Zeichen und Subjekt im logischen Diskurs Hegels 9783787324545, 9783787324538

Hegels Auffassung vom Subjekt und von dessen Verhältnis zur Sprache ergibt eine gegenüber allen seinen Vordenkern neue K

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Zeichen und Subjekt im logischen Diskurs Hegels
 9783787324545, 9783787324538

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Meiner

José María Sánchez de León Serrano

Zeichen und Subjekt im logischen Diskurs Hegels

HEGEL-STUDIEN BEIHEFT 60

HEGEL-STUDIEN Herausgegeben von WALTER JAESCHKE UND LUDWIG SIEP Beiheft 60

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

ZEICHEN UND SUBJEKT IM LOGISCHEN DISKURS HEGELS

von JOSÉ MARÍA SÁNCHEZ DE LEÓN SERRANO

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7873-2453-8 ISBN E-Book 978-3-7873-2454-5

© Felix Meiner Verlag, Hamburg 2013. ISSN 0440-5927. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus Beltz, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

INHALT

Vorwort ..........................................................................................................

11

1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik als Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft ........................................................

13

§ 1 Über den Titel »Wissenschaft der Logik«; seine Beziehung zur kantischen Kritik der traditionellen Logik ...................... § 2 Die philosophische Wende Kants und ihre Fortentwicklung durch das hegelsche Projekt einer Wissenschaft des Logischen ...................................................... § 3 Die kantische Auffassung des Begriffes als interpretatorischer Schlüssel des hegelschen Ansatzes .......... § 4 Die Logik im Verhältnis zum historischen Stand der konkreten Wissenschaften .................................................. 1.2 Der Anfang des logischen Diskurses und die Suppositionen der Vorstellung ....................................................................................... § 5 Der Standpunkt des kreisförmigen Wissens ............................ § 6 Die Frage nach dem Anfang ...................................................... § 7 Anfang des logischen Diskurses und intellektuelle Anschauung ................................................................................. § 8 Einführung des Suppositionsbegriffes; einleitende Bemerkungen über seine Bedeutung und seine Operativität in der Logik .................................................................................. 1.3 Logisches Denken und Vorstellung: Aufgabe einer Logik als prima philosophia in Bezug auf die Zeichen machende Intelligenz ........................................................................................... § 9 Die Ambivalenz des Vorstellungsbegriffes .............................. § 10 Die Operation der Vorstellung und ihre Stufen ....................... § 11 Die Entstehung des Zeichens; das Gedächtnis und sein organischer Zusammenhang mit dem Denken ....................... § 12 Die Idee der vollbrachten Aneignung und die Entfaltung der Sache selbst ............................................................................

13

22 28 39

45 45 51 56

61

66 66 71 79 92

6

Inhalt

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses und die Struktur des Zeichens ........................................................................................... 101 § 13 Einleitende Bemerkungen .......................................................... a) Die Frage nach der Konstitution des logischen Diskurses; erklärende Anmerkungen über den Gebrauch des Ausdruckes »Achse« .................................... b) Der Zusammenhang zwischen der Metaphorizität der Vorstellungen und der Verschiedenheit signans-signatum c) Erwiderung auf einen möglichen Einwand; die Unterscheidung zwischen allgemeiner und reiner Apriorität ................................................................................ § 14 Erste Achse: Der Verstand .......................................................... a) Der Verstand und das Vorgefundensein der logischen Bestimmungen ...................................................................... b) Analytisches Deutlichmachen und die Sichselbstgleichheit der gegebenen Denkinhalte ............................... c) Die anfängliche Identität der logischen Inhalte mit sich und das metaphysische Modell des Inbegriffes der Realitäten ......................................................................... § 15 Zweite Achse: Die Dialektik oder das Negativ-Vernünftige ... a) Die Auflösung der suppositio und die Konfusion der Denkinhalte .................................................................... b) Dialektische Betrachtung des Paares RepulsionAttraktion ............................................................................... c) Die Dialektik als Kontinuität-schaffende Instanz und die Idee der vollbrachten Skepsis ........................................ § 16 Dritte Achse: Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige ........ a) Ununterscheidbarkeit und principium rationis ................. b) Bestimmtheit des Nichtigen und konstatierende Zusammenfassung der verflüssigten Bedeutungen; die spekulative Operation als reflektierende Aneignung c) Die Unvorstellbarkeit des Spekulativen und die Bedeutungslosigkeit des logischen Denkens .....................

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101 104

108 112 112 114

116 126 126 131 138 144 144

152 163

2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit .............. 168 § 17 Der Ausgang des logischen Diskurses: Die primären Zeichen »Sein« und »Nichts« ............................ 168 a) Bejahung und Verneinung als »pre-semantische Bestimmungen« der Logik ................................................... 168

Inhalt

b) Sein und Nichts als höchste genera; das Problem der metabasis zwischen den beiden und die Möglichkeit des logischen Anfangs .......................................................... c) Werden als erster konkreter Gedanke; die spekulative Auffassung der Wahrheit ..................................................... § 18 Allgemeine Bemerkungen über die Sphäre des Seins ............ a) Das Sein und das Element der Unmittelbarkeit ................ b) Anschauliche Evidenz und Gleichartigkeit: Die logische Umkehrung des Intuitionismus .................... c) Die Idee der Gleichgültigkeit gegen jede Grenze ..............

7

172 177 186 186 190 198

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt ....................................... 200 § 19 Einleitende Bemerkungen .......................................................... § 20 Der Begriff vom Wesen und der logische Actus der Reflexion ................................................................................ § 21 Die zwei Deutungen des Reflexionsbegriffes und ihre Vereinigung bei Kant; die Reflexion und das Subjekt ............ § 22 Der konstitutive Mangel der Verbindung durch nexus; die Struktur der Reflexion und der Gegensatz Intuition-Diskurs ........................................................................

200 203 209

215

2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit ................. 227 § 23 Die Wesenheiten: Die logische Umdeutung der allgemeinen Wahrheitskriterien ...................................................................... § 24 Der Fortgang von der reinen zur realen Vermittlung; die Auffassung des Wesens als Wirkprinzip ............................ § 25 Das Konzept der Manifestation und die expressive Auffassung der Verbindung durch nexus ................................. § 26 Die Wirklichkeit; die Kategorien der Relation und der Begriff von Macht ................................................................. § 27 Die spekulative Zusammenfassung der Wechselwirkung und der Abschluss der Wesenslogik ......................................... a) Der Begriff der Kausalität; die spekulative Virtualität des Zeichens »Begriff« .......................................................... b) Die Abschaffung der (kontingenten) Kluft zwischen dem Übergeordneten und dem Untergeordneten; der Begriff als das Freie ........................................................ c) Die endgültige Überwindung der nexus-Struktur und ihre Folgen .............................................................................

227 236 242 247 259 259

266 271

8

Inhalt

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts .......... 275 § 28 Einleitende Bemerkungen .......................................................... a) Kurze Rekapitulation der Ergebnisse und Plan des Kapitels ............................................................................ b) Der Begriff und der freie Wille ........................................... c) Der Begriff und das Ich ........................................................ § 29 Der Begriff als Subjekt ................................................................ a) Der Begriff in sich: Die logische Auffassung der Allgemeinheit als allumfassendes vehiculum ..................... b) Die freie Verendlichung des Begriffs; die Aporie der Reflexion anhand des Gegensatzes AllgemeinheitBesonderheit .......................................................................... c) Die Rückkehr des Begriffes in sich: Die Einzelheit ........... § 30 Schlussbemerkungen .................................................................. a) Der letzte Quellpunkt aller Tätigkeit .................................. b) Das Subjekt und der Diskurs ............................................... c) Die logische Auffassung des Subjekts und das Schicksal der Philosophie .....................................................................

275 275 277 279 284 284

295 305 316 316 321 325

Abkürzungsverzeichnis ................................................................................. 327 Literaturverzeichnis ...................................................................................... 329

A mis padres

VORWORT

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2009 von der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Die ursprüngliche Fassung wurde von mir bearbeitet und korrigiert. Ich möchte an dieser Stelle all denjenigen meinen Dank aussprechen, die mir bei der Entstehung dieser Arbeit geholfen haben. Zu ganz besonderem Dank bin ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hans Friedrich Fulda, verpflichtet. Seine engagierte Betreuung während der Promotionszeit und der Bearbeitung, sein Interesse an meiner Arbeit, seine wertvollen Hinweise sowie seine freundliche und vertrauensvolle Unterstützung haben wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Auch für seine tatkräftige Unterstützung bezüglich der Durchsicht und des Korrekturlesens des gesamten Manuskriptes bin ihm vom ganzen Herzen dankbar. Ebenso möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Martin Gessmann für die unkomplizierte Zusammenarbeit und für die freundliche Bereitschaft zur Übernahme des Zweitgutachtens bedanken. Weiterhin möchte ich Herrn Prof. Dr. Jens Halfwassen für den Vorsitz im Rahmen der Disputation danken. Mein Dank gilt ebenfalls den Herausgebern für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Dem Cusanuswerk möchte ich für die großzügige Förderung meiner Promotion besonders danken. Pater Dr. Thomas Rutte gilt ein großer Dank für seine Unterstützung und die inspirierenden Gespräche. Besonders danken möchte ich an dieser Stelle meinen Lehrern an der Universität von Barcelona Herrn Prof. Dr. Francesc Josep Fortuny (†), Herrn Prof. Dr. Salvi Turró und Herrn Prof. Dr. Felipe Martínez Marzoa. Ganz besonders dankbar bin ich meiner Familie und meinem Freundeskreis, die mich mit Geduld und Unterstützung im Laufe der Jahre begleitet haben. Für ihren Enthusiasmus und starken Rückhalt bin ich meiner Freundin, Erika Elizabeth Pinner, unendlich dankbar. All den Kollegen und Bekannten, die durch Gespräche und intellektuellen Austausch zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben, sei hiermit auch gedankt. Ein ganz besonderer Dank gebührt meinen Eltern, denen ich diese Arbeit widme. Ihre Ermunterung und immerwährende Unterstützung hat die Verwirklichung dieser Arbeit erst möglich gemacht. Dies gesagt, gilt es abschließend ausdrücklich festzuhalten, dass sämtliche Fehler, Versäumnisse und Auslassungen alleine in meiner Verantwortung stehen. Berlin, im Juli 2012 José María Sánchez de León Serrano

1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik als Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft

§ 1 Über den Titel »Wissenschaft der Logik«; seine Beziehung zur kantischen Kritik der traditionellen Logik Die Wissenschaft der Logik Hegels stellt sich als derjenige Diskurs vor, der die Bestimmungen des reinen Denkens zum Gegenstand seiner Betrachtung hat. Die Art dieses Diskurses hat den Anspruch, wie der Titel selbst zu verstehen gibt, wissenschaftlich zu sein. Dies bringt das Folgende mit sich: Wird das Logische – in einem noch zu klärenden Sinn – als die für jeden Wissensbereich gültige Gesetzmäßigkeit aufgefasst, dann muss nicht nur der Gegenstand der Betrachtung, sondern auch die Betrachtung selbst jener Gesetzmäßigkeit entsprechen. Wenn wir uns ausdrücklich auf »die« Logik beziehen, d. h. auf eine Gültigkeit, die jeglicher partikulären Gesetzmäßigkeit vorausgeht, dann müssen wir zwangsläufig annehmen, dass eine Betrachtung mit Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, welche diese Gültigkeit behandeln will, nicht nach einer ihrem Objekt heterogenen, fremden Wissenschaftlichkeit konstituiert sein kann. Aber welchen Sinn hat es dann, überhaupt von einer »Wissenschaft der Logik« zu sprechen? Denn, gibt es eigentlich eine andere Form, das Logische unter dem Namen »Logik« darzustellen, welche nicht wissenschaftlich ist? Es scheint allerdings pleonastisch zu sein, die Art des Diskurses mit dem Adjektiv »wissenschaftlich« einschränken zu wollen: Im Ausdruck »Logik« ist bereits diese Wissenschaftlichkeit implizit angedeutet, wie es bei den Ausdrücken »Physik« oder »Chemie« der Fall ist. Aber wenn das so ist, warum schreibt Hegel nicht einfach nach dem traditionellen Brauch »Logik«, anstatt »Wissenschaft der Logik«?1 Mit diesem Titel scheint Hegel andeuten zu wollen, dass es in der Tat möglich ist, die Logik unwissenschaftlich bzw. auf eine ihrem Gegenstand unangemessene Art darzustellen. Von dieser Logik, welche zur Zeit Hegels als – mit den Worten Kants – »demonstrierte Theorie« gilt, will sich Hegel gerade mit dem angehängten Ausdruck »Wissenschaft« distanzieren. Um die Problematik hinter dem Titel »Wissenschaft der Logik« besser verstehen zu können, müssen wir zunächst die Position Kants hinsichtlich 1

Außer »Logik« verwendete man zur Zeit Hegels auch Ausdrücke wie »Vernunftlehre« (Reimarus), »Theorie des Denkens« (Maimon), »Doctrina syllogistica« (Sulzer) oder »Dianoiologie« (Lambert), aber nicht »Wissenschaft der Logik«.

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

der Logik in Betracht ziehen. Das hegelsche Projekt einer Wissenschaft des Logischen nimmt sich gerade vor, gleichzeitig die Konsequenzen dieser Position zu ziehen und sich von derselben abzugrenzen. Bei Kant ist bereits eine eingehende Kritik an den herkömmlichen »Darstellungen der Logik« zu finden;2 die wesentlichen Züge derselben seien nun im Folgenden zusammengefasst. Vor allem richtet sich diese Kritik an den verbreiteten Glauben, die Logik hätte sich nach ihrer Geburt vermeintlich »materiell« weiterentwickelt.3 Aber die aus verschiedenen Wissensbereichen kommenden Elemente (vornehmlich aus der Psychologie, Metaphysik, Anthropologie, usw.), die ihr im Laufe der Zeit hinzugefügt worden sind, können nicht als eigentliche Erweiterungen der Logik betrachtet werden.4 Die Idee einer inhaltlichen/materiellen Erweiterung der Logik widerspricht eigentlich der Natur der Logik selbst, denn diese, als das System der Verstandesregeln »ohne Unterschied der Gegenstände«5 aufgefasst, kann lediglich allgemeine formale Kriterien der Wahrheit verleihen. Mit anderen Worten: Die Logik ist kein Organon des Verstandes, das ihm materielle, auf bestimmte Objekte bezugnehmende Kriterien für die inhaltliche Erweiterung der Erkenntnisse geben könnte, sondern ein Kanon, »um die Gesetze der Übereinstimmung des Verstandes mit sich selbst zu bestimmen«.6 Da die logischen Gesetze streng allgemein sind, d. h. vom Objekt unabhängig, und nur als solche die conditio sine qua non für jedes Verfahren des Verstandes ausmachen, kann man von ihnen nicht erwarten, dass sie den Fortschritt der Wissenschaften vorantreiben, denn das, was für einen bestimmten Gegenstand gilt, muss nicht notwendigerweise für einen anderen gelten.7 Aus dem Übersehen dieses Unterschiedes entsteht die illusorische Annahme des Dogmatismus, dass die Gegenstände sich bloß vermittels logischer Regeln erkennen lassen. An dieser Kritik interessiert uns momentan das Folgende: Nach Kant scheinen zwei Aspekte wesentlich miteinander verbunden zu sein, nämlich, dass die Logik nur ein Kanon der Vernunft sein kann und dass sie als ein solcher Kanon unfähig ist, im Wesentlichen erweitert oder vermehrt zu werden. Nach Kant sind die bisherigen »Darstellungen der Logik« zunächst als wissenschaftlich unrein anzusehen, weil sie, wie bereits gesagt, mit Elementen 2

Dazu siehe J. Vuillemin: »Reflexionen über Kants Logik«, in: Kant-Studien, Bd. 52, Heft 3, 1960–1961, S. 310–335. Hier: 310. 3 KrV B VIII–IX; Vgl. J. Vuillemin, ebd. 4 Vgl. J. Vuillemin, ebd.; KrV B VIII; WL I, 36. 5 Kant: Logik, A 4. 6 J. Vuillemin, a. a.O., 310–311; Vgl. Kant: Logik, A 5–6. 7 Kant: Logik., A 71: »Denn ein Erkenntnis, welches in Ansehung eines Objektes wahr ist, kann in Beziehung auf andre Objekte falsch sein.«

§ 1 Über den Titel »Wissenschaft der Logik«

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anderer Wissenschaften vermengt sind.8 Ihre »Unreinheit« besteht aber auch darin, dass sie falsche Ansichten über die wahre Natur der Logik enthalten, aus welchen u. a. ein unrichtiger Gebrauch der logischen Regeln folgt. In beiden Fällen bleibt dennoch die Logik als solche wesentlich intakt. Und das könnte nach Kant nicht anders sein, denn die Geburt der Logik als Disziplin musste notwendigerweise mit ihrer Vollendung zusammenfallen. Diese ursprüngliche Vollendung macht eine wesentliche Modifikation derselben unmöglich, und deshalb ist die Kritik Kants an den traditionellen Darstellungen eigentlich nicht gegen die Logik als solche gerichtet. Außer der Tatsache, dass die Logik als Kanon kein allgemeines materielles Kriterium der Wahrheit verleihen kann (weil so etwas »sogar in sich selbst widersprechend« ist9), gibt Kant einen weiteren Grund der frühen Vollendung der Logik an. Die Logik wird von Kant als »eine Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft« definiert.10 Das kantische Argument zugunsten der ursprünglichen Vollendung der Logik und der Unmöglichkeit ihrer inhaltlichen Erweiterung ist dann so konstruiert: Wenn der Verstand in der Logik »es mit nichts weiter, als sich selbst und seiner Form, zu tun hat«,11 dann musste er notwendigerweise, aufgrund dieser konstitutiven Begrenztheit (man könnte sogar sagen: Vertrautheit mit sich), das System seiner Gesetze früher als der Rest der Wissenschaften in einen beharrlichen Zustand bringen.12 Hätte der Verstand bei seiner Selbsterkenntnis mit anderen Objekten als sich selbst zu tun gehabt, dann hätte er zwangsläufig Zeit gebraucht, um die Schritte seiner sukzessiven Erweiterungen und neuen Erfindungen überhaupt durchlaufen zu können. Da es aber in der Logik lediglich um die Form des Denkens bzw. um das, ohne welches gar kein Denken möglich wäre, geht, sind bei ihr weitere Entwicklungen undenkbar.13 8

Vgl. J. Vuillemin, a. a.O., 310; KrV B VIII–IX: »Es ist nicht Vermehrung, sondern Verunstaltung der Wissenschaften, wenn ihre Grenzen ineinander laufen läßt; die Grenze der Logik aber ist dadurch ganz genau bestimmt, daß sie eine Wissenschaft ist, welche nichts als die formalen Regeln alles Denkens (es mag a priori oder empirisch sein, einen Ursprung oder Objekt haben, welches es wolle, in unserem Gemüte zufällige oder natürliche Hindernisse antreffen,) ausführlich darlegt und strenge beweiset.« 9 Kant: Logik, A 71. 10 Kant: Logik, A 7. 11 KrV B IX. 12 Ebd.: »Daß es der Logik so gut gelungen ist, diesen Vorteil hat sie bloß ihrer Eingeschränktheit zu verdanken, dadurch sie berechtigt, ja verbunden ist, von allen Objekten der Erkenntnis und ihrem Unterschiede zu abstrahieren, und in ihr also der Verstand es mit nichts weiter, als sich selbst und seiner Form, zu tun hat. Weit schwerer musste es natürlicher Weise für die Vernunft sein, den sicheren Weg der Wissenschaft einzuschlagen, wenn sie nicht bloß mit sich selbst, sondern auch mit Objekten zu schaffen hat; […].« 13 Kant: Logik, A 19: »In den jetzigen Zeiten hat es eben keinen berühmten Logiker

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

Nach dieser Auffassung muss sich die autonome Position der Logik in Bezug auf die konkreten Wissenschaften in ein historisches Vorausgehen und, noch wichtiger als das, in eine endgültig geschlossene doktrinäre Gestalt (welche, wie Kant bemerkt, »keinen Schritt vorwärts« tun kann)14 übersetzen. Andernfalls wäre die Selbstständigkeit der Logik verletzt, sofern sie an der faktischen Entwicklung der Wissenschaften gebunden wäre, was mit ihrem kanonischen Charakter kollidiert. Das, was, mit kantischen Worten, den »Vorhof der Wissenschaften«15 ausmacht, muss auch zeitlich früher als die konkreten Wissenschaften konstituiert sein und kann von denselben überhaupt nicht beeinflusst werden. Dieser Gedanke ist mit einem anderen innig verbunden, nämlich, dass es für die Vernunft irgendwie »einfacher« sein musste, ihre eigenen Gesetze zu entdecken und sie streng zu beweisen, als anderweitige Objekte nach Gesetzen zu bestimmen, wie es beim Rest der Wissenschaften der Fall ist.16 Leichter musste es für sie vor allem sein, weil ihre Gesetze und Regeln den Charakter der strengen Notwendigkeit besitzen, d. h. sie sind von keinem Objekt abhängig – sonst wären sie zufällig – und machen somit die notwendigen (aber nicht hinreichenden) Bedingungen der objektiven Wahrheit aus.17 Die Vernunft kann diese Regeln unmittelbar bei sich selbst finden, »bevor« sie sich an irgendein Objekt richtet. Untersuchungen anderer Art, wie z. B. nach dem Ursprung der Begriffe (obwohl über einen logischen Ursprung gesprochen werden kann), was kann der Verstand erkennen usw., fallen nicht in den Bereich der Logik, sondern in den der Metaphysik.18 Indem die Logik von diesen Aufgaben – welche, mit den Kants Worten, die »höchsten Zwecke der menschlichen Vernunft« ausmachen – enthoben ist, ist ihre Arbeit viel einfacher und einer früheren Vollendung fähiger. Aufgrund des notwendigen Charakters der Regeln, die sie darstellt, ist die Logik nach Kant »eine Doktrin oder demonstrierte Theorie«.19 Die Notgegeben, und wir brauchen auch zur Logik keine neuen Erfindungen, weil sie bloß die Form des Denkens enthält.« 14 KrV B VIII. 15 KrV B IX. 16 Vgl. KrV B IX. 17 Kant: Logik, A 72: »Diese formalen, allgemeinen Kriterien sind zwar freilich zur objektiven Wahrheit nicht hinreichend, aber sie sind doch als conditio sine qua non derselben anzusehen.« 18 Kant: Logik, A 7: »Ich werde in der Logik nicht fragen: Was erkennt der Verstand und wie viel kann er erkennen oder wie weit geht seine Erkenntnis? Denn das wäre Selbsterkenntnis in Ansehung seines materiellen Gebrauchs und gehört also in die Metaphysik. In der Logik ist nur die Frage: Wie wird sich der Verstand selbst erkennen?« 19 Ebd.; KrV B IX; B 78.

§ 1 Über den Titel »Wissenschaft der Logik«

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wendigkeit der Regeln dieser Theorie zu demonstrieren heißt hier so viel wie: Zeigen, »dass vermittels ihrer allein ein Gegenstand gedacht werden kann«.20 Der Gegensatz zu einer demonstrierten Doktrin wäre hiergegen ein Diskurs, der seine Elemente nicht streng beweist, sondern sie einfach nach willkürlichen, empirischen Regeln auffindet und ohne Methode zusammenstellt, also ein Verfahren eher nach der Methode der Induktion als der der Deduktion.21 Unklar ist aber in diesem Zusammenhang der Unterschied zwischen der Notwendigkeit der logischen Gesetze als solcher und der Notwendigkeit der wissenschaftlichen Darstellung selbst, welche diese Gesetze systematisch beweisen und ableiten muss. Wenn die Wissenschaftlichkeit der Logik als demonstrierte Theorie darin besteht, dass sie sich »lediglich mit den allgemeinen und notwendigen Gesetzen des Denkens überhaupt beschäftiget«,22 dann hängt ihre Wissenschaftlichkeit mehr von der Natur ihres Gegenstandes als von der Art ihrer Behandlung ab. Daraus erhellt, warum nach Kant die Logik sowohl ihren Beginn als auch ihre Vollendung als Wissenschaft mit Aristoteles gefunden hatte: Er »hatte keinen Moment des Verstandes ausgelassen«,23 d. h. es gibt keine notwendige Bestimmung des Denkens, die von ihm nicht abgedeckt und registriert wurde. Die einzige Unvollkommenheit, die bei diesem ihrem ursprünglichen Zustand zu finden ist, hat laut Kant nur mit einem Übermaß von »entbehrlichen Subtilitäten« zu tun, was die Gültigkeit des doktrinalen Kerns nicht im Mindesten betrifft.24 Die wissenschaftliche Vollendung wird in diesem Kontext mit der vollständigen Ausschöpfung von Inhalten identifiziert: Nur indem alle diese Inhalte entdeckt und formuliert werden, erreicht die Logik ihren endgültigen wissenschaftlichen Status, ganz unabhängig davon, ob die Betrachtung dieser Inhalte noch nicht die ihnen angemessene wissenschaftliche Form besitzt. Nach dieser frühen Fixierung kann sich eine Kritik an der Logik, so wie Kant sie vollzieht, lediglich gegen ihre noch unvollkommenen, aber in Ansehung der erreichten wissenschaftlichen Gültigkeit eigentlich 20

KrV A 97. An dieser Stelle der KrV wird das Beweisen im Kontext der Deduktion der Kategorien gebraucht, d. h. nur in Ansehung der auf Objekte gerichteten Verstandeshandlungen. Dennoch scheint uns hier die Synonymität, trotz der Verschiedenheit der Kontexte, gerechtfertigt: »Diese Begriffe nun, welche a priori das reine Denken bei jeder Erfahrung enthalten, finden wir an den Kategorien, und es ist schon eine hinreichende Deduktion derselben, und Rechtfertigung ihrer objektiven Gültigkeit, wenn wir beweisen können: daß vermittelst ihrer allein ein Gegenstand gedacht werden kann.« 21 Zur induktiven Methode siehe KrV B 106–107. 22 Kant: Logik, A 7. 23 Kant: Logik, A 18. 24 KrV B VIII; Vgl. Kant: Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren, 1762.

18

1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

unwesentlichen, methodischen Aspekte, oder gegen einen unrichtigen Gebrauch derselben richten, was eigentlich eher mit einer philosophischen Idee der Stelle der Logik innerhalb der Gesamtheit der menschlichen Erkenntnisse als mit ihrer inneren Beschaffenheit zusammenhängt. Mit diesem letzten, für unsere Untersuchung folgenreichen Aspekt beschäftigen wir uns im Folgenden. Dass es die Folge einer philosophischen Einsicht und nicht der Logik selbst sei, den wissenschaftlichen Gang der Logik als vollendet festzusetzen und ihr die Stelle eines Kanons des Verstandes zuzuschreiben, bedeutet, dass die dargestellte Idee der Logik von ursprünglicheren Grundvorstellungen bedingt ist, die ihre vermeintliche Autonomie als Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft in Frage stellen. Wie bereits bemerkt, bleibt die Logik nach Kant inhaltlich »unberührt« ganz unabhängig davon, ob sie als Kanon oder als Organon aufgefasst wird; die Fixierung ihres Ortes im System der Erkenntnisse ist ihr äußerlich. Das macht sie aber gar nicht autonom, sondern von einer bestimmten Idee des Wissens abhängig, die sie »gegen den Reichtum der Weltvorstellung, gegen den real erscheinenden Inhalt der anderen Wissenschaften«25 isoliert hält. Paradoxerweise fällt es nicht in die Zuständigkeit der Logik, als »Prinzipien- und Normenlehre aller Wissenschaften«26 konzipiert die theoretischen Grundannahmen zu hinterfragen, welche ihr einen bestimmten Platz neben anderen Wissenschaften zuweisen.27 In dieser Hinsicht ist das Folgende besonders hervorzuheben: Die Logik kann von solchen Grundannahmen und Voraussetzungen überhaupt nicht frei sein, wenn sie in dieser »unveränderlich tradierten« Form genommen wird, gleich, ob sie als ein Organon (Lambert) oder als ein Kanon (Kant) verstanden wird. Denn die Gültigkeit einer solchen Logik liegt darin begründet, dass die »Momente des Verstandes«, wie bereits gezeigt, von ihr vollständig abgedeckt sind. Die so aufgefasste Logik ist überhaupt nicht imstande, die Voraussetzungen, auf welchen sie beruht und welche ihr diese konkrete Gestalt geben, zum Gegenstand ihrer Untersuchung zu machen. Diesen Voraussetzungen gemäß wird die Logik als Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft ihren Anforderungen gerecht, indem sie die Strukturen, in wel25

WL I, 41. E. Husserl: Formale und transzendentale Logik (1929), 2. Auflage, Tübingen 1981, 14. 27 WL I, 42: »Die erste Bekanntschaft mit der Logik schränkt ihre Bedeutung auf sie selbst ein; ihr Inhalt gilt nur für eine isolierte Beschäftigung mit den Denkbestimmungen, neben der die anderen wissenschaftlichen Beschäftigungen ein eigener Stoff und Gehalt für sich sind, auf welches das Logische etwa einen formellen Einfluß hat, und zwar einen solchen, der sich mehr von selbst macht und für die wissenschaftliche Gestalt und deren Studium allerdings auch zur Not entbehrt werden kann.« 26

§ 1 Über den Titel »Wissenschaft der Logik«

19

chen »jedes menschliche denkende Wesen sich apriori findet«,28 bloß »transparent« macht.29 Diese Strukturen machen somit unhinterfragbare, jeglicher Denktätigkeit »vorgelagerte«30 Gegebenheiten aus, und als solche sind sie nicht nur für die Logik, sondern auch für den philosophischen Standpunkt selbst, auf welchem diese Logik basiert, konstitutiv nicht anders als durch bloßes Auffinden erforschbar. Daraus ergibt sich die fast unbedeutende Rolle der Logik in der philosophischen Diskussion: Die fundamentalen Fragen des Wissens sind nicht Sache der Logik, nicht nur weil die logischen Regeln von jeder philosophischen Position zwangsläufig vorausgesetzt werden müssen,31 sondern – hier ist der springende Punkt – weil diese fundamentalen Fragen nicht auf die innere Beschaffenheit des Denkens als solchen gehen. Die Logik vermag nicht die Funktion einer prima philosophia zu übernehmen, weil diese ihre »gegebenen Sachverhalte«32 direkt durch die von der Logik transparent gemachten Denkstrukturen untersucht, ohne dieselben zu prüfen. Logik und prima philosophia bleiben zwangsläufig verschieden, sofern das begreifende Denken in der prima philosophia mit etwas anderem als seinen eigenen Strukturen zu tun hat. Die Voraussetzung, dass dieses vorgegebene Andere »real« ist im Gegensatz zu den logischen Denkformen, reduziert die Logik auf eine bloße Normenlehre ohne philosophischen Charakter.

28

R. Brandt: Die Urteilstafel. Kritik der reinen Vernunft A 67–76; B 92–101, Hamburg 1991, 91. 29 R. Brandt, a. a.O., 92: »Wir ›haben‹ diese Formen und können sie daher in einer transzendentalphilosophischen Reflexion nicht ableiten, sondern nur auffinden und transparent machen.« 30 Wir lassen uns hier von der Ausdrucksweise von R. Brandt inspirieren (a. a.O., 91; Hervorhebung von mir, J. S): »Diese der cartesischen Subjektivität vorgelagerte Logik ist die Sphäre, in der sich der Mensch nicht mehr in einer (gemeinsamen) Raum-Zeit-Welt findet, sondern an einer gemeinsamen Erkenntnislogik partizipiert.« 31 So sagt Jäsche in seiner Vorrede zur Ausgabe der kantischen Logik (A XX–XXI): »Bei dieser allgemeinen Anerkennung der Richtigkeit der allgemeinen Logik ist daher auch der Streit zwischen den Skeptikern und den Dogmatikern über die letzten Gründe des philosophischen Wissens nie auf dem Gebiete der Logik, deren Regeln jeder vernünftige Skeptiker so gut als der Dogmatiker für gültig anerkannte, sondern jederzeit auf dem Gebiete der Metaphysik geführt worden. Und wie konnte es anders sein? Die höchste Aufgabe der eigentlichen Philosophie betrifft ja keineswegs das subjektive, sondern das objektive – nicht das identische, sondern das synthetische Wissen. – Hierbei bleibt also die Logik als solche gänzlich aus dem Spiele; und es hat weder der Kritik, noch der Wissenschaftslehre einfallen können – noch wird es überall einer Philosophie, die den transzendentalen Standpunkt von dem bloß logischen bestimmt zu unterscheiden weiß, einfallen können –, die letzten Gründe des realen, philosophischen Wissens innerhalb des Gebiets der bloßen Logik zu suchen und aus einem Satze der Logik, bloß als solchem betrachtet, ein reales Objekt herausklauben zu müssen.« 32 J. Kopper: Das transzendentale Denken des deutschen Idealismus, Darmstadt 1989, 4.

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

Die Umkehrung dieses Sachverhaltes, welche die hegelsche Logik vollzieht, wird gerade von Kant nahegelegt. Mit der sogenannten kopernikanischen Wende, die Kant in die Philosophie einführt, nähern sich Metaphysik und Logik einander an, indem die erste sich in eine »immanente Metaphysik der rationalen Anfangsgründe unserer Natur- und Selbsterkenntnis«33 verwandelt. Die bereits gegebene Definition der Logik als Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft wird somit auch für die Metaphysik selbst geeignet.34 Es handelt sich dennoch nicht um dieselbe Logik, welche (nach kantischer Auffassung) die Tradition seit Aristoteles uns »unverändert« überliefert hat, obwohl sie im wesentlichen Zusammenhang mit ihr steht. Diese neue Logik – von Kant bekanntlich »transzendental« genannt in Bezug auf die alte Transzendentalienlehre – hat ebenfalls die Verstandeshandlungen35 zu ihrem Gegenstand, aber im Unterschied zur allgemeinen Logik erforscht sie dieselben im Hinblick auf ihr Vermögen, Erkenntnis der Gegenstände ohne die Mithilfe der Erfahrung zu geben. Daraus erhellt, warum Kant mit solcher Entschiedenheit die Vollendung der allgemeinen Logik behauptet, denn von ihr als Kanon für die formale Übereinstimmung des Verstandes mit sich selbst ist keine befriedigende Antwort zu den dringenden Fragen der Metaphysik zu erwarten, sondern nur von einer »Logik der Wahrheit«,36 des Namens »transzendentale Logik«, welche an diese Fragen durch die »Entschlüsselung« der Natur unserer Vernunft herangeht. Die Irrelevanz der Logik in der philosophischen Diskussion ist darauf zurückgeführt worden, dass die prima philosophia ihre vorgegebenen Gegenstände durch die logischen Regeln direkt erforscht. Die Übereinstimmung des Verstandes mit seinen eigenen Regeln ist eigentlich, da sie ohne Unterschied der Gegenstände geschieht, wahrheitsindifferent.37 Keine Erkenntnis kann im Widerspruch mit den universellen Normen der Logik stehen, H. F. Fulda: »Spekulative Logik als die ›eigentliche Metaphysik‹. Zu Hegels Verwandlung des neuzeitlichen Metaphysikverständnisses«, in: D. Pätzold, A. Vanderjagt (Hrsg.), Hegels Transformation der Metaphysik, Köln 1991, S. 9–27. 12. 34 WL I, 35: »Die kritische Philosophie machte zwar bereits die Metaphysik zur Logik, […].« 35 Zur »Verstandeshandlung« (operatio mentis) als terminus technicus der Logik in der Zeit Kants siehe R. Brandt, a. a.O., 53–55. 36 KrV B 87. 37 Dazu siehe R. Stuhlmann-Laeisz: Kants Logik, Eine Interpretation auf der Grundlage von Vorlesungen, veröffentlichten Werken und Nachlaß, Berlin, New York 1976, 33: »Nun ›verlieren‹ zufolge unserer Interpretation (b) genau diejenigen Urteile ›alle Wahrheit‹, die mit keinem Gegenstand (möglicher Erkenntnis) übereinstimmen, denen also jedenfalls schon die ›transzendentale Wahrheit‹ fehlt. Dann aber verlieren diese Urteile eben auch die gewöhnliche Korrespondenz, insofern ›alle Wahrheit‹.« 33

§ 1 Über den Titel »Wissenschaft der Logik«

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aber gerade deshalb kann kein partikuläres Objekt anhand dieser Normen erkannt werden. Ebenso wenig kann eine Erkenntnis der transzendentalen Logik widersprechen,38 nicht aber aufgrund der Wahrheitsindifferenz, die der allgemeinen Logik eigen ist, sondern weil sie gerade die Prinzipien der objektiven Erkenntnis in der inneren-logischen Beschaffenheit unseres Denkens sucht. Im Unterschied zur allgemeinen Logik, bleibt diese Logik nicht außerhalb der metaphysischen Streite, denn diese betreffen das Verhältnis zwischen dem Erkennen und seinen Gegenständen, worauf die transzendentale Logik gerade ihre Aufmerksamkeit richtet.39 Infolgedessen kann diese neue Logik leisten, was die traditionelle Logik überhaupt nicht zu leisten vermochte und ihr eine irrelevante Position in den Wissenschaften bereitete, nämlich: als eine fundierende prima philosophia die »letzten Gründe« zu untersuchen und sich als die erste Wissenschaft an die Spitze des ganzen Systems der philosophischen Erkenntnisse zu stellen. Trotz dieser Wende auf die innere Beschaffenheit des Denkens hin, welche die Metaphysik zur Logik macht, ist die transzendentale Logik immer noch von der zugrundeliegenden Idee geleitet, dass das Interesse der Metaphysik sich auf die Erkenntnis von »realen Objekten« richtet und dass dieser definierende Zug sie der allgemeinen Logik als bloßer Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft entgegensetzt. Die innere Beschaffenheit des Denkens wird von der transzendentalen Logik im Hinblick auf dessen Vermögen untersucht, das »Reale«, als dem »bloß Logischen« entgegengesetzt, zu erkennen. Aus diesem Grunde erhält die allgemeine Logik bei Kant ihre Stelle »neben« der Metaphysik, der eigentlichen Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft, obwohl die transzendentale Logik in dieser 38

KrV B 87: »Der Teil der transzendentalen Logik also, der die Elemente der reinen Verstandeserkenntnis vorträgt, und die Prinzipien, ohne welche überall kein Gegenstand gedacht werden kann, ist die transzendentale Analytik, und zugleich eine Logik der Wahrheit. Denn ihr kann keine Erkenntnis widersprechen, ohne daß sie zugleich allen Inhalt verlöre, d. i. alle Beziehung auf irgend ein Objekt, mithin alle Wahrheit.« 39 Der Unterschied zwischen der vorkantischen und der kantischen Herangehensweise an dieses Verhältnis wird von J. Kopper sehr einleuchtend geschildert (Reflexion und Determination, Berlin 1976, 74): »Wenn das dogmatische Denken die Frage nach der Objektivität der Erkenntnis stellt, dann stellt es sie als die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem erkennenden Ich und den erkannten Dingen, es stellt sie nicht als eine Frage nach dem Beschaffensein des Erkennens in sich selbst. Eine positive Beantwortung der Frage nach der Objektivität des Erkennens ist dabei für das dogmatische Denken ebensowohl realistisch wie idealistisch möglich; es kommt nicht darauf an, welches der beiden Relata das bestimmende ist, sondern darauf, daß das Verhältnis als ein Verhältnis der Übereinstimmung aufgefaßt werden können (veritas est adaequatio intellectus et rei). Findet eine solche Übereinstimmung nicht statt, dann kann Erkenntnis nicht zur Objektivität gelangen.«

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

Selbsterkenntnis viel tiefer als die überlieferte »vollendete« Logik geht. Für eine Wissenschaft des Logischen bedeutet dies, dass sie sich einer radikaleren Erforschung entzieht, welche die Grundannahmen, worauf ihre marginale Rolle beruht, enthüllen würde. Die Voraussetzung, dass das »Reale«, dessen Beschaffenheit das metaphysische Denken zu erkennen strebt, einer Wissenschaft des Logischen nicht zugänglich ist, hat zur Folge, dass das Denken sich den Zugang zu der tiefsten und gründlichsten Selbsterkenntnis versperrt.40 Das »Vorausseyende«,41 das die Metaphysik als ihr inhaltliches Korrelat annimmt, ist eigentlich ein »Vorausgedachtes«, also der Abstand, welcher das Denken von seiner »Selbstdurchsichtigkeit« trennt. Die »vollendete« Logik erweist sich somit als ihrer Definition, Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft zu sein, unangemessen; als bloßes Verzeichnis »aller Momente des Verstandes« vermag sie nicht, das tiefste Eindringen der Vernunft in sich selbst zu vollziehen. Man kann sich also eine Wissenschaft des Logischen vorstellen, welche die allgemeine Logik in der Funktion der eigentlichen Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft ersetzt, und welche sich gleichzeitig als Untersuchung der »letzten Gründe« an die Stelle der Metaphysik und der transzendentalen Logik setzt. Eine solche Logik würde den Namen der ersten Wissenschaft, der Wissenschaft schlechthin, verdienen. Das Projekt Hegels besteht genau darin, diese Wissenschaft zu verfassen. Daher der Titel »Wissenschaft der Logik«, anstatt Logik«.

§ 2 Die philosophische Wende Kants und ihre Fortentwicklung durch das hegelsche Projekt einer Wissenschaft des Logischen Die transzendentale Logik unterscheidet sich von der allgemeinen Logik dadurch, dass sie konkret ist, indem sie »auf den Ursprung unserer Erkenntnisse von Gegenständen« geht.42 Als Vernunftlehre verliert dennoch die allgemeine Logik bei Kant ihre Rechte nicht. Es hat sich indes gezeigt, dass sie in ihrer »unveränderten tradierten« Form dem Denken den Zugang zu 40

Diese Aussage ist nicht als eine Charakterisierung des hegelschen Denkens gegen Kant zu verstehen, denn damit würde man den wesentlichen Unterschied zwischen Kant und der vorkantischen Philosophie vollends verwischen. Mit diesem Unterschied befassen wir uns ausführlicher im nächsten Abschnitt. Es handelt sich hier also um eine einleitende (und folglich noch erläuterungsbedürftige) Schilderung der Problematik hinter dem hegelschen Projekt einer Wissenschaft des Logischen. 41 H. F. Fulda: »Spekulative Logik …«, a. a.O., 24. 42 KrV B 80.

§ 2 Die philosophische Wende Kants und ihre Fortentwicklung

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einer wahren Selbsterkenntnis versperrt. Das Fehlende in der allgemeinen Logik, um eine »Logik der Wahrheit« und somit Untersuchung der »letzten Gründe« zu sein, ist bei Kant bekanntlich der Bezug auf die Erkenntnis von Gegenständen des Denkens. Dafür sollte das Denken mit etwas anderem als seinen eigenen Strukturen zu tun haben, was dem Wesen der Logik, wie wir gesehen haben, völlig widerspricht. Genauso wie bei Kant ist die überlieferte Logik für Hegel wesentlich formell, und als solche für eine logische Untersuchung unserer Erkenntnis des Wahren zwangsläufig ungeeignet. Worin aber soll nach Hegel die formelle Natur der überlieferten Logik bestehen, wenn die Beschränkung des Denkens auf sich selbst, welche einer Wissenschaft des Logischen eigen ist, kein Hindernis für die von Hegel konzipierte Logik sein soll, um prima philosophia zu sein? Anders gesagt: Was fehlt eigentlich der überlieferten Logik, um eine »Logik der Wahrheit« zu sein, wenn die Voraussetzung des »Vorausseyenden« für eine ungerechtfertigte bzw. nicht logisch gewährleistete Annahme erklärt worden ist? Worin besteht dann der »reale Bezug« der metaphysischen Überlegung, d. h. der Bezug auf das wahrhaft Erkannte im Erkennen selbst? Wie schon gezeigt worden ist, besteht die Wissenschaftlichkeit der allgemeinen Logik bzw. der Status derselben als »Doktrin oder demonstrierte Theorie« bei Kant darin, dass sie die notwendigen Denkstrukturen, ungeachtet des Unterschiedes der Gegenstände, bloß auffindet und »transparent« macht.43 Diese Auffassung der Wissenschaftlichkeit der überlieferten Logik ist nun nach Hegel gerade dasjenige, was sie wissenschaftlich mangelhaft macht und ihn dazu führt, wie bereits gezeigt, sein Projekt »Wissenschaft der Logik« zu betiteln. Der wissenschaftliche Kern der Logik bleibt nach Kant durch ihre Überlieferung, trotz seiner Kritik an den traditionellen Darstellungen der Logik, wesentlich intakt, weil die logische Wahrheit gegenüber ihrer Darstellung völlig indifferent ist. Die Gültigkeit der allgemeinen Logik ist nach dieser Auffassung unabhängig von der Art, wie sie vorgetragen wird. Gerade in dieser Indifferenz gegenüber ihrer Darstellung muss das »Formelle« der überlieferten Logik nach Hegel gesucht werden: Die überlieferte Logik ist vor allem als »formell« anzusehen, weil sie eine angemessene Form (im Sinne von »Darstellungsweise«) entbehrt, eine Form nämlich, deren Angemessenheit in Bezug auf ihren Gegenstand gerade darin besteht, nicht von demselben »trennbar« zu sein. Die hegelsche Logik untersucht keine anderen Gegenstände als die überlieferte Logik: Sie muss dasselbe betrachten – die von Kant sogenannten »Momente des Verstandes« –, aber sie muss es dergestalt tun, dass der betrachtete Gegenstand von seiner Betrachtung »unabspaltbar« sei. Die Logik wird nach dieser Auffassung erst 43

Vgl. R. Brandt, a. a.O., 92.

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

wissenschaftlich bzw. erhält eine ihr angemessene Form erst dann, wenn sie keine vorgegebene Konstitution ihres Gegenstandes annimmt und die Darstellung folglich wesentlicher Bestandteil des zu betrachtenden Inhaltes wird.44 Bevor wir uns weiter in diese letzten Gedanken vertiefen, müssen einige Aspekte des Zusammenhanges zwischen dem (bisher nur einleitend charakterisierten) Ansatz Hegels und der kantischen Kritik am traditionellen Verständnis der Logik, mit welcher unsere Untersuchung angefangen hat, genauer präzisiert werden. Nach Kant basiert die frühe Vollendung der Logik, wie wir schon wissen, auf ihrer kanonischen Funktion. Aus dem Übersehen dieser kanonischen Funktion, die lediglich Normen für die Übereinstimmung des Verstandes mit sich selbst »ohne Unterschied der Gegenstände« gibt, ergibt sich die Illusion des dogmatischen Denkens, nach welchem die Gegenstände bloß mittels logischer Regeln erkannt werden können. Die kan44

Dies scheint gewisse Schwierigkeiten in Bezug auf die »Kommentierbarkeit der hegelschen Logik« (der Ausdruck ist von A. Roser: Ordnung und Chaos in Hegels Logik, Teil 1, Frankfurt a. Main 2009. 133) nach sich zu ziehen. Die »Unspaltbarkeit« von Darstellung und Inhalt – sofern sie die Ablehnung der vorgegebenen Konstitution des Gegenstandes der Logik impliziert – scheint eine Rekonstruktion und Interpretation der Logik unmöglich zu machen. Bezüglich dessen sagt Roser (ebd.): »Ist die Logik vollständig und damit auto-explikativ, so ist jeder Kommentar nicht nur überflüssig; er steht vielmehr im Widerspruch zum Vollständigkeitsanspruch derselben. Wäre die Logik aber unvollständig, so wäre ein genetischer oder rekonstruierender Kommentar zu rechtfertigen, doch er würde die Unvollständigkeit der Logik voraussetzen.« Der Gedanke Rosers ist allerdings beachtenswert, aber er übersieht den grundlegenden Unterschied zwischen dem philosophischen Konzept oder Ansatz und der faktischen Ausführung desselben. Hegel selbst hat darauf aufmerksam gemacht, und zwar dort, wo er die Identität des Gegenstandes und der Dartellung behauptet (WL I, 38): »Wie würde ich meinen können, daß nicht die Methode, die ich in diesem System der Logik befolge – oder vielmehr die dieses System an ihm selbst befolgt –, noch vieler Vervollkommung, vieler Durchbildung im einzelnen fähig sei, aber ich weiß zugleich, daß sie die einzige wahrhafte ist. Dies erhellt für sich schon daraus, daß sie von ihrem Gegenstand und Inhalt nichts Unterschiedenes ist; – denn es ist der Inhalt in sich, die Dialektik, die er an ihm selbst hat, welche ihn fortbewegt. Es ist klar, daß keine Darstellungen für wissenschaftlich gelten können, welche nicht den Gang dieser Methode gehen und ihrem einfachen Rhythmus gemäß sind, denn es ist der Gang der Sache selbst.« Die faktischen Darstellungen der Logik können folglich unvollständig und weiterer Vervollkommung fähig sein, ohne dass diese Tatsache das Konzept einer Logik, bei welcher Darstellung und Sache nicht unterschieden sind, im Mindesten beschädigt. Die Unterschiede und Abweichungen zwischen den verschiedenen Fassungen der Logik können nicht gegen den Systemanspruch der Logik selbst (als Konzept oder Ansatz verstanden) und zugunsten der »Kontingenz der Kategorienkombination bei Hegel« (Roser, a. a.O., 146) geltend gemacht werden, wie Roser es tut, denn diese verschiedenen Fassungen sind immer noch faktische Versuche (mit den daraus folgenden Konzequenzen), ein bestimmtes Konzept – auf welches alles ankommt – möglichst präzise und zutreffend zu artikulieren.

§ 2 Die philosophische Wende Kants und ihre Fortentwicklung

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tische Kritik an der traditionellen Logik ist also als Teil oder Aspekt einer umfassenderen Kritik zu verstehen, welche, wie am Ende des ersten Abschnittes gezeigt wurde, gegen eine bestimmte Idee des Wissens gerichtet ist. Das auf dieser Idee basierende dogmatische Denken setzt voraus, »dass die Erfahrung in sich selbst begrifflich strukturiert sei«.45 Das Problem des Verhältnisses zwischen dem Erkennen und den erkannten Dingen (um welches, wie oben gesagt, die metaphysischen Streitigkeiten eigentlich kreisen) wird dann durch das Konzept einer Übereinstimmung zwischen den Gliedern der epistemischen Relation in Angriff genommen.46 Wird dies grundsätzlich angenommen, dann hängt alles davon ab, wie diese Übereinstimmung eigentlich aufgefasst wird. Da das Problem die Art und Weise der Übereinstimmung ist und nicht – darauf hat Kopper aufmerksam gemacht – »welches der beiden Relata das bestimmende ist«,47 kann man sich problemlos der Begriffe nach logischen Regeln bedienen, um die vorgegebene Beschaffenheit der Dinge direkt zu untersuchen. Es wird dabei nicht beachtet, dass die Logik als »allgemeine Normenlehre« keinen Unterschied der Gegenstände macht, denn die Unterscheidung der Dinge erfolgt in diesem Kontext, gemäß der Voraussetzung der begrifflichen Strukturierung der Erfahrung, nach demselben Prinzip wie die Unterscheidung der Begriffe.48 So kann sich das dogmatische Denken erdenken, durch bloße Begriffe Erkenntnis der Dinge zu erlangen. Diese Auffassung des Wissens wird bei Kant bekanntlich überwunden durch die Aufhebung der Idee einer gemeinsamen Strukturierung von Dingen in sich selbst und von bloßen Begriffen und durch die daraus folgende Verschiebung der Problematik auf die Beschaffenheit des Verstandes selbst (Logik) und auf dessen Vermögen, ohne die Voraussetzung einer vorgegebenen Übereinstimmung zwischen der Ordnung der Dinge und der der Begriffe objektive Erkenntnis zu erlangen. Daraus erhellt, warum Kant die allgemeine Logik als instrumentum des Erkennens ablegen und die Metaphysik in eine »Logik der Wahrheit« verwandeln muss. Doch dann stellt sich die Frage, ob Hegel durch seine Idee einer Wissenschaft des Logischen als prima philosophia, welche die innere Beschaffenheit des Denkens nicht in Bezug auf die Erkenntnis von Gegenständen, sondern per se untersucht, nicht irgendwie in den von Kant aufgehobenen Stand zurückfällt. Ist die Antwort negativ, so muss auch die folgende Frage gestellt werden: Inwiefern ermöglicht die kantische Wende die Entstehung des hegelschen Projekts und in welchem Sinne

45 46 47 48

J. Kopper: Reflexion und Determination, a. a.O., 74. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. J. Vuillemin, a. a.O., 311.

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

kann dieses Projekt, laut unseren Behauptungen am Anfang der Untersuchung, als eine Fortentwicklung dieser Wende angesehen werden? Auf diese Fragen, welche von Belang sind für unsere weitere Untersuchung, gehen wir im Folgenden ein. Erst nach ihrer Behandlung können wir auf den Gedanken, mit welchem dieser Abschnitt eröffnet worden ist, zurückkehren. In Bezug auf die erste Frage muss an die Idee des »Vorausseyenden« erinnert werden, auf welcher sowohl die Gestalt als auch die Funktion der überlieferten Logik beruht. Wäre das hegelsche Projekt einer Wissenschaft des Logischen als prima philosophia ein Rückfall in den von Kant überwundenen Stand bzw. eine Wiederherstellung des dogmatischen Denkens, dann würde es die überlieferte Logik in ihrer unveränderten Gestalt einfach aufgreifen und keine bedeutende Modifikation an derselben vornehmen. Die Voraussetzung der begrifflichen Strukturierung der Erfahrung, welche dem dogmatischen Denken eigen ist, ist nicht zu verwechseln mit dem hegelschen Konzept einer reinen Selbsterkenntnis des Denkens, welche sich – auf eine ganz neue und bahnbrechende Weise – als prima philosophia darstellt. Dieses Konzept setzt keine begriffliche Strukturierung der Erfahrung voraus, das Dinghafte wird von demselben nicht in der Weise einer Isomorphie mit dem Begrifflichen erfasst, was den Gedanken einer adaequatio erlauben würde. Diese Isomorphie und die Idee des »Vorausseyenden«, deren Abschaffung dem hegelschen Projekt gerade Sinn gewährt, sind im dogmatischen Denken strikt korrelativ. Wenn also das hegelsche Projekt nicht als ein Rückfall in das dogmatische Denken verstanden werden kann (Antwort auf die erste Frage),49 dann muss es in Bezug auf die sogenannte kopernikanische Wende Kants erklärt werden, und zwar als eine Fortentwicklung derselben (zweite Frage). Infolge dieser Wende kann die objektive Gültigkeit unserer Erkenntnis durch die Prämisse einer gemeinsamen Strukturierung von Dingen und Begriffen nicht mehr gesichert sein. Bei der metaphysischen Untersuchung der Erkenntnis handelt es sich also nicht mehr um die innere Beschaffenheit der Dinge; diese macht nicht mehr das Problem aus,50 denn anhand eines so

49

Damit ist das Problem des dogmatischen Charakters des hegelschen Denkens, so wie z. B. Joachim Kopper es in seinem Werk Das transzendentale Denken des deutschen Idealismus (Darmstadt 1989) versteht, weitgehend ungelöst. Fragen, die dieses Problem betreffen, werden im Laufe unserer Untersuchung mehrmals und unter verschiedenen Gesichtspunkten wieder entstehen. 50 Deswegen gibt es in der kantischen Philosophie eigentlich kein Problem des »Dinges an sich«, auch wenn so viel darüber geschrieben worden ist. Marzoa hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Begriff vom »Ding an sich« bei Kant eigentlich ein Grenzbegriff ist, d. h. ein Begriff, der markiert, worum es eigentlich nicht geht. Siehe dazu F. Martínez Marzoa (nunmehr F. M. Marzoa): Releer a Kant, Barcelona 1989, 43–44.

§ 2 Die philosophische Wende Kants und ihre Fortentwicklung

27

artikulierten Problems kann die Erkenntnis nicht anders als durch die Voraussetzung einer vorgegebenen Bekanntschaft mit dem unerkannten Ding selbst erklärt werden, also durch einen offenkundigen circulus in probando.51 Es handelt sich nunmehr um Sinneserscheinungen bzw. um Modifikationen meines Gemüts, durch deren Strukturierung und regelmäßige Anordnung – welche eigene Leistungen des Verstandes (operationes mentis) ausmachen – die objektive Erkenntnis als solche hervorgeht. Im Unterschied zur inneren Beschaffenheit der Dinge machen die Sinneserscheinungen »einen Gegenstand aus, der bloß in uns ist, weil eine bloße Modifikation unserer Sinnlichkeit außer uns gar nicht angetroffen wird«.52 Die Objektivität geht dann hervor, wenn dieses »in uns«, welches nur subjektive Validität hat, »in der Sache selbst« objektiv wird, und dies kann nur daraus entspringen (da die »innere Beschaffenheit der Dinge« als Problem der Erkenntnis abgelegt worden ist), dass das Zerstreute der Sinnerscheinungen durch ihre Strukturierung und regelmäßige Anordnung in die Einheit des denkenden Selbst gebracht wird, welches die Quelle der begrifflichen Strukturierung ausmacht. Anders gesagt: Der legitime Bezug auf die Sache (Objektivität) gründet eigentlich auf einem »Selbstbezug«.53 Das sinnlich Gegebene wird legitimerweise auf ein Objekt bezogen, wenn es durch dessen begriffliche Strukturierung auf das fundamentum unionis aller Verstandeshandlungen bezogen wird. Das denkende Selbst macht also das neue, durch die kopernikanische Wende Kants gesetzte Zentrum der metaphysischen Reflexion aus. Infolge dieser Wende kann nunmehr das Erkennen als die Tätigkeit, dem sinnlichen Stoff die einfache Form des Selbst zu geben,54 angesehen werden. Diese »Form des 51

KrV A 128–129: »Wären die Gegenstände, womit unsre Erkenntnis zu tun hat, Dinge an sich selbst, so würden wir von diesen gar keine Begriffe a priori haben können. Denn woher sollten wir sie nehmen? Nehmen wir sie vom Objekt (ohne hier noch einmal zu untersuchen, wie dieses uns bekannt werden könnte) so wären unsere Begriffe bloß empirisch, und keine Begriffe a priori. Nehmen wir sie aus uns selbst, so kann das, was bloß in uns ist, die Beschaffenheit eines von unsern Vorstellungen unterschiedenen Gegenstandes nicht bestimmen, d. i. ein Grund sein, warum es ein Ding geben solle, dem so etwas, als wir in Gedanken haben, zukomme, und nicht vielmehr alle diese Vorstellung leer sei.« 52 KrV A 129. 53 Vgl. F. M. Marzoa: Hölderlin y la lógica hegeliana, Madrid 1995, 20 54 Vgl. Enz. § 20, Anm., Abs. 2. Siehe auch KrV A 129–130: »In dieser Einheit des möglichen Bewußtseins aber besteht auch die Form aller Erkenntnis der Gegenstände, (wodurch das Mannigfaltige, als zu Einem Objekt gehörig, gedacht wird). Also geht die Art, wie das Mannigfaltige der sinnlichen Vorstellung (Anschauung) zu einem Bewußtsein gehört, vor aller Erkenntnis des Gegenstandes, als die intellektuelle Form derselben, vorher, und macht selbst eine formale Erkenntnis aller Gegenstände a priori überhaupt aus, so fern sie gedacht werden (Kategorien.)«

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

Selbst« gibt uns gerade den Aufschluss über die »angemessene Form«, welche nach Hegel die Logik erhalten muss, um wahre Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft zu werden.

§ 3 Die kantische Auffassung des Begriffes als interpretatorischer Schlüssel des hegelschen Ansatzes Die Logik, haben wir oben gezeigt, erhält nach Hegel ihre »angemessene Form« (und konstituiert sich folglich als prima philosophia) durch die Setzung der »Unabspaltbarkeit« der Denkstrukturen von ihrer Darstellung.55 Dies muss noch näher erläutert werden; momentan ist es wichtig, dass der Konnex zwischen diesem Gedanken und der soeben skizzenweise geschilderten Wende Kants ersichtlich wird. Die »Form des Selbst« hat sich nach dieser Schilderung als dasjenige erwiesen, worauf der legitime Bezug auf die Sache (Objektivität) eigentlich basiert. Diese »Form des Selbst« macht gerade nach Hegel das »Fehlende« in der überlieferten Logik aus, und genau in diesem Sinne muss die hegelsche Logik als eine Fortentwicklung der kantischen Wende angesehen werden. Die »angemessene Form«, deren die überlieferte Logik ermangelt, ist diejenige, welche aus dem Bezug der Denkstrukturen auf die Quelle derselben, das denkende Selbst, hervorgehen würde. Die Denkstrukturen auf das denkende Selbst zu beziehen und die »Unabspaltbarkeit« der Denkstrukturen und ihrer Darstellung zu setzen sind eigentlich dasselbe. Unsere weitere Untersuchung wird in der ausführlichen Explikation dieser Behauptung bestehen. Wenn dies nun aber als die Fortentwicklung des kantischen Ansatzes aufzufassen ist, was macht das Spezifische des hegelschen Projekts in Bezug auf Kant genauer aus? Warum gelangt Kant nicht zu diesen Gedanken, wenn er der Urheber der Wende ist, die das denkende Selbst ins Zentrum der metaphysischen Reflexion setzt? Um diese Fragen hinreichend zu beantworten, muss die Position Kants in 55

Diese Ausdrucksweise bedarf einiger Erklärungen. Man redet gemeinhin von »Spaltung« in Bezug auf etwas, das vorher eine unzertrennliche Einheit bildete (wie z. B. die Spaltung der Kirche, der Gesellschaft, der atomaren Struktur usw.), und daher kommt der »gewaltsame« Charakter der Spaltung. »Setzung« muss im philosophischen Sinne verstanden werden, und zwar als Übersetzung des lateinischen Ausdruckes »Positio« und mit der Bedeutung von »Bejahung« oder »Behauptung« (siehe dazu R. Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Berlin 1904, Artikel »Setzung«). Wenn wir nun von »Setzung der Unspaltbarkeit der Denkstrukturen und ihrer Darstellung« reden, meinen wir damit, dass das Einssein der Darstellung und des von ihr Dargestellten in der Logik derart fundiert und behauptet wird, dass ihre Absonderung nur »gewaltsam«, d. h. wider den Charakter der Logik selbst, erfolgen kann.

§ 3 Die kantische Auffassung des Begriffes als interpretatorischer Schlüssel

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Bezug auf die allgemeine Logik wieder in Betracht gezogen werden. Es hat sich gezeigt, dass der inhaltliche Gegenpol der Erkenntnis bei Kant nicht mehr die innere Beschaffenheit der Dinge ist, sondern die Sinneserscheinungen, die als solche »in uns« sind. Erkennen ist ferner, wie bereits gezeigt, den Erscheinungen durch deren Strukturierung und Anordnung »die Form des Selbst« zu geben. Für sich selbst genommen stellen also die Sinneserscheinungen keinen Gegenstand dar, man kann in diesem Zusammenhang nur vom Gegenstand als etwas reden, das erst durch die Anordnung und Strukturierung von Erscheinungen zustande kommt.56 Nach dieser Auffassung kann nicht gesagt werden, dass unsere Begriffe mit ihren Gegenständen übereinstimmen, sondern eher, dass aus der begrifflichen Strukturierung von Sinneserscheinungen Gegenstände überhaupt hervorgehen. Die Strukturierung des sinnlich Gegebenen wird somit zum definierenden Zug des Begriffs überhaupt. Diese Strukturierung wird von Kant »Synthese« genannt. Weil die Begriffe Synthesen vollbringen, erkennen wir, und die Untersuchung der Erkenntnis (transzendentale Logik) ist nichts anderes als die Untersuchung des »Synthetischen« beim Begreifen, welches das Wesentliche, Definierende desselben ausmacht. Die allgemeine Logik, indem sie von der Erkenntnis der Gegenstände völlig absieht, betrachtet nicht die Begriffe als das, was sie ursprünglich und vor allem sind, d. i. Synthesen von Sinneserscheinungen, sondern sie beschäftigt sich mit einer sozusagen »sekundären« und »abgeleiteten« Funktion derselben.57 In dieser »sekundären« Funktion geben die Begriffe keine Erkenntnis, weil sie dabei in Abstraktion dessen betrachtet werden, was sie eigentlich kennzeichnet, nämlich konstitutive Bestandteile der Erkenntnis zu sein. Von seinem ursprünglichen (von Kant entdeckten) Charakter abgesehen, macht der Begriff nichts als eine bloße »Ansammlung von Merkmalen« aus, und das Verfahren, welches mit dieser (sekundären, abgeleiteten) Auffassung der Begriffe operiert, wird von Kant »analytisch« genannt.58 Indem also die allgemeine Logik analytisch verfährt, abstrahiert sie nicht nur vom Inhalt der Erkenntnis, sondern vom Begriff selbst; in

56

Vgl. J. Kopper: Reflexion und Determination, a. a.O., 65–66: »In dieser Rücksicht ist es daher auch nicht möglich, das sinnliche Anschauen so zu charakterisieren, als ob es Anschauen von Etwas sei, das Etwas geht vielmehr nur in der tatsächlichen aposteriorischen Erkenntnis hervor. Sofern die Erkenntnis als in sich aposteriorisch verstanden ist, ist das Etwas zwar als das immer schon Vorausgesetzte dar; aber sofern die Erkenntnis nach ihrem in sich apriorischen Wesen genommen ist, ist das Etwas gerade das Geschehen von Anschauen und Begreifen in ihrer Vereinigung.« 57 Vgl. F. M. Marzoa: Releer a Kant, a. a.O., 45, 57–59; J. Kopper: Das transzendentale Denken des deutschen Idealismus, a. a.O., 7. 58 Vgl. F. M. Marzoa: Releer a Kant, a. a.O., 57–58; 45.

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

ihrer Untersuchung der Denkstrukturen klammert sie dasjenige aus, was den Begriff zum eigentlichen Begriff macht, nämlich den verbindenden, strukturierenden Charakter.59 Der Unterschied zwischen allgemeiner und transzendentaler Logik gründet also auf dem Unterschied zwischen zwei, auf einander nicht reduzierbaren (obwohl die eine »sekundär« ist in Bezug auf die andere) Funktionen des Begriffs.60 Darin ist hauptsächlich der Grund zu suchen, warum Kant zu einer Konzeption der Logik wie der hegelschen nicht gelangen kann, obwohl er die Wende vollzieht, welche die Entstehung der hegelschen Logik ermöglicht. Damit sind wir in der Lage, einige Behauptungen des letzten Abschnittes genauer zu präzisieren. Die allgemeine Logik ist in der Tat nach Kant Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft, aber es handelt sich um eine Selbsterkenntnis, die das Wesentliche des Begriffs außer Betracht lässt. Der »reale Bezug«, der bei der allgemeinen Logik fehlt und sie formell macht, ist bei Kant nicht etwas »Außerbegriffliches«, sondern der Begriff selbst. Wenn also Kant von bloßen Begriffen spricht und sie dem »Realen« entgegensetzt, ist dies nicht als der Gegensatz zwischen dem Begrifflichen und dem Dinghaften, welchen die kantische Philosophie völlig aufhebt, zu verstehen, sondern als der Gegensatz zwischen einem fragmentarischen, abstrakten Verständnis des Begriffs und dem Begriff in seiner wahrhaften Tragweite. Der »bloße Begriff«, worum es in der allgemeinen Logik geht, ist also nicht der Begriff als solcher; der Begriff ist wesentlich »mehr« als bloßer Begriff, d. h. als bloße »Summe von Merkmalen«,61 er ist aktive Strukturierung und Anordnung des anschaulich Gegebenen, aus welcher »reale Gegenstände« hervorgehen. Man kann die umwälzende Neuerung Kants dadurch schildern, dass er das »Reale« der Begriffstruktur selbst »einverleibt«, so dass die »Abstraktion des Realen«, welche der allgemeinen Logik eigen ist, nicht ohne den Verlust des Begriffs selbst stattfinden kann. Daraus ergibt sich die kantische Charakterisierung der Urteile, die auf dem analytischen Verfahren basieren: Sie erläutern durch Zergliederung eines gegebenen Begriffes das, was im Begriff »schon gedacht« war.62 Dem analytischen Verfahren geht das eigentliche Denken und Begreifen voraus, deswegen wird durch Analyse nichts Neues gedacht oder ausgesagt, nichts geoffenbart oder ans Tageslicht 59

Vgl. F. M. Marzoa: Releer a Kant, a. a.O., 58. Gerade aus diesem Grund ist es nicht völlig zutreffend zu sagen, wie es üblich ist, dass Kant die allgemeine Logik in ihrem überlieferten Zustand einfach aufgenommen hat. 61 Zum »bloßen Begriff« im Gegensatz zum eigentlichen Begriff bei Kant siehe F. M. Marzoa: Releer a Kant, a. a.O., 57–58. 62 KrV B 11. 60

§ 3 Die kantische Auffassung des Begriffes als interpretatorischer Schlüssel

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gebracht; die Situation unserer Erkenntnis bleibt dabei dieselbe.63 In seiner Logik sagt Kant: »Zur Synthesis gehört die Deutlichmachung der Objekte, zur Analysis die Deutlichmachung der Begriffe. Hier geht das Ganze den Teilen, dort gehen die Teile dem Ganzen vorher«.64 Das Vorhergehen des Ganzen in Bezug auf die Teile im analytischen Verfahren erklärt sich daraus, dass das analytische Verfahren das schon Gedachte bloß zergliedert. Nur dasjenige, was schon fertig vorliegt und als solches ein Ganzes ausmacht (denn ein unfertiges Ganzes wäre ein Widerspruch in sich), kann zergliedert werden. Daraus ergibt sich keine Einsicht in die Natur der Sache selbst (das, was Kant »Deutlichmachung der Objekte« nennt); diese kann nur anhand der strukturierenden Tätigkeit des Begriffs bzw. der Synthesis gewonnen werden. Das Ganze geht dabei als Resultat der Strukturierung hervor, die eine Leistung des Begriffs ausmacht; deswegen fängt die Synthese mit den Teilen an, die als die kontingente Pluralität der Sinneserscheinungen zu verstehen sind. Die Analyse ist nur möglich, nachdem die Operation der Synthese vollzogen worden ist; sie setzt also wahre Erkenntnis voraus.65 Die allgemeine Logik als Normenlehre enthält dann Regeln und Gesetze für den Umgang des Denkens mit schon gemachten Begriffen im Hinblick auf deren Deutlichmachung und Erläuterung. Das Hauptgesetz dabei ist der Satz des Widerspruchs, der bloß besagt, dass die Merkmale oder, wie Kopper sagt, die »Strukturmomente« des gegebenen Begriffs in Verbindung miteinander ohne Widerstreit sein müssen.66 Zeigt sich ein gegebener Begriff durch dessen erläuternde Zergliederung in Übereinstimmung mit diesem Gesetz, dann macht dieser Begriff etwas Mögliches oder Denkbares aus. Das eigentliche quid des so zergliederten Begriffs bleibt dennoch in Bezug auf seine Wirklichkeit völlig unbestimmt.67 Die Bestimmung eines Denkinhaltes als möglich lässt die Frage nach seiner Wirklichkeit unentschieden. Daraus

63

Kant: Logik, A 95: »Wenn ich aber einen Begriff deutlich mache: so wächst durch diese bloße Zergliederung mein Erkenntnis ganz und gar nicht dem Inhalte nach. Dieser bleibt derselbe; nur die Form wird verändert, indem ich das, was in dem gegebenen Begriffe schon lag, nur besser unterscheiden oder mit klärerem Bewußtsein erkennen lerne.« 64 Ebd. 65 Vgl. F. M. Marzoa: Releer a Kant, a. a.O., 58. 66 J. Kopper: Reflexion und Determination, a. a.O., 8. 67 Vgl. ebd.: »Möglichkeit und Widerspruchsfreiheit bezeichnen lediglich das Verhältnis zueinander von Merkmalen, die aus einem schon vorausgesetzten Ganzen durch Analyse, als miteinander dieses Ganze konstituierend, herausgehoben werden können. Solche als Kombination und Kombinierbarkeit von Merkmalen verstandene Möglichkeit befaßt sich nicht mit der Frage nach dem dabei vorausgesetzten Denklichen selbst.«

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

wird wiederum ersichtlich, warum Kant die allgemeine Logik außerhalb der metaphysischen Überlegung plazieren muss. Diese letzten Überlegungen waren von der Frage geleitet: Warum gelangt Kant nicht zum Hauptgedanken Hegels? Nun ist die Frage eher: Wie kann Hegel überhaupt zu seinem Hauptgedanken gelangen, nachdem es sich gezeigt hat, dass die philosophische Wende Kants (die das denkende Selbst in das Zentrum der metaphysischen Reflexion setzt) Hand in Hand mit der Unterscheidung zwischen Analyse und Synthese geht, auf welcher der nicht reduzierbare Unterschied von allgemeiner und transzendentaler Logik basiert? Das, was wir die »Einverleibung« des Realen in die Struktur des Begriffs genannt haben, bringt mit sich, dass eine Betrachtung der Denkstrukturen, die dieselben von ihrer ursprünglichen erkennenden Funktion abtrennt, notwendigerweise abstrakt, formell und inhaltslos bleibt. Das hegelsche Projekt einer Wissenschaft des Logischen, die sich ausschließlich mit der inneren Beschaffenheit des Denkens beschäftigt und die als solche prima philosophia sein will, scheint aus dieser Perspektive völlig aussichtslos zu sein. Das, was dem hegelschen Projekt überhaupt Sinn gewährt, ist, wie wir schon wissen, die Abschaffung der Idee des »Vorausseyenden«. Aus kantischer Perspektive kann aber dieses »Vorausseyende« nicht eliminiert werden, ohne das Möglichsein selbst bzw. die Denkbarkeit mit abzuschaffen.68 Ist das »Reale« in der Begriffstruktur selbst integriert, dann kann die Voraussetzung desselben nicht aufgehoben werden, ohne das Begriffliche selbst zu zerstören, denn es gibt keine logische Möglichkeit ohne vorgegebene Wirklichkeit (wie der »sekundäre« Charakter der Analyse in Bezug auf die Synthese zeigt). Das hegelsche Projekt scheint somit einen doppelten Widerspruch zu enthalten: erstens, den Widerspruch einer Logik, die als solche sich nur mit reinen Denkformen beschäftigt und gleichzeitig prima philosophia sein will; zweitens, den noch gravierenderen Widerspruch einer Logik, welche sich gerade durch die Eliminierung der Grundlage, auf welcher jegliche Denkbarkeit basiert, vollzieht. Das, was eine Logik im Sinne Hegels möglich machen würde, nämlich die Abschaffung des »Realen«, das jedem Begriff als Begriff

68

Kant: Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyn Gottes (1783), A 18–19: »Es ist aus dem anjetzt Angeführten deutlich zu ersehen, daß die Möglichkeit wegfalle, nicht allein wenn ein innerer Widerspruch als das Logische der Unmöglichkeit anzutreffen, sondern auch wenn kein Materiale, kein Datum zu denken da ist. Denn alsdenn ist nichts Denkliches gegeben, alles mögliche aber ist etwas was gedacht werden kann, und dem die logische Beziehung, gemäß dem Satze des Widerspruchs zukommt. Wenn nun alles Dasein aufgehoben wird, so ist nichts schlechthin gesetzt, es ist überhaupt gar nichts gegeben, kein Materiale zu irgend etwas Denklichen, und alle Möglichkeit fällt gänzlich weg.«

§ 3 Die kantische Auffassung des Begriffes als interpretatorischer Schlüssel

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zugrunde liegt, ist gerade das, was das Denken überhaupt bei Kant unmöglich machen würde. Somit stoßen wir wieder auf die Frage, die am Anfang dieses Abschnittes gestellt wurde: Worin besteht eigentlich der »reale Bezug« der logisch-metaphysischen Überlegung Hegels, das wahrhaft Erkannte im Erkennen selbst? Aus kantischer Perspektive nimmt die Abschaffung des »Vorausseyenden« dem Möglichen-Denkbaren seinen eigenen Boden und lässt dasselbe sozusagen »in der Schwebe«. Es gibt nach Kant nichts Widersprechendes in der Aufhebung des »Realen«; sich selbst widersprechend ist aber die Aufhebung des »Realen« und die gleichzeitige Beibehaltung des Möglichen-Denkbaren. Denn ohne das »Reale« hat das Möglichsein keinen Inhalt mehr; es handelt sich dann um die Möglichkeit-Denkbarkeit von »nichts«. Von dem, was überhaupt nicht ist, kann nicht gesagt werden, dass es möglich ist, denn das Mögliche betrifft die »Strukturmomente« eines Gegebenen, oder wie Kant sagt: »Alle Möglichkeit ist in irgend etwas wirklichen gegeben, entweder in demselben als eine Bestimmung oder durch dasselbe als eine Folge«.69 Aber die hegelsche Abschaffung des »Vorausseyenden« hat nicht die Bedeutung, dass das Mögliche seiner zugrundeliegenden Wirklichkeit beraubt wird und trotzdem als Mögliches beibehalten wird. Sie muss eher im Sinne der oben sogenannten »Fortentwicklung« der Wende Kants verstanden werden: Damit will Hegel gerade die fundamentale Neuerung Kants, nämlich den Zusammenschluss des Realen und des Begriffes, noch eindeutiger und dezidierter affirmieren. Die Abschaffung des »Vorausseyenden« bedeutet dann, dass das Reale und das Begriffliche durch die Auflösung des Gegebenen auf eine noch innigere Weise als bei Kant zusammenfallen. Die hegelsche Destruktion des Gegebenen als Bedingung einer eigentlichen Logik kann deshalb in Zusammenhang mit der cartesianischen Grundlegung der Philosophie gesehen werden.70 Bei Descartes führt die Erklärung der vom Menschenverstand behaupteten Realität als ungewiss und zweifelhaft gerade zur unmittelbaren Identifizierung der Realität mit der zweifelnden Instanz selbst;71 dadurch wird nicht das Reale in seinem ganzen Umfang annihiliert, sondern ihm wird eine andere Seinsweise zugesprochen, nämlich die Seinsweise des Denkens.72 Auf analoge Weise eliminiert Hegel nicht das »Reale« zugunsten 69

Kant: Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyn Gottes (1783), A 21. 70 Darauf hat Houlgate aufmerksam gemacht. Siehe S. Houlgate: The opening of Hegel’s Logic. From Being to Infinity, Indiana 2006, 27. 71 Vgl. J. Kopper: Das Unbezügliche als Offenbarsein. Besinnung auf das philosophische Denken, Frankfurt a. Main 2004, 26–28. 72 Vgl. F. M. Marzoa: Historia de la filosofía, Madrid 1994. II, 54.

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

einer über dem Abgrund schwebenden Denkbarkeit. Er eliminiert das dem Denken »Vorausseyende« gerade, um das »Reale« im Denken selbst erscheinen zu lassen.73 Doch die Analogie mit Descartes hat Grenzen, die sogleich aufgezeigt werden sollten. Die cartesianische Skepsis macht nur die Präambel einer behauptenden Lehre aus, während bei Hegel, wie sich später ausführlicher zeigen wird, die Destruktion des »Vorausseyenden« parallel zur Entfaltung der philosophischen Lehre selbst erfolgt. Das begriffliche Möglichsein bzw. die Denkbarkeit beruht bei Kant, wie bereits gezeigt, auf einem ursprünglichen Datum, ohne welches es gar keinen Begriff geben würde. Dasjenige also, was dem Begriff letztendlich seinen Bestand als Begriff, seine Begrifflichkeit gibt, ist etwas Begriffsloses. Der Begriff ist Begriff kraft etwas nicht-Begrifflichem; das nicht-Begriffliche – d. h. das Unmittelbare, das anschaulich Gegebene, oder das »Eindruckshafte«74 – ist dem Begriff selbst innerlich, es macht einen wesentlichen Bestandteil desselben aus. Die Tatsache, dass die Anschauung bei Kant, wie oben gezeigt, Anschauung von »nichts« ist (denn das angeschaute Etwas ist nichts anderes als das Resultat der begrifflichen Strukturierung selbst), bringt gerade mit sich, dass das nicht-Begriffliche im Innersten des Begriffs sozusagen »angesiedelt« wird. Die »Entdogmatisierung« der Philosophie erfolgt somit bei Kant vermöge der Einbeziehung des nicht-Begrifflichen in die Struktur des Begriffs selbst. In dieser Hinsicht können wir sagen, dass das Ziel der hegelschen Abschaffung des »Vorausseyenden« gerade die Eliminierung dieses nicht-Begrifflichen beim Begrifflichen selbst ist. Die Konsequenzen einer solchen Eliminierung sind viel weitgehender als es auf Anhieb scheinen mag. Die allgemeine Logik enthält, wie bereits bemerkt, die Regel für das analytische Verfahren mit Begriffen (d. h. mit dem Begriff als bloßer Ansammlung von Merkmalen aufgefasst), und ihre Grundregel besagt die Unmöglichkeit der Kollision der definierenden Merkmale eines gegebenen Begriffs. Dasjenige, was mit dieser Grundregel übereinstimmt, heißt dann »möglich« oder »denkbar«. Es hat sich aber gezeigt, dass die Aufhebung des ursprünglichen Datums, des »Realen«, welches dem analytischen Verfahren zugrunde liegt, mit der Aufhebung des Möglichen-Denkbaren einhergeht. Wird das Mögliche-Denkbare aufgehoben, dann werden auch die Regeln aufgehoben, die für dasselbe gelten. Die Abschaffung des »Vorausseyenden« ist folglich mit dem Zusammenbruch des ganzen Gebäudes der überlieferten Logik und deren allgemeingültigen Regeln gleichbedeutend. Damit ein73 74

75 ff.

Vgl. ebd. Wir nehmen diesen Ausdruck von J. Kopper: Reflexion und Determination, a. a.O.,

§ 3 Die kantische Auffassung des Begriffes als interpretatorischer Schlüssel

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her geht auch der Zusammenbruch der Idee einer Logik als Ansammlung von Denkgesetzen, die ein für alle Mal entdeckt werden und ihren Darstellungen indifferent überliefert werden. Dies ist nicht als eine grobe Erklärung der Denkgesetze als nichtig oder ungültig zu verstehen. Die hegelsche Kritik an der überlieferten Logik ist, genauso wie die Kantische, vornehmlich an deren zugrundeliegende Idee des Wissens gerichtet; der Unterschied zur kantischen Kritik ist hier, dass die überlieferte Gestalt der Logik aus dieser Kritik nicht »unberührt« herauskommt. Aus der Eliminierung des nicht-Begrifflichen im Begriff selbst ergibt sich die Affirmation des Begrifflichen in seiner Reinheit; damit kann sich aber nur eine Logik beschäftigen, die ganz anders als die Bisherige gestaltet ist.75 Da ferner die Eliminierung des nichtbegrifflichen Kerns des Begrifflichen auf einen tieferen Zusammenschluss des Begrifflichen und des »Realen« abzielt, ist diese Logik als Wissen des »Realen« schlechthin prima philosophia. Aus dieser Eliminierung des nicht-Begrifflichen im Begriff folgen weitere Konsequenzen, die im Hinblick auf die kommenden Überlegungen hier kurz in Betracht kommen müssen. Es ist in der Hegel-Forschung mehrmals hervorgehoben worden, und zwar in Anlehnung an Texte Hegels selbst, dass das Verfahren der hegelschen Logik sowohl analytisch als auch synthetisch ist. Darin scheint ein wichtiger Aufschluss über das Spezifische der hegelschen Logik – vor allem in Bezug auf Kant – zu liegen.76 Nach all dem, was gesagt worden ist, sind wir imstande, den Grund und die Tragweite einer solchen Behauptung (zumindest einleitend) zu erfassen. Wenn die Eliminierung des nicht-Begrifflichen im Begriff selbst den Zusammenbruch der ganzen überlieferten Logik (als Normenlehre des analytischen Verfahrens verstanden) mit sich bringt, dann muss der Unterschied Synthetisch/Analytisch zwangsläufig auch davon betroffen sein, denn auf dieser Unterscheidung basiert grundsätzlich die Differenz von allgemeiner und transzendentaler Logik. Die 75

Damit widersteiten wir keineswegs der Ansicht Wielands, die wir grundsätzlich teilen, nach welcher die hegelsche Logik in keinem »Konkurrenzverhältnis« mit der überlieferten Logik steht (Vgl. W. Wieland: »Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik«, in: Wirklichkeit und Reflexion. W. Schulz zum 60. Geburtstag. Pfullingen 1973, S. 395–414. Hier: 411). Es wäre verfehlt, aus unseren Überlegungen die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Hegel die allgemeine Logik durch seine Logik zu »ersetzen« versucht. Die allgemeine Logik verliert nichts von ihrer Gültigkeit, denn sie macht eigentlich etwas »Abgeleitetes« aus. Worauf es eigentlich ankommt, ist der philosophische Standpunkt, welcher der allgemeinen Logik zugrundeliegt; darauf richtet sich die hegelsche Logik. 76 Siehe z. B. J. C. Horn: Hegel besser verstehen. Das ignorierte Prinzip, Münster 2005, 280: »Wie also sieht die Hegelsche Denkform aus? Ich verzichte auf Zitate und versuche einfache Formulierungen. Ich sagte, sie sei die Einheit von Reflexion und Proflexion, d. h. in dem Maße, wie ich nachdenke, analytisch vorgehe, gehe ich zugleich synthetisch vor.«

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

Frage ist nun: Wie, genau, wird dieser Unterschied davon betroffen und mit welchen Folgen? Wenn wir vom Begriff das nicht-Begriffliche bzw. das »Reale« desselben herausziehen, dann bleibt die bloße Ansammlung von Merkmalen, in welcher der Begriff aus der Perspektive der allgemeinen Logik besteht und welche den Gegenstand der Analyse ausmacht. Aber als solche Ansammlung entbehrt der Begriff das ursprüngliche Datum, das nicht-Begriffliche, welches das »Miteinanderverbundensein der Strukturmomente«77 desselben sichert. Gibt es kein vorgegebenes Datum, das dem Begriff seinen Bestand als Begriff gibt, dann kann nichts verhindern, dass die definierenden Merkmale eines gegebenen Begriffs mit demselben Recht einen anderen Begriff definieren. Mit der Eliminierung des nicht-Begrifflichen des Begriffes geht das fertige Ganze, welches die analytische Zergliederung voraussetzt, ebenfalls verloren. Nichts verhindert also, dass sich aus dem analytischen Verfahren die Verbindung oder der Zusammenhang (Synthese) mit anderen Inhalten ergibt, welche anfänglich nicht mitenthalten waren. Es ist darüber hinaus zu erinnern, dass die Analyse bei Kant, indem sie wahrhafte Erkenntnis voraussetzt, nur den gegebenen Begriff, nicht die Sache selbst, deutlichmacht. Wenn also die Zergliederung eines gegebenen Inhaltes (Analyse) zur Herstellung des Zusammenhanges mit anderen Inhalten (Synthese) führt, dann ist die begriffliche Deutlichmachung der hegelschen Logik gleichwohl Deutlichmachung der Sache selbst oder wahre Erkenntnis. Anders gesagt: Das Verfahren der hegelschen Logik ist (vermöge der Destruktion des nicht-Begrifflichen im Begriff ) analytisch-synthetisch nicht nur darum, weil es durch bloße Erläuterung eines Begriffs die Verknüpfung mit anderen Denkinhalten erstellt, sondern weil bei dieser Verknüpfung eine effektive Manifestation der Sache selbst stattfindet. Das erklärt, warum bei Hegel der Formalismus der überlieferten Logik eher im Mangel einer angemessenen Darstellungsweise als im Fehlen einer äußerlichen inhaltlichen Instanz besteht. Daraus ergibt sich noch eine wichtige Folge, und zwar in Bezug auf die zu behandelnden Inhalte der Logik selbst. Wenn dasjenige verschwindet, was die sichere Grundlage zur Unterscheidung zwischen Analyse und Synthese gibt, dann muss zwangsläufig der Unterschied zwischen den Inhalten der allgemeinen Logik und denen der transzendentalen Logik auch verschwinden. Mit diesem Punkt werden wir uns ausführlicher im nächsten Abschnitt befassen. Bevor wir zum nächsten Abschnitt übergehen, muss noch ein letzter, für unsere Untersuchung folgenreicher Aspekt des Gesagten hervorgehoben werden. Es macht einen wesentlichen Punkt des kantischen Denkens aus 77

J. Kopper: Reflexion und Determination, a. a.O., 8.

§ 3 Die kantische Auffassung des Begriffes als interpretatorischer Schlüssel

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und Kant selbst besteht mehrmals darauf, dass unsere Erkenntnis wesentlich »diskursiv« ist und nicht »intuitiv«. Diese Behauptung ist mit derjenigen gleichbedeutend, die besagt, dass wir »durch Begriffe« erkennen. »Diskursive Erkenntnis« und »Erkenntnis durch Begriffe« sind synonyme Ausdrücke. Es gibt nach Kant keine unmittelbare Erfassung der Sache, sondern eine indirekte; aus demselben Grund ist unsere Erfassung zusammengesetzt und nicht einfach, sie erfolgt sukzessiv und aufeinanderfolgend, nicht uno eodemque tempore. Nun wissen wir, dass der Bezug auf das nicht-Begriffliche dem Begriff zugrunde liegt. Das heißt: Unsere diskursive Erkenntnis ist echte Erkenntnis dank der Tatsache, dass die indirekte Referentialität des Diskursiven ihre Grenze im Unmittelbaren, im »Eindruckshaften« selbst findet. Diese Grenze ist streng unüberschreitbar. Dies gilt nicht nur für Kant, sondern für das ganze neuzeitliche Denken.78 Das Diskursive wird dabei als eine Marke unserer konstitutiven Getrenntheit vom »Sein«79 aufgefasst: Indem wir durch Begriffe denken, ist unser kognitiver Zugang zur Sache unvermeidlich verschoben, defizitär, der Sache unähnlich. Vollkommene Adäquatheit unserer Erkenntnis mit der Sache würde gerade Identität mit der Sache selbst heißen, perfekte Kommunion mit dem Gewußten, und das würde eben die Aufhebung des Diskursiven mit sich bringen. Zwar ermöglicht das Diskursive die Erkenntnis der Sache, aber gerade aus diesem Grund macht es als vermittelndes Element diese Erkenntnis unvollständig und konstitutiv verschoben. Von diesem Sachverhalt, der aufgrund seiner Komplexität aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden muss, ist nun ein bestimmter Aspekt besonders hervorzuheben: Damit das Wissen überhaupt möglich sei, damit unsere Erkenntnis sich auf etwas »Reales« überhaupt beziehen kann, muss »etwas« (ein Inhalt, ein Prinzip, eine Grundlage usw.) angenommen

78

Auch für die Denker, die eine gewisse Form von intuitiver Erkenntnis behaupten, wie z. B. (jeder auf seine eigene Art und Weise) Descartes, Spinoza, oder Schelling, gilt der Gegensatz Intuition-Diskurs und die damit verbundenen Aspekte. Es ändert nichts an der Sache, ob man eine »intutitionistische« Auffassung der Erkenntnis hat (z. B. Descartes) oder eine »symbolische« (z. B. Leibniz). Das Entscheidende ist eher, dass der Gegensatz als solcher angenommen wird und dass das Diskursive dementsprechend als sekundär, mittelbar und verschoben im Unterschied zur Intuition gilt. 79 Das Wort »Sein« wird hier etwa im Sinne des »zweiten« Fichte verstanden, d. h. nach der »Wende im Begriffs des Seins« (W. Janke: Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin 1970, XI), die sein Denken sozusagen in zwei Phasen teilt. In diesem Sinne ist unter »Sein« das Folgende zu verstehen (W. Janke, a. a.O., XI): »Die neue These vom Sein besagt: Sein ist Leben, Licht, das Absolute, Gott. In ihm erscheint alle Negativität und Relativität getilgt. Der grundlegende Spruch des Seins lautet danach: Das Sein schlechthin als Sein ist das Leben Gottes oder des Absoluten, und dieses ist alles Sein, und außer ihm ist kein Sein«.

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

werden, welches außerhalb der diskursiven Vermittlung als solcher fällt. Ansonsten würde unsere Erkenntnis einen festen Boden entbehren, und unser Wissen würde folglich fatalerweise, mit Worten Schellings, »ein ewiger Kreislauf ohne Realität«80 sein. Der neuzeitliche Gegensatz Intuition-Diskurs (mit den damit verbundenen Aspekten) und die Annahme von Prinzipien oder Grundsätzen, die der diskursiven Vermittlung eine Grenze setzen, sind strikt korrelativ. Die Philosophie (vor Hegel) erfordert diese unüberschreitbare Grenze des Diskursiven, weil unsere Denkstrukturen ohne sie unvermeidlich zusammenbrechen würden. Wir haben oben bereits festgestellt, dass die hegelsche Abschaffung des »Vorausseyenden« mit dem Zusammenbruch des ganzen Gebäudes der überlieferten Logik und deren allgemeingültigen Regeln gleichbedeutend ist. Die Abschaffung des »Vorausseyenden« macht bei Hegel Schluss mit der neuzeitlichen Auffassung des Diskursiven als einer (verschiebenden) Vermittlung, welche die Erkenntnis der Sache sowohl ermöglicht als auch verhindert. Das Diskursive wird dadurch unbezüglich, irreferentiell, und als solches gerade Manifestation der Sache. Dies hat aber auch zur unvermeidlichen Folge, dass das Wissen sich nicht mehr auf Prinzipien und Grundsätze, welche ihm einen sicheren Bestand und Realitätsbezug sichern, berufen kann. Das Wissen wird dann zum Kreislauf, von welchem Schelling spricht. Die daraus folgende Frage, mit welcher wir uns in dieser Untersuchung grundsätzlich befassen werden, lautet dann: Wie muss dieser Kreislauf des Wissens konstituiert sein, damit es Manifestation der Sache ist?

80

F. W. J. Schelling: Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795), Historisch-kritische Ausgabe, Stuttgart 1976ff. Bd. i. 2. 85. Wir geben die ganze Stelle wieder, weil sie für unsere jetzige Reflexion (und auch für die nachfolgenden) von großem Nutzen sein kann: »Wer etwas wissen will, will zugleich, daß sein Wissen Realität habe. Ein Wissen ohne Realität ist kein Wissen. Was folgt daraus? Entweder muß unser Wissen schlechthin ohne Realität – ein ewiger Kreislauf, ein beständiges wechselseitiges Verfliessen aller einzelnen Säze in einander, ein Chaos seyn, in dem kein Element sich scheidet, oder – Es muß einen lezten Punkt der Realität geben, an dem alles hängt, von dem aller Bestand und alle Form unseres Wissens ausgeht, der die Elemente scheidet und jedem den Kreis seiner fortgehenden Wirkung im Universum des Wissens beschreibt. […] Giebt es überhaupt ein Wissen, so muß es ein Wissen geben, zu dem ich nicht wieder durch ein anders Wissen gelange, und durch welches allein alles andre Wissen Wissen ist. Wir brauchen nicht eine besondere Art von Wissen vorauszusezen, und zu diesem Saze zu gelangen. Wenn wir nur überhaupt etwas wissen, so müssen wir auch Eines wenigstens wissen, zu dem wir nicht wieder durch ein andres Wissen gelangen, und das selbst den Realgrund alles unsers Wissens enthält.«

§ 4 Die Logik im Verhältnis zum historischen Stand der Wissenschaften

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§ 4 Die Logik im Verhältnis zum historischen Stand der konkreten Wissenschaften Die Selbstbezüglichkeit der Vernunft ist nach Kant, wie wir gesehen haben, die einzige Erklärung des beharrlichen Zustandes der allgemeinen Logik und der frühen Vollendung dieser als Wissenschaft. Für Hegel hingegen macht diese Selbstbezüglichkeit gerade den Grund der späteren, streng wissenschaftlichen Entstehung der wahrhaften Logik aus. Die nicht-formelle, konkrete Natur der wahrhaften Logik hängt nach Hegel wesentlich mit der geschichtlichen Tatsache ihrer Entstehung zusammen: Sie verdient, »konkret« genannt zu werden, nicht nur aufgrund des innigen Zusammenschlusses des Begrifflichen mit dem Realen, welchen sie durch die Abschaffung des »Vorausseyenden« vollzieht, sondern auch deshalb, weil sie von den konkreten Wissenschaften und ihren Resultaten nicht unabhängig ist.81 Die Selbstbezüglichkeit des reinen Denkens in der Logik hat sich historisch dank der Fortschritte der konkreten Wissenschaften verwirklichen können. Die historische Entwicklung dieser Wissenschaften hat eine Logik erforderlich gemacht, welche deren rationale Legitimität gewährleistet.82 Dieses Programm ist von Kant zum Teil durchgeführt worden. Um aber eine wahrhafte Selbsterkenntnis der Vernunft erreichen zu können, hätte Kant den letzten Rest des Gegebenseins aufheben müssen, auf welchem der Unterschied von allgemeiner und transzendentaler Logik beruht. Die Idee, dass die allgemeine Logik von der materiellen Entwicklung der Wissenschaften irgendwie bedingt sein kann, ist nach Kant völlig undenkbar, denn sie kollidiert mit der Autonomie einer Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft, die von jeder partikulären objektbezogenen Erkenntnis völlig absieht. Die spätere Entstehung der transzendentalen Logik hingegen erklärt sich nach Kant daraus, dass sie den materiellen Gebrauch des Verstandes betrifft, mit welchem gerade die meisten philosophischen Irrtümer zu tun haben, sofern geglaubt wird, dass die Übereinstimmung mit den logischen Regeln für sich selbst allein hinreichend ist, um den Irrtum zu vermeiden. Die Entstehung der transzendentalen Logik hängt folglich wesentlich zusammen mit der Entdeckung der dogmatischen Illusion, welche die Quelle der meisten phi81

Vgl. WL I, 42; Enz. § 9. Enz. § 12, Anm., Abs. 2: »Indem die Philosophie so ihre Entwicklung den empirischen Wissenschaften verdankt, gibt sie deren Inhalte die wesentlichste Gestalt der Freiheit (des Apriorischen) des Denkens und die Bewährung der Notwendigkeit, statt der Beglaubigung des Vorfindens und der erfahrenen Tatsache, daß die Tatsache zur Darstellung und Nachbildung der ursprünglichen und vollkommen selbständigen Tätigkeit des Denkens werde.« 82

40

1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

losophischen Verirrungen ausmacht. Die Entlarvung einer tief verwurzelten Illusion ist allerdings viel schwieriger und erfordert mehr Zeit als die direkte Anfechtung einer Theorie mithilfe der formalen Regeln des Verstandes,83 und in diesem Sinne ist die transzendentale Logik mit dem geistigen Stand ihrer Zeit wesentlich verbunden. Ihre Entstehung bedeutet dann für Kant die endgültige Vollendung und Formfixierung der Metaphysik,84 welche zusammen mit der allgemeinen Logik die einzige Wissenschaft ist, die einer endgültigen Geschlossenheit fähig ist. Für die von Hegel konzipierte Logik hat die Verbindung mit der eigenen Zeit und dem Gang der konkreten Wissenschaften einen ganz anderen Sinn. Im Gegensatz zu Kant kann nach Hegel eine Logik nur wahre Selbsterkenntnis des Denkens sein, indem die historisch niedergelegten Produkte des Denkens bei derselben ihren rein intellektuellen Ausdruck finden, was mit sich bringt, dass die Logik fähig sein muss, gemeinsam mit dem ihr innewohnenden Geist wesentliche Umgestaltungen durchzumachen.85 »Rein intellektueller Ausdruck« bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Logik diese Produkte von jeglichem Bezug auf empirisch vorgegebene Sachverhalte befreit und sie in rein begriffliche Sprache umsetzt, dergestalt, dass sie dadurch zu Bestimmungen der sich selbst auslegenden Tätigkeit der Vernunft verwandelt werden.86 Aus dem Bisherigen erklärt sich, warum in der Wissenschaft der Logik nicht nur die Inhalte betrachtet werden, die traditionell der allgemeinen Logik zugehören – nämlich: Inhalte der Begriffs-, Urteils- und Schlußlehre –, sondern auch die Bestimmungen der kantischen Kategorientafel – nämlich: die mathematischen Kategorien (Qualität und Quantität) in der Lehre vom Sein und die dynamischen Kategorien (Modalität und Relation) in der Lehre vom Wesen. Später wird es sich zeigen, nach welcher Ordnung und in wel83

Vgl. Kant: Logik, A 81. Vgl. KrV B XXIII–XXIV. 85 Das kann mit der folgenden Aussage (WL I, 32) zu kollidieren scheinen: »Diese Reflexion führt näher auf die Aufgabe des Standpunktes, nach welchem die Logik zu betrachten ist, inwiefern er sich von der bisherigen Behandlungsweise dieser Wissenschaft unterscheidet, und der allein wahrhafte Standpunkt, auf den sie in Zukunft für immer zu stellen ist.« Diese Aussage ist aber nicht so zu verstehen, als ob die Logik einen beharrlichen und unveränderlichen Zustand erreicht hätte, sondern eher als folgt: Mit der Logik Hegels erreicht diese Wissenschaft einen Standpunkt, der keinen Rückwärts zulässt. K. Rosenkranz hat diesen Umstand sehr treffend geschildert, als er gesagt hat (Wissenschaft der logischen Idee, Bd. 1, Neudruck der Ausgabe Königsberg 1858, 22): »Nichts würde Hegel’s Ansicht von der unendlichen Perfectibilität der Wissenschaft mehr widersprechen, als die Eitelkeit der Anmaaßung, der Zukunft nichts übrig gelassen zu haben.« 86 Enz. § 12, Anm., Abs. 2: »Das Aufnehmen dieses Inhaltes, in dem durch das Denken die noch anklebende Unmittelbarkeit und das Gegebensein aufgehoben wird, ist zugleich ein Entwickeln des Denkens aus sich selbst.« 84

§ 4 Die Logik im Verhältnis zum historischen Stand der Wissenschaften

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chem Zusammenhang diese Inhalte in der Logik untersucht werden. Es ist momentan nur wichtig zu verstehen, warum die Inhalte von bislang zwei aufeinander nicht reduzierbaren Logiken nunmehr in dieselbe Logik fallen müssen. Oben wurde gezeigt, dass die hegelsche Eliminierung des nichtBegrifflichen im Begriff die Eliminierung des Unterscheidungsgrundes von Analyse und Synthese, und folglich von allgemeiner und transzendentaler Logik, mit sich bringt. Ferner wissen wir, dass diese Eliminierung oder Abschaffung des »Vorausseyenden« gleichbedeutend damit ist, den logischen Denkgebilden die Form des Selbst zu geben. Hegel nennt diese Form des Selbst auch »Gestalt der Freiheit (des Apriorischen) des Denkens«.87 Der Charakter des Apriorischen überhaupt ist also dasjenige, welches entscheidet, ob etwas Inhalt der Logik ist oder nicht, unabhängig davon, ob der betreffende Inhalt ursprünglich eine objektbestimmende Kategorie, und als solche der transzendentalen Logik zugehörig, oder eine formelle Bestimmung der allgemeinen Logik ist. Das heißt aber nicht, dass der Unterschied zwischen den Kategorien und den Bestimmungen der allgemeinen Logik für die hegelsche Logik irrelevant sei; dieser Unterschied wird in der Logik zwar wieder erscheinen, aber gerade als Resultat dieser »Gestaltgebung«, die in der Logik an den gegebenen Formen des Apriorischen vollzogen wird. Trotzdem kann man gewisse Inhalte in der Wissenschaft der Logik finden, welche die Voraussetzung, apriorische Denkgebilde zu sein, anscheinend nicht erfüllen (z. B. Mechanismus, Chemismus, Lebensprozess) und aus dem Gebiet des Faktischen genommen zu sein scheinen. Dies hat übrigens erhebliche Verwirrungen in der Hegel-Forschung verursacht.88 An der entsprechenden Stelle

87

Ebd. Auf dieses Problem ist immer wieder aufmerksam gemacht worden, seit Rosenkranz und Trendelenburg bis zu Theunissen, Hösle, Roser, usw. So sagt Rosenkranz in Bezug auf den Einschluss des Begriffs des Lebens in der Logik (K. Rosenkranz, a. a.O., 29): »Er selbst gibt sich auch viele Mühe, das Befremdliche zu tilgen, einen so concreten, reellen Gegenstand, wie das Leben, in die Logik eintreten zu lassen. Er will das logische Leben von dem Begriff desselben in der Philosophie der Natur und des Geistes unterscheiden.« Der Grund dieser Schwierigkeit scheint uns mit der fraglichen (aber durchaus verbreiteten) Annahme zusammenzuhängen, nach welcher die Logik, »neben« dem begrifflichen, auch einen »ontologischen Anspruch« hat (als ob die Ontologie einen Bezirk unter anderen bezeichnen würde). Die Inklusion solcher Zusammenhänge, die auf Anhieb nicht rein begrifflich zu sein scheinen, würde sich dann aus diesem »ontologischen Anspruch« der Logik erklären, der Hegel dazu führen würde, außerbegriffliche Sachverhalte im Begrifflichen selbst irgendwie einzubeziehen. Dies ist die Ansicht von Rosenkranz (und vielen Anderen), der mit seiner Umformung der hegelschen Logik den Neukantianismus bereits ankündigt. Dass aber von Ontologie bei Hegel die Rede sein kann, ist von H. F. Fulda energisch bestritten worden. Siehe H. F. Fulda: »Die Ontologie und ihr Schicksal in der Phi88

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

dieser Untersuchung werden wir versuchen, von solchen Bestimmungen deren Zugehörigkeit zur Logik aufzuweisen. Vorläufig aber sei es mit dem folgenden Hinweis genug: Durch Einbeziehung solcher Bestimmungen in die Logik soll gerade gezeigt werden, dass das erfahrungsabhängige (aposteriorische) Verständnis derselben eigentlich abgeleitet und sekundär ist. Das heißt, dass die wahre Tragweite und Bedeutung solcher Begriffe sich allein aufschließen lässt, wenn sie nicht als »aus dem Erfahrungsstoff«89 stammend angesehen werden, sondern gerade als konstituierende Elemente der Erfahrung selbst. Der Mechanismus beispielsweise soll nach dieser Auffassung nicht primär nach seiner naturphilosophischen Bedeutung und folglich als ein im logischen Kontext kontingentes Denkgebilde untersucht werden, sondern in einem allgemeineren bzw. logisch früheren Sinne, welcher den Begriff des Mechanischen in unterschiedlichen Bereichen wie der Rechtsphilosophie, der Sprache, dem Sittlichen (z. B. bei der Betrachtung des Begriffs des Schicksals in der Begriffslogik90), umfasst. Dasselbe gilt für das Verhältnis der Kraft und ihrer Äußerung: Man könnte erhebliche Schwierigkeiten haben, einen solchen Inhalt, dessen (faktischer) Ursprung der modernen Physik zu verdanken ist, einer Logik einzubegreifen. Dass er aber in der hegelschen Logik auftritt, bedeutet, dass er vor allem als ein notwendiges Moment der Selbsterkenntnis des Denkens aufzufassen ist und nur sekundär in seiner üblichen physischen Bedeutung. Das führt uns wieder zur Idee, dass die hegelsche Logik »ihre Entwicklung den empirischen Wissenschaften verdankt«.91 Die Wissenschaft der Logik verliert deswegen nichts von ihrer Radikalität als prima philosophia. Dass die Logik, wie Hegel in einer offensichtlich theologischen Anspielung sagt, »den Geist zu empfangen hat«,92 um sich als Wissenschaft verwirklichen zu können, bedeutet keineswegs, sie müsse sich mit Materialien anderer Wissenschaften, wie im Fall der von Kant kritisierten Erweiterungen der allgemeinen Logik durch Elemente der Psychologie, Anthropologie usw., verlosophie Hegels. Kantkritik in Fortsetzung kantischer Gedanken«, in: Revue international de Philosophie, Bd. 53 (1999), S. 465–483. 89 R. Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Berlin 1904, Artikel »A priori«. 90 WL III, 141–142. 91 Enz. § 12, Anm., Abs. 2. 92 WL I (1812), 24: »Außer dem, daß die Logik den Geist in ihren toten Inhalt zu empfangen hat, muß ihre Methode diejenige sein, wodurch sie allein fähig ist, reine Wissenschaft zu sein.« In der Ausgabe von 1832 wird an dieser Stelle, anstatt von »Empfangen«, der theologisch nicht weniger assoziationsreiche Ausdruck »Beleben« verwendet (WL I, 37): »Damit, daß dieses tote Gebein der Logik durch den Geist zu Gehalt und Inhalt belebt werde, muß ihre Methode diejenige sein, wodurch sie allein fähig ist, reine Wissenschaft zu sein.«

§ 4 Die Logik im Verhältnis zum historischen Stand der Wissenschaften

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unreinigen.93 Die Doppeldeutigkeit (und sogar »Dreideutigkeit«) der Ausdrucksweise Hegels in dieser Aussage soll nicht unberücksichtigt bleiben. Die Logik muss zunächst den Geist »empfangen« (im Sinne von »erhalten«, »bekommen«, »entgegennehmen«), weil sie in ihrem überlieferten Zustand der geistigen Situation der Zeit Hegels nicht mehr adäquat entspricht. Dafür muss sie bereit sein, die Ergebnisse und Produkte des Geisteslebens (d. h. der empirischen Wissenschaften, des philosophischen Denkens, usw.) zu »empfangen« (im Sinne von »aufnehmen«), weil in diesen Produkten »Spuren«, »Musterstücke« dessen enthalten sind, was das reine Denken an sich ist. Die Aufnahme solcher Inhalte macht insofern keine »Verunstaltung« oder Verunreinigung des Logischen aus, denn dabei erkennt und macht sich das reine Denken das zu eigen, was ihm ursprünglich zugehört, ungeachtet der faktischen, aposteriorischen Entdeckung dieser Inhalte.94 Zuletzt muss die Logik den Geist »empfangen« (im Sinne von »schwanger werden«, »in sich lebendig werden lassen«), weil sich durch die Aufnahme und logische Bearbeitung der aposteriorischen Produkte des Geistes diese Produkte (und auch der Geist selbst) eigentlich als Produkte der Logik selbst erweisen, – als Ergebnisse ihrer eigenen Entwicklung. Die zeitliche Priorität muss von der Logik in logische Priorität verwandelt werden. Es ergibt sich somit die Umkehrung der Situation, die wir am Anfang in Bezug auf die überlieferte Logik geschildert haben. Die überlieferte Logik, haben wir oben gesagt, ist von einer gewissen Idee des Wissens abhängig, welche sie nicht zu hinterfragen, erforschen oder untersuchen vermag. Durch den soeben erläuterten »Empfang des Geistes« seitens der Logik kehrt sich diese Relation um: Die Logik ist nun die Matrix jeglicher vorstellbaren Idee des Wissens.95 Damit stoßen wir auf den Gedanken, mit welchem wir den letzten Abschnitt beendet haben: dass das Wissen (die Logik), infolge der Abschaffung des Vorausseyenden, sich nicht mehr auf Prinzipien und Grundsätze berufen kann, welche ihm einen sicheren Bestand und Realitätsbezug sichern. Dieser Schluss ist daraus gezogen worden, dass Hegel das Diskursive nicht mehr als Synonym der Endlichkeit unserer Erkenntnis und folglich als defizitär und verschoben konzipiert. Infolge dieser Auffassung des Diskursiven, nach welcher keine 93

WL I, 36: »Die Erweiterungen, die ihr durch psychologisches, pädagogisches und selbst physiologisches Material eine Zeitlang gegeben wurden, sind nachher für Verunstaltungen ziemlich allgemein anerkannt worden.« 94 Vgl. Enz. § 12. 95 WL I, 42: »So erhält das Logische erst dadurch die Schätzung seines Wertes, wenn es zum Resultat der Erfahrung der Wissenschaften geworden ist; es stellt sich daraus als die allgemeine Wahrheit, nicht als eine besondere Kenntnis neben anderem Stoff und [anderen] Realitäten, sondern als das Wesen alles dieses sonstigen Inhaltes dem Geiste dar.«

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1.1 Einleitung: Die Wissenschaft der Logik

vordiskursive Instanz als Grundlage des Wissens anzunehmen ist, nimmt das Wissen die Form eines Kreises an. Das Problem ist dann nicht mehr, auf welchen externen Prinzipien ein logischer Diskurs, der sich als prima philosophia vorstellt, eigentlich beruht, denn ein solcher Diskurs kann per definitionem auf keinem externen Prinzip beruhen. Die Frage ist eher, wie Albizu bemerkt hat: Wie ist eigentlich in diesen Kreis des logischen Wissens »einzutreten«?96 Damit aber spitzt sich das Problem insbesondere auf den Anfang des logischen Diskurses zu, wie sich im Folgenden zeigen wird.

96

Vgl. E. Albizu: »Comienzo como concepto especulativo«, in: Escritos de Filosofía, Bd. 25–2b, Buenos Aires 1994. 18

1.2 Der Anfang des logischen Diskurses und die Suppositionen der Vorstellung

§ 5 Der Standpunkt des kreisförmigen Wissens Aus den vorausgehenden Reflexionen über den philosophischen Status und Charakter der hegelschen Logik im Verhältnis zur überlieferten Logik (der Zeit Hegels) hat sich ergeben, dass die Radikalität einer solchen Wissenschaft die Annahme von vorgängigen Grundlagen, Prinzipien oder Grundsätzen nicht zulässt. Es ist ferner bemerkt worden, dass die angestrebte Wissenschaftlichkeit der Logik eine Betrachtung der Denkstrukturen erforderlich macht, die dieselben nicht als bereits konstituierte und als dem denkenden Selbst sozusagen »vorgelagerte« Denkgebilde annimmt. Folglich muss eine so konzipierte Logik über das bloße Registrieren und Verzeichnen der Verstandesmomente hinausgehen: Sofern es sich um eine echte Wissenschaft des Logischen und nicht bloß um eine Logik handelt, darf der wissenschaftliche Charakter derselben nicht allein auf der notwendigen bzw. apriorischen Natur der Prinzipien und Gesetze beruhen, die sie darstellt. Das Logische kann also nicht in einem unveränderlichen Inhalt bestehen, der sich durch die unterschiedlichsten Formen (die traditionellen Darstellungen der Logik) intakt überliefern lässt, ungeachtet der Umwandlungen und Metamorphosen des Geisteslebens. Dies haben wir im vorigen Kapitel die »Unabspaltbarkeit der Denkstrukturen von ihrer Darstellung« genannt: Die Inhalte der Logik und die Darstellungsweise, durch welche diese Inhalte »vorgetragen« werden, können in der hegelschen Logik nicht voneinander getrennt werden.97 Die Annahme von ursprünglichen Prinzipien und Grundsätzen, indem diese als unvermittelt gelten, hat gerade diese Spaltung von Inhalt und Darstellung zur Folge. Der radikale Standpunkt der hegelschen Logik verbietet, dass der Inhalt seiner Exposition vorausgeht. Dieser Standpunkt ist gleichbedeutend

97

Vgl. J. Vuillemin, a. a.O., 310–311. Vuillemin versteht das Zusammenfallen von Materie und Form, welches dem nachkantischen Idealismus eigen ist, als einen Rückfall in das »intellektuelle System« von Leibniz, bei welchem das Prinzip der Unterscheidung der Begriffe und das Prinzip der Unterscheidung der Dinge dasselbe sind (Vgl. a. a.O., 311). Es wurde aber im vorigen Kapitel gezeigt, dass der Ansatz Hegels keine vorgegebene begriffliche Strukturierung der Dinge voraussetzt, die den Gedanken einer adaequatio als Erklärung des Erkenntnisvorganges erlauben würde. Vuillemin verwechselt die Materie, von welcher die Logik sowohl bei Kant als auch bei Hegel völlig abstrahiert, d. h. den gegebenen Gegenstand, mit der Materie, die in der Logik Hegels als Medium des begrifflichen Zusammenhanges fungiert.

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1.2 Der Anfang des logischen Diskurses

mit dem, was wir im vorigen Kapitel »Abschaffung des Vorausseyenden« und »Eliminierung des nicht-Begrifflichen im Begrifflichen selbst« genannt haben. Der Standpunkt der hegelschen Logik und seine Implikationen wird der Gegenstand unserer Überlegungen im Folgenden sein. Gegen das soeben Gesagte ließe sich einwenden, dass der Standpunkt der Logik doch gewisse Voraussetzungen enthält, die seine vermeintliche Radikalität infrage stellen. Im vorausgehenden Kapitel wurde behauptet, dass die hegelsche Logik die Matrix jeglicher vorstellbaren Idee des Wissens ausmacht, im Unterschied zur überlieferten Logik, deren Mangel als Selbsterkenntnis des Denkens gerade darin besteht, von einer ursprünglicheren Idee des Wissens abhängig zu sein. Verfährt nun nicht die hegelsche Logik, unseren Überlegungen im letzten Kapitel zufolge, auch nach einer bestimmten Idee des Wissens, von welcher sie abhängt? Und diese zugrundeliegende Idee des Wissens, indem sie sich vermeintlich von den vorigen scharf unterscheidet und folglich nicht primär zugänglich ist, macht sie nicht die Logik von Voraussetzungen und Vorbedingungen noch abhängiger und die Stellung derselben noch untergeordneter als die der bisherigen Logiken? Die Exposition dieser Voraussetzungen würde den Anspruch dieser Logik, auf keinem externen Prinzip zu beruhen, anscheinend ruinieren, und sie würde den gesuchten Anfang des logischen Diskurses auf einen anderen Anfang, der nicht derjenige der Logik selbst ist, verschieben. Somit scheinen wir auf die anfängliche Situation unserer Untersuchung zurückzukehren, in welcher wir mit einer Logik zu tun hatten, die nicht mit sich selbst anfängt und folglich die Selbstdurchsichtigkeit des Denkens verhindert. Die Idee einer Logik im hegelschen Sinne zeigt sich darum als in sich selbst aporetisch. Diese aporetische Situation ist nur vermeidbar, wenn die Exposition der Bedingungen des logischen Standpunktes derart beschaffen ist, dass sie Zugang zu diesem Standpunkt verschafft, ohne dessen Primat abzuschaffen. Dafür muss diese Exposition, um mit Worten Pöggelers zu sprechen, als »die Bereitstellung jenes Elements, in dem die Philosophie sich entfalten kann«,98 konzipiert werden. Als eine solche »Bereitstellung« soll sie den Zugang zur Logik dergestalt ermöglichen, dass das daraus hervorgehende Wissen gerade das gesuchte voraussetzungslose Wissen ist. Die Unabhängigkeit des logischen Standpunktes soll von dieser vorausgehenden Exposition nicht beeinträch98

Otto Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, Freiburg/München 1973, 1993, 297. Anscheinend basiert diese Ausdruckweise auf der folgenden Stelle der Phänomenologie des Geistes (Phän., 39): »Hiermit beschließt sich die Phänomenologie des Geistes. Was er in ihr sich bereitet, ist das Element des Wissens. […] Ihre Bewegung, die sich in diesem Elemente zum Ganzen organisiert, ist die Logik oder spekulative Philosophie.«

§ 5 Der Standpunkt des kreisförmigen Wissens

47

tigt werden, sondern von derselben gerade noch deutlicher zum Vorschein gebracht werden. Der Gegenstand dieser vorausgehenden Exposition ist das Bewusstsein, und die Phänomenologie des Geistes ist das Werk, das die Aufgabe, zum Standpunkt der Logik zu bringen, ausführen soll. Ohne auf die zahlreichen Diskussionen um die komplexen Verhältnisse zwischen der Phänomenologie des Geistes und der Logik einzugehen, müssen wir im Hinblick auf unsere weitere Untersuchung einiges darüber bemerken. Zunächst muss geklärt werden, warum diese vorausgehende Exposition, die den Zugang zum logischen Standpunkt verschaffen soll, gerade vom Bewusstsein handeln muss. Welche Besonderheit weist das Bewusstsein auf, sodass deren Berücksichtigung uns gerade zum Standpunkt der Logik führen sollte? Es ist unmittelbar ersichtlich, dass der Standpunkt der Logik, sofern er eine bestimmte Idee des Wissens impliziert, Sache des Bewusstseins ist oder dasselbe betrifft, wenn wir den Begriff »Bewusstsein« im weiten Sinne als das Wissen »um einen Vorgang in uns«99 verstehen. Der Logik liegt, so haben wir festgestellt, eine bestimmte Idee des Wissens zugrunde, und »Idee des Wissens« oder »Wissen des Wissens« zu sein, ist gerade das, was das Bewusstsein als solches kennzeichnet. Daraus folgt: Nur das Bewusstsein kann den Bereich ausmachen, in welchem die »Bereitstellung« des logischen Standpunktes stattfindet. Es ist gerade das Bewusstsein, welches über den Standpunkt der Logik belehrt werden soll; an das Bewusstsein muss sich die Exposition der Bedingungen der Logik adressieren.100 Aber gerade als ein solcher Bereich der »Bereitstellung« kann das Bewusstsein nicht den Bereich der Entfaltung der Logik selbst ausmachen. Das heißt: »Bewusstsein« meint eine Konfiguration des Wissens, die sozusagen durchgemacht und zurückgelassen werden muss, um Zugang zum logischen Denken überhaupt haben zu können. Im Bewusstsein befindet sich das Denken noch nicht im geeigneten Element, um sich als Logik entfalten zu können, sondern nur auf einem dahin führenden Weg. Daher bezeichnet Hegel das Bewusstsein als »Erschei99

R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Bewußtsein (Wissen des Wissens)«. Bezüglich des Adressaten der Phänomenologie siehe S. Houlgate, a. a.O., 159–161. Dort bemerkt Houlgate, dass die Phänomenologie, obwohl sie vom Bewusstsein handelt, keine Philosophie des Bewusstseins ausmacht (a. a.O., 160): »It is simply a study of the way consciousness experiences itself and the world, a study of consciousness’s own multiple certainties – a logical account of what is apparent to consciousness about itself and ist world, rather than a presentation of the full truth of being or consciousness itself.« Diese Bemerkung scheint uns zutreffend, vor allem, weil der Standpunkt der Logik, zu welchem die Phänomenologie führen muss, gerade diese »certainties« des Bewusstseins betrifft, und nicht das Bewusstsein als Gegenstand einer möglichen philosophischen Untersuchung. Diese »certainties« bilden einen »Weg«, und deswegen sagt Hegel (Phän., 38): »Die Wissenschaft dieses Wegs ist Wissenschaft der Erfahrung, die das Bewußtsein macht; […].« 100

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1.2 Der Anfang des logischen Diskurses

nen des Geistes«.101 »Erscheinung« meint gerade eine Sichtbarmachung, die im Gange ist und folglich unvollendet. Dass das Bewusstsein »Erscheinung des Geistes« ist, bedeutet dann, dass der Geist sich darin noch nicht vollkommen manifestiert hat, und dass infolgedessen der Boden der Logik noch nicht bereitgestellt ist. Dem Begriff »Erscheinung« liegt übrigens eine gewisse logische Struktur zugrunde, welche innerhalb der Logik selbst (genauer in der Lehre vom Wesen) betrachtet wird. Bei seiner Erscheinung scheidet sich ein und dasselbe Ding in eine phänomenale, sichtbare Seite und in einen beziehungslosen Grund, der sich jeglicher Manifestation entzieht, sofern diese die Relation auf die Andersheit und folglich den Verlust seiner Selbständigkeit als Grund mit sich bringen würde.102 So manifestiert sich der Grund in der von ihm begründeten, hervorgebrachten Existenz, ohne sich durch dieselbe völlig sichtbar zu machen. Der Gegensatz zwischen den beiden Termini, »Grund« und »Existenz«, ist eigentlich nichtig; die Supposition ihrer Unterschiedenheit hindert die komplette Manifestation des erscheinenden Grundes, der somit unbekannt bzw. inhaltlich unbestimmt bleibt. Das Denken oder der Geist weist gerade diese Struktur auf, wenn er als Bewusstsein aufgefasst wird: Als erscheinend bleiben Aspekte von ihm noch verborgen und unbestimmt. Das noch Verborgene, noch nicht Manifestierte des erscheinenden Geistes wird vom Bewusstsein als fremde Andersheit genommen; das Bewusstsein ignoriert, dass es im Fremden eigentlich bei sich selbst ist. Dies muss in Zusammenhang gebracht werden mit dem, was im vorausgehenden Kapitel über die Supposition des »Vorausseyenden« gesagt worden ist: dass das »Vorausseyende« den Abstand ausmacht, welcher das Denken von seiner »Selbstdurchsichtigkeit« trennt. Indem das Bewusstsein glaubt, dass »das Andere ihm ein gleichgültiges Fremdes ist«103, ist es sich selbst nicht transparent. Die Idee des »Vorausseyenden« und die Bewusstseinstruktur erweisen sich somit als zusammenhängend. Das soeben über die Bewusstseinstruktur Gesagte lässt sich in Bezug auf Kant behaupten. Im vorausgehenden Kapitel wurde darauf Nachdruck gelegt, dass das Erkennen bei Kant darin besteht, dem Gegebenen die »Form des Selbst« zu geben. Nun versteht Kant diese Form des Selbst gerade als Bewusstsein. Es wurde des Weiteren gesagt, dass das Fehlende in der über101

Enz. § 413: »Das Bewußtsein macht die Stufe der Reflexion oder des Verhältnisses des Geistes, seiner als Erscheinung, aus.« Enz. § 414: »Der Geist ist als Ich Wesen; aber indem die Realität in der Sphäre des Wesens als unmittelbar seiend und zugleich als ideell gesetzt ist, ist er als das Bewußtsein nur das Erscheinen des Geistes.« 102 Vgl. WL II, 341–352; Enz. §§ 131–135. 103 Phän., 184.

§ 5 Der Standpunkt des kreisförmigen Wissens

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lieferten Logik für Hegel die »Form des Selbst« ist. Dass Kant sich also auf den Standpunkt der Logik nicht erheben kann, ist in gewisser Hinsicht darauf zurückzuführen, dass seine Auffassung des Selbst immer noch in der Bewusstseinsstruktur verbleibt. Die »Form des Selbst«, welche die Logik im hegelschen Sinne erfordert, muss also von der Bewusstseinsstruktur befreit werden. Das Bewusstsein als »erscheinender Geist« ist gerade das zu beseitigende Hindernis, damit das reine Denken ans Tageslicht kommen kann. Um das ersichtlicher zu machen, richten wir noch einmal kurz unsere Aufmerksamkeit auf die kantische Auffassung des Begriffs. Kant charakterisiert diesen als »Prädikat möglicher Urteile«.104 Dass der Begriff im Urteil nach dieser Definition die Position des Prädikats und nicht die des Subjekts einnimmt, bedeutet, dass der Begriff – um überhaupt Begriff sein zu können – letztendlich auf etwas bezogen werden muss, das nicht begrifflich ist.105 Wenn der Begriff immer auf einen anderen Begriff verweisen würde, würden wir nie über die Analytizität hinausgehen, und das Urteil würde folglich nichts zu erkennen geben. Der Bezug des Begriffs auf das nicht-Begriffliche wird aber legitime Erkenntnis, wenn dieser Bezug auf das denkende Selbst geht, und das ist es gerade, was die Form des Urteils, und genauer die Kopula desselben, zum Ausdruck bringt.106 Jedes Urteil beinhaltet also sowohl den Bezug auf etwas, das als Subjekt der Prädikation fungiert (hypokeímenon), als auch auf jenes ursprünglichere Etwas, das den Akt des Urteilens selbst vollbringt, und auf welchem selbst die logische Form des Urteils beruht.107 Aber gerade deswegen, weil der Begriff, damit er überhaupt Erkenntnis geben kann, nach dieser Auffassung letztendlich auf etwas nicht-Begriffliches bezogen werden muss, kann das denkende Selbst nie Gegenstand der Erkenntnis werden. Vom denkenden Selbst oder Subjekt kann nichts ausgesagt werden, weil wir, um über dasselbe etwas aussagen zu können, uns auf etwas Gegebenes, auf das notwendige Datum des Begriffs beziehen können müßten – was in diesem Fall fehlt.108 Diese Struktur, in welcher etwas sich unserer Erkenntnis entzieht und dennoch diese immer begleitet, ist eben die Struktur des Bewusstseins. So ist die hegelsche Aussage zu verstehen, nach

104

KrV B 94: »Begriffe aber beziehen sich, als Prädikate möglicher Urteile, auf irgend eine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstande.« 105 Vgl. F. M. Marzoa: Historia de la filosofía, a. a.O., 121; Ders: Releer a Kant, a. a.O., 58–59. 106 Vgl. F. M. Marzoa: Historia de la filosofía, a. a.O., 128; Kant, Logik, A 156: »Ein Urteil ist die Vorstellung der Einheit des Bewußtseins verschiedener Vorstellungen, oder die Vorstellung des Verhältnisses derselben, so fern sie einen Begriff ausmachen.« 107 Vgl. KrV B 140–142; F. M. Marzoa: Hölderlin …, a. a.O., 24–25. 108 Vgl. F. M. Marzoa: Hölderlin …, a. a.O., 20–21.

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1.2 Der Anfang des logischen Diskurses

welcher das Ich im Bewusstsein »eine Seite des Verhältnisses und das ganze Verhältnis«109 ist. Es gibt bei Kant also einen innigen Zusammenhang zwischen der Bewusstseinsstruktur – verstanden als dasjenige, worauf die Form des Urteils beruht – und der Unmöglichkeit, das denkende Selbst zu erkennen, solange es in der Struktur des Bewusstseins gefangen ist. Es ist bereits bemerkt worden, dass die »Bereitstellung«, welche die Phänomenologie vollzieht, den Primat der Logik keineswegs abschafft. Dies ist dadurch evident geworden, dass die Bewusstseinsstruktur mittels einer Denkform der Logik (nämlich die der Erscheinung) erläutert worden ist. Es ist also vermittels der Logik selbst, dass die »Bereitstellung« des logischen Standpunktes in der Phänomenologie erfolgt. Der Weg, der zum logischen Standpunkt führt, könnte nicht einer Logik folgen, welche der Logik selbst fremd wäre. Daraus folgt: Jedes Wissen ist eigentlich der Logik gemäß, wenngleich nicht jedes Wissen von der Logik als solcher handelt. In dieser Hinsicht hat die Phänomenologie die Funktion, uns zu jener Perspektive zu führen, in welcher das Logische nicht als dieses oder jenes, sondern als solches, qua Logik, erscheint. Die Phänomenologie vollzieht somit die Befreiung des Logischen von jeglichem »insofern«, vom quatenus überhaupt, welches das Logische in Relation zu etwas anderem setzt. Dies führt uns zum anderen Schlüsselwort der Aussage Pöggelers, nämlich »Element«, welches in diesem Kontext als das Medium zu verstehen ist, in welchem sich ein Lebewesen (hier das vom Geist belebte reine Denken) entwickeln und wohnen kann. Das Logische nicht als dieses oder als jenes, nicht als relativ zu etwas betrachten, heißt dann, es in seinem eigenen Element zu setzen und es sich dabei entfalten zu lassen, während es außerhalb dessen nur »nach einem ihm unangemessenen Maß«110 beurteilt werden kann.

109

Enz. § 413. M. Heiddegger: Brief über den »Humanismus«, GA, Bd. 9, 315. Die sich in diesem Werk findenden Überlegungen über das Element des Denkens weisen interessante Parallelen zur hegelschen Auffassung des Elements des Logischen auf. Heidegger beruft sich auf das Element des Denkens gegen die »Auffächerung« der Philosophie, die für ihn als ein Indiz des Untergangs des wahren Denkens interpretiert wird. So sagt Heidegger (a. a.O., 316): »Auch die Namen wie ›Logik‹, ›Ethik‹, ›Physik‹ kommen erst auf, sobald das ursprüngliche Denken zu Ende geht. Die Griechen haben in ihrer großen Zeit ohne solche Titel gedacht. Nicht einmal ›Philosophie‹ nannten sie das Denken. Dieses geht zu Ende, wenn es aus seinem Element weicht. Das Element ist das, aus dem her das Denken vermag, ein Denken zu sein. Das Element ist das eigentlich Vermögende: das Vermögen. Es nimmt sich des Denkens an und bringt es so in dessen Wesen. Das Denken, schlicht gesagt, ist das Denken des Seins […] Dieses Vermögen ist das eigentlich ›Mögliche‹, jenes, dessen Wesen im Mögen beruht. Aus diesem Mögen vermag das Sein das Denken. Jenes ermöglicht dieses. Das Sein als das Vermögen-Mögende ist das ›Mög-liche‹. Das Sein 110

§ 6 Die Frage nach dem Anfang

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§ 6 Die Frage nach dem Anfang Zum Standpunkt der Logik, so wie sie im ersten Kapitel einleitend charakterisiert wurde, kann man nicht anders als durch die »Bereitstellung ihres Elementes« Zugang haben. Diese Art von Zugang, als »Bereitstellung«, kollidiert nicht mit dem Konzept einer Logik, die mit sich selbst anfängt. Dasjenige aber, was die »Bereitstellung« verschafft, ist der Standpunkt, nicht der Anfang der Logik. Standpunkt der Logik und Anfang derselben sind nicht miteinander zu verwechseln.111 Der Standpunkt der Logik ist die Perspektive oder Betrachtungsweise, aus welcher die Logik möglich ist. Der Anfang dagegen ist der effektive Beginn des logischen Diskurses. Der Standpunkt, ohne der Anfang zu sein, liefert den theoretischen Rahmen, innerhalb dessen die Frage nach dem Anfang gestellt werden kann. Ferner zeigt der Standpunkt der Logik, inwiefern die Frage nach dem Anfang zur Sache gehörig ist und welchen Sinn sie eigentlich hat. »Standpunkt der Logik« besagt, dass die Logik auf keinem Prinzip oder auf keiner Grundlage beruhen kann. Wenn die Logik auf keinem Prinzip beruht, dann kann es auch bei ihr keinen unidirektionalen und unumkehrbaren Begründungszusammenhang geben. Das so beschaffene Wissen kann demzufolge nicht anders als ein Kreislauf konstituiert sein. Das Problem, welches ein solches kreisförmiges Wissen mit sich bringt, ist nicht (wie am Ende des letzten Kapitels gezeigt wurde), auf

als das Element ist die ›stille Kraft‹ des mögenden Vermögens, das heißt des Möglichen«. Daraus möchten wir zwei Aspekte besonders hervorheben. Es ist zunächst auf die Identifizierung des Elements des Denkens mit seinem »Vermögen« aufmerksam zu machen. Was das Denken eigentlich vermag, d. h. seine Möglichkeiten und Potenzialitäten, kann es nur in seinem Element (»das Sein«) vollbringen. Außerhalb seines Elements ist also das Denken »gehemmt«. Das Denken in seinem Element wird ferner von Heidegger (zweiter Aspekt) »ursprüngliches Denken« genannt. Einem solchen Denken eignen die Differenzierungen wie »Ethik«, »Logik«, usw. nicht, weil es ihnen allen vorausgeht. Trotz der Unterschiede zu Heidegger (wir wollen hier lediglich auf gewisse »Ähnlichkeiten« aufmerksam machen), kann man in Bezug auf die hegelsche Logik in gewisser Hinsicht auch von »ursprünglichem Denken« reden, indem dieses Denken sein eigener Maßstab ist und jeglicher vorgegebenen »Bezirksbestimmung« (Ethik, Epistemologie usw.) vorausgeht. Diese Freiheit von »fremden« oder »abgeleiteten Maßstäben« kann das logische Denken nur in seinem Element haben. Die Rede des Elements des Denkens ist also sowohl bei Heidegger als auch bei Hegel mit einer gewissen Idee der Autonomie des Denkens verbunden. Auf die Idee der Philosophie (und ihrer Geschichte) als »autonomer Größe« bei Hegel und Heidegger hat übrigens R. Schönberger (Die Transformation des klassichen Seinverständnisses. Studien zur Vorgeschichte des neuzeitlichen Seinsbegriffs im Mittelalter, Berlin-New York 1986, 27 ff.) aufmerksam gemacht. 111 Wenn sie dasselbe wären, dann hätten die Überlegungen in »Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden« keinen Sinn. Vgl. E. Albizu, a. a.O., 6–7.

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1.2 Der Anfang des logischen Diskurses

welchen Prinzipien es basiert, sondern wie in dasselbe »hineinzukommen« ist.112 Das ist es gerade, was mit der Frage nach dem Anfang gemeint ist. Im Folgenden soll dies näher erläutert werden. Die Frage nach einem Prinzip des Wissens hat überhaupt nur Sinn, wenn vorausgesetzt wird, dass das Wissen seine Sachhaltigkeit vom Bezug auf eine außerdiskursive Instanz erhält. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Anfang, im »Sinne einer zufälligen Art und Weise, den Vortrag einzuleiten«113, so gut wie keine Relevanz. Die Frage nach dem Anfang wird aber dringend, wenn, wie Hegel sagt, »das subjektive Tun als wesentliches Moment der objektiven Wahrheit erfaßt«114 wird, weil dann der Vortrag bzw. der Diskurs nicht mehr zufällig in Bezug auf die Sache selbst ist. Wenn aber, mit Schellings Worten, es »keinen letzten Punkt der Realität« (siehe vorausgehendes Kapitel) außerhalb des Diskursiven gibt, dann gibt es auch keine Bestimmung, die als absoluter Anfang des Diskurses fungieren kann. Der Diskurs kann stricto sensu nur im nicht-Diskursiven seinen absoluten Anfang haben; ansonsten ist sein Anfang nicht absolut, sondern relativ. Leibniz hatte schon dieses Problem geahnt, als er sagte: »In situ omni est ordo, sed arbitrarium est initium.«115 Wenn der Diskurs von nichts beschränkt ist, wenn er als kreisförmig keinen Gegensatz hat,116 dann kann der Anfang desselben nur willkürlich sein. Willkür ist aber gerade das Kennzeichen der Supposition des »Vorausseyenden«, deren Abschaffung die Logik erfordert, um sich zu verwirklichen. Die Logik erweist sich somit als ein Wissen, das sich nicht verwirklichen kann, ohne sich selbst zu widersprechen; die freie Entfaltung des logischen Diskurses scheint von Anfang an sozusagen innerlich »versperrt« zu sein. Es ist aber nicht aus dem Blick zu verlieren, dass das Willkürliche an der Idee des »Vorausseyenden« in der Annahme von etwas Außerdiskursivem als Prinzip des Begrifflichen-Diskursiven besteht. Diese Annahme ist notwendig, damit das Wissen einen festen Bestand, einen Bezug auf die Realität haben kann. Wir wissen ferner, dass der reelle Bezug in der Logik nicht einfach abwesend ist, sondern der Logik »innewohnt«; das Reelle bewohnt die Logik sozusagen intradiskursiv. Wenn also das Willkürliche im Denken mit der Annahme von etwas Außerdiskursivem zusammenhängt, dann kann die Frage nach dem 112

Vgl. E. Albizu, a. a.O., 18. WL I, 53 114 WL I, 54. 115 Leibniz: Opuscules et fragments inédits de Leibniz. Extraits de manuscripts de la Bibliothèque royale de Hanovre, hrsg. v. L. Couturat, Paris 1903. Op. 545. 116 Die Gegensatzlosigkeit des Kreisförmigen wird von Aristoteles in De Caelo, Lib. I, Kap. II., behauptet. In der Metaphysik, Λ, 10, 1075b 24, sagt er, dass das schlechthin Erste keinen Gegensatz hat. 113

§ 6 Die Frage nach dem Anfang

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Anfang übersetzt werden in die Frage nach dem Punkt, ab welchem die Sache selbst – darauf hat Albizu aufmerksam gemacht – »dem Diskurse nicht mehr äußerlich ist«117. Gesucht wird also das Moment, in welchem die Sache und der Diskurs sich noch nicht geschieden haben. Da aber jeglicher gegebene Inhalt des kreisförmigen Wissens als Anfang zwangsläufig willkürlich ist, sollte diese Frage, wie Albizu sehr treffend bemerkt hat, nicht als die Frage nach einem Wo? bzw. nach einer Lokalisierung im Kreislauf interpretiert werden, sondern als die Frage nach dem Woraus? des Kreislaufs selbst.118 Wir suchen also nicht einen bestimmten Punkt des Kreislaufs, sondern die Bestimmung, die zum Ausdruck bringen kann, aus welchem Element oder Stoff der Kreislauf »besteht«.119 Nur anhand einer so formulierten Frage lässt sich in das kreisförmige Wissen ein Eintritt ausfindig machen, der keinen Abbruch des Diskurses bzw. keinen willkürlichen Anfang ausmacht. Um dies zu verdeutlichen, wollen wir auf eine Stelle der Lehre vom Sein verweisen,120 in welcher Hegel eine aufschlussreiche Überlegung über den Punkt und die Grenze anstellt. Wenn der Anfang des logischen Diskurses notwendigerweise ein »absoluter Anfang« sein muss, damit die Logik sich als solche (d. h. als voraussetzungsloses, kreisförmiges Wissen) verwirklichen kann, dann kann dieser Anfang auch treffend als »Grenze des Diskurses« bezeichnet werden. Die Vorstellung fasst die Grenze gewöhnlich als verschieden von dem, was sie begrenzt, auf. Wenn wir uns aber auf das Verhältnis zwischen dem Punkt und der Linie besinnen, dann sehen wir ein, dass der Punkt eigentlich keine »äußerliche« Grenze der Linie ist, sondern dass er sie »ausmacht«. »Er ist ihr absoluter Anfang […] er macht ihr Element aus«, sagt Hegel. Dieselbe Ausdrucksweise verwendet Hegel im unklassifizierbaren Abschnitt121 »Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht wer-

117

E. Albizu, a. a.O., 15. E. Albizu, a. a.O., 18. 119 Vgl. ebd. 120 WL I, 115 (Hervorhebungen sind von mir, J. S.): »Um dies auf das vorige Beispiel anzuwenden, so ist die eine Bestimmung, daß Etwas das, was es ist, nur in seiner Grenze ist; – so ist also der Punkt nicht nur so Grenze der Linie, daß diese in ihm nur aufhört und sie als Dasein außer ihm ist; – die Linie nicht nur so Grenze der Fläche, daß diese in der Linie nur aufhört, ebenso die Fläche als Grenze des Körpers. Sondern im Punkte fängt die Linie auch an; er ist ihr absoluter Anfang, auch insofern sie als nach ihren beiden Seiten unbegrenzt oder, wie man es ausdrückt, als ins Unendliche verlängert vorgestellt wird, macht der Punkt ihr Element aus, wie die Linie das Element der Fläche, die Fläche das des Körpers. Diese Grenzen sind Prinzip dessen, das sie begrenzen; wie das Eins z. B. als hundertstes Grenze ist, aber auch Element des ganzen Hundert«. 121 Der betreffende Abschnitt ist nicht Teil der Vorrede, oder der Einleitung, oder der Logik selbst; insofern handelt es sich wohl um etwas unklassifizierbares aus dem Gesichts118

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1.2 Der Anfang des logischen Diskurses

den?«, um den besonderen Charakter des logischen Anfangs zu schildern: »So ist der Anfang der Philosophie, die in allen folgenden Entwicklungen gegenwärtige und sich erhaltende Grundlage, das seinen weiteren Bestimmungen durchaus immanent Bleibende«.122 Die gesuchte Bestimmung also, die in den Kreislauf des logischen Diskurses einführen muss, kann nicht verschieden sein von dem, was aus ihr »fortgeht«. Gleichsam wie der Punkt verschwindet der Anfang der Logik nicht aus dem Bereich, welchen er absolut erschließt. Aber genauso wie der Punkt in Bezug auf die Linie setzt der Anfang dem logischen Diskurs (als Linie des Denkens oder filum meditandi aufgefasst) seine Grenze. Es handelt sich nicht um eine von außen hinzukommende Grenze, denn dies würde gerade den Rückfall in die Idee des »Vorausseyenden« heißen, sondern um eine konstitutive, innerliche Grenze. Die Logik enthält ihr nicht-Sein in sich und kraft dessen kann sie sowohl absolut anfangen als auch sich gegensatzlos entfalten. Die Voraussetzungslosigkeit der Logik bringt ferner mit sich, dass die Bestimmung, welche als Anfang derselben fungiert, inhaltlich einfach sein muss. Einfach ist eine Vorstellung, indem sie aus keiner Zusammensetzung anderer Vorstellungen entstanden ist. Mit anderen Worten: Sie kann keine Synthese sein, und das impliziert, dass sie überhaupt nicht analysierbar sein kann.123 Eine Zurückführung ihrer wesentlichen Merkmale auf ursprünglichere Vorstellungen muss bei ihr unmöglich sein; es geht also sozusagen um eine atome Vorstellung. Das rechtfertigt die Analogie mit dem Punkt in Bezug auf die Linie, denn ein Punkt enthält nichts in sich. Die Logik ist aufgrund der »Unabspaltbarkeit« ihres Inhalts von dessen Darstellung als »kreisförmig« bezeichnet worden. Wenn wir aber nach dem Woraus? des kreisförmigen Wissens fragen, sind wir dann nicht etwa auf der Suche nach einem Inhalt unter Absehung von dessen Form oder Darstellung? Heißt das nicht, den Inhalt als trennbar zu betrachten, was gerade als das die überlieferte Logik Definierende erklärt worden ist? Wir würden in den Standpunkt der überlieferten Logik zurückfallen, wenn dieser Inhalt, den wir abzusondern versuchen, bereits »formiert« oder konkret wäre, wenn also der logische Diskurs mit ihm nicht absolut anfangen würde. Am Anfang muss die Sache vor dem »Verlauf der Wissenschaft«124, in ihrem absopunkt der klassischen Einteilung der philosophischen Abhandlungen. Darüber siehe E. Albizu, a. a.O., 6. 122 WL I, 58. 123 WL I, 62: »Was den Anfang macht, der Anfang selbst, ist daher als ein Nichtanalysierbares in seiner einfachen unerfüllten Unmittelbarkeit, also als Sein, als das ganz Leere zu nehmen.« 124 WL I, 62.

§ 6 Die Frage nach dem Anfang

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luten »Unentwickeltsein« vorhanden sein. Die »Unabspaltbarkeit« der Sache von ihrer Darstellung muss also zugunsten der isolierten Präsenz der Sache selbst, ohne Spur von Darstellung oder diskursiver Bearbeitung, aufgelöst werden.125 Hegel charakterisiert dies als Zurücktreten des Wissens von seinem Inhalt.126 Dieses Zurücktreten des Wissens ist gleichbedeutend mit der oben erwähnten Inhaltslosigkeit und Unanalysierbarkeit der Bestimmung, mit welcher der Anfang gemacht werden muss, sofern bei jeder analysierbaren Bestimmung bereits die Spur des Wissens bzw. das schon Angefangenhaben des wissenschaftlichen Verlaufes erkennbar ist. Der Eintritt in das Wissen erfordert also, dass das Wissen sich selbst »aufopfert«127. In dieser Aufopferung, in dieser momentanen Suspension des Denkens oder – mit Albizus Worten – in diesem »Hiatus«128, besteht gerade der gesuchte absolute Anfang. Es handelt sich um keine willkürliche abstrahierende Operation: Dieses Ab-trennen der Sache von dem Wissen129 ist eben die Abschaffung jeglicher vorausgesetzten Struktur und Bestimmtheit, welche die Idee des absoluten Anfangs erfordert. Das Wort, das diese Aufopferung des Wissens zum Ausdruck bringt, dasjenige also, womit der Anfang gemacht werden muss, ist »Sein«. Wie der Punkt in Bezug auf die Linie, so ist das Sein das Nichtanalysierbare, welches das Woraus des kreisförmigen Wissens ausmacht – das Element, das sich »in allen folgenden Entwicklungen« erhält.130 Vom Punkt ist oben bemerkt worden, dass er als Element auch die Grenze bzw. die Negation der Linie ausmacht. So ist das Sein auch als das nicht-Sein des Diskurses zu verstehen, indem es sich aus der höchsten Aufopferung des Wissens ergibt. Vom Verhältnis zwischen Sein und Nichts wird später die Rede sein, wenn wir uns mit dem diskursiven Verlauf der Logik selbst befassen. Momentan ist es wichtig hervorzuheben, dass das Sein, wenn mit ihm alles anzufangen hat, zwangsläufig dieses nicht-Sein von jeglichem vorstellbaren Inhalt sein muss. »Sein« ist der Name dieses Nichts, weil es allein das Denken in das kreisförmige Wissen einzuführen vermag, bevor das Wissen selbst vorhanden sei. Sein ist die einzige Form, das Vorausgehen des reinen Wissens in Bezug auf sich selbst auszudrücken. Deswegen ist der Anfang als

125

Vgl. E. Albizu, a. a.O., 18. WL I, 59: »Insofern das reine Sein als Inhalt des reinen Wissens genommen wird, so hat dieses von seinem Inhalt zurückzutreten, ihn für sich selbst gewähren zu lassen und nicht weiter zu bestimmen.« 127 E. Albizu, a. a.O., 18. 128 Vgl. ebd. 129 WL, 59. 130 WL I, 58. 126

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1.2 Der Anfang des logischen Diskurses

eine Aufopferung oder Suspension des Denkens aufzufassen: Das einfache Woraus? des Wissens macht sich durch das Zurücktreten des Wissens selbst offenbar.

§ 7 Anfang des logischen Diskurses und intellektuelle Anschauung Es ist gesagt worden, dass es für das Hervorgehen der Logik qua Logik notwendig ist, das Denken von der Struktur des Bewusstseins zu befreien. Der Ursprung der Frage nach dem Anfang des logischen Diskurses, so wie sie hier geschildert worden ist, muss aber in der fichteschen Auffassung von Bewusstsein gesucht werden.131 Die Sache, auf die es bei Fichte ankommt, ist die Suche nach dem »primären Gegenstand«132, mit welchem die philosophische Reflexion anzufangen hat. Da die Reflexion wesentlich Vermittlung ist, d. h. »Verknüpfung unterschiedener Bestimmungen«133 oder »Fortgehen durch Reihen von Bedingtem zu Bedingtem«134, muss der Anfang derselben in einem »ursprünglichen Ersehen«135 bestehen, in welchem das Handeln des Denkens auf unmittelbare Weise bewusst gemacht wird.136 Dadurch wird dasjenige »thematisch«137 gemacht, was bei Kant, wie oben gezeigt wurde, nur »begleitend miterfaßt«138 werden kann, nämlich das denkende Selbst. Fichte nennt dies bekanntlich »intellektuelle Anschauung«. Es handelt sich um eine Anschauung und nicht um ein Begreifen, weil dieses ursprüngliche Erfassen ohne diskursive Vermittlung erfolgt, denn ansonsten hätte die Reflexion nicht bei ihm ihren Anfang. Diese Anschauung ist aber nicht sinnlicher Art, denn das, was mit ihr erfasst wird, ist das Denken selbst; daher das Adjektiv »intellektuell«. In dieser anfänglichen Anschauung wird, wie am Anfang der hegelschen Logik, von jedem vorgegebenen Seienden abgesehen. Sie macht dasjenige aus, was aus der radikalsten Beseitigung jeglichen vorstellbaren Inhaltes resultiert, denn von der Ichheit kann nicht abstra-

131

Vgl. E. Albizu, a. a.O., 19–20. W. Janke, a. a.O., 15 133 Enz. § 64, Anm., Abs. 1. 134 Enz. § 62, Anm. 135 W. Janke, a. a.O., 14. 136 W. Janke, a. a.O., 15: »So bezeichnet intellektuelle Anschauung zwar ebenso wie die Wahrnehmung ein unmittelbares Bewußtsein, aber sie macht nicht ein gegebenes und an sich bestehendes Sein, sondern ein Handeln bewußt. Sie nennt das unmittelbare Innesein und Sehen derjenigen Tätigkeit, die das Wesen der Intelligenz ausmacht.« 137 W. Janke, a. a.O., 14. 138 Ebd. 132

§ 7 Anfang des logischen Diskurses und intellektuelle Anschauung

57

hiert werden.139 Wenn die philosophische, vernünftig gewährleistete Affirmation eines Seienden notwendigerweise auf dieser Anschauung beruhen muss, dann muss ihr das Sein abgesprochen werden. So sagt Fichte: »Aber dem Subjekte kommt, wenn von allem Sein desselben und für dasselbe abstrahiert ist, nichts zu, denn ein Handeln; es ist insbesondere in Beziehung auf das Sein das Handelnde«. 140 Während bei Kant der komplette abstrahierende Prozess den Gegensatz zwischen Nichts und Etwas ergibt,141 führt dasselbe bei Fichte zur ursprünglichen, unüberwindbaren Dualität von Sein und Tun. Das fichtesche Sein entspricht aber nicht dem Sein der hegelschen Logik. Dieses letztere ist eigentlich dem fichteschen Tun näher, d. h. der Tätigkeit des noûs in ihrer radikalsten Abstraktion; das fichtesche Sein dagegen ist eher mit dem kantischen Etwas, d. h. mit einem formierten Sein, gleichbedeutend. Trotz der Verwandtschaft zwischen dem Anfang der hegelschen Logik und der intellektuellen Anschauung Fichtes, haben wir in dieser grundsätzlich mit der – von der Logik Hegels abgelehnten – Auffassung des diskursiven Begreifens als defizitär zu tun und – verschoben auf das unmittelbare »Sehen« – mit der hierfür erforderlichen Annahme eines »Außerbegrifflichen«. Gemäß dieser Auffassung muss es zwangsläufig »ein Undemonstrierbares, das aller Demonstration zugrunde liegt«142, geben. Im Bedingten, Mittelbaren, muss sich irgendwo ein »letztes Glied«143 auffinden lassen, welches der Reihe der Bedingungen eine Grenze setzt. Ansonsten würde der diskursive Verlauf zufällig bleiben.144 Nun besteht die fundamentale Ansicht des transzendentalen Idealismus Fichtes darin, dass das Sein seinen Grund im Handeln hat und nicht umgekehrt. Für Hegel ist es eigentlich nicht anders, wenn man bedenkt, dass sein Ansatz eine Fortentwicklung der kantischen »Entdogmatisierung« der Philosophie ist, nach welcher das Denken die Sache bestimmt und nicht umgekehrt. Der wesentliche Unterschied ist jedoch, dass bei Fichte der Grund (das Handeln) und das Begründete (das Sein) eine unüberwindbare Opposition bilden.145 Da dieser Gegensatz ursprünglich ist, 139

Fichte: Erste und zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre und Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, hrsg. v. F. Medicus, 1944 Leipzig. I, 501. 140 Fichte, a. a.O., I, 457 141 Kant: Logik, A 147. 142 Fichte, a. a.O., I, 509. 143 Ebd. 144 Vgl. Fichte, a. a.O., I, 509. 145 Das wird von Fichte mehrmals und nachdrücklich behauptet, a. a.O., I, 424: »Die Aufgabe, den Grund eines Zufälligen zu suchen, bedeutet: etwas anderes aufzuweisen, aus dessen Bestimmtheit sich einsehen lasse, warum das Begründete, unter den mannigfaltigen Bestimmungen, die ihm zukommen könnten, gerade diese haben, welche es hat.

58

1.2 Der Anfang des logischen Diskurses

kann er aus der Denktätigkeit allein nicht hervorgehen. Obwohl das Denken das Sein begründet und nicht umgekehrt, muss außer der Denktätigkeit etwas Denkfremdes, ein nicht-ableitbarer Anstoß angenommen werden, um die »Faktizität der Endlichkeit«146 und die »erfahrene Gegenständlichkeit«147 erklären zu können. So entsteht für die Transzendentalphilosophie Fichtes die leitende Frage: »Woher das System der vom Gefühle der Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen? oder: Wie kommen wir dazu, dem, was nur subjektiv ist, objektive Gültigkeit beizumessen? oder, da objektive Gültigkeit durch Sein bezeichnet wird: Wie kommen wir dazu, ein Sein anzunehmen?«148 Der zugrundeliegende Gedanke dieser Reihe von gleichbedeutenden Fragen ist offensichtlich: Das außerhalb der Ichheit Liegende, die »erfahrene Gegenständlichkeit« muss erklärt werden aus dem ursprünglichen Zusammenfallen von Denken und Gedachtem, welches die intellektuelle Anschauung zum Ausdruck bringt, aber der Übergang vom einen zum anderen ist nicht direkt ersichtlich. Da der Gegensatz von Handeln und Sein aus der »absolut betriebenen Abstraktion«149 resultiert, ist die Objektivität (welcher, wie Fichte sagt, Seiendheit zukommt) aus dem ursprünglichen Handeln des Ich allein nicht ableitbar. Das erklärt, warum Fichte die Unbegreiflichkeit der intellektuellen Anschauung so nachdrücklich hervorhebt: Die Begreiflichkeit ist Vermittlung, »Fortgang vom Bedingten zum Bedingten«, und dafür ist noch etwas mehr nötig als das im Denken unmittelbar Angeschaute. Fichte sagt in Bezug auf das »Zurückgehen in sich selbst«150, welches seine Philosophie zugrunde legt: »Es ist kein Begreifen: Dies wird es erst durch den Gegensatz eines Nicht-Ich, und durch die Bestimmung des Ich in diesem Gegensatze. Mithin ist es eine bloße Anschauung«.151 Diskursives Begreifen und Beschränktheit des Denkens erweisen sich somit bei Fichte, wie im ganzen neuzeitlichen Denken, als innig zusammenhängend. Die Diskursivität wird als Indiz unseres Gefesseltseins an das Zufällige und Denkfremde aufgefasst; Der Grund fällt, zufolge des bloßen Denkens eines Grundes, außerhalb des Begründeten; beides, das Begründete und der Grund, werden, inwiefern sie dies sind, einander entgegengesetzt, aneinander gehalten, und so das erstere aus dem letzteren erklärt.« Siehe auch die Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, I, 456. Diese philosophische Prämisse läßt sich bis zur Antike zurückverfolgen. Aristoteles hat sie mit Klarheit in der Metaphysik, B, 3, 999a, 17–19, formuliert. 146 W. Janke, a. a.O., 186. 147 W. Janke, a. a.O., 185. 148 Fichte, a. a.O., I, 455. 149 W. Janke, a. a.O., 43. 150 Fichte, a. a.O., I, 459. 151 Ebd.

§ 7 Anfang des logischen Diskurses und intellektuelle Anschauung

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es gibt Diskursivität überhaupt nur, weil das Denken mit etwas Heterogenem zu tun hat. Als Grund der Prädikation ist dann jedoch die intellektuelle Anschauung unbegreiflich, weil das, was sie begründet, verschieden von ihr ist und ohne den Kontakt der Ichheit mit etwas Negativem nicht entstehen kann. Dies hat zur Folge, dass das Zusammenfallen von Denken und Gedachtem, auf welches das Interesse der hegelschen Logik eigentlich geht und welches die intellektuelle Anschauung zum Ausdruck bringt, bei Fichte niemals Gegenstand begrifflicher Entwicklung werden kann. Aus der Perspektive der Logik ist die intellektuelle Anschauung als Resultat der Abstraktion nicht radikal genug: Sie abstrahiert nicht von vorgeblichen Gegensätzen wie Grund und Begründetem, Unmittelbarkeit und Vermittlung, Handeln und Sein, und nimmt folglich als Anfang eigentlich ein Zusammengesetztes. Vom Standpunkt der Logik ist also das »ununterbrochene Fortschreiten vom Bedingten zur Bedingung«152, in welchem nach Fichte das Grundverfahren des transzendentalen Idealismus wesentlich besteht,153 nicht frei von willkürlichen Voraussetzungen. Der fichtesche Begriff der intellektuellen Anschauung ist immer noch in der Auffassung des diskursiven Verlaufs als eines einseitigen und unumkehrbaren Begründungszusammenhanges verankert.154 Die Folgen dieser Position sind etwa dieselben wie diejenigen, die sich oben hinsichtlich des Bewusstseins als Erscheinung ergeben haben: Das denkende Selbst als solches, worauf es in der Logik als Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft eigentlich ankommt, wird somit niemals wahrhaft »thematisch«. Dagegen kann das Sein dadurch, dass es keinen bereits formierten Inhalt zum Ausdruck bringt, den logischen Diskurs eröffnen und zugleich (von innen her) begrenzen, ohne dass dieser seine Absolutheit verliert. Ansonsten würde die Logik von außen her begrenzt sein, und somit würde ihre Gültigkeit als Diskurs nicht absolut, sondern bloß komparativ, sein.155 Das ist der Fall gerade bei den Spezialwissenschaften, welche, im Unterschied zur Philosophie, ihren Gegenstand voraussetzen können.156 Am Anfang, wie bereits

152

Ebd., I, 446. Vgl. Ebd. 154 Über die geradlinige Beweisführung und ihr Unzulänglichkeit für die Philosophie, siehe Phän. 61–62. 155 Über den Unterschied zwischen absoluter bzw. uneingeschränkter und komparativer Gültigkeit siehe KrV B 380–382. 156 Enz. § 1: »Die Philosophie entbehrt des Vorteils, der den anderen Wissenschaften zugute kommt, ihre Gegenstände als unmittelbar von der Vorstellung zugegeben sowie die Methode des Erkennens für Anfang und Fortgang als bereits angenommen voraussetzen zu können.« 153

60

1.2 Der Anfang des logischen Diskurses

gezeigt wurde, »tritt das Wissen von seinem Inhalt zurück«; dieser Inhalt weist keine Spur von Wissen auf, und deshalb kann die Logik mit ihm absolut anfangen. Der Inhalt, der am Anfang präsentiert wird, ist das Logische selbst, frei von jeglichem Wissen, die Habitualität und Aktivität des Denkens, bevor sie eine konkrete Gestalt annimmt. Die intellektuelle Anschauung ist als Anfang der Logik auch darum abgelehnt worden, weil sie eine zusammengesetzte Vorstellung ausmacht. Man könnte aber denken, dass das Ich – aufgefasst als Synonym dieser Denktätigkeit vor jeglicher »Formung« – immer noch als Anfang der Logik fungieren kann. Warum sollte dann der Anfang eher mit dem Sein als mit dem Ich gemacht werden? Was macht das Sein dafür geeigneter? Nach Hegel würde das Eigentümliche der Ichheit oder der Subjektivität verloren gehen, wenn sie als Anfang genommen würde. Das Ich ist bei Hegel nicht dasjenige, was aus der radikalsten Abstraktion jeglicher vorgegebenen Bestimmtheit resultiert, wie bei Fichte. Hier wird einer der wichtigsten Punkte der Logik antizipiert, mit welchem wir uns später befassen werden: Das Subjekt ist nicht als das Abstrakteste, sondern als »das Konkreteste«157 aufzufassen. Alles, was mehr Inhalt als das bloße Sein enthält, soll erst nach dem Anfang in Betracht gezogen werden,158 ohne dass dies seine Verendlichung – wie Fichte denken würde – impliziert. Bestimmungen wie Ich, Gott, das Absolute, bezeichnen aus der Perspektive der Logik nicht dasjenige, wovon das Wissen in seinem anfänglichen »Unentwickeltsein« ausgehen muss, denn dann würde es sich um Prinzipien (nach der oben angegebenen Charakterisierung) handeln, nicht um den Anfang. Von ihnen auszugehen, würde gerade die äußerliche Beschränkung und Relativierung des kreisförmigen Wissens mit sich bringen. Was solche Bestimmungen ausdrücken, ist eher Vollendung als Anfang des Wissens.

157

WL I, 63. WL I, 65: »Wenn also im Ausdruck des Absoluten oder Ewigen oder Gottes (und das unbestrittenste Recht hätte Gott, daß mit ihm der Anfang gemacht werde), wenn in deren Anschauung oder Gedanken mehr liegt als im reinen Sein, so soll das, was darin liegt, ins Wissen als denkendes, nicht vorstellendes erst hervortreten; das, was darin liegt, es sei so reich, als es wolle, so ist die Bestimmung, die ins Wissen zuerst hervortritt, ein Einfaches; denn nur im Einfachen ist nicht mehr als der reine Anfang; nur das Unmittelbare ist einfach, denn nur im Unmittelbaren ist noch nicht ein Fortgegangensein von einem zu einem anderen.« 158

§ 8 Einführung des Suppositionsbegriffes

61

§ 8 Einführung des Suppositionsbegriffes; einleitende Bemerkungen über seine Bedeutung und seine Operativität in der Logik Geht das Wissen von bereits formierten Bestimmungen aus, dann verliert der Anfang desselben seine Absolutheit und wird, aus den bereits angegebenen Gründen, bloß komparativ. Das wird von Hegel dadurch ausgedrückt, dass »es in der Wissenschaft nicht um das zu tun [ist], was innerlich vorhanden sei, sondern um das Dasein des Innerlichen im Wissen«.159 Mit dieser Aussage und ihren Folgen werden wir uns im Folgenden beschäftigen. Das »Innerliche« kann hier, dem scholastischen Verständnis des lateinischen Wortes »intrinsecum« entsprechend,160 als synonymer Ausdruck von »Wesentlich« verstanden werden. Kant ordnet bekanntlich den Begriff des Innerlichen unter die Reflexionsbegriffe ein; »innerlich« bezeichnet dasjenige an einem Gegenstande des reinen Verstandes, »welches gar keine Beziehung (dem Dasein nach) auf irgend etwas von ihm Verschiedenes hat«.161 Wenn es sich hingegen um einen Gegenstand der Anschauung, eine »substantia phaenomenon«, handelt, dann können seine »inneren Bestimmungen« nicht anders als in der Form von äußerlichen Verhältnissen aufgefasst werden.162 Das Äußerliche erschöpft den Inhalt des Innerlichen nicht, denn dieses ist per definitionem jeglichem Verhältnis fremd. Dem Innerlichen setzt sich das Dasein entgegen: Im Da-sein wird Etwas den äußerlichen Einflüssen ausgesetzt. Durch das Da-sein wird aber das, was ansonsten verborgen und unbestimmt bleiben würde, konkret in seinem sinngebenden Kontext erkannt; seine inneren Bestimmungen werden dann vermittels äußerer Relationen vollständig erklärt.163 Nichts in ihm entzieht sich dem Zusammenhang mit

159

WL I (1812), 39. Auf diese »Formel« hat auch E. Albizu aufmerksam gemacht, a. a.O., 20. In der Ausgabe von 1832 steht das Folgende (WL I, 64): »Es ist hierbei noch die wesentliche Bemerkung zu machen, daß, wenn an sich wohl Ich als das reine Wissen oder als intellektuelle Anschauung bestimmt und als Anfang behauptet werden könnte, daß es in der Wissenschaft nicht um das zu tun ist, was an sich oder innerlich vorhanden sei, sondern um das Dasein des Innerlichen im Denken und um die Bestimmtheit, die ein solches in diesem Dasein hat.« 160 Im Lexicon Philosophicum Chauvins (1713) werden drei Sinne des Wortes »Intrinsecum« unterschieden: 1) »Intrinsecum illud designat, quod est alicui essentiale«; 2) »quod intra subjectum continetur, vel habetur ad intra«; 3) »quod subjecto inhaeret, eique infixum est, tanquam substrato«. 161 KrV B 321. 162 Ebd: »Dagegen sind die innern Bestimmungen einer substantia phaenomenon im Raume nichts als Verhältnisse, und sie selbst ganz und gar ein Inbegriff von lauter Relationen.« 163 Vgl. KrV B 321–322.

62

1.2 Der Anfang des logischen Diskurses

dem von ihm Verschiedenen; dadurch wird folglich seine Selbstständigkeit bzw. seine Substantialität in der Relation aufgelöst. So muss der Ausdruck »das Dasein des Innerlichen im Wissen« verstanden werden: In der Wissenschaft geht es darum, das in einer Bestimmung innerlich Enthaltene als Da-sein zu betrachten und es somit in Zusammenhang mit anderen Bestimmungen zu bringen, was die Auflösung seiner (ansonsten unbekannten und unbestimmten) Innerlichkeit mit sich bringt. Das soeben Dargelegte gilt nicht nur für Bestimmungen wie Ich, Gott oder das Absolute, die fälschlich als Ausgangspunkt des Wissens angenommen zu werden pflegen, sondern für jegliche Denkform der Logik überhaupt. Die »Unabspaltbarkeit« des Inhalts von seiner Darstellung in der Logik erfordert, dass die Denkgebilde, welche den Gegenstand der logischen Betrachtung ausmachen, vermittels ihrer Relationen vollständig bestimmt werden. Das Innere eines gegebenen Begriffes muss aus der Dunkelheit, in welche die Vorstellung und das nicht-philosophische Denken es drängen, herausgezogen und als »daseiend« bzw. im konkreten Zusammenhang mit anderen Begriffen behandelt werden. Bei den Gegenständen der Anschauung macht bekanntlich der Raum das Medium des Zusammenhanges unter denselben aus. In der Logik ist dieses Medium oder Element das reine Wissen selbst, abgesehen von jeglicher konkreten Gestalt und zunächst durch »Sein« ausgedrückt. So wie die im Raum erscheinenden Substanzen keine Selbstständigkeit für sich besitzen, indem sie aus äußerlichen Beziehungen bestehen, so ist den logischen Bestimmungen, wenn sie im Element des reinen Wissens gefasst werden, keine innere Selbstständigkeit außerhalb ihrer Relationen miteinander zuzuschreiben. Das stimmt mit der Idee des kreisförmigen Wissens völlig überein: Die Logik ist als ein Diskurs geschildert worden, welcher, seiner radikalen Wissenschaftlichkeit gemäß, keinen willkürlichen Bruch oder Sprung in seinem kontinuierlichen Verlauf zulässt. Daraus folgt, dass die Annahme von dunklen Substraten am Anfang sowie inmitten des Verlaufs selbst das ungerechtfertigte Eindringen von Bestimmungen, welche sich in den begrifflichen Zusammenhängen des logischen Mediums nicht auflösen lassen, einen fatalen Abbruch im wissenschaftlichen Diskurs mit sich bringen würden. Von jetzt an werden wir uns eines besonderen Begriffes bedienen, um diese Substrate oder Annahmen, welche die Kontinuität des logischen Verlaufs sozusagen »blockieren«, zu bezeichnen. Es geht um den lateinischen Ausdruck »suppositio«, verdeutscht »Supposition«, welcher eine lange Geschichte im abendländischen Denken hat. Im schulgerechten Lateinischen des XVII. und XVIII. Jahrhunderts bezeichnet »suppositio« am häufigsten eine Voraussetzung oder allgemeine Annahme des Denkens, deren Wahrheit

§ 8 Einführung des Suppositionsbegriffes

63

man einen relativen (z. B. bei einer Hypothese) oder einen absoluten Wert (im Falle eines objektiven Prinzips) zuschreiben kann. Dies ist sozusagen der »epistemologische« Sinn des Wortes, und so benutzt Kant den Ausdruck in der Transzendentalen Dialektik.164 Es gibt aber einen anderen Sinn des Wortes, der auf die spekulativen Grammatiken des Mittelalters zurückgeht: »suppositio« bezeichnet dann eine der vier Eigenschaften jeglichen sprachlichen Ausdruckes (proprietates terminorum), zusammen mit der significatio, der copulatio und der appellatio.165 Die genaue Bedeutung der suppositio in diesem Kontext ist ziemlich unklar, vor allem in ihrer Abgrenzung gegen die significatio; dennoch vermindert diese Tatsache nicht im geringsten ihre Operativität als Begriff,166 wie der verbreitete Gebrauch des Ausdruckes in der philosophischen Literatur von diesem Zeitalter (zweite Hälfte des XII. Jahrhunderts) bis zu Leibniz zeigt.167 Für die Zwecke unserer Untersuchung ist am deutlichsten und am nützlichsten, zunächst zwischen der suppositio als »id de quo fit sermo« und der appositio als »illud quod dicitur de supposito« zu unterscheiden.168 Insofern scheint es, wie Kneale gezeigt hat, dass die suppositio einfach als die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes »hypokeímenon« zu verstehen ist.169 Die Kraft des Wortes »suppositio« liegt aber darin, dass sie andere Konnotationen enthält, welche bei »hypokeímenon« nicht vorhanden sind. Denn die suppositio bedeutet nicht nur, einen Terminus zum logischen Subjekt der Prädikation – also zum Zugrundeliegenden oder Untergelegten – zu machen (transitive Form des Verbs »supponere«), sondern auch den Akt, etwas an die Stelle eines anderen zu setzen (»supponere aliquid pro aliquo«).170 An der Stelle der Sache, von welcher die Rede ist, befindet sich das suppositum, weil die Sache selbst, sofern es sich bei ihr um etwas außerhalb des Diskurses Vorliegendes handelt, in der Rede selbst nicht vorkommen kann. Mit der suppositio wird also auch die sprachliche Vermittlung selbst gemeint, d. h. die Idee, dass die Intelligenz sich auf die Sachen nur vermittels der Sprache beziehen kann. Die Supposition ist folglich als die Operation zu verstehen, welche es der Intelligenz ermöglicht, vom direkten, unmittelbaren Umgang mit den Sachen in der Wahrnehmung zur diskursi-

164

KrV B 704, 707, 713f. So z. B. bei William of Sherwood in seinen Introductiones in Logicam, 14r–17v. Es handelt sich um eines des einflußreichsten Logik-Kompendien aus dem 13. Jahrhundert. Darüber siehe W. Kneale/M. Kneale: The Development of Logic, Oxford 1978. 246–274. 166 Kneale spricht von einer metaphorischen Kraft des Wortes, a. a O., 251. 167 Vgl. ebd. 168 Vgl. ebd. 169 Vgl. Kneale, a. a.O., 250–251. 170 Vgl. ebd. 165

64

1.2 Der Anfang des logischen Diskurses

ven, vermittelten Betrachtung derselben überzugehen. Es handelt sich also um die Mitte zwischen dem Außerdiskursiven und dem Begrifflichen. Der Begriff der hegelschen Philosophie, welcher der suppositio am nächsten liegt, ist zweifellos der der Vorstellung. Diese wird von Hegel auch als die Mitte zwischen der Anschauung und dem Denken betrachtet. Als einer solchen Mitte eignen ihren Produkten Eigenschaften beider Sphären: Einerseits sind die Vorstellungen zusammenhangslos und außer einander wie die Anschauungen; andererseits besitzt jede Vorstellung, für sich genommen, eine allgemeine Bedeutung bzw. eine significatio.171 Hegel definiert ferner die Aufgabe des Denkens als die Verwandlung der Vorstellungen in Gedanken.172 Diese verwandelnde Operation besteht darin, das »Außereinander« der Vorstellungen aufzuheben und den kontinuierlichen Zusammenhang derselben herzustellen, was mit der Erhebung des Denkens über das Sinnliche gleichbedeutend ist. Das »Außereinander« der Vorstellungen kann nur daraus erklärt werden, dass die vorstellende Intelligenz supponiert, d. h. dass sie an der Stelle der diskontinuierlichen Dinge, Sachen, Substanzen usw. Termini ohne Zusammenhang miteinander setzt. Das Zugrundeliegende, das id de quo fit sermo, erscheint im Diskurs kraft der Vorstellung durch ein Wort re-präsentiert. Deswegen sagt Hegel über die Substrate der Vorstellung, welche in der vormaligen Metaphysik als Ausgangspunkt des Diskurses fungieren (Gott, Welt, Seele), dass sie jeweils nichts weiter als ein leeres Wort seien, bevor etwas von ihnen prädiziert werde.173 Dieses Wort stellt aber die Sache als wesentlich verschieden von dem vor, was von ihr ausgesagt wird, d. h. von ihrer significatio, gemäß dem oben erwähnten Gegensatz zwischen der suppositio und der appositio. Gott, das Absolute, usw. sind als supposita nur leere Worte, welche von ihren Prädikaten nicht vollständig ausgedrückt werden können, da ja die suppositio nicht auf die significatio reduzierbar ist. Mit den Worten Kants und Hegels: Sie sind das Innerliche, »das keine Beziehung auf irgend etwas von ihm Verschiedenes hat«, und sich somit der vollkommenen Konzeptualisierung entzieht. Als Präsenz des »Vorausseyenden« im Diskurs verstanden »blockiert« also die suppositio die diskursive Kontinuität des kreisförmigen Wissens. Auf diesem Unterschied zwischen suppositio und significatio gründet somit das, was oben »der willkürliche Abbruch der

171

Vgl. Enz. § 20. Ebd, Anm., Abs. 2: »Der Unterschied von Vorstellung und von Gedanken hat die nähere Wichtigkeit, weil überhaupt gesagt werden kann, daß die Philosophie nichts anderes tue, als die Vorstellungen in Gedanken zu verwandeln, – aber freilich fernerhin den bloßen Gedanken in den Begriff.« 173 Vgl. Enz. § 31. 172

§ 8 Einführung des Suppositionsbegriffes

65

diskursiven Kontinuität« genannt worden ist. Wie sich später zeigen wird, trifft die suppositio nicht nur auf die Produkte der Vorstellung, sondern auch auf die Gebilde des Verstandes zu. Denn allein die suppositio kann dafür verantwortlich sein, dass die reinen Denkbestimmungen zusammenhangslos konzipiert werden. Aus diesem Grund ist es so wichtig für Hegel, am Anfang der Logik das id de quo fit sermo zu fixieren, und zwar als ein suppositum, das (im Unterschied zu den Substraten der vormaligen Metaphysik) nicht verschieden ist von dem, was von ihm ausgesagt wird. Dieses suppositum kann genau genommen, wie wir bereits wissen, nur die Abwesenheit eines jeglichen suppositum überhaupt sein, und das ist es gerade, was »Sein« ausdrückt. Wie unsere Untersuchung später zeigen wird, meint das Sein nichts anderes als die reine significatio. Aus diesen Überlegungen wird ersichtlich, inwiefern es für das Verständnis des logischen Diskurses wesentlich ist, sein Verhältnis zur Vorstellung zu präzisieren. Die Betrachtung dieses Verhältnisses wird uns im nächsten Kapitel nicht nur zeigen, worin die Verwandlung der Vorstellungen in Begriffe eigentlich besteht, sondern auch, wie die Vorstellung den Bezug der Intelligenz auf die Anschauung in der Sprache konfiguriert. Durch die Untersuchung der sprach- und zeichentheoretischen Überlegungen der Enzyklopädie wird sich herausstellen, inwiefern und in welchem Sinne die hegelsche Konzeption der Philosophie eigentlich auf Hegels Auffassung von diskursiver Beschaffenheit des Denkens beruht. Das wird Einsicht darein verschaffen, wie der Denkverlauf der Logik strukturell und diskursiv konstituiert ist.

1.3 Logisches Denken und Vorstellung: Aufgabe einer Logik als prima philosophia in Bezug auf die Zeichen machende Intelligenz

§ 9 Die Ambivalenz des Vorstellungsbegriffes Die letzten Untersuchungen über den Standpunkt der Logik haben uns zum Begriff der Vorstellung geführt. In der Hegel-Forschung ist das Verhältnis der Logik zur Vorstellung wenig berücksichtigt worden. Man glaubt, dass die Erhebung auf den Standpunkt reinen Denkens diese Phase der Intelligenz bereits hinter sich hat und dass sie folglich irrelevant für das Verständnis der Natur des logischen Verfahrens ist. Die Vorstellung hat immer noch an der Passivität der Anschauung teil; die Tätigkeit des reinen Denkens hingegen geschieht in der Logik völlig frei von jeglichem Bezug auf das anschauliche Gegebensein. Warum sollte dann dieses vergangene Stadium des Denkens eine Untersuchung der Logik interessieren, wenn sich hinlänglich gezeigt hat, dass die Logik allein mit reinen Denkbestimmungen in einem Element, das frei von äußerlichen Beschränkungen ist, zu tun hat? Wir haben aber im letzten Kapitel gesehen, dass die Zusammenhanglosigkeit und Diskontinuität der Denkbestimmungen eigentlich auf dem Mechanismus der Supposition – welchen wir der Vorstellung gleichgestellt haben – beruht. Indem das logische Denken das Innerliche seiner Bestimmungen als »daseiend« betrachtet und es so in der logischen Relationalität auflöst, kann behauptet werden, dass die von der Vorstellungskraft erzeugten Suppositionen den eigentlichen Stoff ausmachen, welchen die Denktätigkeit in der Logik zu bearbeiten hat. Die im ersten Kapitel betrachtete philosophische Abschaffung des »Vorausseyenden« bringt mit sich, dass das Denken eine Verwandlung an dem ihm vorgegebenen Material vollbringen muss. Das, was verwandelt werden muss, sind gerade die Vorstellungen als vorfindliche Gebilde, welche dem reinen Denken als undurchdringliche Substrate gegenüberstehen. Als ununterbrochener Denkverlauf muss dann die Wissenschaft der Logik diese Verwandlung in jedem Schritte ihres Fortganges vornehmen. Kant hatte schon die Aufgabe der Logik als die Verwandlung der Vorstellungen in Begriffe verstanden.174 Allerdings fungiert in der kantischen Phi174

Kant: Logik, A 144: »Die allgemeine Logik hat also nicht die Quelle der Begriffe zu untersuchen; nicht wie Begriffe als Vorstellungen entspringen, sondern lediglich, wie gegebene Vorstellungen im Denken zu Begriffen werden; diese Begriffe mögen übrigens etwas enthalten, was von der Erfahrung hergenommen ist, oder auch etwas Erdichtetes, oder von der Natur des Verstandes Entlehntes.«

§ 9 Die Ambivalenz des Vorstellungsbegriffes

67

losophie die Vorstellung als die höchste Gattung, die alle Bestimmungen des Gemüts – gleich, ob sie solche der Anschauung oder des Denkens sind – unter sich befasst.175 Das macht nach Kant eine Erklärung des Begriffs »Vorstellung« unmöglich, denn dafür sollte man gerade Vorstellungen verwenden.176 Dass die Begriffe eine species der Vorstellung ausmachen, kollidiert jedoch mit der Idee, dass die Logik das Werden der Vorstellungen zu Begriffen zu untersuchen hat. Aus den Texten geht hervor, dass die Begriffe in gewisser Hinsicht, nämlich als Modifikationen des Gemüts verstanden, Vorstellungen sind. Es ist nun offensichtlich, dass der Begriff, insbesondere in der Philosophie Kants, »mehr« als eine bloße Modifikation des Gemüts ist. In Bezug auf die Erkenntnis sagt Kant in seiner Logik, dass sie »eine zwiefache Beziehung« hat: »erstlich, eine Beziehung auf das Objekt, zweitens, eine Beziehung auf das Subjekt. In der ersten Rücksicht bezieht sie sich auf Vorstellung; in der letztern aufs Bewußtsein, die allgemeine Bedingung alles Erkenntnisses überhaupt«.177 Das Bewusstsein wird aber von Kant auch als eine Vorstellung bezeichnet, und zwar als »eine Vorstellung, daß eine andre Vorstellung in mir ist«.178 Aus diesen konfusen Hinweisen lässt sich trotzdem folgern, dass die Vorstellung bei Kant den terminus a quo oder den Ausgangspunkt jeglicher intellektuellen Tätigkeit ausmacht. Die Tatsache, dass (wie im ersten Kapitel gesagt wurde) der inhaltliche Gegenpol der Erkenntnis bei Kant nicht die innere Beschaffenheit der Dinge ist, sondern die Sinneserscheinungen, die als solche »in uns« sind, unterstützt dieses Verständnis des Vorstellungsbegriffes. »Vorstellung« ist dann in gewisser Hinsicht als der negative Ausdruck zu verstehen, der die Unmöglichkeit besagt, mit dem Fremden einen Kontakt zu haben, der nicht bereits vom Kontext der subjektiven Formen vermittelt ist. Daraus erhellt, warum die Vorstellung in der Kritik der reinen Vernunft als das summum genus aufgefasst wird: Wenn alles Vorstellung ist bzw. wenn die Vorstellung kein Gebiet des Seienden unter anderen Gebieten ausmacht, dann kann die Erkenntnis nicht mehr durch die Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit etwas, das nicht Vorstellung ist, erklärt werden, sondern nur durch die Übereinstimmung der Vorstellungen mit sich selbst, welche eine Operation des denkend vorstellenden

175

KrV B 376–377. Kant: Logik, A 41–42: »Aber Vorstellung ist noch nicht Erkenntnis, sondern Erkenntnis setzt immer Vorstellung voraus. Und diese letztere läßt sich auch durchaus nicht erklären. Denn man müßte, was Vorstellung sei? doch immer wiederum durch eine andre Vorstellung erklären.« 177 Kant: Logik, A 40. 178 Ebd. 176

68

1.3 Logisches Denken und Vorstellung

Selbst ausmacht.179 Wenn ferner das Denken diese Übereinstimmung der Vorstellungen mit sich selbst vollzieht, dann kann die Vorstellung als der zu bestimmende Gegenstand der Denktätigkeit angesehen werden. Begriffe sind also Vorstellungen, weil die Vorstellungen nichts als der primitive, unentwickelte Zustand der Begriffe sind, bevor sie von der verwandelnden Tätigkeit des Denkens bearbeitet werden. Die Schwierigkeit, den Begriff der Vorstellung aufgrund seines allumfassenden Charakters jenseits des Unterschiedes von Anschauung und Denken zu bestimmen, wird bei Hegel dadurch vermieden, dass die Vorstellung als der Verknüpfungspunkt zwischen diesen beiden aufgefasst wird. Die Vorstellung fungiert bekanntlich in der gedanklichen Ökonomie der Enzyklopädie als die Mitte zwischen Anschauung und Denken.180 Daraus erklärt sich, dass beide an der Vorstellung teilhaben und gleichzeitig Eigenschaften aufweisen, die der Vorstellung nicht zukommen. Wie sich im Folgenden genauer zeigen wird, ermöglicht dies Hegel, das logische Denken von den intuitionistischen Voraussetzungen der kantischen Philosophie zu befreien, ohne gleichzeitig gegen die kantischen Vorschriften hinsichtlich des dogmatischen Gebrauchs der Vernunft zu verstoßen.181 Aus der Position der Vorstellung als Mitte erklärt sich auch – und darauf werden wir später ebenfalls eingehen –, warum so viele Aspekte der kantischen Philosophie nach Hegel immer noch mit den Mängeln einer vorstellenden (und nicht denkenden) Betrachtungsweise behaftet sind: Sofern ein klares Unterscheidungskriterium zwischen Vorstellung und Begriff fehlt, kann sich die Denktätigkeit vom »supponierenden« Vorgehen der Vorstellung nicht völlig befreien und vermag es folglich nicht, rein wissenschaftlich zu verfahren. Die letzten Überlegungen des vorausgehenden Kapitels haben verdeutlicht, dass die Bezeichnung einer gegebenen Bestimmtheit als »Vorstellung« eigentlich von deren Stelle im diskursiven Verlauf abhängt. Der Begriff vom »Ich«, beispielsweise, wurde zuvor für die Stelle des Diskurs-Anfangs abgelehnt: Wenn die Logik mit ihm anfangen würde, dann würde sich der absolute Anfang von einer vorgegebenen Vorstellung abhängig machen, und das würde die philosophische Radikalität der Logik – sofern sie von einer vorherbestimmten Struktur bedingt wäre – ruinieren. Das Unterscheidungskriterium zwischen Vorstellung und Begriff 179

Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Hegel y el destino de la noción moderna de representación«, in: Éndoxa: Series Filosóficas, Madrid 2011, Bd. 27, S. 103–132. Hier: 113. 180 Vgl. Enz. § 451. 181 Vgl. H. F. Fulda: »Das endliche Subjekt der eigentlichen Metaphysik«, in: J. Stolzenberg (Hrsg.): Subjekt und Metaphysik. Konrad Cramer zu Ehren aus Anlaß seines 65. Geburtstags, Göttingen 2001, S. 71–83. Hier: 76–77.

§ 9 Die Ambivalenz des Vorstellungsbegriffes

69

muss also Rechenschaft darüber geben, unter welchen Bedingungen überhaupt eine Bestimmung als Vorstellung zu betrachten ist oder nicht. Wie sich im Folgenden detaillierter zeigen wird, kommt alles auf den Grad der Beziehungslosigkeit einer Bestimmung (oder einer gewissen begrifflichen Struktur) an. In diesem Sinne verdient alles, was sich »außerhalb« des diskursiven Verlaufes befindet, »Vorstellung« genannt zu werden. Dieses »Außerhalb« des verknüpfenden Mediums, das reines Denken ist, ist der gemeinsame Nenner der Vorstellung und der Anschauung. Die beiden sind durch Kontingenz und Zusammenhanglosigkeit gekennzeichnet. Die Behauptung Kants, dass die Vorstellungen »noch nicht« Begriffe sind, wird dann im hegelschen Kontext – und ganz im Sinne Kants – dadurch übersetzt, dass die Vorstellungen als Produkte des Denkens von der Form des Selbst noch nicht durchdrungen sind, die sie im kontinuierlichen Zusammenhang setzen muss. Worin besteht dann genauer der Unterschied zwischen Anschauung und Vorstellung und wie verhalten sich diese beiden zueinander? Für die Stelle des logischen Anfangs werden von Hegel alle die Bestimmungen abgelehnt, die analysierbar sind. Diese Analysierbarkeit ist das, was später die »Innerlichkeit« der Bestimmungen genannt worden ist, und diese ist im Allgemeinen mit deren Bedeutung zu identifizieren. Innerlich ist aber die Bedeutung im zweifachen Sinne: Zunächst ist sie innerlich der Denktätigkeit gegenüber, bevor ihr Zusammenhang mit anderen Bestimmungen im Medium des reinen Wissens hergestellt wird. Aber innerlich ist sie auch im Verhältnis zur Anschauung, indem sie sich, als ein Gebilde allgemeiner Natur, bereits im innerlichen Raum der Intelligenz, also der Äußerlichkeit der Anschauung entzogen, befindet.182 Die Vorstellung unterscheidet sich also von der Anschauung durch die Allgemeinheit. Dasjenige hingegen, was uns durch die Anschauung gegeben wird, ist einzelner Natur und kann es nur sein. Es ist an dieser Stelle wieder an die kantische Auffassung des Begriffes zu erinnern. Bezüglich deren wurde im ersten Kapitel gezeigt, dass bei Kant die »Entdogmatisierung« der Philosophie durch Einbeziehung des nicht-Begrifflichen – als des Unmittelbaren, anschaulich Gegebenen verstanden – in die Struktur des Begriffs selbst erfolgt. Das nicht-Begriffliche, das Gegebene, erweist sich somit als wesentlicher Bestandteil des Begriffes; deswegen ist bei Kant der Gegenstand das hervorgehende Resultat, nicht der Rohstoff, der strukturierenden Tätigkeit des Begriffes. »Vorstellung« fungiert bei Hegel gerade als der Ausdruck dieses Sachverhaltes: Sie bezeichnet in eins das bereits »Formiertsein« der Erfahrung durch das Denken und das gleichzeitige »Bedingtsein« des Denkens vom anschaulich Gegebenen, vom nicht-Begrifflichen. 182

Vgl. Enz. § 452.

70

1.3 Logisches Denken und Vorstellung

Dieser Rest des Gegebenseins, dieser nicht-begriffliche, inhaltliche Kern des Begriffs hat sich im letzten Kapitel als die Ursache der Kontingenz und Diskontinuität der Denkbestimmungen und als das grundsätzliche Hindernis für die Entstehung einer Logik im Sinne Hegels erwiesen. Aber durch die Vorstellung macht sich das Denken das Gegebene zu eigen, sodass diese Diskontinuität der Denkbestimmungen, obwohl sie vom nicht-Begrifflichen im Begriff zeugt, schon die Arbeit der Intelligenz aufweist. Insofern kann die Vorstellung (gemäß des im letzten Kapitel über die suppositio als sprachliche Vermittlung Gesagten) als die vermittelnde Operation zwischen der bloß passiven Empfindlichkeit und der reinen Aktivität des Denkens angesehen werden. So sagt Hegel in der Enzyklopädie: »Der Weg der Intelligenz in den Vorstellungen ist, die Unmittelbarkeit ebenso innerlich zu machen, sich in sich selbst anschauend zu setzen, als die Subjektivität der Innerlichkeit aufzuheben und in ihr selbst ihrer sich zu entäußern und in ihrer eigenen Äußerlichkeit in sich zu sein. Aber indem das Vorstellen von der Anschauung und deren gefundenem Stoffe anfängt, so ist diese Tätigkeit mit dieser Differenz noch behaftet, und ihre konkreten Produktionen in ihr sind noch Synthesen, die erst im Denken zu der konkreten Immanenz des Begriffes werden.«183 Die Herstellung der Kontinuität der vorgegebenen Bestimmungen (Vorstellungen), welche die Logik vollzieht, sodass sie diese Bestimmungen als Gestalten der Selbsterkenntnis des Denkens erscheinen lässt, ist nur vermittels einer vorausgehenden Operation möglich. Diese vorausgehende Operation stellt den Boden des reinen Denkens bereit, indem sie das »Eindruckshafte« umformt – Hegel nennt dies »die Unmittelbarkeit innerlich machen« – und das Resultat dieser Umformung zu einem vorliegenden Denkgebilde macht. Dieser letzte Schritt ist das, was Hegel mit der »Aufhebung der Subjektivität der Innerlichkeit« eigentlich meint. Die Logik hat mit Denkgebilden zu tun, denen nicht eine bloß subjektiv-innerliche Seinsweise zukommt; sie existieren auch objektiv als »geistige« Gestalten, und darin ist die besondere Leistung der Operation der Vorstellung zu suchen. Wie dies genauer geschieht, wird der Gegenstand der folgenden Überlegungen sein.

183

Enz. § 451.

§ 10 Die Operation der Vorstellung und ihre Stufen

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§ 10 Die Operation der Vorstellung und ihre Stufen Die vor Hegel als verschiedene konzipierten, auseinander fallenden Vermögen der Intelligenz – Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis184–, bilden in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften die Schritte, in denen sich diese Operation vollzieht. Mit der Ausdrucksweise Hegels können wir sagen: Sie machen, in der angegebenen Reihenfolge, die Stufen der allmählichen Befreiung der Intelligenz von der Anschauung aus. Wie aber ist eigentlich diese Befreiung zu verstehen? Bedeutet das etwa, dass das Denken zum Urheber der Anschauung wird? Kant hatte bereits die Möglichkeit einer sich selbst Anschauung gebenden Intelligenz wegen der diskursiven Natur unseres Denkens abgelehnt. Nach Kant wäre für einen solchen Intellekt die diskursive Vermittlung überflüssig, denn als Urheber der Anschauung würde er eine unmittelbare Erkenntnis des (von ihm hervorgebrachten) Gegenstandes haben.185 Nach dieser Ansicht hängen die Diskursivität, das Gegebensein des Angeschauten und die Beschränktheit unseres Intellekts wesentlich zusammen.186 Das erklärt, warum die vorhegelschen Versuche, die kantischen Restriktionen zu überwinden, im Aufsuchen eines ersten unmittelbaren, vor der Diskursivität bzw. begrifflichen Vermittlung vorausgehenden Punktes bestehen, also einer Anschauung, welche aber von der Sinnlichkeit verschieden, d. h. intellektueller Natur ist. Es wurde jedoch gezeigt, dass es bei Hegel kein Erstes außerhalb der Linie des diskursiven Verlaufs geben kann. Die Befreiung von den Einschränkungen, die die sinnliche Anschauung unserem Intellekt auferlegt, ist bei Hegel folglich nicht mit der Aufhebung der Diskursivität verbunden. Eine solche Aufhebung würde uns wieder in einer Grundlage außerhalb der Logik, in einem ihr äußerlichen Zentrum plazieren, und das hegelsche Projekt einer Wissenschaft des Logischen würde somit scheitern. Man könnte einwenden, dass die Bestimmung »Sein«, mit welcher der logische Anfang gemacht wird, auch einen solchen vordiskursiven Punkt bezeichnet. Aber das Wort »Sein« drückt eher – wie der Punkt in Bezug auf die Linie – die »innerliche Grenze« des Logischen aus. Es handelt sich also nicht um ein dem Diskursiven Entgegengesetztes, wie im Fall der 184

Enz. §§ 451–465. Im Folgenden werden wir uns mit den Paragraphen, die der Vorstellung gewidmet sind, beschäftigen. 185 Vgl. KrV B 138–139; B 135. 186 »Diskursivität« wird häufig im Kontext des Deutschen Idealismus mit dem Ausdruck »Reflexion« gleichgesetzt, so dass die Reflexion schließlich mit der Vermittlung als solche identifiziert wird. Daraus folgt, dass das Aufsuchen eines Ersten kat’exochen (bei Fichte und Schelling) sich auf etwas sowohl »Prärreflexives« als auch »Prädiskursives« beziehen muss.

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1.3 Logisches Denken und Vorstellung

intellektuellen Anschauung im Verhältnis zum Begreifen bei Fichte. Daraus erhellt, warum die Idee des Ursprünglichen bei Hegel – im Unterschied zu Schelling – keinen besonderen Vorrang hat.187 Die Befreiung von den Einschränkungen der Anschauung soll also nicht zugunsten des Unsagbaren erfolgen. Diese Befreiung hat auch nicht den Sinn, unseren Intellekt über die Grenzen der Sinnlichkeit hinaus auf nichtgegebene Gegenstände zu erstrecken. Auch in dieser Hinsicht ist Hegel, wie sich im Folgenden ausführlicher zeigen wird, ein strikter Kantianer. Wenn also Anschauung und Denken gleichursprünglich sind und die Befreiung des Zweiten von den Einschränkungen des Ersten weder den Sprung in ein »Unvordenkliches« noch einen dogmatischen Gebrauch der Kategorien zulässt, dann muss die Anschauung auf eine solche Weise Bestandteil des Denkens sein, dass sie nicht mehr den inhaltlichen Gegenpol des Denkens und Begreifens ausmacht. Gleichzeitig muss aber die Anschauung durch die befreiende Operation der Vorstellung immer noch dasjenige bleiben, was dem Denken unmittelbare Seiendheit verleiht, in einem noch zu präzisierenden Sinn. Die einzige Form, diese Operation zu vollziehen, kann allein durch die »Herabsetzung« der Anschauung zu einer Verkörperung der Intelligenzprodukte geschehen. Bei Hegel erfolgt dies gerade durch die Erzeugung dessen, was sozusagen den »Grundbaustein« des Diskursiven ausmacht, nämlich das Zeichen. Durch die zeichenhaftige Konfiguration des Denkens »bemächtigt« sich die Intelligenz der Anschauung und gibt sich selbst eine äußerliche, anschauliche Seinsweise. Indem das Angeschaute Zeichen der Gedanken wird, hört der Begriff auf, bloß strukturierende Tätigkeit des Gegebenen zu sein und wird der Inhalt selbst. Dieser begriffliche Inhalt erhält durch die Spontaneität der Intelligenz die anschauliche Seite, die er braucht, um objektive Seiendheit zu besitzen. Es ist besonders bemerkenswert, dass dasjenige, was Kant für unsere Erkenntnis aufgrund ihrer diskursiven Natur für unmöglich hielt, nämlich die Idee einer sich selbst Anschauung gebenden Intelligenz, von Hegel gerade in der elementaren Konstitution der Diskursivität selbst gefunden wird.188 Es handelt sich um eine Lösung, deren Möglichkeit sowohl dem kantischen Denken als auch Jacobi, Fichte und Schelling vollkommen entgangen war. Im Folgenden wollen wir die genauere Artikulation dieser Operation betrachten.

187

Vgl. D. Henrich: »Anfang und Methode der Logik«, in: Hegel im Kontext, Frankfurt a. M. 1971, 93, Fußnote 25: »(Hegels Denken) ist weder Ursprungs- noch Emanzipationsphilosophie.« Siehe auch W. Wieland, a. a.O., 410–411. 188 Dieser Punkt ist, soweit wir wissen, zum ersten Mal von Fulda eingesehen und ausgearbeitet worden. Siehe H. F. Fulda: »Das endliche Subjekt …«, a. a.O., 75–76.

§ 10 Die Operation der Vorstellung und ihre Stufen

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Das, was Hegel »Vorstellung« nennt, umfasst sowohl die anfängliche Gegenüberstellung zwischen äußerlicher Anschauung und innerlicher Intelligenz als auch die Zeichenproduktion, wodurch die Intelligenz sich der Anschauung »bemächtigt«. Diese verschiedenen Aspekte werden in der Weise einer Sequenz von Phasen oder Stufen miteinander verbunden. Die Sequenz bildet, wie bereits bemerkt, die traditionelle Reihe der Intelligenzkräfte: Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis. Beim ersten Schritt, der Erinnerung, werden die durch die Anschauung gegebenen Inhalte dem äußerlichen Kontext – ihrem Wo? und ihrem Wann? –, in welchem sie versenkt sind, entnommen und in dem allgemeinen Raum der Intelligenz aufbewahrt.189 »Allgemein« heißt dieser subjektive Raum darum, weil er das Medium der in ihm aufbewahrten Elemente ausmacht, welche dadurch in einen kontinuierlichen Zusammenhang gebracht werden. Mittels der Erinnerung setzt somit die Intelligenz ihr eigenes Medium an die Stelle des räumlich-zeitlichen Mediums der aisthesis. Es handelt sich noch nicht – darauf muss besonderer Nachdruck gelegt werden – um ein begriffliches Medium, wie dasjenige der Logik, sondern um ein subjektiv-psychologisches. Es geht hier um das, was oben das Innerliche im zweifachen Sinne genannt worden ist, also das Innerliche der Intelligenz gegen die Äußerlichkeit der Anschauung. Das erklärt, warum der Begriff der Vorstellung häufig mit dem Psychologismus assoziiert wird. Durch die Erinnerung entsteht die Allgemeinheit, welche die anschaulichen Inhalte in einer einheitlichen psyché zusammenbringt. Diese Allgemeinheit ist aber nicht mit der Allgemeinheit des Begriffes zu verwechseln, weil dieses Zusammenbringen den Inhalt der aufbewahrten Anschauungen sozusagen »intakt«, unberührt lässt. Die Verallgemeinerung, welche die Erinnerung bei dem Empfundenen ausführt, betrifft lediglich die Formen der Anschauung, d. h. den Raum und die Zeit, nicht aber das durch sie Gegebene. Im Unterschied zu den reinen Formen der Anschauung, die den allgemeinen Rahmen der einzelnen Anschauungen und Empfindungen ausmachen, ist die psychische Allgemeinheit der Erinnerung »konservierend«. Sie hat also den Sinn einer Abstraktion bzw. einer Absonderung aus dem raum-zeitlichen Zusammenhang, der eine vorkommende Empfindung individuiert. Diese Absonderung ist, wie Kant in seiner Logik in Bezug auf die Abstraktion sagt, »nur die negative Bedingung, unter welcher allgemeingültige Vorstellungen erzeugt werden können«, »denn durchs Abstrahieren wird kein Begriff«.190 Dieses abstrahierende Herausziehen aus dem individuierenden Zusammen189

Vgl. Enz. § 452. Vgl. auch J. M. Sánchez de León Serrano: »Hegel y el destino …«, a. a.O., 119–120. 190 Kant: Logik, A 147.

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1.3 Logisches Denken und Vorstellung

hang der Anschauung hat aber, trotz seines konservierenden Charakters, die »Entdifferenzierung« der aufbewahrten Inhalte zur Folge. Im Zusatz zum § 452 der Enzyklopädie steht: »Das Vorgestellte gewinnt jedoch jene Unvergänglichkeit nur auf Kosten der Klarheit und Frische der unmittelbaren, nach allen Seiten fest bestimmten Einzelheit des Angeschauten; die Anschauung verdunkelt und verwischt sich, indem sie zum Bilde wird.« Es kann an dieser Stelle erläuternd sein, den Unterschied zwischen dem sinnlichen Bewusstsein, so wie es in der Enzyklopädie geschildert wird, und der aufbewahrenden Operation der Erinnerung kurz in Betracht zu ziehen. Während die einzelnen Anschauungen durch die Erinnerung »meinig« gemacht werden, bin ich dessen bewusst, was in seiner Einzelheit »mir gegen-über« existiert. Vermöge der Erinnerung wird etwas von seiner aktuellen Existenz, »von seiner ersten Unmittelbarkeit«191 abgetrennt und mir homogen gemacht.192 Aufgrund dieser Homogenisierung – die sich erst im Denken und Begreifen vollenden wird – ist das Selbst in der Erinnerung, im Gegensatz zum Bewusstsein, eigentliches Subjekt, indem es das »Ansich« seiner Bestimmungen193 (d. h. seiner Erinnerungen) ausmacht. Im Bewusstsein hingegen stehen das bewusste Selbst und der sinnlich wahrgenommene »Stoff des Bewusstseins«194 in einem Verhältnis von Äußerlichkeit zu einander.195 Dies lässt sich auch bei Kant feststellen, wenn er den Ausdruck »Begleiten« verwendet, um die Beziehung des Bewusstseins mit seinen Vorstellungen zu bezeichnen. Der Unterschied zum Bewusstsein wird von Hegels selbst hervorgehoben, indem er die Homogenisierung der anschaulichen Inhalte, welche die Erinnerung ausführt, als bewusstlos schildert: »[…]; in ihr erinnert, ist das Bild, nicht mehr existierend, bewußtlos aufbewahrt«.196 Auf den bewusstlosen Charakter des vorliegenden Vorganges werden wir bald wieder eingehen. Wichtig ist nun zu sehen, inwiefern diese Operation der Erinnerung zur Befreiung von der Anschauung tendiert, die wir oben als das 191

Enz. § 452. Enz. § 453, Zusatz: »Das Bild ist das Meinige, es gehört mir an; aber zunächst hat dasselbe noch weiter keine Homogeneität mit mir, denn es ist noch nicht gedacht, noch nicht in die Form der Vernünftigkeit erhoben; zwischen ihm und mir besteht vielmehr noch ein von dem Standpunkt der Anschauung herrührendes, nicht wahrhaft freies Verhältnis, nach welchem ich nur das Innerliche bin, das Bild aber das mir Äußerliche ist.« 193 Enz. §453: »Die Intelligenz ist aber nicht nur das Bewußtsein und Dasein, sondern als solche das Subjekt und das Ansich ihrer Bestimmungen; […].« 194 Enz. § 418, Anm. 195 Ebd.: »Das Objekt ist hier zunächst nur nach dem Verhältnisse zu nehmen, welches es zu dem Bewußtsein hat, nämlich ein demselben Äußerliches, noch nicht als an ihm selbst Äußerliches oder als Außersichsein bestimmt zu sein.« 196 Enz. § 453. 192

§ 10 Die Operation der Vorstellung und ihre Stufen

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Kennzeichen der Vorstellung bestimmt haben. Während der Gegenstand des sinnlichen Bewusstseins »ein selbständiges Anderes gegen mich«197 ist, wird das Angeschaute durch die Erinnerung modifiziert und ins Gebiet der Intelligenz integriert. Somit entsteht der bedeutsame Begriff des »nächtlichen Schachtes der Intelligenz«, der im Folgenden eine entscheidende Rolle spielen wird.198 Im Laufe der bisherigen Untersuchung ist wiederholt hervorgehoben worden, dass die Logik keinen Bruch oder Sprung in ihrem kontinuierlichen diskursiven Verlauf zulässt. Dieses wissenschaftliche Erfordernis ist gleichbedeutend mit dem Anspruch, jegliche begriffliche Differenzierung immanent aus dem Fortgang selbst hervorgehen zu lassen, anstatt vorgegebene Gegensätze begriffslos anzunehmen.199 Darin besteht das, was Hegel »logische Konkretion« nennt, im Gegensatz zur vermeintlichen Konkretion des Sinnlichen, welche eigentlich als Abstraktion und Zusammenhangslosigkeit anzusehen ist. Nun bietet die Idee des nächtlichen Schachtes der Intelligenz gerade eine »Vorahnung« oder »Antizipation« der logischen Konkretion, indem dieser Schacht als undifferenzierte Tiefe der aufbewahrten Bilder den ursprünglichen »Keim« ausmacht, aus welchem die künftigen begrifflichen Ausdifferenzierungen der Logik hervorgehen werden. So erhält unsere obige Behauptung, nach welcher die Vorstellungen den Rohstoff der Denktätigkeit ausmachen, eine erste spezifische Bedeutung: Sie bedeutet nämlich, dass dasjenige, was die Logik im kontinuierlichen Zusammenhang zu entfalten hat, sozusagen bereits im nächtlichen Schacht der Intelligenz »virtuell enthalten« ist. Die Aufnahme der anschaulichen Mannigfaltigkeit in die Innerlichkeit der Intelligenz (in der Form eines Bildes) und die Verwischung ihrer Konturen, welche mit der Aufbewahrung im nächtlichen Schacht einhergeht, machen also die Bedingung der Möglichkeit dafür aus, dass sich die Denkbestimmungen aus der Spontaneität des Denkens selbst ohne das 197

Enz. § 418, Zusatz, Abs. 6. Enz. § 453, Anm.: »Die Intelligenz als diesen nächtlichen Schacht, in welchem eine Welt unendlich vieler Bilder und Vorstellungen aufbewahrt ist, ohne daß sie im Bewußtsein wären, zu fassen, ist einerseits die allgemeine Forderung, den Begriff als konkret, wie den Keim z. B. so zu fassen, daß er alle Bestimmtheiten, welche in der Entwicklung des Baumes erst zur Existenz kommen, in virtueller Möglichkeit, affirmativ enthält.« 199 Vgl. ebd. Als Beispiel dieser begriffslosen Annahme vorgeblicher Gegensätze könnte das im letzten Kapitel über die intellektuelle Anschauung Fichtes Gesagte genommen werden. Hegel lehnt die intellektuelle Anschauung als Anfang der Wissenschaft ab, weil in ihr der Gegensatz vom Sein und Handeln, Grund und Begründeten bereits präsent ist bzw. vorausgesetzt wird. Mit der intellektuellen Anschauung anzufangen würde also unmöglich machen, jegliche begriffliche Differenzierung immanent hervorgehen zu lassen. 198

76

1.3 Logisches Denken und Vorstellung

Zutun äußerlicher Instanzen konkret entwickeln. Diese Aufbewahrung des »nicht mehr existierenden« Erinnerten würde wirkungslos bleiben, wenn es nicht möglich wäre, es wieder zu vergegenwärtigen. Beim Vergegenwärtigen eines Bildes, z. B. beim Wiedererkennen eines bereits gesehenen Gesichtes, wird ein Inhalt aus dem nächtlichen Schacht aktualisiert, d. h. aus der verwischenden Innerlichkeit der Erinnerung wieder in konkrete Gestalt gebracht. Die einzelnen Anschauungen durch die Erinnerung »meinig« zu machen, bedeutet also zunächst, die Souveränität der Intelligenz über die Bilder durch die spontane Aktualisierung derselben geltend zu machen.200 Darin besteht eigentlich die Bedeutung des Wortes »Vorstellung«, nämlich die Fähigkeit, die Bilder (des vergänglich Angeschauten) vor die Intelligenz zu stellen und sie dadurch wieder präsent zu machen.201 Der bewusstlose Charakter dieses Vorganges sollte besonders beachtet werden: Während in der Bewusstseinsstruktur »das selbstständige Andere gegen mich« die eigentliche konkretisierende Instanz ausmacht, durch welche die Denkformen Inhalt und Realitätsbezug erhalten, wird hingegen in der Idee des nächtlichen Schachtes – als »eine Welt unendlich vieler Bilder und Vorstellungen« aufgefasst – vorwegnehmend dem Denken die produktive Kraft zugeschrieben, sich aus sich selbst die eigene unmittelbare Seiendheit und Konkretion zu verschaffen. Hegel sagt explizit, dass die Aufbewahrung dieser Unendlichkeit von Bildern geschieht, »ohne daß sie im Bewußtsein wären«.202 Damit werden die Grundlagen für ein neues Verständnis des Begriffes als selbsttätiger Instanz der eigenen Konkretion gelegt, wie sich später ausführlicher zeigen wird.203 Die Bewusstlosigkeit der Aufbewahrung ist also notwendig, damit das spontane Hervorbringen aus dem virtuell Enthaltenen überhaupt denkbar sei.

200

Enz. §454: »Die Intelligenz ist so die Gewalt, ihr Eigentum äußern zu können und für dessen Existenz in ihr nicht mehr der äußeren Anschauung zu bedürfen.« 201 Ebd.: »Diese Synthese des innerlichen Bildes mit dem erinnerten Dasein ist die eigentliche Vorstellung, indem das Innere nun auch an ihm die Bestimmung hat, vor die Intelligenz gestellt werden zu können, in ihr Dasein zu haben.« 202 Enz. § 453, Anm. 203 Auf eine andere Weise versucht Roser zu zeigen, dass Hegel seine Idee der Konkretion des Begriffs (als Selbstauslegung) durch die Kritik an der kantischen Auffassung der Bewusstseinseinheit gewinnt. Roser beruft sich dafür auf die hegelsche Kritik an der kantischen Deduktion der Kategorien in der Phänomenologie (A. Roser, a. a.O., 195): »Der entscheidende Einwand, den Hegel gegen Kants sogenannte ›Deduktion der reinen Verstandesbegriffe‹ anbringt, ist der Begriff jener sich selbst auslegenden reinen Kategorie des Bewußtseins, die von Hegel auch als abstrakter Begriff der Vernunft bestimmt wird. Dieser Kategorie (und ihrem bei Kant nur abstrakt gefaßten Be-griff ) stellt Hegel den konkreten Begriff derselben gegenüber, jenen Begriff, den Hegel in seiner Entwicklung und Darstellung in der ›Logik‹ beschreibt. Die Transformation der Kategorie der Einheit

§ 10 Die Operation der Vorstellung und ihre Stufen

77

Die Souveränität der Intelligenz über die Bilder in der Erinnerung wird von der nächsten Stufe, derjenigen der Einbildungskraft, ergänzt.204 In der Einbildungskraft ist die Freiheit der Intelligenz über die aufbewahrten Inhalte der Anschauung viel markanter als in der Erinnerung. Denn nunmehr geschieht das Hervorrufen der Inhalte durch Assoziationen, die nicht mehr solche des individuierenden raum-zeitlichen Zusammenhanges sind – im Unterschied zu den Evokationen der Erinnerung (denken wir z. B. an die von den Orten der Kindheit hervorgerufenen Reminiszenzen).205 Die Assoziationen der Einbildungskraft betreffen somit das Innere des aufbewahrten Inhaltes selbst, abgesehen von seinen äußerlichen Beziehungen: »Aber das Bild hat im Subjekte, worin es aufbewahrt ist, allein die Individualität, in der die Bestimmungen seines Inhalts zusammengeknüpft sind; seine unmittelbare, d. i. zunächst nur räumliche und zeitliche Konkretion, welche es als Eines im Anschauen hat, ist dagegen aufgelöst.«206 In der Anschauung hängt die Individualität jedes Einzelnen von seiner raum-zeitlichen Lokalisierung ab. Im nächtlichen Schacht der Intelligenz hingegen, in welchem dieser Zusammenhang aufgehoben worden ist, hängt die Aktualisierung des Einzelnen von Verhältnissen ab, die der Anschauung nicht mehr zugehören, sondern aus dem denkenden Selbst entspringen. Die Verbindungen der Einbildungskraft beziehen die verschiedenen aufbewahrten Inhalte aufeinander (Hegel spricht vom »Aufeinanderfallen« derselben), indem deren unwesentliche anschauliche Besonderheiten dabei völlig außer Acht gelassen werden. Bezüglich dessen sagt Hegel: »Damit dies Aufeinanderfallen nicht ganz der Zufall, das Begrifflose sei, müßte eine Attraktionskraft der ähnlichen Bilder oder dergleichen angenommen werden, welche zugleich die negative Macht wäre, das noch Ungleiche derselben aneinander abzureiben.«207 Was diese Verbindungen vollziehen, ist also die Subsumtion des Einzelnen unter das Allgemeine.208 Indem dieses »Aufeinanderfallen« der verschiedenen Inhalte des Bewußtseins in die der qualitativ bestimmten Vielheit der Kategorientafel Kants rekonstruiert Hegel über die Selbstauslegung dieser Einheit. Entscheidend dabei ist, daß die Einheit des Bewußtseins hier von Hegel kategorial bestimmt wird. Denn von diesem Punkt ist Kant weit entfernt.« 204 Wir werden im Folgenden von den Unterschieden zwischen reproduktiver, assoziierender und produktiver Einbildungskraft in der Enzyklopädie absehen. Uns interessiert vielmehr der genaue Unterschied zwischen Erinnerung und Einbildungskraft. 205 Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Hegel y el destino …«, a. a.O., 121. 206 Enz. § 455. 207 Ebd., Anm., Abs. 2. 208 Ebd.: »Diese Kraft ist in der Tat die Intelligenz selbst, das mit sich identische Ich, welches durch seine Erinnerung ihnen unmittelbar Allgemeinheit gibt und die einzelne Anschauung unter das bereits innerlich gemachte Bild subsumiert.« Enz. § 456: »Auch die

78

1.3 Logisches Denken und Vorstellung

die unwesentlichen Unterschiede derselben beseitigt, kann wohl gesagt werden, dass die Verbindungen der Einbildungskraft das Wesen oder die Washeit (quidditas) dieser Inhalte zum Ausdruck bringen. Mit der Ausdrucksweise Kants nennt Hegel diese Verbindungen »Synthesen«209; wir stehen also vor vereinheitlichenden Zusammensetzungen, oder, kantisch ausgedrückt, »Funktionen der Einheit«. Damit haben wir jedoch die vollständige Befreiung der Intelligenz von der Anschauung noch nicht erreicht, denn der Stoff, den diese Synthesen zusammensetzen, ist immer noch das von der Anschauung Gegebene.210 Die Spiele der Einbildungskraft (in ihrer symbolisierenden, allegorisierenden oder dichtenden Modalität) bringen zwar subjektive Verknüpfungszusammenhänge ans Tageslicht, aber sie sind noch mit gefundenen, anschaulichen Elementen behaftet. Daran ist das Folgende besonders hervorzuheben: Dass dasjenige, was die Spiele der Einbildungskraft ans Tageslicht bringen, lauter subjektive Relationen sind, bedeutet, dass die Anschauung dabei ihre Rolle als inhaltlicher Gegenpol der Intelligenz verloren hat und Manifestation der inneren Beschaffenheit des Selbst geworden ist. Sofern das Hervorbringen von Bildern nach (freien) allgemeinen Verknüpfungen der Intelligenz geschieht, schaut das Denken bei diesen Bildern sich selbst an: »Die Intelligenz ist in der Phantasie zur Selbstanschauung in ihr insoweit vollendet, als ihr aus ihr selbst genommener Gehalt bildliche Existenz hat«.211 Um der Tragweite des vorliegenden Sachverhaltes gerecht zu werden, muss das kantische Denken wieder in Betracht gezogen werden. Im ersten Kapitel unserer Untersuchung wurde gesagt: Das sinnlich Gegebene wird bei Kant legitimer Weise auf ein Objekt bezogen (bzw. die Seiendheit oder Washeit desselben wird fixiert), wenn es durch dessen begriffliche Strukturierung auf das fundamentum unionis aller Verstandeshandlungen bezogen wird. Mit nichts anderem haben wir im vorliegenden Sachverhalt zu tun: Die Assoziationen der Einbildungskraft bringen die Washeit der verknüpften Bilder zum Ausdruck, indem sie diese Bilder auf das denkende Selbst beziehen. Die Betrachtung der Allgemeinheit bzw. des Wesentlichen der Dinge in der Einbildungskraft fällt also mit der Betrachtung der Subjektivität zusammen. Wir haben aber gesehen, dass

Assoziation der Vorstellungen ist daher als Subsumtion der einzelnen unter eine allgemeine, welche deren Zusammenhang ausmacht, zu fassen.« 209 Enz. § 456: »Diese mehr oder weniger konkreten, individualisierten Gebilde sind noch Synthesen, insofern der Stoff, in dem der subjektive Gehalt [sich] ein Dasein der Vorstellung gibt, von dem Gefundenen der Anschauung herkommt.« 210 Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Hegel y el destino …«, a. a.O., 122. 211 Enz. § 457.

§ 11 Die Entstehung des Zeichens

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das nicht-Begriffliche im Begriff (das »Eindruckshafte«, das anschaulich Gegebene) bei Kant die »Selbstdurchsichtigkeit« des Denkens verhindert. Der bildliche Charakter der vorliegenden Selbstanschauung hat dieselbe Folge: Ein Rest vom Gegebensein bzw. etwas von der Intelligenz nicht Produziertes besteht noch, das die Freiheit der Intelligenz in Bezug auf die Anschauung beschränkt. Bei einem Symbol, z. B. dem Adler als symbolischer Darstellung der Stärke Jupiters,212 muss das Anschauliche in einer gewissen Korrespondenz oder Verwandtschaft mit dem symbolisierten Inhalt stehen.213 Die Intelligenz ist also dabei nicht völlig frei, diese oder jene Anschauung auszuwählen, um ihre eigenen Inhalte und Relationen zum Ausdruck zu bringen. Dass der symbolisierende Stoff aussortiert und nicht hervorgebracht wird, bindet schon die Intelligenz an das Gefundene.214

§ 11 Die Entstehung des Zeichens; das Gedächtnis und sein organischer Zusammenhang mit dem Denken Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die vollständige Befreiung der Intelligenz nur erfolgen kann, wenn das Symbolisierte in keinerlei Weise an das Symbolisierende gebunden ist.215 Die Verknüpfung zwischen den Beiden muss absolut »unmotiviert« sein. Dafür müssen nicht nur die Verbindungen, welche die Bilder in der assoziierenden Einbildungskraft aufeinander beziehen, frei aus dem Subjekt entspringen. Die Verbindung selbst zwischen der Anschauung und dem von ihr repräsentierten Inhalt muss sich der Souveränität der Intelligenz »unterwerfen«. Aber somit verschwindet das Bild als solches und entsteht das Zeichen. Das Zeichen ist grundsätzlich ein von der Intelligenz spontan hervorgebrachtes, anschauliches Gebilde, das sich auf einen Denkinhalt (die Bedeutung) bezieht, ohne mit derselben in einem äußerlich motivierten Zusammenhang zu stehen.216 Damit hört die Anschauung auf, das Gegebensein zu sein, das die Denkformen inhaltlich »erfüllt«, und wird das freie Produkt der Intelligenz, durch welches die Intelligenz äußerliche

212

Wir nehmen hier das sich im Zusatz (Abs. 1) zu Enz. § 457 befindliche Beispiel der symbolisierenden Phantasie. 213 In gewisser Hinsicht passt die hegelsche Auffassung des Symbols mit dem peirceschen Begriff von Icon zusammen, während das hegelsche Zeichen eher mit dem Symbol von Peirce übereinstimmt. Siehe dazu Ch. S. Peirce: Phänomen und Logik der Zeichen, hrsg. u. übers. v. H. Pape, Frankfurt a. M. 1983, 64–67. 214 Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Hegel y el destino …«, a. a.O., 124. 215 Ebd. 216 Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Hegel y el destino …«, a. a.O., 124–125.

80

1.3 Logisches Denken und Vorstellung

Seiendheit erhält.217 Daran ist das Folgende wieder besonders hervorzuheben: Das Problem der Gleichursprünglichkeit von Denken und Anschauung wird mittels des hegelschen Zeichenbegriffes zugunsten der Freiheit des Denkens derart gelöst, dass diese Lösung weder einen illegitimen Sprung ins Übersinnliche noch die Zuflucht zu einer vordiskursiven Instanz (intellektuelle Anschauung) mit sich bringt. Die Anschauung bleibt in diesem Kontext immer noch das Äußerliche; sie hört dennoch als Zeichen auf, einen positiven Gehalt für sich selbst zu haben und somit dem Denken Grenzen zu setzen. Indem das Denken durch das Zeichen sich selbst veranschaulicht, lässt es den bloß subjektiven Status eines nächtlichen Schachtes der Intelligenz hinter sich und objektiviert sich. Kurz: Es macht sich selbst »zur Sache«, zum Gegenstand seiner eigenen Perzeption. Für Kant ist das Denken auf das anschauliche Gegebensein zwangsläufig angewiesen, um Erkenntnis erweiternde Urteile fällen zu können. Genauso unerlässlich für den Begriff ist dessen anschauliche Seite bei Hegel, wenngleich Hegel den Zusammenschluss von Anschauung und Gedanke auf eine ganz andere Weise als Kant auffasst. Man könnte sagen, dass die Rolle der Anschauung in der kantischen Auffassung des Begriffes sich im gewissen Sinne mit der Rolle der Anschauung in den Stufen der Erinnerung und der Einbildungskraft (also vor der Entstehung des Zeichens) in der Enzyklopädie deckt, in welchen das Denken als die »Attraktionskraft« fungiert, welche »das noch Ungleiche« der ähnlichen Bilder »abreibt«218 und dadurch »die Subsumtion der einzelnen [Vorstellungen, J. S.] unter eine allgemeine«219 vollzieht. Auf diesen Stufen der Intelligenz gelten wohl die kantischen Restriktionen in Bezug auf den Gebrauch der Kategorien, die sich aus diesem Zusammenschluss von Anschauung und Denken ergeben. Das Denken bzw. »die Attraktionskraft der unähnlichen Bilder« kann in diesem Zusammenhang nur als die forma formans des ihm Gegebenen fungieren. Es ist an dieser Stelle vonnöten, auf eine terminologische Schwierigkeit im analysierten Text aufmerksam zu machen. »Beziehung auf sich« ist der andere Ausdruck, welcher zusammen mit »Sein« von Hegel gebraucht wird, um das Gegebensein der anschaulichen Inhalte zu bezeichnen.220 Beide Aus217

Enz. § 457: »Wie sie als Vernunft davon ausgeht, sich das in sich gefundene Unmittelbare anzueignen (§ 445, vgl. § 455 Anm.), d. i. es als Allgemeines zu bestimmen, so ist ihr Tun als Vernunft (§ 438) von dem nunmehrigen Punkte aus [dies], das in ihr zur konkreten Selbstanschauung Vollendete als Seiendes zu bestimmen, d. h. sich selbst zum Sein, zur Sache zu machen.« 218 Enz. § 455, Anm., Abs. 2. 219 Enz. § 456. 220 Vgl. Enz. § 455.

§ 11 Die Entstehung des Zeichens

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drücke werden nicht als Synonyme verwendet: Das Denken ist genauso ursprünglich wie die Anschauung, und daher wird es auch »Beziehung auf sich« genannt; ihm fehlt aber das Sein, welches doch den anschaulich gegebenen Inhalten zugeschrieben wird. Das, was dem Denken fehlt, nämlich das Sein, macht seine Beschränkung aus, und deswegen sagt Hegel in § 455: »Das Sein, das Sich-bestimmt-Finden der Intelligenz […]«.221 »Sein« meint hier nicht die anschaulichen Inhalte als solche, sondern die äußerliche Beschränkung des subjektiven Tuns, d. h. das Sein im Sinne des ersten Fichte. Der künstliche Ausdruck »Sich-bestimmt-Finden«, welcher hier als Synonym des Seins verwendet wird, deutet auf diese Verbindung hin. Das Denken gibt sich also das Sein, wenn es sich nicht mehr bestimmt »findet«, sondern wenn es sich selbst bestimmt, d. h. wenn es als Einheitsprinzip der anschaulichen Mannigfaltigkeit auch imstande ist, Differenzierungsprinzip seiner eigenen Inhalte zu sein. Vor der Entstehung des Zeichens macht das Denken etwas Undifferenziertes aus. Der Vorrat der Intelligenzprodukte, der »nächtliche Schacht der Intelligenz«, enthält schon Unterschiede, aber in virtueller Form. Durch die Produktionen der Einbildungskraft aktualisieren sich diese Unterschiede, aber diese Aktualisierung geschieht vermittels der vorfindlichen Unterschiede der Anschauung – was mit sich bringt, dass die Bestimmungen des Denkens als solche nicht thematisch gemacht, nicht ans Tageslicht gebracht werden können. Darin besteht das Spezifische des Symbols: Es bringt etwas zum Ausdruck, aber nicht vollständig, weil der ausgedrückte Inhalt in einem gewissen Zusammenhang mit dem ausdrückenden Vehikel selbst steht.222 Das Symbol ist immer dunkel, weil es zweideutig ist: Aufgrund der Verbindung, die »der eigene Inhalt der Anschauung und der, dessen Zeichen sie ist«223, dabei aufweisen, bleibt der symbolisierte Inhalt hinter dem offenbaren Inhalt verborgen. Nur eine Anschauung, welche keinen Inhalt für sich selbst hat, also ein Zeichen, kann die im »nächtlichen Schacht der Intelligenz« befindlichen Inhalte des Denkens herausdifferenzieren und sie offenbar machen. Das »Sich-bestimmt-Finden« der Intelligenz verwandelt sich also vermittels des Zeichens in das spontane »Sich-bestimmt-Machen« des Denkens. Was die Entstehung des Zeichens mit sich bringt, ist die innere Differenzierung des Denkens aus sich selbst. Dass das Denken sich vermittels des Zeichens ein Sein gibt, bedeutet vor allem, dass die Intelligenz sich der konkretisierenden Macht der Anschauung bemächtigt, um ihren inneren, man221 222 223

Ebd., Anm., Abs. 1. Vgl. Enz. § 458, Anm., Abs. 1. Ebd.

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1.3 Logisches Denken und Vorstellung

nigfaltigen und virtuell enthaltenen Inhalt ans Licht zu bringen.224 Die Anschauung ist das Reich der kontingenten und zusammenhanglosen Mannigfaltigkeit überhaupt, das Gebiet des Außersichseins; das Denken und seine Bestimmungen hingegen bilden, wenn sie im Gegensatz zur Äußerlichkeit des Anschaulichen aufgefasst werden, ein »Reich der Schatten«,225 wie dies die Metapher des »nächtlichen Schachtes der Intelligenz« ausdrückt. Allein durch die Mannigfaltigkeit der anschaulichen Inhalte, als Zeichen gebraucht, vermag die Intelligenz »ihre Vorstellungen in einem äußerlichen Element zu manifestieren«.226 Aber diese Manifestation kann nur wirklich erfolgen, wenn das dafür verwendete anschauliche Material in keiner Korrespondenz mit dem bezeichneten Inhalt steht, wenn also die Verknüpfung zwischen den beiden auf einem freien Entschluss der Intelligenz beruht. Nicht das Bild, das irgendeine allgemeine Bedeutung symbolisch darstellt, sondern das bezeichnende Wort, welches keine Ähnlichkeit mit dieser allgemeiner Bedeutung aufweist, kann die Konturen derselben aus der Dunkelheit des »nächtlichen Schachtes der Intelligenz« herausziehen und sie sichtbar machen. Das, was sichtbar wird, sind die Denkallgemeinheiten, die in den vorangehenden Stufen der Intelligenz das Mannigfaltige der Anschauung in die Einheit des denkenden Selbst brachten. Es hat sich ferner gezeigt, dass diese Allgemeinheiten die Washeiten der in Zusammenhang gebrachten anschaulichen Inhalte ausmachen. Durch das Zeichen also erkennt das denkende Selbst das Sein der Sache: »Der Name ist so die Sache, wie sie im Reiche der Vorstellung vorhanden ist und Gültigkeit hat«.227 Somit macht sich auch die »wahrhaftere Gestalt der Anschauung« offenbar, ihre »wesentliche Bestimmung, nur als aufgehobene zu sein«.228 Die Zeichenproduktion ist dann als jene Operation der Intelligenz zu betrachten, durch welche das Denken die

224

Enz § 462, Zusatz: »Dies Dasein ist unseren Gedanken absolut notwendig. Wir wissen von unseren Gedanken nur dann, haben nur dann bestimmte, wirkliche Gedanken, wenn wir ihnen die Form der Gegenständlichkeit, des Unterschiedenseins von unserer Innerlichkeit, also die Gestalt der Äußerlichkeit geben, und zwar einer solchen Äußerlichkeit, die zugleich das Gepräge der höchsten Innerlichkeit trägt. […] Es ist aber auch lächerlich, das Gebundensein des Gedankens an das Wort für einen Mangel des ersteren und für ein Unglück anzusehen; denn obgleich man gewöhnlich meint, das Unaussprechliche sei gerade das Vortrefflichste, so hat diese von der Eitelkeit gehegte Meinung doch gar keinen Grund, da das Unaussprechliche in Wahrheit nur etwas Trübes, Gärendes ist, das erst, wenn es zu Worte zu kommen vermag, Klarheit gewinnt. Das Wort gibt demnach den Gedanken ihr würdigstes und wahrhaftestes Dasein.« 225 WL I, 42. 226 Enz. § 459, Anm., Abs. 1. 227 Enz. § 462. 228 Enz. § 459.

§ 11 Die Entstehung des Zeichens

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Beschränkung der Anschauung bewältigt und die Nichtigkeit derselben offenlegt, dergestalt, dass diese Verselbstständigung der Intelligenz mit der inhaltlichen »Erfüllung« der nunmehr entleerten Anschauung gleichbedeutend ist.229 Daraus erhellt, inwiefern die hegelsche Zeichentheorie die kantischen Restriktionen zu überwinden erlaubt, ohne gegen dieselben zu verstoßen.230 In der anschaulichen Konstitution der Diskursivität selbst, in ihrer elementarsten Form als Zeichensystem, erfolgt also die Befreiung des Denkens von den Einschränkungen der Anschauung. Damit wird überflüssig, dass die Denkformen sich auf die Anschauung beziehen, um überhaupt Inhalt zu haben. Denn die Anschauung, durch welche der Denkinhalt vergegenständlicht wird, findet sich bereits im Zeichen enthalten. Es gibt noch andere Aspekte dieser Operation, die in Betracht gezogen werden müssen, um die Aufgabe des reinen Denkens in Bezug auf die Vorstellung bzw. die Sprache in der Wissenschaft der Logik genauer bestimmen zu können. Das Wesen der Sprache wird nicht lediglich durch die spontane Zeichenproduktion der Einbildungskraft erklärt. Dadurch wird freilich die Weise erklärt, wie die »Innerlichkeit« des Denkens mittels einer erfüllten Äußerung sich kundgibt231, aber nicht wie dies Sich-Kundgeben sich bis zum gesetzmäßigen System der Sprache fortentwickelt. Die Betrachtung dessen muss das von uns gesuchte (und bei Kant fehlende) Unterscheidungskriterium zwischen Vorstellung und Denken bei Hegel ergeben und damit ein 229

Ebd.: »[…] – der Ton, die erfüllte Äußerung der sich kundgebenden Innerlich-

keit.« 230

Siehe dazu die wegweisenden Überlegungen Fuldas, »Das endliche Subjekt […]«, a. a.O., 75–76: »Aber ist Hegels reines Denken, wie es sich bis jetzt abzeichnet, nicht ohne jegliche Beziehung auf Erscheinungen und auf Anschauung, in der die Erscheinungen uns gegeben werden; ist es nicht leer und ohne alle, wenigstens unbestimmte Referenz, also gar nicht in der Lage, wahr oder falsch zu sein? Verkennt Hegel damit nicht die grundlegende Kantische Einsicht, daß man mit leeren Begriffen nichts erkennen kann, weil zu einer jeden cognitio ›zwei Stücke‹ gehören, nämlich Anschauung und Begriff ? Gegen diesen von Kant sehr naheliegenden Verdacht hat Hegel eine ingeniöse Verteidigung. Nur ist sie, soweit ich sehe, in der Diskussion seines Konzepts reinen Denkens noch nie berücksichtigt worden, obwohl sie von großer Tragweite für’s richtige Verständnis einer spekulativen Logik ist. Denken, so die Zurückweisung des Verdachts, steht in organischen Zusammenhang mit dem mechanisch über Namen verfügenden Gedächtnis. Im Namen aber, der unserer Intelligenz verfügbar ist, haben wir die Sache, ›wie sie im Reich der Vorstellung vorhanden ist und Gültigkeit hat‹. Und die Namen die wir auch für Gedankenbestimmungen haben können, sind in anschaulichen, reproduzierbaren Zeichen repräsentiert. […] Indem auch das reine Denken mit dem mechanisch Namen gebrauchenden Gedächtnis einen solchen zu seinem Begriff gehörenden organischen Zusammenhang hat, kann man nicht sagen, es sei ohne Bezug auf Anschauung und Imagination bzw. auf ein in ihnen gegebenes, zusammengefaßtes und reproduziertes Mannigfaltiges.« 231 Vgl. Enz. § 459.

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1.3 Logisches Denken und Vorstellung

klareres Vorverständnis des logischen Verfahrens. Das Spezifische der Zeichenproduktion besteht wie bereits gesagt darin, anschauliche Gebilde mit Denkallgemeinheiten frei zu verknüpfen. Auf die »freiere Willkür«232 dieser Verknüpfung muss besonderer Nachdruck gelegt werden: Nur auf einem freien Entschluss der Intelligenz basierend können anschauliche Gebilde Denkstrukturen adäquat zum Ausdruck bringen. Damit aber durch diese Verknüpfung die Innerlichkeit adäquat offengelegt wird, ist es erforderlich, dass die Verknüpfung nicht nur frei, sondern auch dauerhaft ist. Denn die Anschauung ist auch das Reich des Vorübergehenden, und das einmalige Assoziieren einer Anschauung mit einer Allgemeinheit lässt diese wieder in den undifferenzierten »Schacht der Intelligenz« versinken. Der Ausdruck »ein einmaliges Assoziieren« ist in diesem Kontext mit »ein äußerliches Assoziieren« gleichbedeutend. Ein Assoziieren kann nur dauerhaft fixiert werden, wenn es den Charakter einer Regel, einer Allgemeinheit, erhält.233 Das Allgemeine entspringt aus dem denkenden Selbst. Die einmalige Assoziation von Anschauung und Gedanke muss also erneut die Form der Allgemeinheit erhalten und dadurch mit mir homogenisiert werden bzw. innerlich gemacht werden, um eine wahrhafte Manifestation meines Denkens ausmachen zu können. Diese Operation wird von jener Stufe des Vorstellens vollzogen, die traditionell als »Gedächtnis« bezeichnet wird.234 Die Verallgemeinerung durch das Gedächtnis der Assoziation Anschauung/Gedanke macht dieselbe zu einer »bleibenden Verknüpfung«235 mit regelmäßigem Charakter. Wir befinden uns also nicht mehr vor Anschauungen, die sich willkürlich auf Denkinhalte beziehen, sondern vor zweiseitigen Einheiten (von signans und signatum), die Objektivität besitzen.236 Diese Verallgemeinerung oder Erinnerung der Verknüpfung signanssignatum hat aber die »höchste Entäußerung«237 des Denkens zur Folge. Durch die Erhebung (vermöge des Gedächtnisses) der willkürlichen Assoziation einer Anschauung mit einer allgemeinen Bedeutung zu einer »bleibenden Verknüpfung« mit objektivem und gesetzmäßigem Charakter und durch die daraus folgende Aufhebung der gegenseitigen Äußerlichkeit von

232

Enz. § 458, Anm, Abs. 1. Vgl. Enz. § 461. 234 Vgl. Enz. § 460. 235 Enz. § 461. 236 Diese Auffassung des Namens als konkrete Einheit, die in sich Unterschiede umfasst, kann im gewissen Sinne als Vorgängerin der Semiologie Saussures betrachtet werden. Darauf werden wir im nächsten Kapitel detaillierter eingehen. 237 Enz. § 463. 233

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signans und signatum238 erhalten die Produkte der Intelligenz eine derartige gegenständliche Konsistenz, dass sie sich von ihrer hervorbringenden Subjektivität sozusagen loslösen und unabhängig machen. Die allgemeine Bedeutung ist mit ihrer korrespondierenden Anschauung nunmehr am innigsten zusammengeschlossen. Dies bringt mit sich, dass die Intelligenz, die bisher der innerliche Sitz der allgemeinen Bedeutungen war, nun »das leere Band« ist, das die vorfindliche Mannigfaltigkeit der Namen »in sich befestigt und in fester Ordnung behält«.239 Da Bedeutung und Name nun eine unzertrennliche Einheit ausmachen, welche für sich selbst objektive Konsistenz besitzt, ist die Intelligenz in Bezug auf dieses Vorhandensein nur das Vermögen, auf eine ganz sinnlose Weise bzw. im »mechanischen Zusammenhang« die Namen »auswendig [zu] behalten«.240 In den vorangehenden Stufen der Vorstellung war die Anschauung das aus der Intelligenz Unableitbare, das vom Denken Vorgefundene und mithin es Beschränkende. Die von der Intelligenz spontan hervorgebrachten Gebilde, die Zeichen/Namen, erhalten durch die Operation des Gedächtnisses denselben Charakter, und sie machen nun das von der Intelligenz Vorgefundene und Unableitbare aus.241 Die Operation des Gedächtnisses besteht also darin, die Gleichursprünglichkeit von Anschauung und Denken in die Ursprünglichkeit der objektiven Zeichen zu verwandeln, dergestalt, dass die »Reihen der verschiedenen Namen« jetzt dem Subjekt als das von ihm nicht Hervorgebrachte, als das »Vorausseyende« gegenüberstehen. Deswegen wird das Gedächtnis von Hegel als die »Tätigkeit des Sinnlosen« geschildert:242 Die vorhin freie Tätigkeit der Intelligenz ist als Gedächtnis eher etwas »Opakes«, dem Subjekt »Undurchdringliches«. Das Sprachsystem wird dadurch ein geistloser Mechanismus, welcher ohne das aktive Zutun des bewussten Verstandes »funktioniert«. So wie vorher das Sein als das dem Denken Fehlende betrachtet worden ist, sind nun die Produkte des Vorstellens, als seiend verstanden, dem Denken selbst äußerlich geworden. Das Gedächtnis ist also paradoxerweise als die höchste Vergessenheit des Denkens von sich selbst anzusehen, indem durch dasselbe

238

Vgl. Enz. § 463–464. Enz. § 463. 240 Ebd., Anm. 241 Ebd.: »Der Geist aber ist nur bei sich als Einheit der Subjektivität und der Objektivität; und hier im Gedächtnis, nachdem er in der Anschauung zunächst als Äußerliches so ist, daß er die Bestimmungen findet und in der Vorstellung dieses Gefundene in sich erinnert und zu dem Seinigen macht, macht er sich als Gedächtnis in ihm selbst zu einem Äußerlichen, so daß das Seinige als ein Gefundenwerdendes erscheint.« 242 Enz. § 463, Anm.: »Es liegt nahe, das Gedächtnis als eine mechanische, als eine Tätigkeit des Sinnlosen zu fassen, […].« 239

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1.3 Logisches Denken und Vorstellung

die Gebilde des Vorstellens eine Objektivität erreichen, welche dem Subjekt selbst als fremdartig erscheint. Hegel schreibt dieser Stufe der Vorstellung eine besondere Relevanz zu, obwohl das im Text der Enzyklopädie hierüber Enthaltene sehr kurz und knapp ist.243 Der springende (und schwierigste) Punkt ist hier, das genaue Verhältnis zwischen dieser mechanischen, entäußerten und selbstvergessenen Form der Intelligenz und der Denktätigkeit als solcher zu bestimmen. Hegel spricht von einem »organischen Zusammenhang« zwischen den beiden und ergänzt diesen Gedanken mit der folgenden Behauptung: »Das Gedächtnis als solches ist selbst die nur äußerliche Weise, das einseitige Moment der Existenz des Denkens; […]«.244 Das würde nach Hegel die große Ähnlichkeit zwischen den beiden Ausdrücken – »Gedächtnis« und »Gedanke« – erklären.245 Wie kann aber das Denken, das bisher als eine freie Tätigkeit betrachtet worden ist, durch seinen Gegensatz, nämlich einen Vorgang, welcher auf mechanische Weise stattfindet, erklärt werden? Worin besteht dabei der »organische Zusammenhang«, der das Gedächtnis zum »Übergang in die Tätigkeit des Gedankens«246 macht? Eine detailliertere Betrachtung der dritten Form des Gedächtnisses, das mechanische Gedächtnis oder die Aktivität des Auswendiglernens, wird uns darüber Aufschluss verschaffen. Es hat sich gerade ergeben, dass die Intelligenz vermöge des Gedächtnisses zugleich »bei sich selbst« und außerhalb von sich selbst ist.247 Bei sich selbst, weil die Namen ihr eigenes, von ihr selbst

243

Die kommentierten Passagen der Enzyklopädie lassen eine unentwickelte, aber trotzdem zentrale Lehre des Gedächtnisses bei Hegel vermuten. Die folgende Stelle im § 464 deutet darauf hin: »[…] es ist einer der bisher ganz unbeachteten und in der Tat der schwersten Punkte in der Lehre vom Geiste, in der Systematisierung der Intelligenz die Stellung und Bedeutung des Gedächtnisses zu fassen und dessen organischen Zusammenhang mit dem Denken zu begreifen.« Mit der Gedächtnislehre Hegels befasst sich ausführlich Fulda (»Vom Gedächtnis zum Denken«, in: F. Hespe und B. Tuschling (Hrsg.): Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 321–360) und K. D. Magnus (in Hegel and the Symbolic Mediation of Spirit, New York 2001, 94–109). 244 Enz. § 464, Anm. 245 Enz. § 464, Anm.: »Schon unsere Sprache gibt dem Gedächtnis, von dem es zum Vorurteil geworden ist, verächtlich zu sprechen, die hohe Stellung der unmittelbaren Verwandtschaft mit dem Gedanken.« Diesbezüglich bemerkt Fulda, ebd., 321: »Hegel, wenn nicht Hölderlin, ist meines Wissens der erste gewesen, der versucht hat, die Verwandtschaft der deutschen Wörter ›Gedächtnis‹ und ›Denken‹ für die Frage, was Denken heißt, fruchtbar zu machen.« 246 Enz. § 464. 247 Enz. § 463, Anm.: »Das Vermögen, Reihen von Worten, in deren Zusammenhang kein Verstand ist oder die schon für sich sinnlos sind (eine Reihe von Eigennamen), auswendig behalten zu können, ist darum so höchst wunderbar, weil der Geist wesentlich

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hervorgebrachtes Gebilde ausmachen; außerhalb von sich selbst, weil diese Gebilde, indem die Verknüpfung Name-Bedeutung durch das Gedächtnis gesetzmäßigen Charakter erhalten hat, der Intelligenz äußerlich und fremd geworden sind. Die Aufnahme und Verinnerlichung dieses äußerlichen Seienden der Intelligenz ist das, was das mechanische Gedächtnis leistet. In Bezug auf die Übung des Gedächtnisses in der Jugend bemerkt Hegel, dass der Sinn derselben eigentlich darin besteht, »den Boden ihrer Innerlichkeit zum reinen Sein, zum reinen Raume zu ebnen, in welchem die Sache, der an sich seiende Inhalt ohne den Gegensatz gegen eine subjektive Innerlichkeit, gewähren und sich explizieren könne«.248 Beim Auswendiglernen wird die eigene subjektive Innerlichkeit zu einem leeren Rezeptakulum, zu einer Fläche ohne Unebenheiten gemacht, um sie für den widerstandslosen Empfang des objektiv Seienden zu befähigen. Die erfolgreiche Aufnahme des objektiv Seienden erfordert, dass das denkende Selbst dabei sozusagen »abwesend« ist. Das aktive Vorstellen der Intelligenz soll, wenn wir so sagen können, beim Auswendiglernen »erlöschen«, die Namen müssen ihre Bedeutung verlieren, damit die »gelehrige« Intelligenz von der »äußerlichen Objektivität« der Namen besser geprägt werden kann. Was aber durch diese sinnlose, »dumme« Tätigkeit vollzogen wird, ist gerade die Aufhebung der Gegenüberstellung des subjektslosen, äußerlichen Seins der Namen und des subjektiven, innerlichen Vorstellens, sodass nun das Unorganische der äußerlichen Namen, sofern es die eigentliche Substanz der »verlöschten« Intelligenz geworden ist, seinen Sinn im Subjekt organisch entfalten und explizit machen kann »ohne den Gegensatz gegen eine subjektive Innerlichkeit«.249 Die Bedeutung, welche beim Auswendiglernen verloren geht, wird beim sich-Explizieren des Auswendiggelernten wiedergewonnen: Die freie Selbstentfaltung der Sache selbst, des Seienden, fällt nun mit dem Offenlegen der allgemeinen Bedeutungen, als Bestimmungen des denkenden Selbst verstanden, zusammen.250 dies ist, bei sich selbst zu sein, hier aber derselbe als in ihm selbst entäußert, seine Tätigkeit als ein Mechanismus ist.« 248 Enz. § 464, Anm. 249 Ebd. 250 Bezüglich dieses Bedeutungsverlusts und gegen die berühmte derrida’sche Interpretation desselben bemerkt Magnus (a. a.O., 107–108): »Thus, once again, spirit’s determination of its content is at once its determination for itself. By acting upon its content and recognizing it to be of its own making, spirit brings itself into existence. Through its acts of memory and naming, it makes itself into an activity of mediation and through its meaningless externalization of itself in mechanical memory, it makes itself into something that is simply and immediately there. As a result, theoretical spirit becomes what it was supposed to be according to its concept: a power of determination that is both mediating and immediate. This does not mean, however, as Derrida would say, that spirit

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1.3 Logisches Denken und Vorstellung

Der hier geschilderte Sachverhalt erscheint an anderen Stellen der Werke Hegels, was als Beweis der zentralen Rolle des vorliegenden Punktes im hegelschen Denken angesehen werden sollte. In der Vorrede der Phänomenologie des Geistes wird das Verhältnis von Geist und Individuum auf eine Weise beschrieben, die eine auffallende Ähnlichkeit mit Hegels Darlegungen über das mechanische Gedächtnis in der Enzyklopädie aufweist. Wir wollen aber nicht eine bloße Ähnlichkeit feststellen, sondern eher zeigen, dass es sich, aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, um dieselbe Sache handelt. Eigentlich stehen wir vor einem wesentlichen und wenig erforschten Aspekt des hegelschen Denkens, dessen ausführliche Untersuchung ein neues Verständnis seiner Philosophie geben könnte. In der Vorrede sagt Hegel, dass die im Laufe der Zeit niedergelegten Produkte des Geistes die substanzielle »unorganische Natur« des einzelnen Individuums ausmachen, so wie die äußerlich und objektiv gewordenen Gebilde des Vorstellens (d. h. die Namen) das Seiende der Intelligenz in der Enzyklopädie ausmachen: »Dies vergangene Dasein ist bereits erworbenes Eigentum des allgemeinen Geistes, der die Substanz des Individuums und so ihm äußerlich erscheinend seine unorganische Natur ausmacht.«251 Die »wissenschaftliche Erkenntnis« besteht dann nach Hegel im Versinken in das »immanente Leben« dieser Substanz.252 Dafür muss die eigene Stimme schweigen und der Sache selbst überlassen werden, ihren eigenen Inhalt »auszusprechen«.253 Diese unorganische Natur des Individuums entspricht in unserem Kontext dem Auswendiggelernten: Die objektiv seienden Gebilde des Vorstellens verhalten sich zur subjektiven Innerlichkeit der Intelligenz als das ihr opak Andere, aber dieses Andere wird gerade – durch die Verinnerlichung, die das Gedächtnis vollzieht – selbst Substanz der Innerlichkeit.254 Die Selbstmanifestation dieser Substanz ist

becomes what it ›always already‹ was, for spirit really has to become. It undergoes real risk and real alienation, for it experiences its other as real and does not always know that it will recover its losses and achieve selfreconciliation. It is only after spirit ›finds itself‹ again that it discovers the whole process to have been necessary. Once it recognizes itself as that activity that becomes, that creates itself, it grasps that a period of not being itself is essential to this process.« 251 Phän. 32–33. 252 Phän. 52. 253 Ebd.: »Das wissenschaftliche Erkennen erfordert aber vielmehr, sich dem Leben des Gegenstandes zu übergeben oder, was dasselbe ist, die innere Notwendigkeit desselben vor sich zu haben und auszusprechen.« 254 Man kann an dieser Stelle auch auf das Kapitel »Der sich entfremdete Geist. Die Bildung« in der Phänomenologie verweisen. Dort sagt Hegel (Phän. 359–360): »Aber derjenige Geist, dessen Selbst das absolut diskrete ist, hat seinen Inhalt sich als eine ebenso harte Wirklichkeit gegenüber, und die Welt hat hier die Bestimmung, ein Äußerliches,

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dann mit dem sich-Explizieren der Sache im mechanischen Gedächtnis identisch. Im konkreten Beispiel der Übung des Gedächtnisses in der Jugend bedeutet dies, dass das sich-Explizieren der Sache von der Denktätigkeit des Subjektes, in welchem das Auswendiggelernte sein hindernisfreies Element hat, nicht mehr verschieden ist. Wenn also im Gedächtnis die wesentlichen Kennzeichen des Denkens als solchen bereits eingeschrieben sind, wenn das Gedächtnis »das einseitige Moment der Existenz des Denkens«255 ist, dann ist das Denken nichts anderes als dies: Das seiende Wort selbst sprechen zu lassen. Der Akt, das seiende Wort selbst sprechen zu lassen, scheint aber mit der Spontaneität des Denkens zu kollidieren und der freien Subjektivität Gewalt anzutun.256 Es hat sich indes gezeigt, dass die äußerliche Gegenständlichkeit der Sprache das »eigene Sein« des Subjektes und nicht bloß sein gegenüberstehendes Korrelat ausmacht, sodass nur durch diese wahrscheinlich passive Geste, die eigene Besonderheit aufzuopfern und das seiende Wort sprechen zu lassen, das Subjekt eigentlich Subjekt sein kann.257 das Negative des Selbstbewußtseins zu sein. Aber diese Welt ist geistiges Wesen, sie ist an sich die Durchdringung des Seins und der Individualität; dies ihr Dasein ist das Werk des Selbstbewußtseins; aber ebenso eine unmittelbar vorhandene, ihm fremde Wirklichkeit, welche eigentümliches Sein hat und worin es sich nicht erkennt.« Siehe dazu B. Sandkaulen: Wissenschaft und Bildung. Zur konzeptionellen Problematik von Hegels Phänomenologie des Geistes, in: Hegel-Studien, Beiheft 52, 186–207, und L. Siep: Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Ein einführender Kommentar zu Hegels »Differenzschrift« und »Phänomenologie des Geistes«, Frankfurt a. M. 2000. 255 Enz. § 465. 256 Vgl. Enz. § 465, Zusatz: »Während also auf dem Standpunkt der Vorstellung die teils durch die Einbildungskraft, teils durch das mechanische Gedächtnis bewirkte Einheit des Subjektiven und Objektiven – obgleich ich bei der letzteren meiner Subjektivität Gewalt antue – noch etwas Subjektives bleibt, so erhält dagegen im Denken jene Einheit die Form einer sowohl objektiven wie subjektiven Einheit, da dieses sich selber als die Natur der Sache weiß.« 257 Vgl. Enz. § 23, Anm.: »In dem Denken liegt unmittelbar die Freiheit, weil es die Tätigkeit des Allgemeinen, ein hiermit abstraktes Sichaufsichbeziehen, ein nach der Subjektivität bestimmungsloses Beisichsein ist, das nach dem Inhalte zugleich nur in der Sache und deren Bestimmungen ist. Wenn daher von Demut oder Bescheidenheit und von Hochmut in Beziehung auf das Philosophieren die Rede ist und die Demut oder Bescheidenheit darin besteht, seiner Subjektivität nichts Besonderes von Eigenschaft und Tun zuzuschreiben, so wird das Philosophieren wenigstens von Hochmut freizusprechen sein, indem das Denken dem Inhalte nach insofern nur wahrhaft ist, als es in die Sache vertieft ist und der Form nach nicht ein besonderes Sein oder Tun des Subjekts, sondern eben dies ist, daß das Bewußtsein sich als abstraktes Ich, als von aller Partikularität sonstiger Eigenschaften, Zustände usf. befreites verhält und nur das Allgemeine tut, in welchem es mit allen Individuen identisch ist. – Wenn Aristoteles dazu auffordert, sich eines solchen Verhaltens würdig zu halten, so besteht die Würdigkeit, die sich das Bewußtsein gibt, eben darin, das besondere Meinen und Dafürhalten fahrenzulassen und die Sache in sich walten zu lassen.«

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1.3 Logisches Denken und Vorstellung

Versucht das Denken im Flüchtigen, immer sich-Entziehenden seiner negativen Tätigkeit die Freiheit gegen die objektive Gegenständlichkeit seiner eigenen Produkte zu bewahren, dann ist es zwangsläufig im Teufelskreis des unendlichen subjektiven Triebes, der sich niemals zu verwirklichen vermag, gefangen.258 Das Denken erfordert also das Verschwinden der Widerstand-leistenden Subjektivität, damit die Manifestation der Sache zugleich die Enthüllung der inneren Beschaffenheit des Subjektes selbst ist. Mit den Worten Hegels: »Das Gedächtnis ist auf diese Weise der Übergang in die Tätigkeit des Gedankens, der keine Bedeutung mehr hat, d. i. von dessen Objektivität nicht mehr das Subjektive ein Verschiedenes ist, so wie diese Innerlichkeit an ihr selbst seiend ist.«259 Wir haben gesehen, dass die innerliche Intelligenz beim Auswendiglernen »erlöschen« muss, damit die Aufnahme der Sache (und ihr späteres sich-Explizieren) erfolgreich geschehen kann. Das macht das mechanische Gedächtnis zu einer sinnlosen Tätigkeit, denn der Sinn, als das Innerliche aufgefasst, macht gerade das zu behebende Hindernis für ein erfolgreiches Auswendiglernen aus. Wenn nun diese »Erlöschung« der Innerlichkeit die notwendige Bedingung des sich-Explizierens der Sache selbst (in welchem das Denken eigentlich besteht) ist, dann kann der Unterschied Name-Bedeutung, als der Unterschied von dem äußerlichen Seienden und der innerlichen Intelligenz aufgefasst, im Denken nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Bedeutungsverlust, der im mechanischen Gedächtnis geschieht, wird nicht etwa durch eine spätere Hinzufügung von (innerlichen) Bedeutungen kompensiert. Die Bedeutung, der Sinn, das Innerliche wird zugunsten des sich-Explizierens der Sache selbst verloren, damit ihr Inhalt frei aus ihr hervorgeht und sich ohne die »Störung« des partikulären Subjekts manifestiert. Im Denken ist folglich der Inhalt der Sache nicht mehr als die

258

Darin besteht die Kritik Hegels an den Apologeten der Ironie (und letzlich an Fichte, der ihr Inspirator war; siehe Grundlinien der Philosophie des Rechts – RPh –, § 140, Anm., f), denen der höchste Freiheitsakt sich beim Aussprechen eines Wortes vollzieht, das mit der Innerlichkeit der gemeinten Bedeutung nicht übereinstimmt. Dadurch soll das Ich sich von jeglichem Gebundensein an das äußerliche Substanzielle befreien und damit seine unendliche Vorherrschaft über jegliche endliche Konfiguration bestätigen (ebd.): »Nicht die Sache ist das Vortreffliche, sondern ich bin der Vortreffliche und bin der Meister über das Gesetz und die Sache, der damit, als mit seinem Belieben, nur spielt und in diesem ironischen Bewußtsein, in welchem Ich das Höchste untergehen lasse, nur mich genieße.« Aus dieser Perspektive ist aber das Denken fatalerweise zu einer eitlen Inhaltslosigkeit verdammt. Um Wirklichkeit überhaupt erlangen zu können, muss die Subjektivität darauf verzichten, ihre Besonderheit gegen das Objektiv-Gegenständliche geltend zu machen. 259 Enz. § 464.

§ 11 Die Entstehung des Zeichens

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»fremde Seele«260 derselben anzusehen, wie die Bedeutung in Bezug auf die sie bezeichnende Anschauung in der Zeichenproduktion. Das Denken besteht also wesentlich in der Aufhebung des Unterschiedes signans-signatum – dies und nichts anderes meint eigentlich die sogenannte Identität des Subjektiven und des Objektiven, welche das Denken nach hegelscher Auffassung vollzieht. Wir können hier legitimerweise von Identität des Subjektiven und Objektiven sprechen, sofern aus dem bisher durchlaufenen Gang dreierlei klar geworden ist: 1) Die Allgemeinheiten, als Denkstrukturen des Selbst verstanden, machen die Washeit der einzelnen Inhalte der Anschauung aus; 2) die spontan zum signans »herabgesetzte« Anschauung hebt die kantische Rolle derselben als inhaltgebende Instanz der Denkstrukturen auf; dadurch wird die Allgemeinheit als Washeit/Bedeutung aus dem »nächtlichen Schacht der Intelligenz« herausgezogen und zum objektiv Seienden gemacht; 3) vermöge des Gedächtnisses werden die Namen/Zeichen zum vorfindlichen Sächlichen gemacht, sodass nun die Manifestation der Washeit der Dinge und der Beschaffenheit des Denkens aus ein und derselben Quelle entspringt. In dieser Aufeinanderfolge von Schritten besteht wesentlich das, was hier die »Operation der Vorstellung« genannt worden ist. Zu bemerken ist hierüber, dass Hegel sich in der Logik meistens auf die letzte Stufe der Vorstellung bezieht, wenn er über die Produkte des vorstellenden Denkens spricht. Im Gegensatz zu Kant, bei welchem der Ausdruck »Vorstellung« sowohl Anschauungen als auch Begriffe meint, bezeichnet dieser Ausdruck in der Logik Hegels vor allem Namen, deren Bedeutung noch im undifferenzierten »Schacht« der Innerlichkeit bleibt. Es handelt sich also um das, was im vorausgehenden Kapitel »suppositio« genannt worden ist. Der Unterschied von Name und Bedeutung, welche das Denken aufzuheben hat, ist mit der Unreduzierbarkeit der suppositio auf deren significatio zu identifizieren. Im logischen Diskurs ist die Vorstellung jener Name (oder signans), der sich als wesentlich verschieden von dem, was von ihm ausgesagt wird, d. h. seiner significatio, vorstellt. Was dieser Name bedeutet, jenseits dessen Explizierens in der Prädikation, kann nur ein unbestimmter, verwischter Inhalt im »nächtlichen Schacht der Intelligenz« bzw. ein nicht-Seiendes sein. Bei einer solchen Vorstellung ist also die Aufhebung des Unterschiedes von dem seienden Namen und der innerlichen Bedeutung, in welcher das Denken grundsätzlich besteht, noch nicht vollzogen worden. Im letzten Kapitel 260

Enz. § 458, Anm.: »Das Zeichen ist irgendeine unmittelbare Anschauung, die einen ganz anderen Inhalt vorstellt, als den sie für sich hat; – die Pyramide, in welche eine fremde Seele versetzt und aufbewahrt ist.«

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1.3 Logisches Denken und Vorstellung

wurde die nicht-Reduzierbarkeit der suppositio auf deren significatio als Ursache der vorfindlichen Diskontinuität der Denkbestimmungen bzw. als das fundamentale Hindernis für die Verwirklichung des kreisförmigen Wissens erklärt. Die suppositio ist insofern mit dem Widerstand zu identifizieren, den die innerliche Subjektivität gegen das sich-Explizieren der Sache selbst leistet. Dem kontinuierlichen Verlauf des Diskurses, der sich aus dem aufopfernden Akt, das Wort selbst sprechen zu lassen, ergeben würde, setzt die partikuläre Subjektivität die Innerlichkeit ihrer unausgesprochenen Inhalte entgegen. Der »nächtliche Schacht der Intelligenz« macht zwar ein Medium der Zusammensetzung von anschaulichen Inhalten aus; dieses Medium ist aber nicht begrifflicher Art, sondern subjektiv-psychologischer. Das Unausgesprochene der suppositio, als in diesem innerlichen Medium befindlich, hat also in Ansehung der Wissenschaftlichkeit einen bloß subjektiven-psychologischen Charakter. Dieses psychologische Medium, dieser »Boden der Innerlichkeit«261 ist das, was zum »reinen Raume«262 geebnet werden muss, damit die Sache selbst sich hindernisfrei und ohne Unterbrechungen bzw. Störungen des innerlichen Vorstellens manifestieren kann. Das ist der Sinn dessen, was oben »die immanente Entwicklung des Begriffes aus sich selbst« genannt worden ist. Was das im Grunde heißt, wird unsere Untersuchung im Folgenden ausführlicher darlegen.

§ 12 Die Idee der vollbrachten Aneignung und die Entfaltung der Sache selbst Die ausführliche Analyse der Paragraphen, welche die Enzyklopädie der Vorstellung widmet, hat ein bestimmtes Konzept der Identität des Seienden und des Gedankens ergeben. Dieses Konzept bedarf noch einiger Erläuterungen. Wir müssen wieder auf die Frage eingehen: Was bedeutet hier eigentlich »das Seiende«? Dafür haben wir uns oben auf die Bedeutung des Wortes im frühen Fichte berufen. Die grundlegende Fragestellung der frühen Philosophie Fichtes kann folgendermaßen formuliert werden: Welcher Grund ist der des Prädikats »Sein«? Der gesuchte Grund ist bekanntlich das selbsttätige Handeln der Intelligenz und das Prädikat »Sein«, als in diesem Handeln begründet, ist demselben schlechthin entgegengesetzt. So betrachtet auch Hegel das Verhältnis zwischen Denken und Sein vor der Entstehung des Zeichens: Der »gefundene« Stoff der Anschauung erhält durch die Intelligenz die Form 261 262

Enz. § 464, Anm. Ebd.

§ 12 Die Idee der vollbrachten Aneignung

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der Allgemeinheit und dadurch wird das Sein bzw. das quid desselben gesetzt.263 Die Intelligenz darf aber nicht mit dem, was sie setzt, verwechselt werden: Als Prädikat verstanden ist das Sein dasjenige, was von der selbsttätigen Intelligenz in Bezug auf ihr Anderes, das »Gefundene«, festgesetzt wird, also das Resultat einer Verarbeitung. Diese Verarbeitung hat seit Kant den spezifischen Sinn einer Aneignung: Durch das Setzen ihres Seins werden die anschaulich gegebenen Inhalte »meinig« gemacht bzw. ihr Sein wird in Bezug auf »mich« gesetzt. Der anfängliche Bezugspunkt der Intelligenztätigkeit, das Andere oder das Gefundene, wird somit auf die Selbstbezüglichkeit des denkenden Selbst zurückgeführt.264 Das Seiende ist also nur das Seiende, sofern es »meinig« gemacht wird; durch die Aneignung wird die Setzung des quid der Andersheit mit dem Sich-Setzen des allumfassenden Ich identisch gemacht.265 Diese Aneignung aber ist vor der Entstehung des Zeichens als unvollendet anzusehen: Solange »die Anschauung die Unterlage des Begriffs«266 ist, hat die Setzung des quid durch Aneignung zwangsläufig zur Folge, das Ich zu einer Seite des Vollzuges zu machen und es dem Sein entgegenzusetzen. Das Faktum der Rezeptivität, als Ausgangspunkt des »meinig-Machens«, macht die komplette Aneignung unmöglich. Obwohl die Seiendheit nur in Bezug auf »mich« gesetzt werden kann, muss sie aus demselben Grund nur als mein mir gegenüberstehendes Korrelat gesetzt werden. Wir befinden uns hier vor derselben Struktur, durch welche das Spezifische des Bewusstseins im letzten Kapitel erfasst wurde: Das Ich ist dabei gleichzeitig »eine Seite des Verhältnisses und das ganze Verhältnis«.267 Durch die Erzeugung des Zeichens wird dieser Sachverhalt umgekehrt. Die Aneignung erfolgt dabei dergestalt, dass die Intelligenz das Faktum der Rezeptivität sich selbst »einverleibt«: Sie besteht nicht mehr darin, einen gegebenen Inhalt »meinig« zu machen, sondern das »Meinige« bzw. die Allgemeinheit zum gegebenen Inhalt, zur vorfindlichen Sache zu machen. Die Aneignung wird dann vollständig, weil nicht mehr vom Anderen ausgegangen wird, sondern 263

Enz. § 455, Anm., Abs. 1: »Die Intelligenz ergänzt das Gefundene durch die Bedeutung der Allgemeinheit und das Eigene, Innere durch die das aber von ihr gesetzten Seins.« 264 Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Hegel y el destino …«, a. a.O., 126. 265 Vgl. J. Kopper: Das transzendentale Denken …, a. a.O., 13–14. 266 Fichte, a. a.O., I, 492: »Nun ist dabei, so wie allenthalben, also auch hier, nicht aus der Acht zu lassen, daß die Anschauung die Unterlage des Begriffs, das in ihm Begriffene, ist und bleibt.« 267 Enz. § 413. Hegel selbst merkt diese strukturelle Homologie in Enz. § 455, Anm., Abs. 1: »Die Vorstellung ist die Mitte in dem Schlusse der Erhebung der Intelligenz; die Verknüpfung der beiden Bedeutungen der Beziehung-auf-sich, nämlich des Seins und der Allgemeinheit, die im Bewußtsein als Objekt und Subjekt bestimmt sind.«

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1.3 Logisches Denken und Vorstellung

gerade vom Eigenen.268 Das zum Seienden Gemachte bzw. der Denkinhalt, der durch das Zeichen objektive Seiendheit erhalten hat, ist von vornherein schon das »Meinige«, sodass die Rezeptivität des Anschauens nun durchweg von Denkinhalten, in Zeichen verkörpert, affiziert wird. Hier ist das Zusammenfallen von Subjekt und Objekt ganz anderer Art als dasjenige der intellektuellen Anschauung Fichtes. »Anschauung« heißt die letztere darum, weil sie, trotz ihrer intellektuellen Natur, unmittelbar zugänglich ist. Aber gerade aus diesem Grund ist die intellektuelle Anschauung unfähig, die Spannung zwischen Rezeptivität und Aneignung aufzulösen: Das, was angeschaut wird, ist freilich die Intelligenz selbst, aber nicht durch »Veranschaulichung« derselben, sondern durch das unmittelbare Gefühl ihrer Tätigkeit, welches das Faktum der sinnlichen Rezeptivität nicht aufzuheben vermag. Die hegelsche Selbstanschauung der Intelligenz hingegen löst diese Spannung dadurch auf, dass sie die Intelligenz selbst vergegenständlicht und sie somit auf die beiden Seiten des Aneignungsvorganges setzt.269 Damit wird der Konflikt zwischen den gegenüberstehenden Polen der »Beziehung auf das Andere« und der »Beziehung auf sich« überwunden.270 Die von Kant eingeführte Idee der Aneignung, die soeben erwähnt worden ist, verbindet diese zwei divergierenden Pole in ein und demselben Akt: Das Seiende »ist« nur das Seiende, sofern es »meinig« gemacht wird. Oder anders gesagt: Die Bedingung der Sache bzw. das, wodurch die Sache eigentlich Sache ist, ist die Ichheit, ohne dass beide Instanzen auf eine zurückgeführt werden können.271 Die hegelsche Operation konstruiert sich sozusagen »über« den Ergebnissen der kantischen, indem sie die zur Allgemeinheit erhobenen Inhalte wieder in die Anschauung in der Form von Zeichen »zurückschickt«.272 Diese Anschauung ist aber nicht mehr die Erste, an wel268

Vgl. H. F. Fulda, »Vom Gedächtnis zum Denken«, a. a.O., 356: »Indem die anschauende und vorstellende Intelligenz in diese Einheit als in ihren Grund zurückgeht, ist es in ihr, daß sie sowohl als vorstellende wie als anschauende die Vernunft findet, die sie in sich hat, – und zwar als eine, die gar nicht erst zu finden, da ursprünglich gehabt ist und an welcher nur der Schein zu beseitigen ist, das Vernünftige sei ein zu findendes (§ 445).« 269 Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Hegel y el destino …«, a. a.O., 126. 270 Vgl. Fulda: »Vom Gedächtnis zum Denken«, a. a.O., 359: »Im Gedanken, den das Denken ›hat‹, reproduziert die Intelligenz sich so, daß sie selbst darin gegenübertritt, sich ihr Gegenstand wird und sich wiedererkennt als das Allgemeine, das sie ist (vgl. § 465). Sie könnte sich als solches jedoch nicht wiedererkennen und wäre auf das trügerische Glück, sich zu finden, angewiesen, wenn das Allgemeine, das sie ist, nicht ein ›Begriff‹ wäre, der – indem sie am Werk ist – über ihr einfaches Fürsichsein hinausgeht und ausgreift auf den Gegenstand, als der sie sich entgegentritt.« 271 Vgl. J. Kopper: Das transzendentale Denken …, a. a.O., 15–16. 272 Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Signo y sujeto lógico en Hegel«, in: Estudios de Filosofía, Medellín 2008, Bd. 37, S. 141–158. Hier: 145.

§ 12 Die Idee der vollbrachten Aneignung

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cher die kantische reflexio sich vollzieht, d. h. die Anschauung als »Unterlage des Begriffs« aufgefasst. Sie ist, wie bereits gesagt, eine »entleerte Anschauung«. Das bedeutet zunächst, dass sie nicht mehr den gefundenen Inhalt ausmacht, der durch die Intelligenz die Form der Allgemeinheit erhalten muss, denn als »entleerte Anschauung« hat sie keinen Inhalt mehr für sich, sondern sie existiert nur als »Träger« eines anderen Inhaltes, einer ihr »fremden Seele«. Als solche macht sie aber auch die Intelligenz zum Seienden: Sie verwandelt also das »Meinige«, die Allgemeinheit, in die Sache bzw. in den inhaltlichen Gegenpol, welcher in der kantischen und fichteschen Idee der Aneignung dem Ich entgegensetzt wird. Nun können die eigentlichen Inhalte der Intelligenz, welche die Washeit der Dinge bestimmen, sich explizieren, indem die Denktätigkeit vollkommen auf sie als auf ihre Unterlage zugespitzt ist. Die Sache, das Seiende, meint nicht mehr das vom denkenden Selbst Gesetzte, sondern die vollkommene »Übertragung des Denkens in die Gegenständlichkeit«, durch welche das Denken erstmals Transparenz in Bezug auf sich selbst erlangt. Somit gewinnen unzählige umstrittene Aussagen Hegels über die Identität des Seienden und des Denkens bzw. der Wirklichkeit und der Vernunft einen präzisen Sinn, der das Gespenst eines Rückfalles des hegelschen Denkens in die dogmatische Metaphysik endgültig zum Verschwinden bringt. Wir beschränken uns hier auf zwei dieser Aussagen, nämlich die Paragraphen 6 und 24 der Enzyklopädie.273 Diese Paragraphen scheinen auf Anhieb Gedanken zu enthalten, die mit den kantischen Restriktionen in Bezug auf den Gebrauch der Kategorien frontal kollidieren. Wir haben aber gerade gezeigt, wie die Operation des Vorstellens, durch welche das Denken Gegenständlichkeit erhält, »über« der kantischen reflexio konstruiert wird. Das heißt, dass die Wirklichkeit, die Hegel dem Vernünftigen in § 6 zuschreibt, nichts mit einer vermeintlichen Erhebung in die Perspektive eines »kosmischen Logos« zu tun hat.274 Es handelt sich eher um die Wirklichkeit, 273

Enz. § 6: »Von der anderen Seite ist es ebenso wichtig, daß die Philosophie darüber verständigt sei, daß ihr Inhalt kein anderer ist als der im Gebiete des lebendigen Geistes ursprünglich hervorgebrachte und sich hervorbringende, zur Welt, äußeren und inneren Welt des Bewußtseins gemachte Gehalt, – daß ihr Inhalt die Wirklichkeit ist. […] Ja, diese Übereinstimmung kann für einen wenigstens äußeren Prüfstein der Wahrheit einer Philosophie angesehen werden, so wie es für den höchsten Endzweck der Wissenschaft anzusehen ist, durch die Erkenntnis dieser Übereinstimmung die Versöhnung der selbstbewußten Vernunft mit der seienden Vernunft, mit der Wirklichkeit hervorzubringen.« Enz. § 24: »Die Logik fällt daher mit der Metaphysik zusammen, der Wissenschaft der Dinge in Gedanken gefaßt, welche dafür galten, die Wesenheiten der Dinge auszudrücken.« 274 Die unglücklichen Ausdrücke »kosmischer Geist«, »kosmische Vernunft« usw. in Bezug auf Hegel sind vor allem von Ch. Taylor ins Spiel gebracht worden. Solche Ausdrü-

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1.3 Logisches Denken und Vorstellung

welche die Intelligenz durch ihre Vergegenständlichung im Zeichen erhält. Ebenso ist die Erkenntnis der Wesenheit der Dinge, die dem logischen Denken in § 24 beigemessen wird, keineswegs mit einer vermeintlichen Erkenntnis des Dinges an sich, welches bereits bei Kant als philosophisches Problem beiseite gesetzt worden ist, zu verwechseln. Obwohl Hegel an der vormaligen Metaphysik lobt, dass sie, im Unterschied zur späteren kritischen Philosophie, die Denkformen geradezu »als die Grundbestimmungen der Dinge« betrachtete,275 ist dieses Lob nicht so zu verstehen, als ob Hegel damit die vorkritische Auffassung des Erkennens zurückholen wollte. Eigentlich ist unter dem Ausdruck »Grundbestimmungen der Dinge« nichts anderes zu verstehen als das, was die kantische reflexio vollzieht, nämlich die Setzung des quid der Sache. Der Unterschied zum kantischen Denken, welcher Hegel dahin führt, seinen Ansatz mit der vormaligen Metaphysik in eine Parallele zu bringen, besteht eigentlich darin, dass die Idee der Aneignung, die durch die Erzeugung des Zeichens vollzogen wird, es der Intelligenz erlaubt, die Denkbestimmungen als identisch mit der Sache selbst in einem gegensatzlosen Element – dem Logischen – zu entfalten. In dieser von der Vorstellung vollbrachten Gegensatzlosigkeit, kraft deren das Denken sich selbst cke verfälschen die philosophische Radikalität des hegelschen Denkens und verwickeln die Interpretation in unnötige Schwierigkeiten. Bezüglich einer vermeintlichen »Erhebung« über die Perspektive des endlichen Geistes bei Hegel bemerkt Wieland zurecht (W. Wieland, a. a.O., 405): »Die Hegelsche Logik hat zwar das Absolute zum Gegenstand, aber sie ist keine Spekulation, die den Anspruch erheben könnte, auf dem Standpunkt des Absoluten zu stehen. Es handelt sich vielmehr um das Unternehmen des endlichen Geistes, die Kategorien zu entwickeln und zu erfassen, die für eine angemessene Auslegung des Absoluten notwendig sind. Auf dieser Ebene des endlichen Geistes bewegt sich die Darstellung der Logik. Diese Ebene wird innerhalb dieser Darstellung niemals thematisch; gerade deswegen braucht sie aber auch nicht verlassen zu werden. Die Probleme der Logik Hegels werden nicht verständlich, wenn man diese Tatsache außer acht läßt. Denn für die ›Wissenschaft der Logik‹ gilt, wie für alle Philosophie, daß sie nur auf Grund dessen, daß wir endliche Wesen sind, möglich und notwendig wird.« Dieser letzte Punkt ist besonders wichtig: Die Reflexion über das Absolute hat nur Sinn aus der Perspektive des Endlichen. Gerade deswegen, weil »wir endliche Wesen sind«, können wir überhaupt nach dem Absoluten philosophisch fragen. Dies macht die Überlegung über die hegelsche Auffassung der Sprache umso dringlicher, denn gerade in »dieser Ebene […] bewegt sich die Darstellung der Logik«. Wieland bemerkt ferner (a. a.O., 406): »Aber auch hier wird der Bereich der üblichen sprachlichen Ausdrucksmittel niemals verlassen. In diesem Sinne formuliert die ›Wissenschaft der Logik‹ mit Hilfe von Sätzen der gewöhnlichen Sprache Aussagen über das Absolute, die fortwährend der Revision unterzogen werden. Auch in dieser Hinsicht betrachtet, handelt es sich um einen gerade vom endlichen Geist unternommenen Versuch, das Absolute in der Sphäre des sich in der Sprache ausdrückenden abstrakten Begriffs bestimmbar zu machen. Ein in sich ruhendes und sich selbst genügendes Absolutes bedürfte keiner Logik.« 275 Enz. § 28.

§ 12 Die Idee der vollbrachten Aneignung

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»anschaut« und darin »die Sache selbst erkennt«, liegt die Legitimition, die Hegel autorisiert, die Vernunft der Wirklichkeit gleichzusetzen.276 Im innigen Zusammenhang mit diesem Verständnis der Gleichsetzung Vernunft = Wirklichkeit müssen auch die Behauptungen Hegels über das Verhältnis von Denken und Vorstellung in den drei ersten Paragraphen der Enzyklopädie gelesen werden. Dort sagt Hegel: Die Bekanntschaft, welche die Philosophie mit ihren Gegenständen voraussetzen kann und muss, beruht auf der Arbeit der Vorstellung, an welche der denkende Geist sich wenden muss, um zum denkenden Erkennen und Begreifen fortzugehen.277 Nun 276

Es kann an dieser Stelle von Nutzen sein, das Beispiel von einem anderen großen Denker in Erwägung zu ziehen, bei welchem die Untersuchung der zeichenhaften Konfiguration der Gedanken auch zu einer Neubesinnung auf das Verhältnis zwischen dem Sein und dem Denken geführt hat, nämlich Leibniz. S. Krämer hat im Hinblick auf die klassische Debatte, ob das leibnizsche Denken auf einer Ontologie oder auf einer Logik basiert, das Folgende gesagt (siehe S. Krämer: Berechenbare Vernunft. Kalkül und Rationalismus im 17. Jahrhundert, Berlin 1991. 225): »Falls für diese Thesen anhand von Leibnizens Texten argumentiert werden kann, zeigt sich, daß neben einem ontologischen und einem epistemisch-logischen Aspekt von ›System‹ ein dritter ›semiologischer‹ Aspekt sich eröffnet: Systeme von Zeichen. In ihrer Eigenschaft, Dinge zu sein, die gleich anderen Dingen sinnlich wahrnehmbar sind und über ein Eigengesetz verfügen, gehören die Zeichen zu den ontologischen Gegenständen. In ihrer Eigenschaft, eine Bedeutung zu haben, d. h. interpretierbar zu sein und für etwas zu ›stehen‹, das mit ihnen nicht identisch, nicht einmal sinnlich wahrnehmbar ist, gehören die Zeichen zu den epistemologischen Gegenständen. Wäre in dieser ›dritten Perspektive‹ nicht vielleicht ein Ansatzpunkt gefunden, auf eine neue Weise eine Verbindung herzustellen zwischen Metaphysik und Logik bei Leibniz, so daß die Einsichten und Irrtümer, ob metaphysisch oder logisch gefaßt, im Zusammenhang stünden mit Einsichten und Irrtümer die Struktur und Funktionsweise der Zeichen betreffend?« Ohne dies unbedacht auf unseren Kontext übertragen zu wollen, möchten wir auf einige parallele Aspekte hinweisen. Es fällt zunächst auf, dass die Rede von Zeichen den fraglichen Gegensatz zwischen einer ontologischen und einer logischepistemologischen Perspektive in gewisser Hinsicht zu überwinden ermöglicht, und zwar aufgrund der »gemischten« Natur der Zeichen selbst. Sowohl bei Leibniz als auch bei Hegel »vergegenständlicht« sich das Denken vermöge der Zeichen. Somit verschwinden die Schwierigkeiten, die daraus entstehen, das Denken oder das Sein (als entgegengesetzte Termini) zum Ausgangspunkt zu nehmen (wobei dann freilich Schwierigkeiten anderer Art entstehen). Es ist darüber hinaus auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass die von Krämer sogenannte »Eröffnung des dritten semiologischen Aspekts« die Dualität Sein-Denken auf das Zeichen selbst verlagert. In unserem Kontext bedeutet das, dass die Überwindung des Gegensatzes nur vermittels einer Operation in den Zeichen selbst erfolgen kann, die dasjenige, »für welches« das Zeichen »steht« (nämlich die Bedeutung als »nicht-wahrnehmbaren, epistemologischen Gegenstand«) eliminiert. In dieser Operation besteht eben der Übergang der Vorstellung »in die Tätigkeit des Gedankens, der keine Bedeutung mehr hat.« (Enz. § 464) 277 Wir haben die folgende Aussage Hegels in Enz. § 1 leicht paraphrasiert: »Die Philosophie kann daher wohl eine Bekanntschaft mit ihren Gegenständen, ja sie muß eine solche, wie ohnehin ein Interesse an denselben voraussetzen, – schon darum, weil das

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1.3 Logisches Denken und Vorstellung

ist die Vorstellung, wie wir schon wissen, diejenige Operation, durch welche die Intelligenz sich anschauliche Inhalte aneignet und sich selbst eine gegenständliche Existenz gibt. Vermöge der Vorstellung erhält das Denken das, dessen es im bloßen Bewusstsein ermangelt, nämlich »Gegenständlichkeit«, »Seiendheit«. Das Gegenständliche der Intelligenz in den Gebilden des Vorstellens macht also den eigentlichen Stoff aus, auf welchen der denkende Geist sich richten muss, um sich zum reinen, gegensatzlosen Denken zu erheben. Das stimmt überein mit dem, was oben über das Gedächtnis als die unorganische Natur des Denkens gesagt wurde. Ferner sagt Hegel: »Vorstellungen überhaupt können als Metaphern der Gedanken und Begriffe angesehen werden«.278 Hier stoßen wir wieder auf die Auffassung von Denken als sich-Explizieren der Sache selbst. Auf metaphorische Weise beinhalten die Vorstellungen in nuce das, was das Denken in begrifflicher Form »sich entfalten lassen muss«. Das Denken vollzieht also eine zweite Aneignung, die von der ersten, der Vorstellung – welche sich mit der Aneignung der kantischen reflexio deckt – unterschieden ist: Sie besteht darin, das Metaphorische in die Sprache des Denkens zu übersetzen. Es ist an dieser Stelle nicht zu übersehen, dass Hegel von den Vorstellungen im Plural spricht und ihre Zusammenhangslosigkeit bzw. kontingente Pluralität für den grundsätzlichen Mangel derselben erklärt. Die eigentümliche Form des reinen Denkens ist nun, wie im letzten Kapitel gezeigt wurde, der kontinuierliche Verlauf. Die Übersetzung des Metaphorischen in die Sprache des Denkens fällt folglich mit der Auflösung der Diskontinuität und Beziehungslosigkeit der Denkinhalte zusammen.279 Die genauere Art und Weise, wie diese Übersetzung vollzogen wird, wird uns im nächsten Kapitel ausführlich beschäftigen. Sie ist aber bereits in der Betrachtung des Überganges vom Gedächtnis zum Denken angedeutet worden, und zwar mit der folgenden dunklen Formel: »[…] die Tätigkeit des Gedankens, die keine Bedeutung mehr hat, […]«.280 Besondere Aufmerksamkeit verdient in dieser Formel das Verb »Haben«, welchem Hegel an mehreren Stellen seines Werkes tiefgründige Reflexionen widmet. Wichtig ist für uns jetzt, daran zu erinnern, dass »Haben« das Spezifische des »nächtlichen Schachtes der Intelligenz« ausmacht. Als Vorstellung hat die Intelligenz in ihrem innerlichen bewusstlosen Raum allerlei Bilder, Formen, usw. vorrätig. In diesem Raum des »Habens« der Intelligenz liegen Bewußtsein sich der Zeit nach Vorstellungen von Gegenständen früher als Begriffe von denselben macht, der denkende Geist sogar nur durchs Vorstellen hindurch und auf dasselbe sich wendend zum denkenden Erkennen und Begreifen fortgeht.« 278 Enz. § 3, Anm. 279 Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Hegel y el destino …«, a. a.O., 130. 280 Enz. § 464.

§ 12 Die Idee der vollbrachten Aneignung

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in undifferenzierter Form die Bedeutungen-Denkallgemeinheiten, bevor sie das entsprechende Zeichen erhalten, das sie aus der Undifferenziertheit herauszieht und ihnen Gegenständlichkeit verleiht. »Haben« bedeutet also in diesem Kontext: das im Virtuellen sowie Undifferenzierten Aufbewahrte. Der Sinn der dunklen Formel Hegels wird somit klarer. Obwohl die Denkinhalte durch das Zeichen »Diskretion« und »Gegenständlichkeit« erhalten, sind sie immer noch von der signierenden Anschauung, die sie aus der Dunkelheit des bewusstlosen Vorstellens herausziehen muss, wesentlich verschieden, und insofern gehören sie immer noch zum innerlichen Raum des Virtuellen sowie Undifferenzierten. Die Vorstellung vollzieht nicht die Manifestation der Sache, sondern setzt nur die Bedingung der Möglichkeit dafür. Aus der diskreten Mannigfaltigkeit der Namen geht nicht unmittelbar die konkrete Differenzierung der Denkinhalte hervor. Diese sind jenen immer noch entgegengesetzt. Der Index dieses unaufgelösten Gegensatzes ist gerade die suppositio, die ein leerer Name ist; ihre Präsenz im Diskurs weist auf den Widerstand der subjektiven Innerlichkeit (mit ihren undifferenzierten Bedeutungen) gegen die konkretisierende Entfaltung der Sache selbst hin. Der normale Sprachgebrauch, welcher derjenige der Vorstellung, nicht des Begriffes, ist, geht mit dieser zugrundeliegenden Undifferenziertheit problemlos um, und gerade deswegen verfährt er »unwissenschaftlich«. Es ist im Grunde unmöglich, die Verschiedenheit von Zeichen und Bedeutung281 aufzuheben, denn sie beruht auf dem ursprünglichen, unüberschreitbaren Unterschied von Sinnlichem und Intelligiblem. Die einzige Umformung, bei welcher dieser Unterschied kein Hindernis mehr für das sich-Explizieren der Sache selbst ausmacht, kann nur dadurch erfolgen, dass eine derartige Fixierung der Denkinhalte keinen Rest inhaltlicher Unbestimmtheit übrig lässt, also durch die Auflösung der suppositio. Der programmatische Ausdruck »das Wort selbst sprechen lassen« deutet gerade auf die Verwirklichung dieses Zieles hin. Bevor wir uns mit den Folgen beschäftigen, welche diese Untersuchungen für das Verständnis des logischen Diskurses haben, sollten wir einem möglichen Einwand entgegentreten. Dieser könnte so formuliert werden: Fallen wir nicht zwangsläufig einer Zirkularität anheim, wenn wir das richtige Verständnis der Logik von diesen »psychologischen« Untersuchungen abhängig machen?282 Widersprechen wir somit nicht dem grundlegenden Charakter der Logik als prima philosophia? Der Einwand beruht jedoch eigentlich auf 281

Diese Unterscheidung ist nicht völlig korrekt, denn das Zeichen ist schon die Einheit von einer Anschauung bzw. signans und einer Bedeutung bzw. signatum. 282 Vgl. E. Albizu, a. a. O, 26.

100

1.3 Logisches Denken und Vorstellung

einem Missverständnis; dem nämlich, dass wir im Laufe dieser Untersuchung etwa versucht hätten, der Logik eine »psychologische« Begründung zu verschaffen.283 Es war aber bisher nicht von Begründung die Rede. Es ist am Anfang des Kapitels bemerkt worden, dass die Aufgabe der Logik – sowohl nach Kant als auch nach Hegel – darin besteht, die Vorstellungen in Begriffe zu verwandeln. Die Untersuchung der hegelschen Konzeption der Vorstellung als Bedingung für das Verständnis der Logik entsteht also aus dem Bedürfnis heraus, den Begriff des »Stoffes« zu klären, den der logische Diskurs hat. Der Zusammenhang von Denken und Vorstellung hat sich ferner als »organisch« herausgestellt: Vorstellung und reines Denken sind also nicht als Grund und Begründetes miteinander verbunden, sondern eher als eine unorganische Natur (die Gegenständlichkeit der Intelligenz) und die sie aneignende, belebende Durchdringung von denkendem Selbst. Die besondere Stellung, welche die Vorstellung im hegelschen Denken einnimmt, zeigt sich aber vornehmlich in der Idee des Zeichens. Dasjenige, was den hegelschen Ansatz einer Philosophie des Denkens von denen anderer besonders hervorhebt, besteht gerade darin, die zeichenhafte Konfiguration des Denkens in den Vollzug des logischen Diskurses selbst einzubeziehen. Die Betrachtung dieser Einbeziehung wird uns im nächsten Kapitel eine neue Einsicht in dasjenige verschaffen, was als das Definierende des hegelschen Diskurses angesehen wird: die Dialektik.

283

E. Albizu beseitigt nebenbei auch dieses mögliche Missverständnis; vgl. ebd.

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses und die Struktur des Zeichens

§ 13 Einleitende Bemerkungen a) Die Frage nach der Konstitution des logischen Diskurses; erklärende Anmerkungen über den Gebrauch des Ausdruckes »Achse« Durch die Untersuchung des Vorstellungsbegriffs der Enzyklopädie hat sich im letzten Kapitel die maßgebliche Rolle der zeichenhaften Konfiguration der Gedanken herausgestellt, um zu einem einleitenden Verständnis der hegelschen Auffassung der Denktätigkeit gelangen zu können. Nun müssen wir einen Schritt in diesem Verständnis weiter gehen. Unsere Aufgabe besteht nunmehr darin, anhand der zeichenhaften Beschaffenheit der Gedanken die Konstitution und den Ablauf des logischen Diskurses zu erklären. Dafür muss aber zunächst erläutert werden, was wir unter dem Ausdruck »Diskurs« verstehen. In Kapitel 1.2 haben wir Ausdrücke wie »kontinuierlicher Verlauf« und »Auflösung im Medium des Logischen« verwendet, um die spezifische Darstellungsweise der Logik zu schildern. Diese Ausdrücke beziehen sich eigentlich auf den Begriff von Diskurs. Nehmen wir z. B. die Definition des Diskursiven, welche R. Eisler in seinem Wörterbuch gibt, und welche dem Gebrauch des Wortes in der Zeit Hegels immer noch entspricht: »Diskursiv: durchlaufend, von einem Inhalt zum andern übergehend, sukzessiv Stück für Stück verbindend ist das Denken (besonders als Schließen), im Gegensatz zur Anschauung, Intuition.«284 Allein aus dieser Charakterisierung wird ersichtlich, dass das, was hinter solchen Ausdrücken wie »kontinuierlicher Verlauf« steckt, eigentlich der Begriff von Diskurs ist, d. h. die Art und Weise, wie die einzelnen Gedanken verkettet werden. Die Untersuchung der hegelschen Auffassung des Zeichens hat uns gerade die Entstehung der »Stücke« gezeigt, welche das Denken, diskursiv gefasst, sukzessiv zu verbinden hat. Hat nicht die Betrachtung des Vorstellungsbegriffes dargelegt, wie die Denkinhalte vermöge der sie bezeichnenden »entleerten Anschauung« Sein im Sinne von Gegenständlichkeit erhalten? Die durch den Namen zu vorfindlichen Gegenständen gemachten Denkinhalte machen nun die Stücke aus, von welchen die Definition Eislers spricht, also den vorgegebenen Stoff der verbindenden Denktätigkeit in der Logik. Die Frage nach der Konstitution des logischen Diskurses ist also gleichbedeutend mit der Frage, wie die 284

R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Diskursiv«.

102

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

vorliegenden Stücke, die Produkte des Vorstellens vom reinen Denken (d. h. vom Denken im Element des Logischen) in Verbindung zu bringen sind. Die Frage nach dem Wie? der diskursiven Verkettung ist von der Frage nach der Gliederung der logischen Sache zu unterscheiden. Die Gliederung oder Einteilung hat bekanntlich für Hegel den wissenschaftlichen Status eines bloß historischen, rekapitulierenden Überblicks des Ganzen aus der Perspektive seines Vollzogenseins.285 Die Frage nach der Gliederung betrifft die verschiedenen Inhalte, welche das Logische umfasst. Die Gliederung differenziert mehrere Teile oder Bestandstücke, in welche die allgemeine Sphäre des Logischen zerfällt. Unser jetziges Interesse zielt aber nicht auf die Teile der Logik, sondern auf die Konstitution des Verfahrens, das sie sukzessiv verbindet, auf das Wie? ihres Übergehens ineinander. Bezüglich dessen spricht Hegel von den »drei Seiten« des Logischen »der Form nach«.286 Dieses »der Form nach« meint dasselbe wie unser Wie?. Anschließend bemerkt er: »Diese drei Seiten machen nicht drei Teile der Logik aus, sondern sind Momente jedes Logisch-Reellen, das ist jedes Begriffes oder jedes Wahren überhaupt«. Diese Aussage muss mit Aufmerksamkeit gelesen werden. Wenn von Teilen der Logik die Rede ist, dann beziehen wir uns auf das Logische als auf ein Ganzes. Das Subjekt der Einteilung ist das Ganze, das alle Glieder insgesamt ausmachen. Hier ist aber nicht von Teilen, sondern von Seiten die Rede. »Seite« ist hier im Sinne von »bestimmte Art und Weise, wie sich etwas zeigt« zu verstehen. Das Wort »Seite« bezieht sich folglich auf das Wie?, nach welchem wir hier fragen, also auf die bestimmte Art und Weise, wie die Stücke im Diskurs miteinander verkettet werden. Wenn wir nun drei Seiten in Bezug auf das Wie? der Verkettung unterscheiden, dann handelt es sich offensichtlich um drei bei jedem einzelnen Teil auffindbare Seiten. Das Subjekt der Seiten ist nicht das Ganze, wie beim Fall der Einteilung, sondern jedes einzelne Stück. Achten wir nun auf die hegelsche Bezeichnung dieser Stücke oder Glieder: Er spricht von »jedem Logisch-Reellen«, welches auch »Begriff« oder »Wahres« genannt werden kann. Besondere Aufmerksamkeit verdient die zusammengesetzte Form des Wortes »Logisch-Reell«. Jedes Einzelne, in welches das Logische zerfällt, macht eigentlich eine Zusammensetzung aus, und zwar eine Zusammensetzung von »Logizität« und »Realität« oder anders gesagt, von begrifflichem Gehalt und objektiver Realität. Entspricht dies nicht der Charakterisierung des Zeichens, die im letzten Kapitel gegeben worden ist? Die Verknüpfung des Namens als entleerter Anschauung und der Bedeutung, in welcher das Zeichen besteht, ist dort als die 285 286

Vgl. WL I (1812), 25–26. Enz. § 79.

§ 13 Einleitende Bemerkungen

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Verbindung der objektiven Gegenständlichkeit – hier das Reelle des Paares »Logisch-Reell« – und des begrifflichen Gehaltes – hier das Logische – in einer zweiseitigen Einheit aufgefasst worden. Wir befinden uns also vor dem »wirklich-Werden« des Vernünftigen und vor dem »vernünftig-Werden« des Wirklichen. Die von Hegel sogenannten »drei Seiten« des Logischen beziehen sich folglich auf das Zeichen als seienden oder reellen Denkinhalt und auf das Wie? der Verkettung der mehreren, vorfindlichen Logisch-Reellen in einem kontinuierlichen diskursiven Verlauf. Hinsichtlich dieser drei Seiten sagen wir nicht, dass es sich um drei Modi handelt, nach welchen die verschiedenen Stücke miteinander verkettet werden können, als ob es um eine bloße Möglichkeit ginge, sondern um die drei Aspekte, welche eine effektive, wirkliche Verkettung notwendigerweise mit sich bringt. Um uns auf diese drei Seiten jedes Logisch-Reellen zu beziehen, schlagen wir vor, das Wort »Achse« zu verwenden. Im mathematischen Sinne nennt man »Achse« eine »Gerade, die bei einer Drehung ihre Lage nicht verändert«.287 Im architektonischen Sinne ist die Achse eine »Linie in horizontaler oder vertikaler Richtung, auf die bauliche Schöpfungen […] bezogen sind«. In der Astronomie und Physik ist die Achse eine »gedachte, gerade Linie, um die sich ein (Himmels)Körper dreht«. Von diesen verschiedenen Einzelbedeutungen interessiert uns das Folgende. Erstens: Die Idee, dass die Achse eine rotierende Bewegung ermöglicht. Zweitens: Die Idee – geometrischer Art –, dass die Achse die Fixierung einer Position, eines Wo? ermöglicht. Drittens: Die Idee, dass diese Fixierung der Position die Konvergenz von mehreren geraden Linien (Achsen) in demselben Punkt erfordert. Wir können sagen, dass dieser Punkt, in welchem die Achsen konvergieren, in unserem Kontext das logisch-reelle Stück ist, d. h. das Zeichen.288 Denken wir an das oben Gesagte über das Subjekt der drei Seiten, welches, im Unterschied zum Subjekt der Einteilung, nicht die Logik als Ganzes ist, sondern jedes ihrer Bruchstücke. Die Fixierung eines jeden Stückes nach den drei Achsen (die drei Seiten nach Hegel) ermöglicht uns ferner, die Gesamtheit der Stücke zu plazieren oder sie nach einer gewissen Ordnung zu bestimmen. Aber Hegel nennt die drei Seiten auch »Momente«, d. h. er verbindet die Idee der Partie eines Gegenstandes mit der Idee der zeitlichen Aufeinanderfolge. Das führt uns zum Begriff der Rotation, welchen das Wort »Achse« auch einschließt: Die Achse ermöglicht eine Kreisbewegung des Körpers, den sie

287

Diese und die folgenden sprachlichen Informationen stammen von Wahrig G. u. a. (Hrsg.): Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch, 6 Bd., Stuttgart 1980, Artikel »Achse«. 288 Es kann hier von Nutzen sein, zu bemerken, dass im Altgriechischen dasselbe Wort für Punkt und Zeichen verwendet wird, nämlich »σημεῖον«.

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

durchdringt, und kraft dessen zeigt der Körper all die Aspekte oder »Seiten« seiner selbst. Der Ausdruck »Achse« lässt uns also sowohl die kreisförmige Beweglichkeit des Diskursiven als auch die Bestimmung der Inhalte (die Fixierung der Position im geometrischen Sinne), welche die diskursive Verkettung vollzieht, einheitlich zum Ausdruck bringen. Die drei Achsen des Logischen sind: »α) die abstrakte oder verständige, β) die dialektische oder negativ-vernünftige, γ) die spekulative oder positiv-vernünftige.«289 Von deren Funktionieren und Zusammenwirken wird unten die Rede sein. Vorher müssen aber andere Aspekte in Erwägung gezogen werden.

b) Der Zusammenhang zwischen der Metaphorizität der Vorstellungen und der Verschiedenheit signans-signatum Die drei erwähnten Achsen machen das »Wie« der effektiven Verkettung der logischen Inhalte aus. Diese zu verkettenden Inhalte entsprechen dem, was wir im vorausgehenden Kapitel als das Zeichen thematisiert haben. Dort haben wir darauf hingewiesen, dass die Zeichen, bevor sie im kontinuierlichen Verlauf der Logik integriert werden, als Metaphern der Begriffe betrachtet werden müssen, sofern sie in nuce dasjenige enthalten, was das reine Denken begrifflich entfalten muss, und zwar gemäß den drei Achsen des Logischen.290 Das in den Zeichen in nuce oder metaphorisch Enthaltene

289

Enz. § 79. Anhand solcher Aussagen könnte man denken, dass Hegel nichts anderes tut als das, was die heutigen »ordinary language-Philosophen« tun, nämlich – mit Worten Rosers – »die Klärung sprachlicher Ausdrücke, die Analyse des Gebrauches der Wörter unserer Sprache« (Siehe A. Roser, a. a.O., 130). Als Unterstützung dieser These führt Roser die Tatsache an, dass Hegel in der Logik »keine besondere Terminologie […] verwendet« (ebd. 130). Gegen eine solche grobe Identifizierung sagt aber Roser (a. a.O., 131–132): »Im Unterschied zu den verschiedensten heutigen Konzeptionen von Sprachphilosophie ist Hegels ›Sprachphilosophie‹ (soweit von einer solchen überhaupt die Rede sein kann) durch ein radikales Identitätspostulat von Begriff und Gegenstand, bzw. von der Selbstidentität des Begriffes geprägt. Es ist vor allem dieser Punkt, der den analytischen Begriff von Sprache von jenem identitätstheoretischen Sprachbegriff Hegels unterscheidet.« Die Identifizierung mit der heutigen philosophy of language scheint uns ebenso verfehlt wie Roser, aber nicht aus demselben Grund. Der Grund muss nicht in einem vermeintlichen »Identitätspostulat von Begriff und Gegenstand« (dieses Konzept ist vieldeutig) gesucht werden, sondern eher in einer Auffassung des Begriffs selbst, die das nicht-Begriffliche desselben zu eliminieren sucht, wie am ersten Kapitel gezeigt wurde. Bezüglich der Beziehung zwischen der Logik und der natürlichen Sprache, in welcher jene zwangsläufig formuliert sein muss, macht Wieland die folgende sinnvolle Bemerkung (W. Wieland, a. a.O., 408): »So erweist sich jede Deutung der logischen Kategorien als unzulässig, die 290

§ 13 Einleitende Bemerkungen

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zu entfalten heißt so viel wie »sie diskursiv zu verketten«. Das metaphorische Enthalten und die anfängliche Beziehungslosigkeit der Logisch-Reellen bzw. der anfänglich »stückliche«291 Charakter derselben erweisen sich somit als zusammenhängend. Solange die Zeichen die von ihnen repräsentierten Inhalte metaphorisch enthalten, bleiben sie unverknüpft und zusammenhangslos, d. h. außerhalb der diskursiven Verkettung. Und umgekehrt: Die Zusammenhanglosigkeit der Zeichen erhält das metaphorische Enthalten des Namens in Bezug auf seinen begrifflichen Inhalt aufrecht. Daraus folgt, dass die Eingliederung der logisch-reellen Stücke im kontinuierlichen Denkverlauf die Abschaffung des »Enthaltens« oder des »Habens« der Namen in Bezug auf die von ihnen ausgedrückten Inhalte erfordert. Das Reelle der Zusammensetzung »Logisch-Reell« (d. h. der Name als anschauliches Gebilde) muss damit aufhören, das von ihm ausgedrückte Logische (d. h. den Inhalt oder die Bedeutung) zu »haben«, damit die Inhalte in diskursive Verbindung effektiv gebracht werden können. Daher kommt die dunkle Formel des Denkens, welche Hegel in der Enzyklopädie gibt: »[…] die Tätigkeit des Gedankens, der keine Bedeutung mehr hat […].«292 Diese »Bedeutungslosigkeit« des Gedankens heißt, sagt Hegel anschließend, dass »von dessen Objekti-

diesen Kategorien einen ›höheren‹, von dem gewöhnlichen abweichenden Sinn unterstellt. Trotzdem begnügt sich Hegel nicht damit, eine bloße Analyse von bestimmten Funktionalausdrücken der gegenständlich vorliegenden kontingenten Sprache zu liefern, die als solche dann unbefragt hingenommen werden müßte. Ihrem Wahrheitsanspruch nach ist die Logik von der Positivität einer faktischen Sprache unabhängig; so ist es auch kein Abstraktionsprozeß auf der Basis der natürlichen Sprache, der die formale Genese bezeichnet, durch den die logischen Kategorien als solche entstünden. Sondern es gilt gerade umgekehrt: daß die Logik, wenngleich sie sich auch immer in einer faktischen Sprache manifestieren muß, deswegen doch keine bloße Funktion dieser Sprache ist. Sosehr die Sprache als Verständnishilfe dienen kann und sosehr sich bei der Entwicklung und Erörterung der logischen Kategorien bestimmte Ausdrücke der Sprache gleichsam von selbst anbieten – eine Analyse der Sprache als Sprache allein könnte die Logik niemals ersetzen. Die Sprache rein als solche bleibt steril, wenn kein Standpunkt gegeben ist, von dem aus sie befragt und analysiert wird. Sucht und findet man in der Sprache logische Bestimmungen, so ist es die Idee der Logik, die die Voraussetzung bildet. Ob daher ein Ausdruck geeignet ist, das Substrat einer logischen Kategorie abzugeben, läßt sich niemals an Hand der Sprache selbst allein entscheiden.« 291 Der Gebrauch dieses Adjektivs – welches im deutschen Wortschatz nicht vorhanden ist – bedarf natürlich einer Erklärung. Was damit gemeint ist, ist die definierende Qualität, welche jedem Stück als solchem zukommt, d. h. das Fragmentarische, Unvollständige. Die anderen Optionen waren »stückhaft« und »stückweise«. Die erste drückt aber eher die Teilnahme an der Qualität des Fragmentarischen, Unvollständigen aus, wobei unsere Option offensichtlich näher am Gemeinten liegt. »Stückweise« ist ein Modalwort, und als solches hat es für unseren Zweck den Defekt, dass es nicht flektiert werden kann. 292 Enz. § 464.

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

vität nicht mehr das Subjektive ein Verschiedenes ist«. Mit anderen Worten: Die Abschaffung des metaphorischen »Enthaltens«, welche die diskursive Verkettung vollzieht, bringt die Tilgung des Unterschiedes von Namen und ihrer Bedeutung mit sich. Wir haben aber im letzten Kapitel besonders hervorgehoben, dass das richtige Herausziehen der inneren Inhalte der Intelligenz aus ihrem »nächtlichen Schacht« es erfordert, dass der Ausdruck und das Ausgedrückte in keinerlei (natürlichem) Zusammenhang stehen.293 Die Verschiedenheit von Name und Bedeutung scheint mithin dem Denken konstitutiv zu sein, indem die Intelligenz gerade vermittels des Zeichens ihre Befreiung von der Anschauung vollbringt. Kraft des strengen sich Haltens an den fundamentalen Unterschied von Anschauung und Denken im Zeichenbegriff konnte Hegel den kantischen »Intuitionismus« überwinden, ohne damit gegen die kantischen Restriktionen zu verstoßen und in den Dogmatismus zurückzufallen. Es ist folglich näher zu untersuchen, worin genau der Zusammenhang dieser konstitutiven Verschiedenheit von Name und Bedeutung mit dem metaphorischen »Haben« des Denkinhaltes besteht, das den Zeichen in ihrem »stücklichen« Zustand eigen ist. Diese Fragestellung wird unsere Untersuchung im Folgenden leiten. Am Ende des letzten Kapitels wurde gesagt, dass die diskrete Mannigfaltigkeit der Namen für sich selbst nicht hinreichend ist, um die gesuchte Herausdifferenzierung der im »nächtlichen Schacht der Intelligenz« befindlichen Denkinhalte komplett zu vollbringen. Was bringt dann die »Signierung« der Denkinhalte eigentlich zustande? Sie vergegenständlicht die Inhalte, die das Denken diskursiv zu verketten hat. Durch die »Signierung« erfolgt somit die Bereitstellung des »Rohstoffes« des logischen Denkens, der infolgedessen als eine kontingente Pluralität von Namen vorliegt. Der innige Zusammenhang zwischen dem »Stücklichen« und dem »in nuce Enthaltenen« zeigt sich in diesem »Vorliegen«, indem ein bloßer Name, für sich genommen und ohne Zusammenhang mit anderen Namen, den von ihm vor-gestellten Inhalt nicht darzulegen vermag. An der Stelle des Inhaltes zu sein, denselben zu repräsentieren oder vorzustellen, wie der Name es in Bezug auf die Bedeutung tut, heißt nicht, diesen Inhalt effektiv auszusprechen oder ihn zu manifestieren. Diesem Punkt wird in der Vorrede zur Phänomenologie besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Dort sagt Hegel: »Sowenig, wenn ich sage: alle Tiere, dies Wort für eine Zoologie gelten kann, ebenso fällt es auf, daß die Worte des Göttlichen, Absoluten, Ewigen usw. das nicht aussprechen, was darin enthalten ist; […].«294 293 294

Vgl. Enz. § 458. Phän., 24–25.

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Das Enthalten des Inhaltes (oder das »metaphorische Enthalten in nuce«, wie wir es hier benannt haben) ist nicht unmittelbar die komplette Darstellung des Bezeichneten. Dafür ist das Übergehen zu anderen Inhalten bzw. die diskursive Verkettung notwendig: »Es wird in einem Satze der Art mit dem Worte ›Gott‹ angefangen. Dies für sich ist ein sinnloser Laut, ein bloßer Name; erst das Prädikat sagt, was er ist, ist seine Erfüllung und Bedeutung; der leere Anfang wird nur in diesem Ende ein wirkliches Wissen.«295 Dies bringt uns direkt zu unseren Überlegungen am Ende des Kapitels 1.2 über die suppositio und die Substrate des Vorstellens in der vormaligen Metaphysik zurück. Die vormalige Metaphysik nimmt gewisse Vorstellungen (welche hier den »stücklichen« Logisch-Reellen entsprechen) als »fertig gegebene Subjekte« oder als supposita, die von ihren Prädikaten nicht vollständig ausgedrückt werden können, indem die suppositio, als das »id de quo fit sermo« verstanden, nicht auf die significatio, als »illud quod dicitur de supposito« aufgefasst, reduzierbar ist. Versuchen wir nun, das dort Gesagte mit dem Vorliegenden in Zusammenhang zu bringen. Wenn die suppositio von ihrer significatio verschieden ist, dann gibt es in der suppositio als Zeichen noch einen Rest in nuce oder unentfaltet, also etwas, das der Gegenstand eines »Enthaltens« oder »Habens« ist und folglich außerhalb der diskursiven Verkettung liegt. Was dieser Rest eigentlich ist, können wir nicht wissen, gerade deswegen, weil dasjenige, was seinen Inhalt zu manifestieren hat d. h. die significatio, denselben nicht erschöpfen kann. Wir können aber wissen, wo dieser Rest sich befindet: Sofern der Name, welcher ihn re-präsentiert oder vor-stellt, ihn nicht darzulegen vermag, kann der Sitz dieses Restinhaltes kein anderer als der »nächtliche Schacht der Intelligenz« sein, das dunkle Reservoir der undifferenzierten Bilder und Inhalte des Vorstellens. Ist ein Inhalt im Undifferenzierten versunken, dann können wir nicht sagen, was er ist. Er macht folglich einen unaussprechbaren Inhalt aus, den Gegenstand eines Meinens. Das Wort »Meinen« wird hier im Sinne von »SagenWollen« verstanden, also im Sinne einer mentalen Intendierung, welche ihren angezielten Gegenstand nicht zu treffen vermag. Der Gegenstand eines Sagen-Wollens kann, gerade deswegen, weil er ein hingezielter, noch nicht erreichter Gegenstand ist, nur im Unbestimmten, Konfusen schweben. Somit erweist sich das »Haben« oder »in nuce Enthalten« der Namen in Bezug auf die von ihnen repräsentierten Denkinhalte als gleichbedeutend mit dem »nächtlichen« Haben der Intelligenz, dem dunklen Reservoir der gemeinten Inhalte des Vorstellens. Dass ein Name eine bestimmte Bedeutung hat, heißt also, dass diese Bedeutung im dunklen Reservoir der Intelligenz verborgen 295

Phän., 26.

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

liegt, d. h. dass die »gehabte« Bedeutung eigentlich eine unbestimmte Bedeutung ist. Gerade in diesem Punkt soll der Sinn des Zusammenhanges der Verschiedenheit von Name und Bedeutung und des metaphorischen »Habens« des Denkinhaltes, welches den Zeichen in ihrem »stücklichen« Zustand eigen ist, gesucht werden. Die anschauliche Beschaffenheit des Zeichens gibt dem bezeichneten Denkinhalt Sein, Gegenständlichkeit, objektive Bestimmtheit. Wir haben aber gerade gesehen, dass der »stückliche« Charakter des Zeichens bzw. seine Position außerhalb der diskursiven Verkettung eigentlich die Unbestimmtheit des bezeichneten Inhaltes verbirgt. Die Verschiedenheit von Name und Bedeutung besteht hier darin, dass der bestimmten Präsenz des Namens keine genauso bestimmte Bedeutung entspricht. Es gibt folglich eine wesentliche Unstimmigkeit zwischen signans und signatum vor der diskursiven Verkettung des Zeichens im kontinuierlichen Denkverlauf. Das »Haben« – so wie es beim Satz: »Dieser Name hat diese Bedeutung« vorkommt – ist daher als Synonym dieser Verschiedenheit zu verstehen. Somit wird ersichtlich, warum Hegel behauptet, dass die Tätigkeit des Gedankens keine Bedeutung mehr hat und diese Bedeutungslosigkeit als die Eliminierung der Verschiedenheit von Objektivität und Subjektivität erklärt. Diese Eliminierung erfolgt eben durch die diskursive Verkettung, indem dieselbe den »stücklichen« Zustand der Zeichen auflöst, welcher die Verschiedenheit von Name und Bedeutung im soeben erwähnten Sinne verursacht.

c) Erwiderung auf einen möglichen Einwand; die Unterscheidung zwischen allgemeiner und reiner Apriorität Bevor wir aber diese einleitenden Bemerkungen verlassen und zum eigentlichen Thema dieses Kapitels – die drei Achsen des logischen Diskurses – übergehen, müssen wir uns mit einem möglichen Einwand konfrontieren. Man könnte gegen das bisher Gesagte den Einspruch erheben, dass wir die Vorstellungen und die Denk- oder Verstandesbestimmungen, als den eigentlichen Gegenstand des logischen Diskurses verstanden, voreilig miteinander identifiziert haben. Hegel hingegen unterscheidet sie klarerweise, setzt sie sogar einander entgegen. Um das Problem adäquat in Angriff zu nehmen, müssen wir auf die §§ 465–468 der Enzyklopädie zurückgehen, in welchen Hegel die wesentlichen Unterschiede zwischen der Vorstellung und dem Denken aufführt. Dort beschreibt Hegel das Denken als die Tätigkeit, welche die vom Gedächtnis ver-innerlichten Vorstellungen »zu Gattungen, Arten,

§ 13 Einleitende Bemerkungen

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Gesetzen, Kräften usf., überhaupt zu den Kategorien verarbeitet, […]«.296 Diese Kategorien, daran sei wieder erinnert, machen die zusammenhangslosen Stücke aus, welche der logische Diskurs zu verketten hat. Aber sie sind schon das Produkt der Denktätigkeit, d. h. bei ihnen hat sich die Übersetzung des Metaphorischen der Vorstellung in die Sprache des Begriffes bereits ergeben. Daraus folgt, dass die Aufgabe des logischen Diskurses in Bezug auf den Verstand und seine Bestimmungen und nicht in Bezug auf die Vorstellung, wie wir es bisher gemacht haben, gestellt werden muss. Denn die Vorstellung macht eine »untere Stufe« aus, deren Verarbeitung die Logik schon voraussetzt. Zwischen der Vorstellung und dem reinen Denken in der Logik besteht also eigentlich kein direktes Verhältnis. Dies widerspricht weitgehend unseren bisherigen Überlegungen über die Vorstellung als den terminus a quo der reinen Denktätigkeit. Hinter diesem Einwand steckt eigentlich ein komplexeres Problem, das folgendermaßen formuliert werden kann. Der Sinn der Verarbeitung, die das Denken an den gegebenen Vorstellungen vollzieht, kann mithilfe der (von Husserl stammenden) Unterscheidung zwischen dem Apriorischen im Allgemeinen und dem reinen Apriorischen in Zusammenhang ersichtlich gemacht werden.297 Wir können zunächst mit Husserl »Apriori« dasjenige nennen, was »rein von aller Empirie« ist.298 Insofern kann es als dasjenige angesehen werden, was die vorstellende Intelligenz gegenüber den anschaulichen Inhalten einführt d. h. die »Bestimmung des Meinigen«299 oder die Allgemeinheit. Der Verstand macht ferner, vermöge der erwähnten Verarbeitung der Vorstellungen, die Denkformen thematisch, durch welche allein die gegebenen Vorstellungen vom Intellekt erfasst werden können. Das heißt: Das »rein von aller Empirie« kann weiter präzisiert werden, und dies ist gerade dasjenige, was der Verstand an den Vorstellungen ausführt. In dieser Hinsicht vollzieht der Verstand einen klaren Schnitt zwischen dem dem Denken notwendig Zugehörigen und dem Faktischen oder Unwesentlichen im Apriorischen selbst. Mit anderen Worten: Durch die Verarbeitung des Verstandes kommt der Unterschied ans Licht zwischen einer Wesensallgemeinheit, die inhaltlich an die Erfahrung gebunden ist und welche folglich, trotz ihrer Apriorität, kontingent ist,300 und einer Wesensallgemeinheit, die sozusagen eine »Invariable«301 des Den-

296 297 298 299 300 301

Enz. § 467. Vgl. E. Husserl, a. a.O., 25. Ebd. Enz. § 20, Anm., Abs. 2. Vgl. E. Husserl, a. a.O., 26. Ebd.

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

kens ausmacht. Von dieser Letzten können wir berechtigterweise behaupten, dass sie den eigentlichen Gegenstand der Logik ausmacht.302 Wenn wir also die Aufgabe des logischen Diskurses in Bezug auf die Vorstellung stellen, dann verwischen wir den Unterschied zwischen dem Kontingenten und dem reinen Apriorischen, und damit bringen wir den spezifischen Bereich des Logischen mit anderen Bereichen des Wissens in Konfusion. Diesem möglichen Einwand soll folgendermaßen begegnet werden. Der Verstand, haben wir gesagt, vollzieht einen deutlichen Schnitt innerhalb des Apriorischen selbst zwischen dem Kontingenten, an die Erfahrung inhaltlich Gebundenen, und dem reinen Apriorischen. Das heißt, dass der Verstand von den vorliegenden Gebilden des Vorstellens gerade diejenigen hervorhebt, welche sich auf reine Denkinhalte beziehen. Aber dieses Hervorheben geschieht eben innerhalb des Apriorischen selbst, d. h. innerhalb dessen, was das Vorstellen ans Licht bringt. Der erwähnte Schnitt wird also nicht

302

Hinsichtlich des Wortes »Invariable« und des Scheines von »Übergeschichtlichkeit«, den die reinen Wesensallgemeinheiten mit sich bringen, verweisen wir den Leser auf unsere Überlegungen in 1.1 über das Verhältnis der Logik zum historischen Stand der konkreten Wissenschaften. Darüber hinaus haben einige Autoren die angestrebte »Reinheit« der Logik als die Unabhängigkeit derselben von jeglichem kulturellen Hintergrund interpretiert. So sagt Burbidge (J. W. Burbidge: On Hegel’s Logic: Fragments of a Commentary, Atlantic Highlands 1981, 38): »Pure thought we have now defined as the sphere of intellectual relations, purged of spatio-temporal, subjective and cultural contingencies.« Später bemerkt er (a. a.O., 38–39): »Through the self-conscious use of language, the imaginative constructions of subjective egos or of cultural traditions are recognized as relative and, to that extent, irrelevant to a purely logical science. Any intellectual relation that is conditioned by distinctive moments in personal or social story is to be left aside in the abstract discipline of pure thought.« In Übereinstimmung mit Burbidge haben wir im Laufe dieser Untersuchung wiederholt gesagt, dass dasjenige, was zur Sphäre des »subjektiven Meinens und Dafürhaltens« gehört, in der Logik suspendiert werden muss. Man muss sich aber fragen, ob dasjenige, was Burbidge »cultural contingencies« nennt, auch zu dieser Sphäre gehört. Wenn das »Kulturelle« (dieses Wort hat heutzutage eine gewisse Färbung von »Relativität« und »Kontingenz«; wir könnten stattdessen mit Hegel die Wörter »Geist« oder »das Geistige« gebrauchen, welche aber etwas veraltet klingen) und das Geschichtliche auf der gleichen Ebene stehen wie das »subjektive Meinen und Dafürhalten«, dann sind wir in einer gefährlichen Nachbarschaft mit den (in Verruf gekommenen) Philosophien der »Weltanschauung« und den »Völkerpsychologien«. Die hegelsche Auffassung des Geistigen und des Geschichtlichen ist von solchen Ansätzen weit entfernt, und dies muss im Hinblick auf ein richtiges Verständnis der Logik besonders berücksichtigt werden. Die angestrebte »Reinheit« der Logik ist nicht so zu verstehen, als ob sie unabhängig vom kulturellen und geschichtlichen Hintergrund wäre (oder sein möchte), sondern eher in dem Sinne, dass sie (wie in 1.1 gesagt wurde) in den »kontingenten« Produkten des Geisteslebens »Spuren« von sich selbst finden muss. In dieser Hinsicht ist es nicht zutreffend, von den »cultural traditions« zu sagen (wie Burbidge es tut), dass sie für das reine Denken »irrelevant« sind.

§ 13 Einleitende Bemerkungen

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vollzogen zwischen dem, was Vorstellung ist, und dem, was reine Denkallgemeinheit ist, sondern innerhalb der Vorstellungen selbst als Zeichen verstanden, und zwar zwischen denen, die reine Denkallgemeinheiten zum Ausdruck bringen, und denen, die sozusagen »unreine«, von der Empirie nicht losgelöste Allgemeinheiten bezeichnen. Wenn wir unter »Vorstellung« die Zusammenhangslosigkeit der zu verkettenden Denkinhalte verstehen, dann haben wir es in der Logik immer noch mit Vorstellungen zu tun, und folglich ist der Einwand nicht zutreffend. »Vorstellung« kann aber auch in einem »inhaltlichen« Sinne verstanden werden, d. h. als nicht-reine Allgemeinheit, und dann kann sie tatsächlich der Kategorie entgegengesetzt werden, wie Hegel es in der angeführten Stelle der Enzyklopädie tut.303 Die ganze Argumentation unserer Untersuchung basiert aber auf dem ersten Verständnis des Wortes, und nach diesem Verständnis besteht nicht die Gefahr der Konfusion. Denn, in diesem Sinne verstanden, bezeichnet »Vorstellung« im Grunde das zusammenhangslose Gegebensein der Gedankenformen, ganz abgesehen davon, ob sie reine oder nicht-reine Aprioritäten sind. In dieser Hinsicht kann man wohl die Vorstellung und den Verstand gleichsetzen, wie Hegel selbst bemerkt.304 Obwohl die Kategorien als Produkte des Verstandes schon eine gewisse Verarbeitung bzw. Übersetzung des Metaphorischen der Vorstellung in die Sprache des Begriffes voraussetzen, gilt das oben Gesagte über das »Enthalten« und die Verschiedenheit Name-Bedeutung immer noch in Bezug auf sie, sofern sie als beziehungslose Gebilde vorliegen. Und 303

Wir könnten aber gleichwohl sagen, dass gerade diese »Unreinheit« der Allgemeinheit in der Vorstellung die Unterscheidung derselben vom Denken (als Verstand) umso schwieriger macht, wie die folgende Stelle (Enz. § 20, Anm., Abs. 2) zeigt: »Das Vorstellen hat solchen sinnlichen Stoff zum Inhalte, aber in die Bestimmung des Meinigen, daß solcher Inhalt in Mir ist, und der Allgemeinheit, der Beziehung-auf-sich, der Einfachheit, gesetzt. – Außer dem Sinnlichen hat jedoch die Vorstellung auch Stoff zum Inhalt, der aus dem selbstbewußten Denken entsprungen [ist], wie die Vorstellungen vom Rechtlichen, Sittlichen, Religiösen, auch vom Denken selbst, und es fällt nicht so leicht auf, worin der Unterschied solcher Vorstellungen von den Gedanken solchen Inhalts zu setzen sei.« 304 Ebd.: »Aber solche an sich geistige Bestimmungen stehen gleichfalls vereinzelt im weiten Boden der inneren, abstrakten Allgemeinheit des Vorstellens überhaupt. Sie sind in dieser Vereinzelung einfach; Recht, Pflicht, Gott. Die Vorstellung bleibt nun entweder dabei stehen, daß das Recht Recht, Gott Gott ist, – oder gebildeter gibt sie Bestimmungen an, z. B. daß Gott Schöpfer der Welt, allweise, allmächtig usf. ist; hier werden ebenso mehrere vereinzelte einfache Bestimmungen aneinandergereiht, welche, der Verbindung ungeachtet, die ihnen in ihrem Subjekte angewiesen ist, außereinander bleiben. Die Vorstellung trifft hier mit dem Verstande zusammen, der sich von jener nur dadurch unterscheidet, daß er Verhältnisse von Allgemeinem und Besonderem oder von Ursache und Wirkung usf. und dadurch Beziehungen der Notwendigkeit unter den isolierten Bestimmungen der Vorstellungen setzt, da diese sie in ihrem unbestimmten Raume durch das bloße Auch verbunden nebeneinander beläßt.«

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

daher sagt Hegel: »Der Unterschied von Vorstellung und von Gedanken hat die nähere Wichtigkeit, weil überhaupt gesagt werden kann, daß die Philosophie nichts anderes tue, als die Vorstellungen in Gedanken zu verwandeln, – aber freilich fernerhin den bloßen Gedanken in den Begriff«.305 Auf diese zweite Verwandlung, durch welche das reine Denken das Vorstellen endgültig überwindet, kommt es hier eigentlich an. Soviel zur Abwehr des hypothetischen Einwandes.

§ 14 Erste Achse: Der Verstand a) Der Verstand und das Vorgefundensein der logischen Bestimmungen Die Betrachtung dieses möglichen Einwandes verschafft einen geeigneten Zugang zur Untersuchung der drei Achsen des logischen Diskurses, deren Funktion, wie bereits gesagt, darin besteht, die gegebenen Denkinhalte, als zusammenhangslose Glieder oder Stücke aufgefasst, in einem kontinuierlichen Verlauf miteinander zu verbinden. Der Ausgangspunkt der verwandelnden Tätigkeit des reinen Denkens ist die kontingente und zusammenhangslose Pluralität der vorliegenden Denkinhalte. Gemäß dieser Zusammenhangslosigkeit stehen wir klarerweise vor Vorstellungen. Es handelt sich aber nicht um beliebige Vorstellungen, sondern um die (mit den Worten Husserls) »Wesensallgemeinheiten«, die dem reinen Denken notwendig zugehören, d. h. die sogenannten Kategorien. Diese machen intellektuell bereits verarbeitete Produkte aus, welche dennoch aufgrund ihres »stücklichen« Charakters noch an der Vorstellung teilhaben. Für das, was wir hier »Achse« nennen, verwendet Hegel den Ausdruck »Seite« im Sinne von »bestimmte Art und Weise, wie sich etwas zeigt«. Wir haben gezeigt, dass sich die dreifache Unterscheidung von Seiten oder von Achsen auf jedes Zeichen oder auf jedes zu verkettende Stück bezieht. Die diskursive Verkettung hat ferner, wie die Definition Eislers schon aufzeigt, den Charakter des Sukzessiven, der zeitlichen Aufeinanderfolge. Demzufolge wird die erste Achse bzw. die erste bestimmte Art und Weise, wie sich jedes Logisch-Reelle zeigt, keine andere sein als diejenige, welche es in seinem anfänglichen Zustand als vorfindliches Gebilde aufweist, nämlich eine reine Bestimmung des Verstandes zu sein. Die erste Achse heißt folglich »Verstand«. Alles, was die Logik betrachtet, ist zuerst als Bestimmtheit des Verstandes anzusehen, d. h. als Pro-

305

Ebd.

§ 14 Erste Achse: Der Verstand

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dukt der Verarbeitung, durch welche das Denken am gegebenen Stoff der Vorstellung das Wesentliche vom Kontingenten abtrennt.306 Wenn die reinen Verstandesbestimmungen oder die Kategorien den notwendigen Ausgangspunkt des logischen Diskurses ausmachen, dann können wir berechtigterweise sagen, dass sie von der Logik vorausgesetzt werden. Wie verhält sich aber diese Behauptung zur in Kapitel 1.2 ausführlich betrachteten Voraussetzungslosigkeit des logischen Standpunktes? Dort wurde gezeigt, dass die Frage nach dem absoluten Anfang nicht den Punkt im Kreislauf sucht, wo die Logik anfängt, sondern die Bestimmung, welche das einfache Woraus desselben zum Ausdruck bringt und somit den Zugang zum Logischen verschafft. Das Sein hat sich dann als die geeignetste Bestimmung dafür gezeigt, weil sie die Ärmste an Inhalt ist. Der Anspruch auf Voraussetzungslosigkeit der Logik bekundet sich im Kontext des Anfangs durch den höchstmöglichen Grad inhaltlicher Abstraktion, der in einer gegebenen Bestimmung gefunden werden kann. »Sein« ist darum die adäquateste Bestimmung, weil sie noch abstrakter als »Ich« und als das kantische »Etwas« ist; ihre innere begriffliche Struktur ist die ärmste überhaupt, welche man sich vorstellen kann, und darin drückt sich die angestrebte Voraussetzungslosigkeit der Logik aus. Aber das Sein ist, wie jegliches Zeichen der Logik, zunächst ein vorfindliches Gebilde des Vorstellens, mit dem dazu gehörenden dunklen Restinhalt, welcher, wie oben gezeigt, den Gegenstand eines »Meinens«, einer bloß mentalen Intendierung ausmacht. Dieser bei der Vorstellung »Sein« aufbewahrte, unaussprechbare, in ihrer significatio nicht reduzierbare Restinhalt ist das, was sie zu einer suppositio macht, ganz unabhängig von ihrem Abstraktionsgrad. Die ersten Seiten der Wissenschaft der Logik zeigen dies ganz deutlich. Dabei versucht Hegel bezüglich der Bestimmung »Sein« zu zeigen, dass sie, trotz ihrer inhaltlichen Leerheit, im Vorstellen supponierend verwendet wird. Als Vorstellung ist »Sein« eine inhaltlich aufgeladene Bestimmung mit einer langen kulturellen Geschichte. Als solche ruft sie eine Menge assoziierter Bilder und Meinungen hervor, die mit ihrer begrifflichen Armut stark kontrastiert. All dieser Reichtum ist freilich aufbewahrt im innerlichen »Haben« oder »Enthalten«, welches dem Sein als Vorstellung eigen ist. Begrifflich gesehen ist diese Fülle dennoch vollkommen irrelevant und hat aus dem Gesichtspunkt der philosophischen Strenge einen

306

Enz. § 467, Zusatz, Abs. 2: »Obgleich aber der Verstand den eben angegebenen Mangel an sich hat, so ist er doch ein notwendiges Moment des vernünftigen Denkens. Seine Tätigkeit besteht überhaupt im Abstrahieren. Trennt er nun das Zufällige vom Wesentlichen ab, so ist er durchaus in seinem Rechte und erscheint als das, was er in Wahrheit sein soll.«

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

bloß subjektiven Status. Hegel versucht dann auf der ersten Strecke der Logik, anhand von verschiedenen Beispielen die begriffliche Nichtigkeit dieser subjektiven Assoziationen sorgfältig aufzuzeigen. Es gehört also wesentlich zur Aufgabe der Logik, diese Nichtigkeit aufzudecken, und deswegen muss sie zwangsläufig die ganze Welt der fertigen, vorgefundenen Vorstellungen voraussetzen, um die wissenschaftliche Absonderung des begrifflich Bedeutsamen vom bloß Subjektiven-Unwesentlichen ausführen zu können. Daraus wird ersichtlich, warum die Voraussetzung der (als Vorstellungen aufgefassten) Kategorien als Ausgangspunkt des logischen Diskurses der Voraussetzungslosigkeit der Logik nicht im Mindesten widerspricht, sondern dieselbe gerade bestätigt.307

b) Analytisches Deutlichmachen und die Sichselbstgleichheit der gegebenen Denkinhalte Jede logische Bestimmung ist also von der ersten Achse her betrachtet eine Bestimmung des Verstandes. Die erste Seite derselben besteht darin, sich als eine fertige Denkform zu zeigen. Unser Interesse geht nun auf dieses »SichZeigen«. Das bloße Wort, sagt Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie, kann nicht für das gelten, »was darin enthalten ist«. Das darin Enthaltene kann nur durch die Beifügung von anderen Zeichen offenbar gemacht werden. Diese beigefügten Zeichen müssen die Bedeutung des als Ausgangspunkt genommenen Zeichens deutlich machen. Das »Deutlichmachen« eines gegebenen Inhaltes wird von Kant »Analyse« genannt.308 Wenn also der Verstand die erste Seite jeder logischen Bestimmung d. h. das erste »SichZeigen« derselben ausmacht, dann fällt der Verstand mit der Analyse der gegebenen Denkform zusammen. Die Analyse als erstes Sich-Zeigen hängt wesentlich mit dem vorgefundenen Charakter der zu verkettenden Denkformen zusammen. Denn das Deutlichmachen, das die Analyse vollzieht, ist nach Kant ein Deutlichmachen von dem, was wir in einer gegebenen Bedeutung »schon dachten«.309 Durch die Analyse wird nur bereits erworbene Erkenntnis explizit gemacht, ohne dadurch etwas »Neues« zu sagen. Das erklärt, warum wir diesem ersten »Zeigen« das reflexive »Sich« beigelegt

307

Der Gedanke der Gegebenheit der kategorialen Mannigfaltigkeit als Systemvoraussetzung der Logik und die damit verbundenen Schwierigkeiten wird von A. Roser entwickelt. Siehe A. Roser, a. a.O., 120–122. 308 Kant: Logik A 94f. 309 Ebd.

§ 14 Erste Achse: Der Verstand

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haben, als ob die Analyse eines gegebenen Inhaltes ohne unser Zutun als betrachtendes Subjekt erfolgen würde. Da der zu analysierende Inhalt per definitionem ein Fertig-Gegebenes ausmacht, ist das Explizieren desselben einem »passiven Zusehen« gleichzusetzen, bei welchem wir uns darauf beschränken, die Selbstentfaltung der Sache mit unserer Aufmerksamkeit zu verfolgen.310 Diese Charakterisierung der Analyse als erster Aspekt der diskursiven Verkettung entspricht der programmatischen Formel der Denktätigkeit, die wir im letzten Kapitel gegeben haben, nämlich: Das Wort selbst sprechen zu lassen. Die wissenschaftliche Erkenntnis ist dort – auf einer Stelle der Vorrede der Phänomenologie basierend – als »das Versinken in das immanente Leben der Substanz« bezeichnet worden. Dafür muss die eigene Stimme schweigen und es der Sache selbst überlassen werden, ihren eigenen Inhalt auszusprechen. Nichts anderes schildern wir hier, wenn wir vom analytischen Deutlichmachen als erster Achse des logischen Diskurses reden. Das Explizieren des als Ausgangspunkt genommenen Zeichens erfordert gerade, »das besondere Meinen und Dafürhalten fahrenzulassen und die Sache in sich walten zu lassen«.311 Die Analyse ist eigentlich Analyse von dem, was da fertig vor-liegt. Die Analyse setzt also die Fixiertheit des zu betrachtenden Denkinhaltes voraus, d. h. dass derselbe »sichselbstgleich« oder »identisch mit sich« ist. Wir haben aber oben bemerkt, dass es im gegebenen Zeichen vor seiner Verkettung im Diskurs eine wesentliche Unstimmigkeit zwischen der Bestimmtheit und Konkretion seiner anschaulichen Seite und der zugrundeliegenden Unbestimmtheit seiner begrifflichen Seite gibt. Das bedeutet, dass die Sichselbstgleichheit, welche die Analyse von einem vorliegenden Inhalt voraussetzt, eigentlich ungerechtfertigt ist. Das Aufzeigen, dass die Voraussetzung der Sichselbstgleichheit eines gegebenen Inhaltes ungerechtfertigt ist, macht gerade den Punkt aus, wohin uns die erste Achse des logischen Diskurses führen muss. Durch dieses Aufzeigen muss das effektive Übergehen in andere Inhalte erfolgen, welches die Idee der diskursiven Verkettung mit sich bringt. Das heißt: Das Aufzeigen der Unbestimmtheit der Bedeutung, die einem zusammenhangslosen Zeichen eigen ist, muss die Isolierung desselben durchbrechen und es in Verbindung mit anderen bringen. Daraus ergibt sich aber eine äußerst paradoxale Situation: Vermittels des Verfahrens

310

Enz. § 238, Zusatz: »Analytisch verfährt das philosophische Denken, insofern dasselbe seinen Gegenstand, die Idee, nur aufnimmt, dieselbe gewähren läßt und der Bewegung und Entwicklung derselben gleichsam nur zusieht. Das Philosophieren ist insofern ganz passiv.« 311 Enz. § 23, Anm.

116

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

selbst, das die Identität eines gegebenen Inhaltes mit sich ans Licht bringen muss, muss sich die nicht-Identität desselben Inhaltes erweisen. Deswegen sagt Hegel vom Denkverlauf, durch welchen ein Inhalt sich als nicht-identisch mit sich aufzeigt und über sich selbst hinausgeht, dass er diesem Inhalt »immanent« ist.312 Es handelt sich um keine äußerliche Manipulation des Inhaltes, denn es resultiert aus einem analytischen Verfahren, bei welchem das Denken seinen Gegenstand »gewähren läßt und der Bewegung und Entwicklung desselben gleichsam nur zusieht.«313 Wie kann aber die Analyse so etwas eigentlich leisten, wenn das bloße Deutlichmachen per definitionem über das Fertig-Gegebene nicht hinauszugehen vermag? Nach kantischer Auffassung ist von einem Inhalt, der nicht-identisch mit sich ist, überhaupt keine Analyse möglich, denn ein solcher Inhalt kann stricto sensu nicht »Inhalt« genannt werden, sondern, mit Worten Kants, »Unding« oder »nihil negativum«. Um dieses »Hinausgehen« über das Fertig-Gegebene, welches das bloße Deutlichmachen desselben bewirkt, verständlich zu machen, müssen wir noch Einiges darüber sagen, wie diese logischen Inhalte anfänglich mit sich identisch sind.

c) Die anfängliche Identität der logischen Inhalte mit sich und das metaphysische Modell des Inbegriffes der Realitäten Das Zeichen bewirkt die Herausdifferenzierung der Denkinhalte, die vorher im »nächtlichen Schacht der Intelligenz« undifferenziert bleiben.314 Bisher ist aber keine hinreichende Erklärung über die genaue Art und Weise gegeben worden, wie diese Herausdifferenzierung eigentlich geschieht. Die Hinweise Hegels sind knapp und kurz gefasst. Wir wollen trotzdem im Folgenden versuchen, auf den komprimierten Andeutungen Hegels basierend eine Rekonstruktion dieses Vorganges vorzunehmen. Im Hinblick auf ein besseres Verständnis der paradoxalen Sachlage, zu welcher die Betrachtung der ersten Achse des logischen Diskurses uns geführt hat, ist diese Rekonstruktion unentbehrlich. Beim Kommentar zu den Enzyklopädie-Paragraphen über die Vorstellung haben wir gesehen, dass die Bestimmtheiten der Intelligenz durch die Abschaffung der unwesentlichen Ungleichheiten

312

Enz. § 81, Anm.: »Die Dialektik dagegen ist dies immanente Hinausgehen, worin die Einseitigkeit und Beschränktheit der Verstandesbestimmungen sich als das, was sie ist, nämlich als ihre Negation darstellt.« 313 Enz. § 238, Zusatz. 314 Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Signo y sujeto lógico …«, a. a.O., 146.

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der anschaulichen Inhalte entstehen. Die Rolle des Zeichens scheint sich insofern bloß darauf zu beschränken, präexistierenden und bereits konstituierten Denkinhalten gegenständliche Existenz zu geben. Damit wird aber die wahrhaft konstitutive Funktion des Zeichens verkannt, wie sie sich bereits an der Idee des »nächtlichen Schachtes der Intelligenz« ersehen lässt. Nach dieser Idee ist die Intelligenz vor der Entstehung des Zeichens als ein Chaos aufzufassen; ihr Medium oder Element wird darum »nächtlich« genannt, weil die in ihm aufbewahrten Inhalte nicht scharf voneinander unterschieden werden können. Daraus folgt: Diesen sich miteinander konfundierenden Inhalten kann man eigentlich keine Identität mit sich zuschreiben, bevor ihnen eine bestimmte anschauliche Existenz, d. h. ein signans, zugeordnet wird.315 Von einer vermeintlichen Fixiertheit der Denkinhalte vor ihrer »Signierung« kann überhaupt nicht die Rede sein. Der Name oder das signans muss daher als die eigentliche Ursache der Identität der Denkinhalte angesehen werden. Darin besteht die konstitutive Funktion des Zeichens, und deswegen wird in der Enzyklopädie behauptet, dass der Name den Gedanken Sein – im Sinne von »Gegenständlichkeit« und »Diskretion« – verleiht. Der Name ist, wie wir schon wissen, eine »entleerte Anschauung«: »Die Anschauung gilt aber in dieser Identität nicht als positiv und sich selbst, sondern etwas anderes vorstellend«.316 Der Wert der Anschauung im Zeichen ist dementsprechend bloß differenziell und negativ. Vermöge dessen ist das signans imstande, Diskretion im chaotischen Reservoir der vorstellenden Intelligenz zu setzen. Den positiven Inhalt erhält das signans von einem Anderen, einer ihm »fremden Seele«, nämlich der Bedeutung. Wir haben aber soeben fest315

Zu einer solchen Schlussfolgerung kann man durch ein aufmerksames Lesen der folgenden Stelle gelangen (Enz. § 457, Anm., Abs. 2): »Es ist noch dies besonders herauszuheben, daß, indem die Phantasie den inneren Gehalt zum Bild und zur Anschauung bringt und dies ausgedrückt wird, daß sie denselben als seiend bestimmt, der Ausdruck auch nicht auffallend scheinen muß, daß die Intelligenz sich seiend, sich zur Sache mache; denn ihr Gehalt ist sie selbst, und ebenso die ihm von ihr gegebene Bestimmung. Das von der Phantasie produzierte Bild ist nur subjektiv anschaulich; im Zeichen fügt sie eigentliche Anschaulichkeit hinzu; im mechanischen Gedächtnis vollendet sie diese Form des Seins an ihr.« Einige Paragraphen davor (in § 453, Anm.) behauptet Hegel: »Es ist also andererseits die Intelligenz als dieser bewußtlose Schacht, d. i. als das existierende Allgemeine, in welchem das Verschiedene noch nicht als diskret gesetzt ist, zu fassen.« Wenn also im subjektiven (und bewusstlosen) Sitz der mehreren Denkinhalte die Diskretion derselben noch nicht gesetzt ist und diese subjektive Aufbewahrung als ein (um Manfred Franks Ausdrucksweise zu verwenden) »Mangel an Sein« anzusehen ist, dann ist das Übergehen dieser Inhalte in die Seiendheit durch Hinzufügen von Gegenständlichkeit zu denselben als die Einführung der Diskretion bei ihnen zu verstehen, welche erst ermöglicht, von einer Identität der Denkinhalte mit sich zu reden. 316 Enz. § 458.

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

gestellt, dass die Bedeutung nur einen stabilen und sichselbstgleichen Inhalt ausmachen kann, indem sie »signiert« wird. Kurz: Die »entleerte Anschauung« erhält ihre Positivität und Identität mit sich von dem, was sie darstellt, d. h. der Bedeutung, welche wiederum nur dann identisch mit sich ist, wenn sie durch eine »entleerte Anschauung« gegenständliche Existenz erhält. Daraus ist zu folgern, dass die Identität des Einen ein Effekt seiner Verbindung mit dem Anderen ist. In ihrer Getrenntheit voneinander entbehren Name und Bedeutung jeglicher Konsistenz und Positivität, und erst durch ihre Verknüpfung erzeugen sie eine wahrhafte positive Identität, nämlich das Zeichen als zweiseitige Einheit. In dieser Situation sind Elemente erkennbar, welche die Zeichentheorie von Ferdinand de Saussure klarerweise antizipieren.317 Das Zeichen wird von Saussure auch als eine zweiseitige Einheit aufgefasst, die aus der Verknüpfung zwischen einem Begriff (»concept«) und einem akustischen Bild (»image acoustique«) entsteht.318 Jenseits dieser Übereinstimmung beim Verständnis des Zeichens als elementarer sprachlicher Einheit interessiert uns aber nun vor allem die Art und Weise, wie Saussure anhand dieser Unterscheidung im Zeichen selbst zwischen der Ebene des Lautes und der Ebene der Begriffe die Sprache als ein artikuliertes System erklärt. Mit Hegel teilt Saussure die Annahme, dass das Denken, wenn man dasselbe von seinem sprachlichen Ausdruck abstrahiert, von einem psychologischen Standpunkt aus nichts als eine »amorphe Masse« ausmacht.319 Dasselbe kann über die andere konstitutive Seite des Zeichens, die von Saussure sogenannte »phonische Substanz«320, gesagt werden: Sie macht, mit Saussures Worten, eine »plastische Materie«321 ohne vorgegebene Beschränkungen aus. Wenn also die zwei Ebenen, aus welchen das Zeichen als zweiseitige Einheit besteht, eigentlich zwei formlose Massen ausmachen, dann kann die Sprache (als Zeichensystem verstanden) als ein Inbegriff von Grenzen322 vorgestellt werden, 317

Zur Zeichentheorie Saussures im Rahmen der sprachtheoretischen Debatten der Gegenwart siehe S. Krämer: Sprache, Sprechakt, Kommunikation. Sprachtheoretische Positionen des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 2001, 19–36. 318 F. de Saussure: Cours de linguistique générale (1916), hrsg. v. Tullio de Mauro, Paris 1982, 98. 319 F. de Saussure, a. a.O., 155: »Psychologiquement, abstraction faite de son expression par les mots, notre pensée n’est qu’une masse amorphe et indistincte.« 320 Ebd. 321 Ebd. 322 Vgl. F. de Saussure, a. a.O., 166: »Tout ce qui précède revient à dire que dans la langue il n’y a que des différences. Bien plus : une différence suppose en géneral des termes positifs entre lesquels elle s’établit ; mais dans la langue il n’y a que des différences sans termes positifs. Qu’on prenne le signifié ou le signifiant, la langue ne comporte ni des idées

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»welche gleichzeitig auf der Ebene der konfusen Gedanken und auf der Ebene der genauso unbestimmten Laute gezogen werden«.323 Um diese Idee zu veranschaulichen, bringt Saussure die berühmte folgende Analogie vor: »Die Sprache ist gleichsam wie ein Blatt Papier: Das Denken ist das ›recto‹ und der Laut das ›verso‹; man kann das ›recto‹ nicht schneiden, ohne gleichzeitig das ›verso‹ zu schneiden; auf gleiche Weise lassen sich in der Sprache das Denken und der Laut (Hegel würde sagen: die Anschauung) nicht voneinander isolieren; […]«.324 Obzwar Hegel einen solchen Gedanken auf diese Art und Weise niemals zum Ausdruck gebracht hat, kann man ihm wohl eine ähnliche Auffassung des Zeichens zuschreiben. Genauso wie Saussure spricht Hegel sowohl dem signans als auch dem signatum jegliche Positivität außerhalb ihrer Verknüpfung in einer zweiseitigen Einheit ab.325 Wenn ferner das Denken als ein »nächtlicher Schacht« anzusehen ist und die Anschauung ein »Medium« ohne vorbestimmte Abgrenzungen ausmacht, dann kann ein Zeichen auch keine Positivität ohne den Zusammenhang mit dem Rest der Zeichen haben. Die Auffassung der Sprache als ein Inbegriff von Begrenzungen bringt die Unterordnung des einzelnen Zeichens unters Ganze des Zeichensystems mit sich.326 Die Fähigkeit eines Namens, eine bestimmte Bedeutung zum Ausdruck zu bringen, setzt die Totalität der Namen mit ihren entsprechenden Bedeutungen voraus.327 Dass Hegel ein solches Verständnis der wesentlichen Solidarität des einzelnen Zeichens mit dem Rest aller übrigen irgendwie gehabt hat, lässt sich anhand der kommentierten Enzyklopädie-Paragraphen feststellen. Diese Rekonstruktion der hegelschen Auffassung des Zeichens wirft ein neues Licht auf das, was wir die »anfängliche Sichselbstgleichheit der Denkinhalte« genannt haben. Die Tatsache, dass weder der Bedeutung noch dem Namen Positivität außerhalb ihrer Verknüpfung zukommen kann, lässt von einer anfänglichen Sichselbstgleichheit der Denkinhalte nur dann reden, wenn die vorliegenden Denkinhalte insgesamt einen Inbegriff von gegenseitig beschränkten Realitäten ausmachen. Der Ausdruck »Inbegriff von ni des sons que préexisteraient au système linguistique, mais seulement des différences conceptuelles et des différences phoniques issues de ce système.« 323 F. de Saussure, a. a.O., 155–156 (Übersetzung aus dem Französischen hier von mir, J. S.). 324 F. de Saussure, a. a.O., 157: »La langue est encore comparable à une feuille de papier : la pensée est le recto et le son le verso ; on ne peut découper le recto sans découper en même temps le verso ; de même dans la langue, on ne saurait isoler ni le son de la pensée, ni la pensée du son; […].« 325 Vgl. F. de Saussure, a. a.O., 166. 326 Vgl. F. de Saussure, a. a.O., 157. 327 Vgl. F. de Saussure, a. a.O., 158–159.

120

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

gegenseitig beschränkten Realitäten« erinnert sehr stark an ein metaphysisches Konzept, das kennzeichnend für das klassische neuzeitliche Denken ist, nämlich das Konzept der omnitudo realitatis. Auf die Geschichte dieses Begriffs werden wir nicht eingehen. Uns interessiert zunächst eher, wie Hegel die Grundannahmen und Implikate dieses Gedankens an einer wichtigen Stelle der Logik untersucht.328 Anhand dessen wollen wir danach den Konnex zwischen diesem Konzept und der soeben dargestellten Auffassung des Zeichens bei Hegel zeigen. Im Kern besagt der Begriff omnitudo realitatis das Folgende: Wenn man unter Realität die positive »Seinsweise eines Etwas«329 versteht und Gott als die Quelle all dessen aufgefasst wird, was bei den Kreaturen Positivität und Selbstständigkeit ist, dann kann man von Gott sagen, dass Er der umfassende Inbegriff aller Realitäten oder Positivitäten ist. Ausdrücke wie »Realität« oder »Positivität« bedeuten in diesem Kontext so viel wie »Vollkommenheit«. Die Vollkommenheit (perfectio) wird in der Schultradition als die carentia defectus interpretiert.330 Das Realste und das Vollkommenste, welche nach dieser Auffassung dasselbe sind, identifizieren sich daher mit dem, was jegliche Grenze bzw. jeden Defekt übersteigt und somit alle Grenzen in sich einschließt. Das, was bei jeder begrenzten Realität das eigentliche Reale bzw. den positiven Kern derselben ausmacht, stammt ursprünglich von diesem selbstgenügsamen Vollkommensten her. Dass Gott als das Defektlose das Reale bei jedem bestimmten Realen ist, bringt zunächst mit sich, dass das Reale immer noch Sachhaltigkeit besitzt, wenn von der Beschränkung abstrahiert wird, welche es zu »diesem« Realen macht: »Bei diesem Begriff der Realität wird angenommen, daß sie dann noch bleibe, wenn alle Negation weggedacht werde; damit wird aber alle Bestimmtheit derselben aufgehoben.«331 Positivität kann aber ein bestimmt Reales nur besitzen, sofern es es selbst ist und nicht ein anderes, was nur durch ein deutliches Abstecken seiner Grenze oder seines Defekts möglich ist. Ein defektloses Etwas ist daher stricto sensu kein Etwas, sondern ein Formloses, wie die Inhalte des Vorstellens im »nächtlichen Schacht«. Dasjenige also, was aufgrund seiner Defektlosigkeit jedem Realen die Realität verleiht, besitzt eigentlich keine Realität. In Ermangelung jeglicher Bestimmtheit wird Gott oder der Inbegriff aller Realitäten-Beschränkungen folglich als eine »schrankenlose

328

WL I, 99–102. R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Realität«. 330 Micraelius: Lexicon philosophicum terminorum philosophis usitatorum (1653), 812. Siehe auch WL I, 99: »[…]; denn eine Realität sei nur als eine Vollkommenheit, als ein Affirmatives zu nehmen, das keine Negation enthalte.« 331 WL I, 99–100. 329

§ 14 Erste Achse: Der Verstand

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Macht«332 erfasst oder, mit Descartes Worten, als eine »incomprehensibilis potentia«333. Wenn wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die hegelsche Auffassung der Sprache in der Enzyklopädie richten, dann lassen sich überraschende Parallelen mit dem gerade betrachteten Konzept bemerken. Es hat sich in Bezug auf Hegel und Saussure gezeigt, dass die Identität jedes Zeichens mit sich vom Rest der Zeichen wesentlich abhängt. Diese Unterordnung des einzelnen Teilstückes zum Ganzen hat uns zur Idee der Sprache als einem »Inbegriff von gegenseitig beschränkten Realitäten« geführt. Der Inbegriff, der die Summe der Zeichen zu einem artikulierten Ganzen macht, wird in den Paragraphen der Enzyklopädie über das Gedächtnis als das Ich gefasst.334 So sagt Hegel: »Ich, welches dies abstrakte Sein ist, ist als Subjektivität zugleich die Macht der verschiedenen Namen, das leere Band, welches Reihen derselben in sich befestigt und in fester Ordnung behält«.335 Von dieser Aussage interessiert uns besonders die Idee des Ich als ein »leeres Band«, welches eine Mannigfaltigkeit von Elementen »in sich befestigt und in fester Ordnung behält«. Ausdrücke wie »in sich Befestigen« und »fester Ordnung« scheinen auf einen innigen Zusammenhang hinzudeuten zwischen der inhaltlichen Leerheit des Inbegriffes (»Ich, welches dies abstrakte Sein ist, […]«) und dem artikulierten, nicht-chaotischen Charakter des Ganzen, das die Gesamtheit der Zeichen-Realitäten bildet. Der sich andeutende Zusammenhang könnte folgendermaßen formuliert werden: Damit die Zeichen-Realitäten eine feste Ordnung bilden können, in welcher es keine Konfusion gibt, müssen sie durch ein »leeres Band« miteinander verknüpft werden. Anders gesagt: Die Zeichen-Realitäten konfundieren sich nicht, weil es zwischen ihnen ein »Drittes« gibt, das sie in Verbindung bringt, ohne sie miteinander zu verwischen. Es gibt also Stabilität, Identität der verschiedenen Realitäten mit sich, weil sie nicht direkt miteinander, sondern durch ein Drittes verbunden sind. Das scheint aber mit der Idee einer »gegenseitigen Beschränkung«, in welcher zwei verschiedene Realitäten direkt aneinander angrenzen, zu kollidieren. Darin liegt gerade der springende Punkt. Die Idee der gegenseitigen Beschränkung scheint eine direkte Angrenzung, einen unmittelbaren Kontakt zwischen den Realitäten zu implizieren. Dies ist aber eigentlich nicht der Fall, und darauf basiert die Kritik Hegels an dieser Vorstellung in der

332

WL I, 100. Zu diesem Begriff bei Descartes siehe die klassisch gewordenen Überlegungen von J.-L. Marion in: Sur la théologie blanche de Descartes, Paris 1981, 264–312. 334 Vgl. Enz. § 463. 335 Ebd. 333

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

bereits erwähnten Stelle der Logik. Hinsichtlich dessen bezieht sich Hegel auf den wolffschen Begriff von »Temperierung«,336 durch welchen der ordnungsgemäße Kontakt unter verschiedenartigen Realitäten gedacht werden soll. Nach der Idee der omnitudo realitatis besitzt Gott alle die »verschiedenartigen Vollkommenheiten« insgesamt »im höchsten Grade«,337 aber diese, trotz ihrer widersprechenden Naturen, kollidieren niemals miteinander.338 Das, was ihre Kollision vermeidet, ist gerade ihre gegenseitige Temperierung. Die Macht Gottes, zum Beispiel, soll nach Leibniz durch seine Weisheit temperiert sein, damit sie nicht in einen willkürlichen Despotismus entartet.339 Die Temperierung hat somit zur Funktion, die oben genannte feste Ordnung unter den verschiedenen Realitäten zu behalten; sie erhält die Grenzen aufrecht, vermöge deren jede Realität das bleibt, was sie ist, d. h. identisch mit sich. Zwischen den Realitäten gibt es die Grenze, die deren Verwischung verhindert: Die Grenze ist somit das Dritte, das leere Band, das sie in eine Verbindung ohne direkten Kontakt bringt. Das setzt aber voraus, dass das Positive einer bestimmten Realität von seiner Beschränkung oder seinem Defekt verschieden ist, und wir haben oben gesehen, dass ein defektloses Etwas eigentlich kein Etwas ist, sondern ein Formloses und Unbestimmtes, d. h. das Gegenteil einer positiven Realität.340 Zusammenfassend lässt sich der vorliegende Sachverhalt so formulieren: Die Idee der omnitudo realitatis (welche die hegelsche Auffassung des Zeichensystems und die neuzeitliche Konzeption Gottes gemein haben) isoliert die verschiedenen Realitäten voneinander, anstatt sie in einem artikulierten Ganzen zusammenzubringen. Deswegen sagt Hegel von dieser vorgestellten Relation, dass sie oberflächlich ist.341 Das systematische Ganze, das mit dieser Idee vermeintlich konstruiert wird, macht eigentlich kein Ganzes aus, sondern eine zusammenhangslose Ansammlung.

336

Christianus Wolfius: Theologia naturalis methodo scientifica pertractata, § 1067 und § 1070. 337 Leibniz: Discours de métaphysique, § 1 (Übersetzung von H. H. Holz, in G. W. Leibniz: Kleine Schriften zur Metaphysik, hrsg. und übers. von H. H. Holz, 2. Aufl., Frankfurt a. Main 2000. 57): »Um hier weiter vorzudringen, ist es angebracht zu bemerken, daß es in der Natur mehrere ganz verschiedenartige Vollkommenheiten gibt, daß Gott sie alle insgesamt besitzt und daß ihm jede im höchsten Grade zukommt.« 338 Vgl. WL I, 100–101. 339 Leibniz: Essais de Theodicée, in: Œuvres philosophiques de Leibniz, hrsg. v. P. Janet, Paris 1866, 14: »[…]; son pouvoir est absolu, mais sa sagesse ne permet pas qu’il l’exerce d’une manière arbitraire et despotique, qui serait tyrannique en effet.« 340 Vgl. WL I, 100. 341 Ebd.: »Der wahre Begriff des Unendlichen und dessen absolute Einheit, der sich später ergeben wird, ist nicht als ein Temperieren, gegenseitiges Beschränken oder Ver-

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123

Daraus wird ersichtlich, warum die Herausdifferenzierung der Denkinhalte, welche die Entstehung des Zeichens bewirkt, nicht zu verwechseln ist mit der durchgängigen Bestimmung der Denkinhalte, welche die Wissenschaft der Logik zu vollziehen hat. Bevor der diskursive Verlauf der Logik anfängt, hat das logische Denken die ganze Welt der fertig gegebenen Vorstellungen-Realitäten vor sich – das vorgefundene Sprachmaterial, das es zu bearbeiten hat. Dieses Material bildet einen Inbegriff, in Bezug auf welchen das Ich die negative Macht ist, welche die Mannigfaltigkeit der Namen »in sich befestigt und in fester Ordnung behält«. Die Idee des Inbegriffes der Realitäten lässt uns somit die anfängliche Fixiertheit und Stabilität der Denkinhalte, die sich durch Analyse als scheinbar erweisen, besser verstehen. Im Folgenden werden wir uns anhand der zuletzt angestellten Überlegungen mit dem »immanenten Hinausgehen über sich selbst« beschäftigen, das die Analyse der vorfindlichen »stabilen« Denkinhalte bewirkt. Die einleitenden Bemerkungen dieses Kapitels haben bereits den wesentlichen Zusammenhang zwischen dem »stücklichen« Charakter des Zeichens bzw. seiner Position außerhalb der diskursiven Verkettung einerseits und andererseits der Unbestimmtheit seines Inhaltes aufgezeigt. An der Stelle irgendeines Inhaltes zu sein, denselben zu repräsentieren oder vorzustellen (wie der Name es in Bezug auf die Bedeutung tut), heißt keineswegs, diesen Inhalt effektiv auszusprechen oder ihn darzulegen; die Worte, sagt Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie, sprechen nicht aus, »was darin enthalten ist.«342 Bezüglich dieses Enthaltens (auf welchem letztendlich die supponierte Identität der vorfindlichen Denkinhalte mit sich beruht) bringt uns nun die Idee eines Inbegriffes der Realitäten neue Einsichten. Das in einem (isolierten) Wort Enthaltene, ihre gemeinte Bedeutung, entspricht hier dem positiven Kern einer bestimmten Realität im »totum der omnitudo realitatis«343. Die Beschränkung dieser Realität erhält die Sichselbstgleichheit derselben aufrecht; aber diese Beschränkung, indem sie als verschieden von der beschränkten Realität selbst vorgestellt wird, macht auch das »leere Band« aus, welches diese Realität mit Anderen verbindet.344 Die Verbindung zwischen den (in sich ruhenden) Realitäten erweist sich somit als denselben äußerlich, wobei das Pomischen zu fassen, als welches eine oberflächliche, in unbestimmten Neben gehaltene Beziehung ist, mir der sich nur begriffloses Vorstellen begnügen kann.« 342 Phän., 25. 343 M. Heidegger: Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz, in: GA, Bd. 26, 85. 344 WL I, 101: »Das Individuum ist Beziehung auf sich dadurch, daß es allem anderen Grenzen setzt; aber diese Grenzen sind damit auch Grenzen seiner selbst, Beziehungen auf Anderes, es hat sein Dasein nicht in ihm selbst.«

124

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

sitive dieser Realitäten eigentlich nichts als eine beziehungslose Supposition ausmacht. Gerade an diesem Punkt müssen wir unsere Überlegungen über das analytische Deutlichmachen als erste Achse des logischen Diskurses einfügen. Die Analyse macht das deutlich, was wir »schon« dachten, und deswegen kann sie laut Kant über den Inhalt einer fertig-gegebenen Bestimmung nicht hinausgehen. Anders gesagt: Die Analyse muss innerhalb der Grenzen bleiben, welche die gegenseitige Beschränkung der Realitäten gezogen hat. Das Explizieren des Inhaltes, das die Analyse vollzieht, ist aber nur möglich, wenn der zu explizierende Name mit anderen Namen in Verbindung gebracht wird, d. h. wenn die Isolierung der Denkinhalte durchbrochen wird, welche die gegenseitige Beschränkung der Bedeutungen-Realitäten beim vorgegebenen Sprachmaterial mit sich bringt. Dafür muss aber die Verschiedenheit zwischen der Positivität dieser Bestimmung und ihrem Defekt oder ihrer Grenze, vermöge deren es in der festen Ordnung der Realitäten keine Konfusion gibt, abgeschafft werden. Dies hat eben die Konfusion zur Folge, welche die gegenseitige Temperierung zu verhindern hatte. Die effektive Ausführung der Analyse erfordert die Destruktion der Voraussetzung, mit welcher die Analyse jederzeit operiert, d. h. die Sichselbstgleichheit des gegebenen Denkinhaltes.345 Um die durchgängige Bestimmung der Denkinhalte vollziehen zu können, muss der logische Diskurs zwangsläufig die vorliegende feste Ordnung der Bedeutungen-Realitäten »destabilisieren«.346 Darin

345

Vgl. Phän., 54: »Das Dasein ist Qualität, sichselbstgleiche Bestimmtheit oder bestimmte Einfachheit, bestimmter Gedanke; dies ist der Verstand des Daseins. […] Um ihrer Einfachheit oder Sichselbstgleichheit willen erscheint sie als fest und bleibend. Aber diese Sichselbstgleichheit ist ebenso Negativität; dadurch geht jenes feste Dasein in seine Auflösung über.« 346 Gerade von dieser »Destabilisierung«, die das wirkliche Aussprechen eines gegebenen Denkinhaltes zwangsläufig mit sich bringt, spricht die folgende Stelle der Vorrede zur Phänomenologie (Phän. 59–60): »Das Denken, anstatt im Übergange vom Subjekt zum Prädikate weiterzukommen, fühlt sich, da das Subjekt verlorengeht, vielmehr gehemmt und zu dem Gedanken des Subjekts, weil es dasselbe vermißt, zurückgeworfen; oder es findet, da das Prädikat selbst als ein Subjekt, als das Sein, als das Wesen ausgesprochen ist, welches die Natur des Subjekts erschöpft, das Subjekt unmittelbar auch im Prädikate; und nun, statt daß es im Prädikate in sich gegangen die freie Stellung des Räsonierens erhielte, ist es in den Inhalt noch vertieft, oder wenigstens ist die Forderung vorhanden, in ihn vertieft zu sein. – So auch wenn gesagt wird: das Wirkliche ist das Allgemeine, so vergeht das Wirkliche als Subjekt in seinem Prädikate. Das Allgemeine soll nicht nur die Bedeutung des Prädikats haben, so daß der Satz dies aussagte, das Wirkliche sei allgemein; sondern das Allgemeine soll das Wesen des Wirklichen ausdrücken. – Das Denken verliert daher so sehr seinen festen gegenständlichen Boden, den es am Subjekte hatte, als es im Prädikate darauf zurückgeworfen wird und in diesem nicht in sich, sondern in das Subjekt des Inhalts zurückgeht.«

§ 14 Erste Achse: Der Verstand

125

besteht die Funktion der nächsten Achse – der Dialektik, mit welcher wir uns gleich befassen werden. Bevor wir aber zum nächsten Abschnitt übergehen, muss noch ein weiterer Aspekt des bisher Dargestellten besonders hervorgehoben werden. Oben ist das analytische Verfahren einem passiven Zusehen gleichgesetzt worden, bei welchem wir uns als betrachtende Subjekte darauf beschränken, die eigene Selbstentfaltung der Sache mit unserer Aufmerksamkeit zu verfolgen. Diese Passivität der Analyse hängt mit dem Fertig-Gegebensein des zu explizierenden Denkinhaltes wesentlich zusammen. Die Passivität des Zusehens bei der Analyse erweist sich somit als ein wissenschaftlicher Imperativ, durch welchen wir, wie Hegel sagt, »das besondere Meinen und Dafürhalten« aufgeben »und die Sache in sich walten [..] lassen«.347 Dennoch haben die letzten Überlegungen gezeigt, dass die anfängliche Fixiertheit eines Denkinhaltes eine ungerechtfertigte Annahme ausmacht. Das bringt die Umkehrung des wissenschaftlichen Imperativs mit sich: Unwissenschaftlich wäre nun gerade dasjenige Verhalten, das vorher die Forderung des passiven Zusehens als wissenschaftliche Regel vorgeschrieben hat, nämlich bei gegebenem Inhalt zu verweilen. Das passive Zusehen erfordert jetzt, über die gegebene Bestimmung hinauszugehen, und deswegen bezeichnet Hegel dieses Hinausgehen als »immanent«: Die Sache selbst führt uns dahin. Aus der Betrachtung der Idee des Inbegriffes der Realitäten lässt sich nun das Unwissenschaftliche, Ungerechtfertigte des Stehenbleibens bei einer gegebenen Bestimmung ersehen. Ungerechtfertigt ist nach dem bisher Gesagten all das, was nicht in der Entfaltung der Sache selbst eingeschlossen ist bzw. was derselben äußerlich ist, d. h. »das besondere Meinen und Dafürhalten«. Von gegenseitig beschränkten Realitäten haben wir ferner gesagt, dass sie durch ein Drittes, ihnen Äußerliches miteinander verbunden sind, was gerade ihre Verwischung verhindert. Dieses Dritte ist eben das Ich (siehe § 463 der Enzyklopädie), aber als ein »leeres Band« aufgefasst, d. h. als ein äußerlicher Betrachter oder Zuschauer, der verschiedene beziehungslose Realitäten zufälligerweise zusammenbringt. Diese »ganz abstrakte Subjektivität«348 macht hier das Äußerliche aus, das die diskursive Verbindung (die mit der Entfaltung der Sache selbst gleichbedeutend ist) willkürlich verhindert; es handelt sich also um das, was um der Wissenschaftlichkeit willen suspendiert werden muss. Die Destruktion der Voraussetzung der Identität der Denkinhalte mit sich ist folglich synonym mit der Abschaffung der dritten Instanz, auf welcher die gegenseitige Temperierung der Realitäten basiert, nämlich dem Ich als 347 348

Enz. § 23, Anm. Enz. § 463.

126

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

äußerlichem Betrachter. Damit antizipieren wir einen zentralen Punkt des nächsten Abschnittes, die skeptische epoché, welche das Dialektische in der diskursiven Verkettung ausmacht.

§ 15 Zweite Achse: Die Dialektik oder das Negativ-Vernünftige a) Die Auflösung der suppositio und die Konfusion der Denkinhalte Der Begriff der »Seite«, wie Hegel ihn in Bezug auf die drei Achsen des logischen Diskurses versteht, ist oben auf die zeitliche Aufeinanderfolge bezogen worden, welche die Idee des Diskursiven impliziert. Das Wie? der diskursiven Verkettung wird somit in drei aufeinanderfolgende Zeitspannen eingeteilt oder in Momente, von welchen der Verstand das erste ausmacht, indem es den anfänglichen Zustand der zu verkettenden Glieder markiert. Nun müssen wir uns mit dem befassen, was dieses erste Moment aus seiner eigenen Dynamik heraus (d. h. ohne äußerliche Manipulation oder Einwirkung) ausgelöst hat, nämlich einen Übergang. Damit sind die ersten Schritte einer echten diskursiven Verkettung gemacht, sofern diese, wie die Definition Eislers vom Diskurs besagt, »von einem Inhalt zum andern übergehend« erfolgt. Damit bewegt sich unsere Untersuchung ebenfalls zur zweiten Achse des logischen Diskurses fort: Der dialektischen oder negativ-vernünftigen. Zur angemessenen Betrachtung derselben sind einige Punkte des letzten Abschnittes kurz zu rekapitulieren. Aus den zuletzt angestellten Überlegungen hat sich ergeben, dass das Deutlichmachen des analytischen Verfahrens nur dann wirklich vollzogen werden kann, wenn die Fixiertheit und Sichselbstgleichheit der zu explizierenden Bestimmtheit aufgelöst wird. Die Analyse selbst macht also das Übergehen in die Andersheit notwendig, welches das gegenseitige Temperieren der Realitäten-Bedeutungen zu verhindern hatte. Die Isolierung der Denkinhalte voneinander im Inbegriff der gegenseitig beschränkten Realitäten hat sich ferner als Widerstand der Subjektivität gegen die Entfaltung der Sache selbst erwiesen, solange die Subjektivität als verbindendes Drittes oder äußerlicher Beschauer aufgefasst wird. Das Übergehen in die Andersheit, das aus der Auflösung der anfänglichen Sichselbstgleichheit der Denkinhalte resultiert, ist mit der epoché oder Suspendierung »des besonderen Meinens und Dafürhaltens« gleichbedeutend, welche die Strenge und Radikalität des philosophischen Denkens vorschreiben.349 In die innige Verbindung dieser zwei Aspekte müssen wir uns im Folgenden vertiefen. 349

Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano:»Signo y sujeto lógico …«, a. a.O., 151.

§ 15 Zweite Achse: Die Dialektik oder das Negativ-Vernünftige

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Die Vorstellung der gegenseitigen Temperierung bezieht sich auf das gelungene Gleichgewicht zwischen der Positivität einer Bestimmung und der Beziehung derselben zur Andersheit. Es gibt also Relation in dieser Konzeption, aber nicht eine vollendete oder bis zu ihren letzten Konsequenzen gebrachte, denn die temperierte Stabilität impliziert gerade, dass jedes Glied der Relation einen beziehungslosen »Positivitätskern« besitzt (also das, was wir seit 1.2 »suppositio« nennen). Das, was wir hier unter dem Ausdruck »gegenseitige Temperierung« thematisieren (welches, dies sei wieder erinnert, sowohl für die neuzeitliche Auffassung Gottes als omnitudo realitatis als auch für das hegelsche Verständnis des Zeichens gilt), entspricht vollkommen dem, was in der Sprache der allgemeinen Logik »Gegensatz« genannt wird. Diese Behauptung bedarf natürlich einer Erläuterung, und darauf wollen wir im Folgenden eingehen. Nehmen wir zum Beispiel die Definition von Gegensatz, welche R. Eisler in seinem Wörterbuch gibt: »Das Verhältnis, in welchem zwei Begriffe oder zwei Urteile zueinander stehen, die einander ausschließen«.350 Schon an dieser Charakterisierung des Gegensatzverhältnisses lässt sich Einiges von dem erkennen, was wir über die Vorstellung der gegenseitigen Temperierung gesagt haben. Es handelt sich zunächst um ein Verhältnis, eine Relation. Wir stehen also nicht vor zwei vollkommen fremden Realitäten, denn der Gegensatz eines Etwas ist nicht ein beliebiges Anderes, sondern »sein« Anderes. Zwei ungleiche Realitäten, die einander vollkommen fremd, ohne gemeinsamen Nenner sind, heißen »verschieden«. Die Verschiedenheit ist folglich der Ausdruck für die Relation zwischen denen, welche überhaupt keine Relation miteinander haben. Der einzige gemeinsame Nenner, welchen zwei Verschiedene haben können, ist der äußerliche Beobachter, der sie willkürlich (d. h. die zwei Realitäten selbst eigentlich nicht betreffend) zusammenbringt.351 Das ist nicht der Fall beim Gegensatz: Die Entgegengesetzten ermangeln nicht jeglicher Beziehung, denn, wenn es so wäre, würde es gleichgültig sein, ob wir als Gegensatz eines Etwas dieses oder jenes Andere nehmen. Richten wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die Definition Wolffs vom Gegensatz: »Opposita sunt, quorum unum involvit negationem alterius.«352 Daran interessiert uns vor allem das Wort »involvit«: Es drückt nicht nur aus, dass es zwischen den Gliedern eine Relation gibt, sondern auch, dass diese Relation ihnen wesentlich ist bzw. dass die 350

R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Gegensatz«. Eben aus demselben Grund liegt in diesem äußerlichen Betrachter ihre Ungleichheit voneinander, weil die Ungleichheit zwischen zwei Dingen – bzw. ihre Sichselbstgleichheit – nur festgestellt werden kann, indem sie zusammengebracht werden. Siehe darüber WL II, 267–270. 352 Wolff: Ontologia § 272. 351

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

Glieder der Relation gegeneinander nicht gleichgültig sind. Aber ihre Relation ist vom Charakter einer Ausschließung, und dies bringt eben das mit sich, was wir bezüglich der gegenseitig beschränkten Realitäten festgestellt haben, nämlich, dass es bei jedem Glied der Relation einen beziehungslosen Positivitätskern gibt, welcher ihre Verwischung unmöglich macht. Das bedeutet, dass es bei den Entgegengesetzten im Grunde genommen immer noch – trotz des »involvit« – einen Rest von Verschiedenheit, von mutueller Äußerlichkeit gibt. Diese Äußerlichkeit fällt mit jener zusammen, von welcher am Ende des letzten Abschnittes behauptet worden ist, dass sie die diskursive Verbindung willkürlich verhindert und folglich suspendiert werden muss. Wenn wir daher von einem »immanenten Hinausgehen« der gegebenen Bestimmungen über sich selbst reden, das ineins mit der Suspendierung oder epochê »des besonderen Meinens und Dafürhaltens« erfolgt, dann führt dieses Hinausgehen nicht in eine beliebige Andersheit, sondern in diejenige, welche dieser Bestimmung wesentlich zugehört, d. h. in ihren Gegensatz. Die Konfusion zwischen Denkinhalten, welche das Vollziehen der diskursiven Verkettung erfordert, ist also eine Konfusion oder Verwischung zwischen Entgegengesetzten. Die Auflösung der anfänglichen Sichselbstgleichheit der Denkinhalte, die gleichbedeutend mit der epoché oder Suspendierung der äußerlichen Subjektivität ist, und aus welcher sich das Übergehen in das Entgegengesetzte ergibt, werden wir im Folgenden »Auflösung der suppositio« nennen, sofern die suppositio die Präsenz im Diskurs von dem bezeichnet, was dem Diskurs und seiner notwendigen Entfaltung äußerlich ist (siehe § 8). In dieser Auflösung der suppositio und ihren Folgen besteht eigentlich das, was man »Dialektik« im hegelschen Kontext nennt. Richten wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die kurze Charakterisierung der Dialektik, die Hegel an einer Stelle der Enzyklopädie gibt, und versuchen wir sie mit dem bisher Gesagten zu verknüpfen: »Das dialektische Moment ist das eigene Sichaufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Übergehen in ihre entgegengesetzten.«353 Ziehen wir zunächst den Ausdruck »das eigene Sichaufheben« in Betracht. Es ist unmittelbar zu bemerken, dass es sich hier um das »immanente Hinausgehen über sich selbst« des vorgegebenen, zu explizierenden Denkinhaltes handelt. Wir können die zwei Ausdrücke sogar parallelisieren: »Das eigene« heißt so viel wie »immanente« und »Sichaufheben« und »Hinausgehen über sich selbst« sind gleichbedeutend. Beide Ausdrücke beziehen sich auf einen Verlust der Sichselbstgleichheit, der nicht von außen her bewirkt oder veranlasst wird, sondern der Sache selbst konstitutiv ist. Dieser Verlust 353

Enz. § 81.

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der Sichselbstgleichheit – das sagt die betreffende Stelle ebenfalls – ist den »endlichen Bestimmungen« eigen. Das bringt uns zum Begriff der gegenseitigen Beschränkung der Realitäten zurück. Die endlichen Bestimmungen sind hier der vorfindliche zeichenhafte Stoff, den die Logik zu verarbeiten hat. Als ein solcher Stoff machen die endlichen Bestimmungen zunächst etwas Zusammenhangsloses und Kontingentes aus. Ihre »Endlichkeit« ist dann als Synonym dieser Zusammenhangslosigkeit anzusehen: Ihre Diskretion als Teilstücke hängt damit zusammen, dass sie insgesamt (vor ihrer diskursiven Verkettung) eigentlich eine Ansammlung (kein artikuliertes Ganzes) ausmachen. Da ferner die Beziehungslosigkeit eines Etwas die wahrhafte Erkenntnis desselben unmöglich macht354 und seine Identität mit sich oder Fixiertheit als Etwas schließlich nur auf seiner Beziehungslosigkeit (suppositio) basieren kann, muss das konsequente Explizieren seines Gehaltes es in seinen äußerlichen Verhältnissen bis auf den Punkt auflösen, an dem das Etwas kein Innerliches mehr gegenüber der Äußerlichkeit enthält bzw. an dem es seine Sichselbstgleichheit verliert. Diese vollständige Auflösung in der Relationalität ist das, was Hegel an der vorliegenden Stelle »ihr Übergehen in ihre entgegengesetzten« nennt. Eislers Definition von Diskursivem verknüpft schon die Idee der Verbindung der »stücklichen« Inhalte mit dem Übergehen derselben. Eine wahrhafte und konsequente Verbindung erfordert letzten Endes, dass die vorgegebene Festigkeit des zu Verbindenden »zergeht« bzw. dass dasselbe in die Andersheit übergeht. Wenn vom Übergang die Rede ist, muss dabei zwangsläufig ein Moment von Konfusion oder Ununterschiedenheit zwischen den zu Verbindenden ins Spiel kommen.355 Deswegen sind an der 354

Man kann an dieser Stelle berechtigterweise die Reflexionen einfügen, die Hegel in der Seinslogik (WL I, 109) über den Begriff des Dinges-an-sich – als das Beziehungslose verstanden – anstellt: »Die Dinge heißen an-sich, insofern von allem Sein-für-Anderes abstrahiert wird, das heißt überhaupt, insofern sie ohne alle Bestimmung als Nichtse gedacht werden. In diesem Sinn kann man freilich nicht wissen, was das Ding-an-sich ist. Denn die Frage: Was? verlangt, daß Bestimmungen angegeben werden; indem aber die Dinge, von denen sie anzugeben verlangt würde, zugleich Dinge-an-sich sein sollen, das heißt eben ohne Bestimmung, so ist in die Frage gedankenloserweise die Unmöglichkeit der Beantwortung gelegt, oder man macht nur eine widersinnige Antwort. – Das Dingan-sich ist dasselbe, was jenes Absolute, von dem man nichts weiß, als daß alles eins in ihm ist. Man weiß daher sehr wohl, was an diesen Dingen-an-sich ist; sie sind als solche nichts als wahrheitslose, leere Abstraktionen. Was aber das Ding-an-sich in Wahrheit ist, was wahrhaft an sich ist, davon ist die Logik die Darstellung, wobei aber unter Ansich etwas Besseres als die Abstraktion verstanden wird, nämlich was etwas in seinem Begriff ist; dieser aber ist konkret in sich, als Begriff überhaupt begreiflich und als bestimmt und Zusammenhang seiner Bestimmungen in sich erkennbar.« 355 Hegel selbst verbindet den Begriff des Übergehens mit dem der Konfusion, wie die folgende Stelle aus den Vorlesungen über die Logik (aus Vorlesungen. Ausgewählte Nach-

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erwähnten Stelle das »Sichaufheben« und das »Übergehen« durch ein »und« miteinander verknüpft. Das »und« bedeutet hier Konsequenz oder Folge, aber nicht kausaler Art, sondern durch Implikation: Aus dem »Sichaufheben« bzw. dem Verlust der Sichselbstgleichheit ergibt sich zwangsläufig ein Übergehen. Ferner ist das Übergehen per definitionem eine Verkehrung in dasjenige, was Etwas in seinem anfänglichen Zustand nicht ist, also in seine Negation. Das Übergehen, das sich aus dem »Sichaufheben« ergibt, setzt also eine Kontinuität zwischen zweien, die zunächst einander ausschließend oder entgegengesetzt sind. Diese Deutung der hegelschen Charakterisierung der Dialektik muss noch auf die spezifische Struktur der zu verkettenden Stücke, d. h. der Zeichen, bezogen werden. Das Zeichen macht, wie wir schon längst wissen, eine zweiseitige Einheit aus, die aus einer anschaulichen und einer intellektuellbegrifflichen Komponente besteht. Damit erklärt sich aber die Struktur des Zeichens nicht ganz; es muss noch dasjenige berücksichtigt werden, was diese zufällige Zusammensetzung zu einer festen und bestehenden Einheit macht. Im letzten Kapitel wurde die Operation betrachtet, durch welche das Gedächtnis der willkürlichen Assoziation einer Anschauung mit einer allgemeinen Bedeutung den Charakter einer Regel, eines Gesetzes verleiht. Dadurch erhält die Verknüpfung signans-signatum die notwendige Dauerhaftigkeit, um als Zeichen innerhalb eines artikulierten Systems operativ sein zu können. Dementsprechend kann man beim Zeichen sozusagen zwei Allgemeinheiten unterscheiden. Erstens haben wir die Allgemeinheit, welche das signans zum Ausdruck zu bringen hat, d. h. die Bedeutung als signatum. Zweitens können wir auch als Allgemeinheit die vom Gedächtnis zum Gesetz erhobene Verknüpfung selbst zwischen dem signans und dem signatum bezeichnen, sofern sie als Gesetz oder Regel allgemeinen Charakter besitzt. Die Erste ist von der Zweiten wesentlich bedingt, denn eigentlich könnten wir uns auf keinen bestimmten Denkinhalt überhaupt beziehen, wenn die Verbindung, die diesen Denkinhalt mit einem bestimmten Namen verknüpft, nicht fixiert wäre bzw. nicht den Charakter einer Norm hätte. Die Operation des Gedächtnisses bringt gerade mit sich, dass sich dieser Name auf diese bestimmte Bedeutung und auf keine andere bezieht. Wie verhält sich nun schriften und Manuskripte, Hamburg 1983 ff. 94) klarerweise zeigt: »Das Logische ist nach drei Seiten zu betrachten, welche jedoch nicht als Teile zu betrachten sind, und man kann das Logische nicht nur nach einer von diesen Seiten betrachten. Die erste Seite: die abstrakte oder verständige, die zweite Seite: die dialektische oder negativ vernünftige; Unmittelbarkeit und Vermittlung sind Denkbestimmungen; der Verstand stellt sie als getrennt auf, das andere ist aber das Negative, aufzuzeigen, daß sie nicht so Festes sind, sondern Endliches, Übergehendes, Konfusion der Verstandesbestimmungen.«

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diese spezifische Struktur der elementaren Bestandteile des Zeichens zur dargestellten Operation des Dialektischen? Der Verlust der Sichselbstgleichheit und das Übergehen in die Andersheit, in welchen das Dialektische besteht, können in diesem Kontext nichts anderes als die Auflösung von Festigkeit der Verknüpfung bedeuten, welche vorher die zufällige Assoziation eines Namens mit einer Bedeutung zu einer Einheit gemacht hat. Daraus erklärt sich nämlich, dass sich die gerade genannte erste Allgemeinheit, d. h. die Bedeutung oder der Denkinhalt, mit anderen Bedeutungen konfundiert: Die Dialektik untersagt uns zu behaupten, dass dieser Name sich nur auf diese Bedeutung und nicht auf die entgegengesetzte bezieht, denn sie löst gerade die Stabilität auf, vermöge deren es überhaupt feste Bedeutungen gibt. Die Dialektik hat in der Struktur des Zeichens zur Folge, dass die gesetzmäßige Verbindung seiner zwei konstitutiven Seiten sich lockert oder sich verschiebt. Als Synonym zu dieser Verschiebung kann das oben erwähnte »Sichaufheben« betrachtet werden: Dass sich eine endliche Bestimmung aufhebt, heißt in Bezug auf das Zeichen, dass das innige Verbundensein zwischen seiner anschaulichen und seiner begrifflichen Seite nicht mehr besteht. Damit haben wir die Operation umrissen, in welcher die zweite Achse des logischen Diskurses besteht. Bezüglich der Konfusion der Denkinhalte gibt es aber noch einige erklärungsbedürftige Aspekte. Es bleibt nämlich noch unklar, wie genauer und nach welchen Kriterien sich die Auflösung der suppositio vollzieht. Dafür werden wir im nächsten Abschnitt auf ein konkretes Beispiel der Logik zurückgreifen, anhand dessen das bisher Gesagte fassbarer werden muss. Dieses Beispiel wird uns ferner die notwendigen Elemente liefern, um die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Dialektik und dem Skeptizismus im logischen Diskurs einer adäquaten Antwort zu führen.

b) Dialektische Betrachtung des Paares Repulsion-Attraktion Im Folgenden werden wir unsere Aufmerksamkeit auf die logische Behandlung richten, welche Hegel in der Seinslogik dem Gegensatz zwischen der Repulsionskraft und der Attraktionskraft widmet.356 Dafür ist es aber zuerst vonnöten, einige einführende Bemerkungen über diesen Gegensatz und dessen historisch-philosophischen Ursprung zu machen. Das wird uns Einsicht darüber geben, wie sich der logische Diskurs bereits konstituierte Inhalte zu eigen macht und die Umformung derselben ausführt. Das Material, der vorgegebene Stoff, den Hegel einer strengen logischen Untersuchung unterwirft, 356

WL I, 166–172.

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

ist die kantische Theoretisierung des bereits erwähnten Gegensatzes in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft.357 Kant führt dabei die gedankliche Bestimmung dieser zwei Kräfte ein, um den Begriff der Materie von einem dynamischen Standpunkt aus zu erklären – d. h. aus der Perspektive, in welcher die Materie als ein Bewegliches betrachtet wird, welches »einen Raum erfüllt«.358 Die Möglichkeit bzw. die Denkbarkeit des dynamischen Materiebegriffes erfordert, dass wir diese zwei Kräfte annehmen. Aber die eine ist nach Kant im vorliegenden Materiebegriff bereits enthalten, die andere hingegen nicht.359 Die Zurückstoßungs- oder Repulsionskraft ist als ein wesentliches bzw. analytisch enthaltenes Merkmal der gegebenen Vorstellung der Materie anzusehen, sofern diese als ein »Bewegliches, das einen Raum erfüllt«, d. h. Widerstand leistet, definiert wird.360 Die entgegengesetzte Kraft, die Attraktion oder Anziehung, ist nicht im Begriff analytisch enthalten, aber sie muss notwendigerweise vorausgesetzt werden, damit der Materiebegriff überhaupt denkbar sei.361 Das heißt, dass man zur Annahme dieser Kraft nicht durch ein bloßes Deutlichmachen gelangen kann, sondern »durch Schlüsse«.362 Das Verfahren, diese Denkbarkeitsgründe aufzusuchen, wird von Kant »Konstruktion bzw. Darstellung apriori in der Anschauung« genannt, sofern durch dasselbe nicht bloß die Widerspruchslosigkeit eines Begriffes, sondern vor allem seine Erkennbarkeit als existierender Gegenstand in der Anschauung legitimiert wird. Die Annahme dieser Kräfte er357

Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A 31–105. Wir können sagen, dass dieser Gegensatz den eigentlichen Gegenstand von dem ausmacht, was Kant »Dynamik« nennt. 358 Kant, a. a.O., A 31: »Materie ist das Bewegliche, so fern es einen Raum erfüllt.« 359 Vgl. WL I, 168. 360 Kant, a. a.O., A 53: »Die Undurchdringlichkeit, als die Grundeigenschaft der Materie, wodurch sie sich als etwas Reales im Raume unseren äußeren Sinnen zuerst offenbaret, ist nichts, als das Ausdehnungsvermögen der Materie (Lehrsatz).« WL I, 167–168: »Die Repulsion andernteils leitet er gleichfalls aus der Materie ab und gibt als Grund derselben an, weil wir uns die Materie undurchdringlich vorstellen, indem diese nämlich dem Sinne des Gefühls, durch den sie sich uns offenbare, sich unter dieser Bestimmung präsentiert.« 361 Vgl. Kant, a. a.O., A 52–53–54. 362 Vgl. Kant, a. a.O., A 54–55: »Wenn Anziehungskraft selbst zur Möglichkeit der Materie ursprünglich erfodert wird, warum bedienen wir uns ihrer nicht eben sowohl, als der Undurchdringlichkeit, zum ersten Kennzeichen einer Materie? warum wird die letztere unmittelbar mit dem Begriffe einer Materie gegeben, die erstere aber nicht in dem Begriffe gedacht, sondern nur durch Schlüsse ihm beigefügt?.« WL I, 168: »Die Repulsion werde daher ferner sogleich im Begriff der Materie gedacht, weil sie damit unmittelbar gegeben sei; die Attraktion dagegen werden derselben durch Schlüsse beigefügt. Auch diesen Schlüssen aber liegt das soeben Gesagte zugrunde, daß eine Materie, die bloß Repulsivkraft hätte, das, was wir uns unter Materie vorstellen, nicht erschöpfte.«

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fordert folglich, über die Grenze der Analytizität hinauszugehen und sich an Prozeduren synthetischer Art zu wenden; aus einer kantischen Perspektive heißt das, dass der gesuchte Zusammenhang etwas Reales jenseits des bloß Begrifflichen ausdrückt. Es muss hierbei daran erinnert werden, dass für Kant die Synthese ein Deutlichmachen von Gegenständen, nicht bloß von Begriffen, ausmacht.363 Diese Bemerkungen scheinen vom Thema abzuschweifen, aber eigentlich sind sie für unsere weitere Untersuchung maßgeblich. Das, was Kant »Konstruktion« nennt, wodurch die Denkbarkeitsgründe des (dynamischen) Materiebegriffes ausfindig gemacht werden, macht Hegel zufolge eigentlich ein analytisches Verfahren aus. Mit Worten Hegels: »Er setzt die Vorstellung der Materie voraus und fragt nun, welche Kräfte dazu gehören, um ihre vorausgesetzten Bestimmungen zu erhalten.«364 Daraus sind zwei Aspekte besonders hervorzuheben. Erstens: Hegel betrachtet als rein diskursiv ein Verfahren, welches nach Kant zwangsläufig der Anschauung bedarf, um vollzogen werden zu können.365 Dass Hegel, im Unterschied zu Kant, auf die Anschauung verzichten kann, kann nur durch die befreiende Operation der Vorstellung erklärt werden, durch welche die Intelligenz sich der Anschauung vermittels der Erzeugung des Zeichens bemächtigt. Als anschauliches Gebilde macht der Name unnötig, ein inhaltliches Korrelat anschaulicher Art ausfindig zu machen, auf welches der Begriff bezogen werden muss. Um über einen gegebenen Inhalt hinausgehen zu können (d. h. um die Erkenntnis nicht bloß zu erläutern, sondern sie auch zu erweitern), muss man sich also auf keine außerdiskursive Instanz berufen, wie es Kant mit seinem Begriff von Konstruktion in der Anschauung fordert. Das führt uns zum anderen Aspekt. Zweitens: Nach Kant ist dieses Verfahren nicht bloß analytisch darum, weil der Zusammenhang zwischen den ursprünglichen Kräften und dem Begriff der Materie nicht auf eine Inhärenzbeziehung reduzierbar ist. Diese nicht-Reduzierbarkeit basiert auf der Idee, dass die analytische Entfaltung uns nicht über das fertig Gegebene führen kann, sodass ihre Funktion sich im bloß Erläuternden erschöpft. Wenn also die fertig gegebene Vorstellung 363

Kant: Logik, A 95. WL I, 167. 365 Siehe dazu das bekannte Beispiel des Triangels in KrV B 744–747. Dort (B 744–745) schreibt Kant: »Man gebe einem Philosophen den Begriff eines Triangels, und lasse ihn nach seiner Art ausfündig machen, wie sich wohl die Summe seiner Winkel zum rechten verhalten möge. […] Nun mag er diesem Begriffe nachdenken, so lange er will, er wird nichts Neues herausbringen. […] Allein der Geometer nehme diese Frage vor. Er fängt sofort davon an, einen Triangel zu konstruieren. […] Er gelangt auf solche Weise durch eine Kette von Schlüssen, immer von der Anschauung geleitet, zur völlig einleuchtenden und zugleich allgemeinen Auflösung der Frage.« 364

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

der Materie das Merkmal der Repulsion enthält, aber nicht dasjenige der Attraktion – denn ansonsten würde ein einheitlicher Begriff zwei gegenseitig ausschließende Merkmale enthalten, was unmöglich (undenkbar) ist –, dann muss sich das Denken auf etwas berufen, das diese zwei Merkmale in Zusammenhang bringt, ohne den fertig gegebenen, also sichselbstgleichen Begriff in Unstimmigkeit mit sich selbst zu bringen.366 Nun haben unsere Untersuchungen über die zeichenhafte Beschaffenheit der Denkinhalte deutlich ans Licht gebracht, dass die Analyse, als das sich-Zeigen der Sache selbst verstanden, eigentlich den Verlust der Sichselbstgleichheit des gegebenen Inhaltes erforderlich macht, um ihre Funktion effektiv zu vollziehen, wobei uns der gegebene Begriff genügt, um über denselben hinausgehen zu können. Da Kant (aus Gründen, mit welchen wir uns später ausführlicher befassen werden) den Verlust der Sichselbstgleichheit eines gegebenen Inhaltes nicht akzeptieren kann und die konstitutive Rolle des Zeichens bei der Erzeugung von Begriffen nicht kennt, kann für ihn der Zusammenhang zwischen Entgegengesetzten lediglich durch die Vermittlung eines Dritten (hier die Materie, welche aus der sinnlichen Anschauung entliehen wird) gedacht werden. Das erklärt die Zweideutigkeit Kants hinsichtlich der Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit der erwähnten Kräfte (besonders der Attraktionskraft) zum Materiebegriff: Die Erscheinung der Materie erklärt sich aus diesen ihr innewohnenden Kräften, aber sie sind von derselben verschieden,367 obwohl Kant mehrmals betont, dass sie zum Wesen der Materie gehören.368 Das bisher über die Zusammenhangslosigkeit der Vorstellungen Gesagte erlaubt uns besser einzusehen, was Kant hier eigentlich macht. Nach Hegel wird eigentlich kein Begriff konstruiert,369 sondern lediglich eine fertig 366

WL I, 166: »In jener Vorstellung werden sie als selbständig betrachtet, so daß sie sich nicht durch ihre Natur aufeinander beziehen, d. h. daß nicht jede nur ein in ihre entgegengesetzte übergehendes Moment sein, sondern fest der anderen gegenüber beharren soll. Sie werden ferner vorgestellt als in einem Dritten, der Materie, zusammenkommend; so jedoch, daß dieses In-eins-Werden nicht als ihre Wahrheit gilt, sondern jede vielmehr ein Erstes und An-und-für-sich-Seiendes, die Materie aber oder Bestimmungen derselben durch sie gesetzt und hervorgebracht seien.« 367 Kant, a. a.O., A 33: »Die Materie erfüllt einen Raum, nicht durch ihre bloße Existenz, sondern durch eine besondere bewegende Kraft.« 368 Vgl. Kant, a. a.O., A 58, Zusatz. 369 WL I, 167: »Kants Verfahren in der Deduktion der Materie aus diesen Kräften, das er eine Konstruktion nennt, verdient, näher betrachtet, diesen Namen nicht, wenn nicht anders jede Art von Reflexion, selbst die analysierende, eine Konstruktion genannt wird, wie denn freilich spätere Naturphilosophen auch das flachste Räsonnement und das grundloseste Gebräu einer willkürlichen Einbildungskraft und gedankenlosen Reflexion, – das besonders die sogenannten Faktoren der Attraktivkraft und Repulsivkraft gebrauchte und allenthalben vorbrachte –, ein Konstruieren genannt haben.«

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gegebene Vorstellung mit anderen selbstständigen Elementen in äußerlichen Zusammenhang gebracht. Wir stehen hier klarerweise vor dem Konzept der gegenseitig beschränkten Realitäten: Die zwei entgegengesetzten Grundkräfte temperieren sich gegenseitig, ohne sich miteinander zu verwischen. Die Materie fungiert als das Dritte, als das leere Band, das diese Kräfte miteinander äußerlich verbindet und dadurch ihre supponierte Sichselbstgleichheit aufrechterhält. Diese Überlegungen waren notwendig, um zu zeigen, worin die Umformung eigentlich besteht, die der logische Diskurs an vorgegebenen intellektuellen Produkten vollzieht. Nun werden wir ausführlicher zeigen, auf welche Art und Weise Hegel in Bezug auf diesen Gegensatz dialektisch verfährt. Wenn zutreffend ist, was bisher über das eigene Hinausgehen der Denkbestimmungen über sich selbst (als Zeichen betrachtet) gesagt wurde, dann sollte sich aus dem bloßen Erläutern der vorliegenden Grundkräfte ihre Konfusion oder Verwischung ergeben. Worin besteht zunächst der Begriff der Repulsion? Oder anders gesagt: Was für einen Denkinhalt bringt das signans »Repulsion« eigentlich zum Ausdruck? Unter »Repulsion« verstehen wir »die Selbstzersplitterung […] in Viele«,370 welche etwas Einheitliches aus und in sich selbst (d. h. ohne äußerliche Einwirkung) vollzieht. Diese Selbstzersplitterung impliziert, dass das anfänglich Einheitliche sich von sich selbst unterscheidet (bzw. sich selbst repelliert) und dadurch die Entstehung einer unbestimmten Vielheit von gegenseitig einander ausschließenden Einheiten auslöst. Wenn diese Einheiten oder Elemente sich wahrhaft gegenseitig ausschließen, dann kann es zwischen ihnen nur eine Leere geben. Das Leere, als dasjenige verstanden, was zwischen den Vielen steht, macht somit das Vereinigende der Vielen aus.371 Nun ist also die Idee einer Leerheit, welche Verschiedene vereinigt, gerade dasjenige, was der Gegensatz der Repulsion, nämlich das Zeichen »Attraktion«, eigentlich ausdrückt.372 Auf den ersten Blick scheint das Zeichen »Attraktion« einen Denkinhalt zum Ausdruck zu bringen, welcher mit seinem Gegensatz unverwechselbar ist, nämlich das »Einswerden von Vielen«, während die Repulsion gerade im »Vielewerden

370

WL I, 161. WL I, 158: »Die Vielheit ist zunächst nicht gesetztes Anderssein; die Grenze nur das Leere, nur das, worin die Eins nicht sind. Aber sie sind auch in der Grenze; sie sind im Leeren, oder ihre Repulsion ist ihre gemeinsame Beziehung.« 372 WL I, 160: »Das negative Verhalten der Eins zueinander ist somit nur ein Mit-sichZusammengehen. Diese Identität, in welche ihr Repellieren übergeht, ist das Aufheben ihrer Verschiedenheit und Äußerlichkeit, die sie vielmehr gegeneinander als Ausschließende behaupten sollten. Dieses sich in-Ein-Eines-Setzen der vielen Eins ist die Attraktion.« 371

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

von Eins« besteht. Der Inhalt von diesem »Einswerden von Vielen« kann aber, näher betrachtet, als ein »durch den leeren Raum sich aufeinander Beziehen« formuliert werden. So wird die Attraktion oder Anziehung in ihrer klassischen Formulierung als actio in distans definiert, d. h. als eine Beziehung durch das Leere, was für die gegenseitig ausschließenden Einheiten der Repulsion auch gilt. Wenn wir nun beide Inhalte sorgfältig vergleichen und sie auf ihre minimalen (logischen) Kennzeichen reduzieren, dann merken wir, dass das Einzige, was für ihre Unterscheidung angegeben werden kann, nichts als ihre entgegengesetzte Richtung ist. Die Richtung macht aber, mit Worten Hegels, eine »leere Beziehung« aus, die nur Inhalt erhält, wenn sie im Verhältnis zu einem fixierten Punkt bestimmt wird.373 Dieser Punkt, im Verhältnis zu welchem der Unterschied von Repulsion und Attraktion bestimmt werden könnte, ist gerade die Materie, d. h. das sie Verbindende, das Einssein von Beiden, »in welchem« also, wie Hegel sagt, »alle Entgegensetzung und sie selbst erlöscht sind«.374 Die Materie kann uns den genauen Unterschied zwischen diesen zwei Denkinhalten nicht liefern, weil sie gerade nur aus denselben als ihren definierenden Merkmalen erklärt werden kann. Trennen wir die Materie von ihren wesentlichen Merkmalen ab, dann bleibt von der Materie eigentlich nichts; wenn aber dieser Gegensatz der Materie innewohnt, dann haben wir nichts, womit wir die Zeichen »Repulsion« und »Attraktion« hinreichend voneinander unterscheiden können.375 Der beharrliche Unterschied zwischen Repulsion und Attraktion erweist sich somit als gleichförmig mit dem Unterschied zwischen den gegenseitig beschränkten Positivitäten in der omnitudo realitatis, zwischen welchen es ein »leeres Band« gibt (hier die Materie), das sowohl ihre Konfusion als auch ihre vollständige Erläuterung verhindert.376 Daraus folgt: Der Unterschied

373

JSE II, 4: »Aber sie so für sich betrachtet, erweisen sie sich als vollkommen gleich, so weit Attraktivkraft ist, ist Repulsivkraft; es ist durchaus keine Verschiedenheit zwischen ihnen als die der Richtung, aber jede der entgegengesetzten Richtungen kann ebenso gut als Wirkung der Attraktiv- wie als Wirkung der Repulsivkraft betrachtet werden; denn die Richtung ist die leere Beziehung, die durch irgend ein fixiertes bestimmt ist; […].« 374 Ebd. 375 WL I, 172: »Zu dieser Verwischung der Unterschiede kommt noch die Verwirrung hinzu, daß, wie anfangs bemerkt worden, die Kantische Darstellung der entgegengesetzten Kräfte analytisch ist und in dem ganzen Vortrag die Materie, die erst aus ihren Elementen hergeleitet werden soll, bereits als fertig und konstituiert vorkommt.« 376 Als Denkbarkeitsgründe der Materie gefasst, sind Repulsion und Attraktion wiederum nicht begreifbar, wie Kant in der folgenden Stelle der Metaphysischen Anfangsgründe (A 61) sagt: »Daß man die Möglichkeit der Grundkräfte begreiflich machen sollte, ist eine ganz unmögliche Foderung; denn sie heißen eben darum Grundkräfte, weil sie von keinen anderen abgeleitet, d. i. gar nicht begriffen werden können.«

§ 15 Zweite Achse: Die Dialektik oder das Nagativ-Vernünftige

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zwischen den vorgefundenen, zunächst gegenseitig einander ausschließenden Denkinhalten Repulsion und Attraktion ist (logisch gesehen) eigentlich »nichtig«, dergestalt, dass sich aus dem bloßen Erläutern vom einen das Übergehen in den anderen zwangsläufig ergeben muss.377 Die Art, wie Hegel diese Sachlage ausdrückt, lautet: Zwischen den beiden gibt es einen »leeren Unterschied«. Das Adjektiv »leer« ist in unserer Untersuchung schon vorgekommen, und zwar bei der Auffassung der Namen als »entleerte Anschauungen«. Ein leerer Unterschied ist in diesem Kontext als ein Unterschied zu verstehen, der bloß die Namen, nicht aber die Bedeutungen oder die Inhalte betrifft. Wenn folglich der Unterschied zwischen Repulsion und Attraktion einen leeren Unterschied ausmacht, dann stehen wir vor unterschiedlichen Namen mit ununterscheidbaren Bedeutungen. Die Funktion der Dialektik als zweiter Achse des logischen Diskurses kann somit formuliert werden als das Ununterschieden-Machen von Bedeutungen, die in ihrem ersten, vorfindlichen Zustand im Zeichensystem einen Gegensatz ausmachen oder sich gegenseitig beschränken. Diese Formulierung besagt eigentlich nichts Anderes als die Schilderung, die oben von der Dialektik gegeben worden ist, nämlich: die Auflösung der suppositio. Am Ende des vorausgehenden Abschnittes wurde nach den Kriterien gefragt, nach welchen diese Auflösung der suppositio eigentlich zu vollziehen ist. Das gerade betrachtete Beispiel der Seinslogik gibt uns die passende Antwort darauf: Als beziehungslose Suppositionen müssen die Repulsion und die Attraktion sich darum auflösen und ineinander übergehen, weil nichts ausfindig gemacht werden kann, was zu ihrer Unterscheidung berechtigt. Eher als eine Operation ist daher die dialektische Auflösung als die notwendige rationale Folgerung anzusehen, die sich aus der sorgfältigen Prüfung (Analyse) der vorliegenden begrifflichen Sachlage zwangsläufig ergibt. Das gesuchte Kriterium besteht also sozusagen in der Strenge der logischen Reinheit, welche uns zwingt (rationaler Imperativ), jegliche Willkürlichkeit zu beseitigen. Deswegen nennt Hegel die Dialektik auch das »Negativ-Vernünftige«: Ein intellektuelles Verfahren mit einem wahrhaften Anspruch auf philosophische Strenge kann nach dieser sorgfältigen Prüfung nicht umhin, sich negativ oder destruktiv zu verhalten gegen dasjenige, was der Sache selbst nicht zugehört oder nicht-begrifflich ist. Dieser negative Aspekt der zweiten Achse bringt uns direkt zur Frage nach dem Verhältnis zwischen der Dialektik und dem Skeptizismus.

377

WL I, 171: »Wir sehen, daß hier Kant bewußtlos das begegnet, was in der Natur der Sache liegt, daß er der Attraktivkraft gerade das zuschreibt, was er der ersten Bestimmung nach der entgegengesetzten Kraft zuschrieb. Unter dem Geschäft der Festsetzung des Unterschiedes beider Kräfte war es geschehen, daß eine in die andere übergegangen war.«

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

c) Die Dialektik als Kontinuität-schaffende Instanz und die Idee der vollbrachten Skepsis Was hier in Bezug auf den Gegensatz Repulsion-Attraktion gezeigt worden ist, sofern es auf der zeichenhaften Beschaffenheit der Denkinhalte basiert, ist auf jegliches gegebene Denkgebilde übertragbar. Daraus wird ersichtlich, dass die Dialektik, als Konfusion der Denkinhalte oder Bedeutungen verstanden, eine Achse des logischen Diskurses bildet. Denn, wie oben bemerkt, unterscheidet sich die Achse vom jeweiligen Teil darin, dass sie zu jedem einzelnen Stück der Logik gehört. Das erlaubt uns gerade, das Verhältnis zwischen der Dialektik und dem Skeptizismus adäquat in Betracht zu ziehen, was uns zum Verständnis der wahren Natur der zweiten Achse und deren Übereinstimmung mit der oben gegebenen Formel des Denkens als »Entfaltung der Sache selbst« verhelfen soll.378 Wir werden an erster Stelle zu erklären versuchen, worauf die partielle Identifizierung von Dialektik und Skeptizismus, auf welche Hegel im logischen Kontext deutet,379 eigentlich basiert, um danach das genaue Aufzeigen ihres Unterschiedes in Angriff zu nehmen. Nehmen wir dafür nochmals das soeben betrachtete Beispiel aus der Logik. Das analytische Erläutern des vorgegebenen Materials, das der Gegensatz Repulsion-Attraktion ausmacht, führt ununterbrochen in Auflösung der Sichselbstgleichheit beider und in die daraus folgende Konfusion ihrer Inhalte. Das Adverb »ununterbrochen« bezieht sich hier auf den oben erwähnten »zwingenden rationalen Charakter«, den die Auflösung der suppositio im logischen Diskurs besitzt: Die konsequente (also nicht willkürlich unterbrochene380) Durchführung des radikalen Entschlusses, kraft dessen das reine Denken tatsächlich anfängt, nämlich die besondere Subjektivität zu suspendieren und »die Sache selbst in sich walten zu lassen«, erfordert gerade, das nicht in der Sache selbst Enthaltene bzw. das Willkürliche (in unserem Beispiel den Unterschied zwischen Repulsion und Attraktion) zu beseitigen. Im Falle einer nicht-Durchführung dieses Entschlusses und nicht-Vollziehung 378

Zur Beziehung zwischen Skeptizismus und Dialektik bei Hegel siehe Röttges, H.: Dialektik und Skeptizismus. Die Rolle des Skeptizismus für Genese, Selbstverständnis und Kritik der Dialektik, Frankfurt a. M. 1987. 379 Genauer in Enz. §§ 78 und 81. 380 Hegel selbst spricht manchmal von »willkürlicher Unterbrechung« des Denkverlaufs, wie an der folgenden Stelle der Phänomenologie (Phän. 48): »Im gemeinen Leben hat das Bewußtsein Kenntnisse, Erfahrungen, sinnliche Konkretionen, auch Gedanken, Grundsätze, überhaupt solches zu seinem Inhalte, das als ein Vorhandenes oder als ein festes, ruhendes Sein oder Wesen gilt. Es läuft teils daran fort, teils unterbricht es den Zusammenhang durch die freie Willkür über solchen Inhalt und verhält sich als ein äußerliches Bestimmen und Handhaben desselben.«

§ 15 Zweite Achse: Die Dialektik oder das Nagativ-Vernünftige

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dieser Beseitigung würde das Denken sich von vorgegebenen Strukturen, die es nicht gesetzt hat, abhängig machen, was seine Reinheit und Radikalität fatalerweise zunichtemachen würde. In dieser nicht-grundlosen Zurückweisung all dessen, was vom reinen Denken selbst nicht gesetzt worden ist, besteht gerade der Skeptizismus. Mit der Auflösung der suppositio erklärt das Denken all das für nichtig, was es nicht legitimerweise für ausgemacht akzeptieren kann. Das aber heißt: Es verhält sich skeptisch.381 Die skeptische Stellung gegen die Suppositionen ist die einzige Form, die Freiheit des reinen Denkens gegen die von ihm nicht begründeten, von außen kommenden Inhalte zu bewahren. Die grundlegende Rolle der Logik als prima philosophia hängt also durchgängig von der strikten Erhaltung dieser Stellung ab.382 Wir haben gerade gesagt, dass der radikale Entschluss, »die Sache selbst in sich walten zu lassen«, ununterbrochen durchzuführen ist. Die Formel »die Sache selbst … « gilt, wie wir schon wissen, sowohl für die erste als auch für die zweite Achse des logischen Diskurses. Derselbe Entschluss drückt sich also, in einem ersten Moment, durch das passive dem Vorliegenden Zusehen aus und in einem zweiten, mit dem Ersten wesentlich verbundenen Moment, durch die skeptische Destruktion dieses Vorliegenden. Beide erweisen sich als wesentliche Erfordernisse eines Denkens mit Anspruch auf Reinheit. Wichtig ist, dass diese Reihenfolge streng respektiert wird, d. h., dass das zweite, destruktive Moment dem Ersten, bloß zusehenden, nachfolgt. Den Skeptizismus an die erste Stelle, als Ausgangspunkt zu plazieren würde etwa heißen, das »Zweifeln an allem«383 zu einer Einleitung in die Logik als prima philosophia zu machen.384 Die Geschichte der Philosophie weist mehrere Beispiele eines destruktiven Verfahrens am Anfang auf, um danach auf festen, unzerstörbaren Grundlagen basierend einen positiven Diskurs aufzubauen. Nun behauptet Hegel, dass ein solcher »Weg« sowohl »unerfreulich« als auch »überflüssig« sein würde.385 Aufgrund des bisher Gesagten sind wir 381

Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Signo y sujeto lógico …«, a. a.O., 151. Enz. § 78, Anm.: »Die Forderung eines solchen vollbrachten Skeptizismus ist dieselbe mit der, daß der Wissenschaft das Zweifeln an allem, d. i. die gänzliche Voraussetzungslosigkeit an allem vorangehen solle. Sie ist eigentlich in dem Entschluß, rein Denken zu wollen, durch die Freiheit vollbracht, welche von allem abstrahiert und ihre reine Abstraktion, die Einfachheit des Denkens, erfaßt.« 383 Ebd. 384 Ebd.: »Der Skeptizismus, als eine durch alle Formen des Erkennens durchgeführte, negative Wissenschaft, würde sich als eine Einleitung darbieten, worin die Nichtigkeit solcher Voraussetzungen dargetan würde.« 385 Ebd.: »Aber er würde nicht nur ein unerfreulicher, sondern auch darum ein überflüssiger Weg sein, weil das Dialektische selbst ein wesentliches Moment der affirmativen Wissenschaft ist, wie sogleich bemerkt werden wird.« 382

140

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

imstande, eine Erklärung dieser Behauptung zu geben. Vermöge der dialektischen Achse vollzieht sich das Hinausgehen über den anfänglichen »stücklichen« Zustand der Denkbestimmungen, das uns erst erlaubt, von einer wahrhaft diskursiven Verkettung zu reden. Nur vermittels der Auflösung der suppositio und der daraus folgenden Konfusion der Bedeutungen vermag das Denken die gesuchte Verbindung unter den Denkinhalten zu schaffen, die der Begriff des Diskursiven mit sich bringt. Wenn also die skeptische Destruktion diese Kontinuität-schaffende Funktion hat, dann nützt es nichts, sie zu einer bloßen Einleitung in einen affirmativen Diskurs zu machen. Denn, falls man von diesen Prämissen ausgeht: was für ein Diskurs kann überhaupt vollzogen werden, wenn der Skeptizismus als Kontinuität-schaffende Instanz nicht bei jedem Stück präsent ist? Wenn die skeptische Destruktion nicht »ein wesentliches Moment der affirmativen Wissenschaft« wäre, dann könnte diese Wissenschaft nicht frei von willkürlichen Versicherungen und Voraussetzungen sein. Denn der effektive wissenschaftliche Denkverlauf impliziert, wie wir schon wissen, das Hinausgehen der Denkbestimmungen über sich selbst, und dies ist ja mit der skeptischen Destruktion der willkürlichen Versicherungen gleichbedeutend. Eine solche, in die »affirmative Wissenschaft« selbst integrierte Skepsis, verdient zu Recht »ein vollbrachter Skeptizismus« genannt zu werden.386 Denn es handelt sich um eine epoché oder »Suspendierung«, die bei jedem Schritt des Verlaufes vollzogen wird.387

386

Ebd. Gegen Röttges bestreitet Roser die Idee, dass von einem »vollbrachten Skeptizismus« bei Hegel die Rede sein kann. Höchstens könne man von einem »sich vollbringenden Skeptizismus« reden. Roser argumentiert wie folgt (A. Roser, a. a.O., 217, Fußnote): »Die Kritik an Hegel und die Vorschläge zur Modifikation derselben [der Philosophie Hegels, J. S.], zu ihrer vermeintlichen oder wirklichen Verbesserung, ihrer tatsächlichen oder fiktiven Widerlegung und/oder Weiterentwicklung, begann in großem Stil erst nach dem Tode Hegels. Das ist ein Faktum, das der These von einem ›vollbrachten Skeptizismus‹ in Hegels System klar widerspricht. Man sollte vielleicht doch die christlichen Konnotationen des Wortes ›vollbringen‹ nicht so weit treiben, daß Hegels System gleichsam zu heilsgeschichtlicher Wirkungsmächtigkeit für das Denken der Menschheit hochstilisiert wird.« Diese energische Kritik ist unseres Erachtens nicht zutreffend. Der direkte Zusammenhang, den Roser zwischen dem »vollbrachten Skeptizismus« und der Abgeschlossenheit des Systems sieht, ist überhaupt nicht evident. »Vollbringen« muss nicht zwangsläufig im Sinne von »etwas (historisch) zu Ende bringen« interpretiert werden. Dass der Skeptizismus bei Hegel »vollbracht« wird, kann auch bedeuten (und diese Interpretation scheint uns zutreffender), dass der Skeptizismus sich dabei – um die Sprache Heideggers zu verwenden – »in die Fülle seines Wesens entfaltet« (Heidegger: Brief über den »Humanismus«, GA, Bd. 9, 313). Diesem Verständnis zufolge geht es bei Hegel grundsätzlich darum, der Forderung des Skeptizismus, voraussetzungslos zu verfahren, gerecht zu werden. Ein nicht-vollbrachter Skeptizismus wäre in diesem Sinne ein inkonsequenter 387

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»Das Zweifeln an allem« oder »die gänzliche Voraussetzungslosigkeit«388, worin der Skeptizismus besteht, wird insofern viel wirksamer, da es ja einen wesentlichen Bestandteil des Sich-Zeigens jeder einzelner Denkbestimmung ausmacht. Anstatt vor dem Aufbau der Wissenschaft selbst drastisch »Alles für nichtig zu erklären«, dessen wahrhafte Radikalität und Tragweite bezweifelt werden kann, setzt der logische Diskurs einen Skeptizismus in Gang, der eigentlich nichts außerhalb seiner lassen kann, weil er sich als Achse des Logischen auf jedes Zeichen bezieht. Damit verfügen wir über genügend Merkmale, um den Skeptizismus der Logik mit dem alten Skeptizismus, wenngleich nur skizzenhaft, zu konfrontieren. Bei beiden haben wir es mit einer Suspendierung oder Enthaltung vom Urteil389 zu tun, aber von jeweils ganz unterschiedlichem Charakter. Im alten Skeptizismus geht es um die Suspendierung (epoché) der Bejahung im Hinblick auf die Entscheidung zwischen zwei Argumenten mit entgegengesetzten Schlussfolgerungen, deren schlüssige Kraft im vollkommenen Gleichgewicht beider liegt, d. h. in der bekannten isostheneia. Da ihre schlüssige Kraft nicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann, ohne der Vernünftigkeit Gewalt anzutun, d. h. ohne willkürlich Stellung zu nehmen, besteht die einzige rationale Position darin, auf ein Verdikt zu verzichten, d. h. die Bejahung zu suspendieren. Hier, genauso wie bei der dialektischen Auflösung der Supposition, besteht das Verfahren in keinem einleitenden »Zweifeln an allem«, um danach, auf festen Grundlagen basierend, einen affirmativen, bejahenden Diskurs zu konstruieren, sondern eher im sorgfältigen Aufzeigen der rationalen Unmöglichkeit, bei gewissen Argumenten mit entgegengesetzten Schlussfolgerungen – nämlich denjenigen, die sich auf »dunkle Gegenstände« beziehen390 – ein abschließendes Urteil zu fällen. Im Kontrast zu diesem Ansatz bezieht sich der hegelsche Skeptizismus nicht primär auf Argumente und deren schlüssige Kraft, sondern auf den vorgefundenen Zustand der Denkbestimmungen selbst, welchem solche Argumente entnommen sind. Der Begriff, als elementarer Bestandteil des Denkens verstanden, wird dadurch zu einem Widerstreit mit sich selbst gebracht; somit wird die erste und fundamentalste Bedingung der Denkbarkeit (Kant würde sagen: Möglichkeit) eines begrifflichen Inhaltes, nämlich,

Skeptizismus bzw. ein Skeptizismus, der seinem eigenen Begriff nicht entspricht. Diese Deutung des »Vollbringens« ist überhaupt nicht inkompatibel mit der Unabgeschlossenheit des hegelschen Systems. 388 Enz. § 78, Anm. 389 R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Skeptizismus«, Abs. 2. 390 Sextus Empiricus: pyrrhoneíai hypotypôseis, Liber I, 7 [13].

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

dass er sich nicht widerspricht, komplett ruiniert.391 Der Widerspruch findet im alten Skeptizismus zwischen den Argumenten pro und contra statt; die Scheinhaftigkeit betrifft insofern nur die Wahrheit der vermeintlichen Erkenntnisse, welche der Dogmatiker aus solchen Argumenten zu gewinnen glaubt. Die Skepsis des logischen Denkens hingegen betrifft nicht die scheinhafte Wahrheit von einander widersprechenden Folgerungen aus Argumenten, sondern noch radikaler die innere Möglichkeit bzw. die Denkbarkeit der darin auftretenden Denkbestimmungen selbst. Sie bringt nicht die Unentscheidbarkeit eines Streites ans Licht, sondern eine begriffliche Konfusion: Der Übergang der Denkinhalte ineinander ergibt sich aus dem Aufzeigen des Scheinhaften ihrer formalen Wahrheit, wobei diese als das bloße Zusammenstimmen eines Begriffes mit sich selbst verstanden wird.392 Das Dialektische oder negativ-Vernünftige zeigt insofern, dass jeglicher gegebene Denkinhalt nach dem formalen Wahrheitskriterium der traditionellen Logik eigentlich ein Undenkbares ausmacht – nach der kantischen Tafel des Nichts ein nihil negativum, d. h. ein Unvorstellbares (irrepraesentabile) oder ein »Unding«.393 Der hegelsche Skeptizismus richtet sich mithin gegen eine dogmatische Stellungnahme, die ursprünglicher als diejenige ist, welche den Gegenstand der klassischen Skepsis ausmacht. Das kann in der hegelschen Behandlung berühmter philosophischer Kontroversen nachgewiesen werden: Der gemeinschaftliche Mangel der Argumente pro und contra besteht immer darin, dass sie mit fertigen Bestimmungen bzw. Suppositionen operieren.394 Die radikale epochê dringt hier in gewisser Hinsicht tiefer als beim klassischen Skeptizismus ein: Was infrage gestellt werden muss ist die Kon-

391

Enz. § 11: »In diesem seinem Geschäfte aber geschieht es, daß das Denken sich in Widersprüche verwickelt, d. i. sich in die feste Nichtidentität der Gedanken verliert, somit sich selbst nicht erreicht, vielmehr in seinem Gegenteil gefangen bleibt.« 392 Kant: Logik A 72: »Denn vor der Frage: ob die Erkenntnis mit dem Objekt zusammenstimme, muß die Frage vorhergehen, ob sie mit sich selbst (der Form nach) zusammenstimme? Und dies ist Sache der Logik.« 393 KrV B 347–349. 394 Ein gutes Beispiel hierfür ist in der hegelschen Betrachtung des Streits um die unendliche Teilbarkeit des Raums (WL I, 179–189) zu finden, welcher darin besteht, »daß die Diskretion ebensosehr als die Kontinuität behauptet werden muß« (WL I, 179). Das Ergebnis der Betrachtung dieser Kontroverse lautet (WL I, 187): »Die ganze Antinomie reduziert sich also auf die Trennung und direkte Behauptung der beiden Momente der Quantität, und zwar derselben als schlechthin getrennter. […] Indem jede der beiden entgegengesetzten Seiten an ihr selbst ihre andere enthält und keine ohne die andere gedacht werden kann, so folgt daraus, daß keine dieser Bestimmungen, allein genommen, Wahrheit hat, sondern nur ihre Einheit. Dies ist die wahrhafte dialektische Betrachtung derselben sowie das wahrhafte Resultat.«

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sistenz, die vorgegebene Stabilität der Denkinhalte selbst, die das Argument ausmachen. Soviel zur Unterstützung der These, dass der Skeptizismus der Logik »ein vollbrachter Skeptizismus« ist. Zugleich wird daraus die Tragweite der im letzten Kapitel betrachteten Operation der Vorstellung wieder ersichtlich. Sowohl für Kant als auch für den alten Skeptizismus beruht die Unentscheidbarkeit gewisser Aussagen auf der Dunkelheit der Gegenstände, worauf sich diese Aussagen beziehen. Die befreiende Operation der Vorstellung hat durch die Vergegenständlichung der Intelligenzprodukte die Gegensatzlosigkeit des Denkens vollbracht. Infolge solcher Vergegenständlichung der Intelligenz, vermöge deren die Vernunft und die Wirklichkeit sich legitimerweise gleichsetzen lassen, hat es keinen Sinn mehr zu sagen, dass die aporetische Unentscheidbarkeit gewisser Aussagen aus der Anwendung der Denkformen auf dunkle, nicht-gegebene Gegenstände entspringt. Die Wurzel der Aporie muss dann in der Beschaffenheit der Denkinhalte selbst gesucht werden.395 Dies ermöglicht Hegel den gewaltigen Schritt, das Dialektische bis zu jedem gegebenen Denkinhalt auszudehnen. Wenn ferner die Dialektik nicht als ein einleitendes »Zweifeln an allem« fungiert, sondern als das, »wodurch sich der Begriff selbst weiterleitet«396 und die diskursive Kontinuität geschaffen wird, dann übernimmt die dialektisch-skeptische Zerstörung die Rolle eines Prinzips, »wodurch allein immanenter Zusammenhang und Notwendigkeit in den Inhalt der Wissenschaft kommt.«397 Darin erschöpft sich aber keineswegs die Natur des logischen Verfahrens. Denn die Wissenschaft der Logik muss als solche wie ein System ausgearbeitet sein, und das bedeutet eben, dass deren Glieder oder Bestandteile identifizierbar bzw. voneinander unterscheidbar sein können müssen. Das ist aber das Gegenteil von dem, was die dialektische Auflösung an den vorgefundenen Denkbestimmungen vollzogen hat, nämlich eine Konfusion. Die Durchführbarkeit einer richtigen Verkettung der Denkinhalte beruht ja auf dem Durchbrechen der vorgefundenen Isolation, in der sich diese Inhalte vor ihrer logischen Umformung befinden. Ohne die daraus resultierende Kontinuität würden wir eigentlich vor einer kontingenten Ansammlung von Vorstellungen stehen. Wie verhalten sich dann diese zwei unerlässlichen wissenschaftlichen Forderungen zueinander, nämlich die vollständige Bestimmung der die Logik ausmachenden Glieder einerseits und andererseits der (vom Dialektischen vollzogene) kontinuierliche Gang zwischen denselben, 395 396 397

Vgl. WL I, 40. WL I, 39. Enz. § 81, Anm.

144

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

welcher ihre Sichselbstgleichheit aufhebt? Die Auflösung dieses Problems fällt außerhalb der Zuständigkeit der Dialektik als solcher.

§ 16 Dritte Achse: Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige a) Ununterscheidbarkeit und principium rationis Die dialektische Achse hat sich als die Kontinuität schaffende Instanz zwischen den zu verkettenden Inhalten der Logik erwiesen. Die dialektische Auflösung der Suppositionen hat zur unmittelbaren Folge, dass der begriffliche Gehalt einer gegebenen Bestimmung ununterscheidbar von ihrem Gegensatz wird. Darin besteht in erster Linie die sogenannte »Bewegung des Begriffs« bei Hegel, sofern jede Kontinuität zwischen Gliedern auf die Unmöglichkeit einer beständigen Fixiertheit hinweist, d. h. auf eine Beweglichkeit. Aber das systematische Ziel der Logik besteht gerade in der präzisen Differenzierung ihrer Inhalte, und mit dem skeptisch-dialektischen Hinausgehen der Bestimmungen über sich selbst ist freilich dieses Ziel noch nicht erreicht worden. Anstatt von »Kontinuität«, können wir auch das Wort »Kontinuum« verwenden; 398 damit wird die Verknüpfung sichtbar, welche die begrifflich 398

Stattdessen könnte man auch von »Unordnung« oder »Chaos« sprechen, wie Roser es tut (vgl. A. Roser, a. a.O.), was unsere Untersuchung zur Betrachtung anderer Problematiken führen würde. Auf den Zusammenhang zwischen Kontinuum und Unordnung können wir im Rahmen dieser Untersuchung nicht eingehen. Trotzdem möchten wir an dieser Stelle einige Aussagen Rosers anführen, die auf eine mögliche Konvergenz der behandelten Problematiken hindeuten. Roser sagt (a. a.O., 167): »Diese Differenz zwischen Begriff und Name festzuhalten – und nicht unmittelbar wiederum in den bestimmten Begriff seiner selbst aufzuheben – ist eine Voraussetzungsbedingung für die Analyse des Verhältnisses von Ordnung und Unordnung im Selbstverhältnis des absoluten Begriffes.« Die Differenz von Name und Begriff ist in unserer Untersuchung auch maßgeblich; sie macht die Voraussetzungsbedingung für unsere Analyse der Kontinuität und Diskretion der Denkbestimmungen. Ferner sagt Roser (ebd.): »Ungeordnet aber ist nur, was nicht benannt werden kann, denn benennen ist das Herstellen einer Ordnung, […].« Wir haben auch gesehen, inwiefern das Benennen eine Ordnung herstellt, wenngleich eine scheinbare Ordnung (den Inbegriff der Realitäten). Roser fügt dann hinzu (a. a.O., 167–168): »Benannt werden kann das Ungeordnete darum nur auf widersprüchliche Weise, denn das Herstellen einer Referenz im Namen ist zugleich das Herstellen einer Ordnung. So muß das Ungeordnete zwar in seinem bestimmten Begriff auch benennbar sein, wir sprechen ja von ihm, doch auch hierin können wir das Moment des Widerspruches festhalten: Das Namenlose allein kann ein Ungeordnetes sein, denn nur das Geordnete kann man benennen; eine Benennung des Ungeordneten hingegen setzt eine Relation zu diesem und damit eine Ordnung bereits voraus. Zwar ist auch das Relationslose begriffliche als solches schon bestimmt und damit kategorial geordnet, doch es erzeugt sich gerade dadurch neu-

§ 16 Dritte Achse: Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige

145

vorliegende Sachlage mit traditionellen philosophischen Problematiken verbindet. Eine kurze Bezugnahme auf dieselben wird uns dabei helfen, unsere Untersuchung in die Betrachtung der dritten Achse einzuführen. Der Begriff des Kontinuums ist traditionell mit dem Prinzip des ausgeschlossenen Dritten innig verbunden. Nehmen wir zunächst als Definition von »Kontinuum« einfach das bruchlos Zusammenhängende; es handelt sich also um das Gegenteil eines Aggregats, welches aus diskreten, fertigen (also zusammenhangslosen) Elementen besteht. Aber die bereits angegebene Definition lässt uns schon einsehen, dass im Kontinuum eine Verschiedenheit enthalten ist, wobei es bei ihm (genauso wie beim Aggregat) möglich sein muss, Bruchstücke oder Teile zu unterscheiden. Diese Möglichkeit bleibt aber im Unterschied zum Aggregat immer eine bloße Möglichkeit, also etwas Potenzielles, in der bloßen Potenz nie Erreichbares, Unbestimmtes. Die im Kontinuum enthaltenen Unterschiede überdecken sich immer aufgrund ihres bruchlosen Zusammenhanges, sodass bei ihnen »keine an sich bestehende vollständige Alternative«399, wie p und nicht-p, anwendbar ist. Die Verflüssigung der Denkinhalte, welche die dialektische Auflösung der beziehungslosen Suppositionen (die als solche ein Aggregat bilden) bewirkt hat, macht auch ein Kontinuum aus, in welchem keine vollkommene Disjunktion von Gliedern, kein tertium non datur anwendbar ist.400 So wird der Sinn von Sätzen aus der Logik, wie z. B. »Repulsion und Attraktion sind dasselbe«, verständlich; aus dem soeben Gesagten folgt, dass es sich bei solchen Sätzen keineswegs um die Identität der zwei Denkinhalte handelt, sondern eher um die Unmöglichkeit, exakte Grenzen beim Zusammenhang, den sie bilden, zu setzen. Daraus wird ersichtlich, warum Hegel an mehreren Stellen nachdrücklich betont, dass die Satzform wesentlich unzulänglich ist, um die aus dem Dialektischen resultierende Sachlage adäquat zum Ausdruck zu bringen. Im gewissen Sinne zwingt uns die dialektische Auflösung dazu, Repulsion und erlich als das von seiner Ordnung Unterschiedene.« Roser formuliert hier ein weitgehend ähnliches Problem wie unseres. Es handelt sich aber nicht um dasselbe Problem und das erklärt, warum wir von »Kontinuum« anstatt von »Unordnung« und »Chaos« reden. Roser beschäftigt sich mit der Frage nach der kategorialen Ordnung und der Abschließbarkeit der Logik. Kurzum: Wenn die Logik Umformungen und Modifizierungen zulässt (wie dies der Fall zu sein scheint), dann ist ihre kategoriale Ordnung kontingent, was ihren systematischen Anspruch ruiniert. Wir gehen von einer anderen Fragestellung aus. Wir beschäftigen uns mit der Logik als Diskurs, nicht als Kategoriensystem. Uns interessiert folglich, wie der logische Diskurs (als Verbindung von Inhalten aufgefasst) konstituiert ist, abgesehen von der Frage nach anderen möglichen Abfolgen. 399 H. Weyl: Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft, 1966 München (dritte Aufl.), 75. 400 Vgl. H. Weyl, a. a.O., 75.

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

Attraktion als eine Dieselbigkeit zu erklären, denn das Dialektische zeigt gerade, dass ihre Unterscheidung nicht berechtigt ist. Aber die Unmöglichkeit einer exakten Unterscheidung weist auf keine Identität hin, und so sind wir ebenso dazu berechtigt, das Gegenteil eines solchen Satzes zu behaupten, also: Repulsion und Attraktion sind nicht dasselbe. Das kollidiert frontal mit dem traditionellen Verständnis eines Satzes. Nehmen wir die Definition von propositio aus dem Lexicon Philosophicum Chauvins: »Oratio perfecta, indicativa, congrua, verum vel falsum sine ambiguitate significans.«401 Wenn ein Satz sich dieser Formel anpassen muss, dann kann die vorliegende Sachlage, d. h. die Ununterscheidbarkeit der Denkinhalte, durch die Satzform offensichtlich nicht adäquat zum Ausdruck gebracht werden.402 Das bringt uns zur innigen Verbindung von Dialektik und Skeptizismus zurück. Der alte Skeptizismus bringt, wie wir schon wissen, eine Aporie ans Licht: Zwischen gleichkräftigen Argumenten mit entgegengesetzten Folgerungen können wir kein entscheidendes Urteil fällen, ohne dogmatischerweise (d. i. gegen die Vernunft) Stellung zu nehmen, und folglich bleibt kein anderer Ausweg übrig als die Enthaltung der Bejahung (epoché). Bezüglich der Satzform und der aus der dialektischen Auflösung resultierenden Ununterscheidbarkeit stoßen wir auch auf ein solches Hindernis: Die Beweglichkeit zwischen den dialektisch verflüssigten Denkinhalten bildet eine aporetische Situation, die ein entscheidendes Urteil unmöglich macht. Wenn das so ist, dann kann die bloße Dialektik per se die gesuchte diskursive Verkettung der Denkinhalte nicht vollziehen. Freilich hat die skeptischdialektische Auflösung der beziehungslosen Suppositionen bewirkt, dass ein gegebener Denkinhalt ohne äußerliche Einwirkung über sich selbst hinausgeht und in die Andersheit übergeht; es handelt sich insofern um eine unerlässliche, notwendige Bedingung des effektiven diskursiven Fortganges. Aber sie ist keine hinreichende Bedingung dafür, denn das bruchlose Zusammenhängen zweier Denkinhalte, zu dem uns die dialektische Zerstörung geführt hat, macht sozusagen eine »Sackgasse« aus: Über die sich daraus ergebende Unbestimmtheit vermag das Dialektische nicht hinauszugehen. Das ist gerade die Bedeutung des Wortes »Aporie«, nämlich »Ausweglosigkeit«, 401

Chauvin: Lexicon Philosophicum (1713), Artikel »Propositio«. Enz. § 88, Anm., Abs. 4: »In der Tat läßt sich eine spekulative Bestimmung nicht in Form eines solchen Satzes richtig ausdrücken; es soll die Einheit in der zugleich vorhandenen und gesetzten Verschiedenheit gefaßt werden«. Solche Aussagen lassen an der vermeintlichen Existenz eines sogenannten spekulativen Satzes bei Hegel ganz ernsthaft zweifeln. Der Text ist in dieser Hinsicht aber sehr klar: Nicht mit dem Satz »Sein und Nichts ist dasselbe«, sondern mit der Bestimmung »Werden« wird die spekulative Operation vollzogen. 402

§ 16 Dritte Achse: Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige

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»Unterbrechung des Fortganges«. Die Dialektik macht insofern sowohl einen Fortgang als auch eine Unterbrechung aus. Es ist daher nicht völlig zutreffend, das logische Verfahren einfach als dialektisch zu schildern (wie man es in der Hegel-Forschung häufig praktiziert), als ob das sein einziges definierendes Merkmal wäre. Die Bezeichnung des ganzen logischen Verlaufs als »Dialektisch« verkennt die Grenzen, welche die Wirksamkeit der dialektischen Achse beschränken. Dies macht die Mitwirkung einer dritten Achse erforderlich. Aber genauso wie wir den notwendigen Gang aufgezeigt haben, der vom Verstand in die Dialektik führt, müssen wir nun mit derselben eisernen Notwendigkeit den Übergang vom Dialektischen zum Spekulativen oder positivVernünftigen ersichtlich machen. Das ist ein wichtiger Punkt, auf welchen besonderer Nachdruck zu legen ist. Die Notwendigkeit, die uns dazu zwingt, eine dritte Achse einzuführen, darf nicht mit dem subjektiven Bedürfnis verwechselt werden, einen rettenden Ausweg aus der aporetischen Sachlage des Skeptisch-Dialektischen ausfindig zu machen. Denn diese Sachlage könnte wohl etwas Definitives und Unwiderrufliches ausmachen (wie der Skeptiker sie ja auch nimmt), indem sie sich als die unabweisbare Konsequenz der Strenge reinen Denkens ergeben hat. Folglich kann der einzige Weg, über die skeptische Aporie hinauszugelangen – und somit den unterbrochenen Verlauf wieder in Gang zu setzen –, nur darin bestehen aufzuzeigen, dass der logische Skeptizismus nicht radikal genug ist bzw. dass er das Denken von äußerlichen Elementen nicht vollständig reinigt. Das ist eine andere Form zu sagen, dass der logische Skeptizismus mit seinem Anspruch, nichts Ungerechtfertigtes anzunehmen, eigentlich nicht völlig voraussetzungslos verfährt. Im Folgenden werden wir diesen Gedanken ausführlicher entwickeln. Es hat sich gezeigt, dass die dialektische Auflösung der Suppositionen den anfänglichen, vorfindlichen begrifflichen Unterschied zu einem bloßen Namensunterschied reduziert: Wenn der feste Unterschied zwischen den Bedeutungen verflüssigt worden ist, dann bleibt nur die unterschiedliche anschauliche Gestaltung der Namen übrig. Das ist, wie bereits gezeigt, gerade der Sinn des hegelschen Ausdruckes »leerer Unterschied«. Auf dieselbe Art und Weise drückt sich Leibniz bezüglich der indiscernibilia (d. h. zwei ununterscheidbare gleiche Dinge) aus.403 Leibniz sagt: Zwei ununterscheidbar gleiche Dinge heißt so viel wie »dasselbe Ding mit zwei Namen«.404 Es handelt sich um keine zufällige Koinzidenz der Formulierungen Leibnizens und Hegels, sondern um einen wirklichen Zusammenhang in der Sache selbst, den wir im Folgenden zu ergründen versuchen werden. Bei Leibniz – darauf 403 404

Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Signo y sujeto lógico …«, a. a.O., 152. G. W. Leibniz/Samuel Clarke: Correspondence, hrsg. v. R. Ariew, Indianapolis 2000, 22.

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

hat Horn aufmerksam gemacht – weisen das principium identitatis indiscernibilium und das principium rationis sufficientis eine innige Verbindung auf. Diese Verbindung könnte folgendermaßen ausgedrückt werden: Im Falle, dass zwei ununterscheidbare gleiche Dinge (d. h. dasselbe Ding mit verschiedenen Namen) existierten, würde eines von den beiden ohne Grund existieren, was gegen das Prinzip oder den Satz vom zureichenden Grunde verstößt.405 Die Existenz von Ununterscheidbaren, d. h. von Dingen, deren einziger Unterschied bloß numerischer Art ist, bringt einen gewissen »Exzess« in Bezug auf die rationale Gesetzmäßigkeit mit sich, die sich auf eminente Weise durch das principium rationis ausdrückt. Denn der Satz vom zureichenden Grunde ist, wie Kant später bemerkt hat, ein Prinzip relationaler Art: Er drückt gerade den rationalen Imperativ aus, nichts Isoliertes, von allem Losgelöstes, Beziehungsloses, also ohne Grund (ratio) anzunehmen. Die Ununterscheidbarkeit zu akzeptieren würde in dieser Hinsicht nichts anderes heißen als etwas vom Denken nicht Gesetztes bzw. etwas mit anderen Denkinhalten nicht Zusammenhängendes anzunehmen. Versuchen wir nun, genau zu erfassen, wie das soeben Gesagte mit unserem vorliegenden Sachverhalt sachlich korrespondiert. Soeben haben wir eine Koinzidenz bei den Formulierungen vom leibnizschen Prinzip der Ununterscheidbaren (oder »nicht zu Unterscheidenden«, wie Kant es nennt), einerseits und andererseits der Art, wie Hegel das Resultierende der dialektischen Operation schildert, festgestellt: In beiden Fällen haben wir es mit einem leeren Unterschied zu tun bzw. mit einem Unterschied, der nur die Namen, nicht die Sache, betrifft. In einem eher hegelschen Kontext können wir das so ausdrücken: Ist der Unterschied zwischen zwei Bestimmungen »unartikulierbar« oder »unsagbar«, dann stehen wir vor derselben Sache mit unterschiedlichen Namen, was den Namensunterschied zu etwas völlig Überflüssigem und folglich Grundlosem macht. Dasjenige also, was einen Exzess in Bezug auf die Gesetzmäßigkeit der Vernunft ausmacht, ist gerade der Namensunterschied. Das kollidiert frontal mit der Behauptung, nach welcher die Zeichen, als anschauliche Gebilde aufgefasst, den Denkformen Seiendheit überhaupt verleihen. Wenn die Sprache einen solchen Exzess und unvernünftigen Überfluss in Bezug auf das Denken aufweist, dann kann man nicht wie Hegel behaupten, dass sie »das Werk des Gedankens«406 ausmacht, durch welches das Denken sich selbst »zu seinem Gegenstande«407 gewinnt.

405

Vgl. J. C. Horn: Monade und Begriff. Der Weg von Leibniz zu Hegel, Hamburg 1982, 13–14. 406 Enz. § 20, Anm., Abs. 3. 407 Enz. § 11.

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Um diesen Punkt in seiner ganzen Tragweite adäquat untersuchen zu können, müssen wir hier auf das Verhältnis zwischen dem logischen Verfahren und dem Skeptizismus zurückgreifen. Dafür werden wir uns auf eine maßgebliche Bemerkung aus Hegels Wesenslogik hinsichtlich des zerstörenden Charakters des Skeptizismus berufen.408 Dort sagt Hegel: »›Es ist‹, erlaubte sich der Skeptizismus nicht zu sagen; […].«409 Trotzdem ist der Skeptizismus dazu gezwungen, die Präsenz der Welt in ihrem ganzen Umfang, wenngleich nur als einen bloßen Schein, zuzugeben. Dasjenige, was sich als nichtig erweist, »ist« im gewissen Sinne schon, nämlich als dieses Nichtige: Die unmittelbare Präsenz des Scheinhaften macht eine Evidenz aus, welche das Denken zwangsläufig zugestehen muss.410 Indem der Skeptizismus einem X die »Dingheit« oder die »Seiendheit« abspricht, erklärt er dasselbe für einen realitätslosen Schein, aber er lässt die Präsenz dieses realitätslosen Scheins unbegründet. Insofern erweist sich die Radikalität seines Hinterfragens als kurzsichtig, denn er akzeptiert unkritisch ein Zusammenhangsloses, d. h. etwas vom Denken nicht Gesetztes.411 Das, was der Skeptizismus erstrebt, nämlich sich die Freiheit des Denkens durch die Destruktion von unbegründeten Annahmen zu bewahren, bleibt also zwangsläufig unvollendet, solange er bei dieser Destruktion »stehenbleibt«. Denn dieses Stehenbleiben impliziert gerade, das Scheinhafte des Zerstörten unbegründet zu lassen und somit eine unbegründete Annahme bzw. eine ungerechtfertigte Supposition versehentlich wiedereinzuführen. Versuchen wir nun, dies auf unsere Problematik zu übertragen! Indem die logische Skepsis zwei entgegengesetzte Denkinhalte ununterscheidbar macht, erklärt sie das anfängliche, bestimmte Getrennt-Sein derselben für scheinhaft: Die vorliegende Präsenz von zwei auseinanderliegenden Namen täuscht uns in Bezug auf den bezeichneten Inhalt. Scheinhaft ist also der oben sogenannte Exzess oder Überfluss der Sprache in Bezug auf die kontingenzfreie Wesentlichkeit des reinen Denkens. Aber auch wenn diesem unmittelbar vorgefundenen Unterschied keine »Seiendheit« zugeschrieben wird, so wie Leibniz zwei ununterscheidbar gleichen Dingen die »Seiendheit« abspricht, besitzt die scheinhafte Präsenz

408

WL II, 246–247. WL II, 246. 410 WL II, 246–247: »Zugleich aber ließ der Skeptizismus mannigfaltige Bestimmungen seines Scheins zu, oder vielmehr sein Schein hatte den ganzen mannigfaltigen Reichtum der Welt zum Inhalt. […] Der Schein ist also selbst ein unmittelbar Bestimmtes. Er kann diesen oder jenen Inhalt haben; aber welchen er hat, ist nicht durch ihn selbst gesetzt, sondern er hat ihn unmittelbar. […] Der Skeptizismus läßt sich den Inhalt seines Scheins geben; es ist unmittelbar für ihn, welchen Inhalt er haben soll.« 411 Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Signo y sujeto lógico …«, a. a.O., 153. 409

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desselben eine Evidenz, die wir zwangsläufig zugestehen müssen. Der Skeptizismus, sagt Hegel, »lässt sich den Inhalt seines Scheins geben«, d. h., er akzeptiert dogmatischerweise ein kontingentes »es gibt«, ohne dasselbe in die Gesetzmäßigkeit des Denkens (die nichts Losgelöstes, Zusammenhangsloses akzeptieren kann) einzufügen. Damit finden wir den Punkt, in dem die skeptisch-dialektische Achse des logischen Diskurses die Grenzen ihrer Voraussetzungslosigkeit zeigt. Die dialektische Auflösung der Supposition hat eine klare Grenze: Sie lässt sich noch eine suppositio, also etwas Beziehungsloses, »geben«, nämlich diejenige, welche die scheinhaft gewordene Verschiedenheit der Denkinhalte ausmacht. Die oben erwähnte Unterbrechung des Denkverlaufes, welche die dialektische Auflösung mit sich bringt, ist also nicht nur im Sinne einer unentscheidbaren Aporie zu verstehen, sondern auch als das willkürliche Abbrechen des Denkzusammenhanges, welches die begrenzte Voraussetzungslosigkeit der logischen Skepsis nach sich zieht. Daraus wird klar ersichtlich, warum das Dialektische nicht das letzte Resultat des logischen Verfahrens sein kann: Dem relationalen, Zusammenhang schaffenden Imperativ des Denkens – der sich vornehmlich im Satz vom Grunde ausdrückt – wird nicht Genüge getan, wenn das logische Verfahren bei der bloßen Auflösung der unmittelbaren »Seiendheit« stehenbleibt. Hier ist noch ein Hinausgehen notwendig, das der Sache selbst so wenig »äußerlich« ist wie das vorhergehende dialektische Hinausgehen, denn äußerlich oder willkürlich wäre es gerade, wie klarerweise aus dem soeben Gesagten folgt, dieses Hinausgehen unvollzogen zu lassen. Diese einleitenden Bemerkungen zur spekulativen Achse des logischen Diskurses deuten schon darauf hin, worin diese bestehen wird. Versuchen wir zunächst das bisher Gesagte kurz zu rekapitulieren. Die Bezugnahme auf Leibniz hat gezeigt, dass zwei ununterscheidbar gleiche Dinge dasselbe sind wie ein Ding mit zwei Namen. Die Annahme von zwei Ununterscheidbaren, d. h. von bruchlos Zusammenhängenden, auf welche, mit den Worten Weyls »keine an sich bestehende vollständige Alternative« anwendbar ist, bringt ferner einen Exzess oder Überfluss mit sich, welcher mit dem relationalen Imperativ des Denkens kollidiert. Einen solchen Überfluss weisen im logischen Kontext die unterschiedlichen Namen der (kraft des Dialektischen) ununterschieden gewordenen Denkinhalte auf. Im Aufzeigen des Überflüssigen, des Unwesentlichen, besteht gerade die Aufgabe des Skeptizismus; dadurch erweist sich die vorgefundene Unmittelbarkeit als scheinhaft und nicht-seiend. Die Skepsis ist aber kurzsichtig, sofern sie sich, wie Hegel sagt, den Inhalt ihres Scheins geben lässt. Dieses kontingente »Geben« (im Sinne von »vorhanden sein«) deutet gerade eine in die Relationalität des Denkens nicht einbezogene Präsenz an, also ein Zusammenhangsloses, das

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der Voraussetzungslosigkeit des logischen Skeptizismus Grenzen setzt. Die ununterscheidbar gewordenen Denkinhalte machen in unserem Kontext ein solches Zusammenhangsloses aus. Impliziert das skeptische Stehenbleiben bei der bloßen Auflösung des Unmittelbaren die Annahme eines solchen Zusammenhangslosen, und folglich den Abbruch der logischen Relationalität, dann kann das (notwendige, der Sache nicht äußerliche) Hinausgehen über das Dialektische, das wir hier suchen, nur darin bestehen, dieses Zusammenhangslose wieder in die Relationalität des Denkens einzubeziehen. Das heißt genauer: das vorfindliche Zusammenhangslose in seinen Grund oder seine ratio zurückzuführen.412 Deswegen sagt Hegel in der Logik bezüglich der entgegengesetzten Denkinhalte nach ihrer dialektischen Auflösung wiederholt, dass sie in ihren Grund zurückkehren. Dadurch, dass die Zurückführung in den Grund dem relationalen Imperativ des Denkens Genüge leistet, wird der diskursive Verlauf, welcher mit der aus dem Dialektischen resultierenden Aporie abgebrochen worden ist, wieder in Gang gesetzt. Die spekulative Achse des logischen Diskurses kann folglich als die Herstellung des Denkzusammenhanges durch eine begründende Operation bezeichnet werden.413 Das gesuchte Wie? der effektiven diskursiven Verkettung, die mit dem Stehenbleiben beim Dialektischen unvollendet bleiben würde, findet somit in dieser dritten Achse seine Vollendung. Damit finden wir eine befriedigende Antwort für die Frage, mit welcher wir diesen Abschnitt angefangen haben. Die Frage lautete: Wie verhalten sich in der Logik die zwei unerlässlichen wissenschaftlichen Forderungen zueinander: die Forderung der vollständigen Bestimmung der logischen Glieder einerseits und andererseits die des – aus dem Dialektischen resultierenden – kontinuierlichen Ganges zwischen denselben? Von Anfang an hat unsere Untersuchung mit der Annahme operiert, dass die Bestimmung eines Etwas bzw. die Fixierung seines quid gleichbedeutend damit ist, dieses Etwas in Beziehung zu bringen; das Beziehungslose macht das Unbekannte schlechthin aus. Dass sich unsere Betrachtung mit Notwendigkeit von der ersten zur zweiten Achse des logischen Diskurses fortbewegt hat, stimmt gerade mit diesem Prinzip überein. Aber die Operation der zweiten Achse hat eine begriffliche Ununterscheidbarkeit zur Folge gehabt, welche gerade das Gegenteil von einer Bestimmung ist. Soeben haben wir die strikte Korrelation zwischen der Ununterscheidbarkeit (dem Kontinuum) und dem unbegründeten Überfluss oder Exzess des Scheinhaften aufgezeigt. Wenn also die 412

Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Signo y sujeto lógico …«, a. a.O., 154. R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Begründen«: »Begründen heißt, […] den Denkzusammenhang herstellen, aus dem die Notwendigkeit eines Satzes erhellt.« 413

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Auflösung des unbegründeten Überflusses, den die unmittelbare Präsenz des Scheinhaften ausmacht, die Zurückführung dieser Präsenz in ihren Grund erfordert und diese Zurückführung gleichbedeutend mit der Herstellung des Denkzusammenhanges ist; wenn ferner das Setzen eines Zusammenhanges, also einer Beziehung, gleichbedeutend mit der Bestimmung eines Denkinhaltes ist, dann wird die Funktion des Grundes in der Operation des Spekulativen gerade die sein, den Diskurs aus der aporetischen Ununterscheidbarkeit, welche sich aus dem Dialektischen ergeben hat, herauszuziehen und somit die wissenschaftliche Forderung der Kontinuität der Denkinhalte mit derjenigen ihrer präzisen Bestimmung in Einklang zu bringen. Somit übernimmt die dritte Achse des logischen Diskurses die Funktion, welche Kant dem Satz des zureichenden Grundes in der Nova Dilucidatio zugeschrieben hatte. Nach Kant macht die »ratio« oder der Grund dasjenige aus, welches uns ein Subjekt mit einem Prädikat zu verbinden und somit ein Etwas zu bestimmen erlaubt.414 Das Dialektische erlaubte uns dies nicht, denn die Sachlage, zu welcher es führt, macht das Aussprechen eines Satzes oder einer propositio, welches diese richtig zum Ausdruck bringt, unmöglich. Das konkrete Beispiel der Zeichen »Repulsion« und »Attraktion« hat uns gezeigt, dass, nach der Auflösung der Suppositionen, sowohl die Behauptung ihrer Dieselbigkeit als auch ihrer Unterschiedenheit richtig ist, denn eigentlich stehen wir nicht vor einer Identität, sondern vor einer Ununterschiedenheit, bei welcher die zwei Glieder sich überdecken. Nun ermöglicht die dritte Achse, gerade über diese Unbestimmtheit hinauszugehen und somit dasjenige auszusagen, was der Skeptizismus sich nicht zu sagen erlaubte, nämlich: »Es ist«. Im Folgenden werden wir ausführlicher darlegen, auf welche Art und Weise dies genau genommen vollzogen wird.

b) Bestimmtheit des Nichtigen und konstatierende Zusammenfassung der verflüssigten Bedeutungen; die spekulative Operation als reflektierende Aneignung Um mit der Untersuchung der dritten Achse vorankommen zu können, muss eine oben gemachte Bemerkung wieder in Betracht gezogen werden. Bezüglich des Widerspruchs, den der Skeptizismus offenlegt, ist gezeigt worden, dass die logische »vollbrachte« Skepsis diesen Widerspruch bei den 414

Kant: Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio (1755), Sectio II, Prop IV: »Determinare est ponere praedicatum cum exclusione oppositi. Quod determinat subiectum respectu praedicati cuiusdam, dicitur ratio.«

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Denkbestimmungen selbst aufweist, wenn diese als Elementarstücke der diskursiven Verkettung aufgefasst werden, während beim alten Skeptizismus der Widerspruch ausschließlich zwischen Argumenten pro und contra stattfindet. Damit erweist sich die logische Skepsis als weit radikaler, indem sie die erste und fundamentale Bedingung der Denkbarkeit eines gegebenen begrifflichen Inhaltes komplett ruiniert, nämlich, dass er sich nicht widerspricht bzw. seine logische Möglichkeit, wie Kant sagen würde. Dasjenige also, was sich durch die logische Skepsis als scheinhaft erweist, ist das allgemeine formale Wahrheitskriterium selbst, nämlich das bloße Zusammenstimmen einer Denkbestimmung mit sich selbst. Das Dialektische oder Negativ-Vernünftige zeigt insofern, dass jegliche gegebene Denkbestimmung nach dem formalen Wahrheitskriterium der traditionellen Logik eigentlich ein Undenkbares ausmacht. Ein undenkbarer Begriff, wurde ferner gesagt, ist nach der kantischen Tafel des Nichts ein nihil negativum, also ein Unvorstellbares (irrepraesentabile) oder ein »Unding«. Dies ist nun mit dem gerade Gesagten bezüglich der unmittelbaren Präsenz des Nichtigen in Verbindung zu setzen. Das, was sich durch die Skepsis als nichtig erweist, hat trotz seiner Nichtigkeit einen gewissen unbezweifelbaren konkreten Inhalt, nämlich als »dieses« Nichtige. Die Tatsache, dass es dieses und nicht ein anderes Nichtige ist, verleiht ihm schon Positivität. Dies kann folgendermaßen ausgedrückt werden: Die Konfusion der Denkbestimmungen, welche die dialektische Destruktion bewirkt, ist nicht einer Null, einer absoluten inhaltslosen Abwesenheit gleichzusetzen.415 Wie verhält sich dieser Gedanke zur kantischen Auffassung des sich-selbst-widersprechenden Inhaltes? Ein Denkinhalt, der sich selbst widerspricht, mag wohl nach kantischer Auffassung ein Unding ausmachen, aber das macht ihn keineswegs zu einem beliebigen Unding. Die folgende Aussage Hegels gibt uns Aufschluss über diese Situation: »Die widersprechenden Bestimmungen sind die Prämissen, in ihnen hat das Nichts seine Bestimmtheit.«416 Wenn das nicht-Zusammenstimmen eines Begriffes mit sich selbst – Kant zufolge – ein Nichts ausmacht, wenn ferner dieses nicht-Zusammenstimmen mit sich selbst jeder Denkbestimmung konstitutiv ist, dann können wir sagen, dass jeder Widerspruch, den die dialektische Auflösung offenlegt, sozusagen ein konkretes Beispiel oder eine konkrete Form der »Nichtigkeit an sich« ausmacht. Das ist gerade der Sinn

415

Enz. § 82, Anm.: »Die Dialektik hat ein positives Resultat, weil sie einen bestimmten Inhalt hat oder weil ihr Resultat wahrhaft nicht das leere, abstrakte Nichts, sondern die Negation von gewissen Bestimmungen ist, welche im Resultate eben deswegen enthalten sind, weil dies nicht ein unmittelbares Nichts, sondern ein Resultat ist.« 416 Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 97.

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der hegelschen Aussage: Das Nichts, im kantischen Sinne eines nihil negativum, zeigt bei jeder begrifflichen Konfusion eine unterschiedliche konkrete Gestalt seiner selbst, es wird sozusagen von jeder dialektischen Sachlage unterschiedlich »verkörpert«.417 Diese »Bestimmtheit« des Nichtigen bei jeder Konfusion macht gerade das Positive desselben aus, das der Skeptizismus nicht zu erkennen vermag, denn er verwechselt das konkrete Unding mit dem Unding im Allgemeinen. Weder der klassische Skeptizismus noch Kant hätten auf diesen Gedanken kommen können, denn ihre Ansätze gehen davon aus, dass die Widersprüche sich aus der Anwendung der Denkformen auf dunkle Sachverhalte ergeben. Die Idee, dass jeder Begriff per se eigentlich ein Unding ausmacht, wäre für sie einfach unfassbar. Das zieht gewichtige Folgen nach sich. Es muss daran erinnert werden, dass die Suppositionen, die zwei Entgegengesetzte oder einander Ausschließende »unkonfundiert« erhalten, vom Dialektischen aufgrund ihrer Beziehungslosigkeit eliminiert werden. Da ein gegebener Denkinhalt nur erkannt werden kann, indem er bestimmt wird, d. h., indem er in Beziehung gebracht wird, muss das Beziehungsfremde für etwas Begriffloses, dem reinen Denken Äußerliches gehalten werden und folglich von der logischen Skepsis als nichtig erklärt werden. Es ist gerade das Inhaltslose, das bereits Nichtige, was als nichtig erklärt und beseitigt werden muss. Dasjenige hingegen, welches sich aus dem Aufzeigen des Nichtigen ergibt, ist gerade der nach Destruktion des Überflüssigen, Inhaltslosen verbleibende Restinhalt, also diejenige Positivität, die der Skeptizismus nicht zu zerstören vermag. Dieser verbleibende Rest-Inhalt macht einen Denk-Inhalt aus, weil er das Resultierende der Abschaffung des Außerbegrifflichen, Gedankenlosen ist; er ist das Ergebnis der radikalen skeptischen Absonderung des Begrifflichen vom Begriffslosen. Als ein solcher Denkinhalt und gemäß der hegelschen Auffassung von Zeichen, nach welcher die Namen den Denkinhalten unmittelbare »Seiendheit« verleihen, muss ihm ein Name entsprechen. Wenn die skeptische Destruktion nur das Inhaltslose zu ihrem Gegenstand hat, dann muss das diese Reinigung Überstehende von einem neuen Zeichen zum Ausdruck gebracht werden können.418 Darin besteht grundsätzlich die Funktion der dritten Achse: im »Aussprechen« dessen, was sich aus der dialektischen Auflösung erge417

Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Logik (1831), 95: »Aus unendlich vielen Widersprüchen erhält man das Nichts, es ist aber nicht dasselbe Nichts; […].« 418 Ähnlich formuliert Burbidge diese Situation (J. W. Burbidge, a. a.O., 37, Hervorhebungen von mir, J. S.): »Pure thought we have now defined as the sphere of intellectual relations, […]. As a science, logic articulates the relations between these relations: in rendering a concept precise, thought moves to a related category; this movement in turn is named, and itself becomes a new concept.«

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ben hat.419 So werden die Aussagen Hegels bezüglich des Spekulativen oder Positiv-Vernünftigen begreiflich: Es »faßt die Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung auf, das Affirmative, das in ihrer Auflösung und ihrem Übergehen enthalten ist«.420 Worin aber kann dieses Auffassen bestehen wenn nicht im Akt, den aus der dialektischen Auflösung resultierenden bruchlosen Zusammenhang zur Bedeutung eines neuen Zeichens zu machen? Dieser Schritt ist, wie bereits bemerkt, genauso wenig willkürlich wie die skeptische Auflösung der Suppositionen: Bei beiden handelt es sich darum, die willkürliche Beziehungslosigkeit abzuschaffen und dadurch, mit Eislers Worten, »den Denkzusammenhang her[zu]stellen«. Während diese Abschaffung sich im Dialektischen durch die Eliminierung des Unbegründeten vollzieht, besteht sie im Spekulativen darin, das sich aus der Eliminierung Ergebende nicht zu »verkennen« – was in diesem Fall das willkürliche Abbrechen des Denkverlaufes zur fatalen Folge haben würde –, sondern es zum Inhalt einer konstatierenden Aussage zu machen.421 Daraus wird klar ersichtlich, warum Hegel diesen Schritt in einem ganz kantischen Sinne das »Positiv-Vernünftige« nennt: Im Unterschied zum destruktiven Verfahren des Denkens im Dialektischen besteht seine Funktion hier eher in einem einheitlichen, vernünftigen Erfassen.422 419

Phän. 61: »Daß die Form des Satzes aufgehoben wird, muß nicht auf unmittelbare Weise geschehen, nicht durch den bloßen Inhalt des Satzes. Sondern diese entgegengesetzte Bewegung muß ausgesprochen werden; sie muß nicht nur jene innerliche Hemmung, sondern dies Zurückgehen des Begriffs in sich muß dargestellt sein. Diese Bewegung, welche das ausmacht, was sonst der Beweis leisten sollte, ist die dialektische Bewegung des Satzes selbst. Sie allein ist das wirkliche Spekulative, und nur das Aussprechen derselben ist spekulative Darstellung.« 420 Enz. § 82. 421 Vgl. J. W. Burbidge, a. a.O., 40: »If we bring to attention this intellectual process and signify it with a word, we will have a new category of thought.« 422 Diese »Positivierung des Negativen« gilt gemeinhin als das eigentlich Dogmatische des hegelschen Denkens. Bezüglich dessen bemerkt Theunissen (M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt a. M. 1980, 378): »Nicht Hegel hat recht, sondern der seit Kierkegaard anhaltende, am leidenschaftlichsten von Adorno vorgetragene Protest gegen die an uns ergehende Zumutung, die Selbstnegierung der autonomen Negation als Affirmation denken zu sollen. Das Dictum: ›dies, die Negation eines Nichts zu sein, macht das Sein aus‹ […] ist und bleibt ein Dogma.« Dieser Protest scheint uns am innigsten mit der (in 1.1 bereits diskutierten) Annahme zusammenzuhängen, nach welchem die Logik einen (»neben« dem bloß »begrifflichen«) vagen »ontologischen« (Theunissen redet, Henrich folgend, von »Ontologisierung«; a. a.O., 376–377) Anspruch hat. Das »Ontologische« wird stillschweigend als »mehr als das bloß Begriffliche« verstanden, und daraus ergeben sich die Schwierigkeiten, denn es ist nicht einzusehen, wie aus der begrifflichen Fixierung von scheinhaft oder nichtig gewordenen Denkinhalten eine »Positivierung« (im Sinne von »Ontologisierung«) hervorgehen kann. Wenn man hingegen die »Positivierung« als eine zeichenhafte Fixierung versteht und

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Oben wurde festgestellt, dass das aus der dialektischen Auflösung Resultierende eine Ununterscheidbarkeit ausmacht, d. i. eine Unbestimmtheit, die vermittels der Satzstruktur nicht richtig zum Ausdruck gebracht werden kann. Wie verhält sich dies nun zum soeben Gesagten über die Bestimmtheit des Nichtigen und deren »Aussprechbarkeit«? Um es adäquat zu klären, müssen einige mögliche Missverständnisse vorweg beseitigt werden. Es ist zunächst wieder daran zu erinnern, dass der Verlust der Sichselbstgleichheit der Gegensatzglieder im Dialektischen keineswegs ihre Identität ergibt. Aber die Idee der Ununterscheidbarkeit könnte Anlass geben zu denken, dass das Ergebnis der dialektischen Auflösung, welche die Operation des Spekulativen zum Ausdruck zu bringen hat, sozusagen in einer »Vermischung« der zwei aufgelösten Denkinhalte besteht. Hegel selbst warnt vor der Gefahr, auf diese Art und Weise die Operation der dritten Achse zu interpretieren.423 Das Übergehen der zwei Bestimmungen ineinander ist nicht als eine »Neutralisation« zu verstehen, etwa als eine chemische Mischung, bei welcher die verbundenen Elemente sich gegenseitig entkräften oder ausgleichen. Eine solche Vorstellung würde der Idee des Inbegriffes der Realitäten mit seinen gegenseitig temperierten Positivitäten als der hier gesuchten spekulativen Zusammenfassung näher sein. Wir würden einem solchen schwachen Verständnis der dritten Achse anheimfallen, wenn wir z. B. bei der Aussage stehenblieben: »die Repulsion ist selbst Attraktion«. Aber die Funktion des Spekulativen besteht gerade darin, über solche fehlerhafte Formulierungen (und die ausweglosen Situationen, zu denen sie führen) hinauszugehen.424 Gerade in diesem »Hinaus« muss der Aufschluss gesucht werden. Eine beiden Diskurs nicht mehr im Gegensatz zum unmittelbar Vorfindlichen auffasst, dann verschwindet der dogmatische Anschein der hegelschen Operation. 423 Dieser Punkt wird von Hegel an mehreren Stellen nachdrücklich betont, vornehmlich bei der Betrachtung des Gegensatzes Endlichkeit-Unendlichkeit, in welchem die Gefahr dieses Missverständnisses besonders akut ist. Siehe z. B. Enz. § 95, Anm., Abs. 2: »Oder indem darauf reflektiert würde, daß es (das Endliche), als eins mit dem Unendlichen gesetzt, allerdings nicht bleiben könnte, was es außer dieser Einheit war, und wenigstens an seiner Bestimmung etwas litte (wie das Kali mit der Säure verbunden von seinen Eigenschaften verliert), so wiederführe eben dies dem Unendlichen, das als das Negative seinerseits gleichfalls an dem Anderen abgestumpft würde. In der Tat geschieht solches auch dem abstrakten, einseitigen Unendlichen des Verstandes. Aber das wahrhafte Unendliche verhält sich nicht bloß wie die einseitige Säure, sondern es erhält sich; die Negation der Negation ist nicht eine Neutralisation; das Unendliche ist das Affirmative und nur das Endliche das Aufgehobene.« 424 In diesem Sinne muss auch die folgende Aussage Hegels verstanden werden (WL I, 139): »Die Auflösung dieses Widerspruchs ist nicht die Anerkennung der gleichen Richtigkeit und der gleichen Unrichtigkeit beider Behauptungen – dies ist nur eine andere Gestalt des bleibenden Widerspruchs –, sondern die Idealität beider, als in welcher sie in

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läufige Bemerkung Hegels in der Seinslogik über die dialektische Auflösung des Gegensatzes Endlichkeit/Unendlichkeit kann uns dabei behilflich sein, das Problem zu beleuchten. Sie lautet so: »Dieses Unendliche ist selbst endlich. – Somit wäre es in der Tat die Einheit des Endlichen und Unendlichen. Aber auf diese Einheit wird nicht reflektiert.«425 Der erste Satz wird aus der Perspektive des Dialektischen ausgesprochen. Das Denken stellt fest, dass »Endliches und Unendliches […] nur in ihrer Trennung« sind,426 d. h., dass jeder Denkinhalt nur sichselbstgleich ist, wenn er abgesondert von seinem Gegensatz »vorgestellt« wird, was beide zu leeren Suppositionen macht.427 In der sich daraus ergebenden Konfusion der Bedeutungen finden wir zwar ihre Einheit bzw. das bruchlose Zusammenhängen der sich überdeckenden Glieder. Aber das ist noch nicht die gesuchte Einheit; auf sie muss noch »reflektiert werden«. Die Ununterscheidbarkeit muss also der Gegenstand eines reflektierenden Aktes werden, damit das Denken von der zweiten Achse (und der Aporie, die ihr eigen ist) in die dritte übergehen kann. Um diesen Punkt näher zu betrachten, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Züge des Reflexions-Aktes in Kants Logik. Die reflexio besteht in der »Überlegung, wie verschiedene Vorstellungen in Einem Bewußtsein begriffen sein können«.428 Anders gesagt: Durch die Reflexion werden die Vorstellungen in Bezug auf mich bestimmt oder »meinig« gemacht. Daraus ist das Folgende besonders hervorzuheben: Um diese Aneignung vollziehen zu können, ist es vorher notwendig, dass die Inhalte nicht »meinig« sind bzw. dass sie mir fremd sind. Auf das Resultat der dialektischen Auflösung zu reflektieren bedeutet folglich, dass ich mich zuerst von demselben distanzieren muss, um es »meinig« machen zu können. Das Denken muss sich sozusagen jenseits der dialektischen Konfusion plazieren, um sich das Resultat derselben aneignen zu können. Diese Distanz kann ich erreichen, weil ich ein denkendes Subjekt bin; als solches kann ich mich von allem loslösen und es zum Gegen-stand meiner Aneignung machen.429 Daihrem Unterschied, nur Momente sind; jene eintönige Abwechslung ist faktisch sowohl die Negation der Einheit als der Trennung derselben.« 425 WL I (1812), 81. 426 WL I (1812), 82. 427 WL I, 131: »Werden sie hiermit beziehungslos genommen, so daß sie nur durch das: Und verbunden seien, so stehen sie als selbständig, jedes nur an ihm selbst seiend, einander gegenüber.« 428 Kant: Logik, A 145. 429 Enz. § 20, Anm., Abs. 3: »Ich aber, abstrakt als solches, ist die reine Beziehung auf sich selbst, in der vom Vorstellen, Empfinden, von jenem Zustand wie von jeder Partikularität der Natur, des Talents, der Erfahrung usf. abstrahiert ist. Ich ist insofern die Existenz der ganz abstrakten Allgemeinheit, das abstrakt Freie. Darum ist das Ich das Denken

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rin besteht gerade das »Hinausgehen«, welches das Denken über die zweite Achse zu vollziehen hat, um den logischen Zusammenhang wiederherzustellen. Dieses »Hinausgehen« schafft die reflexive Distanz, die notwendig ist, um den dialektischen Übergang selbst zum Gegenstand einer einheitlichen, vernünftigen Auffassung zu machen. Das Verb »Auffassen« soll hier auch im Sinne von »in sich aufnehmen« verstanden werden. Diese Operation kann daher zu Recht als eine »Subjektivierung der Denkinhalte« betrachtet werden: Das reine Denken erhebt sich zum Spekulativen, indem es seinen Blick auf seine eigenen vorausgehenden Operationen – d. i. die Analyse der Denkinhalte und deren dialektische Verflüssigung – richtet und sich zu denselben als Subjekt verhält,430 d. h. indem es sie in seinem »bestimmungslosen Beisichsein«431 einheitlich zusammenfasst. Es könnte dennoch scheinen, dass wir mit dieser Charakterisierung des Spekulativen etwas der Sache selbst Äußerliches einführen oder dass wir aus derselben irgendwie herausgeraten. Wenn wir aber vom Subjekt reden, reden wir vom Denken selbst als reiner Tätigkeit, und das Denken macht, wie wir schon sehr wohl wissen, die Sache der Logik aus, deren Selbstentfaltung wir passiv zu verfolgen haben. Hegel bezeichnet ferner das Denken als das »tätige Allgemeine«.432 Über den Gedanken als »allenthalben gegenwärtig«433 sowie über ihn und das Allgemeine sagt er, »daß er Er selbst und sein Anderes ist, über dieses übergreift und daß nichts ihm entflieht«.434 Von der hegelschen Auffassung des Subjekts wird später die Rede sein. Trotzdem gibt uns dieser kurze Umriss von dem, was Hegel unter »Subjekt« versteht, einige erläuternde Hinweise auf die Natur des Spekulativen. Dieses »Übergreifen« nämlich, durch welches Hegel das Denken als das »tätige Allgemeine« beschreibt, ermöglicht es, den Aspekt der reflexiven Distanz vom Dialektischen zusammenzudenken mit dem Aspekt des stetigen bei der Sache selbst Bleibens bzw. der ständigen Dieselbigkeit des Gegenstandes der Logik. So wird verständlich, dass das Spekulative – in einer Art Umkehrung des Diskurses zu sich selbst – den dialektischen Übergang selbst zum Ausdruck bringt oder ausspricht und als Subjekt, und indem Ich zugleich in allen meinen Empfindungen, Vorstellungen, Zuständen usf. bin, ist der Gedanke allenthalben gegenwärtig und durchzieht als Kategorie alle diese Bestimmungen.« 430 Vgl. J. M. Sánchez de León Serrano: »Signo y sujeto lógico …«, a. a.O., 156. 431 Enz. § 23: » – In dem Denken liegt unmittelbar die Freiheit, weil es die Tätigkeit des Allgemeinen, ein hiermit abstraktes Sichaufsichbeziehen, ein nach der Subjektivität bestimmungsloses Beisichsein ist, das nach dem Inhalte zugleich nur in der Sache und deren Bestimmungen ist.« 432 Enz. § 20. 433 Ebd. Anm., Abs. 3. 434 Ebd.

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dass dadurch gleichzeitig das Denken über das Dialektische hinausgetrieben wird. Die vorliegende Situation weist hinsichtlich dieses positiven Restinhaltes, den das Spekulative zum Ausdruck bringen muss, noch erklärungsbedürftige Punkte auf. Im resultierenden Denkinhalt der dialektischen Auflösung überdecken sich die vorher gegeneinander bestimmten Glieder dergestalt, dass mit derselben Richtigkeit (oder Unrichtigkeit) sowohl ihre Dieselbigkeit als auch ihre Unterschiedenheit behauptet werden kann. Darum kann diese Sachlage von keinem Satz (nach der oben gegebenen Definition der propositio) treffend ausgedrückt werden. Es ist ferner festgestellt worden, dass das Hinausgehen über diese aporetische Sachlage durch einen »begründenden Akt« erfolgt. Unter »Grund« versteht man allgemein einen Gedanken, »insofern er uns zur Anerkennung, Setzung eines anderen, von ihm abhängigen, aus ihm folgenden Gedankens (»Folge«, consecutio) nötigt, logisch determiniert«.435 Als solcher erfüllt dieser Gedanke eine relationale Funktion, und so sagt Kant von der ratio, dass sie das eigentlich Verbindende zwischen einem Subjekt und einem Prädikat ist und somit die Wurzel der Bestimmung als solche ausmacht.436 Diesem Verständnis des Grundes ist der mathematische Sinn von ratio, als das Verhältnis zwischen zwei Größen verstanden, nicht fremd. Der gesuchte Gedanke muss also eine durchsichtige Relation zum Ausdruck bringen; von der Definition Eislers leicht abweichend könnte man sagen, dass der gesuchte Grund nicht der Gedanke ist, von welchem ein anderer Gedanke abhängt, sondern eher diese Abhängigkeit selbst, die Verknüpfung zwischen zwei Gedanken. Die skeptisch-dialektische Destruktion richtet sich auf das Inhaltslose und Außerbegriffliche der vorgefundenen Zeichen, also auf das, worauf ihre Beziehungslosigkeit basiert; daraus ergibt sich die uns inzwischen bekannte Konfusion ihrer Bedeutungen. Was kann nun den Ausweg aus dieser Konfusion verschaffen wenn nicht der Gedanke, der die Relation zwischen den zwei Zeichen bzw. ihr gegenseitiges Verweisen aufeinander (außerhalb dessen sie nichts als sinnlose Namen sind) zum Ausdruck bringt? Dieser Gedanke, der als Grund fungiert, ist folglich ein Zeichen, dessen Bedeutung gerade die gegenseitige Verweisung der Bedeutungen der zwei vorhergehenden Zeichen ist. Als Name einer Relation verschafft er die ratio, welche die begriffliche Zusammenfassung der ineinander übergehenden Zeichen ermöglicht. Der grundlose Überfluss, den der leere Namensunterschied der sich konfundierenden Bedeutungen ausmacht, kann 435

R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Grund«. Kant: Nova dilucidatio, Sectio II, prop. IV, Adstructio realitatis definitionis: »Ratio igitur ex indeterminatis efficit determinata.« 436

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1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

nur in einem solchen Gedanken seine Begründung finden. Wir stehen somit vor einer rückwirkenden oder retroaktiven Begründung, welche die zeitlich früheren, durch die dialektische Destruktion zu einem losgelösten Rest reduzierten Vorstellungen wieder nachträglich in den stetigen Zusammenhang einbezieht.437 Dies macht die logischen Denkinhalte zu notwendigen Schritten eines Verlaufes, zu sogenannten »Momenten« eines kontinuierlichen, lückenlosen Diskurses. Daraus wird ferner erklärt, wie das logische Verfahren auf die erste Achse zurückkommt und somit der Verlauf »reaktiviert« wird. Als ein bestimmtes »Unding« muss das Ergebnis der dialektischen Auflösung von einem bestimmten Zeichen zum Ausdruck gebracht werden können. Das Denken muss dabei »wiedererkennend« verfahren: Es muss ein drittes Zeichen aus dem Fundus der Geistesprodukte ausfindig machen, welches als ratio der zwei vorausgehenden, ineinander übergehenden Zeichen fungieren kann. Dieser neue Denkinhalt macht, wie ansonsten alle die Denkinhalte der Logik in ihrem anfänglichen »stücklichen« Zustand, eine vorgefundene sichselbstgleiche Verstandesbestimmung aus; somit wird das Denken zur ersten Bekanntschaft mit den vorgefundenen Zeichen geführt, mit welcher die diskursive Verkettung anfängt. Bevor wir weitere Aspekte des Spekulativen in Betracht ziehen, kann es von Nutzen sein, das hierzu bisher Gesagte auf das Beispiel des Paares Repulsion/Attraktion zu beziehen, damit unsere Exposition anhand dieses konkreten Falls an Verständlichkeit gewinnt. Fangen wir mit dem dialektischen Standpunkt an: Aus der skeptischen Abschaffung von allem, was in diesem Paar der Sache äußerlich bzw. begrifflich inhaltslos ist, hat sich ergeben, dass es sich eigentlich um einen leeren Unterschied handelt. Die feste Unterscheidung zwischen Repulsion und Attraktion ist folglich in Bezug auf die Sache überflüssig; wir stehen vor etwas Haltlosem, nicht mit sich selbst Identischem, also einem »Unding«. Dieser Widerstreit-mit-sich ist aber den betrachteten Zeichen konstitutiv, er macht ihr so-Sein aus, wobei hier ein konkreter Inhalt vorliegt, trotz der aufgezeigten Nichtigkeit. Dieser Inhalt kann nichts anderes als das Ergebnis der skeptischen Absonderung des Begriffslosen (Inhaltslosen) vom Begrifflichen sein. Da das eigentlich Begriffliche in diesem Paar nicht dasjenige sein kann, was sie isoliert voneinander festhält (denn das ist gerade das Inhaltslose, die suppositio), kann dieses Begriffliche nur das sie verbindende, ihre »ratio« sein. Wir müssen somit

437

Enz. § 552, Anm, Abs. 3: »Aber dieses Hervorgehen gibt sich zugleich selbst wie überall im Spekulativen die Bedeutung, daß das zunächst als Folgendes und Hervorgegangenes Gestellte vielmehr das absolute Prius dessen ist, durch das es als vermittelt erscheint und hier im Geiste als dessen Wahrheit auch gewußt wird.«

§ 16 Dritte Achse: Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige

161

ein Zeichen ausfindig machen, das ihr Verhältnis, ihr gegenseitiges Verweisen zum Ausdruck bringt ohne die Vorstellung, die Repulsion und Attraktion »als absolute Qualitäten fixiert«.438 Der Akt, dieses Zeichen ausfindig zu machen und auszusprechen, macht ferner eine Reflexion aus, denn er ist die Zurückführung der vorliegenden Sachlage auf das Konzept, welches das wahre quid derselben ausdrückt. Die Repulsion besteht in der Zersplitterung in Viele; die Attraktion hingegen besteht im »Einswerden« dieser Vielen, die aus der »Selbstzersplitterung« der Repulsion resultieren. Das gesuchte Zeichen muss einen Denkinhalt zum Ausdruck bringen, in welchem die Vielheit, die sich aus der »Selbstzersplitterung« ergibt, nicht mehr »neben« der Einheit vorgestellt wird, die sich aus dem »Einswerden« der Attraktion ergibt. Vielheit und Einheit sollen mithin nicht als Arten dieses Denkinhalts verstanden werden, »als ob die Bestimmung der einen der anderen nicht zukomme«,439 sondern sie müssen darin so aufgefasst werden, dass »dasselbe Ganze das eine Mal unter der einen, das andere Mal unter der anderen seiner Bestimmungen gesetzt ist«.440 Dieser Begriff kann kein anderer als der der reinen Quantität sein, und die vorherigen, Repulsion und Attraktion, heißen bei ihm jetzt »Diskretion« und »Kontinuität« (oder Stetigkeit). Der Begriff der Quantität macht folglich die ratio aus, die Repulsion und Attraktion miteinander verbindet, den Grund also, auf welchen ihre Ununterscheidbarkeit zurückgeführt werden muss. Dieses Wiedererscheinen des Paares Repulsion/Attraktion im Denkzusammenhang der Quantität unter den neuen Namen »Diskretion« und »Kontinuität« macht einen oben erwähnten Aspekt des Spekulativen als reflektierende Aneignung klar ersichtlich. Wir haben nämlich gesagt, dass das Hinausgehen des Spekulativen über das Dialektische keineswegs ein Herauskommen aus der Sache selbst impliziert; der Gegenstand der logischen Betrachtung bleibt eigentlich immer derselbe. Dies ist gerade, was das Wiedererscheinen der Repulsion und der Attraktion »als« Diskretion und Kontinuität zeigt; wir haben dabei mit einer »Wiederthematisierung« desselben Gegensatzes aus einer neuen Perspektive zu tun.441 Das macht den logischen Diskurs zu einer Art »Einkreisung« um denselben Inhalt herum. Diese Einkreisung wird von Hegel (in einer deutlichen Anspielung auf Fichte) »Trieb« 438

JSE II, 4. Enz. § 100, Anm. 440 Ebd. 441 Dies hat einige Autoren dazu gebracht, sich mit dem Problem der Iteration in der hegelschen Logik zu befassen. Als Beispiele davon seien hier vornehmlich A. Roser (a. a.O.) und K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, Bonn 1976) erwähnt. 439

162

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

genannt.442 Sowohl bei Fichte als auch bei Hegel bezieht sich der Begriff des Triebes auf die Zweckmäßigkeit der Vernunft, d. h. auf das dem Denken innewohnende Streben, sich selbst in die Wirklichkeit zu übersetzen, oder wie Fichte sagt, »die Unendlichkeit auszufüllen«.443 Kein Trieb ist ohne ein Widerstreben denkbar,444 aber während bei Fichte das Beschränkende des Strebens des Ichs »außer mir liege[n]« muss,445 liegt es bei Hegel gerade im innerlichen, subjektiven Raum des Meinens, des Unaussprechbaren, das gerade das Äußerliche des Logischen ausmacht. Dieses Unaussprechbare hängt wesentlich mit der Verschiedenheit von signans und signatum zusammen, die zur Sprache bringt, dass ein Name eine bestimmte Bedeutung »hat«. Die vom Namen »gehabte« Bedeutung ist der gemeinte, von der Intelligenz bloß angezielte, nicht aussprechbare Inhalt, welcher die vorgefundene Fixiertheit der Denkinhalte aufrechterhält und dieselben somit zu einer willkürlichen Ansammlung von – durch das bloße »Und«446 verbundenen – Elementen macht. Die vollständige Eliminierung dieses Widerstand leistenden Meinens bei den Denkbestimmungen ist gleichbedeutend mit der Abschaffung der Verschiedenheit signans-signatum und kann als das Ziel der Logik angesehen werden. Auf diesen Gedanken gehen wir im nächsten Abschnitt ausführlicher ein.

442

Enz. § 87, Anm.: »[…]; der Trieb, in dem Sein oder in beiden eine feste Bedeutung zu finden, ist diese Notwendigkeit selbst, welche das Sein und Nichts weiterführt und ihnen eine wahre, d. i. konkrete Bedeutung gibt. Dieses Fortgehen ist die logische Ausführung und der im Folgenden sich darstellende Verlauf«. WL III, 176: »Der Begriff, indem er wahrhaft seine Realität erreicht hat, ist dies absolute Urteil, dessen Subjekt als die sich auf sich beziehende negative Einheit sich von einer Objektivität unterscheidet und das An-und-Fürsichsein derselben ist, aber wesentlich sich durch sich selbst auf sie bezieht, daher Selbstzweck und Trieb ist; […].« Zum Begriff des Triebes bei Hegel siehe K. Kozu: Das Bedürfnis der Philosophie. Ein Überblick über die Entwicklung des Begriffskomplexes »Bedürfnis«, »Trieb«, »Streben« und »Begierde« bei Hegel, Bonn 1988. 443 Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), Einl. und Reg. v. W. G. Jacobs, Hamburg 1997, 205. 444 Vgl. Fichte: Grundlage…, a. a.O., 203. 445 Fichte: Grundlage…, a. a.O., 206. 446 Zum Begriff des »Und« als Ausdruck der kontingenten Mannigfaltigkeit siehe K. Gloy: Einheit und Mannigfaltigkeit. Eine Strukturanalyse des »und«, Berlin-New York 1981.

§ 16 Dritte Achse: Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige

163

c) Die Unvorstellbarkeit des Spekulativen und die Bedeutungslosigkeit des logischen Denkens Das bisher Gesagte hat uns eine globale Einsicht in die Natur und Konstitution des diskursiven Verlaufs der Logik verschafft. In Bezug auf denselben Gegenstand haben sich viele Autoren (nicht ohne Leichtfertigkeit) des Ausdruckes »Prozess« als eines erklärenden Begriffes bedient. Aber »Prozess« macht eher einen erklärungsbedürftigen Begriff aus. Die verbreitete Tendenz, sich mit der Erläuterung des Spezifischen der Logik als eines Prozesses zufrieden zu geben, ist insofern ungenügend und lässt vieles unerklärt. Der Begriff von »Prozess« hat im hegelschen Kontext eigentlich einen konkreteren Sinn, als man gewöhnlich denkt. Anhand des bisher Dargestellten sind wir jetzt in der Lage, diesen konkreten Sinn zu bestimmen. Wir haben gezeigt, dass die Dialektik die Natur des logischen Diskurses nicht erschöpft, weil die Auflösung der Denkinhalte, die sie vollzieht, sowohl einen Fortgang als auch eine Unterbrechung (Aporie) desselben mit sich bringt. Die Funktion des Spekulativen besteht dann darin, wie wir schon wissen, auf das Dialektische zu reflektieren bzw. dasselbe zum Gegenstand einer intellektuellen Aneignung zu machen. Kraft der Distanzierung, welche diese Reflexion impliziert, vermag sich das reine Denken zu seinem eigenen entfalteten Gedankengang umzukehren und denselben als eine Gesamtheit zu fassen. Mit dem entfalteten Gedankengang meinen wir die Reihenfolge von Operationen, welche der Verstand und das Dialektische an einem gegebenen Denkinhalt vollziehen. Diese Reihenfolge von Operationen als eine Gesamtheit zu betrachten bedeutet gerade, sie als Umformungen ein und derselben Sache zu betrachten, d. h. als einen Prozess. Der Begriff »Prozess« bezieht sich auf die zusammenhaltende Auffassung einer Sequenz von Abläufen, deren Einheit auf der Einheit des Stoffes beruht, welcher durch diese Sequenz umgeformt wird. Insofern bezeichnet der Prozess nicht genau den diskursiven Fortgang selbst, sondern eher die Art und Weise, wie das Spekulative den diskursiven Verlauf der zwei vorhergehenden Schritte zusammenfasst und dadurch einen richtigen Fortgang vollbringt. Der spekulative Fortgang, d. i. das Hinausgehen über die aufgelösten Denkinhalte und die Erhebung zu neuen begrifflichen Zusammenhängen, ergibt sich gerade aus der Fähigkeit des reinen Denkens, die Sache als einen Prozess zusammenzufassen. Die Auffassung des Denkverlaufes, der diskursiven Reihenfolge, als eines Prozesses – d. h. als einer Umformung ein und derselben Sache – erfolgt dann rückwirkend, in eins mit der Zurückführung der aufgelösten Bestimmungen in ihren Grund oder ihre ratio durch das Wiedererkennen

164

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

derselben.447 Von »Prozessualität« muss man also in einem retroaktiven Sinne reden.448 Somit stoßen wir auf einen wichtigen Punkt, der uns das Spezifische der spekulativen Denkart im Unterschied zur vorstellenden und verständigen Intelligenz besser einsehen lässt. Die Schwierigkeit der Operation des Spekulativen besteht weitgehend darin, dass sie wesentlich unvorstellbar ist: Sie vollzieht eine Identifizierung (d. h., sie macht etwas zum signatum eines schon bekannten signans) an einem Gegenstand, welcher sowohl für die Vorstellung als auch für den Verstand ein Unding, ein nihil negativum ausmacht. Diese Operation, durch welche das Scheinhaftige, Haltlose in einen festen Inhalt umgewandelt wird, erfolgt nicht mithilfe von äußerlichen Elementen, sondern vermöge der ausdrücklichen Fixierung von dem, was im Haltlosen selbst schon vorhanden ist.449 Dasjenige hingegen, was sowohl die Vorstellung als auch den Verstand kennzeichnet, ist gerade das »Haben«, als das willkürliche Einfügen von außerbegrifflichen Elementen verstanden, durch welches die dauerhafte Stabilität der gegenseitig beschränkten Bedeutungen bzw. Realitäten bewahrt wird. Die Zeichen »Attraktion« und »Repulsion« haben jeweils ihre eigenen Bedeutungen, bevor diese sich miteinander konfundieren, und so werden sie vorgestellt, oder besser, so können sie vorgestellt werden. Die dialektische Auflösung der Supposition zeigt dann, dass diese Zeichen eigentlich keine Bedeutung außerhalb ihres gegenseitigen Verweisens aufeinander haben, wobei jedes per se keine Bedeutung mehr »hat«. Aber die Möglichkeit des Vorstellbaren hängt grundsätzlich von der Erhaltung dieses »Habens«, des innerlich-subjektiven Fundus von unaussprechbaren Meinungen (Gegenständen des Sagen-Wollens) ab. Aufgrund dieses Fundus wird die vorgegebene Ordnung der Realitäten niemals aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Eliminierung des Habens bzw. des Au-

447

Die folgenden Aussagen Hegels in den Vorlesungen über die Logik (1831), 98, sind diesbezüglich sehr deutlich: »Die Gegenstände nun so an ihnen zu erkennen, sie als diesen Prozeß zu fassen, das ist das Spekulative. Im einfachen Urteile läßt sich dieses Spekulative nicht aussprechen, es ist nicht [ein] fester Satz, denn ein solcher ist einseitig. Das Wahre ist der fortwährende Prozeß«. Die Prozessualität wird an dieser Stelle mit der Operation des Spekulativen klarerweise verbunden: Das Spekulative macht den Verlauf zu einem Prozess. 448 Damit meinen wir nicht die Umkehrbarkeit der kategorialen Ordnung der hegelschen Logik, mit welcher sich Roser ausführlich beschäftigt (vgl. A. Roser, a. a.O., 205– 211). 449 Enz. § 11, Anm.: »Das Denken, verzweifelnd, aus sich auch die Auflösung des Widerspruchs, in den es sich selbst gesetzt, leisten zu können, kehrt zu den Auflösungen und Beruhigungen zurück, welche dem Geiste in anderen seiner Weisen und Formen zuteil geworden sind.«

§ 16 Dritte Achse: Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige

165

ßerbegrifflichen bei jedem betrachteten Zeichen zieht dann nach sich, dass das Vorstellen sich bei der resultierenden Sachlage nicht orientieren kann. Die Tendenz des Vorstellens zum räumlichen Außereinander verhindert es, eine begriffliche Struktur in der Konfusion von Denkinhalten zu erkennen. Nehmen wir z. B. die spekulative Auffassung des Gegensatzes Attraktion/Repulsion: Vom Standpunkt der Vorstellbarkeit her stehen wir vor einem Unding, welchem keine Positivität zukommen kann, denn das »Haben«, das die Vorstellbarkeit des Gegensatzes – die Repulsion »neben« der Attraktion – zuvor möglich gemacht hat, ist eliminiert worden. Die spekulative Formulierung dieser Sachlage lautet wie folgt: »Das Sein hat die Bestimmung erhalten, die einfache Gleichheit mit sich in seinem Anderssein und nur durch das Aufheben seines Andersseins zu haben.«450 Das ist, strikt gesehen, unvorstellbar: Kein außerbegriffliches (sinnliches, bildliches, usw.) Element kann hier vorgebracht werden, um Etwas, das nur in seinem Anderssein identisch mit sich ist, für die vorstellende Intelligenz fassbar machen zu können. Dieselbe Schwierigkeit finden wir bei Sätzen wie »der Inhalt ist seine eigene Auslegung«451 oder die wahre Unendlichkeit »besteht in dem Hinausgehen über das Anderssein als der Rückkehr zu sich selbst«.452 Der Grund der Unvorstellbarkeit liegt darin, dass das Denken dabei nichts als eine Relation, ein gegenseitiges Verweisen von Zeichen zum Gegenstand hat. Die Eliminierung der Suppositionen, der außer einander bestehenden, beziehungslosen Kerne, bringt eine totale Abschaffung von außerbegrifflichen Assoziationen mit sich. Deswegen sagt Hegel von der Idee – die, als letztes Zeichen der Logik, alle Merkmale des Spekulativen in sich zusammenfasst –, dass sie »schlechthin einfach und immateriell« ist.453 Die Einfachheit bezieht sich hier auf die Sache der Logik, »das tätige Allgemeine« in seinem »Beisichsein«. Das Immaterielle, auf der anderen Seite, bezieht sich auf die radikale »Entdinglichung«, welche die Auflösung der außer einander seienden Suppositionen und die einheitliche Zusammenfassung des Resultierenden mit sich bringt. Jetzt können wir mit Klarheit den wahrhaften Sinn der Abschaffung der Verschiedenheit von Name und Bedeutung, die nach Hegel das Definierende 450

WL I (1812), 109. WL II, 380: »Die Auslegung erschien als äußere Reflexion, die auf ihrer Seite das Unmittelbare als ein Vorgefundenes hat, aber zugleich die Bewegung und Beziehung desselben auf das Absolute ist und als solche es in dieses zurückführt und als eine bloße Art und Weise bestimmt. […] So als die Manifestation, daß es sonst nichts ist und keinen Inhalt hat, als die Manifestation seiner zu sein, ist das Absolute die absolute Form.« 452 WL I (1812), 82. 453 WL III, 176. 451

166

1.4 Die drei Achsen des logischen Diskurses

der »Tätigkeit des Gedankens« ausmacht, ersehen. Wir haben bereits über den wesentlichen Zusammenhang zwischen der Verschiedenheit von Name und Bedeutung und dem »Haben« der Intelligenz gesprochen, vermöge dessen man sagt, ein Name »habe« eine bestimmte Bedeutung. Wir wissen auch, inwiefern dieses »Haben« mit der Annahme von außerbegrifflichen Elementen zusammenhängt. Die logische Umformung der vorgegebenen Denkgebilde hat zur Folge, dass die Namen damit aufhören, ihre eigenen Bedeutungen zu »haben«, und diese Folge ergibt sich gerade aus der dialektischen Auflösung des Außerbegrifflichen bzw. der Supposition. Das Außerbegriffliche heißt das vom Denken selbst nicht Gesetzte oder Vorausgesetzte. Nun sagt Hegel am Anfang der Enzyklopädie von der Philosophie, dass sie »des Vorteils entbehrt, der den anderen Wissenschaften zugute kommt, ihre Gegenstände als unmittelbar von der Vorstellung zugegeben […] voraussetzen zu können«.454 Nur die Philosophie (als Logik oder prima philosophia) hat den Begriff selbst als ihren Gegenstand, wobei sie denselben als fertig gegeben nicht voraussetzen darf, denn das würde heißen, etwas vom Denken nicht Gesetztes, d. h. Außerbegriffliches, zu akzeptieren, wodurch die Philosophie von ihrem spezifischen Gegenstand abweichen würde. Vom fertig gegebenen Gegenstand, den jede Wissenschaft voraussetzt, können wir sagen, dass er das Arbeitsgebiet der Wissenschaft (als »regionales Wissen« verstanden) begrenzt; einem begrenzten, fertig-gegebenen Gegenstand entspricht ein begrenztes Wissen. Für ein solches begrenztes Wissen, können wir folgerichtig sagen, gilt die Verschiedenheit signans-signatum, und die dabei verwendeten Namen und Ausdrücke »haben« ihre entsprechenden Bedeutungen. Es gibt also einen Zusammenhang zwischen der Voraussetzung des Gegenstandes und der Stabilität der Verknüpfung signans-signatum. Im Unterschied dazu verdient die Logik in gewissem Sinn ein bedeutungsloses Wissen genannt zu werden. Als voraussetzungslos entflieht ihr nichts oder sie wird von keinem Gegenstand begrenzt, was zur Folge hat, dass ihre Glieder keine Bedeutung mehr »haben«, einfach darum, weil diese Glieder und ihre Verhältnisse zueinander die Bedeutung selbst sind – wie uns die Betrachtung des Spekulativen hinreichend gezeigt hat. Die Intelligenz ist vor-stellend, indem sie an der Stelle einer Sache ein Zeichen setzt; daraus ergeben sich die zwei Ordnungen: die der Dinge einerseits und die der Zeichen andererseits, welche diese Dinge und ihre Beziehungen zueinander re-präsentieren. Wenn wir ferner von fixierten Bedeutungen reden, welche diesen Zeichen entsprechen, meinen wir dasjenige, was diese Zeichen verständlich macht,

454

Enz. § 1.

§ 16 Dritte Achse: Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige

167

sozusagen ihre »Interpretation«,455 was für die Vorstellung, wie bereits gezeigt, nur durch das sich Berufen auf außerbegriffliche Sachverhalte bzw. auf die Ordnung der Dinge möglich ist. In der Logik hingegen, als einem von der Vorstellung befreiten Wissen, machen diese zwei Ordnungen eigentlich nur Eine aus, und deswegen kann man sagen, dass ihre Zeichen keine Bedeutung mehr haben. Wir benötigen nicht mehr die Berufung auf etwas Äußerliches, um diese Zeichen »interpretieren« zu können. Im Laufe dieses Kapitels hat sich hinreichend gezeigt, inwiefern die zeichenhafte Konstitution der Denkinhalte den eigentlichen »Motor« des diskursiven Verlaufs der Logik ausmacht. Spezifischer hat sich herausgestellt, dass der »Fortgang des Gedankens«456 sich aus der Unstimmigkeit oder »Diskrepanz«457 zwischen dem Gemeinten und dem effektiv Ausgesprochenen »erzwingen läßt«.458 Daraus wird das Endziel der Logik klar ersichtlich: »Hegel ist in seiner Logik auf der Suche nach dem Begriff, der das selbst ist, was er intendiert«.459 Dieser erst am Ende des diskursiven Verlaufs vorkommende Begriff soll, gemäß der bisher entwickelten Gedanken über die Abschaffung der suppositio, nichts Außerbegriffliches enthalten. Sein Inhalt muss also gerade das Wissen vom »tätigen Allgemeinen« sein, vom denkenden Selbst, das im diskursiven Verlauf der Logik am Werk ist.460 Der Gegenstand der Logik bleibt, wie wir schon wissen, immer derselbe, aber das erweist sich nur rückwirkend, vermöge der spekulativen Operation, welche die eigentliche ratio der vorausgehenden Inhalte ausspricht. Im nächsten Hauptteil dieser Untersuchung werden wir diesen Gedanken in concreto aufzeigen. Anhand der hier behandelten Schlüsselbegriffe werden wir den diskursiven Verlauf der Logik bis zur Entstehung der Denkbestimmung verfolgen, die das Denken selbst zu ihrem Gegenstand hat.

455

F. M. Marzoa: Cálculo y ser (Aproximación a Leibniz), Madrid 1991, 65. W. Wieland, a. a.O., 402. 457 Ebd. 458 Ebd. 459 Ebd., 401. 460 Vgl. ebd.: »Erst hier haben wir den Begriff vor uns, der in seinem intentionalen Korrelat nicht mehr unterschieden werden kann, weil er mit ihm zusammenfällt.« 456

2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

§ 17 Der Ausgang des logischen Diskurses: Die primären Zeichen »Sein« und »Nichts« a) Bejahung und Verneinung als »pre-semantische Bestimmungen«461 der Logik Am Ende des letzten Kapitels wurde bereits auf das Ziel unserer Untersuchung in diesem zweiten Hauptteil hingewiesen. Der suppositionsfreie Charakter der Logik bringt mit sich, dass das Wissen vom »tätigen Allgemeinen«, das im diskursiven Verlauf der Logik am Werk ist, am Ende des Fortgangs erreicht wird. Unsere Aufgabe wird nunmehr darin bestehen, den diskursiven Verlauf der Logik bis zur erwähnten Konvergenz zu verfolgen, in welcher eine Theorie des denkenden Selbst entworfen wird, die, wie sich später deutlicher zeigen wird, das Pendant zur betrachteten Auffassung des Diskursiven ausmacht. Andere äußerst relevante Fragen um die Logik werden in diesem zweiten Hauptteil entweder ausgelassen oder nur im besonderen Hinblick auf unseren jeweiligen Gegenstand betrachtet. Im Folgenden werden wir unsere Aufmerksamkeit vornehmlich auf die Anfangsphase des logischen Diskurses richten – den bekannten Denkverlauf durch die Bestimmungen »Sein«, »Nichts« und »Werden«. Basierend auf den Überlegungen, die wir bezüglich dieser ersten Wegstrecke der Logik anstellen werden, wird danach allgemeine Auskunft über die Seinslogik gegeben. Bei Behandlung der in Kapitel 1.2 aufgeworfenen Frage nach dem Punkt, ab welchem die Sache selbst, das Logische, »dem Diskurs nicht mehr äußerlich ist«,462 hat sich das Sein als die einzig mögliche Bestimmung für diese Funktion ergeben. Aber bereits im einzigartigen Abschnitt »Womit muß der Anfang […]«, d. h. vor dem effektiven Anfang der Logik, wird das Sein dem Nichts gleichgesetzt. Das Zurücktreten des Wissens von dem Inhalt,463 in welchem der Anfang der Logik bestehen muss, macht gleichzeitig die höchste »Spitze der Einigung«464 des Wissens mit seinem Objekt aus, und dieses kann sowohl »Sein« als auch »Nichts« genannt werden. Ist daraus etwa zu folgern, 461

Dieser Ausdruck stammt von E. Albizu, a. a.O., 21. E. Albizu, a. a.O., 18. 463 WL I, 59: »Insofern das reine Sein als Inhalt des reinen Wissens genommen wird, so hat dieses von seinem Inhalt zurückzutreten, ihn für sich selbst gewähren zu lassen und nicht weiter zu bestimmen.« 464 Ebd. 462

§ 17 Der Ausgang des logischen Diskurses

169

dass es sich um synonyme Ausdrücke handelt, obwohl die ganze philosophische Tradition sie einander streng entgegensetzt? Unsere Überlegungen im letzten Kapitel über die Konfusion entgegengesetzter Denkinhalte verbieten ein solches Verständnis. Die Äquivalenz Sein-Nichts wurde in 1.2 darin begründet, dass aus ihnen »Etwas ausgehen soll«.465 Gemäß seinem Standpunkt kann der Anfang logischen Wissens, als das »Voraus« des Diskurses verstanden, lediglich in der totalen Abwesenheit jeglichen vorstellbaren Inhaltes bestehen. Die Unableitbarkeit dieses »Voraus« führt Fichte dazu, es als den unaussprechlichen, unbegreiflichen Grund der Prädikation zu fassen und demselben folglich (gemäß seiner Auffassung des Verhältnisses Grund-Begründetes als des ursprünglichsten Gegensatzes) das Sein abzusprechen. Diese Auffassung von Sein entspricht eher dem kantischen Etwas denn dem Sein im Sinne Hegels. Nach Kant setzt das Etwas sich dem Nichts entgegen;466 das Sein im hegelschen Sinne bezeichnet dagegen die Aktivität des noûs in ihrer reinen Einfachheit, das »leere Denken«467, abgesehen vom Gedachten selbst, und insofern fällt es auf die Seite des kantischen Nichts. Was eigentlich gesucht wird, ist also das »Voraus« zu jeglichem Etwas, denn das Etwas (als dasjenige verstanden, was vom Anfang »ausgehen soll«) impliziert schon das Angefangenwordensein des Wissens. Dieses »Voraus« zu jeglichem Etwas kann nun sowohl »Sein« als auch »Nichts« genannt werden. Damit haben wir aber noch nicht das ineinander Übergehen von Sein und Nichts, das (gemäß unseren Überlegungen im letzten Kapitel) schon ein diskursives Fortgehen implizieren würde, sondern lediglich ein »sowohl … als auch«, d. h. eine bloße Konjunktion, ein gedankenloses »und«. Hinter der Behauptung, dass die Zeichen »Sein« und »Nichts« das »Voraus« zu jeglichem Etwas bzw. jeglichem Denkinhalt bezeichnen, steckt ein komplexer Gedanke, der mittels unserer Überlegungen über die zeichenhafte Konfiguration der Denkinhalte ergründet werden muss. Von der Auffassung des Diskurses als einer Verkettung ausgehend haben wir uns in 1.4 nach der Natur des vorfindlichen Stoffes gefragt, welchen die Logik als Diskurs zu artikulieren hat. Es hat sich dabei ergeben, dass die verstreuten »Stücke« der Logik Zusammensetzungen von Logizität und Realität bzw. von einem Denkinhalt und einem anschaubaren Namen sind. Wir haben ferner gezeigt, auf welche Weise aus dieser Zusammensetzung die Herausdifferenzierung der Denkinhalte erfolgt, die das vorgegebene Sprachmaterial (der zu bearbeitende Stoff der Logik) aufweist. Als entleerte Anschauung macht der Name 465 466 467

WL I, 60. Vgl. Kant: Logik A 147. WL I, 69.

170

2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

ein anschauliches Gebilde mit einem bloß »differenziellen Wert« aus (siehe unsere Überlegungen im vorausgehenden Kapitel über Hegel und Saussure), und kraft dessen ermöglicht er, Differenzierungen ins chaotische Reservoir der vorstellenden Intelligenz einzuführen. Die Bedeutungen oder positiven Denkinhalte werden so mittels der Einschränkungen, welche die Namen (als bloße Grenzen aufgefasst) in die »nebulöse«468 Masse des inneren Vorstellens einführen, ans Licht gebracht. Daraus resultiert, wie wir bereits wissen, ein Inbegriff von gegenseitig beschränkten Realitäten. Die unterschiedlichen »Etwas«, die vom Anfang »ausgehen sollen«, bestehen also aus einer Negation oder Grenze und einem positiven Denkinhalt oder, anders gesagt, aus einem nicht-Sein und einem Sein. Wenn wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die Zeichen des Anfangs richten, dann scheint alles darauf hinzudeuten, dass Sein und Nichts sich auf gerade die zwei Seiten eines jeglichen Etwas beziehen, aus deren »Zusammenspiel« die Mannigfaltigkeit der Denkinhalte entstehen muss.469 Wir stehen also vor den primären Bestimmungen oder Voraussetzungen, kraft deren ein bestimmter Inhalt als solcher (als eine Zusammensetzung verstanden) gedacht werden kann. Diesbezüglich hat Albizu gesagt, dass Sein und Nichts als die »notwendigen pre-semantischen Bestimmungen der universellen Semantik, welche die Logik Hegels ist, […]« anzusehen sind.470 Auf diesen Gedanken gehen wir im Folgenden näher ein.

468

F. de. Saussure, a. a.O., 155. Die folgenden Stellen der Logik können als Bekräftigung dieser Behauptung angesehen werden. WL I, 88: »Bei diesem Unterscheiden ist ebensosehr nicht zu leugnen, daß das Nichts in Beziehung auf ein Sein steht; aber in der Beziehung, ob sie gleich den Unterschied enthält, ist eine Einheit mit dem Sein vorhanden. Auf welche Weise das Nichts ausgesprochen oder aufgezeigt werde, zeigt es sich in Verbindung oder, wenn man will, Berührung mit einem Sein, ungetrennt von einem Sein, eben in einem Dasein.« Ebd., 89: »Allein Kälte, Finsternis und dergleichen bestimmte Negationen sind sogleich für sich zu nehmen, und es ist zu sehen, was damit in Rücksicht ihrer allgemeinen Bestimmung, nach der sie hierher gebracht werden, gesetzt ist. Sie sollen nicht das Nichts überhaupt, sondern das Nichts vom Licht, [von] Wärme u. s. f., von etwas Bestimmten, einem Inhalt sein; so sind sie bestimmte, inhaltige Nichts, wenn man so sagen kann. Aber eine Bestimmtheit ist, wie noch weiterhin vorkommt, selbst eine Negation; so sind sie negative Nichts; aber ein negatives Nichts ist etwas Affirmatives.« 470 E. Albizu, a. a.O., 21. Der Gebrauch des Wortes »Semantik« in diesem Kontext ist nicht unproblematisch, vor allem nach den Überlegungen Tugendhats (die danach von Theunissen kritisch aufgegriffen worden sind; siehe M. Theunissen, a. a.O., 66–70) über das Verhältnis der heutigen »formalen Semantik« zur hegelschen Logik. Wenn aber hier von Semantik die Rede ist, wird auf keine Identifizierung mit der heutigen Sprachphilosophie gezielt. Mit Theunissen kann man sagen (a. a.O., 67): »Gleichwohl wäre es ein Mißverständnis, wollte man meinen, es ginge hier um die Nivellierung der Differenz zwischen der durch Hegel repräsentierten Tradition und der sprachanalytischen Philosophie.« Die 469

§ 17 Der Ausgang des logischen Diskurses

171

Nach der Korrespondenz, die im letzten Kapitel zwischen dem metaphysischen Modell der omnitudo realitatis und der hegelschen Auffassung von Sprache festgestellt wurde, sind Bedeutung und Realität (als die »positive Seinsweise« eines Etwas verstanden) dasselbe. Als Ausdruck des Woraus des kreisförmigen Wissens bezeichnet also Sein dasjenige, was bei den verschiedenen Denkinhalten Positivität und Realität ist, also die Positivität überhaupt, ohne Rücksicht auf etwas, die bloße Affirmation oder Bejahung. Was das Positive bestimmt, was es zu diesem Positiven macht, ist bekanntlich sein Defekt oder seine Verneinung. So wie wir von den »bejahten« oder positiven Realitäten auf den Gedanken der Bejahung an sich zurückgegangen sind, können wir auch den Gedanken der Verneinung an sich, in Absehung von jeglicher verneinten bzw. beschränkten Realität, festhalten. Der Name dieses Gedankens ist »Nichts«.471 »Sein« und »Nichts« bezeichnen also jeweils die Bejahung an sich und die Verneinung an sich, das »Ja« und das »Nein«, die in jeglicher Bestimmung oder Realität der omnitudo realitatis anzutreffen sind. Dieser Hinweis auf die Operationen der Bejahung und der Verneinung im normalen Sprachgebrauch, aus denen diese zwei Bestimmungen herausgezogen worden sind, kann uns von Nutzen sein, um ihre Rolle im vorliegenden Kontext besser zu verstehen. Sein und Nichts, als Bejahung an sich und Verneinung an sich verstanden, haben – wie Albizu bemerkt hat – »keine andere Bedeutung als die Operativität, welche ihnen [im normalen Sprachgebrauch, könnte man hinzufügen, J. S.] eigen ist«.472 Abgesehen von dieser Operativität, d. h. an sich betrachtet, haben sie überhaupt keine Bedeutung, sie geben nichts zu verstehen oder anzuschauen.473 Sie bezeichnen also nichts im totum realitatis Auffindbares, gerade deswegen, weil sie die bedeutungslose Bedingung der Möglichkeit des Inbegriffes der Bedeutungen selbst ausmachen. Es handelt sich also um Zeichen, die mit keinem bestimmten Gedanken verbunden sind, weil sie nur eine bloße Möglichkeit, nichts Formiertes oder Aktualisiertes zum Ausdruck bringen.474 Gerade als Rechtfertigung des Ausdruckes »Semantik« in diesem Kontext ist eigentlich, dass die von Hegel in seiner Logik dargestellten begrifflichen Entwicklungen grundsätzlich als – mit Wortens D. Henrichs ausgedrückt – »Bedeutungsverschiebungen« anzusehen sind. Siehe dazu D. Henrich: »Hegels Logik der Reflexion«, in: Hegel im Kontext, Frankfurt a. M. 1971, 136 ff.). 471 Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 111: »Das Negative ist Nichtsein von irgend etwas; doch ganz unmittelbar, rücksichtslos ist es das Nichts.« 472 E. Albizu, a. a.O., 20. 473 WL I, 69: »Es ist nichts in ihm anzuschauen, wenn von Anschauen hier gesprochen werden kann; oder es ist nur dieses reine, leere Anschauen selbst. Es ist ebensowenig etwas in ihm zu denken, oder es ist ebenso nur dieses leere Denken.« 474 Vgl. E. Albizu, a. a.O., 21.

172

2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

solche sind sie imstande, den Bereich des Logischen »aufzuschließen«. Nur aus ihnen, indem sie noch nicht »Etwas« sind, kann Etwas hervorgehen.475

b) Sein und Nichts als höchste genera; das Problem der metabasis zwischen den beiden und die Möglichkeit des logischen Anfangs Im vorausgehenden Kapitel wurde vom logischen Diskurs als einer Verkettung vorfindlicher Stücke gesprochen. Im Konzept eines absoluten Anfangs der Verkettung liegt, dass diese keine Fortsetzung einer vorausgehenden Verkettung sein darf,476 dass sie also mit dem absolut »Unverketteten« oder »Beziehungslosen« anfangen muss. Dennoch wurde über die vorfindlichen Stücke der Logik gesagt, dass sie vor ihrer diskursiven Verkettung etwas Beziehungsloses ausmachen; dementsprechend könnte jedes Stück gleichermaßen als Anfang fungieren. Warum müssen dann Sein und Nichts diese Funktion übernehmen? Nun besteht, wie wir bereits wissen, die Aufgabe der dritten Achse des logischen Diskurses darin, das Ergebnis der dialektischen Auflösung zum signatum eines neuen signans zu machen und somit den Diskurs in die erste Achse, den Verstand, zurückzubringen. Daraus folgt, dass jede logische Bestimmung bzw. jedes Etwas, trotz seiner anfänglichen Beziehungslosigkeit, die vorausgehende Verkettung mit anderen Bestimmungen voraussetzt. Das gilt aber nicht für »Sein« und »Nichts«, und daher kommt der Sonderstatus, den sie unter den Zeichen innehaben. Bei ihnen haben wir es mit einem Übergang von Etwas, das überhaupt kein bestimmter Gedanke (also kein Etwas) ist, zu einem bestimmten Gedanken zu tun, und nur dies kann als Anfang der jetzigen Verkettung selbst gelten. Es gibt nur zwei Bestimmungen – wenn wir den Ausdruck »Bestimmung« nutzen dürfen –, die in dieser Hinsicht als Anfang der Verkettung fungieren können: Zeichen, die dasjenige bezeichnen, aus welchem jeder Gedanke besteht, die aber selbst noch kein voller Gedanke sind. Diese Zeichen sind die reine Bejahung und die reine Verneinung. Hegel spricht von ihnen als von den Produkten der höchsten Abstraktion.477 Wenn Abstraktion »die Heraushebung […] bestimmter Vorstellungsmerkmale unter gleichzeitiger Vernachlässigung […] anderer Merkmale«478 bedeutet, dann liegt hier eine Vernachlässigung von 475

Vgl. E. Albizu, a. a.O., 19, 21 ff. Vgl. J. W. Burbidge, a. a.O., 37: »If logic is to become a system, however, it must start, not from just any concept, but from one that is not itself the product of a process.« 477 WL I, 86: »Beim Sein als jenem Einfachen, Unmittelbaren wird die Erinnerung, daß es Resultat der vollkommenen Abstraktion […] ist, […].« 478 R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Abstraktion«. 476

§ 17 Der Ausgang des logischen Diskurses

173

Merkmalen vor, aus welcher aufgrund ihrer Radikalität keine Heraushebung bestimmter Merkmale resultiert. Wie wir im Folgenden zeigen werden, ist dieser Hinweis auf den Begriff der Abstraktion von besonderer Relevanz im Hinblick auf das Problem des Anfangs der logischen Verkettung. Hier müssen wir uns auf die klassische Lehre von Abstraktion und logischer Einteilung der Begriffe berufen, wie sie von Kant in seiner Logik rezipiert worden ist. Der höchsten Abstraktion entspricht traditionell der größte Umfang und diesem wiederum der geringste begriffliche Inhalt.479 Das Abstrakteste ist somit das sogenannte summum genus, d. h. das genus, das keine species mehr, also unter kein höheres genus subsumierbar ist.480 Kant unterscheidet, wie wir schon wissen, zwei oberste Gattungen: das Nichts und das Etwas. Der Anfang der diskursiven Verkettung ist aber das »Voraus« zu jeglichem Etwas, wobei Etwas nicht eine oberste Gattung sein kann, sondern (an seiner Stelle) das Sein, die reine Bejahung, zusammen mit dem Nichts oder der reinen Verneinung. Die obersten Gattungen machen ferner den höchsten Unterschied aus, also diejenigen Entgegengesetzten, welche unter keine höhere Gattung subsumierbar sind und welche folglich überhaupt nichts Gemeinsames haben; es handelt sich also um eine unaufhebbare Dualität.481 Es ist sogar fraglich, ob es sich um einen Gegensatz im strengen Sinne des Wortes handelt, denn die Gegensätze machen immer die vollständige Einteilung einer allgemeinen Sphäre aus, in welcher sie sich befinden und unter deren Begriff sie subsumiert sind.482 Somit beschränken sie sich gegenseitig, und dadurch sind sie in irgendeiner Beziehung miteinander.483

479

Kant: Logik, A 148: »Inhalt und Umfang eines Begriffes stehen gegen einander in umgekehrtem Verhältnisse. Je mehr nämlich ein Begriff unter sich enthält, desto weniger enthält er in sich und umgekehrt.« 480 Kant: Logik, A 150: »Die höchste Gattung ist die, welche keine Art ist (genus summum non est species), so wie die niedrigste Art die, welche keine Gattung ist (species, quae non est genus, est infima).« 481 Kant: Logik, A 147: »Der abstrakteste Begriff ist der, welcher mit keinem von ihm verschiedenen etwas gemein hat. Dieses ist der Begriff von Etwas; denn das von ihm Verschiedene ist Nichts, und hat also mit dem Etwas nichts gemein.« 482 Kant: Logik, A 226: »Bei jeder Einteilung eines Begriffs ist darauf zu sehen: 1) daß die Glieder der Einteilung sich ausschließen oder einander entgegen gesetzt seien; – daß sie ferner 2) unter Einen höhern Begriff (conceptum communem) gehören, und daß sie endlich 3) alle zusammengenommen die Sphäre des eingeteilten Begriffs ausmachen oder derselben gleich seien.« 483 WL I, 90 (Hervorhebungen von mir, J. S.): »Er [der Übergang, J. S.] ist unmittelbar und ganz abstrakt, um der Abstraktion der übergehenden Momente willen, d. i. indem an diesen Momenten noch nicht die Bestimmtheit des Anderen gesetzt ist, vermittelst dessen sie übergingen; das Nichts ist am Sein noch nicht gesetzt, obzwar Sein wesentlich Nichts ist und umgekehrt. Es ist daher unzulässig, weiters bestimmte Vermittlungen hier

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2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

Deswegen sagt Hegel vom Sein (sowie vom Nichts), dass es »nicht ungleich gegen Anderes« ist.484 Zwischen diesen zwei »maximal Fremden« kann folglich das Übergehen eigentlich nur ein »Überspringen« sein, also das, was in der Antike »metabasis eis allo genos« genannt wurde, d. h. ein Sprung »von einem Gebiet auf ein fremdes, nicht zur Sache gehöriges Gebiet«.485 Ein solcher Sprung gilt traditionell als ein »logischer Fehler«,486 denn zwischen zwei absolut Fremden gibt es per definitionem nichts Gemeinsames, welches zum Übergang berechtigt. Gerade diese metabasis eis allo genos ist es, die Jacobi gegen die Möglichkeit (d. h. Denkbarkeit) einer Synthesis a priori, also einer Verbindung zwischen Beziehungslosen, geltend macht. Mit der Argumentation Jacobis befasst sich Hegel bekanntlich in der dritten Anmerkung zum diskursiven Verlauf durch die Bestimmungen »Sein«, »Nichts« und »Werden« hindurch.487 Der Ansatz Jacobis kann kurzgefasst so dargestellt werden: Es ist nicht einzusehen, wie man von einer reinen Bestimmtheit begrifflich zu etwas Fremdem fortgehen kann. Ein solcher Fortgang macht aber gerade die Voraussetzung einer wahrhaften Synthesis a priori oder »an und für sich seiende(n) Einheit des Unterschiedenen«488 aus, wobei die Synthesis auf einer begrifflichen Unmöglichkeit beruht, denn zwischen Beziehungslosen ist kein Übergang denkbar. Auf die Wichtigkeit dieses Punktes ist besonderer Nachdruck zu legen, denn das erfolgreiche Anfangen des logischen Diskurses – d. h. das tatsächliche Übergehen vom Unverketteten zur Verkettung – hängt gerade von der Auflösung dieser begrifflichen »Unmöglichkeit« ab. Wenn kein nicht »fehlerhafter« Übergang zwischen der reinen Bejahung und der reinen Verneinung ausfindig gemacht werden kann, dann kann der logische Diskurs nicht am Anfang selbst angefangen werden (und die Logik ist folglich unmöglich).489 anzuwenden und Sein und Nichts in irgendeinem Verhältnis zu fassen, – jenes Übergehen ist noch kein Verhältnis.« 484 WL I, 68–69: »In seiner unbestimmten Unmittelbarkeit ist es nur sich selbst gleich und auch nicht ungleich gegen Anderes, hat keine Verschiedenheit innerhalb seiner noch nach außen.« 485 R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »metabasis eis allo genos«. 486 Ebd. 487 Genauer in WL I, 82–87. 488 WL I, 83. 489 Bezüglich der klassischen Debatte in der Hegel-Forschung darüber, »ob der Anfang der Hegelschen Logik gegenüber den späteren Teilen des Werkes einen Sonderfall darstellt oder nicht« (M. Theunissen, a. a.O., 130) kann man anhand des bisher Dargestellten das Folgende sagen. Aus unserer Betrachtung der Bestimmungen »Sein« und »Nichts« vom Standpunkt ihrer zeichenhaften Konfiguration aus ergibt sich, dass der Anfang der Logik »grundsätzlich den Gesetzen derselben Dialektik gehorche, die auch der fortgeschrittenen Bewegung ihre Regeln vorschreibt« (ebd.). In dieser Hinsicht würden wir die Posi-

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Wie löst Hegel diese Schwierigkeit auf? Unter den Prämissen Jacobis ist die Auflösung freilich unmöglich, denn es wird gerade nach der Begreiflichkeit von Etwas gefragt, welches von Anfang an für unbegreiflich erklärt wird.490 Allerdings kann der Übergang mit keinem gemeinsamen Gedanken, Zug oder Merkmal vollzogen werden, denn die Kluft zwischen Sein und Nichts, wenn sie als oberste Gattungen verstanden werden, ist tatsächlich absolut.491 Wenn kein Inhalt ausfindig gemacht werden kann, welcher zum Übergang zwischen den beiden berechtigt, dann muss der Übergang sich gerade aus Mangel eines solchen Inhalts ergeben. Das Sein (oder die Bejahung an sich), indem es eine Abstraktion ausmacht, die noch abstrakter bzw. noch höher in der Reihe der subordinierten Begriffe als das Etwas ist, gibt nichts zu verstehen oder anzuschauen, das uns ermöglicht, es von seinem Anderen zu unterscheiden. Wir können keinen Inhalt geltend machen, welcher zur Unterscheidung dieser zwei maximalen Abstraktionen berechtigt oder, anders gesagt, welcher ihre bloße Zweiheit zu behaupten berechtigt. Das, was begrifflich fehlerhaft ist, ist folglich nicht eine metabasis, sondern gerade das tion von Wieland und Ruth-Eva Schulz gegen Theunissen, Gadamer und Henrich vertreten. Der Anfang (als der Übergang von »Sein« zu »Nichts« verstanden) erfolgt nicht nach anderen Prinzipien als denjenigen, die den diskursiven Fortgang der Logik durchwalten. Wenn er in der Tat ein »Sonderfall« wäre bzw. wenn die Bewegung von Sein zu Nichts vermöge anderer Gesetze und Prinzipien geschehen würde, dann würde sie einen Bruch im logischen Fortgang selbst verursachen (denn der eigentliche Anfang der Logik würde dann nach diesem vermeintlichen Anfang stattfinden). Der Anfang bestätigt gerade die Möglichkeit der Logik, indem er das erste Beispiel dialektischer Konfusion von Denkinhalten aufweist; insofern macht der spätere Fortgang nichts anderes, als den Anfang zu reproduzieren. Das kollidiert aber nicht mit der »Einzigartigkeit« und der »unvergleichlichen Stellung« (ebd.) des logischen Anfangs. Der Anfang ist per definitionem einzigartig. Was ihn einzigartig macht, ist nicht die Art und Weise, wie er geschieht, sondern das, was er vollzieht, nämlich die Eröffnung eines Diskurses, der seinen Gegenstand nicht voraussetzt (vgl. Enz. § 1). Dem Anfang kommt die »unvergleichliche Stellung« zu, den Diskurs in das Logische einzuführen (mit den damit zusammenhängenden Schwierigkeiten; siehe Kapitel 1.2). Dies macht er aber auf eine Art und Weise, die vorbildlich und maßgebend für das Nachfolgende ist, und deswegen sagt Hegel (WL I, 58): »So ist der Anfang der Philosophie, die in allen folgenden Entwicklungen gegenwärtige und sich erhaltende Grundlage, das seinen weiteren Bestimmungen durchaus immanent Bleibende.« 490 WL I, 91: »Bei der Voraussetzung der absoluten Geschiedenheit des Seins vom Nichts ist – was man so oft hört – der Anfang oder das Werden allerdings etwas Unbegreifliches; denn man macht eine Voraussetzung, welche den Anfang oder das Werden aufhebt, das man doch wieder zugibt, und dieser Widerspruch, den man selbst setzt und dessen Auflösung unmöglich macht, heißt das Unbegreifliche.« 491 Enz. § 88, Anm., Abs. 1: »In der Tat ist er auch von dem Härtesten, was das Denken sich zumutet, denn Sein und Nichts sind der Gegensatz in seiner ganzen Unmittelbarkeit, d. h. ohne daß in dem einen schon eine Bestimmung gesetzt wäre, welche dessen Beziehung auf das andere enthielte.«

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2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

Festhalten an ihrer Verschiedenheit. Die reine Bejahung, die Positivität an sich, ist vom reinen Defekt, vom Nichts, ununterscheidbar. Aus dem bloßen passiven Zusehen zu dem, was das signans »Sein« zu denken gibt, oder aus dessen Analyse ergibt sich unmittelbar das Hinausgehen desselben über sich selbst in sein Anderes.492 Bezüglich des Nichts muss ebenfalls gezeigt werden, dass es vom Sein ununterscheidbar ist, dass der Gedanke des absoluten Defekts zwangsläufig zu demjenigen der reinen Bejahung führt (sonst könnte nicht von Konfusion die Rede sein). Hier ist der Gedankengang Hegels merkwürdigerweise weniger als in Bezug auf »Sein« berücksichtigt worden. Das Nichts ist, genauso wie das Sein, noch kein Etwas: Als Zeichen gibt es nichts zu verstehen oder anzuschauen, welches mit einem bestimmten Inhalt im totum realitatis identifiziert werden könnte. Es macht folglich einen Unterschied, ob wir etwas denken oder nichts denken.493 Dieser Unterschied vom Etwas, die Unverwechselbarkeit beider, gibt gerade dem Nichts die »Seiendheit«; das Nichts, der reine Defekt, ist auch Bejahung, weil wir es – wenn wir von ihm sprechen oder uns darauf beziehen – vom Etwas scharf unterscheiden. Die Unterscheidbarkeit des Nichts vom Etwas gibt dem Nichts eine Präsenz im Diskurs, d. h. Sein, Realität, was aber mit seiner unmittelbaren Bedeutung als reiner Abwesenheit offensichtlich kollidiert.494 Die Unterscheidbarkeit des Nichts vom Etwas macht also das Nichts vom Sein ununterscheidbar: Beide können dem Etwas klarerweise gegenübergestellt werden, denn sie machen gerade das »Voraus« zu jeglichem Etwas aus. Aber daraus folgt die Unmöglichkeit ihrer Entgegensetzung als summa genera. Die Absolutheit der Kluft zwischen Sein und Nichts als höchsten Abstraktionen macht, anstatt ihr Übergehen ineinander unmöglich werden zu lassen – wie Jacobi gegen das Konzept einer Synthesis a priori behauptete –, 492

Ebd.: »Die Deduktion ihrer Einheit ist insofern ganz analytisch; wie überhaupt der ganze Fortgang des Philosophierens als methodischer, d. h. als notwendiger nichts anderes ist als bloß das Setzen desjenigen, was in einem Begriff schon enthalten ist.« 493 WL I, 69: »Insofern Anschauen oder Denken hier erwähnt werden kann, so gilt es als ein Unterschied, ob etwas oder nichts angeschaut oder gedacht wird. Nichts Anschauen oder Denken hat also eine Bedeutung; beide werden unterschieden, so ist (existiert) Nichts in unserem Anschauen oder Denken; […]« 494 WL I, 88: »Das Nichts zeigt sich in seiner Unmittelbarkeit genommen als seiend; denn seiner Natur nach ist es dasselbe als das Sein. Das Nichts wird gedacht, vorgestellt, es wird von ihm gesprochen; es ist also; das Nichts hat an dem Denken, Vorstellen, Sprechen, u.s.f. sein Sein. Dieses Sein ist aber ferner auch von ihm unterschieden; es wird daher gesagt, daß das Nichts zwar im Denken, Vorstellen ist, aber daß darum nicht es ist, nicht ihm als solchem das Sein zukomme, daß nur Denken oder Vorstellen dieses Sein ist. Bei diesem Unterscheiden ist ebensosehr nicht zu leugnen, daß das Nichts in Beziehung auf ein Sein steht; aber in der Beziehung, ob sie gleich auch den Unterschied enthält, ist eine Einheit mit dem Sein vorhanden.«

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gerade den Übergang, die metabasis zwingend. Es ist somit nicht nur die Denkbarkeit des logischen Anfanges – gegen Jacobi – bewiesen worden, sondern auch dessen Notwendigkeit,495 sein nicht-anders-Sein-Können.496

c) Werden als erster konkreter Gedanke; die spekulative Auffassung der Wahrheit Bevor wir weitergehen, sind die letzten Ergebnisse kurz zu rekapitulieren. Das Konzept eines absoluten Anfangs des logischen Diskurses als einer Verkettung heißt, dass diese keine Fortsetzung einer vorausgehenden Verkettung sein darf, dass sie also mit dem absolut »Unverketteten« oder »Beziehungslosen« beginnen muss. Die Zeichen »Sein« und »Nichts« machen als oberste Genera das Beziehungslose schlechthin aus; sie haben absolut nichts gemein, weil sie als höchste Abstraktionen unter keiner höheren Allgemeinheit subsumierbar sind (was sogar ihr Verhältnis als Gegensatz fraglich macht). Infolge dieser unaufhebbaren Fremdheit kann ihr Übergang ineinander nur einen unerlaubten Sprung, eine metabasis eis allo genos im Sinne der Antike ausmachen, was die Möglichkeit (Denkbarkeit) eines absoluten Anfangs des logischen Diskurses ernstlich in Frage stellt (und damit die Möglichkeit der Logik selbst). Die Auflösung ihrer Verschiedenheit, welche für das effektive Anfangen der Logik notwendig ist, kann also nicht vermittels eines gemeinsamen Zuges oder Merkmals vollzogen werden.497 Der einzige Ausweg aus dieser Situation ist, dass der Übergang sich gerade infolge dieses mangelnden gemeinsamen Zuges ergibt. Nicht ihre Konfusion, sondern ihre Verschiedenheit ist das, was eigentlich eine Rechtfertigung verlangt, und diese kann an ihnen nicht angegeben werden: Es fehlen gerade die Inhalte, die zu ihrer zeichenhaften Zweiheit berechtigen. Gerade die Absolutheit ihrer Verschiedenheit und ihre radikale Beziehungslosigkeit (welche, wie 495

Vgl. E. Albizu, a. a.O., 37–38. Enz. § 87, Anm.: »[…]; der Trieb, in dem Sein oder in beiden eine feste Bedeutung zu finden, ist diese Notwendigkeit selbst, welche das Sein und Nichts weiterführt und ihnen eine wahre, d. i. konkrete Bedeutung gibt.« 497 WL I, 90: »Noch kann über die Bestimmung des Übergangs von Sein und Nichts ineinander bemerkt werden, daß derselbe ebenso ohne weitere Reflexionsbestimmung aufzufassen ist. Er ist unmittelbar und ganz abstrakt, um der Abstraktion der übergehenden Momente willen, d. i. indem an diesen Momenten noch nicht die Bestimmtheit des Anderen gesetzt ist, vermittels dessen sie übergingen; das Nichts ist am Sein noch nicht gesetzt, obzwar Sein wesentlich Nichts ist und umgekehrt. Es ist daher unzulässig, weiters bestimmte Vermittlungen hier anzuwenden und Sein und Nichts in irgendeinem Verhältnis zu fassen, – jenes Übergehen ist noch kein Verhältnis.« 496

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2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

soeben gesagt, mit ihrer obersten Position in der Reihe der Abstraktionen zusammenhängt) machen das Auffinden eines Unterscheidungsgrundes unmöglich.498 Wenn ferner der Grund dieser Unterscheidung nicht angegeben werden kann, dann handelt es sich (wie sich Leibniz bezüglich der indiscernibilia ausdrückt) um »dieselbe Sache mit zwei Namen«: Der Unterschied von Sein und Nichts ist ein leerer Unterschied, also ein Unterschied, der nur die Namen betrifft, nicht den Inhalt. Die gesuchte Kontinuität zwischen den Beziehungslosen kann nur vermöge dieser Leerheit oder Redundanz der Namen geschaffen werden. Nach unseren Überlegungen im vorausgehenden Kapitel stehen wir also vor der dialektischen Auflösung der Supposition, auf welcher die vorgefundene Sichselbstgleichheit der Denkinhalte (und folglich ihre feste Verschiedenheit) beruht. Das, was sich dann aus dem Aufzeigen der Ungerechtfertigtheit der Supposition zwangsläufig ergibt, ist die Konfusion der betrachteten Denkinhalte im Kontinuum. Die Konfusion oder Ununterscheidbarkeit der Denkinhalte macht aber eine bloß notwendige, nicht eine zureichende Bedingung der effektiven diskursiven Verkettung aus. Das passive Zusehen bzw. die Analyse von dem, was im Zeichen »Sein« enthalten ist, hat doch bewirkt, dass es in sein Anderes übergeht, was die von Jacobi erkannte Schwierigkeit (welche die Möglichkeit der Logik selbst infrage stellt) aufhebt. Aber diese Konfusion der Bedeutungen macht sowohl einen Fortgang (in Bezug auf die anfängliche Beziehungslosigkeit) als auch eine Unterbrechung des Fortganges aus, denn die Ununterscheidbarkeit der Denkinhalte bildet gerade eine Aporie. Beim logischen Anfang haben wir, wie oben bemerkt, mit dem Übergang vom »Voraus« zu jeglichem Etwas zum Etwas selbst zu tun. Nun macht die Ununterscheidbarkeit der primären Zeichen, die das »Voraus« zu jeglichem Etwas bezeichnen, offensichtlich noch nicht das gesuchte Etwas aus, das aus diesem »Voraus« hervorgehen muss. Es fehlt noch etwas, um den Anfang effektiv – also zum Anfang von Etwas – zu machen, nämlich die Operation, durch welche die vorliegende Sachlage ausdrücklich fixiert und die (gesuchte) Bestimmtheit, welche die Zeichen des Anfanges entbehren, eingeführt wird. Das ist die Operation der dritten Achse des logischen Diskurses, also des Spekulativen oder positiv498

WL I, 79: »Die, welche auf dem Unterschied von Sein und Nichts beharren wollen, mögen sich auffordern, anzugeben, worin er besteht. Hätten Sein und Nichts irgendeine Bestimmtheit, wodurch sie sich unterschieden, so wären sie, wie erinnert worden, bestimmtes Sein und bestimmtes Nichts, nicht das reine Sein und das reine Nichts, wie sie es hier noch sind. Ihr Unterschied ist daher völlig leer, jedes der beiden ist auf gleiche Weise das Unbestimmte; er besteht daher nicht an ihnen selbst, sondern nur in einem Dritten, im Meinen. Aber das Meinen ist eine Form des Subjektiven, das nicht in diese Reihe der Darstellung gehört.«

§ 17 Der Ausgang des logischen Diskurses

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Vernünftigen; diese Operation hat im vorliegenden Kontext eine besondere Bedeutung, wie wir im Folgenden zeigen werden. Die spekulative Operation macht, wie wir bereits wissen, die resultierende Konfusion der dialektischen Auflösung zum Gegenstand einer einheitlichen Auffassung. Das Resultierende der dialektischen Auflösung macht aber nach den allgemeinen formalen Wahrheitskriterien ein »Unding« aus. Nach dem bisher Gesagten können also Sein und Nichts, laut der traditionellen Logik, nicht als Begriffe gelten, denn sie stimmen mit sich selbst nicht überein. Das Undenkbare wird dennoch von jeder dialektischen Sachlage – und das Dialektische kann an überhaupt jedem gegebenen Denkinhalt aufgezeigt werden – unterschiedlich »verkörpert«. Jede dialektische Konfusion stellt eine konkrete Gestalt des Unvorstellbaren, des nihil negativum dar, und das erlaubt uns schon, in dieser eine bestimmte Form zu erkennen bzw. sie begrifflich zu fixieren. Nun suchen wir also das Zeichen, welches das Verhältnis der zwei vorausgehenden Zeichen zueinander gehörig zum Ausdruck bringt. Dieses Verhältnis ist dasjenige, was von der dialektischen Destruktion als Rest übrigbleibt, sofern die Destruktion sich auf die beziehungslosen (also inhaltslosen) Suppositionen richtet, welche die Sichselbstgleichheit der vorgefundenen Denkinhalte bewahren. Das, was ausdrücklich fixiert werden muss, ist folglich das gegenseitige Verweisen der anfänglichen Zeichen »Sein« und »Nichts«. Das Zeichen »Sein« gibt keinen bestimmten Inhalt zu denken oder anzuschauen bzw. es bedeutet nichts, aber im Fundus der Geistesprodukte verfügen wir schon über den Namen, welcher den Umschlag (die metabasis eis allo genos) des Positiven, der affirmativen Seiendheit ins Negative zum Ausdruck bringt, nämlich: »Vergehen«. Ebenfalls kennen wir den Ausdruck, welcher den Umschlag des Nichtseins in die Seiendheit bezeichnet: »Entstehen«. »Entstehen« und »Vergehen« können einheitlich ausgedrückt werden, und zwar vom Zeichen »Werden«.499 »Werden« ist folglich das signans, welches das gegenseitige Verweisen der zwei vorausgehenden Zeichen zum signatum bzw. Inhalt hat, und ist somit das Zeichen, welches das Resultat der dialektischen Auflösung begrifflich fixiert. Das Werden, im Unterschied zum Sein und Nichts, macht tatsächlich einen Denkinhalt aus, den ersten Denkinhalt der Logik überhaupt.500 Somit wird der Übergang vom »Voraus«

499

WL I, 93: »Das Werden ist auf diese Weise in gedoppelter Bestimmung; in der einen ist das Nichts als unmittelbar, d. i. sie ist anfangend vom Nichts, das sich auf das Sein bezieht, das heißt, in dasselbe übergeht, in der anderen ist das Sein als unmittelbar, d. i. sie ist anfangend vom Sein, das in das Nichts übergeht, – Entstehen und Vergehen.« 500 Enz. § 88, Zusatz, Abs. 3: »Das Werden ist der erste konkrete Gedanke und damit der erste Begriff, wohingegen Sein und Nichts leere Abstraktionen sind.«

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2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

zu jeglichem Etwas zum Etwas selbst vollzogen, in welchem der effektive Anfang des logischen Diskurses besteht. Deswegen spricht Hegel an mehreren Stellen vom Anfang oder vom Werden, als ob es um synonyme Ausdrücke ginge:501 Mit der Entstehung des Zeichens »Werden«, als Ausdruck der metabasis zwischen den absolut Fremden verstanden, können wir von einem tatsächlichen Angefangenwordensein des logischen Diskurses reden. Die Relevanz des Zeichens »Werden« erschöpft sich nicht darin. Hegel sagt mehrmals, dass das Werden die Wahrheit des Seins und des Nichts ist (oder ausspricht).502 Das Werden ist also nicht nur »der erste konkrete Gedanke« der Logik, sondern auch die erste Wahrheit derselben.503 Eigentlich sollte hier die Ausdrucksweise »nicht nur …, sondern auch« – welche eine bloße Kontingenz ausdrückt – vermieden werden, denn zwischen diesen zwei Sachen gibt es einen wesentlichen Zusammenhang. Das Werden ist der erste Gedanke darum, weil dasjenige, was ihm vorausgeht, kein voller Gedanke ist. Aus dem, was kein voller Gedanke ist, geht das Werden als erster Gedanke hervor, was gerade das tatsächliche Anfangen des logischen Diskurses, als Übergang vom absolut »Unverketteten« zur »Verkettung« verstanden, signalisiert. Die Wahrheit scheint also mit der Tatsache der diskursiven Verkettung innig verbunden zu sein. Es muss in dieser Hinsicht darauf aufmerksam gemacht werden, dass, gleichgültig welche Auffassung von Wahrheit man hat, diese immer der Charakter oder die Eigenschaft von komplexen bzw. zusammengesetzten Gebilden ist, niemals von minimalen Einheiten oder Stücken: »Vorstellungen, Begriffe als solche sind weder wahr noch unwahr. Wahrheit ist ein Charakter nur von Urteilen, Behauptungen, Aussagen.«504 Es ist insofern kein Zufall, dass von Wahrheit in der Logik erst die Rede ist, wenn die logische Verkettung angefangen hat; in Sein und

501

WL I, 91: »Es erhellt, daß hierin gegen das Werden oder Anfangen und Aufhören, diese Einheit des Seins und Nichts, nichts vorgebracht wird, als sie assertorisch zu leugnen und dem Sein und Nichts, jedem getrennt von dem anderen, Wahrheit zuzuschreiben […]. Bei der Voraussetzung der absoluten Geschiedenheit des Seins vom Nichts ist – was man so oft hört – der Anfang oder das Werden allerdings etwas Unbegreifliches; denn man macht eine Voraussetzung, welche den Anfang oder das Werden aufhebt, das man doch wieder zugibt, und dieser Widerspruch, den man selbst setzt und dessen Auflösung unmöglich macht, heißt das Unbegreifliche.« Vgl. auch Enz. § 88: »Der Anfang ist selbst auch Werden, drückt jedoch schon die Rücksicht auf das weitere Fortgehen aus.« 502 WL I, 69; Enz. § 88. 503 WL I, 72: »Da nunmehr diese Einheit von Sein und Nichts als erste Wahrheit ein für allemal zugrunde liegt und das Element von allem Folgenden ausmacht, so sind außer dem Werden selbst alle ferneren logischen Bestimmungen: Dasein, Qualität, überhaupt alle Begriffe der Philosophie, Beispiele dieser Einheit.« Vgl. E. Albizu, a. a.O., 34. 504 R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Wahrheit«.

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Nichts kann es (noch) keine Wahrheit geben, weil sie gerade das Relationslose schlechthin – also das eigentlich Vordiskursive – sind. Diese Verbindung der Wahrheit mit dem Komplexen oder Zusammengesetzten lässt sich deutlich in der kantischen Auffassung der logischen Wahrheit erkennen: Laut Kant ist die Wahrheit die Vollkommenheit (d. h. die Übereinstimmung mit einer Norm oder einem Ideal) der logischen Erkenntnis der Relation nach.505 Wahr ist eine Aussage im rein logisch-formellen Sinne nach Kant, wenn sie als zusammengesetztes Gebilde 1) mit sich selbst übereinstimmt und 2) in einer Relation von Folgerichtigkeit mit anderen, wahren Aussagen steht. Identität mit sich und Begründetsein sind also die zwei Kriterien, d. h. Merkmale der logischen Wahrheit.506 Es handelt sich um zwei, weil sie sich auf zwei verschiedene Arten von Aussagen richten. Das Merkmal der Identität mit sich bezieht sich auf analytische Aussagen, die eine gegebene Erkenntnis bloß deutlich machen (und folglich über dieselbe nicht hinausgehen). Das andere Merkmal – nämlich, dass die Aussage Gründe habe – bezieht sich hingegen auf den Zusammenhang dieser Aussage mit anderen.507 Im ersten Kapitel wurde auf die Abschaffung des Unterschiedes von Analyse und Synthese, welche die hegelsche Logik vollzieht, aufmerksam gemacht. Das, was uns nun interessiert, sind die Folgen, die eine solche Abschaffung für die logische Auffassung der Wahrheit hat. Diese wollen wir im Folgenden anhand der ersten logischen Wahrheit, d. h. anhand des Werdens, aufzeigen. Der logische Diskurs zeigt, dass jeder bloß gegebene Begriff gemäß den Kriterien der klassischen Logik eigentlich ein undenkbarer Begriff ist, denn es ist demselben konstitutiv, sich selbst zu widerstreiten. In dieser Hinsicht kann die Wahrheit keine Eigenschaft von analytischen Aussagen sein, die einen bloß gegebenen Begriff deutlich machen. Deswegen können Sein und Nichts keine Wahrheit »haben«: Das bloße Zusehen zu dem, was in ihnen als Zeichen enthalten ist, zeigt, dass sie mit sich selbst nicht übereinstimmen. Unwahrheit und Beziehungslosigkeit erweisen sich hier als streng zusammenhängend: Gerade weil Sein und Nichts – als oberste Genera aufgefasst –

505

Kant: Logik, A 49–50: »Ein Erkenntnis ist vollkommen 1) der Quantität nach, wenn es allgemein ist; 2) der Qualität nach, wenn es deutlich ist; 3) der Relation nach, wenn es wahr ist, und endlich 4) der Modalität nach, wenn es gewiß ist.« Die drei anderen Vollkommenheiten beziehen sich eher auf Aspekte psychologischer und außerlogischer Art. Rein logisch gesehen ist die Hauptvollkommenheit der Erkenntnis eigentlich relationaler Art, also die Wahrheit. Vgl. A 69: »Eine Hauptvollkommenheit des Erkenntnisses, ja die wesentliche und unzertrennliche Bedingung aller Vollkommenheit desselben, ist die Wahrheit.« 506 Vgl. Kant: Logik, A 72, 73. 507 Vgl. Kant: Logik, A 73.

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2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

das Relationslose schlechthin sind und da die Wahrheit nur eine Eigenschaft des Zusammengesetzten sein kann, kann bei ihnen in ihrem vorgefundenen Zustand keine Wahrheit gefunden werden. Die Wahrheit von Sein und Nichts ist dann, sagt uns Hegel, das Werden.508 Besondere Aufmerksamkeit verdient hier die ungewöhnliche Ausdrucksweise Hegels. Traditionell wird von der Wahrheit, wie soeben bemerkt, als einer Eigenschaft des Zusammengesetzten gesprochen; die Eigenschaft der Wahrheit wird dann in der Form eines Adjektivs ausgedrückt. Die Ausdrucksweise Hegels weicht von dieser traditionellen Art ab. Sie sagt nicht, dass die Aussage, die wir über Werden machen können, wahr ist, im Unterschied zu dem, was man von Sein und Nichts sagen kann. Hingegen sagt Hegel von einer gewissen Vorstellung – hier des Zeichens »Werden« –, dass sie die Wahrheit anderer Vorstellungen »ist«. Dass das Werden die Wahrheit von Sein und Nichts ist, bedeutet dann, dass es die Übereinstimmung (adaequatio) mit sich ausmacht, die Sein und Nichts (in ihrem vorgefundenen Zustand als gegensätzliche Vorstellungen) entbehren. Dies ist als eine Radikalisierung der relationalen Auffassung der Wahrheit Kants zu verstehen. Es gibt nicht consensus (Übereinstimmung) mit sich und consensus mit Anderem, wie Kant mit seiner Unterscheidung von zwei logischen Wahrheitskriterien behauptet. Sichselbstgleichheit oder consensus mit sich gibt es eigentlich nur in Zusammenhang mit dem Anderen. In der Relation, die das Zeichen »Werden« ausdrückt, finden die Zeichen »Sein« und »Nichts« die Sichselbstgleichheit, die sie in ihrer Beziehungslosigkeit nicht haben können. Besonders bedeutsam in der Ausdrucksweise Hegels ist auch der Gebrauch der Präposition »in« im räumlichen Sinn: Dementsprechend macht das Zeichen »Werden« den locus, den begrifflichen Raum aus, in welchem Sein und Nichts ihr »Bestehen« (im Sinne von Konsistenz, Sichselbstgleichheit) haben.509 Das Konzept der Übereinstimmung verknüpft bekanntlich die hegelsche Auffassung der Wahrheit mit einem alten philosophischen Topos, nämlich mit der aristotelischen Lehre der Angleichung, die sich später in den scholastischen Begriff der adaequatio zwischen einer Erkenntnis und ihrem Gegenstand verwandeln wird.510 Dies bloß zu konstatieren, ist nicht von Be508

Enz. § 88: »Die Wahrheit des Seins sowie des Nichts ist daher die Einheit beider; diese Einheit ist das Werden.« 509 WL I, 79 (Hervorhebungen von mir, J. S.): »Dieses Dritte ist ein Anderes als sie; – sie bestehen nur in einem Anderen, dies heißt gleichfalls, sie bestehen nicht für sich. Das Werden ist das Bestehen des Seins sosehr als des Nichtseins; oder ihr Bestehen ist nur ihr Sein in Einem; gerade dieses ihr Bestehen ist es, was ihren Unterschied ebensosehr aufhebt.« 510 Siehe Aristoteles: Über die Seele, mit Einl., Übers. u. Kommentar hrsg. v. Horst

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lang für unsere Untersuchung; interessant aber ist für uns die Art und Weise, wie die Logik sich diese Lehre zu eigen macht. Eine kurze Bezugnahme auf diesen Punkt des aristotelischen Denkens kann dabei helfen, den Sinn der logischen Auffassung von Wahrheit und von deren Zusammenhang mit anderen zentralen Aspekten der Logik besser einzusehen. Es ist zunächst auf den Zusammenhang aufmerksam zu machen, welcher das Konzept der Angleichung im Werk De anima mit dem (uns schon vertrauten) Unterschied zwischen dem Möglichen/Unbestimmten und dem Wirklichen/Bestimmten verbindet. In seinem Kommentar zum Buch II, Kapitel 5 bemerkt Horst Seidl: »Jedes Wahrnehmungsvermögen verhält sich zur Wahrnehmung des Objekts auf zweifache Weise so, daß es dieses zuerst in Möglichkeit, dann in Wirklichkeit wahrnimmt. Sofern es sich am Beginn der Wahrnehmung noch in Möglichkeit, d. h. unbestimmt, zum Objekt verhält, ist es zu ihm ungleich und erleidet die Wahrnehmung von Ungleichem. Am Ende der Wahrnehmung hingegen ist es dem Objekt angeglichen und verhält sich zu ihm als Gleiches zu Gleichem.«511 Passivität, Ungleichheit und Möglichkeit bzw. Unbestimmtheit erweisen sich somit in diesem Kontext als wesentlich zusammenhängend. Diese Schilderung der Wahrnehmung weist gewisse (nicht zufällige) Parallelen mit dem Fortgang von der ersten zur dritten Achse des logischen Diskurses in der Logik auf. Es ist wiederholt gesagt worden, dass die Aufgabe des logischen Denkens in einer Aneignung der Produkte der Vorstellung besteht, durch welche also das anfänglich nicht Meinige, das mir Äußerliche, »meinig« gemacht werden muss. Diese Aneignung beginnt, wie wir schon wissen, mit dem passiven Zusehen zu dem, was in einem vorfindlichen Zeichen enthalten ist. Dadurch erweist sich der Inhalt dieses Zeichens als unbestimmt, d. h. in ununterbrochener Kontinuität mit seinem Gegensatz. Bezüglich der Konfusion der Denkinhalte, welche die dialektische Auflösung der suppositio bewirkt, haben wir uns im vorausgehenden Kapitel des Ausdrucks »Kontinuum« bedient: Die ineinander übergehenden Inhalte der Logik machen einen bruchlosen Zusammenhang aus, bei welchem »keine an sich bestehende vollständige Alternative«512 anwendbar ist. Diese Inhalte bilden also eine unbestimmte Sachlage, d. h. (aristotelisch ausgedrückt) etwas bloß Potenzielles, Unvollendetes. In dieser Unbestimmtheit, in diesem Kon-

Seidl, Hamburg 1995. 241–243 (Kommentar von Horst Seidl). S. 242: »Der wichtige Ausdruck des Gleichen, ὅμοιον, ist der Quellentext für die spätere scholastische Lehre von der wahren Erkenntnis als Angleichung (adaequatio) des Erkennenden an das Erkenntnisobjekt.« 511 Aristoteles (Horst Seidl), a. a.O., 241–242. 512 H. Weyl, a. a.O., 75.

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2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

tinuum des Potenziellen, sind die Denkinhalte sich selbst ungleich,513 denn ansonsten wäre das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten darauf anwendbar. Das ineinander Übergehen von Sein und Nichts heißt gerade, dass Sein und Nichts einzeln jeweils sich selbst ungleich sind und zusammen (nach der dialektischen Destruktion der suppositio) ein Kontinuum ausmachen. Daraus wird klar ersichtlich, inwiefern in der Logik die Ungleichheit, die Unbestimmtheit oder das Potenzielle und das vom Denken noch nicht Angeeignete (das oben erwähnte passive Erleiden bei Aristoteles) zusammenhängen. Die Vollendung der Aneignung erfolgt, wie wir nun wissen, mit der dritten Achse des logischen Diskurses, dem Spekulativen oder Positiv-Vernünftigen. Durch die einheitliche Auffassung, die das Spekulative an der resultierenden Sachlage der dialektischen Auflösung vollzieht, wird die Unbestimmtheit, das Potenzielle zur Bestimmtheit, d. h. in die gehörige Form gebracht. Diese begriffliche Fixierung, diese Aktualisierung des Unbestimmten-Potenziellen bringt dann eine adaequatio mit sich, wie wir soeben im Fall von Sein, Nichts und Werden gesehen haben. Hegel nennt diese adaequatio »Wahrheit« und definiert dieselbe an mehreren Stellen als die Übereinstimmung von Etwas mit seinem Begriff. Nach dem oben vom Zeichen »Werden« Gesagten als einem begrifflichen Raum, in welchem Sein und Nichts ihre Wahrheit haben, könnte nun diese Definition so umformuliert werden: Die Wahrheit ist die Übereinstimmung von Etwas mit sich selbst »in« seinem Begriff. Diese spekulative Auffassung der Wahrheit darf keinesfalls mit einem schwachen Holismus verwechselt werden.514 Der Standpunkt des Holismus ist gerade derjenige des metaphysischen Konzeptes des Inbegriffs aller Realitäten, über welchen wir im vorausgehenden Kapitel Auskunft gegeben haben und mit welchem sich nach Hegel »nur begriffloses Vorstellen begnügen kann«.515 Dieser Standpunkt postuliert bekanntlich die Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze: Ein bestimmtes Etwas ist, was es ist, nur in Zusammenhang mit dem Rest aller bestimmten Etwas, und außerhalb dieses Zusammenhanges kommt ihm keine Selbständigkeit zu. Seine positive Seiendheit erhält das Etwas vom Ganzen, in welchem es inbegriffen ist. Das so aufgefasste Etwas macht einen Teil davon aus: Als solches ist es »Beziehung 513

WL I, 93: »Sie heben sich nicht gegenseitig, nicht das eine äußerlich das andere auf; sondern jedes hebt sich an sich selbst auf und ist an ihm selbst das Gegenteil seiner.« 514 Der Holismus könnte so definiert werden: »Als eine Methodologie oder ein Programm, die dazu tendiert, alle Phänomene oder Erscheinungen vom Standpunkt der Totalität aus zu betrachten, von der man annimmt, daß diese Erscheinungen nur Teile sind.« (H. J. Sandkühler (Hrsg): Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Hamburg 1990, Artikel »Holismus«) 515 WL I, 100.

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auf sich dadurch, daß es allem anderen Grenzen setzt«.516 Dieser »stückliche« oder fragmentarische Charakter ist gerade das, was die verschiedenen Etwas in ihrem vorfindlichen verstreuten Zustand, d. h. vor ihrer diskursiven Verkettung in der Logik, kennzeichnet. Das vorgegebene Sprachmaterial, welches vom logischen Denken zu verarbeiten ist, macht bereits ein Ganzes im Sinne des Holismus aus. Die Zeichen-Realitäten konfundieren sich in diesem Ganzen nicht, weil es zwischen ihnen ein Drittes gibt, das sie in Verbindung bringt, ohne sie miteinander zu verwischen. Die Stabilität und die Sichselbstgleichheit der verschiedenen Realitäten beruhen also auf ihrer indirekten Beziehung. Das sie verbindende Dritte ist das Ganze selbst, der Inbegriff – Gott als das Defektlose schlechthin. Aus diesem Grund sagt man wiederholt vom Standpunkt des Holismus aus, dass das Ganze mehr als die bloße Summe der Teile ist: Dieses »Mehr« ist das Band selbst zwischen den Teilen. Im vorausgehenden Kapitel wurde gezeigt, dass das Verbindende der verschiedenen »stücklichen« Realitäten im Inbegriff diesen eigentlich äußerlich ist, wobei das Dritte, in welchem sie »bestehen«, nichts anderes ist als das subjektive Meinen, das Sagen-Wollen des Vorstellens. Gerade in diesem Dritten »bestehen« Sein und Nichts vor ihrer diskursiven Verkettung, und deswegen erscheinen sie am Anfang als entgegengesetzt und voneinander unterscheidbar.517 In dieser Hinsicht könnte man summarisch die Aufgabe der Logik als die Umwandlung des subjektiven Raumes der Gedanken in ihren eigentlichen begrifflichen Raum – ihre Wahrheit – charakterisieren. Dagegen ließe sich aber einwenden, dass in diesem begrifflichen Raum, welchen die Logik an die Stelle des subjektiven Raumes des Meinens und Vorstellens setzt, die wesentliche Solidarität zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen genauso besteht wie im Holismus. Macht der begriffliche Raum der Logik, in welchem die »stücklichen« Gedanken ihre Wahrheit finden, nicht genau ein solches Ganzes aus? Hier müssen Hegels Aussagen mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen werden. Sie sagen nicht, dass das Konzept des Inbegriffes der Realitäten falsch ist. Hegel kritisiert eher die Art von Relation, welche dieses Konzept voraussetzt, und zwar als »eine oberflächliche, in unbestimmtem Nebel gehaltene Beziehung«. Es handelt sich also um eine Vorstellung, die in die Sache nicht tief genug eindringt. Das Wahre im spekulativen Sinne mag wohl ein Ganzes ausmachen, aber jedenfalls nicht auf dieselbe Art und Weise, wie der Holismus sich ein Ganzes vorstellt. Diese Tiefe, 516

WL I, 101. WL I, 79: »Ihr Unterschied ist daher völlig leer, jedes der beiden ist auf gleiche Weise das Unbestimmte; er besteht daher nicht an ihnen selbst, sondern nur in einem Dritten, im Meinen. Aber das Meinen ist eine Form des Subjektiven, das nicht in diese Reihe der Darstellung gehört.« 517

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die sich dem Standpunkt des Holismus entzieht und dazu führt, dass die spekulative Auffassung der Wahrheit mit keinem Holismus verwechselbar ist, ist dasjenige, was im letzten Kapitel »die Unvorstellbarkeit des Spekulativen« genannt wurde. Das metaphysische Konzept des Inbegriffes aller Realitäten (und mit ihm der Holismus) ist als ein Produkt des Vorstellens anzusehen, und als solches ist es mit außerbegrifflichen (anschaulichen, räumlichen, im innerlichen Raum des Meinens sich befindlichen, usw.) Elementen verbunden, an welchen das subjektive Vorstellen Gefallen findet. Das Spekulative hingegen hat ein Unding bzw. etwas Unvorstellbares (nämlich das Resultat der dialektischen Auflösung) zum Gegenstand, und deswegen macht es den Gefälligkeiten der Einbildungskraft keine Konzession.

§ 18 Allgemeine Bemerkungen über die Sphäre des Seins a) Das Sein und das Element der Unmittelbarkeit Wir wollen diesen neuen Paragraphen anfangen, indem wir uns auf eine bestimmte Stelle aus den Vorlesungen über die Logik (1831) beziehen, welche den Diskurs in die Seinslogik einführt. Der Kommentar zu dieser Stelle wird unsere letzten Überlegungen über den Anfang der Logik mit den nachfolgenden Entwicklungen der Seinslogik verknüpfen. Die Stelle sagt: »Das Sein ist [der] Begriff an sich nur; Entwicklung des Begriffs im Element der Unmittelbarkeit, alle Begriffsbestimmungen haben die Form der Unmittelbarkeit; es tritt aber sogleich [die] Beziehung ein, das Scheinen in Anderem, aber diese Beziehung hat selbst [den] Charakter der Unmittelbarkeit, das Übergehen in ein Anderes: Was übergeht in ein Anderes, ist das Unfreie, das vernichtet wird. Im Sein ist schlechthin diese Unfreiheit, Übergehen zu Anderem, Werden.«518 Am Anfang des Hauptteils wurde wieder daran erinnert, dass dasjenige, was »Sein« in der Logik (im Unterschied zum fichteschen Verständnis des Wortes) bezeichnet, die Aktivität des noûs überhaupt ist und dass diese rücksichtslos, d. h. in voller Absehung von jeglicher Relation, betrachtet wird. So muss die erste Aussage des Zitates verstanden werden: »Das Sein ist [der Begriff ] an sich nur«, in welcher dieses »an sich nur« sich gerade auf diese Abstraktion im höchsten Grade bezieht, mit welcher wir uns im vorausgehenden Paragraphen ausführlich befasst haben. Dass das Sein nichts anderes als das Denken selbst ist, wird auch in der folgenden Stelle der Logik mit 518

Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 105.

§ 18 Allgemeine Bemerkungen über die Sphäre des Seins

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anderen Worten ausgedrückt: »Es ist ebensowenig etwas in ihm zu denken, oder es ist ebenso nur dieses leere Denken«.519 Leer ist das Denken, wenn es abgesehen von jeglicher Beziehung aufgefasst wird, und dabei ist es lediglich »an sich«, d. h. eine beziehungslose suppositio. Aber »Sein« bezieht sich in der vorliegenden Stelle nicht nur auf das erste Zeichen, mit welchem die Logik angefangen wird, sondern auch auf die ganze diskursive Sphäre, die dadurch aufgeschlossen wird. Deswegen sagt Hegel anschließend: »Entwicklung des Begriffs im Element der Unmittelbarkeit«. »Sein« ist das Zeichen des Anfangs, aber auch der Name des Denkverlaufes, der mit ihm als Zeichen angefangen wird. Diese logische Entwicklung, die das Zeichen »Sein« zum Ausdruck bringt, d. i. die Seinslogik, erfolgt ferner in einem bestimmten Element. Über den Ausdruck »Element«, der im hegelschen Denken eine wichtige Rolle spielt, haben wir in 1.2 bereits Auskunft gegeben. Wir nehmen ihn hier einfach als Synonym von »Medium mit bestimmten Eigenschaften«. Die definierende Eigenschaft dieses Mediums, welches das »Sein« bezeichnet, ist die Unmittelbarkeit. Das Wort »Unmittelbarkeit« verdient hier besondere Aufmerksamkeit, denn die ganze Problematik der Seinslogik kreist eigentlich um diesen Begriff.520 Bezüglich des Anfanges

519

WL I, 69. Roser spricht von der »Transkategorialität von Unmittelbarkeit und Vermittlung« in dem Sinne, dass Hegel diese »Schlüsselbegriffe der Logik gerade nicht kategorial entwickelt« (vgl. Roser, a. a.O., 211). Die Schwierigkeiten, die solche »transkategoriale« Bestimmungen mit sich bringen, schildert Roser folgendermaßen (A. Roser, a. a.O., 213): »Unmittelbarkeit und Vermittlung können ferner auch nicht in der Funktion gleichsam dialektischer Werkzeuge Hegels interpretiert werden, sofern man Hegels Kritik an der Auffassung, es könne dergleichen in einem System des Absoluten nicht geben, ernst nehmen will. Sofern diese Begriffe aber nicht instrumental verwendet werden, müssen sie selbst inhaltlich bestimmt sein. Worin aber besteht ihre kategoriale Bestimmung? Worin ferner unterscheiden sich diese Begriffe von kategorialen Begriffen?« Die Alternative, die hier Roser darstellt, scheint uns nicht völlig zutreffend zu sein. Man kann z. B. von der »Operativität« gewisser Begriffe reden, ohne dadurch der »instrumentalen Verwendung« dieser Begriffe anheimzufallen. Die Ausdrücke »Werkzeuge« und »Instrument« suggerieren in der Tat eine Art äußerlicher Manipulation oder Einwirkung, die mit der hegelschen Auffassung der Begriffsbewegung frontal kollidiert. Nichts spricht jedoch dagegen, den Ausdruck »Operativität« in Bezug auf Unmittelbarkeit und Vermittlung zu verwenden, denn dadurch wird eine Wirksamkeit zum Ausdruck gebracht, die keine Konnotation von »externer Einwirkung oder Manipulation« enthält. Insofern stellt die »Transkategorialität von Unmittelbarkeit und Vermittlung« nicht das große Problem, das Roser darin sehen will. Das heißt aber keineswegs, dass Unmittelbarkeit und Vermittlung einfache Begriffe sind; ihre Operativität liegt gerade in ihrer Komplexität, wie wir z. B. in Bezug auf die suppositio in 1.2 gesehen haben. In Bezug auf die »inhaltliche Bestimmung« von Unmittelbarkeit und Vermittlung, von welcher Roser (als Alternative zu »instrumentaler Auffassung« derselben) spricht, kann man übrigens sagen, dass Unmittelbarkeit und Ver520

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2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

der Logik sagt Hegel wiederholt, dass er das Unmittelbare ist. Die Unmittelbarkeit ist das Eigentümliche der zwei anfänglichen Zeichen der Logik; sie machen das »Unverkettete« schlechthin aus, und kraft dessen fängt der logische Diskurs als Verkettung mit ihnen »absolut« an. Gerade auf diesen »unverketteten« Charakter, auf diese Beziehungslosigkeit, bezieht sich das Wort »Unmittelbarkeit«.521 Diese Beziehungslosigkeit, welche sowohl »Sein« als auch »Nichts« aufweist, ist auch die Eigenschaft oder der definierende Charakter der Bestimmungen, dessen Bereich bzw. Medium mit dem anfänglichen Zeichen »Sein« und »Nichts« aufgeschlossen wird. Dasjenige, was »Sein« und »Nichts« kennzeichnet, nämlich ihre radikale Fremdheit, ihre Beziehungslosigkeit, ist gerade das, was die Reihe der nachfolgenden Bestimmungen (deren Sphäre »Sein« bezeichnet) definiert. Deswegen besagt die vorliegende Stelle anschließend, als Paraphrasierung des vorhin Gesagten: »alle Begriffsbestimmungen [in der Sphäre des Seins] haben die Form der Unmittelbarkeit«. Kurz gesagt: Die Bestimmungen oder Zeichen der Sphäre des Seins haben mit den anfänglichen Zeichen der Logik die Form der Unmittelbarkeit, der Beziehungslosigkeit gemein. Hier ist aber von Diskurs, von Verkettung die Rede, und das ist gerade das Gegenteil von Beziehungslosigkeit. Wie kann die Beziehungslosigkeit als definierende Eigenschaft eines diskursiven Bereiches betrachtet werden? Gerade als erklärende Antwort auf diese mögliche Frage des Lesers (oder des Hörers), behauptet Hegel an der zitierten Stelle anschließend: »es tritt aber sogleich [die] Beziehung ein, das Scheinen in Anderem, aber diese Beziehung hat selbst [den] Charakter der Unmittelbarkeit, das Übergehen in ein Anderes«. Es ist also denkbar, dass eine Beziehung den Charakter der Beziehungslosigkeit hat; es handelt sich dann um die Art von Beziehung, welche den Beziehungslosen eigen ist. Diese Relation heißt bei Hegel »Übergehen in ein Anderes« und das bedeutet: Ein Beziehungsloses tritt in Beziehung, nur sofern es aufhört, dasjenige zu sein, was es ist, und in dasjenige umschlägt, was es nicht ist, d. h. in die Andersheit, mit welcher es (als Beziehungsloses) in Beziehung tritt. Deswegen sagt Hegel – mit dem Vokabular Newtons522 –

mittlung, trotz ihrer operativen Bedeutung, doch zur inhaltlichen Unterscheidung von »diskursiven Sphären« dienen können, wie sich im Folgenden in Bezug auf die Seinssphäre (als »Element der Unmittelbarkeit verstanden«) zeigen wird. 521 Hinter der Verwendung des Wortes »Unmittelbarkeit« bei Hegel steckt eigentlich viel mehr. Um einen guten Einblick in deren philosophiehistorischen Implikate zu gewinnen, siehe M. Theunissen, a. a.O., 198–215. 522 Vgl. I. Newton: Philosophiae naturalis principia mathematica (Dritte Ausg. 1726), Libr. 1, Lemma XI, Scholium.

§ 18 Allgemeine Bemerkungen über die Sphäre des Seins

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von Sein und Nichts, dass das eine in dem anderen »verschwindet«.523 Ferner ist das Verschwinden in der Andersheit das Kennzeichen dessen, was in seinem Sein (spinozistisch ausgedrückt) nicht verharren kann, bzw. dessen, was keine Selbständigkeit hat. Gerade deshalb sagt Hegel: »Was übergeht in ein Anderes, ist das Unfreie, das vernichtet wird«. Unmittelbarkeit bzw. Beziehungslosigkeit und Unfreiheit bzw. Unselbständigkeit machen zwei zusammenhängende Kennzeichen aus. Das eine kann nicht ohne das andere sein, denn das Unmittelbare kann nur wahrhaft in Beziehung treten, indem es verschwindet bzw. vernichtet wird, seiner Selbständigkeit beraubt wird (»Im Sein ist schlechthin diese Unfreiheit, Übergehen zu Anderem, Werden«). Dieses Verschwinden, das dem Unfreien, Unselbständigen eigen ist, kennzeichnet all die Denkinhalte des diskursiven Bereiches, den »Sein« bezeichnet. Dieses unfreie Übergehen in das Andere kann auch »Werden« genannt werden, und daraus folgen sehr wichtige Konsequenzen, nämlich: Die von den drei ersten 523

WL I, 69 (Hervorhebungen von mir, J. S.): »Aber ebensosehr ist die Wahrheit nicht ihre Ununterschiedenheit, sondern daß sie nicht dasselbe, daß sie absolut unterschieden, aber ebenso ungetrennt und untrennbar sind und unmittelbar jedes in seinem Gegenteil verschwindet. Ihre Wahrheit ist also diese Bewegung des unmittelbaren Verschwindens des einen in dem anderen: […].« Vgl. auch WL I, 93: »Sein und Nichts sind in ihm nur als Verschwindende; aber das Werden als solches ist nur durch die Unterschiedenheit derselben. Ihr Verschwinden ist daher das Verschwinden des Werdens oder Verschwinden des Verschwindens selbst.« Die Verwendung des Ausdruckes »Verschwinden« erbringt einen weiteren Nachweis der wesentlichen Rolle des Kontinuums in der hegelschen Logik, denn »Verschwinden« bezieht sich bekanntlich in der Mathematik auf die unendlich kleinen Größen, mit welchen die Infinitesimalrechnung operiert. D’ Alembert bemerkte schon die metaphysischen Schwierigkeiten, die dieses »Verschwinden« mit sich bringt, und zwar folgendermaßen (Élémens de Philosophie, § XIV. Éclaircissement sur les principes métaphysiques du calcul infinitésimal, in: Oeuvres, Bd 1, Paris 1821, 292): »Quelques mathématiciens on défini la quantité infiniment petite, celle qui s’évanouit, considérée non pas avant qu’elle s’évanouisse, non pas après qu’elle est evanouie, mais dans le moment même où elle s’évanouit. Je voudrais bien savoir quelle idée nette et précise on peut espérer de faire naître dans l’esprit par une semblable définition? Une quantité est quelque chose ou rien; si elle est quelque chose, elle n’est pas encore evanouie; si elle n’est rien, elle est évanouie tout-à-fait. C’est une chimère que la supposition d’un état moyen entre ces deux-là.« Die Schwierigkeiten, die D’Alembert in Bezug auf den Begriff einer verschwindenden Größe sieht, sind denen sehr ähnlich, die das Übergehen von Sein in Nichts (und umgekehrt) in der Logik veranlassen: In beiden Fällen haben wir es mit der grundsätzlichen Schwierigkeit zu tun, sich den Verlust der Sichselbstgleichheit vorzustellen bzw. denselben vor den Geist zu bringen. Daraus erhellt, warum Hegel auch vom »Verschwindenden« als gleichbedeutend mit dem »Falschen« spricht (Phän., 46): »Diese [die Wahrheit] schließt also ebensosehr das Negative in sich, dasjenige, was das Falsche genannt werden würde, wenn es als ein solches betrachtet werden könnte, von dem zu abstrahieren sei. Das Verschwindende ist vielmehr als wesentlich zu betrachten, nicht in der Bestimmung eines Festen, das vom Wahren abgeschnitten, außer ihm, man weiß nicht wo, liegen zu lassen sei, so wie auch das Wahre nicht als das auf der andern Seite ruhende, tote Positive.«

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Zeichen – »Sein«, »Nichts« und »Werden« – definierte Sachlage fungiert als die fundamentale Matrix der nachfolgenden logischen Entwicklungen der Seinssphäre. Das, was wir im vorausgehenden Paragraphen analysiert haben, markiert einen Rahmen, eine typische Struktur, gemäß welcher die darauf folgende begriffliche Entfaltung sich ergeben wird. Die zitierte Stelle bringt gerade die Kennzeichen zum Ausdruck, welche dieser typischen Struktur eigen sind. Im Folgenden werden wir in Bezug auf Kant aufzuzeigen versuchen, was für Denkbestimmungen genauer diese typische Struktur umfasst.

b) Anschauliche Evidenz und Gleichartigkeit: Die logische Umkehrung des Intuitionismus Im ersten Kapitel unserer Untersuchung wurde darauf hingewiesen, dass Bestimmungen der Logik (und deren Einordnung) mit den kantischen Kategorien mehr oder weniger übereinstimmen. Dieses »mehr oder weniger« bezieht sich gerade auf die »weiterbildende und umformende« Tätigkeit, die das logische Verfahren am vorgegebenen Stoff (der vorigen Logik und Metaphysik) vollzieht.524 Der vorgegebene Stoff wird vornehmlich von der kantischen Philosophie verliehen. Versuchen wir nun, in diesem vom kantischen Denken verliehenen Stoff einen Verknüpfungspunkt mit dem bisher Betrachteten ausfindig zu machen. Das Schlüsselwort hier ist »Unmittelbarkeit«. Im letzten Abschnitt ist die Unmittelbarkeit der Beziehungslosigkeit gleichgesetzt worden; von derselben haben wir dann behauptet, dass sie das Kennzeichen der Bestimmungen der Seinslogik ausmacht. Dasjenige also, was die Denkinhalte einer bestimmten Sphäre der Logik definiert, ist grundsätzlich die Art von Relation, in welcher diese Denkinhalte zueinanderstehen. Wir müssen uns folglich auf die Arten von Verbindungen oder Synthesen berufen, die Kant bezüglich der apriorischen Denkinhalte unterscheidet. Nach Kant ist alle Verbindung (conjunctio) entweder Zusammensetzung (compositio) oder Verknüpfung (nexus): »Die erstere ist die Synthesis des Mannigfaltigen, was nicht notwendig zu einander gehört, wie z. B. die zwei Triangel, darin ein Quadrat durch die Diagonale geteilt wird, für sich nicht notwendig zueinander gehören, und dergleichen ist die Synthesis des Gleichartigen in allem, was mathematisch erwogen werden kann, […]«.525 Dies ist die

524

Enz. § 9, Anm., Abs. 1: »Die spekulative Logik enthält die vorige Logik und Metaphysik, konserviert dieselben Gedankenformen, Gesetze und Gegenstände, aber sie zugleich mit weiteren Kategorien weiterbildend und umformend.« 525 KrV B 201.

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Art von Verbindung oder Synthesis apriori, welche die Kategorien des ersten und zweiten Quadranten der Tafel, die sogenannten »mathematischen Kategorien« vollziehen (d. h. die Kategorien der Quantität und der Qualität).526 Bezüglich der zweiten Art von Verbindung, der Verknüpfung oder des nexus, bemerkt Kant: Sie »ist die Synthesis des Mannigfaltigen, sofern es notwendig zu einander gehört, wie z. B. das Akzidens zu irgend einer Substanz, oder die Wirkung zu der Ursache, – mithin auch als ungleichartig doch a priori verbunden vorgestellt wird, welche Verbindung, weil sie nicht willkürlich ist, ich darum dynamisch nenne, weil sie die Verbindung des Daseins des Mannigfaltigen betrifft, […]«.527 Aus dieser kurzen Charakterisierung erhellt, dass die Art von Relation zwischen Denkinhalten in der Seinslogik, die wir im letzten Abschnitt betrachtet haben, sich mit der ersten Art von conjunctio, die Kant »compositio« nennt, deckt. Mit der zweiten Art, der Verknüpfung oder nexus, werden wir uns im nächsten Kapitel hinsichtlich der Wesenslogik ausführlich befassen. Versuchen wir nun, die Korrespondenzen zwischen dem über die Seinslogik Gesagten und der kantischen Erläuterung der Verbindung durch compositio ans Licht zu bringen. Das in der kantischen Erläuterung Relevante ist die Korrelation zwischen der Gleichartigkeit der Glieder, die durch die Synthese miteinander verbunden werden, und dem nicht-notwendigen Charakter der Verbindung selbst. Sind die Glieder (oder, wie Kant sagt, »das Mannigfaltige«) der conjunctio gleichartig bzw. hat kein Glied Präeminenz oder Vorrang im Verhältnis zum anderen, dann ist ihre Verbindung nicht-notwendig, d. h. sie können voneinander abgetrennt werden, ohne dass sie ihren spezifischen Charakter einbüßen. Eigentlich machen die Gleichartigkeit und die nicht-notwendige Verbindung die zwei Kehrseiten derselben Sache aus: Wenn die Glieder gleichartig sind, dann ist keines abhängig vom anderen bzw. sie sind vollkommen selbständig gegeneinander, und folglich ist ihre Verbindung ihnen völlig gleichgültig. Eine Verbindung, die den verbundenen Gliedern gleichgültig ist, ist eine Verbindung von solchen, die bereits fertig konstituiert sind, bevor sie in Verbindung gebracht werden. Solche bereits konstituierten Glieder treten eigentlich nicht in Beziehung, wenn sie miteinander verbunden werden, denn das würde ihrer fertigen Natur widersprechen – dem Fertigen kann, wie Marzoa in Bezug auf die leibnizsche notio completa bemerkt, »nichts hinzugefügt werden, ohne dass es sich widerspricht«.528 Folglich kann ihre Beziehung nur eine Beziehung äußerlicher Art sein, d. h. eine Relation, welche die 526 527 528

KrV B 106. KrV B 201–202. F. M. Marzoa: Cálculo y ser…, a. a.O., 68.

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2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

Glieder nicht in ihrer wesentlichen Konstitution betrifft. Das ist gerade die Art von Relation, die gemeinhin als »Zusammensetzung« bezeichnet wird. Wenn ferner die Verbindung, welche die Zusammensetzung ausmacht, den verbundenen Gliedern äußerlich ist, dann ist die Herausnahme eines Glieds aus der Verbindung dem Rest der Glieder völlig gleichgültig. Das bringt mit sich, dass die Verbindung anders sein kann, ohne dass die Glieder von dieser Änderung im mindesten betroffen werden. Kurzum: Die Verbindung ist nicht notwendig, hat keinen zwingenden, gesetzmäßigen Charakter. Bringen wir das nun in Zusammenhang mit dem oben über die Denkinhalte der Seinslogik Gesagten. Von denselben haben wir gesagt, dass sie den Charakter der Unmittelbarkeit, d. h. der Beziehungslosigkeit, haben. Wenn sie beziehungslos sind, dann ist keiner abhängig von einem anderen und folglich sind sie gleichartig, wie die Glieder der kantischen compositio. Gleichartigkeit und Unmittelbarkeit erweisen sich somit als Aspekte desselben. Ferner haben wir gesagt, dass die Unmittelbaren, trotz ihrer Beziehungslosigkeit, in Beziehung treten können, nämlich in jene Art von Beziehung, die den Beziehungslosen eigen ist. Solche Beziehung ist aber nicht die kantische compositio, denn diese ist, wie soeben gezeigt, den Gliedern äußerlich, d. h. sie setzt die Glieder zusammen, ohne sie dadurch effektiv in Beziehung zu bringen. Die Zusammensetzung kann nicht als die Art von Beziehung angesehen werden, welche die Beziehungslosen kennzeichnet, denn sie macht eigentlich keine Beziehung aus oder, wie Hegel sagt, sie ist ein bloßes »und«; dasjenige, was durch ein bloßes »und« mit anderen verbunden ist, kann aus der Verbindung herausgenommen werden, ohne dass die fertige, bereits konstituierte Natur der übrigen Glieder davon im Geringsten betroffen würde. Die Art von Verkettung, welche die Logik sich bei ihrem vorgegebenen Stoff herzustellen vornimmt, kann nicht in einer bloßen Zusammensetzung bestehen – das würde all dem bisher Gesagten über den logischen Diskurs widersprechen. Wir haben aber gerade gesagt, dass die Verbindung zwischen Gleichartigen (oder Gleichgültigen) nur äußerlich sein kann, denn als solche Gleichartige sind sie fertig, bereits konstituiert, und die Hinzufügung von etwas Neuem würde mit ihrer fertigen Natur kollidieren. Anders gesagt: Ein bereits Konstituiertes (also ein Beziehungsloses) kann nur in eine effektive Beziehung gebracht werden, wenn es sich dadurch widerspricht, d. h. wenn es als Konstituiertes, Fertiges verschwindet. Das ist gerade die Art von Relation, die wir oben den Beziehungslosen zugeschrieben haben. Die einzige Art und Weise, auf welche zwei Beziehungslose wirklich in Verbindung gebracht werden können, ist nur durch ihr Übergehen ineinander bzw. durch das Verschwinden des einen im anderen. Durch dieses Verschwinden verliert das in Verbindung gebrachte Glied die Selbständigkeit, die es zunächst

§ 18 Allgemeine Bemerkungen über die Sphäre des Seins

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als Fertiges, bereits Konstituiertes kennzeichnet. Es erweist sich somit als das Gegenteil dessen, was es zu sein scheint, d. h. als ein Unfreies, Unselbständiges; deswegen nennt Hegel die Relation zwischen den Unmittelbaren »unfreies Werden«. Im kantischen Kontext kann eine solche Relation zwischen gleichartigen Unmittelbaren nicht konzipiert werden, denn sie verstößt gegen das allgemeinste und grundlegendste Kriterium der Denkbarkeit eines begrifflichen Inhaltes, nämlich die Übereinstimmung mit sich. Nun können wir unsere Aufmerksamkeit auf den anderen von Kant hervorgehobenen Aspekt der Verbindung durch compositio richten, nämlich, dass diese, trotz ihres willkürlichen, nicht-notwendigen Charakters, eine größere Evidenz besitzt als die Art von Verbindung, die das Denken zwischen Ungleichartigen vollzieht.529 Die Verbindung zwischen Ungleichartigen kann (im Unterschied zur compositio) nicht äußerlicher Art sein, denn die Ungleichartigkeit impliziert gerade, dass ein Glied der Verbindung dem anderen unterworfen oder von demselben abhängig ist. Folglich können die Glieder einer solchen Verbindung nicht voneinander abgetrennt werden, ohne dass jedes seinen spezifischen Charakter, sein so-Sein einbüßt. Ihre Verbindung hat somit einen zwingenden, gesetzmäßigen Charakter oder sie ist notwendig. Worauf basiert dann die größere Evidenz der Verbindung durch compositio? Sie hat wieder mit dem Begriff der Unmittelbarkeit zu tun. Von dieser haben wir wiederholt gesagt, dass sie ein Synonym von »Beziehungslosigkeit« ist. Das scheint aber nicht völlig übereinzustimmen mit dem üblichen Verständnis des Wortes, nach welchem das Adjektiv »unmittelbar« dasjenige bezeichnet, was sich direkt, ohne »Zwischenschritte«, vorstellt. In dieser Bedeutung verwendet Kant das Wort, und zwar gerade auch in Bezug auf die sinnliche Anschauung. Diese wird von Kant als die »unmittelbare Vorstellung« von Objekten definiert:530 Beim Anschauen stehen wir in einem direkten Kontakt mit dem Gegenstand, ohne Zwischenschritte. Der Gegensatz dieses direkten Kontaktes ist das Denken, durch welches wir uns auf den Gegenstand auf indirekte, mittelbare Weise beziehen: Durch das Denken verarbeiten wir das unmittelbar Gegebene, d. h. wir »disponieren« über dasselbe nach gewissen Relationen, die im unmittelbaren Kontakt nicht vorhanden sind.531 Dies ist der Punkt, in welchem die Auffassung der Unmit-

529

Vgl. J. Vuillemin: Physique et métaphysique kantiennes, Paris 1955, 11. Vgl. KrV B 41. 531 Kant: Logik A 45: »Man pflegt die Sinnlichkeit auch das niedere, den Verstand dagegen das obere Vermögen zu nennen; aus dem Grunde, weil die Sinnlichkeit den bloßen Stoff zum Denken gibt, der Verstand aber über diesen Stoff disponiert und denselben unter Regeln oder Begriffe bringt.« 530

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2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

telbarkeit als Beziehungslosigkeit und das normale Verständnis des Wortes konvergieren. Die Inhalte, die uns die Anschauung auf unmittelbare Weise verleiht, bevor das Denken darüber »disponiert«, erscheinen gerade als relationslos, ohne Verbindung miteinander und insofern als gleichartig. Das Direkte, unmittelbar Gegebene und das Beziehungslose erweisen sich somit als gleichbedeutend; deswegen spricht Hegel von »Außereinandersein« und von »Äußerlichkeit«, wenn er sich auf die (kantischen) Formen der Anschauung – den Raum und die Zeit – bezieht.532 Gerade auf diese zusammenhangslosen Inhalte der Anschauung bezieht sich die Verbindung durch compositio: Das Mannigfaltige – um Kants Ausdrucksweise zu verwenden –, das nicht zueinander gehört und welches der Gegenstand der äußerlichen, nicht-notwendigen compositio ist, macht den spezifischen Charakter des Anschaulichen oder unmittelbar Gegebenen aus. Die Evidenz der compositio hängt dann mit ihrem direkten, unmittelbaren Charakter zusammen: Der direkte Bezug auf die Anschauung, auf das unmittelbar Gegebene, gibt der Verbindung durch compositio eine fundierte, unleugbare Gewissheit. Auf dieser »Augenscheinlichkeit« des Unmittelbaren beruhen nach kantischer Auffassung die apodiktische Evidenz und die Überlegenheit der Wissenschaften, die sich auf die bloße Form der Anschauung beziehen, wie die Mathematik. In Vergleich zu dieser »Augenscheinlichkeit« kann die Evidenz der Verbindung durch nexus nur geringer sein, denn dasjenige, worauf sie sich bezieht, nämlich die Ungleichartigkeit (und folglich die notwendigen Beziehungen), ist im unmittelbar Gegebenen nicht vorhanden. Darauf basiert gerade die bekannte Kritik Humes am (vermeintlichen) wissenschaftlichen Charakter des Kausalitätsbegriffes. Da die Mannigfaltigkeiten der bloßen Anschauung nicht zueinander gehören, bringt ihre mathematische Zusammensetzung (denken wir an das kantische Beispiel des Triangels und des Quadrats) keine metaphysische Annahme mit sich: Ihre Äußerlichkeit gegeneinander ist direkt anschaubar. Bei der kausalen Verknüpfung hingegen fügen wir den unmittelbar anschaubaren Beziehungen von »Aneinandergrenzung« und »Aufeinanderfolge« zwischen Gegenständen noch eine von denselben nicht ableitbare Idee hinzu: die Produktivität.533 Diese zweite Verbindung entbehrt der intuitiven Gewissheit, welche die zwei ersten Beziehungen besitzen; ihre Schlussfolgerung ist somit indirekt und mittelbar, und insofern zufälliger als die erste.

532

Vgl. Enz. §§ 253–254. Vgl. Hume: A Treatise of Human Nature, hrsg. v. D. F. Norton u. M. J. Norton, Oxford 2005, 52–58. 533

§ 18 Allgemeine Bemerkungen über die Sphäre des Seins

195

Die Bezugnahme auf Humes Kritik des Kausalitätsbegriffes wird uns nun dabei helfen, die Position der hegelschen Logik in diesem Zusammenhang zu erläutern. Für diesen Zweck werden wir zunächst unsere Aufmerksamkeit auf die hegelsche Kritik an der Kritik Humes richten, die in den Jenaer Systementwürfen enthalten ist.534 In diesen Texten hat sich bekanntlich der Standpunkt Hegels, so wie er in der Wissenschaft der Logik am Werk ist, noch nicht völlig herausgebildet. Trotzdem kann die darin enthaltene Hume-Kritik als ein gutes Beispiel des Standpunktes der hegelschen Logik in Bezug auf das hier über die Unmittelbarkeit ausgemachte angesehen werden. Hume kritisiert, wie soeben gezeigt, die »vermeintliche« Wissenschaftlichkeit der Kausalverknüpfung und bezeichnet dieselbe als eine metaphysische Annahme, denn es handelt sich um eine Verbindung, die im unmittelbar Gegebenen selbst nicht vorhanden ist. Das, was Hegel gegen diese Kritik geltend macht, hat mit der kantischen Unterscheidung zwischen »Erscheinung« und »Ding an sich« zu tun. Durch die Verknüpfung kausaler Art werden Sinneserscheinungen nach der Idee der Produktivität in Verbindung gebracht. Erscheinung ist nach Kant »der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung«535, und sein Gegensatz ist der Begriff des Dinges an sich, der sich auf dasjenige bezieht, »was gar keine Beziehung auf irgend etwas von ihm Verschiedenes hat«.536 Wichtig bei dieser Definition ist für uns das Adjektiv »unbestimmte« – vor allem, wenn wir diese Definition mit einer anderen Stelle der Kritik in Zusammenhang bringen, nach welcher die Erscheinungen »ihre formale Möglichkeit« vom Verstande »erhalten«.537 Dass ein Gegenstand unbestimmt ist, heißt, dass er ununterscheidbar von einem anderen ist; die Bestimmtheit, deren der Gegenstand in seinem rein anschaulichen Zustand entbehrt, erhält er vom Verstand, der ihn begrifflich bestimmt und ihn somit unterscheidbar bzw. denkbar macht. Folglich machen die Sinneserscheinungen, die durch den Kausalnexus in eine nicht an534

JSE II, 49–51. KrV B 34. 536 KrV B 321. Wir haben nicht die Definition von »Ding an sich« genommen, sondern die vom »Inneren«. Aber die folgende Stelle berechtigt eine solche Gleichsetzung (KrV B 333–334): »Wenn die Klagen: Wir sehen das Innere der Dinge gar nicht ein, so viel bedeuten sollen, als, wir begreifen nicht durch den reinen Verstand, was die Dinge, die uns erscheinen, an sich sein mögen; so sind sie ganz unbillig und unvernünftig; denn sie wollen, daß man ohne Sinne doch Dinge erkennen, mithin anschauen könne, folglich daß wir ein von dem menschlichen nicht bloß dem Grade, sondern so gar der Anschauung und Art nach, gänzlich unterschiedenes Erkenntnisvermögen haben, also nicht Menschen, sondern Wesen sein sollen, von denen wir selbst nicht angeben können, ob sie einmal möglich, vielweniger, wie sie beschaffen sind.« 537 KrV A 127. 535

196

2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

schaubare Verbindung gebracht werden, vor der begrifflichen »Disposition« des Verstandes über sie etwas Unbestimmtes, Ununterscheidbares aus. Das kollidiert mit unserer Charakterisierung des unmittelbar Gegebenen, nämlich, dass es etwas Fertiges, bereits Konstituiertes ausmache. Infolge der bereits konstituierten Natur ist die Beziehung zwischen Unmittelbaren, wie oben gezeigt, äußerlich und willkürlich. Ist aber der Gegenstand der Verbindung ein Unmittelbares, dann haben wir, nach der kantischen Auffassung von Erscheinung, bei dieser mit dem Gegenteil von etwas Konstituiertem und Fertigem zu tun. Die Kritik Humes am Begriff des Kausalnexus setzt voraus, dass das in Verbindung Gebrachte vollkommen auseinander fallende Dinge sind, also fertige und bereits konstituierte Dinge. Es wird angenommen, dass die Erscheinungen Selbständigkeit gegenüber einander besitzen, dass sie vollkommen beziehungslos sind, wie ihr Gegensatz, das Ding an sich. Diese Annahme ist folglich noch metaphysischer als diejenige der kausalen Verknüpfung von Erscheinungen, denn sie betrachtet die Erscheinungen als selbständige Wesen, also als das Gegenteil dessen, was sie im Prinzip sind.538 Der Zweck dieser Hume-Kritik Hegels ist keineswegs, die apodiktische Evidenz des Kausalnexus gegen Hume und Kant geltend zu machen. Es handelt sich in ihr eher darum, die Widersprüche aufzuzeigen, die im Begriff des Unmittelbaren selbst enthalten sind. Das, was die soeben betrachtete hegelsche Erörterung bezüglich des Kausalnexus ersichtlich macht, ist, dass das Kennzeichen des Unmittelbaren das Verschwinden in seinem Anderen und das unfreie Werden ist. Das Unmittelbare ist tatsächlich das Fertige und bereits Konstituierte, aber seine logische Natur ist gerade, sich als solches zu dementieren und in der Andersheit zu verschwinden. Diese logische Natur des Unmittelbaren, seine Beschaffenheit als begrifflicher Inhalt, ist das Einzige, was vom Standpunkt der Logik aus eigentlich relevant ist. Wir stehen 538

JSE II, 50–51: »Kant hat dasselbe, was Hume ausgesprochen, die Substanzen Hume’s, die aufeinanderfolgen oder nebeneinander, überhaupt für sich gleichgültig gegeneinander sind, bleiben dies ebenso bei Kant; daß ihm das, was Hume Dinge nennt, Empfindungen, Wahrnehmungen, sinnliche Vorstellungen, oder wie er sonst will, sind, macht zur Sache gar nichts, es sind verschiedene, für sich seiende; die Unendlichkeit des Verhältnisses, die Notwendigkeit ist ein von ihnen Getrenntes; jenes Fürsichsein der Verschiedenen nennt er als objektiv eine zufällige Zusammenstellung, und das Notwendige bleibt ein subjektives; jenes Erscheinen ist für sich, und die Notwendigkeit als ein Verstandesbegriff ebenso für sich. […] In Wahrheit sind die Auseinanderfallenden, – Empfindungen, Gegenstände der Erfahrung oder wie man sie nennen will, – bloße Erscheinungen, und wenn das Wort Erscheinung nicht sinnlos sein soll, so wird es nichts bedeuten, als daß jene Verschiedenen so für sich gesetzt nicht an sich selbst, ihrem Wesen nach sind, sondern sie sind an sich schlechthin Unendliche, Identische als das Gegenteil ihrer selbst; […].«

§ 18 Allgemeine Bemerkungen über die Sphäre des Seins

197

hier vor der Umkehrung des kantischen »Intuitionismus«, welche die semiotische Perspektive der Logik mit sich bringt. Die Logik hat kein anderes Material als Zeichen; in ihrer Betrachtung der Denkinhalte nimmt sie Rücksicht auf die zeichenhafte Konfiguration derselben. Die Beziehungslosigkeit des Mannigfaltigen hat insofern in diesem Kontext einen ganz anderen Sinn als bei Kant und Hume, denn es geht primär um die Beziehungslosigkeit von Zeichen oder von Denkinhalten im Element des Logischen; aus der Perspektive des reinen Denkens ist die Beziehungslosigkeit mit Kontingenz, Zufall und Gedankenlosigkeit gleichbedeutend. Dasjenige, was für Hume und Kant dank direkten Bezuges auf die Anschauung evidenter und gewisser ist, ist vom Standpunkt der Logik aus eigentlich weniger evident und ungewisser. Die Beziehungslosigkeit des Unmittelbaren, wenn sie sich auf Zeichen und deren Relationen bezieht, bezeichnet gerade den anfänglichen Zustand der Denkinhalte, ihre vorfindliche Zusammenhangslosigkeit, bevor sie von der »weiterbildenden und umformenden« Tätigkeit des reinen Denkens durchdrungen werden. In dieser Hinsicht bedeutet die Unmittelbarkeit, welche die diskursive Sphäre des Seins kennzeichnet, die unentwickeltste Phase des Denkens, also diejenige, welche aufs Innigste mit der Vorstellung verbunden und folglich am wenigsten von der Reflexion und dem Denken umgeformt und verarbeitet worden ist. Deswegen sagt Hegel an der von uns oben kommentierten Stelle seiner Vorlesungen, dass das Sein »der Begriff an sich nur« ist. Das Sein ist das Denken, wenn es von sich selbst noch nicht gedacht und begriffen worden ist; es handelt sich um jenes Stadium des logischen Diskurses, in welchem das Denken von seiner Selbstdurchsichtigkeit am entferntesten ist.539 539

Es kann von Nutzen sein, diesen letzten Punkt mit der folgenden Aussage Theunissens in Zusammenhang zu bringen (M. Theunissen, a. a.O., 47): »Die Denkbestimmungen sowohl der Seins- wie auch der Wesenslogik haben nach dem Selbstverständnis Hegels unmittelbare Gültigkeit ausschließlich für die Welt der rein körperlichen, unorganischen Dinge und die Tiefendimension dieser Welt, während Leben und Geist erst in begriffslogischen Kategorien angemessen faßbar werden.« Im Prinzip scheint uns dies richtig, aber man sollte gewisse Präzisierungen hinzufügen. In der Logik geht es nicht primär darum, die Gültigkeit der Denkbestimmungen in Bezug auf bestimmte thematische Bezirke zu prüfen, weil der eigentliche Maßstab jederzeit das reine Denken selbst und sein eigener »Rhythmus« (Phän., 55) ist. Wenn also die Unwahrheit einer Bestimmung (der Seinsoder der Wesenslogik) in der Logik aufgezeigt wird, heißt das nicht, dass sie inadäquat für das Leben und für den Geist ist, während sie mit Erfolg für das Verständnis eines Naturphänomens gebraucht werden kann. Die Unwahrheit der in der Logik behandelten Bestimmungen ist in dieser Hinsicht nicht relativ, sondern absolut, denn es muss gerade gezeigt werden, dass jeder Denkinhalt nach den traditionellen Kriterien der Wahrheit eigentlich unwahr ist, ganz unabhängig von seiner Fähigkeit, »rein körperliche Dinge« fassbar zu machen. Bei der soeben behandelten hegelschen Kritik der humeschen Kritik des

198

2.1 Die Seinslogik: Unfreies Werden und Beziehungslosigkeit

c) Die Idee der Gleichgültigkeit gegen jede Grenze Mit diesen allgemeinen Hinweisen sind wir nun imstande, über den Abschluss der Seinslogik und das Übergehen in die nächste diskursive Sphäre, die Wesenslogik, summarisch Auskunft zu geben. Es ist aufgezeigt worden, dass die spezifische Art von Relation des Unmittelbaren das unfreie Übergehen in das Andere ist. Das Unmittelbare ist das Relationslose, und das In-die-Beziehung-Treten eines solchen kann für dasselbe nur die Auflösung seines (relationslosen) Seins, seine Vernichtung, bedeuten. »Was übergeht in ein Anderes, ist das Unfreie, das vernichtet wird«, sagt Hegel an der oben kommentierten Stelle der Vorlesungen. Das unfreie Umschlagen in die Andersheit ergibt sich aus der Unfähigkeit, im eigenen Sein zu verharren. Und im eigenen Sein vermag das Unmittelbare nicht zu verharren, weil sein Anderes gerade ein anderes Unmittelbares ist, von welchem es folglich beschränkt wird. Beschränkung ist die Relation von solchen, die sich im selben Bereich befinden; ihre Zugehörigkeit zum selben Bereich macht sie gleichartig. Beschränkung impliziert ferner Passivität, Erleiden, Endlichkeit. Beharrung, Permanenz, wahre Selbständigkeit hingegen kann einem Sein nur dann zukommen, wenn es über jegliche Beschränkung hinaus liegt. Dieses Sein ist gerade das gemeinschaftliche Element, welchem all die gegenseitig beschränkten, gleichartigen Unmittelbaren inbegriffen sind; Hegel nennt es an der kommentierten Stelle »das Element der Unmittelbarkeit«. Als ein solches Gemeinschaftliches macht dieses Element dasjenige aus, was die gleichartigen Unmittelbaren in Verbindung bringt, und sie folglich vernichtet. Es ist also infolge dieses Dritten, welches den Zusammenhang zwischen den Unmittelbaren schafft (und zu welchem sie als gleichartig essenziell gehören), dass die Unmittelbaren zugrunde gehen. Dieses Dritte oder »Element der Unmittelbarkeit« macht die (von uns sogenannte) »unentwickeltste Phase des Denkens« aus, d. h. dasjenige Stadium, welches vom Denken am wenigsten durchdrungen worden ist. Was muss dann die logische Durchdringung dieses Elementes schließlich mit sich bringen? Die vollständige Durchdringung des »Elementes der Unmit-

Kausalitätsprinzips geht es also nicht darum zu zeigen, dass der Kausalitätsbegriff wahr in Bezug auf physischen Vorgänge ist und unwahr in Bezug auf den Geist. Der Begriff des Kausalzusammenhanges weist gewisse Defizite auf, die nicht etwa dadurch aufzuheben sind, dass er auf den richtigen Gegenstand bezogen wird, weil diese Defizite konstitutiv bzw. rein begrifflicher Natur sind. Die Logik versucht gerade offenzulegen, dass die Unwahrheit einer Bestimmung nicht aus einer fehlerhaften Anwendung derselben resultiert, sondern dass die Unwahrheit ihr selbst »innewohnt«.

§ 18 Allgemeine Bemerkungen über die Sphäre des Seins

199

telbarkeit« ist mit dem Abschluss der Seinslogik gleichbedeutend: Die diskursive Sphäre des Seins endet im Punkt, in welchem sie vollständig gedacht, begriffen worden ist. Ist das Sein das noch nicht Gedachte, dann kann das voll gedachte Sein nicht mehr das Sein sein. Das begriffene Sein ist ferner der vollständig herausgebildete Gedanke des Elementes, welchem die gleichartigen Unmittelbaren inbegriffen sind. Dasjenige also, was wir am Ende der Seinslogik erreichen, ist die begriffliche Fixierung dessen, was den Zusammenhang zwischen den Unmittelbaren (und folglich ihre Vernichtung) ausmacht. Das Element oder das Dritte, welches die gegenseitig beschränkten Unmittelbaren in Zusammenhang bringt, muss nun, wie oben bemerkt, zwangsläufig über jegliche Beschränkung hinaus liegen. Die begriffliche Fixierung dieses Elements bzw. das begriffene Sein ist folglich das Konzept dessen, was von keinem gleichartigen Unmittelbaren beschränkt ist: dasjenige, was gegen jede Grenze gleichgültig oder indifferent ist.540 Ein solches kann nicht mehr ein Unmittelbares sein, womit es seinem Anderen nicht mehr gleichartig sein kann; es ist daher demselben übergeordnet. Das begriffene, intellektuell fixierte Sein, das dem unmittelbar Seienden übergeordnet ist, heißt laut der philosophischen Tradition »essentia« (»Wesen«).

540

Vgl. WL I, 381–383.

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

§ 19 Einleitende Bemerkungen Mit der Idee der Gleichgültigkeit gegen jegliche Grenze wird der diskursive Verlauf der Seinslogik zum Abschluss gebracht. Um diese neue Sachlage zum Ausdruck zu bringen, bedient sich Hegel des stark aufgeladenen Begriffes »Wesen« (»essentia« nach der Schultradition). »Stark aufgeladen« sagen wir, aufgrund der zahllosen »metaphysischen« Vorstellungen, mit welchen dieser Terminus assoziiert ist. Die im Laufe der Zeit niedergelegten Produkte des Vorstellens machen (wie wir seit 1.3 wissen) den zu verarbeitenden Stoff des reinen Denkens aus, denn die Vorstellungen enthalten auf metaphorische Weise das, was von der Logik in die Sprache des Begriffs übersetzt werden muss. Diese »starke Aufladung« und deren logische Verarbeitung führen uns zur Frage: Was muss das Denken von dieser Vorstellung wegwerfen, und was muss es behalten? Oder anders ausgedrückt: Welche bestimmte Konzeption vom Wesen unter den vielen, welche der Terminus umfasst, muss das reine Denken als Bezugspunkt für seine Bearbeitung nehmen?541 Unsere Überle-

541

Mit einer ähnlichen Schwierigkeit befasst sich Heidegger an der folgenden Stelle der Beiträge (M. Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), GA, Band 65, 83–84): »Jedes Sagen des Seyns hält sich in Worten und Nennungen, die, in der Richtung des alltäglichen Meinens des Seienden verständlich und in dieser Richtung ausschließlich gedacht, als Ausspruch des Seyns mißdeutbar sind. Es bedarf somit gar nicht erst eines Verfehlens der Frage (innerhalb des Bereichs der denkerischen Auslegung des Seyns), sondern das Wort selbst schon enthüllt etwas (Bekanntes) und verhüllt damit jenes, was im denkerischen Sagen ins Offene gebracht werden soll. Diese Schwierigkeit ist durch nichts zu beheben, ja der Versuch dazu bedeutet schon die Verkennung alles Sagens vom Seyn. Diese Schwierigkeit muß übernommen und in ihrer Wesenszugehörigkeit (zum Denken des Seyns) begriffen werden. Das bedingt ein Verfahren, das in gewissen Grenzen zuerst immer dem gewöhnlichen Meinen entgegenkommen und eine gewisse Strecke weit mit ihm gehen muß, um dann im rechten Augenblick den Umschlag des Denkens zu fordern, aber unter der Macht des selben Wortes. Z. B. ›Entscheidung‹ kann und soll zunächst, wenn auch nicht moralisch, so doch vollzugsmäßig als ›Akt‹ des Menschen gemeint sein, bis es plötzlich das Wesen des Seyns selbst meint, was nun nicht heißt, daß das Seyn ›anthropologisch‹ ausgelegt, sondern umgekehrt: daß der Mensch in das Wesen des Seyns zurückgestellt und den Fesseln der ›Anthropologie‹ entrissen wird. Ebenso: ›Machenschaft‹ – eine Art des Verhaltens des Menschen und plötzlich und eigentlich umgekehrt: das Wesen (Un-Wesen) des Seyns, worin erst der Grund der Möglichkeit der ›Betriebe‹ gewurzelt ist. Dieses ›umgekehrt‹ aber ist nicht einfach ein ›formaler‹ Trick des Bedeutungsumschlags in bloße Worte, sondern die Verwandlung des Menschen selbst. Allerdings, das rechte Begreifen dieser Verwandlung und vor allem ihres Geschehnisraumes und d. h. das Gründen desselben ist zuinnerst verwoben mit dem Wissen der Wahrheit

§ 19 Einleitende Bemerkungen

201

gungen in 1.3 bezüglich der befreienden Operation der Vorstellung deuten bereits auf eine gewisse Konzeption des Wesens hin, nach welcher sich die folgenden Entwicklungen richten werden. Diese Konzeption bezieht sich auf das, was dort nebenbei »reflexio« genannt worden ist. Demzufolge zeigt sich das Wesen zunächst als das Resultat der Reflexion, deren Operation grunddes Seyns.« Uns interessiert vor allem diese »gewisse Strecke«, die das Denken mit dem »gewöhnlichen Meinen« gehen muss, bevor es sich von demselben distanziert. Heidegger warnt vor der Gefahr, ein solches Verfahren zu formalisieren, als ob es a priori entschieden werden könnte, welche Inhalte eines gegebenen Wortes wegzuwerfen und welche zu behalten sind. Gegen ein solches Verständnis des gesuchten »Umschlages« macht Heidegger das »Wissen der Wahrheit des Seyns« geltend, als den einzigen Weg, die »Verwandlung« der gegebenen Worte richtig zu vollziehen. Heidegger scheint somit in einen vitiösen Kreis zu fallen, denn das »Wissen der Wahrheit des Seyns« kann eben nur durch die gegebenen Worte erworben werden, und die gegebenen Worte können uns dieses Wissen nur liefern, wenn wir bereits im Besitz desselben sind. Man könnte übrigens Hegel dasselbe vorwerfen, wenn er von »Umformung und Weiterbildung« der vorfindlichen Denkinhalte redet. Dieser Schwierigkeit ist nicht zu entgehen, denn sie gehört essentiell »zum Denken des Seyns«, wie Heidegger sagt. Ein Ausweg wäre beispielsweise, sich dieser Schwierigkeit durch die Konstruktion einer künstlichen Sprache entziehen zu wollen, um sich von der »Macht« des gegebenen Wortes zu befreien. Aber ein solcher Ausweg ist weder möglich noch wünschenswert (Hegel und Heidegger stimmen in diesem Punkt völlig überein), denn das Zusammenspiel von »Enthüllung« und »Verhüllung« ist gerade die Art und Weise, wie die Wahrheit sich zeigt (denken wir an das »Spielen der Liebe mit sich selbst«, durch welches Hegel das »göttliche Erkennen« in Phän. 24 charakterisiert). Ohne in diesem Punkt für eine gedankenlose Identifizierung der Ansätze Hegels und Heideggers einzutreten, möchten wir auf eine interessante Verwandtschaft aufmerksam machen: Dieser Kampf mit der Sprache auf dem Terrain der Sprache selbst deutet auf eine Auffassung des Denkens hin, nach welcher bereits der Weg des Denkens zum Ziel desselben gehört (siehe Phän. 13: »Denn die Sache ist nicht in ihrem Zwecke erschöpft, sondern in ihrer Ausführung, […].«), und deswegen ist die erwähnte Schwierigkeit durch kein künstliches Mittel endgültig zum Verschwinden zu bringen. Endgültige »Klarheit« und »Durchsichtigkeit« des Wortes ist nicht zu erreichen; denn in der ständigen Arbeit seiner »Umformung« konstituiert sich das Denken als solches. Ferner ist in Bezug auf den »Umschlag« etwas zu bemerken, das uns helfen kann, das Verfahren Hegels besser zu verstehen. Heidegger betont, wie gerade gezeigt, den »rechten Augenblick«, in welchem sich das Denken vom »gewöhnlichen Meinen« distanziert und einen »Umschlag« vollzieht. Dieser Augenblick kann in unserem Kontext als Grenze aufgefasst werden zwischen dem, was dem betrachteten Wort wesentlich zugehört, und dem, was bloße außerbegriffliche Assoziation ist, aufgefasst werden. Diese Grenze bzw. dieser Augenblick muss lokalisiert werden, um das betrachtete Wort auf seine minimalen Kennzeichen reduzieren zu können. So verfährt Hegel in Bezug auf die Bestimmung »Sein«: Er verkennt dabei die Vielfalt der Inhalte nicht, mit welchen das Wort »aufgeladen« ist, konzentriert sich aber allein auf das Minimum. Der Witz dabei ist, dass gerade diese Fokussierung auf die minimalen Kennzeichen einen anderen Inhalt hervortreten lässt als den des »gewöhnlichen Meinens«. Deswegen muss dasjenige, was aus diesem »läuternden« Verfahren resultiert, dem gewöhnlichen Vorstellen zwangsläufig befremdlich erscheinen. Siehe dazu Phän. 35: »Das Analysieren einer Vorstellung, wie es sonst getrieben worden, war schon nichts an-

202

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

sätzlich darin besteht, die gegebenen Inhalte der Anschauung zur Form der Allgemeinheit zu erheben und somit die Washeit derselben zu bestimmen. Aber diese erste Annäherung an den Begriff lässt uns noch nicht die genaue Korrespondenz mit dem Denkinhalt erkennen, welche die Seinssphäre abschließt und den Diskurs in den neuen begrifflichen Zusammenhang des Wesens einführt. Im Folgenden werden wir versuchen, diese Korrespondenz ersichtlich zu machen und dadurch die wahrhafte Problematik zu skizzieren, um welche die Wesenslogik kreist. Bevor wir uns aber anschicken, diese Aufgabe durchzuführen, müssen einige Bemerkungen über den Charakter unserer Verfahrensweise gemacht werden. Es ist nicht das Ziel dieser Untersuchung, die Wesenslogik ausführlich zu kommentieren. Wir bezwecken eher, die nicht unmittelbar erkennbare zugrunde liegende Problematik derselben möglichst genau zu umgrenzen, und zwar anhand einer Behandlung der Texte, die gelegentlich von ihrer vorgegebenen Ordnung abweicht. Dafür werden wir, sowohl in diesem Kapitel als auch im Folgenden, zu Texten von anderen Autoren greifen müssen, mit welchen der hegelsche Text in einem sozusagen impliziten Zusammenhang steht. Das Verständnis der Logik basiert weitgehend auf der Fähigkeit, den philosophiegeschichtlichen Hintergrund der behandelten Problematiken zu bestimmen und dadurch die wahrhafte Tragweite des hegelschen Beitrages zu denselben abzumessen. Schon die hegelsche Auffassung des Denkens als die Übersetzung der Metaphorizität der Vorstellungen (die »der Zeit nach […] früher als Begriffe« sind542) in die Sprache des Begriffes unterstützt diese Deutung der Logik. Dennoch gibt die Logik, aufgrund ihres rein begrifflichen Charakters, nicht immer genügend Auskunft über diese zugrundeliegenden Problematiken, und davon rührt die große Schwierigkeit des Textes weitgehend her. Dies macht sich besonders bemerkbar im Fall der Wesenslogik, über welche Hegel selbst behauptet, dass sie den schwersten Teil der Logik ausmacht.543 Dieser Teil der Logik, sagt er an derselben Stelle, befasst sich mit den »Kategorien der Metaphysik und der Wissenschaften«. Nach

deres als das Aufheben der Form ihres Bekanntseins. Eine Vorstellung in ihre ursprünglichen Elemente auseinanderlegen, ist das Zurückgehen zu ihren Momenten, die wenigstens nicht die Form der vorgefundenen Vorstellung haben, sondern das unmittelbare Eigentum des Selbst ausmachen.« 542 Enz. § 1. 543 Enz. § 114, Anm.: »Dieser (der schwerste) Teil der Logik enthält vornehmlich die Kategorien der Metaphysik und der Wissenschaften überhaupt, – als Erzeugnisse des reflektierenden Verstandes, der die Unterschiede als selbständig annimmt und zugleich auch ihre Relativität setzt, beides aber nur neben- oder nacheinander durch ein Auch verbindet und diese Gedanken nicht zusammenbringt, sie nicht zum Begriffe vereint.«

§ 20 Der Begriff vom Wesen und der logische Actus der Reflexion

203

dem soeben über unsere Ausdeutung der Logik Gesagten muss es zwischen diesen zwei Merkmalen der Wesenslogik – d. h. zwischen ihrer Schwierigkeit und ihrer Beschäftigung mit den Kategorien der Metaphysik und der Wissenschaften – einen Zusammenhang geben: Die Schwierigkeit der Wesenslogik entsteht gerade aus der Komplexität des Anspruches, die Produkte der Metaphysik und der Wissenschaften zum Gegenstand einer logischen-spekulativen Betrachtung zu machen (und sich dadurch derselben zu bemächtigen). Damit die Logik die Gedankenformen der Wissenschaften und der Metaphysik überhaupt »denken« kann, muss sie irgendwie »jenseits« derselben sein. In diesem Abstand besteht das, was in 1.4 das »Spekulative« genannt worden ist. Wir haben von ihm ferner gesagt, dass es die Perspektive des denkenden Selbst bildet. In der Wesenslogik haben wir also mit einer Verarbeitung der Gedankenformen der Wissenschaften und der Metaphysik zu tun, welche diese Formen auf ihre eigentliche setzende Instanz zurückführt. Die Zurückführung ist mit einer Überwindung der metaphysischen Perspektive gleichbedeutend. In diesem Anspruch, die Metaphysik logisch und nicht metaphysisch zu denken (denn sonst würden wir immer noch in dem gefangen sein, was zu überwinden ist), besteht die Schwierigkeit der Wesenslogik. Dieser Gedanke wird sich im Folgenden weiter präzisieren.

§ 20 Der Begriff vom Wesen und der logische Actus der Reflexion Um in die Problematik, die den Verlauf der Wesenslogik leitet, adäquat einzudringen, müssen wir uns auf die kantische Lehre des logischen Ursprunges der Begriffe beziehen.544 Nach Kant sind »die logischen Verstandes-Actus, wodurch Begriffe ihrer Form nach erzeugt werden«, die Komparation, die Reflexion und die Abstraktion.545 Durch die erste Operation vergleiche ich z. B. (wir benutzen das Beispiel von Kant546) eine Fichte, eine Weide und eine Linde miteinander, d. h., ich bringe drei beziehungslose Vorstellungen in Zusammenhang. Durch die zweite Operation »reflektiere ich […] nur auf das, was sie unter sich gemein haben«547, d. h., ich unterscheide zwischen den wesentlichen Merkmalen derselben (Stamm, Äste, Blätter usw.) und den unwesentlichen (Größe, Figur, usw.). Durch die dritte Operation »abstrahiere ich von« den unwesentlichen Merkmalen und »so bekomme ich den Begriff

544 545 546 547

Kant: Logik, A 143–147. Kant: Logik, A 145. Kant: Logik, A 146. Ebd.

204

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

vom Baume«.548 Der Unterschied zwischen dem zweiten und dem dritten Actus ist auf den ersten Blick unklar. Die Konfusion verschwindet, wenn wir die genaue Differenz zwischen »Unterscheiden« und »Absondern« in Erwägung ziehen: Durch das Erste werden abweichende Merkmale festgestellt, während durch das Letzte etwas (anhand der vorausgehenden Feststellung) isoliert wird. Deswegen sagt Kant über die Abstraktion, dass sie nur die »negative Bedingung« ausmacht, »unter welcher allgemeingültige Vorstellungen erzeugt werden können«.549 Aber eigentlich interessiert uns hier der Übergang von der ersten zur zweiten Operation, denn sie kann uns bei der genauen Differenzierung zwischen den diskursiven Sphären des Seins und des Wesens helfen. Die Komparation bringt, wie soeben bemerkt, beziehungslose Vorstellungen in Zusammenhang. Als solche Beziehungslose müssen sie gleichartig sein: Sie gehören nicht notwendig zueinander, denn der Zusammenhang ist ihnen äußerlich550 und insofern kann keine von ihnen als Bedingung der Anderen angesehen werden. In Ermangelung von jedem Verhältnis müssen sie dann (trotz ihrer Verschiedenheit) als Elemente gleicher Art, d. h. als bloße Seiende betrachtet werden. Logisch gesehen befinden wir uns hier auf der Ebene des Seins, in welcher die Relation der Termini zueinander die geringste ist. Der Actus der Reflexion führt in diesen Sachverhalt einen neuen Standpunkt ein. Dadurch wird an diesen Vorstellungen ein klarer Schnitt vollzogen zwischen dem ihnen Gemeinen und all dem, was sie voneinander verschieden macht. Das ihnen Gemeine ist jetzt nicht mehr, wie bei der Komparation, der äußerliche Betrachter, der sie in Zusammenhang bringt, sondern etwas, das sie sozusagen »innerlich« verbindet. Gegenüber der innerlichen Verbindung fungieren die abweichenden Merkmale (also das, was sie verschieden macht bzw. die unwesentlichen Unterschiede) als das Äußerliche. Das Innerliche und das Äußerliche machen unterschiedliche Ebenen aus: Sie verhalten sich zueinander nicht wie die Weide und die Linde, d. h. sie sind nicht gleichartig, sondern das Eine macht das Wesen oder das wahrhafte Sein des Anderen aus. In Ansehung dieses innerlich verbindenden Wesens sind die Unterschiede zwischen Fichte, Weide und Linde nicht wahrhafte Unterschiede; sie machen das Unwesentliche, Scheinhafte gegen das Wesen aus. Mit diesem Gegensatz fängt die Wesenslogik an.

548

Ebd. Kant: Logik, A 147. 550 Es ist der äußerliche Betrachter bzw. das Bewußtsein, welches sie in Zusammenhang miteinander bringt, wie Kant es ausdrücklich sagt (Logik, A 145): »1) die Komparation, d. i. die Vergleichung der Vorstellungen unter einander im Verhältnisse zur Einheit des Bewußtseins; […].« 549

§ 20 Der Begriff vom Wesen und der logische Actus der Reflexion

205

Um uns in diesem Sachverhalt besser orientieren zu können, sei bemerkt, dass es sich hier grundsätzlich um dieselbe Operation handelt, welche die vorstellende Intelligenz (wie in 1.3 gezeigt wurde) an den gegebenen Inhalten der Anschauung vollzieht und durch welche das Sein derselben bestimmt wird. Nun ist diese Operation in ihrer reinen, logischen Form zu betrachten, d. h. abgesehen von jeglicher erkenntnistheoretischen Assoziation. Insofern darf die Reflexion im vorliegenden Kontext nicht im Sinne einer Tätigkeit des Erkennens verstanden werden, sondern eher als das Zeichen, welchem die spekulative Funktion zukommt, das Resultat des vorhergehenden Verlaufes einheitlich zusammenzufassen (bzw. die Wahrheit desselben auszusprechen) und somit den Diskurs in einen neuen begrifflichen Zusammenhang zu bringen. Warum haben wir uns dann auf die kantische Erklärung des logischen Actus der Reflexion berufen, die vornehmlich erkenntnistheoretischer Art ist? Dies haben wir getan, um den »wiedererkennenden« Charakter des Spekulativen klar ersichtlich zu machen, durch welchen die konkrete Gestalt des Nichts, die sich aus der skeptischen Auflösung ergibt, mittels einer schon konstituierten Denkbestimmung begreiflich gemacht wird. Wie wir in 1.4 gezeigt haben, besteht die Operation des Spekulativen darin, aus dem Fundus der Produkte des Vorstellens ein Zeichen ausfindig zu machen, welches das gegenseitige Verweisen der verflüssigten Denkinhalte adäquat zum Ausdruck bringt. Die Reflexion fungiert gerade als ein solches Zeichen, aber dafür muss sie auf ihre minimalen strukturellen Kennzeichen reduziert werden; jeglicher Bezug auf Vorstellungen, das Bewusstsein usw. muss folglich beiseitegeschafft werden. Wir haben mit der kantischen Definition derselben angefangen, um gerade diese Reinigung von unwesentlichen assoziierten Inhalten aufzuzeigen. Kraft dieser begrifflichen Reinigung kann Hegel behaupten, dass der Fortgang vom Sein zum Wesen nicht einem erkennenden Subjekt zuzuschreiben ist (das diese Operation äußerlich vollziehen würde), sondern der eigenen diskursiven Dynamik der Seinslogik selbst.551 Nur vom Standpunkt einer solchen begrifflichen Askese aus können die auf den ersten Blick so befremdlichen Aussagen Hegels, nach welchen das Wesen das eigene »Insichgehen des Seins« oder das »Sich-insich-Erinnern« desselben ist, verständlich gemacht werden. Kommen wir auf das Beispiel aus der Logik Kants zurück: Der logische Actus der Refle551

WL II, 241: »Diese Bewegung als Weg des Wissens vorgestellt, so erscheint dieser Anfang vom Sein und der Fortgang, der es aufhebt und beim Wesen als einem Vermittelten anlangt, eine Tätigkeit des Erkennens zu sein, die dem Sein äußerlich sei und dessen eigene Natur nichts angehe. Aber dieser Gang ist die Bewegung des Seins selbst. Es zeigte sich an diesem, daß es durch seine Natur sich erinnert und durch dieses Insichgehen zum Wesen wird.«

206

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

xion, haben wir gesagt, bringt die innerliche Verbindung zwischen Fichte, Weide und Linde ans Licht. Mit dem Innerlichen meinen wir dasselbe wie die in 1.3 betrachtete »Attraktionskraft« der Intelligenz, die das »Ungleiche« der Vorstellungen »abreibt«.552 Die abweichenden Merkmale, das »Ungleiche« der Vorstellungen, fungieren gegenüber dieser innerlichen Verbindung als das Äußerliche. Nun erfordert die begriffliche Reinheit der logischen Betrachtung, dass wir nicht nur von jeglicher bestimmten Vorstellung, sondern auch von der Intelligenztätigkeit selbst völlig absehen. Was bleibt dann vom Actus der Reflexion? Nichts anderes als das bloße sich-Erweisen des unmittelbar Seienden (mit seinen Unterschieden) als das Scheinhafte bzw. das Unwesentliche gegenüber dem Wesentlichen. Dieses sich-Erweisen darf keinem erkennenden Subjekt zugeschrieben werden, weil wir ansonsten eine ungerechtfertigte Supposition einführen würden. Das unmittelbare Seiende wird insofern nicht von der Intelligenz in die Form der Wesenheit gebracht, sondern es wird aus sich selbst in diese getrieben.553 Dieser Sachverhalt muss aber von überflüssigen Elementen noch ausführlicher gereinigt werden. Was die begriffliche Askese des Logischen betrifft, sind die ersten Seiten der Wesenslogik exemplarisch. Das macht die berühmte Schwierigkeit derselben weitgehend aus. Mit dem Begriff der Reflexion tritt, wie soeben gezeigt, die Unterscheidung zwischen dem Unwesentlichen, Scheinhaften und dem Wesentlichen zutage. Aber die Glieder dieser Unterscheidung verhalten sich zueinander nicht wie die Linde und die Weide, d. h. wie zwei unmittelbare Seiende. Durch den Ausdruck »Unwesentlich« wird etwas gemeint, das gegenüber dem Wesentlichen keine Selbständigkeit besitzt. Trotzdem wird es durch eine verschiedene Bezeichnung vom Wesentlichen unterschieden und demselben entgegengesetzt, was gerade darauf hindeutet, dass es »eine unabhängige Seite gegen das Wesen« enthält.554 Welchen eigenen Inhalt kann dann das Unwesentliche gegen das Wesen geltend machen, sodass wir beide durch verschiedene Bezeichnungen voneinander scharf abtrennen? Oder mit anderen Worten: Was ist im Unwesentlichen, das nicht vom Wesen »herstammt«? Das Eigentümliche des Unwesentlichen besteht zunächst darin, dass es scheint, im Gegensatz zum Wesentlichen, welches »wahrhaft« ist. Der Schein wird gerade dadurch gekennzeichnet, dass er nicht im vollen Sinn ist. Er macht aber das Andere des

552

Enz. § 455, Anm., Abs. 2. Enz. § 112, Anm.: »Aber da diese Negativität dem Sein nicht äußerlich, sondern seine eigene Dialektik ist, so ist seine Wahrheit, das Wesen, als das in sich gegangene oder in sich seiende Sein; […].« 554 WL II, 247. 553

§ 20 Der Begriff vom Wesen und der logische Actus der Reflexion

207

Wesens aus und das Andere, wie Hegel sagt, »enthält überhaupt die zwei Momente des Daseins und des Nichtdaseins«555, d. h., es enthält eine Portion von Positivität außerhalb seiner Negation. Sofern aber dem Schein per definitionem kein Dasein zuerkannt werden kann, müssen wir von einer Positivität des Nichtigen sprechen, oder, mit Worten Hegels, von einer »Unmittelbarkeit des Nichtdaseins« oder noch vom »Nichtdasein in der Bestimmtheit des Seins«.556 Das Nichtdasein in der Bestimmtheit des Seins ist dasselbe wie eine leere Bestimmung oder ein »leeres Zeichen« (Hegel sagt »leere Bestimmung«).557 Denn das Zeichen hat die Funktion, den Denkinhalten Seiendheit zu verleihen; die Positivität des Nichtigen, Unselbständigen rührt insofern von seiner zeichenhaften Konfiguration her. Der vorliegende Sachverhalt darf aber mit dem Unterschied von Nichts und Sein am Anfang der Seinslogik nicht verwechselt werden. Das Andere des Scheins (d. i. das Wesen) ist nicht das Sein, denn dieses hat sich durch den Actus der Reflexion als »nichtig« erwiesen. Das Wesentliche, als das wahrhaft Seiende betrachtet, soll nicht einfach als das vom Schein subtrahierte oder abgezogene Sein verstanden werden, denn das würde heißen, dass die Operation der Reflexion dem Sein äußerlich ist und dasselbe intakt lässt, was soeben als eine ungerechtfertigte Supposition bzw. eine Verunreinigung des Logischen erklärt worden ist. Wir würden dem Vorstellen fatalerweise anheimfallen, wenn wir außerhalb des Hinausgehens über das Unmittelbare, das die Reflexion vollzieht, einen zugrundeliegenden Kern als Endpunkt des Hinausgehens supponierten, der das wahrhafte Sein sein würde. Denn damit würden wir das unmittelbare Sein wieder einführen. Gerade die Behutsamkeit des reinen Denkens gegen eine solche Gefahr bringt dasselbe dazu, den Unterschied zwischen dem Endpunkt des Hinausgehens und dem Hinausgehen selbst abzuschaffen und somit das Wesen als diese »Bewegung« selbst zu erklären. Andererseits haben wir dem Nichtigen jegliche Positivität außerhalb seiner Negation (die das Wesentliche ist) abgesprochen. Das Aufzeigen, dass der zeichenhaften Konfiguration des Nichtigen (die ihm Positivität überhaupt verleiht) kein begrifflicher Inhalt außerhalb des Wesens entspricht, zwingt

555

WL II, 246. Ebd.: »Das Unwesentliche, indem es nicht mehr ein Sein hat, so bleibt ihm vom Anderssein nur das reine Moment des Nichtdaseins, der Schein ist dieses unmittelbare Nichtdasein so in der Bestimmtheit des Seins, daß es nur in der Beziehung auf anderes, in seinem Nichtdasein Dasein hat, das Unselbständige, das nur in seiner Negation ist.« 557 Ebd.: »Es bleibt ihm also nur die reine Bestimmtheit der Unmittelbarkeit, es ist als die reflektierte Unmittelbarkeit, das ist, welche nur vermittels ihrer Negation ist, und die ihrer Vermittlung gegenüber nichts ist als die leere Bestimmung der Unmittelbarkeit des Nichtdaseins.« 556

208

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

uns dazu, das Wesen mit dem Scheinen selbst zu identifizieren: Das Wesen ist gerade dasjenige, was scheint, ohne dass wir das Subjekt vom Verb unterscheiden können.558 Die Reflexion befindet sich nicht zwischen dem Ausgangspunkt des unmittelbaren Seins und dem Endpunkt des Wesentlichen als ein ihnen äußerliches Band. Deswegen ist der Schein »dasselbe, was die Reflexion ist«,559 und beschreibt Hegel diese als »die Bewegung von Nichts zu Nichts und dadurch zu sich selbst zurück«.560 Das Letztere macht offensichtlich eine spekulative Formulierung aus. So wie das Zeichen »Werden« das gegenseitige Verweisen der anfänglichen Zeichen »Sein« und »Nichts« zum Ausdruck bringt, bezeichnet das signans »Reflexion« nichts anderes als das Hinausgehen über das Unmittelbare, durch welches sich dasselbe als nichtig erweist. Das Spekulative vollzieht (laut dem in 1.4 Gesagten) die Positivierung der dialektischen Auflösung durch das einheitliche Zusammenfassen derselben, und zwar oftmals mittels Ausdrücken, wie »Abwechslung mit sich« oder »(unendliche) Rückkehr zu sich«. Dementsprechend beschreibt Hegel die Reflexion als das Scheinen in sich selbst561 bzw. als den einheitlichen begrifflichen Raum, in welchem die Abwechslung zwischen dem übergreifenden Wesen und seinem Gegenteil stattfindet, das nichts Positives außer ihm ausmacht. An dieser Stelle ist über Hegels Gebrauch des Ausdruckes »Beziehung auf sich« eine Anmerkung zu machen, die für das richtige Verständnis des Folgenden entscheidend ist. Dieser Ausdruck bezieht sich primär nicht auf die bisher betrachtete Struktur der Reflexion (wie es auf den ersten Blick scheinen könnte), sondern gerade auf das Gegenteil derselben, d. h. auf die Unmittelbarkeit. Beim Beispiel der Linde, der Weide und der Fichte sind wir von drei unmittelbar Seienden ausgegangen: Keine von ihnen bedingt die Präsenz der Anderen, sie sind also zunächst – d. h. auf unmittelbare Weise – vollkommen beziehungslos oder einander äußerlich. Als beziehungslos kann das Unmittelbare keine andere Beziehung als auf sich selbst aufweisen; um gerade diese Beziehungslosigkeit des Unmittelbaren nachdrücklich zu betonen, bedient sich Hegel des Ausdruckes »Be-

558

Enz. § 112: »Das Sein ist nicht verschwunden, sondern erstlich ist das Wesen, als einfache Beziehung auf sich selbst, Sein; fürs andere ist aber das Sein nach seiner einseitigen Bestimmung, unmittelbares zu sein, zu einem nur negativen herabgesetzt, zu einem Scheine. – Das Wesen ist hiermit das Sein als Scheinen in sich selbst.« 559 WL II, 249; vgl. auch Enz. § 112, Anm.: »[…]; seinen Unterschied vom unmittelbaren Sein macht jene Reflexion, sein Scheinen in sich selbst, aus, und sie ist die eigentümliche Bestimmung des Wesens selbst.« 560 WL II, 250. 561 Enz. § 115: »Das Wesen scheint in sich oder ist reine Reflexion, so ist es nur Beziehung auf sich, nicht als unmittelbare, sondern als reflektierte, – Identität mit sich.«

§ 21 Die zwei Deutungen des Reflexionsbegriffes und ihre Vereinigung

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ziehung auf sich«. Die Beziehung des Unmittelbaren auf sich hängt also mit der Abwesenheit jeglicher Relation zusammen: Es bezieht sich nur auf sich, weil jede Andersheit ihm äußerlich ist. Diese Äußerlichkeit der Andersheit gibt dem Unmittelbaren seine spezifische Sichselbstgleichheit. Hinsichtlich der Reflexion spricht Hegel auch von Beziehung auf sich, aber »nicht als unmittelbare, sondern als reflektierte«.562 Dasjenige also, was das signans »Reflexion« spekulativ zum Ausdruck bringt, ist nicht eine Beziehung auf sich, deren Sichselbstgleichheit auf der Äußerlichkeit der Andersheit basiert. Die dialektische Auflösung hat gerade die Suppositionen eines Ausgangspunktes (d. i. das unmittelbare Sein) und eines Endpunktes des Actus der Reflexion (d. i. das wahrhafte Sein oder Wesen) abgeschafft. In der Seinssphäre haben wir aber bereits andere Arten von »Beziehung ohne Bezogene« spekulativ aufgefasst, aber keine von ihnen wurde als »reflektierte Beziehung auf sich« bezeichnet. Das »Reflektierte« der vorliegenden Beziehung auf sich besteht folglich nicht bloß darin, dass sie eine gegenseitige Verweisung von Zeichen aufeinander zum Ausdruck bringt. Es sei wieder daran erinnert, dass sich die Unterscheidung vom Unwesentlichen und Wesentlichen nicht auf unmittelbar Seiende bzw. auf Gleichartige bezieht, wie es der Fall bei den Paaren der Seinssphäre ist, in denen die Glieder sozusagen »symmetrisch«563 sind. Hier fasst das Spekulative durch das Zeichen »Reflexion« etwas Komplexeres als das ineinander Übergehen zweier einander gegenüberstehender Gleichartiger, d. h. die Auflösung einer compositio zusammen. Es handelt sich nicht bloß darum, die Zusammengehörigkeit von zwei beziehungslosen Suppositionen aufzuzeigen, denn ein Glied des Gegensatzes ist von vornherein als dem Anderen »übergeordnet« erklärt worden.

§ 21 Die zwei Deutungen des Reflexionsbegriffes und ihre Vereinigung bei Kant; die Reflexion und das Subjekt Somit stoßen wir auf einen zweiten Aspekt der Reflexion, dessen Verbindung mit dem ersten (d. i. dem sich-Erweisen des unmittelbar Seienden als scheinhaft) die ganze Problematik der Wesenslogik ausmacht. Wir haben uns zunächst auf die kantische Betrachtung des logischen Actus der Reflexion berufen, um den Sinn der ersten Entwicklungen der Wesenslogik aus diesem Kontext heraus verständlich zu machen. Aber die kantische Deutung des Reflexionsbegriffes zeichnet sich dadurch aus, dass sie diesen ersten Sinn 562 563

Ebd. F. M. Marzoa: Hölderlin y la lógica hegeliana, Madrid 1992, 42.

210

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

des Wortes mit einem zweiten in Verbindung bringt.564 Diesen zweiten Sinn deuten gerade unsere Überlegungen über den hegelschen Gebrauch des Ausdruckes »Beziehung auf sich« an. In 1.3 wurde darauf hingewiesen, dass bei Kant die Denkoperation, die gegebenen Inhalte der Anschauung zur Form der Allgemeinheit zu erheben (wodurch die Washeit derselben bestimmt wird), den spezifischen Charakter einer Aneignung hat: Durch die reflexio wird das unmittelbar Seiende meinig gemacht, d. h. das wahrhafte Sein desselben wird in Bezug auf mich bestimmt, wobei der anfängliche Referenzpunkt, das Andere, auf die Selbstbezüglichkeit des Ich zurückgeführt wird. Damit vereinigt Kant in einer einzigen Operation zwei Sinne des Wortes reflexio, welche vorher getrennt waren.565 Der erste Sinn, welcher von der Schultradition abstammt,566 ist derjenige, welchen Kant in seiner Logik als »Actus der Reflexion« bezeichnet und mit dessen Struktur wir uns bisher beschäftigt haben. Der zweite Sinn, welcher auf Locke zurückgeht,567 bezieht sich auf den intellektuellen Akt der »Zurücklenkung der Aufmerksamkeit von den Objekten des Erkennens auf das erkennende […] Tun, auf die Bewußtseinsvorgänge als solche«568. Bei den beiden Deutungen des Begriffes

564

Wir folgen in diesem Punkt Marzoas tiefgehenden Überlegungen über den Reflexionsbegriff bei Kant in: F. M. Marzoa: Hölderlin …, a. a.O., 15–26. 565 Vgl. F. M. Marzoa: Hölderlin …, a. a.O., 15. 566 J. G. Darjes: Die Lehrende Vernunft-Kunst (1737), § 97: »Es wird gesagt, daß das Aufmercken fortsetze, wenn man machet, daß in einer zusammengesetzten Vorstellung, eine einfache nach der andern klärer werde; und ein solches fortgesetztes Aufmercken, heisset das Überdencken (reflexio).« H. S. Reimarus, Vernunftlehre (1766), § 12: »Da nun eine jede Kraft in einem Vermögen und Bemühen etwas gewisses zu verrichten besteht: so heißt eine Kraft zu reflectiren so viel, als ein Vermögen und Bemühen des menschlichen Verstandes, durch Vergleichung der vorgestellten Dinge einzusehen, ob und wie weit sie mit einander einerley sind, oder nicht, sich einander wiedersprechen, oder nicht.« Vgl. § 13: »Durch die Reflexion, oder Vergleichung, erhalten wir deutliche und abgesonderte Begriffe, allgemeine Wahrheiten, Vernunftschlüsse, Wissenschaften, Erkenntniß, Sittlichkeit und Religion: von welchem allen die Thiere nichts wissen.« A. G. Baumgarten, Metaphysica (1779), § 626: »Attentio in totius perceptionis partes successiue directa est reflexio (Ueberlegung).« 567 J. Locke: An Essay concerning Human Understanding, Hrsg. v. P. H. Nidditch, Oxford 1975, 105: »This Source of Ideas, every Man has wholly in himself: And though it be not Sense, as having nothing to do with external Objects; yet it is very like it, and might properly enough be call’d internal Sense. But as I call the other Sensation, so I call this REFLECTION, the Ideas it affords being such only, as the Mind gets by reflecting on its own Operations within it self. By REFLECTION then, in the following parts of this Discourse, I would be understood to mean, that notice which the Mind takes of its own Operations, and the manner of them, by reason whereof, there come to be Ideas of these Operations in the Understanding.« 568 R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Reflexion«.

§ 21 Die zwei Deutungen des Reflexionsbegriffes und ihre Vereinigung

211

haben wir es mit einem Verlust der Unmittelbarkeit zu tun.569 Beim ersten geschieht dieser Verlust durch das Hinausgehen über die gegebenen Inhalte der Anschauung und die Zurückführung derselben auf ihre Washeit. Beim zweiten erfolgt er durch die Rückwendung der Denktätigkeit aufs denkende Subjekt selbst. Der gewaltige Schritt Kants besteht darin, diese zwei Vorgänge als einen und denselben zu betrachten.570 Die hegelsche Betrachtung der »Beziehung auf sich«, welche dem Wesen eigen ist, bringt dieselbe innige Verbindung zwischen dem zweifachen Sinn der reflexio zum Vorschein. Die Beziehung auf sich macht zunächst, wie sich gezeigt hat, das definierende Merkmal des Unmittelbaren aus. Durch die reflexio im ersten Sinne wird das Unmittelbare nicht auf ein anderes Unmittelbares, sondern auf sein inneres Wesen bezogen (denken wir an den Unterschied zwischen comparatio und reflexio). Dadurch verliert die Unmittelbarkeit die Beziehung auf sich, die ihr eigen ist, und macht sich selbst ungleich, indem sie zum Scheinhaften herabgesetzt wird. Dasjenige aber, in Bezug auf welches das Unmittelbare die Gleichheit mit sich verliert (d. i. das Wesen) hat nicht die Sichselbstgleichheit bzw. die Selbständigkeit, die dem Unmittelbaren eigen ist und auf der Äußerlichkeit der Andersheit basiert. Dieser Verlust der Sichselbstgleichheit beim Unmittelbaren, durch welchen das Wesentliche seine eigentümliche Sichselbstgleichheit erhält, deutet gerade auf die kantische Idee der Aneignung hin. Es ist also nicht der Mangel an Beziehung zur Andersheit, sondern die Aneignung dieser Andersheit, was die spezifische Sichselbstgleichheit des Wesens ausmacht. Durch den Akt der Aneignung wird der angeeignete Gegenstand zu einem Selbstlosen gemacht; die Instanz, welche diese Aneignung bzw. diese Enteignung des Selbstlichen vollbringt, bezieht sich dadurch auf sich selbst. Das meinig-Machen des Anderen weist doch die Beziehung des Wesens auf ein Anderes auf, nämlich auf den anfänglichen Referenzpunkt des Reflexions-Actus. Dieses Andere des Wesens aber, indem es durch die Aneignung zu einem Selbstlosen gemacht wird, kann nur das Wesen selbst sein (sonst wäre es nicht selbstlos) und darin besteht gerade der zweite Sinn der Reflexion, den wir als die »Rückwendung des denkenden Selbst auf sich selbst« geschildert haben.571 Das ist der neue Sinn der »Beziehung auf sich«, welche die Wesenslogik gegenüber der Seinssphäre einführt.

569

Wir könnten auch »Verlust der Konsistenz« oder »Verlust der Sachhaltigkeit« sagen. Vgl. F. M. Marzoa: Hölderlin…, a. a.O., 17. 571 Vgl. Enz. § 112: »Das Wesen, als das durch die Negativität seiner selbst sich mit sich vermittelnde Sein, ist die Beziehung auf sich selbst, nur indem sie Beziehung auf Anderes ist, das aber unmittelbar nicht als Seiendes, sondern als ein Gesetztes und Vermitteltes ist.« 570

212

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

Die Vereinigung der zwei Deutungen des Reflexionsbegriffes führt uns zum bahnbrechendsten Punkt der kantischen Philosophie: die transzendentale Auffassung des Subjekts oder des denkenden Selbst. Die Frage nach dem logischen Actus der Reflexion hängt wesentlich mit der Frage zusammen, welche (wie wir in 1.3 gesehen haben) die Untersuchung Fichtes leitet, nämlich: Welcher ist der Grund des Prädikats »Sein«? Der gesuchte Grund ist das denkende Selbst, welches den Akt vollbringt, den logischen Actus der Reflexion zu betätigen und dadurch die Seiendheit der gegebenen Inhalte zu bestimmen. Somit erweist sich das denkende Selbst als die wesentliche Bedingung des Seienden oder als dasjenige, durch welches das Seiende eigentlich das Seiende ist. Dies hat Kant bekanntlich dazu gebracht, die traditionelle Erklärung des logischen Urteils infrage zu stellen: Macht das denkende Selbst die wesentliche Bedingung des Seienden als solchen aus, dann drückt das »ist« der Kopula, durch welches Etwas vom denkenden Selbst als seiend anerkannt wird, eigentlich die Einheit des denkenden Selbst aus, in welcher die zur Form der Allgemeinheit erhobenen unmittelbaren Inhalte ihre notwendige Zueinandergehörigkeit finden (d. h. was oben das »Innere« derselben genannt worden ist).572 Am Anfang dieses Kapitels haben wir die Verbindung der Vorstellungen untereinander, die der logische Actus der Reflexion ans Licht bringt, als »innerlich« bezeichnet im Gegensatz zur Äußerlichkeit der Komparation, welche die gegebenen Vorstellungen bloß zusammensetzt. Als innerlich drückt diese Verbindung eine notwendige Beziehung unter den Vorstellungen aus; dadurch wird also die zufällige Mannigfaltigkeit des Gegebenen in die Gesetzmäßigkeit des Denkens gebracht. Die Gesetzmäßigkeit der Aussagen, die notwendige Beziehungen zum Ausdruck bringen bzw. objektiv gültig sind, besteht bei Kant ferner darin, dass sie miteinander zusammenhängen müssen, denn ansonsten würden sie eigentlich

572

Vgl. KrV B 141–142: »Wenn ich aber die Beziehung gegebener Erkenntnisse in jedem Urteile genauer untersuche, und sie, als dem Verstande angehörige, von dem Verhältnisse nach Gesetzen der reproduktiven Einbildungskraft (welche nur subjektive Gültigkeit) unterscheide, so finde ich, daß ein Urteil nichts anderes sei, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen. Darauf zielt das Verhältniswörtchen ist in denselben, um die objektive Einheit gegebener Vorstellungen von der subjektiven zu unterscheiden. Denn dieses bezeichnet die Beziehung derselben auf die ursprüngliche Apperzeption und die notwendige Einheit derselben, wenn gleich das Urteil selbst empirisch, mithin zufällig ist, z. B. die Körper sind schwer. Damit ich zwar nicht sagen will, diese Vorstellungen gehören in der empirischen Anschauung notwendig zu einander, sondern sie gehören vermöge der notwendigen Einheit der Apperzeption in der Synthesis der Anschauungen zu einander, d. i. nach Prinzipien der objektiven Bestimmung aller Vorstellungen, so fern daraus Erkenntnis werden kann, welche Prinzipien alle aus dem Grundsatze der transzendentalen Einheit der Apperzeption abgeleitet sind.«

§ 21 Die zwei Deutungen des Reflexionsbegriffes und ihre Vereinigung

213

keine Gesetzmäßigkeit besitzen. Dass diese Aussagen einen einheitlichen Zusammenhang miteinander bilden, muss also als ein rationales Erfordernis angesehen werden. Dies rationale Erfordernis vom einheitlichen Zusammenhang kann auch dadurch ausgedrückt werden, dass – darauf hat Marzoa aufmerksam gemacht – diese Aussagen eigentlich Aussagen von einem einzigen »Aussagenden« sind, der gerade die Quelle dieser Gesetzmäßigkeit ausmacht.573 Die Aussagen mit objektiver Gültigkeit finden also in der Einheit der »Instanz«, die sie ausspricht, ihre notwendige Zueinandergehörigkeit.574 Jede Aussage bezieht sich auf ein Etwas, welches als subiectum der Prädikation fungiert. Dadurch aber, dass das »ist« der Kopula die Einheit des denkenden Selbst ausdrückt, bezieht sich jede Aussage gleichwohl auf ein ursprünglicheres Etwas, auf welchem die Gültigkeit der Aussage basiert. Dieses ursprünglichere Etwas ist gerade der tätige Agent der Prädikation selbst (die »tätige Allgemeinheit«, wie Hegel sagen würde), das subiectum im Sinne des denkenden Selbst. Die objektive Erkenntnis eines Gegenstandes erfolgt dadurch, dass dieser Gegenstand »in Absicht auf die Einheit […], darin alles Denken besteht«,575 bestimmt wird. Deswegen sagt Kant von den Gedanken, dass sie die Prädikate von diesem denkenden Ding sind,576 das beim Denken irgendeines Gegenstandes immer notwendigerweise mitgedacht wird. Bei jedem Urteil haben wir also die Sache, über welche in jedem besonderen Fall gesprochen oder geurteilt wird, und die Sache, über welche »immer« gesprochen wird.577 Darin besteht gerade die Vereinigung der zwei Deutungen der Reflexion, die wir soeben Kant zugeschrieben haben: Das reflektierende sich-Beziehen auf das unmittelbar Gegebene, um das wesentliche Sein desselben zu bestimmen, macht gleichzeitig eine Rückwendung des denkenden Selbst auf sich selbst aus. Das kann auch so ausgedrückt werden, dass das Setzen des Anderen bzw. das reflektierende Bestimmen eines unmittelbar Seienden ein Selbstsetzen ausmacht.578 Aber gerade darum, weil

573

Vgl. F. M. Marzoa: Hölderlin …, a. a.O., 19–20. Vgl. F. M. Marzoa: Hölderlin …, a. a.O., 20. 575 KrV B 406. Kant scheint an dieser Stelle das Wort »Absicht« im Sinne der scholastischen intentio zu benutzen. 576 KrV B 404: »Durch dieses Ich, oder Er, oder Es (das Ding), welches denket, wird nun nichts weiter, als ein transzendentales Subjekt der Gedanken vorgestellt = x, welches nur durch die Gedanken, die seine Prädikate sind, erkannt wird, und wovon wir, abgesondert, niemals den mindesten Begriff haben können; […].« 577 KrV B 407: »In allen Urteilen bin ich nun immer das bestimmende Subjekt desjenigen Verhältnisses, welches das Urteil ausmacht.« 578 Vgl. F. M. Marzoa: Hölderlin …, a. a.O., 25. 574

214

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

diese ursprünglichere Sache, als »das Vehikel aller Begriffe überhaupt«,579 immer präsent ist bzw. dasjenige ausmacht, über welches immer gesprochen wird, kann über dasselbe eigentlich nichts gesagt oder erkannt werden. Vom denkenden Selbst, als bei jeglicher Operation des Verstandes anwesend (d. i. allgemein und übergreifend), fehlen uns die notwendigen Data oder die unmittelbaren Inhalte, die uns den Stoff für die Erkenntnis desselben abgeben könnten.580 Insofern kann es nicht das subiectum (im Sinne von hypokeímenon) von Sätzen mit objektiver Gültigkeit ausmachen,581 was zur paradoxalen Schlussfolgerung führt – darauf hat Marzoa aufmerksam gemacht –, dass das Subjekt eigentlich kein Subjekt ist.582 Die zwei Richtungen des sich-Beziehens-auf, welche die reflexio aufweist, nämlich auf das gesetzte Etwas und auf das ursprünglichere Etwas, welches dadurch sich selbst setzt, lassen sich folglich auf keine Einheit zurückführen, die das eigentliche Subjekt wäre.583 Die geschilderte Situation stimmt mit dem Resultat überein, zu welchem unsere Überlegungen im vorausgehenden Abschnitt über den Reflexionsbegriff anhand der ersten Seiten der Wesenslogik geführt haben. Es hat sich gezeigt, dass die unauflösbare Positivität, welche dem Scheinhaften oder Unwesentlichen als solchen – sofern es vom Wesentlichen unterschieden wird – zukommt, eigentlich aus dem Wesentlichen selbst herstammt. Dem Wesentlichen wiederum, indem es nicht ein unmittelbar Seiendes, sondern das wahrhafte, wesentliche Sein ist, kann keine andere Positivität als diejenige zukommen, die das Scheinhafte selbst (als eine unmittelbare Präsenz aufgefasst) aufweist.584 Eine andere Form von Positivität, die das Wesentliche vom Schein gleichsam wie ein dunkles Substrat absondern würde, würde dasselbe nicht zum Wesen machen, sondern es zum unmittelbaren Sein »herabsetzen« – laut dem neuen Sinn der Beziehung auf sich, welche die Reflexion gegenüber der Seinssphäre eingeführt hat. Deswegen ist das Scheinen (d. i. das sich als unselbständig Erweisen) dem Wesentlichen selbst anzurechnen, denn ansonsten würde das Scheinhafte eine Selbständigkeit gegen das Wesen 579

KrV B 399. Vgl. KrV B 407. 581 Ebd.: »Daß aber Ich, der ich denke, im Denken immer als Subjekt und als etwas, was nicht bloß wie Prädikate dem Denken anhänge, betrachtet werden kann, gelten müsse, ist ein apodiktischer und selbst identischer Satz; aber er bedeutet nicht, daß ich, als Objekt, ein, für mich, selbst bestehendes Wesen, oder Substanz sei.« 582 Vgl. F. M. Marzoa: Hölderlin …, a. a.O., 21. 583 Vgl. F. M. Marzoa: Hölderlin …, a. a.O., 25–26. Anhand seiner tiefgehenden Überlegungen versucht Marzoa zu zeigen, dass der deutsche Idealismus nichts anderes als der Versuch ist, philosophisch zu begründen, dass das Subjekt »wahrhaft« Subjekt ist oder, dass es Subjekt überhaupt »gibt«. 584 Vgl. Enz. § 112. 580

§ 22 Der konstitutive Mangel der Verbindung durch nexus

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selbst besitzen, die mit ihrem unselbständigen Charakter kollidieren würde. Diesem Scheinen wird das Beiwort »in sich« beigefügt, was gerade den logischen Actus der Reflexion mit dem anderen Sinn der Reflexion verknüpft, den Locke in Umlauf setzt: Das Scheinen, welches dem Wesentlichen selbst zuzurechnen ist, macht (gemäß dem übergreifenden Charakter des Wesens) ein »selbstgerichtetes Tun« aus. Es soll dabei nicht unberücksichtigt bleiben, inwiefern diese Konvergenz des Scheinens und der Rückwendung auf sich von der sogenannten begrifflichen Askese abhängt, welche auf den ersten Seiten der Wesenslogik streng waltet und systematisch die mit dem Reflexionsbegriff assoziierten Suppositionen auflöst. Die dialektische Auflösung, so ist bemerkt worden, hat die Suppositionen eines Ausgangspunktes (d. i. das unmittelbare Sein) und eines Endpunktes des Actus der Reflexion (d. i. das wahrhafte Sein oder Wesen) abgeschafft. Dadurch hat sich das Scheinen gleichzeitig als das Eigentümliche des Unwesentlichen und des Wesentlichen erwiesen. Obwohl das Unwesentliche per definitionem dem Wesentlichen entgegengesetzt ist, vermag es dennoch keine richtige Andersheit gegenüber dem Wesentlichen auszumachen. Deswegen bezieht sich das Wesentliche eigentlich auf sich selbst, wenn es sich auf seine Andersheit bezieht, die durch die Reflexion unselbständig geworden ist. Bei der kantischen Auffassung der Reflexion haben wir auch ein Unwesentliches oder Selbstloses (d. i. das unmittelbar Seiende), welches im denkenden Selbst (als Quelle der Gesetzmäßigkeit verstanden) den Grund seiner Seiendheit findet. Bei den beiden Fällen haben wir es mit einer setzenden Instanz zu tun, welche aufgrund ihres übergreifenden Charakters jeglicher positiven Seiendheit entbehrt. Aber das Konzept der Reflexion besagt gerade, dass die Seiendheit des unmittelbar Seienden auf seiner setzenden Instanz basiert. Wir befinden uns also vor zwei Seiten desselben, welche sich gleichwohl auf keine Einheit zurückführen lassen, trotz des übergreifenden Charakters einer von ihnen.585 Daraus folgt zwangsläufig für die setzende Instanz die Unmöglichkeit, sich wahrhaft auf sich selbst (im reflektierten Sinne) beziehen zu können.

§ 22 Der konstitutive Mangel der Verbindung durch nexus; die Struktur der Reflexion und der Gegensatz Intuition-Diskurs Die Bezugnahme auf Kant hat gezeigt, wie dieser das denkende Selbst mittels der Vereinigung der beiden Deutungen des Reflexionsbegriffes auffasst. Kraft dieser vereinigenden Operation erweist sich das Subjekt als die set585

Vgl. F. M. Marzoa: Hölderlin …, a. a.O., 26.

216

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

zende Instanz der Seiendheit. Aber gleichwohl und paradoxerweise geht vermöge dieser Operation dem Subjekt der Titel eines Subjekts verloren. Dieselbe Operation also, die das denkende Selbst zur eigentlichen Sache des Diskurses macht, macht es unmöglich, sich auf diese Sache zu beziehen oder sie zum Referenzpunkt zu machen. Wir haben ferner gezeigt, wie Hegel durch eine rein logische Betrachtung des Reflexionsbegriffes zu demselben Schluss gelangt. Der logische Actus der Reflexion (erster Sinn der reflexio) erweist sich durch das bloße Explizieren des Wesensbegriffes als eine Rückwendung auf sich (zweiter Sinn der reflexio). Aber diese Rückwendung macht gleichzeitig und paradoxerweise keine volle Rückwendung aus, weil die setzende Instanz keinen anderen Inhalt als jenen hat, welcher sich im Anderen ihrer selbst, d. h. im Scheinhaften, zeigt. Deswegen sagt Hegel von der Sphäre des Wesens, dass sie sich durch eine unvollkommene »Verknüpfung der Unmittelbarkeit und der Vermittlung« kennzeichnet.586 Das Unvollkommene dieser Verknüpfung besteht nach Hegel darin, dass alles in ihr »sich auf sich bezieht und daß zugleich darüber hinausgegangen ist«.587 Das, was sich auf sich (auf reflektierte Weise) bezieht, ist, wie wir schon wissen, die setzende Instanz oder das Wesen. Dass dieselbe bei diesem selbstgerichteten Tun zugleich über sich selbst hinausgeht, bedeutet dann, dass sie als Referenzpunkt von sich selbst immer »verschoben« ist. Es handelt sich also um eine verfehlte Intendierung, die den von ihr anvisierten Inhalt nicht zu treffen vermag, d. h. um das, was in 1.3 als das Definierende des subjektiven Meinens (als dasjenige verstanden, was sich nicht aussprechen lässt) geschildert worden ist. Den Zusammenhang mit dem subjektiven Meinen werden wir bald wieder aufnehmen; wichtig ist nun, dass durch diese verfehlte Intendierung die Reflexion einen Widerstreit mit sich selbst aufweist. Mit diesem fehlerhaften Merkmal macht folglich die Wesenslogik die diskursive »Sphäre des gesetzten Widerspruches« aus.588 Der Widerspruch ist innewohnender Defekt der reflexio selbst, durch welche Kant das denkende Selbst als setzende Instanz aufzufassen versucht. Es sei wieder daran erinnert, dass das Unwesentliche und das Wesentliche sich zueinander nicht wie zwei unmittelbare Seiende verhalten. Das bringt uns zu den in 2.1 erwähnten zwei Arten der conjunctio (Verbindung oder Synthese) bei Kant zurück. Durch die erste Art, nämlich die compositio (Zusammensetzung), werden solche in Verbindung gebracht, welche zunächst vollkommen äußerlich gegeneinander sind; das bedeutet, dass diese Verbindung ihr 586 587 588

Enz. § 114. Ebd. Ebd.

§ 22 Der konstitutive Mangel der Verbindung durch nexus

217

innerstes Wesen nicht im mindesten betrifft, oder mit Hegel ausgedrückt: dass sie gegen diese Verbindung vollkommen gleichgültig sind, wie die drei verglichenen Bäume im logischen Actus der Komparation. Mit dieser Art von Verbindung beschäftigt sich bekanntlich die Lehre vom Sein in der Logik. Die zweite Art, nämlich der nexus (Verknüpfung), ist in Kants Worten »die Synthesis des Mannigfaltigen, so fern es notwendig zu einander gehört, wie z. B. das Akzidens zu irgend einer Substanz, oder die Wirkung zu der Ursache, – mithin auch als ungleichartig doch a priori verbunden vorgestellt wird, welche Verbindung, weil sie nicht willkürlich ist, ich darum dynamisch nenne, weil sie die Verbindung des Daseins des Mannigfaltigen betrifft […]«.589 – Kehren wir nun zum logischen Actus der Reflexion zurück: Der Unterschied zwischen dem Unwesentlichen und dem Wesentlichen ist nicht, wie bei der compositio, ein Unterschied zwischen Gleichartigen, die äußerlich gegeneinander sind. Das Eine macht das Innere, das wahrhafte quid des Anderen aus, wobei es sich offensichtlich um eine Verbindung durch nexus handelt. Daraus ist als Antizipation des Kommenden zu folgern, dass die Wesenslogik, als Logik der Reflexion verstanden, sich mit den dynamischen Kategorien beschäftigen wird, welche das zweite Paar von Quadranten der kantischen Tafel ausmachen. Das bringt wichtige Folgen mit sich, welche nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Im letzten Kapitel ist darauf hingewiesen worden, dass Kant der Verbindung durch compositio eine größere wissenschaftliche Evidenz als derjenigen durch nexus zuerkennt.590 Die Erste ist, wie bereits gezeigt, die Verbindung von unmittelbaren, beziehungslosen Seienden, die gegen diese vollkommen äußerlich sind. Es handelt sich also um die Art von Relation, welche den unmittelbar gegebenen Inhalten der Anschauung, als Bereich der »Äußerlichkeit« verstanden,591 eigen ist. Die intuitionistischen Annahmen des kantischen Denkens, nach welchen – wie Vuillemin gezeigt hat – »die Widerspruchslosigkeit von der Existenz streng unterschieden werden muss

589

KrV B 201 Fußnote. Wir geben die Stelle wieder, KrV B 199–200: »Die Bedingungen a priori der Anschauung sind aber in Ansehung einer möglichen Erfahrung durchaus notwendig, die des Daseins der Objekte einer möglichen empirischen Anschauung an sich nur zufällig. Daher werden die Grundsätze des mathematischen Gebrauchs unbedingt notwendig d.i. apodiktisch lauten, die aber des dynamischen Gebrauchs werden zwar auch den Charakter einer Notwendigkeit a priori, aber nur unter der Bedingung des empirischen Denkens in einer Erfahrung, mithin nur mittelbar und indirekt bei sich führen, folglich diejenige unmittelbare Evidenz nicht enthalten, (obzwar ihrer auf Erfahrung allgemein bezogenen Gewißheit unbeschadet,) die jenen eigen ist.« 591 So charakterisiert Hegel die Idee als Anschauen, d. h. als Natur. Siehe Enz. § 247. 590

218

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

und die Letzte nur in der Anschauung konstruiert werden kann«,592 bringen ihn dazu, der unmittelbaren anschaubaren Evidenz, welche die mathematischen Konstruktionen aufweisen, ohne sich auf die wirkliche Existenz des Gegenstandes berufen zu müssen (denn sie beziehen sich bloß auf die Anschauung in ihrer Reinheit593), eine unbedingte Notwendigkeit zuzuschreiben. Die Verbindungen durch compositio beschränken sich darauf, die reine Anschauung (Raum und Zeit), d. h. die bloße Form derselben (welche die Äußerlichkeit ist) zu bestimmen, ganz abgesehen von den wirklichen Dingen, welche in dieser Form angeschaut werden. Auf diese Letztere bezieht sich gerade die empirische Anschauung, welche die Basis der Verbindungen durch nexus ausmacht. Bei der Verbindung zwischen Ursache und Wirkung, Substanz und Akzidenzien usw. können die verbundenen (ungleichartigen) Glieder nicht voneinander abgetrennt werden, ohne dass sie dadurch ihren definierenden Charakter einbüßen. Dennoch kann diese Verbindung nicht den Gegenstand einer unmittelbaren Intuition ausmachen, welche sich nur auf die Form a priori der Anschauung bezieht, sondern sie ist zwangsläufig von einer empirischen (also nicht mehr apriorischen) Anschauung bedingt, die den konkreten Fall für die Anwendung der Gedankenbestimmung liefert.594 Der Evidenzgrad steht hier im umgekehrten Verhältnis zur Notwendigkeit der Verbindung. Die Glieder der compositio (wie z. B. die zwei Dreiecke, welche durch Zusammensetzung ein Quadrat bilden) gehören nicht zueinander. Es handelt sich also um einen willkürlichen, äußerlichen Zusammenhang, der trotzdem völlig apodiktisch ist, denn er betrifft allein die apriorischen Strukturen der Anschauung (Raum und Zeit), die »in Ansehung einer möglichen Erfahrung durchaus notwendig«595 sind. Beim nexus hingegen stehen wir freilich vor einem notwendigen Zusammenhang, aber dieser kann nur mittelbar erschlossen werden, und zwar anhand von wirklichen, existierenden Gegenständen. Diese existierenden Gegenstände geben 592

J. Vuillemin: Reflexionen über Kants Logik, a. a.O., 330–331. KrV B 146–147: »Sinnliche Anschauung ist entweder reine Anschauung (Raum und Zeit) oder empirische Anschauung desjenigen, was im Raum und der Zeit unmittelbar als wirklich, durch Empfindung, vorgestellt wird. Durch Bestimmung der ersteren können wir Erkenntnisse a priori von Gegenständen (in der Mathematik) bekommen, aber nur ihrer Form nach, als Erscheinungen; ob es Dinge geben könne, die in dieser Form angeschaut werden müssen, bleibt doch dabei unausgemacht.« 594 KrV B 149: »Aber das Vornehmste ist hier, daß auf ein solches Etwas auch nicht einmal eine einzige Kategorie angewandt werden könnte: z. B. der Begriff einer Substanz, d. i. von Etwas, das als Subjekt, niemals aber als bloßes Prädikat existieren könne, wovon ich gar nicht weiß, ob es irgend ein Ding geben könne, das dieser Gedankenbestimmung korrespondierete, wenn nicht empirische Anschauung mir den Fall der Anwendung gäbe.« 595 KrV B 199. 593

§ 22 Der konstitutive Mangel der Verbindung durch nexus

219

einen Fall der Anwendung, d. h. etwas Zufälliges bzw. etwas, das nicht immer da gewesen ist und folglich niemals »aus bloßen Begriffen« (aber auch nicht aus der bloßen Form der Wahrnehmung) erkannt werden kann.596 Auf den mittelbaren Charakter dieses verbindenden Aktes ist besonderer Nachdruck zu legen: Es handelt sich eigentlich um den Gegensatz vom Intuitiven und Diskursiven und um die damit zusammenhängende Auffassung, nach welcher das letztere in Bezug auf das erstere mangelhaft ist – gerade aufgrund seiner Unfähigkeit, sich direkt auf einen Gegenstand zu beziehen.597 Von dieser scharfen Unterscheidung aus unternimmt Kant die Kritik der vormaligen Metaphysik, indem er zeigt, dass Begriffe, wie Substanz, Kraft usw., infolge ihres diskursiven Charakters nur innerhalb der Grenzen möglicher Erfahrung Sinn und Bedeutung haben können. Die Reflexion führt uns somit zur Beschaffenheit des metaphysischen Diskurses. Daraus ergibt sich eine zweite Antizipation des Kommenden: Die logische Untersuchung der dynamischen Denkbestimmungen, welche die Wesenslogik durchführt, wird wohl eine Untersuchung der begrifflichen Strukturen sein, welche vornehmlich in der Metaphysik vorkommen. Die oben untersuchte zeichentheoretische Dimension der Logik hat uns bezüglich der Relation zwischen dem Unmittelbar-Intuitiven und dem Mittelbar- Diskursiven (d. h. zwischen Sein und Reflexion) auf einen ganz anderen Standpunkt versetzt. Während die Äußerlichkeit der compositio für das transzendentale Denken das Primat einer direkten Evidenz besitzt, macht dieses vermeintliche Vorrecht aus der Perspektive reinen Denkens in der Logik nichts anderes als den anfänglichen Zustand aus, in welchem sich die Zeichen befinden, bevor sie von den Suppositionen des Vorstellens gereinigt werden. Ihre Äußerlichkeit bzw. Beziehungslosigkeit gegeneinander ist gerade auf das Einschieben des subjektiven Vorstellens zurückzuführen, welches, als der komparierende äußerliche Betrachter fungierend, sie isoliert voneinander festhält.598 Die Reflexion hat sich dann als die Wahrheit 596

Kant: Vorlesungen über Metaphysik, Metaphysik L2, 557 (44): »Völlig a priori, aus bloßen Begriffen, kann ich niemals das Daseyn der Dinge erkennen; denn es kann aus bloßen Begriffen nicht abgeleitet werden, sondern uranfänglich durch die Erfahrung.« 597 KrV B 93: »Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, als bloß die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern auf irgend eine andre Vorstellung von demselben (sie sei Anschauung oder selbst schon Begriff ) bezogen.« 598 So kann die folgende Stelle interpretiert werden (Enz. § 111, Zusatz): »Die Form der Beziehung ist im Sein nur erst unsere Reflexion; im Wesen dagegen ist die Beziehung dessen eigene Bestimmung […] In der Sphäre des Seins ist die Bezogenheit nur an sich; im Wesen dagegen ist dieselbe gesetzt. Dies ist also überhaupt der Unterschied der Formen des Seins und des Wesens. Im Sein ist alles unmittelbar, im Wesen dagegen ist alles relativ.«

220

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

der Seinssphäre erwiesen, indem sie das Resultat der sukzessiven Auflösungen ausmacht, welche das reine Denken an den verschiedenen Formen der compositio vollzieht. Durchs konsequente Beiseiteschaffen der Suppositionen wird das Sein aus seiner internen begrifflichen Dynamik heraus in den begrifflichen Zusammenhang der Reflexion getrieben. Damit wird zweierlei erreicht. Erstens: Das Ausschließungs-Verhältnis zwischen dem Unmittelbaren und dem Mittelbar-Reflexiven wird in eine diskursive Sequenz verwandelt, die vom Ersten zum Zweiten führt. Damit wird zwischen den beiden die Kontinuität gesetzt, die fehlt, solange sie als einen unüberbrückbaren Gegensatz bildend aufgefasst werden. Zweitens: Kraft dieser Kontinuität, welche es ermöglicht, vom einen zum anderen bruchlos überzugehen, zeigt sich die Reflexion nicht mehr als der bloße Gegensatz zum Unmittelbaren, sondern als eben dasjenige, was das Unmittelbare »wahrhaft« ist, d. i. Vermitteltheit, Relation. Diese zwei Punkte lassen sich bei einer ersten Lektüre der Seins- und Wesenslogik leicht feststellen. Dahinter steckt aber ein komplexerer Sachverhalt, in welchem die hegelsche Betrachtung der Reflexion gerade ihre philosophische Tragweite hat. Um diesen Sachverhalt adäquat ans Licht zu bringen, muss einiges in Zusammenhang gebracht werden. In 1.2 wurde bemerkt, dass bei Fichte der Übergang von der (vordiskursiven) Unmittelbarkeit intellektueller Anschauung in die diskursive Vermittlung (d. i. in die Reflexion) durch einen äußerlichen Anstoß veranlasst werden muss. Aus dem Bisherigen wird klar ersichtlich – darauf hat Vuillemin aufmerksam gemacht –, dass dieser Anstoß gerade die nachkantische Version des zufälligen Elementes ist, welches bei Kant die Verbindung durch nexus indirekt und mittelbar macht.599 Dieses Zufällige ist auch in der hegelschen Betrachtung der Reflexion zu finden, nämlich in der unmittelbaren Präsenz des Nichtigen, Scheinhaften als das (unableitbare) Andere des Wesentlichen. In diesem Zufälligen muss der oben sogenannte »Defekt« oder »Mangel« der Reflexion gesucht werden. Dieser wird von Hegel, wie wir bereits wissen, als die »unvollkommene Verknüpfung der Unmittelbarkeit und der Vermittlung« formuliert. Der Ausdruck »unvollkommene Verknüpfung« verdient besondere Aufmerksamkeit, denn »Verknüpfung« ist gerade die deutsche Übersetzung des lateinischen Wortes »nexus«. Der nexus hat die Funktion, jegliche Zufälligkeit aufzuheben, indem er eine notwendige Verbindung ans Licht bringt. Aber die beharrliche Zweiheit der dadurch wesentlich Verknüpften, die Nicht-Reduzierbarkeit derselben auf eine Einheit weist eigentlich eine Gleichursprünglichkeit auf, die mit der vom Ausdruck »nexus« ausgedrückten Relativität kollidiert und 599

Vgl. J. Vuillemin: Physique …, a. a.O., 24.

§ 22 Der konstitutive Mangel der Verbindung durch nexus

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somit die (intendierte) Verknüpfung unvollständig macht. Die Gleichursprünglichkeit der Glieder macht eben das definierende Merkmal der compositio gegen den nexus aus, welches jene in Bezug auf diesen willkürlich macht. Wenn also der nexus auch dieses Merkmal aufweist, dann ist er durch einen evidenten Widerspruch markiert, welcher Hegel dahin führt, das Wesen als die Sphäre des »gesetzten Widerspruchs« zu bezeichnen. Diese vom nexus unauflösbare und unüberwindbare Gleichursprünglichkeit ist das Zufällige an ihm, welches nach Kant (bei der Unableitbarkeit des wirklichen Daseins) und nach Fichte (bei der Idee des Anstoßes) das Mangelhafte und Untergeordnete des nexus in Bezug auf die Unmittelbarkeit des Intuitiven ausmacht. Wenn wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die Unterscheidung zwischen dem Intuitiven und dem Diskursiven richten, welche in der Geschichte der Philosophie klassisch ist,600 dann fällt ihre Ähnlichkeit mit der Unterscheidung zwischen den Gliedern der nexus-Verbindung unmittelbar auf. Haben wir beim klassischen Gegensatz zwischen der intuitio simplex (welche traditionell nur Gott eigen ist) und dem veri discursus601 (der die begrenzte menschliche Erkenntnis kennzeichnet) etwa nicht denselben Kontrast wie beim nexus zwischen einer übergeordneten Instanz und einem von derselben Abgeleiteten, also Sekundären und Unvollkommenen?602 Daraus folgt, dass die Behauptung des indirekten und mittelbaren Charakters der Reflexion bereits das Produkt einer reflexiven Einsicht ist. Der Unterschied zwischen dem direkt Erfassbaren und der Reflexion kann nur aus der Perspektive der Reflexion selbst gemacht werden. Diese Nicht-Reduzierbarkeit der zwei Seiten des Verhältnisses, trotz der übergeordneten Position der einen in Bezug auf die andere, ist schon die Konsequenz daraus, dass die Sache vom Standpunkt der Reflexion her betrachtet wird. Wenn Fichte z. B. die selbsttätige Ichheit als den Grund des Seins erklärt und zugleich den Gegensatz von Handeln und Sein (als Grund und Begründetes) zum oberen Ende der Abstraktion (also zu einem ursprünglichen, unaufhebbaren Unterschied) macht, fasst er die Sache vollends gemäß der Reflexions-Struktur und in der »unvollkommenen Verknüpfung«, welche derselben eigen ist. Folglich ist auf diese Struktur selbst zurückzuführen, dass die Reflexion als 600

Vgl. R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Diskursiv«. Diese bestimmte Bezeichnung des Gegensatzes ist aus Descartes (Regulae, AT X, 440, 3) genommen worden. 602 Vgl. Chauvin: Lexicon philosophicum (1713), Artikel »Discursus«: »Ex dictis autem patet, discursum, quo solent homines gloriari, prodere intellectus humani infirmitatem; cum plures notet cognitionis actus successivos, importetque transitum mentis nostro ab ignoto ad notum. Unde consequitur, discursum minime cadere in Deum, qui intuitive res omnes intelligit.« 601

222

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

dem Intuitiven entgegengesetzt vorgestellt wird. Das ist sowohl Kant als auch Fichte völlig entgangen. Grund dafür ist der bei ihnen herrschende Mangel einer Auffassung des Logisch-Diskursiven, welche dieses ursprünglicher als die Unterscheidung in re/in intellectu macht. Dies zieht gewichtige Folgen nach sich. Oben ist bemerkt worden, dass der Fortgang von der Seinssphäre zur Wesenssphäre den Gegensatz zwischen dem Unmittelbaren und dem Mittelbar-Reflexiven in eine diskursive Sequenz umwandelt, welche die Kontinuität zwischen beiden setzt. Aber beim Sein bzw. in der diskursiven Sphäre des Unmittelbaren haben wir noch nicht den Gegensatz zum Mittelbar-Reflexiven. Als ein solcher kann der Gegensatz da noch nicht präsent sein, denn das Andere des Unmittelbaren kann sich erst mit dem Hinausgehen über dasselbe zeigen – welche gerade die Reflexion vollbringt. Der Gegensatz ergibt sich erst beim Übergang zur Wesenssphäre. Trotzdem ist das, was diese diskursive Sequenz vollzieht, eben die Aufhebung des unüberbrückbaren Gegensatzes, indem das Unmittelbare sich dadurch als dasjenige erweist, was »wahrhaft« ist, nämlich Vermitteltheit und Relation. Dennoch bleibt ein Rest von Unmittelbarkeit: in der zufälligen Präsenz der abgeschafften Unmittelbarkeit, d. h. des Nichtigen, Scheinhaften. Wie bereits gezeigt handelt es sich dabei um dasselbe Zufällige, welches bei Kant und bei Fichte das Mangelhafte der Reflexion gegen die direkte Evidenz des Unmittelbar-Intuitiven ausmacht; letztendlich auch um dasselbe Zufällige, welches in der hegelschen Logik das Wesen zur Sphäre des gesetzten Widerspruchs macht. Wir haben also das Ergebnis, dass das restlose Übergehen des Seins in das Wesen durch die diskursive Sequenz, welche die Kontinuität zwischen den Entgegengesetzten herstellt, gleichzeitig die Errichtung dieses Gegensatzes mit sich bringt. Indem das Wesen das unmittelbare Sein restlos in sich aufnimmt und somit die Unmittelbarkeit desselben zum Schein »herabsetzt«, negiert es das Sein, und dadurch stellt es sich gerade dem Sein gegenüber. Die Negation des Gegensatzes durch das restlose Aufnehmen oder Absorbieren des unmittelbaren Seins und die Behauptung des Gegensatzes erweisen sich somit als zusammenhängend. Die Reflexion setzt sich dem Unmittelbaren innerhalb der Reflexion selbst entgegen, und die unbewusste Abhängigkeit von dieser Struktur führt gerade dazu, dass Kant und Fichte (zusammen mit dem ganzen neuzeitlichen Denken) den sukzessiven Denkverlauf der direkten Intuition entgegensetzen. Sie ignorieren, infolge ihrer unbewussten Dependenz vom Reflexions-Modell, dass der Gegensatz Intuition-Diskurs schon diskursiver Natur ist. Somit stoßen wir wieder auf das Charakteristikum, welches oben als das Definierende der Reflexion bezeichnet worden ist, nämlich die Verschiebung in Bezug auf sich selbst oder, was dasselbe ist, die Unmöglichkeit des Subjekts in der Re-

§ 22 Der konstitutive Mangel der Verbindung durch nexus

223

flexion, wahrhaft Subjekt zu sein. Es ist also der Reflexion konstitutiv, sich selbst zu verkennen, oder präziser ausgedrückt: Der Terminus »Reflexion« bezeichnet das sich-selbst-Verkennen der Denktätigkeit. Aber die (zweite) Bedeutung der Reflexion war gerade die Rückwendung der Denktätigkeit auf sich. Durch sie muss also das Denken letztlich von sich selbst erkannt werden können. Die einzige Form, die Rückwendung auf sich und das sichselbst-Verkennen der Reflexion zusammen zu denken, besteht darin, die Reflexion als ein sich-Aufschließen des Denkens zu sich selbst aufzufassen, und zwar als eines, das noch nicht komplett vollbracht, sondern im Gang ist, in welchem also noch ein Rest von Unkenntnis bleibt. So sagt Hegel vom Wesen, dass das Spezifische an ihm sei, sich zu explizieren.603 Der Begriff einer Explizierung oder Manifestation ermöglicht es, wie sich gleich zeigen wird, den diskursiven Fortgang der Wesenslogik gemäß der hier skizzierten Problematik ganzheitlich zu bezeichnen.604 Der diskursive Charakter der Reflexion kennzeichnet die begrifflichen Bestimmungen, mit welchen die Metaphysik und die Wissenschaften, die sich nicht unmittelbar auf die Anschauung beziehen (also die Physik im Gegensatz zur Mathematik) operieren. Die Logik hingegen betrachtet die Denkbestimmungen in einem Element oder Medium völlig frei von außerbegrifflichen Assoziationen, in welchem somit allein die reine begriffliche Struktur maßgebend ist. Wenn also Kant und Fichte immer noch in der Struktur der Reflexion gefangen bleiben, dann sind ihre Ansätze und diejenigen der vormaligen Metaphysik, welche gerade in der transzendentalen Auffassung überwunden werden sollten, logisch auf die gleiche diskursive Ebene (die Wesenslogik) zu setzen; und ihre kritische Betrachtung ist infolge ihrer strukturellen Homologie gemeinsam durchzuführen. Die Struktur der Reflexion macht Kants und Fichtes Kritiken an der Metaphysik von dieser abhängig: Beide (die transzendentale und die »metaphysische« Auffassung) sind beeinträchtigt von derselben »unvollkommenen Verknüpfung zwischen Unmittelbarkeit und Vermittlung«. Beide sind also fundamental behaftet mit der hieraus folgenden mangelhaften Kenntnis des Denkens von sich selbst.605

603

Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 151: »Das Wesen, kann man sagen, expliziert sich. Alles Sein, Dasein ist nichts anderes, als [das] Sein aufzuheben und sein Wesen zu zeigen. Dies Innere ist aber inhaltsvoll, und das Sein wird gewußt als Explikation des Wesens, es ist notwendig; was expliziert wird, ist das Wesen, es selbst kommt in die Erscheinung.« 604 Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 152: »[…]; das Ganze, was wir Wesen heißen, ist Negation des Seins, es ist das erste Sein, das in sich gegangene Sein, aber das sich noch nicht expliziert hat; […]« 605 Daraus erklärt sich, dass das Ich von Kant und Fichte so aufgefasst wird, »als könne

224

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

Gerade die gemeinschaftliche Teilhabe am Standpunkt der Reflexion macht das Projekt der kritischen Philosophie unvollständig, die Beschaffenheit des Denkens zum eigentlichen Gegenstand der metaphysischen Untersuchung zu machen. Deswegen spricht Hegel auf den ersten Seiten der Wesenslogik nicht vom Subjekt, obwohl er dort gerade die logische Struktur untersucht, vermittels derer Kant den Begriff vom Subjekt konzipiert. Die kantische Vereinigung der zwei Deutungen des Reflexionsbegriffes hat das paradoxale Resultat ergeben, das denkende Selbst, als Quelle der Gesetzmäßigkeit verstanden, zum einzigen Bezug des Denkens zu erklären und gleichzeitig seine Position als Subjekt unmöglich zu machen. Die bahnbrechende Operation Kants zu vollenden und dadurch die metaphysische Überlegung dahingehend zu verwandeln, dass das denkende Selbst vernünftig in seine eigene Beschaffenheit eindringt, also eine Logik geschaffen wird – das macht es erforderlich, über den Standpunkt der Reflexion hinauszugehen. Dadurch muss eine neue Auffassung des Subjekts gewonnen werden, die vom Mangelhaften dieses Standpunkts befreit ist. Gerade das Vollbringen der Manifestation, in welcher das Wesen (als eine Rückwendung auf sich verstanden) besteht und in welcher noch ein Rest von Unkenntnis bleibt, muss diese Befreiung herbeiführen. Die »unvollkommene Verknüpfung der Unmittelbarkeit und der Vermittlung« in der Wesenslogik ist oben als ein Rest subjektiven Meinens charakterisiert worden. Das Gemeinte macht den Gegenstand eines Sagen-Wollens bzw. eines bloßen mentalen Intendierens aus, welches sich dem wirklich Ausgesprochenen entzieht. Die Unstimmigkeit zwischen dem Gemeinten und dem wirklich Ausgesprochenen führt, wie wir längst wissen, zu einem Widerspruch oder einer Konfusion von Denkinhalten. In der Wesenslogik besteht dieser Widerspruch darin, dass mit der Verbindung durch nexus

die Vorstellung von ihm für eine unmittelbare Evidenz gelten« (D. Henrich: »Hegels Theorie über den Zufall«, in: Hegel im Kontext, Frankfurt a. M. 1971, 162). Zutreffend bemerkt Henrich (ebd., 161–162): »[…]: Hegel erläutert das Unternehmen seiner Logik als einen Versuch, die Kategorien des Erkennens in ihrer Notwendigkeit aufzuzeigen und das Recht, sie anzuwenden, zu prüfen, ohne aber dabei, wie Kant und Fichte es taten, bereits den Begriff des Subjektes vorauszusetzen.« Dieser Behauptung ist zuzustimmen, aber es fehlt dabei eine weitere Begründung: Kant und Fichte setzen den Begriff des Subjektes voraus, weil sie unbewusst nach dem Reflexionsmodell verfahren. Das Subjekt kann problemlos vorausgesetzt werden, wenn man gemäß der Struktur der Reflexion denkt, denn diese Struktur schreibt vor, gewisse Prinzipien vorauszusetzen. Deswegen haben Kant und Fichte immer noch an der Denkstruktur teil, die sie umzukehren versuchen. Hier kann man dasjenige anführen, was Heidegger gegen Sartres Begriff des Humanismus geltend macht (Brief über den »Humanismus«, GA, Bd. 9, 328): »Aber die Umkehrung eines metaphysischen Satzes bleibt ein metaphysischer Satz.«

§ 22 Der konstitutive Mangel der Verbindung durch nexus

225

ein notwendiger Zusammenhang gemeint ist, welcher mit der nicht- reduzierbaren Zweiheit der in Zusammenhang gebrachten Glieder bzw. mit ihrer Gleichursprünglichkeit kollidiert. Die Gleichursprünglichkeit ist gerade das Merkmal des Zufälligen, als die vorliegende Präsenz von mehreren Zeichen verstanden, die durch bloßes »auch« miteinander verbunden sind.606 Wir »meinen« also das Wesentliche im Gegensatz zum Unwesentlichen, aber dasjenige, was wir durch diesen Gegensatz wirklich aussprechen, ist eigentlich das Gegenteil der gemeinten Wesentlichkeit, weil der unaufhebbare Unterschied der entgegengesetzten Zeichen gerade die Gleichursprünglichkeit derselben ausdrückt – also eine compositio statt eines nexus. Charakteristisch für die Denkbestimmungen der Wesenssphäre ist es, diese zwei abweichenden Merkmale (d. i. Zufälligkeit und notwendige Zugehörigkeit) nicht »zusammenbringen« zu können.607 Die durch das »auch« ausgedrückte Beziehungslosigkeit ist, wie am Ende von 1.4 dargelegt, das Kennzeichen dafür, dass die subjektive Innerlichkeit dem Trieb des reinen Denkens, sich selbst zu verwirklichen, noch widerstrebt. Die Verwirklichung oder Konkretion des reinen Denkens vollzieht sich deshalb in der Logik dadurch, dass sich der subjektiv-innerliche »Boden« der Begriffe (der dunkle »Schacht« des Vorstellens) vollständig in den logischen Ursprung der Begriffe, d. h. ins wahrhafte Subjekt verwandelt. Diese Verwandlung bleibt unvollendet, solange die Zeichen durch das leere Band des »auch«, welches auf den Widerstand der innerlichen Subjektivität hindeutet, miteinander verknüpft bleiben. Deswegen kann das Subjekt durch die Struktur der Reflexion nicht richtig aufgefasst werden: Die unvollkommene Verknüpfung, welche derselben eigen ist, verbirgt einen dunklen Rest von innerlichem Meinen bzw. von unaussprechbarem subjektivem Intendieren. Diesen leeren nexus zwischen den abweichenden Merkmalen des Wesens zu erfüllen bzw. den dunklen Rest des Vorstellens, welcher das leere Band kennzeichnet, aufzulösen, ist gerade die Aufgabe der Wesenslogik. Die Ausführung dieser Aufgabe fällt mit der soeben erwähnten Bewerkstelligung der Manifestation zusammen, in welcher die Reflexion des Wesens (als eine unvollständige Rückwendung auf sich verstanden) besteht. Deswegen beschreibt Hegel den diskursiven Fortgang der Wesenslogik, durch welchen der in bloßer nexus-Verbindung noch verbleibende dunkle Rest an Meinen sukzessiv aufgelöst wird, als das fortschreitende Sich-Manifestieren des Wesens. Das Scheinen hat sich oben als das ergeben, was das Wesentliche selbst definiert: Durch seine unmittelbare Präsenz gibt sich das Wesen zu erkennen, wenn sie sein eigenes Selbst-Sein 606 607

Vgl. Enz. § 114. Ebd.

226

2.2 Die Wesenslogik (I): Reflexion und Subjekt

ausmacht, und in diesem Sich-Äußern oder Sich-Zeigen besteht gerade seine Selbsttätigkeit als Wesen. Das Scheinen macht aber nur die erste Stufe der allmählichen Enthüllung des Wesens aus – diejenige nämlich, auf welcher der Manifestationsgrad der niedrigste ist. Im nächsten Kapitel werden wir uns mit den Etappen dieser Manifestation bis zur kompletten Vollendung derselben ausführlicher befassen.

2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

§ 23 Die Wesenheiten: Die logische Umdeutung der allgemeinen Wahrheitskriterien Nach dem vorigen Kapitel kann die einzige Form, die zwei definierenden (und einander widerstreitenden) Merkmale der Reflexion – Rückwendung auf sich und sich-selbst-Verkennen – zusammen zu denken, nur darin bestehen, die Reflexion als ein sich-Aufschließen des Denkens zu sich selbst zu fassen, welches nicht schon ganz vollbracht wird, sondern sozusagen noch im Gang ist, in welchem also noch ein Rest an Unkenntnis bleibt. Das macht den Denkverlauf der Wesenslogik zu einer fortschreitenden Transparenz durch stufenweise aufeinanderfolgende Phasen des Scheinens, Erscheinens und Manifestierens hindurch. Diese Transparenz verschafft uns den Leitfaden, anhand dessen die Begriffe der Metaphysik und der (physischen) Wissenschaften – als konkrete Formen der nexus-Verbindung verstanden – einem lückenlos diskursiven Verlauf eingeordnet werden können. Die erste, unmittelbar vorkommende Form der Transparenz (in welcher folglich der Grad der Transparenz der niedrigste ist) ist der Schein, welcher in eins die Haltlosigkeit, Unselbständigkeit des unmittelbaren Seins und das Spezifische des Wesens (als Scheinen, sich-Ausnehmen) zum Ausdruck bringt. Am Anfang der Wesenslogik aber bringt das dieselbe Frage wie die mit sich, welche wir am Anfang der Seinslogik gestellt haben: Wie geht aus diesem Anfang, welcher als solcher noch Nichts ist, ein Etwas aus?608 Anders gesagt: Wie ist in dieser anfänglichen Situation die Ungleichheit gegen Anderes einzuführen, die das Etwas als das Bestimmte gegen das Unbestimmte kennzeichnet, um dadurch den Anfang als Anfang von Etwas effektiv zu machen? Diese Frage ist gleichbedeutend mit der Frage nach den wesentlichen Merkmalen dieses Scheinens, das wir zum Definierenden des Wesens erklärt haben.609 Durch ihre Beantwortung dringen wir in die Beschaffenheit des Wesens ein, d. h. wir gelangen durch das passive dessen Bestimmungen Zusehen zur Transparenz, in welcher es grundsätzlich besteht.

608

WL I, 60: »Es ist noch Nichts, und es soll Etwas werden. Der Anfang ist nicht das reine Nichts, sondern ein Nichts, von dem Etwas ausgehen soll; das Sein ist also auch schon im Anfang enthalten.« 609 WL II, 257: »Diese Bestimmungen machen hierdurch den bestimmten Schein aus, wie er im Wesen ist, den wesentlichen Schein.«

228

2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

In der Auffassung des Wesens als eines Scheinens ist die Bestimmtheit implizit bereits angedeutet, denn Scheinen bedeutet sich Zeigen oder sich Präsentieren, doch etwas kann sich nur auf eine bestimmte Art und Weise präsentieren. »Das Wesen scheint« heißt also: Es präsentiert sich als dieses oder jenes. Ist das Wesen nichts anderes als seine Transparenz, dann müssen die gesuchten Bestimmungen oder Merkmale des Wesens Konfigurationen desselben sein, die seine Natur darstellen oder zu erkennen geben. Aber die Natur des Wesens als Reflexion besteht gerade darin, nicht wie ein unmittelbares Seiendes ungleich gegen ein Anderes zu sein, sondern dem Anderen seiner selbst (d. i. dem Scheinhaften) übergeordnet zu sein, es zu übergreifen und sich dadurch als setzende, maßgebende Instanz dem unfreien Übergehen in Anderes zu entziehen, welches innerhalb der Seinssphäre das Schicksal der Bestimmungen ausmacht. Die Bestimmungen des Wesens müssen sich insofern dem unfreien Werden (d. h. dem Übergehen, das dem unmittelbaren Seienden eigen ist) entziehen; sie müssen also unbeweglich, unveränderlich sein.610 Ist die Veränderlichkeit ferner die Konsequenz der Ungleichheit gegen Anderes (und folglich der Gleichheit mit sich durch Beziehungslosigkeit, wie bei den Bestimmungen des Seins), dann kann die Unveränderlichkeit dieser Bestimmungen des Wesens, welche die Natur desselben präsentieren, nur darin bestehen, dass sie die Beziehung auf Anderes schon in sich enthalten oder, wie Hegel drastisch sagt, »die Beziehung auf ihr Anderes in sich zurückbeugen«.611 Die Bestimmungen des Wesens oder Wesenheiten bestimmen also das Wesen adäquat bzw. sie sind wahrhafte Ausdrücke des Wesens, indem sie lauter Relationen zum Ausdruck bringen, die dem Wesen konstitutiv sind und seine »reflektierte« (im Gegensatz zur unmittelbaren) Beziehung auf sich (siehe 2.2) explizit machen. Die Zeichen-Form, welche solchen Wesenheiten am besten entspricht, ist diejenige des Satzes,612 nicht 610

WL II, 256–257: »Um dieser Reflexion in sich willen erscheinen die Reflexionsbestimmungen als freie, im Leeren ohne Anziehung oder Abstoßung gegeneinander schwebende Wesenheiten. In ihnen hat sich die Bestimmtheit durch die Beziehung auf sich befestigt und unendlich fixiert. Es ist das Bestimmte, das sein Übergehen und sein bloßes Gesetztsein sich unterworfen oder seine Reflexion in Anderes in Reflexion in sich umgebogen hat. Diese Bestimmungen machen hierdurch den bestimmten Schein aus, wie er im Wesen ist, den wesentlichen Schein.« 611 WL II, 257: »Die Qualität geht durch ihre Beziehung in anderes über; in ihrer Beziehung beginnt ihre Veränderung. Die Reflexionsbestimmung hingegen hat ihr Anderssein in sich zurückgenommen. Sie ist Gesetztsein, Negation, welche aber die Beziehung auf anderes in sich zurückbeugt, und Negation, die sich selbst gleich, die Einheit ihrer selbst und ihres Anderen und nur dadurch Wesenheit ist. Sie ist also Gesetztsein, Negation, aber als Reflexion in sich ist sie zugleich das Aufgehobensein dieses Gesetztseins, unendliche Beziehung auf sich«. 612 Vgl. WL II, 258–260.

§ 23 Die Wesenheiten: Die logische Umdeutung der Wahrheitskriterien

229

im Sinne einer bloßen enunciatio, sondern im wissenschaftlichen Sinne einer festgeformten Aussage, die eine Relation oder einen respectus zum Inhalt hat.613 Die (scheinbare) Unveränderlichkeit oder Unbeweglichkeit solch festgeformter Aussagen gründet darauf, dass sie die übergreifende Natur der setzenden Instanz darstellen. Die Wesenheiten machen ferner die wesentlichen Bestimmungen dessen aus, was durch Negation alles (unmittelbaren) Seienden »ist«. Als setzende Instanz ist das Wesen das alles Seiende Übergreifende. Das aber bedeutet: Dasjenige, was als wesentliche Bestimmung von diesem Übergreifenden gilt, muss in gewissem Sinne auch von jeglichem Seienden gelten, sofern dieses in jenem sein Bestehen hat. Die festgeformten Aussagen, welche die setzende Instanz präsentieren, fallen also mit den Prinzipien zusammen, die nach der philosophischen Tradition als von jeglichem vorstellbaren Ding konstitutiv gelten. So stoßen wir auf eine logische Betrachtung der von Kant sogenannten »allgemeinen formalen Kriterien der Wahrheit«: 1) den Satz des Widerspruchs und der Identität, 2) den Satz des zureichenden Grundes und 3) den Satz des ausgeschlossenen Dritten.614 Durch ihre weiterbildende und umformende615 Tätigkeit muss sich die Logik die vorgefundenen »Gedankenformen, Gesetze und Gegenstände«616 der überlieferten Logik und des metaphysischen Denkens vollständig aneignen und somit deren rückwirkende Begründung vermitteln. Insbesondere gilt das von den Bestimmungen, die traditionell als die allgemeinen Denkgesetze gelten, nach welchen also der Verstand und die Vernunft unwiderruflich verfahren müssen, und Kants Deutung derselben als Kriterien bahnt in gewisser Hinsicht schon den Weg, der zu ihrer spekulativen Aneignung in der hegelschen Logik führt. Ein Kriterium ist bekanntlich ein unterscheidendes Merkmal, durch welches etwas erkannt werden kann,617 im vorliegenden Fall aber geht es nach Kant um die unterscheidenden Merkmale oder die Kennzeichen, durch welche im Allgemeinen Wahrheit erkannt werden kann, und die Wahrheit im Allgemeinen muss per definitionem von jeglichem konkreten 613

WL II, 259: »Denn der Satz unterscheidet sich vom Urteil vornehmlich dadurch, dass in jenem der Inhalt die Beziehung selbst ausmacht oder daß er eine bestimmte Beziehung ist.« 614 Vgl. Kant: Logik, A 75–76. 615 Enz. § 9, Anm. 616 Ebd.: »Die spekulative Logik enthält die vorige Logik und Metaphysik, konserviert dieselben Gedankenformen, Gesetze und Gegenstände, aber sie zugleich mit weiteren Kategorien weiterbildend und umformend.« 617 Vgl. Kant: Logik, A 72: »Und die allgemeinen formalen Kriterien der Wahrheit sind demnach nichts anders als die allgemeine logische Merkmale der Übereinstimmung der Erkenntnis mit sich selbst oder – welches einerlei ist – mit den allgemeinen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft.«

230

2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

Gegenstand völlig absehen. Insofern entspricht diese Wahrheitsbedingung in unserem Kontext dem Wesen, das ja durch die Negation des unmittelbar Seienden ist und sich dadurch als die Wahrheit desselben erwiesen hat. Der Zusammenhang zwischen der kantischen und der hegelschen Auffassung der allgemeinen Denkgesetze erschöpft sich nicht in diesem Punkt. Eine ausführlichere Beschäftigung damit soll uns Auskunft über den Fortgang der Wesenslogik in ihren nächsten Phasen verschaffen. Hinsichtlich der soeben erwähnten logischen Wahrheitskriterien unterscheidet Kant zunächst zwischen dem Satz des Widerspruchs und dem Satz des zureichenden Grundes.618 Bezüglich des ersten wird gesagt, er sei ein negatives Kennzeichen der »innerlichen logischen Wahrheit«, während der zweite ein positives Kriterium der »äußerlichen logischen Wahrheit« ausmache.619 Dies wird von Kant auch folgendermaßen formuliert: »Durch den erstern ist die logische Möglichkeit, durch den letztern die logische Wirklichkeit eines Erkenntnisses bestimmt«.620 Bereits am Ende des Kapitels 1.2 haben wir über die kantische Unterscheidung zwischen dem Innerlichen und dem Äußerlichen Auskunft gegeben. Wenn wir das dort Gesagte in Erinnerung bringen, gewinnt der vorliegende Sachverhalt an Klarheit. Mit dem Satz des Grundes als Grundprinzip bestimmen wir das Wirkliche – also das, was sich aus bloßen Begriffen nicht ableiten lässt. Das aber ist gerade in Bezug auf einen gegebenen Begriff das Äußerliche, d. h. der Zusammenhang, der diesen Begriff mit anderen außerhalb seiner verbindet. Beim Satz des Widerspruchs hingegen gehen wir nicht über einen gegebenen Begriff hinaus, und deswegen spricht Kant von der »innerlichen logischen Wahrheit«. Kehren wir nun zur hegelschen Betrachtung der Wesenheiten zurück und versuchen wir, einleuchtend zu machen, wie sie mit Kant zusammenhängen. Die Satzform der Wesenheiten ist daraus erklärt worden, dass in diesen die »Zurückbeugung der Andersheit in sich« zum Ausdruck kommt, welche dem übergreifenden Wesen eigen ist. Vermöge dieser Einbeziehung der Andersheit können sich die Wesenheiten zunächst als unbeweglich und dem Übergehen ins Andere entzogen darstellen, im Gegensatz zu den Bestimmungen der Seinssphäre. Dieser anfängliche Schein von Bewegungslosigkeit macht gerade die Art und Weise aus, wie der Verstand sich die Wesenheiten als konstitutive Prinzipien 618

Kant: Logik, A 72–73. Kant: Logik, A 73: »Dieses Kennzeichen der innerlichen logischen Wahrheit ist aber nur negativ; denn ein Erkenntnis, welches sich widerspricht, ist zwar falsch; wenn es sich aber nicht widerspricht, nicht allemal wahr. […] Dieses zweite, den logischen Zusammenhang eines Erkenntnisses mit Gründen und Folgen betreffende Kriterium der äußerlichen logischen Wahrheit oder Rationabilität des Erkenntnisses ist positiv.« 620 Ebd. 619

§ 23 Die Wesenheiten: Die logische Umdeutung der Wahrheitskriterien

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jegliches Seienden bisher vorgestellt hat. Die Aneignung, welche die Logik diesem vorfindlichen Stoff oder, wie Hegel sagt, verknöcherten Material621 zuteil werden lassen muss, besteht dann darin, das Ungerechtfertigte dieser Vorstellungsweise aufzuzeigen und somit den Wesenheiten als sukzessiven Konfigurationen des Transparentwerdens der setzenden Instanz Kontituität zu verschaffen. Wenn sich diese Aufgabe erfolgreich ausführen lässt, wird das Hegel erlauben, einen bedeutsamen Schritt über Kant hinaus zu gehen: es wird die Kluft zwischen der logischen Innerlichkeit, die der Satz des Widerspruchs ausspricht, und der im Prinzip des zureichenden Grundes ausgedrückten logischen Äußerlichkeit beseitigen und somit den Fortgang von der bloßen Denkbarkeit des Wesens zu dessen Wirklichkeit begreiflich machen. Die Konsequenzen eines solchen Schrittes sind nicht zu unterschätzen: Es handelt sich gerade darum, von der Auffassung des Wesens als dem innerlichen Prinzip der logischen Prädikate eines Dinges (wodurch also das quid dieses Dinges denkbar wird) zum Begriff des Wesens als hervorbringenden Prinzips der realen Entstehung eines Seienden fortzugehen,622 wodurch dann nicht bloß das quid, sondern auch das quod desselben oder seine Existenz erkennbar wird. Diesen Fortgang als logisch unumgänglich zu erweisen würde ferner heißen, die logische Innerlichkeit oder Denkbarkeit und die Existenz nach der Idee progressiver Transparenz des Wesens miteinander zu verbinden. Von einem transzendentalen Standpunkt aus erscheint ein solcher Versuch als äußerst bedenklich. Denn er geht ja gerade auf Überbrückung der Kluft zwischen zwei Bereichen aus (dem des Logischen und dem des Wirklichen), welche das transzendentale Denken sorgfältig unterschied, um einen Rückfall in den Dogmatismus der vormaligen Metaphysik zu ver-

621

WL III, 5: »Bei dem gegenwärtigen darf ich diese Nachsicht vielmehr aus dem entgegengesetzten Grunde ansprechen, indem sich für die Logik des Begriffs ein völlig fertiges und festgewordenes, man kann sagen, verknöchertes Material vorfindet und die Aufgabe darin besteht, dasselbe in Flüssigkeit zu bringen und den lebendigen Begriff in solchem toten Stoffe wieder zu entzünden; […].« 622 Kant: Vorlesungen über Metaphysik, Metaphysik L , 552–553 (37–38): »Das Wesen 2 ist entweder ein logisches Wesen, oder ein Realwesen. Ein logisches Wesen ist der erste Grund aller logischen Prädicate eines Dinges; ein Realwesen ist der erste Grund aller Bestimmungen eines Wesens. Denn essentia ist vel logica vel realis. Ein logisches Wesen setzen wir durch die Analysis des Begriffes. Der erste Grund aller Prädicate liegt also im Begriffe; das ist aber noch kein Realwesen. Z. B. daß Körper sich anziehen, gehört zum Wesen der Dinge, obgleich es nicht im Begriff des Körpers liegt. Demnach ist das logische Wesen der erste innere Grund alles dessen, was im Begriffe enthalten ist. Ein Realwesen ist aber der erste innere Grund alles dessen, was der Sache selbst zukommt. – Wenn ich das logische Wesen habe; so habe ich noch nicht das Realwesen.«

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

meiden. Das bisher Gesagte sollte uns aber davor bewahren, den hegelschen Versuch mit einem solchen Rückfall zu verwechseln. In diesem Kontext sei wieder daran erinnert, dass die Logik sich »nur« mit Zeichen und mit deren Verhältnissen zueinander in einem einfachen Element befasst (d. i. dem Logischen), sodass der Übergang vom reinen Wesen zum Realwesen schlicht als ein diskursiver Verlauf durch verschiedene begriffliche Zusammenhänge hindurch anzusehen ist. Das aber heißt keineswegs, dem logischen Denkverlauf die Wirklichkeit abzusprechen, denn die Denkinhalte der Logik besitzen gerade vermöge ihrer zeichenhaften Konfiguration objektive Seiendheit. Auf den Sinn und die Tragweite der hegelschen Operation beim Unterschied zwischen dem reinen und dem Realwesen gehen wir im Folgenden näher ein. Um die hegelsche Betrachtung der Wesenheiten, wenngleich nur summarisch, einleuchtend zu machen, müssen wir uns noch einmal auf die wiederholt erwähnte Unstimmigkeit zwischen dem Gemeinten und dem wirklich Ausgesprochenen berufen. Diese Unstimmigkeit bewirkt in der vorliegenden Situation die Konfusion von Denkinhalten, die vonnöten ist, um die beharrliche Diskontinuität der Wesenheiten zu durchbrechen und schließlich den ganzen Ablauf spekulativ erfassen zu können. Das übergreifende Wesen, haben wir oben gesagt, »ist« durch die Negation alles Seienden. Dieses »ist« erlaubt uns gerade, ihm eine gewisse Sichselbstgleichheit zuzuschreiben, die dennoch keineswegs zu verwechseln ist mit der Sichselbstgleichheit eines unmittelbar Seienden (die auf seiner Beziehungslosigkeit basiert).623 Die Sichselbstgleichheit, die das »ist« des übergreifenden Wesens ausspricht, enthält den Bezug (respectus) auf die Andersheit, aber auf sie als eine angeeignete, selbstlos gewordene; als solche heißt sie selber »Identität«. Die Identität, bzw. jener respectus, den die Logiker durch die Formel »A=A« ausdrücken, macht somit die erste Bestimmung aus, durch welche sich die setzende Instanz präsentiert. Besondere Aufmerksamkeit verdient hier das Zeichen »A«: Es bezeichnet eigentlich kein besonderes Ding, sondern gerade die totale Abwesenheit desselben bzw. das Nichts jedes Seienden, das der Begriff des Wesens mit sich bringt. Dieses Nichts hat den Verstand dazu geführt, den respectus der Identität für allgemeingültig zu erklären, also von jeglichem vorstellbaren Ding zu behaupten, während es sich eigentlich (kraft der logischen Umarbeitung und Aneignung der Intelligenzprodukte) um das erste Moment der im Scheinen bestehenden Sichtbarmachung der setzenden 623

WL II, 260: »Seine Negativität ist sein Sein; es ist sich selbst gleich in seiner absoluten Negativität, durch die das Anderssein und die Beziehung auf Anderes schlechthin an sich selbst in die reine Sichselbstgleichheit verschwunden ist.«

§ 23 Die Wesenheiten: Die logische Umdeutung der Wahrheitskriterien

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Instanz handelt. Die Identität als erste Wesenheit zu erklären bedeutet also nicht, sie zu einem Prädikat des Wesens (unter irgendwelchen anderen) zu machen. Es wird damit nicht gesagt, dass die Identität dem Wesen zukommt, sondern betont, dass das Wesen zunächst der respectus der Identität selbst ist.624 Hier ist nicht zu unterscheiden zwischen einem Etwas (etwa dem Zeichen »A« der logischen Formel) und der Relation der Identität selbst, denn ansonsten würden wir die Supposition eines beziehungslosen Seienden wiedereinführen, das gegenüber der Relation selbst gleichgültig wäre. Das Zeichen »A«, das auf den beiden Seiten des respectus der Identität vorgestellt wird, bezeichnet das Nichts alles Seienden, welches das Wesen selbst ist; aber es verweist darauf so, als ob dieses Nichts ein Seiendes wäre, also Nichts in der Bestimmtheit des Seins. Ferner wird dieses leere Zeichen verdoppelt, um die spezifische Sichselbstgleichheit dieses Nichts auszudrücken (die, wie mehrmals betont, nicht mit derjenigen eines unmittelbar Seienden zu verwechseln ist). Somit stoßen wir hier wieder auf jene Unstimmigkeit zwischen dem Gemeinten und dem wirklich Ausgesprochenen, die es dem reinen Denken ermöglicht, die Diskontinuität der Reflexionsbestimmungen (d. i. die vorstellende Auffassung derselben) zu durchbrechen. Die wesensspezifische Form von Sichselbstgleichheit, welche die Verdoppelung des leeren Zeichens markiert, enthält außer der Identität ebenso dasjenige, was das Meinen als das Andere der Identität sagen will, aber nicht auszudrücken vermag, nämlich den Unterschied. Die Identität, haben wir gesagt, soll nicht unterschieden werden vom Wesen selbst, als ob es ums Prädikat eines Dinges ginge; aber das, was bei dieser radikalen Askese übrig bleibt, nämlich der von jeglichem Seienden völlig geläuterte respectus der Identität selbst, kann gleichwohl auch als respectus des Unterschieds aufgefasst werden. Dasjenige, was durch die Negation alles Seienden »ist« bzw. das übergreifende Wesen ausmacht, ist reine Identität; aber es ist aus demselben Grund auch radikale Andersheit, das absolut Andere oder, wie Hegel es sagt, »der Unterschied an und für sich«.625

624

WL II, 260: »Das Wesen ist also einfache Identität mit sich. […] Sie ist insofern noch überhaupt dasselbe als das Wesen.« WL, II 261: »Diese Identität ist zunächst das Wesen selbst, noch keine Bestimmung desselben, die ganze Reflexion, nicht ein unterschiedenes Moment derselben.« 625 WL II, 266. Burbidge hat den vorliegenden Übergang der Identität in den Unterschied sehr prägnant folgendermaßen geschildert (J. W. Burbidge, a. a.O., 74): »The concept identity, then, has a paradoxical character. It can only be thought because it identifies the moment of non-entity as something to be absolutely rejected. But this means that, throughout the reflective process, it gives whatever it considers non-identical a self-identical character, making it essential. No longer a simple positive concept, identity can only

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

Die Standard-Aussage, die traditionell dieser neuen Wesenheit entspricht, ist der sogenannte »Satz des ausgeschlossenden Dritten«, der in seiner gewöhnlichen Formulierung lautet: »Von zwei entgegengesetzten Prädikaten kommt dem Etwas nur das eine zu, und es gibt kein Drittes«.626 Es ist auf den ersten Blick unklar, inwiefern dieser Satz wirklich der Wesenheit des Unterschiedes oder der radikalen Andersheit entspricht. Um es klar zu machen muss die befremdliche hegelsche Umformulierung des Satzes herangezogen werden: »Alles ist ein wesentlich Unterschiedenes«627 Mit diesem Satz wird nicht einfach die Pluralität ausgedrückt, die schon im Wort »Alles« enthalten ist,628 sondern etwas Tieferes, das mit dem Satz der Identität (trotz allem Anschein) im Widerspruch steht. Die Identität als erste Bestimmtheit des Wesens hat sich daraus ergeben, dass das übergreifende Wesen durch die Negation alles Seienden »ist«; und dieses bloße »ist« erlaubt uns gerade, der setzenden Instanz (trotz ihrer radikalen negativen Natur) die Sichselbstgleichheit zuzuschreiben oder sie als die Identität selbst zu betrachten. Infolge dieser übergeordneten Position über alles Seiende (die sich in der Inhaltslosigkeit des Zeichens »A« ausdrückt) erhebt der Verstand diese erste Wesenheit zum allgemeinen Denkgesetz, das für jegliches vorstellbare Ding überhaupt gilt. Die Gültigkeit der Identität in Bezug auf jegliches Vorstellbare findet also in der Logik ihre Erklärung in der Tatsache, dass das Wesen rein logisch betrachtet über alles bloß Seiende hinausgeht und die Negation desselben ausmacht, wobei der Identitätssatz als allgemeines Denkgesetz eigentlich eine illegitime Übertragung des Wesens auf dasjenige ist, was in ihm gerade negiert ist, nämlich das Seiende. Die Identität jedes Dinges mit sich wird sozusagen von der Sichselbstgleichheit des übergreifenden Wesens entliehen; insofern vermischt die gewöhnliche Auffassung des Identitätsprinzips die Sphäre des Seins und die des Wesens,629 und gerade aus dieser

be thought by an intellectual activity that differentiates what it is not from what it is, and identifies that not to be inextricably entwined with what it is. This not or moment of pure difference is an essential determination of its meaning.« 626 Enz. § 119, Anm. 627 Ebd. 628 WL II, 270: »Daß alle Dinge verschieden sind voneinander, ist ein sehr überflüssiger Satz, denn im Plural der Dinge liegt unmittelbar die Mehrheit und die ganz unbestimmte Verschiedenheit.« 629 WL II, 259: »Ferner haben diese Sätze die schiefe Seite, das Sein, alles Etwas, zum Subjekt zu haben. Sie erwecken damit das Sein wieder und sprechen die Reflexionsbestimmungen, die Identiät usf. von dem Etwas als eine Qualität aus, die es an ihm habe, nicht in spekulativem Sinne, sondern daß Etwas als Subjekt in einer solchen Qualität bleibe als seiendes, nicht daß es in die Identität usf. als in seine Wahrheit und sein Wesen übergegangen sei.«

§ 23 Die Wesenheiten: Die logische Umdeutung der Wahrheitskriterien

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Perspektive unternimmt Hegel seine berühmte (aber deswegen noch nicht richtig verstandene) Kritik am traditionellen Verständnis des Identitätsprinzips. Auch beim Unterschied als Bestimmtheit des Wesens und in der entsprechenden Auffassung dieser Bestimmtheit als Denkgesetz ist eine solche Übertragung zu finden. Als dem Sein übergeordnet, ist das Wesen auch das Andere der Identität, d. h. die radikale Andersheit oder der »Unterschied an und für sich«. Der Unterschied ist also genauso wesentlich wie die Identität, und deswegen bezieht der Verstand ihn auch auf jedes vorstellbare Ding, indem er aussagt: »Von zwei entgegengesetzten Prädikaten kommt dem Etwas nur das eine zu, und es gibt kein Drittes«.630 Damit drückt der Verstand aus, dass die Andersheit genauso wie die Identität für jegliches vorstellbare Ding wesentlich konstitutiv ist, denn das Principium exclusi tertii besagt gerade, dass jedes Ding »sein« Anderes »hat« (das ihm Entgegengesetzte) bzw. dass diese Andersheit ihm wesentlich zugehört. Die Tatsache, dass das gewöhnliche Verständnis dieser zwei Sätze als allgemeine Denkgesetze nicht den geringsten Konflikt oder Widerspruch zwischen denselben sieht, erklärt sich gerade aus der soeben erwähnten Vermischung der Seins- und der Wesenssphäre. Das vorstellbare Ding oder Etwas, das mit sich identisch ist und sich gleichzeitig seinem Anderen entgegensetzt, wird gleichsam wie ein seiendes (d. i. beziehungsloses) Substrat vorgestellt, welchem die Identität und die Entgegensetzung als seine Prädikate zugesprochen werden. Die »Seiendheit« dieses Etwas verhindert dabei, dass seine Sichselbstgleichheit und die Relativierung, welche die Bestimmtheit der Entgegensetzung zwangsläufig mit sich bringt, miteinander kollidieren. Streng genommen aber sagt das Principium exclusi tertii, dass Etwas nur ist, insofern es nicht sein Anderes ist, wobei die Identität (mittels des »insofern«) sich als von der Andersheit wesentlich abhängig zeigt.631 Um den Konflikt zwischen diesen zwei Sätzen richtig wahrnehmen zu können, muss man lediglich die supponierte Seiendheit beseitigen, die zur vorliegenden diskursiven Sphäre nicht gehört. Nur dadurch, dass man dies einsieht, kann die dialektische Konfusion der Wesenheiten, die unter dem leeren »auch« ihrer Nebeneinanderstellung632 als allgemeine Denkgesetze verborgen liegt, deutlich sichtbar werden.

630

Enz. §119, Anm. Vgl. ebd.: »Dieser Satz des Gegensatzes widerspricht am ausdrücklichsten dem Satze der Identität, indem Etwas nach dem einen nur die Beziehung auf sich, nach dem anderen ein Entgegengesetzes, die Beziehung auf sein Anderes sein soll.« 632 Vgl. ebd.: »Es ist die eigentümliche Gedankenlosigkeit der Abstraktion, zwei solche widersprechende Sätze als Gesetze nebeneinanderzustellen, ohne sie auch nur zu vergleichen.« 631

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

§ 24 Der Fortgang von der reinen zur realen Vermittlung; die Auffassung des Wesens als Wirkprinzip Die spekulative Überwindung dieser Konfusion wird uns nun erlauben, den (nach kantischer Auffassung streng untersagten) Fortgang von der logischen Innerlichkeit des Identitätssatzes zur logischen Äußerlichkeit des Prinzips des zureichenden Grundes zu gewinnen. Es hat sich ergeben, dass der respectus des Unterschiedes genauso wesentlich ist wie der respectus der Identität, und das heißt genauer: Bei den beiden standardisierten Aussagen präsentiert sich die setzende Instanz oder sie »scheint« in ihnen. Aber in diesem Scheinen, d. h. in dieser Transparenz der setzenden Instanz durch die Wesenheiten der Identität und des Unterschiedes scheint das Wesen nur »in sich«, wie Hegel sagt.633 Versuchen wir nun, dies einleuchtender zu machen. Wir haben gesehen, wie die illegitime Einbeziehung der Seiendheit in diesem Kontext dazu führt, dass die sich als Denkgesetze präsentierenden Figurationen des Wesens nicht miteinander kollidieren. Wenn wir vom Seienden völlig absehen und jegliches »Außerhalb« des Wesens, alle extraessentialia völlig außer Acht lassen, dann ergibt sich zwangsläufig ein Konflikt zwischen den zwei Gesetzen. Aber diese beiden einander widerstreitenden Gesetze bilden eine unvollständige Auffassung des Wesens, nämlich diejenige, nach welcher das Wesen allein das innerliche Prinzip der Denkbarkeit eines Dinges, nicht aber das Wirkprinzip seiner Existenz ist. Deswegen sagt Hegel von den Wesenheiten, dass das Wesen in denselben nur »in sich scheint«: Sie drücken nur den innerlichen Aspekt des Wesens aus, die Auffassung desselben als Prinzip bloßer Denkbarkeit, bei welcher vom Außerwesentlichen, vom quod nämlich, völlig abgesehen wird. In kantischer Perspektive ist der Unterschied zwischen diesen beiden Auffassungen des Wesens bekanntlich unüberbrückbar. Aber bei der ersten Auffassung (d. i. der des Wesens als Denkbarkeitsprinzip) haben wir einen inneren Widerstreit festgestellt: Das über alles Seiende Übergreifende ist sowohl reine Identität als auch reiner Unterschied, radikale Andersheit. Die Auffassung des Wesens als Denkbarkeitsprinzip ist also nicht nur unvollständig, sondern auch in sich aporetisch. Bezüglich der aporetischen Ununterscheidbarkeit, die das Dialektische in den Gegensätzen ans Licht bringt, wurde oben unter 1.4 gezeigt, dass das Stehenbleiben bei derselben den logischen Fortgang willkürlich unterbricht. Die Unvollständigkeit des Wesens als Denkbarkeitsprinzip und seine innere Aporie hängen also zusammen; sie sind korrelativ. Daraus folgt: Dasjenige, was die Auffassung vervollständigt, d. h. das Wesen als hervorbringendes 633

Vgl. Enz. §§ 115–116.

§ 24 Der Fortgang von der reinen zur realen Vermittlung

237

Prinzip, ist gerade dasjenige, worin sich diese Aporie, diese dialektische Ununterscheidbarkeit, auflöst. Dem Wesen als Grund kommt hierbei eine spekulative Funktion zu. Das Wesen als hervorbringendes Prinzip macht nicht die andere von zwei Hälften aus, in welche der Begriff des Wesens eingeteilt werden kann, wie dies bei Kant der Fall ist. Wir stehen nicht vor zwei Spezies des Wesens, zum einen als logisches Wesen, zum anderen als Realwesen. Das Wesen als Wirkprinzip vervollständigt nicht als eine Spezies die gesamte Auffassung des Wesens, sondern es ist die gesamte Auffassung selbst: Indem es das dialektische Übergehen von Identität und Unterschied ineinander spekulativ zusammenfasst, vervollständigt es die diskursive Sequenz, welche die Darstellung der Wesenheiten »Identität« und »Unterschied« ausmacht, retroaktiv zu einer Ganzheit. Deswegen sagt Hegel vom Grund, er fasse »das Wesen als Totalität« auf.634 Auch damit wird die logische Umformung und Aneignung des »verknöcherten Materials« vollzogen, und zwar hier desjenigen, das die allgemein-logischen Wahrheitskriterien bilden.635 Die Art und Weise dieser Operation ist näher zu betrachten. Von den Wesenheiten ist gesagt worden, dass sie lauter Relationen ausdrücken; nun haben wir es mit einer dritten Relation zu tun, die das Ergebnis der Verflüssigung der zwei vorhergehenden Relationen einheitlich zum Ausdruck zu bringen hat. Uns interessiert daran vor allem, wie diese Operation das Reale, das quod im Gegensatz zum reinen quid ins Verständnis des Wesens einführt. Die Relationen, welche die Wesenheiten der Identität und des Unterschieds ausdrücken, sind solche, in welchen das Wesen nur in sich selbst scheint, in dem Sinne, dass sie das Wesen nur als innere Möglichkeit oder Denkbarkeitsprinzip (also unter Absehung von jeder Wirklichkeit) bestimmen. Aber nach dem gerade Gesagten können die reine Andersheit und die reine Identität nur vermittels einer Relation zusammen gedacht werden, die das Reale, also die unmittelbare Seiendheit wieder einführt. Die dialektische Konfusion der Wesenheiten zeigt ferner, dass die Satzform derselben, bzw. ihre »Zurückbeugung der Andersheit in sich«, die ihnen den Anschein von Unveränderlichkeit verleiht, sie eigentlich vor dem Übergehen ineinander

634

Enz. § 121: »Der Grund ist die Einheit der Identität und des Unterschiedes; die Wahrheit dessen, als was sich der Unterschied und die Identität ergeben hat, – die Reflexion-in-sich, die ebensosehr Reflexion-in-Anderes und umgekehrt ist. Er ist das Wesen als Totalität gesetzt.« 635 Vgl. J. W. Burbidge, a. a.O., 84: »Each of these principles is frequently maintained as an independent rule that can be recognized intuitively, without reference to anything else. Hegel’s analysis, however, situates them in the intelligence that thinks them, and shows how they arise out of an intellectual context of reflection that ultimately grounds their validity.«

238

2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

nicht bewahrt. Das Dialektische nimmt den Wesenheiten die Seiendheit, im Sinne von Beziehungslosigkeit oder Unabhängigkeit voneinander. Es handelt sich dabei aber um die Seiendheit von reinen Relationen oder, wie Hegel sagt, von reinen Vermittlungen (unter Absehung vom Vermittelten selbst). Wenn also die reinen Relationen keine Selbständigkeit gegeneinander haben, dann muss ihre Auflösung als Auflösung der reinen Relationalität selbst, der »Beziehung ohne Bezogene«636, aufgefasst werden: Ihr Übergehen ineinander muss eine Zusammengehörigkeit bilden, die nicht mehr reine Relationalität ist.637 Nun heißt die abgeschaffte Relationalität, die Beziehungslosigkeit also, nichts anderes als die Unmittelbarkeit selbst. Diese Unmittelbarkeit aber ist gerade eine, welche die Relation von Grund und Folge mit sich bringt und welche das Äußerliche, das Reale wieder in die Auffassung des Wesens einführt. Das Hervorgehen des Realen, der unmittelbaren Seiendheit (als das Beziehungslose verstanden), kann logisch nur durch Abschaffung der Vermittlung selbst begreiflich gemacht werden. Rein begrifflich gesehen bringt die Destruktion der reinen Relationalität zwangsläufig die Entstehung des Relationslosen, des unmittelbaren Seins, des quod638 im Gegensatz zum bloßen quid, mit sich. Es handelt sich aber nun um ein Relationsloses, dessen Entstehung gerade infolge des Verschwindens der reinen Relation selbst zustande kommt.639 Das so zustande Kommende ist das Relationslose, das unmittelbare Sein, welches vom Wesen als Wirkprinzip hervorgebracht wird, d. h. das unmittelbare Sein, das Folge des Wesens als Grund ist. Lesen wir nun den Inhalt des Satzes vom Grund genau, um dessen Korrespondenz mit seiner logischen Umdeutung begreiflich zu machen. Die gewöhnliche Formulierung des Grundprinzips (principium rationis sufficientis), d. h. diejenige der »metaphysischen Lehrbücher«,640 lautet folgendermaßen: »nihil est sine ratione«. Der Satz besagt, dass die (durch das »est« ausge-

636

WL II, 292: »Die reine Vermittlung ist nur reine Beziehung, ohne Bezogene.« Enz. § 122: »Das Wesen ist zunächst Scheinen und Vermittlung in sich; als Totalität der Vermittlung ist seine Einheit mit sich nun gesetzt als das Sichaufheben des Unterschiedes und damit der Vermittlung.« 638 Der lateinische Ausdruck »quod« wird hier (wie beim lateinischen »est quod«) im Sinne des deutschen »dass« gebraucht, nicht im Sinne von »weil«. Die Konjunktion »dass« leitet einen Nebensatz ein, welcher eine Tatsache, ein Faktum ausdrückt. Wenn wir also vom »quod« im Gegensatz zum »quid« sprechen, meinen wir dasjenige, was »de facto« ist, also Tatsache im Gegensatz zu demjenigen, was »de iure« ist, also laut Gesetz. 639 WL II, ebd.: »Nach diesem Moment der aufgehobenen Reflexion erhält das Gesetzte die Bestimmung der Unmittelbarkeit, eines solchen, das außer der Beziehung oder seinem Scheine identisch mit sich ist. Dieses Unmittelbare ist das durch das Wesen wiederhergestellte Sein: das Nichtsein der Reflexion, durch das das Wesen sich vermittelt.« 640 Kant: Vorlesungen über Metaphysik, Metaphysik L , 551–552 (34–37). 2 637

§ 24 Der Fortgang von der reinen zur realen Vermittlung

239

drückte) Sichselbstgleichheit nur einem Ding zukommen kann, insofern es aus einer Andersheit folgt, die somit als sein Grund oder seine ratio fungiert. Die unmittelbare Seiendheit ist also als Folge aufzufassen, d. h. das »ist« ist immer ab alio, es wird von einer Andersheit verliehen. Diese Abhängigkeitsverbindung mit dem Grund ist gerade die nexus-Verknüpfung, an welcher alle Begriffspaare der Wesenslogik teilhaben. Wenn aber von unmittelbarer Seiendheit die Rede ist, dann handelt es sich um etwas, das außerhalb der Beziehung sichselbstgleich ist. Die unmittelbare Seiendheit kann insofern nur als Folge, als rationatum gedacht werden, indem sie aus dem Verschwinden der Beziehung selbst folgt; nur so können ihre Unmittelbarkeit und ihre Vermitteltheit in eins gedacht werden. Diese Vermittlung ist nicht mehr der bloße respectus der Reflexionsbestimmungen, sondern eine – mit den Worten Hegels – »reale Vermittlung«,641 aus welcher also etwas Außerwesentliches, ein quod, hervorgeht. Das ist der Sinn der folgenden Aussage Hegels: »Dies ist also die Wiederherstellung der Unmittelbarkeit oder des Seins, aber des Seins, insofern es durch das Aufheben der Vermittlung vermittelt ist; – die Existenz«.642 Das Wesen ist also als Grund aufzufassen, indem es vermittels der Auflösung seiner eigenen Bestimmungen (die reiner relationaler Natur sind) die Beziehungslosigkeit des Seienden wieder entstehen lässt. Die dadurch entstandene Seiendheit heißt dann »Existenz«. Aus kantischer Perspektive ließe sich einwenden, dass das quod, die Existenz, sich aus bloßen Begriffen keineswegs herleiten lässt. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Es wird nicht eine konkrete Existenz hergeleitet, sondern die begriffliche Struktur, die der Bestimmung »Existenz« eigen ist. Von einem logischen Standpunkt aus ist die Existenz nichts anderes als ein Zeichen. Unter dem Namen »Existenz« fasst das Denken einen Inhalt mit gewissen Merkmalen, die gerade mit demjenigen zusammenfallen, was die spekulative Auffassung der Wesenheiten (d. i. der Grund als »Totalität des Wesens«) darstellt. Es gibt nichts Dogmatisches in diesem Schritt, sofern man beachtet, dass es sich in der Logik jederzeit um diskursive Transitionen unter Begriffsbestimmungen handelt. Die vorliegende Unmittelbarkeit stellt dennoch spezifische Merkmale dar: Es handelt sich um eine relationslose Sichselbstgleichheit, die, insofern sie als Folge betrachtet wird, gleichwohl als vermittelt anzusehen ist. In gewissem Sinne ist dies dasselbe wie das, was Kant das »Zufällige« nennt: Das Zufällige nämlich, als dasjenige, »wovon das Gegenteil möglich ist«643, also das Relationslose überhaupt, 641 642 643

WL II, 292. Enz. § 122. Kant: Vorlesungen über Metaphysik, Metaphysik L2, 551 (35)

240

2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

das bloße quod. Nur in Bezug auf ein solches ist es laut Kant sinnvoll, nach einem Grund zu fragen, also es in Relation zu setzen.644 Das bedeutet soviel wie: Nur ein gewisses Etwas, nämlich das Relationslose schlechthin, kann als Resultat einer Grund-Folge-Relation, d. h. als rationatum oder Folge betrachtet werden. Nichts anderes eigentlich sagt Hegel, wenn er die Existenz als eine vermittelte Unmittelbarkeit betrachtet. Aber während bei Kant die Beziehungslosigkeit der Folge auf ihrem Gefundensein (und somit auf ihrer Unableitbarkeit aus bloßen Begriffen) beruht,645 fasst Hegel dieselbe eben als das Ergebnis der Aufhebung der reinen Relation selbst, welche die logische Behandlung der Wesenheiten (d. h. des Wesens als Denkbarkeitsprinzip) mit sich bringt. Mit anderen Worten: Wir stehen nicht vor einer Existenz, die teils vermittelt, teils unvermittelt ist, sondern vor einer Existenz, deren Unmittelbarkeit als vollständig vermittelt (begründet) anzusehen ist, und zwar durch die Auflösung der reinen Vermittlung. Es ist in dieser Hinsicht sehr wichtig, die spekulative Funktion des Zeichens »Grund« nicht zu übersehen: Dementsprechend ist der Grund nicht als etwas hinter der Existenz Zurückbleibendes646 zu verstehen, sondern gerade als das Übergehen selbst, vielmehr als das Sich-Übersetzen des Wesens in die Existenz.647 Das schützt den hegelschen Ansatz noch mehr vor dem hypothetischen Einwand aus kantischer Perspektive: Während Kant das Realwesen der Dinge als für uns »unerforschlich« erklärt,648 was zur im letzten Kapitel betrachteten geringeren Evidenz der Verbindungen durch nexus in Vergleich zu den Verbindungen durch compositio führt, löscht Hegel in seiner Betrachtung des Grundes jegliche Spur von Dogmatismus noch tiefer aus, indem er denselben mit dem Hervorgehen der Existenz selbst gleichbedeutend macht.

644

Ebd.: »Ich kann also nicht von allen Dingen sagen: sie sind Folgen; sondern ich werde den Satz nach einer gewissen Restriction gebrauchen. Das Verhältnis der Folge zum Grunde ist ein Verhältnis der Subordination; und Dinge, die in einem solchen Verhältnisse stehen, machen eine Reihe aus. Also ist dieses Verhältniß des Grundes zur Folge ein Princip der Reihe, und es gilt blos vom Zufälligen. Alles Zufällige hat einen Grund; zufällig ist das, wovon das Gegentheil möglich ist. Das principium rationis sufficientis heißt also: alles was geschieht, hat einen Grund.« 645 Ebd.: »Das principium rationis sufficientis geht nicht auf Begriffe überhaupt, sondern auf die Sinne.« 646 Enz. § 123, Zusatz: »Der Grund ist das Aufheben seiner selbst, und das, wozu er sich aufhebt, das Resultat seiner Negation, ist die Existenz. Diese als das aus dem Grund Hervorgegangene enthält denselben in sich, und der Grund bleibt nicht hinter der Existenz zurück, sondern er ist eben nur dies, sich aufzuheben und in Existenz zu übersetzen.« 647 Ebd. 648 Kant: Vorlesungen über Metaphysik, Metaphysik L , 553 (39). 2

§ 24 Der Fortgang von der reinen zur realen Vermittlung

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Die Existenz ist dasjenige, was ab alio ist, also (um die Ausdrucksweise Spinozas zu benutzen) nur durch ein Anderes begriffen werden kann.649 Dieses Andere ist gerade das Wesen als Grund, welchem wir soeben das »Zurückbleiben hinter der Existenz« (d. i. das »Unerforschliche« Kants) abgesprochen haben. Somit stoßen wir wieder auf die zentrale Problematik, um welche die ganze Wesenslogik kreist, nämlich auf die von Hegel sogenannte »unvollkommene Verknüpfung zwischen der Unmittelbarkeit und der Vermittlung«. Wie bereits gesagt, besteht das Mangelhafte dieser Verknüpfung darin, dass mit der Verbindung durch nexus ein notwendiger Zusammenhang gemeint ist, welcher mit der nicht-reduzierbaren Zweiheit der in Zusammenhang gebrachten Glieder bzw. ihrer Gleichursprünglichkeit kollidiert. Wenn wir sagen, dass der Grund nicht hinter dem Begründeten zurückbleibt, sondern dass er im sich-Übersetzen in die Existenz besteht, gleichzeitig jedoch die Existenz als eine Folge ab alio erklären, dann verfallen wir wieder in den soeben erwähnten Widerspruch.650 Dennoch sind wir mit der Auffassung des Wesens als Grund über das anfängliche »in-sich-Scheinen« der Reflexion hinausgegangen: Der bisher durchlaufene Denkweg hat es ermöglicht, die zwei unüberbrückbaren Auffassungen des Wesens in die Kontinuität eines einheitlichen diskursiven Verlaufs zu setzen. Am Ende des letzten Kapitels haben wir den Schlussstein dieses diskursiven Verlaufs als fortschreitende Transparenz des Wesens beschrieben, die sich aus der graduellen Umwandlung des subjektiven Bodens der Begriffe in den logischen Ursprung derselben ergibt. Wie wir bereits wissen, besteht die logische Behandlung der Denkbestimmungen als zeichenhafte Konfigurationen darin, Schritt für Schritt die Nichtigkeit der unausgesprochenen Inhalte subjektiven Meinens aufzuzeigen, das diese Konfigurationen zusammenhangslos festhält. Die Reduktion des subjektiven Meinens deckt sich dann mit der progressiven Enthüllung der Sache selbst, die in der Wesenslogik den konkreten Sinn einer allmählichen Manifestation der setzenden Instanz hat. Mit der Auffassung des Wesens als Grund haben wir offensichtlich in dieser Richtung einen Schritt voran gemacht: Das unmittelbar Seiende hat dadurch aufgehört, die bloße Präsenz des Nichtigen zu sein, und hat die Bedeutung erhalten, ein vom Wesen gesetztes quod zu sein, das nicht mehr bloß scheinhaft ist, sondern von der Konsistenz und Sachhaltigkeit des Wesens selbst

649

Spinoza sagt nicht »ab alio« sondern »in alio«. Siehe Ethica, I, Def. V, Ax. I–II. WL II, 309: »Die formelle Grundbeziehung enthält nur einen Inhalt für Grund und Begründetes; in dieser Identität liegt ihre Notwendigkeit, aber zugleich ihre Tautologie. Der reale Grund enthält einen verschiedenen Inhalt, damit tritt aber die Zufälligkeit und Äußerlichkeit der Grundbeziehung ein.« 650

242

2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

erfüllt ist, sofern das Wesen als Realgrund nicht hinter diesem quod »zurückbleibt«, sondern »sich in dasselbe übersetzt«. Die Sachhaltigkeit, die dem »Quodditativen«651 oder Faktischen (aufgrund seiner Unableitbarkeit aus dem quid) bei Kant zukommt, wird in der hegelschen Logik als die Gegenwärtigkeit des Wesentlichen im Unmittelbaren selbst aufgefasst. Die Existenz ist sichselbstgleich außerhalb der Relation oder hat eine eigene Konsistenz gegen das Wesen als reine Vermittlung, weil sie inhaltlich von ihrem Grund nicht unterschieden werden kann,652 und das im Zuge skeptischer Zurückweisung eines unerforschlichen Substrates hinter der Existenz. Insofern macht die Bestimmung der Existenz im Verhältnis zum anfänglichen Schein eine höhere Stufe in der graduellen Transparenz des Wesens aus. Aber wichtiger als die Plastizität dieser Charakterisierung des Wesens als Manifestation – so attraktiv sie für die Einbildungskraft sein mag – ist der genaue begriffliche Zusammenhang derselben mit der soeben erwähnten unvollkommenen Verknüpfung, die den problematischen Kern der Wesenslogik ausmacht. Auf diesen Zusammenhang zwischen Manifestation und Unvollkommenheit der Verbindung durch nexus werden wir im nächsten Abschnitt ausführlicher eingehen. Dadurch soll der Übergang des Reflexionsmodells, durch welches Kant und Fichte das denkende Selbst konzipieren, in die eigentliche hegelsche Auffassung des Subjekts begreiflich gemacht werden. Wir werden hierbei unsere Aufmerksamkeit zunächst auf die letzten Entwicklungen der Wesenslogik richten, in welchen der Begriff der Notwendigkeit zum Gegenstand einer detaillierten Betrachtung wird.

§ 25 Das Konzept der Manifestation und die expressive Auffassung der Verbindung durch nexus Die Wesenslogik, wie wir schon wissen, hat zum Gegenstand diejenigen Relationen, welche Kant »Verbindungen durch nexus« nennt. Solche Verbindungen kommen vor allem in der Physik und in der Metaphysik vor, d. h. in jenen Wissenschaften, die sich nach kantischer Auffassung mittelbar oder 651

Diesen Ausdruck entnehmen wir V. Jankélévitch: Philosophie première, Paris 1953, 149, welcher wiederum mit dieser Ausdrucksweise von Schelling beeinflusst ist. 652 WL II, 303: »Um dieser Identität des Grundes und Begründeten willen, sowohl dem Inhalt als der Form nach, ist der Grund zureichend (das Zureichende auf dieses Verhältnis eingeschränkt); es ist nichts im Grunde, was nicht im Begründeten ist, so wie nichts im Begründeten, was nicht im Grunde ist. Wenn nach einem Grunde gefragt wird, will man dieselbe Bestimmung, die der Inhalt ist, doppelt sehen, das eine Mal in der Form des Gesetzten, das andere Mal in der des in sich reflektierten Daseins, der Wesentlichkeit.«

§ 25 Das Konzept der Manifestation

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diskursiv auf das Gegebene beziehen. Worin besteht nun genauer der Zusammenhang zwischen den Verbindungen durch nexus und dem soeben betrachteten Fortgang der Wesenslogik als einer allmählichen Sichtbarmachung der setzenden Instanz? Obwohl dieser Punkt im letzten Kapitel bereits behandelt worden ist, ist es vonnöten, ihn wieder aus einer neuen Perspektive in Betracht zu ziehen, damit die kommenden Überlegungen begreiflich werden können. Die Verbindung durch nexus drückt einen Zusammenhang von notwendiger Zugehörigkeit zwischen den verbundenen Gliedern aus; Grund und Begründetes, zum Beispiel, können nicht voneinander getrennt werden, ohne dass jedes seinen eigenen Charakter einbüßt. Die Verbindung durch nexus wird ferner, wie wir bereits wissen, vom Standpunkt der Reflexion eingeführt, welcher darin besteht, über das unmittelbare Sein hinauszugehen und es auf sein Wesen zurückzuführen. Das unmittelbare Sein wird dadurch zu einer Präsenz ohne Selbständigkeit bzw. zu einem bloßen Schein »herabgesetzt«. Die Unselbständigkeit dieser Präsenz macht es von einem anderen abhängig: Seine unmittelbare Präsenz deutet also auf ein anderes hin, das ihm Konsistenz, Sachhaltigkeit, Inhalt überhaupt verleiht. Eine unmittelbare Präsenz, die keine Bedeutung für sich selbst hat, sondern auf ein anderes hindeutet, ist gerade die Definition von Zeichen,653 welche in 1.3 angegeben worden ist. Somit wird der gesuchte Zusammenhang zwischen nexus und Manifestation klar ersichtlich: Durch die nexus-Verbindung bringt eines der Glieder das Andere zum Ausdruck oder manifestiert es, was uns zu behaupten erlaubt, dass die nexus-Verbindung grundsätzlich eine »expressive Relation« ausmacht. Spinoza und Leibniz können als klare Vorbilder dieser expressiven Auffassung der nexus-Verbindung angesehen werden.654 Von den Attributen, als demjenigen, was »der Verstand als zum Wesen der Substanz gehörig erkennt«,655 sagt uns Spinoza, jedes von ihnen drücke die Substanz

653

Diese »reflexionslogische« Charakterisierung des Zeichens ist von S. Kierkegaard benutzt worden, um das theologische Problem des Gott-Menschen zu behandeln. Siehe S. Kierkegaard: Einübung in das Christentum und anderes, hrsg. von W. Rest, München 1977, 147–148: »Was versteht man unter einem ›Zeichen‹? Ein Zeichen ist die negierte Unmittelbarkeit oder das andere Sein, das von dem ersten Sein unterschieden ist. Damit ist nicht gesagt, daß das Zeichen nicht unmittelbar etwas ist; aber daß es ein Zeichen ist – und was es als Zeichen ist –, ist es nicht unmittelbar, es ist als Zeichen nicht das Unmittelbare, das es ist. […] Ein Zeichen ist nicht das, was unmittelbar ist, denn unmittelbar ist kein Zeichen, da ›Zeichen‹ eine Reflexionsbestimmung ist.« 654 Die expressive Dimension der Philosophie Spinozas ist von G. Deleuze in seinem klassischen Werk Spinoza et le problème de l’expression, Paris 1968, ausführlich untersucht worden. Es ist dort auch ein einleuchtender Vergleich zwischen dem »Expressionismus« Spinozas und dem von Leibniz zu finden; siehe ebd., 299–311. 655 Spinoza: Ethica, I, Def. 4

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

auf verschiedene Art und Weise aus.656 Ferner behauptet er bezüglich der Modi – als desjenigen, was in alio ist – dass sie die Attribute zum Ausdruck bringen.657 Durch das prius oder Frühersein der Substanz in Bezug auf die Attribute sowie der Attribute in Bezug auf die Modi wird also das zweite Glied des Verhältnisses zum Ausdruck des ersten. Bei Leibniz macht die unendliche Teilbarkeit jedes Körpers oder Materieabschnittes denselben zum »Ausdruck des ganzen Universums«.658 In beiden Fällen ist jedes Verhältnis der Subordination als eine expressive Relation aufzufassen, in welcher das Übergeordnete sich durch das Untergeordnete kundgibt. Kants Betrachtung der dynamischen Kategorien ist diese Auffassung nicht fremd: Der diskursive Charakter dieser besteht gerade darin, dass aus dem Gegebenen, Bekannten auf sein inneres Prinzip geschlossen wird, wobei das unmittelbar Gegebene als ein Indiz oder Zeichen fungiert. In welchem Zusammenhang steht nun genauer diese expressive Auffassung des nexus mit dem wesentlichen Mangel desselben, welcher, wie mehrmals gesagt, die Kernproblematik der Wesenslogik ausmacht? Die Besonderheiten des Mangels sind kurz in Erinnerung zu bringen: Mit der Verbindung durch nexus ist ein notwendiger Zusammenhang gemeint, der mit der nichtreduzierbaren Zweiheit der in Zusammenhang gebrachten Glieder bzw. ihrer Gleichursprünglichkeit kollidiert. Die Unvollkommenheit des nexus besteht also darin, dass es ein unvollständiger, inkompletter nexus ist: Die beharrliche Zweiheit der zusammengehörigen Termini (d. i. Wesen-Schein, GrundBegründetes, Kraft-Äußerung usw.) lässt es nicht zu, dass die intendierte, in der Innerlichkeit des Sagen-Wollens »angezielte« notwendige Verknüpfung tatsächlich »zu Wort kommt«. Das Verborgene dieses intendierten Inhaltes drückt sich gerade durch das leere »und« aus, welches die Glieder äußerlich miteinander verbindet und dieselben somit zu gleichursprünglichen Termini macht. Wir stehen also vor einem inkompletten Ausdruck, der aufgrund seiner Unvollständigkeit sich selbst widerspricht. Gerade mit dem Begriff des Ausdruckes haben wir soeben die expressive Auffassung der Verbindung durch nexus charakterisiert: Das Übergeordnete (Wesen, Grund, Kraft, usw.), haben wir gesagt, gibt sich durch das Untergeordnete (Schein, Begründetes, Äußerung, usw.) kund. Das Frühersein oder die Priorität eines der Glieder 656

Spinoza: Ethica, I, Def. 6: »Per Deum intelligo ens absolute infinitum, hoc est, substantiam constantem infinitis attributis, quorum unumquodque aeternam, & infinitam essentiam exprimit.« 657 Spinoza: Ethica, I, Prop. 36, Dem; I, Prop. 25, Cor.: »Res particulares nihil sunt, nisi Dei attributorum affectiones, sive modi, quibus Dei attributa certo, & determinato modo exprimuntur.« 658 Leibniz: Monadologie, § 65.

§ 25 Das Konzept der Manifestation

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macht das Andere zu seinem Ausdruck. Die expressive Funktion des Untergeordneten ergibt sich gerade aus der Notwendigkeit des nexus, der dasselbe mit dem Übergeordneten verknüpft: Seine wesentliche Abhängigkeit (nexus) vom prius bzw. seine Unselbständigkeit gegenüber demselben, macht es, dass das prius sich durch es bekundet oder sichtbar macht. Aber das Frühersein eines der Glieder bzw. ihre nicht-Gegenwärtigkeit bringt ebenfalls mit sich, dass der Ausdruck bzw. die Sichtbarmachung niemals komplett ist. Der Grund z. B. wird aus sich heraus restlos in die Existenz überführt (ohne, wie das »Unerforschliche« Kants es tut, »hinter derselben zurückzubleiben«, wie Hegel sagt). Aber die Existenz ist – laut der Grundbeziehung selbst – als eine Folge zu verstehen, und das bedeutet gerade, dass sie streng unterschieden werden muss von dem, was sie hervorbringt. Für eine expressive Auffassung des nexus bedeutet das, dass der Ausdruck und dasjenige, auf welches derselbe verweist oder hindeutet, d. h. sein Inhalt, nicht dasselbe sind, was den Ausdruck zwangsläufig unvollständig in Bezug auf das Ausgedrückte macht. Um beim Beispiel der Grundbeziehung zu bleiben: Aus der Folge lässt sich der Grund erschließen, weil die Folge in Bezug auf den Grund unselbständig ist. Damit aber die Folge den Grund richtig zum Ausdruck bringen kann, muss sie den Inhalt desselben restlos manifestieren, und dafür muss er sich in dieselbe komplett übertragen – dergestalt, dass der Grund nicht mehr das Frühersein oder das Übergeordnete in Bezug auf die Folge bleibt. So wird der Zusammenhang zwischen dem konstitutiven Mangel der Verbindung durch nexus und der expressiven Auffassung desselben ersichtlich: Die beim nexus intendierte notwendige Verknüpfung, welche nicht voll zu Wort zu kommen vermag, macht gerade den dunklen Rest aus, wegen dessen sich das Übergeordnete vom Untergeordneten unterscheidet, aber auch jenes von diesem nicht vollständig ausgedrückt bzw. sichtbar gemacht werden kann. Der nicht-reduzierbare Abstand zwischen dem prius und dem von ihm Hervorgebrachten impliziert zwangsläufig eine Verschiebung in der Expression, welche die Manifestation von dem zu manifestierenden Inhalt unterscheidbar macht. Die Kluft zwischen beiden macht gerade das leere »auch« aus, das die Glieder des nexus äußerlich aufeinander bezieht und mit dem der nexus sich selbst widerspricht. Die Auflösung des Abstandes zwischen dem zu manifestierenden Inhalt und der Manifestation selbst ist also gleichbedeutend mit dem erfolgreichen Ausdruck dessen, was mit dem Begriff nexus gemeint wird, und so auch mit der Überwindung seines konstitutiven Mangels. Welcher Begriff der Logik entspricht nun diesem Konzept einer vollständigen Manifestation? Um hierauf zu antworten müssen wir zuerst versuchen, die begrifflichen Implikationen einer solchen Entsprechung ans Licht zu bringen. Am Anfang des letzten Kapitels haben wir den Endpunkt des

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

logischen Actus der Reflexion als das Innerliche im Gegensatz zur Äußerlichkeit des unmittelbar Seienden beschrieben. Die expressive Auffassung des nexus macht ferner das Äußerliche zum Ausdruck des Innerlichen: Da die Äußerlichkeit, aufgrund ihrer wesentlichen Abhängigkeit vom Innerlichen, keinen eigenen Inhalt für sich selbst beanspruchen kann, muss das Innerliche als ihr eigentlicher Inhalt und sie als die äußerliche, in Erscheinung tretende Seite desselben aufgefasst werden. Es hat sich aber soeben gezeigt, dass die Vollendung der Expression (und somit auch des nexus) die Abschaffung des Unterschiedes zwischen dem innerlichen, verborgenen Inhalt und seinem Ausdruck impliziert. Der Ausdruck hört somit auf, der äußerliche Darsteller eines ihm fremden Inhaltes zu sein und wird der Inhalt selbst; dies kann auch so ausgedrückt werden, dass der Inhalt des Innerlichen gerade darin bestehe, »sich zu manifestieren«,659 d. h. Ausdruck zu sein. Ist die Äußerlichkeit nach der expressiven Auffassung des nexus als Äußerung zu betrachten, so kann der Inhalt dieser Äußerung, wenn diese komplett vollbracht wird, kein anderer als die Äußerung selbst sein. Dadurch verliert nicht nur das Innerliche seine Selbständigkeit gegen das Äußerliche, d. h. wir eliminieren nicht nur die Illusion eines zugrundeliegenden unerforschlichen Inhaltes hinter dem sichtbaren Äußerlichen, sondern auch die Supposition einer Äußerlichkeit mit eigener Selbständigkeit gegen ihr hervorbringendes Prinzip; d. h. wir geben die Supposition des Zufälligen auf. Das Äußerliche als Äußerung wird dadurch in Bezug auf den von ihm geäußerten Inhalt völlig durchsichtig.660 Das Zeichen aus dem Fundus der Geistesprodukte, welchem die spekulative Funktion zukommt, das Resultat dieser dialektischen Auflösung einheitlich zusammenzufassen, heißt nach Hegel »Wirklichkeit«. Unter dem Wort »Wirklichkeit« versteht man gewöhnlich nicht bloß irgendeine Realität, sondern Realität mit Konsistenz, Sachhaltigkeit und Wirksamkeit – eine Realität, von der man z. B. sagt, dass sie »hart« ist, oder »ernüchternd«, weil sie tatsächlich ist, im Gegensatz zu allem, was man sich bloß einbildet. Diese »Härte« der Wirklichkeit erklärt sich daraus, dass das Wesentliche in ihr ganz präsent ist: Sie drückt das eigentlich Reale vollkommen aus, und deswegen ist man gezwungen, sie so zu akzeptieren, wie sie ist.661 Das 659

WL II, 375: »Wenn daher nach einem Inhalt der Auslegung gefragt wird, was denn das Absolute zeige, so ist der Unterschied von Form und Inhalt im Absoluten ohnehin aufgelöst. Oder eben dies ist der Inhalt des Absoluten, sich zu manifestieren.« 660 WL II, 375: »[…]; der Inhalt ist daher nur diese Auslegung, als Art und Weise, welche seine absolute Identität mit sich selbst ist, ist Äußerung, nicht eines Inneren, nicht gegen ein Anderes, sondern ist nur als absolutes sich für sich selbst Manifestieren; es ist so Wirklichkeit.« 661 Vgl. Enz. § 147, Anm.; Enz. § 158, Anm.

§ 26 Die Wirklichkeit

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tatsächliche so-Sein der Wirklichkeit kann also nicht anders sein, als es ist, d. h. es ist frei von Zufälligkeit, weil es die vollkommene Manifestation des Wesentlichen und des eigentlichen Realen ist.

§ 26 Die Wirklichkeit; die Kategorien der Relation und der Begriff von Macht Vom Verweisen des Zeichens »Wirklichkeit« können wir ferner sagen, es sei spekulativ genommen, d. i. als die positive Formulierung der dialektischen Verflüssigung, welche die nicht-reduzierbare Zweiheit der Glieder der nexus-Verbindung auflöst, der beste Ausdruck des »nexus« selbst. Wie wir schon wissen, macht der nexus eine notwendige Verbindung aus, außerhalb derer die in Zusammenhang gebrachten Glieder nicht denselben Charakter haben würden. Die Notwendigkeit der Verbindung liegt gerade darin, dass ihre Termini gegenüber derselben nicht gleichgültig sind, wie im Fall der Verbindung durch Zusammensetzung (compositio), die somit völlig willkürlich bzw. äußerlich ist.662 Notwendig ist, »was nicht anders, als es ist, gedacht werden, geschehen, sein kann«.663 Das anders-Sein-Können hingegen kennzeichnet das Zufällige, das als solches einen Grund verlangt, der sein so-Sein enthält. Deswegen ist bei der Grundbeziehung der nexus noch unvollkommen: Das Zufällige ist hier das Unselbständige, das allenfalls in alio begriffen werden kann, aber zugleich, indem es vom Grund verschieden (und folglich anders-sein-könnend) ist, dem nexus gegenüber äußerlich bleibt. Beim vorliegenden Sachverhalt hingegen ist der (willkürliche) Unterschied zwischen dem Grund und dem Begründeten bzw. dem Inhalt und seinem Ausdruck beseitigt, so dass nun die Äußerlichkeit den Grund ihres so-Seins in sich selbst enthält. Insofern können wir behaupten, die Wirklichkeit sei gleichbedeutend mit der Notwendigkeit.664 Die Komplexität des inner-logischen Verhältnisses von Notwendigkeit und Wirklichkeit erlaubt uns freilich nicht, dieses im Rahmen unserer Untersuchung eingehend zu betrachten. Wir ziehen deswegen im Folgenden nur diejenigen Aspekte in Erwägung, die für unsere weitere Untersuchung maßgeblich sind. Um den Sinn der Identifizierung von Wirklichkeit und Notwendigkeit erfassen zu können, müssen wir zunächst die spekulative Funktion beachten, 662

Vgl. KrV B 201 (Fußnote). R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Notwendigkeit«. 664 Enz. § 147: »Die entwickelte Wirklichkeit, als der in eins fallende Wechsel des Inneren und Äußeren, der Wechsel ihrer entgegengesetzten Bewegungen, die zu einer Bewegung vereint sind, ist die Notwendigkeit.« 663

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

die dem Terminus »Wirklichkeit« als Zeichen zukommt. Ihr entsprechend ist Wirklichkeit, mit Worten Hegels, »als der in eins fallende Wechsel des Inneren und Äußeren«665 aufzufassen. Besondere Aufmerksamkeit verdient bei dieser Formulierung der Ausdruck »Wechsel«, denn gerade darauf basiert weitgehend das Zusammenfallen von Wirklichkeit und Notwendigkeit. In dieser Hinsicht ist wichtig daran zu erinnern, dass Kant die Verbindung durch nexus auch »dynamisch« nennt. Dynamisch ist der nexus nach Kant darum, weil er »die Verbindung des Daseins des Mannigfaltigen betrifft«,666 weil er sich also nicht nur auf die bloße Form der Anschauung bezieht, sondern auch auf die Existenz, die im Rahmen dieser Form erscheint. Die Bestimmung der Existenz ist jedoch erst in jener Phase der Wesenslogik hervorgegangen, in welcher sich das Wesen (infolge logischer Betrachtung der reinen Wesenheiten) als ein Wirkprinzip erwiesen hat. Die von der dynamischen Verbindung ausgedrückte Notwendigkeit ist folglich als das nichtanders-Sein-Können der Verknüpfung zu verstehen, die das Wesen als Wirkprinzip mit der von ihm gewirkten Existenz unauflöslich verbindet. Der unauflösliche Charakter dieser Verbindung hat uns dazu geführt, dem Wesen als Grund das »Zurückbleiben hinter der Existenz« abzusprechen; denn ansonsten würde dies die Zusammenhangslosigkeit wieder einführen und damit das anders-Sein-Können oder das Zufällige. Bleibt das Wesen nicht hinter der Existenz zurück, dann geht es in dieselbe über, und gerade darin besteht das nicht-anders-Sein-Können, das Notwendige der dynamischen Verbindung: Das Übergehen (Hegel nennt es auch das »sich-Übersetzen«) des Wirkenden in das Gewirkte bzw. das in der Folge Geschehen macht etwas Unaufhaltsames, Unvermeidbares aus. Dieses unaufhaltsame sich-Übersetzen bringt den Wechsel in der angegebenen spekulativen Formulierung der Wirklichkeit zum Ausdruck. Die Formulierung bezeichnet den Wechsel aber ferner (und darin besteht das Spekulative an ihr) als in eins fallend: Dieses »eins« bezieht sich auf die Einheit, welche sich aus der Beseitigung der Verschiedenheit von Äußerung und geäußertem Inhalt ergibt. Das unaufhaltsame sich-Übersetzen läuft jetzt sozusagen auf ein und derselben Ebene ab: Es handelt sich nicht mehr um ein sich-Übersetzen des Innerlichen in das Äußerliche, sondern um ein sich-Übersetzen, welches sich im Äußerlichen selbst abspielt, das vom Innerlichen nicht mehr verschieden ist. Dies verleiht dem Wechsel einen zeitlichen Sinn, denn charakteristisch für die Zeit als Form der Äußerlichkeit ist es gerade, fortsetzend zu sein, indem dasjenige, aus welchem eine wirkliche Existenz (zeitlich) folgt, bereits eine 665 666

Ebd. KrV B 201 (Fußnote).

§ 26 Die Wirklichkeit

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wirkliche Existenz ausmacht.667 Das lässt uns schon im Voraus erkennen, welche Denkbestimmungen die logische Betrachtung der Wirklichkeit beschäftigen werden: Sie entsprechen den kantischen Kategorien, durch welche sich die Zeitverhältnisse der Erscheinungen a priori bestimmt finden, d. h. den sogenannten Kategorien der Relation, also Substanzialität, Kausalität und Wechselwirkung.668 Die Beseitigung des Unterschiedes von Innerem und Äußerem, welche die Wirklichkeit mit sich bringt, könnte den Eindruck erwecken, dass das Mangelhafte der Verbindung durch nexus endgültig überwunden worden ist – und dies vor allem, nachdem wir nachdrücklich behauptet haben, die Auflösung des Unterschiedes zwischen manifestiertem Inhalt und Manifestation selbst sei dem erfolgreichen Ausdruck dessen gleichbedeutend, was mit dem Begriff eines nexus gemeint wird, und somit auch gleichbedeutend mit der Überwindung seines konstitutiven Mangels. Dies ist aber, wie sich im Folgenden zeigen wird, nicht der Fall. Trotz der Beseitigung des Unterschiedes zwischen Äußerem und Innerem haben wir es immer noch mit dem Begriff einer Übersetzung zu tun, d. h. mit der Übertragung eines und desselben Inhaltes von einer Bestimmtheitsweise in eine andere. Das nicht-Zurückbleiben des Grundes hinter der Existenz, das bei Betrachtung der Grundbeziehung festzustellen war, zeigte uns, dass es sich sozusagen um ein und denselben Inhalt aus zwei verschiedenen Perspektiven handelte. Gerade darin besteht nach Hegel das Formelle der Grundbeziehung: Betrifft der Unterschied nicht den Inhalt selbst, geht die Differenzierung lediglich auf dessen äußerliche Konfiguration, und folglich handelt es sich um einen leeren Unterschied. Jetzt haben wir es mit demselben Problem zu tun, aber das Problem auf eine neue Stufe verschoben: Freilich verläuft nun die unaufhaltsame Übersetzung auf ein und derselben Ebene, auf welcher kein Unterschied zwischen der Manifestation und dem manifestierten Inhalt mehr besteht, aber indem es um die Übertragung desselben Inhaltes durch leere äußerliche Unterschiede hindurch geht, stehen wir immer noch vor einer Kluft zwischen dem Innerlichen und dem Äußerlichen, und die Verbindung durch nexus bleibt konstitutiv mangelhaft. Deswegen spricht Hegel von der Notwendig667

Enz. § 149: »Die Notwendigkeit ist an sich daher das eine mit sich identische, aber inhaltsvolle Wesen, das so in sich scheint, daß seine Unterschiede die Form selbständiger Wirklicher haben, und dies Identische ist zugleich als absolute Form die Tätigkeit des Aufhebens [der Unmittelbarkeit] in Vermitteltsein und der Vermittlung in Unmittelbarkeit.« 668 Genauer ausgedrückt: Inhärenz und Subsistenz (substantia et accidens), Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung) und Gemeinschaft (Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden). Siehe KrV B 106.

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

keit als vom Inneren,669 obwohl deren Gleichstellung mit der Wirklichkeit die Idee vollkommener Gegenwärtigkeit des prius in der unmittelbaren Präsenz – also der kompletten, restlosen Äußerung – voraussetzt. Die vollendete Äußerung, in welcher der Inhalt der Manifestation mit der Manifestation selbst zusammenfällt, verhindert nämlich nicht, dass immer noch ein Rest Innerlichkeit verbleibt. Innerlich ist jetzt nicht mehr ein hinter dem sichtbaren Ausdruck verborgener Inhalt, sondern das Band selbst, welches die mannigfaltigen Inhalte der wirklich gewordenen Unmittelbarkeit miteinander verknüpft. In diesem Band hat nun das unmittelbar Seiende den Grund seines so-Seins; innerlich aber ist dieser Grund immer noch darum, weil er das sich-Übersetzende durch die verschiedenen »Wirklichkeiten« hindurch ausmacht, welches ihnen ihr nicht-anders-Sein-Können, d. h. ihre Wirklichkeit, verleiht. Die differenzierten äußerlichen Konfigurationen, welche der gleichbleibende Inhalt des übersetzenden Vorganges durchläuft, erhalten ihr so-Sein (d. h. ihre Konsistenz gegeneinander) gerade aus diesem Inhalt. Aber als Gleichbleibendes macht dieser Inhalt gleichwohl dasjenige aus, in welchem die Konfigurationen als leere Unterschiede ihre Verschiedenheit voneinander verlieren; oder er ist, wie in der Enzyklopädie in Bezug auf die spinozistische Substanz gesagt wird, als der »gestaltlose Abgrund« aufzufassen, »der allen bestimmten Inhalt als von Haus aus nichtig in sich verschlingt«.670 Der Widerspruch der nexus-Verbindung besteht also im vorliegenden Kontext darin, dass der gleichbleibende Inhalt nun sowohl den Grund der Konsistenz der durch diesen miteinander verknüpften »Wirklichkeiten« ausmacht als auch den ihrer Destruktion, ihres nicht-Seins.671 Dieser Sachverhalt kann auch so formuliert werden: Der Wechsel der Unterschiede betrifft den durch dieselben sich-übersetzenden, gleichbleibenden Inhalt nicht, aber dieser beharrende Inhalt ist (laut der oben angegebenen Definition des Wirklichen) nichts anderes als der Wechsel selbst. Auf dieselbe Weise fasst Kant die Relation von Substanzialität und Akzidentalität in der Analytik der Grundsätze: Das bei allem Wechsel Bleibende und Beharrliche, welches traditionell »Substanz« genannt wird, ist der Wandel der Erscheinungen selbst, von welchem die wechselnden Erscheinungen (als bestimmte Formen oder Arten seines Daseins) die Akzidenzen ausma669

Enz. § 157: »Das Band der Notwendigkeit als solcher ist die Identität als noch innere und verborgene, weil sie die Identität von solchen ist, die als Wirkliche gelten, deren Selbständigkeit jedoch eben die Notwendigkeit sein soll.« 670 Enz. § 151, Zusatz. 671 WL II, 395: »Die Substanz manifestiert sich durch die Wirklichkeit mit ihrem Inhalt, in die sie das Mögliche übersetzt, als schaffende, durch die Möglichkeit, in die sie das Wirkliche zurückführt, als zerstörende Macht.«

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chen.672 Die Wirklichkeit ist als mit der Notwendigkeit gleichbedeutend darum erklärt worden, weil sie das quod ausmacht, das in sich selbst den Grund seines so-Seins enthält. Dieses Zusammenfallen der unmittelbaren Realität mit dem Grund ihres so-Seins ist nun offensichtlich das, was wir »Substanz« im Gegensatz zu den wechselnden Akzidenzen nennen. Indem aber die wechselnden Akzidenzen die bestimmte Gestalt dieses Substrats bilden,673 hat dieses in ihnen seine unmittelbare Realität, wobei die Substantialität (in Übereinstimmung mit allen Formen des nexus) zugleich eine Seite des Verhältnisses und das ganze Verhältnis ausmacht. Die Substanz, im Gegensatz zu den wechselnden Akzidenzen betrachtet, ist insofern nichts anderes als die supponierende Absonderung des innerlichen Bandes, das diese Akzidenzen miteinander verknüpft, von den Akzidenzen selbst. Deswegen können die Akzidenzen in der traditionellen Auffassung von Substantialität keinen Einfluss aufeinander ausüben:674 Die Absonderung des Wechsels von den wechselnden Akzidenzen selbst macht diese zu einer zusammenhangslosen Mannigfaltigkeit von Elementen, die vollkommen losgelöst voneinander sind. Die Auswirkung, welche die Akzidenzen aufeinander nicht haben können, kommt dann nur der Substanz zu, und das ist gerade dasjenige, was das dem Wechsel »Unterworfensein« der Erscheinungen bedeutet: Nur die Substanz (als absondernde Betrachtung des Wechsels verstanden) hat die Macht, die Akzidenzen erscheinen zu lassen oder sie zu vertreiben.675

672

KrV B 227: »Also ist in allen Erscheinungen das Beharrliche der Gegenstand selbst, d. i. die Substanz (phaenomenon), alles aber, was wechselt, oder wechseln kann, gehört nur zu der Art, wie diese Substanz oder Substanzen existieren, mithin zu ihren Bestimmungen.« KrV B 229: »Diese Beharrlichkeit ist indes doch weiter nichts, als die Art, uns das Dasein der Dinge (in der Erscheinung) vorzustellen. Die Bestimmungen einer Substanz, die nichts andres sind, als besondere Arten derselben zu existieren, heißen Akzidenzen.« 673 WL II, 396: »[…]; so hat die Substanz nur die Akzidentalität zu ihrer Gestalt oder [ihrem] Gesetztsein, […].« 674 WL II, 395: »Die Akzidenzen als solche – und es sind mehrere, indem die Mehrheit eine der Bestimmungen des Seins ist – haben keine Macht übereinander.« 675 WL II, 395: »Insofern ein solches Akzidentelles über ein anderes eine Macht auszuüben scheint, ist es die Macht der Substanz, welche beide in sich begreift, als Negativität einen ungleichen Wert setzt, das eine als Vergehendes, das andere mit anderem Inhalt und als Entstehendes, oder jenes in seine Möglichkeit, dieses daran in Wirklichkeit übergehend bestimmt, – ewig sich in diese Unterschiede der Form und des Inhaltes entzweit und ewig sich von dieser Einseitigkeit reinigt, aber in dieser Reinigung selbst in die Bestimmung und Entzweiung zurückgefallen ist. – Eine Akzidenz vertreibt also eine andere nur darum, weil ihr eigenes Subsistieren diese Totalität der Form und des Inhaltes selbst ist, in der sie wie ihre andere ebensosehr untergeht.«

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

Erst in diesem Kontext führt Hegel den Begriff der Macht ein, welcher für die folgenden Überlegungen maßgebend sein wird. Die Machtbeziehung bringt die konkrete Form des Widerspruches zum Ausdruck, welche die Verbindung durch nexus im Kontext der Wirklichkeit annimmt. Da das Wesen sich längst als Wirkprinzip erwiesen hat, was schon eine gewisse Machtbeziehung zwischen Grund und Begründetem mit sich bringt, könnte man sich fragen, warum der Machtbegriff erst jetzt eingeführt wird. Die Beantwortung dieser Frage muss uns später dabei helfen, den Übergang von der diskursiven Sphäre des Wesens in diejenige des Begriffes verständlich zu machen. Wie gerade gezeigt, verhindert die vollendete Äußerung (in welcher die Wirklichkeit besteht) nicht, dass immer noch ein Rest von Innerlichkeit bleibt. Obwohl Ausdruck und Inhalt auf derselben Ebene zusammenfallen, ist die vollkommene Gegenwärtigkeit des prius und des Sekundären, Abgeleiteten immer noch nicht erreicht. Daraus ergibt sich im Schoße der Wirklichkeit selbst eine gewisse Fremdheit des Wirkprinzips in Bezug auf das von ihm Hervorgebrachte. Das Wirkprinzip hat ferner in diesem Kontext die Gestalt des Wechsels angenommen und zeigt sich doch, abgesondert betrachtet, paradoxerweise als ein wechselfreies Substratum. Die Vorstellung aus dem Fundus der Geistesprodukte, die dieser begrifflichen Sachlage entspricht, ist diejenige des Notwendigen im besonderen Sinne des beim zeitlichen Verlauf der Ereignisse Unvermeidbaren. Das sich-Übersetzen des gleichbleibenden Inhaltes durch die wechselnden Erscheinungen hindurch ist oben schon als »unvermeidbar« charakterisiert worden: Dadurch wird nicht nur das nichtanders-Sein-Können ausgedrückt, das bereits die nexus-Verbindung in sich enthält, sondern auch der »ereignishafte« Charakter, welcher diesem sichÜbersetzen zukommt, sofern dasselbe durch wirkliche Existenzen erfolgt. Das Wort »unvermeidlich« ist eigentlich ein Adjektiv, das nur der Bestimmung der Wirklichkeit entsprechen kann, denn es bringt als Wesentliches eine Gesetzmäßigkeit zum Ausdruck, die ein Geschehen besitzt – d. h. eine unmittelbare Seiendheit. Aber die »Gleichstufigkeit« – um einen juristischen Ausdruck zu verwenden – der Ordnung des Geschehens und der Ordnung des Gesetzes eliminiert, wie bereits gesagt, nicht die Kluft zwischen dem prius und dem ihm Untergeordneten. Diese Kluft lässt sich im negativen Gepräge des Ausdruckes »unvermeidlich« erkennen, der gerade die Vergeblichkeit jeglicher Bestrebung seitens der unmittelbaren Seiendheit beinhaltet, das nicht-anders-Sein-Können der Ereignisse zu variieren. Das Unvermeidliche wird insofern als mächtig, als Herrschaft-habend wahrgenommen. Die Relevanz der Machtbeziehung im vorliegenden Kontext besteht dann darin, dass der konstitutive Widerspruch der nexus-Verbindung mit ihr seine Spitze erreicht. Die Akzidenzen, wie oben gesagt, machen die unmittelbare

§ 26 Die Wirklichkeit

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Gestalt, d. h. das Wirkliche des zugrunde liegenden Substrates aus, aber zugleich auch dasjenige, worauf dieses Substrat seine Macht ausübt. Dadurch erweist sich das unmittelbar Wirkliche, welchem per definitionem schon Wesentlichkeit zukommt, als unfrei und dem Anderen unterworfen. Dennoch hat das Herrschende selbst, das die unmittelbare Wirklichkeit zur bloßen Akzidentalität »herabsetzt«, keinen anderen Inhalt als das unaufhaltsame sich-Übersetzen durch die unmittelbaren Wirklichkeiten, durch welches es sich auch als gebunden oder unfrei zeigt. Dadurch erklärt sich nach Hegel, dass der Notwendigkeit (im Gegensatz zur zweckmäßig tätigen providentia) traditionell das Prädikat »blind« beigelegt wird.676 Bezüglich der Akzidenzen sagt Hegel, dass sich in ihnen die Substanz »als absolute Macht und zugleich als den Reichtum alles Inhalts offenbart«.677 Das »zugleich« in diesem Satz weist darauf hin, dass wir vor zwei einander widersprechenden Charakterisierungen der Substanz stehen, denn während die eine, die Substanz als Herrschaft-ausübende Instanz, sich von dem ihr unterworfenen Inhalt absondert, reduziert die andere sie zur Gesamtheit der Inhalte, welche ihrer Herrschaft unterworfen sind. Die »Blindheit« der Notwendigkeit bedeutet insofern nichts anderes als dies: Es gibt keinen Inhalt, der »vorgesehen« (d. i. etwas vorher Bestimmtes) ist und den die herrschende Instanz frei in die Wirklichkeit hinüber bringen würde, wie es bei der »sehenden« Zweckmäßigkeit der Fall wäre;678 denn an sich ist diese Instanz, als Substrat aufgefasst, vollkommen gestaltlos, sodass ihre offenbare Gestalt gerade das Unfreie, Vorübergehende selbst ist.679 Das Substrat, haben wir gesagt, ist nichts anderes als die supponierende Absonderung des Wechsels von den wechselnden Inhalten selbst, und daraus ergibt sich, dass die Akzidenzen keine Macht übereinander haben und nur von der Substanz bzw. dem Wechsel selbst vertrieben oder hervorgebracht werden können. Kraft dieser supponierenden Absonderung fungieren die Akzidenzen beim Substantialitätsverhältnis als die konkrete Gestalt der an sich gestaltlosen, unterschiedslos mächtigen Substanz. Aus der skeptischen Auflösung dieser Situation folgt also, dass der im Begriff der Gestalt enthaltene Unterschied in die (unterschiedslose) Substanz selbst versetzt

676

Vgl. Enz. § 147, Zusatz. Enz. § 151. 678 Enz. § 147, Zusatz. 679 Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 187: »[…]; die Notwendigkeit hat keinen Inhalt, ihr Inhalt ist selbst nur dieser Wechsel, diese Vermittlung, die sich aufhebt, nur diese Manifestation selbst als Macht: Deswegen sagt man, die Notwendigkeit ist blind; d. h. [es] ist kein bestimmter Inhalt darin, der absoluter Zweck ist.« 677

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

wird,680 sodass diese nun einen Platz in der Reihe der wechselnden Zustände einnimmt. Diese Verinnerlichung des Unterschiedes im Schoß der Substanz selbst, die sich zwangsläufig aus der dialektischen Abschaffung des supponierten Substrates ergibt, bringt sowohl die Gestalt-Annahme der Substanz als auch die Substanzialisierung der Akzidentalität mit sich, sodass die vorhin beziehungslosen »Inhärenzen« des zugrunde liegenden Substrates nunmehr ins wirkliche Verhältnis zueinander treten.681 Der Substanz in dieser neuen Bestimmung korrespondiert das, was gemeinhin »Ursache« genannt wird: Sie ist nun eine konkrete Wirklichkeit unter anderen,682 welche als Substanz tätig ist und folglich den Ursprung eines Wechsels oder einer Veränderung ausmacht. Laut Kant ist das Verhältnis von Ursache und Wirkung die Art und Weise, wie der Verstand zwei in der Zeit aufeinander folgende Wahrnehmungen durch nexus verbindet. Dadurch bestimme ich also nach einem Gesetz den zweiten Modus der Zeitlichkeit, d. i. die Sukzession oder die Folge, während das Substantialitätsverhältnis den ersten Modus derselben d. i. die Beharrlichkeit bestimmt.683 Nun zeigt die logische Betrachtung des Substantialitätsverhältnisses, dass die dialektische Auflösung des gestaltlosen Substrates gerade das Verhältnis der Kausalität zu ihrem Resultat hat. Damit haben wir einen Schritt weiter getan, die vollständige Beseitigung des Unterschiedes von Innerlichem und Äußerlichem zu bewirken, welcher die Verbindung durch nexus konstitutiv mangelhaft macht. Wenn die Substanz als Ursache bestimmt ist, dann hört sie auf, der »gestaltlose Abgrund« zu sein, welcher jegliche endliche Konfiguration »verschlingt«, und nimmt eine konkrete Form oder Bestimmtheit an, indem ihr eine bestimmte Position 680

Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 188: »Die Substanz ist nur das sich als unterschiedslos Setzende, aber sie ist unterschieden vom Gesetzten, Unterschied: Es ist [der] Unterschied in ihr gesetzt, so ist [die] Substanz Ursache, […].« 681 WL II, 396: »Oder dieses Verhältnis ist nur die scheinende Totalität als Werden; aber sie ist ebensosehr Reflexion; die Akzidentalität, die an sich Substanz ist, ist eben darum auch gesetzt als solche; so ist sie bestimmt als sich auf sich beziehende Negativität, gegen sich, bestimmt als sich auf sich beziehende einfache Identität mit sich, und ist fürsich-seiende, mächtige Substanz. So geht das Substantialitätsverhältnis in das Kausalitätsverhältnis über.« 682 Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 189–190: »Gesetzt ist der Unterschied, und dieser zwischen zwei Wirklichkeiten, die beide dem Inhalte nach endlich sind: […]. Die Ursache ist unmittelbare Wirklichkeit, das ist [eine] einseitige Bestimmung, sie ist dies, ihre Unmittelbarkeit aufzuheben und sich als Wirkung zu setzen, die Wirkung gehört selbst zu ihrem Begriff; […].« 683 KrV B 219: »Die drei modi der Zeit sind Beharrlichkeit, Folge und Zugleichsein. Daher werden drei Regeln aller Zeitverhältnisse der Erscheinungen, wornach jeder ihr Dasein in Ansehung der Einheit aller Zeit bestimmt werden kann, vor aller Erfahrung vorangehen, und diese allererst möglich machen.«

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nach dem Verhältnis der Sukzession zugeordnet wird. Jegliche konkrete Bestimmtheit war vorher, beim Substantialitätsverhältnis, der Macht der herrschenden Instanz unterworfen, welche selbst die absondernde Betrachtung des Entstehens und Vergehens war und wirkte. Nun aber kommt die Herrschaft einer konkreten Bestimmtheit zu, welche sich dennoch, indem sie als mächtig aufgefasst wird, selbst dem Wechsel entzieht: Als Substanz ist die Ursache, trotz ihrer Bestimmtheit, der Veränderung nicht unterworfen, gerade deswegen, weil alle Veränderung das Produkt der Ursache als mächtige Substanz ist.684 Bei Kant macht die Kausalität, wie gerade gezeigt, die Regel oder gesetzmäßige Verknüpfung aus, durch welche der zeitliche Modus der Sukzession bestimmt wird; die Sukzession aber bezeichnet das Wandelbare, von welchem die Ursache die erste Quelle oder das beharrliche, wechselfreie Substrat ist. Der handelnde, ursprünglich tätige Charakter der Ur-sache entbindet dieselbe per definitionem von der Herrschaft des Entstehens und Vergehens.685 Wir stehen folglich immer noch vor einem Rest Innerlichkeit, welcher die vollkommene Gegenwärtigkeit des prius und der aus ihm hervorgegangenen unmittelbaren Realität unmöglich macht. Der wechselfreie Charakter des Wechsels selbst hat uns oben zum Begriff der Macht geführt. Die Macht, die der Begriff der Notwendigkeit mit sich bringt, hat sich dann als »blind« erwiesen, weil die Macht-ausübende Instanz keinen weiteren Inhalt als jenen hat, welcher sich im Unfreien, Vorübergehenden selbst zeigt. Der innerliche Charakter des Substanziellen erlaubt uns von diesem nur dasjenige zu erkennen, was seine äußere Gestalt (d. i. das von ihm Gesetzte oder Hervorgebrachte) darstellt. Die einzige Form, das Spezifische des Substanziellen zum Ausdruck zu bringen, ist dann dessen Beschreibung als der Umschlag in seinen Gegensatz. So sagt Hegel von der Substanz, dass sie »die Totalität der Akzidenzen« ist und dass ihr Inhalt »nichts als diese Manifestation selbst« in der Weise der Akzidentalität ist.686 Gerade dieser Mangel eines bestimmten Inhaltes, der seiner eigenen Verwirklichung vorausgeht, diese sozusagen »Planlosigkeit« bei Verrichtung der Handlung, macht die Tätigkeit der Substanz »blind«. Dieselbe »Blind-

684

Enz. § 153: »Die Substanz ist Ursache, insofern sie gegen ihr Übergehen in die Akzidentalität in sich reflektiert und so die ursprüngliche Sache ist, […].« Ebd., Anm.: »Die Ursache hat als die ursprüngliche Sache die Bestimmung von absoluter Selbständigkeit und einem sich gegen die Wirkung erhaltenden Bestehen, […].« 685 KrV B 250: »Denn nach dem Grundsatze der Kausalität sind Handlungen immer der erste Grund von allem Wechsel der Erscheinungen, und können also nicht in einem Subjekt liegen, was selbst wechselt, weil sonst andere Handlungen und ein anderes Subjekt, welches diesen Wechsel bestimmete, erforderlich wären.« 686 Enz. § 151.

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

heit« muss der Ursächlichkeit zugeschrieben werden; so definiert Hegel die Ursache als »dies, zu negieren die Form der Ursprünglichkeit, sich [zu] setzen als Relatives, das wesentlich bezogen ist auf Anderes«.687 Das vorherige sich-Übersetzen der gleichbleibenden Substanz durch die verschiedenen, wechselnden Erscheinungen hindurch (aus welchem die Beharrlichkeit der Substanz hergeleitet worden ist) ist nun das sich-Übersetzen der Ursache in die Wirkung. Kein weiterer Inhalt als der Umschlag in ihr Gegenteil kommt ihr zu. Gleichzeitig haben wir aber soeben festgestellt, dass die Ursache dem Wechsel nicht unterworfen ist, gerade deswegen, weil sie dessen Ursprung ausmacht. Ohne diese Fremdheit der Ursache gegenüber der Wirkung wäre es sinnlos, hier über Machtbeziehung zu reden. Das Kausalitätsverhältnis ist aber eine Form von nexus; und das bringt mit sich, dass die Ursache ihrer Wirkung nicht fremd sein kann, denn ansonsten hätten wir es hier eigentlich nicht mit Ursächlichkeit zu tun, sondern mit Schöpfung,688 was gerade die Kontingenz in die Verbindung (also das Gegenteil von dem, was unter nexus verstanden wird) einführen würde. Offensichtlich stehen wir wieder vor dem konstitutiven Widerspruch des nexus, welchen der Begriff der Macht nun auf seine Spitze bringt. Die Trennung der nexus-Glieder voneinander würde, wie wiederholt gesagt, zwangsläufig mit sich bringen, dass jedes Glied im nexus seinen Charakter verlöre. So können wir die Ursache von der Wirkung nicht absondern, ohne dass die Ursache dadurch aufhört, Ursache zu sein. Erst mit Entstehung von Wirkung entsteht eigentlich die Ursache als solche.689 Das Kausalitätsverhältnis bestimmt aber nach Kant den zeitlichen Modus der Sukzession, und das heißt, dass die Ursache – der Zeit nach – doch als von der Wirkung verschieden vorgestellt werden muss. Aber was die Ursache von der Wirkung verschieden macht, ist eigentlich ein Inhalt, welcher mit der Ursächlichkeit als solcher überhaupt nichts zu tun hat, wie zum Beispiel der Ziegel, bevor er einen Menschen auf den Kopf schlägt und

687

Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 190. Kant macht in KrV B 251–252 die folgenden interessanten Anmerkungen über den Schöpfungsbegriff: »Wenn dieser Ursprung als Wirkung von einer fremden Ursache angesehen wird, so heißt er Schöpfung, welche als Begebenheit unter den Erscheinungen nicht zugelassen werden kann, indem ihre Möglichkeit allein schon die Einheit der Erfahrung aufheben würde, obzwar, wenn ich alle Dinge nicht als Phänomene, sondern als Dinge an sich betrachte, und als Gegenstände des bloßen Verstandes, sie, obschon sie Substanzen sind, dennoch wie abhängig ihrem Dasein nach von fremder Ursache angesehen werden können; welches aber alsdenn ganz andere Wortbedeutungen nach sich ziehen, und auf Erscheinungen, als mögliche Gegenstände der Erfahrung, nicht passen würde.« 689 WL II, 397: »[…]; die Substanz hat daher die Wirklichkeit, die sie als Ursache hat, nur in ihrer Wirkung.« 688

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tötet.690 Daraus ist zu folgern, dass die Zeit hier »nicht das Unterscheidende« ist.691 Die Einschiebung von konkreten, außerbegrifflichen Inhalten ist, wie wir schon wissen, die Weise, wie die vorstellende Intelligenz die Denkinhalte vor ihrer Konfusion bewahrt. Bei der Betrachtung der reinen Reflexionsbestimmungen haben wir bereits gesehen, wie die Vorstellung, indem sie diese (Identität, Unterschied usw.) als Prädikate eines vorausseienden Dinges fasst, ihre Kollision verhindert. Im vorliegenden Fall des Kausalitätsverhältnisses wird die Rolle, diese Konfusion von Denkinhalten zu verhindern und somit den konstitutiven Widerspruch des nexus zu verdecken, von der zeitlichen Verschiebung übernommen. Als Anschauungsform bringt die Zeit das »Außereinander« mit sich: Sie macht dann das »seiende Substrat« oder das »Dritte« aus, in welchem die »entgegengesetzten Bestimmungen« Ursache und Wirkung (mittels der Reihung derselben nacheinander) ihre Vereinigung finden.692 Damit wird der Konfusion von Ursache und Wirkung die – für die Vorstellung verträglichere – Gestalt einer zeitlichen Abwechslung gegeben, und gerade das führt zur gewöhnlichen Vorstellung der Kausalität als eines, wie Hegel sagt, perennierenden Fortgehens693, die mit der erwähnten Auffassung von Notwendigkeit als dem Unvermeidlichen im zeitlichen Verlauf der Ereignisse (also mit der sogenannten »diachronischen Notwendigkeit«) kohärent ist. Aus dem dialektischen Unterlassen der zeitlichen, außerbegrifflichen Verschiebung zwischen Ursache und Wirkung ergibt sich das Zugleichsein bei690

Vorlesungen über die Logik (1831), § 153: »Wenn [ein] Ziegel [einen] Menschen totschlägt, so erscheinen sie als zwei Wirklichkeiten, aber [der] Ziegel für sich ist keine Ursache, erst in [der] Wirkung ist er Ursache, [der] Stein ist erst Ursache als sich bewegend, und die Wirkung ist, daß eine Bewegung durch diese Masse gesetzt wird, eine Stärke der Bewegung, die im Widerspruch mit dieser steht. Vor und nach dem Stoße bleibt die Bewegung dieselbe, das ist [ein] mechanischer Satz: Die Bewegung, die in beiden ist, ist ein und dieselbe Bestimmung.« 691 Ebd. 692 WL II 402–403: »Diese Vereinigung der entgegengesetzten Bestimmungen als im seienden Substrat macht den unendlichen Regreß von Ursachen zu Ursachen aus. – Es wird von der Wirkung angefangen; sie hat als solche eine Ursache, diese hat wieder eine Ursache und so fort. Warum hat die Ursache wieder eine Ursache? Das heißt, warum wird dieselbe Seite, die vorher als Ursache bestimmt war, nunmehr als Wirkung bestimmt und damit nach einer neuen Ursache gefragt. […] Diese ihre Identität ist auch gesetzt, aber sie ist ein Drittes, das unmittelbare Substrat; die Kausalität ist darum sich selbst äußerlich, weil hier ihre Ursprünglichkeit eine Unmittelbarkeit ist.« 693 WL II 403: »Die endliche Reflexion bleibt einerseits bei diesem Unmittelbaren stehen, entfernt die Formeinheit davon und läßt es in anderer Rücksicht Ursache und in anderer Wirkung sein; andererseits verlegt sie die Formeinheit in das Unendliche und drückt durch das perennierende Fortgehen ihre Ohnmacht aus, sie erreichen und festhalten zu können.«

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

der. Wenn nun Ursache und Wirkung in eine und dieselbe Zeit fallen und ihre Verschiedenheit immer noch aufrechterhalten werden soll, dann muss das zeitliche »Außereinander« durch das »Außereinander des Raumes« ersetzt werden. Anstatt mit einer Mannigfaltigkeit aufeinander folgender Erscheinungen haben wir es jetzt mit einer Mannigfaltigkeit von zugleich seienden (Hegel sagt »vorausgesetzten«694) Dingen (oder Substanzen) zu tun. Aber dann gibt es keinen Grund mehr bei den Unterschiedenen, einem die Rolle der früher seienden Ursache des anderen zuzusprechen, sondern jedes ist dann sowohl Ursache als auch Wirkung des anderen. Anders ausgedrückt: Jetzt sind sie in einem Verhältnis von wechselseitigem Einfluss oder Wechselwirkung miteinander verbunden. Wie soll die Verbindung durch nexus in diesem neuen Sachverhalt aufgefasst werden? Nun kommen jedem der miteinander verknüpften Glieder dieselben (einander gegensätzlichen) Merkmale zu: die Herrschaft der mächtigen Substanz ebenso wie das Unterworfensein der abhängigen Wirkung.695 Ihr Unterschied voneinander gründet sich dann lediglich auf dem räumlichen »Außereinander«, das soeben (infolge der dialektischen Abschaffung der zeitlichen Verschiebung beim Kausalitätsverhältnis) angenommen worden ist. Der Unterschied unter (zugleich) außer einander Seienden ist eigentlich, wie wir schon längst wissen, als Verschiedenheit zu betrachten, d. h. als eine Differenzierung, welche die Glieder bzw. die Substanzen in ihrem Innern nicht betrifft oder unversehrt lässt. Die Glieder der Wechselwirkung sind folglich an sich (d. h. abgesehen von der Verschiedenheit, welche ihnen äußerlich zukommt) ununterschieden. Deswegen sagt Hegel von der Wechselwirkung, dass sie »leere Art und Weise« ist.696 Die Annahme von zwei zugleich seienden, aufeinander einwirkenden Substanzen (anstatt von einer) bringt keinen begrifflichen Unterschied von Belang mit sich. Die gegensätzlichen Merkmale, d. h. die Macht der Ursache und das Unterworfensein der Wirkung, sind also wohl doch nur einer einzigen Substanz zuzuschreiben.697 Bezüglich solcher »Dieselbigkeit« der Substanz aber sagt Hegel nachdrücklich, dass sie zunächst nur »an sich« ist und als »für sich« erst fixiert werden muss. Das heißt: Er hebt die Zäsur zwischen der zweiten und der 694

WL II 407; Enz. §§ 154–155. Enz. § 155: »Die in der Wechselwirkung als unterschieden festgehaltenen Bestimmungen sind α) an sich dasselbe; die eine Seite ist Ursache, ursprünglich, aktiv, passiv usf. wie die andere.« 696 WL II, 407. 697 Enz. § 155: »Der Unterschied der als zwei genannten Ursachen ist daher leer, und es ist an sich nur eine, sich in ihrer Wirkung ebenso als Substanz aufhebende als sich in diesem Wirken erst verselbständigende Ursache vorhanden.« 695

§ 27 Die spekulative Zusammenfassung der Wechselwirkung

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dritten Achse des logischen Verfahrens in diesem Kontext besonders hervor, um die logische Relevanz deutlich zu unterstreichen, welche der spekulativen Zusammenfassung des vorliegenden Sachverhaltes zukommt, und so der ganzen Wesenslogik ihren Abschluss zu verschaffen. Das Dialektische, wie wir schon wissen, bringt die Unstimmigkeit zwischen der Ordnung der Namen und der Ordnung der Bedeutungen ans Licht. Das Aufzeigen, dass die Wechselwirkung »leere Art und Weise« ist und »an sich« nur eine Ursache vorhanden ist, fällt insofern unter die Zuständigkeit des Dialektischen. Aber die logische Strenge erfordert, dass auf das Resultat des Dialektischen ausdrücklich reflektiert wird, damit das gegenseitige Verweisen der vom Dialektischen verflüssigten Denkbestimmungen (hier der in wechselseitigem Einfluss stehenden Substanzen) seine einheitliche, zusammenfassende Formulierung bekommt.698 Solange man beim bloßen Aufzeigen der Leerheit des Namensunterschiedes stehen bleibt, wird etwas Zusammenhangloses unbegründet auf sich beruhen gelassen, und insofern geht man dann auch über den konstitutiven Widerspruch der nexus-Verbindung nicht hinaus.

§ 27 Die spekulative Zusammenfassung der Wechselwirkung und der Abschluss der Wesenslogik a) Der Begriff der Kausalität; die spekulative Virtualität des Zeichens »Begriff« Dieser Punkt ist detaillierter zu untersuchen, und dafür müssen die wesentlichen Merkmale der Operation des Spekulativen kurz in Erinnerung gebracht werden. In 1.4 haben wir diese Operation als eine intellektuelle Aneignung geschildert. Das Aufzeigen, dass ein vorgefundener Gegensatz nichts als ein bloßer Namensunterschied ist, macht diesen Gegensatz, da er ja begrifflich ungerechtfertigt ist, zu etwas Außerbegrifflichem. Der leere Namensunterschied wird somit etwas dem Begriff Fremdes: Ein solch Außerbegriffliches unbegründet zu lassen, würde einen fatalen Bruch im diskursiven Fortgang verursachen, denn das reine Denken würde dann 698

WL II, 407–408: »Die Wechselwirkung selbst ist daher nur noch leere Art und Weise, und es bedarf bloß noch eines äußeren Zusammenfassens dessen, was bereits sowohl an sich als gesetzt ist.« Besondere Aufmerksamkeit bei dieser Aussage verdient das Adjektiv »äußere«, welches das Verb »zusammenfassen« begleitet. Seine Verwendung in diesem Kontext erklärt sich aus der subjektiven Distanzierung, welche der Operation des Spekulativen in 1.4 zugeschrieben worden und erforderlich ist, um auf das Resultat der dialektischen Auflösung überhaupt reflektieren zu können.

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

versehentlich etwas voraussetzen (nämlich das Außerbegriffliche), was gerade mit seiner philosophischen Strenge bzw. seiner »Reinheit« kollidiert. Das logische Bedürfnis, über das Dialektische hinauszugehen, ist daher mit dem rationalen Erfordernis gleichbedeutend, die unmittelbare Präsenz des Scheinhaften wieder in den Denkzusammenhang einzugliedern. Das ist der Sinn der spekulativen Operation: Durch sie soll sich das reine Denken die »Überreste« der dialektischen Destruktion intellektuell aneignen und somit die Kontinuität des Denkverlaufs nachträglich herstellen. Diese intellektuelle Aneignung kann ferner nicht anders erfolgen als dadurch, dass die scheinhafte Präsenz auf ihren Grund zurückgeführt wird, durch welchen sie gesetzt werden muss. Dieses rückwirkende Setzen der scheinhaften Präsenz macht bei der vorliegenden Sachlage gerade den Übergang vom »ansichseienden« Charakter der »Dieselbigkeit«, die dem leeren »Außereinander« der wechselwirkenden Substanzen zugrunde liegt, zu ihrem »fürsichseienden« Charakter aus. Solange die »Dieselbigkeit« (ipseitas) der Substanz nur eine »ansichseiende« ist, bleiben die »Überreste« der dialektischen Destruktion (d. i. die von Hegel sogenannte »leere Art und Weise« der Wechselwirkung) unbegründet und folglich dem Begrifflichen fremd, was denn den erwähnten Bruch im logischen Fortgang verursacht. Es reicht nicht, den Überfluss der Namen in Bezug auf den bezeichneten Inhalt zu konstatieren: Der Überfluss muss zudem rückwirkend begründet werden, und zwar durch eine Auffassung der ipseitas der Substanz, welche diese dem leeren Unterschied nicht mehr gegenüberstellt, als ob ihr dieser Unterschied äußerlich wäre. Ist die Verschiedenheit der in Wechselwirkung stehenden Dinge leer, dann verlieren diese Dinge die supponierte Substantialität, welche sie, trotz der wechselseitigen Einflüsse, voneinander unabhängig macht. Folglich, da es sich um einen Unterschied solo numero handelt, stehen wir vor einer einzigen Substanz mit zwei verschiedenen Namen. Von der Operation des Spekulativen wurde in 1.4 gezeigt, dass sie die gegenseitige Verweisung der entgegengesetzten Glieder nach der Auflösung ihres Gegensatzes zum Ausdruck bringt. Die den wechselwirkenden Dingen zugrunde liegende ipseitas muss also mit der gegenseitigen Verweisung der Bestimmungen selbst identifiziert werden, damit der erwähnte Bruch im Logischen (infolge einer Auffassung dieser ipseitas als bloß ansichseiend) nicht auftritt. Infolge dieser ipseitas wird dann der Wechsel von Ursache und Wirkung zu einem »Wechsel mit sich selbst«.699 Mit dieser Formulierung wird die »Dieselbigkeit« der Substanz als »für sich« fixiert: Es handelt sich nicht mehr um eine unter den unwesentlichen Unterschieden liegende (und sozusagen ruhende) Sichselbstgleich699

Enz. § 157.

§ 27 Die spekulative Zusammenfassung der Wechselwirkung

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heit, sondern um eine solche, die sich gerade durch die aktive Beseitigung des »Außereinander« selbst vollzieht.700 Die Beseitigung des »Außereinander« ist eben dasjenige, was der Begriff der Wechselwirkung, als commercium zwischen Substanzen verstanden,701 mit sich bringt. Sie als »für sich« zu fixieren bedeutet nun, die Gemeinschaft der Substanzen nicht mehr als ein Drittes aufzufassen, welches die voneinander »abgebrochenen«702 Wirklichkeiten in Zusammenhang miteinander bringt, sondern sie als das commercium einer einzigen setzenden Instanz mit sich selbst zu denken.703 So verfügen wir bereits über die Grundlage für eine spekulative Zusammenfassung des vorliegenden Sachverhaltes. Doch fehlt dafür noch ein wesentlicher Schritt: Es gilt nun aus dem Fundus der Geistesprodukte ein Zeichen ausfindig zu machen, welches diesen »reinen Wechsel mit sich selbst«704 adäquat zum Ausdruck bringt. Sonst könnten wir das Resultat der dialektischen Operation für das Denken nicht (wieder-)erkennbar machen, und folglich würde die angestrebte intellektuelle Aneignung unvollendet bleiben. Konzentrieren wir uns zunächst auf den Ausdruck »Wechsel«, über den oben bereits Auskunft gegeben wurde. Im begrifflichen Kontext der Wirklichkeit bezieht sich der Wechsel, wie wir schon wissen, auf das sichÜbersetzen des Wirkenden in das (von ihm) Gewirkte. Als in eins Fallendes hat ferner dieser Wechsel einen zeitlichen Sinn, sofern das sich-Übersetzen unter wirklichen Existenzen erfolgt. Wir haben aber gezeigt, dass dieses »in eins Fallen« des Wechsels das Weiterbestehen des Unterschiedes zwischen dem Äußerlichen und dem Innerlichen keineswegs verhindert: Das Innerliche ist dann das substanzielle (und »verborgene«) Band der Notwendigkeit, welches die unmittelbaren, einander äußerlichen Seiendheiten miteinander verknüpft.705 Wir haben ineins damit die Supposition der einander äußer700

Enz. § 156: »Die Nichtigkeit der Unterschiede ist nicht nur an sich oder unsere Reflexion (vorhg. §), sondern die Wechselwirkung ist selbst dies, jede der gesetzten Bestimmungen wieder aufzuheben und in die entgegengesetzte zu verkehren, also jene Nichtigkeit der Momente zu setzen, die an sich ist.« 701 KrV B 260: »Das Wort Gemeinschaft ist in unserer Sprache zweideutig, und kann soviel als communio, aber auch als commercium bedeuten. Wir bedienen uns hier desselben im letztern Sinn, als einer dynamischen Gemeinschaft, ohne welche selbst die lokale (communio spatii) niemals empirisch erkannt werden könnte.« 702 KrV B 260–261: »Ohne Gemeinschaft ist jede Wahrnehmung (der Erscheinung im Raume) von der andern abgebrochen, und die Kette empirischer Vorstellungen, d. i. Erfahrung, würde bei einem neuen Objekt ganz von vorne anfangen, ohne daß die vorige damit im geringsten zusammenhängen, oder im Zeitverhältnisse stehen könnte.« 703 Enz. § 156: »[β] Aber auch für sich ist diese Einheit, indem dieser ganze Wechsel das eigene Setzen der Ursache und nur dies ihr Setzen ihr Sein ist.« 704 Enz. § 157. 705 Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 192–193: »Die Notwendigkeit ist ein In-

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

lichen Verschiedenen beiseitegeschafft, welche durch das Band der Wechselwirkung miteinander verbunden sind.706 Was dann bleibt, ist der Wechsel selbst, die reine ursächliche Beziehung ohne die leere Supposition eines Verursachenden und eines (von ihm verschiedenen) Verursachten. Von dieser verbleibenden reinen Beziehung, einem bloßen Kausalzusammenhang, suchen wir nun den sie fixierenden Begriff, die einheitliche Zusammenfassung. Das gesuchte Zeichen, welches im vorliegenden Kontext die spekulative Funktion vollbringen muss, soll uns so den wahrhaften Begriff der Kausalität verschaffen. Bedenken wir nun, was es eigentlich heißt, den Begriff der Kausalität zu fixieren, wenn der Kausalzusammenhang sich so wie hier rein von supponierten Inhalten vorstellt. Wenn von begrifflicher Fixierung die Rede ist, dann handelt es sich grundsätzlich um die Festlegung eines Zusammenhanges, und einen reinen Zusammenhang, eine kontingenzfreie wesentliche Verknüpfung haben wir jetzt vor uns. Der gesuchte Begriff der Kausalität ist also einfach der Begriff selbst:707 Das »Verknüpfungsganze«708, in welchem ein Begriff besteht, ist gerade das, was den vorliegenden gereinigten, suppositionsfreien Kausalzusammenhang bezeichnet. Folglich ist »Begriff« das Zeichen aus dem Fundus der Geistesprodukte, welchem im vorliegenden Kontext die spekulative Funktion zukommt, das Ergebnis der dialektischen Auflösung der Glieder der Wechselwirkung einheitlich zusammenzufassen. Die Fähigkeit des Zeichens »Begriff«, diese spekulative Operation zu vollziehen, erschöpft sich nicht im soeben Gesagten. Die Mannigfaltigkeit von (miteinander verknüpften) Bedeutungen, welche der Ausdruck »Begriff« umspannt, macht ihn besonders geeignet, die vorliegende Sachlage gehörig zu formulieren. Im Hinblick auf unsere Untersuchung sind aus dieser Vielfalt von Bedeutungen die Folgenden besonders hervorzuheben.709 Man spricht zunächst vom Begriff im Sinne dessen, was räumlich begriffen, umfangen ist; in dieser Bedeutung entspricht »Begriff« dem lateinischen Ausdruck »complexus«. In einem anderen (von diesem ersten nicht weit entfernten) Sinn kann man mit »Begriff« auch dasjenige bezeichnen, was lateinische Termini

neres, Verborgenes, kommt als ein Fremdes [vor]; das Band, der Zusammenhang ist ein verborgener.« 706 Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 193: »Die Notwendigkeit ist Vermittlung nicht verschiedener substantieller Wirklicher, sondern Vermittlung der Sache mit sich selbst.« 707 WL II, 408: »Hierdurch ist die Kausalität zu ihrem absoluten Begriff zurückgekehrt und zugleich zum Begriff selbst gekommen.« 708 R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Komplex«. 709 Die folgenden sprachlichen Informationen stammen aus Grimm, J. und W.: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854–1960.

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wie »compendium« oder »summa« zum Ausdruck bringen; insofern heißt »Begriff« so viel wie »Inbegriff«. »Begriff« heißt ferner dasselbe wie »conceptio«, d. i. Meinung oder Auffassung. Im Zusammenhang mit diesem Sinn verwendet man »Begriff« auch als die deutsche Übersetzung des lateinischen Wortes »notio«, d. h. als ein Synonym von »subjektive Vorstellung«. Es gibt aber noch eine weitere Bedeutung, welche in keiner Beziehung zu den bisher vermerkten Bedeutungen zu stehen scheint, aber sich im Folgenden von Belang für unsere Untersuchung erweisen wird. Im Deutschen gibt es die Redewendung »im Begriff sein (auch stehen), etwas zu tun« als Ausdruck für »gerade anfangen, etwas zu tun« oder »sich anschicken, etwas zu tun«. Somit vereinigt das Wort »Begriff« in einem einzelnen Ausdruck auch die Bedeutungen der lateinischen Ausdrücke »procinctus« und »conatus«. »Conatus« kommt vom Verb »conor«, das »Bemühen«, »Streben« bedeutet; im philosophischen Sinne versteht man unter »conatus« die innere Neigung zu einer Sache.710 »Procinctus« heißt auf Deutsch »Bereitschaft« oder »Vorbereitetsein«. Diese beiden Bedeutungen von »Begriff« verleihen dem Wort einen Aspekt von Aktivität, von Tätigkeit, welcher bei den anderen Bedeutungen fehlt – mit Ausnahme vielleicht von »conceptio«. Nun wollen wir versuchen, den (logischen) Zusammenhang zwischen all diesen Bedeutungen ans Licht zu bringen, und dadurch die spekulative Potenz des Zeichens »Begriff« transparent zu machen. Dafür ist kurz zum Konzept von Wechselwirkung zurückzukehren. Im kantischen Kontext wird bekanntlich durch die Kategorie der Wechselwirkung das »Zugleichsein«711 (dritter Modus der Zeitlichkeit nach der Beharrlichkeit und der Sukzession) der Dinge gedacht, d. h. nach einem Gesetz bestimmt. »Zugleichsein« bedeutet eigentlich: das Vorhandensein von Mehreren (Mannigfaltigkeit) in derselben Zeit und mithin die »Wechselseitigkeit« ihrer zeitlichen Abfolge.712 Diese Dieselbigkeit der Zeit bringt schon die Mehreren in Verbindung; aber, da die Zeit eine bloße Spezies von Anschauung (d. i. des »Außereinander«) ist, macht diese zeitliche Verbindung nichts als eine äußerliche compositio aus, also etwas Begriffsloses. Der Gedanke des wechselseitigen Einflusses der zugleich seienden Substanzen führt dann eine wahrhafte »Gemein710

Besonders wichtig bei diesem philosophischen Verständnis ist das Adjektiv »innere«. Siehe Spinoza: Ethica, III, Prop. VII: »Conatus, quo unaquaeque res in suo esse perseverare conatur, nihil est praeter ipsius rei actualem essentiam.« 711 Vgl. KrV B 256 ff. 712 KrV B 256–257: »Zugleich sind Dinge, wenn in der empirischen Wahrnehmung des einen auf die Wahrnehmung des anderen wechselseitig folgen kann, (welches in der Zeitfolge der Erscheinungen, wie beim zweiten Grundsatze gezeigt worden ist, nicht geschehen kann).«

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

schaft«713 in diese Mannigfaltigkeit ein: Nicht das Versunkensein im selben raum-zeitlichen Medium, sondern die Beziehung der Ursächlichkeit (in wechselseitigem Sinne) macht das wirklich Verbindende in dieser Gemeinschaft aus. Als Form des nexus bringt die Wechselwirkung mehrere Substanzen in eine systematische Einheit zusammen; der wesentliche, gesetzmäßige Charakter dieser Verbindung macht die Gemeinschaft zum Gegenteil einer zufälligen compositio. Wir haben aber gerade gesehen, dass hinter der Bestimmung der Wechselwirkung immer noch ein Rest Kontingenz steckt, sofern der wechselseitige Einfluss zwischen verschiedenen Substanzen, d. h. Beziehungslosen, erfolgt. Die Verschiedenheit (d. i. Zusammenhangslosigkeit) der in Wechselwirkung stehenden Substanzen macht ihre wesentliche Gemeinschaft unvollständig; die kontingente, zusammenhangslose Mehrheit widerstreitet dem Konzept einer wesentlichen Verbindung. Die wahrhafte Gemeinschaft, welche die Bestimmung der Wechselwirkung auszudrücken versucht, erfordert daher, dass die leere Supposition mehrerer Substanzen beseitigt wird. Dasjenige, was danach verbleibt, fällt mit den zwei ersten Bedeutungen des Wortes »Begriff« zusammen, nämlich complexus und compendium. Das »Verknüpfungsganze«, welches einen complexus ausmacht, ist das, was »Wechselwirkung« meint, aber nicht auszudrücken vermag, und zwar aufgrund der Supposition mehrerer Substanzen bei ihr, welche die Wechselwirkung vom zufälligen »und« der compositio abhängig macht. Von der innigen Verflechtung, welche der complexus (im Unterschied zu »Wechselwirkung«) gehörig zum Ausdruck bringt, hebt dann das Verständnis des Begriffes als compendium einen wesentlichen Aspekt hervor. Das compendium bezieht sich spezifischer auf die Verallgemeinerung, welche der complexus (als eine wahrhafte Gemeinschaft verstanden) mit sich bringt. Daher kommt es, dass das Wort »Inbegriff« (welches die direkte deutsche Übersetzung des lateinischen »compendium« ist) sich sowohl auf einen Musterfall bzw. einen Prototyp, welcher ein Einzelding ausmacht, als auch auf eine Gesamtheit von Dingen, eine Gruppierung bezieht: Der Inbegriff als Prototyp, als einzelne, exemplarische Verkörperung, entsteht gerade aus der Verallgemeinerung, welche der Inbegriff als Zusammenfassung oder Zusammenstellung von Mehreren ausmacht. Diese Verallgemeinerung, welche im complexus enthalten ist, führt uns zu den zwei nächsten Bedeutungen des Begriffes, nämlich conceptio und notio. Conceptio ist dasjenige, was durch das concipere – intellektuell erfassen, in sich aufnehmen – hergestellt wird, nämlich »der Inbegriff aller Merkmale«,714 welcher das quid einer Sache ausmacht. Wenn wir 713 714

Über dieses Wort bei Kant siehe KrV B 260–261. R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Begriff«.

§ 27 Die spekulative Zusammenfassung der Wechselwirkung

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hier den Imperativ der logischen Askese (siehe 2.2) streng befolgen und von jeglicher erkenntnistheoretischer Assoziation völlig absehen, dann fällt die umfassende Allgemeinheit, welche der suppositionsfreien Wechselwirkung bzw. dem complexus eigen ist, mit der Allgemeinheit der conceptio zusammen. Die Allgemeinheit ist ferner das Definierende der Produkte unseres Vorstellungsvermögens, also der Begriffe als Vorstellungen verstanden; ihre Allgemeinheit macht sie »meinig«, denn die Allgemeinheit ist die Form des denkenden Selbst oder des Ich, von welchem die Vorstellungen, als seine Produkte oder Erzeugnisse, ihre Form erhalten (siehe 1.3 und 1.4). Das Verbindende unter den bisher betrachteten Bedeutungen von Begriff ist klarerweise – wenn wir, wie gerade gesagt, den Imperativ der logischen Askese befolgen und von jeglicher erkenntnistheoretischen Assoziation völlig absehen – die Allgemeinheit. Ihrem Ursprung nach ist die Allgemeinheit aber, wie wir soeben bezüglich der Produkte des Vorstellens bemerkt haben, etwas Tätiges, die Form des denkenden Selbst als grundlose Spontaneität. Dieser (logisch grundlegende) Aspekt des Tätigen, welcher bei den betrachteten Bedeutungen von Begriff fehlt, ist hingegen das, was die Auffassung von Begriff in der Redewendung »im Begriff sein zu« enthält. Erst wenn das berücksichtigt wird, kann verstanden werden, dass Hegel den Begriff das wahrhafte Subjekt nennt. Es ist also kraft dieses (scheinbar unerheblichen) Wortsinnes, dass das Zeichen »Begriff« die spekulative Operation vollziehen kann, die ganze Wesenslogik abzuschließen. Die Redewendung vereinigt, wie bereits gesagt, den Sinn der lateinischen Ausdrücke procinctus und conatus. Procinctus, das Vorbereitetsein, bezieht sich auf das Konzept von Vermögen, auf Latein vis oder potestas. »Im Begriff sein zu« bringt also zunächst zum Ausdruck, dass der Begriff (»in« welchem man »ist«) Wirkungsfähigkeit besitzt und schon zu wirken beginnt. Vom conatus haben wir, bezüglich des logischen Triebes oder Strebens des Denkens, sich in die Wirklichkeit zu übersetzen, schon in 1.4 gesprochen: Das Denken ist wesentlich eine triebhafte Lebendigkeit, welche sich durch das ständige Hinausgehen über sich selbst erhält. Wenn wir also den Ausdruck »im Begriff sein zu« verwenden, geben wir andeutungsweise zu verstehen, dass im Begriff sozusagen der Keim für eine lebendige Entwicklung liegt (oder für eine Sequenz von Abläufen, wie in 1.4 gesagt wurde). Das erklärt, warum Hegel an mehreren Stellen den Ausdruck »Begriff« verwendet, um den anfänglichen, unentwickelten Zustand eines Konzeptes (welches dennoch »im Begriff ist«, sich zu entwickeln) zu bezeichnen.715 Der Begriff enthält virtualiter all das, was aus 715

Einige Beispiele seien gegeben. Phän., 19: »Allein eine vollkommene Wirklichkeit hat dies Neue so wenig als das eben geborene Kind; und dies ist wesentlich nicht außer

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

ihm hervorgehen muss. Mit diesem Aspekt der Entwicklung werden wir uns im nächsten Kapitel ausführlicher befassen. Im Moment ist für uns wichtig, die spekulative Potenz besonders hervorzuheben, welche das Wort »Begriff« dank dieser zuletzt erwähnten Bedeutung enthält. Dadurch gewinnt der dunkle Ausdruck »Wechsel mit sich«, mit welchem Hegel die aus der dialektischen Behandlung der Wechselwirkung resultierende Sachlage beschreibt, erheblich an Verständlichkeit. Wie oben gesagt, bezieht sich der »Wechsel« im begrifflichen Kontext der Wirklichkeit auf das sich-Übersetzen des Wirkenden in das (von ihm) Gewirkte. Der innewohnende Defekt des nexus macht, dass die Glieder des Wechsels außer einander fallen, dass sie also, trotz ihrer wesentlichen Verknüpfung, durch ein bloßes »und« miteinander verbunden sind. Dieser letzte Rest Kontingenz ist in der logischen Betrachtung der Wechselwirkung eliminiert worden, sodass nun das commercium zwischen verschiedenen Substanzen eigentlich das Verhältnis einer einzigen Substanz zu sich selbst ist. Dieses Verhältnis ist, wie wir schon wissen, eines der Ursächlichkeit; folglich müssen das Wirkende und das Gewirkte, wenn die kontingente Mehrheit der Substanzen eliminiert worden ist, zwangsläufig zusammenfallen. Das ist es gerade, was die spekulative Potenz des Zeichens »Begriff« auszudrücken ermöglicht: Der Begriff ist sowohl tätige, wirkungsfähige Allgemeinheit (was die Redewendung »im Begriff sein zu« ausdrückt) als auch das Produkt derselben, die (untätige) Allgemeinheit der bloßen notio oder conceptio. Dieses Zusammenfallen des Wirkenden und des Gewirkten im Begriff (also das, was der dunkle Ausdruck »Wechsel mit sich« eigentlich aussagt) führt uns zur Frage: Wie verhält sich diese neue Sachlage, welche die spekulative Potenz des Zeichens »Begriff« zum Ausdruck bringt, zur Machtbeziehung, welche die Verbindung zwischen den Gliedern des nexus im Kontext der Wirklichkeit kennzeichnete?

b) Die Abschaffung der (kontingenten) Kluft zwischen dem Übergeordneten und dem Untergeordneten; der Begriff als das Freie Die Machtbeziehung wurde oben als die konkrete Form bezeichnet, welche der konstitutive Mangel der nexus-Verbindung im logischen Kontext der Wirklichkeit annimmt. Obwohl die Wirklichkeit in der vollkommenen Manifestation des Wesentlichen, Innerlichen besteht, weist sie immer noch die acht zu lassen. Das erste Auftreten ist erst seine Unmittelbarkeit oder sein Begriff.« Phän., 72: »Das natürliche Bewußtsein wird sich erweisen, nur Begriff des Wissens oder nicht reales Wissen zu sein.«

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nicht reduzierbare (kontingente) Zweiheit des Primären, Übergeordneten und des Abgeleiteten, Untergeordneten auf, vornehmlich in der Form von Substanz und Akzidenzien sowie Ursache und Wirkung. Das Verhältnis des zweiten Gliedes der Verbindung zum ersten zeichnet sich durch Unterworfen-sein aus; so spricht man vom Unterworfen-sein unter die Herrschaft des Schicksals, welches, als gesetzmäßige Ordnung des Geschehens verstanden, klarerweise dem begrifflichen Zusammenhang der Wirklichkeit angehört. Ferner haben wir gezeigt, dass die Herrschaft, welche die übergeordnete Instanz über die untergeordnete ausübt, eigentlich blind ist, insofern jener Instanz kein weiterer Inhalt als derjenige zukommt, welcher sich im Untergeordneten, Unfreien, Unterworfenen selbst zeigt.716 Die hervorbringende Tätigkeit der Ursache, zum Beispiel, besteht nicht in der freien Verwirklichung eines im Voraus gewussten Inhaltes, sondern im planlosen Umschlag ihrer selbst in die Wirkung oder die Akzidentalität. In einer hervorbringenden Tätigkeit, welche nicht »blind«, sondern »sehend« ist, entspricht das von derselben »Herauskommende dem, was vorher gewußt und gewollt wurde«.717 Ein unterscheidendes Merkmal der »blinden« Tätigkeit der Substanz hingegen ist, dass dem bei ihr Herauskommenden nicht dieselbe Dignität zukommt wie dem Wirkprinzip. Das durch Notwendigkeit Entstandene macht sozusagen einen »Abfall« aus im Verhältnis zum ursprünglich Hervorbringenden, und deswegen geschieht es beim menschlichen Tun, dass durch das Eintreten von »blind wirkenden« Faktoren etwas anderes als das Gewollte und Bezweckte resultiert.718 Die »Blindheit« des Produzierens der übergeordneten Instanz und die Herrschaft derselben über das Produzierte erweisen 716

Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 187: »[Die] Substanz [ist die] Totalität der Akzidenzen; das Eine, das expliziert ist zu unmittelbarer Wirklichkeit. Die Substanz [ist] so absolute Macht, das Herabsetzen der Wirklichkeit zu nur unmittelbarer Wirklichkeit. Die Substanz ist [die] Macht, [die] Wirklichkeit herabzusetzen, damit ist sie negativ, da ist [die] Gewalt zu Hause, indem Wirklichkeiten gegeneinander gesetzt sind; [die] Macht ist [die] Explikation der Form der Substanz, [die] Form des Umschlagens der Notwendigkeit; die Notwendigkeit hat keinen Inhalt, ihr Inhalt ist selbst nur dieser Wechsel, diese Vermittlung, die sich aufhebt, nur diese Manifestation selbst als Macht: Deswegen sagt man, die Notwendigkeit ist blind; d. h. [es] ist kein bestimmter Inhalt darin, der absoluter Zweck ist.« 717 Enz. § 147, Zusatz. 718 Ebd.: »Man sagt dann, aus solchen Umständen und Bedingungen sei etwas ganz anderes hervorgegangen, und nennt deshalb die Notwendigkeit, welche dieser Prozeß ist, blind. […] Der Mensch, in seinem Unterschied von Gott, mit seinem besonderen Meinen und Wollen, verfährt nach Laune und Willkür, und so geschieht es ihm dann, daß bei seinem Tun etwas ganz anderes herauskommt, als er gemeint und gewollt hat, wohingegen Gott weiß, was er will, in seinem ewigen Willen nicht durch inneren oder äußeren Zufall bestimmt wird und das, was er will, auch unwiderstehlich vollbringt.«

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

sich somit als zusammenhängend. Es handelt sich um denselben Abstand, welcher in der expressiven Auffassung der nexus-Verbindung die Manifestation inkomplett oder unvollständig in Bezug auf den zu manifestierenden Inhalt macht. Daher ist dann die Auflösung des Abstandes, auf welchem diese »blinde« Herrschaft basiert, am Ende gleichbedeutend mit dem erfolgreichen Ausdruck dessen, was mit dem Begriff eines nexus gemeint wird, und so auch gleichbedeutend mit der Überwindung des konstitutiven Mangels, der allem nexus und bloß durch ihn Verbundenen anhaftet. Die Bestimmung der Wechselwirkung hat auf die zwei Seiten der nexusVerbindung das Gleiche gesetzt: zwei Substanzen mit Wirkungsfähigkeit und folglich mit derselben Dignität. Wir stehen also vor Substanzen, die ihre Herrschaft aufeinander ausüben (denn beide sind zugleich Ursache und Wirkung), wobei es eigentlich keine Herrschaft mehr gibt, denn jegliche zeitliche und ursächliche Priorität ist verschwunden. Es handelt sich aber eher um eine gegenseitige Neutralisierung oder »Entkräftung« von Macht-habenden Substanzen, nicht um die gesuchte Überwindung der Machtbeziehung als solche; es gibt immer noch Kontingenz, Beziehungslosigkeit, und zwar in der Supposition von mehreren, also numerisch verschiedenen Substanzen. Die Fixierung der Dieselbigkeit (ipseitas) der Substanz für sich bringt dann mit sich, dass der terminus a quo und der terminus ad quem der ursächlichen Beziehung dasselbe bezeichnen; die Wechselwirkung oder der wechselseitige Einfluss zwischen Substanzen wird so, wie oben gesagt, Wechsel mit sich. Das nennt Hegel »Verklärung der Notwendigkeit«:719 Die unterdrückende Fremdheit der übergeordneten Instanz in Bezug auf die untergeordneten Wirkungen wird aufgehoben und damit auch ihre »Blindheit«, wobei der vorhin opake, undurchdringliche, unerforschliche Charakter der Substanz (der dunkle Rest, welcher sich der vollständigen Manifestation entzog) »verklärt« wird. Abwesenheit von unterdrückender Fremdheit ist die unmittelbare Bedeutung des Wortes »Freiheit«: Die Enthüllung der Notwendigkeit720, des gesetzmäßigen so-Seins der Dinge, die vollständige Sichtbarmachung dessen, was sie eigentlich ist, macht sie gerade zu dem, was traditionell als ihr Gegensatz gilt: zur Freiheit.721 Allerdings ist das nur eine bloß negative, 719

Enz. § 158, Zusatz. Enz. § 157: »Dieser reine Wechsel mit sich selbst ist hiermit die enthüllte oder gesetzte Notwendigkeit.« 721 G. R. G. Mure hat die vorliegende Situation folgendermaßen geschildert (A Study of Hegel’s Logic, Oxford 1950, 152): »The unessential moment of Essence was first Show and then Appearance; it has now become the unreserved revelation of Essence. The reflection ist no longer secondary and derivative, but as fully actual as the source it reveals. When the contradictory correlation of essential with unessential moment is sublated, spirit no 720

§ 27 Die spekulative Zusammenfassung der Wechselwirkung

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formelle Charakterisierung der Freiheit. Nur die begriffliche Fixierung dessen, was diese Auflösung des letzten Restes von Supposition im Kausalnexus eigentlich darstellt – oder, was dasselbe ist, nur der Begriff der Kausalität –, kann uns eine positive Charakterisierung der Freiheit geben. Der Begriff der Kausalität ist nun, wie wir schon wissen, der Begriff als solcher: Die intellektuelle Erfassung der dialektischen Sachlage, zu welcher die logische Entfaltung der kantischen Kategorien der Relation unvermeidlich führt, bestimmt diese Sachlage gerade als »intellektuelle Erfassung«, also als Begriff. Der suppositionsfreie Kausalzusammenhang fällt mit dem Begriff (als complexus, conceptio und conatus verstanden) zusammen; der Begriff also ist das Freie oder die Freiheit selbst, wie wir bereits bei der Betrachtung seiner spekulativen Virtualität als Zeichen gesehen haben; und er ist dies vornehmlich in seiner zentralen Bedeutung als conatus. Also muss man, um ein positives Verständnis der Freiheit gewinnen zu können, in den Begriff selbst eindringen, in seine logische Beschaffenheit als spekulativen Abschluss der ganzen Wesenslogik (und folglich als Eröffnung einer neuen diskursiven Sphäre). Das wird Gegenstand unserer Untersuchung im nächsten Kapitel sein. Der vorliegende Übergang von der Notwendigkeit zur Freiheit (die oben so genannte »Verklärung« der Notwendigkeit) wird von Hegel selbst durch Bezugnahme auf ein konkretes Beispiel aus der Geschichte der Philosophie deutlicher gemacht. Das, was die Notwendigkeit, das nicht-anders-SeinKönnen in ihren Gegensatz, in das Freie verwandelt hat, ist die vollständige Transparenz dessen, was sie eigentlich ist. Der zwingende Charakter der Notwendigkeit beruht auf ihrer Fremdheit, auf der suppositio eines unerforschlichen dunklen Kerns in ihr, welcher nicht als »meinig« (d. i. als mir bekannt, offenbar und zu mir gehörig) wahrgenommen wird. Der Gegensatz zwischen der Notwendigkeit und der Freiheit ist die Folge einer Unkenntnis, eines Nichtwissens; ich bin Knecht der Notwendigkeit, solange ich sie nicht verstehe. Die Befreiung von der unterdrückenden Macht der Notwendigkeit kann folglich nur durch das intellektuelle Eindringen in ihr Wesen erfolgen:

longer puts itself forth as a product, in some measure external, which it compulsively, and therefore in some measure contingently, necessitates; what it ›necessitates‹ is now purely itself. Spirit is now active in no merely proleptic sense, but fully self-conscious and free.« Besondere Aufmerksamkeit verdient hier das Verb »to necessitate«, das als »erfordern«, »erforderlich machen«, »notwendig machen« übersetzt werden kann. Das Wesen ist also als Notwendigkeit aufzufassen, weil es das Andere seiner selbst »erfordert«, und zwar, wie Mure sagt, »compulsively«, d. h. »zwanghaft«, »zwingend«. Diese Notwendigkeit ist ferner konstitutiv mit Kontingenz verbunden, indem es für sie »erforderlich« ist, »zwanghaft« in eine äußerliche Andersheit überzugehen. Die Kontingenz der Notwendigkeit macht diese zu einer Prolepsis (Vorwegnahme, Antizipation) der Freiheit.

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

Die Notwendigkeit versöhnt sich mit der Freiheit, indem sie begriffen wird (und zwar mit dem wahrhaften, mit sich selbst übereinstimmenden Begriff der Kausalität, welcher der Begriff selbst ist). Darin besteht, sehr summarisch gefasst, das befreiende Programm der spinozistischen Philosophie:722 Der Mensch befreit sich von der Knechtschaft (servitus) der Affekte durch die Macht (potentia) seines Intellekts, welcher ihn in die intellektuelle Betrachtung der Substanz (und die daraus folgende Liebe) erhebt. Die unabweisliche Macht der Substanz hört somit auf, als fremd wahrgenommen zu werden, wobei ich im Gehorsam gegenüber ihrer gesetzmäßigen, wesenhaften Ordnung »bei mir selbst«, also frei bin.723 Das ist aber nur ein Programm: Es enthält nur Richtlinien, nicht die Verwirklichung des Befreiungsprogramms selbst. Deswegen sagt Hegel vom Spinozismus, sein Konzept der Freiheit sei »formell«:724 Das Verständnis der Freiheit als intellektuelle Erfassung der Substanz sagt lediglich aus, worauf man sich richten muss, nicht den konkreten »Inhalt«,725 welcher aus dieser Erfassung hervorgehen muss. Aus dem intellektuellen Eindringen in die Substanz muss sich ein Konzept ergeben, welches nicht mehr das der Substanz ist, denn Substanz bezeichnet gerade das noch-nicht-begriffen-werden der Notwendigkeit, den unenthüllten Zustand derselben. Die übergeordnete Position der Substanz und ihre unterdrückende Fremdheit sind strikt korrelativ; die dreifache Struktur Substanz-Attribute-Modi (welche, wie wir schon wissen, expressiver Art ist) kann nicht mehr aufrecht erhalten werden, wenn der letzte dunkle Rest von Supposition, auf welchem der Gegensatz Notwendigkeit/Freiheit basiert, durch das intellektuelle Eindringen in die Substanz bzw. durch Aufhebung 722

Enz. § 159, Anm., Abs. 3: »Die große Anschauung der spinozistischen Substanz ist nur an sich die Befreiung von endlichem Fürsichsein; aber der Begriff selbst ist für sich die Macht der Notwendigkeit und die wirkliche Freiheit.« 723 Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 193: »Entweder gehorche ich dem Gesetz als einem Fremden, das nicht das Meinige ist, oder indem ich das Gesetz als eigene Vernunftbestimmung anerkenne, so verhalte ich mich nur zu mir selbst, ich bin bei mir selbst. Das ist die Freiheit.« 724 Hegel: Vorlesungen über die Logik (1831), 188: »Das [ist das] Große des Spinozismus; die Einheit der Substanz ist [das] Feuer, in dem [die] Seele sich reinigt von aller Besonderheit, [das] ist Befreiung, aber nur formelle Freiheit: Indem Spinoza fortgeht zum menschlichen Geiste, macht er zur Bestimmung, sich von [der] Knechtschaft zu befreien, und das sind die Affekte, denn diese setzen Zwecke; die menschliche Freiheit besteht darin in [der] Liebe Gottes, das ist [die] Richtung des Geistes auf die eine Substanz, alles Besondere verzehrt sich, die Affekte machen [die] servitus humana aus, weil sie das Bestimmende sind. Von dieser Bestimmung der Substanz muß aber zum Subjekt übergegangen werden, worin [der] Mensch frei ist.« 725 Ebd.: »Das Inkonsequente des spinozistischen Systems zeigt sich durch [den] Inhalt«.

§ 27 Die spekulative Zusammenfassung der Wechselwirkung

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ihrer Fremdheit aufgelöst worden ist. Die konsequente Durchführung dieses Programms impliziert zwangsläufig eine komplette Umgestaltung des begrifflichen Zusammenhanges. Deswegen schließt die begriffliche Fixierung, welche die Notwendigkeit vollständig enthüllt, endgültig die ganze Wesenslogik ab und eröffnet eine neue diskursive Sphäre.726

c) Die endgültige Überwindung der nexus-Struktur und ihre Folgen Um der philosophischen Tragweite der jetzt erreichten Sachlage gerecht zu werden, müssen einige Aspekte der im vorausgehenden Kapitel skizzierten Kernproblematik, welche die ganze Wesenslogik durchherrscht, wieder in Erinnerung gebracht werden. Es wurde gezeigt, dass der klassische Gegensatz Intuition-Diskurs auf die Struktur der Reflexion selbst zurückzuführen ist. Die Reflexion setzt sich dem Unmittelbaren entgegen innerhalb der Reflexion selbst, und die unbewusste Abhängigkeit von dieser Struktur führt dazu, dass Kant und Fichte (zusammen mit dem ganzen neuzeitlichen Denken) den sukzessiven Denkverlauf (also das Diskursive) der direkten Intuition gegenüberstellen. Aus der unbewussten Dependenz des Reflexionsmodells folgt das Verkennen, dass der Gegensatz Intuition-Diskurs schon 726

H. Boeder (Topologie der Metaphysik, Freiburg/München 1980, 399) charakterisiert den spinozistischen Ansatz im Gegensatz zur cartesischen Metaphysik als »Widerstand gegen die Selbstgewißheit«. Er bemerkt (ebd.): »[…]; Spinoza verneint nämlich, daß das Subjekt der Gewißheit ein vom Körper gesonderter Geist sei. […] Dieser [der Mensch] erfährt in ihm selbst einen Widerstand gegen die allein befreiende Gewißheit über die Wahrheit seiner Vorstellungen. Demgegenüber bleibt die im Zweifel erbrachte Abgeschiedenheit des Geistes eine Abstraktion, die den einzelnen Menschen nicht verwandeln kann, weil sie das Ich nicht seine es unterscheidende Bestimmung begreifen läßt.« Dies kann uns dabei helfen, die vorliegende Sachlage der Logik besser zu begreifen. Die Bezugnahme auf Spinoza am Ende der Wesenslogik, d. h. beim Übergang zur Subjektivität, erklärt sich daraus, dass Hegel (ähnlich wie Spinoza in Bezug auf Descartes) gegen Kant und Fichte die Auffassung des Subjekts als »abgeschieden« und »gesondert« von der äußerlichen Notwendigkeit (d. h. derselben als ihrem opaken »Anderen« entgegengesetzt) verneint. In Analogie zu Spinoza lehnt Hegel das Verständnis des Geistes als »imperium in imperio« (Spinoza: Ethica, III, Praef.) ab. Das heißt, dass die Subjektivität nicht als der Gegensatz zur Substanzialität aufzufassen ist, als ob diese das nicht-Sein jener ausmachen würde, denn damit bleiben wir immer noch innerhalb der Denkstruktur der Substanzmetaphysik. Die rechte Überwindung dieser kann nur dadurch erfolgen, dass die Gegensatzlosigkeit der Substanz (gleichsam wie bei Spinoza) zunächst angenommen wird, um danach im zweiten Schritt die eigentliche Struktur, welche der Substanz zugrunde liegt, d. h. die Subjektivität, ans Licht zu bringen. Deswegen macht paradoxerweise Spinoza den erforderlichen Bezugspunkt aus (und nicht Descartes, Kant oder Fichte), wenn es darum geht, die Subjektivität begreiflich zu machen.

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2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

diskursiver Natur ist. Es ist also der Reflexion konstitutiv, sich selbst zu verkennen, und deswegen kann die Struktur des Subjekts vom Standpunkt der Reflexion aus nicht richtig aufgefasst werden, wie die Analyse der ersten Seiten der Wesenslogik im letzten Kapitel hinreichend gezeigt hat. Die Vollendung des transzendentalen Projektes, welches die Beschaffenheit der selbsttätigen Intelligenz zum eigentlichen Gegenstand der metaphysischen Untersuchung zu machen versucht, erfordert also, über den Standpunkt der Reflexion hinauszugehen. Der konstitutive Mangel der Reflexion zeigt sich im Widerspruch, welchen alle Beispiele und Varianten der nexus-Verbindung aufweisen: Bei allen finden wir zwei nicht-reduzierbare Glieder (also eine compositio), die durch ein wesentliches, notwendiges Band miteinander verbunden sind, das dennoch ihre Verschiedenheit bzw. Beziehungslosigkeit nicht gänzlich aufzuheben vermag. Dieses leere »und«, das alle Begriffspaare der Wesenslogik aufweisen, ist der Rest subjektiver Meinung in der Reflexion, sowie der Rest gedankenloser suppositio, der aufzulösen ist, damit das Denken Gegenstand von sich selbst werden kann. Gerade dieser Rest ist mit der vollständigen »Enthüllung der Notwendigkeit« endgültig verschwunden. Damit wird das letzte Hindernis aufgehoben, welches das Denken von sich selbst trennt, und deswegen heißt das Zeichen, das diesen wesentlichen Schritt signalisiert, »Begriff«. Das Denken ist endlich »bei sich selbst« und damit Freiheit; jetzt sind wir also imstande, dasjenige zu vollbringen, was die Transzendentalphilosophie aufgrund ihrer Dependenz vom Reflexionsmodell nicht konnte, nämlich die logische Struktur des begrifflich denkenden Selbst zu begreifen. Der klassische Gegensatz Unmittelbarkeit/Diskurs ist also nicht mehr aufrechtzuerhalten; das quid und das quod fallen nicht mehr außer einander, weil das leere »und«, das sie voneinander trennt (es ist daran zu erinnern, dass jeder Gegensatz ein leeres »und« beinhaltet; siehe 1.4), dieser letzte Rest subjektiver Meinung, beseitigt worden ist. Das bringt die Auffassung des Begriffes als eines allumfassenden complexus zum Ausdruck: Der Begriff macht ein »Verknüpfungsganzes« aus, welches frei von beziehungslosen Suppositionen ist, und deswegen kann er der unmittelbaren Seiendheit nicht mehr entgegengesetzt werden. Er ist auch (nach seiner Bedeutung als conatus) Tätigkeit, und zwar eine Tätigkeit, in welcher (im Unterschied zur »blinden« Wirksamkeit der Substanz) das Hervorbringende und das Hervorgebrachte nicht mehr kontingenterweise außer einander fallen. Hinsichtlich des Begriffes können wir also berechtigterweise von causa sui sprechen. Sowohl die zeitliche Verschiebung, auf welcher der scholastische Lehrsatz »causa est potior causato« eigentlich basiert, als auch die leere Supposition von mehreren Substanzen in der Wechselwirkung haben sich als ungerecht-

§ 27 Die spekulative Zusammenfassung der Wechselwirkung

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fertigt erwiesen. Die wahre Ursächlichkeit ist als Selbstursache aufzufassen, und diese kann nur der völlig sichtbar gemachten Notwendigkeit, also dem Begriff, zukommen. Das Konzept von causa sui, von »Grund seines eigenen Seins«,727 bringt gerade das Zusammenfallen des Diskursiven und der wirklichen Existenz zum Ausdruck, welches für die kritische Philosophie (infolge ihrer Abhängigkeit vom Reflexionsmodell) unannehmbar war. Die rein logische Betrachtung der Wesenheiten hat die Diskontinuität aufgelöst, die Kant zwischen den zwei Spezies des Wesens (d. i. dem Wesen als Denkbarkeitsprinzip und dem Wesen als Wirkprinzip, also als Realwesen) setzte. Die Behandlung der kantischen Kategorien der Relation hat dann die kontingente Kluft zwischen dem Wirkenden und dem Gewirkten beseitigt. Das, was damit erreicht worden ist, ist gerade das Konzept einer causa sui, als das quid oder Wesen, »mit dessen Begriff unbedingt der Gedanke seines Seins verbunden werden muß«.728 Mit diesem erreichten Konzept kann nun Hegel die Subjektivität gründlich neu durchdenken, und zwar nach ihrer kanonischen Formulierung, nämlich in Bezug auf den cartesischen Satz: »Cogito, ergo sum«. Denn was dieser Satz zum Ausdruck bringt, ist vor allem – darauf hat Marion aufmerksam gemacht – der Übergang (»ergo«) vom Diskursiven (»cogito«) zum Seienden (»sum«), welcher für Kant streng verboten war.729 Jener Schritt also, welchen die Tranzendentalphilosophie nachdrücklich für illegitim erklärte, wird nun gerade von jener Instanz (dem »ego cogitans«) vollbracht, die sie als notwendige Voraussetzung jeglicher intellektuellen Operation annahm.730 Hegel wird aber (gemäß dem logischen Imperativ der begrifflichen Askese) diese innige Verbindung zwischen dem Diskurs und der wirklichen Existenz nur anhand der Bestimmungen denken, welche der Begriff von einem rein logischen Gesichtspunkt aus enthält, nämlich als genus (Gattung) und als species (Art). Dass im Begriff die wirkliche Existenz und der Diskurs vereinigt sind oder, was dasselbe ist, dass der Begriff Einheit des Seins und des Wesens ist,731 bedeutet also nach diesen Bestimmungen,

727

R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Causa sui«. Ebd. Siehe auch Spinoza: Ethica, I, Def. I: »Per causam sui intelligo id, cujus essentia involvit existentiam, sive id, cujus natura non potest concipi, nisi existens.« 729 Vgl. J.-L. Marion: Sur la théologie blanche de Descartes, Paris 1981, 373. 730 Enz. § 76: »Die einfache Untrennbarkeit des Denkens und Seins des Denkenden, – cogito ergo sum ist ganz dasselbe, [wie] daß mir im Bewußtsein das Sein, Realität, Existenz des Ich unmittelbar geoffenbart sei (Cartesius erklärt zugleich ausdrücklich Principia philosophiae I, 9, daß er unter Denken das Bewußtsein überhaupt als solches verstehe) und daß jene Untrennbarkeit die schlechthin erste (nicht vermittelte, bewiesene) und gewisseste Erkenntnis sei; […].« 731 Vgl. Enz. § 159. Hegel sagt eigentlich, dass der Begriff »die Wahrheit des Seins und 728

274

2.3 Die Wesenslogik (II): Manifestation und Notwendigkeit

dass in ihm die infima species oder singularitas (d. i. die »einzelne« wirkliche Existenz, das »Dieses«) und die universalitas (d. i. die allumfassende Allgemeinheit, das Wesen) zusammenfallen. So können wir die spekulative Formel antizipieren, mit welcher Hegel, wie im nächsten Kapitel ausführlicher zu zeigen sein wird, das Subjekt definiert: Das Subjekt ist Allgemeinheit (»cogito«), die gleichzeitig Einzelheit (»sum«) ist.

des Wesens« ist; aber wir wissen schon, dass die Wahrheit, logisch aufgefasst, in der einheitlichen Zusammenfassung der (dialektisch) aufgelösten Gegensätze besteht.

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

§ 28 Einleitende Bemerkungen a) Kurze Rekapitulation der Ergebnisse und Plan des Kapitels Bevor wir unsere Untersuchung des hegelschen Begriffs in Angriff nehmen, müssen einige Ergebnisse des letzten Kapitels, weil sie im Hinblick auf das Kommende von besonderer Bedeutung sind, kurz rekapituliert werden. »Begriff« ist das Zeichen, welches die spekulative Funktion vollbringt, 1) einheitlich den begrifflichen Raum zu fixieren, in welchem die letzten Entwicklungen der Wesenslogik stehen, und somit 2) die Wesenslogik endgültig abzuschließen und eine neue diskursive Sphäre zu eröffnen. Diese neue diskursive Sphäre ist nun von den Unzulänglichkeiten und (ungerechtfertigten) Suppositionen befreit, welche den Standpunkt der Reflexion daran hindern, über die logische Beschaffenheit des denkenden Selbst Rechenschaft zu geben. In 2.2 haben wir uns ausführlich mit den Gründen dieser Unmöglichkeit befasst, und es hat sich dort ergeben, dass diese Unmöglichkeit innig verbunden ist mit dem klassischen Gegensatz von Intuition und Diskurs (an welchem Kant und Fichte teilhaben). Wir verweisen den Leser auf jenes Kapitel. Nun ist besonders hervorzuheben, dass dieser Gegensatz (mit all seinen Folgen) auf einer bestimmten logischen Struktur basiert, nämlich der Struktur des nexus. Auf dieser Struktur gründet die ganze prima philosophia vor Hegel. Die Möglichkeit, das denkende Selbst oder das Subjekt wieder neu zu durchdenken, erforderte es, diese Struktur bis zu ihren tiefsten Grundlagen aufzulösen und an ihre Stelle eine neue begriffliche Struktur zu setzen, in welcher die Vermittlung (und all das, was man darunter versteht: der Diskurs, der sukzessive Denkverlauf, die Reflexion, usw.) und die Unmittelbarkeit (d. h. das Sein, die Existenz, das Faktische, das quod, usw.) einander nicht mehr entgegengesetzt sind. Dass die Auflösung dieses Gegensatzes und der Gedanke der Subjektivität innig miteinander verbunden sind, zeigt sich gerade an der kanonischen Formulierung der Subjektivität, dem cartesianischen Satz »cogito, ergo sum«. Was dieser Satz ausspricht (und das wird von Hegel selbst bemerkt) ist die Transition des Diskursiven (»cogito«) in die Existenz732 (»sum«), die Untrennbarkeit beider. Dies ist der Punkt, 732

Vgl. J.-L. Marion, a. a.O., 373: »Cette question en rejoint une autre, par avance kantienne : comment d’une discursivité logique passer à l’existence hors de la pensée?«

276

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

zu welchem uns der diskursive Verlauf der Wesenslogik geführt hat.733 Das Zeichen, das diese Untrennbarkeit ausdrückt und uns ermöglicht, sie zu denken, ist »Begriff«. Mit dessen logischer Struktur werden wir uns im Folgenden näher befassen. Der erste Kapitel im ersten Abschnitt der Begriffslogik wird als textuelle Basis der kommenden Überlegungen fungieren, auf den Rest der Begriffslogik hingegen (Urteils- und Schlusslehre, Objektivität, Idee) werden wir im Rahmen dieser Untersuchung nicht eingehen. Das erfordert eine rechtfertigende Erklärung, und diese kann anhand des hegelschen Textes selbst gegeben werden. Im ersten Kapitel jeder logischen Sphäre betrachtet Hegel die fundamentale begriffliche Matrix, auf welcher die nachfolgende diskursive Entwicklung der Sphäre basiert. Das erste Kapitel jeder logischen Lehre liefert sozusagen den begrifflichen Rahmen, innerhalb dessen sich die nachfolgenden Überlegungen entfalten. Sowohl bei der Untersuchung der Seinslogik als auch bei der der Wesenslogik hatten wir Gelegenheit, dies festzustellen. Der Charakter des Gegensatzes, mit welchem die Seinslogik anfängt, d. h. ein Gegensatz zwischen gleichartig Unmittelbaren, definiert den Charakter der übrigen Begriffspaare der Seinslogik. Dasselbe finden wir am Anfang der Wesenslogik: Dort beschreibt Hegel die Struktur der Reflexion und dadurch deutet er auf die fundamentalen Merkmale hin, die den Rest der Wesenslogik-Bestimmungen kennzeichnen. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Rest der Entwicklung irrelevant ist, sondern dass diese Entwicklung innerhalb der Grenzen erfolgt, welche die anfänglichen Überlegungen fixieren. Den anfänglichen begrifflichen Rahmen der Begriffslogik zu fixieren, seinen Sinn zu verstehen und seine philosophische Tragweite zu erfassen, ist Ziel unserer Untersuchung im vorliegenden Kapitel. Der Bestimmung dieser philosophischen Tragweite sind die letzten Abschnitte dieses Kapitels gewidmet, die somit als Abschluss unserer Untersuchung dienen. Der zusätzliche Anspruch, die Weiterentwicklung der Begriffslogik zu verfolgen, würde unsere Untersuchung ins Uferlose führen. Es ist in dieser Hinsicht daran zu erinnern, dass die ganze bisherige Entfaltung dieses zweiten Hauptteiles von Anfang an zum letzten Zweck hatte, das erste Kapitel der Begriffslogik begreiflich zu machen (siehe Ende von 1.4); mit diesem Begreifen erreicht also unsere Untersuchung ihr Ziel.

733

Enz. § 65, Anm.: »Der ganze zweite Teil der Logik, die Lehre von dem Wesen, ist Abhandlung der wesentlichen sich setzenden Einheit der Unmittelbarkeit und der Vermittlung.«

§ 28 Einleitende Bemerkungen

277

b) Der Begriff und der freie Wille Aus den letzten Überlegungen des vorausgehenden Kapitels ist ein weiterer Punkt in Betracht zu ziehen, der für das Verständnis des Folgenden von Belang ist. Die letzten Entwicklungen der Wesenslogik, d. h. der Denkverlauf durch die kantischen Kategorien der Relation, machen, wie wir bereits wissen, den Übergang von der Notwendigkeit (und dem damit zusammenhängenden Begriff von Macht) zur Freiheit aus. Das positive Verständnis dieser Konzeption von Freiheit ist auf dieses Kapitel verschoben worden, weil ein solches Verständnis nur durch Eindringen in die Struktur dessen möglich ist, was die Eigenschaft des Freien im eminentesten Sinne besitzt, d. h. den Begriff. Deswegen sagt Hegel bezüglich des Begriffes (als Befreiung verstanden) am Ende der Wesenslehre der Enzyklopädie: »Als für sich existierend heißt diese Befreiung Ich, als zu ihrer Totalität entwickelt freier Geist, als Empfindung Liebe, als Genuß Seligkeit«.734 Wenn der Begriff das Freie schlechthin oder das Freie selbst ist, dann muss er als logische Grundlage allen konkreten Manifestationen des Freien zugrunde liegen, die somit zu Exemplifizierungen desselben werden.735 Diese Idee der Konkretion oder des Vollendeten spielt eine wesentliche Rolle in der nachfolgenden Aussage Hegels: »Die große Anschauung der spinozistischen Substanz ist nur an sich die Befreiung von endlichem Fürsichsein; aber der Begriff selbst ist für sich die Macht der Notwendigkeit und die wirkliche Freiheit.« Am Ende des voraus-

734

Enz. § 159. Theunissens berühmte Interpretation der Begriffslogik als Theorie der »kommunikativen Freiheit« basiert weitgehend auf einer neutestamentlichen Deutung dieser »Liebe«, die in der kommentierten Stelle als konkrete Exemplifikation des Begriffs erscheint. Aber Theunissen übersieht dabei die Anspielung auf Spinoza, welche diese »Liebe« in einem anderen Licht erscheinen lässt. Man kann nämlich die betreffende Liebe im Sinne des »amor intellectualis Dei« Spinozas verstehen. Dies macht natürlich die Interpretation Theunissens nicht ungültig, aber es legt den Akzent auf andere Aspekte, die seine Interpretation nicht berücksichtigt. Infolge seiner »offenbarungstheologisch begründete Kommunikationstheorie« (M. Theunissen, a. a.O., 50) versteht Theunissen die Struktur des Begriffs als »göttliche Liebesbewegung« (ebd., 43), »in welcher die Allgemeinheit […] zur Einzelheit heruntersteigt« (ebd.); dies soll die »Ausgangsbasis für die soziale Verwirklichung des Allgemeinen als Liebe« (ebd.) ausmachen. Wenn aber die »große Anschauung der spinozistischen Substanz« (Enz. § 159) hierüber als Bezugspunkt genommen wird, dann erscheint diese »Liebe« eher als die »Erkenntnis-Begierde« (H. Boeder, a. a.O., 405), durch welche sich das »Gemüt« auf Gott als »auf seinen Grund […] hinsichtlich seines Willens« bezieht (a. a.O., 404–405) und kraft dessen es »selbsttätig« und »Herr seiner selbst« (a. a.O., 403) wird. Die dadurch erreichte Freiheit ist dann nicht primär »sozial« oder »intersubjektivistisch« zu verstehen (obgleich dieses Verständnis nicht ausgeschlossen ist), sondern eher als intellektuelle Vereinigung mit dem Ursprung des eigenen Seins. 735

278

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

gehenden Kapitels wurde bemerkt, dass, obgleich der Sinn der Befreiung, die am Ende der Wesenslogik erreicht wird, mit dem befreienden Programm des Spinozismus zusammenfällt, dieses Programm den Mangel aufweist, eben nur ein Programm zu sein, d. h. nur Richtlinien zu enthalten, ohne zu konkreten Resultaten zu gelangen. Gerade auf diese konkreten Resultate bezieht sich die erste Aussage Hegels. Aufgrund ihres bloß programmatischen Charakters ist die »große Anschauung der spinozistischen Substanz« nicht imstande, solche Konkretionen (wie z. B. Ich, freier Geist, usw.) zu erfassen. Das spinozistische Programm enthält die richtige Idee, dass die Freiheit nur in der intellektuellen Erfassung der Substanz bestehen kann, wodurch die unabweisliche Macht derselben aufhört, als fremdartig wahrgenommen zu werden. Aber die Verwirklichung einer solchen (Keim-)Idee impliziert, wie bereits gezeigt, eine vollständige Umgestaltung der spinozistischen begrifflichen Apparatur. Diese Apparatur nämlich stellt die Substanz in die Position dessen, was noch nicht intellektuell erfasst worden ist, d. h. in eine übergeordnete Position, die als fremdartig wahrgenommen wird. Zwischen den konkreten Exemplifikationen des Freien, welche Hegel erwähnt, und der begrifflichen Struktur des spinozistischen Ansatzes gibt es nicht die Homologie, die es eigentlich geben sollte; denn die »große Anschauung der spinozistischen Substanz« macht (wie der Ausdruck selbst zu verstehen gibt) eine begrifflich unverwirklichte Vision aus. Eine solche strukturelle Homologie muss aber schon zwischen dem Freien selbst, d. h. dem Begriff, und einer konkreten Manifestation desselben gefunden werden können. Wenn der Begriff das Freie schlechthin ist, dann muss die Übereinstimmung zwischen ihm und dem konkreten (außerlogischen) Bereich, in welchem das Freie den fundamentalen Ausgangspunkt ausmacht, erkennbar sein. Dieser Bereich ist gerade das Recht.736 Welches Interesse hat eine solche Korrespondenz für uns, vor allem nachdem in unserer Untersuchung mehrmals behauptet worden ist, dass in der Logik jeglicher Bezug auf das Außerbegriffliche beiseitegesetzt werden muss? Wie wir bereits wissen, hat das komplette Absehen von konkreten Zusammenhängen in der Logik die Funktion, Modifikationen von Denkinhalten betrachtbar zu machen, welche diese Denkinhalte erleiden, wenn sie auf ihre minimalen strukturellen Kennzeichen reduziert werden. Das verbietet aber nicht die Bezugnahme auf konkrete Zusammenhänge, die gerade aufgrund ihrer Korrespon-

736

RPh. § 4: »Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur, ist.«

§ 28 Einleitende Bemerkungen

279

denz mit der logischen Situation, die sie konkret verkörpern, besonders hilfreich für das richtige Begreifen dieser logischen Situation selbst sein können. Ferner kann die Bezugnahme auf solche konkreten Exemplifizierungen die Tragweite eines Gedankens sichtbar machen, die ansonsten unbekannt bleiben würde. Das ist gerade der Fall beim Begriff und einer bestimmten Verkörperung desselben, nämlich der rechtsphilosophischen als der des freien Willens. Die große Relevanz dessen, was das erste Kapitel der Begriffslogik thematisiert, macht sich in diesem Punkt der hegelschen Rechtsphilosophie besonders gut sichtbar.737 Deswegen werden wir im nächsten Paragraphen die logische Struktur des Begriffes und die Beschaffenheit des freien Willens, so wie sie in den §§ 5–7 der Philosophie des Rechts betrachtet werden, parallel darstellen, ohne dass diese Parallele eine Verwischung der beiden Bereiche impliziert. Die Funktion dieser Parallelisierung ist lediglich, zum Verständnis der vorliegenden logischen Sachlage beizutragen, keinesfalls aber in eine bestimmte rechtsphilosophische Problematik einzudringen.738

c) Der Begriff und das Ich Das logische Verfahren nimmt zum Ausgangspunkt, wie wir bereits wissen, eine vorgefundene Bestimmung, in deren Zusehen (Analyse) es sich zunächst passiv vertiefen muss, um sich sodann den entfalteten Inhalt in einer einheitlichen Auffassung (der Operation des Spekulativen) anzueignen. Es wird also mit einem für das Denken schon bekannten, im Fundus der Geistesprodukte bereits vorliegenden Inhalt angefangen. Dieser bekannte Gegenstand ist im vorliegenden Kontext der Begriff. Es ist jedoch fraglich, ob die Vorstellung tatsächlich in diesem Gegenstand, so wie er hier aufgefasst wird, etwas ihr Bekanntes erfasst. Am Ende des vorausgehenden Kapitels haben wir die Vielfalt von Bedeutungen dargestellt, welche das Wort »Begriff«

737

Auf diese Korrespondenz hat D. Henrich in »Hegels Logik der Reflexion« (in: Hegel im Kontext, Frankfurt a. M. 1971, 99) bereits aufmerksam gemacht. Henrich bemerkt dort zu Recht, dass »der komplexe Sachverhalt«, mit welchem sich der Anfang der Begriffslogik ausführlich befasst, »in der Rechtsphilosophie als Prämisse fungiert«. 738 Die Parallelisierung könnte auch gegen die soeben erwähnte »soziale« Interpretation, die Theunissen der Begriffslogik gibt, geltend gemacht werden. Man kann sich fragen, ob diese Korrespondenz zwischen den Momenten des Begriffs und der Struktur des freien Willens (als Boden des Rechts verstanden) die »sozialphilosophische« Dimension der Begriffslogik, die nach Theunissen Schlüssel derselben ist, nicht »abgeleitet« und »deduziert« macht, mag auch das Ich abgesehen von den zwischenmenschlichen Beziehungen für Hegel eine Abstraktion sein.

280

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

umfasst. Dabei hat sich dann gezeigt, dass es zwischen diesen unterschiedlichen Bedeutungen tatsächlich einen verbindenden Zusammenhang gibt. Gerade in dieser Vielfalt von Bedeutungen besteht die spekulative Potenz des Zeichens »Begriff«. Das heißt aber nicht, dass die Vorstellung wirklich fähig wäre, in diesem Zusammenhang einen bekannten Gegenstand zu erkennen. Im vorausgehenden Abschnitt haben wir den Begriff der Vorstellung nähergebracht, indem wir auf dessen Korrespondenz mit der Struktur des freien Willens (also mit etwas Konkreterem) in der Rechtsphilosophie hingewiesen haben. Der Begriff ist als das Freie erklärt worden bzw. als dasjenige, was im eminentesten Sinne die Eigenschaft besitzt, frei zu sein; diese Eigenschaft fungiert nun gerade als der Verknüpfungspunkt mit dem freien Willen, von welchem die Philosophie des Rechts ausgeht. Aber dieses »Es«, das die Eigenschaft des Freien im eminentesten Sinne besitzt, bleibt immer noch opak, unerkannt. Aus den letzten Überlegungen des vorausgehenden Kapitels wissen wir, dass der nunmehrige Gegenstand der logischen Betrachtung das Denken selbst ist, das sich schließlich, nach dem ganzen Verlauf durch die Wesenslogik hindurch, zu seiner eigenen Betrachtung aufgeschlossen hat. Dieser vage Hinweis ist dennoch nicht hinreichend, um den vorliegenden Gegenstand des Denkens der Vorstellung zugänglich zu machen. Hegel ist sich dieser Schwierigkeit völlig bewusst. Infolgedessen macht er eine erklärende Bemerkung, die von großer Bedeutung ist: Der Begriff, so wie wir denselben hier thematisieren, ist dasselbe wie das Ich.739 Dann fügt er hinzu: »Wenn man daher an die Grundbestimmungen, welche die Natur des Ich ausmachen, erinnert, so darf man voraussetzen, daß an etwas Bekanntes, d. i. der Vorstellung Geläufiges erinnert wird«. Auf welche Grundbestimmungen des Ich, welche der Vorstellung geläufig sind, bezieht sich Hegel hier? Beim Gebrauch des Ausdrucks »Ich« verfügen wir, sagt uns Hegel, über zwei (in gewisser Hinsicht entgegengesetzte) Bedeutungen. Eine ist sozusagen die transzendentale Auffassung des Ich, laut welcher dieses den letzten »Grund des Denkens« ausmacht, d. h. den obersten »Einheitspunkt des Bewußtseins, auf den sich alles Vorstellen beziehen läßt«.740 So ist das Ich, mit Hegels Worten, »Allgemeinheit: Einheit, welche nur durch jenes negative Verhalten, welches als das Abstrahieren erscheint, Einheit mit sich ist und dadurch alles Bestimmtsein in sich aufgelöst enthält«.741 Die zweite 739

WL III, 17: »Ich beschränke mich hier auf eine Bemerkung, die für das Auffassen der hier entwickelten Begriffe dienen kann und es erleichtern mag, sich darein zu finden. Der Begriff, insofern er zu einer solchen Existenz gediehen ist, welche selbst frei ist, ist nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbewußtsein.« 740 R. Eisler: Kant-Lexikon, Berlin 1930, Artikel »Ich«. 741 WL III, 17.

§ 28 Einleitende Bemerkungen

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Bedeutung von »Ich« ist sozusagen die exoterische, gewöhnliche, d. h. diejenige, nach welcher das Ich die »individuelle Persönlichkeit« ist, etwas Bestimmtes, absolut Vereinzeltes, »welches sich anderem gegenüberstellt und es ausschließt«.742 Es ist offensichtlich, dass diese zwei Bedeutungen einander entgegengesetzt sind: Während die erste eine allumfassende Einheit bezeichnet, auf welche jegliche Vorstellung zurückgeführt werden muss, bezieht sich die zweite auf etwas vollkommen Beschränktes, ein »Ding« unter anderen Dingen. Der Begriff ist aber dasselbe wie das Ich, nur indem er diese zwei Bedeutungen in sich enthält, nicht eine der zwei (sich gegenseitig ausschließenden) Alternativen.743 Die Korrespondenz des Begriffes, so wie er hier behandelt wird, mit dieser »geläufigen« Vorstellung besteht darin, dass der Begriff die logische Struktur ausmacht, welche gerade diese zwei Bedeutungen zusammenzudenken ermöglicht. Denn die beiden Grundbestimmungen, so wie sie sich als Bedeutungen des Wortes »Ich« nebeneinander vorstellen, sind durch ein bloßes »ebenso«, ein kontingentes, gedankenloses »auch« miteinander verbunden. Was macht dann Hegel, genauer gesagt, mit dieser doppelten Referenz? Offensichtlich verleiht er zunächst dem reinen Denken einen Ausgangspunkt, einen für die Vorstellung erkennbaren Referenzpunkt. Aber dadurch macht er noch etwas: Er stellt dem logischen Denken eine Aufgabe.744 Eigentlich markieren die zwei Bedeutungen des Wortes 742

Ebd. Vgl. D. Henrich: »Hegels Logik der Reflexion«, a. a.O., 97: »Das Subjekt muß als Einheit von Allgemeinheit und Besonderung gedacht werden: Kein Subjekt, das nicht in völliger Abstraktion von allen Gegebenheiten der Welt zu sich selber käme, aber auch keines, das sich nicht durch solche Abstraktion als ein bestimmtes, von allen anderen schlechthin verschiedenes einzelnes Wesen erfaßt und konstituiert. Niemand sagt zu sich ›Ich‹ und versteht sich darin als Subjekt, ohne zu einem gegen alle und zugleich zu einem wie jeder andere zu werden. Zu fragen ist, wie diese Einheit verständlich gemacht werden kann.« 744 Diese Aufgabe ist von K. Hartmann als eine »Genealogie des Begriffs« charakterisiert worden (Hegels Logik, Berlin 1999, 299): »Da ist einmal Hegels Bemühen, in der WdL das deontisch-idealische Thema des Ich (des Subjekts, des Selbstbewußtseins) ›tieferzulegen‹. In Abkehr von Fichte, aber auch von Schelling, der das Unbedingte maßgeblich sein läßt – es zwar dann als Ich bestimmt, aber schließlich zum unvordenklichen Sein übergeht – will Hegel eine Subjektivitätsstruktur in Ansatz bringen, die Vorgestalt oder Vorform des Ich und des Geistes ist. Diese Vorgestalt ist nicht nur metatheoretische Struktur, sondern auch thematisch logischer Begriff. (Hierzu kann eine Kant-Stelle beigebracht werden, dergemäß die transzendentale Apperzeption als conceptus communis bezeichnet wird – KrV B 134, Anm.) Man sieht vielleicht noch nicht, wie Hegels Griff oder Schritt zu beurteilen ist, aber der Vorschlag ist bemerkenswert, gelingt es hier doch, dem Begriff (und damit dem Ich, dem Subjekt, dem Geist) eine Genealogie zu geben. Hegel gibt [eine] kategoriale Erklärung, nimmt nicht das zu Erklärende zum Ausgangspunkt.« Aus dieser Stelle sind einige Aspekte besonders hervorzuheben. Es ist zunächst beacht743

282

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

»Ich« zwei verschiedene Vorstellungen; die Tatsache, dass das Wort »Ich« sie durch ein bloßes »auch« zusammenfasst, bestätigt dies gerade. Durch Betrachtung dessen, was wir »Struktur des Subjekts« genannt haben, muss der diskursive Verlauf nachvollzogen werden, der uns von einer Vorstellung zur anderen führt. Mit dieser Bemerkung gewinnen einige der bisher bezüglich des Begriffes gemachten Behauptungen an Verständlichkeit. Im letzten Paragraphen des letzten Kapitels wurde gesagt, dass der Begriff die klassische Gegenüberstellung zwischen dem Unmittelbaren und dem Diskurs abschafft; quid und quod fallen jetzt nicht mehr außer einander. Diese Behauptung verstößt gegen eines der grundlegenden Prinzipien kantischen Denkens, gegen die Nicht-Ableitbarkeit der Existenz aus bloßen Begriffen nämlich. Eigentlich stimmt Hegel diesem Prinzip völlig zu. Die Kritik Kants am Übergang vom Begriff zur Existenz ist vollkommen gerechtfertigt, wenn es sich um die Transition von einem bestimmten Gedanken handelt, welcher den terminus a quo ausmacht, zur Existenz des darin Gedachten, dem terminus ad quem. Der innige Zusammenhang des Begriffes und des Daseins, den wir hier festzusetzen versuchen, bezieht sich nicht auf einen vorgegebenen Begriff, von welchem (rein diskursiv) zu zeigen ist, dass ihm eine wirkliche Existenz korrespondiert. Eine bloße Vorstellung, die als solche etwas bloß Subjektives ausmacht, kann nach hegelscher Auffassung niemals die Existenz des Vorgestellten involvieren.745 Aber hier ist nicht von einem vorgegebenen Begriff, einem bloßen Wort die Rede, sondern vom Begreifen selbst, von der Denk-

lich, dass Hartmann sich (im Unterschied zu anderen Autoren) enthält, den »hegelschen Schritt zu beurteilen«, gerade aufgrund der außergewöhnlichen Natur desselben. Das Außergewöhnliche besteht darin, dasjenige, was bislang als (nicht-thematisiertes) Prinzip bzw. als ungeklärter Ausgangspunkt gegolten hat, zum »Thema« einer begrifflichen Betrachtung zu machen. Aus dieser bahnbrechenden Untersuchung der »Subjektivitätstruktur« ergibt sich dann eine »Vorgestalt des Ich und des Geistes«. Durch Thematisierung von dem, was sich bei Fichte und Schelling dem Diskurs »entzieht«, kommt etwas zum Vorschein, das weder bloß Ich noch Geist ist, sondern ihre zugrundeliegende Struktur (die »Vorform«). Allein wegen der Tatsache, dass Hegel hier das Ungedachte zu denken versucht, sollte man sich davor hüten, voreilig sein Unterfangen zu bewerten. Wir können uns daher Theunissen an der folgenden Stelle nicht anschließen (M. Theunissen, a. a.O., 41–42): »Was aber die subjektive Logik betrifft, so veranlaßt ihre eigene Verfassung zur Skepsis. Ganz im Gegensatz zu ihrem Anspruch, die Wahrheit schlechthin zu enthüllen, fällt sie in Wirklichkeit gegenüber der objektiven Logik auf geradezu befremdliche Weise ab.« Dass die Begriffslogik zunächst »befremdlich« erscheint, wollen wir nicht leugnen. Diese »befremdliche Weise« sollte aber eigentlich zu einer anderen Skepsis »veranlassen«, nicht gegen die Begriffslogik als solche, sondern gegen den negativen Eindruck, den ihre opake, unverständliche »Verfassung« zunächst erweckt. 745 Siehe z. B. Enz. § 193, Anm.

§ 28 Einleitende Bemerkungen

283

tätigkeit als solcher. Hegel sagt an der soeben zitierten Stelle: »Ich habe wohl Begriffe, das heißt bestimmte Begriffe; aber Ich ist der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Dasein gekommen ist«.746 Dies wird von Hegel gerade in Bezug auf das Ich im transzendentalen Sinne gesagt, welches Kant als die »Quelle der Kategorien« versteht. Wir stehen also nicht vor einem Produkt (d. i. einem vorgegebenen Begriff, einem Gedanken), sondern vor dem Produzieren selbst, vor einem Tun. Die Diskursivität also, von welcher hier zu zeigen ist, dass sie mit der unmittelbaren Seiendheit (also mit dem Ich im zweiten Sinne) unauflöslich verbunden ist, ist also als reine Spontaneität zu betrachten, was uns bereits den Weg zu einer konkreten Existenz bahnt. Dieser Punkt ist näher zu untersuchen. Im Hinblick auf ein richtiges Verständnis der unauflöslichen Verbindung zwischen dem Denken (Vermittlung) und der Existenz (Unmittelbarkeit) müssen wir insbesondere auf den spontanen Charakter des Denkens achten. Wenn wir uns fragen, um welche Art von Übergang des Denkens in die Existenz es sich hier handelt, dann gibt uns die bloße Charakterisierung des Denkens als einer spontanen Tätigkeit die passende Antwort: Eigentlich stehen wir vor keinem Übergang des Denkens in die Existenz.747 Wir müssen hier sorgfältig den Gedanken vermeiden, dass das Sein am Ende einer Argumentation erreicht wird, als ob es um das Ergebnis einer Schlussfolgerung ginge, welche auf diskursive bzw. mittelbare Weise erreicht wird.748 Wir werden hier nicht vom Denken durch eine deduktive Kette zur Existenz geführt, sondern dasjenige, worauf es hier ankommt, ist gerade, dass das Denken, als ein Tun verstanden, auf eine radikale und ursprüngliche Weise existiert, und so ist.749 Auf diese Art und Weise muss verstanden werden, dass das Denken mit dem Gedanken des Spontanen assoziiert wird. Warum? Weil das Spontane gerade dasjenige ausmacht, was nicht aus etwas Anderem ist, was also selbstständig, »nichtreduzierbar« ist.750 Im bloßen Akt des spontanen Tuns wird seine Existenz

746

WL III, ebd. Wir folgen in diesem Punkt Marions subtilen Überlegungen über das »cogito, ergo sum« in: J.-L. Marion, a. a.O., 378–383. 748 Vgl. J.-L. Marion, a. a.O., 378: »Si, de fait, la primauté existentielle prédomine sur la primauté logique, c’est que l’existence s’expérimente en la pensée comme un fait, avant que de s’y interpréter comme conclusion d’une déduction; le cogito n’aboutit pas tant à l’existence à partir de raisons, qu’il ne commence par l’existence, expérimentée dans la raison. Et il ne faudrait point objecter, puisque cette existence s’expérimente dans la pensée, que le cogito va de la pensée – première – à un resultat et terme« 749 Vgl. J.-L Marion, a. a.O., 379: »[…]; c’est au contraire la cogitatio qui, radicalement et immédiatement, s’éprouve elle-même comme une existence« 750 Vgl. J.-L Marion, a. a.O., 380. 747

284

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

bewiesen.751 Die Spontaneität ist grundlos,752 sie existiert folglich allein aus sich selbst. Deswegen sagt Hegel, wenn er sich auf das cartesianische »cogito, ergo sum« bezieht, dass es sich um »die einfache Untrennbarkeit des Denkens und Seins des Denkenden« handelt.753 Es handelt sich nicht um eine Zusammensetzung, um eine Vermittlung vom Denken zum Unmittelbaren, sondern die Vermittlung ist schon direkt, als spontanes Tun, seiend, existierend. Damit wird aber nicht die Aufgabe gelöst, welche Hegel sich mit seinem Hinweis auf das Ich stellt. Trotz der Radikalität und Ursprünglichkeit dieser innigen Verbindung zwischen dem Denken und dem Sein, müssen wir noch einsehen, wie diese Einheit artikuliert ist, wie sie eigentlich möglich, denkbar ist. Fichte, wie wir schon wissen, setzt diese innige Verbindung als unbewiesenen Grund voraus, aber dadurch entzieht er sie aus der Diskursivität; er macht sie letzten Endes zu einem undenkbaren Grund der Denkbarkeit, und so bleibt er im Modell der Reflexion (mit ihren uns schon bekannten Folgen) gefangen. Indem Hegel sich die erwähnte Aufgabe durch Hinweis auf eine bekannte Vorstellung stellt, verwandelt er sie in einen Imperativ des Denkens. Er macht diese innige Verbindung zum Inhalt eines Zeichens, der als solcher einer logischen Behandlung nach den drei Achsen der diskursiven Verkettung unterzogen werden können muss. Der Begriff als Vorstellung – genauer: als Zeichen – verstanden kann der Gegenstand einer intellektuellen Aneignung werden; und gerade damit wird die Basis für einen Begriff des Begriffes gesetzt.

§ 29 Der Begriff als Subjekt a) Der Begriff in sich: Die logische Auffassung der Allgemeinheit als allumfassendes vehiculum Im Folgenden besteht die Aufgabe, wie gesagt, darin, die Bestimmung (das Zeichen) »Begriff« einer logischen Behandlung nach den drei Achsen der diskursiven Verkettung zu unterziehen (siehe 1.4). Diese logische Behandlung beginnt mit dem passiven Zusehen bzw. analytischen Deutlichmachen des Inhalts einer vorfindlichen Bestimmung aus dem Fundus der Geistesprodukte. Aber wie gerade vermerkt, kann die Bestimmung »Begriff« nicht

751

Vgl. J.-L. Marion, a. a.O., 379. Siehe Leibniz’ Definition des Spontanen (Gerh, VII, 108): »Spontaneitas est contingentia sine coactione«. 753 Enz. § 76. 752

§ 29 Der Begriff als Subjekt

285

völlig in dem Zustand genommen werden, in welchem sie in diesem Fundus vorliegt, weil sie ja im logischen Verlauf als die Überwindung des Standpunktes hervorgegangen ist, auf welchem gewöhnlich der Begriff gefasst wird, d. h. dem Standpunkt der Reflexion. Diese gewöhnliche Auffassung von Begriff setzt, wie wir schon wissen, den Gegensatz bzw. die Kluft zwischen der unmittelbaren Seiendheit und dem Diskurs voraus, während die Bestimmung »Begriff« im vorliegenden Kontext gerade auf der Aufhebung dieser Voraussetzung basiert. So ist im letzten Abschnitt die Frage entstanden: Auf welchen Vorstellungszusammenhang müssen wir uns berufen, um die Bestimmung »Begriff« einer logischen Behandlung unterziehen zu können? Wir kennen bereits die Antwort Hegels. Sie verweist den Leser auf das vorhandene Verständnis des »Ichs« als Orientierungspunkt, und zwar nach einer doppelten Referenz hin: Dem transzendentalen Begriff vom Ich und der »gewöhnlicheren« Auffassung des Ich als Daseiendes und Existierendes, das sich anderen Individuen gegenübersieht. Denselben Verweis finden wir in den Grundlinien der Philosophie des Rechts bei Betrachtung des freien Willens.754 Der Wille oder besser der abstrakte Begriff des freien Willens fungiert in der Rechtsphilosophie als der Ausgangspunkt derselben und umfasst zugleich die Idee eines abstrakten freien Ich einerseits, »in welchem alle konkrete Beschränktheit und Gültigkeit negiert und ungültig ist«,755 und die einer »ausschließenden Einzelheit« andererseits.756 Allerdings ist die Bestimmung »Begriff« im vorliegenden Kontext der traditionellen Auffassung von Begriff nicht völlig fremd, denn sonst hätte diese Bestimmung im diskursiven Verlauf reinen Denkens als spekulativer Abschluss der Wesenslogik und Eröffnung einer neuen begrifflichen Sphäre nicht entstehen können. Wir hätten die spekulative Potenz des Zeichens »Begriff« überhaupt nicht nutzen können, wenn das logische Verständnis desselben seinem Gebrauch absolut fremdartig und unbekannt wäre. Eben diejenigen Grundbestimmungen, welche die Schultradition am Begriff unterscheidet, nämlich Gattung (genus) und Art (species), werden im Folgenden als die Bestimmungen der logischen Auffassung des Begriffes fungieren. Das Entscheidende hieran wird gerade die Art und Weise sein, auf welche sich diese Grundbestimmungen zueinander verhalten, wenn das zugrunde liegende Modell dabei nicht mehr dasjenige der Reflexion ist (wie im Falle der Schultradition), sondern das Modell des Begriffes als einer grundlosen Spontaneität.

754 755 756

RPh. §§ 34–35. RPh. § 35. RPh., §§ 34–35.

286

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

Das erste Merkmal, mit welchem der Begriff traditionell verknüpft ist, ist seine Allgemeinheit. Der Begriff definiert sich grundsätzlich dadurch, dass er »einer Klasse von Objekten gemeinsam ist«,757 dass er also von mehreren ausgesagt werden kann. Gemäß der traditionellen Auffassung wird diese Gemeinschaft, auf welche »der Begriff geht«,758 durch ein intellektuelles Verfahren namens Abstraktion erzeugt, welches im »Absehen vom Individuellen, Zufälligen, Unwesentlichen zugunsten des Notwenigen, Wesentlichen, Gattungsmäßigen«759 besteht. Was damit gewonnen wird, ist ein abstrakter Begriff, d. h. eine Vorstellung, die gerade darum von mehreren gilt, weil sie von diesen mehreren (als das Wesentliche, wahrhaft Seiende von denselben) herausgehoben worden ist. Die allgemeine Gültigkeit eines so ab-gesonderten Begriffes besteht darin, dass das Abgesonderte im Gegensatz zu den unter ihm sub-sumierten konkreten Exemplaren steht. Evidenterweise stehen wir hier klar vor dem Schnitt, welchen die Reflexion zwischen dem Innerlichen, Wesentlichen, Quidditativen und dem unmittelbar Seienden, Scheinhaften, Zufälligen vollzieht, also vor der nexus-Verbindung, mit dem daraus folgenden Mangel, welcher ihr eigen ist. Diese Auffassung von Allgemeinheit des Begriffes ist jedoch für unsere Zwecke offenkundig inadäquat, sofern unser jetziger Standpunkt gerade die Überwindung des Reflexionsmodells voraussetzt. Spezifischer versagt diese Auffassung darin, dass sie die Allgemeinheit des Begriffes als ein Produkt, als das Resultat einer Tätigkeit betrachtet. Dabei besteht ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der Idee einer abstrakten, abgesonderten Gemeinschaft, welche von ihren Exemplaren durch eine unaufhebbare Kluft (die von der Reflexion eingeführt wird) getrennt ist, und der Tatsache, dass diese Gemeinschaft ein Produkt, ein Resultat, etwas Gemachtes bildet.760 Das Adjektiv »abstrakt«, welches dem Begriff (infolge seiner Allgemeinheit) gewöhnlich beigefügt wird, trennt das Produkt von seiner Produktion ab und macht es dadurch zu einer Sache unter anderen Sachen, was in einem klaren Widerspruch zu demjenigen steht, was die Allgemeinheit eigentlich sein soll, d. i. etwas Umfassendes, Übergreifendes. Es handelt sich hier im Grunde um denselben Widerspruch, welcher die nexus-Verbindung kennzeichnet: Der »abgesonderte« Charakter der Begriffsallgemeinheit führt die Kontingenz des »und«, 757

R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Allgemein«. Ebd. 759 R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Abstraktion«. 760 WL III, 33–34: »Aber diese Identität ist zweitens in sich absolute Vermittlung, nicht aber ein Vermitteltes. Vom Allgemeinen, welches ein vermitteltes, nämlich das abstrakte, dem Besonderen und Einzelnen entgegengesetzte Allgemeine ist, ist erst bei dem bestimmten Begriff zu reden.« 758

§ 29 Der Begriff als Subjekt

287

des »Außereinander« zwischen dem Begriff und dem von ihm Begriffenen ein. Damit hört der Begriff auf, allgemein, umfassend zu sein. Oben haben wir bemerkt, dass hier nicht von einem vorgegebenen Begriff die Rede ist, sondern vom Begreifen selbst, verstanden als grundlose Spontaneität. Wenn also die Allgemeinheit das erste Merkmal des Begriffes darstellt, aber die traditionelle Auffassung derselben als einer abgesonderten Gemeinschaft (und folglich als eines Produktes) damit scheitert, den wahrhaften Sinn der Allgemeinheit, d. i. das Umfassende, Übergreifende derselben, zum Ausdruck zu bringen, dann müssen wir, um die Allgemeinheit angemessen zu erklären, auf die Idee eines Produzierens, eines Tuns zurückgehen. Für diesen Zweck sollen an dieser Stelle die Ergebnisse des letzten Kapitels wieder in Erinnerung gebracht werden. Die Allgemeinheit des Begriffes muss hier nach der Idee einer Tätigkeit gefasst werden, welche frei von jeglicher unterdrückenden Fremdheit und folglich im Wechsel mit sich selbst ist.761 So wird die folgende Aussage Hegels verständlich: »Der reine Begriff ist das absolut Unendliche, Unbedingte und Freie«.762 Es ist gerade die Abschaffung des der nexus-Verbindung eigentümlichen letzten Restes von Kontingenz, was den Gebrauch solcher Ausdrücke in Bezug auf den Begriff berechtigt. Aber die bisherigen metaphysischen Ansätze über das absolut Unbedingte und Freie basieren weithin auf dem Modell der nexus-Verbindung. Im Hinblick auf ein richtiges Verständnis der vorliegenden Auffassung von Allgemeinheit muss vor allem auf das Verhältnis geachtet werden, in welchem das absolut Unbedingte und Freie zu seinen Produkten, zum Endlichen, Gesetzten steht. Denn gerade in diesem Punkt unterscheidet sich der hegelsche Ansatz von den vorhergehenden. Unser Verfahren muss hier äußerst vorsichtig sein. Hegel bemüht sich, die vorliegende Allgemeinheit mit der höchsten Genauigkeit zu unterscheiden von jeglicher Auffassung, welche vom Standpunkt der Reflexion ausgeht. Dementsprechend ist die vorliegende Allgemeinheit keineswegs zu verwechseln mit dem gestaltlosen Abgrund, »der allen bestimmten Inhalt […] in sich verschlingt«,763 oder mit der »Notwendigkeit als innerer Identität«764 von außereinander fallenden Terminis, oder

761

WL III, 33: »Diese reine Beziehung des Begriffs auf sich, welche dadurch diese Beziehung ist, als durch die Negativität sich setzend, ist die Allgemeinheit des Begriffs.« 762 WL III, 33. 763 Enz. § 151, Zusatz. 764 WL III, 35: »[…]; der Begriff ist nicht der Abgrund der formlosen Substanz oder die Notwendigkeit als die innere Identität voneinander verschiedener und sich beschränkender Dinge oder Zustände, sondern als absolute Negativität das Formierende und Erschaffende, […].«

288

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

mit dem Grund, der hinter der Existenz zurückbleibt.765 Im Unterschied zu all diesen Bestimmungen ist die Manifestation, die Sichtbarmachung des Wesentlichen, in unserem Kontext vollständig. Es gibt hier keinen Rest mehr von beziehungsloser, formloser Innerlichkeit. Folglich, da das Innere sich gegenüber dem Äußeren dadurch auszeichnet, dass es »gar keine Beziehung (dem Dasein nach) auf irgend etwas von ihm Verschiedenes hat«,766 ist die vorliegende Allgemeinheit, sofern jegliche dunkle, supponierte Innerlichkeit beseitigt worden ist, als reine Relationalität aufzufassen.767 Diese Auffassung von Allgemeinheit als reiner Relationalität ermöglicht uns, die oben erwähnte Korrespondenz zwischen dem Begriff (im hegelschen Sinne) und dem transzendentalen Verständnis des Ich ans Licht zu bringen. Es besteht hier nicht die Absicht, das komplexe Thema des denkenden Selbst im Rahmen der Transzendentalphilosophie zu bearbeiten. Wir wollen lediglich die Zusammenhänge explizit machen, die für ein richtiges Verständnis der vorliegenden Sachlage zu beachten sind. Mehr als die Rolle, welche dieser Begriff innerhalb des kantischen Denkens spielt, interessiert uns hier eigentlich die Art und Weise, wie Kant ihn beschreibt, seine sozusagen terminologische Auswahl in Bezug auf ihn. Wie Hegel verfährt Kant diesbezüglich beim Gebrauch der Ausdrücke sehr vorsichtig und legt besonderen Nachdruck darauf, das Ich nicht zu verwechseln mit Begriffen wie Kraft oder Substanz, die (in der hegelschen Logik) Reflexionsbestimmungen sind – obwohl auch die kantische Fassung des Ich, wie wir bereits wissen, nicht frei vom Reflexionsmodell ist. Das Schlüsselwort ist dabei »vehiculum«, zu Deutsch »Vehikel«; denn vom Ich sagt Kant, dass es »alle Kategorien als ihr Vehikel begleitet«.768 Wenn also der Begriff und das Ich nach dem oben Gesagten als dasselbe anzusehen sind, und dasjenige, durch welches der Begriff sich definiert, die Allgemeinheit ist, dann können wir behaupten, der geeignetste Ausdruck für die Allgemeinheit, die wir hier zu charakterisieren versuchen, sei »Vehikel«. Wie ist der Gebrauch dieses Wortes im vorliegenden Kontext zu verstehen? Was genau bedeutet es, dass die Allgemeinheit ein Vehikel ist? Unter Vehikel wird zunächst (im übertragenen Sinne) etwas verstanden, das als Mittel zu etwas dient oder als etwas, wodurch etwas ausgedrückt oder begründet wird. »Mittel« und »wodurch« sind hier die entscheidenden Worte. Dass die Allgemeinheit ein Vehikel ist, bedeutet also, dass sie selber das all-

765

Vgl. Enz. § 123, Zusatz. KrV B 321. 767 WL III, 35: »Diese Vermittlung, welche das Zufällige zunächst zur Notwendigkeit erhebt, ist aber die manifestierte Beziehung; […].« 768 KrV B 406. 766

§ 29 Der Begriff als Subjekt

289

umfassende Band zwischen den Bestimmungen ausmacht, also dasjenige, was uns ermöglicht, von einer Bestimmung zu einer anderen fortzugehen (in Übereinstimmung mit der Bedeutung des lateinischen Wortes »vehiculum«) und somit alles in Kommunikation zu setzen. Sie ist folglich gerade nicht abstrakt oder abgesondert, weil sie ja das Verbindende, Verknüpfende, also Zusammenhang und Konkretion Schaffende ist. Diesbezüglich sind aber noch weitere Präzisierungen vorzunehmen. In 1.4 haben wir uns mit dem Gedanken des Inbegriffes der Realitäten befasst und dabei eine klare strukturelle Homologie zwischen demselben und der Idee des vorgefundenen Sprachmaterials festgestellt. Der Gedanke des Inbegriffes der Realitäten hat sich somit als das Gegenteil von dem erwiesen, was er theoretisch ausdrücken soll, nämlich die Idee eines allgemeinen, allumfassenden Zusammenhanges. Eigentlich handelt es sich um eine (verschleierte) kontingente Ansammlung von zerstreuten Elementen. Wir müssen also sorgfältig zu vermeiden versuchen, die Auffassung der vorliegenden Allgemeinheit als vehiculum mit einem solchen Gedanken zu verwechseln, denn das würde heißen, die Allgemeinheit als ein äußerliches leeres Band zwischen vorgefundenen Bestimmungen zu betrachten, d. h. als ein bloßes »und«, also als das Gegenteil einer richtigen Relation. Gleichwohl aber müssen wir auch den entgegengesetzten Gedanken vermeiden, nämlich die schon erwähnte Idee der Allgemeinheit als »formlose Substanz«, welche alles in sich »verschlingt«, in welcher also jegliche Bestimmung ihre Auflösung findet und dadurch in einen völlig unbestimmten Zusammenhang mit dem Rest gebracht wird. Dieser Gedanke gehört zur Sphäre der Reflexion oder des Wesens, welche unser Denkverlauf schon hinter sich hat. Um der Gefahr einer solchen Verwechslung zu begegnen, beruft sich Hegel auf die aktive, produktive Seite der vorliegenden Allgemeinheit. Demzufolge setzt die Allgemeinheit alles in Kommunikation – nicht indem sie jegliche endliche Bestimmung ins Formlose auflöst, sondern gerade dadurch, dass sie »das Formierende und Erschaffende« selbst ist.769 Um die Gefahr zu beschwören, wird die allumfassende Allgemeinheit, statt sie als einen »nächtlichen Schacht«, als ein undifferenziertes Chaos aufzufassen, gerade als dasjenige erfasst, was Form, Bestimmtheit in alles einführt: Sie macht das vehiculum zwischen den unterschiedlichen Realitäten aus, indem sie das Unterscheidende, Formierende (also Differenzierungen Einführende) selbst ist. Hieran lässt sich eine weitere Korrespondenz mit der transzendentalen Auffassung des denkenden Selbst erkennen; auch für Kant ist ja das Ich nicht nur als das vehiculum der Kategorien, sondern auch als die Quelle derselben beschrieben. Um der Auffassung der Allgemeinheit als reiner Re769

WL III, 35.

290

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

lationalität gerecht zu werden, muss man also dem verbindenden, verknüpfenden Aspekt (welchen ihr der Ausdruck »vehiculum« verleiht) noch die aktive Seite des Formierens und Erschaffens (also auch der grundlosen Spontaneität) hinzufügen. Dabei handelt es sich jedoch um keine Nebeneinanderstellung von Merkmalen: Die Allgemeinheit ist wahrhaft vehiculum, d. h. sie setzt alles in Verbindung gerade darum, weil sie das Formierende selbst ist. Wenn wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die Abhandlung des freien Willens in der Philosophie des Rechts richten, werden wir deren Korrespondenz mit dem bisher Gesagten unmittelbar erkennen. Zu erinnern ist dabei, dass es sich an beiden Stellen um dasselbe handelt, nämlich um das Freie, das Subjekt, wenngleich in verschiedenen Kontexten. Während sich die eine mit dem Subjekt in seiner rein logischen Struktur befasst, widmet die andere sich ihm im Rahmen jenes Teils der Philosophie,770 der das Praktische bzw. das Freie in seiner Verwirklichung zum Objekt hat771 und das Subjekt vornehmlich als eine entschließende Instanz betrachtet. Wenn der Wille Kant zufolge als eine freie »Wirksamkeit des Intellekts«772 angesehen werden muss, welche als solche sich zu bestimmen vermag, dann muss er zunächst ohne jeglichen Bezug auf irgendeine spezifische Bestimmung betrachtet werden, d. h. als eine bloße Möglichkeit (im Sinne von potestas, also nicht dem Actus entgegengesetzt) – oder besser: als die »absolute Möglichkeit, von jeder Bestimmung […] abstrahieren zu können««.773 »Absolute Möglichkeit, von jeder Bestimmung […] abstrahieren zu können« und »Vehikel der Bestimmungen« bedeuten, im Grunde genommen, dasselbe: Die absolute, unbeschränkte Präsenz in allem, das übergreifende Band, welches alle Bestimmtheiten in sich zusammenfasst. Deswegen spricht Hegel bei dieser ersten Charakterisierung des freien Willens vom »Element der reinen Reflexion des Ich in sich« und von »schrankenloser Unendlichkeit«.774 Genauso aber wie bei der logischen Betrachtung der Allgemeinheit müssen wir hier die Gefahr vermeiden, diese erste Annäherung an den rechtsphilosophischen Begriff des Freien zu verwechseln mit einer Auffassung desselben als einer »formlosen Substanz« oder eines undifferenzierten Chaos. Es ist hier vom Freien die Rede, nicht

770

RPh. § 2. Vgl. RPh. § 4. 772 R. Eisler: Kant-Lexikon, a. a.O., Artikel »Wille«. 773 RPh. § 5. 774 Ebd.: »Der Wille enthält α) das Element der reinen Unbestimmtheit oder der reinen Reflexion des Ich in sich, in welcher jede Beschränkung, jeder durch die Natur, die Bedürfnisse, Begierden und Triebe unmittelbar vorhandene oder, wodurch es sei, gegebene und bestimmte Inhalt aufgelöst ist; die schrankenlose Unendlichkeit der absoluten Abstraktion oder Allgemeinheit, das reine Denken seiner selbst.« 771

§ 29 Der Begriff als Subjekt

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vom Wesen als Substanz oder von der Notwendigkeit als innerlichem Band. Folglich haben wir es hier mit dem Konzept einer grundlosen Spontaneität zu tun, die, gerade aufgrund ihres handelnden, Differenzierungen einführenden Charakters, allumfassend ist (d. i. vehiculum). Der Wille ist also deshalb als »absolute Möglichkeit von jeder Bestimmung« und »schrankenlose Unendlichkeit« anzusehen, weil er grundsätzlich eine spontane Tätigkeit ausmacht. Der Gedanke des Inbegriffes aller Realitäten einerseits und die Idee der formlosen Substanz andererseits stellen, wie gesagt, die zwei »gefährlichen Klippen« dar, die für ein richtiges Verständnis der vorliegenden Allgemeinheit zu umgehen sind. Ferner ist, wie man sich erinnern wird, das hier zu Untersuchende, nämlich der Begriff, gleichbedeutend mit der Diskursivität als solcher. Wir befassen uns hier also mit dem Diskurs des Diskurses oder, wie Hegel sagt, mit dem Begriff des Begriffs (oder auch: dem Begreifen des Begreifens), und insofern werden wir durchaus dem transzendentalen Anspruch gerecht, die selbsttätige Intelligenz einer logischen Untersuchung zu unterziehen. Nun aber muss unter Bezugnahme auf die zwei »gefährlichen Klippen« dieser Gedanke einleuchtender und präziser gemacht werden. Mit dem Konzept des Inbegriffes aller Realitäten haben wir uns bei der Untersuchung der drei Achsen befasst, welche die effektive diskursive Verkettung der logischen »Stücke« (Zeichen) möglich machen. Wir haben uns dann dieses Konzepts bedient, um den anfänglichen Zustand des vorgefundenen Sprachmaterials zu bezeichnen, den das logische Verfahren umzuarbeiten hat, d. h. einen Zustand von kontingenter Ansammlung. Es handelt sich ferner um den Zustand, welcher der ersten Achse des logischen Diskurses, d. h. dem Verstand, entspricht. Als der zu überwindende Zustand der vorgegebenen Vorstellungen im Hinblick auf eine effektive diskursive Verkettung ist ein solches Konzept offensichtlich nicht geeignet, das zum Ausdruck zu bringen, was wir hier zu erklären versuchen, nämlich den Begriff, welcher der Diskurs selbst ist. Was das Verständnis der Allgemeinheit als einer »formlosen Substanz« – die zweite Klippe – angeht, bezeichnet es gerade bezüglich der Bestimmungen den Zustand, welcher dem ersten unmittelbar nachfolgt, nämlich denjenigen der Konfusion, der Ununterscheidbarkeit, welcher der zweiten Achse der diskursiven Verkettung entspricht, der Dialektik nämlich. Obwohl die Dialektik die anfängliche Isolierung der gegebenen Denkinhalte durchbricht und somit eine wahrhafte Kontinuität zwischen denselben schafft, ist ihre Operation noch nicht hinreichend, um die gesuchte diskursive Verkettung zu vollziehen, denn das Ziel dieser diskursiven Verkettung besteht ja darin, die vollständige Bestimmung der logischen Denkinhalte, nicht aber die Konfusion, die Unbestimmtheit, zustande zu bringen. Daraus erhellt, warum die Idee der »formlosen Substanz«, die sich gerade auf

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2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

diese Konfusion des Dialektischen bezieht, auch nicht geeignet ist, der vorliegenden Allgemeinheit des Begriffes gerecht zu werden. Die Allgemeinheit ist sowohl als vehiculum und damit Kontinuität als auch als »formierende«, Differenzierungen einführende Instanz aufzufassen. Dabei machen diese zwei korrelativen Aspekte gerade die zwei Seiten des systematischen Ziels der Wissenschaft der Logik aus, nämlich den notwendigen Zusammenhang zwischen den Denkinhalten untereinander und die durchgängige Präzisierung derselben. Wie schon in 1.4 erläutert, erfordert das Erreichen dieses Zieles jedoch die Mitwirkung einer dritten Achse des Diskurses, nämlich des Spekulativen oder Positiv-Vernünftigen, dessen Funktion darin besteht, durch die einheitliche Zusammenfassung des Resultats der dialektischen Auflösung zugleich den begrifflichen Zusammenhang und die durchgängige Determination der Denkinhalte herzustellen. Gerade hierauf bezieht sich die vorliegende Allgemeinheit. Wir können folglich sagen, dass die logische Auffassung der Allgemeinheit die Idee der vollendeten Diskursivität zum Ausdruck bringt, und daraus wird klar ersichtlich, dass die Begriffslogik den Begriff des Begriffes, den Diskurs des Diskurses, die Logik des logischen Denkens selbst bildet. Wir wissen ferner, dass die soeben erwähnte Operation des Spekulativen, wodurch ineins Kontinuität und Determination hergestellt werden, eine reflektierende Operation ausmacht, d. h. einen Akt des denkenden Selbst, durch welchen es seinen eigenen entfalteten Denkverlauf zum Gegenstand einer intellektuellen Aneignung macht und denselben somit auf sich selbst bezieht. Aufgrund dessen haben wir das Spekulative als einen Akt der »tätigen Allgemeinheit« bezeichnet, und die Allgemeinheit als Tätigkeit macht gerade den Gegenstand unserer jetzigen Überlegung aus. Auf diese Weise wird der Sinn der Begriffslogik als Diskurs des Diskurses und – dadurch – als Untersuchung der logischen Struktur des Subjekts völlig manifest und durchsichtig. Doch bei näherer Betrachtung erweist sich dieser Gedanke als höchst problematisch. In 1.2 haben wir (Aristoteles folgend) die Verwendung des Kreislaufbildes in Bezug auf den logischen Diskurs dadurch erklärt, dass die kreisförmige Bewegung, im Unterschied zur geradlinigen Bewegung, keinen Gegensatz hat (d. h. etwas, das sie beschränkt). Insofern gibt ein solches Bild einem völlig suppositionsfreien Diskurs eine passende Veranschaulichung. Von der vorliegenden Allgemeinheit, welche die Natur und die Wesenszüge dieses suppositionsfreien Diskurses ausdrückt, müssen wir auch sagen, sie sei gegensatzlos, denn sonst würde sie von etwas beschränkt sein, soeben aber haben wir sie als eine schrankenlose Unendlichkeit geschildert. Die Allgemeinheit könnte nicht das vehiculum der Bestimmungen sein, wenn ihr eine Fremdheit gegenübergestellt werden könnte, da dies mit ihrem all-um-

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fassenden Charakter kollidieren würde. Hier aber haben wir die vorliegende Allgemeinheit von der abstrakten Allgemeinheit, d. h. von etwas Gemachtem, Gesetztem, Produziertem, Endlichem streng unterschieden. Wenn wir diese Unterscheidung oder Präzisierung nicht gemacht hätten, dann würde die vorliegende Allgemeinheit bedeutungslos bleiben, es würde sich bei ihr um ein inhaltsloses Zeichen, ein bloßes Nichts handeln. – Dennoch hat diese Präzisierung zur unerwünschten Folge, dass der Allgemeinheit eine Andersheit entgegengesetzt wird, was zwangsläufig mit sich bringt, dass die vorliegende Allgemeinheit sich selbst widerspricht und sich somit zum Gegenteil ihrer selbst macht, nämlich zu etwas Beschränktem, Endlichem, Gemachtem. Gerade indem wir sorgfältig versuchen, die Verwechslung oder Konfusion der vorliegenden Allgemeinheit mit der abstrakten Allgemeinheit eines vorgegebenen endlichen Begriffes zu vermeiden, veranlassen wir selber diese Verwechslung. Daraus ergibt sich die uns schon bekannte Unstimmigkeit zwischen dem gemeinten Inhalt, dem Gegenstand einer bloß mentalen Intendierung (hier dem gesuchten Konzept einer Allgemeinheit als ein allumfassendes vehiculum aufgefasst) und dem, was wir tatsächlich, de facto aussprechen (hier einen bestimmten, endlichen Inhalt, das Gegenteil also einer umfassenden Allgemeinheit). In dieser Unstimmigkeit besteht, wie wir inzwischen wissen, das Dialektische. Wir haben uns vorgenommen, die Bestimmung »Begriff« einer logischen Behandlung nach den drei Achsen der diskursiven Verkettung zu unterwerfen. Folglich haben wir diese Bestimmung zunächst zum Gegenstand eines passiven Zusehens und analytischen Deutlichmachens gemacht, um ihren Inhalt bestimmen zu können (und somit den Begriff des Begriffes darstellen zu können). Aber beim Geschäft dieser Verdeutlichung war es notwendig, den vorliegenden Inhalt zu unterscheiden von dem, was er nicht ist, und gerade dadurch haben wir diesen Inhalt, anstatt ihn zu bestimmen, von seinem Gegensatz ununterscheidbar gemacht. Die Allgemeinheit, so wie wir sie hier zu begreifen versuchen, ist gegensatzlos, und der bloße Versuch, sie zu begreifen, veranlasst die Entstehung eines Gegensatzes, also das Sich-selbst-Widersprechen dieser Auffassung von Allgemeinheit sowie das Übergehen derselben in ihr Gegenteil, d. h. das Endliche, Unfreie. Wir stehen somit vor einer äußerst problematischen Sachlage. Versuchen wir nun, die wesentlichen Züge derselben summarisch zu rekapitulieren. Es ist mehrmals gesagt worden, der Begriff, so wie er in diesem Kontext betrachtet wird, sei mit der Diskursivität selbst zu identifizieren.775 Es hat sich 775

So kann die folgende Stelle interpretiert werden (WL III, 33): »Es ist daher erstens die einfache Beziehung auf sich selbst; es ist nur in sich. Aber diese Identität ist zweitens in sich absolute Vermittlung, nicht aber ein Vermitteltes.«

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2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

ferner ergeben, dass die Diskursivität im vorliegenden Kontext der unmittelbaren Seiendheit nicht mehr entgegengesetzt ist – wie das beim Modell der Reflexion der Fall ist.776 So ist von der Allgemeinheit eines auf diese Weise verstandenen Begriffes als von einer reinen Relationalität gesprochen worden, welche alles in Verbindung setzt, und welcher sich folglich nichts entzieht.777 Daraus hat sich aber ergeben, dass die allumfassende Diskursivität, indem wir sie zum Gegenstand eines Sagens machen bzw. indem wir den Begriff zu begreifen versuchen, sozusagen verloren geht, verschwindet.778 Der Versuch, die Diskursivität als ein allumfassendes Vehikel zu betrachten, macht diese Diskursivität zu einem Produkt, zum Gegenteil ihrer selbst, wobei es aber doch etwas gibt, was sich dieser Diskursivität entzieht, nämlich sie selbst. Stehen wir nicht wieder vor der in 2.2 betrachteten Aporie der Reflexion? Ist, womit wir nun zu tun haben, etwa nicht die Verschiebung des Subjekts in Bezug auf sich selbst im Reflexionsmodell? In 2.2 wurde gesagt, vom denkenden Selbst könne eigentlich niemals die Rede sein kann, gerade weil es als Vehikel der Kategorien immer präsent ist bzw. immer dasjenige ausmacht, von welchem die Rede ist. Dies hat uns dort zur paradoxalen Schlussfolgerung geführt, dass das denkende Subjekt eigentlich nicht als solches aufgefasst werden kann. Mit einer solchen »unmöglichen Einheit« haben wir es auch hier zu tun. Muss daraus gefolgert werden, dass der Standpunkt der Reflexion gar nicht überwunden wurde, wie wir naiv dachten? Bevor wir diesen voreiligen Schluss ziehen, sollten wir uns jedoch daran erinnern, dass die logische Betrachtung der Bestimmung »Begriff« noch nicht abgeschlossen ist. Wir stehen immer noch vor einer unvollständigen Auffassung von Begriff.

776

WL III, 34: »Ebenso scheint es aber nicht nur in sein Anderes wie die Reflexionsbestimmung. Diese als ein Relatives bezieht sich nicht nur auf sich, sondern ist ein Verhalten. Sie gibt sich in ihrem Andren kund, aber scheint nur erst an ihm, und das Scheinen eines jeden an dem anderen oder ihr gegenseitiges Bestimmen hat bei ihrer Selbständigkeit die Form eines äußerlichen Tuns. – Das Allgemeine dagegen ist gesetzt als das Wesen seiner Bestimmung, die eigene positive Natur derselben.« 777 WL III, 34–35: »Denn die Bestimmung, die sein Negatives ausmacht, ist im Begriff schlechthin nur als ein Gesetztsein oder wesentlich nur zugleich als das Negative des Negativen, und sie ist nur als diese Identität des Negativen mit sich, welche das Allgemeine ist. Dieses ist insofern auch die Substanz seiner Bestimmungen, aber so, daß das, was für die Substanz als solche ein Zufälliges war, die eigene Vermittlung des Begriffes mit sich selbst, seine eigene immanente Reflexion ist.« 778 WL III, 33: »Die Allgemeinheit, da sie die höchst einfache Bestimmung ist, scheint keiner Erklärung fähig zu sein; denn eine Erklärung muß sich auf Bestimmungen und Unterscheidungen einlassen und von ihrem Gegenstand prädizieren, das Einfache aber wird hierdurch vielmehr verändert als erklärt.«

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b) Die freie Verendlichung des Begriffs; die Aporie der Reflexion anhand des Gegensatzes Allgemeinheit-Besonderheit Der Begriff in seiner allumfassenden Allgemeinheit war als grundlose Spontaneität verstanden worden. Der Versuch, diese zu erklären, hat zur Folge gehabt, dass sie sich mit dem konfundierte, was sie nicht ist, wenngleich sie gerade als dasjenige charakterisiert wurde, was alles ist bzw. was kein anderes hat. Kurzum: die Allgemeinheit ist dasjenige geworden, was unter ihr zu subsumieren ist, nämlich ein Besonderes. Daraus ist zu folgern, dass die Allgemeinheit (als allumfassendes vehiculum, als reine Relationalität verstanden) einen widersprüchlichen, undenkbaren Begriff ausmacht oder anders gesagt, dass es von ihr eigentlich keinen Begriff geben kann. Man kann von ihr nichts sagen, ohne sie zu einem endlichen Etwas zu machen, wobei sie selbst nichts ist. Die Struktur des Subjekts, die durch das Modell der Reflexion auch nicht erfasst werden konnte, erweist sich somit, auch wenn der konstitutive Mangel der Reflexion abgeschafft wurde, als unmöglich oder undenkbar. Die Allgemeinheit, welche theoretisch gegensatzlos ist, zeigt sich (durch ihre Deutlichmachung) als der Besonderheit entgegengesetzt, und dieser Gegensatz setzt die Allgemeinheit zu einer Besonderheit herab. Damit stehen wir wieder vor dem Paradox der Reflexion, das, wie wir längst wissen, darin besteht, gleichzeitig »eine Seite des Verhältnisses und das ganze Verhältnis«779 zu sein. Die nicht-reduzierbare Zweiheit der Glieder jeder nexus-Verbindung weist eine Beziehungslosigkeit, eine Kontingenz auf, welche im Widerspruch zu dem steht, was mit der nexus-Verbindung eigentlich gemeint wird, nämlich eine notwendige, unauflösliche Verknüpfung. Dasselbe finden wir hier aus einer neuen Perspektive: Die allumfassende Allgemeinheit ist eigentlich nicht allumfassend (d. h. etwas entzieht sich ihr), wenn man dasjenige namhaft machen kann, was sie nicht ist – und das ergibt sich schon zwangsläufig aus dem Versuch, sie zu sagen oder zu begreifen. Auf den Ernst dieser problematischen Sachlage muss besonderer Nachdruck gelegt werden: Der Erfolg des hegelschen Projektes, dem transzendentalen Programm durch Überwindung des Reflexionsmodells gerecht zu werden, d. h. die logische Beschaffenheit des denkenden Selbst zu begreifen, hängt von der Auflösung dieser Paradoxie wesentlich ab. Wir stehen also vor dem Wiedererscheinen des Reflexionsproblems in einem neuen Kontext, dem des Begriffs. Folglich ist nun diese problematische Sachlage nach den Grundbestimmungen zu betrachten, die diesem Kontext eigen sind, nämlich: die klassischen Begriffe von genus (Gattung) 779

Enz., § 413.

296

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

und species (Art). Dieser Unterschied wird nun als der neue rote Faden der Problematik fungieren, über welche in 2.2 Auskunft gegeben wurde. Eigentlich handelt es sich sogar um den einzigen geeigneten Kontext, in welchem dieses Problem richtig in Angriff genommen werden kann. Denn das Paradoxon wird nun gerade unter diejenige Perspektive gestellt, die Kant und Fichte fehlte, um das Problem richtig lokalisieren zu können: jene, in welcher der Diskurs nicht mehr der unmittelbaren Seiendheit gegenübergestellt ist. Dies führt zu einer wichtigen Bemerkung, die fürs richtige Verständnis des Folgenden maßgeblich ist. Der Denkverlauf durch die Bestimmungen der Seinslogik hatte den Sinn eines »unfreien Werdens«, welches die eigentliche Übergangsweise zwischen den gleichartigen Gliedern einer compositio ausmacht (siehe 2.1). Innerhalb der Wesenslogik bestand der Denkverlauf in einer graduellen Sichtbarmachung der setzenden Instanz, welche zum perfekten Zusammenfallen zwischen dem Ausdruck und dem ausgedrückten Inhalt tendiert. Nun in der Sphäre des Begriffs hat nach Hegel der Denkverlauf den Sinn einer »Entwicklung«.780 Wie ist dies zu verstehen? Für die Beantwortung dieser Frage müssen wir uns zunächst auf das von Hegel selbst verwendete Beispiel beziehen, nämlich das der organischen Entwicklung aus einem Keim.781 Entscheidend an diesem Beispiel ist nicht die bloße Tatsache der Veränderung eines Organismus, sondern dass die Veränderung aus innerem Antrieb erfolgt – ohne äußerliche Einwirkung, wobei das Neue, das vorher nicht Vorhandene im eigenen Sein des sich-Verändernden virtuell bereits enthalten war. Folglich geht das, was sich ent-wickelt, nicht in dasjenige über, was es nicht ist bzw. in einen es beschränkenden Gegensatz (wie dies bei den Transitionen der Seinslogik der Fall ist), sondern es wird gerade zu sich selbst.782 Man erinnere sich, dass wir uns im Bereich des Freien befinden, in welchem jegliche unterdrückende Fremdheit abgeschafft worden ist. Bei diesem Ausgangspunkt kann der nunmehrige diskursive Verlauf nur den Sinn eines Fortgehens zum eigenen Sein haben, ohne außer sich zu gehen. Deswegen sagt Hegel von den Bestimmungen (d. i. den »Einengungen des Begriffsumfangs«783), die sich aus dieser Entwicklung ergeben, dass sie »ein freies Sein des ganzen Begriffes« sind.784 So muss auch die vorliegende »Herabsetzung« der Allgemeinheit zur Besonderheit aufgefasst werden: Das 780

Vgl. Enz., § 161. Vgl. ebd., Zusatz. 782 Ebd.: »Das Richtige in dieser Hypothese ist dagegen dies, daß der Begriff in seinem Prozeß bei sich selbst bleibt und daß durch denselben dem Inhalt nach nichts Neues gesetzt, sondern nur eine Formveränderung hervorgebracht wird.« 783 R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., siehe Artikel »Determination«. 784 Enz. § 161. 781

§ 29 Der Begriff als Subjekt

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Besondere ist – wie bei der Entwicklung aus dem Keim – im Allgemeinen virtuell, als Möglichkeit enthalten, sofern die Allgemeinheit im letzten Abschnitt (der Philosophie des Rechts folgend) als »die absolute Möglichkeit, von jeder Bestimmung […] abstrahieren zu können« charakterisiert worden ist. Bei dieser »Herabsetzung« der allumfassenden Allgemeinheit handelt es sich also nach Hegel um eine »freie Verendlichung«.785 Die ganze Tragweite dieses Punktes wird sich im Folgenden näher offenbaren. Aus dem soeben Gesagten wird der Sinn der folgenden Stelle einsichtig, mit welcher Hegel die Betrachtung des Verhältnisses zwischen Allgemeinheit und Besonderheit beginnt: »Sie ist keine Grenze, so daß sie sich zu einem Anderen als einem Jenseits ihrer verhielte, vielmehr, wie sich soeben zeigte, das eigene immanente Moment des Allgemeinen; dieses ist daher in der Besonderheit nicht bei einem Anderen, sondern schlechthin bei sich selbst«.786 Die Andersheit, welche die Besonderheit in Bezug auf die Allgemeinheit ausmacht, ist keine äußerliche Andersheit, sondern sie ist in der Allgemeinheit, in der sogenannten Sphäre derselben (als eine Möglichkeit) enthalten. Sofern die Besonderheit der Allgemeinheit keine Grenze setzt, kann diese (um Ausdrücke der Wesenslogik zu verwenden) als die Substanz von jener betrachtet werden;787 die Besonderheit macht dann, um mit Spinoza zu sprechen, einen Modus, eine bestimmte Daseinsweise der Allgemeinheit aus. Aus dem Gesichtspunkt des allumfassenden Charakters der Allgemeinheit kann also das Andere des Besonderen nur ein anderes Besonderes sein. Dies kann anhand der Bezugnahme auf die kantische Auffassung des Satzes des Nicht-zu-Unterscheidenden, dessen allgemeine Gültigkeit Kant infrage stellt, verständlicher gemacht werden. Es ist nämlich »nicht zu begreifen«, sagt Kant, »warum ein Tropfen Wasser an einem Orte hindern sollte, daß nicht, an einem andern, ein eben dergleichen Tropfen angetroffen würde«.788 Eigentlich können wir zwei Dinge, die dasselbe sind, voneinander unterscheiden (also ihre Zweiheit behaupten), ohne damit einen Widerspruch zu begehen. Die zwei Tropfen unterscheiden sich voneinander nicht hinsichtlich ihres gemeinschaftlichen Seins, d. h. ihres quid oder ihres Begriffes (von welchem sie Besonderheiten sind), sondern hinsichtlich ihrer raum-zeitlichen Lokalisierung. Obwohl sie (quidditativ) dasselbe sind, können sie voneinander unterschieden werden, 785

WL III, 36: »Es bestimmt sich frei; seine Verendlichung ist kein Übergehen, das nur in der Sphäre des Seins statthat; es ist schöpferische Macht als die absolute Negativität, die sich auf sich selbst bezieht. Es ist als solche das Unterscheiden in sich, und dieses ist Bestimmen dadurch, daß das Unterscheiden mit der Allgemeinheit eins ist.« 786 WL III, 37. 787 Vgl. WL III, 34–35. 788 Kant: Fortschritte, A 65.

298

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

weil sie keine Dinge an sich sind, und auf Dinge an sich bezieht sich gerade der leibnizsche Satz des Nicht-zu-Unterscheidenden.789 Daraus wird klar ersichtlich, warum Hegel die Allgemeinheit die »Substanz« der Besonderheit nennt:790 Das eigene Sein des Besonderen bzw. das, was seine ansichseiende Dingheit eigentlich ausmacht, ist das Allgemeine. Die Besonderheit macht somit eine bestimmte Exemplifikation oder, wie Hegel sagt, Darstellung der Allgemeinheit aus.791 Das Wort »Darstellung« erinnert sehr stark an die expressive Relation zwischen den Gliedern der nexus-Verbindung, in welcher ein Glied als äußerlicher Darsteller des anderen fungiert. Hegel markiert aber sogleich den Unterschied zur nexus-Verbindung (und damit zur ganzen Wesenssphäre) mittels des Wortes »vollständig«, mit welchem er den erschöpfenden, restlos sichtbarmachenden Charakter dieser Darstellung in Bezug auf das Dargestellte bezeichnet.792 Die Manifestation des Wesentlichen im vorliegenden Kontext ist, wie wir bereits wissen, vollständig, ohne Rest von beziehungsloser Supposition (und daher die reine relationale Natur der Allgemeinheit). Dies ist aber nicht der einzige Bezug des Wortes »Vollständigkeit«; Hegel bezieht sich damit auch implizit auf die klassische Lehre der logischen Einteilung der Begriffe, von welcher uns die Logik Kants eine aufschlussreiche Darlegung gibt.793 Doch Hegels Bezugnahme darauf ist von besonderer Relevanz für die vorliegende Untersuchung, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Hinsichtlich der »Glieder der Einteilung«794 eines Begriffes (wir könnten auch der »Besonderung« desselben sagen) unterscheidet man nach Kant zwischen der Dichotomie oder »Einteilung in zwei Glieder« und der Polytomie, wenn die Einteilung »mehr als zwei Glieder hat«.795 Wichtig bei dieser Unterscheidung ist, dass die Polytomie empirisch ist und folglich »in der Logik nicht gelehrt werden« kann, »denn dazu gehört Erkenntnis des Gegenstandes«.796 Die Erklärung dafür ist folgende: Die Einteilung eines Begriffes, dessen Ursprung empirisch ist, bedarf zwangsläufig der Anschauung, 789

Vgl. Ebd. WL III, 37: »Das Besondere enthält die Allgemeinheit, welche dessen Substanz ausmacht; […].« 791 Ebd. 792 Ebd.: »Das Besondere enthält also nicht nur das Allgemeine, sondern stellt dasselbe auch durch seine Bestimmtheit dar; dieses macht insofern eine Sphäre aus, welche das Besondere erschöpfen muß. Diese Totalität erscheint, insofern die Bestimmtheit des Besonderen als bloße Verschiedenheit genommen wird, als Vollständigkeit.« 793 Kant: Logik, A 225–228. 794 Kant: Logik, A 225. 795 Kant: Logik, A 227. 796 Kant: Logik, A 228. 790

§ 29 Der Begriff als Subjekt

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um ausgeführt werden zu können, denn a priori kann nicht entschieden werden, in welche Arten ein aus der Erfahrung entlehnter Begriff zerfällt. Im Begriff selbst (sofern er empirischen Ursprunges ist) kann kein immanentes Kriterium gefunden werden, nach welchem die Bestimmung seiner Sphäre vollzogen werden muss. Deswegen ist es für einen solchen Begriff, wie Hegel bemerkt, absolut kontingent und äußerlich, dass er zwei, drei oder vierundzwanzig Arten unter sich befasst.797 Daraus folgt, dass die Einteilung oder Darstellung eines empirischen Begriffs niemals vollständig sein kann, was jedoch einer allgemeinen Regel der logischen Einteilung widerspricht; der Regel nämlich, dass die gesamten Glieder des »eingeteilten Begriffes« seiner Sphäre »gleich« sein müssen.798 Aus diesem Unterschied zwischen der Einteilung empirischer und reiner Begriffe folgen auch unterschiedliche Verhältnisse der subsumierten Glieder untereinander. Sofern die polytomische Einteilung im eingeteilten Begriff selbst nicht immanent enthalten ist, also ihm unwesentlich oder äußerlich ist, muss das Verhältnis der Glieder zueinander von der Art der Verschiedenheit sein. Das bedeutet, dass das Herausnehmen eines der Glieder aus der Sphäre den Rest nicht im Geringsten angeht, weil kein Glied die Existenz eines Anderen involviert.799 Die Verschiedenheit (diversitas), das leere und kontingente »und«, ist die äußerlichste Relation überhaupt, oder anders gesagt: Sie ist die Beziehung von denen, die überhaupt keine Beziehung miteinander haben. Die Allgemeinheit, von welcher sie die Einteilung sind, sollte ihre Beziehung, ihr gemeinschaftliches Sein ausmachen, aber sie sind derselben nicht immanent, wobei sie zueinander nur äußerlich sein können. Die Glieder der Sphäre eines reinen Begriffes hingegen sind nicht voneinander verschieden, sondern einander kontradiktorisch entgegengesetzt.800 Nur infolge ihres notwendigen Zusammenhanges mit der umfassenden Allgemeinheit schließen die Glieder sich gegenseitig aus: Im Unterschied zu einer empirischen Allgemeinheit erfordert der reine Begriff wesentlich, sich in einem ausschließenden Gegensatz zu konkretisieren, in welchem folglich die Existenz eines Gliedes die Existenz des Anderen

797

Vgl. WL III, 218: »[…]; allein bei der empirischen, in sich bestimmungslosen Mannigfaltigkeit der Arten trägt es zur Erschöpfung des Begriffs nicht bei, ob deren mehr oder weniger vorgefunden werden; ob z. B. zu den 67 Arten von Papagaien noch ein Dutzend weiter aufgefunden werden, ist für die Erschöpfung der Gattung gleichgültig.« 798 Kant: Logik, A 226; auch A 167. 799 Vgl. WL III, 37: »Es ist für sie kein innerer Maßstab oder Prinzip vorhanden, weil die Verschiedenheit eben der einheitslose Untershied ist, an welchem die Allgemeinheit, die für sich absolute Einheit ist, bloß äußerlicher Reflex und eine unbeschränkte, zufällige Vollständigkeit ist. 800 Vgl. Kant: Logik, A 226; Vgl. WL III, 81.

300

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

(trotz der Ausschließung) involviert, denn ansonsten würde die Verbindung zwischen den Gliedern äußerlich sein, wie im Fall der Polytomie. Eine Allgemeinheit, die eine unbestimmte, a priori unauffindbare Mannigfaltigkeit unter sich befasst, hat mit derselben nur einen kontingenten Zusammenhang. Eine reine Allgemeinheit hingegen hat »das Prinzip des Unterschiedes immanent in sich«.801 Diese Entgegensetzung macht ferner die vollständige, erschöpfende Einteilung bzw. Darstellung des Begriffes aus, weil es in einer perfekten Disjunktion keinen Raum für ein Drittes geben kann. Ziehen wir daraus nun die Schlussfolgerungen für unsere Untersuchung! Der Begriff, den wir hier untersuchen, ist der unmittelbaren Seiendheit nicht entgegengesetzt (er ist allumfassendes vehiculum). Daraus folgt, dass er mit seinen Konkretionen einen wesentlichen Zusammenhang haben muss bzw. dass er das Prinzip seiner eigenen Einteilung in sich enthalten muss. Nun sind, wie soeben gezeigt, das immanente Enthalten des Konkretisierungsprinzips und die gegenseitige Ausschließung der Besonderheiten strikt zusammenhängend. Das führt uns wieder zur obigen Charakterisierung der Allgemeinheit als gleichzeitig Vehikel, verknüpfendes Band, Kontinuitätsprinzip und formierendes Tun sowie Differenzierungen einführende Instanz: Die Allgemeinheit kann nicht das Eine ohne das Andere sein, und die soeben gemachten Bemerkungen über die klassische Lehre der logischen Einteilung machen dies noch ersichtlicher. Ebenso aber wird damit die Charakterisierung der Begriffslogik als Entwicklung ersichtlicher. Das definierende Merkmal der organischen Entwicklung ist, wie oben bemerkt, dass sie aus innerem Antrieb, ohne äußerliche Einwirkung, erfolgt. Entwicklung heißt ferner, dass das im Keim virtuell Enthaltene graduell erscheint und in die Wirklichkeit tritt. Der sich entwickelnde Organismus stellt sozusagen seine Besonderheiten oder Möglichkeiten dar. Das stimmt mit der gerade betrachteten Einteilung der reinen Begriffe völlig überein: Der reine Begriff besondert oder konkretisiert sich (d. h. er tritt in die Wirklichkeit) gemäß einem in ihm immanent (a priori) enthaltenen Differenzierungsprinzip. Mit seiner »lebendigen« Charakterisierung des Begriffes, die auf den ersten Blick dem Bereich des Begrifflichen fremd zu sein scheint, macht Hegel also eigentlich nichts anderes, als sich gemäß dem »umformenden« Charakter seines logischen Verfahrens die klassische Lehre der logischen Einteilung der Begriffe anzueignen. Daraus versteht es sich, dass Hegel das Übergehen der allumfassenden Allgemeinheit in die Besonderheit eine »freie Verendlichung« nennt. Auf diesen »freien« Charakter der Verendlichung müssen wir nun unsere Aufmerksamkeit richten. Denn sie verschafft uns die Verbindung mit dem 801

WL III, 81; über die differentia perfecta siehe auch Aristoteles: Met I, 1055b, 4.

§ 29 Der Begriff als Subjekt

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Thema, von welchem wir die strukturelle Homologie mit der logischen Betrachtung des Begriffes wiederholt behauptet haben: dem Thema des freien Willens in der Philosophie des Rechts. In der rechtsphilosophischen Betrachtung des Willens wiederholt sich das soeben bezüglich der immanenten Konkretisierung der Allgemeinheit Gesagte. Der Wille (als »freie Wirksamkeit« verstanden) macht zunächst, wie oben dargelegt, eine »schrankenlose Unendlichkeit«802, die »absolute Möglichkeit, von jeder Bestimmung […] abstrahieren zu können«803 aus. Aber der Wille muss etwas Bestimmtes wollen, um sich als »freie Wirksamkeit« verwirklichen zu können. Ein Wille, der nichts will bzw. der sich nicht besondern will, ist eigentlich noch gar kein freier Wille. Es ist also ins Konzept des freien Willens selbst eingeschrieben, dass er in die Konkretion, in die endliche Bestimmtheit, übergehen muss.804 Achten wir nun auf die Art und Weise, wie Hegel diese Transition beschreibt: »Wie das Besondere überhaupt im Allgemeinen, so ist deswegen dies zweite Moment im ersten schon enthalten und nur ein Setzen dessen, was das erste schon an sich ist«.805 Die Korrespondenz mit dem bezüglich der Einteilung der reinen Begriffe und der Entwicklung des lebendigen Organismus Gesagten ist offensichtlich. Die Besonderung des Willens, das sich-Entschließen für besondere Zwecke und Absichten, ist nichts anderes als allemal dies, das Etwas, das in die Existenz von dem, was in der »schrankenlosen Unendlichkeit« des freien Willens als reale Möglichkeit (a priori im Falle des reinen Begriffes, virtuell im Falle des lebendigen Organismus) bereits enthalten ist, heraustritt. In der Betrachtung der logischen Einteilung der Begriffe haben wir ferner gesehen, dass sich aus der Immanenz des Differenzierungsprinzips im Begriff selbst ein gewisses Verhältnis der Besonderheiten zueinander ergibt. Dementsprechend kann ihre Beziehung nur von gegenseitiger Ausschließung oder Entgegensetzung sein. Eine andere Art von Relation, wie z. B. die der Verschiedenheit (diversitas), würde heißen, dass sich der Begriff in einem äußerlichen, kontingenten Zusammenhang mit seinen Konkretionen befindet, dass er also das Prinzip seiner Konkretisierung nicht in sich selbst enthält. Die Konkretion immanent zu enthalten ist das, was den hier betrachteten Begriff (als grundlose Spontaneität, d. h. als der unmittelbaren Seiendheit nicht entgegengesetzt) 802

RPh, § 5. RPh. § 5, Anm. 804 RPh. § 6: »Ebenso ist Ich das Übergehen aus unterschiedsloser Unbestimmtheit zur Unterscheidung, Bestimmen und Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegenstands. […] Durch dies Setzen seiner selbst als eines bestimmten tritt Ich in das Dasein überhaupt; – das absolute Moment der Endlichkeit oder Besonderung des Ich.« 805 RPh. § 6, Anm. 803

302

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

von einem bloß gemachten, abstrakten Begriff unterscheidet und uns legitimiert, ihn als das Freie zu bezeichnen. Gemäß der Korrespondenz zwischen dem Begriff und dem freien Willen muss also die »freie Verendlichung« des Willens dieselbe Beziehung der Besonderheiten zueinander aufweisen. Was wir hier »freie Verendlichung« nennen, fällt zusammen mit dem, was man im Bereich des Praktischen unter »Entschluss« versteht. Denn dieser besteht gerade in der Bejahung von etwas mit Ausschluss seines Gegensatzes. Frei zu sein heißt also grundsätzlich, dass die Konkretionen, in welche die grundlose Spontaneität sich verendlicht, nicht zusammenhangslos, nicht durch ein bloßes »und« miteinander verbunden sind. Wenn die Konkretion des Willens darin bestünde, dass dieser in eine unbestimmte Mannigfaltigkeit übergeht, dann könnten wir nicht sagen, er bestimme sich frei, denn eine wahrhafte Bestimmung kann nur in einer vollständigen Disjunktion bestehen. Der freie Charakter, den das Übergehen der allumfassenden Allgemeinheit in die Endlichkeit hat, bringt gewisse Schwierigkeiten mit sich. Das immanente (apriorische, virtuelle, realmögliche) Enthaltensein der Besonderung in der Allgemeinheit bedeutet nach Hegel, dass die Allgemeinheit in der Besonderheit bei sich selbst ist. Aber ein Übergehen impliziert per definitionem, dass das Übergehende sich in dasjenige verwandelt, was es zunächst nicht ist, d. h. in seinen Gegensatz. Das führt zur Frage: Welches ist eigentlich das Andere des Besonderen – ein anderes Besonderes (wie oben gesagt worden ist) oder die Allgemeinheit, aus welcher das Besondere durch ihr Umschlagen ins Gegenteil herkommt? Ist das Andere des Besonderen die Allgemeinheit, dann ist die Allgemeinheit (laut der oben betrachteten Lehre von der Einteilung) eigentlich keine Allgemeinheit, sondern ein Besonderes. Aber wenn Allgemeinheit und Besonderheit wirklich entgegengesetzt sind, dann sind sie nicht durch ein »und« miteinander verbunden, sondern durch einen immanenten Zusammenhang. Denn in einem Gegensatz involviert ein Glied auf gewisse Weise (als Negation) das andere.806 Dieser Zusammenhang aber ist hier gerade die Allgemeinheit, unter welche die Gegensätze »Allgemeinheit« und »Besonderheit« subsumiert sind, wobei diese Allgemeinheit eigentlich eine species von sich selbst ist.807 Dasselbe kann auch unterm Gesichtspunkt 806

Erinnern wir uns an Wolffs Definition des Gegensatzes, welche in 2.4 angegeben worden ist, nämlich (Wolff: Ontologia, § 272): »Opposita sunt, quorum unum involvit negationem alterius.« 807 WL III, 38: »Das Allgemeine bestimmt sich, so ist es selbst das Besondere; die Bestimmtheit ist sein Unterschied; es ist nur von sich selbst unterschieden. Seine Arten sind daher nur a) das Allgemeine selbst und b) das Besondere. Das Allgemeine als der Begriff ist es selbst und sein Gegenteil, was wieder es selbst als seine gesetzte Bestimmtheit ist; es greift über dasselbe über und ist in ihm bei sich.«

§ 29 Der Begriff als Subjekt

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des »Entschlusses« eines freien Willens betrachtet werden: Dasjenige, was durch die Bestimmung des Willens ausgeschlossen oder negiert wird, ist sowohl das andere Glied der Disjunktion, in welcher die Bestimmung besteht, als auch der anfängliche Zustand von Unbestimmtheit des Willens. Wenn das Ich als »tätige Allgemeinheit« zu einem Entschluss kommt, dann sagt es zu einer bestimmten Option »Ja« und zur entgegengesetzten »Nein«, aber es sagt auch zur anfänglich schrankenlosen Freiheit »Nein«. Das Ich bleibt dadurch immer noch bei sich selbst, denn diese Verendlichung ist frei, durch sich selbst bestimmt. Das Freie dieser Selbstbestimmung zeigt sich, wie oben bemerkt, dadurch, dass die endlichen Bestimmtheiten (die Allgemeinheit eingeschlossen) einander entgegengesetzt sind, wobei sie jedoch nicht zusammenhangslos sind, sondern Glieder einer übergeordneten allgemeineren Sphäre. Unabhängig davon, aus welcher Perspektive diese Sachlage betrachtet wird (ob aus einer rein begrifflichen oder rechtsphilosophischen), zeigt sich die Allgemeinheit dabei also gleichzeitig als Gattung und als Spezies, als allumfassend und als beschränkt. Dieses »sowohl … als auch« der Allgemeinheit ist offensichtlich ein Wiedererscheinen des Paradoxons der Reflexion, das hier den geeigneten Kontext seiner Betrachtung findet. Denn nun sind wir imstande, über diese, schon oben aufgestellte Behauptung Rechenschaft abzulegen. Was wir hier »geeigneten Kontext« nennen, fällt zusammen mit dem, was Hegel »Wahrheit« nennt. So sagt Hegel bei Betrachtung der Besonderung des Begriffes: »Wie sich der Unterschied hier zeigt, ist er in seinem Begriff und damit in seiner Wahrheit. Aller frühere Unterschied hat diese Einheit im Begriff«.808 Hegel gebraucht an dieser Stelle das Wort »Begriff« hinsichtlich zweier Sinnrichtungen. Der im ersten Satz bezeichnete Begriff bezieht sich auf die begriffliche Fixierung, welche die spekulative Operation am Resultat der dialektischen Auflösung vollzieht und in welcher die verflüssigten Denkinhalte die Übereinstimmung mit sich bzw. ihre Wahrheit finden. Der im zweiten Satz bezeichnete Begriff hingegen ist der Begriff, mit welchem wir uns in diesem Kapitel gerade befassen, also das Subjekt. Trotz dieser ursprünglichen Unterschiedenheit der Bedeutungen fallen sie beide im vorliegenden Kontext zusammen: Unter dem Begriff als Subjekt wird auch der Begriff als begriffliche Fixierung des Spekulativen verstanden, worin die (im Diskurs) vorausgegangenen Bestimmungen bzw. Unterschiede ihre Wahrheit haben. Die Unterschiedsstruktur, welche die Bestimmungen des Begriffes »Allgemeinheit« und »Besonderheit« aufweisen, macht sozusagen die Matrix der vorhergehenden aus. Alle Gegensätze und Begriffspaare, die bisher 808

Ebd.

304

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

betrachtet worden sind, haben in der Struktur der Besonderung der (tätigen) Allgemeinheit als einer »freien Verendlichung« ihr Prinzip, d. h. ihren ersten Denkbarkeitsgrund.809 In 1.4 wurde gesagt, dass das Hinausgehen des Spekulativen über das Dialektische keineswegs ein Herauskommen aus der Sache impliziert; der Gegenstand der logischen Betrachtung bleibt immer derselbe, und gerade das zeigen (kraft der Operation des Spekulativen) die sukzessiven Wiedererscheinungen der Gegensätze und Begriffspaare unter neuen Perspektiven im Laufe des logischen Diskurses. Das hingegen, was nun das vorliegende Zusammenfallen der beiden Bedeutungen von Begriff signalisiert, ist das Erreichen dieses »einen« Gegenstandes, um welchen es sich jederzeit eigentlich handelt. Kraft dieses »einen« Gegenstandes haben wir in der Logik nicht mit verschiedenen Begriffen zu tun, sondern immer mit demselben Begriff, von welchem jeder bestimmte Denkinhalt eine Besonderheit, eine »freie Verendlichung« ausmacht.810 Das ist in Zusammenhang zu bringen mit dem über den Gegensatz Intuition-Diskurs in 2.2 Ausgeführten: dass dieser Gegensatz als das Produkt einer reflexiven Einsicht schon diskursiver Natur ist. Dies wird allerdings von der Reflexion selbst (infolge ihrer mangelhaften Struktur) verkannt, wie wir dort an den Beispielen Kants und Fichtes aufgezeigt haben. Nun haben wir uns aufs Niveau der logischen Struktur erhoben, welche uns an jeder Zweiheit zu erkennen ermöglicht, dass es sich bei ihr um ein Produkt diskursiver Natur bzw. eine »freie Verendlichung« des Begriffs handelt. Das, was jeder – anscheinend unauflösbaren – Dualität oder Entgegensetzung eigentlich zugrunde liegt, ist ein freies Sich-Bestimmen des Begriffes. Als einen solchen sich-bestimmenden haben wir den Begriff oben einer grundlosen Spontaneität gleichgesetzt, in welcher das Diskursive und die unmittelbare Seiendheit zusammenfallen. Dies wurde später, als wir in die Verfasstheit des Begriffes tiefer eindrangen, ins Konzept der allumfassenden Allgemeinheit als eines Vehikels übersetzt. Nach diesem Konzept kann die Allgemeinheit keinen Gegensatz haben; es hat sich aber ein Gegensatz (d. h. etwas, das sie nicht ist)

809

WL III, 48: »Der Begriff ist das Konkrete und Reichste, weil er der Grund und die Totalität der früheren Bestimmungen, der Kategorien des Seins und der Reflexionsbestimmungen ist; dieselben kommen daher wohl auch an ihm hervor.« 810 WL III, 38: »Das Ganze und die Teile, Ursache und Wirkung z. B. usf. sind noch nicht Verschiedene, die als Besondere gegeneinander bestimmt wären, weil sie an sich zwar Einen Begriff ausmachen, aber ihre Einheit noch nicht die Form der Allgemeinheit erreicht hat; so hat auch der Unterschied, der in diesen Verhältnissen ist, noch nicht die Form, daß er Eine Bestimmtheit ist. Ursache und Wirkung z. B. sind nicht zwei verschiedene Begriffe, sondern nur Ein bestimmter Begriff, und die Kausalität ist, wie jeder Begriff, ein einfacher.«

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ergeben, nämlich die Besonderheit, und diese hat sich ferner als eine Entgegensetzung innerhalb der Sphäre der Allgemeinheit selbst erwiesen, in welcher die Allgemeinheit eine spezies von sich selber wird. Wenn wir also in der Philosophie mit dem Unterschied zwischen Sein und Denken, oder Anschauung und Diskurs, oder Endlichkeit und Unendlichkeit, zu tun haben, dann handelt es sich dabei nach dem hier Gesagten um Unterscheidungen des Begriffs von sich selbst, durch welche er sich in beschränkten Formen konkretisiert, die ihn als allumfassende Allgemeinheit verneinen.811 Aber er beschränkt sich in diesen Formen frei, d. h. er bleibt immer bei sich selbst, er hat dabei nur mit sich selbst zu tun.

c) Die Rückkehr des Begriffes in sich: Die Einzelheit Trotz des freien Charakters, den das Fortgehen der schrankenlosen Allgemeinheit in ihr Gegenteil (d. i. in das Bestimmte, das Endliche) hat, stehen wir immer noch vor einer dialektischen Situation. Das bringt gewisse Folgen mit sich, die uns schon bekannt sind. Die »Verendlichung« der Allgemeinheit macht eigentlich eine Konfusion aus: Dadurch wird die Allgemeinheit ununterscheidbar von dem, was sie im Prinzip nicht ist, d. h. von einem Produkt, einem Ding unter anderen Dingen. Der Begriff im logischen Sinn wird somit zum Begriff im gewöhnlichen Sinn, d. i. zu einer abstrakten Vorstellung, für welche, wie oben bemerkt, die Kluft der Reflexion zwischen der unmittelbaren Seiendheit und der Vermittlung gilt. Hierbei ist besonders zu beachten, dass wir »Konfusion« sagen und nicht »Identität«. Das nämlich heißt, dass die Allgemeinheit immer noch allumfassende Allgemeinheit ist, aber auch ihr Gegenteil, endliche Besonderheit, und gerade das bringt mit sich, dass wir daran keine Disjunktion vornehmen können. Infolge der unmöglichen Disjunktion haben wir oben behauptet, die Allgemeinheit sei eine species von sich selbst: Sie ist gleichzeitig der Besonderheit entgegengesetzt (und folglich auch Besonderheit) und derselben nicht entgegengesetzt, also allumfassende gegensatzlose Allgemeinheit. Dieses »gleichzeitig« und »sowohl … als auch« der Allgemeinheit ist klarerweise der Index einer Aporie. Nämlich derjenigen, nach welcher der Gegensatz zwischen dem Tun und dem Sein (als ein Etwas verstanden) bei Fichte niemals völlig aufgehoben werden kann, obwohl jenes den Grund von diesem ausmacht. In 1.4 haben 811

WL III, 39: »Der Begriff, insofern er sich bestimmt oder unterscheidet, ist er negativ auf seine Einheit gerichtet und gibt sich die Form eines seiner ideellen Momente des Seins; als bestimmter Begriff hat er ein Dasein überhaupt.«

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2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

wir gesehen, dass die Aporie, welche die dialektische Auflösung bildet, nicht nur einen Abbruch des Denkverlaufs ausmacht, sondern auch die Wiedereinführung einer ungerechtfertigten Supposition. Die Aporie, welche die dialektische Auflösung ans Licht bringt, könnte wohl etwas Definitives, Unwiderrufliches sein. Wenn sie aber noch ungerechtfertigte Voraussetzungen enthält – und das ist der Fall bei jeglicher Aporie der Logik –, dann ist es ein rationaler Imperativ, über sie hinauszugehen. Dieser Punkt logischer Verkettung der Inhalte, der als solcher schon betrachtet worden ist, hat hier besondere Wichtigkeit. Hegel versucht nicht, durch einen künstlichen Trick ad hoc einen rettenden Ausweg aus der aporetischen Situation zu finden, welche der fichtesche Gegensatz zwischen Ich und nicht-Ich (oder der kantische Gegensatz Anschauung/Verstand) ausmacht. Doch muss eigens gezeigt werden, dass das endgültige Stehenbleiben in dieser Aporie logisch falsch ist, weil es gewisse dogmatische Voraussetzungen impliziert. Anders gesagt: Es bei dieser Aporie zu belassen würde heißen, der (imperativen) Radikalität logischen Hinterfragens nicht gerecht zu werden und somit fatalerweise dem subjektiven Meinen anheimzufallen. In der Aporie zu verharren kann sich zweifach vollziehen. Man kann sie zu einem Widerspruch erklären, so dass der Gedanke des Subjekts sich als ein Unding erweist und daraus gefolgert werden muss, es gebe eigentlich kein Subjekt. Oder man kann den Widerspruch mit dem Gedanken eines »perennierenden Progresses«, einer ständigen Abwechslung zwischen dem Ich als genus und dem Ich als species maskieren: Die Allgemeinheit des tätigen Ich sei de iure allumfassend und gegensatzlos, aber nicht de facto,812 und folglich müsse (rationaler Imperativ) das Ich ins Unendliche nach der Verwirklichung seines allumfassenden Charakters streben. In beiden Fällen haben wir aber immer noch mit dem ungelösten Problem der Ununter-

812

Durch diese faktische Auffassung der Beschränktheit des Ich wird vermieden, dass die allumfassende Allgemeinheit sich widerspricht und dadurch mit der Besonderheit bzw. Beschränktheit konfundiert. Das ist der Sinn der folgenden Stelle aus RPh. § 6, Abs. 2: »Die Unterscheidung und Bestimmung der zwei angegebenen Momente findet sich in der Fichteschen Philosophie, ebenso in der Kantischen usf.: nur, um bei der Fichteschen Darstellung stehenzubleiben, ist Ich als das Unbegrenzte (im ersten Satze der Fichteschen Wissenschaftslehre) ganz nur als Positives genommen (so ist es die Allgemeinheit und Identität des Verstandes), so daß dieses abstrakte Ich für sich das Wahre sein soll und daß darum ferner die Beschränkung – das Negative überhaupt, sei es als eine gegebene, äußere Schranke oder als eigene Tätigkeit des Ich – (im zweiten Satze) hinzukommt. – Die im Allgemeinen oder Identischen, wie im Ich, immanente Negativität aufzufassen, war der weitere Schritt, den die spekulative Philosophie zu machen hatte, – ein Bedürfnis, von welchem diejenigen nichts ahnen, welche den Dualismus der Unendlichkeit und Endlichkeit nicht einmal in der Immanenz und Abstraktion, wie Fichte, auffassen.«

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scheidbarkeit von zwei Denkinhalten zu tun; und die Ununterscheidbarkeit bringt immer, wie wir inzwischen wissen, einen Überfluss mit sich, d. h. die ungerechtfertigterweise angenommene Präsenz eines Zusammenhangslosen (suppositio), welche die logische Relationalität unterbricht. Wenn die Bedeutungen zweier Zeichen sich konfundieren (wie im vorliegenden Fall), dann erweist sich ihr Unterschied als leer, ungerechtfertigt oder überflüssig. Anstatt die Konfusion als ein Unding, ein reines Nichts zu erklären, was allerdings die scheinhafte Präsenz der unterschiedenen Termini unbegründet lässt, muss dann dieser Überfluss wieder in den Denkzusammenhang eingeordnet werden – und zwar durch ein drittes Zeichen, welches das gegenseitige Verweisen der zwei vorausgehenden Zeichen einheitlich zum Ausdruck bringt. Dieses dritte Zeichen fungiert als ihr Grund oder ihre ratio: Es bestimmt begrifflich das Verhältnis der zwei Zeichen zueinander; und dadurch begründet es rückwirkend ihre Unterschiedenheit. Die Auflösung der vorliegenden Aporie erfordert folglich, dass wir ein Zeichen ausfindig machen, das den schrankenlos übergreifenden Charakter der Allgemeinheit und die Beschränktheit, Endlichkeit des Besonderen einheitlich ausdrückt. Bedenken wir nun, was für Konsequenzen das Auffinden eines solchen Zeichens in unserem Kontext hat! Am Ende des ersten Abschnittes dieses Paragraphen haben wir gezeigt: Die allumfassende Allgemeinheit des Begriffs zu sagen, bzw. der Versuch, sie zum Gegenstand eines Diskurses zu machen, hat zur unvermeidbaren Folge, dass sie verloren geht (indem sie dadurch in ihr Gegenteil umschlägt), so dass sie sich einem Wissen von ihr entzieht. Wir haben dann alsbald erklärt, dass dieser Entzug, anstatt ein Rückfall in die Sphäre der Reflexion zu sein (es handelt sich eher, wie danach gezeigt, um eine Wiedererscheinung), eigentlich die Konsequenz einer inkompletten, unvollständigen Auffassung des Begriffs ist. Ein Zeichen, ein bloßer Name, haben wir in 1.4 (der Vorrede der Phänomenologie folgend) gezeigt, ist für sich nicht imstande, dasjenige zum Ausdruck zu bringen, was »darin enthalten ist«: Ohne die Beifügung von anderen Zeichen, die gerade sagen, was es ist, bleibt es ein leeres Zeichen, ein bloßer Name. Die Beifügung von anderen Zeichen hat aber zur Folge, dass der supponierte, sichselbstgleiche Inhalt in der Relationalität des Denkens zergeht. Das ist der Preis, welchen ein gegebener Denkinhalt zwangsläufig zu bezahlen hat, um wahrhaft erkannt zu werden. Von der allumfassenden Allgemeinheit des Ich haben wir überhaupt kein Wissen oder nur ein intendiertes, bloß angezieltes, wortloses Wissen, wenn wir uns weigern, ihren Verlust, ihre Destruktion als Denkinhalt zuzulassen. Dieser Verlust ist conditio sine qua non eines kompletten Wissens, und deswegen haben wir gesagt, das Umschlagen der Allgemeinheit in die Besonderheit sei die Folge einer unvollständigen Auf-

308

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

fassung von Begriff. Nun ist das gesuchte dritte Zeichen, das in der vorliegenden Sachlage die spekulative Operation, das ineinander Übergehen der Allgemeinheit und der Besonderheit einheitlich aufzufassen, zu leisten hat, gerade dasjenige, was das inkomplette Wissen vom Begriff vervollständigen muss. Deswegen sagt Hegel von diesem Zeichen, dass es »der als Totalität gesetzte Begriff« ist.813 Wir wissen ferner, dass dasjenige, was die spekulative Achse des logischen Diskurses mittels dieses dritten Zeichens vollbringt, den fixierenden Ausdruck für den begrifflichen Raum ausmacht, in welchem die vorausgehenden Denkinhalte ihr Bestehen haben. Das heißt, dass wir durch dieses dritte Zeichen die schrankenlose Allgemeinheit und das endliche Dasein (oder die Bestimmtheit) zusammendenken können. Es handelt sich also um die gesuchte Struktur, kraft welcher erfasst werden kann, dass im denkenden Selbst die unmittelbare Seiendheit und das diskursive Denken zusammenfallen. Gerade dieses Zusammenfallen wird von der kanonischen Formulierung der Subjektivität, dem cartesianischen Satz »cogito, ergo sum« zum Ausdruck gebracht. Die Struktur aber, die uns dieses Zusammenfallen zu denken ermöglicht, bleibt in diesem Satz unausgesprochen und wird nur durch das »ergo« angedeutet. Deswegen spricht Hegel in Bezug auf den Inhalt des Satzes von einfacher Untrennbarkeit und von unmittelbarer Offenbarung.814 Der unausgesprochene Charakter des Zusammenfallens hat Fichte dazu verführt, diese mysteriöse Koinzidenz ins Vordiskursive zu verlegen, und deswegen kann er aus dem Kreis des Gegensatzes Intuition-Diskurs (und folglich aus den Aporien der Reflexion) nicht heraustreten. Zudem aber macht die Ablehnung, diesen Inhalt in die Diskursivität eintreten zu lassen, ihn, wie gesagt, zum bloßen Namen, einem leeren Zeichen ohne Bedeutung, wie dies auch mit den Substraten der Vorstellung in der vormaligen Metaphysik der Fall war. Die logische Behandlung hingegen, welcher wir das Zeichen »Allgemeinheit« unterzogen haben, hat den Inhalt desselben aus dem nebulösen innerlichen Raum des Meinens (im Sinne einer bloßen intentio) herausgenommen und ihn dadurch für eine spekulative, d. h. totalisierende, Erfassung vorbereitet. Nur hier kann dem Inhalt, den das Zeichen »Allgemeinheit« repräsentiert, »Wahrheit« im logischen Sinne, also Übereinstimmung mit sich selbst, zugeschrieben werden; andernfalls ist dieser Denkinhalt nicht, was er sein soll. Mit den Worten Hegels: Er hat keine Wahrheit. Wenn also in der begrifflichen Struktur, welche dieses dritte Zeichen zum Ausdruck bringt, die beiden vorausgehenden Zeichen ihre Wahrheit, 813 814

Enz. § 163, Anm. Enz. § 76.

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Übereinstimmung mit sich selbst haben, dann ist die allumfassende, schrankenlose Allgemeinheit darin gegensatzlos und wahrhaft eins mit dem, was ihr zuvor gegenübergestellt worden ist, nämlich mit dem endlichen, beschränkten Dasein. Dasjenige, was das dritte Zeichen zum Ausdruck bringt, ist ein wahrhaftes concretum im Sinn von etwas, welchem keine fremdartige Andersheit »hinzugefügt werden kann, ohne einen Widerspruch zu begehen« – gerade weil es »bis zum Ende erwachsen ist« (das ist der Sinn von »concrescere«).815 Doch wo muss dieser Begriff gesucht werden, wenn »Allgemeinheit« und »Besonderheit« hinsichtlich des Umfanges bereits die ganze Reihe der Begriffe erschöpfen? »Allgemeinheit« bezeichnet schon das Allumfassende, wobei wir uns nicht höher in der Reihe der Begriffe erheben können; »Besonderheit« hingegen bezeichnet all das, was unter diesem Höchsten steht. Wenn wir weiter »nach unten«, bis ans Ende der Reihe selbst hinabsteigen, dann finden wir etwas, das weder genus noch species ist.816 Die philosophische Tradition nennt es »infima species«: jene Besonderheit (species), die (im Unterschied zu den unmittelbar höheren) keine Allgemeinheit mehr ist, sofern sie keine Arten mehr unter sich hat. Mit anderen Worten: Diese »kleinste« (infima) Besonderheit bezeichnet kein Merkmal, das die Elemente einer Menge von Objekten gemein haben können, wie es bei einem beschränkten, bestimmten Allgemeinen (also bei einer bloßen species) der Fall ist. Deswegen spricht Hegel davon als von einem »bestimmten Bestimmten«817 – einem sozusagen zweimal beschränkten Inhalt. Wenn es so ist, kann man an dieser infima species nicht das »Absehen vom Zufälligen, Unwesentlichen, zugunsten des Allgemeinen, Notwendigen«818 vollziehen, also das, was man gemeinhin »Abstraktion« nennt – und zwar deshalb, weil in dieser infima species die beiden Termini des abstrahierenden Aktes, das »Herausgehobene« und das »Vernachlässigte«, dasselbe sind. Die infima species macht keinen abgesonderten Inhalt aus, der über den ihm subsumierten konkreten Exemplaren steht und sich aber wie eine abstrakte Vorstellung im Gegensatz zu ihnen befindet. Denn sie ist das Konkrete selbst, unter welchem nichts Konkreteres gefunden werden kann. Sie ist also das gesuchte concretum, also das (nach dem soeben angegebenen Wortsinn) vollständig Herausgebildete.819 Doch »infima species« ist Ausdruck einer superlativisch 815

F. M. Marzoa: Cálculo y ser …, a. a.O., 68. Vgl. F. M. Marzoa: Cálculo y ser …, a. a.O., 67–68. 817 WL III, 49. 818 R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Abstraktion«, Abs. 2. 819 Enz. § 164: »Der Begriff ist das schlechthin Konkrete, weil die negative Einheit mit sich als An-und-für-sich-Bestimmtsein, welches die Einzelheit ist, selbst seine Beziehung auf sich, die Allgemeinheit ausmacht«. 816

310

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

privativen Negation. Er bezieht sich indirekterweise auf das Gesuchte. Im Fundus der Geistesprodukte verfügen wir bereits über das Zeichen, das diesen Inhalt positiv zum Ausdruck bringt: »Einzelheit« (singularitas). »Einzelheit« ist also das Zeichen, welches im vorliegenden Kontext die spekulative Operation vollzieht, das gegenseitige Übergehen der Zeichen »Allgemeinheit« und »Besonderheit« einheitlich aufzufassen. Die Einzelheit ist folglich, nach dem oben Gesagten, der komplette Begriff – der Begriff selbst. So wird die folgende Aussage Hegels fasslich: »Hier geht der Abweg ab, auf welchem die Abstraktion vom Wege des Begriffs abkommt und die Wahrheit verläßt. Ihr höheres und höchstes Allgemeines, zu dem sie sich erhebt, ist nur die immer inhaltsloser werdende Oberfläche; die von ihr verschmähte Einzelheit ist die Tiefe, in der der Begriff sich selbst erfaßt und als Begriff gesetzt ist«.820 Die Tiefe, von welcher Hegel hier spricht, ist offensichtlich die unterste Grenze der Reihe der Begriffe, welche die Tradition »infima species« nannte. Der Begriff »erfasst sich darin«, weil in ihr kein (von der Abstraktion gemachter) Unterschied mehr zwischen dem Gattungsmäßigen und dem konkreten Exemplar anzutreffen ist. Sie ist also dasjenige, was die allumfassende Allgemeinheit sein sollte, also ein Gegensatzloses; und der Begriff findet in der Tiefe seiner Grenze »nach unten« seine Übereinstimmung mit sich selbst. Auf den ersten Blick kollidiert diese spekulative Überwindung der Aporie frontal mit unseren elementarsten Gewissheiten und Grundvorstellungen. Es fällt unserem Verstand zunächst sehr schwer einzusehen, wie der Gedanke der bloßen Singularität, der bloßen unmittelbaren Präsenz eines konkreten »Dieses«, das hier behandelte Problem der Beziehungen zwischen Allgemeinheit und Besonderheit lösen kann. Wir stehen hier vor der (schon in 1.4 behandelten) Hauptschwierigkeit, welche die Operation des Spekulativen mit sich bringt, nämlich deren Unvorstellbarkeit. Bei Betrachtung von rein logischen Sachverhalten tendiert unsere vorstellende Intelligenz dazu, außerbegriffliche Elemente (vor allem räumlicher Art) einzuschieben, kraft deren unsere Vorstellung sich besser orientieren kann. Aber solche außerbegrifflichen Elemente verhindern gerade die Modifikationen der Denkinhalte, die für eine effektive diskursive Verkettung notwendig sind. Die gewöhnliche Auffassung der Verhältnisse zwischen Gattung und Art ist von solchen Einschüben weitgehend geprägt: Man stellt sich vor, die Gattung sei größer, räumlich umfangreicher als die Art, unterscheidet und beurteilt beide also anhand eines quantitativen Kriteriums.821 Aber nach diesem Kriterium hät820 821

WL III, 49. WL III, 47–48: »Was zu jenem Versuch zunächst verleitet hat, ist vornehmlich das

§ 29 Der Begriff als Subjekt

311

ten wir die dialektische Konfusion der Zeichen »Allgemeinheit« und »Besonderheit« überhaupt nicht aufzeigen können; der Unterschied bezüglich des Umfanges fungiert hier gerade als der außerbegriffliche Einschub, der das ineinander Übergehen von Gattung und Art, ihre Ununterscheidbarkeit unmöglich macht. Nur durch Absehen von solchen Elementen, die zum begrifflichen Gehalt der Sache eigentlich gar nicht gehören, kann die dialektische Konfusion ersichtlich werden. Ebenso müssen wir hier, um dem Sinn der vorliegenden spekulativen Operation gerecht zu werden, jeglichen außerbegrifflichen Bezug völlig beiseiteschaffen. Das Problem ist gerade, dass »Einzelheit« traditionell der Name dessen ist, was außerhalb des Begrifflichen liegt.822 Unter »Einzelheit« versteht man all das, was (infolge seines konkreten Charakters) dem abstrakten Reich des Begrifflichen, in welchem man nur mit Wesen allgemeiner Art zu tun hat, gegenübersteht. Das, was mit dem Namen »Einzelheit« assoziiert wird, ist der Gedanke einzelner Dinge, wie dieser Tisch oder dieses Fenster. Man erhebt sich zum Begrifflichen, wenn die Aufmerksamkeit von solchen einzelnen Dingen völlig absieht und sich auf das Gattungsmäßige richtet. Das außerbegriffliche Kriterium des Umfangs der Begriffe verstärkt diesen Gesichtspunkt: Ist die Gattung umfangreicher als die Art, dann ist die kleinste Art, d. h. die Einzelheit, gerade dasjenige, was überhaupt keinen Umfang, keine Extension hat, gleichsam ein Punkt. Wie kann dann ein solches extensionales Minimum den begrifflichen Raum ausmachen, in welchem die Allgemeinheit und die Besonderheit ihre Wahrheit haben? Wie kann dann das Einzelne, verstanden als ein solch Ausdehnungsloses, die Totalität des Begriffes ausmachen? Hieraus erhellt, dass wir den Imperativ logischer Askese in dieser Sachlage mit besonderer Strenge befolgen müssen. Zunächst ist nochmals daran zu erinnern, dass wir uns hier lediglich mit Zeichen und deren Verhältnissen zueinander befassen. Folglich müssen wir den Gedanken dieses oder jenes einzelnen Dinges – erst recht aber des Gegenständlichen überhaupt – völlig quantitative Verhältnis, in welchem Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zueinander stehen sollen; das Allgemeine heißt weiter als das Besondere und Einzelne und das Besondere weiter als das Einzelne. Der Begriff ist das Konkrete und Reichste, weil er der Grund und die Totalität der früheren Bestimmungen, der Kategorien des Seins und der Reflexionsbestimmungen ist; dieselben kommen daher wohl auch an ihm hervor. Aber seine Natur wird gänzlich verkannt, wenn sie an ihm noch in jener Abstraktion festgehalten werden, wenn der weitere Umfang des Allgemeinen so genommen wird, daß es ein Mehreres oder ein größeres Quantum sei als das Besondere und Einzelne.« 822 Bezüglich dessen bemerkt Burbidge (J. W. Burbidge, a. a.O., 119): »We have now the thought of the individual – not, be it noted, of an individual concept, but rather the act of thought by which it refers to what is completely other than thought. The individual signifies that act of reference.«

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2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

außer Acht lassen und uns lediglich in den rein begrifflichen Gehalt vertiefen, welchen das Zeichen »Einzelheit« zum Ausdruck bringt. Um den Sinn des hegelschen Ansatzes begreiflich zu machen, werden wir uns im Folgenden vergleichend mit Überlegungen befassen, die Kant in seiner Logik über die Einzelheit vorgetragen hat. Hinsichtlich der »Bestimmung der Art- und Gattungsbegriffe« trifft Kant die folgende Feststellung: »Es gibt ein Genus, das nicht mehr Spezies sein kann; aber es gibt keine Spezies, die nicht wieder sollte Genus sein können«.823 Es gibt in der Tat einen höchsten Begriff (conceptum summum), »von dem sich, als solchem, nichts weiter abstrahieren läßt, ohne daß der ganze Begriff verschwindet«.824 Es handelt sich um den abstraktesten Begriff, d. h. denjenigen, »welcher mit keinem von ihm verschiedenen etwas gemein hat«.825 Dieser Begriff ist bei Kant bekanntermaßen der des Etwas, bei Hegel hingegen der noch abstraktere Begriff »Sein«. Aber was den niedrigsten Begriff (conceptum infimum) anbelangt, d. h. den Begriff, »worunter kein anderer mehr enthalten wäre«, sagt Kant, dass es einen solchen gar nicht gibt, »weil ein solcher sich unmöglich bestimmten läßt«.826 Das heißt: Der niedrigste Begriff, das Einzelne, lässt sich nicht weiter einschränken, gerade darum, weil er das Eingeschränkte schlechthin ausmacht. Es ist hier nicht unsere Absicht, Kants Aussagen infrage zu stellen, denn wir sind gar nicht auf der Suche nach einem bestimmten conceptum infimum; die Angabe eines Eigennamens, d. h. eines sinnlosen Zeichens, würde diesbezüglich genügen. Und dementsprechend sagt Kant, dass es niedrigste Begriffe nur »durch Konvention« gibt.827 Nicht ein einzelner Begriff interessiert uns hier, sondern das Konzept des Einzelnen selbst bzw. die Merkmale von dem, was schlechthin beschränkt ist. In dieser Hinsicht nämlich kann die kantische Behandlung des Problems von Nutzen sein. Kant definiert das Einzelne als die »Spezies, die nicht wieder sollte Genus sein können«. An dieser Definition ist besonders zu beachten, dass die Begriffe »Spezies« und »Genus« relativ sind, und das heißt genauer: Etwas ist Genus in Rücksicht auf das, was unter ihm steht, und etwas anderes Spezies in Rücksicht auf das, was über ihm steht, sodass die Koinzidenz beider in einem und demselben Etwas sich nur aus unterschiedlichen Gesichtspunkten ergibt, aus denen dieses Etwas betrachtet wird.828 Die Konfusion 823

Kant: Logik A 151. Ebd. 825 Kant: Logik, A 147. 826 Kant: Logik, A 151. 827 Ebd. 828 Kant: Logik, A 149: »Da höhere und niedere Begriffe nur beziehungsweise (respective) so heißen: so kann also ein und derselbe Begriff, in verschiedenen Beziehungen, zu824

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beider kann aber niemals stattfinden, und das ist grundsätzlich so, weil hier (wie Kant selbst bemerkt829) von gemachten Begriffen die Rede ist. Vom als etwas Gemachtem aufgefassten Begriff haben wir oben gezeigt, dass er mit der Idee der Allgemeinheit als einer abgesonderten Gemeinschaft innig verbunden ist: Der gemachte Begriff ist derjenige, welcher durch Abstraktion »abgezogen« worden ist, also durch »das Absehen vom Individuellem, Zufälligen zugunsten des Allgemeinen, Notwendigen […]«.830 Gerade, weil von einem solchen Begriff die Rede ist, kann Kant das Einzelne nicht anders denn als Spezies, die nicht mehr Genus ist, definieren. Die Abstraktion und der saubere Schnitt, den sie zwischen dem Allgemeinen und dem Konkreten zieht, ist hier das Maßgebende. Deshalb kann die hegelsche Idee der Einzelheit als die Totalität des Begriffes für eine solche Auffassung nur ein Unding sein. Doch unser Maßstab ist hier nicht der gemachte Begriff, sondern der machende Begriff bzw. das Ich, die spontane Denktätigkeit; und daraus ergibt sich eine ganz andere Auffassung von den Verhältnissen zwischen genus und species. Die für Kant unmögliche Konfusion zwischen beiden hingegen hat sich bei uns als notwendig und logisch zwingend erwiesen. Der Grund dafür ist, dass das (außerbegriffliche) Kriterium des Umfanges (aus welchem sich die Unterscheidung zwischen dem »Höheren« und dem »Niederen« ergibt) für die Logik und die begriffliche Reinheit, welche derselben eignet, vollkommen irrelevant ist. Zwei quantitativ verschiedene Umfänge können unmöglich miteinander verschmelzen. Der Standpunkt der Logik aber ist ein völlig anderer: Der Unterschied zwischen Genus und Spezies ist nicht vornehmlich extensionaler Art, also ein außerbegrifflicher Unterschied, sondern derjenige zwischen etwas Gegensatzlosem und etwas Beschränktem, welches als solches einem anderen entgegengesetzt sein muss. Vermöge dieses Absehens vom Extensionalen können sie sich vereinigen. Dementsprechend ist der Unterschied zwischen der Spezies und der niedrigsten Spezies bzw. der Einzelheit nicht derjenige zwischen etwas mit Umfang und etwas mit überhaupt keiner Extension, sondern derjenige zwischen dem bloß Bestimmten und dem vollständig Bestimmten. Das vollständig Bestimmte (oder, wie Hegel sagt, das »bestimmte Bestimmte«) ist wie gesagt das concretum. Einem solchen kann keine Andersheit und kein Gegensatz gegenüber-

gleich ein höherer und ein niederer sein. So ist z. B. der Begriff Mensch, in Beziehung auf den Begriff Pferd ein höherer; in Beziehung auf den Begriff Tier aber ein niederer.« 829 Kant: Logik, A 143: »Die Form eines Begriffs, als einer diskursiven Vorstellung, ist jederzeit gemacht.« 830 R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Abstraktion«, Abs. 2.

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2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

gestellt werden, denn sonst wäre es nicht vollständig bestimmt, sondern nur teilweise (also noch beschränkbar) wie die Spezies. Es handelt sich also um ein so Gegensatzloses wie die allumfassende Allgemeinheit, und deswegen sagt Hegel von der Einzelheit, dass sie, anstatt die Grenze des Begrifflichen oder das Außerbegriffliche selbst zu sein, »die Rückkehr des Begriffes als des Negativen in sich ist«.831 Von diesem concretum können wir im Unterschied zu Kant behaupten, dass es gleichzeitig genus und species ist832 – aber nicht relativ oder aus unterschiedlichen Gesichtspunkten, sondern schlechthin. Es ließe sich einwenden, das Einzelne, im Unterschied zur Allgemeinheit, befasse keine Unterschiede unter sich. Aber eigentlich gilt das auch nicht für die Allgemeinheit, von welcher hier die Rede ist, denn die Kriterien des »Höheren« und des »Niederen« (als außerbegriffliche Kriterien aufgefasst) haben in unserem logischen Kontext keine Gültigkeit mehr. Die Allgemeinheit des »machenden« Begriffs umfasst nicht die Unterschiede »unter« sich, als ob sie etwas bloß Gemeinschaftliches wäre (wie der abstrakte Begriff Kants), welches den Unterschieden »von oben her«833, also äußerlich, zukommt. Die vorliegende Allgemeinheit ist nicht bloß ein Merkmal, das »einer Klasse von Objekten gemeinsam« ist,834 sondern ein allumfassendes Vehikel, welches als solches sowohl formierend als auch verbindend ist. Dasselbe können wir von der Einzelheit, wie sie hier betrachtet wird, behaupten: Die Unmöglichkeit, ihr eine Andersheit entgegenzusetzen, macht gerade, dass jegliche Beschränkung in Bezug auf sie ungültig ist;835 folglich ist sie frei und wirkend.836 Dieser wirkende, (selbst)tätige Charakter der Einzelheit geht daraus hervor, dass deren Inhalt als Zeichen kein anderer ist als das gegenseitige Verweisen der 831

WL III, 50. WL III, 50–51: »In der Einzelheit ist jenes wahre Verhältnis, die Untrennbarkeit der Begriffsbestimmungen, gesetzt; denn als Negation der Negation enthält sie den Gegensatz derselben und ihn zugleich in seinem Grunde oder Einheit, das Zusammengegangensein einer jeder mit ihrer anderen.« 833 Kant: Logik A 45: »Man pflegt die Sinnlichkeit auch das niedere, den Verstand dagegen das obere Vermögen zu nennen; aus dem Grunde, weil die Sinnlichkeit den bloßen Stoff zum Denken gibt, der Verstand aber über diesen Stoff disponiert und denselben unter Regeln oder Begriffe bringt.« 834 R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Allgemein« 835 RPh., § 35, § 7: »Ich bestimmt sich, insofern es die Beziehung der Negativität auf sich selbst ist; als diese Beziehung auf sich ist es ebenso gleichgültig gegen diese Bestimmtheit, weiß sie als die seinige und ideelle, als eine bloße Möglichkeit, durch die es nicht gebunden ist, sondern in der es nur ist, weil es sich in derselben setzt.« 836 Enz. § 163, Anm.: »Das Wirkliche, weil es nur erst an sich oder unmittelbar die Einheit des Wesens und der Existenz ist, kann es wirken; die Einzelheit des Begriffes aber ist schlechthin das Wirkende, und zwar auch nicht mehr wie die Ursache mit dem Scheine, ein Anderes zu wirken, sondern das Wirkende seiner selbst.« 832

§ 29 Der Begriff als Subjekt

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Zeichen »Allgemeinheit« und »Besonderheit«. Die Einzelheit enthält also die machende, tätige Natur der allumfassenden Allgemeinheit, aber als dem Gemachten, Produzierten, Beschränkten nicht mehr entgegengesetzt. Wir können somit von ihr behaupten, sie mache wahrhaft die Überwindung des Reflexions-Modells aus: Logisch gesehen ist die Einzelheit der wahre Ausdruck der unauflöslichen Verbindung zwischen dem unbeschränkten, selbsttätigen Denken und der endlichen, gemachten Bestimmtheit. Dies führt uns zu wichtigen Präzisierungen hinsichtlich oben aufgestellter Behauptungen. Von Hegels Hinweis auf die geläufige doppelte Vorstellung des Ich als negativer, allumfassender Einheit und als individueller Persönlichkeit wurde gesagt, dieser Hinweis stelle eigentlich eine Aufgabe: die begriffliche Struktur ausfindig zu machen, welche diese zwei (durch ein gedankenloses »und« miteinander verbundenen) Bedeutungen zusammenzudenken erlaubt. Die spekulative Operation des Zeichens »Einzelheit« in Bezug auf die Denkinhalte »Allgemeinheit« und »Besonderheit« hat diese Struktur gerade ans Licht gebracht. Wir müssen uns aber davor hüten, den durch die Einzelheit gesetzten Zusammenhang zwischen der Allgemeinheit und der Besonderheit einfach der gesuchten begrifflichen Verbindung zwischen dem transzendentalen Ich und dem individuellen Ich gleichzusetzen. Denn das individuelle, einzelne Ich macht (den letzten Betrachtungen zufolge) kein zu verbindendes Glied aus, sondern es ist die Verbindung selbst. Die gewöhnliche Bedeutung des Ich als individueller Persönlichkeit ergibt gerade, wenn sie in den logischen Kontext übertragen wird, die spekulative Auffassung, vermöge deren das Denken und die unmittelbare Seiendheit zusammengedacht werden können. Das Verständnis des Ich als Person und Einzelheit, in welcher die vollständige Einschränkung und die Gegensatzlosigkeit zusammenfallen, ist bereits das Spekulative. Damit wird nicht das Denken mit dem Konkreten verbunden, sondern eher verhält es sich so: Mit dem Gedanken des Konkreten, vollständig Herausgebildeten wird das Denken in Übereinstimmung mit sich selbst gebracht. Die Lösung des Problems, die Einheit des Denkens und der Existenz zu konzipieren, besteht also darin, dass dasjenige, was als das Eigentümliche der wirklichen Existenz angesehen wird, nämlich die Einzelheit, nicht mehr (wie in der philosophischen Tradition) als dem Denken entgegengesetzt vorgestellt, sondern als der vollständige, komplette Ausdruck des Denkens selbst betrachtet wird. Dies macht es in unserem Kontext umso erforderlicher, den Gedanken des Gegenständlichen beiseitezuschaffen: Gerade weil die Einzelheit das Definierende des Denkens selbst ist, ist sie eigentlich dasjenige, was die vermeintlich konkreten Gegenstände – wie z. B. dieser Tisch oder dieses Fenster – entbehren. Anders gesagt: Die unmittelbar seienden Gegenstände sind eigentlich nicht konkret oder nur

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2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

konkret im uneigentlichen Sinne des Wortes. Das heißt: Die Einzelheit ist genau genommen ein Prädikat, das ausschließlich dem Denken vorbehalten ist. Das Denken braucht nicht auf die Konkretion bezogen zu werden, als ob es an sich abstrakt wäre, denn das, was gemeinhin als konkret gilt, nämlich das Außerbegriffliche, ist gerade das Abstrakte, Abgesonderte, Zusammenhangslose.837 Die im uneigentlichen Sinne des Wortes »einzelnen« Dinge, wie dieser Tisch oder dieses Fenster, können eigentlich nicht einzeln sein. Denn sie koinzidieren nicht mit ihrer Allgemeinheit, ihrer Gattung: Sie fallen unter all dasjenige, was die Abstraktion zu vernachlässigen und zurückzudrängen hat, um die Allgemeinheit als bloße Gemeinschaft zu konzipieren bzw. um »gemachte Begriffe« zu erzeugen. Die Einzelheit in ihrem exklusiven Charakter, bzw. die Tatsache, dass sie nur dem Denken zukommt, bezeugt in gewisser Hinsicht der normale Sprachgebrauch, indem er das Einzelne als »sui generis« bezeichnet. Der einmalige, unregelmäßige und unvergleichliche Charakter des wahrhaft Einzelnen macht dieses zu etwas für den Verstand Unfassbarem. Das Denken verfügt über keine Gattung, keine Kategorie, die es richtig zum Ausdruck bringen kann – »individuum est ineffabile«, wie der alte Lehrsatz besagt. Für die im uneigentlichen Sinne »einzelnen« Dinge bedeutet das, dass sie (infolge ihrer außerbegrifflichen Natur) nur Gegenstände subjektiven Meinens sein können, also etwas für das Denken an ihm selbst vollkommen Irrelevantes. Für das wahrhaft Einzelne hingegen, die Person, gilt (wie der Ausdruck »sui generis« besagt), dass es die Allgemeinheit selbst ist. Auf die philosophischen Konsequenzen dieses Gedankens gehen wir im nächsten Paragraphen näher ein.

§ 30 Schlussbemerkungen a) Der letzte Quellpunkt aller Tätigkeit Hegel hat auf diesen Punkt seiner Logik großen Wert gelegt. Wir stehen mit ihm nicht bloß vor einem weiteren Beispiel logischer Behandlung eines Denkinhaltes gemäß den drei Achsen der diskursiven Verkettung. Man erinnere sich: Der Begriff, wenn in diesem Zusammenhang von Begriff die Rede ist, ist nicht nur Begriff als begriffliche Fixierung, welche das Spekula-

837

WL III, 49: »Leben, Geist, Gott sowie den reinen Begriff vermag die Abstraktion deswegen nicht zu fassen, weil sie von ihren Erzeugnissen die Einzelheit, das Prinzip der Individualität und Persönlichkeit, abhält und so zu nichts als leb- und geistlosen, farbund gehaltlosen Allgemeinheiten kommt.«

§ 30 Schlussbemerkungen

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tive an jeder dialektischen Konfusion vollzieht, sondern auch der Begriff als das Subjekt der Logik selbst. Aus dieser Koinzidenz ist zu folgern, dass die Wiederthematisierung derselben Sache unter neuer Perspektive, welche die Operation des Spekulativen an jeder begrifflichen Sachlage immer wieder neu vollbringt, in diesem Punkt sozusagen seine Spitze erreicht. So wird die folgende Aussage Hegels aus der Philosophie des Rechts bezüglich der Einzelheit einleuchtend: »Der Erweis und die nähere Erörterung dieses Innersten der Spekulation, der Unendlichkeit als sich auf sich beziehender Negativität, dieses letzten Quellpunktes aller Tätigkeit, Lebens und Bewußtseins, gehört der Logik als der rein spekulativen Philosophie an«.838 Es ist also die Aufgabe der Logik, dasjenige begrifflich zu fixieren, worauf die Selbsttätigkeit des Denkens eigentlich basiert, und mit dieser fixierenden Erörterung erreicht das Denken den tiefsten, innersten Kern seiner selbst. In Kapitel 1.4 wurde auf die Schwierigkeiten hingewiesen, welche die Operation des Spekulativen für die vorstellende Intelligenz mit sich bringt. Die Schwierigkeit ist in diesem Fall besonders akut – nicht nur aufgrund der dem Vorstellen innewohnenden Tendenz, ins rein Begriffliche außerbegriffliche Elemente einzuschieben, sondern auch und vor allem deshalb, weil das Zeichen, welches hier den Begriff in seiner Totalität zum Ausdruck bringt, traditionell auch als der Name des Außerbegrifflichen selber gilt. Hegel aber vollzieht damit eine grundlegende Umwälzung der traditionellen Auffassung von den Verhältnissen zwischen dem Denken und dem Konkreten. Im Folgenden werden wir versuchen, Hegels soeben zitierte Aussage zu erklären, nach welcher die Einzelheit – als einheitliche Auffassung der Allgemeinheit und der Besonderheit – »den letzten Quellpunkt aller Tätigkeit« ausmacht. Für diesen Zweck sind einige Bemerkungen des letzten Abschnittes in Erinnerung zu rufen. Das Einzelne teilt mit dem Besonderen die Eigenschaft, ein Bestimmtes zu sein; der Unterschied besteht darin, dass das Besondere teilweise bestimmt ist, während das Einzelne vollständig bestimmt ist. Dieser Unterschied ist folgenreich. Dem vollständig Bestimmten kann keine Andersheit entgegengesetzt werden, denn dies würde seiner Konkretion widersprechen. Ebenso folgt aus diesem »Exzess« an Bestimmtheit, dass das Einzelne nicht gedacht werden kann: Wenn dem Einzelnen keine Andersheit entgegengesetzt werden kann, dann kann es begrifflich nicht fixiert werden, denn dies impliziert gerade eine Einschränkung bzw. einen Gegensatz (siehe oben über die Lehre logischer Einteilung). Die Einzelheit wird somit zu etwas Außerbegrifflichem: Ein Einzelnes kann als konkrete Exemplifikation von gewissen Normen oder Typen betrachtet werden, aber sein wesent838

RPh. § 7, Anm.

318

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

lich unbestimmbarer (nicht »unbestimmter«) Charakter macht, dass es von diesen Normen oder Typen nicht ausgeschöpft werden kann.839 Wenn wir (Kant folgend) davon ausgehen, dass das Denken vornehmlich das Vermögen der Regeln ist, dann macht die Konkretion des Einzelnen etwas für das Denken nicht-Normatives und Unregelmäßiges aus. Regeln und Typen fallen zusammen mit allem, was oben »gemachte Begriffe« genannt worden ist; als gemachte sind die Begriffe durch Abstraktion erzeugt worden. Aus diesem Gesichtspunkt kann das Einzelne nur die Grenze des Begrifflichen sein, also der Punkt, an welchem das Denken aufhört, Denken zu sein. Dieser (aus dem Gesichtspunkt des Denkens als Vermögen der Regeln) unregelmäßige Charakter des Einzelnen kann aber auch die Bedeutung haben, dass das Einzelne seine eigene Norm und Regel ist, also das, was der normale Sprachgebrauch ein etwas »sui generis« nennt. Damit »das Einzelne« diese Bedeutung erhalten kann, muss das Begriffliche aufhören, bloß als Verneinung des Unmittelbaren angesehen zu werden. Traditionell ist das Begriffliche als das Diskursive dem Unmittelbaren entgegengesetzt; dieser Gegensatz ist ferner Konsequenz davon, dass man das Diskursive mit dem gemachten Begriff, mit der Allgemeinheit als Produkt identifiziert. Die Perspektive ändert sich, wenn die Allgemeinheit als »tätige Allgemeinheit« betrachtet wird: Als spontanes Tun impliziert sie per definitionem die wirkliche Existenz. Im Lauf unserer Untersuchung haben wir uns mit mehreren Arten von unmittelbarer Seiendheit befasst; wenn z. B. von Existenz die Rede ist, dann handelt es sich um die unmittelbare Seiendheit, welche als Folge eines Grundes (als Wirkprinzip aufgefasst) aus diesem hervorgeht. Es muss also ein Zeichen ausfindig gemacht werden, das gerade die Art von unmittelbarer Seiendheit zum Ausdruck bringt, die – im Unterschied zu den Vorausgehenden – mit der Allgemeinheit zusammenfällt. Diese unmittelbare Seiendheit wird vom Zeichen »Einzelheit« ausgedrückt: Das Singuläre sui generis, welches von keiner

839

Vgl. mit der folgenden Aussage von L. W. Stern (im R. Eisler: Wörterbuch …, a. a.O., Artikel »Individuum«, Abs. 3, zitiert), die diesbezüglich sehr aufschlussreich ist: »Jedes Individuum ist etwas Singuläres, ein einzig dastehendes, nirgends und niemals sonst vorhandenes Gebilde. An ihm betätigen sich wohl gewisse Gesetzmäßigkeiten, in ihm verkörpern sich wohl gewisse Typen, aber es geht nicht restlos auf in diesen Gesetzmäßigkeiten und Typen; stets bleibt noch ein Plus, durch welches es sich von anderen Individuen unterscheidet, die den gleichen Gesetzen und Typen unterliegen. Und dieser letzte Wesenskern, der da bewirkt, daß das Individuum ein Dieses und ein Solches, allen anderen durchaus Heterogenes vorstellt; er ist in fachwissenschaftlichen Begriffen unausdrückbar, unclassificierbar, incommensurabel. In diesem Sinne ist das Individuum ein Grenzbegriff, dem die theoretische Forschung zwar zustreben, den sie aber nie erreichen kann; es ist, so könnte man sagen, die Asymptote der Wissenschaft.«

§ 30 Schlussbemerkungen

319

Norm ausgeschöpft werden kann, weil es seine eigene Norm ist, ist die Art von Existenz, welche die tätige Allgemeinheit impliziert. Dasjenige, was man traditionell als das Außerbegriffliche kennzeichnet, wird somit zum geeignetsten Ausdruck des Begrifflichen selbst. Das auf eine Norm oder einen Typus nicht-Reduzierbare, das Unregelmäßige und Ungesetzmäßige, ist der Begriff selbst.840 Wenn ferner das Einzelne als das nichtNormative die Grenze des Begriffs (als Norm aufgefasst), das non plus ultra desselben ausmacht, dann ist diese Grenze nach dem soeben Gesagten eigentlich der Begriff selbst. Hieraus erhellt, dass Hegel die Einzelheit (als die Totalität des Begriffes) den »letzten Quellpunkt aller Tätigkeit« nennt. Das Einzelne ist unter dem Gesichtspunkt des gemachten Begriffes dasjenige, was vernachlässigt werden muss, um sich auf den Gedanken des Gemeinschaftlichen und Gesetzmäßigen erheben zu können. Deswegen kann kein bestimmter bzw. gemachter Gedanke die Existenz implizieren: Die Existenz ist dasjenige, vermöge dessen Verneinung er als abstrakter, abgesonderter Begriff entstanden ist. Anders verhält sich dies in Bezug auf die »tätige Allgemeinheit«; schon mit dieser Bezeichnung wird zugegeben, dass sie Wirkungsfähigkeit hat bzw. dass aus ihr eine unmittelbare Existenz hervorgeht. Der geeignete Name dieser Existenz ist, wie gezeigt, »Einzelheit«, weil sie die einzige unmittelbare Seiendheit ist, die mit ihrer Norm oder ihrem Typus zusammenfällt: Die Einzelheit ist die Existenz, welche eins mit ihrer Allgemeinheit ist. Die »tätige Allgemeinheit« bringt also eine Existenz hervor, mit der sie eins ist. Somit stoßen wir auf einen der Grundgedanken Spinozas: Das Implizieren der eigenen Existenz (welches Spinoza dem Begriff Gottes zuschreibt) ist mit der causa sui gleichbedeutend.841 Grund der eigenen Existenz kann nur dasjenige sein, dessen Existenz in seinem Begriff enthalten ist,842 und dieses »Enthalten« ist nur denkbar in Bezug auf dasjenige, was (infolge seiner Unregelmäßigkeit) mit seinem Begriff eins ist, also die Einzelheit. Deswegen sagt Hegel von der Einzelheit (des Begriffes), sie sei das Wirkende schlechthin, »und zwar auch nicht mehr wie die Ursache mit dem Scheine, ein Anderes zu wirken, sondern das Wirkende seiner selbst«.843 Was durch die Tätigkeit des Denkens in die Wirklichkeit übersetzt wird, ist es 840

Vgl. RPh. § 7, Anm.: »[…]; aber das dritte, das Wahre und Spekulative (und alles Wahre, insofern es begriffen wird, kann nur spekulativ gedacht werden) ist es, in welches einzugehen sich der Verstand weigert, der immer gerade den Begriff das Unbegreifliche nennt.« 841 Spinoza: Ethica, I, Def. I. 842 Ebd.: »Per causam sui intelligo id, cujus essentia involvit existentiam, sive id, cujus natura non potest concipi, nisi existens.« 843 Enz. § 163.

320

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

selbst; das Selbstsein des Denkens in der Wirklichkeit ist singulär, einmalig. Es handelt sich um jene Art von Tätigkeit, welche die philosophische Tradition als »immanent« oder »intransitiv« im Gegensatz zur transitiven Tätigkeit bezeichnet, durch welche das Tätige etwas von sich selbst Verschiedenes bewirkt.844 Auf solcher Auffassung von Einzelheit gründet Hegel die Selbsttätigkeit des Denkens.845

844

Diese Unterscheidung geht auf Thomas von Aquin zurück. Vgl. auch Spinoza: Ethica, I, Prop. XVIII: »Deus est omnium rerum causa immanens, non vero transiens.« 845 J.-L. Marquet hat das Projekt einer philosophischen Nachgeschichte des hegelschen Begriffs der Einzelheit skizziert. Die Durchführung dieser wichtigen Aufgabe steht, soviel wir wissen, immer noch aus. Marquet bemerkt (in J.-L. Marquet: Restitutions. Études d’histoire de la philosophie allemande, Paris 2001, 220): »Il resterait à montrer comment cette équation hégélienne de l’absolu et de la singularité a été déterminante pour toute la pensée ultérieure, même et surtout pour celle qui se définira explicitament pour l’opposition à Hegel: ainsi Max Stirner, chez que tout se ramène à une propriété de l’Unique (der Einzige); ainsi S. Kierkegaard, pour qui l’homme est appelé à se singulariser (à devenir l’Isolé) dans sa confrontation avec l’Un par excellance, Dieu; ainsi K. Marx lui-même qui verra dans le communisme l’avènement de l’›individu personnel‹ (et donc singulier) après que l’universalité du capital aura détruit, en les uniformisant, les manières particulières d’être homme. Mais peut-être l’écho le plus inattendu à Hegel se trouverait-il chez le Martin Heidegger des Beiträge lorsqu’il oppose à la definition métaphysique de l’être comme ›étantité de l’étant‹ (donc comme universel) l’Être comme Ereignis, qui est ›le plus singulier (Einzigste) et les plus étonnant‹.« Interessant an dieser Skizze ist, dass sie gleichzeitig die Nachgeschichte eines zentralen Begriffes hegelschen Denkens und die Geschichte der Opposition zu Hegel bildet, was als Unterstützung des Gedankens gelten kann, dass die nachhegelschen Versuche, Hegel zu widerlegen, sich unbewusst in gewisser Hinsicht auf dem Terrain des hegelschen Denkens bewegen. Bezüglich Kierkegaards, dessen vermeintlicher Anti-Hegelianismus ein Gemeinplatz geworden ist, hat Jon Stewart (Kierkegaard’s Relation to Hegel reconsidered, Cambridge 2007) bereits gezeigt, dass sein Denken eigentlich nicht im Gegensatz zu Hegel verstanden werden kann. Noch interessanter scheint uns aber die Bezugnahme auf den Heidegger der Beiträge und seinen Begriff des Ereignisses; denn dieser Begriff ist ja ein Leitgedanke nicht nur Heideggers, sondern auch der neueren Philosophie. Außer der Einzelheit gibt es unseres Erachtens noch zwei weitere Aspekte, vermittels deren der Zusammenhang zwischen Hegel und dem heideggerschen Begriff des Ereignisses aufgespürt werden kann: zunächst die geschichtliche Orientierung des Denkens beider, nach welcher die Philosophie nicht unabhängig sein kann von einer philosophischen Rekonstruktion ihrer eigenen Geschichte. Heidegger hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die hegelsche Geschichte der Philosophie die erste philosophische Geschichte der Philosophie darstellt. Zweitens ist in Erwägung zu ziehen, dass wir es in beiden Fällen mit einem Denken zu tun haben, welches sich als »anfänglich« präsentiert. Das heißt: In beiden Fällen handelt es sich um ein Denken, das ganz bewusst und konsequent versucht, nur sich selbst zum eigenen Maßstab zu haben.

§ 30 Schlussbemerkungen

321

b) Das Subjekt und der Diskurs Die logische Auffassung von Begriff als Einzelheit zieht gewichtige Folgen in Bezug auf das Thema nach sich, das in den letzten beiden Kapiteln des ersten Hauptteiles ausführlich untersucht wurde, nämlich das hegelsche Verständnis von Zeichen (innerhalb einer allgemeinen Auffassung von Vorstellung) und die darauf basierende Konzeption logischen Diskurses. Mit Worten Wielands wurde am Ende des Kapitels 1.4 das Endziel der Logik folgendermaßen beschrieben: »Hegel ist in seiner Logik auf der Suche nach dem Begriff, der das selbst ist, was er intendiert«.846 Der gesuchte Begriff ist dasjenige, was hier der »Begriff des Begriffes« genannt worden ist: das wissende »tätige Allgemeine«, denkende Selbst, das im diskursiven Verlauf der Logik am Werk ist. Das Wissen im »tätigen Allgemeinen« ist ferner das, was im vorliegenden Kapitel (anhand der textuellen Basis, die das erste Kapitel der Begriffslogik bietet) dargestellt worden ist. Das hier Dargestellte muss folglich mit dem übereinstimmen, was in jenen Kapiteln untersucht wurde. Präziser können wir sagen: Die hier betrachtete logische Struktur des Subjekts und die in jenen Kapiteln dargelegte Auffassung des logischen Denkens müssen zwei Aspekte oder Manifestationen ein und desselben sein. In Kapitel 1.4 wurde die Natur und der Lauf des logischen Diskurses anhand der zeichenhaften Konfiguration der Gedanken erläutert, die Hegel in den §§ 457–467 der Enzyklopädie thematisiert. Vorher (in Kapitel 1.3) wurde gezeigt, inwiefern die hegelsche Auffassung von Zeichen den kantischen Gegensatz zwischen Anschauung und Denken überwindet und zu sagen ermöglicht, dass dem Denken unmittelbare Seiendheit zukommt. Schon jenes Kapitel erklärte die Überwindung dieses Gegensatzes in Bezug auf die Operation der reflexio, deren rein logische Struktur sich in den Kapiteln 2.2 und 2.3 als für den Gegensatz Unmittelbarkeit-Diskurs verantwortlich erwiesen hat. Wenn also der Gegensatz zwischen Anschauung und Denken, den Hegel mit seiner Theorie des Zeichens überwindet, auf der logischen Struktur der Reflexion basiert, dann muss die hier dargelegte logische Struktur des denkenden Selbst (sofern sie die logische Struktur der Reflexion überwindet) die Basis ausmachen, auf welcher sich die hegelsche Auffassung von Zeichen und der daraus folgende Begriff des logischen Diskurses gründet.847 Kurzum: Die Begriffslogik ist als Logik jenes Subjektes zu verstehen, das sich durch Zeichen

846

W. Wieland, a. a.O., 401. Dies bildet, trotz allem Anschein, keinen Zirkel. (Vgl. hierzu das Ende von Kapitel 1.3) 847

322

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

als Subjekt konstituiert. Gehen wir im Folgenden auf diesen Gedanken noch etwas näher ein! Das Denken wurde in Kapitel 1.4 als die Tätigkeit geschildert, welche den einheitlichen Zusammenhang bei den vorfindlichen »stücklichen« Produkten des Geistes herstellt, die zeichenhafter Natur sind. Die Herstellung dieses Zusammenhangs kann als eine Aneignung verstanden werden: Die kontingente Ansammlung von Vorstellungen wird in Zusammenhang gebracht, indem ich sie meinig mache bzw. indem sie in Bezug auf das Ich bestimmt werden, dessen Form gerade die Allgemeinheit ist. Die gedachten Produkte des Geistes sind nichts anderes als die vom Ich angeeigneten und somit in Zusammenhang gebrachten. Der Zusammenhang heißt »logischer Diskurs«: Die einzige Art und Weise, die vorfindliche Verstreuung der Denkinhalte aufzuheben und sie in Verbindung zu bringen (und sie meinig zu machen), besteht in der sukzessiven Verkettung dieser Denkinhalte zu einem kontinuierlichen Verlauf und in ihm. Das Resultat dieser effektiv durchgeführten Verkettung ist ein von der Form des Ich durchdrungenes Ganzes, also die Allgemeinheit, wie sie im vorliegenden Kapitel charakterisiert worden ist. Nun müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf einen früheren Punkt richten, nämlich auf den in Kapitel 1.3 untersuchten »organischen Zusammenhang« zwischen dem Gedächtnis und dem Denken. Dort wurde Denken als der Akt erklärt, durch welchen das Ich seine Partikularität opfert (oder, wie Hegel sagt, »sein besonderes Meinen und Dafürhalten fahrenlässt«) und sich sozusagen der Sache selbst hingibt. Dasjenige, worauf die vorfindliche Verstreuung der Denkinhalte basiert, ist das subjektive Meinen bzw. die Partikularität des Ich. Das Denken als Herstellung des Zusammenhanges bei den vorfindlichen Denkinhalten ist dann gleichbedeutend mit der Suspendierung des »besonderen Meinens und Dafürhaltens«. Die effektive Verkettung logischer Denkinhalte ist nur möglich, wenn das Ich sich von jeglicher Partikularität reinigt und sich selbst sozusagen zu einer Fläche ohne Unebenheiten macht – zu einem hindernisfreien Element, in welchem sich die Gedanken ohne Unterbrechung miteinander verbinden. Das Ich ist freies Subjekt, selbsttätiges Denken paradoxerweise dann, wenn es sich selbst als partikuläres Wesen aufopfert. Die so gereinigte Subjektivität ist synonym mit einem suppositionsfreien Denken und dieses wiederum mit der effektiven Verkettung der Denkinhalte in einem Diskurs. Diese Charakterisierung der Denktätigkeit weist klare Parallelen auf zu dem, was im letzten Kapitel »das befreiende Programm des Spinozismus« genannt wurde, also zu jenem Programm, das im Übergang von der Wesenslogik zur Begriffslogik seine wahrhafte Verwirklichung findet. Dieses Programm besagt: Die Befreiung von der unterdrückenden Macht der Not-

§ 30 Schlussbemerkungen

323

wendigkeit erfolgt durchs intellektuelle Eindringen in ihr Wesen, wodurch die Notwendigkeit aufhört, fremd zu sein, als fremd genommen zu werden. Vermöge dieses intellektuellen Eindringens in die Notwendigkeit bin ich in der Befolgung ihrer gesetzmäßigen, wesenhaften Ordnung bei mir selbst, d. h. frei. Die Fremdheit der Notwendigkeit und die Knechtschaft (servitus) der Affekte, d. h. die soeben erwähnte Partikularität des Ich, hängen in dieser Konzeption wesentlich zusammen: Die Substanz hört auf, opak zu sein, wenn ich mich von meiner Partikularität (d. h. den uneigentlichen Affekten) reinige. Man erinnere sich daran, dass dasjenige, worauf die übergeordnete Position der Substanz in der Wesenslogik eigentlich basiert, eine gedankenlose suppositio ist. Dann wird ersichtlich, dass die »Enthüllung der Notwendigkeit« (und der daraus folgende Übergang in die Freiheit) und die Suspendierung (epoché) des subjektiven Meinens, auf welchem die gedankenlose suppositio basiert, korrelative Prozesse sind. Wichtig ist dabei, dass Hegel in Bezug auf das vorgegebene Sprachmaterial, welches das Ich sich durch die Reinigung von seiner Partikularität intellektuell aneignen muss, ebenfalls von »Substanz« spricht.848 Die vorgegebenen Zeichen, die das reine Denken in einem kontinuierlichen Diskurs zu verketten hat, machen vor ihrer intellektuellen Aneignung eine für das Ich opake Substanz aus. Diese Substanz ist aber die »unorganische Natur« der Subjektivität:849 So wie also die Substanz in der Wesenslogik als fremd und unterdrückend erscheint, sofern sie nicht gedacht wird, so wirkt auch das vorgegebene Sprachmaterial (d. i. die Produkte der Vorstellung) zwingend auf das partikuläre Subjekt ein, solange es sich dieses Material nicht intellektuell aneignet. Die Befreiung von der Macht der Vorstellungen (die zusammengenommen eine dunkle Substanz ausmachen) erfolgt also auf dieselbe Art und Weise wie die Befreiung in der Wesenslogik: durch das intellektuelle Eindringen in die Beschaffenheit dieser Substanz und die vollständige Enthüllung ihres notwendigen, zwingenden Charakters, welche die darin verborgene Freiheit aufdeckt. Aus der »Enthüllung der Notwendigkeit« hat sich in der Logik die Struktur des Subjekts ergeben: Die gedachte oder begriffene Substanz ist das den-

848

Phän., 32–33. Ebd. Siehe auch WL I, 10: »Die Denkformen sind zunächst in der Sprache des Menschen herausgesetzt und niedergelegt, es kann in unseren Tagen nicht oft genug daran erinnert werden, daß das, wodurch sich der Mensch vom Tier unterscheidet, das Denken ist. In allem, was ihm zu einem Innerlichen, zur Vorstellung überhaupt, wird, was er zu dem Seinigen macht, hat sich die Sprache eingedrängt, und was er zur Sprache macht und in ihr äußert, enthält, eingehüllter, vermischter oder herausgearbeitet, eine Kategorie; sosehr natürlich ist ihm das Logische, oder vielmehr: dasselbige ist seine eigentümliche Natur selbst.« 849

324

2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

kende Selbst. Dasselbe gilt für die Substanz, die das vorgefundene Sprachmaterial oder die »unorganische Natur« des Ich bildet. Diese Substanz wird Subjekt, wenn sie durchdacht wird, d. h. wenn die Zeichen in einem kontinuierlichen Diskurs kohärent werden. Wie ist dann die logische Erfassung des denkenden Selbst als Einzelheit zu verstehen, wenn die Denktätigkeit belebendes Eindringen in dieses vorgefundene Material ist? Das Ich kann sich in den vorgegebenen Zeichen bzw. in seiner unorganischen Natur selbst aneignen, weil es singulär ist. Dass das Ich Einzelheit ist, bedeutet gerade, dass es trotz seines Bestimmtseins seine eigene Partikularität suspendieren und sich selbst in das hindernisfreie Element verwandeln kann, in welchem die vorfindlichen Denkinhalte sich kontinuierlich (d. h. ohne unterbrechende Suppositionen) entfalten können bzw. in welchem der logische Diskurs konstituiert werden kann. Das Ich als Einzelheit ist gleichzeitig Besonderheit und allumfassende Allgemeinheit; kraft dessen ist es imstande, die vorgefundenen Zeichen zu verketten und kohärent zu machen. Die unorganische Natur, welche die vorfindlichen Zeichen bilden, wird dadurch »belebt«; das Begriffliche als bloße kontingente Ansammlung von Denkinhalten und Gesetzmäßigkeiten wird durch die Aneignung lebendig und tätig. In dieser Aneignung hat das Denken eigentlich seine Existenz und seine Wirksamkeit; deswegen wurde oben gesagt, dass die Einzelheit ein Prädikat ist, das ausschließlich dem Denken zukommen kann. Die Linguistik des XX. Jahrhunderts hat diese tiefe Einsicht Hegels in gewisser Weise bestätigt, indem sie das Zeichen »Ich« als ein besonderes sprachliches Gebilde erklärte, dessen Funktion darin besteht, das singuläre »Stattfinden« der Sprache, die konkrete Aktualisierung derselben hic et nunc zu signalisieren.850 Nach É. Benveniste, dem wir in diesem Punkt folgen, bezeichnet »Ich« keine »lexikalische Entität«,851 kein einzelnes Ding, wie Hegel sagen würde, sondern den Übergang selbst von der Sprache als vorgefundener Struktur (d. h. als unorganische Natur) zur Sprache als lebendigem, selbsttätigem Diskurs.852 Wenn ein Sprecher »Ich« sagt, gibt er dadurch zu verstehen, dass das ganze Sprachmaterial sich in ihm konkret »verkörpert« und von ihm belebt wird.853 Wichtig ist, dass die Sprache ihre Wirklichkeit nur in dieser »Belebung« hat. Wenn Hegel also darauf hinweist, dass im Denken das quid und das quod, das Diskursive und die

850

Vgl. É. Benveniste: »De la subjectivité dans le langage«, in: Problèmes de linguistique générale, Paris 1966, Bd. 1, 261–263. 851 É. Benveniste: »De la subjectivité dans le langage«, a. a.O., 261. 852 Vgl. É. Benveniste: »La nature des pronoms«, in: Problèmes de linguistique générale, Paris 1966, Bd. 1, 254. 853 Vgl. É. Benveniste: »La nature des pronoms«, a. a.O., 254–255.

§ 30 Schlussbemerkungen

325

unmittelbare Seiendheit zusammenfallen, so bezieht er sich gerade auf diese singuläre Verwirklichung der Sprache namens »Ich«, in welcher das Denken den »Quellpunkt« seiner Lebendigkeit hat.

c) Die logische Auffassung des Subjekts und das Schicksal der Philosophie Diese Auffassung von Subjekt und von dessen Verhältniss zur Sprache ergibt auch eine neue Konzeption der Philosophie und der Aufgabe des Denkens überhaupt. Hegels bekannte Aussage in der Vorrede zur Philosophie des Rechts – »Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug«854 – drückt auf metaphorische Weise jenes neue Verständnis von Philosophie aus, welches die Idee des Denkens als singuläre belebende Aneignung vorgefundenen Sprachmaterials mit sich bringt. Nach allem bisher Gesagten kann die Philosophie nur als eine Tätigkeit post festum aufgefasst werden. Die Vorstellungen machen sowohl für Kant als auch für Hegel den Stoff aus, welchen das Denken zu verarbeiten hat. Der bei Kant ziemlich vage und ambivalente Begriff von Vorstellung wird aber bei Hegel erheblich präziser: Als die Mitte zwischen der Anschauung und dem Denken ist die Vorstellung grundsätzlich auf Versprachlichung angelegt und aktualiter als Sprache aufzufassen. Mit der Versprachlichung der Vorstellung wird auch die Seinsweise der Sprache genauer bestimmt: Die Produkte der Vorstellung (d. i. die Zeichen) haben als anschauliche Gebilde gegenständliche Existenz und Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist diejenige, von welcher der dritte Abschnitt der Wesenslogik handelt, d. h. eine Realität mit Konsistenz, Sachhaltigkeit und Substantialität. Auf diesem wirklichen Charakter der Produkte von Vorstellen bzw. des Sprachmaterials basiert eigentlich bei Hegel die schließliche Gleichsetzung des Wirklichen und des Denkens. Daraus wird Hegels folgende Aussage in derselben Vorrede verständlich: »Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft«.855 Das »was ist« ist die Wirklichkeit, und die Wirklichkeit als substanzielle, sachhaltige Realität ist das Kennzeichen der Produkte vorstellenden Geistes, die sich im Laufe der Zeit gebildet und in der Sprache niedergeschlagen haben. Als derart zeitlich abgelagerte Produkte sind die Vorstellungen »der Zeit nach […] früher als Begriffe«.856 Sie sind vom Denken 854 855 856

RPh., 28. RPh., 26. Enz. § 1.

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2.4 Der Begriff des Begriffes: Die logische Struktur des Subjekts

(noch) nicht angeeignete Gedanken, also vorgefundene, unmittelbar vorliegende Denkinhalte. Deswegen kommt die Philosophie immer spät: Dasjenige, was sie zu denken hat, war schon da, es geht als vorfindliche Wirklichkeit allemal der begreifenden Tätigkeit der Philosophie zeitlich voraus. Aber als Substanz hat diese vorfindliche Wirklichkeit, diese »unorganische Natur des Individuums« in der aneignenden Tätigkeit philosophischen Denkens ihre Lebendigkeit. Diese Lebendigkeit besteht darin, dass das Denken durch begreifendes Eindringen in dasjenige, was ihm zeitlich vorausgeht, seine Substanz in Schwung bringt und dynamisiert. In diesem Sinne muss man Hegels Behauptung verstehen, nach welcher die Substanz Subjekt ist. Mit dieser Konzeption hat Hegel eine tiefgreifende Umwälzung im philosophischen Denken eingeleitet. Seit ihm richtet sich die Aufmerksamkeit philosophischen Denkens vornehmlich auf die konkreten Produkte menschlichen Geistes. Dass sich die Philosophie heutzutage weitgehend mit ihrer eigenen Geschichte befasst, muss als eine notwendige Konsequenz dieser Umwälzung angesehen werden. Bewusst oder unbewusst betreibt die heutige Philosophie damit die aneignende Tätigkeit des Denkens, deren Logik Hegel thematisiert hat. Dementsprechend ist es grundlos, die Geschichte der Philosophie und die Philosophie selbst als zwei verschiedene Erkenntnisbereiche zu betrachten. Darin ist eigentlich das Erbe Hegels zu suchen. Infolge dessen kann man sagen, dass das Denken Hegels uns in gewisser Hinsicht immer noch gegenwärtig ist.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

A Enz.

RPh.

JSE II KrV Phän. WL I WL I (1812)

WL II

WL III

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LITERATURVERZEICHNIS

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