Zeitschrift für Psychologie: Band 178, Heft 1/2 1970 [Reprint 2021 ed.]
 9783112468869, 9783112468852

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Psychologie mit Zeitschrift für angewandte Psychologie Herausgegeben von W E R N E R F I S C H E L , Leipzig und F R I E D H A R T K L I X , Berlin Redaktion J Ü R G E N M E H L , Berlin Unter Mitarbeit von B. G. AN AN.JEW, Leningrad; H. D Ü K E R , Marburg; H.-J. E Y S E N C K , London; P. F R A I S S E , Paris; J. J. GIB SON, Ithaca, N. Y . ; H. H I E B SCH, Jena; A. K O S S A K O W S K I , Leipzig; D. K O V Ä C , Bratislava; A. N. LEONTJEW, Moskau; B. F. LOMOW, Leningrad; L. A. LURIJA, Moskau; D. A. OSCHANIN, Moskau; J. PIAGET, Genf; G. ROSENFELD, Berlin; K . SATO, Kyoto; W. S T R A U B , Dresden

JOHANN AMBROSIUS BARTH • LEIPZIG

Zeitschrift für Psychologie, Band 178 (1970) Heft 1/2 mit Zeitschrift für angewandte Psychologie, Band 88, Heft 1/2

Inhalt SYDOW, H., Berlin. Zur metrischen Erfassung von subjektiven Problemzuständen und zu deren Veränderung im Denkprozess II. Mit 6 Abbildungen

1

METZ, A.-M., Berlin. Änderungen der myoelektrischen Aktivität während eines sensomotorischen Lernprozesses. Mit 10 Abbildungen

51

LANDER. H.-J., Berlin. Beiträge zur Psychologie des Gedächtnisses VI. Über Strukturbildungsprozesse beim menschlichen Gedächtnis. Mit 3 Abbildungen . . . Buchbesprechungen

Manuskripte

für Originalabhandlungen

Sektion Psychologie der Humboldt-Universität,

89 97

und Referate

werden an Dr. J. Mehl,

102 Berlin, Oranienburger Straße 18 erbeten.

Für diese Zeitschrift werden grundsätzlich nur Arbeiten angenommen, die vorher weder im Inland noch im Ausland veröffentlicht worden sind. Das Manuskript ist satzfertig einzusenden, damit das Lesen der Korrektur bei Zeitmangel von der Redaktion veranlaßt werden kann. Jede Abhandlung ist mit einer kurzen Zusammenfassung in 3facher Anfertigung für die Übersetzung in russischer und englischer Sprache abzuschließen. Mit der Annahme des Manuskriptes und seiner Veröffentlichung geht das alleinige Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung auf den Verlag über. Von Originalarbeiten liefert der Verlag an Stelle eines Honorars 50 Sonderdrucke. Buchbesprechungen werden nicht vergütet, dafür wird das Besprechungsexemplar Eigentum des Referenten. Bezugspreis je Band 25,—M und Porto. Die Zustellung erfolgt bis zur Abbestellung, die nur für das Ende eines Bandes ausgesprochen werden kann. Anzeigen für die Zeitschrift bitte an die DEWAG-Werbung Leipzig, 701 Leipzig, Brühl 34-40, Ruf 79 740, einsenden. Zur Zeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 3.

ZEITSCHRIFT FÜR P S Y C H O L O G I E Band 178, 1970 (zugleich Zeitschrift für angewandte Psychologie

Band 88)

Aus der Sektion Psychologie der H u m b o l d t - U n i v e r s i t ä t zu Berlin Bereich Psychophysik und kybernetische Psychologie (Allgemeine Psychologie)

Zur metrischen E r f a s s u n g von subjektiven Problemzuständen und zu deren Veränderung im Denkprozeß I I 1 V o n H . SYDOW

Mit 6 Abbildungen

Im ersten Teil dieser Arbeit wurden, ausgehend von der Diskussion methodologischer Probleme der Analyse von Denkprozessen, wesentliche strukturelle Aspekte der denkpsychologischen Untersuchungen von D T J N C K E R und von Simulationsprogrammen betrachtet. Für eine spezielle Denkaufgabe, den Turm von Hanoi, wurde in Fortsetzung bereits vorliegender quantitativer, logischer und heuristischer Analysen ein allgemeines Modell der Informationsverarbeitung dargestellt. Im vorliegenden zweiten Teil erfolgt die experimentelle Überprüfung von Fragestellungen und Hypothesen, die sich aus dem allgemeinen Modell der Informationsverarbeitung ableiten lassen. 3. Konkretisierung der Problemstellung Im ersten Teil wurde bei der Darlegung verschiedener denkpsychologischer Ansätze besonderer Wert auf die Analyse der Begriffe Zustand eines problemlösenden Systems, Veränderung des Zustandes, Beziehung zwischen Zustand und Verhalten eines problemlösenden Systems gelegt. Hinsichtlich des Zustandsbegriffs wurde das Ziel verfolgt, besonders differenzierte Beschreibungs1 Herrn Prof. Dr. F. K u x d a n k e ich für die Überlassung des T h e m a s , für seine richtungsweisenden Anregungen in zahlreichen Diskussionen im Verlauf der Untersuchung und ganz besonders auch für seine Unterstützung bei der E i n a r b e i t u n g in Problembereiche der Psychologie.

Den S t u d e n t e n der Sektion Psychologie, die an der D u r c h f ü h r u n g der Versuche als \ e r suchsleiter oder Probanden maßgeblich beteiligt waren, danke ich hiermit sehr herzlich. 1

Z. Psychologie 178

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ebenen aufzufinden. Dabei ergab sich, daß die Begriffe Bewertungsfunktion und Verwendung der Bewertungsfunktion erstens Ergebnisse denkpsychologischer Forschung abzubilden gestatten, und daß sie zweitens recht differenzierte Beschreibungsebenen für die Analyse des Zustandes und der Beziehung zwischen Zustand und Verhalten eines problemlösenden Systems darstellen. Das dargelegte allgemeine Modell der Informationsbearbeitung benutzt die Begriffe der Bewertungsfunktion und ihrer Verwendung und leitet einige Hypothesen über den Denkprozeß ab. Zugleich wird eine in der Skalentheorie erprobte Methode zur Erfassung der Bewertungsfunktion, des subjektiven Zielabstandes, vorgeschlagen. In den nächsten Kapiteln wird versucht, einige der aufgeworfenen Hypothesen einer Beantwortung zuzuführen. Unter Verwendung der vorgeschlagenen Methode und einer weiteren noch darzulegenden Methode wurden drei Experimente durchgeführt, die auf folgende Fragen Antwort geben sollten. a) Wie hängt das Verhalten in den Einzelversuchen vom subjektiven Zielabstand und von perzeptiven Faktoren ab? b) Wie verändert sich der subjektive Zielabstand, von welchen Größen der objektiven Problemstruktur hängt er ab und welche in früheren Untersuchungen identifizierten Elemente des Denkprozesses lassen sich aus ihm ableiten? c) Besitzt der Prozeß der Teilzielbildung die Eigenschaften, von denen K l i x und G o e d e (1968) sprechen? Aus den Ergebnissen dieser Experimente ergab sich die Frage nach dein Einfluß von Gedächtnisleistungen bei der Verwendung der Bewertungsfunktion, des subjektiven Zielabstandes. Daher wurden im Rahmen einer Diplomarbeit (Schmiel 1967) Simulationen durchgeführt, in denen die Abhängigkeit eines quantitativen Gütemaßes für Einzelversuche von dem subjektiven Zielabstand und Gedächtnisleistungen untersucht wurde. Aus der Kritik, die im Abschnitt 2.5 ausgesprochen wurde, ergab sich die Forderung, in den Gruppen von Versuchspersonen die Bedingung der normierten Information herzustellen. Allen Versuchspersonen sollte jeweils bis zu den Zeitpunkten, in denen Aufschluß über die gestellten Fragen gewonnen werden sollte, zumindest potentiell dieselbe Information dargeboten werden. Aus der daraus folgenden Methodik erwuchs eine Beschränkung der Fragestellung auf den Abschnitt des Lösungsprozesses, der mit der Instruktion beginnt und mit dem sechsten Einzelversuch beendet ist. Das bedeutet aber keine prinzipielle Einschränkung der Ergebnisse auf diesen Abschnitt, denn durch eine geeignete Gruppierung der Versuchspersonen, die trotz potentiell normiert dargebotener Information unterschiedliche Fortschritte machten.

H. SYDOW, Metrische E r f a s s u n g von s u b j e k t i v e n P r o b l e m z u s t ä n d e n

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lassen sich Aussagen auch so treffen, daß sie für den gesamten Lösungsprozeß gelten. Die Erwähnung des Begriffes „potentiell dargebotene Information" wirft die Frage auf, wie die Veränderung des Zustandes des problemlösenden Systems von der dargebotenen Information abhängt, welche Information also tatsächlich aufgenommen wurde. Zu dieser Frage können keine Aussagen gemacht werden, da die dargebotene Information nur zeitlich und nicht zwischen verschiedenen Gruppen von Versuchspersonen variiert wurde. Es werden nur an einer Stelle Vermutungen formuliert, die Wege zur Beantwortung dieser Frage mit Hilfe der von uns verwendeten Methoden aufzeigen. In den folgenden Abschnitten werden die oben angeführten Fragen, auf die verwendeten Methoden bezogen, konkretisiert. Die folgenden Kapitel befassen sich mit der Beantwortung dieser Fragen.

3.1. A l l g e m e i n e D a r s t e l l u n g d e r v e r w e n d e t e n

Methoden

Zur Konkretisierung der Problemstellung ist es erforderlich, die in den Experimenten verwendeten Methoden in ihren wesentlichen Grundzügen darzustellen. Um eine Normierung der potentiell dargebotenen Information zu erreichen, gingen wir von dem in den bisherigen Arbeiten durchgeführten Modus der Versuchsdurchführung ab. Im Abschnitt 2.5. wurde betont, daß Versuchspersonen, die in Einzelversuchen den optimalen Weg zu realisieren versuchen, unterschiedliche Operationsfolgen und damit unterschiedliche Wege durch den Graphen der Aufgabe erzeugen. Im Unterschied zu aktiven Einzelversuchen, in denen die Versuchspersonen selbst Operationen auswählen und auf den jeweiligen Zustand des Materials anwenden können, definieren wir passive Einzelversuche, in denen den Versuchspersonen vom Versuchsleiter vorher festgelegte Operationsfolgen vorgespielt werden. Damit sind die Operationsfolgen für alle Personen einer Gruppe identisch. Allen Versuchspersonen wird dieselbe Information dargeboten. Sie können sich nur darin unterscheiden, daß sie von der dargebotenen Information unterschiedlich viel aufnehmen. Die geeignete Auswahl der in den passiven Einzelversuchen zu verwendenden Operationsfolgen stellt prinzipiell ein erhebliches Problem dar. E s wäre wünschenswert, eine quantitative Angabe über die in einer Operationsfolge enthaltene Information zu machen. Es ließen sich auch objektive Maße dieser Information angeben. Wir meinen aber, daß diese Maße nicht adäquat sind, solange sie nicht in bezug zu dem durch die jeweils gemessene Information bewirkten Fortschritt im Denkprozeß gebracht werden oder durch den Lösungsfortschritt bestimmt sind. Wir haben ein mathematisches Modell, das i*

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Skalierungsmodell von RASCH, in einer allgemeinen B e t r a c h t u n g zur T e s t theorie für k o m p l e x e Denkaufgaben verwendet, um Möglichkeiten für die Skalierung der in einer Operationsfolge enthaltenen I n f o r m a t i o n aufzuzeigen (SYDOW 1968). D a wir aber keine entsprechenden experimentellen D a t e n zur Verfügung haben, um das dargelegte Verfahren anzuwenden, k o n n t e n wir in unseren Versuchen bei der Auswahl von Operationsfolgen für passive Einzelversuche nicht diesbezüglich vorgehen. W i r wählten daher Operationsfolgen aus, die durch S i m u l a t i o n e n erzeugt wurden, bei denen die Entscheidungswahrscheinlichkeiten an j e d e m K n o t e n des reduzierten Graphen gleich 0,7 waren. I n unseren E x p e r i m e n t e n wurden zwei bzw. sechs passive

Einzel-

versuche durchgeführt. Zur E r h e b u n g von D a t e n zwecks B e s t i m m u n g von P a r a m e t e r n der subj e k t i v e n Zufallsgrößen wurde die Methode des Paarvergleiches verwendet. Dabei wurden den Versuchspersonen jeweils zwei Zustände des Materials vorgelegt, und sie h a t t e n zu entscheiden, welchen der beiden dargebotenen Zustände sie für s u b j e k t i v zielnäher hielten. E s wird angenommen, daß in diesem Entscheidungsprozeß

Realisierungen

der s u b j e k t i v e n

Zufallsgrößen

deter-

ministisch verglichen werden. Die erhaltenen relativen Häufigkeiten sind daher S c h ä t z u n g e n der Wahrscheinlichkeiten, mit denen jeweils die eine subj e k t i v e Zufallsgröße größer als die zweite s u b j e k t i v e Zufallsgröße ist. (Der B e griff „ s u b j e k t i v e Z u f a l l s g r ö ß e " wird im S i n n e der Festlegungen des K a p i t e l s 2 verwendet.) B e i den Paarvergleichen, die Aufschluß über die W i r k u n g des s u b j e k t i v e n Zielabstandes auf den Prozeß der Auswahl von Operationen geben sollten, wurden einzelne P a a r e von Zuständen des Materials dargeboten. Sollten P a r a meter der s u b j e k t i v e n Zufallsgrößen durch ein Skalierungsmodell a b g e s c h ä t z t werden, so wurden alle möglichen P a a r e von Zuständen dargeboten, die aus einer Menge von n Zuständen gebildet werden k o n n t e n .

Das ergab (^j ver-

schiedene P a a r e . E s wurde also eine vollständige D a t e n m a t r i x b e s t i m m t im Gegensatz zu unvollständigen D a t e n m a t r i z e n , die aus der D a r b i e t u n g einer echten Teilmenge der

P a a r e gewonnen werden. B e i D u r c h f ü h r u n g des voll-

ständigen Paarvergleichs k a n n a n g e n o m m e n werden, d a ß die Varianz der S c h ä t z u n g e n der P a r a m e t e r der s u b j e k t i v e n Zufallsgrößen kleiner ist als bei unvollständigen Paarvergleichen. Daher wurde die Methode des vollständigen Paarvergleichs verwendet, zumal nicht mit Sicherheit anzunehmen war, daß schon n a c h wenigen passiven Einzelversuchen Unterschiede der S c h ä t z u n g e n der P a r a m e t e r der s u b j e k t i v e n Zufallsgrößen und im Verlauf von sechs passiven Einzelversuchen Veränderungen dieser S c h ä t z u nO g e n erhalten werden w ü r d e n . O

E i n e weitere Methode, die Methode des gedanklichen Vorauspiels, sollte Auf-

schluß über die Beziehungen zwischen Z u s t a n d und Verhalten des problem-

H. SYDOW, Metrische E r f a s s u n g von subjektiven Problemzuständen

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lösenden Systems, also über den Entscheidungsprozeß liefern, in dem die subjektive Bewertungsfunktion zur Auswahl von Operationen verwendet wird. Dazu wurde eine Menge von Zuständen des Materials ausgewählt. Diese Zustände wurden den Versuchspersonen einzeln mit der Instruktion vorgelegt, die nächsten vier Operationen zu protokollieren, die die größte (subjektive) Zielnäherung garantieren. Für jeden Zustand war also eine auf diesen Zustand anwendbare zulässige Operationsfolge der Länge vier mit maximaler Zielnäherung anzugegeben. Da dieses gedankliche Vorausspiel zugleich Aufschluß über die Ausbildung von Teilzielen geben sollte, wurden die darzubietenden Zustände des Materials in der Nähe von Zuständen ausgewählt, die die Bedingung a t = a2 = • • • = ak mit k = 5, 4, 3 erfüllten. Von den vier jeweils möglichen Antwort-Alternativen, von denen immer eine den vorgelegten Zustand in einen Zustand a t = a 2 = • • • = ak mit maximalem k überführte, war anzunehmen, daß auf Grund der Angaben von R I C H T E R ( 1 9 6 5 ) und K L I X (1967) nicht alle angegeben werden würden. Da wir jeweils Zustände den Versuchspersonen vorlegten, bei denen die erste Entscheidung eine Entscheidung Nr. 3 in den Knoten G3 (siehe Abschnitt 2.4.) war, konnte erwartet werden, daß nur zwei der vier möglichen Opei ationsfolgcn als Antworten auftreten würden. Das entspricht der Zusammenfassung von jeweils drei Operationen zur Zweischeibenregel. Die Zustände, die im gedanklichen Vorausspiel den Versuchspersonen vorgelegt wurden, werden für die Überlegungen der nächsten Abschnitte mit z ; bezeichnet. Die jeweils aus den zi durch die zwei zu erwartenden Operationsfolgen erzeugbaren Zustände seien zn und z l 2 . Die Paare von Zuständen ( z a , z i2 ) wurden in den Paarvergleichen dargeboten, die Aufschluß über die Wirkung des subjektiven Zielabstandes auf den Prozeß der Auswahl von Operationen, also über die Wirkung des subjektiven Zielabstandes im gedanklichen Vorausspiel geben sollten. Die Zustände des Materials, die zur Abschätzung der Parameter der subjektiven Zufallsgrößen in allen möglichen Zweierkombinationen im Paarvergleich dargeboten wurden, seien mit wt bezeichnet. Zur Untersuchung der Frage, wie perzeptive Faktoren den Entscheidungsprozeß zur Auswahl von Operationen, also das gedankliche Vorausspiel beeinflussen, wurde eine Skalierung des Ordnungsgrades der zik durchgeführt. Die einzelnen Zustände wurden den Versuchspersonen vorgelegt und die Instruktion wurde erteilt, den Grad der Ordnung der Zustände mit einer Zahl von 1 bis 7 zu bewerten, wobei die 7 den größten Ordnungsgrad angeben sollte. Die Vorlage von Ankerreizen wurde vermieden, da angenommen wurde, daß die Ordnungsgrade der Zustände in den Paaren (z t l , z i2 ) im gedanklichen Vorausspiel verglichen werden würden. Die Daten zur Skalierung des Ordnungsgrades wurden vor der Bekanntgabe der Instruktion zur Aufgabe des

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Turmes von Hanoi erhoben, um Einflüsse der Problemstellung auf die Skalierung des Ordnungsgrades zu vermeiden. Die Methoden des Paarvergleiches und des gedanklichen Vorausspiels wurden in dieser Reihenfolge nach den passiven Einzelversuchen bzw. zwischen passiven Einzelversuchen angewendet. Fragen der Versuchsplanung zur Vermeidung von Positionseffekten und von sequentiellen Einflüssen werden in späteren Abschnitten angegeben. Es ist nur noch zu bemerken, daß bei allen Zuständen, die vorgelegt wurden, wie auch in den passiven Einzelversuchen, die Felder A, B , C in einem Dreieck angeordnet wurden. 3.2. A n g a b e d e r in d i e K o n k r e t i s i e r u n g d e r eingehenden Variablen

Problemstellung

In jedem Paar (zit, zi2) sei z a der objektiv zielnähere der beiden Zustände. Hinsichtlich der Funktion f sei also f (z ;i ) < f (zi2). Weiter sei N die Anzahl der jeweils verwendeten Versuchspersonen. Wir definieren folgende Zufallsgrößen: eik = 1, falls die k-te Versuchsperson im Paarvergleich für (z£1, zi2) den Zustand z a vorsieht. eik = 0 sonst dik = 1, falls die k-te Versuchsperson im gedanklichen Vorausspiel z( die dik = 0

Operationsfolge angibt, die zu z (1 führt sonst l

Es sei (zii> zi2)

= von

v

eik

die relative Häufigkeit, mit der zii im Paarvergleich

einer Gruppe von Versuchspersonen vorgezogen, als subjektiv

zielnäher bezeichnet wird. Entsprechend ist ci£ = — JTJ k dik die relative Häufigkeit, mit der eine Gruppe von Probanden von Z; ausgehend im gedanklichen Vorausspiel eine Operationsfolge nach z(1 angibt. Die Ordnungsgrade der Zustände zik werden mit 0 (zik) bezeichnet. Für jedes Paar wk) im Paarvergleich gebe hik die relative Häufigkeit an, mit der u>t von einer Gruppe von Versuchspersonen als subjektiv zielnäher als wk bezeichnet wird. Die durch ein Skalierungsmodell erhaltenen Schätzungen der Erwartungswerte der den wi zugeordneten subjektiven Zufallsgrößen seien m Die für jeden Zustand «>,. eindeutig bestimmbaren objektiven Abstände vom Anfangszustand bzw. vom Zielzustand seien xi bzw. yt. Wenn n die Anzahl der ist, so soll (wiL, wi2, • • ., win) eine Permutation der (Vi sein und eine subjektive Ordnung der Zustände vpi für eine Versuchsperson darstellen.

H. SYDOW, Metrische Erfassung von subjektiven Problem zuständen

3.3. Z u r A b h ä n g i g k e i t d e s g e d a n k l i c h e n V o r a u s s p i e l s v o m jektiven Zielabstand und vom Ordnungsgrad

7 sub-

Es wird angenommen, daß die Auswahl der nächsten Operationen oder der nächsten Operationsfolge, die auf einen in einem aktiven Einzelversuch erreichten Zustand z angewendet werden sollen, in einem Entscheidungsprozeß stattfindet, der durch einen zeitlich veränderlichen subjektiven Zielabstand und den Ordnungsgrad der von z aus erreichbaren Zustände bestimmt wird. Dieser Entscheidungsprozeß verläuft als interiorisierter Handlungsprozeß, in dem Zugfolgen, die auf z anwendbar sind, erzeugt werden und die Zustände, die durch diese Zugfolgen aus z erzeugt werden, einem Vergleich hinsichtlich ihres subjektiven Zielabstandes und ihres Ordnungsgrades unterworfen w e r d e n ( K L I X , SYDOW 1 9 6 7 ) .

Durch die speziell verwendete Methode des gedanklichen Vorausspiels erreicht man, daß alle Versuchspersonen das Ergebnis eines Entscheidungsprozesses für jedes der z¡ angeben, wobei der im Entscheidungsprozeß durchgeführte Vergleich auf die Zustände z a und za beschränkt ist, da Operationsfolgen mit der Länge vier angegeben werden sollen, was zu vier Alternativen führt, von denen nur zwei von den Versuchspersonen berücksichtigt werden (RICHTER 1965, KLIX 1967). Die erste Frage kann also dahingehend konkretisiert werden, daß nach der Abhängigkeit des gedanklichen Vorausspiels für z ; von den subjektiven Zielabständen der z¿1 und z i2 und deren Ordnungsgraden gefragt wird. Unter 3.1. wurden Methoden angegeben, die die unabhängige Bestimmung der eik, dik, e¡, d¿ und 0 (zik) gestatten. Für diese Größen kann die erste Frage so formuliert werden, daß nach einer Abhängigkeit zwischen den Zufallsgrößen eik und dik oder nach einer Abhängigkeit der d¡ von e¿ und 0 (z(1), 0 (z;2) für jedes i gesucht wird. Da die Experimente zur Bestimmung der Realisierungen von eik und dik im wahrscheinlichkeitstheoretischen Sinne unabhängig erfolgen, mußten auch die erhaltenen Ergebnisse Realisierungen unabhängiger Zufallsgrößen sein. Für festes i ist zwischen den eik und dik für k = 1, 2 . . . N eine nichtsignifikante Korrelation zu erwarten. Werden dagegen signifikante Korrelationen erhalten, so deutet das auf eine Abhängigkeit des Paarvergleiches vom interiorisierten Paarvergleich im gedanklichen Vorausspiel hin, die nur dadurch vorliegen kann, daß Strategien wirksam werden, daß also z. B. der Paarvergleich nicht mit einer Wahrscheinlichkeit verschieden von 0 und 1 zum Ergebnis za führt. Die Abhängigkeit des Entscheidungsprozesses vom subjektiven Zielabstand kann daher nicht über korrelative Analysen der eik und dik erfolgen. (Unsere hier durchgeführten Überlegungen sind den Aussagen von LAZARSFELD über die Annahme der lokalen Unabhängigkeit der Beantwortung zweier Testaufgaben analog, wenn das gedankliche Vorausspiel bei z ; und der zu-

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Z. Psychol. Bd. 178 (1970) H. 1/2

gehörige Paarvergleich für das Paar ( z a , za) als zwei Testaufgaben interpretiert werden.) Die erste Frage kann daher wie folgt formuliert werden: Welche Abhängigkeit besteht zwischen den di einerseits und den ei und 0 (z a ), 0 (zl2) andererseits? Der Nachweis einer solchen Abhängigkeit würde es gestatten, auf der Grundlage der Kenntnis des Ordnungsgrades und des subjektiven Zielabstandes der Zustände zu den verschiedenen Zeitpunkten im Denkprozeß die Wahrscheinlichkeiten vorherzusagen, mit denen die einzelnen Operationen in aktiven Einzelversuchen ausgewählt werden. Die angegebene Formulierung muß weiterhin konkretisiert werden. Die et werden für Zustände des Materials za, zl2 erhalten, die im Graphen nur vier Züge voneinander entfernt sind. Es ist daher anzunehmen, daß der Paarvergleich mit dem Ergebnis e, vom Ordnungsgrad der z a , zi2 abhängt, der die Rolle eines bias im Entscheidungsprozeß so lange einnimmt wie die Wahrscheinlichkeiten (z a ) < | (z i2 )} wenig von 0,5 abweichen. W7ir erwarten daher eine monoton wachsende Abhängigkeit der e( von 0 (z a ) — 0 (zi2). Schließlich muß unsere Fragestellung hinsichtlich der Wirkung des Ordnungsgrades spezifiziert werden. Bisher wird angenommen, daß der Ordnungsgrad der Zustände z a , zi2 im Paarvergleich und eventuell darüber hinaus im Entscheidungsprozeß im gedanklichen Vorausspiel wirksam wird. Der Ordnungsgrad eines Zustandes des Materials wird als subjektive Größe aufgefaßt. Er wird von den Merkmalen der Zustände des Materials abhängen. Als den subjektiven Ordnungsgrad determinierende Größen können als erstes die Merkmale bis a6 angegeben werden, die die Lage der sechs Scheiben in der Aufgabe für n — 6 bezeichnen. So ist anzunehmen, daß der Ordnungsgrad durch die Geschlossenheit einer Scheibenverteilung mitbestimmt wird, die darin besteht, daß aufeinanderfolgende Scheiben auf ein und demselben Feld liegen können, daß also aufeinanderfolgende ak identische Werte annehmen können. Besonders die Zustände, bei denen die kleinsten 3, 4 oder 5 Scheiben übereinanderliegen, werden einen hohen Ordnungsgrad besitzen. Denn unter Kenntnis der Instruktion, im Problemlösungsprozeß, sind diese Zustände zusätzlich dadurch ausgezeichnet, daß eine Operation anwendbar ist, die a i } a 5 oder a 6 verändert (siehe Abschnitt 2.1.). Speziell sind einige dieser Zustände Teilziele oder Zustände, die durch eine Operation in ein Teilziel überführt werden können. Der subjektive Ordnungsgrad kann weiter von der Größe der Scheiben, von der Färbung der Scheiben und anderen Merkmalen abhängen, die für die Aufgabe, die zu lösen ist, irrelevante Größen sind. Wir fassen daher den subjektiven Ordnungsgrad als zusammengesetzt aus zwei Komponenten auf, von denen die eine durch irrelevante Merkmale bestimmt wird und die zweite

H. SYDOW, Metrische E r f a s s u n g von s u b j e k t i v e n P r o b l e m z u s t ä n d e n

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lediglich durch die ak festgelegt wird. Solange die Scheiben gleiche Färbung tragen und die Differenzen zwischen den Durchmessern aufeinanderfolgender Scheiben konstant sind, vermuten wir, daß der Ordnungsgrad eines Zustandes nur von den Merkmalen ak abhängt. Wir nehmen darüber hinaus an, daß im Problemlösungsprozeß nur die Komponente des Ordnungsgrades wirksam wird, die durch die ak bestimmt wird. Damit ist die erste Frage wie folgt festgelegt: a) Welche Abhängigkeit besteht zwischen den d¿ einerseits und den e, und 0 (z ;l ) und 0 (zi2) andererseits? b) Hängen die e¡ von den 0 (z tl ) und 0 (zi2) ab? c) Wirkt im Problemlösungsprozeß nur die problemrelevante Komponente des Ordnungsgrades ? Im Kapitel 4 wird über Experimente berichtet werden, die zur Beantwortung dieser Fragen durchgeführt wurden.

3.4. U n t e r s u c h u n g d e s s u b j e k t i v e n

Zielabstandes

Im Abschnitt 2.6. wurde angenommen, daß den Zuständen des Materials Zufallsgrößen zugeordnet werden können, die den subjektiven Zielabstand der Zustände des Materials angeben und sich im Denkprozeß verändern. Die Gesamtanzahl der Zustände ist gleich 3 6 und daraus folgt, daß nur für eine möglichst repräsentative Teilmenge der Menge Z Aussagen gewonnen werden können. Zur Beantwortung der zweiten Frage mit Hilfe des Paarvergleiches muß daher eine Menge von Zuständen w i ausgewählt werden, die folgende Forderungen erfüllt. Erstens muß sich in den ersten Einzelversuchen eine Veränderung der den ausgewählten Zuständen zugeordneten subjektiven Zufallsgrößen zeigen. In der Veränderung der subjektiven Zufallsgrößen muß sich zweitens die Ausbildung von Teilzielen niederschlagen. Drittens müssen sich die Zustände in den Größen der objektiven Problemstruktur unterscheiden, von denen der subjektive Zielabstand vermutlich abhängt. Die ersten zwei Forderungen können dadurch erfüllt werden, daß Zustände in der Nähe der Teilziele erster, zweiter und dritter Ordnung gewählt werden. Da weiter angenommen wird, daß sich im subjektiven Zielabstand eine Abhängigkeit von den objektiven Abständen vom Anfangszustand und vom Zielzustand zeigt, müssen sich die ausgewählten Zustände in diesen Variablen möglichst stark unterscheiden. Für eine derart bestimmte Menge von Zuständen müssen Parameter der zugeordneten Zufallsgrößen abgeschätzt werden. Wir beschränken uns auf die Schätzung m i der Erwartungswerte. Sie können mit Hilfe eines der bekannten

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Z. Psychol. Bd. 178 (1970) II. 1/2

Skalierungsmodelle aus den relativen Häufigkeiten hik gewonnen werden. Die gestellten Fragen müssen daher konkret auf die Schätzungen der Erwartungswerte bezogen formuliert werden. Wir erwarten, daß in einer Folge von passiven Einzelversuchen eine Veränderung der m i erfolgt. Ausgehend von den Überlegungen der Abschnitte 1.3. und 1.6. bezüglich der Wirkung des Anfangs- und Zielzustandes im Denkprozeß erwarten wir, daß die m£ in einer bestimmten Weise von den x { und y, abhängen und daß sich diese Abhängigkeit so verändert, daß mit zunehmender Zahl von Einzelversuchen die Abhängigkeit der m( von den xabnimmt und die Abhängigkeit von den yt zunimmt. Schließlich wird erwartet, daß sich in der Veränderung der m; die Ausbildung von Teilzielen zeigt. Im 5. Kapitel wird über Versuchsergebnisse berichtet, die diese Fragen beantworten. 3.5. Zur A u s b i l d u n g von T e i l z i e l e n Im Abschnitt 2.5. wurde über Annahmen berichtet, die KLIX und GOEDE (1968) bezüglich der Ausbildung von Teilzielen machen. Es wird behauptet, daß die Teilziele erster, zweiter und dritter Ordnung in dieser Reihenfolge ausgebildet werden und daß dieser Prozeß irreversibel ist, da Bekräftigungsfaktoren wirksam werden, wenn Teilziele im aktiven Einzelversuch realisiert werden. Mit der Durchführung des gedanklichen Vorausspiels zu verschiedenen Zeitpunkten des Lösungsprozesses sollte eine experimentelle Prüfung dieser Fragen versucht werden. Die Zustände zt für das gedankliche Vorausspiel wurden daher so gewählt, daß Zj und z 2 , Z3 und Z4, Z5 und Zß jeweils A- bzw. B-Aufgaben im Sinne WERTHEIMERS (1957) zur operationalen Bestimmung der Ausbildung eines Teilzieles erster, zweiter bzw. dritter Ordnung waren. Es kann also z. B. aus dem Ergebnis du = 'g v o r k Zusliinden der zweiten Teilmenge v o r g e z o g e n wird k = 5 7

k = 4 18

k = 3 16

k = 2 26

k = 0 oder 1 47

Da die Häufigkeiten zu klein sind, um in jeder Gruppe gelrennt das Modell von THURSTONE anwenden zu können, wurden die ersten drei Gruppen zu einer G r u p p e mit 41 subjektiven Ordnungen zusammengefaßt. Die drei subjektiven Ordnungen einer Versuchsperson sind jetzt nicht mehr in verschiedenen Gruppen enthalten. D a zwischen zwei Paarvergleichen aber immer zwei passive Einzelversuche durchgeführt wurden, können die drei Paarvergleiche jeder Versuchsperson als im wahrscheinlichkeitstheoretischen Sinne unabhängig aufgefaßt werden. Für die drei Gruppen wurden wieder die relativen Häufigkeiten h i k der Paarvergleiche («>;, w k ) berechnet und auf ihre stochastische Transitivität geprüft (Tabelle X V I I ) . T a b e l l e X V I ] . S t o c h a s t i s c h e T r a n s i t i v i t ä t in den drei G r u p p e n subjektiver Ordnungen

stark moderat schwach Zyklus

A = 3 / i oder 5

A= 2

k = 0 oder 1

53 30 :l 0

60 19 5 0

65 16 3 0

Die stochastische Transitivität ist im Vergleich zu der im Abschnitt 5.3. erhaltenen besser. Außerdem zeigt sich deutlich, daß über die drei Gruppen hinweg die Inkonsistenz in den Daten abnimmt. Das sehen wir als erste Rechtfertigung der durchgeführten Klassifizierung der subjektiven Ordnungen an. Unter denselben Voraussetzungen hinsichtlich der subjektiven Zufallsgrößen, wie sie im Abschnitt 5.3. ausgesprochen wurden, läßt sich das Modell von THÜRSTONE auf die relativen Häufigkeiten hjk in den drei Gruppen anwenden. Die Ergebnisse sind in der Tabelle X V I I I zusammengestellt. Tabelle X V 1 1 I . S k a l e n w e r t e der w,- für die drei G r u p p e n s u b j e k t i v e r Ordnungen ( a n g e g e b e n w u r d e n die S p a l t e n s u m m e n der M a t r i x der z-transforniierlen h, k ) 1

2

3

4

5

-

6

7

8

9

= 3,4 oder 5 = 2

+ +

8 , 9 4 + 4,25 10,27 + 3,95

+ 3,96 + 2,75

-

1,32 5,19

-

4.32 1,20

-

5,18 9,38 -

0,53 2,93

+ 0,11 + 0,75

+

oder 1

+

10,74 + 0,16

+ 4,76

-

7,50

+ 3,42

-

14,12 -

4,36

-

+ 8,36

= 0

1,46

5,91 0,97

36

Z. Pyschol. Bd. 178 (1970) H. 1/2

Die Skalenwerte für k = 3, 4 oder 5 zeigen, daß für alle wi die subjektiven Zielabstände den Annahmen folgen, die für den Zustand, in dem noch kein Teilziel ausgebildet ist, gemacht wurden. Für k = 2 ist die in der Annahme postulierte objektive Ordnung der Zustände w,t bis vcg hinsichtlich des objektiven Abstandes vom Zustand (B, B, B, B, B, A) gleich w 6 , «>4, w>7, tv8, w 5 , w 9 . Diese objektive Ordnung zeigt sich mit Ausnahme der Position von w3 in den Skalenwerten für k = 2. Die Zustände w2 und müßten entsprechend der Annahme den gleichen subjektiven Zielabstand besitzen. Die Skalenwerte geben dagegen für einen geringeren subjektiven Zielabstand an. Das zeigt, daß genau das erste Teilziel ausgebildet ist. In den Skalenwerten für k = 0 oder 1 zeigt sich, daß «>5 die in der objektiven Ordnung geforderte Position einnimmt. Daß das zweite Teilziel ausgebildet ist, zeigt sich in den Skalenwerten = + 0,16 gegenüber w>3 = + 4,76. Von dem durch die neue Klassifikation der Daten erhaltenen subjektiven Zielabstand ist die sukzessive Ausbildung der Teilziele ablesbar. Angesichts der erhaltenen Skalenwerte und der Bestätigung der aufgestellten Hypothessn l e j s n wir uns nochmals die Frage vor, ob das verwendete Klassifikationskriterium, die Position von w9 in den subjektiven Ordnungen, nicht notwendig dieses Ergebnis erzeugen mußte. In der Gruppe k = 3,4 oder 5 steht w9 hinsichtlich des subjektiven Zielabstandes höchstens an erster, zweiter oder dritter Position in den subjektiven Ordnungen. Der Zustand w9 könnte also den kleinsten subjektiven Zielabstand bei der Skalierung erhalten, er könnte aber auch den zweit- oder drittkleinsten Skalenwert erhalten. Für w9 wurde aber der kleinste subjektive Zielabstand bei der Skalierung der Daten dieser Gruppe erhalten. In der Gruppe k = 2 steht wg hinsichtlich des subjektiven Zielabstandes in den subjektiven Ordnungen höchstens an vierter Position. Es könnte also für zwei dar Zustände («»4, . . ., wg) noch ein größerer subjektiver Zielabstand als für vc3 erhalten werden. Tatsächlich besitzt w9 mit + 0,97 den größten subjektiven Zielabstand unter den Zuständen (we4, w 5 , . . ., w9). In derselben Gruppe k = 2 schränkt auch die Position von in den subjektiven Ordnungen nicht die Skalenwerte für w2 und ein. Es wird sogar für tv3 ein kleinerer subjektiver Zielabstand als für erhalten. Damit ist deutlich geworden, daß nicht das gewählte Klassifikationskriterium die Bestätigung unserer Hypothesen künstlich bedingt. 5.5. Zur F r a g e d e r I r r e v e r s i b i l i t ä t d e r A u s b i l d u n g v o n T e i l z i e l e n Im Abschnitt 2 . 5 . wurden Aussagen von K L I X und GOEDE ( 1 9 6 8 ) angegeben, wonach die Ausbildung von Teilzielen irreversibel ist. Die Autoren

H. SYDOW, Metrische E r f a s s u n g von s u b j e k t i v e n P r o b l e m z u s t ä n d e n

37

führen diesen Tatbestand darauf zurück, daß Teilziele, die ausgebildet sind, in aktiven Einzelversuchen realisiert und damit Bekräftigungsfaktoren wirksam werden. Daraus läßt sich folgende Vermutung ableiten. Wenn eine Versuchsperson in einem Paarvergleich eine subjektive Ordnung der Gruppe kq erzeugt hat, so müßte sie in späteren Versuchen eine subjektive Ordnung angeben, die entweder wieder zur Gruppe k0 oder zu einer Gruppe mit kleinerem k gehört. Diese Vermutung läßt sich durch Aufstellung der Ubergangsmatrizen zwischen den drei Paarvergleichen prüfen. Wir erhielten folgende Ergebnisse. Tabelle X I X . Häufigkeiten, mit denen in den drei Paarverglcichen subjektive Ordnungen der einzelnen Gruppen angegeben wurden

k= I II III

5

4 1 2

k = 4

k = 3

k=

4

11 4 1

11 12 3

9 5

2

k = 0 oder 1 8 12 27

Tabelle X X . Häufigkeiten des Uberganges zwischen den einzelnen Gruppen 2. P. Y. 1. P. Y.

5

4

3

2

0; 1

5 4 3 2 0; 1

0 0 1 0 0

2 1

0 0 1 1 2

1 2

1 1 3 5 2

3. P. V. 2. P. Y.

4 2 0

2 3 4

5

4

3

2

5 4 3 2

0 2 0 0

0 5 0 0

1 0 0 0

0 2 1 0

0 0 3 12

0; 1

0; 1

0

0

0

0

12

Aus Tabelle X I X ist ersichtlich, daß die Übergänge in der Mehrzahl in der Richtung zu k = 0 oder 1 erfolgen. Die Tabelle X X läßt erkennen, daß sich für 14 Versuchspersonen die subjektiven Ordnungen hinsichtlich der Position von Wg zwischen dem ersten und zweiten Paarvergleich verschlechtern. Das trifft für den Ubergang vom zweiten zum dritten Paarvergleich nur für zwei Versuchspersonen zu. Dieses Ergebnis kann darauf zurückzuführen sein, daß der Paarvergleich ein Vergleich von Realisierungen zweier Zufallsgrößen ist. Er kann also zufällig entstanden sein. Ein Erklärungsversuch hinsichtlich der im zweiten und

Z. Psychol. B d . 178 (1970) II. 1/2

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dritten Einzelversuch dargebotenen Operationsfolgen ist nicht möglich. E s k ö n n t e aber folgende Ursache v e r m u t e t werden. K L I X und GOEDE (1968) beziehen sich in ihren Aussagen auf a k t i v e Einzeiversuche, wir führten aber passive

Einzelversuche

durch.

Auch

in diesen

passiven

Einzelversuchen

wurden die entsprechenden Teilziele realisiert, aber eben nicht im R a h m e n einer aktiven Auswahl von Operationen durch die Versuchspersonen. E s m u ß gefragt werden, ob auch hier die von K L I X und GOEDE (1968) angenommenen B e k r ä f t i g u n g s f a k t o r e n wirken. In einem weiteren E x p e r i m e n t wurden noch einmal dieselben sechs passiven Einzelversuche mit 3 4 Versuchspersonen, S t u d e n t e n des ersten S t u d i e n j a h r e s der F a c h r i c h t u n g Psychologie, durchgeführt. i\ach dem zweiten, vierten und sechsten Einzelversuch wurde das gedankliche Vorausspiel für sechs Zustände z t bis zg durchgeführt. Die Zustände z^ bis z 4 waren mit den im ersten E x periment

im gedanklichen

identisch. W e i t e r war Z5 =

Vorausspiel verwendeten

Zuständen

( B , B , A, C, B , A) und z 6 =

bis

z4

(C, C, A, B , C, A).

Die Größen dik seien wie unter 3.2. definiert. Die Zustände 0, 1, 2, 3 hinsichtlich der Teilzielbildung wurden unter 3.5. angegeben. E s ergaben sich die Ubergangsmatrizen der Tabelle X X I . Tabelle \

1

\

0 1 2 3

II

0

1

2

3 0 1 2

9 1 0 0

6 4 1 0

3 O 4 0

10

11

10

XXI \1II

II

\

0

1

2

3

¿2

0

18 9 7 0

0 1 2 3

2 1 0 0

2 5 1 0

4 4 7 1

2 1 2 2

10 11 10 3

3

34

-Sa

3

8

16

7

34

Die S p a l t e n s u m m e n und die Häufigkeiten der Übergänge zeigen die sukzessive Teilzielbildung an. Zugleich ist ersichtlich, daß zwei Versuchspersonen aus dem Zustand 1 in den Zustand 0, zwei Personen aus dem Zustand 2 in den Zustand 1 und ein P r o b a n d aus dem Zustand 3 in den Zustand 2 zurückkehren. I m ersten F a l l bedeutet das, daß nicht mehr die h o c h g e o r d n e t e n Zustände ztl bzw. Z31 vorgezogen werden. I m zweiten F a l l wird das erste Teilziel und im dritten F a l l das zweite Teilziel wieder aufgegeben. Die Ergebnisse zeigen, daß auch bei der Durchführung passiver Einzelversuche die Irreversibilität der Ausbildung der Teilziele (bis auf wenige Ausnahmen) erfüllt ist. Zugleich ist noch einmal gezeigt worden, daß die methodische Variante der Durchführung passiver Einzelversuche im G e g e n s a t z zu aktiven Einzelversuchen zulässig ist.

II. SYDOW, Mctrisclie E r f a s s u n g von s u b j e k l i v e n P r o b l e m z u s t ä n d c n

39

6. Zur Simulation stationärer Phasen des Lösungsprozesses und zur Wirkung von Gedächtnisleistungen Nachdem in den zwei vorangegangenen Kapiteln vielfältige Aussagen über den speziellen Lösungsprozeß zur ausgewählten Aufgabe gewonnen wurden, kann man nach dem Wert dieser Aussagen fragen. Neben der Konkretisierung einiger Aussagen früherer denkpsychologischer Ansätze, bezogen auf die spezielle Aufgabe, und neben quantitativen Angaben über den Lösungsprozeß konnten Voraussagen über die in experimentellen Daten enthaltenen Strukturen gemacht werden, die durch subjektive Strukturen hervorgerufen werden. Wir meinen damit die Prädiktion des Entscheidungsprozesses zur Auswahl von Operationen in frühen Phasen des Denkprozesses, die Prädiktion des klassifizierenden Verhaltens hinsichtlich der Zustände des Materials und die Prädiktion von subjektiven Ordnungen der Zustände des Materials auf der Grundlage des subjektiven Zielabstandes. Das Ziel müßte es nun sein, das Verhalten in aktiven Einzelversuchen zu prädiktieren. Eine erste Beschränkung ist uns bei diesem Vorgehen durch den stochastischen Charakter unserer Ergebnisse auferlegt. Das Verhalten in Einzelversuchen kann nicht für einzelne Versuchspersonen vorhergesagt werden. Die zweite Beschränkung folgt daraus, daß nur Daten zwischen passiven Einzelversuchen und nicht zu verschiedenen Zeitpunkten eines passiven Einzelversuches erhoben wurden. Über Veränderungen, die innerhalb eines Einzelversuches erfolgen, kann daher nichts gesagt werden. Diese Beschränkung könnte aber aufgehoben werden, und es könnten mit den von uns verwendeten Methoden Aussagen über diesbezügliche Veränderungen gewonnen werden, wie sie etwa von KLIX und GOEDE (1968) hinsichtlich des Strategiewechsels in einem Einzelversuch gemacht werden. Wir können also nur unter der zusätzlichen (und nicht zutreffenden) Annahme, daß die subjektive Problemstruktur in einem Einzelversuch stationär ist, das Verhalten einer Gruppe von Versuchspersonen vorhersagen. Eine weitere noch wesentlichere Beschränkung ist uns damit gegeben, daß wir die in den passiven Einzelversuchen dargebotene Information nicht zwischen Gruppen von Versuchspersonen variiert haben. E s wäre aber gerade zu fordern, daß eine Prädiktion des Verhaltens die Abhängigkeit von der dargebotenen Information berücksichtigt. Somit sind wir hinsichtlich der Prädiktion des Verhaltens auf folgende Möglichkeit beschränkt. Ausgehend vom subjektiven Zielabstand und seiner Verwendung könnten Simulationen durchgeführt werden. Für eine Population, von der nachgewiesen wurde, daß sie diesen subjektiven Zielabstand besitzt und ihn in spezieller Weise verwendet, müßten dann die Simulationen gute

40

Z. Psychol. Bd. 178 (1970) H. 1/2

Voraussagen liefern. Aber auch für dieses Vorgehen fehlen noch experimentelle Ergebnisse, denn wir konnten den Modus der Verwendung des subjektiven Zielabstandes im Entscheidungsprozeß nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen angeben. So wurden über die Wirkung perzeptiver Faktoren nur für frühe Phasen des Lösungsprozesses Aussagen gemacht und über die Menge von Operationsfolgen, über der der Entscheidungsprozeß in jedem Schritt erfolgt, läßt sich wenig sagen. Speziell ist die Wirkung von Gedächtnisleistungen weitgehend unbekannt. Das Unterfangen, das Verhalten im Lösungsprozeß nachzubilden, scheint auf der Grundlage des vorliegenden experimentellen Materials aussichtslos. Aber man kann die gestellte Frage umkehren. Bisher wurde nur danach gefragt, ob im Rahmen von Simulationen die theoretischen Aussagen überprüft werden können. Hinsichtlich der Wirkung von Gedächtnisleistungen kann aber gerade die Durchführung von Simulationen als Untersuchungsmethode Aufschlüsse erbringen. Das setzt voraus, daß eine Variable gefunden wird, die, erst einmal in recht allgemeinem Sinne, als Maß des operativen Gedächtnisumfanges angesehen werden kann. Die experimentelle Variation dieser Variablen müßte durch eines der unter Abschnitt 2.3. betrachteten Gütemaße in seiner Wirkung auf den Lösungsprozeß untersucht werden und diese Wirkung müßte mit der Wirkung der Variation anderer Variablen verglichen werden. Um diese Variablen zu formulieren, wird wieder von den Begriffen der Bewertungsfunktion und ihrer Verwendung ausgegangen. Diese Begriffe wurden hinsichtlich der Fragestellung dieses Kapitels schon im Abschnitt 3.6. konkretisiert. Danach müssen wir den subjektiven Zielabstand, den Modus seiner Verwendung (di; . . dc) und den eigentlichen Entscheidungsprozeß bei der Auswahl einer der Operationsfolgen der Länge dk näher betrachten. In jedem Schritt in einem aktiven Einzelversuch müssen der subjektive Zielabstand, eine Menge von Operationsfolgen und die Variablen verfügbar sein, die neben dem subjektiven Zielabstand die Entscheidung beeinflussen. Unter „verfügbar sein" verstehen wir, daß diese Komponenten entweder gedächtnismäßig fixiert sein müssen oder daß sie vom momentanen Zustand des Materials, für den eine nächste Operation zu bestimmen ist, direkt ablesbar sind. Das letztere kann vom subjektiven Ordnungsgrad gesagt werden, der unmittelbar mit den Zuständen des Materials verknüpft ist und nicht gesondert gedächtnismäßig fixiert zu werden braucht. Damit verbleiben noch der subjektive Zielabstand und der Modus (dy, d2, . . ., dc), für die die Rolle des Gedächtnisses geprüft werden muß. Es wird angenommen, daß subjektiver Zielabstand und Modus (dy, d2, . . ., dc) mit unterschiedlichen Gedächtnisleistungen verbunden sind. Ein wesentlicher Unterschied wird in folgendem Tatbestand gesehen. Der subjektive Zielabstand kann, wie die Ergebnisse gezeigt haben, die mit der Methode des Paarvergleiches gewonnen

H. SYDOW, Metrische Erfassung von subjektiven Problemzuständen

41

wurden, über längere Zeit gespeichert werden. Beim Modus (di, d2, . . dc) dagegen sind kurzfristig Zustände des Materials zu speichern, die durch Operationsfolgen der Längen dt bis dc aus einem momentanen Zustand erhalten werden, bis eine Entscheidung gefällt ist. Gleichfalls kurzfristig müssen die Operationsfolgen selbst gespeichert werden, von denen eine auf den momentanen Zustand angewendet wird. Wir nehmen daher an, daß hier zwei unabhängige Gedächtnisleistungen vorliegen, von denen nur die kurzfristige für unsere Überlegungen bedeutsam ist. Es wird weiter angenommen, daß diese Gedächtnisleistung, hinreichend für unsere Überlegungen, durch Angabe der Zahlen ¿1 bis dc charakterisiert werden kann. Wir schließen daher diese notwendigerweise etwas spekulative Betrachtung mit der Festlegung ab, daß unter der Gedächtnisleistung, die in einer Simulation zu variieren ist, die Menge der Zahlen di bis dc verstanden wird. Es muß jedoch noch gefragt werden, ob mit der Variation von { d i , d 2 , • • ., dc) wirklich nur Gedächtnisleistungen variiert werden. Die Ergebnisse, über die im Abschnitt 2.4. berichtet wurde und die zum Begriff der lokalen Strategie bei K L I X und S Y D O W ( 1 9 6 7 ) führten, deuten auf eine negative Antwort hin. Wenn zum Beispiel der Modus (4,4) angegeben wird, so bedeutet das, daß zwei Operationsfolgen, bestehend aus je vier Operationen, zu speichern sind. Werden aber Operationen zu neuen Operationen zusammengefaßt, wie es bei der Zweischeibenregel der Fall ist, wo drei elementare Operationen die Operation „Transport von St und S2 auf ein anderes F e l d " bilden, so wird aus dem Modus (4,4) in der Modus (2,2). Mit der Variation von (d^, d2, . . ., dc) werden also nicht nur Gedächtnisleistungen, sondern auch Grade der Ausbildung der lokalen Strategie variiert. Wir versuchen den zweiten Faktor auszuschließen, indem die Simulation im reduzierten Graphen G[ und nicht im Graphen der Aufgabe durchgeführt wird. Die Angabe von (dl} d2, . . ., dc) bedeutet also, daß c Folgen von Operationen in G[ betrachtet werden. In den Simulationen wurden folgende Modi verwendet: (1, 1, 1,); (2, 1, 0); (1, 1, 0) und (3, 0, 0) ( S C H M I E L 1967). Die Variation der Variablen d2, . . ., dc) sollte in ihrer Wirkung mit der Variation weiterer Variablen verglichen werden. Es verbleiben noch als weitere Variablen der subjektive Zielabstand und die Stärke, mit der der Ordnungsgrad den Entscheidungsprozeß beeinflußt. Es wird die Klasse der subjektiven Zielabstände betrachtet, für die gilt: Für alle Paare von Zuständen zt, z2 ist f (zt) f (z2) genau dann, wenn £(zi) ^ |(z2)- Dabei wird die Ordnung von Zufallsgrößen verwendet, die unter 2.6. definiert wurde. Die Einschränkung ist nach den Ergebnissen des Abschnittes 5.3. zulässig. Diese Klasse wird weiter eingeschränkt. Es werden nur solche subjektiven Zielabstände betrachtet, für die sich Wahrscheinlichkeiten pk für k = l, 2, . . ., 15 angeben lassen mit ^ { f (zt) fS i(z2)} = pk genau dann,

Z. Psycho!. Bd. 178 (1970) II. 1/2

wenn f(z2) = /'(z1) + k gilt. Speziell ist pl die Wahrscheinlichkeit dafür, daß beim Modus (1,1) die Operation gewählt wird, die den objektiven Zielabstand um den Wert 1 verringert. Der subjektive Zielabstand wird in dieser Klasse hinsichtlich der Ordnung variiert, die im Abschnitt 2.6. definiert wurde. Sie kann für die subjektiven Zielabstände der betrachteten Klasse auch wie folgt definiert werden. Dem subjektiven Zielabstand mögen die Wahrscheinlichkeiten pik und dem subjektiven Zielabstand I2 die Wahrscheinlichkeiten p2jc entsprechen. Dann ist £L im Sinne der unter 2.6. angegebenen Ordnung besser als f 2 genau dann, wenn für alle k gilt plk Si p2kDa nur eine beschränkte Anzahl von Simulationen durchgeführt werden konnte, wurde der subjektive Zielabstand so variiert, daß pi die Werte 0,60; 0,68 und 0,74 aunahm. Die Stärke, mit der der Ordnungsgrad den Entscheidungsprozeß beeinflußt, wurde nicht unabhängig vom subjektiven Zielabstand verändert. Sic nahm von pt = 0,60 zu pi = 0,74 hin ab. (Nähere Angaben sind in der Arbeil von S C H M I E L (1967) zu finden.) Damit wird angenommen, daß mit der Verbesserung des subjektiven Zielabstandes die Wirkung des Ordnungsgrades abnimmt. Jede Kombination eines Vektors (c^, d2, . . ., dc) mit einem Wert von p t legt einen unter 3.6. definierten stochastischen Steuerautomaten fest. Als Gütemaß für den Steuerungsprozeß wurde die Anzahl von Operationen verwendet, mit der der Steuerautomat den gesteuerten Automaten aus dem initialen Zustand za in den Zustand ze überführt. Dieses Gütemaß ist eine Zufallsgröße, deren Erwartungswert von (dl; d2, . . ., dc) und pL abhängt. Für jeden festen Steuerautomaten kann der Erwartungswert durch mehrfache Steuerungsprozesse abgeschätzt werden. Für jede der 12 Kombinationen eines Vektors (dL, d2, . . . , dc) mit einem Wert von pt wurden 10 Steuerungsprozesse realisiert. (Die Simulation erfolgte auf dem Zeiss-Rechenautomat-1 im Rechenzentrum der Humboldt-Universität zu Berlin.) Die in der Simulation erhaltenen Werte wurden einer Varianzanalyse unterworfen, die folgende Ergebnisse lieferte: a) Das Gütemaß hängt signifikant von (dlt d2, . . ., dc) ab. b) Das Gütemaß hängt signifikant von p t ab. c) Die Variablen p t und ( 95%). Der Vergleich der Aktivitätsdauer bei verschiedener Eingangsfrequenz führte zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Übereinstimmungswahrscheinlichkeit beider Meßreihen ist bei einem = 0,206 größer als 97,5%. Wir sind somit berechtigt, die Differenzen zwischen den beiden Versuchsreihen, die sich durch unterschiedliche Eingangsfrequenzen auszeichnen, in bezug auf das relative Aktivitätsniveau des Antagonisten und die Aktivitätsdauer als zufällige Meßfehler zu interpretieren. Das bedeutet nichts anderes, als daß sich diese beiden — Relativwerte angebenden — Parameter zur Erfassung 11 Die V R 1.2. sollte nur dem Zweck dienen, die Tendenz der übungsabhängigen Veränderungen nachzuweisen. Es waren nur 7 Vpn beteiligt. Wir verzichten deshalb auf eine differenzierte statistische Analyse wie für die Ergebnisse der V R 1.1.

70

Z. Psychol. Bd. 178 (1970) H. 1/2

des sensomotorischen Lernprozesses eignen und daß sich die Ergebnisse invariant gegenüber den speziellen Eingangsbedingungen verhalten. Drei Hauptbefunde der VRn 1.1. und 1.2. sind somit als gesichert anzusehen: Im Laufe des Übungsprozesses werden 1. die Gesamtaktivität reduziert, 2. die Antagonisten stärker relaxiert, 3. die Aktivitätsdauer reduziert. Das relative Aktivitäsniveau des Antagonisten und die Aktivitätsdauer sind unabhängig von der Frequenz der sinusförmigen Eingangsschwingung, bzw. unabhängig vom Bewegungstempo. 6. Methodenkritische Sicherung der Ergebnisse: Reliabilität der Parameter — Versuchsreihe 2 Bevor die Versuchsergebnisse diskutiert und interpretiert werden können, ist eine Prüfung der Zuverlässigkeit, besser der Stabilität unserer myoelektrischen Parameter innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts unerläßlich. Diese Prüfung ist notwendig, da bekannt ist, daß verschiedene physiologische Meßdaten eine geringe zeitliche Stabilität aufweisen (vgl. F A H R E N B E R G 1964). 6.1. M e t h o d i k d e r V e r s u c h s r e i h e 2.1. Aussagen über die Zuverlässigkeit unserer Parameter erhielten wir durch Ermittlung des Korrelationskoeffizienten zwischen Test und Retest. Wir benutzten eine einfache Experimentalsituation. Die Vpn mußten an 5 Tagen je zehnmal auf eine Morsetaste im Intervall von 10 s drücken. Diese Betätigung der Taste wurde gleichzeitig mit dem Oberflächenmyogramm der Extensoren und Flexoren des Unterarms registriert. Bei dieser sehr einfachen Reaktion kann ein Lernprozeß kaum stattfinden, so daß Veränderungen der Aktivitätsmuster nur auf eine zeitliche Instabilität hinweisen können. An den Experimenten waren 7 Vpn beteiligt. Der Einzelversuch dauerte etwa 90 s, davon waren die elektromyographisch erfaßten Muskelgruppen nur etwa 10 X 1 s aktiv. Bei zwischenzeitlicher Relaxation ist unter diesen Bedingungen eine physiologische Muskelermüdung ausgeschlossen. 6.2. E r g e b n i s s e 6.2.1. Reliabilität

des Parameters

,,Gesamtaktivität"

Wir berechneten für die verschiedenen Ausprägungsgrade der Gesamtaktivität 12 bei Test und Testwiederholungen die Maßkorrelation. Der Korrelationskoeffizient ist mit r = 0,726 bei 53 Wertepaaren statistisch hoch signi12

Für jede Vp gemittelt über jeden Übungstag.

71

A.-M. METZ, Änderungen der myoelektrischen Aktivität

fikant ( p < 0 . 0 1 % ) ; d . h . unter der Bedingung, daß keine physiologische Muskelermüdung eintreten kann, mißt die Gesamtaktivität eine zeitunabhängige physiologische Größe.

6.2.2. Reliabilität

des Parameters

,,Aktivitätsdauer"

In gleicher Weise ermittelten wir die Maßkorrelation für die Verteilungen der Aktivitätsdauer zwischen den verschiedenen Übungstagen. Der Korrelationskoeffizient r = 0,976 ist bei 52 Wertepaaren ebenfalls statistisch hoch signifikant (p < 0 , 0 1 % ) . Dieser enge Zusammenhang weist nach, daß auch die Aktivitätsdauer eine in der Zeit stabile physiologische Größe mißt.

6.2.3. Reliabilität des Parameters „Relatives Antagonisten" — Versuchsreihe

Aktivitätsniveau 2.2.

des

Eine Aussage über die Test-Retest-Reliabilität des relativen Aktivitätsniveaus des Antagonisten ist aus dem geschilderten Experiment nicht möglich, da Agonisten und Antagonisten nicht funktionell alternieren. Wir verwendeten zur Prüfung der zeitlichen Stabilität dieses Parameters die Ergebnisse der Y R 2.2. Die Ergebnisse der Versuchsreihen 1.1. und 1.2. (Eingangsfrequenz = 0,167 Hz und 0,083 Hz) belegen, daß das relative Aktivitätsniveau des Antagonisten unabhängig von der speziellen Eingangsfrequenz ist, m. a. W. diese physiologische Relativgröße bleibt konstant.

Im Rahmen unseres Anliegens prüften wir die Reliabilität dieses Parameters nun an einer identischen Versuchspersonengruppe (diese Bedingung war in den VRn 1.1. und 1.2. nicht erfüllt), indem ein und derselben Vp einmal die Eingangsfrequenz von 0,167 Hz, einmal von 0,083 Hz bzw. von 0,111 Hz 1 3 vorgegeben wurde. An diesen Experimenten waren 11 Vpn beteiligt. Die Korrelation der Meßreihen unter den verschiedenen Eingangsbedingungen ist bei einem Koeffizienten von r = 0,957 für 11 Wertepaare statistisch signifikant (p < 0 , 1 % ) . Die Ergebnisse der Reliabilitätsuntersuchungen beweisen für die drei definierten elektromyographischen Parameter eine hohe Konstanz innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts. Da dieser Zeitabschnitt nicht kleiner ist, sondern z. T. sogar größer als der kritische in den Hauptversuchen zwischen 13

Damit entspricht dieses Verfahren zur Reliabilitätsprüfung der Parallel-Test-Methode.

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Z. Psychol. Bd. 178 (1970) H. 1/2

erstem und letztem Übungsdurchgang, ist es zulässig, die Ergebnisse der VRn 1.1. und 1.2. im Sinne einer trainingsbedingten Veränderung des Aktivitätsmusters zu interpretieren. 7. Zusammenfassung der Hauptergebnisse und Diskussion 7.1. L e r n a b h ä n g i g e R e d u k t i o n d e r M u s k e l a k t i v i t ä t Die vorliegende Untersuchung weist nach, daß sich während des sensomotorischen Trainings die Aktivitätsmuster der Muskeln, die an der motorischen Reaktion beteiligt sind, in charakteristischer Weise ändern: 1. Die Gesamtaktivität des Muskels während der Agonisten- und Antagonistenphase bei dynamischer Arbeit, d.h. seine bioelektrische Spannung und die Entladungsfrequenz seiner motorischen Einheiten, sinkt mit steigendem Übungsgrad. 2. Die lernabhängige Reduktion des Aktivitätsniveaus geht vornehmlich zu Lasten der Phase, in der der Muskel als Antagonist wirkt. J e weiter der Trainingsprozeß fortgeschritten ist, desto besser wird der Antagonist relaxiert. 3. In Abhängigkeit vom Lernverlauf ändert sich die Zeitdauer, in der ein relativ hoher Aktivitätsgrad des Agonisten aufrechterhalten wird. J e höher der Trainingsstatus ist, um so kürzere Zeit zeigt der Agonist ein hohes Aktivitätsniveau. Die nachgewiesenen trainingsbedingten Änderungen der myoelektrischen Aktivität ermöglichen eine Reduktion des Energieaufwands der Bewegung. Das deutet auf eine mit zunehmender Übung steigende Ökonomie der Bewegung. Ein so verstandenes „unökonomisches", weil aufwendiges, Aktivitätsmuster im Anfangsstadium der hier geforderten sensomotorischen Lernprozesse ist zugleich unter diesen Bedingungen „unphysiologisch"; es entspricht nicht den günstigen Arbeitsbedingungen der peripheren Willkürmuskulatur. Die quergestreifte Muskulatur hat die Fähigkeit zu raschem Alternieren von Aktivität und Relaxation. Diese dynamische Muskelarbeit kann von der Skelettmuskulatur über lange Zeit ohne physiologische Ermüdung geleistet werden. Die mehr oder weniger scharfe Alternation zwischen Agonisten- und Antagonistentätigkeit bei einer solchen Anforderung, die dynamische Muskelarbeit überhaupt gestattet, ist in den vorliegenden Versuchen erst im fortgeschrittenen Ubungsstadium ausgebildet. Die statische Muskelaktivität beim Halten eines Körpergliedes in einer bestimmten Stellung gestattet keine Alternation von Agonistenaktivität und Antagonistenrelaxation, da ständig ein etwa gleiches Aktivitätsniveau ein

A.-M. METZ, Änderungen der myoelektrischen Aktivität

73

und desselben Muskels aufrechterhalten bleiben muß. Es ist bekannt, daß die statische Arbeit durch unzureichende O2-Versorgung des Muskels zu außerordentlich rascher peripherer Ermüdung führt. Die elektromyographischen Analysen im ungeübten Zustand weisen aus, daß zunächst das Aktivitätsniveau des Antagonisten sich kaum von dem des Agonisten unterscheidet. Die annähernde Gleichverteilung der Aktivität auf Agonisten- und Antagonistenfunktion bei einer prinzipiell möglichen dynamischen Muskelarbeit entspricht genau dem geschilderten Fall einer statischen Haltearbeit mit ihren ungünstigen Folgen. Das relativ hohe Aktivitätsniveau des Antagonisten bewirkt eine Versteifung der bewegten Extremität. Das ist einerseits zweckmäßig, weil die Bewegung rasch durch antagonistische Impulse korrigiert werden kann, eine Eigenschaft, die vor allem am Übungsbeginn von Bedeutung ist. Andererseits ist die Versteifung jedoch unzweckmäßig, weil eine Anpassung der Muskelkraft an die vom bewegten System entwickelten passiven Kräfte erschwert ist. Das in den 20er Jahren und später diskutierte Problem der „reziproken Innervation" bei der Willkürbewegung begegnet uns hier, allerdings unter einem anderen Aspekt. W A C H H O L D E R stellte fest, daß der Relaxationsgrad des Antagonisten davon abhängig ist, ob eine Bewegung locker oder steif ausgeführt wird; K A B A T und L E V I N E beziehen den Grad der Antagonistenentspannung auf die durch das bewegte System entwickelte Kraft. Unsere Versuche belegen, daß darüber hinaus das Aktivitätsniveau des Antagonisten mit dem Trainingsstand kovariiert. Vermutlich lassen sich einige der widersprüchlichen Befunde dadurch erklären, daß sie an Vpn-Gruppen mit unterschiedlichem sensomotorischen Trainingsstand 1 4 gewonnen wurden. Die Ergebnisse der VRn 1.1. und 1.2. (mäßigschnelles bzw. langsames Bewegungstempo) in Verbindung mit der Reliabilitätsprüfung in VR 2 belegen, daß das funktionelle Alternieren antagonistischer Muskelgruppen in unseren Versuchen ausschließlich vom Lernniveau abhängig ist. Es ist zu vermuten, daß sich neben diesen trainingsbedingten intraindividuellen Unterschieden in der koordinierten Muskeltätigkeit auch interindividuelle Differenzen auf Grund eines unterschiedlichen sensomotorischen Leistungsvermögens nachweisen lassen. Diesem Problem werden wir in der abschließenden YR 3 nachgehen.

Auf welche physiologischen Mechanismen ist die im Lernprozeß erworbene Koordination der antagonistisch arbeitenden Muskelgruppen zurückzuführen? Natürlich ist es problematisch, aus Daten, die in der Verhaltensebene 14 In den Experimenten der verschiedenen Autoren wurden unterschiedlich schwierige sensomotorische Anforderungen gestellt. Ihre Beherrschung verlangt unterschiedlich lange Trainingszeiten, das wurde in den genannten Experimenten nicht bedacht.

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gewonnen werden, auf die zugrunde liegenden physiologischen Mechanismen zu schließen. Unsere Experimente gestatten nicht, periphere physiologische Reaktionen, wie wir sie im EMG erfaßten, eindeutig bestimmten zentralnervösen Regulationsebenen zuzuordnen. Das würde eine gezielte physiologische Methodik erfordern, die die Aktivität eben dieser zentralnervösen Abschnitte prüft. Wir wollen im folgenden mit der gebotenen Vorsicht mögliche Zuordnungen vornehmen und diskutieren. Sie werden sicher im einzelnen auch hypothetisch sein, scheinen uns aber trotzdem insofern berechtigt, als sie Anstöße für gezielte Untersuchungen geben können. 1. Es ist bekannt, daß die motorische Vorderhornzelle des Rückenmarks von einer Vielzahl bahnender und hemmender Impulse affiziert wird, die die Erregbarkeit der VHGZ und damit die Kontraktionsstärke verändern. Die Erregungsgröße kann von zentralnervösen Stellen, aber auch von der Peripherie über den propriozeptiven Regelkreis beeinflußt werden. W A G N E R sieht den Zweck der peripheren propriozeptiv vermittelten Regulation vor allem darin, Störkräfte der Umwelt zu kompensieren, die die Willkürbewegung in unerwünschter Weise modifizieren können. In unseren Versuchen sind es die Trägheits- und Elastizitätskräfte (in VR 1.1.) und die Reibungskräfte (in VR 1.2.), an die sich die Bewegung anpassen muß bzw. die sie für die Tätigkeit ausnutzen kann. Die Befunde unserer VR 2.2. erlauben jedoch die Aussage, daß die Anpassung der Bewegung an die äußeren Störkräfte nicht das wesentliche Charakteristikum des hier untersuchten sensomotorischeu Trainingsprozesses ist. Wir hatten einmal ein mäßigschnelles Bewegungstempo gefordert, bei dem die Trägheits- und Elastizitätskräfte prävalieren, das andere Mal ein langsames Bewegungstempo mit vorherrschenden Reibungskräften. Die myoelektrischen Daten beider Untersuchungsvarianten unterschieden sich nicht signifikant, mit anderen Worten die funktionelle Alternation von Agonist und Antagonist ist nicht wesentlich abhängig vom geforderten Bewegungstempo 1 5 und damit von den Störkräften der Umwelt. Gerade diese Störkräfte affizieren aber die Propriozeptoren. Wir können also annehmen, daß die im Lernprozeß modifizierte Erregbarkeit der motorischen VHGZ in geringerem Maße durch die propriozeptiv vermittelte periphere Kontrolle als durch zentralnervöse Mechanismen modifiziert wird. 2. Die zentralnervöse Beeinflussung der motorischen VHGZ kann durch bahnende (die Erregungsschwelle herabsetzende) und hemmende (die Erregungsschwelle heraufsetzende) Impulsfolgen realisiert werden. Eine Reduktion der Gesamtaktivität, speziell des Aktivitätsniveaus des Antagonisten, ist demnach entweder auf eine Abnahme der bahnenden Impulse zu den moto15 Diese Aussage ist nicht für schnelle Bewegungstempi geprüft.

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rischen VHGZ des Antagonisten zurückzuführen oder auf eine Zunahme hemmender Impulse zur VHGZ. Außerdem ist auch an eine durch zentralnervöse Beeinflussung erhöhte Schwelle der Propriozeptoren zu denken. Aus

den Arbeiten

SOKOLOWS, G R A S T Y Á N S , ANOCHXUS U. a. w i s s e n w i r , d a ß

in

einer

Situation, die der Vp unbekannt ist oder die nicht mit ihren Erwartungen übereinstimmt, eine Orientierungsreaktion ( 0 . R.) auftritt. Sie ist verbunden mit einer Blockierung des kortikalen a-Rhythmus, mit einer verstärkten Impulsaussendung der Formatio reticularis und mit einer spannungshohen Aktivität im Hippocampus. Die 0 . R. bewirkt somatische, vegetative und sinnesphysiologische Veränderungen der jeweiligen Reaktionslagen. In den ersten Übungsstadien eines sensomotorischen Lernprozesses sind Orientierungsreaktionen zu erwarten; bedingt durch die ständigen Reizwiederholungen werden sie mit zunehmender Übungszeit verschwinden. Da die 0 . R. auch eine Senkung der Rezeptorschwellen bewirkt, werden zu Beginn des Lernprozesses die Propriozeptoren noch geringfügige (sonst unterschwellige) Dehnungs- und Spannungsänderungen des Muskels registrieren. Diese Impulse werden der VHGZ zugeleitet und führen zu einem erhöhten myoelektrischen Aktivitätsniveau.

In den hier untersuchten sensomotorischen Lernprozessen können die primäre Schwellensenkung der Propriozeptoren infolge einer 0 . R. und die sekundären Muskelkontraktionen nicht die Befunde erklären. Die lernabhängige Reduktion der Gesamtaktivität ist doch vor allem auf die zunehmend bessere Entspannung des Antagonisten zurückzuführen, während der Agonist im Lernverlauf ein relativ konstantes Aktivitätsniveau behält. Die zentral nervös bedingte Schwellenerhöhung durch Erlöschen der 0 . R. dürfte demnach nur die Propriozeptoren des Antagonisten betreffen, während die Erregbarkeit der Propriozeptoren des Agonisten unverändert bleibt. 3. Die lernabhängige Reduktion der myoelektrischen Antagonistenaktivität muß sich in einer Änderung des Verhältnisses von bahnenden und hemmenden Impulsen zur motorischen VHGZ zeigen. Die VHGZ erhält bahnende Impulse vornehmlich vom motorischen Kortex über die Pyramidenbahn (z. T. auch über extrapyramidale Leitungsbahnen), von der Formatio reticularis und vom Vestibularsystem l c . Ein Teil dieser Leitungsbahnen zieht zur HHGZ und senkt deren Erregungsschwelle; das führt wiederum zu einer Bahnung der VHGZ. Die wichtigsten hemmenden zentralnervösen Impulse gelangen vom diffusen bulboretikulären Hemmungssystem, von den Suppressorbändern des Gyrus praecentralis und Teilen des Cerebellum über die verschiedenen Leitungsbahnen zur VHGZ. Außerdem ist die hemmende Wirkung des Striatum auf den motorischen Kortex zu berücksichtigen; sie führt zu einer kortikalen Impulsreduktion. Die bahnende Wirkung des Vestibularsystems berücksichtigen wir hier nicht; sie ist vor allem für die Körperhaltung von Bedeutung, die in unseren Experimenten nicht verändert wurde. 16

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Nehmen wir zunächst an, daß während des sensomotorischen Lernprozesses die bahnenden Impulse vermindert werden. Folgende Annahmen sind möglich: 1. Die Bedeutung des Pyramidensystems nimmt mit zunehmendem Übungsfortschritt ab. Dadurch treffen nicht nur die VHGZ weniger bahnende Impulse, sondern auch die HHGZ wird nicht mehr durch das pyramidale System sensitiviert (vgl. PEELE, 1944). 2. Die Formatio reticularis sendet weniger aktivierende Impulse zum motorischen Kortex und vermindert gleichzeitig die bahnende Impulsation zu den VHGZ und die sensitivierende Impulsation zu den Propriozeptoren (Erlöschen der O. R. mit zunehmender Übung). Beide Annahmen stimmen mit den Hypothesen anderer Autoren überein. Führt man die myoelektrische Aktivitätsreduktion während des Lernprozesses auf eine absolute oder relative Zunahme hemmender zentralnervöser Impulse zurück, sind folgende Annahmen möglich: 1. Das extrapyramidale System, genauer die Teile, die von den Suppressorarealen des motorischen Kortex ausgehen, gewinnen mit zunehmender Bewegungsfertigkeit größere Bedeutung. E s ist bekannt, daß das E P S dem ungefähren Bewegungsimpuls des Pyramidensystems eine größere Präzission verleiht, daß es den Bewegungablauf gleichmäßiger macht. Beides ist charakteristisch für den sensomotorischen Lernprozeß. 2. Nimmt man an, daß das bulboretikuläre Hemmungssystem seine Impulsquote an die VHGZ in Abhängigkeit vom Übungsniveau erhöht, so spricht das für die u. a. von W A G N E R aufgestellte Hypothese, daß mit zunehmender Bewegungsfertigkeit die Koordination auf niedrigere zentralnervöse Bereiche verlagert wird. Unsere Experimente liefern keinen Hinweis dafür, ob die bahnenden Einflüsse verschiedener zentralnervöser Abschnitte im Lernprozeß abnehmen oder ob die hemmenden Einflüsse zunehmen. Für beide Annahmen lassen sich in der physiologischen Literatur Belege finden. E s ist deshalb möglich, daß sich sowohl der Einfluß bahnender wie der hemmender Mechanismen ändert. Wir stoßen hier auf die schon bekannte Schwierigkeit, daß die zentral nervöse Hemmung bzw. verminderte Bahnung bei zunehmender Übung sowohl die VHGZ des Antagonisten wie die des Agonisten affiziert. Die myoelektrische Aktivitätsreduzierung findet sich jedoch vornehmlich am Antagonisten. Wir müssen annehmen, daß der VHGZ entweder bahnende oder hemmende Impulse zugeleitet werden, je nachdem, ob der betreffende Muskel als Agonist oder als Antagonist arbeitet. Die Abstimmung der Antagonisten aufeinander, d. h. die Entscheidung, welchen Charakter die Impulsation zum gegebenen Zeitpunkt haben muß, bildet sich im sensomotorischen Lernprozeß.

A.-M. METZ, Änderungen der m y o c l e k t r i s c h e n A k t i v i t ä t

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Plausibel scheint uns folgende Erklärung: Der kortikale Punkt, von dem die Kontraktion ausgelöst wird, ist eine Mischung von Bectzschen Zellen mit unterschiedlichen Erregungsschwellen. R U C H fand bei der Elektrostimulation ein und desselben kortikalen Punktes sowohl eine Kontraktion des Extensoren als auch eine des Flexoren. Wurde die Reizintensität reduziert, nahm die Kontraktionsstärke des Flexoren zu, die des Extensoren wurde vermindert. Das hängt auch damit zusammen, daß funktionelle Antagonisten unterschiedliche Chronaxiewerte haben (BURGIGNON, U F L J A N D , zit. n. BYKOW).

Im Anfangsstadium des Lernprozesses werden nicht nur die VHGZ gebahnt und die HHGZ sensitiviert, sondern auch der Kortex wird aktiviert (vgl. die Überlegungen zur O. R.). Dieser aktivierende Einfluß wird mit zunehmender Übung vermindert, es bleibt der Willkürimpuls zur Kontraktion des Agonisten. Auf diese Weise bildet sich ein der Bewegung adäquates Impulsmuster, das in bestimmten, hier nicht näher zu kennzeichnenden, zentralnervösen Strukturen gespeichert wird. Das wichtigste Ergebnis unserer Experimente ist, daß durch einen sensomotorischen Trainingsprozeß die Muskelaktivität ökonomischer wird. Bezogen auf den Einzelmuskel fanden wir eine lernbedingte Verkürzung der Kontraktionsdauer bzw. der Zeit, in der der Muskel ein hohes Aktivitätsniveau zeigt. Dieses Ergebnis stimmt mit den Befunden von HETTINGER und MÜLLER sowie von FISCHER und MERHATJTOVÁ überein. MITOLO führt dieses Phänomen auf eine Verlängerung der Potentialdauer und eine progressive Verringerung der Entladungsfrequenz der motorischen Einheiten zurück. Noch deutlicher wird die Reduktion der Muskelaktivität in der Koordination antagonistischer Muskelgruppen, die im Trainingsprozeß erlernt wird.

7.2. Ü b e r l e g u n g e n z u r R e l a t i o n v o n B e w e g u n g u n d B e w eg u ng s w ir k u ng Wir diskutierten bisher periphere physiologische Reaktionen, die sich lernabhängig verändern. In unseren VRn 1.1. und 1.2. fiel uns darüber hinaus folgendes auf: Bevor der Versuch begann, bewegte die Vp den Steuerknopf an der Bedienungseinrichtung hin und her, wie es auch im Experiment gefordert wurde. Wir achteten darauf, daß die Vp. etwa eine Bewegung gleicher Weite (18 bis 20 cm) ausführte. Das Bewegungstempo konnte frei gewählt werden, Ziel- und Folgefunktion wurden nicht bcachtet. Wir wollten auf diese Weise lediglich die richtige Lokalisation der Elektroden und die einwandfreie Registrierung des EMG prüfen. Fast alle Vpn zeigten bei dieser Anforderung ein optimales Koordinationsmuster, d. h. der Antagonist wurde vollständig

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relaxiert. Sollte nun die Folgefunktion an die Zielfunktion des PursuitTracking angepaßt werden (1. Übungsstadium), gelang die Antagonistenentspannung nicht. Wir hatten schon darauf verwiesen, daß dieses Verhalten nicht durch die Veränderung des Bewegungstempos bzw. durch die Änderung der passiven Außenkräfte provoziert sein kann (vgl. VR 2.2.). Vielmehr muß dieser Effekt auf dem jetzt gegebenen Ubersetzungsverhältnis (hier 4 : 1) zwischen der Bewegungsweite der motorischen Reaktion und der Amplitude des Zeigerausschlages beruhen. In der ontogenetischen Entwicklung werden visuelle, taktil-kinästhetische und propriozeptive Signale assoziiert, und zwischen ihnen bilden sich feste, gedächtnismäßig gespeicherte Beziehungen, die in die Regulation der Willkürbewegung eingehen. Das in unseren Versuchen vorgegebene Ubersetzungsverhältnis schafft eine Differenz zwischen dem Bewegungsmuster und der sensorischen (visuellen) Rückmeldung. Ziel des sensomotorischen Lernprozesses ist es, diese Differenz zu minimalisieren. Welche Etappen in einem solchen Prozeß zu absolvieren sind, läßt sich am Verhaltensmodell von ANOCHIN verdeutlichen: Nachdem die Afferenzsynthese abgeschlossen ist, wird das Handlungsziel gebildet und ein Handlungsprogramm festgelegt. In der Afferenzsynthese und dem Handlungsprogramm kann zu Beginn der Übung das der Vp unbekannte Übersetzungsverhältnis noch nicht berücksichtigt werden. Die motorische Reaktion wird ausgeführt und ihr Ergebnis mit dem Handlungsprogramm verglichen. Die Nichtübereinstimmung löst eine Orientierungsreaktion und eine neue Afferenzsynthese aus. Mit jeder neuen Übung wird der Vp wieder die Differenz zwischen Handlungsprogramm und Bewegungsergebnis signalisiert und in der Afferenzsynthese verarbeitet. Der Lernprozeß ist abgeschlossen, wenn auf Grund der Afferenzsynthese ein adäquates Bewegungsprogramm gebildet ist, die Orientierungsreaktion erlischt; es ist ein festes Handlungsprogramm bzw. ein festes Bewegungsmuster im Zentralnervensystem fixiert. Nur auf der Grundlage solcher struktureller oder funktioneller Veränderungen im ZNS, die das Übersetzungsverhältnis zwischen motorischer Reaktion und ihrer Wirkung speichern, läßt sich die Konstanz des Bewegungsmusters bei unterschiedlicher Frequenz der sinusförmigen Eingangsschwingung in der VR 2.2. erklären. Der Regelkreis der Bewegung ist auf das Übersetzungsverhältnis zwischen motorischer Reaktion und visueller Wahrnehmung abgestimmt und kann, wenn diese Übersetzung beibehalten wird, eine Störung durch Veränderung des Bewegungstempos sofort kompensieren. Die reafferenten Signale vom Handlungsergebnis bestimmen zwar den Charakter des Lernprozesses ; im eingelernten Zustand werden sie jedoch bedeutungslos. Das beweisen auch die Befunde von V. D. GON und THURING bei hochautomatisierten Bewegungen. Eine Regulation über reafferente Signale wird erst nötig, wenn Störkräfte den Regelkreis beeinflussen, die nicht kompensiert werden können.

A.-M. METZ, Änderungen der myoelektrischen Aktivität

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7.3. B e z i e h u n g e n z w i s c h e n d e n A u s w e r t u n g s p a r a m e t e r n Im folgenden soll noch einmal auf den Aussagewert der Parameter eingegangen werden, die für die elektromyographische Analyse definiert wurden. Der Parameter „Gesamtaktivität" mißt die bioelektrische Spannung bei einer motorischen Handlung in Absolutwerten während der Agonisten- und der Antagonistenphasc desselben Muskels. Die Größe dieser Werte ist nicht nur abhängig vom Kontraktionsgrad (der gemessen werden soll), sondern auch von der aktiven Muskelmasse, die myographisch erfaßt wird und von der Lokalisation der Elektroden — sowohl hinsichtlich des Abstandes zwischen den beiden Elektroden (bei bipolarer Ableitung) als auch hinsichtlich der Lokalisation auf dem Muskel: J e näher die Elektroden dem Muskelbauch sind, desto mehr Aktionspotentiale werden aufgezeichnet. Diese unzureichende Objektivität der Messungen schränkt die Möglichkeit ein, die Gesamtaktivität verschiedener Muskeln derselben Yp zu vergleichen und erschwert auch den Vergleich der Gesamtaktivität verschiedener Vpn. Unbeschadet dessen kann selbstverständlich die Gesamtaktivität ein und desselben Muskels bei identischen Ableitbedingungen zu verschiedenen Zeitpunkten eines Versuchs verglichen werden, wie wir es in unserer Auswertung handhabten. Sie gibt dann — als Relativwert — die Veränderungen der myoelektrischen Aktivität in bezug auf die Bedingungsvariation im Experiment an.

Wesentlicher als die mangelnde Objektivität der Messungen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Veränderungen der Gesamtaktivität in den verschiedenen VRn fast ausschließlich auf eine Reduktion der Antagonistenaktivität zurückzuführen sind, während sich das Aktivitätsniveau desselben Muskels in der Agonistenphase kaum ändert. Es ist anzunehmen, daß der Kontraktionsgrad des Agonisten vor allem durch die Willkürimpulsation über das ^4 a -System gesteuert wird. Diese Willkürimpulse sind während des gesamten Lernprozesses notwendig. Es ist demnach sinnvoll, nur die variable Komponente der Gesamtaktivität, nämlich das relative Aktivitätsniveau des Antagonisten, zu prüfen. Es gibt den Grad der Relaxation während der funktionellen Antagonistenphase an. Es ist denkbar, daß zu Beginn des sensomotorischen Lernprozesses auch dem Antagonisten Willkürimpulse zugeleitet werden. Sie ermöglichen eine rasche Korrektur der Agonistentätigkeit. Durch Ausbildung des adäquaten Impulsmusters für den Agonisten während des Lernverlaufs verlieren sie ihre Bedeutung. Der Grad der Relaxation des Antagonisten erwies sich in unseren Versuchen direkt abhängig vom Niveau, das im sensomotorischen Training erreicht wurde. Die Objektivität bei der Gewinnung der Meßdaten und die Reliabilität der Ergebnisse gestatten, den Parameter „Relatives Aktivitäts-

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niveau des Antagonisten" auch als diagnostisches Hilfsmittel zur Kennzeichnung des sensomotorisclien Trainingsstandes einzusetzen (s. dazu VR 3). Die Aktivitätsdauer während der Agonisten- und Antagonistenphase vermindert sich ebenfalls während des Lernprozesses (in unseren Versuchen von etwa 60 auf 40% der Gesamtzeit einer Folgebewegung). Dieser Parameter steht offensichtlich in engem Zusammenhang mit den Niveau der Gesamtaktivität und damit auch mit dem relativen Aktivitätsniveau des Antagonisten. Bei vollständiger Relaxation des Antagonisten im hochgeübten Zustand ist bei einer langsamen Bewegung mit prävalierenden Reibungskräften eine Kontraktionsdauer von 50% der Gesamtzeit (nämlich genau der Zeit, in der die Bewegung in einer Richtung ausgeführt wird) zu erwarten. Bei dem mäßigschnellen Bewegungstempo der VR 2.1., in dem Trägheits- und Elastizitätskräfte vorherrschen, liegt diese Zeitdauer etwas niedriger (etwa % der agonistischen Bewegungsphase, vgl. dazu die Befunde Wachholders). In unseren Experimenten erhielten wir auch im Endstadium des Lernprozesses längere Kontraktionszeiten. Das liegt daran, daß der Antagonist auch hier nicht völlig entspannt wurde. Der Parameter „Aktivitätsdauer" mißt dasselbe Phänomen am Einzelmuskel wie der Parameter „Aktivitätsniveau des Antagonisten" bei der Koordination von Agonist und Antagonist. Ihre Ausprägungsgrade müssen folglich in den Lernversuchen hoch korrelieren. Der Koeffizient r = 0,882 ist für 11 Wertepaare sehr signifikant ( p < 0,1%, Produkt-Moment-Korrelation). Das bedeutet nichts anderes, als daß die Kenntnis der Variation nur eines Parameters zu denselben Aussagen berechtigt wie die Kenntnis der Veränderungen beider Parameter. Die Stabilität der Meßwerte beider Parameter und die Korrelation zwischen den Werten der Aktivitätsdauer und des relativen Aktivitätsniveaus zum Außenkriterium — der Phasenanpassung im Tracking — weichen nur zufällig voneinander ab. Da sich die Auswertung des relativen Aktivitätsniveaus des Antagonisten leichter handhaben läßt, entschieden wir uns, in künftigen Versuchen nur diesen Parameter zu ermitteln.

8. Studie zur diagnostischen Aussagefähigkeit der elektromyographischen Analyse — Versuchsreihe 3 Die praktische Bedeutung lernpsychologischer Untersuchungen auf dem Gebiet der Sensomotorik war einleitend an einer Reihe von Beispielen aus der Arbeits- und Sportpsychologie belegt worden. Ein Ausgangspunkt unserer Untersuchungen liegt in dem unbefriedigenden Stand der Diagnostik der sensomotorischen Leistungsfähigkeit.

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Es gelang uns, während eines Trainingsprozesses charakteristische Veränderungen in der Muskelaktivität nachzuweisen, als deren wichtigste die zunehmend bessere Koordination funktioneller Antagonisten angesehen werden kann. Wir bestimmten die Güte der Koordination durch den Grad der Antagonistenrelaxation bei einer dynamischen Muskelarbeit. Wir wollen in einer Erkundungsstudie versuchen, die diagnostische Valenz dieses Ergebnisses zu prüfen. 8.1. P r o b l e m s t e l l u n g u n d A r b e i t s h y p o t h e s e Wir gehen von der Annahme aus, daß es eine allgemeine motorische Koordinationsfähigkeit gibt, die unabhängig von der speziellen Handlung und von der ausführenden Muskulatur ist. Wenn das zutrifft und die Koordinationsfähigkeit an den Kriterien gemessen werden kann, die die Verlaufseigenschaften eines sensomotorischen Lernprozesses anzeigen, muß sich eine Population mit besonders guter Fähigkeit zur Ausführung einer beliebigen sensomotorischen Handlung von der unausgelesenen Population in charakteristischer Weise unterscheiden. Wir erwarten, daß das Aktivitätsmuster einer derartigen Extremgruppe vor dem Training und in der Anfangsphase der Übung einer speziellen sensomotorischen Anforderung so beschaffen ist, daß es dem Aktivitätsmuster der unausgelesenen trainierten Gruppe nahe steht Gelingt es, einen Faktor der allgemeinen Koordinationsfähigkeit aus den elektromyographischen Analysen zu diagnostizieren, so wäre eine wichtige Komponente der sensomotorischen Leistungsfähigkeit zu erfassen, die bei allen Anforderungen von Bedeutung sein dürfte, die dynamische Muskelarbeit gestatten. 8.2. M e t h o d i k Wir untersuchen in der VR 3 eine Gruppe von 10 Basketballspielerinnen, die z. T. der Nationalmannschaft der DDR angehören. Die Vpn hatten ein 2l/2- höchstens 6jähriges intensives Hochleistungstraining in dieser Sportart absolviert. Die Experimentalsituation war mit der VR 1.1. identisch (sinusförmige Eingangsschwingung im Pursuit-Tracking mit einer Frequenz von 0,167 Hz). Die Vpn hatten keine Vorerfahrungen in der Bewältigung von Trackinganforderungen. Wir verglichen die Verteilung der Phasenabweichung (Trackingleistung) im I. Übungsdurchgang zwischen der Extremgruppe und 17 Es muß hier völlig offenbleiben, ob ein solches sensomotorisches Koordinationsvermögen infolge eines intensiven Trainings erworben wurde oder ob es mehr durch dispositionelle Voraussetzungen erklärt werden kann.

6

Z. Psychologie 178

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der unausgelesenen Vpn-Gruppe der V R 1.1. Ebenso wurde das relative Aktivitätsniveau des Antagonisten im I. Übungsdurchgang zwischen Extremund Normalgruppe verglichen. 8.3. E r g e b n i s s e Die Extremgruppe hatte bereits im Übungsdurchgang I die optimale Phasenanpassung zwischen Ziel- und Folgefunktion bei der Traekinganforderung erreicht, die der unausgelesenen Normalgruppe erst nach fünf Übungsdurchgängen gelang. Das relative Aktivitätsniveau des Antagonisten liegt bei der Extremgruppe im Mittel niedriger als bei der Normalgruppe (s. Tabelle I I I und Abbildungen 9 und 10). Die Häufigkeitsverteilungen der

Abb. 9. Anfangsstadium des Lernprozesses im Pursuit-Tracking (Basketballer) 1. Zeile — M. bic. br. 2. Zeile — M. trie. br. 3. Zeile — Weg-Zeit-Diagramm der Bewegung (amplitudenverzerrl)

Basket bailer Normalgruppe

20

25

30

35

40

45

50 Aktivität Antagonist %

Abb. 10. Verteilung der Aktivitätsgrade des Antagonisten während des I. Übungsdurchgangs bei der Normalgruppe und der Extremgruppe (Summenprozentdarstellung)

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Aktivitätsgrade beider Gruppen unterscheiden sich signifikant (Sicherung nach KOLMOGOROV-SMERNOV : = 12,89 p < 1%). Tabelle III. Relative Häufigkeitsverteilung (in % ) in den Übungsdurchgängen I bei der Normalgruppe und der Extremgruppe Vpn-Gruppe 16-20 Normalgruppe Basketballer

0 10

Aktivität des Antagonisten 21-25 26-30 31-35 36-40 0 0

0 20

6,5 50

26,5 10

41-45

46-50

20,5 10

46,5 0

°/0 100 100

8.4. S c h l u ß f o l g e r u n g e n Bestimmten wir in allen vorangegangenen VRn den Zusammenhang zwischen Handlungseffekt und Charakter der Muskelaktivität bei ein und derselben Tätigkeit, so versuchten wir in der VR 3 einen Schluß von der myoelektrischen Aktivitätscharakteristik auf ein Verhalten außerhalb dieser speziellen sensomotorischen Handlung. Die statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen den Aktivitätsmustern der Normalgruppe und der Extremgruppe rechtfertigen diesen Schluß. Die im Experiment geforderte mäßigschnelle Beuge- und Streckbewegung des Unterarms gegenüber dem Oberarm hat äußerlich kaum etwas gemeinsam mit den sehr schnellen Wurf- und Stoßbewegungen, die im Basketballspiel verlangt werden. Jedoch wird es für einen Spieler neben sehr vielen anderen eine günstige Leistungsvoraussetzung sein, wenn die verschiedenen Muskelgruppen mit hoher Ökonomie, d. h. geringem Energieverbrauch arbeiten. Aus anderen Untersuchungen wissen wir, daß gerade die zweckmäßige und ökonomische Muskelkoordination im sportlichen Training gefördert wird (FISCHER u n d MERHAUTOVÄ, SCHILLE u n d STÄCHE, HETTINGER u n d MÜLLER).

Die trainierten Vpn zeigen auch bei der völlig anderen sensomotorischen Anforderung (bezüglich des Bewegungstempos, der Bewegungsweite, der beteiligten Muskulatur) ohne vorherigen Übungsprozeß ein ökonomisches Aktivitätsmuster. Dieser Befund bestätigt die Vermutung, daß die einmal erworbene — oder auch dispositionell vorgegebene — Fähigkeit zu ökonomischer Muskelarbeit durch funktionelle Alternation antagonistischer Muskelgruppen auf verschiedenste Anforderungen übertragen werden kann. Es ist anzumerken, daß wir auf Grund des methodischen Zugangs nur eine Aussage über die empirische Gültigkeit unseres Verfahrens durch die Korrelation mit einem zeitlich koexistenten Kriterium treffen können. Eine Aussage über die prognostische Valenz, wie sie aus der Bewährungskontrolle hervorgeht, steht aus. Die Ergebnisse dieser Erkundungsversuche recht6*

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fertigen trotz ihres nur hinweisenden Charakters den Schluß, daß eignungsdiagnostische Kriterien der sensomotorischen Leistungsfähigkeit auf Grund elektromyographischer Analysen entwickelt werden können. Zusammenfassung Es wird eine experimentelle Untersuchung zur Bestimmung der Verlaufseigenschaften eines sensomotorischen Lernprozesses vorgestellt. Die Notwendigkeit der Bearbeitung eines derartigen Themas ergibt sich aus praktischen Problemen der Arbeits- und Sportpsychologie, insbesondere im Rahmen eignungsdiagnostischer Fragestellungen. Die Elektromyographie wird als geeignete Methode zur Erfassung der motorischen Efferenz dargestellt. Ausgehend von bekannten experimentellen Arbeiten werden trainingsabhängige Veränderungen der Muskelaktivität erwartet. In den V R n 1.1. und 1.2. wird in einem sensomotorischen Lernprozeß die Leistungsgüte als Außenkriterium zu den myoelektrischen Aktivitätsmustern in Beziehung gesetzt. Die Anpassung der Folgefunktion an die Zielfunktion in einer Pursuit-Trackinganordnung mit sinusförmigen Eingangsschwingungen unterschiedlicher Frequenz wird durch die mittlere Phasenabweichung bestimmt und als Maß der Leistungsgüte verwendet. Die Analyse des synchron abgeleiteten bipolaren Elektromyogramms der an der Bewegung beteiligten Muskelgruppen (M. bic. brach., tric. brach, und deltoides) führte zu folgenden Hauptergebnissen: 1. Die bioelektrische Gesamtaktivität während der Agonisten- und Antagonistenphase desselben Muskels bei einer Folgefunktion sinkt mit steigendem Übungsfortschritt. 2. J e weiter der Trainingsprozeß fortgeschritten ist, desto besser wird der Antagonist relaxiert. 3. J e höher der erreichte Trainingsstatus ist, um so kürzere Zeit zeigt der Agonist ein hohes Aktivitätsniveau. Der Zusammenhang zwischen der Leistungsgüte im Außenkriterium und dem Ausprägungsgrad der drei Parameter der Muskelaktivität ist statistisch signifikant. Die trainingsbedingten Veränderungen der Muskelaktivität sind unabhängig von der Bewegungsgeschwindigkeit und den passiven Außenkräften, die die Bewegung überwinden muß. Die Reliabilitätsprüfung ergab, daß das relative Aktivitätsniveau des Antagonisten und die Dauer der Aktivität über mehrere Tage in hohem Maße zeitkonstant sind (statistisch signifikante Korrelationskoeffizienten zwischen den elektromyographischen Daten mehrerer Versuchstage). Unter Ausschaltung der peripheren Muskelermüdung gilt das auch für die Gesamtaktivität. Die lernabhängige Reduktion der Muskelaktivität entspricht einer Senkung des Energieaufwandes und somit einer zunehmenden Ökonomie des Bewegungsablaufs. Die Verminderung des Niveaus der myoelektrischen Aktivität läßt sich ausschließlich auf eine Reduktion der Antagonistenaktivität zurückführen. Verschiedene physiologische Erklärungsmöglichkeiten dieses Phänomens werden diskutiert. Der Vergleich der verwendeten Auswertungsparameter zeigt, daß die Güte der Koordination antagonistischer Muskelgruppen vor allem durch das relative Aktivitätsniveau des Antagonisten gekennzeichnet werden kann. In der abschließenden V R 3 wird die Möglichkeit angedeutet, aus der elektromyographischen Analyse ein eignungsdiagnostisches Verfahren zu entwickeln.

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A.-M. Metz, Änderungen der myoelektrischen Aktivität

Summary An experimental analysis for determing the progression properties of a sensory-motor learning process is presented. The necessity of elaborating on such a subject results from practical problems of industrial and sports psychology, especially in the framework of problems with a view to aptitude diagnostics. Electromyography is regarded as the appropriate method for recording motor efference. Proceeding from known experimental works, changes in muscular activity dependent on training are expected. In the TS 1.1. and 1.2. ihe performance efficiency in a sensorymotor learning process is related, as an external criterium, to the myoelectric activity patterns. The adjustment of the pursuit function to the objective function in a pursuit-tracking design with sinusoidal input oscillations of differing frequencies is determined by the average phase deviation and used as a measure of performance efficiency. The analysis of the synchronously deviated bipolar electromyogram of the muscular groups sharing in the motion (M. bic. brach., trie, brach. and deltoides) yielded the following main results: 1. Bioelectric total activity during the agonist and antagonist phases of the same muscle in the course of a pursuit function decreases as exercising progress increases. 2. As the training process progresses, the better the antagonist is relaxed. 3. The higher the training status achieved is, the shorter is the time of the agonist showing a high activity level. The correlation between performance efficiency in the external criterium and the degree of distinction of the three parameters of muscular activity is statistically significant. The changes of muscular activity conditioned by training are independent of the rate of motion and the passive external forces motion has to overcome. The reliability test proved that the Relative Activity Level of the antagonist and the duration of activity were to a high degree time-constant during several days (statistically significant correlation coefficients between the electromyographic data of several test days). Eliminating peripherous muscular fatigue, this holds also good for total activity. The reduction of muscular activity dependent on learning corresponds to a decrease in expenditure of energy and thus to an increasing economy of sequence of motions. The decrease of the level of myoelectric activity can without exception be explained by a reduction of antagonist activity. Different physiological possibilities for defining this phenomenon are discussed. The comparison between the evaluation parameters used shows that the quality of coordinating antagonist muscular groups can he characterized above all by the Relative Activity Level of the antagonist. In the final TS 3 the possibility is suggested to develop a method of aptitude diagnostics from the electromyographic analysis.

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Z. Psychol. Bd. 178 (1970) H. 1/2

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