Wärmelehre: Experimentalphysik – anschaulich erklärt [1 ed.] 366267212X, 9783662672129, 9783662672136

Das modern gestaltete Lehrbuch zur Experimentalphysik lädt Studierende der Physik und der Nachbardisziplinen dazu ein, d

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German Pages 249 [244] Year 2023

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Wärmelehre: Experimentalphysik – anschaulich erklärt [1 ed.]
 366267212X, 9783662672129, 9783662672136

  • Commentary
  • Publisher PDF | Published: 27 September 2023

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Experimente
1 Temperatur
1.1 Thermisches Gleichgewicht
1.2 Temperaturskalen
1.3 Längenausdehnung
1.4 Volumenausdehnung
2 Wärme
2.1 Wärme und Energie
2.2 Wärmekapazität
2.3 Der erste Hauptsatz der Wärmelehre
2.4 Wärmetransport
3 Kinetische Gastheorie
3.1 Ideale Gase
3.2 Der Druck: kinetische Erklärung
3.3 Die Temperatur: kinetische Definition
3.4 Arbeitsprozesse mit idealen Gasen
3.5 Wärmekapazitäten: kinetische Erklärung
3.6 Adiabatische Prozesse
3.7 Boltzmann'sche Energieverteilung
3.8 Geschwindigkeitsverteilung
3.9 Mittlere freie Weglänge
3.10 Diffusion
4 Entropie
4.1 Reversible Prozesse
4.2 Der Carnot'sche Kreisprozess
4.3 Der zweite Hauptsatz
4.4 Wärme-Kraft-Maschinen
4.5 Entropie mikroskopisch
4.6 Der dritte Hauptsatz
4.7 Das thermodynamische Gleichgewicht
4.8 Thermodynamische Potenziale
5 Reale Gase
5.1 Zustandsgleichung
5.2 Phasenübergänge
5.3 Sieden und Kondensieren
5.4 Schmelzen und Gefrieren
5.5 Lösungen
5.6 Tiefe Temperaturen
Serviceteil
A1 Liste der Symbole
A2 Lösungen der Aufgaben
A3 Mathematische Einführung
Stichwortverzeichnis

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Stefan Roth · Achim Stahl

Wärmelehre Experimentalphysik – anschaulich erklärt

Wärmelehre

Stefan Roth  Achim Stahl

Wärmelehre Experimentalphysik – anschaulich erklärt

Stefan Roth RWTH Aachen University Aachen, Deutschland

ISBN 978-3-662-67212-9 https://doi.org/10.1007/978-3-662-67213-6

Achim Stahl RWTH Aachen University Aachen, Deutschland

ISBN 978-3-662-67213-6 (eBook)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 Ursprünglich erschienen in einem Band unter dem Titel 00 Mechanik und Wärmelehre00 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

V

Vorwort Dieses Buch wendet sich an alle, die gerne die Grundlagen der Experimentalphysik erlernen wollen. Es ist aus der Vorlesung „Experimentalphysik 1“ entstanden, die wir für unsere Studienanfänger im Fach Physik an der RWTH Aachen gehalten haben. Wir haben versucht, den Spaß, den uns diese Veranstaltung mit ihren vielen Experimenten macht, einzufangen und weiterzugeben. Wir hoffen, dies ist einigermaßen gelungen. Manche dieser Experimente können Sie selbst nachmachen. Versuchen Sie es! Das macht erst richtig Spaß. Doch mit Experimenten alleine ist es nicht getan. Sie müssen sich mit den Modellvorstellungen und Erklärungsweisen der Physik auseinandersetzen. Das Buch will Sie auch dabei unterstützen. Dieses Buch ist aus dem Kurs des ersten Semesters hervorgegangen, der sich mit der Mechanik und der Wärmelehre beschäftigt. In der ersten Auflage hatten wir die beiden Themen in einem Band zusammengefasst. Für die zweite Auflage haben wir noch weitere Beispiele und Experimente hinzugefügt und noch einige Themen ergänzt. Dadurch wurde der Umfang zu groß für einen einzelnen Band. Die Mechanik ist daher bereits in einem separaten Band erschienen. Der vorliegende Band führt in die Wärmelehre ein. Wir stellen sowohl einen makroskopischen als auch einen mikroskopischen Blick auf die Wärmelehre vor. Wir führen makroskopische Größen wie die Wärme, die Temperatur oder die Entropie zur Beschreibung einer größeren Menge eines Stoffs ein und wir zeigen ein mikroskopisches Bild der Stoffe auf, in der die Bewegung der einzelnen Moleküle eine wesentliche Rolle spielt. Schließlich zeigen wir auf, wie Sie aus der mikroskopischen Beschreibung die makroskopische ableiten können. Die Themen des Bandes sind: 1. Die Temperatur, die wir ausgehend von den Messverfahren einführen. 2. Die Wärme: Wir zeigen Ihnen, dass Wärme eine Form der Energie darstellt und beschreiben, wie Wärme zwischen Körpern übertragen werden kann. 3. Kinetische Gastheorie: Hier werfen wir das erste Mal einen Blick auf die mikroskopische Beschreibung von Gasen. 4. Entropie: Sie stellt eine zentrale Größe für die Beschreibung statistischer Prozesse dar. Wir führen sie sowohl makroskopisch als auch mikroskopisch ein, zeigen den Zusammenhang zwischen beiden Ansätzen auf und wenden das Erlernte auf WärmeKraft-Maschinen an. 5. Reale Gase: Während wir uns zunächst auf die Beschreibung von Gasen unter einer bestimmten Näherung, die vornehmlich für stark verdünnte Gase zutrifft, beschränkt haben, nehmen wir nun reale Gase in den Blick und erhalten so auch ein Verständnis für Phasenübergänge und andere Prozesse, die in der Praxis große Bedeutung haben. Für den Einstieg in der Experimentalphysik ist ein besonderes Vorwissen über Physik nicht erforderlich. Selbst das Schulwissen Physik wird größtenteils wiederholt. Wir nehmen aber an, dass Sie sich bereits mit den Inhalten des Bandes zur Mechanik auseinandergesetzt haben. Für manche Leser mag die Mathematik hinter den physikalischen Modellen eine besondere Herausforderung darstellen. Der Umgang mit Physik erfordert umfangreiche mathematische Kenntnisse. Sie müssen diese gründlich erlernen. Falls Sie sie heute noch nicht besitzen, müssen Sie sich diese parallel zum Studium der Experimentalphysik aneignen. Wir werden in diesem Band einige dieser Kenntnisse benutzen, eventuell noch

VI

Vorwort

bevor der gründliche und systematische Lernprozess bei Ihnen abgeschlossen ist. Dies ist leider unvermeidlich. Nehmen Sie es als Motivation, um sich noch intensiver mit Mathematik auseinanderzusetzen! Dieses Lehrbuch stellt Ihnen den Stoff der Wärmelehre vor, doch erarbeiten müssen Sie ihn sich selbst. Verstehen Sie das vorliegende Lehrbuch als ein Angebot, das Ihnen das Erarbeiten des Stoffes erleichtern soll. Ziel ist es, ein tiefes Verständnis der Physik zu erlangen. Eine Kenntnis der Fakten ist ebenfalls wichtig, aber in der Regel einfacher zu erreichen als ein tiefes Verständnis. Von zentraler Bedeutung ist die Frage nach dem Warum? Warum läuft ein bestimmter Prozess so ab und nicht anders? Warum kühlt sich ein Gas ab, wenn es auf eine bestimmte Weise expandiert, aber nicht bei einer anderen Art der Expansion? Hier einige Tipps. Patentrezepte gibt es leider nicht: 4 Gewöhnen Sie sich daran, die Warum?-Frage ständig zu stellen, wenn Sie in diesem oder anderen Büchern lesen, wenn Sie über die Experimente nachdenken, wenn Sie mit jemandem über Physik sprechen, . . . 4 Hinterfragen Sie die Informationen, die Ihnen angeboten werden. Sie müssen damit rechnen, dass auch in diesem Buch Fehler sind: Schreibfehler, ungenaue oder unkorrekte Formulierungen und vielleicht auch Punkte, die wir selbst noch nicht genügend verstanden haben. Auch jedes andere Lehrbuch mag Fehler enthalten und OnlineArtikel enthalten meist noch mehr. Denken Sie kritisch und erkennen Sie diese Fehler! 4 Physikalische Aussagen sind an Voraussetzungen geknüpft. Lernen Sie nicht nur die Aussagen, sondern denken Sie darüber nach, unter welchen Voraussetzungen sie gelten. 4 Haben Sie einen bestimmten Sachverhalt verstanden? Falls ja, sollten Sie in der Lage sein, den Sachverhalt zu erklären. Versuchen Sie es! Stellen Sie sich vor, jemand fragt Sie nach einem Sachverhalt, und versuchen Sie (z. B. in Gedanken) diesen mit Ihren Worten zu erklären. 4 Überarbeiten Sie die einzelnen Kapitel. Erstellen Sie Notizen, indem Sie die wesentlichen Inhalte in Ihren Worten niederschreiben. 4 Benutzen Sie unterschiedliche Quellen (z. B. mehrere Lehrbücher) zu einem Thema, sodass Sie unterschiedliche Zugänge und Erklärungen zum Thema kennenlernen. 4 Diskutieren Sie über Physik. Sprechen Sie Punkte an, die Sie selbst noch nicht ganz verstehen, oder diskutieren Sie weitergehende Fragen und Probleme. Zum Aufbau des Buches: Es ist in fünf Kapitel untergliedert. Jedes Kapitel enthält einen Text mit Abbildungen und Gleichungen, der den wesentlichen Stoff des Kapitels beschreibt. Daneben gibt es Experimente und Beispiele, die den Text ergänzen. Experiment 0.1: Beispiel eines Experiments

In dieser Darstellung werden im Buch die Experimente präsentiert. Manche sind im Text zitiert und dann für das Verständnis sehr wichtig. Andere dienen mehr der Illustration. Das ein oder andere können Sie vielleicht selbst nachmachen. Versuchen Sie es!

VII Vorwort

Beispiel 0.1: Darstellung eines Beispiels

Ferner sind in den Text Beispiele eingegliedert, die den Inhalt ergänzen. Dieser Text zeigt die Formatierung eines Beispiels. Beispiele sind wichtig. Sie zeigen, wie Sie das gelernte Wissen anwenden können. Arbeiten Sie die Beispiele durch. An ihnen können Sie Ihr Verständnis testen.

Am Ende der Kapitel gibt es zudem Übungsaufgaben. Einen kurzen Abriss der Lösungen finden Sie im Anhang. Viel Spaß und Erfolg! Das vorliegende Buch ist nicht nur unser Werk. Hinter dem Buch stehen viele Helfer, bei denen wir uns hier herzlichst bedanken wollen. Unser Dank geht an Beate Roth fürs Korrekturlesen, an unsere KollegenInnen Prof. Lutz Feld und Dr. Katja Klein, denen wir viele der tollen Experimente (und die Fotos davon) zu verdanken haben, ferner bei Jennifer Merz, Franziska Scholz, Richard Brauer, Niklas Mohr, Jan Domenik Sammet, Rüdiger Jussen, Hendrik Jansen, Joschka Lingemann, Lukas Gromann, Julius Schniewind, Sarah Böhm und bei all den Studierenden, die uns auf Fehler hingewiesen haben. Schließlich wollen wir uns beim Springer-Verlag für die exzellente Unterstützung bedanken. Stefan Roth Achim Stahl

Aachen März 2023

IX

Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 1.4

Temperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 2.1 2.2 2.3 2.4

Wärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10

Kinetische Gastheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8

Entropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6

Reale Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Thermisches Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Temperaturskalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Längenausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volumenausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wärme und Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wärmekapazität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der erste Hauptsatz der Wärmelehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wärmetransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ideale Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Druck: kinetische Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Temperatur: kinetische Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsprozesse mit idealen Gasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wärmekapazitäten: kinetische Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adiabatische Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Boltzmann’sche Energieverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschwindigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittlere freie Weglänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Reversible Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Carnot’sche Kreisprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der zweite Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wärme-Kraft-Maschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entropie mikroskopisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der dritte Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das thermodynamische Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thermodynamische Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zustandsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phasenübergänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sieden und Kondensieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schmelzen und Gefrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tiefe Temperaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 9 12 16 25 26 29 37 46 63 64 67 70 72 74 79 84 91 97 98 107 108 109 118 130 147 154 155 158 169 170 181 186 198 204 206

X

Inhaltsverzeichnis

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A1 Liste der Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A2 Lösungen der Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A3 Mathematische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

221 222 225 230 233

XI

Verzeichnis der Experimente Experiment 1.1: Flüssigkeitsthermometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 1.2: Gasthermometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 1.3: Widerstandsthermometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 1.4: Tripelpunkt von Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 1.5: Längenausdehnung von Metallstäben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 1.6: Bimetallschalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 1.7: Bolzensprenger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 1.8: Volumenausdehnung einer Kugel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 1.9: Volumenausdehnung einer Flüssigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 1.10: Wie kommt das Ei in die Flasche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 1.11: Temperaturinversion in Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.1: Mechanisches Wärmeäquivalent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.2: Spezifische Wärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.3: Trinkente (zweiter Anlauf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.4: Adiabatische Zustandsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.5: Wärmeleitung in Stäben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.6: Modell einer Zentralheizung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.7: Konvektion in Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.8: Infrarotkamera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.9: Leslie-Würfel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.10: Lichtmühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 3.1: Ideales Gasgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 3.2: Modellversuch zum Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 3.3: Modellversuch zum Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 3.4: Brown’sche Molekularbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 3.5: Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 3.6: Diffusion in einem Wasserglas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 3.7: Osmose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 4.1: Trinkente (dritter Anlauf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 4.2: Stirling-Motor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 4.3: Arbeit bei einer Elektrolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.1: Phasenübergang im Koexistenzgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.2: Kritischer Punkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.3: Trockeneis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.4: Modell eines Geysirs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.5: Dampfdruck von Äther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.6: Gefrieren durch Verdampfungswärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.7: Gefrieren auf der heißen Herdplatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.8: Schmelzen von Eis unter Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.9: Joule-Thomson-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.10: Linde-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 4 5 10 13 15 16 17 17 18 21 27 35 41 43 46 50 53 55 56 58 65 69 70 72 94 100 105 129 147 162 178 179 182 184 187 193 194 201 209 212

1

Temperatur Inhaltsverzeichnis 1.1

Thermisches Gleichgewicht – 2

1.2

Temperaturskalen – 9

1.3

Längenausdehnung – 12

1.4

Volumenausdehnung – 16

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Roth, A. Stahl, Wärmelehre, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67213-6_1

1

2

1

Kapitel 1  Temperatur

1.1

Thermisches Gleichgewicht

Der Mensch nimmt Temperatur über spezielle Sinneszellen in der Haut wahr. Der Aufbau der Haut ist schematisch in . Abb. 1.1 zu sehen. Dicht unter der Oberfläche der Haut in der Dermis liegen Rezeptoren, die für unser Temperaturempfinden verantwortlich sind. Es gibt getrennte Rezeptoren für Kälte und für Wärme. In der Haut sind etwa 10-mal so viele Rezeptoren für Kälte wie für Wärme. Sie liegen dichter und näher an der Oberfläche (direkt unter der Epidermis). Die Rezeptoren senden ständig Impulse ans Gehirn. Die Häufigkeit der Impulse ist temperaturabhängig. Aus diesen Impulsen entsteht im Gehirn das Temperaturempfinden. Das Temperaturempfinden des Menschen ist stark subjektiv. Eine bestimmte Temperatur kann von einem Menschen als warm, von einem anderen als kalt empfunden werden. Selbst ein und derselbe Mensch empfindet dieselbe Temperatur nicht immer gleich. Das Temperaturempfinden hängt von der Müdigkeit der Person oder seiner Körpertemperatur ab. Bei Gegenständen hängt es auch von deren Beschaffenheit ab. So empfindet man einen Metallstab als kälter als einen Holzstab, auch wenn sie dieselbe Temperatur haben. Daher ist unser Temperaturempfinden für die Physik als objektive Wissenschaft ungeeignet. Die Physik muss auf Messgeräte zurückgreifen, die eine objektive Bestimmung der Temperatur erlauben. Solche Messgeräte nennt man „Thermometer“. Sie nutzen aus, dass manche physikalischen Eigenschaften von Objekten temperaturabhängig sind. Zum Beispiel dehnen sich die meisten Körper bei Erwärmung aus: Ein Metallstab wird länger, das Volumen einer Flüssigkeit (z. B. Alkohol) vergrößert sich. Der elektrische Widerstand von Drähten ändert sich (in der Regel erhöht er sich) oder der Druck in einem Gas steigt. Solche Eigenschaften

. Abb. 1.1 Schematische Darstellung der Haut

3 1.1  Thermisches Gleichgewicht

werden zur Temperaturmessung benutzt. Die folgenden Experimente zeigen Beispiele dazu. Experiment 1.1: Flüssigkeitsthermometer

In einem Glasgefäß befindet sich eine gefärbte Flüssigkeit. Erwärmen wir die Flüssigkeit, so dehnt sie sich aus und steigt in der Kapillare auf. Die Höhe des Flüssigkeitspegels gibt die Temperatur an. Früher wurde fast ausschließlich Quecksilber als Flüssigkeit verwandt. Wegen dessen Giftigkeit wurde das Quecksilber zunehmend durch gefärbten Alkohol ersetzt. Die Kapillare ist in der Regel oben geschlossen, um ein Auslaufen des Thermometers zu verhindern. In diesem Fall ist über dem Flüssigkeitsspiegel Luft in der Kapillare eingeschlossen. An einem Flüssigkeitsthermometer sind mehrere Stoffeigenschaften beteiligt, die zusammenwirken. Es dehnt sich nicht nur die Flüssigkeit aus, sondern auch das Gefäß. Die Ausdehnung des Gefäßes sollte gegenüber der Flüssigkeit vernachlässigbar sein. Mit steigender Temperatur wird die eingeschlossene Luft immer weiter zusammengedrückt. Es entsteht ein Gegendruck. Die Kompression der Flüssigkeit unter diesem Druck sollte vernachlässigbar klein sein.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Die zweite Abbildung zeigt ein kommerzielles Fieberthermometer. Das Thermometer nimmt im Kontakt zum Körper die Körpertemperatur an. Danach sollte es diese festhaltenhalten. Dazu wird häufig ein Schwimmer eingesetzt, der mit der Flüssigkeitssäule steigt. Er ist so eng in die Kapillare eingepasst, dass er an der maximalen Steighöhe hängen bleibt, falls die Temperatur des Thermometers wieder sinkt. Sie können die Körpertemperatur in Ruhe ablesen. Zum Rücksetzen muss das Thermometer geschüttelt werden, bis der Schwimmer wieder auf der Ausgangstemperatur ist. Schließlich muss am Thermometer eine kalibrierte Skala angebracht werden. Dies werden wir weiter unten im Zusammenhang mit den Temperaturskalen diskutieren.

1

4

Kapitel 1  Temperatur

Experiment 1.2: Gasthermometer

1

Das Gasthermometer ähnelt dem Flüssigkeitsthermometer. In diesem Fall befindet sich allerdings ein Gas im Kolben (hier Luft). Das Thermometer benutzt das ideale Gasgesetz pV D RT , das Sie noch kennenlernen werden (p D Druck, V D Volumen, T D Temperatur,  D Stoffmenge und R eine Konstante). Das Volumen wird konstant gehalten, sodass der Druck proportional zur Temperatur ist. Mit einem einfachen Manometer wird dieser gemessen. Das Gasvolumen ist über einen Schlauch und ein Ventil an ein U-Rohr angeschlossen, das ebenfalls aus einem Schlauch gebildet wird. Im U-Rohr befindet sich gefärbtes Wasser, das das Gasvolumen nach außen abschließt und gleichzeitig zur Druckmessung dient. Die linke Kapillare ist oben offen. Zunächst stellen wir das Thermometer auf eine feste Temperatur ein, z. B. null Grad, indem wir den Kolben in Eiswasser (Wasser, in dem Eiswürfel schwimmen) tauchen. Das Volumen, das sich einstellt, haben wir mit einem gelben Klebestreifen auf der Messskala markiert. Erwärmen wir nun den Kolben (z. B. durch Auflegen der Hände), so dehnt sich das Gas aus. Wir müssen zunächst das Ausgangsvolumen wiederherstellen. Dazu verschieben wir die linke Kapillare vertikal nach oben, bis der Flüssigkeitsstand in der rechten Kapillare wieder die gelbe Markierung erreicht hat. Im U-Rohr können wir nun einen Höhenunterschied zwischen der Wassersäule im linken und rechten Schenkel beobachten, aus dem sich der Druck im Kolben und daraus die Temperatur berechnen lässt. Wir können das Gasthermometer eichen, indem wir das Gasvolumen auf den Tripelpunkt von Wasser abkühlen1 . Danach können wir höhere Temperaturen messen. Nach dem oben erwähnten idealen Gasgesetz sollte der gemessene Druck bei konstantem Volumen proportional zur Temperatur sein. Allerdings stellt sich heraus, dass es Unterschiede in der Proportionalitätskonstante zwischen verschiedenen Gasen gibt und der Wert vom erwarteten Wert des idealen Gasgesetzes abweicht. Dies liegt daran, dass sich Gase bei Normaldruck nicht wirklich wie ideale Gase verhalten. Erst bei sehr kleinen Drücken ist dies der Fall. Um einen präzisen Messwert zu erhalten, müssen wir zu verschwindendem Druck extrapolieren. In der Abbildung ist dies für die Bestimmung der Siedetemperatur von Wasser skizziert. Wir könnten zunächst bei Normaldruck messen (100 kPa). Dann reduzieren wir die Gasmenge (Masse) im Kolben auf die Hälfte, eichen und messen erneut bei gleichem Volumen. Der Druck

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

1

Der Tripelpunkt des Wassers ist weiter unten beschrieben.

5 1.1  Thermisches Gleichgewicht

ist nun halbiert (50 kPa). Eventuell müssen wir weitere Messungen bei weiter reduzierter Gasmenge durchführen. Schließlich tragen wir die gemessene Temperatur gegen den Druck am Eichpunkt auf und extrapolieren zum Druck null. Dann ist das Ergebnis der Messung gegeben durch: T D 273;16 K  lim

P0 !0

p ; p0

(1.1)

wobei p0 den Druck am Tripelpunkt bezeichnet, den wir als Eichpunkt angenommen haben, und p der Druck am Messpunkt ist.

Experiment 1.3: Widerstandsthermometer

Die Abbildung zeigt ein Widerstandsthermometer mit zwei Temperatursensoren, die unabhängig voneinander messen können. In der Messspitze befindet sich ein dünner Platindraht, dessen elektrischer Widerstand sich mit der Temperatur verändert. Über das Steuergerät wird eine geringe Spannung an den Draht angelegt und der Stromfluss gemessen. Daraus ergibt sich der Widerstand und darüber wiederum die Temperatur. Das Temperaturverhalten, dem die Sensoren genügen müssen, ist in der DIN EN 60751 beschrieben, sodass die Sensoren zwischen den Steuergeräten austauschbar sind. Es gilt (Temperaturbereich 0 ı C bis 850 ı C)   R D R0 1 C at C bt 2 mit a D 3;9083  103 =ı C und b D 5;775  107 =ı C2 (t ist die Temperatur in Grad Celcius). Die Sensoren werden mit Pt100, Pt500 oder Pt1000 bezeichnet, wobei die Zahl den Wert von R0 in ˝ angibt. Der Widerstand der Zuleitungen ist demgegenüber vernachlässigbar. Der Temperatursensor hat nur eine sehr kleine Masse, sodass er sich schnell an die zu messende Temperatur anpasst. Neben dem erwähnten großen Temperaturbereich von 200 ı C bis 850 ı C ist dies ein weiterer Vorteil dieser Thermometer. Allerdings ist das Gerät im Vergleich zu einem Flüssigkeitsthermometer deutlich aufwendiger.

In den Experimenten wurde die Funktion einiger Thermometer demonstriert. Sie zeigen die Temperatur in einer Messspitze, einem Gaskolben oder in der Flüssigkeit des Thermometers an. Doch wie überträgt sich die Temperatur des zu messenden Objektes auf die Messspitze oder die Messflüssigkeit?

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

1

6

Kapitel 1  Temperatur

1

. Abb. 1.2 Ein Flüssigkeitsthermometer misst die Wassertemperatur im Becherglas

Wir wollen dazu den Messprozess am Beispiel des Flüssigkeitsthermometers näher betrachten (. Abb. 1.2) und damit den nullten Hauptsatz der Wärmelehre einleiten. Zunächst zeigt das Flüssigkeitsthermometer seine eigene Temperatur T2 an, während die Flüssigkeit im Becherglas die Temperatur T1 besitzt. Allmählich nimmt das Thermometer die Temperatur der Flüssigkeit an. Es stellt sich ein thermisches Gleichgewicht ein. Die Temperaturen passen sich an. Im Gleichgewicht gilt: T10 D T20 ;

(1.2)

wobei T10 und T20 die Temperaturen nach Erreichen des thermischen Gleichgewichtes sind. Das Thermometer misst nicht die ursprüngliche Temperatur T1 der Flüssigkeit im Becherglas, sondern T10 . Es ist bei der Messung darauf zu achten, dass diese beiden Temperaturen nicht wesentlich voneinander abweichen. Das Thermometer darf nicht zu groß2 sein und sollte hinsichtlich der Temperatur nicht zu sehr von der Flüssigkeit abweichen. Dies ist auch anschaulich klar. Sind im Becherglas nur 50 ml Flüssigkeit bei einer niedrigen Temperatur und hält man ein großes Thermometer mit Raumtemperatur hinein, so wird sich die Flüssigkeit merklich erwärmen, und man erhält nicht das gewünschte Ergebnis. Wir betrachten nun eine Temperaturmessung an zwei Bechergläsern (. Abb. 1.3). Flüssigkeit und Thermometer befinden sich in beiden Bechergläsern im thermischen Gleichgewicht, welches man auch „thermodynamisches Gleichgewicht“ nennt. Das Thermometer in A zeigt TA an, das in B die Temperatur TB . Sind beide Temperaturen gleich, so kann man feststellen: >Nullter Hauptsatz der Thermodynamik Befinden sich zwei Körper auf derselben Temperatur, so sind sie im thermodynamischen Gleichgewicht.

. Abb. 1.3 Unabhängige Messung zweier Flüssigkeiten 2

Es kommt auf die Masse an, die in thermischen Kontakt zur Flüssigkeit im Glas gebracht wird.

7 1.1  Thermisches Gleichgewicht

Dieser Satz erscheint im ersten Moment trivial. Seine Aussage ist, dass bereits die Angabe einer einzigen physikalischen Größe genügt, um den thermischen Zustand eines Körpers eindeutig festzulegen. Diese Größe nennt man die „Temperatur“. Die Tatsache, dass nicht mehr als eine Größe nötig ist, ist keineswegs trivial. Um den thermischen Zustand des Körpers festzulegen, muss man zunächst die Größen kennen, die den Körper definieren, sowie die Umgebungsbedingungen. Im einfachsten Fall handelt es sich um ein Gas, bei dem wir die Details der Wechselwirkung zwischen den Molekülen vernachlässigen können. Dann müssen wir vom Körper selbst lediglich die Stoffmenge kennen, d. h. die Anzahl der Moleküle, aus denen der Körper besteht, oder sein Volumen. Von der Umgebung müssen wir wenigstens den Druck kennen, den sie auf den Körper ausübt. Der nullte Hauptsatz besagt nun, dass es genügt, eine weitere Größe über den Körper anzugeben, um seinen thermischen Zustand und damit sein Verhalten eindeutig festzulegen. Diese Größe ist die „Temperatur“. Gäbe es eine weitere Größe, von der das thermische Verhalten des Körpers abhängt, so wären die beiden Körper A und B auch bei gleicher Temperatur nicht notwendigerweise im thermischen Gleichgewicht. Manchmal findet man auch folgende äquivalente Formulierung: >Nullter Hauptsatz der Thermodynamik Befinden sich zwei Körper mit einem dritten im thermodynamischen Gleichgewicht, so sind sie auch untereinander im Gleichgewicht.

Auch in dieser Formulierung steckt die Aussage, dass das thermische Verhalten der Körper vollständig festgelegt ist, wenn sie sich auf derselben Temperatur befinden. Beispiel 1.1: Gleichgewichte in der Chemie

Um den nullten Hauptsatz der Thermodynamik zu illustrieren, wollen wir einen Blick auf Gleichgewichte in der Chemie werfen. Wir schauen uns die Dissoziation von Säuren in Wasser an. Beginnen wir mit einem einfachen Beispiel Chlorwasserstoff: HCl. Leitet man dieses Gas in Wasser ein, so löst sich Gas im Wasser und es entsteht Salzsäure. Das gelöste Gas dissoziiert teilweise. Es stellt sich ein dynamisches Gleichgewicht zwischen undissoziiertem und dissoziiertem HCl ein. Dies lässt sich mit folgender Reaktionsgleichung beschreiben: HCl $ HC C Cl :

1

8

1

Kapitel 1  Temperatur

Dabei lagert sich das HC -Ion an Wassermoleküle an. Es wird zum H3 OC . Wie viele der HCl-Moleküle dissoziieren, hängt von verschiedenen Bedingungen ab, insbesondere vom pH-Wert der Lösung. Aber dies soll hier nicht das Thema sein. Die Frage ist vielmehr, wie wir das Gleichgewicht beschreiben können. Tatsächlich genügt die Angabe einer einzigen Größe. Wir können den Bruchteil an Chloratomen, die als dissoziierte Ionen in der Lösung vorliegen, als diese Größe wählen. Nennen wir sie c . Dann können wir für diesen Fall einen nullten Hauptsatz formulieren:

»

Liegt in zwei Lösungen von H C l in Wasser der gleiche Dissoziierungsgrad c vor, so befinden sich diese Lösungen im chemischen Gleichgewicht.

oder auch

»

Sind zwei wässrige Lösungen von HCl mit einer dritten Lösung im chemischen Gleichgewicht, so sind sie auch untereinander im chemischen Gleichgewicht.

Beide Aussagen treffen tatsächlich zu. Aber in der Chemie gilt dies nicht allgemein, wie ein etwas komplizierteres Beispiel zeigt. Betrachten wir als weiteres Beispiel die Kohlensäure. Leiten wir Kohlendioxid (CO2 ) in Wasser ein, so löst sich ein Teil der Moleküle als Kohlensäure: H2 CO3 . Diese dissoziiert teilweise. Nun allerdings in zwei Schritten: C 2 H2 CO3 $ HC C HCO 3 $ 2 H C CO3 :

Wieder stellt sich ein chemisches Gleichgewicht ein. Definieren wir als Dissoziierungsgrad c den Bruchteil an Molekülen, die in HCO 3 dissoziiert sind, so könnten wir versucht sein, folgenden nullten Hauptsatz zu formulieren:

»

Liegt in zwei Lösungen von H2 CO3 in Wasser der gleiche Dissoziierungsgrad c vor, so befinden sich diese Lösungen im chemischen Gleichgewicht.

Dies trifft aber nicht zu, denn die beiden Lösungen könnten sich immer noch in der Dissoziation in CO2 3 -Ionen unterscheiden. Beispielsweise könnte die zweite Lösung bei gleichem c weniger undissoziiertes H2 CO3 , aber mehr CO2 3 -Ionen enthalten. Für die Dissoziation von Kohlensäure ist die Angabe eines einzigen Dissoziierungsgrads nicht ausreichend, um den Zustand vollständig zu beschreiben. Wir können die Kernaussage des nullten Hauptsatzes der Thermodynamik so verstehen, dass im Fall der Thermodynamik die Angabe einer einzigen Größe, die wir die Temperatur nennen, genügt.

9 1.2  Temperaturskalen

1.2

Temperaturskalen

Bisher haben wir die Temperaturen von Objekten miteinander verglichen. Wir konnten feststellen, ob sie gleich sind bzw. welches Objekt wärmer oder kälter ist. Wollen wir Temperaturen ohne einen direkten Vergleich bestimmen, müssen wir eine Temperaturskala festlegen. Dazu müssen mindestens zwei Fixpunkte definiert werden. Es gibt mehrere Temperaturskalen, die noch in Gebrauch sind. Im Alltag ist in Europa die Celsius-Skala üblich. In Nordamerika benutzt man die Skala nach Fahrenheit. Diese beiden seien hier kurz vorgestellt, bevor wir auf die im SI-System verankerte und in der Wissenschaft übliche Kelvin-Skala eingehen.

1.2.1

Temperaturskala nach Fahrenheit

Daniel Gabriel Fahrenheit (. Abb. 1.4) war Physiker und Erfinder. Unter anderem entwickelte er präzise Thermometer, für die er sich eine eigene Temperaturskala definierte. Seine Skala baute auf drei Fixpunkten auf. Fahrenheit wollte negative Temperaturen vermeiden, indem er den Nullpunkt auf eine sehr tiefe Temperatur legte. Er wählte dafür die Temperatur im kalten Winter 1708/1709 in seiner Heimatstadt Danzig (17;8 ı C). Noch kältere Temperaturen hielt er für kaum möglich. Diese Temperatur konnte er mit einer Kältemischung (Wasser, Eis, Salz) im Labor reproduzieren. Als weitere Fixpunkte wählte er den Gefrierpunkt von Wasser (32 ı F) und die Körpertemperatur eines gesunden Menschen (96 ı F).

1.2.2

. Abb. 1.4 Daniel Gabriel Fahrenheit (1686–1736) beim Experimentieren

Temperaturskala nach Celsius

Die Celsius-Skala stammt von dem schwedischen Astronomen Anders Celsius (. Abb. 1.5). Sie benutzt Gefrier- und Siedepunkt des Wassers unter Normaldruck als Fixpunkte. Der Temperaturbereich dazwischen wird mit einem Quecksilberthermometer in 100 gleiche Schritte unterteilt. In der Physik bezeichnet man Temperaturen, die in Celsius gemessen werden, zur Unterscheidung manchmal mit  statt T .

1.2.3

Temperaturskala nach Kelvin

Dies ist die heute im SI-System offiziell festgelegte Temperaturskala. Sie geht zurück auf William Thomson (. Abb. 1.6). Er war Professor für theoretische Physik in Glasgow und hat viele bedeutende Arbeiten im Bereich der Thermodynamik verfasst, befasste

. Abb. 1.5 Anders Celsius (1701–1744), Erfinder der Celsius-Skala. © akgimages/picture-alliance

1

10

Kapitel 1  Temperatur

1

. Abb. 1.6 William Thomson (1824–1907), der spätere Lord Kelvin. Fotografie von 1906. © Matthew Impey/PA Wire/empics/picture alliance

sich aber auch mit praktischen Dingen, wie der Verlegung von Tiefseetelegrafenkabeln. Im Jahre 1866 wurde er zum Ritter geschlagen und 1892 als 1. Baron Kelvin of Largs in den erblichen Adelsstand erhoben. Der Name „Kelvin“ verweist auf einen Fluss durch seine Heimatstadt Glasgow. Während die anderen Temperaturskalen die Temperatur relativ zu einem willkürlich gewählten Nullpunkt angeben, handelt es sich bei der Kelvin-Skala um eine absolute Skala. Wie wir noch sehen werden, gibt es eine minimale Temperatur, die Körper annehmen können, bzw. der sie sich annähern können. Diese Temperatur ist der Nullpunkt der kelvinschen Skala. Als zweiter Fixpunkt dient der Tripelpunkt von Wasser, der einer Temperatur von 273;16 ı K entspricht. Der Zahlenwert wurde so gewählt, dass ein Grad Kelvin einem Grad Celsius entspricht, sodass es für Temperaturunterschiede irrelevant ist, ob man sie in Grad Celsius oder Grad Kelvin misst. Am Tripelpunkt existiert Wasser als Flüssigkeit, Eis und Dampf nebeneinander. Dies ist nur bei einem festen Druck möglich (611,657 Pa). Darin liegt der Vorteil der Wahl des Tripelpunktes als Fixpunkt gegenüber dem Gefrierpunkt. Der Gefrierpunkt ist druckabhängig und erfordert eine externe Justierung des Drucks auf einen festen Wert. Beim Tripelpunkt hat man automatisch den richtigen Druck erreicht, sobald man die Koexistenz der drei Phasen beobachten kann. Experiment 1.4: Tripelpunkt von Wasser

Am Tripelpunkt von Wasser koexistieren Eis, Wasser und Dampf. Um diesen zu erreichen, gehen wir von Eiswasser aus und reduzieren den Druck. In einer Wasserschale schwimmen Eiswürfel. Die Schale befindet sich unter einer Glasglocke, aus der die Luft abgepumpt wird. Der Tripelpunkt liegt bei 0;01 ı C nur ganz knapp über der Temperatur des Eiswassers, aber bei einem Druck von nur etwa 6 mbar. Schaltet man die Pumpe ein, so reduziert sich der Druck. Wird der Tripelpunkt schließlich erreicht, so beginnen Wasser und Eis gleichzeitig zu verdampfen. Die Temperatur des Tripelpunktes ist erreicht. Der aufsteigende Wasserdampf stabilisiert den Druck am Tripelpunkt.

11 1.2  Temperaturskalen

1

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Beispiel 1.2: Tripelpunktzelle

Die Abbildung zeigt eine Tripelpunktzelle, wie sie zur Kalibration von Thermometern benutzt wird. Im Inneren befindet sich eine offene Röhre, in die das zu kalibrierende Thermometer eingeführt wird. Im Zwischenraum zwischen der Röhre und der äußeren Hülle befindet sich Wasser. Die Zelle wird von außen abgekühlt (z. B. mit Trockeneis). Im Inneren stellt sich der Tripelpunkt ein. Man erkennt die Koexistenz der drei Phasen. An der äußeren Wand haben sich Eiskristalle gebildet. Unten in der Zelle steht flüssiges Wasser, darüber befindet sich Wasserdampf. Der Tripelpunkt ist erreicht.

In . Tab. 1.1 sind die drei wichtigsten Temperaturskalen noch einmal im Vergleich dargestellt. Temperaturen können einfach von einer Skala in eine andere umgerechnet werden. Die Umrechnung ins SI-System erfolgt mit den folgenden Relationen: T .K/ D T .ı C/ C 273;16; 5 T .K/ D .T .ı F/ C 459;67/: 9

(1.3)

Nach Celsius rechnen wir um mit: T .ı C/ D T .K/  273;16; 5 T .ı C/ D .T .ı F/  32/: 9

(1.4)

© Mit freundlicher Genehmigung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt

12

Kapitel 1  Temperatur

. Tab. 1.1 Definition der Temperaturskalen Kelvin, Celsius und Fahrenheit

1

1.3

Kelvin K

Celsius ı C

Fahrenheit ı F

unterer Fixpunkt

absoluter Nullpunkt 0 K

Schmelztemperatur Kältemischung von Eis 0 ı C aus Eis, Wasser und Salmiak (17;8 ı C) 0 ı F

oberer Fixpunkt

Tripelpunkt Wasser 273,16 K

Siedetemperatur Wasser 100 ı C

Körpertemperatur 96 ı F

Verbreitung

SI-System

weltweit

USA

Längenausdehnung

Gegenstände dehnen sich bei Erwärmung aus. Dieser Effekt liegt den Thermometern zugrunde, die wir oben besprochen haben. Man kann dieses Verhalten mit einfachen Experimenten demonstrieren. Am einfachsten ist die Längenausdehnung zu zeigen (siehe 7 Experiment 1.5). Wir demonstrieren sie in diesem Experiment am Beispiel von Metallstäben. Dies trifft aber für die allermeisten Substanzen zu. Der Zusammenhang zwischen Temperaturänderung und Längenänderung kann recht kompliziert sein. Für nicht zu große Temperaturintervalle lässt er sich durch eine lineare Relation nähern: L D ˛T: L

(1.5)

Die Längenänderung L eines Stabes ist proportional zur Temperaturänderung T und zu seiner eigenen Länge L. Die Proportionalitätskonstante ˛ nennt man den „Längenausdehnungskoef-

. Tab. 1.2 Längen- und Volumenausdehnungskoeffizienten einiger gängiger Materialien Längenausdehnungskoeffizient ˛ [106 =K]

Volumenausdehnungskoeffizient  [106 =K]

Metalle

10. . . 30

Metalle

30. . . 100

Eis

50

Quecksilber

180

Quarzglas

0,5

Ethylalkohol

1100

Invar

0,7

Glycerin

500

Beton

12

Wasser

2

PVC

80

Luft

3

13 1.3  Längenausdehnung

fizienten“. Einige typische Werte sind in . Tab. 1.2 angegeben. Die Werte liegen in der Gegend von einigen ppm (parts per million) pro Kelvin. Auffällig ist das Material Invar. Es ist eine Metalllegierung aus Eisen und Nickel mit einem außergewöhnlich geringen Längenausdehnungskoeffizienten. Experiment 1.5: Längenausdehnung von Metallstäben

Mit der skizzierten Apparatur kann man die Längenausdehnung unterschiedlicher Metalle bestimmen. Als Testobjekt benötigt man ein Rohr aus dem jeweiligen Metall. Es wird von Zimmertemperatur aus erwärmt, indem man heißen Wasserdampft durch das Rohr leitet. Ein Thermometer kontrolliert die Temperatur des Rohres. Am linken Ende ist das Rohr fest eingespannt, am rechten liegt es auf einer Rolle. Verlängert sich das Rohr, dreht sich die Rolle, was über den Zeiger abgelesen werden kann, der sich um ' dreht. Die Längenausdehnung ist L D 2'r, mit dem Radius r der Rolle.

Beispiel 1.3: Dehnungsfuge an einer Brücke

Bei der thermischen Ausdehnung von Körpern können erhebliche Kräfte auftreten, wie 7 Experiment 1.7 zeigt. Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, um diese Kräfte zu absorbieren. Eine Möglichkeit sind Dehnungsfugen. Sie werden z. B. in Fliesenbelägen in Böden mit Fußbodenheizung eingebracht oder, wie im Bild zu sehen, in Brücken. Die Brücke selbst ist beweglich auf Rollen gelagert. Dehnt sich die Brücke aus, verschiebt sie sich leicht auf dem Lager. Die Dehnungsfuge nimmt die Bewegung auf.

1

14

Kapitel 1  Temperatur

1

Ein kleines Rechenbeispiel: Eine 100 m lange Stahlbrücke (˛ D 12  106 =K) verkürzt sich beim Abkühlen von 20 ı C auf 0 ı C um L D ˛T L D 2;4 cm

Beispiel 1.4: Ausdehnung von Gleisen

© 7 http://www.ulrich-rapp.de/

Auch Eisenbahngleise dehnen sich bei Erwärmung aus. Die Schienen werden bei 20 ı C verlegt. Im Sommer kann auch in Deutschland die Temperatur der Schienen bei direkter Sonneneinstrahlung bis auf 60 ı C ansteigen. Die Längenausdehnung eines 120 m langen Schienenstückes, wie es im Werk vorgefertigt wird, beträgt dann etwa 5 cm. Wird die Ausdehnung nicht absorbiert, kommt es zu Schäden an den Gleisen (siehe Bild). Früher hat man die Schienen mit einer Dehnungsfuge verlegt. Wenn der Zug über die Fuge rollt, erzeugt dies das charakteristische Fahrgeräusch eines Zuges (da-damm – da-damm). Heute werden bei der Deutschen Bahn die Gleise durchgehend lückenlos verschweißt. Zusätzlich werden sie alle 60 cm mit den Schwellen fest verspannt. Da sie fest fixiert sind, verändern sich die Schienen selbst bei Temperaturschwankungen nicht. Bei Temperaturänderung entstehen starke Spannungen, die von den Schwellen und dem Gleisbett aufgefangen werden müssen.

Beispiel 1.5: Temperaturkompensation einer Pendeluhr

Pendeluhren nutzen die Schwingungsfrequenz des Pendels als p 1 Zeitmarke. Die Frequenz beträgt 2 g= l . Ändert sich die Temperatur im Raum, so ändert sich die Länge des Pendels und damit ändert sich der Gang der Uhr. Bei einem typischen Metall mit einem Längenausdehnungskoeffizienten ˛ D 2  105 =K bewirkt

15 1.3  Längenausdehnung

eine Temperaturänderung von nur einem Grad, dass die Uhr pro Tag 1 Sekunde nachgeht. Ein Dreistangenpendel kompensiert die Längenausdehnung. Meist benutzt man eine Kombination aus Eisen (˛ D 1;2105 =K) und Zink (˛ D 3;0105 =K). Die Länge der Stäbe muss gut aufeinander abgestimmt sein, sodass die stärkere Ausdehnung des Zinkstabes die der beiden Eisenstäbe kompensiert.

Experiment 1.6: Bimetallschalter

Ein Bimetallstreifen besteht aus zwei Metallen mit unterschiedlichen Längenausdehnungskoeffizienten. Die beiden Bleche sind fest miteinander verbunden. Erwärmt man das Bimetall, so dehnen sich die beiden Blechstreifen unterschiedlich stark aus. Ist die Ausdehnung beispielsweise im oberen Streifen geringer, so wird sich das Bimetall nach oben biegen. Dies kann man als einfachen Thermoschalter nutzen. Solche Schalter werden in vielen Geräten benutzt, z. B. in Wasserkochern wird damit die Heizung unterbrochen, sobald die Siedetemperatur des Wassers erreicht ist. Unser Experiment zeigt einen einfachen Bimetallschalter. Der Schalter ist in einen Stromkreis mit einer Hupe eingebracht. Bei Zimmertemperatur ist der Bimetallstreifen nach unten gebogen. Der Stromkreis ist unterbrochen. Erwärmt man den Streifen mit einer Lötlampe, biegt er sich nach oben. Er schließt den Kontakt und löst die Hupe aus.

Beispiel 1.6: Bimetallthermometer

Aus einem einfachen Bimetallstreifen lässt sich ein Thermometer bauen, wenn dieser zu einer Spirale geformt ist. Die Bimetallspirale ist in der Mitte am Gehäuse befestigt. Die Schraube ist im Bild zu erkennen. Am anderen Ende ist ein Zeiger angebracht. Das Metall mit dem größeren Ausdehnungskoeffizienten befindet sich innen. Erwärmt sich die Spirale, dehnt sich der innere Metallstreifen stärker aus als der äußere und die Spirale streckt

1

16

Kapitel 1  Temperatur

1

sich etwas. Der Zeiger bewegt sich nach rechts. Bimetallthermometer sind über große Temperaturbereiche einsetzbar. Allerdings ist ihre Genauigkeit begrenzt.

Experiment 1.7: Bolzensprenger

Stellen Sie sich einen Bolzen mit einem Durchmesser von ca. 1 cm vor. Welche Kräfte sind notwendig, um eine solchen Bolzen durchzubrechen? Wie könnte man solch eine Kraft erzeugen? Auch wenn Wärmeausdehnungen oft nur gering sind, treten dabei enorme Kräfte auf. Sie können groß genug sein, um stabile Metallbauteile zu zerstören. Dies zeigt das folgende Experiment. Der Bolzen wird in die abgebildete U-förmige Halterung eingeschoben. Eine Schraube in der Mitte der Halterung übt eine Kraft quer auf den Bolzen aus. Wir ziehen die Flügelmutter auf der Schraube von Hand fest, was den Bolzen kaum beeinträchtigt. Dann erhitzen wir die Schraube mit einer Lötlampe und zwar möglichst, ohne dabei die Halterung mit zu erhitzen. Die Schraube dehnt sich aus und die Mutter lässt sich ohne größeren Kraftaufwand weiter festdrehen. Nach einigen Minuten drehen wir die Lötlampe ab. Wir spritzen Wasser auf die heiße Schraube. Es zischt. Die Schraube zieht sich wieder zusammen und mit einem Knall bricht der Bolzen durch. Nehmen wir an, wir haben die Schraube um etwa 500 ı C erhitzt. Dann hat sie sich bei einem Längenausdehnungskoeffizienten von 20  106 =K um 1 % verlängert, was etwa 1 mm entspricht. Nehmen wir weiterhin an, dass sich der Bolzen nicht durchbiegt, so ist die Schraube nach dem Abkühlen um 1 % ihrer Länge gestreckt. Bei einem Elastizitätsmodul von 200 GPa und einem Querschnitt der Schraube von etwa 1 cm2 ist dafür eine Kraft von 200 kN nötig. Dies entspricht einer Last von 20 t, die der Bolzen nach dem Abkühlen tragen müsste ohne zu brechen.

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1.4

Volumenausdehnung

Bei Flüssigkeiten ist die Form durch das Gefäß, in dem sich die Flüssigkeit befindet, vorgegeben. Deshalb wird hier die Betrachtung der Volumenausdehnung relevant. Sie kann von der Längenausdehnung abgeleitet werden. Nehmen wir an, der Körper hat

17 1.4  Volumenausdehnung

die Form eines Würfels der Kantenlänge L. V D L3 V C V D .L C L/3 D L3 C 3L2 L C 3LL2 C L3  L3 C 3L2 L L D V 3˛T V D V 3 L V D 3˛T D T: V

(1.6)

Der Volumenausdehnungskoeffizient  sollte etwa dreimal dem Längenausdehnungskoeffizienten entsprechen. Dies sieht man in . Tab. 1.2 für die Metalle bestätigt. Experiment 1.8: Volumenausdehnung einer Kugel

Wir können die Volumenausdehnung mit einer Metallkugel und einem passenden Metallring demonstrieren. Der Ring muss so gewählt sein, dass die Kugel gerade hindurchpasst. Erhitzt man die Kugel mit einer Gasflamme, so dehnt sich die Kugel soweit aus, dass sie auf dem Ring liegen bleibt. Wartet man einige Minuten, so kühlt sich die Kugel wieder ab. Sie schrumpft und fällt schließlich durch den Ring. Man sollte die Kugel an einem Draht sichern, dies ist auch zum Erhitzen hilfreich. Man kann die Demonstration spektakulärer gestalten, indem man am Draht einen Schalter anbringt, der beim Durchfallen einen Alarm (Klingel) auslöst.

Experiment 1.9: Volumenausdehnung einer Flüssigkeit

Man kann eine Flüssigkeit in einem Gefäß erwärmen und dabei den Füllstand der Flüssigkeit beobachten. Doch wenn Sie daraus eine Volumenänderung berechnen wollen, müssen Sie beachten, dass sich nicht nur die Flüssigkeit, sondern auch das Gefäß erwärmt und sich dabei ausdehnt. Die französischen Physikern Pierre Louis Dulong und Alexis Thérèse Petit haben bereits 1818 eine Messanordnung entwickelt, die dieses Problem umgeht. Wir haben sie in diesem Experiment nachgestellt. Die Flüssigkeit wird in ein U-Rohr eingefüllt, dessen beide Schenkel auf unterschiedlichen Temperaturen gehalten werden. Wir verwenden Eiswasser auf einer Seite und heißen Wasserdampf auf der anderen Seite. Der Flüssigkeitspegel in den beiden Schenkeln stellt sich so ein, dass sich in beiden Schenkeln

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1

18

1

Kapitel 1  Temperatur

die gleiche Masse an Flüssigkeit befindet. Bei unterschiedlicher Temperatur entsprechen die gleichen Massen aber unterschiedlichen Volumen, was zu unterschiedlichen Füllständen führt. Aus dem Gleichgewicht der Gewichtskräfte folgt: 0 V0 g D 100 V100 g; oder: 0 h0 Ag D 100 h100 Ag wobei sich der Index jeweils auf die Temperatur im Schenkel bezieht. Der Füllstand ist mit h bezeichnet und A ist die Querschnittsfläche des U-Rohrs. Aus dem Volumen VT D V0 .1 C T / ergibt sich die Dichte zu 100 D

0 : 1 C T

Setzen wir alles ineinander ein, erhalten wir (h D h100  h0 ): D

1 h : T h0

Experiment 1.10: Wie kommt das Ei in die Flasche?

Dieses Experiment zeigt die Volumenänderung von Luft unter Temperaturänderung. Es ist ein einfaches Experiment, das Sie gut selbst ausprobieren können. Sie brauchen eine Milchflasche und ein gekochtes und geschältes Ei. Das Ei soll in der Flasche aufbewahrt werden. Doch es passt nicht durch die Öffnung. Wie bekommen Sie das Ei in die Flasche? Sie brauchen dazu zwei Schüsseln mit Wasser: einmal kaltes Wasser und einmal kochendes. Stellen Sie die leere Flasche in das kochende Wasser und warten Sie einige Minuten, bis sich die Luft im Inneren deutlich erwärmt hat. Dann setzen Sie das Ei so auf die Öffnung der Flasche, dass es diese verschließt und stellen die Flasche nun ins kalte Wasser. Warten Sie ab und beobachten Sie (siehe Foto). Das Ei wird in die Flasche gedrückt. Erklären Sie dies! Wenn Sie das Ei wieder aus der Flasche herausholen wollen, so geht das am einfachsten mit einem Fön. Halten Sie die Flasche kopfüber, sodass das Ei die Öffnung von innen verschließt. Erwärmen Sie dann den Bauch der Flasche mit dem Fön (die Luft im Inneren muss erwärmt werden, nicht das Ei). Das Ei wird wieder langsam herausgedrückt.

19 1.4  Volumenausdehnung

Beispiel 1.7: Passfit eines Bolzens

Tonnenschwere Objekte können von Stahlbolzen getragen werden. Der Bolzen wird dabei in eine Bohrung eingeführt, die exakt dem Außendurchmesser des Bolzens entspricht. Durch Oberflächenrauigkeiten, Unregelmäßigkeiten der Form und Verkantung hält der Bolzen ohne weitere Befestigung. Aber wie bekommt man den Bolzen in das Loch? Eine Möglichkeit besteht darin, den Bolzen abzukühlen, wodurch er sich verkleinert und ins Loch einführen lässt. Erwärmt er sich durch Kontakt mit dem Objekt, ist er nicht mehr zu bewegen.

Dehnen sich Körper aus oder ziehen sie sich zusammen, so ändert sich ihre Dichte  D m=V . Beim Ausdehnen eines Körpers nimmt sie ab, beim Zusammenziehen zu. Konvektion und viele andere alltägliche Effekte beruhen darauf. Erwärmt sich Luft, so dehnt sie sich aus. Ihre Dichte nimmt ab, die Luft wird leichter und als Folge steigt sie auf, während an anderer Stelle als Gegenbewegung kalte Luft zu Boden sinkt. So entstehen beispielsweise Aufwinde über Flächen, die von der Sonne stark erwärmt werden (Thermik). Die Dichteänderung ist auch der Grund, warum man Kühltruhen ohne allzu große Verluste oben offen bauen kann. Solche Truhen findet man oft in Supermärkten. Die Luft im Inneren der Truhe wird stark abgekühlt. Sie wird dichter und bleibt am Boden der Truhe. Würde man versuchen, auf diese Art und Weise eine Wärmetruhe zu bauen, würde die warme Luft aufsteigen und die Wärme mit forttragen. Beispiel 1.8: Galilei-Thermometer

Ein Galilei-Thermometer ist ein flüssigkeitsgefüllter Glaszylinder, in dem sich mehrere dekorative Schwimmer befinden. Die Schwimmer haben alle leicht unterschiedliche Dichte, was durch die angehängten Gewichte oder den Füllstand der Schwimmer erreicht werden kann. Die Dichten sind abgestuft. Der unterste hat die höchste Dichte. Ändert sich die Temperatur im Raum, so ändert sich die Dichte der Flüssigkeit im Glaszylinder und damit der Auftrieb der Schwimmer. Mit steigender Temperatur sinken mehr und mehr Schwimmer zu Boden. Das Thermometer ist nach Galileo Galilei benannt, da er entdeckte, dass sich die Dichte von Flüssigkeiten mit der Temperatur ändert.

Wir haben nun viele Beispiele gesehen, von Körpern, die sich bei Erwärmung ausdehnen. Dies ist der Regelfall. Es gibt aber auch Ausnahmen. Eine wichtige Ausnahme ist Wasser. Zwischen dem

1

20

Kapitel 1  Temperatur

1

. Abb. 1.7 Die Dichte von Wasser in Abhängigkeit der Temperatur

Gefrierpunkt und 3;98 ı C nimmt das Volumen von Wasser mit steigender Temperatur ab. Dies nennt man die „Dichteanomalie von Wasser“. Der Verlauf der Dichte von Wasser mit der Temperatur ist in . Abb. 1.7 zu sehen. Am Gefrierpunkt springt die Dichte um fast 10 %. Eis hat eine deutlich geringere Dichte als die Flüssigkeit. Deshalb schwimmen Eiswürfel und Eisberge in Wasser. In der Ausschnittsvergrößerung sieht man deutlich, wie die Dichte von Wasser von 0 ı C bis etwa 4 ı C ansteigt. Dieses gegenüber anderen Materialien umgekehrte Verhalten liegt daran, dass sich in Wasser knapp oberhalb des Gefrierpunktes noch Reste der Strukturen von Eis finden lassen, die sich erst auf 4 ı C hin auflösen. Bei 4 ı C verschwindet der Ausdehnungskoeffizient von Wasser ganz und geht darüber in das normale Verhalten einer Flüssigkeit über. Das Maximum der Dichte liegt bei H2 O D 1 kg=l. Dies wurde früher als Definition des Kilogramms benutzt. Beispiel 1.9: Temperaturgradient in einem Bergsee

In Seen ohne starke Durchmischung durch Strömungen bestimmt die Dichteanomalie weitgehend deren Temperaturgradienten. Fällt die Umgebungstemperatur unter 4 ı C, sinkt 4 ı C kaltes Wasser zu Boden, die kälteren Schichten schwimmen wegen ihrer geringeren Dichte darauf. Fällt die Umgebungstemperatur gar unter den Gefrierpunkt, friert der See von oben her zu. Es bildet sich eine Eisschicht über dem Wasser. Bei längerem Frost wird die Schicht allmählich dicker. Da die Eisschicht das darunterliegende Wasser isoliert, wächst die Schicht nur langsam. Tiefere Seen frieren daher nie vollständig zu. Viele Fischarten nutzen das

21 1.4  Volumenausdehnung

4 ı C kalte Wasser am Boden, um zu überwintern. Sie senken ihre Körpertemperatur weit ab und verschlafen den Winter in der Bodenschicht der Seen. Bei Umgebungstemperaturen oberhalb von 4 ı C dreht sich der Temperaturgradient um. Nun schwimmen warme Schichten auf dem 4ı kalten Wasser. Am Grund des Sees stellt sich eine konstante Temperatur von 4 ı C ein.

Experiment 1.11: Temperaturinversion in Wasser

In Beispiel 1.9 hatten wir die Inversion des Temperaturprofils in Seen auf Grund der Dichteanomalie des Wassers beschrieben. In diesem einfachen Experiment zeigen wir diese in einem Becherglas. Wir füllen das Becherglas mit kaltem Wasser von ca. 10 ı C. Ein Thermometer misst die Temperatur Tu am Boden des Becherglases. Es zeigt etwa 10 ı C an. Dann füllen wir vorsichtig Eiswürfel in das Becherglas. Sie schwimmen an der Oberfläche und kühlen dort das Wasser weiter ab. Das kältere Wasser sinkt

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22

Kapitel 1  Temperatur

1

zu Boden, so dass das Thermometer eine rasch fallende Temperatur anzeigt, die sich schließlich auf 4 ı C einstellt. Weiter sinkt die Temperatur unten im Becherglas nicht. Kühlt sich das Wasser an der Oberfläche auf eine Temperatur unter 4 ı C ab, so hat dieses auf Grund der Dichteanomalie eine geringere Dichte als das Wasser von 4 ı C, das sich am Boden des Gefäßes befindet. Das kältere Wasser schwimmt nun oben im Gefäß, so dass sich die Temperatur unten nicht weiter ändert.

Beispiel 1.10: Thermische Spannungen

© wikimedia: Michael Grogan

Viele Materialien, wie z. B. Glas, werden bei hohen Temperaturen hergestellt. Kühlt man das Material nach der Herstellung ab, schrumpft das Volumen. Kühlt man Glas nicht an allen Stellen gleichmäßig ab, kommt es zu thermischen Spannungen, die im Material eingefroren werden. Es kann bereits bei geringen Verletzungen der Oberfläche oder gar beim Abkühlen springen. Um allzu große thermische Spannungen zu verhindern, muss das Glas langsam abgekühlt werden, so dass sich jederzeit überall im Glas die gleiche Temperatur einstellt. Eine Spielart dieser Spannungen zeigen die sogenannten Bologneser Glastränen (Foto). Man stellt sie her, indem man flüssiges Glas in Wasser tropft. Der Kopf der Träne ist sehr stabil. Bricht man aber den Schwanz ab, zerspringt die Träne auf Grund der inneren Spannungen in Glasstaub. Thermische Spannungen treten auch beim ungleichmäßigen Erwärmen von Glas auf. Geben Sie kochendes Wasser in ein dickwandiges Glasgefäß, springt dieses. Glas ist ein guter thermischer Isolator. Das kochende Wasser erwärmt zunächst nur die Innenseite der Gefäßwände, welche sich ausdehnen, bis es zum Springen des Glases kommt. Auch das Platzen einer Wasserflasche im Eisfach geht auf eine Art thermische Spannung zurück. Hier liegt die Ursache aber nicht in den thermischen Eigenschaften des Glases, sondern der eingeschlossenen Flüssigkeit, d. h. des Wassers. Beim Gefrieren dehnt sich das Wasser aus. Eis hat ein etwa 10 % größeres Volumen als die Flüssigkeit. Dies bringt die Flasche zum Platzen, wie im Foto zu sehen ist.

23 1.4  Volumenausdehnung

?Aufgaben 1. Ein quaderförmiger Stahltank mit einem Volumen von 50 l wird bei 10 ı C randvoll mit Benzin gefüllt. Wie viel Benzin läuft aus, wenn sich die Temperatur auf 30 ı C erhöht? 4 Volumenausdehnungskoeffizient Benzin  D 1;05  103 K1 4 Längenausdehnungskoeffizient Stahl ˛ D 13  106 K1 2. Betrachten Sie das in 1.5 vorgestellte temperaturkompensierte Pendel einer Pendeluhr. Wie lang müssen die Zinkstäbe gewählt werden, wenn die Länge des Pendels 1 m beträgt? 4 Längenausdehnungskoeffizient Eisen ˛Fe D 12  106 K1 4 Längenausdehnungskoeffizient Zink ˛Zn D 36  106 K1 . 3. Ein Bimetallstreifen besteht aus zwei 1 mm dicken Schichten, die eine aus Eisen, die andere aus Messing. Bei 20 ı C ist der Bimetallstreifen gerade. Berechnen Sie den Krümmungsradius bei 200 ı C. 4 Längenausdehnungskoeffizient Eisen ˛Fe D 12  106 K1 4 Längenausdehnungskoeffizient Messing ˛Me D 18  106 K1 4. Ein Eisenbahnrad soll auf seine Achse warm aufgezogen werden. Das Rad hat einen Durchmesser von 900 mm, eine Dicke von 80 mm und besitzt ein Loch mit einem Durchmesser von 180 mm. Alle Maße wurden bei Raumtemperatur genommen. Ebenfalls bei Raumtemperatur hat die Achse einen Außendurchmesser von 180,4 mm. Wie stark muss das Rad erhitzt werden, damit es auf die Achse aufgezogen werden kann? Welche Spannung herrscht in dem Rad, wenn es wieder abgekühlt ist? Wie groß ist die Kraft, mit der das Rad auf die Achse gepresst wird? 4 Längenausdehnungskoeffizient Stahl ˛ D 13  106 K1 4 Elastizitätsmodul Stahl E D 2;1  1011 N=m2

1

25

Wärme Inhaltsverzeichnis 2.1

Wärme und Energie – 26

2.2

Wärmekapazität – 29

2.3

Der erste Hauptsatz der Wärmelehre – 37

2.4

Wärmetransport – 46

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Roth, A. Stahl, Wärmelehre, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67213-6_2

2

26

Kapitel 2  Wärme

2.1

2

Wärme und Energie

Wie man im Alltag leicht beobachten kann, gleichen sich die Temperaturen von Objekten, die sich im gegenseitigen Kontakt befinden, an. Eine heiße Tasse Kaffee im Kontakt mit der umgebenden Luft kühlt sich ab, während sich ein Eisbecher erwärmt (. Abb. 2.1). Physikalisch sagen wir, der Kaffee gibt Wärme an die Umgebung ab, der Eisbecher nimmt Wärme aus der Umgebung auf. In der Umgangssprache unterscheidet man Wärme und Kälte. Wie wir noch verstehen werden, tritt in der Physik nur Wärme auf. Kälte ist die Abwesenheit oder der Verlust von Wärme. Die abgegebene bzw. aufgenommene Wärmemenge bezeichnen wir mit Q. Ist sie negativ, gibt der Körper Wärme ab, wie dies bei der Kaffeetasse der Fall ist. Ist Q positiv, nimmt der Körper Wärme aus der Umgebung auf (Eisbecher). Wärme ist eine Energieform. Wie wir bereits mehrfach gesehen haben, kann mechanische Energie durch Reibung in Wärme umgewandelt werden. Auch der umgekehrte Weg ist (teilweise) möglich. Er wird in Wärme-Kraft-Maschinen ausgenutzt (7 Abschn. 4.4). Die Wärmemenge trägt daher die Energieeinheit Joule. Im Alltag ist ferner die Einheit Kalorie (cal) noch üblich. Eine Kalorie bezeichnet die Wärmemenge, die nötig ist, um 1 g Wasser von 14;5 ı C auf 15;5 ı C zu erwärmen. Dies entspricht 4,1855 J. John Prescott Joule (Mitarbeiter von William Thomson alias Lord Kelvin) und dem Heilbronner Arzt Robert Mayer gelangen unabhängig voneinander und fast gleichzeitig die quantitative Messung der Umwandlung von mechanischer Energie und Wärmemenge. Man nennt den Wert das „mechanische Wärmeäquivalent“. Es gibt an, wie viel mechanische Energie einer bestimmten Wärmemenge entspricht. Ein Verfahren zur Bestimmung des Wärmeäquivalents zeigt 7 Experiment 2.1.

. Abb. 2.1 Wärmeaustausch mit der Umgebung. Der Kaffee kühlt sich ab, der Eisbecher erwärmt sich

27 2.1  Wärme und Energie

Experiment 2.1: Mechanisches Wärmeäquivalent

Die Abbildung zeigt die historische Apparatur von Joule (Reproduktion). Die mechanische Arbeit wird von einem Gewicht (rechts) geleistet, das langsam nach unten fällt. Ein Maßstab gibt die Höhe an. Das Gewicht hängt an einer Schnur, die über eine Spindel einen Rotor in einem Wassergefäß dreht. Über die Reibung der Rotorflügel im Wasser wird die mechanische Arbeit in Wärme umgesetzt. Mit dem Thermometer bestimmt man die Erwärmung. Direkt einsichtig ist die Messung, wenn man als Wärmeeinheit die Kalorie benutzt. Befinden sich im Gefäß 100 ml Wasser, so sind 100 cal nötig, um dieses um 1 ı C zu erwärmen. Mit der Apparatur konnte Joule die mechanische Arbeit bestimmen, die für eine solche Erwärmung verrichtet werden muss.

Wie Sie vielleicht bemerkt haben, haben wir die Objekte, mit denen wir uns beschäftigen, intuitiv in das eigentliche System, das besprochen werden soll, und dessen Umgebung unterteilt. So haben wir im Kaffeehaus die heiße Kaffeetasse als System aufgefasst, umgeben von der Raumluft. Oder in 7 Experiment 1.5 ist das System das Metallrohr, dessen Ausdehnung wir messen wollten, während Tisch und Raumluft zur Umgebung gehören. Die Unterteilung in System und Umgebung ist nicht immer eindeutig. So könnte man bei 7 Experiment 1.5 die linke Halterung des Rohres zum System oder zur Umgebung zählen. Im Zweifelsfalle muss man angeben, was man unter dem System genau versteht.

2

28

2

Kapitel 2  Wärme

Man unterscheidet dann 4 offene Systeme, bei denen sowohl Energie, z. B. in Form von Wärme, als auch Materie (z. B. heißer Dampf von der Kaffeetasse) mit der Umgebung ausgetauscht werden können. 4 geschlossene Systeme, bei denen Energie, aber keine Materie mit der Umgebung ausgetauscht werden kann (z. B. Wärme aus der Umgebung, die das Speiseeis zum Schmelzen bringt). 4 und schließlich abgeschlossene Systeme, bei denen weder Energie noch Materie mit der Umgebung ausgetauscht werden können. Ein solches abgeschlossenes System bekommen wir näherungsweise, wenn wir den gesamten Raum des Kaffeehauses als System betrachten, denn Energie- und Materieaustausch mit den Nachbarräumen sind vermutlich vernachlässigbar. Die Physiker vor Joule und Mayer waren der Meinung, dass es sich bei Wärme um eine Substanz handele, die sie „Phlogiston“ oder „Caloricum“ nannten. Sie sollte in allen Körpern vorhanden sein, aber keine Masse besitzen. Kühlt sich ein Körper ab, sollte das Phlogiston entweichen. Der Offizier und Physiker Benjamin Thompson entwickelte wärmedämmende Unterwäsche für Soldaten, energieeffiziente Herde und falsche Theorien zur Wärmeleitung von Gasen. Doch 1798 führte er ein wichtiges Experiment durch. Kanonen wurden damals in Geschützgießereien aus Bronze gegossen. Nach dem Gießen wurde mit einem Stahlbohrer das Rohr freigebohrt. Be-

. Abb. 2.2 Der Thompson’sche Kanonenbohrversuch: Skizze des Aufbaus aus einem Artikel in The Popular Science Monthly, Volume 73, Seite 32ff über die Arbeiten von Benjamin Thompson, dem späteren Count Rumford. Der Rohling ist fest eingespannt. Der Bohrer wird von zwei Pferden angetrieben. Die Spitze des Bohrers durchläuft vor dem Rohling einen Wasserbehälter über dessen Erwärmung er das Entweichen des Phlogistons beobachtete.

29 2.2  Wärmekapazität

nutzte man einen stumpfen Bohrer, wurden die Rohlinge heiß, aber ein Loch entstand nicht. Thompson argumentierte, wenn Wärme aus Phlogiston besteht, dann entweicht dieses beim Bohren mit einem stumpfen Bohrer aus dem heißen Rohling in die Umgebung. Bohrt man nur lange genug, müsste alles Phlogiston entwichen sein und der Rohling sollte sich wieder abkühlen. Also bohrte er tagelang, mit stumpfen Bohrern auf Rohlingen herum (siehe . Abb. 2.2). Doch eine auch nur geringfügige Abkühlung der heißen Rohlinge konnte er nicht beobachten, woraus er folgerichtig schloss, dass Wärme keine materielle Grundlage hat. Beispiel 2.1: Brennwert

Der Energieinhalt von Nahrungsmitteln wird als Brennwert angegeben. Ein Stück Sachertorte, wie im Foto zu sehen, hat einen Brennwert von etwa 400 kcal oder etwa 1700 kJ. Wenn Sie das Stück essen, wird Ihr Körper etwa 20 % dieser Energie aufnehmen und speichern (ca. 330 kJ). Wenn Sie nicht zunehmen wollen, müssen Sie diese zusätzliche Energie wieder abtrainieren, z. B. in dem Sie Treppen steigen. Bei einem Körpergewicht von 70 kg müssen Sie dafür 500 m erklimmen, Sie müssen etwa 2500 Stufen steigen. Und da ist die Sahne noch nicht einmal mitgerechnet .

2.2

© wikimedia: Dinkum

Wärmekapazität

Führt man einem Körper Wärme zu, so erhöht sich seine Temperatur. Dabei ist die Temperaturerhöhung umso größer, je mehr Wärme zugeführt wird. Diese Erwärmung wollen wir quantitativ erfassen. Um wie viel Grad wird sich ein Körper durch die Zufuhr einer bestimmten Wärmemenge erwärmen? Anschaulich dürfte einsichtig sein, dass Wärmezufuhr und Temperaturerhöhung einander proportional sind. Angewandt auf das Beispiel in . Abb. 2.3 bedeutet dies, dass sich die Temperatur der Flüssigkeit im Reagenzglas um das Doppelte erhöht, wenn das Reagenzglas die doppelte Zeit in die Flamme gehalten wird. Ausgedrückt in einer Formel heißt dies: Q D CT:

(2.1)

Die Proportionalitätskonstante C heißt Wärmekapazität. Sie gibt an, wie viel Wärme zugeführt werden muss, um den Gegenstand um 1 K zu erwärmen. Wärmekapazitäten kann man sowohl für feste, als auch für flüssige oder gasförmige Körper angeben. Sie hängt unter anderem vom Material ab, aus dem der Körper be-

. Abb. 2.3 Eine Flüssigkeit in einem Reagenzglas wird erhitzt

2

30

Kapitel 2  Wärme

2

. Abb. 2.4 Gedankenexperiment zur Abhängigkeit der Wärmekapazität von der Stoffmenge

steht, und von der Menge der Substanz. Die Einheit der Wärmekapazität ist J=K. Der Name „Wärmekapazität“ ist ein unglücklich gewählter Fachbegriff. Der Duden übersetzt Kapazität mit „Fassungs- oder Speichervermögen“, was suggeriert, dass man einem Körper nur eine begrenzte Menge Wärme zuführen könnte, bis eben das Fassungsvermögen erschöpft ist. Dies ist aber nicht der Fall. Man kann einem Körper beliebige Mengen an Wärme zuführen. Er wird dabei immer heißer. Grenzen kann man höchstens in Phasenübergängen sehen, bei denen der Körper zerstört wird. Die Wärmekapazität ist eine Eigenschaft eines jeden Körpers. Unterschiedliche Körper erwärmen sich bei Wärmezufuhr unterschiedlich stark. Eine Büroklammer wird sich beispielsweise viel mehr erhitzen, als eine Stahlkugel, wenn beide eine gleich lange Zeit in eine Flamme gehalten werden. Anschaulich sollte klar sein, dass die zum Erhitzen benötigte Wärme von der Menge an Substanz, aus der der Körper besteht, abhängt. Eine kleine Stahlkugel wird sich schneller erwärmen als eine große. Ein Gedankenexperiment zeigt den quantitativen Zusammenhang (. Abb. 2.4). In einem ersten Experiment werden zwei identische Körper der Masse 1 kg mit Bunsenbrennern erwärmt. Gemessen wird die Zeit, die notwendig ist, um die Körper um 1 K zu erwärmen. Aus der Leistung der Bunsenbrenner ergibt sich eine zugeführte Wärmemenge von 200 J je Körper. Die Wärmekapazität ist folglich 200 J=K. Nun denkt man sich die beiden Körper zu einem einzigen vereint. Die Masse ist 2 kg. Dieser wird ebenfalls um 1 K erwärmt. Da die Erwärmung wohl kaum davon abhängt, ob die Würfel als zwei getrennte Körper oder als ein einziger betrachtet werden, muss in beiden Fällen dieselbe Wärmemenge aufgebracht werden, also 400 J. Die Wärmekapazität des kombinierten Körpers

31 2.2  Wärmekapazität

. Tab. 2.1 Spezifische Wärmekapazitäten einiger Stoffe bei 20 ı C (bei Gasen unter konstantem Druck cp ) c in kJ=.kg K/ Luft

c in kJ=.kg K/

trocken

1,005

Eisen

0,45

feucht (100 %)

1,030

Kupfer

0,382

Aluminium

0,896

Wasserstoff

14,3

Helium

5,193

Lithium

3,582

Sauerstoff

0,912

Blei

0,129

Stickstoff

1,021

Gold

0,129

Kohlendioxid

1,046

Messing

0,384

Wasser

gasförmig

2,020

Graphit

0,720

flüssig

4,182

Diamant

0,502

fest

2,060

Silizium

0,707

Ethanol

2,43

Kochsalz

0,88

Öl

1,6 . . . 2,0

Quarzglas

0,703

Petroleum

2,14

Quecksilber

0,139

ist folglich 400 J=K, doppelt so groß wie für den Körper halber Masse. Wir schließen daraus, dass die Wärmekapazität proportional zur Menge des zu erwärmenden Stoffes sein muss. Daher bezieht man die Wärmekapazität in der Regel auf eine feste Stoffmenge. Dies kann entweder eine feste Masse oder eine feste Anzahl an Atomen bzw. Molekülen sein. Wir fügen dies als zusätzlichen Faktor in Gl. 2.1 ein und erhalten: spezifische Wärmekapazität Q D cmT molare Wärmekapazität Q D Cm T:

(2.2)

In der ersten Gleichung bezieht sich die Wärmekapazität auf die Masse m des Stoffes. Man nennt c die spezifische Wärmekapazität. Sie gibt an, wie viel Wärme man braucht, um 1 kg des Stoffes um 1 K zu erwärmen. Die zweite Größe ist die molare Wärmekapazität Cm , die sich auf 1 mol des Stoffes bezieht ( ist die Stoffmenge in mol). In . Tab. 2.1 sind beispielhaft Werte für einige Stoffe angegeben. Um die Wärmekapazität eines bestimmten Körpers zu erhalten, muss man mit der Masse m, bzw. der Stoffmenge  (Anzahl mol) multiplizieren.

2

32

Kapitel 2  Wärme

2

. Abb. 2.5 Abhängigkeit der Wärmekapazität flüssigen Wassers von der Temperatur

Am Anfang des Kapitels (Gl. 2.1) hatten wir argumentiert, dass die Temperaturerhöhung eines Körpers der zugeführten Wärmemenge proportional ist. Dies ist nur eine Näherung. Die Wärmekapazität ist keine strenge Konstante, sie kann sich mit der Temperatur ändern. In . Abb. 2.5 ist dieses Verhalten für Wasser gezeigt. Die Wärmekapazität hat ein Minimum bei etwa 40 ı C. Insgesamt zeigt sich eine Variation von ungefähr 1 % zwischen 0 ı C und 100 ı C. (Beachten Sie, dass auf der y-Achse der Nullpunkt unterdrückt ist.) Vorsicht ist allerdings an den Phasenübergängen geboten. Dort treten meist Sprünge im Temperaturverhalten der Wärmekapazität auf. Flüssiges Wasser hat eine Wärmekapazität von ungefähr 4;18 kJ=kg K, Eis dagegen nur von 2;06 kJ=kg K, und Wasserdampf hat bei 100 ı C eine spezifische Wärmekapazität bei konstantem Druck von 2;337 kJ=kg K und bei 300 ı C von 2;010 kJ=kg K. Wir wollen hier schon ein wenig vorgreifen auf die Diskussion der Phasenübergänge in 7 Abschn. 5.2. Erhitzt man Wasser, so steigt die Temperatur kontinuierlich, bis der Siedepunkt erreicht wird. Bei weiterer Wärmezufuhr siedet das Wasser, ohne dass sich dabei die Temperatur weiter erhöht. Je mehr Wärme man zuführt, desto mehr Wasser geht aus der Flüssigkeit in die Gasphase über. Ist schließlich so viel Wärme zugeführt, dass die gesamte Flüssigkeit verdampft ist, ändert sich die Situation wieder. Mit weiterer Wärmezufuhr steigt jetzt die Temperatur des Gases wieder an. Die Wärmemenge, die notwendig ist, um nach Erreichen des Siedepunktes die gesamte Flüssigkeit in die Gasphase zu überführen, nennt man die latente Wärme. Sie hängt von der Stoffmenge ab, sodass man sie meist als Wärmemenge pro Masse angibt. Derselbe Effekt tritt beim Schmelzen von Eis und anderen Phasenübergängen auf. Die latente Wärme bezeichnet jeweils die Wärmemenge, die notwendig ist, um den Stoff vollständig von der einen in die andere Phase zu überführen. Beim Durchlau-

33 2.2  Wärmekapazität

. Tab. 2.2 Latente Wärme einiger Stoffe Schmelztemperatur (ı C)

Schmelzwärme (kJ=kg)

Siedetemperatur (ı C)

Verdampfungswärme (kJ=kg)

Wasserstoff

259,1

59

252,0

446

Stickstoff

210,0

26

196,0

199

56,6

180

Kohlendioxid Wasser Alkohol Aluminium Kupfer

0

333,5

114 660,32 1084,6

Blei

327

Gold

1064



– 100

2256

104

78

845

398

2470

10.900

210

2595

4730

23,4

1750

858

63

2970

1700

fen des Phasenüberganges in umgekehrter Richtung (z. B. bei der Kondensation von Wasserdampf) wird die entsprechende Wärmemenge wieder freigesetzt. Speziell beim Schmelzen und Verdampfen eines Stoffes spricht man auch von der „Schmelz- bzw. Verdampfungswärme“. Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass es auch Phasenübergänge gibt, an denen keine latente Wärme auftritt. Beispiel 2.2: Wasser Kochen

Will man einen Liter Wasser von Raumtemperatur (20 ı C) auf 100 ı C erhitzen, so benötigt man dafür eine Wärmemenge von Q D cH2 O mT D 4;18

kJ  1 kg  80 K D 335 kJ: kg K

Mit derselben Energie könnte man den Liter Wasser auf eine Höhe von 34 km anheben. Wie man sieht, sind zum Erwärmen von Stoffen Energien nötig, die größer sind als typische mechanische Energien. Hat das Wasser 100 ı C erreicht, beginnt es zu sieden. Das Verdampfen benötigt noch größere Energien. Um einen Liter Wasser vollständig zu verdampfen, sind 2256 kJ nötig (siehe . Tab. 2.2). Nehmen wir eine Leistung der Heizplatte von 1 kW an, so dauert es rund 5 Minuten, um das Wasser zum Sieden zu bringen und 40 Minuten, um es vollständig zu verdampfen.

2

34

Kapitel 2  Wärme

Beispiel 2.3: Energieverbrauch zum Heizen

Typische Wärmemengen, wie sie in einfachen Prozessen auftreten, sind meist größer als die mechanischen Energien, die in ähnlichen Situationen auftreten. Ein alltägliches Beispiel mag das zeigen: Die meiste Energie verbraucht ein Haushalt für Wärmequellen, dazu gehören die Raumheizung, aber auch Herde, Backöfen oder Waschmaschinen. Schon ein kleiner Heizlüfter hat eine Leistung von 1 bis 3 kW, wobei nur ca. 50 W auf das Gebläse entfallen. Der Rest wird in Wärme umgewandelt.

2

Beispiel 2.4: Maritimes und kontinentales Klima

Das Wasser der Ozeane wirkt als Temperaturpuffer auf das Klima. Wegen der hohen Wärmekapazität von Wasser erwärmt sich dieses nur langsam und kühlt sich ebenso langsam ab. Dies führt zu einem Ausgleich der Temperaturen sowohl zwischen Sommer und Winter, als auch im Tagesverlauf. Zu warmen Zeiten nimmt das Wasser Wärme auf, die es in kalten Zeiten wieder abgibt. Dasselbe passiert an Land, allerdings ist der Effekt wegen der geringeren Wärmekapazität des Bodens deutlich kleiner. In Europa spüren wir vornehmlich den Einfluss des Atlantischen Ozeans. Die Grafiken zeigen die mittlere Temperatur im Verlauf eines Jahres in der Hafenstadt Brest in der französischen Bretagne, in Toru´n im Herzen Polens und in der sibirischen Stadt Kolpaševo1 . Mit zunehmender Entfernung zum Atlantik steigt der Temperaturunterschied zwischen Sommer und Winter deutlich an.

1

Daten: Matthias Forkel, 7 www.klima-der-erde.de

35 2.2  Wärmekapazität

Wärmekapazitäten sind Materialeigenschaften, die experimentell bestimmt werden müssen. Man benutzt dazu Mischungskalorimeter (siehe 7 Experiment 2.2). Experiment 2.2: Spezifische Wärme

Ein Mischungskalorimeter ist ein isoliertes Gefäß, gefüllt mit einer Flüssigkeit mit bekannter Wärmekapazität, meist Wasser. Man erwärmt die Probe auf die Temperatur TProbe , und gibt sie in das mit einem Thermometer versehene Kalorimeter. Ein Rührer dient der Durchmischung des Wassers und damit einem schnelleren Angleichen der Temperaturen. Das Wasser im Kalorimeter erwärmt sich von T1 auf T2 . Die Probe kühlt sich sich auf T2 ab. Dann ist: QH2 O D QProbe CH2 O .T2  T1 / D CProbe .TProbe  T2 / ) CProbe D CH2 O

T2  T1 : TProbe  T2

Obwohl das Gefäß isoliert ist, wird es Wärmeverluste geben. Diese kann man aus dem zeitlichen Verlauf der gemessenen Temperatur abschätzen. Der obige Graph zeigt diesen Verlauf. Extrapoliert man den Temperaturverlauf auf den Temperatursprung zu

2

36

2

Kapitel 2  Wärme

(gepunktete Linien), so kann man dort eine Temperaturerhöhung ablesen, die weitgehend auf die Wärmeverluste des Mischungskalorimeters korrigiert ist.

Beispiel 2.5: Heizenergie eines Hauses

Sie möchten die Temperatur in diesem Haus (Wohnfläche 150 m2 , Raumhöhe 2,4 m) um 1 Grad erhöhen. Was kostet das? LuftvolumenW VLuft D 150 m2  2;4 m D 360 m3 mLuft D Luft  VLuft LuftmasseW

kg  360 m3 D 432 kg m3 Benötigte WärmeW Q D cLuft mLuft T D 120 kWh ct  120 kWh D 42 C PreisW 35 kWh D 1;2

(2.3)

Hinzu kommt die Erwärmung von Möbeln, Wänden, etc.

Beispiel 2.6: Eiswürfel im Cocktail

Cocktails und Longdrinks kühlen wir durch die Zugabe von Eiswürfeln. Schauen wir uns ein Beispiel an! Sie haben einen Longdrink gemixt und füllen ihn in ein Glas. Das Volumen sei 200 ml, was einer Masse von M D 0;2 kg entspricht. Die Temperatur betrage TU D 22 ı C. Sie geben zwei Eiswürfel mit einer Masse von je m D 0;02 kg und einer Temperatur von T0ı D 0 ı C in den Drink. Welche Endtemperatur TE ergibt sich?

37 2.3  Der erste Hauptsatz der Wärmelehre

Der Drink gibt Wärme an die Eiswürfel ab: QM D McW .TU  TE /: Die Eiswürfel nehmen Wärme auf: Qm D mcW .TE  T0ı / C m; dabei ist  D 333;5 kJ=kg die Schmelzwärme des Eises. Für die spezifische Wärme cW nehmen wir den Wert für Wasser cW D 4;18 kJ=.kgK/ an. Die beiden Wärmemengen QM und Qm müssen gleich sein, sofern wir Wärmeaustausch mit der Umgebung vernachlässigen können. Wir setzen sie gleich und erhalten: TE D

TU C rT0ı  r cW 1Cr

;

mit dem Massenverhältnis r D m=M . Mit den Zahlenwerten von oben ergibt sich eine Temperatur des Getränks von TE D 5 ı C.

2.3 2.3.1

Der erste Hauptsatz der Wärmelehre Zustandsgrößen

Um die Aussage des ersten Hauptsatzes zu verstehen, müssen wir uns mit Prozessen beschäftigen, bei denen Systemen Wärme und/oder mechanische Energie zu- oder abgeführt wird. Wir betrachten dazu ein Gas als Modellsystem. Ein solches System ist in . Abb. 2.6 skizziert. In einem Zylinder (geschlossenes System) befindet sich ein Gas mit Volumen V unter dem Druck p. Über einen Stempel kann der Druck auf das Gas variiert werden, indem wir mehr oder weniger Bleikugeln auflegen. Das Gas ist an ein Wärmereservoir gekoppelt, das das Gas auf die Temperatur TU stabilisiert. Bevor wir den ersten Hauptsatz besprechen können, müssen wir uns mit dem Begriff der Zustandsgröße beschäftigen. Zustandsgrößen sind physikalische Größen, die den Zustand des Systems beschreiben und denen wir in einem solchen Zustand einen eindeutigen Wert zuweisen können. Wir haben schon einige Zustandsgrößen kennengelernt. Die Temperatur T ist eine Zustandsgröße, aber auch der Druck p, das Volumen V oder die Stoffmenge  eines Systems, nicht aber die Wärmemenge Q im System oder die verrichtete Arbeit W . Entscheidend ist, dass

. Abb. 2.6 Ein Gas in einem isolierten Kolben als Modellprozess

2

38

2

Kapitel 2  Wärme

wir den Zustandsgrößen Werte zuweisen, die nur vom aktuellen Zustand abhängen, aber nicht vom Weg, auf dem das System in diesen Zustand gekommen ist. Wenn also O eine Zustandsgröße sein soll, dann muss für eine Zustandsänderung vom Zustand 1 nach Zustand 2 das Integral Z dO D O.2/  O.1/ (2.4) 1!2

vom Weg, auf dem das System von 1 nach 2 gebracht wird, unabhängig sein, was impliziert, dass das Integral über die Zustandsgröße auf einem geschlossenen Weg, d. h. auf einem Weg, der von einem Zustand ausgeht und zu diesem zurückführt, verschwindet: I dO D 0: (2.5) Für ein ideales Gas genügt die Angabe der zwei Zustandsgrößen z. B. p und V oder V und T , um den Zustand des Gases eindeutig festzulegen, wenn zudem die Stoffmenge bekannt ist. In unserem Beispiel ist T konstant. Mit dem Gas können in der Apparatur kontrollierte Zustandsänderungen durchgeführt werden. Wir betrachten zunächst eine Expansion. Dazu entfernen wir nach und nach Bleikugeln. Dadurch reduziert sich der Druck auf das Gas. Es dehnt sich aus. Wir können dies in einem Zustandsdiagramm darstellen. Beispiele sind in . Abb. 2.7 zu sehen. Es ist der Druck p gegen das Volumen V aufgetragen, was man auch das „p-V Diagramm“ nennt. Bei der Expansion des Gases werden die verbliebenen Bleikugeln gegen die Gewichtskraft angehoben. Dabei wird Arbeit verrichtet. Sie berechnet sich aus: d W D F ds D pAds D pdV Z2 Wa D

p.V /dV:

(2.6)

1

Diese Arbeit verrichtet das Gas bei der Expansion. Man kann sie in . Abb. 2.7 direkt sehen. Es ist die Fläche unter der Kurve. Die entsprechende Wärmemenge geht dabei vom Reservoir auf das Gas über, um dessen Temperatur konstant zu halten. Die verrichtete Arbeit ist keine Zustandsgröße. Zustandsgrößen müssen durch den thermischen Zustand des Systems eindeutig festgelegt sein. Die verrichtete Arbeit hängt aber nicht nur vom Anfangs- und Endzustand ab, sondern auch vom Weg im p-V -Diagramm, auf dem das Gas von Zustand 1 nach Zustand 2 geführt wird. Um dies zu illustrieren, betrachten wir einen weiteren Weg von 1 nach 2 im p-V -Diagramm (b in . Abb. 2.7).

39 2.3  Der erste Hauptsatz der Wärmelehre

. Abb. 2.7 p-V -Diagramme einiger Prozesse

Zunächst reduzieren wir bei konstantem Volumen den Druck vom Wert p1 im Zustand 1 auf den Wert p2 in Zustand 2. Dies realisieren wir durch ein allmähliches Abkühlen des Wärmereservoirs. Dies sollte das Volumen des Gases reduzieren, was wir jedoch durch ein gleichzeitiges Entfernen von Bleikugeln kompensieren. Bei geeigneter Rate bleibt das Volumen konstant und der Druck reduziert sich. Haben wir den Druck p2 erreicht, so expandieren wir das Gas bei konstantem Druck auf das Endvolumen V2 . Dies geschieht durch ein Erwärmen des Gases auf die ursprüngliche Temperatur. Dabei dehnt sich das Gas aus, und bei einer konstanten Anzahl an Bleikugeln bleibt auch der Druck konstant. Im ersten Schritt wird wegen des konstanten Volumens keine Arbeit verrichtet. Die gesamte Arbeit kommt vom zweiten Schritt. Es ist: Z2 Wb D

p2 dV D V2 p2  V1 p2 :

(2.7)

1

Wie Sie schon am p-V -Diagramm sehen, ist Wb kleiner als Wa . Durch geeignete Variation der Temperatur des Wärmereservoirs und der Bleigewichte können wir unterschiedlichste Wege im pV -Diagramm realisieren. Durchlaufen wir einen geschlossenen Weg, so sprechen wir von einem Kreisprozess. Ein solcher ist in . Abb. 2.7 als Durchlaufen der Wege c und d dargestellt.

2

40

Kapitel 2  Wärme

Wählen wir die Wege so, dass Wc > jWd j, so wird bei diesem Prozess vom Gas Arbeit an der Umgebung verrichtet:

2

W D Wc C Wd > 0:

(2.8)

Die hierfür notwendige Energie wird dem Wärmereservoir entnommen.

2.3.2

Der Energiesatz

Wir sind nun in der Lage, den Energiesatz neu zu formulieren. Dabei muss nicht nur die mechanische Arbeit, die vom System verrichtet wird, berücksichtigt werden, sondern auch die Wärme, die dem System zu- oder abgeführt wird. Wir führen einen neuen Begriff ein. Unter der „inneren Energie“ eines Systems verstehen wir die im System gespeicherte Energie, unabhängig davon, ob diese als mechanische Energie oder als Wärme zugeführt wurde oder abgeführt werden wird. Die innere Energie ist das gesamte Potenzial, das das System zur Verrichtung von Arbeit trägt. Komprimieren wir ein Gas, so führen wir ihm mechanische Energie zu. Die innere Energie erhöht sich. Ebenso erhöht sich die innere Energie, wenn wir dem System Wärme zuführen. Die Summe beider macht die Änderung der inneren Energie aus. Der Nullpunkt der inneren Energie ist dabei willkürlich. Auswirkungen auf die Prozesse hat nur die Änderung der inneren Energie, d. h. Differenzen der inneren Energie zu verschiedenen Zeiten, welche vom Nullpunkt unabhängig sind. Die innere Energie bezeichnet man üblicherweise mit dem Symbol U . Man nennt diesen Energiesatz auch den „Ersten Hauptsatz der Wärmelehre“ oder der Thermodynamik. Er lautet >Erster Hauptsatz der Thermodynamik (Energiesatz) Die Änderung der inneren Energie eines Systems entspricht der Differenz aus zugeführter Wärme und der vom System verrichteten Arbeit: U D Q  W .

Als Energiesatz hätten Sie möglicherweise eine Summe statt einer Differenz erwartet. Der Grund liegt in der Definition der Größen Q und W . Wir haben die Wärmemenge Q als positiv definiert für den Fall, dass wir dem System Wärme zuführen, während W als positiv definiert ist, falls das System Arbeit abgibt. Daher steht das Minuszeichen im Energiesatz. Im Falle eines abgeschlossenen Systems gibt es keinen Wärmeaustausch mit der Umgebung (Q D 0) und auch keinen Austausch mechanischer Arbeit (W D 0). Damit ist U D 0 und der Hauptsatz reduziert sich auf den bekannten Energiesatz der Mechanik, der besagt, dass die Energie in einem abgeschlossenen

41 2.3  Der erste Hauptsatz der Wärmelehre

System konstant ist. Der Hauptsatz der Wärmelehre ist die Erweiterung des Energiesatzes der Mechanik von abgeschlossenen auf geschlossene Systeme. Eine Erweiterung auf offene Systeme ist möglich, wenn wir berücksichtigen, dass mit dem Austausch von Materie zwischen dem System und seiner Umgebung auch ein Austausch von Energie verbunden ist. In jeder Materie steckt ein Potenzial zum Verrichten von Arbeit. Dieses wird dem System hinzugefügt, wenn es Materie aufnimmt, bzw. entzogen, wenn es Materie abgibt, was in der Energiebilanz zu berücksichtigen ist. Es ist üblich, die ausgetauschte Materie nach ihren chemischen Komponenten getrennt aufzusummieren und jede Komponente auf die jeweilige Stoffmenge zu normieren. Der Beitrag zu inneren Energie des Systems P lautet dann i i i . Mit dieser Erweiterung ist dann der erste Hauptsatz für offene Systeme X U D Q  W C i i : (2.9) i

Experiment 2.3: Trinkente (zweiter Anlauf)

Die Trinkente hatten wir bereits in der Mechanik in Experiment 7.4 kennengelernt. Die Ente neigt sich scheinbar auf ewig ins Trinkbecken, das auf dem Foto leider nicht zu sehen ist, und richtet sich wieder auf. Dabei verrichtet sie Arbeit gegen die Reibungskräfte. Wie wir schon beim ersten Anlauf vermutet haben, handelt es sich trotzdem nicht um ein Perpetuum Mobile. Dies verstehen wir nun etwas besser, obwohl wir die vollständige Erklärung der Funktion noch einmal aufschieben müssen. Die Trinkente stellt ein offenes System dar. Wenn der Schnabel der Ente ins Trinkbecken taucht, nimmt er Wasser auf. Das Wasser verdunstet wieder, bevor der Hals der Ente sich erneut neigt. Mit dem Wasser nimmt die Ente Wärme auf, die wesentlich zur Energiebilanz beiträgt.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

2.3.3

Zustandsänderungen

Am Anfang dieses Kapitels haben wir exemplarisch einige Zustandsänderungen an einem Gas besprochen. Wir wollen hier noch einige spezielle Zustandsänderungen definieren. Sie werden im Folgenden noch von Bedeutung sein. Sie sind in . Abb. 2.8 im p-V -Diagramm zu sehen. Sie sind von einem gemeinsamen Startpunkt links oben im Diagramm gezeichnet, können aber auch in umgekehrter Richtung durchlaufen werden und an beliebigen Punkten im Diagramm starten bzw. enden.

2

42

Kapitel 2  Wärme

2

. Abb. 2.8 p-V -Diagramme einiger spezieller Prozesse

Bei einem isothermen Prozess halten wir die Temperatur des Mediums konstant, z. B. indem wir das Medium an ein Wärmebad ankoppeln. Vergrößern wir das Volumen des Mediums, wird der Druck entsprechend sinken und umgekehrt. Ein isobarer Prozess ist durch einen konstanten Druck charakterisiert. Im p-V -Diagramm zeigt er sich als waagerechte Linie. Erhöhen wir das Volumen, muss sich das Medium erwärmen, um den Druck konstant zu halten. Bei einem isochoren Prozess bleibt das Volumen konstant, was einer vertikalen Linie im p-V -Diagramm entspricht. Erhöhen wir den Druck auf das Gas, erhitzt es sich. Wegen des konstanten Volumens wird bei diesem Prozess keine mechanische Arbeit verrichtet. Es ist W D 0 und damit U D Q. Beim adiabatischen Prozess schließlich wird keine Wärme mit der Umgebung ausgetauscht. Das Medium ist von der Umgebung thermisch isoliert. Es ist Q D 0 und folglich U D W . Möchten wir einen Kreisprozess realisieren, so muss U D 0 gelten, sodass das Medium nach einem Umlauf wieder in den Ausgangszustand zurückkehrt. Dann ist W D Q.

43 2.3  Der erste Hauptsatz der Wärmelehre

Experiment 2.4: Adiabatische Zustandsänderung

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Adiabatische Zustandsänderungen erfolgen ohne Wärmeaustausch mit der Umgebung. Wir können sie realisieren, indem wir das Medium von der Umgebung isolieren oder indem wir den Prozess relativ schnell ablaufen lassen, sodass in der kurzen Zeit kaum ein Wärmeaustausch stattfinden kann. In diesem Experiment wählen wir den zweiten Weg. In einem Glaskolben komprimieren wir Luft oder expandieren sie. In der Spitze des Kolbens befindet sich ein Kupferkonstantandraht, über dessen Widerstand die Temperatur gemessen wird. Wegen der geringen Eigenmasse reagiert dieses Thermometer schnell. Über das Ventil können wir die Menge an Luft im Kolben verändern. Komprimieren wir die Luft, sehen wir eine deutliche Temperaturerhöhung, entsprechend sinkt die Temperatur bei Expansion der Luft.

Beispiel 2.7: Fahrradpumpe

Das Erwärmen eines Gases unter Kompression dürfte jedem von der Fahrradpumpe bekannt sein. Auch hier liegt im Wesentlichen eine adiabatische Kompression vor, da beim Pumpen kaum Zeit für einen Wärmeaustausch mit der umgebenden Luft bleibt. Im Gegensatz zu 7 Experiment 2.4 liegt hier allerdings ein offenes System vor. Bei jedem Pumpvorgang wird frische Luft aus der Umgebung aufgenommen, komprimiert und erwärmt und dabei in den Schlauch gepresst.

2

44

Kapitel 2  Wärme

Beispiel 2.8: Ein Kreisprozess

2

Wir hatten bereits erwähnt, dass Kreisprozesse solche Prozesse sind, bei denen das System nach einer Reihe von Schritten wieder in den ursprünglichen Zustand zurückkehrt. Wir meinen damit, dass alle Zustandsgrößen nach dem Durchlaufen des Kreisprozesses wieder exakt dieselben Werte annehmen wie am Anfang. Der Kreisprozess könnte dann erneut durchlaufen werden. Viele Wärme-Kraft-Maschinen, wie z. B. die Verbrennungsmotoren, arbeiten mit Kreisprozessen. Wir wollen Ihnen hier einen möglichst einfachen Kreisprozess vorführen, der allerdings eher akademischer Natur ist. Technisch relevante Kreisprozesse werden wir im folgenden Kapitel behandeln, nachdem Sie den Begriff der Entropie kennengelernt haben. In der ersten Abbildung haben wir die Realisierung der Maschine skizziert. Als Arbeitsmedium dient ein Gas. Es ist in einem Kolben eingeschlossen. Hebt oder senkt sich der Kolben, können wir damit Arbeit verrichten, beispielsweise indem wir über ein Gestänge die Bewegung auf eine Antriebsachse übertragen. Unten kann das Arbeitsmedium an ein Wärmebad angekoppelt werden, dessen Temperatur wir verändern können. Es könnte sich um eine Brennkammer handeln, in der wir einen Treibstoff verbrennen (heißes Reservoir) und dann die heißen Verbrennungsgase wieder durch ein frisches Brennstoff-LuftGemisch ersetzen (kaltes Reservoir). In der zweiten Abbildung ist der Prozess im p-V -Diagramm dargestellt. Er besteht aus vier Schritten. Wo wir den Kreisprozess starten, ist im Prinzip egal. Wir haben uns für den Punkt links unten entschieden, dessen Zustand wir mit 1 bezeichnet haben. Die vier Schritte sind dann: a. 1 ! 2: Eine isochore Druckerhöhung. Der Kolben ist arretiert. Bei konstantem Volumen führen wir dem Arbeitsmedium Wärme zu, so dass der Druck steigt. b. 2 ! 3: Eine isobare Expansion. Nun geben wir den Kolben frei. Durch den erhöhten Druck wird er nach oben geschoben. Unsere Maschine verrichtet Arbeit. Bei diesem Schritt ist kein Wärmebad angekoppelt, so dass die Temperatur des Arbeitsmediums sinkt. c. 3 ! 4: Eine Isochore Druckverminderung. Der Kolben ist erneut arretiert. Wir reduzieren die Temperatur des Wärmebads. Dadurch sinkt der Druck im Kolben. d. 4 ! 1: Eine isobare Kompression. Wir geben den Kolben erneut frei und drücken ihn gegen den nun reduzierten Druck nach unten, bis er die ursprüngliche Position wieder erreicht hat. Ein Wärmereservoir ist nicht angekoppelt. Dabei wird von außen Arbeit am Arbeitsmedium verrichtet. Hat das Ar-

45 2.3  Der erste Hauptsatz der Wärmelehre

beitsmedium dieselbe Temperatur wie vor dem ersten Schritt, sind wir zurück im selben Zustand. Wie viel Arbeit W leistet diese Maschine bei einem Umlauf? Dazu müssen wir die Arbeitsumsätze der vier Schritte getrennt berechnen und diese aufaddieren. Wie wir gesehen haben, wird in isochoren Prozessen Wärme in innere Energie verwandelt, aber keine Arbeit verrichtet, so dass nur die isobaren Prozesse zu berücksichtigen sind. Für einen isobaren Prozess ist die verrichtete Arbeit durch pV gegeben. Wir erhalten: W D p1 .V2  V1 / C p2 .V1  V2 / D .p1  p2 /.V2  V1 /: Die Maschine verrichtet umso mehr Arbeit, je größer der Druckunterschied und die Volumenänderung sind. Ist Q1 die Wärme, die wir im ersten Schritt bei der isochoren Erwärmung der Maschine zuführen, so könnten wir einen Wirkungsgrad definieren als das Verhältnis der verrichteten Arbeit zur zugeführten Wärme. Je höher dieser Wirkungsgrad ist, desto effizienter wandelt unsere Maschine Wärme in mechanische Energie um. Ideal wäre ein Wirkungsgrad von eins, aber dieser kann nicht erreicht werden. Beachten Sie, dass auch im dritten Schritt Wärme mit der Maschine ausgetauscht wird. In diesem Schritt gibt die Maschine Wärme an ein Reservoir mit niedriger Temperatur ab. Wir bezeichnen sie als Abwärme. Sie ist praktisch nicht mehr nutzbar, daher berücksichtigen wir sie in der Definition des Wirkungsgrads nicht. Das Verhältnis Wges =Qges muss auf Grund des ersten Hauptsatzes eins ergeben, wenn wir in Wges bzw. Qges alle vier Schritte berücksichtigen.

2

46

Kapitel 2  Wärme

Wärmetransport

2.4

Heiße Körper kühlen in der Umgebung ab, kalte wärmen sich auf. Doch wie wird die Wärme aus dem heißen Körper in die Umgebung, bzw. aus der Umgebung in den kalten Körper hinein transportiert? Es tragen drei unterschiedliche Mechanismen dazu bei, die im Folgenden beschrieben werden: Wärmeleitung, Konvektion und Wärmestrahlung.

2

2.4.1

Wärmeleitung

Befinden sich unterschiedliche Punkte ein und desselben Körpers auf unterschiedlichen Temperaturen, so kommt es zu einem Wärmefluss im Körper, mit der Tendenz, die Temperaturunterschiede auszugleichen. Dies geschieht ebenfalls an der Grenzfläche zweier unterschiedlich warmer Körper. Wir sprechen in beiden Fällen von „Wärmeleitung“. Die Wärme wird vom warmen zum kalten Ort „geleitet“. Wie viel Wärme ein Körper leitet, hängt von seinen Eigenschaften und der Temperaturdifferenz ab. Wir können dies an Stäben beobachten, deren beide Enden von Wärmebädern auf unterschiedlichen Temperaturen gehalten werden (siehe 7 Experiment 2.5). Experiment 2.5: Wärmeleitung in Stäben

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Jeder Körper leitet Wärme. Dies demonstrieren wir mit Stäben aus unterschiedlichen Materialien. Um den Wärmefluss anzuzeigen, haben wir auf die Stäbe eine Temperaturindikatorfolie aufgeklebt. Die Folie ist in kaltem Zustand schwarz. Sie verfärbt sich von rot über gelb und grün nach blau im Temperaturbereich von 35 ı C bis 40 ı C. Im Bild sind die vier Stäbe zu sehen. Sie werden oben gehalten (Raumtemperatur). Das untere Ende hängt in einem Wasserbad, das von einer Heizplatte zum Kochen gebracht wird. Von links nach rechts sind die Materialien Kupfer, Messing, Stahl und PVC. Das Bild haben wir etwa 2 Minuten nach dem Eintauchen der Stäbe ins kochende Wasser aufgenommen. Deutlich erkennen wir, dass der Kupferstab sich bereits bis über die Mitte erwärmt hat. Auch am Messingstab ist schon ein Wärmetransport zu sehen. Der Stab aus Stahl braucht mehr Zeit (5 bis 10 Minuten), bis eine Erwärmung erkennbar wird. Der PVC-Stab wird in dieser Konfiguration die 35 ı C, die für eine Farbänderung im mittleren und oberen Bereich nötig sind, nicht erreichen.

47 2.4  Wärmetransport

. Tab. 2.3 Wärmeleitfähigkeit einiger Materialien Wärmeleitfähigkeit W=.K m/

Wärmeleitfähigkeit W=.K m/

Helium

0,16

Stahl

20

Luft

0,026

Messing

120

Vakuum

0

Aluminium

240

Kupfer

300

Gold

314

Wasser

0,60

PET

0,24

PVC

0,17

Mauerziegel

0,5. . . 1,5

Stein

2. . . 3

Porenbeton (Ytong)

0,1

Holz

0,1. . . 0,3

Beton

2,1

Glas

0,75

Mineralschaumplatte 0,045

Kork

0,03. . . 0,05

Platten Mineralwolle 0,035

Diamant

2300

Zellulosedämmung

Wärmeleitpaste 4. . . 10

0,04

Wir wollen die Zusammenhänge an einem Modellexperiment studieren (. Abb. 2.9). Ein Stab der Länge L und der Querschnittsfläche A taucht an den Enden in Wärmereservoirs mit den Temperaturen T1 und T2 ein. Sind die beiden Temperaturen unterschiedlich, fließt Wärme von einem Reservoir ins andere. Anschaulich erwarten wir, dass der Wärmefluss PL , das ist die pro Zeiteinheit geflossene Wärmemenge, proportional zur Temperaturdifferenz und zur Querschnittsfläche des Stabes ist sowie umgekehrt proportional zu seiner Länge. Wir führen eine Proportionalitätskonstante  ein, die man die „Wärmeleitfähigkeit“ nennt. Sie ist eine Materialeigenschaft: PL D

Q A D .T2  T1 / : t L

(2.10)

Der Wärmefluss trägt die Einheit einer Leistung, also J =s, die Wärmeleitfähigkeit muss demnach die Einheit W=.Km/ tragen. Die Werte einiger Materialien sind in . Tab. 2.3 angegeben.

. Abb. 2.9 Modellexperiment zur Wärmeleitung

2

48

Kapitel 2  Wärme

Beispiel 2.9: Wärmeleitfähigkeit von Dämmplatten

2

In der Bauphysik interessiert man sich in der Regel nicht für reine Materialien, sondern für Bauelemente einer bestimmten Dicke, beispielsweise eine Wand bestimmter Stärke, ein Fenster oder eine Dämmplatte (Abbildung). Die Materialien werden durch den Wärmedurchgangskoeffizienten U , bzw. dessen Kehrwert, den Wärmedurchgangswiderstand RT charakterisiert. Es gilt: PL D

Q 1 D U .T2  T1 /A D .T2  T1 /A: t RT

Die Abhängigkeit der Wärmeleitung von der Dicke des Materials ist bereits im Wärmedurchgangskoeffizienten bzw. im Wärmedurchgangswiderstand berücksichtigt. Der Wärmeverlust durch das Bauelement hängt von der Temperaturdifferenz zwischen Innenraum (T2 ) und Außen (T1 ) sowie von der Wand- oder Fensterfläche ab. Im Katalog eines Baustoffhandels finden Sie die entsprechenden Angaben. Der Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert) ist in der Einheit W=.m2 K/ angegeben. Ein eingeschossiges Wohnhaus (Wandhöhe 3 m) mit einer Grundfläche von 8  10 m2 , das mit einer Dämmplatte mit U D 0;42 W=.m2 K/ isoliert ist, hätte einen Wärmeverlust durch die Wände von rund 100 W pro Grad Temperaturdifferenz nach draußen. Hinzu kommt der Wärmeverlust durch die Fenster und das Dach.

Beispiel 2.10: Wärmeverlust durch ein Fenster

Die Fenster tragen bei vielen Wohnungen wesentlich zum Wärmeverlust bei. Die besten handelsüblichen Fenster haben heute einen Wärmedurchgangskoeffizienten von U D 0;7 W=.m2 K/. Gehen wir von einem Fenster der Fläche 1;1 m  0;8 m aus. Bei einer Außentemperatur von 0 ı C (Raumtemperatur 20 ı C) beträgt der Wärmeverlust P D UAT D 0;7

W  1;1  0;8 m2  20 K D 12 W: m2 K

Bei einer Heizperiode von 9 Monaten (ganztägig) gehen 27 kWh Energie verloren, was Heizkosten von rund 10 C erzeugt. Alte Fenster haben U-Werte bis zum 5-Fachen (Heizkosten 50 C). Ein Austausch spart pro Jahr bis zu 40 C Heizkosten. Im Vergleich dazu: Ein neues Fenster dieser Größe kostet inkl. Einbau 250 bis 500 C.

49 2.4  Wärmetransport

2.4.2

Konvektion

In vielen Fällen wird Wärme transportiert, indem sich Materie bewegt und dabei die in ihr gespeicherte Wärme mitnimmt. Man nennt diesen Prozess „Konvektion“. Meist handelt es sich beim transportierenden Material um Gase (Luft). Konvektion tritt aber auch in Flüssigkeiten auf. Das Beispiel einer brennenden Kerze mag als Erläuterung dienen. Die Kerzenflamme erhitzt die Luft in ihrer unmittelbaren Umgebung. Die Luft dehnt sich dabei aus. Sie wird leichter und steigt auf. Von unten strömt kalte Luft nach, die ebenfalls erwärmt wird und aufsteigt. So entsteht ein kontinuierlicher Strom warmer Luft, der von der Kerzenflamme nach oben aufsteigt. Der Wärmetransport durch Konvektion PK hängt stark von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab: Wo können sich Strömungen ausbilden, wie stark sind sie, usw.? In manchen Fällen übersteigt die Konvektion die Wärmeleitung erheblich. In anderen Fällen ist sie vernachlässigbar. Es ist nicht möglich, den Wärmetransport durch Konvektion durch eine einfache Formel zu charakterisieren. Stattdessen werden hier einige Beispiele angeführt. Beispiel 2.11: Konvektion in einer Doppelglasscheibe

Die meisten Häuser besitzen heute Doppelglasfenster. Die Luftschicht zwischen den beiden Scheiben reduziert die Wärmeleitung gegenüber einer Einfachverglasung erheblich. Eine einzelne Scheibe (Stärke 4 mm) hätte bei einer Fläche von 1 m2 und einer Temperaturdifferenz von 20 ı C einen Wärmeverlust von 3,7 kW, der sich bei zwei solcher Scheiben auf die Hälfte reduziert. Die Isolierung kommt hauptsächlich von der Luftschicht (1 cm) zwischen den Scheiben, die den Wärmeverlust durch Wärmeleitung auf 50 W reduziert. Aber zusätzlich zur Wärmeleitung tritt bei Doppelverglasungen zwischen den Scheiben Konvektion auf (Abbildung). An der inneren Glasscheibe erwärmt sich die Luft, sie steigt auf und wird am oberen Ende des Fensters zur Außenscheibe abgedrängt. Dort gibt sie die mitgeführte Wärme an die äußere Scheibe ab und sinkt an der Scheibe herunter, wo sie erneut nach innen geführt wird. Der Wärmetransport durch Konvektion kann gegenüber der Wärmeleitung überwiegen. Man kann die Konvektion reduzieren, indem man den Abstand reduziert. Die Konvektion verringert sich, wobei allerdings die Wärmeleitung steigt. Es gibt einen optimalen Abstand, bei dem die optimale Isolierung erreicht ist. Noch besser sind Dreifachverglasungen. Eine solche Scheibe hat zwei dünne Gasschichten mit geringer Konvektion und trotzdem eine ausreichende Gesamtdicke der

2

50

Kapitel 2  Wärme

Gasschicht. Übrigens befindet sich bei modernen Fenstern Argon statt Luft zwischen den Glasscheiben. Argon hat eine um einen Faktor 2=3 geringere Wärmeleitfähigkeit als Luft und eine halb so große Wärmekapazität.

2

Beispiel 2.12: Konvektionsheizung

Eine Zentralheizung nutzt Konvektion doppelt aus. Zum einen beim Transport der Wärme durch die Heizungsrohre vom Ofen zu den Heizkörpern2 (siehe 7 Experiment 2.6) und zum anderen, um die Wärme im Raum zu verteilen. Die Luft erwärmt sich am Heizkörper, steigt auf und nimmt dabei die „Kälte“, die durch das Fenster eindringt, mit. Durch die aufsteigende Luft am Heizkörper wird kalte Luft aus dem Raum angesaugt, sodass eine Zirkulationsströmung, wie in der Abbildung angedeutet, entsteht.

Experiment 2.6: Modell einer Zentralheizung

Der Wasserkreislauf einer Zentralheizung wird durch Konvektion angetrieben. Wasser wird im Keller im Brenner erhitzt. Das heiße Wasser steigt in den Rohren zu den Heizkörpern auf, wird dort abgekühlt und fällt in den Rückleitungen zum Brenner hin ab. Diesen Kreislauf können wir an einem einfachen Modell sichtbar machen. Das Leitungssystem der Heizung ist auf einen einzigen Kreislauf in einem O-förmigen Glasrohr reduziert. An einer Ecke erhitzen wir das Wasser im Rohr mit einer Lötlampe. Um die Zirkulation des Wassers sichtbar zu machen, wickeln wir eine Messerspitze Kaliumpermanganat in ein Stück Papiertaschentuch und schieben das Paket mit einem Pfeifenreiniger an die Stelle bei der Lötlampe. Das Kaliumpermanganat beginnt das Wasser lokal zu verfärben. Durch die einsetzende Konvektion wird die Verfärbung durch das Rohr transportiert. Die Bilder wurden im Abstand von einigen Minuten aufgenommen.

2

Moderne Zentralheizungen nutzen häufig eine Zirkulationspumpe, die die Konvektion unterstützt.

51 2.4  Wärmetransport

2

52

Kapitel 2  Wärme

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© RWTH Aachen, Sammlung Physik

53 2.4  Wärmetransport

Beispiel 2.13: Konvektion im Erdmantel

Obwohl der Erdmantel aufgrund des großen Drucks überwiegend aus festem Gestein besteht, können sich durch die enormen Kräfte und große Wärmemengen Konvektionsströmungen ausbilden. Diese transportieren Gestein aus dem heißeren Inneren an die Oberfläche des Mantels unter die Erdkruste. An besonders dünnen Stellen der Kruste kann das Gestein als flüssige Lava austreten.

Beispiel 2.14: Kamineffekt

In einem Schornstein stellt die Konvektion sicher, dass die heißen Verbrennungsabgase durch den Auftrieb nach außen abgeführt werden (Kamineffekt). Er muss so dimensioniert sein, dass trotz der Abkühlung der Abgase eine ausreichende Strömung gewährleistet ist. Dies wird durch entsprechende Höhe und lichte Weite erreicht.

Experiment 2.7: Konvektion in Wasser

Mit diesem Experiment demonstrieren wir die Bedeutung von Konvektion für den Wärmetransport in Wasser. Wir erhitzen mit einem Brenner Wasser, in dem Eiswürfel schwimmen, in einem Reagenzglas und bringen es zum Sieden. Wir zeigen zwei unterschiedliche Anordnungen. Bei der ersten Anordnung (A) schwimmen die Eiswürfel an der Oberfläche des Wassers. Wir erhitzen das Reagenzglas am unteren Ende. Durch Wärmeleitung gelangt Wärme von der erhitzen Stelle zur kalten Oberfläche. Dieser Wärmetransport wird durch eine Konvektion unterstützt. Erhitztes Wasser dehnt sich aus. Es steigt vom heißen Boden zur Oberfläche auf und transportiert somit Wärme. In der zweiten Anordnung (B) sind die Eiswürfel mit einem Metallgewebe

2

54

2

Kapitel 2  Wärme

am Boden des Reagenzglases fixiert und wir erhitzen lediglich das obere Ende des Wassers. Da das heiße Wasser nicht weiter aufsteigen kann, bildet sich keine Konvektion aus. Lediglich Wärmeleitung verbindet das heiße Wasser mit den Eiswürfeln. Bei A wird durch die Wärmeleitung und die Konvektion das Wasser nahezu gleichmäßig erhitzt. Die Eiswürfel schmelzen. Erst danach beginnt das Wasser zu Sieden. Anders verhält es sich bei B. Die Wärmeleitung alleine ist zu schwach, um für einen sichtbaren Wärmetransport zu sorgen. Das Wasser beginnt an der Oberfläche zu sieden, während sich noch Eiswürfel im unteren Bereich des Reagenzglases befinden.

Beispiel 2.15: Kühlkörper

Elektronische Bauelemente erzeugen Wärme. Diese muss an die Umgebung abgeführt werden, sonst überhitzt die Elektronik und wird zerstört. Kühlkörper, meist aus Aluminium, unterstützen die Kühlung. Im Foto sehen Sie ein Mainboard eines Computers mit einem goldenen Kühlkörper auf einem Chip und oben den massiven Kühlkörper (Aluminium) mit aufgesetztem Ventilator auf der CPU. Die Kühlkörper wird mit Federn an den Ecken auf die heißen Bauelemente gedrückt, um einen möglichst guten Wärmekontakt herzustellen. Über Wärmeleitung verteilt sich die Wärme im Kühlkörper. Sie erwärmt diesen. Von den Kühlrippen wird die Wärme dann an die umgebende Luft abgegeben. Konvektion unterstützt die Verteilung der Wärme in der Umgebung. Die Kühlrippen sind so geformt, dass sich an deren Oberflächen eine möglichst effiziente Konvektionsströmung ausbildet. Der Lüfter unterstützt die Konvektion noch weiter.

2.4.3

Wärmestrahlung

Der dritte Transportmechanismus ist die Wärmestrahlung. Es handelt sich dabei um eine elektromagnetische Strahlung, die von allen Körpern abgegeben wird. Je wärmer, desto intensiver und energiereicher ist die Wärmestrahlung. Bei den im Alltag auftretenden Temperaturen liegt der Großteil der Strahlung im Infrarotbereich und ist daher für den Menschen nicht sichtbar. Intensive Infrarotstrahlung können Sie als Wärme spüren. Erst heiße Körper strahlen merklich sichtbares Licht ab. Das Glühen eines Eisens beim Schmieden beruht größtenteils auf Wärmestrahlung. Um Wärmestrahlung zu verstehen, müssten wir uns mit elektromagnetischen Wellen auseinandersetzen, was nicht

55 2.4  Wärmetransport

Thema dieses Bandes ist. Daher muss die Diskussion hier an der Oberfläche bleiben. Die abgestrahlte Wärmeleistung eines Körpers der Temperatur T ist: PS D "AT 4 ;

(2.11)

mit der Stefan-Boltzmann-Konstanten D 5;6704  108 W=m2 , der Oberfläche A und deren Emissionsgrad ", einer Materialkonstanten mit Werten zwischen 0 und 1. Intuitiv einsichtig dürfte die lineare Abhängigkeit von der Größe der Oberfläche sein. Ebenfalls einsichtig ist die grundsätzliche Abhängigkeit der Abstrahlung von der Temperatur. Beachten Sie allerdings, dass diese Abhängigkeit sehr stark ist. Die Abstrahlung steigt mit der vierten Potenz der Temperatur an! Der Emissionsgrad setzt die Abstrahlung des Körpers in Relation zur Abstrahlung eines idealen Wärmestrahlers, eines sogenannten schwarzen Körpers. Der Emissionsgrad ist der Faktor, um den die Abstrahlung gegenüber der eines schwarzen Körpers reduziert ist. Experiment 2.8: Infrarotkamera

Mit einer Infrarotkamera können wir die Wärmestrahlung sichtbar machen. Die Kamera ist sehr empfindlich und zeichnet bereits geringe Unterschiede der Abstrahlung auf. Die erste Abbildung zeigt eine Hand auf einem Tisch. Die zweite Aufnahme wurde gemacht, nachdem die Hand weggenommen wurde. Durch den Kontakt mit der Hand wurde die Tischplatte erwärmt. Die Konturen der Hand sind immer noch deutlich erkennbar.

2

56

Kapitel 2  Wärme

2

Beispiel 2.16: Nachtsichtgerät

Mit einer Infrarotkamera können Sie auch bei völliger Dunkelheit Objekte, insbesondere Lebewesen, an ihrer Wärmestrahlung erkennen. Diesen Effekt nutzt man in Nachtsichtgeräten aus. Neben Einzelaufnahmen ist auch eine kontinuierliche Beobachtung möglich. Als Beispiel sei hier eine Aufnahme eines der Autoren im vollständig abgedunkelten Hörsaal gezeigt.

Experiment 2.9: Leslie-Würfel

Der Leslie-Würfel (nach dem Physiker John Leslie) ist ein Metallwürfel, der innen hohl ist. Wir füllen ihn mit kochendem Wasser. Die vier Seiten des Würfels (ohne oben und unten) sind unterschiedlich präpariert. Eine Seite ist schwarz lackiert, eine Seite weiß, auf einer Seite ist die metallische Oberfläche poliert, auf der letzten ist sie matt. Mit einem Strahlungsmessgerät können wir die Abstrahlung von den Seiten des Würfels messen und

57 2.4  Wärmetransport

. Abb. 2.10 Aufnahmen eines Leslie-Würfels. © wikimedia: Pieter Kuiper

miteinander vergleichen. Als Messgerät verwenden wir eine Infrarotkamera. In . Abb. 2.10 sind Aufnahmen des Würfels mit der Kamera im optischen und im Infrarotbereich. Die beiden linken Bilder zeigen die schwarz lackierte und die polierte Seite mit Temperaturen von 52;4 ı C und 33;9 ı C. In den rechten Abbildungen sind die weiße (54;0 ı C) und die matte Seite (34;4 ı C) zu sehen. Stellen wir den Leslie-Würfel auf eine geregelte Heizplatte, so können wir die Temperatur kontrolliert verändern und die T 4 Abhängigkeit der Abstrahlung experimentell überprüfen.

2

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Kapitel 2  Wärme

Beispiel 2.17: Thermografie

Mittels Infrarotaufnahmen kann man die Isolierung von Häusern untersuchen. Man nennt dies „Thermografie“. Dort, wo der Energieverlust hoch ist, ist die Außenhaut des Hauses besonders warm, was sich durch eine intensivere Wärmestrahlung zeigt. Solche Aufnahmen machen Sie am besten nach einer kalten Winternacht vor Sonnenaufgang. Das Haus sollte geheizt sein, um einen guten Kontrast zu erreichen. Die Abbildung zeigt ein Beispiel (Farbskala 0;5 ı C bis 7;5 ı C). Neben den Fenstern, die immer mehr abstrahlen als die Wände, fällt bei diesem Haus ein Wärmeverlust durch die offensichtlich nicht isolierten Kellerwände auf.

2

Experiment 2.10: Lichtmühle

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

. Abb. 2.11 Strahlungsaustausch zwischen einem Körper K und seiner Umgebung U

Die Abbildung zeigt eine Lichtmühle, auch „Radiometer“ genannt. Im Innern des Glaskolbens ist ein Flügelrad mit vier Glimmerplättchen als Flügel nahezu reibungsfrei gelagert. Bei jedem Glimmerplättchen ist eine Seite mit Ruß geschwärzt und zwar so, dass diese Seiten alle in die gleiche Drehrichtung weisen. Wird die Lichtmühle beleuchtet, beginnt das Rad sich zu drehen und zwar umso schneller, je intensiver die Lichtquelle ist. Lichtmühlen sind beliebte Dekorationen. Die reflektierende Seite der Plättchen bewegt sich immer voraus. Die naheliegende Erklärung der Bewegung geht auf die Licht- und Temperaturstrahlung zurück. Auf der schwarzen Seite der Plättchen wird diese absorbiert und deponiert ihren Impuls, während sie auf der spiegelnden Seite reflektiert wird und dabei den doppelten Impuls überträgt. Diese Erklärung ist aber nicht richtig. Unter anderem würde sie eine umgekehrte Drehrichtung vorhersagen, als die, die wir beobachten. Im Inneren des Glaskolbens herrscht ein Druck von etwa 5 Pa. Bei Normaldruck funktioniert die Lichtmühle nicht, aber sie funktioniert auch nicht bei Drücken deutlich unter 5 Pa. Suchen Sie selbst nach einer Erklärung!

Sie haben nun gelernt, dass ein Gegenstand Wärmestrahlung emittiert. Dies reduziert seine innere Energie. Doch ein Körper kühlt sich trotz der Emission der Wärmestrahlung nicht notwendigerweise ab, denn er empfängt auch Wärmestrahlung aus der Umgebung, die er absorbiert. So gewinnt er auch wieder innere Energie hinzu. Betrachten Sie bitte das einfache Beispiel in . Abb. 2.11. Es zeigt einen flachen Körper auf Temperatur TK in einer Umgebung der Temperatur TU . Die Rückseite der Fläche

59 2.4  Wärmetransport

sei isoliert, so dass die Emission nur von einer Seite des Körpers ausgeht. Diese hat die Fläche A. Die Stirnseiten seien vernachlässigbar klein. Der Körper emittiert eine Wärmestrahlung mit der Leistung PE D ATK4 . Ist die Fläche A im thermischen Gleichgewicht mit der Umgebung (TS D TU ), so wird sich ihre Temperatur nicht verändern. Dies bedeutet, dass sie die gleiche Leistung PA an Wärmestrahlung aus der Umgebung absorbiert, wie sie auch emittiert. Es gilt PE D PA . Da diese Folgerung unabhängig vom Emissionsgrad und der Fläche A zutrifft und für beliebige Temperaturen gilt, kommen wir zu dem Schluss, dass die absorbierte Leistung durch eine ähnliche Formel dargestellt werden kann wie die emittierte Leistung: PA D ATU4 :

(2.12)

Allerdings ist für die Absorption die Temperatur der Umgebung und nicht die des Körpers einzusetzen. Sind Körper und Umgebung nicht auf der gleichen Temperatur, so kommt es durch die Wärmestrahlung zu einem Wärmeaustausch zwischen Körper und Umgebung, der einem eventuellen Wärmeaustausch durch Wärmeleitung oder Konvektion hinzu zu addieren ist. Die ausgetauschte Leistung beträgt:   P D PA  PE D A TU4  TK4 : (2.13) Ist der Körper wärmer als die Umgebung, strahlt er mehr Wärme ab, als er aufnimmt, und umgekehrt. Beispiel 2.18: Ein Kryostat

Kryostaten sind Kühlgeräte, die es erlauben, sehr tiefe Temperaturen zu erreichen, um dort Experimente durchzuführen. Viele Kryostaten kühlen auf die Siedetemperatur von Helium, die bei 4 K liegt. Um diese tiefen Temperaturen zu erreichen, muss das Volumen gegen Wärmeeinträge aus der Umgebung abgeschirmt werden. Die Abbildung zeigt den prinzipiellen Aufbau. Ein Kryostat ist meist aus einem Stahlbehälter aufgebaut, der evakuiert wird. Durch das Vakuum wird Konvektion unterbunden und Wärmeleitung auf die wenigen Übergänge reduziert, die den experimentellen Aufbau mit der Umgebung verbinden (Halterung, elektrische Anschlüsse, etc.). Doch das genügt nicht. Der Stahlbehälter, der sich meist auf Raumtemperatur befindet, sendet Wärmestrahlung aus, die durch das Vakuum ins Innere des Kryostaten gelangt und dort zumindest teilweise absorbiert wird. Diese Wärmestrahlung können wir mit einem Hitzeschild unterdrücken. Dabei handelt es sich um einen Käfig aus poliertem Blech – oft goldbeschichtet – das die Strahlung weitgehend

2

60

2

Kapitel 2  Wärme

reflektiert. Selbst bei Wahl eines Materials mit einem kleinen Emissionsgrad für Wärmestrahlung muss der Hitzeschild selbst gekühlt werden. Ein warmer Hitzeschild würde die Wärmestrahlung ebenso reflektieren wie ein kalter, aber er würde von seiner Innenseite wiederum Wärmestrahlung aussenden. Diese ist bei einem kalten Hitzeschild stark reduziert. Häufig werden, wie in unserer Skizze zu sehen, doppelte Hitzeschilde verwendet, wobei der äußere auf der Temperatur von flüssigem Stickstoff gehalten wird (77 K) und der innere auf der Temperatur des flüssigen Heliums (4 K).

Beispiel 2.19: Jahreszeiten

Unsere Erde absorbiert Wärmestrahlung von der Sonne und strahlt Wärme wieder ins Weltall ab. Wenn wir die hier gemachten Überlegungen auf das System der Erde übertragen wollen, müssen wir allerdings beachten, dass die Sonne keine gleichmäßig warme Umgebung darstellt. Aus Sicht der Erde ist sie ein nahezu punktförmiger Strahler mit einer Temperatur von 5778 K. Die Strahlungsleistung, die auf der Erde einfällt, beträgt oberhalb der Atmosphäre etwa 1;4 kW=m2 und an klaren Tagen auf der Erdoberfläche noch etwa 1 kW=m2 . Die Erdachse ist gegenüber der Ekliptik um etwa 23;5ı geneigt. Dadurch fällt das Sonnenlicht im Sommer und im Winter unter unterschiedlichen Winkeln zur Erdoberfläche ein. In der in der Abbildung gezeigten Situation haben wir auf der Nordhalbkugel Winter. Das Licht fällt flach ein und verteilt sich dadurch auf eine größere Fläche. Außerdem ist die Reflexion bei flachem Einfall höher. Auf der Südhalbkugel fällt das Licht dagegen steiler ein. Dort ist Sommer. Der Unterschied zwischen Sommer und Winter wird noch durch zwei weitere Effekte verstärkt: Im Winter muss das Licht einen längeren Weg durch die Atmosphäre zurücklegen, was zu einer höheren Absorption führt. Außerdem ist die Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang im Winter kürzer, so dass innerhalb 24 Stunden weniger Strahlung auftrifft.

?Aufgaben 1. Die 100 ml Wasser in einem Cocktailglas sollen mit Eiswürfeln von Raumtemperatur (21 ı C) auf eine Temperatur von 7 ı C abgekühlt werden. Es stehen Eiswürfel der Masse 10 g aus einem Tiefkühlfach der Temperatur 18 ı C zur Verfügung. Wie viele Eiswürfel werden benötigt? 4 Spezifische Wärmekapazität von Wasser: 4;2103 J kg1 K1

61 2.4  Wärmetransport

4 Spezifische Wärmekapazität von Eis: 2;1  103 J kg1 K1 4 Spezifische Schmelzwärme von Eis: 3;3  105 J kg1 2. Das Wasser des Niagara-Flusses nähert sich den NiagaraFällen mit ca. 50 km=h und stürzt dann 52 m in die Tiefe. Nachts werden 90 % des Wasserdurchflusses von 4200 m3 =s zu den Turbinen eines Wasserkraftwerks umgeleitet. Wie groß ist dessen elektrische Leistung bei einem Wirkungsgrad von 80 %? Tagsüber fließen die Wassermassen ungehindert über die Fälle. Wie groß ist die Temperaturerhöhung des Wassers, wenn die kinetische und potenzielle Energie des Wassers komplett in Wärme umgewandelt werden? 4 Spezifische Wärmekapazität von Wasser: 4;2  103 J kg1 K1 . 3. Eine Hauswand besteht aus einer tragenden Betonwand der Dicke 20 cm und einer darauf aufgeklebten Isolierschicht aus Polystyrol der Dicke 15 cm. Welche Temperatur herrscht am Übergang zwischen Beton und Isolierschicht, wenn die Innentemperatur 21 ı C und die Außentemperatur 10 ı C beträgt? Welche Wärmeleistung geht dann pro Quadratmeter Hauswand verloren? 4 Wärmeleitfähigkeit Beton: 2;1 WK1 m1 4 Wärmeleitkoeffizient Polystyrol: 0;03 WK1 m1 4. Bei einer Zentralheizungsanlage ist die Zuleitung vom Heizkessel zu den Heizkörpern durch den Keller mit einer 4 cm starken Schaumstoffumhüllung isoliert. Der Durchmesser der Zuleitungsrohre beträgt 2 cm. Die Wassertemperatur in der Zuleitung ist 60 ı C, die Kellertemperatur beträgt 12 ı C. Wie groß ist der Verlust an Wärmeleistung pro Meter Zuleitung? 4 Wärmeleitkoeffizient des Schaumstoffs: 0;04 WK1 m1 .

2

63

Kinetische Gastheorie Inhaltsverzeichnis 3.1

Ideale Gase – 64

3.2

Der Druck: kinetische Erklärung – 67

3.3

Die Temperatur: kinetische Definition – 70

3.4

Arbeitsprozesse mit idealen Gasen – 72

3.5

Wärmekapazitäten: kinetische Erklärung – 74

3.6

Adiabatische Prozesse – 79

3.7

Boltzmann’sche Energieverteilung – 84

3.8

Geschwindigkeitsverteilung – 91

3.9

Mittlere freie Weglänge – 97

3.10

Diffusion – 98

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Roth, A. Stahl, Wärmelehre, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67213-6_3

3

64

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

In den beiden vorherigen Kapiteln haben wir Phänomene mit Wärme beschrieben und teilweise in Formeln gefasst. Sie haben Wärme als Energieform kennengelernt. Die Argumentation beruhte auf einer makroskopischen Betrachtungsweise. Wir wollen nun dazu übergehen, Wärme mikroskopisch zu betrachten, d. h. versuchen zu verstehen, welchen Einfluss Wärme auf die Bewegung der Atome und Moleküle besitzt, aus denen die Körper aufgebaut sind. Mikroskopische Größen beziehen sich dabei auf die Bewegung einzelner Moleküle, während makroskopische Größen den Körper als Ganzes beschreiben. Am einfachsten sind diese Zusammenhänge für Gase zu behandeln, da dort die Kräfte zwischen den Molekülen am geringsten sind. Daher konzentrieren wir uns auf die Gase. Die Erkenntnisse lassen sich auf Flüssigkeiten und Festkörper übertragen.

3

3.1

. Abb. 3.1 Lorenzo Romano Amedeo Carlo Avogadro. © MP/ Leemage/picture-alliance

Ideale Gase

Schon mit den Anfängen der modernen Chemie stellte man fest, dass sich alle einatomigen Gase gleich verhalten, wenn man sie nur genügend verdünnt. Ein Gas, das dieses asymptotische Verhalten zeigt, nennen wir ein „ideales Gas“. Amedeo Avogadro (1776-1856, . Abb. 3.1) nahm an, dass sich alle Bausteine (Moleküle/Atome) der Gase gleich verhalten und schloss korrekterweise aus dem asymptotischen Verhalten der Gase, dass sich in einer bestimmten Menge eines idealen Gases dieselbe Anzahl an Atomen bzw. Molekülen befinden muss. Ihm zu Ehren bezeichnen wir heute diese Anzahl an Atomen bzw. Molekülen in einem Mol einer Substanz als die „Avogadro-Konstante“ NA . Dem Österreicher Josef Loschmidt gelang 1865 erstmals die ungefähre Bestimmung der Moleküldichte in Luft. In älterer Literatur wird die AvogadroKonstante auch manchmal fälschlicherweise als „Loschmidt’sche Zahl“ bezeichnet, obwohl diese die Anzahl der Moleküle pro cm3 und nicht pro Mol angibt. Mit der Revision des SI-Systems 2019 wurde die Avogadro-Konstante auf NA D 6;02214076  1023 =mol (exakt) festgelegt. Dies ist eine sehr große Zahl. Manche Gase sind aus Molekülen aufgebaut, wie z. B. CO2 ; andere Gase bestehen aus einzelnen Atomen (z. B. He). Für das thermische Verhalten ist dieser Unterschied in den meisten Fällen ohne besondere Bedeutung. Um die Schreibweise zu vereinfachen, werden wir – sofern nicht anders angegeben – von Molekülen schreiben und darunter auch die einatomigen Gase subsumieren. Das Mol ist heute die SI-Einheit für die Stoffmenge. Es ist die Menge eines Stoffes, der genauso viele Moleküle enthält, wie in 12 g des Kohlenstoffnuklids 12 C enthalten sind. Dieselbe Stoffmenge an Wasser (H2 O) mit einem Molekülgewicht von 18 u hätte eine Masse von ca. 18 g.

65 3.1  Ideale Gase

Die Chemiker setzten sich intensiv mit dem Verhalten idealer Gase unter Druck- und Volumenänderungen auseinander. Experimentell hatten sie drei wichtige Gesetze gefunden. Das BoyleMariotte’sche Gesetz V /

1 p

bei T D konst.;

(3.1)

das erste Gesetz von Gay-Lussac V /T

bei p D konst:

(3.2)

und das zweite Gesetz von Gay-Lussac p/T

bei V D konst:

(3.3)

Ferner wissen wir von Avogadro, dass das Volumen eines idealen Gases proportional zur Stoffmenge sein muss. Diese Beobachtungen können wir in einem einzigen Gesetz zusammenfassen, dem idealen Gasgesetz1 . Aus dem Boyle-Mariotte’schen Gesetz schließen wir, dass bei konstanter Temperatur gelten muss: pV D konst:

(3.4)

Aus den beiden Gesetzen von Gay-Lussac folgt die Temperaturabhängigkeit. Das Produkt muss proportional zur Temperatur sein: pV D cT:

(3.5)

Mit Avogadro wissen wir, dass die Konstante c, die wir hier eingeführt haben, noch von der Stoffmenge  abhängen muss. Wir erhalten schließlich das ideale Gasgesetz: pV D RT:

(3.6)

Die Konstante R nennt man die „universelle Gaskonstante“. Ihr Wert ist R D 8:31446261815324

J : mol K

(3.7)

Experiment 3.1: Ideales Gasgesetz

Das ideale Gasgesetz lässt sich mit einem Gas in einem Glaskolben überprüfen. Wir verwenden ein sogenanntes Glasmantelgefäß, das Sie im Bild sehen können. Im Inneren befindet sich

1

Man entschuldige den sprachlichen Fehler, der sich hier eingebürgert hat. Dies ist kein ideales Gesetz, es müsste das „Gesetz der idealen Gase“ heißen.

© PHYWE

3

66

3

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

ein Kolben, in dem Luft eingeschlossen ist. An den Kolben haben wir einen Schlitten angebracht, der mit einem Schrittmotor den Kolben bewegen kann und dessen Position sich elektronisch aufzeichnen lässt. Aus der Position des Kolbens können wir das eingeschlossene Volumen V bestimmen. Auf der linken Seite befindet sich ein kleiner Ausgang aus dem Kolben, an den wir ein Manometer anflanschen, so dass wir den Druck p im Kolben messen können. Der Kolben ist von einem Glasmantel umgeben, durch den wir Wasser pumpen. In das Volumen des Glasmantels haben wir einen Temperatursensor eingebracht. Die Wassertemperatur kann extern mit Hilfe eines Umlaufthermostaten eingestellt werden. Der Wassermantel dient als Wärmereservoir. Er hält die Luft im Kolben auf einer festen Temperatur. Nun stellen wir eine feste Temperatur ein und verändern mit dem Schrittmotor das Volumen. Wir könnten den gemessenen Druck gegen das Volumen auftragen. Noch anschaulicher wird der Graph, wenn wir den Druck nicht gegen V sondern gegen 1=V auftragen. Dies ist im ersten Diagramm zu sehen. Es ergibt sich eine Gerade mit der Steigung RT . Alternativ können wir die Temperatur des Wassers im Mantel durchfahren. Zu jeder Temperatureinstellung fahren wir den Kolben in eine Position, die einen festen Druck ergibt, und bestimmen das zugehörige Volumen. Wir erwarten eine Gerade V .T / D R=p  T . Der zweite Graph zeigt diese Gerade.

67 3.2  Der Druck: kinetische Erklärung

3.2

Der Druck: kinetische Erklärung

Wir beginnen die mikroskopische Diskussion mit einer kinetischen Erklärung des Drucks, wollen aber zunächst den Begriff des idealen Gases präzisieren. Im ersten Abschnitt hatten wir angemerkt, dass reale Gase sich dem Verhalten eines idealen Gases annähern, wenn wir sie verdünnen, d. h. auf ein großes Volumen expandieren. Mikroskopisch erlaubt dies zwei unterschiedliche Näherungen. Der Abstand zwischen den Molekülen hat sich durch das Verdünnen vergrößert, sodass wir Kräfte zwischen den Molekülen, die nur auf kurzen Abständen wirken, vernachlässigen können. Außerdem steht den Molekülen ein sehr großes Volumen zur Verfügung, sodass wir deren Eigenvolumen demgegenüber vernachlässigen können. Wir können die Moleküle als Massenpunkte beschreiben, die elastisch gegen die Wände stoßen, sich ansonsten aber frei, d. h. geradlinig gleichförmig bewegen. Auf dieser Modellvorstellung beruht die kinetische Gastheorie. Sie versucht, thermische Phänomene mit klassischer Mechanik zu erklären. Zur mikroskopischen Erklärung des Drucks betrachten wir einen Würfel der Kantenlänge L, der mit einem idealen Gas der Temperatur T gefüllt ist (. Abb. 3.2). Die Moleküle des Gases stoßen gegen die Wände des Würfels. Sie werden von den Wänden reflektiert. Dabei wirkt eine Kraft von den Molekülen auf die Wand, sie üben einen Kraftstoß auf diese aus. Der Kraftstoß ist gering und von kurzer Dauer, doch müssen wir beachten, dass sich viele Moleküle im Gas befinden. Die Kraftstöße addieren sich auf. Deren zeitliche Mittelung ergibt den Druck des Gases. Diesen wollen wir nun berechnen. Als ersten Schritt berechnen wir die Impulsänderung, die ein Molekül erfährt, wenn es mit der Geschwindigkeit v elastisch gegen eine Wand stößt. Wir betrachten exemplarisch die rechte Wand. Die Geschwindigkeitskomponente senkrecht zur Wand ist vx . Nur diese Komponente wird durch den Stoß verändert. Beachten Sie bitte, dass sowohl Impuls als auch Druck durch das Symbol p repräsentiert werden. Zunächst ist hier mit p der Impuls gemeint: px D 2mvx :

(3.8)

Das Molekül bewege sich zunächst nach rechts. Beim Stoß an der Wand wird es nach links reflektiert. Es trifft nach einer Zeit T D L=vx auf die linke Wand und wird erneut reflektiert. Nach derselben Zeit trifft es erneut auf die rechte Wand. Der zeitliche Abstand zwischen zwei Stößen auf die rechte Wand ist also 2L=vx . Sollte das Molekül zwischenzeitlich auf die Wände oben, unten, vorne oder hinten stoßen, so ändert das unsere Überlegungen nicht. Wir haben lediglich angenommen, dass das Molekül ausschließ-

. Abb. 3.2 Modell zur Erklärung des Drucks

3

68

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

lich mit den Wänden, nicht aber mit anderen Molekülen kollidiert. Berücksichtigen wir die Stöße mit den anderen Molekülen, kommen wir im Mittel immer noch zum selben Ergebnis. Im Mittel übt ein einzelnes Molekül folglich einen Kraftstoß auf die rechte Wand aus, der die folgende Größe hat:

3

mvx2 px 2mvx D D D F: t 2L=vx L

(3.9)

Durch die Mittelung haben wir den Kraftstoß, der eigentlich nur im kurzen Moment der Reflexion wirkt, über die gesamte Dauer, bis das Molekül erneut auf die Wand trifft, verteilt. Dies ist gerechtfertigt, wenn sich nicht nur ein einzelnes Molekül im Gas bewegt, sondern sehr viele Moleküle stochastisch gegen die Wände stoßen. Im letzten Schritt in (Gl. 3.9) haben wir Newtons zweites Axiom benutzt, nach dem die Kraft der Impulsänderung pro Zeitintervall entspricht. Nun summieren wir die mittleren Kraftstöße aller Moleküle. Die Stoffmenge des Gases im Würfel sei . Dann ist die Anzahl der darin enthaltenen Moleküle   NA . Der Index i bezeichnet die einzelnen Moleküle: Fx;tot D

NA X

Fx;i D

i D1

NA X m i D1

L

A mX v2 L i D1 x;i

N

2 D vx;i

NA 1 X m D NA v2 L NA i D1 x;i

!

D NA

m 2 v : L x

(3.10)

Der Ausdruck in der Klammer ergibt das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Moleküle. Der Strich über der Größe symbolisiert die Mittelung über die Werte der einzelnen Moleküle im Gas. Solche gemittelten Größen werden im Folgenden häufiger auftauchen, immer wenn wir von mikroskopischen Größen zu makroskopischen Größen übergehen wollen. Beachten Sie bitte, dass vx2 ¤ vx 2 . Es macht einen Unterschied, ob Sie zuerst die Geschwindigkeiten quadrieren und dann mitteln oder umgekehrt vorgehen. Nun können wir den Druck berechnen (p symbolisiert nun wieder den Druck) pD

Fx NA NA 2 Fx D 2 D 3 mvx2 D mvx ; A L L V

(3.11)

woraus wir das Boyle-Mariotte’sche Gesetz erhalten: pV D NA mvx2 :

(3.12)

Im Beispiel des Würfels ist keine der drei Raumrichtungen ausgezeichnet. Wir können davon ausgehen, dass die Geschwindig-

69 3.2  Der Druck: kinetische Erklärung

keitsverteilung in alle drei Raumrichtungen identisch ist. Also gilt vx2 D vy2 D vz2 2 2 2 vi2 D vx;i C vy;i C vz;i 2 2 2 ) vi2 D vx;i C vy;i C vz;i

) vx2 D

1 2 v : 3

(3.13)

Damit können wir das Boyle-Mariotte’sche Gesetz in die folgende Form bringen: pV D

1 2 2 NA mv 2 D NA Ekin : 3 2 3

(3.14)

Bei konstanter Temperatur nimmt das System keine Wärme auf, die innere Energie ist konstant. Folglich muss die rechte Seite mit der mittleren Energie der Moleküle eine Konstante sein, wie es das Boyle-Mariotte’sche Gesetz verlangt. Experiment 3.2: Modellversuch zum Druck

Dieses Experiment veranschaulicht die thermische Bewegung der Moleküle in einem Gas und den daraus resultierenden Druck. Die Moleküle des Gases ersetzen wir durch kleine Magnete, die auf einem Luftkissen nahezu reibungsfrei gleiten. Im Bild sehen Sie zehn solche Modellmoleküle. Durch die Magnete stoßen sich die Moleküle elastisch voneinander ab. Die Wände bestehen aus magnetischen Barrieren, von denen die Moleküle ebenfalls elastisch abgestoßen werden. Ein zusätzlicher Luftstrom von links hält unsere Moleküle in Bewegung. Starten wir den Luftstrom, beobachten wir eine chaotische Bewegung der Moleküle. Deutlich ist zu erkennen, wie die Moleküle untereinander und mit den Wänden stoßen. Wir können beobachten, dass sich manche Moleküle langsamer und andere schneller bewegen. Erhöhen wir den seitlichen Luftstrom, wird die Bewegung heftiger. Wir haben im Modell die Temperatur des Gases erhöht. Die rechte Wand (Magnetbarriere) können wir verschieben. Verringern wir die Fläche, die den Molekülen zur Verfügung steht, so nimmt die Bewegung zu. Das Modellgas erwärmt sich bei der Kompression. Geben wir die rechte Wand danach frei, wird sie durch die Stöße in ihre Ausgangsposition zurückgedrückt. Das Gas expandiert, verrichtet dabei Arbeit und kühlt sich ab.

© RWTH Aachen, Fachgruppe Physik

3

70

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

Experiment 3.3: Modellversuch zum Druck

Das Experiment demonstriert das Entstehen eines Drucks auf den Gefäßdeckel durch die mikroskopische Bewegung der Modellmoleküle. In einem Behälter mit durchsichtiger Front- und Rückwand befinden sich Kunststoffperlen. Der Boden ist an eine Rüttelmaschine angeschlossen. Starten wir den Motor, wird der Boden auf und ab bewegt. Die Bewegung überträgt sich auf die Perlen, die sich im Gefäß heftig bewegen und gegen die Wände und den Deckel stoßen. Man kann die chaotischen Bewegungen direkt beobachten (siehe Abbildung). Der etwa 10 g schwere Deckel ist nach oben beweglich. Das Aufprallen der Perlen erzeugt einen Druck auf den Deckel, infolge dessen er sich hebt. Erhöht man die Drehzahl des Motors, wird das Rütteln heftiger. Die Geschwindigkeit der Perlen steigt sichtbar, und der Druck auf den Deckel erhöht sich. Er wird weiter angehoben.

3

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

3.3

Die Temperatur: kinetische Definition

Nachdem wir den Druck mikroskopisch erklärt haben, definieren wir nun die Temperatur auf der Basis der kinetischen Eigenschaften der einzelnen Moleküle. Im vorherigen Abschnitt, Gl. 3.14, haben wir gesehen, dass in der mikroskopischen Formulierung des Boyle-Mariotte’schen Gesetzes die kinetische Energie der Gasmoleküle auftritt. Die Temperatur ist ein Maß für diese Energie. Genauer gesagt soll die Temperatur proportional zur mittleren Energie der Moleküle sein: T / Ekin :

(3.15)

Die Proportionalitätskonstante wollen wir k nennen. Wir führen einen zusätzlichen Faktor 3=2 ein, der den Faktor 2=3 in Gl. 3.14 kompensiert. Also ist Ekin D

1 2 3 mv D kT: 2 2

(3.16)

Betrachten Sie diese Relation bitte noch einmal genauer. Auf der linken Seite steht eine mikroskopische Größe, die mittlere kinetische Energie eines einzelnen Moleküls im Gas. Auf der rechten Seite steht hingegen eine makroskopische Größe, die Temperatur T , die das Gas als Ganzes charakterisiert. Die Konstante k setzt die beiden in Relation. Mit ihr rechnet man mikroskopische in makroskopische Größen um. Man nennt sie die „BoltzmannKonstante“, nach Ludwig Boltzmann, dem die Neuformulierung

71 3.3  Die Temperatur: kinetische Definition

der Wärmelehre auf der Basis statistischer Eigenschaften der Moleküle gelang (. Abb. 4.19). Der Wert der Konstanten ist k D 1;380649  1023

J : K

(3.17)

Die Temperatur eines Gases ist ein Abbild der kinetischen Energie seiner Moleküle. Und zwar haben die Moleküle des Gases im Mittel eine Energie von 32 k pro Kelvin Temperatur2 . Dies ist eine sehr kleine Zahl. Beachten Sie aber, dass sich in einem Gas sehr viele Moleküle befinden. Summieren wir die Energien aller Moleküle auf, so sehen wir, dass durchaus größere Energiemengen als thermische Energie in Gasen gespeichert sind. Zur Veranschaulichung bestimmen wir die mittlere Geschwindigkeit von He-Atomen bei Raumtemperatur: J 3 3 kT D 1;38  1023 293 K D 6;06  1021 J 2 2 K 2 2E 2 kin 21 kg m v2 D D 6;06  10 m 4  1;66  1027 kg s2 2 m D 1;8  106 2 s p m 2 v  v  1300 : (3.18) s

Ekin D

Der letzte Rechenschritt ist mathematisch nicht korrekt. Der Mittelwert von v ist nicht die Wurzel aus dem Mittelwert von v 2 . Um den Mittelwert von v korrekt zu bestimmen, muss man die Geschwindigkeitsverteilung kennen, was wir erst weiter unten angehen werden. Trotzdem gibt unsere Rechnung eine grobe Abschätzung. An mehr sind wir hier nicht interessiert. Der korrekte Wert ist etwa 10 % niedriger. Die He-Atome bewegen sich schon bei Raumtemperatur mit erheblichen Geschwindigkeiten. Die Geschwindigkeiten hängen neben der Temperatur von der Masse der Moleküle ab. Bei schwereren Molekülen sind sie geringer. Wir setzen nun die neue Definition der Temperatur in Gl. 3.14 ein: pV D

3 2 2 NA Ekin D NA kT D NA kT D RT 3 3 2

(3.19)

und erhalten das bereits in 7 Abschn. 3.1 empirisch bestimmte ideale Gasgesetz, wenn wir R D kNA setzen. Die ständige Bewegung der Moleküle aufgrund ihrer Temperatur hat mehrere Namen. Man nennt sie die „thermische Bewegung“ oder auch „Brown’sche Molekularbewegung“. Obwohl man Moleküle auch unter dem Mikroskop nicht sehen kann, 2

Den Faktor 32 werden wir weiter unten noch allgemeiner spezifizieren. In dieser Form gilt er nur für 1-atomige Moleküle.

3

72

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

kann man ihre Bewegung sichtbar machen. Dies zeigen wir in 7 Experiment 3.4. Experiment 3.4: Brown’sche Molekularbewegung

Das Experiment zeigt den Einfluss der Brown’schen Molekularbewegung auf Fetttröpfchen, die auf Wasser schwimmen. Wir träufeln Kondensmilch in Wasser und mischen das Ganze. Mit einem Wattestäbchen bringen wir einen Tropfen auf einen Objektträger auf und betrachten ihn durch ein Mikroskop (ca. 50-fache Vergrößerung). Kleine Fetttröpfchen aus der Milch schwimmen auf der Oberfläche des Wassertropfens. Wassermoleküle stoßen aufgrund ihrer thermischen Bewegung gegen die Fetttröpfchen. Sie versetzen die Fetttröpfchen in ein Zittern, das wir im Mikroskop erkennen können. (In der Abbildung hier im Buch können Sie die Fetttröpfchen erkennen, aber leider nicht die Bewegung.) Die Darstellung der Zitterbewegung braucht ein wenig Geschick. Kleine Staubteilchen, die man immer auf dem Objektträger findet, können wir als Referenz verwenden. Sie bewegen sich nicht.

3

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Die Definition der Temperaturskala nach Kelvin geht von einer kleinstmöglichen Temperatur aus, dem absoluten Nullpunkt. Mit der mikroskopischen Definition der Temperatur sollte auch klar geworden sein, wie es zu diesem kommt. Reduzieren wir die Temperatur eines Körpers, so reduzieren wir die kinetische Energie seiner Moleküle. Erreichen wir einen Punkt, an dem die kinetische Energie der Moleküle zu null geworden ist, so können wir den Körper nicht weiter abkühlen. Der absolute Nullpunkt ist erreicht3 , die Moleküle ruhen.

3.4

Arbeitsprozesse mit idealen Gasen

In 7 Abschn. 2.3 haben Sie gesehen, wie ein Gas durch Expansion Arbeit verrichten kann und wie diese Prozesse im p-V -Diagramm darzustellen und zu klassifizieren sind. Nun sind wir in der Lage, die verrichtete Arbeit tatsächlich zu berechnen. Für einen allgemeinen Prozess im p-V -Diagramm (siehe . Abb. 3.3) gilt: d W D pdV Z W D p.V /dV 3

mit pV D RT:

(3.20)

Wir werden später noch sehen (7 Abschn. 4.6), dass man den absoluten Nullpunkt nie ganz erreichen kann.

73 3.4  Arbeitsprozesse mit idealen Gasen

. Abb. 3.3 Ein Arbeitsprozess im p-V -Diagramm

Wir betrachten zunächst einen isothermen Prozess: p.V / D RT

1 V

mit

RT D konst:

ZV2 W D

p.V /dV V1

ZV2 D

RT

1 dV V

V1

ZV2 D RT

1 dV V

V1

D RT Œln V VV21 D RT .ln V2  ln V1 / V2 D RT ln : V1

(3.21)

Einfacher ist der isobare Prozess zu berechnen: p D konst: ZV2 W D

p.V /dV V1

ZV2 Dp

dV V1

D p.V2  V1 / D pV:

(3.22)

Noch einfacher ist der isochore Prozess. Da V1 D V2 ; ergibt das Arbeitsintegral W D 0. In 7 Abschn. 2.3 hatten wir noch adiaba-

3

74

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

tische Prozesse eingeführt. Deren Berechnung ist etwas komplizierter, wir wollen sie noch ein wenig aufschieben.

3.5

3

Wärmekapazitäten: kinetische Erklärung

Im nächsten Schritt wollen wir die ausgetauschten Wärmemengen berechnen, um so die Wärmekapazitäten der Gase zu bestimmen. Wir betrachten zunächst einen isochoren Prozess mit einem 1-atomigen Gas, wie z. B. Heliumgas. Durch Erwärmung des Gases wird der Druck bei konstantem Volumen erhöht (. Abb. 3.4). Das Gas ist in einem Behälter mit festem Volumen eingeschlossen. Es ist thermisch an ein Wärmebad angekoppelt und gegen die Umgebung isoliert. Nun erhöhen wir langsam die Temperatur TU des Wärmereservoirs. Das Gas nimmt eine Wärmemenge Q aus dem Reservoir auf, die wir aus der Wärmekapazität bestimmen können. Wir benutzen die molare Wärmekapazität Cm , die wir in 7 Abschn. 2.2 eingeführt hatten. Den Index m wollen wir unterdrücken und stattdessen einen Index V anbringen, um anzuzeigen, dass die Erwärmung bei konstantem Volumen stattfindet: Q D CV T:

(3.23)

Nach dem ersten Hauptsatz ist mit der Erwärmung eine Änderung der inneren Energie verbunden. Diese ist U D Q  W D Q D CV T;

(3.24)

da bei einem isochoren Prozess keine mechanische Arbeit verrichtet wird (W D 0). Aufgelöst nach der Wärmekapazität ergibt sich: CV D

U : T

(3.25)

. Abb. 3.4 Isochore Erwärmung eines Gases. Grüne Linien: Isothermen

75 3.5  Wärmekapazitäten: kinetische Erklärung

. Tab. 3.1 Wärmekapazitäten einiger Gase im Vergleich zur Vorhersage der kinetischen Gastheorie Wärmekapazitäten CV in J=mol K Vorhersage 1-atomig

3 2R

2-atomig

5 R 2

mehratomig

D 12;5

D 20;8

3R D 24;9

Messungen He

12,5

Ar

12,6

N2

20,7

O2

20,8

NH3

29,0

CO2

29,7

Die innere Energie ist in der Bewegung der Moleküle des Gases gespeichert. Mit der Wärmezufuhr erhöht sich diese. Für ein einatomiges Gas steigt die mittlere kinetische Energie von 32 kT1 auf 32 kT2 . Also haben wir: 3 3 U D NA k.T2  T1 / D RT; 2 2

(3.26)

wobei NA die Anzahl der Moleküle im Gas bezeichnet. Damit ergibt sich: CV D

3 RT U 3 D 2 D R: T T 2

(3.27)

In . Tab. 3.1 sind die gemessenen Wärmekapazitäten einiger realer Gase dieser Vorhersage gegenübergestellt. Die Tabelle zeigt eine überraschend gute Übereinstimmung. Dieses Ergebnis gilt nur für einatomige Gase. Doch was ändert sich, wenn wir zu komplexeren Molekülen übergehen? Bei komplexeren Molekülen treten neben den Freiheitsgraden der Translation die der Rotation hinzu. Zwar kann ein Heliumatom in einem einatomigen Gas auch rotieren, aber das Trägheitsmoment ist so gering, dass in dieser Rotation kaum Energie gespeichert werden kann. Dies ändert sich beim Übergang zu Molekülen, die aus mehreren Atomen aufgebaut sind. Wir haben dies in . Abb. 3.5 skizziert. Für ein zweiatomiges Molekül finden wir zwei weitere Freiheitsgrade. Der dritte Rotationsfreiheitsgrad, der der Rotation um die Längsachse des Moleküls entspricht, trägt wegen seines nahezu verschwindenden Trägheitsmoments nicht bei. Erst bei Molekülen mit drei oder mehr Atomen zeigen sich alle drei Rotationsfreiheitsgrade. Eine Ausnahme bilden Moleküle, bei denen die Atome in einer geraden Linie angeordnet sind, wie dies beispielsweise bei CO2 der Fall ist.

3

76

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

3

. Abb. 3.5 Freiheitsgrade verschiedener Gasmoleküle

Führen wir einem Gas aus mehratomigen Molekülen Wärme zu, so erhöht dies nicht nur die kinetische Energie, die in den Translationen steckt, sondern auch die Rotationsenergie. Die Temperatur wird aber alleine von den Translationsfreiheitsgraden bestimmt. Bei der Erwärmung geht sozusagen Energie durch die Anregung der Rotationen „verloren“, die nicht zur Temperaturerhöhung beiträgt. Wir müssen Gl. 3.25 um diesen „Verlust“ korrigieren. Die innere Energie, die ein Molekül im Mittel speichert, ist nicht 32 kT sondern f2 kT , wobei f die Anzahl der zu berücksichtigenden Freiheitsgrade ist. Für einatomige Moleküle ist f D 3, für zweiatomige gilt f D 5 und für komplexe Moleküle schließlich f D 6. Damit erhalten wir: U D

f kT 2

(3.28)

und CV D

f R: 2

(3.29)

Erneut (. Tab. 3.1) finden wir eine sehr gute Übereinstimmung unserer Erwartung mit den Messungen. Wir haben angenommen, dass in einem Translationsfreiheitsgrad im Mittel die gleiche Energiemenge gespeichert ist, wie in einem Rotationsfreiheitsgrad. Dies ist nicht offensichtlich. Es wird durch den Vergleich der Wärmekapazitäten ein-, zwei- und dreiatomiger Gase aber bestätigt. Die Aussage folgt aus dem sogenannten Gleichverteilungssatz der statistischen Mechanik, auch Äquipartitionstheorem genannt. Er besagt allgemein, dass in jedem Freiheitsgrad eines statistischen Systems im Mittel eine Energie von 12 kT gespeichert ist. Für einatomige Gase ergibt sich aus dem Gleichverteilungssatz der Wert 32 kT für die mittlere kinetische Energie in guter

77 3.5  Wärmekapazitäten: kinetische Erklärung

. Abb. 3.6 Schematischer Verlauf der molare Wärmekapazität von Wasserstoff als Funktion der Temperatur

Übereinstimmung mit den Messungen. Wie wir bereits geschrieben haben, kommen bei mehratomigen Gasen die Rotationsfreiheitsgrade hinzu. Außerdem können die Atome in den Molekülen zu Schwingungen gegeneinander angeregt werden, die allerdings bei Raumtemperatur in der Regel nicht beitragen. Der Grund ist quantenmechanischer Natur. Die Anregung von Molekülschwingungen erfolgt nicht kontinuierlich, sondern in diskreten (quantisierten) Schritten. Bei Raumtemperatur ist der Energiewert 12 kT , aber für die meisten Gase deutlich kleiner als der kleinstmögliche Energiewert der Schwingung. Wir sprechen dann von einem eingefrorenen Freiheitsgrad. In . Abb. 3.6 ist der Verlauf der Wärmekapazität von Wasserstoff (H2 ) gegen die Temperatur dargestellt. Beachten Sie bitte die logarithmische Temperaturskala. Bei Temperaturen unterhalb von 100 K sind selbst die Rotationsfreiheitsgrade eingefroren. Nur die Translation trägt zur Energiebilanz im Gas bei. Bei Raumtemperatur beobachten wir das Auftreten von Translation und Rotation, wobei diese mit 32 kT und 2 2 kT beitragen, wie wir dies für ein zweiatomiges Gas erwarten. Bei Temperaturen oberhalb von 1000 K kommen die Freiheitsgrade der Molekülschwingung hinzu. Wasserstoff ist ein einfaches Molekül. Es hat nur eine Eigenmode, bei der die beiden Atome gegeneinander schwingen. Da in einer Schwingung sowohl kinetische als auch potenzielle Energie steckt, trägt eine Schwingungsmode mit 2  12 kT zur Energiebilanz bei. Vielleicht fragen Sie sich jetzt, wie viele Schwingungsfreiheitsgrade ein komplexes Molekül hat. Diese lassen sich tatsächlich einfach abzählen. Ein einzelnes Atom hat drei Freiheitsgrade. Also muss ein Molekül mit n Atomen 3n Freiheitsgrade haben. Diese werden in Translations-, Rotations- und Vibrationsfreiheitsgrade eingeteilt. Ein Molekül hat immer drei Translationsfreiheitsgrade, die die Bewegung seines Schwerpunkts beschreiben. Dann besitzt es drei Rotationsfreiheitsgrade, die die Rotation um zueinander senkrechte Achsen durch den Schwerpunkt erfassen, bzw. zwei Rotationsfreiheitsgrade, falls das Molekül als lineare Kette aufgebaut ist. Die restlichen 3n  6 bzw. 3n  5 Frei-

3

78

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

3

. Abb. 3.7 Normschwingungen des CO2 -Moleküls. B stellt zwei gleiche Schwingungen in zueinander senkrechten Richtungen dar

heitsgrade stellen Vibrationen dar. In . Abb. 3.7 sind als Beispiel die vier Normschwingungen des CO2 -Moleküls gezeigt. Mit dem gleichen Ansatz können wir auch einfache Festkörper behandeln. Bei Metallen befinden sich einzelne Atome auf den Plätzen eines regelmäßigen Gitters. Da die Atome an die Gitterplätze gebunden sind, treten keine Translationsfreiheitsgrade auf. Für nahezu punktförmige, rotationssymmetrische Atome gibt es auch keine Rotationsfreiheitsgrade. Die gesamte thermische Energie ist in den Schwingungen der Atome um ihre Gitterplätze gespeichert. Bei einfachen Metallen sind drei Eigenmoden zu betrachten, in denen ein Atom jeweils in eine der drei Raumrichtungen schwingt. Diese drei Freiheitsgrade tragen jeweils mit kinetischer und potenzieller Energie zur Energiebilanz bei. Wir erwarten folglich eine Wärmekapazität von 3R für einfache Metalle. Dies nennt man das Dulong-Petit’sche Gesetz nach den beiden französischen Physikern Pierre Louis Dulong und Alexis Thérèse Petit. Messungen bestätigen das Gesetz, wie in . Abb. 3.8 gezeigt ist. Insbesondere für die leichteren Metalle beträgt die Abweichung von der Vorhersage nur wenige Prozent. Halten wir bei der Erwärmung des Gases nicht das Volumen, sondern den Druck konstant (siehe . Abb. 3.9), so ergibt sich eine andere Wärmekapazität, die wir mit Cp für die molare und cp für die spezifische Wärmekapazität bezeichnen. Die aufgenommene Wärmemenge ist nun Q D Cp T:

(3.30)

Nach dem ersten Hauptsatz gilt U D Q  W D Cp T  pV:

. Abb. 3.8 Molare Wärmekapazität der Metalle

(3.31)

79 3.6  Adiabatische Prozesse

. Abb. 3.9 Isobare Erwärmung eines Gases. Grüne Linien: Isothermen

Die Volumenänderung bestimmen wir aus dem idealen Gasgesetz: pV D pV2  pV1 D RT2  RT1 D RT:

(3.32)

Nach Boltzmann beträgt die Änderung der inneren Energie wiederum U D

f RT D CV T; 2

(3.33)

wobei wir das Ergebnis aus Gl. 3.27 benutzt haben. Setzen wir alles in den ersten Hauptsatz ein, erhalten wir: CV T D Cp T  RT

)

Cp D CV C R: (3.34)

Wie bei CV finden wir auch hier eine sehr gute Übereinstimmung mit den Messungen. Ist dies nicht ein erstaunliches Ergebnis? Mit diesem einfachen mikroskopischen Modell (. Abb. 3.10), das Gasmoleküle als elastisch stoßende Kugeln beschreibt, ist es uns gelungen, das Verhalten verdünnter Gase korrekt zu beschreiben, ohne dass wir dafür irgendwelche Materialkonstanten einführen mussten.

3.6

Adiabatische Prozesse

Bei einem adiabatischen Prozess ist das Gas von der Umgebung isoliert. Es kann keine Wärme mit der Umgebung ausgetauscht werden. Auch wenn diese Situation in der Realität nicht vollständig erreichbar ist, gibt es viele Prozesse, für die diese Annahme eine gute Näherung darstellt. Dies kann der Fall sein, wenn das Gas durch Dämmstoffe von der Umwelt isoliert ist oder bei rasch

. Abb. 3.10 Kinetische Modellvorstellung eines Gases

3

80

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

3

. Abb. 3.11 Realisierung adiabatischer Prozesse in einem isolierten Kolben

ablaufenden Prozessen. Im letzteren Fall vergeht nicht genügend Zeit, um eine signifikante Wärmemenge an die Umgebung abzugeben oder von ihr aufzunehmen. In . Abb. 3.11 ist dies dargestellt. Das Gas befindet sich in einem isolierten Kolben. Mit dem Stempel kann der Druck erhöht oder verringert werden, was zu einer entsprechenden Volumenund Temperaturänderung des Gases führt. Die Veränderung von Druck, Volumen und Temperatur sind auf eine bestimmte Art und Weise miteinander verknüpft, die wir im Folgenden bestimmen wollen. Wir betrachten zunächst eine infinitesimale Druckänderung. Die Änderung der inneren Energie ist (dQ D 0) d U D d W D pdV:

(3.35)

Andererseits ist dU D

f Rd T D CV d T: 2

(3.36)

Beides gleichgesetzt ergibt: pdV D CV d T:

(3.37)

Wir bestimmen d T aus dem idealen Gasgesetz: pV D RT ) pdV C Vdp D Rd T pdV C Vdp pdV C Vdp d T D D R Cp  CV

(3.38)

und setzen in Gl. 3.37 ein. Dann separieren wir die Variablen V und p: pdV D CV Cp pdV C CV pdV Cp pdV Cp dV  CV V dV  V

pdV C Vdp Cp  CV

D CV pdV C CV Vdp D CV Vdp dp D p dp D : p

(3.39)

81 3.6  Adiabatische Prozesse

. Abb. 3.12 Isothermen und Adiabaten im p-V -Diagramm

Im letzten Schritt haben wir den Adiabatenindex  eingeführt. Nun integrieren wir Gl. 3.39 und erhalten Z

1 dV V  ln V C c c c c



Z

1 dp p D ln p D ln p C  ln V D ln p C ln V  D ln.pV  /: D

(3.40)

dabei ist c eine Integrationskonstante. Exponieren der Gleichung ergibt pV  D e c D konst.

)

p/

1 : V

(3.41)

Zum Vergleich: Für isotherme Prozesse hatten wir pV D RT D konst.

)

p/

1 : V

(3.42)

Da  D Cp =CV immer größer 1 ist, bedeutet dies, dass die Adiabaten im p-V -Diagramm immer steiler verlaufen als die Isothermen. Dies ist in . Abb. 3.12 zu sehen. Gl. 3.41 gibt den Zusammenhang zwischen Druckänderung und Volumenänderung für adiabatische Prozesse an. Daraus können wir nun noch die Temperaturänderung ableiten, z. B. als Zusammenhang zwischen Volumen V und Temperatur T . Wir benutzen das ideale Gasgesetz, um den Druck aus Gl. 3.41 zu eliminieren pV D RT

)

pD

RT V

(3.43)

3

82

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

und damit

3

pV  D konst. RT  V D konst. V 1 D konst. RT V T V 1 D konst.

(3.44)

Die letzte Zeile gibt die gesuchte Relation. Man nennt dieses Ergebnis die „Adiabatengleichung“. Beispiel 3.1: Fahrradpumpe

In 7 Beispiel 2.7 hatten wir beschrieben, wie sich die Luft in einer Fahrradpumpe beim Pumpen erwärmt. Nun können wir versuchen, die Erwärmung quantitativ zu behandeln. Da wir schnell pumpen, sollte der Wärmeaustausch mit der Umgebung während eines einmaligen Pumpens vernachlässigbar sein. Wir können den Prozess adiabatisch behandeln. Für eine adiabatische Kompression gilt: V D V0



p p0

 1

 0;32:

Luft besteht zum größten Teil aus zweiatomigen Gasen, nämlich N2 und O2 . Behandeln wir sie als ideale Gase, so ist CV D 5=2R, und CP D CV C R D 7=2R, woraus sich  D 1;4 ergibt. Diesen Wert haben wir oben bereits benutzt. Durch die Kompression erwärmt sich die Luft. Aus T V 1 D konst: können wir die Temperaturerhöhung bestimmen. Es ergibt sich:  1 V T D : T0 V0 Fahrradreifen werden typischerweise mit einem Überdruck von vier Atmosphären aufgepumpt. Der Druck in einem Fahrradreifen ist um einen Faktor fünf gegenüber dem Normaldruck erhöht. Aus pV  D konst: folgt das Kompressionsverhältnis der Volumina. Bezeichnen wir mit p0 den Normaldruck und mit V0 das Ausgangsvolumen in der Pumpe, so ist T D T0



V V0



1 D

p p0

  1 

 1;58:

Gehen wir von einer Ausgangstemperatur von 20ı C (T0 D 293 K) aus, so erwärmt sich die Luft auf 190ı C. Allerdings ist die Wärmekapazität der eingeschlossenen Luft gering, so dass nach Übertragung der Wärme auf die metallene Hülle der Pumpe sich diese deutlich weniger erwärmt.

83 3.6  Adiabatische Prozesse

Beispiel 3.2: Der Kompressionsmodul idealer Gase

Komprimieren wir ein Gas, so steigt der Druck im Gas und damit die Kraft auf die Wände des Gefäßes. Es kommt zu einer elastischen Reaktion, die wir in den Begriffen der Elastomechanik durch den Kompressionsmodul beschreiben können. Wir wollen diesen für ein ideales Gas bestimmen. Betrachten Sie die Skizze. Wir drücken den Stempel in den Zylinder ein. Wie weit steigt der Druck an? In der Elastomechanik haben Sie gelernt, dass der Druckanstieg proportional zur relativen Volumenänderung ist: dp D 

dV : V

Die Proportionalitätskonstante  haben wir den Kompressionsmodul genannt. Sie haben nun gelernt, dass der Druckanstieg im Gas nicht allgemein angegeben werden kann, sondern davon abhängt, wie das Gas mit der Umgebung gekoppelt ist. Ist es von der Umgebung isoliert? Oder findet ein Wärmeaustausch mit der Umgebung statt? Ist dieser eventuell so intensiv, dass das Gas auf der Umgebungstemperatur gehalten wird? Wir wollen hier annehmen, dass das Gas rasch komprimiert wird, so dass der Wärmeaustausch mit der Umgebung vernachlässigt werden kann, d. h., wir nähern die Kompression durch einen adiabatischen Prozess. Komprimieren wir das Gas vom Volumen V0 unter dem Druck p0 um ein infinitesimales Volumen dV auf das Volumen V1 beim Druck p1 D p0 C dp, so gilt für diesen Prozess: 



p0 V0 D p1 V1 oder 

p0 V0 D .p0 C dp/.V0 C dV /   dV   D .p0 C dp/V0 1 C V0   dV   .p0 C dp/V0 1 C  V0 



1

 p0 V0 C V0 dp C p0 V0

dV;

woraus folgt: dp D p0

dV : V0

Der Kompressionsmodul hat folglich den Wert  D p0 . Für eine isotherme Kompression hätten wir dagegen den Wert  D p0 erhalten.

3

84

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

Beispiel 3.3: Freie Expansion

Ein weiterer Prozess, der zwar in der Praxis kaum vorkommt, aber eine wichtige Rolle in der Entwicklung der kinetischen Gastheorie spielte, ist die freie Expansion. Dabei dehnt sich ein Gas in einen evakuierten Raum hinein aus. Zunächst ist das Gas in einem festen Volumen eingeschlossen. Ein weiterer Raum ist mit dem ersten über ein Ventil verbunden. Er ist evakuiert. Öffnen wir das Ventil, strömt Gas in den evakuierten Raum ein. Es verteilt sich über beide Räume. Statt des Ventils wird häufig eine Glasscheibe eingesetzt, die zerbrochen wird, um die Expansion zu ermöglichen. Beachten Sie, dass bei der freien Expansion keine Arbeit verrichtet wird. Es gibt keine Kraft, gegen die das Gas bei der Expansion Arbeit verrichten müsste. Wir können keinen Mechanismus entwerfen, mit dem beispielsweise bei der Expansion ein Gewicht angehoben würde. Die Expansion in den evakuierten Raum erfolgt sehr schnell. Der Vorgang kann nicht reversibel geführt werden, denn es gibt keine Zwischenschritte teilweiser Expansion, bei denen sich das Gas im thermischen Gleichgewicht befände. Erst nach vollständiger Expansion kann sich wieder ein Gleichgewichtszustand einstellen. Aus diesem Grund kann man zwar den Ausgangs- und den Endzustand im p-V -Diagramm darstellen, aber nicht den Weg zwischen den beiden Zuständen. Druck und Volumen des Gases können während der Expansion nicht angegeben werden. Für ein ideales Gas ist die Temperatur alleine durch die innere Energie bestimmt. Da es sich um ein abgeschlossenes System handelt, bleibt die innere Energie des Gases konstant und damit auch die Temperatur. Im Falle eines realen Gases spielen Anziehungskräfte zwischen den Molekülen eine Rolle. So muss bei der Expansion Arbeit gegen diese Anziehungskräfte verrichtet werden, um die Moleküle im Mittel voneinander zu entfernen. Die dafür notwendige Energie kann nur der kinetischen Energie der Moleküle entstammen. Sie verringert sich und das Gas kühlt sich damit ab. Die Messung der Temperatur bei der freien Expansion stellt eine sensitive Möglichkeit dar, die Abweichung eines realen Gases von dem eines idealen Gases zu erkennen.

3

3.7

Boltzmann’sche Energieverteilung

In den vorherigen Abschnitten haben wir gelernt, dass die Moleküle in einem Gas ganz unterschiedliche Geschwindigkeiten haben können. Manche bewegen sich schnell, andere langsamer, manche nach rechts, links, oben oder schräg. Wir haben ferner ge-

85 3.7  Boltzmann’sche Energieverteilung

lernt, dass der Mittelwert der kinetischen Energie durch die Temperatur gegeben ist. Das legt auch die mittlere Geschwindigkeit der Moleküle fest. Wir wollen nun tiefer gehen und ergründen, wie häufig bestimmte Geschwindigkeiten auftreten, d. h. unser Ziel ist es, die statistische Verteilung der Geschwindigkeiten um den Mittelwert zu bestimmen. Doch zunächst führen wir anhand von Beispielen ein, was überhaupt unter einer „Verteilungsfunktion“ zu verstehen ist. Wir betrachten einen Würfel mit Volumen V , in dem sich N Moleküle eines Gases befinden (. Abb. 3.13). Wir wollen in diesem ersten Beispiel nicht die Geschwindigkeitsverteilung, sondern die Ortsverteilung betrachten. Ein Molekül kann sich an einem beliebigen Ort im Würfel aufhalten. Trotzdem können wir statistische Aussagen über den Aufenthaltsort der Moleküle treffen. Wir nehmen ein beliebiges Teilvolumen dV heraus, dessen Lage durch den Ortsvektor rE bestimmt ist, und fragen uns, wie viele Moleküle sich im statistischen Mittel in diesem Volumen befinden. Was verstehen wir unter einem statistischen Mittel? Stellen Sie sich vor, Sie hätten nicht nur einen solchen Würfel, sondern viele, sagen wir 100. Für jeden dieser Würfel bestimmen Sie nun die Anzahl der Moleküle im Volumen dV am Ort rE und mitteln dann diese Werte über die 100 Würfel. Sie erhalten das statistische Mittel. Streng genommen ist das statistische Mittel nicht der Mittelwert über 100 Würfel, sondern der Grenzwert, der sich für den Mittelwert ergibt, wenn die Anzahl der Würfel gegen unendlich strebt. Wir wollen die Ortsverteilung fr .Er / des Gases bestimmen. Diese Funktion gibt für jeden Ort an, wie viele Moleküle sich dort im statistischen Mittel befinden. Wir vernachlässigen die Schwerkraft. Dann sind die Moleküle im Würfel gleichverteilt. Die Anzahl der Moleküle im Volumen dV muss proportional zu dessen Größe dV sein: dN.Er / / dV;

(3.45)

wobei dN die Anzahl der Moleküle in dV ist. Nun setzen wir die Ortsverteilungsfunktion ein: dN.Er / D fr .Er /dV:

(3.46)

Sie gibt die Anzahl der Moleküle pro m3 an. Lösen wir nach der Ortsverteilungsfunktion auf, so sehen wir, dass sie eine Moleküldichte ist. In diesem einfachen Beispiel ist sie konstant, d. h. sie hängt nicht vom Ort ab:     dN rE N DnD D konst. (3.47) fr rE D dV V

3

. Abb. 3.13 Skizze zur Bestimmung der Ortsverteilung in einem Gas

86

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

Die Ortsverteilungsfunktion ist hier auf die Anzahl der Moleküle normiert. Die Normierungsbedingung lautet:   Z Z Z   dN rE fr rE dV D (3.48) dV D dN.Er / D N: dV

3

V

V

V

Als zweites Beispiel wollen wir die Ortsverteilung der Luftmoleküle in der Atmosphäre bestimmen. Dazu greifen wir auf die barometrische Höhenformel zurück, die Sie in Band 1 kennengelernt haben. Sie lautet: p.z/ D p0 e



 p0 gz 0

:

(3.49)

Beachten Sie bitte, dass bei konstantem Volumen und konstanter Temperatur p / n ist. Wir sehen, dass dies direkt die Ortsverteilungsfunktion ergibt, die hier von der Höhe z (relativ zur Höhe z0 mit Druck p0 ), aber nicht von x und y abhängt. Wir schreiben den Exponenten noch um: 0 mNA 1 gz D gz: p0 V0 p0

(3.50)

Dabei ist m die Masse eines Moleküls, NA m die Molmasse und V0 das Molvolumen. Wir benutzen das ideale Gasgesetz, um den Nenner zu ersetzen: p0 V0 D RT

(3.51)

und damit mNA mgz 0 gz D gz D : p0 RT kT

(3.52)

Im letzten Schritt haben wir R D NA k benutzt. Im Zähler steht nun die potenzielle Energie der Moleküle. Die Höhenformel können wir also schreiben als p.z/ D p0 e 

Epot kT

(3.53)

und damit Epot   fr rE D n.z/ D n0 e  kT :

(3.54)

Die Konstante n0 ist die Dichte der Moleküle bei z D z0 , das heißt bei Epot D 0. Wir haben in diesem Beispiel einen Spezialfall der Boltzmann’schen Energieverteilung abgeleitet. Das Ergebnis gilt für alle statistischen Verteilungsfunktionen:   Etot f rE; vE D f0 e  kT

mit Etot D Epot C Ekin :

(3.55)

87 3.7  Boltzmann’sche Energieverteilung

Dies nennt man den „Boltzmann’schen Energieverteilungssatz“. Er besagt, dass im thermischen Gleichgewicht Zustände höherer Energie weniger stark besetzt sind, als solche mit niedriger Energie. Die Temperatur bestimmt, wie schnell die Besetzungsdichte mit der Energie abfällt, wobei der Abfall immer exponentiell ist. Voraussetzung ist das oben erwähnte thermische Gleichgewicht. Es ist erreicht, wenn überall im System dieselbe Temperatur herrscht. Solange die potenzielle Energie alleine vom Ort und nicht von der Geschwindigkeit abhängt, faktorisiert die Verteilung, d. h. wir können sie in zwei Faktoren zerlegen:     f rE; vE D fr rE  fv .E v /:

(3.56)

Es ist dann:   fr rE D

C1 •

f .Er ; vE/d vE D n.Er / 1

  1 fv vE D N

• f .Er ; vE/d rE D .E v /:

(3.57)

V

Dabei haben wir die übliche Konvention für die Normierung benutzt, nämlich die Normierung der Ortsverteilung auf die Anzahl der Moleküle N und die der Geschwindigkeitsverteilung auf 1. Das Produkt beider Normierungen muss N ergeben. Die Normierungsbedingungen sind: • fr .Er /d rE D N V C1 •

fv .E v /d vE D 1:

(3.58)

1

In . Abb. 3.14 werden beispielhaft einige Energieverteilungen gezeigt. Auf der horizontalen Achse ist die Energie einiger Zustände eingetragen. Darüber sichtbar ist die Energieverteilungsfunktion für einige Temperaturen. Die Höhe der vertikalen Balken gibt die Wahrscheinlichkeit dafür an, ein Molekül in einem Zustand mit dieser Energie zu finden. Bei der niedrigsten Temperatur von 50 K ist nahezu ausschließlich der energetisch günstigste Zustand besetzt. Bei höheren Temperaturen zeigen auch energiereichere Zustände eine signifikante Besetzung.

. Abb. 3.14 Besetzungswahrscheinlichkeiten nach der Boltzmann’schen Energieverteilung

3

88

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

Beispiel 3.4: Elektrische Leitfähigkeit

In Atomen bilden sich diskrete Energieniveaus heraus, die mit den Elektronen der Hülle teilweise besetzt sind. Ein Elektron, das an einen Atomkern gebunden ist, kann keine beliebige Energie einnehmen, sondern nur einzelne feste Werte. Bildet sich ein Festkörper aus vielen Atomen, so überlagern sich sehr viele dieser Energieniveaus, die sich dabei gegeneinander leicht verschieben. Es entstehen Energiebereiche, in denen sehr viele Energieniveaus sehr dicht beieinanderliegen. Man nennt diese Bereiche Energiebänder. Dazwischen gibt es Bereiche, in denen keine Energieniveaus liegen, die sogenannten Bandlücken. In der Abbildung ist dies schematisch gezeigt. Jedes Energieniveau kann zwei Elektronen aufnehmen. Da wir die Elektronen in der Regel in den Zuständen geringster Energie antreffen, sind die Bänder bis zu einer Oberkante, die man die Fermienergie EF nennt, vollständig besetzt und darüber leer. Das energetisch höchste noch besetzte Band nennt man das Valenzband. Darüber liegt das Leitungsband. Der Abstand E zwischen den beiden Bändern hat einen entscheidenden Einfluss auf die Leitfähigkeit des Materials. Ist das Leitungsband leer, kann es offensichtlich nicht zur elektrischen Leitung beitragen. Ist das Valenzband vollständig gefüllt, liefert es ebenfalls keinen Beitrag zur elektrischen Leitung, denn würde sich ein Elektron im Festkörper von rechts nach links bewegen, so ist dies nur möglich, wenn ein anderes Elektron Platz macht, indem es sich von links nach rechts bewegt, so dass sich in der Summe keine Ladung bewegt. Nun ist die obige Aussage, dass wir die Elektronen in den tiefst möglichen Zuständen vorfinden, nur am absoluten Nullpunkt der Temperatur korrekt. Bei einer endlichen Temperatur gibt es für jedes Elektron eine endliche Wahrscheinlichkeit, dieses auf einem energetisch höherliegenden Niveau zu finden. Diese Wahrscheinlichkeit ist durch den Boltzmann-Faktor e E=kT gegeben. Bei einem Metall grenzen Valenzband und Leitungsband aneinander bzw. überlappen sogar. Dann ist es durch eine minimale Anregung möglich, dass sich Elektronen auf ein höheres Niveau begeben und sich dann im Leitungsband frei bewegen können. Sie leiten den elektrischen Strom. Bei Halbleitern existiert eine Bandlücke im Bereich von E zwischen 0;5 eV und 3 eV.4 Für Silizium ist beispielsweise E D 1;12 eV. In diesen Einheiten ist kT D 25 meV. Die Wahr-

3

4

Das Elektronenvolt, eV, ist eine in der Quantenphysik weit verbreitete Energieeinheit. Es ist 1eV D 1;602  1019 J. Es ist die Energie, die ein Elektron gewinnt, wenn es eine Potenzialdifferenz von 1 V durchläuft.

89 3.7  Boltzmann’sche Energieverteilung

scheinlichkeit, ein Elektron im Leitungsband zu finden, ist: R1 RE 1 0

e E=kT dE e E=kT dE

D e E=kT  3;5  1020 :

Bei NA Elektronen in einem Mol ist diese Zahl immer noch groß genug, um einen messbaren Stromfluss zu erreichen. Bei einem Isolator ist E deutlich größer, z. B. etwa 6 eV für Diamant. Für Diamant ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von 6  10105 , ein Elektron im Leitungsband zu finden. Das ist zu wenig, um einen messbaren Stromfluss zu erzeugen.

Beispiel 3.5: Dissoziation von N2 O4

Der Boltzmann’sche Energiefaktor e E=kt hat wesentlichen Einfluss auf die Geschwindigkeit, mit der chemische Reaktionen ablaufen. Wir wollen ein Beispiel betrachten, die Dissoziation von Distickstofftetroxid, einem farblosen Gas. Es kann aus Stickstoffdioxid, einem rotbraun gefärbten Gas, gebildet werden und in dieses zerfallen. Die Reaktionsgleichung lautet: N2 O4 $ 2 NO2 : Es handelt sich um eine endotherme Reaktion, d. h. es muss Energie aufgewandt werden, um das Tetroxid zu spalten. Der Energieverbrauch beträgt H D 57 kJ=mol. Andererseits kann sich aus Dioxid wieder Tetroxid bilden, wobei dieselbe Energiemenge wieder frei wird. Es stellt sich ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Tretroxid und Dioxid ein. Im Gleichgewicht stoßen ständig NO2 -Moleküle aufeinander. Doch nicht bei jedem Stoß bildet sich N2 O4 . Nähern sich zwei NO2 -Moleküle, kommt es zu einer abstoßenden Kraft, die von den sich dann berührenden Elektronenhüllen ausgeht. Es ist die Kraft, die die elastischen Stöße zwischen den Molekülen bewirkt. Diese müssen die Moleküle überwinden. Erst wenn sich die Elektronenhüllen zweier Moleküle durchdringen, kann sich Tetroxid bilden. Dafür ist eine Energie Ea notwendig, die man die Aktivierungsenergie nennt. In der Abbildung ist der Verlauf der potenziellen Energie als Funktion des Abstands zweier NO2 Moleküle gezeigt. Bei Annäherung steigt sie an. Wir sprechen auch von einem Potenzialwall. Erst wenn dieser überwunden ist, kann sich das Tetroxid bilden und die Bindungsenergie wird freigesetzt.

3

90

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

Liegt zunächst reines Di- oder Tetroxid vor, so ergibt sich eine Reaktionsrate, die proportional zum Boltzmannfaktor ist:

3

Ea d nN O D an2NO2 e  RT dt 2 4 Ea CH d nNO2 D bnN2 O4 e  RT : dt

Wir haben sie hier durch die Änderung der Konzentration an N2 O4 bzw. NO2 , das durch die Reaktion gebildet wird, ausgedrückt. Alle Energien beziehen sich auf 1 mol, auch die thermische Energie, die dann RT statt kT lautet. Die erste Gleichung beschreibt die Bildung des Tetroxids (2 NO2 ! N2 O4 ). Die Menge an erzeugtem Tetroxid VN2 O4 ist neben dem Boltzmannfaktor proportional zum Quadrat der Konzentration des Dioxids nNO2 , da die Reaktion nur dann stattfinden kann, wenn zwei NO2 Moleküle miteinander stoßen. Die zweite Gleichung gilt für die Dissoziation des Tetroxids (N2 O4 ! 2 NO2 ). Die Konstanten a und b und die Aktivierungsenergie Ea lassen sich aus der Messung der Reaktionsgeschwindigkeit bei unterschiedlichen Temperaturen bestimmen. In einem sogenannten Arrheniusgraph wird die Reaktionsrate gegen 1=T halblogarithmisch aufgetragen. Die Steigung ist Ea =k, die Konstanten bestimmen den Achsenabschnitt der Geraden. Lassen wir die Reaktion laufen, stellt sich schließlich das dynamische Gleichgewicht ein. Im Gleichgewicht müssen die Reaktionsraten für Hin- und Rückreaktion gleich sein: Ea

an2NO2 e  RT D bnN2 O4 e 

Ea CH RT

:

Hieraus folgt das sogenannte Massenwirkungsgesetz: n2NO2 nN 2 O 4

D

b  H e RT : a

Es bestimmt die Temperaturabhängigkeit der Konzentrationen im dynamischen Gleichgewicht. Für unser Beispiel lässt sich das Verhältnis durch die rotbraune Färbung des Dioxids zeigen. Füllen wir einen Glaskolben mit Tetroxid, so ist das Gas bei Raumtemperatur farblos. Im Gleichgewicht liegt nahezu ausschließlich Tetroxid vor. Tauchen wir den Kolben jedoch in kochendes Wasser, verfärbt sich das Gas rotbraun. Der exponentielle Faktor ändert seinen Wert von etwa 6;8  1011 bei Raumtemperatur auf etwa 108 bei 100 ı C, so dass bei dieser Temperatur bereits genügend NO2 gebildet wird, um eine Färbung erkennen zu können.

91 3.8  Geschwindigkeitsverteilung

3.8

Geschwindigkeitsverteilung

Im vorangegangenen Abschnitt haben wir uns mit der Energieverteilung von Molekülen im thermischen Gleichgewicht beschäftigt. Wir sind dabei auf den Boltzmann’schen Energieverteilungssatz gestoßen. Wir können ihn benutzen, um uns einer Frage zuzuwenden, die wir bereits in 7 Abschn. 3.3, Gl. 3.18 angesprochen haben. Dort haben wir das mittlere Geschwindigkeitsquadrat v 2 bestimmt, konnten aber noch nicht angeben, wie die Geschwindigkeit einzelner Moleküle um diesen Mittelwert streut. Diese Frage wollen wir nun angehen. Treten keine geschwindigkeitsabhängigen Kräfte auf, so geht die Geschwindigkeit nur über die kinetische Energie in die Energieverteilung ein. In diesem Fall lässt sich der Geschwindigkeitsanteil aus der Energieverteilung herausfaktorisieren. Er lautet: Ekin   mv 2  vE D 0 e  kT D 0 e  2kT :

(3.59)

Wir bestimmen 0 aus der Normierungsbedingung, die wir in Kugelkoordinaten ausdrücken: C1 •

mv 2

0 e  2kT d vE D 1

1

Z2 ZC1Z1 0

mv 2

e  2kT v 2 dvd cos d' D 1

0 1 0

Z2 ZC1 p  0  m  32 d cos d' D 1 4 2kT 0 1 Z2 0

p

 2   3 d' D 1 m 2 4 2kT 0 p  0 22  3 D 1 m 2 4 2kT 3

0  0 

2 m 2kT

1 m 2kT

 32 D 1  32 D 1 0 D

 m  32 : 2kT

(3.60)

3

92

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

3 . Abb. 3.15 Geschwindigkeitsverteilung in einer Geschwindigkeitskomponente

Das erste Integral können Sie in einem Tabellenwerk nachschlagen5 . Die weiteren Integrale sind offensichtlich. Wir können nun die Geschwindigkeitsverteilung weiter in die drei Raumrichtungen faktorisieren:  m  32 mvx2 mvy2 mvz2    m  32  mv2 e 2kT D e  2kT  2kT  2kT  vE D 2kT 2kT r r r   m  mvx2 m  mvy2 m  mvz2 2kT 2kT  vE D   e e e 2kT : (3.61) 2kT 2kT 2kT Die Verteilung in einer Geschwindigkeitskomponente erhalten wir nun durch Integration: C1 “

.vx / D 1

   vE dvy dvz D

r

m  mvx2 e 2kT : 2kT

(3.62)

Diese Verteilungsfunktion gibt an, wie häufig ein bestimmter Wert vx der Geschwindigkeitskomponente in x-Richtung auftritt. Die Verteilung ist in . Abb. 3.15 zu sehen. Wie erwartet, ist sie symmetrisch um null, d. h., es bewegen sich genau so viele Moleküle nach links wie nach rechts. Die Verteilung hängt von der Temperatur ab. Bei kleinen Temperaturen ist die Verteilung eng um null konzentriert. Bei höheren Temperaturen treten zunehmend auch höhere Geschwindigkeitskomponenten auf. Aber in allen Fällen ist null die wahrscheinlichste Geschwindigkeit, und kleine Geschwindigkeiten sind wahrscheinlicher als große. Wir wenden uns der interessanteren Frage zu, wie häufig ein bestimmter Betrag der Geschwindigkeit auftritt. Dazu gehen wir auf die ursprüngliche Form Gl. 3.61 zurück und integrieren über die Richtungen der Geschwindigkeit. Beachten Sie, dass die Verteilung tatsächlich nur vom Betrag der Geschwindigkeit und nicht von deren Richtung abhängt. Wir benutzen wiederum Kugelkoor5

Z. B. Integral Nr. 2 in der Tabelle bestimmter Integrale, in Bronstein, Semendjajew, Taschenbuch der Mathematik.

93 3.8  Geschwindigkeitsverteilung

dinaten: ˇ ˇ  ˇvEˇ D .v/ D

Z2 ZC1 0 1

Z2 D

2v 2 0

D 4v 2

m  32  mv2 2 e 2kT v d cos d' 2kT

 m  32 mv2 e  2kT d' 2kT

 m  32 mv2 e  2kT : 2kT

(3.63)

Dies nennt man die „Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung“. Während der wahrscheinlichste Wert für eine der Geschwindigkeitskomponenten null war, ist der wahrscheinlichste Wert vw für den Betrag der Geschwindigkeit von null verschieden. Wir können ihn aus der Verteilung bestimmen, indem wir deren Maximum berechnen: r r ˇ d.v/ ˇˇ 2kT kT D 0 ) vw D  1;42 : (3.64) ˇ dv vDvw m m Der wahrscheinlichste Wert der Geschwindigkeit steigt mit zunehmender Temperatur an. Aus der Verteilung können wir ferner den Mittelwert der Geschwindigkeit bestimmen. Dabei muss bei der Mittelung jeder Wert der Geschwindigkeit mit der Häufigkeit, mit der er auftritt, gewichtet werden. Folglich ist: r

Z1 vD

v.v/dv D

8kT  1;60 m

r

kT : m

(3.65)

0

Auch die mittlere Geschwindigkeit steigt mit der Temperatur an. Der Wert liegt rund 15 % höher als die wahrscheinlichste Geschwindigkeit. Und schließlich bestimmen wir den Mittelwert des Geschwindigkeitsquadrates noch einmal auf diesem Wege (Gl. 3.16): Z1 v2 D

v 2 .v/dv D

3kT : m

(3.66)

0

Wir erhalten ein konsistentes Ergebnis. Anhand der Formeln sehen Sie explizit, dass v 2 ¤ v 2 . Zum Schluss dieses Kapitels sei noch ein Zahlenbeispiel angeführt. Für Stickstoff (N2 ) bei Raum-

3

94

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

3 . Abb. 3.16 Geschwindigkeitsverteilung in Stickstoff

temperatur ergibt sich (siehe auch . Abb. 3.16): m s m v D 666 s p m v 2 D 722 : s vw D 590

(3.67)

Experiment 3.5: Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung

Dieses Experiment greift noch einmal auf das Modellgas aus 7 Experiment 3.3 zurück. Wir benutzen dieselbe Apparatur. Seitlich am Gehäuse, in dem sich die Molekülperlen befinden, ist eine Öffnung, die bisher verschlossen war. Nun öffnen wir das Loch; Perlen, die zufällig auf das Loch treffen, treten aus. Die Geschwindigkeiten, mit denen sie austreten, entsprechen denen im Inneren des Behälters. Je höher die Geschwindigkeit einer Perle, desto höher ihre Flugweite. Sie fallen in einen Trichter, der sie je nach Flugweite in unterschiedliche Fächer unter dem Trichter leitet, wo sie sich sammeln. Je häufiger eine Geschwindigkeit im Gas vorkommt, desto mehr Kugeln werden in das entsprechende Fach gelangen. Nach einiger Zeit sehen wir direkt die Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung.

95 3.8  Geschwindigkeitsverteilung

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Wir haben in diesem Abschnitt die Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung aus der Boltzmann’schen Energieverteilung abgeleitet. Die Boltzmann’sche Energieverteilung haben wir zwar am Beispiel der Dichteverteilung über die barometrische Höhenformel motiviert, aber eine zwingende Ableitung stellt dies nicht dar: Blättern Sie gerne noch einmal zurück. Dies liegt nicht daran, dass dies nicht möglich wäre, sondern ist dem didaktischen Konzept geschuldet. Die Ableitung würde zu tief in die theoretische Physik eindringen. Stattdessen wollen wir Ihnen hier noch einen anderen, stringenteren Zugang zur Maxwell’schen Geschwindigkeitsverteilung präsentieren. Die Wahrscheinlichkeit W , in einem Gas im thermodynamischen Gleichgewicht ein Molekül zu finden, dessen Geschwindigkeit in einem Intervall der Größe d vE D dvx dvy dvz um einen Wert vE liegt, muss proportional zur Größe dieses Intervalls sein: W D vE .E v /dvx dvy dvz :

(3.68)

  Die Funktion vE vE ist die Wahrscheinlichkeitsdichte der Geschwindigkeitsverteilung. Diese gilt es zu bestimmen. Dabei müssen wir die Isotropie des Raums beachten. Sie besagt, dass im Raum keine Richtungen ausgezeichnet sind, was bedeutet,   dass die Funktion vE vE nicht von der Richtung im Raum abhängen kann. Sie kann lediglich vom Betrag v bzw. v 2 abhängen. Also ist vE .E v / D v .v/. In unserem kinetischen Modell stoßen die Moleküle zwar untereinander und mit den Wänden, zwischen den Stößen bewegen sie sich aber kräftefrei. In diesem einfachen Modell sind die Bewegungen in den drei Raumrichtungen voneinander unabhängig. Wenn wir die Wahrscheinlichkeit, dass die x-Komponente der

3

96

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

Geschwindigkeit in einem bestimmten Intervall liegt, bestimmen wollen, so hängt diese Wahrscheinlichkeit nur von vx ab, nicht aber von den Geschwindigkeitskomponenten in den beiden anderen Raumrichtungen. Wir können folglich schreiben:

3

v .v/ D x .vx /  y .vy /  z .vz /:

(3.69)

Man sagt, dass v .v/ in die drei Raumkomponenten faktorisiert. Statt diese Gleichung in v zu formulieren, können wir auch v 2 verwenden. Es muss ebenso gelten:            v 2 D  vx2 C vy2 C vz2 D x vx2  y vy2  z vz2 : (3.70) Dies Gleichung wird tatsächlich nur von einer einzigen Funktion erfüllt, nämlich der Exponentialfunktion, denn es ist: 1

1

1

be a.vx Cvy Cvz / D b 3 e avx  b 3 e avy  b 3 e avz : 2

2

2

2

2

2

(3.71)

Beachten Sie, dass diese Faktorisierung automatisch die Isotropie des Raums berücksichtigt. Die drei Funktionen x , y und z sind identisch. Nun müssen wir noch die beiden Konstanten a und b bestimmen. Betrachten wir zunächst die Normierung von .v 2 / auf eins: 1 •

v .v 2 /d vE

1D 1

Z1 Z1 Z2 Db

2

e av d'd cos v 2 dv 0 1 0

p  D 4 b ; 4.a/3=2

(3.72)

wobei a < 0 gelten muss, sonst gäbe es keine Lösung. Daraus folgt: 3

.a/ 2 bD p :  

(3.73)

Um a zu bestimmen, greifen wir auf die Definition der Temperatur zurück. Es muss Ekin D 32 kT gelten, mit Ekin D 12 mv 2 . Der Mittelwert berechnet sich als Integral über alle Geschwindigkeiten, wobei jede Geschwindigkeit mit der Wahrscheinlichkeit zu

97 3.9  Mittlere freie Weglänge

gewichten ist, mit der sie auftritt. Also: 1  •

Ekin D 1

mb D 2

 1 2 mv  v .v 2 /d vE 2

Z1 Z1 Z2

2

v 2 e av d'd cos v 2 dv 0 1 0 Z1

2

v 4 e av dv D 2 mb

D 2 mb

p 3  ; 8.a/5=2

(3.74)

0

Setzten wir b ein, ergibt sich: aD

m 2kT

und b D

 m  32 2kT

(3.75)

und damit v .v/ D

 m  32 mv2 e  2kT ; 2kT

bzw. für eine einzelne Komponente r m  mvx2 e 2kT ; x .vx / D 2kT

(3.76)

(3.77)

worin wir die bereits bekannten Formeln wiedererkennen (Gl. 3.61 bzw. Gl. 3.62).

3.9

Mittlere freie Weglänge

Wenn sich die Moleküle durch das Gas bewegen, stoßen sie nicht nur mit den Wänden des Gefäßes zusammen, sie stoßen auch gegeneinander. Wir wollen ausrechnen, wie häufig dies geschieht, indem wir die Strecke bestimmen, die ein Molekül im Mittel zurücklegt, bis es auf ein anderes trifft. Diese Strecke nennt man die „mittlere freie Weglänge“ l. Wir betrachten ein einzelnes Molekül, das sich mit der Geschwindigkeit vrel durch das Gas bewegt (siehe . Abb. 3.17). Es wird mit allen anderen Molekülen zusammenstoßen, die in einem Korridor mit Radius 2r um die Richtung seiner Geschwindigkeit liegen, wobei r der Radius der Moleküle ist. In einem Zeitintervall t erreicht es dabei alle Moleküle bis zu einem Abstand vrel t. Wegen der statistischen Verteilung der Richtungen der Geschwindigkeiten aller Moleküle ist die mittlere Relativgeschwindigkeit zwischen zwei Molekülen nicht 2v, wie Sie dies vielleicht erwarp tet hätten, sondern 2v.

. Abb. 3.17 Skizze zur Berechnung der mittleren freien Weglänge

3

98

3

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

Wir berechnen die Anzahl der Stöße Ncoll , die im Zeitintervall t stattfinden. In diesem Zeitintervall trifft es auf alle Moleküle in einem Volumen p V D .2r/2 vrel t D 4 2r 2 vt: p (3.78) Ncoll D nV D 4 2r 2 nvt mit der Moleküldichte n. Die mittlere freie Weglänge ergibt sich dann als das Verhältnis der Strecke, die das Molekül im Zeitintervall t zurücklegt, zu der Anzahl der Kollisionen, die in diesem Zeitintervall stattfinden: lD

vt 1 : D p Ncoll 4 2r 2 n

(3.79)

Wie erwartet, nimmt die mittlere freie Weglänge mit steigender Dichte des Gases ab. Bei kleinen Molekülen ist sie größer als bei großen. Als Beispiel untersuchen wir Luft. Sie besteht zum größten Teil aus Stickstoff (N2 ). Ein Stickstoffmolekül hat einen Durchmesser von ungefähr 2r  31010 m (das Molekül ist nicht rund). Die Moleküldichte lässt sich aus dem Molvolumen bestimmen. In 22;4 l befinden sich NA Moleküle, d. h. nD

1 6;02  1023 D 2;69  1025 3 : 22;4  103 m3 m

(3.80)

Unter Normaldruck ergibt sich damit für Stickstoffmoleküle eine mittlere freie Weglänge von gerade einmal 9  108 m. Die Moleküle stoßen sehr häufig untereinander.

3.10

Diffusion

Durch die thermische Bewegung wandern Moleküle in Gasen und Flüssigkeit durch das zur Verfügung stehende Volumen. Dabei gleichen sich Dichteunterschiede aus. Wir nennen diesen Prozess Diffusion. Das Parfum einer Person können Sie noch in einem gewissen Abstand von der Person riechen. Die Duftmoleküle gelangen durch Diffusion (und Konvektion) von der Haut der Person in ihre Nase. Oder denken Sie an das Süßen einer Tasse Tee. Geben Sie einen Würfel Zucker hinein, so wird sich dieser allmählich auflösen. Zuckermoleküle gelangen von der Oberfläche des Würfels in den Tee. Aber sie bleiben nicht in der Umgebung des Zuckerwürfels. Sie verteilen sich durch Diffusion in der gesamten Tasse. Diffusion ist kein Prozess der Wärmelehre, aber er lässt sich durch die kinetische Gastheorie erklären. Deshalb haben wir ihn hier mit aufgenommen.

99 3.10  Diffusion

Diffusion tritt immer dann auf, wenn es Unterschiede in der Dichte einer Molekülart über das verfügbare Volumen gibt. Stellen Sie sich bitte eine beliebige Fläche innerhalb des Volumens vor (. Abb. 3.18). Ist die Dichte der Moleküle links der Fläche nl höher als nr rechts, so werden sich im Mittel mehr Moleküle von links durch die Fläche bewegen als von rechts. Der Dichteunterschied gleicht sich allmählich aus. Dies ist charakterisiert den Diffusionsprozess. Erst wenn die Dichte im Volumen homogen ist, ist die Diffusion beendet. Dabei ist es irrelevant, ob neben den diffundierenden Molekülen noch weitere Moleküle im Volumen sind und ob deren Dichte ausgeglichen ist. Rotiert ein Gasvolumen mit hoher Geschwindigkeit, wie dies beispielsweise in Zentrifugen geschieht, so werden die Moleküle durch die Zentrifugalkraft nach außen gedrückt. Die Dichte nimmt von der Rotationsachse aus nach außen zu. Wenn die Rotation gestoppt wird, gleicht sich dieser Dichteunterschied durch Diffusion allmählich aus. In diesem Beispiel ist kein weiteres Medium vorhanden. Die Moleküle des Parfums, die wir am Anfang erwähnt hatten, diffundieren dagegen in einem Luftvolumen mit homogener Dichte. Auch die Durchmischung unterschiedlicher Gase oder Flüssigkeiten wird durch die Diffusion getrieben. Haben wir zwei Gase vorliegen, deren Volumen durch eine Wand getrennt sind, und entfernen wir diese Wand, so werden die beiden Gase sich durch Diffusion durchmischen. In den Beispielen, an denen mehrere Molekülarten beteiligt sind, sprechen wir auch von der Konzentration der Moleküle statt der Dichte. Für die Diskussion der Diffusion sind diese Begriffe weitgehend austauschbar. Beachten Sie aber bitte, dass Diffusion nicht der einzige Effekt ist, der Einfluss auf die Durchmischung der Moleküle hat. Konvektionsströmungen im Medium unterstützen den Transport der Moleküle durch das Volumen. Außerdem kann die Durchmischung durch äußere Kräfte beeinflusst werden. Denken Sie an den Versuch, Öl und Wasser zu durchmischen. Auch hier tritt Diffusion auf, aber der Unterschied zwischen der Dichte von Öl und Wasser ist so groß, dass die unterschiedliche Gewichtskraft das Wasser auf den Boden des Gefäßes drückt und das Öl schließlich darauf schwimmt. Auch Kohäsion zwischen den Wassermolekülen und zwischen den Ölmolekülen spielen eine wichtige Rolle. Diffusion findet zwar statt, macht sich aber nur in der unmittelbaren Nähe der Grenzfläche bemerkbar.

3

. Abb. 3.18 Diffusion in einem Gasvolumen mit einem Dichtegradienten

100

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

Experiment 3.6: Diffusion in einem Wasserglas

Den Diffusionsprozess können Sie sehr schön beobachten, indem Sie einen Tropfen Farbstoff in ein Wasserglas geben. Wir haben für unser Experiment Tinte verwendet. Sie könnten ebenso Lebensmittelfarbe oder Wasserfarbe aus einem Malkasten benutzen. Wir haben zwei Fotos abgedruckt. Das erste Foto zeigt den Farbtropfen unmittelbar nachdem er in kaltes Wasser gefallen ist. Für das zweite Foto haben wir heißes Wasser verwendet, um die Diffusion zu beschleunigen. Wir haben das Foto etwa eine halbe Minute, nachdem der Tropfen ins Wasser fiel, aufgenommen. Zunächst bilden sich filigrane Strukturen aus, die dann durch die Diffusion allmählich verschwimmen und sich langsam auflösen, bis das ganze Wasser leicht blau gefärbt ist.

3

Wir wollen nun versuchen, die Diffusion der Moleküle durch ihre thermische Bewegung quantitativ zu erfassen. Zunächst definieren wir die Stromdichte der Moleküle jE.Er /. Dies ist die Anzahl der Moleküle, die pro Zeiteinheit eine infinitesimale Fläche am Ort rE durchquert. Dabei zeigt der Vektor jE in Richtung des Stroms der Moleküle. Treten aus beiden Richtungen Moleküle durch die Fläche, so müssen wir die Differenz zwischen beiden Richtungen bilden. Es ist: ˇ ˇ dNC  dN ˇ Eˇ : (3.81) ˇj ˇ D dAdt

. Abb. 3.19 Diffusion in der Nähe der Fläche dA

Dabei bezeichnet dNC die Anzahl der Moleküle, die die Fläche in Richtung von jE durchqueren, dN die Anzahl der Moleküle der Gegenströmung, dA die Fläche und dt das Zeitintervall. Bei variablen Strömungen sind dA und dt infinitesimal klein zu wählen. Dieˇ Richtung von jE können wir als die Richtung festlegen, ˇ ˇ Eˇ für die ˇj ˇ maximal wird. Die Fläche dA steht senkrecht auf dieser Richtung. Um die Diffusion mathematisch zu beschreiben, gehen wir zunächst von einer vereinfachten Situation aus. Wir nehmen an, dass die Dichte der Moleküle vom Typ A entlang der x- und y-Achse konstant sei und lediglich entlang der z-Achse variiert: nA .Er /  nA .z/. Wir betrachten die Diffusion durch eine Fläche dA, die am Koordinatenursprung senkrecht zur z-Achse steht (siehe . Abb. 3.19), d. h. jE D jz eOz . Die Dichte der Moleküle nA an der Fläche dA sei nA .0/ D n0 . In der unmittelbaren Umgebung der Fläche dA können wir die Dichte durch eine Taylorreihe nähern. Es genügt, die erste Ordnung zu berücksichtigen: ˇ d n.z/ ˇˇ  z D n0 C gz z: (3.82) nA .z/  n0 C dz ˇzD0

101 3.10  Diffusion

Beginnen wir mit den Molekülen links der Fläche dA. Zwischen zwei Stößen mit anderen Molekülen im Medium bewegen sich die Moleküle geradlinig gleichförmig. Dabei kann ein Molekül die Fläche von links nach rechts durchqueren (dNC ), falls dessen Abstand zur Fläche kleiner ist als vz tS D cos vtS , wobei v seine Geschwindigkeit,  der Polarwinkel der Geschwindigkeit bezüglich der Normalen auf die Fläche dA und ts die Zeit bis zum nächsten Stoß ist. In einer Zeiteinheit dt treten alle Moleküle aus dem Volumen dV D cos vdtdA durch die Fläche, solange  < 2 gilt. Der Beitrag zu dNC muss außerdem proportional zur Teilchendichte am Ort des letzten Stoßes sein, der bei z D  cos vtS liegt, also proportional zu nA . cos vtS /. Wir müssen über die Richtungen und Beträge der Geschwindigkeiten gleichermaßen mitteln wie über die Stoßzeiten tS . Durch die Mittelung über die Stoßzeiten wird aus nA . cos vtS / nun nA . cos l/ D n0  gz cos l, wobei l die mittlere freie Weglänge im Gas ist. Wir erhalten: dNC D

1 .n0  gz l cos /f .v/dv sin dd' cos vdtdA; 4 (3.83)

wobei f .v/ die normierte Geschwindigkeitsverteilung darstellt und der Faktor 1=4 den Raumwinkel auf eins normiert. Mit der Mittelung über die Geschwindigkeiten ergibt sich:

dN C

1 D dtdA 4

Z2 Z=2Z1 .n0  gz l cos /f .v/vdv 0

0

0

 sin  cos dd':

(3.84)

Die Integration über den Betrag der Geschwindigkeit führt auf die mittlere Geschwindigkeit (siehe Gl. 3.65). Die Integration über den Azimutwinkel ' ergibt einen Faktor 2 und die Integration über den Polarwinkel  ergibt 1=2 bzw. 1=3:   1 1 1 (3.85) d N C D dtdA n0  gz l v: 2 2 3 Eine entsprechende Relation erhalten wir für die Anzahl der Moleküle dN , die die Fläche von rechts nach links durchdringen. Sie lautet:   1 1 1 (3.86) d N  D dtdA n0 C gz l v: 2 2 3 Nun ist: jE D

ˇ dN C  dN 1 d n.z/ ˇˇ eOz : eOz D  lv dAdt 3 dz ˇzD0

(3.87)

3

102

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

Die Größe DD

3

1 lv 3

(3.88)

nennt man den Diffusionskoeffizienten. Er gibt an, wie schnell eine Molekülart diffundiert. Er ist proportional zur mittleren freien p Weglänge und zur mittleren Geschwindigkeit und damit zu T . Fixieren wir den Gradienten in der Moleküldichte nicht auf die z-Richtung, so erhalten wir: jE D Dgradn.Er /:

(3.89)

Dies nennt man das Fick’sche Gesetz, nach dem deutschen Physiologen Adolf Fick. Da Moleküle bei der Diffusion weder verschwinden werden, noch neue erzeugt werden, muss für die Moleküle eine Kontinuitätsgleichung gelten, ähnlich der Gleichung, die wir in der Strömungslehre kennengelernt haben. Ausgedrückt in der Dichte der Moleküle n.Er / lautet sie: @n.Er / C divjE.Er / D 0 @t

(3.90)

oder @n.Er /  Dn.Er / D 0: @t

(3.91)

Man kann die Gleichung folgendermaßen beschreiben: Wenn in ein infinitesimal kleines Volumen in einer Richtung durch die Diffusion mehr Moleküle eindringen, als auf der gegenüberliegenden Seite austreten, geht dies mit einer Erhöhung der Dichte der Moleküle im Volumen einher. Beispiel 3.6: Diffusion entlang eines dünnen Rohrs

Die Kontinuitätsgleichung erlaubt es, Dichteprofile auszurechnen. Wir wollen ein einfaches Beispiel diskutieren. Wir betrachten ein dünnes, luftgefülltes Rohr, das unten verschlossen ist. Konvektion im Rohr können wir vernachlässigen. Zum Zeitpunkt t D 0 bringen wir am unteren Ende Gasmoleküle mit einer Dichte n.0/ D n0 in das Rohr ein. Beachten Sie, dass n0 hier eine Flächendichte angibt. Es ist n0 D N=A, mit der Querschnittsfläche A. Wie wird sich die Dichteverteilung mit der Zeit verändern? Identifizieren wir die vertikale Richtung mit der z-Achse und nehmen wir an, dass die Dichte über den Querschnitt des Rohrs

103 3.10  Diffusion

konstant ist, so lautet die Kontinuitätsgleichung (Gl. 3.91) für unser Beispiel: @2 n.z; t/ @n.z; t/ D D 0: @t @z 2 Dies ist eine partielle Differenzialgleichung. Man nennt sie auch die Diffusionsgleichung. Zum Zeitpunkt t D 0 sollen sich noch alle Moleküle bei z D 0 befinden, wo die Moleküle eingebracht wurden. Mit der Zeit werden sie durch ihre Wärmebewegung nach oben diffundieren, wobei wir die Schwerkraft vernachlässigen wollen. Dabei entsteht ein Dichteprofil, das von z D 0 aus nach oben abnimmt. Die maximale Dichte wird immer bei z D 0 sein, sonst würden die Moleküle beginnen, zurück zu diffundieren. Für sehr große Werte von z geht die Dichte allmählich gegen null und zwar umso langsamer, je länger wir warten. Eine Funktion, die ein Maximum bei z D 0 hat und für z ! 1 asymptotisch gegen null läuft, ist die Gaußkurve. Versuchen wir damit die Differenzialgleichung zu lösen! Wir setzen an: 2 2n0  z e 2 2 .t/ : n.z; t/ D p 2 .t/

Den Vorfaktor haben wir bereits so gewählt, dass die Kurve auf die feste Anzahl N von Molekülen normiert ist, denn es ist: Z1 n.z; t/dz D An0 D N:

A 0

Nun berechnen wir die Ableitungen: n0 @n.z; t/ D p @t 2

2z 2

@2 n.z; t/ n0 D p @z 2 2

2z 2

7 2



1



2

!

.t/ .t/ n0 2z  2 z22.t/ @n.z; t/ D p e 5 @z 2 .t/ 2 .t/

9 2

.t/

e

3 2

5 2



! e



z2 2 2 .t/

z2 2 2 .t/

d .t/ dt

:

Einsetzen in die Differenzialgleichung ergibt:     2z 2 2 d .t/ 2z 2  D D 0:  1  dt .t/2 .t/3 .t/ Dies lässt sich für den Bereich nicht zu dicht am unteren Ende näherungsweise lösen (z  .t/). In dieser Näherung lautet die Differenzialgleichung: D d .t/  D0 dt .t/

3

104

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

mit der Lösung: .t/ D

3

p

2Dt ;

was Sie durch Einsetzen leicht überprüfen können. Die Dichteverteilung hat also näherungsweise die Form eine Gaußglocke, deren Breite durch die Diffusion proportional zur Wurzel aus der Zeit zunimmt.

Beispiel 3.7: Osmose

Die Osmose ist ein Phänomen mit großer Bedeutung in der Zellbiologie. Sie beruht auf der Diffusion von Molekülen durch halbdurchlässige Wände, sogenannte semipermeable Membrane. Eine solche Membran ist z. B. durchlässig für Wasser, nicht aber für darin gelöste Substanzen wie Zucker oder Salze. Sie können sich die Membran als eine Haut vorstellen mit Poren, die so eng sind, dass zwar die Wassermoleküle hindurch passen, nicht aber die größeren gelösten Moleküle. Wir haben versucht, in der Abbildung eine solche Situation zu skizzieren. Ist die Konzentration des gelösten Stoffes auf einer Seite der Membran höher, so treffen auf dieser Seite rein statistisch weniger Lösungsmittelmoleküle auf die Membran als von der anderen Seite. Im Mittel werden daher mehr Lösungsmittelmoleküle auf die Seite der höheren Konzentration diffundieren. Es wird Lösungsmittel von der Seite mit geringerer Konzentration durch die Membran auf die Seite höherer Konzentration transportiert. Auf diese Art und Weise transportieren Pflanzen Wasser in Zellen hinein. Durch die Diffusion steigt der Druck auf der Seite der höheren Konzentration. Wir sprechen vom osmotischen Druck. Regnet es beispielsweise auf reife Kirschen, so kann Regenwasser durch die Haut ins Innere der Kirsche diffundieren, in dem sich eine hohe Konzentration von Zucker und anderen Molekülen befindet. Die Haut wirkt als Membran. Durch die Osmose steigt der Druck im Inneren der Kirsche. Die reifen Kirschen platzen daher bei Regen auf.

105 3.10  Diffusion

Experiment 3.7: Osmose

In einem U-Rohr sind die beiden Schenkel durch eine Membran getrennt. Im U-Rohr befindet sich Wasser. In der linken Hälfte wird Zucker gelöst, der die Membran nicht durchdringen kann. Wir beobachten ein Ansteigen des Flüssigkeitsspiegels im linken Schenkel.

?Aufgaben 1. Der Atemregler eines Tauchers erzeugt in 10 m Wassertiefe Luftblasen mit dem Durchmesser 8 cm. Wie groß sind die Luftblasen an der Wasseroberfläche? 2. Eine Druckflasche enthält ein (annähernd ideales) Gas unter einem Druck von 11 MPa bei 20 ı C. Es wird Gas bis zu einem Druck von 8 MPa abgelassen, wobei die Temperatur auf 7 ı C sinkt. Wie viel Prozent des Gases wurden abgelassen? 3. In einem Labor wird Argon aus einer Druckflasche, die aus Sicherheitsgründen außerhalb des Gebäudes gelagert ist, verwendet. Die Flasche hat ein Volumen von 50 l und steht bei 8 ı C anfänglich unter einem Druck von 18 MPa. Aus dieser Flasche wird mit einem konstanten Fluss Argon abgelassen und durch eine Leitung ins Labor geleitet. In dieser Leitung ist das Argon bei einer Temperatur von 21 ı C auf einen Druck von 0,3 MPa entspannt. Der Fluss in der Laborleitung wird zu 43 l=h bestimmt. Wie lange kann so Argon entnommen werden, wenn der Restdruck in der Flasche 1 MPa betragen soll? 4. Welches Volumen nimmt gemäß dem idealen Gasgesetz ein Molekül bei Normalbedingungen ein (p D 0;101325 MPa, T D 273;15 K)? Wie groß ist die Kantenlänge eines Würfels, der das „Molekülvolumen“ enthält? 5. Wie groß ist die mittlere freie Weglänge eines Moleküls in Wasserstoff (Durchmesser 2;5  1010 m) bei Atmosphärendruck (0,101325 MPa) und in einem Ultrahochvakuum von 1012 mbar (0,1 nPa)? Die Temperatur sei jeweils 20 ı C. 6. Welcher Anteil der Moleküle eines idealen Gases hat eine Geschwindigkeit, die sechsmal so groß oder größer als die mittlere Geschwindigkeit der Moleküle ist? 7. Einer Menge von 5 mol eines 2-atomigen idealen Gases wird eine Wärmeenergie von 7 kJ zugeführt. Dabei dehnt es sich gleichzeitig durch Verrichtung von Arbeit an einem Kolben bei konstantem Druck aus. Um wie viel steigt die Temperatur des Gases und wie viel Arbeit leistet es an dem Kolben? 8. In einem durch einen beweglichen Kolben abgeschlossenen Zylinder befinden sich 5 g Kohlendioxid (Wärmekapazität CV D 29;7 J mol1 K1 , molare Masse 44;01g mol1 ). Eine Kühlung entzieht dem Gas nun 110 J an Wärmeenergie.

3

106

3

Kapitel 3  Kinetische Gastheorie

Gleichzeitig wird es komprimiert, wofür 285 J Arbeit am Kolben geleistet werden. Um wie viel steigt die Temperatur des Gases? 9. In einem Luftgewehr wird ein Projektil mit dem Kaliber 5 mm und der Masse 0,5 g durch adiabatische Entspannung von Druckluft beschleunigt. Dabei vergrößert sich das Luftvolumen von anfangs 1;5 cm3 auf das Gesamtvolumen des 60 cm langen Laufs. Die Druckluft wird bei 20 ı C mit 40 bar zugeführt. Welche Geschwindigkeit hat das Projektil beim Verlassen des Laufs? Nehmen Sie die Luft als 2-atomiges ideales Gas an. Welche Temperatur hätte das Gas gemäß dieser idealisierten Rechnung nach dem Schuss? 10. In einem senkrecht stehenden Zylinder, der durch einen Kolben nach oben hin abgeschlossen ist, befindet sich Luft. Durch das Gewicht des Kolbens stellt sich ein Gleichgewicht ein, bei dem das Luftvolumen eine Höhe von 10 cm hat. Der Kolben wird nun schlagartig um 2 mm heruntergedrückt. Welche Periodendauer hat die dadurch erzeugte harmonische Schwingung? Verwenden Sie den Adiabatenindex von Luft ( D 1;4) und machen Sie eine lineare Näherung der rücktreibenden Kraft für kleine Auslenkungen.

107

Entropie Inhaltsverzeichnis 4.1

Reversible Prozesse – 108

4.2

Der Carnot’sche Kreisprozess – 109

4.3

Der zweite Hauptsatz – 118

4.4

Wärme-Kraft-Maschinen – 130

4.5

Entropie mikroskopisch – 147

4.6

Der dritte Hauptsatz – 154

4.7

Das thermodynamische Gleichgewicht – 155

4.8

Thermodynamische Potenziale – 158

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Roth, A. Stahl, Wärmelehre, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67213-6_4

4

108

Kapitel 4  Entropie

4.1

4

Reversible Prozesse

Im vorherigen Kapitel haben wir den Zustand idealer Gase untersucht. Wir sind dabei immer davon ausgegangen, dass sich das Gas im thermodynamischen Gleichgewicht befindet. Überall im Gas sollten dieselbe Temperatur und derselbe Druck herrschen. Mikroskopisch gesehen bedeutet dies, dass die Geschwindigkeitsverteilungen der Moleküle überall gleich sind. Für einen stationären Zustand ist dies leicht zu erreichen. In der Regel reicht es, abzuwarten. Das Gleichgewicht stellt sich von alleine ein. Wir wollen uns aber nicht auf stationäre Zustände beschränken. In diesem Kapitel wollen wir uns mit thermodynamischen Prozessen beschäftigen, wie sie in Maschinen (Wärmepumpen, Verbrennungsmotoren, etc.) ablaufen. Hier ist es nicht immer der Fall, dass sich das Gas im thermodynamischen Gleichgewicht befindet. Bevor wir einzelne Maschinen untersuchen, führen wir eine wichtige Klassifizierung der Prozesse ein. Ändern wir den Zustand eines Gases von 1 nach 2, sodass es sich während der Zustandsänderung ständig im thermodynamischen Gleichgewicht befindet, so nennt man die Zustandsänderung einen „reversiblen Prozess“. Wir expandieren ein Gas in einem Kolben (siehe . Abb. 4.1). Das Gas ist an ein Wärmereservoir der Temperatur Tu gekoppelt, sodass die Temperatur während des Prozesses konstant bleibt. Wir nehmen an, dass es beim Bewegen des Kolbens keine Reibungsverluste gibt und dass Wärmeaustausch ausschließlich mit dem Reservoir stattfindet. Anfänglich befindet sich das Gas am Punkt 1 im p-V -Diagramm. Das Gas ist im thermodynamischen Gleichgewicht. Wenn wir den Kolben herausziehen, vergrößern wir das Volumen und reduzieren den Druck im Gas. Zunächst verdünnt sich das Gas unmittelbar unter dem Stempel, was sich dann durch die Bewegung der Moleküle schnell auf das gesamte Gas überträgt. Wenn wir den Kolben langsam bewegen, so wird dieses anfängliche Ungleichgewicht vernachlässigbar, und wir können von einem Gleichgewichtsprozess sprechen. Der Prozess wird dann reversibel geführt.

. Abb. 4.1 Ein thermodynamischer Prozess

109 4.2  Der Carnot’sche Kreisprozess

Wie der Name andeutet, ist der Prozess dann auch umkehrbar. Bei der Expansion des Gases hat dieses die Wärmemenge Q aus dem Reservoir aufgenommen und dabei Arbeit gegen die Kraft FE geleistet. Im p-V -Diagramm haben wir den Punkt 2 erreicht. Mit der gleichen Menge Arbeit können wir das Gas nun wieder komprimieren, wobei die gleiche Wärmemenge Q an das Reservoir zurückgegebenen wird, bis es im p-V -Diagramm wieder im Punkt 1 ankommt. Reversible Prozesse sind eine Idealisierung. Sie laufen unendlich langsam ab. In der Natur kann dies nicht realisiert werden. Reale Prozesse sind immer irreversibel. In unserem Beispiel bedeutet dies, dass die Wärmemenge, die bei der Kompression an das Wärmereservoir zurückgeben wird, etwas kleiner ist als die Wärmemenge, die bei der Expansion dem Reservoir entnommen wurde. Auch die Arbeit für Expansion und Kompression werden sich in ihrem Betrag etwas unterscheiden. Trotzdem sind reversible Prozesse wichtig. Ihre Bedeutung liegt in der Näherung realer Prozesse.

4.2

Der Carnot’sche Kreisprozess

In Wärme-Kraft-Maschinen wie z. B. den Verbrennungsmotoren der PKW, in Kältemaschinen und in Wärmepumpen laufen periodische Prozesse mit einem Arbeitsmedium ab. Es handelt sich um Kreisprozesse. Für die konzeptionelle Entwicklung ist der Carnot’sche Kreisprozess besonders wichtig. Mit diesem wollen wir beginnen. In 7 Abschn. 4.4 werden wir noch auf weitere Wärme-Kraft-Maschinen eingehen. Der Kreisprozess besteht aus mehreren einzelnen Schritten. Das Arbeitsmedium ändert dabei seinen Zustand. Stellen wir diesen durch einen Punkt im p-V -Diagramm dar, so durchläuft das Arbeitsmedium eine geschlossene Kurve im p-V -Diagramm. Wir können einen beliebigen Startpunkt im p-V -Diagramm wählen. Nach Durchlaufen der einzelnen Schritte kehrt das Arbeitsmedium wieder an diesen Punkt zurück. Der Prozess kann immer wieder aufs Neue durchlaufen werden. Im Verlaufe des Kreisprozesses werden Wärme und Arbeit mit der Umgebung und/oder den Wärmereservoirs ausgetauscht. Dies nützt man aus, um Maschinen auf solchen Kreisprozessen aufzubauen. Der Carnot’sche Kreisprozess ist ein spezieller Kreisprozess, der aus vier Arbeitsschritten besteht (siehe . Abb. 4.2). Beginnen wir die Nummerierung beim kleinsten Volumen, so sind diese 1!2W Isotherme Expansion des Arbeitsmediums. Aus einem Reservoir wird bei einer hohen Temperatur To die Wärmemenge Q12 entnommen. Bei der Expansion verrichtet

4

110

Kapitel 4  Entropie

4

. Abb. 4.2 Der Carnot’sche Kreisprozess im p-V -Diagramm

das Medium die Arbeit W12 an der Umgebung. 2!3W Adiabatische Expansion des Arbeitsmediums. Die Expansion wird adiabatisch fortgesetzt. Nun wird keine Wärme mehr ausgetauscht (Q23 D 0). Das Arbeitsmedium verrichtet die Arbeit W23 an der Umgebung. Die dazu benötigte Energie kommt aus der inneren Energie des Mediums. Die Temperatur des Mediums fällt von To auf Tu . 3!4W Isotherme Kompression des Arbeitsmediums. Nun wird das Arbeitsmedium wieder komprimiert und zwar zunächst isotherm bei der Temperatur Tu . Dabei wird die Wärmemenge Q34 an ein Reservoir abgegeben. Am Medium wird von außen die Arbeit W34 verrichtet. 4!1W Adiabatische Kompression des Arbeitsmediums. Die Kompression bis zum Startvolumen wird schließlich adiabatisch abgeschlossen. Es wird keine Wärme ausgetauscht (Q41 D 0). Von außen wird die Arbeit W41 am Medium verrichtet. Dadurch erhöht sich die innere Energie des Mediums wieder auf den ursprünglichen Wert. In . Abb. 4.3 ist eine mögliche Realisierung eines Carnot’schen Kreisprozesses angedeutet. Wir benötigen zwei Wärmereservoire für diesen Prozess. Eines bei einer hohen Temperatur To , bei der dem Arbeitsmedium Wärme zugeführt wird, und ein zweites bei einer tieferen Temperatur Tu , bei der Wärme aus dem Medium abgeführt wird. Bei den Schritten 1!2 und 3!4 ist das Medium mit dem jeweiligen Wärmereservoir thermisch verbunden. In den anderen beiden Schritten ist es von der Umgebung isoliert.

111 4.2  Der Carnot’sche Kreisprozess

. Abb. 4.3 Realisierung des Carnot’schen Kreisprozesses

Wir wollen nun den Wärme- und Energieumsatz im Kreisprozess Schritt für Schritt berechnen, um daraus den Wirkungsgrad

einer Maschine zu bestimmen, die auf dem Carnot’schen Kreisprozess beruht. Dabei wollen wir annehmen, dass alle Prozesse reversibel verlaufen. Vom ersten Hauptsatz wissen wir, dass der Wirkungsgrad nicht größer als 1 sein kann. 1 1 ! 2: Isotherme Expansion des Arbeitsmediums.

Die verrichtete Arbeit für diesen isothermen Schritt hatten wir bereits in 7 Abschn. 3.4 berechnet. Bei der Temperatur To beträgt sie (Vi und pi bezeichnen Volumen und Druck am i-ten Punkt im p-V -Diagramm): W12 D RTo ln

V2 : V1

(4.1)

Bei einem isothermen Prozess ändert sich die innere Energie des Mediums nicht. Also gilt: U12 D 0:

(4.2)

Aus dem ersten Hauptsatz folgt dann: Q12 D W12 :

(4.3)

1 2 ! 3: Adiabatische Expansion des Arbeitsmediums.

Der zweite Schritt verlauft adiabatisch, also: Q23 D 0:

(4.4)

Aus dem ersten Hauptsatz folgt dann: W23 D U23 : Den genauen Wert müssen wir nicht kennen.

(4.5)

4

112

Kapitel 4  Entropie

1 3 ! 4: Isotherme Kompression des Arbeitsmediums.

Dies ist wieder ein isothermer Schritt. Mit denselben Argumenten wie oben erhalten wir: W34 D RTu ln

4

V4 ; V3

U34 D 0; Q34 D W34 :

(4.6)

1 4 ! 1: Adiabatische Kompression des Arbeitsmediums.

Der letzte Schritt ist wiederum adiabatisch: Q41 D 0; W41 D U41 :

(4.7)

Da es sich um einen Kreisprozess handelt, muss das Arbeitsmedium am Ende des Kreises wieder dieselbe innere Energie besitzen, wie am Anfang. Es muss gelten: 4 X

Ui.i C1/ D 0

)

W23 D W41 :

(4.8)

i D1

Beim Kreisprozess wird dem Arbeitsmedium Wärme bei einer hohen Temperatur zugeführt, z. B. aus der Verbrennung eines Kraftstoffes. Bei einer niedrigeren Temperatur wird dann Wärme wieder abgeführt. Warum diese Abwärme unbedingt notwendig ist, werden wir im kommenden Kapitel sehen. Sie ist in der Regel nicht mehr nutzbar. Wenn wir nun den Wirkungsgrad der Maschine berechnen, werden wir sie in der Bilanz als verloren werten. Anders stellt sich der Sachverhalt bei der Arbeit dar. Die Maschine verrichtet während der Expansion Arbeit, von der wir die Arbeit, die wir bei der Kompression wieder verlieren, abziehen müssen. Betreiben wir beispielsweise ein Schwungrad an der Maschine, so wird dieses während der Expansion beschleunigt, aber während der Kompression wieder teilweise abgebremst. Wir definieren den Wirkungsgrad einer thermodynamischen Maschine als das Verhältnis der im gesamten Kreisprozess verrichteten Arbeit, bezogen auf die bei der hohen Temperatur zugeführte Wärme. Haben wir eine Wärmequelle mit Temperatur To , so gibt der Wirkungsgrad an, welchen Anteil der Wärmeenergie, die wir aus der Quelle entnehmen, in mechanische Arbeit umgesetzt wird. Die restliche Energie geht selbst bei einer reversibel arbeitenden Maschine als Abwärme verloren. Es ist:

D

verrichtete Arbeit W : D zugeführte Wärme Qo

(4.9)

113 4.2  Der Carnot’sche Kreisprozess

Für den Carnot’schen Kreisprozess haben wir: W D W12 C W23 C W34 C W41 V2 V4 D RTo ln  W41 C RTu ln C W41 V1 V3 V2 V4 D RTo ln C RTu ln V1 V3

(4.10)

und Qo D Q12 D RTo ln

V2 : V1

(4.11)

Die verrichtete Arbeit können wir im p-V -Diagramm (. Abb. 4.2) als die Fläche identifizieren, die vom Prozess eingeschlossen wird. Damit erhalten wir als Wirkungsgrad:

Carnot D D D

RTo ln VV21 C RTu ln VV43 RTo ln VV21 To ln VV21 C Tu ln VV43 To ln VV21 To ln VV21  Tu ln VV34 To ln VV21

:

(4.12)

Um dieses noch weiter zu vereinfachen, wenden wir die Adiabatengleichung (Gl. 3.44) auf die Schritte 2!3 und 4!1 an, um die Volumina zu bestimmen: 1

D Tu V3

1

D Tu V4

2 ! 3W

To V2

4 ! 1W

To V1

1 1

:

(4.13)

Dividieren wir die beiden Gleichungen durch einander, erhalten wir: 1

V2

1 V1

1

D

V3

1 V4

)

V3 V2 D : V4 V1

(4.14)

Dies eingesetzt in Gl. 4.12, ergibt

Carnot D

To ln VV21  Tu ln VV21 To ln VV21

(4.15)

und schließlich

Carnot D

To  Tu : To

(4.16)

4

114

4

Kapitel 4  Entropie

Der Wirkungsgrad hängt ausschließlich von den Temperaturen ab, die hier in Kelvin einzusetzen sind. Bei Tu handelt es sich in der Praxis um eine Temperatur in der Nähe der Umgebungstemperatur. Je höher dann die obere Temperatur To ist, desto höher ist der Wirkungsgrad. Bei 300 ı C beträgt der Wirkungsgrad rund 50 %, bei 1000 ı C sind es rund 75 %. Man kann den Carnot’schen Kreisprozess auch in umgekehrter Richtung durchlaufen, als 1!4!3!2!1. Dazu muss die Maschine von außen angetrieben werden. Sie entnimmt dann dem unteren Reservoir Wärme, welche sie an das obere Reservoir wieder abgibt. Die Maschine arbeitet als Wärmepumpe. Sie erwärmt das obere Reservoir. Statt des Wirkungsgrades definieren wir nun den Pumpfaktor fW , auch Leistungszahl genannt: fW D

abgegebene Wärme bei To To : D zugeführte Arbeit To  Tu

(4.17)

Dabei ist der ideale Pumpfaktor fW D 1= Carnot größer als 1. Dieselbe Maschine kühlt dabei das untere Reservoir ab. Sie kann ebenso als Kältemaschine arbeiten. Möchten wir diese Funktion nutzen, so definieren wir den Pumpfaktor etwas anders. Wir interessieren uns ja nun für die Wärme, die dem unteren Reservoir entnommen wird, und nicht für die, die dem oberen zugefügt wird. Daher definieren wir den Pumpfaktor der Kältemaschine als: fK D

entnommene Wärme bei Tu Tu : D zugeführte Arbeit To  Tu

(4.18)

Beispiel 4.1: Wärmepumpe für die Raumheizung

Mit einer Wärmepumpe lassen sich Gebäude heizen. Die Wärmepumpe entnimmt Wärme aus einem Reservoir in der Umwelt und pumpt sie auf eine Temperatur, mit der das Wasser im Heizungssystem – einer Zentralheizung oder einer Fußbodenheizung – erwärmt wird. Die Abbildung zeigt schematisch den Aufbau. Je nachdem, aus welchem Reservoir die Wärme stammt, gibt es unterschiedliche Wärmepumpen. Gängig sind Wärmepumpen, die Wärme aus dem Erdreich, dem Grundwasser oder der umgebenden Luft entnehmen. Es gibt auch spezielle Wärmepumpen, die Abwärme oder andere Quellen nutzen. Beispielsweise kann Erdwärme mit sogenannten Sonden entnommen werden, das sind Tiefenbohrungen von bis zu 100 m Tiefe, durch die eine Sole aus Wasser und Forstschutzmittel gepumpt wird. Pro Meter Rohr können etwa 50 W an Wärmeleistung aus dem Erdreich entnommen werden. Mit der Wärmepumpe wird diese Wärmemenge dann in den Heizkreislauf des Hauses transferiert.

115 4.2  Der Carnot’sche Kreisprozess

Als Arbeitsmedium werden spezielle Substanzen eingesetzt, die im Kreisprozess kondensieren und wieder verdampfen. Es handelt sich meist um fluorierte Kohlenwasserstoffe (FKW). Betrachten Sie bitte noch einmal die Abbildung, die eine Wärmepumpe zeigt, die Erdwärme nutzt. Beginnen wir mit der Wärmeaufnahme aus der Umwelt. Das abgekühlte, flüssige Arbeitsmedium kommt in einem Wärmetauscher, dem Verdampfer, in thermischen Kontakt mit der Sole. Es nimmt Wärme aus der Sole auf, kühlt diese ab und verdampft dabei. Dies entspricht dem isothermen Prozess bei der Temperatur Tu in . Abb. 4.2. Er wird nun von 4 nach 3 als isotherme Expansion durchlaufen. Mit einem Kompressor wird das Arbeitsmedium anschließend adiabatisch komprimiert (3 ! 2). Das Arbeitsmedium erwärmt sich dabei auf die Temperatur To , die etwas oberhalb der Temperatur im Heizungskreislauf liegen muss. Im rechten Wärmetauscher, dem Kondensator, gibt das Arbeitsmedium die gespeicherte Wärme an den Heizungskreislauf ab (2 ! 1). Dabei kondensiert es. Durch ein Drosselventil expandiert es schließlich adiabatisch, wodurch es sich abkühlt. Der Kreislauf schließt sich damit. Der Pumpfaktor gibt das Verhältnis der Wärmemenge, die in die Heizung gepumpt wird, zur elektrischen Energie, die für den Betrieb der Pumpe aufgewendet werden muss, an. Aus der Formel für den idealen Pumpfaktor (Gl. 4.17) erkennen wir, dass der Pumpfaktor umso größer ist, desto geringer die Temperaturdifferenz zwischen Umweltreservoir und Heizkreislauf ist. Optimal ist eine Wärmepumpe, die Erdwärme (Tu  0 ı C) in eine Fußbodenheizung (To  35 ı C) pumpt. Hier erreicht der ideale Pumpfaktor

4

116

4

Kapitel 4  Entropie

den Wert 8;8. Der Gütegrad einer Wärmepumpe setzt den realen Pumpfaktor ins Verhältnis zum idealen. Moderne Wärmepumpen erreichen Gütegrade von bis zu 50 %. Hinzu kommen der Energieverbrauch der Umwälzpumpen für Sole und Heizkreislauf sowie Wärmeverluste, so dass sich der Pumpfaktor der gesamten Anlage um einen Faktor 3 bis 4 gegenüber dem idealen Wert reduziert. In unserem Beispiel wird aus 8;8 dann ein Wert von etwa 2;5, was immer noch bedeutet, dass sich der Energieverbrauch gegenüber einer direkten Heizung mit Strom auf 40 % reduziert.

Beispiel 4.2: Ein Kühlschrank

Auch ein Haushaltskühlschrank basiert auf dem Prinzip einer Wärmepumpe, wie wir sie in 7 Beispiel 4.1 beschrieben haben. Allerdings interessieren wir uns nun weniger für die Wärme, die auf der warmen Seite abgegeben wird, als vielmehr um die Wärme, die auf der kalten Seite im Verdampfer aufgenommen wird. Unsere Abbildung zeigt den prinzipiellen Aufbau. In der rechten Hälfte der Abbildung ist der Kühlraum angedeutet, der gegen die Umgebung isoliert ist. Im Kühlraum werden die Lebensmittel gelagert. An der Rückseite des Kühlraums ist der Verdampfer angebracht. Durch die Drossel, in der Regel eine dünne Kapillare, die den Kühlkreislauf des Außenraums mit dem Innenraum verbindet (in der Abbildung oben), strömt flüssiges Kühlmittel in den Innenraum. Im Verdampfer verdampft das Kühlmittel und entzieht dabei dem Innenraum die Verdampfungswärme, welcher sich dadurch abkühlt. Vom Kompressor wird das jetzt gasförmige Kühlmittel nach außen gepumpt und komprimiert. Dabei erwärmt es sich. Es gelangt in den Kondensator, der an der Rückseite der Rückwand angebracht ist. Dieser wird von Raumluft umströmt. An diese gibt das Kühlmittel Wärme ab und kondensiert. Es besitzt nun annähernd Raumtemperatur. Durch die Drossel gelangt es erneut in den Innenraum, wobei es sich entspannt und auf die Innentemperatur abkühlt. Das Foto zeigt die Rückseite eines Kühlschranks mit dem Kompressor unten links und dem Kondensator, der sich über fast die gesamte Breite der Rückwand erstreckt.

117 4.2  Der Carnot’sche Kreisprozess

Den Wirkungsgrad eines Kühlschranks definieren wir als die Wärmemenge, die aus dem Innenraum aufgenommen wird, im Verhältnis zur mechanischen bzw. elektrischen Arbeit, die dafür aufgewandt werden muss:

D

Tu Qu  : W To  Tu

Beziehen wir die Wärmemenge und die Arbeit auf ein bestimmtes Zeitintervall dt, können wir auch

D

Tu QP u  To  Tu WP

schreiben, mit dem Wärmestrom QP u D dQu =dt und der Leistung WP D d W=dt. Auch hier gilt, dass keine thermodynamische Maschine einen höheren Wirkungsgrad erreichen kann als eine (ideale) Carnot-Maschine. Dies führt auf die in den Formeln angegebenen Grenzen. Ein realer Kühlschrank erreicht dies Grenze nicht. Sein Wirkungsgrad liegt typisch um einen Faktor 3 unter dem idealen Wirkungsgrad.

4

118

Kapitel 4  Entropie

Der zweite Hauptsatz

4.3 4.3.1

4

Die reduzierte Wärme

Bevor wir den zweiten Hauptsatz der Wärmelehre angeben können, müssen wir den Carnot’schen Kreisprozess noch einmal genauer analysieren. Wir betrachten die beim Kreisprozess umgesetzten Wärmemengen. Diese sind: Q1 D RTo ln

V2 V1

Q2 D 0 Q3 D RTu ln

V4 V3 V2 D RTu ln D RTu ln V3 V4 V1

Q4 D 0:

(4.19)

Wir dividieren durch die Temperaturen und finden V2 Q3 Q1 D R ln D To V1 Tu Q1 Q3 ) C D0 To Tu

(4.20)

oder allgemeiner X Qi i

Ti

D 0:

(4.21)

Hier tritt als wichtige Größe der Quotient aus der ausgetauschten Wärme und der Temperatur, bei der diese ausgetauscht wird, auf. Dieser Quotient hat einen eigenen Namen. Man nennt ihn die „reduzierte Wärme“. In dem hier betrachteten Kreisprozess war die Summe der reduzierten Wärmen null. Was hier als spezielle Eigenschaft des Carnot’schen Kreisprozesses erscheint, gilt für beliebige Kreisprozesse. Wir können dies aus der folgenden Argumentation erschließen. In . Abb. 4.4 ist ein beliebiger Kreisprozess in einem p-VDiagramm zu sehen (geschlossene grüne Linie). Im Hintergrund ist eine Schar von Isothermen (hellblau, die flacheren Linien) und Adiabaten (rot) zu sehen. Es bildet sich ein karoförmiges Muster. Jedes Karo wird begrenzt von zwei Isothermen und zwei Adiabaten. Es stellt einen kleinen Carnot’schen Kreisprozess dar. Für einen Teil des großen Kreisprozesses ist angedeutet, wie wir diesen durch Isothermen und Adiabaten approximieren können. Die Approximation des gesamten Prozesses wird rund zwanzig kleine Carnot-Prozesse einschließen. Die beim Kreisprozess umgesetzte Wärme ergibt sich näherungsweise aus der Approxi-

119 4.3  Der zweite Hauptsatz

. Abb. 4.4 Approximation (schwarz) eines beliebigen Kreisprozesses (grün) durch Adiabaten (rot) und Isothermen (hellblau). Rechts: Darstellung des schwarzen Kreisprozesses durch die Summe von Carnot-Prozessen

mation. Diese wiederum können wir als Summe der eingeschlossenen kleinen Carnot-Prozesse darstellen. Aus . Abb. 4.4 ist ersichtlich, dass in der Summe der Carnot-Prozesse die internen Linien jeweils in zwei benachbarten Carnot-Prozessen auftreten, wo sie in umgekehrter Richtung durchlaufen werden. Die Summe über die internen Linien ist folglich null. Es bleibt die Summe der reduzierten Wärme über die äußere (schwarze) Linie. Da aber für Carnot-Prozesse Gl. 4.21 gilt, muss die gesamte Summe verschwinden. Die reduzierte Wärme, die beim approximierten Kreisprozess umgesetzt wird, ist also null. Wählen wir dichtere Scharen von Isothermen und Adiabaten, so bekommen wir eine immer bessere Approximation des Kreisprozesses, sodass die Aussage schließlich exakt gilt. Dabei wandelt sich die Summe in ein Integral über einen geschlossenen Weg des Kreisprozesses im p-V -Diagramm um: X Qi i

Ti

I !

dQ D 0: T

(4.22)

Die reduzierte Wärme ändert sich beim Durchlaufen eines beliebigen, reversibel geführten Kreisprozesses nicht.

4.3.2

Die Entropie

Nachdem wir nun diese wichtige Aussage für Kreisprozesse gefunden haben, wollen wir die reduzierte Wärme für Prozesse untersuchen, die von einem Zustand 1 zu einem Zustand 2 führen. Der genaue Weg sei dabei beliebig. In . Abb. 4.5 sind drei Möglichkeiten angedeutet.

4

120

Kapitel 4  Entropie

4 . Abb. 4.5 Unterschiedliche Wege, einen Zustand 1 in einen Zustand 2 zu überführen

Wir vergleichen die reduzierte Wärme auf verschiedenen Wegen von 1 nach 2. Z2

dQ  T

1 Weg i

Z2

dQ D T

1 Weg j

Z2

1 Weg i

dQ C T

Z1

2 Weg j

dQ D T

I

dQ D 0: T

Weg i;j

(4.23) Also muss gelten Z2 1 Weg i

dQ D T

Z2

dQ : T

(4.24)

1 Weg j

Wir kommen zu dem Schluss, dass die bei einem reversibel geführten Prozess umgesetzte reduzierte Wärme vom Weg unabhängig ist. Sie hängt alleine vom Ausgangs- und Endzustand ab. Dies ermöglicht es uns, jedem Zustand einen eindeutigen Wert S zu zuweisen, sodass Z2

dQ D S2  S1 T

(4.25)

1

unabhängig vom Weg ist. Die Größe S nennt man die „Entropie“. Um nicht nur Differenzen eindeutig bestimmen zu können, sondern auch jedem Punkt eindeutig einen Wert zuzuordnen, wählen wir einen Referenzzustand. Dies sei der Zustand 1, dem wir die Entropie S1 zuweisen. Dann lässt sich aus Gl. 4.25 für jeden beliebigen Zustand eindeutig die Entropie bestimmen. Der Wert hängt

121 4.3  Der zweite Hauptsatz

alleine vom Zustand ab, hier charakterisiert durch den Druck und das Volumen des Mediums in diesem Zustand. Damit haben wir gezeigt, dass die Entropie eine Zustandsgröße ist. Wir haben für reversibel geführte Kreisprozesse einen Erhaltungssatz gefunden: I Srev D

I dS D

rev

dQ D0 T

)

Srev D konst. (4.26)

rev

Für Prozesse die von einem Zustand 1 zu einem Zustand 2 führen, kann sich die Entropie allerdings ändern. Wir betrachten noch einmal einen solchen Prozess. Als Beispiel soll uns eine isotherme Expansion dienen. Eine solche ist in . Abb. 4.5 als Weg B dargestellt. Der Prozess soll reversibel geführt werden. Bei der Expansion möchte sich das Gas abkühlen. Um die Temperatur auf der Isothermen konstant zu halten, muss das Gas an ein Wärmereservoir angekoppelt sein, von dem Wärme auf das Gas übertragen wird. Der Wärmeumsatz ist Q >0 T Q < 0: Srev .Reservoir/ D  T Srev .Gas/ D

(4.27)

Betrachten wir das Gas und das Reservoir gemeinsam als abgeschlossenes System, so erhalten wir: Srev .Gas/ C Srev .Reservoir/ D 0:

(4.28)

Für reversible, isotherme Prozesse ist die Entropie ebenfalls erhalten, sofern wir uns auf ein abgeschlossenes System beziehen. Ebenso muss die Entropie für reversible adiabatische Prozesse erhalten sein, denn für diese gilt ja Q D 01 . Deshalb nennt man adiabatische Prozesse manchmal auch isentropisch. Dann muss es aber für beliebige reversible Prozesse in abgeschlossenen Systemen gelten, denn wir können diese, wie oben bei Kreisprozessen ausführlich diskutiert, durch eine Abfolge von Isothermen und Adiabaten approximieren. Wir kommen folglich zu dem Schluss, dass in abgeschlossenen Systemen die Entropie bei reversibel geführten Prozessen erhalten bleibt. Beachten Sie bitte, dass dies tatsächlich nur in abgeschlossenen Systemen gilt, d. h. in solchen, in denen keine Energie mit der Umgebung ausgetauscht wird. Für geschlossene Systeme hatten wir lediglich gefunden, dass die Entropie bei einem reversibel geführten Kreisprozess erhalten ist.

1

Für adiabatische Prozesse gilt dies bereits in geschlossenen Systemen. Wir werden hier die Aussage aber nur für abgeschlossene Systeme benutzen.

4

122

Kapitel 4  Entropie

Beispiel 4.3: Entropie eines idealen Gases

4

Wir wollen als Beispiel die Entropieänderung eines idealen Gases während einer reversiblen Zustandsänderung berechnen. Der Ausgangszustand sei durch die Ausgangstemperatur T0 und das Ausgangsvolumen V0 beschrieben. Wir gehen von einem geschlossenen System aus, so dass die Stoffmenge  konstant bleibt. Das Gas soll in einem reversiblen Prozess auf die Temperatur T und das Volumen V gebracht werden. Da es sich bei der Entropie um eine Zustandsgröße handelt, hat der Weg, auf dem wir das Gas von T0 , V0 auf T , V bringen, keine Bedeutung für die Entropieänderung. Wir können einen bestimmten Weg auswählen, der sich besonders einfach berechnen lässt. Wir unterteilen den Weg in zwei Schritte. Im ersten Schritt führen wir beim Volumen V0 eine isochore Temperaturerhöhung von T0 nach T durch. Um die Diskussion zu vereinfachen, nehmen wir an, dass T > T0 und V > V0 sei. Die Rechnung gilt gleichermaßen für alle andere Fälle. Im zweiten Schritt folgt eine isotherme Expansion von V auf V0 . Im ersten Schritt müssen wir dem Gas Wärme zuführen, um seine Temperatur zu erhöhen. Es ist dQ D CV d T (siehe 7 Abschn. 3.5). Die Zunahme der Entropie ergibt sich aus: Z T Z T T dQ CV D d T D CV ln : S.T; V0 /  S.T0 ; V0 / D T T T 0 T0 T0 Im letzten Schritt haben wir angenommen, dass die Wärmekapazität CV nicht von der Temperatur abhängt, was zumindest für ideale Gase gegeben ist. Der zweite Schritt ist etwas komplizierter, da wir sowohl Arbeit aus dem System entnehmen, als auch Wärme zuführen müssen, um die Temperatur konstant zu halten. Wir haben gelernt, dass d U D dQ  d W gilt. Die verrichtete Arbeit können wir durch d W D pdV ausdrücken, was wir mit dem idealen Gasgesetz auf d W D RT V dV umschreiben können. Nun berücksichtigen wir ferner, dass für ein ideales Gas die innere Energie alleine durch die kinetische Energie der Moleküle bestimmt ist und daher nicht vom Volumen des Gases abhängt. Wie wir später noch sehen werden, spielen in realen Gasen Anziehungskräfte zwischen den Molekülen und die damit verbundenen potenziellen Energien eine Rolle, so dass deren innere Energie vom mittleren Abstand der Moleküle und damit auch vom Volumen abhängt. Wir wollen hier aber bei einem idealen Gas bleiben. Für dieses gilt bei einem isothermen Prozess d U D 0 und damit dQ D d W . Damit ergibt sich für die Entropieänderung: Z V Z V V dQ dV D R D R ln : S.T; V /  S.T; V0 / D V0 V0 T V0 V

123 4.3  Der zweite Hauptsatz

4

Addieren wir die beiden Ergebnisse, so erhalten wir das gesuchte Ergebnis:   T V C R ln C S.T0 ; V0 /: S.T; V / D  CV ln T0 V0 Die Größe S.T0 ; V0 / ist eine Konstante, die als Bezugspunkt der Entropieskala hier auftaucht.

4.3.3

Irreversible Prozesse

Wir wollen nun auf irreversibel geführte Prozesse eingehen. Wir betrachten die Expansion eines Gases, das an ein Wärmereservoir angekoppelt ist. Die Entropie des Gases ist durch Temperatur und Druck im Anfangs- bzw. Endzustand festgelegt. Wir betrachten zwei unterschiedliche Wege der Expansion (. Abb. 4.6). Die erste Expansion soll reversibel erfolgen. Im zugehörigen Bild links drückt das Gas den Stempel langsam aus dem Kolben heraus. Im zweiten Fall soll die Expansion schlagartig und damit irreversibel erfolgen. Das Gas ist durch eine Glasplatte im unteren Bereich des Kolbens eingeschlossen. Der Stempel steht bereits in der Endposition. Dann wird die Glasplatte zerbrochen, und das Gas kann in diesem Moment den gesamten Raum unter dem Stempel einnehmen. Im ersten Fall (reversible Expansion) gilt Srev .Gas/ D

Q > 0: T

(4.29)

Dies wird durch die Entropieabgabe aus dem Reservoir zu null kompensiert. Im zweiten Fall (irreversible Expansion) befindet sich das Gas nach der Expansion im gleichen Zustand wie im ersten Fall, sodass gilt Sirrev .Gas/ D Srev .Gas/ D

Q > 0; T

(4.30)

aber es bestand keine Zeit, für einen Wärmetransfer aus dem Reservoir, sodass dies hier der einzige Entropiebeitrag ist. Für das abgeschlossene System erhalten wir somit: Srev D 0 Sirrev > 0:

(4.31)

In . Tab. 4.1 sind die Ergebnisse zur Entropieänderung zusammengefasst. In abgeschlossenen Systemen bleibt bei reversibel geführten Prozessen die Entropie konstant, bei irreversibel

. Abb. 4.6 Die Expansion eines Gases mit unterschiedlichen Methoden

124

Kapitel 4  Entropie

. Tab. 4.1 Zusammenfassung der Entropieänderungen bei unterschiedlichen Prozessen

Geschlossenes System

4

Abgeschlossenes System

reversibel

irreversibel

1!2

beliebig

beliebig

Kreisprozess

S D 0

S D 0

1!2

S D 0

S > 0

Kreisprozess

S D 0

nicht möglich

geführten steigt sie an. Bei geschlossenen Systemen hängt es vom speziellen Prozess und dessen Zufuhr oder Ableitung von Energie ab. Die Entropie kann abfallen, ansteigen oder konstant bleiben. Beispielsweise steigt die Entropie bei einer isothermen Expansion durch die Wärmezufuhr aus dem Reservoir an und fällt bei einer isothermen Kompression (reversibel) ab. Bei einem reversibel geführten adiabatischen Prozess ist die Entropieänderung null. Bei den entsprechenden irreversibel geführten Prozessen ist die Entropieänderung immer etwas zum Positiven verschoben, sie kann aber insgesamt noch negativ sein. Besonders sind die Kreisprozesse. Sie sind dadurch definiert, dass das System nach einem Umlauf in den Ausgangszustand zurückkehrt. Dies bedeutet, dass auch die Entropie nach einem Umlauf wieder denselben Wert annimmt, wie zu Beginn. Sie ist ja eine Zustandsgröße. Für reversibel geführte Kreisprozesse haben wir dies bereits diskutiert. Es muss aber auch für irreversibel geführte Kreisprozesse gelten! Um dies zu erreichen, muss das System Entropie nach außen abführen, um den Anstieg der Entropie durch die irreversible Prozessführung zu kompensieren. In einem geschlossenen System ist dies durch die Abgabe von Wärme an die Umgebung möglich. Daher haben wir für irreversibel geführte Kreisprozesse S D 0 in die Tabelle eingetragen. In einem abgeschlossenen System ist es nicht möglich, Entropie an die Umgebung abzuführen. Ist auch nur einer der Prozessschritte irreversibel geführt, ist es nicht möglich, dass das System exakt in den Ausgangszustand zurückkehrt. Es kann in diesem Fall keinen Kreisprozess geben.

4.3.4

Der zweite Hauptsatz

Damit können wir nun den Entropiesatz formulieren. Man kann den Satz entlang der skizzierten Argumente aus den Axiomen der Mechanik ableiten oder als Erfahrungssatz ohne Begründung formulieren:

125 4.3  Der zweite Hauptsatz

>Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik (Entropiesatz) Bei allen natürlichen, mit endlicher Geschwindigkeit ablaufenden Vorgängen in einem abgeschlossenen System nimmt die Entropie zu.

Bei der hier gewählten Formulierung ist von natürlichen Prozessen die Rede, die mit endlicher Geschwindigkeit ablaufen. Solche Prozesse sind nach dem, was wir gelernt haben, irreversibel. Der Satz in der hier gewählten Formulierung handelt also von irreversiblen Prozessen. Er besagt, dass für solche Prozesse die Entropie immer ansteigt, sofern man sich auf ein abgeschlossenes System bezieht. Der Entropiesatz bestimmt die Richtung der Prozesse, die in der Natur ablaufen. In der Mechanik haben wir Prozesse kennengelernt, die invariant unter Zeitumkehr sind. Diese Prozesse können gleichermaßen vorwärts wie auch rückwärts in der Zeit ablaufen. Stellen sie sich den Stoß zweier Kugeln auf einem Billardtisch vor2 . Sie machen eine Filmaufnahme des Stoßes und lassen diese rückwärts ablaufen. Was Sie dann sehen, könnte durchaus so in der Natur geschehen. Die Kugeln bewegen sich in umgekehrter Richtung und stoßen in entgegengesetzter Richtung. Die rückwärtige Bewegung im Film ist ebenso möglich, wie die ursprüngliche. Sie können leicht weitere Beispiele umkehrbarer Prozesse finden, wie das Schwingen eines Pendels oder die Balance von Gewichten auf einer Balkenwaage. Bei allen einfachen Bewegungen der Mechanik werden Sie feststellen, dass der Trick mit der Filmaufnahme funktioniert. Der rückwärts abgespielte Film zeigt einen Prozess, der ebenso möglich ist, wie der ursprüngliche. Bei komplexeren Vorgängen, an denen viele Körper (wie z. B. die Moleküle in einem Gas) beteiligt sind, scheint dies nicht mehr zu gelten. Stellen Sie sich vor, Sie filmen ein rohes Ei, das von einem Tisch zu Boden fällt und zerplatzt. Jetzt lassen Sie den Film wiederum rückwärts laufen (. Abb. 4.7). Sie sehen, wie die Bruchstücke des Eis von den unterschiedlichsten Orten, an denen sie gelandet waren, zum Punkt zurückgesaugt werden, an dem das Ei zersprang. Dort vereinen sie sich zu einem intakten Ei, welches nach oben fliegt und schließlich auf dem Tisch zu liegen kommt.

. Abb. 4.7 Ein Ei fällt vom Tisch – zeitumgekehrt! 2

Bei allen Prozessen müssen Sie Reibung vernachlässigen.

4

126

4

Kapitel 4  Entropie

Dieser rückwärts laufende Prozess kann so in der Natur nicht ablaufen. Dabei ist es nicht der Energiesatz, der dem widerspricht. Betrachten wir das Ei zusammen mit dem Zimmer, in dem es fällt, als abgeschlossenes System, so ist die Energie in diesem System noch vorhanden. Die Lageenergie des Eis auf dem Tisch wurde zunächst in kinetische Energie und schließlich beim Aufprall auf dem Boden (größtenteils) in Wärme umgewandelt. Sie konnte nicht entweichen, sodass die Umkehrung aus energetischen Gründen möglich wäre. Es ist der Entropiesatz, der den Unterschied macht. Das Fallen des Eis ist ein irreversibler Prozess, bei dem die Entropie ansteigt. Folglich muss sich beim umgekehrten Prozess die Entropie verringern. Dies ist aber nach dem Entropiesatz nicht möglich. Diese Argumentation gilt allgemein. Betrachtet man einen irreversibel ablaufenden Prozess und den entsprechenden, rückwärts ablaufenden Umkehrprozess, so hat der Entropieumsatz für die beiden Prozesse umgekehrte Vorzeichen. Für eine Richtung ist die Entropieänderung positiv, für die andere negativ. Der zweite Hauptsatz besagt, dass von beiden Prozessen nur derjenige natürlich abläuft, dessen Entropiebilanz positiv ist. Eine mikroskopische Ableitung werden wir in 7 Abschn. 4.5 nachliefern. Beispiel 4.4: Wärmetod des Universums

Was ergibt sich, wenn man den Entropiesatz auf das Universum als riesiges System anwendet? Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst das System Universum klassifizieren. Intuitiv würde man erwarten, dass das Universum ein abgeschlossenes System darstellt. Die Energie, die im Universum vorhanden ist, verteilt sich durch die Expansion auf einen zunehmend größer werdenden Raum, ohne dass neue Energie hinzukommt. Es gibt allerdings heute Hinweise, dass dies nicht so ist, dass mit der Expansion neue Energie ins Universum eingebracht wird (Stichwort: Dunkle Energie). Das Universum ist vermutlich kein abgeschlossenes System. Trotzdem mag man sich fragen, welche Entwicklung das Universum nähme, wenn es abgeschlossen wäre. Dann müsste sich nach dem Zweiten Hauptsatz die Entropie immer weiter erhöhen. Die Atome würden sich allmählich gleichmäßig im Universum verteilen und überall die gleiche Geschwindigkeitsverteilung und Temperatur annehmen. In einem solchen Zustand gäbe es keine Sterne, Planeten und kein Leben mehr. Das Universum wäre gleichmäßig erfüllt von einem kalten und dünnen Gas. Man nennt dies den „Wärmetod des Universums“. Große Bereiche des Universums sehen bereits heute so aus. Dass dies in unserer Umgebung nicht so ist, verdanken wir der

127 4.3  Der zweite Hauptsatz

. Abb. 4.8 Schematische Darstellung der Energie- und Entropieumsätze einer Wärme-Kraft-Maschine (a) und einer Kältemaschine (b)

Energie, die die Sonne ausstrahlt. Nur mit ihr kann sich die Ordnung, die das Leben auf der Erde ausmacht, erhalten.

Es gibt eine Reihe alternativer Formulierungen des Zweiten Hauptsatzes, von denen wir hier noch zwei weitere diskutieren wollen. Die erste geht auf den Carnot’schen Kreisprozess ein: >Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik (Entropiesatz) Jede reversibel arbeitende Wärme-Kraft-Maschine hat den Wirkungsgrad des Carnot’schen Kreisprozesses. Keine hat einen höheren.

Um dies zu verstehen, müssen wir den Carnot’schen Kreisprozess noch einmal abstrakter betrachten, ohne dabei auf die Realisierung durch zwei Isothermen und zwei Adiabaten einzugehen. . Abb. 4.8a zeigt links schematisch den Energiefluss einer Wärme-Kraft-Maschine. Bei einer oberen Temperatur To wird dem Arbeitsmedium Wärme zugeführt, bei einer niedrigeren Temperatur Tu wird Wärme abgeführt. Dabei verrichtet die Maschine eine mechanische Arbeit W . Eventuell treten noch Verluste auf, die wir zunächst vernachlässigen wollen. Die Maschine durchläuft einen Kreisprozess, sodass sich das Arbeitsmedium nach einem Umlauf wieder im Ausgangszustand befindet. Die verrichtete Arbeit bestimmt sich aus der Energiebilanz W D Qo C Qu ;

(4.32)

4

128

Kapitel 4  Entropie

wobei Qu negativ zu nehmen ist. Mit der Wärmezufuhr Qo erhöht sich die Entropie des Arbeitsmediums. Da es sich nach einem Umlauf durch den Kreisprozess wieder im Ausgangszustand befinden muss, muss die zugeführte Entropie wieder abgeführt werden. Dies geschieht durch die Entnahme von Wärme bei der niedrigen Temperatur Tu .

4

So C Su D 0 Qo Qu C D0 To Tu Qu D 

Tu Qo : To

Wir setzen dies in die Energiebilanz ein und erhalten   Tu Tu Qo W D Qo  Qo D 1  To To W Tu

D D1 D Carnot : Qo To

(4.33)

(4.34)

Wegen der Entropiebilanz kann Qu nicht beliebig klein werden. Es muss immer Abwärme abgeführt werden. Dies begrenzt den Wirkungsgrad auf den Wert des Carnot’schen Kreisprozesses. Bei dieser Ableitung haben wir keinerlei Annahmen über die Art des Kreisprozesses gemacht. Die Grenze gilt folglich für alle Kreisprozesse. Treten zusätzlich zum betrachteten Energie- und Entropieaustausch Verluste auf oder wird die Entropie teilweise bei höheren Temperaturen wieder abgeführt, so führt dies auf einen geringeren Wirkungsgrad. Der Carnot’sche Wirkungsgrad ist der bestmögliche Wirkungsgrad, und auch dieser kann nur von einer idealen Maschine erreicht werden. Ähnliches gilt für den Wirkungsgrad einer Kältemaschine D Tu , den wir in . Abb. 4.8b rechts schematisch angedeutet haTo Tu ben. Die dritte Formulierung des Entropiesatzes, die wir hier diskutieren wollen, beschäftigt sich mit dem Perpetuum Mobile. Sie lautet >Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik (Entropiesatz) Es gibt keine Maschine, die nichts anderes bewirkt, als einen Wärmebehälter abzukühlen und Arbeit zu verrichten.

Eine solche Maschine wäre ein Perpetuum Mobile 2. Art im Unterschied zu einem Perpetuum Mobile 1. Art, welches „schon“ dem Energiesatz widerspricht. Die Perpetuum Mobile 1. Art sind rein mechanische Maschinen, die Arbeit verrichten, ohne Energie aufzunehmen. Perpetuum Mobile 2. Art respektieren dagegen den Energiesatz, verletzen aber den Entropiesatz. Sie kühlen ein Wärmereservoir ab, indem sie Wärme daraus entnehmen

129 4.3  Der zweite Hauptsatz

und diese vollständig (!) in mechanische Arbeit umwandeln. Mit der Entnahme der Wärme aus dem Reservoir nimmt die Maschine Entropie auf. Die entsprechende Wärmeabgabe bei niederer Temperatur fehlt, sodass der Entropiesatz verletzt ist. Eine solche Maschine kann es nicht geben. Experiment 4.1: Trinkente (dritter Anlauf)

Die Trinkente hatten wir bereits in Experiment 7.4 im Band über die Mechanik und 7 Experiment 2.3 kennengelernt. Sie neigt sich scheinbar auf ewig ins Trinkbecken und richtet sich wieder auf. In 7 Experiment 2.3 hatten wir argumentiert, dass es sich bei der Ente um ein offenes System handelt, da sie Wärme aus der Umgebung aufnimmt. Dies setzt sie in mechanische Energie um. Sie bewegt den Kopf auf und ab. Die mechanische Energie geht schließlich an den Drehpunkten durch Reibung wieder verloren. Sie wird in Wärme umgesetzt und wieder an den Raum abgegeben. Die Ente kann aber trotz der Rückführung der Energie nicht ewig laufen, da die Entropie im Raum, den wir näherungsweise als abgeschlossenes System betrachten können, ständig steigt. Doch wie funktioniert sie nun? Im Inneren der Ente ist ein Flüssigkeitsbehälter mit einer Röhre, dessen Ende den Kopf mit Schnabel darstellt. In der Ente befindet sich eine Flüssigkeit mit hohem Dampfdruck bereits bei Raumtemperatur (Äther). Der Schwerpunkt ist so gelagert, dass sich im Ausgangszustand die Flüssigkeit im Bauch des Behälters befindet und die Ente nahezu aufrecht steht (. Abb. 4.9a). Nun verdampft Flüssigkeit. Der steigende Dampfdruck presst die Flüssigkeit in die Röhre (. Abb. 4.9b). Dabei steigt auch der Schwerpunkt. Ist er über den Drehpunkt geklettert, kippt die Ente nach vorne über. Durch den Schwung taucht der Schnabel kurz ins Wasser. Er ist außen mit einem Filz beklebt, der Wasser aufnimmt. Beim Kippen dreht sich das Rohr so weit, dass die Flüssigkeit auslaufen kann (. Abb. 4.9c). Sie fließt zurück in den Bauch der Ente. Dabei verschiebt sich der Schwerpunkt erneut, sodass sich die Ente wieder aufrichtet. Wir sind nun wieder bei . Abb. 4.9a. Vom feuchten Schnabel verdunstet Wasser, was den Kopf und die im Rohr befindliche Luft kühlt. Dies unterstützt das folgende Aufsteigen der Flüssigkeit in . Abb. 4.9b. Hält man Störungen von der Ente fern, kann sie durchaus einige Tage lang nippen.

4

130

Kapitel 4  Entropie

4 . Abb. 4.9 Trinkente (dritter Anlauf)

Beispiel 4.5: Perpetuum Mobile 2. Art

Es gibt eine Reihe von Maschinen, die auf den ersten Blick als Perpetuum Mobile 2. Art erscheinen. Die Abbildung zeigt als Beispiel das sogenannte „Feynman-Rad“. Das Rad hat Gummibänder als Speichen. Es ist an seiner Achse drehbar gelagert. Die Skizze zeigt eine Bogenlampe links unterhalb der Achse. Schaltet man die Lampe ein, beginnt sich das Rad in der angegebenen Richtung zu drehen. Wie funktioniert es? Finden Sie es selbst heraus!

4.4

Wärme-Kraft-Maschinen

Der Carnot’sche Kreisprozess hat eine wichtige Schlüsselrolle im Verständnis der Thermodynamik. Die Realisierung eines Carnot’schen Prozesses in einer Maschine ist allerdings kompliziert, sodass er kaum praktische Bedeutung hat. Gebräuchliche Motoren basieren auf anderen Prozessen. Die wichtigsten wollen wir hier besprechen.

4.4.1

Der Otto-Motor

Der Otto-Motor wurde 1876 von Nicolaus August Otto entwickelt. Er gründete die Firma Otto-Langen-Motoren in Deutz und

131 4.4  Wärme-Kraft-Maschinen

vertrieb die ersten Motoren. Aus der Firma ist das heutige SDAXUnternehmen Deutz AG hervorgegangen. Man unterscheidet den 2-Takt-Motor und den 4-Takter. Der 4Takt-Motor ist der wichtigste Motor für PKW. Der 2-Takt-Motor ist einfacher, da er keine Ventile enthält, aber er ist nicht so effizient. Er hat vielfältige Einsatzmöglichkeiten außerhalb der Automobilindustrie (Mofa, Moped, Modellflugzeuge, Rasenmäher, Motorsägen, etc.). Wir wollen hier den 4-Takt-Motor besprechen. Der Antrieb erfolgt meist durch mehrere Zylinder. Der schematische Aufbau eines Zylinders ist in . Abb. 4.10 dargestellt. In einem geschlossenen Zylindergehäuse (schwarz) läuft der Kolben auf und ab. Diese Auf- und Abbewegung wird über die Pleuelstange und die Kurbelwelle in eine Drehbewegung umgesetzt, die über das Getriebe die Räder des Autos antreibt. Oberhalb des Kolbens befindet sich der Verbrennungsraum (im Bild dreieckig), der über zwei Ventile geschlossen werden kann. Über den Einlass und das Einlassventil gelangt ein Gemisch aus Luft und feinen Benzintröpfchen in den Verbrennungsraum, wo es durch einen elektrischen Funken, der von der Zündkerze erzeugt wird, entzündet wird. Über das Auslassventil und den Auspuff werden die Abgase nach der Verbrennung an die Umgebung abgegeben. In 7 Beispiel 4.6 ist der Ablauf eines Verbrennungszyklus’ genauer beschrieben. Die . Abb. 4.11 zeigt ein Foto eines Motors. In . Abb. 4.12 ist ein Motor im Aufschnitt zu sehen.

. Abb. 4.11 Blick in den Motorraum eines PKWs mit 4-Zylinder Otto-Motor © wikimedia: Priwo

. Abb. 4.10 Aufbau eines Zylinders eines 4-Takt-Otto-Motors

4

132

Kapitel 4  Entropie

4

. Abb. 4.12 Explosionszeichnung eines V6-Zylinder Otto-Motors. Die Zylinder sind in zwei Gruppen mit je 3 Zylindern in einer V-Stellung angeordnet. Die Kolben sind abgebildet, aber nicht das Zylindergehäuse. Unten die Kurbelwelle mit den Gegengewichten. Über Ketten werden die vier obenliegenden Nockenwellen angetrieben (Untersetzung 1 W 2). Die Nocken steuern die jeweils 4 Ventile eines Zylinders. © English wikimedia: Swaroopvarma

Beispiel 4.6: 4-Takt-Otto-Motor

1. Takt: Ansaugen

Im ersten Takt ist das Einlassventil (links) geöffnet. Der Kolben bewegt sich durch den Schwung des Motors nach unten. Er erzeugt einen Unterdruck im Verbrennungsraum, durch den über

133 4.4  Wärme-Kraft-Maschinen

den Einlass das Benzin-Luft-Gemisch vom Vergaser angesaugt wird. 2. Takt: Verdichten

Am Ende des ersten Taktes ist der Kolben in der tiefsten Position. Das Einlassventil schließt sich. Die Kurbelwelle dreht sich weiter und bewegt den Kolben wieder nach oben. Das eingeschlossene Benzin-Luft-Gemisch wird dabei komprimiert. Es wird verdichtet und erwärmt sich dabei. Am Ende des zweiten Taktes befindet sich der Kolben wieder in der höchsten Position. Das BenzinLuft-Gemisch wurde vom Gesamtvolumen (Hubraum) auf das Restvolumen komprimiert. Das Verhältnis der beiden Volumina nennt man das „Verdichtungsverhältnis“. Es liegt bei modernen Motoren bei 10 W 1 bis 12;5 W 1. 3. Takt: Arbeitshub

Beide Ventile sind nach wie vor geschlossen. Hat die Pleuelstange den Totpunkt überschritten, zündet ein Funken, der durch einen Hochspannungspuls aus der Zündspule erzeugt wird, das

4

134

Kapitel 4  Entropie

Benzin-Luft-Gemisch. Es verbrennt explosionsartig. Im Verbrennungsraum steigt der Druck schlagartig an. Dadurch wird der Kolben nach unten gepresst. Bei der Expansion der Verbrennungsgase verrichten diese Arbeit. Dies ist der Antrieb des Motors. 4. Takt: Ausstoßen

4

Hat der Kolben am Ende des Arbeitshubs den tiefsten Punkt erreicht, öffnet sich das Auslassventil und verbindet den Kolbeninnenraum über den Auspuff mit der Umgebung. Die heißen Verbrennungsgase entströmen und der Druck fällt auf den Umgebungsdruck ab. Nun bewegt sich der Kolben bei geöffnetem Ventil wieder nach oben. Dabei werden die restlichen Verbrennungsgase aus dem Kolben verdrängt. Am Ende des vierten Taktes schließt das Auslassventil und das Einlassventil öffnet sich. Der nächste Zyklus kann beginnen.

Um den Otto-Motor quantitativ zu erfassen, müssen wir ihn im pV -Diagramm abbilden. Näherungsweise können wir dies durch sechs Schritte tun, die in . Abb. 4.13 zu sehen sind. 1 1. Takt: Ansaugen.

Der Motor befindet sich an Punkt 1 im Diagramm. Der Kolben befindet sich oben und bewegt sich nun nach unten. Durch das geöffnete Einlassventil wird Benzin-Luft-Gemisch angesaugt. Beim Ansaugen entsteht ein geringer Unterdruck, den wir vernachlässigen. Im Kolbeninneren herrscht näherungsweise Umgebungsdruck. Der Prozess läuft damit isobar ab. Er endet am Punkt 2. Der Kolben ist unten beim maximalen Volumen angekommen. Das Einlassventil schließt sich.

135 4.4  Wärme-Kraft-Maschinen

. Abb. 4.13 Näherungsweise Darstellung des Otto-Motors im p-V -Diagramm

1 2. Takt: Verdichten.

Bei geschlossenen Ventilen komprimiert der Kolben das BenzinLuft-Gemisch auf einen Druck von ca. 1 MPa, wodurch die Temperatur auf 300 bis 600 ı C steigt. Der Prozess läuft schnell ab. Bei einer typischen Umdrehungszahl des Motors von 2000 bis 4000 Umdrehungen pro Minute dauert die halbe Umdrehung der Kurbelwelle, die für die Kompression benötigt wird, weniger als 15 ms. Der Wärmeaustausch mit der Umgebung in dieser kurzen Zeit kann vernachlässigt werden und der Schritt von Punkt 2 nach Punkt 3 im p-V -Diagramm kann als Adiabate dargestellt werden. Beachten Sie, dass dies nur eine Näherung ist. Tatsächlich gibt es einen Wärmeaustausch mit der Umgebung. Die Zylinder des Motors werden nach einigen Minuten heiß und müssen gekühlt werden, etwa durch die in . Abb. 4.10 angedeuteten Kühlrippen oder durch eine Wasserkühlung. Trotzdem ist der Wärmeaustausch pro Umdrehung gering, was unsere Näherung rechtfertigt. 1 3. Takt: Arbeitshub.

Im Punkt 3 wird das Gemisch durch die Zündkerze gezündet. Es verbrennt explosionsartig. Die Zeit ist so kurz, dass wir die Bewegung des Kolbens während der Verbrennung vernachlässigen können, was dann eine isochore Verbrennung darstellt. Durch die Verbrennung steigt die Temperatur des eingeschlossenen (nun verbrannten) Gases sprunghaft auf 1500 bis 2200 ı C an. Die Wärmemenge Q34 wird zugeführt. Im Gegensatz zur CarnotMaschine wird die Wärme hier direkt im Arbeitsmedium erzeugt und nicht über Wärmeaustausch einem Reservoir entnommen. Nach der Verbrennung folgt der eigentliche Arbeitsschritt. Das Gas expandiert und leistet dabei die Arbeit W45 . Wiederum kann man wegen der kurzen Zeitdauer der Expansion einen Wärmeaustausch mit der Umgebung vernachlässigen, sodass man den Arbeitsschritt näherungsweise als Adiabate darstellen kann. Das heiße Gas wird bis zum maximalen Volumen expandiert. Es kühlt sich dabei ab.

4

136

Kapitel 4  Entropie

1 4. Takt: Ausstoßen.

4

Ist der Punkt 5 erreicht, öffnet das Auslassventil. Dadurch fällt der Druck im Kolben auf den Umgebungsdruck ab. Da dies sehr schnell geschieht, können wir die Volumenänderung durch die Bewegung des Kolbens vernachlässigen und den Prozess als isochor beschreiben. Anschließend fährt der Kolben nach oben und drückt das verbrannte Gas heraus. Bei geöffnetem Ventil herrscht Umgebungsdruck, der Prozess ist also isobar. Er führt uns zum Startpunkt zurück. Die im p-V -Diagramm angegebenen Wärme- und Arbeitsumsätze können wir berechnen und so den Wirkungsgrad des Motors bestimmen. Er hängt von der Verdichtung " ab, das ist das Verhältnis von maximalem zu minimalem Volumen im Kolben. Es ergibt sich

Otto D 1 

1 "1

:

(4.35)

Theoretisch könnte der Wirkungsgrad bis zu 60 % betragen. In der Praxis werden selbst bei modernen Motoren nur Wirkungsgrade bis etwa 35 % erreicht. Rund 30 % der Energie werden als Wärme mit den heißen Verbrennungsgasen ausgestoßen, weitere rund 30 % gehen als Wärme über die Kühlung des Motors verloren. Der Rest sind Reibungsverluste. Beispiel 4.7: Theoretischer Wirkungsgrad des Otto-Motors

Um den Wirkungsgrad des Otto-Motors zu bestimmen, schreiben wir die Definition des Wirkungsgrades um. Nach dem ersten Hauptsatz muss die verrichtete Arbeit der Differenz aus zugeführter und abgeführter Wärme entsprechen, wobei wir die Wärmemenge, die mit den Abgasen verloren geht, in der Bilanz berücksichtigen müssen.

Otto D

W Q Q34 C Q56 Q56 D D D1C Q34 Q34 Q34 Q34

Dabei haben wir die adiabatischen Schritte unberücksichtigt gelassen, da bei diesen keine Wärme ausgetauscht wird. Unter Q56 ist hier die gesamte Wärme gemeint, die nach dem Arbeitstakt noch in den Abgasen steckt. Die Ansaug- und Ausstoßtakte können unberücksichtigt bleiben, da weder Wärme umgesetzt noch Arbeit verrichtet wird. Die Wärmemengen bestimmen wir über die Wärmekapazitäten Q34 D CV .T4  T3 / Q56 D CV .T6  T5 /

)

Otto D 1 

T5  T6 : T4  T3

137 4.4  Wärme-Kraft-Maschinen

Nun gilt für Adiabaten 1

1

T2 V2

1

D T3 V3

)

T3 D T2

V2

)

T4 D T5

V5

1

V3

D T6 "1

1

1

T4 V4

1

D T5 V5

1

V4

D T5 "1 :

Dies setzen wir ein und erhalten

Otto D 1 

T5  T6 1 D 1  1 : T5 "1  T6 "1 "

Beispiel 4.8: Motorsteuerung

Um die Beschreibung des Otto-Motors abzurunden, seien hier noch einige Details der Steuerung des Motors erwähnt. Die erste Abbildung zeigt die Elemente im Überblick.

Es handelt sich um einen 4-Zylindermotor mit 16 Ventilen. In der Mitte sieht man die vier Kolben. Sie sind über die Pleuelstangen mit der Kurbelwelle verbunden, die sich ganz unten befindet. Die Zylinder laufen jeweils um einen Takt gegeneinander phasenverschoben. Dies erzeugt ein gleichmäßigeres Drehmoment und reduziert die Vibrationen des Motors. An der Kurbelwelle

4

138

4

Kapitel 4  Entropie

befinden sich gegenüber den Ansatzpunkten der Pleuelstangen Gegengewichte, die die Unwucht minimieren und damit ebenfalls die Vibrationen reduzieren. Über einen Zahnriemen oder Zahnräder werden von der Kurbelwelle die beiden bei diesem Motor obenliegenden Nockenwellen angetrieben. Sie drehen sich im Vergleich zur Kurbelwelle mit halber Geschwindigkeit. Die Nocken an den Nockenwellen öffnen die Ventile. Die Ventile sind unterhalb der Nockenwellen angedeutet. Bei diesem Motor sind es je zwei Einlass- und Auslassventile pro Zylinder. Die zweite Abbildung zeigt Details eines Ventils. Dreht sich die Nockenwelle, drückt die Nocke (1) das Ventil gegen die Ventilfeder (3) nach unten. Der Stößel (2) wird im Ventilschaft (4) geführt. Der Ventilteller (6) verschließt den Brennraum (7) gegen den Abgaskanal (5).

Die in . Abb. 4.13 gezeigte Darstellung des Otto-Prozesses im p-V -Diagramm ist eine mehrfache Näherung. Der Verbrennungsprozess ist nicht wirklich isochor. Er wird bereits kurz vor Erreichen des Totpunktes gezündet, da die Ausbreitung der Verbrennung im Zylinder doch etwas Zeit in Anspruch nimmt. Bei der Kompression und dem Arbeitshub ist der Wärmeaustausch mit dem Zylindergehäuse und der Umgebung nur näherungsweise null. Bei der Berechnung des Wirkungsgrades in 7 Beispiel 4.7 haben wir das Arbeitsmedium stillschweigend als ideales Gas behandelt, was auch nur begrenzt gerechtfertigt ist. Zum Abschluss der Behandlung des Otto-Motors wollen wir an einem Beispiel andeuten, wie die Beschreibung des Prozesses verbessert werden könnte. In . Abb. 4.13 fällt der Druck nach Öffnen des Auslassventils abrupt auf den Umgebungsdruck ab und bleibt während des gesamten Ausstoßens auf diesem Wert. Dies wäre der Fall, wenn das Abgas ohne jeglichen Widerstand ausströmen könnte. Doch die Auspuffanlage, der Katalysator und besonders das Ventil selbst stellen einen merklichen Strömungswiderstand dar. Um diesen zu überwinden, muss ein Druckgefälle zwischen dem Zylinderinnenraum und der Umgebung herrschen. Daher folgt der reale Prozess im p-V -Diagramm einer Linie, die oberhalb der Isobaren des idealen Prozesses liegt (siehe . Abb. 4.14). Ähnliches gilt für den Ansaugtakt. Hier wirken das Ventil und der Vergaser als Strömungswiderstand. Um diesen zu überwinden, muss ein Druckgefälle zum Zylinder hin herrschen. Der Druck im Zylinder muss unter dem Umgebungsdruck liegen. Der reale Prozess bewegt sich unterhalb des idealen im p-V -Diagramm.

139 4.4  Wärme-Kraft-Maschinen

. Abb. 4.14 Darstellung des Otto-Motors im p-V -Diagramm mit realistischem Ansaug-Ausstoßtakt

Im realen Prozess schließen Ausstoß und Ansaugtakt eine Fläche im p-V -Diagramm ein. Diese Fläche repräsentiert die Arbeit, die geleistet werden muss, um das Abgas auszustoßen und frisches Benzin-Luft-Gemisch anzusaugen. Sie geht der Motorleistung verloren und reduziert den Wirkungsgrad. Kennt man den genauen Verlauf im p-V -Diagramm, kann man sie bestimmen und den Wirkungsgrad dahingehend korrigieren. Beispiel 4.9: 2-Takt Otto-Motor

4

140

4

Kapitel 4  Entropie

141 4.4  Wärme-Kraft-Maschinen

Die Bilder zeigen einen vollen Zyklus eines Zweitakt-OttoMotors. Sie beginnen mit dem Arbeitshub. Im ersten Bild ist das Benzin-Luft-Gemisch bereits komprimiert. Die Zündkerze entzündet es. Das expandierende Arbeitsmedium presst den Kolben nach unten und verrichtet dabei Arbeit. Im dritten Bild hat sich der Kolben so weit nach unten bewegt, dass sich der Auslasskanal öffnet. Unter dem restlichen Druck im Kolben wird das Abgas durch den Auslasskanal nach außen gedrückt. Unterhalb des Kolbens befindet sich bereits frisches Benzin-Luft-Gemisch, das nun in Bild vier und fünf über den seitlichen Überströmkanal von unten in den Verbrennungsraum strömt. Dabei wird das restliche Abgas aus dem Verbrennungsraum ausgespült. Mit dem sechsten Bild beginnt die Aufwärtsbewegung des Kolbens. Dabei verdichtet er das frische Benzin-Luft-Gemisch im Verbrennungsraum. Außerdem öffnet sich das Ventil, und Benzin-Luft-Gemisch für die übernächste Verbrennung wird angesaugt. In Bild sieben verschließt der Kolben den Überströmkanal und in Bild acht schließlich den Auslasskanal, und die Verdichtung wird abgeschlossen. Nun kann der Zyklus mit der Zündung erneut beginnen. Diese Variante des Zweitaktmotors hat nur ein einziges Ventil (Membran), das sich alleine durch die Druckverhältnisse im Zylinder öffnet und schließt. Es gibt neben dem Kolben und der Kurbelwelle kaum bewegliche Teile.

4

142

Kapitel 4  Entropie

4.4.2

4

Der Diesel-Motor

Der Wirkungsgrad eines Otto-Motors ist durch die Verdichtung begrenzt (7 Beispiel 4.7). Sie beträgt bei modernen Motoren 10 : 1 bis 12,5 : 1. Man könnte versucht sein, einen Otto-Motor höher zu verdichten, dies führt allerdings zu einem Problem. Mit zunehmender Verdichtung steigt die Temperatur des Benzin-LuftGemisches an. Ist sie zu hoch, entzündet es sich, noch bevor der Kolben den Totpunkt überwunden hat und die Zündkerze zündet. Es entsteht ein Stoß gegen die Laufrichtung der Kurbelwelle, Leistung geht verloren und die mechanische Belastung steigt. Man kann solch vorzeitigen Zündungen hören. Sie erzeugen ein Klopfen des Motors. Beim Diesel-Motor umgeht man dieses Problem, indem man reine Luft ansaugt. Diese wird dann hoch verdichtet (typisch 16 : 1), wodurch Temperaturen von 700 bis 900 ı C erreicht werden. Erst nachdem der Kolben den Totpunkt der Kurbelwelle überschritten hat, wird der Treibstoff unter hohem Druck in den Kolben eingespritzt. Bei den hohen Temperaturen entzündet er sich von selbst. Eine Zündkerze ist nicht notwendig. In der Regel werden die Diesel-Motoren mit Diesel-Treibstoff betrieben, sie können aber ein breites Spektrum an Treibstoffen verbrennen, z. B. schwere Öle, Benzin oder Petroleum. Die Funktionsweise ist identisch zu der des 4-Takt-Otto-Motors, nur dass eben der Treibstoff erst nach der Kompression eingespritzt wird. Beispiel 4.10: Diesel-Motoren

Der Diesel-Motor wurde von dem deutschen Ingenieur und Erfinder Rudolf Diesel entwickelt. 1893 publizierte er das Konzept in seinem Buch Theorie und Konstruktion eines rationellen Wärmemotors. In der Maschinenfabrik Augsburg, aus der der MAN Konzern hervorgegangen ist, baute er die ersten Prototypen. In der Abbildung ist der zweite Prototyp gezeigt, der immerhin im Leerlauf lief. Heute haben Diesel-Motoren einen großen Einsatzbereich, vor allem dort, wo große Leistungen und hohe Drehmomente benötigt werden, z. B. für Traktoren, PKWs, Lokomotiven, Generatoren oder Schiffsantriebe. Das zweite Foto zeigt einen 6-Zylinder Schiffsdiesel während einer Generalüberholung. Die größten Diesel-Motoren (Schiffsdiesel) erreichen Leistungen von bis zu 60 MW mit Kolben von Durchmessern von nahezu einem Meter. Im Foto ist links oben (metallen) die Abgasanlage zu sehen. Darunter (hellgrün) befinden sich die Zylinder. Die Zylinderköpfe sind abgenommen, die Verbindung zur Abgasanlage getrennt. Einer der Zylinderköpfe ist rechts unten zu sehen. Da-

143 4.4  Wärme-Kraft-Maschinen

neben steht einer der Zylinder. Die Kurbelwelle befindet sich im Untergeschoss unter der abgebildeten Ebene.

© wikimedia: MAN SE (7 CC-BY-3.0)

4

144

Kapitel 4  Entropie

4 . Abb. 4.15 Darstellung eines Diesel-Motors im p-V -Diagramm

In . Abb. 4.15 haben wir die Prozesse im Diesel-Motor in ein p-V -Diagramm übertragen. Das Diagramm ähnelt dem des OttoMotors . Abb. 4.13. Die Kompression im Diesel-Motor ist höher. Dies können Sie daran erkennen, dass das minimale Volumen etwas kleiner ist als beim Otto-Motor, was dann auch zu einem höheren Maximaldruck im Kolben führt. Die Verbrennung des Treibstoffs hatten wir im Otto-Motor als isochoren Prozess abgebildet. Hier beim Diesel-Motor haben wir einen isobaren Schritt von 3 nach 4 eingetragen. Bitte beachten Sie, dass beides Näherungen sind. Weder in einem realen Otto-Motor noch in einem realen Diesel-Motor wird eine vollständig isochore oder vollständig isobare Verbrennung erreicht. Aber in einem Otto-Motor ist der Treibstoff bereits vor der Zündung komplett mit der Luft im Kolben vermischt, so dass die Verbrennung nach der Zündung äußerst schnell den gesamten Verbrennungsraum erfasst und daher in sehr kurzer Zeit abläuft. Da sich in dieser kleinen Zeitspanne der Kolben kaum bewegt, können wir näherungsweise von einem isochoren Prozess ausgehen. Beim Diesel-Motor befindet sich der Treibstoff im Moment der Zündung noch nicht im Kolben. Mit dem Überschreiten des Totpunkts beginnt die Einspritzung und der erste Treibstoff entzündet sich. Bis der Treibstoff vollständig eingespritzt ist, vergeht jedoch eine gewisse Zeit, während der sich der Kolben bereits nach unten bewegt. Der Druckanstieg durch die Verbrennung und die Bewegung des Kolbens nach unten führen näherungsweise zu einem konstanten Druck im Kolben, den wir durch einen isobaren Prozess idealisiert haben.

4.4.3

Der Stirling-Motor

Der Stirling-Motor ist eine meist als Heißluftmotor bezeichnete Maschine, die von Robert Stirling 1816 entwickelt wurde. Es gibt verschiedene Aufbauten, von denen eine in unserer Skizze dargestellt ist. Das Arbeitsmedium, meist Luft, ist im Motor einge-

145 4.4  Wärme-Kraft-Maschinen

schlossen. Die Maschine arbeitet zwischen zwei Wärmereservoirs mit den Temperaturen T0 und Tu , mit denen das Arbeitsmedium abwechselnd in Kontakt gebracht wird. In dem in . Abb. 4.16 dargestellten Aufbau (ˇ-Typ) kommt ein einzelner Zylinder zum Einsatz, der im oberen Bereich vom kälteren Reservoir Tu (blau) gekühlt und im unteren Bereich durch das wärmere Reservoir To geheizt wird. Neben dem Kolben K befindet sich ein Verdränger V im Zylinder. Mehrere Kanäle im Verdränger verbinden die Zylinderräume oberhalb und unterhalb des Verdrängers miteinander. Ein Gestänge sorgt für eine koordinierte Bewegung von Kolben und Verdränger. An der Kurbelwelle sind meist Schwungräder (hier grün) angebracht, die einen einigermaßen gleichmäßigen Lauf des Motors sicherstellen. Im Takt, der in unserer Abbildung dargestellt ist, befindet sich das Arbeitsmedium im unteren Bereich des Zylinders und wird dort erwärmt. Es dehnt sich aus, drückt durch den Verdränger den Kolben nach oben und setzt damit den Motor in Bewegung. Durch die Drehung der Kurbelwelle bewegt sich der Verdränger nach unten. Er schiebt auf diese Weise das erhitzte Arbeitsmedium in den kalten Bereich, wo es sich abkühlt. Der Druck im Zylinder sinkt. Der Kolben wird wieder nach unten „gesogen“. Durch die weitere Rotation der Kurbelwelle wird der Verdränger abermals angehoben. Das Arbeitsmedium strömt zurück in den unteren Bereich und der Prozess beginnt von Neuem. In . Abb. 4.17 haben wir links den Stirling-Prozess im p-V Diagramm dargestellt. Der Punkt A entspricht dem Beginn des Takts, zu dem wir den Motor in . Abb. 4.16 abgebildet haben. Das Volumen V bezeichnet das Gesamtvolumen, das durch den Verdränger in zwei Bereiche aufgeteilt wird. Das Arbeitsmedium befindet sich im unteren Bereich und ist noch kalt. Der Kolben ist an seiner tiefsten Position angekommen und damit das Volumen im Minimum VA . Nun erwärmt sich das Gas, der Druck steigt an, was wir näherungsweise durch einen isochoren Prozess beschreiben können. Wir erreichen den Punkt B. Nun setzt sich der Kolben in Bewegung und bewirkt eine Erhöhung des Volumens bis zum Punkt C. Das heiße Arbeitsmedium durchläuft eine isotherme Expansion. Als nächstes bewegt sich der Verdränger nach unten, so dass das Arbeitsmedium sich nun größtenteils im oberen Bereich befindet. Es tritt in Kontakt mit dem kalten Reservoir und kühlt sich auf Tu ab. Auch diesen Schritt beschreiben wir näherungsweise durch einen isochoren Prozess. Wir erreichen den Punkt D. Mit der kälteren Temperatur sinkt der Druck und der Außendruck presst den Kolben in den Zylinder. Der Motor durchläuft eine isotherme Kompression zurück zum Ausgangspunkt A. In unserem p-V -Diagramm haben wir den Prozess idealisiert dargestellt. Wir haben angenommen, dass Volumen- und Temperaturänderungen nacheinander erfolgen. Betrachten Sie beispielsweise den Punkt A. In unserer idealisierten Darstellung erwärmt

4

. Abb. 4.16 Schematische Darstellung eines Stirling-Motors vom Typ ˇ

146

4

Kapitel 4  Entropie

. Abb. 4.17 Der Stirling-Prozess im p-V -Diagramm (a) und im T -S -Diagramm (b)

sich das Arbeitsmedium zunächst vollständig von der Temperatur Tu auf die Temperatur To . Erst dann beginnt sich der Kolben zu bewegen. Dies ist sicherlich nicht richtig. In einer realen Maschine werden die beiden Veränderungen Hand in Hand erfolgen, so dass der tatsächliche Prozess eher der blauen Kurve im Diagramm folgen wird, was zu einer geringeren Arbeitsleistung führt. In . Abb. 4.17 ist rechts noch der Stirling-Prozess in einem T -S-Diagramm dargestellt. Wir haben die Temperatur T des Arbeitsmediums gegen seine Entropie S aufgetragen. Die beiden isothermen Schritte von B ! C und von D ! A entsprechen horizontalen Linien. Adiabatische Veränderungen, wie sie beispielsweise im Carnot-Prozess auftreten, würden durch vertikale Linien abgebildet. Die isochoren Schritte von A ! B und von C ! D werden durch schräge Linien repräsentiert. Beispiel 4.11: Stirling-Motor: Anwendung

Stirling-Motoren werden gerne in Heizkraftwerken eingesetzt, da sie bereits mit geringen Temperaturdifferenzen effizient arbeiten. Meist wird dabei ein etwas anderer Aufbau (˛-Typ) als im Text gewählt. Er ist in der Abbildung gezeigt. Kolben und Verdränger sind bei diesem Typ in unterschiedlichen Zylindern untergebracht. Der Arbeitskolben ist an das kalte Reservoir gekoppelt, der Verdränger an das heiße Reservoir. Über eine Gasleitung wird das Arbeitsmedium zwischen dem kalten Bereich im Arbeitszylinder und dem heißen Bereich im Verdränger hin und her gepumpt. Die Funktionsweise ist die gleiche wie beim ˇ-Typ. Befindet sich mehr Arbeitsmedium im heißen Bereich, dehnt es sich insgesamt aus und drückt die Kolben aus den Zylindern heraus. Ist umgekehrt das Volumen im kalten Bereich größer, kühlt sich das Arbeitsmedium ab und zieht sich zusammen. Zwischen dem heißen und kalten Bereich ist ein Regenerator eingebaut. Er wirkt wie ein Speicher. Er nimmt Wärme vom heißen Arbeitsmedium auf, wenn dieses in den kalten Bereich

147 4.5  Entropie mikroskopisch

strömt, und gibt diese wieder zurück, wenn es in den heißen Bereich zurückströmt. Ein zusätzlicher Kühler verbessert den Wirkungsgrad noch etwas. Der phasenversetzte Lauf von Kolben und Verdränger, die mit einer einzigen Kurbel verbunden sind, wird bei diesem Typ durch den Winkel (hier 90 ı ) zwischen den beiden Zylindern eingestellt. Winkel zwischen 50 ı und 90 ı sind denkbar. Der Wirkungsgrad eines Stirling-Motors ist im Vergleich zu Verbrennungsmotoren recht gering. Selbst 20% werden nicht erreicht. Stirling-Motoren sind allerdings deutlich leiser und wartungsärmer, da sie keine Ventile benötigen. Man setzt sie dort ein, wo die Restwärme eine sinnvolle Verwendung findet, z. B. in einem Heizkraftwerk. Der Motor wandelt dort ca. 15% der Verbrennungswärme in elektrische Energie um, indem er einen Generator antreibt. Die restliche Wärme wird für die Heizung genutzt. Es gibt Anlagen von wenigen kW Leistung für Einfamilienhäuser bis zu 100 kW für den industriellen Einsatz.

Experiment 4.2: Stirling-Motor

Dieser einfache Stirling-Motor wird auf eine Tasse mit heißem Kaffee aufgesetzt. Er wird von unten durch die Wärme, die das Getränk abgibt, geheizt. Das kalte Reservoir gibt an der Oberseite Wärme an die Umgebung ab. Der geringe Temperaturunterschied zwischen dem Kaffee und der Umgebung genügt bereits, um den Motor, nachdem er erst einmal angedreht wurde, in Schwung zu halten. Das Experiment zeigt, dass ein Stirling-Motor auch geringe Temperaturdifferenzen zum Antrieb nutzen kann.

4.5

Entropie mikroskopisch

So wie es uns gelungen ist, Temperatur und Druck auf mikroskopische Eigenschaften der Moleküle zurückzuführen, wollen wir auch für die Entropie eine mikroskopische Erklärung finden. Wir folgen dazu einem Experiment, dem Gay-Lussac’schen Überströmversuch (. Abb. 4.18). Der Innenraum eines isolierten Gefäßes ist durch eine Glasscheibe in zwei Hälften unterteilt. In einer Hälfte des Gefäßes befindet sich ein (ideales) Gas, die andere Hälfte ist evakuiert. Nun wird die Glasscheibe zertrümmert (z. B. mittels eines Steins, der sich im Gefäß befand). Das Gas strömt in die andere Hälfte hinüber, bis sich der Druckunterschied zwischen den beiden Hälften ausgeglichen hat. Gay und Lussac stellten fest, dass sich dabei

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

. Abb. 4.18 Der Überströmversuch von Gay-Lussac

4

148

4

Kapitel 4  Entropie

die Temperatur des Gases nicht verändert. Bei der Expansion in die zweite Hälfte verrichtet das Gas keine Arbeit, da aus dem Vakuum keine Gegenkraft wirkt. Da mit dem isolierten Gefäß keine Wärme mit der Umgebung ausgetauscht wird, muss die innere Energie des Gases konstant bleiben. Wir wollen einen anderen Aspekt dieses Versuches betrachten. Der Versuch ist offensichtlich irreversibel. Es ist unmöglich, dass sich das Gas ohne weiteres Zutun wieder auf das ursprüngliche halbe Volumen zurückzieht, obwohl die Trennwand geöffnet ist. Es gilt also S > 0:

(4.36)

Wir wollen versuchen zu verstehen, was den Ausgangs- und den Endzustand mikroskopisch unterscheidet. Wir nehmen an, dass sich die Gasmoleküle völlig frei zwischen den beiden Hälften des Gefäßes bewegen können. Die beiden Teilvolumina seien gleich groß. Jedes Gasmolekül ist dann mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % auf der linken Seite des Gefäßes anzutreffen und mit ebenso 50 % Wahrscheinlichkeit auf der rechten Seite. Wir machen eine Momentaufnahme des Gases, aus der hervorgeht, auf welcher Seite sich die einzelnen Moleküle befinden. In Gedanken nummerieren wir die Gasmoleküle und notieren deren Position, z. B.: Links: Rechts:

1; 3; 4; 7; : : : 2; 5; 6; 8; : : :

Wir nennen dies einen Mikrozustand. Der Mikrozustand legt den Zustand jedes einzelnen Moleküls des Gases eindeutig fest. Im Gegensatz dazu legt der Makrozustand nur die makroskopischen Eigenschaften des Systems fest, die durch Summation über die Zustände der einzelnen Moleküle entstehen. In unserem Beispiel wollen wir der Einfachheit halber die Geschwindigkeit der Moleküle ignorieren. Der Zustand eines Moleküls ist dann nur noch durch seinen Ort beschrieben, was wir nicht präzise angeben, sondern auf die Aussage „Molekül befindet sich links“ oder „Molekül befindet sich rechts“ reduzieren wollen. Der Mikrozustand spezifiziert also für jedes Molekül, ob es sich rechts oder links befindet, während der Makrozustand lediglich angibt, wie viele Moleküle sich links bzw. rechts befinden. Der Ausgangszustand ist dadurch gekennzeichnet, dass sich alle Moleküle links befinden. Nach dem Öffnen der Glasscheibe entsteht ein Mikrozustand, in dem die Moleküle zumindest annähernd zwischen links und rechts gleich verteilt sind. Die Grundannahme der Thermodynamik ist nun, dass alle Mikrozustände mit gleicher Wahrscheinlichkeit auftreten. Warum sollte es dann nicht passieren, dass auf einmal alle Moleküle wieder links sind? Dieser Mikrozustand hat ja dieselbe Wahrscheinlichkeit wie der, der sich tatsächlich eingestellt hat.

149 4.5  Entropie mikroskopisch

. Tab. 4.2 Mikrozustände im Gay-Lussac’schen Überströmversuch für ein Gas mit 4 Molekülen Laufende Nummer

Links

Rechts

Summe

Anzahl

1

1234



4W0

1

2 3 4 5

123 124 134 234

4 3 2 1

3W1

4

6 7 8 9 10 11

12 13 14 23 24 34

34 24 23 14 13 12

2:2

6

12 13 14 15

1 2 3 4

234 134 124 123

1W3

4

16



1234

0W4

1

Die Antwort ist, dass es sehr viele Mikrozustände gibt, bei denen die Moleküle annähernd gleich auf die Teilvolumina verteilt sind, aber nur einen einzigen, bei dem sie alle in der linken Hälfte sind. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sich das System in einem der vielen Mikrozustände befindet, die makroskopisch einer Gleichverteilung entsprechen, als in dem einen einzigen, in dem alle Moleküle links sind. Wir wollen dies mit einfachen Zahlen veranschaulichen. Wir nehmen an, dass das gesamte Gas nur aus 4 Molekülen besteht. . Tab. 4.2 zeigt die Mikrozustände, die dann auftreten können. Die Tabelle zeigt insgesamt 16 mögliche Mikrozustände. Nur ein einziger entspricht dem Makrozustand des Anfangs. Eine Gleichverteilung zwischen links und rechts ist dagegen in 6 Mikrozuständen realisiert. Die Gleichverteilung ist also 6-mal wahrscheinlicher als die einseitige Verteilung des Anfangszustandes. Mit steigender Anzahl an Molekülen wird dieser Effekt immer deutlicher. In . Tab. 4.3 ist der Fall von 6 Molekülen aufgeschrieben. Man findet insgesamt 64 Mikrozustände, von denen wiederum nur ein einziger dem Anfangszustand entspricht. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist folglich 1=64. Eine Gleichverteilung findet man dagegen in 20 Mikrozuständen entsprechend einer Wahrscheinlichkeit von 20=64 D 31;2 %. In der Kombinatorik lernt man, wie man diese Zahlen berechnet. Es geht hier um die Frage, wie viele Möglichkeiten es gibt, k

4

150

Kapitel 4  Entropie

. Tab. 4.3 Mikrozustände im Gay-Lussac’schen Überströmversuch für ein Gas mit 6 Molekülen

4

Laufende Nummer

Links

Rechts

Summe Anzahl Wahrscheinlichkeit

1

123456



6W0

1

1=64 D 0;016

2

12345

6

5W1

6

6=64 D 0;094

3

12346

5

4

12356

4

5

12456

3

6

13456

2

7

23456

1

8

1234

56

4W2

15

15=64 D 0;234

9

1235

46

10

1236

45

11

1245

36

12

1246

35

13

1256

34

14

1345

26

15

1346

25

16

1356

24

17

1456

23

18

2345

16

19

2346

15

20

2356

14

21

2456

13

22

3456

12

23

123

456

3W3

20

20=64 D 0;312

...

...

...

42

456

123

43

12

3456

2W4

15

15=64 D 0;234

...

...

...

57

3456

12

58

1

23456

5W1

6

6=64 D 0;094

...

...

...

63

6

12345

64



123456

0W6

1

1=64 D 0;016

151 4.5  Entropie mikroskopisch

. Tab. 4.4 Mikrozustände im Gay-Lussac’schen Überströmversuch für ein Gas mit 20 Molekülen (ntot D 1:048:576) Summe

Anzahl

Wahrscheinlichkeit

20 W 0

1

9;54  107

19 W 1

20

1;90  105

18 W 2

190

1;81  104

...

...

...

8 W 12

125.070

0,120

9 W 11

167.960

0,160

10 W 10

184.756

0,176

...

...

...

Moleküle aus insgesamt n Molekülen ohne Berücksichtigung der Reihenfolge und ohne Wiederholungen auszuwählen. Man nennt diese Zahlen auch die „Binomialkoeffizienten“, da sie unter anderem als Koeffizienten in den binomischen Formeln auftauchen. Für den Fall von 4 Molekülen (n D 4) sind sie: ! ! ! ! ! 4 4 4 4 4 D 1; D 4; D 6; D 4; D 1: (4.37) 0 1 2 3 4 In den folgenden Tabellen sieht man einen dramatischen Anstieg der Anzahl der Mikrozustände (ntot ) mit steigender Anzahl der Moleküle (. Tab. 4.4: 20 Moleküle; . Tab. 4.5: 50 Moleküle; . Tab. 4.6: 100 Moleküle). Entsprechend wird es immer unwahrscheinlicher, dass eine der beiden Hälften des Behälters zufällig leer ist. Bei 100 Molekülen ist dieser spezielle Makrozustand bereits gegenüber einer Gleichverteilung um rund 30 Größenordnungen unterdrückt. Würde man versuchen, realistische Zahlen einzusetzen, beispielsweise 6;022  1023 Moleküle für ein Mol des Gases, so wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich alle Moleküle in einer Hälfte befinden, so klein, dass wir die Zahl gar nicht mehr aufschreiben können. Weicht man nur geringfügig von der Gleichverteilung der Moleküle auf beide Hälften ab, so sinkt die Wahrscheinlichkeit für diese Makrozustände so dramatisch ab, dass man sagen kann, dass sie in der Natur niemals auftreten. In 7 Abschn. 4.3 hatten wir das Beispiel eines Eis diskutiert, das zu Boden fällt und zerbricht. Um zu verstehen, warum sich dieser Prozess nicht umkehren lässt, gehen wir von der allgemeinen Definition der Mikrozustände aus. Der Zustand eines jeden einzelnen Moleküls wird dann durch einen Punkt im Phasenraum dargestellt. Dies schließt den Ort der Moleküle ebenso ein, wie deren Geschwindigkeit.

4

152

Kapitel 4  Entropie

. Tab. 4.5 Mikrozustände im Gay-Lussac’schen Überströmversuch für ein Gas mit 50 Molekülen (ntot D 1:125:899:906:842:624)

4

Summe

Anzahl

Wahrscheinlichkeit

50 W 0

1

8;88  1016

49 W 1

50

4;44  1014

48 W 2

1225

1;09  1012

...

...

23 W 27

1;08  10

0,096

24 W 26

1;22  10

0,108

25 W 25

1;26  10

0,112

...

...

...

... 14 14 14

. Tab. 4.6 Mikrozustände im Gay-Lussac’schen Überströmversuch für ein Gas mit 100 Molekülen (ntot D 1:267:650:600:228:229:401:496:703:205:376) Summe

Anzahl

Wahrscheinlichkeit

100 W 0

1

7;89  1016

99 W 1

100

7;89  1014

98 W 2

4950

3;90  1012

...

...

48 W 52

9;32  10

0,0735

49 W 51

9;89  10

0,0780

50 W 50

1;01  10

0,0796

...

...

...

... 28 28 29

Wir nehmen an, das Ei fiele auf eine Steinplatte. Wir betrachten das Ei und die Steinplatte als abgeschlossenes System. Durch den Fall haben sich die Steinplatte und die Bruchstücke des Eis erwärmt. Die potenzielle Energie des Eis vor dem Fall wurde in (ungeordnete) Wärmebewegung der Moleküle umgewandelt. Wir fragen uns nun, wie viele Mikrozustände es gibt und wie viele von ihnen würden zu einer Umkehrung des beobachteten Prozesses führen? Dabei müssen wir alle Möglichkeiten betrachten, die Moleküle des Eis im System zu platzieren und ihre Geschwindigkeit festzulegen, sofern die Gesamtenergie der Energie vor dem Fall entspricht und ebenso der Gesamtimpuls. Dies sind sehr, sehr, sehr viele. Einen Mikrozustand, der zu einer Umkehrung des Falls des Eis führt, erhalten wir, indem wir nach dem Fall eine hypothe-

153 4.5  Entropie mikroskopisch

. Abb. 4.19 Der Grabstein Ludwig Boltzmanns auf dem Wiener Zentralfriedhof. Über der Büste erkennt man seine Formel. © Wikimedia: Bautsch

tische Momentaufnahme von Steinplatte und zerbrochenem Ei machen, auf der Ort und Geschwindigkeit aller Moleküle erkennbar sind, und dann die Geschwindigkeiten aller Moleküle umdrehen. Würde sich dieser Mikrozustand zufällig einstellen, würden sich die Moleküle des Eis rückwärts bewegen, sich wieder zum Ei zusammensetzen, und das Ei würde zu seinem Ausgangspunkt aufsteigen. Dies ist aber nur ein einziger Mikrozustand (vielleicht klappt es auch noch mit einigen wenigen weiteren, die diesem ähneln). Wir müssen dies vergleichen mit der riesigen Zahl von Mikrozuständen, bei denen nichts passiert. Der Makrozustand, der zu einer Umkehrung des Geschehens führt, ist so unwahrscheinlich, dass wir mit Sicherheit sagen können, dass das Ei nicht wieder aufsteigen wird. Es ist uns nun gelungen, dieses Beispiel eines fallenden Eis sowohl makro- wie auch mikrophysikalisch zu erklären. Makroskopisch sagen wir, „die Natur strebt in den Zustand größter Entropie“, mikroskopisch bedeutet dies, dass die Natur die Zustände mit den größten Wahrscheinlichkeiten annimmt. Ludwig Boltzmann, dessen Namen uns nun schon mehrfach begegnet ist, ist es gelungen, diesen qualitativen Zusammenhang zu quantifizieren (. Abb. 4.19). Wir geben hier lediglich das Ergebnis an: S D k ln W:

(4.38)

Die Entropie S eines bestimmten Zustandes ist gegeben durch den natürlichen Logarithmus der Wahrscheinlichkeit W dieses Zustandes, multipliziert mit einer Konstanten, die wir heute die Boltzmann-Konstante k nennen. Mit W ist hier nicht eine normierte Wahrscheinlichkeit gemeint, sondern die Anzahl der Mikrozustände, die zu dem Makrozustand gehören, dessen Entropie man bestimmt. Man nennt W auch die thermodynamische Wahr-

4

154

Kapitel 4  Entropie

scheinlichkeit3 . Die Wahrscheinlichkeit w im statistischen Sinne wäre dann wD

4.6

4

W : ntot

(4.39)

Der dritte Hauptsatz

In 7 Abschn. 4.2 (Gl. 4.16) hatten wir gezeigt, dass eine Carnot’sche Maschine den Wirkungsgrad

Carnot D

To  Tu To

(4.40)

hat. Betreibt man den Kreisprozess in umgekehrter Richtung als Kältemaschine, so ist der Pumpfaktor: fK D

Tu : To  Tu

(4.41)

Für den Wirkungsgrad hatten wir dann in 7 Abschn. 4.3 gesehen, dass keine Maschine einen höheren Wirkungsgrad haben kann. Mit denselben Überlegungen kann man auch zeigen, dass keine Wärmepumpe einen günstigeren Pumpfaktor haben kann. Stellen Sie sich nun vor, Sie benutzen eine solche optimale Wärmepumpe, um einen Körper immer weiter abzukühlen, um den absoluten Nullpunkt zu erreichen. Betrachtet man allerdings den Pumpfaktor, so fällt auf, dass dieser immer geringer wird, je weiter sich Tu dem absoluten Nullpunkt nähert. Er geht schließlich gegen null, d. h. die Wärmepumpe arbeitet nicht mehr, selbst wenn wir mechanische Arbeit hineinstecken. Daraus schließen wir >Dritter Hauptsatz der Thermodynamik Es ist unmöglich, durch irgendeinen Prozess den absoluten Nullpunkt zu erreichen.

Kühlt man ein Gas immer weiter ab, wird es schließlich fest. Die Moleküle ordnen sich in einem regelmäßigen Gitter an. Sie sind nicht mehr statistisch verteilt, jedes Molekül nimmt einen festen Platz ein. Kühlt man noch weiter ab, so kommt schließlich auch die Bewegung auf den Gitterplätzen zum Stillstand. Am absoluten Nullpunkt muss die kinetische Energie aller Moleküle verschwinden. Ihre Geschwindigkeit ist null, an jedem Gitterplatz befindet sich genau ein Molekül. Es kommt dann nur noch ein einziger Zu-

3

Beachten Sie bitte, dass immer nur Differenzen von Entropien relevant sind und diese sind unabhängig von einer eventuellen Normierung der Wahrscheinlichkeit auf ntot .

155 4.7  Das thermodynamische Gleichgewicht

stand vor, dessen Wahrscheinlichkeit 1 ist. Nach Boltzmanns Gesetz ist die Entropie dieses Zustandes dann null. Dies führt zu einer anderen Formulierung des dritten Hauptsatzes: >Dritter Hauptsatz der Thermodynamik Der Gleichgewichtszustand am absoluten Nullpunkt ist ein Zustand maximaler Ordnung, der nur eine Realisierungsmöglichkeit mit W D 1 hat.

4.7 4.7.1

Das thermodynamische Gleichgewicht Der Gleichgewichtszustand

Wir haben nun vielfältige Zustandsänderungen besprochen. In den meisten Fällen wurden diese dem System von außen aufgezwungen, z. B. indem die Kolben eines Motors bewegt wurden oder indem wir das System von außen heizten. Wir wollen uns nun der Frage zuwenden, welcher Zustand sich im System einstellt, wenn es sich selbst überlassen wird. Wir beschreiben das System durch Größen wie den Druck p, die Temperatur T oder die Innere Energie U . Überlassen wir das System sich selbst, so werden sich diese Größen nach einer gewissen Zeit auf konstante Werte einpendeln. Diesen Zustand nennen wir einen Gleichgewichtszustand. In . Abb. 4.20 ist ein Beispiel dargestellt. In einem verschlossenen Becherglas befindet sich Wasser und darüber Luft. Das Becherglas steht auf einer Heizplatte, die wir einschalten und auf eine Temperatur TH von 80 ı C regeln. Nach einiger Zeit zeigt das Thermometer eine Wassertemperatur TW von 76 ı C an, die sich fortan nicht mehr verändert. Das Gleichgewicht ist erreicht. Im Becherglas befinden sich nun heißes Wasser und darüber heiße Luft und Wasserdampf. Der Wasserdampf ist durch Verdunstung auf dem Weg zum Gleichgewicht entstanden. Bitte beachten Sie, dass das Verdunsten mit dem Erreichen des Gleichgewichtszustands keineswegs beendet ist. Auch im Gleichgewichtszustand werden Wassermoleküle die Flüssigkeit verlassen, um in die Gasphase über der Flüssigkeit überzugehen. Aber ebenso werden Moleküle aus der Gasphase kondensieren, indem sie durch die Oberfläche in die Flüssigkeit eindringen. Im Gleichgewicht treten im Mittel ebenso viele Moleküle aus der Flüssigkeit aus, wie wieder eintreten. Wir sprechen daher von einem dynamischen Gleichgewicht. Bei der Beschreibung eines Gleichgewichtszustands unterscheiden wir zwischen intensiven und extensiven Größen. Unterteilen wir ein System im Gleichgewicht in Teilsysteme, so haben intensive Größen in allen Teilsystemen denselben Wert. In-

. Abb. 4.20 Dynamisches Gleichgewicht zwischen Wasser und Wasserdampf

4

156

4

Kapitel 4  Entropie

tensive Größen sind Größen wie die Temperatur oder der Druck. Unterteilen wir beispielsweise ein Gas in einem Druckbehälter, indem wir eine (virtuelle oder reale) Trennwand einziehen, so herrschen in beiden Teilen des Gases nach der Trennung dieselbe Temperatur und derselbe Druck. Beachten Sie aber, dass dies nur dann der Fall ist, wenn sich das System vor der Trennung im Gleichgewicht befand. Extensive Größen setzen sich dagegen additiv aus den Werten der Teilsysteme zusammen. Dazu gehören beispielsweise das Volumen, die Masse oder die Stoffmenge. Durch geeignete Normierung können wir extensive Größen in intensive Größen überführen. Beispielsweise entsteht aus der extensiven Größe der Stoffmenge durch Normierung auf das Volumen die Konzentration des Stoffs, welche eine intensive Größe ist.

4.7.2

Die Gleichgewichtsbedingung

Die Bedingungen, die den Gleichgewichtszustand eines thermodynamischen Systems festlegen, sind bereits im ersten und zweiten Hauptsatz der Wärmelehre enthalten. Wir wollen sie hier in eine leichter zugängliche Form überführen. Wir gehen zunächst von einem geschlossenen System aus. Den ersten Hauptsatz der Wärmelehre haben wir in 7 Abschn. 2.3 kennengelernt. Er lässt sich formulieren als: d U D dQ  d W D dQ  pdV:

(4.42)

Dabei bezeichnet d U die Änderung der inneren Energie des Systems, dQ die zugeführte Wärme und d W die Arbeit, die das geschlossene System an seiner Umgebung verrichtet. Im zweiten Schritt haben wir angenommen, dass diese Arbeit durch die Ausdehnung des Systems als Volumenarbeit abgegeben wird. Für reversibel geführte Prozesse haben wir die Relation Srev D Qrev =T kennengelernt (Gl. 4.27). Für infinitesimale Zustandsänderungen können wir diese umformulieren in dQrev D T dSrev . Der zweite Hauptsatz (7 Abschn. 4.3) besagt nun, dass für beliebige Prozesse dQ  T dS

(4.43)

gilt, wobei das Gleichheitszeichen nur auf reversibel geführte Prozesse zutrifft. Diese beiden Relationen können wir nun in einer zusammenfassen. Es muss gelten: d U  T dS  pdV:

(4.44)

Von dieser Relation wollen wir ausgehen, um die Gleichgewichtszustände zu untersuchen.

157 4.7  Das thermodynamische Gleichgewicht

Beginnen wir mit Prozessen in einem abgeschlossenen System. Für diese muss dV D 0 und dQ D 0 gelten, woraus d U D 0 folgt. Unsere Relation Gl. 4.44 reduziert sich auf dS 0:

(4.45)

Dies ist aber nichts anderes als die Aussage des zweiten Hauptsatzes, die wir hier zurückerhalten, dass nämlich die Entropie in einem abgeschlossenen System niemals abnehmen kann. Beispiele hierfür sind der Gay-Lussac’sche Überstromversuch (7 Abschn. 4.5) oder die Diffusion eines Farbstofftropfens in einem Wasserglas (7 Experiment 3.6). Die Entropie des Gleichgewichtszustands, der sich am Ende einstellt, ist immer größer als die Entropie des Anfangszustands. Hat das System einen Zustand erreicht, dessen Entropie nicht mehr anwachsen kann, so ist das Gleichgewicht erreicht. Nun sind nur noch reversible Zustandsänderungen möglich, für die dS D 0 gilt. Sie führen auf einen neuen Gleichgewichtszustand, was wiederum besagt, dass das System während einer reversiblen Zustandsänderung immer im Gleichgewicht bleiben muss. Bleiben wir für den nächsten Schritt in unserer Diskussion bei der Betrachtung abgeschlossener Systeme ohne Volumenänderung. Da weder Wärme zugeführt werden kann, noch Arbeit mit der Umgebung ausgetauscht werden kann, muss sowohl dV D 0 als auch dS D 0 gelten. Stellen Sie sich beispielsweise einen isolierten Kolben vor, in dem sich ein Gas unter Normaldruck und Umgebungstemperatur befindet. Zu einem bestimmten Zeitpunkt drücken Sie den Kolben ein und reduzieren das Volumen schlagartig auf ein Viertel des Ausgangsvolumens. Danach überlassen Sie das System mit dem eingedrückten Kolben sich selbst. Welcher Druck und welche Temperatur werden sich im Gas einstellen? Aus unserer Ausgangsrelation (Gl. 4.44) folgt für das Einstellen des Gleichgewichts nachdem der Kolben eingedrückt wurde: d U  0:

(4.46)

In Worten ausgedrückt bedeutet dies, dass ein System bei konstant gehaltener Entropie denjenigen Zustand als Gleichgewichtszustand einnimmt, der die geringste innere Energie besitzt. Beispiele kontinuierlicher Prozesse finden wir in mechanischen Systemen. Da dS D 0 gelten soll, darf im System keine Wärme erzeugt werden. Wir müssen Reibung ausschließen, bzw. annehmen, dass Reibungsverluste vernachlässigbar klein sind. Die Zustandsänderungen in einem solchen System sind reversibel. Folglich gilt sogar das Gleichheitszeichen: d U D 0. Denken Sie an ein Fadenpendel, das reibungsfrei schwingt. Es wird keine Wärme erzeugt, daher ist dS D 0, und es wird keine Arbeit

4

158

Kapitel 4  Entropie

nach außen abgegeben. Die innere Energie des Systems setzt sich aus der kinetischen und der potenziellen Energie des Pendelkörpers zusammen. Die Bedingung d U D 0 führt uns zurück auf den Energiesatz der Mechanik, der besagt, dass in einem abgeschlossenen System die Summe aus der kinetischen und der potenziellen Energie konstant sein muss. Geben wir die Randbedingung eines abgeschlossenen Systems auf und lassen zu, dass das System Energie an die Umgebung abgeben kann, so bedeutet die Relation d U  0, dass sich das System in den Zustand geringster Energie bewegt. Dies ist der Gleichgewichtszustand des Systems. Im Falle unseres Fadenpendels wäre dies der Zustand, in dem der Pendelkörper in der tiefsten Position ruht.

4

Thermodynamische Potenziale

4.8 4.8.1

Freie Energie

Wir wollen die Diskussion, welchen Gleichgewichtszustand ein System einnimmt, weiter vertiefen. Wir betrachten als Nächstes Systeme, bei denen die Temperatur konstant gehalten wird. In . Abb. 4.21 ist ein solches System abgebildet. Sie zeigt Flüssigkeit und Dampf einer Substanz in einem Wärmebad. Das System ist in einen Druckbehälter eingeschlossen, so dass sich beim Phasenübergang der Druck im Behälter verändern wird. Das Volumen ist in diesem Beispiel jedoch konstant. Wir gehen wieder von Gl. 4.44 aus. Es gilt d T D 0, was wir so nicht direkt in die Relation einsetzen können. Wegen d T D 0 gilt folgendes: d.T S/ D T dS C Sd T D T dS:

(4.47)

Wir können also schreiben: d U  d.T S/  pdV ) d.U  T S/  pdV:

(4.48)

Sowohl U als auch T und S sind Zustandsfunktionen. Dann ist auch F D U  T S eine Zustandsfunktion. Man nennt sie die freie Energie. Mathematisch gesehen, ist F eine LegendreTransformierte der Funktion U . Mit der Zustandsfunktion F lässt sich das System in . Abb. 4.21 (dV D 0) durch dF  0

. Abb. 4.21 Phasenübergang in einem Wärmebad in einem Druckgefäß

(4.49)

beschreiben. In Systemen, in denen die Temperatur und das Volumen konstant gehalten werden, laufen spontan nur Zustandsänderungen ab, bei denen sich die freie Energie verringert. Hat die freie Energie ein Minimum erreicht, so wird sich das System nicht weiter verändern. Es befindet sich dann im thermodynamischen Gleichgewicht.

159 4.8  Thermodynamische Potenziale

4

Die Bedeutung der freien Energie erkennen wir, wenn wir die Bedingung des konstanten Volumens aufgeben. Dann gilt: dF  d W ) d W  dF:

(4.50)

Dabei bezeichnet d W die Arbeit, die das System an der Umgebung verrichtet. Die Änderung der freien Energie dF hat das entgegengesetzte Vorzeichen. Verrichtet das System Arbeit an der Umgebung .d W > 0/, nimmt die freie Energie ab. Für reversible Prozesse gilt das Gleichheitszeichen. Für diese wird die Arbeit, die das System verrichten kann, maximal. Die freie Energie gibt folglich an, wie viel Arbeit das System bei isothermen Zustandsänderungen maximal an der Umgebung verrichten kann. Daher der Name freie Energie für die Energie, die bei isothermen Prozessen maximal freigesetzt werden kann. Beachten Sie, dass dF immer kleiner ist als d U . Die Differenz von U und F wird in Wärme umgewandelt und ans Wärmebad abgegeben. Für reversible Prozesse gilt d U D dQ  d W dF D  d W:

(4.51)

Subtrahieren wir die beiden Gleichungen voneinander, erhalten wir: d.U  F / D dQ:

(4.52)

Werden die Prozesse irreversibel geführt, ist die Arbeit, die an der Umgebung verrichtet werden kann, kleiner als jdF j und demzufolge dQ noch größer als im reversiblen Fall.

4.8.2

Enthalpie und freie Enthalpie

Nun wollen wir isobare Systeme betrachten, also solche, bei denen der Druck konstant gehalten wird. In . Abb. 4.22 ist ein derartiges System skizziert. Der Dampf ist über ein U-Rohr an den Umgebungsdruck gekoppelt, so dass der Druck im System auf dem Umgebungsdruck gehalten wird. In unserem speziellen Beispiel sorgt ein Wärmebad für eine konstante Temperatur, was im Folgenden aber nicht für alle Systeme zutreffen muss. Erneut gehen wir von Gl. 4.44 aus. Aus d.pV / D pdV C Vdp folgt für isobare Systeme pdV D d.pV /, womit wir die Ausgangsrelation umschreiben können in: d.U C pV /  T dS:

(4.53)

Die Größe H D U C pV ist wiederum eine Zustandsgröße. Man nennt sie die Enthalpie des Systems.

. Abb. 4.22 Phasenübergang in einem Wärmebad mit Druckausgleich zur Umgebung

160

Kapitel 4  Entropie

Für Systeme, in denen neben dem Druck auch die Temperatur konstant gehalten wird (. Abb. 4.22), lässt sich mit analogen Überlegungen wie in 7 Abschn. 4.8.1 die Gleichgewichtsbedingung ableiten. Es ist dH D d U C pdV C Vdp bzw. d U D dH  pdV  Vdp. Aus Gl. 4.44 folgt dann: dH  T dS C pdV C Vdp  pdV;

4

(4.54)

bzw. mit dp D 0 und d T D 0: dH  d.T S/ ) d.H  T S/  0:

(4.55)

Auch die Funktion G D H  T S ist eine Zustandsfunktion. Man nennt sie die freie Enthalpie oder auch das Gibbs’sche Potenzial nach dem amerikanischen Physiker Josiah Willard Gibbs. Sie beschreibt den Gleichgewichtszustand in Systemen mit konstantem Druck und konstanter Temperatur. In solchen Systemen nimmt die freie Enthalpie im thermodynamischen Gleichgewicht ein Minimum an. Ferner können wir analog zu oben zeigen, dass die freie Enthalpie die maximale Energie bestimmt, die bei isobaren Prozessen freigesetzt werden kann. Beispiel 4.12: Kohlensäure in Getränken

In manchen Getränken ist CO2 gelöst. Es bildet die sogenannte Kohlensäure. Betrachten Sie beispielsweise eine Flasche Bier, die durch einen Kronenkorken verschlossen ist. CO2 entweicht aus dem Bier und sammelt sich unter dem Kronenkorken. Es baut sich ein Druck unter dem Kronenkorken auf. Das typische Geräusch beim Öffnen einer Flasche entsteht durch das Entweichen des Gases aus der Flasche. Bei geschlossener Flasche stellt sich ein Gleichgewicht zwischen dem gelösten CO2 und dem CO2 unter dem Kronkorken ein. Das Gleichgewicht ist temperaturabhängig. Stellen wir die Bierflasche in den Kühlschrank, ist das Lösen des CO2 ein Prozess, der bei konstanter Temperatur und bei konstantem Volumen stattfindet. In einem solchen Prozess bestimmt die freie Energie das Gleichgewicht. Aus dem Bier wird so viel CO2 entweichen, bis die freie Energie ein Minimum angenommen hat. Öffnen wir die Bierflasche, ändert sich die Situation. Jetzt sind nicht mehr T und V konstant, sondern T und p. Es wird sich ein neues Gleichgewicht einstellen, das nun durch ein Minimum der freien Enthalpie bestimmt ist. Wie viel CO2 in diesem Gleichgewicht noch im Bier gelöst bleibt, hängt von den Werten von T und p ab. Belassen wir die Bierflasche nach dem Öffnen im Kühlschrank, so wird mehr CO2 in Lösung bleiben, als wenn wir sie herausnehmen und sie sich auf Raumtemperatur erwärmt.

161 4.8  Thermodynamische Potenziale

Beispiel 4.13: Enthalpie im Joule-Thomson-Prozess

Bei der Verflüssigung von Gasen spielt der Joule-ThomsonProzess eine wichtige Rolle. Wir werden ihn im folgenden Kapitel noch ausführlich diskutieren. Wir wollen hier ein wenig vorgreifen und den Kernprozess hinsichtlich seiner Enthalpie untersuchen. Unsere Skizze zeigt den prinzipiellen Aufbau. Ein Gas wird von links durch eine Fritte gedrückt, so dass es sich entspannt. Die Fritte ist zwar für das Gas durchlässig, hat aber einen hohen Strömungswiderstand, so dass das Gas nur allmählich (reversibel) durch die Fritte strömt. Auf der linken Seite komprimieren wir das Gas auf den Druck p1 , auf der rechten Seite entspannt es sich auf den Druck p2 , der meist dem Umgebungsdruck entspricht. Der Kolben ist isoliert, so dass der Prozess adiabatisch abläuft. Auf der linken Seite wird dem Gas die Arbeit W1 D p1 V1 zugeführt, auf der rechten Seite verrichtet das Gas die Arbeit W2 D p2 V2 an der Umgebung. Insgesamt wird die Arbeit W D p1 V1 C p2 V2 erbracht. Wird das Gas bei konstantem Druck vollständig durch die Fritte gedrückt, so ist V1 D V1 das Ausgangsvolumen auf der linken Seite und V2 D V2 das Endvolumen des Gases auf der rechten Seite. Es ist: U D Q  W D W; da es sich ja um einen adiabatischen Prozess handelt. Setzen wir die Arbeit ein, erhalten wir: U2  U1 D .p1 V1 C p2 V2 / oder U1 C p1 V1 D U2 C p2 V2 : Führen wir die Enthalpie H D U C pV ein, so sehen wir, dass beim Joule-Thomson-Prozess die Enthalpie erhalten bleibt. Es handelt sich um einen isenthalpischen Prozess.

4

162

Kapitel 4  Entropie

Experiment 4.3: Arbeit bei einer Elektrolyse

4

Die freie Enthalpie G bestimmt die bei konstantem Druck und konstanter Temperatur maximal zur Arbeitsleistung verfügbare Energie. Dies gilt nicht nur für thermodynamische Prozesse, sondern auch für chemische Reaktionen. In elektrochemischen Reaktionen lässt sich diese relativ einfach messen. Unser Experiment zeigt eine solche Messung. In zwei Halbzellen, die wir durch je ein Becherglas realisieren, befinden sich die beiden Metalle Silber (Ag) und Blei (Pb). Sie liegen jeweils als Elektrode (Metallstreifen) und in Lösung vor. Als Lösungen verwenden wir Silbernitrat und Blei(II)nitrat in der Konzentration von 1 mol=l. Die beiden Halbzellen sind durch ein Filterpapier, das wir mit Kaliumnitratlösung tränken, elektrisch miteinander verbunden. Während der Reaktion werden auf der Blei-Seite weiter Bleiionen aus der Elektrode in Lösung gehen, während sich auf der anderen Seite Silber aus der Lösung an der Elektrode abscheiden wird. Die Reaktionsgleichung lautet: P b C 2Ag C ! P b 2C C 2Ag: Die Reaktion läuft spontan ab. Die Bleielektrode lädt sich während der Reaktion negativ auf, die Silberelektrode erhält beim Abscheiden der positiven Ionen aus der Lösung eine positive Ladung. Diesen Ladungsunterschied können wir mit einem Messgerät als Spannungsdifferenz registrieren. Würden wir einen Verbraucher anschließen, käme es zu einem Stromfluss durch den Verbraucher, der durch einen Strom durch die Lösungen und das Filterpapier im Inneren der Zelle geschlossen wird. Die Faraday-Konstante F D 96 485 Q=mol gibt an, wie viel Ladung bei einer einwertigen Reaktion pro Mol des Stoffumsatzes freigesetzt wird. Die freie Enthalpie ergibt sich damit als G D nF U: Der Faktor n D 2 zeigt an, dass bei unserer Reaktion jeweils zwei Elektronen pro Reaktion freigesetzt werden. Die Größe U ist die Spannung, die wir ablesen. Wir messen einen Wert von ungefähr U D 0;95 V, was auf eine freie Enthalpie von G  185 kJ=mol führt. Der Literaturwert beträgt 179;5 kJ=mol.

163 4.8  Thermodynamische Potenziale

4.8.3

Zusammenhang zwischen den thermodynamischen Potenzialen

Wir haben nun vier thermodynamische Potenziale kennengelernt: die innere Energie U.S; V /, die freie Energie F .T; V /, die Enthalpie H.S; p/ und die freie Enthalpie oder das Gibbs’sche Potenzial G.T; p/. Mit jedem dieser Potenziale lässt sich ein thermodynamisches System vollständig beschreiben. Das Verhalten des Systems kann in allen Details aus dem jeweiligen Potenzial abgeleitet werden. Der Zustand des Systems ist eindeutig festgelegt, wenn wir die Werte der unabhängigen Variablen, die wir oben bereits angegeben haben, kennen und zudem die Stoffmenge N oder  im System bekannt ist. Alle vier Potenziale sind Energiegrößen. Sie tragen die Einheit Joule. Der Name „Potenzial“ geht auf die Mechanik zurück. In der Mechanik lassen sich die Kräfte durch Ableitung aus dem Potenzial bestimmen. Wie wir gleich zeigen werden, können aus den Ableitungen der Potenziale nach den angegebenen unabhängigen Variablen die abhängigen Variablen bestimmt werden. Die Umrechnung zwischen den verschiedenen Potenzialen nennt man eine Legendre-Transformation. Im mathematischen Anhang (7 Anhang A3.1) haben wir versucht, die Transformation grafisch zu illustrieren. Wir betrachten zunächst als Beispiel die innere Energie U.S; V /. Es genügt, die Werte für S und V anzugeben (unabhängige Variablen), dann sind auch p und T eindeutig bestimmt (abhängige Variablen). Um diesen Zusammenhang aufzuzeigen, betrachten wir das totale Differenzial der inneren Energie. Es ist:     @U @U dU D dS C dV: (4.56) @S V @V S Andererseits haben wir gesehen (Gl. 4.44), dass folgendes gilt: d U D T dS  pdV: Durch Koeffizientenvergleich erhalten wir:     @U @U D T und  D p: @S V @V S

(4.57)

(4.58)

Diese einfache Bestimmung der abhängigen Variablen gelingt nur dann, wenn wir S und V als die unabhängigen Variablen betrachten. Man nennt S und V daher die natürlichen Variablen der inneren Energie. Würden wir statt S und V beispielsweise S und T als unabhängige Variablen ansetzen, so müssten wir Gl. 4.57 umschreiben: dV d T D T dS  Rd T: (4.59) d U D T dS  p dT Im letzten Schritt haben wir V .T / aus dem idealen Gasgesetz benutzt. Die nun abhängige Variable V lässt sich also nicht durch

4

164

Kapitel 4  Entropie

. Tab. 4.7 Die thermodynamischen Potenziale Natürliche Variablen S, V

 @U 

V,T

 @F 

Enthalpie H

S, p

 @H 

Freie Enthalpie G

T,p

Freie Energie U Freie Energie F

4

Abhängige Variablen

@S V

D T,

 @U  @V

S

 @F 

D p

Totale Differenziale d U D T dS  pd V

D p, @T V D S dF D Sd T  pd V   D T , @H DV dH D T dS C Vdp @S p @p S    @G  @G D V dG D Sd T C Vdp @T p D S , @p @V

T

T

Transformation

F D U  TS H D U C pV G D U  TS C pV

eine partielle Ableitung von U.S; T / bestimmen. In . Tab. 4.7 sind die einzelnen Potenziale mit ihren wichtigsten Eigenschaften aufgelistet. Beispiel 4.14: Die innere Energie eines idealen Gases

In 7 Beispiel 4.3 hatten wir die Entropie S.T; V / eines idealen Gases berechnet. Das Ergebnis war:   T V S.T; V / D  CV ln C R ln C S.T0 ; V0 /: T0 V0 Hieraus wollen wir nun die innere Energie ermitteln. Bei einem idealen Gas ist die innere Energie alleine durch die kinetische Energie der Moleküle bestimmt. Es ist U D N E kin . Mit E kin D f kT folgt U D f2 RT . Wir haben hierzu R D NA k und N D NA 2 benutzt. Die Größe f bezeichnet die Anzahl der Freiheitsgrade des Gases. Mit dieser Relation erkennen wir, dass T =T0 D U=U0 gilt. Wir können damit S.T; V / auf S.U; V / transformieren:   U V S.U; V / D  CV ln C R ln C S.U0 ; V0 /: U0 V0 Diese Beziehung können wir nun nach der inneren Energie auflösen. Wir erhalten:     CR V S  S0 V :  U .S; V / D U0 exp CV V0 Dies ist die innere Energie eines idealen Gases dargestellt in ihren natürlichen Variablen. Zur Illustration berechnen wir die abhängigen Variablen nach den in . Tab. 4.7 angegebenen partiellen Ableitungen. Zunächst erhalten wir für den Druck:   @U pD @V S   "    R # S  S0 R 1 V  CV 1 D U0 exp   : CV CV V0 V0

165 4.8  Thermodynamische Potenziale

Es handelt sich hierbei um eine partielle Ableitung bei konstanter Entropie. Sie beschreibt einen adiabatischen Prozess. Multiplizieren wir die Ableitung mit V.R=CV C1/ finden wir: pV

R CV

C1

DpV

RCCV CV

DpV

CP CV

D p  V  D konst:

denn auf der rechten Seite stehen nach der Multiplikation nur noch Konstanten. Diese Relation hatten wir bereits in 7 Abschn. 3.6 kennengelernt. Es ist uns zudem gelungen, die Konstante zu bestimmen. Sie können sie aus der obigen Gleichung ablesen. Die Temperatur ergibt sich aus der folgenden Ableitung:  T D

@U @S

 V

    CR V 1 S  S0 V D U0 exp :  CV CV V0

Dass dies tatsächlich die Temperatur darstellt, können wir überprüfen, indem wir die Ausgangsrelation S.T; V / nach der Temperatur auflösen. Wir bekommen das Ergebnis:  T D T0 exp

S  S0 CV

   CR V V ;  V0

was mit U0 D CV T0 die erhoffte Übereinstimmung anzeigt. Wir wollen nun die innere Energie transformieren. Wir wenden die Legendre-Transformation an, um die freie Energie zu erhalten. Es ist: F .T; V / D U.S.T; V /; V /  T  S.T; V /: Wir haben die Variablen der Funktionen explizit angegeben. Die innere Energie hat die natürlichen Variablen S und V , während die natürlichen Variablen der freien Energie T und V sind. Wir müssen überall die Entropie S durch die Variablen T und V ausdrücken. Um diesen Zusammenhang zu erhalten, gehen wir noch   , die wir oben berecheinmal zurück auf die Relation T D @U @S V net haben. Wir bekommen: 

S  S0 exp CV



 R T V CV D T0 V0

und schließlich: S D CV ln

T V C R ln C S0 : T0 V0

4

166

Kapitel 4  Entropie

Den Zwischenschritt haben wir uns gemerkt, da er die Schreibarbeit erleichtert. Wir setzen nun alles in die LegendreTransformation ein und erhalten:

4

  CR   CR V V T V V   F .T; V / D U0  T0 V0 V0   T V  T  CV ln C R ln C S0 : T0 V0 Dies lässt sich vereinfachen zu:   T V F .T; V / D CV T 1  ln  T S0 :  RT ln T0 V0 Wir haben hier noch U0 D CV T0 verwendet. Dies ist die gesuchte Gleichung, die freie Energie eines idealen Gases. Zur Illustration berechnen wir noch die abhängigen Variablen (siehe . Tab. 4.7):     V T @F C R ln D CV ln C S0 S D @T V T0 V0   @F 1 pD D RT : @V T V Das Ergebnis für die Entropie S stimmt mit der Relation überein, die wir bereits oben erhalten hatten, wenn Sie beachten, dass U=U0 D T =T0 gilt. Die zweite Relation ist das bekannte ideale Gasgesetz, das den Zusammenhang zwischen p und V mit der Temperatur T als Parameter angibt. Würden wir die freie Energie F .T; V / erneut einer LegendreTransformation unterziehen, so müsste uns das zurück auf die Ausgangsfunktion der inneren Energie führen. Es muss gelten: U.S; V / D F .T .S; V /; V / C S  T .S; V /; denn die Legendre-Transformation ist ihre eigene Rücktransformation. Die Rechnung überlassen wir Ihnen zur Übung. Dass jetzt ein C in der Rücktransformation auftritt, statt dem – in der   Hintransformation, liegt lediglich daran, dass T als C @U @S V de @F  finiert ist, während umgekehrt S D  @T V gilt.

4.8.4

Mehrkomponentige Systeme

Bisher haben wir nur Systeme betrachtet, in denen sich eine einzige Substanz befand, die manchmal in zwei Aggregatzuständen

167 4.8  Thermodynamische Potenziale

vorlag. Wir haben diese Systeme durch zwei thermodynamische Variablen beschrieben, z. B. p und T . Strenggenommen hätten wir die Anzahl N der Moleküle noch als weitere Zustandsvariable hinzufügen müssen, z. B. als U.S; V; N /, aber da wir uns immer auf geschlossene Systeme bezogen haben, bei denen N konstant ist, haben wir diese Abhängigkeit nicht explizit angegeben. Betrachten wir Systeme mit variablem N , so führt dies auf eine weitere Zustandsgröße, die Gibbs als chemisches Potenzial bezeichnete. Es gibt die Änderung der inneren Energie aufgrund der Änderung der Teilchenzahl an. Es ist folglich:   @U.S; V; N / (4.60) D @N S;V und d U D T dS  pdV C dN:

(4.61)

Wir können das gesamte Konzept auch auf mehrkomponentige Systeme erweitern, die aus mehreren verschiedenen Substanzen zusammengesetzt sind. Dabei könnte es sich z. B. um Lösungen mehrerer Salze in Wasser oder ein Gemisch mehrerer Gase handeln. In diesen Fällen müssen wir für jede Substanz i eine eigene Teilchenzahl Ni angeben, woraus sich für jede Substanz ein eigenes chemisches Potenzial i ergibt. Es ist:   @U.S; V; Nj / (4.62) i D @Ni S;V;Nj ¤i und d U D T dS  pdV C

X

i dNi :

(4.63)

i

Mit diesem Ansatz können wir beispielsweise die Verteilung der Stoffe in verschiedenen Phasen des Systems wie bei der Destillation, der Osmose oder bei der Gefrierpunkterniedrigung betrachten. Besonders wichtig wird dieser Zugang in der physikalischen Chemie, da er die Behandlung von chemischen Reaktionen im System erlaubt. Wir wollen die Diskussion der thermodynamischen Potenziale an dieser Stelle beenden. Falls Sie Interesse an diesen Themen gefunden haben, verweisen wir Sie auf Lehrbücher der physikalischen Chemie. ?Aufgaben 1. Eine Carnot-Maschine hat ein unteres Wärmereservoir bei Zimmertemperatur (20 ı C). Wie groß ist ihr Wirkungsgrad, wenn das obere Wärmereservoir aus kochendem Wasser besteht (100 ı C)? Welche Temperatur muss das obere Wärmereservoir haben, damit man einen Wirkungsgrad von 90 % erreicht?

4

168

4

Kapitel 4  Entropie

2. Eine verlustfreie Wärme-Kraft-Maschine besitzt einen Wirkungsgrad von 40 % und verrichtet eine Leistung von 2 kW. Welche Wärmeleistung muss dann am unteren Temperaturreservoir abgeführt werden? 3. Bei einer Carnot-Maschine, die zwischen den Temperaturen 100 ı C und 20 ı C arbeitet, wird pro Umlauf eine Wärmemenge von 15 J an das untere Temperaturreservoir abgegeben. Mit welcher Heizleistung muss dem oberen Temperaturreservoir Wärme zugeführt werden, damit die Maschine mit 50 Umläufen pro Sekunde betrieben werden kann? 4. Um ein Haus zu heizen, soll zum einen eine Gasheizung betrachtet werden, bei der die Energie des Gases direkt in Wärme umgewandelt wird, zum anderen eine durch eine von einem Gasmotor angetriebene Wärmepumpe. Der Wirkungsgrad des als Otto-Motor arbeitenden Gasmotors betrage 30 %. Die Wärmepumpe besitze einen Gütegrad von 50 %, dies ist das Verhältnis zwischen dem tatsächlichen Pumpfaktor und dem einer idealen Carnot-Maschine. Wie viel Gas kann gegenüber der normalen Heizung eingespart werden, wenn Wärme von einem Außerreservoir mit der Temperatur 10 ı C auf das Temperaturniveau einer Niedertemperaturheizung von 50 ı C transportiert wird? 5. Eine verlustfreie Wärme-Kraft-Maschine besitzt als Arbeitsmedium ein mehratomiges ideales Gas und nutzt zwei Wärmereservoirs mit den Temperaturen To und Tu (To > Tu ). Der Kreisprozess der Maschine besteht aus folgenden Einzelprozessen: 4 1 ! 2: Isobare Erwärmung von Tu auf To 4 2 ! 3: Adiabatische Expansion von To auf Tu 4 3 ! 1: Isotherme Kompression zum Anfangszustand Wie groß ist der Wirkungsgrad dieser Maschine? 6. Um welchen Betrag nimmt die Entropie von 1 mol eines einatomigen idealen Gases zu, wenn es sich isotherm auf das Doppelte seines Volumens ausdehnt? Wie ändert sich die Entropie, wenn der Übergang isobar stattfindet?

169

Reale Gase Inhaltsverzeichnis 5.1

Zustandsgleichung – 170

5.2

Phasenübergänge – 181

5.3

Sieden und Kondensieren – 186

5.4

Schmelzen und Gefrieren – 198

5.5

Lösungen – 204

5.6

Tiefe Temperaturen – 206

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Roth, A. Stahl, Wärmelehre, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67213-6_5

5

170

Kapitel 5  Reale Gase

5.1

Zustandsgleichung

Bereits Avogadro und seine Kollegen hatten festgestellt, dass sich alle Gase bei genügender Verdünnung gleich verhalten. Hieraus entstand der Begriff des „idealen Gases“. Die Beschreibung dieser Gase gelang durch das ideale Gasgesetz: pV D RT:

(5.1)

Wir hatten es in 7 Abschn. 3.1 eingeführt. Doch was ändert sich, wenn das Gas nicht genügend verdünnt ist? Stellen Sie sich vor, Sie erhöhen den Druck im Gas immer weiter, wobei Sie die Temperatur über ein Wärmereservoir konstant halten (isotherme Kompression). Das Volumen des Gases wird sich entsprechend verringern, mehr sollte nach dem idealen Gasgesetz nicht geschehen. Doch in Wirklichkeit werden Sie einen Punkt erreichen, an dem das Gas sich unter Druck verflüssigt. Diese Phasenumwandlung ist im idealen Gasgesetz nicht enthalten. Es beschreibt alle Substanzen bei beliebigen Werten von Druck und Temperatur als Gase. Doch reale Gase werden bei niedrigen Temperaturen und hohem Druck flüssig und schließlich fest. Tatsächlich verliert das ideale Gasgesetz seine Gültigkeit bereits lange bevor man Bedingungen erreicht, unter denen das Gas kondensiert. Bei der Ableitung des idealen Gasgesetzes in 7 Abschn. 3.3 haben wir zwei Näherungen gemacht, die ihre Gültigkeit verlieren, wenn die Gase nicht mehr hinreichend verdünnt sind. Diese müssen aufgegeben werden. Für das ideale Gasgesetz hatten wir angenommen, dass die Moleküle des Gases punktförmig, d. h. ohne Ausdehnung sind und dass es ausschließlich Wechselwirkung der Moleküle mit den Wänden gibt, nicht aber zwischen den Molekülen. Mit steigender Dichte rücken die Moleküle immer enger aneinander, sodass das Volumen der Moleküle zunehmend an Bedeutung gewinnt und wir die erste Annahme korrigieren müssen. Die Wechselwirkung zwischen den Molekülen ist verantwortlich für die Kondensation und muss daher berücksichtigt werden, wenn wir diese beschreiben wollen. Wir beginnen mit der Korrektur des Eigenvolumens der Moleküle. Ein Molekül habe den Radius r. In der Näherung des idealen Gases hat jedes Molekül ein bestimmtes Volumen zur Verfügung, in dem es sich frei bewegen kann. Um wie viel reduziert es sich, wenn wir die Ausdehnung der Moleküle berücksichtigen? Wie aus der Skizze (. Abb. 5.1) erkennbar ist, ist das Molekül links oben von einem kugelförmigen Volumen (grau) umschlossen, in die das Molekül rechts unten mit seinem Schwerpunkt nicht eindringen kann, sofern wir annehmen, dass die Moleküle sich gegenseitig nicht durchdringen können. Dieses Volumen ist

5

. Abb. 5.1 Zum Eigenvolumen der Moleküle (siehe Text)

Vb D

4 .2r/3 D 8VMolekül : 3

(5.2)

171 5.1  Zustandsgleichung

Allerdings ist dieser Ansatz asymmetrisch. Wir haben angenommen, dass sich das erste Molekül frei im gesamten Gasvolumen bewegen kann. Dann haben wir angenommen, dass das zweite Molekül nicht in das Volumen des ersten eindringen kann. Ihm fehlt also ein Volumen Vb . Dem dritten Molekül versperren das erste und das zweite einen Teil des Volumens. Ihm fehlen 2Vb . Dem vierten fehlen 3Vb und so weiter. Dem letzten fehlt schließlich .N  1/Vb , wenn N die Anzahl der Moleküle im Gas ist. Darüber müssen wir nun mitteln. Für große N steht jedem Molekül im Mittel nur noch ein Volumen von Veff D V 

N 8VMolekül D V  4NA VMolekül D V  b (5.3) 2

zur Verfügung. Man fasst den Term 4NA VMolekül in einer stoffspezifischen Konstante b zusammen, deren Wert man aus den Daten des Stoffes bestimmt. Man nennt die Konstante auch das „Kovolumen“. Es gibt einen zweiten Volumeneffekt (. Abb. 5.2): Der Schwerpunkt der Moleküle kann sich nur noch bis auf den Abstand r einer Wand nähern. Für einen Quader reduziert sich das verfügbare Volumen dadurch von L3 auf .L  2r/3 . Bei einem typischen Molekülradius in der Größenordnung 1010 m ist dieser zweite Effekt allerdings vernachlässigbar. Bei steigendem Druck und tiefen Temperaturen ist die Anziehung zwischen den Molekülen des Gases nicht mehr vernachlässigbar. Im Inneren des Gases sind die Kräfte, die von den Nachbarmolekülen auf ein Molekül ausgeübt werden, isotrop, sodass keine Nettokraft entsteht. An der Oberfläche des Gases stimmt dies allerdings nicht mehr (ein ähnlicher Effekt liegt der Oberflächenspannung zugrunde, die wir in der Mechanik diskutiert haben). Ein Molekül an der Oberfläche erfährt von seinen Nachbarn eine zusätzliche Kraft nach innen. Diese Kraft FW W ist proportional zur Anzahl der Nachbarn, also proportional zur Dichte  D m=V . Summiert man über alle Moleküle der Oberfläche, entsteht eine nach innen gerichtete Kraft, aus der ein Druck pW W hervorgeht. Er ist proportional zur Anzahl der Moleküle an der Oberfläche NO , welche wiederum proportional zur Dichte  ist. pW W / NO FW W /

 m 2 V

! pW W D 

 2a : V2

(5.4)

Die Materialkonstante a nennt man den „Kohäsionsdruck“ des Gases. Wir setzen die beiden Korrekturterme in das ideale Gasge-

. Abb. 5.2 Volumeneffekt an den Gefäßwänden (siehe Text)

5

172

Kapitel 5  Reale Gase

setz ein und erhalten eine neue Gleichung: peff Veff D RT mit Veff D V  b peff D p C

 2a V2

   2a p C 2 .V  b/ D RT: V

5

(5.5)

Man nennt sie die Van-der-Waals-Gleichung, nach dem niederländischen Physiker Johannes Diderik van der Waals. Er erhielt 1910 für diese Arbeiten „über die Zustandsgleichung der Gase und Flüssigkeiten“ den Nobelpreis für Physik. Beispiel 5.1: Betrachtung der Geschwindigkeiten

Wir wollen Ihnen noch einen alternativen Zugang zur Van-derWaals-Gleichung aufzeigen, der die Korrekturen vielleicht noch etwas verständlicher macht. Wir haben in 7 Abschn. 3.2 den Druck durch die Stöße der Gasmoleküle gegen die Wände des Gefäßes erklärt. In nur einer Dimension x ergab sich die gemittelte Kraft, die von einem einzelnen Molekül beim Stoß auf die Wand ausgeübt wird, zu (Gl. 3.9): F x;1 D

1 vp;x  2mv W;x ; 2L

dabei ist v W die mittlere Geschwindigkeit, mit der das Molekül auf die Wand trifft, und vp die mittlere Geschwindigkeit, mit der der Impuls des Moleküls durch das Gas wandert. Wir hatten einen Quader mit dem Volumen V D L3 und den Wandflächen A D L2 angenommen. Multiplizieren wir unsere Gleichung mit der Anzahl der Moleküle NA , so erhalten wir aus p D F=A den Druck. Es ergibt sich: px D

1 NA vp;x  2mv W;x ; 2 V

wobei wir die Moleküldichte n D NA =V eingesetzt haben. Diese Gleichung haben wir noch über die drei Raumrichtungen zu mitteln, was auf einen zusätzlichen Faktor 1=3 führt: pD

1 NA vp  2mv W : 6 V

In einem idealen Gas gilt v D vp D v W . Würden wir diese Relation hier benutzen, wie wir es in 7 Abschn. 3.2 getan haben,

173 5.1  Zustandsgleichung

so führt dies auf Gl. 3.14 und das ideale Gasgesetz. Für reale Gase unterscheiden sich die beiden Geschwindigkeiten aufgrund zweier Effekte, die wir hier berücksichtigen wollen. Betrachten wir zunächst den Impulstransport. Stößt ein Molekül auf seinem Weg durch das Gas mit einem anderen Molekül, so gibt es seinen Impuls teilweise an dieses weiter. Nehmen wir einen zentralen Stoß an, so ist der Impulsübertrag vollständig. In einem idealen Gas mit punktförmigen Molekülen ändert sich durch solche Stöße nichts. Hat das Molekül hingegen einen Radius r, so wird der Impuls beim Stoß nahezu instantan um die Strecke 2r weitergegeben. Dies geschieht im Mittel einmal in der Zeit, in der das Molekül eine mittlere freie Weglänge l zurücklegt. Das Molekül bewegt sich in dieser Zeit um die Strecke l, während der Impuls um die Strecke l C 2r wandert. Also ist:       p p 2r vp D v 1 C D v 1 C 8 2r 3 n D v 1 C 6 2nVMolekül ; l wobei wir im letzten Schritt das Molekülvolumen VMolekül D 4  r 3 eingesetzt haben. Eine Rechnung, die auch nicht-zentrale 3 Stöße berücksichtigt, führt auf: vp D v.1 C 4nVMolekül / 

v : 1  4nVMolekül

Betrachten wir nun die Geschwindigkeit, mit der die Moleküle gegen die Wände stoßen. Diese wird durch die Kräfte FW W zwischen den Molekülen beeinflusst. Zwar mitteln sich die Kräfte aller Nachbarn auf ein Molekül im Inneren des Gases zu null, aber an der Oberfläche verbleibt eine Kraft, die ins Innere des Gases zeigt, die sogenannte Binnenkraft. Diese reduziert die Geschwindigkeit eines Moleküls vor einem Stoß mit der Wand. Wir nehmen an, dass die Binnenkraft FB proportional zur Moleküldichte ist, also FB D fB n. Es ist folglich vW D v 

fB n fB n sB tB D v  : m m v

Wir haben mit tB die Zeit bezeichnet, die das Molekül zum Erreichen der Oberfläche benötigt, und mit sB die Strecke, die es dabei zurücklegt. Diese beiden Geschwindigkeiten setzen wir nun in

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Kapitel 5  Reale Gase

unseren Ansatz ein: 1 NA vp  2mv W 6 V   1 NA 1 fB n sB D v  2m v  6 V 1  4nVMolekül m v

pD

1  2 NA2 fB sB 1 NA 1 mv 2  N A 3 V V2 1  4 V VMolekül 3    2 1 2 N fB sB .V  .4NA VMolekül // ) p 2 V 3 A 2 3 D NA kT D RT: 3 2 

5

Dabei haben wir in der zweiten Zeile n D NA =V eingesetzt und beim letzten Summanden den Term 4nVMolekül D 4NA VMolekül =V gegenüber der eins vernachlässigt. In der dritten Zeile haben wir 12 mv 2 D 32 kT gesetzt. Nun müssen wir nur noch die Terme 4NA VMolekül und 13 NA2 fB sB mit den Konstanten a und b identifizieren und kommen so erneut zur Van-der-WaalsGleichung (Gl. 5.5). Diese Überlegungen zeigen, wie reale Moleküle die Geschwindigkeiten im Gas verändern und dass sich die Van-der-Waals-Gleichung alleine durch diese Veränderungen begründen lässt.

In . Abb. 5.3 ist das Ergebnis unserer Rechnung exemplarisch zu sehen. Der genaue Verlauf hängt von den Konstanten a und b ab, die stoffspezifisch sind. In . Tab. 5.1 sind die Werte für einige Stoffe eingetragen. Auffällig ist das geringe Kovolumen von Helium, das auf die kleinen Heliumatome zurückgeht, und der geringe Kohäsionsdruck der Moleküle. Aufgrund der Edelgaskonfiguration gibt es nur sehr geringe Kräfte zwischen den Atomen. In . Abb. 5.3 sind die Werte für Kohlendioxid verwendet. Für hö-

. Abb. 5.3 Isothermen nach der Van-der-Waals-Gleichung für 1 mol CO2 . Die blauen Linien entsprechen Temperaturen von 240 K bis 400 K mit jeweils 20 K Abstand

175 5.1  Zustandsgleichung

. Tab. 5.1 Kovolumen und Kohäsionsdruck einiger Gase Kohäsionsdruck a Pa m6 =mol2

Kovolumen b l=mol

Helium

0,00345

0,024

Luft

0,136

0,036

Kohlendioxid

0,364

0,043

Wasser

0,557

0,031

here Temperaturen ähneln die Isothermen in der Abbildung den Isothermen, wie wir sie aus der idealen Gasgleichung kennen. Bei niedrigen Temperaturen bildet sich bei etwa 0,1 l ein lokales Minimum aus. Oberhalb des Minimums zeigen die Kurven mit steigendem Volumen einen zum Teil deutlichen Anstieg des Drucks an. Ein solches Verhalten ist unphysikalisch. Erhöht man das Volumen, das einem Gas zur Verfügung steht, so muss der Druck sinken und nicht steigen! Tatsächlich passiert in diesem Bereich etwas anderes. Starten wir bei einem großen Volumen und demzufolge geringem Druck. Hier liegt das Kohlendioxid als Gas vor. Sein Verhalten entspricht näherungsweise einem idealen Gas. Reduziert man das Volumen (isotherm), so steigt der Druck. Erreicht dieser schließlich einen bestimmten Wert, so beginnt das Gas zu kondensieren. Reduziert man das Volumen dann noch weiter, so bleibt der Druck konstant. Ein immer größerer Anteil des Gases wird flüssig. Erst wenn das Volumen so weit reduziert ist, dass das gesamte Gas verflüssigt wurde, steigt der Druck wieder an. Wegen der geringen Kompressibilität der Flüssigkeit ist der Anstieg sehr viel steiler als im Bereich des Gases. Der tatsächliche Verlauf der Isothermen folgt also im mittleren Bereich nicht der Van-der-Waals-Gleichung, sondern muss durch eine waagerechte Linie ersetzt werden. Die Bestimmung der Linie nennt man die „Maxwell-Konstruktion“ (siehe 7 Beispiel 5.3) Beispiel 5.2: Kritischer Punkt

Aus der Van-der-Waals-Gleichung lässt sich der kritische Punkt, das ist der Sattelpunkt in den Isothermen, für einen Stoff bestimmen, sofern man die Konstanten a und b kennt. Oder umgekehrt lassen sich aus den Werten von Temperatur und Volumen am kritischen Punkt die stoffabhängigen Konstanten a und b bestimmen. Dazu wandeln wir die Van-der-Waals-Gleichung in eine Funktionsgleichung p.V / um:   2a RT 2a  2: p C 2 .V  b/ D RT ! p.V / D V V  b V

5

176

Kapitel 5  Reale Gase

Die Kurven bilden im Bereich des Koexistenzgebietes links ein lokales Minimum und rechts ein lokales Maximum aus. Dazwischen befindet sich ein Wendepunkt der Kurve. Mit steigender Temperatur rücken Minimum und Maximum immer näher zusammen, bis sie im kritischen Punkt mit dem Wendepunkt zusammenfallen. Es entsteht ein Sattelpunkt. Aus der Bedingung, dass am Sattelpunkt erste und zweite Ableitung der Funktion verschwinden müssen, lässt sich die Lage des kritischen Punktes bestimmen. Wir haben

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RTcrit 2 2 a dp.V / D C 3 D0 2 dV Vcrit .Vcrit  b/ d 2 p.V / 2RTcrit 6 2 a D  4 D 0: 3 2 dV Vcrit .Vcrit  b/ Aus diesem Gleichungssystem kann man die kritische Temperatur und das kritische Volumen bestimmen. Man erhält 8a 27bR D 3b:

Tcrit D Vcrit

Dies setzt man schließlich in die Van-der-Waals-Gleichung ein und erhält den kritischen Druck: pcrit D

a : 27b 2

Kennt man die Konstanten a und b, ist damit der kritische Punkt bestimmt. Alternativ kann man aus den Werten am kritischen Punkt mit den Relationen die Konstanten a und b bestimmen. Wir setzen die Werte aus . Tab. 5.1 für Kohlendioxid ein und erhalten als kritische Temperatur 301,7 K in guter Übereinstimmung mit dem Literaturwert von 304,1 K. Für den Druck am kritischen Punkt ergeben sich 72,9 bar im Vergleich zum Literaturwert von 73,8 bar.

Beispiel 5.3: Maxwell-Konstruktion

177 5.1  Zustandsgleichung

Wie im Text beschrieben, müssen die Isothermen im Koexistenzgebiet einen horizontalen Verlauf nehmen. Von links kommend fällt die in der Abbildung gezeigte Isotherme steil ab, bis sie beim Punkt A (Volumen VA ) den Siedepunkt erreicht. Von dort aus wird die Isotherme durch eine horizontale Linie (in der Abbildung gepunktet) bis zum Taupunkt (Volumen VD ) fortgesetzt. Ab dem Taupunkt folgt die Isotherme wieder der vander-Waal’schen Gleichung. Am Siedepunkt herrscht der Druck pA , am Taupunkt pD . Um einen horizontalen Verlauf im Koexistenzgebiet zu erreichen, muss gelten pA D pD , wobei man die Drücke aus der Van-derWaals-Gleichung bestimmen kann. Also pA D

2a 2a RT RT  2 D  2 D pD : VA  b VD  b VA VD

Hieraus lässt sich bei gegebenem Volumen VA das Volumen VD bestimmen. Man erhält ab 2  2abVA C aVA2   2 ab  aVA C RT VA2 q  ! a.b  VA / ab 3 C ab 2 VA  abVA2  aVA3 C 4bRT VA3   : C 2 ab  aVA C RT VA2

VD D 

Allerdings bleibt nun noch die Frage zu klären, bei welchem Druck der Siedepunkt erreicht ist. Es sind verschiedene Horizontalen möglich, die den isothermen Abfall der Flüssigkeit mit dem des Gases durch das Koexistenzgebiet verbinden können. James Clerk Maxwell begründete über Energieerhaltung, dass die Flächen unterhalb und oberhalb der Horizontalen gleich groß sind. Die beiden Flächen sind in der Skizze schraffiert und mit A und B bezeichnet. Auch wenn seine Begründung angezweifelt werden kann, stimmt das Ergebnis. Es liefert die korrekte Isotherme im Koexistenzgebiet. Man nennt das Verfahren die „MaxwellKonstruktion“. Mathematisch gesehen bestimmt man aus der Bedingung, dass die beiden Flächen gleich sein müssen, das Volumen VA . Man kann die Bedingung folgendermaßen formulieren ZVD p.V /dV D RT ln.V  b/ C VA

ˇV  2 a ˇˇ D D pA .VD  VA /; V ˇVA

wobei man VD von oben benutzt. Diese Relation löst man am besten numerisch, was dann zu den Werten von VA führt, die in den Diagrammen verwendet wurden. Den Druck pA kann man aus der Van-der-Waals-Gleichung bestimmen.

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5

Kapitel 5  Reale Gase

. Abb. 5.4 Isothermen nach der Van-der-Waals-Gleichung mit MaxwellKonstruktion im Koexistenzgebiet für 1 mol CO2 . Die blauen Linien entsprechen Temperaturen von 240 K bis 400 K mit jeweils 20 K Abstand

Die vollständigen Isothermen von Kohlendioxid nach der Vander-Waals-Gleichung einschließlich der Maxwell-Konstruktion sind in . Abb. 5.4 dargestellt. Das Koexistenzgebiet ist braun unterlegt. In diesem Bereich verlaufen die Isothermen horizontal. Das Kohlendioxid liegt zum Teil als Flüssigkeit und zum Teil als Gas vor. Nähert sich die Flüssigkeit von links dem Koexistenzgebiet, so beginnt sie am Rand des Koexistenzgebietes zu verdampfen. Man nennt diesen Punkt daher den „Siedepunkt“ der Flüssigkeit. Durchläuft das Kohlendioxid das Koexistenzgebiet, so fällt der Anteil der Flüssigkeit von 100 % am linken Rand des Koexistenzgebietes auf 0 % am rechten Rand kontinuierlich ab. Den Punkt am rechten Rand des Koexistenzgebietes nennt man den „Taupunkt“. Hier setzt bei Volumenverringerung die Kondensation ein. Bei höheren Temperaturen verlaufen die Isothermen oberhalb des Koexistenzgebietes. Hier gibt es einen kontinuierlichen Übergang aus der Gasphase in die Flüssigkeit. Die beiden Phasen können nicht mehr voneinander unterschieden werden. Die rote Isotherme berührt das Koexistenzgebiet gerade noch. Sie durchläuft an der Spitze des Koexistenzgebietes einen Sattelpunkt. Diesen Punkt nennt man den „kritischen Punkt“. An diesem Punkt herrscht der kritische Druck, oberhalb dessen man Gas und Flüssigkeit nicht mehr unterscheiden kann. Experiment 5.1: Phasenübergang im Koexistenzgebiet

In einer druckfesten Kapillare befindet sich Ethan. Bei Raumtemperatur ist das Ethan zunächst gasförmig. Über eine Quecksilbersäule kann das Volumen, das dem Ethan zur Verfügung steht, reduziert werden. Der Druck steigt. Schließlich beginnt das Gas zu kondensieren. Reduziert man das Volumen weiter, zeigt ein angeschlossenes Manometer, dass der Druck nicht weiter steigt. In der Kapillare befinden sich Flüssigkeit und darüber Gas. Der

179 5.1  Zustandsgleichung

Flüssigkeitsspiegel ist im Bild zu erkennen. Reduziert man das Volumen, steigt der Druck kurzfristig an, doch dann kondensiert mehr und mehr des Gases. Das verflüssigte Gas nimmt einen deutlich geringeren Raum ein, wodurch sich der Druck wieder reduziert, bis er wieder auf dem ursprünglichen Wert angekommen ist. Reduziert man das Volumen immer weiter, so kondensiert schließlich das gesamte Gas. Versucht man dann das Volumen noch weiter zu reduzieren, so steigt der Druck sprungartig an.

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Experiment 5.2: Kritischer Punkt

In einer Druckkammer befindet sich Schwefelhexafluorid (SF6 ). Bei Raumtemperatur herrscht in der Kammer ein Druck von etwa 20 bar. Die Substanz befindet sich im Koexistenzgebiet. Die Druckkammer hat seitlich zwei Glasscheiben, durch die die abgebildeten Fotos aufgezeichnet wurden. In der Mitte des ersten Bildes sieht man den Flüssigkeitsspiegel als deutliche dunkle Linie. In der unteren Hälfte ist flüssiges SF6 , darüber gasförmiges. Die Kammer wird nun mit Wasserdampf erhitzt. Temperatur und Druck steigen. Die Substanz folgt einer Isochoren durch das Koexistenzgebiet in Richtung auf den kritischen Punkt. Die Bilder 2, 3 und 4 zeigen das Erreichen des kritischen Punktes. Der Flüssigkeitsspiegel, die Trennlinie zwischen Flüssigkeit und Gas, wird immer undeutlicher und löst sich schließlich auf. Der Unterschied zwischen Gas und Flüssigkeit geht verloren. Im letzten Bild ist der kritische Punkt überschritten. Man sieht eine homogene Substanz ohne Phasengrenze in der Kammer. Der kritische Punkt von SF6 liegt bei 45;5 ı C, einem Druck von 37,6 bar und einem Molvolumen von 0;2 l=mol.

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Kapitel 5  Reale Gase

181 5.2  Phasenübergänge

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5.2

Phasenübergänge

Wir haben drei Aggregatzustände oder Phasen eines Stoffes kennengelernt: fest, flüssig und gasförmig. Den Übergang eines Stoffes von einem Aggregatzustand in einen anderen nennt man einen „Phasenübergang“. Die einzelnen Phasenübergänge haben spezielle Namen. Sie sind in . Abb. 5.5 angegeben. Darüber hinaus gibt es noch weitere Aggregatzustände, wie z. B. das Plasma, das bei sehr hohen Temperaturen erreicht wird, wenn die thermischen Energien ausreichen, die Atome des Gases zu ionisieren. Sie bleiben hier unberücksichtigt. Die Phasenübergänge von fest über flüssig nach gasförmig und zurück sind aus dem Alltag bekannt. Ein Stoff kann aber auch direkt aus dem festen Aggregatzustand in ein Gas umgewandelt werden, ohne den Umweg über eine Flüssigkeit. Diesen Prozess nennt man „Sublimation“. Der umgekehrte Phasenübergang, die Resublimation, tritt beispielsweise auf, wenn man gasförmiges

. Abb. 5.5 Bezeichnung der Phasenübergänge zwischen fest, flüssig und gasförmig

5

182

Kapitel 5  Reale Gase

CO2 bei Raumtemperatur von einem hohen Druck auf Umgebungsdruck entspannt. Dies wird in 7 Experiment 5.3 gezeigt. Experiment 5.3: Trockeneis

Um Trockeneis herzustellen, legt man eine Gasflasche mit CO2 waagerecht und kippt schließlich das Ventil ein wenig nach unten, sodass sich flüssiges CO2 im Inneren vor dem Ventil sammelt. Man stülpt einen Jutesack über den Auslass und öffnet das Ventil. Bei der Expansion kühlt sich das CO2 ab und wird fest. Festes CO2 , sogenanntes Trockeneis, sammelt sich im Sack, während Gas durch die Poren entweicht1 . Man gibt etwas Trockeneis auf ein Tuch. Vom Trockeneis steigt Gas auf. Es wandelt sich direkt aus der festen in die gasförmige Phase um, es sublimiert. Es ist keinerlei Flüssigkeit zu erkennen. Das Tuch bleibt trocken.

5

Bei der Beschreibung von Phasenübergängen ist man in der Regel daran interessiert, bei welcher Temperatur und welchem Druck die Umwandlung stattfindet und zwar unabhängig von der eingesetzten Stoffmenge. Daher bietet es sich an, diese Umwandlung in einem Zustandsdiagramm mit den Größen Druck und Temperatur darzustellen. Man nennt es das „Phasendiagramm“ des Stoffes. In . Abb. 5.6 ist ein typisches Phasendiagramm zu sehen. Der Koordinatenursprung ist der absolute Temperaturnullpunkt. Bei niedrigen Temperaturen sind die Stoffe bei geringem Druck gasförmig, bei hohem Druck fest. Dazwischen befindet sich die Phasengrenze der Sublimation und Resublimation. Folgt man dieser Phasengrenze, erreicht man den Tripelpunkt. Bei Drücken und Temperaturen oberhalb des Tripelpunktes tritt auch die

. Abb. 5.6 Phasendiagramm eines typischen Stoffes 1

Bei der Durchführung sollte man Handschuhe und eine Schutzbrille tragen.

183 5.2  Phasenübergänge

. Abb. 5.7 Phasendiagramm in p, V und T . Die Koexistenzgebiete sind hellgrau gezeichnet, A: flüssig & gasförmig; B: fest & gasförmig; C: fest & flüssig

flüssige Phase auf. Sie liegt zwischen der gasförmigen und der festen Phase. Man sieht die beiden Phasengrenzen. Folgt man der Phasengrenze flüssig-gasförmig, so erreicht man schließlich den kritischen Punkt, an dem diese Phasengrenze endet. Das Koexistenzgebiet ist in dieser Darstellung auf die Phasengrenze flüssig-gasförmig zusammengeschrumpft. Um alle Details der Phasenumwandlungen erkennen zu können, müssen wir das Volumen in die Darstellung mit aufnehmen. Es genügt nicht, die zweidimensionale Projektion von Druck und Temperatur zu betrachten. So kommen wir zu den Zustandsflächen. Eine Darstellung finden Sie in . Abb. 5.7. Die Koexistenzgebiete sind grau markiert. Beispiel 5.4: Geysir

Geysire kommen in aktiven vulkanischen Gebieten vor. Eine tiefe, wassergefüllte Kammer wird durch die vulkanische Aktivität stark erhitzt. Über der Kammer befindet sich ein Kanal in Form einer Röhre. Der Eruptionskanal, bzw. Verengungen im Eruptionskanal, spielen eine wesentliche Rolle bei den Eruptionen des Geysirs. Ist keine Verengung vorhanden, bzw. ist sie zu weit, so kann der Wasserdampf ungehindert austreten. Es entsteht eine Dampfquelle oder, sofern der Dampf weit genug abkühlt und kondensiert, eine heiße Quelle. Durch den Kontakt zu heißen Bereichen (Magmakammern) wird das Wasser erhitzt und zum Sieden gebracht. Durch den Druck der Wassersäule, die im Eruptionskanal auf dem Wasser der Kammer steht, siedet das Wasser erst bei einer Temperatur, die den Siedepunkt bei Normaldruck übersteigt (Siedepunktserhöhung). Hat das Wasser diese Temperatur erreicht, steigt Dampf

5

184

5

Kapitel 5  Reale Gase

durch den Eruptionskanal auf. Das Wasser im Kanal wird ausgeblasen, die Wassersäule dabei unterbrochen. Der Druck in der Kammer fällt und mit ihr der Siedepunkt. Nun ist das Wasser überhitzt. Es wandelt sich schlagartig in Dampf um. In der Kammer entsteht ein Überdruck, der durch den Eruptionskanal nach außen schießt und dabei das verbliebene heiße Wasser mitnimmt. Der Geysir bricht aus. Ist das siedende Wasser ausgestoßen, kommt die Eruption zum Ende. Das ausgeblasene Wasser hat sich abgekühlt und in einem Becken um den Eruptionskanal gesammelt. Aus ihm und aus dem umgebenden Gestein fließt Wasser in die Kammer zurück, bis sie wieder gefüllt ist und der Zyklus von Neuem beginnt. Die Bilder zeigen chronologisch einen Ausbruch des Geysirs Strokkurs auf Island. Man sieht, wie Wasser von unten hochgedrückt wird, eine Wasserberg entsteht und dieser dann von nachkommendem Wasserdampf durchstoßen wird. Ein Ausbruch ist nur wenige Sekunden lang und wiederholt sich etwa alle 10 Minuten.

Experiment 5.4: Modell eines Geysirs

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185 5.2  Phasenübergänge

Aus einem Erlenmeyer-Kolben und einer Glasröhre kann man ein Modell eines Geysirs bauen. Beheizt wird er von einer elektrischen Heizplatte. Ein Thermometer im Becherglas erlaubt es, die Temperatur zu verfolgen. Mit einer etwa 1 m hohen Wassersäule kann man genügend Druck erzeugen, um periodische Ausbrüche beobachten zu können. Die Periode beträgt einige Minuten. Allerdings geht beim Ausbruch Wasser verloren2 , sodass der Geysir nach wenigen Ausbrüchen versiegt.

Mit steigender Temperatur nimmt die Geschwindigkeit der Moleküle in einer Flüssigkeit zu. Dies führt in der Regel dazu, dass die Moleküle mehr Raum einnehmen. Die Dichte des Stoffes sinkt. Es gibt allerdings einige wichtige Ausnahmen zu diesem Phänomen. Die wichtigste ist Wasser. Es erreicht seine maximale Dichte bei 3;98 ı C. Kühlt man das Wasser weiter ab, sinkt die Dichte wieder (siehe . Abb. 1.7 und 7 Beispiel 1.9). Am Phasenübergang festflüssig gibt es einen Sprung in der Dichte. Auch dies ist Teil der Dichteanomalie von Wasser: Er geht in die umgekehrte Richtung als bei den meisten anderen Stoffen. Festes Wasser (Eis) ist nicht so dicht wie flüssiges. Dies hat Einfluss auf das Phasendiagramm. Mit steigendem Druck wird die dichtere Phase bevorzugt. Daher verschiebt sich bei den meisten Stoffen die Phasengrenze festflüssig mit steigendem Druck zu höheren Temperaturen hin. Bei Wasser ist es umgekehrt. Dies ist beim Vergleich von . Abb. 5.8 mit . Abb. 5.6 deutlich zu erkennen.

. Abb. 5.8 Phasendiagramm von Wasser

2

Vorsicht vor spritzendem heißem Wasser.

5

186

Kapitel 5  Reale Gase

5.3

5

. Abb. 5.9 Flüssigkeit und Dampf

Sieden und Kondensieren

Stellen Sie sich vor, eine Flüssigkeit befindet sich in einem abgeschlossenen Gefäß auf einer Temperatur T (. Abb. 5.9). Die Luft wurde vor dem Einfüllen der Flüssigkeit in das Gefäß abgepumpt. Dann wird ein Teil der Flüssigkeit verdampfen. Oberhalb der Flüssigkeit bildet sich eine Dampfphase aus, die im Gleichgewicht mit der Flüssigkeit steht. Die Temperatur im Gefäß soll dabei von außen konstant gehalten werden. Den Druck, der sich im Dampf ausbildet, nennt man den „Sättigungsdampfdruck“ pS . Er hängt stark von der Temperatur der Flüssigkeit ab. . Abb. 5.10 zeigt Dampfdruckkurven für einige Stoffe. Die Dampfdruckkurven steigen mit zunehmender Temperatur steil an. Ein Kreuz markiert die Stelle, an der der Dampfdruck den Normaldruck erreicht. Unter Normaldruck wird die Flüssigkeit bei dieser Temperatur zu sieden beginnen. Vergrößert man bei konstanter Temperatur das Volumen über der Flüssigkeit (. Abb. 5.9), so reagiert das System mit zunehmender Verdampfung der Flüssigkeit. Dabei bleibt der Dampfdruck erhalten. Das System verrichtet dabei Arbeit. Ist schließlich die gesamte Flüssigkeit verdampft, ist das Volumen von VF l auf VD angestiegen.

. Abb. 5.10 Dampfdruckkurven von Diethylether, Ethanol und Wasser

187 5.3  Sieden und Kondensieren

Experiment 5.5: Dampfdruck von Äther

Diethylether hat schon bei Raumtemperatur einen relativ hohen Sättigungsdampfdruck. Er beträgt bei Raumtemperatur fast 0,6 bar. Ein Reagenzglas mit Äther wird vorsichtig in einen runden Glaskolben gestellt. Dieser wird verschlossen und über einen Schlauch mit einem wassergefüllten Erlenmeyer-Kolben verbunden. Über ein weiteres Glasrohr kann das Wasser herausgepresst werden. Kippt man das Reagenzglas aus, so verdampft ein Teil des Äthers. Es stellt sich der Sättigungsdampfdruck ein. Dieser addiert sich zum Luftdruck im Kolben und presst über den Schlauch auf die Wasseroberfläche im Erlenmeyer-Kolben. Das Wasser wird in einer Fontäne herausgedrückt.

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5

188

Kapitel 5  Reale Gase

Beim Verdampfen kühlt sich der Äther ab. Wärme wird aus der Umgebung aufgenommen. Diese Wärme liefert die Energie, um das Wasser anzuheben und aus dem Kolben herauszudrücken.

5

Um die Verdampfungswärme  weiter zu untersuchen, betrachten wir einen Carnot’schen Kreisprozess im Koexistenzgebiet (. Abb. 5.11). Er besteht aus zwei Isothermen, die im Koexistenzgebiet als horizontale Linien erscheinen und einem adiabatischen Übergang zwischen den Temperaturen der Isothermen. An den Randpunkten 1 und 4 liegt der Stoff jeweils vollständig als Flüssigkeit vor, bei 2 und 3 vollständig als Dampf. Beginnen wir beispielsweise bei 1, so muss das Volumen vergrößert werden, um nach 2 zu gelangen. Durch ein Ankoppeln an ein Wärmereservoir wird die Temperatur konstant gehalten. Auf dem Weg von 1 nach 2 geht ein zunehmender Anteil der Flüssigkeit in Dampf über. Dabei bleibt auch der Druck konstant. Bei den adiabatischen Übergängen ändern sich hingegen neben der Temperatur auch der Druck und das Volumen. Wir beginnen am linken Rand des Koexistenzgebietes. Der Stoff liegt vollständig als Flüssigkeit vor. Das Volumen ist VF l , der Druck sei p C dp, die Temperatur T C d T . Dies entspricht Punkt 1 in . Abb. 5.11. Nach dem isothermen Übergang nach Punkt 2 ist die Flüssigkeit vollständig verdampft, das Volumen beträgt VD . Bei der anschließenden adiabatischen Expansion sinken Druck und Temperatur auf p bzw. T . Die isotherme Kompression von 3 nach 4 führt zurück zur Flüssigkeit, die dann von 4 nach 1 adiabatisch auf den Druck p C dp und die Temperatur T C d T überführt wird Wir wollen den Wirkungsgrad berechnen. Er ergibt sich als der Quotient aus der netto verrichteten Arbeit und der zugeführten Wärme. Wärme wird bei der isothermen Expansion von 1 nach 2 zugeführt. Dabei verdampft die Flüssigkeit. Bei der zugeführten

. Abb. 5.11 Carnot-Prozess im Koexistenzgebiet

189 5.3  Sieden und Kondensieren

Wärme handelt es sich um die Verdampfungswärme . Bei der Expansion verrichtet das System Arbeit, von der wir die Arbeit abziehen müssen, die bei der isothermen Kompression wieder in das System hineingesteckt wird, also W D .p C dp/.VD  VF l /  p.VD  VF l / D dp.VD  VF l /

(5.6)

und damit

D

dp.VD  VF l / : 

(5.7)

In 7 Abschn. 4.2 hatten wir den Wirkungsgrad eines Carnot’schen Kreisprozesses bereits ausführlich diskutiert. Es stellte sich heraus, dass man ihn alleine durch die Temperaturen der Prozessschritte darstellen kann (Gl. 4.16)

D

T C dT  T To  Tu dT D  : To T C dT T

(5.8)

Setzen wir Gln. 5.7 und 5.8 gleich, so erhalten wir: dp.VD  VF l / dp dT D !DT .VD  VF l /: T  dT

(5.9)

Man nennt diese Relation die „Clausius-Clapeyron’sche Gleichung“. Sie zeigt, dass die Verdampfungswärme proportional zur Differenz der Molvolumina von Flüssigkeit und Dampf und zur Steigung der Dampfdruckkurve ist. Umgekehrt kann man bei bekannter Dampfdruckkurve und Molvolumina daraus die Steigung der Phasengrenze im p-T -Diagramm bestimmen. Die Verdampfungswärme ist eine Form der latenten Wärme, die bei allen Phasenübergängen auftreten kann. „Latent“, zu Deutsch „verborgen“, nennt man sie, da man Wärme zuführen muss, ohne dass sich dabei die Temperatur erhöht. Bei einem Phasenübergang muss nicht notwendigerweise eine latente Wärme auftreten. Man benutzt das Auftreten latenter Wärmen zur Klassifizierung von Phasenübergängen. Tritt eine latente Wärme auf, so spricht man von einem „Phasenübergang erster Ordnung“, falls nicht, heißt er „Phasenübergang zweiter Ordnung“. Das Verdampfen einer Flüssigkeit kann man auf der Basis der kinetischen Gastheorie beschreiben. Dabei müssen allerdings die anziehenden Kräfte zwischen den Molekülen der Flüssigkeit berücksichtigt werden. Im Inneren der Flüssigkeit wirken diese aus allen Richtungen auf ein Molekül und addieren sich somit zu null. Nicht so an der Oberfläche. Hier gibt es nur nach innen gerichtete Kräfte, die ein Molekül am Entweichen aus der Flüssigkeit hindern. Um diese Kräfte zu überwinden und aus der Flüssigkeit

5

190

Kapitel 5  Reale Gase

. Abb. 5.12 Geschwindigkeitsverteilung der Moleküle in einer Flüssigkeit bei zwei verschiedenen Temperaturen

5

entweichen zu können, ist eine gewisse Energie notwendig, die nur aus der Bewegung des Moleküls (kinetische Energie) stammen kann. Auch in Flüssigkeiten stellt sich durch elastische Stöße zwischen den Molekülen eine Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung ein. Diese Verteilung erstreckt sich zu beliebig hohen Geschwindigkeiten hin, sodass es immer Moleküle geben kann, die genügend kinetische Energie besitzen, um aus der Flüssigkeit zu entweichen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit für solch hohe Geschwindigkeiten meist gering ist. Sei vS die minimale Geschwindigkeit zur Überwindung der Anziehungskräfte an der Oberfläche. Dann sieht man in . Abb. 5.12, dass Geschwindigkeiten größer als vS bei jeder Temperatur (außer 0 K) auftreten, allerdings sind sie bei hohen Temperaturen sehr viel häufiger. Die Moleküle mit v > vS können aus der Oberfläche in die darüberliegende Gasphase entweichen. Dadurch steigt der Dampfdruck. Es kann aber auch der umgekehrte Prozess stattfinden. Moleküle aus der Gasphase treffen auf die Grenzschicht und werden in der Flüssigkeit eingefangen. Die Rate ist proportional zum Dampfdruck. Beim Sättigungsdampfdruck stellt sich ein Gleichgewicht ein. Es entweichen genauso viele Moleküle aus der Flüssigkeit, wie aus der Gasphase wieder eingefangen werden. Da bei einer hohen Temperatur sehr viel mehr Moleküle entweichen, stellt sich das Gleichgewicht bei höherer Temperatur erst bei einem höheren Dampfdruck ein. Dieser Anstieg des Sättigungsdampfdrucks mit der Temperatur ist in . Abb. 5.10 zu sehen. Wir sind bisher (. Abb. 5.9) davon ausgegangen, dass sich die Flüssigkeit in einem abgeschlossenen Gefäß befindet. Dann stellt sich das oben diskutierte Gleichgewicht zwischen Flüssigkeit und Dampf ein. In vielen Fällen ist das Gefäß aber nicht abgeschlossen, sodass die Moleküle, die die Flüssigkeit verlassen, gänzlich in die Umgebung entweichen. Der Druck an der Oberfläche der Flüssigkeit ist nun nicht mehr durch den Dampfdruck, sondern durch den Umgebungsdruck gegeben. Ist die Temperatur der Flüssigkeit so gering, dass der Sättigungsdampfdruck unter dem Umgebungsdruck liegt, entweichen nur langsam Moleküle.

191 5.3  Sieden und Kondensieren

Da diese aber gänzlich in die Umgebung entweichen, ist eine Reabsorption dieser Moleküle äußerst unwahrscheinlich. Es stellt sich kein Gleichgewicht zwischen Entweichen und Reabsorbieren ein. Moleküle entweichen immer weiter, bis schließlich die gesamte Flüssigkeit in die Umgebung entwichen ist. Man spricht vom „Verdunsten der Flüssigkeit“, im Gegensatz zum „Verdampfen“ im Gleichgewicht von Gas und Flüssigkeit. Beispiel 5.5: Hecheln

© Foto: Jürgen Stahl

Hunde hecheln, um ihren Körper zu kühlen. Wasser (Speichel) verdunstet von der Zunge und kühlt diese. Über den Blutkreislauf wird der Effekt auf den ganzen Körper übertragen. Das schnelle Atmen (Hecheln) erhöht den Luftstrom über die Zunge und unterstützt die Verdunstung. Außerdem wird mit der warmen Atemluft ebenfalls Wärme abgeführt.

Beispiel 5.6: Kältespray

Kältespray, wie es zum Beispiel im Sport zum Kühlen von Verletzungen eingesetzt wird, basiert auf der Verdunstungskälte. Die aufgesprühte Flüssigkeit verdunstet, entzieht der Haut Wärme und kühlt sie dabei.

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Kapitel 5  Reale Gase

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© wikimedia: Marie-Lan Nguyen (7 CC-BY 3.0)

Da beim Verdampfen die Moleküle mit den höchsten Geschwindigkeiten entweichen, sinkt die mittlere Geschwindigkeit der in der Flüssigkeit verbliebenen Moleküle ab, was nichts anderes bedeutet, als dass sich die Temperatur der Flüssigkeit erniedrigt3 . Das Abkühlen der Flüssigkeit beim Verdunsten nennt man umgangssprachlich „Verdunstungskälte“. Korrekt müsste es „negative Verdampfungswärme“ heißen. Man mag naiv erwarten, dass sich dabei die Form der Maxwell’schen Geschwindigkeitsverteilung ändert. Dies ist aber nicht der Fall. Da die Moleküle ständig aneinanderstoßen, stellt sich immer wieder von Neuem eine Maxwell’sche Verteilung ein.

3

Es sei denn, man führt Wärme von außen zu, um die Temperatur konstant zu halten, wie bei unserem Beispiel am Anfang dieses Kapitels.

193 5.3  Sieden und Kondensieren

Experiment 5.6: Gefrieren durch Verdampfungswärme

Unter einer Vakuumglocke befindet sich eine Schale mit Wasser, in die wir einen Temperatursensor gelegt haben. Wir beginnen die Glocke zu evakuieren. Etwas unterhalb von 100 mbar beginnt das Wasser plötzlich zu sieden. Der Umgebungsdruck in der Glocke ist unter den Dampfdruck des Wassers gesunken. Das Wasser siedet eine Weile. Dabei wird dem Wasser die Verdampfungswärme entzogen. Der Temperatursensor zeigt ein Abkühlen des Wassers an. Dies geht schließlich so weit, dass das Wasser in der Schale einfriert. Man kann die opake Erscheinung des Eises auch durch die Glocke noch deutlich von klarem Wasser unterscheiden. Belüftet man die Glocke und öffnet sie, findet man Eis in der Schale.

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Kapitel 5  Reale Gase

Experiment 5.7: Gefrieren auf der heißen Herdplatte

5

Dieses Experiment können Sie zu Hause selbst durchführen. Es hat ein überraschendes Ergebnis. Sie tropfen vorsichtig etwas Wasser auf eine heiße Herdplatte und mit ein wenig Glück gefriert ein Tropfen zu einem kleinen Eiskristall. Wie kann das sein? Wenn der Wassertropfen auf die heiße Herdplatte fällt, beginnt er an der Oberfläche zu verdampfen. Zwischen dem Wassertropfen und der heißen Herdplatte bildet sich eine Dampfschicht, die den Wassertropfen einigermaßen von der heißen Platte isoliert. Der Tropfen tanzt auf dieser Dampfschicht. Der Tropfen verdunstet weiter, dabei wird ihm Wärme entzogen (Verdunstungskälte). Bleibt der Tropfen lange genug auf der Platte, kann dies zu einer so starken Abkühlung führen, dass er gefriert.

Beispiel 5.7: Schnellkochtopf

In einem Schnell- oder Dampfkochtopf ist das Wasser von der Umgebung abgeschlossen. Beim Erwärmen ist das Ventil zunächst geöffnet. Verdampfendes Wasser verdrängt die Luft im Topf. Dann wird das Ventil geschlossen. Es stellt sich nun der Sättigungsdampfdruck ein. Man kann das Wasser über 100 ı C hinaus erhitzen. Dabei steigt der Druck im Topf über den Umgebungsdruck an. Typisch werden ein Druck von ca. 2 bar und Temperaturen von 120 ı C erreicht. Die Kochzeit wird dadurch deutlich reduziert.

© Foto: Jürgen Stahl

195 5.3  Sieden und Kondensieren

Steigt der Dampfdruck einer Flüssigkeit über den Umgebungsdruck an, so beginnt die Flüssigkeit zu sieden. Die Flüssigkeit geht in die Gasphase über. Dabei können sich auch im Inneren der Flüssigkeit Gasblasen bilden4 . Diese steigen an die Oberfläche auf und entweichen. Die Flüssigkeit siedet. Die Temperatur, bei der das Sieden einsetzt, nennt man den „Siedepunkt der Flüssigkeit“. In einem abgeschlossenen System führt dies zu einem Anstieg des Umgebungsdrucks, bis schließlich das Gleichgewicht von Dampfdruck und Umgebungsdruck erreicht ist. In einem offenen System entweicht der Dampf und das Sieden geht weiter, solange noch Flüssigkeit vorhanden ist und entsprechend Wärme zugeführt wird. Wir haben nun drei Begriffe für den Phasenübergang von flüssig nach gasförmig kennengelernt. Diese sind: Verdampfen: – Man spricht von Verdampfen im abgeschlossenen System, wenn sich Flüssigkeit und Gas im Gleichgewicht befinden. Es stellt sich der Sättigungsdampfdruck ein. Verdunsten: – Dies geschieht im offenen System bei Umgebungsdruck und Temperaturen unterhalb der Siedetemperatur. Moleküle mit hohen Geschwindigkeiten in der Maxwell’schen Verteilung entweichen, die Flüssigkeit kühlt sich durch die Verdunstungskälte ab. Sieden: – In der Regel beobachtet man Sieden in offenen Systemen. Es kann aber auch in abgeschlossenen Systemen auftreten, wenn die Flüssigkeit temporär überhitzt ist. Der Dampfdruck liegt oberhalb des Umgebungsdrucks. Es bilden sich Blasen in der Flüssigkeit, die entweichen. Beispiel 5.8: Wasserkochen im Gebirge

Wasser beginnt zu sieden, sobald der Dampfdruck den Umgebungsdruck übersteigt. Im Gebirge sinkt der Luftdruck mit steigender Höhe (barometrische Höhenformel). Der Dampfdruck erreicht den Umgebungsdruck bereits bei tieferen Temperaturen als auf Meeresniveau. Die Siedetemperatur von Wasser nimmt etwa um 1 ı C pro 300 m Höhe ab. Auf einem 3000 Meter hohen Berg siedet das Wasser bereits bei 90 ı C.

4

Streng genommen müsste man berücksichtigen, dass der Druck in der Flüssigkeit mit der Tiefe zunimmt. Sieden setzt in einer bestimmten Tiefe ein, wenn der Dampfdruck den statischen Druck in dieser Tiefe übersteigt.

5

196

Kapitel 5  Reale Gase

5

Da von der Erde nur wenig Luft in das Weltall entweicht, kann man die Atmosphäre der Erde zusammen mit den Weltmeeren und der Erdoberfläche als abgeschlossenes System betrachten. Aus den Meeren, Flüssen und Seen verdunstet Wasser, bis der Sättigungsdampfdruck bei der jeweiligen Wassertemperatur des Gewässers erreicht ist. Dabei kommt es nicht auf den gesamten Luftdruck an, sondern nur auf den Anteil, der durch die Wassermoleküle in der Luft erzeugt wird. Man nennt dies den „Partialdruck des Wassers in der Luft“. Partialdrücke sind additiv. Das bedeutet, dass die Summe der Partialdrücke aller Bestandteile der Luft den Gesamtdruck ergibt. Tatsächlich wird das Gleichgewicht aus Verdunstung und Kondensation aufgrund von Störungen (Luftbewegungen, Temperaturunterschiede, etc.) in der Atmosphäre nie erreicht. Wir betrachten Luft bei einer festen Temperatur TU . Sie enthält eine bestimmte Menge an Wasserdampf. Ist der Partialdruck des Wassers in der Luft größer als der Sättigungsdampfdruck von Wasser bei dieser Temperatur, so kondensiert Wasserdampf. Es bilden sich Wassertropfen in der Luft. Die Menge an Wasserdampf, die sich in der Luft befindet, nennt man den „Wassergehalt w der Luft“. Er wird in Gramm Wasser pro kg trockener Luft gemessen. Den Punkt, an dem Kondensation einsetzt, nennt man den „Taupunkt“, der zugehörige Wassergehalt ist wS . Der Wassergehalt wird auch als „absolute Feuchtigkeit“ bezeichnet. Die relative Luftfeuchtigkeit 'rel ist das Verhältnis des aktuellen Wassergehalts der Luft zum Sättigungsgehalt: 'rel D

w pH2 O D : wS pS

(5.10)

Da der Sättigungsdampfdruck und damit wS stark von der Temperatur abhängen, ändert sich auch die relative Luftfeuchtigkeit mit der Temperatur. Bei festem Wassergehalt sinkt die relative Luftfeuchtigkeit mit steigender Temperatur.

197 5.3  Sieden und Kondensieren

. Abb. 5.13 Mollier- oder h-x-Diagramm von Luft. Es zeigt den Zusammenhang zwischen Wassergehalt, Luftfeuchtigkeit und Dampfdruck bei unterschiedlichen Temperaturen

In der Grafik in . Abb. 5.13 ist der Zusammenhang zwischen absoluter und relativer Luftfeuchtigkeit und Temperatur zu sehen. Die absolute Luftfeuchtigkeit ist als Wassergehalt x auf der unteren Achse angegeben. Sie gibt an, wie viel Wasser (als Gewicht in g) in einem kg trockener Luft gelöst sind. Auf der linken Achse ist die Temperatur angegeben. Möchte man die relative Luftfeuchtigkeit ablesen, so sucht man den Schnittpunkt der Linie des Wassergehalts mit der gegebenen Temperatur. Die nächstgelegene blaue Linie gibt die relative Luftfeuchtigkeit an. Man sieht beispielsweise, dass ein Wassergehalt von 6 g=kg bei einer Temperatur von 17 ı C einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50 % entspricht. Erwärmt man die Luft auf 20 ı C, sind es nur noch gut 40 %. Die Linie mit 100 % relativer Luftfeuchtigkeit gibt den Taupunkt beim jeweiligen Wassergehalt an, d. h. die Temperatur, bei der Kondensation einsetzt. Hat man beispielsweise eine relative

5

198

Kapitel 5  Reale Gase

Luftfeuchtigkeit von 60 % bei 22 ı C und kühlt man diese Luft ab, so wird etwa bei 15 ı C Kondensation einsetzen. Bei Abkühlung bleibt der Wassergehalt konstant (das Wasser verschwindet ja nicht aus der Luft). Man bewegt sich im Diagramm auf den vertikalen Linien nach unten, bis man die blaue Linie zu 100 % Luftfeuchtigkeit erreicht. Nun kann man die Temperatur ablesen. Im unteren Bereich des Diagramms ist außerdem die Umrechnung des Wassergehaltes in einen Dampfdruck angegeben (grüne Linie).

5

Beispiel 5.9: Kondensation in feuchten Räumen

Hat man in Räumen eine hohe relative Luftfeuchtigkeit, so kann es an kalten Flächen, wie z. B. der Innenseite schlecht isolierter Fenster, zur Kondensation kommen. Die Luft ist dort kühler und sie kann den Taupunkt erreichen. Feuchtigkeit schlägt sich auf der Scheibe nieder.

5.4

Schmelzen und Gefrieren

Erhöht man die Temperatur eines festen Stoffes, so erreicht man schließlich einen Phasenübergang. Bei Normaldruck schmelzen die meisten Stoffe. Bei niedrigerem Druck kann es auch zur Sublimation kommen, d. h. der Stoff geht direkt in den gasförmigen Zustand über. Wir wollen beim Schmelzen bleiben. Die Temperatur, bei der ein Stoff schmilzt, nennt man die „Schmelztemperatur“. Bei dieser Temperatur koexistieren Festkörper und Flüssigkeit. . Tab. 5.2 zeigt einen großen Bereich an Schmelztemperaturen verschiedener Stoffe. Sie erstrecken sich von Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt bis zu einigen Tausend Grad.

199 5.4  Schmelzen und Gefrieren

. Tab. 5.2 Schmelztemperaturen einiger Stoffe Stoff

Schmelztemperatur in ı C

Wasserstoff

259

Stickstoff

210

Quecksilber

38

Wasser

0

Kerzenwachs

~50

Zucker

160

Blei

327

Aluminium

660

Kupfer

1085

Platin

1770

Wolfram

3422

Diamant

3550

Beim Schmelzen bzw. Gefrieren kommt es zu einer Volumenänderung, die allerdings meist geringer ist als die Volumenänderung beim Phasenübergang von Flüssigkeit zum Gas. Bei den meisten Stoffen ist das Volumen der Flüssigkeit größer als das des Festkörpers. Das umgekehrte Verhalten bezeichnet man als „Dichteanomalie“. Bei diesen Stoffen ist am Schmelzpunkt die Dichte der Flüssigkeit höher als die des Festkörpers. Ein wichtiges Beispiel ist Wasser. Da der Volumenunterschied an der Fest-flüssig-Phasengrenze geringer ist als an der Flüssig-gasförmig-Grenze, ist der Verlauf der Fest-flüssig-Phasengrenze im p-T -Diagramm steiler als der der Flüssig-gasförmig-Grenze (siehe . Abb. 5.7). Ferner ist die Druckabhängigkeit der Schmelztemperatur geringer als die der Siedetemperatur. Das Clausius-Clapeyron’sche Gesetz (Gl. 5.9) gilt entsprechend. Es gibt die Schmelzwärme an, die aufgebracht werden muss, um den Festkörper bei konstanter Temperatur (Schmelztemperatur) zu verflüssigen. schmelz D T

dp .VFl  Vfest / dT

(5.11)

5

200

Kapitel 5  Reale Gase

Beispiel 5.10: Schlittschuhlaufen

5

© flickr.com: Jos Dielis (7 CC-BY 2.0)

Unter den Kufen eines Schlittschuhläufers bildet sich ein Wasserfilm, auf dem der Läufer gleitet. Die Kufen der Schlittschuhe werden geschliffen. Dadurch entstehen eine minimale Auflagefläche auf dem Eis und ein entsprechend hoher Druck der Kufen aufs Eis. Unter hohem Druck kann sich Eis verflüssigen und den Wasserfilm bilden. Es gibt einen zweiten Effekt, der die Ausbildung des Wasserfilms unterstützt. Beim Gleiten über das Eis entsteht Reibungswärme. Auch sie bringt das Wasser zum Schmelzen. Was am Ende überwiegt, ist schwierig zu sagen.

201 5.4  Schmelzen und Gefrieren

Beispiel 5.11: Frostsprengung

Wasser dehnt sich beim Gefrieren aus. Dabei wirken enorme Kräfte. Sie können Gefäße zum Platzen bringen und selbst Steine sprengen, wenn das Wasser in kleinen Ritzen gefriert.

© Prof. Dr. Karl Stahr, Bildarchiv Boden

Experiment 5.8: Schmelzen von Eis unter Druck

Wie bereits in 7 Beispiel 5.10 erwähnt, schmilzt Eis unter Druck. Dies liegt an der Dichteanomalie des Wassers. Die Flüssigkeit nimmt ein geringeres Volumen ein als das gefrorene Eis. Daher sinkt die Schmelztemperatur mit steigendem Druck. Es gibt einen eindrucksvollen Versuch, der dieses demonstriert, dessen Interpretation allerdings nicht ganz unproblematisch ist. Man legt eine Drahtschlinge aus möglichst dünnem Draht um einen Eisblock. In die Drahtschlinge hängt man unten ein Gewicht. Das Bild zeigt den Versuchsaufbau. Der Eisblock ist einige Zentimeter dick und liegt auf einer Styropor-Unterlage, um ihn von der Auflage zu isolieren. Am Draht hängen zwei 5kg-Gewichte. Gibt man die Gewichte frei, frisst sich der Draht unter dem Druck der Gewichte langsam von oben nach unten durch das Eis. Das Eis schmilzt unter dem Draht, der Draht sinkt tiefer und darüber friert der Eisblock wieder zusammen. Nach rund einer halben Stunde fallen die Gewichte zu Boden. Der Eisblock ist immer noch intakt.

5

202

Kapitel 5  Reale Gase

5

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Dieses Experiment wird von vielen Autoren als Demonstration des Schmelzens von Eis unter Druck angeführt, wohingegen andere Autoren darauf hinweisen, dass das Schmelzen des Eises auch durch die Wärme geschehen könnte, die von den Gewichten und der Umgebung über den Draht ins Eis eingebracht wird. So liest man beispielsweise auf einer Internetseite: „Das Rätsel löst sich, wenn man statt des Drahtes einen Nylonfaden gleicher Dicke verwendet. In diesem Fall schmilzt das Eis nicht. Nylon ist ein schlechter Wärmeleiter. Man erkennt: im Falle des Metalldrahtes wird das Schmelzen durch die Wärme hervorgerufen, die der Draht von den Gewichten auf das Eis überträgt.“5 Wir haben die Probe mit dem Nylonfaden (Angelschnur) gemacht und konnten beobachten, dass das Eis auch mit einem Nylonfaden schmilzt, wenn auch mit geringerer Geschwindigkeit (das Durchschmelzen dauerte rund doppelt so lange wie mit dem Draht). Man beobachtet ferner, dass der wesentlich biegsamere Nylonfaden gleichmäßig auf der gesamten Breite des Eisblocks aufliegt, während beim Draht der Druck nahe der Ecken deutlich höher ist als in der Mitte. Ist das die Ursache für das schnellere Schmelzen oder doch die Wärmeleitung?

5

7 http://pauli.uni-muenster.de/~munsteg/physik-irrtuemer.html.

203 5.4  Schmelzen und Gefrieren

Ein paar Bemerkungen: 4 Es ist schwierig, identische Eisblöcke herzustellen. Wegen der Lufteinschlüsse streuen die Ergebnisse von Eisblock zu Eisblock. 4 Das Schmelzen hängt empfindlich vom Durchmesser des Drahtes bzw. Fadens ab. Die Wärmeleitung ist proportional zur Querschnittsfläche des Drahtes, der Druck umgekehrt proportional zum Durchmesser. Dünnere Drähte verstärken den Effekt des Schmelzens unter Druck und reduzieren die Wärmeleitung. Draht und Faden liegen an der Seite des Eisblocks an. Ist Wärmeleitung der wesentliche Effekt, so sollte die Wärme an der Seite abgeleitet werden und der Draht sich von der Seite zur Mitte einschmelzen. Dies ist aber nicht der Fall. Er schmilzt sich von oben ein. Was lernen Sie nun aus diesen Bemerkungen? Zunächst ist festzuhalten, dass es beide Effekte (Schmelzen unter Druck sowie Wärmeleitung) gibt und dass beide dazu führen können, dass der Draht oder der Faden sich durchschmelzen. Die Frage ist, welcher der beiden Effekte der entscheidende ist. Diese Frage kann man nicht allgemein beantworten. Die Antwort hängt von vielen Aspekten ab. Zuallererst vom Radius des Drahtes und vom Gewicht. Aber auch Aspekte wie die Temperatur des Eises oder die Elastizität des Drahtes mögen eine Rolle spielen. Je nach Parametern mag man zu einem anderen Ergebnis kommen. Wir sind überzeugt, dass in unserem Experiment das Schmelzen unter Druck überwiegt. Um dies zu überprüfen, haben wir uns folgende Variante des Experimentes überlegt: Wir haben die Gewichte über Nacht ins Gefrierfach gelegt und auf etwa 10 ı C abgekühlt, um die Wärmeleitung zu unterbinden, bzw. umzukehren. Um ein Erwärmen der Gewichte während des Versuches zu verhindern, haben wir sie in einen Topf mit Eiswasser hängen lassen. Man kann sich leicht vergewissern, dass der Auftrieb der Gewichte im Topf so gering ist, dass er keinen Einfluss haben wird. Das Ergebnis: Die kalten Gewichte schmelzen sich in einer Zeit durch den Eisblock, die nur unwesentlich geringer als bei warmen Gewichten ist.

5

204

Kapitel 5  Reale Gase

5.5

5

. Abb. 5.14 Moleküle in einer Lösung

Lösungen

Wir haben uns bisher auf reine Stoffe konzentriert. Im Alltag sind diese allerdings recht selten. Meist treten Mischungen unterschiedlicher Stoffe auf. Im vorausgegangenen Kapitel hatten wir das Konzept des Partialdrucks für Gasgemische erwähnt. Hier wollen wir noch einige Effekte erwähnen, die auf Lösungen von Stoffen in einem flüssigen Lösungsmittel zurückgehen. Als Beispiel mag eine wässrige Kochsalzlösung dienen. Wesentlich wird dabei die Konzentration des gelösten Stoffes sein, die man wahlweise in Gramm pro Liter Lösungsmittel oder in mol=l angibt. . Abb. 5.14 zeigt die mikroskopischen Prozesse beim Verdampfen des Lösungsmittels (blaue Moleküle). Das gelöste Salz (rote Moleküle) hat einen Dampfdruck, der so gering ist, dass wir sein Verdampfen vernachlässigen können. Durch das gelöste Salz ist ein Teil der Oberfläche der Flüssigkeit mit Salzmolekülen belegt. Weniger Lösungsmittelmoleküle gelangen an die Oberfläche und könnten verdampfen. Der Dampfdruck sinkt. Wie wir gelernt haben, beginnt die Flüssigkeit aber erst dann zu sieden, wenn der Dampfdruck den Sättigungsdampfdruck erreicht. Dafür sind nun höhere Temperaturen notwendig als beim reinen Lösungsmittel. Der Siedepunkt ist erhöht. Die Siedepunktserhöhung ist in . Abb. 5.15 im Phasendiagramm zu sehen. Durch das Lösungsmittel wird die Phasengrenze zwischen flüssig und gasförmig um einen Wert T nach rechts verschoben. Bei einem festen Umgebungsdruck siedet die Flüssigkeit damit erst bei höheren Temperaturen. Der Effekt ist proportional zur Menge des gelösten Stoffes. Er hängt stark vom Lösungsmittel, aber nur wenig vom gelösten Stoff ab. Bei Wasser beträgt die Erhöhung 0;51 K pro mol des Stoffes, der in einem Liter Wasser gelöst ist. Durch die Änderung des Dampfdruckes beim Lösen eines Stoffes verschiebt sich die gesamte Phasengrenze flüssiggasförmig im Phasendiagramm. Da der Tripelpunkt auf dieser Phasengrenze liegt, wird auch er zu niedrigerem Druck hin ver-

. Abb. 5.15 p-T -Diagramm einer Lösung (blau) im Vergleich zum reinen Lösungsmittel (grau)

205 5.5  Lösungen

schoben (blauer Punkt in . Abb. 5.15). Wie man im Diagramm sieht, wird dadurch automatisch die Phasengrenze zwischen fest und flüssig zu niedrigeren Temperaturen hin verschoben. Der Schmelz- oder Gefrierpunkt wird erniedrigt. Wie die Siedepunktserhöhung ist auch die Gefrierpunktserniedrigung proportional zur Menge des gelösten Stoffes. Der Effekt ist sogar etwas größer als bei der Siedepunktserhöhung. Bei Wasser beträgt die Erniedrigung des Gefrierpunktes 1,86 K pro mol=l des gelösten Stoffes. Beispiel 5.12: Siedepunktserhöhung Wasser

Löst man Kochsalz in Wasser, erhöht sich die Siedetemperatur. 1 Mol Kochsalz, das sind 55 g oder etwa vier Esslöffel Salz, bewirken eine Erhöhung des Siedepunktes um ein halbes Grad.

Beispiel 5.13: Streudienst

Im Winter wird Streusalz zur Bekämpfung von Schnee- und Eisglätte eingesetzt. Es handelt sich meist um grob gereinigtes Kochsalz. Es erniedrigt den Gefrierpunkt des Wassers, sodass es auch bei Temperaturen unterhalb von 0 ı C nicht gefriert, bzw. wieder auftaut, wenn es bereits gefroren ist.

5

206

Kapitel 5  Reale Gase

5

© Foto: Holger Steffe

5.6 5.6.1

Tiefe Temperaturen Einleitung

Durch thermodynamische Prozesse lassen sich tiefe Temperaturen bis in die Nähe des absoluten Nullpunkts erreichen. Dies ist für viele Experimente entscheidend, bekommt aber mit der Verflüssigung von Gasen auch eine praktische Bedeutung. Gase werden für die Speicherung und den Transport verflüssigt. Hier steht im Vordergrund, ihr Volumen zu reduzieren. Sie werden aber auch verflüssigt, um sie zu reinigen bzw. um Gasgemische, wie die Luft, in ihre Komponenten aufzuteilen. Weiterhin werden sie als Kühlmedium eingesetzt, z. B. um supraleitende Magnete zu kühlen. Wir wollen Ihnen hier einen ersten Einblick in die Technik der Gasverflüssigung geben und dann beispielhaft auf einige Verfahren eingehen, mit denen sich die Temperatur noch weiter verringern lässt. Gase verflüssigen sich, wenn wir sie unter ihre Siedetemperatur abkühlen, wobei zu beachten ist, dass die Siedetemperatur vom Druck abhängt. Sie sind bei Raumtemperatur und Normaldruck gasförmig. Gerade deshalb bezeichnen wir sie als Gase. Um sie zu verflüssigen, müssen wir sie abkühlen und/oder komprimieren. . Abb. 5.16 zeigt die Dampfdruckkurven einiger gängiger Gase. Verschieben wir Druck und Temperatur so weit nach links oder nach oben, dass wir die Dampfdruckkurve überschreiten, verflüssigt sich das Gas.

207 5.6  Tiefe Temperaturen

. Abb. 5.16 Dampfdruckkurven einiger Gase

Die adiabatische Expansion gegen einen Außendruck bietet eine Möglichkeit, Gase abzukühlen. Befindet sich das Gas in einem Kolben unter einem Druck p und expandiert es gegen diesen Druck um das Volumen dV, so verrichtet das Gas die Arbeit pdV. Bei einem adiabatischen Prozess kann diese Arbeit nur aus der inneren Energie U des Gases gespeist werden, welche sich dabei um pdV verringert. Das Gas kühlt sich ab. Leider ist dieses Verfahren für sich alleine genommen nicht praktikabel, denn es setzt voraus, dass das Gas bereits auf einen Druck komprimiert ist, der über dem Umgebungsdruck liegt. Es ist nicht möglich, das Gas dadurch abzukühlen, dass man es zunächst von Raumtemperatur und Umgebungsdruck ausgehend komprimiert, um es anschließend durch adiabatische Expansion abzukühlen. Bei der Kompression erwärmt sich das Gas mindestens um ein ebenso großen Betrag T , um den es sich bei der anschließenden Expansion wieder abkühlt. Denkbar ist es allerdings, das Gas zu komprimieren, dann durch Wärmekontakt mit der Umgebung wieder auf Umgebungstemperatur abzukühlen, um es anschließend durch eine adiabatische Expansion weiter zu kühlen. Auf dem soeben beschriebenen Prozess basieren Wärmepumpen. Können Sie den Prozess in 7 Beispiel 4.2 wiederfinden? Der Kompressor komprimiert das Kühlmittel, im Kondensator wird es auf Raumtemperatur abgekühlt, wobei es Wärme an die Umgebung abgibt. Dann gelangt es durch die Drossel in den Innenraum. Dabei expandiert es und kühlt sich soweit ab, so dass es im Verdampfer Wärme aus dem Innenraum des Kühlschranks aufnehmen kann. Das Arbeitsmedium wird dabei im Kondensator immer wieder aufs Neue verflüssigt. Bringen wir ein Gas in Kontakt mit dem kalten Verdampfer, so lässt es sich verflüssigen, sofern sein Siedepunkt oberhalb der Temperatur des Verdampfers liegt. Wir können mit der Wärmepumpe das Gas auch direkt verflüssigen, indem wir es als Arbeitsmedium einsetzen. Dabei ist es nicht wichtig, dass der Kreislauf geschlossen ist. Wir können,

5

208

Kapitel 5  Reale Gase

wie in . Abb. 5.17 dargestellt, mit dem Kompressor frisches Gas ansaugen und verdichten, im Kondensator auf Raumtemperatur abkühlen und durch die Expansion in der Drossel verflüssigen, wonach wir es lagern oder weiterverwenden können.

5.6.2

5

. Abb. 5.17 Einfache Anordnung zur Verflüssigung eines Gases

Joule-Thomson-Effekt

Wir hatten im vorhergehenden Abschnitt besprochen, dass sich Gase abkühlen, wenn sie expandieren und dabei Arbeit an der Umgebung verrichten. Wir wollen uns nun mit dem Fall beschäftigen, dass das Gas bei der Expansion keine Arbeit verrichtet. In 7 Abschn. 4.5 hatten wir bei der Einführung eines mikroskopischen Bildes der Entropie ausführlich den Gay-Lussac’schen Überstromversuch behandelt. In diesem Experiment expandiert das Gas aus der einen Hälfte des Gefäßes in das gesamte Volumen ohne Arbeit zu verrichten, da es ins Vakuum expandiert. Gay und Lussac hatten bei der Durchführung die Temperatur kontrolliert und keine Änderung festgestellt. Bei genaueren Messungen stellten James Prescott Joule und William Thomson (der spätere Lord Kelvin) dann doch eine Abkühlung des Gases fest. Wir nennen diese Temperaturänderung heute den Joule-Thomson-Effekt. Tatsächlich tritt eine Temperaturänderung nur bei der Expansion realer Gase auf. Die Expansion ist adiabatisch zu führen, so dass die innere Energie sich nicht verändert. Bei realen Gasen treten anziehende Kräfte (Van-der-Waals-Kräfte) zwischen den einzelnen Molekülen auf. Bei der Expansion entfernen sich die Moleküle im Mittel voneinander. Dabei ist Arbeit gegen diese Kräfte zu verrichten. Die Energie hierfür kann nur aus der Bewegung der Moleküle stammen. Die potenzielle Energie des Gases erhöht sich auf Kosten der kinetischen Energie. Dadurch sinkt die Temperatur. Diese Energie lässt sich aus dem Binnendruck a=V 2 , den wir aus der Van-der-Waals-Gleichung (Gl. 5.5) kennen, berechnen: ZV Epot D 1

a a 0 : 0 2 dV D  V V

(5.12)

Allerdings ist zu beachten, dass die Kräfte zwischen den Molekülen zwar bei größeren Abständen anziehend wirken, nicht aber bei sehr kleinen Abständen, wenn die Moleküle beginnen, sich gegenseitig zu durchdringen. In diesem Bereich stoßen sich die Moleküle stark ab und der Effekt dreht sich um. Aus der Abkühlung bei Expansion wird eine Erwärmung. Geringe Abstände treten bei sehr hohem Druck und hohen Temperaturen auf. Diese müssen wir vermeiden, wenn wir das Gas abkühlen wollen. In 7 Experiment 5.9 wird der Joule-Thomson-Effekt demonstriert. Das Gas, in diesem Fall Kohlendioxid, wird mittels des lin-

209 5.6  Tiefe Temperaturen

ken Kolbens durch die poröse Engstelle gepresst. Links herrscht der Druck p1 . Folglich wird dem Gas die Arbeit W1 D p1 V1 zugeführt. Rechts der Drossel expandiert das Gas. Dabei gibt es die Arbeit W2 D p2 V2 an den rechten Kolben ab, der dadurch nach außen geschoben wird. Da es sich um einen adiabatischen Prozess handelt, gilt Q D 0. Für die innere Energie gilt folglich: U D U2  U1 D Q  W D p1 V1  p2 V2 :

(5.13)

Dies lässt sich umformen zu: H D U1 C p1 V1 D U2 C p2 V2 D konst:

(5.14)

Die Größe H ist die Enthalpie, die wir im Abschnitt über das thermodynamische Gleichgewicht (7 Abschn. 4.7) eingeführt hatten. Sie ist in diesem Prozess erhalten. Experiment 5.9: Joule-Thomson-Effekt

Mit dieser einfachen Apparatur lässt sich der Joule-ThomsonEffekt an Kohlendioxid demonstrieren. Die Inversionstemperatur von CO2 , das ist die Temperatur, unterhalb derer der JouleThomson-Effekt bei Normaldruck zu einer Abkühlung führt, liegt oberhalb der Raumtemperatur bei etwa 2000 ı C. Das Gas muss nicht vorgekühlt werden. Wir entnehmen das Gas einer Druckflasche über einen Druckminderer, der es auf den Druck p1 regelt. Da es sich dabei bereits abkühlt, wird das Gas zunächst durch einen Wärmetauscher geleitet, der es wieder auf Raumtemperatur T1 bringt. Dann wird es links in den Kolben eingeleitet, der beidseitig mit einem Stempel verschlossen ist. Das Volumen zwischen den Stempeln ist mit einer Drossel in zwei Teilvolumen unterteilt. Im linken Teilvolumen herrscht der Ausgangsdruck p1 . Er kann mit einem Manometer nachgemessen werden. Außerdem befindet sich im Stempel ein Temperatursensor, der die Temperatur T1 anzeigt. Durch die Drossel expandiert das Gas ins rechte Volumen. Der rechte Stempel ist der Umgebung ausgesetzt, so dass sich rechts der Umgebungsdruck p2 einstellt. Bei der Expansion durch die Drossel kühlt sich das Gas durch den Joule-Thomson-Effekt auf die Temperatur T2 ab, die am Temperatursensor im rechten Stempel gemessen werden kann. Als Drossel setzen wir eine sogenannte Fritte ein. Dies ist ein Vorprodukt der Glasherstellung. Sie wird aus Glasperlen gesintert. Es entsteht ein festes, poröses Material, durch dessen Poren sich das Gas langsam entspannt. Mit dem Versuch lässt sich der Joule-Thomson-Koeffizient von CO2 messen. Er gibt an, wie stark sich ein Gas bei gegebenem Druckunterschied abkühlt. Für CO2 beträgt er bei Raumtemperatur 1;1 K=bar.

5

210

Kapitel 5  Reale Gase

5 5.6.3

Gasverflüssigung

Um die Abkühlung beim Joule-Thomson-Prozess zu berechnen, müssen wir auf die Zustandsgleichung des Gases Bezug nehmen. Hierfür ist die Van-der-Waals-Gleichung zu verwenden (Gl. 5.5), denn – wie wir gleich sehen werden – tritt bei idealen Gasen keine Abkühlung auf. Wir lösen die Van-der-Waals-Gleichung nach p.V / auf: p.V / D

RT  2a  2 V  b V

(5.15)

und berechnen damit die Enthalpie:  H D U C pV D  f2 RT   2 Va C VRT  b   f V 2 2a D RT  2 C V b   V ;

2a V2

 V

(5.16)

wobei wir die kinetische Energie des Gases mit 12 fRT angegeben haben und für die potenzielle Energie das Ergebnis aus Gl. 5.12 verwendet haben. Da die Enthalpie beim Joule-Thomson-Prozess erhalten bleibt, muss gelten: dH .V; T / D

@H @H dV C d T D 0: @V @T

(5.17)

Hieraus lässt sich die Temperaturänderung d T berechnen. Wir erhalten: dT D

 2 bRT .V b/2

 R  f2

  2 V2a2  dV: C V V b

(5.18)

Unser Ergebnis wird übersichtlicher, wenn wir das Kovolumen b der Moleküle gegenüber dem Gesamtvolumen V vernachläs-

5

211 5.6  Tiefe Temperaturen

. Tab. 5.3 Kenngrößen einiger Gase Gas

Helium

Kritischer Punkt

Siedetemp. bei patm

Van-der-Waals Koeffizienten

Inversionstemperatur

TK in K

pK in MPa

TS in K

a in Nm4 =mol2

b in 106 m3 =mol2

TI in K

5;2

0;0227

4;21

0;0033

23;7

35;1

0;1315

20;38

0;025

26;6

222

Wasserstoff 33;19 Stickstoff

126;19

0;3396

77;35

0;136

39

852

Sauerstoff

154;60

0;5046

90;18

0;137

31;7

1043

Methan

190;56

0;4599

111;6

0;364

42;7

1286

CO2

304;13

0;7377

194;7

0;365

42;6

2053

Wasser

647;10

2;2064

373;2

0;557

31

> 1000

sigen, was meist eine gute Näherung darstellt:  2 bRT   2 2a  dT   dV: f C 1 RV 2 2

(5.19)

An dieser Stelle erkennen wir, dass sich für ideale Gase (a D b D 0) keine Abkühlung ergibt, denn es wird d T D 0. Für reale Gase erhalten wir eine Abkühlung, wenn der Zähler des Koeffizienten negativ wird, d. h. für  2 bRTI  2 2a < 0

)

TI