieren unbekannter Ereignisfolgen hierarchische S t r u k t u r e n zu nutzen verm a g . E s folgt aber nicht b ü n d i g , daß ohne diesen Zwang, also a u f g a b e n i n v a r i a n t , derartige S t r u k t u r e n gleichfalls abgebildet und g e n u t z t werden und daß d a b e i lokale Oberflächeneigenschaften und die Schwierigkeit der kombinierten R e g e l n auch belanglos sind. Weiter scheint uns selbst für das untersuchte Prädiktieren nicht hinreichend g e p r ü f t , ob RESTLES Versuchspersonen (Ypn) tatsächlich v o l l s t ä n d i g hierarchische kognitive S t r u k t u r e n entwickelten. Vergewisserungen darüber durch A n a l y s e von A u s s a g e n sind nicht erkennbar. JONES und ZAMOSTNY [11] stellen mit anderen Argumenten den gleichen K e r n g e d a n k e n RESTLES und SIMONS [22] in F r a g e : In einem experimentellen Vergleich des F r i e m e n s von linear mit hierarchisch organisierten Sequenzen f a n d e n sie bei hierarchischen kein effizienteres Lernen. Die H a u p t u r s a c h e n von Unterschieden zwischen Sequenzen sind die A r t der eingesetzten Regeln und ihre seríale Lokalisation. Diese b e s t i m m e n nämlich die lernwirksamen regulären S u b s y m m e t r i e n der M u s t e r „ o b e r f l ä c h e n " . Sie schließen^ daß A u f f a s s u n g e n , die — wie RESTLE — eine Auswechselbarkeit der Regeln unter-

W. HACKER, Anforderungsabhängigkeit der Nutzung von hierarchischer Ordnung

3

stellen, psychologisch nicht haltbar seien. Auch die Untersuchungen von J O N E S und ZAMOSTNY scheinen weitere Fragen aufzuwerfen: Um zu entscheiden, ob eine Tendenz zur bevorzugten mnestischen Nutzung hierarchischer Organisation existiert, liegt es nahe zunächst zu fragen, ob denn objektiv hierarchisch organisierte Sequenzen intern hierarchisch organisiert werden. Dazu reicht der von JONES und ZAMOSTNY durchgeführte Fehlervergleich zwischen linearen und hierarchischen Mustern noch nicht aus. Eine tiefer in die interne Organisation eindringende Prozeßanalyse wäre nützlich. Daneben wäre eine Quantifizierung des Ordnungsgrades der Oberflächenstruktur denkbar, die dann dem Vergleich verschiedener Muster zugrunde gelegt werden könnte. Schließlich ließen auch JONES und ZAMOSTNY prädiktieren, so daß über die Hierarchienutzung bei den uns interessierenden praktisch relevanteren Aufgaben ohne Prädiktionszwang noch nichts gesagt werden kann. Schließlich gehen GREENO und SIMON [8] in einer theoretischen Studie davon aus, daß beim Verarbeiten serialer Muster drei getrennte Prozesse unterschieden werden müssen, die Mustererkennung, die interne Repräsentation der Muster und die Erzeugung der Sequenzen aus der internen Repräsentation. Sie legen nahe, daß identische interne Repräsentationen die Grundlage für verschiedene Erzeugungsprozeduren bilden können, die sich hinsichtlich der Anforderungen an die kognitiven Verarbeitungsoperationen, das kurzfristige sowie das Langzeitbehalten wesentlich unterscheiden. Es ist auf dem Hintergrund der Operativität interner Repräsentationen [17] schwierig vorzustellen und bliebe zu beweisen, daß die von den Autoren diskutierten unterschiedlichen Erzeugungsprozeduren tatsächlich von gleichartigen internen Musterrepräsentationen ausgehen; auch werden praktikable Wege für ein getrenntes Untersuchen der drei Teilvorgänge nicht angegeben. Unabhängig davon müssen die möglichen Anforderungsunterschiede verschiedener Verarbeitungsprozeduren serieller Muster in weiteren Untersuchungen beachtet werden.

2. Fragestellung Wir fragen: 1. Werden im Falle nicht erzwungener Nutzung der objektiv hierarchischen Organisation von Sequenzen auch kognitive hierarchische Strukturen aufgebaut und gegebenenfalls in welcher Weise? Mehrere Alternativen wären denkbar, so „mechanisches" (nicht durch Erzeugungsregeln vermitteltes, kurz unvermitteltes) Behalten, lineare Auffassung der Erzeugungsregeln oder nur partielle Abbildung der Regelhierarchie kombiniert mit unvermitteltem Behalten. Wir vermuten, daß aus Gründen der Ökonomie des intellektuellen und des mnestischen Aufwandes nicht entweder grundsätzlich Regelhierarchien interiorisiert werden oder nur unvermittelt behalten wird, sondern daß in Abhängigkeit von den Anforderungen und dem Lernzustand aufwandsgünstige Kombinationen zwischen (hierarchischer oder linearer) Regelnutzung und unvermitteltem Behalten entwickelt werden. Es werden interne Repräsentationen der Aufgabenbedingungen entwickelt, die bei l*

4

Z. Psychol. Bd. 185 (1977) H. 1

der Aufgabenerfüllung den geringsten Aufwand erfordern (AMABEL 1968; zit. nach S Y D O W [25]). Aber selbst wenn die Regelsuche nicht aufgegeben würde, bevor auch die letzte Regelhierarchie erkannt ist, wären R E S T L E S [19] oder W O R T M A N und G R E E N B E R G S [27] Vorstellungen über die Entstehungsweise nicht konkurrenzlos: Neben dem Aufbau von den kleinsten zu größeren Einheiten, gleichsam von unten nach oben, wären andere vorteilhafte Varianten denkbar. So könnte mit dem Behalten einer spannenadäquaten mittleren Einheitengröße begonnen und von dieser ausgehend „nach oben" nach Verknüpfungsregeln zu größeren Einheiten und „nach unten" nach Regularitäten in der Binnenstruktur gesucht werden. Ebenso einleuchtend wäre, wegen der unterschiedlichen Schwierigkeit der RESTLEschen Regeln nicht grundsätzlich „untern", sondern auf der Hierarchie-Ebene mit der einfachsten Regel zu beginnen. Um dieser Fragegruppe näher zu kommen, wählen wir eine Aufgabe, die auch ohne Repräsentation der objektiv hierarchischen Struktur des Materials erfolgreich ausführbar wäre (siehe Abschnitt „Methodik"). 2. Wovon ist eine evtl. nichterzwungene Hierarchie-Nutzung abhängig? Eine von J O N E S und ZAMOSTNY [11] nahegelegte Abhängigkeit, nämlich die unterschiedliche Schwierigkeit der Erzeugungsregeln, wurde bereits genannt. Mit dem Wechsel der hierarchischen Position verschieden schwieriger Regeln entstehen bei gleicher fortlaufender bzw. formaler Tiefenstruktur (im Sinne von KLIX [12]) Sequenzen mit verschiedenen statistischen Eigenschaften. An Hand der Abbildung 1 und der Tabelle I im nächsten Abschnitt kann man sich von der unterschiedlichen Anzahl von entstehenden Zweier- oder Vierergruppen und von Übergängen zwischen Einzelelementen, Paaren oder Vierergruppen überzeugen. Wenn nur die HierarchieEbene, also eine formale Eigenschaft der Tiefenstruktur, die Leistung bestimmt, dürften weder die Regelschwierigkeit noch die durch Variation der Regelposition erzeugten unterschiedlichen Sequenzen mit ihren „statistischen Eigenschaften" Einfluß auf die entstehende kognitive Struktur haben [21.] Wir vermuten das Gegenteil und werden daher über J O N E S und Z A M O S T N Y [11] hinausgehend nach Beziehungen zwischen den statistischen Oberflächeneigenschaften und der Strukturabbildung fragen. Des weiteren gibt es Hinweise auf Abhängigkeiten von verschiedenen Aufgabenstellungen und dem damit gegebenen Vorwissen um Struktureigenschaften. Jedoch sind die Befunde nicht widerspruchslos und sie wurden bei anderen Materialklassen gewonnen. Nach W O R T M A N und G R E E N B E R G [27] fördert eine Problemlösungsinstruktion die interne hierarchische Organisation von Wortklassen. Andererseits wird der Nutzen des Wissens um Aufbauregeln des Materials für Lernvorgänge bestritten [4]. Wir werden die Aufgabenstellung systematisch als unabhängige Variable prüfen. 3. Welche Beziehungen bestehen zwischen der Leistung und dem Erfassen hierarchischer Strukturen im zu bearbeitenden (und dafür zu behaltenden) Material? Auf den ersten Blick scheinen umso bessere Leistungen möglich zu sein, je adäquatere Strukturinteriorisationen vorliegen. Zieht man den intellektuellen und mnestischen Aufwand für das Entdecken mehrschichtiger Regelsysteme und das

W. IIACKER, Anforderungsabhängigkeit der Nutzung von hierarchischer Ordnung

5

Erzeugen der Sequenzen mit ihrer Hilfe in Betracht, so erscheint die Frage nicht eindeutig entschieden. Darüber hinaus interessiert u. a. für psychologische Arbeitstätigkeitsstudien, wie sich kognitive hierarchische Strukturen in Verlaufsmerkmalen praktischer Tätigkeiten äußern. Die bisher in Laboruntersuchungen benutzten Indikatoren, nämlich Fehlerprofile beim Prädiktieren, Pausenzeiten und Erinnerungstäuschungen bezüglich des Zeitpunkts von Störsignaleinblendungen beim Sprechen (z. B. GOLDMANEISLER [6], FODOR und BEVER [5]) genügen bei hochgeübten manuellen Tätigkeiten mit einer „vorwärts organisierten" kognitiven Struktur [7] nach eigenen Ergebnissen nicht zum Aufdecken eventueller hierarchischer kognitiver Tiefenstrukturen. Wir werden der Frage nach Beziehungen zwischen Struktureinsicht und Leistung nachzugehen versuchen. 3. Methodik 36 Studenten hatten den Auftrag, aus einer projizierten Zeichnung die erforderliche Reihenfolge einfacher Montageoperationen zu ermitteln und in einer vorbereiteten Liste aufzuschreiben. Jede Zeichnung (Abb. 1) zeigt 16 Schichten (Zeilen) mit je fünf „Bauelementen". Jedes muß mit einem Loch auf die gestrichelt angedeuteten Stäbe aufgesteckt werden. Da die Elemente einander überlappen, ist eine Reihenfolge derart einzuhalten, daß über andere greifende zuletzt aufgesteckt werden. Das Übertragen der Reihenfolge der 80 Bauelemente einer Zeichnung erfolgte unmittelbar hintereinander siebenmal, um Lerneffekte zu ermöglichen (Variante 1). In den 16 Schichten sind je viermal vier Schichtarten enthalten: a) von links nach rechts: 1 2 3 4 5 b) von rechts nach links: 5 4 3 2 1 c) von außen nach innen: 1 5 2 4 3 oder 1 2 5 4 3 d) von ihnen nach außen: 3 4 5 2 1 oder 3 2 4 5 1 Diese vier Schichtarten sind nach Regeln unterschiedlicher Schwierigkeit auseinander erzeugbar: Regell: Umkehrung (U) 1 2 3 4 5—5 4 3 2 1 a i b 5 4 3 2 1-1 2 3 4 5 bzw. 1 5 2 4 3 - 3 4 2 5 1 c ^d 3 4 2 5 1-1 5 2 4 3 Regel 2: Wechsel der Abfolgeart (WA) 1 2 3 4 5 - 1 5 2 4 3 a i±c 1 5 2 4 3-1 2 3 4 5 bzw. 5 4 3 2 1 - 3 4 2 5 1 b^d 3 4 2 5 1-5 4 3 2 1

6

Z. Psychol. Bd. 185 (1977) H. 1

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5

Abb. 1. Beispiel einer Zeichnung mit 16 Schichten zu übertragender „Bauelemente" (Abfolge 5)

Darüber hinaus ist jede Abfolge wiederholbar: Regel 3: Wiederholung (WI) 1 2 3 4 5—1 2 3 4 5 usw. Durch wiederholtes Anwenden der Regeln 1 bis 3 sind Folgen beliebiger Länge erzeugbar. Die 16 Schichten wurden so hergestellt, daß zwei der obigen Regeln je einmal und eine zweimal — ausgehend von der Schichtart a — auf die jeweils erzeugte Reihe angewendet wurden. Mit diesem hierarchischen Erzeugungsprinzip können je nach Kombination der Regeln unterschiedliche Schichtabfolgen erzeugt werden (Variante 2). Die eingesetzten Regeln verlangen bei ihrer Anwendung verschiedene kognitive Operationen; das findet seinen Ausdruck in einer unterschiedlichen Schwierigkeit. Als am einfachsten wird das Wiederholen, als am schwierigsten das Wechseln des Abfolgeprinzips eingestuft (Rangreihenbildung und Ratingskalierung durch eine Gruppe von n= 10 Beurteilern). Für die Hauptversuche wurden folgende fünf nach hierarchischer Regelanwendung auf vier Hierarchie-Ebenen erzeugten Abfolgen sowie eine Zufallsfolge verwendet (in der Schreibweise von RESTLE [19]:

W. HACKER, Anforderungsabhängigkeit der Nutzung von hierarchischer Ordnung

7

1. 2. 3. 4. 5. 6.

(WI (WI (U (WA {a})))) (WI (WA (WI (U. {a})))) (WI (U (WI (WA {a})))) (U (WA (WI (U {a})))) (WA (U (WA (WI {a})))) Zufallsabfolge Es wird erkennbar, daß die Abfolgen 1 bis 5 sich dadurch unterscheiden, daß die Regeln — die unterschiedlich kompliziert sind — an verschiedener Stelle stehen und verschiedene Regeln zweimal auftreten. 4-, Hierarchie-Ebene 3. Hierarchie-Ebene 2. Hierarchie-Ebene 1. Hierarchie -Biene

Abb. 2: Darstellung der Schichtabfolgeform 5 — (WA(U(WA(WI {a})))) — als Baumdiagramm. Erläuterung im Text

Abbildung 2 zeigt das Baumdiagramm für Abfolge 5. Tabelle I stellt die ausgeschriebenen Abfolgen insgesamt zusammen und gibt ihre statistischen Eigenschaften an. Man.erkennt, daß die Abfolgen I bis 6 unbeschadet ihres gleichartigen vierstufigen hierarchischen Aufbaus sich unterscheiden durch — die zunehmende Anzahl unterschiedlicher enthaltener Gruppen von Schichten, — die zunehmende Anzahl unterschiedlicher Übergänge zwischen Schichten bzw. Schichtgruppen. Für das Übertragen der Reihenfolge der 80 Bauelemente jeder Abfolge wurden drei gleichwertige Stichproben zu je 12 Vpn verschiedene Aufgabenstellungen gegeben (Variable 3): Aufgabe A: Raschestmögliches Arbeiten. Aufgabe B: Möglichst seltenes und kurzes Informieren in der Zeichnung. Aufgabe C: Ermitteln und Nutzen von Regeln in der Abfolge der Schichten. Zur Balancierung von Reiheneffekten für die Abfolgeformen 1 bis 6 wurden sie von je einer Hälfte der Vpn der drei Aufgabengruppen von 1 nach 6 und der jeweils anderen von 6 nach 1 abgearbeitet. Tabelle II veranschaulicht das gesamte Versuchsschema. Einweisung und. ein kurzer Vorversuch erfolgten an nicht in die Hauptuntersuchung einbezogenen Abfolgen. Als abhängige Variable wurden erfaßt — die Gesamtdauer des Abarbeitens von 16 Schichten (d. h. einer Zeichnung),

8

Z. Psychol. Bd. 185 (1977) H. 1 Tabelle I. Verwendete Abfolgen, geordnet nach steigender Anzahl verschiedener Gruppen von Schichten und Übergängen zwischen Schichten bzw. Schichtgruppen (a, b, c, d . . . Kurzbezeichnung der Schichtarten; siehe Text)

Abfolge

1

2

3

4

5

a c b d a c b d a c b d a c b d

a b a b c d c d a b a b c d c d

a c a c b d b d a c a c b d b d

a b a b c d c d b a b a d c d c

a a c c b b d d c c a a d d b b

a c d a a b c b d d a b d c c b

2

2

2

4

4

8

1

2

2

4

4

4

4

6

6

7

11

11

4

4

7

7

7

2

3

3

3

Schicht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Anzahl verschie-

Zweiergruppen

dener Gruppen

Vierergruppen

Anzahl verschie-

Einzelelementen

dener Über - Paaren

2

Vierergruppen

1

gänge zwischen

2

6 (Zufallsfolge)

— Häufigkeit und Dauer der Informationsaufnahme aus der Zeichnung und ihre Zuordnung zu den Schichten (Zur Zeitmessung verwendet wurde ein automatischer Kontaktgeber, der mit einem Stirnband am Kopf befestigt wurde und der einen Zählfrequenzmesser ein- und ausschaltete. Die Zuordnung der Informationsaufnahme zu den Schichten wurde vom Yersuchsleiter protokolliert.), — Fehler (wegen der geringen Zahl statistisch nicht auswertbar), — Einschätzung der Schwierigkeit, Anstrengung sowie der Regularität der Aufeinanderfolge der Schichten (ratingskaliert). Weiter wurde gefragt nach — Angaben zu eventuellen Regelhaftigkeiten der Schichtabfolge und — der Häufigkeit des Auftretens von jeweils vier ausgewählten Schichtpaaren, die als Zeichnungsausschnitte vorgelegt wurden.

W. HACKER, Anforderungsabhängigkeit der Nutzung von hierarchischer Ordnung

9

Tabelle II. Schema des Versuchsplans; für A, B, C gleichwertige Stichproben. Erläuterung im Text

Aufgabe (Variable 3)

AI

A

A2

B

c

Schicht- \ abfolgen \ (Variable 2) 1 2 3 4 5 6 6 5 4 3 2 1

(Variable 1)

1

.

2

3

4

5

6

7

6 Vpn

•12 Vpn

;

dto B 4 B2

1.. 6..

dto Ct

1.. 6 6... 1

G,

Wiederholung

6 Vpn

6 Vpn 6 Vpn

6 1

,

6 Vpn ® Vpn

1

J

12 Vpn

12 Vpn )

Kontrollen ergaben, daß Homogenität der Gruppen sowie instruktionsgerechtes Verhalten erreicht wurden. 4 . Ergebnisse 4.1. Werden hierarchische Materialstrukturen bei einer Aufgabe ohne Prädikationserfordernis genutzt? Wir erwarten: Wenn keine Strukturabbildung erfolgt, dürften auch keine signifikanten Unterschiede in den Leistungskennwerten bestehen zwischen organisiertem und nach Zufall aufgebautem Material. Zur Prüfung wird die tempoorientierte Aufgabenstellung (A) verwendet, deren Erfüllung ein Erfassen der Abfolgeregeln der 16 Schichten nicht voraussetzt. Die Abbildungen 3 bis 5 stellen die wiederholungsabhängigen Leistungsveränderungen gegenüber für Abfolgen mit hierarchischer Organisation (A2_s) und für nach Zufall ausgewählte Abfolgen der Schichten (Ag). Man erkennt: Die zur Aufgabenerledigung benötigte Gesamtzeit, die Anzahl der Informationsaufnahmen aus den projizierten Zeichnungen und die mittlere Dauer einer Informationsaufnahme sind jeweils signifikant niedriger bei Abfolgen, die nach hierarchisch geordneten Regeln erzeugt wurden (geprüft für die letzte Wiederholung mittels f-Test bzw. £/-Test bei p = 0,01; bei Aufblickdauer bei p = 0 , 0 5 ) . 2 Gegen den Vergleich könnte eingewendet werden, die Zufallsfolge enthalte mehr Information als die durch Erzeugung mittels Regeln redundanten geordneten Folgen. Wir werden im weiteren 2

10

Z. Psychol. Bd. 185 (1977) H. 1

2300-

1

22

21 2000-

19

18 17

16 15

U 13 12

11 1000

-

9 . S 7

B®-0) C®-® A®-®

6 500 -

Durchgange

Abb. 3. Veränderung der Gesamtdauer eines Versuchs mit der Wiederholung (Summen Kollektive zu je 12 Vpn)

für

Damit wird zunächst nur bestätigt, daß Materialstrukturen des benutzten Typs auch ohne Zwang genutzt werden; offen bleibt, ob dazu die Hierarchie der Regeln interiorisiert wurde. daher hauptsächlich die Unterschiede der Verteilungen der Informationsaufnahmen gegenüber einer Gleichverteilung heranziehen.

W. HACKEB, Anforderungsabhängigkeit der Nutzung von hierarchischer Ordnung

11

Zur Klärung untersuchen wir die Anzahl und die Verteilung der .Informationsaufnahmen als deutlichstem Ausdruck internen Strukturaufbaus. Ihre Zahl sinkt für das Kollektiv ( n = 12) mit den Wiederholungen nämlich bei Material mit zuÄnzahlder

A

Jnformationsaufnahmen



~T~ 1

2

3

1

4

i

5

:

1

6

!

:

L

u



Durchgange

Abfy. 4. Veränderung der Anzahl der Informationsaufnahmen mit der Wiederholung (Summen für Kollektive zu je 12 Vpn)

fälliger Schichtabfolge auf 70%, bei organisiertem dagegen auf 28% des Anfangswertes ab; die entsprechenden Unterschiede bei der Gesamtdauer und der mittleren Dauer einer Informätionsaufnahme sind wesentlich geringer. Abbildung 6 zeigt aufgetragen über den 16 Schichten für das Kollektiv das Häufigkeitsprofil der Informationsaufnahmen. Bei zufälliger Abfolge der Schichten (A6) bestehen keine signifikanten Unterschiede zu den Erwartungswerten für die Gleichverteilung der Informationsaufnahmen auf die Schichten. Wiederholung ändert diesen Sachverhalt nicht. Andeutungsweise zeichnen sich die bisher für Fehler beim Reihenlernen bekannten Anfangs- und Endvorteile gegenüber der „schwierigen

12

Z. Psychol. Bd. 185 (1977) H. 1

Abb. 5. Veränderung der mittleren Dauer von Informationsaufnahmen mit der Wiederholung

Mitte" ab. Demgegenüber bildet sich bei strukturiertem Material (A2_5)3 eine mit der Wiederholung deutlicher werdende Konzentration der Informationsaufnahme auf einige Positionen der Sequenzen heraus. Hier bestehen signifikante Unterschiede zur Gleichverteilung der Informationsaufnahme (geprüft mit Chi-QuadratTest bei p = 0,01). Wie ist diese Konzentration zu erklären? a) Nicht zugrunde liegen kann ein von der Sequenzstruktur unabhängiges autochthones Gliederungsprinzip oder ein gleichfalls von ihr unabhängiges Gliedern (chunking) nach Erfordernissen von Kurzzeitbehaltensspannen. Dagegen sprechen das Fehlen einer Gliederung bei nicht organisiertem Material sowie die — später darzustellende — Abhängigkeit der Häufigkeitsprofile bei organisiertem Material von der Position der einfachsten Regel. Die Konzentration der Informationsaufnahmen geht also auf Eigenschaften der Materialorganisation zurück. 3

Die Sequenz (Aj) wird in 4. 2. besprochen.

W. HACKER, Anforderungsabhängigkeit der Nutzung von hierarchischer Ordnung

13

Abb. 6. Häufigkeitsprofile der Informationsaufnahmen in Abhängigkeit von der Wiederholung (oben: Sequenzen 2, 3, 4 gemeinsam; unten Sequenzen 1 und 5)

b) Gleichfalls nicht wirksam sein kann eine Struktursuche mit heuristischer Nutzung der formalen Bildungsprinzipien von Regelhierarchien. Im Falle eines solchen Vorgehens könnten sich die Informationsaufnahmen beschränken auf die Schichten (Schicht 2, 3,5 und 9 sowie 1), die für die Regelidentifikation kritisch sind. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Nutzung der Materialorganisation folgt also nicht einer heuristischen Regelsuche. c) Im Sinne eines stufenweisen Hierarchie-Aufbaus (z. B . WORTMAN und G R E E N B E R G [27]) müßten allmählich von unten nach oben fortschreitend Einheiten

14

Z. Psychol. B d . 185 (1977) II. 1

wachsender Größe gebildet werden. Dabei könnte gelten: Wenn die Abfolgeregel der Einheiten einer Ebene erkannt ist und genutzt wird, würde — Vergessen zunächst ausgeschlossen — das Aufnehmen jeweils nur der ungeradzahligen Hälfte der Einheiten genügen. Mindestens müßte nach diesem Denkmodell die Zahl der Informationsaufnahinen in den geradzahligen Einheiten auf jeder Hierarchieebene kleiner sein (zur Veranschaulichung der Überlegung benutzte man Abbildung 2). Tabelle I I I . Verhältnis der Häufigkeit von

Informationsaufnahmen

für Abschnitte der

vier

Strukturebenen (die Daten für nichtstrukturiertes Material wurden zum Vergleich analog aufbereitet) Strukturebenen

Aufgabe/

und erwartetes Verhältnis

Wieder-

der Informationsaufnahme

holung

bei Hierarchie-Abbildung E r s t e > zweite Hälfte Erstes und > zweites und drittes

ABC/1. - 7 . A/7.

(4. Ebene)

ABC/1.-7.

Material strukturiert (2. bis 5.)

2511-=2580 62


41

3230 > 1 8 8 1 114 >

33

57
1 2 2 9 57
c l - «

g Si ^ Q

« CO

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Faktor

44 Z. Psychol. Bd. 185 (1977) H. 1

»

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m

I. FROHBTJBG U. a., Problem der Kriterienwahl bei der E f f e k t i v i t ä t s b e s t i m m u n g

45

sionen. Ein Vergleich dieser Faktorenlösungen mit unserem Ergebnis zeigt Übereinstimmung in der Extraktion des Faktors „Veränderung der Introversion", dem sich bei uns der Faktor „Veränderung der sozialen Kontaktbereitschaft" zuordnen läßt. Der in allen Faktorenlösungen von BOMMERT und MINSEL gefundene Faktor „Veränderung des Neurotizismus" spaltet sich in unserer Untersuchung auf in die Dimensionen „Veränderung neurotisch-funktioneller Störungen" und „Veränderung psychoneurotischer Störungen" bei insgesamt ähnlichen Variablenladungen. Die Möglichkeit, die extrahierten Faktoren verschiedener, mit zum Teil unterschiedlicher Variableneingabe verbundener Untersuchungen direkt ineinander überführen zu können, dürfte dazu berechtigen, diese Dimensionen im Sinne von objektiven, d. h. methoden- und stichprobenabhängigen Veränderungsbereichen zu interpretieren. Unter Integration unserer Befunde dürften die bisherigen Ergebnisse der auf Dimensionierung von psychodiagnostisch erfaßten Therapieeffekten ausgerichtete Untersuchungen die Aussagen zulassen, daß im Zusammenhang mit Gesprächstherapie Veränderungen in den Dimensionen — psychoneurotische Störungen im Sinne von Verstimmungszuständen mit nachfolgenden Beeinträchtigungen im Leistungs- und Sozialbereich — neurotisch-funktionelle Störungen — Introversion einschließlich sozialer Kontaktbereitschaft und — Selbstzufriedenheit auf testdiagnostischem Weg durch prä/post-Vergleiche nachgewiesen werden konnten. Die erfolgreiche Dimensionierung beweist für sich genommen natürlich noch nicht, daß tatsächlich in allen Dimensionen auch realiter Veränderungen auftreten. Diese Aussage erhält ihre Berechtigung erst aus zusätzlichen Datenvergleichen. I m folgenden wird daher auf einige Anwendungsmöglichkeiten dieses Modells eingegangen.

2. 2. Effektivitätskontrolle psychotherapeutischer Gespräche unter Verwendung der Veränderungsdimensionen Zunächst sei auf eine wenig aufwendige praktische Anwendungsmöglichkeit der ermittelten Veränderungsdimensionen hingewiesen. Für Aussagen der täglichen Praxis lassen sich, auch wenn auf eine exakte Quantifizierung verzichtet wird, inhaltlich Zusammenfassungen vornehmen und die testdiagnostisch ermittelten Veränderungen sinnvoll kombiniert beschreiben. 4 In K l a m m e r n stehen hinter den V a r i a b l e n die Faktorenladungen ( F L ) . — Die Signifikanz der Variablen wurde nach einem von GTJTJAHR modifizierten Kriterium nach VERNON b e s t i m m t : ; , n F +1 < x = f i + d - FdT wobe*

E s bedeuten: a = Grenzwert für das 5 % Niveau der Verläßlichkeit n = Anzahl der Personen p = Anzahl der Variablen F = Ordnungszahl des F a k t o r s (GUTJAHR 1968, S. 163). Die Interpretationsrelevanz der Variablen für den jeweiligen F a k t o r wurde einer E m p f e h l u n g FÜRNTRATTS 1969 folgend nach dem Kriterium IIK 2 /' L IK 2 SI bestimmt.

46

Z. Psychol. Bd. 185 (1977) II. 1

Man erfährt dann aus dem Therapiebericht eben nicht mehr, daß sich beispielsweise Herr X . insgesamt wesentlich verbessert hat bzw. welche Reduktionen auf welchen Skalen registriert wurden, sondern daß sich testdiagnostisch nachweisen ließ, daß seine psychoneurotischen Störungen abgenommen haben, seine Selbstzufriedenheit gestiegen, erhöhte Introversion und neurotisch-funktionelle Störungen unvermindert weiterbestehen. Diese Angaben haben ein höheres Allgemeinheilsniveau als testskalenbezogene Aussagen, sind jedoch wesentlich differenzierter und zudem objektiver als die globalen subjektiv getroffenen Erfolgsschätzungen.

Da bei einem solchen Vorgehen die Möglichkeit besteht, differenzierte Effekte auch metrisch zu erfassen, scheint uns diese Methodik auch gut geeignet für Forschungsuntersuchungen, bei denen Effektivitätsbestimmungen einer psychotherapeutischen Methode eine Rolle spielen. Wir konnten z. B. zeigen, daß bei den bereits erwähnten 44 Patienten durch die Gesprächstherapie in 4 8 % e i n e Verminderung der neurotisch-funktionellen Störungen, in 4 1 % Abnahme der Selbstunzufriedenheit, bei 2 5 % der Patienten eine Verminderung der Introversion und bei (nur!) 1 8 % eine Abnahme der psychoneurotischen Persönlichkeitsstörungen bei individuell möglichen Überschneidungen erreicht werden konnte. In unseren Untersuchungen sind wir auf dem eingeschlagenen Weg noch einen Schritt weitergegangen und haben unter Bezug auf die beschriebenen faktorenanalytisch ermittelten Veränderungsdimensionen individuelle Veränderungswerte für jede der fünf Dimensionen errechnet. Für jeden Patienten erhielten wir also anstelle der 18 Meßwerte fünf sogenannte Faktorwerte. Daraus läßt sich für jeden Patienten ein individuelles Veränderungspofil konstruieren. In weiteren Untersuchungen wäre zu klären, inwieweit sich diese Veränderungsprofile zu spezifischen Veränderungsgruppen zusammenfassen lassen. Bei der Beschreibung der interindividuellen Ähnlichkeit der Veränderungsprofile müßten die Übereinstimmung der veränderten Skalenkombinationen, numerisch gleiche Differenzen in den übereinstimmenden Veränderungsbereichen und schließlich auch annähernd identische Ausgangslagen der prätherapeutischen Testwerte berücksichtigt werden. Diese Bedingungen machen deutlich, daß solche differenzierten Untersuchungen Stichproben eines weitaus größeren Umfang« verlangen als heutzutage in der Psychotherapie-Forschung üblich und wohl unter den gegebenen Bedingungen auch möglich sind. Bei unserer Absicht, die erhaltenen individuellen Veränderungsprofile zu gruppieren, beschränken wir uns deshalb auf kongruente qualitative Aspekte. Wir faßten jeweils die Patienten zu einer Gruppe zusammen, die — unabhängig von der Größe der erreichten Differenzen — Veränderungen in den gleichen Dimensionen erreichten. Von einer „Veränderung in der Dimension" sprechen wir, wenn statistisch signifikante Veränderungen bei mehr als 50 l " 0 der Beslimmungsvariablen dieser Dimension vorliegen.

Durch die Gruppierung der Patienten entsprechend den Veränderungsprofilen lassen sich die Aussagen über die Effektivität der Gesprächspsychotherapie (siehe Tab. V) weiter differenzieren. Die Gruppen entstehen aus der Kombination der in den Dimensionen ausgewiesenen Therapieeffekte. Interessanterweise zeigte sich bei diesem Vorgehen z. B . ein Zusammenhang zwischen den Teileffekten und der Dauer der Gesprächstherapie — ein Befund, der -plausibel ist (vgl. z. B . die Diskussion von FRANKE [8] über die Effektivität patient-

I. FROHBURG U. a., Problem der Kriterienwahl bei der Effektivitätsbestimmung

47

Tabelle V. Gruppenspezifische Veränderungen nach Gesprächstherapie (n = 44) Beschreibung der Veränderung

Häufigkeit absolut in °/0

Reduzierung psychoneurotischer Störungen, z. T. mit Abnahme der neurotisch-funktionellen Störungen, Verminderung von Selbstunzufriedenheit und Introversion Abnahme neurolisch-funktioneller Störungen, z. T. mit Verminderung der Selbstunzufriedenheit und Introversion Verminderung von Selbstunzufriedenheit Abnahme der Introversion Keine testdiagnostisch nachweisbaren Veränderungen

8

18

15

34

7 3

16 7

11

25

zentrierter Gruppentherapie) und sicher aus der Praxis bekannt. E r wurde aber unseres Wissens empirisch bisher nicht erhoben. Wichtig erscheint uns der in diesem Zusammenhang erbrachte Nachweis, daß die erhaltenen Veränderungswerte mit den B E B - A n g a b e n der Patienten über Symptomreduktionen kovariieren — und zwar dann, wenn man das Ausmaß der TestwertVeränderungen zum Ausmaß der Symptomveränderungen in Beziehung setzt. E s ergab sich mit statistischer Sicherheit, daß Symptomverminderungen sowohl im psychischen wie im somatischen Bereich am häufigsten bei den Patienten auftraten, die auch nach Testkriterien am meisten (d. h. die die größte Anzahl „veränderter Dimensionen" aufwiesen) gebessert sind. Das scheint ein zusätzliches Validitätskriterium für Veränderungsmessung mit Hilfe von klinisch-psychologischen Fragebogen zu sein. Allerdings stellen solche Fragebogen nach unseren Ergebnissen ein vergleichsweise schärferes Kriterium dar, d. h. Symptombesserungen werden gelegentlich auch von Patienten genannt, die keine Veränderungen in der Summe der Testskalen erkennen lassen. Werden neben Testwert-Normalisierungen auch Symptom-.Reduktionen (Auswertung des Beschwerden-Erfassungsbogens) als Therapieerfolg anerkannt, erhöht sich die Erfolgsquote von 7 5 % (vgl. Tab. V) auf 9 3 % . 2.3. Veränderungsdimensionen in ihrer Beziehung

zu prätherapeutischen Testdaten

Von besonderem Interesse ist das Problem der Prediktierbarkeit der individuellen Veränderungen auf den Dimensionen. Damit verbindet sich die vage Hoffnung, die Indikationsforschung wenigstens teilweise wieder aus der Sackgasse herauszuführen, in der sie sich gegenwärtig befindet. Die Gründe für das Stagnieren der Indikationsuntersuchungen sehen wir — wie an anderer Stelle ausführlicher dargestellt [13] — vor allem in der Schwierigkeit der Formulierung angemessener — also weder zu globaler noch zu spezifischer — Fifolgskriterien, in der noch unbefriedigenden Klassifikation der psychopathologischen Fehlentwicklungen und schließlich auch in erheblichen Lücken bei der Erfassung der realen therapeutischen Abläufe (Therapieprozeß-Kontrolle).

48

Z. Psychol. Bd. 185 (1977) H. 1

Uns interessierten folgende Fragen: 1. Ergibt sich die Konfiguration der Veränderungswerte bereits bei der Interkorrelation der prätherapeutisch erhobenen Testwerte? 2. Lassen sich — den skizzierten empirischen Ansatz weiterverfolgend — die Veränderungsprofile bzw. die daraus erhaltenen fünf Gruppen aus den prätherapeutischen Patientendaten prediktieren? Es sollen die korrelativen Zusammenhänge zwischen den Yeränderungsdimensionen und 1. allgemeinen Patientencharakteristika, 2. der prätherapeutischen Symptomatik und 3. prätherapeutischen Testdaten geprüft werden. Untersuchungsmethodik Es liegt natürlich nahe, entsprechend dem bisherigen methodischen Vorgehen auch eine Reduktion der testdiagnostischen Ausgangsdaten mit Hilfe einer Faktorenanalyse vorzunehmen, um darauf aufbauend eine Klassifikation der Patienten unter Verwendung des bei der Gruppierung der Patienten nach Testwert-Veränderungen eingeschlagenen Weges zu versuchen. Verwendet wurden die prätherapeutischen Testdaten von 44 Patienten, ausgewählt die bereits beschriebenen 18 Variablen. Die Zusammenhänge zwischen den Veränderungsgruppen und prätherapeutischen Daten wurden über Konfigurationstafeln mit Hilfe der 2 I-Statistik nach KULLBACK geprüft. Untersuchungsergebnisse Die Faktorenanalyse der prätherapeutischen Testdaten ergab eine 4-FaktorenLösung, die insgesamt 5 9 % (zwischen 40 und 8 5 % der Varianz der einzelnen Variablen) aufklärt. Die Faktoren sind als „psychoneurotische Störungen", „neurotischfunktionelle Störungen", „Introversion" und „Selbstunzufriedenheit" gekennzeichnet worden. Parallel durchgeführte Faktorenanalysen prätherapeutischer Daten einer größeren Stichprobe, von post-therapeutischen Testdaten und der Anfangsdiagnostik von sogenannten AbbruchPatienten zeigten — wie sich durch Transformationsanalysen auch statistisch sichern ließ — ähnliche Variablenstrukturen.

Ein Vergleich der Faktorenräume aus den prätherapeutischen Testdaten und den Veränderungsdaten zeigte eine hohe formale und auch inhaltliche Übereinstimmung. Lediglich der in der Veränderungsstruktur erscheinende Faktor „Veränderung der sozialen Kontaktbereitschaft" findet sich in der Ausgangskonfiguration nicht. E r dürfte sich als Veränderungskomponente des Ausgangsfaktors „Introversion" darstellen. Die Gruppierung der Patienten entsprechend den prätherapeutisch ermittelten Skalendimensionen ergab drei Gruppen, diesich durch psychoneurotische Störungen zum Teil in Verbindung mit Selbstunzufriedenheit und Introversion auszeichnen. Bei einer vierten Gruppe ließen sich testdiagnostisch S e l b s t z u f r i e d e n h e i t , bei

I. FROHBTJRG U. a., P r o b l e m der Krit erienwahl bei der E f f e k t i v i t ä t s b e s t i m m u n g

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einer fünften Gruppe nur noch Introversion diagnostizieren. Einige Patienten ließen bei der getroffenen Variablenauswahl testdiagnostisch keine psychopathologischen Störungen erkennen. Ohne auf die einzelnen Ergebnisse hier näher eingehen zu wollen, muß festgestellt werden, daß die Prediktion der individuellen Veränderungen auf den Dimensionen nicht in befriedigendem Ausmaß möglich war. Bei der Auswertung der Untersuchungsdaten ergaben sich an mehreren Stellen Hinweise darauf, daß die Kombination von Daten die Prognosegenauigkeit erhöhen konnte. Diese Ansätze waren jedoch auf Grund des im Vergleich zu den möglichen Variablenkonfigurationen geringen Stichprobenumfangs nicht weiter zu verfolgen. Für die Interpretation der Ergebnisse erscheint uns die weitgehende Ubereinstimmung der Faktorenräume von \ eränderungsdaten und prätherapeutischen Testwerten der Patienten wichtig. Sie läßt den Schluß zu, daß sich Veränderungen auf „psychopathologischen Dimensionen" abspielen. Als relevante Dimensionen können nach den bisherigen Ergebnissen — zumindest für gesprächstherapeutische Belange — die bereits als Veränderungsfaktoren formulierten Bereiche „psychoneurotische Störungen", „neurotisch-funktionelle Störungen", „Störungen des Sozialverhaltens bzw. Introversion" und „Selbstunzufriedenheit" gelten. Hier bietet sich natürlich an zu überlegen, ob es sinnvoll ist, eine Neurosendiagnostik so aufzubauen, daß sie von vornherein an solchen Dimensionen orientiert ist; dann könnten die eingetretenen Veränderungen auf diese Diemensionen zur Operationalisierung therapeutischer Effekte gleich mitgenutzt werden. Die individuellen A u s p r ä g u n g s g r a d e der psychopathologischen S t ö r u n g e n u n d der i m Verlauf der Therapie eingetretenen V e r ä n d e r u n g e n auf diesen Dimensionen deuten eine K l a s s i f i k a t i o n der testdiagnostischen A u s g a n g s d a t e n und d a m i t der Veränderungswerte n a c h d e m A u s m a ß der S t ö r u n g e n an. Diese S c h w e r e g r a d - E i n t e i l u n g bezieht sich auf eine phänomenologische B e schreibung des gegenwärtigen Z u s t a n d s b i l d e s . Unterscheidungen nach d e m Schweregrad der S t ö r u n g e n liegen den meisten psychiatrischen N o m e n k l a t u r e n zugrunde — allerdings sind diese mehr ätiopathogenetisch mit unterschiedlichen B e z ü g e n auf E n t w i c k l u n g s e t a p p c n (z. B . bei beistimmten p s y c h o a n a l y t i s c h e n Ansätzen) u n d a n g e n o m m e n e d y n a m i s c h e Mechanismen (z. B . A u s m a ß der V e r d r ä n g u n g bei FKETTD oder A u s m a ß der nicht zugelassenen Erfahrving bei ROGERS) akzentuiert. Ob Verbindungen zwischen der E b e n e der phänomenologischen und der ä t i o p a t h o genetischen K l a s s i f i k a t i o n bestehen, m ü s s e n weitere Untersuchungen zeigen.

Die erfolgreiche Dimensionierung von prätherapeutischen Testdaten und Veränderungswerten zu ähnlichen Faktorenstrukturen bedeutet unter theoretischem Aspekt, daß durch die therapeutische Beeinflussung keine „Umstrukturierung", d. h. keine Veränderung der Profilgestalt, sondern nur eine Verschiebung der Profilhöhe erfolgt. Zur parktisch-diagnostischen Nutzung dieser Ergebnisse wäre zu überlegen, wie eine dimensionsorientierte Diagnostik im psychopathologischen Bereich aufgebaut und die eingetretenen Veränderungen auf diesen Dimensionen sinnvoll operationalisiert werden können. Ob der hier skizzierte Ansatz fruchtbar auch in der Indikationsforschung eingesetzt werden kann, können erst weitere Untersuchungen zeigen. Dabei wird zu 4

Z. Psychologie 185-1

50

Z. Psychol. Bd. 185 (1977) H. 1

entscheiden sein, ob insbesondere durch die Datenkombination bessere Indikatoren für die spätere Effektivität bzw. Ineffcktivität bestimmter psychotherapeutischer Methoden bei bestimmten Patientengruppen gefunden werden können oder ob sich die Kombinationen so weit verzweigen, daß sie letztlich individuumsspezifisch und damit für prognostische Ableitungen wieder irrelevant sind. Wenn aber, wie wir eben zeigten, prätherapeutische psychodiagnostische Daten zur Indikations- und Effektivitätsforschung beitragen können, erhebt sich die Frage, ob durch eine Erweiterung des bisher verwendeten Datensatzes und Anwendung entsprechender neuer statistischer Auswertungsmethoden eine weitere Differenzierung der Patientengruppen möglich ist. KARNATH [21] ist dieser Frage nachgegangen. Der Datensatz wurde dabei aus folgendem Grund erweitert: Der Streit um die Anwendung eines Kontinuitäts- oder Diskontinuitätsmodells in der Psychopathologie und damit um die Nützlichkeit einer Persönlichkeits- oder syndromoriontierten Psychodiagnostik ist bisher weder theoretisch noch empirisch entschieden. Bei allen Vorbehalten gegen herkömmliche persönlichkeitsdiagnostische Verfahren, bei allen berechtigten Forderungen nach der Entwicklung einer therapiezielorientierten Diagnostik erscheint uns das zweiseitige Modell, wie es beispielsweise von G U I L F O R D [15] ausgearbeitet wurde, eine brauchbare Grundllage einer Indikationsdiagnostik zu sein. GuiLroRD bedient sich eines kombinierten dimension-kategorialen Modells: Einerseits gibt es Erlebens- und Verhaltensweisen (d. h. Persönlichkeitseigenschaften, Einstellungen bis hin zu physiologischen Reaktionsbereitschaften), also Verhaltensweisen, die in ihrem Ausprägungsgrad von gesunden über leicht zu schwer gestörten Probanden variieren und damit dimensional erfaßbar sind. Darüber hinaus aber finden wir störungsspezifisch abnorme Verhaltensmuster, d. h. solche, die bei Gesunden nicht auftreten, aber auch innerhalb des psychopathologischen Bereichs mehr oder minder stark differieren und möglicherweise besser kategorial erfaßbar sind. Es ist also eine zweifache Diagnostik erforderlich — einmal die Erfassung der allgemeinen und zum anderen die der störungsspezifisch abnormen Verhaltensmuster. Die erste Gruppe der Verfahren hat dabei einen relativ breiten Anwendungsbereich und gibt weniger spezifische Informationen. Bei Hinzunahme der zweiten Gruppe wird eine weitergehende Differenzierung innerhalbgrober diagnostischer Klassen ermöglicht.

Wir haben nun versucht, durch Kombination dieser Verfahrensgruppen zu einer möglichst weitgehenden Differenzierung innerhalb der Gruppe der Neurotiker zu gelangen. Untersuch ungsmeth odik 171 Neurotiker wurden mit folgenden Verfahren untersucht: dem revidierten F P I , mit dem relevante Persönlichkeitsmerkmale bei normalen und auffälligen Probanden erfaßbar sind, mit dem EQS und dem F B S , die normales und abnormales Entscheidungs- und Sozialverhalten prüfen. Diese drei Verfahren würden in die Gruppe 1 gehören. Der B E B zur Erfassung körperlich-funktioneller und psychischer Beschwerden sowie das P P K V zur Differenzierung verschiedener abnormer Erlebens- und Verhaltensweisen bilden die zweite Gruppe (alle Verfahren in: HELM, KASIELKE und MEHL [17]). In früheren Untersuchungen bevorzugten wir vorwiegend

I.

Frohbukg u. a.,

Problem der Kriterienwahl bei-der Eifektivitätsbestimmung

51

ein nosologisches Vorgehen (also eine Gruppierung von Merkmalen). Dabei war eine Dimensionierung häufig erschwert durch eine meist hohe Methodenvarianz, vor allem bei Verwendung verschiedenartiger diagnostischer Verfahren. Wir wählten daher ein taxonomisches Verfahren, also eine Gruppierung von Merkmalsträgern, und zwar mit Hilfe einer Q-Clusteranalyse. Ihr Prinzip besteht in folgendem: Die Probanden werden auf Grund der Ähnlichkeit ihrer Testprofile schrittweise zusammengefaßt. Da es bisher keine statistischen Kriterien zur Feststellung der optimalen Gruppierung gibt, wurden die möglichen Gruppierungen von neun bis zu drei Gruppen inhaltlich analysiert.

Untersuchungsergebnisse

Die Zusammenfassung der Probanden in neun Gruppen ergab psychologisch gut interpretierbare Einheiten, weitere Zusammenfassungen führten zunehmend zu Nivellierungen. Da eine Darstellung und Diskussion der Spezifika der neun Gruppen zu weit führen würde, sollen an einer Auswahl von drei Gruppen die 10

9

10

9

8

7

6

5

4 - 3

2

7

5

5

4

2

7 t - C

BEB

PPKV

EQS

FBS

FPI

Abb. 1. Mittelwertsprofil der Gesamtstichprobe-

3

7-*—C

• und des C1 I/II

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Z. Psychol. Bd. 185 (1977) H. 1

wesentlichen Ergebnisse veranschaulicht werden. Auf den Abbildungen wird das Mittelwertprofil der Probanden jeweils eines der ausgewählten Cluster mit dem Mittelwertsprofil der Gesamt-Neurotikerpopulation verglichen: Abbildung 1: Cluster 1 Das FPI-Profil dieser Gruppe ist insgesamt etwas ausgeglichener als das Durchschnittsprofil aller Neurotiker, das Entscheidungsverhalten scheint angepaßt, psychische Beschwerden sind deutlich geringer, aber körperlich-funktionelle Beschwerden entsprechen dem Durchschnitt der Neurotikerpopulation. Es handelt sich also um die Neurotikergruppe mit den geringsten Persönlichkeitsabweichungen und überwiegend körperlich-funktionellen Beschwerden.

• und des C1 V/VI Abb. 2. Mittelwertsprofil der Gesamtstichprobe (Einzelbezeichnungen der Untertests wie in Abb. 1)

I.

Fkohbtjkg u. a.,

53

Problem der Kriterienwahl bei der Effektivitätsbestimmung

Abbildung 2: In dieser Gruppe ist das FPI-Profil etwas ausgeprägter, die Beschwerden (vor allem unspezifische Beschwerden) im B E B , in der neurotischen Trias des PPKV sowie im Introversionswert erkennbar, dominieren. Abbildung 3: Hier finden sich Extremausprägungen in allen Persönlichkeitsbereichen, kombiniert mit starken psychischen Beschwerden und Erhöhung der sogenannten Charakterskalen des PPKV. Diese drei Cluster sollten verdeutlichen, was die Analyse der neun Gruppen zeigt: 1. Eine Differenzierung verschiedener Neurotikergruppen auf Grund ihrer TestwertProfile unter Verwendung der beiden vorher skizzierten Verfahrensgruppen erscheint sinnvoll und besser möglich als in früheren Untersuchungen.

BEB

10 1

9 1

8 1

7 6 1-

5

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3

2 "1

1 r

C

PPKV

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/

FP! '

Abb. 3. Mittelwertsprofil der Gesamtstichprobe • und des C 1 I X (Einzelbezeichnungen der Untertests wie in Abb. 1)



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Z. Psychol. B d . 185 (1977) H. 1

2. Es deutet sich eine Klassifizierung nach dem Schweregrad an: bei Betrachtung aller neun Gruppen von sogenannten „testnormalen Neurotikern" bis hin zu schwer gestörten Patienten. 3. Es lassen sich sehr spezifische Aussagen über die Zusammenhänge zwischen Ausprägungsgraden auf allgemeinen Persönlichkeitsdimensionen und pathologischen Erlebens- und Verhaltensmustern treffen. Wir sahen hier, daß bei in wesentlichen Persönlichkeitsbereichen weniger auffälligen Probanden körperlich-funktionelle Beschwerden dominieren, bei ausgeprägteren Persönlichkeitsabweichungen mehr unspezifische Beschwerden — während dann bei Extremausprägungen von Persönlichkeitszügen abnorme Verhaltensmuster erkennbar sind. Darin sehen wir eine Stützung des zitierten Modells von G U I L F O R D . Wenn auch die indikative Brauchbarkeit dieser Gruppierung erst noch speziell zu prüfen sein wird, ist doch auf Grund der unverkennbaren Ähnlichkeit mit den vorher hier beschriebenen, von F R O H B U K G ermittelten Veränderungsdimensionen eine Indikationsrelevanz zu erwarten. 4. Ansätze zur Entwicklung einer therapiezielorientierten Veränderungsdiagnostik Den fruchtbarsten Ansatz für eine zielorientierte Veränderungsdiagnostik sehen wir darin, auf die herkömmlichen psychodiagnostischen Verfahren überhaupt zu verzichten und stattdessen andere Verfahren zu erarbeiten — Verfahren, in denen von vornherein die empirisch ermittelten therapeutischen Wirkungen sowie ihre gesellschaftliche Relevanz berücksichtigt werden. Drei der in unserer Arbeitsgruppe verfolgten Wege sollen — obwohl die Untersuchungen noch nicht zu Ende geführt sind — im folgenden kurz skizziert werden. Nebenher sei erwähnt, daß a u c h noch ein anderer W e g möglich scheint, mit herkömmlichen T e s t s therapiespezifische Wirkungen zu messen. Hier ist an die Selektion v o n I t e m s solcher Tests 1 zu denken, die sich als besonders v e r ä n d e r u n g s a n f ä l l i g im Z u s a m m e n h a n g mit der jeweiligen therapeutischen Methode erweisen. A u s diesen, sozusagen v e r ä n d e r u n g s t r ä c h t i g e n I t e m s kann d a n n ein neues YM-Verfahren konstruiert werden, d a s die therapeutischen Wirkungen spezifischer abbildet. S o h a t PULZ [32] in ihrer D i p l o m a r b e i t solche I t e m s aus d e m M M P I , d e m I N R u n d einem Q - S o r t herausgefiltert, die sich n a c h G e s p r ä c h s t h e r a p i e in der B e a n t w o r t u n g besonders h ä u f i g g e ä n d e r t haben. Der von ihr isolierte I t e m s a t z s t i m m t e z u m größeren Teil g u t mit d e m V e r ä n d e r u n g s konzept bzw. mit den früher empirisch ermittelten G T - W i r k u n g e n überein. Zehn instruierte Beurteiler ordneten die V e r ä n d e r u n g s i t e m s in 13 Veränderungsbereiche. D a b e i e r g a b sich: Abn a h m e innerer S p a n n u n g e n , Z u n a h m e des S e l b s t v e r t r a u e n s u n d der Selbstzufriedenheit, der eigenen Sicherheit, der sozialen K o n t a k t f ä h i g k e i t . Hingegen f a n d e n sich keine I t e m s für größere F l e x i b i l i t ä t , E r f a h r u n g s o f f e n h e i t , bessere U m w e l t w a h r a e h m u n g u n d geringere Verteidigungsh a l t u n g . D a b e i bleibt fraglich, o b in den v e r w e n d e t e n T e s t s genügend I t e m s enthalten sind, die ü b e r h a u p t solche S a c h v e r h a l t e a b d e c k e n können. Hier stehen wir eben vor den Grenzen einer V e r ä n d e r u n g s m e s s u n g mit herkömmlichen T e s t s .

I. F R O H B U R G

U. a., Problem der Kriterienwahl bei der Effektivitätsbestimmung

55

4.1. Entwicklung eines Fragebogens zur Erfassung gesprächstherapeutischer Effekte In einer Diplomarbeit von SIMON [34], die gegenwärtig von u. a. KÜHNE und

ZIEMKENDORF [25] weitergeführt wird, wurde damit begonnen, einen PatientenFragebogen zu entwickeln, der spezieller auf die durch die Gesprächstherapie bewirkten Veränderungen eingeht. In einem ersten Schritt wurden aus der Forschungsliteratur die inzwischen identifizierten Änderungsmerkmale — von denen im vorigen Abschnitt einige genannt wurden — zusammengestellt. Parallel dazu wurden die aus empirischen Untersuchungen zur Veränderungsmessung bzw. Effektivitätskontrolle der Gesprächstherapie in der Literatur beschriebenen und aus eigenen Untersuchungen unserer Forschungsgruppe bekannten Änderungen auf bestimmten Testskalen systematisch ausgewertet. Von diesen Informationen ausgehend wurden nun durch die Autoren in Zusammenarbeit mit relativ erfahrenen Gesprächstherapeuten Dimensionen (im Sinne von Veränderungsdimensionen) und dazugehörige Itemsätze formuliert und mit Beurteiler-Ratings überprüft. Nach abgeschlossener Itemanalyse, die zur Neuformulierung bzw. auch Aufnahme weiterer Items führte, liegt beim jetzigen Bearbeitungsstand ein Fragebogen mit sechs (hypothetischen) Dimensionen vor (Abnahme innerer Spannungen, realistischere Selbsteinschätzung, Zunahme an Selbstvertrauen, Akzeptierung anderer Menschen, Aktivität und die Fähigkeit zu selbständigem Urteilen und Werten). Dieser Fragebogen muß nochmals itemanalytisch überprüft' und die hypothetischen Dimensionen mit Hilfe der Faktorenanalyse kontrolliert werden. Nach eventuellen weiteren Modifikationen sind schließlich nach Ermittlung der Testkriterien und der Normierung des Verfahrens Uberprüfungen zur Eignung als Veränderungsmeßinstrument vorzunehmen. Da sich der Fragebogen noch in einem relativ frühen Bearbeitungsstadium befindet, läßt sich das endgültige Ergebnis noch nicht abschätzen. 4.2. Entwicklung eines Q-Sorts zur Erfassung gesprächstherapeutischer Effekte Einen ähnlichen wie den eben beschriebenen Weg ging WOLFRAM [38] bei dem Versuch, einen Q - S o r t zu konstruieren, der der intendierten Therapiezielorientierung Rechnung trägt. Nach entsprechender Bearbeitung, Itemanalyse und faktorenanalytischer Uberprüfung enthält der Q - S o r t jetzt Items für vier Dimensionen (Selbstwert-Problematik, emotionale Ausgeglichenheit und psychische Spannkraft, Akzeptierung anderer Menschen bzw. emotionale Einstellung zu anderen Personen sowie Selbstkontrolle und Selbstbehauptung). Die Verfahrensentwicklung wurde bereits bis zu einer vorläufigen Normierung an 200 Neurotikern weitergeführt. Die bisherigen statistischen Gültigkeitsprüfungen befriedigen bis auf geringe Vorbehalte. Die Bewährung dieses dimensionierten Q-Sorts zur Veränderungsmessung im Zusammenhang mit gesprächstherapeutischen Behandlungen muß in einem nächsten Arbeitsschritt geprüft werden.

56

Z. Psychol. Bd. 185 (1977) II. 1

4.3. Entwicklung eines Veränderungsbogens zur Erfassung gesprächstherapeutischer Effekte Die beiden eben beschriebenen Verfahren sind zur Vorlage vor und nach der Therapie gedacht — unterscheiden sich aber, wie nochmals betont werden soll, von den bisher üblichen testdiagnostischen prä/post-Vergleichen inhaltlich dadurch, daß sie auf die durch die spezifische therapeutische Methode erreichbaren Veränderungen — also die Messung der als Therapieziel ausgewiesenen Veränderungen konzentriert sind. Eine von vornherein therapiezielorientierte Veränderungsmessung wird auch mit der Entwicklung sogenannter Veränderungs-Fragebogen angestrebt. Das sind Fragebogen, die einmalig nach der Therapie eingesetzt werden. Damit können verschiedene Schwierigkeiten der prä/post-Methodik (wie Verfälschung der Daten durch unterschiedliche Vertrautheit mit dem Test, Regressionseffekte verschiedener Art, das bekannte Reliabilitäts-Validitäts-Dilemma u. ä.) vermieden werden. Solche Veränderungs-Fragebogen — der erste stammt unseres Wissens von M E H N E R T [28] — enthalten nicht die üblichen Feststellungen wie etwa „Ich bin ausgeglichen", sondern Veränderungsaussagen wie „Ich bin ausgeglichener geworden". Die Beantwortung ist dabei mit Hilfe einer mehrstufigen Skala möglich. In seiner Diplomarbeit entwickelte H O R N { 2 0 ] einen Veränderungs-Fragebogen, bei dem die Itemgewinnung von vornherein therapiezielorientiert — hier ebenfalls bezogen auf die Ziele der Gesprächstherapie — erfolgte. E s wurden dabei einmal besonders veränderungsträchtige Items (nicht Skalen!) herkömmlicher diagnostischer Tests (vgl. PuLZ [32]) verwendet, zum anderen Items aus Aufzeichnungen von Patientenangaben über von ihnen an sich selbst beobachtete Veränderungen nach einer abgeschlossenen Gesprächstherapie (MEHNERT-Items) und schließlich Items ebenfalls wieder aus dem empirischen Veränderungskonzept der Gesprächstherapie abgeleitet. Nach der Itemanalyse ergab sich ein Satz von 50 Items, die eine gute interindividuelle Differenzierung der behandelten Patienten erlaubt. Die über die innere Konsistenz geprüfte Reliabilität des Verfahrens ist sehr hoch. Interessanterweise ergaben sich beim Vergleich der erhaltenen FragebogenWerte mit den prä/post-Daten aus herkömmlichen diagnostischen Tests (wie P P K V und B E B ) keine nennenswerten Übereinstimmungen. Damit ist nahegelegt, daß mit beiden diagnostischen Ansätzen andersartige oder — was wir vermuten würden — unterschiedlich spezifische Therapiewirkungen erfaßt werden. Dem VeränderungsFragebogen dürfte dabei die höhere auf die Gesprächstherapie bezogene Spezifität zukommen. Ein wichtiger Gesichtspunkt bei Veränderungs-Fragebogen sei noch erwähnt. Um festzustellen, ob sich die Patienten auch in den für sie wirklich relevanten Störungsbereichen verändern, können die Items von den Patienten in ihrer Bedeutung für sie — also als wesentlich oder belanglos — gekennzeichnet werden. Diese beiden so entstehenden Itemgruppen werden gesondert ausgewertet. Dieser

I. FROHBURG U. a., Problem der Kriterienwahl bei der E f f e k t i v i l ä t s b e s t i m m u n g

57

Punkt ist natürlich für eine Spezifizierung der Effekte recht wichtig. Der Veränderungs-Fragebogen von H O R N [ 2 0 ] wurde inzwischen von W Ü K S C H N I T Z E K [ 3 9 ] auf seine Tauglichkeit zur Effektivitätskontrolle m i t ' positivem Resultat überprüft. Abschließende Bemerkungen zur Notwendigkeit der therapiespezifischen Kriteriendifferenzierting Durch die hier vorgestellten Möglichkeiten und Untersuchungen zur Entwicklung zielorientierter Yeränderungsmeß-Methoden im Rahmen der Gesprächstherapie wird vielleicht deutlich, daß der immer wieder erhobenen Forderung Rechnung getragen werden soll, Meßmethoden für verschiedene Änderungsprozesse bei neurotisch gestörten Personen bzw. strengere Spezifizierungen von Erfolgsvariablen zur Verfügung zu haben. Wichtig ist wohl auch, daß künftig gesonderte Verfahren zur Erfassung von internalen und externalen Kriterien — also einerseits des emotionalen Erlebens, Einstellungs- und Wertungsprozesses und andererseits des symptomatischen offenen Verhaltens — entwickelt werden. Es gibt verschiedene Ergebnisse, die eine solche Unterscheidung nahelegen. So zeigte M A L A N [26], daß Spontanremissionen bei Verwendung internaler Kriterien zu 33 bis 50% zu erwarten sind, bei Verwendung externaler Kriterien hingegen zu 60 bis 70%. Die hier skizzierten Veränderungs-Meßmethoden sind vielleicht besser geeignet zur Erfassung internaler Veränderungen, weshalb sie eine sinnvolle Ergänzung zu Methoden darstellen könneii, die mehr die externalen Kriterien beachten, wie z. B. Beschwerden-Erfassungsbogen, Symptomlisten, psycho-physiologische Messungen. Wir versprechen uns jedenfalls eine bessere Registrierung der tatsächlichen und konkreten Gesprächstherapie-Effekte, wenn wir solchen unterschiedlichen Zielkriterien mit entsprechender Dimensionierung künftig mehr Beachtung schenken. Zusammenfassung E s werden theoretische und methodische Probleme der E f f e k t i v i t ä t s b e s t i m m u n g in der Psychotherapie erörtert und Möglichkeiten ihrer L ö s u n g aufgezeigt. I m ersten Teil wird geprüft, welche A u s s a g e k r a f t globale Aussagen von Therapeuten und Patienten über die durch die Psychotherapie erreichte Besserung in der klinischen Praxis und für wissenschaftliche Untersuchungen haben. I m zweiten Teil geht es u m die Möglichkeit einer differenzierteren E r f a s s u n g psychotherapeutischer E f f e k t e mit Hilfe psychodiagnostischer prä/post-Vergleiche und u m die Analyse von Dimensionen der Veränderung, mit deren Hilfe therapiebedingte Änderungen des Patienten erfaßbar sind. I m dritten Teil schließlich wird darüber berichtet, welche Möglichkeiten eine therapiezielorientierte Yeränderungsmessung bietet und welche vorläufigen Erfahrungen es mit der Verwendung therapiezielorientierter Effektivitätsmeßverfahren gibt.

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Z. P s y c h o l . B d . 185 (1977) H . 1

Summary T h e o r e t i c a l a n d p r a c t i c a l p r o b l e m s of d e t e r m i n i n g the e f f e c t i v e n e s s in p s y c h o t h e r a p y d i s c u s s e d . Also, possible w a y s of s o l v i n g t h e m are described.

are

T h e first p a r t of this p a p e r deals with the i m p o r t a n c e t o b o t h clinical p r a c t i c e a n d scientific s t u d i e s of s t a t e m e n t s m a d e b y t h e r a p e u t i s t s a n d p a t i e n t s on i m p r o v e m e n t s a c h i e v e d b y p s y c h o therapy. T h e s e c o n d p a r t deals with t h e q u e s t i o n of a m o r e specialized d e t e r m i n a t i o n of p s y c h o t h e r a p e u t i c e f f e c t s b y p s y c h o d i a g n o s t i c pre- a n d p o s t - t h e r a p y c o m p a r i s o n s a n d w i t h t h e a n a l y s i s of dimensions of change, b y which it is possible for changes c a u s e d b y t h e r a p y t o be d e t e r m i n e d . T h e t h i r d a n d l a s t p a r t of 1 lip p a p e r discusses the possibilities offered b y a m e a s u r e m e n t of c h a n g e s which is oriented t o w a r d the specific o b j e c t i v e of t h e r a p y a n d t h e e x p e r i e n c e so f a r g a i n e d u s i n g m e t h o d s of efficiency m e a s u r e m e n t oriented t o w a r d a p a r t i c u l a r o b j e c t i v e of t h e r a p y .

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Anschrift der Verfasser: D r . INGE FROHBURG, DOZ. D r . JOHANNES H E L M , D r . J Ü R G E N M E H L u n d D o z . D r . E D I T H K A S I E L K E

Sektion Psychologie der Humboldt-Universität DDR-102 Berlin, Oranienburger Str. 18

Aus dem Psychologischen Institut der Universität Düsseldorf

Über das Problemlösen bei der Konstruktion elektrischer Stromkreise V o n W I E B K E PUTZ-OSTERLOH u n d G . L Ü E R Mit 2 Abbildungen

1. Einleitung In den letzten Jahren sind in kürzeren Abständen Arbeiten erschienen, in denen die verschiedenen Problemtypen oder Problembereiche nach allgemeinen Klassifikationskriterien beschrieben werden (vgl. hierzu REITMAN [ 1 1 ] , K L I X [ 4 ] , NEWELL u n d SIMON [ 8 ] , SYDOW [ 1 4 ] , DÖRNER [ 1 ] ) .

Damit ist es für die psychologische Problemlösungsforschung möglich geworden, präzise Hypothesen aufzustellen und der empirischen Erforschung zugänglich zu machen. Mit der Unterscheidung verschiedener Problemarten entstehen neue Fragen. So muß geklärt werden, ob alle Probleme von Pbn nach denselben Lösungsprinzipien bearbeitet werden oder ob problemspezifisch zu unterscheidende Varianten zu berücksichtigen sind. Die in diesem Zusammenhang vorgetragenen Überlegungen von KLIX [4], S. 660ff. und S. 721ff.) lassen vermuten, daß verschiedene Probleme mit unterschiedlichen Strategien gelöst werden. Mit dieser Arbeit wollen wir einen Ansatz vorlegen, das Problemlösungsverhalten von Pbn im Bereich von Konstruktionsaufgaben in seinen Regelmäßigkeiten zu erkennen. Dabei werden wir von einer theoretischen Analyse der Problemstruktur ausgehen, mit der eine differenzierte Beschreibung der gestellten Aufgaben geleistet werden kann. Vor diesem Hintergrund soll das beobachtete Problemlöseverhalten unserer Versuchsteilnehmer beschrieben und erklärt werden. Daran anschließen werden wir den Bericht über einen Trainingsversuch, in dem wir die im 1. Versuch gewonnenen Ergebnisse experimentell überprüfen.

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2. Theoretische Analyse des untersuchten Problembereiches 2.1. Beschreibung der verwendeten Probleme: Die Konstruktion elektrischer Stromkreise 1 Es fällt nicht schwer, verschiedene Arten von Problemen aufzuzählen, die im alltäglichen Leben vorkommen. Man spricht und liest von naturwissenschaftlichen, sozialen, sowie von künstlerischen und ästhetischen Problemen. Dieser Katalogließe sich fast beliebig erweitern. Nimmt man an, daß verschiedene Arten von Problemen auch mit unterscheidbaren Problemlösungsprozessen bearbeitet werden, wird schon durch die Auswahl des Problembereiches für eine Untersuchung bestimmt, welche Arten des Problemlösens zu beobachten sein werden. Daher ist es sinnvoll, zu Beginn viel Sorgfalt auf die Analyse der Probleme zu verwenden. In unserer Untersuchung stellten wir unseren Pbn die Aufgabe, auf einer 190 X 110 cm großen Tischplatte mit dem Grundriß einer Zweizimmerwohnung Stromkreise so zu verlegen, daß dadurch die in einer Wohnung vorhandenen elektrischen Installationen mit den dazu gehörenden Funktionen vorhanden sind. So mußte ini Bad eine Lampe verlegt werden, die durch einen Schalter ein- und auszuschalten war. Zusätzlich sollte eine funktionstüchtige Steckdose vorhanden sein (Aufgabe 1). Das gleiche sollte in der Küche mit zwei Steckdosen realisiert werden (Aufgabe 2). Für die 3. Aufgabe im Wohnzimmer sollte ein dreiflainmiger Kronleuchter mit Hilfe eines Schalters mit 1, 2 bzw. 3 Birnen an- und ausgeschaltet werden können. In den folgenden Aufgaben 4 und 5 mußten im Schlafzimmer bzw. im Flur Wechselschaltungen für Lampen konstruiert werden, durch die eine bzw. zwei Birnen von jeweils einem Schalter an- und ausgeschaltet werden konnte. Darüberhinaus sollte an jeweils einem Schalter Licht angeschaltet werden können und am anderen Schalter wieder gelöscht werden und umgekehrt. In der Aufgabe 6 wurde die Einschaltung eines spannungsempfindlichen Rasierapparats unter Verwendung eines Widerstandes gefordert und im letzten Problem wurde die Installation einer Klingel verlangt, die sowohl von der Haustür als auch von der Wohnungstür im Treppenhaus zu betätigen sein mußte. Abbildung 1 zeigt die in den 7 Aufgaben geforderten Verkabelungen auf der verwendeten Tischplatte. Bevor die Pbn mit der Lösung der gestellten Probleme beginnen konnten, mußten sie in die physikalischen Grundprinzipien des Stromkreises eingeführt werden. Das geschah in dreierlei Art und Weise. Zunächst wurde ein vorbereitetes Skriptum ausgehändigt, in dem folgende Begriffe in ihren physikalischen Bedeutungen erklärt wurden: Leiter bzw. Nichtleiter; Stromquelle; Plus- und Minuspol; Span1 Für die Planung und den Entwurf aller elektrischen Bauelemente sowie für die B e r a t u n g und Vorbereitung des E i n f ü h r u n g s s k r i p t u m s in die Physik des Stromkreises danken wir Herrn Dipl.-Phsych. F. REITHER, Universität Gießen.

W. PUTZ-OSTERLOH/G. LÜEE, Problemlösen bei Konstruktion von Stromkreisen

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Abb. 1. Konstruktionsplatte mit dem Grundriß einer Zweizimmerwohnung sowie mit allen notwendigen Bauelementen und Verkabelungen, die zur Lösung der sieben Aufgaben gefordert werden

nungsgefälle; Stromkreis; Messung von Stromstärke und -Spannung; Verbraucher bzw. Widerstand; Kurzschluß. Nach dieser Einführung wurden vom VI Stromkreise der folgenden Art demonstriert: Einzelner Verbraucher in einem Stromkreis mit Schaltbild und Meßwerten für Spannung und Stromstärke. Zwei Verbraucher „in Reihe" bzw. „parallel" im Stromkreis, jeweils mit Schaltbild, Meßwerten und dazugehörigen Effekten (siehe KiRCHHOFFsches Gesetz). Damit waren die unterschiedlichen und notwendigen Schaltprinzipien im Stromkreis sowohl experimentell realisiert als auch aufgezeichnet und durchgemessen worden. Schließlich war es notwendig, die zur Verfügung stehenden Bauelemente aufzuzählen und zu beschreiben. Dabei handelte es sich um folgende Einzelteile: Sockel für eine bzw. drei Birnen; Birnensockel zur Verwendung als spannungsempfindliches Gerät (Rasierapparat — als Modell gedacht); Steckdosen; Verteilerplatten; Schalter mit zwei bzw. vier Polen; T-förmiger Schalter mit vier Polen; Druckschalter mit zwei Polen; Klingel und Batterie dafür; Stromquelle mit zwei Anschlußbuchsen für 1,7 A und 6 V, die mit 0,7 A über eine Klemmsicherung abgesichert war; Widerstand; Kabel verschiedener Länge mit Bananensteckern; Glühlampen für diverse Spannungen mit verschiedenen Stromstärken; Sicherungen; Testlampe. Damit hatten die Pbn ausreichendes Wissen über den Problembereich, um Aufgabenstellungen daraus bearbeiten zu können. Wir gehen nun auf die schon früher angekündigte exakte Problembeschreibung ein, um daraus die notwendigen Informationsverarbeitungsprozesse auf Seiten der Pbn abzuleiten und mit den Beobachtungsdaten zu vergleichen. V on den 7 beschriebenen Aufgaben greifen wir nur die Probleme 3 (Verkabelung eines dreiflammigen Kronleuchters) und 4 (Konstruktion einer Wechselschaltung) heraus, da sie den

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höchsten Schwierigkeitsgrad besitzen und so besondere Gelegenheit boten, Vorgehensweisen der Pbn zu beobachten. Für die Strukturanalyse des Problembereiches stehen uns mehrere Wege offen. Am naheliegendsten ist es, sich an bekannten Klassifikationsschemata zu orientieren. Hierzu werden wir im Anschluß an SÜLLWOLDS [13] Definition eines Problems, d a s O r d n u n g s s y s t e m v o n REITMAN [11] i n s e i n e n v o n K L I X [4] u n d DÖRNER

[1]

getroffenen Erweiterungen verwenden. Wir wollen versuchen, für die Aufgaben 3 und 4 eine Problemlösungsheuristik anzugeben. Eine solche Analyse bietet den Vorteil, die später zu referierenden Versuchsergebnisse vor dem Hintergrund solcher theoretischen Erörterungen bewerten und interpretieren zu können. Beginnen wir zunächst mit der Kategorisierung der Probleme. Hier sind die Merkmale „Offenheit" bzw. „Geschlossenheit" der Anfang- und/oder Zielsituation und die „Verfügbarkeit" der Operatoren wichtig. Zu Beginn steht der Problemloser vor einer leeren Tischplatte mit aufgezeichnetem Wohnungsgrundriß sowie vor einem geordneten Arsenal von Bauelementen. Diesem Status entspricht ein relativ offener Ausgangszustand des Problems. Ein hoch strukturierter Anfangszustand, der in Richtung auf den Endzustand nur zu verändern wäre, liegt nicht vor. Auch der zu erreichende Zielzustand ist de facto nicht vorgegeben. Zwar gibt es Kriterien, nach denen er beschrieben ist. Sie erschöpfen sich aber lediglich in der Angabe der Funktionen, die zu realisieren sind. Objektdimensionen im Sinne von DÖRNER ([1], S. 25ff.) zur exakten Beschreibung des Problemzustandes werden nicht angegeben. So wird z. B . der Zielzustand von Aufgabe 3 nur so festgelegt, daß verschieden viele Glühbirnen an bzw. ausgeschaltet werden können. Genauere Beschreibungen des Zustandes eines solchen elektrischen Stromkreises fehlen jedoch. Danach wäre auch die Zielsituation des Problems als teilweise offen zu beurteilen. Die einzusetzenden Operatoren, d. h. die Handlungsmöglichkeiten, sind in ihrer Anzahl gering und in ihrer Anwendungsform geradezu primitiv. Sie bestehen aus dem Setzen der Bauelemente auf die Platte in vorgezeichnete Felder sowie dem Schaffen bzw. Lösen von Verbindungen ziwschen den Elementen mit Hilfe von Kabeln. Fraglos sind diese Handlungen allen Pbn geläufig - neue Operatoren brauchen sie nicht zu suchen. Fassen wir unsere bisherige Problembeschreibung zusammen: Den Pbn liegen weder für den Anfangs- noch für den Zielzustand konkrete Merkmalsbeschreibungen vor. Das Lösungsziel ist ausschließlich durch die Angabe von Funktionen charakterisiert, die im Endzustand realisiert sein sollen. Ein erheblicher Komplexitätsgrad der Endzustände für beide Aufgaben kommt erschwerend hinzu. Zur Problemlösung stehen Operatoren zur Verfügung, die zwar gering in der Anzahl sowie hochverfügbar und unkomliziert in der Anwendung sind, deren Effekte aber jeweils abhängig sind vom erreichten Problemzustand. Ein ungezieltes Ausprobieren der Operatoren ist riskant — die Wahrscheinlichkeit von Kurzschlüssen ist dabei beträchtlich. Dieser Sachverhalt zusammen mit der Komplexität der

W. PUTZ-OSTERLOH/G. LÜER, Problemlösen bei Konstruktion v o n Stromkreisen

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Probleme verdeutlicht, daß zur 'gefahrlosen' Anwendung der Operatoren eine ständige Analyse des erreichten und geplanten Problemzustandes notwendig ist, wenn überhaupt ein Problemfortschritt erreicht werden soll. 2.2. Theoretisch ableitbare Problemlöseprozesse Unsere Analyse des vorgegebenen Problembereiches führt uns nun zu Überlegungen darüber, wie die Pbn vorgehen müßten, wenn sie die geforderten Lösungen finden wollen. Damit soll keineswegs eine Beschreibung darüber vorweggenommen werden, wie Pbn tatsächlich vorgehen. Derartige Fragen können ausschließlich durch die Analyse empirischer Daten beantwortet werden. Wohl aber kann an Hand empirisch gewonnener Ergebnisse an einem solchen Schema aufgezeigt werden, welche Lösungsstrategien hauptsächlich vorkommen oder auch außer acht gelassen werden. Wir müssen dieses Schema für die beiden Aufgaben getrennt aufstellen, weil zwischen den Problemen Unterschiede bestehen. Beginnen wir zunächst mit der Aufgabe 3. Aufgabe 3: .1.

Da ein offener Anfangszustand vorliegt, kann von keinem festen Startpunkt ausgegangen werden. 2. Man muß sich an dem Zielzustand orientieren: E r wird deshalb in den zu erreichenden Funktionen rekapituliert. 3. Die zu erreichenden Funktionen werden aufgelistet: (keine Birne brennt; eine Birne brennt; 2 Birnen brennen; 3 Birnen brennen). 4. Es werden Teilziele abgespalten und aufgelistet: Teilzielliste: A (keine Birne brennt); B (1 Birne brennt); C (2 Birnen brennen); D (3 Birnen brennen). 5. Es werden die Relationen geprüft, in denen die Teilziele zueinander stehen. Es handelt sich um Oder-Verbindungen, d. h. die 4 aufgezählten Funktionen für Teilziele können in beliebiger Reihenfolge realisiert werden. 6. Auswahl eines möglichen oder verbliebenen Teilzieles, für das eine Zustandsbeschreibung verfügbar ist. 7. Es wird eine Zustandsbeschreibung für ein ausgewähltes Teilziel gebildet, z. B. für B : Stromkreis mit Verkabelungen zwischen Stromquelle und Lampe, zwischen Lampe und Schalter, zwischen Schalter und Stromquelle. 8. Vorwärtsplanung: Es wird eine Operatorenfolge festgelegt, mit der das beschriebene Teilziel erreicht werden soll, z. B. nach dem Setzen der Elemente die Verkabelung der Lampe schaffen. 9. Anwendung der Operatoren. 10. Prüfung der Funktion des Teilzieles. Abfrage: Ist Funktion erreicht? I I a . Funktion erreicht: Vergleich Teilziel mit Teilzielliste. Ist die Liste abgearbeitet, ist das Problem gelöst, sonst folgt Schritt 6. I I b . Funktion nicht erreicht: Auswahl zwischen folgenden Möglichkeiten: — Veränderung von 8 : andere Operatorenfolge für aktuelles Teilziel; 5

Z. Psychologie 185-1

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Z. Psycho!. Bd. 185 (1977) H. 1

— Veränderung von 7: neue Objektbeschreibung für aktuelles Teilziel; — Veränderung von 6 : Auswahl eines anderen Teilzieles; — vom 2. Teilziel an: Die erreichten Problemzustände für frühere Teilziele müssen verändert werden. Aus der Beschreibung der Lösungsschrittfolgen erkennen wir die wesentlichen Charakteristika der Aufgabe 3 : Die 4 zu erreichenden Teilfunktionen müssen in Teilziele, also Problemzustände mit konkreten Zustandsbeschreibungen überführt werden. Dabei stehen die Teilziele in einer Oder-Relation zueinander, so daß ihre Bearbeitungsfolge beliebig und von bereits Erreichtem unabhängig ist. Aufgabe 1. Wie 2. Wie 3. Wie (mit aus4. Wie

5. 6. 7.

8.

9. 10. 11. 12. 13.

4: 1. bei Aufgabe 3. 2. bei Aufgabe 3. 3. bei Aufgabe 3 einem Schalter an- und mit dem anderen ausschalten; mit einem Schalter und mit dem anderen anschalten). 4. in Aufgabe 3.

Teilzielliste: A (mit einem Schalter an- und mit dem anderen ausschalten) B (mit einem Schalter aus- und mit dem anderen anschalten). Wie 5 bei Aufgabe 3. Es handelt sich um Und-Verbindungen, d.h. die Doppelfunktionen von A und B können nicht unabhängig voneinander realisiert werden. Wie 6 bei Aufgabe 3. Nach Auswahl von A oder B werden Unterteilziele abgespalten: Im Falle von A Unterteilzielliste: Aa (mit einem Schalter an); Ab (mit dem anderen Schalter aus). Im Falle von B entsprechende Abspaltungen. Feststellung der Relationen, in denen die Unterteilziele Aa bzw. Ab zueinander stehen. Es handelt sich hier um hierarchisch gegliederte Und-Relationen. Richtig kann nur Aa zusammen mit Ab realisiert werden. Dasselbe gilt für die Unterteilziele von B. Darüberhinaus muß auch die Abhängigkeit der Teilziele A und B beachtet werden. Wie Schritt 7 bei Aufgabe 3. Wie Schritt 8 bei Aufgabe 3. Wie Schritt 9 bei Aufgabe 3. Wie Schritt 10 bei Aufgabe 3. Wenn J a : Schritt 13; wenn Nein: Schritt 15. Ist ein Unterteilziel erreicht, z. B. Aa: Vergleich erreichtes Unterteilziel mit der Unterteilzielliste von A. Ergebnis: Noch nicht erreichtes Unterteilziel Ab in Verknüpfung mit dem erreichten Unterteilziel Aa. Ist ein Teilziel erreicht, z. B-. A: Vergleich erreichtes Teilziel mit Teilzielliste. Ergebnis: Noch nicht erreichtes Teilziel B in Verknüpfung mit dem erreichten Teilziel A (im Falle von B gilt entsprechendes). Sind die Teilziele A und B erreicht, ist das Problem gelöst.

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14. Auswahl des noch nicht erreichten Teilzieles (bei Unterteilzielen folgt Schritt 9, bei Teilzielen Schritt 7). 15. Ist Funktion noch nicht erreicht: — Veränderung von 10: Neue Operatorenfolge für aktuelles Unterteilziel oder aktuelles Teilziel; — Veränderung von 9: Neue Zustandsbeschreibung für aktuelles Unterteilziel oder Teilziel; — Auswahl eines anderen Teilzieles, für das eine Zustandsbeschreibung möglich ist; — ab 2. Teilziel: Operatorenfolge ist zu verändern sowohl für das aktuelle Teilziel als auch für die früheren Teilziele, um die Und-Relationen zwischen den Teilzielen zu berücksichtigen; — neue Zustandsbeschreibung für aktuelles und früheres Teilziel. Die Beschreibung der Lösungsschritte für Aufgabe 4 läßt deren Schwierigkeitsgrad erkennen: Er besteht in erster Linie in den Und-Relationen, mit denen alle Teilziele auf verschiedenen Stufen miteinander verknüpft sind. Diese Tatsache erlaubt keine sukzessive oder unabhängige Bearbeitung einzelner Teilziele ohne Berücksichtigung bereits vorliegender Problemzustände. Es gilt nun zu untersuchen, wie Pbn sich in ihrem Problemlösungsverhalten diesen spezifischen Merkmalen und Schwierigkeiten anpassen und wie sie damit fertig werden. 3. Empirische Untersuchung I 2 : Beschreibung des Problemlöseverhaltens 3.1. Versuchsablauf 12 Studierende der Anfangssemester der Psychologie wurden nach dem Zufall aus einer Liste freiwillig abgegebener Meldungen für den Versuch ausgewählt. Den Pbn wurde gesagt, daß die Teilnahme an diesem Versuch relativ zeitaufwendig sei und auch ihre Bereitschaft zur Einarbeitung in einen neuen Problembereich erfordere. Jedem Pb wurde zunächst ein Skriptum ausgehändigt, das eine Einführung in die Physik elektrischer Stromkreise enthielt. Bis zu seinem Versuchstermin hatte jeder Pb zu Hause das Skriptum durchzuarbeiten. Der Versuch gliederte sich in zwei Teile. Nach der Klärung von Verständnisfragen hatte jeder Pb einen Fragebogen zu beantworten, mit dem die Physikvorkenntnisse ermittelt werden sollten. So wurde z. B. nach dem OHMschen Gesetz und nach Erfahrungen beim Basteln mit Stromkreisen gefragt. Bis auf einen Pb hatte niemand für unseren Versuch relevante Vorkenntnisse, die das im Skript vermittelte Wissen übertrafen. Im Anschluß daran demonstrierte eine VI an Modellen wichtige 2

Für die Ililfe bei der Durchführung und Auswertung dieses Versuches haben wir Frl. cand.

phil. ANGELIKA BOYER aus Kiel zu danken.

5*

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Schaltprinzipien, die im Versuch vorkommen sollten. Die Pbn konnten die Ergebnisse der Demonstrationen in ihrem Skriptum nachlesen. Dieser erste Versuchsteil dauerte jeweils etwa 30 Minuten. Im zweiten Teil wurden nacheinander 7 Aufgaben gestellt. Es waren immer zwei Vln anwesend. Die eine protokollierte alle von dem Pb vorgenommenen Handlungen (alle Elemente, Buchsen und Orte auf der Platte waren durch Buchstaben und Zahlen gekennzeichnet), die andere VI achtete darauf, daß der Pb — zum lauten Denken aufgefordert — seine Gedanken und Pläne kontinuierlich verbalisierte. Alle diese mündlichen Äußerungen wurden auf einem Tonband mitgeschnitten. Der zweite Versuchsteil dauerte bei den Pbn unterschiedlich lange: Der schnellste Pb schaffte alle Aufgaben in 52 Minuten, der langsamste benötigte 250 Minuten. Nach der 3. Aufgabe wurde eine halbstündige Pause eingelegt. Insgesamt dauerte der Versuch für die Pbn also etwa 120 bis 310 Minuten. Die für die Auswertung herangezogenen Aufgaben 3 und 4 erforderten 8 bis 80 bzw. 8 bis 99 Minuten. 3. 2. Auswertung der Lösungsprotokolle Nachdem die von den 12 Pbn aufgenommenen Protokolle des lauten Denkens vom Tonband abgeschrieben waren, begannen wir mit der Auswertung nach zwei Richtungen: Zunächst übersetzten wir die Lösungsprotokolle in 30 definierte Lösungsschritte. Diese langwierigen Arbeiten wurden immer von zwei Auswertern erledigt, um einen möglichst hohen Grad an Objektivität zu erlangen. Die benutzten Lösungsschritte sind in der folgenden Tabelle I wiedergegeben. Der nächste Auswertungsschritt bezog sich ausschließlich auf die von den Pbn im Lösungsprozeß aufgestellten Teilziele. Hierzu entwickelten wir ein Klassifikationsschema, mit dem der Komplexitätsgrad jedes vorkommenden Teilzieles eingeschätzt werden sollte. Wir definierten 10 Stufen für die verschiedenen Komplexitätsgrade. Sie betreffen sowohl einzelne Bauelemente in den niederen Stufen der Komplexität als auch Stromkreise und Verbindungen zwischen ihnen in den höheren Stufen. Tabelle II enthält die 10 Komplexitätsstufen für Teilziele. Alle 24 Protokolle der Aufgaben 3 und 4 wurden in die Lösungsschritte der Tabelle I übersetzt. Darüberhinaus sind alle vorkommenden Teilziele durch zwei Auswerter nach den in Tabelle II angegebenen Komplexitätsstufen klassifiziert worden. 3. 3. Ergebnisse 3. 3. 1. Einheitlichkeit der Lösungsstrategie Als erstes gilt es zu untersuchen, ob und welche Lösungsstrategien in den Lösungsprotokollen unserer Pbn auffindbar sind. Lösungsstrategien zeigen sich in der häufig wiederholten Verwendung bestimmter Aufeinanderfolgen von Lösungsschritten. Wie in früheren Untersuchungen zu anderen Problembereichen [6] haben

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Tabelle I. 30 Lösungsschritte zur Codierung der Protokolle des lauten Denkens Nr. des Lösungsschrittes 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Lösungsschritt Auffassung der Funktion einzelner Elemente Auffassung der Funktion mehrerer Elemente Auffassung der Funktion aller Elemente und ihrer wechselseitigen Abhängigkeiten Aufzählung nötiger Elemente Umsetzung der Aufgabe in ein Bild: Stromfluß bei einzelnen Elementen Umsetzung der Aufgabe in ein Bild: Stromfluß mit mehreren Elementen Umsetzung der Aufgabe in ein Bild: Stromfluß mit allen Elementen und deren Abhängigkeiten Umsetzung der Aufgabe in ein Bild: rational nicht nachvollziehbare Bilder Umsetzung des Bildes oder der Funktionen der Elemente in Handlungsschritte : Teilzielbildungen Umsetzung des Bildes öder der Funktion einzelner Elemente: Bildung einer Hierarchie von Teilzielen Handlungen zum Erreichen der Teilziele Überprüfung, ob Teilziele erreicht worden sind: durch Schaltung Überprüfung, ob Teilziele erreicht worden sind: durch Verfolgen des Stromflusses ohne Schalten Überprüfung, ob Teilziele erreicht worden sind: sucht Grund für Kurzschluß Vergleich Teilziel — Gesamtziel: vollständig Vergleich Teilziel — Gesamtziel: unvollständig Vorausspiel für Handlung zu einem Teilziel Vorausspiel für Handlung ohne Teilziel Nach Prüfung eine Verbindung als gefährlich erkannt Nach Prüfung eine Verbindung als ungefährlich erkannt Versuchsleitereingriffe Pause Findet falsche Verbindung Findet Verbindung, die zwar richtig ist, aber zu umständlich zustande gekommen ist Findet Verbindung, deren Funktion nicht gedeutet werden kann Findet falsche Verbindung nicht Kurzschluß Verwirft bisher verfolgte Planung Überprüft Stromkreis, hat jedoch dabei kein Teilziel E s stellt sich heraus, daß eine Verbindungsschnur zu kurz ist

wir d e s h a l b d i e H ä u f i g k e i t aller v o r k o m m e n d e n

Lösungsschrittsequenzen

ausge-

zählt. A l s e r s t e s E r g e b n i s z e i g t e sich, d a ß A u f e i n a n d e r f o l g e n v o n höherer

Ordnung

( a l s o z. B .

Lösungsschritten

d e r L ä n g e 5 o d e r 8, w i e sie in f r ü h e r e n

Untersu-

c h u r i g e n g e f u n d e n w o r d e n s i n d ) in k e i n e n n e n n e n s w e r t e n H ä u f i g k e i t e n v o r k a m e n . Die

im

Rahmen

der

Strukturanalyse

angegebenen

theoretisch

anwendbaren

L ö s u n g s s t r a t e g i e n l a s s e n s i c h a l s o in d i e s e r F o r m n i c h t in d e n P r o t o k o l l e n f i n d e n . Z u m Teil k a n n d a s d u r c h u n s e r e M e t h o d e b e d i n g t sein. D i e P r o t o k o l l e d e s l a u t e n

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Tabelle II. Klassifikationsschema zur Beurteilung des Komplexitätsgrades von Teilzielen (Stufe 1 : niedrigster; Stufe 1 0 : höchster Komplexitätsgrad) Stufe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Beschreibung Elemente als Teilziele, deren Funktionen nicht genannt werden. Es wird geplant: verknüpfen, lösen, tauschen Ein einzelnes Element ohne Nennung der Funktion soll verkabelt werden (z. B. in einen Stromkreis einbezogen oder unter Strom gesetzt werden) In einem Stromkreis, dessen Funktion nicht genannt wird, soll eine Verbindung geschaffen oder gelöst werden Die Funktion eines einzelnen Elementes oder mehrerer Elemente wird als Teilziel genannt Realisierung der Funktion eines Stromkreises wird als Teilziel genannt Ein Stromkreis ohne Nennung einer Funktion wird angestrebt Relation zwischen Elementen wird als Teilziel formuliert: Elemente sollen z. B. abhängig oder unabhängig voneinander eine Funktion erfüllen Relation zwischen einem Stromkreis und einem Element wird als Teilziel angestrebt Relation zwischen verschiedenen Stromkreisen wird angestrebt Realisierung einer Funktion wird angestrebt

Denkens sind verschieden ergiebig. Je allgemeiner die Lösungsschritte zu ihrer Auswertung definiert sind, desto eher wird man interindividuell übereinstimmende Strategien finden können. Je differenzierter aber die Lösungsschritte sind, desto eher werden auch individuelle Unterschiede in Protokollen des lauten Denkens erfaßt. Dennoch kann man fragen, ob die aus den Protokollen herausgefilterten Lösungsschritte mehr oder weniger zufällig, d. h. in nicht mehr nachweisbaren Systematiken aufeinanderfolgen. Wie bei DÖRNER [1] und PUTZ-OSTERLOH [9] geschehen, analysierten wir deshalb Zweierschrittkombinationen, d. h. Aufeinanderfolgen von je zwei Lösungsschritten der Tabelle I. Definiert man als 'häufig' vorkommende Lösungsketten alle jene Schrittkombinationen, die mindestens 0,5% aller vorkommenden Zweierkombinationen ausmachen, ergibt sich folgendes Bild: Aufgabe 3: Von insgesamt 201 vorkommenden verschiedenen Zweierketten werden nur 44 ( = 21,89%) häufig benutzt. Aufgabe 4: Von insgesamt 249 vorkommenden verschiedenen Zweierketten werden nur 43 ( = 17,27%) häufig benutzt. Offensichtlich kommen also nur wenige Zweierschrittkombinationen häufiger vor. Ihre quantitative Bedeutung läßt sich durch folgende Frequenzen belegen: Aufgabe 3: 75,11% aller überhaupt vorkommenden Zweierketten sind die häufig verwendeten, Aufgabe 4: 75,12% aller überhaupt vorkommenden Zweierketten sind die häufig verwendeten. Diese Ergebnisse zeigen folgendes: Interindividuell übereinstimmend werden von den Pbn nur sehr kurze Lösungsschrittkombinationen eingesetzt. Die relativ

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große Häufigkeit dieser „Ministrategien" belegt jedoch, daß die Lösungsschritte keineswegs zufällig aufeinanderfolgen, sondern Systematiken unterliegen. 3.3.2. Einzelne Lösungsschrittfolgen Wir können nun weiter fragen, ob sich die Systematiken dieser Lösungsschrittfolgen bei den beiden Aufgaben 3 und 4 unterscheiden. Auf Grund unserer Problemanalyse erwarten wir, daß einige „Ministrategien" der Pbn zur Bewältigung der Aufgabe 3 anders aussehen als die zur Lösung der Aufgabe 4. Das 'Anderssein' von Strategien müßte sich in unterschiedlichen Häufigkeiten niederschlagen, mit denen bestimmte Lösungsschritte in den Lösungsprotokollen aufeinanderfolgen. Wir griffen deshalb gezielt folgende 2er-Sequenzen heraus, um sie in ihren relativen Häufigkeiten miteinander zu vergleichen: Schritte vor einer Teilzielbildung, Schritte nach einer Teilzielbildung und Schritte nach der Prüfung, ob ein Teilziel erreicht worden ist. Trifft unsere theoretische Problemanalyse zu und gehen Pbn bei verschiedenen Problemen unterschiedlich vor, so müßten sich gerade an diesen wichtigen Stationen im Lösungsprozeß — wenn an Teilzielen gearbeitet wird — Unterschiede zeigen. 3.3.2.1. Schritte vor einer

Teilzielbildung

Als erstes betrachteten wir häufig vorkommende Lösungsschritte vor einer Teilzielbildung. Wir bestimmten die relativen Häufigkeiten, mit denen jeder Pb bei Aufgabe 3 und 4 bestimmte Lösungsschritte vor einer Teilzielbildung verwendet hat und prüften dann die beiden Häufigkeitsverteilungen mit dem Vorzeichenrangtest von W I L C O X O N ( L I E N E R T [ 5 ] , S . 322ff.) auf Unterschiede in der zentralen Tendenz. Im einzelnen wurde ermittelt, wie oft bei Aufgabe 3 und 4 ein neues Teilziel aufgestellt wurde, nachdem ein Teilziel-Gesamtziel-Vergleich stattgefunden hat. Diese Schrittfolge fand sich bei Aufgabe 3 sehr signifikant häufiger als bei Aufgabe 4 ( T = 4 mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit p < l % bei N = 1 2 ) . Demgegenüber ist ein neues Teilziel bei Aufgabe 4 sehr viel häufiger nach einer Pause aufgestellt worden ( T = 0 mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit p < l % bei N = 10). Inhaltlich können wir nachträglich nicht mehr spezifizieren, was in diesen Pausen geschehen ist — hier haben die Pbn weder eine Handlung vollzogen, noch Planungen oder Prüfungen verbalisiert. Wir können lediglich schlußfolgern, daß Teilzielbildungen bei Aufgabe 4 nicht so reibungslos wie bei Aufgabe 3 vorgenommen worden sind. Wegen der Unabhängigkeit der Teilziele konnten die Pbn bei Aufgabe 3 erfolgreich neue Teilziele aus dem Vergleich dessen, was bereits erreicht worden ist und dem, was noch erreicht werden muß, ableiten. Bei Aufgabe 4 dagegen müssen neue Teilziele auf das bereits Erreichte bezogen und damit verknüpft werden. Die häufigeren Pausen vor neuen Teilzielen sprechen dafür, daß. die Pbn bei der Aufgabe 4 zumindest nicht in gleicher Weise Teilziele abgeleitet haben wie bei Aufgabe 3.

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Z. Psychol. B d . 185 (1977) H. 1

3.3.2.2. Schritte nach einer

Teilzielbildung

Unsere nächste Frage war: Welche Lösungsschritte verwendeten die Pbn in welchen relativen Häufigkeiten nach einer Teilzielbildung? Bei Aufgabe 3 haben die Pbn signifikant häufiger direkt nach einer Teilzielbildung gehandelt als bei Aufgabe 4. Die Differenzen lagen nach dem Vorzeichentest von D L X O N und M O O D (siehe S A C H S [12], S . 315f.) mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p < 5 % bei N = 1 2 in der angegebenen Richtung. 3 Bei Aufgabe 4 dagegen haben die Pbn nach Teilzielen signifikant häufiger als bei Aufgabe 3 (mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit p < 5 % bei N = 12) geprüft, was von dem aufgestellten Teilziel bereits erreicht worden ist. 3 Auch hier stimmt wieder das beobachtete Verhalten der Pbn mit unseren theoretischen Überlegungen überein: Bei Aufgabe 3 können Teilziele unabhängig voneinander realisiert werden, folglich können nach einer Teilzielbildung häufiger direkt Handlungen folgen. Bei Aufgabe 4 dagegen muß ein neues Teilziel auf den bereits erreichten Problemzustand bezogen werden. Das spiegelt sich auch im Pbn-Verhalten wider, da hier auf eine Teilzielbildung häufiger Schritte folgen, mit denen der Problemzustand — das, was erreicht wurde — überprüft wird. 3.3.2.3. Schritte nach

Prüfungen

Als letzte Zweiersequenzen untersuchten wir die Lösungsschritte nach Prüfungen. Bei Aufgabe 3 folgte nach der Prüfung, ob ein Teilziel erreicht wurde, signifikant häufiger ( T = 9 , 5 mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit p < 5 % bei N = l l ) ein Vergleich des erreichten Teilzieles mit dem Gesamtziel. Tendenziell (mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit p < 1 0 % ) schlössen die Pbn an den Prüfungsschritt auch häufiger als bei Aufgabe 4 weitere Planungen an. Im Gegensatz dazu steht das Vorgehen der Pbn bei Aufgabe 4: Sehr signifikant häufiger als bei Aufgabe 3 ( T = 6 mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit p < l % bei N = 1 2 ) folgte auf Prüfungen eine Pause. Der Tendenz nach (bei 8 von 12 Pbn beobachtet) fanden Pbn bei Aufgabe 4 auch häufiger als bei Aufgabe 3 nach Prüfungen eine falsche Verkabelung. Noch einmal spiegeln sich im Pbn-Verhalten die unterschiedlichen Aufgabenanforderungen wider. Bei Aufgabe 3 schließt sich an die Überprüfung eines erreichten Teilzieles ein Teilziel-Gesamtziel-Vergleich an, aus dem dann (siehe oben) ein neues Teilziel abgeleitet werden kann. Häufiger kann man auch beobachten, daß die Pbn weitere Handlungsschritte planen — offensichtlich ist dann das Ziel noch nicht ganz erreicht. Bei der schwierigeren Aufgabe 4 verhalten sich die Pbn anders — besonders 3

D a a s y m m e t r i s c h e Differenzen vorlagen, sind wir LLENERTS E m p f e h l u n g e n gefolgt (LIENERT

[5], S . 335 f.) u n d haben die beiden Verteilungen s t a t t mit d e m WILCOXON-Test m i t d e m Vorzeichentest geprüft.

W. PUTZ-OSTERLOH/G. LÜER, Problemlösen bei Konstruktion von Stromkreisen

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häufig finden sich nach Prüfschritten in den Lösungsprotokollen Pausen. Offensichtlich verläuft bei dieser Aufgabe die Lösungsschrittfolge der Pbn nicht so reibungslos wie bei Aufgabe 3. Wegen der komplizierten Teilzielrelationen können nicht ohne weiteres nach dem Erreichen eines Teilzieles neue Teilziele aus einem Teilziel-Gesamtziel-Vergleich abgeleitet werden. Die Pausen und auch das Finden falscher Verbindungen können wir als Zeichen für die Schwierigkeiten interpretieren, auf die die Pbn treffen und auf die sie entsprechend unsicher reagieren. Unsere Ergebnisse zeigen, daß die von den Pbn verwendeten 'Ministrategien' in Form von Zweierschrittkombinationen für die beiden analysierten Aufgaben unterschiedlich sind. Die Pbn passen ihr Verhalten also mehr oder weniger erfolgreich den unterschiedlichen Aufgabenanforderungen an. Wie bereits bei den theoretischen Problemanalysen vorhergesagt, spielt der Prozeß der Teilzielbildung bei dieser Art von Problemen eine gewichtige Rolle. Mit den bisher vorgenommenen Frequenzanalysen können wir aber diesen Teil des Problemlösungsprozesses nicht näher auflösen. Deshalb müssen wir in einem weiteren Auswertungsschritt auf die qualitativen Aspekte des Komplexitätsgrades von Teilzielen kommen. 3.3.3. K o m p l e x i t ä t s g r a d der Teilziele In den Komplexitätsgraden der gebildeten Teilziele, die nach den 10 Stufen der Tabelle II klassifiziert worden sind, drücken sich unterschiedlich komplexe Zustandsbeschreibungen aus. J e komplexer eine Beschreibung ausfällt, desto schlechter kann ein Pb sie in eine Handlung umsetzen, wenn er nicht exakt genug weiß, was getan werden muß. Durch Teilzielbildungen mit sehr einfachen Zustandsbeschreibungen, d. h. mit niedrigem Komplexitätsgrad, können nur geringe oder keine Lösungsfortschritte bei gefordertem komplexen Endzustand erzielt werden. Sind aber hoch komplexe Teilzielbildungen nicht verfügbar und will man vermeiden, mit einfachen Teilzielen wegen des geringen oder überhaupt fehlenden Fortschrittes zu arbeiten, ist es am erfolgversprechendsten, mittlere Komplexitätsgrade der Teilziele anzustreben. Wir stellten zunächst für jeden Pb pro Aufgabe die Verteilung seiner Teilziele über die 10 verschiedenen Komplexitätsstufen zusammen und bestimmten das arithmetische Mittel und die Streuung. Entgegen unserer Erwartung sind die Teilziele der Pbn bei Aufgabe 4 im Durchschnitt nicht komplexer als bei Aufgabe 3. Betrachtet man jedoch die Streuungen der Komplexitätsgrade von Teilzielen, so werden aufgabenspezifische Unterschiede deutlich: Die Komplexitätsstufen von Teilzielen streuen bei Aufgabe 4 sehr signifikant weiter als bei Aufgabe 3 (nach dem WILCOXON-Test ergab sich ein T = 0 mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p < 1% bei N = 12). Was bedeutet dieses Ergebnis? Bei Aufgabe 3 sind die Pbn offensichtlich sehr wirkungsvoll vorgegangen, indem sie gehäuft einen mittleren Komplexitätsgrad pro Teilziel wählten. Bei Aufgabe 4 erweist es sich jedoch als notwendig, auch mit höheren Komplexitätsstufen zu arbeiten, weil zwischen den

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Teilzielen Abhängigkeiten bestehen. Wir hatten diese Tatsache schon beim Nachweis der Und-Relation zwischen den Teilzielen erkannt. In der Verteilung der Aufgabe 4 spiegelt sich dieser Sachverhalt wider: Einerseits kommen, wie es notwendig ist, häufig sehr hohe Komplexitätsstufen vor. Andererseits ist aber auch mit sehr hoch verfügbaren Teilzielen niedrigster Stufe operiert worden. Dieser Befulid kann folgendermaßen gedeutet werden: Bei Aufgabe 4 lag eine erhebliche Unsicherheit auf Seiten der Pbn vor. Sie konnten die Teilziele hoher Komplexität nicht realisieren und sind deshalb auf die erreichbaren, aber nicht effektiven sehr einfachen Teilziele rekurriert. Eine solche Unsicherheit im Problemlösen müßte sich auch darin zeigen, daß Pbn ihr jeweiliges Komplexitätsniveau bei Aufgabe 4 nicht so konsistent beibehalten wie bei Aufgabe 3. Wir bestimmten deshalb, wieviele Komplexitätsstufen die einzelnen Teilziele jeweils auseinanderliegen und bildeten dann pro Pb pro Aufgabe den Median für diese Werte. Die Verteilungen der Mediane prüften wir dann mit dem WiLCOXON-Test auf Unterschiede in der zentralen Tendenz. Erwartungsgemäß haben die Pbn bei Aufgabe 4 signifikant mehr Komplexitätsstufen von einem Teilziel zum nächsten gewechsel als bei Aufgabe 3 ( T = 1 4 mit p < 5 % bei einseitiger Fragestellung mit N = 1 2 ) . In diesem Ergebnis drückt sich aus, daß die Konsistenz des individuellen Komplexitätsniveaus für die aufgestellten Teilziele bei der schwereren Aufgabe 4 geringer ist als bei der leichteren Aufgabe 3. 3 . 3 . 4 . V o r h e r s a g e der

Problemlösungsgüte

Durch unsere empirischen Befunde haben wir die Teilzielbildung und den Grad der Komplexität von Zwischenzielen als wichtige Stationen im Problemlösungsprozeß unserer Probleme erkannt. Weiterhin soll das Vorkommen von Teilzielbildungen mit hohem Komplexitätsniveau, für die eine Zustandsbeschreibung verfügbar ist„ darüber entscheiden, wie erfolgreich derartige Probleme gelöst werden. Diese Annahme wird unterstützt, wenn solche Teilzielbildungen in unserem Versuch auch wirklich zu erfolgreichen Problemlösungen geführt haben. Der Erfolg beim Problemlösen manifestiert sich unter anderem in zwei Variablen: (1) in wenigen Problemlösungsschritten; (2) in einer kurzen Lösungszeit. Die Rangkorrelation zwischen beiden Variablen, berechnet nach IvENDALLs T ( v g l . L I E N E R T [ 5 ] , S . 6 0 8 f f . ) , b e l ä u f t s i c h a u f RAUFG. 3 = 0 , 8 8 b z w . RAUFG. 4 = 0 , 7 2 . B e i d e

Korrelationen sind sehr signifikant von Null verschieden. Sie zeigen an, daß mit der Methode der Protokollanalyse bzw. mit der Ubersetzung der Protokolle in Lösungsschritte eine nahezu gleichwertige Beschreibung des Lösungsprozesses möglich ist wie durch das Messen der Lösungszeit. Dabei ist es keineswegs trivial, daß eine solche hohe Korrelation aufgefunden werden konnte, da die Pbn in sehr unterschiedlichem Ausmaß ihr Vorgehen verbalisiert haben. Offensichtlich ist es uns aber gelungen, aus dem jeweils sehr unterschiedlich redundanten Material die jeweils relevanten Lösungsschritte zu erkennen und zu codieren. Wenn die beiden genannten Variablen als Kriterien für die Güte von Problem-

W. PTTTZ-OSTEBLOH/G. LITER, Problemlösen bei Konstruktion von Stromkreisen

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Jösungsprozessen angesehen werden können, müßten sie sich auf Grund der Teilzielbildungen und der Stufen des Komplexitätsniveaus vorhersagen lassen. Dazu haben wir zunächst alle vorkommenden Teilziele nach der Dichotomie 'sinnvoll-sinnlos' unterschieden. Als 'sinnvoll' wurden Teilziele dann angesehen, wenn sie durch Handlungen realisiert werden konnten. Danach haben wir ein Verhältnis zwischen sinnvollen Teilzielen und der gesamten Zahl der Teilziele pro Pb gebildet. Die Teilzielbildungen sind dqnn entscheidend für die Lösung von Problemen, wenn ihnen ein hoher Komplexitätsgrad zukommt und Handlungen hierfür verfügbar sind. Deshalb haben wir pro Pb für jede Aufgabe ein durchschnittliches Komplexitätsniveau der Teilziele bestimmt. Sowohl die relative Häufigkeit sinnvoller Teilziele als auch das durchschnittliche Komplexitätsniveau haben wir in eine Rangfolge gebracht und als Prädiktoren zur Vorhersage der Güte der Problemlösung ausgewählt. Dabei ergaben sich für beide Kriterien getrennt folgende multiple Vorhersagen nach M O R A N S R (vgl. L I E N E R T [5], S. 660ff.): Tabelle III. Multiple Rangkorrelation der Güte der Problemlösung durch die Prädiktoren: relative Häufigkeit sinnvoller Teilziele und durchschnittliches Komplexitätsniveau der sinnvollen Teilziele Kriterien

Aufgabe 3

4

Lösungszeit

0,92

0,78

Anzahl der Lösungsschritte

0,92

0,79

Wegen der geringen Stichprobengröße ist bei der Interpretation der multiplen Rangkorrelation Zurückhaltung geboten. Dennoch fällt auf, daß die multiplen Vorhersagen der Kriterien bei der Aufgabe 3 besser ausfallen als bei Aufgabe 4. Es wäre jedoch zu erwarten gewesen, daß die Güte der Problemlösung in beiden Aufgaben gleichermaßen gut durch die benutzten Prädiktoren bestimmt sind. Aus den Überlegungen zur Aufgabenstruktur läßt sich sogar begründen, daß die Vorhersage bei Aufgabe 4 höher hätte ausfallen müssen als bei Aufgabe 3, weil Aufgabe 4 nur optimal zu lösen ist, wenn sinnvolle Teilziele von hoher Komplexität verfolgt werden. Danach sind den Pbn bei Aufgabe 4 optimale Problemlösungen offensichtlich nicht gelungen. Dafür lassen sich auch empirische Befunde angeben. Waren bei Aufgabe 3 72,71% aller vorkommenden Teilziele als sinnvoll klassifiziert worden, so machen sie bei Aufgabe 4 nur noch 63,81% a u s - Darin zeigt sich, daß die Pbn bei der letzten Aufgabe offensichtlich mehr Teilziele aufgestellt haben, die sie nicht realisieren konnten. Auch das gewählte Komplexitätsniveau fiel bei beiden Problemen unterschiedlich

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Z. Psychol. B d . 185 (1977) H. 1,

aus. Bei Aufgabe 4 kommen neben sehr niedrigen auch mehr höhere Komplexitätsstufen vor. Ebenso kann man die relativ häufigeren Pausen in den Lösungsprotokollen nach Prüfschritten und vor Teilzielbildung als ein Indiz für Unsicherheit und die nicht optimalen Problemlösungen bei der Aufgabe 4 ansehen. Betrachtet man diese Ergebnisse im Zusammenhang mit den oben berichteten Resultaten, nach denen die Pbn bei Aufgabe 4 wesentlich häufigere und weitergespannte Wechsel ihres Komplexitätsniveaus für die Teilziele vorgenommen haben, so läßt sich folgende Interpretation anschließen: Die ungenauere Vorhersage der zwei Kriterien für die Problemlösungsgüte aus den beiden benutzten Prädiktoren läßt sich dadurch erklären, daß auch erfolgreiche Problemloser häufiger zu sehr einfachen aber für sie verfügbaren Teilzielen griffen, wenn sie die eigentlich notwendigen, hoch komplexen Teilziele nicht realisieren konnten. Dahinter steht offensichtlich der Versuch, das Nichterreichen hoch komplexer Teilziele durch die Bearbeitung realisierbarer, einfacher Teilziele auszugleichen, wodurch aber kein Problemlösungsfortschritt zu erreichen ist. 4. Empirische Untersuchung II 4 ; Überprüfung der Ergebnisse von Untersuchung I in einem Trainingsversuch Nachdem wir beschrieben haben, wie erwachsene Pbn elektrische Konstruktionsprobleme lösen, wollen wir in einer 2. Untersuchung die Gültigkeit unserer Beobachtungen und theoretischen Analysen überprüfen. Wie läßt sich nun eine solche Validitätsprüfung vornehmen? Der sinnvollste Weg scheint zu sein, aus den Ergebnissen über das mehr oder weniger fehlerhafte Problemlösungsverhalten Maßnahmen zur Verbesserung oder Optimierung abzuleiten. Gelingt es uns dabei, ein effektives Problemlösetraining zusammenzustellen, so bestätigt das wiederum unsere Ergebnisse über den IstZustand das Problemlöseverhaltens. Sind unsere Aussagen über die besonderen Schwierigkeiten von Konstruktionsproblemen und die zu ihrer Überwindung einzusetzenden Problemlösungsschritte richtig, so müßten wir Pbn mit Hilfe von Unterweisungen zu erfolgreicheren Problemlosem machen können. Das soll in einem Trainingsversuch überprüft werden. 4.1. Trainingsstrategie Ziel des Trainingsversuches ist nicht die Schaffung eines optimalen Problemlösetrainings, sondern primär die Gültigkeitsprüfung der Ergebnisse unserer Untersuchung I. Deshalb sollte das Training kurz sein und nicht zuviel Aufwand erfordern. Im Training soll eine Strategie zum Lösen von Konstruktionsproblemen vermittelt werden. Aus einer früheren Untersuchung wissen wir, daß die Vermitt4

Für die Durchführung der Trainingsversuche

COSSMANN u n d F r ä u l e i n c a n d . p h i l . IRMGARD N E U L E N .

danken wir Fräulein

cand. phil. YVONNE

W. Ptjtz-Ostekloh/G. L u e r , Problemlosen bei Konstruktion von Stromkreisen

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lung einer Strategie kombiniert mit praktischen Übungen wirkungsvoll Problemlöseverhalten verändern kann [9]. Aus ökonomischen Gründen konzentrierten wir uns auf die Zusammenstellung der Strategie, so wie sie sich aus der Untersuchung I ergibt. Diese Strategie besteht aus den im ersten Teil aufgeführten optimalen Lösungsschritten. Diese Lösungsschritte faßten wir in einem Flußdiagramm zusammen, um sie in dieser Form den Pbn vorzulegen. Jeder Lösungsschritt sollte beim Training vom VI mündlich erläutert werden. Den Pbn lagen diese Erklärungen überdies auch schriftlich vor. Besonders wichtige Schritte der Strategie betreffen: — die Prüfung der Relationen zwischen Teilzielen (4); — Auswahl eines erreichbaren Teilzieles (5); — Beschreibung der Eigenschaften des zu erreichenden Teilzieles (6); — Berücksichtigung der Beziehung zwischen einem neuen Ziel und dem bisher Erreichten (IIb). Alle übrigen Schritte der Strategie sind allen Pbn mehr oder weniger geläufig und gehören zu den immer wiederkehrenden Problemlösungsschritten auch untrainierter Personen bei andersartigen Problemen (siehe LÜER [6], DÖKNER [1]). Wir haben diese Schritte dennoch mit aufgenommen, weil wir den Pbn eine vollständige Strategie für systematisches Problemlösen vermitteln und sie nicht nur einige Schritte für ganz spezifische Probleme üben lassen wollten. Die Strategie ist absichtlich allgemein formuliert, so daß sie für eine große Gruppe von Konstruktionsproblemen Geltung besitzen dürfte. Denn erstens wollten wir nicht eine Spezialstrategie für elektrische Konstruktionsprobleme schaffen — dafür wäre der Aufwand zu groß. Zweitens wollten wir im Training nicht schon Probleme aus der Physik elektrischer Stromkreise verwenden müssen. Denn Trainingseffekte auf Grund vorangegangenen Umganges mit dem später zu bearbeitenden Problembereich sind trivial (siehe KLAUER [3]) und lassen sich nicht eindeutig auf die vermittelte Strategie zurückführen. Daher sollte an anderen Problemen trainiert werden — Trainingseffekte müssen bei 'neuen' Problemen nachweisbar sein. Wir brauchten also für die Trainingsphase unseres Versuches einen weiteren Problembereich. 4.2. Trainingsproblembereich

Wir wählten zur Demonstration der Lösungsstrategie den Problembereich „Chemie der ringförmigen Kohlenstoffverbindungen" aus. An einem Beispielproblem sollen die wichtigsten psychologischen Gemeinsamkeiten zwischen chemischen und elektrischen Konstruktionsproblemen aufgezeigt werden: „Es soll ein Molekül aufgebaut werden, das aus zwei veränderten Benzolringen besteht, in denen folgende Atome vorkommen: 13 Atome C, 12 Atome H, 2 Atome 0 " . Als Versuchsmaterial dienten sogenannte Atomkalotten. Das sind farbige Kugeln oder eiförmige Körper mit angeschnittenen Flächen. Diese Flächen stellen die chemischen Bindungsstellen dar. Mit Hilfe von Druckknöpfen an diesen Flächen

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können die Kalotten aneinandergefügt werden. Daraus entsteht dann ein Strukturmodell der geforderten chemischen Verbindung. Ein Problem ist gelöst, wenn die angegebene Anzahl von Kohlenstoffringen erreicht und alle Bindungsstellen der einzelnen Kalotten besetzt sind. Mit unseren elektrischen haben diese chemischen Konstruktionsaufgaben folgende wichtige Problemeigenschaften gemeinsam: 1. Offenheit des Anfangszustandes: Der Anfangszustand ist relativ unbestimmt, da nur Art und Anzahl, nicht aber die Struktur der zu verknüpfenden Kalotten feststeht. 2. Offenheit des Zielzustandes: Der Zielzustand ist nicht ganz geschlossen, nur die geforderten 'Funktionen' oder zu erfüllenden Bedingungen sind bekannt: die Anzahl irgendwie veränderter Benzolringe und die vollständige Besetzung aller Bindungsstellen. 3. Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit der Teilziele: Bei einigen Problemen lassen sich Benzolringe unabhängig voneinander konstruieren, bei anderen muß erst ein bestimmter Ring geschaffen sein, ehe darauf aufbauend ein zweiter realisiert werden kann. Mit Hilfe dieser wichtigen Problemeigenschaften chemischer Konstruktionsaufgaben konnte also die Strategie in der Trainingsphase erläutert werden, ohne daß die Pbn schon Vorerfahrungen und Übungen mit physikalischen Konstruktionsaufgaben sammelten. 4.3. Versuchsablauf Ob Pbn von der Kenntnis einer Lösungsstrategie profitieren oder nicht, läßt sich nur durch den Vergleich mit Pbn ohne diese Kenntnisse feststellen. Wir gingen deshalb in unserem Trainingsversuch nach folgendem Plan vor: Zunächst stellten wir auf Grund der Ergebnisse im Untertest 8 des L P S von HORN [2] 5 zwei einander parallele Gruppen mit je 20 Pbn (Studenten verschiedener Fachrichtungen) zusammen. 6 Der weitere Versuch gliederte sich sowohl für die Versuchsgruppe (Vg) als auch für die Kontrollgruppe (Kg) in 2 Phasen: die Trainingsund die Prüfphase. Die Sitzung der Prüfphase war für Vg und Kg identisch, die beiden Sitzungen der Trainingsphase jedoch unterschiedlich. Für die Trainingsphase wurde die Kg in zwei Gruppen ä 10 Personen geteilt. Die Vg mußte in vier Gruppen ä n Personen aufgeteilt werden. Zwei Vln leiteten jeweils die Sitzungen. Die erste Sitzung der Trainingsphase begann für die Vg so wie für die Kg damit, daß sie gemeinsam mit der VI eine schriftliche Einführung in den Problembereich der Chemie der ringförmigen Kohlenstoffverbindungen durchzuarbeiten hatte. Im 5 Nach eigenen Untersuchungen ist dieser Untertest hoch mit allgemeinen Kriterien der Güte von Problemlösungen in verschiedenen Problembereichen korreliert (siehe PUTZ-OSTERLOH und LÜER [10]). 6 Die Vg hatte (in Rohworten) einen -Mittelwert von 24,55 und eine Standardabweichung von 10,43; die Kg einen Mittelwert von 25,05 und eine Standardabweichung von 10,87.

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Anschluß daran legte man nur den Pbn der Vg, nicht jedoch denen der Kg, die Strategie in Form eines Flußdiagramms vor (siehe Abb. 2). Die VI ging mit den Pbn die Erläuterungen zu den einzelnen aufeinanderfolgenden Schritten der Strategie durch. Sowohl der Vg als auch wieder der Kg führten die Vln die Lösung von zwei chemischen Konstruktionsproblemen vor. Bei der Vg gingen die Vln systematisch nach der Strategie vor, bei der Kg wurden die Kalotten ohne weiteren Kommentar so zusammengesetzt, daß sie den geforderten Bedingungen entsprachen. Zum Abschluß der ersten Sitzung erhielten die Pbn der Vg und Kg das Einführungsskript in den Problembereich ringförmiger Kohlenstoffverbindungen mit nach Hause. Sie sollten es durcharbeiten und einige Verständnisfragen beantworten. Die zweite Sitzung der Trainingsphase begann für die beiden Gruppen mit der Kontrolle der Antworten auf die Verständnisfragen. Im Anschluß daran wurden den Pbn beider Gruppen hintereinander drei Probleme zur Bearbeitung vorgelegt. Die Pbn der Kg hatten die Probleme gemeinsam ohne Vl-Hilfen zu lösen. Bei der Vg wiesen die VI immer wieder auf Schritte der Lösungsstrategie hin — inhaltliche Lösungshilfen wurden auch hier nicht gegeben. Am Ende dieser zweiten Sitzung der Trainingsphase wurde die Prüfphase vorbereitet: Die Pbn erhielten das Einführungsskriptum für den Problembereich elektrischer Stromkreise mit nach Hause. Sie sollten es durcharbeiten und Verständnisfragen dazu beantworten. Die Sitzung der Prüfphase fand für alle Pbn ein bis zwei Tage nach der zweiten Sitzung der Trainingsphase in Einzelversuchen statt. Das Vorgehen in dieser Versuchsphase entspricht dem der empirischen Untersuchung I. Allerdings hatten die Pbn jetzt nur zwei Aufgaben zu bearbeiten. Zur Eingewöhnung und Einarbeitung hatten sie zunächst die „Kronleuchteraufgabe" zu lösen. Maximal standen ihnen dafür 30 Minuten zur Verfügung. Als eigentliches „Prüfproblem" diente die Wechselschaltungsaufgabe 4. Hierfür hatten die Pbn maximal 60 Minuten Lösungszeit. Die Pbn wurden zum lauten Denken aufgefordert. Jeweils eine VI stand für Fragen zur Verfügung, während die andere VI alle Handlungsschritte der Pbn schriftlich protokollierte und auch die wichtigsten verbalen Äußerungen notierte. Zusätzlich wurden alle Gespräche auf einem Tonband mitgeschnitten. Die Tonbänder wurden später abgeschrieben und ergaben zusammen mit den Aufzeichnungen der VI die endgültigen Lösungsprotokolle der Pbn. 4A. Ergebnisse 4.4.1.

Löser-Nichllöser

Als erstes untersuchten wir, ob mehr Pbn aus der Vg die Aufgabe 4 gelöst haben als aus der Kg. Mit dem Test prüften wir, ob sich die Pbn beider Gruppen unterschiedlich auf die Kategorien 'Löser' und 'Nichtlöser' verteilen. Bei 9 Lösern und 11

W. Pxjtz-Osterloh/G. Lüee, Problemlösen bei Konstruktion von Stromkreisen

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Nichtlösern in der Yg, 4 Lösern und 16 Nichtlösern in der K g ergibt sich ein %2Wert von 2,850 mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p < 5 % (bei d f = l und einseitiger Fragestellung; siehe M c N E M A R [ 7 ] , S . 232). Danach können wir annehmen: Die Pbn der Yg waren auf Grund eines kurzen Strategietrainings eher zur Lösung der Aufgabe 4 in der L a g e als die Pbn der K g . 4.4.2. Einzelne

Lösungsschritte

Als nächstes haben wir untersucht, worin sich trainierte von untrainierten Pbn in ihrem Lösungsverhalten unterscheiden. Um uns die mühevollen Codierungsarbeiten zu erleichtern, haben wir nur die besonders leicht und eindeutig identifizierbaren Lösungsschritte aus allen Lösungsprotokollen ausgewertet. Folgende Lösungsschritte wurden in ihrer Abfolge «aus den Lösungsprotokollen herausgesucht und einheitlich codiert : — alle Teilziele. Sie wurden so herausgeschrieben, wie die Pbn sie verbalisiert hatten. Dann wurde ihre Komplexität nach Tabelle II bestimmt. Weiterhin wurden die Teilziele mit einem + versehen, wenn sie mit nachfolgenden Handlungsschritten erreicht wurden; mit 0, wenn sie mit keinem nachfolgenden Handlungsschritt angestrebt wurden bzw. wenn ein neues Teilziel direkt anschließend formuliert wurde; — alle Handlungsschritte. Sie wurden in ihren Sequenzen notiert. Eine Handlungssequenz besteht aus Handlungsschritten, die kein anderer Problemlösungsschritt unterbricht; — alle verbalisierten Vergleiche zwischen einem erreichten oder angestrebten Teilziel und dem Gesamtaufgabenziel; — alle Versuchsleitereingriffe. 4.4.2.1.

Teilziele

Ausgehend von unseren Beobachtungen an erfolgreichen untrainierten Problemlosem in unserer Untersuchung I erwarteten wir, daß P,bn aus der Strategiegruppe besonders häufig auch komplexere Teilziele aufstellen, während einfache Teilziele von beiden Gruppen relativ gleich häufig aufgestellt und erreicht werden. Entgegen unserer Erwartung unterschieden sich Yg und K g nicht in den durchschnittlichen Komplexitätsgraden ihrer Teilziele voneinander. Ein Vergleich der erreichten mit den insgesamt aufgestellten Teilzielen macht jedoch einen trainingsbedingten Unterschied im Lösungsverhalten der Yg deutlich. Die Pbn der Yg haben sehr signifikant mehr Teilziele von den aufgestellten erreicht als die Pbn der K g (nach dem WILCOXON-Test ergab sich ein T—16 mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit p < l % bei N = 1 7 ) . Betrachtet man nun weiterhin wieviele von den aufgestellten Teilzielen ohne jeden Handlungsversuch wieder aufgegeben wurden, so vervollständigt sich das Bild: 6

Z. Psychologie 185-1

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Die Pbn der Yg haben sehr signifikant mehr von den aufgestellten Teilzielen ohne jeden Handlungsversuch wieder fallengelassen als die Kg ( T = 16 mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p < l % bei N = 1 9 ) . Gleichzeitig hat die Vg insgesamt nicht bedeutsam mehr Teilziele als die Kg aufgestellt ( T = 8 6 , 5 mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p < 1 0 % bei N = 1 9 ) . Einerseits geben also die Pbn der Vg mehr Ziele auf, bevor sie sich daran machen, sie durch Handlungen anzustreben, andererseits sind sie jedoch, wenn sie aufgestellte Teilziele durch Handlungen realisieren wollen, wesentlich erfolgreicher als die Pbn der Kg. Das gehäufte Aufgeben von Teilzielen läßt sich als indirektes Zeichen für vermehrte Planung der Vg interpretieren. Denn warum sollte man Teilziele aufgeben? Doch wohl nur dann, wenn man durch Vorausplanungen ihre Sinnlosigkeit oder Nichtrealisierbarkeit erkannt hat. 4.4.2.2.

Handlungssequenzen

In unseren codierten Lösungsschritten läßt sich ein weiterer indirekter Hinweis auf Planungen finden: In ununterbrochen aufeinanderfolgenden Handlungsschritten. J e mehr Handlungen ohne Unterbrechung durchgeführt werden, desto mehr muß vorher geplant worden sein. Lange Handlungssequenzen ohne vorherige Planung sind implausibel und dürften bei erwachsenen Pbn eher selten sein. Ausgehend von diesen Überlegungen prüften wir, ob die Pbn der Vg durchschnittlich längere Handlungssequenzen verfolgt haben als die Pbn der Kg. Die Überprüfung der Verteilungen über die individuellen Durchschnittswerte mit dem W e l c o XON-Test ergab ein T = 4 7 mit einer Irrtums'wahrscheinlichkeit P < 5 % (bei N = 2 0 ) . Die Pbn der Vg lassen also auch in ihren durchschnittlich längeren Handlungssequenzen planvolleres Vorgehen erkennen als die Pbn der Kg. 4. 4. 2. 3. Vergleich zwischen Teilzielen und dem

Gesamtziel

Als besonders wichtig für das Lösen von Konstruktionsproblemen hatten wir die Beachtung der Relationen zwischen Teilzielen herausgestellt. Sicherlich kann man nicht erwarten, daß die Pbn explizit die Relationen zwischen den Teilzielen prüfen und diese Prüfungen auch verbalisieren. Implizit jedoch sind Prüfungen der Teilzielrelationen in allen Äußerungen enthalten, die erreichte oder angestrebte Teilziele mit dem Gesamtziel der Aufgabe oder anderen Zielen in Beziehung setzen. Sicherlich sind in derartigen Verbalisierungen auch noch andere Überlegungen enthalten — doch sie scheinen uns die allgemeinste und am besten identifizierbare Kategorie für den interessierenden Lösungsschritt zu repräsentieren. Um zu prüfen, ob der Lösungsschritt erwartungsgemäß von den Pbn der Vg häufiger angewendet wird, zählten wir für jeden Pb aus, wie oft er diesen Lösungsschritt angewendet hat. Die Verteilungen der individuellen Werte prüften wir mit dem WlLCOXON-Test auf Unterschiede in der Zentralen Tendenz. Es ergab sich

W.

P u t z - O s t e r l o h / G .

L ü E B , Problemlösen bei Konstruktion von Stromkreisen

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ein empirischer Wert von T = 1 3 , 5 mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p < 5 % (bei N = 14). Unsere Hypothese läßt sich damit bestätigen: Wie es der Lösungsstrategie des Tranings entspricht, beziehen die Pbn der Vg häufiger als die der K g die Beziehung zwischen Teilzielen und dem Gesamtziel in ihre Überlegungen ein. 4.4.2.4.

Versuchsleitereingriffe

In einem abschließenden Kontrollschritt untersuchten wir, ob die Pbn beider Gruppen unterschiedlich häufig von den Vln angesprochen oder beeinflußt worden sind. Signifikant mehr Hilfen der VI für die Vg würden jeden systematischen Trainingseffekt in Frage stellen. Die Verteilungen der individuellen Häufigkeiten für Vl-Eingriffe prüften wir mit dem WlLCOXON-Test auf Unterschiede in der zentralen Tendenz. Der empirische Wert von T = 8 7 , 5 ist fast doppelt so hoch wie der auf dem 5%-Niveau kritische Wert von 46 (bei N = 19). Den Pbn der Vg ist also nicht häufiger von einem VI geholfen worden als denen der Kg. Die beschriebenen systematischen Unterschiede zwischen Vg und Kg können demzufolge als trainingsbedingt angesehen werden. 5. Schlußfolgerungen Durch die Vermittlung einer Strategie zum Lösen von Konstruktionsproblemen konnte das Verhalten von 20 Pbn systematisch verbessert werden. Pbn sind auf Grund der Kenntnis einer Lösungsstrategie systematisch häufiger in der Lage, elektrische Konstruktionsprobleme zu lösen als Pbn, die zwar — wie die der Vg — im Lösen von chemischen Konstruktionsproblemen geübt sind, aber keine Kenntnis von der Strategie haben. Strategie-instruierte Pbn gehen insgesamt planender vor, erreichen einmal aufgestellte Teilziele häufiger und beziehen stärker die Relationen zwischen Teilzielen in ihre Überlegungen mit ein als nicht-instruierte Pbn. Durch den Erfolg der Trainings konnten wir die Gültigkeit der Ergebnisse eines vorangegangenen Versuches über das Lösen von elektrischen Konstruktionsproblemen teilweise bestätigen. Dort hatten wir die zentrale Bedeutung der Teilziele und der Relationen zwischen ihnen herausgearbeitet und auch empirisch belegen können. Im Training hatten wir eine Strategie vermittelt, die auf dieser Untersuchung aufbaute. Der relative Erfolg von zwei Trainingssitzungen, in denen Pbn mit der Lösungsstrategie an Hand eines andersartigen Problembereiches vertraut gemacht wurden, spricht dafür, daß die spezifischen Schwierigkeiten von Konstruktionsproblemen erkannt und einige Problemlösungsschritte gefunden worden sind, die Pbn zu ihrer Bewältigung einsetzen. Dadurch sind Möglichkeiten zur Verbesserung des Problemlösungsverhaltens eröffnet worden. In einem solchen Zusammenspiel der Untersuchung von dem, was ist und dem, was durch geeignete Maßnahmen verändert werden kann, scheint uns ein vielversprechender Forschungsweg zu liegen. Zum einen können wir auf diesem Weg die Gültigkeit unserer Beobachtungen überprüfen, zum anderen kommen wir damit dem 6*

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Ziel ein Stück näher, praktikable Anleitungen zur Verbesserung des Problemlösungsverhaltens in möglichst vielen Bereichen zu geben. Die Schaffung eines jeweils optimal wirksamen Trainingsprogrammes muß jedoch weiteren Schritten vorbehalten bleiben. Einen ersten Ansatzpunkt hierfür glauben wir mit den beschriebenen Versuchen gefunden zu haben, Zusammenfassung Das Verhalten studentischer Pbn beim Lösen elektrischer Konstruktionsprobleme wurde untersucht. Mit Hilfe einer theoretischen Problemanalyse wurden Unterschiede zwischen zwei ausgewählten Konstruktionsproblemen definiert. An Hand der empirischen Daten konnten einige Problemlösungsschritte gefunden werden, die den Problemunterschieden angepaßt waren. Ebenso konnten einige ungeeignete Vorgehensweisen der Pbn zur Lösung der Probleme aufgedeckt werden. Durch die Bewertung der geeigneten Lösungsschritte der Pbn ließ sich ihr Erfolg beim Problemlösen vorhersagen. Zur Überprüfung der Ergebnisse der 1. Untersuchung wurde ein Trainingsversuch unternommen. Eine Vg wurde an Hand chemischer Konslruktionsprobleme mit einer Strategie bekanntgemacht, die die in der 1. Untersuchung identifizierten Problemlösungsschritte verbessern sollte. Das Verhalten der trainierten Vg beim Lösen elektrischer Konstruklionsprobleme wurde mit dem Verhalten einer K g verglichen, die zwar ebenfalls Übung im Umgang mit chemischen Konstruktionsproblemen erhalten hatte, die Trainingsstrategie aber nicht kannte. Erwartungsgemäß löste die Vg elektrische Konstruktionsprobleme erfolgreicher als die Kg. Der Erfolg des Strategietrainings wird als Bestätigung der Ergebnisse der 1. Untersuchung gewertet.

Summary The behavoir of test subjects, who in this case were students, in finding solutions to electrical design problems was studied. Differences between two specific design problems were defined with the aid of a theoretical problem analysis. Empirical data was used to find some steps of problem solving which were adapted to the differences between problems. Inadequate approaches adopted by test subjects to solve the problems could also be discovered. B y evaluating adequate solution procedures used by test subjects it was possible to predict the success of problem solving. A training experiment was made to check up on the results of the first examination. A group of test subjects was made familiar with a strategy for solving chemical design problems, in order go improve upon the steps of problem solving identified in the first examination. The behavior of a troup of trained test subjects in solving electrical design problems was compared with that of a group of controls who, though familiar with handling problems of chemical design, did not know the training strategy. The group of test subjects was, as might have been expected, more successful in solving electrical design problems than the group of controls. The success of strategy training is considered to confirm the results of the first examination. Pe3ioMe MccjieaoBanocb nonejiemie HcnHTyeMbix JIHU; — cTy^eHTOB npH peiueHHH 3JieKTpiiiecKHx KOHCTpyKTHBHbix npoSjieiw. C noMombio TeoperaiecKoro aHajiH3a npoCneMU 6bijm onpejiejieiibi paajIHHHH MeJK^y RByMH H3ÖpaHHbIMM KOHCTpyKTHBHHMH npoSjIGMaMH. Ha OCHOBaHHH .3MmipHlecKHx naHHHx Morcm SbiTb HaftneHbi HGKOTOPHG m a r « K pemeHHio npoOneMbi, KOTopue COOTBeTcTBOBajiH npoSneMHbiM pasjiHMHHM. TaKHte MorjiH 6HTI> pacKpuTbi HeK0T0pbie HenoRxonnmHe cnocoßbi o6pa3a neücTBHH HcnbrryeMbix JIHIJ AJIH pememiH npoöJieMH. H a OCHOBaHHH oqeHKH

W. Ptttz-Osterloh/G. Liter, Problemlösen bei Konstruktion von Stromkreisen

85

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Ycnex

1 - r o HQCJienoBaHHH.

Literatur 1.

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Anschrift der Verfasser: Dr. W I E B K E P U T Z - O S T E R L O H und Prof. Dr. Psychologisches Institut D—4000 Düsseldorf, Universitätsstr. 1

GERD

LÜER

Aus dem Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse der Akademie der Wissenschaften der D D R

Entscheidungsstrukturen als Grundlage für den Strategiewechsel zwischen Ziel- und Informationssuche im menschlichen Problemlösen, dargestellt am Zerlegungsproblem V o n W . K R A U S E u n d H . LOHMANN Mit 20 Abbildungen

1. Einführung Von einem Zerlegungsproblem sprechen wir dann, wenn eine Menge von Elementen in Teilmengen erlegt werden soll, wobei ein Zielkriterium zu erfüllen ist und Restriktionen einzuhalten sind. Die Klasse der Zerlegungsprobleme ist mit GPS-ähnlichen Methoden 1 nicht mehr behandelbar, da die Operatoren hier keinen einschränkenden Anwendbarkeitsbedingungen unterliegen, so daß der Aufbau einer Operatorsequenz auf der Basis der Anwendbarkeitsbeschränkungen nicht mehr möglich ist. Damit muß nach neuen Verfahren gesucht werden. Dazu ist es zweckmäßig, diejenigen Lösungsmethoden zu untersuchen, die die Versuchspersonen beim rationellen Lösen solcher Probleme entwickeln; muß die situationsabhängige Ausbildung von Strategien aufgeklärt werden. Mit diesem Anliegen befaßt sich die vorliegende Arbeit, in der wir uns auf Fragen des Strategiewechsels beschränken. Im allgemeinen lassen sich im menschlichen Problemlösen zwei Vorgehensweisen unterscheiden [40]: 1. eine Suchrichtung zur Sammlung von Information derart, daß ein Ziel überhaupt erreichbar wird (Informationssuche) und 2. eine Suchrichtung, um den Zielzustand unmittelbar zu erreichen (Zielsuche). Werden diese beiden Vorgehensweisen als zwei unterschiedliche Strategien aufgefaßt und wird mit der 1. Vorgehensweise begonnen, dann ist ein Strategiewechsel erforderlich, wenn das Ziel erreicht werden soll. Es ist plausibel, daß die Entscheidung, die für den Wechsel zwischen solchen Strategien in jeder Situation neu getroffen werden kann, von der Problemsituation, von Problemraumeigenschaften 1 Das von N E W E L L , S H A W und S I M O N entwickelte Verfahren des allgemeinen Problemlösers (GPS) beruht darauf, daß die Sequenz der Operatoranwendung u. a. durch Anwendbarkeitsbeschränkungen der Operatoren bestimmt wird.

W . K R A U S E / H . LOHMANN,

Entscheidungsstrukturen als Grundlage für Strategiewechsel

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(wie z. B. Zielabstand, Zustandsbewertung, Anforderungserfüllung) und deren systeminternen Repräsentationen abhängig ist. Die sequentielle Prüfung solcher Problemraumeigenschaften durch eine Versuchsperson kann durch eine Entscheidungsstruktur dargestellt werden, die — intern repräsentiert — den Strategiewechsel zwischen Informations- und Zielsuche beschreibt. Nach solchen Entscheidungsstrukturen für den Strategiewechsel, die eine sequentielle Informationsverarbeitung im menschlichen Problemlösen widerspiegeln, suchen wir. Die hier vorzustellenden Untersuchungen haben auch eine praktische Bedeutung: Zum einen können bekannte Vorgehensweisen des menschlichen Problemlösens in Programmen zur automatischen Lösung von Problemen, z. B. in der Produktionsvorbereitung wirksam werden. Uber Ergebnisse dazu ist an anderer Stelle berichtet worden [42, 45]. Zum anderen lassen sich häufig auftretende Problemlösungs- und Entscheidungsprozesse im Rahmen von Mensch-Maschine-Systemen, etwa bei einer Prozeßsteuerung, durch Trainingsprogramme zur Ausbildung entsprechender interner Strukturen effektiver gestalten [30]. Eine mögliche Erweiterung ist die Vermittlung von Strukturbildungsprozessen.

2. Aktive Informationssuche und unmittelbare Zielsuche im menschlichen Problemlösen Jeder Problemlösungsprozeß ist im allgemeinen mit einer Suche nach Information verbunden. Die für die Lösung eines Problems notwendige Information setzt sich zusammen aus: — derjenigen Information, die einer Versuchsperson mitgeteilt wird, — derjenigen Information, die eine Versuchsperson durch Vorerfahrung besitzt und — derjenigen Information, die eine Versuchsperson im Laufe des Lösungsprozesses erwerben muß. Dies kann geschehen: — direkt (Informationssuche in einem Graphen, Vorausspiel, u. ä.) — durch Ableitung, durch Ausschließen, durch logische Schlüsse, — durch Umbewertung (z. B. durch Funktionalwertänderungen, durch Umbewertung von Dimensionen, durch Erweiterung von Suchräumen u. ä.). Die hier zu betrachtende Informationssuche bezieht sich auf den direkten Informationserwerb, der sich, wie oben angegeben, in einem stückweisen Vorausspiel niederschlägt. Unmittelbare Zielsuche ist darauf gerichtet, den Problemraum so rasch als möglich dadurch einzuengen, daß Zustände aufgesucht werden, die am weitesten in die Nähe des Zielzustandes führen. Mit Informations- und Zielsuche wollen wir Vorgehensweisen kennzeichnen, die Operationenfolgen festlegen. Solche Operationensequenzen, die durch Regeln erzeugbar sind, betrachten wir als Strategien. In diesem Sinn sind Informationsund Zielsuche Strategien. Findet zwischen Informations- und Zielsuche ein Wechsel statt, dann wollen wir von einem Strategiewechsel sprechen. Fassen wir nun die im Mittelpunkt unserer Betrachtungen stehenden Fragen noch einmal zusammen:

88

Z. Psycho!. 13d. 185 (1977) H. 1

— Lassen sich für den Vorgang der Informationssuehe und der Zielsuche Strategien im menschlichen Problemlösen — bezogen auf die hier zu untersuchende Klasse — nachweisen? — Welche Entscheidungsparameter und Entscheidungsregeiii bilden die Grundlage für die Verhaltensweisen von Versuchspersonen, die sich in jedem Schritt des Lösungsprozesses zwischen Informationssuche und Zielsuche entscheiden müssen? — Gibt es eine Ordnung über den Entscheidungsparametern, die sich auf Problemraumeigenschaften gründen und ist eine solche Ordnung als Entscheidungsstruktur nachweisbar? Die in der Literatur dazu vorliegenden Ergebnisse erlauben kaum eine Klärung der aufgeworfenen Fragen. Betrachten wir dazu den Informationserwerb in verschiedenen Anforderungssituationen: Entscheidungssituation, einfach strukturierte Problemsituation und komplexere Problemsituation. Informationserwerb

in

Entscheidungssituationen:

Die Informationssuche in Entscheidungssituationen ist zumeist dadurch gekennzeichnet, daß Versuchspersonen vor der Aufgabe stehen, Ereignisse oder Wahrscheinlichkeiten möglichst fehlerfrei zu prädiktieren. Dazu ist die Kenntnis von Verteilungen der Wahrscheinlichkeiten oder relativen Häufigkeiten der Ereignisse notwendig, die durch sukzessive Informationssuche — oft mit einem Kostenaufwand verbunden - erfolgen kann [24, 39]. Häufig werden dabei Optimalitätskriterien formuliert und es wird die Frage gestellt, wie weit das Verhalten der Versuchspersonen vom optimalen Verhalten abweicht oder durch welche Bedingungen das Verhalten der Versuchspersonen verändert werden kann. Aussagen über Strategien des Informationserwerbs (im Sinne operationaler Verkettungen) und über deren Herausbildung sind in solchen Entscheidungssituationen meist nicht möglich [7, 33, 35]. Informationserwerb

in einfach strukturierten

Problemsituationen:

KOCHEN und GALANTER [18] versuchten bereits 1958 den Prozeß des Informationserwerbs von dem der Informationsausnutzung für eine Zielsuche im Problemlösen zu trennen. Als Versuchssituation wählten sie die Prädiktion periodischer Binärfolgen. Sie gingen davon aus, daß die Versuchspersonen — einen Plan haben, der angibt, wann Information aufgenommen, wann eine Hypothese bezüglich eines Einzelereignisses prädiktiert und wann eine Hypothese über eine Periode vorhergesagt werden soll und weiter, — ein Programm haben, das angibt, wie aus der aufgenommenen Information eine Hypothese bestimmt werden soll. In jedem Versuchsschritt ist eine der drei Antworten i, x, z möglich. Dabei bedeuten : i : die Versuchsperson entscheidet sich für die Aufnahme von Information unter Verlust von c-Einheiten. Sie darf in diesem Fall nicht prädiktieren, x : die Versuchsperson prädiktiert ein Ereignis. Ist die Prädiktion richtig, gewinnt

W . K R A U S E / H . LOHMANN,

Entscheidungsstrukturen als Grundlage für Strategiewechsel

89

sie v-Einheiten. Ist sie falsch, verliert sie w-Einheiten. Die Versuchsperson erhält keine Rückmeldung, z: die Versuchsperson prädiktiert eine Periode und gewinnt V-Einheiten und verliert W-Einheiten. Als eine Strategie bezeichnen die Autoren jede beliebige Kombination der Größen i, x und z. Bei n Entscheidungen gibt es 3" solcher Strategien, wie z. B . : iiiixiixxiixzizzzz. Nun sagen wohl solche Strategien über den Zeitpunkt des Informationserwerbs etwas aus und beschreiben die Vorgehensweise der Versuchspersonen, die darauf gerichtet ist, den Gewinn bei minimaler Schrittanzahl zu maximieren. Die Situation erlaubt jedoch nicht, Ursachen für einen Entscheidungsprozeß zu analysieren, der zu einer Informationssuche führt. Im Extremfall kann eine solche Problemsituation durch den Vorgang der Informationssammlung allein gelöst werden. Auch für komplexere Problemsituationen ist die Informationssammlung im Lösungsprozeß beschrieben worden [29, 40]. Die Untersuchungen beschränken sich aber zumeist darauf, die Verbesserung des Losungsprozesses zu zeigen, eine Ursachenanalyse, weshalb gerade zu diesem Zeitpunkt Information angefordert oder erworben wird, fehlt oft. Einen ersten Schritt in dieser Richtung hat FLORATH [8] unternommen, der für eine spezielle Problemklasse die Sukzession des Erlernens von Anwendbarkeitsbedingungen durch Informationssuche untersucht hat. Informationserwerb

in komplexeren

Problemsituationen:

Untersuchungen zum Informationserwerb sind hier bisher unter zwei verschiedenartigen Aspekten durchgeführt worden: — Informationsanforderung durch (optimale) Fragestrategien, — Informationserwerb durch Handlungssequenzen. In der vorliegenden Untersuchung wollen wir uns hauptsächlich mit der zweiten Art beschäftigen. Der erste Aspekt orientiert auf eine Bedingungsanalyse beim Erwerb einer Fragestrategie und ist bemüht, optimale Fragestrategien zu bestimmen (Anzahl und Reihenfolge der Fragen), die die Unkenntnis über eine Situation schnellstmöglich abbauen. Stellvertretend für viele Untersuchungen in dieser Richtung seien hier die Arbeiten von O E R T E R [ 2 8 ] sowie SCHMIDT und STRÜMPER [36] genannt. Soweit es sich um einfache Rateversuche handelt, bedient man sich zur Optimalitätsbestimmung des mathematischen Formalismus der Informationstheorie. Bedingt durch diesen Ansatz, sind aber der Variationsbreite solcher Experimentalsituationen rasch Grenzen gesetzt. Verzichtet man auf die Optimalitätsbestimmung nach der Informationstheorie, dann läßt sich auch die Entwicklung von Fragestrategien in semantisch-inhaltlichen (Text-)Aufgaben untersuchen. Erste Ergebnisse solcher Untersuchungen sind u. a. von RLMOLDL [ 3 1 , 3 2 ] und JÜLISCH ( 1 9 7 4 ) vorgelegt worden. Für eine Reihe von Textaufgaben bereitete RlMOLDl die Versuchssituation so auf, daß die Versuchspersonen durch eine Sukzession von Fragen Information über die Problemsituation erwerben mußten. Diese Fragen wurden

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auf die Vorderseite von Kärtchen geschrieben, die Rückseite enthielt die Antwort. Aus der Häufigkeit und der Sukzession von Fragen sollte auf den Vorgang des Informationserwerbs geschlossen werden. Der von RLMOLDL eingeführte Nützlichkeitsindex ni fl==~N

{N = Gesamtzahl der Versuchsprsonen und rij— Anzahl der Versuchspersonen, die die j-te Frage gewählt haben) sagt wohl etwas aus über die Bevorzugung bestimmter Fragen gegenüber anderen. Ein dahinter stehender Suchprozeß läßt sich damit nicht aufklären. Es bleibt also die Frage nach den Ursachen, oder anders, nach den •anforderungsspezifischen Merkmalen einer Problemsituation, nach deren subjektiver Repräsentation und Veränderung, die den Wechsel zwischen Informationsund Zielsuche bewirken. Dieser Frage wollen wir jetzt nachgehen. 3. Zielsuche beim Zerlegungsproblem 3.1. Charakteristik des Problems Für die Untersuchungen wurde ein reales Problem ausgewählt, um die bekannten Schwierigkeiten bei der Übertragung von Ergebnissen in praktische Situationen so klein als möglich zu halten und um neue, im Problemlösen bisher nicht betrachtete Wirkfaktoren aufzudecken. Die Experimente wurden an einem Problem aus der Konstrukteurstätigkeit, dem Teilproblem „Schnittstellenminierung" beim Entwurf von Leiterplatten durchgeführt, das sich nach SOMMERFELD [42] folgendermaßen formulieren läßt: Bauelemente sollen auf mehrere Leiterplatten so verteilt werden, daß die Anzahl der Verbindungen zwischen den Leiterplatten ein Minimum wird.

Es handelt sich also um ein Zerlegungsproblem, einem speziellen Problemtyp aus der Klasse der kombinatorischen Probleme, der wie folgt gefaßt werden kann [19p: Eine Menge von x Elementen a, b, c . . . , die untereinander verbunden sind und deren Verbindungen bewertet sein können, soll in Teilmengen X1, X2, . . . , Xr so zerlegt werden, daß eine Extremalforderung erfüllt wird und einschränkende Bedingungen eingehalten werden.

Beim vorliegenden Problem sind Anfangszustand und Bedingungen des Endzustandes gegeben, gesucht sind Regeln für Transformationsschritte zur Überführung von einem Anfangs- in einen Endzustand. Dabei soll die Anzahl der Verbindungen zwischen den Teilmengen ein Minimum ergeben (Extremalforderung) und eine vorgegebene Elementenanzahl in den Teilmengen nicht überschritten werden (einschränkende Bedingung). In dieser Problemklasse sind vorrangig Konstruk2

Über den Unterschied zwischen der hier vorgelegten Aufgabe und klassischen Problem-

lösungsaufgaben vgl. KBATTSB und GLADIGATJ.

W . K R A U S E / H . LOHMANN",

Entscheidungsstrukturen als Grundlage für Strategiewechsel

91

tions- und Entwicklungsaufgaben einzuordnen, also Probleme aus dem Bereich der Produktionsvorbereitung. 3.2. Darstellung der Versuchssituation und des Problemraumes \ on \ OSHAGE [44] wurde das Zerlegungsproblem in eine geeignete Experimentalsituation so übertragen, daß die Bestimmungsstücke des Problemraumes eindeutig definiert und der Denkprozeß weitestgehend in einem Handlungsablauf veräußerlicht werden konnte. •

A nach dem „„ ... 2.Schritt

abc

abd

acb

ace

acf

acg *

( 6 mögliche Gruppierungen)

Abb. 1. Illustration zum Versuchsmaterial und zum Yersuchsablauf. Im folgenden werden zunächst Experiment und spezielle Aufgabenstruktur beschrieben, um das Verständnis der ersten experimentellen Ergebnisse zu erleichtern: 1. Die Bauelemente wurden durch Pappkärtchen realisiert, auf denen kleine Kreise mit Zahlen und Buchstaben zur Kennzeichnung von Verbindungsart und -zahl aufgetragen waren. Buchstaben und Zahl sollten jeweil paarweise zusammengeschaltete Bauelemente kennzeichnen. 2. D a es sehr aufwendig ist, alle möglichen Gruppierungen zu prüfen, wurde im Experiment ein aufbauendes Verfahren gewählt. Dabei bekam die Versuchsperson

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Z. Psychol. Bd. 185 (1977) H. 1

das erste Element der aufzubauenden Teilmenge vorgegeben (Anfangsteilmenge A). Dazu wurden alle Elemente vorgelegt, die eine Verbindung zu A haben. Sie bildeten die Auswahlmenge (Restmenge R), aus der sukzessiv weitere Elemente entsprechend der Zielforderung gewählt und zu A gefügt wurden, bis die geforderte Elementenzahl in A erreicht war. In die Auswahlmenge legte der Versuchsleiter nach jedem Schritt alle diejenigen Elemente dazu, die mindestens eine Verbindung zum gewählten Element hatten. 3. Menge von Problem zuständen: Der Anfangszustand Za wurde durch das erste Element von A direkt vorgegeben. Der Endzustand ZE war durch die Angabe der geforderten Elementezahl und zugelassenen Restverbindungen von A zu R indirekt vorgegeben. Durch sukzessives Hinzufügen von Elementen zu A entstand jeweils ein neuer Zwischenzustand Zh der durch eine bestimmte Elementezahl gekennzeichnet war. Der Problemraum ist hier offenbar als ein Entscheidungsbaum darstellbar. 4. Das Auswählen eines Elements aus R und Hinzufügen zu A entsprach einer Transformation. 5. Die Aufgabe bestand darin, unter Anwendung der beschriebenen Transformationen Za in ZE zu überführen. 6. Die Bewertung Q (Zn) der Zustände Zn ergab sich jeweils aus der Summe der freien Restverbindungen der Elemente von A zu R. Durch Auswahl verschiedener Elemente (entspricht verschiedenen Transformationen) ergaben sich unterschiedliche Bewertungen g(ZJ. Daraus leitet sich auch die Bewertung der Transformationsschritte ab. Die Lösung dieses Problems durch vollständiges Suchen bereitet wegen des zu großen Umfangs des Problemraumes erhebliche Schwierigkeiten bzw. erweist sich oft als unmöglich. Für den Fall, das eine Zerlegung von 8 Elementen in 2 Teilmengen mit je 4 Elementen erfolgen soll, hat der Problemraum bereits 2080 Zustände und 1680 verschiedene Wege, um von einem beliebigen Anfangselement zu einer Teilmenge mit 4 Elementen zu gelangen. Diese Situation zwingt zur Suche nach effektiven suchraumeinschränkenden Vorgehensweisen. 3.3. Ergebnisse zum Experiment 1

Die ersten experimentalpsychologisc.hen Untersuchungen zum Zerlegungsproblem [44, 46] brachten den Nachweis, daß drei heuristische Regeln zur unmittelbaren Zielsuche für den Lösungsprozeß bedeutsam sind. Diese Regeln, die wir als Strategien der unmittelbaren Zielsuche oder im weiteren kurz als Zielsuche bezeichnen wollen, wurden durch Aufgabenanalyse bestimmt und wie folgt dargestellt [21, 42] 3 : Regell: Wähle ein Element aus R, für das die Verbindungszahl zu A ein Maximum ist. 3 Auf der Grundlage dieser Regeln schrieb SOMMERFELD ein Automateilprogramm zur Minimierung von Schnittstellen beim Leiterplattenentwurf. Dieses Programm ist an praktischen Beispielen aus dem Institut für Nachrichtentechnik erprobt worden. Es wurde damit eine Verdrahtungsausbeute von etwa 9 7 % erzielt. .

W . KRAUSE/H. LOHMANN, Entscheidungsstrukturen als Grundlage für Strategie Wechsel

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Regel 2: Wähle ein Element aus R, das eine minimale Anzahl von Verbindungen zu den anderen Elementen von R hat. Regel 3: Wähle ein Element aus R, das eine minimale Anzahl von Verbindungen zu allen anderen Elementen von R und eine maximale Anzahl von Verbindungen zu A hat (gleichzeitige Beachtung von Regel 1 und 2). Im allgemeinen wurde im Experiment mit Regel 1 begonnen und nur dann eine andere Regel gewählt, wenn Regel 1 nicht zum Ziel führte. Die Analogie solcher Regeln zu Begriffen und die des Regelervverbs zu Begriffsbildungsexperimenten ist von VOSHAGE diskutiert worden. Für solche Regeln wurden darüberhinaus Bedingungen ermittelt, die für das Erlernen der Regeln wesentlich sind. Eine ausführliche Darstellung der Untersuchungen und Ergebnisse findet sich bei YOSHAGE [44] sowie bei YOSHAGE, SOMMERFELD u n d KRAUSE

[45].

Der Ansatzpunkt für die weiterführenden Untersuchungen wurde durch die Beobachtung bestimmt, daß einige Versuchspersonen nicht wie erwartet von vornherein nach diesen heuristischen Regeln vorgingen, sondern Knotenpunkte des Graphen anspielten, die zwar der unmittelbaren Zielsuche widersprachen, ihnen dafür aber eine größere Einsicht in den Problernraum verschafften. Die folgenden Untersuchungen konzentrierten sich deshalb auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den Merkmalseigenschaften der Problemzustände und der Auswahl solcher Transformationen, die auf eine Informationssuche abzielen.

4. Informationssuche beim Zerlegungsproblem 1.1. Versuchssituation und Problemraumeigenschaften Zur quantitativen Analyse der Informationssuche wurden in Abänderung der in 3.2. beschriebenen Situation die möglichen Operationen in zwei Gruppen unterteilt. Die Operationen der einen Gruppe dienten der Informationssuche und die der anderen der unmittelbaren Zielsuche. Das Experiment ist so angelegt, daß die wesentliche Informationsquelle durch die Auswahlmenge. (Restmenge) R gegeben ist. Aus ihr ist ersichtlich, ob und wie Elemente miteinander verbunden werden können. Die Größe dieser Auswahlmenge — und damit die Möglichkeiten zum Vorausspiel — konnten die Versuchspersonen durch die Wahl entsprechender Elemente, charakterisiert durch die Merkmale m,oder f.- , selbst bestimmen. *max

i in n

Durch Wahl von Elementen zur Informationssuche (maximale Anzahl von Yerbindungsarten: m i m a x ) konnte die Auswahlmenge vergrößert werden, da ja in der Auswahlmenge alle Elemente enthalten sein müssen, die zur Anfangsteilmenge A Verbindungen haben. Dabei tritt in der Regel gleichzeitig eine Bewertungsvcrschlechterung ein. Elemente zur unmittelbaren Zielsuche erzeugen Zustände, die durch das Merkmal f'min & e k e i l n z e i c hnet sind. Dieses Merkmal kennzeichnet eine minimale Gesamt-

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summe von Verbindungen zwischen Anfangsteilmenge und Restmenge. Die Anzahl der Elemente in der Auswahlmenge wird dabei im allgemeinen nicht erhöht. Im weiteren gehen wir von der Annahme aus, daß die Bevorzugung eines Merkmals mit einer bestimmten Absicht erfolgt, nämlich nach Information zu suchen oder unmittelbar den Zielzustand realisieren zu wollen.

Element mit dem M e r k m a l

i

1 neues Element in die Auswohlmenge

' HHM 06pa30BaHHeM OTMe^anHCb Qonee HH3KH6 ycnexH B yieße, TOM B rpynne c 10-jieTHHM O6II;HM uiKOJibHbiM 0Öpa30BaHHeM. IlyTeM cpaBHeHHH ypoBHH yqeßHoro npoijecca npH TpeHHpoBaHHHx H HeTpeHHpoBaHHbix nowrecTax Morao 6biTb nponeMOHCTpHpoBaHO, HTO nyTGM HanpaBJieHHoro noompeHHH B o6enx rpynnax co niKOJibHbiM o6pa30BaHHeM Morao 6biTb flocTHrayTo 3HaHHTejibHoe yBeJiHieHne cnocoÖHOCTeft. IIpHBJieqeHHaH K iiccjieaoBaHiiio caMooijeHKa noKa3ana M0THBai;ii0HHbie pas-nrnim B TOTOBHOCTH K YQEßE y IIOAPOCTKOB H B 3 p o c j i u x . I T o J i y i e H H b i e p e 3 y j i b T a T b i NORTBEPWNAIOT KOHIJEIMHK) y q e ö b i B TEIEHHE B c e f t JKHBHH.

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6 u T b n o K a 3 a H o , HTO 6 o j i e e K p y T b i e c T e n e H H PA3BHTHH HA ESIIHIMY B p e M e H H B lOHomecKOM B 0 3 p a c T e (ocHOBaHO H a RHNOTFE3E 0 MaKCHMyMe B lOHOuiecKOM B 0 3 p a c T e ) B oßnjein HBJINETCH p e 3 y j i b T a T 0 M oSnaaTejibHoro

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HHTejuieKTyajibHoe

PAABHTHE n p o R O J i -

HtaeTCH BO B3pOCOIOM B 0 3 p a C T e , eCJIH BHeniHHe yCJIOBHH OßYTOHHH C p a B H H M H C TaKOBbIMH B aeTCKOM H WHOIIieCKOM B 0 3 p a C T e .

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26.

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33. 34.

Eingegangen am 15. 3. 1976. Anschrift des Verfassers: Dipl.-Psych. Dr. D O R O T H E A R O E T H E R Abteilung für Psychiatrie der Nervenklinik der Wilhelm-Pieck-Universität D D R - 2 5 Rostock 9, Gehlsheimer Str. 20

Buchbesprechungen KROHNE, H. W. (Hrsg.): Fortschritte der pädagogischen Psychologie, H. 72 der Reihe „Erziehung und Psychologie". 161 S. mit 16 Abb. Ernst Reinhardt Verlag, München-Basel 1975. Paperback 22,80 DM. Der vorliegende Sammelband markiert eine Umorientierung der zeitgenössischen pädagogischen Psychologie in der B R D : da die in Abkehr von geisteswissenschaftlichen Einflüssen hoffnungsvoll aufgegriffene Lernpsychologie orthodox behavioristischer Prägung und die „klassische" Testtheorie trotz ihrer Exaktheit und formalen Perfektion die pädagogischen Probleme in Schule und Leben nicht lösen konnten, sucht man nach neuen theoretischen Ansätzen, die der Komplexität des Erziehungsgeschehens besser angemessen sind. Das äußert sich zum Beispiel in der Zuwendung zu „kognitiv" orientierten Theorien des schulischen Lernens und in dem Bemühen, neue Wege bei der Diagnose und Therapie von Lernstörungen zu beschreiten. Die 6 Beiträge des Heftes sind Ausdruck dieser Neuorientierung. auf das schulische Lernen, erH . S C H W A R Z E behandelt den Einfluß verbaler Rückmeldungen örtert dabei ausführlich die sogenannten Blanktrial-Experimente (das sind solche Lernversuche, in denen die Vp entweder nur über ihre Richtiglösungen oder nur über die Fehler informiert wird) und vergleicht diese mit den Schulversuchen zur Wirksamkeit von Lob und Tadel (HURLOCK, JOHANNESSON). Manche widersprüchlichen experimentellen Befunde lassen sich aufklären, wenn man die informative Komponente verbaler Rückmeldung bei der Interpretation in Rechnung stellt. K. W E L T N E R bespricht vornehmlich eigene Versuche, die Information,i- und Graphentheorie für die pädagogisch-psychologische Forschung nutzbar zu machen. Nach einer knappen Darstellung der wichtigsten Methoden und Ergebnisse zur Metrik des Informationsgehalts von Texten und des schrittweisen Entropieabbaus bei einfachen Problemlösungsaufgaben wird auf Möglichkeiten hingewiesen, mit Hilfe der Graphentheorie die Analyse der Zusammenhänge zwischen Sachstruktur des Lehrinhalts und der Organisation von Lehr- und Lernprozessen zu verfeinern. R. B R I C K E N K A M P widmet sich dem kreativen Verhalten, schränkt den vieldeutigen Modebegriff auf solche Verhaltensformen ein, die sich durch Neuheit von Lösungen (Originalität), Produktivität von Einfällen (Ideenreichtum) und Flexibilität des Denkens (Umstellfälligkeit) auszeichnen, und gibt einen gedrängten Überblick über Möglichkeiten, kreatives Verhalten pädagogisch zu fördern (Verstärkung, Brainstorming, Assoziationslrainung, Synectic, Unterrichtsgestaltung, Training in Techniken kreativen Denkens). Ein Hinweis auf Kreativitätstests schließt den Beitrag ab. II. M. S C H R Ö D E R von der Universität Florida führt den Begriff der Informationsverarbeitungsfähigkeit ein. Darunter versteht er die Fähigkeit des Lernenden, zunehmend informationsreichere Konzepte im Denken und Urteilen selbständig zu erzeugen und zu nutzen. Diese Fähigkeit sei Ergebnis von Prozeßlernen (im Unterschied zum Inhaltslcrnen), sie verhelfe zu „Weisheit", nicht nur zu „Wissen". Nach diesen definitorischen Festlegungen werden Forderungen an die Beschaffenheit der Lernumwelt gestellt, damit diese wünschenswerte Fähigkeit bei den Lernenden ausgebildet werden kann. Dies wird — einschließlich der Evaluierungsprobleme — durch Hinweis auf eine Erkundungssludie an der Universität Florida demonstriert. Dieser Teil der Abhandlung hat noch wenig Überzeugungs- und naturgemäß keinerlei Beweiskraft (2 Seminargruppen von Stu-

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dierenden, 3 Quartale). Immerhin ist das Anliegen des Autors, die bloße Kenntnisaneignung durch Förderung selbständig urteilenden Denkens zu ergänzen, sehr zu begrüßen. Der Beitrag regt zum Nachdenken an, wie dieses Ziel unter jeweils besonderen Voraussetzungen erreichbar ist. Die Benennung der Zieleigenschait als „Informationsverarbeitungsfähigkeit" freilich ist irreführend: denn auch das sogenannte Inhaltslernen beruht auf individueller Informationsverarbeitung. B. B O L L E T T und M. B A R T R A M behandeln in ihrem Beitrag Probleme der Lerndiagnose und Lerntherapie. Sie wollen die Praxis der Erziehungsberatung und Kinderpsychotherapie durch theoretisch begründete Verfahren bereichern, welche die zuverlässige Diagnose und wirksame Behandlung von Lernstörungen zulassen. Nach einer Sichtung kinderpsychotherapeutischer und heilpädagogischer Ansätze werden lerntherapeutische Interventionsstrategien vorgeschlagen. Besondere Beachtung verdient ein adaptives Diagnose- und 'Behandlungsmodell. Die Eignung lehrzielrorientierter Tests zur schulischen Lerndiagnostik wird diskutiert, für lerntherapeutische Zwecke werden verschiedene komplexe Behandlungspläne erörtert und beispielhaft an einer Studie demonstriert, in der in den Fächern Deutsch, Mathematik und Physik unter Verwendung von Lehrprogrammen mit Hilfe der Clusteranalyse diagnostisch relevante Lerngruppen gebildet wurden. Dieser Beitrag erscheint dem Rezensenten als recht gehaltvoll und bedeutsam. Psychologen, die im Bereich der Erziehungsberatung arbeiten, lönnen den hier vorgetragenen Gedanken manche Anregung entnehmen. Wenn man freilich bedenkt, daß die Verwirklichung der von den Autoren vorgetragenen Vorschläge nur möglich ist, wenn die Schulverwaltung die erforderlichen materiellen, personellen und finanziellen Voraussetzungen dazu schafft, muß man ernstlich bezweifeln, daß die wissenschaftlich wohlbegründeten Vorschläge der Psychologen Eingang in die Praxis des westdeutschen Bildungswesens finden werden. H. \V. K R O N E beschäftigt sich mit der Schulangst, referiert empirische Befunde zu diesem pädagogisch-psychologisch wichtigen Phänomenbereich, stellt sodann die Angsttheorie von R . S. L A Z A R U S vor und gibt abschließend Hinweise zur Prävention und Therapie von Schulangst. G. CLAUSS (Leipzig)

KUMMER. H.; Sozialverhalten der Primaten. X , Springer-Verlag 1975, Paperback 19,80 DM.

163 S. mit 34 Abb. Berlin-Heidelberg-New York

Das vorliegende Buch von H. KUMMER, Zoologe und als Ethologe langjähriger Primatenforscher, ist vor allem als Einführung in Methodik und Ergebnisse der modernen Primatenforschung angegelegt. Im Vordergrund steht die Analyse der sozialen Verhaltcnsorganisation freilebender Paviane im äthiopischen Wüstenhochland. Dabei erfahren die Mantelpaviane (Papio hamadryas) besondere Berücksichtigung. Eine gründliche Darstellung der internen Organisation der Pavianhorden, Banden aus EinMann-Gruppen, die Varianten ihrer Sozialstruktur in Abhängigkeit von der Rangposition eines Männchens, seines Alters, Geschlechts; von Eigenschaften des Territoriums, des Biotops, jahreszeitlicher Klima- und Ernährungsbedingungen, stellt eine vorzügliche Basis für Vergleichserörterungen dieser Primatenart mit nahe verwandten Arten dar. Die Vergleiche werden vor allem zum Dschelada-Pavian, zu Anubis und teilweise zu Husarenaffen gezogen. Die oftmals drastischen Verhaltensunterschiede zu Schimpansen (z. B. bei der Begegnung gegenüber Fremden, der „Weibchen"-Rolle" u. a.) werden gelegentlich gestreift. Besonderes Interesse dürften evolutionsgeschichtliche Überlegungen über die Entstehungsmechanismen der Ein-Mann-Gruppen bei Hamadryas beanspruchen (hier müssen sich die Weibchen bei Drohung dem Mann nähern, um ihn zu beschwichtigen statt zu fliehen, wie das bei anderen Arten und im allgemeinen anzutreffen ist). Auf die beschriebenen — auch für die Humanpsychologie wesentlichen — Freilandexperimente kann in diesem Zusammenhang nur hingewiesen werden. Eingeordnet in die gewählten Aspekte werden die unterdessen berühmt gewordenen japanischen Makaken-Experimeute nach den Berichten von K A W A I referiert.

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Buchbesprechungen

E i n e n t h e o r e t i s c h b e d e u t u n g s v o l l e n A k z e n t e r h ä l t d a s B u c h d u r c h die E r ö t e r u n g des M e r k m a l s b e g r i f f s in d e r v e r g l e i c h e n d e n V e r h a l t e n s f o r s c h u n g . Die A n a l y s e d e r V e r h a l t e n s w e i s e n v o n genetischen Mischgruppen an Tcrritoriumsgrenzen k ö n n t e hier weitere Aufschlüsse ergeben. D e r A u t o r e r l ä u t e r t dies a n V e r h a l t e n s e i n h e i t e n wie „ R a s t e n i m W a l d " o d e r „ N a h r u n g s s u c h e i m W a l d " , — e r s t e r e a n s c h e i n e n d eine F u n k t i o n des G e n o t y p s , l e t z t e r e eine des P h ä n o t y p s . E s l ä ß t sich d e r z e i t w o h l k a u m s c h o n a b s e h e n , i n w e l c h e m M a ß die m o d e r n e n F r e i l a n d - F o r s c h u n g e n a n P r i m a t e n die F r a g e der b i o l o g i s c h e n V e r h a l t e n s d e t e r m i n a t i o n b e i m M e n s c h e n b e r ü h r e n . N a h e z u 11 Millionen J a l i r e getrennter E v o l u t i o n s g e s c h i c h t e seit P r o c o n s u l , 2,5 Millionen J a h r e g e t r e n n t e E n t w i c k l u n g s b e d i n g u n g e n f ü r k o g n i t i v e P r o z e s s e u n d 5 0 0 0 0 0 J a h r e seit d e r Bildung von Sprache, K u l t u r , Arbeitsteilung u n d differenzierter Sozialgeschichte sollten zurückh a l t e n d s t i m m e n g e g e n ü b e r H y p o t h e s e n , die a u s A n a l o g i e n des V e r h a l t e n s ungeprüft Homologien i h r e r G e n e s e m a c h e n . I m U n t e r s c h i e d zu m a n c h e m a n d e r e n B e r i c h t t e i l t d e r A u t o r diese Z u r ü c k h a l t u n g . D a m i t e r h a l t e n diese n e u e n F r e i l a n d - S t u d i e n i h r e n W e r t zunächst d a d u r c h , d a ß sie die V e r h a l t e n s o r g a n i s a t i o n der Primaten u n d i h r B e d i n g u n g s g e f ü g e e n t h a l t e n . Dies f r e i l i c h i n e i n e m a u ß e r o r d e n t l i c h e n S i n n e ; s o w o h l in m o t i v a t i o n a l e r wie i n k o g n i t i v e r H i n s i c h t : W a s ist d e r „ B e w e g g r u n d " f ü r j e n e E n t s c h e i d u n g eines M a n t e l p a v i a n s , d e r e i n e n h e r a b r o l l e n d e n S t e i n a n einer F e l s w a n d a u f f ä n g t , d a eine G r u p p e v o n J u n g e n g e n a u u n t e r i h m s p i e l t ; d e r i h n in d e r H a n d b e h ä l t u n d e r s t f a l l e n l ä ß t , n a c h d e m sich d a s s p i e l e n d e G r ü p p c h e n v e r t r o l l t h a t t e ? (S. 83) D a b e i ließen sich f ü r die S c h i m p a n s e n n o c h w e i t a u f r e g e n d e r e Beispiele a n f ü h r e n . D a s E r s t a u n l i c h e i s t f ü r u n s die H ö h e d e r V o r - L e i s t u n g e n , die e r r e i c h t sein m u ß t e , d a m i t M e n s c h w e r d u n g e i n g e l e i t e t w e r d e n k o n n t e . I n d i e s e m S i n n e stellen die v o r l i e g e n d e n S t u d i e n — KUMMERS e i n g e s c h l o s s e n — e i n e n h o h e n E r k e n n t n i s w e r t a u c h f ü r die H u m a n - P s y c h o l o g i e d a r . F. KLIX (Berlin) PASK, G . : Conversation, mit

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X I I , 570 S.

A b b . u n d T a b . A m s t e r d a m - O x f o r d - N e w Y o r k : E l s e v i e r S c i e n t i f i c P u b l . C o m p . 1975.

96,00 Dfl. D e r V e r f a s s e r , ein w e l t w e i t b e k a n n t e r e n g l i s c h e r K y b e r n e t i k e r , g i b t in d i e s e m B u c h eine zusammenfassende Darstellung und theoretische Verallgemeinerung von Forschungsarbeiten, d i e seit M i t t e d e r 50er J a h r e v o n i h m u n d seinen M i t a r b e i t e r n a m Z e n t r u m f ü r S y s t e m f o r s c h u n g i n R i c h m o n d d u r c h g e f ü h r t w u r d e n . Die drei B e g r i f f e , w e l c h e d e n T i t e l des B u c h e s b i l d e n , bezeichn e n seinen w e s e n t l i c h e n I n h a l t : PASK will eine a l l g e m e i n e T h e o r i e des d i a l o g i s c h e n L e r n e n s u n d E r k e n n e n s g e b e n . Zu d i e s e m Z w e c k b e t r a c h t e t er die P r o z e s s e des I n f o r m a t i o n s a u s t a u s c h e s z w i s c h e n S y s t e m e n , die m i t e i n a n d e r ü b e r eine ( n i c h t n o t w e n d i g k ü n s t l i c h e ) S p r a c h e k o m m u n i zieren. Diese s p r a c h v e r m i t t e l t e K o m m u n i k a t i o n n e n n t er K o n v e r s a t i o n . Die S y s t e m e k ö n n e n P e r s o n e n sein, i m S p e z i a l f a l l , d e r v o m V e r f a s s e r v o r n e h m l i c h u n t e r s u c h t w u r d e , ein L e h r e n d e r u n d ein L e r n e n d e r ; die T h e o r i e gilt j e d o c h a u c h f ü r M e n s c h - M a s c h i n e - K o m m u n i k a t i o n . K e r n s t ü c k des B u c h e s ist d a s M o d e l l C a s t e (Course A s s e m b l y S y s t e m a n d T u t o r i a l E n v i r o n m e n t ) . D a b e i h a n d e l t es sich u m ein k y b e r n e t i s c h e s S y s t e m , in d e m — i m e i n f a c h s t e n F a l l — eine P e r s o n A (z. B. eine V e r s u c h s p e r s o n o d e r ein L e r n e n d e r ) u n d eine P e r s o n B (z. B. ein V e r s u c h s leiter o d e r ein L e h r e n d e r ) ü b e r e i n e n G e g e n s t a n d (z. B. „ E i n f ü h r u n g in die W a h r s c h e i n l i c h k e i t s r e c h n u n g " ) I n f o r m a t i o n a u s t a u s c h e n m i t d e m Ziel, w i s s e n d e s V e r s t ä n d n i s zu e r r e i c h e n . I m U n t e r s c h i e d zu h e r k ö m m l i c h e n L e h r a u t o m a t e n f ü h r t PASK eine s o g e n a n n t e ' k o o p e r a t i v e E x t e r n a l i s a t i o n s t e c h n i k ' C E T ein. Sie g e s t a t t e t es, i n t e r n e k o g n i t i v e P r o z e s s e der k o m m u n i z i e r e n d e n P e r s o n e n als Teil eines b e o b a c h t b a r e n Dialogs s i c h t b a r zu m a c h e n . D a s e r ö f f n e t die M ö g l i c h k e i t f ü r P e r s o n A , i h r e L e r n s t r a t e g i e n besser als ü b l i c h u n t e r b e w u ß t e K o n t r o l l e zu b r i n g e n (also d a s L e r n e n z u l e r n e n ) , es g e s t a t t e t d e r P e r s o n B, zu k o n t r o l l i e r e n , w e l c h e S t r a t e g i e n d e r L e r n e n d e v e r w e n d e t , u m sich die I n f o r m a t i o n a n z u e i g n e n . GASTE ist z u g l e i c h ein Modell f ü r eine m o l e k u l a r e T h e o r i e ( M i k r o - T h e o r i e ) des L e h r e n s u n d L e r n e n s , die sich auf B e g r i f f s b i l d u n g s - u n d P r o b l e m l ö s u n g s s t r a t e g i e n sowie auf die W e c h s e l w i r k u n g k o m p l e x e r k o g n i t i v e r P r o z e s s e b e z i e h t .

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Z. Psychol. Bd. 185 (1977) II. 1

Zwei Heuristiken sind dem C A S T E beigefügt: eine Heuristik zur Realisierung der kooperativen Extcrnalisationstechnik, eine zweite zur Regulation der subjektiven Ungewißheit. In P A S K S Theorie wird ein wichtiges Prinzip verwirklicht, nämlich die auf der unlösbaren Verschränkung von Lehr- und Lernprozessen beruhende Integration von Theorien des Lehrens und des Lernens. Zahlreiche experimentelle Ergebnisse und Theoreme der neueren denk- und lernpsychologischen Forschung werden vom Autor aufgegriffen und in den Kontext seiner Theorie eingefügt. Gleiches gilt für gesicherte Ergebnisse der IJnterrichtsforsehung — vor allem in Gestalt der Lehrprogrammierungsforschung und Instruktionstechnologie. Der Verfasser schildert Anwendungsmöglichkeiten seiner Theorie in verschiedenen Praxisbereichen, z. B. für die Weiterentwicklung des computerunterstützten individualisierenden Unterrichts, für die Verbesserung programmierter Prüfungen, für den Einsatz in der Lehrerbildung, bei der Marktforschung, in der Informationswissenschaft und Kommunikationsforschung. Das Buch schließt mit einem mehr spekulativ gehaltenen Kapital, in dem eine Synthese makround mikrotheoretischer Ansätze versucht wird und Konsequenzen für die Erklärung von Selbstbezug (self-reference) und Reflexivität als Bedingungen für menschliches Bewußtsein diskutiert werden. Das Buch ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Fruchtbarkeit und einheitsstiftende theoretische Kraft kybernetischen Denkens. Es überwindet die dogmatische Enge behavioristischer Erklärungsversuche, es bezieht komplex strukturierte „höhere" kognitive Prozesse ausdrücklich ein und betrachtet sie als bestimmende Determinanten menschlicher Erkenntnis, es unterscheidet Strategien der Informationsverarbeitung auf unterschiedlichen Allgemeinheitsniveaus und kann durch die Experimente an Rechnern modellabgeleitete Hypothesen prüfen. Insbesondere bietet das Gaste für die denk- und lernpsychologische Forschung ein theoretisches Bezugssystem und zugleich eine vielseitig einsetzbare Untersuchungsmethodik, was hoffen läßt, auf manche offene Frage eine klare Antwort erzwingen zu können. Das Buch ist sehr anspruchsvoll, es wendet sich in erster Linie an Informationswissenschaftler und ist streckenweise nur von Experten der Computertechnik voll verstehbar. Allerdings können auch theoretisch interessierte Psychologen, die sich mit der Analyse kognitiver Prozesse auf nicht ganz elementarem Niveau befassen, in dem Buch zahlreiche Anregungen finden. Man sieht dem angekündigten zweiten Band mit Erwartung entgegen. G . CLAUSS

(Leipzig)

C.: Wahrheit und Wirklichkeil. Mensch und Wissenschaft. X I I I , 285 S. mit 36 Abb. Berlin-Heidelberg-New York: Springer-Verlag 1975. Kartoniert: 36,— DM.

ECCLES, J .

Das von Sir JOHN C. ECCLES, dem australischen Nobelpreisträger, bereits 1970 unter dem Titel „Facing Reality" veröffentlichte Buch liegt in deutscher Fassung vor. Die Übersetzung hält sich streng an den Originaltext. Das Buch bringt die Bestrebungen eines der kompetentesten Hirnforscher zum Ausdruck, nämlich eine Brücke zu bauen zwischen den molekularen-elektrophysiologischen Mechanismen der Hirnfunktionen, die er ein Leben lang mit Leidenschaft und Akribie erfolgreich erforscht hat, und den Äußerungen„mcnschlichen Geistes". Im Epilog findet sich der Satz: „In diesem Buch beschreibe ich meine Anstrengungen, eine menschliche Person, mich selbst, als erfahrendes Wesen zu verstehen." Dem an den Hirnfunktionen Interessierten wird die ausgezeichnet zusammenfassende und kritische Darstellung des bisherigen Wissens durch einen Neurophysiologen, der selbst vieles hierzu beigetragen hat, faszinieren und über manche philosophischen Naivitäten und Konstrukte hinwegsehen lassen, die ihre Verwandtschaft mit der „Erkenntnistheorie" und dem obskuren „Drei-Welten-Konzept" K. R . P O P P E R S nicht verleugnen. Man wird in mehreren Kapiteln nicht immer einer Meinung mit dem Autor sein, insbesondere wenn man von einer dialektisch-materialistischen Position herangeht, andererseits erheischt die geschlossene und wohlformulierte Dar-

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Buchbesprechungen

Stellung, die getragen ist von der Intelligenz, persönlichen Leistung und großen Begeisterung für dieses aufregende Gebiet der Hirnforschung und Psychophysiologie Achtung und Gründlichkeit in der gesanklich-kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk. R. SINZ (Berlin) FLECHTNER,

II.-J.: Memoria

und Mneme.

Band I: Gedächtnis

und Lernen in psychologischer

Sicht.

X, 354 S. mit 5 Abb. Stuttgart: S. Hirzel 1974. Taschenbuchausgabe, kartoniert 48,— DM. „Habent sua l a t a libelli — das 'Buch', dessen erster Band hier vorgelegt wird, war geplant als eine 'Biochemie des Gedächtnisses', also eine Darstellung des augenblicklichen Standes der Bemühungen um eine chemische Erklärung der mnestischen Phänomene 'Lernen' und 'Gedächtnis'. Doch es zeigte sich bald, daß auch bei einer solchen Arbeit das Gesetz gilt: Wer einen hohen Turm bauen will, muß damit beginnen, in umgekehrter Richtung ein tiefes Loch in die Erde zu graben. Die Ergebnisse der biochemischen Untersuchungen des Lernens und des Gedächtnisses schwebten sozusagen 'in der Luft', ohne entsprechende physiologische, j a anatomische Grundlagen, und schließlich handelt es sich ja um die Erklärung und Deutung physiologischer Phänomene, die in sich keineswegs so selbstverständlich angenommen werden können, wie es in den biochemischen Untersuchungen oft geschieht. So erweiterte sich der Aufgabenbereich und auch der Umfang der Darstellung, zumal der sich allmählich als notwendig abzeichnende Begriffsapparat immer wieder 'grundsätzliche', auch philosophische Analysen verlangte, ebenso die Kybernetik und Informationstheorie sowie allgemeine Systemtheorie neue Fragestellungen und neue wichtige Begriffe zur Untersuchung beitrugen. Daß dabei der Charakter einer reinen Darstellung allmählich zurücktrat gegenüber dem Versuch, eine Art Synopsis der verschiedenen Blickrichtungen, Fragestellungen und Ergebnisse zu gewinenn, ergab sich beim Schreiben wie von selbst". Es kann dem Autoren, der durch andere bedeutende Bücher sein umfangreiches Wissen und didaktisches Können der Wissensvermittlung bewiesen hat, auch dieses Projekt — zumindest bezüglich des ersten vorliegenden Teils — als gelungen bescheinigt werden. Nach einer Grundlegung von Begriffen auf 100 Seiten (Problemstellung — das Gedächtnis und seine Phasen — Arten und Formen des Gedächtnisses — Lernen und Gedächtnis — Disziplinen der Lernforschung — Perspektiven und Modelle) bringt der Autor auf 250 Seiten eine Darstellung der umfangreichen Literatur der verschiedenen Lerntheorien mit ausführlich zitierten Texten (S-RFormalismus — Mathematische Analyse — Lernen aus ethologischer Sicht — BECHTEREWS 'Reflexologie' — PAWLOW und seine Schule — Behaviorismus — 0 . H. MOWRER — molare Lerntheorie TOLMANS — Psychologie des Lernens unter Berücksichtigung der Lernsituation, der Phasen des Lernens und des Lernerfolgs — Speichern und Abrufen). Die Lesbarkeit des Buches wird durch die vielen Zitate etwas erschwert, da die jeweiligen Autoren mehr oder weniger synonyme Bezeichnungen verwenden und darüber hinaus zu kontroversen Auffassungen gelangen. Die angelsächsischen Autoren sind englisch zitiert, so daß zu den deutschen Synonymen und Begriffsheterogenitäten noch die zweisprachigen hinzukommen. Klärende Begriffsvereinheitlichungen oder eine Liste der Gegenüberstellung wäre hier hilfreich gewesen. Dem Buch liegt eine immense datenakkumulierende, selektionierende und vergleichende Arbeit zugrunde, die dem Niclitspezialisten einen Überblick über wesentliche Lerntheorien verschafft und dem Spezialisten einerseits die Vielzahl der Nachbardisziplinen und andererseits die gemeinsamen übergeordneten Fragestellungen in Erinnerung ruft. H.-J. FLECHTNEB gehört zu den wenigen Kennern der Materie, die über ein breitgefüchertes multidisziplinäres Fachwissen verfügen und der Forderung der Zeit nach integrativer und Systembetrachtung als Pendant zunehmender Spezialisation gerecht zu werden versuchen. Daß dabei die Schwierigkeit groß ist, schon heute eine geschlossene Konzeption vorzulegen, versteht sich beim gegenwärtigen Forschungsstand von selbst. „Memoria und Mneme" wird durch Band II „Biologie des Lernens" und Band III „Das Gedächtnis" fortgeführt. R. SINZ (Berlin)

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Z. Psychol. Bd. 185 (1977) H. 1

STEVENS, S. S . : Psychophysics. Introduction to its perceptual, neural and social prospects. VI, 329 S. mit Abb. und Tab. New York-London-Sydney-Toronto: John Wiley & Sons 1975. Gebunden 9,50 DM. Dieses letzte, postum erschienene Werk S. S. STEVENS macht erstmals in systematischer, lehrbuchhafter Form in der Literatur verstreute Ergebnisse der modernen Psychophysik zusammengefaßt zugänglich, an deren Erarbeitung bzw. Neubewertung der Autor selbst entscheidenden Anteil hatte. Der Zeitpunkt des Erscheinens fällt zusammen mit einer Phase neuerlicher Verstärkung des Interesses an Problemen der Psychophysik, was sich schon äußerlich in dem fast gleichzeitigen Erscheinen weiterer Monographien und Sammelbände und in einem fast lawinenhaften Anwachsen der Zahl von Untersuchungen ausdrückt, die psychophysikalische Methoden und Modelle in verschiedenen Bereichen der Praxis und der psychologischen Grundlagenforschung anwenden. Unter dem Blickwinkel dieser Entwicklung verkörpert STEVENS Buch einen vorläufigen Abschlußpunkt, nämlich das Ende einer fast ausschließlich auf quantitative und eindimensionale Zusammenhänge zwischen Reiz und Urteil ausgerichteten Forschungsperiode. Aus der großen Anzahl der in der eigenwilligen und zugleich bewunderungswürdig klaren Darstellung vorgetragenen Ergebnisse und Gedanken seien hier nur besonders wesentliche angesprochen, die wohl für immer mit STEVENS Namen verbunden bleiben werden. Das grundlegende hier zu nennende Resultat ist das von ihm entdeckte und nach ihm benannte Potenzgesetz. Es besagt, daß bei der direkten quantitativen Beurteilung physikalischer Reizintensitäten sich stets ein Potenzgesetz der Form y = a \ r n als Zusammenhang zwischen Reizausprägung x und Antwortwert y ergibt. Im Laufe der letzten 100 J a h r e wurden schon mehrfach Potenzgesetze (nicht zuletzt von FECHNER selbst) als Alternative zu FECHNERS Gesetz angenommen oder empirisch gefunden. Nicht dies ist entscheidend für die Einschätzung von STEVENS Verdienst, entscheidend ist vielmehr sein Anteil an der Entwicklung von Methoden, an dem immensen experimentellen Untersuchungsaufwand und an der Erarbeitung des konzeptionellen Gerüsts, die zusammengenommen den empirischen Potenzzusammenhang als eine der sichersten Gesetzesaussagen der Psychologie überhaupt etabliert haben. Diesen Anteil zu charakterisieren, heißt über weitere fundamentale Neuerungen zu sprechen. Wir übergehen die von STEVENS ursprünglich entwickelten, sogenannten direkten Methoden, die heute fast zum Allgemeingut der Psychologie geworden sind. Von großer theoretischer und praktischer Bedeutung ist eine bisher weniger bekannte Verallgemeinerung, die Methoden des sogenannten Intermodalen Vergleichs (CMM = Cross Modality Malching). Sie beruhen darauf, daß es mit hoher Reliabilität möglich ist, subjekt i v e Reizausprägungen auf verschiedenen Dimensionen miteinander zu vergleichen. Die Einstellung äquivalenter Werte auf dem Antwortkontinuum führt für physikalisch skalierbare Dimensionen wiederum zu potenzfunktionsförmigen Reiz-Antwort-Funktionen. Wesentlich für die Gültigkeit des STEVENS-Gesetzes ist nun, daß sich erstens beim Vergleich eines Kontinuums mit zwei anderen Kontinua jeweils zwei solcher Potenzfunktionen ergeben, aus deren Exponenten durch einfache Quotientenbildung der sich beim Vergleich eben dieser Kontinua untereinander ergebende Exponent rechnerisch vorausgesagt werden kann und daß zweitens das bei den üblichen Methoden verwendete Zahlenkontinuum im wesentlichen die gleichen Eigenschaften bezüglich des Schätzprozesses aufweist, wie jedes beliebige andere Kontinuum. Die zunächst von STEVENS definierten direkten Methoden können damit als Spezialfall des CMM ausgewiesen werden. Für viele praktische Anwendungen des CMM ist entscheidend, daß er nur für jeweils ein Kontinuum physikalische Skalierbarkeit und Manupulierbarkeit voraussetzt, und daß er damit zur Skalierung nicht oder noch nicht physikalisch meßbarer Variabler anwendbar ist. STEVENS beschreibt im Kapitel „Scaling and Social Consensus" eine Anzahl solcher Anwendungen, für die sich der Name „Soziale Psychophysik" eingebürgert h a t ; die Skalierung von Bevorzugungsstärken in Wahlsituationen, von ästhetischen Ausprägungen bei der Beurteilung von Handschriften und künstlerischen Produktionen, von Graden der Angenehmheit von Gerüchen, Einstellungen, Prestigeeindrücken, Sozialstatus, subjektiven Bewertungen von materiellem Nutzen, Strafe usw. Die sich ergebenden Schätzungen sind dabei im allgemeinen so stabil, daß aus zwei Beziehungen

Buchbesprechungen

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f ü r die gleiche n i c h t physikalisch skalierte V a r i a b l e ( e n t s p r e c h e n d der oben wiedergegebenen Logik) •wieder das Gesetz abgeleitet w e r d e n k a n n , das die beiden m a n i p u l i e r t e n V a r i a b l e n v e r b i n d e t . ~ In h u n d e r t e u m f a n g r e i c h e r Versuchsserien ist das P o t e n z g e s e t z inzwischen f ü r e t w a 49 K o n t i n u a gesichert w o r d e n . Die a n g e d e u t e t e A r g u m e n t a t i o n u n t e r l i e g t d a b e i allerdings zwei wesentlichen E i n s c h r ä n k u n g e n , zu deren Beseitigung STEVENS selbst diffizile t h e o r e t i s c h e Beiträge geliefert h a t . Die erste E i n s c h r ä n k u n g b e t r i f f t den T y p des skalierten K o n t i n u u m s : STEVENS legt einleucht e n d e A r g u m e n t e d a f ü r vor, d a ß zwischen i n t e n s i v e n oder „ p r o t h e t i s c h e n " ' K o n t i n u a auf der e i n e n Seite u n d „ m e t a t h e t i s c h e n " K o n t i n u a auf der a n d e r e n u n t e r s c h i e d e n w e r d e n m u ß . N u r f ü r die ersten e r g i b t sich zwangsläufig ein P o t e n z z u s a m m e n h a n g bei der A n w e n d u n g v o n M e t h o d e n