Zeitgefühle - Wie die DDR ihre Zukunft besang: Eine Emotionsgeschichte 9783839452851

»Wir singen schon heute die Lieder von Morgen« heißt es 1964 in einem populären Jugendlied der DDR. Sie wollte über musi

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Zeitgefühle - Wie die DDR ihre Zukunft besang: Eine Emotionsgeschichte
 9783839452851

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung
Neues fühlen. Nachkriegsjahre (1945-1949)
Zukunft fühlen. Jugendtreffen 1950/1951
Patriotisch fühlen. 1952-1961
Vertrauen fühlen. Die Jahre 1961-1965
Authentisch fühlen. Die FDJ-Singebewegung 1960-1973
Selbstbewusstsein fühlen. Das Jahr 1973
Zukunft als Programm. Fazit und Ausblick
Anhang

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Juliane Brauer Zeitgefühle – Wie die DDR ihre Zukunft besang

Histoire  | Band 180

für meine Eltern

Juliane Brauer (Dr. phil. habil.), Historikerin und Musikwissenschaftlerin, forscht und lehrt über kulturwissenschaftliche Themen der modernen deutschen Geschichte. Seit 2020 ist sie Professorin für Geschichtsdidaktik an der Stiftung Universität Hildesheim.

Juliane Brauer

Zeitgefühle – Wie die DDR ihre Zukunft besang Eine Emotionsgeschichte

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustim­mung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Verviel­fältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: »Kinderchor des Schulensembles im Estradenprogramm der Stadt Eilenburg, Mai 1971. Bundesarchiv, Bild 183-K0513-1004-001, Fotograf Friedrich Gahlbeck Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5285-7 PDF-ISBN 978-3-8394-5285-1 https://doi.org/10.14361/9783839452851 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Vorwort ........................................................................................ 7 Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung ....................................................... 11 Zeitgefühle. Die DDR als »Zeitregime der Moderne« ............................................. 17 Singen. Lieder als Quellen ...................................................................... 19 Erziehen. Vorgriff auf Zukunft ................................................................. 29 Zukunft als Programm. DDR-Geschichte schreiben ............................................. 33 Neues fühlen. Nachkriegsjahre (1945-1949) .................................................. 39 Traditionen und Übergänge..................................................................... 41 Singen in der Sowjetischen Besatzungszone ................................................... 63 Singen in den westlichen Besatzungszonen .................................................... 87 Die Illusion des Neuanfangs ....................................................................111 Zukunft fühlen. Jugendtreffen 1950/1951 ..................................................... 115 Das Deutschlandtreffen der Jugend in Berlin .................................................. 116 Das Europäische Jugendtreffen auf der Lorelei ................................................126 Der Sozialistische Jugendtag in Hamburg ..................................................... 132 Zeitgefühle um 1950 .......................................................................... 136 Patriotisch fühlen. 1952-1961 ................................................................. 141 Das geplante Kinderleben .....................................................................145 Variationen von Heimatliebe ...................................................................166 Jugendweihe 1960. »Der wahre Festtag der sozialistischen Zukunft« ........................... 194 Zukunft als Versprechen, Pflicht und Plan .................................................... 202 Vertrauen fühlen. Die Jahre 1961-1965 ....................................................... 209 Überwachen und Regulieren .................................................................. 211 Vertrauensbeweise. Das Deutschlandtreffen 1964 ............................................. 225 Vertrauensverweigerung. Das »Kahlschlagplenum« 1965 ...................................... 246 Misstrauen praktizieren ....................................................................... 251

Authentisch fühlen. Die FDJ-Singebewegung 1960-1973 ..................................... 253 Anders Singen. Von der Hootenanny zum FDJ-Singeklub....................................... 257 Der Singeklub als »Freizeitkollektiv«? ........................................................ 276 Das Singeklublied. »Gute Gefühle, aber keine Gefühlsduselei« ................................ 283 »DDR-konkret« .............................................................................. 309 Ankunft im sozialistischen Alltag ..............................................................316 Selbstbewusstsein fühlen. Das Jahr 1973 .................................................... 321 Stabilität und »DDR-Bewußtsein« ............................................................ 323 Der Liedwettbewerb zu den Weltfestspielen .................................................. 326 Sicherheitspolitik. Planung und Überwachung ................................................ 338 Ernüchterung ................................................................................ 342 Zukunft als Programm. Fazit und Ausblick................................................... 349 Eine Erziehungsgeschichte der DDR ...........................................................351 Singen als Emotionspraktik................................................................... 352 Zeitgefühle .................................................................................. 355 Die DDR im Projekt der Moderne .............................................................. 360 Zur Zukunft der DDR-Geschichtsforschung ................................................... 364 Anhang ...................................................................................... 369 Abbildungsverzeichnis ....................................................................... 369 Abkürzungen ................................................................................. 371 Quellenverzeichnis ........................................................................... 373 Literaturverzeichnis........................................................................... 391 Medienverzeichnis ............................................................................ 414 Filme ......................................................................................... 414 Platten/CDs ................................................................................... 414 Liedindex ..................................................................................... 415 Personenindex ............................................................................... 423

Vorwort

»Fröhlich sein und singen« verkündet im Sommer 2013 ein selbstgestaltetes A3-Poster im Schaukasten einer kleinen brandenburgischen Gemeinde südwestlich von Berlin. Die unbenannten Organisatoren und Organisatorinnen laden zu einem sonntäglichen Sängertreffen im Grünen ein; mit Picknick. Bemerkenswert an dieser Einladung ist nicht so sehr der Wunsch, das Singen als geselliges Ereignis im dörflichen Gemeinschaftsleben zu etablieren, sondern vielmehr die auffordernde Zeile: »Fröhlich sein und singen«. Nicht wenige der Badegäste, die auf dem Weg zum nahe gelegenen See den Aufruf gelesen haben, werden sich unwillkürlich an ihre Kindheit und Jugend in der DDR erinnert gefühlt haben. Denn mit der Liedzeile »Fröhlich sein und singen« begann das bekannteste Pionierlied aus dem Jahr 1959, das den Titel trägt: Auf zum Sozialismus. Bis Ende der 1980er Jahre lernten und sangen Generationen von Jung- und Thälmannpionieren im Schulunterricht, auf Pioniernachmittagen, zu Fahnenappellen, auf Pioniertreffen oder im Ferienlager: »Fröhlich sein und singen/stolz das blaue Halstuch tragen.« Auch eine der populärsten Kinderzeitschriften der DDR: »FRÖSI. Pioniermagazin für Mädchen und Jungen der DDR« ist ein Akronym aus der Mottozeile »Fröhlich sein und singen«. Ungeachtet dieser spezifischen DDR-Assoziationen steht das bunte A3-Poster beispielhaft für einen neuen Singe-Boom in Deutschland, der von dem Versprechen begleitet wird, dass Singen glücklich macht. Vielleicht ging es bei der Einladung zum Sonntagssingen gar nicht so sehr um die Erinnerungen an das Pionierlied, sondern vielmehr um die Überzeugung, mit Gesang Fröhlichkeit zu teilen. Dafür sprechen Großereignisse öffentlichen Singens, die immer beliebter werden, wie das Weihnachtssingen des Fußballvereins 1. FC Union Berlin, zu dem sich mittlerweile gut 30.000 Fans immer Ende Dezember im Fußballstadium treffen. Wegen dieses immensen Erfolgs haben in den letzten Jahren auch andere Fußballvereine das Format übernommen, zur Freude der Fans, die mit Begeisterung gemeinsam Weihnachtslieder singen und damit ihren Gefühlen von Zugehörigkeit zu ihrem Verein Nachdruck verleihen. Deutschlandweit hat sich ebenso das »Rudelsingen« etabliert. Dieses Mitsing-Format wirbt mit Spaß, Freude und Wohlfühl-Atmosphäre. Seit 2011 treffen sich regelmäßig in Deutschlands Städten Tausende Menschen in großen Hallen, um von einer Band unterstützt alte und

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

neue Schlager- und Popmelodien zu singen. Videoaufnahmen und Selbstberichte dokumentieren die Glücksgefühle der Singenden. Singen, Zusammengehörigkeits- und Geborgenheitsgefühle gehören ohne Zweifel zusammen. Während die letzten Korrekturen an diesem Buch am heimischen Schreibtisch eingearbeitet werden, befindet sich die Welt im Corona-Shutdown. Auch und gerade in diesen krisenhaften Zeiten wird gesungen. Menschen im besonders betroffenen und isolierten Norditalien haben es im März 2020 vorgemacht. Die bekannten und anrührenden Melodien aus Verdis Nabucco füllen die menschenleeren Straßen und erreichen die Ohren und Herzen derjenigen, die in der heimischen Quarantäne an Einsamkeit leiden. Die evangelische Kirche Deutschlands ruft zum »Balkonsingen« auf, jeden Abend 19:00 Uhr: Der Mond ist aufgegangen. Die alte Weise von Matthias Claudius verbindet für einen kurzen abendlichen Moment die Menschen, deren Hauptaufgabe »social distancing« ist: »Wie ist die Welt so stille/Und in der Dämmrung Hülle/So traulich und so hold!/Als eine stille Kammer/Wo ihr des Tages Jammer/Verschlafen und vergessen sollt.« Je nach Region lässt sich in der gespenstischen Stille des deutschlandweiten »Kontaktverbotes« Bochum von Herbert Grönemeyer hören, oder das alte deutsche Steigerlied (zugleich Fußballhymne) Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt. Die Beispiele werden zahlreicher, je länger der Shutdown dauert. Singen macht fröhlich und gesund, es fördert das Wohlbefinden durch Glücksgefühle und das Gemeinschaftserlebnis. Auf dieser Grundannahme beruhte und beruht kurzgefasst die soziale Praxis gemeinschaftlichen Singens in Geschichte und Gegenwart. Musik wirkt direkt auf das Innerste des Menschen, sie mobilisiert positive Emotionen, reguliert und beeinflusst diese. Singen ermögliche dementsprechend ein Gefühlsmanagement. Das ist das Versprechen unzähliger aktueller Ratgeber und psychosozialer Sachbücher. Dieses gefühlte Wissen macht das Singen gerade in Krisenzeiten populärer denn je. Der neue Singe-Enthusiasmus lässt jedoch vergessen, dass gemeinschaftliches Singen nicht immer nur dazu genutzt wurde, Menschen glücklich zu machen. Das enge Zusammenspiel von gemeinschaftlichem Singen und Fühlen ließ und lässt sich auch für ein intentionales Gefühlsmanagement nutzbar machen, das nicht immer nur das individuelle Wohlergehen im Sinn hat. Mit dem Lied Auf zum Sozialismus sollten die Heranwachsenden in der DDR Stolz zeigen, Heimatliebe lernen, die Überlegenheit des sozialistischen Gesellschaftssystems besingen und damit selbst zu sozialistischen Persönlichkeiten erzogen werden. Die heutige Geschichtsvergessenheit in Bezug auf das Singen als Strategie der intentionalen Gefühlserziehung in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist bedenkenswert. Denn auch schon Generationen von Jugendlichen vor 1949 lernten im gemeinschaftlichen Singen, Werte und Weltbilder zu verinnerlichen. Das vermeintlich gute und harmlose Singen konnte und kann auch als Praktik ideologischer Einflussnahme benutzt werden. Singen ist eben nicht per se die Glücksstrategie, als die es heute daherkommt. Die emotionale Bedeutung und die mobilisierende Wirkung entstehen im sozialen Gebrauch des Gesangs, dieser wiederum wird von der gesellschaftlichen Zielstellung gerahmt. Genau diese Beobachtung ist der Ausgangspunkt dieses Buches. Es zeigt auf, wie in der DDR Kinder und Jugendliche durch das wiederholte gemeinschaftliche Singen

Vorwort

von Liedern, die eigens von der Staatsmacht in Auftrag gegeben wurden, lernen sollten, sozialistisch zu fühlen, zu denken und zu handeln. Das Buch ist als Habilitationsschrift in der produktiven und inspirierenden Atmosphäre des Berliner Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung im Forschungsbereich Geschichte der Gefühle entstanden. Das gemeinsame Denken, Diskutieren, Ausprobieren und Arbeiten an Methoden und Theorien zu einer sich gerade etablierenden Emotionsgeschichte hat diese Arbeit erst ermöglicht. Einen besseren Ort hätte es für ein solches Vorhaben nicht geben können. Ich danke ganz besonders Ute Frevert für die vielen Anregungen, das in mich gesetzte Vertrauen und den Raum und die Zeit, die ich für die Bearbeitung meiner Themen bekommen habe. Wie immer kann ein solches Buchprojekt nur mithilfe vielfältiger praktischer und emotionaler Unterstützung gelingen. Mein Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen des Forschungsbereiches, die mich in dieser Zeit begleitet haben. Ich danke ihnen für die präzisen und produktiven Rückmeldungen zu meinen Texten, für das gemeinsame Ringen um Begriffe und Theorien, für Gespräche in der Teeküche oder im Türrahmen, für Ideen, Motivation und Zuspruch. Ich habe im Verlaufe der jahrelangen Arbeit zahlreiche Hilfe bekommen, ohne die ich viele Ideen und Forschungsansätze nicht hätte umsetzen können. Dafür danke ich meinen studentischen Hilfskräften. Mein weiterer Dank gilt insbesondere dem Team aus der Bibliothek des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung, das mich konstant und geduldig mit noch so ungewöhnlicher Literatur versorgt hat. Allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus den unzähligen kleinen und großen Bibliotheken und Archiven, in denen ich viel Zeit in den letzten Jahren verbracht habe, danke ich für die geduldige Unterstützung meiner Arbeit. Ganz besonders danke ich Karola Rockmann, die in mühevoller Detailarbeit die Lieder neu setzte, dabei immer ein offenes Ohr für alle Fragen und Zweifel hatte und mich unermüdlich motivierte, wenn ich drohte, in der Fülle der Materialien unterzugehen. Ebenso danke ich Anja Berkes für Unterstützung insbesondere auf den letzten Metern der Manuskripterstellung. Mein besonders großer Dank geht immer wieder und von Neuem an Veronika Springmann für die langen Abende, an denen wir die Texte unerbittlich auf Herz und Nieren durchdiskutiert haben. Ich hätte mir keine bessere Erstleserin meiner Kapitel wünschen können. Danke für das unermüdliche Lesen, Mitdenken und für großartige Kritik, die mich vor einigen Irrwegen bewahrt hat und immer wieder auf die Zielgeraden führte. Aus tiefsten Herzen danke ich meiner Familie für Geduld, Verständnis und Unterstützung, für Gelassenheit und Fröhlichkeit auch ohne Gesang. Das Buch widme ich meinen Eltern, die mich schon immer mit Vertrauen und Zuversicht begleitet haben. Ihre Erinnerungen und Erzählungen sind zu einem Teil des Buches geworden.

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Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

»Da fing ich an zu singen«, schreibt Christa Wolf in ihrem letzten großen Roman Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud. »Ich habe diese Nacht durchgesungen, alle Lieder, die ich kannte, und ich kenne viele Lieder mit vielen Strophen.«1 Es ist die schwerste Nacht, die Christa Wolf in Los Angeles als Gast am Getty-Institut verbringt, weit weg von Berlin und doch eingeholt von den Vorwürfen, für die Staatssicherheit gearbeitet zu haben: »Lieder verschiedener Lebensepochen gerieten mir durcheinander.« Sie trinkt Whiskey und singt stundenlang. Die Liedtitel füllen mehr als zwei Seiten: Volkslieder, alte Bauern- und Landknechtslieder, Lieder aus der Hitlerjugend, Kirchenchoräle, Arbeiterkampflieder aus dem Spanienkrieg und Jugendlieder aus der DDR: »Ich hattʼ einen Kameraden, und Es geht eine helle Flöte, und Alle Vögel sind schon da, und ich ließ keine Pause zu und halte Lied auf Lied aus einem unerschöpflichen Speicher, ich sang Die Gedanken sind frei […], und O du stille Zeit, und Hohe Tannen weisen die Sterne, und Im August blühn die Rosen, und Du hast ja ein Ziel vor den Augen.«2 In dieser Nacht, so scheint es, stellt sich Christa Wolf mit dem Gesang all dieser Lieder ihrer Vergangenheit. Das Singen beschreibt sie als ihre ganz persönliche Katharsis. Erst gegen morgen kann sie ruhig einschlafen. An den Jugendliedern aus der DDR arbeitet sich Christa Wolf besonders ab. An anderer Stelle entlarvt sie diese als »künstlich eingepflanzte Ersatzgesänge«: »Sie haben die Zeit nicht überdauert. Warum sollen die Lieder länger leben als die Menschen, die sie gesungen haben, dachte ich. Wir sangen die Lieder der Alten, wir sangen das Lied von den Moorsoldaten […]. Wir sangen auch das neue Thälmannlied Thälmann und Thälmann vor allem/Deutschlands unsterblicher Sohn, oder wir sangen zum Weltjugendtreffen Im August blühn die Rosen, aber es fehlte diesen Liedern etwas, wir hörten auf, sie zu singen, sie stimmten nicht.«3

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Wolf (2010): Stadt der Engel, 249. Ebd., 250. Ebd., 140 (Herv. i. Or.).

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

Obwohl diese Lieder für Christa Wolf »nicht mehr stimmten«, drängen sie sich Jahrzehnte später in die Stille der Nacht an der Westküste der USA, zusammen mit den Erinnerungen an ein ganzes Leben in dem verschwundenen Land DDR. Diese Lieder, die Christa Wolf neben den Volksliedern in den Sinn kommen, handeln vom heroischen antifaschistischen Kampf, vom Enthusiasmus des Neuanfangs, von dem Versprechen auf eine neue blühende, sonnenbestrahlte friedliche Welt. »Wir hörten auf, sie zu singen«, behauptet die Autorin und singt. Die Lieder bleiben ein Teil der Menschen, die mit ihnen groß werden. Auch wenn Christa Wolf die Gesänge längst als naiv und falsch entlarvt hat, trägt sie die Lieder in ihrem Kopf und auf der Zunge. Die Autorin brauchte die Verse und Melodien, um sich ihren Erinnerungen zu stellen, um »in dieser Nacht viel über mich zu erfahren«.4 Diese spezifische Verbindung von Singen, Erinnern und Fühlen unterstreicht die emotionale Wirkmächtigkeit von Musik. Genau darüber schrieben Philosophen schon vor mehreren Tausend Jahren. Sie erkannten dabei unmittelbar das Potenzial der Musik, auf Menschen nachhaltig einzuwirken.5 Seitdem mündete diese Überzeugung immer wieder in Gesangspraktiken, mit denen Gefühle erzogen werden sollten, so auch im Nachkriegsdeutschland. 1946 erschien unter der Lizenznummer 91 der Sowjetischen Militärverwaltung bereits in der zweiten Auflage ein Liederbuch mit dem Titel »Singt alle mit! Lieder für Feier und Gemeinschaft«. Zum Geleit hieß es: »Singen? Inmitten der Trümmer? Ja! Sagen die Hoffnungsvollen. […] Allen sollen diese Lieder Freude am Zusammensein bringen. Wir brauchen Freude, wir brauchen die Gemeinschaft beim nicht leichten Aufbauwerk.«6 Hoffnung, Freude und Gemeinschaft waren die zentralen Botschaften, die nicht einmal ein Jahr nach Kriegsende das Liederbuch rahmten. Tatsächlich stellt sich die Frage, warum man inmitten von Trümmern wieder oder überhaupt singen sollte. Singen, so der Grundtenor zahlreicher Nachkriegspublikationen in ganz Deutschland, stehe für Lebensfreude. Das war ein rares Lebensgefühl in jenen Jahren. Daher müsse man sich intensiv darum kümmern. Ebenso verhielt es sich mit der Hoffnung. Was gab es im Nachkriegsdeutschland für wen zu hoffen, zu wünschen und zu träumen? Hoffnungen und Sehnsüchte waren knappe Ressourcen, um die man sich besonders bemühte. Für das Singen »inmitten von Trümmern« versammelte das Liederbuch von 1946 altvertraute Volkslieder, bekannte deutsche Arbeiterlieder und weniger bekannte russische Volkslieder. Fast am Schluss finden sich zwei neue Liedkompositionen: Brüder, glaubet an das Morgen (1945, Max Nierich/Meinhardt Böhme) und Das Lied der neuen Jugend (1945, Walter Dehmel/Walter Rohde).7 Gerade das letztgenannte ist interessant, da

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Ebd., 249. Platon und Aristoteles nutzen ihre Überlegungen über die Wirkung von Musik auf das Fühlen für Erziehungspraktiken und wollten diese für die »Charakterbildung« nutzbar machen; vgl. Platon (1855): Politeia, 401 St 2 A und Aristoteles (1993): Politik. Für einen ideengeschichtlichen Abriss vgl. Ehrenfort (2005): Musikalische Bildung; Gouk (2005): »Music as a Means of Social Control«. Magistrat der Stadt Berlin (1946): Singt alle mit!, 3. Im Folgenden werden Liedtitel immer kursiv gesetzt und bei der ersten Nennung in Klammern das Jahr der ersten Nennung bzw. das Entstehungsjahr genannt (falls unbekannt erscheint ein Fragezeichen) sowie die Namen des Verfassers oder der Verfasserin und des Komponisten oder der Komponistin, soweit diese Informationen bekannt sind. Gesammelte Liedinformationen finden sich im Liedindex im Anhang.

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

es sich um das erste Nachkriegslied für die »neue deutsche Jugend« in der SBZ handelt. Es stammte aus der Feder des Arbeiterdichters Walter Dehmel (1903-1960) und des Berliner Kinder- und Jugendchorleiters Walter Rohde.8

Abbildung 1

Lied der neuen Jugend, in: Neues Leben, Januar (1946), S. 10.

In die Liedzeilen sind drei Grundideen über die »neue Jugend der neuen Zeit« eingewoben, von denen sich das vorliegende Buch leiten lässt. Erstens wird eine besondere Verknüpfung von Jugend mit Zukunft deutlich, ein gesellschaftliches Verlangen nach Zukunft, das an einen spezifischen Entwurf von Jugend gekoppelt ist. So heißt es: »Wir sind die Jungen, die Unruhvollen, denen die Zukunft verlockend winkt«. Zweitens beschreibt das Lied eine bestimmte Vorstellung über Jugend: »Wir sind entschlossen, 8

Über Walter Rohde ist wenig bekannt. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren trat er als Leiter von Kinder- und Jugendchören in der Berliner Öffentlichkeit in Erscheinung, vgl. z.B.: Anonym, »Gemeinsame Kundgebung der KPD und SPD zur demokratischen Schulreform«, in: Berliner Zeitung, 1. November 1945, 4. Walter Dehmel ist vor allem auch für die deutsche Fassung des Weltjugendliedes bekannt geworden.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

das Schwerste zu wagen«, daher müsse sich diese Jugend, deren »Leben Verpflichtung heißt«, mit »neuem Fühlen« und »neuem Geist« »erfüllen«. Drittens gibt das Lied Auskunft über die Strategie der Gefühlserziehung, gemeinschaftliches »Vorwärtsschreiten« »mit frohen Gesängen« war das Mittel der Wahl. Diese drei Ideen illustrieren das Programm der Erziehung der Gefühle, wie es dem gemeinschaftlichen Singen in der SBZ und später in der DDR unterlegt war. Das war alles andere als neu. Doch im Gegensatz zum Text schlug die Melodie einen hörbar neuen Ton an. Das Lied tönte nicht so sehr vorwärtsdrängend und enthusiastisch, wie die Jugendlieder der Jahre zuvor, stattdessen klang es ernsthaft entschlossen. Obwohl die Liedkomposition nicht einfach war und es geübte Sänger/-innen brauchte, den energischen Ton zu treffen, erklang dieses erste Jugendlied immer wieder. Bis 1950 war es auf zahlreichen Schulfeiern zu hören und erschien wiederholt in Musiklehrbüchern und Liederbüchern.9 Die im Sommer 1945 gegründeten Antifaschistischen Jugendausschüsse, aus denen später die einzige zugelassene Jugendorganisation, die Freie Deutsche Jugend (FDJ), hervorging, warben mit fröhlichem Gesang um die Kinder und Jugendlichen. Dafür dichteten und komponierten Lehrer/-innen, Jugenderzieher/-innen, namhafte und unbekannte Lyriker/-innen und Komponisten/-innen mit scheinbar unermüdlichem Eifer im ersten Nachkriegsjahrzehnt Lieder, denen sie die neuen Zukunftsentwürfe, Hoffnungen und Sehnsüchte einschrieben. Durch das Singen dieser Lieder sollten die Jugendlichen lernen, was zu erhoffen, zu wünschen und zu erwarten war. Mit dieser dezidierten Hinwendung zum gemeinschaftlichen Singen als Strategie der Gefühlserziehung konnten die Pädagogen und Pädagoginnen sowie Jugendpolitiker/-innen im Nachkriegsdeutschland an ein breites Spektrum von Erfahrungen und Diskursen anknüpfen. Die ideengeschichtliche Liaison von Musik, einer Kultivierung der Emotionen und politischer Erziehung lässt sich bis in die griechische Antike zurückverfolgen. Selbst wenn sich die Spuren zwischenzeitlich verlieren, der Gesang hatte spätestens seit dem 18. Jahrhundert eine Schlüsselstellung in den mitteleuropäischen Erziehungsprogrammen.10 Die Überzeugung von der gemeinschaftsbildenden Kraft des Singens zog sich durch politisch und gesellschaftlich diverse Gesangsvereinigungen des 19. Jahrhunderts.11 9 10

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Programm einer Schulentlassungsfeier: 24. Juli 1949, in: SA Erfurt 5/963 A-13; Zentralsekretariat der SED (1948): Der Kampf um die Deutsche Einheit. Vgl. von Goethe (1950): Wilhelm Meisters Wanderjahre, 152: »[B]ei uns ist der Gesang die erste Stufe der Bildung, alles andere schließt sich daran und wird dadurch vermittelt. […] Deshalb haben wir denn unter allem Denkbaren die Musik zum Element unserer Erziehung gewählt, denn von ihr laufen gleichgebahnte Wege nach allen Seiten.« Eine besondere Wertschätzung erfuhr die Musik, insbesondere das Singen, im Europa des 19. Jahrhunderts, vgl. Nägeli (1810): Gesangsbildungslehre, 53f. Zum bürgerlichen Männergesang siehe Klenke (1998): Der singende »deutsche Mann«. Die Männergesangsvereine mit ihrem 1861 eingeführten Sängergruß: »Grüß Gott! mit hellem Klang, heil deutschem Wort und Sang!« (8), waren Träger des »nationalreligiösen« Gemeinschaftsdenkens (120) und ein »politisches Sprachrohr des aufstrebenden Bürgertums« (2). Klenke klassifiziert dieses als »kunstreligiöse Überhöhung« (3). Lemmermann (1984): Kriegserziehung im Kaiserreich, 95 stellt heraus, dass im Kaiserreich der Gesang als »Gefühlstechnik« und als »Reproduktionshilfe der Gefühle« diente sowie der militaristischen und patriotischen Wehrkrafterziehung, (122-135). Zum Arbeiter-

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Singen zu einem selbstverständlichen Bestandteil jugendlicher Lebenswelten. Die Jugend verschiedener politischer und gesellschaftlicher Provenienzen sang auf Wanderungen oder am Lagerfeuer.12 In der Zeit des Nationalsozialismus resultierte die Überzeugung vom unmittelbaren Zugriff auf die Herzen der Heranwachsenden durch das Kampf- und Kriegslied in das allgegenwärtige Singen (para)militärischer Kohorten.13 Das Singen war den Menschen im Nachkriegsdeutschland also vertraut, die Erinnerungen daran jedoch sehr verschieden. Ebenso wenig neu wie das Singen war die Liaison von Jugend und Zukunft in der SBZ und der DDR. Der vergleichende Blick auf die westlichen Besatzungszonen zeigt, dass die Machthaber im östlichen Teil Deutschlands ihren Zukunftsentwurf wesentlich stärker an das Erziehungsprojekt der heranwachsenden Jahrgänge geknüpft haben als die Politiker/-innen in den westlichen Besatzungszonen. Wie sollten Kinder und Jugendliche für die neue Zukunftsvision aktiviert werden? Die gewählten Methoden waren historisch betrachtet nicht originell, dennoch wurden sie mit einer ganz besonderen Intensität umgesetzt. Die kommunistischen Politiker/-innen setzten auf ein »neues Fühlen« und einen »neuen Geist« – somit auf eine dezidierte Erziehung der Gefühle. Das neue Fühlen und Denken wurde in den neuen Liedern formuliert und sollte zugleich mit dem Gesang dieser Lieder eingeübt und wirksam werden. Das gemeinschaftliche Singen von Liedern, die von der Staatsmacht in Auftrag gegeben und für gut befunden wurden, war vor allem in den Erziehungsinstitutionen Schule und Jugendorganisation alltägliche Praktik. Damit sind die Lieder die wichtigste Quelle für die Fragestellung der Arbeit. Sie ermöglichen einen Zugriff auf Vorstellungen über und Strategien der Gefühlserziehung in der SBZ und DDR, damit zugleich auf zeitgenössische Zukunftsentwürfe. Dass Lieder eine besondere emotionale Relevanz in den vielfältigen und ambivalenten Erinnerungen an die DDR haben, dafür steht beispielhaft Christa Wolf. Auffallend an den zahlreich publizierten Erinnerungen ist, dass es immer wieder die gleichen Lieder sind, die für die DDR-Erinnerung stehen. Dem 1948 geborenen Hans-Jürgen Krause »kullern« noch heute fast die Tränen, wenn er das »schöne Kinderlied« Unsre Heimat (1951, Herbert Keller/Hans Naumilkat) hört oder singt.14 Corinna Sylvester (geboren 1959) berichtet, wie bei ihr zu Hause bei allen Gelegenheiten gesungen wurde: »Jeder hatte so seine Lieblingslieder, darunter viele Kampflieder, die wir inbrünstig schmetterten. Zum Beispiel »Die Moorsoldaten«, da wurden wir immer furchtbar traurig, oder es hat uns »Der kleine Trompeter« aus der Fassung gebracht.«15 Fast legendär ist ein Liederabend am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin unter der Regie von Christoph Schroth. Am 4. November 1989, fünf Tage vor dem Mau-

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gesang, siehe Klenke (1995): Nationale oder proletarische Solidargemeinschaft?; Körner (1997): Lied von einer anderen Welt; Hitzer (2001): Schlüssel zweier Welten. Lindner (2003): Die Mentalität der deutschen Jugendbewegung; Linner (2009): Lied und Singen. Zum Singen als Erziehungsstrategie in den nationalsozialistischen Jugendorganisationen siehe: Klopffleisch (1995): Lieder der Hitlerjugend; Niessen (1999): Mädchen und Musik im Nationalsozialismus; Fromman (1999): Die Lieder der NS-Zeit. Zitat aus Felsmann (2003): Beim Kleinen Trompeter, 80. Ebd., 64.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

erfall, standen die 50 bis 60-jährigen Schauspieler/-innen auf der Bühne und sangen die alten FDJ-Lieder ihrer Jugendzeit: »Ein Stück Jugend kam da wieder hoch. Manchmal mit großem Erschrecken – manchmal haben wir uns auch ausgeschüttet vor Lachen […]. Als wir die Lieder einstudierten, stand uns dauernd das Wasser in den Augen«, denn genau diese Lieder hatten die in den 1930er Jahren geborenen Schauspieler/-innen in ihrer Jugend »mit Begeisterung« gesungen, »mit Inbrunst«. Jedoch sangen die Schauspieler/-innen auf der Schweriner Bühne 43 Jahre nach Gründung der FDJ ganz anders: ohne den »Rumms« des Marschtrittes, sondern mit »Tiefgang« und Nachdenklichkeit. Für sie wurden die »Hoffnungen« der Nachkriegsjahre damit wieder lebendig, diese »Neuinterpretation passte zu der Stimmung der Wendezeit«. Die intensive Emotionalität dieses Liederabends brachte Ekkehard Hahn auf den Punkt: »Wir standen oben und haben geheult, und die saßen unten und haben geheult, und jede Vorstellung war anders: immer noch einen Zahn intensiver, beeindruckender.«16 Manche ehemalige DDR-Bürger/-innen definieren sich über die verpflichtend gelernten Kinder- und Jugendlieder. Anderen gelten diese als Symbole der »Erziehungsdiktatur«, die ihnen verbieten wollte, westlichen Rock, Beat oder Punk zu hören, zu spielen oder zu singen.17 Diesen Liedern zu entkommen, war jedoch fast unmöglich. Dank eines systematischen Erziehungsplanes war ein verpflichtendes Liedrepertoire omnipräsent: Es erklang in einschlägigen Radiosendungen, wurde im schulischen Musikunterricht auf Note gelernt und auf Fahnenappellen, bei den zahlreichen offiziellen Schulfeiern sowie auf den Nachmittagsveranstaltungen der Pioniere und FDJler/-innen gesungen und befand sich bunt illustriert in den altersentsprechenden Zeitungen und Zeitschriften. Viele dieser Lieder haben sich dem Gedächtnis eingeschrieben und bleiben – gewollt oder ungewollt – abrufbares Körperwissen. Erinnerungen und Emotionen, seien es positive oder negative, kommen beim Singen noch Jahrzehnte später an die Oberfläche des Bewusstseins. Forschungen aus der empirischen Musikpsychologie belegen, dass die Lieder der Kindheit und Jugend sich besonders nachhaltig einprägen.18 Die Lieder sind immer wieder da, – hörbar und spürbar für diejenigen, deren Geschichte daran gebunden ist. Die Lieder haben einen Weg vom gedruckten Notenblatt in die Köpfe der Kinder und Jugendlichen gefunden und sich nachhaltig darin festgesetzt. Genau auf diesen Effekt setzten die Erziehungsstrategien in der SBZ und DDR. Drei analytische Koordinaten stecken demnach das Themenfeld ab und stehen selbst kritisch zur Debatte. Erstens gilt den zeitgenössischen Zukunftsentwürfen eine besondere Aufmerksamkeit. Die neuen Kinder- und Jugendlieder sollten für den sozialistischen Zukunftsentwurf mobilisieren. Sie enthielten das Versprechen an die

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Alle Zitate sind Erinnerungen der Beteiligten Ingrid Michalk und Ekkehard Hahn in: Stippekohl (2016): »Propagandalieder und Grabgesänge«, o. S. Zum Begriff der »Erziehungsdiktatur« siehe Wierling (1994): »Die Jugend als innerer Feind«, 404. Kristen/Römer (2014): »Emotional besetzte Musik«, 243. Ihre empirischen Studien belegen, dass Musik einen ausgeprägten Zusammenhang mit dem »autobiografischen Gedächtnis« hat. Dabei heben die Autorinnen hervor, dass Erinnerungen an Lieder aus der Jugend viel nachhaltiger im autobiografischen Gedächtnis verankert sind, als solche aus anderen Lebensphasen.

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

»Hausherren von Morgen« auf eine bessere Zukunft, zulasten der Vergangenheit.19 Dieses Versprechen bedeutete eine Verpflichtung für die Jugend, den aufgetragenen Zukunftsentwurf zu realisieren. Wie sahen diese Zukunftsentwürfe aus und wie veränderten sie sich bis in die 1970er Jahre? Welche Gefühle waren damit verbunden? Um das herausarbeiten zu können, werden zweitens methodische Überlegungen aus der Geschichte der Emotionen und der Musikanthropologie zusammengeführt. Diese ermöglichen es, gemeinschaftliches Singen als Emotionspraktik zu definieren. Drittens rücken staatliche Konzepte und Planungen von Erziehung in den Fokus. Welche Rolle spielte dabei die Einwirkung auf das Fühlen der Heranwachsenden? Wie glaubte man, es beeinflussen zu können?

Zeitgefühle. Die DDR als »Zeitregime der Moderne« »Wir sind die Jungen, die Unruhvollen, denen die Zukunft verlockend winkt«, heißt es in dem eingangs zitierten Lied. Ähnlich klang es in anderen Nachkriegsliedern der SBZ: »Wir aber geben Hoffnung der müden Welt« und »Zukunft wir grüßen Dich« (Hymne der demokratischen Weltjugend (1947, L. Oschanin/A. Nowikow/dt. W. Dehmel)). Hoffnungen, Sehnsüchte und Sinnziele – das waren die Koordinaten, an denen Karl Mannheim 1928 das »utopische Bewußtsein« von Individuen und Gesellschaften vermessen wollte: »Denn von diesen Sinnzielen und Erwartungen aus gliedert es nicht nur sein zukünftiges Geschehen, sondern auch die vergangene Zeit.«20 Blickt man in die deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte, scheint es geradezu evident, wie sehr sich die beiden neu etablierenden Gesellschaften in ihren Sinnzielen und Erwartungen unterschieden und in der Ausprägung und Intensität ihres »utopische[n] Bewußtsein[s]«. Die DDR war ein »Zukunftsstaat«, so der prominente Autor Bruno Apitz 1960, ein System, das in Gänze auf die Zukunft setzte und Zukunft erträumte.21 DDRHistoriker/-innen sprechen daher zurecht von einer »große[n] zeitpropagandistischen Verheißung«, wenn sie die »Zeitpolitik« des sozialistischen deutschen Staates charakterisieren.22 »Die Geschichte der DDR war von ihren Machern zweifellos auf Utopie, auf Zukunft, auf Dynamik und auf Fortschritt hin geplant«, lautet auch die Vermutung von Dorothee Wierling.23 Nach Martin Sabrow machte »[d]as Versprechen eines besseren Morgen und die Gewißheit, den Fortschritt zum Bundesgenossen zu haben«, die Geschichte der DDR aus. Weiterführend schlussfolgerte er: »[D]er Verlust der Zukunftsperspektive führte ihn [den Staat] womöglich gebieterischer in die Selbstauflösung als wirtschaftliche Verschuldung und politische Gegnerschaft«.24 Trotz dieser Beobachtungen: Eine Geschichte der DDR entlang ihrer Zukunftsvorstellungen

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Diese Redewendung stammt aus dem Jugendkommuniqué von 1964, siehe: Staatsverlag (1965): Dokumente zur Jugendpolitik der DDR, 9. Mannheim (1985): Ideologie und Utopie, 83 (Originalausgabe 1929). Bruno Apitz: »Vom Traum eines Zukunftsstaates«, in: Neues Deutschland, 2. April 1960, 10. Satjukow/Gries (2005): »Grenzüberschreitungen«, 56; bereits 11 Jahre zuvor erschien Gries (1994): »Virtuelle Zeithorizonte«, darin der Begriff der »Zeitpolitik«, 10. Wierling (2016): »Die DDR als Fall-Geschichte«, 211. Sabrow (2005): »Die DDR-Historie im Rückblick«, 14.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

ist bisher noch nicht geschrieben worden.25 Das liegt auch daran, dass das Feld der Historischen Zukunftsforschung erst in jüngster Zeit methodisch abgesteckt wird.26 Zukunftsvorstellungen, so Lucian Hölscher, »sind luftige Gebilde, entstanden aus den Sorgen und Wünschen der Menschen, ihren vergangenen und gegenwärtigen Erfahrungen und den Berechnungen für die kommende Zeit, die sie daraus ableiten«.27 Sie sind nicht nur elementarer Bestandteil »mentaler Innenausstattung vergangener Gesellschaften«,28 sondern auch »politische und soziale wie kulturelle, ja selbst ökonomische Gebilde, sie treten in allen Bereichen des menschlichen Lebens auf«.29 Damit dienen diese Zukunftsvorstellungen »in modernen Gesellschaften der Orientierung in einer unübersichtlichen und überkomplexen Welt«.30 Vorliegendes Buch kombiniert die Historische Zukunftsforschung mit neuesten Überlegungen aus dem Feld der Geschichte der Gefühle.31 Die Gefühlshaltungen, die verschiedene Zeithorizonte als Referenzpunkte haben, werden im Folgenden unter dem Begriff der Zeitgefühle zusammengefasst.32 Dabei gelten Zeitgefühle nicht als quantifizierbare Zeitverläufe oder als subjektiv qualifizierbares Empfinden über das Vergehen von Zeit, sondern als Gefühlshaltungen, die durch eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und/oder der Zukunft entstehen und der jeweiligen Gegenwart einen Orientierungs- und Handlungsrahmen geben. Im Fall der DDR zählen zu den Zeitgefühlen Erwartung, Hoffnung, Sehnsucht, Zuversicht, Vertrauen, Misstrauen und Enttäuschung. Diese strukturierten mit variierender Bedeutung die Aushandlungen von Vergangenheit und Gegenwart in Bezug auf den sozialistischen Zukunftsentwurf. Sie begleiteten den Fortschrittsoptimismus und die Vorstellungen von einer planbaren Zukunft. Die vom Staat vordefinierten Zeitgefühle konzentrieren sich zunächst klar auf die sozialistische Utopie. Im Verlauf der 1970er Jahre jedoch verlieren sie die Zukunft als Referenzrahmen. Nach den Überlegungen des Philosophen Zygmunt Bauman setzen Utopien der als mangelhaft und unzureichend wahrgenommenen Gegenwart etwas Ideales, Wünschenswertes entgegen.33 Zeitgefühle bringen darüber hinaus Handelskonzepte hervor, die sich zur Vergangenheit spezifisch verhalten und auf eine Zukunft in »potenzieller Reichweite« orientieren.34 25 26 27 28 29 30 31

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Auch wenn Radkau (2017): Geschichte der Zukunft den Anspruch vertritt, über ganz Deutschland zu schreiben, kommt die DDR in seiner Abhandlung kaum vor. Siehe dazu das research network »The Future of the 20th Century«; neueste Publikation: Hölscher (2017): Die Zukunft des 20. Jahrhunderts. Hölscher (2009): Semantik der Leere, 132. Hölscher (2011): »Zukunft und historische Zukunftsforschung«, 405f. Ebd., 404. Ebd. Auch im neuesten methodischen Vorschlag der Historischen Zukunftsforschung fehlt der Einbezug der Geschichte der Gefühle, siehe Hölscher (2017): »Theoretische Grundlagen der historischen Zukunftsforschung«. Erste Anregungen zu den Zeitgefühlen erhielt ich aus einem unveröffentlichten Exposé von Ute Frevert. Bauman (1976): Socialism, 11: »The capacity to think in a utopian way does involve the ability to break habitual associations, to emancipate oneself from the apparently overwhelming mental and physical dominance of the routine, the ordinary, the ›normal‹«. Neckel (1988): »Entzauberung der Zukunft«, 470.

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

Damit steht die Frage zur Debatte, inwiefern die DDR ein modernes »Zeitregime« war.35 Ein solches Regime ist, so die Spezifizierungen von Aleida Assmann, charakterisiert durch eine »empathische Orientierung auf die Zukunft, die zugleich mit der Entwertung von Vergangenheit und Traditionen einhergeht«.36 Es bietet »einen kulturellen Orientierungs- und Handlungsrahmen, der ganz bestimmte Werte, Wünsche und Visionen mobilisiert« und andere ausschließt.37 Diese Vorherrschaft der Zukunft gegenüber der Vergangenheit und Gegenwart endete im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts mit dem Übergang von der Moderne zur Postmoderne. Hartog datiert diesen auf die 1970er Jahre, Assmann auf die 1980er. Beide charakterisieren die Ablösung des »Zeitregimes der Moderne« mit einer Perspektivverschiebung von der Zukunft hin zur Vergangenheit.38 Dieser Übergang vollzog sich in der DDR mit dem Jahr 1973, das Jahr, in dem die DDR in der internationalen Staatengemeinschaft offiziell akzeptiert wurde und in Ostberlin die Weltfestspiele der Jugend stattfanden, die für Weltoffenheit, Toleranz und Selbstbewusstsein standen. Mit der propagierten Ankunft im »real existierenden Sozialismus« war das Ende der Zukunft erreicht. Doch verlor der sozialistische Zukunftsentwurf auch sein Mobilisierungspotenzial? Die Festlegung, diese Studie mit dem Jahr 1973 enden zu lassen, resultiert aus der oben genannten Beobachtung und aus der Aussagekraft der Quellen. Bis zur Mitte der 1970er Jahre dachten die Akteure und Akteurinnen schriftlich darüber nach, wie man dem kindlichen und jugendlichen Fühlen nahekommen könnte, wie es zu regulieren und zu erziehen sei. Sie gaben noch sehr freimütig zu, wenn eine Strategie scheiterte. Sie reflektierten Erfolg und Misserfolg und dokumentierten ihr Nachdenken über Anpassungen und Veränderungen. Damit offenbaren die Quellen Herrschaft als einen Aushandlungsprozess. Das ändert sich mit den 1970er Jahren. Mehr und mehr wurde ausschließlich berichtet, analysiert und bewertet. Begründungen oder selbstkritische Elemente wurden seltener. Parallel zu dieser Entwicklung entstanden immer weniger neue Lieder. Die Kinder der 1980er Jahre sangen die Lieder, die aus dem sozialistischen Zukunftsentwurf der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte resultierten.

Singen. Lieder als Quellen Das Lied ist eine bedeutende historische Quelle.39 Es war und ist alltäglicher Gebrauchsgegenstand. Denn es kann gemeinschaftlich gesungen werden, ohne dass es einer Ausbildung bedarf, besonderer Vorkehrungen beziehungsweise spezieller Instrumente. Damit ist der Gesang ein Medium, mit dem Informationen, Weltdeutungen sowie Moral und Werte einer Gesellschaft vermittelt werden und im Singen erlernt

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Der Begriff stammt von Hartog (2015): Regimes of Historicity, XVI. Für ihn ist es ein heuristisches Konzept, ähnlich dem Weber’schen Idealtypus. Assmann (2013): Ist die Zeit aus den Fugen?, 92. Ebd., 106. Hartog (2015): Regimes of Historicity, 112f. sprach von einem Regime der Gegenwart; Assmann (2013): Ist die Zeit aus den Fugen?, 245 diagnostizierte für die 1980er Jahre eine Krise des modernen Zeitregimes und damit eine Ende der »westlichen Modernisierungsgeschichte«. Vgl. ausführlich Brauer (2021): Geschichte hören.

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werden. Lieder handeln von Träumen, von aktuellen Herausforderungen, Sorgen, Ängsten und Freuden derjenigen, die sie dichten, komponieren und singen. Damit geben sie Einblicke in zeitspezifische Vorstellungen von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Fragen danach, wer, was, zu welcher Gelegenheit sang oder wen singen ließ, ermöglichen Einblick in mentale Strukturen und Praktiken der Macht. Doch trotz dieser Chancen, die Lieder als historische Quellen bieten, werden sie bis heute in der Geschichtswissenschaft nur am Rand wahrgenommen. Das liegt vor allem daran, dass es einen interdisziplinären Austausch über Methoden braucht. Historiker/-innen begreifen die Musikwissenschaft häufig als eine »am reinen Notentext orientierte Disziplin« und wollen ihr »nicht ihre disziplinäre Hoheit streitig machen«.40 Das ist sicherlich ein Grund dafür, dass sich Historiker/-innen mit Vorliebe auf die sprachliche Dimension der Musiküberlieferung stürzen, auf Rezeptionsgeschichten, auf soziale und politische Verflechtungen.41 Doch trotz einer großen Schnittmenge von gleichen Themen und Fragestellungen, die sich in zahlreichen Publikationen niederschlägt,42 kann bisher kaum von einem wirklichen interdisziplinären Dialog gesprochen werden.43 Daher wäre es zwar wünschenswert, dennoch verfehlt, den »acoustic« oder »musical turn« auszurufen.44 Denn Historiker/-innen schleichen noch immer ein wenig scheu um die musikwissenschaftliche Werkanalyse herum. Der gleiche Befund gilt für das neuere Feld der »Sound-History«. Die musikalischen Klänge seien »semantisch informationsarm« oder »bis zur Unkenntlichkeit deutungsoffen«, heißt es von dieser Seite. Damit seien sie per se kaum einer historischen Analyse zugängig.45 Historisch arbeitende Kulturwissenschaftler/-innen stellen Musik daher häufig als soziale Handlung dar. Die Analyse von Kompositionen verbleibt dabei auf der sprachlichen Ebene,

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Müller/Osterhammel (2012): »Geschichtswissenschaft und Musik«, 7. Aus dieser Fokussierung entstanden verschiedene Sammelbände, wie z.B.: Müller/Osterhammel/Rempe (2015): Kommunikation im Musikleben. Es gibt mittlerweile kaum mehr Forschung zum Bürgertum, ohne den Blick auf das bürgerliche Musikleben zu lenken oder dieses sogar in den Fokus zu nehmen, siehe z.B.: Müller/Ther (2010): Die Oper im Wandel der Gesellschaft. Es gibt ganz hervorragende historische Analysen über die bürgerlichen Gesangsvereine (Klenke (1998): Der singende »deutsche Mann«) und die Arbeitergesänge des 19. Jahrhunderts: Körner (1997): Das Lied von einer anderen Welt; Klenke (1995): Geschichte der deutschen Arbeitersänger. Es gibt kaum mehr eine Nationalgeschichtsschreibung, ohne die Nationalhymnen mit einzubeziehen und kaum mehr eine Geschichte der 1968er Bewegung, ohne Hinweise auf Protestsongs: Siegfried (2006): Time Is on My Side. Auch die Musikwissenschaft arbeitet an der Überwindung der Disziplinengrenze und konzentriert sich schon längst nicht mehr allein auf das Werk und große Komponisten: siehe Pasdzierny (2014): Wiederaufnahme? Sie liefert Impulse für eine neue Politikgeschichte: Mecking/Wasserloos (2012): »Musik – Macht – Staat«; GienowHecht (2015): Music and International History. Applegate (2012): »Introduction: Music among the Historians«, 329 umschreibt die interdisziplinären Verständigungsprobleme folgendermaßen: »Historians and musicologists, along with most humanists, work today in a Schengen zone of scholarship, where people cross disciplinary borders without hindrance yet remain conscious of differences in language, custom, knowledge, and ways of going about their work.« So geschehen bei Müller (2010): »Analysing Musical Culture«; Jan Söffner: »Es ist Zeit für den ›Musical Turn‹ – von mehr Musikalität könnten die Kulturwissenschaften nur profitieren«, in: Neue Züricher Zeitung, 24. Februar 2020 (online-Ausgabe). Geisthövel (2009): »Auf der Tonspur«, 158.

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

auf der sie den Historikern/-innen in den Quellen präsent ist. Auf diesem Befund aufbauend, wird im Folgenden ein methodischer Vorschlag unterbreitet, der das Lied als musikalische Komposition betrachtet und zugleich das Singen in den Blick rückt. Denn es war der Gesang, nicht allein das Lied, dem die Jugenderzieher/-innen und Musikpädagogen/-innen in der DDR eine besondere emotionale Wirkmächtigkeit unterstellten. Diese selbstverständliche Überzeugung leitete ihre Diskussionen, Planungen und Festlegungen, motivierte ihr akribisches Feilen an Text und Melodie und das stetige Arrangieren von Situationen zum Singen. All das zielte darauf ab, auf das Fühlen der Kinder und Jugendlichen durch das Singen ganz spezifischer Lieder Einfluss zu nehmen. Genau dieses Denken und Handeln produzierte eine Unmenge von Quellen, die darüber Auskunft geben, wie sich die Staatsmacht ihre »Hausherren von Morgen« wünschte.Doch lernten die Kinder und Jugendlichen durch das wiederholte gemeinschaftliche Singen vordefinierter Lieder das Sehnen und Hoffen, das von ihnen erwartet wurde? Um dieser Frage nahezukommen, braucht es einen methodischen Rahmen, in dem Singen, Erinnern und Fühlen in vergangenen Situationen analytisch zusammengebracht werden. Die Erinnerungen Christa Wolfs oder der Schauspieler/-innen des Schweriner Landestheaters verweisen darauf, dass es diese wirkmächtige Verbindung von Musik, Erinnerung und Emotion gibt. Doch wie lässt sich diese herausschälen? Eine mögliche Suche nach dem Zusammenhang von Fühlen und Singen könnte mithilfe von Zeitzeugeninterviews erfolgen. Ein solches Oral-History-Projekt gäbe Auskunft darüber, welche Lieder noch in den Köpfen der Menschen sind, wie heute an die Lieder erinnert, was dabei gefühlt wird und wie die Menschen aus heutiger Perspektive das wiederholende Singen einschätzen. Doch darum geht es nicht in diesem Buch. Daher wurden keine systematischen Interviews geführt.46 Stattdessen wird das Singen als eine Emotionspraktik beschrieben, mithilfe derer Zeitgefühle in ihrem Wandel identifiziert werden können und zugleich auch die Erziehung dieser Gefühlshaltungen im Singen in den Blick geraten. Für das Vorhaben braucht es einen Emotionsbegriff, der erstens Emotionen als historisch wandelbar und kulturspezifisch beschreibt. Zweitens werden Emotionen als körperlich definiert. Damit werden sie in Körperpraktiken vermittelt. Damit sind sie drittens verhandelbar. Gefühle sind somit keine reinen kulturellen Konstrukte, sondern äußern sich in körperlichen Aktionen.47 Es wird hier vorgeschlagen, Emotionen auf der

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Vgl. Oral History und ihren Beitrag zur Geschichte der Gefühle Gammerl (2009): »Erinnerte Liebe«. Die Methode der Oral History wurde auch überzeugend für die DDR-Geschichte nutzbar gemacht, siehe: Niethammer/von Plato/Wierling (1991):Die volkseigene Erfahrung; Wierling (2002): Geboren im Jahr Eins; Ohse (2003): Jugend nach dem Mauerbau; Schüle/Ahbe/Gries (2006): Die DDR aus generationsgeschichtlicher Perspektive. Die Definition dessen, was Emotionen sind, ist klar vom jeweiligen disziplinären Interesse her bestimmt. Emotionen sind Forschungsgegenstand der sogenannten »Brain-Studies«, von Neurologen/-innen und Psychologen/-innen, die sie als universal gegeben im Gehirn des Menschen verorten. Auf der anderen Seite stehen sozialkonstruktivistische Theorien aus der ethnologischen Forschung, wonach Emotionen ausschließlich als kulturell bedingt betrachtet werden, siehe dazu ausführlich Plamper (2012): Geschichte und Gefühl.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

Schwelle zwischen Physis und Psyche, zwischen Außen und Innen, zwischen Körper und Geist anzusiedeln und als liminales Phänomen beschreiben.48 Emotionen prägen in dieser Eigenschaft den Kontakt des Selbst mit dem Anderen. Sie sind die »Markierungen« (im Sinn von »impress«), die der, die oder das Andere im Körper des Wahrnehmenden hinterlassen.49 Diese Impressionen verändern den Körper.50 Somit sind Emotionen die Vermittlerinstanz zwischen Körper/Geist und Gesellschaft, eine zentrale Dimension von Erfahrung und Erkenntnis.51 Sie sind an soziale Kontexte gebunden und unterliegen auch durch ihre Verflechtung mit der äußeren Welt ganz konkreten Veränderungen. Emotionen sind daher kulturell und strukturell erlernt. Sie werden in sozialen Praktiken verinnerlicht und ausgehandelt.52 Aus diesen Überlegungen folgt die entscheidende Beobachtung von Ute Frevert: »The History of Emotions is not so much a history of words and concepts, but of practices.«53 Genau darin liegt die methodische Herausforderung, aber auch der Gewinn einer Geschichte der Emotionen. Monique Scheer gab dafür einen wichtigen methodischen Impuls. Emotionen sind ihr zufolge etwas, was wir erlernen, erfahren und managen, aber auch etwas, das wir tun. »Wir tun sie nicht im Sinne einer intentionalen Handlung, sondern im Sinne des doing der Performativitäts- und Praxistheorie, und da dieses doing stets mit anderen Praktiken verbunden ist, kommen wir methodisch in der historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung über diese Praxiskomplexe an die Gefühle ›heran‹.«54 Auf dieser Überlegung baut der Vorschlag auf, gemeinschaftliches Singen als eine Emotionspraktik zu verstehen, die aus Körperwissen (also auch aus den dem Körper eingelagerten Emotionen) resultiert. Beim Singen wird zugleich das zeit- und kulturspezifische Repertoire an Emotionen gelernt, ausgehandelt und modifiziert. Lieder haben demzufolge nicht nur eine Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. Abhängig von gesellschaftlichen Zuschreibungen und Kontexten, von kulturellen Deutungen und Praktiken, die ihrerseits historisch wandelbar sind, ändert sich die Bedeutung der Lieder. Genau diesen Aspekt der historischen Wandelbarkeit der emotionalen Wirkung gesungener Lieder gilt es methodisch fruchtbar zu machen. Lieder, so die

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Gammerl (2012): »Emotional Style«, 162. Ahmed (2004): »Collective Feelings«, 28. Ebd., 30: »We need to remember the ›press‹ in an impression. It allows us to associate the experience of having an emotion with the very ›mark‹ left by the press of one surface upon another.« Frevert/Schmidt (2011): »Geschichte, Emotionen und die Macht der Bilder«, 25. Darauf begründet sich die Beobachtung, dass Gefühle nicht nur »geschichtsmächtig« sind, sondern eben auch »geschichtsträchtig«: Emotionen machen Geschichte und sie haben selbst eine Geschichte, in: Frevert (2000): »Angst vor Gefühlen?«, 55. Das ist insbesondere dargelegt und anhand einzelner Emotionen durchdekliniert in: Frevert et al. (2014): Learning How to Feel. Frevert (2016): »The History of Emotion«, 56: »Words and concepts are interesting only to the extent that they inform, guide, and frame emotional practices […]. It is in those practices that give emotion words their historically precise meaning.« Scheer (2016): »Emotionspraktiken«, 16f. (Herv. i. Or.); vgl. auch Scheer (2012): »Are Emotions a Kind of Practice«. Scheer argumentiert im Wesentlichen auf der Grundlage der Praxistheorie Pierre Bourdieus.

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

Grundannahme, haben keine von sich aus einprogrammierte emotionale Wirkmächtigkeit, auch wenn es die Komponisten und Komponistinnen vielleicht so beabsichtigt haben. Die Wirkung entsteht im Gebrauch der Lieder, der Präsentation und Wahrnehmung. Singen als eine Emotionspraktik lässt sich in einem methodischen Dreieck abbilden, das der Idee der Praktik gerecht wird und einen historischen Zugriff auf das gesungene Lied erlaubt. Die Eckpunkte des Dreieckes lassen sich wie folgt benennen: Lieder sind musikalische Produkte: Lieder als musikalische Kompositionen lassen sich daraufhin überprüfen, welche emotionalen Angebote die Komponierenden machen, welches musikalische Material sie verwenden und wie dieses kulturell eingebettet ist. Zeitgenössische Diskurse geben Auskunft über Wirkungsabsichten der Kompositionen, über Vorstellungen über die emotionale Wirkmächtigkeit von Gesang, die das Texten und Komponieren beeinflusst haben können. Singen ist eine Emotionspraktik: Lieder werden durch ihren Gebrauch soziale Realität, durch Aufführung, Interpretation, Darbietung oder Vorstellung. Gemeinschaftliches Singen ist vor allem eine Praktik, die auf Selbsttätigkeit der Anwesenden baut. In diesem interaktiven Prozess der Beteiligten werden Emotionen aktiviert, kommuniziert und sozial geteilt. Die Aufführung ist ein einmaliger, nicht reproduzierbarer Akt. Dennoch können Darbietungen strukturell, wenn auch nicht identisch, wiederholt werden. Durch solche Wiederholungen können Praktiken zu Ritualen werden. Rituale werden gedeutet als wiederholtes Re-enactment gelernter emotionaler Dispositionen in einer Gemeinschaft zum Zwecke der Stabilisierung und Definition dieser Gemeinschaft über Emotionen. Singen ist Emotionsarbeit: Im gemeinschaftlichen Singen erfolgt die spezifische kulturelle Wahrnehmung, Deutung und Einverleibung der Emotionen. Wenn erlernte Präferenzen, Erwartungshaltungen und Erfahrungsgewohnheiten das Hören und Singen prägen, dann bildet sich auf dieser Ebene ab, ob und wie Kinder und Jugendliche durch gemeinschaftlichen Gesang gelernt haben, erwünschte emotionale Dispositionen einzuprägen, sie zu manifestieren und auszuagieren, – oder eben auch nicht. Weiter muss danach gefragt werden, was alternative Emotionspraktiken waren und wie sich diese zum Singen verhielten.

Lieder als musikalische Produkte Emotionspraktiken, so der Hinweis von Monique Scheer, ermöglichen eine »fundamentale Verbindung von Diskurs und Körperlichkeit«. Als gemeinsamen Nenner beider Aspekte benennt sie »Materialität […], denn Gefühle – wie vielleicht alle mentalen Phänomene, wie Erinnerungen und andere Kognitionen – werden durch materielle Anker sinnlich erfahrbar und somit gestärkt und gefestigt«.55 Das gesungene Lied soll als ein solcher »materieller Anker« gelten. Am Lied lässt sich der Diskurs nachvollziehen, der genau deshalb zentral ist, weil er Emotionen als eine verhandelbare, das heißt, veränderliche und manipulierbare, Ressource sichtbar

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Scheer (2016): »Emotionspraktiken«, 28.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

macht.56 In den staatlichen Erziehungsinstitutionen der DDR existierte ein reger Austausch darüber, welche Lieder mit welchen Inhalten in Auftrag gegeben werden und welche Lieder die Kinder und Jugendlichen singen sollten. Es gibt zahlreiche Materialien, in denen die (emotionale) Qualität von Liedern diskutiert und bewertet wurde. Die Erstellung der Lehrpläne, die Zusammenstellung der Liederbücher, die Diskussionen darum, zu welchen Anlässen welche Lieder gesungen werden sollten, sind ausführlich dokumentiert. In Handreichungen für die Musiklehrer/-innen, Stoffverteilungsplänen oder pädagogischen Zeitschriften wird immer wieder die Wahl bestimmter Lieder in das sogenannte Pflichtrepertoire begründet. Es lässt sich daher sehr gut nachvollziehen, welche Vorstellungen die Erziehenden vom Fühlen der Kinder und Jugendlichen hatten und welche Pläne sie verfolgten, auf dieses Fühlen einzuwirken. Diese Quellen sind überwiegend Herrschaftsquellen. Aber genau das stetige Ringen darum, »jugendliches Fühlen« in entsprechenden Liedern einzufangen und zu formulieren, offenbart Konflikte und Brüche. Die Diskussionen um geeignete Lieder spiegeln das ständige Beobachten, Auswerten und Reagieren auf jugendliches Singen wider. Sie zeigen, wie mühselig es war, die Lieder durchzusetzen, die an ministerialen Schreibtischen in Zusammenarbeit mit Dichtern und Dichterinnen sowie Komponisten und Komponistinnen entstanden, also durch Menschen, die selber schon lange nicht mehr jugendlich waren. Die Nachbesserungen an den Konzepten zur »Entwicklung des Singens« verweisen oft auf überraschte Funktionäre, Funktionärinnen und Pädagogen/innen. Sie gaben ihrer Verwunderung oder Verärgerung Ausdruck über den Erfolg oder Misserfolg bestimmter Lieder, Programme und Pläne. Die Perspektive der Herrschaftsquellen wird entlang dieser Bruchstellen durchlässig. Sangen die Kinder und Jugendlichen auch tatsächlich die Lieder, die so sorgfältig im Vorfeld entwickelt worden sind? Welche Musik bevorzugten sie? An den dokumentierten Konfliktlinien spiegeln sich Erfolg und Misserfolg des Planens und Steuerns der DDR-Politik wider, daran werden die Reaktionen der Heranwachsenden lesbar. Diese Quellen geben daher Einblick in die Prozesse der Aushandlung von Macht. Fehlen allerdings schriftlich festgehaltene Reaktionen auf Konflikte und Probleme, gelingt auch kein Zugriff auf diesen Verhandlungsraum mehr. Die Grenzen der historischen Erkenntnis sind demnach mit der zunehmenden Abwesenheit der (selbst)kritischen Einschätzungen der Jugendfunktionäre und Funktionärinnen gesetzt, insbesondere ab Mitte der 1970er Jahre. Denn mit der erklärten Ankunft im »real-existierenden Sozialismus« schien es nicht notwendig zu sein, Planungen mit der Realität abzugleichen. Die Jugendfunktionäre/-innen in der DDR haben sich mit den Liedern ein Medium ausgesucht, dem sie eine besonders hohe emotionale Wirkmächtigkeit unterstellten. Musikwissenschaftlich betrachtet arbeiten Liedkompositionen mit »assoziativen Strukturen«, die durch alltägliche Musikwahrnehmung einverleibt werden.57 Das Hö56 57

Ebd., 26: Die jeweilige gesellschaftspolitische Einschätzung von Emotionen habe daher »gravierende politische und ethische Konsequenzen«. Dibben (2003): »Musical Materials, Perception, and Listening«, 194 benennt »associative structure of music«, als musikalisches Material. Das seien »topics, schemata and archetypes«. Mitteleuropäische Hörerinnen und Hörer beispielsweise haben kulturell zu hören gelernt, sodass sich ein großer Teil der Musik (sowohl der klassischen als auch der populären Musikkultur) im funktionalen Rahmen der Kadenz bewegt.

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

ren und Verstehen von Musik wird demnach kulturell erlernt und ist historisch wandelbar. Die DDR-Funktionäre/-innen definierten selbst die Strukturen der Musikausübung und Musikwahrnehmung und formierten damit Hörwissen und Hörverstehen. Einmal erlernt funktioniert dieses als »assoziative Struktur« auch jenseits der gewohnten Kontexte.58 Lieder haben einen weiteren entscheidenden Vorteil: Sie sind weniger bedeutungsoffen als andere musikalische Werke, denn sie sind »words in performance«.59 Die musikalische Struktur prägt die Wahrnehmung und Deutung des Textes. Mit entsprechenden musikalischen Mitteln lassen sich Signalworte herausheben und die Aufmerksamkeit auf zentrale Aussagen lenken. Genau diese Deutungsangebote des Liedtextes im Zusammenspiel mit der Melodie gilt es herauszuarbeiten. Die untersuchten Materialien für den Zeitraum 1945 bis Mitte der 1970er waren: 75 Lehr- und Liederbücher, Liedhefte, Zeitungen und Zeitschriften, Handreichungen für den Schulunterricht, für Pionierleiter/-innen, und FDJ-Funktionäre und Funktionärinnen, Programme für Pionier- und Jugendtreffen, für Schulfeiern und Jugendweihefeiern, Klassenbücher und Klassenchroniken. Insgesamt konnten mehr als 2.800 verschiedene Lieder identifiziert werden.60 Davon zählt die Hälfte von ca. 1.433 zu den alten, vor 1945 entstandenen Volks-, Wander- und Arbeiterliedern. Die nach 1945 komponierten neuen Lieder (vor allem für Kinder, Pioniere und Jugendliche) bilden mit 1.437 die andere Hälfte des empirischen Materials. Überraschend ist, dass der Anteil neukomponierter Lieder bereits im ersten Nachkriegsjahrzehnt bei 29 Prozent lag, was auf die Produktivität der Musiker/-innen in dieser Zeit verweist. Im Verlauf der Jahrzehnte veränderte sich das Verhältnis von alten und neuen Liedern signifikant. Während es im Nachkriegsjahrzehnt noch deutlich mehr alte Lieder gab (71 Prozent), hielt sich das Verhältnis im zweiten Nachkriegsjahrzehnt die Waage. In der Zeit von 1966 bis 1975 hingegen überwogen die neu komponierten Lieder (56 Prozent) im Repertoire für die Kinder und Jugendlichen. Diese quantitative Analyse ermöglicht nicht nur eine Aussage darüber, welcher Liedtypus wann aktuell war. Darüber hinaus ist es möglich, die Lieder zu benennen, die für eine bestimmte Zeit besonders wichtig waren. Denn circa 70 Prozent aller aufgelisteten Lieder tauchen jeweils nur ein Mal in den Materialien für den jeweiligen

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Ebd., 196: »In sum, I argue that listeners make associative links between musical elements that are present in any given piece, and at the same time make associations with similar or functionally equivalent elements or gestures in the wider repertoire of music with which they are familiar.« Zum konkreten Beispiel einer solchen assoziativen Struktur, siehe Erol (2007): »Associative Structure in the Perception of Music«; siehe dazu auch Rosenthal/Flacks (2011): Playing for Change, 54: »Just we learn spoken languages, we learn musical languages, this include not only our strictly musical expectations […] but also conventions that signify extra musical meanings.« Frith (1996): Performing Rites, 166, 159. Frith betont die Bedeutung der Worte eines Liedes: »A song is basically grasped by people through its words, even if these words come to us in fits and fragments«. Vgl. Rosenthal/Flacks (2011): Playing for Change, 48. Die Auflistung aller genutzten Liedhefte, Liederbücher, Zeitungen, Zeitschriften und Archive findet sich im Anhang. Mein Dank gilt an dieser Stelle meinen studentischen Hilfskräften, die mit viel Fleiß und Akribie die Datenbanken erstellten: Rabea Rittgerot, Fabian Steininger, Isabel Tamoj, Leo Keutner und Marlen Schulze.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

Untersuchungszeitraum auf.61 Weitere circa 20 Prozent erscheinen zwei bis drei Mal. Damit tauchen nur annähernd 10 Prozent aller erfassten Lieder mindestens vier Mal in den untersuchten Materialien auf. Davon schaffen es die wenigsten auf mehr als fünf Nennungen. Auf der Grundlage dieses Befundes werden die Lieder einer näheren Analyse unterzogen, die mindestens vier Mal in den Materialien auftauchen und von denen begründet vermutet werden kann, dass sie die Klanglandschaft der Schule und der Jugendorganisation geprägt haben. Damit gelten sie für die Analyse als relevant. Parallel zu diesem Vorgehen werden die relevanten Lieder für die westlichen Besatzungszonen und die BRD ermittelt. Hier gab es deutlich weniger neukomponierte Lieder für Kinder und Jugendliche, statt dessen Lieder, die in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden.62

Singen als Emotionspraktik Um Singen als Emotionspraktik zu beschreiben, müssen die Aufführungsprozesse in den Blick kommen. Denn »Music […] does not exist, it happens«.63 Entsprechend der Überlegungen des performative turns ist Musik nicht nur ein Produkt, sondern auch das Ergebnis eines Prozesses. Wegweisend dazu sind die Überlegungen von Nicholas Cook, mit denen er die musikwissenschaftlich eingefahrene Perspektive lenkte, »from a text based to a performance based understanding of music«.64 Mit dieser Betrachtungsweise von Musik als performativer Kunst öffnet sich die Musikwissenschaft den Kulturwissenschaften und gibt den Blick frei auf ein neues Verständnis des Wechselverhältnisses von Musik und Gesellschaft. Musik spiegelt dementsprechend nicht einfach nur Gesellschaft, sondern prägt und formt sie. Praktisch bedeutet dieser Zugang, die relevanten Lieder in die Situationen einzubetten, in denen sie gesungen wurden. Dazu gibt es ministeriale Gestaltungshinweise für Musikunterricht, Schulfeiern, Vorschläge für die Abfolge von Lied und Text bei Schulaufführungen, genaueste Planungen der Jugendarbeit sowie von Jugendtreffen (BRD) und Pionier- und FDJ-Treffen (DDR) auf Bezirksebene beziehungsweise die schriftlichen Vorbereitungen zu den Massenevents, wie den Deutschlandtreffen der Jugend (1950, 1954 und 1964) oder den Weltfestspielen der Jugend (1951 und 1973) in Berlin. 61

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Die Analysezeiträume wurden entlang der Kapitel wie folgt festgelegt: 1945-1950; 1951-1960; 19611970; 1970-1980. Die Lieder der Singebewegung wurden gesondert erfasst für den Zeitraum 19651975. Hierfür wurden 58 Lieder- und Lehrbücher untersucht, davon 28 Falkenliederbücher. Leech-Wilkinson (2013): »The Emotional Power of Musical Performance«, 52. »It follows that when one speaks of the emotional power of music, one is speaking of its effect in performance, and indeed in a specific performance. […] One’s emotional experience is being shaped by the kinds of performances with which one is familiar« (43). Siehe auch DeNora (2000): Music in Everyday Life, 21f. Sie schlägt vor, Notenbild oder auch Liedtexte aus den Erklärungen der emotionalen Wirkmächtigkeit von Musik komplett außen vor zu lassen. Denn dieses Vorgehen des »semiotic decoding«, das vorherrschende Praxis der »socio-musical studies« sei, würde von den verschiedenen Musikerfahrungen der Menschen wegführen und den Zugang zu der Frage nach »musical meaning« limitieren. Vgl. Finnegan (2003): »Music, Experience«, 189. Cook (2001): »Between Process and Product«. Damit ist Musik eine »tandem art«: »the art of the composer, and […] the art of the performer«, o. S.

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

Diese emotionalen Choreografien lassen sich abgleichen mit Rundfunksendungen und filmischen Dokumentationen. Ebenso kommentiert die Berichterstattung in Zeitungen und Zeitschriften die Praktiken und liefert Hinweise auf die Deutung des emotionalen Settings.65 Monique Scheer unterscheidet vier verschiedene Formen von Emotionspraktiken: sie dienen der »Mobilisierung« oder der »Benennung von Gefühlen«, daneben gibt es kommunizierende Emotionspraktiken und solche, die Emotionen regulieren.66 Im Einzelfall wird zu prüfen sein, ob und wie sich die Praktiken im Nachkriegsdeutschland in dieser Weise voneinander unterscheiden lassen. Was sie auf jeden Fall gemeinsam hatten, sind ihre Intentionalität und Funktionalität. Das gemeinschaftliche Singen wurde von den Verantwortlichen in den unterschiedlichen Institutionen anlassbezogen organisiert und geplant. Es verfolgte immer den Zweck, Emotionen zu regulieren und zu mobilisieren.

Singen als Emotionsarbeit Wie aber wirkten sich die Praktiken der Gefühlserziehung auf das Denken, Fühlen und Handeln der Heranwachsenden aus und veränderten sie überhaupt das Verhalten der Kinder und Jugendlichen? Wählten sich diese nicht modifizierte oder alternative Emotionspraktiken? Auch an dieser Stelle helfen Überlegungen aus der Musikanthropologie weiter. Abhängig von der eigenen Sozialisation kann Musik ein bedeutendes Medium sein, durch das Erfahrungen und Wahrnehmungen koordiniert und transformiert werden, eben weil Emotionen daran beteiligt sind. Musik, in diesem Sinn verstanden, ist »embodied experience«67 . Umgekehrt können mithilfe von Musik Emotionen erzeugt und gemanagt werden. Musik, so die Musiksoziologin Tia DeNora, unterstütze »emotion work«, denn »music is part of the reflexive constitution of that [internal emotional] state«.68 Dass eine bestimmte Musik unterschiedliche Emotionen auslösen kann, ist populäres Erfahrungswissen. Ein Musikstück kann einen Hörenden positiv berühren, Freude und Zufriedenheit hervorrufen, wenn es ihn an eine glückliche Begebenheit in der Vergangenheit erinnert. Es ist jedoch denkbar, dass diese positive Erinnerung in der erneuten Musikwahrnehmung schmerzhaft gebrochen wird, wenn dieselbe Musik auf einer Beerdigung erklingt. Die ursprünglich positiven Erinnerungen an dieses bestimmte Lied werden somit überschrieben und neu codiert mit dem Gefühl der Trauer und des Verlusts, das sich beim Hören der Musik auf der Beerdigung eingestellt hatte. Ein Anderer dagegen reagiert körperlich überhaupt nicht auf dieses Musikstück, nimmt es

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Scheer (2016): »Emotionspraktiken«, 29 (Herv. i. Or.): »Emotionen als Praktiken zu betrachten, heißt, dass sie nie isoliert betrachtet werden können, denn wie alle Praktiken sind sie immer mit anderen verbunden, in Komplexen von doings und sayings eingebettet, die Sprache, Gesten, Erinnerungen umfassen können sowie das Hantieren mit Artefakten, das Wahrnehmen von Räumen, Gerüchen und Klängen und vor allem die Emotionspraktiken anderer Akteure.« Ebd., 26-32. Wobei Scheer selber einräumt, dass diese nicht immer eindeutig voneinander zu trennen sind. Greg Corness (2008): »The Musical Experience«, 21. DeNora (2000): Music in Everyday Life, 57.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

gar nicht richtig wahr, während ein musikalisch Geschulter vielleicht eine kleine Fehlinterpretation heraushört und sich so sehr darüber ärgert, dass ihn diese Wut seine ursprüngliche Zuneigung zu diesem Musikstück vergessen lässt. Musikwahrnehmung ist demzufolge das (Wieder)erkennen von Musik in Abhängigkeit von individuellen Erfahrungen, Prägungen und kulturellen Fertigkeiten und der aktuellen Situation der Wahrnehmung. Musikwahrnehmung als Emotionsarbeit bedeutet daher das Modellieren, Aushandeln und Einprägen neuer Emotionen und Erwartungen. Es handelt sich hierbei um eine Praktik kultureller Selbstvergewisserung und Identitätsbildung.69 In welchem Sinn war auch gemeinschaftliches Singen eine solche Emotionsarbeit? Schließlich ging es den Funktionären/-innen in der DDR nicht nur um das Lied an sich, sondern gerade um das Singen. Wurde dadurch das erwünschte Fühlen einstudiert? Wurden Emotionen, wie Zuversicht, Stolz, Vertrauen oder Heimatliebe im Singen neu ausgehandelt, moduliert und dem Körper eingeschrieben? Wie äußerten sich Verweigerungen oder alternative Emotionsarbeit? Diese Fragen und Überlegungen lassen sich mit dem Konzept der emotives des Kulturanthropologen William Reddy verbinden. Er sieht emotives als Emotionsaussagen, »ein[en] Versuch, zu empfinden, was man zu empfinden behauptet« – oder auch, was empfunden werden soll.70 In dieser Eigenschaft sind emotives selbsterkundend und selbstreferenziell. Sie verweisen auf ein Gefühl, das in irgendeiner Art da sein könnte (oder auch vorhanden sein soll). Gleichzeitig wird überprüft, ob dieses Gefühl zu der Situation passt und wirklich fühlbar ist. Diese Transformation von einer Emotionsaussage zu der tatsächlich gefühlten Emotion geschieht nach Reddy in performativen Akten, wozu auch Singen zählt. Die überzeugende Idee ist, dass emotives selbst Instrumente des Wandels sind.71 Durch die ständige performative Behauptung eines Gefühls könnte es sich vielleicht einstellen. Damit sind emotives die Brücke zwischen dem Benennen und tatsächlichen Empfinden von Gefühlen. Gesungene Lieder können also als emotives gedeutet werden. Entscheidend ist, dass nicht die Musiktexte an sich emotives sind. Aber sie geben diesen Form und Rahmen. Erst in der Praxis der Aufführung, im gesungenen Wort, können die Lieder als emotives gedeutet werden, als Versuch, die Emotionen zu empfinden, die man zu empfinden behauptet. Aber machte die stereotype Behauptung der Fröhlichkeit und des Zukunftsoptimismus in den neuen Liedern für Kinder und Jugendliche der DDR diese Gefühlsdispositionen tatsächlich fühlbar und handlungsleitend? William Reddy kalkuliert das Element des Scheiterns ein. Daher ist es ebenso denkbar, dass die Emotionen in den Liedern nur benannt blieben und keinen weiteren Einfluss auf die Singenden und Zuhörenden hatten. Der »Versuch zu empfinden, was man zu empfinden behauptet«, kann fehlschlagen. Genau diese Gratwanderung von gelingender und misslingender Gefühlserziehung gilt es nachzuverfolgen.

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Wegweisend dazu: Hesmondhalg (2008): »Towards a Critical Understanding of Music«, 2: »Music, then, represents a remarkable meeting point of the private and public realms, providing encounters of self-identitiy […] with collective identity.« Plamper (2010): »Wie schreibt man die Geschichte der Gefühle?«, 42. Reddy (1997): »Against Constructivism«, 331: »Emotives are themselves instruments for directly changing, building, hiding, intensifying emotions.«

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

Erziehen. Vorgriff auf Zukunft Jugend als eigenständige Lebensphase, so unterschiedlich sie auch in verschiedenen Zeiten und Kulturen definiert wurde und wird, war zunächst eine Erfindung älterer Generationen.72 Denn mit der Feststellung der Erziehungsbedürftigkeit von Heranwachsenden zu zukünftigen vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft wurde Jugend zur Projektionsfläche politischer Zukunftsvorstellungen, Sehnsüchte und Hoffnungen, zum Gegenstand »gesellschaftlicher Selbstvergewisserung und Sinnstiftung«.73 Aus der Engführung von Jugend und Hoffnungen auf sowie Erwartungen an eine bessere Zukunft resultierte um 1900 ein spezifischer Jugendkult, eine Mystifizierung dieser Lebensphase seitens der erziehenden Generation, die sich auch auf die Selbstwahrnehmung von Jugendlichen auswirkte.74 In diesem romantischen Verständnis wurde Jugend bei Karl Mannheim eine Erfahrungseinheit, eine Generation, die sich durch innere Bezogenheit und gemeinsam erlebte prägende Erlebnisse und Erfahrungen auszeichnete.75 Daher verwundert es nicht, dass sich Erziehungsvorstellungen und –praktiken in Ost und West bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit voneinander unterschieden. Denn wenn Jugendliche als Garanten für die Verwirklichung gesellschaftlicher Zukunftsentwürfe stehen, müssen sie dazu auch erzogen werden. Das geschah in verschiedenen Institutionen, wie Familie, Kirche, Schule und Jugendorganisation. Nach 1900 bildeten sich zunehmend politische, religiöse oder sozialspezifische Jugendorganisationen und Verbände. Nach dem Ersten Weltkrieg orientierte sich die organisierte Jugend Deutschlands auch an politischen Parteien und Strömungen. Die örtlichen Jugendverbände schlossen sich zunehmend zusammen und bildeten überregionale Großorganisationen. 1927 waren rund 40 Prozent aller Jugendlichen (davon 56 Prozent aller männlichen Jugendlichen und 26 Prozent aller Mädchen) in Deutschland in 72

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Erstes Nachdenken über diese Lebensphase gab es schon bei Rousseau (1762): Émile, ou de l’éducation. Dennoch kann das gesellschaftliche Verständnis des Jugendalters als eigenständige Lebensphase erst auf das Ende des 19. Jahrhunderts datiert werden, siehe z.B. Hall (1907): Youth; ausführlicher über die Geschichte der Jugend siehe Roth (1983): Die Erfindung des Jugendlichen; Lesko (2001): Act your Age!; Savage (2008): Teenage. Reulecke (1993): »Jugend und Jugendpolitik«, 87. Stambolis (2003): Mythos Jugend, 20-22; vgl. auch Klotter/Beckenbach (2012): Romantik und Gewalt, 8: »Das romantische Empfinden als Ausgangspunkt, als gemeinsam gefühltes Ziel und Sammlungsort jugendspezifischer Vereinigungen oder Bünde ist so alt wie die romantische Bewegung selber.« Mannheim (1928/29): »Das Problem der Generation«, 175f. Dementsprechend zeichnen sich Generationen durch eine »verwandte Generationslagerung« aus, die einen »Generationszusammenhang« etablieren kann. Dieses Konzept von Generation wurde an zahlreichen Stellen für eine Gesellschaftsgeschichte nutzbar gemacht und weiterentwickelt, auch für eine Gesellschaftsgeschichte der DDR, siehe: Wierling (2002): Geboren im Jahr Eins; Ahbe/Gries (2006): »Gesellschaftsgeschichte als Generationsgeschichte«. Dennoch soll hier der Generationsbegriff zunächst nur dafür verwendet werden, Altersgruppen sprachlich voneinander zu differenzieren, deren Abfolge und gesellschaftsfunktionellen Beziehungen zueinander deutlich zu machen. Welche gemeinschaftlichen erfahrungsgeschichtlichen Prägungen entsprechende Altersgruppen haben, soll im Einzelnen diskutiert werden. Generation wird damit als funktioneller Begriff verwendet und nicht als analytisches Konzept.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

Verbänden organisiert.76 Damit war der Weg zu einer »Staatsjugend«, wie es sie im nationalsozialistischen Deutschland ab 1933 gab, geebnet. Auch in der Nachkriegszeit waren die Sympathien in allen Teilen Deutschlands für eine gemeinsame Jugendorganisation noch sehr ausgeprägt. Bei einer repräsentativen Meinungsumfrage unter Jugendlichen der US-amerikanischen Besatzungszone stimmten 1950 60 Prozent aller befragten Jugendlichen dafür, eine einzige Jugendorganisation zu bilden, die sogenannte Staats- oder Einheitsjugend.77 Trotz zum Teil gegensätzlicher politischer und religiöser Orientierung und trotz eines unterschiedlichen sozialen Hintergrunds pflegten die Jugendorganisationen in Deutschland ähnliche Rituale zur Vergemeinschaftung und öffentlichkeitswirksamen Repräsentation.78 Diese unterstrichen insbesondere Gefühle von Zugehörigkeit und Geborgenheit unter Gleichaltrigen und Gleichgesinnten außerhalb von Familie und Schule. Ein Ausdruck und Motor dieser als hochemotional empfundenen Gruppenbeziehungen war die verbreitete Praxis gemeinschaftlichen Singens. Innerhalb dieser von Zugehörigkeit und Geborgenheit charakterisierten Gemeinschaften entwickelte sich ein »Missionsgefühl«79 , ein spezifischer »jugendlicher Enthusiasmus«, wie der zeitgenössische Psychologe und Pädagoge Eduard Spranger diagnostizierte.80 Diese Vorstellungen vom vorantreibenden Enthusiasmus der Jugend und von der besonderen emotionalen Qualität der Vergemeinschaftung speisten auch die Pläne zu einer Neuorganisation der Jugend nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der SBZ. Wie sich herausstellte, passten sie zu den alliierten Plänen einer neuen deutschen Staatsjugend. Während die Jugendpolitiker/-innen im Osten Deutschlands den Enthusiasmus und das Missionsgefühl der Jugend mit Blick auf einen neuen sozialistischen Zukunftsentwurf wieder zu beleben versuchten, diagnostizierte der Psychologe Schelsky für die bundesdeutsche Nachkriegsjugend – genauer für die berufstätige Jugend im Alter von 14 bis 25 Jahren – rückblickend das Gegenteil: eine »Entpolitisierung und Entideologisierung des jugendlichen Bewußtseins«.81 Schelsky behauptete, dass diese »dem jugendlichen Wesen recht unangemessenen Erfahrungen des Krieges und seiner Folgen« nicht nur »die Identifikationsbereitschaft« erschüttert hätten, sondern es seien auch die »politische Glaubensbereitschaft und ideologische Aktivität, die die vorige Generationsgestalt der Jugend insgesamt kennzeichnete, an der Wurzel vernichtet« worden.82

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Mitterauer (1986): Sozialgeschichte der Jugend, 230. Füssl (1995): Die Umerziehung der Deutschen, 165. Mitterauer (1986): Sozialgeschichte der Jugend, 227: Zu diesen Ritualen gehörten: »Großveranstaltungen […], Militarisierung, Disziplinierung und Uniformierung.« So Trommler (1985): »Mission ohne Ziel«, 39. Spranger (1948): Psychologie des Jugendalters (Originalausgabe 1924), 291: »Der Enthusiasmus der Jugendlichkeit wird hier zugleich zu einem neuen Ethos. Inhaltlich nimmt es tausend verschiedene Formen an, bald pazifistisch, bald national, bald kämpferisch und radikal-zerstörend. Aber der ›Durchbruch‹ des ungeteilten, ungehemmten Lebensstromes durch die einseitigen, erstarrten Formen der Kultur, das ist die Kraft, die hinter allem steht.« Spranger schlüsselte mehrere »Typen des jugendlichen Lebensgefühls« auf, darunter zählte er auch die »ethischen Enthusiasten« (306). Schelsky (1963): Skeptische Generation, 74. Ebd.

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

Die Frage nach der Erziehung, Neu-Erziehung oder auch Reeducation der sogenannten HJ-Generation hatte nach Kriegsende in allen Teilen Deutschlands oberste Priorität.83 In dieser Beobachtung Schelskys zeigt sich jedoch eine Perspektive auf die Nachkriegsjugend, die sich vor allem in Hinblick auf den wahrgenommenen emotionalen Status der Jugend und die Chancen einer erneuten Mobilisierung gravierend von den Ambitionen in der SBZ unterschied. Diese gegensätzlichen Wahrnehmungen mündeten in verschiedene Erziehungsstrategien. Was aber ist Erziehung und was hat sie mit Emotionen zu tun? Erziehung ist ein intentionaler Prozess der Einflussnahme von Personengruppen und Instanzen auf Heranwachsende.84 Nach den Überlegungen des französischen Soziologen Émile Durkheim ist Erziehung »ein Mittel […], mit dem die Gesellschaft […] die Bedingungen ihrer eigenen Existenz erneuert«.85 In seinen Vorlesungen über Erziehung, Moral und Gesellschaft definierte Durkheim Erziehung als eine »eminent soziale Angelegenheit«86 . Damit lieferte er die Begründung dafür, warum es im Erziehungsprozess auch um den Zugriff auf Emotionen gehen müsse. Denn um einem gesellschaftlichen Idealbild nahezukommen, muss die Erziehung »ein System von Ideen, von Gefühlen und Gewohnheiten [vermitteln], die in uns nicht unsere Persönlichkeit, dafür aber die Gruppe oder die verschiedenen Gruppen ausdrücken, denen wir angehören. Das sind die religiösen Überzeugungen, die moralischen Ansichten und die Gewohnheiten, die nationalen und professionellen Traditionen, die kollektiven Meinungen aller Art. Die Summe bildet das soziale Wesen. Dieses Wesen in uns zu bilden, ist Aufgabe der Erziehung«.87 Das – so argumentiert Durkheim weiter – entspräche den vitalen Interessen einer Gesellschaft, denn nur eine »ausreichende Gemeinsamkeit von Gedanken und Gefühlen« ermögliche gesellschaftliches Zusammenleben und – so lässt sich an dieser Stelle ergänzen – gesellschaftliche Zukunftsentwürfe.88 Erziehung ist ein planvoller Prozess, der immer wieder an den Maßstäben zeitgenössischer Zukunftsvorstellungen justiert wird. Erziehung kann damit als Vorgriff 83

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Der zeitgenössische Beobachter Henry Kellermann definierte »Reeducation« folgendermaßen: »Reeducation is generally understood as a systematic attempt at removing certain mental and moral weaknesses prevalent among German youth.«, in: Kellermann (1946): The Present Status of German Youth, 1; siehe auch Fisher (2007): Disciplining Germany, 59f.; Tent (1982): Mission on the Rhine. Die Intentionalität des Erziehungsbegriffes fasst der Pädagoge Helmut Fend im Begriff »Sozialmachung« zusammen, Fend (1971): Sozialisierung und Erziehung, 49-52. Bildung dagegen ist ein zweckfreier und selbstbestimmter Prozess im Humboldt’schen neuhumanistischen Verständnis zur Herausbildung von Individualität und zur Selbstverwirklichung. Im Unterschied zur (Idealvorstellung einer) lebenslangen Bildung ist Erziehung ein Prozess, der mit dem Übergang von der Jugendphase in das Erwachsenenalter als abgeschlossen gilt. Erziehung und Bildung können komplementär zueinander verstanden werden. Zusammengenommen unterstreichen sie die Herausbildung des Menschen in der Spannung von intentionaler Fremdbestimmung und eigenständiger Selbsttätigkeit, siehe Menze (1972): »Grundzüge der Bildungsphilosophie«, 17 und weiterführend Tenorth (2000): Geschichte der Erziehung. Durkheim (1984): Erziehung, 45f. Ebd., 37. Ebd., 46. Durkheim (2012): »Erziehung, ihre Natur und ihre Rolle«, 81.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

auf Zukünftiges verstanden werden. Erziehung ist damit auch eine klar definierte Generationsaufgabe. Die ältere Generation trägt die Verantwortung dafür, Erziehungsziele gemeinschaftlich zu definieren, zu legitimieren und durchzusetzen. Sie muss die heranwachsende Generation mit Praktiken, Wissensbeständen und Handlungsmustern vertraut machen, um ein Weiterleben der eigenen Werte und Normen zu gewährleisten. Im Kern der Erziehungsbemühungen stehen demnach die Köpfe und Herzen der Heranwachsenden, ihr Denken, Fühlen und Handeln. Auch wenn es in der bisherigen erziehungswissenschaftlichen Literatur nur am Rande systematische Überlegungen zu Gefühlen gibt,89 gehören Begriffe wie »Bildung der Gefühle«, »Herzensbildung« oder »Gefühlsbildung« spätestens seit der Aufklärungspädagogik in das deutsche erziehungswissenschaftliche Vokabular.90 »Herzensbildung« war gar »ein Lieblingskind vieler deutschsprachiger Pädagogen und Erzieher« um 1800. Der Begriff beschrieb eine Regulierung negativer Gefühle und Leidenschaften sowie Kultivierung nützlicher Gefühle wie »Selbstliebe« und »Menschenliebe«.91 Was als störendes Gefühl galt und was demgegenüber als gut und förderungswürdig empfunden wurde, ging auf gesellschaftlich ausgehandelte Bewertungskriterien zurück, an denen sich die jeweiligen ethischen Erziehungsziele orientierten und mit denen sie sich veränderten. Gesellschaften unterschieden und unterscheiden sich in der Intensität der intentionalen Einflussnahme auf das Fühlen der Kinder und Jugendlichen. Seit kurzem gibt es Vorschläge, die Geschichte der Kindheit und Jugend systematisch mit der Geschichte der Gefühle zu verknüpfen.92 Instruktiv sind dabei die Überlegungen zur »emotional formation«, das dem vorliegenden Verständnis von Gefühlserziehung entspricht.93 Gerade in der Nachkriegszeit stellte sich die Frage, was und wie erzogen werden sollte und von wem, besonders dringlich. Sie ließ sich bei weitem weniger klar und selbstverständlich beantworten als in stabilen Zeiten. Erschwerend kam hinzu, dass Erziehung als Generationsverhältnis nicht mehr funktionierte. Die mittlere Generation der Erziehenden war ausgewandert, in Kriegsgefangenschaft, gefallen oder wurde wegen ideologischer Nähe zum Nationalsozialismus von den öffentlichen Erziehungsinstitutionen ausgeschlossen.94 So mussten pensionierte ältere Lehrer/-innen zurück in den Schuldienst, die ihrerseits wenig mit der Generation der »Kriegsjugend« anzufangen wussten. In der SBZ bildete man darüber hinaus im Eilverfahren Jugendliche zu Erziehern/-innen aus, die kaum älter als ihre Schüler/-innen waren und denen es an Erfahrung fehlte. Aber welches verbindliche Set an Gedanken, Gefühlen, religiösen und moralischen Ansichten, Überzeugungen und Gewohnheiten sollte man den Kindern und Jugend-

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Beispielhaft: Klika/Schubert (2004): Bildung und Gefühl; Liessmann (1994): Schule der Gefühle. Frevert/Wulf (2012): »Die Bildung der Gefühle«. Frevert/Hoffmann (2012): »Gefühle im pädagogischen Verhältnis«, 47, 49f. Olsen (2017): »History of Childhood and the Emotional«. Vallgårda/Alexander/Olsen (2015): »Emotions and the Global Politics of Childhood«, 20: »This concept refers simultaneously to a pattern and a process, both of which are of equal importance. On the one hand, an emotional formation is a set of emotional structures ordered in a particular pattern.« Füssl (1995): Die Umerziehung der Deutschen, 83.

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

lichen nach 1945 beibringen? Die entscheidende Frage, was die ältere Generation eigentlich von der jüngeren wollte, ließ sich nicht mehr zweifelsfrei beantworten. »Jeder Generationswechsel«, so die Argumentation Ursula Frosts, »ist eine hochsensible Bruchstelle für kulturelle Traditionen, geistige und moralische Ansprüche und deren Kodifizierung in öffentlichen Institutionen und privaten Lebensformen«.95 Im Falle Nachkriegsdeutschlands ist die »hochsensible Bruchstelle« als Abbruchkante zu interpretieren. Auf der einen Seite stand eine Jugend, häufig »Hitler-Generation« genannt, die durch die nationalsozialistische Erziehungspolitik Werte und Weltvorstellungen verinnerlicht hatte, welche zum moralischen Versagen der deutschen Gesellschaft geführt hatten und nicht mehr zur erzieherischen Zielorientierung taugten. Auf der anderen Seite gingen alliierte Bildungspolitiker/-innen und Jugendfunktionäre und Funktionärinnen in Stellung, die nach geeigneten deutschen Verbündeten suchten.96 In der SBZ kamen die Jugendpolitiker/-innen mit klaren Vorstellungen darüber aus dem sowjetischen Exil, welche Werte, Normen und Zukunftsvorstellungen der NeuErziehung der Nachkriegsjugend zu Grunde liegen sollten. Genauso klar formuliert wurde die Schlüsselstellung der Kinder und Jugendlichen für die kommunistischen Zukunftsideen. Sie begründete in den Nachkriegsjahren die intensiven Mobilisierungsversuche der DDR-Jugend für die sozialistische Utopie. »Und der Zukunft zugewandt«, hieß es vielsagend in der Nationalhymne, die sich die DDR gab und die bis Anfang der 1970er zu jeder Gelegenheit gesungen wurde.97 In diesem abgesteckten Feld von Fühlen, Singen und Erziehen erzählt die Studie eine Geschichte von Zukunftsvorstellungen und Zeitgefühlen der DDR in der langen Nachkriegszeit.

Zukunft als Programm. DDR-Geschichte schreiben Eine Geschichte der DDR läuft heute immer noch Gefahr, in die Grabenkämpfe um Deutungshoheit und Meisternarrative zu geraten.98 Das muss nicht zwangsläufig so sein, 95 96 97 98

Frost (2008): »Erziehung als Generationsverhältnis«, 168. Siehe ausführlich Studie von Füssl (1995):Die Umerziehung der Deutschen. Nationalhymne der DDR (1949, Johannes R. Becher, Hanns Eisler). Ganz aktuell zeigt das Kowalczuk (2019): Übernahme. Weiterführung zur DDRGeschichtsschreibung: Ahbe (2011): »Competing Master Narratives«, 243. Es gibt mehrere Überblicke über den jeweiligen Stand der DDR-Forschung: Ross (2002): The East German Dictatorship; Henke (2002): »DDR-Forschung seit 1990«; Eppelmann/Faulenbach/Mählert (2003): Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung. Die ersten Publikationen zur DDR-Geschichte, die nach 1989 erschienen, reichten in ihren Vorbereitungen noch in die Vorwendezeit zurück und wurden von den politischen Ereignissen eingeholt, siehe Klier (1990): Lüg Vaterland; Hille/Jaide (1990): DDR-Jugend; Niethammer/von Plato/Wierling (1991): Die volkseigene Erfahrung. Kaum war die Mauer gefallen und kaum galten die Dokumente der Ministerien und Institutionen als Archivmaterial, zeigte die deutsche Öffentlichkeit, dass sie aus der verspäteten Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit gelernt hatte und es nach dem Ende der DDR gleich besser machen wollte. Dieses Bestreben äußerte sich in einer »beispiellosen Offenlegung der Akten« (Henke (2002): »DDR-Forschung seit 1990«, 371). Die Publikationen in den ersten Nachwendejahren konzentrierten sich auffallend intensiv auf politikgeschichtliche Fragestellungen, in denen DDR-Geschichte als SED-Diktaturgeschichte verstanden und gedeutet wurde, siehe

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

denn es gibt durchaus Anregungen für eine Geschichte der DDR jenseits von Diktaturgeschichte und »Ostalgie«. Diese beruhen darauf, die Begrenztheit und Grenzen von Herrschaft herauszuarbeiten. Jürgen Kocka forderte paradigmatisch, die »faktischen Grenzen der Durchherrschung des Alltages […] näher zu bestimmen«.99 Denn das Leben in der DDR war zwar von einer diktatorischen Herrschaft geprägt. Doch die Frage ist, wie wirkmächtig und tiefgreifend diese Prägung war. Dichotome Begriffspaare des Nachwendejahrzehnts, wie Staat und Gesellschaft, Anpassung und Widerstand, Partei und Volk, Macht und Repression, lassen sich mit dieser gesellschaftsgeschichtlichen Perspektive aufweichen und analytisch als ineinander verwoben betrachten. Thomas Lindenberger entwickelte diesen Ansatz weiter, indem er Ende der 1990er Herrschaft und »Eigensinn« (als Konzept von Alf Lüdtke) miteinander verflocht, um Nuancen von Konsens und Dissens in den Blick zu bekommen.100 Ein paar Jahre später konkretisierte Lindenberger diesen Zugang und schlug vor, »SED-Herrschaft als soziale Praxis« zu interpretieren, mit dem Ziel, »die Gemengelage von SED-Herrschaftsanspruch und sozialen Beziehungen der DDR-Bewohner in ihrer paradoxen Komplexität genauer zu fassen«.101 »Herrschaft« gilt ihm als »soziale Praxis«, um zu verstehen, warum und wie die DDR »im Innern funktionierte«, und um einen differenzierten Blick auf alltägliche Praktiken zu entwickeln.102 Dieses Vorgehen bietet Raum dafür, Herrschaft in einem Kräftefeld zu beschreiben, in dem die Akteure und Akteurinnen miteinander in Beziehung traten oder sich auch aus dem Weg gehen konnten.103 Herrschaft als soziale Praxis ist von »wechselseitiger Abhängigkeit von Herrschenden und Beherrschten« geprägt, von »symmetrischen Interaktionen […] wie Aushandlungen und Kompromissbildungen«, zu denen Konflikte und Konsens gehören.104 Mit diesen Überlegungen entwirft Lindenberger ein Forschungsprogramm, dem hier mit Nachdruck gefolgt wird. Mit Blick auf Erziehungsstrategien werden Herrschaftsverhältnisse auf »der untersten

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Schröder (1998): Der SED-Staat. Gekennzeichnet waren diese ersten Nachwendejahre ebenfalls durch eine schnelle Institutionalisierung der DDR-Geschichte. Es entstanden das Institut für Zeitgeschichte, München; das Militärgeschichtliche Forschungsamt Potsdam; die Abteilung Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit; der Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin; das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V., Dresden; das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Diese Forschungsgruppen gründeten sich alle bis 1992. Der Diskurs polarisierte sich in der Deutung des Unrechtsstaates aus der Perspektive von Diktaturgeschichte und Totalitarismusforschung auf der einen Seite (Schröder (1998): Der SED-Staat) und alltagshistorischen Rechtfertigungen aus der Perspektive autobiografischer Erfahrungsdimension auf der anderen Seite (Lüdtke (1998): »Die DDR als Geschichte«). Seinen Höhepunkt erreichte das akademische Interesse an der DDR-Geschichte in dieser Phase. So gab es 1994 mindestens 750 Forschungsprojekte, die sich erklärtermaßen mit der Geschichte der DDR befassten, siehe Bauerkämper (2005): Sozialgeschichte der DDR, 45. Kocka (1994): »Eine durchherrschte Gesellschaft«, 552. Lindenberger (1999): »Die Diktatur der Grenzen«, 21, 23; zum Eigensinn siehe die letzte gemeinsame Theoretisierung: Lindenberger/Lüdtke (2018): »Eigensinn«. Lindenberger (2007): »SED-Herrschaft als soziale Praxis«, 29. Ebd., 30. Lüdtke (1991): »Herrschaft als soziale Praxis«, 12. Lindenberger (2007): »SED-Herrschaft als soziale Praxis«, 30f.

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

Ebene diktatorischer Herrschaft rekonstruiert« und die »Vielfalt informeller, indirekter Formen in unterschiedlicher Ausgestaltung« analysiert.105 Die Darstellung wird sich in aller Ausführlichkeit Konjunkturen und Nuancierungen widmen, jedoch nicht in aller Vollständigkeit. Denn es geht nicht um die Geschichte des Singens, sondern darum, im Spiegel des Singens und Nichtsingens Diskussionen um die Erziehbarkeit und Praktiken zur Erziehung von Denken und Fühlen der Kinder und Jugendlichen in der SBZ und der DDR darzustellen. Daran wird eine Geschichte der DDR entlang des Motivierungs-, Handlungs- und Konfliktpotenzials hegemonialer Zukunftsentwürfe erzählt. Daher stehen Akteure und Akteurinnen sowie Räume sowohl der Schule als auch der einzig zugelassenen Jugendorganisation FDJ als staatliche Erziehungsinstitutionen der DDR im Zentrum. Andere Formen organisierten Singens, z.B. in Kirchen im Rahmen der Jungen Gemeinde, oder spontanes Singen im Kreis der Familie oder an Straßenecken, als Protest oder als Freizeitvergnügen werden am Rande zur Kenntnis genommen, aber nicht systematisch dargestellt. Stattdessen findet da, wo es sich anbietet, ein Vergleich mit den Entwicklungen in der Bundesrepublik statt. Das Buch setzt unmittelbar nach Kriegsende ein und ist chronologisch aufgebaut. Die Titel (Neues fühlen, Zukunft fühlen, Patriotisch fühlen, Vertrauen fühlen, Authentisch fühlen und Selbstbewusstsein fühlen) benennen die aus der Perspektive der Staatsmacht erwünschten Gefühlshaltungen, die die jeweiligen Kapitel strukturieren. Ein jedes Kapitel endet mit einem Zwischenfazit, in dem die relevanten Zeitgefühle diskutiert werden. Das Kapitel Neues fühlen stellt die Jahre 1945 bis 1949 als eine Übergangsphase dar, die in der SBZ von der Illusion des Neuanfangs charakterisiert war. Anhand der Lebensgeschichte des Komponisten und Musikwissenschaftlers Siegfried Köhler zeigt sich, wie sehr die neugegründete FDJ von dem Wissen und dem Können der Jugendlichen aus der Hitlerjugend profitierte. Strukturen und Praktiken der nationalsozialistischen Jugendorganisation wurden anscheinend problemlos in die antifaschistische FDJ übernommen. In vergleichender Perspektive ist erhellend, wie dominant traditionelle Vorstellungen über die musische Erziehung in Ost und West waren, wie tonangebend in den Diskursen um die Reintegration der Musikerziehung in die schulische Bildung. Anhand des Singens alter und neuer Lieder unter dem Dach der FDJ in Ost und der sozialistischen Falken in West lässt sich erkennen, wie deutlich und frühzeitig sich dennoch die Ansprüche an die Jugend in Ost und West und daher auch die Methoden und Ziele einer Gefühlserziehung voneinander unterschieden. Das Kapitel Zukunft fühlen ist genauso wie das erste vergleichend angelegt. Es diskutiert drei unterschiedliche Jugendtreffen: das Deutschlandtreffen der Jugend in Berlin 1950, das Europäische Jugendtreffen auf der Lorelei 1951 und den Sozialistischen Jugendtag in Hamburg 1951. An ihnen wird aufgezeigt, worin sich die Zukunftsentwürfe für die Jugend in Ost und West unterschieden und wie ähnlich dennoch die Praktiken der Mobilisierung waren. Während es in den ersten beiden Kapiteln um den Umgang mit der Nachkriegsjugend in Ost und West geht, handelt das Kapitel Patriotisch fühlen vom Singen der 6bis 14-jährigen Kinder in der Schule, der Pionierorganisation und zur Jugendweihe. Das Kapitel orientiert sich implizit an dem Bildungsweg von Kindern, die im Jahr 1946 105 Ebd., 31.

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geboren worden waren. Diese hatten 1952 ihre Einschulung und erhielten 1960 als 14Jährige ihre Jugendweihe. Sie gehörten zur neuen Generation, die scheinbar unbelastet vom Krieg vollständig in das neue Gesellschaftssystem hineinwachsen sollte. Diese Überzeugung fand institutionell ihren Niederschlag in einer immer kleinschrittigeren Festlegung und Regulierung von Erziehungsprozessen. Planung, Fortschrittsglaube und Leistungsorientierung waren die maßgeblichen Strukturprinzipien der Erziehung und Bildung in diesem Jahrzehnt. Die Kinder des Geburtsjahrganges 1946 kamen Ende der 1950er Jahre ins jugendliche Alter. Das Kapitel Vertrauen fühlen begleitet sie durch diese Zeit. Die Beziehung zwischen der Staatsmacht und ihrer Jugend kann in der ersten Hälfte der 1960er Jahre als ein Oszillieren zwischen Vertrauen und Misstrauen beschrieben werden. Die Jugendpolitiker/-innen diagnostizierten damals eine Krise des Singens. Mit großem personellem und organisatorischem Aufwand arbeiteten sie an einer Reaktivierung, während sie gleichzeitig versuchten, westliche Musik zu unterdrücken. Dem Jugendverband entglitt die Jugend an der Basis. Daran änderte auch die stetige Behauptung gegenseitigen Vertrauens nichts, denn sie wurde untermauert von Misstrauenspraktiken, wie am Beispiel des Deutschlandtreffens 1964 deutlich wird. Im Fokus des Kapitels Authentisch fühlen steht die FDJ-Singebewegung. Diese hatte ihren Ausgangspunkt in den zwanglosen Gesangsabenden, den sogenannten Hootenannies, die kaum beachtet vom Jugendverband bereits Anfang der 1960er Jahre in Ost-Berlin stattfanden. Parallel dazu tauchte in der Bundesrepublik mit den ersten Ostermärschen ein neuer Typus des politischen Liedes auf. Linksorientierte Jugendliche entdeckten genauso wie die Ostberliner Jugend das deutsche Volks- und Arbeiterlied wieder. Im Westen wurde es auf der Burg Waldeck neu zelebriert, im Osten in einer Singebewegung kanalisiert. Die Zeitgefühle verschoben sich in diesen Jahren von der Zukunft auf die Gegenwart, markiert durch die Ankunft im Alltag des »real existierenden« Sozialismus. Damit einher ging eine »authentische«, »echte« Auseinandersetzung mit dem Alltag, die sich im neuen Liedtypus der Singeklubs niederschlug. In diesem Kapitel werden ergänzend zu den vorliegenden Materialien aus den Singeklubs ganz konkrete Erinnerungen und Erfahrungen von Jürgen Langhans eingearbeitet, 1954 geboren war er Mitglied mehrerer Singeklubs. Seine Erlebnisse und Erfahrungen stehen paradigmatisch für die Konjunkturen und Brüche des jugendlichen Singens um 1970. Die Darstellung endet mit dem Kapitel Selbstbewusstsein fühlen, in dem die Weltfestspiele der Jugend im Sommer 1973 betrachtet werden. Zu diesem Ereignis erreichte nicht nur die Singebewegung ihren Höhepunkt, der Staat DDR wurde weltweit anerkannt. Damit wähnte er sich in »trügerischer Selbstsicherheit«.106 Das Zukunftsziel war erreicht – jedenfalls in der Perspektive der Staatsmacht. Jetzt wurde von der Jugend ein Einrichten in der Gegenwart des »real existierenden Sozialismus« erwartet. Das vorantreibende »Vorwärts« der 1950er Jahre wurde abgelöst von Stillstand. Das Versprechen an die »Hausherren von Morgen« war verklungen. Die Kinder der 1950er Jahre, die Jugendlichen der 1960er Jahre warteten in den 1970er Jahren vergeblich darauf, ihre Zukunft selber in die Hand nehmen zu dürfen.

106 Jarausch (2008): »Verkannter Strukturwandel«, 9.

Singen, Fühlen und Erziehen. Einleitung

Mit diesem Forschungsdesign wird die Geschichte der DDR in mehrfacher Hinsicht als »Chance« begriffen.107 Am »Fall« DDR werden neue Methoden und Forschungsfragen ausprobiert, die für mehrere Forschungsfelder relevant sind. Erstens stellt die Arbeit eine quellengesättigte Forschungsintervention zur Erziehungsgeschichte der DDR dar. Damit führt sie in die Historische Bildungsforschung das Thema der Gefühlserziehung ein und diskutiert die Fragen nach Erziehung als einem Vorgriff auf Zukunft und nach der Erziehbarkeit von Emotionen. Zweitens möchte die Arbeit mit dem methodischen Zuschnitt des Singens als Emotionspraktik musikwissenschaftliche und historische Herangehensweisen miteinander ins Gespräch bringen. Es geht ganz konkret darum, das gesungene Lied als eine historische Quelle einzuführen. Dafür werden einige Quellen neu erschlossen und bekannte Quellen neu gelesen. Drittens sind Gefühle expliziter Forschungsgegenstand. Es werden Vorschläge aus der Geschichte der Gefühle, der Historischen Zukunftsforschung und der Historischen Anthropologie miteinander kombiniert. Ein Ergebnis dessen ist das Konzept der Zeitgefühle als ein heuristisches Instrumentarium zur Tiefenbohrung in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands. Mit diesem Fokus auf das Fühlen wird in der vorliegenden Arbeit diskutiert, worin genau die Chancen einer Geschichte der Gefühle liegen können, welchen Mehrwert diese Perspektive für die DDR-Geschichte hat und was sich damit nicht in den Blick bekommen lässt. Viertens steht anhand der Zeitgefühle die Frage nach der »Modernität« der DDR zur Diskussion. Mit der Einordnung der DDR als modernes Zeitregime soll daher der von Dorothee Wierling aufgeworfenen Frage nachgegangen werden, »welchen Platz sie [die DDR] im Gesamtprojekt der Moderne« einnahm.108

107 Hoffmann/Schwartz/Wentker (2016): »Die DDR als Chance«. 108 Wierling (2016): »Die DDR als Fall-Geschichte«, 211.

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Abbildung 2

Heut ist ein wunderschöner Tag, in: Gruppenbuch der Bannspielschar Meißen, Sommer 1944, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 2, o. Bl.

»Heut ist ein wunderschöner Tag« sangen die Jungen und Mädchen der »Bannspielschar Meißen«, einer Formation der Hitler-Jugend im Sommer 1944 auf ihrer Chorreise

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durch sächsische Städte und Dörfer.1 Sie mochten das Lied aus der Feder ihres Oberkameradschaftsführers Siegfried Köhler. In ihrem Gruppenbuch gestalteten sie es im Sommer 1944 als »unser Monatslied«. »Die Sonne lacht uns heute so hell«, begrüßten die gleichen Sängerinnen und Sänger am 23. Juni 1946 Siegfried Köhler, als er schwer erkrankt aus den Speziallagern des sowjetischen Geheimdienstes nach Meißen zurückgekehrt war.2 »Und wie ein lichter Glockenschlag grüßt uns die lockende Ferne«, stimmten die Jugendlichen, mittlerweile im Jugendchor der Freien Deutschen Jugend Meißen organisiert, unter Leitung von Siegfried Köhler auf ihrer »Spielfahrt« über sächsische Dörfer im August 1947 an.3 »Ziehn nicht die Wolken so schön und leuchtend am Himmel entlang?«, sang die 17-jährige Ellen Fritsch mit ihren Freundinnen und Freunden auf dem Heimweg nach den Freizeitabenden im FDJ-Jugendheim 1948.4 Später erinnerte sie sich: »Ja, ich fühlte mich gut. Ich gehörte zu ihnen. Wir sangen mit wahrer Begeisterung und Inbrunst die Lieder der beginnenden neuen Zeit.«5 Im Januar 1952 erklangen diese Zeilen für die Aufbauhelfer/-innen auf den Enttrümmerungsstellen der Stalinallee in Berlin, »Und über Wald und weite Höhn jubelt der Lerchen Gesang«, passte allerdings nicht zu den nasskalten Wintertagen. Dennoch verkündete ein Zeitungsreporter: »Mit Musik geht alles besser.«6 »Uns sind die Herzen so frei, wie den Lerchen hoch droben«, erklang es »zwar nicht sehr melodisch«, aber »fröhlich und überzeugend aus frischen Kinderkehlen« zum Internationalen Kindertag am 1. Juni 1953.7 »Und hell klingt unser Lied dabei, froh aller Sorgen enthoben«, sang ein Chor zum Abschluss einer Jugendweihefeier in Pankow im März 1956 in der Volksbühne.8 Mit seiner einfachen musikalischen Gestaltung war dieses volkstümliche Wanderlied Siegfried Köhlers eines der bekanntesten Lieder in der SBZ und der DDR. Gerade in den Nachkriegsjahren erklang es immer wieder als neues, unbelastetes und fröhliches Lied. Dass es gar nicht so neu war und schon 1944 in der Hitler-Jugend erklang, verschwieg der Komponist. Die »helle lachende Sonne« und die »freien Herzen« passten besser in die neue Zeit. Dieses Lied zeigt, wie sehr die Nachkriegsjahre eine Phase von Übergängen war, in der sich beharrlich Traditionen hielten. Dahingegen sprachen die kommunistischen Jugendfunktionäre/-innen von einem kompletten Neuanfang. Was und wie haben Kinder und Jugendliche in Ost und West im Musikunterricht und in den Jugendorganisationen gesungen? Welche neuen und alten Lieder erklangen und zu welchen Gelegenheiten? Um welche Gefühle ging es in den neuen Liedern? Der Vergleich wird zeigen, dass die Erwartungen an die Jugendlichen sehr unterschiedlich waren, dass sich aber in Ost und West zunächst Vertrautes und Bekanntes durchsetzte. 1 2 3 4 5 6 7 8

Gruppenbuch der Bannspielschar Meißen, Sommer 1944, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 2, o. Bl. Die folgenden Liedzitate stammen alle aus dem Lied Heut ist ein wunderschöner Tag. Taschenkalender, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 7, o. Bl. Programme des FDJ-Jugendchor Meißen, 1947, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 2, o. Bl. Fritsch (2001): »Mein Freund, das Akkordeon«, 195. Ebd., 196. U. S.: »›Die Ham die falsche Platte erwischt‹ – Trümmerstaub contra Aktenstaub«, in: Neue Zeit, 8. Januar 1952, 5. Buni: »›Heut ist ein fröhlicher Tag‹ – Reinickendorfer und Weißenseer Kinder feierten gemeinsam den Internationalen Kindertag«, in: Neue Zeit, 2. Juni 1953, 6. Stella: »Feierlicher Abschied von der Kindheit«, in: Berliner Zeitung, 27. März 1956, 6.

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Traditionen und Übergänge Getrennte Perspektiven. Jugend im Nachkriegsdeutschland9 »Echte Menschen.« Die Jugend in den westlichen Besatzungszonen »Werdet zu Suchenden! Der Trotzige klammert sich an die Vergangenheit, der Ungläubige besitzt nichts als die gegenwärtige Stunde, aber dem Suchenden gehört die Zukunft. […] Der Trotz ist unfruchtbar. Jedes Hadern mit dem Unabwendbaren ist unfruchtbar. Solange Ihr Trotzende seid, sind Euch alle Tore des Lebens verschlossen. […] Es gibt anderes als ihn [den Nationalsozialismus] und zukünftig nur anderes als ihn. Macht Euch bereit für dies Zukünftige! Ihr könnt es nur, wenn ihr dem Trotz entsagt. Ihr entsagt ihm nur, wenn ihr das Neue sucht. Also werdet Ihr suchen müssen.«10 Mit dieser programmatischen »Rede an junge Deutsche« brachte der Journalist und Zeit-Redakteur Ernst Friedländer (unter dem Pseudonym Ernst Ferger) das Bild von der Jugend in den westlichen Besatzungszonen auf den Punkt. Demnach befand sich die junge Generation in »Igelstellung«11 und hätte keinen Blick für ihre Zukunft. Die Berichterstattung der Tagespresse in den drei westlichen Besatzungszonen kreiste um drei Kernfragen: 1. die Gemütsverfassung der Jugend, 2. Vorschläge zum Umgang mit der Jugend und 3. den anzustrebenden emotionalen Zustand der Jugend. Dieser Dreischritt wird häufig von medizinischen Begrifflichkeiten flankiert, sodass sich im übertragenen Sinn von Diagnose, Therapie und Gesundung sprechen lässt. Die deutsche Jugend sei »blass, schmächtig« und »kriminell«,12 hieß es in der Berliner Zeitung Der Abend und weiter, die jungen Menschen seien »illusionslos und im Denken verwirrt«13 . »Die Folgen einer solch seelischen Erschütterung haften unserer

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Das Kapitel beruht auf der Durchsicht von 21 Tageszeitungen aus den Jahren 1945 bis 1947. Insgesamt wurden circa 650 Artikel über die Jugend gefunden und zur Kenntnis genommen. Die Auswahl der Tageszeitungen orientierte sich zum einen an der heutigen Zugänglichkeit und zum anderen an der Repräsentativität. Diese Auswahl stellt einen Querschnitt der größeren regionalen und überregionalen Tageszeitungen der verschiedenen Besatzungszonen und darin der verschiedenen politischen Parteien dar. Zur Presselandschaft siehe auch: Koszyk (1986): Pressepolitik für Deutsche, 472-491. Zusätzlich sind jugendspezifische Zeitungen in die Analyse aufgenommen. Dazu gehören: Junge Welt und Der Ruf. Unabhängiges Blatt der jungen Generation. Ausführliche Informationen zu den verwendeten Zeitungen und Zeitschriften befinden sich im Anhang. Ernst Friedländer unter dem Pseudonym Ernst Ferger: »An die Trotzenden. Eine Rede an junge Deutsche, die auch heute immer noch abseits stehen«, in: Die Zeit, 28. November 1946, 3; auch: Friedländer (1945): Deutsche Jugend, 21-31. Karl Korn: »Rufer oder Jugend in der Igelstellung«, in: Der Kurier, 23. Oktober 1946, 3. Anonym: »Deutsche Kinder 1946«, in: Der Abend, 22. November 1946, 2: »Ein blasses, schmächtiges Mädelchen wird getadelt, weil es seine Schulaufgaben schlecht erledigte«, und an anderer Stelle: »Jungen im Alter von neun bis zwölf Jahren schließen sich unter der Führung eines Sechzehnjährigen zu einer Bande zusammen, verüben Taschendiebstähle in Bahnen, Geschäften und Dienststellen.« Anonym: »Für Berlins Jugend. Freundschafts-Aktion der USA-Besatzung«, in: Der Abend, 8. November 1946, 1.

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Jugend wie eine Krankheit an.«14 Die Einbuße von Idealen schien sinnbildlich für den Verlust von Lebenskraft und Gesundheit zu stehen. So würde die Nachkriegsjugend »glaubens- und hoffnungslos dahin vegetier[en]«.15 Daraus resultierten fehlende Begeisterung und Enthusiasmus, stattdessen galt die Jugend als ernüchtert, illusionslos16 und entmutigt. Dementsprechend ist häufig von der »vergreisten« Jugend zu lesen.17 Diese Urteile speisten sich aus der in der ersten Jahrhunderthälfte gewachsenen Vorstellung, dass Jugend unverfälscht zu sein hätte. Zudem besitze sie das Recht und die Pflicht zum Widerspruch und zur Opposition. Angesichts dieses Idealbildes stand es nach Meinung der Feuilletonisten/-innen »schlecht um eine Jugend, die skeptisch geworden«18 war und »das Zweifeln, das Fürchten« hatte lernen müssen.19 Trotz und Hilflosigkeit, »verächtlicher Zynismus«, Leere sowie feindliche Gesinnung waren die Koordinaten, mit denen das seelische Terrain der Nachkriegsjugend abgesteckt wurde.20 Als eine Ursache für die diagnostizierte »Vergreisung« der Jugend galt die nationalsozialistische Erziehung, die zur seelischen Verhärtung21 und »eingefrorene[n] Herzen«22 geführt hatte. »[Die] seelische Gefriermethode des Strammstehens und Durchformens steht den schäumenden gärenden Wesen Jugendlicher zuwider. Ihr Innerstes 14 15

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J. Steffan: »Jugend von heute – Staatsbürger von morgen«, in: Neuer Mainzer Anzeiger, 7. September 1946, 6. Ebd.: »Daß in dieser Situation abermals verwirrte Jugend, der diesmal noch in stärkerem Maße als nach dem ersten Weltkrieg alle Ideale zerbrochen wurden, die glaubens- und hoffnungslos dahin vegetiert, den rechten Weg nicht findet, sondern wieder aus der scheinbaren Ausweglosigkeit nur den Ausweg des Aufbegehrens sieht, liegt zu nahe, als daß man vor dieser Gefahr selbstgefällig die Augen schließen dürfte.« M. D.: »Erziehung zum Menschen«, in: Die Zeit, 18. April 1946, 1: »Noch nie ist die Jugend so nüchtern und illusionslos ins Leben gegangen, noch nie so früh vertraut gewesen mit Lügen und allen Listen bewußter Phraseologie.« T. G.: »Die Jugend und die Politik«, in: Spandauer Volksblatt, 21. September 1946, 5: »Es wird allgemein behauptet, die Jugend habe ihre Begeisterungsfähigkeit verloren, sie sei ›vergreist‹.« Heinrich Bachmann: »Von Schuld und Sühne der Jugend«, in: Frankfurter Rundschau, 13. Oktober 1945, 4: »Es ist noch zu allen Zeiten der Geschichte immer das große Vorrecht aller wahren jungen Menschen gewesen, der Wahrheit ungebrochen ins Gesicht zu sehen und ihr den reinen Dienst anzubieten, leuchtenden Auges und lauteren Herzens. […] Schlecht gestellt ist es um eine Jugend, die so skeptisch geworden ist.« Jan Molitor: »Weiß die Jugend, was sie will? Eine Einladung und ein Gespräch«, in: Die Zeit, 14. November 1946, 4: »Die Jungen haben im Leben das Zweifeln, das Fürchten gelernt.« Dieses Bild lässt sich auch in anderen zeitgenössischen Schriften wieder finden, so z.B. in: Blättner (1946): Die psychologischen Grundlagen, 22. Bezeichnend dafür ist auch das 1946 in Berlin mehrfach aufgeführte Theaterstück von Fritz Denger, vgl. Denger (1946): Wir heißen Euch hoffen. Das Stück wurde unter anderem auch auf dem Ersten Parlament der Freien Deutschen Jugend in Brandenburg (8.-10. Juni 1946) gespielt. C. L.: »Wo hat die Jugend ihre Stärke? Zwei Zustände aus zwei Ländern«, in: Der Kurier, 23. März 1946, 3: »Euch ist eben unvergleichlich mitgespielt worden: der Krieg hat euch nach innen vollkommen abgeschaltet, damit ihr nach außen funktionieren konntet.« U. I.: »Monsignore L. Wolker vor der Jugend«, in: Aachener Nachrichten, 14. Mai 1946, 4: »Wenn die Alliierten auch geglaubt haben, die deutsche Jugend sei rettungslos verloren, so kann ich nur sagen, daß das Herz der deutschen Jugend während des grausigen Winters, der im vergangenen Jahrzehnt jegliches geistige Leben zu vernichten drohte, nicht eingefroren ist; es lebt und muß nur aufgeweckt und wachgehalten werden.«

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war spröde, ihre Seele in einer rasch erkalteten Form gegossen.«23 Dieser Befund führte zu der Annahme, dass tiefere Regungen wie Scham, Mitgefühl, Reue, Mitleid und Kindesliebe nicht mehr möglich waren.24 Aus dieser zeitgenössischen Diagnose der Nachkriegsjugend resultierten die Vorschläge zur Therapie. Der Weg »zu den Seelen unserer Kinder«25 musste gesucht, die kindliche und jugendliche »Gier nach Wärme, nach Leben, nach Nahrung, nach Freude«26 sollte befriedigt werden. Die »Medizin« (um im einmal gewählten Bild zu bleiben) für die Jugend bestand im Verständnis:27 »Es bedarf großer Geduld und aller Behutsamkeit, deren wir fähig sind, es bedarf vor allem eines warmen Herzens. Wir müssen ihnen helfen, wieder zu sich selbst und damit zu uns und zu dem Leben in der Gemeinschaft zurückzufinden. Ruhe brauchen sie und einen kleinen Kreis gütiger Menschen, die sie umgeben, ohne etwas von ihnen zu wollen, die sie still und unbemerkt lenken, die bei aller Behutsamkeit eine feste Hand haben. Und sie brauchen vor allem das Vorbild. […] Nicht nörgeln, nicht kritteln, auch nicht darüber hinweggehen, da nun mal eine Nachkriegsjugend immer so sein muss. Nein, heißen Herzens bereit sein, zu helfen.«28 Nicht nur »heiße Herzen« wurde von der erziehenden Generation gefordert, sondern auch Geduld der »liebevollsten Klugheit aller redlichen Herzen«.29 Dazu gehörte es, den Jugendlichen Mut zu machen, ihnen Verantwortung zu übertragen und sie nicht zu verdammen oder zu verurteilen.30 Die Jugendlichen selbst, so wie sie sich in den

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Anonym: »Der Kampf der Generationen«, in: Der Kurier, 5. April 1946, 3: »Das Ausland hat mich oft gefragt, wie es nur möglich war, gerade die Jugend so straff, so starr durchzuformen. Denn das schäumende, gärende Wesen junger Menschen scheint doch solcher seelischen Gefriermethoden recht eigentümlich unzugänglich. […] Ihr Innerstes war spröde, ihre Seele wie in einer rasch erkaltenden Form gegossen.« K. H.: »Das Bild der Jugend«, in: Der Tagesspiegel, 10. März 1946, 3: »Als Folge dieser Erscheinung vermögen sie tiefere Regungen, wie Scham, Reue, Kindesliebe, Mitfreude, Mitleid, nicht zu empfinden.« Anonym: »Deutsche Kinder 1946«, in: Der Abend, 22. November 1946, 2: »Viel mehr bleibt noch zu tun. Wir müssen vor allem den Weg finden zu den Seelen unserer Kinder.« K. H.: »Das Bild der Jugend«, in: Der Tagesspiegel, 10. März 1946, 3: »Hier kommt Professor Gottschaldt auf die Ursache der Jugendverwahrlosung zu sprechen: Auf die bittere Not im Lande. Sie entwickelt im Kinde die Gier nach Wärme, nach Leben, nach Nahrung, nach Freude.« Wolfram Buisman: »Die Nationalsozialistische Jugend von gestern. Die Forderung von heute: Einen neuen Menschen für das Morgen«, in: Der Tagesspiegel, 22. Februar 1946, 3: »Darum soll sie sich aussprechen. Wo man sie zu verstehen sucht und mit ihr um eine rechte Antwort ringt, hört sie.« H. L.: »Jugend braucht Hilfe, zur Premiere des Films ›Irgendwo in Berlin«, in: Der Abend, 16. Dezember 1946, 3. Anonym: »Der Kampf der Generationen«, in: Der Kurier, 5. April 1946, 3: »Langer Geduld wird es bedürfen und der liebevollsten Klugheit aller redlichen Herzen, bis langsam wieder eine echte, eine wirklich junge Jugend heranwächst, der wir ein anderes Deutschland hinterlassen können.« Anna Bürger: »Verantwortung für die Jugend«, in: Der Tagesspiegel, 17. März 1946, 3.

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Tageszeitungen äußern (durften), forderten »Zeit zum Besinnen«, zum »Unsfinden«31 . An diesem Punkt trafen sich die Erwartungen der jüngeren und älteren Generation. Neben diesen Ermahnungen zur Nachsicht gab es konkrete Hinweise auf die erforderliche »Medizin«: »Wir müssen der Jugend den Glauben an die Demokratie wiedergeben. Das äußere Bild von Parteien und Parlamenten genügt nicht, den Geist der Demokratie müssen wir in die Massen hineingießen, die nicht verstehen, daß die eigene Ansicht nur begrenzten Wert hat.«32 Demokratie sollte »zum Grundgefühl der jüngeren Menschen« werden, der Jugend »Zutrauen in die Zukunft eingeflößt« werden.33 »Ausschütten« und »einflößen« verweisen ganz sinnfällig auf die suggestive Idee der Heilung einer kranken Jugend. Der strauchelnden und sinkenden Jugend galt es, seelischen aber auch moralischen Halt zu geben.34 »Die Jugend braucht nicht nur neue Ideale, sie will auch handgreifliche Werte, die sie fühlen, packen und festhalten kann.«35 Es bleibt offen, was die Zeitgenossen/-innen unter Demokratie tatsächlich verstanden. Deutlich ist jedoch, dass es diesen Glauben in die Demokratie bereits einmal gegeben hat und dieser nur wiederzubeleben sei. Ähnlich ließe sich die Metaphorik des Heilens und Pflegens deuten: Die erkrankte Jugend sollte so gesunden, dass sie an ihren ursprünglichen Bestimmungen und Aufgaben anknüpfen könne. Während es in den Zeitungen der westlichen Besatzungszonen darum ging, »echte Menschen« aus ihnen zu machen, kreiste das Narrativ in der SBZ darum, »neue Menschen« zu formen.36

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Thomas [ohne Nachname]: »Bewegung – aus der Jugend heraus«, in: Der Tagesspiegel, 6. Februar 1946, 3: »Laßt uns Zeit zur Besinnung und zum Unsfinden, und ihr könnt versichert sein, daß wir eines Tages bereit sein werden, uns sinnvoll in den Aufbau, dem wir uns in keiner Weise verschließen wollen, einzuordnen.« E. S.: »Feind und Gegner«, in: Die Zeit, 14. März 1946, 3. Kurt Schumacher: »Europa und die Demokratie«, in: Die Zeit, 4. April 1946, 1-2: »Es geht ja nicht darum, der älteren und mittleren Generation die Lebensnotwendigkeiten der Demokratie klarzumachen, sondern es geht darum, sie zum Grundgefühl der jüngeren Menschen zu machen. […] Wenn man der Jugend dieses Zutrauen auf die Zukunft einflößen kann, wenn man ihr den Glauben beizubringen vermag, daß die Ideen des Friedens, der Freiheit und des Sozialismus etwas größeres sind, als die Schlagwörter der Hitler-Propaganda, dann wird es möglich werden daß die jungen Menschen einst ebenso gute Deutsche wie ebenso gute internationale Sozialisten werden.« Ebd.: »In einer Zeit, da alle Werte zweifelhaft geworden sind, da der Boden, auf dem wir stehen, schwankend und gleitend scheint, in einer Zeit seelischer und materieller Not brauchen wir einen moralischen Halt, eine Anleitung, die uns führt und festigt. Gegen die Gefahr des Herabsinkens in Stumpfsinn und Verzweiflung, der müden Ergebung in ein übermächtiges Schicksal wie der sinnlosen Ablehnung jeder Hoffnung und damit jeder moralischen Anstrengung brauchen wir eine Hand, die uns erfasst und leitet.« Anonym: »Jugend auf neuen Wegen«, in: Neue Rheinische Zeitung, 12. Januar 1946, 4. M. D.: »Erziehung zum Menschen«, in: Die Zeit, 18. April 1946, 1: »Es kann sich heute nicht mehr darum handeln, durch Erziehung einen bestimmten Typus zu schaffen: den guten Staatsbürger, einen echten Deutschen, den wahren Demokraten, einen brauchbaren Wissenschaftler, Beamten oder Handwerker, sondern es wird sich darum handeln, wieder einen echten Menschen zu formen.«

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»Neue Menschen.« Die Jugend in der Sowjetischen Besatzungszone In der SBZ war das Bild von der Jugend ein völlig anderes. Sie war nicht schmächtig und blass, sondern »braungebrannt« und »frisch«37 . Sie verharrte nicht in »Igelstellung«, sondern schritt tatkräftig voran. Sie war nicht verzweifelt, sondern lebensfroh. Diese Jugend war mit der ihr zugeschriebenen Begeisterung Garantin für die ausgeprägten Zukunftsvisionen der kommunistischen Vordenker/-innen. In dieser Verkürzung unterschied sich das Erziehungsprogramm nicht wesentlich von dem der vorausgegangenen zwölf Jahre. Der freie Schriftsteller Rudolf Pamperrien definierte jedoch den entscheidenden Gegensatz: »Aufgabe einer Schulerziehung muß es sein, die Jugend durch Einwirkung auf ihr Gefühl zu begeistern, durch verstandesmäßige Schulung mit den Voraussetzungen und praktischen Durchführungsmöglichkeiten vertraut zu machen und ihren Willen so zu beeinflussen, daß sie dafür zu kämpfen bereit ist.«38 Verstand, Willen und Gefühl der Heranwachsenden sollten gleichermaßen gebildet werden, nicht nur die »Willenskräfte«, wie es im Nationalsozialismus geschehen war. Die einschlägigen Beiträge in den Tageszeitungen der SBZ erklärten daher, was Kinder und Jugendliche denken und fühlen mussten und wie sie handeln sollten: Jugend »muß sich auf sich selbst besinnen«, »muß mit dem Gedankengut des Faschismus vollständig brechen und sich zum Neuaufbau unseres Landes bekennen«.39 Die junge Generation brauchte für diesen Weg eine bestimmte Gefühlshaltung. So lautete die Forderung des damals 28-jährigen Jugendvertreters im Landesvorstand der CDU Wilfried Parge: »Diese innere Glut muß uns vorwärts treiben, muß all das verbrennen, was in uns emporgewuchert ist und uns umrankt, muss uns erfüllen mit dem Geist der Brüderlichkeit. […]. So kristallisiert sich aus unserer Arbeit der Weg in die Zukunft. Es ist kein Weg für Schwache. Aber wir wollen auch keine Schwachen sein. Wir wollen keine verlorene Generation sein, sondern bewußt, ehrlich und kraftvoll den neuen Weg beschreiten.«40 Der idealtypische Jugendliche ließ sich mit den Koordinaten Tatkraft, Lebensfreude und Hingabe beschreiben. Die Anleihen an den Jugendmythos in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren damit unübersehbar. »Mut«, »Selbstbewußtsein«, »Furchtlosigkeit«, »Willenskraft« und »Unerschrockenheit« zählten nach Ansicht des SPD-Landesjugendausschusses Sachsen zu den Werten »demokratischer Jugender-

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Anonym: »Jugend im Aufbruch«, in: Volkszeitung Sachsen, 11. September 1945, 2: »Braungebrannte Jungens und hübsche, frische Mädels besetzen die geschnitzten Lehnstühle, die kaum für alle ausreichen.« Rudolf Pamperrien: »Zur Schulfrage«, in: Das Volk, 21. September 1945, 1 (Herv. i. Or.). Hans Joachim Wolf: »Die Krisis der deutschen Jugend«, in: Volkszeitung Sachsen, 18. September 1945, 3. Willfried Parge: »Der Weg der jungen Generation«, in: Der Demokrat, 7. September 1946, 1f. Der Autor, geboren 1918, war nach seiner Rückkehr aus dem Krieg stellvertretender Vorsitzender der Schweriner CDU und Jugendvertreter im Landesvorstand, siehe Broszat/Weber (1990): SBZHandbuch, 536.

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ziehung«.41 Stolz,42 »Kühnheit«43 und Zuversicht44 waren Attribute der körperlichen und moralischen Stärke dieser Nachkriegsjugend. Diese Beschreibung hatte mehrere Funktionen: Erstens entschuldete sie die Jugend. »Reinwaschen« und »Sauberkeit«45 waren häufig genutzte Metaphern. Zweitens wurde die Jugend von der Verantwortung freigesprochen, sich mit Schuld auseinanderzusetzen. Drittens aber bürdete dieses Narrativ der Jugend die Hauptverantwortung für eine bessere Zukunft auf und forderte, »sich mit ganzer Kraft und heißem Herzen für den Neubau eines freien, demokratischen Deutschlands einzusetzen«.46 Die behauptete Lebensfreude spiegelte sich in den Abbildungen von Jugendlichen in den Zeitungen augenfällig wider. Sie waren voller Fotos von frohen, lachenden47 , unbekümmerten48 und zuversichtlichen Jugendlichen49 . Jugendlichkeit stand für den »gesunden Geist« und »gesundes Empfinden«50 . Die »wirklich frohe und freie Jugend«51 sang, spielte und tanzte wieder. »[I]m bunten Kleid […] mit Sang und Spiel« durch-

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Landesjugendausschuß Sachsen: »Hauptpunkte demokratischer Jungenderziehung«, in: Volksstimme Dresden, 1. November 1945, 5: »Das Kind soll zum Mut, zur Furchtlosigkeit und zum Selbstbewusstsein erzogen werden. Willenskraft, Unerschrockenheit und Selbstvertrauen schaffen den sozialen Fortschritt der Völker.« Adolf Sauheitl: »Tragödie der deutschen Jugend«, in: Berliner Zeitung, 12. August 1945, 1: »Die Arbeit ist gewaltig und wir müssen zupacken, zupacken und nochmals zupacken. […] Der Lohn ist nicht mehr ein C-Schein oder ein Leistungsabzeichen, sondern der Dank eines Notleidenden, dem aus dem schwersten geholfen wurde, und das stolze Gefühl, mit zu den Erbauern unserer Zukunft zu gehören.« Friedrich Wolf: »Glückwünsche zum Geburtstag der FDJ«, in: Junge Welt, 5. März 1947, 7: »Nun möge sie in das kommende Jahr hineinschreiten mit der Kühnheit der Jugend, mit der vollen Lebensfrische, aber auch mit dem hellen, beobachtenden Blick unserer heutigen Jungen und Mädels, nicht wieder bösartigen, rückwärtstretenden Greisen und Blechtrompetenbläsern zum Opfer zu fallen.« W. P.: »Der erste Mai im Frieden«, in: Der Demokrat, 30. April 1946, 1: »So reihen wir uns ein in die geschlossene Front der demonstrierenden Arbeiter und neben den leidgeprüften Gesichtern der Männer und Frauen darf das zuversichtliche, strahlende Antlitz der Jugend nicht fehlen.« Hornecker: »Neues Leben – Neue Jugend«, in: Volkszeitung Sachsen, 1. August 1945, 4: »Durch unsere ehrliche Arbeit zur Wiedergutmachung, durch unsere Arbeit zur Beseitigung jeglichen reaktionären chauvinistischen Unrats in den Hirnen und Herzen unserer Jugend wollen wir den deutschen Namen wieder reinwaschen.« Anonym: »Schart Euch um die Jugendausschüsse!«, in: Volkszeitung Sachsen, 1. Oktober 1945, 3: »Die erste Jugendkonferenz in der Provinz Sachsen bekundet ihren Willen.« Heinz Keßler: »Jungen und Mädel von Berlin!«, in: Berliner Zeitung, 20. Juni 1945, 2: »Wir wollen uns ein neues Berlin, ein neues demokratisches Deutschland aufbauen, wo unsere Jugend wieder eine frohe, lachende, selbstständig denkende Jugend wird.« O. Halle: »Unserer Jugend zum Geleit«, in: Volkszeitung Sachsen, 28. September 1945, 1: »Wir kennen die Unbekümmertheit der Jugend, aber auch ihren Schwung, das Falsche gut zu machen.« Anonym: »Jugend am 1. Mai«, in: Junge Welt, 7. Mai 1947, 3. Darin sind Fotos vom 1. Mai mit der Bildunterschrift »aus ihren lachenden Gesichtern spricht die Zuversicht« abgedruckt. Anonym: »Die Stimme der Jugend«, in: Volkszeitung Sachsen, 28. August 1945, 3: »Wir Jugendliche begrüßen es, daß der nationalsozialistische Ungeist durch eine Erziehung abgelöst werden soll, die einem gesunden Empfinden entspricht.« Ingeborg König: »Jungen und Mädel!«, in: Volkszeitung Sachsen, 7. September 1945, 2: »Wir, die Antifaschistische Jugend, wir haben begriffen, daß eine wirkliche frohe, freie Jugend nur in einem demokratischen Deutschland gedeihen kann.«

Neues fühlen. Nachkriegsjahre (1945-1949)

streiften sie die Heimat, tanzten sie »vom Rhythmus beschwingt«.52 »Es ist ihnen [der Jugend] heiliger Ernst im Herzen, wenn sie singen: »Mit uns zieht die neue Zeit«. Von ihrer Gläubigkeit, ihrer Hingabe, ihrer Einsatzbereitschaft können auch wir Alten noch manches lernen.«53 Die wiederholte Forderung nach jugendlicher Hingabe und Gläubigkeit, nach Sehnsucht und Hoffnung kennzeichnet die Perspektive auf die Nachkriegsjugend in der SBZ. Auch wenn offensichtlich ist, dass es sich bei dieser Vision einer neuen Jugend eher um Wunsch, denn um Wirklichkeit handelte, war dieses Idealbild handlungsleitend und setzte sich in Erziehungsstrategien um. Die Jugend musste fröhlich, enthusiastisch und zupackend agieren, denn sie sollte »Bannerträger[in] einer neuen Zeit« sein.54 Was wäre das für eine Zukunft, in der die jungen Menschen skeptisch, zögerlich und verwirrt sein würden? Zukunft war in dieser Lesart die »ureigenste Bestimmung« der Jugend.55 »Das Schicksal der jungen Generation ist verbunden mit dem Schicksal des ganzen Volkes, und damit Angelegenheit der gesamten Nation. Hier entscheidet sich Sein oder Nichtsein und die Zukunft eines ganzen Volkes.«56 Damit lag der Zukunftstraum des neuen sozialistischen Staates in den Händen seiner Jugend. Aus dieser Einsicht resultierten Aufmerksamkeit und Nachdruck mit dem die Wortführer/-innen die junge Generation in eine bestimmte Richtung drängten. Sie rechtfertigte das Werben um die Herzen der Jugend. Angesichts dieser Herausforderungen verstand sich der Umgang mit der Jugend als ein Programm zur »Erziehung neuer Menschen«.57 Im Vergleich dazu wurde in den westlichen Besatzungszonen die junge Generation nur unspezifisch mit gesellschaftlichen Entwürfen von Zukunft in Verbindung gebracht. Der so oft zitierte kommunistische Leitspruch, »wer die Jugend hat, hat die Zukunft«, wurde im Tagesspiegel pragmatisch umgedeutet: Die Zukunft eines Landes liege nicht in den Händen der Jugend. Besser sei es, zu formulieren: »Die Zukunft eines Landes hängt davon ab, was das Land aus seiner Jugend macht und wozu es sie erzieht.«58 Die westdeutsche Jugend sollte nicht mit der Vision einer besseren, sorgenfreieren Zukunft gelockt werden, sondern mit dem Vertrauen darin, dass Zukunft überhaupt möglich sei.

»Das überwältigende Gefühl der Hoffnungslosigkeit.« Alternative Perspektiven Das oben skizzierte Idealbild von der neuen deutschen Jugend in der SBZ unterschied sich deutlich von den Einschätzungen alliierter Beobachter/-innen. Diese bescheinig52 53 54 55 56 57 58

Antifaschistisches Jugendkomitee Magdeburg: »Magdeburg ruft seine Jugend«, in: Volkszeitung Sachsen, 25. August 1945, 3. Hans Pawlowitsch: »Die Jugend von heute«, in: Volksstimme Sachsen, 19. Oktober 1945, 2. Zentralrat der Freien Deutschen Jugend: »Aufruf an die deutsche Jugend zum 1. Mai: ›Seid Bannerträger einer neuen Zeit!‹«, in: Junge Welt, 16. April 1947, 1. Hornecker: »Neues Leben – Neue Jugend«, in: Volkszeitung Sachsen, 1. August 1945, 4: »Wenn Jugend die Zukunft bedeutet, dann darf man sie nicht um ihre ureigenste Bestimmung betrügen.« Anonym: »An die deutsche Jugend!«, in: Junge Welt, 21. Mai 1947, 8. Kr.: »Erziehung neuer Menschen«, in: Berliner Zeitung, 6. Juni 1946, 2. Herbert Gessner: »Deutschlands Jugend. Problem der Völker«, in: Der Tagesspiegel, 24. Februar 1946, 2.

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ten der deutschen Jugend in allen Teilen Deutschlands eine weitverbreitete Desillusionierung, »political Apathy and Non-Conformism«59 . Dazu zählten nach Einschätzung des amerikanischen Beobachters Kellermann »[i]ndifference and ambivalence toward all traditional beliefs, notably political ones. […] In fact, large numbers of youths appear to have lost not only their belief but even their faculty to believe in anything«.60 Aus diesem Verlust von Glauben und Idealen resultierte nach Kellermann ein Misstrauen gegenüber allen Formen politischer Organisation.61 Mit dieser Einschätzung war der Amerikaner nicht allein. In den Nachkriegsjahren bestätigten das immer wieder amerikanische Offiziere vom Office of Strategic Service, die das Denken und Fühlen der deutschen Jugend untersuchten. Sie dokumentierten die tiefen Spuren von Militarismus und Nationalismus in den Köpfen und Herzen der Heranwachsenden.62 Darauf aufbauend diagnostizierten sie das »überwältigende Gefühl der Hoffnungslosigkeit« und »eine tiefe Sinnkrise«.63 Eine Sammlung von Lebensberichten Jugendlicher aus den Jahren 1946-1949 vermittelt ebenfalls das Bild einer orientierungslosen und hoffnungslosen Generation.64 Die 16 bis 21-Jährigen schrieben in ihren Abitur-Lebensläufen über den Verlust von Heimat. Sie erzählten, wie sie ihren Halt verloren hatten, wie sie mit dem Tod von Freunden und Freundinnen oder Familienangehörigen umgehen mussten. Die jungen Männer kamen völlig desillusioniert aus der Kriegsgefangenschaft wieder. Die jungen Frauen beschrieben ihre Flucht und die Angst vor den sowjetischen Soldaten. »Ein Gefühl tiefer Verbitterung und Verlassenheit behielt lange, lange die Oberhand«, brachte die 19jährige Hilde P. die vorherrschende Gemütslage nach 1945 in ganz Deutschland auf den Punkt.65 Diese persönlichen Einblicke in die Nachkriegszeit sowie die unterschiedlichen Perspektiven auf die jugendliche Generation unterstreichen die herausragende Bedeutung der Emotionen. Die Selbstberichte der Abiturienten und Abiturientinnen kreisen um ihre Angst und Verzweiflung angesichts der erlittenen Verluste, beschreiben Verbitterung und Illusionslosigkeit. Zugleich scheint die Hoffnung auf einen Neuanfang durch,

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Kellermann (1946): The Present Status of German Youth, 4. Ebd. Ebd., 14: »Observers in both eastern and western zones find that the vast majority of youth remains distrustful, even hostile, or at best indifferent toward all forms of organization.« Damit ist Helmut Schelskys »skeptische Generation« vorweggenommen, siehe: Schelsky (1963): Skeptische Generation, 74f. Dazu ausführlich Füssl (1995):Die Umerziehung der Deutschen, 58-75. Ebd., 104. Goes (1950): Jugend unterm Schicksal. Zitiert wird in diesem Buch eine Auswahl aus mehreren Tausend Abitur-Lebensläufen von Jungen und Mädchen (geb. zwischen 1924-1930), die diese Berichte für ihre Meldung für die Reifeprüfung schreiben mussten. Der Herausgeber macht nicht deutlich, aus welchen Regionen die Abiturienten und Abiturientinnen kommen. Die über 70 Erinnerungen vermitteln allerdings den Eindruck, dass sie aus allen Besatzungszonen stammen, mit einem regionalen Schwerpunkt in Norddeutschland. Ebd., 77; Schörken (2004): Niederlage als Generationserfahrung, S. 19f. konstruiert anhand von Autobiografien ein »Generationsprofil« der »45er«-Generation, wie er sie benennt. Er beschreibt die »seelische Verfassung« dieser Generation ganz ähnlich, wie sie in den Lebensberichten erscheint.

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wird der Wunsch formuliert, an etwas glauben zu können. In den westlichen Besatzungszonen wollte man aus der »vergreisten« und im Herzen »vereisten« Jugend mit Geduld und Verständnis »echte Menschen« werden lassen. Ein solches Moratorium bekam die Jugend in der SBZ nicht zugestanden. Als »Bannerträger der Zukunft« brauchte die sozialistische Utopie den Einsatz, den Enthusiasmus und die Arbeitskraft einer anpackenden Jugend. Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger als eine emotionale Umerziehung. Lebensfreude, Tatkraft und Hingabe waren sehr weit von der realen Gefühlslage der Jugend entfernt. Für die erwünschte »Erziehung neuer Menschen« benötigte man wirksame Strategien und einen institutionellen Rahmen, um diese umzusetzen. Viele Nachkriegspädagogen/-innen entschieden sich flächendeckend für die Gefühlserziehung, mit der sie selbst aufgewachsen waren: die sogenannte musische Erziehung. Das gemeinschaftliche Singen galt hierbei als Schlüssel zum Herzen der Heranwachsenden.

Gemeinsame Wurzeln. Das Prinzip des Musischen Am 21. September 1950 schrieb Siegfried Köhler an den namhaften Bärenreiter-Verlag in Kassel einen Brief. Dort hieß es: »Heut ist ein wunderschöner Tag, dieses Lied, das sich in den letzten fünf Jahren verblüffend schnell über ganz Deutschland verbreitete, wird zum Titel des Liederbuches. Diese Worte sollen mehr sein, als ein Hinweis auf ein besonders geliebtes Lied im Inhalt, es ist ein Programm und ein Aufruf an alle jungen Musikanten, an alle jungen Menschen überhaupt.«66 Er fügte dem Brief ein Liederheft mit 36 Liedern und Chorsätzen bei. Selbstbewusst pries sich der 23-jährige Musikstudent aus Leipzig an, um den Musikverlag davon zu überzeugen, seine Lieder zu drucken. Dazu kam es nicht.67 Doch dieser Brief ist in anderer Hinsicht bemerkenswert. Die Wortwahl Köhlers, insbesondere der Begriff des »Musikanten«, offenbarte seine Nähe zur Jugendbewegung. Köhler verortete sich selbst in der Tradition der musischen Erziehung, einem Konzept, in dem das gemeinschaftliche Singen als eine Methode galt, um das tiefste Innere von Menschen zu erreichen und zu formen.68 Auffallend war, dass er dem Verlag neben seinen eigenen Liedern auch 66

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Zu diesem Zeitpunkt kannten und sangen seine Lieder viele Kinder und Jugendliche in der jungen DDR, aber auch in vielen Regionen der Bundesrepublik, so behauptete es Köhler jedenfalls. Aus diesem Grund bat er den Bärenreiter-Verlag um Veröffentlichung seines Liederbuches. Siegfried Köhler: Kritische Zusammenfassung aller Texte zum Liederbuch Heut ist ein wunderschöner Tag, 21. September 1950, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 64, zur Person 3, o. Bl. Stattdessen veröffentlichte der Leipziger Hofmeister Musikverlag das Liederbuch erst 1984, die Lieder allerdings sind nach dem Vorwort von Siegfried Köhler alle in den Jahren 1946 bis 1949 entstanden, Köhler (1984): Wunderschöner Tag. Seidenfaden (1962): Musische Erziehung in der Gegenwart, 19. Köhlers Nähe zur musischen Erziehung wird an zahlreichen Briefstellen deutlich. So z.B. betonte er den besonderen Wert seiner Lieder »die um die innere Befreiung des Menschen« rangen, folgendermaßen: »Doch gerade im Liede wird der Mensch, vor allem der junge Mensch, besonders stark angesprochen, denn er wird im Liede aus seiner Passivität gerissen, er wird zum Interpreten, – er wird schöpferisch.« Siegfried

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Vertonungen des berüchtigten HJ-Dichters und Komponisten Hans Baumann anbot. Dieser veröffentlichte in der Bundesrepublik weiter Kinder- und Jugendlieder, während er in der DDR aus allen Liederbüchern verbannt wurde.69 Das war jedoch nicht nur ein strategischer Schachzug. Köhler begriff seine Liedkompositionen tatsächlich auch als einen »Aufruf an alle Musikanten«.70 Damit steht der junge Komponist beispielhaft für eine Debatte, die im Kontext von Musikerziehung bis Mitte der 1950er Jahre in ganz Deutschland geführt wurde. Diese hatte ihre Wurzeln in der Zeit der Weimarer Republik. Parallel zur bündischen Jugendbewegung der 1920er Jahre etablierte sich die musikpädagogische Überzeugung, dass im gemeinschaftlichen Singen Gefühle gebildet werden könnten. Statt Gelehrsamkeit ging es den Vertretern/-innen um Charakterbildung und Persönlichkeitsentwicklung. Die Idee der »Menschenbildung« durch Musik kristallisierte sich Ende der 1920er Jahre im Rahmen der Jugendmusikbewegung im Begriff der musischen Erziehung.71 Die feste Überzeugung von der besonderen emotionalen Wirkmächtigkeit der Musik fand in diesem pädagogischen Konzept seinen Ausdruck und seine Anwendung. Die Suche nach dem »Wahren«, dem »Echten« kennzeichnete das Programm der musischen Erziehung. Hinzu kam eine Gemeinschaftserziehung, die sich zielgerichtet an die gerade im Entstehen begriffene bündische Jugend richtete. Die musische Erziehung ließ sich reibungslos in die nationalsozialistische Erziehungsideologie integrieren, wie das Beispiel des 1929 von Gerhard Götsch gegründeten »Musikheimes für musische Erziehung« in Frankfurt/Oder zeigte. Dort boten die Verfechter/-innen der musischen Erziehung Kurse für Volksschullehrer/-innen an. Die Lehrgänge in Frankfurt/Oder fanden mit Unterstützung nationalsozialistischer Bildungspolitik statt.72 So unterschiedlich die Wahrnehmungen der jugendlichen Gefühlsverfassungen nach Kriegsende waren, die Musikpädagogen/-innen und Musikerzieher/-innen führten in Ost und West die gleichen Argumente ins Feld, um die Bedeutung der Musik in der Kinder- und Jugenderziehung zu unterstreichen.73 Das ist nicht verwunderlich, so erhielten viele von ihnen ihre Ausbildung in den musischen »Musikheimen« der

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Köhler, Kritische Zusammenfassung aller Texte zum Liederbuch Heut ist ein wunderschöner Tag, 21. September 1950, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 64, zur Person 3, o. Bl. Die Texte von allein fünf der insgesamt fünfundzwanzig Lieder stammen von Hans Baumann. In der DDR war Baumann eine Persona non grata, während die Lieder- und Lehrbücher der 1950er Jahre in der BRD noch regelmäßig Lieder von ihm enthielten. Er hatte mehrere gehobene Positionen im Dritten Reich innegehabt, unter anderem war er Propagandakompanieführer an der Ostfront. Er war auch der Verfasser und Komponist des HJ-Liedes Es zittern die morschen Knochen (1932, Hans Baumann). Siegfried Köhler: Kritische Zusammenfassung aller Texte zum Liederbuch Heut ist ein wunderschöner Tag, 21. September 1950, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 64, zur Person 3, o. Bl. Freyer (1928): Ethische Bedeutung der Musik und Seidenfaden (1962): Die musische Erziehung in der Gegenwart, 149. Alle folgenden zitierten Begriffe siehe ebd. Vgl. Götsch (1940):Musische Erziehung; Gruhn (2003): Geschichte der Musikerziehung, 237f.; Seidenfaden (1962): Die musische Erziehung in der Gegenwart, 20-23; Waeltner (1964): »Götsch, Johann Gottfried Georg«, 577. Weigele (1998): Zur Geschichte der Musikpädagogik, 14ff.

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1920er und 1930er Jahre. Gerade, weil es nach 1945 so wichtig war, die Gefühle der Heranwachsenden zu erreichen, lag es für sie auf der Hand, dafür Musik zu nehmen.

Die Reorganisation der Musikerziehung: West Der »musischen« Musikszene gelang in den westlichen Besatzungszonen eine erstaunlich schnelle Reorganisation.74 Georg Götsch, eben jener, der bis 1943 das »Musikheim für musische Erziehung« in Frankfurt/Oder leitete, formulierte unmittelbar nach Beendigung des 2. Weltkrieges in Denkschriften erste Grundsätze zur Weiterführung der musischen Bestrebungen. Damit fand er unter anderem Gehör im Kultusministerium des Bundeslandes Hessen, in dessen Auftrag er 1952/53 »Musische Semester« organisierte.75 Unter der Federführung des bekanntesten Vertreters der Jugendmusikbewegung Fritz Jöde organisierte auch der »Arbeitskreis für Hausmusik« 1946, 1947 und 1948 bis zu 30 Sing- und Werkwochen jährlich. Eine Plattform für die jugendmusikbewegten Pädagogen/-innen boten weiterhin die Kasseler Musiktage, die Jöde einmal jährlich veranstaltete.76 Damit verfügten die wichtigsten Wortführer/-innen über Autorität und die Möglichkeit, um in den Nachkriegsjahren die Schulmusikerziehung mit den Ideen der musischen Erziehung zu durchsetzen. Ihre Argumente überzeugten anscheinend. Die Musik ermögliche »echte Menschenbildung«77 und trage zu einer »Gesamtbildung der Persönlichkeit« bei. Sie könne »heilen und einen zerrütteten Menschen langsam wieder in eine innere Ordnung fügen.«78 Das Singen, als etwas der Jugend Eigenes, Natürliches79 würde demnach zur Gesundung der Jugend beitragen: »Heiterkeit, Gesittung, innere Befreiung, Entspannung und Erneuerung« bieten80 , »seelisch auflockern«.81 Anders herum gewendet bedeutete die befürchtete Tendenz zum NichtSingen eine »Todesgefahr« für die deutsche »Seele«, »seelisches Absterben«, »Stumpfheit« oder gar »Apathie«.82 In diesem Sinn forderte der Verband deutscher Schulmusiker 1949 eine »sorgfältige Auswahl wertvoller Musik«, denn diese könne die »sittlichen Kräfte im Menschen stärken« und zur Bildung der Jugend zu »sittlich selbstverantwortliche[n] Person[en]« beitragen.83 Die vorübergehende Produktivität der musischen Szene lässt sich anhand der Verbandsarbeit und den Veröffentlichungen erkennen. Die wichtigste Voraussetzung für die aktive Publikationstätigkeit in der Nachkriegszeit waren drei bedeutende Musikverlage, die ihre Wurzeln in der Jugendmusikbewegung hatten. Dazu gehörten der erwähnte Bärenreiter-Verlag (gegründet 1923 im Umkreis des Finkensteiner Bundes in

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Vgl. Pasdzierny (2014): Wiederaufnahme?, 512-543. Hodek (1977): Musikalisch-pädagogische Bewegung, 212. Ebd., 233f.; zum Menschenbild Fitz Jödes vgl.: Sachse (2014): Menschenbild und Musikbegriff, 149ff. Bernert (1952): »Musik in den Jugendbünden«, 128. Heer (1951): »Musikerziehung heute«, 62. Arbeitsgemeinschaft für Musikerziehung und Musikpflege (1953): »Notlage der Musikerziehung«, 325. Heer (1951): »Musikerziehung heute«, 62: »Musische Übung muss Sache des ganzen Volkes werden, die Jugend muss gesunden, Heiterkeit, Gesittung, innere Befreiung, Entspannung und Erneuerung«; vgl. Sauerbier (1951): »Musische Erziehung«, 573. Berekoven (1952): Musikerziehung, 10. Gesellschaft für Schulmusikforschung (1951): »Denkschrift zur Schulmusikerziehung«, 366. Verband deutscher Schulmusiker (1949): »Zur gegenwärtigen Lage der Musikerziehung«, 3.

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Augsburg), der Voggenreiter-Verlag (gegründet 1919 von bayerischen Pfadfinderführern, 1949 Neugründung in Bad Godesberg) und der Möseler-Verlag (gegründet als KallmeyerVerlag um 1920 im Umkreis von Fritz Jöde). Diese drei großen Musikverlage publizierten bereits in der Weimarer Republik Liedblätter, Liederbücher und Fachliteratur aus ihrem jeweiligen Umfeld der Jugendmusikbewegung. In der Zeit des Nationalsozialismus gehörten auch NS-Lieder und Liederbücher in die Verlagsprogramme. In der Nachkriegszeit teilten sich die Verlage untereinander die Rechte an den Liedern aus der Jugendmusikbewegung aus den 1920er bis 1940er Jahren. Somit kam kein Liederbuch oder Musiklehrbuch der Nachkriegsjahre an diesen drei Verlagen vorbei. Die hohe Verbreitung der Nachkriegspublikationen zeigt, wie sehr die Verlage die Jugendmusik in der Bundesrepublik prägten. Diese Verlage waren auch für die Publikation der bedeutendsten musikpädagogischen Zeitschriften zuständig.84 Darin berichteten die Musikpädagogen/-innen über das Verbandsleben, veröffentlichten Aufrufe zur »Notlage« der Musikerziehung, dachten über das »neue Lied« nach und bewarben Lehrgänge und Musiktage. Aber auch Zeitschriften, die nicht direkt aus dem Umkreis der Jugendmusikbewegung stammten, waren bis Mitte der 1950er Jahre gefüllt mit Artikeln über die musische Erziehung.85 Zur erfolgreichen institutionellen Verankerung gehörte vor allem die Verbandsarbeit. Auf der Arbeitstagung »Die neue Musik im Unterricht« gründeten die Fürsprecher/-innen der musischen Erziehung 1948 das »Institut für Neue Musik und Musikerziehung« in Bayreuth. Ab 1951 fanden jährlich Tagungen in Darmstadt statt, die nachhaltig das Musikleben in Deutschland beeinflussten. Die ersten Jahre dieser »Darmstädter Tage« waren noch fest in der Hand der Jugendmusikbewegung durch die Arbeitsgemeinschaft »Musikerziehung und Musikpflege«. Entscheidend ist, dass es durch die Vernetzung und Publikationstätigkeit gelang, die musische Erziehung als dominantes musikpädagogisches Konzept flächendeckend in die Lehrpläne der Bundesländer einzuschreiben. Mitte der 1950er Jahre wurde die Dominanz der jugendbewegten Wortführer/-innen infrage gestellt. Der Philosoph Theodor W. Adorno entlarvte die zeitgenössische Musikerziehung als Spielart der musischen Erziehung. 1954, während der Darmstädter »Arbeitswoche des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung« verurteilte er die mentalen und ideengeschichtlichen Anleihen der deutschen Nachkriegsmusikpädagogik scharf.86 Mit dem Satz: »Nirgends steht geschrieben, dass Singen not sei«87 , deckte er die ideologisch fragwürdigen Wurzeln des Musischen auf. »Adornos kritischer Stachel saß tief in den Köpfen einer jüngeren Generation«, so die spätere Einschätzung des Musikwissenschaftlers Wilfried Gruhn. Diese folgte nun nicht mehr »den musischen Vätern, sondern der kritischen Rationalität«.88 Dennoch dauerte es noch fast zehn Jahre, bis sich diese jüngere Generation durchsetzte. Insbesondere die 6. Bundesschulmusikwoche in Bonn markierte 1965 den Richtungswechsel.89 Die daraufhin 84 85 86 87 88 89

Dazu gehörten die Zeitschriften Junge Musik und Hausmusik. Zu nennen sind hier Musik im Unterricht und die konservative Zeitschrift für Musik. Adorno (1954): »Thesen«. Adorno (1996): Dissonanzen, 81. Gruhn (2003): Geschichte der Musikerziehung, 297. Kraus (1965): Fortschritt und Rückbildung.

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entwickelten Konzepte für das Unterrichtsfach Musik legten den Fokus eher auf musikalische Bildung als auf musische Erziehung, mit einer expliziten Ausklammerung von Emotionen als Bildungsgegenstand.90

Die Neuorganisation der Musikerziehung: Ost Auch der erste Lehrplan in der SBZ von 1946 spiegelt deutlich die Tradition der musischen Erziehung wider. Dort hieß es: »Singen ist eine unmittelbare Lebensäußerung des Menschen. Es bringt seelische Regungen zum Ausdruck, beschwingt und steigert das Lebensgefühl.«91 Auch wenn von Beginn an Musikerziehung als Gefühlserziehung verstanden wur92 de, schwang im ersten Lehrplan noch eine andere musikpädagogische Vorstellung mit: Musikunterricht sollte musikalische Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln. Dahinter versteckten sich komplexe Argumentationsmuster, die auch aus der Vorkriegszeit stammten. Denn nur das selbsttätige Singen und Musizieren würde das emotionale Erlebnis als »echt« und »tief greifend« ermöglichen. Angesichts des modernitätskritischen Gespenstes der »Radioverseuchung«, das durch Passivität »Amusikalität« hochzüchte, setzten die Pädagogen/-innen auf das Selbersingen.93 Daher schrieb der erste Lehrplan von 1946 auch zwei Wochenstunden Musik für die 1. bis 8. Klassen vor. Damit orientierte er sich an den Weimar’schen Lehrplänen. Diese großzügige Stundenzuweisung wurde jedoch schon im Folgelehrplan zurückgenommen. In Hinblick auf die zunehmende Marginalisierung des schulischen Musikunterrichtes schlugen die Musikpädagogen/-innen Alarm. »Die Musik«, so die nüchterne Einschätzung des Leiters des Instituts für Musikerziehung an der Humboldt-Universität zu Berlin, Hugo Hartung 1951, »ist in der Schulreform vergessen worden«. Der Musikunterricht sei ein »Stiefkind der Schule«. Überall sei »musikalisches Analphabetentum« verbreitet.94 Deutliche Anzeichen für die anhaltende Krise der Musikerziehung waren der Fachlehrer/innenmangel, die Reduzierung auf eine Unterrichtsstunde und der chronische Stundenausfall. Das war kein Einzelfall, sondern die Regel, wie Beschwerden aus allen Teilen der frühen DDR zeigten.95 90 91

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Segler/Abraham (1966): Musik als Schulfach, 14. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (1946): Lehrpläne Musik, Grund- und Oberschulen, 24. Ab dem 1. Juli 1946 galten die von der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung herausgegebenen Lehrpläne für die Grund- und Oberschulen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. So sah die altgediente Musikpädagogin Else Ehrhardt Musik als »geeignetes Hilfsmittel zur ›Humanisierung der Massen‹«, die alle »positiven Kräfte aus eigener Überzeugung zum Nutzen der Gesellschaft verwendet und einsetzt«; Else Ehrhardt: Stellungnahme zum Lehrplan für Musik an das Ministerium für Volksbildung, ca. 1948, in: BArch SAPMO DR 2 668, Bl. 61f. Anonym: Brief an Karl Hagemann (Hauptdirektor des Verlags »Volk und Wissen«), 14. März 1947, in: BArch SAPMO DR 2 668, Bl. 1514-1516. Ebd. Hugo Hartung (Humboldt-Universität zu Berlin, pädagogische Fakultät, Institut für Musikerziehung): Schreiben an Erich Wendt (Ministerium für Volksbildung): Nur eine Musikstunde?, 23. April 1951, in: BArch SAPMO DR 2 5972, Bl. 83 sprach von 10.000 fehlenden Fachlehrern und Fachlehrerinnen. Wobei diese Zahlen eher zu hoch erscheinen. Im Protokoll der Fachkommission für Schulmusik wird ein Fehlbestand von 4161 Musiklehrkräften für die gesamte SBZ genannt, vgl. Protokoll der Fachkommission für Schulmusik, 15. Juli 1949, in: BArch SAPMO DR 2 698, Bl. 40. Vgl. Rieger (1977):

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Die Reaktionen der Musikwissenschaftler/-innen und Pädagogen/-innen auf diese offensichtliche Marginalisierung der Musikausbildung glichen denen in den westlichen Besatzungszonen. Es gab jedoch zwei entscheidende Unterschiede. Die Idee der Gefühlserziehung durch Musik passte erstens hervorragend zu dem kommunistischen Erziehungsprogramm des neuen Menschen. Gerade die so hochgepriesene vergemeinschaftende Wirkung kollektiven Gesanges bot eine besondere Chance, auf das Fühlen einzuwirken. Zweitens konnte das Singen in den neuen Jugendverband ausgelagert werden. Damit war es nicht mehr an den Schulunterricht gebunden und dennoch unter staatlicher Kontrolle. Um im Verteilungskampf um Stunden, Lehrer/-innen und Akzeptanz nicht unterzugehen, versuchten die Musikerzieher/-innen mit den altbekannten Argumenten der musischen Erziehung im neuen bildungspolitischen Diskurs zu überzeugen. Sie forderten von der Politik vehement, die Musikerziehung »mit äußersten Kräften vorwärts zu [treiben]«96 , denn »[w]ir alle wissen, welch einigende Kraft dem Liede innewohnt«, schrieb 1954 Herbert Kettwig im zentralen Publikationsorgan der Musikpädagogen/innen Musik in der Schule: »Wir haben in unserem Leben und aus unserer Geschichte erfahren, daß ein Lied geeignet ist, die Menschen zu großen Taten zu begeistern, daß ein Lied die elementare Kraft eines gemeinsamen Willens von tausenden ausdrücken, aber auch erleben und erfühlen zu lassen vermag.«97 Diese Worte mussten Vielen noch vertraut erscheinen, begründeten sie doch auch die nationalsozialistische Singepraxis. Doch darum kümmerte sich Kettwig nicht. Ihm ging es um das gegenwärtige Singen und seine Bedeutung für die sozialistische Utopie: »Das einstimmige Massenlied«, so Kettwig, sei eben ein »begeisterndes ›Ja‹ zum Kampf um Aufbau, Einheit und Frieden.«98 Damit war das gemeinschaftliche Singen legitimiert. Eine politische oder pädagogische Auseinandersetzung mit dem manipulativen Charakter des Singens – gerade in Hinblick auf die Zeit des Nationalsozialismus – fand in der SBZ und der DDR offiziell zu keiner Zeit statt. Diese Geschichtsvergessenheit wurde begründet mit dem als einzigartig empfundenen Potenzial der Musik für die Bildung neuer Menschen. Für »die Formung eines gesellschaftsbewußten, selbständig denkenden, verantwortungsbewußt handelnden demokratischen Menschen [braucht es] eine Ganzheitserziehung […], in der die Bildung eines realistischen gegenwartsbezogenen Menschen nicht nur durch Technik und Naturwissenschaft sondern auch durch musische Erziehung erzielt wird«.99 Auf den Punkt gebracht bedeutete das nicht mehr und nicht weniger, als dass »die Gesundung und Stärkung der Musikkultur […]

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Schulmusikerziehung in der DDR, 23-31; Fröde (2010): Schulmusik in der Sowjetischen Besatzungszone, 58-60. Carl Schmidt (Betriebsgewerkschaftsleitung der Volksmusikschule Halle-Saalkreis):Schreiben an Hans-Walter Ulbricht, 24. September 1953, in: BArch SAPMO DC 20 3629, Bl. 11. Herbert Kettwig (1954): »Organisiert das Singen von Massenliedern«, 7. Ebd., 8. Musiklehrerschaft des Landes Sachsen-Anhalt: Schreiben an das Ministerium für Volksbildung, 11. Juni 1950, in: BArch SAPMO DR 2 5972, Bl. 27.

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ein neue[s], demokratische[s] und friedliche[s] Deutschland« unterstütze.100 Musik war in dieser Argumentationslogik unabdingbar zur Verwirklichung des kommunistischen Zukunftsplanes – so jedenfalls das Hauptargument der Musikpädagogen/-innen in der SBZ. Dem Musikunterricht genutzt hat diese Strategie zunächst nicht. Die Beschwerden über Unterrichtsausfall und mangelnde Fachlehrer/-innenausbildung blieben im Verlauf der 1950er Jahre zahlreich. Regelmäßig wurden Krisen der Musikerziehung ausgerufen. Erst Mitte der 1950er Jahre erhielt der Musikunterricht seinen funktionalen Platz im sozialistischen Fächerkanon zugewiesen. Damit gingen die Grundideen der musischen Erziehung in Prinzipien der sozialistischen Erziehung auf und verschwanden nicht, wie etwa zur gleichen Zeit in den bundesrepublikanischen Debatten um Musikunterricht. Eine wesentlich größere Bedeutung hatte die Gefühlserziehung durch das gemeinschaftliche Singen für den SED-Jugendverband FDJ. Deutlich dezidierter als für das eigentliche Unterrichtsgeschehen wurde die musische Erziehung in der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit implementiert. Dafür brauchte es gar nicht so sehr die Überzeugungskraft der Musikpädagogen/-innen, die um ihren Bedeutungsverlust fürchteten. Zusätzliche Unterstützung erhielten sie aus dem sowjetischen »Bruderland«.101 Dort gehörte das gemeinschaftliche Singen innerhalb des Komsomol ganz selbstverständlich zum alltäglichen Gemeinschaftsleben. Die ersten Handbücher für Pionierleiter/-innen und zur Unterrichtsmethodik in der noch jungen DDR stammten aus der Sowjetunion.102 Voller Überzeugung bauten sie auf die erzieherische Wirksamkeit gemeinschaftlichen Gesanges und passten damit hervorragend zu den Ambitionen der deutschen Musikerzieher/- innen. In der Übersetzung eines russischen Handbuches für Pionierleiter/-innen hieß es dementsprechend: »Der gemeinsame Gesang belebt die Feier, hebt die Stimmung, schließt die Kinder zu einem freundschaftlichen Kollektiv zusammen. Durch die gemeinsam ausgesprochenen Worte entstehen bei allen die gleichen Gefühle, Gedanken, Bestrebungen.«103 Damit gab es eine breite gesellschaftliche Allianz, die gemeinschaftliches Singen trotz seiner ideologisch fragwürdigen Ausprägungen im Nationalsozialismus, beförderte und einforderte. Das Beispiel des Komponisten Siegfried Köhler und seiner Meißner Singegemeinschaft zeigt, dass es dabei weniger um »neues Fühlen« und »neuen Geist« ging, vielmehr um die Reaktivierung gewohnter Praktiken. Wie nutzten die Jugendfunktionäre/-innen und Politiker/-innen die alten Strukturen und Rituale, um das eingeforderte Neue einzuüben?

100 Ebd. 101 Fürst (2010): Stalin’s Last Generation, 308f, zur Geschichte des Komsomol siehe Riordan (1989): »The Komsomol«. 102 Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (1952): Handbuch des Pionierleiters (ursprünglich: Moskau 1950); Rumer (1955): Methodik des Musikunterrichtes (ursprünglich: Moskau 1952). 103 Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (1952): Handbuch des Pionierleiters, 533.

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Zwischen HJ und FDJ. Der Komponist Siegfried Köhler Die emotionale Umerziehung der Kinder und Jugendlichen erforderte nicht nur entsprechende Methoden, sondern auch den institutionellen Zugriff auf die jüngeren Generationen. Die SED-Jugendpolitik setzte dabei auf eine wirkungsvolle Strategie: Freizeitangebote wurden an politische Erziehung gekoppelt. Denn waren die Jungen und Mädchen erst einmal zu Tanz und Spiel in den neu entstandenen Jugendhäusern, dann könnten sie auch »in die Front der aufbauwilligen Kräfte des demokratischen Deutschlands« gestellt werden.104 Detaillierte Pläne für eine Nachkriegsjugendpolitik entstanden bereits um die »Gruppe Ulbricht« im sowjetischen Exil. Die exilierten deutschen KPD-Politiker orientierten sich an dem Modell des Komsomol, der sowjetischen Staatsjugend. Ende April 1945 gab es konkrete jugendpolitische Vorstellungen und strategische Planungen für die Reorganisation der deutschen Jugend. Diese sahen im Kern ein breites Bündnis überparteilicher und überkonfessioneller Jugendverbände vor. Eine Rückkehr zu einem Parteijugendverband wurde zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen, um parteipolitischen Interessen nicht zu viel Macht zu geben. Als Ergebnis dieser Vorarbeit gründeten sich schon im Sommer 1945 auf dem Gebiet der SBZ sogenannte Antifaschistische Jugendausschüsse. Das regelte ein Befehl vom 31. Juli 1945 von General Georgij Konstantinovič Žukov.105 Um eine einheitliche und konsequente antifaschistische Erziehung zu gewährleisten, sicherte der Vorsitzende der sowjetischen Militäradministration den Jugendausschüssen eine Monopolstellung und finanzielle Unterstützung zu.106 Die kommunistischen Jugendfunktionäre/-innen wurden von Beginn an mit Materialien und Handreichungen versorgt. Darin waren ihre Aufgaben festgeschrieben und Hinweise zur Umsetzung. Vorrangiges Ziel der Jugendausschüsse war die »geistige Neuerziehung in den Gedanken der Demokratie und des Friedens, die Entwicklung eines gesunden Jugendlebens«.107 Gelockt wurde die Jugend mit Freizeitangeboten, wie Sport, Nähen (für Mädchen), Lesezirkel oder Tanz in neu eingerichteten Klubhäusern. Ganz nebenbei sollten die Jungen und Mädchen dabei mit den neuen Ideologien und Werten bekannt gemacht werden, – das jedenfalls waren offizielle Vorstellungen. Trotz aller ursprünglichen Festlegung auf Überparteilichkeit war die politische Ausrichtung der Jugendarbeit klar festgelegt. Die Jugendausschüsse arbeiteten auf kommunistische Initiative, sie waren an die Verwaltungen der örtlichen Volksbildung ge-

104 Landesjugendausschuss Sachsen: Richtlinien für die sozialpolitische Tätigkeit der Jugendausschüsse, 16. Oktober 1945, in: SAB 63004-715, Bl. 219. 105 Vgl. Noack (1994): »Die Jugendpolitik der KPD«. 106 Dieser Befehl untersagte zugleich auch die Gründung anderweitiger Jugendorganisationen. Damit die Antifaschistischen Jugendausschüsse arbeitsfähig waren, legte die Sowjetische Militäradministration ebenfalls fest, dass sie bei den Bürgermeistereien angesiedelt sein sollten und von dort mitfinanziert und unterstützt werden müssten. 107 Landesjugendausschuss Sachsen: Richtlinien für die sozialpolitische Tätigkeit der Jugendausschüsse, 16. Oktober 1945, in: SAB 63004-715, Bl. 219 oder Landesjugendausschuss Sachsen: Hauptpunkte demokratischer Jugenderziehung, Dresden, den 20. Oktober 1945, in: SAB 63004-715, Bl. 215. Vgl. Brauer (2017): »Gesang, Frohsinn«.

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bunden und damit auch inhaltlich abhängig von deren Weisungen und Richtlinien. Hinzu kam, dass die hauptamtlichen Jugendarbeiter/-innen in Absprache mit der Militäradministration und der KPD ernannt worden waren.108 Wie genau die rasche Reaktivierung des kulturellen Lebens innerhalb der Jugendausschüsse und später der FDJ aussah, lässt sich an der Geschichte Siegfried Köhlers zeigen. Der jugendliche Komponist unterstütze mit ganzen Kräften die »kulturelle Aufbauarbeit der FDJ«. Am 28. Juli 1946 schrieb der 19-Jährige dazu ein Grundsatzpapier.109 Er forderte darin, »mit eisernen Besen den Schrott der Vergangenheit« zu beseitigen. Dazu brauchte es seiner Meinung nach das »zeitgemäße, politische aber auch volkstümliche Lied […]. Vor allen Dingen muß dies alles aber aus dem Geist der Jugend geboren sein […] aus dem Idealismus unserer Jugend«. Um zu unterstreichen, was er damit meinte, verwies Köhler auf sein eigenes Lied Heut ist ein wunderschöner Tag, ein Lied, das seiner Beobachtung nach »begeistert gesungen« werde, »schon überall in Sachsen.« Mit dieser Beobachtung mag Köhler recht gehabt haben, doch die »eisernen Besen« fehlten ihm. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade einen Monat aus der Haft zurück. Die Monate in sowjetischen Speziallagern verschwieg er wohlweislich und erfolgreich, genauso wie die Tatsache, dass sein Vorzeigelied Heut ist ein wunderschöner Tag bereits 1944 für die HJ entstanden war.110 Köhler begann in frühester Jugend, über sich selbst und seinen kompositorischen Werdegang ausführlich zu reflektieren und diesen zu dokumentieren.111 Anhand dieser autobiografischen Informationen, die er immer wieder je nach Adressat erneuerte und ergänzte, lässt sich seine Lebensgeschichte schreiben. Diese weist gerade für die ersten Nachkriegsjahre Unstimmigkeiten und Brüche auf. Diese vorsätzlichen Verschleierungen sind sicher auch ein Grund dafür, dass es bis heute widersprüchliche Angaben über den Komponisten gibt.112 Siegfried Köhler wurde am 2. März 1927 in Meißen als Sohn des Industriekaufmannes Paul Köhler und seiner Frau Louise geboren wurde. Er wuchs in einem musikalisch aufgeschlossenen Elternhaus auf. Im Alter von zehn Jahren erhielt er Klavierunterricht.

108 Siehe ausführlich Brauer (2017): »Gesang, Frohsinn«. 109 Siegfried Köhler: Vorschläge und Pläne für die kulturelle Aufbauarbeit der FDJ, 28. Juli 1946, in: SLUB Kapsel 64, zur Person 3, o. Bl. Alle folgenden Zitate stammen aus dem Dokument (Herv. i. Or.). 110 Dieter Härtwig verwies bereits 2002 darauf, dass Köhler das Lied 1942 im Rahmen seiner HJ-Zeit komponiert habe; Dieter Härtwig: »Er erträumte ein ›Reich des Menschen‹. Heute wäre der Dresdner Komponist Siegfried Köhler 75 Jahre alt geworden«, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 2./3. März 2002, 10; vgl. Härtwig (2009): »Siegfried Köhler«. Unwahrscheinlich ist das nicht, aber diese frühe Datierung konnte bisher nicht belegt werden. Deshalb wird hier 1944, das Jahr der frühesten Erwähnung, auch als Entstehungsjahr angenommen. 111 In der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) lagert der Nachlass Köhlers. Darin finden sich Unterlagen aus seiner Schulzeit in Meißen und seiner Tätigkeit in der Hitler-Jugend bis 1945, Briefe an Verlage und Institutionen. Für die Jahre 1946, 1947 sowie 1949 und folgende liegen Taschenkalender vor, in denen es zum Teil tagtägliche Eintragungen gibt. Ab den 1950er Jahren ist sein sehr umfangreicher privater Briefwechsel erhalten. 112 Siehe Schönfelder (1984): Siegfried Köhler, 27. Die Angaben aus dieser offiziellen Biografie weisen gerade für die Jahre um 1945 Leerstellen und Fehler auf, die in der Literatur weitergetragen werden; siehe Barth/Musial (2009): »Siegfried Köhler«. Wesentlich aktueller und informativer ist der Eintrag in der Sächsischen Biografie Härtwig (2009): »Siegfried Köhler«.

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Vier Jahre später entschloss sich Köhler bewusst dazu, Musiker zu werden und komponierte seine ersten Stücke. Ab 1943 leitete er verschiedene Schülerensembles (Chor-, Instrumental- und Laienspielgruppe) in seiner Oberschule, dem Franziskaneum in Meißen.113 Nach eigenen Angaben schloss Köhler 1945 das Gymnasium mit dem Abitur ab. Im Oktober des gleichen Jahres schrieb er sich in der Staatlichen Akademie für Musik und Theater in Dresden zum Musikstudium ein. An der Stelle gibt es die ersten Unstimmigkeiten in seinen Angaben. Im Nachlass findet sich – von Köhler selbst gehalten – eine Entlassungsrede seines Abiturjahrganges, die auf Februar 1944 datiert ist. Damit hat er bereits ein Jahr früher als angegeben sein Abitur gemacht. Was er danach tat, ist unklar. In einem Begleitbrief zu einem Kompositionswettbewerb schrieb er, dass er 1944 zur Wehrmacht eingezogen werden sollte. Andererseits war er im Juni 1944 mit seiner Bannspielschar Meißen unterwegs, einer Musik- und Chorformation der HitlerJugend. Siegfried Köhler leitete als Oberkameradschaftsführer diese Bannspielschar.114 Die Chorreise ist durch ein Gruppenbuch gut dokumentiert. Abwechselnd verfassten Mitglieder Tagesberichte.115 Zwischen dem 2. und dem 30. Juni 1944 musizierte und sang die Bannspielschar bei Sportwettkämpfen, einer Silberhochzeit und der Hochzeit einer »früheren Kameradin«. Sie hatte Auftritte im Einsatzgefolgschaftslager Jägerhof und einen »Wehrmachtseinsatz« im Offizierskasino des Strafgefangenenlagers Mühlberg.116 Am Ende des Monats nahmen die Jugendlichen am »Musischen Wettbewerb« in Dresden teil. Auffällig ist, dass die Berichte keinerlei Hinweise auf die Kriegssituation geben. Beim Auftritt in Mühlberg lobte die Berichteschreiberin Christa Wachtler, wie »nett« es im Lager gewesen sei: »Überall standen die herrlichsten Blumen vor den Baracken. Die Hauptgänge waren mit schönen, sauberen Laubengängen verbunden.«117 Die Kriegsgefangenen tauchten in dem Bericht nur als Erbauer des Offizierskasinos auf. Die Lieder erscheinen als genauso unpolitisch wie der HJ-Chor. Alle Lieder, die in den Berichten erwähnt wurden, sind volkstümlicher Art, wie das Lied Heut ist ein wunderschöner Tag, Monatslied für Juni 1944. In einer weiteren autobiografischen Skizze der Nachkriegszeit erwähnte Köhler, dass er nach seiner Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft im August 1945 die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule in Dresden bestanden hätte. Sein Studium unterbrach er jedoch im September 1945 aus »privaten Gründen leider«. Auch diese Angaben sind nicht korrekt. Sein Abgangszeugnis der Staatlichen Akademie für

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Schönfelder (1984): Siegfried Köhler, 27. Er schrieb im Sommer 1942 in einer autobiografischen Notiz, dass er innerhalb der Hitler-Jugend Oberkameradschaftsführer und Führer der Bannspielschar Meißen sei; Siegfried Köhler, Zur Person, Schreiben vom Juni 1942, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 64, o. Bl. Gruppenbuch, Sommer 1944, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 2, o. Bl. In Mühlberg befand sich das Stammlager (Stalag) IV B für Kriegsgefangene im Wehrkreis IV Dresden. Es ist denkbar, dass die Bannspielschar für die dort diensthabenden Wehrmachtsangehörigen sang. So jedenfalls ist die Bemerkung in dem Bericht zu verstehen: »Diethilds Vater […] hatte uns im vergangenen Herbst zum Hausmusiktag singen hören, u. weil ihm unsere Darbietungen gut gefallen hatten, wollte er uns nun auch einmal zu seinen Soldaten nach Mühlberg holen.« Gruppenbuch, Sommer 1944, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 2, o. Bl. Ebd.

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Musik und Theater bescheinigte ihm, dass er die Hochschule vom 1. Oktober 1946 bis zum 31. März 1948 besuchte und vom 1. Oktober 1949 bis zum 31. März 1950.118 Was tat Köhler von Sommer 1944 bis Oktober 1946? Seine Eintragungen in den Taschenkalendern bringen ein wenig Licht ins Dunkel. Siegfried Köhler war Gefangener des sowjetischen Geheimdienstes in den Speziallagern Bautzen und anschließend Mühlberg (eben dem Lager, in dem er mit seiner Bannspielschar im Juni 1944 die Wehrmachtssoldaten unterhalten hatte). Im Frühsommer 1946 kehrte er mit einer schweren Tuberkuloseerkrankung nach Hause zurück. Diese zwang ihn in den Folgejahren immer wieder zu Auszeiten, die zu den Lücken in seiner Studienzeit führten. Die erste Eintragung findet sich am 2. März 1946: »Brot gegessen«, hieß es dort. Am 21. März notierte Köhler: »Aufruf meines Namens und der meiner älteren Kameraden in Bautzen.« Sechs Tage später liest man: »Abtransport von Bautzen«. Am 28. März kam er im Speziallager Mühlberg an. Köhler war wie zahlreiche andere Jugendliche unter »Werwolf-Verdacht« verhaftet worden.119 In Mühlberg verbrachte er mehrere Wochen im Lazarett. Am 21. Juni wurde er nach Dresden überstellt.120 Am 22. Juni 1946 kehrte Köhler nach Hause zurück: »Abends endlich Wiedersehen mit den Eltern«, notierte er in seinen Kalender. Am Folgetag war er krank, doch zu seinen Ehren wurde ihm ein Ständchen gesungen: Heut ist ein wunderschöner Tag – seine bis dahin erfolgreichste Liedkomposition. Die weiteren Aufzeichnungen des Jahres lassen darauf schließen, dass sich der 19Jährige schnell den neuen Verhältnissen angepasst hat. Er komponiert wieder und übernahm die Leitung seiner ehemaligen Bannspielschar, die nun unter der blauen Fahne der neugegründeten FDJ singen sollte. Das jedenfalls verrät eine Chronik der Jahre 1946/47 über die Neukonstitution der »Singegemeinschaft«.121 Dort hieß es unter dem 16. Februar 1946: »Spielschar neu zusammen!« Im März sangen die Jugendlichen zur Gründungsfeier der FDJ. Im Mai hieß es: »Wir haben fast jeden Tag Dienst.« Die Auflistung zahlreicher Auftritte legt die Vermutung nahe, dass die Gesangsgruppe tatsächlich Teil der neugegründeten FDJ geworden war. Unter dem 17. Juni verzeichnet die Chronik: »Die ersten der verhafteten Jungen sind entlassen worden u.a. Achim!« Siegfried Köhler

Bescheinigungen, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 2, o. Bl. Hinter dem Begriff »Werwolf« verbarg sich eine Untergrund-Bewegung der Hitler-Jugend, die in den letzten Kriegswochen mit entsprechenden Partisanen-Aktionen gegen die Alliierten vorgehen sollte. Eine militärische Bedeutung hatten diese Einheiten nicht. Der sowjetische Geheimdienst ging jedoch mit dem Befehl Nr. 00315 vom 18. April 1945 hart gegen Jugendliche der HJOrganisation vor. Aufgrund dieses Befehls kam es in den Nachkriegsmonaten, vor allem im Herbst 1945 zu Massenverhaftungen vor allem von männlichen Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren unter »Werwolf«-Verdacht. Weiterführend: Biddiscombe (2000): The Last Nazis; Koop (2008): Himmlers letztes Aufgebot. 120 Diese Angaben stimmen mit der Transportliste von Bautzen nach Mühlberg überein. Dort wird er unter falschem Namen »Keler, Siegfried, geb. 1927, Internierungsgrund Werwolf« geführt. Doch es ist völlig unklar, wann Köhler nach Bautzen eingeliefert wurde, da sich zu ihm keine Kartei im Archiv der Gedenkstätte Bautzen finden lässt. Wahrscheinlich ist, dass er, wie zahlreiche weitere Jugendliche unter »Werwolf«-Verdacht im Herbst 1945 in Bautzen interniert wurde; Stiftung Sächsische Gedenkstätten, schriftliche Auskunft vom 9. Oktober 2014; Auszug aus dem Journal des NKWD/MWD-Speziallager Mühlberg. 121 Anonym (Mitglied der Singegruppe): FDJ-Jugendchor Meißen, 1946/47, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 2, alle folgenden Angaben aus dieser Quelle.

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war demnach nicht der einzige der Bannspielschar, den der sowjetische Geheimdienst interniert hatte. 24. Juni: »Sigi [Siegfried Köhler] und die anderen auch wieder da!«; 16. Juli: »Sigi zum ersten Mal wieder im Chor! Chor in großer Besetzung: 14 Mädchen, 16 Jungen.« Ab Juli 1946 führten die jugendlichen Sängerinnen und Sänger ihr Gruppenleben in der alten Besetzung fort, nur unter neuem politischen Vorzeichen. Es unterschied sich auf den ersten Blick kaum von dem der vorhergehenden Jahre. Die Jugendlichen reisten durch das sächsische Umland und traten zu Frühlingsfeierstunden, Sommerund Weihnachtsfeiern auf. Sie sangen für Turnvereine, nahmen an Wettkämpfen teil und sangen auf politischen Gedenkfeiern, wie für »die Opfer des Faschismus«. Diese machten den Unterschied zu den Vorjahren vor allem deutlich. Im August 1947 fuhr der FDJ-Chor Meißen mit 32 Teilnehmer/-innen auf Chorfahrt ins Elbsandsteingebirge. Dort sangen sie jeden Abend auf dörflichen Gemeinschaftsfeiern hauptsächlich volkstümliche Lieder. Damit unterschied sich auch ihr Programm nicht von denen der Jahre zuvor.122 Dennoch hat sich die Gesangsschar mit der FDJ schwergetan. Die Einträge lassen den Widerwillen durchblicken, sich für die neue Jugendorganisation zu engagieren: »Sie wollen uns für die FDJ kriegen«, hieß es im Dezember 1946, oder: »Kaltes Zimmer und wenig zu essen. (Da wir pol. nicht aktiv genug sind, wurden wir auch wenig unterstützt).« Siegfried Köhler als alter und neuer Leiter stand nach einer »Aussprache« mit der Landesleitung der FDJ am 31. Juli 1946 in Dresden in regelmäßigem Kontakt zur neuen Jugendorganisation. Er hatte anscheinend keine Schwierigkeiten damit. Köhler leitete seinen alten und zugleich neuen Chor der FDJ in Meißen sowie verschiedene andere Chöre und er nahm Klavierunterricht. Am 16. September 1946 bestand er seine Aufnahmeprüfung für die Musikhochschule Dresden. Am 30. September begann er mit seinem Studium. Siegfried Köhler war aus vollem Herzen Musiker und Komponist. Seine Aktivitäten in der HJ und der FDJ speisten sich anscheinend aus dem Bedürfnis, ganz für die Musik leben zu dürfen. Weder in seiner Zeit als HJ-Führer noch später in den aktiven Jahren in der FDJ oder als Kulturfunktionär der DDR äußerte er sich ausgesprochen politisch. Für ihn stand an erster Stelle immer die Musik. Aus dieser Überzeugung heraus kann sein anscheinend problemloser Übergang vom HJ-Führer der Bannspielschar zum Leiter des FDJ-Jugendchores, Meißen verstanden werden. Für ihn änderte sich strukturell wenig. Genauso selbstverständlich, wie sich Köhler in einem Schreiben von 1942 als »Oberkameradschaftsführer und Führer der Bannspielschar Meißen« titulierte, war er fünf Jahre später »Aktivist und Funktionär der FDJ«.123

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Auf einem kleinen Schmierzettel war folgender Programmablauf notiert: 1. Wo man singt; 2. Auf, Auf zum fröhlichen; 3. Es blies ein Jäger; 4. Guten Abend; 5. Wenn die Nachtigallen; 6. Wohlauf ihr Gespielen; 7 Komm, mein Herz; 8: Es schlägt eine; 9: Und der Bass; 10: Bona Nox; 11: Drei Gäns; 12: Mit Mädeln sich; 13: Dorfmusik; 14: Der Mond ist aufgegangen; 15: Alles schweigt; 16: Abendstille; Programme der Auftritte des FDJ-Jugendchors Meißen, 1947, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 2, o. Bl. Siegfried Köhler: Briefentwurf an die Landesleitung Dresden, ungefähr 1947, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 64, o. Bl.

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Vom 21. bis zum 27. Mai 1947 fand in Meißen das II. Parlament der Freien Deutschen Jugend unter dem Motto »Der Weg der Deutschen Jugend in die Zukunft« statt. In jenen Maitagen 1947 musste Siegfried Köhler als Leiter des Meißner Jugendchores sehr beschäftigt gewesen sein. Anders als zum I. Parlament in Brandenburg im Jahr zuvor begleitete eine ausführliche Berichterstattung der Jungen Welt das II. Parlament. Die verbandseigene Tageszeitung der FDJ berichtete über die Hauptveranstaltungen und über das Begleitprogramm. Die Artikel verdeutlichen die Bedeutung der Kulturgruppen, da sie das »frohe Kinder- und Jugendleben« repräsentierten. Kinderlandgruppen traten am 24. Mai 1947 im Saal des Volksgartens mit einem bunten Programm auf, dokumentiert unter dem Titel »Freut Euch des Lebens«.124 Einen Tag später gab es einen Artikel mit der Überschrift: »Jubel um die sächsische Jugend«, der einen bunten Abend beschrieb. »Was ist schöner, was ist völkerverbindender als das Lied, als die Musik?«, eröffnete die Ansagerin den Abend in den Kammerlichtspielen Meißen. Die sächsische Jugend sang, spielte und tanzte für ihre Gäste. Dazu gehörte ein Gesangswettstreit des Meißner und Schweriner FDJ-Jugendchores.125 Am Abend darauf gab es einen anderen Wettbewerb unter den sieben besten FDJ-Chören im Bankettsaal der Meißener Burg. »Neue fröhliche Jugendgesänge ertönen aus den jungen Kehlen« und »alte, träumerisch klingende Weisen«. Der Meißner Chor unter Siegfried Köhler sang sich auf den dritten Platz. Danach brachen die Teilnehmenden zum Fackelumzug durch Meißen auf. Seinen Abschluss fand dieser am Elbschlösschen, wo sich die Mädchen und Jungen singend um ein Feuer versammelten.126 Die Geschichte der Meißner gesangsfreudigen Jugendlichen zeigt, wie es der FDJ gelang, so rasch nach dem Krieg eine aktive Jugendarbeit auf die Beine zu stellen. Der Rückgriff auf vorhandene Strukturen, eingespielte Ensembles und erprobte HJFührer/-innen ermöglichten die beachtlichen kulturellen Darbietungen auf dem II. Parlament der FDJ in Meißen. Die sogenannte Kulturarbeit galt als Mittel der Wahl, die Jugendlichen für die FDJ zu gewinnen. Das wird deutlich in einem Brief vom 24. Juli 1947 der FDJ-Landesleitung Mecklenburg-Vorpommern an Anna Seghers, die ein Jahr später Vizepräsidentin des »Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung« werden sollte: »Wir haben im letzten Jahr alles daran gesetzt, die Jugend unseres Landes aus ihrer Apathie herauszureissen und ihrem Leben einen neuen Inhalt zu geben. […] Unsere Arbeit zeigt noch viele Schwächen und es ist uns nicht immer gelungen, die Jugend, die vom Faschismus ideologisch vergiftet war, für unsere Ideen zu gewinnen und sie zu aktiven Mitgestaltern unseres neuen Lebens zu machen.«127

124 H. Hat: »Freut Euch des Lebens«, in: Junge Welt, 24. Mai 1947, 4. 125 Ho. Hei.: »Jubel um die sächsische Jugend«, in: Junge Welt, 26. Mai 1947, 3: Beide Chöre seien »beste Klasse«, hieß es in dem Bericht. Während der Schweriner Dirigent sein Publikum mehr begeistern konnte, war nach der Einschätzung des Reporters der Meißner Chor der gesanglich bessere. 126 Anonym: »Chöre singen –Fackeln leuchten«, in: Junge Welt, 30. Mai 1947, 4. Dazu gibt es ein (schlecht reproduziertes) Foto des Meißner Jugendchores. Darauf sind circa 60 bis 70 Jungen und Mädchen zu erkennen. 127 Aus diesem Grund baten die »Jugendfreunde« Anna Seghers um ihre Teilnahme an der Kulturtagung in Greifswald im September 1947: FDJ Landesleitung Mecklenburg-Vorpommern:Brief an Anna Seghers, 24. Juli 1947, in: AdK Anna Seghers Archiv 2126, o. Bl.

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Es ist davon auszugehen, dass Siegfried Köhler keine Ausnahme war. Dass dabei eher Pragmatismus denn ideologisches Kalkül vorherrschte, war angesichts der Situation klar. 8,7 Millionen von insgesamt 8,87 Millionen Kindern und Jugendlichen waren 1939 in der HJ und dem BDM organisiert gewesen. Diese Mitgliedschaft durfte für die neugegründete FDJ kein Ausschlusskriterium sein, anderen Falls hätte sie kaum Mitglieder gehabt. Die kommunistische Jugendpolitik setzte mehr auf Kompromisse denn auf Konfrontation.128 Genau das machte die Attraktivität der FDJ in den ersten Nachkriegsjahren aus. Sie bot eine Mischung aus gewohnten Ritualen und neuen Zukunftsentwürfen an. Politik und Ideologie spielten in den ersten Jahren für die Jugendlichen noch keine spürbare Rolle. Erst um 1950 setzten die Indienstnahme durch die SED einerseits und die Anbiederung des Jugendverbandes an die Partei andererseits ein. Bis dahin, so erinnern sich Zeitzeugen/-innen, waren freier Meinungsaustausch sowie lokale Autonomie möglich.129 Engagierte Jugendliche wie Siegried Köhler brachten die Ideen und Programme der neuen Jugendorganisation weiter. In einem Brief an die Landesleitung der FDJ schlug er vor, das Parlament der Jugend in Meißen durch die »Uraufführung einer festlich sinfonischen Musik« zu eröffnen, die er eigens für diesen Zweck komponiert habe. »Es ist meiner Meinung nach nötig, daß während der feierlichen Eröffnung des Parlamentes Musik erklingt, die nicht Museumsluft ausströmt und aus überwundenen Zeitepochen stammt […] sondern wir brauchen zu diesem Zwecke eine Musik, die den Geist unserer jungen Zeit und Probleme unseres Lebens aufwirft und löst.«130 Er pries sein Werk zur Eröffnung des Parlamentes als »echt und wahrhaftig«, ohne »hohlen Pathos«. Aber der Brief, den er an die FDJ-Landesleitung in Dresden schrieb, war voller Pathos: »Aus Zerrüttung, Verzweiflung und Resignation bricht meine Musik in inneren Kämpfen schließlich zur befreienden Lösung durch. Es ist kein gezwungenes, gesuchtes Aufjubeln, sondern ein klares, zielstrebiges Vorwärtsschreiten gleichsam in eine Zukunft, die unserer Jugend gehören wird.«131 Mit allen Mitteln wollte Köhler seine sinfonische Musik veröffentlichen. Er verzichtete auch auf eine finanzielle Entschädigung für die (ungefragt eingereichte) Komposition. Einzig das Notenpapier zur Vervielfältigung sollte von der FDJ gezahlt werden. Das konnte er sich nicht leisten.

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So auch das Ergebnis von McDougall (2008): »A Duty to Forget?«, 32. Gotschlich (1999): »Und der eigenen Kraft vertrauend…«, Kapitel: »Die ›Unschuld des Beginnens‹«, 3457. 130 Siegfried Köhler: Briefentwurf an die Landesleitung Dresden, Weißer Hirsch, ungefähr 1947, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 64: Zur Person, Bl. 2. Ziemlich unbescheiden vergleicht der 20jährige Musikstudent seine sinfonische Musik mit »Schostakowitschs gewaltiger Leningrader Sinfonie als Fanal eines ganzen kämpfenden Volkes«. Sein Orchesterwerk – nicht länger als 15 Minuten – sei ein »Ruf an Alle, aus der Jugend heraus« und er beteuerte in seinem Schreiben »mein Wollen deckt sich mit dem Wollen unserer Jugendbewegung«. 131 Ebd., Bl. 3.

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Die FDJ-Landesleitung lehnte die Uraufführung des Orchesterwerkes ab. Die Gründe dafür sind nicht überliefert. Erst am 22. Mai, unmittelbar vor Beginn des II. Parlamentes, erfuhr Köhler davon. Doch, so schrieb er in seinen Kalender, wolle er um dieses Werk kämpfen. Köhler brachte sein Studium zu Ende, auch wenn ihn seine Tuberkuloseerkrankung immer wieder zu längeren Auszeiten zwang. Erst mit den Jahren 1949/50 schien sich seine Gesundheit stabilisiert zu haben.132 Er wechselte nach seinem Abschluss in Dresden 1950 an die Musikhochschule Leipzig, um Musikwissenschaft zu studieren. Dort leitete er das Landeskulturensemble Sachsen zum ersten Deutschlandtreffen der Jugend im Mai 1950 in Berlin.133 1952 heiratete Köhler seine langjährige Bekannte Eva Schütthoff. 1955 wurde er in Leipzig promoviert, 1974 habilitierte er sich in Halle/Saale. Siegfried Köhler gehörte zu den bedeutendsten Persönlichkeiten im Musikleben der DDR. Er hatte zahlreiche leitende Funktionen in den wichtigsten Verbänden und Organisationen. Unter anderem wurde er 1968 zum Rektor der Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber« in Dresden berufen. Er blieb bis 1980 im Amt und war zugleich als Professor für Komposition tätig. 1978 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Dresdner Musikfestspiele. Im Februar 1984 übernahm er bis zu seinem plötzlichen Tod am 14. Juli des gleichen Jahres die Intendanz der Staatsoper Dresden.134 Siegfried Köhler steht für die ungebrochene Traditionslinie des gemeinschaftlichen Singens von der Hitler-Jugend zur FDJ. Von »neuem Fühlen und neuem Geist« war in den unmittelbaren Nachkriegsjahren kaum etwas zu spüren. Stattdessen dominierten Gewohnheiten und Gewohntes die Kulturarbeit der FDJ, zumindest im Bereich der Gesangsgruppen. Das jedenfalls schien aber auch zur Akzeptanz der neuen Jugendorganisation beigetragen zu haben. Ob es sich im schulischen Musikunterricht auch eher um ein Anknüpfen an Traditionen, als um einen Neuanfang handelte, wird folgendes Kapitel zeigen.

Singen in der Sowjetischen Besatzungszone Musikunterricht in der Schule Es dauerte lange, ehe in den Schulen der Sowjetischen Besatzungszone von einem geregelten Ablauf gesprochen werden konnte. Die Chronik der 15. Grundschule Leipzig schildert die großen Schwierigkeiten, zu einer Normalität zurückzukehren.135 Wie so

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Die erste Jahreshälfte 1949 seines Taschenkalenders ist voller Angaben zu seiner Gesundheit: Gewicht, Zuckerwerte, Blutdruckwerte. Er war bis mindestens Sommer 1949 in klinischer Behandlung bzw. in Sanatorien. In Anbetracht der Tatsache, dass er zwischen April 1948 und September 1949 mit dem Studium ausgesetzt hatte, ist davon auszugehen, dass ihn die Tuberkuloseerkrankung mindestens diese 1 12 Jahre beschäftigt hat. Redaktionskollektiv: »Ein großer Tag der neuen deutschen Volkskunst«, in: Neues Deutschland, 31. Mai 1950, 6. Ausführlicher: Härtwig (2009): »Siegfried Köhler«. 15. Grundschule Leipzig: Chronik vom Jahre 1875 an, in: SML B 8 231-7986, o. Bl. Alle folgenden Zitate stammen aus dieser Chronik.

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viele Gebäude war auch die Leipziger Schule teilweise von einer Bombe zerstört worden. Die erhalten gebliebenen Räume wurden zunächst als Durchgangslager für Flüchtlinge benutzt. Erst im November 1946 konnten die Kinder ihr altes Schulhaus – oder das, was davon übrig geblieben war – beziehen. Doch die Bedingungen für regulären Schulunterricht waren damit noch nicht automatisch gegeben. Wegen fehlender Kohlen und kaputter Fenster ließ sich am Anfang nur ein einziges Klassenzimmer nutzen. Darin wurden vor allem Flüchtlingskinder unterrichtet. Die anderen Kinder holten sich die Schulaufgaben ab, um sie zu Hause zu bearbeiten. Die Schulspeisung bestand aus Brötchen und schwarzem Kaffee. Im März 1947 gab es die Anordnung der Militäradministration, vollen Unterricht zu erteilen. Daran war in Leipzig jedoch nicht zu denken. Aufgrund der anhaltenden Kälte waren Lehrkräfte und Schüler/-innen häufig krank. Auch zum Schuljahr 1947/48 besserte sich die Situation nicht wesentlich. Es fehlten immer noch Kohlen, Schulbänke und Lernmaterialien. Für den November 1947 vermerkte der unbekannte Chronist: »Alle Schüler erhalten einen Mindestunterricht von täglich einer Stunde (1. und 2. Schuljahr) und Hausaufgaben. In den höheren Klassen wird zwei Stunden Unterricht erteilt. Jedes Klassenzimmer wird täglich von 3 oder 4 Schulklassen benutzt.« Der Chronist bedauerte, dass es auch in diesem Jahr keine Weihnachtsfeier gab. Erst ab Januar 1948 ermöglichten Kohlelieferungen einen kontinuierlichen Unterricht. Doch Entschuldigungszettel der Eltern zeigen, dass damit nicht die grundsätzlichen Probleme gelöst waren. Eine Mutter schrieb: »Bitte höflichst zu entschuldigen, weil ich nicht gleich das Schulversäumnis des Hans gemeldet habe. Hans hat weder Kleidung noch anständiges Schuhwerk für schlechte Witterung. Ich schäme mich, ihn immer wieder in solchem Zustand zu schicken.« Andere Entschuldigungen verweisen darauf, dass Schule eher zweitrangig war. Einige Kinder konnten nicht kommen, weil sie mit ihren Eltern »hamstern« waren, andere, weil sie die Polizei erwischt hatte, weitere waren wegen der chronischen Mangelernährung zu schwach oder krank. Der unbekannte Chronist vermerkte resigniert: »Leerer Magen und Schwindelgefühl waren zwar an der Tagesordnung – über 8 Tage fasten in einer Hungerzeit und nicht einmal zu sterben scheint uns fast zu viel!« Im Februar 1948 fand an dieser Schule die erste Sitzung der FDJ statt, fast zwei Jahre nach Gründung der Jugendorganisation. Die Teilnehmenden beschlossen Arbeitsgemeinschaften zu gründen: Zeichnen, Werken, Schulbücherei, Wandzeitung, Laienspielgruppe, Helferschule, Sportgruppe, Kindergruppe und Schneidern/Nähen. Im März 1948 begannen sogenannte politische Konferenzen und im Mai legten die ersten »Neulehrer« ihre Prüfungen ab.136 Im Frühsommer jenes Jahres fand das erste Schulkonzert statt, »mit Chor und Orchester unter Beteiligung von Lehrern«. Das Schulleben normalisierte sich. Nur mit der Pionierbewegung zeigte sich der Chronist nicht zufrieden: »Leider wechselten die Pionierleiter recht häufig. Als Gründe

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Knapp 70 Prozent der Lehrkräfte in der SBZ waren NSDAP-Mitglied und wurden deshalb zum großen Teil als ungeeignet entlassen. 1949 wurden knapp 60 Prozent aller Stellen an den Schulen mit sogenannten Neulehrern besetzt, siehe Welsh (1990): »Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV)«, 233f.

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dafür sind das jugendliche Alter vieler Helfer und ihre ungenügende Schulung zu sehen.« Circa 300 Kinder gehörten im Schuljahr 1949/50 zu den Pionieren, auch wenn – so der Chronist – »von einer Pionier-Erziehungsarbeit kaum die Rede sein« konnte. In jenem Schuljahr jedoch unterrichteten Fachlehrer/-innen endlich nach den Lehrplänen. Der zerstörte Flügel des Schulgebäudes wurde zum Sommer 1950 wieder hergestellt. »Die schlimmste Not scheint fast auf allen Gebieten überwunden zu sein, wenn auch noch manches zu tun bleibt«, so das Fazit in der Schulchronik. Während die Lehrenden und Kinder mit Hunger und Mangelernährung zu kämpfen hatten, ging es in Berlin ab Sommer 1945 um Lerninhalte, didaktische Prinzipien und die politische Eignung der Lehrkräfte. Rasch formierten sich die bildungspolitischen Institutionen, die den Kurs für die 1950er Jahre bestimmen sollten.137 Auf Befehl Nr. 17 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 27. Juli 1945 wurde die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone (DZVf V, später DVV) gegründet.138 Der erste Präsident war Paul Wandel. In seiner Jugend war Wandel Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes gewesen. Die Jahre 1932 bis 1945 verbrachte er in Moskau, zunächst als Aspirant der Leninschule, später als Parteisekretär, Lehrer und persönlicher Sekretär von Wilhelm Pieck. Damit war er der Prototyp des Bildungspolitikers in der SBZ und frühen DDR. Denn einen großen Teil der Schlüsselpositionen in der Zentralverwaltung für Volksbildung besetzten kommunistische Remigranten/-innen aus der Sowjetunion.139 In seiner Funktion als Präsident der Zentralverwaltung für Volksbildung und späterer Minister sorgte Paul Wandel durch entsprechende Personalpolitik für eine Vormachtstellung der KPD, und später der SED, in der Bildungspolitik.140 Worum ging es in den frühen Berliner bildungspolitischen Debatten? Im ersten Lehrplan von 1946 lassen sich noch zahlreiche reformpädagogische Anklänge aus der Zeit der Weimarer Republik finden.141 Auch im alltäglichen Unterricht setzte sich zunächst das Gewohnte durch. Das legt ein Wochenbericht für die 2. Klasse der »demokratischen Grundschule« in Gnadenstein, Kreis Borna für das Schuljahr 1948/49 nahe.142 Eine Kategorie des Wochenplanes war: »Die gemeinsamen Erlebnisse als Grundlage der Erziehung und des Unterrichtes.« Ganz im reformpädagogischen Verständnis ging es dabei um Naturbeobachtungen, den Lauf der Jahreszeiten, die Vorbereitung christlicher Fest- und Feiertage. Die Kinder sangen im Musikunterricht Kinder-, Weihnachtsoder Frühlingslieder. Ein paar Lieder vermerkte die Lehrerin oder der Lehrer namentlich, wie Heute wollen wir das Ränzlein schnüren oder Glück auf, glück auf der Steiger kommt. Dazu ausführlicher Benner/Kemper (2005): Theorie und Geschichte der Reformpädagogik; Führ/Furck (1998): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. DDR; Geißler/Blask/Scholze (1996): Schule: Streng vertraulich!; Geißler/Wiegmann (1995): Schule und Erziehung in der DDR; Häder/Tenorth (1997): Bildungsgeschichte einer Diktatur; spezifisch zum Musikunterricht: Fröde (2010): Schulmusik in der Sowjetischen Besatzungszone. 138 Welsh (1990): »Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV)«. 139 Siehe Erler/Müller-Enbergs (2009): »Paul Wandel«. 140 Welsh (1990): »Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV)«, 231. 141 Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (1946): Lehrpläne Musik, Grund- und Oberschulen. 142 Demokratische Grundschule, Gnadenstein Kreis Borna: Wochenbericht für die Klasse 2G 1948/1949, in: SML D 11 004 1001p.

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Das letztgenannte Lied studierten die Kinder über viele Stunden ein. Das ist nicht verwunderlich, liegt Borna doch inmitten eines Tagebaugebietes. Weiterhin lernten die 8Jährigen die Lieder: Ein Männlein steht im Walde; Schwesterlein, komm tanz mit mir; Kommt ein Vogel geflogen oder Im Märzen der Bauer. Bemerkenswert ist, dass der Musikunterricht im Schuljahr 1948/49 an dieser Schule offenbar regelmäßig stattfand, im Gegensatz zum Zeichenunterricht, der anscheinend gar nicht erst erteilt wurde. Die Kinder der zweiten Klasse der »demokratische Grundschule« in Gnadenstein erhielten lehrplankonformen Musikunterricht. Dessen Aufgabe war es, die »musischen Anlagen im Kind zu wecken«, ihm »Zugang zur Musik zu verschaffen« und ihm die Musik »als eine Quelle der inneren Freude und seelischen Bereicherung« zu vermitteln. Deutlich wiedererkennbar sind die Ideen der musischen Erziehung, insbesondere in dem Anspruch »Musik als eine gemeinschaftsbildende und den Menschen über sich hinauswachsende Kraft zu erleben«. Nach den Vorgaben des Lehrplanes sollten vor allen Dingen Volkslieder vermittelt werden. Zudem sprach er die Empfehlung aus, die »Liedwünsche der Kinder […] nach Möglichkeit zu berücksichtigen«.143 Dieser erste Lehrplan für die »demokratischen Schule« stellte einen Kompromiss dar, der typisch für die Übergangsjahre zwischen 1945 bis 1949 war. Unter dem Label »demokratisch« ließen sich sowohl diejenigen Pädagogen/-innen integrieren, die den reformpädagogischen Ideen der Vorkriegsjahre anhingen, als auch diejenigen, die für die »antifaschistisch-demokratische[…] Ordnung in der SBZ« standen.144 Doch mit dem II. Parteitag der SED im Herbst 1949 kam die bildungspolitische Wende. Die Weichen für den marxistisch-leninistischen Kurs wurden gestellt. Die pädagogischen Freiräume schmolzen systematisch zusammen, die Unterrichtsinhalte und -methoden wurden dem politischen Programm der SED unterworfen. Die Lehrer/-innen reagierten unterschiedlich darauf. Einige suchten sich einen neuen Beruf, andere verließen die SBZ oder später die neugegründete DDR. Sie nahmen ihre reformpädagogischen Konzepte mit in die Bundesrepublik. Ältere Lehrende, die dem neuen Kurs nicht folgen wollten, wurden aus ihren Ämtern in den Schulverwaltungen gedrängt. Disziplinarmaßnahmen, Verhaftungen und Entlassungen erstickten Widerstand gegen den neuen bildungspolitischen Kurs frühzeitig im Keim.145 Zurück blieben die Lehrenden, die dem neuen System aufgeschlossen gegenüberstanden. Die Hälfte von ihnen besaß 1949 das Parteibuch. Sie war direkt der Disziplinierung durch die Partei unterworfen.146 Junge Neulehrer/-innen sahen in dieser Situation ihre Gelegenheit zum beruflichen Aufstieg und unterstützten häufig das ideologische Programm der SED. Der »teils auch kampagnenhaft vorgenommene Personalaustausch« gab den linientreuen »Aktivisten der ersten Stunde« die Chance, das Schulwesen im Sinn der SED zu gestalten.147

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Alle Zitate aus: Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (1946): Lehrpläne Musik, Grund- und Oberschule, 21f. 144 Zu den ersten offenen reformpädagogischen Strömungen in der SBZ siehe auch Benner/Kemper (2005): Theorie und Geschichte der Reformpädagogik, 45-47. 145 Droit (2014): Vorwärts zum neuen Menschen, 56 spricht von einer »Homogenisierung des Lehrkörpers« in dieser Zeit. 146 Geißler/Blask/Scholze (1996): Schule: Streng vertraulich!, 24. 147 Ebd., 27.

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In dieser Zeit des Übergangs setzte das tatsächliche Singen in den Erziehungsinstitutionen auf Altes und Bewährtes. Ende der 1940er gab es zwar bereits neukomponierte Kinderlieder. Fraglich ist aber, wie bekannt und verbreitet diese waren, denn konkrete Liedvorschläge machte der erste Lehrplan nicht. Die Wochenpläne der Schule in Gnadenstein zählen alte Kinderlieder auf. Auf Maifeiern im Jahre 1948 in den Schulhorten und Kindergärten Erfurts erklangen volkstümliche Frühlingslieder.148 Doch die politischen Vorstellungen sahen ganz anders aus. Mit der Sitzung vom 9. Februar 1946 etablierte sich eine »Kommission für Schulmusikreform« in der Zentralverwaltung für Volksbildung. Mitglieder dieser Kommission waren namhafte Professoren der Hochschule für Musik Berlin sowie Fachlehrerinnen und Lehrer.149 Ihre Aufgabe war es, entsprechend der Vorgaben der Zentralverwaltung geeignetes Lehrmaterial zu entwickeln, die Entstehung neuer Lieder anzuregen und zu überwachen. Die Diskussion darüber, wie die Lehrbücher gestaltet sein sollten oder welche neuen Lieder den Erziehungszielen entsprachen, füllten die Kommissionssitzungen.150 Lieder, aus der Feder von Komponisten/-innen, die dem Hitler-Regime nahe gestanden hatten, mussten aus dem Liedrepertoire verschwinden. Das Gleiche galt für Volkslieder, die gern und oft in den nationalsozialistischen Jugendverbänden gesungen wurden.151 Siegried Borris, Musikpädagoge, Komponist und Mitglied der Kommission, komponierte selbst Kinder- und Lernlieder und stellte sich der kritischen Diskussion.152 Ein erstes Ergebnis dieser Kommission war 1947 die Herausgabe des Musikschulwerkes in drei Bänden, das in Aufbau und Gestaltung an Vorkriegsliederbücher erinnert, trotz der Debatten um das »Neue« (siehe Abbildung 3).153 Die Arbeit der Kommission für Schulmusikerziehung endete 1949 mit der Überführung des Deutschen Zentralinstitutes für Volksbildung in das Ministerium für Volksbildung. Die Fragen des Musikunterrichtes wurden Gegenstand neuer Arbeitsgruppen.154

148 Rat der Stadt Erfurt: Berichte über die Durchführung der Maifeiern in Kindergärten und Horte: 1948, in: SA Erfurt 1-5/36-16770. 149 Nach dem Gründungsprotokoll waren darin vertreten: Erwin Marquard, Vizepräsident der Zentralverwaltung (SPD), Prof. Wilhelm Martens, Hochschule für Musik, Prof. Siegfried Borris, Prof. Ahrens, Prof. Noetel, Prof. Rehberg, Studienrat Ast, Studienrat Fuchs, Dr. Westphal, Herr Kemnitz. Weiter verzeichnet das Protokoll »die Damen«: Tauscher, Roese, Wacker, Schumacher und Borris (Protokollantin) in: Kommission für Schulmusikreform: Sitzungsprotokoll der 1. Sitzung, 9. Februar 1946, in: BArch SAPMO DR 2 698, o. Bl. 150 Kommission für Schulmusikreform: Sitzungsprotokoll der 6. Sitzung, 21. März 1946, BArch SAPMO DR 2 698, o. Bl. 151 Ebd. 152 Kommission für Schulmusikreform, Sitzungsprotokoll der 11. Sitzung, 23. Mai 1946, BArch SAPMO DR 2 698, o. Bl. Insgesamt finden sich von Siegfried Borris dreizehn Lieder und Liedbearbeitungen in den drei Bänden. Dabei handelt es sich überwiegend um Tageslauflieder, Spiel- und Scherzlieder. Nur zwei dieser Lieder fanden sich jenseits des Musikschulwerkes wieder und wurden öfter gesungen, wie im Pionierlager oder im Unterricht der 8. Klasse, nämlich: Erwacht, die ihr noch schlafend seid und Pflüge, Traktor, pflüge. 153 Borris/Martens (1947): Das Musikschulwerk, Bände 1-3. Siehe dazu auch Siedentop (2000): Musikunterricht in der DDR, 136-138. 154 Ab 1949 war das Deutsche Pädagogische Zentralinstitut (DPZI) für den Musikunterricht verantwortlich.

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Abbildung 3

Musikschulwerk 2, Deckblatt und Inhaltsübersicht, 1947.

Das Musikschulwerk enthält Tänze und Spiellieder, Lieder über Tiere, Tageskreis- und Jahreszeitenlieder, Lieder über Bauern, Handwerker, Jäger und Spielleute sowie Lieder zu Feierstunden. Eine Umfrage der Kommission für Schulmusikreform ein Jahr nach Erscheinen des Buches belegte, dass dieses Lehrbuch sich großer Beliebtheit bei älteren Lehrer/-innen erfreute. Trotz ihrer grundsätzlichen Zustimmung vermissten sie aber Weihnachtslieder, Wanderlieder, Lieder, die den Schulalltag begleiten (Schulfeierlieder, Schulanfangslieder) und wünschten sich »bürgerliche und romantische« Lieder.155 Die Mitglieder der Kommission für Schulmusikerziehung stellten verwundert fest, dass sie an den tatsächlichen Bedürfnissen anscheinend vorbeigeplant hatten. »Die Forderung nach Gegenwartsnähe, nach Berücksichtigung der Lebensumstände und der gesellschaftlichen Strukturen, wie sie sich bei uns ergeben haben, wird aus den Kreisen der Lehrerschaft so gut wie gar nicht erhoben.«156 Das dreibändige Musikschulwerk konnte sich nicht etablieren, es war zu altbacken und zu wenig an der »neuen Zeit« orientiert. Die methodischen Mängel des Lehrwerkes waren zu groß und die Lieder nicht neu genug gewesen, so die Haupteinwände. Zudem waren in dem Lehrbuch Lieder von »Nazi-Komponisten« zu finden, wie Armin Knab, Walter Rein, Cesar Bresgen, Wolter Knorr und Walter Diekermann. FDJ- und Pionierlieder seien fast gar nicht vertreten, so lautete die massive parteipolitische Kritik 155 156

Ministerium für Volksbildung: Umfrage über Band 2 des Musikschulwerkes, 25. Juni 1948, in: BArch SAPMO DR 2 535, Bl. 18. Ebd., Bl. 19.

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an dem Lehrbuch, obwohl es so sorgfältig in der Kommission entwickelt wurde. 1950 wurde es zurückgezogen und eingestampft.157 »Die neue Ordnung, in die wir hineinwachsen, fordert ein neues Liedgut, das unserem Empfinden und Wollen Ausdruck gibt […]. Das Lied kann den Menschen neue Kraft geben, und es muß der demokratischen Erziehung dienen. Demokratische Erziehung bedeutet aber heute: Erziehung zum Frieden und zur Völkerverständigung, Begeisterung für den Kampf um ein einiges Deutschland, Erziehung zu einer neuen Arbeitsmoral, Erweckung eines realistischen und optimistischen Lebensgefühls.«158 Die Vorstellungen darüber, wie das neue Lied zu sein hat, waren klar, wie aus dem Vorwort eines Liederbuches von 1949 zu entnehmen ist. Doch diese Lieder, mussten erst einmal geschrieben werden. Die Menschen mussten dazu gebracht werden, genau diese neuen und nicht die alten, bekannten Lieder zu singen. Der Misserfolg des Musikschulwerks zeigt, dass es nicht so einfach war, über die Musik »neues Fühlen« und »neuen Geist« zu verbreiten, denn neue Lieder waren ungewohnt in den Ohren der Menschen, die gern Altes und Vertrautes sangen. Dennoch lässt sich in der stringenten administrativen Organisation der Musikerziehung der unbedingte Wille erkennen, genau an diesen Gewohnheiten anzusetzen und für die Ohren und Herzen der Heranwachsenden neue Lieder zu entwickeln. Diese Steuerung »von oben« des alltäglichen Singens der Heranwachsenden sollte sich als zentraler Mechanismus der Musikerziehung und Jugendpolitik für die DDR herausstellen. Bis in die 1970er Jahre gingen die Pädagogen/-innen, Funktionäre/-innen, Musikwissenschaftler/-innen und Komponisten/-innen davon aus, dass Lieder für Kinder und Jugendliche entwickelt werden können. Über die entsprechenden Strukturen und Praktiken würden diese Lieder schon in den Herzen und Köpfen der Heranwachsenden ankommen, so der ungebrochene Erziehungsoptimismus. Was waren aber genau die Lieder der Nachkriegsjahre?

Alte und neue Lieder159 In dem ersten Liederbuch für eine breite Masse in der SBZ von 1946 konnten die Menschen bekannte Arbeiterlieder der Zwanzigerjahre finden, Volkslieder und russische Lieder. Nur zwei Neukompositionen gab es in diesem Liederbuch: Brüder, glaubet an das Morgen und das bereits vorgestellte Lied der neuen Jugend. Das war den Herausgebern viel zu wenig, sie vermissten »Lieder der Zeit«, die sie hätten abdrucken können.160 Um Neukompositionen anzuregen gab es verschiedene Wege. Zum Ersten engagierten sich frühzeitig Komponisten/-innen, wie Siegfried Borris, der einige Lieder zum Musikschulwerk beisteuerte. Zum Zweiten forderte die staatliche Kommission Liedkomponisten/-innen direkt auf, neue Lieder zu schreiben. Zum Dritten gab es Wettbewerbe und Preisausschreiben. Zu nennen ist der Wettbewerb »Lied des Volkes« vom August 157 158 159

Ebd., Bl. 19f. Geidel (1949): Lieder und Chöre, 63. Dieses Kapitel beruht auf der Analyse von 15 Lehr- und Liederbüchern aus den Jahren 1945 bis 1950. Gleichzeitig wurden Informationen aus Schulchroniken, Feier- und Festprogrammen, Tageszeitungen und Zeitschriften berücksichtigt. 160 Magistrat der Stadt Berlin Abteilung für Kunst (1946): Singt alle mit! Lieder für Feier und Gemeinschaft, 3.

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1946. Die Redaktion und der Verlag der Zeitschrift Theater der Zeit suchten nach Liedern, die »[e]ntweder die Jugend begeistern oder der Frau einen Weg ins Leben weisen und ihr alle Not mutig zu überwinden helfen oder einen Willen des Volkes zum Ausdruck bringen wollen«.161 Dem Erstplatzierten wurden 7000 Mark versprochen. Das war anscheinend Motivation genug. Insgesamt erreichten 1457 Einsendungen die Redaktion. Nach Ansicht der Jury war jedoch keines der eingesandten Lieder herausragend. Daher vergab sie zwei zweite und einen dritten Platz sowie weitere Preise.162 Allein vier der prämierten Lieder waren an die Jugend gerichtet.163 Doch keine dieser Kompositionen konnte sich durchsetzen. Wie schwer es sein würde, die Lieder unters Volk zu bringen, war der Redaktion der Neuen Zeit bewusst: »Im Allgemeinen wird man aber die allmähliche Entwicklung abwarten müssen […]. Kein Dichter und kein Musiker stellt ein wahres Volkslied bis zu einem bestimmten Termin fertig. Es entsteht, bewährt sich, wird weitergetragen, wahrscheinlich auch »zersungen«, bis es die endgültige, mundgerechte Form in Wort wie Weise bekommen hat.«164 Welche Lieder waren aber tatsächlich relevant für den Musikunterricht und in der Jugendorganisation? Die Lieder- und Lehrbücher der ersten Nachkriegsjahre zeichnen sich vor allem durch ein sehr breites Liedrepertoire aus. Von insgesamt ungefähr 1000 Liedern zählten drei viertel zu den traditionellen Volksliedern und volkstümlichen Liedern sowie zu den alten Arbeiterliedern, die bis in die 1930 Jahre hinein entstanden waren. Einviertel der Lieder entstand nach dem Krieg. Eine regelrechte Flut neuer Lieder setzte mit der Gründung der DDR ein.165 Bis 1949 können knapp 80 neue Kompositionen gezählt werden. Der größte Teil war an die »neue Jugend« adressiert und handelte vom »neuen Leben« (Ein neues Leben [1949, Walter Dehmel/Helmut Koch und Jean Kurt Forest]) oder von der »schönen Zukunft« (Schön wird die Zukunft sein [1949, Alexander Ott]). Auch die jüngeren Kinder erhielten ihre ersten Pionierlieder 1949.166 Schaut man sich die relevanten Lieder an, trifft man wieder auf das Nebeneinander

Anonym: »Lieder des Volkes werden gesucht«, in: Neues Deutschland, 2. August 1946, 3. Gr.: »Neue Menschen – Neue Lieder«, in: Berliner Zeitung, 19. Februar 1947, 3; L. Bd.: »Neues Lied in neuer Zeit«, in: Neue Zeit, 22. Februar 1947, 2. 163 Gr.: »Neue Menschen – Neue Lieder«, in: Berliner Zeitung, 19. Februar 1947, 3. 164 L. Bd.: »Neues Lied in neuer Zeit«, in: Neue Zeit, 22. Februar 1947, 2. 165 Das zeigt sich auch in der Herausgabe zahlreicher neuer Lehr- und Liederbücher: Geidel (1949): Lieder und Chöre; Anonym (1950): Neues Liederbuch; Siegfried Borris (1950): Fangt fröhlich an; Siegfried Borris (1950): Lob der Musik; Siegfried Borris (1950): Singt und Spielt; Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten in der Deutschen Demokratischen Republik (1951): Reicht euch die Hände; Zentralrat der FDJ (1951): Unter den friedlichen Fahnen; Zentralrat FDJ (1952): Wir singen neue Lieder. 166 Junge Pioniere (1949, Will Vorphal); Wir sind jung und unsere Kraft/Vorwärts junger Pionier (1949, Renate Becher/Martin Hofmann); Wohlauf zu neuen Zielen (1949, Ludwig Lessen/Bert Augustin Dahmen); Pionierlied (1949, K. H. Tuschel/W. Feine); Neue Zeit/Morgenruf (1947, Siegfried Borris); Der Pioniergruß (1949, Karl August Walkotte); Unsere Hände (Karl August Walkotte); Das Lied der Pioniere (1949, russische Originalausgabe: Z. Ssolobar/B. Mokroussow; deutsche Fassung: Alexander Ott). 161 162

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von Altem und Neuem.167 Die bekannten und vertrauten Volkslieder erfreuten sich einer ungebrochenen Sympathie. Daneben hatten sich um 1950 eine Handvoll bedeutender neuer Jugendlieder etabliert. Diese verbreiteten sich vor allem auf Veranstaltungen der Jugendorganisation. In der Summe waren in diesen Nachkriegsjahren die alten Arbeiterlieder klare Favoriten.168 Die Kinder und Jugendlichen in den Schulen der SBZ und der frühen DDR erlernten und sangen: Wir sind die Schmiede der Zukunft (1905, russisches Kampflied); Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt (1929, Fritz Brügel/Hasso Grabner); Du hast ja ein Ziel vor Augen (1936, Louis Fürnberg/Gerhard Hadda); Der Zukunft entgegen (1932, Dimitri Schostakowitsch); Wir sind jung, die Welt steht offen (1914, Jürgen Brandt/Michael Englert) oder Es rosten die starken Maschinen (1937, Kuba/Heinz Thiessen). Hinzu kamen ältere Liedklassiker der internationalen Arbeiterbewegung, wie Die Internationale (1871, Eugene Pottier/Pierre Degeyter/dt. Fassung: Emil Luckhardt) oder die Arbeitermarseillaise ((1864, Jacob Audorf/auf die Melodie der Marseillaise). Diese Wahl verwundert nicht, denn die KPD- und SPD-nahen Lehrkräfte kannten eben diese Lieder aus ihrer eigenen Jugend. Zudem repräsentierten sie genau den Geist und den zukunftszugewandten Ton, den die neue Jugend erlernen sollte. Die Rangliste der meisten Nennungen führen die Klassiker an: Brüder, zur Sonne, zur Freiheit (1917, L.P. Radin/R. Krug) und Wann wir schreiten Seit an Seit (1915/1921, Hermann Claudius/Michael Englert). Anscheinend passte die Liedzeile »Mit uns zieht die neue Zeit« (Wann wir schreiten Seit an Seit) besonders gut zum erwünschten »neuen Geist« der Nachkriegsjahre, jedenfalls taucht sie immer wieder in Zeitungsberichten auf.169 Vom Kreisbildungsamt Erfurt kam im Dezember 1948 die zentrale Verfügung, dass die Unterrichtsarbeit im Januar 1949 mit einer »Feierstunde im Zeichen des Zweijahresplanes eröffnet werden soll«. Als einführendes Lied schlug der Schulrat Brüder, zur Sonne, zur Freiheit vor »oder ein anderes passendes Lied der FDJ«. Die Feierstunde sollte mit »dem Gesang von ›Wann wir schreiten Seit an Seit‹« beendet werden.170 Die Berichte der Erfurter Schulen an das Kreisbildungsamt belegen, dass sich die Schulen an die Vorschläge des Schulrates gehalten hatten. Es fiel nur selten die Wahl auf »ein anderes passendes Lied der FDJ«.171

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Es werden hier 25 alte Lieder näher betrachtet, die mit jeweils mindestens fünf (nicht vier, das wären in diesem Fall zu viele) Nennungen in den Materialien für den Zeitraum 1945 bis 1950 auftauchen und damit als relevant gelten können. 168 Allein 19 der 25 relevanten alten Lieder gehörten zum traditionellen Arbeiterliedrepertoire. 169 Vgl. T. H.: »Auftakt zur neuen Jugendarbeit«, Berliner Zeitung, 24. Juli 1945, 3: »Der gemeinsame Gesang des Liedes ›Wann wir schreiten Seit an Seit‹ beendete die eindrucksvolle Feierstunde, an deren Schluß bedeutungsvoll die Worte aufklangen: ›Mit uns zieht die neue Zeit‹«; Dr. Alfred Werner: »Ein Pfingstgruß an unsere Jugend«, in: Berliner Zeitung, 9. Juni 1946, 2; A.: »Das Programm für die Gedächtnisfeiern«, in: Berliner Zeitung, 7. September 1945, 3; U. I.: »Auf der Schulbank erlebt…«, in: Berliner Zeitung,16. Oktober 1945, 2. 170 Kreisbildungsamt Erfurt: Brief an alle Schulleiter, 31. Dezember 1948, in: SA Erfurt 1-5/36-16450. 171 Auch auf anderen Schulfeiern erklangen in den ersten Nachkriegsjahren so gut wie kaum die neuen Jugendlieder, stattdessen aber mit großer Vorliebe traditionelle Volks- und Wanderlieder; 3. Grundschule Erfurt: Bericht über die Veranstaltungen in unserer Schule im Rahmen der demokratischen Schulwoche, 16. Juni 1947, in: SA Erfurt 1-5/36-16450.

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Dieser Schwerpunkt auf den alten Arbeiterliedern spricht erneut mehr für einen Übergang als für einen Neubeginn. Gerade die beiden Lieder Wann wir schreiten Seit an Seit und Brüder, zur Sonne, zur Freiheit waren nicht nur Klassiker der Arbeiterbewegung, sondern auch in der Zeit des Nationalsozialismus – zwar abgewandelt – in aller Munde. Die NS-Tradition des Liedes Wann wir schreiten Seit an Seit begann bereits vor 1933 mit einer Umdichtung des Textes für die Hitlerbewegung, mit dem signifikanten Schluss: »mit uns zieht das Dritte Reich«.172 Auch das Lied Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, 1917 auf die Melodie eines russischen Revolutionsliedes geschrieben, wurde von der nationalsozialistischen Bewegung umgedichtet und gesungen. Die Version Brüder in Zechen und Gruben befand sich allein in mindestens 60 Liederbüchern dieser Jahre. Eine andere Umdichtung, Brüder, formiert die Kolonnen, war vor allem in der HJ, der SA und der SS verbreitet.173 Ein Blick auf die am häufigsten genannten volkstümlichen Lieder dieses Jahrzehnts lohnt sich ebenfalls in mehrfacher Hinsicht. Ein Vergleich mit den Lieder- und Lehrbüchern der westlichen Besatzungszonen zeigt, dass es ein gemeinsames Repertoire an bekannten und beliebten volkstümlichen Liedern gab. Dazu gehörten: Der Mond ist aufgegangen; Ade zur guten Nacht; Der Winter ist vergangen; Wenn alle Brünnlein fließen; Heidenröslein; Nun will der Lenz uns grüßen; Im Märzen der Bauer; Jetzt fängt das schöne Frühjahr an; Alle Vögel sind schon da; Die Blümelein, sie schlafen; Das Lieben bringt groß Freud; Kuckuck und Jägersmann; Zur Heuernte/Heureigen; O Tannenbaum; Guten Abend, Gute Nacht. Damit liegt ein repräsentativer Querschnitt von Liedern vor, die den Tages- und Jahreslauf der Menschen schon seit mehreren Generationen begleiteten. Daher verwundert es nicht, dass sich auch einige Lieder in nationalsozialistischen Liederbüchern befanden, wie Jetzt fahrn wir übern See oder Drei Zigeuner fand ich einmal; Unsre Heimat/Im Frühtau zu Berge und Nun will der Lenz uns grüßen. Von den neuen Jugendliedern waren es insgesamt 16, die in den Nachkriegsjahren relevant waren. Diese entstanden in zwei Phasen. Zur ersten Phase zählen die Lieder Jugend heraus (1947, Siegfried Köhler); das bereits bekannte Lied der neuen Jugend; Wir schwingen die Sense, den Hammer (1946, Hermann Hein Wille/Ernst Lindenberg/weitere Fassung: 1947, A. H. Illing/Eberhard Schmidt); Heut ist ein wunderschöner Tag174 ; Brüder, glaubet an das Morgen und Einheit und gerechter Frieden (1946, Lutz Wirth/Walter Joerck). Die beiden Lieder Neue Zeit/Morgenruf (1946, Siegfried Borris), Pflüge, Traktor, pflüge (1946, Siegfried Borris) stammen aus dem erwähnten ersten Lehrbuch Das Musikschulwerk. Diese frühen Lieder verschwanden bis auf eine Ausnahme (Heut ist ein wunderschöner Tag) um 1950 bereits ganz aus den Lehr- und Liederbüchern. Sie wurden von den Liedern abgelöst, die in einer zweiten Welle, parallel zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1949/50 entstanden waren. Dazu zählen zum einen die Lieder der großen Jugendtreffen, wie die Hymne der Demokratischen Weltjugend, die 1947 anlässlich der 1. Weltfestspiele der Jugend komponiert worden war. Die deutsche Version des ursprünglich

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Kurzke (2007): »Wann wir schreiten Seit an Seit«, 47. John (2007): »Brüder, zur Sonne zur Freiheit«, vor allem 65. Das Lied erhielt in den Liederbüchern die offizielle Datierung auf 1946 oder 1947, daher soll es hier dazu gezählt werden, obwohl es bereits 1944 entstanden war.

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russischen Liedes stammt von Walter Dehmel und wurde in Deutschland ab 1949 gesungen. Anlässlich des Deutschlandtreffens der Jugend 1950 in Berlin entstand das Lied von der blauen Fahne (Johannes R. Becher/Hanns Eisler). Weiterhin brachten es zwei Aufbaulieder für Kinder Anfang der 1950er Jahre zu einer gewissen Popularität: Berlin wird wieder aufgebaut (1952, E.O. Jakob/Eberhard Franz) und Hallo, kleine Trümmerbahn (1952, Erika Engel/Hans Naumilkat).175 Nach und nach entstanden die ersten und bedeutenden Lieder für die 1948 gegründete Pionierorganisation: Junge Pioniere kennen nur eins, die Tat (1949, Will Vorphal) und Wir lieben unsere Heimat (1951, Susanne Spehr/Günter Kochan). Das Lied der neuen Jugend war das erste und soll deshalb näher betrachtet werden (siehe Abbildung 4). Die musikalische Gestaltung ist ungewöhnlich kompliziert für ein Lied, das schnell von vielen Jugendlichen gesungen werden sollte.176 Es benötigt geübte Sänger und Sängerinnen, um den wechselhaften Rhythmus von punktierten Vierteln und Achteln mit nachfolgenden Sechzehnteln präzise zu erfassen. Walter Rohde scheint das Lied auf der Basis seiner Chorerfahrungen mit Kindern und Jugendlichen komponiert zu haben. Trotz des schwierigeren Rhythmus und der wenig eingängigen Melodieführung verbreitete sich das Lied schnell. Das entschlossene c-moll des Liedbeginns unterstreicht den energischen markanten Rhythmus, der »Jungen, Unruhvollen«, die »suchend drängen auf neuen Wegen«. In der zweiten Liedzeile verändert sich die Grundstimmung (Wechsel in das parallele Es-Dur), auch wenn der vorwärtsdrängende Rhythmus gleich bleibt. Die Jugend will aufbauen, sie weiß, dass »wir uns alle erfüllen müssen mit neuem Fühlen und neuem Geist«. Der Melodieverlauf des ersten Strophenteils ist unauffällig. Dieser Eindruck ändert sich hörbar im zweiten Strophenteil: »Wir sind entschlossen, das Schwerste zu wagen und unverdrossen Brücken zu schlagen zu allen Völkern in Brüderlichkeit. Wir sind die Jugend der neuen Zeit«, heißt es in dreimaliger Wiederholung. Die Entschlossenheit übersetzte der Komponist in einen Wechsel von halben und viertel Noten und in Tonsprünge von bis zu einer Oktave. Der Rhythmus liegt teilweise quer zum Sprachrhythmus und erfordert eine Betonung der zweiten Wortsilben, statt der ersten, wie es sich normalerweise anbietet. Diese musikalische Gestaltung lenkt das Augenmerk auf Signalworte, wie »unverdrossen«, »das Schwerste«, »Brücken« oder »Völker«. Die letzte Zeile: »Wir sind die Jugend der neuen Zeit«, kombiniert die rhythmischen Gestaltungselemente des gesamten Liedes und erfordert daher eine besondere Aufmerksamkeit beim Singen. Harmonisch untypisch und damit herausfordernd endet das Lied auf dem Grundton der parallelen Durtonart »Es«, zu dem sich die Melodie in den letzten beiden Takten schrittweise emporarbeitet. Dem Lied ist anzumerken, dass es keine leichte Gelegenheitskomposition war. Es orientiert sich in der harmonischen Gestaltung eher an sowjetischen Massenliedern, als an den traditionellen Arbeiterkampfliedern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.177 Damit symbolisiert es das Bemühen um die »neue Zeit«. Der wechselhafte und komplizierte 175 176 177

Diese Lieder wurden allerdings nur in den Jahren 1952 bis 1954 gesungen, parallel zum Projekt des »Nationalen Aufbauwerkes«. In Borris/Martens (1947): Das Musikschulwerk 3, 154 befindet sich ein zweistimmiger Satz, der noch deutlich schwerer zu erlernen war, als diese einstimmige Version. Hörbar vorweggenommen sind Anklänge an das Lied von der unruhvollen Jugend (1958, Lew Oschanin/Alexandra N. Pachmutowa (Nachdichtung Heidi Kirmße).

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Abbildung 4

Walter Rohde und Walter Dehmel: Lied der neuen Jugend.

Rhythmus eignet sich weniger zur Synchronisierung von Bewegung, wie beim gemeinsamen Marschieren oder bei der Arbeit. Dennoch ist es gerade dieses Lied, das mit der Wahl der Molltonart (mit Wechsel in Dur), dem markanten Rhythmus und nicht zuletzt mit dem Text den energischen, entschlossenen und bestimmten Ton der Jugendlieder der Nachkriegszeit vorwegnimmt. Diesem Lied eingewoben ist die spezifische Beziehung von Jugend und Zukunft, den Jungen »winkt« die Zukunft »verlockend«. Die Jugend sollte die Zukunftsvision einer »glücklichen, friedlichen, freien, neuen und schönen Gesellschaftsordnung« auf-

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nehmen und umsetzten.178 Dementsprechend lauten zentrale Aussagen der Jugendlieder aus der Nachkriegszeit: »Wir aber geben Hoffnung der müden Welt«; »Zukunft, wir grüßen Dich« (Lied der demokratischen Weltjugend); »Nehmt dem Volk die dunklen Sorgen« (Brüder, glaubet an das Morgen); »Wir sind die Jungen, die aufbaun wollen«; »Wir sind die Jungen, die suchend drängen auf neuen Wegen zu neuem Ziel« (Lied der neuen Jugend); »Wir wollen die Notzeit beenden« (Wir schwingen die Sense). In diesem Zukunftsversprechen ist eine besondere Selbstverpflichtung und Anstrengungsbereitschaft hinterlegt, die von den Jugendlichen Hingabe und Tatkraft einforderte. Aus der im frühen 20. Jahrhundert gewachsenen Vorstellung heraus, dass Jugend »jung« sei und damit »lebendig«,179 vital, »stürmisch vorwärts drängend«180 , »ewig flutendes Leben«, »schöpferisch« und »gestalterisch tätig«181 zu sein hatte, ließ sich diese besondere Anstrengungsbereitschaft herleiten und einfordern. Auffallend sind ebenfalls die religiösen Anleihen in Sprache und Musik. Beispiele dafür sind das 1945 entstandene Brüder, glaubet an das Morgen und das 1946 komponierte Lied Neue Zeit. Beiden Liedern gemein ist die zuversichtliche Ernsthaftigkeit. Insbesondere das zweite Lied, auch Morgenruf genannt, erinnert in der musikalischen Gestaltung mit überwiegend Tonschritten und einer einfachen rhythmischen Gestaltung von Viertel- und Halbnoten an ein Kirchenlied. Anders als in den späteren Liedern ist die Grundstimmung in den ersten Liedern aus der Nachkriegszeit überwiegend nicht mitreißend, sondern feierlich, beherrscht. Dennoch strahlen sie Zuversicht, Selbstbewusstsein und Gewissheit aus (Brüder, glaubet an das Morgen; Pflüge, Traktor pflüge; Erwacht, die ihr noch schlafend seid). Dieser Eindruck entsteht vor allem durch die auffallend häufige Wahl einer Molltonart und durch die wiederholte Verwendung von Punktierungen als vorantreibendem Rhythmuselement. Bis auf zwei bemerkenswerte Ausnahmen (Jugend heraus und Heut ist ein wunderschöner Tag) dominierte eine ernsthafte Entschlossenheit die Lieder. Überschwängliche Gefühlslagen, wie Heiterkeit, Glück, Unbefangenheit wurden musikalisch und sprachlich gezügelt. Leichtigkeit findet sich genauso wenig, wie Trauer, Angst oder Verzagtheit. Charakteristisch ist der wiederholte Aufforderungscharakter (»Erwacht!«, »Hört ihr«, »Pflüge«, »Glaubet«), der den Blick der Adressaten/-innen auf Zukünftiges lenken soll. Die Vergangenheit scheint selten durch und wird mit Begriffen wie »Schutt«, »Asche«, »Tod«, »Not«, »bittres Leid«, »schmerzhafte Wunden« und »düstere Jahre« symbolisiert.182 Die Vorstellung von Zukunft ist ebenfalls unkonkret und präsentiert sich häufig als ein Gegenbild zur Vergangenheit und Gegenwart in Begriffen wie »neue Zeit«, »helle Zeit«, »neue Welt«, »fruchtbare Erde«, »ohne Sorgen« oder »Frieden«. Der Weckruf, das eingeforderte Drängen »vorwärts, vorwärts«, bleibt in diesen frühen

Begriffe aus Freie Deutsche Jugend, Landesleitung Sachsen (1946): Die Grundrechte der jungen Generation, 5. 179 Anonym: »Lebendige Gemeinschaft«, in: Neues Leben, Januar 1945, 2. 180 Wilhelm Pieck: Ausschnitte von den Feierlichkeiten aus Anlaß der Namensgebung für die Jugendhochschule »Wilhelm Pieck« der Zentralschule der FDJ am Bogensee, 14. September 1950, in: DRA DOK 38. 181 Klaus: »Zur kommenden Jugendkonferenz«, in: Neues Leben, Januar 1945, 33. 182 Alle Begriffe, die in Anführungsstrichen gesetzt sind, stammen aus den Liedtexten der zuvor genannten Lieder. 178

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Liedern daher noch referenzlos. Interessant ist die Metapher des Schlafenden, Träumenden, der aufwachen soll: »Uns weckte die Not und der Jammer« (Wir schwingen die Sense); »Erwacht« und »Gebt acht« (Neue Zeit) waren die Aufforderungen an die Jugend: »Wach auf, Jugend heraus«, »Wir brechen mit dem, was vergangen« (Wir lieben das fröhliche Leben); »Macht Euch für den Tag bereit! Fort alles Schwanken, trüber Gedanken um die Vergangenheit« (Neue Zeit). Dazu bedurfte es einer besonderen Anstrengungsbereitschaft und Härte, die keinen Zweifel, kein Zögern zuließ: »Wir sind entschlossen, das Schwerste zu wagen und unverdrossen Brücken zu schlagen« (Lied der neuen Jugend). Diese Entschlossenheit äußert sich in »eisernem Mut« (Wir schwingen die Sense) und Ausdauer »Rastlos woll’n wir uns mühen« (Hymne der demokratischen Weltjugend). Diese Komponenten beschreiben deutlich das, was die Pädagogen/-innen als »neuen Arbeitsethos« zitierten: »Wir wollen einen wahrhaft freien Menschen […], einen neuen Menschen mit einem neuen Arbeitsethos […] als selbständig denkender und schöpferischer Kopf.«183 Die neuen Lieder standen zum einen in Tradition zu den Arbeiter- und Arbeiterjugendliedern des 19. und 20. Jahrhunderts. Zum anderen bildeten russische Massenlieder den musikalischen Impuls für die neuen Kompositionen.184 Nimmt man als Vergleichsfolie sowjetische Massenlieder, die auch in der SBZ und DDR (mit deutscher Übersetzung) häufig gesungen worden sind,185 fällt als musikalisches Stilelemente ein vorantreibender drängender Rhythmus auf, der durch Punktierung mit anschließender Viertel, oder sogar halber Note gekennzeichnet ist. Der Eindruck des Ruhelosen und Vorantreibenden wird durch häufige Tonwiederholungen unterstrichen. Quartund Quintsprünge sowie häufige Dreiklangs-Motive abwärts in Kombination mit ruhigeren viertel oder halben Tönen unterstreichen Signalwörter, wie »Unverdrossen« (Lied der neuen Jugend). Besonders fallen diese Anleihen an den russischen Vorbildern in dem Lied der neuen Jugend auf, das mit seinem Beginn »Wir sind die Jungen, die Unruhvollen« nicht von ungefähr an das russische Massenlied Lied von der Unruhvollen Jugend erinnert. Der häufige Liedbeginn in Moll, mit Modulationen in Dur (Wir schwingen die Sense; Hört ihr, wie die Räder sausen) stand symbolisch für das Herausarbeiten aus der Gegenwart in eine helle Zukunft.186 Im Vorwort des Liederbuches Unser Lied, unser Leben hieß es dem183

Institut für Musikerziehung an der Pädagogischen Fakultät der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg: Denkschrift, 1950, in: BArch SAPMO DR 2 5972, Bl. 30f. 184 Siehe Lammel (1988): »Das Arbeiterlied«, 67: »Die Ausstrahlung des sowjetischen Jugend- und Massenliedes auf die Struktur und Melodik vieler unserer Massenlieder ist ein Charakteristikum jener Jahre.« 185 Dazu zählten vor allem: Wir sind die Schmiede (1905); Entgegen dem kühlenden Morgen (1932, Dmitrij Schostakowitsch/Boris Kornilow); Hymne der Demokratischen Weltjugend; Lied von der unruhvollen Jugend (?, Lew Oschanin/Alexandra N. Pachmutowa); Brüder, zur Sonne, zur Freiheit (1917, Leonid P. Radin/deutsch: Hermann Scherchen) oder Partisanen von Amur (1922/1929, Sergei Alymow/Pjotr Partjonow/Dimitri Pokrass/dt. Fassung: Ernst Busch). 186 Auch viele deutsche Arbeiterlieder des frühen 20. Jahrhunderts waren musikalisch gekennzeichnet durch Oktavsprünge im Melodieverlauf, Quart- und Quintsprünge sowie abwärts führende Quintläufe in der Kadenz, Lammel (1988): »Das Arbeiterlied«, 49-51. Mit einer zunehmenden Professionalisierung des Arbeiterliedgesanges und der Hinwendung von Komponisten/-innen zu Arbeiterliedern kamen »rhythmische Verknappungen, scharf pointierte Diktion« sowie die »Einbeziehung von Aus- und Aufrufen in den musikalischen Ablauf zur Steigerung des dynamischen Ef-

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entsprechend: »Einen bedeutenden Teil aber unserer Sammlung machen neue Lieder einer neuen Jugend aus, die schaffend ringt und ringend schafft auf dem Weg in eine glückliche Zukunft, in ein sozialistisches Deutschland.«187 Anstrengungsbereitschaft, Hilfsbereitschaft und Leistungsbereitschaft waren die Koordinaten des »neuen« Arbeitsethos. Dass diese Dispositionen bei weitem nicht neu waren, darauf verweist der Historiker Alexander von Plato. Er kommt nach Interviews mit Angehörigen der »HJ-Generation« zu dem Ergebnis, dass die Lektionen der Vergangenheit »Pflichtbewusstsein und Leistungsbereitschaft« waren.188 In der SBZ hieß diese Einstellung »demokratische Disziplin«.189 Die Zeitschriften für Kinder und Jugendliche wurden gerade in den ersten Jahren nicht müde, diese »demokratische Disziplin« einzufordern. In der Zeitschrift Die Schulpost oder die ABCZeitung waren wiederholt Fotos von Kindern zu finden, die freudig bei der Feldarbeit oder der Ernte mithalfen. Artikel trugen Überschriften wie: »Wir helfen natürlich gern«; »Wir helfen Mutter«; »Wir wollen eine Freude machen«. Kleine Geschichten erzählten davon, wie gut es sich anfühlte, zu helfen und jemandem eine Freude zu machen.190 Die Zeitschrift für die Jugend Neues Leben, erstmalig erschienen im Dezember 1945, unterstrich diese Erwartung, die an die junge Generation herangetragen wurde. Die Kurzgeschichten, Berichte über die Aktivitäten der antifaschistischen Komitees, Gedichte oder Lieder waren gespickt mit Begriffen wie »dienen«, »bauen«, »handeln«, »anpacken«, »erringen«, »zupacken«, »aufräumen«, »aufbauen«, »schaffen«, »fleißig«, »planvoll«, »Tüchtigkeit«, »tätig sein«, »Aktivität«, »unverdrossen«, »Verpflichtung«, »Fleiß«, »Elan«, »Pflichterfüllung«, »Erneuerung«, »Leistung«, »Leidenschaft«, »Verantwortung« und »Entschlossenheit«. Die Bemühungen, die neuen Lieder im Alltagsleben der Kinder und Jugendlichen zu etablieren, schienen um 1950 Erfolg gehabt zu haben. Klassenbücher aus dem Schuljahr 1949/50 der achten Klassen der 26. Erfurter Grundschule zeigen einen Wandel an. Die 14-jährigen Schüler/-innen lernten zwar weiter Volkslieder und sangen die Lieder der Arbeiterbewegung. Im Musikunterricht wurden aber zunehmend neue Lieder erlernt, wie Einheit und gerechter Frieden oder Erwacht, die ihr noch schlafend seid.191 Der Wandel ist auf zwei Ursachen zurückzuführen. Zum einen gab es einen ausgesprochenen Kanon an Fest- und Feiertagen, zu denen die Schulen Feierstunden veranstalteten. Für das Schuljahr 1950/51 zählte die Chronik der Grundschule Erfurt-Bischleben allein 17 feste Termine.192 Dazu brauchte es die passenden Lieder. Zum anderen – und das ist der gefektes« hinzu, Lammel (1988): »Das Arbeiterlied«, 49-51; dazu auch die Einschätzung Siegfried Köhler, Über zeitgenössisches Liedschaffen: 4. März 1964, in: AdK AdK-O 1192, 12f. 187 Anonym (1947): Unser Lied, unser Leben, 6. 188 Von Plato (1995): »The Hitler Youth Generation«, 218. 189 Freie Deutsche Jugend, Landesleitung Sachsen (1946): Die Grundrechte der jungen Generation, 6. 190 Alle Beispiele sind zusammengetragen aus Schulpost Juli 1946 – Dezember 1946 und aus der ABCZeitung August 1946-November 1946. Siehe konkret z.B.: Ursula: »Wir wollen eine Freude machen« in: ABC-Zeitung, Oktober 1946, 2. 191 26. Grundschule Erfurt: Klassenbücher der 8. Klassen, Schuljahr 1949/50, in: SA Erfurt (Stadtverwaltung) 31693. 192 Grundschule Erfurt-Bischleben: Klassenbücher der Schuljahre 1950/1951 der achten Klassen; in: SA Erfurt (Stadtverwaltung Erfurt) 32571: 9.9. Feierstunde O.d.F. [Opfer des Faschismus]; 6.10: Gründungsfeier der DDR; 5.10: Friedensfeier ; 21.10: Feier zum Treffen der Friedenskämpfer in Weimar;

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wichtigere Grund – brachten Schülerinnen und Schüler neue Pionier- und Jugendlieder aus den Veranstaltungen der Kinder- und Jugendorganisation FDJ mit.

Singen in der FDJ und bei den Pionieren 1946 gab der Zentralrat der Freien Deutschen Jugend das erste Liederbuch der Deutschen Jugend des neu gegründeten Jugendverbandes heraus.193 Zum Geleit heißt es dort: »Lieder, die bei dem Machtantritt Hitlers im Jahre 1933 verstummen mußten, entstehen in diesem Liederbuch aufs Neue und sollen mit den Liedern des antifaschistischen Kampfes und den wahren Wander- und Volksliedern zur Freude aller erklingen, die mit uns gemeinsam nach den Jahren der Finsternis und des Schreckens ein neues Deutschland, eine neue Zukunft bauen wollen.«194 Die Unterschiede zum Musikschulwerk waren gravierend, auch wenn man mit einrechnet, dass das eine für Schulkinder entstand und das andere für Jugendliche, die sich neu organisieren sollten. Die Abbildung der entschlossenen, ernst nach vorn blickenden und marschierend singenden Jugendlichen verdeutlicht das Gegenprogramm zu dem beschaulichen Volks- und Spielliedersingen in der Schule (siehe Abbildung 5). Für das Erziehungsprogramm der FDJ stand der Geleitspruch des Liederbuches: »Nur im Morgen liegt die Zukunft/liegt das Ziel der neuen Zeit!/Laßt zurück das bittre ›Gestern‹ –/wagt den Schritt und seid bereit.«195 Das »richtige Singen« der »richtigen Lieder« war Teil dieses Programmes, in dem es explizit um das »echte« und »natürliche« Fühlen der Kinder und Jugendlichen ging. »Unser Singen muß wie alles, was wir unternehmen, Ausdruck unserer Pionierarbeit und Mittel zu ihrer Vertiefung sein. Es heißt also zunächst einmal darauf achten, ob unsere Lieder in Text und Weise so echt und natürlich sind, wie die Empfindungen unserer Pioniere.«196 Für dieses Programm brauchte es Lieder, die das zeitgemäße Fühlen formulierten und gesungen werden konnten. Die Pionierleiter/-innen waren angehalten, genau darauf zu achten, was gesungen wurde und Traditionelles zu vermeiden. Passte das Lied zur »Auffassung vom Leben und der Arbeit«? Falls nicht, sollte es gestrichen werden. Das 7.11: Feier zur großen sozialistischen Oktoberrevolution; 1.12: Feier der Freundschaft mit der Sowjetunion; 5.12: Feier: Aufbau der Sowjetunion; 21.12: Geburtstagsfeier Stalin; 3.1. Geburtstagsfeier Wilhelm Pieck; 15.01: Gedenkstunde zur Ermordung Rosa Luxemburgs; 6.02: Feierstunde zum Appell der Volkskammer der DDR an die Bundesrepublik; 23.02: Gründungstag der Roten Armee; 8.03: Internationale Frauentag; 1.Mai: Feier; 8. Mai: Befreiungsfeier; 1. Juni: Tag des Kindes; 22.06: Gedenkstunde zum Überfall auf die UdSSR. 193 Freie Deutsche Jugend (1946): Liederbuch der Deutschen Jugend. Dieses war der Vorläufer des bis 1988 in 18 überabeiteten Auflagen erschienenen kanonischen Liedbuches: Leben-Singen-Kämpfen. Liederbuch der Freien Deutschen Jugend. 194 Ebd., 3. 195 Ebd., zweite Umschlagseite. Interessanterweise ist das Wort »Gestern« im Original in Anführungszeichen gesetzt. 196 Landesvorstand Sachsen der FDJ, Junge Pioniere (1949): Auf ins Pionierlager, 3; ebd. alle folgenden Zitate.

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Abbildung 5

Liederbuch der deutschen Jugend, 1946, Deckblatt und erste Seite.

traf zum Beispiel auf das Lied Kurze Hosen (Ja, wir tragen kurze Hosen) zu. Es vermittelte in den Ohren der Jugendfunktionäre/-innen eine »unmögliche Einstellung zur Arbeit«. Dasselbe betraf das Lied Die Leineweber haben eine saubere Zunft/Spottlied auf die Leineweber (hessisches Volkslied, Bearbeitung Annina Hartung). Dieses enthalte eine »falsche Darstellung des Handwerks«. Auch das Lied Es rosten die starken Maschinen entspräche nicht mehr der Realität, denn »bei uns rosten längst keine Maschinen mehr«. Ebenso ungeeignet seien »schmalzige Liebeslieder«. Die Aufgabe des Pionierleiters sei es, »beweglich, flink und geschickt die richtigen Lieder auszuwählen«, das müssten durchaus nicht immer nur Pionierlieder sein, hieß es in dem Handbuch weiter. Am »bunten Nachmittag« sei ein lustiges Lied an der Reihe, während zur Feierstunde das Kampflied Berechtigung hätte. Wie aber klangen die neuen Kompositionen, die das echte Fühlen vermitteln sollten? 1947 tagte das II. Parlament der Freien Deutschen Jugend in Meißen. Die Instrumentalkomposition Aufbruch des jungen Musikstudenten Siegfried Köhler wurde zwar nicht aufgeführt, stattdessen gelangte aber ein anderes seiner Lieder prominent zu Gehör. Es trägt den programmatischen Titel Wir lieben das fröhliche Leben (alternativ Jugend heraus). Der Ton dieses Liedes ist zuversichtlich, offensiv, stolz und selbstsicher. Damit ändert es die ernsthafte Grundstimmung der ersten Jugendlieder. Große Tonsprünge, wie hier die Auftaktssexte, verweisen auf Signalwörter, wie »wir lieben«, »wir wollen«, »wir

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Abbildung 6

Siegfried Köhler: Wir lieben das fröhliche Leben.

folgen«, »wir brechen«, »wir ballen«. Typische rhythmische Elemente, wie punktierte Viertel und Achtel stehen für das offensive Selbstbewusstsein. Die homophone Zweistimmigkeit in Terzlage bei der Textstelle »Jugend heraus!« wird erweitert in den Dominantdreiklang an der Stelle »Wir sind bereit«. Das unterstützt den appellativen Charakter dieser Aufrufe und symbolisiert die Idee einer starken, mitreißenden Gemeinschaft. Die junge Generation wird als unbändig, unruhevoll, vom Sturmwind getrieben dargestellt und damit so lebenshungrig und vorwärtstreibend, wie man sie in der SBZ haben wollte. Tatkraft, Lebensfreude und Hingabe sind die zentralen Botschaften des Liedes, in dem die Jugend Akteurin und Adressatin zugleich ist. Es bietet und fordert eine positive Zukunftsorientierung. Die Jugend wird vor allem in ihrem Jungsein (und damit in ihrer Unschuld) beschrieben und beauftragt, die neue Zeit zu erkämpfen. Eine besondere emotionale Sogkraft unterstellte diesem Lied ein Zeitungsartikel über das II. Parlament der Jugend in Meißen 1947:

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»Ein unvergessenes Bild, als die ersten mit ihren blauen FDJ-Fahnen durch das gotische Burgtor schreiten, gespenstisch beleuchtet von den zahllosen Fackeln. Der endlose Zug marschiert durch die winkligen Gassen zwischen den engen Fachwerkhäusern einer vergangenen Zeit zur großen breiten Elbebrücke: ›Jugend heraus‹ klingt das Lied durch die Straßen und es gibt wohl kaum deutsche Jungen und Mädel, die sich nicht in diesen Zug eingereiht hätten.«197 Diese Beschreibung der Marschsituation mit den Schlüsselbegriffen »Fackeln«, »Fahnen«, »Gotik«, »singen«, »deutsche Jungen und Mädel« erinnert an Aufmärsche der nationalsozialistischen Jugendorganisationen. Diese Parallelen jedoch, die sich heute gerade beim Thema des gemeinschaftlichen Singens aufdrängen, wurden in keiner Weise von den Zeitgenossen/-innen reflektiert. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen definierte sich der neue Staat grundlegend als »antifaschistisch«. Die Gründungsväter insistierten darauf, selbst aktiv gegen »den Faschismus« gekämpft zu haben.198 Zudem hatten diese Rituale öffentlichkeitswirksamer Fackelmärsche und gemeinschaftlichen Gesanges schon lange vor der Hitlerjugend zu den Repräsentationsund Vergemeinschaftungsformen von Jugendorganisationen gehört.199 Aus diesem Selbstverständnis heraus bestand in den Augen der Zeitgenossen/-innen keine Notwendigkeit, die parallelen Praktiken in der eigenen Jugendorganisation zu rechtfertigen, zumal die ideologischen Ziele grundsätzlich verschieden waren. Für die teilnehmenden Jugendlichen jedoch mussten sich das Marschieren und das Singen bei Fackelschein sehr vertraut angefühlt haben. Trotzdem oder gerade deshalb hinderte das viele nicht daran, sich wieder in Aufmärsche einzureihen. In der Sächsischen Zeitung vom 27. Mai 1947 wurde in ähnlicher Weise die erhebende und kollektivierende Wirkung gemeinschaftlichen Singens beschrieben, wobei der Fackelzug durch das nächtliche Meißen das emotionale Setting entscheidend charakterisierte. »Noch waren die jungen Menschen von dem Erlebnis der herrlichen Lieder erfüllt, als sie sich im dunklen Burghof zum nächtlichen Fackelzug versammelten. […] Die tausendfachen Feuerarme der Fackeln schufen das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Jugend von der Wasserkante und von Sachsen, Thüringen und Schwaben, von Mecklenburg und Bayern, die Seite an Seite unter ihren blauen Fahnen einherschritten und die gleichen Lieder der Jugend sangen.«200 Wir lieben das fröhliche Leben war mit Sicherheit eines der Lieder, die an diesem Abend gesungen wurden.201 Es stand exemplarisch für das Recht auf »Freude und Frohsinn«, 197 Klaus: »Der Fackelzug«, in: Neues Deutschland, 29. Mai 1947, 3. 198 Herf (1998): Zweierlei Erinnerung, 87f. beschreibt eindrücklich die Strategien, mit denen die kommunistische Erinnerung um die »Vorherrschaft« in der Öffentlichkeit rang. Fulbrook (1999): German National Identity, 35f. 199 Mitterauer (1986): Sozialgeschichte der Jugend, 227. 200 Anonym: »Lodernde Fackeln, klingende Lieder«, in: Sächsische Zeitung, 27. Mai 1947, 2. 201 Als Komponist wird immer wieder Siegfried Köhler genannt. Ihm selbst schien das Lied jedoch wenig bedeutet zu haben. Im persönlichen Nachlass findet sich nur ein einziges Mal ein Hinweis darauf, im Gegensatz zu zahlreichen Verweisen auf seine anderen erfolgreichen Liedkompositionen. Siegfried Köhler: Taschenkalender 1951, 17. Januar, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel

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das zu den im Juni 1946 auf dem I. Parlament der Jugend beschlossenen »Grundrechten der jungen Generation« gehörte.202 Genau mit »Freude und Frohsinn« warben die frühen Jugendinitiativen. »Bub und Mädel Hand in Hand werden nicht mehr, ausgerichtet in knatternden Marschtritt, die Pflastersteine geradeklopfen, sondern im bunten Kleide wie einst mit Sang und Lautenspiel die Heimat durchstreifen. Sie werden keine blutrünstigen Lieder grölen, sondern die alten Volksweisen oder jene Kampflieder singen, die von besserer Zukunft friedliebender Menschen zu uns sprechen. Jungen und Mädels werden die alten Volksweisen tanzen, wie sie jedes heimatliebende Volk in seiner Weise und nach seinem Rhythmus beschwingt.«203 Gemeinschaftliches Singen, Musizieren und Tanzen versprachen Entspannung, Glück und Fröhlichkeit, statt Zwang und Marschtritt. Die Jugend sollte die »alten Volksweisen« so singen, wie sie vor dem Krieg erklungen waren und zugleich auch die Lieder einer »besseren Zukunft« neu anstimmen.

Das sozialistische Glücksversprechen Die Idee einer lebensfrohen Jugend ist ein dominierendes Narrativ in den Quellen der späten 1940er und frühen 1950er Jahre. »Wir schreiten vorwärts mit frohen Gesängen und keine Mühe wird uns zu viel«, heißt es im Lied der neuen Jugend. Im oben zitierten Vorwort des Liederbuches wurde Lebensfreude unter »optimistische Lebensgefühle« als Teil der demokratischen Erziehung gefasst. Abbildungen in Zeitungen und Zeitschriften untermauern diesen Topos. Die Junge Welt zeigte in ihrer Sondernummer zum II. Parlament der Jugend in Meißen vom 26. Mai 1947 ein großformatiges Foto von einer Gruppe junger Mädchen und Jungen, die untergehakt und offensichtlich singend durch Meißen spazieren. In der Bildunterschrift heißt es: »Ernst bei der Arbeit, froh in der Freizeit, das sind die Mädel und Jungen der FDJ.«204 Auch die Liederbücher sind gespickt mit Abbildungen fröhlich singender Kinder. Sich einander unterhakend wandern sie auf dem Cover des unten abgebildeten Liederbuches (siehe Abbildung 7). Sie lachen, singen, musizieren und wandern gemeinsam vor dem blauen Himmel über gelbe Felder. Die Kinder bilden eine glückliche, harmonische Gemeinschaft, so die Aussage der Illustration. Dass nur zwei der Kinder bei den Pionieren sind, war zu dieser Zeit nicht ungewöhnlich.

7. Ein Nachweis darüber, dass es sich wirklich um seine Liedkomposition handelt, findet sich in einem Brief seiner Mutter: Louise Köhler-Horbank: Schreiben an die Landesregierung Sachsen, 13. April 1951, in: HStA Dresden 11401 Nr. 2656, o. Bl. 202 Freie Deutsche Jugend, Landesleitung Sachsen (1946): Die Grundrechte der jungen Generation, 8. Darunter zählten die Verfasser/-innen die Möglichkeit der Jugend, Theater, Konzerte und Kinos zu verbilligten Preisen besuchen zu können. Zugleich wurde gefordert, dass den Jugendlichen Klubhäuser und Sportanlagen zur Freizeitbeschäftigung überlassen werden sollten. 203 Antifaschistisches Jugendkomitee Magdeburg: »Magdeburg ruft seine Jugend«, in: Volkszeitung Sachsen, 25. August 1945, 3. 204 In: Junge Welt, 28. Mai 1947 (Sondernummer 3), 2.

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Abbildung 7

Fröhlich sein und singen. Lieder, Spiele und Geschichten für die Schüler und Pioniere der 1.-4. Klasse, Berlin: Kinderbuchverlag 1952, Titelblatt.

Das Singen war in dieser Lesart besonders gut geeignet, um mitzureißen und zu begeistern.205 Zugleich hatte es eine weitere entscheidende Funktion, es konnte Gemeinschaftsgefühle herstellen: »Die Musik drückt tiefe Gefühle und Stimmungen aus und vereint Ausführende und Zuhörende in einem gemeinsamen Erlebnis. Es verschönt das Leben, bringt Freude, verscheucht den Kummer und ruft zum Kampf auf.«206 Fröhlichkeit und Glücksgefühle als Marker einer erfüllten Kindheit und Jugend haben ihre historischen Vorläufer. Im Amerika der 1930er gehörten die Wortfelder um Glück und Kindheit zwingend zusammen, wie der Historiker Peter Stearns feststellt. Die Kindheit als Lebensphase galt als Provinz der Glückseligkeit. Dahinter stand die

205 Zentralrat der FDJ (1952): Handbuch des Pionierleiters, 533: »Wenn der Pionierleiter selber mit Freude und Begeisterung dabei ist, reißt er durch den Gesang die Kinder mit.« 206 Ebd.

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Idee, dass »Happiness« eine wichtige Voraussetzung für den späteren Erfolg im Erwachsenenleben war. Insofern galt das Erfahren und Erleben von Glück als Grundbaustein für eine gesunde Entwicklung der Kinder und es war die Pflicht der Eltern, für diese Glückserfahrungen zu sorgen.207 Die Behauptung und Einforderung von Lebensfreude und Glück in der Nachkriegszeit war aus vielfältigen Gründen bedeutend und notwendig. Die Heranwachsenden sollten dadurch Geborgenheit, Sicherheit und Zugehörigkeit vermittelt bekommen und von den negativen Kriegs- und Nachkriegserlebnissen abgelenkt werden. In der sozialistischen Utopie spielte das Gebot zur Fröhlichkeit ebenfalls eine wichtige Rolle. Anders als das von Peter Stearns beschriebene Erleben von persönlichem Glück als Voraussetzung für Lebenserfolg war das sozialistische Glückserleben eine kollektive Angelegenheit.208 Die Jugendpolitiker/-innen der SBZ hatten in ihrem sowjetischen Exil vermittelt bekommen, dass Kindheit und das kollektive Glück einen entscheidenden Baustein in der sozialistischen Utopie darstellten.209 Glückliche Kinder sollten die moralische Überlegenheit des Systems symbolisieren (»demonstration of righteousness«). Damit war die öffentliche Zurschaustellung glücklicher Kinder zwingend notwendig: Es war »not only (or even mainly) a goal of Soviet culture, it was a legitimating sacred value«.210 Institutionen des Glücksversprechens waren die Antifaschistischen Jugendausschüsse. Sie boten in Zeiten von Verlust, Trauer und Orientierungslosigkeit Geborgenheit in einer Art Ersatzfamilie an. Der Staat konnte sich als Garant für das Glück der lebensfrohen Kinder präsentieren, als das väterliche Oberhaupt, das über das Wohlergehen seiner Familie wachte. Darüber hinaus demonstrierten die glücklich singenden Kinder und Jugendlichen in der SBZ das komplette Gegenbild zur als apathisch und desillusioniert dargestellten Jugend in den westlichen Besatzungszonen.211 Diese Strategie, Freude und Frohsinn anzubieten und damit die heranwachsende Generation unter dem sozialistischen Zukunftsversprechen zu integrieren, barg entscheidende Vorteile. Der Staat konnte in dieser paternalistischen Geste die Jugend durch Dankbarkeit an sich binden und ihr mit der Aussicht auf kollektives Glück als Teil der sozialistischen Utopie das Versprechen abringen, genau dafür zu kämpfen.212 Emotionen wie Dankbarkeit und Vertrauen sollten Nähe zwischen dem neuen Gesellschaftssystem und der neuen Jugend herstellen, eine Nähe, die Kenntnis und Überwachung im System ungleicher Machtverteilung versprach. Unglücklichsein war daher keine akzeptierte Option.213

207 Stearns (2010): »Defining Happy Childhoods«. 208 Balina/Dobrenko (2011): Petrified Utopia, XVf. »Socialist Utopia […] is rooted in the impossibility of achieving individualist happiness without first embracing collective happiness.« 209 Kelly (2011): »A Joyful Soviet Childhood«, 8: »Happiness was children’s essential condition, a dogma that remained undisputed throughout the soviet period.« 210 Ebd., 9. 211 Zur Idee der Gegenbilder im Kalten Krieg, siehe: Brauer (2015): »Mit neuem Fühlen und neuem Geist«. 212 Ebd., 13. Kelly spricht von einem Modell des »broader paternalism«. 213 Am Beispiel der sowjetischen Kinder zeigt Kelly, dass Unglücklichsein als »potentially shameful, an act of self-exposure«, Ebd., 5.

Neues fühlen. Nachkriegsjahre (1945-1949)

Nicht zuletzt ging die Forderung nach Freude und Frohsinn auf die »Moral der Fröhlichkeit« zurück. Um 1920 veröffentlichte der Magdeburger Publizist Emil R. Müller seine Schrift Sonnige Jugend – Festgedanken und Feierstunden, die mit dem Kapitel »Die Moral der Fröhlichkeit« eingeleitet wurde. Darin schrieb der aus der Arbeiterjugend stammende Müller über die Bedeutung des »fröhlichen Lebensmutes« in der Vermittlung sozialistischen Gedankengutes. Für Lebensmut stand nach diesen Ausführungen ein »Trupp Jungen und Mädchen«, der »mit bunten Bändern und Liedern« in die Welt zog.214 Dieser »fröhliche Lebensmut« unterschied das »schwache Sehnen« vom »kräftigen Aufrecken und Wachsen zu einem starken kameradschaftlichen Menschtum«.215 Aus diesem Grunde forderte Müller die ernsthafte »geistige« Pflege der Fröhlichkeit. Denn nur damit könne die Arbeiterjugend zeigen, dass sie wirklich frei vom »Mühsale des Tages […]« sei.216 Müller legte mit seiner »Moral der Fröhlichkeit« eine wichtige Spur für das Verständnis von Lebensfreude. Fröhlichkeit stärkt und ermöglicht »Kameradschaftlichkeit«. Glücksgefühle können demnach als emotionaler Klebstoff einer funktionierenden Gemeinschaft betrachtet werden. Fehlen sie, gibt es auch keine Gefühle von Geborgenheit und Zugehörigkeit. Wie sollten Fröhlichkeit und Freude gefühlt werden, wenn die Welt in Trümmern lag, Familienangehörige und Freunde/-innen verschollen waren oder Jugendliche in den Speziallagern des sowjetischen Geheimdienstes hatten leiden müssen? Auch darauf hatten die sozialistischen Jugendführer/-innen Antworten. Die Geschichte »Rieke marschiert ins neue Leben« aus der Zeitschrift Schulpost beschreibt ein solches Programm der emotionalen Abhärtung.217 Die Erzählung handelt von dem circa zehnjährigen Richard, genannt Rieke, der in den letzten Tagen des Krieges kurz hintereinander seinen Vater und dann seine Mutter beerdigen musste. Da er weiß, dass es weitergehen muss, macht er sich auf den Weg zu seiner Tante. Doch auch sie war gleich der Mutter in den Trümmern ihres Hauses gestorben. Ohne zu wissen, wohin, doch vom »Lebenswillen beseelt«, läuft Rieke weiter. Mitten auf der Landstraße übermannten ihn Gefühle von Heimatlosigkeit, Einsamkeit und Verzweiflung. Er bricht weinend zusammen. Doch bereits nach kurzer Zeit vernimmt er Schritte marschierender Männer. Ein Trupp deutscher Kriegsgefangener kommt an ihm vorbei und Rieke schließt sich ihnen an. Er fühlt sich bei den Männern im Kriegsgefangenenlager geborgen und sicher. Als sie entlassen werden sollen, nimmt ihn einer der Männer mit sich nach Hause. Wie es der Zufall will, hat er, obwohl sehnlichst von seiner Frau gewünscht, keine leiblichen Kinder. Rieke wird in der Familie liebevoll wie ein eigener Sohn aufgenommen und wendet sich am Ende der Geschichte froh und optimistisch gestimmt seiner Zukunft zu. Trauer über den Verlust der Eltern und der Tante, Unsicherheit durch das Verlassen der vertrauten Umgebung – diese Emotionen gab es in der Geschichte nicht. Der kleine Moment der Schwäche und Tränen ist sofort vergessen und spielt keine Rolle mehr. Wichtiger ist die Botschaft, dass es weitergeht, Rieke eine neue Familie, eine Zukunft

214 215 216 217

Müller (1921): Sonnige Jugend, 1. Ebd. Ebd., 2. Erich Wildberger: »Rieke marschiert ins neue Leben«, in: Schulpost, März 1946, o. S.

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hat. Die Vergangenheit mit ihren Verlusterfahrungen und der Verzweiflung wird symbolisch auf der Landstraße zurückgelassen, die Gegenwart ist die »Welt in Trümmern«, die beseitigt werden müssen. Das große Aufräumen lässt keinen Platz für Trauer oder Hoffnungslosigkeit. »Das Leben geht weiter – das ist die große Erkenntnis von Rieke«, und das ist die Botschaft an die Nachkriegskinder. »Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt«, wird Hanns Eisler ein paar Jahre später dieses Credo in der Nationalhymne der DDR vertont haben, mit einer Melodielinie, die sich symbolisch aus den Tiefen der Trümmer mit »frohem Blick auf eine schönere Zukunft« hervor arbeitet.218 Das Versprechen auf Glück und auf eine »schönere Zukunft« war ein breit angelegtes Mobilisierungsangebot, das den Kindern und Jugendlichen in der SBZ in Zeitungen, Zeitschriften, Geschichten und Liedern unterbreitet wurde. Die Statistik zeigt, dass der Beginn zwar mühselig gewesen war, aber dennoch von einigem Erfolg gekrönt wurde. 1946 waren circa 13 Prozent aller 14- bis 25-Jährigen in der FDJ organisiert und 1950 bereits 44 Prozent, wobei die Verteilung regional sehr verschieden ist.219 Vielleicht konnten sich die Antifaschistischen Jugendausschüsse und die FDJ vor allem deshalb einen Zugang zu zahlreichen Jugendlichen verschaffen, weil sie zu diesem Zeitpunkt weniger als politische Organisationen daherkamen, sondern eher als Freizeitorganisationen, die sich um die Heranwachsenden kümmerten. Ein Hauptanliegen der Jugendausschüsse war auch die Aus- und Weiterbildung der Jugendlichen. Die Verantwortlichen vermittelten Arbeits- und Ausbildungsplätze und halfen damit den jungen Menschen, das Geld zu verdienen, das sie dringend für die Unterstützung ihrer Familien benötigten. Privilegierend wirkten die von Beginn an zugesicherte Monopolstellung sowie die ebenfalls im Beschluss der Militäradministration festgelegte finanzielle Hilfe der antifaschistischen Jugendarbeit. Damit waren die strukturellen Voraussetzungen, auf die Kinder und Jugendlichen einzuwirken, unvergleichbar zu denen in den anderen Besatzungszonen. Zahlreiche Erinnerungen belegen, dass es zu Teilen gelang, die Nachkriegsjugend in der SBZ in das neue Gesellschaftsprojekt zu integrieren: »Vielleicht war ja auch unsere Hoffnung auf diesen Staat und einen Platz für uns darin das einzige, was wir nach den bitteren Kriegs- und Nachkriegsjahren noch in die Waagschale zu werfen hatten«, berichtet Gudrun F.220 Die ersten Nachkriegsjahre hatten für Jugendliche in der FDJ noch eine Menge Hoffnung im Angebot. Das nutzten in erster Linie diejenigen, die selbst ihre Wurzeln in der kommunistischen Jugend hatten, beziehungsweise deren Eltern dem Kommunismus und Antifaschismus nahe standen.221 218

Goebel (1950): »Die Deutsche Nationalhymne«, 50: »Das allmähliche aber zähe Herausarbeiten ›aus den Ruinen‹ wird durch die bedachtsam aber unaufhaltsam nach oben drängenden Tonschritte zum Ausdruck gebracht, ebenso wie der frohe Blick auf eine schönere Zukunft durch die lebensfreudigen Dreiklangsschwünge«. 219 Schulze/Noack (1995): DDR-Jugend, 183f. Diese Zahlen beruhen auf statistischen Angaben der FDJ. Die absoluten Zahlen sind sicher mit Vorsicht zu genießen, dennoch lassen sich aus den Mitgliederzahlen Trends und Tendenzen ableiten, vgl. ebd., 157. 220 Gotschlich (1999): »Und der eigenen Kraft vertrauend…«, 23. Die Erinnerung steht stellvertretend für zahlreiche ähnlich lautende Berichte. Die Interviewsammlung liegt in der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, Berlin, ist aber leider nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. 221 Dieser Eindruck ergibt sich, wenn man sich die Biografien der Jugendfunktionäre des Antifaschistischen Jugendausschusses in Bautzen ansieht, Brauer (2017): »Gesang, Frohsinn«.

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Singen in den westlichen Besatzungszonen Während die Jugend in der SBZ unmittelbar nach Ende des Krieges zum Objekt erzieherischer Ambitionen wurde, widmeten sich die Alliierten zeitversetzt der westdeutschen Jugend.222 Dieses Moratorium war der Ratlosigkeit und dem Misstrauen gegenüber einer Generation geschuldet, die anscheinend so ganz und gar vom nationalsozialistischen Gedankengut durchdrungen gewesen war. Erst um 1950 gab es aktive Bemühungen um die junge Generation.223 Der Journalist und Sozialdemokrat Rüdiger Proske veröffentlichte 1950 in den Frankfurter Heften einen Grundsatzartikel zur »Aktivierung der deutschen Jugend«.224 Darin berichtete er über das Deutschlandtreffen der Jugend, das im Mai 1950 in Ostberlin stattfand. Proskes Beobachtung war, dass die Jungen »auf der Suche nach einem neuen Ziel« seien.225 In Hinblick auf die Mobilisierungsversuche im Osten stellte er fest, dass die Bundesrepublik erst spät begann, sich »auf die Jugend zu besinnen« und die Bedeutung dieser für »die Zukunft der Demokratie« zu erkennen. Die Zukunft knüpfte Proske konkret an die Idee eines vereinigten Europas.226 Damit wurde fünf Jahre nach dem Krieg ein Zukunftsprogramm entworfen, in dem die Jugend eine wichtige Aufgabe zugewiesen bekam. Die Jahre von Kriegsende bis zum Beginn der Adenauerära lassen sich als restaurativer Übergang charakterisieren.

Musikunterricht in der Schule Genauso wie in der SBZ galt auch in westlichen Besatzungszonen Musik als ein wirkungsvolles Erziehungsinstrument. Der Oberpräsident der Nord-Rheinprovinz schrieb 1945 in einer Anordnung an die Leiter/-innen der Höheren Schulen: »Der Unterricht in Biologie, Zeichnen, Leibesübungen, Erdkunde, Nadelarbeit kann unter Umständen ganz fortfallen. Nicht empfiehlt es sich, die Musikstunden, insbesondere den Gesang, ausfallen zu lassen. Sie können etwas Freude in die Herzen der Schüler bringen.«227 Trotz dieser großen Bedeutungszuweisung stand es um Schulmusik und Hausmusikpflege in der deutschen Nachkriegsgesellschaft schlecht, so behaupteten die Ver-

222 Zur Praxis der Umerziehung siehe ausführlich Füssl (1995):Die Umerziehung der Deutschen. Im Frühjahr 1946 lief das Programm »Army Assistance to German Youth« an (117ff.). Füssl stellt ausführlich dar, wie aber erst in der zweiten Jahreshälfte 1946 die amerikanischen Maßnahmen zur Re-education griffen. Als Gründe dafür gibt er das besonders negative Bild von der deutschen Jugend, die späte Etablierung eines administrativen Rahmens der Jugendpolitik und Kompetenzstreitigkeiten an (119). 223 Reulecke (1993): »Jugend und Jugendpolitik«, 80. Der Autor spricht davon, dass erst 1950 die »staatsoffizielle Aktivierung der deutschen Jugend« begann und damit die »Bereitschaft des Staates, der Jugend die Bedeutung zuzuerkennen, die sie für den Bestand und die Zukunft unserer Demokratie« gehabt habe. Das lässt sich unter anderem an der Gründung des Bundesjugendringes 1949 festmachen, siehe Westphal (1997): »Jugendverbände und der Deutsche Bundesjugendring«. 224 Proske (1950): »Aktivierung der deutschen Jugend«, 913. 225 Ebd. 226 Ebd., 915: »Unsere Demokratie ist zum Untergang verurteilt, wenn sie sich nicht auf die Jugend der zukunftsträchtigen Schicht stützten kann.« 227 Zitiert in Weigele (1998): Zur Geschichte der Musikpädagogik, 119.

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treter/-innen der musischen Erziehung. Die Musikpädagogen/-innen sprachen wiederholend von der »Notlage der Musikerziehung und Musikpflege«.228 Ein besonderer Dorn im Auge der musisch geschulten Musikpädagogen/-innen war die Popularität amerikanischer Musik sowie leichter Tanz- und Unterhaltungsmusik. Sie verlangten eine Aufwertung der Musikerziehung im schulischen Kontext und im Freizeitbereich, der »Jugendpflege«.229 Wie auch im östlichen Teil konzentrierten sich die Forderungen im Kern auf mindestens zwei Wochenstunden Musikunterricht, die fachgerechte Ausbildung der Musiklehrkräfte, Lehrer/-innenfortbildung und eine Unterstützung der Laienmusik, in den »Heimstätten für soziale Musikpflege«.230 Unter dem institutionell weit verzweigten und gut verankerten Dach ihrer Verfechter/-innen fanden die Ideen der musischen Erziehung auf zwei Wegen Eingang in die Nachkriegsmusikerziehung: über die Lehrpläne und über die Lieder, die Kinder und Jugendliche im Schulunterricht um 1950 lernten und sangen.231 Die Lehr- und Liederbücher der westlichen Besatzungszonen ähneln auffallend den Vorkriegsliederbüchern in Liedauswahl, Aufbau und Sprache.232 Darin zeigt sich erneut die Nähe zur Jugendmusikbewegung. Ein typisches Liederbuch bestand aus Kategorien, die so oder ähnlich lauteten: Lieder für den Tageskreis (Morgen- und Abendlieder); Lieder für den Jahreskreis (Jahreszeiten); Fest und Feier (Weihnachten, Ostern, Geburtstagslieder); Spiel und Tanz (Scherzlieder, Kinderlieder); Lob der Arbeit; Lieder zum Lob Gottes; Freud und Leid (Abschiedslieder, Liebeslieder) und eventuell Vaterlandslieder. Im Durchschnitt befinden sich in den Liederbüchern zu 75 Prozent Volkslieder, Volksliedbearbeitungen beziehungsweise volksliedhafte Lieder des frühen 20. Jahrhunderts, wie Kinder- oder Scherzlieder. Das Repertoire der relevanten Volkslieder überschnitt sich zum großen Teil mit dem in der SBZ. 10 Prozent zählen in die Kategorie neue Lieder, drei Prozent sind religiöse Lieder. Vergleichsweise hoch ist mit 12 Prozent die Anzahl der Lieder, die in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden. Das überrascht umso mehr in Hinblick auf die erheblichen Bemühungen der Besatzungsmächte, genau diese auszusondern.233 Zu den bekanntesten NS-Liedkomponisten, die in der Nachkriegszeit wieder auftauchen, zählen Cesar Bresgen, Heinrich Spitta, Hermann Claudius, Walther Hensel,

228 Arbeitsgemeinschaft für Musikerziehung und Musikpflege (1953): »Notlage der Musikerziehung«, 325. 229 Ebd., 326; vgl. auch Gesellschaft für Musikforschung (1951): »Denkschrift zur Schulmusikerziehung«, 367; Sass (1954): »Zur Notlage«, 6; Herr (1951): »Musikerziehung heute«, 60f. 230 Sass (1954): »Zur Notlage«, 8. 231 Ein Überblick über Lehrpläne bietet Nolte (1975): Lehrpläne und Richtlinien. 232 Das Kapitel beruht auf der Analyse von 29 Lehr- und Liederbüchern für den Schulunterricht und für den Hausmusikgebrauch für die westlichen Besatzungszonen und die BRD aus den Jahren 19461956 (Auflistung siehe Anhang). Bei der Auswahl wurde auf eine Mischung der Besatzungszonen und der Verlage geachtet. 233 Am 24. Mai 1946 veröffentlichte die Britische Militärregierung der Nord-Rheinprovinz eine Liste mit Liedern, die für den Unterricht zugelassen waren. Es traten »gravierende Fehler« der Kontrollkommission auf, da spezifisch nationalsozialistische Lieder für HJ und BDM übersehen worden waren. Vgl. Weigele (1998): Zur Geschichte der Musikpädagogik, 293, Dokument: Liste der für den Unterricht zugelassenen Lieder, Hauptquartier der britischen Militärregierung in der NordRheinprovinz.

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Walter Rein, Gottfried Wolters, Walter Pudelko, Jens Rohwer und Hans Baumann.234 Der Grad ihrer Verwicklung in die nationalsozialistische Ideologie ist jedoch unterschiedlich. Am ehesten können Hans Baumann, Cesar Bresgen und Hermann Claudius als die bedeutendsten Komponisten von Liedern für die Hitler-Jugend gelten. Walter Hensel, Heinrich Spitta und Gottfried Wolter hatten ihre eigenen musikalischen Wurzeln in der Jugendbewegung und waren in der Zeit des Nationalsozialismus nicht besonders aktiv. Ihre Lieder wurden dennoch gern von der nationalsozialistischen Jugend gesungen und tauchten in den Nachkriegsliederbüchern kommentarlos wieder auf. Nimmt man die 75 Prozent der Volkslieder und volksliedhaften Kompositionen hinzu, die ebenfalls seit Anfang des 20. Jahrhunderts regelmäßig und gern gesungen wurden, lässt sich durchaus sagen, dass sich Stil und Ton des Singens in der ersten Jahrhunderthälfte kaum verändert haben. Die circa 160 zwischen 1945 und 1955 entstandenen neuen Kinder- und Jugendlieder unterstreichen diesen Befund. Es waren zum größten Teil volkstümliche Kinderund Spiellieder, Wander-, Abend-, Morgen-, Scherz- oder Schullieder, in denen die Jahreszeiten thematisiert werden, beziehungsweise die von Tieren, Fest- oder Feiertagen handeln. Im Unterschied zum organisierten Singen in der SBZ ist es für die westlichen Besatzungszonen schwierig, Kompositionen zu finden, die nach 1945 entstanden und so bekannt waren, dass man ihnen eine gewisse Relevanz zuschreiben kann. Streng genommen fallen nur die Lieder Freunde, laßt uns fröhlich loben (1946, Hannes Kraft/Gottfried Wolters) und Jeden Morgen geht die Sonne auf (1938, Hermann Claudius/1948 Karl Marx) in diese Kategorie. Gottfried Wolters studierte vor dem Krieg Musikwissenschaften und Germanistik in Köln und Berlin. Ab 1934 machte er sich als Komponist von HJ-Liedern und NSHymnen einen Namen. Zur gleichen Zeit war Wolters Gaumusikreferent der Deutschen Arbeitsfront und in dieser Funktion »Singleiter«. Nach dem Krieg war er als Chorleiter, Organisator von »Singekreisstunden«, Komponist und Lektor für den Möseler-Verlag, Wolfenbüttel tätig. Damit gehörte Wolters zu den aktiven Verfechtern der musischen Erziehung. Sein 1935 herausgebenes Liederbuch Uns geht die Sonne nicht unter stand in der Sowjetischen Besatzungszone auf der »Liste der auszusondernden Bücher«.235 Die Liedkomposition Freunde, laßt uns fröhlich loben ist schlicht gehalten. Das Lied steht in B-Dur und bleibt harmonisch in der gewählten Tonart. Der einzig auffällige Tonsprung ist die Abwärtsquarte zu Beginn des Liedes. Neben drei Terzsprüngen verbleibt die Melodie bei einfachen Tonschritten und verweilt in Wiederholungen und Sequenzen, sodass es leicht zu erlernen ist. Interessanterweise handelt es sich hierbei um die einzige neuentstandene Komposition in den westlichen Besatzungszonen und der frühen Bundesrepublik, die indirekt Bezug auf die aktuelle Lebenssituation der Menschen nimmt. Der »schöne, helle Tag«, der durch »Gottes Segen« »glüht« und vom »Morgenlicht« einer neuen Zeit bestrahlt wird, steht antipodisch neben »Finsternis«,

234 Weiterführend Kröger (1994): Schatten der Vergangenheit. 235 Schmidt/Wolters (1935): Uns geht die Sonne nicht unter. »Liste der auszusondernden Bücher«, vgl. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone: Liste der auszusondernden Literatur, Zweiter Nachtrag, Berlin: Deutscher Zentralverlag, 1948, verfügbar unter: www. polunbi.de/bibliothek/1948-nslit-s.html (Zugriff: April 2020).

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Abbildung 8

Gottfried Wolters und Hannes Kraft: Freunde, laßt uns fröhlich loben.

tobenden Unwetter und »den alten Schollen«. Im Unterschied zu neuen Jugendliedern in der SBZ ist es in diesem Lied Gott, der über Dunkelheit und Helligkeit entscheidet. Die Aufgabe der Menschen sei es, das auszuhalten, sich den besseren Zeiten zuzuwenden und den Tag (respektive die göttliche Kraft) zu loben. Das Lied fand sich in zahlreichen Lehrbüchern der 1950er Jahre für verschiedene Bundesländer.236 Die private Datenbank Eine Heimat für das deutsche Lied und Volkslied listet 149 Treffer weiterer Fundstellen in Lehr- und Liederbüchern der Bundesrepublik auf.237 Das sind Hinweise darauf, dass dieses neukomponierte Lied der Nachkriegsjahre im Schulunterricht gelernt und gesungen werden konnte. Die Liedkomposition Jeden Morgen geht die Sonne auf ist das erste Mal 1948 in Liederbüchern zu finden.238 Der Text stammt von Hermann Claudius, die Melodie vom Komponisten und Musikpädagogen Karl Marx. Während seiner Zeit am Konservatorium in Graz komponierte dieser zwischen 1939 und 1945 Lieder für nationalsozialistische Feiern und für die Hitlerjugend. Auch in Lehr- und Liederbüchern der 1950er Jahre der DDR finden sich zahlreiche Vertonungen von Karl Marx, darunter das oben genannte Lied.239 Der ebenfalls von den Nationalsozialisten hoch verehrte Hermann Claudius (eben der, aus dessen Feder Wann wir schreiten Seit an Seit stammt) publizierte das Gedicht bereits 10 Jahre zuvor.240 236

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Stoverock (1955): Singt und Spielt, 4; Schmidt/Weber (1956): Die Garbe, 85; Heer/von Knorr/Rabsch (1956): Musik im Leben, 54. Wilhelm Middeler erinnert sich in seinen autobiografischen Aufzeichnungen, dass das Lied als vierstimmiger Chorsatz am Ende einer Schulfeier seines Gymnasiums erklang, Middeler (2012): Zwischen Synagogenbrand und Reifeprüfung, 244. Schendel: »Liedersuche: Freunde, laßt uns fröhlich loben«, in: Eine Heimat für das deutsche Lied und Volkslied, www.DeutschesLied.com (Zugriff: April 2020). Paetorius (1948): Vlotho, 6; Folge (1948): Lieder der Jugend für Fahrt und Lager, 35. Borris (1950): Lob der Musik, 13. Claudius (1939): Jeden Morgen geht die Sonne auf, 5, Erstauflage 1938.

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Abbildung 9

Karl Marx und Hermann Claudius: Jeden Morgen geht die Sonne auf.

Jens Rohwer, bedeutender Wortführer der musischen Jugendmusikbewegung, zählte diese beiden Kompositionen zum Typus der neuen Lieder, die »tonal einfach« seien, aber »rhythmisch zunehmend reicher, vielschichtiger und lebendiger« würden. Diese neue »Lebendigkeit« werde »von der Jugend ganz ohne Widerstreben, ja begeistert aufgenommen«.241 Diese Beschreibung charakterisiert das Lied von Marx/Claudius sehr treffend. Harmonisch bewegt es sich eingängig in den Hauptdreiklängen der Kadenz. Hinsichtlich der überwiegenden Tonschritte fällt die Auftaktsquarte abwärts auf. Das Lied ist gekennzeichnet von einem unbestimmten Rhythmus. Die nicht sequenzielle Nutzung verschiedener Rhythmuselemente in immer neuen Kombinationen lässt den Eindruck der »Lebendigkeit« entstehen, die Rohwer so hervorhebt. Dabei handelt es sich um eine leichte, fast tänzerische Dynamik, die das Lied zu einem Begleiter auf Wanderungen macht. Zugleich lenkt der Rhythmus zusätzliche Aufmerksamkeit auf sprachliche Besonderheiten, wie »hohe, heil’ge Schöpferstunde«, eine Textstelle, die im Übrigen im ursprünglichen Gedicht von Claudius »schöne, scheue Schöpferstunde« lautete und später verändert wurde. Die durch Alliterationen hervorgehobene Wortgruppe wird durch die wechselnden Rhythmuselemente zusätzlich unterstrichen. Die empfundene Leichtigkeit entsteht durch die Verweigerung der rhythmischen Wiederholung der Viertel vom ersten Adjektiv. Genau diese rhythmische Überlagerung der Verse, das Übergehen von Takteinheiten und damit die spielerische Auflockerung der sprachlich schlichten Lyrik kennzeichnen die neuen Lieder. Rohwer betonte: »Die Entwicklung und Verbreitung des neuen Liedes hat sich in Deutschland weitgehend ungestört von den politischen Systemen vollzogen. Hierin hat sich die große in241 Rohwer (1951): »Das neue Lied«, 207. Er zählt in diese Kategorie ebenfalls Lieder der NS-nahen Komponisten Cesar Bresgen und Hans Baumann.

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nere Kraft des mit der deutschen Jugendbewegung aufgebrochenen neuen Lebensgefühls und Lebenserneuerungswillens sehr deutlich bewährt.«242 Damit plädierte auch Rohwer eher für einen Übergang als für einen Neuanfang. Das ermöglichte es, Komponisten zu würdigen, die zwar durch ihre Nähe zum NS bekannt waren, aber deren Verwurzelung in der Jugendbewegung für die musische Tradition bedeutender war. Zugleich konnte Rohwer mit diesem Statement seine eigenen Kompositionen in diese Entwicklungslinie der neuen Lieder einsortieren. Denn ein Lied aus seiner Feder lässt sich ebenso für die Nachkriegsjahre als bedeutend identifizieren, auch wenn es nicht erst nach 1945 entstanden war, sondern, so wie das Lied Heut ist ein wunderschöner Tag, zum Ende des Krieges. Es handelt sich dabei um Wer nur den lieben langen Tag (siehe Abbildung 10).243 Rohwer ließ sich 1934/35 im »Musikheim« von Georg Götsch in Frankfurt/Oder ausbilden und studierte anschließend Schulmusik bei Heinrich Spitta.244 Im Krieg kämpfte er an der russischen Front, wurde dort schwer verletzt und lehrte 1944 als Kriegsversehrter an der Musikschule in Posen. In dieser Zeit komponierte er das Lied Wer nur den lieben langen Tag. Das Lied war – so Helmut König – eines, das »gedankenlos überall gesungen wurde«, »kaum war der Krieg zu Ende«.245 Es war in zahlreichen Lieder- und Lehrbüchern der späten 1940er und der 1950er Jahre zu finden. In Wandervogelliederbüchern erscheint es noch bis heute.246 Auch wenn König diese Komposition als »ideologiefreies […] jugendliches Aufbruchslied« klassifiziert, mutet es im Vergleich zu der Liedkomposition Köhlers aus dem gleichen Jahr als ein verhaltenes Wanderlied an. Der Eindruck vom gezügelten »jugendlichen Aufbruch« entsteht durch die musikalische Gestaltung und den wechselnden Rhythmus von Vierteln mit Achteln, die weder sequenziert werden noch dem Sprachrhythmus entsprechen, im Gegenteil dem Text sogar zuwiderlaufen. Damit erreichte Rohwer eben die »Lebendigkeit«, die er den neuen Liedern unterstellte. Deutlich wird das an der Abschlusszeile, die in jeder Strophe gleich endet: »Fürwahr, eine fröhliche Schar.« König erkennt in dieser musikalischen Gestaltung die »Genialität« Rohwers: »[W]ie hier ein metrischer Dreiertakt ständig durch überlagertes Vierermetrum und rein melodische Linearität in Spannung gerät und sich selbst zu einem Höhepunkt überhöht und dann zu einem logischen Schluss treibt: das ist wahrlich gekonnt und weist Rohwer als einen großen Melodiker aus.«247 König, der selbst seine Wurzeln in der Musik der bündischen Jugend der Nachkriegszeit hat, lässt sich sichtlich von seinen eigenen Vorlieben hinreißen. Für ihn ist die musikalische Gestaltung der Grund dafür, dass das Lied sich so schnell verbreitete. Den 242 243 244 245 246

Ebd. Vgl. König (2007): »Wer nur den lieben langen Tag«. Ebd., 277. Ebd., 275. Schendel: »Liedersuche: Heut ist ein wunderschöner Tag« in: Eine Heimat für das deutsche Lied und Volkslied, www.DeutschesLied.com (Zugriff: April 2020). Die Datenbank »Deutsches Lied« listet 81 Nennungen auf. 247 König (2007): »Wer nur den lieben langen Tag«, 288.

Neues fühlen. Nachkriegsjahre (1945-1949)

Abbildung 10

Jens Rohwer: Wer nur den lieben langen Tag.

Text deklassiert er als »inhaltlich, sprachlich und formal ein schlechtes Machwerk«.248 So leicht lässt sich der Text jedoch nicht von der Melodie trennen. Der gezügelte, eher 248 Ebd.

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besinnliche als vorwärtsdränge Charakter des Liedes entsteht in der Kombination von beiden. Die Munterkeit und Fröhlichkeit, die hier behauptet werden, kommen durch die Überlagerung des Rhythmus gemäßigt daher. Klar verweist dieses auf das Wandern als jugendliches Gemeinschaftserleben, das gleich nach Kriegsende wiederbelebt wurde. Die Bündischen Gruppen nahmen 1946 ihr »buntes Fahrtenleben« wieder auf.249 Diese Fahrten galten als Phasen der Selbstfindung, als »Heimfahrten«250 , in denen die Jugendlichen ihrer Sehnsucht Ausdruck verliehen, den Erinnerungen an den Krieg zu entkommen, den alltäglichen Sorgen eines Nachkriegslebens zu entfliehen. Dazu brauchte es die alten, aber auch die neuen Wanderlieder. Letztere blieben jedoch verhalten und still, im Gegensatz zu den forschen und kraftvollen Wanderliedern der Vorkriegszeit. Sie waren von »Fernweh« und »Melancholie« durchdrungen, »elegisch gestimmt«, wie es Schwarte und Reulecke herausstellen.251 Zu fragen ist, ob die Lieder nicht auch von Heimweh und Nostalgie handeln? Bemerkenswert in dieser Hinsicht ist die dritte Strophe des Liedes von Jens Rohwer. Diese offenbart, wohin die Reise geht: »ins Jungbrunnenreich«, einem imaginierten Ort, der nicht klar in Zukunft, Gegenwart oder Vergangenheit verortet werden kann. »Jungbrunnenreich« mutet in diesem Zusammenhang eher als ein verlorener und nicht mehr erreichbarer Ort früherer Zeiten an, weniger als ein ferner, fremder Ort, den es zu entdecken gilt. Dieser Befund deckt sich mit der Beobachtung über die mentale Verfasstheit der nachkriegsdeutschen Gesellschaft, in der die Sehnsucht nach Geborgenheit, Rückwärtsgewandtheit, Wiederaufbau, Restaurierung und Neo-Biedermeier die vorherrschende Gefühlslage war.252 Darin unterscheidet sich das Lied in seiner Botschaft deutlich von den neuen Jugendliedern der SBZ, die auf die Zukunft setzen. Auch wenn sich Siegfried Köhler mit seinem neuen Wanderlied selbst in die Tradition der Jugendbewegung stellte, sein Lied Heut ist ein wunderschöner Tag klingt deutlich anders als die Komposition von Rohwer, die im gleichen Jahr entstand (Abbildung 11). Köhler setzt auf eine klare musikalische Gestaltung, um die fröhliche Grundstimmung zu transportieren. Sextsprünge betonen zentrale Worte, wie »Tag«, »Sonne«, »schön«, »leuchtend«, »frei« und »hoch«. Durch Punktierungen rhythmisch hervorgehoben sind Phrasen wie »wunderschön«, »lockende Ferne«, »die Wolken«, »die Herzen so frei«, »jubelnd und froh«. Der Rhythmus untermauert die Textaussagen. Die typische Phrase Punktierung, Sechzehntel und Halbe müsste den Singenden aus den Arbeiterliedern vertraut gewesen sein (Abbildung 12). Auch wenn das Lied nicht explizit für die Jugend entstand, durch seinen Gebrauch wurde es zu einem volksliedhaften, jugendlichen Wanderlied. Anders als in der Komposition Rohwers ist der Jubel ungezügelt. Die Herzen sind musikalisch leichtfüßig »froh aller Sorgen enthoben«. Es gibt keinen eindeutigen Akteur, keine Adressatin und kein ideologisches Programm. Die singenden Kinder zeigen sich fröhlich, schwungvoll, unbefangen, heiter. Genau damit entsprach das Lied den Bedürfnissen der Zeit. Zweifel,

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Schwarte/Reulecke (1997): »Fernweh und Großfahrten«, 157. Ebd., 158. Ebd., 165. Schildt/Siegfried (2009): Deutsche Kulturgeschichte, 98.

Neues fühlen. Nachkriegsjahre (1945-1949)

Abbildung 11

Siegfried Köhler: Heut ist ein wunderschöner Tag.

Abbildung 12

Typische musikalische Phrase in Arbeiterliedern

Ängstlichkeit, Zögerlichkeit durfte es in den neuen Liedern für Kinder und Jugendliche in der SBZ nicht geben, nicht einmal Nachdenklichkeit oder Besinnlichkeit. Doch ge-

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nau diese Gefühlshaltung prägte die neuen Lieder im westlichen Teil Deutschlands. Im Vorwort des Liederbuches Der Turm der Bündischen Jugend hieß es: »Habt den Mut, besinnliche Lieder zu singen. Schlicht und schwermütig sind die Weisen über den Herbst und alles Vergehende. Die rechte Zeit für das Entstehen dieser Lieder war wohl erst nach dem zweiten Weltkrieg gekommen.«253 Als gemeinschaftsbildende Praxis lebte das Singen in den westlichen Besatzungszonen und der BRD um 1950 in den alltäglichen Ritualen von Jugendorganisationen weiter, wie folgender Abschnitt über die sozialdemokratische Jugend, Die Falken, zeigt.

Der Gruppenabend bei den Falken »Mit dem Lied …, ja, mit welchem Lied begannen wir denn eigentlich unseren Gruppenabend? Ich weiß es wirklich nicht! Wir hatten wohl schon 3 oder 4 Lieder angestimmt. Kaum war aber der erste Vers verklungen, dann hatte Alois schon wieder ein Gesprächsthema gefunden, so daß an Weitersingen gar nicht zu denken war. Als Grund für seine Störungen ist wohl Textmangel anzunehmen.«254 Diese Zeilen eröffnen die Eintragung zum Gruppenabend der Braunschweiger Gruppe »Lichtstürmer« am 23. September 1948. Kaum ein Bericht der SPD-Jugend kommt ohne den Hinweis auf das gemeinschaftliche Singen aus: »Mit einem lustigen Lied begannen wir den Abend. Weil uns das Singen so gut gefiel, sangen wir noch eine Menge Lieder unseres Liedschatzes. Es war ein richtiges Wunschsingen.«255 Die Eintragungen – häufig gespickt mit ironischen Brechungen – dokumentieren, wie selbstverständlich das Singen in den Ablauf der Gruppenabende gehörte: »Nachdem sich jeder in seinen Sitz gepflanzt hatte, wurde das Lied »Wir sind jung« gesungen. Ich fand das eigentlich ein bißchen komisch, daß heute auf einmal alle sogar den 2. + 3. Vers sangen. Selbst Scheich versuchte einige Töne durch sein verschobenes Gebiß zu schieben. Es gelang ihm vorzüglich, und Cici sang noch lauter und schöner als sonst, denn leicht hätte einer Konkurrenz machen können.«256 Die sechs- bis zehnjährigen Nestfalken sangen unter Anleitung der älteren Helfer/ -innen, genauso wie die zehn- bis zwölfjährigen Jungfalken.257 Auch die jugendlichen Wanderfalken (12-15 Jahre) eröffneten und beendeten rituell jede Sitzung mit einem Lied. Dadurch lernten sie die alten und neuen Falkenlieder und mit ihnen die Regeln der Gemeinschaft. Die jugendlichen Roten Falken diskutierten gern über die Lieder, die sie singen wollten. 253 Faksimile in: Schilling/Zeller (2010): »Der Turm«, 55. 254 Braunschweiger Jugendbund, Gruppe Nord: Gruppentagebuch Gruppe: Aufwärts/Gruppe Lichtstürmer, Eintrag vom 23. September 1948, in: AAJB SJD-BS-BS 22/001, Bl. 259. 255 Werner Ortmann, Sturmfalken Oberkassel: Gruppenbuch. Gruppenchronik, Eintrag vom 28. März 1951, in: 1950-1952, AAJB SJD-NR 22/9, o. Bl. 256 Gruppe Lichtstürmer: Berichte, Eintrag vom 14. November 1946, in: AAJB SJD-BS-BS 22/001, 19461948, Bl. 173. 257 Zur Binnendifferenzierung der Falken in Nestfalken (6-10 Jahre), Jungfalken (10-12 Jahre), Wanderfalken (12-15 Jahre), Sturmfalken (über 15 Jahre) und Rote Falken (ohne Altersangabe), Anonym (1949): »Die Arbeit in den Kindergruppen«, 7-16.

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Dass gesungen wurde, stand außer Frage. Jedenfalls bis in die späten 1950er Jahre. Ironische Kommentierungen der Gesangskünste oder Anmerkungen zur Textsicherheit gehörten selbstverständlich zu den Gruppenberichten. »Mit ›Sing und Sang‹ sangen wir Abschlußlied [sic!], bei welchem Alois am Ende nur noch den Mund auf und zu klappte, um so zu tun, als wenn und ob.«258 Aber an keiner Stelle wurden Zweifel daran formuliert, dass der Gesang richtig und wichtig war. In keiner Zeile wird darüber nachgedacht, dass nur wenige Jahre zuvor ebenfalls in Gruppen gesungen wurde. Anscheinend unterschieden sich die Praktiken, die Situationen und die Intentionen des Singens so sehr von denen der nationalsozialistischen Jugendorganisation, dass sich diese Parallelen nicht aufdrängten. Ebenso auffällig sind die fehlenden Hinweise auf die aktuelle Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen auf den Gruppenabenden. Probleme in Schule und Elternhäusern, Schwierigkeiten, Ausbildungs- oder Arbeitsplätze zu bekommen, Mangel an Lebensmitteln oder Bekleidung, der Verlust von Familienmitgliedern – das waren keine Themen. Die Treffen der Falken schienen außerhalb der alltäglichen Erfahrungs- und Erlebniswelt der Kinder und Jugendlichen stattzufinden. Wenn nicht die Datierung eindeutig wäre, ließe sich nicht vermuten, dass die Eintragungen aus den Nachkriegsjahren stammen. Die Gruppenbücher sind für die Frage nach der Funktion des Singens und der Lieder eine besonders aussagekräftige Quelle. Im Archiv der Arbeiterjugendbewegung liegen 40 Gruppen- und 11 Fahrtenbücher vor.259 Der größte Teil dieses Bestandes (35) deckt die unmittelbaren Nachkriegsjahre bis Mitte der 1950er ab. Danach scheint es eine Veränderung der Gruppenkultur gegeben zu haben, denn Gruppenbücher wurden seltener geführt.260 Die meisten Eintragungen dokumentieren das Gruppenleben. Oft notierten die Mitglieder im Wechsel mehr oder weniger ausführlich, streng protokollarisch oder spielerisch ironisch den Verlauf der Heimabende, Wanderungen oder Fahrten. Daher ermöglichen diese Gruppenbücher Aufschluss darüber, wie die Kinder und Jugendlichen ihre Zeit bei den Falken wahrgenommen haben, was den jeweiligen Gruppen wichtig war, was besprochen wurde und welche Lieder erklangen. Die Individualität der Eintragungen ermöglicht auch einen Blick hinter den rituellen Ablauf der Treffen. Der Heimabend der »Lichtstürmer« im September 1948 nahm seinen anscheinend typischen Verlauf, den die Chronistin Anneliese kritisch kommentierte. Der Verantwortliche der Gruppe, Pelle, »wollte das Geschäftliche klären. Das tat er dann auch in einer Ausdauer, daß wir vor Langeweile schon an zu gähnen fingen«. Anneliese adressierte den folgenden Satz direkt an den Gruppenführer: »Pelle! Falls Du nochmal in die Verlegenheit kommen solltest, uns etwas zu berichten, dann mache ich Dir den Vorschlag, es vorher erst auseinander zu sortieren und die Daten zu ordnen.«261 Dieser Einschub verweist sehr schön auf die Funktion der Gruppenbücher: Sie waren »teilöffentlich« und Teil des Verständigungsprozesses unter den Jugendlichen. Die Eintragun258 Braunschweiger Jugendbund, Gruppe Nord: Gruppentagebuch Gruppe: Aufwärts/Gruppe Lichtstürmer, Eintrag vom 23. September 1948, in: AAJB SJD-BS-BS 22/001, Bl. 259. 259 Schwitanski (2010): »Gruppenbücher als Quelle«, 33. 260 Diese Veränderung um 1960 erklärt Schwitanski mit einem generellen Wandel von Jugendkultur und Gruppenleben, Ebd., 34. 261 Gruppe Lichtstürmer: Berichte, Eintrag vom 23. September 1948, in: AAJB SJD-BS-BS 22/001, 19461948, Bl. 259.

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Abbildung 13

Auflistung von thematischen Heimabenden mit Teilnehmerzahl (B = Buben; M = Mädel, H = Helfer); Abbildung aus Gerd Beck, Ortsgruppe Schwabach: Tagebuch der Jugendgruppe Die Falken, 1946-1948, in: AAJB SJD-MF-SC 22/0001.

gen sollten und durften von den Gruppenmitgliedern mitgelesen werden. Zugleich ließ sich wie in einem Protokoll nachprüfen, was genau diskutiert und beschlossen worden war und wann die Gruppe was genau unternommen hatte. Diese Informationen halfen bei den Entscheidungen über Inhalte und Programmpunkte zukünftiger Aktivitäten.262 262 Schwitanski (2010): »Gruppenbücher als Quelle«, 33.

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Viele Gruppenabende hatten keinen thematischen Schwerpunkt und anscheinend den einzigen Zweck, das Gruppenleben zu planen und gemeinsam Zeit zu verbringen. Andere Treffen standen unter einem Motto, wie »Sport«, »Gesellschaftstanz«, »Theater« oder eben auch »Lieder«. Es gab »Kampfliederabende«, wie am 24. November 1949 bei den Roten Falken im Ortsverband Stuttgart-Ost, der wie folgt beschrieben wird: »Paul gab uns einen kurzen Einblick in die Geschichte der Kampflieder. Er sagte uns, daß die meisten Kampflieder im Straßenkampf entstanden sind, und welche Kraft und auch Bindendes hauptsächlich in diesen Liedern liegt.«263 Die anwesenden acht Mädchen und 15 Jungen lernten an diesem Abend den Unterschied zwischen der »Schwere« des russischen Kampfliedes, (»in dem sich uns der russische Mensch in seinem ganzen Empfinden zeigt«). Dem gegenüber stand das deutsche Kampflied, das in Text und Melodie »Hoffnung und Glaube« ausdrückte. Daneben verzeichnen die Gruppenbücher »bunte Abende« und einfache »Liederabende«, die einen Wechsel vom Singen alter Lieder, dem Vorlesen »lustiger Geschichten« und dem Erlernen neuer Lieder darstellten.264 Wie die unten abgebildete Auflistung zeigt, machten Liederabende einen Großteil der thematischen Heimabende aus. Die Wiederbelebung der Jugendarbeit der Falken verlief in den ersten Nachkriegsjahren holprig. Das lag zum einen an den Vorgaben und Genehmigungen der alliierten Besatzungsmächte und zum anderen an der großen materiellen Not. Gerade die Jugendarbeit stand unter strenger Aufsicht der West-Alliierten, da eine Wiederbelebung der nationalsozialistischen Jugendorganisation unter allen Umständen verhindert werden sollte. Parteiliche Jugendorganisationen durften sich erst 1947 gründen.265 Der Vorläufer der sozialdemokratischen Kinder- und Jugendarbeit war die KinderfreundeBewegung (1923: Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde).266 Deren Wiedergründung wurde am 17. Januar 1946 von der Militärregierung genehmigt. Den im April des gleichen Jahres eingereichten Antrag zur Wiedergründung der »Falken. Freie Jugendbewegung« als Jugendorganisation der SPD lehnten die Alliierten jedoch ab.267 Aus diesem Grund trugen einige der frühen Falkenorganisationen unpolitische Namen, wie »Lichtstürmer« oder »Aufwärts«. Erst 1947 konnten die Jugendverbände der SPD offiziell ihren Namen tragen: »Sozialistische Jugendbewegung – Die Falken«.268 Gemessen an der Gesamtzahl der Kinder und Jugendlichen in den Besatzungszonen war nur eine Minderheit in der politischen Jugend organisiert.269 Die Hauptaufgabe des 263 Gruppe Ost Rote Falken (Ursula Krause-Scheuffler): Protokolle und Fahrtenberichte, Eintrag vom 24. November 1949, in: AAJB SJD-BW-StO 1-6, o. Bl. 264 Ebd., Eintrag vom 6. November 1952. 265 Siehe Füssl (1995):Die Umerziehung der Deutschen, 120-147. 266 Wagner (1995): Jugendliche Lebenswelten, 143f. 267 Arbeitsgemeinschaft Kinderfreunde Hamburg (1946): Jahresbericht, 3. 268 Dieser änderte sich noch einmal endgültig 1951 auf der 3. Verbandskonferenz 1951 in Heidelberg in: »Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken«. Zur Nachkriegsgeschichte siehe Brücher (1995): Die sozialistische Jugendbewegung Deutschlands. 269 Eine Statistik über die Bevölkerung der amerikanischen Zone im Oktober 1946 belegt dies, Wagner (1995): Jugendliche Lebenswelten, 146f. Demnach waren in der amerikanischen Zone circa 22.000 Kinder und Jugendliche bei den Falken organisiert und 478.500 in konfessionellen Jugendorganisationen. Die hier angeführten Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu interpretieren, da sich zu die-

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SPD-Jugendverbandes war angesichts der materiellen Notlage, der hohen Arbeitslosigkeit und der psychischen Verfasstheit der Kinder und Jugendlichen überwiegend die der Jugendfürsorge und Jugendpflege.270 Den Kindern »Sicherheit – Geborgenheit – Liebe« geben, kurzgefasst »Nestwärme«, war eines der ersten Ziele der Falken.271 Genau darüber berichtet die Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kinderfreunde. Demnach fand im Juni 1946 das erste Ferienlager für insgesamt 921 Kinder und Jugendliche in der Lüneburger Heide statt. Die Hauptsorge galt der Verpflegung und Bekleidung. Die kärglichen Essensrationen ließen sich mit Lebensmittelpaketen der Schweizer Arbeiterhilfe um 800 Kalorien für jedes Kind pro Tag aufbessern. Der größte Erfolg dieses ersten Ferienlagers war die Gewichtszunahme der Heranwachsenden. Erst in einem zweiten Schritt konnten die Helfer/-innen über das pädagogische Programm nachdenken. Für das Folgejahr organisierten sie eine Gruppenarbeit, die auf den Grundsätzen der sozialistischen Erziehung aufbaute.272 Die Weichen für die sozialdemokratische Jugendarbeit wurden 1946 auf der Jugendkonferenz des Parteivorstandes der SPD in Nürnberg gestellt und einer Arbeitswoche der sozialistischen Jugendbewegung im fränkischen Pottenstein. Vertreter/-innen aus allen Besatzungszonen kamen zusammen und legten die Leitlinien für die pädagogische Arbeit in der Falkenorganisation fest. Demnach verstanden sich die Falken als eine »Erziehungsinstanz für eine zukünftige sozialistische Gesellschaft« und zugleich als Freizeitverband. Das »gemeinschaftliche Erlebnis zur Solidarität, Selbstbestimmung und Aufbauwille« sollte einem jedem Kind vermittelt werden.273 Mit den Zielen Persönlichkeitsbildung, Arbeitserziehung und internationale Solidarität stellte sich die SPDJugendarbeit in der Nachkriegszeit ganz in die Tradition der sozialistischen Erziehung. Auch die zentralen Prinzipien der Falken blieben bestehen: Selbstverwaltung, Partizipation, Gemeinschaftserziehung und Koedukation.274 Im Gegensatz zu den Vorkriegsjahren ging es nach 1945 jedoch nicht mehr um »Klassenkampf«, sondern – auf der Suche nach dem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus – um die »Heranbildung von Menschen, die an der Schaffung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung mitwirkten«.275 Mit der Pottensteiner Konferenz 1946 war die erste Phase der Wiederbelebung der Jugenderziehung abgeschlossen. Daraufhin folgte die Zeit der Etablierung und Konsolidierung. Diese fand mit dem sozialistischen Jugendtag in Hamburg 1951 ihren Höhepunkt und Abschluss.276 Im Laufe der 1950er Jahre verändert sich das Gruppenleben der Falken. Der Jugendverband der SPD verlor in dem Maße an Bedeutung, in dem die SPD zur Volkspartei wurde und eine stärkere Anpassung von Partei und Jugend

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sem Zeitpunkt viele Falkengruppen unpolitische Namen gaben und daher nicht in der Statistik erfasst wurden. Gröschel (1986): Zwischen Tradition und Neubeginn, 127f. Heydorn (1953): »Nestwärme schaffen – aber wie?«. Arbeitsgemeinschaft Kinderfreunde Hamburg (1946): Jahresbericht, 3f. Zitate aus Wagner (1995): Jugendliche Lebenswelten, 155f. Brücher (1993): »Jugendarbeit im Spannungsfeld«, 29. Brücher (1995): Die sozialistische Jugendbewegung Deutschlands, 27f. Ebd., 46. Wagner unterscheidet die Phase der Konsolidierung (1947/48) von der Phase der Differenzierung 1948-1951, Wagner (1995): Jugendliche Lebenswelten, 160; 176.

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stattfand. Daran änderte auch eine »programmatische Neubesinnung« Ende der 1950er Jahre nichts.277 Parallel zu diesen Entwicklungsphasen verlor das Singen bei den Falken zunehmend an Bedeutung. Dieser Trend deckt sich mit der generellen Beobachtung, dass spätestens seit Adornos Generalkritik am musischen »Musikanten« 1954 das öffentliche Singen in der Bundesrepublik seltener wurde. Der Bundesvorstand der Sozialistischen Jugend Deutschlands konstatierte 1960, zu lange habe sich der Jugendverband an die »Gesinnungs- und Wanderlieder« der 1920er und 1930er geklammert: »Die allerwenigsten jungen Menschen haben heute noch das Bedürfnis, die einfachen Drei- und Viertaktlieder jener Zeit und die Texte jener Zeit zu singen. Es entspricht dem Lebensgefühl der Jugend heute nicht mehr, wandernd mit Klampfen durch den Wald zu ziehen. […] Die Jugend der sechziger Jahre hat dagegen eine starke innere Beziehung zum Jazz, zu den rhythmisch scharf akzentuierten Liedern und Tänzen aus Afrika, Lateinamerika und U.S.A. und sie kann die Kraft slawischer Volkslieder nachempfinden. Die Beziehung zum altüberlieferten deutschen Volkslied oder zu Volksliedern unserer Nachbarnationen ist beeinträchtigt. Das ist zum Teil eine Folge der krampfhaften Volkstümelei des Dritten Reiches und unseres Schulmusikunterrichtes.«278 Diese Feststellung verweist auf zahlreiche Veränderungen um 1960, die in einem späteren Kapitel aufgegriffen werden. Zurück zu den Nachkriegsjahren und den frühen 1950er Jahren: In dieser Zeit war das gemeinschaftliche Singen unumstritten eine der Hauptaktivitäten in der sozialistischen Jugend. Doch anders als in den Aufrufen der Antifaschistischen Jugendausschüsse in der SBZ wird nicht explizit mit Freude, Frohsinn und Gesang um die sozialdemokratische Jugend geworben. In einem Aufruf der Braunschweiger »Lichtstürmer« aus dem Jahre 1947 heißt es: »Der Krieg ist aus, er ist für uns verloren! Wenn Ihr Euch umseht, seht Ihr Trümmerhaufen. Wenn Ihr Euch umhört, hört Ihr von Not und Elend. Ihr wißt, daß uns in diesem Winter Hunger und Kälte bedrohen. Ihr habt am eigenen Leibe erfahren, wohin uns die Parole jener Nationalsozialisten und Hitlerjugendführer brachte, die laut riefen: »Lieber tot als Sklave!« und sich selbst erfolgreich absetzten. Jene Führer, die Frauen und Kinder zum Panzerfaust-Wehrwolfkrieg aufforderten und ihre eigenen Familien in Sicherheit brachten! […] Ihr wißt keinen Ausweg, Euere [sic!] Welt ist zerbrochen? Ihr seid doch jung, baut Euch eine neue Welt! Der »Braunschweiger Jugendbund« ruft Euch auf! Tretet seinen Gemeinschaften bei! Lernt wieder im freien Beisammensein und in demokratischer Form Euer Jugendleben selbst zu gestalten. Wendet Euch ab von den zerstörenden Gedanken des Militarismus, von Kadavergehorsam und Gewaltherrschaft. Kommt zu uns und helft uns am Aufbau der neuen Jugendbewegung.«279 Im Vergleich zu den Antifaschistischen Jugendausschüssen in der SBZ ist interessant, mit welchen Botschaften, Versprechen und Angeboten der sozialdemokratische Jugend-

277 Brücher (1995): Die sozialistische Jugendbewegung Deutschlands, 29. 278 Bundesvorstand der Sozialistischen Jugend Deutschlands (1960): SJ-Arbeit, 12. 279 SJD-Die Falken, Gruppen Aufwärts und Lichtstürmer:Gruppenbuch 1946-1948, in: AAJB SJD-BS-BS 22/001, o. Bl. (Herv. i. Or.).

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verband warb.280 In Ost, wie in West gilt die Jugend als unschuldig verführt. Laut des Braunschweiger Aufrufs wurde sie missbraucht und verraten, im Stich gelassen. Die Katastrophenerfahrung ist hier weitaus präsenter als in seinem Magdeburger Gegenstück, obwohl er zwei Jahre später entstand. Der Aufruf des Magdeburger Antifaschistischen Jugendausschusses sprach bereits von einer »besseren Zukunft«, während der Braunschweiger mit der Aufforderung »[b]aut Euch eine neue Welt« zur Eigeninitiative aufrief, ohne das Versprechen auf Gelingen zu geben. Die Braunschweiger boten »freies Beisammensein« und forderten von der jungen Generation, sich völlig von den nationalsozialistischen Einflüssen freizumachen. Der Magdeburger Jugendausschuss ging davon aus, dass die Jugend die Erinnerungen an das Dritte Reich durch Singen und Tanzen schnell vergessen könne. Gemeinschaftserleben boten beide Jugendgruppen an: Fahrten, Musik und Gesang, Spiele und Volkstänze, Feste und Feiern sowie Arbeitsgemeinschaften. Die Frage ist, mit welchem Ziel sie das taten. Genau darin liegt der offensichtlichste Unterschied zwischen den beiden Aufrufen. Die Magdeburger beschrieben das Prinzip der fröhlichen Gemeinschaft, um die bessere Zukunft zu erreichen, dessen Entwurf unausgesprochen und unverhandelbar bereits vorhanden war. Das Gestern galt als überwunden und damit bedeutungslos. Die Braunschweiger legten die Verantwortung, sich von der Vergangenheit zu lösen, in die Hände der Jugendlichen selbst. Sie boten dafür den Rahmen einer demokratischen, freien Gemeinschaft an. Ziel war keine visionäre Zukunft, sondern das Herausarbeiten aus der Vergangenheit, um auf diesen Fundamenten eine »neue Welt« zu bauen. Hier wie dort war die Vorstellung einer starken Verbindung zueinander zentral. Zahlreiche Artikel in verbandseigenen Zeitschriften der Falken, wie Junge Gemeinschaft oder in Ratgeberheften für die Helfer/-innen beschrieben, wie Gemeinschaft erlebt und hergestellt werden könnte: am besten durch gemeinschaftliches Singen. Die Publikationen waren gefüllt mit Hinweisen darüber, wie und was gesungen werden sollte. Dabei wurde sehr genau nach Altersstufen der Falken unterschieden. Kampflieder hätten bei den Nestfalken nichts zu suchen, schrieb Gertrud Junge: »Alles, was wir mit Nestfalken tun, muß ihrem Wesen, ihrem Alter, ihrem Auffassungsvermögen, ihrer Phantasie gerecht werden. Darum müssen wir auch das Liedgut für sie sorgfältig nach diesem Gesichtspunkt auswählen. […] Die reiche Auswahl an Tierliedern, Handwerkerlieder, Märchen- und Schnurrenlieder, die einfachen Morgen- und Schlaflieder, die Lieder der Jahreszeiten unseres Volksliedgutes geben für diese Altersstufe eine reiche Auswahl.«281 Die Jungfalken sollten damit beginnen, Wanderlieder zu singen. Aber auch hier warnte Gertrud Junge davor, Texte zu wählen, die sich den Kindern nicht erschließen würden. Das gleiche gelte für Kampflieder: »Ein wenig kindgemäßes Lied klingt schlecht in Kindermund.«282 »Nicht gedankenlos Singen«, lautete häufiger die Aufforderung in

280 Siehe der bereits zitierte Aufruf: Antifaschistisches Jugendkomitee Magdeburg: »Magdeburg ruft seine Jugend«, in: Volkszeitung Sachsen, 25. August 1945, 3. 281 Junge (1953): »Das Lied der Nest- und Jungfalken«, 27f. 282 Ebd., 28.

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der Verbandszeitschrift Junge Gemeinschaft,283 sondern bewusst entscheiden, welche Lieder für welche Altersgruppe und welchen Anlass angemessen sind, denn Lieder seien »ein Stück gestaltetes Leben«.284 »Wir wollen besonderen Wert darauf legen, daß alle Strophen bekannt sind. Denn es geht viel am Wert eines Liedes verloren, wenn nur ein Teil gesungen wird. Es kann aber auch nicht so sein, daß man bei jeder Gelegenheit oder an jedem Gruppenabend immer dieselben Lieder singt, weil man sie einmal gut kennt und sie uns besonders gut gefallen. […] Unsere Fest- und Kampflieder sind Ausdruck unseres Wollens. Wir wollen sie deshalb hüten und nicht bei jeder Gelegenheit singen oder etwa ohne innere Anteilnahme herunterleiern. Sie sind geeignet nur für bestimmte Gruppenzusammenkünfte, für Feste und Jugendveranstaltungen. Auch die Wanderlieder wollen wir besonders aus dem allgemeinen Liedgut auswählen und sie ihrem Inhalt entsprechend bei unseren Zusammenkünften und Wanderungen zum Klang bringen.«285 Singen erreiche das Innere der Menschen. Auch die Erzieher/-innen der Falken hingen dieser Überzeugung an und aus diesem Grunde gab es in ihren Ohren nichts Schlimmeres, »als ein[en] brüllende[n] Haufen, der ein Lied in gleichbleibender Lautstärke durchsingt, ohne Rücksicht auf den Inhalt des Textes und die Feinheiten der Melodie zu nehmen«.286 Es war die Aufgabe der Helfer/-innen, nicht nur für die Liedauswahl zu sorgen, sondern auch darauf zu achten, wie gesungen wurde. »Wir singen natürlich immer schön – nie laut, wir vermeiden es, die Lieder gedankenlos herunterzuplärren. Wander- und Morgenlieder singen wir frisch, Schnurren mit übermütigem Schwung, Feierlieder gesammelt, Abendlieder still, verhalten.«287 Die Gruppenbücher belegen, dass diese Ratschläge auch umgesetzt worden sind. Sie geben darüber Auskunft, wie das Repertoire einstudiert und gefestigt wurde und wann welche Lieder gelernt wurden.288 »Man soll ein Lied nicht nur singen, daß es gesungen ist, sondern man soll es pflegen. Unsere Lieder sind ein großer Schatz, den unsere Organisation hat«, hieß es am Ende eines Liederabends der Stuttgarter Roten Falken im Jahr 1951.289 Das Einüben, Wiederholen und Besprechen der Lieder war häufig Bestandteil der Gruppenabende. In Hinblick auf den 1. Mai 1956 »frischten« die Roten Falken ihre Wanderlieder »auf«, gefolgt vom gemeinschaftlichen Hören von »Jazzplatten«.290 Die Wanderfalken aus Oberkassel lernten am 12. August 1951 »alle Lieder noch einmal gründlich nach«291 , als sie merkten, dass das Singen nicht problemlos klappte.

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Martin (1951): »Nicht gedankenlos Singen«, 17. Sozialistische Jugendbewegung – Die Falken (1948): Singt das Glück der Jugendtage, 1. Kern (1947): »Unsere Lieder«, 9. Sozialistische Jugendbewegung – Die Falken (1948): Singt das Glück der Jugendtage, 1. Junge (1953): »Rote Falken singen«, 25. Vgl. Gruppe Freiheit: Gruppenbuch 1953-1958, in: AAJB SJD-SH-22/17. Nach diesen Eintragungen lernten die Jungen und Mädchen alle 3 bis 4 Monate ein neues Lied. 289 Ortsverband Stuttgart-Ost (Ursula Krause-Scheuffler): Protokolle und Fahrtenberichte der Gruppe Ost Rote Falken, 1947-1955, Eintrag vom 20. September 1951, in: AAJB SJD-BW-StO 1-6, o. Bl. 290 Ebd., Eintrag vom 26. April 1956. 291 Werner Ortmann, Gruppenbuch. Gruppenchronik der Wanderfalkengruppe Oberkassel 10/1950-10/1955, Eintrag 12. August 1951, in: AAJB SJD-NR SJD-NR-22/10, o. Bl.

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Alte und neue Lieder Doch nicht nur die Frage, wie gesungen werden soll, sondern auch was, war in der Falkenarbeit entscheidend. Die Verbandszeitschriften, Monatsblätter und Ratgeberhefte für die Gruppenarbeit der Falken waren regelmäßig bestückt mit neuen und alten Liedern.292 1946 erschienen die ersten Nachkriegsfalkenliederbücher – oder Liedblätter –, wenn auch ohne Notenabdruck.293 Bis Ende der 1950er Jahre brachten die Regionalgruppen zahlreiche Liederbücher heraus. Besonders umfangreich wurde in den unmittelbaren Nachkriegsjahren 1946 bis 1951 publiziert.294 Die wichtigsten überregionale Liederbücher, die in mehreren Auflagen erschienen, waren Das Echo, erstmalig herausgegeben von Kalli Prall 1955 und Das Taschenliederbuch für die arbeitende Jugend, 1950 herausgegeben vom Bundesverband SJD-Die Falken. Im Laufe der 1950er Jahre nahm die Fülle an Falkenliederbüchern rapide ab. Das Repertoire der ersten Falkenliederbücher nach dem Krieg war nicht überraschend, wie das Programm eines »volkstümlichen Nachmittages« zeigt (siehe Abbildung 14). Alte Falkenlieder hatten einen hohen verbindlichen Wert, sie fehlten in keinem der aufgezählten Materialien. Dazu gehörten vor allem die Lieder Freude, ja Freude (1929, Hannes Marxen/Rosebery d’Arguto); Auf, rote Falken, auf (1929, Oscar Bucek) und Unsere Lieder, Flammenchöre (1929, Hannes Marxen). Eine große Präsenz hatten ebenfalls die Arbeiterlieder. Ganz ähnlich zu den Liederbüchern der SBZ waren Wann wir schreiten Seit an Seit und Brüder, zur Sonne zur Freiheit besonders beliebt.295 Großer Popularität erfreuten sich die Lieder Hebt unsere Fahnen in den Wind (1928, Anton Zickler/Michael Englert) und Jungvolk, Kameraden (1928, dänisches Jugendlied). Bemerkenswert ist, dass sich die Antifaschistischen Jugendausschüsse in Ost und die Falken in West bereits kurz nach dem Krieg in ihrer Vorliebe für die alten Arbeiterlieder unterschieden, die zu ihrem gemeinsamen Repertoire gehörten. Unumstritten standen die beiden schon besprochenen Klassiker ganz vorn. Die anderen Lieder, die häufig bei den Falken erklangen (Hebt unsere Fahnen und Jungvolk, Kameraden), gab es in den Liederbüchern der SBZ kaum. Die gleiche Lücke klaffte bei Volks- und Wanderliedern. Es gibt ein paar wenige, die bei den Falken und in der FDJ gern und häufig gesungen wurden (Wir sind jung, die Welt ist offen; Wenn die Arbeitszeit zu Ende). Daneben sind spezifische Lieder auszumachen, die nur die Falken favorisierten. Dazu gehörten: Nun singt mir ein Lied (aus der Wandervogelbewegung); Wir wollen zu Lande ausfahren; Die Zither lockt (circa 1878, Rudolf Baumbach/Ludolf Waldmann). Das waren alles Lieder, die keinen Eingang in 292 Hier vor allem: Junge Gemeinschaft. Zeitschrift für die sozialistische Jugend- und Erziehungsarbeit 19491956; Mitteilungsblätter der verschiedenen Bezirke, wie: Die Falken, Falkenruf, Falkenrundbrief Praxis, Mitteilungsblatt für Helfer und Funktionäre der sozialistischen Jugendarbeit sowie Arbeitshefte für die Gruppenarbeit. 293 Sozialistische Jugendbewegung – Die Falken (1946): Die Falken singen. 294 Übersicht über benutzte Falkenliederbücher- und Liedblätter vgl. im Anhang. Siehe auch die Bibliothek des Archivs der Arbeiterjugendbewegung. Diese listet umfangreich publizierte Liederbücher auf. In die Analyse des Liedrepertoires sind ebenfalls die Lieder aufgenommen, die in den Gruppenbüchern namentlich genannt werden und die öffentlich auf Veranstaltungen der Falken erklangen. 295 Werner Ortmann Gruppenbuch Falkengruppe Oberkassel, Wanderfalken: Programmvorschlag, 1. Mai, März 1947, in: AAJB SJD-NR 22/08.

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Abbildung 14

Gruppenbuch: Tagebuch der Jugendgruppe Die Falken, Ortsgruppe Schwabach, 1946-1948, AAJB SJD-MF-SC (Beck, Gerd 97/9) 22/0001, o. Bl.

die Lehrbücher der westlichen Besatzungszonen gefunden hatten, vielleicht, weil sie in der nationalsozialistischen Jugendorganisation beliebt gewesen waren.296 Damit glichen die Nachkriegsfalkenliederbücher nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich den Falkenliederbüchern aus der Vorkriegszeit.297

296 Nun singt mir ein Lied in: Plock (1939): Liederbuch der Wehrmacht, 53, Die Zither lockt findet sich in mehreren NS-Liederbüchern, unter anderem in: Hitler-Jugend Württemberg (1934): Wir schreiten über die Straßen, 18. 297 Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde Deutschlands (ca. 1930): Die Falken singen.

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Das Lied Freude, ja Freude durfte in den Nachkriegsjahren auf keiner Veranstaltung der Falken fehlen.298 Das Lied stammt von dem bekannten Kinderfreunde-Aktivisten Hannes Marxen, auf den viele wichtige Falkenlieder zurückgehen.299 Die Melodie schrieb der seinerzeit berühmte Berliner Arbeiterchordirigent Rosebery d’Arguto.300

Abbildung 15

Rosebery d’Arguto und Hannes Marxen: Freude, ja Freude.

»Freude, ja Freude überall/schiebt heute beiseite die Sorgen ohne Zahl./Vergesset den Kummer/Vertreibet Not und Schmerz/Die Freude soll leben in jedem Herz« – diese Aufforderung des Liedes scheint passend zur Situation der Nachkriegsjahre. Auch

298 Vgl. Falken, Gruppe Oberkassel: Gruppenchronik Maifeier der SPD am 8. April 1953 in Düsseldorf, Januar 1952-Dezember 1953, in: AAJB SJD-NR SJD-NR-22/08, o. Bl. 299 Siehe Jobs (2004): Liedkultur in 100 Jahren sozialistischer Jugendbewegung, 29. 300 Sein bürgerlicher Name war Martin Rozenberg. Er wurde als »staatenloser Jude« 1939 verhaftet und in das KZ Sachsenhausen deportiert, von dort brachte man ihn 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz, in dem er ermordet wurde; vgl. Brauer (2009): Musik in Sachsenhausen, 316f.

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die Heimabende setzten auf Vergessen und Verdrängen. Freude wird musikalisch zunächst mit Kummer und Schmerz gleichgesetzt. Das geschieht durch Melodie- und Rhythmuswiederholungen, vor allem durch die Verwendung der halben Noten. Doch am Ende der ersten Strophe siegt die Freude, indem sich die Melodielinie bis zum d‹ emporschwingt und damit höher als Kummer (fis) und Schmerz (h) steht. Die beiden folgenden Strophen stellen einen direkten Bezug zum Entstehungszusammenhang des Liedes im Jahr der Weltwirtschaftskrise her. Die Arbeiterkinder müssen in »finsteren Höfen«, »dumpfen Gassen« und »grauen Häusern« wohnen. Doch den Kleinen gehöre die Freude, wie dem »Arbeitsmann das Brot« und den »Müttern die Sonne«. Mit dieser Forderung traf das Lied auch den Nerv der Nachkriegsjahre. Die pädagogischen Ratgeber der Falken wurden nicht müde zu betonen, dass Kindheit, Freude, Fröhlichkeit und Gesang in der Gemeinschaft zusammengehörten. Damit hatten sie etwas mit dem Glücksversprechen in der SBZ gemein. Auch die Pädagogen/innen der Falken teilten die Auffassung vom Singen als Praktik der Fröhlichkeit. Denn zum einen hat das Kind froh zu sein, zum anderen stärkt diese Stimmungslage das Gruppengefühl.301 Dabei unterschieden die sozialistischen Pädagogen/-innen Altersstufen: die Sechs- bis Achtjährigen seien die »fröhliche Gemeinschaft«, die Acht- bis Zehnjährigen die »gefühlsmäßige Gemeinschaft«.302 Fröhlichkeit, Lebendigkeit, kind- und jugendgemäßes Fühlen waren diskursiv eng an die Praktik des Singens geknüpft, die es deshalb zu pflegen galt: »Wenn es singt und klingt in der Falkengruppe, ist der Boden für die freie Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit bereitet«,303 und – so sei hier anzufügen – für »die Erziehung zur Gemeinschaft«.304 Diese Erziehung zu »sittlichen und geistig hohen Zielen« sei gerade beim Kind schwer, so die Gedanken eines unbekannten Falkenhelfers. Daher müsse die »zarte Saite der Kinderseele« zum Klingen gebracht werden. »Wir müssen eine Sprache sprechen, die dem Alter des Kindes entspricht«.305 Diese Sprache sei die Musik. Diese spreche aber nicht nur das einzelne Kind an, sie schaffe auch eine »planvolle Charaktererziehung«306 und eine »starke gefühlsmäßige Bindung an die sozialistische Bewegung«.307 Mit diesen Vorstellungen bedienten sich die Pädagogen/-innen der Falkenbewegung ungeachtet des musikpädagogischen Diskurses noch 1960 an den Ideen der musischen Erziehung.308 Das besondere Augenmerk auf dem Gemeinschaftsgefühl wird in den neuen Falkenliedern deutlich, die in der Nachkriegszeit entstanden und beliebt waren.309 Das frü301 Junge (1953): »Rote Falken singen«, 26: »Rote Falken müssen viel singen. Es fördert die Gemeinschaft, gibt viel Schwung. Was wäre das für eine Jugend, die nicht freudig singt«. 302 Anonym (1949): »Die Arbeit in den Kindergruppen«, 8. 303 Junge (1953): »Das Lied der Nest- und Jungfalken«, 28. 304 Tagebuch der Jugendgruppe Die Falken, Ortsgruppe Schwabach, 1946-1948 (Beck, Gerd 97/9): A. Sch.: Meine Gedanken zur Falkenarbeit, in: AAJB SJD-MF-SC 22/0001, o. Bl. 305 Ebd. 306 Schaffende Jugend (1960): Arbeit und Aufgaben mit Jungfalken, 11. 307 Ebd., 19. 308 Ebd., 10: »Für die Falken hat die musische Erziehung überragende Bedeutung.« 309 Gruppenbuch der Neuengrodener Jungfalken, Chronik, der Jungfalken (Appelius 1986/7): Die Gruppenleiterin Frau Stahl lehrte die Roten Falken ein neues Lied, Eintrag vom 21. Februar 1951, in: AAJB SJD-WE-WHV 22/0001, o. Bl.

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heste Lied war Kommt, reicht Eure Hände (1946, Ludwig Landau-Wegner/Rudolf Barthel). Es ist das mit Abstand am häufigsten gesungene Falkenlied in den Nachkriegsjahren. Es fehlt in fast keinem Gruppenbuch.310 Bis heute gehört es zum Standardrepertoire der Falken. Leider lässt sich nichts zur Entstehungsgeschichte des Liedes sagen.

Abbildung 16

Ludwig Landau-Wegner: Kommt, reicht Eure Hände.

Es gibt drei weitere Lieder, die ebenfalls populär waren, allerdings nicht so häufig erklangen. Was stehst Du allein (1946, Erich und Herbert Giseler) und das Zeltlagerlied Du

310 Gruppen Aufwärts und Lichtstürmer: Gruppenbuch SJD-Die Falken, 1946-1948, in: AAJB SJD-BS-BS 22/001, Bl. 157; ebenso Bl. 181, 244.

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und Du (1949, Charlotte Sarcander/Rudolf Barthel). Auffallend an diesen Liedern ist ihre im Vergleich zu den Liedern der FDJ sehr unterschiedliche musikalische Gestaltung und Botschaft. Sie orientieren sich am Hier und Jetzt und spannen keine Zukunftsvision auf. Die Freundschaft, die besungen wird, gibt es schon, es muss nur daran gearbeitet werden, dass diese »Kette« nicht »zerspringt«. Auch das Lied Was stehst Du Allein verspricht nicht eine bessere Zukunft, es besingt die Kraft der Gemeinsamkeit: »Er immer allein auf sich gestellt/der sieht ewig klein und begrenzt die Welt«. Diese »Enge« verlassen zu können und im »Wir« aufzugehen, dem Ruf der Zeit zu folgen (und eben nicht der »neuen Zeit«, wie in den Jugendliedern der FDJ prognostiziert), das bietet das Lied an. Das Zeltlagerlied ist sehr simpel gestaltet und eher ein vertonter Reim, in dem es in erster Linie um das »wir Alle« geht und um den »frohe[n] Sang« in das Kinderland. Es diente wohl 1949 tatsächlich als Zeltlagerlied und hielt sich aufgrund der eingängigen Melodie und hymnischen Form mehrere Jahre.

Abbildung 17

Erich und Herbert Giseler: Was stehst Du allein?

Die beiden anderen Lieder sind als Aufforderung zu verstehen, sich einer bestimmten Gemeinschaft zugehörig zu fühlen: »Wir rufen Dich, Bruder [sic!]«; »Hörst Du es nicht klingen« (Was stehst Du allein); »Kommt, reicht Eure Hände« oder »Kommt, hebt Eure Füße.« (Kommt, reicht eure Hände). Diese Lieder haben nichts Kämpferisches, aber etwas sehr Aufforderndes an sich. Der Rhythmus liegt häufig quer zu den natürlichen Betonungen des Taktes, dennoch sind die Lieder nicht schwer zu erlernen. Die musikalische Gestaltung, insbesondere in dem Lied Kommt, reicht Eure Hände, ist an einigen

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Stellen von den intuitiven Satz- und Wortbetonungen überlagert. So liegt die Betonung nicht auf inhaltlich tragenden Worten, wie »Ziel«, sondern auf dem Attribut »stets«. Ebenso erhalten Worte, wie »reißen« und »das Morsche« ihre Betonungen auf der zweiten Silbe. Durch diese rhythmischen Gestaltungen sind die Lieder nicht unmittelbar eingängig und sie sperren sich dem Singen zu synchronisierten Bewegungen, wie dem Marschieren. Dennoch entfalten sie ihre Charakteristik beim mehrmaligen Hören. Das Lied Kommt, reicht Eure Hände hat einen hymnischen Charakter. Dieser Eindruck entsteht in erster Linie durch viele Pausen, die sich an der Satzstruktur orientieren und durch Tonwiederholungen. Das Lied vermittelt Zuversicht und Entschlossenheit. Im Gegensatz zu zeitgleich entstandenen Liedern der FDJ scheint es in diesem Lied aber kein »Außen«, kein Gegenbild zu geben. Es bietet Geborgenheit, Sicherheit und Zugehörigkeit in einer Gemeinschaft an, die durch »die Kette« der »Freundschaft« geschmiedet ist. Freundschaft bezeichnet in diesem Lied Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme und emotionales Management: Wer müde ist, wird mitgerissen; wer traurig ist, wird mit dem Lachen der anderen getröstet; Schmerz wird dem Freund und der Freundin abgenommen. Diese Form der Empathie ist auffällig für die Falken. Sie wollen zuverlässig, solidarisch und hilfsbereit sein, »Freude bringen«, motivierend und ansteckend wirken. Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein haben sie sich ganz oben auf ihre Fahnen geschrieben. Ihre Stärke und ihr Selbstbewusstsein erhalten die Falken aus der Gemeinschaft, in der »wahre Freundschaft«, »Ordnung und Harmonie«, »Hilfsbereitschaft« und »Duldsamkeit« genauso eingefordert und gepflegt werden, wie »Selbstkritik« und produktive Auseinandersetzung in der sogenannten »Zausestunde«. Genau darin unterscheiden sich die frühen Lieder der Falken von den Liedern der FDJ. Die letztgenannten setzen eine Gemeinschaft voraus, die selbstverständlich funktioniert. Den Einzelnen gibt es darin nicht, dementsprechend auch nicht Empathie oder Mitgefühl. Die Falkenlieder leben davon, den Einzelnen zu motivieren, ihn und sie aktiv in die Gemeinschaft zu integrieren und nicht einfach als zugehörig anzunehmen. Daraus entsteht ein »kräftiger Schritt« mit dem »heraus« aus dem »Dunkel« geschritten wird. Mit dieser Metapher halten sich die Falkenlieder trotzt musikalisch moderner Gestaltung noch dicht an die Klassenkampfnarrative der alten Arbeiterlieder. Am Ende geht es darum, gemeinsam etwas zu erreichen, sich gemeinsam auf den Weg zu machen: »Kommt, hebt Eure Hände und grüßet das Licht.« Dieser Befund deckt sich mit Schriften über das Selbstbild und die Erziehungsziele der Falkenorganisation. Wie in der FDJ gehörten auch bei den Falken Aktivität und Lebensfreude zu den Koordinaten der emotionalen Gemeinschaft. Die Falken verstanden sich als eine »tatkräftige und fröhliche Jugend«: »[F]est zupacken«, »nach vorn schauen«, »einmischen«, »fleißig« und »emsig arbeiten« sind zentrale Begriffe, die immer wieder auftauchen und für die eingeforderte Aktivität stehen. Die Tatkräftigkeit zeigte sich in der »hellen Begeisterung«, dem Enthusiasmus, die die Falken an den Tag legten: Sie »kämpf[t]en mit Leidenschaft«, »frohen Mutes« und mit »Feuer und Flamme«. In ihrem Selbstbild waren die Falken »echte Kämpfer«, geradlinig, stark, mutig, getragen von einer »unbeirr-

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baren Zuversicht«, »unerbittlich«, »standhaft«, »niemals müde«, an die »eigene Kraft glaubend«. »Wir Falken sind keine Waschlappen.«311 Im Vergleich zu den Liedern in der SBZ und der DDR fällt auf, dass die Falkenlieder eine Körperlichkeit zulassen und sogar voraussetzen: Hände verschlingen sich, Füße werden zum gemeinsamen Schritt gesetzt, Traurigkeit mit Lachen therapiert und Schmerz von Freunden und Freundinnen mitgetragen. Ohren müssen hören, das Alleinstehen muss man fühlen und entsprechend auch das gemeinsame Gehen. Denkbar sind auch gemeinsame Gesten, die beim Singen den Liedtext unterstützen, wie das Händereichen, das Füßeheben oder das Arme in die Höhe Strecken. Interessant ist in dem Lied Was stehst Du allein die musikalische Gestaltung. Die wiederholten Quartsprünge (Fanfare) verwandeln die im Text formulierten Fragen, wie »Was stehst du allein und weißt nicht wohin?« in Behauptungen. Insgesamt wirkt das Lied eher nachdrücklich als vorantreibend; eher energisch als mitreißend. Zum Marschieren brauchte man diese Lieder nicht und auch nicht zum Wandern. Die Gruppenberichte zeigen, dass diese neuen Lieder eine Form der Selbstvergewisserung waren, ein gruppeninternes Ritual, das nötig war, um die Kinder und Jugendlichen neu unter das Dach einer Gemeinschaft zu holen. Das kann als eine Einladung verstanden werden, sich den Falken anzuschließen. Diese musste aber nicht angenommen werden. Anders als in den frühen Liedern der FDJ wurden die Außenstehenden nicht ausgegrenzt und als Gegenbild thematisiert, sie konnten einfach weitergehen. Was den Kindern und Jugendlichen unter dem Dach der Falken angeboten wurde, war kein Zukunftsentwurf, sondern die Zugehörigkeit zu einer helfenden Gemeinschaft. Was von ihnen verlangt wurde, war nicht Sehnsucht, sondern Zuversicht und Vertrauen in diese Gemeinschaft. Genau in diesen Aspekten unterscheiden sich die Lieder von den zeitgleich entstandenen im östlichen Deutschland.

Die Illusion des Neuanfangs Was zeigt dieser vergleichende Blick auf das Singen in der Nachkriegszeit? Zunächst lässt sich festhalten, dass in allen Landesteilen die Musikpädagogen/-innen im Neuanfang von 1945 eine Chance sahen, dem Musikunterricht zu mehr Relevanz zu verhelfen. Dafür dienten Argumentationsmuster aus der Vorkriegszeit. Ungeachtet dessen hatte es das Unterrichtsfach Musik nicht leicht, neben den schulischen Kernfächern zu bestehen, noch dazu in einer Phase, in der regulärer Schulunterricht nicht selbstverständlich war. Doch das Singen als Gemeinschaftserziehung und Gefühlserziehung war den Menschen generationsübergreifend vertraut. Es hatte schon länger seine Potenziale unter Beweis gestellt, beginnend in der bürgerlichen und politischen Jugendbewegung und von der nationalsozialistischen Erziehung weitergeführt. An diese Vertrautheit ließ

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Diese Zusammenstellung zentraler Begriffe ist das Ergebnis der systematischen Durchsicht folgender Materialien: Junge Gemeinschaft (1948-1951), Falkenmitteilungsblatt, Falkenruf, Falkenrundbrief ; aus der sogenannten grauen Literatur die Hefte der Reihe Arbeitshefte für die Gruppenarbeit; Broschüren, Festschriften, Mitteilungshefte, Zeltlagerberichte aus dem Archiv der Arbeiterjugendbewegung Oer-Erkenschwick und dem Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn.

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sich anknüpfen. In den Nachkriegsjahren sangen Kinder und Jugendliche wieder, dieses Mal in den Jugendklubhäusern der FDJ, auf den Gruppenabenden der Falken, auf Wanderungen, beim Marschieren unter den blauen Fahnen und an Feiertagen. Im Unterschied zu den westlichen Besatzungszonen konnte in der SBZ durch die frühzeitige Monopolisierung der Jugend- und Bildungsarbeit mit großem personellem und institutionellem Aufwand das neue Jugendlied eingeführt werden. Dieser Liedtypus lässt Einflüsse der sowjetischen Massenlieder erkennen und sollte ernsthafte Entschlossenheit vermitteln. Hauptakteurin und Adressatin war eine Jugend, die lernen sollte, neu zu fühlen. Bekannte Lieder erwiesen sich aber als beständig. Sie behielten ihren Platz in der Klanglandschaft der Nachkriegsjahre. Der Rückgriff auf Vertrautes zeigt sich in seiner Ambivalenz in den Liedern der Arbeiterbewegung Brüder, zur Sonne, zur Freiheit und Wenn wir schreiten Seit an Seit – beide waren mit Textänderung in den Jahren 1933 bis 1945 häufig gesungen worden. Auch zahlreiche neue Liedkompositionen spiegelten eher Kontinuität als einen Bruch. Das wird besonders gut deutlich an den in der letzten Kriegsphase entstandenen Liedern Heut ist ein wunderschöner Tag und Wer nur den lieben langen Tag. Beide standen prototypisch für das Nachkriegssingen und beide hatten ihre Wurzeln in volkstümlichen Liedern beziehungsweise einer Liedsprache aus der Jugendbewegung der 1920er und 1930er Jahre. Auch das Lied der Falken Kommt, reicht Eure Hände verweist formal viel mehr auf Vertrautes als auf Neues. Somit handelt es sich bei den Nachkriegsjahren um eine Übergangsphase, in der Traditionen und vertraute Praktiken an die neuen Ansprüche und Forderungen angepasst wurden und nicht so sehr um den viel beschworenen Neuanfang. Weitere Unterschiede zwischen den neuen Liedern für Kinder und Jugendliche resultierten aus den unterschiedlichen Erziehungsvorstellungen in Ost und West. Der unbedingten Zukunftsorientierung des neuen politischen Regimes in der SBZ stand eine Unentschlossenheit und restaurative Rückwärtsgewandtheit in den Schulliedern der westlichen Besatzungszonen gegenüber. Die Jugend in der SBZ sollte unmittelbar nach dem Krieg für den neuen Zukunftsentwurf mobilisiert werden. Die Phase von Desorientierung und Desillusionierung galt es schnellstmöglich zu beenden, den Kindern und Jugendlichen erst gar keine Gelegenheit zu lassen, sich mit ihrem inneren und äußeren Chaos auseinanderzusetzen. Das gefühlte Vakuum, die Enttäuschung und Apathie der betrogenen HJ-Generation sollte mit neuen Träumen und Sehnsüchten gefüllt werden, die einen ausschließlichen Zukunftsbezug hatten. Diese Zukunftsträume standen für einen neu zu erweckenden Hunger nach Leben, speisten Hoffnungen auf Erfüllung, auf Verbesserung des Gegenwärtigen, auf Fortschritt. Das bedeutete eine emotionale Umerziehung, die unmittelbar im organisierten Singen umgesetzt wurde. Um Gemeinschaftsgefühle ging es in fast jedem der vielen neuen Lieder in allen Teilen Deutschlands, mit einem entscheidenden Unterschied. Die Lieder der »neuen Jugend« in der SBZ nahmen eine bereits fest etablierte Gemeinschaft an. Die Falken hingegen sangen Gruppenlieder, die an einem zu entstehenden Gemeinschaftsgefühl arbeiteten, Zuversicht, Vertrauen und Zugehörigkeit in der Gegenwart verankern wollten. Jeder Einzelne gehörte mit dem eigenen Fühlen und Denken dazu. Gefühle durften im aktiven Umgang miteinander ausprobiert werden. Gemeinschaft galt als Selbstvergewisserung.

Neues fühlen. Nachkriegsjahre (1945-1949)

Auch wenn der Neuanfang eher Wunsch als Wirklichkeit war, verbirgt sich hinter der ständigen Behauptung eine wichtige mentale Struktur in der SBZ: das Versprechen auf Glück und Fröhlichkeit in der Zukunft. Damit verbunden war das großzügige Angebot, die Vergangenheit zu vergessen. Folgt man Aleida Assmann, ist darin der erste »grundlegende Aspekt« eines Zeitregimes zu erkennen, »das Brechen der Zeit«.312 Dieses Brechen der Zeit werde nach Assmann durch eine »Neubestimmung und Aufwertung von Gegenwart und Zukunft auf Kosten einer Entwertung und Abspaltung von Vergangenheit vollzogen«.313 Die Analyse der zentralen Lieder verweist auf genau diese Abspaltung von der Vergangenheit. Die »neue Jugend« sollte als unschuldig, rein und unbelastet gelten. Sie brauchte nichts mit der Vergangenheit zu tun haben und musste sich daher auch nicht mit den Kontinuitäten zwischen HJ und FDJ auseinandersetzen. Selbst die Gegenwart existierte nur in kryptischer Form in den neuen Jugendliedern. Die »Neubestimmung« der Zukunft erfolgte ganz und gar zulasten der Vergangenheit und zum Nachteil der Gegenwart. Möchte man diese Nachkriegsjahre in der SBZ als Startpunkt des modernen Zeitregimes der DDR sehen, dann ist eben dieses Auseinanderdriften von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont typisch.314 Die Gegenwart wurde als Zäsur, als Bruch wahrgenommen und an das »Projektions-, Imaginations- und Planungspotential der Zukunft« gekoppelt.315 Die diagnostizierte Illusion des Neuanfangs hatte daher für die zeitgenössischen Akteure und Akteurinnen das Potenzial einer Euphorie des Neubeginns. Mit dem »Brechen der Zeit« lässt sich erklären, warum Jugendliche wieder zahlreich mit Fackeln, gemeinschaftlichen Liedern und Sprechchören 1947 durch Meißen zogen, ohne dass dieses auf wahrnehmbare Irritationen gestoßen wäre. Denn die Vergangenheit war am Beginn des modernen Zeitregimes DDR nicht mehr Bestandteil des Erfahrungsraumes. »Kollektive Identitäten« wurden in diesen Nachkriegsjahren in der SBZ/DDR nicht durch Vergangenheitsbezüge hergestellt, wie das für Gesellschaften häufig zu beobachten ist, sondern durch Zukunftsversprechen gesetzt. Es handelt sich dabei nicht um »invented traditions«, um das Konzept von Eric Hobsbawm zu bemühen,316 sondern anders formuliert, um invented perspectives, die handlungsrelevant und leitend werden sollten. Wie entwickelte sich diese einmal eingefädelte Allianz von Jugend und Zukunft weiter? Welches Motivierungs- und Handlungspotenzial konnte ein solcher Zukunftsentwurf haben? Dafür werden folgend drei Jugendtreffen 1950 und 1951 vergleichend betrachtet.

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Assmann (2013): Ist die Zeit aus den Fugen?, 132. Ebd. Ebd., 137. Assmann bezeichnet das als »Hiatus«. Sie argumentiert in Anlehnung an Reinhart Koselleck, von dem die Begriffe »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« stammen, siehe Koselleck (1979): Vergangene Zukunft, 349. Assmann (2013): Ist die Zeit aus den Fugen?, 138: »Vielmehr ging es darum, die Gegenwart von jeglichen Ansprüchen, Erfahrungen und Vorbildern der Vergangenheit zu befreien, um sie umso enger mit dem Projektions-, Imaginations- und Planungspotential der Zukunft zu verkoppeln.« Hobsbawm (1983): »Introduction: Inventing Traditions«.

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Zukunft fühlen. Jugendtreffen 1950/1951

Mit der doppelten Staatsgründung 1949 rückte die Idee eines geeinten Deutschlands in weite Ferne. Ein Jahrzehnt begann, das vor allem durch Konfliktlinien des Kalten Krieges charakterisiert war. Dabei prägten sich in beiden deutschen Staaten gesellschaftliche Deutungsmuster aus, in denen die Frontstellung der politischen Blöcke permanent »ausgemalt, inszeniert und materialisiert« wurde, der »imaginary war« nahm seinen Anfang.1 In den Prozessen von »Amerikanisierung und Sowjetisierung als Chiffren für einen Neubeginn unter ideologisch entgegengesetzten Vorzeichen« entfernten sich die beiden deutschen Staaten politisch, ökonomisch und gesellschaftlich voneinander.2 Die gesellschaftlichen dichotomen Sinngebungsmuster sollten die Deutschen in ihren je eigenen politischen Systemen lehren, wie die zukünftige Entwicklung vorzustellen sei, wer Freund und wer Feind war. Das fand auch in Praktiken statt, deren Adressaten die Heranwachsenden waren. 1950 fand das Deutschlandtreffen der Jugend in (Ost) Berlin statt. Zu dieser Zeit hatten Heranwachsende in der DDR bereits vier Jahre durchorganisierte FDJ-Arbeit erlebt. Für die Kinder und Jugendlichen der Bundesrepublik endete zur gleichen Zeit die Phase des Nachkriegsmoratoriums. Nun gab es auch im Westen Deutschlands größere Jugendtreffen religiöser und politischer Organisationen, wie 1951 das europäische Jugendtreffen auf der Lorelei oder der Sozialistische Jugendtag der sozialdemokratischen Falken in Hamburg. Diese drei Großveranstaltungen stehen im Folgenden im Fokus. Sie werden vor dem Hintergrund des »imaginary war« vergleichend hinsichtlich der Praktiken zur Gefühlserziehung betrachtet. Es gilt, die Spur des Zeitregimes weiter zu verfolgen und danach zu fragen, ob und welche Zukunftsvorstellungen den Heranwachsenden in den neugegründeten beiden deutschen Staaten angeboten wurden.

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Eugster/Marti (2015): »Das Imaginäre des Kalten Krieges«, 4. Der Kalte Krieg sei dementsprechend »eine Epoche, die stark vom Imaginären mitgeprägt wurde« (5). Siehe auch Grant/Ziemann (2016): »The Cold War as an imaginary war«, 1. Jarausch/Siegrist (1997): »Amerikanisierung und Sowjetisierung«, 12.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

Das Deutschlandtreffen der Jugend in Berlin Die Freie Deutsche Jugend rief im Mai 1950 nach Berlin. Rund 500.000 Jugendliche überwiegend aus dem östlichen Teil Deutschlands folgten nach offiziellen Angaben diesem Ruf. Vom 27. bis 30. Mai feierte sich die einzige Jugendorganisation der DDR auf dem ›Deutschlandtreffen der Jugend für Frieden und Völkerverständigung‹. Berlin sollte mit »Singen und Lachen erobert« werden, das war erklärtes Ziel dieses ersten großen Jugendtreffens der frisch gegründeten DDR.3 Mit »Lachen«, »frohen Gesichtern«, »winken«, »Blumen«, »Fahnen«, »Jubel«, »Begeisterung«, »Singen« und »Klingen« wurde der BRD demonstriert, wie fest die Allianz von Jugend und Staat war.4 Die »neue Jugend« dominiere nun (Ost)Deutschlands Straßen und trete für Frieden, Einheit, Arbeit und Aufbau ein.5 Generalstabsmäßig organisiert demonstrierten die 14- bis 25-Jährigen in Kulturveranstaltungen, Aufmärschen und Diskussionen ihre Zugehörigkeit zur und Ergebenheit gegenüber der jungen DDR. Im Verlauf des Deutschlandtreffens wurden auf der einen Seite die »gute« Gemeinschaft der »Friedenskämpfer« als Deutschlands Zukunft konstituiert und auf der anderen Seite das Gegenbild der »Kriegstreiber« stark gemacht und kommuniziert.6 Doch ging es nicht nur um die eindeutige Positionierung der Jugend nach Außen, sondern auch darum, die Jugend der DDR zu lehren, sich als die moralisch gute Gemeinschaft der Kämpfer für eine friedvolle Zukunft zu fühlen.7 Zu den vorbereitenden Feierlichkeiten gehörte die symbolische Übergabe der »Pionierrepublik Ernst Thälmann« in der Berliner Wuhlheide. Der Staat schenkte seinen Kindern diesen Ort und verband mit diesem Geschenk die Aufforderung, sich als Zukunftsträger der DDR würdig zu erweisen. In diesem Sinn eröffnete der Präsident Wilhelm Pieck die Veranstaltung mit dem Satz: »Ihr tragt in Euch Deutschlands Zukunft«, um weiter in seiner Rede auszuführen: »Wer die Jugend hat, hat die Zukunft […]. Dieses Losungswort prägte unser unvergeßlicher Karl Liebknecht. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik sieht darin eine große Verpflichtung für uns und für Euch.«8 Der Reporter übersetzte den weihevollen und feierlichen Duktus in einen begeisterten Bericht:

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Anonym: »Berlin mit Singen und Lachen erobert«, in: Das Volk, 28. Mai 1950, o. S. Schlüsselbegriffe aus der Zeitungsberichterstattung. Dazu wurden analysiert: Neues Deutschland, Junge Welt, Das Volk, Berliner Zeitung. Alle Begriffe aus Anonym: »Berlin mit Singen und Lachen erobert«, in: Das Volk, 28. Mai 1950, o. S. In den 1950er Jahren entstanden die zentralen Topoi und Metaphern des Feindbildes der Bundesrepublik in der DDR. Dieses sollte »identitätsstabilisierend oder identitätskonstruierend« wirken, siehe: Gibas (2004): »Bonner Ultras«, 76. Für die offizielle Perspektive auf das Deutschlandtreffen wurden genutzt Akten des Zentralrates der FDJ, Zeitungsberichte, Rundfunkaufnahmen sowie ein Dokumentarfilm. An ihnen lässt sich auf der diskursiven Ebene zeigen, welche Überzeugungen über die Erziehbarkeit von Denken, Fühlen und Handeln vorherrschten und welche Gefühlsdispositionen genau zur Debatte standen, die man der Jugend einprägen wollte. Diese Quellen verweisen ebenso darauf, wie wenig die Organisatoren/-innen dem Zufall überließen, wieviel Aufwand betrieben wurde, um auch das richtige Fühlen zu lehren. Anonym: »Präsident Wilhelm Pieck eröffnete die ›Republik der Pioniere‹«, in: Neues Deutschland, 25. Mai 1950, 1.

Zukunft fühlen. Jugendtreffen 1950/1951

»Von zwei Seiten marschiert es heran, tausendfüßig, singend. Das sind sie, die 20.000 Jungen und Mädels aus allen Teilen Deutschlands, die »Bewohner« der jüngsten Republik, der Pionierrepublik »Ernst Thälmann«. Das ist ein Bild! Sauber, farbig, herrlich. Da lacht das Herz. Blaue Fahnen, blaue Wimpel, weiße Blusen, blaue Röckchen, kurze Hosen, blaue Tücher. Dazu lachende Augen, braune, blonde Wuschelköpfe. Von zwei Seiten strömt es heran. Jetzt schwenken sie die Fahnen, jetzt haben sie ihren Ehrenpräsidenten auf der Tribüne entdeckt. Da gibt es ein Rufen und Winken, da heben sich vierzigtausend, braungebrannte Ärmchen und klatschen; »Hoch, unser Präsident; Hoch, unser Wilhelm Pieck!«9 Stolz, Hingabe und Glück, das sollten die Kinder in dieser Situation fühlen.10 Zugleich hatten diese Bilder die Funktion, der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit das Bild der »sauberen«, gesunden und »lachenden« Kinder zu präsentieren, die ihrem Präsidenten zujubeln. Dafür fehlte es nicht an den entsprechenden Liedern. Den Sound des Deutschlandtreffens lieferten mit Johannes R. Becher und Hanns Eisler namhafte Künstler. Ebenfalls in Vorbereitung auf das Deutschlandtreffen, am 22. Mai, fand die »festliche Uraufführung« der Neuen Deutschen Volkslieder im »Haus der Kulturen der Sowjetunion« statt. Dabei handelte es sich um einen Zyklus von 15 Liedern, die 1949/1950 in Zusammenarbeit der beiden Nationalpreisträger entstanden waren. Das Neue Deutschland berichtete am 24. Mai über das Konzert in einem ausführlichen Artikel. Die Neuen Deutschen Volkslieder wurden als ein Geschenk, eine der »schönsten Gaben« an die Jugend präsentiert. »Mit ihnen [den Liedern] vermochten zwei schöpferische Menschen das Verlangen der fortschrittlichen Jugend unseres Volkes nach einem Liedgut zu erfüllen, das ihrem Empfinden wahrhaft entsprechen dürfte. Ein frischer, optimistischer Zug durchweht diese Lieder, die von der Freude der Arbeit, von der Völkerfreundschaft, der Freiheit und dem Frieden singen und das Gemüt lebhaft ansprechen.«11 Es war gar keine Frage, ob diese Lieder der Jugend gefallen würden, im Gegenteil: Eisler und Becher waren per se befähigt, das Fühlen und Denken der Jugend zu kennen und in Liedern zu verarbeiten. Dieses »Empfinden« war geprägt von Authentizität und Optimismus. Denn die Lieder kamen eben »ohne Sentimentalität« aus, »aufgehellt durch einen federnden Rhythmus und eine glasklare Farbigkeit«, hieß es im Zeitungsbericht. »Dann wieder elektrisieren frische Marschweisen, doch ohne jeden militärischen Beiklang, sondern erfüllt von dem stolzen Bewußtsein eines freien Menschentums.« »Vorwärtsstürmen und Kampfentschlossenheit, bald lyrische Zartheit, […] bald Friedenssehnsucht und Friedenswille«12 : Der zeitgenössischen Bewertung folgend, standen 15

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Ebd. Wörtlich heißt es am Ende der Berichterstattung (ebd.): »Stolz werden sie [die Ehrenfahnen] in Empfang genommen, stolz werden sie vorübergetragen. Und wieder Jubel, Sprechchöre, Beifall. Ihr ›Immer bereit!‹ klingt wie ein festes Gelöbnis. O ja, es ist schon wahr: Wer diese Jugend hat, hat die Zukunft!«. Alle folgenden Zitate aus dem Artikel: SLF: »Neue Volkslieder für die Jugend«, in: Neues Deutschland, 24. Mai 1950, 3. Anonym: »Fünfzehn neue Volkslieder«, in: Das Volk, 30. Mai 1950, o. S.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

neue Volkslieder für das erwünschte emotionale Repertoire. Das war sicherlich ein Hauptgrund dafür, dass die Liedkompositionen so prominent auf dem Deutschlandtreffen inszeniert wurden. Ganz besonders galt das für das Lied von der blauen Fahne, das nach den Berichten der Tagespresse anscheinend spontan »alle Herzen erobert« hatte.13 Dieser »festlichen Uraufführung« folgte fünf Tage später – am 27. Mai, um 19 Uhr im Haus der DEFA in der Kastanienallee – die »offizielle Übergabe« der Lieder an die Jugend. Die Aufnahme des Konzertes, die noch am gleichen Abend im Rundfunk ausgestrahlt wurde, vermittelt die enthusiastische Stimmung im Publikum. Das Lied von der Blauen Fahne war der Hit des Abends. Als es der Chor unter der Leitung von Hans Sandig anstimmte, begannen die Zuschauer/-innen scheinbar spontan mitzusingen. Sie applaudierten, pfiffen und trampelten mit den Füßen. Die Künstler/-innen reagierten und wiederholten das Lied zusammen mit dem Publikum. Dabei sang der Chor die erste Strophe allein, die zweite Strophe sang das Publikum und die dritte alle zusammen. Noch beim Verlassen des Saales sangen einige der Besucher/-innen den Refrain. Ein Reporter interviewte am Ausgang zwei junge Frauen. Auf die Frage, welches Lied ihnen am besten gefallen habe, antwortete eine von ihnen spontan und begeistert: »Das Lied von den blauen Fahnen natürlich.«14 Dieses Lied gilt als eines der prominentesten Lieder der FDJ bis Ende der 1970er Jahre. Mit seinem Text und seiner musikalischen Gestaltung steht es exemplarisch für das neue Jugendlied in der DDR der 1950er Jahre als populäres Massenlied. Die klare, prägnante Struktur der Massenlieder ist charakteristisch. »Die Massenwirksamkeit«, so die zeitgenössische Liedforscherin Inge Lammel, ergibt sich aus der »direkten Einflussnahme auf das Fühlen, Denken, Handeln vieler Menschen«. Damit würden diese Lieder zum »aktiven Beteiligtsein« an den »neuen Aufgaben motivieren«.15 Genau diese Wirkung unterstellten die Berichte und Reportagen über das Deutschlandtreffen immer wieder. In der Tat kann das Lied Enthusiasmus und vorandrängende Aktivität vermitteln. Das ist der Rundfunkaufnahme anzuhören. Die Spontanität und Begeisterung des Publikums ist hörbar und gibt dieser Liedeinspielung einen besonderen Klang, die geläufige Studioaufnahmen vermissen lassen. Denn die musikalische Korrektheit und Professionalität von Platteneinspielungen geht einher mit einer vergleichsweise zurückhaltenden Interpretation. Die Komposition begründet die Höreindrücke von Enthusiasmus und »frische[m] Marsch-Rhythmus«, den Eisler explizit einfordert. Die Verwendung von Triolen und Trillern in der instrumentalen Introduktion geben diese assoziative Struktur vor.16 Der häufige Wechsel zwischen Achtelnoten in Staccato, der vorantreibende Rhythmus durch 13

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Dafür sprach die Tatsache, dass »auf Verlangen der begeisterten Hörer […] die meisten Lieder wiederholt werden mussten. Zuletzt sangen alle das »Lied von der blauen Fahne« stehend mit, während der Komponist dirigierte und auch der Dichter auf dem Podium mit einstimmte«, in: SLF: »Neue Volkslieder für die Jugend«, in: Neues Deutschland, 24. Mai 1950, 3. Vgl. Rundfunkbericht: Anonym: Abend mit Hanns Eisler und Johannes R. Becher im DEFA-Theater Berlin, Übergabe ihrer Lieder an die FDJ, 27 Mai 1950, in: DRA DOK 403. Lammel (1988): »Das Arbeiterlied«, 68. Klaviersatz siehe Eisler/Becher: Neue deutsche Volkslieder, 15f.

Zukunft fühlen. Jugendtreffen 1950/1951

Abbildung 18

Hanns Eisler und Johannes R. Becher: Lied von der blauen Fahne.

punktierte Achtel im Wechsel mit Sechzehntel in der Klavierbegleitung, das Fehlen jeglicher musikalischen Pausen am Ende der Strophen sind die musikalischen Mittel, die das vorantreibende Element symbolisieren, das Fortschreiten der Jugend, das seinen Ausdruck im Text findet. Die Melodie ist gekennzeichnet durch eingängige, sich wiederholende Phrasen. Bemerkenswerte Notensprünge im Melodieverlauf markieren ihrerseits die zentralen Worte und Phrasen wie: »Straßen«, »Eisenbahnen« (die für den Fortschritt stehen), »Jugend«, »blau« oder die »Fahne«. Der Eindruck der »Aktivität des Neubeginns«17 – wie es ein Mitglied der ersten FDJ-Generation im Nachhinein erinnerte – ist in der Text/Melodie-Kombination eingefangen. Die blaue Fahne, mit dem Symbol der aufgehenden Sonne vor dem blauen Hintergrund, symbolisiert die Kraft der neuen Jugend. Verben, wie »entfalten«, »fliegen« oder im Sturm »vorantreiben« und »scheinen«, verweisen auf die positive, zukunftsorientierende Kraft der neuen Jugend. Die Jugendli-

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Gotschlich (1999): »Und der eigenen Kraft vertrauend…«, 11.

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chen selbst erscheinen als frisch, unverdächtig. Ganz im Sinn des »Brechens der Zeit« besingt das Lied den Neustart: »Macht das Friedens, Du wirst siegen/Blaue Fahnen werden fliegen.« Aus dieser Zukunftsbeschreibung, die sich nahtlos in das Gegenwartsbild der nach Berlin marschierenden Jugendlichen einfügte, versteht sich die Handlungsanleitung in der dritten Strophe: »Laßt uns neu die Heimat bauen/Laßt uns fest zusammen stehen.« Diese Zukunftsorientierung lässt sich als Emotionsmanagement charakterisieren. Die versprochene Zukunft hat das Potenzial, nicht nur die Vergangenheit vergessen zu lassen, sondern auch die damit verbundenen Gefühlslagen zu überwinden: explizite Aktivität versus der unausgesprochenen Passivität; Zukunftshoffnung versus einer nicht formulierten Enttäuschung; Bewegung versus einer Angst vor Stagnation; gemeinschaftliche Stärke versus individueller Schwäche. Mit dieser Deutung ist das Lied ein Beispiel für die neue imaginäre Ordnung des Kalten Krieges. Dabei lassen sich die Dichotomien als Ordnungsmuster nicht nur entlang der Grenze der beiden deutschen Staaten erkennen, sondern auch entlang der Gegenwart, die Vergangenheit und Zukunft voneinander spaltet. Das Lied von Becher/Eisler steht in einer Traditionslinie zu den Arbeiterliedern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Zugleich überwindet es das traditionelle Narrativ von der Bezwingung der düsteren Gegenwart mit Blick auf die strahlende Zukunft. Das Gegenbild des »Westens« ging in den Liedern Hand in Hand mit dem der Vergangenheit. In dieser Deutung stand die Bundesrepublik für das Alte, das überwunden werden musste und die DDR für die erstrebenswerte Zukunft. Doch auch eine andere Traditionslinie scheint spätestens in der Zeile auf: »Singt ein neues Fahnenlied.« Die Fahne war in den Liedern der nationalsozialistischen Jugend das Symbol einer voranschreitenden, vorwärtsdrängenden Jugend, wie in dem populären Lied Vorwärts, Vorwärts (1933, Baldur von Schirach/Hans-Otto Borgmann), auch bekannt unter dem Titel Unsere Fahne flattert uns voran aus dem Film »Hitlerjunge Quex«. Ohne Weiteres lassen sich die Kennzeichen des sozialistischen Massenliedes auf die Komposition von Hans-Otto Borgmann übertragen. Auch in diesem Lied steht die Fahne für eine »neue Zeit«, ist sie das Symbol einer »neuen Jugend«. Text und Melodie vermitteln kollektive Kraft und Zuversichtlichkeit. Es geht auch hier um das gemeinschaftliche »in die Zukunft zieh’n«, das Zusammenmarschieren, das Zusammenstehen. Dennoch unterscheidet sich die Eisler’sche Liedkomposition in Anspruch und Raffinesse sehr von den melodisch schlicht gehaltenen älteren Fahnenliedern. Während das »Vorwärts! Vorwärts! Schmettern die hellen Fanfaren« des HJ-Liedes hölzern und mechanisch den Marschrhythmus angibt, kommt die Eisler’sche Komposition durch die rhythmischen Aufbrechungen leichter und beschwingter daher, ohne weniger Entschlossenheit zu vermitteln. Triolen im HJ-Lied lenken die Aufmerksamkeit auf Verben, wie »schmettern«, »flattern«, »ziehen« und »zwingen«. Bei Eisler prägen die Triolen den ausgelassenen Ton des Vorspieles. Auffallend ist der Aufforderungscharakter in dem Lied: »hebt«, »singt«, »macht«, »laßt« stehen zu Beginn der Strophen. Die Hitlerjugend hingegen behauptete in ihrem Fahnenlied, das Ziel zu bezwingen, keine Gefahren zu kennen, in die Zukunft zu zieh’n und zu marschieren. Die Sprache ist »heroisch« und »affektgeladen«, der »Befehls- und Kommandosprache« entnommen, so Schilde.18 Als 18

Schilde (2007): »Unsere Fahne flattert uns voran«, 194.

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»kanonisches Kultlied« erklang es regelmäßig zu offiziellen Anlässen der Hitlerjugend, auf Wanderungen, in Zeltlagern, auf Parteiveranstaltungen.19 Das Singen solcher identitätsstiftenden Lieder war daher den Jugendlichen um 1950 vertraut. Für die FDJ hatte das Eisler/Becherlied wenigstens in den 1950er Jahren eine ähnliche Funktion: Es war das Erkennungslied der neuen Freien Deutschen Jugend. In den Liedern der Arbeiterjugend war das kämpferische Element entscheidend. Das Gleiche gilt noch ausgeprägter für die Lieder der Hitlerjugend. In dem »neuen Fahnenlied« von Eisler/Becher jedoch muss sich die »neue Jugend« nicht mehr durchsetzen, muss keinem realen oder imaginären Feind mehr im Kampf begegnen, sondern an der Seite der »Macht des Friedens« für eben diesen kämpfen. Doch der Frieden hat noch nicht gesiegt. Noch ist er nicht in die Herzen aller eingezogen. In diesem Zukunftsmodus liegt die Verpflichtung, genau dafür einzustehen. Nicht Teil dieser Friedenskämpfer zu sein, war keine Option. Dieser Befund deckt sich mit der Beobachtung der Musikwissenschaftlerin Joy Calico, die die Neuproduktion von Liedgut in der DDR in Anlehnung an Eric Hobsbawm als Form der »invented tradition« definierte.20 So stellten diese Lieder Bezüge zu einer geeigneten und passenden Vergangenheit her (hier zur Arbeiterbewegung) und reagierten gleichzeitig auf die Anforderungen einer sich neu etablierenden Gesellschaft. Es lässt sich nicht übersehen, dass mit dem Liedtypus (Fahnenlied, Kampflied) und der Praktik kollektiven Gesangs als Strategie emotionaler Vergemeinschaftung an Traditionslinien angeknüpft wird, die zwar bis ins 19. Jahrhundert zurückreichten, aber auch eine klare Ausprägung im Nationalsozialismus erhielten. Doch das ließ sich wissentlich in Kauf nehmen, wie die Zeile »singt ein neues Fahnenlied« belegt. Darin zeigt sich wiederum, was der von Aleida Assmann charakterisierte »Hiatus« bewirkte: Der Neuanfang wurde mit dem Gesang dieser Lieder symbolisch gesetzt und zugleich zelebriert. Kontinuitäten zur Vergangenheit brauchten daher nicht gerechtfertigt werden. Es war kein Zufall, dass das Lied von der blauen Fahne an jenem Abend im Mai 1950 in Berlin auf so hörbare positive Resonanz stieß. Der Begeisterung der anwesenden Jugendlichen ging eine sorgfältige Vorbereitung voraus, sie wurde im Vorfeld eingeübt. Das Lied von der blauen Fahne entstand im Auftrag der FDJ. Es findet sich als einziges aus dem Zyklus bereits 1949 im offiziellen Liederbuch der FDJ Leben, Singen, Kämpfen.21 So ist es weniger verwunderlich, dass das jugendliche Publikum dieses Lied an jenem Mai-Abend ohne hörbare Textschwierigkeiten mitsingen konnte. In einem Schreiben vom 12. Februar 1950 bedankte sich Erich Honecker als Vorsitzender des Zentralrates der FDJ bei Hanns Eisler: »Es ist uns ein herzliches Bedürfnis, Ihnen unseren Dank für das Lied zu übermitteln, welches Sie für die Freie Deutsche Jugend zum Deutschlandtreffen komponierten. Sicher wird seine mitreißende Melodie bald überall in Deutschland von Millionen jungen Menschen gesungen werden und damit zur Mobilisierung der Jugend für die gewaltige Friedensdemonstration zu Pfingsten 1950 beitragen.«22 19 20 21 22

Ebd., 195. Calico (2006): »We Are Changing the World«, 145f. Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (1949): Leben, Singen, Kämpfen, 18. Erich Honecker: Schreiben an Hanns Eisler, 12. Februar 1950, in: AdK Hanns-Eisler-Archiv 4798.

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Auf der Titelseite der Jungen Welt vom 17. Februar 1950 war das Lied großformatig abgedruckt, zusammen mit einem Foto von Becher und Eisler. »Mit dem Lied von der blauen Fahne auf den Lippen werden unsere Jungen und Mädchen Pfingsten 1950 nach der Hauptstadt Berlin ziehen«, prophezeite der Redakteur Heinz Stern.23 Die Aufforderung an die FDJ-Jugendgruppen war deutlich: Sie sollten das Lied vorher erlernen, um es dann zusammen auf dem Deutschlandtreffen singen zu können. Ohne großen organisatorischen Aufwand funktionierte es als verbindendes, Identität stiftendes Lied mit dem Insiderwissen und Zugehörigkeit signalisiert werden konnten. So galt es zu Recht als Erkennungslied des Deutschlandtreffens. In den literarischen Erinnerungen von Ralf Detenhoff findet sich dementsprechend folgende Beschreibung seiner Anreise nach Berlin im Frühjahr 1950: »Er [Robert, der literarische alter ego] ist dabei, dabei auf dem Weg in das große Abenteuer, das da heißt: Deutschlandtreffen. Die Jugend des Kreises Westprignitz fährt nach Berlin – teils mit dem Zug, teils mit dem LKW. Auf einem der fünf LKWs sitzt Robert fast ganz hinten an der Ladeklappe, atmet die frühsommerliche Luft, schluckt ab und zu etwas Staub und singt. Alle singen sie – in irgend etwas muß sich die aufgestaute Spannung entladen. Sie singen alles Mögliche, nicht nur das neue Lied von Andre Asriel [sic!]: Auf den Straßen, auf den Bahnen/sieht man Deutschlands Jugend ziehn./Hoch im Blauen schweben Fahnen,/blaue Fahnen nach Berlin. Das Lied stimmt. Es ist ja extra für sie geschrieben. Deshalb wird es auch wiederholt angestimmt. Aber von einem Lied kann man nicht leben, vor allem, wenn man jung ist. Und ohne Gesang kommt man nicht recht vorwärts, besonders auf dem Weg ins Abenteuer, auf dem Weg nach Berlin. Und so wird alles gesungen, was bekannt ist. Wenn ein Lied endet, wird das nächste angestimmt.«24 Es lässt sich leicht vorstellen, wie aus allen Landesteilen die Jugendlichen mit diesem Lied auf den Lippen auf LKWs und in Eisenbahnzügen nach Berlin zogen. Der biografische Bericht unterstreicht, wie alltäglich und wie normal das gemeinschaftliche Singen war. Auch während des Jugendtreffens gehörte das Lied zur akustischen Kulisse. Die Solistenvereinigung des Berliner Rundfunks eröffnete am Nachmittag des 27. Mai sein Konzert auf den Stufen des Alten Museums am Berliner Lustgarten (damit mitten im Zentrum des Jugendtreffens) mit dem Lied von der blauen Fahne. Wie das gemeinschaftliche Singen zur Mobilisierung und Regulierung von Emotionen genau eingesetzt wurde, darauf verweist eine Szene aus einem Dokumentarfilm von Kurt Maetzig. Der bekannte Regisseur drehte als Auftragsarbeit zum Deutschlandtreffen einen Dokumentarfilm mit dem Titel »Immer bereit«.25 Ausschnitte daraus zeigen den Jugendkongress, das Treffen der »Zehntausend jungen Friedenskämpfer«, wie der Kommentator betonte, in der neu erbauten Werner-Seelenbinder-Halle. Auf dieses Treffen am Nachmittag des 27. Mai 1950 machte die Presse schon im Vorfeld aufmerksam. Sie unterstrich die Bedeutung und den emotionalen Stellenwert der Mas-

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Heinz Stern: »Mit der blauen Fahne nach Berlin«, in: Junge Welt, 17. Februar 1950, 2. Detenhoff (2006): Der Besserwisser, 70f. Mätzig (1950): »Immer Bereit«.

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senveranstaltung. So druckte am 18. Mai das Neue Deutschland ein Interview mit dem Schriftsteller Stefan Hermlin ab. Darin betonte er: »Es ist bedeutungsvoll, daß zum erstenmal in Deutschland zehntausend junge Menschen über Maßnahmen zur Sicherung des Weltfriedens beraten werden […]. Die deutsche Jugend muß vor dem Tode gerettet werden, den man ihr im Rahmen des Atlantikpaktes zugedacht hat: 250 000 junge Deutsche seien bisher in die Reihen der Fremdenlegion gepreßt oder gelockt worden. Davon sind 90 000 bereits gefallen.«26 Mit diesen fragwürdigen Informationen wurde den Teilnehmenden vorbereitend verdeutlicht, um was es bei dem Kongress gehen sollte. Zugleich legitimierten diese Informationen die moralische Grenzziehung zwischen den »jungen [!] Friedenskämpfern« und den westlichen »Kriegstreibern«.27 Der Dokumentarfilm zeigt gemeinschaftliches Singen als eine Praktik, mit der Emotionen innerhalb des anwesenden Publikums sichtbar mobilisiert, benannt, kommuniziert und reguliert werden sollten. Die erhoffte emotionale Grundstimmung der Kundgebung ließ sich unter Zuhilfenahme von Schnitttechnik, Kameraführung und Kommentar noch einmal mehr konstruieren. Insofern dokumentiert der Film nicht einfach die Praktiken, sondern er trägt selbst zu deren Inszenierung bei, um das Filmpublikum von ihrer Wirkmächtigkeit zu überzeugen. Bei näherer Betrachtung der Ausschnitte vom Jugendkongress kann das Jugendtreffen als ein Ritual gelten, das sich in einer immer gleichen Abfolge kollektiver Handlungen beschreiben lässt, die typisch für Pionier- oder Jugendtreffen der 1950er und 1960er Jahre waren. Diese Rituale lassen sich nach Randall Collins als »interaction Ritual Chain« deuten. Collins diskutiert in seiner Theorie »Mikrostrukturen«, »face-toface« Begegnung. Diese sieht er als »processes of shared emotions which shape cultures and symbols«. In diesen Prozessen würde emotionale Energie erzeugt werden. Diese emotionale Energie wiederum lädt in den kollektiven Praktiken Symbole auf. Als solche können hier die Lieder gelten. Diese Symbole funktionieren nach Collins über die »Mikrosituationen« hinaus als emotionale Gegenstände und in dieser Eigenschaft als »markers of group identities«.28 Laut Informationen des Kommentators war das Podium im Mai 1950 in der Seelenbinder-Halle mit einem internationalen Präsidium besetzt, mit deutschen und ausländischen »Vertretern der friedliebenden Nationen«. Diese Vertreter/-innen richteten in ihren Landessprachen, die jeweils übersetzt wurden, ihre Grußworte an das anwesende Publikum. Schenkt man der Kameraführung Glauben, befanden sich hauptsächlich Jugendliche in ihren blauen Hemden im Publikum. Die Emporen wurden von Parolen geschmückt, auf denen zu lesen war: »Wir erkämpfen den Frieden«; 26 27

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Anonym: »Deutschlands Jugend will leben, nicht sterben«, in: Neues Deutschland, 18. Mai 1950, 1. Erklärtes Ziel dieses »Kongresses der jungen Friedenskämpfer« war es auch, den »Frieden zu erzwingen«, »ein für allemal ein neues Massensterben der Jugend zu verhindern«. Vgl. Berichterstattung: Anonym: »Kongreß der jungen Friedenskämpfer entschlossen, Frieden zu erzwingen«, in: Neues Deutschland, 28. Mai 1950, 1. Am Ende verabschiedeten die angeblich 10.000 Delegierten das »Manifest an die deutsche Jugend«, Abdruck in: Neues Deutschland, 31. Mai 1950, 5. Collins (2004): Interaction Ritual Chain, 36. »Society becomes patterned by symbol, respect for symbols (only in the extent) that they are charged up with sentiments by participants in rituals.«

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»vorwärts deutsche Jugend, für Frieden […]«. Weiter ist dieses Spruchband nicht zu erkennen. Das spricht für eine eingeschränkte Kameraperspektive. Die Bühne war mit circa 20 mächtigen Flaggen geschmückt, in deren Mitte sich das Emblem einer Erdkugel befand, die von der weißen »milden« Friedenstaube fast vollständig bedeckt war.29 Folgt man dem Dokumentarfilm, heizte der jeweilige Redner das Publikum mit seinem laut und kraftvoll gesprochenen Grußwort an. Es war durch kurze und eindeutige Botschaften gekennzeichnet und richtete sich direkt an die anwesenden Jugendlichen. Das Publikum demonstrierte seine Anteilnahme mit häufigem Klatschen, das den Redner wiederholend unterbrach. Die Jugendlichen sprangen während des Klatschens (scheinbar) spontan auf, formierten sich rasch zu Sprechchören, wie »Komso-mol« beim sowjetischen Redner oder häufiger auch »Deutschland – Deutschland« sowie weitere Parolen, die schwer verständlich sind. Dabei rissen sie die rechte geballte Faust über den Kopf, das Symbol des kämpferischen Kommunismus. Die Kamera fängt die klatschenden, vor Freude lachenden und vom scheinbaren Enthusiasmus mitgerissenen Jugendlichen auf. Dabei handelte es sich nicht nur um FDJler/-innen, sondern auch um die Gäste anderer nationaler Jugendorganisationen, die an ihren Uniformen zu erkennen waren. Inmitten des Aufspringens, Klatschens, Faust-Hochreißens und im Sprechchor-Rufens intonierte entweder eine Blaskapelle eine Melodie oder es gab Vorsänger/-innen, die Lieder anstimmen, in deren Gesang viele Anwesende einfielen. Im Dokumentarfilmausschnitt erklang zuerst der Refrain des Jugendliedes Bau auf, bau auf (1947, Reinhold Limberg) und in einer weiteren Szene der Anfang und Refrain der Hymne der demokratischen Weltjugend. Dieses Singen schien als Ventil zu dienen, denn danach setzte sich das Publikum und hörte dem Redner zu – wenigstens für einige Minuten – bis das Prozedere wieder von vorn begann. Diese Szenen verdeutlichten, dass die emotionale Wirkmächtigkeit von Liedern entscheidend von der Aufführung abhing, dem räumlichen Setting, den anwesenden Menschen und ihrer Position in der rituellen Abfolge von Zuhören, Aufspringen, Gestikulieren, Singen und Hinsetzen. Besonders eindeutig war die emotionale Vergemeinschaftung über körperliche Imitation. Jemand begann aufzuspringen, zu klatschen, mitzusingen oder einen Sprechchor anzustimmen. Viele imitierten dieses Verhalten, bis es für ein paar Momente synchron war. Die gesungenen Lieder nahmen anscheinend alle Beteiligten als emotionale Symbole ihrer Gruppenidentität an. Es lässt sich bei diesem Treffen eine emotionale Choreografie feststellen, die auf die Mobilisierung der Gemeinschaftsgefühle abzielte. Die Jugendlichen konnten sich deshalb scheinbar so spielerisch in dieser Choreografie zurechtfinden, da sie sie kannten (auch aus der Zeit des Nationalsozialismus) oder in zahlreichen ähnlichen Veranstaltungen eingeübt hatten. Diese Veranstaltungen, ob im großen oder kleineren Rahmen, hatten nicht nur die Funktionen, die Gewissheit einer fröhlichen, starken Gemeinschaft herzustellen und dem Einzelnen das Gefühl von Zugehörigkeit zu geben. Zugleich wurde diese Gemeinschaft als moralisch gut und überlegen inszeniert. So setzten sich die Jugendlichen für

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Anonym: »Kongreß der jungen Friedenskämpfer entschlossen, Frieden zu erzwingen«, in: Neues Deutschland, 28. Mai 1950, 1.

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Solidarität mit anderen Ländern ein, für den »Frieden der Welt«. Sie kämpften gemeinsam gegen die »kapitalistischen Kriegstreiber«, wie es in den Reden hieß, gegen die Bedrohung, die angeblich von den »Westmächten« und »Westdeutschland« ausging. Wesentlich expliziter als in den Liedern wurde in den Ritualen der Feind als solcher benannt. Während die anwesenden Jugendlichen den Enthusiasmus, die Freude und den Stolz gemeinsam darüber erfahren sollten, sich diesem Gegner entgegenstellen zu können. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Veranstaltungen zweifellos genutzt wurden, um wünschenswerte Emotionen zu mobilisieren und zu regulieren. Doch ist es möglich, eine emotionale Grundhaltung durch den wiederholten gemeinschaftlichen Gesang von Liedern in verschiedenen Situationen zu erziehen, so dass die Gefühle eben nicht in den kulturellen Symbolen der Lieder verblieben, sondern das innere Erleben der Anwesenden prägten? Eine Antwort darauf ist schwierig, dennoch lassen sich basierend auf Überlegungen der Emotionsgeschichte Plausibilitäten formulieren. Im Singen wird eine Verbindung von Emotionen, Erinnerung und Identität herstellt. Die Vermutung ist, dass sich über diese Rituale das erwünschte Fühlen immer wieder neu einüben ließ und damit auch auf die Haltung, das Denken und Fühlen der Jugendlichen rückwirken konnte.30 Das würde bedeuten, dass das im Singen erworbene und in der Wiederholung antrainierte Emotionswissen ein fester Bestandteil des Körpers werden könnte. Für eine wechselseitige Konstituierung spricht auch folgende Überlegung des Kulturanthropologen und Emotionshistorikers William Reddy. Seiner Ansicht nach erfolgt die Transformation von einer Emotionsaussage zu einer tatsächlich gefühlten Emotion über emotives in performativen Akten, wozu auch das Singen zählen kann. Es lässt sich also annehmen, dass die Jugendlichen 1950 beim Deutschlandtreffen den Enthusiasmus, die gemeinschaftliche Stärke und Freude beim Singen des Liedes Bau auf oder des Weltjugendliedes nicht nur mit dem Gesang behaupteten. Man könnte auch annehmen, dass der gemeinschaftliche Gesang als emotive die eingeforderten Emotionen manifestieren und intensivieren konnte, während andere Emotionen eher versteckt und reguliert wurden. William Reddy kalkulierte in seiner Theorie der emotives das Element des Scheiterns ein. Daher ist es ebenso denkbar, dass die Emotionen in den Liedern nur benannt blieben und keinen weiteren Einfluss auf die Singenden und Zuhörenden hatten. Der »Versuch zu empfinden, was man zu empfinden behauptet«, konnte genauso auch fehlschlagen.31 Vielleicht gab es Jugendliche im Publikum, – vor der Perspektive der Kamera versteckt – die sich durch die eingeforderte Choreografie der Emotionen an ihre Zeit in den Verbänden der Hitlerjugend erinnert fühlten und deshalb den Ritualen verweigerten. Denkbar ist auch, dass diese Jugendlichen erst gar nicht zu dem »Kongress« eingeladen wurden.

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Monique Scheer (2016): »Emotionspraktiken«, 26: »Durch das wiederholte Üben der Praktiken, die wir äußerlich nennen, entsteht erst das Innere und wird aufrechterhalten. Innen und Außen, Subjekt und Körper befinden sich daher in einer Wechselbeziehung, sind unlöslich miteinander verbunden.« Plamper (2010): »Wie schreibt man die Geschichte der Gefühle?«, 42.

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Die Beobachtungen legen eine gewisse Evidenz dafür nahe, dass in der Nachkriegszeit die Erziehung der Jugend und ihre Integration in die jeweiligen gesellschaftlichen Zukunftsentwürfe sehr stark mit ihrer emotionalen Aktivierung und Teilhabe korrespondierten. Der große Mitgliederzuwachs der FDJ nach dem Deutschlandtreffen spricht ebenfalls dafür, dass das Konzept der emotionalen Teilhabe wenigstens in dieser Zeit aufging.32

Das Europäische Jugendtreffen auf der Lorelei In der Bundesrepublik wurde das Deutschlandtreffen als Mobilisierungsveranstaltung mit Skepsis, Ablehnung, Kritik aber auch Verwunderung verfolgt. In der SPD-nahen Zeitschrift für sozialistische Jugend- und Erziehungsarbeit Junge Gemeinschaft behauptete der Leitartikel vom Juli 1950, dass die Jugendlichen »gezwungen und unwillig« marschierten. »[D]er Einzelne war ausgelöscht«, hieß es weiter: »Es ist in der Tat schlimm genug, dass einige wenige Menschen hunderttausende Jugendliche an unsichtbaren Fäden hin- und herziehen. Noch schlimmer aber ist es, dass der grössere Teil der so kommandierten nicht merkt, was man mit ihnen treibt.«33 Ein Jahr später, zwischen dem 5. und dem 19. August 1951 fanden in (Ost) Berlin die III. Weltfestspiele der Jugend des Weltbundes der Demokratischen Jugend statt. Im Vergleich dazu schien das Deutschlandtreffen die Generalprobe gewesen zu sein. Offizielle Verlautbarungen sprachen von mehr als 2 Millionen Teilnehmenden.34 In der westlichen Presse ist im gleichen Duktus wie im Jahr zuvor von »Höllenlärm« statt »singen und klingen« zu lesen, von »ermüdenden Zwangsaufmärschen«, von »Chorgebrüll« statt Jubel und Begeisterung, von »Herdendressur« statt Gemeinschaftsgefühl.35 Viele seien unter Zwang nach Berlin gefahren, mit der ganz eigennützigen Hoffnung, ein paar freie Tage zu haben und die Möglichkeit zu bekommen, nach Westberlin zu gehen, so die Überzeugung des Korrespondenten der Wochenzeitung Die Zeit Paul Hühnerfeld. Dort seien die Jugendlichen an ihrem Auftreten erkennbar gewesen, »ihren Gesichtern, ihren Blicken und oft am Schuhwerk«. In diesen Beschreibungen waren es die Westberliner/-innen, die sich »mit tiefem Mitgefühl für das Leiden und die Opfer in der Ostzone« der Jugend annahmen. Paul Hühnerfeld versuchte eine psychologische Analyse der ostdeutschen Jugend. Er beobachtete, dass die »große Masse der Blauhemden« immer noch unter materiellen Entbehrungen zu leiden hätte. Das sei der Grund dafür, dass sie nur wenig »Bedarf an westlicher Freiheit und wirklicher Demokratie verspüre«. Doch sei diese Jugend weder fanatisch noch würde sie sich nach Freiheit sehnen: »Allen Jungen und Mädchen aus 32

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Schulze/Noack (1995): DDR-Jugend, 181-183. Die FDJ-Mitgliederzahlen stiegen von November 1949 bis November 1951 von rund 1,4 Mio. auf 1,85 Mio. Mitglieder und damit auf einen Organisationsgrad von 44 Prozent, um dann Ende 1953 auf knapp 1,1 Mio. Mitglieder abzusinken. Das entsprach einem Organisationsgrad von 35 Prozent. Anonym: »Kann die Demokratie antworten?«, in: Junge Gemeinschaft, Juli 1950, 1. K. W.: »Der blaue Marsch auf Berlin«, in: Die Zeit, 2. August 1951, 2; siehe dazu weiter Ruhl (2009): Stalin-Kult und Rotes Woodstock, 13f. Begriffe aus M. T.: »Sie rasseln mit der Friedenspalme«, in: Die Zeit, 9. August 1951, 2.

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der Zone ist eine stoische Indifferenz gemeinsam, die ihre Gesichter gleichmacht und die offenbar notwendig ist, will man das Leben in der Zone ertragen.«36 Doch der Autor glaubte, in der ostdeutschen Jugend ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl zu erkennen: »Es gibt in ihren Reihen eine Freundschaft, die wiederum nicht geistige Aufgeschlossenheit, sondern bloßes Dasein für den anderen bedeutet.« Des Weiteren stellte er eine Naivität fest, die er darauf zurückführte, dass diese Jugend keinen Kontakt zur amerikanischen Kultur hätte. Daraus resultiere eine »vereinfachte und vergröberte Existenz«,37 die der Autor als Positivum erkannte. Interessant an diesem Bericht ist die Fokussierung auf Emotionen, die zum einen nicht vorhanden waren (»stoische Indifferenz«), zum anderen jedoch ein besonderes »Zusammengehörigkeitsgefühl« erzeugten. Bemerkenswert ist ebenfalls die positive Wertung der »Naivität«, die der modernitätskritische Autor an der durch die amerikanische (Un)Kultur geprägten westdeutschen Jugend vermisste. Doch es gab auch Analysen westlicher Beobachter, die etwas völlig anderes wahrnahmen. Anfang der 1950er Jahre stellte Wilfried Groß in dem konservativen und kirchennahen Heft Wir Alle beunruhigt fest, dass in der DDR die Jugendlichen offensichtlich besser für den sozialistischen Zukunftsentwurf aktiviert worden waren, als die westdeutsche Jugend für die Idee des demokratischen Europas. In seiner Betrachtung des Deutschlandtreffens der Jugend verwies Groß darauf, dass »besonders die jüngeren Jahrgänge zum Teil wirklich von dem Treffen begeistert waren«, obwohl es sich eigentlich um »das aggressive Pathos einer eroberungshungrigen Diktatur handeln« würde. Der Autor schloss mit der Warnung: »[U]nterschätzen wir nicht [der Jugend] Bedürfnis nach dem Rausch der tönenden Worte, den begeisternden Liedern, der fortreißenden Idee.«38 Der so wahrgenommene emotionale Vorsprung bestand seiner Ansicht nach darin, dass die kommunistische Partei Kopf und Herz der ostdeutschen Jugendlichen nachhaltiger zu erobern verstand, während in Westdeutschland der Prozess der politischen Umerziehung zäh verlief. Daher lautete seine Forderung: »Die westliche Jugend muss eine gleichwertige geistige Kraft, eine dynamische Idee« bekommen.39 Diese zu vermitteln, war Ziel des Europäischen Jugendtreffens auf der Lorelei. Es fand von Juli bis September 1951 statt. Zusammen rund 35.000 Jugendliche aus 14 Ländern waren in 5 Durchgängen eingeladen.40 Organisator war der zwei Jahre zuvor gegründete Deutsche Bundesjugendring. Es war nicht das erste Jugendtreffen in der frühen BRD, aber eines der größten, die »aufwendigste, bundesrepublikanische, Europa gewidmete Jugendveranstaltung der frühen fünfziger Jahre«.41 Die Bundesregierung sowie der amerikanische, britische und französische Hochkommissar finanzierten dieses Treffen, zu dem Vertreter/-innen europäischer Jugendorganisationen eingeladen

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Paul Hühnerfeld: »Wie die blaue Sintflut sich verlief…«, in: Die Zeit, 16. August 1951, 3. Ebd. Groß (1950): »Offen gesagt«, 25. Ebd. Ausführlich Plum (2007): Französische Kulturpolitik in Deutschland, 199-211. Brunn (1997): »Das Europäische Jugendtreffen 1951«, 82. Nach französischen Angaben nahmen zwischen 30.000 bis 35.000 Jugendliche an dem Lager in drei Durchgängen teil. Sie kamen aus circa 20 Ländern, darunter circa 60 Prozent von ihnen aus Deutschland, ca. 20 Prozent aus Frankreich (95).

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waren. Nicht zufällig fand es auf der Lorelei parallel zu den Weltfestspielen der Jugend in Ostberlin statt. Die westdeutschen Organisatoren/-innen wollten einen Kontrapunkt setzen, die gefühlte »kommunistische Gefahr« eindämmen.42 Diese Entwicklung lässt sich im Kontext einer Frontstellung des West- zum Ostblock deuten. Den politischen Beobachtern und Beobachterinnen war klar, dass der kommunistische Zukunftsentwurf eine gewisse Anziehungskraft auf Jugendliche ausübte. Während des Deutschlandtreffens der Jugend im Mai 1950 kam es gar zu einem Tauziehen um westdeutsche FDJ-Jugendgruppen, die politischen Widerständen zum Trotz in die DDR einreisten, um an dem Jugendtreffen teilzunehmen. Die DDR-Führung nutze propagandistisch genau diese Erlebnisse der westdeutschen FDJTeilnehmer/-innen, um die westliche Jugendpolitik zu diskreditieren. Insbesondere kam es bei der Rückreise in die BRD zu einem in der Presse viel beachteten Vorfall am Grenzübergang Lübeck/Herrnburg. Die westdeutschen Behörden verweigerten den Jugendlichen die Rückkehr und stellten die circa 30.000 Teilnehmer/-innen angeblich wegen ansteckender Krankheiten unter »Quarantäne«.43 Ein Jahr später war klar, dass ein eigenes Jugendtreffen das Mittel der Wahl sein könnte, die bundesrepublikanische Jugend davon abzuhalten, nach Ostberlin zu den Weltfestspielen zu reisen. Die pädagogischen und politischen Ziele des Jugendtreffens auf der Lorelei bestanden nach den Überlegungen des hauptverantwortlichen Organisators Jean Moreau darin, die deutschen Jugendorganisationen strukturell zu stärken, aber vor allem, die »Jugendlichen […] als Mitträger und Mitgestalter der Europäischen Einigungsbemühungen [zu gewinnen] und insgesamt sollte die Veranstaltung den Gedanken des Vereinten Europa in den Herzen der jüngeren Menschen entzünden«.44 Mit Blick auf Ost-Berlin war dem französischen Hochkommissar allerdings klar, dass es bei diesem Jugendtreffen nicht nur um die Inhalte gehen durfte, sondern auch um die konkreten Praktiken, nicht nur um den Kopf, sondern darum, die Herzen der Jugendlichen zu gewinnen für ein einheitliches, politisch und wirtschaftlich starkes (West)Europa.45 42

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Zu den Zielen französischer Jugendpolitik siehe Brunn (1997): »Das Europäische Jugendtreffen 1951«, 87; Plum (2002): »Das Europäische Jugendtreffen auf der Loreley« und Plum (2007): Französische Kulturpolitik in Deutschland, 199-212. Bert Brecht und Paul Dessau schrieben und komponierten daraus die Kantate »Herrnburger Bericht«, die ein Jahr später anlässlich der Weltfestspiele der Jugend uraufgeführt wurde. In dieser prangerten die Künstler im Auftrag der DDR-Regierung die westdeutsche Jugendpolitik an. Vgl. Anonym: »Herrnburger Bericht. Ein Chorwerk von Bert Brecht und Paul Dessau«, in: Die Zeit, 19. November 1953, o. S.: »Als verführte junge Menschen aus Westdeutschland von einem bolschewistischen Jugendtreffen in Ostberlin zurückkamen und ihnen an der Zonengrenze das kommunistische Propagandamaterial von der Bundespolizei abgenommen wurde, begann in der Sowjetzone ein wüstes Geschrei gegen die »westdeutschen Barbaren«. Bertolt Brecht witterte ein Geschäft, setzte sich hin und dichtete, genau wie im tausendjährigen Reich der beflissene Anacker stets die politischen Großtaten des eben vergangenen Tages in flammende Verse bannte.« Siehe Statutenentwurf von Jean Moreau, zitiert in: Brunn (1997): »Das Europäische Jugendtreffen 1951«, 89. Dementsprechend verstand sich das Motto der Jugendbegegnung in den Worten des französischen Hochkommissars André François-Poncets: »Les jeunes Allemands […] ont une passion: l’Europe«, zitiert in Plum (2007): Französische Kulturpolitik in Deutschland, 201. Weiter heißt es: »La jeunesse allemande préfère un fanion et une paire de souliers ferrés, à un manuel du parfait démo-

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An dem Treffen auf der Lorelei nahmen Vertreter/-innen verschiedener Jugendorganisationen im Alter von 16 bis 25 Jahren teil, die mit der Jugendarbeit vertraut waren. Auf dem Treffen sollten sie Anregungen und Ideen erhalten, die sie in ihre Organisationen weitertragen könnten. Der Tagesablauf war durchstrukturiert. Die Vormittage verbrachten die Teilnehmenden im Kreise ihrer eigenen Jugendverbände, um dort zu diskutieren und zu planen. Die Nachmittage und Abende sollten zum Austausch und zur Begegnung genutzt werden. Dafür standen neun verschiedene Arbeitsgemeinschaften zur Verfügung, in denen diskutiert wurde, wie in der Arbeitsgemeinschaft »Bürger und Staat« beziehungsweise »europäische Zusammenarbeit«. Daneben gab es künstlerisch orientierte Arbeitsgruppen. Die Abende wurden für gemeinschaftliche Tanzoder Theateraufführungen genutzt, für Chorkonzerte oder Kinovorführungen. Zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft kamen in fünf Durchgängen auf die Lorelei, um dort zu referieren.46 In Zeitungsberichten ist zu lesen, dass die Jugendlichen bei »gemeinsamen Aussprachen, bei Spiel, Sport und Wandern zusammen sind und sich kennenlernen«, im Freien über »weltanschauliche Fragen« oder »über Probleme des jungen Arbeiters im Betrieb« diskutierten sowie internationale Volkslieder und Volkstänze einstudierten.47 Doch die Beobachter/-innen waren kritisch. »Aber so frisch-fröhlich, wie die Jugend es vielleicht früher getan hätte, malt diese Generation nicht an dem Wunschbild ›Europa‹.«48 Stattdessen ließ sich hin wieder »ein gut Stück Skepsis« vernehmen. »Bisher höre man immer nur von Vernunftgründen, hieß es da, die den Bau und Zusammenschluß Europas notwendig machen sollten. Aber die Idee, die uns gegenüberstehe und uns zu überschwemmen suche, könnte man mit Gründen der Vernunft allein nicht überwinden; etwas Größeres, Mitreißenderes müsse man ihr entgegensetzen. Worte allein, das jedenfalls zeigte das Gespräch, zünden nicht bei diesen jungen Menschen – sie wollen Taten sehen.«49 In der zeitgenössischen Berichterstattung wurde häufig im direkten Vergleich zum Jugendtreffen in Berlin der Umgang mit Emotionen kommentiert: »Die Kommunisten sind sich der Dürftigkeit ihrer Chancen im Klaren, die sie im Herzen des in Freiheit lebenden kleinen Mannes haben. Deswegen müssen ihre Manager im Osten die Herzen terrorisieren.«50 Auch wenn dem französischen Hochkommissar durchaus bewusst gewesen ist, dass er den emotionalen Mobilisierungsversuchen der ostdeutschen FDJ etwas entgegensetzen musste, gelang es nicht wirklich. Er selbst beschrieb in einem

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crate.« Plum interpretierte die Initiative des französischen Hochkommissars klar als Antwort auf die »ostdeutsche Welle der Begeisterung« und der Angst davor, dass diese auf die westdeutschen Jugendlichen übergreifen könne. Siehe dazu ausführlicher, Plum (2007): Französische Kulturpolitik in Deutschland, 205. Sie bezeichnete das Kernziel des Treffens mit: »sich des Eigenen bewußt zu bleiben, Neues kennenzulernen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten für sich herauszufinden, um davon ausgehend, ein gemeinsames ›west‹ europäisches Bewußtsein zu entwickeln«, 206. B. B.: »Unter der grünen Fahne. Die Begegnung europäischer Jugend auf der Lorelei«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. August 1951, 2. Ebd. Ebd. H. I.: »Berlin und Lorelei«, in: Rheinischer Merkur, 31. August 1951, 1.

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Telegramm an das französische Außenministerium eine deutliche Skepsis der Jugendlichen gegenüber der politischen Einigung, ganz abgesehen von der Idee einer Verteidigungsgemeinschaft.51 Gerade in Hinblick auf diese ablehnende Haltung bestand auch auf westlicher Seite das Bedürfnis einer emotionalen Vereinnahmung, auch wenn man auf keinen Fall die gleichen Methoden nutzen wollte wie in der DDR. Ein Berichterstatter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung benannte die entscheidenden Unterschiede zwischen den Mobilisierungsstrategien in Ost und West: Das Jugendtreffen auf der Lorelei schien wenig geeignet, »etwas Größeres und Mitreißenderes« zu sein. Die Idee eines geeinigten Europas ließ sich zwar durchdenken und durchdiskutieren, aber die Herzen der Jugendlichen waren auf diese Weise nicht so leicht zu »entzünden«.52 Vergleicht man das Jugendtreffen auf der Lorelei mit dem Deutschlandtreffen der Jugend in Berlin 1950, fallen die Unterschiede in der Strategie der emotionalen Aktivierung auf. Die Jugendtreffen der DDR fanden sicht- und hörbar für die Öffentlichkeit im Herzen der Hauptstadt statt. Die Bevölkerung wurde in die Organisation und Durchführung mit einbezogen. Sie mussten Schlafunterkünfte zur Verfügung stellen, Orte, an denen gegessen werden konnte und nicht zuletzt auch die Lebensmittel. Der großstädtische Raum war für mehrere Tage komplett ausgefüllt von blauen Fahnen, den jugendlichen »Blauhemden« und von Spruchbändern. Der Eindruck der Masse entstand allein durch die schiere Anzahl der anwesenden Jugendlichen. Während es auf der Lorelei in fünf Durchgängen zu je 10 Tagen ein paar Tausend Teilnehmer/-innen gab, war Berlin 1950 von circa 500.000 und 1951 von angeblich zwei Millionen Jugendlichen überflutet. Die Blauhemden definierten nicht nur den städtischen Großraum durch ihre bloße Anwesenheit, sie bespielten ihn mit dem klaren Ziel der massiven Präsenz einer als einheitlich wahrzunehmenden Jugend. Daher gehörten Aufmärsche, Fackelumzüge und Großkundgebungen an zentralen Plätzen zu den markantesten Merkmalen der Jugendtreffen. Hörbar waren die Jugendlichen auch deshalb, weil sie an vielen Straßenecken der Stadt oder auf Kleinbühnen öffentlich tanzten und sangen. Das Jugendtreffen am Rhein hingegen fand abseits vom urbanen Raum, auf dem Hochplateau des Loreleifelsens statt. Die aus 14 Ländern Europas kommenden Jugendlichen waren höchstens für die benachbarte Stadt St. Goarshausen wahrnehmbar, wenn sie an- oder abreisten. Ansonsten waren die Jugendlichen unter sich, ab und zu besucht von Politikern und Politikerinnen, die zu ihnen sprachen. Die Großkundgebungen fanden zwar auch unter »tosendem Applaus« statt, wie es in Zeitungsberichten hieß, jedoch übersichtlich sortiert auf dem »Thingplatz«, den noch die Nationalsozialisten angelegt hatten. Ebenso wenig gab es vereinheitlichende Elemente, wie Kleidung – nur die Vertreter/-innen der Jugendverbände trugen ihre jeweils eigenen Uniformen. Das Marschieren fehlte, genauso wie das Singen von Liedern, die gruppenübergreifend bekannt gewesen waren. Zwar gehörten Tanz und Gesang zum Lagerleben und Arbeitsgemeinschaften, in denen diskutiert wurde, aber die Vertreter/-innen der einzelnen

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Zitiert in Plum (2007): Französische Kulturpolitik in Deutschland, 207. Telegramm André FrançoisPoncet vom 20. August 1951 an das französische Außenministerium. B. B.: »Unter der grünen Fahne. Die Begegnung europäischer Jugend auf der Lorelei«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. August 1951, 2.

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Länder hatten ihre eigenen Lieder, Tänze, Sitten und Gebräuche, die nebeneinander präsentiert wurden. Das Jugendtreffen auf der Lorelei sollte in einem Film dokumentiert werden.53 Aus den Mitteln des 1950 eingerichteten Kinder- und Jugendplans des Bundes wurde der Regisseur Odo Krohmann beauftragt, einen groß angelegten Jugendfilm zu drehen. Der Bundesjugendring, die Bundesregierung und der Regisseur konnten sich jedoch nicht darüber einigen, was der Film zeigen sollte. Das Projekt scheiterte. Diese Misstöne zwischen dem Anspruch des Jugendtreffens als Katalysator für die europäische Idee und die tatsächliche Wirkmächtigkeit auf die anwesenden Jugendlichen spiegelt auch die Berichterstattung wider. »Die Jugend sei viel weniger an Politik interessiert, als man ihr weismachen möchte«, hieß es kritisch in der Wochenzeitung Die Zeit.54 Auffallend war der Wunsch nach tiefen Gefühlen, nach einer »echten Sehnsucht« nach »europäischer Verständigung« und einem »vereinigten Europa«55 . Doch es waren weniger die Jugendlichen, mehr die Initiatoren des Jugendtreffens, die dieser Europaidee nachhingen, so die zeitgenössischen Beobachtungen. »Man hat die bewußt unpolitische Jugend zu einer bewußt unpolitischen Veranstaltung auf das Felsplateau geholt und serviert ihr ›die Stimmen, die vom Vater Rhein aufsteigen‹ […] mit dem politischen Ausrufezeichen des Schumannplanes. Das ist wirklich eine seltsame Mischung von Romantik und Realistik, von Gefühl und Vernunft.«56 Das Jugendlager auf der Lorelei schien trotz der politischen Bemühungen auf höchster Ebene und der Frontstellung zu den Weltfestspielen der Jugend in Berlin kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen worden zu sein. Die meisten Zeitungsartikel erschienen Ende August nur deshalb, weil es zu einem größeren politischen Eklat gekommen war. In der Lagerzeitung Camp veröffentlichten Unbekannte anscheinend »kommunistisches Gedankengut«. Das gab Stoff für Spekulationen, Vermutungen und Verurteilungen. Ohne diesen Vorfall hätte es noch weniger Resonanz auf das Treffen auf der Lorelei in der Presse gegeben. Das internationale Jugendtreffen auf der Lorelei blieb in seiner Art das größte. Danach ebbte das Interesse an solchen Jugendtreffen ab, genauso wie die Finanzierung. Eine Initialzündung ging vom Loreleifelsen nicht aus. Die Idee eines einigen Europas ließ sich nicht maßgeblich in die Vorstellungen, Praktiken der geladenen Vertreter/innen der Jugendverbände einschreiben. Der Zukunftsentwurf Europa fand 1951 wenig jugendliche Mitstreiter/-innen und verlor damit auch seine Anwälte – so das Fazit zahlreicher Zeitgenossen und Zeitgenossinnen.57 Zugegebenermaßen standen hier unterschiedliche Formate der Jugendbegegnung im Vergleich. Ziel beider Treffen war es jedoch, die Jugendlichen für eine ganz bestimm53 54 55 56 57

Anonym: »Lauter kleine Siegfriede«, in: Spiegel, 5. September 1951, 32f. Jacobi: »Jugend will immer noch jung sein«, in: Die Zeit, 23. August 1951, 2. Peters: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«, in: Hannoversche Presse, 25. August 1951, o. S. B. G.: »…was soll es bedeuten«, in: Neuer Vorwärts, 31. August 1951, 5. So auch das ernüchternde Fazit von Plum (2007): Französische Kulturpolitik in Deutschland, 210: »Die mit großem Schwung 1951 gestartete Europäische Jugendkampagne scheiterte, und die westeuropäischen Jugendverbände setzten sich erfolglos für die Bildung eines europäischen Jugendrings ein.«

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te Zukunftsidee zu gewinnen. Der sozialistische Jugendtag von 1951 in Hamburg stellte ein weiteres Format der internationalen Jugendbegegnung dar.

Der Sozialistische Jugendtag in Hamburg Vom 11. bis zum 13. August 1951 traf sich nicht nur die Jugend der kommunistischen Länder in Berlin, trafen sich nicht nur Vertreter/-innen von Jugendverbänden unterschiedlicher politischer Orientierung und Konfession auf dem Loreleifelsen am Rhein, auch nach Hamburg reisten in jenen Augusttagen circa 15.000 Jugendliche der SPDJugendorganisation Falken zum 8. Internationalen Jugendtag.58 Anhand der zeitnah entstandenen und persönlich stark reflektierenden Berichte in einigen Falkengruppenbüchern lässt sich ein konkretes Bild davon entwerfen, wie die deutschen Mitglieder der Falken diesen Jugendtag in Hamburg zum großen Teil erlebt haben und wie die Öffentlichkeit darüber berichtete. Beim Lesen entsteht der Eindruck, dass sich dieser Jugendtag in seinem Anspruch, seiner Gestaltung und Wirkung, kurz in der gesamten Performativität, nicht wesentlich von dem Deutschlandtreffen der Jugend 1950 in Berlin und von den parallel stattfindenden Weltfestspielen der Jugend unterschied. Dennoch betonten die Teilnehmer/-innen, die Organisatoren/-innen und die Beobachter/-innen entscheidende Unterschiede. Zentrale performative Koordinaten des dreitägigen Jugendtages waren Kundgebungen, Sportwettkämpfe, kulturelle Darbietungen, ein Fackelumzug durch die Stadt und das Abschlussfeuerwerk. Die Gruppenbücher und die Zeitungsartikel berichteten im Besonderen von drei Ereignissen: die Eröffnungs- und Abschlusskundgebung sowie die Aufführung des Festspieles »Wille und Weg« mit dem anschließenden Fackelumzug zur Alster in der Hamburger Innenstadt. Wie in Berlin war das Erscheinungsbild der Stadt Hamburg von diesem Jugendtreffen geprägt. Fahnen, Wimpel, Transparente, singende und rufende Jugendliche dominierten die Hamburger Innenstadt in jenen Augusttagen. Die Teilnehmer/-innen kamen in privaten Quartieren unter und waren über die gesamte Stadt verteilt. »Überall in der Stadt sahen wir Falkenwimpel, viele, viele Male klang von irgendwoher ein ›Freundschaft‹ auf.«59 In dem Bericht der Düsseldorfer Falken hieß es: »Die ganze Stadt wimmelte von Falken – in Gruppen, allein, zu zweit – überall blaue Hemden, und überall das kleine rot-weisse Jugendtagsabzeichen. Es war ein herrliches

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Ihre Eindrücke und Erinnerungen hielten einige Falkengruppen in ihren Gruppenbüchern fest, so auch die Gruppen »Freiheit I« und »Flingern« aus Düsseldorf. Der maschinengeschriebene Bericht der Jugendlichen ist gestaltet mit Zeichnungen, Liedtexten, ausgeschnittenen Artikeln aus der Tagespresse (leider ohne genauen Verweis auf die konkrete Zeitung sowie das Datum) und zahlreichen privaten Fotos. Vgl. Wicke, SJD-Die Falken, Bezirk Niederrhein Düsseldorf: Tagebuch, Fotobuch, Gruppenbuch, 1950-1958, in: AAJB 945, o. Bl. Desgleichen finden sich ausführliche Berichte über den Jugendtag in Werner Ortmann: Gruppenbuch Oberkassel 1950-1952, in: AAJB SJD-NR-22/11; Krause-Scheuffler: Gruppe Ost Rote Falken 1947-1955, in: AAJB SJD-BW-StO 1-6. Wicke, SJD-Die Falken, Bezirk Niederrhein Düsseldorf: Tagebuch, Fotobuch, Gruppenbuch, 1950-1958, in: AAJB 945, o. Bl.

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Gefühl. ›Hamburg gehört uns‹ diese Worte klangen in unseren Herzen. Stolz streiften wir durch die Stadt, fröhlich riefen wir unseren Genossen: ›Freundschaft‹ zu.«60 Die Fotos in dem Bericht zeigen Gruppen von circa 10 Jungen (in kurzen Hosen) und Mädchen (in knielangen Röcken). Vornweg liefen vier der Jungen mit ihren Gitarren in der Hand. Ein anderes Foto zeigt die Gruppe mit Fahnen durch die Hamburger Innenstadt laufen.61 Die Berichte in den Gruppenbüchern dokumentieren vor allem die besondere Emotionalität der Augusttage in Hamburg: »Alle waren stolz und glücklich.« »Die Sonne lachte«, die »Gesichter strahlten«, die »Stadt war festlich«, »begeisternd«, »unvergesslich«, »machtvoll« – das waren Attribute, die diese Gefühlshaltung unterstrichen, »uns wollte das Herz fast zerspringen vor Freude«. Darin trafen sich die Erwartungen der Veranstalter/-innen, die gezielt auf diese Emotionalität setzten mit denen der Teilnehmenden, die sich anscheinend bereitwillig dieser starken Stimmung hingaben. Derart froh gestimmt und erwartungsvoll gingen die hier dokumentierten Falkengruppen am ersten Abend zur Aufführung des Festspieles »Wille und Weg« in der ErnstMerck-Halle, an die sich der Fackelzug anschloss. »Auf der Stirnseite der großen Halle leuchtete uns unser Gruß ›Freundschaft‹ entgegen. Auf rotem Tuch steht unsere Losung ›Friede und Freiheit durch Sozialismus‹ in allen Weltsprachen.«62 »Die Bühne war ein Meer von roten Fahnen«63 , so beschrieben die Teilnehmenden die Gestaltung des Festsaals, in dem die Eröffnungs- und Abschlusskundgebung stattfanden, genauso wie die Aufführung des Festspiels »Wille und Weg«, das auf dem Programmzettel beworben wurde als ein »Hörbild vom Wesen und Werden der deutschen Arbeiterbewegung und ihrer Jugend«.64 In dem Hörbild, auch als Sprech- und Bewegungschor bezeichnet,65 sollte mithilfe von Versen und Liedern aus der Arbeiterbewegung nach der Selbstbeschreibung »ein Jahrhundert der Entwicklung der Bewegung« dargestellt werden. Auf dem Programmflyer hieß es: »Als Ausdrucksmittel ist der Sprech- und Bewegungs-Chor gewählt worden, weil er am besten unserm Gemeinschaftswillen und Gemeinschaftserleben entspricht. Wir knüpfen damit wieder an die Form der Feiergestaltung an, die schon früher die jungen Sozialisten zu großen Erlebnissen geführt hat.«66 Es wurde ausdrücklich gebeten, die Aufführung nicht durch Beifall zu unterbrechen. Daran schienen sich die Anwesenden gehalten zu haben.

60 61 62 63 64 65 66

Ebd. Ebd. Werner Ortmann: Gruppenbuch Oberkassel 1950-1952, Eintrag vom August 1951, in: AAJB SJD-NR22/11, Bl. 4092. So die Kommentierung eines Fotos, in: Wicke: Tagebuch, Fotobuch, Gruppenbuch, 1950-1958, Eintrag August 1951, in: AAJB SJD 945, o. Bl. Manuskript Fritz Wartenberg; musikalische Gestaltung Ernst v. Gudenberg, siehe Flyer in: Werner Ortmann: Gruppenbuch Oberkassel 1950-1952, Eintrag August 1952, in: AAJB SJD-NR-22/11, Bl. 4095. Sprech- und Bewegungschöre waren ein traditionelles Format kultureller Repräsentation der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, siehe Alves (2014): Inszenierung der Massen, 14f. Werner Ortmann: Gruppenbuch Oberkassel 1950-1952, Eintrag August 1951, in: AAJB SJD-NR-22/11, Bl. 4095.

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»Als das Chorwerk geendet hatte, war es zuerst ganz still. Aber dann brauste der Beifall los, wie ihn die Halle wohl noch niemals gesehen hatte. 15000 klatschten, trampelten, riefen. Immer wieder brandete der Beifall auf, erst als nach 16 Minuten das Symphonieorchester mit der Internationalen einsetzte, ebbte er langsam ab. Unsere große Erschütterung fand nun ihren Ausdruck in der Internationale.«67 In einem anderen Gruppenbuch beschrieben die Teilnehmenden noch deutlicher die emotionale Wirkung des gemeinschaftlichen Gesanges der Internationalen am Ende der Aufführung: »Als wir dann gemeinsam die Internationale sangen und an der Spitze aller Fahnen sich die IUSY-Fahne erhob, traten so manchem von uns die Tränen in die Augen.«68 Die Zeitungsartikel aus dem Gruppenbuch dokumentieren eine »begeisterte Aufführung«, »tosende[n] Applaus« sowie »tiefe innere Bewegung« der Teilnehmenden. Die Falken benutzten in ihren Berichten Attribute, wie »unvergeßlich«, »herrlich«, »mächtig«, »aufrüttelnd«, »begeisternd«.69 Unter diesem Eindruck verließ das Publikum die Ernst-Merck-Halle zum Fackelmarsch zur Binnenalster. Eineinhalb Stunden dauerte der Zug der Falken bis vor das Rathaus. Die Jugendlichen trugen Pechfackeln und sangen »Kampflieder«. »Sprechchöre steigen zum nächtlichen Himmel«70 und »tosten über den Platz«71 . In den Berichten wird nachhaltig betont, dass die Hamburger Bevölkerung sich diesem Fackelzug anschloss: »Die Menschen sangen mit uns, winkten und jubelten.«72 Auch dieser als sehr bewegend beschriebene Moment wurde mit dem gemeinschaftlichen Gesang des Liedes Brüder, zur Sonne zur Freiheit beendet. Das »alte Lied der Arbeiterbewegung [reißt] die Nacht in Fetzen, und das Echo bricht sich zukunftsträchtig an den Mauern.«73 Erst dann, weit nach Mitternacht, gingen die Falken zurück zu ihren Quartieren »singend marschierend«.74 Die Parallelen zu den Ost-Berliner Veranstaltungen sind augenfällig. Unverzichtbare Utensilien waren Fahnen, Spruchbänder, Uniformen und bei den Falken noch das Abzeichen des Jugendtages als äußerliche Insignien von Zugehörigkeit. Die Gemeinschaft wurde aber auch und vor allem performativ hergestellt. Dies geschah durch das immer wieder herausgehobene gemeinschaftliche Singen von »Kampfliedern« in kleineren Gruppen auf der Straße und am Ende der großen Massenkundgebungen. Die Lieder wurden auf den Gruppenabenden eingeübt und schon im Vorfeld mit Bedeutung und Emotionen aufgeladen. Daher ist auch die Charakterisierung der emotionalen Grundstimmung in den Berichten der Falkengruppen ähnlich: »tosend«, »brausend«,

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Wicke: Tagebuch, Fotobuch, Gruppenbuch, 1950-1958, Eintrag August 1951, in: AAJB 945, o. Bl. Werner Ortmann: Gruppenbuch Oberkassel 1950-1952, AAJB SJD-NR-22/11, Bl. 4098. Alle Zitate aus dem Dossier: Wicke: Tagebuch, Fotobuch, Gruppenbuch, 1950-1958, Eintrag August 1951, in: AAJB 945, o. Bl. Werner Ortmann: Gruppenbuch Oberkassel 1950-1952, Eintrag August 1951, in: AAJB SJD-NR-22/11, Bl. 4099 (Herv. i. Or.). Wicke: Tagebuch, Fotobuch, Gruppenbuch, 1950-1958, Eintrag August 1951, in: AAJB 945, o. Bl. Ebd. Zeitungsartikel Anonym: »›Wir müssen Partei nehmen‹. Fackelzug rund um die Binnenalster«, in: Wicke: Tagebuch, Fotobuch, Gruppenbuch, 1950-1958, Eintrag August 1951, in: AAJB 945, o. Bl. Ebd.

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»stürmisch« verweisen auf eine als sehr stark empfundene Energie, die die Anwesenden miteinander teilten. Diese Energie wurde gebündelt und gesteigert (und auch das ist den Kundgebungen in Berlin ähnlich) in Sprechchören und synchronen Körperbewegungen, wie dem Marschieren, dem gemeinschaftlichen Arme-in-die-Höhe-Recken und eben dem gemeinschaftlichen Singen. Anders als beim Deutschlandtreffen ein Jahr zuvor gab es in Hamburg jedoch nicht ein einziges prominentes Lied, sondern eine bunte Mischung von alten Arbeiterkampfliedern sowie alten und neuen Falkenliedern. Die Jugendlichen im Vorfeld auf ein besonderes Lied festzulegen, war anscheinend nicht nötig und sicherlich nicht so durchgreifend möglich, wie in der DDR. Das Sich-Erkennen in Hamburg funktionierte auch ohne ein bestimmtes Lied. Auf der Lorelei hingegen trafen sich Jugendliche verschiedener nationaler, konfessioneller und politischer Verbände unter dem Dach der Idee des geeinten Europas. Sie diskutierten über Europa, füllten die Idee aber nicht in gemeinschaftlichen Ritualen mit »emotionaler Energie«, um hier im Bilde Collins zu bleiben. Es gab zwar kulturelle Abende, auf denen die Delegationen ihr je eigenes Repertoire an Tänzen, Liedern und Musik vorstellten. Es gab aber nicht die Emotionspraktiken, in denen Symbole für die Idee Europa entstanden und mit Bedeutung oder Gefühlen aufgeladen wurden.75 Die Delegationen der Jugendorganisationen teilten im Vorfeld wenig Gemeinsames und ihnen gelang es offensichtlich nicht, das auf der Lorelei nachhaltig zu ändern. Doch während dafür der einen Seite »die Terrorisierung der Herzen«76 vorgeworfen wurde, reklamierte man die ähnlichen Praktiken in Hamburg für sich als legitimen »Weg der Jugend, ein besseres Leben zu gewinnen«77 . Die Veranstalter/-innen des Sozialistischen Jugendtages betonten nachdrücklich, dass in Hamburg keine Gegenveranstaltung zum Aufmarsch in Berlin stattfand, dass dafür keine Notwendigkeit bestanden habe. Aus der Perspektive des bundesdeutschen sozialistischen Jugendverbandes lag der entscheidende Unterschied der Veranstaltung in einer echten Hingabe, der tatsächlichen »Aufrichtigkeit« der Jugendführer/-innen der Falken, ihrer Freiwilligkeit. Die FDJ-Führung dahingegen würde die DDR-Jugend zum Marschieren zwingen und »bewusst mit falschen Parolen Begeisterungstaumel« erzeugen.78 Die sozialistischen Falken jedoch zeichneten sich durch echte Begeisterung aus. Daher würden sie »ein glühendes Bekenntnis zum freiheitlichen Sozialismus« ablegen und damit die »wahren Erben und Fortentwickler« sein und nicht die von »Usurpatoren der Ostzone zusammengetrommelten und getriebenen Jugendregimenter«.79

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Ebd., 36. H. I.: »Berlin und Lorelei. Die Ost-West-Erfahrungen zweier Jugendlager«, in: Rheinischer Merkur, 31. August 1951, 1. Zeitungsartikel: Anonym: »Hamburg in kurzen Hosen«, zitiert in: Wicke: Tagebuch, Fotobuch, Gruppenbuch, 1950-1958, Eintrag August 1951, in: AAJB 945, o. Bl. Zitate aus: Anonym: »Frieden und Freiheit durch Sozialismus«, in: Junge Gemeinschaft, August 1951, 1. Anonym: »›Takt, Takt, auf Takt habt acht‹. Begeisterte Aufführung eines Chorwerkes aus der deutschen Arbeiterbewegung«, zitiert in: Wicke: Tagebuch, Fotobuch, Gruppenbuch, 1950-1958, Eintrag August 1951, in: AAJB 945, o. Bl.

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Ein weiterer Unterschied ist erst auf den zweiten Blick sichtbar und wird nur am Rande von den zeitgenössischen Kommentatoren erwähnt. Dennoch interessiert er gerade im Kontext dieser Arbeit. Die sozialistische Erziehungsidee der Falken unterschied sich von der kommunistischen in der SBZ und der DDR in ihrem Verhältnis zur Zukunft. In einem Zeitungsbericht über den Jugendtag hieß es dementsprechend: »Der Hamburger Jugendtag erbrachte den Beweis, daß die Jugend nicht fernen Sehnsüchten nachjagt, sondern fest auf dem Boden politischer Realitäten steht.«80 Das stolze, glückliche »Strahlen« der Jugendlichen in Hamburg war in den Augen der Beobachter/-innen ein »machtvolles Bekenntnis« zu der Losung des Jugendtages »Frieden und Freiheit durch Sozialismus«.81 Die Teilnehmenden wurden als »zukunftsfreudig und lebensbejahend« beschrieben.82 Dennoch ist es im Unterschied zur DDR offensichtlich, dass die Heranwachsenden nicht einem bestimmten Zukunftsentwurf verpflichtet waren, dass sie nicht ihr Glück in einer fernen Zukunft sahen, sondern in der Gegenwart. In Hamburg wurde einer unspezifischen Zukunftssehnsucht eine klare Absage erteilt und stattdessen das Bekenntnis zur »Tat im Hier und Jetzt« unterstrichen: »Die Jugend trägt das Licht in die Nacht. Gläubig halten die jungen Menschen Fackeln in den Händen, aber in ihren Augen liegt nicht der schwärmerische Abglanz der Sehnsucht, sondern spricht die Bereitschaft zur Tat, die Bereitschaft, den Auftrag, der der jungen Generation gestellt ist, zu erfüllen.«83 Diese Beobachtung gilt es, zu vertiefen. Sie verweist auf einen tiefer liegenden Unterschied emotionaler Vereinnahmung und Mobilisierung in Ost und West.

Zeitgefühle um 1950 Jugendtreffen waren um 1950 ein verbreitetes Instrument zur Mobilisierung der Jugend für die je eigenen Ideen und zur sichtbaren Abgrenzung gegenüber dem Anderen. Die bundesrepublikanische Beobachtung der Jugendpolitik in der DDR zeigt, wie gerade die Debatte um die Einflussnahme auf das Fühlen als Abgrenzungsnarrativ funktionierte. Die offensiven Praktiken der Gefühlserziehung identifizierte man als die erneute ideologische Vereinnahmung der Heranwachsenden. Doch die Bewertungen waren ambivalent. So ganz ließen sich die 500.000 Blauhemden in Berlin als willenlose Marionetten nicht verstehen. Einige Beobachter/-innen in der Bundesrepublik konnten nicht verhehlen, dass sie trotz der Ablehnung dieser Praktiken neidvoll auf die Demonstration der Einigkeit von Jugend und Staat blickten. Deutlich wird diese Ambivalenz in der Debatte um das internationale Jugendtreffen auf der Lorelei. Es ging den französischen und deutschen Initiatoren weniger um ein deutliches Zeichen Richtung Berlin, als um 80 81 82 83

Anonym: »Sozialistische Jugend appelliert«, zitiert in: Werner Ortmann: Gruppenbuch Oberkassel 1950-1952, in: AAJB SJD-NR-22/11, Bl. 4093. Unbenannter Zeitungsbericht, in: Wicke:Fotobuch, Gruppenbuch, 1950-1958, in: AAJB 945, o. Bl. Ebd. Anonym: »›Wir müssen Partei nehmen‹. Fackelzug rund um die Binnenalster«, in: Wicke: Tagebuch, Fotobuch, Gruppenbuch, 1950-1958, Eintrag August 1951, in: AAJB 945, o. Bl.

Zukunft fühlen. Jugendtreffen 1950/1951

eine erste Begegnung der Jugendlichen, die noch wenige Jahre zuvor sich als Feinde gegenüberstanden. Auch wenn für die Öffentlichkeit eher unspektakulär, war die Grundidee umso ambitionierter. Jugendliche aus zahlreichen europäischen Ländern sollten mit der Zukunftsperspektive eines geeinten und friedlichen Europas vertraut gemacht werden. Das geschah mehr über Gespräche als über dezidiert emotionalisierende Praktiken. Daher weiß man heute wenig über den Klang dieses Sommers auf der Lorelei. Diese Jugendbegegnung war eher ein leises Treffen. Aber die Jugend Europas fand keine gemeinschaftliche Stimme. So kurz nach dem Krieg, kaum politisch und gesellschaftlich mobilisiert, zündete die Zukunftsidee Europa nicht. Auch wenn sie die Emotionalisierungspraktiken des Ostens ablehnten, eine Ernüchterung über den Verlauf des Jugendtreffens auf dem Loreleifelsen konnten sie nicht verbergen. Anders verhielt es sich mit den politischen Jugendtreffen in Berlin 1950 und Hamburg 1951. Diese wollten und mussten laut sein. Sie hatten zum Ziel, dem imaginären Gegenüber zu signalisieren, wer auf der richtigen, auf der moralisch überlegeneren Seite stand. Beide Jugendtreffen bedienten sich strukturell ähnlicher Elemente der Repräsentation von Gemeinschaft und der Arbeit an Gemeinschaftsgefühlen. Sich dieser Parallelen bewusst, reklamierte der Sozialistische Jugendtag für sich das aufrichtigere, das echtere und ehrlichere Fühlen. Diese Komparative zeigen auf, dass die Jugendtreffen kurz nach der Gründung der beiden deutschen Staaten nicht ohne ihr imaginäres Gegenüber denkbar waren. Auch in Berlin, der Hauptstadt der DDR, ging es darum, Zugehörigkeit über Abgrenzung fühlbar zu machen, Identitätsangebote durch die Behauptung der je eigenen moralischen Überlegenheit zu unterbreiten. Auf beiden Jugendtreffen wurde oft und demonstrativ gesungen, dennoch lässt sich ein Unterschied feststellen. Auf dem Sozialistischen Jugendtag klangen noch prominent die alten Arbeiterkampflieder neben den neuen Falkenliedern, keines aber war besonders präsent. In Berlin konnte durch eine ganz gezielte Vorbereitung und Planung das Lied von der blauen Fahne als das hörbare Symbol des Jugendtreffens durchgesetzt werden. Die weiteren Kapitel werden zeigen, dass noch zwei Jahrzehnte später dieses Eislerlied besonders präsent in den Erinnerungen derjenigen war, die 1950 als Jugendliche in Berlin mit marschierten. Mit dieser aufwendigen Liedpolitik zeigte sich ein entscheidender Unterschied zwischen Ost und West. Zugleich ist damit ein Charakteristikum für das zukünftige organisierte Singen in der DDR benannt. Das Navigieren zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stellte sich ebenfalls als ein Unterscheidungskriterium heraus. Zukunftsvorstellungen, die nach Lucian Hölscher elementarer Bestandteil »mentaler Innenausstattung vergangener Gesellschaften« sind,84 werden im »imaginary war« zu Narrativen der Selbstvergewisserung und Abgrenzung. Die DDR-Jugend besang nach den Vorstellungen der Jugendfunktionäre/-innen eine Zukunft, die in der Gegenwart ihren glücklichen Anfang genommen hatte. Die sozialistischen Falken arbeiteten sich mehr an der Gegenwart ab, die eine Überwindung der Vergangenheit bedeutet. Aus dem Gelingen konnten sich Stolz und Zuversicht generieren. Die FDJler/-innen in Berlin hingegen mussten eine Hypothek

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Hölscher (2011): »Zukunft und historische Zukunftsforschung«, 405f.

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auf die zukünftige Entwicklung nehmen, um zuversichtlich zu sein. Der sozialistische Zukunftsentwurf in Berlin arbeitete mit Vorstellungsbildern, mit Projektionen, mit Sehnsüchten und Versprechungen. Die Falken wiederum grenzten sich dezidiert von dem »schwärmerischen Abglanz der Sehnsucht« ab und orientierten auf ihre Leistungen in der Gegenwart. Sind das Zukunftsverlangen und die Abgrenzung davon Zeitgefühle um 1950? Ein wichtiger Begriff in diesem Kontext ist die Sehnsucht, ein Begriff, der bisher in der historischen Zukunftsforschung wenig Beachtung fand. Sucht man nach einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Sehnsucht wird man vor allem in philosophischen Abhandlungen und entwicklungspsychologischen Schriften fündig.85 Ein Blick in das Grimm’sche Wörterbuch offenbart unmittelbar, als was für ein starkes Gefühl Sehnsucht verstanden werden kann. So sei es ein »schmachtendes Verlangen«, ein »glühendes Gefühl«, das in Begleitung von unbestimmter gar unerreichbarer Hoffnung auftritt.86 Objekt von Sehnsucht kann ein idealisierter und damit utopischer, weil prinzipiell nicht vollständig erreichbarer, jedoch anzustrebender Lebensentwurf sein. Deutlich wird hier, dass Sehnsucht ein Zeitgefühl ist, das im Umfeld von Verlangen, Wünschen und Hoffnungen steht und sich auf entfernte (d.h. zukünftige und vergangene) Zeiten bezieht. Im Grimm’schen Wörterbuch erscheint Sehnsucht als ein übermächtiges, verzehrendes Gefühl. Heute ist es zwar auch ambivalent, jedoch deutlich positiver besetzt. Für die Lebensspanne-Psychologie ist Sehnsucht ein Motor für lebenslange Entwicklungen. Sehnsüchte wirkten regulierend und richtungsweisend, handlungsrelevant und vorantreibend.87 Das Sehnen nach Vergangenem, nicht Wiederkehrendem oder die Sehnsucht als hoffnungsvolles Zukunftsverlangen kann sich verkehren in Enttäuschung, Frustration, Unzufriedenheit, Melancholie und in ein unbestimmtes Verlustgefühl. In der Balance von Hoffnung und Enttäuschung, Verlangen und Verzweiflung reguliert das Sehnsuchtsgefühl ambivalente Erfahrung im Spannungsfeld des idealisierten Zukunftsentwurfes und der Einsicht in die prinzipielle Unvollkommenheit in den Mangelzustand des gegenwärtigen Erlebens. Sehnsucht steht damit in enger Verbindung zu Erwartung. Vielleicht resultierte aus dem »Brechen der Zeit« in der SBZ und der DDR, aus der Illusion des Neuanfangs ein Unvermögen, Zugehörigkeit und Glück unmittelbar bereitzustellen, wie es anscheinend bei den Falken gelang. Findet sich deshalb so selten das Versprechen auf Zukunft bei den Falken, weil es keinen idealistischen Zukunftsentwurf

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Zur Entwicklungspsychologie siehe: Baltes (2008): »Positionspapier: Entwurf einer Lebensspannen-Psychologie der Sehnsucht«; Scheibe (2005): Longing (»Sehnsucht«); KotterGrühn/Wiest/Zurek/Scheibe (2009): »What is it we are longing for«; zur Philosophie siehe z.B. Häfner (1993): Sehnsucht-Affekt und Antrieb. Grimm/Grimm (1905): »Sehnsucht«, 157. Dementsprechend sei Sehnsucht »ein hoher grad eines heftigen und oft schmerzlichen verlangens nach etwas, besonders, wenn man keine hoffnung hat das verlangte zu erlangen, oder wenn die erlangung ungewisz, noch entfernt ist.« Nach Baltes (2008): »Positionspapier: Entwurf einer Lebensspannen-Psychologie der Sehnsucht«, 79-81 ist Sehnsucht von sechs Merkmalen gekennzeichnet: persönliche Utopie, Unvollständigkeit (die Einsicht in die prinzipielle Unerreichbarkeit), Ambivalenz, Dreizeitigkeit (Ausrichtung auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), Symbolhaftigkeit und Reflexion.

Zukunft fühlen. Jugendtreffen 1950/1951

gab, sondern Geborgenheit und Zugehörigkeit in der Gegenwart wichtiger waren? Das hieße für die DDR im Umkehrschluss, dass Glück, Zugehörigkeit und Geborgenheit nicht bereitgestellt werden konnten. Denn sie waren Teil des Zukunftsversprechens. Damit waren sie eben nicht selbstverständlich, sondern immer mit der Aufforderung verbunden, selber dafür einzustehen. Das »Imaginations- und Projektionspotenzial« einer friedlichen Zukunft musste verlockend sein angesichts der frischen Spuren der Zerstörung und des Verlustes sowie des »Kalten Krieges«, der neue Ängste und Unsicherheiten generierte. Zugehörigkeit, Geborgenheit, damit Selbstgewissheit und Identität waren in der DDR nicht einfach zu haben. An das Zukunftsverlangen war die Erwartung gekoppelt, eben dieses irgendwann erreicht zu haben. Damit gab die DDR ihrer Jugend eine ausgeprägte Erwartungshaltung mit auf den Weg, eine immer währende Sehnsucht. Wie prägte diese Zukunftspolitik die Heranwachsenden, was hofften, wünschten und erträumten sie sich? Erwartungen »sind Überzeugungen, die zukünftige Entwicklungen betreffen«.88 Sie funktionieren als Wahrnehmungsfilter.89 Damit ist in die Erwartung potenziell die Enttäuschung eingewoben. Denn was geschieht mit den Hoffnungen und Träumen, wenn sich herausstellte, dass sie sich nicht verwirklichen ließen? Es können anhand der Mobilisierungsstrategien der Jugend um 1950 Konzepte benannt werden, die sich wie rote Fäden durch die folgenden Jahrzehnte ziehen. Dabei handelt es sich zum einen um Erwartungen, die in jener Zeit gezielt in der ostdeutschen Jugend geweckt werden sollten. Diesen Erwartungen eingewoben waren ganz spezifische Antizipationen zukünftiger Entwicklungen. Diese äußerten sich auf der Seite der Erziehenden in Hoffnungen auf die Leistungsfähigkeit und Bereitschaft der Jugend. Auf der Seite der Heranwachsenden waren das jedoch Hoffnungen auf eine vielversprechende Zukunft. Das Konzept des »Zeitregime der Moderne« muss in Hinblick auf die DDR ergänzt werden. Denn mit dem radikalen Bruch zur Vergangenheit musste sich das moderne Zeitregime mit Zukunftserwartungen legitimieren und auf Versprechungen und Sehnsüchte setzten. Damit schmolz nicht nur der Raum vieler potenzieller Zukünfte zusammen. Es wuchs auch die Gefahr des Scheiterns. Die Erwartung einer konkreten Zukunft ist der DDR als einem Zeitregime der Moderne von Beginn an eingeschrieben genauso, wie die potenzielle Enttäuschung, wenn genau diese Zukunft nicht erreicht wird.

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Olson/Roese/Zanna (2000): »Erwartungen«, 32. Diese Erwartungen präkonfigurieren die Wahrnehmungen, ebd., 40.

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1951, zu den Weltfestspielen der Jugend in Berlin komponierte der damalige Musikreferent beim Berliner Rundfunk und Leiter der Redaktion »Unser Lied« Joachim Werzlau (1913-2001) das Jugendlied der 1950er Jahre: Vorwärts (1951, Gerhard Wolfram/Joachim Werzlau).1 »Weil wir jung sind, ist die Welt so schön/weil wir voll Vertrauen vorwärts gehen«, heißt es in der ersten Strophe. »Vorwärts, immer nur vorwärts, bleib nicht zurück«, wiederholt der Refrain das Credo des Liedes und gibt damit das Motto der 1950er Jahre vor. Werzlau setzte genau für diese Ausrufe »immer nur vorwärts« und »bleib nicht zurück« rhythmisch auf Triolen und melodisch auf Sekund-Schritte. Damit unterlegte er doppelt die Dringlichkeit dieses Aufrufes. Auf die eigene Kraft bauend und vertrauend (»alles, was wir schon geschafft, verdanken wir der eigenen Kraft«) lohnte kein Blick zurück, gab es kein Zurückbleiben: »laß die alte Zeit […] nur, wer zögert, der verliert«. Das Neue hatte bereits begonnen und zugleich war das »Ziel aufgestellt, eine neue junge Welt wird durch unsere Arbeit auferstehen«. Die Überzeugung, Selbstsicherheit und Tatkraft, die sich in dem Schlüsselbegriff »vorwärts« kristallisierten, waren dem Zukunfts- und Erziehungskonzept der 1950er Jahre unterlegt. Wer »mutig« Schritt hielt und nicht zögerte, war Teil dessen, was »neu beginnt« und in der sozialistischen Gemeinschaft gut aufgehoben. Die Zaghaften, Zweifelnden, Zögernden, Misstrauischen aber sollten zurückbleiben, sie fielen aus dieser Gemeinschafts- und Zukunftsidee alternativlos heraus. Die Illusion der ständigen Vorwärtsbewegung wurde nachdrücklich in den Liedern der 1950er Jahre besungen. Mit der wirkmächtigen Vorstellung einer fortwährenden Weiterentwicklung ist Fortschritt ein »moderner Bewegungsbegriff«.2 Nach Überlegungen Martin Sabrows war das »Fortschrittsparadigma« in der DDR eine der wichtigsten »sozialistischen Integrationsideologien« und daher erklärte er es zur »diskursive[n] Leitkategorie«.3 Spezifisch war, dass der Fortschrittsoptimismus eng an die Idee des planbaren Fortschritts geknüpft wurde. Plan war daher eine zweite Leitkategorie

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Zu Joachim Werzlau siehe Musial (2009): »Joachim Werzlau«. Werzlau komponierte in den 1950er Jahren zahlreiche bekannte Lieder für die Pionierorganisation und die Freie Deutsche Jugend. Koselleck (1975): »Fortschritt«, 352. Sabrow (2004): »Zukunftspathos als Legitimationsressource«, 166.

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Joachim Werzlau und Gerhard Wolfram: Vorwärts.

der 1950er Jahre, er kann heuristisch als ein moderner Ordnungsbegriff, als ein »öffentlicher, erfahrungsgestützter Vorgriff auf die Zukunft« verstanden werden.4 Denn der Plan möchte das »Unüberschaubare überschaubar […] machen, das Ungeordnete […] ordnen und das Unnötige […] beseitigen, um größtmöglichen Nutzen zu erzielen«.5 In Fortschrittsoptimismus und Plan materialisierte sich die dominante Zukunftsorientierung. Diese beiden Kategorien strukturieren daher dieses Kapitel. Welche Zeitgefühle

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van Laak (2008): »Planung«, 306. Doering-Manteuffel (2008): »Ordnung jenseits der politischen Systeme«, 398.

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generierten sich aus dieser mentalen Signatur der 1950er Jahre und in welche konkreten Erziehungspraktiken setzten sie sich um? Die 1950er Jahre waren das Jahrzehnt, in dem sich das System der sozialistischen Schule vollständig entwickelte, die Erziehungsinstitutionen Schule und Pionierorganisation systematisch verflochten wurden sowie Lehrpläne, Lehrbücher und Erziehungskonzepte immer wieder zur Diskussion standen. Es war auch das Jahrzehnt, in dem die meisten Kinder- und Pionierlieder entstanden. Denn in den 1950er Jahren wuchsen die Kinder heran, die in der Nachkriegszeit geboren wurden und damit von Krieg und Hitlerjugend persönlich unberührt waren. In ihnen erkannte die politische Führung die ersten Jahrgänge, die vollständig in das neue sozialistische Gesellschaftssystem hineinwachsen würden, sie galten als »sauber[es] und bestes Menschenmaterial«6 . Auf sie verdichteten sich die pädagogischen Hoffnungen und Ambitionen. Aus diesem Grund konzentriert sich dieses Kapitel auf die sechs- bis vierzehnjährigen Kinder und Pioniere. Es orientiert sich implizit am Bildungsweg der 1946 geborenen Kinder. Daher beginnt dieses Kapitel mit der Einschulung dieses Geburtsjahrgangs am 1. September 1952 und endet mit der Jugendweihe der dann 14-Jährigen 1960. In ihrer Schulzeit erlebten die Kinder dieses Geburtsjahrganges alle schulpolitischen Richtungsentscheidungen der 1950er Jahre mit. Während sie die Schule besuchten und sich in der Pionierorganisation integrierten, erfolgte der Umbau zur sozialistischen Schule, der am Ende des Jahrzehnts abgeschlossen war. Das Nachdenken über und Ausprobieren von pädagogischen Grundsätzen und Methoden beherrschte die Schulpolitik. Das wichtigste Gefühlskonzept der 1950er Jahre war unüberhörbar das des Patriotismus. Es war der zentrale Referenzrahmen in der Diskussion um die Erziehung kindlichen Fühlens und Denkens, denn nach dem Diktum Lenins war der »Patriotismus […] eins der tiefsten Gefühle«7 . Die Bildungspolitiker/-innen und Pädagogen/-innen kümmerten sich im ersten Jahrzehnt der DDR intensiv darum, diese Gefühlsdisposition in den Herzen und Köpfen der Jüngsten zu verankern. Patriotismus in der DDR der 1950er Jahre war aber nicht ein Gefühl, das »der Nation gilt«8 . Denn die Nation stand zu dieser Zeit im geteilten Deutschland nicht zur Verfügung. Der Patriotismus in der DDR brauchte andere Objekte. Dazu zählten die Partei, die den Staat darstellte und die Arbeiterklasse, die verehrt werden sollte.9 Doch Staat, Partei und Arbeiterklasse waren für die Heranwachsenden zu abstrakt, als dass sie sich mit »tiefen Gefühlen« erfahren ließen. Das Kapitel wird zeigen, dass die »patriotische Erziehung« in drei konkrete Vorstellungen von Liebe mündete, die die Jungen und Mädchen einüben sollten: die Liebe zur »Heimat« als schönen, anmutigen und schützenswerten Raum, die personalisierte Liebe zum historischen Helden Ernst Thälmann und die Vaterliebe zu dem ersten und einzigen Präsidenten Wilhelm Pieck. »Heimat« war in den 1950er Jahren sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik ein mit vielfachen Bedeutungen aufgeladener Topos, ein omnipräsenter Wunsch

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Zentralrat der FDJ: Protokoll der 4. Tagung, 1./2. Dezember 1949, in: BArch SAPMO DY 24 2129, Bl. 77. Zitiert in dem entsprechenden Lemma, Klaus/Buhr (1965): »Patriotismus«, 411. So definierte Martha Nussbaum Patriotismus, vgl.: Nussbaum (2016): Politische Emotionen, 316. Henning (2011): Die erlesene Nation, 225f. sprach von einer »Familialisierung der Arbeiterklasse«.

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und Traum.10 Heimat ist als ein spezifisch deutscher Begriff mit besonderer Bedeutung unterlegt.11 Er bezeichnet das Näheverhältnis von Mensch und Raum.12 Es verweist auf einen realen oder vorgestellten Ort, eine Gegend oder Landschaft, in die der Mensch hineingeboren wurde und in der er seine prägenden Sozialisationserfahrungen machte. Heimat in seinen emotionalen, kognitiven, politischen, sozialen und regionalen Implikationen ist sowohl ein Ort als auch ein Verbundenheitsgefühl zu einer Traditions- und Wertegemeinschaft.13 In der Bundesrepublik war Heimat ein Sehnsuchtsobjekt, »zwischen Erinnerung und Zukunftstraum, zwischen friedlichem Idyll und wütendem Verlangen«.14 Der Schlager Heimweh von Freddy Quinn war Mitte der 1950er Jahre in Aller Ohren. Er stand für eine rückwärtsgewandte Sehnsucht nach dem verlorenen, verlassenen oder entfernten Sehnsuchtsort Heimat.15 Diese »rückwärts gewandte Sehnsucht« nach Heimat kann als ein dominantes Zeitgefühl der frühen Bundesrepublik gelten.16 In der DDR wandelte sich Heimat zu einem Zukunftsbegriff. Die »sozialistische Heimat« war das Versprechen auf ein »einig Vaterland« (Nationalhymne der DDR) als sozialistischer Staat. Heimat versprach Glück, Gedeihen und Werden, Geborgenheit und Zugehörigkeit in Zukunft. Daran knüpfte sich die Verpflichtung, für diese sozialistische Heimat in der Gegenwart einzustehen, zu kämpfen. Wie Fortschrittsoptimismus und die Vorstellung einer planbaren Zukunft mit dem Patriotismus verbunden waren, wie sich das im Lied und Singen widerspiegelte und was das für die Gefühlserziehung der Kinder bedeutete, sind die Leitfragen in diesem Kapitel.

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Applegate (1990): A Nation of Provincials; Blickle (2002): Heimat; Gebhard (2007): »Heimatdenken«. Es wird im Folgenden darauf verzichtet, Heimat immer in Anführungszeichen zu setzen. Dennoch geht es immer um das zeitgenössische Konzept von Heimat und damit handelt es sich um einen Quellenbegriff. Siehe prominent: Applegate (1990): A Nation of Provincials. Gebhard (2007): »Heimatdenken: Konjunkturen und Konturen«, 10. Die deutsche Kultur- und Literaturwissenschaft kreist beständig und immer wieder neu um das Heimat-Konzept siehe Gebhard (2007): Heimat: Konturen und Konjunkturen eines umstrittenen Konzepts, Scharnowski (2019): Heimat. Radkau (2017): Geschichte der Zukunft, 176. Bunke (2009): Heimweh; Matt (2011): Homesickness; Brauer (2014): »Heidi’s Homesickness«, zur Nostalgiewelle vgl.: Becker (2017): »Rückkehr der Geschichte«. Schildt/Siegfried (2009): Deutsche Kulturgeschichte, 97f., 108. Palmowski (2004): »Building an East German Nation«, 398 sprach von einem »historisierenden neoromantischen Zugriff auf Heimat«.

Patriotisch fühlen. 1952-1961

Das geplante Kinderleben Erster Schultag 1952. »Friedenstag« und Einschulung17 Das neue Schuljahr begann am 1. September 1952. Die Schüler/-innen stellten sich in allen Schulen der DDR auf den Schulhöfen zum Fahnenappell auf.18 Wie zu Beginn eines jeden Schuljahres mussten sie am »Friedenstag«, wie der 1. September in der DDR offiziell genannt wurde, an den Ausbruch des 2. Weltkrieges erinnern.19 Die FDJler/innen kamen deshalb mit ihren blauen Blusen. An jenem 1. September 1952 waren das in Berlin rund 17 Prozent der über 14-Jährigen und damit nur ein kleiner Teil der Jugendlichen.20 Bei den jüngeren Schülern und Schülerinnen waren es schon mehr, die in ihren weißen Pionierblusen und blauen Halstüchern auf dem Schulhof zum Fahnenappell antraten.21 Ungefähr jeder vierte der Sieben- bis Vierzehnjährigen war in jenem Jahr in Berlin Mitglied der Pionierorganisation. DDR-weit waren es an die 60 Prozent.22 Einige der Jungen und Mädchen kamen direkt aus Dresden. Sie waren dabei, als auf dem I. Pioniertreffen feierlich der neue Name verliehen worden war: »Pionierorganisation Ernst Thälmann«.

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Im folgenden Abschnitt werden vorhandene Informationen zur Einschulung in Berlin für die Jahre um 1952 zusammengeführt und in den idealtypischen Ablauf einer Feier zum »Friedenstag« und einer Einschulungsfeier verdichtet. Die Funktion des Abschnittes ist es, wesentliche Aspekte des Kapitels vorzubereiten. Die Argumentation und Diskussion der vorhandenen Quellen findet im weiteren Verlauf statt. Fahnenappelle sind als zentrale Rituale häufig Ankerpunkte in DDR-Erinnerungen. Siehe die Erinnerung der 1951 geborenen Katja Lange-Müller in: Felsmann (2003): Beim Kleinen Trompeter, 127: »Mein Gott, Fahnenappelle hatten wir natürlich. Wir mussten im Geviert auf dem Schulhof antreten, der Direktor Lehmann hielt eine mehr oder weniger flammende Rede, dann mussten wir singen und die Fahne wurde hochgezogen. […] Sicher, in den ersten Jahren wurde der Fahnenappell noch bei jedem Wetter stramm durchgezogen.« Anonym: »Montag Schulbeginn. Ein Feiertag für die Jüngsten«, in: Berliner Zeitung, 29. August 1952, 6: »Die oberen Klassen finden sich am 1. September zu einer Feier zusammen, um des Friedenstages zu gedenken, den Pionierauftrag entgegenzunehmen, die in den Ferienlagern entstandenen Lehrmittel dem Kollegium zu übergeben und die neuaufgenommenen Jungen Pioniere zu beglückwünschen. Für die übrigen Klassen findet eine entsprechende Feier statt, etwas später ist die Aufnahme der Schulanfänger.« Im Juli 1952 gab es in Berlin circa 60.400 FDJler/-innen. Der Organisationsgrad unter den Jugendlichen (14 bis 26 Jahre) lag damit bei gut 30 Prozent, wobei die Gruppe der Schüler/-innen mit 16,7 Prozent im Jahre 1950 nur einen kleineren Teil der FDJ-Jugend ausmachte, siehe Schulze/Noack (1995): DDR-Jugend, 108, 245. DDR-weit lag der Organisationsgrad Ende 1953 bei 35,8 % (ohne bewaffnete Organe), Schulze/Noack (1995): DDR-Jugend, 183. Die roten Halstücher für die 10- bis 14-jährigen Thälmann-Pioniere gab es erst ab 1973. 1952 waren 22,1 Prozent der Schüler/-innen an den Grund- und Mittelschulen in Berlin in der Pionierorganisation, 1953 bereits 25,1 Prozent, siehe Häder (1998): Schülerkindheit in Ost-Berlin, 127. Ansorg gibt allerdings für die gesamte DDR einen Richtwert von circa 60 Prozent an: Ansorg (1994): »Die frühzeitige politische Formierung«, 169. In Sachsen war der Organisationsgrad zu diesem Zeitpunkt schon deutlich höher als in Berlin, siehe Pestalozzischule in Radebeul an die Bezirksleitung der FDJ: Bericht über die Arbeit der Pionierfreundschaft Geschw. Scholl für die Monate September, Oktober und November, 1951, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1113, o. Bl.: im Mai 1950 waren 36,6 Prozent aller Kinder organisiert, 56 Prozent im März 1951 und im Januar 1952 rund 60 Prozent.

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Die Gedenkfeier zum Friedenstag begann mit dem Lied Wir lieben unsere Heimat (1951, Susanne Speer/Günter Kochan). Es war ein neues Lied. Erst im Schuljahr zuvor haben es die Jungen und Mädchen der höheren Klassen gelernt. Einige haben es vielleicht im Ferienlager kennen gelernt, in dem sie unter dem Motto »Frohe Ferientage für unsere Kinder« ein paar Sommerwochen verbracht hatten.23 Es war eines der frühen Heimatlieder, die in dem gesamten Jahrzehnt den Ton der Schulveranstaltungen und Pioniertreffen ausmachen sollten. An einigen Schulen gab es Pionierchöre, die für die Ausgestaltungen dieser Feierstunden und besonderen Fahnenappelle in die Pflicht genommen wurden. Im Verlauf eines Schuljahres konnten bis zu 25 solcher Termine zusammenkommen, nicht mitgerechnet die kulturelle Vorbereitung und Begleitung der Parteitage, Jugendparlamente und Pioniertreffen.24 Das Singen gehörte auf diesen Veranstaltungen immer dazu. Problematisch war nur, dass der Musikunterricht so häufig ausfiel und dadurch das systematische Erlernen der neuen Pionierlieder kaum realisierbar war. Der Fahnenappell zum »Friedenstag« 1952 ging weiter mit einer Ansprache der Schuldirektoren- und Direktorinnen. Sie erinnerten die Schüler/-innen an Ernst Thälmann, dessen Tag der Ermordung sich gerade erst am 18. August zum 8. Mal gejährt hatte. Sie ermahnten die Jungen und Mädchen, für die Sache Ernst Thälmanns zu lernen und zu kämpfen, und sie überreichten den Pionieren ihren offiziellen Pionierauftrag für das neue Schuljahr 1952/53. Dieser lautete: »Thälmannpionier sein bedeutet Liebe und Treue zu unserem Präsidenten Wilhelm Pieck, der die Sache Ernst Thälmanns in Ehren fortsetzt. […] Werdet so kluge, willensstarke und harte Kämpfer, wie Ernst Thälmann es war.«25 Am gleichen Tag fand die feierliche Aufnahme der neuen Erstklässler/-innen statt, 8.400 Jungen und Mädchen waren es 1952 in Ost-Berlin.26 Diese Kinder zählten zu den ersten Geburtsjahrgängen, die voll und ganz in die DDR hineinwachsen sollten, ohne eigene Erinnerung an die Kriegszeit. Sie waren in der enthusiastischen Perspektive der erziehenden Generation die »jungen Erbauer des Sozialismus«.27 Historiker beschreiben diese Geburtsjahrgänge als besonders gut integriert und »funktionierend«.28 Folgt 23

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Im März 1951 gab es den Beschluss über die Feriengestaltung der Kinder. Dieser stand unter dem Motto: »Frohe Ferientage für alle Kinder«, siehe: Ansorg (1997): Kinder im Klassenkampf, 112. 1951 konnten bereits 75 Prozent aller Schulkinder mit verschiedenen Formen der Feriengestaltung erfasst werden. Zur pädagogischen Unterstützung erschienen Handreichungen mit Vorschlägen zur konkreten Freizeitgestaltung, siehe: Zentralrat der FDJ, Abteilung Junge Pioniere (1952): Frohe Ferientage. Häder (1999): »Feiern und Feste im Schulalltag«, 205; Wieland (2002): »Zur Gestaltung von Schulfeiern und -ausstellungen in der DDR«. Arlt (1972): Seid bereit für die Sache Ernst Thälmanns, 10. Anonym: »Ein Feiertag für unsere Jüngsten«, in: Berliner Zeitung, 29. August 1952, 6; Anonym: »›… jede Schulstunde zum Lernen‹. 8400 Berliner Abc-Schützen eingeschult«, in: Berliner Zeitung, 2. September 1952, 6. Wortlaut abgedruckt in ebd. Lindner (2003): »Bau auf, Freie Deutsche Jugend«, 205 bezeichnet sie als »integrierte Generation«: »Keine Jugendgeneration im kurzen Leben des zweiten deutschen Staates war integrierter darin als die um 1945 und bis 1960 geborenen, die zwischen dem Mauerbau und Mitte der 1970er Jahre ins Jugendalter hineinwuchsen«; Ahbe/Gries (2006): »Gesellschaftsgeschichte als Generationsgeschichte«, 518-529 bezeichnen die bis Ende der 1940er Jahre geborenen als zugehörig zur »funk-

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man diesen Generationszuschreibungen, dann würden die Schulanfänger/-innen von 1952 eine emotionale Beziehung zur DDR aufbauen und lernen, die Ideologie des neuen Staates pragmatisch zu verinnerlichen.29 Die Räume oder Aulen der Schulen waren für die Einschulungsfeier besonders geschmückt: mit Fahnen der DDR, der Jungen Pioniere, der Arbeiterbewegung und der FDJ sowie mit reichlich Blumen und Transparenten.30 Das Festprogramm gestalteten die Kinder aus den höheren Klassen. Sie stimmten den Gesang vom Lernen (»Wir wollen lernen, wir wollen begreifen, die Welt erkennen«) an aus dem Zyklus Neue Deutsche Volkslieder von Johannes R. Becher und Hanns Eisler.31 Oder sie besangen vor den neuen Schüler/-innen das fröhliche Schulleben: »Die Schule ist ein lustig Haus, drin lernt man schöne Sachen.«32 Es waren vor allem Pioniere in ihren weißen Blusen und blauen Halstüchern, die an dieser Begrüßungsfeier mitwirkten. 1952 stagnierten in Berlin zwar die Mitgliederzahlen der Pioniere bei unter 25 Prozent, aber die Lehrer/-innen warben unerlässlich in ihren Klassen um die jüngsten Schulkinder.33 Die Einschulungsfeier endete mit einer Pionierfanfare. Die Erstklässler/-innen bezogen ihre neuen Klassenräume, die auf Anweisung des Ministeriums für Volksbildung mit »fröhlichen bunten Bildern« geschmückt gewesen waren. Auf den Arbeitspulten lagen die Fibel und das Rechenbuch neben ein paar Äpfeln und Bonbons.34 Der Weg durch die Institutionen sozialistischer Bildung und Erziehung konnte beginnen.

Die »Liebe zum sozialistischen Vaterland«35 im Musikunterricht In bildungspolitischer Perspektive waren die 1950er Jahre ein Jahrzehnt der Konsolidierung und Stabilisierung. War die Schulpolitik bisher eher tastend gewesen, erarbeiteten nun die Bildungsfunktionäre- und Funktionärinnen einen fest definierten Bildungsund Ausbildungsplan. Zurecht lässt sich das Jahrzehnt als eine Hochzeit des »pädagogischen Optimismus« charakterisieren.36 Dieser speiste sich aus dem Werk des sowjetischen Pädagogen Anton Semjonowitsch Makarenko. Seine Lehren von einem Fort-

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tionierenden Generation«. In ihrer Analyse stellen diese eine Brückengeneration zur »integrierten Generation« dar, die bei Ahbe/Gries in den 1950er Jahren geboren wurden. Lindner (2003): »Bau auf, Freie Deutsche Jugend«, 206; Ahbe/Gries (2006): »Gesellschaftsgeschichte als Generationsgeschichte«, 523. Ministerium für Volksbildung (1953): »Richtlinien über die Vorbereitung und Gestaltung«. Eisler/Becher (1950): Neue deutsche Volkslieder, 28f. Zum Schulanfang (1950, Peter Franz), in: Frösi, 1953(2), 2 und Borris/Martens (1950): Musikschulwerk 2, 74. Im April 1952 wurde genau das auf der »Konferenz junger Lehrer« thematisiert. Die anwesenden Lehrer/-innen, die sich zugleich auch als Gruppenpionierleiter/-innen aufstellen ließen, bekamen Strategien vermittelt, wie sie für die Pionierorganisation werben könnten, vgl. Konferenz Junger Lehrer: Protokoll, 5./6. April 1952, in: BArch SAPMO DY 25 562, o. Bl. Vgl. Fotosammlung Erich Höhne und Erich Pohl: Einschulung September 1953, in: Bestand der Deutschen Fotothek, www.deutschefotothek.de (Zugriff: April 2020). Berger (1963): Zur patriotischen Erziehung in der Unterstufe, 7. Janssen (2010): Halbstarke in der DDR, 14; damit setzt sie sich zu Recht von Wierling (1994): »Die Jugend als innerer Feind«, 417 ab, die den pädagogischen Optimismus vor allen in den 1960er Jahren verortete.

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schreiten und Vorwärtsstreben des Erziehungsprozesses37 trafen sich im Kern mit dem omnipräsenten Fortschrittsglauben der Fünfzigerjahre. Mit dem Schuljahresbeginn 1952 war die Weichenstellung von der »demokratischen« zur »sozialistischen Schule« endgültig erfolgt.38 Jedes Kind sollte zu einer »allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit« erzogen werden.39 Wichtige Merkmale der schulpolitischen Entwicklungen in den 1950er Jahren waren erstens die Herausbildung eines zweigliedrigen Schulsystems mit der zehnklassigen Polytechnischen Oberschule (POS) und Erweiterten Oberschule (EOS).40 Zweitens ging es um die Erhöhung des wissenschaftlichen Niveaus des Unterrichts, die sich in einer frühzeitigen fachlichen Ausdifferenzierung äußerte.41 Bereits Viertklässler wurden Anfang der Fünfzigerjahre in den Fächern Biologie, Erdkunde und Geschichte unterrichtet.42 Hinter dieser Fächerdifferenzierung verbarg sich allerdings nicht nur der Wunsch nach einer Anhebung des wissenschaftlichen Unterrichtsniveaus, sondern auch ein dezidierter politisch-ideologischer Anspruch. Nach dem polytechnischen Prinzip kamen ab der 7. Klasse die praxisnahen Fächer »Technisches Zeichnen« und »Einführung in die sozialistische Produktion« hinzu.43 Ein drittes Merkmal der 1950er Jahre war die enge Verzahnung der Schule mit den vor- und außerschulischen Erziehungsinstitutionen. Am Ende des Jahrzehnts war die Pionierorganisation personell und strukturell so eng mit der Schule verknüpft, dass sie sich zu einer der tragenden Säulen der Kinder- und Jugenderziehung entwickelt hatte. Über die Pionierleiter/-innen an den Schulen, die häufig zugleich Klassenlehrer/-innen der Kinder waren, sollte eine zunehmende politische und ideologische Einflussnahme auf Bildung und Erziehung erfolgen.44 Diese Entwicklung ist für die Frage nach Gelegenheiten und Praktiken gemeinschaftlichen Singens von besonderem Interesse. Die Musiklehrer/-innen wurden auch in den 1950er Jahren nicht müde, in der Tradition der musischen Erziehung die Bedeutung des »lebendigen Singens« zur »Steigerung

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Kobelt (1995): Anton Makarenko, 168f. Vgl. Beschluss der II. Parteikonferenz der SED zum »sozialistischen Aufbau«, in: Ulbricht (1952): Die gegenwärtige Lage und die neuen Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 171-179. Weiterführend: Führ/Furck (1998): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, 169-171. Die 1950er waren im Schulsektor ein Jahrzehnt mit einer »hohen Ereignisdichte«. Vgl. Der Deutsche Bundestag (1995): »Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit«. Bereits 1950 gab es Zehnklassenschulen, die an die Grundschulen anschlossen. 1955 benannte man diese in Mittelschulen um, 1956 in polytechnische Mittelschulen. Mit dem Jahr 1959 verfestigte sich die zweigliedrige Struktur endgültig mit der zehnklassigen POS und der EOS, die zunächst mit den Klassen 9-12 zum Abitur führte, später nur noch mit den Klassen 11/12. Die »Hebung des wissenschaftlichen Niveaus« war eine Forderung im Fünfjahresplan; vgl. Zentralkomitee der SED (19. Januar 1951): »Die nächsten Aufgaben der allgemeinbildenden Schule«, in: Baske/Engelbert (1966): Dokumente zur Bildungspolitik, 61; siehe auch: Politbüro der SED (29. Juli 1952): »Beschluss zur Erhöhung des wissenschaftlichen Niveaus des Unterrichts und zur Verbesserung der Parteiarbeit an den allgemeinbildenden Schulen«, in: Zentralkomitee der SED (1954): Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 116-128. Führ/Furck (1998): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, 178f. Ebd. Zentralkomitee der SED (19. Januar 1951): »Die nächsten Aufgaben der allgemeinbildenden Schule«, in: Baske/Engelbert (1966): Dokumente zur Bildungspolitik, 62.

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der Lebensfreude« und zum Wecken von »Begeisterung« zu betonen.45 Obwohl sich diese Überzeugung den Lehrplänen eingeschrieben hatte, blieben das für den schulischen Musikunterricht häufig nur leere Worte. Denn de facto stand es Anfang der 1950er Jahre schlecht um das Unterrichtsfach Musik. Hohe Ausfallquoten und fachfremder Unterricht waren die Regel an den Schulen der DDR. Klassenbücher der achten Klassen der Grundschule Erfurt-Bischleben dokumentieren diesen Zustand. Im Schuljahr 1950/51 fand noch regelmäßig Musikunterricht statt. Insgesamt 32 verschiedene Lieder konnte die Lehrerin oder der Lehrer mit der Klasse besprechen und einüben. Im darauffolgenden Schuljahr war es nicht einmal mehr die Hälfte der Lieder bei ebenfalls wesentlich weniger Unterricht. Im Schuljahr 1952/1953 gab es keinen Musikunterricht, während in einer Parallelklasse immerhin drei von 32 möglichen Stunden stattfanden.46 Die Erfurter Musiklehrer/-innen schrieben eigenhändig einen Brief an das Ministerium für Volksbildung, in dem sie betonten, dass 1952 in circa der Hälfte aller Erfurter Schulen »kein geregelter Musikunterricht erteilt werden« konnte.47 In einer gemeinsamen »Entschließung« zur »gegenwärtigen Lage der Schulmusik« forderten sie schnellstes Eingreifen der Schulbehörde.48 Auch Eltern beschwerten sich über jahrelangen Ausfall des Musikunterrichtes, ein Zustand, der anscheinend noch bis zum Schuljahr 1959/1960 anhielt.49 Diese ernüchternde Bilanz steht in einem vollständigen Gegensatz zu den hektisch wirkenden administrativen Planungen der Musikerziehung. In der ersten Hälfte des Jahrzehnts entstand der institutionelle Rahmen zur Professionalisierung der Musiklehrer/-innenausbildung.50 Dabei standen Didaktik und Inhalte des Musikunterrichtes ununterbrochen zur Debatte. Innerhalb von zehn Jahren gab es nicht weniger als zwanzig Lehrpläne, vorläufige Lehrpläne, Direktiven und Stoffverteilungspläne für den schulischen Musikunterricht in den Klassen 1 bis 12.51 Langfristig gesehen aber sicherte eine Grundsatzentscheidung des Ministeriums für Volksbildung dem Musikunterricht seinen Platz an der Schule, die nicht einmal das Fach an sich betraf. Dabei handelte es sich um die Festlegung der »patriotischen Erziehung« als zentrales Unterrichtsprinzip.

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Ministerium für Volksbildung (1953): Lehrplan für die Grundschulen, 5. Grundschule Erfurt-Bischleben: Klassenbücher der Schuljahre 1950/1951; 1951/52; 1953/53 der achten Klassen, in: SA Erfurt (Stadtverwaltung Erfurt) 32571. Ein ähnliches Bild vermittelt die 26. Grundschule in Erfurt. Dort erhielten die Schüler/-innen gerade einmal 18 von 32 Unterrichtsstunden im Schuljahr 1952/53; siehe 26. Grundschule Erfurt: Klassenbücher der 8. Klassen, in: SA Erfurt (Stadtverwaltung Erfurt) 31693. Zu diesem Ergebnis kommt auch Fröde (2010): Schulmusik in der Sowjetischen Besatzungszone, 57. Musiklehrer an den Erfurter Grund- und Oberschulen: Schreiben an das Ministerium für Volksbildung, Abteilung Unterricht und Erziehung, 22. Mai 1952, in: BArch SAPMO DR 2 3870, Bl. 418f. Ebd. Christian Gabel: Beschwerdebrief an den Minister für Kultur Johannes R. Becher über den Musikunterricht an der Schule, Erfurt, November 1954, in: BArch SAPMO DR 2 3870 o. Bl., siehe in der gleichen Akte zahlreiche weitere Beschwerden. Zwischen 1950 und 1952 entstanden in der DDR knapp 30 Institute für Lehrerbildung. Im September 1953 begann man mit der Einrichtung der Pädagogischen Institute, an denen auch die Musiklehrer/-innenausbildung stattfand, siehe Fröde (2010): Schulmusik in der Sowjetischen Besatzungszone, 149-192. Siehe auch Siedentop (2000): Musikunterricht in der DDR, 153-161.

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Diese verfolgte das explizite Ziel, »patriotische Gefühle« und »patriotisches Bewußtsein« in den Herzen und Köpfen der Heranwachsenden zu verankern.52 »Die deutsche demokratische Schule«, so formulierte 1953 Werner Dorst als pädagogische Autorität der frühen DDR, »erzieht die jungen Menschen zu glühenden deutschen Patrioten, die der Sache des Sozialismus treu ergeben sind, sich sozialistische Anschauungen und Überzeugungen aneignen und wie Sozialisten handeln«.53 Der »sozialistische Patriotismus« galt in der marxistisch-leninistischen Ideologie als »bisher höchste Form des Patriotismus, als ein politisch-moralisches Grundprinzip«. Es galt zugleich als »eins der tiefsten Gefühle«. Damit handelte es sich um ein politisches Gefühl, denn es »trägt in der Klassengesellschaft stets Klassencharakter«. Patriotismus wurde weiterhin konzeptionell an »internationale Solidarität« geknüpft. In diesem Verständnis war Patriotismus ein »tätiges« und »schöpferisches« Gefühl, denn es stand für den »zielbewußten Kampf für den Frieden und den Sieg des Sozialismus und Kommunismus«.54 Der zeitgenössischen Literatur ist zu entnehmen, dass sich der »glühende Patriotismus« in einer »aktiven Liebe« zum »sozialistischen Vaterland«, in einer »tiefen und festen Verbundenheit der Kinder und Jugendlichen mit ihrem sozialistischen Vaterland« und dem »Verantwortungsbewußtsein gegenüber der ganzen deutschen Nation« zeigen müsste.55 Die patriotische Erziehung ist im Kontext deutsch-deutscher Entwicklungen zu verstehen. Eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten wurde im Laufe des Jahrzehnts zunehmend unwahrscheinlicher. Konrad Adenauer favorisierte gegen innenpolitische Widerstände die Westintegration der Bundesrepublik. Die DDR wurde weiter in das Wirtschafts- und Verteidigungssystem des Ostblockes eingegliedert. Die Regierung Walter Ulbricht entschied sich 1952 für den Ausbau der Sicherungsanlagen an der innerdeutschen Grenze und für die Einrichtung von Sperrgebieten. Die Ausrufung eines strengeren Grenz- und Kontrollregimes 1952 war eine Antwort auf die Unterzeichnung des Deutschlandvertrages über »die Konvention über die Beziehung der drei Westmächte zur Bundesrepublik«. Ob der Vorschlag der Sowjetunion über eine Wiedervereinigung Deutschlands in einen vorgeblich neutralen Staat (die sogenannten »Stalin-Noten« von März und April 1952) ein ernsthafter Vorstoß war oder der Versuch, die Integration der Bundesrepublik in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu stoppen, bleibt diskussionswürdig.56 Das Jahr 1953 brachte für die SED-Regierung einige ihrer größten Herausforderungen. Im Frühjahr ging der Staat massiv gegen die evangelische Kirche und die Jungen Gemeinden vor. Die kirchliche Jugendarbeit stand der erwünschten staatlichen Monopolisierung der Jugenderziehung im Wege. In dem Maße, in dem die FDJ gestärkt wurde, sollte die Junge Gemeinde systematisch geschwächt werden. Der Konflikt spitzte sich 1953 zu, als die kirchliche Jugendarbeit für illegal erklärt und dementsprechend strafrechtlich verfolgt wurde.57 52 53 54 55 56 57

Ministerium für Volksbildung (1953): Lehrplan für die Grundschulen, 5. Dorst (1953): Erziehung, Bildung und Unterricht, 24. Soweit die Zusammenfassung des Lemmas Klaus/Buhr (1965): »Patriotismus«, 411f. Berger (1963): Zur patriotischen Erziehung in der Unterstufe, 7. Vgl. Herbst (1996): Option für den Westen, 117-126. Weiterführend Helmberger (2008): Blauhemd und Kugelkreuz, 145-166.

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Das einschneidendste Ereignis 1953 war der Aufstand am 17. Juni. An diesem Tag legten die Arbeiter/-innen als Protest gegen die ständige Normerhöhung ihre Arbeit nieder. Dieser Boykott mündete in einen offenen Aufstand gegen die DDR-Regierung.58 Innenpolitisch verfolgte die SED-Regierung nach dem Juni 1953 einen harten Kurs gegen Abweichung und Widerstand. Außenpolitisch vertiefte sich in diesen Jahren die politische Spaltung der beiden deutschen Staaten. 1955 war in dieser Hinsicht ein bedeutendes Jahr. Mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge im Mai galt die Bundesrepublik als souveräner Staat. Im September 1955 erklärte die UdSSR die DDR ebenfalls zu einem souveränen Staat. Damit manifestierte sich politisch die Zweistaatlichkeit Deutschlands. Die Bundesrepublik wurde NATO-Mitglied und die DDR Gründungsmitglied der Warschauer Vertragsorganisation, einem militärischen Beistandspakt des Ostblockes. Darauf folgte zum 1. März 1956 die Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA). Ende 1955 verschärfte eine neue außenpolitische Leitlinie der Bundesregierung die internationale Konkurrenzsituation von Bonn und Berlin. Diese sogenannte Hallstein-Doktrin erklärte, dass die Bundesrepublik zu denjenigen Staaten ihre diplomatischen Beziehungen abbrechen werde, die die DDR als souveränen Staat anerkennen würden. Bis 1969 blockierte diese Politik eine internationale völkerrechtliche Anerkennung der DDR. In diesem Umfeld der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Westintegration der BRD und Ostintegration der DDR lassen sich die Vorstöße zur »patriotischen Erziehung« verstehen. Die DDR musste sich politisch und moralisch legitimieren und ihren Bürgern und Bürgerinnen ein Wir- und Zugehörigkeitsgefühl vermitteln, um sie an den neuen Staat emotional zu binden. Das war keinesfalls ein spezielles DDRPhänomen, sondern ein Prozess, der Staats- und Nationsbildung in der Geschichte generell begleitete. Über die Bedeutung von Emotionen in diesen Vergemeinschaftungsprozessen wurde bereits nachgedacht.59 Übertragbar ist das Konzept von der »vorgestellten zur emotional erfahrbaren Gemeinschaft« von Rudolf Speth, auch wenn es in den 1950er Jahren der DDR nicht um eine Nations-, sondern um eine Staatsbildung ging.60 Die entscheidende Frage ist die nach der Benennung, Mobilisierung und der Kommunikation vergemeinschaftender Vorstellungen durch Emotionspraktiken. An diesem Punkt wird die patriotische Erziehung relevant. Das Ministerium für Volksbildung führte 1955 das Schulfach Heimatkunde wieder ein.61 Mit dieser Entscheidung rückten die Bildungspolitiker/-innen vom Grundsatz der »Verwissenschaftlichung« und des frühzeitigen fachspezifischen Unterrichtes zu Gunsten der »patriotischen Erziehung« ab. Darüber hinaus erklärte das Ministerium

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Weiterführend Hoffmann (2015): »Der 17. Juni 1953«. Siehe z.B. Westen (2007): The Political Brain; Francois/Siegrist/Vogel (1995): Nation und Emotion, speziell zum Kontext der frühen DDR: Henning (2011): Die erlesene Nation. Speth (1999): »Nation und Emotion«. Speths Argumentation beruht dabei entscheidend auf Anderson (1983): Imagined Communities. Ministerium für Volksbildung (1955): »Anweisung zur Einführung des Faches Heimatkunde«, 149f. Das Unterrichtsfach Heimatkunde wurde erst 1951 mit dem neuen Lehrplan abgeschafft. Es ging thematisch im Deutschunterricht der Klassenstufen 1-3 auf und wurde ab der vierten Klasse in den Fachunterricht Biologie und Geografie übernommen, siehe Jung (2011): Der Heimatkundeunterricht, 73. Weiterführend: Reimann/Seher/Wermke (2019): »Heimatbegriff«, 260-66.

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das »heimatkundliche Prinzip« zur Leitidee »aller Fächer und Schuljahre«.62 Mit dieser dezidierten Bestimmung der Schule als Ort der Erziehung patriotischen Fühlens erhielt auch der Musikunterricht wieder mehr Aufmerksamkeit. Die Argumentation über die emotionale Wirkmächtigkeit gemeinschaftlichen Singens war hinlänglich bekannt. Mit der »patriotischen Erziehung« erhielt sie eine neue Relevanz. Karl Hoffmann, Musiklehrer am Institut für Lehrerbildung Potsdam, schrieb in diesem Sinn: »Der Musikunterricht mit seiner starken emotionalen Wirkung ist ein entscheidendes Mittel in der patriotischen Erziehung unserer Jugend […]. Indem wir mit dem Gesang in den Kindern positive Gefühle wecken, lenken wir auch ihr Wollen und Handeln im Sinne der Erziehung unserer Jugend zu vorwärtsstrebenden begeisternden Patrioten.«63 1955 benannte das Ministerium für Volksbildung das Fach Musikunterricht für die Klassenstufen eins bis acht in »Gesang« um. Diese Entscheidung erfolgte im Rahmen einer »Anweisung zur Verbesserung des Unterrichtes in den Fächern, Russisch, Turnen, Gesang und Zeichnen«.64 Der Musikunterricht wurde damit auf das Singen als Form patriotischen Fühlens reduziert. »Die Direktive hat das Ziel, den Gesangsunterricht stärker auf die großen Möglichkeiten der patriotischen Erziehung zu konzentrieren […]. Der Anteil des Gesangsunterrichts an der patriotischen Erziehung liegt vor allem in den großen Möglichkeiten, unmittelbar auf das Gefühl der Kinder einzuwirken, durch das Lied und mit dem Lied den Kindern die Heimat, die Geschichte und die Gegenwart lebendig zu machen.«65 Musikunterricht musste angesichts dieser Festlegung qualitativ verbessert werden. Ziel war eine fast 100-prozentige Stundendeckung. Zudem bekamen die Schuldirektoren/innen die Anweisung, nur noch ausgebildete Musiklehrkräfte unterrichten zu lassen, denn »[d]er Gesangsunterricht schafft Freude und Begeisterung, weckt und stärkt das Gefühl für das Wahre und Schöne […] und stärkt und vertieft damit in hohem Maße die patriotischen Gefühle und das patriotische Bewußtsein«.66 Die ministeriale Anweisung nahm somit die Argumente der Musiklehrer/-innen über die emotionale Wirkmächtigkeit gemeinschaftlichen Singens ernst und integrierte sie in das Konzept der »patriotischen Erziehung«. Das führte konsequenterweise zu der Eingrenzung des Unterrichtsfaches Musik auf das Singen. Obwohl damit dem Musikunterricht eine funktionale Position in der sozialistischen Schule zugewiesen wurde, provozierte diese Direktive zahlreiche empörte Reaktionen vonseiten der Lehrer/innen. Sie sahen in der Entscheidung des Ministeriums für Volksbildung eine Geringschätzung der Musik als allgemeinbildendes Fach.67 Der wissenschaftliche Beirat für

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Ministerium für Volksbildung (1955): »Anweisung zur Einführung des Faches Heimatkunde«, 150. Hoffmann (1956): »Musikalische Erziehungsarbeit«, 4. Ministerium für Volksbildung (1955): »Anweisung zur Verbesserung des Unterrichts«. Ebd. Ministerium für Volksbildung: Direktive für die Arbeit des Lehrers im Gesangsunterricht, in: BArch SAPMO DR 2 3902, Bl. 1137. In Anbetracht der Tatsache, dass es erst 1925 in der Weimarer Republik gelungen war, Musikunterricht als allgemeinbildendes Fach zu etablieren, musste sich die Entscheidung von 1955 für Viele als Rückschlag anfühlen. Im neuen Namen des Faches »Gesang« versteckte sich für die Kritiker/-

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Musikerziehung sandte dem Minister für Volksbildung Fritz Lange im Oktober 1955 seine Stellungnahme zu, in der er die »Niveausenkung der Inhalte des Unterrichtes auf den Stand des 19. Jahrhunderts beklagte«. Denn es ginge dabei ausschließlich um das »mechanische Eindrillen« von Liedern. Mit dem Hinweis darauf, dass die Fachumbenennung in Fachkreisen auf »einmütige Ablehnung« stieß, schloss die Stellungnahme mit der Bitte, die Bezeichnung »Musikunterricht« einzuführen und das Fach aufzuwerten.68 Die Verantwortlichen im Ministerium für Volksbildung zeigten sich kritikresistent. Sie nahmen den Experten und Expertinnen zunehmend Methoden und Inhalte aus der Hand. Ihr Ziel war es dabei nicht, Musikerziehung zu verbessern, sondern nutzbar zu machen. Die ministeriale Offensive 1955 war eine Entscheidung für die »patriotische Erziehung«. Dafür brauchte es kein musiktheoretisches Wissen, sondern einzig das Singen. In Lehrerhandreichungen und Lehrplänen konzentrierte man sich daher auf diese »stärksten erzieherischen Potenzen des Musikunterrichtes«. »Im Lied sind Text und Melodie zu einer unlösbaren Einheit verschmolzen. Verstand und Gefühl werden im gleichen Maße beeinflußt. Lieder, gemeinschaftlich gesungen, fördern die Herausbildung kollektiver Überzeugungen und das kollektive Handeln; sie stärken den Willen und die Bereitschaft, gute Taten für unsere gemeinsame sozialistische Sache zu vollbringen.«69 Was eignete sich in dieser Logik besser, als »heiße Heimatliebe« im Singen einzuüben?70 Die Gewissheit, die »Kultivierung der Gefühle« oder »Gefühlsbildung« in der pädagogischen Hand zu haben, war groß.71 Diese Erziehung der Gefühle verlangte eine fortwährende Festlegung, Kontrolle und Überwachung. Die passenden neuen Lieder wurden vom Ministerium für Volksbildung in Auftrag gegeben und füllten die neuen Lehrmaterialien. Um sicherzugehen, dass die richtigen Lieder bei den Kindern ankamen, schrieb die Direktive von 1955 erstmalig ein konkretes Liedrepertoire vor. »Pflichtlieder« wurde zu einem Begriff, der sich ab Mitte der 1950er etablierte. Dennoch war es in der Praxis nicht so einfach, die Vorgaben durchzusetzen. Darauf verweisen die anhaltenden Beschwerden an das Ministerium über die hohen Ausfallquoten des Musikunterrichts

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innen die »Einpaukmethode«, die eigentlich überwunden geglaubt war und die der Erziehung »allseits gebildeter Menschen« widersprach. Siehe Fachlehrer-Konferenz der Musikerzieher im Pädagogischen Kreis-Kabinett Leipzig: Schreiben an das Ministerium für Volksbildung, 26. August 1955, in: BArch SAPMO DR 2 2013, Bl. 104. Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirates für Musikerziehung: Schreiben an den Minister für Volksbildung, 18. Oktober 1955, in: BArch SAPMO DR 1 40, Bl. 172-74. Dittrich/Frisch (1960): Frohes Singen und Musizieren, 5. Berger (1963): Zur patriotischen Erziehung in der Unterstufe, 32. Vortrag auf der Arbeitstagung der Brandenburger Kreismentoren für Musik: Kultivierung der Gefühle, 18./19. Februar 1952, in: BArch SAPMO DR 2 1165, Bl. 4; Ständige Kommission Kultur des Rates der Stadt Zwickau: Schreiben an das Ministerium für Volksbildung, Referat Musik, 1. Februar 1957, BArch SAPMO DR 2 2013, Bl. 67: »Wir erinnern in diesem Zusammenhang auch an die Forderung des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl und des Volksbildungsministers Fritz Lange und stimmen mit ihrer Forderung vollständig überein, dass die Gefühlsbildung [Herv. i. Or.] unserer Schüler wesentlich verbessert werden müsse.«

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oder über fehlende Fachlehrer/-innen, ebenso wie die immer neuen Vorgaben des Ministeriums und die ständige Überarbeitung der Maßnahmenpläne.72 Die Unzufriedenheit mit dem Musikunterricht blieb ein Dauerproblem. Aber Gefühlserziehung über das Singen fand nur am Rande im Musikunterricht statt. Bedeutender waren die zahlreichen Gesangsrituale im Schulalltag: das Begrüßungslied am Morgen, das gemeinschaftliche Singen bei den Fahnenappellen oder zu den Feierlichkeiten an festgelegten Gedenktagen.73 Die Vorbereitungen dazu fanden überwiegend außerhalb des Unterrichtes statt, auf den Pioniernachmittagen, in den entsprechenden Arbeitsgemeinschaften beziehungsweise den Kulturgruppen der Schule. Daher hatte das außerunterrichtliche Singen ein viel größeres Gewicht als der Musikunterricht.

Singen in der Pionierorganisation Die Pionierorganisation wurde 1948 gegründet.74 Als Vorbild diente die sowjetische Pionierorganisation, der Komsomol.75 Um den Erfolg der Pionierorganisation von Beginn an sicher zu stellen, sahen die Statuten der Pionierorganisation eine enge institutionelle Verknüpfung von Schule und Kinderorganisation vor. So hieß es im Beschluss des Zentralrates der FDJ: »Der Verband der Jungen Pioniere hilft der Schule bei der Erziehung der Kinder zu fortschrittlichen, lerneifrigen, arbeitsfreudigen, fleißigen, ehrlichen, lebensfrohen, demokratischen jungen Menschen.«76 Die jungen Lehrkräfte, die sich für die Pionierorganisation rekrutieren ließen, waren Klassenlehrer/-innen und Pioniergruppenleiter/-innen in Personalunion. Das war ein gewichtiger Grund für die rasche Etablierung der Pionierorganisation in den 1950er Jahren. Ein Selbstläufer war die neue Kinderorganisation aber nicht. Berichte aus den Schulen zeigen, wie mühevoll es war, die Pionierarbeit im Schulalltag zu verankern. Die Pionierleiterin Hanni Knöfel übernahm zum 1. September 1951 die Pionierfreundschaft »Geschwister Scholl« der Pestalozzi-Schule in Radebeul mit 407 Pionieren. Sie

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Lehrer J. Busse: Schreiben an das Ministerium für Kultur, Abteilung Musikerziehung, Elsterwerda, 28. Juni 1954, in: BArch SAPMO DR 2 3901, o. Bl. Eine Broschüre listete nicht weniger als 29 Gedenktage für das Jahr 1961 auf unter der Rubrik: »Daten, die ein Pionier nicht vergessen darf«, in: Zentrales methodisches Kabinett (1961): Für die Pionierräte, 30. Diese fanden anlässlich von Jahrestagen, wie dem Gründungstag der DDR oder dem Tag der Oktoberrevolution statt, bzw. zu Geburts- oder Sterbetagen bedeutender deutscher und sowjetischer Politiker, anlässlich des Tages der Volksarmee, des Tages des Lehrers bzw. des internationalen Kindertages. Vgl. Klassenbücher der Grundschule 16, Erfurt: Klassenchroniken, 1954-59, in: SA Erfurt (Stadtverwaltung) 17406. Am 13. Dezember 1948, zweieinhalb Jahre nach der FDJ gründete sich als Teil des Jugendverbandes die Pionierorganisation für die Schülerinnen und Schüler der ersten bis siebenten Klassen. Die Vorläufer waren Kindergruppen, die »Kindervereinigung der FDJ« bzw. die Kinderlandbewegung, die sich an der Tradition der sozialdemokratischen Kinderfreunde orientierten. Siehe dazu Ansorg (1997): Kinder im Klassenkampf, 27f. Riordan (1989): »The Komsomol«, Ansorg (1994): »Die frühzeitige politische Formierung«, 158. Zentralrat der FDJ: Beschluss der 18. Tagung 6. Februar 1949, in: BArch SAPMO DY 24 2120, o. Bl., Dokumentenseite [DS] 19.

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bemerkte kritisch, dass es kaum Aktivitäten gab. Die Kinder waren nur auf dem Papier Pioniere.77 Hanni Knöfel kam mit neuen Ideen. Sie gründete Arbeitsgemeinschaften: die »Jungen Naturforscher« mit den Abteilungen Biologie, Zoologie, Chemie und Meteorologie, die »Jungen Techniker« mit dem Schwerpunkt Fernmeldetechnik/Funk, die »Schach-AG«, die AG »Junge Bibliothekare« sowie die AG »Kulturgruppe«. Die Anzahl der Pioniere stieg in den ersten drei Monaten auf 513 und umfasste damit 54 Prozent aller Schüler/-innen der Pestalozzi-Schule. An den Gruppennachmittagen sollten die Pioniere gemeinsam Traktate über den Frieden lesen. Die jüngeren Pioniere bauten mit Streichholzschachteln die »großen Bauten der Sowjetunion« nach. Das schien die Kinder jedoch nicht besonders zu überzeugen. Die Pionierleiterin begann daraufhin, auf »Lichtbild und Film« bei der Gestaltung der Nachmittage zu setzen.78 Das war erfolgversprechender. Hanni Knöfel gab sich in ihren Berichten an die FDJ-Bezirksleitung in Dresden optimistisch über den weiteren Verlauf der Entwicklung ihrer »Pionierfreundschaft« und rechnete bereits im Dezember mit 100 Neuaufnahmen.79 Der Bericht aus der Pestalozzi-Schule in Radebeul zeigt, wie Politisierung und Freizeitgestaltung mit dem schulischen Lernen verzahnt werden sollten.80 Besonders begeistern ließen sich die Jungen und Mädchen davon jedoch nicht. Langeweile war vorprogrammiert. Dagegen kämpfte die Pionierleiterin mit Filmen und Lichtbildreihen, die zwar auch ihre politischen Botschaften hatten, jedoch kurzweiliger waren. Trotz dieser Anfangsschwierigkeiten wurde der Eintritt in die Pionierorganisation zunehmend normal. 1959 waren bereits (wenigstens auf dem Papier) 84,3 Prozent aller Schüler/-innen in der DDR bei den Pionieren organisiert.81 Damit war ein sehr hoher Anteil der Kinder regelmäßig mit den Erziehungspraktiken dieser Kinderorganisation konfrontiert. Die Kinder des Einschulungsjahrganges 1952 lernten gleich zu Beginn ihrer Schulzeit das Leben in der Pionierorganisation kennen. Sie hatten kaum vier Monate Zeit, um sich für die Mitgliedschaft zu entscheiden. Denn schon am 13. Dezember 1952, anlässlich des vierten »Geburtstages« der Pionierorganisation, sollten die neuen »Jungen Pioniere« aufgenommen werden. Häufig mussten auch noch die Eltern davon überzeugt werden, einem Eintritt ihrer Kinder in die Pionierorganisation zuzustimmen. Der volle Einsatz der Klassenlehrer/-innen war gefragt. Da sie eben auch in Personalunion Pioniergruppenleiter/-innen waren, nutzten sie Unterricht und Elternversammlung für ihre Überzeugungsarbeit. In den Unterrichtsstunden erarbeiteten sich die Erstklässler/-innen die Gesetze der Jungen Pioniere. Sie lernten, dass es zu den Pflichten ei77 78

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Hanni Knöfel: Bericht über die Arbeit der Pionierfreundschaft »Geschwister Scholl« für die Monate September, Oktober, November, 24. November 1951, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1113, o. Bl. Ebd.: »Die aus Bild und Film gewonnene Tatsachenerkenntnis ist geeignet, den Gesichtskreis der Pioniere zu erweitern, ihr Interesse für die Wissenschaft zu wecken, die Beobachtungsgabe zu schärfen, die Phantasie zu beleben, vor allem aber die überzeugende Grundlage für bestimmte Erkenntnisse zu schaffen.« Diese Zahl resultierte weniger aus einem ansprechenden Angebot an die Kinder, sie bezog sich mehr auf die Neuaufnahmen aus den ersten Klassen, die traditionell anlässlich der Gründung der Pionierorganisation zum 13. Dezember stattfanden. Tenorth/Kudella/Paetz (1996): Politisierung im Schulalltag der DDR, 137. Ebd., 173. Nach zentralen Einschätzungen. Berlin lag mit 67,4 Prozent weit unter dem Durchschnitt.

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nes Jungpioniers gehörte, die Heimat zu lieben und »fest auf der Seite der Menschen« zu stehen, »die den Frieden und den Fortschritt lieben und für ihn kämpfen«. Die 7Jährigen erfuhren, dass Fleiß, Ehrgeiz, Hilfsbereitschaft, Sauberkeit und Ordnung die Tugenden der Pioniere waren.82 Während der feierlichen Aufnahme in die Pionierorganisation mussten sie versprechen, nach diesen Gesetzen zu leben. Nach dem Gelöbnis erhielten die Jungen und Mädchen das Pionierabzeichen und das blaue Tuch, das mit den drei Ecken die Einheit von Schule, Jugendorganisation und Elternhaus symbolisierte.83 Sie waren Junge Pioniere. Jede zweite Woche trafen sich die Pioniere einer Jahrgangsstufe in ihrer Pioniergruppe. Zusammen waren das je nach Schule circa 30 bis 40 gleichaltrige Kinder. Die Lehrer/-innen hatten sich in mehrwöchigen Lehrgängen zu Gruppenpionierleiter/innen ausbilden lassen.84 Dabei lernten sie, »kulturelle Massenarbeit« zu organisieren. Sie bekamen vermittelt, wie sie mit den Pionieren Lieder »einzuüben« hätten, »Massentänze« Stehgreif- und Laienspiel oder wie sie Wandzeitungen gestalten konnten. Sie erfuhren, welche Bücher gelesen werden sollten oder wie die Pioniere Rezitieren und Erzählen lernen.85 Neben den zweimal monatlich stattfindenden Pioniernachmittagen konnten die Jungen und Mädchen zwischen zahlreichen Arbeitsgemeinschaften wählen, die in der Schule oder den Pionierhäusern der Kreis- und Bezirksstädte angeboten wurden.86 Dazu zählten »Junge Techniker«, »Junge Naturforscher«, »Junge Chemiker«, »Junge Elektriker« oder »Junge Historiker«.87 Auch diese außerschulischen Einrichtungen unterstanden dem Ministerium für Volksbildung. Die Arbeitsgemeinschaften waren auf die Lehrpläne der einzelnen Unterrichtsfächer abgestimmt. Daran zeigt sich wiederum die Verzahnung von Freizeit, Bildung und Erziehung.88 Ziel dieser »Massenarbeit« war es, Wissen und Können zu erwerben, um später »am Aufbau des Sozialismus« produktiv

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Am 6. Februar 1949 beschloss der Zentralrat der FDJ die 12 Gesetze und das Gelöbnis der Jungen Pioniere, siehe Zentralbüro der Jungen Pioniere (1949): Gelöbnis und Gesetze. Diese wurden auf der 3. Tagung des Zentralrates der FDJ (19.-21. Dezember 1952) modifiziert und 1958 für die Jungen Pioniere in 10 Gebote und für die Thälmannpioniere in 13 Gesetze umformuliert, siehe: Zentrales methodisches Kabinett (1961): Für die Pionierräte, 63-65. Zentralbüro der Jungen Pioniere (1949): Gelöbnis und Gesetze, 65. 1958 konnten sich Gruppenpionierleiter/-innen auf dreiwöchigen Schulungen ausbilden lassen. Hauptamtliche Pionierleiter/-innen durchliefen eine Weiterbildung von einem Jahr. Die staatlichen Abschlussprüfungen als Pionierleiter/-in fanden an den Instituten für Lehrerbildung statt. Zu den Prüfungsfächern gehörten Gesellschaftswissenschaften und Körpererziehung. Im »Teilbereich Pionierarbeit« mussten die zukünftigen Pionierleiter/-innen über die Themen »Komsomol, Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, Entwicklung der FDJ, die Pionierorganisation Ernst Thälmann, Tätigkeit der Pionierorganisation im Sommer« Bescheid wissen, siehe Ministerium für Volksbildung (1953): Prüfungsanforderungen. Ebd., 6f. Das erste Pionierhaus öffnete unter dem Namen »Haus der Kinder« am 2. Mai 1949. Es wurde am 25. Mai 1950 als »Zentralhaus der Jungen Pioniere« dem Zentralrat der FDJ übergeben, vgl. Tenorth/Kudella/Paetz (1996): Politisierung im Schulalltag der DDR, 143. Ausführlich Ansorg (1997): Kinder im Klassenkampf, 99-122. Die Pionierhäuser galten als »Zentrum kultureller Massenarbeit für die Jungen Pioniere und Schüler«, vgl. Ministerium für Volksbildung (23. Oktober 1952): »Verordnung der Regierung der DDR über die außerschulischen Einrichtungen«, in: Günther/Uhlig (1970): Monumenta Paedagogica, 432.

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mitwirken zu können.89 Damit waren auch diese außerschulischen Angebote ein Instrument der »patriotischen Erziehung«. Nach den Vorstellungen Walter Ulbrichts sollte nicht mehr und nicht weniger, als »das ganze Leben der Kinder […] mit den Fragen der patriotischen Erziehung« durchdrungen werden.90 Das bunte und pädagogisierte Freizeitangebot der Pionierhäuser wurde dennoch regional gut genutzt.91 Angesichts des Mangels an alternativen Angeboten für Kinder, ist dieser Befund nicht erstaunlich.92 Es war nicht leicht, die Kinder für die Teilnahme an den zweimal monatlich stattfindenden Pioniernachmittagen zu begeistern, wie der Bericht von Hanni Knöfel zeigt. Die Pioniergruppenleiter/-innen suchten nach Mitteln und Wegen, die Kinder anzusprechen. Musizieren und Singen galten dabei als attraktive Angebote. Ursula Werner, Gruppenpionierleiterin der 1. Grundschule Berlin-Weißensee, berichtete in der Zeitschrift Der Pionierleiter enthusiastisch darüber, wie es ihr gelungen war, »eine langweilige Gesellschaft« zu einer aktiven und interessierten Gruppe Junger Pioniere zu formen: »Das erste, was wir gemeinsam unternahmen, war ein Liedernachmittag«, begann Werner ihren Bericht über ihr als Erfolg dargestelltes Erziehungsprojekt: »Ich brachte meine Ziehharmonika mit. Da lernte es sich leichter.« Kurz darauf hatte die Pioniergruppe ihre ersten offiziellen Auftritte. Die Jungen und Mädchen sangen die gerade erst gelernten Lieder auf einer Einwohnerversammlung und zu den Volkswahlen. Genau diese Auftritte machten aus einer demotivierten, gelangweilten Gesellschaft eine Gemeinschaft. Das Gruppengefühl resultierte ihrer Ansicht nach aus den gemeinsamen, »nützlichen« Aktivitäten. Indem sie mustergültig politische Inhalte in »spannende« Unternehmungen verpackte, gelang es der Pionierleiterin nach eigener Beschreibung, immer mehr Kinder der Schule für die Pionierarbeit zu begeistern.93 Während die Lehrer/-innen ihre Ideen und Materialien aus der Zeitschrift Der Pionierleiter erhielten, gab es für die Pioniere die monatlich erscheinende Zeitschrift Fröhlich sein und singen mit einer bunten Sammlung an Ideen für Stehgreifspiele, kleine Thea-

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Ministerium für Volksbildung (1953): Prüfungsanforderungen, 7. Walter Ulbricht: »Für eine entschiedene Verbesserung der Pionierarbeit«, in: Neues Deutschland, 11. März 1955, 1: »Ihre Tätigkeit [der Pionierorganisation] soll das ganze Leben der Kinder – ihr Lernen, ihr Spiel, ihre Erholung – mit den Fragen der patriotischen Erziehung durchdringen.« Pionierhaus »Otto Grotewohl«: Pionierarbeit 1950-1955: Statistische Aufstellung Berichtsjahr 1952/53, in: SA Erfurt 1-5/36-1665, Bl. 13. Demnach erreichten die Arbeitsgemeinschaften »pol- erzieh. Arbeit, Wissenschaft/Technik, Kunsterziehung, Sport in der Summe 1640 Schüler/-innen. Auf Kinderfesten waren 17.000 Gäste anwesend. Vorträge, wissenschaftliche Gespräche wurden von 2550 Kindern besucht; Arbeit mit dem Buch: 3000; Teilnahme an »Feierstunden und andere Veranstaltungen wie Ring frei, Liedlernveranstaltungen, Kinderkonzert usw.«: 9200. Zu Kinovorführungen zählte das Pionierhaus 68.600 Gäste und die »Sommerarbeit« erreichte 6900 Kinder. Über die Validität dieser Statistik lässt seine keine Aussage treffen, zumal auch Vergleichszahlen fehlen. Nur die Kinder- und Jugendarbeit der Kirchen hätte eine Alternative darstellen können. Diese wurde jedoch gerade Mitte der 1950er systematisch unterdrückt, für illegal erklärt und damit de facto verboten. Siehe Wentker (1994): »›Kirchenkampf‹ in der DDR« und Helmberger (2008): Blauhemd und Kugelkreuz. Werner (1955): »Was aus der ›langweiligen Gesellschaft‹ wurde«, 9.

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terstücke, Lieder oder jahreszeitentsprechende Bastelarbeiten und mit Fortsetzungsgeschichten.94 Es gab viele Möglichkeiten, einen Gruppennachmittag so zu gestalten, dass er abwechslungsreich und lehrreich zugleich war, wie auch das Beispiel einer imaginären »Reise durch die Heimat« zeigt. Sie fand im Mai 1952 in der »Schule am Frühlingsberg« in Sohland/Spree (10 Kilometer südlich von Bautzen) statt und ist ein Musterbeispiel für die performative Verknüpfung von Freizeitgestaltung, Wissenserwerb und Vermittlung politischer Einstellung.95 In Vorbereitung auf die imaginäre Reise markierten die Pioniere auf einer Deutschlandkarte die Ziele. Informationen zu den Städten mussten sich die Kinder im Vorfeld erarbeiten und bei der jeweiligen »Ankunft« auf ihrer imaginären Reise vortragen. Bereist wurde im Heimatverständnis von 1952 ganz Deutschland. Der Start war in Sohland. Dann ging es über Bautzen, Dresden, Leipzig (als Stadt des Pfingsttreffens der Jugend in jenem Jahr) und Zwickau. Der »Interzonenzug« brachte die Pioniere nach Nürnberg, in den Schwarzwald und mit einer Schiffsreise auf dem Rhein nach Frankfurt a.M.. Von dort ging es weiter nach Köln, dann nach Hamburg. Dort stiegen die Kinder in ein Flugzeug um, mit dem sie nach Stralsund und weiter nach Berlin flogen, um sich über das »Nationale Aufbauwerk« zu informieren. Über Frankfurt/Oder und Görlitz (um die »Freunde aus Polen« zu begrüßen) ging es zurück nach Sohland. Der Weg zwischen den einzelnen Stationen sollte mit dem Gesang festgelegter Lieder verkürzt werden. Dazu gehörten das ins Deutsche übertragene Lied der sowjetischen Jugend Der Zukunft entgegen; Unser alter Kapitän (Vasilij Ivanovič LebedevKumač/Isaak Ossipowitsch Dunajewski) und das Jugendlied der Vorkriegszeit Du hast ja ein Ziel vor den Augen. Als neue Pionierlieder sangen die Kinder Wir sind jung und unsere Kraft (1949, Renate Becher/Martin Hofmann) und Es rollen die Räder im ratternden Takt (1948, Eva Fritzsche/Eberhard Schmidt). Auch das Bergmannslied Glück auf durfte nicht fehlen. Auffällig ist, dass das volkstümliche Liedrepertoire von neuen Kinderund Jugendliedern sowie russischen Liedern abgelöst wurde. Diese Reise stand ganz im Zeichen des Fortschrittsoptimismus, des »vorwärts« Gehens, Schreitens, Fahrens oder Rollens.96 Die Obsession des fortwährenden Fortschreitens lässt sich auch in dem immer präsenten Wettbewerbsgedanken finden. Die Teilnahme an und Organisation von sportlichen oder musischen Wettbewerben war eine zentrale Erziehungsstrategie und wesentliches Kennzeichen der sozialistischen Gesellschaft. Die Aufrufe zu den Wettbewerben, 94

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Die Zeitschrift erschien erstmalig 1953. Die anvisierte Leserschaft waren die Jungpioniere der Klassen 1-4, vgl. Wilkendorf (2007): »Was bleibt?«. Ab Ende der 1950er Jahre war die Trommel. Zeitschrift für Leser ab 10 Jahren (1958 bis 1991) das zentrale Publikationsorgan der Pionierorganisation. Siehe Pionierfreundschaft der Schule am Frühlingsberg an die Bezirksleitung der FDJ: Bericht über einen Gruppennachmittag, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1113, o. Bl. Alle folgenden Informationen und Zitate stammen aus dem Bericht. Der somit symbolisierte Fortschritt war eine zentrale Idee der Pädagogik und Erziehung in den 1950er Jahren der DDR. Somit war der Begriff Fortschritt in zahlreichen Wortkombinationen präsent, vgl. Ministerium für Volksbildung (1949): 4. Pädagogische Kongress, 57: »Die Jungen Pioniere und die FDJ sind die fortschrittlichste Schuljugend. Will man eine fortschrittliche Schularbeit leisten, muß man sich selbstverständlich auf die fortschrittlichen Schüler orientieren«, deswegen sei es weiterführend Aufgabe »jedes fortschrittlichen Lehrers« den Kampf dieser Pionier- und FDJGruppen zu unterstützen«, 58f.

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die Ausschreibungen, Nominierungen und Auszeichnungen der Gewinner/-innen erfolgten immer öffentlich in verbandseigenen Zeitschriften. Die Schüler/-innen wurden zum Sammeln von Rohstoffen angespornt, zum Einsparen von Strom oder zum Kampf um die besten sportlichen Leistungen. Doch es ging nicht um die einzelne Leistung. Das Pionierkollektiv musste sich als Ganzes beweisen. Um die Auszeichnungen, Wimpel, Banner, Urkunden, Abzeichen oder auch Sachpreise zu erhalten, mussten sich die Kinder untereinander helfen, sich gegenseitig anspornen.97 Niemand durfte zurückbleiben. Niemand durfte es sich leisten, weniger zu lernen, zu arbeiten, zu sammeln, zu trainieren, da er oder sie sonst den kollektiven Kampf um die Auszeichnungen blockiert hätte. Pionierkollektive sollten Erfolgskollektive sein, genauso wie die Arbeiter/-innen in ihren Brigaden. Die Idee der umfassenden Koordinierung und planmäßigen Weiterentwicklung des Lernens in Schule und Freizeit fand seine Steigerung in dem sogenannten Stufenprogramm, einem »Lehrplan der Pionierorganisation«, der ab 1958 minutiös festlegte, in welcher Klassenstufe und welchem Lernbereich die Pioniere was zu erlernen hatten, um die nächste »Pionierstufe« zu erreichen und damit »nützliche Glieder der sozialistischen Gesellschaft« zu werden.98 Die Beilage der ABC-Zeitung Unser Wimpel vom September 1959 erläutert detailliert die Anforderungen jeder einzelnen Pionierstufe. Sie waren abgestimmt auf die schulischen Lehrpläne und umfassten gesellschaftliche Aktivitäten in Familie (»Helfe Deinen Eltern«) und Wohnumfeld (»Hilf alten und kranken Menschen«). Sie forderten die Kinder auf, Brieffreundschaften in die Sowjetunion zu pflegen, Sportabzeichen zu erringen, bestimmte Bücher und Zeitschriften zu lesen und vorgegebene Lieder zu lernen. Die Jungpioniere mussten bis zur dritten Pionierstufe noch volkstümliche Lieder und Spiellieder beherrschen. Ab der vierten Stufe (damit ab der 4. Klasse) lernten die Kinder die neuen spezifischen Lieder des Pionierverbandes. »Bei der Einstudierung dieser Lieder kommt es besonders auf die Methodik des Liedlernens an«, stand mahnend unter dem entsprechenden Programm des Schulungsplanes.99 Die Zehnjährigen lernten das Lied der Naturforscher (1952, Manfred Streubel/Gerd Natschinski) und Blaue Wimpel im Sommerwind (beide 1952 Manfred Streubel/Gerd Natschinski) aus dem gleichnamigen DEFA-Dokumentarfilm über das Pioniertreffen in Dresden und das Thälmannlied (1951, Kuba/Eberhard Schmidt). Planung, Fortschritt und Leistungsorientierung waren die strukturellen Prinzipien der Erziehung und Bildung der 1950er Jahre. Das zeigt sich in »Arbeitsplänen« der Schule, dem »Bildungsplan« der Pionierhäuser, deren »Monatsplänen«, im »Stufenprogramm« der Pionierarbeit oder in der Planung des permanenten Wettbewerbes. Dazu

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Siehe dazu auch Kinderbücher, wie Bauer (1956): 2:2 für Klasse 8 oder Wellm (1962): Kaule. Eine Handreichung für die Pionierräte von 1961 listet 10 verschiedene Abzeichen auf, die Jung- und Thälmannpioniere in dem Jahr erreichen konnten. Diese reichen von Leistungsabzeichen über touristische Zeichen bis hin zu mehreren verschiedenen Winter- und Sommersportabzeichen, vgl. Zentrales methodisches Kabinett (1961): Für die Pionierräte, 74. Zentralkomitee der SED (1958): »Der Jugend unser Herz«, 20. Zum Stufenplan vgl. Ansorg (1997): Kinder im Klassenkampf, 85-91. Kreisleitung Riesa: Ergänzungen zum Schulungsplan: Weiterbildungen für Pionierleiter, 9. Oktober 1961, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1064, o. Bl.

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wurden Schule und Freizeitgestaltung eng miteinander verzahnt und aufeinander abgestimmt.

Alte und neue Lieder Die 1950er Jahre waren ein Jahrzehnt voller neuer Kinder- und Jugendlieder, die zum Teil noch Kinder in den 1980er Jahren lernten. Insgesamt lassen sich in den gesichteten Materialien bis Ende der 1950er Jahre circa 1300 verschiedene Lieder finden.100 Der Anteil der neukomponierten Lieder war im Vergleich zu den Nachkriegsjahren signifikant gestiegen. Circa 940 Lieder (und damit über 70 Prozent aller genannten Lieder) sind nach 1945 entstanden. Die schiere Menge an den neuen und unterschiedlichen Liedern ist methodisch eine Herausforderung. Jedes Lieder- oder Lehrbuch schien sich vor allem durch den Abdruck immer neuer Lieder hervorheben zu müssen. In den einschlägigen Zeitschriften, wie Musik in der Schule oder Die Unterstufe erschienen in eigenen Rubriken in jeder Ausgabe neue Lieder. Auch die Zeitschriften für Kinder und Jugendliche waren mit neuen Liedern gefüllt. Jedoch nur insgesamt 28 dieser 940 neuen Lieder – damit gerade einmal drei Prozent – tauchen mindestens vier Mal in den Materialien der 1950er Jahre auf und sind somit für die vorliegende Analyse relevant. Bezüglich der alten Lieder änderte sich in den 1950er Jahren nur wenig. Es gab eine anhaltende Tradition von Arbeiterliedern. Ungebrochener Popularität erfreuten sich die Klassiker Brüder, zur Sonne zur Freiheit; Wann wir schreiten Seit an Seit und die Internationale. Ebenso zahlreich blieben die Volkslieder im Repertoire der populärsten Lieder (insgesamt 60 Lieder). Auch hier änderte sich wenig im Vergleich zu den Nachkriegsjahren. Eine signifikante Verschiebung ergab sich bei den neuen Liedern der 1950er Jahre. 21 der 28 Lieder waren Kinder- und Pionierlieder, die in der Mehrheit nach 1950 entstanden.101 Neben der omnipräsenten Nationalhymne, die zu keinem Anlass und in keinem Liederbuch fehlte, waren es also die neuen Kinder- und Jugendlieder, die den Sound auf den Pioniernachmittagen, zu Fest- und Feiertagen und großen Pioniertreffen ausmachten. Im Schulunterricht sah es jedoch anders aus. Die Kinder des Einschulungsjahrganges 1952 wurden in ihren ersten beiden Schuljahren mit dem Musikbuch Fangt fröhlich an. Musik in der Grundschule unterrichtet, einer erneuerten Ausgabe des erfolglosen Musikschulwerkes von Siegfried Borris.102 Auch dieses Lehrbuch galt wie sein Vorgänger als unzeitgemäß.103 Es war voller farbiger 100 Diese Angaben beruhen auf der Analyse von 13 Lehr- und Liederbüchern der Jahre 1951 bis 1960. In die Auswertung kamen zusätzlich Lehrpläne, Lehrerhandreichungen, Stoffverteilungspläne, Angaben aus den pädagogischen Zeitschriften Musik in der Schule, Die Unterstufe sowie der Kinderund Jugendzeitschriften: Der blaue Wimpel, Der Junge Pionier [später: die Trommel], FRÖSI und die ABC-Zeitung. Programme von schulinternen Feiern und Pionierveranstaltungen sind ebenso Teil der empirischen Basis, wie Klassenbücher von Erfurter Schulen. 101 Die verbleibenden sieben relevanten Jugendlieder bzw. neuen Lieder entstanden fast ausschließlich vor 1950, wie die bereits bekannte Hymne der demokratischen Weltjugend (1947), die Nationalhymne (1949) oder Tausend Traktoren (1949, Hermann Scepanski/Günter Schruth). 102 Borris (1950): Fangt fröhlich an. 103 Die Lieder würden nicht mehr »dem Zeitgeist entsprechen«, hieß es. Es handle sich um »Plattheiten«, alte Lieder mit »schmachtenden« und »süßlichen Melodien«, siehe Lorenz (1954): »Welche Lieder singen wir«, 8.

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Abbildungen von Tieren, Menschen bei der Arbeit und vor allem von spielenden, lachenden und tanzenden Kindern, die (bis auf eine Ausnahme) nicht die Kleidung der Pionierorganisation trugen. Keines der Lieder hat einen aktuellen, politischen oder gesellschaftlichen Bezug. Einige Lehrende sahen darin »kleinbürgerliche Gefühlsduselei und Gemütskitsch«104 , das galt es zu überwinden. 1951 erschienen daraufhin die ersten überarbeiteten Liedhefte mit den neuen Jugend-, Kinder- und Pionierliedern für den Jugendverband.105 Doch erst 1954 kam ein überholtes Lehrbuch für den Musikunterricht der 1.-4. Klassen heraus, die Singfibel.106 Dieses verzichtete zwar völlig auf Illustrationen, aber das neue Kinder- und Pionierlied, an dem die Komponisten/-innen im Auftrag des Staates so intensiv arbeiteten, fand noch immer nicht seinen Weg in den regulären Musikunterricht. Nur zwei der 27 Lieder für die 3. Klasse gehörten zu den neuen Liedern: Kleine weiße Friedenstaube (1952, Erika Mertke) und das Lied Zum 1. Mai (1954, Agnes Krauskopf/2. Strophe Christian Lange/Inge Nied). Auch für die vierte Klasse gab es unter 63 Liedern nur fünf neue Kinder- und Pionierlieder.107 Die Singfibel reichte daher auf keinen Fall dafür, die zahlreichen vorgeschriebenen Gedenktage und Schulfeiern zu gestalten. Dafür mussten die verantwortlichen Lehrer/innen und Gruppenpionierleiter/-innen auf die Liedblätter, Zeitschriften und spezielle Lehrmaterialien zurückgreifen. Methodisch stellte das die Musiklehrer/-innen jedoch vor einige Herausforderungen. Denn die neuen Kinder- und Pionierlieder aus den Materialien des Jugendverbandes erforderten viel mehr sängerisches Können, als der Musikunterricht in der Grundschule vorsah.108 Erfolgreiche Beispiele für einfache, eingängige und populäre Lieder dieser Zeit sind Kleine weiße Friedenstaube von Erika Mertke und Über allen strahlt die Sonne (1952, Ursula Gröger). Bereits Kindergartenkinder lernten diese Lieder 1952.109 Noch 1989 erklangen diese Melodien im Musikunterricht der ersten und zweiten Klasse.110 Erika Mertke kam das Lied von der Kleinen weißen Friedenstaube nach eigenen Angaben spontan in den Sinn, als sie das entsprechende Gemälde von Picasso sah. Als Entstehungsjahr des Liedes benannte sie 1948. Das erste Mal gedruckt erschien es nach heutigem Kenntnisstand 1952.111 Über die Entstehung des zweiten Liedes Über allen strahlt die Sonne ist nichts weiter bekannt. 104 Frisch (1959): »Das Lied in der sozialistischen Erziehung«, 194. 105 Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten (1951): Reicht euch die Hände; Zentralrat der FDJ (1951): Unter den friedlichen Fahnen; Zentralrat der FDJ (1952): Wir singen neue Lieder. 106 Lorenz (1954): Komm, sing mit. 107 Lied der jungen Naturforscher; Wir sind jung und unsere Kraft; Pioniere schaffen froh (1950, Gerd Schlotter/Renate Becher); Könnt ihr die blauen Wimpel sehen (1951, H. W. Kubsch/J. K. Forest, Joachim Werzlau); Hallo, kleine Trümmerbahn. 108 Nach dem Aufbau der Singfibel lernten die Kinder erst in der 4. Klasse die Tonarten D-Dur und GDur, die punktierten Viertel und Achtel sowie das zweistimmige Singen. Diese Gestaltungsmittel prägten jedoch in der Mehrheit der neuen Kinder-, Pionier- und Jugendlieder in den Materialien des Jugendverbandes. 109 Kindergartenkinder sangen das Lied von der Friedenstaube ihrem Präsidenten vor, siehe Rundfunkdokumentation: 5 Jahre DDR, Wilhelm Pieck besucht einen Kindergarten in Stalinstadt, 22. September 1954, in: DRA DOK 96; vgl. auch Anonym (1952): Liederbuch für die Vorschulerziehung, 35. 110 Krauthoff u.a. (1990): Musik. Lehrbuch, 4. 111 Fauser (2006): »Friedensthematik«, 97f.; Christoph Kuhn: »DDR-Kinderlied Erinnerung an ›Kleine weiße Friedenstaube‹«, Mitteldeutsche Zeitung (online-Ausgabe), 2015, www.mz-web.de/kul-

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Abbildung 20

Erika Mertke: Kleine weiße Friedenstaube.

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Ursula Gröger: Über allen strahlt die Sonne.

tur/ddr-kinderlied-erinnerung-an--kleine-weisse-friedenstaube-,20642198,29462218,item,1.html (Zugriff: April 2020).

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Ein geringer Tonumfang, vorrangig Tonschritte und -wiederholungen sowie eine rhythmisch monotone Gestaltung ermöglichten auch jüngeren Kindern ein schnelles Erlernen und Wiedergeben dieser beiden Lieder. Die Texte knüpften mit ihrer Schlichtheit an die Lebenswelterfahrung von Kindern an und waren unmittelbar verstehbar. Aber auch diese beiden Lieder verfolgten »politisch erzieherische« Ziele. Frieden als Voraussetzung für Fröhlichkeit und Glück galt als Grundrecht »aller Menschen, groß und kleinen« (Kleine weiße Friedenstaube) auf der Welt. »Alle Kinder wollen Frieden« (Über allen strahlt die Sonne); »Daß nie wieder Krieg wir wollen/Frieden wollen wir« (Kleine weiße Friedenstaube). Frieden ist in den Liedern zwar nicht in Gefahr, aber auch nicht selbstverständlich: »Hütet gut den Frieden ihr« (Über allen strahlt die Sonne). Mit dieser Botschaft waren die beiden Lieder durchaus ein Spiegel ihrer Zeit.112 Sie bedienen einfach verständlich die Idee einer internationalen Schicksalsgemeinschaft: »Froh und glücklich will doch spielen auf der Erde jedes Kind/ob nun seine Eltern Schwarze, Gelbe oder Weiße sind« (Über allen strahlt die Sonne). Bereits Vorschulkinder sollten lernen, in internationalen Dimensionen zu denken und zu fühlen. Zugleich ließ sich damit das Bewusstsein festigen, auf der guten, der richtigen Seite zu stehen. Denn was ist gegen lachende und glückliche Kinder einzuwenden? Der Erfolg dieser beiden Lieder liegt in der Kombination ihrer musikalischen Schlichtheit mit einer für Kinder leicht verständlichen politischen Botschaft. In der »Unterrichtshilfe für den Lehrer« ist das Erlernen des Liedes Über allen strahlt die Sonne für die erste Klasse als Unterrichtsbeispiel unter dem Lernziel »ausdrucksvolle Liedgestaltung«, erläutert. Diese Anweisung versteht sich als eine explizite Anleitung zur Gefühlserziehung über das Einüben des Liedes. Idealerweise gehe dem Erlernen des Liedes ein »Unterrichtsgespräch« voran, in dem die siebenjährigen Kinder überlegen sollten, ob denn auch bei den »schwarzen und den gelben Kindern« immer die Sonne scheine. Daran sollte die Lehrkraft eine »kleine Geschichte« anschließen. Dann könne der Text »ausdrucksvoll als Gedicht« erlernt werden. Danach erst darf der Lehrer oder die Lehrerin »das ganze Liedchen mit gutem Ausdruck und innerer Anteilnahme vortragen. Die Kinder müssten durch den Vortrag ergriffen sein«, hieß es in den Anweisungen. Die Wirkung des Liedes sollte durch eine Instrumentalbegleitung verstärkt werden, betonten die Autoren.113 Der Wunsch nach diesen prägnanten und erzieherischen Liedern war groß und führte in den 1950er Jahren zu einer ganzen Reihe von staatlichen Maßnahmen, um diese zu generieren.114 Es gab eine genaue Vorstellung über die Liedinhalte und über die musikalische Gestaltung. Das Lied musste in der Lage sein, die Kinder emotional zu erreichen und zugleich die erzieherische Botschaft zu transportieren. Dieser »neue Liedstil« hatte jedoch nichts mit kindgerechter Musik oder lebensnahen Themen zu tun (das war im alten Musikschulwerk voll und ganz berücksichtigt). Es ging vielmehr um »politisch erzieherisches Liedgut«, das aus der Feder der »Komponisten der Republik« kommen müsste.115 112 113 114 115

Grant/Ziemann (2016): »The Cold War as an imaginary war«, 2. Dittrich/Frisch (1960): Frohes Singen und Musizieren, 43-5. Lorenz (1954): »Welche Lieder singen wir«, 9: »Unsere Dichter und Komponisten müßten uns vielmehr Lieder schenken, die dem Verständnis unserer 6- bis 10jährigen angepaßt sind.« Frisch (1959): »Das Lied in der sozialistischen Erziehung«, 194.

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So spontan, wie Kleine weiße Friedenstaube entstanden wenige bekannte Lieder. Der Staat steuerte das sogenannte Liedschaffen. Dazu gab es im Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR eine »Kommission für Jugend und Schulmusik«. Diese funktionierte als Vermittlerin zwischen dem Ministerium für Volksbildung und den Komponisten/-innen des Landes. Benötigte das Ministerium neue Lieder, leitete die »Hauptabteilung Musik« den Bedarf in Form von Auflistungen der Liedthemen an die Kommission des Komponistenverbandes weiter. Diese nahm direkt Kontakt zu geeigneten Komponisten/-innen auf.116 Für ihre Auftragskompositionen erhielten die Komponisten/-innen ein entsprechendes Honorar.117 Laut einer solchen Auflistung fehlte es 1958 an: »Lieder[n], die ein positives Verhältnis zur Volksarmee schaffen, Lieder[n], die zur Heimatliebe (DDR) erziehen, darunter auch Wanderlieder für Jungpioniere, Lieder[n], die dazu beitragen, ein inniges Verhältnis zur Arbeit und zum arbeitenden Menschen herzustellen […], Lieder[n], die die moralischen Seiten berühren, die zum Aufbau des Sozialismus unbedingt notwendig sind (Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit, Einsatzfreudigkeit und Strebsamkeit)«.118 Der reguläre zweite Weg zur Entstehung neuer Lieder bestand in Auftragskompositionen für den Rundfunk (bzw. später für bestimmte Fernsehformate), für das Ministerium für Kultur oder für Kinder- und Jugendzeitschriften. Unter der Rubrik: »Bemerkungen zur Kulturpolitik« erschien am 24. März 1953 im Neuen Deutschland eine Meldung, nach der sich »drei dicke Ordner voller Notenblätter, darunter sehr gute Kinderund Pionierlieder unserer Komponisten Meyer, Asriel, Kochan, Werzlau und Naumilkat« im Kinder- und Pionierfunk und bei der Kommission Musik für Kinder im Ver-

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Vgl. Siegfried Köhler: Schreiben an das Ministerium für Kultur, HA Musik, zu Händen Herrn Uszkoreit, 4. Mai 1957, in: BArch SAPMO DR 1 316, Bl. 974: »Ich bin vom Komponistenverband mehrfach aufgefordert worden, für die bevorstehenden Volkswahlen am 23. Juni 1957 ein Lied oder ein Chorwerk zu schreiben.« Staatliches Rundfunkkomitee, Honorar und Lizenzabteilung: Quittung an Gerd Natschinski über 86 DM für die Komposition Pioniermarsch – Wir tragen die blaue Fahne, in: DKA Hellerau N-020-5i Belege (01). Für die Verbreitung und Bedeutung des Liedes sprechen Briefe an den Komponisten von Lehrkräften und Laienmusikern und -musikerinnen, die darum baten, Bearbeitungen zu genehmigen, siehe Nachlass Gerd Natschinski in DKA Hellerau N-020-4m ber. Korr 1959-1961. Hartung (Volk und Wissen volkseigener Verlag Berlin, Abteilung Musik): Schreiben an das Ministerium für Volksbildung, HA Unterricht und Erziehung, Stöhr, 6. August 1958, in: BArch SAPMO DR 2 4945, Bl. 347f. Ein Jahr später forderte Hans Naumilkat als Vorsitzender der Kommission für Jugend und Schulmusik seine Kolleginnen und Kollegen auf, unter anderem »landschaftlich gebundene Heimatlieder der DDR« zu komponieren, Lieder zur »Heimatverteidigung, Soldatenlieder« oder auch Lieder zum »Sozialismus auf dem Dorfe«, siehe Hans Naumilkat: Rundschreiben an Mitglieder des Verbandes Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler, 22. Juni 1959, in: BArch SAPMO DR 2 4945, Bl. 20. Die internen Protokolle des Verbandes der 1960er Jahre belegen, dass dieses auch weiterhin eine gängige Praktik blieb, neues Liedgut gezielt einzufordern, in: AdK VKM 3100.

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band Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler angesammelt hätten.119 Was mit den zahlreichen Liedern geschehen sollte, blieb unklar. Eine dritte Methode zur Generierung neuer Lieder waren Wettbewerbe. Anlässlich des 10. Geburtstages der DDR lobten das Ministerium für Volksbildung und der Verlag Volk und Wissen Preisgelder von bis zu 500 DM für das beste »sozialistische Kinderlied« aus.120 Gefragt waren »literarisch wertvolle Texte […], die den sozialistischen Inhalt in kindgemäßer, Gefühl und Willen stark anregender Form zum Ausdruck bringen«.121 Insgesamt 540 Lieder und 130 Gedichte erreichten das Ministerium für Volksbildung. Die Ausbeute war in den Augen der Organisatoren/-innen dennoch ernüchternd. Keines der eingereichten Lieder genügte den Ansprüchen. Vor allem wurden den Liedern fehlende »sozialistische Inhalte« bescheinigt. Sie seien zu »neutral« und daher in den Augen der Staatsmacht für Kinder ungeeignet.122 Wie auch schon Jahre zuvor wurden keine ersten und auch keine zweiten Preise vergeben, dafür dritte und vierte Plätze nominiert. Dieser Liedwettbewerb unterstreicht die hybride Vorstellung von der Erziehbarkeit von Emotionen durch Gesang. Die staatlich regulierte Liedproduktion war immer auf der Suche nach einer kindgemäßen musikalischen Sprache. Zugleich aber definierten die Funktionäre und Funktionärinnen selbst, wie diese zu klingen habe: lebhaft und fröhlich, klar, rein, authentisch und dabei politisch erziehend; nicht »gefühlskitschig« und doch emotional berührend; nahe an der Lebenswelt der Kinder und gleichzeitig die neue sozialistische Lebenswelt besingend. An diesen Unvereinbarkeiten arbeiteten sich mehr oder minder erfolgreich die Komponisten/-innen und Textdichter/-innen in den 1950er Jahren ab. Die gelenkte Produktion der neuen Lieder war erfolgreich. Es entstanden im Laufe der 1950er genügend geeignete Lieder, die als »Pflichtlieder« an allen Schulen der Republik gelernt werden sollten. Das Konzept der »Pflichtlieder« wurde mit dem neuen Lehrplan von 1954/55 neu eingeführt und sofort systematisch umgesetzt. Im neuen Lehrbuch waren diese Lieder für die Jahrgangsstufen eins bis vier gesondert gekennzeichnet.123 Auf diese Weise bildete sich in den 1950er Jahren ein festes Repertoire von Liedern heraus, das sich bis in die 1980er Jahre kaum mehr änderte. Die musikalischen Stilmittel der Kinder- und Pionierlieder reduzierten sich in dem Maße, in dem sich die Inhalte Anonym: »Bemerkungen zur Kulturpolitik«, in: Neues Deutschland, 24. März 1953, 4. Auch die persönlichen Notizen Siegfried Köhlers weisen darauf hin, dass er seine Lieder häufiger in Rundfunksendungen für Kinder wiederhörte. Das war für ihn die Grundlage, Auszahlungen von der GEMA einzufordern. 120 Siehe Anonym (1959): »Preisausschreiben«, 1; Ministerium für Volksbildung, V. Teichmann, Abteilung Allgemeinbildung Sektor Gesellschaftswissenschaften: Schreiben an Hans Naumilkat, 14. Juli 1959, in: BArch SAPMO DR 2 4945, Bl. 19. 121 Siehe Anonym (1959): »Preisausschreiben«, 1. 122 Die Jury kritisierte den moralischen Anspruch der Lieder, den »zu stark erhobenen Zeigefinger«, und die fehlende »rhythmische Belebung«, in: Anonym (1960): »Auswertung des Preisausschreibens« 15f. 123 Zur schnelleren Verbreitung der Pflichtlieder gab es Beihefte in den Lehrerzeitschriften, wie z.B. in der Beilage: »Pflichtlieder für die Unterstufe, die bisher noch nicht in ›Komm, sing mit‹ enthalten sind«, in: Unterstufe, 2. Beilage 1959. 119

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auf wenige Schwerpunkte verdichteten. Neben einfachen Kinderliedern, die pauschal den Frieden besangen, etablierten sich die anlassbezogenen Funktionslieder, die das Ministerium in Auftrag gab. Das Lied Den Kindern der Welt (1959, Johanna Kraeger/Siegried Bimberg) sangen die Pioniere zum Internationalen Kindertag; Mein blaues Halstuch (1964, Willi Layh/Ernst Hermann Meyer) zur Aufnahme in die Pionierorganisation; Festtag in unserer Republik (1959, Christian Lange) zum 1. Mai beziehungsweise 7. Oktober. Diese Liedkompositionen vermittelten unaufgeregt die kindgerechten Botschaften: »Mein Schmuck ist mein Halstuch, das blaue schaut her/ich halte es sauber, es kleidet mich sehr« (Mein blaues Halstuch). Es ging in den Liedern um eine natürliche, fast naive Lebensfreude. »Wir freu’n uns an Sonnenschein, Blumen und Wind/und möchten, daß alle so froh wie wir sind« (Den Kindern der Welt). Diese Kinder- und Pionierlieder der späten 1950er und frühen 1960er Jahre signalisierten zunehmend ein Ankommen in der sozialistischen Gesellschaft, in der die Heranwachsenden ihre klar definierte Aufgabe hatten als funktionierender Bestandteil der sozialistischen Gesellschaft, genauso wie die Polizisten und Polizistinnen im Straßenverkehr (Der Volkspolizist [1958, Johanna Kraeger/Sabine Müller]), die Postfrau (Frau Krause trägt die Post heut aus [1954, Gertrud Neumann-Hechler/Fritz Prieß]) und die Mutter, die sich um den Haushalt kümmerte und selbstverständlich arbeitete (Wenn Mutti früh zur Arbeit geht [1954, Erika Wihan/Kurt Schwaen]).124 Zusammenfassend lässt sich für die fünfziger Jahre festhalten: Zu Beginn des Jahrzehnts waren die Musiklehrer/-innen noch frei in der Wahl der Lieder. Das änderte sich mit der dezidierten Vereinnahmung des Musikunterrichtes für die »patriotische Erziehung«. Das Ministerium für Volksbildung beauftragte die Entstehung neuer Lieder und legte mit der Kategorie »Pflichtlieder« fest, welche gelernt werden mussten. Diese werden im Folgenden näher betrachtet. Dabei gilt es herauszuarbeiten, wie die Vorstellungen von patriotischen Gefühlen in die kindliche Vorstellungswelt übersetzt wurden. Was sollten Kinder genau patriotisch fühlen? Wie sollten sie dieses Fühlen lernen?

Variationen von Heimatliebe Heimat kennen Sonntag, 22. Mai 1960: Der Berliner Kinderfunk hatte zu einem Chorkonzert mit dem Kinderchor geladen. Beginn war 11 Uhr im »Theater der Freundschaft« in Berlin. Hans und Ilse Naumilkat leiteten den Chor. Ihre Namen waren allen Schulkindern in der DDR bekannt. Mehr als 60 Kinder- und Pionierlieder gehen auf das Ehepaar Naumilkat zurück, darunter die Klassiker, die über 30 Jahre hinweg von allen Kindern in der DDR gelernt werden sollten.125 124 Das Lied gehört zu den ersten Pflichtliedern, siehe Ministerium für Volksbildung: Entwurf: Anweisung zur Verbesserung des Gesangs- und Zeichenunterrichtes 1954/55, in: BArch SAPMO DR 2 3904, Bl. 27. 125 Hans Naumilkat war als Ressortleiter für Musik im Kinderfunk beim Berliner Rundfunk und als Direktor der 1950 gegründeten Kinderchöre des Rundfunksenders am Puls der Zeit. Seine Kompo-

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Das Chorkonzert an jenem Maisonntag 1960 stand unter dem Slogan: »Über unserer Heimat scheint die Sonne«126 , eine Anspielung auf die gleichnamige Kinderkantate von Hans Naumilkat aus dem Jahr 1959, die auch Teil des Programms war.127 Heimat war nicht nur das Motto jenes Konzertes im Mai, sondern das zentrale Liedthema der 1950er Jahre: Deutsche Heimat, sei gepriesen (1949, Johannes R. Becher/Hanns Eisler); Lied der jungen Naturforscher; Unsre Heimat (1951, Herbert Keller, Hans Naumilkat); Deutschland, du liebe Heimat (1951, Ilse und Hans Naumilkat); Wir lieben unsere Heimat – das sind mit Abstand die bekanntesten Kinder- und Pionierlieder jenes Jahrzehnts. Die Lieder Unsre Heimat und Lied der jungen Naturforscher gehören zu den zeitlosen »Klassikern« der DDR-Kinderliedliteratur. Es gab kaum ein Kind, – egal, ob 1946 geboren, oder 1980 – das nicht in der Schule der DDR diese beiden Lieder gelernt hätte. Vor allem Unsre Heimat ist durch die filmische Verarbeitung in dem Kinofilm »Good Bye Lenin« nachträglich zum ikonografischen Sound der DDR geworden. Den anderen Heimatliedern der 1950er Jahre gelang diese Karriere nicht. Warum haben sich diese beiden durchgesetzt? Welche Idee von Heimat transportieren diese beiden Lieder? Unsre Heimat von Keller und Naumilkat hatte es in den 1950er Jahren noch schwer, sich durchzusetzen. Das mag an der anspruchsvollen musikalischen Gestaltung liegen. Die Kinder lernten das Lied erst ab der vierten Klasse. Der Komponist setzte auf eine konsequente Zweistimmigkeit. Damit entspricht das Lied eher einem feierlichen Chorlied, das sich zu Veranstaltungen singen lässt, jedoch weniger auf Wanderung oder spontan auf Pioniernachmittagen. Das Lied hat nur eine Strophe, die im Prinzip aus zwei Sätzen besteht. Diese beginnen mit »Unsre Heimat – das sind nicht nur«, und »Wir lieben die Heimat, die schöne«. Die schlichte Aussage des Textes wird in einen aufwendigen melodischen und harmonischen Aufbau verpackt und dadurch gleichsam bedeutungsvoll und hymnisch. Auffallend ist die rhythmische Gestaltung. Es entsteht der Eindruck von Atemlosigkeit durch übergebundene halbe Noten bei den zentralen Begriffen »Dörfer«, »Vögel«, »Erde«, »schöne« und »Heimat«. Die vorantreibende Wirkung resultiert aus dem 43 Takt und den gleichbleibenden Viertel, die über Satzpausen hinweggehen. Im zweiten Liedteil wird der pausenlose Rhythmus durch den ansteigenden Melodieverlauf über fast 1 21 Oktaven unterstrichen: »Und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört.« Das Satzende findet seinen Schlusspunkt im hohen Grundton (d‘‘), der über zwei Takte ausgehalten wird. Melodisch und harmonisch zeichnet sich das Lied durch einen bemerkenswerten Kontrast aus. Einerseits ist es von Sequenzen und Wiederholungen gekennzeichnet, die um das musikalische Zentrum: »Unsre Heimat« kreisen. Andererseits sorgt der Harmonieverlauf mit Ausweitungen in die Dominante (A) sowie die Mollparallele (fis) für einen hörbaren Kontrapunkt. Kurz nach diesen Harmoniewechseln wird die konsequente

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sitionen waren deshalb so erfolgreich, weil sie den staatlichen Vorstellungen genau entsprochen haben. 1961 wechselte Hans Naumilkat als Musikerzieher an die Etkar-André-Oberschule in Berlin Friedrichshain, einer Spezialschule für Musik mit eigenen Chorklassen. Dort arbeite Naumilkat bis 1968 mit dem Kinderchor des Berliner Rundfunks und dem Pionier- und Jugendensemble Etkar André, siehe Bust/Hansen (2004): »Naumilkat, Hans Christoph Karl Friedrich«, o. S. Einladung und Programm, 1960, in: DKA (Nachlass Gerd Natschinski) N-020-4e Rundfunk 1953-1963, Bl. 1-4. Es gibt eine gleichnamige Kinderkantate von Dimitri Schostakowitsch, 1952.

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Herbert Keller und Hans Naumilkat: Unsre Heimat.

Terzführung der beiden Stimmen aufgehoben und von der Sexte abgelöst. Die Zurückführung auf die Grundtonart und die Terzführung erfolgt beim musikalischen Zentrum »Unsre Heimat«. Dieses kurze aber prägnant gestaltete Lied erinnert damit an einen knappen Merksatz, fast eine Definition: Unsre Heimat ist: und wir schützen sie, weil.128 Weit weniger aufwendig gestaltet war das zweite bedeutendste Heimatlied der Jungen Pioniere der 1950er Jahre: Das Lied der jungen Naturforscher aus dem Film »Blaue Wimpel im Sommerwind«, einem Dokumentarfilm, der anlässlich des Pioniertreffens 1952 in Dresden entstand.129 Auf Anweisung des Ministeriums für Volksbildung vom 23.

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Bis heute wird dieses Heimatlied verwendet, auch in Kontexten, die »patriotisch« sind und sich gegen Zuwanderung verwehren, siehe https://www.youtube.com/watch?v=34i6dP-2tFw: »Unser Land, unsere Heimat. Nein zur Moschee«, September 2008 (Zugriff: April 2020). Die AfD Dresden hat seit Sommer 2019 ein eigenes Lied mit dem Titel »Unsere Heimat« vom Musiker Tom. Der Refrain nimmt deutliche Anleihen an die Naumilkat-Komposition, siehe: https://www.facebook. com/afddresden/videos/445518599508119/(Zugriff: April 2020). Herbert Ballmann (1952): Blaue Wimpel im Sommerwind. Ein zweites populäres Lied aus dem Film war das gleichnamige Pionierlied Blaue Wimpel im Sommerwind.

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Gert Natschinski und Manfred Streubel: Das Lied der jungen Naturforscher.

März 1953 war der Besuch dieses Filmes für die Klassen 4-12 eine »obligatorische Veranstaltung«.130 Damit erklärt sich, warum dieses Lied schon in den 1950er Jahren mit 20

130 Ministerium für Volksbildung (1953): Besuch des Spielfilms der DEFA, 14.

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Nennungen fast doppelt so häufig in den Materialien erscheint wie das Heimatlied von Naumilkat. Ganz selbstverständlich sangen es Kinder neben volkstümlichen Wanderund Volksliedern, ob nun auf offiziellen Veranstaltungen der Pionierorganisation,131 im Ferienlager am Lagerfeuer132 oder am Abschluss von Pioniernachmittagen.133 Das Lied der jungen Naturforscher lernten die Kinder in der 3. oder 4. Klasse. Gerd Natschinski bediente mit der Komposition eine konventionelle musikalische Sprache. Harmonisch verbleibt es in den Tonarten der Grundkadenz. Die rhythmische Gestaltung orientiert sich am Sprachrhythmus und lässt sich daher leicht einüben (»schön gemacht«; »frohe Augen klar«). Das wellenförmige Auf und Ab des Melodieverlaufes im zweiten Strophenteil (im Rahmen einer Oktave d‘-d‘‘) mit markanten Auftaktsquarten vermittelt einen beschwingten Eindruck. Der erste Strophenteil ist besonders eingängig durch die Wiederholung des viertaktigen Anfangsteils und durch die Dreiklangsgestaltung im Melodieverlauf. Die letzten Schulbuchauflagen der Musiklehrbücher für die dritten Klassen aus der DDR von 1990 begannen mit dem Lied Unsre Heimat. Die anhaltende und zunehmende Popularität dieser Heimatlieder bis zum Ende der 1980er Jahren kann darauf hindeuten, dass sich Vorstellungen von Heimatliebe über die Jahrzehnte nicht verändert haben oder sogar bewusst konserviert werden sollten. Nach den 1950er Jahren kamen keine weiteren bedeutenden Heimatlieder ins Repertoire der Kinder und Pioniere. Es scheint, als ob die DDR der Fünfzigerjahre – in einer Hochzeit des Kalten Krieges – insbesondere auf Verbundenheit und Zuneigung angewiesen war. Im Sinne eines Gründungsgefühls blieb es dann unverändert Bestandteil der Gefühlserziehung. Diese Beobachtung erstaunt weniger, wenn man bedenkt, dass Mitte der 1950er Jahre beide deutschen Staaten außenpolitisch um Souveränität und Anerkennung bemüht waren. Nach dem Aufstand im Juni 1953 und hinsichtlich der ununterbrochenen Abwanderung in die Bundesrepublik musste die DDR den Menschen ein Identitätsund Zugehörigkeitsangebot machen. Dieses setzte eben auf Heimatliebe, als ein »echtes« und starkes Gefühl.134 Die Kinder sollten mit »Anschauung, Einstellung, Gefühl, Handlung und Erlebnissen in ihrem sozialistischen Heimatland« verwurzelt werden.135 Diese erwünschte starke emotionale Verbindung zwischen dem Staat und seinen Kindern ließ sich in der Vorstellung der Pädagogen/-innen durch Praktiken etablieren, die selber Emotionen generierten, wie das Singen.136 Doch die Lieder vermitteln weniger das »echte« Fühlen, vielmehr behaupten sie stereotyp das erwünschte Gefühl: »Und wir lieben die Heimat, die schöne« (Unsre Heimat). »Wenn ich an Deutschland denke, dann 131

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Siehe zum Beispiel Radiodokumentation: Empfang Junger Pioniere beim Staatspräsidenten Wilhelm Pieck aus Anlass des Pioniergeburtstages, 13. Dezember 1955, in: DRA DOK 369. Dort singen es die Pioniere zum Abschluss des Treffens. Chronik des Kinderferienlagers der BGL Unterricht und Erziehung Leipzig Nord, Ruppersdorf Kreis Lobenstein, 1966/67, in: SML B 20-198-8390. Chronik der Klasse 4d, 25. POS Leipzig, Programm der Gruppenratswahl am 18. Oktober 1972, in: SML B8-002-0090. Frisch/Lammel (1957): Lebensnahe Musikerziehung, 142. »Naumilkats Lied ›Unsere Heimat‹ ist sehr wohl imstande, in unserer Jugend ein echtes Gefühl der Liebe zur Heimat zu entwickeln.« Berger (1963): Zur patriotischen Erziehung in der Unterstufe, 27. Ebd., 29: »Heimatliebe beim jüngeren Schulkind entwickelt sich durch […] aktive, bewußte und schöpferische Tätigkeit.«

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geht das Herz mir auf«, beginnt das gleichnamige Heimatlied. Nicht weniger als fünf Mal wird die Liebe des singenden Subjektes zu seiner Heimat betont: »Ich liebe seine Wälder«; »Ich liebe die deutsche Sprache«; »Ich liebe die stolzen Werke«; »Ich liebe unser Deutschland«; »weil ich es so liebe«. Auffallend ist die Steigerung vom Konkreten zum Unkonkreten, die Transformation von der Liebe zur Landschaft bis hin zur Liebe zu »unserem Deutschland«. Heimatliebe ist das Bekenntnis zum neuen Staat. »Es gibt wohl kein schöneres Gefühl, als das einer echten, tiefen Liebe zur Heimat« rief in diesem Sinne Hermann Matern den Pionieren am 23. August 1952 auf dem Dresdner Theaterplatz zu.137 Diese Liebe versprach »Vertrauen«, »Zuneigung«, »Achtung«, »Bewunderung und »Ehrfurcht«, »Geborgenheit in der Kindergemeinschaft«, Dankbarkeit, Hingabe und Loyalität.138 Das waren alles Gefühlshaltungen, die der neugegründete Staat für sich in Anspruch nahm. Dieses Bündel an Gefühlen verbarg sich hinter dem Konzept von Heimatliebe.139 Ein erstes, unmittelbar erlebbares Objekt der Heimatliebe war die Natur, mit der die Kinder scheinbar selbstverständlich verbunden waren: »Mit Fisch und Dachs und Vogelwelt stehen wir auf Du und Du« (Lied der jungen Naturforscher). Natur und Kinder sind gleichermaßen klar, rein, schön, unschuldig. Verben wie: »lachen«, »grüßen«, »frei sein«, »froh sein«, »sich dem Licht öffnen«, »lächeln«, »stürmen«, »glücklich sein«, »gedeihen« oder »leuchten« beschreiben sowohl die Kinder als auch die Natur. Heimat ist damit ein natürlicher Raum, unschuldig und rein: »Weltenweiter Himmelsbogen wölbt sich strahlend über Dich«, dichtete Johannes R. Becher und Hanns Eisler komponierte einen ausladenden Melodiebogen auf diese Worte (Heimatlied). Anders, als es wahrscheinlich der Lebensrealität der Menschen um 1950 in Deutschland entsprach, war die Heimat in den Liedern unversehrt, gab es keine Kriegsspuren. Heimat war in den Liedern nicht nur vertraut, sondern bewundernswert. Daher musste sie zwangsläufig »schön« und unversehrt sein: »Unsre Heimat ist das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld und die Vögel in der Luft und die Tiere auf der Erde« (Unsre Heimat); »Die Heimat hat sich schön gemacht und Tau blitzt ihr im Haar/Die Wellen spiegeln ihre Pracht, wie frohe Augen klar« (Lied der jungen Naturforscher). »Deutsche Heimat sei gepriesen, Du im Leuchten ferner Höhn/in der Sanftmut Deiner Wiesen/Deutsches Land, wie bist Du schön« (Deutsche Heimat sei gepriesen). Schönheit und Unversehrtheit sind Voraussetzungen für Bewunderung und Liebe. Nach Martha Nussbaum nährt sich die patriotische Liebe von »spezifische[n] Merkmale[n]«, wie die besondere Schönheit. Denn patriotische Liebe gleiche »der Liebe in der Familie oder der Liebe zwischen Mann und Frau«.140

Hermann Matern: Rede zum 1. Pioniertreffen zur Namenskundgebung des Verbandes der Jungen Pioniere auf dem Dresdner Theaterplatz, 23.08.1952, in: DRA DOK 1056. 138 Alle Begriffe aus Berger (1963): Zur patriotischen Erziehung in der Unterstufe, 34f. 139 So auch Wierling (2000): »Über die Liebe zum Staat«, 254: »Daß die DDR als Projekt und als Staat ein Liebesobjekt sein könnte, bzw. daß die Zugehörigkeit zu ihr eine in Liebe, Vertrauen und Loyalität miteinander verbundene Gemeinschaft konstituiere, das war zunächst und vor allem ausgesprochenes Ziel und beschworene Wirklichkeit in den Köpfen und Herzen der politischen Führungsklasse der DDR.« 140 Nussbaum (2016): Politische Emotionen, 317.

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Hanns Eisler und Johannes R. Becher: Heimatlied.

Im Falle der DDR verbirgt sich hinter dem Anpreisen der Schönheit die Behauptung der Unversehrtheit. Zwar heißt es in dem Heimatlied: »Das Gewitter ist verzogen und verraucht der letzte Brand«, aber dieser Brand hinterließ keine sichtbaren Spuren. Damit wird die Abspaltung von der Vergangenheit symbolisiert. Die Melodieführung Eislers an dieser Stelle macht den Sieg über die Vergangenheit deutlich, über den Leitton dis‘‘ kämpft sich die Melodie zum Grundton e‘‘‹ nach oben. Ganz im Verständnis der Zeit definierten die Lieder das ungeteilte Deutschland als Heimat. Deutlich ist diese Forderung in dem sehr verbreiteten Jugendlied Wir wohnen alle in einem Haus (1950, K. Küstner), das explizit »ein freies Deutschland und ungeteilt« besingt.

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K. Küstner: Wir wohnen alle in einem Haus.

Die musikalische Gestaltung betont die zentrale Botschaft des Liedes. Durch den Oktavsprung explizit unterstrichen ist die Wortgruppe »ein freies Deutschland«. Zugleich setzt eine zweistimmige Modulation ein, die bei »ungeteilt« asynchron aufbricht. Harmonisch führt die Melodie über F-Dur, B-Dur zurück zum Grundton F. Das erfordert von den Singenden besondere Aufmerksamkeit. In der Kinderzeitschrift Fröhlich sein und Singen erschienen regelmäßig reich bebilderte Heimatlieder, die ebenfalls auf das ganze Deutschland als Heimat verwiesen, so auch 1955 das Heimatlied aus der Kantate Kinder der Welt (1954, Erika Engel/Leo Spies): »Höre, Kind vom Schwabenland, höre Kind aus Bayern/Faßt Euch fester bei der Hand, diesen Tag zu feiern«, heißt es im Text. Die zweite Strophe formuliert programmatisch: »Unsere Herzen sind verwandt/zwischen hier und drüben/ist’s doch unser Heimatland/das wir alle lieben.« Die Illustration zu dem Lied zeigt, wie sich Kinder aus

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allen Himmelsrichtungen Deutschlands treffen, sich zuwinken oder über den Schlagbaum hinweg in die Arme fallen.141 Spätestens mit 1961, als deutlich wurde, dass die deutsche Einheit kein Zukunftsziel mehr war, hatten diese Heimatlieder ausgedient. Die anderen Lieder über die natürliche und naturverbundene Heimatliebe blieben aber bestehen und mit ihnen die Forderung nach einer engen Verbundenheit zwischen den Heranwachsenden mit dem Staat DDR als Heimat. Die sozialistische Heimatliebe war in einer Hinsicht spezifisch. Heimat im sozialistischen Verständnis von »Patriotismus« als »tätigem Grundgefühl« war nicht ein Raum, der Glück und Zugehörigkeit von jeher besaß und anbieten konnte, sondern nur die Aussicht darauf. Denn Patriotismus forderte den »zielgerichteten Kampf für den Frieden und den Sieg des Sozialismus«.142 In der Liedzeile: »Und wir lieben die Heimat, die schöne, und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört« (Unsre Heimat) ist das feierliche Bekenntnis hinterlegt, selbst für den Schutz dieser Heimat zu sorgen und damit die eigene Zukunft in die Hand zu nehmen. Das gleiche findet sich in der Liedzeile: »Der Heimat Pflanzen und Getier behütet unsre Hand« (Lied der jungen Naturforscher). Diesem Versprechen schloss sich die Hoffnung an, in einem »Land des Friedens«, zu leben, »drin wir glücklicher sind« (Deutschland, Du liebe Heimat). Für die DDR lässt sich damit eine Transformation des Heimatkonzeptes in den 1950er Jahren beschreiben. Die Wortführer/-innen haben Heimat radikal von vergangenheitsorientierten Zeitgefühlen befreit. Die sozialistische Heimat war stattdessen Auftrag und Zukunft, ihr galten keine Erinnerungen (weil sie auch neu war), sondern Hoffnungen und Planungen. Heimat war die, »die uns zu hoffen heißt«, die erst noch gedeihen und blühen muss, mit der »Friede sei« (Deutsche Heimat, sei gepriesen). Auch in dem Lied der jungen Naturforscher ist das Gegenwarts- und Zukunftsverständnis von Heimat formuliert. Die letzte Strophe endet mit den Zeilen: »Die Blume öffnet sich dem Licht/Der Zukunft unser Herz./Die Heimat hebt ihr Angesicht/und lächelt sonnenwärts.« Die sozialistische Heimat war ein Versprechen auf und ein Symbol für natürliches Gedeihen und Werden, für Fortschritt und Zukunft. Zusammenfassend kann geschlussfolgert werden, dass erstens das »Liebesobjekt«143 der Heranwachsenden die versprochene Heimat sein sollte, das unversehrte und zukünftig geeinte Deutschland (als sozialistischer Staat) mit der Erwartung von Geborgenheit und Zugehörigkeit. Das bedeutet, dass sich die DDR vom neoromantischen, bürgerlichen Verständnis von Heimat löste, sie von einem Sehnsuchtsort zu einem »Erwartungshorizont« umdefinierte.144 141

1954 erklang diese Kantate das erste Mal vollständig auf dem Musikfest in Leipzig, Dittrich (1960): »Die Kantate«. 142 Klaus/Buhr (1965): »Patriotismus«, 411. 143 Zu diesem Zeitpunkt stand die Nation als »Liebesobjekt« nicht zur Verfügung, siehe Wierling (2000): »Über die Liebe zum Staat«, 236. 144 Um hier den Begriff von Koselleck zu nutzen: Koselleck (1979): Vergangene Zukunft, 349. Dieser »Erwartungshorizont« sollte bedeutungsoffen für die Wünsche und Bedürfnisse des »Volkes«, sprich der Arbeiter und Bauern sein, so die Argumentation von Palmowski (2009): Inventing a Socialist Nation, 7; Palmowski (2004): »Building an East German Nation«, 379; 381: »Heimat was no longer determined principally by birthplace, but could be appropriated by every worker who contributed to the transformation of Heimat. […] In principle, then, every region in the socialist fatherland

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Erika Engel und Leo Spies: Heimatlied, aus Fröhlich sein und singen 4/1955, S. 2.

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Zweitens galt Heimatliebe als ein patriotisches Gefühl, dem eine zugrunde lag: die Verteidigungsbereitschaft der Heranwachsenden und deren Vermögen, im Kalten Krieg eindeutig Position zu beziehen. »Nur, wer seine Heimat kennt und erlebt, wird sie wahrhaft lieben, und aus dieser Liebe heraus wird der Wille mächtig werden, diese Heimat zu erhalten und an ihrem Aufbau tatkräftig mitzuarbeiten. Aus dieser Heimatliebe wird auch Haß gegen die erwachsen, die den Frieden der Heimat stören wollen, sowie die Bereitschaft, sie zu verteidigen.«145 Symptomatisch für diese Zuspitzung der Heimatliebe auf Verteidigungsbereitschaft war das Lied Heimat, Dich werden wir hüten (1952, Armin Müller/Günter Fredrich). Es tauchte bereits im Jahr 1952 auf, hatte jedoch bis zu seinem Abdruck in der Zeitschrift Fröhlich sein und Singen im September 1956 keinerlei Relevanz.146 Interessant an dem Abdruck ist die großformatige Illustration. Zwei Soldaten stehen am linken Bildrand. Der eine trägt ein Fernglas in der Hand, beide haben Gewehre auf dem Rücken. Sie sind sprichwörtlich auf »Friedenswacht«. Sie beschützen die Aktivitäten der Pioniere in der Bildmitte, die in einem Zeltlager mit Modellflugzeugen, Funktechnik und Geländespielen beschäftigt sind. Die rauchenden Schlote am rechten Bildrand und der Traktor auf dem Feld sind Metaphern für die »werktätigen Arbeiter und Bauern« und symbolisieren des »Volkes eigene Werke«. Die Illustration und der Text reproduzieren das Narrativ der Unsicherheit und Schutzbedürftigkeit der unschuldigen »Heimat in sonnigem Kleid«. Ihr droht die »verrufene Hand«, die »feindliche Gier«. Die jugendlichen Soldaten und die (bis auf eine Ausnahme) männlichen Pioniere schützen jedoch nicht nur die Heimat, sie arbeiten an der Weiterentwicklung der Heimat als ein Land des Fortschrittes. Interessanterweise bemüht das Lied generationelle Zuschreibungen. Die Heimat sei demnach die »Mutter im Glück und im Leid«, die von »mutigen Töchtern und Söhnen« geschützt würde. Deutlicher als in jedem anderen Lied dieser Zeit wird die Forderung an die Jugend formuliert, die Heimat mit Waffengewalt zu schützen: »Greift zum Gewehr Kameraden! Herz, trommle zornig Alarm.« Damit steht dieses Heimatlied für eine Trendwende. Denn bis auf die genannten Ausnahmen werden die Heimatlieder der 1950er Jahre um 1960 von Friedens- und Soldatenliedern abgelöst.

Heimat schützen Am 15. August 1961, zwei Tage nach der Schließung der innerdeutschen Grenzen, eröffnete ein Fanfarensignal in der »Blumenstadt« Erfurt das IV. Pioniertreffen vor rund 20.000 Jungen und Mädchen, die sich im Georgi-Dimitroff-Stadion versammelt hatten. could become the workers‹ Heimat. It was here that they learned to appreciate, love, and defend not just his immediate environment, but the entire fatherland, the GDR.« 145 Frisch/Lammel (1957): Lebensnahe Musikerziehung, 140. 146 Ministerium für Volksbildung HA Unterricht und Erziehung: Materialsammlung zum »Tag der Republik« zum 7. Oktober 1952, zusammengestellt von der Zentralstelle für Jugendliteratur, Dresden 15. September 1952, in: SML D 12-1720-32974.

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Armin Müller und Günter Fredrich: Heimat, dich werden wir hüten, aus: Fröhlich sein und singen 9/1956, S. 20.

Die Kinder begrüßten »stürmisch« Delegierte aus 19 Ländern des »sozialistischen und kapitalistischen Auslands«: »Aus 20.000 jungen Kehlen erklang nach der Hissung der Fahne des IV. Pioniertreffens Gerd Natschinskis ›Blaue Wimpel im Sommerwind‹.«147 Sie sangen leicht und beschwingt: »Unsre bunten Träume blühen/Wie ein großer Blumenstrauß.« Die Melodie war eingängig und bekannt aus dem Dokumentarfilm, den die Kinder in der Schule gesehen hatten. Die Pioniere in Erfurt 1961 sangen über die bunten Zukunftsträume, die ihnen auf zahlreichen Pioniernachmittagen auf den Weg gegeben wurden. Über dem Pioniertreffen lag eine »Aufbruchsstimmung«, die Ende der 1950er Jahre auch in anderen Bereichen des DDR-Alltages spürbar war.148 Im April 1961

Alle Zitate aus Anonym: »Pioniertreffen feierlich eröffnet«, in: Thüringer Neueste Nachrichten, 16. August 1961, 1. 148 Gries (1997): »und der Zukunft zugewandt«, 316f. zeigt das für den Konsum in der DDR. 1958 wurden die letzten Lebensmittelkarten abgeschafft. Der Siebenjahresplan von 1959 öffnete einen »kurzund mittelfristigen Erwartungshorizont«, in dem der »Sozialismus siegen« würde und die DDRBürger/-innen die Bundesrepublik in wichtigen Bereichen, eben auch der Wirtschaftsleistung und des Konsums, überholen würden.

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flog Juri Gagarin als erster Mensch in den Weltraum. Er war das Versprechen darauf, dass auch alle anderen Träume Wirklichkeit werden konnten. Doch das Pioniertreffen war bei Weitem nicht so froh und unbeschwert, wie es den Anschein haben sollte. Es fand vom 9. bis zum 20. August im Schatten des Baus der Berliner Mauer statt. Während die Pioniere in der »Blumenstadt« am »Tag der jungen Naturforscher«, am »Tag des Sportes« und am »Tag des Liedes und des Tanzes« in Leistungsvergleichen erneut um die Titel der Besten kämpften, schaute die Weltöffentlichkeit auf Berlin, wo der Kalte Krieg mit der Grenzziehung entlang der Sektorengrenzen seinen deutsch-deutschen Höhepunkt erreicht hatte. Die fröhlichen Kinder in Erfurt wurden vor diesem Hintergrund vom Staat als Symbol der Überlegenheit des Sozialismus präsentiert. Als »Mitgestalter der lichten Zukunft«149 standen die in der »Blumenstadt« Erfurt feiernden Kinder für das »zukunftsfrohe Bild« der Republik.150 Dieses Fest ließ sich aber nur feiern, die Zukunftsträume träumen in friedlichen Zeiten. Dass diese nicht selbstverständlich waren, hatten die Kinder mit den Heimatliedern gelernt, die sie in den 1950er Jahren zu jeder Gelegenheit sangen. Als 1961 die Mauer als »antifaschistischer Schutzwall« gebaut wurde, konnte den Kindern daher folgerichtig Friedenslieder in den Mund gelegt werden, in denen es um »Frontsoldaten« als »Friedenskämpfer« ging.151 Mustergültig umgesetzt wurde dieses Konstrukt des umkämpften Friedens in einer Rundfunksendung anlässlich des Pioniertreffens. Mit Blick auf den Mauerbau in Berlin strahlte der »Kinderradio-Feriensonderzug« eine Sendung aus, in der die Erfurter Pioniere ihre Grüße an die »Freunde«, die »Soldaten« schicken sollten, die in Berlin auf »Friedenswacht« standen.152 Dies geschah mit einem Programm, das im Vorfeld sorgfältig geplant und durchchoreografiert wurde. Die Übertragung begann mit einem Gruß der Pioniere des Berliner Kinderchors, »an alle jungen FDJler, die sich gemeldet haben zum Einsatz in der Volksarmee«. Der Gruß wurde verbunden mit dem Lied Seht die weiße Taube fliegt. Das mit großem Orchester und Chor eingespielte Lied war weitgehend unbekannt. Die erste Strophe sang der Kinderchor, die zweite wurde von einer Solistin in einer fremden Sprache (vielleicht vietnamesisch) gesungen. Wichtig war die pathetische Botschaft, die durch den Einsatz des großen Orchesters und die getragene, ernsthafte Interpretation des Liedes transportiert wurde. Gestalterisch ist das Lied einer Hymne ähnlich, kein Massenlied und kein Marschlied, es scheint ein explizites Chorlied zu sein. Wesentlich bekannter ging es in der Übertragung weiter. Ein circa zehnjähriges Kind trägt mit leicht sächsischem Akzent die ersten beiden Strophen des Gedichtes: Kinderfragen von Werner Lindemann vor: »Auf der Bank saßen zwei

149 Anonym: »Junge Pioniere unserer Republik Mitgestalter der lichten Zukunft«, in: Thüringer Tageblatt, 10. August 1961, 1. 150 Anonym: »IV. Treffen der Jungen Pioniere wurde in Erfurt festlich eröffnet«, in: Thüringer Tageblatt, 16. August 1961, 1. 151 Der Begriff der »Friedenskämpfer« wird erstmalig benutzt in Lied der jungen Friedenskämpfer (1957, Kollektiv Junger Künstler/André Asriel/Günter Kochan). 152 Genau das war Teil des von der Regierung der DDR herausgegeben Pionierauftrages. Programm siehe Rundfunkproduktion: Unser Kinderradio – Sonderzug zum IV. Pioniertreffen in Erfurt, 18. August 1961, in: DRA R015728437. Alle folgenden Zitate sind aus dieser Rundfunkaufzeichnung.

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Männer/ich habe zugehört./Sie sprachen von einer Bombe,/die alles zerstört./Alle Menschen würden tot sein,/alle Menschen der Welt,/muss ich auch sterben,/wenn die Bombe fällt?« Im Anschluss daran sang dieses Kind das Lied Wer möchte nicht im Leben bleiben? (1959, Wera Küchenmeister/Kurt Schwaen), ein Lied, dass 1959 für den Film Sie nannten ihn Amigo entstand und bis weit über 1989 hinaus populär war.153

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Kurt Schwaen und Wera Küchenmeister: Wer möchte nicht im Leben bleiben.

Bemerkenswert ist der melodramatische Charakter der Interpretation durch einen ausgesprochen langsamen und anklagenden Sologesang, ausschließlich begleitet von einem leise summenden Chor. Die Komposition lässt allerdings auch ein schnelleres Tempo zu, eine leichtere Intonation. Kurt Schwaen und Wera Küchenmeister gelang mit dieser Liedkomposition ein eingängiges und berührendes Lied, das durch seine scheinbar unpolitische Botschaft auch heute noch gesungen wird. Harmonisch und melodisch besticht die Komposition durch klare Strukturen, wie die einfache Kadenz

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Das Lied findet sich in Sammlungen von Fahrten- und Wanderliedern vor allem bündischer Jugendverbände, z.B. Der Freibund e. V. (1995): Fahrtenspaß, 230.

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und Tonsprünge, die die Dreiklangsharmonik unterstreichen. Der rhythmische Aufbau orientiert sich am Sprachrhythmus und unterstützt durch bewusste Pausen die Textbotschaft. Die in den ersten beiden Strophen als Frage formulierte erste Zeile (die zugleich die zentrale Botschaft des Liedes ist) »Wer möchte nicht im Leben bleiben«, ist musikalisch als Statement und nicht als Frage komponiert (durch den Auftaktsdreiklang und den Terzsprung vom Grundton es‹ zum g‹). Die punktierte Viertel auf dem Wort »möchte« ist zwischen der Achtelrhythmik ebenso eher Ausrufezeichen als Frage. Nachdrücklich wirkt auch die Wiederholung des zweiten Verses einer jeden Strophe. Mit dieser Gestaltung appelliert das Lied an die Empathie der Zuhörenden. Es bedarf keiner besonderen Vorstellungskraft, sich nicht selbst in der Situation zu sehen, mit den »Winden sich umherzutreiben« oder an »Wassern still zu stehen« und die »reiche, bunte Welt« ganz für sich zu genießen: Auch du möchtest doch leben, das ist die zentrale Botschaft. Die Inszenierung des Liedes während der Radiosendung scheint daher perfekt. Eingebettet war der Wunsch nach Frieden in ein konkret benanntes Bedrohungsszenario (»die Bombe, die alles zerstört«). Vor diesem Hintergrund war das Lied keine leichtklingende und verträumte Reminiszenz an Friedenwünsche, sondern eine von Angst motivierte Anklage. Zugleich erfolgte eine eindeutige Zuweisung von Schuld. Die Mahnung »O lasset uns am Leben bleiben« geht in diesem Kontext der Sendung gezielt an die Adresse der »westlichen Aggressoren«, an diejenigen, die das unbeschwerte Glück der Kinder bedrohen. Mit der vorangestellten Kinderfrage »muss ich auch sterben, wenn die Bombe fällt?«, stellt sich die DDR damit erneut als moralisch überlegen da. Sie würde »die reiche bunte Welt« der Kinder schützen, ebenso wie deren Leben. Die Grußbotschaften der Pioniere vom Erfurter Pioniertreffen gingen folgerichtig an die »Genossen und Freunde und Offiziere und Soldaten, die in Berlin für uns auf Friedenswacht stehen und darum kämpfen, dass wir glücklich leben können«.154 Dank, Stolz und Verehrung galten den Soldaten als »Friedenskämpfer«. Die Nationale Volksarmee (NVA) wurde am 1. März 1956 gegründet. Mit dem 1. März 1957 gab es den staatlich festgelegten »Tag der Armee«. Erst 1962 wurde die allgemeine Wehrpflicht für alle Männer zwischen dem 18. und 50. Lebensjahr eingeführt. Bis dahin war die NVA auf die Freiwilligkeit der männlichen Jugend angewiesen. Um 1960 entstanden daher zahlreiche Soldatenlieder für die Pionierorganisation. Die wichtigsten Lieder waren Unsere Volksarmee (1960, Siegfried Berthold/Kurt Greiner-Pol); Gute Freunde (Soldaten sind vorbeimarschiert, 1962 (Hans-Georg Beyer/Hans Naumilkat) und Hansjürgen steht am Schilderhaus [oder: am Kasernentor] (1965, Siegfried Grienig/Kurt Kühne). Die Pioniere besangen damit das Gefühl der Geborgenheit angesichts der Präsenz der »Guten Freunde«, sie formulierten Dank und Stolz und das Versprechen, den Soldaten nachzueifern:

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Zur Konstruktion der Feindbilder über Sprache, siehe Gibas (2004): »Bonner Ultras«, 77f. Feindbilder entstehen durch »radikale Komplexitätsreduktion in der Wahrnehmung des anderen«. Sie gehen einher mit dem »Verlust der Fähigkeit der Selbstkorrektur« und hätten »ein außerordentliches Steigerungspotential und die Tendenz zum Totalitären. Sie werden von kollektiven und individuellen Ängsten sowie in Krisenstimmungen verstärkt, überdies dynamisiert und eignen sich in hohem Grade zur Instrumentalisierung«.

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»Und wenn wir groß sind, wollen wir Soldat sein, so wie ihr« (Gute Freunde); »Wir wollen so mutig sein, wie ihr« (Wir gehen heute zu den Soldaten).155

Abbildung 29

Hans Naumilkat und Hans-Georg Beyer: Gute Freunde.

Den Soldatenliedern galt insgesamt eine größere kompositorische Sorgfalt und Aufmerksamkeit im Vergleich zu den anderen Kinder- und Pionierliedern dieses Jahrzehnts. Charakteristisch sind Tonsprünge, vor allem Quarten. Im Refrain des Liedes Gute Freunde wird eine musikalische Steigerung erreicht durch die dreimalige Wiederholung der Wortgruppe »gute Freunde«. Interessant ist, dass sich bei gleichbleibendem 155

1968 bildete sich in der zentralen Liedkommission beim Ministerium für Kultur die Arbeitsgruppe »Soldatenlied«, die von da an die Entstehung neuer Soldatenlieder steuerte. Zwischen dem 7. Parteitag 1967 und 1968 entstanden über 70 neue Soldatenlieder, siehe Admiral Verner: Schreiben an den Minister für Kultur Klaus Gysi, 25. Juni 1968, in: BArch SAPMO DR 1 15139, o. Bl.

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Rhythmus die Tonsprünge von Quarte, Quinte zur Sexte steigern, bevor es mit dem Verlauf der Melodie weitergeht. Auffällige Tonsprünge unterstreichen zentrale Begriffe der Soldatenlieder, wie »Staat«, »Bruder«, »gute Freunde«, »Kasernentor«, »Friedenskämpfer«, »Grenzsoldaten«, aber auch Verben, wie »schützen«, »behüten«, »beschützen«. Einprägsam ist die weitere musikalische Gestaltung. Das Lied beginnt mit einer markanten Auftaktquarte in den Grundton und hebt damit die zentralen Akteure hervor: »Soldaten«. Die vorwärtsdrängende Dynamik entsteht nicht nur durch die sprachliche Verkürzung (es fehlt der Artikel vor »Soldaten«), es gibt auch keine Pausen, ungeachtet des Textes. Die sprachlichen Pausen werden überspielt mit dem nachgesetzten »Juchhei«: »Wir Pioniere kennen sie und laufen fröhlich mit, juchhei!« Diese Passage steht in gleichmäßigen Vierteln und imitiert damit einen Marsch. Charakteristische Rhythmuselemente (punktierte Viertel mit Achtel) betonen die Worte »Pioniere« und »laufen« sowie in den Nachfolgestrophen »Lehrer«, »schönsten«, »Melker«, »Soldat sein«. Das unterstreicht den Eindruck von Aktivität und Dynamik. Die Lieder zeigen, wie die NVA in die sozialistische Gesellschaft integriert werden sollte. Das erste Soldatenlied Gute Freunde betonte, dass Hauptmann, Leutnant und Flügelmann zuvor ganz normale Arbeiter gewesen waren: »Vor Jahren stand als Maurer er bei uns noch auf dem Bau« oder »Als Lehrer gab er früher uns den schönsten Unterricht«. Das Lied Wir gehen heute zu den Soldaten – zwei Jahre später in die Schulbücher gekommen – entstand für den Gesang zum Tag der Nationalen Volksarmee am 1. März: »Und voll Freude schlägt heut‹ am ersten März für die Soldaten unser Herz.« Hans-Jürgen vor dem Kasernentor fragt ein Jahr später den Soldaten »Warum stehst du denn hier davor? Kannst Du es mir verraten?« (Am Kasernentor). Die Legitimität der NVA ließ sich für die Kinder in diesem Lied einprägsam klären: »Ich bin Soldat der Volksarmee/Ja, spiele nur und lache!/Ich stehe hier bei Wind und Schnee/und halte für dich Wache.« Dieses aufopferungsvolle Bewachen sollte in den Kindern Dankbarkeit wecken. Ihr Glück resultierte aus der Geborgenheit, die die Soldaten garantieren. Die Kinder hatten keinen Grund mehr, ängstlich zu sein, wie noch in der Radiosendung anlässlich des Pioniertreffens in Erfurt. Sie konnten sich auf die Soldaten verlassen, darauf, »daß nichts Böses mehr geschieht« (Wie gehen heute zu den Soldaten), denn »greift uns jemand an/so hat er nichts zu lachen/Die Volkssoldaten wachen/und stehen ihren Mann« (Mein Bruder ist Soldat [1972, Manfred Hinrich]). Ein weiteres Gefühl mischt sich in die Gemengelage von gewünschter Geborgenheit und Vertrauen. Der Stolz auf den Bruder, der Soldat war, oder den Vater, den Lehrer, den man kannte und achtete: »Stolz darf ich es sagen: Mein Bruder schützt den Staat« (Mein Bruder ist Soldat). Somit war der Lebensweg der Jungen vorgegeben. Ganz selbstverständlich sollten auch sie als »Friedenskämpfer« dafür sorgen, dass die Kinder glücklich und beruhigt spielen können. Dann würde ihnen der Stolz entgegengebracht, den sie selber empfunden hatten. Anhand der Friedens- und Soldatenlieder um 1960 lässt sich zeigen, wie sich die patriotische Liebe entwickelte. Angelegt war sie in den Heimatliedern der 1950er Jahre, die im Zukunftsmodus Glück und Zugehörigkeit versprachen und dafür in der Gegenwart Loyalität und Hingabe einforderten. Darin war die Verantwortung eingeflochten, die sich in den Soldaten- und Friedensliedern ganz entfaltete. Patriotisch lieben bedeutete die Verpflichtung, aktiv und mit der Waffe in der Hand Heimat zu schützen und

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durchzusetzen. Solange die Kinder dafür aber noch zu klein waren, sollten sie Dankbarkeit und Stolz fühlen. Die abstrakte Heimatliebe wurde auf konkrete Menschen als Vertreter des Staates umgelenkt, die »Friedenskämpfer«. Dankbarkeit, Stolz und Loyalität wurden vordergründig zwar dem bewunderungswürdigen Bruder gezollt, galten aber im Grunde dem Staat, der Partei. Diese Idee des Transfers von der Liebe zwischen unterschiedlichen Objekten lässt sich noch deutlicher in Praktiken der Heldenverehrung finden.

Die personalisierte Liebe. Der Held Ernst Thälmann Auf dem 2. Pioniertreffen, am 23. August 1952, verlieh Hermann Matern der Pionierorganisation den Namen »Ernst Thälmann«. In seiner Rede forderte er die Kinder auf, »gute Patrioten« zu werden und mit »ebenso großer Liebe an Eurer Heimat zu hängen«, wie das Vorbild.156 Dessen Name, so Matern weiter, sei »Ehre« und »Verpflichtung«. Ernst Thälmann – von den Pionieren auch liebevoll und vertraulich »Teddy« genannt – war seit 1925 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands gewesen. Als »antifaschistischer Widerstandskämpfer«, so der offizielle Sprachgebrauch der DDR, wurde er am 18. August 1944 im Konzentrationslager Buchenwald ermordet. Mit diesem gewaltsamen Tod eignete sich Ernst Thälmann als idealer Mythos.157 Dass seine Ermordung in Buchenwald stattfand, einem Konzentrationslager, in dem zahlreiche Kommunisten inhaftiert gewesen waren, die in der Nachkriegszeit wichtige Positionen in der SBZ und der DDR besetzten, unterstützte den Heldenmythos.158 Der Kult um den ehemaligen KPD-Vorsitzenden begann aber erst 1949, als sich die Kommunisten innerhalb der SED durchsetzten und die führende Rolle der KPD im Widerstandskampf für sich reklamierten.159 Für die Kinder des Einschulungsjahrganges 1952 war Ernst Thälmann omnipräsent. Die Lehrbücher waren voll mit biografischen Erzählungen über »Teddy«. 1886 geboren, wuchs Thälmann in Hamburg als Arbeiterkind in einfachen Verhältnissen auf. In Zeiten zunehmenden Machtzuwachses der Nationalsozialisten versuchte Thälmann Deutschland »mutig […] vor der tödlichen Gefahr« zu retten, das lernten die Pioniere spätestens ab der zweiten Klasse. Diesen Einsatz zahlte Thälmann mit dem Leben: »Die Faschisten [quälten] ihn in vielen Gefängnissen […], bis sie ihn kalt und feige ermordeten.«160 Dieses zentrale Narrativ über Ernst Thälmann sollten die Heranwachsenden verinnerlichen. Teil der zweiten Pionierstufe war: »Laß Dir über Ernst Thälmann erzählen. Lerne ein Gedicht über Ernst Thälmann und sage es in Deiner Gruppe zu seinem Geburtstag auf.«161 Der »Pionierauftrag« für das Schuljahr 1954/55 lautete: »Die Kinder Ernst ThälAlle Zitate in: Hermann Matern: Transkript der Rede zum 1. Pioniertreffen zur Namenskundgebung des Verbandes der Jungen Pioniere auf dem Dresdner Theaterplatz, 23. August 1952, in: DRA DOK 1056. 157 Weiterführend Börrnert (2004): Wie Ernst Thälmann treu und kühn! 158 Vgl. Niethammer (1994): Der »gesäuberte« Antifaschismus. 159 Vgl. Leo (1995): »Thälmann-Kult kontra Antifaschismus«, 207: »Das Fundament dieses Kultes war eine verfälschte und umgewertete Geschichte der KPD der zwanziger und dreißiger Jahre.« 160 Holtz-Baumert (1960): Thälmann ist niemals gefallen, 7f. Die Geschichten gab es in Handreichungen für Pionierleiter/-innen kindgerecht aufgearbeitet und in den Zeitschriften für Kinder und Pionieren. Später wurden sie gesammelt herausgegeben, siehe ebd. 161 In: Unser Wimpel, Beilage zur ABC-Zeitung, Nr. 9/1959, o. S.

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manns zittern nicht, wenn ihnen Gefahr drohte. Sie lieben ihr Volk und ihre Heimat und vertrauen auf ihre Kräfte.«162 In Wandzeitungen und Gedenkritualen vertieften die Pioniere die Geschichte ihres Helden, um Nähe und Verbundenheit herzustellen. Die verbandseigenen Zeitschriften boten genug Materialien, Ideen und Arbeitsaufträge.

Abbildung 30

Zentrales methodisches Kabinett (1961): Für die Pionierräte, 4.

Zwischen 1952 und 1964 fanden alle drei Jahre Pioniertreffen statt. Nicht zufällig fiel der Termin dieser Treffen immer in die zweite Ferienhälfte, denn am 18. August war der Todestag Ernst Thälmanns. Im Rahmen der Pioniertreffen ließ sich dieser besonders öffentlichkeitswirksam begehen. Auf dem Pioniertreffen in Erfurt 1961 fand diese Gedenkfeier am 12. August statt (siehe Abbildung 30). Es erklangen das Thälmannlied sowie die beiden älteren Arbeiterlieder Unsterbliche Opfer (1905, original russisch: W. G. Archangelski/N. N. Ikonnikow/dt. Fassung: Hermann Scherchen) und Brüder seht die 162

Arlt (1972): Seid bereit für die Sache Ernst Thälmanns, 65.

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Freiheitsfahne.163 Einen Tag später, am 13. August gab es eine weitere Gedenkveranstaltung in Weimar, um »den unvergeßlichen Ernst Thälmann« zu »ehren«. »[Z]um ewigen Gedenken werden die Pioniere eine feierliche Kranzniederlegung durchführen.«164 In Vorbereitung auf das Pioniertreffen 1958 sollten sich die Kinder mit Ernst Thälmann auseinandersetzen. Das Deckblatt der Zeitschrift Der Junge Pionier wartete mit dem Foto eines überlebensgroßen Thälmann auf. Auffallend ist die Pose der rechten erhobenen Hand, die ikonografisch an ein Lenin-Bild anknüpft. Zu Thälmanns Füßen sieht man die jungen Pioniere Flugblätter verteilen und singend die Fahne schwenken. Die ganze Fotocollage ist eingefasst mit den Worten: »Ernst Thälmann lebt in unseren Taten.« Die Geschichten und Lieder um Ernst Thälmann berichteten von seinem Weiterleben in der Pionierorganisation. Mehr noch, die Pioniere waren nach dem Wortlaut des Pionierauftrages von 1954/55 »Kinder Ernst Thälmanns«. In Vorbereitung auf das IV. Pioniertreffen in Erfurt erschien in der Zeitschrift Fröhlich sein und singen das Lied Ernst Thälmann ist nicht tot (1961, Willi Layh/Ottmar Gerster). »Ernst Thälmann ist nicht tot«, sollten die Pioniere singen, »er lebt auf unseren Wegen und lächelt uns entgegen«. Zusammen mit dem Lied fanden die jungen Leser/-innen die Geschichte über ein Treffen in Erfurt im Jahr 1925, an dem auch Thälmann teilnahm. Damit rückte »der Held der Arbeiterklasse« in die Mitte der Pioniergemeinschaft von 1961. Er »lächelte« den Jungen und Mädchen sehr lebendig entgegen, wie es in dem Lied hieß und »lebt auf allen Wegen« zusammen mit den Pionieren. Daran schloss sich die Aufforderung: »Macht weiter«.165 Dieses Unsterblichkeitsnarrativ ließ sich gut und treffend in eingängigen Liedern dieser Zeit umsetzen. Zu den III. Weltfestspielen in Berlin entstand das Thälmannlied (1951, Kuba/Eberhard Schmidt). Auch wenn es für ältere Kinder und Jugendliche gedacht war, konnten es die jüngeren Pioniere 1954 in ihrer Zeitschrift finden.166 In dem Weihelied für »Deutschlands unsterblichen Sohn«, gelobt die nachwachsende Generation: Wir »geben der Welt das Versprechen, standhaft zu bleiben wie er«. Hervorgehoben ist das Versprechen durch den Wechsel in halbe Noten und einem SextSprung auf »wie er«. Unüberhörbar sind in diesem Lied die christlichen Reminiszenzen. Thälmann wurde »maßlos gequält und gepeinigt«, dennoch »blieb er uns treu und hielt stand«. Das machte ihn so unsterblich. Auffallend an dem Text sind die Ellipsen und Imperative, die durch den zackigen Marschrhythmus untermauert werden. Diese

Bezirksleitung der Pionierorganisation, Dresden: Programm für die Feierstunde in der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald am 12. August 1961, 15. Juli 1961, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1468, o. Bl. 164 Bezirksleitung der Pionierorganisation, Dresden: Gedenkfeier anläßlich der Ermordung Ernst Thälmanns am 13. August 1961 in Weimar, Juli 1961, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1468, o. Bl. Leider ist nicht erwähnt, welche Lieder gesungen wurden. Es geht aus der Planung nur hervor, dass der Fanfarenzug Riesa die Feierlichkeiten begleitete. Eine weitere Gedenkveranstaltung fand direkt am 18. August, dem Todestag in Buchenwald statt, siehe: Aktuelle Kamera: Gedenken zum Todestag Ernst Thälmanns 18.08.1961, in: DRA DFF, Aktuelle Kamera, IDNR: 203806. 165 Willi Layh und Ottmar Gerster: Ernst Thälmann ist nicht tot, aus: Fröhlich sein und singen 4/1961, 18, vgl. Anthologie Holtz-Baumert (1960): Thälmann ist niemals gefallen. 166 Die Schüler/-innen lernten es in der 7. oder 8. Klasse, siehe Grundschule 26, Erfurt: Klassenbücher der 8. Klassen, Schuljahr 1956/57, in: SA Erfurt 31693. 163

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Der Junge Pionier, Nr. 15, 11. April 1958, Titelblatt.

betonen die zentralen Aussagen, wie »maßlos gequält und gepeinigt«. Die wiederholenden Rhythmusphrasen halten sich eng am Vierertakt und vermitteln genauso wie die strikte Orientierung am Sprachrhythmus die typische Unbeirrbarkeit. Im Gegensatz zu vielen anderen Liedern dieser Zeit fällt die Körperlichkeit des »Helden« auf. Er stand »breit in den Schultern«, ihm wurden Schmerzen zugefügt und dennoch war er »unsterblich«. Die Liebe zu Ernst Thälmann bedeutete Achtung, Respekt, Selbstlosigkeit, Hingabe, Beharrlichkeit, Disziplin und Willensstärke, also die moralischen Attribute, die im Zentrum der Erziehung der sozialistischen Persönlichkeit standen und die sich an der Lebensgeschichte Thälmanns besonders deutlich veranschaulichen ließen. Wichtigstes

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Kuba und Eberhard Schmidt: Thälmannlied, aus: Fröhlich sein und singen 6/1954, 2.

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Thälmannlied für die jüngeren Pioniere war der Pioniermarsch: Wir tragen die blaue Fahne (1956, Walter Krumbach/Gerd Natschinski).

Abbildung 33

Walter Krumbach und Gerd Natschinski: Wir tragen die blaue Fahne. Pioniermarsch.

»Seid bereit ihr Pioniere, wie Ernst Thälmann, treu und kühn«, heißt es auffordernd im Refrain. Musikalisch steht eine Pause nach »Thälmann«, so dass das nachgeschobene »treu und kühn« im typischen Rhythmusschema (punktierte Achtel/Sechzehntel) besonders nachdrücklich erscheint. Auf dieses besondere Rhythmuselement verweist eine Lehrer/-innenhandreichung, die es als »Hüpfrhythmus« bezeichnet. »Der Lehrer nutzt beim Singen des Pionierliedes alle Möglichkeiten, den tiefen Sinn der Worte mit Leben zu erfüllen: Seid bereit – wie Ernst Thälmann, treu und kühn.«167 Die Kinder um 1960 lernten diesen Rhythmus in der 4. Klasse das erste Mal mit genau diesem Lied.168 Der Unterrichtsentwurf sah vor, dass die Kinder ihn tatsächlich durch das Hüpfen (»ein

167 Dittrich/Frisch (1960): Frohes Singen und Musizieren, 174. 168 Ebd.

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schneller Schritt und kurz nachhüpfen«) im Klassenraum erlernen sollen, um präziser singen zu können.169 Mit der unermüdlichen Aufforderung an die Pioniere, über und von Ernst Thälmann zu lernen, Geschichten über ihn zu lesen und zu erzählen, Filme zu sehen und Lieder zu singen, luden diese Formate zum »mimetischen Lernen« ein. Sie bauten darauf, dass es den Heranwachsenden insbesondere am Beispiel vorbildhafter Lebensgeschichten gelingen sollte, zu lernen, was legitimes Handeln und Fühlen sei.170 Im Sinn dieses mimetischen Lernens waren die Lehrerin und der Lehrer auch im Musikunterricht dazu aufgefordert, das Liedlernen mit einer »kleinen Geschichte« aus dem Leben Ernst Thälmanns zu unterstützen. Besonders geeignet schien den Autoren der Unterrichtshilfe das Kinderbuch Buttje Pieter und sein Held, das die Geschichte eines 12-jährigen Jungen erzählt, der mehr über Ernst Thälmann erfahren möchte.171 Wozu brauchte es in den 1950er Jahren die Heldenfigur Ernst Thälmanns? Über emotionale Bindungen an Symbolfiguren wie Thälmann sollte das Vertrauen der Bevölkerung in den neuen Staat gewonnen werden. Das »Vertrauenspotenzial« wurde dabei vom konkreten Menschen auf den Staat transferiert.172 Damit funktionierte der Thälmann-Mythos als ein Transmissionsriemen, mit dem die personalisierte Liebe (zu einem Menschen, der die Legitimität des neuen Staates verbürgte) in die abstrakte patriotische Liebe verwandelt werden sollte.173 Thälmann überbrückte symbolisch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Nachdem für die Nachkriegsjahre das »Brechen der Zeit« identifiziert wurde, fand in den 1950er Jahren eine bemerkenswerte Wendung statt. Mit der »Erfindung des Historischen« bekam die Vergangenheit einen funktionalen Wert.174 »Zukunft braucht Herkunft«, unter diesem Motto entdeckte der Staat seine kommunistische Tradition wieder. Diese historischen Narrative sollten quasi genetisch die anzustrebende Zukunft begründen. Das zeigen auch die Lieder der Zeit. Die Pioniere waren zugleich Zukunftsträger und als »Kinder Thälmanns« Erben des alten kommunistischen Kampfes und Traumes. Sie sollten nicht nur so fühlen wie Thälmann, sie wurden verpflichtet, seinen Kampf fortzuführen, seinen Traum zu verwirklichen. Diese Verklammerung von Tradition und Zukunftsverpflichtung zeigt sich eindrücklich in einem weiteren bedeutenden Pionierlied der Fünfzigerjahre: Ich trage 169 Ebd., 175. 170 So lautet auch eines der Hauptargumente über das »learning how to feel« von Kindern und Jugendlichen in: Eitler/Olsen/Jensen (2014): »Introduction«, 7-9. Siehe auch Wulf (2012): »Memory, Mimesis«, 80f. 171 Dittrich/Frisch (1960): Frohes Singen und Musizieren, 181; Zimmering (1951): Buttje Pieter. 172 Vgl. Satjukow/Gries (2002): »Du sprichst mir Dein Vertrauen aus…«, 11. 173 Vgl. Nothnagle (1999): Building the East German Myth, 11: »Myth-building is about setting priorities and gaining control over the terms of public discourse. It means the calculated use of history. […] For myth-building meant the ›cultivation of tradition‹, the fulfillment of a historic mandate.« 174 Assmann (2013): Ist die Zeit aus den Fugen?, 179. Assmann argumentiert hier dicht an Odo Marquard, einem Vertreter der Kompensationstheorie. Diese besagt, dass »die Dynamik der Moderne und des Fortschritts […] nicht einfach und linear in Form eines Zeitpfeils gedacht [wird], sondern komplex in Form von Gegensätzen, die auseinander hervorgehen und sich gegenseitig in Spannung halten«, 226. Ebenso ließe sich an dieser Stelle auch Hobsbawm (1983): »Introduction: Inventing Traditions« als Erklärungsansatz zitieren.

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Abbildung 34

Eberhard Schmidt und Helmut Hauptmann: Ich trage eine Fahne.

eine Fahne (1956, Helmut Hauptmann/Eberhard Schmidt): »Ich trage eine Fahne/und diese Fahne ist rot/es ist die Arbeiterfahne/die Vater trug durch die Not«, hieß es feierlich, untermalt durch eine hymnische musikalische Gestaltung. Die bekannten Rhythmuselemente symbolisieren das Vorwärtsdrängen, die Bewegung, den Fortschritt. Bedächtige Viertel verdeutlichen die Entschlossenheit. Die Fahne, Metapher für den zwangsläufigen Fortgang der Geschichte, sieht bereits »der Sehnsucht Ziel«. Sie überwölbt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die dritte Strophe schreibt das Erbe des Vaters als Verpflichtung des Sohnes fest: »Sie hat unsere Väter begleitet/durch Hader und Nacht und Krieg/Drum vorwärts, ihr Söhne erstreitet/zu Ende den großen Sieg.« Diese Prophezeiung war Versprechen und Verpflichtung. Zugleich bedeutete sie Verzicht der älteren Generation (als Propheten) darauf, die Erfüllung der Zukunftswünsche zu erleben. Während die ältere Generation von der Dynamik ihrer Sehnsucht zehren und die Träume der sozialistischen Utopie träumen konnte, wuchs die neue Generation mit dem wiederholten Versprechen auf eine »helle Zukunft« auf. An die-

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ses Versprechen gekoppelt war die Möglichkeit der Enttäuschung. An dieser Verteilung von potenzieller Hoffnung auf der einen Seite und potenzieller Enttäuschung auf der anderen Seite änderte sich bis zum Ende der 1980er Jahre nicht mehr viel. Im Gegensatz zur Kurzlebigkeit zahlreicher Pionier- und Jugendlieder, gehörte das Lied Ich trage eine Fahne bis Ende der 1980er Jahre zu den zentralen Pflichtliedern. Alle Generationen der Pioniere wurden mit dem Versprechen groß, »der Sehnsucht Ziel« fast erreicht zu haben.

Die väterliche Liebe. Der Patron Wilhelm Pieck Anlässlich des dritten Geburtstages der Pionierorganisation besuchte Wilhelm Pieck die Mädchen und Jungen seiner Patenschule in Berlin-Pankow. Die Kinder begrüßten ihn mit dem neuen Lied Könnt ihr die blauen Wimpel sehen. Der Präsident sprach über Leistungssteigerung und Disziplin. Die Kinder versprachen, »um den Frieden zu kämpfen« und das »Vaterland« zu einigen. Zum Abschied sangen sie Einheit und gerechter Frieden.175 Im September 1954 reiste Wilhelm Pieck nach Stalinstadt, um sich in der neu erbauten Vorzeigestadt einen Kindergarten zeigen zu lassen. Er brachte Spielsachen mit, eine Eisenbahn und einen Kaufmannsladen. Als Dankeschön sangen die Kinder das traditionelle Kinderlied Spannenlanger Hansel und das Lied von der Kleinen weißen Friedenstaube.176 Der großväterlich wirkende Wilhelm Pieck pflegte einen von den Medien gut dokumentierten Kontakt zu den Pionieren. Er hatte hörbar Freude an diesen Begegnungen mit den Jüngsten, auch wenn er manchmal etwas unbeholfen wirkte. Im Gegensatz zu Ernst Thälmann war Pieck eine lebende Vorbildfigur. Seine Lebendigkeit stellte er durch die zahllosen Begegnungen mit den Pionieren unter Beweis. Er verbürgte mit seiner Person Glaubwürdigkeit und Authentizität, denn Pieck selber hatte an der Seite Thälmanns gekämpft, das jedenfalls lernten die Kinder über ihren Präsidenten. Der Pionierauftrag für das Schuljahr 1952/53 lautete dementsprechend: »Thälmannpionier sein bedeutet Liebe und Treue zu unserem Präsidenten Wilhelm Pieck, der die Sache Ernst Thälmanns in Ehren fortsetzt. […] Werdet so kluge, willensstarke und harte Kämpfer, wie Ernst Thälmann es war.«177 Wilhelm Pieck repräsentierte in seiner zugewandten Art zu den Jüngsten eine familiäre Vertrautheit und Zuneigung zwischen den Pionieren und dem Staat. Illustriert ist das im offiziellen Poster des Pioniertreffens von 1955. Unter dem Slogan Vorwärts zum II. Pioniertreffen in Dresden steht ein stolzer circa zehnjähriger pausbäckiger Junge in Pionieruniform. Er schmiegt sich eng an einen fröhlich lächelnden Wilhelm Pieck. Die rechte Hand ruht auf der Schulter des Präsidenten, eine Geste der Verbundenheit, des festen Zusammenstehens der Generationen. Beide schauen aus dem Bild, in eine unbestimmte Zukunft, zuversichtlich, fröhlich und gelassen ob dessen, was sie dort in der Ferne erwartet. Unter dem Bild steht: »Gesundheit, Schaffenskraft und Glück für unseren lieben Wilhelm Pieck.« Damit erfüllt das Poster zwei Funktionen. Zum 175 176 177

Rundfunkbericht: Wilhelm Pieck zu Besuch in seiner Patenschule Berlin-Pankow, Kissingenstraße, 13. Dezember 1951, in: DRA DOK 360. Rundfunkdokumentation 5 Jahre DDR: Wilhelm Pieck besucht einen Kindergarten in Stalinstadt, 22. September 1954, in: DRA DOK 96. Arlt (1972): Seid bereit für die Sache Ernst Thälmanns, 10.

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Abbildung 35

»Vorwärts zum II. Pioniertreffen, Dresden 1955«, aus: Bundesarchiv (2005): Für Frieden und Sozialismus, Nr. 2108 (Signatur: PlakY 3/434).

einen symbolisiert es die symbiotisch verschmolzene Einheit der Generationen. Während Pieck mit seiner jovialen Geste, seiner starken körperlichen Präsenz Sicherheit und Schutz verspricht, steht der Junge in seiner Pionieruniform, geschmückt mit einem Abzeichen und einem gerollten Blatt Papier unter den linken Arm geklemmt (vielleicht der Pionierauftrag des Jahres) für den Aufbruch der jungen Generation. Zum zweiten verweisen die Glückwünsche am unteren Rand des Posters auf den 80. Geburtstag des Präsidenten, der ein halbes Jahr nach dem Pioniertreffen, im Januar 1956, gefeiert wurde. Als Geschenk überbrachten die Pioniere »ihrem lieben Wilhelm Pieck« ihre Liebe, ihren Fleiß und das Versprechen, für seine Ideen weiter zu kämpfen.

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Diese Liebe war beidseitig und doch hierarchisch. Während die reine körperliche Anwesenheit Piecks das Versprechen auf Schutz und Halt vermitteln sollte, mussten die Pioniere ihre Liebe durch Fleiß und Leistungsbereitschaft immer wieder aktiv unter Beweis stellen. So war das Pioniertreffen 1955 eine einzige große Leistungsschau. Nach Dresden durften nur die Kinder reisen, die sich sportlich, technisch oder auch musisch als die Besten qualifiziert hatten. Das Programmheft für das 2. Treffen der Jungen Pioniere in Dresden belegt die Grundidee der Leistungsschau und des Wettkampfgedankens.178 Die Pioniere konnten an Geländespielen teilnehmen, begleitet und organisiert von den vormilitärischen Organisationen GST (Gesellschaft für Sport und Technik) und der KVP (Kasernierte Volkspolizei) oder sich im »touristischen Fünfkampf« messen. Sie trafen sich zu Ausflügen ins Elbsandsteingebirge, zu Übungen und Erfahrungsaustausch im touristischen Bereich. Die Flug- und Schiffsmodellbauer maßen ihr Können in Meisterschaften. Die jungen Naturforscher besuchten landwirtschaftliche Institute und Betriebe. Im Sport gab es in zahlreichen Mannschafts- und Einzeldisziplinen DDRMeisterschaften. Kultur- und Instrumentalgruppen zeigten auf vielen Bühnen ihr Können. Die Demonstration von Leistung beschränkte sich nicht auf den sportlichen oder kulturellen Bereich. Die Pioniere gingen auch in den Wettstreit um den ertragreichsten Obst- oder Gemüseanbau, um die größten und schwersten Kaninchen. Sie wurden ausgezeichnet für die besten Zensuren oder für den höchsten gesammelten Geldbetrag. Die Pioniere kamen nicht mit leeren Händen nach Dresden. Das Lied zum Pioniertreffen In Dresden, juchei im August (1955, Richard Hambach/Hans Naumilkat) handelte daher von Hänschen, der den größten Kürbis nach Dresden rollt oder von Lotte Schmidt, die ein Kaninchen von zwölfeinhalb Pfund an der Hundeleine mitführt.179 Jeder Pionier musste im Vorfeld etwas leisten. Sie kamen im »stolzen Bewußtsein«, die »jüngsten Erbauer des Sozialismus« zu sein, das jedenfalls wollte die Öffentlichkeit so sehen.180 Mit dieser zur Schau gestellten Produktivität verdienten die Pioniere die »natürliche Liebe« und »Achtung« des Staates.181 Sie würden »geliebt und umsorgt von den Müttern und Vätern und der ganzen Arbeiterklasse«, behauptete die Presseberichterstattung.182 Dorothee Wierling bezeichnete dieses Phänomen zu Recht als »Familialisierung der Politik«.183 In der Person Wilhelm Piecks wurde die »natürliche Liebe« des Staates konkret und fühlbar. »Vater Staat« und die Arbeiterklasse wollten sich mit aller Aufmerksamkeit

178 Organisationsbüro des 2. Pioniertreffens (1955): Programm. 179 Siehe Fröhlich sein und singen 6/1955, 3. 180 Anonym: »Unsere Jungen Pioniere. Zum Beginn des II. Pioniertreffens in Dresden«, in: Neues Deutschland, 12. August 1955, 1 und Heinz Plöger: »Erbauer der Zukunft«, in: Junge Welt, 13./14. August 1955, 1. 181 Karl Schirdewan: »Vorwärts, Junge Pioniere!«, in: Neues Deutschland, 19. August 1955, 1: »Zu der natürlichen Liebe, mit der unser Volk euch umgibt, tritt die besondere Achtung hinzu, die wir – die Partei und die ganze Arbeiterklasse – euch, den Pionieren, entgegenbringen.« 182 Heinz Plöger (1955): »Erbauer der Zukunft«, in: Junge Welt vom 13./14. August 1955, 1. 183 Wierling (2002): Geboren im Jahr Eins, 103f., 110: »Partei und Regierung [bemühten] sich in elterlicher Sorge um die Kinder […] und [identifizierten] sich so mit der familialen Rolle der wirklichen Eltern.«

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und Liebe um die Kinder kümmern. Als Gegenleistung erwarteten sie ebenfalls Liebe, »grenzenlose Ergebenheit«184 und Dankbarkeit. Diese behauptete Fürsorglichkeit zeigte sich in den Ferienprogrammen »Frohe Ferientage für alle Kinder«, in den neu eingerichteten Schulen, Pionierhäusern, Klubs, Pionierpalästen, Ferienlagern – kurz gefasst in allem, was den Mädchen und Jungen das Lernen ermöglichte, ihnen Freizeitgestaltung und Freizeitspaß brachte und sie gleichzeitig kontrollierbar und beeinflussbar machte.185 Mit der Behauptung der »natürlichen Liebe« begann das Mitglied des Politbüros der SED Karl Schirdewan seine Ansprache zur Eröffnung des Pioniertreffens, er endete mit der Beteuerung von Vertrauen. Das Vertrauen jedoch, dass nach Schirdewan der Staat und die arbeitende Bevölkerung der jungen Generation entgegenbrachten, war de facto eine Verpflichtung und »Ansporn […], Mitgestalter der friedlichen und glücklichen Zukunft ganz Deutschlands« zu sein.186 Diese Art von Vertrauen funktionierte wie ein Kredit, der mit hohen Zinsen zurückgezahlt werden muss. Es war weniger Versprechen als Behauptung. Dieses Vertrauen entsprang einem patronalen Duktus und hatte wesentlich mehr mit Erwartungen, Ansprüchen und Forderungen zu tun als mit einer familiären emotionalen Bindung, die der Staat nur simulierte. Sechs Jahre später auf dem IV. Pioniertreffen in Erfurt 1961 hatte sich der Ton geändert. Wilhelm Pieck war 1960 gestorben. Walter Ulbricht versuchte zwar, sich ebenfalls als väterlicher Patron in Szene zu setzen, doch seine Abschlussrede am 21. August spiegelte eine größere Distanz wider. Vertrauen, »tiefe Liebe« und »Verehrung« gab es nur noch als Forderung an die Pioniere, sie waren nicht mehr beidseitig.187

Jugendweihe 1960. »Der wahre Festtag der sozialistischen Zukunft« Die Kinder des Jahrganges 1946 waren 1960 im Alter von 14 Jahren und damit Jugendliche. Der Übergang von der Kindheit zur Jugend wurde mit der Jugendweihe zelebriert. Dieses Ritual lässt sich als Lehrstunde in Sachen Fortschrittsoptimismus betrachten. Die Jugendlichen sollten von »einem unbeschwerten Kinderdasein in die Welt der Erwachsenen eintreten, [sie dringen] in die Geheimnisse des zukünftigen Lebens ein«.

184 Karl Schirdewan: »Vorwärts, Junge Pioniere!«, in: Neues Deutschland, 19. August 1955, 1: »Grenzenlose Ergebenheit zur Arbeiter- und Bauernmacht, zur Deutschen Demokratischen Republik, zur Sache des Friedens – das muß die unerschütterliche tragende Idee sein, von der ihr euch bei all eurem Eifer, all eurem Handeln und bei all euren Taten leiten laßt.« 185 Bezirksleitung FDJ Abteilung Junge Pioniere an Freie Deutsche Jugend, Sekretariat des Zentralrates: Protokolle Sitzung des Sekretariates der Bezirksleitung, 1954, in: HStA Dresden 12484 Nr. 745, o. Bl. 186 Karl Schirdewan: »Vorwärts, Junge Pioniere!«, in: Neues Deutschland, 19. August 1955, 2. 187 Anonym: »Blumen und Menschen können nur im Frieden blühen und gedeihen. Glanzvolle Pionierparade in Erfurt-Walter Ulbricht umjubelt«, in: Thüringen Tageblatt, 21. August 1961, 1: »Die tiefe Liebe und Verehrung, die sie [die Pionier] ihrem großen Freund Walter Ulbricht entgegenbrachten, den sie zu Beginn mit tosenden Beifall zu ihrem 1. Ehrenpionier ernannten, war unbeschreiblich.«

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Diesen Übergang hatten sie in den Augen der Staatsmacht gerade mit der Perspektive auf »eine klare und große Zukunft« »voll fröhlicher Zuversicht zu vollziehen«.188 Die Jugendweihe war in der DDR ab Ende der 1950er Jahre ein breit akzeptiertes Ritual. Die Forschungsliteratur beschrieb es je nach Perspektive als »Erziehungsambition«189 , als »Erziehungsinstanz«190 oder als Mittel im Kirchenkampf.191 Klar ist, die Jugendweihe war ein weiterer Baustein in der Ideologisierung und der Politisierung der Kinder und Jugendlichen in der DDR. Mit der Jugendweihe nahm der Staat seiner Jugend feierlich das Versprechen ab, sich in den Dienst des sozialistischen Zukunftsentwurfes zu stellen. Sie wurde daher inszeniert als der »Festtag der sozialistischen Zukunft unserer Jugend«.192

Die Wiedereinführung der Jugendweihe »Das Ringen um die Herzen und Hirne der gesamten Jugend« war in den 1950er Jahren neu entbrannt.193 Die FDJ startete in die 1950er Jahre furios. Im Windschatten des Deutschlandtreffens der Jugend 1950 vermerkte die Organisation großen Zuspruch und steigende Mitgliederzahlen. Auch wenn man die statistischen Fehlerquellen und Manipulationen der Funktionäre/-innen mit einrechnet, ist davon auszugehen, dass die FDJ zu diesem Zeitpunkt rund ein Drittel aller 14- bis 25-Jährigen in der DDR zu ihren Mitgliedern zählte.194 Doch diese hohe Mitgliederzahl zu halten, entpuppte sich als ein schwieriges Unterfangen. Der Jugendverband, der zunächst überparteilich agieren sollte, rückte durchaus gewollt in den machtpolitischen Einflussbereich der SED. Die FDJ setzte die parteipolitischen Erziehungs-, Lenkungs- und Kontrollkonzepte um. Im Gegenzug profitierte sie von den politischen Maßnahmen zur Stabilisierung des Jugendverbandes. Unter diesen Bedingungen stärkte die SED der FDJ als einziger Jugendorganisation den Rücken und ordnete ihr die Jugendarbeit in anderen Massenorganisationen, wie dem FDGB und der GST, unter.195 Der Schwerpunkt der Jugendarbeit lag in den Anfangsjahren noch im Bereich der Freizeitgestaltung. Der Jugendverband hatte »Freude und Frohsinn«, Vergnügen und Kurzweil versprochen. Doch zunehmend verloren sich Freizeitangebote hinter den ideologischen Schulungen, die ab Beginn der 1950er Jahre für die »richtige« Einstellung und das »richtige« Bewusstsein sorgen sollten. Die Jugendarbeit stagnierte in einer »trockenen und armseligen Gestaltung«, so die Erinnerung eines Zeitzeugen.196 1953 hatte sich die Anzahl der registrierten Verbandsmitglieder geradezu halbiert. Ein

188 Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1957): Jugendweihe, Teil A, 15f. Vgl. Wentker (1995): »Die Einführung der Jugendweihe in der DDR«. 189 Tenorth/Kudella/Paetz (1996): Politisierung im Schulalltag der DDR. 190 Münch (2002): »Die Jugendweihe als Erziehungsinstanz«. 191 Raabe (1998): »Die Jugendweihe als Instrument«; Fischer (1998): Wir haben Euer Gelöbnis vernommen. 192 Schreiner (1959): »Bei der Musik«, 7. 193 Zentralkomitee (1958): »Der Jugend unser Herz«, 15. 194 Skyba (2000): Vom Hoffnungsträger zum Sicherheitsrisiko, 100f. 195 Siehe Erklärung in: Zentralkomitee (1958): »Der Jugend unser Herz«, 20. 196 Skyba (2000): Vom Hoffnungsträger zum Sicherheitsrisiko, 168.

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Grund dafür war, dass der Verband neue Mitgliederbücher ausgab, um somit alle »Karteileichen« auszusortieren.197 Ein Weiterer waren die Ereignisse im Juni 1953.198 Ein signifikantes Warnsignal für die fehlende Durchschlagskraft des Jugendverbandes war die Altersstruktur der »Republikflüchtigen«. 1960 flüchteten 207.000 Menschen aus der DDR in die BRD und nach Westberlin, 31 Prozent von ihnen war zwischen 14 und 25 Jahre alt.199 Damit musste der Staat befürchten, dass ihm seine »Hoffnungsträger« davonliefen. Sicherlich lassen sich die Entwicklungen der 1950er als Krise deuten.200 Dennoch gelang es dem Jugendverband in den 1950er Jahren, gerade durch seine politisch legitimierte Vorrangstellung die Strukturen für Definition, Durchsetzung und Überwachung des vorgegebenen Lebensweges der Kinder und Jugendlichen aufzubauen und zu festigen.201 Ein wesentliches Element dafür war die Jugendweihe als Alternative zur kirchlichen Konfirmation. Die Jugendweihe gab es als freikirchliches Ritual bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In der Zeit der Nationalsozialisten verboten, lebte diese Tradition der proletarischen Jugendweihe nach 1945 im geteilten Deutschland wieder auf, vor allem im freireligiösen und sozialdemokratischen Milieu. Die SED sah darin eine Gefährdung ihres Führungsanspruches und verbat mit einem Grundsatzbeschluss vom 13. Februar 1950 den Gewerkschaften, der Partei und der FDJ die Durchführung von Jugendweihen. Stattdessen wurden für die 14-Jährigen »Schulentlassungsfeiern« organisiert. In Hinblick auf die Krise der Jugendarbeit wurde mit einem Politbürobeschluss vom 14. März 1954 die Jugendweihe als staatliches Erziehungsritual wieder eingeführt. Ziel war es, die Jugendlichen dem Einfluss der Kirche zu entziehen Damit war die Wiedereinführung der Jugendweihe auch ein Mittel im »Kirchenkampf«.202 Die Jugendweihe als Gegenstück zur Konfirmation bot auch einen ausgezeichneten Anlass für die Schulen und die FDJ-Leiter/-innen, Druck auf die Elternhäuser auszuüben und damit in die Erziehungswirklichkeit einzugreifen. Die Frage über die Teilnahme und Nichtteilnahme an 197 Ebd., 152f. 198 Am Aufstand waren die Jugendlichen zwar nicht als exponierte Rädelsführer beteiligt, doch nahmen sie zahlreich in den Betrieben an Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen teil. Zum Teil traten Jugendliche nach der Niederschlagung des Aufstandes geschlossen aus dem Verband aus. 199 Schulze/Noack (1995): DDR-Jugend, 29. Die Angaben dazu schwanken. Schuster (1995): »Die SEDJugendkommuniqués«, 59. Er sprach davon, dass knapp die Hälfte der Flüchtenden unter 25 Jahre alt war. Nach Rauhut (1993): Beat in der Grauzone, 54, waren 1960 33,8 Prozent aller »Republikflüchtlinge« jünger als 25 Jahre. Ausführliche Berechnungen legt Ohse (2003): Jugend nach dem Mauerbau, 27f. vor. Er verweist darauf, dass zu den jungen Flüchtenden auch Kinder in Begleitung der Eltern gezählt wurden. Entscheidend ist seine Berechnung in dem Punkt, dass jugendliche Republikflüchtlinge im Verhältnis zum Anteil der DDR-Bevölkerung deutlich überrepräsentiert waren; siehe auch Skyba (2000): Vom Hoffnungsträger zum Sicherheitsrisiko, 304-7. 200 So geschehen in ebd., 419. 201 Trotz politischer Ideologisierung konnten sich Freizeitangebot und Gruppenleben etablieren, »spezifische Interessenlagen« hätten sich »konstituiert und verfestigt«, so die Beobachtung von Hübner (1994): »Die FDJ als politische Organisation und sozialer Raum«, 66. 202 Die Jugendweihe wurde als konfrontative Maßnahme im Konflikt mit den Kirchen wahrgenommen, siehe: Wentker (1995): »Die Einführung der Jugendweihe in der DDR«, 150f. Die explizite Unvereinbarkeit dieser beiden Rituale propagierten die Kirchen selbst und setzten dieses Diktum auch in den ersten Jahren durch, siehe: Tenorth/Kudella/Paetz (1996): Politisierung im Schulalltag der DDR, 209. Darin auch weitere Erklärungen und weiteres Quellenmaterial.

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der Jugendweihe entschied über Vor- oder Nachteile für den weiteren Bildungsweg der Jugendlichen. Ganz konkret wirkte sich die Entscheidung für Jugendweihe oder Konfirmation auf die Zuweisung von Ausbildungs- oder Studienplätzen aus. Auch wenn der Staat immer wieder behauptete, dass aus der Jugendweihe weder Vor- noch Nachteile entstünden, lassen sich zahlreiche Gegenbeispiele finden.203 Dem Staat konnte es auch nicht egal, sein, wie die Jugendweihe angenommen wurde. Denn sie galt explizit als weltliches Gegenangebot in der »Stärkung des ideologischen Kampfes der FDJ […]«.204 Die Verbundenheit zwischen Staat und Jugend sollte in der Jugendweihe hergestellt und demonstriert werden. Zugleich bot die Jugendweihe zusammen mit der intensiven vorbereitenden Schulung einen letzten Zugriff auf die Köpfe der Jugendlichen, bevor sie mehrheitlich die Schulen verließen. Die Umsetzung des neuen Jugendweihekonzeptes erfolgte schnell. Im Juni 1954 gründete sich die Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse. Im gleichen Monat legte das Politbüro der SED einen konkreten Maßnahmen- und Durchführungsplan für die ersten Jugendweihefeiern im Frühjahr 1955 fest, im Oktober folgte eine detaillierte Präzisierung.205 Am 20. März 1955 fand die erste neuetablierte Jugendweihefeier in der DDR statt. Sechs Jahre später, als der Einschulungsjahrgang von 1952 seine Jugendweihe hatte, nahmen bereits fast 87 Prozent der Jungen und Mädchen an den Feierlichkeiten teil.206 Die Quellen dokumentieren, dass das unermüdliche Werben um die Jugendlichen und deren Eltern viel Aufmerksamkeit der JugendweiheOrtsausschüsse in Anspruch nahm, aber es zeitigte Erfolg.207

203 Griese (2002): »Elternhaus und Schule in der DDR«, 368f. Der Erfolg der Jugendweihe nach den ersten drei Jahren speiste sich – so das Fazit von Griese – auch aus dem »elterlichen Opportunismus« (366). 204 Siehe Beschluss des Politbüros vom 14. März 1954, abgedruckt in Wilke (1992): SED-Kirchenpolitik, 41-51, hier 47. 205 Wentker (1995): »Die Einführung der Jugendweihe in der DDR«, 146f. Am 20. März 1955 fand die erste neuetablierte Jugendweihefeier in der DDR statt. Nach Angaben des »Zentralen Ausschußes für Jugendweihe« nahmen im ersten Jahr 52.322 Jugendliche an 1.120 Feiern teil, das entsprach 17,7 Prozent des Altersjahrganges. Alle in der entsprechenden Literatur verwendeten Zahlen berufen sich auf: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1989): Chronik, 67. Über die Validität der Angaben kann nur spekuliert werden. Sicher ist, dass in diesem ersten Jahr nicht nur 14-Jährige an der Jugendweihe teilnahmen, sondern auch ältere Jugendliche. 206 Das waren nach offiziellen Zählungen republikweit 113.275 Mädchen und Jungen, die in 3.663 Feiern mit 1.268.079 Gästen ihr Gelöbnis sprachen, siehe Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1989): Chronik, 84. Das deckt sich mit den Erkenntnissen von Droit (2014): Vorwärts zum neuen Menschen?, 127. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat die Teilnehmer/-innenquote 1960 ihren bis dahin höchsten Stand erreicht. Dieses an die Schule gebundene Ritual hat sich im Lebensweg der Jugendlichen etabliert und hat in veränderter Form auch nach dem Ende der DDR Bestand, siehe Meier (1998): Jugendweihe-JugendFEIER. 207 In den Protokollen der FDJ Bezirks- und Stadtleitung Dresden wird regelmäßig festgehalten, wie mühsam die Überzeugungsarbeit bei den Eltern für die Jugendweihe und dass die Unterstützung der Pionierorganisation »gleich null« sei. FDJ Bezirks- und Stadtleitung: Protokoll der Sekretariatssitzung, 8. November 1961, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1313, 4.

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Lehrstunden für Fortschrittsoptimismus Die eigentliche Feierstunde bot wenig Überraschendes und soll aus diesem Grunde hier nicht ausführlich thematisiert werden. Musik spielte zwar eine große Rolle, doch vor allen Dingen in Hinblick auf die »festliche Atmosphäre«. Beobachter/-innen bemängelten gar, dass insbesondere die Frage nach der Musik nicht ernsthaft genug von den Bezirksausschüssen diskutiert wurde. »Bequemlichkeit« beziehungsweise der »Mangel an Sachkenntnis« würden dazu führen, dass »Kaffeehausmusik« die »Würde und Feierlichkeit« der Veranstaltung trübte.208 Daher wurde der Ablauf explizit festgelegt.209 Variabel gestalteten sich die Musikvorschläge. Das hatte aber keine inhaltlichen Gründe, sondern lässt sich durch die unterschiedliche Besetzung der Musikensembles erklären. Im Ganzen lassen sich fünf Programmteile ausmachen: Intro, Ansprache, Gelöbnis, Individuelle Überreichung der Geschenkbücher und Urkunden und Abschluss.210 Es wechselten sich dabei Musik, Ansprache, Beteiligung des Publikums und der Teilnehmenden ab. Bis in die 1960er Jahre blieb dieser Programmablauf fast unverändert.211 Eine Veränderung allerdings ist bemerkenswert, sie betrifft den gemeinsamen Gesang am Ende der Feierstunde. Zunächst verschwand das Weltjugendlied aus dem Programm. Bis 1970 gehörte der gemeinsame Gesang der Nationalhymne zum festen Abschluss der Feierstunden. Nach dem Textverbot erklang die Hymne nur noch selten als instrumentaler Schluss und verschwand aus den Programmheften um 1977 völlig. Kein anderes Lied ersetzte das Singen der Nationalhymne. Wesentlich aufschlussreicher als die Programme selbst sind dahingegen die Vorbereitungen auf diese Feierstunde.212

208 Arnold (1961): Jugendweihe, 88. 209 Ebd., 82f. Zur Unzufriedenheit mit einigen Veranstaltungen siehe Wierling (2002): Geboren im Jahr Eins, 245. Die Mischung von Kompositionen »großer Meister«, wie »Bach, Händel, Mozart, Beethoven«, zeitgenössischer Kompositionen und Arbeiter- und Jugendliedern galt für eine würdevolle Jugendweihefeier als ideal, siehe Arnold (1961): Jugendweihe, 88, siehe auch Programmvorschläge, zu finden in: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1956): Jugendweihe, 12-23. 210 Die Funktionäre des »Zentralen Jugendweiheausschuß« überreichen jedem Jungen und Mädchen die »künstlerisch gestaltete« Jugendweiheurkunde, siehe Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1989): Chronik, 65 und als Geschenkbuch Buschendorf-Otto (1954): Weltall, Erde, Mensch. Erstmalig erschienen 1954, letztmalig 1973 in der 21. bearbeiteten Auflage. »Das Geschenkbuch wird in den Folgejahren an fast vier Millionen Jugendliche ausgegeben«, in: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1989): Chronik, 65. 1960 standen auch noch andere Geschenkbücher zur Auswahl, wie beispielsweise Böhm/Dörge (1959): Unsere Welt von morgen, siehe dazu den Zeitungsbericht von Joachim Scholz: »Bücher für die Jugend«, in: Neues Deutschland, 23. April 1960, 10. Abgedruckt in: Jugendweihe 1/1959, 8. 211 Das belegt eine Sammlung von Jugendweiheprogrammen einer Erfurter Schule, siehe: Polytechnische Oberschule 32, Erfurt: Jugendweihe 1964-1980, in: SA Erfurt (Staatliche Grundschule 20) A 33079. 212 Zum Jugendweihejahr 1955/56 erschienen bereits die ersten Themenpläne für diese Jugendstunden, siehe: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1955/56): Themenplan. Doch erst mit dem Jugendweihejahrgang von 1960 konnten die Jugendstunden als institutionelle Vorbereitung auf den eigentlichen Weiheakt regulär durchgesetzt werden. 1957 nahm nur jeder vierte der Jugendweiheteilnehmer/-innen an den Jugendstunden teil, im Jahr darauf waren es angeblich bereits drei Viertel, mit dem Jahr 1959 »fast alle Teilnehmer«. Siehe: Zentrale Ausschuß für Jugendweihe (1959): Jugendweihe, 6.

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Die Jugendweihe mitsamt den Vorbereitungsstunden stand um 1960 ganz im Zeichen des Glaubens an den unaufhaltsamen Fortschritt, eine Überzeugung, die sich zu dieser Zeit in vielen gesellschaftlichen Bereichen der DDR wiederfinden ließ. Mit dem Jahr 1955 war der erste Fünfjahresplan in der Wahrnehmung der SED-Funktionäre/innen erfolgreich abgeschlossen. Die DDR war im System der Ostblockstaaten integriert und akzeptiert. Zehn Jahre nach Beendigung des Krieges ließen sich die Zeichen des Wiederaufbaus erkennen. Die Grundversorgung der Bevölkerung konnte gewährleistet werden. Auch wenn sich diese Entwicklungen in der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik eher bescheiden ausnahmen, zeigten diese ersten Jahre, dass der Weg zum sozialistischen Zukunftsstaat gangbar war, aus der Utopie eines Tages Wirklichkeit werden könnte, wenn nur konsequent und hart genug daran gearbeitet würde. 1958 wurden die letzten Lebensmittelkarten aus dem Verkehr gezogen. Im gleichen Jahr verabschiedete sich die SED auf ihrem V. Parteitag vom zweiten Fünfjahresplan zugunsten eines noch ehrgeizigeren Siebenjahresplanes für die Jahre 1959 bis 1965. Die »ökonomische Hauptaufgabe« war es nach Walter Ulbricht, die Volkswirtschaft der DDR bis zum Jahr 1961 so zu entwickeln, dass das Niveau an Lebensmittel- und Konsumgüterverbrauch das der Bundesrepublik erreichen und sogar übertreffen würde. »Sozialismus siegt« war das Leitmotiv dieses Parteitages.213 Diese »Sieben-StufenRakete«, wie der Plan auch genannt wurde, sorgte Ende der 1950er Jahre für eine »einzigartige Aufbruchsstimmung«.214 Die Jugendweihebücher Weltall, Erde, Mensch oder Unsere Welt von morgen malten in schillernden Farben aus, in welchem Überfluss und Komfort die Jugendlichen schon bald leben würden. Auffallend ist, dass dieser »propagandistische Zeithorizont«, wie ihn der Historiker Gries nannte, ein »purer Konsumhorizont« war, der den DDR-Bürgern und -Bürgerinnen die Erfüllung aller ihrer materiellen Wünsche versprach und damit die »Vollendung des Sozialismus« bis 1965 prognostizierte.215 Auch wenn im Bereich der Bildung und Erziehung die Umstrukturierungen noch im vollen Gange waren, konnte die SED Mitte der 1950er Jahre auf fünf Jahre erfolgreicher Machtkonsolidierung verweisen. Außer der Kirche gab es kaum mehr relevante gesellschaftliche Kräfte, die die Vormacht der Einheitspartei infrage stellten. Hinsichtlich dieser Entwicklungen in den ersten zehn Nachkriegsjahren ließ sich ein gesellschaftspolitischer Optimismus propagieren, der einerseits motivierend nach innen wirken sollte und andererseits demonstrativ nach außen, Richtung Westen kommuniziert werden musste. Dieser Optimismus untermauerte und befeuerte die Fortschrittsgläubigkeit jener Jahre: »Unsere Jugendlichen können optimistisch in die Zukunft schauen. Unser Arbeiter- und Bauern-Staat garantiert ihnen eine sorgenfreie, glückliche Zukunft.«216 Der Jugendweihejahrgang 1960 durchlief ein überarbeitetes und intensiviertes Jugendstundenprogramm. Dazu gehörten wissenschaftliche Themen: »Vom Glutball zum belebten Planeten«; »Woher kommt das Leben auf der Erde und welche Formen nimmt 213 Gries (1997): »und der Zukunft zugewandt«, 316. 214 Ebd., 316f. 215 Gries (1994): »Virtuelle Zeithorizonte«, 9; 14 und Gries (1997): »und der Zukunft zugewandt«, 316: Ende der 1950er Jahre wurde ein »kurz- und mittelfristiger Erwartungshorizont« geöffnet. 216 Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1989): Chronik, 60.

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es an?«; und »Wie der Mensch zum Riesen wurde«. Andere Stunden thematisierten die sozialistische Moral: »Einen zuverlässigen Wegweiser braucht jeder Mensch – brauchst auch Du!«; »Das neue Leben erfordert neue Menschen«; »Wir wollen von allem Wahren und Schönen Besitz ergreifen und kulturvoll leben«. Ein dritter Themenkomplex bearbeitet die Verbundenheit zur Sowjetunion: »Die Sowjetmenschen – Erbauer des Kommunismus – beste Freunde des deutschen Volkes«; »Brüder seht die rote Fahne«.217 Das Lernziel eines solchen Programms war ein dreifaches: Erstens wurde den Heranwachsenden aufgezeigt, welche Fortschritte in Wissenschaft und Technik in den letzten Jahrzehnten bereits erreicht worden waren. Zum Zweiten sollten sie ihre Zuversicht und ihren Optimismus darauf bauen, dass es in diesem Tempo weiter gehen würde. Drittens sollten sie erkennen, dass sie für die Verwirklichung dieser Träume und Utopien Verantwortung übernehmen mussten.218 Die geglückte Sputnikmission am 4. Oktober 1957 rückte den Traum der Menschheit in erreichbare Nähe, nach den Sternen zu greifen und den Weltraum zu erobern. Sie demonstrierte der westlichen Welt, zu welchen technischen Leistungen die Sowjetunion innerhalb kürzester Zeit in der Lage war. Gerade einmal zwei Jahre vergingen zwischen der Ankündigung des Programms und dem erfolgreichen Start des Sputniks. Für das Programm der sozialistischen Erziehung war der Erfolg der Sputnik-Mission ein Lehrbeispiel par excellence, umgesetzt in der Jugendstunde »Auf dem Weg ins Weltall«. Darin ließ sich die Überlegenheit des kommunistischen Gesellschaftssystems zeigen, denn es siegte ja im direkten Wettlauf um die Eroberung des Weltalls: »In dem Moment, in dem der Mensch anfängt, das Universum zu erobern, wird es besonders deutlich sichtbar, daß der Kapitalismus geschichtlich völlig überholt ist. Darin sehen wir die entscheidende gesellschaftliche und weltanschauliche Schlußfolgerung der Sputniks und Weltraumschiffe.«219 Das Narrativ um den Sputnik eignete sich hervorragend, den Zukunftsoptimismus zu untermauern, die »Freude und frohe Zuversicht«, die »Entschlossenheit« zu begründen, die der sozialistische Staat von seinen Jugendlichen einforderte.220 Der sozialistische Mensch allein, so lassen sich diese Ausführungen zusammenfassen, sei in der Lage, »jahrhundertealte Zukunftsträume der Menschheit zu verwirklichen«.221 Auf der Grundlage dieser Überzeugung, die als Gesetzmäßigkeit verkauft wurde, war die Zukunftsperspektive, »kein graues unbestimmtes Dunkel«, wie im Kapitalismus, auch »kein Wunschtraum« mehr, wie noch vor einigen Jahrzehnten, sondern »mit jedem

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Ebd., 81f. Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1955): Themenplan, 31: »Jugendliche erkennen, daß die Träume der besten Menschen von einem schöneren, freien und glücklichen Leben in der Gesellschaft Wirklichkeit zu werden beginnen. Die Jugendlichen begreifen, daß die Träume und Hoffnungen der Menschen in früheren Zeiten solange Utopien blieben, wie sie nicht durch eine wissenschaftliche Theorie begründet und im revolutionären Kampf verwirklicht wurden.« 219 Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1962): Auf dem Weg ins Weltall, 9f. 220 Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1957): Jugendweihe, Teil A, 5. 221 Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1956): Jugendweihe, 4.

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Tag mehr Wirklichkeit«. Daher erwartete der Staat, »unbeirrbaren Lebensmut« und verwahrte sich gegen »angstvolles Zagen«.222 Ein weiterer Referenzpunkt des Zukunftsoptimismus war das Jahr 2000.223 »Das Jahr Zweitausend, es ist Euer Jahr!/Was gestern Utopie und Traumbild war/ist längst schon Straße, drauf das Heute schreitet«, heißt es zu Beginn des 14-strophigen Gedichtes des bekannten und angesehenen Schriftstellers Max Zimmering.224 Die bevorstehende Jahrtausendwende beflügelte die Fantasie der Menschen weltweit. Die Erzieher/-innen und Lehrer/-innen waren selbst von diesem Zukunftsversprechen an die Heranwachsenden berauscht: »In den Kinderaugen, die uns heute ansehen, schaut uns das Jahr 2000«, hieß es vielsagend in einem Erziehungsratgeber von 1961.225 Dieses Zukunftsversprechen war verbunden mit einer Verpflichtung der Jugend, die Verantwortung für diese Zukunft zu übernehmen und das Erbe anzutreten.226 Die Lehrstunden für Fortschrittsoptimismus zielten darauf, die erforderliche Einstellung der Jugendlichen zu erziehen und sie stärker an den Staat DDR zu binden. Dabei ging es um eine gezielte Erziehung der Gefühle.227 Die Jugendstunden mussten als »nachhaltiges Erlebnis erziehend wirken«, so der Grundsatz. Um das zu erreichen, sollten sie nicht belehrend und unterrichtend sein, sondern in ihrer »Grundstimmung […] Fröhlichkeit« ausstrahlen.228 Die Ratgeber empfahlen, eine Gesprächsatmosphäre zu schaffen, die die Jugendlichen einladen würde, ihre eigenen Ideen, Gedanken und Vorstellungen einzubringen. Andere Materialien regten an, Museen oder Gedenkstätten zu besuchen, volkseigene Betriebe zu besichtigen oder eine Kulturveranstaltung zu buchen. Das Ziel der Jugendstunden war vordefiniert. Die Jugendlichen sollten lernen, sich »gesund, lebensfroh, gestählt« zu großen Leistungen zu befähigen,229 »ein glückliche[s] und wertvolle[s] Leben im Dienste der sozialistischen Gesellschaft« zu führen230 und ein »Bekenntnis zur großen, edlen Sache des Sozialismus« abzulegen.231 Damit war Glück nicht einfach zu haben, schon gar nicht persönliches. Glück war ein kollektives Gefühl, das an den Erfolg des sozialistischen Fortschritts gebunden war. »Der Sieg des Sozialismus« sei zwar eine »Gesetzmäßigkeit«, dennoch liege er in der Zukunft und

222 Steininger (1961): Mein Kind und unsere Welt, 23f. 223 Siehe Gries (1997): »Und der Zukunft zugewandt«. 224 Abgedruckt unter anderem in: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1962): Jugendstundenmaterial zum Thema: Der Sozialismus siegt, 11f. 225 Steininger (1961): Mein Kind und unsere Welt, 11. 226 »Der Väter Erbe lernend zu vermehren/Vor Euch den Sozialismus – welch ein Ziel!/Natur und Mensch im großen Kräftespiel –/Packt an! Es gilt, sich kämpfend zu bewähren«, in: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1962): Jugendstundenmaterial zum Thema: Der Sozialismus siegt, 12, letzte Strophe des Liedes Das Jahr 2000 (Max Zimmering). 227 »Wir müssen das Emotionelle in den Kindern wecken neben der Befriedigung ihres Wissensdurstes – oder besser noch: im Zusammenhang damit«, siehe: Sasse (1959): »Das ›musische Klima‹«, 4f. Sie forderte dazu auch ein »echtes, warmes musisches Klima« und reiht sich damit in den Diskurs um die musische Erziehung ein, 4. 228 Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1957): Jugendweihe, 18. 229 Ebd., 7. 230 Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1957): Inhalt und Methoden. Teil C, 5. 231 Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1959): Jugendweihe, 9.

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nicht in der Gegenwart, erst zukünftig »[wird] letztlich in ganz Deutschland der Frieden und der Sozialismus triumphieren«.232 Unter dem Label der »materialistischen Weltanschauung« sollten die Jugendlichen in der Vorbereitungsphase ihr Wissen erweitern, ihr Zukunftsstreben festigen und erhöhen und als sozialistische Menschen geweiht werden. Die Jugendstunden um die Imperative des Arbeitens und Kämpfens herum zu gruppieren, war folgerichtig, wenn man bedenkt, dass die Jugendweihe am Ende der achten Klasse stattfand und in den 1950er Jahren noch ein großer Teil der Jugendlichen danach die Schule verließ. Die Jugendweihe markierte damit nicht nur die Schwelle zwischen Kindheit und Jugend, nicht nur den Übertritt vom schulischen Lernen in die Erwerbswelt, sondern auch die Reife und Fähigkeit der männlichen Jugend, das versprochene Glück in der NVA mit der Waffe in der Hand zu erkämpfen.

Zukunft als Versprechen, Pflicht und Plan Auf dem IV. Pioniertreffen 1961 in Erfurt sangen und tanzten die Pioniere, so wie sie es gelernt hatten. Volkslieder wechselten sich mit Rezitationen ab, Kabarett oder Tanzeinlagen und neue Kinder- und Pionierlieder erklangen. Der Startschuss fiel am 9. August 1961 auf der Wartburg mit einem »großen Sängertreffen« der Pioniere.233 Dieser traditionsreiche Ort wurde nicht ohne Grund gewählt. Den Kindern sollte damit »Geschichte und Kultur« nahe gebracht, sie »im Geiste der Heimatliebe« erzogen werden.234 Zugleich war das IV. Pionierfest eine Lehrstunde für Zukunftsoptimismus. Es sollte »allen Pionieren und Schülern den Blick in die Welt von morgen, die Welt des Friedens und des Sozialismus […] öffnen und sie für diese glückliche Perspektive gewinnen«.235 Alles schien in jenen Augusttagen 1961 zu passen: »Patriotisches Fühlen« war kunstvoll in der Choreografie des Pioniertreffens verwoben, Geschichte auf Zukunft bezogen und mittendrin wurden die sechs- bis vierzehnjährigen Kinder präsentiert als Klammer von Vergangenheit und Zukunft. In Erfurt gab es ein Wiederkennungslied der Pioniere, dass an allen Straßenecken erklang236 : Auf zum Sozialismus (1959, Hans und Ilse Naumilkat). Es ist das letzte Pionierlied der Fünfzigerjahre, das gleichzeitig auch zum Kanon der wichtigsten Pionierlieder in der DDR gehörte. Noch einmal vereint es idealtypisch alle Charakteristika der Pionierlieder: die behauptete Fröhlichkeit, den Thälmann-Mythos, die Erwartung einer »hellen Zukunft« und nicht zuletzt besang es das Singen selber. Das Lied wirkt lebhaft und mitreißend durch Quartsprünge aufwärts (in der ersten Strophe auf den zentralen Verben »singen« und »bringen«) und durch Ausrufe (»Hallo, hört ihr«). Gerade diese

Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1962): Jugendstundenmaterial: Unsere Republik, 2f. Anonym: »Pionierkalender für das IV. Treffen«, in: Thüringische Landeszeitung, 10. August 1961, 3. K. H. H.: »Das vierte Pioniersignal«, in: Neues Deutschland, 9. August 1961, 4. Sekretariat der Kreisleitung Zittau der FDJ: Beschluß zur Unterstützung der Vorbereitung und Durchführung des IV. Pioniertreffen der Pionierorganisation »Ernst Thälmann« in Erfurt, 6. März 1961, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1040, o. Bl. 236 Bezirksleitung der Pionierorganisation »Ernst Thälmann« Dresden: Programme zu den Kulturveranstaltungen in Erfurt, 15. Juli 1961, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1468, o. Bl. 232 233 234 235

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Hans und Ilse Naumilkat: Auf zum Sozialismus.

Leichtigkeit unterscheidet das Lied von den älteren Massenliedern, auch wenn es genau die Wiederholungen und Sequenzen aufweist, die es braucht, um es schnell zu erlernen. Der Titel Auf zum Sozialismus war Ende der 1950er Versprechen und Programm. Das lässt sich sinnfällig in einer Fortsetzungsbildgeschichte in der Pionierzeitschrift Fröhlich sein und singen von 1961 erkennen. Die Bildergeschichte handelte von Herrn Morgen, der in Neustadt auf den Jungen Pionier (in Pionieruniform gestaltet) Mäxchen traf. Herr Morgen kam – das verrät sein Name – aus der Zukunft, dem Jahr 1980. Sein Vater, so erzählte er dem etwas irritierten Pionier, war der Plan und seine Mutter die Arbeit. Mithilfe einer »Plusdioptrinbrille« konnte auch Mäxchen Pfiffig sehen, wie seine Stadt im Jahr 1980 aussehen würde. Er erfuhr, dass nach erfolgreicher Beendigung des 7-Jahresplanes im Jahr 1965 ein 15-Jahresplan folgen würde. Er sah moderne Sportanlagen, eine neue geräumige Schule, vollautomatische Betriebe, Wohnanlagen für 5000 Menschen, Rollbürgersteige. »Noch schöner und glücklicher, noch sorgenfreier soll das

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Leben bei uns sein, hat die Partei gesagt«, so beschrieb Herr Morgen die Entwicklungen. Die Kinder aus dem Jahre 1980 tobten in einem sauberen See, der Strand war aufgefüllt mit Ostseesand. Im See fuhren die Kinder mit bunten Schlauchbooten mit kleinen Außenbordmotoren oder sie jagten die Wasserrutschbahnen hinunter. Das war der »Pioniersee«, den die Jungen und Mädchen sich in zweijähriger Arbeit selbst hergerichtet hatten. »Anpacken! Selber machen!«, geschenkt wird einem auch in Zukunft nichts, aber alle Träume sind realisierbar. Das ist die Lektion, die Mäxchen Pfiffig lernen sollte. Diese Bildgeschichte ist die Essenz des Fortschrittsoptimismus der 1950er Jahre: Mit einem Plan, durch harte Arbeit und mit Forschungen in Wissenschaft und Technik kann das vollkommene Glück in Zukunft erreicht werden.237 Dorothee Wierling sprach von dem Erziehungskonzept der 1950er Jahre als einer Mischung aus einem »besonderen Glücksauftrag« und einem »besonderen Glücksversprechen«. Wierling fasst darunter die »doppelten Zeichen« der »erlittenen Vergangenheit und der erhofften Zukunft«, mit denen die Kinder aufwuchsen. Auch sie verklammert damit Vergangenheit und Zukunft: »Der Glücksauftrag beinhaltet die Aufgabe, die zerbrochenen Träume und gebrochenen Biografien der Eltern durch das eigene, gelungene und erfolgreiche Leben zu heilen.« Das funktioniere aber nur in Kombination mit dem »Glücksversprechen«, so Wierling weiter, einem Versprechen, das der Staat für Frieden, materielle Sicherheit und Bildung gab.238 Der Begriff des »Glücksversprechens« soll an der Stelle ersetzt werden durch den des »Zukunftsversprechens«, das der Staat seinen Kindern in den 1950er Jahren gab. Denn es konnte in diesem Kapitel herausgearbeitet werden, dass »Heimatliebe« von einem vergangenheitsorientierten Konzept zu einem Zukunftsangebot transformiert wurde. Dieses setzte auf Fortschritt und Wachstum und stellte Glück, materielle Sicherheit und persönliches Fortkommen in Aussicht. Dieses Zukunftsversprechen war verbunden mit der Erwartung an die Heranwachsenden, den vordefinierten Zukunftsentwurf selbst realisierten. Der Staat setzte auf »produktive Erbauer des Sozialismus«. Damit war das Zukunftsversprechen an konkrete Hoffnungen geknüpft, die auch enttäuscht werden konnten. Zugleich war klar, dass diejenigen Heranwachsenden nicht Teil der Zukunftsgemeinschaft werden konnten, die sich ihrer Verpflichtung nicht stellten, nicht produktiv oder leistungsorientiert waren. Mit dem 14. Lebensjahr verließ ein Teil der mittlerweile Jugendlichen die Schulen, um Ausbildungsberufe zu beginnen. Der staatliche Zugriff auf die Jugend war geringer als der auf die Kinder. Daher stellte die Erziehung der über 14-Jährigen eine besondere Herausforderung dar. Patriotisches Fühlen für Jugendliche ging nicht mehr in der oben skizzierten »Heimatliebe« auf, auch nicht in der Liebe zu Ernst Thälmann oder Wilhelm Pieck. Denn das patriotische Fühlen war für die Jugendlichen nicht nur ein Gefühlsauftrag, sondern Handlungsanleitung. Darauf wurden sie auf ihrer Jugendweihe eingeschworen.

237 Richard Hambach (Text und Zeichnungen): »Der Mann, der sich Morgen nannte«, 1. Teil in Fröhlich sein und singen 4/1961, 6-9; 2. Teil in Fröhlich sein und singen 5/1961, 4-6; 3. Teil in Fröhlich sein und singen 6/1961, 28-31; 4. Teil in Fröhlich sein und singen 7/1961, 4-6. 238 Wierling (2002): Geboren im Jahr Eins, 169.

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Das Gelöbnis zur Jugendweihe endete mit dem Satz: »Mit vereinten Kräften – Vorwärts.«239 In diesem »vorwärts« war eine zentrale Idee formuliert, die sich durch die gesamten 1950er Jahre zog. Die in der DDR gelehrte Fortschrittsgläubigkeit verweist auf die Angst vor dem Stehenbleiben, Innehalten, Zurückschauen – das war auf dem Weg in die sozialistische Zukunft nicht vorgesehen. Dementsprechend hieß es auch in den Liedern der 1950er Jahre: »Junge Pioniere gehen der hellen Zukunft zu/will irgendetwas stille stehen, das läßt uns keine Ruh« (Der hellen Zukunft zu [1952, Günter Hoffmann/Hans Naumilkat]). Mit dieser Leitidee einer fortwährenden Weiterentwicklung muss Fortschritt als ein »moderner Bewegungsbegriff«, als ein »Planungsbegriff« gelten.240 Um Stillstand zu vermeiden, gab es als »ängstliche Vorkehrung« die detaillierte Planung von Zukunft.241 Der Plan wollte Entwicklungen kalkulierbar und steuerbar machen. Er nährte die Illusion von der Definitions- und Handlungsmacht über Zukunft. Er war vor allem Arbeit an und mit der Zukunft.242 Auch wenn die Begriffe des Plans und der Planung eher mit wirtschaftlicher Regulierung assoziiert werden, war Planung als »öffentlicher, erfahrungsgestützter Vorgriff auf die Zukunft« doch ein Phänomen, das die Gesellschaft als Gesamtheit erfasste.243 Dieser Befund gilt auch und gerade für die DDR. Im Unterschied zu westeuropäischen Nachkriegsgesellschaften war die sozialistische Planung in zweierlei Hinsicht spezifisch. Zum einen – das zeigt der Stufenplan der Pionierorganisation – sollte der »staatssozialistische Plan […] die Gesellschaft als Totalität transformieren […], indem er eine qualitativ neue Zukunft schuf«.244 Zum Zweiten war sozialistische Planungseuphorie eng gekoppelt an die »Zukunftsgewissheit eines planbaren Fortschritts«.245 Damit lässt sich ein weiteres Merkmal des Zeitregimes der Moderne nach Assmann benennen: »Die Beschleunigung der Zeit.«246 In der DDR galt diese Metapher der Zeitbeschleunigung Ende der 1950er Jahre nicht so sehr für den Bereich der Verkehrs- und Kommunikationsmittel, auch nicht für den sozio-kulturellen Wandel, Kategorien, die Assmann untersucht. Es kann eher von einer propagandistischen Beschleunigung der Zeit gesprochen werden, einer »radikalen Verkürzung des Zeithorizontes, in dem […] [Utopie] als realisierbar gedacht [wird]«.247 Das Gefühl, Zukunft in greifbarer Nähe zu 239 Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (1989): Chronik, 74. 240 Koselleck (1975): »Fortschritt«, 352: »Die Zielbestimmung des ›Fortschritts‹ schwankt zwischen endlicher Perfektion, die unerreichbar bleibt, und einer endlosen Zielverschiebung, weil die Zwecke, die der Fortschritt erfüllen soll, selber als fortschreitend entworfen werden. ›Fortschritt‹ wird zum temporalen Perspektivbegriff, enger gefaßt zum Planungsbegriff.« 241 von Laak (2008): »Planung«, 306. 242 Damit kann »Plan« als ein »Geschichtlicher Grundbegriff des 20. Jahrhunderts« bezeichnet werden, siehe van Laak (2003): »Zwischen ›organisch‹ und ›organistisch‹«, 67f. Zur Kategorie der Planung vgl. Caldwell (2003): Dictatorship; Caldwell (2008): »Plan als Legitimationsmittel«; DoeringManteuffel (2008): »Ordnung jenseits der politischen Systeme«. 243 van Laak (2008): »Planung«, 306. 244 Caldwell (2008): »Plan als Legitimationsmittel«, 361. 245 Sabrow (2004): »Zukunftspathos als Legitimationsressource«, 175. 246 Assmann (2013): Ist die Zeit aus den Fugen? 192f. Assmann warnt vor einer »totalisierenden Beschleunigungsrhetorik« und mahnt zu Recht an, ein »qualitatives Nebeneinander unterschiedlicher Zeitgestalten« in den Blick zu nehmen (193). 247 Hardtwig (2011): »Utopie und politische Herrschaft«, 218.

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sehen, sich mithilfe des Planes ihr zu nähern, resultierte dabei nicht aus der Erfahrung einer Beschleunigung des persönlichen Alltags, sondern aus dem Versprechen darauf. Beflügelt von den bahnbrechenden Erfolgen in der Weltraumforschung und dem Vertrauen in die Wirksamkeit von Plänen, wurde propagandistisch die erhoffte Zukunft, der »Sieg des Sozialismus« in den Erwartungshorizont der Kinder und Jugendlichen gerückt. In dem sozialistischen Zukunftsplan hatten die Kinder und Jugendlichen eine zentrale Funktion. Sie standen in persona für dessen Realisierung. Diese Überzeugung fand institutionell seinen Niederschlag in einer immer kleinschrittigeren Festlegung und Regulierung von Erziehungsprozessen und einer zunehmenden Verzahnung der Erziehungsinstitutionen in den 1950er Jahren. Planung, Fortschrittsglaube und Leistungsorientierung waren die maßgeblichen Strukturprinzipien der Erziehung und Bildung in diesem Jahrzehnt. Die Kehrseite dieser totalitärer Durchplanung und Regulierung der Lebenswege war das damit erzeugte Bedürfnis nach Kontrolle. In dem Maße, in dem Alternativen in kindlichen und jugendlichen Lebenswegen zunehmend herausgeplant wurden, stieg das Verlangen nach Sicherheit, nach Überwachung, Kontrolle und Regulierung. Dorothee Wierling beschrieb daher zu Recht, wie der Erziehungsoptimismus der 1950er Jahre in einer »Erziehungsdiktatur« mündete.248 Diese »Erziehungsdiktatur« richtete ihre Praktiken strikt an der Überzeugung aus, die Emotionen der Kinder »bilden«, »kultivieren« oder »erziehen« zu können. Diese Gewissheit setzte sich um in der detaillierten Organisation von Singen, der Choreografie von Gesangsgelegenheiten und der Produktion der im Sinne des Erziehungsplanes passenden Lieder. Es gab sicherlich Gründe, sich nicht dem geplanten sozialistischen Lebensentwurf anzuvertrauen. Doch mit 84,3 Prozent aller Schüler/-innen war im Juni 1959 die Mehrheit der Kinder in der Pionierorganisation.249 Auch dafür gab es viele Gründe: Der Pionierverband bot eine abwechslungsreiche Freizeitgestaltung und ermöglichte den Kindern Ferienfahrten. Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Pioniere wurde belohnt durch Abzeichen, Urkunden, Auszeichnungen, durch Teilhabe und Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg. Damit war ein überwiegender Anteil der Kinder den Singeritualen regelmäßig und sich wiederholend ausgesetzt. Doch so ganz trauten die Bildungspolitiker/-innen und Pädagogen/-innen nicht der tatsächlichen erzieherischen Wirkmächtigkeit aller Planungen. Das kam zum Ausdruck in den regelmäßigen Berichten und Informationen »zur Lage der Jugend«, in dem permanenten Zwang, Konzepte und Planungen zu überarbeiten und deren Wirkung zu überprüfen. Die Machthaber selbst vertrauten nicht. Sie protokollierten, dass es trotz eines hohen Grades der Organisation der Kinder eine »zahlenmäßig große Gruppe von Schülern [gibt], die abwartend und schwankend in den Grundfragen steht«. Als Erklärung dafür wurde der »imperialistische Einfluss« der Freizeitprodukte und Freizeitan-

248 Wierling (1994): »Die Jugend als innerer Feind«, 419. Es sei daraufhin verwiesen (ohne, dass es hier näher erläutert werden soll), dass bereits in den 1950er Jahren das Ministerium für Staatssicherheit »sicherheitspolitisch veranlasste Zugriffe […] auf die Erziehungsverhältnisse« hatte, siehe Wiegmann (2007): Pädagogik und Staatssicherheit, 17. 249 Zitiert nach Ansorg (1997): Kinder im Klassenkampf, 171.

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gebote ins Feld geführt.250 Wie ausgeprägt die Ablehnung der DDR war und welche Altersgruppen sie vor allem betraf, darüber lässt sich nichts erfahren. Dieses steigende Maß an Kontrolle und Planung ging einher mit immer mehr Misstrauen gegenüber den Kindern und vor allem den Jugendlichen. Genau dieses Misstrauen war konstitutiver Bestandteil der Erziehungswirklichkeit in den 1960er Jahren.

250 Ebd., 173.

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Siegfried Köhler: Unser Land kann uns vertrauen

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Am 27. Februar 1964 druckte die Junge Welt unter der Rubrik »Wir singen zum Deutschlandtreffen« das Lied Unser Land kann uns vertrauen von Siegfried Köhler ab.1 In dem Lied des 37-jährigen promovierten Musikwissenschaftlers heißt es: »Unser Land ist schön geworden/es ist jung und wir sind’s auch. […] Du und ich, wir bauen eine junge schöne Welt/unser Land kann uns vertrau’n.« Es steht exemplarisch für die Jugendlieder in der ersten Hälfte der 1960er Jahre. Der neue Ton kam ausgerechnet von dem Komponisten, der schon mit den Kompositionen Heut ist ein wunderschöner Tag und Wir lieben das fröhliche Leben maßgeblich den Klang der Nachkriegsjahre mitbestimmt hatte. Bemerkenswert sind die chromatischen Melodieverläufe an den Textstellen »singen unsere Lieder« und »du und ich« in Verbindung mit rhythmischen Aufbrechungen (punktierte Achtel/Sechzehntel/Viertel), den sogenannten Offbeats. Damit erfolgte eine deutliche Abwendung von den Massenliedern mit ihren geradlinigen melodischen und rhythmischen Strukturen. Obwohl das Lied im Vorfeld über Zeitung und Rundfunk verbreitet wurde und zu einem »Hit« des Deutschlandtreffens avancierte, gefiel es den verantwortlichen Jugendkulturfunktionären und -funktionärinnen nicht: »Der Text enthält sehr schöne Stellen, daneben aber auch solche, die dem Lebensgefühl der heutigen Jugend nicht mehr entsprechen. Die Vertonung ist an Tanzmusik angelehnt und steht im Widerspruch zur Gestaltung des Liedes.«2 Damit steht diese Liedkomposition exemplarisch für drei Problemfelder, die dieses Kapitel strukturieren. Zum ersten lässt sich an der Diskrepanz zwischen der Beliebtheit des Liedes und der Kritik der Juryentscheidung ein Grundkonflikt zwischen dem Staat und seiner Jugend beschreiben. Den Erziehungsinstitutionen galt Musik ungebrochen als der Schlüssel zur Erziehung von Kopf und Herz. Genau deshalb gab es auch erneut einen großen Liedwettbewerb zum Deutschlandtreffen der Jugend 1964. Die Musikpräferenzen der DDR-Jugendlichen waren jedoch deutlich von Schlager, Tanzmusik und Beat inspiriert, während der Staat auf Altes und Bewährtes in puncto Liedgestaltung, Liedinhalte und Singen setzte. Die staatlichen Maßnahmen zielten daher zum einen auf eine misstrauische Überwachung und Kontrolle jugendlichen Musikkonsums. Zum anderen arbeiteten die Jugend- und Kulturfunktionäre/-innen eifrig an einem Kontrapunkt zur präferierten westlichen Musik. Sie erarbeiteten Pläne zur »Entwicklung jugendlichen Singens«. Angesichts der Begeisterung, mit der sich die DDR-Jugend dem Rock und Beat zuwandte, war das ein mühevolles Unterfangen. Während die Pioniere weiterhin in der Schule und bei den Veranstaltungen der Pionierorganisation die erprobten Lieder sangen, verstummten die Jugendlichen zunehmend oder sangen die in den Ohren der Staatsmacht falschen Lieder. In dem Maße, in dem sie weniger sangen, hörten sie mehr Musik, machten Musik, tanzten zur Musik. Dafür bevorzugte die

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Siegfried Köhler (1964), »Unser Land kann uns vertrauen«, in: Junge Welt, 27. Februar 1964, 3. Am 23. März 1964 spielte es der DDR-Jugendchor des Rundfunks unter Hans Sandig in Leipzig ein, in: DRA ZMJ 2408. Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Information über den Stand des Liederwettbewerbes zum Deutschlandtreffen für dir Diskussion des Sekretariates mit Autoren, 10. März 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl.

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Jugend aber Musik, die in den Ohren der Staatsmacht falsch war. Hinter dieser Missstimmung verbarg sich nicht einfach ein Konflikt um Geschmack oder ästhetische Fragen, sondern um (aus der Sicht der Herrschenden) das richtige Denken, Fühlen und Handeln. Der Titel des oben zitierten Liedes steht für eine zweite Beobachtung. Vertrauen war die zentrale Kategorie, um die Erziehungsdiskurse und -praktiken in der ersten Hälfte der 1960er Jahre kreisten. Wer sollte wem vertrauen? Wer von wem und warum Vertrauen einfordern. Interessanterweise war Siegfried Köhler 1964 nicht mehr der Generation der Jugendlichen zugehörig und dennoch verfasste er dieses Lied aus jugendlicher Perspektive. Genau diese Fragen, wer eigentlich jugendlich war und wer demzufolge das Recht auf Vertrauen hatte und wer nicht, wer vertrauen verdienen musste und wer nicht, wurden während des Deutschlandtreffens ausgehandelt. Zum Dritten zeigt das Lied eine Veränderung im Zeithorizont an und verweist auf eine charakteristische Entwicklung in den 1960er Jahren. Die »sonnenhellen Straßen« gab es demnach im Berlin des Jahres 1964 und nicht erst in der Zukunft. »Im Osten wächst ein neuer Tag«, bedeutete eben auch, dass »der neue Tag« nicht ein Zukunftsversprechen war, sondern mittlerweile Realität. Diese drei Beobachtungen gelten als Wegweiser für dieses Kapitel. Es wird dargestellt, wie der Staat auf die von ihm diagnostizierte Krise des Singens reagierte, welche Wege die Jugendpolitiker/-innen einschlugen, um den drohenden Verlust des gemeinschaftlichen Singens als Erziehungspraktik zu verhindern und wie die staatlichen Verlautbarungen um die Frage nach dem »jugendlichen Fühlen« kreisten. Diese Beobachtungen werden anhand des Liedwettbewerbes zum Deutschlandtreffen 1964 vertieft. Die umfangreiche Quellenlage zur Regulierung des Singens ermöglicht es, Vertrauen und Misstrauen als die zentralen Gefühlsdispositionen zwischen 1961 und 1965 im Erziehungsverhältnis darzustellen.

Überwachen und Regulieren Verweigerung, Provokation und Gleichgültigkeit. Die Krise der Jugendarbeit Einen Monat nach der Grenzschließung, am 18. September 1961, traten die Schüler/ -innen der Erweiterten Oberschule Geschwister-Scholl in der mecklenburgischen Kleinstadt Anklam wie jeden Montag zum »Fahnenappell« an. Der Direktor verkündete vor der versammelten Schule, dass sich 21 Jungen der Klasse 12b – in Reaktion auf den 13. August – bereit erklärt hätten, nach dem Abitur freiwillig zur Nationalen Volksarmee zu gehen.3 Doch die Schüler/-innen der 12. Klasse richteten bei diesen Worten ihre Blicke »demonstrativ zu Boden«. Danach weigerten sie sich, das Lied Heut ist ein wunderschö-

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Die Wehrpflicht war zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingeführt, daher war die Rekrutierung von Freiwilligen so bedeutend. Die Dienstverpflichtung unterschrieben viele Jungen deshalb, weil häufig daran die Zulassung zum Studium gekoppelt war.

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ner Tag mitzusingen.4 Zwei Zeitzeugen, 2002 befragt, erinnerten sich genau an diese Situation: »Die ganzen Schüler mußten auf den Schulhof, das waren ca. 500 Schüler, mußten da antanzen […] Die Auswahl des Liedes hat irgendwie das Faß zum Überlaufen gebracht. […] Und ohne, daß es dort eine Absprache gab, hat unsere Klasse nicht mitgesungen […] und hatten da so den Kopf heruntergenommen, und da war es zum ersten Mal, daß wir gedacht haben, also nun müssen wir irgendetwas dagegen tun.«5   »Wir verständigten uns kurz, und als die anderen etwa 500 Schüler bemerkten, daß die Männerstimmen fehlten, unsere Mädchen nicht mitsangen und die Zwölfer demonstrativ zu Boden sahen, erstarb der Gesang allmählich, und auf dem Schulhof trat eine gespannte Ruhe ein.«6 Befremdlich wirkt die Szenerie, wenn man sich vor Augen hält, dass die 16- bis 18Jährigen ein Wanderlied anstimmen sollten (eines, das sie als Kinder in den 1950er Jahren immer wieder gesungen hatten), während ihnen zugleich die Verantwortung aufgebürdet wurde, zukünftig an der innerdeutschen Grenze mit der Waffe in der Hand die »Heimat zu verteidigen«. Es war eben dieses Lied, das dann auch »das Faß zum Überlaufen« brachte. Die demonstrative Verweigerung des Mitsingens galt später in der sicherheitsdienstlichen Bearbeitung des Vorfalls als ein Indikator für »staatsgefährdende Propaganda und Hetze« der 12b.7 Die Mitarbeiter/-innen der Staatssicherheit nahmen die Singeverweigerung so ernst, dass sie in den Akten vermerkt wurde. Die beteiligten Jugendlichen erinnerten ihre Ablehnung eines so selbstverständlichen Rituals wie das Singen beim Appell als einen ersten Schritt ihres Protestes. Die eigentliche Provokation, die den »Fall Anklam« so bedeutend machte, war allerdings eine andere. Laut Bericht erschienen die Jugendlichen am Folgetag geschlossen in schwarzer Kleidung zum Unterricht und legten dem Parteisekretär einen roten Bonbon mit einem schwarzen Band auf dem Tisch. »Wir tragen unsere Zukunft zu Grabe«, war der kommentierende »Zwischenruf« eines Schülers in der 5. Stunde dazu.8 Damit protestierten die Jugendlichen gegen die Dienstverpflichtung zur NVA, die sie eben nicht bereitwillig, sondern unter Zwang unterschrieben hatten. Genau dieser Zwischenruf: »Wir tragen unsere Zukunft zu Grabe«, verweist auf das zugrunde liegende Gefühl der Jugendlichen, um ihre Zukunft betrogen worden zu sein.

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Der »Vorfall« ist in dieser Weise ausführlich in den Akten der Staatsicherheit dokumentiert, siehe ZAIG Einzel-Information 638/61: Über die provokatorischen Vorkommnisse an der ›Geschwister-SchollOberschule‹ in Anklam/Neubrandenburg, in: BStU MfS ZAIG 485, Bl. 1-8. Vgl. Dokumentation: Bundesbeauftragter für die Unterlagen der Staatssicherheit (2013): »Schülerprotest 1961«. Gebhardt (2002): »Der ›Fall Anklam‹«, 49. Penzel (2002): »Der ›Fall Anklam‹«, 58. Ministerium für Staatsicherheit, Bezirksverwaltung Neubrandenburg: Verfügung, Neustrelitz 22. September 1961, in: BStU MfS BV Neubrandenburg AU 111/61 Band 1, Bl. 6. Ministerium für Staatsicherheit, Bezirksverwaltung Neubrandenburg: Bericht der Kreisdienststelle, 23. September 1961, in: BStU MfS BV Neubrandenburg AU 111/61 Band 1, Bl. 227.

Vertrauen fühlen. Die Jahre 1961-1965

Um das Verhältnis zwischen dem Staat und seiner Jugend stand es zu dieser Zeit schlecht, darauf verweist der »Fall Anklam« eindrücklich. Nach dem Bau der Mauer und dem Schließen der Grenzen brauchte der DDR-Staat mehr denn je »Freiwillige«, um die Politik der Abschottung umsetzen zu können. Genau in dieser Situation verweigerten sich die Anklamer Jugendlichen. Sie lehnten nicht nur den Dienst in der NVA ab, sondern erklärten den sozialistischen Zukunftsentwurf für gescheitert. Vertrauen war zu diesem Zeitpunkt von keiner Seite gegeben. Weder vertrauten die Anklamer Jugendlichen den Jugendfunktionären/-innen ihre Zukunft an, noch traute der Staat seiner Jugend. Die Staatsmacht reagierte unnachgiebig auf diesen Schülerprotest. Die »Rädelsführer« wurden mit Haft im »Jugendwerkhof Torgau« bestraft.9 Statistisch gesehen konnte sich die FDJ über fehlenden Zulauf in der ersten Hälfte der 1960er Jahre nicht beschweren. 48 Prozent aller 14- bis 25-Jährigen waren 1961 DDR-weit Mitglied der FDJ.10 Die Entscheidung für den Beitritt zur Jugendorganisation schien aber oft mehr dem Kalkül geschuldet als Ergebnis echter Begeisterung zu sein. In den Berichten der Ortsverbände an die Kreis- oder Bezirksleitungen der FDJ ist eher über Probleme zu lesen als über erfolgreiche Jugendarbeit. Das Freizeitangebot des Jugendverbandes sei dürftig und die Zusammenarbeit zwischen den Lehrern und Lehrerinnen, der Schulleitung und der FDJ-Leitung an den Schulen funktioniere nicht.11 Der Jugendverband sah sich insbesondere damit konfrontiert, dass ihm die älteren Jugendlichen abhandenkamen. Circa 33 Prozent des Geburtsjahrganges 1946 verließ die Schule nach der achten Klasse, um eine Ausbildung zu beginnen. Auf dieses eine Drittel des Jahrganges hatte der Staat nach dem Verlassen der Schule kaum mehr erzieherischen Einfluss, denn für die FDJ-Grundeinheiten interessierte sich nur ein kleiner Teil der werktätigen Jugend.12 Gut 50 Prozent der Jugendlichen erreichten 1961 den Abschluss der 10. Klasse.13 Einige entschieden sich für eine Berufsausbildung mit parallelem Fachabitur, andere gingen in die Lehre. Insgesamt hatten später 61 Prozent der Zehnte-Klasse-Abgänger den Facharbeiter. Knapp 20 Prozent besuchten die Fachschule.14 15 Prozent des Jahrganges 1946 schloss 1964 mit dem Abitur ab. Circa 8-9 Prozent dieser Alterskohorte wurden zum Studium zugelassen.15 An den weiterführenden Bildungseinrichtungen und in einigen Betrieben war der Jugendverband besser organisiert. Circa 90 Prozent aller Oberschüler/-innen und Studierenden waren FDJ-Mitglied. Der Staat hatte dementsprechend nur auf eine bestimmte Klientel von Jugendlichen Zugriff. Die statistische Angabe mit einem Organisationsgrad von 48 Prozent täuschte über dieses Ungleichgewicht hinweg.

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Penzel (2002): »Der ›Fall Anklam‹«. Penzel berichtet in seinen Erinnerungen über seine Inhaftierung in Torgau. Schulze/Noack (1995): DDR-Jugend, 186. Vgl. Sekretariat der FDJ-Kreisleitung Niesky (Görlitz): Lagebericht über die Rolle der FDJ an den Schulen, 4. Oktober 1962, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1339, Bl. 3. Schulze/Noack (1995): DDR-Jugend, 193f.; Schuster (1995): »Die SED-Jugendkommuniqués«, 61f. Die statistischen Angaben sind alle entnommen aus: Köhler/Stock (2004): Bildung nach Plan?, 109. Ebd., 110. Statistische Angaben siehe Diebolt (1998): »L’Ecole En Chiffres«, 148-165.

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Doch auch bei den Oberschülern und -schülerinnen sowie den Studierenden war die FDJ im Alltag wenig präsent, das belegen selbstkritische Beobachtungen und Analysen jugendlichen Verhaltens.16 Darin beschwerte man sich darüber, wie »schlecht besucht« die Veranstaltungen der FDJ seien, da die Arbeit »zu formal« war.17 Die Schuld dafür sah man bei den Funktionären/-innen, die ihre Arbeit nicht ernst nähmen und die »Bedeutung der Jugendarbeit unterschätzten«. Aus der »ungenügenden Unterstützung und Förderung der Jugendlichen« resultiere ein »mangelnder erzieherischer Einfluss«.18 Die Klagen über fehlende Räumlichkeiten und ausbleibende finanzielle Unterstützung waren groß. Besonders in den ländlichen Gebieten würde die Jugendförderung missachtet. Allein im Bezirk Cottbus kamen 515 von 576 Gemeinden nicht ihrer Pflicht nach, Jugendförderungspläne einzureichen. Es gab kaum Zusammenarbeit zwischen der FDJ und anderen Institutionen. Die FDJ-Ortsgruppen, solange sie überhaupt in Erscheinung traten, stießen in ihrem Umfeld häufig auf Ablehnung und Unverständnis. Die offiziellen Verlautbarungen zur Jugendförderung und Jugendpolitik standen damit im eklatanten Widerspruch zur alltäglichen Lebenswelt der Jugendlichen in ihren Wohnumfeldern. Die Konsequenzen dessen wurden sorgfältig dokumentiert: »jugendliches Rowdytum«, »jugendliche Banden«19 , Republikfluchten sowie das Abhören »feindlicher Sender«.20 Ein besonderes Augenmerk legte der Staat auf die lernende und studierende Jugend, da diese über den Verband kontrollierbar und erreichbar war. Genau in dem Milieu der weiterführenden Schulen und Universitäten wurden die Tendenzen des provozierenden Singens und des allgemeinen Rückgangs gemeinschaftlichen Singens dokumentiert. Informationsberichte der Staatssicherheit und die internen Beobachtungen der FDJ-Leitungen vermerkten den besonderen Einfluss von westlichen Rundfunkprogrammen, die Jugendliche vor allem wegen der Musik hörten. Es handelte sich dabei nicht um Einzelphänomene, sondern um eine weitverbreitete Praktik. »Es werden in erster Linie Schlagersendungen gehört. Es taucht das Argument auf Musik ist international«, hieß es in einem Bericht.21 Zu den »am häufigsten abgehörten Westprogram16

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Vgl. Berichte über Vorkommnisse unter den Jugendlichen BArch SAPMO DY 30/IV 2/9.05, Band 34 und die geheimen Berichte des ZAIG, »Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe« des MfS. Diese sind für einzelne Jahre erschlossen und digital zugänglich unter der Webseite: Die DDR im Blick der Stasi, www.ddr-im-blick.de/ (Zugriff: April 2020). Alle folgenden ZAIG-Berichte stammen aus dieser Dokumentensammlung. Sie sind nicht mit konkreten Seitenangaben versehen, jedoch verfügt die Datenbank über eine Suchfunktion. ZAIG Einzel-Information 35/61: Über einige Probleme zur Einschätzung der politisch-ökonomischen Situation im Kreis Klingenthal/Bezirk Karl-Marx-Stadt, 21. Januar 1961, in: BStU MfS ZAIG 368, Bl. 1-11, hier Bl. 1: »Der FDJ gelang es trotz vieler Anstrengungen bisher auch nicht, die Jugendlichen an die FDJ-Arbeit heranzuführen. […]. Versammlungen, wo über politische oder gesellschaftliche Probleme gesprochen wird, werden von ihnen nur sehr schlecht besucht bzw. bringen sie offen zum Ausdruck, dass sie sich der westlichen Beeinflussung nicht zu entziehen gedenken.« ZAIG Bericht 167/61: Über einige Hemmnisse bei der Jugendförderung und bei der Arbeit mit Jugendlichen, 21. März 1961, in: BStU MfS ZAIG 397 Bl. 1-12. ZAIG Bericht Nr. 200/61: Über die Lage unter der Jugend und die Tätigkeit des Gegners, in: BStU MfS ZAIG 397, Bl. 12-63. Zu Radio Luxemburg: Rumpf (2014): »Break on through«, 225. ZAIG Bericht Nr. 200/61: Über die Lage unter der Jugend und die Tätigkeit des Gegners, in: BStU MfS ZAIG 397, Bl. 12-63.

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men« gehörten die »Hitparade« des Radios Luxemburg, die »Frankfurter Schlagerbörse«, »Schlager der Woche« vom Rias oder Schlagersendungen des SFB und des »Deutschen Langwellensenders«.22 Im Lehrkombinat des VEB Maschinenfabrik Meuselwitz hörten 75 Prozent aller Jugendlichen die Sendungen des Radio Luxemburg: »Montags erfolgt immer ein gegenseitiger Gedankenaustausch über die gebrachten Schlager.«23 Ernüchternd waren die »Hinweise zur Lage an den Universitäten und Oberschulen«, wie ein Bericht vom 1. Dezember 1961 zeigte. Darin ging es in erster Linie darum, »die Mängel und Schwächen in der politisch-ideologischen und staatsbürgerlichen Erziehung« der Jugend zu benennen. Es fehle an einer »klaren politischen Einstellung« der 16- bis 18-jährigen Oberschüler/-innen, die sich »gegenüber gesellschaftlichen Aufgaben passiv und ablehnend« verhielten.24 Der größte Teil sei nicht für die Mitarbeit in der FDJ zu gewinnen. Diese Unmengen Berichte und Einschätzungen oder die Zusammenstellungen über »auftretende Argumente unter der Jugend« wurden auf vielen Hierarchieebenen regelmäßig verfasst und weitergeleitet. Sie sollten Aufschluss über jugendliches Denken und Fühlen geben. Das war weit weg von dem, was die Regierung sich von ihrer Jugend erhoffte. Die Jungen und Mädchen äußerten in Gesprächen unbekümmert ihre Ablehnung: Es würde sich »dumm« anfühlen, wenn sie ihre wertvolle Freizeit der FDJ »opfern« würden; sie trauten sich nicht mit dem Blauhemd in die Öffentlichkeit; sie könnten auch ohne FDJ ihre sportlichen Freizeitaktivitäten organisieren; es lebe sich insgesamt »ruhiger« ohne FDJ.25 Diese Berichte dokumentieren die überwiegend ironisch-distanzierte Einstellung der befragten Jugendlichen, die sich sinnfällig in der Bemerkung äußerte: »Wenn der Sieg des Sozialismus gesetzmäßig ist, dann brauchen wird doch nichts mehr zu tun.«26 Die Berichte belegen auch die Zweifel an den offiziellen Verlautbarungen: »Wozu brauchen wir den Sozialismus wenn wir in Frieden leben wollen?«27 Ein Jugendlicher der Ingenieurschule Meißen gab zu bedenken: »Der Sozialismus ist eine Prognose, man kann genau wie beim Schachspielen nicht sagen, daß ›weiß‹ gewinnt.«28 Gerade auch der propagandistische Zeithorizont wurde kritisch gesehen. In Görlitz formuliert ein Jugendlicher: »Es wird niemals möglich sein, bis zum Jahre 2000 in der ganzen Welt den Sozialismus zu haben, weil der Unterschied zur USA zu groß ist.«29

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Ebd. Ebd. ZAIG Einzel-Information Nr. 750/61: Einige Hinweise zur Lage an den Universitäten und Oberschulen, in: BStU MfS ZAIG 508, Bl. 1-18. Bezirksleitung Dresden: Zusammenstellung über auftretende Argumente unter der Jugend, 21. Februar 1961, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1166, o. Bl. FDJ-Bezirksleitung Dresden: Zusammenstellung von Argumenten, welche im Verlaufe der Wahlversammlungen in Gruppen und Grundeinheiten unseres Bezirkes auftraten, 17. Januar 1961, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1166, o. Bl. FDJ-Bezirksleitung Dresden: Zusammenstellung über auftretende Argumente unter der Jugend, 21. Februar 1961, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1166, o. Bl. FDJ-Bezirksleitung Dresden: Zusammenstellung von Argumenten, welche im Verlaufe der Wahlversammlungen in Gruppen und Grundeinheiten unseres Bezirkes auftraten, 17. Januar 1961, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1166, o. Bl. Ebd., 5.

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Zum Teil waren die einzelnen Meinungen mit Namen versehen. Doch es wird aus den Akten nicht ersichtlich, welche Konsequenzen das für die Jugendlichen hatte. Diese Berichte und Beobachtungen verweisen in einer Offenheit und Klarheit auf eine Konfrontation mit jugendlichen Einstellungen, die es so selbstkritisch ab den 1970er Jahren nicht mehr gab. Nur an wenigen Stellen ist die Selbstkritik ehrlich genug, zuzugeben, dass »wir es nicht verstanden haben, diese Jugendlichen von den Perspektiven des Sozialismus zu überzeugen«. Das deuteten die Beobachter/-innen als ein »ungenügendes Vertrauen zu unserem Staat«.30 An diesem »ungenügenden Vertrauen« arbeitete sich die Jugendpolitik wenigstens mit Worten in der ersten Hälfte der 1960er ab.

Der Jugend »Vertrauen und Verantwortung« schenken. Jugendkommuniqués 1961/1963 Am 7. Februar 1961 veröffentlichte das Politbüro des Zentralkomitees der SED ein Jugendkommuniqué zu »Problemen der Jugend.« Dieses ging angesichts der Republikfluchten und der gravierenden Probleme in der Versorgungslage zu jener Zeit unter.31 Dennoch war dieses erste, recht unbekannte Jugendkommuniqué bemerkenswert. Es forderte mehr Toleranz und Verständnis für die Jugend. Sie hätte ein Recht auf »anderen Geschmack […], andere Tänze, andere Formen der Freizeitbeschäftigung. […] Es ist nicht richtig, von der mitunter eigenartigen Kleidung eines Jugendlichen sofort auf sein Denken und Handeln zu schließen«.32 Diese freimütigen Worte signalisierten weniger Akzeptanz jugendlichen Verhaltens, vielmehr schloss sich daran die Behauptung an, dass die sozialistische Jugend unschuldig in »moralische Versumpfungen« gelockt wurde.33 Insbesondere der moderne Schlager galt als Verführer. Diese Musik sei zu oberflächlich, hätte ein »niedriges Niveau«, sei »revanchistisch-militaristisch gefärbt« und vermittelte »eine falsche Vorstellung vom Leben«.34 Akribisch dokumentierten die Stasi-Berichte daher nicht nur das Musikhören, sondern auch das Singen provozierender Marsch- und »Hetzlieder«, das ebenfalls ein Anzeichen »falscher Vorstellungen« der Jugend sei.35 Mit diesen Zuschreibungen galt die DDR-Jugend als verführbar, unmündig, hilflos und unwissend. Die Jugendpolitiker/-innen konnten damit offiziell den Kampf gegen die »äußeren Beeinflussungen« ausrufen, aber nicht gegen die eigene Jugend. Dieser sollte man im Gegenteil Verständnis für jugendliche Fragen und Zweifel entgegenbringen, so der Tenor des Kommuniqués. 30 31 32 33 34 35

ZAIG Bericht Nr. 200/61: Über die Lage unter der Jugend und die Tätigkeit des Gegners, in: BStU MfS ZAIG 397, Bl. 12-63. Schuster (1995): »Die SED-Jugendkommuniqués«, 62. Zentralrat der SED (1961): »Kommuniqué«, 449. Ebd. ZAIG Bericht Nr. 200/61: Über die Lage unter der Jugend und die Tätigkeit des Gegners, in: BStU MfS ZAIG 397, Bl. 12-63. ZAIG Einzel-Information 883/95: Über negatives Verhalten von Studenten der Humboldt-Universität während des Ernteeinsatzes im Bezirk Neubrandenburg, 13. Oktober 1965, in: BStU MfS ZAIG 1121, Bl. 14; ZAIG Einzel-Information 945/65: Über negatives Verhalten von Studenten der Humboldt-Universität während des Ernteeinsatzes im September/Oktober 1965 im Bezirk Neubrandenburg, 26. Oktober 1965, in: BStU MfS ZAIG 1121, Bl. 5-26.

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Dahinter steckte ein ungebrochener Erziehungsoptimismus. Es gelte, die Jugend von den »westlichen Verführern« fernzuhalten – dazu zählte insbesondere die Musik – dann würden sich die Jungen und Mädchen »voller Siegeszuversicht und Romantik« und mit »Feuereifer« für »den Sieg des Sozialismus« einsetzen.36 1963 erschien ein weiteres Jugendkommuniqué mit dem vielsagenden Titel: »Der Jugend Vertrauen und Verantwortung«. Walter Ulbricht musste im Frühjahr 1963 bewusst geworden sein, dass sich die Kluft zwischen Jugend und Staat vergrößert hatte. Die Probleme, die bereits 1960/61 in den Berichten auftauchten, hatten sich verschärft, trotz oder gerade wegen der Mauern, die 1961 um das Land gezogen wurden.37 Der Staatsratsvorsitzende forderte eine neue Jugendpolitik, die auf die problematische Beziehung reagieren konnte. Daher etablierte er eine Jugendkommission beim Politbüro unter der Leitung von Kurt Turba, dem damaligen Chefredakteur der studentischen Zeitschrift Forum – Zeitschrift der demokratischen Studenten Deutschlands.38 Das Jugendkommuniqué unter der Federführung Turbas nahm den Reformwillen und die Signale des Umdenkens in der Jugendpolitik auf. Für Turba wurde das Kommuniqué dennoch zu einem Ringen mit den überholten Vorstellungen des Politbüros. Die ursprüngliche Fassung musste fünfmal überarbeitet werden, erst der sechste Entwurf wurde dem Politbüro zur Bestätigung vorgelegt.39 Am 21. September 1963 veröffentlichte der Zentralrat das überarbeitete Jugendkommuniqué. Es verstand sich explizit als »Anleitung zum eigenen Denken und Handeln«, aber nicht als »Dogma«.40 Das Kommuniqué war im Gegensatz zum neuen Jugendgesetz, das ein halbes Jahr später erschien, direkter, unbürokratischer und signalisierte in deutlichen Worten ein Umdenken in der Jugendpolitik, denn »die Mädchen und Jungen von heute werden in wenigen Jahrzehnten Hausherren des sozialistischen Deutschlands sein«.41 In dieser Idee gingen die zentralen Begriffe des Kommuniqués auf: Vertrauen und Verantwortung waren beidseitig angelegt und hatten die »sozialistische Zukunft« als Referenzpunkt. Die Jugend musste sich der Verantwortung stellen, die sie ungefragt aufgebürdet bekam: den »Aufbau des Sozialismus«. Als Gegenleistung fordert das Kommuniqué von den »Bürgern der DDR, deren Herz und Verstand jung geblieben sind«, sich der Erziehungsverantwortung zu stellen und den Jungen und Mädchen zu helfen, Zukunftsverantwortung anzunehmen.42 »Wir, die Partei der Arbeiterklasse, wissen, daß sich die Mehrheit der Jugend in der DDR dafür entschieden hat, schöpferisch und selbstbewußt Schmiede einer glückli-

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Zitate aus: Zentralrat der SED (1961): »Kommuniqué«, 444f. Vgl. Schuster (1995): »Die SED-Jugendkommuniqués«; Fenemore (2002): »Limits of Repression«; Wierling (2002): Geboren im Jahr Eins, 195-202. Die Zeitschrift wurde 1963 in Forum – Zeitschrift für geistige Probleme der Jugend umbenannt. Diese Zeitschrift fiel in der Presselandschaft der DDR dadurch auf, dass sie realitätsnah, »unbequem« und »sozialistisch frech« war, vgl. Rauhut (1993): Beat in der Grauzone, 60. Vgl. Schuster (1995): »Die SED-Jugendkommuniqués«, 65. Schuster bezieht ihre detaillierten Informationen aus einem Zeitzeugengespräch mit Kurt Turba. Staatsverlag (1965): Dokumente zur Jugendpolitik der DDR, 94. Ebd., 64. Ebd.

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chen Zukunft zu sein. […] Unsere Mädchen und Jungen leben in einem Staat, der selbst die Zukunft für ganz Deutschland verkörpert.«43 Eben weil der sozialistische Staat sich als gleichbedeutend mit der »Zukunft ganz Deutschlands« sah, verdiente er das »volle Vertrauen der Jugend«.44 Andererseits verdiene auch die Jugend das Vertrauen des Staates und seiner Bürger/-innen. Das Kommuniqué wendete sich damit entschieden gegen die »Skeptiker«, die mit »bürokratischen Methoden an die Jugend heran[gehen] und [sich] wundern, daß die Arbeit unter der Jugend ›kompliziert‹ ist«.45 Doch die Jungen und Mädchen müssten das in sie gesetzte Vertrauen durch »Leistungswillen und Verantwortungsbewußtsein« rechtfertigen.46 Dass sie dazu in der Lage seien, behauptet das Kommuniqué nachdrücklich. In diesem Sinn wollte das Kommuniqué eine Brücke zwischen den Generationen herstellen. Es forderte die erziehende Generation auf, mit größtmöglicher Sorgfalt und Anstrengung sich der Bildung und Ausbildung der zukünftigen »Hausherren« zu widmen. Das Idealbild war das eines kritisch urteilenden, kreativen, kompetenten und sich selbst bewussten sozialistischen Bürgers. Diesem sollte auch Verständnis für Eigensinn und Raum zum Ausprobieren zugestanden werden, dazu brauche es keine »Gängelei« und kein »Zeigefingerheben«.47 »Habt Mut zum eigenen Denken«48 , hieß es in dem Text. Allerdings war der Rahmen des selbstständigen Denkens auf das Ziel der Produktivitätssteigerung und des Fortschrittes hin abgesteckt: »Nutzt klug eure Zeit. Ungenutzte Freizeit führt zu Langeweile, Lustlosigkeit, Kraftlosigkeit, Übermut und Überdruß.«49 Dieser Appell an das Verständnis der älteren Generation einerseits und das Verantwortungsgefühl der Jüngeren anderseits mündete in den Satz, für den das Kommuniqué vor allem bekannt wurde: »Welchen Takt die Jugend wählt, ist ihr überlassen: Hauptsache, sie bleibt taktvoll!«50 Damit bezog das Politbüro im September 1963 Stellung zu den jugendkulturellen Entwicklungen und plädierte für eine Liberalisierung und Demokratisierung des Musikgeschmacks und der Freizeitaktivitäten der Jugend, jedoch nur dann, wenn sich die Jugend ihrer Zukunftsverantwortung stelle und das in sie gesetzte Vertrauen rechtfertigen würde. In dieser Konzeption von »Vertrauen und Verantwortung« offenbart sich ein strukturelles Ungleichgewicht. Die Jugendfunktionäre und -funktionärinnen sowie die Jugendpolitiker/-innen schenkten nicht einfach ihr Vertrauen, sondern dieses Vertrauen mussten sich die Jugendlichen erst verdienen, es musste sich entwickeln. Darin war substanziell das Misstrauen gegenüber der Jugend eingewoben. Vertrauen und Misstrauen sind Konzepte, mit denen sich Dynamiken stabiler und instabiler Interaktion erklären lassen. Sie beschreiben Aushandlungsprozesse von »Herrschaft als sozialer Praxis«. Vertrauen führt zu einer Dynamik stabiler Interaktion 43 44 45 46 47 48 49 50

Ebd., 70. Ebd. Ebd., 72. Ebd., 73. Ebd., 89. Ebd., 87. Ebd., 89. Ebd., 92.

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und Misstrauen zu Instabilität. Die Asymmetrie entsteht durch die Ungleichverteilung des emotionalen Kapitals. Denn schenken die Vertrauensgeber/-innen ihr Vertrauen dem Gegenüber, gehen sie in eine emotionale Vorleistung, verbunden mit einer speziellen Erwartung in das Verhalten der Vertrauensnehmer/-innen. Somit ist Vertrauen eine »riskante Vorleistung« auf Zukünftiges.51 Die Vertrauensgeber/-innen schenken ihr Vertrauen und erwarten, dass sich der oder die Andere dem würdig erweist. »Wer vertraut, hofft, dass Erwartungen erfüllt werden.«52 Diese Erwartungshaltung birgt potenzielle Enttäuschung. Damit machen sich die Vertrauensgeber/-innen verletzbar.53 Der emotionale Komplementärbegriff zu Vertrauen ist daher Enttäuschung. Andersherum kann ein erfolgreicher Akt des gegenseitigen Gebens und Nehmens von Vertrauen in Vertrautheit resultieren. Nähe und Vertrautheit führen zu einem stabilen sozialen Gefüge. Der erfolgreiche Prozess des gegenseitigen Nehmens und Gebens von Vertrauen fördert durch die Wiederholung und Routine auch das Sicherheitsgefühl und bestärkt Personen darin, auf zukünftiges Verhalten von Menschen zu bauen. Es vermittelt einen kalkulierbaren Erwartungshorizont.54 Sicherlich war dieses Kommuniqué von seinen Vätern und Müttern im Wortsinn wirklich als ein Vertrauensbeweis gedacht gewesen, doch die damit verbundenen Erwartungen waren so hoch, dass potenzielle Enttäuschung dem Jugendkommuniqué eingeschrieben war. Der Staat beäugte weiter unzufrieden und misstrauisch seine Jugend. Walter Ulbricht beklagte sich im März 1964 in Niederschönhausen bei einer Diskussion über das neue Jugendgesetz ungeschminkt darüber, dass die Jugend sich längst nicht so verhielte, nicht so dachte und fühlte, wie er es sich wünschte. Die erwartete »Vorleistung auf Zukünftiges« zahlte sich für den Staatschef nicht aus. Die Jugend sei zu wenig am »ernsthaften und gründlichen Lernen« interessiert. Aber nur darin zeige sich seiner Ansicht nach die »Liebe zur Arbeit«. »Die Erziehung zur Liebe zur Arbeit kommt zum Ausdruck in Leistungen – so kommen wir hin«, behauptete der Staatschef. Damit legte er seinen Erwartungshorizont offen. Für ihn sollte die Jugend ihre Arbeitskraft dem »Aufbau des Sozialismus« zur Verfügung stellen. Jenseits der Ohren der Öffentlichkeit ging es ihm weder darum, die »Hausherren von Morgen« als Zukunftshoffnung zu stilisieren, noch, ihnen eine besondere Verantwortung, ein besonderes Vertrauen entgegenzubringen. Aus diesem Grund forderte Ulbricht auch: »Die FDJ soll nicht so viele Foren machen, wo alles Mögliche gefragt wird und man auf die Fragen keine Antwort geben kann. Sie soll sich mehr auf die Liebe zur Arbeit konzentrieren.«55

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Luhmann (1989): Vertrauen, 23. Frevert (2013): Vertrauensfragen, 17. Vertrauen ist ein »Begriff der Erwartungssicherheit«, siehe: Baberowski (2014): »Erwartungssicherheit und Vertrauen«, 7. Frevert (2013): Vertrauensfragen, 214: »Zum Aufbau von Vertrauen gehörten verläßliche, auf Wiederholung angelegte kommunikative Praktiken; seine Entwicklung profitierte vom Gebrauch und von der Wiedererkennung bestimmter performativer Äußerungen und Zeichen, mit denen sich eine Person als vertrauenswürdig darstellte.« Protokoll: Aussprache mit Genossen Walter Ulbricht, 10. März [1964?], Niederschönhausen, in: BArch SAPMO DY 30/IV A 2/16, 131, o. Bl.

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Für Ulbricht war Vertrauen nicht einfach zu geben, sondern musste erst durch Arbeit verdient werden. Er plante, überwachte, kontrollierte und regulierte – er schuf die Bedingungen, die es seiner Ansicht nach brauchte, um sein Vertrauen zu verdienen. In diesem Verständnis war Vertrauen keine Vorleistung mehr, sondern eine Belohnung für erwartbares Verhalten. Damit handelte es sich eben auch nicht mehr um das so oft betonte Vertrauen, sondern um Misstrauen. »Vertrauen ist der Modus der Existenz«, so Baberowski. »Ohne Vertrauen könnten wir der Unsicherheit, den Zweifeln und Risiken, die unser Leben beherrschen, nicht uns Gesicht sehen.«56 Durch Misstrauen wird die Asymmetrie in dem Machtverhältnis vergrößert, statt sich zu nivellieren. Das führt zu instabilen sozialen Beziehungen, die mit großem emotionalen Aufwand stabilisiert werden müssen. Der Staat kommunizierte seiner Jugend zwar Vertrauen, praktizierte aber Misstrauen.57 Noch im April 1964, während die Zeitungen überschwänglich die geschäftige Aktivität der Jugend in Vorbereitung des Deutschlandtreffens lobten, leitete die Abteilung Jugend des Politbüros das unzufriedene Herumkritisieren Walter Ulbrichts weiter. So gäbe es »kaum Lieder, die propagiert werden, damit sie alle lernen können«.58 Angesichts der immensen Bemühungen gerade in Hinblick auf die Lieder zum Deutschlandtreffen, die weiter unten detaillierter dargestellt werden, musste diese Kritik besonders bitter für den Jugendverband sein. Die Jugendpolitik der frühen 1960er Jahre lieferte zwar ein Lippenbekenntnis zum Vertrauen, war de facto aber eine Politik des Misstrauens. Wer vertraut, braucht weniger Informationen über den anderen, »Vertrauen überbrückt Informationsdefizite«59 . Somit etablierten die Praktiken des Misstrauens Strukturen, die erwünschtes und unerwünschtes Verhalten kontrollierten und regulierten. Dazu gehörten Vorgaben, Pläne, Regularien auf der einen Seite und Beobachtung, Überwachung, Kontrolle auf der anderen Seite.

Singen »entwickeln« und organisieren In Anbetracht dessen, dass die Jugend immer weniger sang, das Falsche sang oder sich dem Singen regelrecht verweigerte, startete 1959 im Zuge der »Bitterfelder Konferenz« eine große Werbekampagne für »Junge Talente«.60 Erklärtes Ziel war es, mit Kunst politische Fragen zu diskutieren und Parteilichkeit einzufordern. Die Wunschvorstellung war es, alle Jugendlichen bis zum 25. Lebensjahr mit sozialistischer Kunst und Musik zu erreichen, egal, ob in der FDJ organisiert, ob auf dem Land, in den Betrieben, in 56 57 58 59 60

Baberowski (2014): »Erwartungssicherheit und Vertrauen«, 29. Protokoll: Gespräch mit Genossen Walter Ulbricht, 14. April 1965, in: BArch SAPMO DY 30/IV A2/16, 131, o. Bl.: »Die FDJ packt das [Jugendgesetz] nicht ordentlich an […]. Deshalb klappt die Sache nicht.« Siehe Zentralkomitee der SED, Abteilung Jugend: Probleme in der Vorbereitung des Deutschlandtreffens, 2. April 1964, in: BArch SAPMO DY 30/IV A 2/16, 131, o. Bl. Baberowski (2014): »Erwartungssicherheit und Vertrauen«, 18. Diese kulturpolitische Maßnahme entsprach dem sogenannten »Bitterfelder Weg«. Demnach sollten Kunst und sozialistischer Alltag, Künstler/-innen und Arbeiter/-innen näher zusammen kommen und gemeinsam sozialistische Gegenwartskunst schaffen, vgl.: Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, Abteilung Kultur: Vorlagen an die Ideologische Kommission, das Sekretariat und die Kaderkommission, circa 1963, in: BArch SAPMO DY 24 6731, o. Bl.

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den Schulen oder bei den »bewaffneten Organen«. Möglichst viele sollten sich an den Wettbewerben und »Leistungsvergleichen« beteiligen. Wer sich erfolgreich auf lokaler und regionaler Ebene qualifizierte, konnte es bis in die »Kreis- und Bezirksleistungsvergleiche« schaffen. Die Organisation dieser Wettbewerbe lag in den Händen der FDJ.61 Beweisen konnten sich die »Jungen Talente« in vielen musikalischen Genres und unterschiedlichen Formationen: im Jazz, Twist oder Schlager, in Skifflebands, als Instrumentalsolisten und -solistinnen oder als Konzert-, Chanson- oder Opernsänger/-innen.62 De facto versprach man sich einen systematischen Einfluss auf die Freizeitgestaltung der Jugendlichen und einen erweiterten Zugriff auf die »sozialistische Bewusstseinsbildung« über Schule und Jugendorganisation hinaus.63 Unterstützung erhielt dieses Talenteförderungsprogramm auf breiter gesellschaftspolitischer Front. Es waren beteiligt das Ministerium für Kultur, die Akademie der Künste, diverse Künstlerverbände, die ideologischen Kommissionen der Kreisleitungen, die Nationale Front, Klubhäuser, die ständige Kommission für Kultur und Körperkultur sowie die Räte der Kreise und Bezirke. Das Singen stand explizit im Mittelpunkt dieser Bemühungen. In einem vorläufigen Rückblick auf das Programm »Jungen Talente« bilanzierte Fritz Kirchhoff 1964 optimistisch, der FDJ sei es gelungen, »zehntausende Jugendliche für die eigene künstlerische Betätigung gewonnen zu haben«. Euphorisch lautete die Bewertung Kirchhoffs, es entstanden eine »Vielzahl wertvoller Kunstwerke, die das Fühlen, Denken und Handeln der jungen Menschen unserer Republik zum Inhalt haben«.64 Auch wenn die Bedeutung der »Bewegung Junger Talente« in offiziellen Dokumenten hoch eingeschätzt wurde, die tatsächliche Breitenwirksamkeit ist als eher gering anzusehen.65 Dafür spricht die spärliche Berichterstattung in den Jugendzeitschriften Junge Generation und Forum sowie die kritischen Beobachtungen und Berichte der Staatssicherheit und der FDJ. 61

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Zur Organisation der Wettbewerbe vgl.: Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, Abteilung Kultur: Vorlagen an die Ideologische Kommission, das Sekretariat und die Kaderkommission: Schlußfolgerung aus dem 3. Zentralen Leistungsvergleich für die Weiterführung der Bewegung Junger Talente, [circa 1963], in: BArch SAPMO DY 24 6731, o. Bl. Nickel (1966): »In meinem Liede«, 38. B. L.: »Jugend gestaltet ihr Leben«, in: Berliner Zeitung, 21. Mai 1959, 3: »Vor allem aber soll jeder Jugendliche die Möglichkeit haben, im Jugendklub oder -heim seines Wohngebiets seinen kulturellen, sportlichen und technischen Interessen nachzugehen. Tausende von befähigten Jugendlichen können hier eine schöne Aufgabe finden, wenn sie sich als Interessengemeinschaftsleiter, als Leiter von Kulturgruppen oder Klubs ausbilden lassen. In den Stadtbezirken eilt es, Kultur- und Sportzentren zu schaffen, die jeder Jugendliche besuchen kann: polytechnische Werkstätten, Theater-, Kino- und Tanzsäle, Fernsehräume und Räume für Tischtennis, Billard, Schach- und andere Spiele.« Gemäß dem Erziehungsoptimismus dieser Jahre hatte die Teilnahme an den Wettbewerben das Potenzial, die »Lebensauffassungen und Charaktereigenschaften« der Jugendlichen im Sinne des »sozialistischen Erziehungsprozesses« zu verändern, siehe: Fuhrmann (1963): »Wo liegt in der Arbeit mit Jungen Talenten«, 29. Fritz Kirchhoff: Vorlage der Kulturkommission an die Ideologische Kommission, 2. April 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6731, o. Bl., DS 1. Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, Abteilung Kultur: Schlußfolgerung aus dem 3. Zentralen Leistungsvergleich für die Weiterführung der Bewegung Junger Talente, in: BArch SAPMO DY 24 6731, o. Bl., DS 3: »Die Bewegung ›Junge Talente‹ hat sich als eine ausgezeichnete Methode zur Verstärkung unseres Einflusses auf große Kreise der Jugend im Alter von 14-22 Jahren, bewährt.«

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Alte und neue Lieder Auf den Wettbewerben der »Jungen Talente« erklangen Chansons oder Schlager, Nummern aus Opern oder Operetten. Doch auf den Jugendweihefeiern um 1960 erklangen das Weltjugendlied oder die Nationalhymne und in den Schulen sangen die Pioniere das Pflichtrepertoire der Heimat-, Friedens- und Soldatenlieder. So groß die Angst vor dem Stillstand auch war, das Singen setzte auf Altes und Bewährtes. Dieses Beharren passte so gar nicht zu dem »Vorwärts« der 1950er Jahre und dem Fortschrittsnarrativ um 1960. Obwohl in den 1960er Jahren die Anzahl der neuen Lieder die der alten das erste Mal signifikant übertraf (601 Nennungen neuer Lieder gegenüber 471 alter Lieder), gab es kaum neue Lieder, die eine besondere Relevanz hatten. Das Repertoire der häufig gesungenen Lieder verdichtete sich und wurde kaum mehr ergänzt. Wenn tatsächlich noch neue Lieder dazu kamen, dann waren es meist unpolitische Kinder- und Spiellieder.66 Ein Blick auf die Liedvorschläge, der Abteilung Kultur des Zentralrates der FDJ für das Deutschlandtreffen, unterstreicht den Eindruck des Stillstandes. Die vorgeschlagenen Listen umfassen alte Lieder der Arbeiterbewegung und die Klassiker der Jugendlieder aus den 1950er Jahren (siehe Abbildung 38). Ein Blick in die Diskussionen der Abteilung Kultur beim Zentralrat der FDJ mit den Verlagen um Liedheft- bzw. Liedbücherpublikationen zeigt ebenso, dass nur ein kleiner Teil der Lieder, die für das Deutschlandtreffen 1964 abgedruckt werden sollten, tatsächlich neu war.67 Die Kulturfunktionäre/-innen wählten mit Vorliebe die Lieder, mit denen sie selbst in die DDR hineingewachsen waren, an erster Stelle das Lied der blauen Fahne, den Hit des Deutschlandtreffens der Jugend 1950. Obwohl die Beobachtungen des MfS und die Berichte aus den FDJ-Grundorganisationen betonten, wie wenig alltagstauglich die alten Massenlieder in einer Zeit waren, in der es eher um Hören neuer Musik als um das Singen ging, hielt der Zentralrat an überholten Liedern und Gesangspraktiken fest. Dafür, dass das Zeitregime DDR parallel dazu auf eine Beschleunigung der Erwartungen setzte und immer wieder das Fortschrittsdogma propagierte, den »Sieg des Sozialismus« greifbar sah und das Jahr 2000 fest im Visier hatte, wirkt diese Kultur- und Jugendpolitik wie aus der Zeit gefallen. 66

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Dazu gehörten Wind, Wind, fröhlicher Gesell (1959, Ursula Gröger/Eva Richter), Guten Abend, schön Abend; Tausendschönchen blühn nicht mehr (1962, Edith Berger/Gisela Hein); Schneemann auf der Straße (1962, Werner Reinicke/Christian Lange); Den Kindern der Welt. Eine Verdichtung des Liedrepertoires lässt sich auch für die Volkslieder erkennen, die den Jugendlichen nahegebracht werden sollten. Es sind immer dieselben, die in den Lehrbüchern und den Lehrplänen benannt werden und auch dieser Kanon ändert sich kaum mehr bis Ende der 1980er Jahre. Zu den Volksliedklassikern gehörten: Der Winter ist vergangen; Wenn alle Brünnlein fließen; Horch, was kommt von draußen rein; Der Lindenbaum; Nun will der Lenz uns grüßen; Alle Vögel sind schon da. H. Kröber (Zentralhaus für Kulturarbeit): Liedvorschläge zur Vorbereitung des Deutschlandtreffens. Schreiben an den Zentralrat der FDJ, Eberhard Fuhrmann, 12. Dezember 1963, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl. handschriftlich kommentiert: »Wo ist Auf den Straßen, auf den Bahnen«?; Dr. Köhler (VEB Deutsche Schallplatten): Schreiben an den Zentralrat der FDJ, 19. Dezember 1963, in: BArch SAPMO DY 24 6330 o. Bl. über die Herausgabe einer Schallplatte zum Deutschlandtreffen. Darauf sollten in »einem modernen Dixie-Arrangement« folgende Lieder erscheinen: Wir lieben das fröhliche Leben; Heut ist ein wunderschöner Tag; Im August blühn die Rosen und Entgegen dem kühlenden Morgen, – alles ausnahmslos Lieder, die Anfang der 1950er Jahre verbreitet waren.

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Abbildung 38

Aktennotiz über die Lieder zur Popularisierung vor dem Deutschlandtreffen, 23. Januar 1963, in: BArch SAPMO DY24 6330, o. Bl.

Das »zeitgenössische Liedschaffen« steckte um 1960 anscheinend genauso in einer Krise wie das Singen selbst. Es fiel den altbewährten Komponisten/-innen von Jugendliedern schwer, den Ton zu treffen, der die junge Generation ansprechen konnte. Dementsprechend versteht sich ein Brief, den Gerd Natschinski im Januar 1959 von einem »schreibenden Arbeiter, der eigentlich keine Zeit zum Schreiben solcher Briefe hat«, erhielt.68 Der unbekannte Schreiber stellte sich die Frage, warum moderne Musik so beliebt bei der Jugend sei. Seiner Ansicht nach sei das in der »Begeisterung und Freude an dem Rithmus [sic!] unserer Zeit« begründet.69 Diese Erkenntnis teilte er Natschinski mit, motiviert von dem Wunsch, jugendliches Musikempfinden und sozialistische Liedkompositionen zukünftig besser zu verbinden: »Waren Sie schon mal in einer Fabrik und haben dort den Rithmus erlebt, wie er in allen Teilen wahrnehmbar ist? Überall anders, mal hart und melodisch, mal hart und dissonant, mal schnell, mal langsam, aber immer Rithmus, Rithmus der Arbeit. […] Rithmus des Aufbaus, der befreiten Arbeit, der Freude. […] Vorschlag, nehmen Sie ein Tonbandgerät, gehen Sie in eine Fabrik und suchen sich den passenden Rithmus, weich und hart, hell und dunkel und mischen Sie eine frische Melodie hinein. […] Und die Ju-

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Anonym: Schreiben an Gerd Natschinski, 26. Januar 1959, in: DKA (Nachlass Gerd Natschinski) N-0204m ber. Korr. 1959 (01). Am Ende des Briefes findet sich eine Anmerkung: »Ich habe noch mal nachgesehen, Rithmus schreibt sich so: ›Rhythmus‹.«

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gend wird wissen, was sie an der modernen Musik liebt. Und andere werden fragen: ›Warum haben wir das vorher nicht kapiert?‹«70 Genau diese Diskrepanz zwischen den Musikvorlieben Jugendlicher und den offiziellen Liedkompositionen nahm auch das Ministerium für Kultur wahr, ohne darauf angemessen zu reagieren. Es sandte in gewohnter Manier Listen mit Liedthemen an den Komponistenverband, die wiederum die Distanz zwischen jugendlicher Musikpräferenz und staatlich eingefordertem Singen vertieften, statt sie überwinden zu können.71 Vier Jahre später holte der Leiter der Abteilung Musik des Ministeriums für Kultur, Werner Rackwitz, ein Stimmungsbild über das »zeitgenössische Liedschaffen« ein. Dazu sandte er Rundschreiben mit entsprechenden Fragen an Komponisten/-innen und Dichter/-innen über die jeweiligen Verbände.72 Die Antworten der durchschnittlich älteren Künstler waren vorhersehbar und betonten das Festhalten an Gewohntem. Manfred Grüttner wünschte sich beispielsweise »Liederlernsendungen« für besonders »wertvolle Lieder« im Rundfunk zurück. Zudem empfahl er eine stärkere Qualitätskontrolle der VEB Deutsche Schallplatten, um die Schlagerproduktion doch etwas zu drosseln zugunsten »besserer Liedplattenproduktionen«.73 In ihrer Kritik über die mangelnde Qualität der neuen Lieder waren sich die Antwortschreiben einig. So sprach sich Grütter dafür aus, Lieder von einem Autorenkollektiv »ernsthaft zu diskutieren«, bevor sie verbreitet werden.74 In den Antwortschreiben fällt der regelmäßige Bezug auf das »Lebensgefühl« auf. »[U]nser Lebensgefühl, unsere Freude und unseren Optimismus« sollten die zeitgenössichen Lieder widerspiegeln können.75 Auch Otto Hilliger bemerkte, dass »unsere Komponisten immer mehr die Gedanken und Gefühle unserer Menschen zum Gegenstand ihrer künstlerischen Aussage machen«.76 Das war in seinen Augen zwar wünschenswert, aber anscheinend nicht erfolgreich. Die Briefeschreiber/ -innen waren sich vor allem in dem Punkte einig, dass das »zeitgenössische Liedschaffen« an einem Wendepunkt stand, eben weil es nicht gelang, mit den Massenliedern die

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Ebd. (Unterstreichung im Original). Siehe Briefwechsel zwischen dem Ministerium für Kultur der DDR, Abteilung Musik und der »Kommission Jugend und Schulmusik« im Komponistenverband, AdK Bestand VKM 3099 und 3100. Gerd Natschinski erreichte im Juli 1959 ein Brief der Kommission, mit einer »Aufstellung von Sinngebieten, für die dringend neue Kinder- und Jugendlieder benötigt werden«. Dazu zählten: Arbeits- und Berufslieder, Lieder über den Sozialismus auf dem Dorfe und das Leben in sozialistischen Brigaden, Lieder für die Fest- und Feiergestaltung, Lieder zur Sonnenwende, »landschaftlich gebundene Heimatlieder der DDR«, Lieder der neuen Technik (Sputnik, Rakete, Atom), Heimatverteidigung, Soldatenlieder, Lieder für den Sport und zum Wandern, in: Schreiben der Kommission für Jugend und Schulmusik an Gerd Natschinski, 16. Juli 1959, in: DKA Hellerau N-020-4 ber. Korr. 1959 (09). Ministerium für Kultur: Umfrage unter musikschaffenden Künstlern, August 1963, in: BArch SAPMO DR 1 339, Bl. 154-173. Das Anschreiben mit den konkreten Fragen ist nicht erhalten, nur Antwortschreiben diverser (ausschließlich männlicher) Künstler. Manfred Grüttner: Antwortschreiben an das MfK, Abteilung Musik, 14. August 1963, in: DR 1 339, Bl. 154f. Ebd., Bl. 155. (Unleserlicher Name): Antwortschreiben an das MfK, Abteilung Musik, o. D., in: BArch SAPMO DR 1 339, Bl. 158f. Otto Hilliger: Antwortschreiben an das MfK, Abteilung Musik, 9. August 1963, in: BArch SAPMO DR 1 339, Bl. 168.

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Jugend mitzunehmen. Die Mittel der Massenlieder seien nicht mehr zeitgemäß, stattdessen »banal« durch »oft abgenutzte Wendungen in der Melodiebildung«, formalisiert durch »ausgesucht wirkende Phrasen oder Harmonieverbindungen«.77 Angesichts dieser Diagnose brauchte es für das Deutschlandtreffen 1964 dringend neue Impulse und damit neue Lieder, die den gewünschten Ton der Jugend treffen konnten. Wie auch schon die Jahre zuvor, wurden enorme Ressourcen aktiviert, um die Jugendlichen auf dem Deutschlandtreffen zum öffentlichkeitswirksamen Singen spezifischer Lieder zu mobilisieren. Das Kontrollieren, Planen, Beobachten und Auswerten waren Maßnahmen, die sich anhand des Liedwettbewerbs im Vorfeld des Deutschlandtreffens als Praktiken des Misstrauens charakterisieren lassen.

Vertrauensbeweise. Das Deutschlandtreffen 1964 Das Deutschlandtreffen von 1964 war das dritte und das letzte in der Geschichte der DDR. Das erste Deutschlandtreffen war erfolgreich darin gewesen, sowohl positive Signale an die Kinder und Jugendlichen der neugegründeten DDR auszusenden als auch, die skeptischen Beobachter/-innen zu verunsichern. Das zweite Treffen der Jugend 1954 verblasste dagegen. In den drei Maitagen 1964 aber sollte das Gefühl des ersten Deutschlandtreffens wieder aufleben. Es kamen 535.000 Teilnehmer/-innen nach Berlin. Die Hälfte davon waren Mitglieder des Jugendverbandes oder anderer jugendnaher Staatsorganisationen. Die andere Hälfte bestand aus »Tagestouristen«, selbstständig organisierte Besucher/-innen. Circa 6.000 Jugendliche kamen aus Westberlin und der Bundesrepublik angereist.78 Doch sind diese offiziellen Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Noch fünf Tage vor dem Jugendtreffen, am 11. Mai 1964, fehlten im Bezirk Leipzig rund 1.000 Jugendliche, um die erforderliche Delegiertenzahl von 6.000 voll zu bekommen.79 Die drei Tage selbst waren durch logistische und organisatorische Höchstleistung gekennzeichnet. Die Besucher/-innen hatten die Auswahl zwischen 1.304 Kultur- und Sportveranstaltungen, die von 4.800 Berufs- und Laienkünstlern und -künstlerinnen sowie annähernd 1.000 Kulturgruppen bestritten wurden.80 Die Entscheidung für ein solches kostspieliges und Ressourcen bindendes Festival stand nie zur Debatte. Auf der Suche nach einem Weg zu den Herzen und Köpfen der Jugendlichen registrierten die

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So der Befund eines unbekannten Künstlers: (Unleserlicher Name): Antwortschreiben an das MfK, Abteilung Musik, o. D., in: BArch SAPMO DR 1 339, Bl. 158f. Zentralkomitee der SED, Abteilung Jugend: Auflistung der Teilnehmer des Deutschlandtreffens, ohne Datum (1964), in: BArch SAPMO DY 30 IV A2/16 131, o. Bl.: Bezirksdelegationen: 161.000; Delegationen der DTSB, GST, DRK, FF und bewaffnete Organe: 43.300; Teilnehmer/-innen am Fest der russischen Sprache: 700; Teilnehmer/-innen der zentralen Kulturgruppen, Chöre, Ensembles: 4600; Zentrale Fahnenblock der NVA: 300; Reserve an Quartieren und Verpflegung: für 30.000; Teilnehmer/-innen aus Westdeutschland/Westberlin: 6.000; Teilnehmer/-innen als Touristen: 30.000; Tagesbesucher: 250.000; Gesamt: 525.900. Zentralkomitee der SED: Abteilung Jugend: Informationen über die bei der Auswahl von Teilnehmern für das Deutschlandtreffen auftretenden Mängel, 11. Mai 1964, in: BArch SAPMO DY 30 IV A2/16 131, o. Bl. Zahlen siehe E. B.: »Berlin ist startklar«, in: Berliner Zeitung, 16. Mai 1964, 2.

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Verantwortlichen, dass sie mit der formalisierten und starren Jugendarbeit keinen Erfolg hatten. Daher versprachen sie sich ein besseres Ergebnis von einem emotionsbetonten Zugang zu den Jugendlichen, oder wie es in der Funktionärssprache hieß, von einer »lebendigen politischen Beziehung zur Masse der Jugend«.81 Enthusiastisch schwärmten die Jugendfunktionäre und -funktionärinnen von der »Stimmung« und »Atmosphäre« des ersten Jugendtreffens 1950 in Berlin.82 Aus diesen Erinnerungen nährte sich ihre Hoffnung, auch die Jugend von 1964 mit einem solchen Festival emotional zu packen, sie zu beleben und zu entzünden und zu begeistern und damit die formalisierten und routinierten Verkrustungen der Jugendarbeit aufzubrechen.83 Diese Mobilisierung von Emotionen überließ man nicht dem Zufall. Die Planungen waren durch das permanente Eingreifen und Zurechtweisen des Politbüros des ZK der SED gekennzeichnet.84 Nur deren Vorschläge hatten wenig Begeisterungspotenzial. In den Vorstellungen der Staatsmacht sollte das Jugendtreffen Signale der Überlegenheit über den »Eisernen Zaun« hinweg senden. Das Deutschlandtreffen bot eine gute Gelegenheit, die erwünschte Einheit von Jugend und Staat zu demonstrieren und damit die DDR als den deutschen Staat darzustellen, der für die Zukunft und damit für die Jugend die Verantwortung übernommen hatte. Ganz im Sinn der »asymmetrischen Gegenbilder« erfolgte in der Presse die Gegenüberstellung des Erfolges der eigenen Jugendpolitik mit dem Misserfolg der westlichen Politik: »Die Jugend ist klüger« und »Bonn nervöser«85 ; »Unsere Macht – das ist ihre Ohnmacht«86 . Vertrauen und Verantwortung, das waren die zentralen Botschaften, die vom Deutschlandtreffen an die Köpfe und Herzen der DDR-Jugend gehen sollten. Doch alle Sorgfalt in der Vorbereitung zielte vielmehr darauf, das gestiegene Misstrauen zu kaschieren und zu übertönen, wie sich an dem Liedwettbewerb zeigen lässt. Liedwettbewerbe als ein übliches Instrumentarium, um die Bevölkerung mit den Ideen des Politbüros vertraut zu machen, waren zu diesem Zeitpunkt nicht neu. Nach jetziger Kenntnis handelt es sich aber 1964 um den größten und am aufwendigsten organisierten Liedwettbewerb.87 Aufschlussreich sind die Überlieferungen zu dem 81 82 83 84

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Zentralkomitee der SED, Abteilung Jugend: Informationen über Probleme mit der ideologischen Haltung einiger Jugendlicher, ohne Datum, 1964, in: BArch SAPMO DY 30 IV A2/16 131, o. Bl. DS 4. Ebd. Ebd., 5f. Das Deutschlandtreffen sollte sich mit dem Jugendkommuniqué »auseinandersetzen und das Ganze umsetzen […]. Die Ideen des Jugendkommuniqués sind darin konsequent weiterzuentwickeln«, forderte Kurt Turba in einem Brief an den Jugendverband. Mit diesem Brief schickte er den Entwurf zum Jugendtreffen mit harter Kritik versehen zurück, mit der Aufforderung einer kompletten Überarbeitung, in: Kurt Turba (ZK der SED, Abteilung Jugend): Schreiben an das Zentralkomitee der FDJ, 28. Oktober 1963, in: BArch SAPMO DY 30 IV A2/16, 131, o. Bl. J. W.: »Störern blieb die Spucke weg«, in: Junge Welt, 20. Mai 1964, 5: »In der Deutschen Demokratischen Republik haben die sozialistischen Produktionsverhältnisse gesiegt. Die Arbeitsproduktivität ist höher und unser Leben dadurch reicher geworden. Die Jugend ist klüger, die Mädchen sind hübscher, wir sind stärker und in Bonn ist man viel nervöser geworden als früher.« Horst Pehnert: »Unsere Macht – das ist ihre Ohnmacht«, in: Junge Welt, 20. Mai 1964, 1. Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Musikalische Vorbereitung des Deutschlandtreffens und eingesandte Lieder zum Deutschlandtreffen, in: BArch SAPMO DY 24 6327; 6328; 6329; 6330; 6331. Noch bis in die 1980er Jahre hinein sollten mehrere Liedwettbewerbe folgen, die aber nicht mehr diese Ausmaße hatten.

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Liedwettbewerb deshalb, weil sie zeigen, mit welcher Akribie die Verantwortlichen im Zentralrat der FDJ damit beschäftigt waren, genau vorzudefinieren, welche Lieder welche Emotionen und Reaktionen erzeugen sollten, welche Lieder erwünscht waren und wie man zu diesen Liedern kam. Zugleich erwartete man aber auch, dass die Zusendungen Aufschluss über jugendliches Fühlen und Denken geben könnten. In dieser Hybris, der Suche nach jugendlichen Gedanken und Gefühlen bei gleichzeitiger Definition dessen, was genau das sein soll, bewegte sich der Liedwettbewerb zum Deutschlandtreffen.

Liedwettbewerb »Wer schreibt uns neue Lieder?« Die Auslobung des Liedwettbewerbes zum Deutschlandtreffen kam am 1. Februar 1964 plötzlich und kurzfristig.88 Der Aufruf des Zentralrates der FDJ erschien unter dem Titel: »Wer schreibt uns neue Lieder« in der Jungen Welt. Er fragte explizit nach »schöne[n], schwungvolle[n] Lieder[n] für unsere junge Generation«. Sie sollten »optimistisch und froh [sein], zukunftsweisend und die Jugend als die Hausherren der nächsten 50 Jahre, als Deutschlands neues Leben charakterisier[en]. Mit schönen kraftvollen Liedern wollen wir […] zum Deutschlandtreffen kommen«.89 Explizit richtete sich der Appell an »alle jene, die ein Herz für die Jugend haben. […] Alle sind aufgerufen, sich am Wettbewerb zu beteiligen und die Melodie unseres Lebens aus ihrer Feder fließen zu lassen«.90 Die FDJ-Kulturfunktionäre und-funktionärinnen der Bezirke und die Zentralhäuser für Kultur sorgten für seine Verbreitung. Die Hochschulen für Musik in der DDR veranstalteten daraufhin ihre eigenen Wettbewerbe. Gesucht wurde »ein überzeugendes, mitreißendes Lied […], das von der deutschen Jugend gesungen werden soll«. Wichtig war der Hinweis: »[G]eeignete Texte können in reicher Auswahl von Herrn Prof. Thilman bezogen werden. Im Übrigen ist das Angebot in Zeitungen und Zeitschriften sehr groß.«91

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Die erste Erwähnung wurde erst Mitte Januar aktenkundig. Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Material für den 2. Teil der Beratung mit Künstlern am 17.01.1964, 16. Januar 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl.: »Der Aufruf zur Schaffung neuer Lieder wird beraten und verabschiedet. Wir werden versuchen, aus den Reihen der Anwesenden Mitglieder der Jury des Liedwettbewerbes zu gewinnen.« Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Vorlagen an die Ideologische Kommission, das Sekretariat und die Kaderkommission, BArch SAPMO DY 24 6731, o. Bl. Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Auswertung des Liedwettbewerbs zum Deutschlandtreffen; in: BArch SAPMO DY 24 6731, o.Bl, Anhang, 6. In den folgenden Tagen wurde der Aufruf in zahlreichen Tageszeitungen und Fachzeitschriften abgedruckt. Siehe z.B. Zentralrat der FDJ: »Schafft Lieder für das Deutschlandtreffen«, in: Neues Deutschland, 1. Februar 1964, 4. Daneben ging der Aufruf an die Bezirksleitungen der FDJ, die ihn an die Kreisleitungen weiterleiteten, an die Zentralen Kulturhäuser und Häuser der Jungen Talente, an die Zirkel schreibender Arbeiter, Arbeitsgemeinschaften Junger Autoren, Zirkel komponierender Arbeiter und ähnliche Arbeitskreise. Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Aufruf zum Komponistenwettbewerb für Studierende der Musikhochschulen der Deutschen Demokratischen Republik, Dresden 10. Februar 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl.

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Durch die Vorgabe der Liedinhalte, die Auslobung von Geldpreisen und die niedrigschwelligen Teilnahmebedingungen gelang es der FDJ, mehrere Hundert Menschen zu einer freiwilligen Lehrstunde in Sachen sozialistischen Fühlens zu motivieren. Insgesamt wollte der Zentralrat der FDJ Preise im Gesamtwert von 10.000 DM vergeben. Das beste Lied sollte zudem mit der Erich-Weinert-Medaille belohnt werden. Die Jury bestand aus einem Musikdirektor, Vertretern/-innen des Komponistenverbandes, Kunstpreisträgern der FDJ sowie Mitarbeiter/-innen des Zentralrates der FDJ und der Grundorganisationen.92 Bemerkenswert war die Resonanz auf diesen Liedwettbewerb. Von Februar bis Mai 1964 gingen in der Abteilung Kultur des Zentralrates der FDJ 849 Liedkompositionen ein. Es handelte sich um 434 neu entstandene und vertonte Texte. Die anderen knapp 400 Einsendungen vertonten vorgegebene Gedichte.93 Die Absender/-innen waren Institutionen und Privatpersonen, namhafte Komponisten/-innen und Laienmusiker/-innen im Alter von 13 bis 80 Jahren, »aus allen Schichten der Bevölkerung«: Lehrern/-innen, Studierende verschiedener Fachrichtungen, Schüler/-innen, junge Arbeiter/-innen, Soldaten, Hausfrauen, FDJ-Chorleiter, Publizisten aus Österreich, Rentner/-innen, technische Angestellte, Kapellmeister und Partei- und FDJ-Sekretäre, Pionierleiter/-innen oder Klubhausleiter.94 Gemeinschaftsarbeiten kamen von Kreiskulturensembles oder ganzen Schulklassen. Die Kompositionen waren zum Teil laienhaft auf selbstgezeichnetem Notenpapier einstimmig gesetzt oder professionell mehrstimmig und mehrseitig ausgeführt. Der 19-jährige Arbeiter Kurt Kühne aus Dresden vermerkte in seinem Begleitschreiben zu seiner Motivation: »Aber als ich das in der ›Jungen Welt‹ vom 18. Februar veröffentlichte Lied ›Wir fahren nach Berlin‹ sah, erschien mir mein Lied nicht mehr so sehr schlecht. […] Mir ist das Lied einfach so eingefallen und ich mache mir keine Hoffnung auf Annahme. Aber versuchen will ich es doch einmal.«95

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Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Auswertung des Liedwettbewerbes zum Deutschlandtreffen, in: BArch SAPMO DY 24 6731, o. Bl., Anhang 5. Die vorgegebenen Gedichte waren u.a. von Walter Dehmel Legt den Grund zu einem neuen Leben; Walter Stranka mit Maiwind bläst, Helmuth Preissler mit Setzt Euch durch, Rainer Kirsch Leute, wo wir wohnen bzw. Max Zimmering Ohne Jugend gibt es keine Pläne. Vgl. Anonym: »Wir singen für Berlin«, in: Junge Welt, 19. März 1964, 5; Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Auswertung des Liedwettbewerbes zum Deutschlandtreffen, in: BArch SAPMO DY 24 6731, o. Bl., Anhang 1. Wie viele Teilnehmer/-innen es gab, ist nicht sicher festzustellen. Häufig wurde mehr als ein Lied eingeschickt. Im Bundesarchiv befinden sich vier Ordner unsortiert mit Liedzuschriften, zum Teil mit eigenem Anschreiben versehen, zum Teil mit Antwortschreiben abgeheftet. Trotz dieser Menge handelt es sich nicht um die 840 Lieder, die nach offizieller Zählung eingingen. Nach welchen Kriterien die Lieder abgeheftet und aufgehoben wurden, hat sich nicht erschlossen und ist auch nirgends vermerkt. Siehe dazu BArch SAPMO DY 24 6327; DY 24 6328; DY 24 6329; DY 24 6331. Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Auswertung des Liedwettbewerbes zum Deutschlandtreffen, in: BArch SAPMO DY 24 6731, o. Bl., Anhang 1. Kurt Kühne: Schreiben an die Abteilung Kultur, Dresden 18. Februar 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6328, o. Bl.

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In diesem Tenor sind zahlreiche Zuschriften gehalten. Auch wenn die Behauptung am Ende fast rituell war, dass man eigentlich nichts erwarte, versteckte sich dennoch die Hoffnung dahinter, ein unentdecktes Talent zu sein und vielleicht die Chance auf das Preisgeld zu haben. Fast alle erwartbaren Liedtypen und instrumentellen Besetzungen befinden sich unter den Einsendungen: Feierlieder, Tanzlieder, Kampflieder, Lagerfeuerlieder, lyrische Lieder, Marschlieder, Sololieder, Chorlieder oder Lieder für Vorsänger/-innen und Chor, Lieder für Klavier und Gesang oder für diverse Blasinstrumente, Schlagzeug oder Gitarre. Die Themen und der Ton der Lieder waren in der Mehrzahl kaum überraschend. Sie arbeiteten sich an dem Aufruf ab, »schön, schwungvoll«, »optimistisch«, »froh« und »zukunftsweisend« zu sein. Die Kommentare zu einigen der Lieder unterstrichen genau das Bemühen der Autor/-innen, Komponisten und Komponistinnen, den Vorgaben des Aufrufes gerecht zu werden, um ihre Aussichten auf eine Prämierung zu steigern.96 Die Organisatoren bilanzierten: »So entstanden singbare, mitreißende Marschlieder, Vortragslieder und Chorlieder, die weitgehend die Mentalität und die echten Probleme der heutigen Jugend trafen.«97 Das Fazit der Jury liest sich dennoch verhalten. Die zurückgehaltene Enttäuschung resultierte aus der erfolglosen Beteiligung der gestandenen Dichter/-innen und Komponisten/-innen. In den Augen der Jury hatten deren Kompositionen wieder einmal gezeigt, dass ihnen die Verbindung zur Jugend fehlte, es ihnen nicht gelang, »noch mehr ihrem [der Jugend] Lebensgefühl entsprechend schreiben zu können«.98 Mit eben dieser Begründung »der Inhalt der Lieder [entspricht] wenig dem Lebensgefühl der heutigen jungen Generation«, lehnten die Verantwortlichen der Abteilung Kultur Lieder von namhaften Komponisten ab.99 Die Funktionäre und Funktionärinnen sahen sich mit dieser Einschätzung selbst in der Verantwortung. Dem Singen galt die besondere Aufmerksamkeit in Vorbereitung des Deutschlandtreffens. In Anbetracht der diagnostizierten Krise des Singens war die besondere Herausforderung, die beteiligten Jugendlichen dazu zu bringen, genau die Lieder zu singen, die im Vorfeld extra für das Festival entstanden und vorausgewählt wurden. Doch die »Bereitschaft, Lust und die Liebe zum Singen«100 unter den 14- bis 25-Jährigen stellte sich nicht ohne Weiteres ein. Über schulischen Musikunterricht konnten die Jugendlichen nur begrenzt erreicht werde. Die unregelmäßig stattfindenden Treffen der FDJ-Orts-, Betriebs- bzw. Schulgruppen eigneten sich auch Hans-Joachim Schulze: Schreiben an die Abteilung Kultur, Frankfurt/Oder, 18. März 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6331, o. Bl.: »Alle drei Kompositionen sind schwungvoll, optimistisch und zukunftsweisend angelegt, so daß ich annehme, damit Ihren Forderungen zu entsprechen.« 97 Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Auswertung des Liedwettbewerbes zum Deutschlandtreffen, in: BArch SAPMO DY 24 6731, o. Bl., Anhang 1. 98 Ebd., 2. 99 Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur, Schreiben an Johannes Werner: 10. Juni 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6331, o. Bl. 100 Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Entwurf einer Konzeption für die Entwicklung des Singens von Jugendliedern in Vorbereitung des Deutschlandtreffens der Jugend, 29. Oktober 1963, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl., DS 1.: »Die Abteilung Kultur des Zentralrates sieht eines ihrer wichtigsten Aufgaben in Vorbereitung des Treffens darin, die Bereitschaft, die Lust und die Liebe der Jugend zum Singen weiter zu wecken, das Singen der Jugend breit zu entwickeln sowie Schriftsteller und Komponisten zur Schaffung neuer Lieder anzuregen.«

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nicht für die durchschlagende »kulturelle Massenarbeit«, so die Einschätzung selbstkritischer Berichte. Wie also ließe sich dieser Jugend, die Radio Luxemburg und den deutschen Freiheitssender hörte, die Gefallen an der Beat-Musik und den Schlagern fand, wie ließe sich dieser Jugend beibringen, dass sie »dort wo sie beisammen ist, schöne, ihr Leben und ihre Gefühle gestaltende Lieder singt«?101 Mit ihrem ungebrochenen Erziehungsoptimismus machten sich die Jugend- und Kulturpolitiker/-innen auf die Suche nach passenden Liedern für das »sozialistische Lebensgefühl«: »Durch unsere unmittelbare Einflußnahme sollen neue Lieder für die Jugend entstehen, die unser sozialistisches Leben, besonders das Antlitz des jungen Sozialisten besingen, unser sozialistisches Lebensgefühl und unseren sozialistischen Lebensauffassungen entsprechen und der Bereicherung des frohen und kulturvollen Lebens dienen.«102 Bemerkenswert ist in diesen Überlegungen die Charakterisierung der Jugend als ein Objekt, das mit »unserem sozialistischen Lebensgefühl« und »unserer […] Lebensauffassung« gefüllt werden sollte. Für diese Herausforderung mobilisierte die FDJ »alle gesellschaftlichen Kräfte«, die in irgendeiner Art mit dem Singen in der Jugendorganisation verbunden waren: einzelne Künstler/-innen, junge Dichter/-innen, Komponisten, Komponistinnen und Vertreter/-innen der Künstlerverbände, die ideologische Kommission der FDJ-Bezirksleitungen, den Deutschen Schriftstellerverband, den Deutschen Komponistenverband, das Ministerium für Kultur sowie die Agitationskommission beim Politbüro des ZK der SED, das staatliche Rundfunkkomitee, den Deutschen Chorausschuss, den VEB Deutsche Schallplatte, die Jugendredaktion des Radios der DDR, den Hofmeister-Verlag in Leipzig und den Verlag Lied der Zeit.103 Auf der Wunschliste der Kulturfunktionäre und -funktionärinnen standen Lieder, die das Idealbild der Jugend besangen. Die Heranwachsenden sollten nützlich sein und funktionieren als fleißige, strebsame und produktive »junge Bauherren« und »künftige Hausherren«, als Chemiearbeiter, Bauleute, Bergarbeiter oder Eisenbahner.104 Ein weiteres Lied sollte »in heiterer Form [zeigen], wie die Jungen in ihrem Wollen, die Heimat zu verteidigen, alle Probleme und Sorgen im Zusammenhang mit der Einberufung zur NVA meistern und wie die Mädel zu ihnen halten«.105 In Anbetracht der großen Vorbehalte vieler Jugendlicher gegenüber der Nationalen Volksarmee zeigt sich an diesem Vorschlag erneut die Distanz zwischen staatlichen Vorstellungen und jugendlicher Lebenswelt. Doch nicht nur über die Inhalte, auch über die Gestaltung entschieden die Kulturfunktionäre und -funktionärinnen der FDJ. Sie gaben die Lieder in Auftrag, führten Beratungsgespräche mit Komponisten, Komponistinnen, Dichtern und Dichterinnen

101 Ebd. 102 Ebd. 103 Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Vorlage an das Sekretariat ›Maßnahmenplan‹, 16. Dezember 1963, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl. 104 Ebd. 105 Ebd.

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und entschieden, welches Lied gut genug sei, verbreitet und gelernt zu werden.106 Diese »Popularisierung«, wie es in den Akten genannt wurde, organisierte die Abteilung Kultur generalstabsmäßig und erarbeitete dementsprechende Maßnahmenpläne.107 Zentrale Strategien waren die Verbreitung der Lieder über Liedhefte, Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen.108 Daneben gab es regelrechte Liedlernveranstaltungen als abendliche Events in den Kulturhäusern. Gerade von diesen Veranstaltungen versprachen sich die Jugendfunktionäre und -funktionärinnen einen großen Effekt. Sie nahmen dafür bekannte Sänger wie Perry Friedman, Wolf Biermann oder Karl-Heinz Weichert in die Pflicht und gründeten eine »Künstlerbrigade«.109 Für ein Honorar von 800 DM (pro Person) plus 6 DM Tagegeld und Übernachtungskosten sollte diese »Künstlerbrigade« an jeweils 3-4 Tagen pro Woche im April in allen Bezirken mit einem 30-60-minütigen Programm auftreten. Präsentiert wurden neue Lieder für das Deutschlandtreffen sowie »alte, bekannte, bei der Jugend beliebte Lieder«.110 Wieder schwang mit dieser »Künstlerbrigade« die Hoffnung mit, »das Denken und Fühlen und Handeln unserer Jugend noch besser kennenzulernen«.111 Eine solche Veranstaltung fand am 10. März 1964 im »Haus der Talente« in Berlin statt. Auch hier setzten die Organisatoren und Organisatorinnen auf eine Mischung aus alten und neuen Liedern. Zwei Chöre sangen vor geladenen Berliner Jugendlichen, FDJ-Politiker/-innen (speziell aus dem Bereich Kultur) und Berliner Chorleitern und -Leiterinnen. Um die gewünschte entspannte Atmosphäre zu erreichen, wurden die Teilnehmer/-innen mit »anschließendem Tanz« gelockt. Zudem sollten Mitarbeiter/ -innen des Jugendfunks oder Jugend-Fernsehens durch den Abend führen in »zwanglo106 Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Protokoll über konkrete Ergebnisse der Beratung mit Künstlern zum Deutschlandtreffen, 22. Januar 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl., DS 3: »Alles, was an Liedern und Liedtexten entsteht, läuft bei uns zusammen. Wir veranlassen Einschätzung, Sendung oder andere Veröffentlichung und arbeiten dabei ständig mit den Verbänden und dem Ministerium für Kultur zusammen.« 107 Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Vorlage an das Sekretariat »Maßnahmenplan«, 16. Dezember 1963, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl. 108 Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Grundkonzeption für die Demonstration zum Deutschlandtreffen der Jugend, o. D., in: BArch SAPMO DY 24 14604, o. Bl., DS 4. Der Hofmeister-Verlag wurde im September 1963 für die Publikation von entsprechenden Liedblättern und für die Neuauflage des Liederbuches der Deutschen Jugend verpflichtet, siehe Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Aktennotiz über die Besprechung mit dem Hofmeister-Musikverlag, 2. September 1963 und Brief des Verlages an die Abteilung Kultur, 28. November 1963, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl. Der Verlag Lied der Zeit sollte ein Liederheft zum Deutschlandtreffen mit einer Auflage von 100.000 Exemplaren herausgeben. Es war geplant, diese unter den Teilnehmern zu einem Unkostenpreis von 0,50 DM verteilen, in: Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Information, 29. Januar 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl. 109 Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Einsatz einer Künstler-Brigade in Vorbereitung des Deutschlandtreffens, o. D., in: BArch SAPMO DY 24 6731, o. Bl. Das Dokument führt 10 zum Teil namhafte Künstler auf, von denen fünf bereits ihr »grundsätzliches Einverständnis gegeben haben«: Karl-Heinz Weichert, Helmut Plischke, Perry Friedman, Wolf Biermann, Wolfgang Lesser. Das Dokument sagt nur etwas über den Planungsstand, aber nichts über die tatsächliche Durchführung aus. 110 Ebd.: »Darüber hinaus hat die Gruppe die Aufgabe, mit Liedern, Gedichten, einem Film und durch persönliche Gespräche die Gedanken des Deutschlandtreffens unter der Jugend zu popularisieren.« 111 Ebd.

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ser, gutimprovisierter Form […], um von vornherein den Kontakt zum Publikum herzustellen«.112 Die Aufgabe des Publikums war es, ein Votum über die präsentierten neuen Lieder abzugeben. Die Stimmabgabe wurde mit der Teilnahme an einer Tombola belohnt. Um dem Publikum das sofortige Erlernen der Lieder zu ermöglichen, sollten bereits zu diesen Veranstaltungen Band- beziehungsweise Plattenaufnahmen vorliegen und die Noten vervielfältigt sein. Angesichts dieses ressourcenintensiven Aufwandes, das Ergebnis des Liedwettbewerbes nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten, war die Einsicht in die mangelnde Durchschlagskraft der in Auftrag gegebenen Lieder besonders unerfreulich. Die Jury kam nach zwei Sitzungen am 9. und am 20. Mai 1964 zu einem deutlichen Ergebnis: Der Kunstpreis der FDJ wurde nicht vergeben. Keines der eingesandten Lieder schien dafür gut genug. Dafür gab es Geldpreise für neun Lieder und eine Festfanfare. Insgesamt betrugen die Geldpreise 8.100 DM und lagen damit deutlich unter den ausgelobten 10.000 DM. Diese Juryentscheidungen waren erwartbar. Es ist bisher kein Liedwettbewerb in der DDR bekannt, zu dem ein erster Platz vergeben wurde. Die Vorschläge blieben hinter den Vorstellungen der Organisatoren und Organisatorinnen zurück. Bemerkenswert ist, dass trotz der Jury-Kritik an dem mangelnden Verständnis für »jugendliches Fühlen« dennoch wieder die bekannten (ausschließlich männlichen) Komponisten und Textdichter prämiert wurden, sicher auch um sich nicht selbst bloß zu stellen. Daher überrascht es nicht, wie sehr diese Gewinnerlieder in der musikalischen Sprache der 1950er Jahre verhaftet blieben. Insbesondere die Lieder Singe, Freie Deutsche Jugend (Joachim Werzlau/Karl-Heinz Thiele), Nach Berlin (Kurt Greiner-Pol/Siegfried Berthold); Es muß doch wunderbar sein (Wolfgang Lesser/Max Zimmering) und Jung sein, heißt dabei sein (Horst Becker) stehen musikalisch in der Tradition der Massenlieder der 1950er Jahre. Das Lied Singe, Freie Deutsche Jugend signalisiert die übliche Entschlossenheit, Kraft, Stärke und Enthusiasmus einer neuen Jugend zu demonstrieren. Die Symbole und zentrale Begriffe: »blaue Fahnen«, »Trommel«, »Schläfer wecken«, »neues beßres Leben«, »stolz und kühn« haben sich nicht verändert. Musikalisch gibt es wenig Überraschendes. Der Rhythmus ist klar dem Text und Sprachrhythmus untergeordnet. Damit wird auch der hölzern wirkenden Sprache der Lieder musikalisch Nachdruck verliehen: »Nach Berlin zieh’n zum Fest in die Hauptstadt die Soldaten« (Nach Berlin); »Ohne Jugend gibt es keine Pläne/Junge Menschen braucht die LPG« (Es muß doch wunderbar sein); »denn das Heute wächst nur durch gemeinsame Tat« (Jung sein, heißt dabei sein). Das Festhalten an stilistischen Merkmalen des Massenliedes sowie die hölzerne Sprache sind Gründe dafür, dass diese Lieder trotz der verstärkten »Popularisierung« – wie es im Sprachjargon hieß – unbekannt und ungesungen blieben, auch wenn die Jury sie als besonders eingängige Marschlieder lobte.113

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Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Vorschlag für die Durchführung einer Veranstaltung unter dem Arbeitsthema: Wir singen zum Deutschlandtreffen, 12.Februar 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl. Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Information über den Stand des Liederwettbewerbes zum Deutschlandtreffen, 10. März 1964, in BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl.

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Abbildung 39

Joachim Werzlau und Karl-Heinz Thiele: Singe, Freie Deutsche Jugend.

Wenn bereits im Vorfeld so klar war, welche Lieder als Sieger aus dem Wettbewerb herausgehen sollten, genau weil sie noch vor der Ausschreibung nach »unseren

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Vorstellungen« verändert wurden, stellt sich die Frage, wieso es dann einen solchen Wettbewerb überhaupt gab? Vielleicht haben sich die Organisatoren und Organisatorinnen wirklich versprochen, mit dem Wettbewerb ein Ohr am »jugendlichen Fühlen« zu haben und gleichzeitig einen Eindruck davon zu erhalten, wie fern oder wie nahe die Jugend den Vorstellungen der Funktionäre und Funktionärinnen tatsächlich waren. Immerhin hieß es in den standardisierten Antwortschreiben, dass die eingegangenen Liedkompositionen für eine »gründliche Analyse […] auf dem Gebiet des Liedschaffens« benötigt wurden.114 Dafür sollten die Lieder an den Verband Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler weitergeschickt werden. Das war jedenfalls das Argument dafür, die Lieder zu behalten. Allerdings scheint es diese »gründliche Analyse« nicht gegeben zu haben, zumindest gibt es dafür keine Hinweise im Aktenbestand der Akademie der Künste. Eine Überraschung brachte der Liedwettbewerb doch. Zu den prämierten Liedern zählten zwei wirkliche Neuentdeckungen, die weder vorher in Auftrag gegeben wurden noch aus der Feder altgedienter Komponisten und Dichter stammten. Das sind die Lieder Wir singen schon heute die Lieder von morgen (Ralph Petersen/Dieter Schneider) und Wir fahren nach Berlin (Erwin Thiele/Gerhard Pommeranz-Liedtke). In der Jungen Welt wurde das Lied bereits am 13. Februar 1964 prominent auf der ersten Seite abgedruckt, und es erschien ein weiteres Mal in dem »Liederheft: Wir singen zum Deutschlandtreffen« der Jungen Welt.115 Der Jury passte das Lied nicht, sie fand den Text »naiv und künstlerisch schwach«. Was überzeugte, war die »freche Marschmelodie, die sich auch schon als wirksam erwiesen hat«.116 Was hier aufhorchen ließ, waren anscheinend die Fröhlichkeit und Lebenslust, die musikalisch ihren Ausdruck fanden im schnellen Zweivierteltakt, mit immer wieder wechselnden Rhythmuselementen, der bunten Mischung aus Tonwiederholungen und großen Sprüngen (Septsprung: »mit Pauken und Trompeten«; Sexte: »wir singen«), der sinnfälligen Dreiklangsmelodik (»Jungen und Mädel«; »Uns gefällt diese Welt«), der Wiederholungen ganzer Teile (A, A‘) in der Kombination harmonisch und melodisch ganz neuer Teile mit Tonartenwechsel (von G-Dur zu C-Dur). Das Lied symbolisiert Bewegung und steht auch nicht zuletzt wegen des belanglosen Textes für eine Leichtigkeit, die man der Jugend gern unterstellen wollte. Bemerkenswert ist das Lied Wir singen schon heute die Lieder von Morgen. Der Komponist war der damals noch unbekannte Ralf Petersen (geboren 1938), der seine Melodie auf den Text des ebenfalls noch unbekannten Dieter Schneider (geboren 1937) schrieb. Im Gegensatz zu den anderen Preisträgern waren beide mit 26 und 27 Jahren tatsächlich noch jung. Sie standen beide am Anfang ihrer Karriere. Wir singen schon heute die Lieder von morgen zählte zwar nicht zu den ersten Versuchen der beiden, jedoch zu den frühesten.

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Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Auswertung des Liedwettbewerbes zum Deutschlandtreffen, in: BArch SAPMO DY 24 6731, o. Bl., Anhang 2. »Wir fahren nach Berlin«, in: Junge Welt, 13. Februar 1964, 1. Liederheft: »Wir singen zum Deutschlandtreffen«, in: Junge Welt 11./12. April 1964, 6. Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur:Information über den Stand des Liederwettbewerbes zum Deutschlandtreffen, 10. März 1964, in BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl.

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Abbildung 40

Erwin Thiele und Gerhard Pomeranz-Hedtke: Wir fahren nach Berlin.

Das Lied fällt durch seine andere musikalische Sprache auf: nicht bemüht fröhlich, nicht pathetisch, marschierend vorwärtsdrängend, sondern beharrlich, selbstbewusst und dabei sehr unprätentiös. Die durchgängig gleichbleibende Gitarrenbegleitung mit überwiegender Tonwiederholung erinnert an ein ruhiges und dabei stetiges Fortbewegen. Bemerkenswert ist der Wechsel zwischen Solo und Chor, zwischen Frage und Antwort. Der Solist stellt seine Fragen »Wer singt schon heute die Lieder von Morgen?« in einer Art Sprechgesang, der durch Tonwiederholungen markiert ist. Der Chor antwortet zweistimmig mit dem Pronomen »Wir«, das durch den Wechsel mit Viertelpausen einen starken Ausrufecharakter erhält. Unterbrochen wird dieser Frage- und Antwortteil von einem Zwischengesang des Solisten, in dem das »Wir« erklärt wird. Auffallend ist hier die dreimalige Wiederholung ein und derselben melodischen Phrase. Das Lied ist schlicht, aber darin besonders nachdrücklich. Im Gegensatz zu allen anderen preisgekrönten Liedern verschwand das Lied nicht in der Vergessenheit. Es gehörte zum Repertoire des Liedersängers Perry Friedman und erklang ab Mitte der 1960er Jahre

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Abbildung 41

Ralf Petersen und Dieter Schneider: Wir singen schon heute die Lieder von morgen.

als ein Standardlied der FDJ-Singebewegung. Zudem fand es Eingang in die Lehr- und Liederbücher und taucht in Ferienlagerprogrammen auf.117 Dieses Lied ist aber auch in einer anderen Hinsicht bemerkenswert. Es weist erstaunliche Ähnlichkeiten zu einem Schlager auf, mit dem Freddy Quinn zwei Jahre 117

Lagerchronik des Ferienlagers Ruppersdorf, 1967, in: SML B20-196-8387; Musik in der Schule 1966, 162.

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später die bundesrepublikanische Öffentlichkeit spaltete. Mit dem Lied Wir (1966, Fritz Rotter/Lotar Olias) sang Freddy Quinn gegen die entstehende studentische Protestkultur an.118 »Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden«, beginnt das Lied sein Lamento gegen die »lautstarke Meute«, die faul, gelangweilt und mit »ungewaschenen Haaren« in den Parks »herumlungert« und gegen das Establishment aufbegehrt. Interessant ist die analoge Gestaltung beider Lieder: der eingängige fast durchgängig gehaltene Rhythmus der Gitarrenbegleitung mit den Tonwiederholungen, die Strukturierung des Textes in zweifache Frage mit der Antwort: »Wir!« und mit dem anschließenden Teil der näheren Beschreibung des »Wir«. Anders als das Lied zum Deutschlandtreffen ist die Version von Freddy Quinn allerdings durchkomponiert. Die Strophen werden nicht nach der immer gleichen Melodie gesungen, sondern erhalten je nach inhaltlicher Aussage einen eigenen Melodieteil oder Abwandlungen des Hauptmotives. Die Parallelen zwischen diesen beiden Liedern sind verblüffend, auch wenn die Version von Freddy Quinn musikalisch variantenreicher ist. Ob der Komponist des Quinn-Songs, Lotar Olias, das zwei Jahre zuvor entstandene Lied aus der DDR kannte, ist nicht mehr zweifelsfrei nachzuvollziehen, unwahrscheinlich ist es jedoch nicht. Inhaltlich setzt das bundesdeutsche Lied ähnliche Akzente. In der DDR sollte das »Wir« die zukunftsorientierte anpackende und selbstbewusste neue Jugend darstellen, so auch das »Wir« in dem Song von Freddy Quinn. »Die Welt von Morgen sind bereits heute Wir«, sang Freddy Quinn. Das klang gar nicht so anders, als »Wir singen schon heute die Lieder von Morgen«. Das Gegenbild im Quinn-Song war die in den Worten des Liedes aufbegehrende, protestierende, gelangweilte und arbeitsverweigernde Jugend, die unter dem Begriff »Gammler« subsumiert wurde. Die Botschaft des Liedes war, dass nur der »braven« Jugend die Zukunft gehöre, die dankbar gegenüber den Eltern (»Und dankt noch denen, die uns geboren«) nicht aufbegehrt, sondern gepflegt (»mit gewaschenen Haaren«), fleißig (»Wer kann Eure sinnlose Faulheit nicht fassen«) am »Aufbau der morgigen Welt« arbeitet. Der damals 35-jährige Freddy Quinn wurde mit diesem Lied die Stimme der bürgerlichen Empörung gegen eine neue Jugend, die nicht in das Bild der prosperierenden Bundesrepublik passte. Während die DDRVersion den Ton der neuen FDJ-Singebewegung vorwegnahm und damit sowohl für die Jugend als auch für die Politiker/-innen anscheinend gut funktionierte, musste sich Quinn mehrfach für sein Lied rechtfertigen. Mit diesem Lied war seine jahrelange Erfolgsserie von Nummer 1 Hits beendet.119 Bei den Einsendungen des Liedwettbewerbs fällt auf, dass viele Lieder den Dialog zwischen den Generationen imitierten. Sie sprachen von »uns« oder »wir«, wenn sie die Stimme der Jugend darstellen wollten. Dieses »wir« war einerseits vergemeinschaftend gemeint, andererseits als Abgrenzung gegenüber der älteren Generation oder auch gegenüber der westlichen Jugend. Besonders fällt das in dem Stück auf Wir singen schon die Lieder von Morgen Es formuliert eindeutig, wie das »Wir« zu sein hat. Das Gegenüber, das

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Siehe Olias (1966): Eine Handvoll Reis, 6-11. Vgl. Kraus (2012): »Der Chor der Anständigen«. In den 1980er Jahren adaptierten die »Toten Hosen« das Lied Wir.

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Abbildung 42

Lotar Olias und Fritz Rotter: Wir.

»Ihr« wurde nicht explizit benannt, lässt sich aber problemlos als imaginatives Gegenbild ergänzen. Das Gegenüber könnte die ältere Generation sein, die eben nicht mehr

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auf den Feldern arbeitete, an der Pipeline und den Straßen baute, auf Wacht stand und die Mädchen abends heimführte. Andererseits ließe sich auch als imaginäres Gegenüber die Jugend denken, die nicht in der DDR, sondern im westlichen Teil Deutschlands zu Hause war und eben nicht die »Lieder von morgen« singen konnte. Andere Einsendungen nahmen die Perspektive der gesellschaftlichen und politischen Führung ein und adressierten ihre Botschaft an die Jugend, wie in dem Lied Es muß doch wunderbar sein: »Ohne Jugend gibt es keine Pläne/Auf die Jungen warten tausend Kräne/Unsere Schiffe brauchen Kapitäne.« In diesem Dialog zwischen den Generationen blieb eine Hierarchie deutlich erkennbar. Bekenntnisse zur Dankbarkeit und die Betonung von Fleiß, Leistungswillen, Lebensfreude fanden sich ausschließlich in den Liedern, die aus der Perspektive der Jugend sprechen wollten. Adressat/-in war die ältere Generation, die erkennen sollte, dass das in die Jugend gesetzte Vertrauen gerechtfertigt war. Dafür steht das eingangs zitierte Lied Unser Land kann uns vertrauen von Siegfried Köhler. In einer anderen Liedzuschrift von Georg Bothe und Herbert Kadler aus Cottbus mit dem Titel: Der Jugend mehr vertrauen – ein Titel, der wortwörtlich die Überschrift des Jugendkommuniqués aufnahm – ist der Vertrauensbeweis der Jugend zentral. Im Refrain heißt es: »Schenkt der Jugend mehr Vertrauen/seid der Jugend zugetan/denn die Jugend hilft mit bauen und schafft mit am großen Plan.«120 Die Lieder lassen sich vier inhaltlichen Kategorien zuordnen. Zum einen handelt es sich um Stücke, die die Situation des Deutschlandtreffens charakterisieren (Wir fahren nach Berlin oder Nach Berlin und Ritter Träumerot [(1964, Günter Fredrich/Armin Müller]). In Abwandlungen und Variationen wird betont, dass eine frohe, glückliche Jugend nach Berlin fahren würde: »Mit Tänzen, mit Liedern« (Wir fahren nach Berlin), wo sie das »Fest der Freude« in einer Stadt erlebte, die sich eigens dafür zurechtgemacht hat: »Es warten blaue Fahnen, stolz und kühn im Frühlingswind« (Singe, Freie Deutsche Jugend). Einige Lieder erinnerten an das erste Deutschlandtreffen, andere wiederum besangen Berliner Nächte, Berliner Twist und Atmosphäre. Damit bekundeten die Autoren/-innen ihren Willen, sich zu amüsieren. Häufig klang das Motiv des Verliebens oder Flirtens an. Das Treffen der Jugend in Berlin war ein Treffen junger Frauen und Männer, die die Stimmung der Festivals gern dafür nutzen wollten, sich »unter dem blauen Himmel« und der »goldenen Sonne« zu verlieben. Andere Lieder dieser Kategorie verbanden die Beschreibung des »strahlenden« und »schönen« Berlins in Verbindung mit dem expliziten Dank der Jugend an die Regierung, den Staat, an die »bewaffneten Kräfte«, an »Lehrer«, »Ingenieure«, »Straßenkehrer« für diesen Empfang, den die Republik ihrer Jugend bereitet.121 Dankbarkeit, Lebensfreude, Lebenslust, Zuversicht und Vertrauen in das eigene Land waren die vorrangigen emotionalen Botschaften der Lieder in dieser Kategorie. Eine zweite Kategorie der Lieder bediente die Idee der Jugend als Hausherren von Morgen, die wach und verantwortungsbewusst zu sein hat: »Weck die Schläfer, die noch

120 Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Musikalische Vorbereitung des Deutschlandtreffens und Eingesandte Lieder zum Deutschlandtreffen, in: BArch SAPMO DY 24 6327, o. Bl. 121 Vgl. Frohe Jugend (1964, Roland Reißmüller/Hans Joachim Schulze), Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Musikalische Vorbereitung des Deutschlandtreffens und Eingesandte Lieder zum Deutschlandtreffen, in: BArch SAPMO DY 24 6331 o. Bl.

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träumen« (Singe, Freie Deutsche Jugend). Dennoch durfte die Jugend von Zukunft träumen: »Heut sind wir die jungen Träumer/längst nicht mehr allein/Unser werden Erde, Sterne/Brot und Hoffnung sein« (Auf den Schultern tragen wir die Sonne ins Land). Verbunden war dieser Ruf an die Jugend mit der Aufforderung, in den Sternen zu Hause zu sein und das neue Jahrtausend zu erobern. »Träumen«, »hoffen«, »Zukunft bauen« waren die zentralen Begriffe in diesen Liedern. Zentral war ebenfalls das Leistungsversprechen: »All dein Leben, all dein Streben/gilt dem neuen, beßren Leben« (Singe, Freie Deutsche Jugend), »Herz und Kopf und Hand und Hand für das neue Vaterland« (Leute, wie ist denn die Lage [(1964, Wolfgang Lesser/Jens Gerlach]), »Jung sein, heißt dabei sein/denn das Heute wächst nur durch gemeinsame Tat/jung sein, heißt bereit sein/für das Morgen in unserem Staat« (Jung sein, heißt dabei sein). In diese zweite Kategorie sollen auch die Lieder zählen, die wiederholend betonen, dass die DDR und die Jugend wesensgleich seien, eben beide jung und zukunftsfroh. Der »Frühling« war in diesem Zusammenhang genauso eine Metapher, wie die des »neue[n] Tag[es] im Osten hinter den Wäldern«. Jungsein wurde in diesen Liedern synonym zu fröhlich, tatendurstig, fleißig, wissbegierig, schaffend und lernend verstanden. Betrachtet man allein die preisgekrönten Lieder, wären damit die beiden Hauptkategorien benannt. Dennoch gab es Liedzuschriften, die sich nicht darin einfügen lassen. Sie gehören in eine dritte und vergleichsweise kleine Kategorie, die als Lieder mit politischen Inhalten bezeichnet werden soll. Dazu gehören die Lieder, die sich auf das versprochene deutsch-deutsche Gespräch beim Deutschlandtreffen bezogen. Andere Lieder dieser Kategorie wandten sich gegen die westliche »Kriegshetze« und gegen Aufrüstung. Sie besangen das »Friedensband« zwischen den »friedliebenden« Völkern und die »internationale Solidarität«. Eine noch kleinere vierte Kategorie bildeten ungewöhnliche, untypische Lieder. Ein solches Lied war der Song vom Widerspruch des damals bereits bekannten Lyrikers Helmut Preißler. Der Autor beschrieb ein anderes Bild der Jugend. Demnach würde die Jugend den Widerspruch, die Opposition und »heisse Sachen« lieben. Das Lied rief die »würdig-steifen Herren« dazu auf, das anzunehmen und sich nicht dagegen zu sperren.122 Ein anderes Beispiel war Das Lied vom Gängelband (Günter Engelmann/Rudi Kirchhoff). Im Refrain dieses Liedes heißt es: »Ein Gängelband wird nicht gebraucht, nein, nein, nein/Wer denkt, wird nicht zurückgeschraubt nein, nein, nein.« Auf der Liedeinsendung gab es den handschriftlichen Vermerk »Einladung zur Sekretariatsaussprache«.123 Im Protokoll hieß es dazu: »Der Text […] wirkt aufgesetzt und konstruiert, er ist zum Teil politisch unklar und entspricht nicht den Problemen und dem Lebensgefühl der Jugend.«124 Die Suche nach dem »Lebensgefühl« der Jugend, das war das immer wieder behauptete Ziel des Liedwettbewerbs. Wie jedoch Vorbereitung, Organisation und Durchführung, die enge Überwachung der Liedproduktion und das regelrechte Vorausdefinieren Liedzuschrift von Helmut Preißler: Song vom Widerspruch, in: Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Musikalische Vorbereitung des Deutschlandtreffens und Eingesandte Lieder zum Deutschlandtreffen, in: BArch SAPMO DY 24 6327, o. Bl. 123 Liedzuschrift von Rudi Kirchhoff/Günter Engelmann: Das Lied vom Gängelband, in: ebd., o. Bl. 124 Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Information über den Stand des Liederwettbewerbes zum Deutschlandtreffen, 10. März 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl., DS 4. 122

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von Melodie und Text zeigen, war es keine Suche, sondern eine Praktik, ein erwünschtes Lebensgefühl zu definieren und zu verbreiten. Die Auswahl der preisgekrönten Lieder zeigt sinnfällig, wie die Vorstellungen über das »sozialistische Lebensgefühl« in den Fünfzigerjahren stehen geblieben waren. Die Suche nach »dem zeitgenössischen modernen Jugendlied« konnte unter diesen Prämissen nur fehlschlagen.125 Worauf verweist dieser Liedwettbewerb? Zum einen war er in seiner Anlage und Durchführung eine Praktik des Misstrauens. Er zeigte, wie argwöhnisch die Jugend beobachtet und analysiert wurde. Darin wird auch die Missachtung dessen deutlich, was Jugendliche tatsächlich bewegte. Themen, die nicht ins Bild passten, wurden in »Aussprachen« wegdiskutiert. Der Liedwettbewerb war keine Suche nach jugendlichem Fühlen, sondern de facto der Versuch, eine bestimmte Gefühlsdisposition zu implementieren, die die Organisatoren und Organisatorinnen selbst aus ihrer eigenen Jugendzeit erinnerten. Sie hielten daher an den alten Liedern fest und favorisierten den Liedstil der alten Massenlieder. Damit wollten sie den Enthusiasmus, an den sie sich erinnerten, wieder spüren und aufleben lassen, in der Hoffnung, mit diesem alten Gefühl die Jugend von 1964 zu erreichen.

»Wem gehört die Zukunft?« Der Mythos vom Jungsein In dem prämierten Lied Wir fahren nach Berlin heißt es im Refrain: »Wir singen das Lied der neuen Zeit.« Doch wem gehört die neue Zeit und wer ist das »wir«? Die Antworten darauf sind weniger eindeutig, als sich vermuten ließe. Der vormalige Redaktionsleiter der Abteilung Kinder- und Jugendmusik des Rundfunks, Henry Kaufmann, komponierte einige Lieder für das Deutschlandtreffen, die er aber nicht für den Liedwettbewerb einreichte.126 Eines trägt den Titel Wem gehört die Zeit? (1964, Elke Schmidt/Henry Kaufmann). Kaufmann war bereits 43 Jahre alt, als er die Zeilen vertonte: »Uns Jungen gehört die Zeit/Es hält uns nichts auf der Stelle/Wir drängen über die Schwelle.« Das Lied endet mit der Zeile »…und unser die Sterne und Träume«.127 Ein weiteres Lied aus seiner Feder unterstreicht genau diesen Anspruch auf eine selbstbestimmte Jugend, die ihren eigenen Weg und ihr eigenes Tempo bestimmte. »Wir sind jung und wir wissen, wo’s lang geht/in der Welt und in unserm Berlin/Wenn ihr glaubt, dass ihr uns Mittenmang seht/ist das ein Irrtum, weil wir an der Spitze ziehn/und wer nur sagt, heut ist heut, der vergisst,/dass im heute schon das Morgen verborgen ist./Wir sind jung und wir wissen wo’s lang geht./Tut uns leid, – sorry – wenn’s jemand stört,/dass auf unseren Wege Gesang geht [weht]/und dass uns unsere Zukunft gehört!«128

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Ebd. Henry Kaufmann, geb. 27. April 1921, ab 1950 Mitarbeiter beim Rundfunk der DDR, zwischen 1960 und 1963 Redaktionsleiter der Abteilung Kinder- und Jugendmusik beim Rundfunk der DDR, seit 1964 freischaffender Komponist und Orchesterleiter war vor allem bekannt für seine Kinderopern und Kindermusicals. Vgl. Kaufmann (2001): Aus der Sicht eines Musikanten. Henry Kaufmann: Wem gehört die Zeit, in: DKA (Nachlass Henry Kaufmann) N-016-12-40. Eigenproduktion des Rundfunks: Lieder zum Deutschlandtreffen 1964, Transkript einer Aufnahme aus dem Rundfunkarchiv, in: DRA 75ZMV10059.

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Der Ton Kaufmann-Kompositionen ist frisch, leichtfüßig, tänzerisch und selbstbewusst. Unzweifelhaft beschreibt er die Jugend als Vorreiterin, als fröhlich singende, in die Zukunft ziehende Schar, eine Zukunft, die zweifelsohne der Jugend selbst gehört. Viele der eingesandten Lieder aus jugendlicher Feder zeigen, dass die Heranwachsenden das Versprechen auf die »Hausherrenschaft von Morgen« gern und dankbar annehmen wollten. Vordergründig replizierten viele Lieder die immer wieder öffentlich formulierte Behauptung der Einheit von Jugend und Zukunft. Doch in diesen Liedern hatten die Jungen eine eigene Sprache, mit der sie Zukunft schilderten, erklärten, erläuterten, gestalteten, imaginierten und damit für sich reklamierten, indem sie behaupteten: »Wir sind das neue Jahrhundert.«129 Der 19-jährige Arbeiter Kurt Kühne reichte ein Lied mit dem Titel ein Seht uns an. Die Melodie replizierte erwartbare Phrasen klassischer Jugendlieder. Rhythmisch und harmonisch solide gelang es dem Laienkomponisten mit üblichen Gestaltungsmitteln, den gewünschten Eindruck fröhlicher, vorwärtsschreitender Jugendlicher zu erwecken: aufsteigende Dreiklangmelodik und Melodieführung, mehrheitlich Tonschritte und das geläufige Rhythmuselement punktierte Viertel mit anschließender Achtelnote. Der Text ist ebenso wenig bemerkenswert und damit schon wieder typisch für die eingesandten Lieder. Die Jugend zieht »stolz« und »frisch« nach Berlin: »Stolz sind wir auf unsere Zeit/stolz auf unsre Taten«, lautet es im Refrain. Interessant ist die dritte Strophe: »Darum singt das frohe Lied/uns ist es nicht bange/denn in unserem Herzen brennt/schöner Zukunft Flamme.« Die Jugend, so zeigt sich hier, reklamierte für sich die Zukunft, sie »brennt« in ihrem Herzen. Auffallend ist die Körperlichkeit des Zukunftsbegehrens, die in den offiziellen Jugendliedern kaum vorhanden war. Typisch ist auch, dass die Lieder selbst das Singen als Form der Aktivierung und Regulierung von Emotionen besingen: »Frisch ein Lied gesungen«. Darin ähneln sie wiederum sehr den charakteristischen Pionierliedern der 1950er Jahre. Ein anderes Lied Guten Tag, liebes Leben! Lied der Leuna-Jugend zum Deutschlandtreffen stammt von Ernst Zober, Anlagenfahrer im VEB Leuna Werke und Mitglied des »Zirkels Schreibende Arbeiter« und Wolfgang Hübel vom Klubhaus der Werktätigen in Leuna. Darin heißt es: »Großer Zukunft eigener Pate steuert Leunas Jugend gut.«130 Anspruch auf die eigene Zukunft erhob auch das Lied Auf zu den Sternen des 22-jährigen Bernd Walther aus Bärenstein, Technologe und FDJ-Sekretär. Im Refrain heißt es: »Wir wollen das Steuer unseres Glücks erfassen/Der Zukunft Schiff führ’n wir auf große Fahrt/Und selbst Columbus soll vor Neid erblassen/Auf zu den Sternen – sagen wir beim Start.«131 Mit diesen Metaphern spiegeln die Lieder das offizielle Reden wider. Doch sie sind überraschend nachdrücklich in dem behaupteten Anspruch auf die eigene Gestaltungsmacht über Zukunft. Die Jugend als die »Hausherren von Morgen« zu feiern, das war in den Frühlingsmonaten des Jahres 1964 in aller Munde und unüberhörbar auch der Tenor der Presse.

Hermann Fielko/Max Pietrzak: Wir sind das neue Jahrhundert, o. D., in: BArch SAPMO DY 24 6331, o. Bl. 130 Ernst Zober/Wolfgang Hübel: Guten Tag, liebes Leben! Lied der Leuna-Jugend zum Deutschlandtreffen, o. D., in: BArch SAPMO DY 24 6328, o. Bl. 131 Bernd Walther: Auf zu den Sternen, Bärenstein, 28. März 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6331, o. Bl. 129

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Kurt Kühne: Schreiben an den Kulturausschuss, Dresden 18. Februar 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6328, o. Bl.

Dennoch zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass genau darin ein potenzieller Konflikt angelegt war. Denn wer jugendlich war, wer sich jung fühlen durfte, war keinesfalls nur eine Frage des Alters. Mit dem Deutschlandtreffen der Jugend 1964 erinnerten sich viele Jugendfunktionäre/-innen an ihre eigene Jugend und fühlten sich dabei selber wieder jung. Das äußerte sich in den verklärten Erinnerungen an das Deutschlandtreffen 1950. Blaue Fahnen nach Berlin oder das Weltjugendlied gehörten deshalb zur akustischen Untermalung des Treffens 1964. Bezeichnenderweise titulierte die Abteilung Agitation und Propaganda des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend ihre Broschüre zur Vorbereitung

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des Deutschlandtreffens 1964 »Blaue Fahnen nach Berlin«. Die 50 Seiten des »Heimabendmaterials« waren gefüllt mit Programmhinweisen und neu entstandenen Liedern, aber auch mit den Klassikern des Deutschlandtreffens von 1950, mit Erinnerungen und Bildern an dieses erste Jugendtreffen.132 Bezeichnend waren die Kommentare gestandener Jugendpolitiker/-innen bei der Rundfunkübertragung der Großdemonstrationen des Deutschlandtreffens 1964. Sie schwelgten regelrecht in ihren Erinnerungen, als sie die aufmarschierende Jugend sahen. Der Radioreporter wurde nicht müde zu betonen, wie sehr ihn das Treffen an 1950 erinnerte: »Ein bisschen hat uns diese Atmosphäre gefehlt: Es glänzen die jungen Gesichter, es leuchten die blauen Fahnen, jugendliche Euphorie hat uns gefehlt.«133 Er betonte, wie sehr sich die Jugend von damals und heute gleiche. Sie hätte den »gleichen Schwung«, den »gleichen Elan«; er bemerkte eine »ähnliche Stimmung« und hörte »ähnliche Lieder«. Dennoch war es ihm wichtig zu betonen, dass es eine andere Jugend gewesen sei, die eben keine Trümmer mehr wegzuräumen hätte: »Was die Teilnehmer des Deutschlandtreffens 1950 und 1954 träumten, was sie planten, was sie sich einmal als Ziel ihres Lebens vorstellten, das ist Wirklichkeit geworden und die Zukunft, die wir uns nun erträumen, steht auf festen, auf sicheren Fundamenten.«134 Die Rede Walter Ulbrichts war ein Höhepunkt des Deutschlandtreffens. Er brachte seine Rede zu Ende mit folgendem Hinweis: »[F]ür mich ist es immer wieder eine große Freude, unter jungen Menschen zu sein. In Gesellschaft der Jugend bleibt selbst der Siebzigjährige jung.«135 Am Sonntag, den 17. Mai 1964 fand die »Kampfdemonstration der Jugend« unter den Linden und am Marx-Engels-Platz statt, vorbei an der Ehrentribüne mit den politisch hochrangigen Gästen. Zur Eröffnung spielte eine Kapelle das Lied Blaue Fahnen nach Berlin. Auch für diese Demonstration ist die Rundfunkübertragung erhellend. Der Reporter knüpfte an das Lied Blaue Fahnen nach Berlin an und fragte seine Gäste, was sich 14 Jahre später verändert hätte, während sie live den Demonstrationszug beobachteten. Erich Selbmann, Sekretär für Agitation und Propaganda der SED-Bezirksleitung Berlin, betonte, dass diejenigen, die damals vorbeigezogen wären, heute die »Hausherren des Staates« seien. Er verwies darauf, dass die Jugendlichen, die im Heute marschierten, damals noch Kinder gewesen sein, »die in dem neuen Staat aufgewachsen sind«. Während »damals Vieles Hoffnung war, was aus den Plakaten sprach, ist es heute Gewissheit und Wirklichkeit und Tatsache geworden«.136 Die ebenfalls anwesende Ministerin für Volksbildung Margot Honecker betonte, über diese Jugend könne man sehr glücklich sein und auch sie sandte einen »Gruß von den Hausherren von Heute an die Hausherren von Morgen«. Während dieses Gespräches erklang im Hintergrund das Lied Henry Kaufmanns: Wir sind jung und wir wissen wo’s lang geht. Die anwesenden 132 133 134 135 136

Zentralrat der FDJ (1964): Blaue Fahnen. Eigenproduktion Rundfunk: Mitschrift Eröffnung des Deutschlandtreffens im Walter-Ulbricht-Stadion, Berlin 16. Mai 1964, in: DRA 2035394. Ebd. Walter Ulbricht: »Deutschlands Jugend soll nie gegeneinander Krieg führen. Rede zur Eröffnung des Deutschlandtreffens der Jugend«, in: Neues Deutschland, 17. Mai 1964, 2. Eigenproduktion Rundfunk: Mitschrift Übertragung der Kampfdemonstration der Jugend unter den Linden und Marx-Engels-Platz, Berlin 17. Mai 1964, in: DRA 2035394.

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Funktionäre und Funktionärinnen waren sich aufgeräumt darüber einig, dass sie im »Herzen jung geblieben« waren, denn: »FDJler werden nie alt.«137 Genau diesen Eindruck unterstrichen zahlreiche Lieder: Jung, wie wir selbst ist unsere Republik, komponierte eine 37-jährige Hausfrau.138 »Es ist ein jeder jung –/an Herz und Jahren/Jung im Herzen ist es was man sein muß«, hieß es in einem anderen Lied.139 »Jung, wie das Herz uns schlägt, ist unser Land«,140 »Die Zeit ist jung«, »das Land ist jung«, »Berlin ist jung« – das waren die Stereotype, die immer wieder bedient wurden. Jugend und Staat repräsentieren einander, so jedenfalls wollte es die politische Führung sehen und so replizierten es zahlreiche Lieder.141 Wer in der DDR selbst nicht mehr ganz so jung war, konnte sich dennoch mit dem jungen Land identifizieren. Darauf verwies auch die Grußbotschaft des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands: »Wir fördern und unterstützen aus vollem Herzen die Festtage der deutschen Jugend, weil es zugleich die Festtage aller guten Deutschen sind, deren Gefühle und Verstand jung blieben.«142 Die Politiker/ -innen definierten sich selbst als einen Teil der »jungen« Gemeinschaft und unterstrichen damit ihre enge Verbundenheit zur »jungen« DDR. Doch, so zeigt der Nahblick, handelte es sich hierbei um mehr als um die gegenseitige Repräsentation. Es war eine Umdefinition der Kategorie Jugend. »Jung sein ist keine Altersfrage, sondern eine Frage von Herz und Kopf«, gemäß dieser Liedzeile aus dem preisgekrönten Lied Leute, wie ist denn die Lage, könnte ein Fazit des Deutschlandtreffens lauten.143 »Jung sein« war tatsächlich keine Altersfrage, sondern eine politische Frage. In diesem Sinn erklärt sich auch die Euphorie der Jury für dieses Lied.144 Denn in der logischen Konsequenz der Gegenbilder galt die Bundesrepublik als »alt«.145 Im direkten Vergleich zur »Bonner Republik« prahlte das Neue Deutschland damit, dass der sozialistische Staat die Jugend in die politische Entscheidungsfindung integrierte. Das passive Wahlrecht in der DDR lag bei 18 Jahren, das aktive bei 25 Jahren (in der Bundesrepublik waren es 21 Jahre und 25 Jahre). Eine statistische Aufzählung sollte verdeutlichen, wie jung die Volkskammer und die Mitglieder des Staatsrates waren. Tatsächlich zählte die Zeitung 65 Abgeordnete in der Volkskammer auf, die unter 30 Jahre alt waren. Nach Information des Neuen Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt keinen Bundestagsabgeordneten unter 30 Jahren. Auch die Ministerriege im Jahr 1964 137 138

Ebd. Juliane Wimmers: Auf zum Deutschlandtreffen, Brandenburg/Havel o. D., in: BArch SAPMO DY 24 6331, o. Bl. 139 Hasso Grabner (Text), Leo Spies (Melodie): Nach Berlin, in: BArch SAPMO DY 24 6331, o. Bl. 140 Eigenproduktion Rundfunk: Lieder zum Deutschlandtreffen, in: DRA ZMJ 2491. 141 Zu dieser These gelangt ebenfalls Wierling (1997): »Der Staat, die Jugend und der Westen«, 224. 142 Zentralkomitee der SED: »Gruß und Glückwunsch Deutschlands Jugend«, in: Neues Deutschland, 15. Mai 1964, 1. 143 So auch das Fazit in einem Zeitungsbericht: Anonym: »FDJ-Zentralrat unternahm mit seinen Gästen«, in: Berliner Zeitung, 20. Mai 1964, 1. 144 Zentralrat der FDJ, Abteilung Kultur: Information über den Stand des Liederwettbewerbes zum Deutschlandtreffen, Berlin 10. März 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6330, o. Bl., DS 6. Das Lied gestaltet »den selbstbewußten Kampf der Jugend für den Frieden und gegen seine Feinde, die in Westdeutschland an der Macht sind, künstlerisch.« 145 Liselotte Thoms: »Berlin gänzlich verändert«, in: Neues Deutschland, 16. Mai 1964, 1: »Mögen die Bonner Alten auch krächzen.«

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konnte auf junge Mitglieder verweisen. Margot Honecker zählte gerade einmal 36 Jahre und war vier Jahre älter als der jüngste Minister Karl Grünheid.146 Die DDR sah sich als Staat der Jugend und damit per definitionem als Zukunftsstaat: »Wir sagen: Wem die Zukunft gehört, der hat auch die Jugend! Die Entwicklung unseres sozialistischen Staates ist ein lebendiger Beweis dafür, daß nur der Staat von der Jugend getragen wird, der ihr die Voraussetzung schafft, ihre eigene, lebensfrohe Zukunft zu gestalten.«147 Die Umdefinition des Jungseins von einer Alterskategorie in eine beliebige Gefühlskategorie begründete eine Verweigerung der »Staffelübergabe« zwischen den Generationen. Die alten Funktionäre und Funktionärinnen stellten der jungen Generation den Posten der »Hausherren von Morgen« zwar dauerhaft in Aussicht, verbunden mit der Einforderung von Loyalität und Leistungsbereitschaft. Das Versprechen blieb jedoch uneingelöst. Ein Grund dafür war im permanenten Misstrauen zu sehen. Die ältere Generation konnte nicht nur so lange die Staffelübergabe verweigern, so lange sie sich selbst noch jung fühlte, sondern auch so lange sich die jüngere Generation in ihren Augen nicht als würdig, als verlässlich bewies. In diesem Gedanken ging die Idee von »Vertrauen und Verantwortung« auf. So lange die Rede vom Vertrauensbeweis war, konnte die junge Generation in der Öffentlichkeit unausgesprochen als unzuverlässig, unreif und riskant dargestellt werden.

Vertrauensverweigerung. Das »Kahlschlagplenum« 1965 Was die Teilnehmenden des Deutschlandtreffens wirklich von den so sorgfältig vorausgewählten und über zahlreiche Medien »popularisierten« Liedern sangen, lässt sich nicht genau feststellen. Es gibt aber Hinweise darauf, dass nur wenig gesungen wurde und wenn, dann nicht das Erwünschte. Das Institut für Volkskunstforschung führte auf dem Deutschlandtreffen entsprechende Beobachtungen durch. Eine Studiengruppe befragte Jugendliche danach, welche Lieder bei »der großen Kampfdemonstration gesungen« und »welche Schlager […] spontan bei den Tanzfesten von den Teilnehmern gesungen« wurden.148 Im Ergebnis stellte sich heraus, dass in den Marschblöcken »sehr wenig, größtenteils keine Lieder« angestimmt wurden.149 Die neuen Lieder, die eigens zum Deutschlandtreffen entstanden, erklangen höchstens aus den Lautsprechern. Auf den Tanzveranstaltungen der Jugend waren vor allem Schlager zu hören, wie Rote Lippen soll man küssen (deutsche Version 1964, Günter Geißler) oder I love you (1962, Beatles). Die Studie kam zu zwei Ergebnissen. Erstens betonte sie »die große Divergenz zwischen dem reichlichen Angebot von Liedern und deren Aufnahme durch die Jugend«. Zweitens stellte sich heraus, dass die Jugendfunktionäre/-innen »nicht genügend über die augenblicklichen Verhaltensweisen der Jugend zum Lied informiert waren und die

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Anonym: »Auf die Jugend wartet das Jahr Zweitausend«, in: Neues Deutschland, 16. Mai 1964, 8. Wolfgang Heyl: [Ohne Titel], in: Neue Zeit, 16. Mai 1964, 3 (Herv. i. Or.). Hillmann (1966): Das Massenlied, 88. Ebd., 89.

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Auswahl der zahlreichen angebotenen Lieder nach Maßstäben erfolgte, die nicht dem gegenwärtigen Bedürfnis der Jugend entsprachen«.150 Diese ernüchternde Bilanz zeigte, dass trotz des immensen personellen und organisatorischen Aufwands die Krise des Singens auch während des Deutschlandtreffens nicht überwunden werden konnte. Trotz aller Steuerungen und Festlegungen im Vorfeld, die Jungen und Mädchen sangen in Berlin nicht von Vertrauen, nicht von der Verantwortung, die sie übernehmen sollten, nicht davon, dass sie sich jung fühlten, wie ihr Land. Das einzige Lied des Wettbewerbs, das seine Spuren im Singen der Kinder und Jugendlichen hinterlassen hat, war Wir singen schon heute die Lieder von morgen, ein Lied, das unprätentiös und selbstbewusst den neuen Klang der Jugendlieder ankündigte. Die Massenlieder aber und das Massensingen erwiesen sich als unzeitgemäß. Die Umfrage zeigte auch, die DDR-Jugendlichen hörten weiter mit Vorliebe Rock’n Roll, westliche Schlager und zunehmend die Beat-Musik. Genau diese Entwicklung beäugten und überwachten misstrauisch die Jugend- und Kulturfunktionäre/-innen während sie gleichzeitig behaupteten, ein offenes Ohr für den jugendlichen Ton zu haben. Das Jahr 1965 zeigte, dass sich bei aller gegenteiligen Repräsentation auf dem Deutschlandtreffen die Beziehung zwischen dem Staat und seiner Jugend signifikant verschlechtert hatte. Während der Staat mit dem Jugendkommuniqué vollmundig »Vertrauen und Verantwortung« bekundete und behauptete, dass sich die Jugend den Takt selber suchen dürfe, forderte die Beatwelle die gesamte Aufmerksamkeit der Jugendfunktionäre/innen ein.151 Inspiriert von der britischen Beatmusik fanden sich in den Kellern und Garagen der DDR zahlreiche Jugendliche zusammen, um in Gitarrenbands die Musik aus dem Radio nachzuspielen. Die DDR-Bands »The Butlers«, »Diana-Show-Quartett« oder »Sputnik« ebneten mit ihren Adaptionen internationaler Hits dem Beat den Weg in der DDR.152 Eine der bedeutendsten Bands war die 1964 gegründete Beatgruppe »Team4« von Thomas Natschinski und Hartmut König, die beide ein paar Jahre später zu den führenden Köpfen der Singebewegung gehören sollten. Die Hinwendung zum Beat markierte einen entscheidenden kulturellen Wandel im Umgang mit Musik vom Singen zum Hören, der ebenso für die Bundesrepublik zu beobachten war. Auch dort verschwand das gemeinsame Singen aus den Gruppenritualen der sozialistischen Falken, das bezeugt ein Blick in die Gruppenchroniken sowie in die Handreichungen für die Gruppenarbeit mit Falken.153 Diesen Trend dokumentieren in

150 Ebd., 90. 151 Rauhut (1993): Beat in der Grauzone; Ohse (2003): Jugend nach dem Mauerbau; Fenemore (2007): Sex, Thugs and Rock ›n‹ Roll. 152 Rauhut (1993): Beat in der Grauzone, 49-82. 153 Bundesvorstand der sozialistischen Jugend Deutschlands (1961): Aufgaben und Arbeit, 30; Bundesvorstand der sozialistischen Jugend Deutschlands (1960): SJ-Arbeit, 12: »Ein Plattenspieler und eine Plattensammlung, ja sogar ein Schlagerabend können für das Singen und Musizieren in der Gruppe und für die Bildung ihres Musikverständnisses mehr tun als das überhebliche Stehenbleiben bei ›Am Brunnen vor dem Tore‹. […] Es wird manche Großstadt geben, in der die Arbeit der Sozialistischen Jugend durch ›Jazz-Gruppen‹ oder eine ›Tanzgemeinschaft‹ (für Gesellschaftstanz) des Verbandes belebt und gefördert werden könnte.«

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den 1960er Jahren auch musikethnologische und -soziologische Studien.154 Es war vor allem die technische Entwicklung im Bereich der Unterhaltungselektronik, die zu einem Rückgang des Singens beitrug. Mit der neuen Transistortechnik kamen um die 1960er zunehmend leistungsstärkere Radios und Kofferplattenspieler auf den Markt. Musik wurde damit an jeder Straßenecke und auf jeder Parkbank hörbar.155 Diese neue Mobilität ging einher mit einer bis dahin unerhörten neuen Musik, die dem Abgrenzungsbedürfnis der Jugendlichen entgegenkam.156 Ein anderer Grund für das zunehmende Verstummen ist in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zu sehen. Nach Theodor Adornos »Kritik des Musikanten« 1954 lag eine bewusste Distanzierung von der musischen Idee des vergemeinschaftenden Singens nahe. Der Musikwissenschaftler Wilfried Gruhn sprach sogar von einem »heilsamen Schock« für die Musikpädagogik.157 Hans Magnus Enzensberger schrieb in seinem Gedicht »ins lesebuch für die oberstufe« 1957: »[S]ei wachsam, sing nicht.«158 Mitte der 1960er Jahre setzte im Bereich der Schulmusikpädagogik der BRD eine kritische Auseinandersetzung mit den geistigen Grundlagen der Musikerziehung ein.159 1966 besang der Liedermacher Franz Josef Degenhardt das Dilemma des deutschen Liedes: »Tot sind unsere Lieder/unsre alten Lieder/Lehrer haben sie zerbissen/Kurzbehoste zu verklampft/braune Horden totgeschrien/Stiefel in den Dreck gestampft.«160 Mitte der 1960er Jahre kam der Beat auch in der DDR an und wurde als Konkurrent im Kampf um die Herzen und Köpfe der nachwachsenden Generation wahrgenommen. »Mit dem Beat wurde der kulturelle Alltag der Jugendlichen revolutioniert«, so Rauhut. Was überzeugte, das waren »Spontanität, Spaß und glühende Begeisterung«.161 Die »Emotionalität jenseits der Enge und Selbstbescheidung der Erwachsenenwelt« war entscheidend für den Siegeszug des Beats.162 Genau aus dieser Emotionalität erklärt

Klausmeier (1963): Jugend und Musik; Klausmeier (1967): »Motivation des Singens«; Klusen (1967): »Funktionswandel«; Adamek (1987): Politisches Lied heute, 59-65. 155 Vgl. Siegfried (2008): Time Is on My Side, 97-102. 156 Siegfried (2011): »Klang und Revolte«, 240f, 257: »Nicht der Text, sondern der von elektroakustisch verstärkten Instrumenten erzeugte Klang war das charakteristische, mobilisierende und vergemeinschaftende Element der in den 1960er Jahren entstandenen Beat- und Rockmusik.« 157 Gruhn (2003): Geschichte der Musikerziehung, 294. Doch die Idee des Musischen erwies sich als beharrlicher und ließ sich nicht von Adornos Kritik unmittelbar beeindrucken. Die Lehrpläne und grundlegenden Handbücher zur Musikerziehung spiegeln bis Mitte der 1960er Jahre kaum Änderungen. Einen guten Einblick in diese Kontinuitäten gibt auch die Dokumentation über Lehrpläne und Richtlinien des schulischen Musikunterrichts, siehe: Nolte (1975): Lehrpläne und Richtlinien. 158 Enzensberger (1957): Verteidigung der Wölfe, 85: »lies keine oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne:/sie sind genauer. roll die seekarten auf/eh es zu spät ist. sei wachsam, sing nicht./der tag kommt, wo sie wieder listen ans tor/schlagen und malen den neinsagern auf die brust/zinken. […]« 159 Egon Kraus sprach verhalten kritisch über die nicht ganz unproblematischen Einflüsse der »musikalischen Jugendbewegung«, nicht ohne ausdrücklich die Verdienste dieser Bewegung für die Musikpädagogik herauszuheben. So habe der »musikpädagogische Idealismus von Jöde bis Halm […] die Auseinandersetzung mit der Gegenwart versäumt«, vgl. Kraus (1965): »Fortschritt und Rückbildung«, 37. 160 Degenhardt (1969): Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, 84. 161 Rauhut (1993): Beat in der Grauzone, 50. 162 Ebd., 51. 154

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sich das besondere Misstrauen gegenüber der Musik aus dem Westen und das Kontrollbedürfnis über diese Musik. »Wir müssen alles fördern, was saubere und schöne Gefühle entwickelt und zu einem guten Geschmack erzieht«, forderte der damalige Minister für Kultur Hans Bentzien.163 Der Umgang mit der Beat-Vorliebe der Jugend war bis 1965 überwiegend befürwortend, seltener reserviert oder ablehnend. Vor allem waren die Bemühungen der DDR-Regierung von der Zuversicht und dem Optimismus gekennzeichnet, die Beat-Leidenschaft der Jugend zügeln und in gewünschte Bahnen lenken zu können. Die Kulturfunktionäre und -funktionärinnen entwickelten staatliche Vorgaben für »Laienmusiker«, und die FDJ organisierte Wettbewerbe für »GitarrenCombos«.164 Diese Phase der liberalen Jugendpolitik endete abrupt. Ab Sommer 1965 wurde die Beatmusik zu einem »Politikum« und zusammen mit ihrem sozialen und kulturellen Umfeld »kriminalisiert«.165 Die Musik selbst galt als potenziell Gewalt fördernd und verrohend. Beat-Bands wurden mit dem »Auftreten von Rowdygruppen« und »kriminellen Gruppierungen in Verbindung gebracht«. Der Musikhistoriker Michael Rauhut begründete diese »offizielle Kampfansage« an den Beat mit einem machtpolitischen Wandel. Im Sommer 1965 gewannen die Politiker/-innen Oberhand im Politbüro des ZK der SED, die offen gegen den Liberalisierungs- und Reformkurs Walter Ulbrichts agierten.166 Dieser neue harte innenpolitische Kurs gegen die westliche Musik fand seinen vorläufigen Höhepunkt am 31. Oktober 1965 in Leipzig. Am Abend jenes Tages gingen jugendliche Beat-Fans auf die Straße und protestierten gegen das Auftrittsverbot ihrer geliebten Beat-Bands. Diese »Zusammenrottung von Jugendlichen« wurde vom Staat mit aller Härte aufgelöst und zahlreiche Jugendliche für ihre Teilnahme und die Organisation dieser Beat-Demonstration mit Einweisung in Jugendwerkhöfe oder Arbeitslager bestraft.167 Diese Leipziger Beat-Demonstration ging dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 voraus, der Polit-Tagung, die in die Literatur als sogenanntes »Kahlschlagplenum« einging.168 Für die gesamte Kulturszene der DDR stellte dieses Plenum eine gravierende Zäsur dar. Kinofilme und Theaterstücke wurden verboten. Schriftsteller/ -innen standen unter Generalkritik. Für die Jugend war das Plenum deshalb so bedeutend, weil mit ihm der Beat komplett verboten wurde. Die Gründe dafür waren im Verständnis der staatlichen Jugendmusikpolitik konsequent. Nur die »richtige Musik« könnte die »richtigen Gefühle« hervorbringen. Der Beat war in den Augen der konservativen Wortführer/-innen des ZK der SED definitiv nicht dafür geeignet. Den Abgeordneten des Plenums wurde eine »Lesemappe« zur Verfügung gestellt, deren Inhalt sie am Vormittag des ersten Sitzungstages zur Kenntnis nehmen mussten. Dort befanden sich Informationen und Berichte, die »zu einigen Fragen der JuBitterfelder Konferenz (1964): Zweite Bitterfelder Konferenz, 48. Rauhut (1993): Beat in der Grauzone, 78-95. Ebd., 124f. Ebd., 124. Siehe Dokumentationen der »Ergebnisse gegen die wegen Beteiligung an der Zusammenrottung in Leipzig festgenommenen Jugendlichen« in: BStU MfS HA XX Nr. 13565 und BStU MfS ZAIG Nr. 2411. Siehe ausführlich Rauhut (1993): Beat in der Grauzone, 137-155. 168 Agde (2000): Kahlschlag.

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gendarbeit und dem Auftreten der Rowdygruppen« zusammengetragen wurden, darunter auch ein Bericht über die Vorkommnisse in Leipzig am 31. Oktober 1965.169 Diese »Beat-Exzesse« reichten dem Verfasser des Textes, Erich Honecker, um die Phase der liberalen Jugendpolitik zu beenden.170 Mit dem Argument, dass die DDR »ein sauberer Staat« sei und es daher »unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, […] Anstand und guter Sitte« gäbe, wollte die Partei »entschieden gegen die von den Imperialisten betriebene Propaganda der Unmoral vorgehen«.171 Ganz konkret forderte Honecker ein strengeres Vorgehen gegen die Beat-Bewegung: »Der schädliche Einfluß solcher Musik auf das Denken und Handeln von Jugendlichen wurde grob unterschätzt. Niemand in unserem Staat hat etwas gegen eine gepflegte Beat-Musik. Sie kann jedoch nicht als die alleinige und hauptsächlichste Form der Tanzmusik betrachtet werden. Entschieden und systematisch müssen ihre dekadenten Züge bekämpft werden, die im Westen in letzter Zeit die Oberhand gewannen und auch bei uns Einfluß fanden. Daraus entstand eine hektische, aufpeitschende Musik, die die moralische Zersetzung der Jugend begünstigt.«172 Die Berichte für das »Kahlschlagplenum« verdeutlichten das Grundproblem, dass die Hardliner/-innen mit der Beat-Musik hatten. Sie galt ihnen als »negativ«, »dekadent« und »aufpeitschend«. Die »aufreizende Wirkung« des Beats im Radio würde »zersetzend« wirken. Die »Gammler mit Beat-Gitarre« verhielten sich unmoralisch und seien ebenso schmutzig, wie die Musik. Mit ihren »langen, unordentlichen, vor Schmutz nur so starrende Haaren« würden sie sich wie »Affen gebären«, »unartikulierte Laute« hervorbringen, sich »träge und stumpfsinnig zu frivolen Rhythmen« bewegen.173 Beat sei demnach »Ausdruck moralisch-sittlichen Verfalls der bürgerlichen Gesellschaft«. Über die Konsequenzen dieser Einschätzung für die Beat-begeisterte Jugend ist an anderer Stelle bereits ausführlich geschrieben worden.174 Für die weitere Argumentation wichtig ist die terminologische Konfrontation vom »sauberen«, »moderaten« und guten sozialistischen Fühlen gegenüber dem schmutzigen, exzessiven und unmoralischen Fühlen. Die Gefühle standen in der Perspektive der sozialistischen Führung in einem engen Verhältnis zu Moral und Ethik. Die westliche Musik war in der Wahrnehmung der konservativen Politiker/-innen deshalb so gefährlich, da sie diese sozialistische »Sauberkeit« substanziell unterhöhlte. Interessant ist die Beobachtung, dass moralisches Fühlen moderat und kontrolliert sei. Im Widerspruch dazu forderte der Staat von seiner Jugend dezidiert überschwängliche Gefühle für den sozialistischen Zukunftsentwurf ein. Es gab also eine Diskrepanz zwischen der Vorstellung der zerstörerischen Ekstase

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Ebd., 199, Abdruck des Berichtes auf 228f. Ebd., 253. Abgedruckt in: ebd., 241. Erich Honecker, abgedruckt in: Agde (2000): Kahlschlag. Zentralrat der SED, Abteilung Kultur:Gutachten zur Beat-Musik, 13. Dezember 1965, abgedruckt in: Rauhut (1993): Beat in der Grauzone, 159-161; vgl. Honecker (1966): Bericht des Politbüros, 53-57, 66-68. Rauhut (1993): Beat in der Grauzone; Ohse (2003): Jugend nach dem Mauerbau; Fenemore (2007): Sex, Thugs and Rock ›n‹ Roll.

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in der Beatmusik und dem ständig eingeforderten begeisterten »Feuereifer«, den sich der Staat von seiner Jugend wünschte.175

Misstrauen praktizieren Zusammenfassend lässt sich die erste Hälfte der 1960er Jahre als eine Phase des Stillstands in Bezug auf jugendliches Singen beschreiben. Im Widerspruch dazu standen die zahlreichen, fast schon hektischen Aktivitäten der Überwachung, Kontrolle, Motivierung und Regulierung des jugendlichen Musikkonsums. Dabei handelte es sich nicht schlicht um Verbote und Verfolgungen, sondern um die Produktion und »Popularisierung« von Musik, die sozialistisches Fühlen vermitteln sollte. Dazu hielten die Funktionäre und Funktionärinnen am überholten »Massenlied« und »Massengesang« fest und entfernten sich immer mehr von den Jugendlichen. Diese Erziehungspraktiken signalisierten einmal mehr, wie groß die Distanz zwischen dem jugendlichen Denken und Fühlen war und dem, was die Politiker/-innen aus ihren Perspektiven über die Gefühle der Jugendlichen zu wissen behaupteten. Sie ignorierten den signifikanten Wandel jugendlicher Musikpräferenzen und die Abkehr vom Singen hin zum Hören. Aus diesem Grunde liefen die umfassenden Bemühungen um die Vermittlung der »sauberen«, »sozialistischen« Musik weitgehend ins Leere. Die charakteristische Distanz in dieser Zeit lässt sich ebenfalls in dem Widerspruch von ständig behauptetem Vertrauen und Misstrauenspraktiken wiederfinden. Der Staat schenkte seiner Jugend kein Vertrauen, obwohl er es permanent behauptete. Er traute sich nicht, diese »Vorleistung auf Zukunft« zu geben, erwartete daher auch nicht von seiner Jugend, dieses Vertrauens würdig zu sein, sondern forderte stattdessen Vertrauensbeweise ein. Auffallend ist das ökonomische Zweckdenken, das den Vertrauensbeweisen unterlegt war. Denn im Grunde sollte sich der Vertrauensbeweis in der »Liebe zur Arbeit« und in der Leistungsbereitschaft der Jugend zeigen. Der Staat brauchte seine Jugend nicht als »Hausherren von Morgen«, sondern die jugendliche Arbeitskraft zum »Aufbau des Sozialismus« in der Gegenwart. Daher waren auch Jugendtreffen gleichzeitig Leistungsschauen der FDJ-Grundorganisationen in den sozialistischen Betrieben. Es ging darum, die Planerfüllung und Produktivität der jugendlichen Arbeiter und Bauern zu kontrollieren und anzustacheln, Wettbewerbserfolge in Schulen und Universitäten abzufordern. Diese Zuspitzung der jugendlichen Verantwortung auf ökonomische Anforderungen kam nicht von ungefähr. Denn die vollmundige Versprechung des Siebenjahresplanes, »den Sieg des Sozialismus« spätestens 1965 feiern zu können, den Kapitalismus dann ein- und überholt zu haben, stand noch im Raum. Doch bereits Anfang der 1960er Jahre war deutlich, dass sich dieser Plan nicht umsetzen ließ. Daran änderte auch das Schließen der Grenzen nichts, um die massenhafte Abwanderung von Fachkräften zu stoppen. Es galt, alle Ressourcen und Arbeitskräfte zu mobilisieren, um »Planerfüllung« 175

Das Kommuniqué von 1961 bspw. sprach vom »Tatendrang« und »Feuereifer«, siehe: Zentralrat der SED (1961): »Kommuniqué«, 445.

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und damit »Siegeszug« signalisieren zu können. Die Heranwachsenden stellten allein zahlenmäßig ein vielversprechendes Arbeitskräftereservoire dar. In dieser Konkretisierung weg vom Zukunftstraum hin zur Leistungsschau und Produktivität zeigte sich eine erste Verschiebung des Zeithorizontes von der Zukunft zur Gegenwart, die in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre noch wesentlich deutlicher wurde. Die Konzepte von Vertrauen und Misstrauen eignen sich besonders, um die Zeit zwischen 1961 und 1965 zu beschreiben. Damit lässt sich die Dynamik von Distanzierung und Destabilisierung deutlich charakterisieren. Denn auf dem »Kahlschlagplenum« im Dezember 1965 zeigte sich, dass das bis dahin praktizierte Reden von Vertrauen kombiniert mit Misstrauenspraktiken nicht aufging. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Staat und seiner Jugend wurde 1965 für alle deutlich aufgekündigt. Die neue Jugendund Kulturpolitik signalisierte und praktizierte stattdessen spürbar das fundamentale Misstrauen der Staatsmacht gegenüber jugendlichen Musikvorlieben. Nach dem »Kahlschlagplenum« ging die Suche nach dem jugendlichen Fühlen in und mit dem Singen weiter. Wie das folgende Kapitel zeigt, beruhigten sich die Konflikte um die Musik im weiteren Verlauf der 1960er Jahre. Das führte zu einer Reaktivierung des Singens und zu einem völlig neuen Liedtypus. Die Zeit des Stillstands im Bereich des jugendlichen Singens war mit dem »Kahlschlagplenum« beendet, das gegenseitige Misstrauen hatte seinen Höhepunkt erreicht, danach erfolgte eine schrittweise Annäherung zwischen dem Staat und seiner Jugend. Es setzte eine Phase der Aushandlung und Kompromissbildung ein.

Authentisch fühlen. Die FDJ-Singebewegung 1960-1973

Abbildung 44

Bernd Walther: Carpe Diem (Nutze den Tag), in: Wunderlich/Hönig (1968): Oktav Nr. 1, 16f.

»Carpe diem, carpe diem, carpe diem, nutze den Tag!«, schallte es von der Bühne in der Bezirkshauptstadt Halle. Es war die letzte Septemberwoche 1967. Die Studierenden der »Folkloregruppe der TU Dresden« präsentierten ihr neues Lied aus der Feder von Bernd Walther. Sie gehörten zu einem der 16 Singeklubs, die es geschafft hatten, zur ersten DDR-weiten Werkstattwoche delegiert zu werden. Die sonore Stimme des Vorsängers füllte eindrücklich den Saal mit circa 250 anwesenden FDJler/-innen und der

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Jury.1 Die anderen Mitglieder des Singeklubs wiederholten leise im Backgroundchor das rhythmisch markante »carpe diem«. Währenddessen wechselte der Vorsänger in einen Sprechgesang, gekennzeichnet durch Tonwiederholungen, geringen Tonsprüngen, Triolen, Pausen: »Der Tag gehört uns und wir werden ihn nutzen, es geht um die glückliche, bessere Welt.« In diesem rezitativen Teil konnte der Sänger alle seine Kunst und Überzeugungskraft legen.2 Die Gitarren unterstützten den typischen Moll-Klang und unterstrichen mit harmonischen Wendungen vor den Offbeats den eindrücklichen und eingängigen Charakter des Sounds. Immer wieder klang die Dur-Dominante (EDur) durch und die parallele Dur-Tonart (C-Dur). Dadurch blieb durchgängig eine hohe Spannung in den Strophenteilen. In den Refrain stimmten alle Singeklubmitglieder unisono ein. Neu klangen die chromatischen Wendungen, die kleinen Tonschritte, die das Lied völlig uneindeutig zwischen Moll und Dur changieren ließen: »Denn unsre alte Erde soll der Stern des Friedens sein/Für alle soll die Sonne glühn/und allen soll die Rose blühn/für alle Brot und Wein.« Es erforderte Übung, diese ungewohnten chromatischen Melodieläufe sauber zu singen. Aufgefangen wurde dieser als Aufruf intonierte Refrain durch das Mantra des dreimal wiederholten »Carpe diem«, unterstützt durch die Verwendung der Triolen bei »Nutze den Tag«. Das Lied war verklungen, doch das markante »Carpe diem« hatte das Potenzial, noch weiter in den Köpfen des Publikums nachzuklingen. Vielleicht sangen die Jugendlichen an einigen Stellen mit. Anders als bei den Jugendliedern der 1950er Jahre war das aber nicht das Ziel der neuen Singeklublieder. Carpe Diem war ein Lied zum Hören. Es gehörte auf die Bühne und nicht auf die Straße zu Demonstrationen und Aufmärschen. Unter dem Motto: »Unsere Liebe – unser Lied« waren im Sommer 1967 die singefreudigen Jugendlichen der FDJ aufgerufen, sich für die erste Werkstattwoche zu qualifizieren. Zu diesem Zeitpunkt gab es circa 500 Singeklubs, die sich unter dem Dach der FDJ gegründet hatten. Für die Werkstattwoche sollten sie ein Lied in Erinnerung an den Jahrestag der »Oktoberrevolution« komponieren sowie ein Lied »dem 20. Jahrestag unserer sozialistischen Republik« widmen.3 Die Jugendlichen probierten sich an einem neuen Sound. Wie Carpe Diem nahmen viele der Singeklublieder verschiedene zeitgenössische Stilmittel auf und verarbeiteten sie zu dem typischen Singeklubsound, der in Carpe Diem durchklang. Die Lieder »leben von Elementen des Tanzes, ohne getanzt zu werden«, und kamen mit einer größeren Leichtigkeit daher, als die am Marschrhythmus orientierten Massenlieder der Fünfzigerjahre.4 Zwischen dem 24. September und 1. Oktober präsentierten in Halle die besten 16 Klubs in jeweils 30-minütigen Bühnenprogrammen insgesamt 178 Lieder, davon allein 77 Neukompositionen. Daneben erklangen Lieder »über Probleme unseres Lebens mit politischem Inhalt«, internationale

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Life-Aufnahme siehe Amiga (1968): Werkstattwoche, Track 1. Hoffmann (1969): »Untersuchung zur Singebewegung«, 313f. Er kritisierte, dass das Element der Tonrepetitionen und Synkopen in den Liedern oft schematisch angewendet würde und damit seine Wirkung verlor. Jugendstudio DT 64/Zentralrat der FDJ: »Aufruf zur ›Werkstattwoche der FDJ-Singeklubs«, in: Neues Deutschland, 1. August 1967, 4. Hoffmann (1969): »Untersuchung zur Singebewegung«, 314.

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Folklore, Scherzlieder und Liebeslieder. Seltener waren »Lieder aus dem Grundrepertoire der FDJ und sonstige Kampflieder« zu hören.5 Die Jury war angetan von Carpe Diem, allerdings nur von der Musik. Das Lied sei »musikalisch stark und in den Einfällen reicher als viele andere Lieder, die schon in der Anlage so winzig sind, wo bereits der Grundeinfall nur noch unter dem Mikroskop sichtbar ist«, urteilte Gisela Steineckert als Jurymitglied.6 Der Text aber mit seiner Symbolik und Rhetorik der 1950er Jahre konnte nicht überzeugen. Er beschwor die »glücklichere, bessere Welt«, ein abstraktes Glück mit globalem Frieden, »glühender Sonne«, »blühenden Rosen« und »Brot und Wein« für alle. Diese Schwäche des Liedes kritisierte die Lyrikerin Gisela Steineckert, als »abgegriffene Wendungen« und »überladende Aufzählungen von Nichtigkeiten«.7 Während Anfang der 1960er Jahre immer wieder die Krise des Singens im Jugendverband dokumentiert wurde, sprachen die Verantwortlichen 1967 von einer regelrechten Singebewegung. Zahlreiche neue Lieder tauchten in kürzester Zeit auf. Das war nichts Besonderes in der DDR. Dass aber ein neuer Liedtypus in einer solchen Schnelligkeit entstand und sich großer Popularität bei der Jugend und der Staatsmacht erfreute, das war neu. Genauso einmalig war die Tatsache, dass die Lieder von den Jugendlichen selbst stammten und dennoch auf wohlwollende Ohren beim Zentralrat der FDJ stießen. Mehr noch, die Jugendfunktionäre und -funktionärinnen unterstützten diese Arbeit an den neuen Liedern. Das waren bemerkenswerte Entwicklungen, wenn man bedenkt, wie restriktiv der Staat im Dezember 1965 gegen die unabhängige Jugendkultur vorging. In diesem Kapitel wird zunächst dargestellt, in welchem kulturellen und kulturpolitischen Umfeld die FDJ-Singebewegung entstand und was aus der häufig beschworenen Krise des Singens geworden ist. Dazu geht es ins Jahr 1960 zurück, dem Jahr, in dem in Ostberlin die Hootenannies Einzug hielten, spontane und ungezwungene Singevents, die ursprünglich aus Nordamerika kamen. An diesen zunächst unkoordinierten Gesangsabenden entstand eine neue Lust am Singen. Bemerkenswert waren die Berührungspunkte zu den parallelen Entwicklungen in der Bundesrepublik. Aus diesem Grund soll am Beispiel der Ostermarschlieder und dem Gesangsfestival auf der Burg Waldeck verdeutlicht werden, wie Lieder und Singeerfahrungen zwischen den beiden deutschen Staaten wanderten und wie spezifisch dennoch das Singen der DDRJugendlichen blieb. Aus einigen unregelmäßigen Klubabenden entwickelte sich unter dem Dach der FDJ in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre eine regelrechte »Singebewegung«. Diese lässt sich als ein Höhepunkt der bis dato ungebrochenen staatlichen Bemühungen verstehen, das Singen (und damit eben auch das Fühlen) zu organisieren und zu regulieren. 1973, zu den Weltfestspielen der Jugend in Berlin, erreichte diese Bewegung mit an die 4.000

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Berhard Powileit (Stellvertreter des Abteilungsleiters für Kultur im Zentralrat der FDJ) und Horst Jurczock (Vorsitzender der Beratergruppe in Halle): Einschätzung der I. Werkstattwoche der FDJSingeklubs in Halle, Oktober 1967, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl., DS 4. Gisela Steineckert in: Wunderlich/Hönig (1968): Oktav Nr. 1, 33. Ebd.

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Klubs ihre größte Reichweite. Obwohl es noch bis 1989 FDJ-Singeklubs gab, hatten diese kaum mehr die Bedeutung, wie um 1970.8 Wie lässt sich dieser Erfolg erklären und was bedeutete er? Diese Bewegung war zwar einerseits das Ergebnis einer groß angelegten Kampagne der FDJ, andererseits fanden Jugendliche innerhalb dieses staatlichen Rahmens Möglichkeiten, frei ihre Musik auszuprobieren. Die Singeklubs waren damit Räume der Aushandlung und Kompromissbildung. Carpe Diem wies musikalisch bereits viele Charakteristika der neuen Singeklublieder auf. Der Text jedoch verwendete noch stereotype Begriffe und Konzepte der alten Jugendlieder aus den 1950er Jahren. Das veränderte sich in den Folgejahren signifikant. Das Abstrakte wurde durch das Konkrete abgelöst: »Wir wollen mit unseren neuen Liedern mitten in unserem Alltag stehen, wollen unsere Arbeit und unsere Freuden besingen und unser sozialistisches Leben schöner machen.«9 Diese Entwicklung fand seinen Niederschlag in dem Begriff »DDR-konkret«, unter dem das Singen und Komponieren ab Ende der 1960er stand. Es war charakterisiert durch die Forderung nach dem »echten« dem »authentischen« und ging einher mit einer Abkehr von Zukunft und einer Hinwendung zur Gegenwart. Dieser Perspektivwechsel klingt deutlich in Carpe Diem an: »Heut kommt es darauf an, heut gilt es zu siegen«, heißt es im Solopart der ersten Strophe. Zugleich bediente das Lied das bekannte Konzept der Verklammerung von Vergangenheit (»Uns mahnen die Gräber gefallener Väter«) und Zukunft (»Die Straße zum Glück liegt in unserem Land«). Einige Jahre später wird die hier angedeutete Hinwendung zur Gegenwart in dem Diktum »Ankommen im sozialistischen Alltag« komplett vollzogen sein. Die Literatur- und Quellenlage zu diesem Kapitel scheint auf den ersten Blick komfortabel, ist jedoch problematisch. Anders als in den vorhergehenden Kapiteln kann für die Singebewegung nicht nur auf eine schier unüberschaubar scheinende Aktenmenge zurückgegriffen werden, sondern auch auf eine breite Palette von Publikationen aus der Feder der damaligen Hauptinitiatoren. Prominent zu nennen ist Lutz Kirchenwitz, Oktoberklubmitglied der ersten Stunde und heute tätig als Kulturwissenschaftler und Konzertmanager, als Mitbegründer und Leiter des Vereins »Lied und soziale Bewegung e. V.«. Dieser Verein hat sich dem Vermächtnis der Liedermacher- und Singebewegung der DDR verschrieben. Öffentlichkeitswirksam ist er durch das seit dem Jahr 2000 jährlich stattfindende Festival »Musik und Politik«, auf dem neue und altbekannte nationale und internationale Liedermacher/-innen und Songschreiber/-innen ihre Werke präsentieren.10 Kirchenwitz hat bereits zu Zeiten der Singeklubbewegung über dieses Phäno8

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Kirchenwitz (1976): Entstehung und Entwicklung der Singebewegung, 10. Kirchenwitz listet hier seine verschiedenen Quellen auf. Es gibt häufig Angaben über die Anzahl der Singeklubs. Darauf basierend ist davon auszugehen, dass es zur Zeit der Weltfestspiele tatsächlich um die 4.000 Klubs gab. Jugendstudio DT 64/Zentralrat der FDJ: »Aufruf zur ›Werkstattwoche der FDJ-Singeklubs‹«, in: Neues Deutschland, 1. August 1967, 4. Zum Festival gehören Podiumsdiskussionen, Vorträge und Ausstellungen, die historische Aspekte der DDR-Singebewegung beleuchten. Der Verein fällt durch eine rege Publikationsaktivität auf, die die Handschrift von Lutz Kirchenwitz trägt. Siehe www.musikundpolitik.de/lied-und-sozialebewegungen/ (Zugriff: April 2020). Auffallend ist, dass sich immer wieder die gleichen Zeitzeugen/-innen über immer wieder die gleichen historischen Ereignisse verständigen. Siehe dazu Lied und soziale Bewegung (1993): Zwischen Liebe und Zorn oder Lied und soziale Bewegung (2016): Hoo-

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men wissenschaftlich gearbeitet, sogar seine Doktorarbeit zu diesem Thema verfasst.11 Damit liegen zahlreiche Publikationen zur Geschichte der Singebewegung in der DDR vor, die die Erinnerungen der früheren Protagonisten/-innen transportieren. Sie lesen sich häufig als Selbstvergewisserung, Aushandlung gemeinsamer Erinnerungen und als nachträglichen Einordnung der Ereignisse und Entwicklungen. Als solche sollen sie auch im Folgenden Beachtung finden. Alle Bemühungen, Materialien über die Singeklubs in regionalen oder überregionalen Archiven zu finden, blieben erfolglos. Vermutlich sind die Überlieferungen der einzelnen Singeklubs in Privatbesitz, wovon eines zur Verfügung stand. Daher lebt die folgende Darstellung von Berichten, Erinnerungen und Materialien von Jürgen Langhans, dessen Lebensgeschichte typisch für die FDJ-Singebewegung ist.12 Jürgen Langhans wurde 1954 in Strausberg (heute Kreis Märkisch-Oderland) geboren. Er erhielt frühzeitig eine musikalische Ausbildung in der städtischen Musikschule. Zwischen 1970 und 1973 absolvierte er eine Berufsausbildung mit Abitur in Schwedt und war in dieser Zeit federführend im »Singeklub Oder-Neiße« tätig. 1976 begann er mit seinem Studium an der TU Dresden und wurde Mitglied der Songgruppe der Universität. Die Materialien aus seinem Privatarchiv, ergänzt durch seine Erinnerungen, bilden neben offiziellen Dokumenten des Zentralrates der FDJ und zahlreichen Artikeln in einschlägigen Zeitschriften die Grundlage für dieses Kapitel.

Anders Singen. Von der Hootenanny zum FDJ-Singeklub Hootenannies in Ostberlin Ende Januar 1960 begann in der Sporthalle Stalinallee in Ostberlin etwas ganz Neues. Der »Klub der Jugend und Sportler« lud zu 19:30 Uhr für fünfzig Pfennige Eintritt zum ersten »Hootenanny« ein.13 Es kamen Jugendliche und junge Erwachsene, Sänger/ -innen und Laien, um zwanglos und spontan miteinander zu singen: Altes und Neues, Bekanntes und Unbekanntes.14

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tenanny 66 – Podiumsgespräch; Vgl. Kirchenwitz (1982): Lieder und Leute; Kirchenwitz (1993): Folk, Chanson; Lied und soziale Bewegung e. V. (1996): Und das war im. Kirchenwitz (1976): Entstehung und Entwicklung der Singebewegung. Der Kontakt zu Jürgen Langhans konnte über das Archiv der TU Dresden hergestellt werden. Alle folgenden Informationen über Jürgen Langhans und dem »Singeklub Oder-Neiße«, Schwedt stammen aus einem lebensgeschichtlichen Interview mit Jürgen Langhans, von der Autorin am 4. März 2017 geführt. Diese Informationen werden gerahmt mit Dokumenten aus dem Privatarchiv (zukünftig abgekürzt als PA Jürgen Langhans). Dazu gehören nicht nur Briefwechsel oder Programme aus seiner Singeklubzeit, sondern sogar Ton- und Filmaufnahmen, die bis in die frühen 1970er Jahre zurückreichen. Mein großer Dank gilt an dieser Stelle Jürgen Langhans, der mir diese Materialien so freigiebig zur Verfügung stellte. H. P.: »Was ist ein Hootenanny?«, in: Berliner Zeitung, 26. Januar 1960, 3. Ebd.: »Was ›Hootenanny‹ eigentlich ist, das wissen nur die Eingeweihten. Das sind in diesem Falle viele Menschen in den USA, in Kanada, in Australien und in England. Während der Zeit der großen Arbeitslosigkeit hatten viele kein Geld, ins Kino oder ins Theater zu gehen. So kamen sie zusammen und sangen einander zu.« Wann genau der erste Hootenanny-Abend in Ostberlin stattfand,

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Die ersten Hootenannies dieser Art gab es in den USA Ende der 1930er Jahre. Im Kontext des von Nordamerika ausgehenden weltweiten Folksong-Revivals belebten prominente Folkmusiker wie Pete Seeger oder Woody Guthrie die Hootenannies neu. Zu Beginn der 1960er Jahre gab es in den USA einen regelrechten Hootenanny-Hype.15 Woher der Begriff Hootenanny kam, ist unklar. Wichtig war das Ereignis. Hootenannies waren Gesangspartys. Völlig fremde Menschen fanden sich in Privatwohnungen zusammen, um zu singen.16 Für Pete Seeger bedeutete daher Hootenanny: »A rip-roaring party, a wingding, a blowout.«17 Es gab Vorsänger/-innen, die im Wechsel in die Mitte traten. Diese stimmten ein Lied an, die anderen Sänger/-innen fielen in den Gesang ein. Spätestens beim Refrain sollte dann auch das ganze Publikum dabei sein: »Songswapping« nannte Seeger dieses Prinzip. Alle Anwesenden sollten sich ermutigt fühlen, mitzusingen, neue Liedideen einzubringen, Melodien und Texte zu improvisieren.18 Fast zeitgleich zu dem Hootenanny-Hype in den USA hielten auch die Hootenannies Einzug in der Jugendszene in Ostberlin. Dafür verantwortlich war Perry Friedman, »ein junger kanadischer Volkssänger«19 , der dieses Gesangsformat aus Nordamerika mitbrachte. Perry Friedman war gerade 24 Jahre alt, als er mit seinem Banjo, einem kleinem Koffer und vielen amerikanischen Folksongs im Kopf, aber ohne konkreten Plan am 28. April 1959 in Ostberlin ankam.20 Er knüpfte unmittelbar Kontakt zur Szene der politischen Volkssänger/-innen, zu der auch Lin Jaldati und Eberhard Rebling gehörten. Sein Wegbegleiter wurde in dieser Zeit der Publizist Victor Grossmann, der als amerikanischer Armeeangehörige 1952 in die DDR flüchtete und als Lektor beim Verlag Seven Seas Publisher und Mitarbeiter des englischsprachigen German Democratic Report arbeitet.21 Die Idee, Hootenannies nach dem amerikanischen Vorbild auch in Berlin

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ist ungewiss. Die Neue Zeit datierte den Abend auf Mittwoch, den 27. Januar, Anonym: »Noch ist Zeit zur Verständigung«, in: Neue Zeit, 30. Januar 1960, 12. Seeger (1992): Incompleat Folksinger, 328: »In the next ten years several hundred thousend Americans attended hootenannies in various cities and campuses of the Union.« Während die ursprünglichen »Hoots« vorrangig in Privathäusern und sehr spontan stattfanden, begann mit den 1960ern eine zunehmende Professionalisierung und Kommerzialisierung dieser Singe-Events (328f.). Vgl. Seeger (1992): Incompleat Folksinger; Mitchell (2007): North America Folk Music; Atkinson (2004): »Revival. Genuine or Spurious«. Über den Ursprung des Begriffes Hootenanny gibt es verschiedene Überlegungen. Einerseits kann es ein schottischer Begriff für Feier oder Party sein. Pete Seeger, der prominenteste nordamerikanische Vertreter des Folk-Revivals, vermutete, dass der Begriff ursprünglich Französisch gewesen und um 1900 in den Mittelwesten der USA gekommen sei. Kirchenwitz (1981): »Interview Pete Seeger«, 11. Seeger (1992): Incompleat Folksinger, 327. Gesungen wurden Gewerkschaftslieder, Friedenslieder und Lieder gegen Rassismus, siehe Kirchenwitz (1981): »Interview Pete Seeger«, 11. Ebd. und Seeger (1992): Incompleat Folksinger, 328: »Would have an audience of several hundred, jammed tight into a small hall, and seared semicircular wise, so that they face each other democratically. The singers and musicians would vary from amateur to professional, from young to old, and the music square to hip, cool to hot, long-hair to short. Some songs might be quiet – like a pin drop. Others would shake the floor und rafters till the nails loosen. Something old and something new, something borrowed and something blue, as at a wedding.« H. P.: »Was ist ein Hootenanny?«, in: Berliner Zeitung, 26. Januar 1960, 3; vgl. Autobiografie Friedmans (2004): Wenn die Neugier nicht wär. Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 55. Bratfisch (2009): »Grossmann, Victor«.

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zu organisieren, hatten Grossmann und Friedman Ende 1959.22 Der erste Abend fand mit Genehmigung des damaligen 1. Sekretärs des Zentralrates der FDJ Hans Modrow in der Sporthalle im Jugendklubhaus der Stalinallee statt.23 Lin Jaldati, zu dieser Zeit bereits berühmt für ihre Interpretationen jüdischer Lieder, nahm an dieser ersten Hootenanny teil, so auch die junge Schauspielerin Kati Szekely, Hermann Hähnel von der Musikhochschule und Gisela May, Schauspielerin am Deutschen Theater und Diseuse. Auch wenn die FDJ-Politiker/-innen sich nicht vorstellen konnten, dass sich jemand für Volkslieder interessieren würde,24 war »die Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren, bei den Künstlern sehr groß«, resümierte Perry Friedman.25 Das Wagnis lohnte sich. Der erste Abend war ausverkauft, der Saal »übervoll«. 150 weitere »junge Leute« standen noch vor der Tür, erinnerte sich Friedman.26 Die offiziellen Veranstalter des Abends waren der »zentrale Klub des Arbeitskreises junger Künstler« und der »Radioklub des Berliner Rundfunks«. Es erklangen alte deutsche Volkslieder – von Friedman neu arrangiert – Lieder der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und englischsprachige Folksongs. Eingeladene »Berufskünstler« präsentierten mehr oder weniger spontan italienische oder bulgarische Volkslieder. »Die Stimmung hätte nicht besser sein können, alle lachten mit, und vor allem sangen alle mit, oft zu ihrer eigenen Überraschung«, erinnerte sich Victor Grossmann.27 Genauso überschwänglich beschrieb Friedman den Abend. Er sprach vom »Traum eines jeden Künstlers. Der kleine Saal verwandelte sich in eine singende Gemeinde […]. Menschen von überallher, junge und alte, ernsthaft interessierte, neugierige und skeptische, alle wurden Teilnehmer der ersten deutschen Hootenanny und vergaßen für zwei Stunden, daß sie eigentlich keine deutschen Volkslieder singen wollten«.28 Selbst die Jugendlichen, die Friedman als »Halbstarke« identifizierte, sangen am Ende der Veranstaltung »begeistert« das Einheitsfrontlied (1934, Bert Brecht/Hanns Eisler) mit.29 Die Zeitungen waren voll von Berichten dieses ersten »Hoots«.30 Die Fotos zeigten den großgewachsenen Perry Friedman mit seinem langhalsigen Banjo, neben ihm Lin Jaldati. Beide standen inmitten von vollbesetzen Zuschauerreihen und waren umringt von stehenden Jugendlichen. Der Erfolg resultierte sicher auch aus der großen Werbekampagne, die in der BZ am Abend für das Mitsingkonzert lief. Unter dem Titel »Banjowirbel auf dem Schreibtisch« versprach der Redakteur »heiße rhythmische Grüße« aus 22 23 24 25 26 27 28 29

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Grossmann (1988): »Hootenanny«; 238, Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 65. Ebd., 66. Ebd. Scheer (1982): »Gespräch mit Perry Friedman«, 92. Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 66; Scheer (1982): »Gespräch mit Perry Friedman«, 92. Grossmann (1988): »Hootenanny«, 238. Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 67. Ebd. So auch ein Zeitungsbericht ohne nähere Kennzeichnung, in: AdK Perry Friedman 540, o. Bl.: »Heiße Rhythmen und Temperament müssen nicht immer gleichbedeutend mit billiger Unterhaltung sein«, es käme nur darauf an, alte und neue Volkslieder in einer unseren Zeit angepassten Art der Jugend nahe zu bringen. »So manche Burschen zwischen 17 und 22 Jahren, um die man im Allgemeinen wegen ihrer ›Halbstarkenaufmachung‹ einen großen Bogen macht, sangen begeistert das tschechische Lied ›Tanzui‹ und das deutsche ›Einheitsfrontlied‹ mit.« Eine Sammlung der Zeitungsberichterstattung findet sich im Nachlass von Perry Friedman. Das Problem daran ist, dass die ausgeschnittenen und aufgeklebten Zeitungsartikel häufig ohne nähere Quellenangaben sind, siehe AdK Perry Friedman 540.

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Kanada. »Besonders die Berliner Jugend sollte nicht die Gelegenheit versäumen, einmal ein Hootenanny mitzuerleben. Schwung, Rhythmus und gute Laune.«31 Dass dieser Abend mit dem gemeinsamen Gesang des Einheitsfrontliedes endete, vermerkten fast alle Zeitungsberichte. Das Lied kannten die Reporter/-innen und die meisten Anwesenden. Der Gesang musste sich vertraut anfühlen, gehörte es doch seit Ende der 1940er Jahre zum Liedrepertoire der Jugend. Damit war diese »Hoot«, so neu das Konzept war, doch wieder etwas Bekanntes und Vertrautes. Perry Friedman brachte mit seinen spezifischen Arrangements nicht nur den amerikanischen Folksong, sondern auch das deutsche Volkslied zu den Jugendlichen. Für ihn begann mit der ersten Hootenanny die »Volksliederbewegung«.32 Er erklärte sich die neue Begeisterung an alten deutschen Volksliedern damit, dass er als Kanadier den Liedern einen neuen Klang geben konnte, denn er sei »unbelastet« von der deutschen Vergangenheit.33 In einem Brief an seine enge Vertraute Edith Anderson vom 2. Juli 1962 beschrieb Friedman mit Begeisterung seine Wiederbelebung der Volksmusik. Dafür ging er in die Staatsbibliothek und suchte nach Liederbüchern: »I found some very interesting materials Wunderful [sic!] material!!! My hope was restored in the Germans, they have the same long an interesting ballads and songs as do England, Scotland and America […]. In any case I feel I’m in the right track. The next important thing is to popularize these songs and I believe that it is possible to build up a genuine interest in folk music here, where the whole situation could change and the folk field would once again become creative. It is almost exciting!!!!!!«34 Die zwanglosen Hootenannies standen in einem kompletten Gegensatz zu dem Singen in der Schule und der Jugendorganisation. Sie lebten von der Spontanität des Publikums, dessen Begeisterungsfähigkeit und der Lust am Improvisieren. Während sich die offiziellen Berichte über die erfolglose Jugendarbeit der FDJ-Grundorganisationen häuften und der FDJ-Zentralrat immer mehr Maßnahmen zur »Entwicklung« gemeinschaftlichen Gesanges erdachte und formulierte, sangen Berliner Jugendliche ganz frei, ungezwungen und mit anscheinender Begeisterung zum Banjo von Perry Friedman die alten Lieder der Arbeiterbewegung und die für die ostdeutsche Jugend neuen Lieder der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wie Down by the Riverside. Diese Hootenannies gab es bald in auch in Dresden, Leipzig, Schwerin, Halle oder Karl-Marx-Stadt.35 Im Jugendklub der Stalinallee traf Perry Friedman auf Marianne Oppel, später Redakteurin beim Berliner Rundfunk. Damit begann eine Bekanntschaft, die für die weitere Entwicklung der Mitsingveranstaltungen folgenreich sein sollte. Denn Marianne Oppel brachte die Hootenannies ins Radio und auf den Fernsehbildschirm. Am 9. Januar 1961 übertrug das Jugendfernsehen der DDR eine Hootenanny live. Gemeinsam mit dem Publikum sangen Perry Friedman, Lin Jaldati, Erika Radtke und Hermann Hähnel Ein Jäger aus Kurpfalz, das Lied der Weltfestspiele der Jugend 1951 Im August, im 31 32 33 34 35

Artikel aus der BZ am Abend, 26. Januar 1960, in: siehe AdK Perry Friedman 540, o. Bl. Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 68. Ebd., 71. Perry Friedman: Brief an Edith Anderson-Schroeder, 2. Juli 1962, in: AdK Edith-Anderson-Schroeder 118. Grossmann (1988): »Hootenanny«, 239.

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August blühn die Rosen (1951, Armin Müller/Günter Fredrich) und wiederum das Einheitsfrontlied. Diese Mischung traf den Geschmack des Zentralrates der FDJ und vielleicht auch den der Jugendlichen. Die Sendung sollte beispielhaft die Jugendlichen ermutigen, selbst wieder zu singen.36 Perry Friedman erreichte Anfang der 1960er Jahre seine höchste Popularität. Er hatte regelmäßige Auftritte im Jugendfunk und im Fernsehfunk der DDR.37 Über seine enge Vertraute Edith Anderson bekam er auch Kontakt zu westdeutschen Radiosendern.38 Die Hootenannies schienen beim Zentralrat der FDJ akzeptiert, immerhin fanden sie unter dem Dach der FDJ und mit Erlaubnis der Bezirkssekretäre statt. Sie waren zu diesem Zeitpunkt nicht wichtig genug für die Singepolitik des Jugendverbands. In den Akten gab es kaum Hinweise auf diese Events, keine misstrauische Beobachtung oder Dokumentation der Abende, keine Auswertung oder Planung, wie mit diesem jugendlichen Singen umzugehen sei. Auffallend ist auch das öffentliche Stillschweigen über die Gesangsformate. Bis 1966 gab es kaum Hinweise in den Jugendzeitschriften Forum oder Junge Generation, genauso wenig wie in der Tageszeitung Junge Welt. Die Nichtbeachtung der Hootenannies überrascht angesichts der Tatsache, dass sich die Jugendfunktionäre und -funktionärinnen so offensiv um die jugendlichen Herzen und Köpfe bemühen wollten, jedenfalls auf dem Papier. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre blieb es bei unregelmäßig stattfindenden Hootenannies und den einzelnen Sendungen in Funk und Fernsehen. Dennoch war damit der Grundstein zu der Singebewegung der FDJ gelegt, die ab 1966 das Jugendsingen in der DDR maßgeblich verändern und prägen sollte. Bevor es jedoch dazu kam, brauchte es noch einige Jahre und spezifische Konstellationen in der kulturellen Entwicklung der »geschlossenen Gesellschaft« der DDR nach der Schließung der innerdeutschen Grenze und dem Bau der Berliner Mauer 1961.39

Lyriker/-innen und »Liedermacher« Unter der Aufsicht und mit Genehmigung des Jugendverbandes entstand parallel zu den Hootenannies in Berlin eine ganz eigene Lyrik- und Musikszene. Es kam zunehmend eine neue Generation von Dichtern/-innen zu Wort, die einen neuen Ton anschlug. Dazu zählten Stefan Hermlin sowie Sarah und Rainer Kirsch. Der neue, offene und kritische Stil der Gedichte kam gut bei der Jugend an und war beim Zentralrat akzeptiert, sodass in einschlägigen Literaturlexika von einer »Lyrik-Welle« gesprochen 36

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Jugendfernsehen der DDR: Manuskript zum Ablauf einer Direktübertragung aus der Bar des Klubs der Jugend und der Sportler, 9. Januar 1961, in: AdK Perry Friedman 150, o. Bl. Ziel der Sendung war es, »den jungen Zuschauern eine interessante Form der künstlerischen Betätigung und sinnvollen Freizeitgestaltung [zu] zeigen und sie an[zu]regen, solche Veranstaltungen selbst durchzuführen.« Jugendfunk: Manuskript der Sendung: Zu Gast bei uns, 1. Januar 1963, in: AdK Perry Friedman 15; Fernsehfunk: Manuskript der Sendung: Hootenanny am Lagerfeuer, 18. Juli 1961, in: AdK Lin Jaldati 126. Geplant war eine ganze Serie von Hootenannies zu bestimmten Themen, produziert wurde nur noch »Hootenanny im Neubau«, siehe Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 77. 1961 hatte er einen Auftritt in Worpswede, der über Radio Bremen ausgestrahlt wurde, siehe: Perry Friedman: Radio-Concert mit Edith Anderson-Schroder, Bremen 1961, in: AdK Perry Friedman 361. Ohse (2003): Jugend nach dem Mauerbau, 139. Er beschrieb, wie nach 1961 eine Phase der »Verinselung« der Jugendkultur einsetzte und zu einer ganz eigenständigen kulturellen Entwicklung in der DDR führte.

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wurde.40 Auftakt und Höhepunkt waren die großen Lyrikabende 1963 in Berlin, Leipzig, Halle und Dresden. Das Filmtheater Kosmos war im April 1963 bis auf den letzten Platz (und damit mit 1.000 Menschen) besetzt. Insgesamt nahmen 21 Künstler/-innen an dem Programm mit einer bunten Mischung aus Lyrik, Lied und Musik teil. Günter Engelmann, Heinz Czechowski, Rudolf Bahro waren dabei, Manfred Krug, der nicht nur seine Gedichte vortrug, sondern auch ein Lied aus der britischen Ostermarschbewegung sang und Perry Friedman mit Volksliedern. Es erklangen Musik von Paul Dessau und Lieder von Bert Brecht.41 Auch diese Lyrik-Abende fanden wie die Hootenannies unter dem Dach der FDJ statt. Zu dieser neuen Generation der jungen Lyriker/-innen gesellte sich kurz darauf eine neue Generation von »Liedermachern« – oder ging zum Teil daraus hervor, so Wolf Biermann und Manfred Krug. Ihre Vorbilder waren Woody Guthrie, Bob Dylan, Yves Montand, Georges Brassens, Dionysios Savopoulos. Legendär wurde die Konzertreihe »Jazz und Lyrik«, auf der Biermann und Krug regelmäßig auftraten.42

Beat-Bewegung Die Hootenannies profitierten indirekt von der Beat-Bewegung und derem abrupten Ende 1965. Ende Oktober 1965 gab es allein in Berlin 300 »Gitarrencombos«.43 Viele dieser Gruppen verloren mit dem »Kahlschlagplenum« ihre Spielberechtigung oder mussten ihr Repertoire umstellen, um weiter spielen zu dürfen. Für die Beat-begeisterten Jugendlichen boten die Hootenannies eine Chance, unter anderem Label weiter ihre Musik spielen zu dürfen. Ein Vergleich zwischen Hootenanny und Gitarrenbands ist zwar nicht angemessen, da der Beat wesentlich fundamentaler und flächendeckender die Jugend erfasste als die unregelmäßig stattfindenden Singe-Treffen in den Großstädten der DDR. Aber die Freude am selbstbestimmten, spontanen, nicht vorgegebenen Singen und Musizieren motivierte anscheinend die Jugendlichen, nicht nur dem Beat anzuhängen, sondern auch zu den »Hoots« zu gehen. Die amerikanischen Folksongs lassen sich zwar nicht mit dem elektrifizierenden Beat der neuen Bands vergleichen, aber der Erlebniswert des »Neuen« galt auch für Friedmans Musik. Vergleicht man das freie Singen mit den bis dahin üblichen Gesangsperformances innerhalb der Erziehungsinstitutionen, die gerade Spontanität und Emotionalität zügelten und kanalisierten, wird vorstellbar, wie anregend dies neue Singen auf die Jugendlichen gewirkt

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Haase (1976): Deutsche Literatur, 488. Vgl. Lyriksammlungen: Zentralrat der FDJ (1963): Auftakt 63; Visser (1994): »Lyrikreihe Auswahl«, 89f. Anonym: »Zweiter Abend mit Junger Lyrik. Der ›Kosmos‹ ist zu klein«, in: Berliner Zeitung, 13. April 1963, 6. Den Begriff Liedermacher prägte 1961 Wolf Biermann in Anlehnung an Bert Brechts Stückeschreiber, siehe dazu Löding (2010): Deutschland Katastrophenstaat, 35f.; Kirchenwitz (1993): Folk, Chanson, 22f. In der Sowjetunion gab es eine ganz ähnliche Entwicklung zum »Liedermacher«, ins Englische übertragen: »guitar poetry«. Die »guitar poets« nannten sich auch »Barden«, siehe Platonov (2012): Singing the Self, 6f. In den Quellen zur Singebewegung konnte jedoch keinerlei Bezug zu diesen »guitar poets« festgestellt werden. Sowohl die »Liedermacher« als auch die »guitar poets« schienen Ergebnis der Singer-Songwriter-Entwicklung zu sein, die es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in zahlreichen Ländern gab. Stahl (2010): Kalte Ätherkrieg, 108.

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haben muss. Daher funktionierten die Hootenannies gut als Unterschlupf für die jugendliche Vorliebe zum Beat. Für den FDJ-Zentralrat stellten die bis dahin kaum beachteten Hootenannies eine gut kontrollier- und steuerbare Initiative dar, die zukünftig wesentlich enger an die FDJ angeschlossen werden sollte. Denn im Kern ging es der FDJ nach wie vor darum, eine Jugendarbeit zu gestalten, die dicht an den Interessen und Bedürfnissen der Jugend war und gleichzeitig erzieherisch darauf Einfluss nehmen konnte. Nach den Ereignissen des Spätherbstes 1965 bedeutete das, eine von der Jugend weitgehend akzeptierte Alternative zum Beat anzubieten. Damit avancierten die Hootenannies zu einem staatlich gewollten und unterstützten Auffangbecken für zahlreiche Jugendliche, die sich bereits in Beatbands probiert hatten.44 Die Jugendlichen trafen sich nicht mehr zu Hause, in Garagen oder Kellern, sondern in den Räumen der Schule, in den regionalen »Häusern der Jungen Talente«, in den Jugendklubs, den Kreiskabinetten für Kultur. Aus den lockeren unstrukturierten Treffen entwickelten sich Singeklubs. Genau dieses Zusammenkommen der Interessen von beiden Seiten führte in der Transformationsphase von den Hootenannies zur FDJ-Singebewegung zwischen 1965-67 zur soliden Grundsteinlegung einer Form des Singens und Musizierens, das ein Produkt vieler widersprüchlicher Initiativen und Interessen war. Die Wiederentdeckung jugendlichen Singens war nicht auf die DDR beschränkt, sondern auch zur gleichen Zeit in der Bundesrepublik zu beobachten. Dabei kam es gerade durch Musiker wie Perry Friedman zu zahlreichen Berührungspunkten zwischen Ost und West. Aus diesem Grund wird im folgenden Abschnitt gezeigt, worin sich das Singen in Ost und West ähnelte, welche gegenseitigen Einflüsse es gab, was aber auch spezifisch für das jugendliche Singen in der DDR war.

Neues Singen. Verflechtungen mit der BRD Ostermarsch und Protestsong In der Zeit, in der Perry Friedman die Hootenannies in Ostberlin etablierte, pflegte er auch Kontakte in die bundesrepublikanische Liedermacherszene. Im November 1961, kurz nach dem Mauerbau, traf er in Ostberlin auf Ingrid und Dieter Süverkrüp. Dieses Treffen sollte Folgen haben. Süverkrüp und sein Kompagnon Gerd Semmer – beide Neubegründer des linksgerichteten Verlages »Pläne«, einem Plattenlabel für politische Lieder, Protestsongs und zeitkritische Lieder – luden Friedman zu Plattenaufnahmen nach Düsseldorf ein. Damit war der Kanadier aus Ostberlin mit seinen englischsprachigen Songs auf den ersten Platten des wiederbelebten Verlages zu hören. »Ça ira« hieß die erste Platte. Dieser folgten »Solidarity forever. Amerikanische Arbeiterlieder« und »I’m on my way – Amerikanische Negerlieder« (sic!). Über diese Verbindung trat Perry Friedman ab den frühen 1960er Jahren in der Bundesrepublik regelmäßig bei den

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Vgl. Anonym: »Singende Jugend«, in: Berliner Zeitung, 2. Februar 1966, 6. Am 2. Februar 1966 lud das Ministerium für Kultur die Teilnehmenden eines Hootenannys zu einem »freundschaftlichen Gespräch über die Möglichkeiten, durch vielfältige Veranstaltungsformen das Singen, besonders unter der Jugend zu beleben«.

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Ostermärschen auf, auf Gewerkschaftsveranstaltungen oder Veranstaltungen von Organisationen, die der Friedensbewegung nahestanden.45 Friedman erinnerte das als eine »wunderbare Zeit. Wir hatten ein Ziel, wir sangen für Menschen, die auch daran glaubten, etwas verändern zu können«.46 Je größer die Ostermärsche wurden, umso ausgefeilter war die Logistik der Auftritte.47 Zusammen mit namhaften Künstlern und Künstlerinnen wie Hannes Stütz, Fasia Jansen, Franz Josef Degenhardt, Hans Ernst Jäger, Raimonde Conny Reinhold, Wolfgang Neuss und Albert Mangelsdorf flog Friedman »von einer Stadt zur nächsten, um auf den großen Bühnen zu singen und zu spielen«.48 Die Auftritte vor großem Publikum, die Teilnahme an den Demonstrationen, die Menschen, die ihm zuhörten und mit ihm im Dienst einer Sache sangen – das waren die Gründe dafür, dass Friedman Mitte der 1960er Jahre mehr in der Liedermacherszene der Bundesrepublik zu Hause war, als in der DDR, in der seine Hootenannies sich nicht weiterentwickelten, sondern Kopien ihrer selbst blieben.49 Den ersten Sound der Ostermärsche lieferten Waschbrettkapellen, sogenannte Skiffle-Groups und bildete die Folkmusik, begleitet von Banjos und Gitarren. »Akustisch äußerte sich der Ostermarsch vor allem als Aufruhr von Zupfinstrumenten«, kommentierte dementsprechend der Journalist Peter Brügge.50 Doch mit der Protestbewegung entstanden auch die ersten politischen Lieder der Bundesrepublik. Zunächst sangen die Marschierenden die Lieder, die sie kannten: kirchliche Choräle, alte Arbeiterlieder oder auch amerikanische Folksongs, vor allem We shall overcome, eines der bekanntesten Lieder der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. »Text und Melodie waren so einfach, daß bald alle mitsingen konnten«, erinnerte sich Fasia Jansen an einen der ersten Ostermärsche. »Das gemeinsam gesungene Lied machte unheimlich Mut – ›Wir werden es schaffen‹.«51 Eigene Lieder hatte die Bewegung zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht. Daher sangen die Protestierenden auch deutsche Adaptionen der britischen Ostermarschlie45

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Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 97: »Zusammen mit Dieter wurde ich auch ständiger Teilnehmer und Akteur der Ostermärsche. Wir marschierten und sangen zusammen drei Tage lang und teilten viele Bühnen mit prominenten Rednern.« Nach dem Vorbild des britischen Marsches von London nach Adlermaston 1958 organisierten pazifistische und religiöse Aktionskreise die Proteste gegen Atomwaffen und jegliche Art des Krieges. Im Laufe der 1960er Jahre veränderte sich das Anliegen der Proteste. Unter dem Einfluss der studentischen Opposition ging es gegen Ende der 1960er Jahre zunehmend um gesellschaftliche Themen. Aus den Aktionsbündnissen entstand die »außerparlamentarische Opposition«. Zur Geschichte der Ostermarschproteste vgl. Otto (1977): Vom Ostermarsch zur APO; Burns/van der Will (2003): Protest and Democracy. Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 97. Vgl. Programme der Deutschlandtournee der Kampagne für Abrüstung zum Ostermarsch 1967, AdK Perry Friedman 205. Nach diesem Programm trat er innerhalb von zwei Tagen in Duisburg, Dortmund, Essen und Mannheim auf. Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 97. Ebd., 99:»Es gab viel Arbeit in der Bundesrepublik, so daß ich dort mehr Zeit verbrachte als in der DDR, wo ich ja auch noch immer meine Probleme hatte. [….] Die meisten meiner ›Ostfreunde‹ waren meinen ›Westfreunden‹ nie begegnet. Dadurch war ich ein geteilter Mensch.« Peter Brügge: »Wir legen Wert auf gute Rasur«, in: Spiegel 1965 (16), 68. Rückblick der Sängerin Fasia Jansen, o. D., o. O., abgedruckt in: Jäger/Schmid-Vöhringer (1982): Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland, 33f.

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der, wie beispielsweise Strontium 90 (1959, Fred Dallas/1962, dt. Fassung: Gerd Semmer) oder Doomsday Blues (1959, Fred Dallas).52 Diese Lieder wurden häufig von Gerd Semmer ins Deutsche übertragen und von Fasia Jansen und ihrer Skiffle Group interpretiert.53 Besonders bekannt war der Weltuntergangsblues (1962, dt. Fassung: Gerd Semmer/auf der Melodie von Doomsday Blues). Diese ersten Adaptionen britischer Vortragslieder brauchten allerdings geübte Vorsänger/-innen. Es waren Vortragslieder, die für die kulturellen Begleitprogramme auf den Bühnen gebraucht wurden, jedoch weniger geeignet für den spontanen Gemeinschaftsgesang waren. Daher entstanden in rascher Folge neue Ostermarschlieder, die häufig aus der Feder von Degenhardt, Süverkrüp oder auch Semmer stammten.54 Das erste Lied, das sich auch gemeinschaftlich singen ließ, erschien 1964: Unser Marsch ist eine gute Sache (1964, Hannes Stütz). Es blieb bis zum Ende der 1960er Jahre das Lied der Atomwaffengegner/-innen und wurde während der Märsche und auf den großen Abschlusskundgebungen gesungen. Auch in der Singebewegung der DDR gehörte dieses Lied zum Standardrepertoire. Auffallend ist der Kontrast zwischen einem simplen harmonischen Verlauf innerhalb der C-Dur-Kadenz und dem anspruchsvolleren Rhythmus, der sehr variantenreich das Lied aufbricht und Sequenzierungen oder Wiederholungen vermeidet. Auch der melodische Verlauf ist nicht unmittelbar eingängig. Häufige Quartsprünge aufwärts unterstützen den appellativen Charakter des Liedes. Tonsprünge in die Septime oder verminderte Quinte sind gewöhnungsbedürftig. Dennoch war der Refrain für ein Publikum mitsingbar. Die musikalische Gestaltung der zweimaligen Frage ist eingängig: »Marschieren wir gegen den Osten? […] Marschieren wir gegen den Westen?« Dabei wird die Frage musikalisch nicht einfach wiederholt, sondern gerade mit dem Septimen-Sprung deutlich variiert. Das Dreiklangsmotiv abwärts an der Textstelle: »[…] Osten? Nein«, fordert durch das gesprochene »Nein« zum Einstimmen in den Sprechchor auf. Es scheint, als ob die Komponisten/-innen und Autoren/-innen der Ostermarschlieder mit allen Mitteln einen Kontrapunkt zu den als anrüchig geltenden deutschen Volksliedern und den allzu gefälligen Schlagern setzten wollten. Grundsätzlich waren sie wenig eingängig oder leicht mitsingbar. Die Liedkompositionen forderten in erster Linie ein Aufhorchen, ein Zuhören, im Fall des Liedes Unser Marsch ist eine gute Sache auch ein teilweises Mitsingen, oder ein Mitsprechen.55 Mit den neuentstandenen Ostermarschliedern begann eine zeitkritische Liedkultur in der Bundesrepublik, die sich in anderen Foren, wie den Waldeck-Festivals weiterentwickelte. In der DDR wurden die Ostermärsche als eine linksorientierte Protestbewegung aufmerksam und wohlwollend zur Kenntnis genommen. Der Tenor der Berichterstattung ist dabei eindeutig. Die DDR-Presse berichtete wiederholt über Schikanen, die die 52 53 54 55

Vgl. die LP Topic Record (1959): Songs against the Bomb. LP Pläne (1963): Ostersongs 62 63. Rückblick der Sängerin Fasia Jansen, o. D., o. O., abgedruckt in: Jäger/Schmid-Vöhringer (1982): Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland, 33f. »Generell […] wirkten [die Ostermarschlieder] unaggressiv-besinnlich und kamen textlich nicht ohne Pathos daher.« Rumpf (2014): »Break on Through«, 222. So besinnlich waren die Lieder allerdings nicht, wie sich oben zeigen ließ.

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Abbildung 45

Hannes Stütz: Unser Marsch ist eine gute Sache.

Polizeibehörden im Vorfeld ausübten. Wichtigstes Instrumentarium der Bundesregierung gegen die Protestierenden sei die Auslagerung der Proteste aus den deutschen In-

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nenstädten gewesen sowie das Verbot von Singen, Musizieren und der Benutzung von Lautsprechern.56 Während in der DDR keine organisierte Demonstration ohne Musik und Singen ablaufen durfte, fiel die erzwungene Stille der Ostermarschierer/-innen aus DDR-Perspektive ganz besonders ins Gewicht. Nicht zuletzt Perry Friedman brachte den Klang der Ostermarschierer nach Ostberlin. Er konzipierte für den Jugendfunk für April 1965 eine Ostermarschsendung. Einer der vorläufigen Titel dieser Sendung war: »Unser Lied ist eine gute Sache.«57 Die Sendung wurde als bunte Mischung von Liedern, Gesprächen und Diskussionen mit einem Publikum geplant. Auffallend an der Konzeption ist die unbedarfte Mischung von Liedern der bundesrepublikanischen Ostermarschierer/-innen, wie Unser Marsch ist eine gute Sache oder Gott hat die Bombe nicht gemacht (1964, Süverkrüp) mit amerikanischen Protestsongs, die Friedman selbst sang, sowie alten Volksliedern Es zogen einst 5 wilde Schwäne oder Es waren zwei Königskinder. Auffallend ist ebenso die Akribie, mit der Friedman die emotionalen Effekte plante. Es sollten großformatige Fotos von Auschwitz gezeigt werden, Friedhöfe, Trümmerlandschaften, ein Christuskopf mit dem Atompilz, Anne Frank und Fotos vom Deutschlandtreffen der Jugend neben Fotos der bundesrepublikanischen Ostermärsche. Ob Friedman einen Auftrag für das Konzept der Sendung bekommen hat, ist unklar, ebenso, ob eine der vielen Versionen für das Fernsehen umgesetzt wurde. Denkbar ist, dass der Kanadier versuchte, ein Programm zu entwickeln, mit dem er seine beiden Erfahrungswelten miteinander verband und das er dem DDR-Fernsehen anbieten konnte. Perry Friedman war zwar ein Grenzgänger, aber – so scheint es – die zwei musikalischen Welten ließen sich nicht leicht miteinander verbinden. Als Grenzgänger war er auch dabei, als 1964 auf der Burg Waldeck das Singen wiederentdeckt wurde.

Burg Waldeck Als in Ostberlin der erste Hootenanny-Hype schon abgeklungen war, die Jugendlichen die angloamerikanischen Protestsongs kannten sowie deutsche und internationale Folksongs mit Perry Friedman neu entdeckt hatten, hielten Chansons und Folksongs auch in der Bundesrepublik Einzug, zumindest auf dem ersten Open-Air-Festival der Bundesrepublik an dem symbolischen Ort der Burg Waldeck im Hunsrück. Schon über drei Jahrzehnte zuvor traf sich an der wildromantischen Burgruine die singende Bündische Jugend. Nach dem Krieg war sie einer der zentralen Treffpunkte des wiedergegründeten »Nerother Wandervogel«.58 Damit begann die Wiederentdeckung des deutschen Liedes 1964 an einem mystisch aufgeladenen »Gedächtnisort« altbekannten jugendlichen Singens. 56

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Vgl. Anonym: »Gegen die Sturmflut des Verderbens. Ostermärsche der Atomwaffengegner begannen in Westdeutschland«, in: Neue Zeit, 13. April 1963, 2: Ostern 1964 durften die Marschteilnehmer/-innen in Hannover nicht singen, keine Sprechchöre haben und keine Transparente zeigen, vgl. Anonym: »Machtvoller Ostermarsch«, in: Berliner Zeitung, 31. März 1964, 1f. Es gibt mehrere Versionen des Programmablaufes, siehe: AdK Perry Friedman 157, o. Bl., und AdK Perry Friedman 159, o. Bl. Diese Version ist am saubersten notiert und wahrscheinlich die letzte, obwohl sie immer noch Varianten enthält. Es lässt sich dennoch nicht sagen, ob die Sendung überhaupt stattfand und wenn, welche Version umgesetzt wurde. Siehe dazu Reulecke (2005): »Die Waldeck – ein Gedächtnisort«; Schneider (2005): Die Waldeck.

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Dass dieses erste der legendären Waldeck-Festivals parallel zu dem Deutschlandtreffen der Jugend in Berlin stattfand, war eher Zufall. Zumindest nahmen diese beiden so ungleichen Ereignisse nicht voneinander Kenntnis. Während in Berlin Hunderttausende Jugendliche in einer exakt festgelegten Choreografie die neuen und alten Lieder singen sollten, die die Parteiführung für gut befunden hatte, standen auf der improvisierten Freilichtbühne vor der Burgruine damals noch unbekannte Sänger und Sängerinnen vor einem überschaubaren Publikum von 200 bis 400 Jugendlichen. Die Studierenden und Oberschüler/-innen lauschten den jiddischen Liedern von Peter Rohland, den ganz ungewohnten Interpretationen deutscher mundartlicher Volkslieder der Brüder Hein und Oss Kröher, den englischen Protestballaden und Liebesliedern von Carol Culbertson oder Karen Littel und den neuen deutschsprachigen politischen Liedern von Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp oder Fasia Jansen. Gerade die letzten drei waren keine unbekannten Namen für diejenigen, die auch bei den Ostermärschen dabei waren. Im Gegensatz aber zu den Protestkundgebungen um die Osterzeit war das Lied auf Waldeck nicht Medium des Protestes, nicht Begleitung, sondern es stand im Mittelpunkt. Es gab aber einen entscheidenden Unterschied zu den Hootenannies in Ostberlin. Der liegt in der Abkehr vom Gemeinschaftsgesang hin zum Sologesang politisch engagierter Liedermacher/-innen. Auf der Burg Waldeck ging es zwar im Kern um das Lied, aber nicht unbedingt um das gemeinschaftlich gesungene Lied. Degenhardt, Süverkrüp und ihre zahlreichen singenden und komponierenden Mitstreiter/-innen etablierten auf diesen Festivals den Typus des neuen deutschen zeitkritischen Liedes.59 »Der studentische Kreis der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck« (ABW) mit den Sängern Peter Rohland sowie Hein und Oss Kröher an der Spitze, organisierte das erste sechstägige Pfingsttreffen 1964, zu dem sie circa 250 Gäste und Künstler/-innen erwarteten.60 Ihr Ziel war es, dem Chanson, als einer »intimen, epischen und lyrischen Liedform zwischen Folklore und Kabarett«, ein Forum jenseits der konsumorientierten großen Schlager- oder Jazzfestivals zu geben. Die studentische Arbeitsgemeinschaft plante das Treffen als eine Vorsing- und Mitsingveranstaltung: »Es soll Gelegenheit geben, sich kennen zu lernen, sich ein- oder mehrstimmig, mit oder ohne eigene Instrumente zu messen und zugleich anregen zu lassen.«61 Das Programm war dementsprechend ein bunter Mix aus »Arbeitsbesprechungen«, Konzerten, Podiumsgesprächen, Werkstätten und Formaten des »offenen Singens«. Das gemeinschaftliche Singen wurde von Beginn an argwöhnisch betrachtet. Nach der »historisch bedingten Ernüchterung« und einer »Allergie gegen gedankenleeren und -verdrängenden Gefühlsüberschwang« vermieden die Organisatoren und Organisatorinnen den Gemeinschaftsgesang und konzentrierten sich auf das Lied, auf den Chanson. Dieser sei »keine Manifestation eines rauschhaften Gemeinschaftsgefühls, sondern Anrede an den Einzelnen, sie [die Chansons] brauchen Hörer und lassen ihn

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Weiterführend Böning (2004):Traum von einer Sache, 67-83; vgl. auch Achten (2002): Süverkrüps Liederjahre. Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck (1964): Programmheft. Die Angaben zu den Besucherzahlen für das erste Jahr schwanken zwischen 250 und 400. Ebd., o. S.

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gelten«. Waldeck pflegte damit die »neue, kritische Art des Singens und Hörens«.62 Die ersten Waldeck-Festivals präsentierten »das Lied, den Bänkel-Song, die unverkitschte Volksmusik«.63 Dazu zählten angloamerikanische Folksongs, aber auch französische und deutsche Chansons. Genauso wie »drüben« sang und hörte man »hüben« internationale Protestsongs, italienische, griechische oder spanische Lieder. Das Konzept des Festivals setzte auf eine »besondere künstlerische Begabung« der Vortragenden und auf »ein Publikum, das noch wirklich zuzuhören versteht«.64 Die jiddischen Volkslieder, französischen Chansons, englischsprachigen Folksongs oder Protestsongs erforderten ein sehr genaues Zuhören. Eine 25-minütige Filmdokumentation aus dem Jahr 1966 gibt Einblick in das Setting.65 Die Konzerte fanden vor den Ruinen auf einer improvisierten Freilichtbühne statt. Das überwiegend jugendliche Publikum saß davor auf der Wiese, still zuhörend, anscheinend kaum bewegt von der Musik, zumindest nicht mit der Musik mitgehend. Auf den (zwar geschnittenen) Live-Aufnahmen ist kein Mitsingen, Mitsummen oder Mitklatschen zu hören, ausschließlich Nummernapplaus. Tagsüber fanden in kleinen Räumen unter dem Dach Workshops statt. In diesen diskutierten die Teilnehmenden zusammen mit den Künstlern und Künstlerinnen deren neue Lieder. Die Dokumentation verdeutlicht die Suche nach Ausdrucksformen eines zeitkritischen Tones. Sie zeigt auch, wie sich die bundesrepublikanischen Jugendlichen dem deutschen Volkslied neu näherten, ähnlich wie die gleichaltrigen in den Hootenannies und FDJ-Singeklubs auf der anderen Seite der Grenze, wenn auch nicht so systematisch und auch nur an den Pfingsttagen auf der Burg Waldeck. Pfingsten 1965 reisten Eberhard Rebling, Rektor der Hochschule für Musik, Lin Jaldati und Perry Friedman zur Burg Waldeck.66 Nachträglich erinnerten sie sich, wie unpolitisch sie das Singen empfanden.67 Erst sie selbst brachten eine politische Nuance ins Festivalprogramm, so die Betonung Reblings. Perry sang amerikanische Protestsongs wie Joe Hill; Solidarity forever und We shall overcome. Er merkte kritisch an, wie schlecht sich die Anwesenden motivieren ließen. Obwohl diese Lieder aus den Protestmärschen gegen den Vietnamkrieg bekannt gewesen sein müssten, sangen auch nach mehrmaligen Aufforderungen nur wenige Zuhörende mit. Dieser Unterschied zu den Hootenannies in Ost-Berlin war für den Besuch aus der DDR besonders gravierend.68 »Unser Auftreten erweckte zwiespältige Reaktionen«, berichtete Rebling weiter. Irritiert habe

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Wenzel (1966): Die Waldeck und das Lied, 3f. Aus der Eröffnungsrede von Diethart Kerbs, 1964, zitiert in Kleff (2008): »Der Stoff, aus dem Legenden sind«, 10. Hans-Christian Kirsch: »Überraschung auf der Burg Waldeck«, zitiert in: Kleff (2008): Burg Waldeck, 26. Vgl. Filmaufnahmen des Festivals 1966: https://www.youtube.com/watch?v=WKYvgS78Le0 (Zugriff: April 2020). Eberhard Rebling in: Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 175. Obwohl ihrer Beobachtung nach die »weit über hundert sangesfreudigen Menschen in Opposition zur Bonner Politik standen, [… kam] politische Opposition kaum zum Ausdruck. […] Es schien, als ob die Meinung, Singen habe nichts mit Politik zu tun, noch weitaus vorherrschte.« Siehe Eberhard Rebling in: Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 175. Ebd., 176. In der Dokumentation der Waldeck-Festivals fehlt Perry Friedman 1965 ganz und Lin Jaldati ist mit einem Lied vertreten, siehe Kleff (2008): Burg Waldeck.

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ihn der Satz in einer nachträglich erschienenen Broschüre: »Lin Jaldatis erste Lieder ließen keinen Zweifel aufkommen, auf welcher Seite der Mauer sie lebte.«69 Der Musiksoziologe Vladimir Karbusicky wertete in seiner Studie über Ideologie und Lied den Tonbandmitschnitt eines Konzertes auf der Burg Waldeck von 1967 aus. Dieser verdeutlich die ambivalenten Reaktionen der bundesrepublikanischen Jugend auf die Lieder aus der DDR.70 Hermann Hähnel, Dozent der Akademie der Künste der DDR, präsentierte in jenem Jahr das Lied Die Rose war rot (1966, Jürgen Degenhardt/Gerd Natschinski). Das Lied besingt die Sinnlosigkeit des Krieges anhand von drei Kriegsszenen in den Jahren 1870, 1917 und 1940 und schließt mit der Aufforderung, niemals zu vergessen, damit nicht wieder ein Krieg geschehe. Der Charakterdarsteller des DDRFernsehens Gerry Wolff hatte gerade mit diesem Lied auf einem internationalen Liedfestival im polnischen Sopot im November 1966 viel Aufmerksamkeit erregt. Er bekam von den 5.000 Gästen »stürmischen«, »minutenlangen Beifall«, so jedenfalls berichtete der Korrespondent der Zeitschrift Neues Leben. Dieses Lied »fand zu den Herzen der Menschen in unserem Nachbarland«, hieß es weiter in dem Bericht.71 Ein halbes Jahr später auf der Burg Waldeck gab es ausgerechnet um dieses Lied eine hitzige Diskussion. Den Zuhörenden fehlte die Zeitkritik in dem Lied: »Ist es wirklich so in der DDR, daß es gar keine Probleme mehr gibt […]. Warum bringen Sie nicht das heutige politische Lied, das andere, ich meine das wirkliche politische Lied«, lautete ein Einwand aus dem Publikum, nach der Darbietung des Liedes.72 Nach der Beschreibung Karbusickys gelang es zwar dem Sänger, das Publikum beim eingängigen melodischen Refrain zum Mitsingen zu motivieren, dennoch glaubte der Musiksoziologe dahinter eine ironische Distanzierung des Publikums zu entdecken. Er sprach davon, dass das Publikum beim Reim »Rot – Tod« im Refrain lächelte, dass die Erwartbarkeit des Liedinhaltes zur »Heiterkeit« führte, dass das Publikum sich (ebenfalls in der Absicht der ironischen Distanzierung) unterhakte und schunkelte. »Noch bevor der lustige [!] Beifall aufbrandete, war eine Frage aus dem Publikum deutlich zu hören: ›War das ernst gemeint?‹«73 Karbusicky betonte, dass das Publikum »typisch links« gewesen sei, das Lied aber »nach allen Regeln des sozialistischen Realismus« komponiert worden war. Die ideologische Agitation war dem Publikum viel zu offensichtlich und provozierte die Ablehnung. Dieser Abschnitt in der »kulturanthropologischen Strukturanalyse« des tschechischen Musiksoziologen, der 1969 aus Prag in die Bundesrepublik emigrierte, verweist in erster Linie auf eine dezidiert politische Haltung des Emigranten. Dennoch bleibt, abzüglich seiner persönlichen Deutungen, der Hinweis darauf, dass es auch mit den offeneren Ohren der Waldeck-Teilnehmenden eine hör- und spürbare Trennung zwischen den Künstlern/-innen jenseits der Grenze und dem bundesrepublikanischen Publikum gab. 69 70 71

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Eberhard Rebling in: Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 176. Karbusicky (1973): Ideologie im Lied, 36f. Kern (1966): »Schlager, Chansons, Festivals«, 31. Das Lied bekam den 5. Platz und war damit nach fünf Jahren erfolgloser Teilnahme an dem Wettbewerb ein Durchbruch für die DDR. Mittschnitt des Auftritts siehe https://www.youtube.com/watch?v=wloztmsITf8 (Zugriff: April 2020). Karbusicky (1973): Ideologie im Lied, Fußnote 22, 39f. Ebd., 42.

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Aber die Gäste aus Ostberlin nahmen die Idee des Festivals mit in die DDR. »Wieder in Berlin, machten wir in unserem schriftlichen Bericht den Vorschlag, auch in der DDR ein ähnliches, regelmäßig stattfindendes Liederfestivals zu organisieren, aber mit einem ausgesprochen politischen Inhalt. Es dauerte noch fünf Jahre, ehe dann das erste »Festival des politischen Liedes« in Berlin starten konnte.«74 Das Open-Air-Liedfestival auf der Burg Waldeck fand in dieser Art sechs Mal statt, wobei eine intimere private Arbeitsatmosphäre nur auf den ersten Treffen existierte. 1967 wandelte sich der Charakter des Festivals als Vorgeschmack auf 1968. Ein radikalisierter Kern innerhalb der Festivalteilnehmer/-innen forderte per Flugblatt die »singenden Fachidioten« auf, die Bühne zu verlassen, mit der Begründung: »Sänger werden bei revolutionären Aktionen nicht mehr benötigt.«75 Es ging den auf Protest eingestellten jungen Erwachsenen immer mehr um das Diskutieren, weniger um das Singen. Das eine schien das andere sogar auszuschließen. Pfingsten 1968 schafften es die geladenen Sänger und Sängerinnen kaum mehr, sich auf der Bühne Gehör zu verschaffen, so lautstark war der Ruf aus dem in den ersten Jahren so braven und stillen Publikum nach Diskussion. Die wenigen Jahre in den 1960ern reichten jedoch, um das deutschsprachige politische Lied in eine zunächst linksalternative und gesellschaftskritische Öffentlichkeit der Bundesrepublik zu bringen. Die Idee des Liedfestivals wurde fortgeführt in neuen Veranstaltungen, wie den »Essener Songtagen« oder der »Interfolk Osnabrück«. Das Folkrevival in der Bundesrepublik Anfang der 1970er war ohne die Vorarbeiten in Waldeck nicht denkbar. Zahlreiche Liedermacher/-innen begannen auf der Burg im Hunsrück mit ihrer Karriere: Reinhard Mey, Hannes Wader, Dieter Süverkrüp, Walter Moßmann oder Franz Josef Degenhardt sind hier zu nennen. Waldeck zeigte in einer Zeit, die fest in der Hand angloamerikanischer Beat- und Rockformationen war, dass das Singen in der deutschen Muttersprache nicht notgedrungen rückwärtsgewandte, verherrlichende Sozialromantik sein musste (wie in der Bündischen Jugend) oder vereinheitlichender »Gefühlskitsch« (wie im deutschen Schlager), sondern intellektuelle Gesellschaftskritik sein konnte. Während sich in der Bundesrepublik der Typus des solistischen Liedermachers und Sängers herausbildete, waren es in der DDR die kollektiven FDJ-Singeklubs. Diese profitierten zwar auch von dem Können Einzelner, dennoch traten sie gemeinsam als »Klub« in Erscheinung und machten sich in der Gemeinschaft einen Namen. Die Verflechtungen mit der Liederszene der BRD sollten auch die folgenden Jahre Bestand haben und weiter ausgebaut werden. Die Lieder Süverkrüps und Degenhardts erklangen in den FDJ-Singeklubs. Zudem waren die beiden Liedermacher gern gesehene Gäste auf dem ab 1970 stattfindenden »Festival des politischen Liedes« in Ostberlin.

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Rebling, in: Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 176. Anonym: »Burg Waldeck. König Oelb«, in: Spiegel 30 (1969), 54f.

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Organisiertes Singen: Übernahme durch die FDJ 15. Februar 1966, Ostberlin, Karl-Marx-Allee: Eine schmale Hintertreppe führte in einen Klub über dem Kino »International«. An diesem Abend fand kein normales Hootenanny-Konzert statt, sondern ein eigenständiger »Hootenanny-Klub« sollte ins Leben gerufen werden.76 Auf dieser Gründungsveranstaltung dabei waren neben den bekannten Gesichtern Marianne Oppel vom Jugend-Radio DT 64 und Siegfried Wein von der FDJ-Bezirksleitung und auch ganz neue und junge Mitglieder, wie der oben genannte Lutz Kirchenwitz und Jörn Fechner, beides Oberschüler. Drei Stunden sangen die rund 100 anwesenden Jugendlichen miteinander und füreinander. Viele hatten ihre Gitarren dabei. Sie sangen Altes und Neues, improvisierten Lieder über die Liebe, das Leben oder gegen den Vietnamkrieg. Sie spielten Jazz, sangen amerikanische Folksongs, tranken, rauchten und lachten zusammen: »Schon bald wackelten die Wände hier von den Klängen hausgemachter Musik. Unsere Idee war es, eine Brücke zu schlagen zwischen alter Volksmusik und neuen Liedern.«77 Die damals jugendlichen Protagonisten/-innen beschrieben das erfolgreiche Revival der Hootenannies 1966 in der Retrospektive als »ungezwungen« und frei.78 Doch obwohl sich anscheinend nichts im Vergleich zum ersten Hootenanny-Abend sechs Jahre zuvor im Sportlertreff verändert hatte, war hinter den Kulissen vieles anders. Diesem Gründungsabend gingen Monate der Organisation voraus. Die Fäden konzentrierten sich dabei immer mehr in den Händen der FDJ. Ganz offiziell war die Neugründung des Hootenanny-Klubs eine FDJ-Initiative, in persona von Siegfried Wein, dem Berliner FDJ-Bezirksleiter.79 Warum aber begann Mitte 1965 die Vorbereitung dieses Wiederbelebungsversuches, in einer Zeit also, in der sich das Ende der liberalen Jugend- und Kulturpolitik längst angekündigt hatte? Gerade nach den Beatdemonstrationen in Leipzig und dem »Kahlschlagplenum« war die FDJ dringend auf Erfolge in der Jugendpolitik angewiesen. Die bis dahin kaum beachteten Hootenannies rückten daher in den kulturpolitischen Fokus der FDJFunktionäre und -funktionärinnen. Ein wichtiger neuer Partner für die HootenannyKonzerte wurde das 1964 gegründete Jugendstudio des Berliner Rundfunks DT 64 in der Person von Marianne Oppel. Als neue Redakteurin organisierte sie im April 1965 eine Veranstaltung mit Perry Friedman. Dafür suchten sie sich ein »Lesecafé« mit circa 40 Plätzen, in dem sich Perrys Freunde und Fans versammelten. Jeder durfte, konnte und sollte singen, »wozu er Lust hatte«.80 Lin Jaldati sang jiddische Lieder und

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Oppel (1974): »FDJ Singebewegung«, 24. Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 72. So die Einschätzung Kirchenwitz über das Jahr 1966, Kirchenwitz (1993): Folk, Chanson, 37. Die Einladungen zu den Hootenanny-Treffen kamen aus seinem Büro. Siehe Siegfried Wein (Sekretär der Bezirksleitung): Schreiben von an die Redaktion von DT 64, Berlin, den 1. September 1966: »Liebe Freunde, am 6. September 1966 um 19:00 Uhr treffen sich die Berliner Hootenanny-Freunde zur ersten Hootenanny nach der Sommerpause […]. Auf dieser Veranstaltung werden wir unsere Vorhaben für die nächste Zeit darlegen.«, in: DRA Schriftgutbestand Hörfunk: H086-02-04/0009, Bl. 582. Oppel (1974): »FDJ Singebewegung«, 23.

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der damals noch unbekannte Oberschüler Hartmut König präsentierte Selbstkomponiertes. Die Live-Aufnahmen dieses Nachmittags wurden vom Jugendstudio DT 64 gesendet unter dem Motto: »Sind Volkslieder noch modern?« Die positiven Reaktionen der Hörer/-innen motivierten die Organisatoren/-innen, das Format auszubauen. Aus diesem Anfangsversuch entstand eine neue Sendereihe: »Treff mit Perry«.81 Die Idee eines eigenen Folk- und Chanson-Klubs, zu dem man sich regelmäßig treffen könne, schloss sich schnell daran an. Als einen festen Veranstaltungsort fanden Marianne Oppel und Perry Friedman mithilfe der FDJ-Bezirksleitung den »Klub International« im gleichnamigen Kino. Inmitten des kulturpolitischen Unwetters in Folge des »Kahlschlagplenums« wähnten sich die Hootenannies in einem Erfolgshoch. Am 13. Dezember 1965, drei Tage vor dem 11. ZK-Plenum, wurde die erste Platte von Perry Friedman und seinen Mitsänger/-innen im Studio des VBB Deutsche Schallplatte aufgenommen. 1966 folgte die zweite Platte.82 Die bundesrepublikanische Presse thematisierte schon früh diese ambivalente Interessenkonstellation der neuen FDJ-Singeklubs. Die »Song-Welle« würde unter dem »Unstern des 11. Plenums der SED stehen«, hieß es in einem kritischen Kommentar von Werner Ludwig Born in der Wochenzeitung Die Zeit.83 Die Hootenannies selbst würden als »geistige Elite« im Vorfeld bestimmen, welche Lieder einem breiten Publikum vorgesungen würden, damit kämpften sie um »die Anwärterschaft für die Funktionärskaste«. »Dem wirklichen Lied gegenüber ist man mißtrauisch.«84 Mag sich auch hier die Rhetorik des Kalten Krieges wiederfinden, ist die Beobachtung nicht ganz falsch. Die Gründung des Hootenanny-Klubs war das Ergebnis einer verstärkten Förderung neuer Formen des Singens und Musizierens im Kontext der restriktiven Jugendpolitik des 11. Plenums.85 Mit der Übernahme der Hootenannies durch die FDJ wurde das freie, spontane und ungeplante Singen abgelöst vom organisierten Singen.86 Am 6. September 1966 erging der »Beschluss über die Entwicklung des Singens« vom Zentralrat der FDJ. Er ließ keinen Zweifel daran, wie sehr sich die Jugendpolitik an die Jugend dranhängen wollte und doch an ihr vorbei dachte.87 Aus einer spontanen selbstorganisierten Mitsing-

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Ebd., 24. Die Titellisten der beiden Platten stehen für die typische Mischung der Hootenannies von klassischen deutschen Volksliedern, jiddischen und internationalen Volkslieder; vgl. Amiga (1966): Hootenanny mit Perry Friedman, Amiga (1966): Hootenanny mit Perry Friedman 2. Heute lässt sich das nachhören auf der CD: Bear Family Production (2016): Hootenanny in Ostberlin. Werner Ludwig Born: »Hootenannies«, in: Die Zeit 37 (1966), o. S. Ebd. Vgl. Kirchenwitz (1976): Entstehung und Entwicklung der Singebewegung, 72. In einem Podiumsgespräch von 2016 bewertete Kirchenwitz das ganz anders: Lied und soziale Bewegung e. V. (2016): Hootenanny ›66, o. S. Er verneinte einen klaren Zusammenhang zwischen dem »Kahlschlagplenum« und der Singebewegung. Dabei verwies er darauf, dass die Wiederbelebungsversuche ja bereits im April 1965 und damit vor dem Plenum begonnen hätten. Eva Hillmann beobachtete 1967, dass die Stärke der Singeklubs darin liege, frei und spontan zum Mitsingen zu überzeugen, Hillmann (1968): »Situation des Liedgesanges«, 743. Zentralrat der FDJ: Über die Entwicklung des Singens in der Freien Deutschen Jugend, Beschluß des Zentralrates der FDJ vom 6. September 1966, in: BArch SAPMO DY 24 1583, o. Bl., desgleichen auch in: AdK VKM 366, o. Bl; Abdruck auch in der Zeitschrift Junge Generation, November 1966, 56-60.

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Bewegung sollte eine Massenbewegung entstehen. Singen aus Freude – das Prinzip der Hootenannies – war nach dem Beschluss nicht vorgesehen. Dennoch sollte »leidenschaftlich« gesungen werden – so die Formulierung im Beschluss – denn nur dieses würde die richtige mobilisierende Wirkung entfalten. Im Mittelpunkt der Festsetzung stand die »stärkere Durchsetzung« des »Massensingens […] bei allen Zusammenkünften«.88 Das spontane learning by doing der Hootenannies wurde ersetzt vom planmäßig durchorganisierten Liedlernen. Dafür verantwortlich waren »Funktionäre für Lied und Gesang«.89 Diese »kontinuierlich ideologisch und fachlich qualifizierten« Funktionäre und Funktionärinnen erhielten Unterstützung von Chorleitern, Chorleiterinnen, Musikerziehern und Musikerzieherinnen. Aus dem Freizeitvergnügen des Singens sollte so ein neuer Musikunterricht werden. Vor dem Singen selbst stand in diesem Verständnis ein »gründliches Liedverständnis«, die »kulturvolle Interpretation« vor der Freude am Lied.90 Die Verfasser/-innen des Beschlusses kamen zu dem bemerkenswerten Fazit: »›Hootenannies‹ [sind] für die Entwicklung der Singebewegung [Hervorhebung JuB] im Jugendverband wichtige Vorstufen und [verdienen] unsere Unterstützung.« Interessant an dieser Stelle ist, dass bereits im Mai 1966 von einer Singebewegung gesprochen wurde, obwohl es de facto erst ein paar Singeklubs waren, die sich nach dem Vorbild des Hootenanny-Klubs gegründet hatten.91 Dass der Zentralrat dabei an einem verbindlichen Liedrepertoire festhielt, ist wenig überraschend. Im November 1966 erschien ein Katalog von 23 Liedern, die für das Singen in der FDJ vorgeschrieben waren.92 Für das Pfingsttreffen der Jugend im Mai 1967 legte er erneut ein »Grundrepertoire« von 12 Liedern »für den Massengesang der Jugend« fest. Nur eines dieser Lieder stammte aus der eigentlichen Singebewegung: Was machen wir zu Pfingsten (1967, Kurt Demmler).93 Mit anderen Auftragskompositionen versuchte der Zentralrat der FDJ wiederum erfolglos, den Typus des alten Massenliedes wiederzubeleben. Während die Jugendlichen neue Wege mit ihren Liedern und Singen ausprobierten, änderte sich nichts an der Haltung der Jugendfunktionäre und -funktionärinnen zum Singen und zur Erziehung der Gefühle.94 Die Vorschläge, die sich an die staatlichen Überlegungen anschlossen, zeigten erneut, wie wenig Ahnung die Politiker/-innen von 88 89 90 91

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Zentralrat der FDJ: Über die Entwicklung des Singens in der Freien Deutschen Jugend, Beschluß des Zentralrates der FDJ vom 6. September 1966, in: BArch SAPMO DY 24 1583 o. Bl. (Herv. i. Or.). Siehe dazu Anonym (1966): »Der Funktionär für Lied und Gesang«, 47. Anonym (1966):"Wie studieren wir ein Lied ein?«, 67f. Beschluß des Büros des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend: Konzeption für die kulturpolitische Tätigkeit der Freien Deutschen Jugend bis zum 20. Jahrestag der Gründung der DDR, 10. Mai 1966, in: BArch SAPMO DY 24 6183, o. Bl., DS 3. Lutz Kirchenwitz behauptet wiederholend, dass der Begriff der Singebewegung erst ab März/April 1967 auftaucht, siehe Kirchenwitz (1976): Entstehung und Entwicklung der Singebewegung, 8. In: Junge Generation 10/1966, 77. Es gibt eine fast identische Version dieses Liedkataloges, nur dass noch das Weltstudentenlied eingefügt wurde, siehe: Zentralrat der FDJ: Grundrepertoire von Massenliedern für alle Grundorganisationen, in: AdK VKM 366, o. Bl. Auflistung des Grundrepertoires der 23 Lieder auch in: Schäfer (1998): Musikkultur der FDJ, 243. Vgl. Kynass (1967): »Von unserem Gesang«, 454; siehe auch: Anonym (1967): Kommt und singt mit. Wieder hieß es, die Jugend kann erreicht werden durch eine »enge Verbindung der rationalen und emotionalen Methoden der Erziehung und Selbsterziehung durch die Schaffung tiefer Gemeinschaftserlebnisse«, vgl. Beschluß des Büros des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend:

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Jugendmusik hatten. Trotz einer Folksong-, Chanson- und Jazz-Welle in den frühen 1960er Jahren und der Beatbewegung Mitte der 1960er Jahre blieben die Verfasser/innen der Konzeption an den üblichen Arbeiterliedern, Volksliedern sowie Jugendliedern der Nachkriegsjahre hängen.

Oktoberklub Aus dem Hootenanny-Klub wurde im Frühjahr 1967 der Oktoberklub. Im Zuge einer kulturpolitischen Offensive zur »Bekämpfung der amerikanischen Unkultur« musste sich der Hootenanny-Klub einen neuen Namen suchen. Auf Initiative der FDJ-Bezirksleitung am 24. Februar 1967 erhielt der Singeklub den Namen Oktoberklub als Reminiszenz an die »Große sozialistische Oktoberrevolution« 1917.95 Mit der Umbenennung signalisierte die FDJ unmissverständlich, dass etwas Neues beginnen sollte: »Hootenanny war vorbei, die Singebewegung hieß jetzt ›Oktoberklub‹, von einem Tag auf den anderen. Und ich war raus«, erinnerte sich Perry Friedman.96 Nun, da der Oktoberklub ganz und gar ein Kind des Jugendverbandes war, passte sein »amerikanische[r] Akzent« nicht mehr in das Hörbild. »Ich durfte alles machen, was ich wollte, nur nicht in der DDR singen.«97 Der Begriff »Folksong« wurde als zu Amerikanisch durch den der Volkslieder ersetzt.98 Für Perry Friedman bedeute diese Entwicklung tatsächlich ein Ende seiner aktiven Zeit in der DDR. Allerdings war er in der zweiten Hälfte der 1960er offiziell bei der FDJ als Berater für die Singeklubs angestellt.99 Der Oktoberklub startete 1967 seinen Siegeszug – ohne Perry Friedman, dem »Vater der Singebewegung«, am Mikrofon.100 Dem umbenannten Singeklub genehmigte die FDJ-Bezirksleitung mit der Berliner Volksbühne eine wesentlich größere Plattform, als es die Musiker/-innen von ihren bisherigen Klubabenden gewohnt waren. Sie durften am 4. März 1967 an einer Veranstaltung mit dem Titel »Kommt und singt« teilnehmen. Diese ersetzte den zuvor angekündigten Musikabend »Jazz & Folksongs« mit Manfred Krug, Gerry Wolff, EvaMaria-Hagen und Mitgliedern des Hootenanny-Klubs. Auf der neuen »Mitklatschgala« traten nicht mehr die namhaften Liedermacher/-innen auf, wohl aber die Mitglieder des Oktoberklubs zusammen mit dem Erich-Weinert-Ensemble der NVA. Sie sangen vor Hunderten geladenen »Jugendfreunden« viele traditionelle Kampflieder, Songs und Chansons und das erste Mal sehr prominent das 1966 entstandene Lied Sag mir, wo Du

Konzeption für die kulturpolitische Tätigkeit der Freien Deutschen Jugend bis zum 20. Jahrestag der Gründung der DDR, 10. Mai 1966, in: BArch SAPMO DY 24 6183, o. Bl., DS 2. 95 Vgl. Lied und soziale Bewegung e. V. (2016): Hootenanny ›66. Interessanterweise geht niemand der Diskutierenden darauf ein, dass die Umbenennung auch das Aus von Perry Friedman bedeutete. 96 Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 73. 97 Ebd., 78f. 98 Siehe dazu ein als Wendepunkt häufig zitierter ganzseitiger »Leserbrief«: Matthias Dautz: »Stimmt es an – unser Lied und singt alle mit!«, in: Junge Welt, 25. Februar 1967, 3. Der Autor, Lehrling im VEB »7. Oktober«, beschwerte sich über die Amerikanisierung der deutschen Sprache und forderte mehr Deutsch im Singen. 99 Vgl. Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, Abteilung Kultur: Einsatzplan für Perry Friedman MärzDezember 1969, 15. April 1969, in: BArch SAPMO DY 24 6773, o. Bl. 100 Friedman (2004): Wenn die Neugier nicht wär, 80.

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stehst von Hartmut König.101 Diese Veranstaltung hatte nichts mehr mit den gewohnten Jazz & Lyrik-Abenden zu tun oder der demokratischen Grundidee der Hootenannies. Mit der Losung »Auf dem Weg nach Karl-Marx-Stadt« eröffnete die FDJ mit dieser Veranstaltung die Vorbereitungen zum VIII. Parlament der FDJ, der ersten Großveranstaltung, auf der sich die frisch adoptierte Singebewegung als FDJ-Initiative beweisen sollte. Es waren die alten Jugendlieder, die Hits der 1950er Jahre, mit denen die Organisatoren und Organisatorinnen wieder das Feuer einer begeisterten Jugend entzünden wollten, D Wedding (1929, Erich Weinert/Hans Eisler); Einheitsfrontlied; Du hast ja ein Ziel vor den Augen und das Aufbaulied der FDJ (1948, Berthold Brecht/Paul Dessau). »Sie [die Lieder] entzündeten ebenso, wie in den Jahren ihres Entstehens. Nur singen muß man sie!«102 Im Mai 1967, auf dem Pfingsttreffen der Jugend in Karl-Marx-Stadt übernahm der Oktoberklub die Vorbildrolle, die er über viele Jahre innehaben sollte. Lutz Kirchenwitz, als Mitglied des Oktoberklubs, sprach vor 2.500 Versammelten über die Bedeutung des Singens als »natürlichen Ausdruck unseres Denkens und Fühlens« und bediente dabei die altbekannten Vorstellungen der Jugendfunktionäre und-funktionärinnen. »Das Lied muß sich organisch in unseren Alltag einfügen. Das Singen muß zu einer guten Gewohnheit werden«; »Spaß« und das »ernsthafte Bekenntnis zur Stärkung unserer Republik« würden dann Hand in Hand gehen.103 Die Frage ist, ob und wie die »kulturpolitisch bedeutende Aufgabe«104 der Singeklubs sich zu den Wünschen und Vorstellungen der Jugendlichen verhielt.

Der Singeklub als »Freizeitkollektiv«? Der März-Abend 1967 in der Berliner Volksbühne war inszeniert. Doch kann er als Startpunkt einer bereitwillig angenommenen Musikbewegung gelten, die zahlreiche Jugendliche in der ganzen Republik erfasste. Eine erste große Welle der SingeklubGründungen gab es 1967 anlässlich des Pfingsttreffens der Jugend in Karl-Marx-Stadt. Die Klubs waren präsent im alltäglichen Erleben der Jugendlichen, sei es in den Zeltlagern, den »Naherholungs- oder Ferienzentren«, während der Sommerferien oder in der Armee. Im Schneeballsystem sollten existierende Klubs Schüler/-innen, Auszubildende und Studierende zur Gründung ihrer jeweils eigenen Singeklubs inspirieren.105 101 102

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Das Lied wurde neben den Bericht im Neuen Deutschland mit den Noten und Text abgedruckt, siehe: Klaus Höpcke: »Drum links zwei, drei«, in: Neues Deutschland, 6. März 1967, 5. Darüber, wie der Abend ausklang, sind sich die Zeitungsberichte allerdings nicht einig. Die Berichterstatter des Neuen Deutschlands glaubten mit dem Solidaritätslied von Brecht/Eisler verabschiedet worden zu sein. Der Reporter der Neuen Zeit hörte am Ende »jenes Lied, das so überzeugend unser neues sozialistisches Lebensgefühl ausstrahlt: ›Wer singt heute schon die Lieder von Morgen? – Wir, wir, wir‹.« Vgl. Kr.: »Sie kamen und sangen. Begeisternde Veranstaltung vereinte in der Volksbühne zahlreiche Jugendliche«, in: Neue Zeit, 7. März 1967, 5. Kirchenwitz (1967): »Wo wir stehn und was wir singen«, 36. Anonym: »Singen mit Freude und Talent. Zur Werkstattwoche der Singeklubs in Halle«, in: Neue Zeit, 8. Oktober 1967, 4. In diesem Sinn wirkten auch Mitglieder des FDJ-Singestudios Müritz mit ihren Gitarren und Banjos auf einem Zeltplatz in Binz, die dort auf eine Gruppe »Berliner Beat-Fans« trafen. Diese gründeten

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Auf dem Pfingsttreffen 1967 ließ sich in der Tat eine Veränderung beobachten. Euphorisch hieß es in der Jugendpresse, das sei »das Fest der neuen Lieder. […] Gesungen wird in Hauseingängen, unter dem Sonnenschutz einer Bockwurstbude, sogar im Fußgängertunnel, im… auf… – überall!!«, oder in einem »tausendstimmigen Chor« am Abend des ersten »Festtages«.106 Eine neue Form des Singens war im Frühsommer in Karl-Marx-Stadt anzutreffen: dezentralisiert und scheinbar unorganisiert. Genauso hatte sich der Ton der Lieder verändert. Auch wenn der FDJ-Zentralrat wieder ein »Grundrepertoire« für den »Massengesang« zum Pfingsttreffen festgelegt hatte, die Jungen und Mädchen sangen zu ihren Gitarren am liebsten neu arrangierte Volkslieder, Songs und Chansons, Jugendlieder, Scherz- und Liebeslieder.107 Die Gitarre legten sie nur noch zum Schlafen aus der Hand, das waren jedenfalls die Erinnerungen der Mitglieder des Singeklubs 67 aus Karl-Marx-Stadt.108 Erleichtert stellten musikwissenschaftlich geschulte Beobachter/-innen fest, dass die Jugendlichen kaum Schlager sangen, sondern bekannte, wenn auch neuarrangierte und instrumentierte Lieder, die ein bisschen nach Beat, Jazz und Folksong klangen.109 Damit konnte der Zentralrat einen Höhepunkt des Singens ausrufen, auch wenn anders gesungen wurde, als es die Funktionäre und Funktionärinnen geplant hatten. Dieses Anders-Singen hörte sich in den offiziellen Ohren zwar ungewohnt, aber nicht falsch an.110 Zu diesem Zeitpunkt war Jürgen Langhans gerade 13 Jahre alt und Thälmannpionier der 7. Klasse in Strausberg, einer Kreisstadt östlich von Berlin. Im Alter von acht Jahren begann er auf Wunsch seiner Eltern Akkordeon zu lernen, etwas »vernünftiges« sollte aus ihm werden, kein »Gammler«. Mit 10 Jahren wechselte er an die Musikschule Strausberg und begann dort eine systematische musikalische Ausbildung an der Oboe. Schon bald komponierte er sein erstes Lied, den »Tanz der Freundschaft«, woraufhin er an der Musikschule Berlin-Mahlsdorf zusätzlich für ca. vier Jahre Kompositionsunterricht erhielt. Zu Hause experimentierte Jürgen Langhans mit einem handelsüblichen tschechischen Tonband B 46. Sein Ziel war es, mehrspurige Aufnahmen hinzubekommen, um »sich selber bespielen und begleiten« zu können. »Es macht mir Freude, wenn ich ganz allein ein vollständiges Arrangement synchronisieren kann«, schreibt er als 17-Jähriger.111 Der musikbegeisterte Jugendliche wollte unbedingt Tonmeister werden, doch nur 3 bis 4 Jugendliche pro Jahr durften mit der entsprechenden Ausbildung be-

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in ihren eigenen Wohnbezirken Singeklubs, siehe: Schade (1968): »Den Singeklubs in die Werkstatt geschaut«, 21f. Vgl. H. W. (1967): »Karl-Marx-Städter Episoden«, in: Neues Leben, 11. Umfrage auf der 1. Werkstattwoche, 1967, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl. Die Beliebtheit der Lieder ergab sich in der oben zitierten Reihenfolge. Schimm (1968): »Den Nerv der Zeit«, 16. Hillmann (1968): »Situation des Liedgesanges«, 742. Einhellig wurde das Pfingsttreffen als ein Höhepunkt für das gemeinschaftliche Singen beschrieben, vgl. Hillmann (1968): »Situation des Liedgesanges«, 742 und Hoffmann (1969): »Untersuchung zur Singebewegung«, 296. Schon im Vorfeld diagnostizierte der Musikwissenschaftler Ernst H. Meyer ein »Aufleben« des Liedgesanges, nachdem es für längere Zeit »ins Stocken« geraten sei, siehe Ernst Meyer: »Wovon wir singen wollen«, in: Neues Deutschland, 2. April 1967, 8. Jürgen Langhans: Schreiben an DT 64, Strausberg, den 3. Mai 1971, in: PA Jürgen Langhans und Langhans (2017): »Tonmeister«.

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ginnen. Auch wenn damit sein Traum unerfüllt blieb, charakterisiert Jürgen Langhans bis heute eine große Verbundenheit zur Musik.112 Seine ersten Hör- und Singeerfahrungen mit den neuen Liedern der Singebewegung machte Jürgen Langhans als Schüler der Musikschule Strausberg. Dort gab es nicht nur das übliche Pionier- und Jugendsinfonieorchester, sondern auch ein spezielles Kulturensemble mit den Schülern/-innen der Musikschule. Unter der Leitung einer Frau Bräutigam reiste dieses Ensemble mit »Freundschaftszügen« in die Sowjetunion oder trat in Strausberg und Umgebung im Rahmen von Veranstaltungen der Volkssolidarität auf. Jürgen Langhans hat das Musizieren in diesem Ensemble viel Spaß gemacht, das war »ein bisschen action« und man ist mal »rausgekommen«.113 Bemerkenswert ist, dass schon Ende der 1960er auch in diesem offiziellen Kulturensemble der Musikschule die Lieder der Singebewegung angekommen waren. Das zeigt, wie sehr es den Singeklubs gelungen ist, das »Grundrepertoire« des Zentralrates mit ihren eigenen Liedern zu durchmischen. Mit diesen Liedern lernte Jürgen Langhans Gitarre spielen. In einem Brief an den Jugendsender DT 64 vom 3. Mai 1971 schrieb er über sich selbst: »Seit meinem 10. Lebensjahr beschäftige ich mich außerhalb der Schule mit Musik. […] Sie ist mein schönstes Hobby geworden, und heute, da ich ja nun fast erwachsen bin, bemerke ich auch, daß man durch Musik und Gesang den Menschen nahekommt und ihnen die Gedankengänge unserer neuen Gesellschaftsordnung in unaufdringlicher Weise verdeutlichen kann, nicht zuletzt erkannte ich die Wirkung der neuen Lieder, indem ich die Singebewegung interessiert verfolge und Anregungen suche.«114 Langhans war eifriger Hörer des Jugendsenders und begann schon in seiner Schulzeit die Lieder mitzuschneiden, die ihm gefielen. Stolz berichtete er in dem Interview von Liedaufnahmen von Hannes Wader und Franz Josef Degenhardt. Entsprechend vorgeprägt war Jürgen Langhans, als er 1970 nach der 10. Klasse nach Schwedt ging, um dort seine dreijährige Berufsausbildung mit Abitur zu beginnen. Zusammen mit dem Ausbildungsvertrag erhielt er ein weiteres Formular, auf dem er angeben musste, was er in seiner Freizeit machen wolle. Zur Auswahl standen nach seinen Erinnerungen Judo, Handball Singeklub oder der »Klub der schreibenden Arbeiter«. »Für mich war klar, dass ich Singeklub mache, da ich nichts Anderes kannte.«115 112 113 114

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Er komponiert und arrangiert weiterhin Lieder, die er in seinem privaten Tonstudio aufnimmt und online veröffentlicht. Alle wörtlichen Zitate, die nicht näher gekennzeichnet sind, stammen aus dem Interview mit Jürgen Langhans, von der Autorin geführt, Karlsruhe, 4. März 2017. Jürgen Langhans: Schreiben an DT 64, Strausberg, den 3. Mai 1971, in: PA Jürgen Langhans. Mit dem Schreiben hat er eine Aufnahme eines seiner Liedarrangements Der Weg dem Sender geschickt, mit der Bitte, dieses auszustrahlen. Zudem wünschte er sich, eines der Tonstudios von DT 64 besichtigen zu dürfen. Aus beiden Anliegen ist aber nichts geworden. Es ist nicht klar, wer dieses Formular austeilte und wer dementsprechend diese Freizeitangebote organisierte. Denkbar ist es, dass die FDJ-Grundorganisation federführend war und die Kulturangebote in Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Organisationen, wie dem FDGB organisierte, die an dem Standort Schwedt vertreten waren. Jürgen Langhans erinnert sich aber deutlich daran, dass man diesen Fragebogen ausfüllen musste, demzufolge auch an irgendeinem Freizeitklub teilnehmen musste.

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Jürgen erinnert sich sehr deutlich an seine erste Begegnung mit dem Singeklub des PCK Schwedt »Oder-Neiße«, wie er offiziell hieß. Die Jungen und Mädchen sangen Lieder über den Vietnamkrieg und über Angela Davis. Ein Lied stammte von dem Singeklub selbst: »In Englisch bin ich nicht sehr beschlagen/ich kann nur deutsch sprechen und verstehen/doch verstehe ich alle, die da sagen »Yankee go home«. Ein paar spielten Gitarre, die meisten sangen, das sei der typische Singeklub-Sound gewesen, berichtete Jürgen Langhans. Das hat ihn damals »schwer beeindruckt« und er bat darum, mitmachen zu dürfen. Der »Singeklub Oder-Neiße« entstand im September 1969.116 Er wurde von den Lehrlingen der Betriebsberufsschule (BBS) des VEB PCK (Volkseigener Betrieb Petrolchemisches Kombinat) Schwedt gegründet. Damit lag der Schwedter Singeklub voll im Trend. Nach dem Vorbild des Oktoberklubs entstanden DDR-weit Hunderte neuer Singeklubs: an Schulen, Universitäten, in Betrieben und den Ortsgruppen der FDJ oder den Verbänden der NVA. Bereits im Laufe des Jahres 1967 zählte die FDJ um die 500 Singeklubs.117 Bis zu den Weltfestspielen 1973 gab es zwischen 3.800 bis 4.500 Singeklubs. Danach nahm das Phänomen der Singeklubs ab. Geht man im Mittelwert von circa 4.000 Klubs im Jahr 1973 aus, die im Schnitt 15-20 Mitglieder hatten, kommt man auf eine Gesamtzahl von 60.000 bis 80.000 Jugendlichen, die 1973 in einem Singeklub aktiv waren. Das entsprach allerdings nicht mehr als 2 bis 2,6 Prozent der Jugendlichen, bzw. 4 Prozent der FDJler/-innen.118 Unabhängig davon ist zu bedenken, dass es ein ständiges Kommen und Gehen in den Singeklubs gab. Im Verlaufe dieser ersten fünf Jahre hatten daher wesentlich mehr Jugendliche Kontakt zu der Bewegung. Diese sind aber zahlenmäßig nicht erfasst.119 Eine Erhebung des Zentralinstitutes für Jugendforschung im Herbst 1973 unterstrich den ernüchternden Befund zur tatsächlichen Verbreitung der Singeklubs. Befragt nach ihrer Bereitschaft zur aktiven Teilnahme an »verschiedenen Formen gesellschaftlicher Tätigkeit«, gaben nur 16 Prozent der befragten Jugendlichen an, gern an der Singegruppe teilzunehmen, 6 Prozent kreuzten »ungern« an, 25 Prozent waren noch nicht

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Jürgen Langhans: Zielstellung des »Singeklubs Oder-Neiße«, Schwedt, 6. Dezember 1972, in: PA Jürgen Langhans. Zentralrat der FDJ: Beschluss über die Konzeption für die 1. Werkstattwoche der FDJ-Singeklubs der DDR vom 24. September bis zum 1. Oktober 1967 in Halle, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl, DS 2. Das ergibt sich, wenn man für 1973 eine jugendliche Bevölkerung (14- bis 26-Jährige) von 3.019.673 annimmt (Schulze/Noack (1995): DDR-Jugend, 26). Nimmt man circa 2 Mio. FDJ-Mitglieder im Jahr 1973 an, waren davon maximal 4 Prozent in der Singebewegung aktiv. In diesem Sinn formulierte die FDJ-Kreisleitung Beeskow an das Staatliche Rundfunkkomitee ihre Unzufriedenheit darüber, wie wenig die Singebewegung angenommen wurde. Vgl. Schreiben vom 7. April 1971, in: Hörerpost FDJ-Gruppen, in: DRA H086-02-04/0009, Bl. 19f.: »Die Singebewegung ist immer noch nicht fester Bestandteil des Jugendlebens geworden, im Kreis gibt es circa 70 Singegruppenmitglieder.« Siehe dazu die statistischen Jahresberichte der Stadtleitung der FDJ Dresden. Diese geben darüber Auskunft, wie groß das Kommen und Gehen der Singeklubs tatsächlich war. So gab es im Januar 1969 beispielsweise noch 57 Singeklubs in der Bezirksstadt, zwei Monate später nur noch 44. Im Jahre 1968 sangen in der Summe 5.651 Jugendliche in allen Singeklubs Dresdens. Diese Zahlen verweisen auf eine hohe Fluktuation innerhalb der Singeklubs. Die Statistik vermeldete mehr als 1.000 »Abgänge« und 1.200 »Zugänge«, siehe: Stadtleitung Dresden: FDJ-Kursbücher und Statistiken, in: HStA Dresden 12484 Nr. 1605, o. Bl.

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in einem Singeklub, würden es aber gern sein und 51 Prozent äußerten sich ablehnend. Sie würden weder teilnehmen, noch hätten sie vor, zu einem Singeklub zu gehen. Damit lagen die Singegruppen auf der Beliebtheitsskala an vorletzter Stelle nur knapp vor »Arbeit als Agitator oder Propagandist« und deutlich hinter der »vormilitärischen Ausbildung«.120 Weiterhin ist zu bedenken, dass die Singebewegung überwiegend die städtische Schul- und Hochschuljugend ansprach. Kirchenwitz typisiert die Mitglieder der Singebewegung daher als politisch interessierte Schüler/-innen, die Abitur machten und später in die SED eintraten. Das Durchschnittsalter lag bei 18 Jahren. Nahezu 100 Prozent der Mitglieder waren bei der FDJ.121 Die Bedeutung der Singeklubs lag aus diesen Gründen vor allem in ihrer Präsenz und Hörbarkeit und weniger in der aktiven Teilnahme der Jugendlichen. Wenn auch vergleichsweise wenig Jugendliche selbst in den Singeklubs mitmachten, waren die Lieder über Rundfunk, Presse und Fernsehen bekannt und die singenden Jugendlichen gehörten in ihren Blauhemden zu zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen. Der Singeklub in Schwedt war einer der wenigen Arbeitersingeklubs. Daher hatte er für die FDJ-Bezirksleitung eine besondere Bedeutung. Jürgen Langhans erinnert sich an circa zehn Mitglieder. Filmaufnahmen aus der Zeit, Fotos und Rechenschaftsberichte belegen jedoch, dass circa 20 Jugendliche im Singeklub mitmachten. Bis 1972 stand der Klub unter der musikalischen Leitung von Ullrich Schröder, danach übernahm Jürgen Langhans diese Funktion. Interessanterweise war der eigentliche Leiter aber »ein Erwachsener«, nicht einer der Lehrlinge, erinnerte sich Langhans, wahrscheinlich jemand von der FDJ-Ortsgruppe, »jemand, der etwas zu sagen hatte«. So betonte Langhans: »Wir waren überhaupt nicht selbstständig, wir haben gemacht, was man so wollte, und das hat Spaß gemacht.« Dieser Eindruck lässt sich durch Berichte in einschlägigen Zeitungen und Zeitschriften unterstützen. Die Jugendlichen fanden ihre Lieder und Informationen in der verbandseigenen Zeitschrift Junge Welt, in der Fernsehzeitschrift FF Dabei oder in den einschlägigen Jugendzeitschriften Junge Generation, Neues Leben oder Forum. Die eigentlichen Anleitungen zur Gründung und Leitung eines Singeklubs jedoch, die Diskussionen über die Auswahl der Lieder und Planung von Veranstaltungen erschienen in dem Magazin Melodie & Rhythmus und der Fachzeitschrift Volksmusik. Viele Artikel gaben Ratschläge für Singegruppenleiter/-innen. Daneben gab es unzählige Schulungen für die Ausbildung von »Singefunktionären«. Damit standen klar die Erwachsenen für die Singeklubs in der Verantwortung. Auch wenn die Singefunktionäre und -funktionärinnen in Methoden der sozialistischen Persönlichkeitsbildung geschult wurden, ging es in erster Linie darum, die Jugendlichen zu befähigen, die zahlreichen Auftritte zu meistern. Das lässt sich beispielhaft an dem »Singeklub Oder-Neiße« zeigen. Der Singeklub war ständig zu Aufführungen geladen: »Man hat geprobt für einen speziellen Auftritt«, erinnerte sich Langhans, »das wurde von wem auch immer organisiert«. Die Jungen und Mädchen sangen zu Studentenfesten, zum Frauentag, zum Tag

120 Zentralinstitut für Jugendforschung (1974): Jugend und Internationalismus, Bl. 11. 121 Kirchenwitz (1976):Entstehung und Entwicklung der Singebewegung, 12, 25: Die zahlreichen Fotos in den Medienberichten unterstützen den Eindruck, dass es sich um diese Altersklasse handelt; fast immer tragen die Jugendlichen zu den öffentlichen Auftritten ihre FDJ-Blusen.

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der Nationalen Volksarmee, zum 1. Mai und 7. Oktober. Sie marschierten mit den Gitarren bei den »klassischen Pflichtterminen« mit und begleiteten danach »irgendeinen Festakt«. Hinzu kamen Termine innerhalb des Betriebes. Im Mai 1973 war der Singeklub auch in Polen zu Besuch in einem befreundeten »Patenbetrieb«. Da der »Singeklub Oder-Neiße« der einzige in Schwedt war, hatten die Jugendlichen alle Termine allein zu bewältigen. Im November 1972 kam der Klub zwölfmal zusammen, da die Jungen und Mädchen für die Eröffnung des neuen »Singezentrums« am 18. November in Schwedt proben mussten. Zudem wurde die neue Klubleitung gewählt und der Arbeitsplan für Januar erstellt. Zusätzlich gab es ein Treffen mit »staatl. Leitern« und eine »Konsultation mit dem Zirkel Schreibender Arbeiter«. Im Dezember stand kein weiterer Auftritt an, daher trafen sich die Jungen und Mädchen nur einmal wöchentlich. Der Dezember startete mit »Diskothek im Singezentrum« und endete mit einer Klubratssitzung zur »Ausarbeitung des Planes im Januar«.122 Die Eröffnung des »Singezentrums« fiel unter die Maßnahmen, mit denen die FDJ die Jugend mit verlockenden Freizeitangeboten an sich binden wollte.123 In dem »Singezentrum« gab es nicht nur Unterricht und Anleitung, sondern es fanden auch selbst organisierte Diskotheken statt. Westliche Rockmusik erklang dort, genauso wie DDRSchlager. Jürgen Langhans selbst kümmerte sich im »Singezentrum« Schwedt um die Technik und legte als DJ die Musik auf. Gefragt war nach seinen Erinnerungen ein bunter Mix aus Schlagern und Rocksongs, wie One of these days von Pink Floyd oder Songs der Rolling Stones, wie Sweet Lady Jane oder der Hard-Rock-Band Steppenwolf. Auf einer überlieferten Wunschliste des Publikums vom 7. Oktober 1972 standen zudem Needles and Pins von den Smokies, Give Ireland back to the Irish von Paul McCartney, Spinning Wheel von Blood, Sweat & Tears oder Silver Machine von der Rockband Hawking.124 Mit diesen Musikwünschen unterschieden sich die Jugendlichen im »Singezentrum« Schwedt zum 23. Jahrestag der Gründung der DDR wahrscheinlich nicht wesentlich von ihren Altersgenossen/-innen jenseits der Mauer. Neben diesen Musikwünschen wurden aber auch die neuen »Festivallieder« für die Weltfestspiele in Berlin 1973 gespielt. Das machte wiederum den Unterschied aus. Die Festivallieder sangen die Lehrlinge des »Singeklubs Oder-Neiße« 1972/73 zu jeder Gelegenheit. Ihr Einsatz war in Vorbereitung auf das Großereignis in Berlin 1973 noch stärker gefragt, als bisher. Daran zeigt sich eine typische Entwicklung der Singeklubs in dieser Zeit. Die ursprüngliche Idee des »Mitsingens« wurde mit den zahlreichen Auftritten von der Praktik des »Vorsingens« abgelöst. Das war jedoch nicht nur »das Resultat der gestiegenen Ansprüche der Singeklubs an sich selbst«, sondern auch der gezielten Vereinnahmung der Klubs für Repräsentationszwecke durch die FDJ.125 Dieser Unterschied zwischen Mitsinge- und Vorsingeklubs war für Jürgen Langhans Arbeitsplan, November/Dezember 1972, in: PA Jürgen Langhans. Diese Entwicklung in Schwedt ist prototypisch. Überall in der Republik entstanden in Hinblick auf die Weltfestspiele in Berlin 1973 neue Jugendklubs. 124 Liste der Wunschtitel vom 7. Oktober 1972, in: PA Jürgen Langhans. Die Liste wurde auch mit Grüßen beschrieben und ging zwischen dem Diskjockey und dem Publikum hin und her. 125 Oppel (1968): »An der Waterkant«, 22. Das erste Anliegen der Singeklubs sei es, »möglichst viele junge Menschen für den Gesang zu begeistern, Anregungen zu vermitteln, Aktivitäten zu wecken«. Daher seien die Singeklubs eben auch keine »Auftrittsensembles, sondern Katalysatoren bei der

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1970 nicht mehr spürbar. Er war es nicht anders gewohnt, als für bestimmte Termine und Auftritte zu proben, das erfüllte ihn: »Ich habe damals an gar nichts anderes gedacht, ich wollte nur Gitarre spielen und ein bissel singen und die Leute sollten klatschen, da war ich schon zufrieden.« Die Singeklubs waren nicht nur ein musikalisches Phänomen, sondern sie ermöglichten auch einen erzieherischen Zugriff auf die Heranwachsenden. Denn als »Freizeitkollektive« hatten die Klubs »politische und musikalisch-ästhetische Aufgaben« zu erfüllen.126 »Unterhaltung« und »Freude am Singen« sollten verbunden werden mit »ideologischer Erziehungsarbeit«.127 »Singeklub, statt Singeklub«, so brachte Lutz Kirchenwitz die erwünschte Doppelfunktion der Singeklubs auf den Punkt.128 Der Singeklub galt demnach nicht ausschließlich als Ort des gemeinsamen Singens, sondern als Ort der gemeinsamen Freizeit. Die »Freizeitstudie« des Leipziger Institutes für Jugendforschung 1967 unterstrich den kaum überraschenden Befund, dass »Geselligkeit« ein großes Thema unter den Jugendlichen gewesen war.129 Die Studie stellte zugleich aber auch heraus, dass nur ein kleiner Teil der befragten FDJler/-innen seine Freizeit in FDJ-Gruppen und damit eben auch in Singeklubs verbrachte.130 Insofern war der erwünschte Zugriff auf Freizeiträume nicht ohne Weiteres möglich, aber dennoch nicht ausgeschlossen. Auch Jürgen Langhans beschrieb den »Singeklub Oder-Neiße« als soziales Phänomen. Im September 1970 kam der damals 16-Jährige in eine fremde Stadt. Die wöchentlichen Treffen mit den Mitgliedern des Singeklubs ermöglichten es ihm, schnell Kontakt zu schließen: »Wir waren alle so auf derselben Schiene, wir wollten einfach ein bissel Spaß haben, mal in der Woche zusammenkommen, rausfahren und Musik machen.« Über Politik wurde genauso wenig diskutiert, wie über den Inhalt der Lieder. »Wir haben einfach nur die Lieder gesungen, daraus ergab sich ja dann schon, wenn man den Inhalt singt, de facto die richtige Richtung. Also ich habe keinerlei Diskussionen darüber erlebt. Für uns war die Welt noch in Ordnung, da 1970.« Im Rückblick räumt Langhans immer wieder ein, dass er zu diesem Zeitpunkt noch sehr »unselbstständig« gewesen sei, politisch wenig orientiert oder interessiert. Jürgen Langhans hat in dieser Zeit gefilmt. Es liegen fünf 8-mm-SchmalfilmAufnahmen ohne Ton vor.131 Diese Filmaufnahmen dokumentieren seinen Blick auf den Singeklub als einem »Freizeitkollektiv«. Er drehte in den Pausen und den Zeiten vor oder nach den Auftritten, nur ganz selten den Singeklub auf der Bühne selbst. Die circa 20 Jungen und Mädchen tollten auf Spielplätzen herum, schlenderten Arm in Entwicklung des Singens«, vgl. Rainer Majewski: Schreiben an die Redaktion des Jugendmagazins ›Neues Leben‹, 23. Februar 1968, in: BArch SAPMO DY 24 6773, o. Bl. 126 Stanislau (1972): FDJ-Singebewegung, 4. 127 Ebd., 4. 128 In Wunderlich/Hönig (1968): Oktav Nr. 5, 2. (Herv. i. Or.). 129 Kalina (1967): Jugend und Freizeit, 50: Der Anteil der Freizeit, die mit »guten Freunden« verbracht wird, sei »bei jungen Menschen beträchtlich«. 130 Kalina (1967): Jugend und Freizeit, 55. 131 Gegenstand der Filme sind die folgenden Ereignisse: 7.-15. Juli 1972: 6. Werkstattwoche der Singeklubs, Neubrandenburg; 1973: Bezirkswerkstatttage Eisenhüttenstadt; 1973: »Singeklub OderNeiße« zu Gast in Polen, 20. Mai; 1973: X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin, 28. Juli bis 5. August 1973: Probe des Singeklubs und des Kabaretts, Schwedt.

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Arm durch Neubrandenburg oder Berlin. Sie pflückten Blumen, flirteten miteinander, sangen auch ab und zu völlig ungezwungen in einem Eiscafé in der Neubrandenburger Innenstadt oder auf einem Aussichtsturm mitten im Grünen. Sie aßen, rauchten, tranken, lachten, tanzten zusammen und hatten viel Körperkontakt. Jürgen Langhans bestätigt, dass sich im Klub die ersten oder auch mal die zweiten Lieben gefunden haben. Die zahlreichen Fahrten zu den zentralen Treffen oder auch nach Polen hatten offensichtlich die Jugendlichen zusammengeschweißt, das ist den Filmaufnahmen deutlich anzusehen. »Musik machen«, zusammen sein und Spaß haben, das passte für die Jungen und Mädchen des »Singeklubs Oder-Neiße« wie sicherlich auch für viele andere gut zusammen. Die Singeklubs waren die Orte, an denen sich die Jugendlichen mit Gleichaltrigen trafen und mit ihren Gitarren, Banjos und selbst gebauten Verstärkern Klänge ausprobieren konnten. Gemeinsam bastelten sie an Texten und Melodien, testeten, was gut klang, imitierten das, was aus dem Radio kam, ob es westliche Beatmusik war oder die Lieder des Oktoberklubs. »Im Singeklub habe ich dauernd das Gefühl, gebraucht zu werden. Nicht nur mit dem, was ich tue, auch mit dem, was ich denke«, betonte ein 17-jähriger Schüler im Interview mit der Zeitschrift Neues Leben.132 Zugleich gab die FDJ über die »Singefunktionäre« und die Leitung der Klubs vor, was an politischideologischer Erziehung in diesen Freizeiträumen geschehen sollte. In diesem Sinn stellte in der Studentenzeitschrift Forum im November 1969 ein Bericht das gesellige Leben in diesen Klubs dar. Singeklubs waren demnach Räume, in denen Jugendliche Spaß haben konnten und Freundschaften pflegten. Die Einflussnahme der FDJ sollte nicht spürbar sein. Aber, »[d]as Interesse am Singen und am Umgang mit Musik ist dabei ein Kristallisationspunkt, um den sich viele andere Interessen gruppieren«.133 Singen sei demnach »wirkliches Handeln«.134 Gerade deshalb war es so notwendig für die FDJ -Funktionäre und -funktionärinnen, das Singen zu organisieren und im Blick zu behalten, welche Lieder in den Singeklubs tatsächlich gesunden wurden.

Das Singeklublied. »Gute Gefühle, aber keine Gefühlsduselei« Traditionelle Lieder 1966 sangen die Jugendlichen bei den Hootenannies jiddische, deutsche und internationale Volkslieder: Wenn alle Brünnlein fließen; Zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal oder As der Rebbe weijnt.135 Es erklangen Protestlieder der amerikanischen Liedsänger/-innen Bob Dylan, Joan Baez und Pete Seeger, die die Jugendlichen kopierten und sich als Vorbilder für neue, eigene Lieder nahmen.136 Hinzu kamen Lieder gegen den Vietnam-Krieg oder 132 133 134 135 136

Anonym (1970): »Singen Sie?«, 18. Anonym (1969): »Modellfall Singeklubs«, 17. Ebd. Vgl. die Platten Amiga (1966): Hootenanny mit Perry Friedman; Amiga (1966): Hootenanny mit Perry Friedman 2. Oppel (1974): »FDJ Singebewegung«, 24.

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gegen die atomare Bedrohung, auch Lieder der bundesrepublikanischen Ostermarschbewegung, namentlich von Dieter Süverkrüp oder Franz Josef Degenhardt. Was sich in ihren Programmen selten wiederfand, das waren die Lieder aus den von den FDJFunktionären und -Funktionärinnen beschlossenen »Grundrepertoire«: Keine Internationale, kein Dem Morgenrot entgegen; Brüder, zur Sonne, zur Freiheit und Wann wir schreiten Seit an Seit auch nicht das Weltjugendlied oder Blaue Fahnen nach Berlin.137 Die fehlenden FDJ-Jugendlieder provozierten die Kritik von Jugendfunktionären/-innen. Die Singegruppen würden nicht genügend kontrolliert werden, wären ungenügend in die Arbeit der »Kreisleitungen integriert« und den Liedern würde der »politische Gehalt« fehlen.138 Für den Zeitraum 1966 bis 1973 lassen sich circa 350 verschiedene Lieder aus dem Umfeld der Singebewegung dokumentieren.139 Weit über die Hälfte dieser Lieder (mit 197 entspricht das 56 Prozent) waren Neukompositionen der Singeklubs. Die anderen zählten zu den Volksliedern (21 Prozent), Arbeiterliedern (10 Prozent) und zu jeweils weniger als fünf Prozent waren Jugendlieder und internationale Protestsongs vertreten. Fast ein Drittel der am häufigsten gesungenen Lieder in der Singebewegung sind den Arbeiter- und Protestliedern zuzurechnen.140 Die »Hits« der späten 1940er und 1950er Jahre wurden jedoch abgelöst von bis dahin eher unbekannten Liedern, wie dem italienischen Revolutionslied Bandiera Rossa (original italienisch: Carlo Tuzzi/Melodie eines italienischen Volksliedes/dt. Fassung: Peter Hacks), dem kubanischen Revolutionslied Adelante Cubanos (Marsch des 26. Juli) (1953, Agustín Diaz Cartaya/dt. Nachdichtung: Erwin Burkert), Casey Jones (1911, original amerikanisch: Joe Hill/1963, dt. Fassung: Heinz Kahlau) und den russischen Liedern Partisanen von Amur und Budjonny Reiterlied (original russisch: Dimitri und Daniel Pokrass/1936, dt. Fassung: Erich Weinert). Andere deutschsprachige Arbeiterlieder erfuhren ebenfalls ein Revival in der Singebewegung. Dazu zählten Dem Morgenrot entgegen (1907, Heinrich Eilderman/auf die Melodie des Andreas-Hofer-Liedes); Der kleine Trompeter (1925, unbekannt/Melodie: Von allen Kameraden), Hans-Beimler-Lied (1938, Ernst Busch/Melodie: Ich hatt‹ einen Kameraden); Einheitsfrontlied und Der rote Wedding (1929, Erich Weinert/Ernst Busch, Hanns Eisler). Auffallend ist, dass es kaum eine Schnittmenge mit den Arbeiterliedern der 1960er Jahre gibt, die jenseits der Singebewegung in den Schulen oder zu größeren Veranstaltungen 137

Darauf verweisen diverse überlieferte Programme, vgl. Abteilung Kultur der Bezirksleitung der FDJ Berlin: Repertoire für die Tournee des Oktoberklubs in Westdeutschland vom 26. bis 29. 10. 67, Berlin, 4. Oktober 1967, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o.Bl und Abteilung Kultur des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend: Werkstattimpulse, 1969, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl., DS 14. 138 Probleme in der Vorbereitung der III. Werkstattwoche (handgeschriebener Bericht, ohne Name, ohne Datum), in: BArch SAPMO DY 24 2087, o. Bl. 139 Für die folgende Übersicht wurden ausgewertet die Liedhitparaden von DT 64, DT 64 Liederbücher, Oktav-Hefte, Programme der Werkstattwochen, Liedblätter in der FF DABEI (ab 21. Mai 1967), Liedblätter aus den Jugendzeitschriften Junge Generation und Neues Leben sowie Programme, die sich in Akten des Bundesarchives befanden. Damit können nur die Lieder berücksichtigt werden, die auf irgendeine Art auch verbreitet und bekannt waren. Mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass in den einzelnen Singeklubs auch immer wieder neue Lieder entstanden, die nicht den Weg in eine breitere Öffentlichkeit gefunden haben. Es lässt sich aber auch begründet davon ausgehen, dass die bekannten Lieder prototypisch das Liedschaffen in den Singeklubs abbilden. 140 Das Kriterium für Relevanz ist erneut die Häufigkeit in den Materialien. Alle Lieder, die mindestens vier Mal in den analysierten Materialien auftauchen, werden im Folgenden berücksichtigt.

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gesungen worden sind. Während die alten Arbeiterlieder ihr Revival erlebten, fielen die Volkslieder fast völlig aus dem Repertoire der häufigen Lieder.141 Ebenfalls schafften es nur vier Jugendlieder aus den vorangegangenen Jahren in die Programme der Singeklubs.142 Schaut man sich die Liste der wiederentdeckten Lieder an, fällt eine neue Vorliebe für melodramatische Balladen auf, wie Der Kleine Trompeter oder das Hans-Beimler-Lied. Beide Lieder besingen den tragischen Helden, der als »Freiheitskämpfer« bei den spanischen Interbrigaden oder als »Rotgardistenblut« im Straßenkampf von einer feindlichen Kugel getötet wurde. Ihr Tod war ungerecht, aber nicht überflüssig in der Interpretation der Lieder. Beide starben im Kampf für die »gerechte Sache«: »Und Du wirst weiterleben in uns und unserem Streben«, versprachen die Kameraden dem gefallenen Hans Beimler. Gerade Der kleine Trompeter war in der DDR besonders populär. Kein Schulkind kam ab den 1960er Jahren daran vorbei.143 »Beim kleinen Trompeter habe ich immer geweint«, heißt daher nicht von ungefähr ein Erinnerungsbuch.144 Die Geschichte des 28-jährigen Friedrich August Weineck, der im Straßenkampf die Trompete gespielte hatte und von den Nazis erschossen wurde, rührte Generationen von Kindern und Jugendlichen zu Tränen. Damit erklang ein anderer Typus der Arbeiterlieder: weniger die vorwärtsdrängenden, zum Marschieren geeigneten Massenlieder, sondern vielmehr die Lieder, die Einzelschicksale erzählen und auf Mitleid und »gerechten Zorn« setzten. Die FDJ-Zeitschrift Neues Leben berichtete im Juli 1966 das erste Mal über die Hootenannies, zu einem Zeitpunkt also, als dieses Singen seinen Anfang als »FDJSingebewegung« nahm. In diesem Artikel wird deutlich, dass es bei dem »neuen Zeitvertreib« – der ja definitiv nicht so neu war, wie die Berichterstattung behauptet – um die Frage des »echten Fühlens« ging. Für dieses »echte Gefühl« waren die neuentdeckten alten Lieder genau die richtigen: »Verlangt wird echtes Gefühl, Aufrichtigkeit, man will sich selbst ausdrücken, das eigene Lebensgefühl, die eigene Haltung zur Welt. Man will lustig sein und nachdenklich, man will spüren, was man gemeinsam hat und daß man zusammengehört. Deshalb läßt man sich nicht ein Konzert geben, sondern macht es selbst.«145 Die beste Mischung war die aus alten und neuen Arbeiter- und Jugendliedern, aus Volksliedern, neuen Liebes- und Scherzliedern und alltagskritischen Songs. Das hörte sich solange gut an, solange »Nachdenklichkeit und Entschiedenheit im Spiel« wa141

Damit bestätigte sich nicht der Eindruck Perry Friedmans, dass eine Volksliederbewegung begonnen hätte. Das einzige häufig erwähnte Volkslied war eine Adaption des polnischen Liedes To I Hola (»Um das Haus ringsumher« [polnisches Volkslied, Nachdichtung von Marianne Graefe]). 142 Lied von der unruhvollen Jugend; Wer möchte nicht im Leben bleiben; Wer singt schon heute die Lieder von morgen und Die Sturmglocke von Buchenwald [original russisch: A. Soboljew/Vano Muradeli/1962, dt. Fassung: Alexander Ott]). 143 Der Lehrplan legte das Lied als Pflichtlied fest, siehe: Ministerium für Volksbildung (1959): Lehrplan der zehnklassigen Oberschule, 118 oder Ministerium für Volksbildung (1969): Lehrplan für Musik, Klasse 3, 10. 144 Gleich mehrere Erinnerungen finden sich an dieses Lied in dem Buch: Felsmann (2003): Beim Kleinen Trompeter, 30f., 64. 145 Anonym (1966): »Hootenanny im Club«, 17.

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ren, genauso wie »gute Gefühle, aber keine Gefühlsduselei«, darin waren sich der FDJZentralrat und die Jugendlichen einig.146

Die Singeklublieder Die Jugendlichen nahmen ab Mitte der 1960er Jahre das Dichten und Komponieren selbst in die Hand. Es entstanden Lieder, die tatsächlich auch gesungen wurden, ganz im Gegensatz zu den Auftragskompositionen und Pflichtliedern. In der Literatur gilt der Anfang der Singebewegung 1967 daher als »Liederfrühling«.147 Die neuen Lieder vermittelten, so die Beobachtung der Beobachter/-innen ein neues Fühlen: »Dieses neue »allgemeine Fühlen«, also ein neuer Inhalt, verlangt auch neue Methoden, Praktiken, Mittel und Formen, neue harmonische Verbindungen, ein neues Melos, interessantere Rhythmik, vielleicht einen neuen »sound«, Übernahmen oder Abwandlungen aus anderen Genres und was es an legitimen Möglichkeiten, denen keine Grenzen gesetzt sind, noch gibt.«148 Die meisten und bekanntesten Lieder der Singebewegung entstanden in ihrer ersten und erfolgreichsten Phase bis 1973.149 In diesen Jahren bildete sich auch der typische Sound heraus, der sich am ehesten als eine Mischung aus Beat, Schlager- und Tanzmusik, internationale Folk- und Protestsongs, Arbeiterlieder, neue DDR-Lyrik aber auch Massenlieder (hier insbesondere die sowjetischen Volks- und Jugendlieder) beschreiben lässt.150 Schon 1966 versuchte sich der Hootenanny-Klub an neuen Liedern, die jedoch überwiegend in Vergessenheit gerieten, wie das Lied In den Bäumen ist heute ein Raunen (1966, Hartmut König). Doch eines dieser ersten frühen Lieder wurde zum Symbol und zum Wiedererkennungslied der späteren FDJ-Singebewegung: Sag mir, wo Du stehst. Es nahm den Ton der Lieder der Singebewegung vorweg und bestimmte ihn maßgeblich mit. Gerade an dem ersten und bekanntesten Lied der Singeklubs lässt sich prototypisch zeigen, wie die Singebewegung ein Konglomerat vieler gleichzeitig existierender Musikstile, Gesangsformate und Freizeitinitiativen war und damit etwas ganz Eigenständiges im Mittelfeld der Interessen der FDJ und der Jugendlichen darstellte. Deutlich erkennbar sind die amerikanischen Protestsongs als Ideengeber zu benennen. Das Lied Sag mir, wo Du stehst wurde vom amerikanischen Gewerkschaftslied Which side are you on (1931, Florence Reece, auf die Melodie einer Baptistenhymne) inspiriert.151 Zu erkennen ist das an der »Old-Time-Jazz-Technik«, die riff-ähnliche rhythmische Strukturen favorisiert. Das bedeutet, dass kurze prägnante Motive stetig wiederholt werden 146 147 148 149

Ebd. Matthies (1967): »Liederernte im Liederfrühling«. Ebd., 772. Kirchenwitz unterteilt diese ersten fünf Jahre noch einmal. Für ihn waren die Jahre 1971/72 in Vorbereitung auf die Weltfestspiele die »fruchtbarsten Jahre« mit einem entscheidenden Zuwachs an Qualität und Quantität, siehe Kirchenwitz (1976):Entstehung und Entwicklung der Singebewegung, 41. 150 So auch das Fazit von Thomas Natschinski in der Zentralen Liedkommission: Niederschrift der Sitzung vom 21. Mai 1971, in: AdK VKM 2031, o. Bl. Siehe dazu auch Jank (1988): »Politisches Lied und FDJ-Singebewegung«, 148. 151 Zuckermann (2015): »Gesinnungskampf«, 78.

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Abbildung 46

Hartmut König: Sag mir, wo du stehst.

und damit über einen hohen Wiedererkennungswert verfügten.152 Unverkennbar ist der ähnliche Duktus beider Lieder, die mehrmalige direkte und persönliche Aufforderung, einen Standpunkt zu beziehen, sich für eine Sache zu bekennen. Die Aufforderung »Sag mir, wo Du stehst« kann sowohl musikalisch als auch sprachlich als eine Adaption der Frage »Which side are you on?« gesehen werden. Auch wenn die englischsprachige Vorlage als Frage formuliert ist, handelt es sich genauso wie bei König um die Aufforderung, einen Standpunkt zu beziehen. Die parallele musikalische Gestaltung ist daher nicht verwunderlich. Auffallender sind eher die Unterschiede zum amerikanischen Protestsong der frühen 1930er Jahre. Der erste Teil des Liedes zeichnet sich durch eine dreifache Wiederholung der Aufforderung: »Sag mir, wo Du stehst« aus. 152

Dazu auch Matthies (1967): »Liederernte und Liederfrühling«, 775.

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Ausschnitt aus Hartmut König: Sag mir, wo du stehst und Florence Reece: Which Side Are You on.

Harmonisch gibt es einen konstanten Wechsel zwischen den Grundtonarten e-moll (erkennbar an der Tonika und dem Dominantseptakkord H7 am Ende des Teils) und dem parallelen G-Dur (erkennbar an der Verwendung der Dominante D-Dur und Subdominante C-Dur). Dieses harmonische Oszillieren markiert ebenso den zweiten Teil des Liedes. Wobei die letzten 3 12 Takte klar in e-moll stehen und damit sich für eine Grundtonart und – im übertragenden Sinne – für eine Seite entscheiden. Dieses unentschlossene Changieren zwischen den Grundtonarten symbolisiert die Unentschiedenheit, die der Text so plakativ ankreidet, das stetige Wechseln der Seiten, oder um es musikalisch zu beschreiben, der Grundstimmung. Aus der Zögerlichkeit entsteht ein Zustand des gehetzten Stillstehens, oder auch des Sich-Im-Kreise-Drehens. So ließe sich der zweite Teil deuten, der zum einen aus fünf Takten Vierteltriolen und in der Phrasierung sieben Takten Vierteltriolen besteht, die zudem keinerlei sprachliche Pausen ermöglichen. Die Triolen stehen für das Ruhelose, das Tempo wirkt durch die Drittelung der Notenwerte deutlich angezogen, die rhythmischen Wiederholungen erzwingen jedoch einen musikalischen Stillstand. Unterstützt wird dieser ambivalente Eindruck durch die taktweisen Tonwiederholungen und das schrittweise Ansteigen der Melodie über die fünf Takte. In der Phrasierung wird der Zustand des Ruhelosen in den letzten drei Takten aufgelöst. Dieses geschieht durch das klare Bekenntnis zu e-Moll als Grundtonart und durch den abfallenden Melodiebogen über eine Oktave hinweg auf den Grundton. In dieser musikalischen Gestaltung ist das Lied eingängig. Es kann im Wechsel von Chor und Solist/-in gesungen werden. Im Duktus fordert es eine klare Stellungnahme, ein eindeutiges Bekenntnis für eine Idee. Damit nimmt es ein wesentliches Charakteristikum der Lieder der Singebewegung vorweg: Die Forderung nach einer festen Überzeugung. Bemerkenswert ist, dass das Lied in der Hootenanny-Phase entstand, von der die Protagonisten/-innen behaupteten, dass sie unpolitisch gewesen sei und man sich einzig aus Spaß am gemeinsamen Singen zusammenfand.153 Hörbare Anklänge lassen sich auch an das Einheitsfrontlied von Brecht und Eisler finden. Diese Reminiszenz ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, wie beliebt das Einheitsfrontlied auf den Hootenanny-Abenden von Beginn an war. Beide Lieder stehen in e-Moll und haben den expliziten Wechsel von Chor und Solisten. Ähnlich ist das konkrete Ansprechen des Gegenübers, der Aufforderungscharakter: »Reih Dich ein«;

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Siegfried Wein: »Es war Spaß. Ganz einfach, mir hat es Spaß gemacht«, in: Lied und soziale Bewegung e. V. (2016): Hootenanny ›66, o. S.

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»Sag mir, wo Du stehst«; »Du musst Dich entscheiden.« Auffallend sind ebenfalls die rare Verwendung von Pausen und die häufige Tonwiederholung in beiden Liedern. Die Beat-Bewegung war für den Sound der Singeklubs besonders prägend. Die jugendlichen Komponisten und Komponistinnen übernahmen für ihre neuen Songs die metrischen Aufbrechungen, Synkopen und Offbeats. In dem Lied Sag mir, wo Du stehst sind diese im ersten Teil zu finden. Zwei Jahre später sprachen Kritiker sogar von einer »Sucht zur Synkopierung«.154 Nicht zuletzt stand Hartmut König in persona für eine Verflechtung zwischen dem Beat und den ersten Singeklubs. Er war Gründungsmitglied der erfolgreichen »Beat-Gruppe« TEAM 4, die er im September 1964 mit dem damals ebenfalls 16-jährigen Oberschüler Thomas Natschinski (Sohn des bereits erwähnten Komponisten Gerd Natschinski) ins Leben rief.155 Mit ihren deutschsprachigen Rockliedern stellte TEAM 4 den Kompromiss zwischen dem neuartigen Sound und Rhythmen der Beatmusik und der in der DDR akzeptierten Jugendmusik dar. Nicht nur Initiator, sondern auch Kopf der Band war der musikbegabte Thomas Natschinski, der 1964 an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« mit dem Studium Klavier und Komposition begann. Die Lieder von Thomas Natschinski Unsere Träume (1967); Abend in Orjol (1967); Werktag (1967) und Es war einmal ein Mädchen (1968) gehörten zum ersten Repertoire der Singeklubs. Damit war TEAM 4 ein wichtiger Impulsgeber. Die Singeklubs profitierten aber auch vom Knowhow der Beatbands. Der spätere Bassgitarrist der Band »Thomas Natschinski und seine Gruppe« ging 1968 als musikalischer Leiter zum Oktoberklub.156 Hartmut König, Gitarrist bei TEAM 4, gehörte mit Jörn Fechner, Reinhold Andert und Bettina Wegner zum Kern des Hootenanny-Klubs und späteren Oktoberklubs. Lutz Kirchenwitz sah in König sogar den »Hauptautoren« des Hootenanny-Klubs.157 Um 1970 wendete sich das Blatt. Beat war wieder erlaubt und damit teilte sich die Musikszene in Singeklubs und Beatbands. Diese Entwicklung ist zurückzuführen auf eine kulturpolitische »Tauwetterperiode«.158 Diese bedeutete nicht nur die offizielle Akzeptanz des Beats, sondern auch eine Förderung der Szene. Dazu gehörte die Unterstützung von Bands und Gründung von Diskotheken. In den Jahren zwischen 1965 und 1970 boten die Singeklubs den beatbegeisterten Jugendlichen Unterschlupf und Raum. Davon profitierten beide: »Ursprünglich als Alternative zum Beat geplant, avancierte die Singebewegung zur entscheidenden Entwicklungshilfe« für den Beat.159 Andersherum wären die Singklublieder ohne die Anleihen von der Beatbewegung weniger erfolgreich 154 155

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Lukowsky (1968): »Metrik und Rhythmik«, 24. Mit dabei am Schlagzeug waren Gerrit Gräfe und John Knepler an der Bassgitarre, Gesang: Petra Rechlin und Sanda Weigl. Die Anfangskonstellation der Band veränderte sich rasch. Hartmut König ging 1966 zum neugegründeten Hootenanny-Klub. Detlev Haak (Gitarre) und Martin Just (Claviset) kamen hinzu. Im Zuge einer Kampagne gegen die Amerikanisierung der deutschen Sprache musste sich TEAM 4 umbenennen in »Thomas Natschinski und seine Gruppe«. Die Band trotzte erfolgreich der Anti-Beat-Welle 1966. Sie nahm 1966/67 vier Singles mit Amiga auf und gehörte zu einer vielgespielten Band auf DT 64. Die erste LP erschien 1968. TEAM 4 war, deutschlandweit gesehen, die erste Rockband, die auf Deutsch sang. Kirchenwitz (1993): Folk, Chanson, 20. Ebd., 34. Rauhut (1993): Beat in der Grauzone, 209. Ebd., 208.

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gewesen. Mit der Wiederanerkennung des Beats jedoch geriet die Singebewegung nach und nach in eine Krise, deren Ausmaße Mitte der 1970er Jahre bemerkbar wurden.160 Ein besonderer Glücksfall für die junge Singebewegung waren die Musiker von TEAM 4 auch deshalb, weil sie in die staatlichen Vorstellungen gut passten. Die Band imitierte nicht einfach Songs der Beatles und anderer Beat-Bands, sondern hatte zu mindestens 50 Prozent eigene Lieder im Repertoire. Diese thematisierten überzeugend jugendliches »Lebensgefühl«.161 Die Jugendzeitschrift Neues Leben betonte die Qualität der Lieder Thomas Natschinskis, »die eben nicht nur schön klangen, sondern Substanz besaßen, Gedanken und Gefühle ausdrückten, wie man sie hier und heute hat, wenn man so um die 17 ist«.162 Bedenkt man, dass die Jugend- und Kulturpolitiker/-innen immer nach diesem Fühlen suchten, war die Band für sie ein Vorzeigeprojekt. Ohne rebellisch zu sein, nahmen sich die Bandmitglieder die »großen« sozialistischen Themen vor: »Frieden, Freundschaft, Liebe, Parteilichkeit«. Dabei blieb sie bei den Prinzipien von »Einfachheit und Verständlichkeit«, ohne diese mit »Banalität und Kitsch« zu verwechseln. Das jedenfalls war die Meinung des Redakteurs in einer Reportage im Neuen Leben mit einem Seitenhieb auf die unliebsame Erscheinung des Schlagers.163 So ging es zwar um jugendliche Gefühle, doch vor allem um die Festsetzung dessen was als »wahre« und »authentische« Gefühle in Abgrenzung zu den falschen »Gefühlchen« gelten sollte.164 Anhand dieser Impulsgebung von der Band TEAM 4 lässt sich erkennen, was die FDJ-Funktionäre und -funktionärinnen so sehr angesprochen haben mag an der Mitsingbewegung, die 1966 mit dem Hootenanny-Klub in den Startlöchern stand und von den kritisch beäugten Beat-Bands profitierten. Es war die Idee, endlich den jugendlichen »echten« Gefühlen auf der Spur zu sein und diese gleichzeitig regulieren zu können. Was »echt« und »falsch« war, zeigte sich in der Ablehnung mehrerer Musikstile, die sich großer Beliebtheit unter den Jugendlichen erfreuten: dem Schlager und der Tanzmusik. Auch der Beat mit seinen »unsauberen Gefühlsexzessen« stand als Negativbeispiel Pate.165 Gezügelt, »gesäubert« und von der »Banalität« befreit fanden aber nicht nur Elemente des Beats Eingang in die Liedkompositionen der Singeklubs, sondern mit den Triolen auch Elemente der Tanzmusik. Damit zeigte sich, wie sehr die Singeklubs tatsächlich zu Räumen der Aushandlung und des Ausprobierens von Musik wurden, die eigentlich bei den Funktionären/-innen auf Ablehnung gestoßen war, in der Verarbeitung der Singeklublieder aber akzeptabel war.166 160 Ebd., 235. So auch die Einschätzung von Kirchenwitz (1976): Entstehung und Entwicklung der Singebewegung, 100, 114. 161 BH (1966):"Team4«, 49. Auf derselben Seite wurde ein Zuhörerbrief von Klaus Mathe aus Waldesruh abgedruckt: »[I]ch sage, daß diese Musik […] in ihrer klaren, ein wenig lyrisch wirkenden Einfachheit eine Zukunft hat. Sie gibt im gewissen Sinne unserem Lebensgefühl Ausdruck.« 162 Ebd., 49. 163 Ebd. 164 Kern (1996): »Schlager, Chansons, Festivals«, 34. 165 »Auch Songs, Chansons und Folklore passen gut zur Jugend, drücken ihre Gefühle aus, meistens viel besser als der Beat«, so beispielhaft das Fazit des »Singestudios Müritz«, in: Schade (1968): »FDJ-Singestudio Müritz«, 21. 166 Vgl. Bachmann (1968): »Eine Woche lang«, 2f: »Unsere Jugend hört relativ viel Tanzmusik. So ist es ganz legal, daß unsere Singeklubs in diesem Musikbereich nach Anknüpfungspunkten suchen.«

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Deshalb war das Lied Sag mir, wo Du stehst so erfolgreich. Es forderte ein klares Bekenntnis zum Staat ein. Das bedeutete Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, kein verstecktes Fühlen, sondern das »wahre Gesicht« zeigen.167 Es ist ein Bekenntnislied in der Tradition der Arbeiterlieder und der amerikanischen Gewerkschaftslieder. In diesem Sinn lobte Gisela Steineckert die Lieder von Hartmut König als »unverkrampft«, seine Sprache als »natürlich und eindrucksvoll«. Sie betonte die »Ehrlichkeit und sein Engagement«, die zu einem »reichen Gefühl« wurden.168 Für die Jugendlichen in den Singeklubs bedeuteten »echt« und »authentisch«, dass sie selber ausprobieren konnten, welche musikalische Sprache, welche Themen, welche Art zu singen zu ihnen passte. Sie kombinierten Techniken und Klänge der Beatund Tanzmusik, die sie so gern hörten mit Themen ihres Alltages. Daraus resultierten Lieder, die »Haltung« und »Eindeutigkeit« symbolisierten und in den Ohren der Staatsmacht »authentisch« klangen. Dieser Trend führte auf offizieller Seite auch zu einem wohlwollenden Blick auf die Liedermacher/-innen der westdeutschen Ostermarschbewegung. Die »zeitkritischen Lieder« von Süverkrüp und Degenhardt passten bestens in die ostdeutsche Kritik am bundesrepublikanischen Gesellschaftssystem. An Dieter Süverkrüp schätzte die DDR-Jugendpresse die Schärfe. Er sei »keiner jener Protesthampelmänner«, sondern ein »Spielverderber«. »Bei Süverkrüp wird kein Wind strapaziert, Antworten zu geben, die der Sänger zu geben zu ›genant‹ ist. Süverkrüp zeigt mit der nackten Faust auf die, die […] Leid erzeugen.«169 Die gepriesene Direktheit war genau das, was man sich von dem neuen Jugendsingen erhoffte. Die Kritik an weniger konkreten Liedern (wie dem Schlager) war dementsprechend kompromisslos.170 Die neuen Lieder waren deshalb so konsensfähig, weil sie eine Breite gesellschaftspolitischer Themen abdeckten und einen neuen Sound entwickelten, der sich dennoch vertraut anhörte, da er aus einer Mischung bekannter Stilmittel resultierte. Die Jugendund Kulturfunktionäre und -funktionärinnen reagierten darauf weniger misstrauisch, als interessiert beobachtend. Ernst H. Meyer charakterisierte die entstehende Bandbreite der Lieder mit dem ihnen eigenen Singeklubsound schon im April 1967 treffend: »Was soll gesungen werden? […] Lieder vieler Genres, Lieder des Kampfes für eine bessere Welt, Lieder des Protestes gegen Imperialismus, Krieg und Unterdrückung, Reaktion, Neofaschismus, Lieder des Friedens, Lieder, die von der Gewißheit des Sieges unserer großen Sache künden, Lieder der Freundschaft, der Liebe, des Frohsinns, der Besinnlichkeit, der Trauer, des Naturerlebens und auch Scherzlieder aller Art.«171

Schäfer (1998): Musikkultur der FDJ, 268f. behauptet, dass es sich hierbei um ein »indoktriniertes Bekenntnislied« handeln würde, mehr noch, um die »Vertonung einer Verhörsituation«. Damit missversteht ert die Grundidee des Liedes gründlich. 168 Steineckert (1968): »Werkstattgespräche«, 27. 169 Anonym (1969): »Protest gegen die Protestmasche«, 48. 170 Reimann (1967): »Chansons an der Elbe«, 9f. Das Lied Sag mir, wo die Blumen sind gehörte zu diesen kritisierten Liedern. Das jedenfalls kommentiert Marion Reimann in ihrem Bericht über den Wettbewerb: »Die Antwort weiß ganz allein der Wind […]. Für uns ist das zu wenig«, schrieb die Autorin. 171 Ernst H. Meyer: »Wovon wir singen wollen«, in: Neues Deutschland, 2. April 1967, 8.

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Bemerkenswert ist die typische Mischung althergebrachter Vorstellungen vom gesellschaftspolitischen Zweck des Singens und der Öffnung für neue Themen. Meyer betonte, dass die Lieder »sangbar sein« müssten, den natürlichen Tonumfang der menschlichen Stimme berücksichtigen und Atempausen einplanen sollten, dabei aber auch »melodisch ansprechend« und einen »vitalen« Rhythmus aufweisen sollten. »Falsche Sentimentalität muß ebenso vermieden werden, wie allzu banale Anklänge an Schonbesser-Gesagtes«, forderte Meyer.172 Diese bedenkenswerten Hinweise gab einer der bedeutendsten Musikwissenschaftler und Komponisten (auch von Kinder- und Jugendliedern) in der DDR den neuen Textdichtern, Dichterinnen, Komponisten und Komponistinnen mit auf dem Weg. Darin kündigten sich die Veränderungen beim gesungenen Lied an. Die ursprüngliche Grundidee der Singeklubs war es, zum Mitsingen zu animieren und damit Gemeinschaft zu etablieren.173 Daher war die Mitsingbarkeit ein entscheidendes Kriterium. Die neuen Lieder waren typischerweise oft »Kehrreimlieder«, die sich gut für den Wechselgesang zwischen Solist/-in und Publikum eigneten. Dieser Kehrreim musste kurz und eingängig sein, »melodisch einfach und leicht faßlich«, damit das Publikum schnell und unkompliziert in den gemeinsamen Gesang einstimmen konnte.174 Die Strophenteile für die Solist/-innen hingegen waren rhythmisch und melodisch unterschiedlich anspruchsvoll, je nach Können der Singeklubs. Besonders häufig konnten die Strophen rezitiert werden, dieses ließ »der individuellen Sängerpersönlichkeit große interpretatorische Freiheiten«.175 Zudem erlaubte diese musikalische Gestaltung auch ungeübten Sänger/-innen eine überzeugende Interpretation. Eine weitere Auffälligkeit der Singeklublieder war deren Affinität zur Sprache der neuen Lyrik, die auf die Beeinflussung der Jazz-Lyrik-Prosa-Veranstaltungen Mitte der 1960er Jahre verweisen.176 Die Singebewegung kann daher auch als Fortsetzung der Lyrik-Welle mit anderen Mitteln gesehen werden.177 Das äußert sich in teilweise sehr durchdachten und lyrischen Texten, vor allem von Gisela Steineckert, Bettina Wegner oder Kurt Demmler. Auffallend am Repertoire der Singeklubs war ebenso eine inhaltliche und stilistische Orientierung an den Massen-, Jugend- und volkstümlichen Liedern aus der Sowjetunion. Prototypisch dafür steht der Oktobersong (1957, Peter Hacks/Rolf Kuhl) neben Sag mir, wo Du stehst eines der ersten und bedeutendsten Lieder des Oktoberklubs. Der Text stammte vom bekannten Vertreter der sozialistischen Lyrik, Peter Hacks, die Musik

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Ebd. Vgl. die Selbstreflexion des Oktoberklubs: Nachdenken über Vorlauf, 1968, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl., DS 12: Der Oktoberklub strebt einen »möglichst direkten Kontakt mit allen Mithörern und Mitdenkern an«. Ziel war es, den Improvisationscharakter zu erhalten und »alle Anwesenden gleichsam in ihre Gemeinschaft mit einzubeziehen«. Abteilung Kultur des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend: Werkstattimpulse, 1969, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl., DS 10. Ebd., DS 11. Sellhorn (2008): Jazz, Lyrik, Prosa. Dazu gehört die Forderung, vom Wort her zu denken: Schulz (1968): »Werkstattgespräche«, 24f: »Der tiefere Grund dafür ist das Primat der Aussage; man singt nicht nur zu ästhetischem Vergnügen, sondern will sich mit seinem Lied bekennen und nach dem Durchdenken der eigenen Lebenshaltung – anderen Denkanstöße vermitteln will. Also: Denke, ehe du singst!«

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von Rolf Kuhl, der seinerzeit durch Sendungen im Rundfunk und Fernsehen bekannt gewesen war.178

Abbildung 48

Rolf Kuhl und Peter Hacks: Oktobersong.

Dieses Lied gehört mit 13 Nennungen in fünf Jahren der Singebewegung ganz oben in der Hitliste der am meisten gesungenen Lieder, jedoch konnte bisher nicht viel über die Entstehung des Oktobersongs herausgefunden werden. Gedichte von Peter Hacks dienten den Singeklubs häufiger als Textvorlagen. Von Rolf Kuhl gibt es allerdings kein weiteres Jugendlied. Er ist eher als Komponist von Filmmusik oder für Theaterproduk-

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Das behaupten jedenfalls Fietz/Stanislau (1970): Nicht nur die Gitarre, 4. Es sind jedoch kaum Informationen über Rolf Kuhl zu finden (1928-1997). Rolf Kuhl komponierte Musik für verschiedene Theaterproduktionen, auch Sprechtheater, auch zu Werken von Peter Hacks, siehe AdK Bestand Dokumentationsfonds zum deutschsprachigen Theater. Dieses Lied ist die einzige weithin bekannte Komposition von Kuhl.

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tionen bekannt.179 Interessanterweise gab es den Oktobersong bereits 1957. Wahrscheinlich entstand er anlässlich des 40. Jahrestages der Oktoberrevolution. Ob es die gleiche Fassung war wie der Song, der knapp zehn Jahre später seinen Durchbruch hatte, kann nicht gesagt werden. Ein Bericht über ein Konzert mit Soldaten »aus allen Teilen der Republik von allen Waffengattungen der Nationalen Volksarmee« in Stalinstadt anlässlich des Tages der Oktoberrevolution erwähnte das Lied, eben weil es einen ganz neuen Ton anschlug: »Das war etwas Neues, etwas Aufrüttelndes, Eindringliches, etwas, das an die Herzen rührte und darum tiefen Eindruck hinterließ.«180 Wie das Lied zum Oktoberklub kam, bleibt unklar. Zehn Jahre nach der Aufführung in Stalinstadt jedoch war es einer der gefragtesten Lieder der Singeklubs. Bereits im März 1967 findet sich in der Zeitschrift Junge Generation ein Abdruck und am 7. Juni 1967 lag den Leser/-innen der Berliner Zeitung das Lied mit Noten vor. Obwohl bereits zehn Jahre alt, war der Oktobersong wegweisend für Singebewegung. Prototypisch nimmt er entscheidende Merkmale auf. Dazu gehörte die Neigung zu den Moll-Tonarten mit Modulationen in benachbartes Dur. Das unterstreicht die musikalischen Anleihen an die russischen Volks- und Massenlieder.181 Die Vorliebe für Moll-Tonarten lässt sich aber auch pragmatisch mit der Gitarre als Hauptbegleitinstrument in den Singeklubs erklären. Denn darauf lassen sich relativ schnell und leicht diverse Moll-Dreiklänge anschlagen.182 Die Kulturfunktionäre- und funktionärinnen jedoch fanden dafür eine ideologische Begründung. Die »modalen Skalen in ihrer Frische und Herbheit [entsprechen] dem Lebensgefühl junger Menschen von heute mehr […], als die durch Sept- und Septnonenklänge stark verweichlichten melodisch-harmonischen Wendungen des Dur-Geschlechtes«.183 Das Faible für Mollkompositionen resultiert sicherlich aus einer Mischung dieser Gründe. Die unterstellte »starke emotionale Wirkung«, die durch harmonische Erweiterungen und Nuancierungen erhöht werden konnte, war das am häufigsten gebrauchte Argument.184 Als Ergebnis dieser harmonischen Ausweitungen erhielten viele Lieder in der Beobachtung des Musikwissenschaftlers und Komponisten Rolf Lukowsky einen nachdenklicheren Sound. Charakteristisch am Oktobersong ist ebenfalls der häufige Wechsel in benachbarte Dur-Kadenzen. Der Refrain wechselt unvermittelt ins D-Dur, um nach einigen Modulationen im Ausgangsmoll zu enden. Typisch ist die Zweiteilung in den solistischen Strophenteil und den chorischen Refrain für den Wechselgesang mit dem Publikum. Der Strophenteil im 2/4-Takt erfordert besondere Übung, den Text auf den Wechsel von Fietz/Stanislau (1970): Nicht nur die Gitarre, 4. Sie geben auch keine näheren Informationen über die Entstehungszeit des Liedes. Sie verweisen nur auf Peter Hacks »aggressiven Witz und sprachlich kühne Bilder« und darauf, dass die »gehobene Unterhaltungsmusik mit tanzmusikalischen Akzenten« von Rolf Kuhl dem Oktobersong sehr entgegen käme. 180 Ehrentraud Schmidt: »Ein Tag mit Soldaten. Kultur-Meeting im Waffenrock auf einem Bauplatz des Sozialismus«, in: Berliner Zeitung, 12. November 1957, 3. 181 Siehe auch die Adaption des ursprünglich russischen Liedes Sing, Soldat, Sing (original russisch: L. Nekrasowa/M. A. Doluchanjan/1967, dt. Fassung: Fritz Güttner) oder das russische Massenlied Partisanen vom Amur. 182 So auch die Begründung von Kirchenwitz in: Abteilung Kultur des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend: Werkstattimpulse, 1969, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl., 12. 183 Ebd. 184 Lukowsky (1968): »Werkstattgespräche«, 26. 179

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Punktierungen und einer Mischung aus Achteln und Sechzehnteln unterzubringen, da musikalischer Rhythmus und Sprachrhythmus oft einander zuwiderlaufen. Dieser Teil erinnert durch die rezitativ-improvisatorische Gestaltung an Sprechgesang. Die Aufmerksamkeit wird auf den Text gelenkt, der durch ungewohnte Tonsprünge (verminderte Sexte bei »die Bauern«, »und die Vergangenheit« in der ersten Strophe) besondere Akzente setzte. Der Refrain ist melodisch und rhythmisch flüssiger als der Soloteil. Er ist explizit darauf ausgelegt, gemeinsam und mehrstimmig gesungen zu werden. Nicht nur in dieser akzentuierten Komposition, auch im Text lassen sich Anklänge an die Brecht/Eisler-Tradition der Arbeiterlieder finden. Es gibt konkrete Akteure: Proleten, Bauern, Herr’n, den Soldaten, Muschik, Matrosen und den Kumpel, statt eines abstrakten »Wir« und »Ihr«. Diese Akteure agieren selbstbestimmt und nicht in einem Kollektiv: der Soldat dreht das Gewehr um, die Herr’n schauen durch ihre Monokel, ein Matrose spuckt in die Newa. Die Idee des Konkreten setzt sich fort hin zu leiblichen Bedürfnissen, der Muschik (leibeigner Bauer) leidet Hunger, und darf per Dekret selber sein Korn »fressen«. Ein Unterschied zu den Massenliedern der 1950er fällt besonders im Text auf. Zukunft ist nicht etwas in der Ferne liegendes und zu ersehnendes, sondern, die bessere Welt, das bessere Leben, ist bereits erreicht: »Und der dies Lied euch singen tat, lebt in einer neuen Welt.« Jeder einzelne in diesem Lied hat »die [neue Welt] euch hingestellt«, die Vergangenheit wurde eben mit dem Kerenksi davongejagt.185 Entscheidend war die Botschaft der glücklichen Vollendung eines Aufstandes, die dann gelänge, wenn ein jeder für die Sache Stellung beziehen würde: der Soldat, der zum Proleten wird, indem er die Waffe aus der Hand legt oder der Prolet, der »Schluss« sagt und sich beteiligt. Die Schwierigkeiten und auch Gefahren für das eigene Leben werden in dem Lied weggesungen: »Und eh ein Matrose in die Newa spuckt, war’n sie expropriiert.« Gerade in der Anfangszeit des »Liederfrühlings« gab es noch einige Lieder, die den Duktus und die Botschaften der Jugend- und Massenlieder der 1950er weiterführten. Zu nennen ist das Lied, aus dem fahrenden Zug zu singen (1968, Kurt Demmler). Es nahm mit allen benannten stilistischen Mitteln der Singeklublieder die Botschaft des »Vorwärts« aus den 1950er Jahren auf und verpackte sie in zeitgenössische Worte und Bilder des Atemlosen und Getriebenen.186 Dabei ist das Rattern der Räder der Rhythmus des Liedes: »Denn wir müssen alle weiter kommen/und da dürfen wir nicht zaghaft sein./Jedes Ziel, kaum erreicht, ist schon wieder weggeschwommen«, heißt es im Refrain. Aus diesem Grund fuhr der Zug auf einer »endlosen Reise ins Morgen«. Auch dieses Lied liefert eine Verortung zwischen Gestern und Morgen. Das Erbe war »der Väter manch großes Gepäck/Es soll in den Wiesen und Weiten der Zukunft Erinnerung bereiten«. Ein weiteres typisches Übergangslied ist Baut die Straßen der Zukunft (1967, Fritz Kracheel/Kurt Greiner-Pol). Die Liedkomposition steht im hellen, strahlenden A-Dur ohne nennenswerte harmonische Modulationen. Rhythmisch ist die Melodie an der Textsprache angelehnt. Der Refrain »Wir schreiten im Marschtritt der Ruhrarmee« ist mehrstimmig angelegt. »Marschtritt« ist der Schlüsselbegriff dieses Liedes, was sich von an185

Alexander Fjodorowitsch Kerenski, hatte in der Übergangsregierung den Vorsitz und wurde gestürzt; er floh ins Exil. 186 Kurt Demmler: Lied, aus dem fahrenden Zug zu singen, in: Wunderlich/Hönig (1968): Oktav Nr. 3, 6f.

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deren Liedern der Singebewegung vor allem dadurch unterscheidet, dass es für Massenauftritte und Massenevents funktionierte und eben kein begleitetes Sololied war. Verwunderlich ist, dass es trotz dieses inhaltlichen und kompositorischen Konservatismus noch so häufig in den Programmen der Singeklubs auftauchte. Daran lässt sich erkennen, wie gerade in der ersten Zeit der Singeklubs die neue Liedersprache neben dem konservativen Stil der Massenlieder existierte und sich die Stile vermischten. Interessanterweise ist an diesen Übergangsliedern auch die Vermischung der Zeithorizonte zu beobachten. Die Orientierung auf die Gegenwart ist noch nicht ganz vollzogen (das geschieht erst in den späteren Singeklubliedern), aber Zukunft wird in zeitlicher Nähe verortet: Der Zug näherte sich mehr und mehr den »glücklichsten Träumen der Menschen« (Lied aus dem fahrenden Zug zu singen) und die »Freunde des Jugendverbandes« bauen »die Straßen der Zukunft zu Ende [Hervorhebung JuB]«. Das Lied Wir singen, weil wir jung sind (1967, Ulli Kolbe/Wolfgang Grahl/Eckardt Speetzen) steht beispielhaft für das Aushandeln des Neuen mit dem Alten.187 Musikalisch weist es zahlreiche Merkmale der Singeklublieder auf. In Hinblick auf Zeitgefühle ist es ambivalent. Das Lied bedient einerseits die unkonkreten Vorstellungen eines Staates, »in dem die Zukunft wohnt« und einer Jugend, die die neue Welt aufbaut, und sich zu ihrem Schutze bereithält. Andererseits geht es um das gegenwärtige Leben, das »sich lohnt in unserem Land, in unserem Staat«. »Unsere Heimat ist hier« und eben nicht ein Zukunftstraum. Dieses Lied war erfolgreich vor allem durch seine mitreißende Melodie, ähnlich, wie das Lied Carpe Diem. Nur zwei Jahre später hatte sich der musikalische Stil durchgesetzt, aber die Sprache der Singeklublieder komplett von den althergebrachten Floskeln und Vorstellungen gelöst. Mehr noch, die Singeklubs ironisierten mit ihren neuen Liedern die schematische traditionelle Liedsprache. Ein selbstsprechendes Beispiel dafür ist das Lied Schema für die Anfertigung eines sonnigen Liedes über den Weg in die Zukunft (1970, Gisela Steineckert/Hartmut König).188 »Wir gehen auf den Wegen zur Sonne/Der Weg hat die Zukunft als Ziel/Das Ziel unserer Zukunft ist Sonne/Die Zukunft hat Sonne zum Ziel«, besang der Oktoberklub augenzwinkernd genau das, was er immer kritisierte, das Verbleiben in allgemeinen Floskeln. Während der Strophenteil dementsprechend konventionell komponiert ist, bricht sich das eingängige Motiv im Refrain: »Hm, Sonne. Hm Wege, Hm Sonne, Hm Ziel!« Lachend »lässt sich vieles leichter sagen, manches leichter verändern und das meiste leichter begreifen«, diese Einsicht stellte Gisela Steineckert ihrer Anthologie Heitere Lieder aus den Singeklubs voran.189 »Die ersten Versuche, das Ernste auch einmal heiter zu sagen, trugen die ungehemmte Dankbarkeit des Publikums ein«, beschrieb sie.190 In diesem Sinn waren Scherzlieder eine neue Kategorie der Singeklublieder. »Hey li lee lo, kurze Haare, blaues Hemd/wer singt, ist weniger verklemmt«, begann der Oktoberklub

Ulli Kolbe, Wolfgang Grahl und Eckardt Speetzen: Wir singen, weil wir jung sind, in: Jugendstudio DT 64 des Berliner Rundfunks (1969): Das DT 64 Liederbuch, 14f. Das Lied war das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit im Singeklub Waren-Müritz, siehe: B. H. (1967): »Wir singen, weil wir jung sind…«, 36. 188 In: Steineckert (1970): Heitere Lieder, 83. 189 Ebd., 5. 190 Ebd. 187

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traditionellerweise seine Konzerte. Selbstironisch sangen die Mitglieder des Oktoberklubs: »Hell scheint die Sonne, schön ist die Welt/Ich bin so positiv eingestellt« und »Vom Zentralrat ein scharfer Blick und schon sang die Republik«.191 Viele der neuen Lieder, seien es die Scherz-, Liebes- oder Fahrtenlieder, kamen mit einer bis dahin selten gehörten Leichtigkeit daher. Das lag an den Elementen der Tanzmusik und des Beats, aber auch an dem entspannteren Umgang mit den Themen und Anforderungen des Staates an seine Jugend. Die neue Leichtigkeit ergab sich ebenso aus der instrumentalen Begleitung: Gitarren, Banjos und Akkordeons gehörten zu den am meisten genutzten Instrumenten, daneben gab es verschiedene Rhythmusinstrumente, Schlagzeug, Klanghölzer.192 Aus der Jazzmusik stammten Cello, Kontrabass, Klarinette und Saxofon. Diese Instrumentierungen brachen den Marschrhythmus der Massenlieder und das gewohnte starre rhythmische Korsett auf, sie luden dazu ein, zu improvisieren, das vorgegebene Notenmaterial zu variieren, um damit die alten Lieder näher an moderne Beat- und Tanzrhythmen zu bringen.193 Diese Beispiele der populärsten Singeklublieder der Anfangsjahre zeigen, wie sich die neuen Lieder erst musikalisch, dann auch sprachlich und konzeptionell von den gewohnten Jugendliedern lösten. Zu klären bleibt, wie der Staat durch seine Jugendorganisation regulierend und steuernd auf die Singeklubs einwirkte. Wie frei oder beengend waren die Räume, in denen sich die Jugendlichen trafen und wie viel Freiheit und Selbstbestimmung hatten sie über das, was sie sangen, komponierten und dichteten?

Homogenisierung des Liedrepertoires Werkstatttage und Werkstattwochen Die Zahl der neuen Singeklubs wuchs nach dem Pfingsttreffen 1967 rasant. Genauso schnell entstanden neue Lieder, die sich von der musikalischen Sprache der alten Jugendlieder emanzipierten und den Ton des Oktoberklubs imitierten. Häufig fanden diese Lieder gar nicht den Weg aus den kleineren Singeklubs, so auch das Lied Yankee go home, das Jürgen Langhans im »Singeklub Oder-Neiße« als Erstes hörte. Die Jugendfunktionäre/-innen mussten handeln, um nicht den Überblick und die Kontrolle über das jugendliche Singen zu verlieren, das unter dem Dach der FDJ ziemlich rasch Fahrt aufnahm. Eine Maßnahme war die Ausbildung und Anleitung der »Singefunktionäre«, eine andere zielte darauf ab, auf das Dichten und Komponieren direkt Einfluss zu nehmen. Dazu mussten die Kulturfunktionäre/-innen den Ton selber angeben und die Heranwachsenden lehren, was die geeigneten Lieder ihrer Vorstellung nach seien. Im Sommer 1967 wurde in gewohnter Weise eine zentrale Liedkommission gegründet, die beim Ministerium für Kultur angesiedelt war. Zusammen mit dem Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler kontrollierte, überwachte und produzierte diese Kommissi-

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Ebd., 74. Oppel (1968): »An der Waterkant«, 23. Fietz/Stanislau (1970): Nicht nur die Gitarre, 3. Zacher (1968): »Werkstattgespräche«, 22.

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on neue Lieder.194 Diese »Zentrale Liedkommission« übernahm die Aufgaben, die in den Jahren zuvor in der Verantwortung verschiedener Institutionen lagen. Dazu gehörten die Untersuchung der »Wirksamkeit neu entstandener Jugend- und Massenlieder«, der Überblick über die Liedproduktion in den Singeklubs, die »Auftragsvergabe von Liedern anläßlich bestimmter Jahrestage«, die Durchführung von Liedwettbewerben, die Erarbeitung und Durchführung von Maßnahmen zur Verbreitung neuer Lieder, die Vorbereitung der Weltfestspiele der Jugend und Beobachtung der »Verhaltensweisen der Jugend zum Musikleben, [ihre] Beziehung zum sozialistischen Lied«.195 In Auftrag gaben die Funktionäre und Funktionärinnen in gewohnter Weise Massenlieder, Lieder für die sozialistische Feier, Jugendweihelieder, Heimatlieder und »gesellige Lieder«.196 Im Kern ging es um das neue Jugendlied, doch ohne die Hauptakteure und -akteurinnen zu beteiligen. Die Politiker/-innen ignorierten mit diesen Maßnahmen, dass die Jugendlichen längst selbst Lieder schrieben und komponierten, die wirklich gesungen wurden, während die Auftragskompositionen der »zentralen Liedkommission« weitgehend unbedeutend blieben. Der Jugendverband fand dahingegen einen effektiveren Weg, das zu regulieren und zu überwachen, was die Jugendlichen in ihren Klubs sangen. Das funktionierte durch das Sicht- und Hörbarmachen dessen, was in den abendlichen Treffen geschah, durch Anleitung, Kontrolle und durch eine Homogenisierung des Sounds und des Liedrepertoires. Dabei kam ihnen zugute, dass es eine grundsätzliche Zentralisierung der neuen Lieder von vornherein gab. Die Mehrzahl der neuen Singeklublieder stammte aus den Liedwerkstätten weniger Vorzeige-Singeklubs, wie vor allem vom Oktoberklub, vom Singeklub »pasaremos« der TU-Dresden oder dem »Aurora-Klub« der EOS Strausberg. Immer wieder tauchen die gleichen Namen als Komponisten, Komponistinnen und/oder Textdichter/-innen auf: Kurt Demmler (Mitglied im Oktoberklub und im Leipziger Singeklub), Reinhold Andert, Hartmut König, Gisela Steineckert, Bettina Wegner und Jörn Fechner (alle vom Berliner Oktoberklub), Gerd Eggers, Michael Höft, Bernd Rump und Bernd Walther (beide »pasaremos«, später »Songgruppe der TU Dresden«), Klaus Schneider oder Helmut Preißler. Weitere bekannte Texter und Komponisten hatten nur indirekt etwas mit den Singeklubs zu tun, wie der Musikprofessor Rolf Lukowsky oder Thomas Natschinski, der mit seiner eigenen Beat-Band unterwegs war. Damit bestimmte eine begrenzte Zahl von Amateurkomponisten, Komponistinnen, Textern und Dichterinnen den Sound der Singebewegung. Nicht wenige der aufgezählten Laienkünstler/-innen wurden später professionelle Liedermacher/-innen, Sänger/-innen oder Lyriker/-innen. Doch die überwiegende Mehrzahl der Singeklubs hatte überhaupt nicht das Können und Wissen, selbstständig Lieder zu komponieren. Sie coverten die bekannten Lieder der großen Klubs und verbreiteten sie auf diese Weise über die gesamte Republik.

194 Die Gründung der zentralen Liedkommission ging auf den 7. Parteitag der SED im April 1967 zurück. Vgl. Vorlage Aufgaben und Arbeitsweise der Zentralen Liedkommission, 16. Juni 1967, in: BArch SAPMO DR 1 15139, o. Bl. 195 Ebd. Für diese Liedkommission entstand eine Reihe von wissenschaftlichen Analysen der Singebewegung (vor allem von Winfried Hoffmann und Eva Hillmann). 196 Ebd.

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Der Jugendverband versuchte die Kontrolle über die Liedproduktion zu bekommen, indem er bereits im Prozess des Schreibens und Komponierens regulierend eingriff. Dabei konnte er sich auf die mithilfe der wichtigsten Vertreter/-innen aus den Vorzeigeklubs verlassen. Regelmäßig stattfindende »Werkstätten« auf Kreis,- Bezirks- und Republikebene gehörten zu den wirksamsten Maßnahmen. An diesen »Werkstätten« waren die üblichen politischen und gesellschaftlichen Akteure beteiligt: das Staatliche Rundfunkkomitee mit dem Jugendstudio DT 64, der Bundesvorstand des FDGB, die Ministerien für Kultur und Volksbildung, das Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen, der Chorausschuss der DDR, der Verband Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler und der Deutsche Schriftstellerverband. Die Verantwortung für dieses Format lag jedoch beim Zentralrat der FDJ und nicht bei der SED.197 Ab Herbst 1967 fanden die DDR-weiten Werkstattwochen einmal jährlich statt.198 Die Jugendlichen sollten durch intensive Zusammenarbeit und Anleitung befähigt werden, Lieder zu texten und zu komponieren, zu begleiten und zu singen. »[D]ie schöpferischen Potenzen« der »jungen Arbeiter und Wissenschaftler« sollten im kontrollierten Rahmen »entwickelt« werden.199 Jede Werkstattwoche stand unter einem vorgegebenen Motto, wie zum Beispiel »der 50. Jahrestag der Oktoberrevolution«, das Thema der ersten Werkstattwoche 1967. Bei der Planung und Organisation der Werkstattwoche konnten die Verantwortlichen auf viel Erfahrung und ein breites Vorwissen zurückgreifen, denn das Prinzip war ähnlich dem der Wettbewerbe der »Jungen Talente«. Nur die »jeweils leistungsfähigsten FDJ-Singeklubs aus jedem Bezirk« durften bei den Werkstattwochen auftreten. Dafür mussten sich die Singeklubs in Werkstatttagen auf Kreisebene und weiterführend auf Bezirksebene behaupten. Als Zuschauer/-innen und Gäste wurden »Studiendelegationen« aus anderen Singeklubs gesandt. Die ausgewählten Ensembles durften auf den Werkstattwochen ein 30-minütiges Programm »zur Diskussion stellen«, das unter vorgegeben Gesichtspunkten zusammengestellt war. Eine »Beratergruppe« kommentierte und kritisierte das jeweilige Programm.200 Zentrale Lehrgänge, Vorträge, Diskussionsrunden, Ausstellungen, Exkursionen und weitere Formate »kul-

Zentralrat der FDJ: Konzeption für die Werkstattwoche der Singeklubs der DDR, 27. Juli 1967, in: BArch SAPMO DY 24 6183, o. Bl., DS 1. Die Erste Werkstattwoche endete mit einem Forum, das den Schulterschluss zwischen Politik und Jugendverband demonstrieren sollte. Es nahmen daran teil der Minister für Kultur Klaus Gysi sowie der Ministerin für Volksbildung Margot Honecker, siehe Zentralrat der FDJ: Beschluss über die Konzeption für die 1. Werkstattwoche der FDJ-Singeklubs der DDR vom 24. September bis zum 1. Oktober 1967 in Halle, 27. Juli 1967, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl., DS 3. 198 Ebd. Bis 1988 gab es 19 Werkstattwochen. 199 Zentralrat der FDJ: Information über die Durchführung der IV. Werkstattwoche der FDJ-Singeklubs, 1970, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl., DS 4. 200 Die Beratergruppe 1969 war wie folgt zusammengestellt: Gisela Steineckert, Perry Friedman, Vertreter/-innen des Chorausschusses, des Radios, vor allem des Jugendfunks in der Person von Marianne Oppel, Vertreter/-innen des Jugendfernsehens, der FDJ-Organisation und Mitglieder erfolgreicher Singeklubs, hier vor allem des Oktoberklubs in der Person von Lutz Kirchenwitz oder Wolfgang Herzberg; siehe Anonym (1969): »Werkstattgespräche«, 24. 197

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turpolitischer Beratung« begleiteten die Werkstattwochen.201 Die Teilnehmenden sollten nicht nur ihr Können unter Beweis stellen, sondern auch in der gemeinsamen Arbeit mit den anwesenden Experten vermittelt bekommen, wie und welche produktionsreifen Lieder entstehen konnten. Mit Wettbewerben und Leistungsvergleichen sind die Kinder der 1950er Jahre aufgewachsen und auch für die Jugendlichen in den 1960er Jahren gehörten diese zur Alltagserfahrung. Dieser Wettbewerbsgedanke veränderte entscheidend die Grundidee der Hootenannies als Mitsingveranstaltungen. Für Jürgen Langhans und die anderen circa 20 Mitglieder des Arbeitersingeklubs war er jedoch selbstverständlich. Spätestens von 1971 an nahmen die Jungen und Mädchen an den Werkstatttagen des Kreises Schwedt und des Bezirkes Frankfurt/Oder teil. Sie waren sehr erfolgreich, denn die Schwedter durften in Berlin ihr Können bei der »5. Werkstattwoche« zur Diskussion stellen.

Abbildung 49

Der »Singeklub Oder-Neiße«, in: Neues Deutschland, 6. Juli 1972, 4.

Auch im Folgejahr qualifizierten sie sich für die Werkstattwoche. Am 12. März 1972 trat der »Singeklub Oder-Neiße« in Schwedt zu den Kreiswerkstatttagen mit einem gemischten 45-minütigen Programm auf.202 Die Jungen und Mädchen sangen Lieder gegen den Vietnamkrieg wie Wenn dieser Morgen kommt (1970, Dieter Süverkrüp), Agitationslieder wie Aufgewacht Jungs! und eigene Lieder wie das Schwedtlied (1970, Jochen Opitz). Für dieses Programm erhielt die Gruppe die Einstufung »sehr gut« der Mittelstufe und war demnach delegiert für die Teilnahme an den Bezirkswerkstatttagen. Als bester Singeklub des Bezirkes Frankfurt/Oder bekamen die 20 Auszubildenden das Ticket für die Teilnahme an der »6. Werkstattwoche« vom 7. bis 15. Juli 1972 in Neu-

201 Zentralrat der FDJ: Beschluss über die Konzeption für die 1. Werkstattwoche der FDJ-Singeklubs der DDR vom 24. September bis zum 1. Oktober 1967 in Halle, 27. Juli 1967, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl., DS 3. 202 Programmentwurf für die Kreiswerkstatttage Schwedt, 12. März 1972, in: PA Jürgen Langhans.

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brandenburg. Dort führten sie ihr Programm »Schwedter Aspekte« auf. Nach eigenen Aussagen zählten sie sich zu den »19 besten Klubs von 2240«.203 Die Inspirationen für ihre Musik erhielten die Lehrlinge aus Schwedt auf diesen Werkstattwochen: »Wir haben gesehen, dass die Leute Bass und Schlagzeug spielten, das haben wir dann auch gemacht«, erinnerte sich Jürgen Langhans. Im Spätsommer 1972 schrieb er als musikalischer Leiter einen Brief an den »Genossen Generaldirektor« des VEB PCK Schwedt. Er bat um eine »Verstärkeranlage mit 2 Boxen und Mikrofonen«, funktionsfähige Instrumente, vor allem E-Gitarren, ein vierspuriges Tonbandgerät, finanzielle Unterstützung für die Reisetätigkeit sowie eine »monatliche künstlerische Anleitung über den Rat des Bezirkes Frankfurt Oder«. Zusammen ergab das eine Unterstützung von gut 10.000 Mark.204 Was der Singeklub davon tatsächlich genehmigt bekam, ist nicht mehr nachvollziehbar. Allerdings kam in der Person Winfried Stanislau die »künstlerische Anleitung« und zu den Weltfestspielen 1973 rückten die Jungen und Mädchen aus Schwedt mit schwerer Technik und entsprechenden Instrumenten an. Ein großer Teil der Wünsche scheint sich erfüllt zu haben. Wie viele Jugendliche sich tatsächlich die Vorträge und Diskussionen auf den Werkstattwochen anhörten, ist nicht belegt.205 Spannender als die Belehrungen über das Dichten und Komponieren waren die zahlreichen Bühnenprogramme. Jürgen Langhans betont, dass es ihm vor allem darum ging, »gute Lieder zu finden, die man mal nachspielen kann. Das war mein Hauptziel«. Dafür lagen genug Liedblätter und Materialien aus. Spätestens kurz nach den Werkstattwochen ließ sich auch noch vieles nachund mithören in den Rundfunksendungen des Jugendstudios DT 64 oder nachlesen auf Liedblättern, die auf unterschiedlichen Printwegen das interessierte Publikum erreichten. Die politischen Diskussionen waren nicht Pflicht, erinnerte sich Langhans, die hätte er dann auch nicht besucht: »Da sind wir lieber rausgegangen ins Grüne, haben uns einen Bunten gemacht [sind uns] privat ein bisschen näher gekommen.« Genau diese Erinnerung bildet sich auch in seinen Filmaufnahmen von der »6. Werkstattwoche« in Neubrandenburg ab. Den Werkstattwochen und -tagen war eine spezifische Festivalatmosphäre eigen. Bis zu 300 Jungen und Mädchen kamen in den größeren Städten der DDR zusammen. Sie wurden offiziell von ihrem Alltag freigestellt, reisten auf Kosten der FDJ in ihrem Land herum, konnten sich die Städte ansehen und sich ein paar Tage lang ausschließlich mit neuen Rhythmen und Melodien beschäftigen. Die »großen Namen«, die aus den Medien bekannt waren, ließen sich aus der Nähe kennenlernen. Es herrschte eine intensive Atmosphäre, in der Freundschaften geschlossen werden konnten und erste Lieben entstanden. Dass die Jury dabei kritisch blieb, »mangelnde Qualitäten« der neuen Lieder feststellte und auch das fehlende Urteilsvermögen des Publikums beanstandete, – das interessierte die meisten der Anwesenden sicherlich nicht so sehr. Sie

203 Jürgen Langhans: Zielsetzung, Schwedt 6. Dezember 1972, in: PA Jürgen Langhans. 204 Siehe Jürgen Langhans: Schreiben an den Generaldirektor (handschriftlicher Entwurf ), Sommer 1972, in: PA Jürgen Langhans. 205 Zentralrat der FDJ: Planung der II. Werkstattwoche der FDJ-Singeklubs der DDR, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl., DS 6.

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sangen zusammen mit den Klubs auf der Bühne die bekannten Hits und stimmten in den Refrain leicht nachsingbarer Lieder ein.

Das Festival des politischen Liedes Neben der Werkstattwoche kristallisierte sich das ab 1970 jährlich stattfindende »Festival des politischen Liedes« als der Treffpunkt der DDR-Singeklubs und zunehmend auch internationaler Singer-Songwriter heraus. Es handelte sich um die »zweifellos öffentlichkeitswirksamste Veranstaltungsform der FDJ-Singebewegung«.206 Bis 1990 fanden diese Konzerte jährlich im Februar in Ostberlin statt. Entstanden war das Liedfestival aus der Idee heraus, zum Gründungstag des Berliner Oktoberklubs »Geburtstagsgäste« einzuladen, die für und mit dem Oktoberklub sangen. Vorbild war das Liedfestival auf der Burg Waldeck. Aus diesen eher kleinen jährlichen Meetings entwickelte sich eines der wichtigsten Musikveranstaltungen der DDR. Hauptorganisator war zunächst die FDJ-Bezirksleitung Berlin. Ab 1975 übernahm diese Funktion der Zentralrat der FDJ. Anders als bei den Werkstattwochen ging es dem Festival darum, bekannte nationale und internationale Sänger/-innen auf die Bühne zu holen und nicht darum, kritisch am Text oder Lied zu arbeiten. Es sollte präsentiert und gezeigt werden, wie tonangebend die DDR mit ihren politischen Liedern war, wie »internationalistisch« orientiert die Jugend. Erfahrungsaustausch, Werkstätten, Informationsgespräche und Podiumsdiskussionen standen dennoch auf der Tagesordnung des Festivals. Namhafte Liedermacher aus der Bundesrepublik nahmen an dem Festival regelmäßig teil, wie Dieter Süverkrüp, Franz Josef Degenhardt oder Hannes Wader.207 Die internationale Solidarität, die immer wieder in den Liedern der Singebewegung behauptet wurde und zu der diese Lieder aufriefen, ließ sich bei diesen jährlichen Treffen und Erfahrungsaustauschen mit Künstlern/-innen aus Vietnam, Chile, Nicaragua oder EL Salvador leben und fühlen. Die Sänger/-innen und Bands aus allen Ecken der Welt berührten und begeisterten die Konzertbesucher/-innen in Ostberlin.208 Trotz der staatlichen Organisation des Festivals bot es Freiräume für die interessierten Jugendlichen, sodass die Festivals zu einer Möglichkeit wurde, sich eine Woche im Jahr intensiv an politischen Liedern abzuarbeiten und darüber kulturelle Identität und Selbstfindung zu definieren. Für die Einzigartigkeit des Festivals um 1970 in der DDR sprach die wohlwollende Akzeptanz im westlichen Ausland.209

206 Kirchenwitz (1976): Entstehung und Entwicklung der Singebewegung, 126. 207 Des Weiteren kamen Teilnehmende aus Westeuropa, Nordamerika, Japan und osteuropäischen Ländern. Eine Auflistung der Teilnehmer/-innen findet sich auf der Webseite des Verein Musik und Politik, siehe www.musikundpolitik.de/archive/festivalteilnehmer-1970-1990/ (Zugriff: April 2020) und in: Lied und soziale Bewegung e. V: (1999): Rote Lieder, Umschlagblatt. 208 Böning (2004): Traum von einer Sache, 213: »Was als Internationalismus oft blutleer propagiert wurde, [erschien] jetzt lebendig.« 209 Nagorski (1998): Funktionale Musik, 2; vgl. die Sammlung der Presseberichterstattung in: Lied und soziale Bewegung e.V: (1999): Rote Lieder.

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DT 64 Das Jugendstudio DT 64 sollte einer der wichtigsten Katalysatoren der Singebewegung werden.210 Auch Jürgen Langhans bezog sein Wissen über die Singeklubs und seine Hörerfahrungen aus diesem Spartenprogramm für die Jugend. Ursprünglich war das Jugendstudio als ein Sondersender für das Deutschlandtreffen 1964 geplant gewesen. Danach sollte der Betrieb wieder eingestellt werden.211 Doch die Resonanz war so überwältigend, dass sich das Staatliche Rundfunkkomitee entgegen vieler Bedenken dazu durchrang, im Programm des Berliner Rundfunks das bis dato laufende Jugendstudio zum Jugendstudio DT 64 umzubenennen. Dieses ging im Juni 1964 auf Sendung, zunächst für zwei Stunden, später für vier Stunden wochentags.212 Die wichtigste Redakteurin für die Singebewegung war Marianne Oppel. Sie hatte ihr Ohr und ihr Mikrofon immer dicht an den (Berliner) Singeklubs. Die auf Tonband aufgenommenen Lieder wurden ab Frühsommer 1967 regelmäßig freitags gegen 17:15 Uhr so gesendet, dass sie auf Tonband mitgeschnitten werden konnten.213 Parallel zu den festen Sendeplätzten für diese Lieder erschienen ab dem 21. Mai 1967 in der Fernsehzeitschrift FF DABEI die entsprechenden Liedblätter.214 Doch DT 64 sendete nicht nur die neuen Singeklublieder, sondern auch täglich aus dem festgelegten »Grundrepertoire« der FDJ, hierzu veröffentlichen die Junge Welt und die Rundfunkzeitschrift Melodie & Rhythmus entsprechende Noten und Texte.215 Das tat der Popularität des Senders anscheinend keinen Abbruch. So wie Jürgen Langhans waren zahlreiche DDRJugendliche in diesen Jahren von dem spezifischen Sound des Jugendsenders geprägt, der zu einem signifikanten Anteil die neuen Singeklublieder über den Äther sandte, genauso wie Hits aus der Beat-Musikszene, Schlagertitel aber auch FDJ-Jugendlieder.216 Das Jugendstudio konnte vor allem wegen dieser Musikmischung bei den überwiegend 16- bis 20-jährigen Hörer/-innen punkten. Ganze 60 Redeminuten standen 150 Minuten Musik gegenüber.217 Aber auch die angebliche Spontanität begrüßten die jugendlichen Hörer/-innen.218

210 Stahl (2010): Kalte Ätherkrieg, 257f. So auch die Selbsteinschätzung in: Krüger (1969): »Retrospektiv betrachtet«, 31. 211 Stahl (2010): Kalte Ätherkrieg, 167-176. 212 Ab dem 1. September 1964 lief DT 64 wochentags zwischen 15:30 und 18:30 Uhr, ab Mai 1965 bis 19:30 Uhr. Im Januar 1971 erhielt DT 64 auch Sendezeit samstagnachmittags. Stahl (2003): Hausherren von Morgen, 59. 213 Oppel (1974): »FDJ Singebewegung«, 25. Ungefähr 360 Lieder wurden so bis 1974 veröffentlicht und per Funk verbreitet. 214 Daraus entstanden die ab 1969 publizierten Liederbücher Das DT 64 Liederbuch in fünf Bänden, 1969-1978. 215 Vgl. Programmankündigung »Unser Lied im Rundfunk«, in:Melodie & Rhythmus 11 (1967), 2-3. 216 Untersuchungen des ZIJ sprachen für den Erfolg des Jugendstudios. 1967 hörten 67 Prozent aller Befragten ständig oder häufig DT 64, nur 6 Prozent der befragten Jugendlichen hörten nicht das Jugendstudio des Berliner Rundfunks, siehe Autorenkollektiv DT 64 (1968.): »Tausend Tage DT 64«, 48. 217 Ebd., 51. 218 Dabei hatten auch bei DT 64 die Sendungen einen Planungsvorlauf von ein bis zwei Monaten und die Sprecher/-innen hatten Manuskripte, die sie in den Sendungen vorlasen; siehe Autorenkollektiv DT 64 (1968): »Tausend Tage DT 64«, 50.

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Die Jugendlichen lobten und kritisierten gleichermaßen den neuen Sound des DDRRadios. Sie wünschten sich manchmal mehr Beat, manchmal mehr Wortbeiträge. Sie beschwerten sich über das »eintönige Musikprogramm«, bei dem man einschlafen würde219 und wünschten sich mehr »heiße« Musik.220 Oder sie freuten sich über das Programm, weil es sie direkt ansprechen würde. »Ihr bringt immer prima Musik und gute Kommentare […]. Ich finde, so helft Ihr mit, daß die Jugend keine Westsender hört, sondern Euren Sender einstellt«, kommentierte ein Oberschüler in der Berufsausbildung.221 Die Zuschriften zeigen oft sehr unverblümt, wie kritisch die Jugendlichen mit DT 64 waren und dass sie gerade deshalb das Jugendstudio schätzten, weil Kritik möglich war. Eine 21-Jährige aus Berlin mahnte mehr Konsistenz an. Einerseits würde in den Wortbeiträgen schlecht über die Rolling Stones geredet, andererseits deren Musik (wenn auch als »ganz dufte« Cover-Versionen) gespielt.222 Bis zum Frühjahr 1968 erreichten das Jugendstudio rund 200.000 Hörer/ -innenbriefe.223 DT 64 war der Kummerkasten, Dienstleister und das Auskunftsbüro für die Jugendlichen. Der Sender erhielt Anfragen zu Themen der politischen Jugendarbeit (»uns fehlt ein Clubraum« und die Krise der »Jugendclub«-Arbeit224 ), zu alltäglichen Problemen (»Warum kann man den Film Spur der Steine nicht sehen?«, »Kann der Direktor uns verbieten Glockenschlaghosen zu tragen?«), zur Berufswahl, Ausbildung und Schule. Die Hörer/-innen baten um konkrete Ratschläge in Sachen Liebe und Freundschaft: »Was kann ich tun, wenn ich mich in einen Schlagerstar verliebt habe?«.225 Sie wandten sich an den Sender, wenn sie Probleme mit ihren Ausbildern, Ausbilderinnen,Lehrern und Lehrerinnen hatten. Sie baten um die Zusendung von Texten und Noten einzelner Lieder, um die Adressen bestimmter Singeklubs, um die Unterstützung bei der Gestaltung der gemeinsamen Nachmittage der FDJ-Gruppen. Der Sender versandte Liedkopien, Texte und Noten, auch leihweise Tonbänder.226 . Ein wichtiges Instrumentarium für die Verbreitung der Singeklublieder war die Jugendliedparade, ein neues Format, das am 23. September 1968 das erste Mal auf Sendung ging.227 Die Redaktion von DT 64 stellte 10 Musiktitel aus den Singeklubs vor, 219 220 221 222 223

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Hörerzuschrift, Mai 1968, in: DRA H 086-02-04 0004, Bl. 28. Postanalysen Januar 1965, in: DRA H 086-02-04-0001, Bl. 310. Postanalysen März 1965, in: DRA H 086-02-04-0001, Bl. 261. Postanalysen Oktober 1965, in: DRA H 086-02-04- 0001, Bl. 113. Autorenkollektiv DT 64 (1968): »Tausend Tage DT 64«, 47. Die meiste Hörerpost erreichte DT 64 im Januar 1967 mit 948 Zuschriften. Im November 1968 waren es im Vergleich dazu 613 Zuschriften. Davon stammte der größte Teil von Hörer/-innen aus der Altersgruppe 14 bis 18 Jahre, gefolgt von Schüler/-innen unter 14 Jahren. Siehe dazu DT 64: Hörerpostanalyse 1965-67, in: DRA H86-02-04003, Bl. 2-4 und Hörerpostanalyse 1967/68: in DRA H86-02-4-0004, Bl. 11. Jugendclub Beeskow: Schreiben an Jugendstudio DT 64, 4. März 1966, in: DRA H086-02-04-0009, Bl. 550. Alle Beispiele aus: Postanalyse 1966, in: DRA H086-02-04-0002. DT 64: Schriftwechsel mit FDJ-Gruppen, 1967, in: H086-02-04/0009, Bl. 452. DT 64 bat darum, die Tonbänder bald zurückzuschicken, da andere Hörer diese auch haben wollten. In der FernsehzeitungFF DABEI erschien passend zu der Jugendliedparade jeweils ein Liedblatt zusammen mit dem Hinweis, wann um welche Uhrzeit dieses Lied in welcher Aufnahme abgespielt wurde. Zur Jugendliedparade siehe: Hörerpost in: DRA H086-02-04-0004 fortlaufend bis DRA 00402-04-1114 (für das Jahr 1970). Überliefert ist die Hörerpost allerdings erst ab der 11. Jugendliedparade. Diejenigen, aus deren Zuschriften in der Sendung zitiert wurde, erhielten von der Redaktion

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jeweils fünf wurden jede Woche mit neuen Liedern ausgetauscht. In die Jugendliedparade wurde laut eigenen Aussagen nur die »schönsten Lieder der Werkstattwochen« aufgenommen und eigene, neue oder wiederentdeckte Lieder aus den Klubs.228 »Für Mitglieder von Singeklubs und andere interessierte Jugendliche ist so eine Möglichkeit geschaffen, ihr Repertoire zu überprüfen und durch neue oder schon bekannte Lieder zu ergänzen«, hieß es dazu erklärend von der DT 64 Redaktion.229 Die Hörer/-innen sollten selber über die besten fünf Lieder abstimmen. Aus den Zuschriften wurde die Top-5-Liste erstellt, die jede Woche neu zur Abstimmung stand. Auf diese Weise gab es über die Jahre immer eine verlässliche Hitliste der bekanntesten Lieder. Die einzelnen Singeklubs konnten sich daran orientieren und sie reproduzierten mit ihrem Repertoire auch diese Hitliste von DT 64. Damit sorgte das Jugendstudio für eine Homogenisierung der Singebewegung. Auch wenn es zahlreiche Begleitpublikationen gab, die Entscheidung für oder gegen ein Lied fiel häufig über das Hören.230

Printmedien Big Player bei der Vereinheitlichung des Liedrepertoires waren ebenso Zeitungen, Zeitschriften und Liedhefte. Die Zeitschrift Junge Generation druckte jeden Monat ein Lied ab, ebenso wie die Junge Welt. Gerade in den Jahren 1966 und 1967 handelte es sich dabei fast ausschließlich um die im FDJ-Grundrepertoire genannten Lieder. 1967 erschienen die ersten Lieder des Oktoberklubs und weitere neue Lieder der Singeklubs. Im Laufe des Jahres 1967 kristallisierte sich langsam die Mischung von alten und neuen Liedern heraus, die in den Folgejahren so typisch für die Singeklubs sein sollte. Eine wichtige Quelle für die Singeklubmitglieder waren die Liedhefte Oktav, die vom Jugendmagazin Neues Leben in den Jahren 1968-1970 in 11 Bänden herausgegeben wurden.231 In den weit über 30 Seiten umfassenden Heften befanden sich die neuen Lieder der Singeklubs, die als gut und geeignet beurteilt wurden.232 Die Auswahl bestimmte ein Gremium aus »Fachleuten der Singebewegung«, der FDJ-Bezirksleitungen und von DT 64.233 Der Zentralrat der FDJ visierte eine Auflagenhöhe von 30.000 an zu

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eine Platte zugeschickt. Insofern kann das auch der Anreiz für die zum Teil längeren kritischen Statements zu den Liedern gewesen sein. Regeln für die Jugendliedparade, 15. Juni 1970, in: DRA H 004-02-04-0014, Bl. 129. Erläuterung der Redaktion, in: DRA H086-02-04-0004, Bl. 14. Von der Jugendliedparade ging eine regelrecht mobilisierende Kraft aus, sie inspirierte zahlreiche Neugründungen von Singeklubs, darauf lassen einige Zusendungen an DT 64 schließen. Das Ergebnis einer Umfrage unter den Teilnehmern/-innen der ersten »Werkstattwoche« belegt, dass die Jugendlichen ihre Ideen für die neuen Lieder zu allererst aus dem Rundfunk bezogen, danach folgten Schallplatte und Fernsehen, als zweite Nennung kamen Presse und Materialien aus den Verlagen und zum Schluss die »mündliche Überlieferung«, siehe: Umfrage unter Teilnehmern der Werkstattwoche, 1967, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl. Zwischen 1968 und 1970 erschienen insgesamt 11 dieser Oktav-Hefte im Verlag »Junge Welt«, die Hefte 8/9 und 10/11 erschienen in jeweils einer Ausgabe, dem vorausgegangen ist Oktoberklub Berlin (1967): Octav. Parallel dazu gab es in den Jahren 1968-69 vier Schallfolien unter dem Titel »Oktav akustisch«. Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, Abteilung Kultur: Konzeption für die Reihe Oktav-Liedhefte 1-4, 1968, in: BArch SAPMO DY 24 6773, o. Bl. Namentlich genannt waren im Vorwort des ersten Heftes: Roland Wunderlich, Bernhard Hönig (Redaktion Neues Leben), Marianne Oppel (DT 64), Lutz Kirchenwitz, Volkmar Andrä (Oktober-

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einem Stückpreis von 0,50 Mark. Weiterhin wurden im Vorfeld die ersten vier Liedhefte durchgeplant.234 Bemerkenswert ist, wie sich auch in diesem Fall die Umsetzung vom ursprünglichen Plan unterschied. Die Konzeption legte für die ersten vier OktavHefte Themen fest. Das erste Heft sollte Lieder zum Gründungstag der FDJ enthalten und eine »deutliche politische Stellungnahme« im Liedgut widerspiegeln. De facto enthielt es eine bunte Mischung aus Scherz- und Liebesliedern, adaptierten Chansons (von Georges Brassens) und Protestsongs (von Bob Dylan und Mikis Theodorakis), Volksliedern und Singeklubliedern wie das bekannte Carpe Diem. Diese Mischung prägte alle elf erschienen Oktav-Hefte, unabhängig von der ursprünglichen Konzeption. In den Oktav-Heften erschienen jedoch nicht nur Lieddrucke, sondern auch Reportagen über die Werkstatttage, musiktheoretische Anleitungen und Erfahrungsberichte aus einzelnen Singeklubs. Meistens waren diese Dokumentationen von namhaften Singeklubmitgliedern verfasst und sie waren mit der Aufforderung verbunden: »Singen Sie nach, Singen Sie mit« und »schicken Sie uns die neuen Lieder, die bei Ihnen entstanden sind, die Sie von anderen gehört haben, die Ihnen gefallen«.235 Das erklärte Ziel dieser Oktav-Hefte bestand darin, »in stärkerem Maße, als das bisher möglich war, Einfluß auf das Singen unserer Jugendlichen zu nehmen, damit ihr politisches und ästhetisches Urteils- und Reaktionsvermögen zu entwickeln, ihren schöpferischen Bemühungen Inhalt und Richtung zu geben«.236 Inwieweit diese umfassenden Maßnahmen zur Regulierung und zur Kontrolle jugendlichen Singens umgesetzt werden konnten, inwieweit das auch im tatsächlichen Handeln der Jungen und Mädchen ankam, soll im Folgenden diskutiert werden.

Aushandlungen, Kompromisse und Eigensinn Die Klubs waren Räume des Ausprobierens für die Jungen und Mädchen. Doch das, was sie auf den kleinen und großen Bühnen der Republik sangen, war kein Versuch mehr, sondern durch »Beraterkommissionen« und »Texterbuden« überprüftes und über den Rundfunk, die Jugendmagazine und Liederbücher weitergereichtes »lautes Fühlen«.237 Die Lieder, die nicht durch Botschaft und Qualität überzeugen konnten, erklangen erst gar nicht auf DT 64, wurden nicht auf Schallfolien gepresst, nicht in den OktavHeften oder den DT 64 Liederbüchern aufgenommen. Zum Kernrepertoire gehörten nur die Kompositionen, die für »gut« und »wertvoll« befunden wurden. Interessanterweise stießen diese auch auf offene Ohren bei den gesangsfreudigen Jungen und Mädchen,

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klub, Berlin), Klaus Schneider (Volksmusik-Redakteur bei Radio DDR), Siegfried Wein (Sekretär der FDJ-Bezirksleitung Berlin) und Rainer Majewski (Zentralrat der FDJ), vgl.: Wunderlich/Hönig (1968): Oktav Nr. 1, 2. Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, Abteilung Kultur: Konzeption für die Reihe Oktav-Liedhefte 1-4, 1968, in: BArch SAPMO DY 24 6773, o. Bl. Die Idee dazu gab es bereits zwei Jahre zuvor, siehe Aktennotiz an Rainer Majewski über ein Gespräch mit dem Hofmeister Musikverlag, 30. November 1966, in: BArch SAPMO DY 24 6773, o. Bl. Wunderlich/Hönig (1968): Oktav Nr. 1, 1. Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, Abteilung Kultur: Konzeption für die Reihe Oktav-Liedhefte 1-4, 1968, in: BArch SAPMO DY 24 6773, o. Bl. So die Formulierung in: Matthies (1967): »Liederernte im Liederfrühling«, 771.

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die sie einstudierten und auf den Bühnen der Republik wieder und wieder reproduzierten. Dazu gehörten auch Lieder, mit denen (selbst)ironische Töne und Kritik erklangen. Doch die Kritik durfte nicht zu weit gehen, dafür sorgten die zahlreichen überwachenden Institutionen. Das musste selbst Gisela Steineckert spüren, die sowohl Mitglied des Berliner Oktoberklubs war, als auch in den Fachgremien über Qualität und »Standpunkt« der Singeklublieder wachte. Sie erweckte mit ihrem Lied Wenn der Heinrich aber nicht mitsingt, nach der Melodie des deutschen Volksliedes Wenn der Topf aber nun ein Loch hat auf der 2. Werkstattwoche der FDJ-Singeklubs im Herbst 1968 den Unmut der Jury. Im Grunde war es ein ironisches Lied über die Kampagne der FDJ zur »Entwicklung des Singens«. »Wenn der aber Heinrich nicht mitsingt«, dann sollte »ein bisschen Schwung« reingebracht werden. Dieser Schwung erfasste in dem Lied zahlreiche Hierarchiestufen bis hin zum Zentralrat. Gisela Steineckert saß selbst in der »Beraterkommission« der Werkstattwoche. Sie war überrascht, auf welche Kritik sie bei den Vertretern und Vertreterinnen der FDJ stieß: »Dieses Lied entspricht unserer Auffassung nach nicht der Kulturpolitik der SED«, hieß es in einem Schreiben an den Minister für Kultur.238 Gisela Steineckert zog das Lied öffentlich zurück. Sie und die Mitglieder des Oktoberklubs mussten zu einer »Aussprache« zum Zentralrat der FDJ. Zugleich erhielt auch der Schriftstellerverband Meldung über diesen »Vorfall«. Auf der gleichen Werkstattwoche fiel auch die Gruppe »pasaremos« negativ auf, wegen einer »fehlerhaften Auffassung einiger Mitglieder über das Arbeiterlied und ihr aufgeführtes Programm«. Auch diese Gruppe musste Ende November zur »Aussprache« mit dem Zentralrat.239 Weiterreichende Konsequenzen hatten diese Vorfälle für die Klubs nicht, doch haben die Jugendlichen deutlich die Grenzen dessen gespürt, was sagbar und kritisierbar war und was nicht. In den Akten waren das Einzelfälle. Nur selten ist etwas über Lieder zu erfahren, die nicht in das erwünschte Hörbild passten. Doch in Hinblick auf die »straff organisierte Kampagne« der FDJ-Singebewegung ist auch zu vermuten, dass die Regulierungsmechanismen bereits im Vorfeld so gut funktionierten, dass es wenige unerwünschte Lieder gab. Vielleicht arrangierten sich auch die Jugendlichen in den Singeklubs so gut mit den gesetzten Grenzen, dass es deshalb so wenig dokumentierte Grenzüberschreitungen gab. An dem Beispiel des »Singeklubs Oder-Neiße« lässt sich gut nachvollziehen, wie jugendliche Interessen mit staatlichen Erziehungsambitionen im Kleinen ausgehandelt wurden, wie sich »Herrschaft als soziale Praxis« ausprägte.240 Der institutionelle Rahmen der Singeklubs als ein Freizeitangebot mit dem Anspruch der politischen und ideologischen Erziehung definierte den Raum, in dem sich die Jugendlichen bewegten. Doch wie der Raum gefüllt wurde, was darin stattfand, das war das Ergebnis von »Aushandlung und Kompromissbildung«, von »sozialer Interaktion«.241 Die Lehrlinge des Schwedter Kombinats erfüllten die ihnen zugewiesenen Repräsentationsaufgaben. Sie sangen zu den festgeschriebenen Terminen und probten die Lieder, die die FDJ in 238 Johannes Rech: Schreiben an Klaus Gysi, 5. November 1968 in: BArch SAPMO DY 24 9359, o. Bl. 239 Zentralrat der FDJ: Vorlage an das Sekretariat, Abteilung Kultur, Oktober 1968, in: BArch SAPMO DY 24 20875, o. Bl. 240 Vgl. Lindenberger (2007): »SED-Herrschaft als soziale Praxis«, in Anlehnung an Lüdtke (1991): »Herrschaft als soziale Praxis«. 241 Lindenberger (2007): »SED-Herrschaft als soziale Praxis«, 30f.

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Person des »Singefunktionärs« vorgab. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Jungen und Mädchen erst die Lieder politisch durcharbeiteten und diskutierten, ehe sie diese sangen, oder dass sie daran ihren eigenen politischen Standpunkt reflektierten, wie es die staatlichen Konzeptionen zu den Singeklubs vorsahen. Sie imitierten das, was sie aus dem Radio kannten, sangen die Lieder, die sie gerne mochten (und dazu gehörten auch, aber nicht nur, die Lieder, die die FDJ vorgab), probierten sich mit ihren Instrumenten und Stimmen aus, experimentierten mit der neuen Bass- und Aufnahmetechnik. Die Schwedter Jungen und Mädchen nutzten die regelmäßigen Proben und Ausflüge, um sich kennenzulernen. Sie hatten offensichtlich gemeinsam Spaß in diesem vordefinierten Raum und genossen die freien Tage, die ihnen die Delegation zu den Werkstattwochen einbrachte. Allzu wagemutig waren die Jungen und Mädchen des »Singeklubs Oder-Neiße« aber nicht. Anders als Gisela Steineckert vom Oktoberklub bekamen sie nicht die regulierenden Grenzen zu spüren. Sie waren stolz darauf, zu den besten Klubs des Landes zu gehören, und bekamen dafür auch die Unterstützung der Betriebsleitung. Im »Singezentrum« Schwedt ging es aber nicht allein um das angeleitete Singen. Im Gegenteil, es wurde von den Schwedtern als Jugendklub genutzt, in dem abendliche »Diskos« stattfanden mit der Technik, die der Singeklub für seine Proben und Auftritte gesponsert bekommen hatte. Im Verständnis von Lüdtke könnte das als ein eigensinniges Verhalten der Jungen und Mädchen interpretiert werden, als eine von vielen möglichen »(selbst)deutenden« und sinnproduzierenden »Aneignungspraktiken«.242 Dabei ging es eben nicht darum, die von der FDJ ausgeübte Herrschaft infrage zu stellen, sondern sich in den derart strukturierten Räumen sinngebend zu verhalten. Damit hat der »Eigensinn« nicht notwendigerweise eine »Herrschaft in Frage stellende Wirkung«, sondern auch das Potenzial, »herrschaftsstabilisierend« zu sein.243 Die Singeklubs können in den Jahren um 1970 als herrschaftsstabilisierende Räume interpretiert werden. Es geschah wenig darin, was den Funktionären und Funktionärinnen der FDJ Anlass zum Misstrauen geben konnte. Im Gegenteil, von Misstrauen und Vertrauen war in dieser Zeit nicht mehr die Rede. In den Singeklubs näherten sich die Jugendlichen und die Interessen des Jugendverbandes aneinander an. Das lässt sich insbesondere an dem neuen Singeklublied erkennen, das ein Produkt der Annäherung, Aushandlung und Kompromissbildung darstellte. Das wird auch deutlich in dem Nebeneinander der verschiedenen Gesangspraktiken. Einerseits gehörten die Auftritte der Singeklubs auf den vielen kleinen und großen Bühnen zu allen möglichen Gedenk- und Feiertagen zu deren verpflichtenden Aufgaben. Andererseits konnten die Jugendlichen während ihrer wöchentlichen Treffen aber auch in den zahlreichen Werkstätten neue Gesangsformate ausprobieren, präsentieren und zur Diskussion stellen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die FDJ-Singebewegung durch die ressourcenintensive Organisation, Regulation und »Popularisierung« um 1970 eine breite Hör- und Sichtbarkeit gehabt haben muss. Die singenden Blauhemden trafen (unter Anleitung und Kontrolle) den Sound und den Ton, der im Großen und Ganzen den 242 Lüdtke (1994): »Eigensinn«, 142, 146. 243 So Lindenberger (2007): »SED-Herrschaft als soziale Praxis«, 34. Er versteht basierend auf Lüdtke das Eigensinn-Konzept »polyvalent«.

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Vorstellungen der Jugendpolitiker/-innen entsprach und den auch anscheinend zahlreiche Jugendliche in der DDR um 1970 kannten und in ihren Singeklubs nachsangen. Die Entwicklung der Singeklubs zu einer »Bewegung« fand in erster Linie durch die groß angelegte Förderung und Verbreitung des Jugendverbandes statt. Sie resultierte auch aus den mangelnden Alternativen für jugendliches Musizieren. Dennoch lässt sich herausstellen, dass die einzelnen Singeklubs anscheinend als ein guter Kompromiss zwischen staatlichen und jugendlichen Bedürfnissen funktionierten. Das lag zum einen daran, dass Vieles, das auf dem Papier geplant und festgelegt wurde, nur einen geringen Einfluss auf das tagtägliche Erleben der Jugendlichen in ihren Klubs hatte. Dennoch, sie sangen, dichteten und komponierten die Lieder, die erfolgreich die zahlreichen Gremien und Instanzen der Regulation und Kontrolle passieren konnten. Zu fragen bleibt, welchen Ton die neuen Lieder in Hinblick auf die Zukunftsgefühle anschlugen. Was passiert mit dem sozialistischen Zukunftsentwurf in dieser Annäherung staatlicher Erziehungsvorstellung und jugendlichen Singens?

»DDR-konkret« Die Suche nach dem »ehrlichen«, »echten« und »authentischen Fühlen« wurde in diesen Jahren unter den Begriff »DDR-konkret« gefasst. Es brauchte nur eine kurze Zeitspanne von circa zwei Jahren, bis diese Idee des »Konkreten« in den Liedern und dem Singen angekommen war. Die Lieder waren nicht mehr Auftragskompositionen von »verdienten« Schriftstellern/-innen und Komponisten/-innen, die dem jugendlichen Denken und Fühlen hinterherjagten, sondern Ergebnisse der gemeinschaftlichen Beschäftigung mit Musik in den Singeklubs. Die Jungen und Mädchen arbeiteten sich regelrecht an den Texten und Kompositionen ab, verarbeiteten Klänge, Harmonien und Rhythmen zahlreicher ihnen vertrauter Stilrichtungen. Sie vermischten offizielle Begriffe mit der ihnen geläufigen Jugendsprache, definierten Themen, die sich aus ihren eigenen alltäglichen Beobachtungen ergaben. Diese mussten nicht notgedrungen anders als die Themen der älteren Jugendlieder sein, sie waren aber variantenreicher und hatten viel mehr mit dem persönlichen Erleben der Jugendlichen zu tun. Bemerkenswert ist die Verarbeitung des Themas Liebe in den Singeklubliedern, gerade in Hinblick darauf, dass es in den Jahrzehnten zuvor in den Kinder- und Jugendliedern nur eine abstrakte Liebe gab. Fast 25 Prozent aller neuen Singeklublieder waren Liebeslieder, prominent in Verse und Töne gesetzt von Kurt Demmler, Bettina Wegner oder Gisela Steineckert. Wer bin ich und wer bist Du (1967, Gisela Steineckert/Kurt Demmler,) war eine solche Komposition im ersten Liederbuch des Oktoberklubs, die sich ausschließlich um die Beziehung zwischen zwei Liebenden kümmerte und dabei völlig unsentimentale Töne anschlug.244 Diese lyrischen Liebeslieder aus der Feder von Gisela Steineckert waren gerade deshalb sehr beliebt, so auch die Komposition Seit Du da bist (1969, Gisela Steineckert/Hartmut König). 1969 stand sie in der Liederhitparade des DT 64 ganz oben.245 Diese Lieder probieren aus, wie sich die Liebe anfühlt: »Dein 244 Oktoberklub Berlin (1967): Octav, 10f. 245 Wunderlich/Hönig (1969): Oktav Nr. 7, 20f.

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wachendes, lachendes, schlafendes, strafendes, betrübtes, vergnügtes Gesicht« (Seit du da bist). Die Künstler/-innen suchen dafür Metaphern, sei es die Sonne, »die Freudentränen weint« oder die »Blüten, die reife Früchte wiegen« (Seit du da bist). Das Lied vom Pflaumenbaum (1968, Kurt Demmler) offenbart eine bis dato ungehörte Freizügigkeit und besingt weniger die Liebe als die Erotik. Es handelt von einem Mädchen, dass sich »ohne Ziererei« zur körperlichen Liebe anbietet. Dementsprechend eindeutig ist die dazugehörige Illustration im Oktav-Heft.246 Diese Lieder sprechen von einer romantischen Liebe, einer Liebe zum Leben und nicht zur Partei, zum Vaterland oder zur Arbeit. Sie stehen für den Wunsch danach, Liebe als ein konkretes Gefühl einem Menschen gegenüber zu erleben und auszuprobieren: »Ich will lieben, ich will küssen, ich will tanzen – glücklich sein/und Dir tief in Deine bunten Träume sehen« (Wir sind jung [1967, Jürgen Pippig]).247 Dieser Liedtypus verweist darauf, wie Singen, Dichten und Komponieren als emotionale Praktiken verstanden wurden, die auf Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit abzielten. Dementsprechend galten auch die Lieder als Produkte einer authentischen Auseinandersetzung mit dem Leben, die auf »versteckte Andeutungen« verzichten konnten und »alles offen und klar« benannten: »Sie [die Jugendlichen] können nur singen, was sie glauben, was sie wissen, was sie verstehen. Wieviel sie schon verstanden haben von dem, was sie DDR-konkret nennen, wußten sie auch nicht, ehe sie anfingen, es in Versen zu formulieren.«248 Das Prinzip »DDR-konkret« setzte sich auch in anderen Themen um. Das stereotype »Vorwärts« der 1950er Jahre wurde in den »fahrenden Zug« verlagert. Die eingeforderte Arbeitsliebe wurde umformuliert in eine kritische und produktive Auseinandersetzung mit dem Arbeitsalltag, wie in dem Lied Verbesserungsvorschlag (1969, Reinhold Andert): »Wenn du jeden Tag von sieb’n bis vier nur Schräubchen drehst/du als Facharbeiter aber ›n bißchen mehr verstehst/und du meinst, daß diese Sache technisch besser geht/wenn man sich nur einmal hinsetzt und dann überlegt/Ja, dann mach doch mal einen Verbesserungsvorschlag.« Die großen Konzepte der 1950er und 1960er Jahre wurden heruntergebrochen auf die konkreten, alltäglichen Beobachtungen, Gedanken und Gefühle. Das stellten auch die zeitgenössischen Beobachter/-innen fest. Die Jugend wollte die »Unmittelbarkeit des Emotionalen«, sie war »allergisch gegen Pathos und gegen das zu groß betonte Marschtempo«, fasste die zentrale Liedkommission ihre Erkenntnisse 1972 zusammen und insistierte, auch »Humor und Konkretheit dürfen nicht fehlen«.249 Emotionen waren plötzlich wieder ein Thema, aber nicht nur in Bezug auf die Blackbox des jugendlichen Fühlens und auch nicht hinsichtlich einer erwünschten Erziehung der Gefühle. Es ging darum, das Fühlen in den Liedern zu formulieren, auszuprobieren, Raum für verschiedene Gefühle zu lassen. Daher plädierte Thomas Natschinski auch eindringlich für mehr Pausen in den Liedern, um Zeit zum Nachdenken und »Platz für Emotionen« zu lassen. Die Singeklublieder sollten nicht glatt und eingängig sein, wie die Massenlieder 246 247 248 249

Wunderlich/Hönig (1968): Oktav Nr. 2, 24f. Oktoberklub Berlin (1967): Octav, 18f. Steineckert (1969): »Stand der Singe«, 12. Kommission Lied: Niederschrift über die Sitzung vom 13. April 1972, in: AdK VKM 2031, o. Bl. In diesem Sinn erschienen später auch Liedhefte: Krüger (1976): DDR-konkret.

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der 1950er Jahre, sondern »Intensität durch Spannung« erhalten.250 Gefühle wurden in den Liedern der Singebewegung ganz neu großgeschrieben, jedoch als individuelles Fühlen. Im Gegensatz zu den Liedern der 1950er Jahre waren es dieses Mal Gefühle, an denen sich die Jugendlichen in ihren Liedern selbst abarbeiteten. Das Komponieren und Dichten der Lieder und die Diskussion darüber in den Singeklubs waren die eigentliche Gefühlsarbeit, nicht so sehr das Singen, wie es bis dahin in den Massenliedern angelegt war. Das lässt sich beispielhaft an der Entwicklung der Heimat- und der Friedenslieder von den 1950er Jahren bis 1973 zeigen.

Vom Heimatlied zum Song über das Vaterland Die Heimatlieder der 1950er Jahre waren häufig pathetisch und hymnisch gestaltet und forderten von den Heranwachsenden Bewunderung, Ehrfurcht, Ergebenheit, eine »echte, tiefe Heimatliebe« ein. Die sozialistische Heimat war das Versprechen und ein Symbol für natürliches Gedeihen und Werden, für Fortschritt und Zukunft und damit ein Zukunftskonzept. Diese Lieder sangen die Pioniere noch bis zum Ende der DDR. In den Singeklubliedern um 1970 hat sich Vieles an dieser Heimatliebe geändert. Auffallend ist in erster Linie, dass der Begriff Heimat weniger verwendet wurde, stattdessen war häufiger vom Vaterland die Rede: Lied vom Vaterland (1968, Kurt Demmler); Vaterlandslied ([Kennst Du das Land] 1973, Reinhold Andert/Reiner Böhm); Geh mal zu Fuß durch unser Land (1968, Hartmut König) oder Vaterlandslied (1972, Bernd Rump/Jürgen Magister). In diese Reihe gehört auch das Lied Meine Heimat (1972, Gerhard Kern/Rainer Neumann). Dieses Lied verwendet zwar untypischerweise den Begriff der Heimat, denn es verweist indirekt auf das Lied Unsre Heimat. Der Autor spricht dahingegen von »meiner Heimat« und nicht von »unsre Heimat«. Im Gegensatz zu dem populären Pionierlied bietet dieses Lied auch keine klare Definition von Heimat an: »Was meine Heimat ist, ich könnt‹ es nicht mit tausend Worten sagen.« Das abstrakte Konzept der kollektiven Heimatliebe wurde in den Singeklubliedern abgelöst von einer konkreten Gefühlsverbindung zwischen dem lyrischen Subjekt und seinem »Vaterland«. Es ging nicht um ein abstraktes kollektives »wir«, sondern um den Einzelnen, seine/ihre Erlebnisse und Erinnerungen: »Man muss sie [die Heimat] selbst besitzen, um sie zu verstehen […]. Es ist in meiner Stadt die Burgheimstraße/denn vor der Haustür hundertzehn/da stand ich einst in meiner ersten Liebe« (Meine Heimat); »Hier steht die Schule und mein Klassenzimmer/das riecht heute immer noch nach Terpentin« (Vaterlandslied, Andert/Böhm). Es gab keine feste Definition von Heimat oder Vaterland, wie in den Liedern der 1950er Jahre. Das »Vaterland« war für die Jugendlichen ein ganz persönlicher Assoziationsgenerator. Es war entweder »ein Baum/mit einer weiten Kron‹ […]. Mein Vaterland ist wie ein See, der stille ist und tief; wie eine Schwalb‹, die ihre Nester baut/aus Gras und Stein und aus Asphalt/auf ihrer eigenen Haut« (Vaterlandslied, Rump/Magister), oder »das Land mit seinen alten Eichen […] das kleine Land, das man an einem Tag durchfährt« (Vaterlandslied, Andert/Böhm). Vaterlandsliebe war wie die patriotische Heimatliebe in den 1950er Jahren ein aktivierendes Konzept. Doch um 1970 ging es nicht mehr um eine imaginäre Bedrohung oder um eine 250 Thomas Natschinski, Kommission Lied: Niederschrift über die Sitzung vom 25. Mai 1971, in: AdK VKM 2031, o. Bl.

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schutzbedürftige Heimat, die im Zweifel mit der Waffe verteidigt werden sollte. Es gab in den neuen Songs vom Vaterland keinen vorgestellten Feind, sondern die Herausforderung, dem Vaterland selbst einen »Anstrich« zu geben, es selber zu gestalten, es zu dem Ort zu machen, an dem man sich verwirklichen konnte. So hieß es programmatisch in dem Lied Geh mal zu Fuß durch unser Land: »Nimm einen Pinsel in die Hand/stell Dir vor, Du hättest es zu malen […]/Rot brauchst Du, spare nicht mit Rot/verschiedenem Rot für Fahnen und Kleider./Für erstes Erröten und Liebe, die lohnt,/und für all den Haß im Gesicht unserer Neider.[…]/Du mußt Dich an vielerlei Töpfe gewöhnen./Nur so wird ein Bild, das auf Wirklichkeit gründet,/auf dem sich der einzelne wieder findet./Keine Angst! Ran an Farben und Leinewand.«251 Besonders deutlich war auch diese Aufforderung in dem hymnisch gesungenen Refrain des Vaterlandsliedes von Andert/Böhm: »Hier schaff ich selber, was ich einmal werde/Hier geb‹ ich meinem Leben einen Sinn/Hier habe ich meinen Teil von unserer Erde/Der kann so werden, wie ich selber bin.« Dieses Lied gehörte zum Stammrepertoire des Oktoberklubs und in seiner musikalischen Eingängigkeit zu den bekanntesten Vaterlandsliedern um 1970. Aus den Vaterlandsliedern sprach ein gewisser Stolz, der gerade mit dem Hinweis auf das bisher Erreichte unterstrichen wurde: »Das ist das Land, wo die Fabriken uns gehören […]. Wo sich die Leute alles selber reparieren/Weil sie das Werkzeug haben, Wissen und die Macht« (Vaterlandslied, Andert/Böhm). »Wir haben endlich ein Gesicht/und endlich auch die Zuversicht:/Dies Land ist von Bestand« (Lied vom Vaterland, Demmler). Der Stolz speiste sich auch daraus, dass das Vaterland unfertig war, kritikwürdig und daher eben auch gestaltbar: »Hier kann man manche Faust auf manchen Tischen hören/bevor dann wieder trotzdem was nicht geht«, bzw. »Das ist das Land mit dem Problem im Winter/das Züge stoppt und an die Fenster klirrt« (Vaterlandslied, Andert/Böhm). Das Gefühlskonzept der patriotischen Heimatliebe hat sich zwar gewandelt, ist aber dennoch im Kern gleich geblieben. Das Versprechen auf Frieden, Fortschritt, Wachstum und Glück war um 1970 nicht mehr nötig. Es gab keinen Aufruf mehr, die Heimat zu verteidigen und für zukünftiges Glück zu kämpfen. Die Lieder um 1970 forderten stattdessen dazu auf, die Gegenwart nach den eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen zu gestalten, sich selbst das Vaterland als ein Zuhause einzurichten. In dem Punkt des Gestaltungsraumes unterschieden sich die neuen Lieder vom Vaterland von den alten Heimatliedern. Was sich nicht veränderte, waren die Grundgefühle von Stolz, Liebe und Verantwortung für das eigene Land. Denn nach wie vor ging es darum, sich diesem Vaterland verbunden zu fühlen, wenn auch diese Verbundenheit um 1970 wesentlich individueller war. Position zu beziehen und sich für die Heimat, für das »Vaterland DDR« einzusetzen, blieb die Grundaufforderung der Lieder. Nach 1973 änderte sich dieses Narrativ der Vaterlandslieder. Kritik wurde nicht mehr zugelassen und individuellen Gestaltungsraum durfte es nicht mehr geben. Das Vaterlandslied der Songgruppe Dresden (Rump/Magister) stieß 1978/79 auf Unverständnis und Kritik bei der Parteileitung der Technischen Universität Dresden. Zu dieser Zeit 251

In: Wunderlich/Hönig (1970): Oktav Nr. 10/11, 50f.

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leitete Jürgen Langhans die »Songgruppe Dresden«. In einer »Aussprache« wurde ihm nahe gelegt, das Vaterlandslied aus dem Programm zu streichen, es war den zuständigen Funktionären und Funktionärinnen zu »mehrdeutig« gewesen. Die Hauptaufgabe der Songgruppe war es in deren Augen, den Studierenden eine »eindeutige politische Haltung« nahe zu bringen, dazu eignete sich das Lied nicht. Doch Jürgen Langhans schätzte und schätzt das Vaterlandslied, gerade weil es so viele Interpretationen zuließ, so viele Möglichkeiten bot, eine individuellere Beziehung zum Vaterland aufzubauen. Er behielt es im Programm der Songgruppe der TU-Dresden. Heute vermutet er, dass ihm dieser Eigensinn die Parteimitgliedschaft gekostet habe, jedenfalls wurde nach langer Prüfung sein Antrag auf Mitgliedschaft in die SED mit der Begründung abgelehnt, dass er »unbelehrbar« sei und noch nicht reif genug.252 Daraufhin schrieb Jürgen Langhans ein eigenes (Eindeutiges) Vaterlandslied. Er begründete diese Entscheidung im Oktober 1979 folgendermaßen: »Jedem, der das Vaterlandslied von Bernd Rump ablehnt, fehlt eine wichtige Fähigkeit, nämlich die, anzuerkennen, daß andere Menschen ebenfalls in der Lage sind zu denken. Niemand in der DDR, in diesem Vaterland, hat einen sinnvollen Grund, irgend eine negative Auslegung in die Bilder dieser Lyrik (!) zu bringen: Da dieses Lied für die DDR geschrieben ist, ist es eindeutig, sonst wäre irgend etwas faul. […] Kunst ist immer noch Waffe. Haben wir vor unseren eigenen Waffen Angst?«253 Das Vaterlandslied von Jürgen Langhans war wie auch die Lieder um 1970 ein eindeutiges Bekenntnis zur DDR. »Du, kleines Land, ich geb dich nie auf/und gehe es scheinbar nicht mehr bergauf/ich trüge die Schuld Deiner Fehler in mir/ich bin doch selber ein Stückchen Dir.« Es ist ein Hinweis darauf, wie stark sich ein Teil der Jugendlichen in den 1970er Jahren tatsächlich mit ihrer »Heimat DDR« verbunden gefühlt haben mag.

Solidarität konkret »Friede, allen Völkern Frieden« (Freundschaft, Einheit, Frieden, 1951, Herbert Keller/André Asriel) und »internationale Völkerverständigung«, das waren die zentralen Botschaften der Pionierlieder der 1950er Jahre. Der »Friedenskampf« galt als ein Bekenntnis zur Länder- und Kontinente übergreifenden Freundschaft, mehr noch zur solidarischen »Einheit«. Die Lieder der 1950er sprachen vom »Friedensband« (Blaue Wimpel), »Freundschaftsband« oder der »Friedensbrücke« (Hell soll unser Lied erklingen). Diese Vorstellungen von einer über die Ländergrenzen hinweg bestehenden internationalen Gemeinschaft, die sich über das Ideal von Freundschaft, Solidarität und Frieden definierte, prägten die Erziehungsmaterialien und Diskurse in den 1950er Jahren in der DDR. Die neuen Lieder der Singeklubs thematisierten die Sehnsucht nach Frieden, fanden jedoch eine völlig andere Sprache dafür, als die pathetischen und plakativen Friedenslieder der 1950er Jahre. Im Lied von der friedlichen Welt (1968, Hartmut König) wurde

252 Protokoll der Aussprachen mit der SED Parteileitung der TU Dresden; Dezember 1978, siehe PA Jürgen Langhans. 253 Jürgen Langhans: Begleittext Eindeutiges Vaterlandslied, Dresden 26. Oktober 1979, in: PA Jürgen Langhans (Herv. i. Or.).

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Frieden gegenständlich in einer Welt voller »Tauben und Wein«, ohne gleich ein »Schlaraffenland« zu sein.254 Es ging in den Liedern nicht um utopische Träume, sondern um ganz konkretes Handeln und Fühlen: »Wir trügen statt Waffen Krüge aus Ton/und unsere Welt würde wohnlich davon« (Lied von der friedlichen Welt). Fast unerhört klingt diese Liedzeile, bedenkt man, in wie vielen Soldatenliedern die Kinder der 1950er Jahre lernten, dass der Frieden mit Waffen verteidigt werden müsste. Der Solidaritäts- und Friedensgedanke war in den 1950er Jahren ebenso wie das Heimatliebekonzept geprägt von den gefühlten Bedrohungsszenarien zu Hochzeiten des Kalten Krieges. Daraus resultierte der fortwährende moralisierende Ton der Friedensund Solidaritätslieder dieser Zeit, wie in den schon vorgestellten Liedern Kleine weiße Friedenstaube oder Wer möchte nicht im Leben bleiben. Diese moralische Frontstellung gab es in den Singeklubliedern um 1970 nicht mehr explizit. Statt auf imaginäre Bedrohungen konnten sich die Lieder auf konkrete kriegerische Konflikte beziehen. Im Zentrum der Friedens- und Solidaritätslieder stand vor allem der Vietnamkrieg. »Frieden ist kein Sein, sondern Tun«, dichtete Kurt Demmler in dem populären Lied Ho-Chi-Minh. Deutlich grenzte er sich von den naiven Friedensforderungen der frühen Lieder ab: »Friede kommt nicht mit der kleinen weißen Taube, […] Friede bringt nicht der Sommermonsun«, formulierte dieses solistische Lied weder anklagend noch pathetisch, sondern still und lyrisch. 1967 entstand das Lied Mutter, wie weit ist Vietnam (1967, Fritz Räbiger/Klaus Schneider), ein solistisches Lied, das ein Zwiegespräch zwischen Mutter und Kind wiedergab, ein Gespräch, in dem das Kind durch seine konkreten Nachfragen über das Leben der Kinder in Vietnam die Grausamkeit des Krieges aufdeckte. Am Ende stand auch die Frage im Raum »Mutter, kommt dieser Krieg auch hierher?«, worauf die Mutter nur noch mit Tränen antwortet. Vor dieser Art von »sentimental-moralischen« Mitleidsgefühlen warnte jedoch Gisela Steineckert: »Die DDR hat zu keinem einzigen Staat der Erde eine passiv-moralische Mitleidbeziehung […, sondern] eine wissenschaftlich fundierte marxistisch-leninistische, also revolutionäre aktive Position.«255 Trotz dieser Warnung Steineckerts besangen die neuen Lieder nicht mehr die strahlenden Helden der kommunistischen Vergangenheit, wie Ernst Thälmann, sondern die tragischen Helden, wie den Kleinen Trompeter oder den alltäglichen Helden, die alltägliche Heldin. Die Antikriegslieder beschrieben das Leiden und Kämpfen konkreter Menschen, nicht ganzer Nationen. Der Einzelne litt Hunger, musste in ungerechten Kriegen kämpfen, verlor geliebte Menschen. Die Lieder forderten nicht nur ein Mitfühlen ein, sondern gleich die Identitätserfahrung. Damit verblieben sie nicht im bloßen moralischen Appell und dem abstrakten Statement, sich auf die »richtige Seite« zu stellen und zu kämpfen. Sie sollten berühren, indem sie »erzählen, was wir gesehen und gehört, gefühlt und gelitten, gedacht und erreicht oder unterlassen haben«,256 eben »echte Gefühle« zeigen.257

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Oktoberklub Berlin (1967): Octav, 14f. Gisela Steineckert, in: Wunderlich/Hönig (1969): Oktav Nr. 7, 1. Steineckert (1968): »Werkstatt-Notizen«, 34. Anonym (1967): »Wir nehmen unsere Träume mit in den nächsten Tag«, 34.

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Diese »echten Gefühle« galten zugleich als »starke Gefühle«. Denn gerade Krieg ging jeden persönlich etwas an, konnte jeden einzelnen Lebensweg zerstören, das war die Botschaft der neuen Antikriegslieder. Die Singenden sollten besonders dann authentisch wirken, wenn sie die Lieder nicht einfach nur lernten, sondern auch verstanden: »nicht gedankenlos nachmachen«, sondern »Zorn und Haß ausdrücken über die Mörder eurer Freunde«.258 Damit war nicht nur die Erarbeitung der Lieder Emotionsarbeit, sondern auch das Einstudieren. Die emotionale Stellungnahme sollte den abstrakten moralischen Aufruf aus den Liedern der Vorgängerjahrzehnte ersetzen. Gerade weil sich die Gefühle auf eindeutige Situationen von Schuld und Unschuld bezogen, war deren moralischer Appell nicht weniger stark, ganz im Gegenteil. Über als »gerecht« empfundenen Zorn und Haß, über Mitleid, Empathie und sogar Identifikation ließ sich einfacher und nachhaltiger Stellung beziehen, als über den allgemeinen Gesang von Frieden und der »kleinen weißen Friedenstaube«: »Zorn, Haß, Leid, Anklage und Kampfansage sind so starke Antriebskräfte für die Poesie und vermitteln so starke Emotionen, daß daneben einige unserer bejahenden und optimistischen Lieder zu blaß wirken.«259 Die starken moralischen Gefühle sollten eine klare Stellungnahme zur »antiimperialistischen Solidarität« ermöglichen, wie es auch das Motto der Weltfestspiele 1973 in Berlin war. Der Unterschied zu den 1950er Jahren war jedoch, dass die Jugendlichen 1973 ein gefühltes Wissen über Frieden, Freundschaft und Solidarität mitbrachten, sofern sie regelmäßig DT 64 zugehört und in den örtlichen Singeklubs die Vietnamlieder gesungen hatten. Das Solidaritätsgefühl wurde in dieser Zeit auch durch andere Emotionspraktiken eingeübt. Zu nennen ist die Solidaritätskampagne für die afroamerikanische Bürgerrechtsaktivistin Angela Davis, die in den USA wegen ihrer kommunistischen Aktivitäten 1970 inhaftiert und angeklagt wurde. Es gab wohl in der DDR kaum eine Schulklasse, kaum ein Pionierkollektiv oder eine FDJ-Grundeinheit, die sich nicht für die Freilassung von Angela Davis aktiv einsetzte. In ihrer Person kumulierte Anfang der 1970er Jahre das spezifische Emotionskonzept »antiimperialistische Solidarität«.260 Angela Davis wurde zum »jugendlichen Pop-Idol«, über das sich über Ländergrenzen hinweg »imaginäre Gemeinschaften« etablieren und Zugehörigkeitszuschreibungen einüben ließen.261 Solidarität konnte in dem gemeinsamen Befreiungskampf für Angela Davis nicht einfach nur als ein Gemeinschaftsgefühl wahrgenommen werden, sondern als ein beglückendes Gefühl des Erfolges verbucht werden. Denn Angela Davis kam im Frühjahr 1972 frei und besuchte im September 1972 die DDR. Anhand ihrer Geschichte ließ sich für DDRJugendliche erfahren, dass ihr persönlicher Einsatz, wie das Schreiben von Postkarten mit der Aufforderung zur Freilassung, wie auch das Singen von Solidaritätsliedern, er-

258 B. H. (1967): »Wir singen, weil wir jung sind…«, 37. 259 Gisela Steineckert: »Lob für das politische Lied. Nachbetrachtungen zum 2. Festival des politischen Liedes«, in: Neues Deutschland, 22. Februar 1971, 4. 260 Lorenz (2015): »Konstruktionen einer Emotionskultur«, 218. Er definiert diese Solidaritätsaktivitäten als »charakteristische (Ersatz-)Handlung des Systemkonflikts im Sinne eines imaginären Krieges«. 261 Ebd., 237, 220.

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folgreich war.262 »Antiimperialistische Solidarität«, wie es zum Motto der Weltfestspiele 1973 wurde, fühlte sich hier gut und richtig an. Diese ebenso sorgfältig wie umfassend organisierte Solidaritätskampagne war von staatlicher Perspektive aus betrachtet eine lohnende Investition in die Beziehung zwischen Staat und Jugend. Auf der Erfolgswelle der »internationalen Solidarität« konnten die Organisatoren der X. Weltfestspiele in Berlin bequem aufbauen. Solidaritätslieder waren gefragt und entstanden in Unmengen. Eines dieser neuen Solidaritätslieder charakterisierte den besonderen Sound der Weltfestspiele: Ketten werden knapper (1973, Gerulf Pannach/Peter Gläser) der DDR-Rockband Renft. »Singt für alle, die alles wagen/Für die Leute in jedem Land/die gemeinsam den Erdenball tragen/daß kein Mensch mehr noch steht am Rand«, denn, so hieß es im Refrain: »Ketten werden knapper/und brechen sowieso/Wie junger Rhabarber/Wie trockenes Stroh.« Sozialistische Ideen verpackt in rockigen Rhythmen – darin kristallisierte sich die liberale Atmosphäre in der Zeit vor und während der Weltfestspiele. Der Hype um die Solidaritätslieder hielt auch nach den Weltfestspielen noch an. Um 1970 hatten sie nicht nur allein durch staatliche Kampagnen, sondern durch die anhaltenden internationalen Konflikte eine größere Tragweite als je zuvor.

Ankunft im sozialistischen Alltag »Musik ist ›lautes Fühlen‹, gibt dem Fühlen des einzelnen, soweit es allgemein werden will, eine allgemeine Form, ist also Organisation von Tönen«, zitierte Ludwig Matthies den Lyriker Bert Brecht.263 Eben diese Erkenntnis machte das Singen für den Jugendverband so interessant. Aus den privaten Räumen holten die Funktionäre und Funktionärinnen die Jugendlichen in die Öffentlichkeit und machten damit ihr Singen, ihre neuen Lieder hörbar und gleichzeitig kontrollierbarer. In aufwendigen Workshops wurden die Jungen und Mädchen befähigt, professioneller zu werden und zugleich auch jene Musik zu machen, die am ehesten den Gefühlen entsprechen sollte, die sich der Staat von seiner Jugend wünschte. Denn Singen war nicht nur »lautes Fühlen«, sondern Statement und politische Parteinahme, eben »echtes Fühlen.« Im Unterschied zu den Jahren zuvor verlief die Kampagne 1966/67 zur »Entwicklung des Singens« nicht im Sand, auch wenn sie ähnliche Grundzüge aufwies, wie alle anderen Bemühungen zuvor. Eben weil es eine Schnittmenge an gleichen Interessen und Bedürfnissen gab, führten die umfassenden Maßnahmen nicht zu einem Verstummen der Jugendlichen. Im Gegenteil, in den Jahren um 1970 diagnostizierten Beobachter/ -innen eine relativ stabile Identifikation der Jugend mit der DDR. Dafür sprachen die Erhebungen des Jugendforschungsinstitutes in Leipzig. Demnach kam es in den 1970er

262 Es ließen sich weder in den Oktav-Heften noch in den DT 64 Liederbüchern Lieder über Angela Davis finden, aber in den Programmkonzeptionen des »Singeklub Oder-Neiße« in den Jahren 1972 und 1973 taucht immer wieder ein Lied Angela, oder Angela Davis auf. Siehe auch Rundfunk der DDR, Radioübertragung: Besuch von Angela Davis in der DDR. Großkundgebung im Berliner Friedrichsstadtpalast, 11. September 1972, in: DRA 2032241. 263 Matthies (1967): »Liederernte im Liederfrühling«, 771.

Authentisch fühlen. Die FDJ-Singebewegung 1960-1973

Jahren zu einer »deutlichen Konsolidierung der sozialistischen Überzeugung und Wertorientierung bei allen Schichten […]. Von Jahr zu Jahr erhöhten sich Zahl und Intensitätsgrad der Zustimmung zu den Zielen und Werten der damaligen Gesellschaft«.264 Es bildete sich eine Form der Selbstverständlichkeit heraus, die die FDJler/-innen die Lieder singen ließ, die in den Ohren der Jugendfunktionäre und -funktionärinnen gut und richtig klangen. Die nachträgliche Bewertung der Singeklubs ist zwiespältig. Sie wurden als »Pausenclowns« zu allen Veranstaltungen, Kundgebungen und Feierstunden gebraucht, so Wolf Biermann, der die Jugendlichen als »Kaisergeburtstagssänger« klassifizierte.265 Kirchenwitz hingegen betonte den Kompromisscharakter der Singeklubs: »Das kulturelle Resultat ist vorerst ein Kompromiss, ein Kompromiss aus Selbstbestimmung und Mißbrauch, Originalität und Klischee, aus Folksong und Massenlied, aus Biermann und FDJ.«266 Davon abgesehen, seien die Singeklubs ein »ungelenkter Ausdruck eines ernst zu nehmenden Lebensgefühls, oft naiv und undialektisch aber doch ehrlich und leidenschaftlich«, so das wohlwollende Fazit von Kirchenwitz. Singeklubs waren hör- und sichtbar, wenn auch nicht immer. Sie ließen sich beobachten und beeinflussen. Der Trend, die Singeklubs aus den Schul- oder Klubräumen herauszuholen und zunehmend auf die kleinen und großen Bühnen der Republik zu stellen, erklärte sich daher nicht nur aus der Überzeugung, diese singende Jugend zur Botschafterin der sozialistischen Idee zu machen, sondern auch daraus, einem breiten Publikum zu vermitteln, was diese Jugendlichen fühlten. Dieses »laute Fühlen« klang in den Ohren der Jugendfunktionäre und -funktionärinnen gar nicht so verkehrt, im Gegenteil, es scheint, dass die Jugendlichen mit der FDJ das Bedürfnis nach dem »authentischen« und »echten« Fühlen teilten. Konkret sein, bedeutet emotional sein. Die Längsschnitte von Liedthemen haben gezeigt, dass sich das neue Singeklublied in Bezug auf die emotionale Ansprache von den gewohnten Liedern unterschied. Die Singenden durften und sollten »ihre Freude am Leben, an unserem Leben, ihre Liebe und ihr [sic!] Haß, ihre Hoffnungen und Wünsche« formulieren, »kurz, ihre sozialistische Haltung«. Das war die Grundidee von »DDR- konkret«.267 In diesem Sinn war das Komponieren und Singen nicht nur ein Modus der Auseinandersetzung mit der DDR-Wirklichkeit, sondern auch ein Modus der Wirklichkeitsaneignung: »Sie versuchen, die Wahrheit über ihr Leben, über ihre Arbeit, ihr Denken und ihr Fühlen im Lied auszudrücken«, sich »des sozialistischen Alltages mit seinen vielfältigen Erscheinungen [zu] bemächtigen«, schlussfolgerte 1972 die Anthropologin Eva-Maria Hillmann.268 Singen war Emotionsarbeit. Das Erlernen dieser Emotionen

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Vgl. Friedrich (1990): »Mentalitätswandlungen der Jugend in der DDR«, 26. Zitiert in: Lied und soziale Bewegung (1993): Zwischen Liebe und Zorn, 5. Kirchenwitz (1994): »Zwischen Tauwetter und Eiszeit«, 34. Wunderlich/Hönig (1968): »Vorwort«, in: Oktav Nr. 2, 1. Eva-Maria Hillmann: 9 Thesen zu Fragen des gegenwärtigen Musikschaffens, 1972, in: BArch SAPMO DR 2 24070, o. Bl., DS 3. Das ist das Konzept des »sozialistischen Realismus«, vgl. Winfried Hoffmann: Untersuchung zur Bedeutung des Liedes der Singebewegung, 1973, in: BArch SAPMO DR 1 15139, o. Bl.: »Sozialistischer Realismus bedeutet eine wirklichkeitsgetreue Wiedergabe des Zusammenlebens der Menschen vom sozialistischen Standpunkt aus mit den Mitteln der Kunst.«

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erfolgte in der Erarbeitung und wiederholten Aufführung der Lieder. Im übertragenden Sinn bedeutete diese Emotionsarbeit, nicht mehr hinter jeden Satz ein affirmatives Ausrufezeichen zu setzen, sondern ein Fragezeichen, wie es im Lied vom Vaterland betont wurde. Diese kritische Auseinandersetzung mit dem konkreten Alltag steht am sinnfälligsten für einen Wandel des Zeithorizonts von der Zukunft hin zur Gegenwart: »Und wir singen ja nicht schon heute die Lieder von morgen, das ist doch nicht wahr. Wir singen unsere heutigen Lieder, da haben wir genug zu tun. Diese Lieder können oft besser sein.«269 Mit dem Gesang signalisierten die Jugendlichen ihre Ankunft im sozialistischen Alltag, um hier in leicht abgewandelter Form den Titel einer Erzählung von Brigitte Reimann aus dem Jahr 1961 zu bemühen.270 Mehr noch, sie waren nicht einfach im Alltag des »real existierenden Sozialismus« angekommen, sie wollten ihn selber mitgestalten: Selber machen, selber denken, selbst gestalten und selber fühlen – auch das war DDR-konkret. Eine Begleiterscheinung dieser Gegenwartsorientierung war eine scheinbar allgegenwärtige (selbst)kritische Haltung, die in den Singeklubs eingeübt wurde. Ob im alltäglichen Umgang mit den gehörten Liedern, ob auf den Werkstatttagen oder Werkstattwochen, fortwährend wurden die Liedkompositionen kritisch hinterfragt, um noch besser zu werden. Kritik und Selbstkritik waren wichtige Bausteine in der Weiterentwicklung der Singeklublieder. Dass die Form der konstruktiven Kritik und der begründeten Meinungsäußerung vielen Jugendlichen jener Zeit nicht fremd war, davon geben auch die Hörerbriefe an das Jugendstudio DT 64 im Rundfunk der DDR beredtes Zeugnis. Die Hörer/-innen bestimmten durch ihre Zuschriften, welche Lieder zu den Spitzentiteln der Jugendliedparade zählen sollten. Dabei zeigten die zahlreichen Zuschriften, wie kritisch das jugendliche Publikum mit den Liedern war. Je mehr sich der musikalische und lyrische Stil von den Liedern der 1950er Jahre emanzipierte, gar selbstironisch mit den »sonnigen Liedern über den Weg in die Zukunft« umgehen konnte, umso unwichtiger wurde auch das »sozialistische Träumen« in den Liedern. Die Zukunftsfixierung wurde von der Arbeit an und mit der Gegenwart abgelöst. »Vom Traum zur Wirklichkeit« ließe sich diese Entwicklung kurz benennen.271 Damit ging auch eine Veränderung des erwünschten Fühlens einher. Das Hoffen auf Zukünftiges, die Erwartung einer versprochenen Zukunft waren genauso wenig ein Thema mehr, wie Vertrauen oder Misstrauen. Das bedeutet nicht, dass es das nicht gab, es war jedoch nach 1965 kaum mehr präsent. Vertrauen, Hoffnung oder Erwartung lassen sich weder in den Konzeptionen des FDJ-Zentralrates noch in den Liedern finden. Ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre ging es um das Abarbeiten an der Gegenwart, um die Erarbeitung eines klaren gegenwärtigen Standpunktes. Diese Verschiebung des Zeithorizontes ist keinesfalls eine singuläre Beobachtung für die Jahre um 1970. Sie findet ihr Äquivalent in den politischen Diskursen um 1970. Im Manifest des VII. Parteitages der SED an die »Bürger der Deutschen Demokratischen Republik« von 1967 hieß es: »Die festen Fundamente des sozialistischen Gebäu-

269 Steineckert (1969): »Stand der Singe«, 12. 270 Reimann (1961): Ankunft im Alltag. 271 Prof. Bernhard Bennedik: »Vom Traum zur Wirklichkeit«, in: Neues Deutschland, 18. Oktober 1969, 9.

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des in unserer Republik sind gelegt. Jetzt gilt es, dieses sozialistische Haus auszubauen und zu vollenden.«272 1968 galt der Sozialismus als erreicht. Die neue Verfassung, die am 6. April 1968 verabschiedet wurde, verstand sich als eine Verfassung des »entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus«.273 Erich Honecker schwor 1971 als neuer 1. Sekretär des ZK der SED die Jugend auf dem IX. Parlament der FDJ auf die »weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft« ein.274 Der Sozialismus war »real existierend«, wie es wiederholend in der DDR-Presse ab 1971 hieß. Damit war der Zukunftstraum ausgeträumt und wurde von keinem neuen ersetzt. Diese Verschiebung des Zeithorizontes wurde begleitet von selbstbewussten Rückblicken. Im Oktober 1965 feierte der Staat zwanzig Jahre »demokratische Schulreform«. Die Tagespresse lobte, dass die Pädagogen und Pädagoginnen in der DDR »Schritt für Schritt« das »verwirklichten« konnten, wovon »die Klassiker der deutschen Erziehungswissenschaft in seinerzeit utopischen Forderungen nur hatten träumen können«.275 Auch »die Träume« der antifaschistischen Widerstandskämpfer »von der Zukunft im Staat der Arbeiter und Bauern [sind] verwirklicht«, kommentierte die Berliner Zeitung im Dezember 1967 in einem Bericht über das Jugendklubhaus Walter Husemann.276 Im Oktober 1969 existierte die DDR 20 Jahre, damit war sie selbst »die Erfüllung eines alten humanistischen Traumes«.277 Der Begriff des Traumes wurde zu einem Begriff der Vergangenheit. Früher wurde geträumt. Ende der 1960er Jahre wurde die Zukunft nicht erträumt, sondern in der Gegenwart gestaltet: »Zukunft sind keine unerfüllbaren Träume, sondern das Leben, das wir selber in den kommenden Jahrzehnten gestalten.«278 Ende der 1960er Jahre standen »junge Leute mit der Zukunft auf Du und Du. Nicht verlogene Romantik lockt sie, nicht die nebelhafte Welt der Illusionen und nicht das Wolkenkuckucksheim. Hier und jetzt bauen sie das Heute, damit das Morgen noch lichter werde«.279 Der Zukunftsbegriff wurde abgelöst vom Begriff der Prognose, der Erwartungsbegriff von dem der Gewissheit.280 »Unsere sozialistischen Träume haben ein solides Fundament. Die Gewißheit, daß wir die perspektivischen Überlegungen von Heute in Zukunft gestalten werden.«281

272 Anonym: »Manifest des VII. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik«, in: Neues Deutschland, 23. April 1967, 1. 273 Anonym: »Wegweiser der Nation in die sozialistische Zukunft. Bericht von der Diskussion auf der 7. Tagung der Volkskammer der DDR«, Berliner Zeitung, 3. Februar 1968, 2. Am 6. April 1968 wurde die neue Verfassung verabschiedet. 274 Zentralrat der FDJ (1983): Geschichte der Freien Deutschen Jugend, 460. 275 K. B.: »Das Fundament« in: Neue Zeit, 17. Oktober 1965, 1. 276 Hiltrud Seiler: »Alle unter einem Hut«, in: Berliner Zeitung, 23. Dezember 1967, 6. 277 Susanne Statkowa: »Lernen fürs Leben«, in: Berliner Zeitung, 30. August 1969, 1. 278 Anonym: »Gemeinschaft aktiv mitgestalten«, in: Neues Deutschland, 12. Juni 1969, 2. 279 Anonym: »Wovon junge Leute träumen«, in: Berliner Zeitung, 11. Februar 1968, 12. 280 Walter Ulbricht: »Rede vor 1000 Schrittmachern in Halle«, in: Neues Deutschland, 20. März 1968, 4: »Es geht gegenwärtig nicht — um das schärfer zu sagen— um die Weiterführung überlieferter Produktionen, sondern es geht vielmehr um die Prognose, den voraussichtlichen Stand der Entwicklung bis 1980 und danach.« 281 Lutz Menzler: »Dürfen Schrittmacher Mitmacher und Zaungäste dulden?«, in: Neues Deutschland, 1. Juni 1967, 3B.

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Hatte die Jugend wirklich keine Träume mehr? Während die ersten Nachkriegsjahrzehnte ihre Dynamik aus der emotionalen Kraft jugendlicher Zukunftsträume gewonnen haben, wurde das Träumen von Staats wegen abgeschafft. Die Lieder der Singebewegung verraten tatsächlich nichts mehr über die Träume der Heranwachsenden, zu sehr haben sie ihre Position als »aktive[n] Mitgestalter der entwickelten sozialistischen Gesellschaft« verinnerlicht.282 Der Singeklub war anscheinend nicht der geeignete Raum für ganz persönliche Zukunftswünsche und Träume. Die Jugend konnte sich nicht mehr als »Hausherren von morgen« fühlen, sondern sie sahen sich vor der Verantwortung, den erreichten »Sozialismus zu gestalten«.283 »Fundament« und »Schrittmacher« entwickelten sich zu zentralen Begriffen in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts, um die Aufgabe der Jugend zu beschreiben: »Ihr habt alle das Zeug, Schrittmacher zu sein«, verkündete Walter Ulbricht auf dem VII. Parteitag der SED vor angeblich 20.000 Pionieren und FDJlern/-innen, »kühn vorwärts zu schreiten und Aufgaben zu lösen, von denen die Generationen vor euch nur träumen konnten«.284 Mit Blick auf die Lieder lässt sich durchaus festhalten, dass die Jugendlichen sich selber auch als »Schrittmacher« verstanden, wie es in dem Lied vom Vaterland heißt: »Hier schaffe ich selber, was ich einmal werde.«

282 Zentralrat der FDJ (1983): Geschichte der Freien Deutschen Jugend, 453. 283 Horst Schumann: »Die Verantwortung der Jugend in der sozialistischen Gesellschaft und die Aufgaben der FDJ. Aus dem Referat des 1. Sekretärs des Zentralrates der FDJ auf dem VIII. Parlament der FDJ, in: Neues Deutschland, 11. Mai 1967, 4. 284 Walter Ulbricht: »Schrittmacher sein, heißt bei uns das Tempo zu bestimmten«, in: Berliner Zeitung, 20. April 1967, 6.

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In welcher Gegenwart lebten die Jugendlichen um 1970? Wollten die Anklamer Oberschüler/-innen im September 1961 noch ihre »Zukunft zu Grabe« tragen, schien sich ein Jahrzehnt später auf den ersten Blick viel verändert zu haben. Das Jahr 1973 kann als ein Schlüsseljahr in der Geschichte der DDR gelten. Mittlerweile bestanden die beiden deutschen Staaten seit knapp einem Vierteljahrhundert. Nach den heißen Phasen des Kalten Krieges begann Ende der 1960er Jahre die Zeit der innerdeutschen Annäherung und der außenpolitischen Anerkennung der DDR. Im 20. Jahr ihres Bestehens bröckelte die langjährige völkerrechtliche Isolierung der DDR. 1969 erkannten sieben nordafrikanische und asiatische Länder die DDR an und nahmen diplomatische Beziehungen auf. Weitere Länder folgten, vor allem Entwicklungsländer. Im Verlauf des Jahres 1972 nahmen 24 Staaten diplomatische Beziehungen mit der DDR auf, 1973 weitere 13 Staaten. Mit Wirkung vom 4. März 1973 trat die DDR den Wiener Konventionen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 bei, im Mai wurde sie Mitglied der WHO und im Juni des Weltpostvereins. Im September erfolgte – gemeinsam mit der Bundesrepublik – die Aufnahme in die Vereinten Nationen. Innenpolitisch änderte Erich Honecker deutlich spürbar den Kurs. Auf dem VIII. Parteitag der SED im September 1971 propagierte der Nachfolger Walter Ulbrichts als 1. Sekretär des ZK der SED eine neue Sozialpolitik, die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« im »real existierenden Sozialismus«.1 Dazu zählten Maßnahmen, wie Lohnund Rentenerhöhung, Erhöhung der Sozialfürsorgebezüge, die Förderung berufstätiger Mütter und junger Ehen durch Verkürzung der Arbeitszeit und Verlängerung des Mindesturlaubs, Förderung des privaten Wohnungsbaus, Preissenkungen bei Kinderbekleidung und eine deutliche Förderung der Konsumgüterindustrie bei gleichzeitigem Preisstopp.2 Das Jahr 1973 wurde für die DDR das erfolgreichste Jahr in der wirtschaft-

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Fricke (1976): Programm und Statut der SED, 57f. »Gemeinsamer Beschluss des ZK der SED, des Bundesvorstandes des FDGB und des Ministerrates der DDR über sozialpolitische Maßnahmen in Durchführung der auf dem VIII. Parteitag beschlossenen Hauptaufgabe des Fünfjahresplanes«, in: Neues Deutschland, 28. April 1972, 3. Voraussetzung für diese Sozialpolitik war die Verstaatlichung eines großen Teils von privaten Klein- und Mittelbetrieben mit staatlicher Beteiligung Anfang 1972.

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lichen Entwicklung.3 Diese neue Sozial- und Wirtschaftspolitik schaffte Zustimmung und Stabilität. Niemand sprach mehr vom zukünftigen »Sieg des Sozialismus«, man befand sich mitten drin im »real existierenden Sozialismus«. Auf den zweiten Blick jedoch war vieles gleich geblieben. Die Jugendpolitiker/-innen waren stetig auf der Suche nach dem jugendlichen Denken und Fühlen. Immer noch glaubten sie, dieses mit altbewährten Liedern und Gesangspraktiken einfangen und abbilden zu können. Die Kinder sangen um 1970 die gleichen Lieder wie die Pioniere 15 Jahre zuvor, Lieder, die vom zukünftigen Glück handelten, das sie selbst verwirklichen mussten. Die Jugendweihe hatte sich ebenfalls kaum verändert, auch wenn die Teilnahme daran inzwischen wesentlich selbstverständlicher war. Die Lehrpläne des Schulunterrichts und die Stufenpläne für die Pioniere blieben genauso unverändert wie die Lehrbücher. Eine hörbare Veränderung bezog sich auf die Nationalhymne. Sie wurde ab Anfang der 1970er Jahre (ohne eine offizielle Festlegung) nicht mehr gesungen, sondern nur noch instrumental angestimmt.4 »Deutschland, einig Vaterland« passte nicht mehr in das veränderte Selbstverständnis der DDR als eigenständiger deutscher und sozialistischer Staat. Die Heranwachsenden waren fest in einem durchstrukturierten Erziehungs- und Ausbildungssystem eingebunden, das ihren Lebensweg von der Kinderkrippe bis in die Berufsausübung zuverlässig, aber auch unausweichlich vorherbestimmte. Nichts musste mehr erwartet werden, alles war Gewissheit. Dieses DDRspezifische Lebensgefühl der Ankunft wurde auf den Weltfestspielen 1973 in Berlin inszeniert und gefeiert. Im Januar 1972 fiel die – wenig überraschende – Entscheidung des internationalen Vorbereitungskomitees des »Weltbundes der Demokratischen Jugend«, die X. Weltfestspiele erneut in Berlin auszurichten. Kurz darauf konstituierte sich das »Nationale Festivalkomitee« unter dem Vorsitz Erich Honeckers. 22 Jahre zuvor, zum Zeitpunkt der III. Weltfestspiele in Berlin, war Honecker noch der erste Vorsitzende des Jugendverbandes der DDR gewesen. Nun stand er an der Spitze eines Staates, der »Weltoffenheit« und den Kampf für »antiimperialistische Solidarität, Frieden und Freundschaft« – so das offizielle Motto der Weltfestspiele – repräsentierte.5 Vom 28. Juli bis zum 5. August 1973 feierten insgesamt 520.000 FDJler/-innen aus der DDR, 25.600 Delegierte aus circa 140 Ländern, 6.250 Abgesandte aus sozialistischen Ländern und 6.500 Vertreter/-innen aus »kapitalistischen Ländern« (darunter circa 800 Vertreter/-innen aus der Bundesrepublik6 ) das bis dahin größte Festival der geteilten Stadt.7

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Das BIP stieg um 4,8 Prozent auf 161,8 Mrd. Mark und entsprach damit 10 Prozent des westdeutschen BIP, vgl. Eschenhagen/Judt (2014): Chronik Deutschland 1949-2014, 204. Amos (1997): Die Nationalhymne der DDR, 135f. »Weltoffenheit« war das erklärte Ziel Honeckers in der Vorbereitung der Weltfestspiele, vgl. Hombogen (2003): »Halb-Weltsicht«, o. S. Wesenberg (2007): Unter »operativer Kontrolle«, 24f. Die 800 Delegiertenplätze wurden an Mitglieder von circa 20 verschiedenen Jugendverbänden in der Bundesrepublik verteilt. So die Auflistung in Steineckert (1974): Neun-Tage-Buch, 8. Zu detaillierten Informationen über Organisation und Ablauf der Weltfestspiele siehe Ruhl (2009): Stalin-Kult und Rotes Woodstock. Die X. Weltfestspiele sind die ersten, die auch filmdokumentarisch sehr gut erfasst sind. Aus bundesdeutscher Perspektive: Engelbrecht (1973): Weltjugendfestspiele 1973; aus DDR-Perspektive: Stempel (2013): »Die junge Welt ist in Berlin zu Gast«.

Selbstbewusstsein fühlen. Das Jahr 1973

Im Unterschied zu ähnlichen Events in den Jahren zuvor nahm auch das westliche Ausland diese X. Weltfestspiele mehrstimmig als Erfolg für die DDR wahr, als »grandiose Party« oder »rotes Woodstock«.8 Gerade unter den außen- und innenpolitischen Vorzeichen der Konsolidierung und Anerkennung ließ sich die mehrheitlich positive Reaktion als eine Bekräftigung des neuen Kurses deuten. Zugleich setzte das Festival einen Schlusspunkt unter die lange Phase der Nachkriegszeit. Am 1. August 1973 und damit mitten in den Jubeltagen starb Walter Ulbricht, Vorsitzender des Staatsrates und bis zu seiner Ablösung im Mai 1971 erster Mann im Staat. Sein Tod steht einmal mehr für die Metapher des Schlusspunktes. Doch die Weltfestspiele waren nicht nur die »großartige Party«, sondern eben auch eine »Schaufensterveranstaltung«, die voll und ganz auf Inszenierung setzte.9 Die Staatsmacht organisierte Massenveranstaltungen, um Zustimmung zum Projekt des »real existierenden Sozialismus« einüben und repräsentieren zu können. Die Quellen legen offen, wie sehr die Bildungspolitiker/-innen immer noch davon überzeugt waren, das Denken, Fühlen und Handeln der Jugend regulieren, steuern und kontrollieren zu können. Erneut galt das Lied als Schlüssel zur Gefühlserziehung. Zum wiederholten Mal fand ein Liedwettbewerb statt, in dem jugendlichem Fühlen hinterhergeschrieben und -komponiert wurde. Das zentrale Zeitgefühl jener Zeit war Selbstbewusstsein. Woraus speiste sich das Selbstbewusstsein, wie stellte es sich dar und was bedeutete es für die Jugendlichen, an die es vor allem adressiert war?

Stabilität und »DDR-Bewußtsein« Im Herbst 1969 wurde der Sozialdemokrat Willy Brandt Bundeskanzler der BRD und im Frühsommer 1971 löste Erich Honecker den alternden Walter Ulbricht als Ersten Sekretär des ZK der SED ab. Die bundesdeutsche sozialliberale Koalition unter Willy Brandt setzte sich durch eine neue Ostpolitik von den Vorgängerregierungen ab. Durch die sogenannten Ostverträge erfolgte Anfang 1970 die de facto Anerkennung der deutschen Teilung. Die Phase der innerdeutschen Annäherungen begann mit dem Treffen zwischen Bundeskanzler Willy Brandt und dem DDR-Ministerratsvorsitzenden Willy Stoph in Erfurt im März 1970. Erste Erfolge dieser Annäherung waren die Regelung des Post- und Telefonverkehrs 1971 und im gleichen Jahr der Abschluss des ersten deutsch-deutschen Vertrages, der in das Transitabkommen mündete. 1973 setzte mit dem Inkrafttreten des »Vertrages über die Grundlagen der Beziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik« – kurz Grundlagenvertrag – eine neue deutsche Normalität ein. In diesem Vertrag vereinbarten die beiden deutschen Staaten normale und friedliche nachbarschaftliche Beziehungen. Es wurden »Ständige Vertretungen« eingerichtet und der innerdeutsche Reiseverkehr entlang der Grenze geregelt. Damit erkannte die BRD die Eigenstaatlichkeit der DDR an, auch wenn die Bundesregierung in ihrem »Brief zur 8 9

Hombogen (2003): »Halb-Weltsicht«, o. S. und Ruhl (2009): Stalin-Kult und Rotes Woodstock, 64. So die Bezeichnung eines Zeitzeugen in: Ohse (2003): Jugend nach dem Mauerbau, 356.

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deutschen Einheit« daran festhielt, dass mit diesem »Grundlagenvertrag« Fragen der Staatsangehörigkeit offen blieben und damit das Ziel einer deutschen Einheit ausdrücklich bestehen blieb. Erich Honecker setzte nicht nur mit seiner »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« Akzente, sondern auch mit einer offeneren Jugend- und Kulturpolitik. Diese lässt sich unter dem Motto »Integration statt Konfrontation« zusammenfassen.10 »Weite« und »Vielfalt der kulturellen Interessen der Jugend« zählten zu den neuen Grundsätzen der Regierung. Der Staat unterstützte gezielt Jugendklubs. Sie durften ausdrücklich nicht geschlossen oder »zweckentfremdet« werden. Es durfte keine »Einschränkungen der Möglichkeiten für den Jugendtanz« geben. Zusätzlich war die Regierung auf der Suche nach »interessanten Ideen für die Gestaltung eines sinnvollen, jugendgemäßen kulturellen Lebens, das der Entwicklung der sozialistischen Gedanken- und Gefühlswelt und Moral der Jugend dient«.11 Im Zuge dieser Liberalisierung füllten Bluejeans die Läden der DDR, und es erklang mehr Rock- und Beatmusik in den Rundfunksendern. DDR-Beatmusiker/-innen erfreuten sich einer erneuten Anerkennung und explizierter Förderung. Die Jugendzeitschriften füllten sich mit Berichten über westliche Rockbands. Die »Tanzmusikszene« wurde als neues Entwicklungsfeld entdeckt. Es floss Geld in den Ausbau und Neubau von Jugendklubhäusern, 1.200 neue Jugendklubs und Jugendtreffpunkte sollen es bis 1973 gewesen sein.12 Diese jugend- und kulturpolitische Öffnung war jedoch nicht nur das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses, sondern auch ein Vorschuss auf das Ereignis des Jahres 1973: die Weltfestspiele der Jugend und Studenten im Sommer in Berlin. Im Vorfeld dieser Weltfestspiele war den Jugendfunktionären/-innen klar, dass sie auf eine vergleichsweise hohe Zustimmung der Jugendlichen zur DDR setzen konnten. Das jedenfalls legten Ergebnisse der Studien des Leipziger »Zentralinstituts für Jugendforschung« nahe. Dieses Jugendforschungsinstitut wurde 1966 auf Betreiben des »Amtes für Jugendfragen« beim Ministerrat der DDR gegründet.13 Es war damit sowohl eine Antwort auf das 1963 eröffnete Münchner »Deutsche Jugendinstitut«, als auch eine der zahlreichen Maßnahmen, dem Denken und Fühlen der Jugend auf die Spur zu kommen.14 Die dort angestellten Psychologen/-innen und Pädagogen/-innen setzten sich als Ziel, Jugend nicht als einheitliche soziale Größe zu betrachten, sondern interdisziplinäre Forschungen zu differenzierten Lebenslagen, Biografien und Mentalitäten

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Ebd., 304. Ohse spricht von einer »jugendpolitischen Trendwende«, die um 1970 begann. Kurt Hager: »Zu Fragen der Kulturpolitik der SED. Referat des Genossen Kurt Hager, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK, auf der 6. Tagung des Zentralkomitees«, in: Neues Deutschland, 8. Juli 1972, 4; vgl. Rauhut (1993): Beat in der Grauzone, 289. Ebd., 286. Vgl. Friedrich (1999): »Geschichte des Zentralinstituts«. Das Institut war dem Amt für Jugendfragen beim Ministerrat der DDR nachgeordnet. Die Initiative zur Gründung ging im Frühjahr 1965 vom Wissenschaftlichen Beirat für Jugendforschung beim Amt für Jugendfragen aus. In seiner fast 25-jährigen Geschichte führte das Institut über 400 sozialwissenschaftliche Untersuchungen durch. Dazu gehörten mehrere Längsschnittstudien in einem Zeitraum von über 10-15 Jahren zu »Probleme[n] des weltanschaulichen, politischen und moralischen Bewusstseins« Jugendlicher in der DDR. Friedrich (1990): »Mentalitätswandlungen der Jugend in der DDR«.

Selbstbewusstsein fühlen. Das Jahr 1973

durchzuführen.15 Walter Ulbricht und Erich Honecker wiederum versprachen sich von der Arbeit des Instituts »wissenschaftliche Grundlagen« für ihre Jugendpolitik.16 Genau diese Erwartungshaltung führte zu Konflikten. Die Wissenschaftler/-innen hatten nicht den Anspruch, politisch erwünschte Vorstellungen zu bestätigen. Sie arbeiteten daran, eine moderne, wissenschaftlich fundierte Jugendforschung als neue Disziplin der empirischen Sozialforschung zu etablieren.17 Die Konfrontation von Wunschergebnissen mit den tatsächlichen Erkenntnissen der Jugendforschung führte dazu, dass die Berichte des Institutes kaum zur Kenntnis genommen wurden, mehr noch, die Volksbildungsministerin Margot Honecker verbot Studien im Schulbereich. Dieses Verbot stellte die Existenz eines Forschungsinstitutes, das sich auf Schülerforschung spezialisiert hatte, rigoros in Frage.18 Auch wenn die Ergebnisse des Jugendforschungsinstitutes im Kontext dieser divergierenden Ansprüche und Problemlagen zu interpretieren sind, geben sie Aufschluss über eine bedeutende Entwicklung um 1970.19 Der langjährige Leiter des Institutes Walter Friedrich behauptete auf der Grundlage von Zeitreihen, »bemerkenswerte Wandlungen der Mentalitätsstrukturen« festgestellt zu haben.20 Für die 1970er Jahre sah er eine »deutliche Konsolidierung der sozialistischen Überzeugung und Wertorientierung bei allen Schichten. […] Von Jahr zu Jahr erhöhten sich Zahl und Intensitätsgrad der Zustimmung zu den Zielen und Werten der damaligen Gesellschaft«.21 Er kam (auch auf Grundlage anderer Studien) zu dem Ergebnis, dass sich »besonders in den Jahren der relativen (teils auch nur scheinbaren) ökonomischen und politischen Erfolge ein durchaus emotional verankertes DDR-Bewußtsein« entwickelt habe. 1975, so Friedrich, war das Jahr der höchsten Identifikation mit dem DDR-Staat.22 Basierend auf seinen 15

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Friedrich (1991): »Zur Einleitung«, 15. Die Wissenschaftler/-innen vor Ort sahen ihre Aufgabe darin, eine »empirisch fundierte, moderne sozialwissenschaftliche Jugendforschung [zu] entwickeln«, ebd., 11. Friedrich (1999): »Geschichte des Zentralinstituts«, 16. Ebd., 26: »Von Anfang an war es unser Prinzip, die gewonnenen Daten nicht zu beschönigen, sie auch nicht zurückzuhalten, sondern so, wie sie waren, auf den Tisch zu legen. Mit unseren Forschungen wollten wir nicht nur akademische Interessen befriedigen, sondern den gesellschaftlichen Entscheidungsträgern korrekte Analysen zur sozialen und geistigen Lage der Jugend zur Verfügung stellen, um damit die Grundlagen der Jugend- und Bildungspolitik zu qualifizieren.« Friedrich (1999): »Geschichte des Zentralinstituts«, 27f. Seit der politischen Wende 1989 sind die Ergebnisse des Jugendforschungsinstitutes frei zugänglich. Friedrich/Henning (1991): Jugend in der DDR; Friedrich/Griese (1991): Jugend und Jugendforschung in der DDR; Friedrich (1990): »Mentalitätswandlungen der Jugend in der DDR«. Zahlreiche Forschungsberichte des Instituts sind auf der Onlineplattform Social Science Open Access Repository (SSOAR), letzter Zugriff am 21. Februar 2020. Die Originaldokumente wurden anscheinend willkürlich aneinandergereiht eingescannt, sodass es zuweilen schwierig ist, die Studien zuzuordnen und damit historisch zu bewerten. Wierling wies zurecht darauf hin, dass es schwierig ist, aus den Daten eine tatsächlich empfundene Verbundenheit mit der DDR zu rekonstruieren, Wierling (2002): Geboren im Jahr Eins, 212-214. Dennoch lassen sich daran Tendenzen erkennen. Friedrich (1990): »Mentalitätswandlungen der Jugend in der DDR«, 25. Ebd., 26. Ebd. Ca. 63 Prozent der Befragten waren von der »historischen Perspektive des Sozialismus« überzeugt. Diesen Befund unterstützten auch Umfragen des Institutes für Meinungsforschung. Niemann (1995): Hinterm Zaun, 119. Er spricht von »Keimen einer DDR-Identität«, die sich zwischen 1965 und 1976 herausbildeten.

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Befragungen gelangte Friedrich zu der Einschätzung: »Je stärker der Glaube an die Zukunftsfähigkeit des Sozialismus war, desto ausgeprägter war die DDR-Identität.«23 Mit dieser Beobachtung stand das Leipziger Forschungsinstitut nicht allein. Auch eine Studie aus der Bundesrepublik aus dem Jahr 1972 kam zu einem ähnlichen Ergebnis: »Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, daß der Sozialismus vom Großteil der Jugend als die Gesellschaftsordnung der Zukunft akzeptiert und bejaht wird.«24 Dieses Ergebnis könnte als ein Hinweis darauf interpretiert werden, dass die Gefühlserziehung zu einem gewissen Maße erfolgreich gewesen war. Aber auch andere Deutungen bieten sich an. Vielleicht war es weniger der »Glaube an die Zukunftsfähigkeit des Sozialismus«, der zu dieser Zustimmung führte, sondern Pragmatismus. Dorothee Wierling kam auf der Grundlage ihrer Interviews zu eben diesem Resultat. Der wachsende Konsens mit der DDR als Staat resultierte nicht aus »eigenem Engagement für das Projekt«, sondern aus »zu erwartenden Gaben […]. Am Ende der 60er Jahre fragen sich die 20-Jährigen immer seltener, was sie für das Land, in das sie hineingeboren wurden, tun könnten, und immer mehr, was das Land für sie tun könnte.«25 Eine ähnliche Vermutung lässt sich aus der sogenannten ersten Pilzkopfstudie des Leipziger Forschungsinstitutes von 1968 herauslesen. Diese sprach von »politischer Passivität« und empfahl, »diese jungen Menschen mit normalen Methoden der Leitung und Erziehung zu gewinnen, zu aktivieren«.26 Der Jugendverband hielt aber anscheinend wenig von dieser Empfehlung. Die Planungen und Vorbereitungen der X. Weltfestspiele zeigen vielmehr, wie sehr sich das Misstrauen gegenüber den jugendlichen Gefühlen institutionalisiert hatte und wie wenig man den Beobachtungen von Stabilität und wachsender Identität traute. Das lässt sich vor allem im Liedwettbewerb zu den X. Weltfestspielen erkennen.

Der Liedwettbewerb zu den Weltfestspielen »Unendlich vielseitig und weitverzweigt war die Aufgabe der Musik in diesen Tagen«, betonte eine zeitgenössische Beobachterin. »Ihre völkerverbindende Kraft förderte Gemeinsamkeit des Empfindens, des Denkens, überall, wo sich junge Menschen trafen.«27 Unter dieser Maßgabe war es aus der Perspektive der Jugendpolitiker/-innen unverzichtbar, die Entstehung neuer Lieder in gewohnter Weise anzuregen und zu überwachen. Im Vergleich zum Deutschlandtreffen 1964 hatte der Liedwettbewerb zu den Weltfestspielen mit über einem Jahr eine lange Vorlaufzeit. Bereits im Frühsommer 1972 23 24 25 26

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Friedrich (1990): »Mentalitätswandlungen der Jugend in der DDR«, 30. Micksch (1972): Jugend und Freizeit, 142. Wierling (2002): Geboren im Jahr Eins, 331f. Pinther (1968): Pilzkopfstudie 1, 26 (Herv. i. Or.). »Entscheidend aber ist: im Durchschnitt handelt es sich nicht um den Ausdruck einer gerichteten politischen Aktivität, sondern eher um eine größere politische Passivität.« In diesem Sinn bezeichnete auch Micksch (1972): Jugend und Freizeit, 144 den Umgang des größten Teils der Jugend (dreifünftel) mit den staatlichen Angeboten als »ritualistisches Verhalten«: »[D]en inhaltlichen Erwartungen der ›Freizeitgestaltung‹ wird nicht entsprochen, doch der institutionellen Angebote der Freizeitgestaltung bedient man sich, soweit sie eigenen Interessengebieten entsprechen.« Markowski (1973): »Uns vereint gleicher Sinn, gleicher Mut«, 578.

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erschien der Aufruf, Lieder für die X. Weltfestspiele zu schreiben und zu komponieren. Lieder, »die davon künden, daß wir fest an der Seite der Genossen das Morgen bauen. Lieder, die die Liebe zu unserem sozialistischen Vaterland zum Ausdruck bringen. […] Schreibt Lieder, die vom Herzen kommen, die man auf der Bühne, und auf der Straße, am Lagerfeuer und im Stadion singen kann«.28 Der Ausschreibungstext unterstreicht, wie wenig sich die Vorstellungen über das Singen und dafür geeignete Lieder verändert haben. Eigens für diesen Liedwettbewerb wurde abermals eine Liedkommission ins Leben gerufen.29 Auffallend ist, dass diese Beratergruppe unter der Leitung von Reinhold Andert stand, einem der bekanntesten und erfolgreichsten Mitglieder des Oktoberklubs. Daneben waren mit Gina Gehrke, Michael Höft und Uwe Leo alles Mitglieder von Singeklubs in der Kommission: »4 Leute, alle aus der Singebewegung, werden von früh um 8:00 bis mindestens 17:00 Uhr dafür bezahlt, daß viele und gute Lieder bis zum Sommer und natürlich auch während der Sommertage gesungen werden.«30 Mit dieser Besetzung war klar, dass die neuen Festivallieder im Singeklubsound daherkommen würden und nicht als Massenlieder. Die Kommission Lied vergab Aufträge, organisierte Werkstätten oder »Liederbörsen« zur gemeinsamen Arbeit an Liedern, sie motivierte und forderte unaufhörlich neue Kompositionen ein. Sie wertete die eingesandten Lieder aus und stellte Kontakte zwischen Textautoren und -Autorinnen, Komponisten, Komponistinnen, Interpreten, Interpretinnen, Produzenten und Produzentinnen her.31 Durch dieses enge Netz war der Weg zwischen einer Liedidee, der Komposition, Produktion und Ausstrahlung im Rundfunk sehr kurz. Als die amerikanische Bürgerrechtlerin, Feministin und Angehörige der Black-Panther Bewegung, Angela Davis, im Juni 1972 freigesprochen wurde, entstand als unmittelbare Reaktion darauf das Lied Aber Angela ist frei im Oktoberklub.32 Einen Tag später konnte man es bereits im Radio hören. Die Oktoberklubmitglieder wussten aus ihrer langjährigen Erfahrung mit der Singebewegung, welche Melodien und Rhythmen gut ankamen und was den breiten Geschmack eines mitsingwilligen jugendlichen Publikums treffen könnte. So entstanden Lieder, die den Sound der Weltfestspiele tatsächlich mitprägten und nicht nur auf dem Papier standen, wie beim Deutschlandtreffen 1964. Dazu gehörten die Lieder Wir sind überall (1973, Reinhold Andert/Hartmut König/Wolfram Heicking) und Frieden, Freundschaft, Solidarität (1973, Heinz Kahlau/Klaus Schneider). Doch die Arbeit der »Liedgruppe«, wie sie sich nannte, stieß nicht auf ungeteilte Zustimmung des Zentralrates der FDJ. Es gab eine permanente Rivalität um die Fra-

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Sekretariat Christel Zillmann: Aufruf, 1972, in: BArch SAPMO DY 24 9359, o. Bl. Der Aufruf kam vom Zentralrat der FDJ, dem Schriftstellerverband und der »Beratergruppe Lied« im Vorbereitungskomitee zu den X. Weltfestspielen. Diese »Kommission Lied« gab es neben der »Zentralen Liedkommission«. Sie arbeiteten beide in Vorbereitung auf die Weltfestspiele zusammen. Das Zepter hatte aber die »Kommission Lied« unter Reinhold Andert in der Hand: Zentrale Liedkommission: Niederschrift über die Sitzung am 27. September 1973, in: AdK VKM 2032, o. Bl. Reinhold Andert: »Was singt man denn so für Sommerlieder?«, in: Sonder FZ, Februar 1973, 12. Kirchenwitz (1976): Entstehung und Entwicklung der Singebewegung, 103f. Siehe Jugendstudio DT 64 (1973): Das dritte DT 64 Liederbuch, 112-114.

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ge der »richtigen« Lieder und offen ausgetragene Konflikte um einzelne Lieder, wie Hamse nich noch ein Quartier (1973, Kurt Demmler). Dieses Lied hatte zwar Gassenhauerpotenzial und war sehr beliebt, aber vom Zentralrat als zu »leger« aus den Radio- und Fernsehprogrammen gestrichen und nicht veröffentlicht.33 Daher prägte ein Nebeneinander von Singeklubliedern und Jugendliedern nach Vorstellungen der Staatsmacht die »Liedproduktion« in Vorbereitung auf das Festival. Die Texter/-innen und Komponist/ -innen aus den Singeklubs arbeiteten sich weiter ab an ihrem Alltag, wie wohlwollende Beobachter/-innen herausstellten. »Unbewältigtes und Großartiges werden sichtbar wie unter einem Licht, das nur kurz aufflackert, bevor es verlischt oder zum Feuer wird. Dieses Sichtbarmachen des Alltäglichen ist eine Aufgabe unserer Lieder, sie können durch ihre besondere Wirkungsweise empfindlich machen für das, was wichtig ist.«34 Das Interesse des Jugendverbandes war ein anderes. Es zielte auf Effekt und Schlagworte, auf Mitsingen statt Vorsingen. Dafür beauftragten staatliche Institutionen wie das Ministerium für Volksbildung gestandene Künstler/-innen mit neuen Liedkompositionen. Bekanntestes Beispiel ist das Lied Die junge Welt ist in Berlin zu Gast (1973, Jens Gerlach/Paul Dessau), das der 78-jährige Nationalpreisträger und Komponist Erich Honecker widmete. Zusammen mit den Mitgliedern der Kommission arbeitete er an Text und Komposition. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass der Zentralrat der FDJ genau diese Auftragskomposition als das Festivallied durchsetzen wollte und nicht die Lieder der Singeklubs. Paul Dessau war wenig vertraut mit den Entwicklungen in der Jugendmusik, das ist der Komposition anzuhören. So ging es auch anderen älteren Liedkomponisten wie Joachim Werzlau. Der 70-Jährige gab offen zu, wenig mit dem Begriff des »Jugendgemäßen« anfangen zu können, zumal das in seinen Augen weniger die musikalische Struktur betraf, sondern eher die Haltung.35 Genau diese Unsicherheit bezüglich des »Jugendgemäßen« ist dem Lied Die junge Welt ist in Berlin zu Gast anzumerken. Bei den Singeklubs kam dieses Lied nicht gut an, zu sehr orientierte es sich an der musikalischen Sprache alter Jugendlieder.36 Die »optimistische Unverbindlichkeit« traf nicht den Geschmack der am Prinzip »DDR-konkret« geschulten Singeklubvertreter/-innen.37 Als Auftragskomposition erhielt das Lied zahlreiche Unterstützung. So sangen es Kinder- und Jugendchöre, aber eben nicht die Singeklubs. Paul Dessau tourte regelrecht mit diesem Lied in Vorbereitung auf die Festspiele durch die Republik, immer vom Zentralrat der FDJ ins Zentrum der Aufmerk33 34 35 36

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Kirchenwitz (1993): Folk, Chanson, 62. Scheer (1973): »Lieder zu den Weltfestspielen«, 2. Zentrale Liedkommission: Niederschrift der Sitzung der Kommission Lied, 13. April 1972, in: AdK VKM 2031, o. Bl., 4. Kirchenwitz (1993): Folk, Chanson, 62. Er erinnert sich daran, dass das Lied vom Oktoberklub regelrecht boykottiert wurde. Im PA Jürgen Langhans befindet sich ein Zeitungsartikel mit diesem Lied und einem Interview mit Paul Dessau. Darauf angesprochen meinte Jürgen Langhans, dass er dieses Lied überhaupt nicht kennen würde und keine Erklärung habe, warum er diesen Artikel aufbewahrt hätte. Scheer (1973): »Lieder zu den Weltfestspielen«, 2: »Wir werden in unseren Liedern nicht sagen, daß die Welt schön ist, sondern, daß es schön ist, um die Schönheit der Welt zu kämpfen. Diese Haltung nützt uns mehr, als optimistische Unverbindlichkeit.«

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samkeit gerückt. Im Januar 1973, zum Abschluss des ersten Beratungstages auf der 7. Tagung des Zentralrates der FDJ, präsentierten Singegruppen und Chöre neue Lieder. Nach einem Zeitungsbericht erklang Paul Dessaus Lied zum »stimmungsvollen Ausklang«. Er übte gleich auch mit den Anwesenden im Saal sein neues Lied.38 Am selben Abend war der Komponist auch »viel umjubelter Ehrengast« bei einer »Mitsingveranstaltung der Berliner Jugend im Kino ›International‹«.39 Der Berichterstatter stilisierte Dessaus Lied zum »Höhepunkt an diesem Abend, als der in aller Welt hochgeschätzte Künstler zur Bühne geht und mit den Teilnehmern der Singeveranstaltung sein Lied« einstudierte. Es würde »die besten Traditionen des Massenliedes« fortführen, hieß es an anderer Stelle aus berufenem Munde eines Musikpädagogen.40 Neben dem Bericht im Neuen Deutschland fand der interessierte Leser oder die interessierte Leserin auch gleich den Abdruck des Liedes zusammen mit den Noten. Die Medien priesen das Festivallied von Paul Dessau über alles. Als Ende Januar die neue Jugendsendung ›rund‹ aus Studio 4 über das DDR-Fernsehen mit dem Ziel ausgestrahlt wurde, Festivalatmosphäre zu verbreiten, gehörte Paul Dessau zu den ersten Gästen. Auch dort präsentierte er vor laufender Kamera sein Lied zum Mitsingen und Mitschneiden für die Zuschauer/-innen an den Fernsehapparaten.41 Es verging kaum eine öffentliche Veranstaltung, kaum eine Gelegenheit, bei der nicht Die junge Welt ist in Berlin zu Gast in Vorbereitung auf die Weltfestspiele erklang. Die öffentliche Meinung fühlte sich sichtbar wohl mit dem neuen Massenlied. Die junge Welt ist in Berlin zu Gast klang einerseits sehr vertraut andererseits doch etwas frischer und moderner als die alten Massenlieder der 1950er Jahre. Im Grunde kann das Lied als musikalisches Gegenstück zu den Singeklubliedern gesehen werden. Die Harmonik orientiert sich an der klassischen Kadenz mit ein paar wenigen Ausweitungen in die Kadenz der Tonikaparallele a-Moll (a-D-E-E7 ) und Dominantparallele e-Moll. Damit lässt es zum Teil die harmonischen Experimente der Singeklublieder hinter sich und setzt dennoch bei den zentralen Begriffen »Frieden« und »Freundschaft« in den Takten fünf und sechs Akzente durch den unvermittelten harmonischen Wechsel in D-Dur und e-Moll. Rhythmisch bedient sich der Komponist der üblichen Elemente der Massenlieder (punktierte Achtel mit Sechzehntel). Durch die pausenlose Aneinanderreihung dieser rhythmischen Elemente bei ebenfalls zentralen Begriffen wie »Solidarität«, wirkt diese rhythmische Gestaltung frischer. Musikalische Pausen orientieren sich am Sprachrhythmus. Damit ignorierte der Komponist alle Anleihen aus dem Jazz, dem Beat oder der Tanzmusik, die die Singeklublieder eingeführt hatten. Melodisch ist das Lied durch Sequenzierungen, einfache Tonschritte und markante Tonsprünge (Quarten aufwärts) eingängig und leicht zu erlernen. Es ist ein klassisches Chorlied, ohne Wechsel zwischen Solist/-in und Chor. Auch der Text ist ein Gegenentwurf zu dem Konzept »DDR-konkret«. Er verharrt in unkonkreten Phrasen und Begriffen: »sonnige Stadt«; »Frieden ist gut«; »Frieden besteht durch die Solidarität« 38 39 40 41

Peter Eckhardt: »Jugend bewährt sich aktiv und ideenreich im Festivalaufgebot«, in: Neues Deutschland, 17. Januar 1973, 1. Anonym: »200 junge Musikanten mit Festivalneuheiten«, in: Berliner Zeitung, 17. Januar 1973, 1. Hans-Joachim Kynaß: »Unser Gesang auf dem Wege zum Festival«, in: Neues Deutschland, 18. Januar 1973, 4. Mittschnitt vgl. Stempel (2013): Die Junge Welt ist in Berlin zu Gast.

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Abbildung 50

Paul Dessau und Jens Gerlach: Die junge Welt ist in Berlin zu Gast.

oder »wo ihr auch zieht/singt euer Lied«. Die Fokussierung auf ein lyrisches Subjekt sowie der Einbezug von Körperlichkeit wurden ebenfalls aufgegeben. Damit erinnert das Lied eher sprachlich als musikalisch an die Massenlieder der Fünfzigerjahre. Ob es dem Zentralrat der FDJ gelungen ist, dieses Lied tatsächlich als Wiedererkennungslied der Weltfestspiele durchzusetzen, ist nicht eindeutig zu beantworten. In der Vorbereitung auf das Festival jedenfalls nahm es einen zentralen Platz ein. In der bun-

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desdeutschen Berichterstattung kam genau dieses Lied an.42 Auf dem Festival selbst war es aber wenig präsent. In den zahlreichen Aufnahmen und Dokumentationen für das Fernsehen war es selten zu hören. Stattdessen gab es ein Set von Singeklubliedern, die scheinbar überall durchklangen: Wir sind überall; Wir treffen uns auf jeden Fall (1973, Kollektiv/traditionell) oder Ist das klar (1973, Bernd Engel/Heinz Kahlau/Michael Höft). Doch in den Liederbüchern und Liedheften für die Weltfestspiele sind diese Lieder kaum zu finden.43 Die Diskrepanz zwischen dem Aufwand der »Popularisierung« erwünschter Lieder und der Tatsache, dass die Singeklubs sie ignorierten, war unübersehbar, genauso wie der Umstand, dass die tatsächlichen Hits kaum in den Printmedien verbreitet wurden. Zu diesen Hits zählte das Lied Ist das klar. Der Oktoberklub sang es mit viel Verve und Begeisterung in der vierten Sendung der Fernsehreihe rund.44 Dazu gehörte auch das Lied Wir treffen uns auf jeden Fall, eine Gemeinschaftsarbeit des Oktoberklubs.45 Das Lied ist ein echter Gassenhauer. Es arbeitet mit Rhythmen und Instrumenten des Rock ›n‹ Rolls (insbesondere im Instrumentalvorspiel, das in der Fernsehsendung erklingt). Die klare Struktur mit einer Unterteilung in den Solopart und den gemeinschaftlich zu singenden Refrain (in den Takten vier und acht zweistimmig in Terzlage) war aus zahlreichen erfolgreichen Songs des Oktoberklubs bekannt. Synkopen und der Verzicht auf Pausen und Punktierungen im Refrain erzeugen den einladenden Mitklatschrhythmus: »Das geht los, geht nach vorne los/das hat Kopf, das hat auch Arme und Beine/ja, das wird groß, das wird riesengroß/aber nur durch uns und nicht von alleine, ist das klar« – heißt es in dem vier Mal zu wiederholenden Refrain. Die solistischen Teile sind anspruchsvoll und werden zweistimmig gesungen.46 Die Ansprache ist direkt: »Revolution, Leute, täglich zu machen, braucht unsern Schweiß und braucht auch unser Lachen« und selbstbewusst: »Das wird riesengroß aber nur durch uns und nicht von alleine.« Der Körper mit seinen Armen und Beinen wurde nicht nur in dem Text bemüht, sondern auch bei der Aufführung des Liedes durch synchrones Klatschen und Stampfen. Der Zentralrat der SED ließ sorgfältig überwachen und dokumentieren, welche Lieder tatsächlich auf den Weltfestspielen erklangen. Ein Bericht hielt fest, dass spontan vor allem solche Lieder gesungen wurden, die durch »vergangene Festivals des politischen Liedes, durch frühere Singeveranstaltungen und durch die ersten Rundfunksendungen in Vorbereitung der Weltfestspiele bekannt wurden«. Weiterhin merkte der unbekannte Verfasser an, dass »in erster Linie Melodien aufgegriffen wurden, die leicht

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Vgl. Joachim Nawrocki: »›Jedes Bett ist Politik‹. Der Aufmarsch der Dreihunderttausend in OstBerlin. Das Festival schluckt Millionen«, in: Zeit 29 (1973), o. S. (online-Archiv). Das Liederbuch für die Weltfestspiele wurde von der Liedkommission unter Leitung von Reinhold Andert herausgegeben: Zentralrat der FDJ (1973): Agitprobe 73. Vgl. Stempel (2013): »Die junge Welt ist in Berlin zu Gast«. Passend dazu druckte die Junge Welt in der Ausgabe vom 21./22. April 1973, 5 das Lied mit den Noten zum Nachsingen ab. In den Liederbüchern zu den Weltfestspielen taucht es nicht mehr auf. Abbildung aus Zentralrat der FDJ (1973): Agitprobe 73, 184f. Siehe auch PA Jürgen Langhans, Wunschliste zur Diskothek. Interpretation zu finden auch unter https://www.youtube.com/watch?v=BmezVn5tl_4 (Zugriff: April 2020).

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Abbildung 51

Michael Höft/Rainer Neumann und Bernd Engel/Heinz Kahlau: Ist das klar!

nachzusingen waren, auch rhythmisch und harmonisch interessante Wendungen boten und deren Texte konkrete, leicht fassliche und parteiische Aussageformen wählten«.47 Das selbstformulierte Motto Reinhold Anderts war es, Lieder einzustudieren, »die man in diesen Tagen mit unseren Gästen gemeinsam singen kann […]. Die wenigstens werden unsere Sprache verstehen. Beschränken wir uns also auf diejenigen unserer Lieder, die man ganz leicht lernen kann. Unser Festival soll ja schließlich keine Singakademie werden«.48 Dieses Lied knüpft an den Singeklubsound an. Der Refrain ist mitziehend und leicht singbar. In den Strophen ist »konkreter« Text für Solisten und Solistinnen untergebracht: »die Sonderschicht«, die viele Jugendbrigaden in ihren Betrieben machen

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Abt. Musik, Gen. Paul: Zur Auswertung der Weltfestspiele, Berlin, 9. August 1973, in: BArch SAPMO DR 1 15139, Band 2., o. Bl., DS 2. Reinhold Andert: »Liebe Freunde«, in: Sonder-FZ, Februar 1973, 14.

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Abbildung 52

Oktoberklub: Wir treffen uns auf jeden Fall.

mussten, um die Millionen Unkosten für das Festival mit zu tragen, die mehr oder minder freiwilligen Arbeitseinsätze in den Blumenrabatten der Stadt oder die Vorbereitung auf die »kluge Diskussion«.

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Das Lied lebt von einer Leichtigkeit vor allem im Refrain. Dieser wirkt besonders einladend mit den Worten »Ja, ja wir treffen uns auf jeden Fall«, in Kombination mit dem D-Dur-Dreiklang aufwärts. Trotz der eigenen Defizite, auf die das Lied augenzwinkernd hinweist (fehlende Russisch-Vokabeln, fehlende Kenntnis der Strophen der Internationale, kritische Textlektüre), strahlt das Lied ein frisches Selbstbewusstsein aus. Dieses Selbstbewusstsein ist auch der Grundtenor des Liedes Wir sind überall, eine Gemeinschaftsproduktion unter Anleitung der Liedkommission (Text: Reinhold Andert/Hartmut König, Melodie: Wolfram Heicking).

Abbildung 53

Wolfram Heicking und Reinhold Andert/Hartmut König: Wir sind überall.

Auch wenn das Lied Wir sind überall einen eher untypischen hymnischen Charakter hat, schließt es doch an die musikalischen Gestaltungsmittel der Singeklubs an. Dazu gehört die Zweiteilung in einen mitsingbaren Refrain und in rezitative Strophenteile, genauso wie die Verwendung von Triolen und Synkopen. Der hymnische Charakter im

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Refrain entsteht durch den sehr gradlinigen und simplen harmonischen Verlauf der Kadenz (F-B-C) mit leichten Ausweitungen in die Dominantparallele a-Moll und in den Dominantseptakkord C7 . Zudem lebt der Refrain überwiegend von viertel, halben und ganzen Noten. Das untermalt – in Verbindung mit den Triolen – den getragenen und feierlichen Charakter. Der Komponist Wolfram Heicking, Professor an der Hochschule für Musik Hanns Eisler, erfahren mit Filmmusikkompositionen, äußerte sich in einem Interview: »Ganz offensichtlich ist der Wunsch nach großen Melodiebögen vorhanden, zum Aussingen. Ich habe versucht, auf diese Tendenzen einzugehen und dabei rhythmische Elemente zu verwenden, die der Jugend durch die heutige Tanzmusik vertraut sind.«49 Inhaltlich demonstriert das Lied ganz im Sinn der Staatsdoktrin eine affirmative Verbundenheit zum sowjetischen »Bruderland«. Denn so leuchtet in dem Lied nicht einfach nur »mein Stern«, sondern »leuchte, roter Stern und gib mir Mut«. Mithilfe dieses Wegzeichens nahm die Jugend in dem Lied ganz selbstbewusst die Gestaltung ihres Lebens in die Hand: »Wir haben gewagt/auf der Erde/uns zu vertrau’n/Nur uns zu traun«, heißt es vielsagend in der zweiten Strophe. In der kritischen Auswertung des Liedwettbewerbs konnte man dazu lesen: »Es gab populär gewordene Lieder, deren Texte eine Tendenz zur Überschätzung einer alleinigen politischen Kraft der Jugend zeigen und Fragen der politischen Führung des Kampfes um Frieden und Sozialismus dadurch verschieben.«50 Die Jugend nahm das Versprechen auf die »Hausherrenschaft« ernst. Der Staatsmacht war der Duktus jedoch zu fordernd. Dennoch erhielt dieses Lied den Sonderpreis des Zentralrates der FDJ, steht es dennoch für die selbstbewusste Jugend, die man sich wünschte.51 Als ein weiteres Beispiel für diese »Überschätzung« galt dem Zentralrat das bekannte Festivallied Frieden, Freundschaft, Solidarität. Diese Komposition war im Gegensatz zu dem Lied Wir sind überall deutlich komplizierter und brauchte geübte Sänger/-innen. Klassischerweise ist der Strophenteil rezitativ und als Frageform gestaltet: »Wie schaffen wir, daß der Hungertod nicht mehr jeden Tag Menschen bedroht?«; »Wie stellen wir jedem Krieg ein Bein?«; »Wie schaffen wir, daß sich das Leben lohnt?«. Die Antwort ist eine zweifache, die auch in zwei unterschiedlichen Refrainteilen gegeben wird: »Frieden, Freundschaft, Solidarität, dafür kämpft die Jugend der ganzen Welt«, zum einen und die Textzeile: »Nur durch die Einheitsfront der Jugend der ganzen Erde, nur durch die Einheitsfront der Jugend der Erde«, zum anderen. Beide Refrainteile lassen sich sowohl nacheinander als auch zusammen mehrstimmig singen. Der Rhythmus ist durch Synkopen aufgebrochen und wird zugleich durch den Refrainteil: »Frieden, Freundschaft, Solidarität« zusammengehalten. Diese Liedkomposition erhielt einen der sechs vergebenen zweiten Preise des Zentralrates der FDJ. 49 50 51

Martin Köhler/Hans-Joachim Kynaß: »So singen wir zum Festival. ND-Gespräch zum Singen und Liedschaffen der Jugend«, in: Neues Deutschland, 23. Juni 1973, 4. Abt. Musik, Gen. Paul: Zur Auswertung der Weltfestspiele, Berlin, 9. August 1973, in: BArch SAPMO DR 1 15139, Band 2., o. Bl., DS 2. Siehe Zentrale Liedkommission des Ministeriums für Kultur: Liedwettbewerb X. Weltfestspiele, Abschluß-Protokoll zur Preisverleihung durch den ZR der FDJ, Berlin, 6. August 1973, in: BArch SAPMO DY 24 15139, Band 2, o. Bl.

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Insgesamt erreichten die Liedkommission circa 1.600 neue Lieder zu den Weltfestspielen und zahlreiche Einzelgedichte.52 Liederwettbewerbe gab es auch noch nach 1973. Aber nie mehr davor und danach in der Geschichte der DDR gab es eine höhere Beteiligung an einem Liedwettbewerb. Strukturell verliefen die Wettbewerbe immer ähnlich. Insbesondere die »namhaften Komponisten und Schriftsteller« wurden zu einer Beteiligung aufgefordert.53 Ansonsten gab es Einsendungen von »Menschen aller Alters- und Berufsgruppen«, darunter auch zahlreiche Jugendliche. 120 ausgewählte Lieder wurden »zentral popularisiert«, das heißt, in Liederbüchern, Liederheften, Presseabdrucken oder über Rundfunkaufnahmen, teilweise auch Fernsehaufnahmen und auch Schallplatten verbreitet.54 Strukturelles Merkmal der Liedwettbewerbe war die permanente Unzufriedenheit mit dem Ergebnis. Eine Einschätzung sprach davon, dass der überwiegende Teil der eingesandten Lieder »naiv« wäre, orientiert an Folklore mit »romantisch schwülstiger Harmonik«, »wenig markanten Themen«, »schwacher Phrasenbildung« und »langweiliger Tanzmusikbegleitung«.55 Bei den Einsendungen für den Liedwettbewerb waren verschiedene Genres vertreten: »Lieder der Singeklubs, volkstümliche Lieder, Lieder mit Schlager oder Songcharakter, Lieder mit Anspruch auf Massenwirksamkeit, Kinderlieder«. In der Auswertung hieß es aber kritisch: »Besonders angeleitet und beauftragt werden mußte das Entstehen von Liedern für Chöre, Marschlieder, Kinderlieder für Kinder, Chansons.«56 Dieses Unterfangen war nicht sonderlich erfolgreich. Genauso bemängelte der unbekannte Autor, dass es nicht gelungen sei, »spezifische Lieder, die von der FDJ als dem sozialistischen Jugendverband der DDR singen, entstehen zu lassen. Das neue Lied der FDJ wurde nicht geschrieben«.57 Der Wettbewerb deckte in den Augen der FDJ eher Probleme mit dem Singen auf, statt neue Lieder beizutragen. Es würde zu wenig das »kulturpolitisch spezifische« Potenzial der Singegruppen, Chöre und Solisten genutzt, es fehle an der »Einheit von politisch klarer Aussage, hohem künstlerischen Qualitätsanspruch und massenwirksamer Popularität«. Die Lieder seien viel zu allgemein gehalten, sie »vermochten weder die antiimperialistische Solidarität noch den realen Sozialismus konkret auszudrücken«. Als störend erwies sich in den Augen des Autors, dass »die Weltfestspiele […] häufig nur als Treffen fröhlicher Jugendlicher zum Tanzen und Singen verstanden [wurden]«. Dementsprechend gingen die Lieder unter, die extra für das »massenwirksame Singen« entstanden. Dazu zählte der Autor: Die Junge Welt ist in Berlin zu Gast; You and Me (1973, Heinz Wille/Hermann Steglich) und das Lied Es geht um die Erde ein rotes Band (1972, Helmut Baierl/Joachim Werzlau). Dabei handelt es sich ausschließlich um Auftragswerke, die aus der Feder

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Abt. Musik, Gen. Paul: Zur Auswertung der Weltfestspiele, Berlin, 9. August 1973, in: BArch SAPMO DR 1 15139, Band 2., o. Bl., DS 1. Ebd. Ebd. Frank-Volker Eichhorn: Auswertung des Liedwettbewerbs zu den X. Weltfestspielen, 15. Januar 1974, in: BArch SAPMO DR 1 15139, Band 2, o. Bl. Abt. Musik, Gen. Paul: Zur Auswertung der Weltfestspiele, Berlin, 9. August 1973, in: BArch SAPMO DR 1 15139, Band 2., o. Bl., DS 1. Ebd.

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älterer Schriftsteller und Komponisten stammten und stilistisch den Gegenentwurf zu den Singeklubliedern darstellten.58 Aber auch die Beratergruppe unter Reinhold Andert war vom Ergebnis des Liedwettbewerbs ernüchtert. Regine Scheer bemängelt nach einem ersten Durchlauf die »Klischeevorstellungen vom Jugendlied […], das nun einmal munter und unbekümmert, problemlos zu sein hat«.59 Die Liedgruppe unter Reinhold Andert suchte »bessere, wahre Lieder, die zu singen Spaß machen«, demnach genau den Liedtypus, der um den Oktoberklub herum entstanden ist.60 Keines der »frei« zugeschickten Lieder wurde am Ende prämiert. Zu den 21 Gewinnern zählten Auftragskompositionen beziehungsweise Lieder aus den Singeklubs. Die Vergabe der Preise für den Liedwettbewerb unterstrich das konkurrierende Nebeneinander der favorisierten Liedtypen. Während der Zentralrat der FDJ seinen Sonderpreis an das Lied Wir sind überall vergab, entschied sich das Ministerium für Kultur dafür, seinen Sonderpreis dem schwerfälligen und marschähnlichen Lied Es geht um die Erde ein rotes Band zu verleihen, das genauso den großen Begriffen von Solidarität, Internationale und Frieden verhaftet blieb wie das Festivallied von Paul Dessau. Die junge Welt ist in Berlin zu Gast erhielt den Sonderpreis des staatlichen Komitees für den Rundfunk, was wenig verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass Dessau von dort den Auftrag für das Lied erhielt. In der Siegerliste fehlte ein bedeutender Teil der Lieder, die immer wieder in den Rundfunk- und Fernsehdokumentationen des Festivals zu hören waren: Das ist klar; Wir treffen uns auf jeden Fall oder Die Solidarität geht weiter. Stattdessen wurden Lieder prämiert, von denen nichts zu hören oder zu lesen war wie beispielsweise Wie die Erde sich dreht (1973, Gisela Steineckert/Schier). Erstaunlich ist, dass unter den Preisträgern für den dritten Platz das Überraschungslied der Weltfestspiele auftauchte: Ketten werden knapper der Rock-Band Renft. Diese Liste der Preisträger stellt einen Kompromiss dar zwischen dem, was die Singeklubs gern und häufig sangen, und den Liedern, die dem Zentralrat der FDJ gut zu passen schienen. Während in dem Liederbuch Agitprobe viele der hier genannten Lieder erst gar nicht aufgenommen wurden, stellte die nach den Weltfestspielen herausgegebene Langspielplatte mit dem Titel Die Solidarität geht weiter einen realistischeren Querschnitt der Hits der Weltfestspiele dar.61 Doch nicht nur die Lieder wurden derart intensiv überwacht und gesteuert, sondern auch das Singen selbst.

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Ebd., DS 3f. Scheer (1973): »Lieder zu den Weltfestspielen«, 2: »Erschreckend aber war die gedankliche Oberflächlichkeit, die in sehr vielen dieser Lieder spürbar wurde. ›Berlin – wie bist du schnafte‹, diese hemdsärmelige Forschheit hat nichts mit jugendgemäßer Sprache zu tun, und die trotz vieler Schlagwörter ideologisch unverbindliche Freude auf die Weltfestspiele entspricht eher einer Gartenfeststimmung als einem so wichtigen, großen und politischen Ereignis.« Scheer (1973): »Lieder zu den Weltfestspielen«, 2. Eterna (1973): Solidarität geht weiter.

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Sicherheitspolitik. Planung und Überwachung Sicherungsmaßnahmen Erich Honecker konnte sein Versprechen auf »Weltoffenheit« einlösen, indem er einen »gigantischen Sicherheits- und Überwachungsapparat« in Bewegung setzte.62 Unter dem Namen »Aktion Banner« lief die Staatssicherheit zur Hochform auf. Der Befehl 13/73 umfasste 50 Seiten mit Maßnahmen zur »Sicherung der Vorbereitung und Durchführung der X. Weltfestspiele«. Der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke organisierte ein insgesamt knapp 4.000 Personen umfassendes Team, das für die Sicherung des Festivals verantwortlich war. Zusätzlich standen über 19.000 Volkspolizisten in Berlin bereit. Hinzu kamen die »Ordnungsgruppen der FDJ«, deren Aufgabe es einerseits war, die »politisch-erzieherische Arbeit« in den Grundorganisationen zu verbessern und andererseits an der Seite der Volkspolizei die »sozialistische Gesetzlichkeit durchzusetzen und die öffentliche Ordnung und Sicherheit unter der Jugend zu gewährleisten«.63 Die Durchführungsbestimmung des Befehls legte genauestens fest, wem unter welchen Bedingungen die Einreise nach Berlin in dem entsprechenden Zeitraum genehmigt werden durfte.64 Knapp 6.000 »unerwünschte« Personen aus »jugendlichen Gruppierungen, kriminell gefährdete, asoziale Personen sowie gefährliche Rechtsbrecher« wurden gezielt am Reisen gehindert.65 Entsprechende »Maßnahmen« leitete der Staat gegen 2.720 Menschen im Vorfeld ein. Dazu gehörten der Entzug des Personalausweises, Erteilung des »Berlin-Verbotes«, die Nichtgenehmigung von Urlaub, die Einleitung von Ermittlungsverfahren und »kurzfristigen Verurteilungen«. Andere nonkonforme Jugendliche wurden vorfristig zur Armee eingezogen, bzw. in Jugendwerkhöfe überstellt. Bei anderen verzögerte sich die Haftentlassung. Damit hatte der Staat wirkungsvoll einen großen Teil derjenigen Jugendlichen aus dem Gesamtbild der »Schaufensterveranstaltung« herausgehalten, die seiner Meinung das Potenzial hatten, das erwünschte Selbstbildnis zu stören. Aus dem gleichen Wunsch heraus, eine hohe Zustimmung der DDR-Jugend zu ihrem Staat zu inszenieren, unterrichtete die Jugendorganisation gezielt diejenigen Jugendlichen, die als geeignet galten, ihr Land zu präsentieren. Die FDJler/-innen wurden im »FDJ-Studienjahr« mit Wissen, Materialien und Argumenten versorgt sowie in der Diskussion geschult.66 Ihre Aufgabe war es, »die DDR würdig zu repräsentieren, sich

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Wesenberg (2007): Unter »operativer Kontrolle«, 47. Vgl. Zentralrat der FDJ: Die Aufgaben der Ordnungsgruppen der FDJ bis zu den X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1973, o. D., in: BArch SAPMO DY 24 8487, o. Bl. MfS: 1. Durchführungsbestimmung zum Befehl Nr. 13/73 über den Einreiseverkehr während der Zeit der X. Weltfestspiele, in: BStU MfS AGM Nr. 2065, Bl. 198-202. Generalleutnant Beater: Informationen über den Stand der eingeleiteten Maßnahmen, 6. Juli 1973, in: BStU MfS HA XXII Nr. 21592, Bl. 71-74. Ruhl (2009): Stalin-Kult und Rotes Woodstock, 60f. Vgl. SED-Kreisleitung 18-01: Materialien zur Argumentation, in: BStU MfS SED KL Nr. 1106, Bl. 1-6. In diesen Materialien lassen sich Argumente auf die Frage finden: »Wie steht die DDR zum Austausch von Meinungen und Ideen?«, aber genauso auch auf die Frage »Warum gibt es keine Sexwelle?«

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offensiv, sachlich und auf der Grundlage des Klassenstandpunktes mit unterschiedlichen politischen Auffassungen, Ideologien, Argumenten und Erscheinungen auseinanderzusetzen«.67

Gefühle einstudieren Die Jugendlichen in der DDR wurden jedoch nicht nur mit Argumenten, Diskussionsstrategien und Liedern auf das Ereignis des Jahres 1973 vorbereitet, das erwünschte Fühlen wurde regelrecht einstudiert. Eine bewährte Methode zur Einübung emotionaler Choreografien waren Großveranstaltungen, die im Vorfeld der Weltfestspiele stattfanden. Hier ließ sich für die Organisatoren und Organisatorinnen erproben und beobachten, was gut funktionierte und was verbesserungswürdig war. Am 9. Oktober 1972 fand eine »Solidaritätsveranstaltung« im Friedrichsstadt-Palast statt, organisiert von der Bezirksleitung der FDJ Berlin.68 Der siebenseitige Ablaufplan legte nicht nur detailliert fest, wann welche Toneinspielungen und Lichteffekte geplant waren, sondern auch, was genau das Publikum machen sollte. Die Veranstaltung begann laut Plan mit dem Weltjugendlied. Die Gäste sollten »aus den Seitengassen rechts und links« kommen und in den Gesang des Liedes einstimmen. »FDJler im Palast singen mit«, hieß es dazu in Klammern. Während des weiteren Gesanges sollte es »Bühneneffekte« geben und am Ende »rhythmischen Beifall«, während sich die FDJ-Sekretäre und die Gäste auf ihre Plätze begäben. Auf der Veranstaltung wechselten sich kurze Ansprachen, Filmberichte und Auftritte von Singeklubs ab. Die Organisatoren und Organisatorinnen vertrauten erneut den alten Jugendliedern und entschieden sich für das Aufbaulied der FDJ; Du hast ja ein Ziel und Auf den Straßen, auf den Bahnen, ganz abgesehen vom Dauerbrenner Weltjugendlied. Aus der Singebewegung erklang das eher unbekannte Lied von der führenden Rolle der Arbeiterpartei (1972, Reinhold Andert/Michael Höft). Wobei jede Strophe untermalt wurde mit entsprechenden Dias. Als neues Lied der Weltfestspiele wählten die Organisatoren und Organisatorinnen das Lied Es geht um die Erde ein rotes Band, pompös in Szene gesetzt vom Chor und Orchester der Edgar-André-Oberschule. Parallel dazu konnten die Zuschauer/-innen den Text über Diaeinblendung mitlesen und bestenfalls mitsingen. Auf jeden Fall aber konnte das Publikum bei dem Lied Bandiera Rossa mit einstimmen. Es gehörte zum unverzichtbaren Sound solcher Großveranstaltungen. Eine Rundfunkaufnahme dieser Veranstaltung gibt es zwar nicht, wie sie aber geklungen haben mag, lässt sich nachhören am Beispiel einer ähnlichen »Großkundgebung« anlässlich des Besuches von Angela Davis. Sie fand einen Monat zuvor ebenfalls im Friedrichsstadt-Palast statt.69 Anscheinend wussten die Anwesenden sehr genau, wann sie wie intensiv und wie lange zu klatschen hatten. Das Mitsingen der bekannten Lieder fiel hörbar leicht. Der Wechsel zwischen Aktivierung und Beruhigung schien 67 68

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Hauptabteilung XX: Hinweise zum Verhalten der Festivalteilnehmer der DDR, 1973, in: BStU MfS HA XX Nr. 17371, Bl. 49. Alle folgenden Informationen siehe Freie Deutsche Jugend, Bezirksleitung Berlin: Ablaufplan für die Solidaritätsveranstaltung am 9. Oktober 1972 im Friedrichsstadt-Palast, 20. September 1972, in: BArch SAPMO DY24 8487, o. Bl. Besuch von Angela Davis in der DDR. Großkundgebung im Berliner Friedrichsstadtpalast, 11. September 1972, in: DRA Rundfunk der DDR 2032241.

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perfekt zu sein. Sozialistische Emotionen, so bestätigt sich der Eindruck aus den vorangegangenen Kapiteln, dürfen und müssen intensiv und enthusiastisch gezeigt und ausgelebt werden. Aber anders als bei Rockkonzerten oder auf den Tanzflächen der Diskotheken, bewegte sich diese Emotionalität in vorgegebenen Rhythmen, sie war körperlich, aber nicht individuell, nicht ekstatisch, sondern gezügelt in den kollektiven Handlungen des rhythmischen Klatschens, der Sprechchöre, des Singens, des Aufstehens und Setzens. Entlang dieser emotionalen Choreografie funktionierten auch die Festveranstaltungen und Großkundgebungen bei den Weltfestspielen. Das Erlebnis ging vor Wissen und Können: »Die vorherrschende Vermittlung von Musikwissen muß zugunsten des Musikerlebnisses zurücktreten. Dabei geht es nicht um das Verständnis von Kunsttechniken und handwerklichen, stilistischen Eigenarten, sondern um die Anreicherung des Denk- und Gefühlserlebnisses.«70

»Gefühlsarbeit«. Die Singeklubs auf den Weltfestspielen Nicht nur die »Liedproduktion« verlief generalstabsmäßig, auch die »Popularisierung« und das Einüben der Lieder. Das Motto war: »Mit allen Mitteln an die Massen.«71 Die Singeklubs waren die hundertfachen Verstärker der Liedpolitik der FDJ. Sie organisierten in den Dörfern und Gemeinden Diskotheken.72 Doch bevor getanzt wurde, gab es eine einstündige »Singe« mit den Festivalliedern, danach ca. drei Stunden Diskothek.73 Zwischen die nationalen und internationalen Rocksongs mischten sich noch einmal die Festivallieder.74 Der Eintritt von einer Mark pro Person ging auf das »Festivalkonto«. Bereits im Juli 1972 zur 6. Werkstattwoche der Singeklubs begann die Arbeit an Festivalliedern.75 Es gab »Werkstätten 73« für Singeklubs in Vorbereitung auf die Weltfestspiele.76 Die Klubs organisierten sogenannte Handwagenprogramme. Mit Megafon, Luftballons, Pappscheiben, mit Liedtexten und Losungen zog der Klub »Spartakus« los. Dieses Programm jedenfalls präsentierten die Jugendlichen zur »Werkstatt 73«. Eine Mischung aus Weltfestspieleliedern, sowjetischen Volksweisen, Solidaritätsliedern, Liedern der Arbeiterbewegung und dem Song Ketten werden knapper hatte der Potsdamer Singeklub für ihr Straßenprogramm vorbereitet.77 70 71

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Abt. Musik, Gen. Paul: Zur Auswertung der Weltfestspiele, Berlin, 9. August 1973, in: BArch SAPMO DR 1 15139, Band 2., o. Bl., DS 11 (Herv. i. Or.). Vgl. Illustration in Sonder-FZ, Februar 1973, 13. Dazu gab es »Sonderliedbeilagen« in der Jungen Welt vom 23. Februar 1973 und vom 25. Mai 1973 »Wir singen zu den X. Weltfestspielen in Berlin«. Ein Kernbestand der Lieder wurde in dem Liederbuch Zentralrat der FDJ (1973): Agitprobe 73 aufgenommen und in dem Dritten DT 64 Liederbuch. Margot Schröder: »Aufs Dorf mit neuen Liedern und Disko. Interview mit Uli Knappe und Norbert Engler«, in: Junge Welt, 17. Februar 1973, 5. So der Bericht des Singeklubs Brüsewitz, in: Sonder-FZ, Februar 1973, 9. Vgl. PA Jürgen Langhans. Die Singeklubs hatten häufig die technische Ausstattung, um Diskotheken zu organisieren. Reinhold Andert: »Klatschen, schnipsen, kurze Pfiffe. Wie neue Lieder für die X. Weltfestspiele beschaffen sein können«, in: Junge Welt, 11. Juli 1972, 5. Vgl. Anonym: »FDJ-Singeklubs brachten viele neue Lieder mit«, in: Junge Welt, 17. Februar 1973, 2; Anonym: »Freunde, zum Festival in Berlin ist was los!«, in: Junge Welt, 17. Februar 1973, 3f. und Hannes Würtz: »Singen mit Megaphon«, in: Junge Welt, 17. Februar 1973, 5. Ebd.: »Das Straßensingen soll Schule machen«, so das Resümee des Artikels.

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Ab Februar 1973 lief einmal monatlich im Berliner Rundfunk samstagmittags die Sendung Agit-Probe 73, eine Sendung, die neue und alte Lieder »zum Mitschneiden« ausstrahlte und Singeklubs zu Wort kommen ließ. »Die Agit-Probe ist für alle da, die mit Stimmband, Gitarre oder sonstwelchen transportablen Instrumenten mittun wollen«78 , wurde die Sendung des Berliner Rundfunks angepriesen. Raus aus den Hinterzimmern, »mitten unter die Leute«, das war das Motto der Festivalvorbereitung. Bis zum Sommer sollten »alle 1,8 Millionen Mitglieder […] einige unserer Lieder gut finden und mitsingen«.79 Die Klubs berichteten in Rundfunk und Presse von ihren Vorbereitungen, stellten ihre Lieder vor und erläuterten ihre Ideen zum Singen. Die »zentrale Beratergruppe« um Reinhold Andert sorgte dafür, dass die Singeklubs ein einheitliches »Grundrepertoire« mit neuen und alten Liedern einstudierten, und immer und überall in ihren Umkreisen wie »sympathische Musiklehrer« mit dem Publikum die Lieder einstudierten.80 Die »Songgruppe der TU Dresden« ging auf Tournee in die Landkreise, um auch in den letzten Winkel der Republik den Sound der Weltfestspiele zu bringen und mit dem Publikum einzuüben. Ihr Programm war bunt durchmischt. Paul Dessau kam mit seinem Festivallied zu Wort, genauso wie die Gruppe Renft mit ihrem Rocksong und auch die »alten Hüte«81 : Auf, Auf zum Kampf oder Bandiera Rossa; das Weltjugendlied oder die Internationale – alles Lieder, die länderübergreifend bekannt gewesen sein sollten.82 Das Festivalprogramm zeigt, dass es die Singeklubs waren, die einen großen Teil der Bühnenprogramme stemmten: »In 207 Singegruppen proben 2.374 Jugendliche Lieder für das Festival, in 133 Singeklubs bereitet man sich ebenfalls auf das große Ereignis vor«, vermeldete die Berliner Zeitung.83 Zudem traten beim »Festival des Politischen Liedes«, abgekürzt PLX, 103 Gruppen aus 45 Ländern in der Volksbühne und auf der Freilichtbühne am Luxemburgplatz auf. Täglich gab es ein Nonstop-Programm von 11 bis 24 Uhr, insgesamt 50 Veranstaltungen mit 172.000 Zuschauern und Zuschauerinnen allein beim »Festival des Politischen Liedes«.84 Auch der »Singeklub Oder-Neiße« reiste gut vorbereitet zu den Weltfestspielen. Deutlich intensiver als in den Jahren zuvor waren die Proben. Zusätzliche Unterstützung erhielten die Lehrlinge von der städtischen Musikschule und dem Kulturhaus »Arthur Becker«. Eigens zu diesen Terminen kam der Musikpädagoge Winfried Stanislau nach Schwedt.85 Vorrangiges Interesse war es, den Singeklub zu professionalisieren.86

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Vgl. Anonym: »Was ist das? Agit-Probe 73«, in: Sonder-FZ, Februar 1973, 13. Reinhold Andert: »Liebe Freunde«, in: Sonder-FZ, Februar 1973, 15. Ebd. Gisela Steineckert: »Die X. und die Singeklubs«, in Sonder-FZ, Februar 1973, 16. Auf welches Kernrepertoire sich die Beraterkommission geeinigt hat, ist aus der dazugehörigen Publikation abzulesen, siehe Zentralrat der FDJ (1973): Agitprobe 73. Meldung unter der Rubrik: »Diese Leistungen beweisen: Berlins Jugend ist auf Draht«, in: Berliner Zeitung, 21. Juli 1973, 2. Lied und soziale Bewegung e. V. (1999): Rote Lieder, 8f. Winfried Stanislau hat die Singebewegung durch Publikationen begleitet, siehe: Fietz/Stanislau (1970): Nicht nur die Gitarre; Stanislau (1972): FDJ-Singebewegung. Das unterstreicht Jürgen Langhans und das belegt auch ein Probenmitschnitt aus dem Frühjahr 1973, in: PA Jürgen Langhans.

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Ganz anders als in seinen Schriften spielte das Singen als politische Erziehung für Stanislau in Schwedt keine Rolle. Der Auftritt musste passen und die Stimmen gut zueinander gestellt werden. Die Jungen und Mädchen des Singeklubs sollten lernen, mitreißend, fröhlich und überzeugend ihre Lieder zu singen. Wie wenig der Staat dem Gesang seiner Jugend wirklich traute, unterstrich eine regulierende Maßnahme. Überall in der Stadt, vor allem an den zentralen Treffpunkten waren Mitarbeiter/-innen der Staatssicherheit verteilt, die im Zweifel das Zepter bei den Diskussionen in die Hand nahmen. Im Falle unerwünschter Lieder sprangen Singegruppen der NVA ein. Vielsagend ist die Erinnerung eines Kulturoffiziers der Staatssicherheit, der einen solchen Vorfall beschrieb. Einige Leute stimmten Lieder von Wolf Biermann und Bettina Wegner an: »Dann hat sich die Singgruppe des Wachregiments druntergemischt, und kräftige Männerstimmen haben eben ein anderes Lied angestimmt. Das wurde gemacht, ohne, daß die Öffentlichkeit davon was mitkriegte. Das hatte mehr so den Anschein von Spontanität.«87 Der Singeklub aus Schwedt hatte viel zu tun in Berlin. Auf ihrem Arbeitsplan standen zwei bis drei Bühnenauftritte am Tag. Die privaten Filmaufnahmen zeigen die Mitglieder des Singeklubs immer wieder beim Aufbauen der Technik. Ihr Programm orientierte sich an den Begebenheiten. Sollten sie vor einem großen Publikum singen und an einem unruhigen Ort, dann setzten sie die lauten Hits auf ihr Programm. Kleinere Bühnen mit einem Publikum, das sich auch setzte und zuhören wollte, ermöglichten das Singen der Singeklublieder, die mehr Konzentration auf den Text einforderten. Ein Höhepunkt für Langhans war der Auftritt seines Klubs auf der Hauptbühne am Alexanderplatz, »direkt nach dem Alexandrow-Ensemble«. Mit dieser Momenterinnerung ist Langhans nach Hause gefahren. Vom Festival selbst hat er wenig mitbekommen. »Ich wollte ja auch Musik machen und wir haben uns privat näher kennengelernt« – das waren für ihn die Weltfestspiele. Er hat nichts von den anderen Programmen gehört, hat den Auftritt von Dean Reed auf dem Alexanderplatz verpasst, genauso wie das legendäre Konzert der Rockband Renft.

Ernüchterung Aus dem Sommer 1973 heraus betrachtet, hatte sich der Sozialismus als tragfähig und erfolgreich erwiesen. Dass dafür zahlreiche Jugendliche von den Weltfestspielen ausgeschlossen wurden und die anderen im Vorfeld geschult und trainiert wurden, war der Preis für die repräsentierte Stabilität und Sicherheit. Die »Festival-Studie« des Leipziger Zentralinstitutes für Jugendforschung sprach jedoch für den Erfolg dieser Regu-

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Rossow (1999): »Rote Ohren, roter Mohn«, 261. Diese Gegenmaßnahme entsprach völlig den Hinweisen der Staatsicherheit, wie im Falle »versuchter feindlicher oder negativer Stimmungsmache« die DDR-Jugendlichen und die Mitarbeiter der Staatssicherheit zu reagieren hätten, nämlich die »Aktionen ins Gegenteil verkehren (Losungen, Bilder, Sprechchöre usw. positiven Inhalts«), siehe: Hauptabteilung XX: Hinweise zum Verhalten der Festivalteilnehmer der DDR, 1973, in: BStU MfS HA XX Nr. 17371, Bl. 53.

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lationen.88 Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass sich die »Einstellung unserer Jugend zur DDR als ihrem sozialistischen Vaterland weiterhin positiv entwickelt hat. Das drückt sich besonders im Stolz der Jugendlichen aus, Bürger der DDR zu sein«.89 In Hinblick auf vorhergehende Studien strichen die Verfasser einen besonders »deutlichen Fortschritt in der sozialistischen Bewußtseinsbildung großer Teile der Jugend« vor und während der Weltfestspiele heraus.90 Genau dieses Bild konnten die Weltfestspiele erfolgreich nach Außen vermitteln: »Diesmal kommen die Festivalgäste in einen Staat, dessen Führung durch die internationale Anerkennung ein ungestörtes und unerhörtes Erfolgserlebnis hat«, resümierte eine Korrespondentin der Wochenzeitung Die Zeit.91 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung konstatierte eine »zunehmende Identifikation der Ostdeutschen mit der DDR«, »eine Steigerung des Selbstwertgefühls«. Herbert Neumann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sprach am 3. August 1973 von einem »neuen Selbstbewußtsein eines neuen Staates«. Rüdiger Moniac legte am 4. August in der FAZ nach: »Im Ergebnis fließt das Emotionale dieser Tage schließlich zusammen zur vollkommenen Identität zwischen Mensch und Staat.«92 Hermann Engelbrecht schloss seine Filmdokumentation mit der Bemerkung: »Die DDR hat Pluspunkte gesammelt, sich als lebendigen, in die Zukunft weisenden Staat präsentiert, progressiv und heiter, auch wenn der Alltag weit dahinter zurückbleibt. Dennoch könnte die Jugend dieses Staates den Gewinn daraus ziehen, wenn sich der Meinungsaustausch fortsetzen lässt, der auf dem Alexanderplatz begann.«93 Beeindruckt zeigten sich die Teilnehmenden der bundesrepublikanischen Delegationen von den Debattierkünsten der Blauhemden. Wortgewaltig und redegewandt, sicher in den Argumenten und ausgestattet mit Detailwissen gingen sie oft als Sieger/ -innen aus den mehr oder weniger spontan entstandenen Rededuellen am Alexanderplatz hervor. Trotz Gegenstimmen war der Tenor der Presseberichterstattung deutlich: Die DDR, repräsentiert von ihren Jugendlichen, trat stolz und selbstbewusst auf. Sie war ihren Kinderschuhen und der Pubertät entwachsen und gab sich als »mature Socialism«.94 88

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Zentralinstitut für Jugendforschung (1974): Jugend und Internationalismus, Bl. 2. Ziel der Studie war es, die »Wirksamkeit der ideologischen Arbeit vor und während der Weltfestspiele« zu erforschen. Dazu wurden 8.100 Jugendliche befragt, Schüler/-innen der 9.-12. Klassen, Lehrlinge und junge Arbeiter. Ein Drittel der Befragten nahm am Festival teil. Davon hatten 47 Prozent eine Funktion bei der FDJ. Ebd., Bl. 5 (Herv. i. Or.). Ebd., Bl. 11. Zum gleichen Ergebnis kam die Intervallstudie des Zentralinstitutes für Jugendforschung, in der die Entwicklung des »Staatsbürgerstolzes« im Verlauf der 1960er Jahre dokumentiert worden war. Siehe dazu ausführlicher: Ohse (2003): Jugend nach dem Mauerbau, 328f. Marlis Menge: »Jedes Bett ist Politik«, in: Die Zeit 29, 1973, o. S (online-Archiv). Alle Zitate aus Schröder (2003): »Horch, was kommt von draußen rein«, o. S. Nach seiner Analyse der bundesrepublikanischen Berichterstattung kommt Carsten Schröder zu dem überzeugenden Fazit, dass die Bereitschaft einer Akzeptanz des DDR-Staates und das Erkennen eines neuen Selbstbewusstseins eher ein Phänomen der sozialdemokratisch liberalen Publizistik war und sich nicht so uneingeschränkt in der Wahrnehmung der sozial- und christdemokratischen Jugendvertreter/-innen wiederfinden ließe. Engelbrecht (1973): Weltjugendfestspiele 1973. Vgl. Rutter (2013): Enacting Communism, 616f.

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Die Jugendlichen jedoch durften dieses Selbstbewusstsein nur repräsentieren und darstellen, aber nicht wirklich fühlen. Das Singen auf den Weltfestspielen war viel weniger ein Resultat von Aushandlungen, sondern vielmehr ein konkurrierendes Nebeneinander von Ideen und Vorstellungen darüber, was Jugend zu sein hat. Das Auseinanderklaffen der konkreten Vorstellungen über die passenden Gefühle und das öffentliche Zeigen dieser Gefühle zu den Weltfestspielen war trotz des hohen Grades an »DDRIdentität« und trotz der diagnostizierten Stabilität deutlich erkennbar. Die staatlichen Beobachter/-innen störten sich an dem selbstsicheren Ton der neuen Lieder. Statt zumindest den Jugendlichen aus den Singeklubs zu vertrauen, die sie so aufwendig kontrollierten, zeugte der Liedwettbewerb von einem großen Misstrauen gegenüber den Jungen und Mädchen, die so überzeugt von sich und ihren Aufgaben sangen. Die Skepsis gegenüber der Jugend hatte trotz gegenteiliger Behauptungen zugenommen, das belegt die umfangreiche Sicherheitspolitik. Diese äußerte sich nicht nur in den üblichen Maßnahmen der Überwachung und Regulierung, sondern auch in dem spezifischen Investment in die Gefühlsarbeit. Sicherheitspolitik war Gefühlspolitik.95 In seiner großangelegten Inszenierung der Weltfestspiele vertraute der Staat nicht darauf, dass die Jugend sozialistisches Fühlen von sich aus repräsentieren konnte. Stattdessen musste das richtige Fühlen erarbeitet und einstudiert werden. Das Bedürfnis nach Sicherheit resultierte in diesem Fall weniger aus dem Gefühl der Angst, wie es der Historiker Eckart Conze für die Bundesrepublik diagnostizierte, vielmehr aus dem grundsätzlichen Misstrauen der Staatsmacht gegenüber den Heranwachsenden.96 Nach dem Hype der Weltfestspiele, zu denen sich allein 529 Singeklubs gründeten, folgte die Ernüchterung. Die Singeklubs wurden »überschätzt« und »politisch überfordert«, es kam zur Krise der Singebewegung nach 1973, so Kirchenwitz.97 Negativ für die Singebewegung wirkte sich aus, dass die DDR-Regierung ab Anfang der 1970er Jahre wieder stärker den Beat förderte. Die Beat-interessierten Jugendlichen bekamen ihre eigenen Räume, Bands und Auftrittsmöglichkeiten. Die Singeklubs hatten für sie als Interimslösung ausgedient. Die zahlreich entstandenen Jugendklubs und Diskotheken nahmen den Singeklubs die potenziellen Interessenten und Interessentinnen weg. Der Rock konnte sich etablieren. Mit dem Jahr 1972 begann daher auch für Rauhut die »Ära des DDR-Rocks«.98 Doch die Liaison des Staates mit dem DDR-Rock war nach 1973 bei Weitem nicht so aufgeschlossen und liberal, wie sie sich auf den Weltfestspielen zeigte. Im September 1975 teilte die Leipziger Bezirkskommission für Unterhaltungskunst der Gruppe Renft mit, dass ihre Lieder nichts mit der sozialistischen Wirklichkeit zu tun hätten und deshalb nicht mehr gesungen werden durften. Das kam einem faktischen Verbot gleich. Damit signalisierte die Staatsmacht die Grenzen dessen, was DDR-Rock sein durfte und was nicht. Die schnell entstandenen Singeklubs fielen bald nach den Weltfestspielen auseinander. Ein anhaltender Professionalisierungsdruck lag auf den Klubs, die weiter bestanden. Der qualitative Abstand zwischen den produktiven Klubs und den anderen

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Vgl. Conze (2018): Geschichte der Sicherheit, 159f. Ebd., 163. Kirchenwitz (1976): Entstehung und Entwicklung der Singebewegung, 105, 39, 119. Rauhut (1993): Beat in der Grauzone, 298.

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vergrößerte sich weiterhin, es »fehlte das Hinterland«.99 Hinzu kam ein Generationswechsel innerhalb der großen Klubs. Allein 15 Mitglieder verließen nach den Weltfestspielen den Oktoberklub. Sie waren dem Singeklubalter entwachsen und mussten sich entscheiden, professionelle Musiker/-innen zu werden oder einen anderen beruflichen Weg einzuschlagen.100 Beide Möglichkeiten schlossen ein weiteres Engagement in einem Freizeitklub der FDJ aus. Als Jürgen Langhans im Herbst 1976 an der TU Dresden sein Studium der Informations- und Messtechnik begann, hoffte er, mit seinen bewunderten Vorbildern der »Songgruppe« die alten Singeklublieder anzustimmen, die er von DT 64 kannte und schätzte. Doch der Singeklub der TU-Dresden stand im Herbst 1976 vor einem grundlegenden Wandel. Jürgen Langhans erinnert sich, wie im November 1976 die »älteren« Mitglieder vor die FDJ-Kreisleitung zitiert wurden. Dort gab es ein Gespräch, das Langhans als eine Reaktion der Biermann-Ausbürgerung deutete.101 In der Konsequenz dieser »Aussprache« spaltete sich die Songgruppe. Die älteren Mitglieder wie Jürgen Magister und Bernd Rump – »die ganzen wichtigen und führende Leute« – entschieden sich für eine professionelle Musikkarriere. Der Kulturpalast Dresden stellte sie an und sie gründeten dort die Gruppe »Schicht« mit professionellem Liedtheater.102 Zurück blieben acht Mitglieder, die unter der musikalischen Leitung von Jürgen Langhans versuchten, sich neu zu erfinden. Selbstkritisch gab Langhans zu, dass sie aber nicht mehr an den Erfolg und die Professionalität der alten Songgruppe anschließen konnten. Dennoch waren diese Jahre mit dem Singeklub an der TU Dresden für Jürgen Langhans weitaus bedeutender als die Zeit in Schwedt. Er selbst sprach davon, dass er »politisch aufgewacht« sei: »An der Uni musste man nachdenken.« Er hörte andere Musik, Platten von Hermann van Veen oder Reinhard Mey. Hauptaufgabe der »Songgruppe« blieben die Auftritte bei politischen Veranstaltungen der Uni und der Stadt Dresden. Zudem gab es die Teilnahme an der »Aprilsinge«, einer kulturellen Institution in Dresden. Doch Jürgen Langhans merkte selbst, dass gegen Ende der 1970er Jahre das Interesse an dieser Veranstaltung, die sonst immer »gerammelt voll war«, deutlich nachließ. Irgendwann sind sie die Karten für die »Aprilsinge« nicht mehr losgeworden, erinnert er sich: »Es gab viel spannendere Popgruppen […] da waren andere Dinge im Kulturbereich spannender, als Singen und Songgruppen.« Mit 26 Jahren (und

99 Kirchenwitz (1976): Entstehung und Entwicklung der Singebewegung, 112. 100 Ebd., 117. 101 »2-3 aus dem älteren Semester mussten rein und die kamen nach einer halben Stunde heulend wieder raus, sie haben wirklich geheult. Ich wusste überhaupt nicht, was los war, erstens kannte ich Biermann gar nicht und zweitens hätte ich das mit meinem damaligen Wissen gar nicht begriffen, gesellschaftlich war ich bei null. Ich wollte eigentlich nur Musik machen.« Interview mit Jürgen Langhans vom 4. März 2017. 102 Der Oktoberklub beschritt den Weg des Liedtheaters bereits 1973 mit den »Kantaten«: »Manne Klein« und »Manne und Anne«. Kirchenwitz zitiert Thomas Wieke mit der Definition, dass das Liedtheater das Ergebnis der Entwicklung sei aus einer »losen Nummernfolge thematisch unzusammenhängender Lieder zu einer Form geschlossener, schon in der Produktionsphase zusammenhängend konzipierter Programme.« Dabei wurde der Sänger zum »szenischen Akteur« und die »Liedinterpretation durch szenische Mittel erweitert«. Kirchenwitz (1993): Folk, Chanson, 85.

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damit auch nach dem Jugendgesetz nicht mehr jugendlich), beendete Jürgen Langhans seine aktive Zeit in der FDJ-Singebewegung. Dieser Werdegang des ehemaligen Singeklubs an der TU Dresden steht symbolisch für die Zeitgefühle Mitte der 1970er Jahre. Aus dem Selbstbewusstsein wurde politische Desillusionierung, aus der Euphorie Ernüchterung, aus dem Elan Routine. Das Ankommen im sozialistischen Alltag bedeutete für die Jugendlichen, dass es keine Zukunftserwartungen, keine Träume von einem besseren Leben mehr gab, wie in den Fünfzigerjahren, dass kein (selbst)kritisches Abarbeiten an der Realität mehr nötig war, wie in der »DDR-Konkret«-Bewegung. Der Staat verlangte von ihnen stattdessen ein zustimmendes Funktionieren. Kurz nach den Weltfestspielen begann die Diskussion um ein neues Jugendgesetz in der DDR. Dieses unterstrich abermals die Festlegung der Zeitgefühle auf die Gegenwart. Nicht einmal mehr erschienen im dritten Jugendgesetz von 1974 die Worte »Hausherren« oder »Zukunft«. Stattdessen ging es explizit um Erwartungen an die Leistungsfähigkeit und Bereitschaft der Jugendlichen bei der Mitgestaltung der »entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik«.103 Das grundlegende Recht, ihre Ehre und Pflicht sei es demnach, sich zu »sozialistischen Persönlichkeiten zu entwickeln«, ein »glückliches Leben zu führen, […] alles zu tun für die Sicherung des Friedens, für das Wohl des Menschen, für das Glück des Volkes, für die Interessen der Arbeiterklasse und der Werktätigen«.104 Das Jugendgesetz förderte auf der einen Seite junge Ehen und Familien und verbesserte die »Arbeits- und Lebensbedingungen der Jugend« (§ 39ff). Es schrieb eine materielle Besserstellung der Jugendlichen fest (§ 42) und verpflichtete die Medien darauf, mehr altersspezifische Angebote zu unterbreiten (§ 4). Auf der anderen Seite aber wurde die Vorrangstellung der FDJ gegenüber anderen staatlichen Institutionen ausgebaut. Das bedeutete auch, dass der Zugang zur weiterführenden Bildung vom Votum der Jugendorganisation abhing. Damit gab der Staat einer Disziplinierung seiner Jugend durch die Verweigerung einer Bildungskarriere den rechtlichen Rahmen. Im Gegenzug versprach der Staat den Heranwachsenden mehr Freiräume in kulturellen Angelegenheiten (§ 30), solange Freizeit »kulturvoll«, »sinnvoll« und »schöpferisch« genutzt würde (§ 34). Diese Novelle des Jugendgesetzes führte zur »Ernüchterung« nach dem großen Festival.105 Das Versprechen des Staates auf »Weltoffenheit« war vergessen. Das Misstrauen wurde in Gesetze gegossen und die Aufforderung nach »authentischem Fühlen« ad absurdum geführt.

103 Gesetz über die Teilnahme der Jugend der Deutschen Demokratischen Republik an der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und über die allseitige Förderung in der Deutschen Demokratischen Republik, abgedruckt in: Rockstuhl (2006): Das Jugendgesetz 1974, 5. 104 Ebd., 6. 105 Ohse (2003): Jugend nach dem Mauerbau, 362.

Selbstbewusstsein fühlen. Das Jahr 1973

Abbildung 54

Klaus Schneider und Heinz Kahlau: Frieden, Freundschaft, Solidarität.

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Zukunft als Programm. Fazit und Ausblick

Christa Wolf beschreibt in ihrem Roman Stadt der Engel, oder, the Overcoat of Dr. Freud zwei Situationen, in denen ihr die alten Lieder in Erinnerung kamen: in der durchsungenen Nacht als Begegnung mit sich selbst und beim unbewussten Singen über den Helden des Spanischen Bürgerkriegs Hans Beimler während der Zubereitung eines ausgiebigen Sonntagsfrühstücks. Doch an jenem Sonntagmorgen mischte sich in ihre Verwunderung über die Kapriolen ihres Unterbewusstseins ein Schuss Bitterkeit. Denn, so berichtet sie, ein Freund hätte ihr erst kürzlich erzählt, dass die offizielle Version vom Tod des Spanienkämpfers nicht stimmen würde: »Früher waren mir bei diesem Text manchmal die Tränen gekommen, das war in den naiven Zeiten, als man noch an Märchen glaubte.«1 Aus dieser Textpassage aus dem letzten Roman Christa Wolfs spricht eine ambivalente Unentschlossenheit. Vielleicht hätte sich die Autorin gern dem Gesang der alten Lieder auch bei Tageslicht und nüchtern hingegeben, ohne gleichzeitig fühlen zu müssen, wie viel Unehrlichkeit darin steckte, ohne sich erinnern zu müssen, wie erzwungen und unaufrichtig das Singen zu den »offiziellen Anlässen« war. Doch sie singt eben nicht Schlager (zumindest schrieb sie nicht darüber) aus ihrer Vergangenheit, sondern das Hans-Beimler-Lied. Sie identifiziert die Lüge und Unaufrichtigkeit genau an dem Punkt, wo sie einmal geglaubt hatte, ehrlich zu singen und zu fühlen. »Übrigens fiel mir ein, gab es seit Spanien in der deutschen kommunistischen Bewegung keine Lieder mehr. Mit scharfen Instrumenten war ihr die Seele aus dem Leib gerissen worden, dieser Schmerz war nicht zu besingen […], künstlich eingepflanzte Ersatzgesänge wurden zu offiziellen Anlässen angestimmt, sie haben die Zeit nicht überdauert.«2 Mit diesem Resümee mag Christa Wolf zum Teil recht haben. Die Lieder, die Helden der Vergangenheit besangen und Zukunft erträumten, wurden in der DDR »künstlich eingepflanzt«. Doch (an dieser Stelle ist Christa Wolf zu widersprechen) es waren nicht nur »Ersatzgesänge«, die »die Zeit nicht überdauert« haben. Diese Lieder lieferten den

1 2

Wolf (2010): Stadt der Engel, 139. Ebd.

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

offiziell gesetzten neuen Sound der ostdeutschen Nachkriegszeit, der oft und durchaus nicht nur pflichtgemäß erklang. Mehr noch, die Lieder haben auch ihre Zeit überdauert. Das zeigen zahlreiche CD-Veröffentlichungen in den letzten 20 Jahren und die langen Kommentarleisten unter den entsprechenden Youtube-Videos.3 Auch Christa Wolf selbst singt in jener Nacht neben Volksliedern und Kirchenchorälen das Hans-BeimlerLied, Arbeiterkampflieder, neue Jugendlieder und das noch Jahre, nachdem die DDR nicht mehr existierte.4 Christa Wolf beschreibt das Zusammenspiel von Singen, Fühlen und Erinnern. Diese Beobachtung war der Ausgangspunkt des Buches. Was verraten die zeitgenössischen Lieder und das Singen dieser über »Hoffnungen, Sehnsüchte und Sinnziele« des neuen sozialistischen Staates und wie handlungsrelevant waren diese Zeitgefühle?5 Mit diesem Forschungsdesign wurde DDR-Geschichte in mehrfacher Hinsicht als »Chance« verstanden6 und nicht als »irrelevante Randzone im Halbdunkel der Geschichte des 20. Jahrhunderts«.7 Zum einen versteht sich das vorliegende Buch als Forschungsintervention. Am Beispiel der Gefühlserziehung über gemeinschaftliches Singen konnte »Herrschaft als soziale Praxis« mikrohistorisch dargestellt und diskutiert werden. Damit erfolgte ein Perspektivwechsel von der Geschichte der DDR zu einer Geschichte von in der DDR lebenden Menschen.8 Zum zweiten diente die Arbeit als »Erprobungsfeld für neue Forschungsmethoden und -perspektiven.«9 Im Schnittfeld der Forschungsfelder Geschichte der Gefühle, Historische Zukunftsforschung und Historische Anthropologie wurde die DDR als ein modernes Zeitregime verstanden und analysiert. Damit gerieten erstmals systematisch Vorstellungen und Handlungsrelevanz von Zukunftsentwürfen in der Nachkriegszeit in den Blick. Neu ist dabei nicht nur der thematische Zuschnitt, sondern auch der methodische. Denn im Unterschied zu den neueren ideengeschichtlichen Arbeiten über Zukünfte in der Bundesrepublik standen nicht allein Konzepte, Vorstellungen oder Planungen von Zukunft zur Debatte, sondern auch Praktiken, mit denen Zukunftsideen handlungsrelevant werden sollten. Diese kristallisierten sich im Spiegel der Gefühlserziehung über gemeinschaftliches Singen heraus. So war das gesungene Lied die zentrale historische Quelle. Es diente als Schlüssel für einen analytischen Nahblick auf Zukunftsvorstellungen. Damit handelt die vorliegende Arbeit von Praktiken, die auf die Vermittlung, Mobilisierung und Aushandlung von Zeitgefühlen zielten. Das ermöglichte eine Charakterisierung der DDR als modernes Zeitregime.

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Vgl. CD-Sammlungen, mit den Untertiteln: »Die schönsten Lieder der FDJ« oder »Die schönsten Lieder der Pioniere«, siehe z.B.: BMG (1999): Unser Zeichen ist die Sonne; BMG (1999): Fröhlich sein und singen; BMG (2007): Pioniere gehen voran. Wolf (2010): Stadt der Engel, 249-251. Mannheim (1985): Ideologie und Utopie, 83: »Man kann die innerste Struktur eines Bewußtseins nirgends so klar erfassen, als wenn man sein Zeitbild von seinen Hoffnungen, Sehnsüchten und Sinnzielen her versteht.« Vgl. Mählert (2016): Die DDR als Chance; Lindenberger (2015): »Ist die DDR ausgeforscht«, 109 sieht die Chance der DDR-Geschichte darin, sie zum »Fall« zu erklären. Hoffmann/Schwartz/Wentker (2016): »Die DDR als Chance«, 69. Vgl. Lindenberger (1999): »Die Diktatur der Grenzen«, 18. Hoffmann/Schwartz/Wentker (2016): »Die DDR als Chance«, 69.

Zukunft als Programm. Fazit und Ausblick

Die hier entwickelten Methoden, Thesen und Ergebnisse werden im Folgenden zusammenfassend daraufhin diskutiert, was das Spezifische der DDR-Geschichte ist und wofür der Fall DDR-Geschichte steht. Darauf aufbauend werden abschließend drei Thesen zur Zukunft der DDR-Geschichtsforschung vorgestellt.

Eine Erziehungsgeschichte der DDR In der SBZ und DDR lässt sich ein ausgeprägtes Bedürfnis der erziehenden Generation erkennen, auf das Denken, Fühlen und Handeln der Heranwachsenden einzuwirken. Trotz aller gegenteiligen Behauptungen war die Staatsmacht nicht auf der Suche nach kindlichen und jugendlichen Gefühlen, sondern permanent damit beschäftigt, genau dieses vorzudefinieren und zu implementieren. Diese Ambivalenz begleitete stetig die Produktion, Verbreitung und das Singen neuer Lieder. In den Quellen gibt es wenig explizite Zweifel darüber, ob diese Art der Einflussnahme überhaupt möglich ist. Weder die Frage nach dem Machbaren noch die nach dem ethisch-moralisch Erlaubten standen zur Debatte. In diesem grenzenlosen Erziehungsoptimismus hatten Beobachtungen über historische Parallelen keinen Platz. Im Gegenteil, die Erziehungspraktiken bauten auf Vertrautes und Gewohntes auf. Die Jugendfunktionäre und -funktionärinnen, die Bildungspolitiker/-innen und Pädagogen/-innen verständigten sich unermüdlich darüber, welche Funktionen Gefühle im Projekt der Erziehung einer allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit haben sollten, wie das konkrete Fühlen auszusehen habe und wie es sich erziehen ließe. Die Wirksamkeit und Notwendigkeit intentionaler Gefühlserziehung stand im untersuchten Zeitraum außer Frage. Die in das neue Gesellschaftssystem hineinwachsenden Kinder galten dabei besonders als »sauberes Menschenmaterial«, um aus ihnen die »Hausherren von Morgen« zu formen. Als solche mussten sie die Werte und politischen Überzeugungen in ihren Köpfen und Herzen verinnerlichen, die als Fundament des zu entwickelnden Sozialismus betrachtet wurden. Damit standen von Beginn an die Kinder und Jugendlichen in der Pflicht, den sozialistischen Zukunftstraum zu verwirklichen. Durch diese Verantwortung und Bürde wurde das Erziehungsverhältnis unmittelbar nach Ende des Krieges festgelegt und belastet. Um 1970 gab es einen entscheidenden Wandel in dieser Zielbestimmung. Aus den »Hausherren von Morgen« wurden propagandistisch die »Schrittmacher von Heute«. Für die Heranwachsenden bedeutete diese Verschiebung des Zeithorizontes, dass sie nicht mehr von einer sozialistischen Zukunft träumen und an der Verwirklichung des Traumes arbeiten sollten. Stattdessen mussten sie den »realexistierenden« Sozialismus mit allen Kräften unterstützen und festigen. Dieses Erziehungsprogramm wurde in Praktiken umgesetzt, die der Vermittlung und Einübung der gewünschten Einstellungen, Gedanken und Gefühle dienten. Die erziehende Generation griff dabei auf Bekanntes und Erprobtes zurück, wie das Beispiel der Meißner Singegemeinschaft zeigt. In den Nachkriegsdebatten lag das Singen als Methode der Gefühlserziehung auf der Hand. Dieses Singen fand jedoch weniger im Schulfach Musik statt, sondern in den Alltagspraktiken der FDJ und der Pionierorganisation: auf nachmittäglichen Gruppenveranstaltungen, regionalen oder DDR-weiten

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Treffen, zur Gestaltung von Feier- und Gedenktagen oder zur Freizeitgestaltung in den Ferienlagern. Der Zukunftsbezug war bereits unmittelbar nach Kriegsende eine Leitkategorie des sozialistischen Erziehungsprogrammes, das zeigt der Vergleich zu den westlichen Besatzungszonen und der Bundesrepublik. Für die ersten beiden Jahrzehnte der DDR kann damit Erziehung als ein Vorgriff auf den konkreten ideologisch begründeten Zukunftsentwurf definiert werden, der von den Politikern und Politikerinnen festgelegt und nicht mehr diskutabel war. Die Ausrichtung der Erziehung an diesen Zukunftsvorstellungen war ein riskantes Unternehmen. Denn die in den 1950er Jahren entwickelten Erziehungskonzepte und -praktiken wurden auch dann nicht wesentlich verändert, als der Sozialismus um 1970 als »real existierend« deklariert wurde, somit der Zukunftsbezug sein Integrationspotenzial verlor und von der Gegenwartsorientierung abgelöst wurde. Damit sind zwei Themenfelder benannt, die für die weitere Bearbeitung im Rahmen der Historischen Bildungsforschung interessant sein dürften. Zum einen lohnt es sich, die Historische Bildungsforschung mit der Historischen Zukunftsforschung zu verknüpfen und Erziehung und Bildung explizit als einen programmatischen Vorgriff auf spezifische Zukunftsvorstellungen zu betrachten. Denn genau diese geben den Rahmen für Erziehung als Generationsverhältnis vor. Zum anderen sollten kulturell und historisch spezifische Vorstellungen systematischer von kindlichem und jugendlichem Fühlen sowie die daraus resultierenden Erziehungspraktiken untersucht werden. Dieses lässt sich mit verschiedenen Quellenbeständen wie Illustrationen, Kinderbüchern oder Erziehungsratgebern transnational bearbeiten.10 Ein vielversprechender Anfang dieser produktiven Verknüpfung der Geschichte der Gefühle mit der Historischen Bildungsforschung und mit dem angloamerikanischen Forschungsfeld »History of Childhood and Youth« ist bereits gemacht.11

Singen als Emotionspraktik Erklärtes Ziel der Arbeit war es, die Musik- und die Geschichtswissenschaft über Fragestellungen und Methoden aus dem Forschungsfeld Emotionsgeschichte in einen Dialog zu bringen. Dafür wurde ein methodisches Grundgerüst entwickelt, das es erlaubte, Singen in historischen Kontexten als Emotionspraktik zu analysieren. Um die Vorstellungen der Zeitgenossen/-innen über Singen und Fühlen einerseits und konkrete Gesangspraktiken andererseits zu rekonstruieren, stand das gesungene Lied im Mittelpunkt. Ausgewählt wurden nur Lieder, von denen begründet angenommen werden kann, dass sie in ihrer Zeit auch relevant waren. Welcher Irrtum entstehen kann, wenn man historische Lieder per se als Zeugen ihrer Zeit sieht, zeigt sich am Aufbaulied der FDJ. Kaum eine zeitgenössische Dokumentation für Funk oder Fernsehen verzichtet auf eine Einspielung der Liedzeilen: »Bau auf, bau auf, bau auf, bau auf, Freie Deutsche Jugend bau auf.« Das ist der ikonografische 10 11

Vgl. Frevert et al. (2014): Learning How to Feel. Olsen (2017): »The History of Childhood«.

Zukunft als Programm. Fazit und Ausblick

Sound der DDR-Geschichtsdarstellung nach 1989. Die empirische Analyse der relevanten Lieder aber beweist, dass das Aufbaulied der FDJ in den Erziehungsinstitutionen der DDR so gut wie gar keine Rolle spielte. Diese Diskrepanz sensibilisiert dafür, genauer hinzuhören, welche historischen Lieder in heutigen geschichtskulturellen Formaten verwendet werden und danach zu fragen, wer sie zu welchem Zweck ausgewählt hat und wie sich diese Auswahl zur historischen Relevanz verhält. Es gehört zu einer emotionshistorischen Analyse von Liedern, nicht nur Text und Komposition, sondern auch die Diskurse um die Entstehung der Lieder und die Praktiken des Erlernens und Singens in den Blick zu nehmen. Denn beim Singen wird das zeit- und kulturspezifische Repertoire an Emotionen gelernt, ausgehandelt und zugleich modifiziert. Aus diesem Grund wurde ein methodisches Dreieck zur emotionshistorischen Liedanalyse entwickelt mit den Eckpunkten: Lied als musikalisches Produkt, Singen als Emotionspraktik und Singen als Emotionsarbeit. Damit wird sowohl das Lied mit seinen musikalischen Eigenheiten ernst genommen, als auch die Praktiken des Singens in ihrer historischen Spezifik und Wandelbarkeit verortet. Im Schnittfeld dieses Dreiecks kann gemeinschaftliches Singen als Praktik der Einübung und Vermittlung von erwünschten Gefühlshaltungen in der Vergangenheit diskutiert werden.12 Neben dem Liedtext und der Komposition wird dafür ein Set verschiedener Quellen benötigt. Diese müssen die Entstehungsprozesse der Lieder ausleuchten und in zeitgenössische Diskurse einbetten können, die Ideen über die erwünschte Wirkung reflektieren sowie die Verbreitung und das Einüben der Lieder kommentieren. Bestenfalls geben die Quellen Aufschluss über konkrete Situationen des gemeinschaftlichen Singens. Die reine Komposition gibt lediglich Anhaltspunkte für eine musikwissenschaftliche Interpretation und ermöglicht es, Traditionslinien zu benennen. Dem Singen als Emotionsarbeit nahezukommen, bedeutet jedoch, sich auch mit schriftlichen Reflexionen und Klangbeispielen auseinanderzusetzen. Wie damit genau Emotionen choreografiert werden sollten, wird in der Rundfunkaufnahme des Liedes Wer möchte nicht im Leben bleiben vom Pioniertreffen in Erfurt 1961 erkennbar. Solch ein umfangreiches Quellenset liegt für die DDR (als einem diktatorischen Regime) vor. Es gab Kommissionen und Abteilungen in verschiedenen Ministerien, beim Zentralrat der FDJ und beim Zentralrat der SED, die sich ausschließlich um die »Organisation und Entwicklung des Singens« kümmerten und ihre Vorstellungen in detaillierten Planungen, Organisationspapieren und Berichten festhielten. Sie holten sich Komponisten/-innen und Lyriker/-innen mit konkreten Aufträgen ins Boot. Sie legten fest, was gedruckt werden durfte, was im Rundfunk zu hören war und was die Schulkinder als »Pflichtrepertoire« lernen sollten. Um das erwünschte Ergebnis zu erzielen, planten die Bildungspolitiker/-innen Inhalte und Praktiken des Singens. Davon wurden Rundfunkaufnahmen oder Filmdokumentationen angefertigt, die das Ziel hatten, die erwünschte emotionale Wirkmächtigkeit immer wieder abrufbar zu konservieren. Doch trotz eines sehr reichhaltigen – wenn auch redundanten Quellenfundus – gibt

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Die hier entwickelte methodische Herangehensweise lässt sich daher auch gut in Lehr-/Lernsettings übersetzen, vgl. Brauer (2021): Geschichte hören.

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es nur wenige Lieder, die einen analytischen Nahblick auf das Zusammenspiel von Liedern, Singen und Emotionsarbeit erlauben, wie zum Beispiel das Lied Blaue Fahnen nach Berlin. Darin offenbart sich die pragmatische Grenze eines solchen methodischen Settings für andere historische Kontexte. Denn zumeist fehlt es an Quellen, die in der erforderlichen Tiefe die Entstehung von Liedern und Gesangspraktiken beleuchten. Tonaufnahmen gibt es zudem in der erforderlichen Breite erst ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Damit fehlen häufig wichtige Anhaltspunkte für eine umfassende emotionshistorische Analyse von Liedern. Wie schwierig es ist, Lieder zu finden, die für die Klanglandschaft einer bestimmten Zeit stehen können und damit für eine emotionshistorische Analyse relevant sind, zeigt sich am Beispiel der westlichen Besatzungszonen und der frühen Bundesrepublik. So konnten in den westlichen Besatzungszonen nur die drei Lieder Freunde, laßt uns fröhlich loben, Jeden Morgen geht die Sonne auf und Wer nur den lieben langen Tag identifiziert werden, von denen begründet angenommen werden kann, dass sie verbreitet gewesen waren. In einer pluralen Gesellschaft gab und gibt es kein Singen weniger verbindlicher Lieder, sondern das vielfältige Singen zahlreicher Lieder. Die hier vorgeschlagene Herangehensweise musste daher auf konkrete soziale und politische Kontexte in der Bundesrepublik eingegrenzt werden, wie das Singen in der sozialdemokratischen Jugendorganisation, die Ostermärsche und das Waldeck-Festival. Daher bot sich nur ein punktueller und kein struktureller Vergleich der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte an. Trotz dieser aufgezeigten Herausforderungen konnte die Arbeit demonstrieren, dass es lohnt, sich auf die Suche nach den Spuren bestimmter Lieder im gesellschaftlichen Gebrauch zu machen. Gelingt es, den Weg eines Liedes nachzuvollziehen, ist auch ein Zugriff auf Objekt, Ausdruck, Gestaltung und Wandel verschiedener Emotionen möglich.13 Diese Suche nach Liedgeschichten deckt im Fall der Lieder Heut ist ein wunderschöner Tag und Wer nur den lieben langen Tag dort Kontinuitäten auf, wo Neuanfänge behauptet wurden, und unterstreicht in Hinblick auf die Praktiken des gemeinschaftlichen Singens die Beharrlichkeit einmal verinnerlichter Gewohnheiten. Damit ist das gesungene Lied eine bedeutende Quelle für eine Geschichte der Gefühle. Gefühle galten in dieser Arbeit als Untersuchungsgegenstand und als Methode. Das gemeinschaftliche Singen in den Erziehungskontexten der DDR war explizit eine Praktik zur Erziehung bestimmter Gefühlshaltungen. Diesen Zusammenhang herzustellen, bedeutet keinesfalls, eine Wirkmächtigkeit per se zu behaupten. Als methodisches Grundgerüst für die Frage nach dem Zusammenhang von Singen und Fühlen diente das Konzept der Emotionspraktik von Monique Scheer in der Kombination mit den emotives von William Reddy. In dem oben benannten Dreieck von Singen als Emotionspraktik gelten Lieder als »materieller Anker« und als »fundamentale Verbindung von Diskurs und Körperlichkeit«.14 Es ließ sich damit eine musikwissenschaftlich fundierte Liedanalyse mit der Darstellung von Singen als Emotionsarbeit verknüpfen.

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Vgl. Brauer (2019): »Stille Nacht«. Scheer (2016): »Emotionspraktiken«, 28.

Zukunft als Programm. Fazit und Ausblick

Welche Emotionen wurden in den Liedern wirklich verhandelt? Auch wenn die Zeitgenossen/-innen permanent die Lieder als Medien der Gefühlserziehung beschrieben, zeigt ein genauer Blick auf die Lieder vor allem der 1950er Jahre, dass es häufig weniger um Gefühlskonzepte ging, als vielmehr um Handlungsaufforderungen. So besingen die Pionierlieder die Liebe zur sozialistischen Heimat, die Bewunderung für Ernst Thälmann als Helden oder ihren Stolz auf die Soldaten als »Friedenskämpfer«. Doch die »Heimatliebe« blieb abstrakt. Statt Fühlen ging es in der »patriotischen Erziehung« vielmehr um Handeln. »Patriotisches Fühlen« war die dezidierte Aufforderung, die »Heimat« zu schützen und zu verteidigen, für die »Heimat« zu arbeiten, Leistung zu bringen, um sie in Zukunft als Ort von Geborgenheit und Zugehörigkeit erleben zu können. Anders verhielt es sich mit den Liedern, die in den Singeklubs der FDJ-Singebewegung erklangen. Christa Wolf macht diesen Unterschied indirekt deutlich, indem sie in einer Zwischenbemerkung darauf hinweist, wie betrogen sie sich mit dem HansBeimler-Lied fühlte. Dieses Lied, ebenso wie Der kleine Trompeter, waren zwar Lieder für die Heldenverehrung, wurden aber nicht zufällig von der Singebewegung wiederentdeckt. Denn ähnlich den neuen Singeklubliedern setzten sie auf Mitgefühl. Sie erzählen Geschichten über antifaschistische Helden oder einzelne Menschen, die litten und kämpften oder die der nationalsozialistischen Verfolgung zum Opfer fielen. Mit diesen Menschen ließ sich mitleiden und auch mitweinen. Mit ihnen konnte Empörung über die gefühlte Ungerechtigkeit eingeübt werden. Gemeinschaftliches Singen, so zeigt sich hier, war nicht nur eine Emotions-, sondern auch eine Emotionalisierungspraktik.

Zeitgefühle Im Konzept der Zeitgefühle wurden Überlegungen aus der Geschichte der Gefühle und der Historischen Zukunftsforschung zusammengeführt. Lucian Hölscher betonte, dass es die Herausforderung der Historischen Zukunftsforschung sei, die »vormalige Offenheit« der vergangenen Zukunftsentwürfe ernst zu nehmen, ihnen ihr »früheres Hoffnungs- und Möglichkeitspotenzial« zurückzugeben.15 Dafür müsste nicht nur das Was der Zukunftsentwürfe, sondern das Wie des Zukunftsbezuges und die Modi der Zukunftsgenerierung näher betrachtet werden.16 Das vorliegende Buch ging einen Schritt weiter. In der Konsequenz bedeuteten diese Überlegungen erstens, Hoffnungen und Sehnsüchte als historische Gefühlshaltungen ernst zu nehmen und zweitens, nicht nur nach den Generierungsformen vergangener Zukunftsentwürfe zu fragen, sondern auch nach deren Wirkmächtigkeit und Handlungsrelevanz. Wie wurden Zukunftsvorstellungen kommuniziert, mobilisiert und reguliert? Mit wem wurden sie geteilt und in welcher Absicht? Was für Praktiken resultierten daraus und welche konkreten Gefühle waren damit verbunden? Das sind alles Fragen, die mit dem heuristischen Instrumentarium der Zeitgefühle diskutiert werden können. Diese entstehen im und 15 16

Hölscher (2017): »Theoretische Grundlagen der historischen Zukunftsforschung«, 8. Graf/Herzog (2016): »Von der Geschichte der Zukunftsvorstellungen«, 500.

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charakterisieren den Modus der Auseinandersetzung mit den spezifischen Zeithorizonten. Damit geben Zeitgefühle der jeweiligen Gegenwart einen Orientierungs- und Handlungsrahmen. Die relevanten Zeitgefühle in der SBZ und der DDR waren chronologisch betrachtet Sehnsucht, Erwartung, Hoffnung, Vertrauen, Fortschrittsoptimismus und Selbstbewusstsein. Hierbei handelt es sich um den propagandistischen Referenzrahmen staatlichen Handelns. Weitere Zeitgefühle wurden nicht explizit benannt, gehören aber genauso in das Tableau: Angst vor Stillstand, Misstrauen, Enttäuschung, Ernüchterung. Diese äußerten sich in den Praktiken des Regulierens und Überwachens und stehen für ein gestiegenes Sicherheits- und Absicherungsbedürfnis der Staatsmacht. Gefühlspolitik wurde zunehmend zu einer (Zeit)Gefühlspolitik. Worin liegt der heuristische Mehrwert der Zeitgefühle? Zu jeder Zeit gab es ein bestimmtes Set von konkurrierenden Zeitgefühlen, das den Referenzrahmen für die Aushandlung von Vergangenheit und Zukunft darstellte. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren ging es dezidiert um eine verheißungsvolle Zukunft, auf die sich Hoffnungen und Sehnsüchte konzentrierten, um von Vergangenheit und Gegenwart abzulenken. In den 1950er Jahren wurden dieses Zukunftsbegehren an Fortschrittsoptimismus und die Vorstellung eines planbaren Vorwärtsschreitens gekoppelt. Somit kristallisierte sich als dominantes Zeitgefühl dieses Jahrzehnts die Erwartung heraus. Entscheidend an Hoffnung, Sehnsucht und Erwartung war das Versprechen auf eine bessere Zukunft. Diese galt in der Hochzeit des Kalten Krieges als politischer Gegenentwurf nicht nur zur entbehrungsreichen Nachkriegsgegenwart, sondern auch zu den westlichen Zukunftsvorstellungen. Die Heranwachsenden bekamen in dem sozialistischen Zukunftsbegehren einen zentralen Platz zugewiesen. Sie sollten aktiv daran arbeiten, das Versprechen, das ihnen gegeben wurde, zu verwirklichen. Damit kam es im langen Nachkriegsjahrzehnt bis Ende der 1950er Jahren zu einer generationellen Ungleichverteilung von Erwartung und möglicher Enttäuschung. Denn die erziehende Generation gab der Jugend ein Versprechen, das die Älteren selbst nicht einhalten mussten, sondern als Verpflichtung an die Heranwachsenden übertrugen: »Sie [die Jungen] werden erleben, was Generationen vor ihnen erträumten.«17 Die ältere Generation (als Propheten) verzichtete darauf, die Umsetzung ihrer Träume zu erleben und damit auch das mögliche Scheitern. Sie konnte weiter von der Dynamik der Zukunftssehnsucht zehren und die Träume der sozialistischen Utopie träumen, ohne enttäuscht zu werden. Die Nachkriegsjugend und die erste vollständig in das sozialistische Gesellschaftssystem hineinwachsende Generation hingegen bekamen das vage Versprechen auf eine »helle Zukunft«. Noch die Kinder der 1980er Jahre lernten, »der Sehnsucht Ziel« (Ich trage eine Fahne) zu sehen und fast erreicht zu haben. Damit verbunden war zum einen die Verpflichtung, hart zu arbeiten. Zum anderen hatten diese Generationen die ganze Last der potenziellen Enttäuschung zu tragen, wenn die Realität nicht den Zukunftsträumen entsprach. Diese Verteilung von Hoffnung und Sehnsucht für die ältere Generation und möglicher Enttäuschung und Ernüchterung für die Heranwachsenden war strukturelles Charakteristikum der DDR-Erziehung.

17

Zentralkomitee (1958): »Der Jugend unser Herz«, 13.

Zukunft als Programm. Fazit und Ausblick

In den 1960er Jahren sorgten die Zeitgefühle selbst für Konflikte. Vertrauen als »Vorleistung auf Zukunft« wurde zwar immer wieder behauptet aber nicht eingelöst. Statt Vertrauen lassen sich Praktiken des Misstrauens finden. Davon sprechen Steuerung, Organisation und Planung von Liedproduktion und Gesang. Mehr noch, die Jugend bekam das behauptete Vertrauen nicht per se geschenkt, sondern musste es sich erst verdienen. Somit bekamen die Heranwachsenden eine doppelte Belastung aufgebürdet. Zum einen waren die Jugendlichen hauptverantwortlich für die Realisierung der Zukunftsentwürfe zuständig. Zum anderen sollten sie ständig beweisen, dass sie überhaupt würdig waren, die Verantwortung als »Hausherren von Morgen« zu übernehmen. Aus diesem Missverhältnis von Vertrauen und Misstrauen resultierte eine Distanzierung und Destabilisierung des Erziehungsverhältnisses in den 1960er Jahren. In dieser Phase verweisen die neu geschriebenen Lieder auf eine erste Verschiebung des Zeithorizontes von der Zukunft zur Gegenwart, die mit der politischen Entwicklung korrespondierte. Der frühere »Traum vom Sozialismus« hatte sich nach den Vorstellungen der SED um 1970 erfüllt. Die FDJ-Mitglieder waren damit nicht mehr die »Hausherren von Morgen«, sondern die »aktive[n] Mitgestalter der entwickelten sozialistischen Gesellschaft«.18 Sie hatten nicht mehr die Verantwortung für die Zukunft, sondern die Aufgabe, den »Sozialismus zu gestalten«19 . »Fundament« und »Schrittmacher« waren die zentralen Attribute der Jugend in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre. Aus Erwartung wurde Gewissheit, aus dem Fortschrittsoptimismus ein Bedürfnis nach Sicherheit, aus dem »Vorwärts« Stillstand. Mitte der 1970er Jahre war das vorherrschende Zeitgefühl nach Vorstellungen der Jugendpolitiker/-innen Selbstbewusstsein. Dieses Zeitgefühl hatte einen ausschließlichen Gegenwartsbezug. Es zog seine Legitimität aus der Gewissheit, im »real existierenden Sozialismus« angekommen zu sein. Diese Ankunft ging einher mit einem gebrochenen Versprechen. Denn die Kinder der 1950er Jahre wurden um 1970 nicht zu den »Hausherren von Morgen«, sondern blieben die »Schrittmacher«. Das wurde begründet mit einer verschobenen Vorstellung von »jung« und »alt«. Als der Sozialismus propagandistisch erreicht wurde und damit das frühere Versprechen an die Jugend eingelöst werden sollte, wurde Jugend von einer Alterskategorie zur Gefühlskategorie umdefiniert. Wer sich jung fühlte, durfte als jung gelten und damit auch »Hausherr« sein. Diese Umdefinition wurde vor allem auf dem Deutschlandtreffen 1964 deutlich. Damit rechtfertigten die Politiker/-innen ihre Verweigerung der versprochenen Übergabe der Hausherrenschaft. Obwohl sie nicht mehr jung an Lebensjahren waren, konnten sie auch weiterhin die politische Macht behalten oder übernehmen, denn sie fühlten sich erklärtermaßen jung. Die Generation der jungen Erwachsenen reagierte mit Enttäuschung und Ernüchterung. Am Beispiel der DDR-Geschichte lässt sich zeigen, dass im Konzept der Zeitgefühle produktiv Ideen der Geschichte der Gefühle, der Historischen Zukunftsforschung und der Historischen Anthropologie aufgehen. Die soziale Praxis der Herrschaft wurde von

18 19

Zentralrat der FDJ (1983): Geschichte der Freien Deutschen Jugend, 453. Horst Schumann: »Die Verantwortung der Jugend in der sozialistischen Gesellschaft und die Aufgaben der FDJ. Aus dem Referat des 1. Sekretärs des Zentralrates der FDJ auf dem VIII. Parlament der FDJ«, in: Neues Deutschland, 11. Mai 1967, 4.

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einem bestimmten Set von Zeitgefühlen begleitet, das zugleich modifiziert, ausgehandelt und angepasst wurde. Ein gutes Beispiel dafür sind die Singeklubs. Anhand dessen, was die Jugendlichen in den Klubs sangen, wird die Verschiebung des Zeithorizontes von der Zukunft zur Vergangenheit und zurück zur Gegenwart deutlich erkennbar. In der Aushandlung um das »echte« und »ehrliche« Fühlen setzte sich die Singebewegung kritisch mit dem sozialistischen Alltag auseinander. Es gab kaum Konflikte um die Musik der Singeklubs, denn Sprache und Sound entsprachen dem Erwarteten und Gewohnten. Singeklublieder galten sogar als Symbol, Ausdruck und Vermittlungsinstanz der empirisch wahrgenommenen gestiegenen Zustimmung der Jugend zu ihrer »Heimat« DDR Mitte der 1970er Jahre. Somit können die Singeklubs durchaus als herrschaftsstabilisierende Räume interpretiert werden, die die politisch erwünschte Verschiebung des Zeithorizontes praktisch formulierten, vermittelten und umsetzten. Es geschah wenig in den Singeklubs, was der Jugendorganisation Anlass zum Misstrauen geben konnte. Im Gegenteil, von Misstrauen oder Vertrauen war in dieser Zeit nicht mehr die Rede, aber auch genauso wenig von Erwartung oder Zukunft. Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Dynamik der Zeitgefühle resultiert aus der generationellen Zuschreibung ungleicher Zeitgefühle und damit aus den potenziell angelegten Konflikten. Diese Zeitgefühle sind aufeinander bezogen. In diesem Sinn sind Erwartung und Enttäuschung Gegenspieler, genauso wie Vertrauen und Misstrauen, Fortschrittsoptimismus und Sicherheitsbedürfnis. Aus der permanenten Aushandlung dieser Gegensatzpaare resultierten gesellschaftspolitische Phasen von Stabilität und Instabilität. Die Grenzen der Zeitgefühle als heuristisches Hilfsmittel liegen im Quellenbestand und der Perspektivwahl. In der vorliegenden Arbeit wurden jene Zeitgefühle untersucht, die sich unter dem Brennglas der Gesangspraktiken in Erziehungsinstitutionen der DDR herausarbeiten ließen. Diese Quellenauswahl ermöglichte es, über die Herrschaftsperspektive hinauszugehen. Denn die Fokussierung auf Vorstellungen, Konzepte und Praktiken der Gefühlserziehung über das gemeinschaftliche Singen entlang von Konfliktlinien bot die Gelegenheit, Herrschaft in der DDR als Aushandlung von Zeitgefühlen zu verstehen. Gerade im Wechselspiel von Planungen und konkreten Praktiken sowie deren dokumentierten Erfolgen oder Misserfolgen zeigt sich das Oszillieren zwischen den behaupteten und den praktizierten Zeitgefühlen.

»Too much future«. Ausblicke auf Zeitgefühle Was passierte mit diesen Zeitgefühlen in den 1970ern und 1980ern? Das Zentralinstitut für Jugendforschung diagnostizierte Mitte der 1970er Jahre eine besondere Zustimmung zur »Heimat DDR«. Tatsächlich liegt es jedoch näher, diese Phase als Stillstand zu interpretieren, die durch »politische Apathie« und Passivität gekennzeichnet war und nicht primär auf einer tatsächlich gefühlten Verbundenheit beruhte.20 In dem durchgeplanten Alltag des »real existierenden« Sozialismus brauchte es kein Zukunftsverlangen, keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft, keinen Fortschrittsoptimismus mehr.

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Meuschel (1992): Legitimation und Parteiherrschaft, 235; Wierling (2002): Geboren im Jahr Eins, 331f.

Zukunft als Programm. Fazit und Ausblick

Die Jugendlichen, die sich ab 1978 dem Punk zuwandten, taten das in erster Linie aus dem Bedürfnis heraus, sich dem durchorganisierten DDR-Lebensweg zu entziehen. Sie empfanden den »real existierenden« Sozialismus als lähmend und langweilig. Im Gegensatz zu den britischen Punkern und Punkerinnen war das Motto der DDRPunker/-innen nicht »no future«, sondern »too much future«. Das Gefühl, ein Zuviel an Zukunftsgewissheit zu haben, an Stabilität, an Sicherheit paralysierte das alltägliche Leben in den Augen der DDR-Punker/-innen. Sie verweigerten sich genau dem, was offiziell als Sieg des Sozialismus gefeiert wurde: das Recht auf Bildung, Ausbildung, Weiterbildung, die Sicherheit auf einen Arbeitsplatz und die Unterstützung zur Familiengründung inklusive staatlicher Vollzeit- und Rundumbetreuung der Kinder und Jugendlichen. Die DDR-Punker rebellierten gegen dieses Ankommen im »real existierenden« Sozialismus. Sie wollten einzigartig und sichtbar sein und nicht in der Masse der zahlreichen Kollektive auf allen Ebenen des DDR-Alltagslebens untergehen. Sie wollten ihr Recht auf individuelle Lebensgestaltung durchsetzen. So verweigerten sie sich den wohltemperierten sozialistischen Zeitgefühlen und entfachten eine erneute Diskussion um exaltierte Musik. Punk war das willkommene Gegenstück zum genehmigten Beat und zur moderaten Musik der FDJ-Singeklubs, die es im Jahr 1980 immer noch zahlreich gab. Punk war ungezügelt, unorganisiert, laut, schrill, aggressiv, ruhelos, voller Zorn. Damit war Punk Ausdruck der Sehnsucht nach intensiven Gefühlen.21 Die Härte, mit der die Punk-Jugend verfolgt wurde, unterstrich, wie konstant das DDR-Regime an der Überzeugung festhielt, über die Musik den Zugriff auf die Herzen und Köpfe der Jugendlichen zu bekommen und wie wenig es daher gewillt war, die Kontrolle darüber aus der Hand zu geben. Zu der empfundenen Langeweile als Zeitgefühl der Punker/-innen gesellte sich auf anderen gesellschaftlichen Ebenen in den 1970er und 1980er Jahren eine Mischung aus Zufriedenheit und Resignation. »Zufriedenheit war […] eine moralische Kategorie«, schrieb Günter de Bruyn in seinem Lebensbericht. Zehn Jahre nach dem Mauerbau stellte er in seinem Umfeld noch etwas anderes fest. »Eine Resignation, die zur Bejahung des Bestehenden neigte, ein bequemes Eingewöhnen in die Zwangslage gestattete und Gedanken an Veränderungen verbot. Verglichen mit Ulbrichts Zeiten, waren die materiellen Lebensverhältnisse besser, die Überwachungsmethoden zwar perfekter, aber doch leiser geworden. Die Beherrschten hatten gelernt, sich in Genügsamkeit zu bescheiden. […] Von Ordnung und Wohlstand war mehr als vom Vorwärtsschreiten und Siegen die Rede. Begeisterung wurde nur noch von jenen verlangt, die aufsteigen wollten. […] Die wirksamste Agitationsvokabel wurde Geborgenheit. Es gab eine Art Stillhalteabkommen zwischen oben und unten.«22 Diese kleine Vorschau zeigt, dass die vorgebliche Stabilität der DDR in den 1970er und 1980er Jahren von variierenden Zeitgefühlen begleitet wurde, die ihren Ursprung in dem diagnostizierten Stillstand und der überregulierenden Planung hatten.23 Dazu zählten

21 22 23

Vgl. Brauer (2012): »Emotional Clashes«. de Bruyn (1998): Vierzig Jahre, 185f. Vgl. Madarász (2003): Conflict and Compromise, 25.

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vor allem Langeweile, Zufriedenheit und Resignation. Es würde sich lohnen, an dieser Stelle weiter zu forschen, inwieweit sich die Zeitgefühle der 1970er und 1980er auf Stabilität und Instabilität in der DDR auswirkten. Lassen sich daran Erklärungsmuster für den »inneren Zerfall« der DDR finden, die weitere aufschlussreiche Facetten zu den wohlbekannten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Darstellungen bieten können?24 Es ist zu vermuten, dass Ost und West dieses Setting an spezifischen Zeitgefühlen in den 1970er und 1980er Jahren teilten. Erste Befunde sprechen dafür, dass sich an dieser Stelle ein Vergleich anbieten würde.25

Die DDR im Projekt der Moderne Die DDR ist ein Zeitregime der Moderne. Was sagt dieses Ergebnis aber über den Platz der DDR im »Gesamtprojekt der Moderne«? Wie sah die »spezifische Gestalt« dieser Modernität der DDR aus? Das sind die Fragen, die Dorothee Wierling an den »Fall« DDR-Geschichte stellt und die hier weitergeführt werden können.26 Ganz im Verständnis eines modernen Zeitregimes nach Aleida Assmann waren die Nachkriegsjahre in der SBZ durch ein »Brechen der Zeit« charakterisiert. Die »Neubestimmung« der Zukunft erfolgte zulasten der Vergangenheit, aber auch zum Nachteil der Gegenwart. Typisch für diese Jahre war das Auseinanderdriften von »Erfahrungsraum und Erwartungshorizont«. Die Gegenwart wurde als Bruch im Zeitverlauf wahrgenommen, das gesamte »Projektions-, Imaginations- und Planungspotenzial« an zukünftige Entwürfe gekoppelt.27 Mit diesem »Brechen der Zeit« lässt sich erklären, warum vergangene Praktiken und Rituale, wie das gemeinschaftliche Singen, anscheinend problemlos und unkommentiert zur Mobilisierung des Zukunftsverlangens genutzt werden konnten. Das Zukunftsversprechen war eine »invented perspective«. Er hatte das Potenzial, über einen gesellschaftlich geteilten Zukunftstraum Gemeinschaftsgefühle herzustellen und eine neue Identität zu stiften. Dieser Zukunftstraum war bei Weitem nicht neu, aber mit dem Sieg über den Nationalsozialismus und der Installierung einer kommunistischen Herrschaft in der SBZ durfte er geträumt werden und es bestand durchaus die Möglichkeit, dass er realisierbar war. Das Spezifische des modernen Zeitregimes DDR war zum einen die Verkopplung des Zukunftsentwurfes mit dem Erziehungsprojekt der Kinder und Jugendlichen. Zum anderen nahm das Zukunftsverlangen eine Hypothek auf Zugehörigkeit, Geborgenheit und Glück als Möglichkeiten in der Zukunft auf. Denn diese Gefühle waren nicht einfach in der Gegenwart zu haben, sondern mussten erarbeitet werden. Ihre Hingabe an den neuen Staat hatten die Kinder und Jugendlichen durch ihre Produktivität und Nützlichkeit unter Beweis zu stellen. Dementsprechend ging es im ersten Jugendlied nach Kriegsende nicht nur um »das neue Fühlen« und den »neuen Geist«, sondern die Jugend behauptete auch von sich: »Wir sind die Jungen, die aufbauen wollen, was uns in 24 25 26 27

Vgl. Jarausch/Sabrow (1999): Weg in den Untergang. Nolte (2006): Riskante Moderne, 27: »Sicherheit« war demzufolge die »wichtigste Vokabel der bundesdeutschen Rhetorik der 70er Jahre«. Wierling (2016): »Die DDR als Fall-Geschichte«, 211. Assmann (2013): Ist die Zeit aus den Fugen?, 132.

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Trümmern zerfallen umringt.« Fortschritt als Integrationsideologie brauchte die Produktivität als Motor, die Planerfüllung und Überfüllung als Garantie dafür, dass die geplante Zukunft auch wie erwartet erreicht würde. Schon die Kinder konnten und sollten ihren Nutzen und ihren Leistungswillen in Wettbewerben unter Beweis stellen. Der »Sieg des Sozialismus« rückte propagandistisch in den Erwartungshorizont der Kinder und Jugendlichen. Das war der Kern des »neue Arbeitsethos«, der gern in den Erziehungsmaterialien beschworen wurde. In den 1950er Jahren erfolgte im Modus des Fortschrittsoptimismus und der Planungseuphorie eine »Beschleunigung der Zeit« – ein weiteres Charakteristikum des modernen Zeitregimes. Im »Vorwärts« der Lieder war die Leitidee des Fortschrittsoptimismus formuliert. Anders als Hoffnung und Sehnsucht konnte sich Erwartung nicht auf ein Zukunftsversprechen berufen, sondern brauchte einen Plan. Er sollte die Zukunft kalkulierbar und steuerbar machen. Er nährte die Illusion der Definitionsund Handlungsmacht über Zukunft. Das Spezifische des sozialistischen Zukunftsplanes war zum einen, dass er die Gesellschaft in seiner Totalität erfassen wollte. Paradigmatisch dafür stehen die Stufenpläne der Pioniere und die Pläne zur Entwicklung und Organisation des Singens. Zum anderen war die sozialistische Planungseuphorie eng an die »Zukunftsgewissheit eines planbaren Fortschritts« gekoppelt.28 Erinnert sei an die Bildergeschichte in der Zeitschrift Fröhlich sein und singen: Der Pionier Mäxchen trifft Herrn Morgen, der ihn durch die Plusdioptrinbrille genau die Zukunft sehen lässt, die in Mäxchens Gegenwart durch den Plan festgelegt wurde. Sinnfälligerweise waren die Eltern des Herrn Morgens der Plan (als Vater) und die Arbeit (als Mutter). Ab den 1960ern stellte sich allmählich – um in den Metaphern Assmanns zu bleiben – ein Abbremsen der Zeit ein. Dieses ging einher mit einer zunehmenden Orientierung an der Gegenwart und der Entdeckung der eigenen noch sehr jungen Vergangenheit. In Hinblick auf das Schulsystem lässt sich ein Stillstand feststellen. Ab Mitte der 1960er Jahre änderte sich kaum mehr etwas Grundlegendes, weder in den Lehrplänen, den Erziehungspraktiken noch dem verbindlichen Repertoire an »Pflichtliedern«. Der gleiche Befund gilt für die Pionier- und FDJ-Organisation. Dieser langsam einsetzende Stillstand und die Gegenwartsorientierung bedeuteten aber nicht ein Ende der propagandistischen Zukunftsbeschwörung. Die Narrationen, Institutionen und Praktiken des modernen Zeitregimes DDR blieben in den 1950er Jahren stecken und passten sich nicht an die zunehmende Gegenwartsorientierung an. So erklangen auf den Festen und Feiern der FDJler/-innen und Pioniere weiterhin die Zukunftsvisionen aus den Liedern der 1950er Jahre, während sich parallel dazu Jugendliche unter dem Dach der FDJ und durchaus in deren Interesse an der Gegenwart abarbeiteten und auf der Suche nach »authentischen« Gefühlen waren. Damit installierte die DDR mindestens zwei Zeitebenen, die unterschiedliche Bezüge und Tempi hatten. Die erste Zeitebene war die der Zukunftserwartung, die in den ersten eineinhalb Nachkriegsjahrzehnten propagandistisch umfassend und umfangreich in die Herzen und Köpfe der Kinder und Jugendlichen eingepflanzt werden sollte. Auf dieser Zeitebene sollten die Heranwachsenden vom »Sozialismus träumen«,

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Sabrow (2004): »Zukunftspathos als Legitimationsressource«, 175.

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»Erbauer des Sozialismus« sein und sie bekamen das Versprechen auf die Hausherrenschaft von Morgen. Diese Zeitebene bestand bis zum Ende der DDR. Die zweite Zeitebene war die der Gegenwartsorientierung. Sie begann Ende der 1960er als die Zukunft mit der Deklaration des »real existieren« Sozialismus erreicht wurde. Die anscheinende Stabilität und die Welle der außen- und innenpolitischen Anerkennung der DDR um 1973 unterstützen das staatliche Narrativ von einer erfolgreichen Ankunft im Sozialismus. Das Selbstbewusstsein darüber, die versprochene Zukunft erreicht zu haben, löste jedoch nicht die Zeitebene der Zukunftsorientierung ab, sondern verlief parallel dazu. Auf dieser Zeitebene sollten die Kinder und Jugendlichen »sozialistisch träumen«, sie waren nun die »Schrittmacher« des Sozialismus. Von Hausherrenschaft wurde nicht mehr gesprochen, stattdessen forderte der Staat Vertrauensbeweise von seiner Jugend. Beide Zeitebenen widersprachen sich in zentralen Botschaften und Anforderungen an die Jugend, dennoch existierten sie in dieser Widersprüchlichkeit parallel zueinander. Weiterführend ließe sich untersuchen, welche Konflikte mit welchen Dynamiken sich daraus entwickelten. Am Ende der DDR-Moderne ging die Zukunft verloren. Der Plan aber (eigentlich als Vorgriff auf Zukunft eingeführt) behielt auch ohne Zukunftsorientierung seine Geltungsmacht, sogar mehr als je zuvor.29 Auch das ist ein Ergebnis der diagnostizierten Gleichzeitigkeit der beiden Zeitebenen. Während sich in den westlichen Gesellschaften Ende der 1960er eine »Planungsernüchterung« einstellte,30 plante das moderne Zeitregime DDR weiterhin, nunmehr die Gegenwart und die Inszenierung der Vergangenheit. Denn parallel zur Ankunft im »real existierenden« Sozialismus rückte die noch junge Geschichte der DDR als Erfolgsgeschichte, als »invented tradition« in den zeitspezifischen Aufmerksamkeitshorizont. Partei und Staat rechtfertigten sich zunehmend mit dem Blick auf das bisher Erreichte und nicht mit Blick auf das zukünftig Erhoffte.31

Die DDR als radikales Zeitregime der Moderne Dorothee Wierling schlussfolgerte kürzlich: »Die Geschichte der DDR, inklusive ihrer Vorgeschichte, lässt sich als eine Geschichte radikaler und permanenter Modernisierung beschreiben.«32 In Hinblick auf das moderne Zeitregime DDR ist diese Beobachtung Wierlings zu unterstreichen. Es lässt sich sogar behaupten, dass die DDR ein besonders radikales Zeitregime der Moderne war. Das lag hauptsächlich daran, dass der Zukunftsbezug nicht empathisch war, wie es Assmann für die modernen Zeitregimes definierte, sondern obsessiv. Es gab auch keine Pluralität an Zukünften wie in den westlichen Gesellschaften, sondern nur eine einzige mögliche Zukunft. Daraus resultierte

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Dipper (2014): »Die Epoche der Moderne«, 137: Utopie und Planung sind die »Ordnungsmuster der Moderne«. Ebd., 158. Meuschel (1992): Legitimation und Parteiherrschaft, 237. »Weil die Partei der Teleologie nicht entraten konnte, um ihre führende Rolle zu legitimieren, kam der Rekonstruktion der Vergangenheit zunehmend die Funktion zu, die Gegenwart zum Gipfelpunkt der Geschichte zu heben.« Siehe auch Gibas (1999): »Die Metaerzählung zum 7. Oktober«. Wierling (2016): »Die Bundesrepublik als das andere Deutschland«, 396.

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die totalitäre Durchplanung möglichst vieler Lebensbereiche auch und gerade auf der Ebene des Denkens und Fühlens. Die Radikalität zeigte sich darin, dass die Politiker/-innen die jugendliche Arbeitskraft in den Dienst ihres Zukunftsversprechens stellten. Für die Radikalität spricht weiterhin, dass das Zeitregime propagandistisch nicht mit dem Erreichen des »real existierenden« Sozialismus aufhörte, sondern an den Praktiken nach wie vor festhielt. Der Typus des modernen Zeitregimes endet nach Assmann an dem Punkt, an dem die Zukunft von einem Vergangenheitsbezug abgelöst wird. Doch die DDR hielt weiterhin propagandistisch am sozialistischen Zukunftsversprechen fest, obwohl sie zugleich ein Ankommen darin deklarierte und einen obsessiven Blick in die eigene Vergangenheit pflegte. Auch bezüglich dieser Parallelität sich widersprechender Zeithorizonte erwies sich die DDR als das radikalere Zeitregime. Führt man diesen Gedankengang weiter, dann gab es kein Ende des modernen Zeitregimes in der DDR. Dennoch lässt sich das Jahr 1973 als Schwellenjahr ausmachen: Es war das Jahr, in dem die DDR auf den Weltfestspielen der Jugend so erfolgreich ihr neues Selbstbewusstsein präsentierte und zelebrierte. Das Arrangement mit der Gegenwart schien perfekt. Die Nationalhymne der DDR hatte sich zu diesem Zeitpunkt nicht nur in der Textzeile überlebt: »Deutschland, einig Vaterland«, sondern auch mit dem Vers »und der Zukunft zugewandt«. Dieser Wandel des Zeithorizontes in der DDR fiel zusammen mit dem Ende des westlichen Zeitregimes. Auch global betrachtet war das Jahr 1973 ein Schwellenjahr in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.33 Man spricht vom »Ende der Zuversicht«34 oder vom Ende des »Booms«.35 Wie in der Literatur bereits ausführlich diskutiert, traten in den 1970er Jahren »Strukturbrüche« von der Moderne zur Postmoderne ein, die sich in Öl- und Wirtschaftskrisen, in Veränderungen der Arbeitsbedingungen, der Lebensläufe und auch im Wandel von »Aufbruchstimmung zur Brechung des Fortschrittsbewusstseins« offenbarten.36 Das Auslaufen der »Fortschrittsmoderne« war eine Entwicklung, die spezifisch für die westeuropäischen Staaten festgehalten wurde.37 Für Westeuropa war damit der Wechsel vom Zukunftsglauben zur Zukunftsangst gekennzeichnet. Aus der Perspektive der Historischen Zukunftsforschung erhalten die 1970er Jahren als Phase der Transformation eine Scharnierfunktion. Mit ihnen endet die Nachkriegs-

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Mit dem Jahr 1973 habe die Welt ihre Orientierung verloren, es beginnen Jahrzehnte der Krise und Instabilität, so begründet Eric Hobsbawm seine Festlegung auf das Schwellenjahr 1973. Hobsbawm (1995): Zeitalter der Extreme, 503. Jarausch (2008): Das Ende der Zuversicht? So der Untertitel des Bandes Doering-Manteuffel/Raphael/Schlemmer (2016): Vorgeschichte der Gegenwart. Seefried (2015): Zukünfte, 13. Zu den Strukturbrüchen siehe die Arbeiten von Doering-Manteuffel und Lutz Raphael im Forschungsverbund »Nach dem Boom« Doering-Manteuffel/Raphael/Schlemmer (2016): Vorgeschichte der Gegenwart. Dieser Wandel war gekennzeichnet von Unsicherheiten, einer zunehmenden Wachstumskritik, begleitet von einer »Konjunktur von Krisenszenarien«, siehe Seefried (2015): Zukünfte, 497. Bösch (2015): »Geteilte Geschichte«, o. S.; vgl. Bösch (2015): »Geteilt und verbunden«, 23. Er spricht vom »Versiegen des Fortschrittsoptimismus«.

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geschichte und beginnt die »Vorgeschichte der Wandlungen Deutschlands und Europas«.38 Für die Bundesrepublik gibt es seit Kurzem Studien aus dem Feld der Historischen Zukunftsforschung, »Prognosen, Visionen, Irrungen« oder über »Zeit« im 20. Jahrhundert.39 Es scheint sich ein regelrechter Boom anzubahnen, der sich aus der Historischen Zukunftsforschung speist und der seine Fragen und methodischen Herangehensweisen vor dem Hintergrund der bundesrepublikanischen Geschichte entwickelt. Die Geschichte der DDR steht bei diesem neuen Boom wieder einmal nur am Rande. Joachim Radkau kam in seiner Geschichte der Zukunft zu der Einsicht, dass das Thema »›Zukunft‹ […] Chancen für einen Brückenschlag zwischen West und Ost« bieten würde, auch wenn er zugleich einräumte, dass der »derzeitige Kenntnisstand für die entstehende DDR« ihm selbst keine umfangreiche Diskussion ermögliche.40 Seiner Ansicht nach wurden »die Grundlagen der Bundesrepublik« auf einer Stimmungslage gelegt, die durch »Skepsis und Pessimismus« gekennzeichnet war, »derweil in der Ostzone mit einem Schwall von Zukunftspathos ein brüchiges Staatsgebilde installiert wurde«.41 Vorliegendes Buch kann genau aufzeigen, welche Träume, Wünsche und Sehnsüchte nach 1945 propagiert wurden und um wieviel differenzierter diese waren, als Radkau mit »Zukunftskult und Zukunftskrampf« behauptet.42 Die Staatsmacht definierte konkrete Zukunftsvorstellungen, die für die Erziehung der Kinder und Jugendlichen orientierungs- und handlungsrelevant werden sollten und dementsprechend in reale Erziehungspraktiken einflossen. Mit Blick auf die Zwischenphase von Stabilität und aufkeimender DDR-Identität um 1970 lässt sich begründet schlussfolgern, dass der sozialistische Zukunftsentwurf durchaus für eine gewisse Phase stabilisierend gewirkt hat.43

Zur Zukunft der DDR-Geschichtsforschung Die DDR ist noch lange nicht »ausgeforscht«.44 Das gilt in zweifacher Hinsicht. Erstens hat eine Erforschung spezifischer DDR-Themen so lange Relevanz, solange sie in der Lage ist, heute existierende Vorstellungen von und Erinnerungen an DDR-Geschichte historisch zu rahmen und damit geschichtskulturelle Repräsentationen zu hinterfragen. Zweitens ist DDR-Geschichtsforschung dann von Belang für die Disziplin der Zeitge-

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Bösch (2015): »Geteilt und verbunden«, 11. Vgl. Kaelble (2010): The 1970s in Europe. Radkau (2017): Geschichte der Zukunft und Seefried (2015): Zukünfte. Radkau (2017): Geschichte der Zukunft, 58. Radkau reklamiert mit dem Untertitel seines Buches, eine Geschichte der Zukunft in Deutschland von 1945 bis heute zu schreiben, wobei er die DDR nur am Rande und selten differenziert betrachtet. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass es gerade zum Zukunftsbezug in der DDR-Forschungen gibt, an die sich anknüpfen lässt. Radkau (2017): Geschichte der Zukunft, 16. Ebd., 58. Nolte (2006): Riskante Moderne, 50: Er erkannte von 1950 bis 1970 in Ost und West eine gleiche Phase von Euphorie und Planung, eine Zeit der »Prosperität«, des Zukunftsoptimismus, der Planung und Steuerung. So die provokant gestellte Frage von Lindenberger (2015): »Ist die DDR ausgeforscht?«.

Zukunft als Programm. Fazit und Ausblick

schichte, wenn sie über sich hinausweist, also eine Fall-Geschichte ist. In diesem Sinn versteht sich der abschließende Ausblick.

Gedächtnis-Asymmetrien vermitteln Das Erinnern an DDR-Geschichte ist nach wie vor gespalten und kontrovers. Das »Diktaturgedächtnis«, wie es der Zeithistoriker Martin Sabrow beschreibt,45 dominiert die Darstellungen der DDR in der heutigen Geschichtskultur. Es hat seine Fixpunkte in zentralen Daten wie dem 17. Juli 1953, 13. August 1961 und 9. November 1989. Die »Erinnerungsfigur« ist die der Diktatur, die Menschen unterdrückte und einsperrte und die in einer »friedlichen Revolution« überwunden wurde. Diese »Erinnerungsfigur« prägt zentrale Gedenkfeiern und ist das vorrangige Narrativ in Museen zur DDR-Geschichte, die an neuralgischen Orten der Diktatur (z.B. Berliner Mauer, innerdeutsche Grenze, Stasi-Gefängnisse, Jugendwerkhöfe) entstanden sind. Die Erinnerungen zahlreicher Ostdeutscher korrespondierten häufig wenig mit dem Diktaturnarrativ des öffentlichen Diskurses. Die Mehrzahl der in der DDR lebenden Menschen hatte keine unmittelbaren Erfahrungen mit dem Überwachungs-, Repressions- und Kontrollstaat DDR. Deren »Identitätsgedächtnis« entstand in Abgrenzung und Reaktion auf das »Diktaturgedächtnis«.46 Die Konflikthaftigkeit dieser Entwicklung lässt sich immer wieder in öffentlichen Debatten, in Ausstellungen an DDR-Erinnerungsorten, aber auch in der DDR-Geschichtsschreibung beobachten. Eine DDR-Forschung hat die Aufgabe, »Herrschaft als soziale Praxis« darzustellen und Aushandlungen, Grenzen, aber auch charakteristische Ausprägungen zu analysieren. Plausibel gemacht werden sollte, wie die alltäglichen Lebensbereiche der Menschen in der DDR mit den Herrschaftsansprüchen durchwoben waren und wie diese auf die Vorstellungen, Hoffnungen und Wünsche der Menschen in der DDR gewirkt hatten. Eine solche Forschung hat das Potenzial, die kontroversen Erinnerungen mit den geschichtskulturellen Darstellungen in einen Dialog zu bringen. Das Ziel ist nicht, bestimmte Erinnerungen – ob nun über Diktatur oder Alltag – zu untermauern beziehungsweise zu delegitimieren, vielmehr sollte das öffentliche Bewusstsein für die Diversität der Erinnerung geschärft und geschichtswissenschaftlich gerahmt werden.

Die Chance auf historische Tiefenbohrung nutzen Dass der größte Gewinn einer Gesellschaftsgeschichte des Kommunismus in der Analyse von »Herrschaft als sozialer Praxis« liegt, ist mittlerweile Konsens. Eine Herausforderung besteht nach wie vor darin, Strategien, Mechanismen und Dynamiken der Aushandlung von Macht im sozialen Raum konkret zu erfassen und zu beschreiben. Die Offenlegung der Quellen zur Geschichte der DDR, ihre scheinbar unüberschaubare Fülle, stellt sich hier als besondere Chance dar. Das ist nicht neu. Mikrostudien zu spezifischen Aspekten der Geschichte der DDR sind in großer Menge vor allem in den

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Sabrow (2010): »Die DDR erinnern«, 16. Zum Identitätsgedächtnis siehe Brauer (2015): »Keine Frage der Gefühle«, 87; Brauer/Zündorf (2019): »DDR-Geschichte vermitteln«, 377.

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1990er Jahren entstanden. Doch die zunehmende Ausdifferenzierung von historischen Methoden und Themen im Schnittfeld verschiedener kulturwissenschaftlich arbeitender Disziplinen begründet neue Forschungsinteressen. Die Herausforderung besteht darin, mit neuen Forschungssettings an bekannte Quellen heranzugehen, um die dominante Herrschaftsperspektive aufzubrechen und tatsächliche Aushandlungspraktiken von Herrschaft in den Blick zu bekommen. Das gelang in der vorliegenden Arbeit, indem erstens mit dem gesungenen Lied eine neue historische Quelle eingeführt wurde, das sich zweitens im Schnittfeld neuerer zeithistorischer Methoden (Geschichte der Gefühle und Historische Zukunftsforschung) analysieren ließ. Entlang des entwickelten Konzeptes der Zeitgefühle ließ sich weiterhin exemplifizieren, wie sich Überlegungen aus der Historischen Zukunftsforschung mit der Geschichte der Gefühle kombinieren lassen und welches heuristische Potenzial sie bieten. Mit diesem Forschungssetting konnten zum Teil bekannte Materialien zur Bildungs- und Jugendpolitik unter der Frage nach den Vorstellungen von Singen als Gefühlserziehung neu ausgewertet werden. Auf der Grundlage der Lieder sowie der ständigen Berichte, Auswertungen und Planungen, die das bildungs- und jugendpolitische System bis zum Beginn der 1970er Jahre selbstkritisch einforderte, ließ sich nicht nur en detail die Übersetzung dieser Planungen in konkrete Praktiken nachvollziehen, sondern auch darstellen, wie Beobachtungen und Planungen rückgekoppelt wurden. Somit kann Herrschaft als Aushandlungspraktik beschrieben werden.

Grenzüberschreitungen praktizieren Anhand einer spezifischen DDR-Forschung lassen sich Themen, Problemstellungen und Methoden formulieren und exemplifizieren, wie die vorliegende Arbeit zeigte. Davon ausgehend kann und sollte über die Ausweitung des Bezugsrahmens nachgedacht werden. Dabei sind transregionale oder transnationale Grenzüberschreitungen Richtung Osten und Westen denkbar. Impulse gibt es sowohl für eine deutsch-deutsche Zeitgeschichte als auch für eine vergleichende Kommunismusforschung. Mitte der 1970er Jahre wurden in der DDR Fortschrittsoptimismus und Zukunftseuphorie abgelöst von Ernüchterung, Stagnation und Resignation. Um das Jahr 1973 endete damit die lange Nachkriegszeit. Diese Entwicklung liegt auffallend parallel zu einer Zäsur in den westlichen Gesellschaften. Deren Entwicklung nach 1973 wird in Begriffen wie »Krise« und »Planungsernüchterung« gefasst. Dahingegen galten die Siebzigerjahre in der DDR als das »normalste« und stabilste Jahrzehnt. Dennoch lässt sich in Hinblick auf die Politik des radikalen Zeitregimes DDR davon ausgehen, dass die Siebzigerjahre vielmehr der Beginn der Transformationsphase waren. Langfristig führten Misstrauen, Enttäuschung und Ernüchterung zu einer Destabilisierung »von unten« und begründeten die Erosionserscheinungen, die erst zehn Jahre später sicht- und spürbar sein sollten. Inwiefern kann aus den 1970er Jahren die Dynamik von Unzufriedenheit und Instabilität hergeleitet werden und lässt sich daraus eine Vorgeschichte des politischen Umbruchs schreiben? Lassen sich parallele Entwicklungen in den anderen kommunistischen Gesellschaften beschreiben, die auf konflikthafte Zeitgefühle zurückgeführt werden können? Was waren parallele Entwicklungen zu oder Verflechtungen mit westlichen Gesellschaften? Was waren signifikante Unterschiede?

Zukunft als Programm. Fazit und Ausblick

Die drei Vorschläge erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Folgendes ist jedoch deutlich geworden: Erstens braucht es nach wie vor das Forschungsfeld der DDRGeschichte in Hinblick auf gegenwärtige geschichtspolitische und geschichtskulturelle Debatten. Zweitens lassen sich anhand der DDR-Geschichte Themenfelder abstecken, die die Geschichte ost- und westeuropäischer Gesellschaften miteinander verknüpfen. Drittens stecken in der Erforschung der DDR-Geschichte methodische Innovationspotenziale für die Zeitgeschichte. Somit bleibt die DDR-Geschichte auch 30 Jahre nach dem Ende ihres Gegenstandes ein vielversprechendes Forschungsfeld.

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Abbildungsverzeichnis Es wurde versucht, für alle verwendeten Abbildungen die Rechte einzuholen. In vielen Fällen war das nicht mehr möglich, weil sich für die Bestände der DDR-Verlage bei den Rechtsnachfolgern kaum Verantwortliche finden lassen. Für die erteilten Abbildungsrechte bedankt sich die Autorin. Cover: Bundesarchiv, Bild 183-K0513-1004-001, Fotograf Friedrich Gahlbeck: Kinderchor des Schulensembles im Estradenprogramm der Stadt Eilenburg, Mai 1971. Abbildung 1: Lied der neuen Jugend, in: Neues Leben, Januar (1946), S. 10. Abbildung 2: Heut ist ein wunderschöner Tag, in: Gruppenbuch der Bannspielschar Meißen, Sommer 1944, in: SLUB Nachlass Siegfried Köhler, Kapsel 2, o. Bl. Abbildung 3: Musikschulwerk 2, Deckblatt und Inhaltsübersicht, 1947. Abbildung 4: Walter Rohde und Walter Dehmel: Lied der neuen Jugend. Abbildung 5: Liederbuch der deutschen Jugend, 1946, Deckblatt und erste Seite. Abbildung 6: Siegfried Köhler: Wir lieben das fröhliche Leben. Abbildung 7: Fröhlich sein und singen. Lieder, Spiele und Geschichten für die Schüler und Pioniere der 1.-4. Klasse, Berlin: Kinderbuchverlag 1952, Titelblatt. Abbildung 8: Gottfried Wolters und Hannes Kraft: Freunde, laßt uns fröhlich loben. Abbildung 9: Karl Marx und Hermann Claudius: Jeden Morgen geht die Sonne auf. Abbildung 10: Jens Rohwer: Wer nur den lieben langen Tag. Abbildung 11: Siegfried Köhler: Heut ist ein wunderschöner Tag. Abbildung 12: Typische musikalische Phrase in Arbeiterliedern. Abbildung 13: Auflistung von thematischen Heimabenden mit Teilnehmerzahl (B = Buben; M = Mädel, H = Helfer); Abbildung aus Gerd Beck, Ortsgruppe Schwabach: Tagebuch der Jugendgruppe Die Falken, 1946-1948, in: AAJB SJD-MF-SC 22/0001. Abbildung 14: Gruppenbuch: Tagebuch der Jugendgruppe Die Falken, Ortsgruppe Schwabach, 1946-1948, AAJB SJD-MF-SC (Beck, Gerd 97/9) 22/0001, o. Bl. Abbildung 15: Rosebery d’Arguto und Hannes Marxen: Freude, ja Freude. Abbildung 16: Ludwig Landau-Wegner: Kommt, reicht Eure Hände. Abbildung 17: Erich und Herbert Giseler: Was stehst Du allein?

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

Abbildung 18: Hanns Eisler und Johannes R. Becher: Lied von der blauen Fahne. Abbildung 19: Joachim Werzlau und Gerhard Wolfram: Vorwärts. Abbildung 20: Erika Mertke: Kleine weiße Friedenstaube. Abbildung 21: Ursula Gröger: Über allen strahlt die Sonne. Abbildung 22: Herbert Keller und Hans Naumilkat: Unsre Heimat. Abbildung 23: Gert Natschinski und Manfred Streubel: Das Lied der jungen Naturforscher. Abbildung 24: Hanns Eisler und Johannes R. Becher: Heimatlied. Abbildung 25: K. Küstner: Wir wohnen alle in einem Haus. Abbildung 26: Erika Engel und Leo Spies: Heimatlied, aus Fröhlich sein und singen 4/1955, S. 2. Abbildung 27: Armin Müller und Günter Fredrich: Heimat, dich werden wir hüten, aus: Fröhlich sein und singen 9/1956, S. 20. Abbildung 28: Kurt Schwaen und Wera Küchenmeister: Wer möchte nicht im Leben bleiben. Abbildung 29: Hans Naumilkat und Hans-Georg Beyer: Gute Freunde. Abbildung 30: Zentrales methodisches Kabinett (1961): Für die Pionierräte, 4. Abbildung 31: Der Junge Pionier, Nr. 15, 11. April 1958, Titelblatt Abbildung 32: Kuba und Eberhard Schmidt: Thälmannlied, aus: Fröhlich sein und singen 6/1954, 2. Abbildung 33: Walter Krumbach und Gerd Natschinski: Wir tragen die blaue Fahne. Pioniermarsch. Abbildung 34: Eberhard Schmidt und Helmut Hauptmann: Ich trage eine Fahne. Abbildung 35: »Vorwärts zum II. Pioniertreffen, Dresden 1955«, aus: Bundesarchiv (2005): Für Frieden und Sozialismus, Nr. 2108 (Signatur: PlakY 3/434). Abbildung 36: Hans und Ilse Naumilkat: Auf zum Sozialismus. Abbildung 37: Siegfried Köhler: Unser Land kann uns vertrauen. Abbildung 38: Aktennotiz über die Lieder zur Popularisierung vor dem Deutschlandtreffen, 23. Januar 1963, in: BArch SAPMO DY24 6330, o. Bl. Abbildung 39: Joachim Werzlau und Karl-Heinz Thiele: Singe, Freie Deutsche Jugend. Abbildung 40: Erwin Thiele und Gerhard Pomeranz-Hedtke: Wir fahren nach Berlin. Abbildung 41: Ralf Petersen und Dieter Schneider: Wir singen schon heute die Lieder von morgen. Abbildung 42: Lotar Olias und Fritz Rotter: Wir. Abbildung 43: Kurt Kühne: Schreiben an den Kulturausschuss, Dresden 18. Februar 1964, in: BArch SAPMO DY 24 6328, o. Bl. Abbildung 44: Bernd Walther: Carpe Diem (Nutze den Tag), in: Wunderlich/Hönig (1968): Oktav Nr. 1, 16f. Abbildung 45: Hannes Stütz: Unser Marsch ist eine gute Sache. Abbildung 46: Hartmut König: Sag mir, wo du stehst. Abbildung 47: Ausschnitt aus Hartmut König: Sag mir, wo du stehst und Florence Reece: Which Side Are You on. Abbildung 48: Rolf Kuhl und Peter Hacks: Oktobersong. Abbildung 49: Der »Singeklub Oder-Neiße«, in: Neues Deutschland, 6. Juli 1972, 4. Abbildung 50: Paul Dessau und Jens Gerlach: Die junge Welt ist in Berlin zu Gast.

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Abbildung 51: Michael Höft/Rainer Neumann und Bernd Engel/Heinz Kahlau: Ist das klar! Abbildung 52: Oktoberklub: Wir treffen uns auf jeden Fall. Abbildung 53: Wolfram Heicking und Reinhold Andert/Hartmut König: Wir sind überall. Abbildung 54: Klaus Schneider und Heinz Kahlau: Frieden, Freundschaft, Solidarität.

Abkürzungen ABW Der studentische Kreis der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck AG Arbeitsgemeinschaft BBS Betriebsberufsschule BIP Bruttoinlandsprodukt BDM Bund Deutscher Mädel BL Bezirksleitung BStU Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik DDR Deutsche Demokratische Republik DEFA Deutsche Film AG DPZI Deutsches Pädagogisches Zentralinstitut DRK Deutsches Rotes Kreuz DS Dokumentenseite DTSB Deutscher Turn- und Sportbund DZVfV Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone DVV Deutsche Verwaltung für Volksbildung EOS Erweiterte Oberschule EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDJ Freie Deutsche Jugend FDGB Freier deutscher Gewerkschaftsbund FF Freiwillige Feuerwehr

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GST Gesellschaft für Sport und Technik HJ Hitlerjugend KPD Kommunistische Partei Deutschlands KVP Kasernierte Volkspolizei LP Langspielplatte LPG Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft MfK Ministerium für Kultur MfS Ministerium für Staatssicherheit MfV Ministerium für Volksbildung MWD Ministerium für innere Angelegenheiten der UdSSR(Ministerstwo wnutrennich del) NKWD Innenministerium der UdSSR (Narodnyj kommissariat wnutrennich del) NVA Nationale Volksarmee POS Polytechnische Oberschule PCK Petrolchemisches Kombinat SA Sturmabteilung SBZ Sowjetische Besatzungszone SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel Stalag Stammlager VEB Volkseigener Betrieb WHO World Health Organization ZK Zentralkomitee ZR Zentralrat ZIJ Zentralinstitut für Jugendforschung

Anhang

Quellenverzeichnis Überblick über die genutzten Archive und Bestände Archiv Akademie der Künste, Berlin (AdK) Anna-Seghers-Archiv Archiv der Akademie der Künste (Ost): AdK-O Dokumentationsfonds zum deutschsprachigen Theater Edith-Anderson-Schroeder-Archiv Hanns-Eisler-Archiv Lin-Jaldati-Archiv Perry-Friedman-Archiv Siegfried-Borris-Archiv Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR (VKM)

Archiv der Arbeiterjugendbewegung, Oer-Erkenschwick (AAJB) SJD-BS-BS SJD-Die Falken, Landesverband Berlin SJD-Die Falken, Unterbezirk Stuttgart SJD-Bundesvorstand Gruppenbücher

Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich Ebert Stiftung, Bonn (AdsD) Sammlung Flugblätter und Flugschriften Bestand Walter Auerbach Bestand Parteivorstand

Archivverbund Bautzen, Stadtarchiv (SAB) Abteilung Volksbildung: Tätigkeit der FDJ und des Jugendausschusses Abteilung Volksbildung: Jugendarbeit der FDJ Ortsgruppe Bautzen und des Jugendausschusses

Bundesarchiv – Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Berlin (BArch SAPMO) DC 900 (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst) DR 1 (Ministerium für Kultur) DR 2 (Ministerium für Volksbildung) DC 20 (Ministerrat der DDR) DY 24 (Freie Deutsche Jugend) DY 30 (Zentralkomitee der SED)

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Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (BStU) Bezirksverwaltung Berlin, Auswertungs- und Kontrollgruppe (BV Berlin AKG) Bezirksverwaltung Berlin, Kontrollratsdirektive (BV Berlin KD) Bezirksverwaltung Neubrandenburg (BV Neubrandenburg) Hauptabteilung IX (Untersuchungsorgan) Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund) SED KL (Kreisleitungen) Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG)

Deutsche Komponistenarchiv, Dresden (DKA) Nachlass Gerd Natschinski Nachlass Henry Kaufmann

Deutsches Rundfunk Archiv, Potsdam (DRA) Deutscher Fernsehfunk (DFF) Eigenproduktionen Berliner Rundfunk Rundfunk der DDR Hörerpost Schriftgutbestand Hörfunk

Privatarchive (PA) Jürgen Langhans (Karlsruhe)

Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, Dresden (SLUB) Nachlass Siegfried Köhler

Sächsisches Staatsarchiv Hauptstaatsarchiv, Dresden (HStA) Landesregierung Sachsen, Ministerium für Volksbildung (11401) FDJ Bezirks- und Stadtleitung Dresden (12484)

Stadtarchiv Erfurt (SA Erfurt) Bestände von Schulen Rat der Stadt Erfurt, Abteilung Volksbildung Rat der Stadt Erfurt, Stadtverordnetenversammlung Städtische Akten Verwaltungsakten

Anhang

Schulmuseum Leipzig (SML) Bestände von Schulen Bestand: Außerunterrichtliches Lehrmaterialien

Verzeichnis der verwendeten Zeitschriften und Periodika Zeitschriften (SBZ und DDR) Der Junge Pionier. Organ des Zentralrates der FDJ für die jungen Pioniere (Berlin: Verlag Junge Welt): 1948-1958. Der Pionierleiter. Zeitschrift für die Pionierbewegung und außerschulische Erziehung (Berlin: Verlag Junge Welt): 1950-1959. Die ABC-Zeitung für die jüngsten Leser (Berlin: Volk und Wissen): 1947-1950. Die Schulpost. Zeitschrift des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend für die jungen Pioniere und Schüler (Berlin: Verlag Junge Welt): 1946-1957. Die Unterstufe. Zeitschrift für sozialistische Bildung und Erziehung in den ersten vier Schuljahren (Berlin: Volk und Wissen): 1954-1969. FF DABEI Rundfunk- und Fernsehprogramm (Berlin: Berliner Verlag): 1967-1973. Forum. Zeitschrift der demokratischen Studenten Deutschlands. Organ des Zentralrats der FDJ für die deutschen Studenten (Berlin: Verlag Junge Welt): 1961-1975. Fröhlich sein und singen (Berlin: Verlag Junge Welt): 1952-1964. Jugendweihe. Zeitschrift für Mitarbeiter und Helfer (Berlin: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe in der DDR): 1955-1961. Junge Generation. Organ des Zentralrats der FDJ für das Verbandsaktiv (Berlin: Verlag Junge Welt): 1961-1975. Melodie & Rhythmus (Berlin: Lied der Zeit): 1966-1973. Musik in der Schule. Zeitschrift für Theorie und Praxis des Musikunterrichtes (Berlin: Pädagogischer Zeitschriften-Verlag): 1949-1960. Neues Leben. Magazin der Jugend (Berlin: Verlag Junge Welt): 1946-1949; 1966-1975. Trommel. Zeitung für Leser ab zehn (Berlin: Verlag Junge Welt): 1958-1965. Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung (Berlin: Deutscher Zentralverlag): 1953-1959. Volksmusik. Zeitschrift für das musikalische Laienschaffen (Leipzig: Friedrich Hofmeister Musikverlag): 1966-1970.

Zeitschriften (westliche Besatzungszonen und BRD) Der Ruf. Unabhängige Blätter der jungen Generation (München: o. V.): 1945-1949. Falkenruf. Mitteilungsblatt für »Die Falken« SJD, Bezirk Ostwestfalen-Lippe (Bielefeld: o. V.): 1948. Falkenrundbrief Praxis. Mitteilungsblatt für Helfer und Funktionäre der sozialistischen Jugendbewegung (Ludwigshafen: o. V.): 1947. Hausmusik. Zweimonatsschrift für Haus- und Kammermusik, Chorwesen und Musikerziehung (Kassel: Bärenreiter-Verlag): 1949-1955.

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Junge Gemeinschaft. Zeitung für die Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken (Frankfurt a.M.: Schaffende Jugend): 1948-1953. Junge Musik. Zeitschrift für musisches Leben in der Jugend. Mitteilungsorgan des Verbandes der Jugend- und Volksmusikschulen (Wolfenbüttel: Möseler): 1950-1957. Musik im Unterricht. Der Musikerzieher. Mitteilungsblatt der Vereinigung der Landesverbände Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer VLDTM sowie des Deutschen Kunststudentenverbandes, Fachgruppe Musik (Mainz: Schott): 1949-1955. Wir alle arbeiten mit der Jugend und für die Jugend (Berlin/Neuwied: Luchterhand): 19481955. Zeitschrift für Musik. Monatsschrift für eine stete geistige Erneuerung der Musik (Regensburg: Bosse): 1949-1955.

Zeitungen (SBZ und DDR) Berliner Zeitung (Berlin: Berliner Verlag): 1945-1979. BZ am Abend. Das Abendblatt des Berliners (Berlin: Berliner Verlag): 1961-1973. Das Volk. Tageszeitung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Berlin: Berliner Verlags-Anstalt): 1945-1946. Der Demokrat. Tageszeitung der Christlich-Demokratischen Union (Rostock: Deutscher Zeitungsverlag): 1945-1947. Junge Welt. Zentralorgan der FDJ (Berlin: Verlag Neues Leben): 1948-1951; 1961-1973. Neues Deutschland. Sozialistische Tageszeitung (Berlin: Verlag Neues Deutschland): 19461979. Neue Zeit. Berliner Tageszeitung für Deutschland (Berlin: Verlag Neue Zeit): 1945-1979. Sächsische Zeitung. Organ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Dresden: Dresdner Druck- und Verlagshaus): 1946-1950; 1952-1955. Thüringer Neueste Nachrichten. Das Blatt des Bezirksverbandes der National-Demokratischen Partei Deutschlands (Weimar: Thüringer Neueste Nachrichten): 1951-1961. Thüringer Tageblatt. Organ der Christlich Demokratischen Union (Berlin: Deutscher Zeitungsverlag): 1946-1947; 1951-1961. Volksstimme Dresden. Organ der SPD, Bundesland Sachsen (Dresden: o. V.): 1945-1946. Volkszeitung. Organ der Kommunistischen Partei Deutschlands für die Provinz Sachsen (Magdeburg: o. V.): 1945.

Zeitungen (westliche Besatzungszonen und BRD) Aachener Nachrichten (Aachen: Zeitungsverlag Aachen): 1945. Der Abend. Eine Zeitung für Berlin (Berlin: Verlag Der Abend): 1946-1948. Der Kurier. Unabhängige Zeitung. Berliner Börsen-Kurier (Berlin: o. V.): 1945-1948. Der Morgen. Berliner Allgemeine (Berlin: Der Morgen): 1945-1947. Der Spiegel (Hamburg: Spiegel-Verlag): 1961-1973. Der Tagesspiegel. Zeitung für Berlin und Deutschland (Berlin: Verlag Der Tagesspiegel): 19451947. Die Zeit (Wiesbaden/Hamburg/München: Zeitverlag Gerd Bucerius): 1946-1973. Frankfurter Allgemeine. Zeitung für Deutschland (Frankfurt a.M.: Frankfurter Allgemeine Zeitung): 1964-1973.

Anhang

Frankfurter Rundschau (Frankfurt a.M.: Druck- und Verlags-Haus Frankfurt a. M): 19451947. Frankfurter Rundschau. Unabhängige Tageszeitung (Frankfurt a.M.: Frankfurter Rundschau): 1973. Freie Presse. Tageszeitung für Bielefeld Stadt und Land (Bielefeld: Phönix GmbH): 1946-1948. Hannoversche Presse (Hannover: Hannoversche Druck- und Verlags-GmbH): 1946-1948. Neue Rheinische Zeitung. Für Düsseldorf, Bergisches Land, Niederrhein (Düsseldorf: o. V.): 1945-1946. Neuer Mainzer Anzeiger. Zeitung für Mainz und Rheinhessen (Mainz: o. V.): 1945-1947. Neuer Vorwärts. Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Hannover/Köln: Neuer Vorwärts-Verlag): 1948. Rheinischer Merkur. Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Kultur. Christ und Welt (Bonn: Verlag Rheinischer Merkur): 1946-1948. Spandauer Volksblatt. (Berlin: Berliner Wochenblatt Verlag): 1946-1947. Trierische Volkszeitung (Trier: Volksfreund): 1946-1948. Liederbücher und Liedhefte

Liedhefte und Liederbücher aus der SBZ und DDR Anonym (Hg.): Unser Lied, unser Leben. Eine Sammlung alter und neuer Lieder (Berlin: Dietz, 1947). Anonym (Hg.): Neues Liederbuch. Alte und neue Volkslieder (Erfurt: Thüringer Volksverlag, 1950). Anonym (Hg.): Liederbuch für die Vorschulerziehung (Berlin: Volk und Wissen, 1952). Anonym (Hg.): Hundert Lieder. Für Musikerziehung 4. bis 8. Schuljahr (Berlin/Leipzig: Volk und Wissen, 1953). Anonym (Hg.): Fröhlich singen, vorwärts schauen, zusammengestellt und bearbeitet von der Redaktion Musik in Zusammenarbeit mit einem Autorenkollektiv (Berlin: Volk und Wissen, 1958). Bimberg, Siegfried (Hg.): Treiben wir das Rad der Zeit. Neue Kinder- und Jugendlieder (3. Auflage, Leipzig: Friedrich Hofmeister Musikverlag, 1961). Bimberg, Siegfried (Hg.): Sing mit, Pionier. Liederbuch der Jungpioniere, in Zusammenarbeit mit der Abteilung Junge Pioniere des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend (4. Auflage, Leipzig: Friedrich Hofmeister Musikverlag, 1983). Borris, Siegfried (Hg.): Fangt fröhlich an. Musik in der Grundschule. 1.-4. Klasse (=Das Musikschulwerk, Band 2; Berlin/Leipzig: Volk und Wissen, 1950). Borris, Siegfried (Hg.): Lob der Musik. Musik in der Grundschule. 6. bis 8. Schuljahr (Berlin/Leipzig: Volk und Wissen, 1950). Borris, Siegfried (Hg.): Singt und Spielt. Musik in der Grundschule. 4. bis 6. Schuljahr (Berlin/Leipzig: Volk und Wissen, 1950). Borris, Siegfried/Heinrich Martens (Hg.): Musik in der Grundschule. Das Musikschulwerk. Band 2 (Berlin/Leipzig: Volk und Wissen, 1947). Borris, Siegfried/Heinrich Martens (Hg.): Musik in der Grundschule. Das Musikschulwerk. Band 3 (Berlin/Leipzig: Volk und Wissen, 1947).

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Borris, Siegfried/Heinrich Martens (Hg.): Musik in der Grundschule. Das Musikschulwerk. Band 2 (1. bis 4. Schuljahr) (Berlin/Leipzig: Volk und Wissen, 1950). Brock, Hella/Annina Hartung (Hg.): Musik. Lehrbuch Klasse 7 und 8 (3. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1973). Brock, Hella/Annina Hartung (Hg.): Musik. Lehrbuch für die Klassen 7 und 8 (3. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1975). Brock, Hella/Herbert Zimper (Hg.): Musik. Lehrbuch für die Klassen 7 und 8 (Berlin: Volk und Wissen, 1970). Bündig, Günter (Hg.): Neue Lieder erklingen. Ergänzungsheft zu den Musikbüchern der Klassen 5 bis 10 (Berlin: Volk und Wissen, 1963). Bündig, Günter (Hg.): Neue Lieder erklingen. Ergänzungsheft zu den Musik- und Chorbüchern der Klassen 4-8. Neunte Folge. Lieder für Thälmannpioniere (Berlin: Volk und Wissen, 1979). Bündig, Günter/Kurt Dittrich/Erhard Franz/Kurt Kühne/Christian Lange (Hg.): Wir singen, hören, lernen. Lehrbuch für den Musikunterricht. 1. Klasse (Berlin: Volk und Wissen, 1965). Bündig, Günter/Kurt Dittrich/Erhard Franz/Kurt Kühne/Christian Lange (Hg.): Wir singen, hören, lernen. Lehrbuch für den Musikunterricht. 2. Klasse (Berlin: Volk und Wissen, 1965). Bündig, Günter/Kurt Dittrich/Erhard Franz/Kurt Kühne/Christian Lange (Hg.): Wir singen, hören, lernen. Lehrbuch für den Musikunterricht. 3. Klasse (Berlin: Volk und Wissen, 1966). Bündig, Günter/Kurt Dittrich/Kurt Kühne/Christian Lange (Hg.): Musik. Lehrbuch für Klasse 3 (Berlin: Volk und Wissen, 1970). Bündig, Günter/Kurt Dittrich/Kurt Kühne/Christian Lange (Hg.): Musik. Lehrbuch für Klasse 2 (10. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1978). Bündig, Günter/Kurt Dittrich/Kurt Kühne/Christian Lange (Hg.): Musik. Lehrbuch für Klasse 2 (21. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1989). Bündig, Günter/Dieter Gleß/Wolfgang Haupt/Hans Vogel (Hg.): Musik. Lehrbuch für Klasse 4 (Berlin: Volk und Wissen, 1971). Busch, Werner/Karl Büse/Helmut Großmann/Lothar Höchel/Walter Müller (Hg.): Musik. Lehrbuch für die Klassen 5 und 6 (11. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1982). Eisler, Hanns/Johannes R. Becher: Neue deutsche Volkslieder (Leipzig: Friedrich Hofmeister Musikverlag, 1950). Fehske, Hans-Herbert/Siegfried Freitag/Hans Petzold/Wolfram Riesner/Karla Schöne/Gerd Stiehler (Hg.): Musik. Lehrbuch für die Klassen 5 und 6 (Berlin: Volk und Wissen, 1989). Fehske, Hans-Herbert/Günter Muck/Eberhard Schicker/Hans Stange (Hg.): Vom Frieden singen unsre Lieder. Chorbuch für die Klassen 11 und 12 (2. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1977). Freie Deutsche Jugend (Hg.): Liederbuch der deutschen Jugend (Berlin/Leipzig: Volk und Wissen, 1946). Geidel, F. M. (Hg.): Lieder und Chöre zur Feiergestaltung. Erste Folge (2. Auflage, Berlin/Leipzig: Volk und Wissen, 1950).

Anhang

Gieß, Dieter/Wolfgang Haupt/Hans Vogel (Hg.): Musik. Lehrbuch für Klasse 4 (18. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1988). Hartung, Annina (Hg.): Hell klingt unser Lied (7. durchgesehene Neuauflage, Berlin: Volk und Wissen, 1961). Hartung, Annina (Hg.): Unser Lied dem neuen Leben. Liederbuch für die 9.-12. Klasse der erweiterten Oberschule (Berlin: Volk und Wissen, 1963). Hartung, Annina (Hg.): Hell klingt unser Lied. Für die 5. und 6. Klasse (14. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1967). Hartung, Annina (Hg.): Komm, sing mit (18. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1968). Hartung, Annina (Hg.): Unser Lied dem neuen Leben. Liederbuch für die 9.-12. Klasse der erweiterten Oberschule (5. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1968). Hartung, Annina (Hg.): Frisch auf singt all ihr Musici (Berlin: Volk und Wissen, 1969). Hartung, Annina (Hg.): Fröhlich singen, vorwärts schauen. 9. und 10. Klasse, zusammengestellt und bearbeitet von der Redaktion Musik in Zusammenarbeit mit einem Autorenkollektiv (15. Auflage, Berlin: Volk und Wissen, 1970). Hartung, Annina/Erika Penner (Hg.): Hell klingt unser Lied (Berlin: Volk und Wissen, 1956). Hartung, Annina/Erika Penner (Hg.): Frisch auf singt all ihr Musici (Berlin: Volk und Wissen, 1957). Hartung, Annina/Erika Penner (Hg.): Hell klingt unser Lied (Berlin: Volk und Wissen, 1958). Hartung, Annina/Klaus Siegel (Hg.): Singt nun im Chor. Chorbuch für Mittelschulen (Berlin: Volk und Wissen, 1957). Hartung, Annina/Klaus Siegel (Hg.): Singt nun im Chor. Chorbuch für Oberschulen (Berlin: Volk und Wissen, 1959). Höchel, Lothar/Rüdiger Sell (Hg.): Liederbuch für die Klassen 5-10 (Berlin: Volk und Wissen, 1989). Kettwig, Herbert (Hg.): Internationale Arbeiterlieder und Lieder der Volksdemokratien. Für Einzelinstrumentalisten und kleine Instrumentalgruppen in Ferienlagern und Schulen (Berlin: Volk und Wissen, 1953). Köhler, Siegfried: Heut ist ein wunderschöner Tag. 20 Lieder und Instrumentalsätze, Ausgabe für gemischten Chor und Instrumente (Leipzig: Friedrich Hofmeister Musikverlag, 1984). Krauthoff, Irmgard/Frank Lutter/Gudrun Reichelt/Rüdiger See/Hans Vogel (Hg.): Musik. Lehrbuch für Klasse 2 (Berlin: Volk und Wissen, 1990). Lorenz, Ferdinand (Hg.): Komm, sing mit. Singfibel (Berlin: Volk und Wissen, 1954). Magistrat der Stadt Berlin, Abt. Kunst (Hg.): Singt alle mit! Lieder für Feier und Gemeinschaft (Berlin: Verlag Neues Leben, 1946). Rademacher, Heinrich/Hilde Rademacher (Hg.): Friede schafft der Mensch allein. Material für die Veranstaltungen zur Weihnachtszeit in Schulen, Betrieben, Pionier- und FDJ-Gruppen (2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin: Verlag Junge Welt, 1959). Schubert, Lothar (Hg.): Musik. Lehrbuch für die Klassen 11 und 12 (Berlin: Volk und Wissen, 1969). Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten in der Deutschen Demokratischen Republik (Hg.): Reicht euch die Hände. Liederbuch des Friedens, aus Anlass der 3. Weltfest-

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spiele der Jugend und Studenten für den Frieden, Berlin (Halle: Mitteldeutscher Verlag, 1951). Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hg.): Leben, Singen, Kämpfen. Liederbuch der Freien Deutschen Jugend, bearbeitet von: Lehrerkollektiv der Jugendhochschule am Bogensee, Eberhard Schmidt und Bert Augustin Dahmen (2. Auflage, Berlin: Verlag Neues Leben, 1949). Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hg.): Unter den friedlichen Fahnen woll’n wir uns mühen, musikalische Bearbeitung Gerhard Schlotter und Günter Kochan (Berlin: Verlag Neues Leben, 1951). Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, Abt. Junge Pioniere (Hg.): Wir singen neue Lieder (Berlin: Verlag Junge Welt, 1952). Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, Abt. Junge Pioniere (Hg.): Kommt und singt mit! Liedgut für die Gruppen der Jungpioniere (Berlin: Verlag Junge Welt, 1970). Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, Abt. Junge Pioniere (Hg.): Kommt und singt mit! Liedgut für die Gruppen der Jungpioniere (Berlin: Verlag Junge Welt, 1973).

Liedhefte und Liederbücher der FDJ-Singebewegung Anonym (Hg.): Kommt und singt mit. Neue Lieder zum VIII. Parlament und zum Pfingsttreffen der FDJ in Karl-Marx-Stadt, Liederheft III (Berlin: Verlag Junge Welt, 1967). Jugendstudio DT 64 des Berliner Rundfunks (Hg.): Das DT 64 Liederbuch (Leipzig: Friedrich Hofmeister Musikverlag, 1969). Jugendstudio DT 64 des Berliner Rundfunks (Hg.): Das zweite DT 64 Liederbuch (Leipzig: Friedrich Hofmeister Musikverlag, 1971). Jugendstudio DT 64 des Berliner Rundfunks (Hg.): Das dritte DT 64 Liederbuch (Leipzig: Friedrich Hofmeister Musikverlag, 1973). Krüger, Fred (Hg.): DDR-konkret. Lieder der Singebewegung (Berlin: VEB Lied der Zeit, 1976). Oktoberklub Berlin (Hg.): Octav. Oktoberklub Berlin. Alte und neue Lieder (Berlin: Selbstverlag, 1967). Oppel, Marianne (Hg.): Das vierte DT 64 Liederbuch (Leipzig: Friedrich Hofmeister Musikverlag, 1976). Oppel, Marianne (Hg.): Das fünfte DT 64 Liederbuch (Leipzig: Friedrich Hofmeister Musikverlag, 1978). Steineckert, Gisela: Wenn die Neugier nicht wär… Heitere Lieder aus den Singeklubs (Berlin: Eulenspiegel, 1970). Wunderlich, Roland/Bernhard Hönig (Hg.): Oktav Nr. 1 (Berlin: Verlag Junge Welt, 1968). Wunderlich, Roland/Bernhard Hönig (Hg.): Oktav Nr. 2 (Berlin: Verlag Junge Welt, 1968). Wunderlich, Roland/Bernhard Hönig (Hg.): Oktav Nr. 3 (Berlin: Verlag Junge Welt, 1968). Wunderlich, Roland/Bernhard Hönig (Hg.): Oktav Nr. 4 (Berlin: Verlag Junge Welt, 1968). Wunderlich, Roland/Bernhard Hönig (Hg.): Oktav Nr. 5 (Berlin: Verlag Junge Welt, 1968). Wunderlich, Roland/Bernhard Hönig (Hg.): Oktav Nr. 6 (Berlin: Verlag Junge Welt, 1969). Wunderlich, Roland/Bernhard Hönig (Hg.): Oktav Nr. 7 (Berlin: Verlag Junge Welt, 1969). Wunderlich, Roland/Bernhard Hönig (Hg.): Oktav Nr. 8/9 (Berlin: Verlag Junge Welt, 1970).

Anhang

Wunderlich, Roland/Bernhard Hönig (Hg.): Oktav Nr. 10/11 (Berlin: Verlag Junge Welt, 1970). Zentralrat der FDJ (Hg.): Agitprobe 73. Das Liederbuch der Freien Deutschen Jugend zu den X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1973 in Berlin, der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik (Berlin: Verlag Neue Musik, 1973).

Liederbücher aus den westlichen Besatzungszonen und der BRD Anonym: Taschenliederbuch für die arbeitende Jugend (Hannover: Schaffende Jugend, 1950). Alt, Michael/Joseph Eßer (Hg.): Musica. Musikbuch für Realschulen. 1. Band (Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann, 1953). Burkhardt, Hans/Walther Lipphardt (Hg.): Der Singer. Ein Liederbuch für Schule und Leben. Teil 1, unter Mitarbeit von Walther Pudelko (Kassel: Bärenreiter Verlag, 1949). Burkhardt, Hans/Walther Lipphardt (Hg.): Der Singer. Ein Liederbuch für Schule und Leben. Teil 3: Das Menschenleben (Kassel: Bärenreiter Verlag, 1949). Heer, Josef/Edgar Rabsch (Hg.): Musik. Ein Schulwerk für die Musikerziehung. Ausgabe A. Band II. Sing- und Musizierbuch (Frankfurt a.M.: Verlag Moritz Diesterweg, 1956). Heer, Josef/E.L. von Knorr/Edgar Rabsch (Hg.): Musik im Leben. Schulwerk für die Musikerziehung. Band 1. Ein Buch zum Singen und Spielen (4. Auflage, Frankfurt a.M.: Verlag Moritz Diesterweg, 1956). Höffer, Paul/Linde von Winterfeld (Hg.): Das Glockenspiel. Liederbuch für Schulen. Teil I (Berlin/Hannover: Pädagogischer Verlag Berthold Schulz, 1950). Höffer, Paul/Linde von Winterfeld (Hg.): Das Glockenspiel. Liederbuch für Schulen. Teil II (Berlin/Hannover/Frankfurt a.M.: Pädagogischer Verlag Berthold Schulz, 1951). Kernich, Fritz (Hg.): Singendes Volk. Lieder der Gemeinschaft, im Auftrag der AckermannGemeinde (Landsberg a. Lech: Heinrich Hohler Verlag, 1956). Kraus, Egon/Felix Oberborbeck (Hg.): Musik in der Schule. Band 1 Liederbuch (21. Auflage, Wolfenbüttel: Möseler Verlag, 1955). Lang, Hans (Hg.): Sing mit. Liederbuch für die Bayerischen Volksschulen. Unterstufe (München: Bayerischer Schulbuchverlag, 1946). Lang, Hans/Josef Lautenbacher/Waldemar Klink (Hg.): Sing mit. Liederbuch für Volksschulen (München: Oldenbourg Verlag, 1960). Menzel, Martin (Hg.): Auf, lasst uns singen (8. Auflage, Berlin/Bielefeld/Hannover: Cornelsen Verlag, 1950). Möll, Heinz (Hg.): Das Lied in der Schule. Beiheft II zu den Blättern für Lehrerfortbildung (Nürnberg: Verlag die Egge, 1950). Ose, Maria/Gusti Schimon (Hg.): Das kleine Liederbuch für Kindergarten und Haus (Bamberg: C. C. Buchners Verlag, 1953). Rabsch, Edgar (Hg.): Musik. Ein Schulwerk für die Musikerziehung. Ausgabe B. Band 1 für mittlere Schulen. Für das 7. und 8. Schuljahr (Hamburg: Otto Saale Verlag, 1950). Rabsch, Edgar (Hg.): Musik. Ein Schulwerk für die Musikerziehung. Ausgabe B. Band 2 für mittlere Schulen. Für das 9. und 10. Schuljahr (Hamburg: Otto Saale Verlag, 1950). Rabsch, Edgar/Josef Heer (Hg.): Musik. Ein Schulwerk für die Musikerziehung Ausgabe A. Band I. Teil 1. Musik zum Anfang. Eine Musikfibel (Frankfurt a.M.: Verlag Moritz Diesterweg, 1955).

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

Richter-Kendelbacher, Hilde (Hg.): Der singende Kreis. Liederbuch für gleiche Stimmen (Bad Godesberg: Voggenreiter Verlag, 1954). Rinderer, Leo (Hg.): Erstes Liederbuch für die Einführung ins Notensingen, unter Mitarbeit von Egon Kraus und Rudolf Schoch (Hamburg: Musikverlag Hans Sikorski, 1954). Schmidt, H. W./A. Weber (Hg.): Die Garbe. Ein Musikwerk für Schulen (Köln: Gemeinschaftsverlag P. J. Tonger und Westdeutscher Verlag, 1954). Schmidt, H. W./A. Weber (Hg.): Die Garbe. Ein Musikwerk für Schulen. Liederbuch für gleiche Stimmen (5. Auflage, Köln: Musikverlag Hans Gehrig, 1956). Schweizer, Gottfried (Hg.): Der Musikunterricht. Mit über 100 Notenbeispielen, schematischen Darstellungen und einer Bildbeilage (Hannover: Hermann Schroedl Verlag, 1957). Stoverock, Dietrich (Hg.): Singt und spielt. Musikbuch für Schulen. Erster Band (3. Auflage, Berlin/Bielefeld/Hannover: Velhagen und Klasing, 1954). Stoverock, Dietrich (Hg.): Singt und spielt. Musikbuch für Schulen. Zweiter Band (4. Auflage, Berlin/Bielefeld/Hannover: Velhagen und Klasing, 1955). Vollnhals, Rudolf (Hg.): Es tönen die Lieder. Liederbuch für Volksschulen. Teil II. Für die mittleren und oberen Jahrgänge mit Musikkunde (Darmstadt: Verlag Carl Merseburger, 1952). Weinstock, Wilm (Hg.): Froh und fleißig. Ein Kinderliederbuch (Berlin: Altberliner Verlag Lucie Groszer, 1949). Wenz, Josef (Hg.): Die Goldene Brücke. Volkskinderlieder für Haus und Kindergarten, Spielplatz und Schule (12. Auflage, Kassel: Bärenreiter Verlag, 1949). Wirsching, Gustav/Karl Aichele (Hg.): Unser Liederbuch für Württemberg, im Auftrag des Kulturministeriums von Württemberg-Baden, unter Mitarbeit von Hermann Feifel (Stuttgart: Ernst Klett, 1947).

Falkenliederbücher Albrecht, August: Unser Lied (Hamburg: Auerdruck, 1947). Amt für Jugendförderung beim Landesjugendamt Hamburg (Hg.): Fangt an und singt (Hamburg: Br. Sachse, 1946). Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Hg.): Liederbuch für unsere schaffende Jugend (Essen: Kunst im Westen, 1948). Fassel, Arthur: Wir singen! Eine Textliedsammlung für jung und alt (Offenbach/Main: Bollwerk-Verlag Karl Drott, 1946). Folge, Paul: Lieder der Jugend für Fahrt und Lager, hg. v. Württembergischer Landesjugendausschuß (Karlsruhe: Julius Mössinger, 1948). Ketels, Martin (Hg.): Liederbuch (10. Auflage, Köln: Bund-Verlag, 1984). Kreutz, Adam: Seekamplieder und andere Lieder zum Nachdenken, hg. v. Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken, Kreisverband Oberhausen (Rheinland) (Oberhausen: o. V., 1977). Naturfreundejugend Deutschlands (Hg.): Wir singen (Bonn: Schaffende Jugend, 1950). Naturfreundejugend Deutschlands (Hg.): Wir singen (Stuttgart: Freizeit und Wandern, 1957). Naturfreundejugend Deutschlands, Bundesjugendleitung (Hg.): Das Echo. Sonderausgabe (Bad Godesberg: Voggenreiter, 1957). Praetorius, Walter (Hg.): Vlotho-Liederbuch (Wolfenbüttel: Möseler Verlag, 1952).

Anhang

Prall, Kalli (Hg.): Taschenliederbuch für die arbeitende Jugend (Bonn: Schaffende Jugend, 1950). Prall, Kalli: Das Echo (Bonn/Bad Godesberg: Schaffende Jugend/Voggenreiter 1955). Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde Deutschlands (Hg.): Die Falken singen. Eine Auswahl von 100 unserer Lieder und Kanons (Berlin: Vorwärts Buchdruck, um 1930). Sarcander, Charlotte/Otto Longardt (Hg.): Lasst der Lauten Saiten klingen (Berlin: DreiPunkte-Werbe-Verlag, 1948). Sozialistische Jugendbewegung – Die Falken (Hg.): Die Falken singen. Eine Auswahl unserer Lieder (Hannover: o. V., 1946). Sozialistische Jugendbewegung – Die Falken (Hg.): Wir Falken singen (Bielefeld: Phönix, 1947). Sozialistische Jugendbewegung – Die Falken (Hg.): Singt das Glück der Jugendtage (Stuttgart: Volkswille, 1948). Sozialistische Jugendbewegung – Die Falken (Hg.): Lasst künden das Wort. Verse für Feste und Feiern der Falken, für den Handgebrauch unserer Falken, Helfer und Funktionäre (Stuttgart: Volkswille, 1948). Sozialistische Jugendbewegung – Die Falken, Bezirk Weser-Ems (Hg.): Falken singen. Liederbuch für Falkengruppen (o. O.: o. V., 1948). Sozialistische Jugendbewegung – Die Falken, Bezirk westliches Westfalen (Hg.): »Komm Bruder in die Mitte«. Liederbuch der sozialistischen Jugend, die Falken, Bezirk westliches Westfalen (Dortmund: Johannsmann & Co., 1948). Sozialistische Jugendbewegung – Die Falken, Kreisverband Unna (Hg.): Liederheft Nr. 1 der Falken Kreis Unna (Dortmund: Krawehl, 1946). Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken (Hg.): Zeltlager Lindenfels i. ODW. (o. O.: o. V., 1972). Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken (Hg.): Laut, schrill und manchmal leise. Das Liederbuch der SJD – Die Falken (Bonn: o. V., 1992). Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken, Kreisverband Bonn (Hg.): Falken-SongBuch (Bonn: o. V., 1975). Sozialistischer Deutscher Studentenbund, Gruppe München (Hg.): Neue Lieder (München: Selbstverlag, 1967). T. V. »Die Naturfreunde«. Bundesleitung Deutschland (Hg.): Wir singen. Alte und neue Lieder der Jugend (Bonn: Schaffende Jugend, 1955). Verlag Jungbrunnen (Hg.): International Songbook of the International Falcon Movement (Wien: Jungbrunnen, 1963).

Andere Liederbücher und Gedichtbände Claudius, Hermann: Jeden Morgen geht die Sonne auf (München: Langen/Müller, 1939). Degenhardt, Franz Josef: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Balladen, Chansons, Grotesken, Lieder (Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt, 1969). Der Freibund e. V. (Hg.): Fahrtenpaß – Liederbuch des Freibundes (Göttingen: Selbstverlag, 1995). Enzensberger, Hans Magnus: Verteidigung der Wölfe (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1957).

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

Hitler-Jugend Württemberg (Hg.): Wir schreiten über die Straßen. Lieder der Hitlerjugend, Heft 1 (Stuttgart: Union, 1934). Jöde, Fritz: Mein Lied für die Jugend. Gedichte von Hermann Claudius in Singweisen seiner Zeitgenossen (Wolfenbüttel: Möseler Verlag, 1958). Olias, Lotar: Eine Handvoll Reis (Hamburg: Edition Esplanade, 1966). Plock, Theodor (Hg.): Liederbuch der Wehrmacht. Die 138 meistgesungenen Soldatenlieder (4. Auflage, Reutlingen: Enßlin & Laiblin, 1939). Scharrenbroich, Alfons/Hugo W. Schmidt/Gottfried Wolters: Uns geht die Sonne nicht unter: Eine Auswahl der meistgesungenen Lieder der Jugend (Köln: Tonger, 1935).

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Freie Deutsche Jugend, Landesleitung Sachsen (Hg.): Die Grundrechte der jungen Generation (Dresden: Sachsenverlag, 1946). Freyer, Hans: Über die ethische Bedeutung der Musik (Wolfenbüttel: Kallmeyer, 1928). Fricke, Karl Wilhelm: Programm und Statut der SED vom 22. Mai 1976 (Köln: Verlag Wissenschaft und Politik, 1976). Friedländer, Ernst: Deutsche Jugend. Fünf Reden (Zürich: Niehans, 1945). Frisch, Manfred: »Das Lied in der sozialistischen Erziehung«, in: Musik in der Schule (1959), S. 193-197. Frisch, Manfred/Inge Lammel: Lebensnahe Musikerziehung interessant gemacht, hg. v. Ministerium für Volksbildung vom Zentralinstitut für Lehrerweiterbildung (Berlin: Volk und Wissen, 1957). Fuhrmann, Eberhard: »Wo liegt in der Arbeit mit Jungen Talenten der Schlüssel zum Erfolg?«, in: Junge Generation (1963), S. 29-30. Gesellschaft für Schulmusikforschung (Hg.): »Denkschrift zur Schulmusikerziehung. Ein dringender Appell«, in: Zeitschrift für Musik 112 (1951), Nr. 7, S. 365-368. Goebel, Kurt: »Die Deutsche Nationalhymne in der Schule«, in: Musik in der Schule (1950), Nr. 2, S. 49-52. Goes, Albrecht: Jugend unterm Schicksal. Lebensberichte junger Deutscher (Hamburg: Christian Wegner Verlag, 1950). Götsch, Georg: Musische Erziehung, eine deutsche Aufgabe. Dargestellt an der Arbeit des Musikheims in Frankfurt (Oder) (Frankfurt (Oder): Musikheim, 1940). Grimm, Jacob/Wilhelm Grimm: »Sehnsucht«, in: dies.: Deutsches Wörterbuch. Zehnten Bandes, erste Abteilung. Seeleben – Sprechen (Leipzig: S. Hirzel, 1905), S. 157. Groß, Wilfried: »Offen gesagt. Probleme der Jugendarbeit«, in: Wir alle arbeiten mit der Jugend für die Jugend (1950), Nr. 19, S. 25. Günther, Karl-Heinz/Gottfried Uhlig: Monumenta Paedagogica. Dokumente zur Geschichte des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik. Teil 1. 1945-1955, hg. v. Kommission für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Berlin: Volk und Wissen, 1970). H. B.: »Team4«, in: Neues Leben (1966), Juni, S. 48-50. H. B.: »Wir singen, weil wir jung sind…«, in: Neues Leben (1967), Mai, S. 35-37. Heer, Josef: »Musikerziehung heute. Zwei Vorträge zur Schulmusik«, in: Zeitschrift für Musik 112 (1951), Nr. 2, S. 58-70. Heydorn, Heinz Joachim: »Nestwärme schaffen – aber wie?«, in: Junge Gemeinschaft 5 (1953), November, S. 26-29. Hillmann, Eva-Maria: Das Massenlied. Seine historische und gesellschaftliche Funktion (Leipzig: Institut für Volkskunstforschung des Zentralhauses für Kulturarbeit, 1966). Hillmann, Eva-Maria: »Zur Situation des Liedgesanges«, in: Musik und Gesellschaft (1968), Nr. 11, S. 742-747. Hoffmann, Karl: »Wer ist für die musikalische Erziehungsarbeit in der Unterstufe verantwortlich?«, in: Die Unterstufe (1956), Nr. 10, S. 4-6. Hoffmann, Winfried: »Untersuchung zur Singebewegung«, in: Heinz Alfred Brockhaus, Konrad Niemann (Hg.): Sammelbände zur Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik (Berlin: Neue Musik, 1969), S. 295-324.

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Ministerium für Volksbildung: »Anweisung zur Verbesserung des Unterrichts in den Fächern Russisch, Turnen, Gesang und Zeichnen 124/55«, in: Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung 3 (1955), Nr. 19, S. 182-183. Ministerium für Volksbildung (Hg.): Lehrplan Gesang/Musik, 9. und 10. Klasse, Mittelschule (Berlin: Volk und Wissen, 1958). Ministerium für Volksbildung (Hg.): Lehrplan der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule (Berlin: Volk und Wissen, 1959). Ministerium für Volksbildung (Hg.): Lehrplan für Musik, Klasse 3 (Berlin: Volk und Wissen, 1969). Müller, Emil R.: Sonnige Jugend. Festgedanken und Feierstunden, hg. v. Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugend-Vereine Deutschlands (2. Auflage, Berlin: Vorwärts Buchdruck, 1921). Nägeli, Hans Georg: Gesangsbildungslehre nach Pestalozzischen Grundsätzen (Zürich: Nägeli, 1810), Reprint in: Reinhold Schmitt-Thomas (Hg.): MPZ-Quellen-Schriften, Zentralstelle für Musikpädagogische Dokumentation der J.-W. von Goethe Universität, Band 5 (Frankfurt a.M.: MPZ, 1986). Nickel, Peter: »In meinem Liede sind all meine Träume«, in: Neues Leben (1966), Mai, S. 36-39. Oppel, Marianne: »So singt man, so denkt man zum Beispiel an der Waterkant«, in: Neues Leben (1968), September, S. 22. Oppel, Marianne: »Verdienste um die FDJ Singebewegung«, in: Beiträge zur Geschichte des Rundfunks. Deutscher demokratischer Rundfunk 8 (1974), Nr. 1, S. 23-27. Organisationsbüro des 2. Pioniertreffens (Hg.): Programm für die Veranstaltungen zum 2. Treffen der Jungen Pioniere vom 12. bis 19. August in Dresden (Dresden: o. V., 1955). Pinther, Arnold: Pilzkopfstudie 1 (Leipzig: Zentralinstitut für Jugendforschung, 1968). Platon: Politeia. Dialogorum de Republica [Der Staat], nach der Übersetzung der Bücher I-V von Wilhelm Siegmund Teuffel, und der Bücher VI-X von Wilhelm Wiegand, in: Platon’s Werke. Zehn Bücher vom Staate (Stuttgart: Metzler, 1855). Proske, Rüdiger: »Aktivierung der deutschen Jugend«, in: Frankfurter Hefte 5 (1950), S. 913-915. Reimann, Marion: »Chansons an der Elbe«, in: Neues Leben (1967), August, S. 9-10. Rockstuhl, Harald (Hg.): Das Jugendgesetz der DDR 1974-1990. Gesetz über die Teilnahme der Jugend der Deutschen Demokratischen Republik an der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und über ihre allseitige Förderung in der Deutschen Demokratischen Republik – Jugendgesetz der DDR vom 28. Januar 1974 (Bad Langensalza: Rockstuhl, 2006). Rohwer, Jens: »Das neue Lied«, in: Junge Musik (1951), S. 206-208. Rumer, M. A.: Methodik des Musikunterrichtes in der Schule (Berlin: Volk und Wissen, 1955). Sass, Herbert: »Zur Notlage der Musikerziehung und Musikpflege, Forderungen im Bereich der Jugendpflege«, in: Junge Musik 4 (1954), S. 2-8. Sasse, Gertrud: »Das ›musische Klima‹ in der Jugendweihe«, in: Jugendweihe. Mitteilungsblatt (1959), Nr. 4, S. 4-5. Sauerbier, Hildegard: »Musische Erziehung«, in: Zeitschrift für Musik 112 (1951), Nr. 11, S. 573-576. Schade, Karin: »Den Singeklubs in die Werkstatt geschaut. FDJ-Singestudio Müritz will mit seinen Liedern wirksam werden«, in: Volksmusik (1968), Nr. 7, S. 21-22.

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Scheer, Regina: »Lieder zu den Weltfestspielen. Widerhaken oder Jubelverse?«, in: Forum (1973), Nr. 1, S. 2. Schimm, Günther: »Den Nerv der Zeit treffen!«, in: Volksmusik (1968), Nr. 4, S. 16. Schreiner, Kathi: »Bei der Musik wurde oft die kämpferische, sozialistische Aussage vermißt«, in: Jugendweihe. Miteilungsblatt (1959), Nr. 9, S. 6-7. Schulz, Jo: »Werkstattgespräche«, in: Melodie & Rhythmus (1968), Nr. 7, S. 24-25. Stanislau, Winfried: FDJ-Singebewegung. Erfahrung, Probleme, Tendenzen (Leipzig: Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR, 1972). Steineckert, Gisela: »Werkstattgespräche«, in: Melodie & Rhythmus (1968), Nr. 6, S. 24-27. Steineckert, Gisela: »Der Stand der Singe«, in: Forum (1969), Nr. 15, S. 12-13. Steineckert, Gisela/Joachim Walther: Neun-Tage-Buch. Die X. Weltfestspiele in Berlin. Erlebnisse, Berichte, Dokumente (Dortmund: Weltkreis-Verlags-GmbH, 1974). Steininger, Herbert: Mein Kind und unsere Welt. Über den Sinn der Jugendweihe in der DDR (Berlin: Dietz, 1961). Ulbricht, Walter: Die gegenwärtige Lage und die neuen Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Referat und Schlußwort auf der II. Parteikonferenz der SED, Berlin, 9. bis 12. Juli 1952 (Berlin: Dietz, 1952). Ulbricht, Walter: Dokumente zur Jugendpolitik der DDR. Mit dem vollständigen Text des Jugendgesetztes der DDR und des Jugendkommuniqués des Politbüros des ZK der SED (Berlin: Staatsverlag der DDR, 1965). Verband deutscher Schulmusiker (Hg.): »Zur gegenwärtigen Lage der Musikerziehung. Denkschrift«, in: Musik im Unterricht 1 (1949), S. 3-4. von Goethe, Johann Wolfgang: »Wilhelm Meisters Wanderjahre, 2. Buch«, in: Erich Trunz (Hg.): Goethes Werke (=Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Band 8; Hamburg: Wegner, 1950), S. 149-309. W. H.: »Karl-Marx-Städter Episoden«, in: Neues Leben (1967), Juli, S. 7-13. Wellm, Alfred: Kaule (Berlin: Kinderbuchverlag, 1962). Werner, Ursula: »Was aus der ›langweiligen Gesellschaft‹ wurde«, in: Pionierleiter 10 (1955), Nr. 10, S. 9. Zacher, Peter: »Werkstattgespräche«, in: Melodie & Rhythmus (1968), Nr. 5, S. 22-23. Zentralbüro der Jungen Pioniere (Hg.): Gelöbnis und Gesetze der Jungen Pioniere (Berlin: Verlag Neues Leben, 1949). Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (Hg.): Themenplan zur Vorbereitung auf die Jugendweihe (Berlin: Zentraler Ausschuss für Jugendweihe, 1955/56). Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (Hg.): Jugendweihe. Feiergestaltung (Berlin: Zentraler Ausschuss für Jugendweihe, 1956). Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (Hg.): Jugendweihe. Inhalte und Methoden der Jugendstunden. Teil A (Berlin: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe, 1957). Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (Hg.): Inhalt und Methoden der Jugendstunden. Teil C (Berlin: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe, 1957). Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (Hg.): Jugendstundenmaterial zum Thema. Auf dem Weg ins Weltall (Berlin: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe, 1962). Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (Hg.): Jugendstundenmaterial zum Thema. Der Sozialismus siegt (Berlin: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe, 1962).

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Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (Hg.): Jugendstundenmaterial zum Thema. Einen zuverlässigen Wegweiser braucht jeder Mensch – brauchst auch du! (Berlin: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe, 1962). Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (Hg.): Jugendstundenmaterial zum Thema. Unsere Republik – Vaterland der deutschen Jugend (Berlin: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe, 1962). Zentraler Ausschuß für Jugendweihe (Hg.): Chronik zur Geschichte der Jugendweihe, unter Mitwirkung der Pädagogischen Hochschule »Ernst Schneller« Zwickau (Berlin: Zentraler Ausschuß für Jugendweihe, 1989). Zentrales methodisches Kabinett (Hg.): Für die Pionierräte (2. Auflage, Berlin: Verlag Junge Welt, 1961). Zentralinstitut für Jugendforschung (Hg.): Umfrage 1966. Abschlußbericht (Leipzig: Zentralinstitut für Jugendforschung, 1967). Zentralinstitut für Jugendforschung (Hg.): Jugend und Internationalismus (Festivalstudie III), Kurzfassung (Leipzig: Zentralinstitut für Jugendforschung, 1974), www.ssoar.info/ssoar/dis cover ?query=Festivalstudie&submit=Go (Zugriff: April 2020). Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Hg.): Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats (Berlin: Dietz, 1954). Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands: »Der Jugend unser Herz und unsere Hilfe«, in: dass. (Hg.): Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariates (Berlin: Dietz, 1958), S. 11-33. Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hg.): Aufbau des Verbandes Junger Pioniere. Beschlossen auf der 18. Tagung des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend, 6. Februar 1949 (Potsdam: Märkische Druck- und Verlags-GmbH, 1949). Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hg.): Handbuch des Pionierleiters (Berlin: Verlag Neues Leben, 1952). Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hg.): Blaue Fahnen nach Berlin. Heimabendmaterial zur Vorbereitung des Deutschlandtreffens Pfingsten 1964 in Berlin (Berlin: Verlag Junge Welt, 1964). Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hg.): Geschichte der Freien Deutschen Jugend (2. Auflage, Berlin: Verlag Neues Leben, 1983). Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, Abteilung Junge Pioniere (Hg.): Frohe Ferientage für alle Kinder. Eine Richtlinie und Anleitung für Pionierleiter und Helfer zur Erziehungsarbeit in der Ferienzeit 1952 mit allen Jungen Pionieren und Schülern der DDR (Berlin: Verlag Neues Leben, 1952). Zentralrat der Freien Deutschen Jugend Berlin (Hg.): Auftakt 63 (Berlin: Volk und Wissen, 1963). Zentralsekretariat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Hg.): Der Kampf um die Deutsche Einheit 1848/1948. Programmhefte für sozialistische Feierstunden, Gedenk- und Erinnerungstage (Berlin: SED, Abteilung Parteischulung Kultur und Erziehung, 1948). Zentralrat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands: »Kommuniqué des Politbüros des Zentralkomitees der SED zu Problemen der Jugend vom 7. Februar 1961«, in:

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang

Plum, Jacqueline: Französische Kulturpolitik in Deutschland 1945-1955. Jugendpolitik und internationale Begegnungen als Impulse für Demokratisierung und Verständigung (Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag, 2007). Raabe, Thomas Nikolaus: »Die Jugendweihe als Instrument im Kampf zwischen Kirche und Staat in den 50er Jahren«, in: Horst Dähn, Helga Gotschlich (Hg.): »Und führe uns nicht in Versuchung…«. Jugend im Spannungsfeld von Staat und Kirche in der SBZ/DDR 1945-1989 (Berlin: Metropol, 1998), S. 46-59. Radkau, Joachim: Geschichte der Zukunft. Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute (München: Carl Hanser, 2017). Rauhut, Michael: Beat in der Grauzone. DDR-Rock 1964 bis 1972 – Politik und Alltag (Berlin: Basisdruck, 1993). Reddy, William: »Against Constructivism. The Historical Ethnography of Emotions«, in: Current Anthropology 38 (1997), Nr. 3, S. 327-331. Reimann, Brigitte: Ankunft im Alltag (Berlin: Verlag Neues Leben, 1961). Reimann, Gregor/Sophie Seher/Michael Wermke: »Die Schule ›pflegt die Verbundenheit mit der Heimat in Thüringen und Deutschland‹. Der Heimatbegriff im Bildungsauftrag des modernen Schulwesens«, in: Edoardo Costadura, Klaus Ries, Christiane Wiesenfeldt (Hg.): Heimat global. Modelle, Praxen und Medien der Heimatkonstruktion (Bielefeld: transcript, 2019), S. 237-280. Reimers, Astrid: »Vom Offenen Singen zum Rudelsingen«, in: Andreas Eichhorn, Helmke Jan Keden (Hg.): Musikpädagogik und Musikkulturen. Festschrift für Reinhard Schneider (=Musik – Kontexte – Perspektiven, Band 4; München: Allitera, 2013), S. 347-370. Reulecke, Jürgen: »Jugend und Jugendpolitik im mentalitätsgeschichtlichen Kontext der Nachkriegszeit in Westdeutschland«, in: Ulrich Herrmann (Hg.): Jugendpolitik in der Nachkriegszeit. Zeitzeugen, Forschungsberichte, Dokumente (Weinheim: Juventa, 1993), S. 75-97. Reulecke, Jürgen: »Zur Einleitung. Die Waldeck – ein ›Gedächtnisort‹!«, in: Hotte Schneider (Hg.): Die Waldeck. Lieder Fahrten Abenteuer. Die Geschichte der Burg Waldeck von 1911 bis heute (Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg, 2005), S. 7-9. Rieger, Eva: Schulmusikerziehung in der DDR (Frankfurt a.M.: Diesterweg, 1977). Riordan, Jim: »The Komsomol«, in: ders. (Hg.): Soviet Youth Culture (Basingstoke: Macmillan Press, 1989), S. 16-44. Rosenthal, Rob/Richard Flacks: Playing for Change. Music and Musicians in the Service of Social Movements (Boulder: Paradigm, 2011). Ross, Corey: The East German Dictatorship. Problems and Perspectives in the Interpretation of the GDR (New York: Oxford University Press, 2002). Rossow, Ina: »›Rote Ohren, roter Mohn, sommerheiße Diskussion‹. Die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 als Möglichkeit für vielfältige Begegnungen«, in: Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR (Hg.): Fortschritt, Norm und Eigensinn. Erkundungen im Alltag der DDR (Berlin: Ch. Links, 1999), S. 257-275. Roth, Alfred: Das nationalsozialistische Massenlied. Untersuchung zur Genese, Ideologie und Funktion (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1993). Roth, Lutz: Die Erfindung des Jugendlichen (München: Juventa, 1983). Rousseau, Jean-Jacques: Émile, ou de l’éducation (Paris: Nelson, 1762).

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Westen, Drew: The Political Brain. The Role of Emotion in Deciding the Fate of the Nation (New York: PublicAffairs, 2007). Westphal, Heinz: »Jugendverbände und der Deutsche Bundesjugendring auf dem Weg in die internationale Gemeinschaft«, in: Jürgen Reulecke (Hg.): Rückkehr in die Ferne. Die deutsche Jugend in der Nachkriegszeit und das Ausland (Weinheim: Juventa, 1997), S. 103-123. Wiegmann, Ulrich: Pädagogik und Staatssicherheit. Schule und Jugend in der Erziehungsideologie und-Praxis des DDR-Geheimdienstes (Berlin: Metropol, 2007). Wieland, Anke: »Zur Gestaltung von Schulfeiern und -ausstellungen in der DDR«, in: Prenzlauer Berg Museum für Heimatgeschichte und Stadtkultur (Hg.): Schule zwischen gestern und morgen. Beiträge zur Schulgeschichte von Prenzlauer Berg (Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren, 2002), S. 130-147. Wierling, Dorothee: »Die Jugend als innerer Feind. Konflikte in der Erziehungsdiktatur der sechziger Jahre«, in: Hartmut Kaelble, Jürgen Kocka, Hartmut Zwahr (Hg.): Sozialgeschichte der DDR (Stuttgart: Klett-Cotta, 1994), S. 404-425. Wierling, Dorothee: »Der Staat, die Jugend und der Westen. Texte zu Konflikten der 1960er Jahre«, in: Alf Lüdtke, Peter Becker (Hg.): Akten. Eingaben. Schaufenster. Die DDR und ihre Texte (Berlin: Akademie Verlag, 1997), S. 223-238. Wierling, Dorothee: »Über die Liebe zum Staat – Der Fall der DDR«, in: Historische Anthropologie 8 (2000), Nr. 2, S. 236-263. Wierling, Dorothee: Geboren im Jahr Eins. Der Jahrgang 1949 in der DDR. Versuch einer Kollektivbiographie (Berlin: Ch. Links, 2002). Wierling, Dorothee: »Die Bundesrepublik als das andere Deutschland«, in: Frank Bajohr, Anselm Doering-Manteuffel, Claudia Kemper, Detlef Siegfried (Hg.): Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik. Festschrift für Axel Schildt (Göttingen: Wallstein, 2016), S. 391-402. Wierling, Dorothee: »Die DDR als Fall-Geschichte«, in: Ulrich Mählert (Hg.): Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema (Berlin: Metropol, 2016), S. 205-214. Wilke, Manfred unter Mitarbeit von Martin Goerner und Horst Laude: SEDKirchenpolitik 1953-1958. Die Beschlüsse des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED zu Kirchenfragen 1953-1958 (Berlin: Forschungsverbund SED-Staat, 1992). Wilkendorf, Dieter: »Was bleibt? Die Kinderzeitschrift ›Fröhlich sein und singen – Frösi‹ im Erinnern und Nachdenken des Chefredakteurs«, in: Christoph Lüth, Pecher, Klaus (Hg.): Kinderzeitschriften in der DDR (Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, 2007), S. 139-151. Wimmer, Fridolin: Das historisch-politische Lied im Geschichtsunterricht. Exemplifiziert am Einsatz von Liedern des Nationalsozialismus und ergänzt durch eine empirische Untersuchung über die Wirkung dieser Lieder (Frankfurt a.M.: Peter Lang, 1994). Wulf, Christoph: »Memory, Mimesis and the Circulation of Emotions in Rituals«, in: Axel Michaelis, Christoph Wulf (Hg.): Emotions in Rituals and Performances (London: Routledge, 2012), S. 78-91. Zalfen, Sarah: »Wann sie singen, Seit‹ an Seit‹. Musik als emotionale und gemeinschaftsbildende Praxis auf Parteitagen der SPD«, in: Sven Oliver Müller, Jürgen Osterhammel, Martin Rempe (Hg.): Kommunikation im Musikleben. Harmonien und Dissonanzen im 20. Jahrhundert (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015), S. 119-138.

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Zuckermann, Moshe: »Konkreter und abstrakter Gesinnungskampf«, in: Melodie & Rhythmus (2015), Nr. 5, S. 78.

Medienverzeichnis Filme Ballmann, Herbert: Blaue Wimpel im Sommerwind, Dokumentarfilm über das Pioniertreffen in Dresden 1952, DDR 1952. Becker, Wolfgang: Good Bye Lenin!, BRD 2003. Carow, Heiner: Sie nannten ihn Amigo, DDR 1959. Engelbrecht, Hermann: Weltjugendfestspiele 1973. X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin, BRD 1973. Mätzig, Kurt: ›Immer Bereit‹, DDR 1950. Stempel, Jörg: ›Die junge Welt ist in Berlin zu Gast‹. Zusammenstellung von Filmdokumenten aus dem DRA, BRD 2013.

Platten/CDs Amiga: Werkstattwoche der FDJ Singeclubs, LP 1968. Amiga: Hootenanny mit Perry Friedman, LP 1966. Amiga: Hootenanny mit Perry Friedman 2, LP 1966. Bear Family Production: Hootenanny in Ostberlin, CD 2016. BMG Berlin Musik GmbH: Unser Zeichen ist die Sonne. Die schönsten Lieder der FDJ, Berlin 1999. BMG Berlin Musik GmbH: Fröhlich sein und singen. Die schönsten Pionierlieder, Berlin 1999. ETERNA: Die Solidarität geht weiter (Weltfestspiele der Jugend und Studenten, Berlin 1973), Berlin 1973. Pläne: Perry Friedman – I’m on my way – Amerikanische Negerlieder), LP 1963. Pläne: Perry Friedman – Solidarity forever. Amerikanische Arbeiterlieder, LP 1963. Pläne: Ça ira, LP 1962. Pläne: Ostersongs 62 63 Gegen die Bombe, LP 1963. Sony BMG Music Entertainment: Pioniere gehen voran. Die schönsten Pionier- und Kinderlieder der Welt, Berlin 2007. Topic Records: Songs against the Bomb, LP 1959.

Liedindex

In folgender Auflistung wurden alle Lieder übernommen, die in der Arbeit namentlich Erwähnung fanden. In Klammern findet sich das Jahr der frühesten Nennung des Liedes, denn das Entstehungsjahr ist häufig nicht eindeutig nachzuweisen. Soweit die Informationen vorhanden waren, befindet sich in Klammern weiterhin der/die Verfasser/-in und Komponist/-in. Zugunsten einer besseren Lesbarkeit wurde auf das Apostroph durchgängig verzichtet. A Abend in Orjol (1967, Hartmut König/Thomas Natschinski) 289 Aber Angela ist frei (1972, Oktoberklub) 327 Adelante Cubanos/»Marsch des 26. Juli« (1953, Agustín Diaz Cartaya/dt. Nachdichtung: Erwin Burkert) 284 Ade zur guten Nacht (1848, Satz: Joachim Kötschau) 72 Alle Vögel sind schon da (1837, Heinrich Hoffmann von Fallersleben/Julius Spengel) 11, 72, 222 Arbeitermarseillaise (1864, Jacob Audorf/auf die Melodie der Marseillaise) 71 As der Rebbe weijnt (jiddisches Volkslied) 283 Auf, auf zum Kampf (1914, unbekannt) 341 Aufbaulied der FDJ (1948, Berthold Brecht/Paul Dessau) 276, 339, 352f. Auf den Schultern tragen wir die Sonne ins Land (1964, Günter Fredrich/Armin Müller) 240

Aufgewacht Jungs! (circa 1970, Singeklub Oder-Neiße) 300 Auf, rote Falken, auf (1929, Oscar Bucek) 104 Auf zu den Sternen (1964, Bernd Walther) 242 Auf zum Deutschlandtreffen (1964, Juliane Wimmers) 245 Auf zum Sozialismus/Fröhlich sein und singen (1959, Ilse und Hans Naumilkat) 7f., 202f. B Bandiera Rossa (original italienisch: Carlo Tuzzi/Melodie eines italienischen Volksliedes/dt. Fassung: Peter Hacks) 284, 339, 341 Bau auf, bau auf (1947, Reinhold Limberg) 124, 351 Baut die Straßen der Zukunft (1967, Fritz Kracheel/Kurt Greiner-Pol) 295

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang Berlin wird wieder aufgebaut (1952, E. O. Jakob/Eberhard Franz) 73 Blaue Wimpel im Sommerwind (1952, Manfred Streubel/Gerd Natschinski) 159, 168, 177 Brüder, glaubet an das Morgen (1945, Max Nierich/Meinhardt Böhme) 12, 69, 72, 75 Brüder seht die Freiheitsfahne/Brüder seht die rote Fahne (1921, Edwin Hörnle/Melodie eines amerikanischen Arbeiterliedes) 185 Brüder, zur Sonne zur Freiheit (original russisch: Leonid Petrowitsch Radin/1917, dt. Fassung: Hermann Scherchen) 71f., 76, 104, 112, 134, 160, 284 Budjonny Reiterlied (original russisch: Dimitri und Daniel Pokrass/1936, dt. Fassung: Erich Weinert) 284 C Carpe Diem (1967, Bernd Walther) 253256, 296, 306 Casey Jones (1911, original amerikanisch: Joe Hill/1963, dt. Fassung: Heinz Kahlau) 284 D Das Lieben bringt groß Freud (1839, frei nach Friedrich Silcher/Satz: Rudolf Märkisch) 72 Dem Morgenrot entgegen (1907, Heinrich Eilderman/auf die Melodie des AndreasHofer-Liedes) 284 Den Kindern der Welt (1959, Johanna Kraeger/Siegried Bimberg) 166, 222 Der Jugend mehr vertrauen (1964, Georg Bothe/Herbert Kadler) 239 Der kleine Trompeter (1925, unbekannt/auf die Melodie von Von allen Kameraden) 15, 284, 355

Der Mond ist aufgegangen (1778, Matthias Claudius/Johann Abraham Peter Schulz/Satz: R. Krug) 8, 60, 72 Der Pioniergruß (1949, Karl August Walkotte) 70 Der rote Wedding (1929, Erich Weinert/Ernst Busch/Hanns Eisler) 284 Der Volkspolizist (1958, Johanna Kraeger/Sabine Müller) 166 Der Winter ist vergangen/Treue Liebe (15. Jh., Satz: Walter Rein) 72, 222 Der Zukunft entgegen (1930, Boris Kornilow/Dimitri Schostakowitsch) 71, 158 Deutsche Heimat, sei gepriesen (1949, Johannes R. Becher/Hanns Eisler) 167, 174 Deutschland, Du liebe Heimat (1951, Ilse und Hans Naumilkat) 167, 174 Die Blümelein, sie schlafen (Wilhelm von Zuccalmaglio/Satz: Johannes Brahms/Bert Augustin Dahmen) 72 Die junge Welt ist in Berlin zu Gast (1973, Jens Gerlach/Paul Dessau) 322, 328-331, 336f. Die Rose war rot (1966, Jürgen Degenhardt/Gerd Natschinski) 270 Die Solidarität geht weiter (1973) 337 Die Sturmglocke von Buchenwald (original russisch: A. Soboljew/Vano Muradeli/1962, dt. Fassung: Alexander Ott) 285 Die Zither lockt, die Geige klingt (circa 1878, Rudolf Baumbach/Ludolf Waldmann) 104 Doomsday Blues (1959, Fred Dallas). 265 Down by the Riverside (circa 1882, USamerikanischer Gospelsong) 260 Drei Zigeuner fand ich einmal (1911, Nicolaus Lenau/Theodor Meyer-Steineg) 72 Du hast ja ein Ziel vor Augen (1936, Louis Fürnberg/Gerhard Hadda) 71 Du und Du (1949, Charlotte Sarcander/Rudolf Barthel) 108, 171

Liedindex E Eindeutiges Vaterlandslied (1979, Jürgen Langhans/Songgruppe der TU Dresden) 313 Einheitsfrontlied (1934, Bert Brecht/Hanns Eisler) 259f., 276, 284, 288 Einheit und gerechter Frieden (1946, Lutz Wirth/Walter Joerk) 72, 77, 191 Ein Jäger aus Kurpfalz (um 1800, Volkslied) 260 Ein Männlein steht im Walde (1843, Heinrich Hoffmann von Fallersleben/Volksweise) 66 Ein neues Leben/Aus der Enge dieser Tage (1949, Walter Dehmel/Helmut Koch/Jean Kurt Forest) 70 Ernst Thälmann ist nicht tot (1961, Willi Layh/Ottmar Gerster) 185 Erwacht, die Ihr noch schlafend seid/Neue Zeit/Morgenruf (1946, Siegfried Borris) 67, 75, 77 Es geht um die Erde ein rotes Band (1972, Helmut Baierl/Joachim Werzlau) 336f., 339 Es muß doch wunderbar sein (1964, Wolfgang Lesser/Max Zimmering). 232, 239 Es rollen die Räder im ratternden Takt (1948, Eva Fritzsche/Eberhard Schmidt) 158 Es rosten die starken Maschinen/Das Lied der freien Jugend (1937, Kuba/Heinz Thiessen) 71, 79 Es war einmal ein Mädchen (1968, Thomas Natschinski) 289 Es waren zwei Königskinder (um 1800, dt. Volksweise) 267 Es zogen einst 5 wilde Schwäne (um 1900, Volksweise aus Schlesien) 267

F Festtag in unserer Republik (1959, Christian Lange) 166 Frau Krause trägt die Post heut aus (1954, Gertrud Neumann-Hechler/Fritz Prieß) 166 Freude, ja Freude (1929, Hannes Marxen/Rosebery d’Arguto) 104-106 Freunde, laßt uns fröhlich loben (1946, Hannes Kraft/Gottfried Wolters) 89f., 354 Freundschaft, Einheit, Frieden (1951, Herbert Keller/André Asriel) 313 Frieden, Freundschaft, Solidarität (1973, Heinz Kahlau/Klaus Schneider) 327, 335, 347 Frohe Jugend (1964, Roland Reißmüller/Hans Joachim Schulze) 239 G Geh mal zu Fuß durch unser Land (1968, Hartmut König) 311f. Gesang vom Lernen (1950, Johannes R. Becher/Hanns Eisler) 147 Give Ireland back to the Irish (1972, Paul McCartney) 281 Glück auf (um 1740, dt. Volkslied) 8, 65, 158 Gott hat die Bombe nicht gemacht (1964, Gerd Semmer/Dieter Süverkrüp) 267 Gute Freunde/Soldaten sind vorbeimarschiert (1962, Hans-Georg Beyer/Hans Naumilkat) 180 Guten Abend, guten Nacht (um 1900, Volkslied aus Jütland) 60, 72 Guten Abend, schön Abend (1953, Volksweise/Bearbeitung: Ilse und Hans Naumilkat) 222 Guten Tag, liebes Leben! Lied der Leuna-Jugend zum Deutschlandtreffen (1964, Ernst Zober/Wolfgang Hübel) 243 H Hallo, kleine Trümmerbahn (1952, Erika Engel/Hans Naumilkat) 73, 161

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang Hamse nich noch ein Quartier (1973, Kurt Demmler). 328 Hans-Beimler-Lied (1938, Ernst Busch/auf der Melodie von Ich hat einen Kameraden) 284f., 349f., 355 Hansjürgen steht am Schilderhaus/HansJürgen steht am Kasernentor (1965, Siegfried Grienig/Kurt Kühne) 180 Hebt unsere Fahnen in den Wind (1928, Anton Zickler/Michael Englert) 104 Heidenröslein (1771, Johann Wolfgang von Goethe/1829, Heinrich Werner) 72 Heimat, Dich werden wir hüten (1952, Armin Müller/Günter Fredrich) 176f. Heimatlied (1954, Erika Engel/Leo Spies) 173, 174f. Heimatlied (1950, Johannes R. Becher/Hanns Eisler) 171f. Heimweh (1955, original englisch: Dean Martin/1956, dt. Fassung: Dieter Rasch/Ernst Bader/Interpretation: Freddy Quinn) 144 Heute wollen wir das Ränzlein schnüren (1884, Reinhold Schaad) 65 Heut ist ein wunderschöner Tag (1944, Siegfried Köhler) 39f., 49f., 57-59, 72, 9295, 112, 210f., 222, 354 Hey li lee lo (1970, Oktoberklub) 296 Ho-Chi-Minh (1970, Kurt Demmler) 314 Hymne der demokratischen Weltjugend (1947, Lew Oschanin/Anatoli Nowikow/1949, dt. Fassung: Walter Dehmel) 17, 72, 76, 124, 160 I Ich trage eine Fahne (1956, Helmut Hauptmann/Eberhard Schmidt) 189-191, 356 I love you (1962, Beatles) 246 Im August, im August blühn die Rosen (1951, Armin Müller/Günter Fredrich) 260f. Im Märzen der Bauer (dt. Volkslied/Satz: R. Krug) 66, 72

In Dresden, juchei im August (1955, Richard Hambach/Hans Naumilkat) 193 Internationale (1871, Eugene Pottier/Pierre Degeyter/dt. Fassung: Emil Luckhardt) 71, 134, 160, 284, 334, 341 Ist das klar (1973, Heinz Kahlau/Michael Höft) 331f. J Jeden Morgen geht die Sonne auf (1938, Hermann Claudius/1949, Karl Marx) 8991, 354 Jetzt fängt das schöne Frühjahr an (19. Jh., dt. Volkslied) 72 Jetzt fahrn wir übern See (circa 1830, böhmisches Volkslied) 72 Joe Hill (1925, Alfred Hayes/1936, Earl Robinson) 269, 284 Jugend heraus (1946, Satz: Siegfried Köhler) 72, 75, 79-81 Junge Pioniere kennen nur eins, die Tat (1949, Will Vorphal) 73 Jung sein, heißt dabei sein (1964, Horst Becker) 232, 240 Jungvolk, Kameraden (1928, dänisches Jugendlied) 104 K Ketten werden knapper (1973, Gerulf Pannach/Peter Gläser) 316, 337, 340 Kleine weiße Friedenstaube (1952, Erika Mertke) 161-164, 191, 314f. Könnt ihr die blauen Wimpel sehen (1951, Hermann Werner Kubsch/Jean Kurt Forest/Joachim Werzlau) 161, 191 Kommt ein Vogel geflogen (circa 1820, Volkslied aus Österreich) 66 Kommt, reicht Eure Hände (1946, Ludwig Landau Wegner/Rudolf Barthel) 107110, 112 Kuckuck und Jägersmann (Volkslied aus dem bergischen Land) 72 Kurze Hosen (unbekannt) 79

Liedindex L Leute, wie ist denn die Lage? (1964, Wolfgang Lesser/Jens Gerlach) 240, 245 Lied, aus dem fahrenden Zug zu singen (1968, Kurt Demmler) 295 Lied der Naturforscher (1952, Manfred Streubel/Gerd Natschinski) 159, 161, 167-171, 174 Lied der neuen Jugend (1945, Walter Dehmel/Walter Rhode) 12f., 69, 72f., 75f., 82 Lied der Pioniere (1949, russisches Original: Z. Ssolobar/B. Mokroussow/dt. Fassung: Alexander Ott) 70 Lied vom Gängelband (1964, Günter Engelmann/Rudi Kirchhoff) 240 Lied vom Pflaumenbaum (1968, Kurt Demmler) 310 Lied vom Vaterland (1968, Kurt Demmler) 311f., 318, 320 Lied von der blauen Fahne (1950, Johannes R. Becher/Hanns Eisler) 72f., 118f., 121f., 137 Lied von der friedlichen Welt (1968, Hartmut König) 313f. Lied von der führenden Rolle der Arbeiterpartei (1972, Reinhold Andert/Michael Höft) 339 Lied von der unruhvollen Jugend (russisches Original: Lew Oschanin/Alexandra N. Pachmutowa/1958, dt. Fassung: Heidi Kirmße) 74, 76, 285 M Mein blaues Halstuch (1964, Willi Layh/Ernst Hermann Meyer). 166 Mein Bruder ist Soldat (1972, Manfred Hinrich) 182 Meine Heimat (1972, Gerhard Kern/Rainer Neumann) 311 Mutter, wie weit ist Vietnam (1967, Fritz Räbiger/Klaus Schneider) 314

N Nach Berlin (1964, Hasso Grabner/Leo Spies) 245 Nationalhymne der DDR (1949, Johannes R. Becher/Hanns Eisler) 33, 86, 144, 160, 198, 221 Needles and Pins (1977, Smokies) 281 Nun singt mir ein Lied (aus der Wandervogelbewegung) 104f. Nun will der Lenz uns grüßen/Lenzlied (13. Jh., Neidhardt von Reuenthal/moderner Satz: Walter Rein) 72, 222 O Oktobersong (1957, Peter Hacks/Rolf Kuhl) 292-294 One of these days (1971, Pink Floyd) 281 O Tannenbaum (1824, Ernst Anschütz/moderner Satz: Fred Lohse) 72 P Partisanen vom Amur (1922/1929, Sergei Alymow/Pjotr Partjonow/Dimitri Pokrass/dt. Fassung: Ernst Busch) 76, 284, 294 Pflüge, Traktor, pflüge das Feld (1946, Siegfried Borris) 67, 72, 75 Pioniere schaffen froh (1950, Gerd Schlotter/Renate Becher) 161 Pionierlied (1949, Karl Heinz Tuschel/W. Feine) 70 Pioniermarsch (1956, Walter Krumbach/Gerd Natschinski) 164, 188 R Ritter Träumerot (1964, Günter Fredrich/Armin Müller) 239 Rote Lippen soll man küssen (1964, dt. Fassung: Günter Geißler) 246 S Sag mir, wo Du stehst (1966, Hartmut König) 275f., 286-289, 291

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang Schema für die Anfertigung eines sonnigen Liedes über den Weg in die Zukunft (1970, Gisela Steineckert/Hartmut König) 296 Schneemann auf der Straße (1962, Werner Reinicke/Christian Lange) 222 Schön wird die Zukunft sein (1949, Alexander Ott) 70 Schwedtlied (1970, Jochen Opitz/Singeklub Oder-Neiße) 300 Schwesterlein, komm tanz mit mir (1893, Engelbert Humperdinck/Bearbeitung: Siegfried Borris/Satz: Hans Dörffel) 66 Seht, die weiße Taube fliegt (unbekannt). 178 Seht uns an (1964, Kurt Kühne) 242 Seit Du da bist (1969, Gisela Steineckert/Hartmut König) 309f. Silver machine (1972, Hawking) 281 Singe, Freie Deutsche Jugend (1964, Joachim Werzlau/Karl-Heinz Thiele) 232f., 239f. Sing, Soldat, Sing (original russisch: L. Nekrasowa/M. A. Doluchanjan/1967, dt. Fassung: Fritz Güttner) 294 Solidarity forever (1915, Ralph Chaplin) 269 Song vom Widerspruch (1964, Helmut Preißler) 240 Spannenlanger Hansel (Volkslied aus Österreich) 191 Spinning wheel (1968, Blood, Sweat & Tears) 281 Spottlied auf die Leineweber (Volkslied aus Hessen/Bearbeitung: Annina Hartung) 79 Strontium 90 (1959, Fred Dallas/1962, dt. Fassung: Gerd Semmer) 265 Sweet Lady Jane (1966, Rolling Stones) 281 T Tausendschönchen blühn nicht mehr (1962, Edith Berger/Gisela Hein) 222

Tausend Traktoren (1949, Hermann Scepanski/Günter Schruth) 160 Thälmannlied (1951, Kuba/Eberhard Schmidt) 11, 159, 184f., 187 To I Hola (1963, polnisches Volkslied/dt. Fassung: Marianne Graefe) 285 U Über allen strahlt die Sonne (1952, Ursula Gröger) 161-163 Unser alter Kapitän (original russisch: Vasilij Ivanovič Lebedev-Kumač/Isaak Ossipowitsch Dunajewski, 1951 dt. Fassung von unbekannt) 158 Unsere Hände (1949, Karl August Walkotte) 70 Unsere Lieder, Flammenchöre (1929, Hannes Marxen) 104 Unsere Träume (1967, Thomas Natschinski). 289 Unsere Volksarmee (1960, Siegfried Berthold/Kurt Greiner-Pol). 180 Unser Land kann uns vertrauen (1964, Siegfried Köhler) 209f., 239 Unser Marsch ist eine gute Sache (1964, Hannes Stütz) 265-267 Unsre Heimat (1951, Herbert Keller/Hans Naumilkat) 15, 72, 167f., 170f., 174, 311 Unsterbliche Opfer (1905, original russisch: W. G. Archangelski/N. N. Ikonnikow/dt. Fassung: Hermann Scherchen) 185 V Vaterlandslied (1972, Bernd Rump/Jürgen Magister) 311-313 Vaterlandslied/Kennst Du das Land (1973, Reinhold Andert/Reiner Böhm) 311-313 Verbesserungsvorschlag (1969, Reinhold Andert) 310 Vorwärts (1951, Gerhard Wolfram/Joachim Werzlau) 141f. Vorwärts junger Pionier (1949, Renate Becher/Martin Hofmann) 70

Liedindex Vorwärts, Vorwärts (1933, Baldur von Schirach/Hans-Otto Borgmann)

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W Wann wir schreiten Seit an Seit/Mit uns zieht die neue Zeit (1915, Hermann Claudius/1921, Michael Englert) 71f., 90, 104, 160, 284 Was machen wir zu Pfingsten (1967, Kurt Demmler) 274 Was stehst Du allein und weißt nicht wohin (1946, Erich und Herbert Giseler) 108f., 111 Weltuntergangsblues (1962, dt. Fassung: Gerd Semmer/auf der Melodie von Doomsday Blues) 265 Wem gehört die Zeit? (1964, Elke Schmidt/Henry Kaufmann) 241 Wenn alle Brünnlein fließen (um 1550, Volkslied aus Schwaben/moderner Satz: Fritz Jöde) 72, 222, 283, Wenn der Heinrich aber nicht mitsingt (1968, Gisela Steineckert/auf die Melodie von Wenn der Topf aber nun ein Loch hat). 307 Wenn die Arbeitszeit zu Ende (1914, Jürgen Brand/Michael Englert) 104 Wenn dieser Morgen kommt (1970, Dieter Süverkrüp) 300 Wenn Mutti früh zur Arbeit geht (1954, Erika Wihan/Kurt Schwaen) 166 Wer bin ich und wer bist Du (1967, Gisela Steineckert/Kurt Demmler) 309 Werktag (1967, Hartmut König/Thomas Natschinski) 289 Wer möchte nicht im Leben bleiben? (1959, Wera Küchenmeister/Kurt Schwaen) 179f., 285, 314, 353 Wer nur den lieben langen Tag (1944, Jens Rohwer) 92f., 112, 354 We shall overcome (US-amerikanisches Protestlied) 264, 269 Wie die Erde sich dreht (1973, Gisela Steineckert/Schier). 337

Wind, Wind, fröhlicher Gesell (1959, Ursula Gröger/Eva Richter) 222 Wir (1966, Fritz Rotter/Lother Olias) 237f. Wir fahren nach Berlin (1964, Erwin Thiele/Gerhard Pommeranz-Liedtke) 228, 234f., 239, 241 Wir gehen heute zu den Soldaten (1964, Kurt Kühne) 181f. Wir lieben unsere Heimat (1951, Susanne Spehr/Günter Kochan) 73, 146, 167 Wir schwingen die Sense (1946, Hermann Hein Wille/Ernst Lindenberg/weitere Fassung: 1947, A. H. Illing/Eberhard Schmidt) 72, 75f. Wir sind das neue Jahrhundert (1964, Hermann Fielko/Max Pietrzak) 242 Wir sind die Schmiede (1905, original russisch/1947, dt. Fassung von unbekannt) 71, 76 Wir sind jung (1964, Henry Kaufmann) 241, 244 Wir sind jung (1967, Jürgen Pippig) 310 Wir singen schon heute die Lieder von morgen (1964, Ralph Petersen/Dieter Schneider) 234, 236f., 247 Wir singen, weil wir jung sind (1967, Ulli Kolbe/Wolfgang Grahl/Eckardt Speetzen). 296, 315 Wir sind das Bauvolk (1929, Fritz Brügel/Hasso Grabner/Viktor Korda/moderner Satz: Siegfried Borris) 71 Wir sind jung, die Welt steht offen (1914, Jürgen Brandt/Michael Englert) 71, 96, 104 Wir sind jung und unsere Kraft (1949, Renate Becher/Martin Hofmann) 70, 158, 161 Wir sind überall (1973, Reinhold Andert/Hartmut König/Wolfram Heicking) 327, 331, 334f., 337 Wir treffen uns auf jeden Fall (1973, Kollektiv/traditionell) 331, 333, 337

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang Wir wohnen alle in einem Haus (1950, K. Küstner) 172f. Wir wollen zu Lande ausfahren (1912, aus der Jugendbewegung) 104 Which side are you on (1931, Florence Reece/auf die Melodie einer Baptistenhymne) 286-288 Wohlauf zu neuen Zielen (1949, Ludwig Lessen/Bert Augustin Dahmen) 70 Y Yankee go home (1969, Singeklub OderNeiße) 279, 297 You and Me (1973, Heinz Wille/Hermann Steglich). 336 Z Zum 1. Mai (1954, Agnes Krauskopf/2. Strophe Christian Lange/Inge Nied) 161 Zum Schulanfang (1950, Peter Franz) 147 Zur Heuernte/Heureigen (1782, Johann Heinrich Voß/Johann Abraham Peter Schulz) 72

Personenindex

A Adenauer, Konrad 87, 150 Adorno, Theodor 52, 101, 248 Alymow, Sergei 76 Anderson, Edith 260f. Andert, Reinhold 289, 298, 310-312, 327, 331f., 334, 337, 339-341 Apitz, Bruno 17 Archangelski, W. G. 185 Asriel, André 122, 164, 178, 313 Audorf, Jakob 71 B Bader, Ernst 144 Baez, Joan 283 Bahro, Rudolf 262 Baierl, Helmut 336 Barthel, Rudolf 107f. Baumann, Hans 50, 89, 91 Baumbach, Rudolf 104 Becher, Johannes R. 33, 73, 117-122, 147, 149, 167, 171f. Becher, Renate 70, 158, 161 Becker, Horst 232 Beimler, Hans 285, 349 Bentzien, Hans 249 Berger, Edith 222

Berthold, Siegfried 180, 323 Beyer, Hans-Georg 180f. Biermann, Wolf 231, 262, 317, 342, 345 Bimberg, Siegfried 166 Böhm, Reiner 311f. Böhme, Meinhardt 12 Borgmann, Hans-Otto 120 Borris, Siegfried 67, 69f., 72, 160 Brandt, Jürgen 71 Brandt, Willy 323 Brassens, Georges 262, 306 Brecht, Berthold/Bert 128, 259, 262, 276, 288, 295, 316 Bresgen, Cesar 68, 88f., 91 Brügel, Fritz 71 Bucek, Oscar 104 Burkert, Erwin 284 Busch, Ernst 284 C Claudius, Hermann 71, 88-91 Claudius, Matthias 8 Czechowski, Heinz 262 D d’Arguto, Rosebery 104, 106 Dahmen, Bert Augustin 70 Dallas, Fred 265

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Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang Davis, Angela 279, 315f., 327, 339 Degenhardt, Franz Josef 248, 264f., 268, 271, 278, 284, 291, 302 Degenhardt, Jürgen 270 Degeyter, Pierre 71 Dehmel, Walter 12f., 17, 70, 72f., 76, 228 Demmler, Kurt 274, 292, 295, 298, 309312, 314, 328 Dessau, Paul 128, 262, 276, 328-330, 337, 341 Diaz Cartaya, Agustín 284 Diekermann, Walter 68 Dunajewski, J. 158 E Eggers, Gerd 298 Eilderman, Heinrich 284 Eisler, Hanns 29, 73, 86, 117-122, 137, 147, 167, 171f., 259, 276 Engel, Bernd 331f. Engel, Erika 73, 173, 175 Engelmann, Günter 240, 262 Englert, Michael 71, 104 Enzensberger, Hans Magnus 248 F Fechner, Jörn 272, 289, 298 Forest, Jean Kurt 70, 161, 191 François-Poncet, André 128, 130 Franz, Eberhard 73 Franz, Peter 147 Fredrich, Günter 176f., 260 Friedländer, Ernst 41 Friedman, Perry 231, 235, 258-264, 267, 269-273, 275, 283, 299 Fritzsche, Eva 158 Fürnberg, Louis 71 G Geißler, Günter 246 Gerlach, Jens 328, 330 Gerster, Ottmar 185 Giseler, Erich 108

Giseler, Herbert 108 Gläser, Peter 316 Götsch, Gerhard 50f., 92 Grabner, Hasso 71, 245 Graefe, Marianne 285 Grahl, Wolfgang 296 Greiner-Pol, Kurt 180, 295, 232 Grienig, Siegfried 180 Gröger, Ursula 161f., 222 Grossmann, Victor 258-260 Grotewohl, Otto 153 Grünheid, Karl 246 Guthrie, Woody 258, 262 Güttner, Fritz 294 H Hacks, Peter 284, 292-294 Hadda, Gerhard 71 Hähnel, Hermann 259f., 270 Hambach, Richard 193, 204 Hartung, Annina 79 Hartung, Hugo 53, 164 Hauptmann, Helmut 190 Heicking, Wolfram 327, 334f. Hein, Gisela 222 Hensel, Walther 88f. Hermlin, Stefan 123, 261 Hinrich, Manfred 182 Hofmann, Martin 70, 158 Höft, Michael 298, 327, 331f., 339 Honecker, Erich 121, 250, 319, 321-325, 328, 338 Honecker, Margot 244, 246, 299, 325 Hübel, Wolfgang 243 J Jäger, Hans Ernst 264 Jakob, E. O. 73 Jaldati, Lin 259-261, 269f., 272 Jansen, Fasia 264f., 268 Jöde, Fritz 51f., 248 Joerck, Walter 72

Personenindex K Kahlau, Heinz 284, 327, 331f., 347 Kaufmann, Henry 241, 244 Keller, Herbert 15, 167f., 313 Kern, Gerhard 311 Kirchenwitz, Lutz 256, 272, 276, 299, 305 Kirchhoff, Rudi 240 Kirmße, Heidi 74 Kirsch, Rainer 228, 261 Kirsch, Sarah 261 Knab, Armin 68 Knorr, Wolter 68, 90 Koch, Helmut 70 Kochan, Günter 73, 146, 164, 178 Köhler, Siegfried 35, 39f., 49f., 55-63, 72, 76, 79, 81f., 92, 94f., 164f., 209f., 213, 222, 239, 335 Kolbe, Ulli 296 Kornilow, Boris 76 König, Hartmut 247, 273, 276, 286-289, 291, 296, 298, 309, 311, 313, 327, 334 Kracheel, Fritz 295 Kraeger, Johanna 166 Kraft, Hannes 89f. Krauskopf, Agnes 161 Kröher, Hein 268 Kröher, Oss 268 Krohmann, Odo 131 Krug, Manfred 262, 275 Krumbach, Walter 188 Kuba (Kurt Barthel) 71, 159, 185, 187 Kubsch, Hermann Werner 161 Küchenmeister, Wera 179 Kuhl, Rolf 292-294 Kühne, Kurt 180, 228, 242f. Küstner, K. 173 L Landau Wegner, Ludwig 107f. Lange, Christian 161, 166, 222 Lange, Fritz 153 Langhans, Jürgen 257, 277-283, 297, 300f., 303, 313, 328, 331, 340-342, 345f.

Layh, Willi 166, 185 Lessen, Ludwig 70 Lesser, Wolfgang 231f. Liebknecht, Karl 116 Limberg, Reinhold 124 Lindenberg, Ernst 72 Luckhardt, Emil 71 Lukowsky, Rolf 294, 298 M Maetzig, Kurt 122f. Magister, Jürgen 311f., 345 Mangelsdorf, Albert 264 Marx, Karl 89-91 Marxen, Hannes 104, 106 Matern, Hermann 171, 183 May, Gisela 259 McCartney, Paul 281 Mertke, Erika 161f. Mey, Reinhard 271,345 Meyer, Ernst Hermann 264, 266 Mielke, Erich 338 Modrow, Hans 259 Mokroussow, B. 70 Montand, Yves 262 Moßmann, Walter 271 Müller, Armin 176f., 260 Müller, Sabine 166 Muradeli, Vano 285 N Natschinski, Gerd 159, 164, 167, 169f., 177, 188, 222-224, 270, 289 Natschinski, Thomas 247, 286f., 298, 310f. Naumilkat, Hans 15, 73, 164-168, 170, 180f., 193, 202, 205 Naumilkat, Ilse 166f., 202 Neumann, Rainer 311, 332 Neumann-Hechler, Gertrud 166 Neuss, Wolfgang 264 Nied, Inge 161

425

426

Zeitgefühle Wie die DDR ihre Zukunft besang Nierich, Max 12, 69, 72 Nowikow, Anatoli 17 O Olias, Lother 236-238 Opitz, Jochen 300 Oppel, Marianne 260, 272f., 281, 299, 303, 305 Oschanin, Lew 17, 74, 76 Ott, Alexander 70, 285 P Pachmutowa, Alexandra N. 74, 76 Pannach, Gerulf 316 Partjonow, Pjotr 284 Petersen, Ralph 234-236 Pieck, Wilhelm 65, 75, 77. 116f., 143, 146, 161, 170, 191-194, 204 Pietrzak, Max 129 Pippig, Jürgen 310 Pokrass, Daniel 284 Pokrass, Dimitri 284 Pommeranz-Liedtke, Gerhard 234 Pottier, Eugene 71 Preißler, Helmut 240, 298 Prieß, Fritz 166 Pudelko, Walter 89 Q Quinn, Freddy 144, 235f., 238 R Räbiger, Fritz 314 Radtke, Erika 260 Rasch, Dieter 144 Reed, Dean 342 Rebling, Eberhard 258, 269-271 Reece, Florence 286, 288 Reimann, Brigitte 318 Rein, Walter 68, 89 Reinhold, Raimonde Conny 264 Reinicke, Werner 222 Reißmüller, Roland 239

Richter, Eva 222 Rohde, Walter 12f., 73f. Rohland, Peter 268 Rohwer, Jens 89, 91f., 94 Rotter, Fritz 236f. Rump, Bernd 298, 33-313, 345 S Sandig, Hans 118, 209 Sarcander, Charlotte 108 Savopoulos, Dionysios 262 Scepanski, Hermann 160 Schaad, Reinhold 65 Scherchen, Hermann 76, 185 Schirdewan, Karl 193f. Schlotter, Gerd 107 Schmidt, Eberhard 158f., 185, 187, 190 Schmidt, Elke 241 Schneider, Dieter 234-236 Schneider, Klaus 298, 306, 314, 327, 347 Schostakowitsch, Dimitri 62, 71, 76 Schroth, Christoph 15 Schruth, Günter 160 Schulze, Hans Joachim 229, 239 Schwaen, Kurt 166, 179 Seeger, Pete 257f., 283 Seghers, Anna 61 Semmer, Gerd 263, 265 Speetzen, Eckardt 296 Spehr, Susanne 73 Spies, Leo 173, 175, 245 Spitta, Heinrich 88f., 92 Steglich, Hermann 336 Steineckert, Gisela 255, 291f., 296, 298f., 307-310, 314f., 318, 322, 337, 341 Stoph, Willy 323 Stranka, Walter 228 Streubel, Manfred 159, 169 Stütz, Hannes 264-266 Süverkrüp, Dieter 263, 265, 267-268, 271, 284, 291, 300, 302 Süverkrüp, Ingrid 263 Szekely, Kati 259

Personenindex T Thälmann, Ernst 11, 116f., 143, 146, 183186, 188f., 191, 202, 204, 314, 355 Theodorakis, Mikis 306 Thiele, Erwin 234 Thiele, Karl-Heinz 232f. Thiessen, Heinz 71 Turba, Kurt 217, 226 Tuschel, Karl Heinz 70 Tuzzi, Carlo 284 U Ulbricht, Walter 56, 150, 157, 194, 199, 216, 219f., 244, 249, 319-321, 323, 325, 359 V van Veen, Hermann 345 von Goethe, Johann Wolfgang von Schirach, Baldur 120 Vorphal, Will 70, 73

6

W Wader, Hannes 271, 278, 302 Walkotte, Karl August 70 Walther, Bernd 243, 253, 298 Wandel, Paul 65 Wegner, Bettina 289, 292, 298, 309, 342 Wein, Siegfried 272, 288, 306 Weinert, Erich 276, 284 Werzlau, Joachim 141f., 161, 164, 191, 232f, 328, 336 Wihan, Erika 166 Wille, Heinz 336 Wille, Hermann Hein 72 Wirth, Lutz 72 Wolf, Christa 11f., 15, 349f., 355 Wolfram, Gerhard 141f. Wolters, Gottfried 89f.

Z Zickler, Anton 104 Zimmering, Max 189, 201, 228, 232 Zober, Ernst 243 Žukov, Georgij Konstantinovič 56

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