Mechanik - Experimentalphysik – anschaulich erklärt [2 ed.] 9783662643648, 9783662643655

About this book Das modern gestaltete Lehrbuch zur Experimentalphysik lädt Studierende der Physik und der Nachbardiszip

263 87 20MB

German Pages XVI, 664 [665] Year 2022

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Mechanik  - Experimentalphysik – anschaulich erklärt [2 ed.]
 9783662643648, 9783662643655

Table of contents :
Vorwort zur zweiten Auflage
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Experimente
I Einleitung
1 Was ist Physik?
2 Physikalische Größen
2.1 Definition
2.2 Die Grundgrößen
2.3 Die Länge
2.4 Die Zeit
2.5 Die Masse
2.6 Die Winkelmaße
2.7 Schreibweisen
3 Messfehler
3.1 Messwert
3.2 Statistische Interpretation
3.3 Fehlerfortpflanzung
3.4 Systematische Fehler
4 Methodik
4.1 Physikalische Theorien
4.2 Wissenschaftliche Methode
4.3 Geltungsbereich der klassischen Physik
II Mechanik der Massenpunkte
5 Kinematik des Massenpunktes
5.1 Der Massenpunkt
5.2 Bezugssysteme
5.3 Gleichförmige Bewegung
5.4 Ungleichförmige Bewegung
5.5 Beschleunigung
5.6 Der freie Fall
5.7 Wurfbewegung
5.8 Kreisbewegung
6 Dynamik eines Massenpunktes
6.1 Der Trägheitssatz
6.2 Das Grundgesetz der Mechanik
6.3 Das Reaktionsprinzip
6.4 Superposition von Kräften
6.5 Messung von Kräften
7 Arbeit und Energie
7.1 Arbeit und Leistung
7.2 Energie
7.3 Energieerhaltung
7.4 Symmetrien
8 Impuls
8.1 Impulserhaltung
8.2 Massenmittelpunkt
8.3 Stoßprozesse
8.4 Systeme mit veränderlicher Masse
8.5 Der Kraftstoß
9 Reibung
9.1 Allgemeines
9.2 Haftreibung
9.3 Gleitreibung
9.4 Rollreibung
10 Scheinkräfte
10.1 Überblick
10.2 Gleichförmig beschleunigte Bezugssysteme
10.3 Zentrifugalkraft
10.4 Coriolis-Kraft
10.5 Absolute Bewegung?
11 Himmelsmechanik
11.1 Das erste Kepler'sche Gesetz
11.2 Das zweite und dritte Kepler'sche Gesetz
11.3 Das Gravitationsgesetz
11.4 Schwere und träge Masse
11.5 Potenzial und potenzielle Energie
III Der starre Körper
12 Der starre Körper
12.1 Definition
12.2 Das Drehmoment
12.3 Der Schwerpunkt eines Körpers
12.4 Der Hauptsatz der Statik
12.5 Statik starrer Körper
13 Drehbewegungen
13.1 Der Drehimpuls
13.2 Rotation um eine feste Achse
13.3 Drehimpulserhaltung
13.4 Rollbewegungen
13.5 Kreiselbewegung
13.6 Der Trägheitstensor
13.7 Rotation um freie Achsen
13.8 Gegenüberstellung
IV Elastische Körper
14 Elastomechanik
14.1 Dehnungselastizität
14.2 Biegung
14.3 Kompression
14.4 Scherung
14.5 Finite-Elemente-Methode
15 Hydro- und Aerostatik
15.1 Der Druck
15.2 Kompressibilität
15.3 Schweredruck
15.4 Auftrieb
15.5 Grenzflächen
16 Hydro- und Aerodynamik
16.1 Beschreibung von Strömungen
16.2 Die Kontinuitätsgleichung
16.3 Strömung idealer Fluide
16.4 Innere Reibung
16.5 Laminare Strömungen
16.6 Turbulente Strömungen
16.7 Strömungswiderstand
16.8 Dynamischer Auftrieb
V Schwingungen und Wellen
17 Schwingungen
17.1 Harmonische Schwingungen
17.2 Gedämpfte Schwingungen
17.3 Erzwungene Schwingungen
17.4 Gekoppelte Schwingungen
17.5 Stehende Wellen
18 Wellen
18.1 Harmonische Wellen
18.2 Wellengleichung
18.3 Wellenpakete
18.4 Energiedichte und Energietransport
18.5 Reflexion und Interferenz
19 Akustik
19.1 Schallwellen
19.2 Schallempfinden
19.3 Bewegte Schallquellen
19.4 Musikinstrumente
Serviceteil
A1 Liste der Symbole
A2 Lösungen der Aufgaben
A3 Mathematische Einführung
Stichwortverzeichnis

Citation preview

Stefan Roth Achim Stahl

Mechanik Experimentalphysik – anschaulich erklärt 2. Auflage Mit Rabattcode zum Online-Kurs

Mechanik

www.iversity.org

Jetzt auch als Online-Kurs:

Experimentalphysik | Mechanik Von Prof. Dr. Stefan Roth und Prof. Dr. Achim Stahl

Wir machen dich fit für die Prüfung in der Experimentalphysik 1 | Mechanik! Dieser Onlinekurs fokussiert sich thematisch auf Inhalte, die im Rahmen einer etwa vierstündigen Vorlesung gelehrt und geprüft werden. Er basiert auf dem erfolgreichen Springer-Lehrbuch „Mechanik | Experimentalphysik - anschaulich erklärt“. Passend zum Buch gibt dir der Kurs die Möglichkeit die Inhalte der Experimentalphysik | Mechanik zu vertiefen und zu festigen: ✓ Videos mit anschaulichen Erklärungen ✓ Knappe Texte zum übersichtlichen Lernen ✓ Quizfragen & Lernkarten ✓ Zusammenfassungen & Wiederholungen ✓ Übungs- & Klausuraufgaben Jetzt informieren und anmelden unter studybuddy.iversity.org!

30% Rabatt für Sie als Buch-Käufer!

Einfach Rabatt-Token* 4BD0-8HFJ-E2FG im Kaufprozess auf iversity.org angeben. *Code ist gültig bis zum 31.12.2024. Bild: © maksymbondarenko / stock.adobe.com

Stefan Roth  Achim Stahl

Mechanik Experimentalphysik – anschaulich erklärt 2. Auflage

Stefan Roth RWTH Aachen Aachen, Deutschland

ISBN 978-3-662-64364-8 https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5

Achim Stahl RWTH Aachen Aachen, Deutschland

ISBN 978-3-662-64365-5 (eBook)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2016, 2022 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Lisa Edelhäuser Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

V Vorwort zur zweiten Auflage

Vorwort zur zweiten Auflage Dieses Buch wendet sich an alle, die gerne die Grundlagen der Experimentalphysik erlernen wollen. Es ist aus der Vorlesung „Experimentalphysik 1“ entstanden, die wir für unsere Studienanfänger im Fach Physik an der RWTH Aachen gehalten haben. Wir haben versucht, den Spaß, den uns diese Veranstaltung mit ihren vielen Experimenten macht, einzufangen und weiterzugeben. Wir hoffen, dies ist einigermaßen gelungen. Manche dieser Experimente können Sie selbst nachmachen. Versuchen Sie es! Das macht erst richtig Spaß. Doch mit Experimenten alleine ist es nicht getan. Sie müssen sich mit den Modellvorstellungen und Erklärungsweisen der Physik auseinandersetzen. Das Buch will Sie auch dabei unterstützen. Dieses Buch stellt den ersten Band einer Reihe über die Experimentalphysik dar. Das Thema dieses Bandes ist die klassische Mechanik. Was die Bezeichnung „klassisch“ in diesem Zusammenhang bedeutet, werden Sie in 7 Kap. 4 sehen. Das Buch ist in fünf Teile unterteilt. In der ersten Auflage war in diesem Band noch die Wärmelehre enthalten. Obwohl das überraschend erscheinen mag, gibt es gute Argumente dafür, die Wärmelehre zur Mechanik dazuzurechnen und sie mit ihr zusammen zu behandeln. In der zweiten Auflage haben wir sie aus Platzgründen in einen eigenen Band ausgelagert. Der Band der Mechanik wäre sonst zu umfangreich geworden. Diese fünf Teile des Bandes sind 1. Einleitung: Hier wollen wir einige grundlegende Dinge über Physik besprechen. 2. Mechanik der Massenpunkte, wo wir Bewegungen kennen- und erklären lernen, zunächst noch für den einfachen Fall von Körpern, die wir als Punkte approximieren. 3. Mechanik starrer Körper: Hier wollen wir die Näherung der Massenpunkte aufgeben und uns mit ausgedehnten Körpern beschäftigen. 4. Elastische Körper, wo wir schließlich Deformationen der vormals starren Körper zulassen. In diesem Teil können wir neben den Festkörpern auch Flüssigkeiten und Gase behandeln. 5. Schwingungen und Wellen: Dies ist ein wichtiges Thema, das sich in allen Bereichen der Physik wiederfindet. Daher haben wir ihm einen eigenen Teil gewidmet. Für das Verständnis des Buchs ist ein besonderes Vorwissen über Physik nicht erforderlich. Selbst das Schulwissen Physik wird größtenteils wiederholt. Allerdings setzen wir Schulkenntnisse in Mathematik voraus. Sollten Sie hier Schwierigkeiten haben, so bieten wir Ihnen im Anhang („Mathematische Grundlagen“) eine kleine Hilfestellung an. Sollte auch das nicht genügen, müssen wir Sie auf die in den Literaturhinweisen angegebenen Bücher über Mathematik verweisen. Der Umgang mit Physik erfordert umfangreiche mathematische Kenntnisse. Sie müssen diese gründlich erlernen. Falls Sie sie heute noch nicht besitzen, müssen Sie sich diese parallel zum Studium der Experimentalphysik aneignen. Wir werden in diesem Buch einige dieser Kenntnisse benutzen, eventuell noch bevor der gründliche und systematische Lernprozess bei Ihnen abgeschlossen ist. Dies ist leider unvermeidlich. Nehmen Sie es als Motivation, um sich noch intensiver mit Mathematik auseinanderzusetzen! Dieses Lehrbuch stellt ihnen den Stoff der klassischen Mechanik vor, doch erarbeiten müssen Sie ihn sich selbst. Dies ist keine Schikane der Autoren, nein, es liegt in der Natur der Sache. Am Ende wollen Sie bereit sein, eigenständig zu forschen. Aber forschen bedeutet wissenschaftliches Neuland zu betreten, d. h. Gebiete zu betreten, zu denen es

VI

Vorwort zur zweiten Auflage

keine Bücher und auch keine Personen mehr gibt, die Ihnen beibringen könnten, wie das Neue aussieht. Sie werden das Neue selbst erforschen müssen. Um Sie darauf vorzubereiten, müssen Sie lernen, sich das Neue selbst zu erarbeiten. Noch ist es Stoff, den andere bereits kennen, aber am Ende wird es wirklich völlig Neues sein. Verstehen Sie das vorliegende Lehrbuch als ein Angebot, das Ihnen das Erarbeiten des Stoffes erleichtern soll. Das eigentliche Erarbeiten muss in Ihrem Kopf geschehen. Dort müssen Sie ein eigenes Gebäude der Physik mit ihren Vorstellungen, Erklärungen und Zusammenhängen errichten. Dies ist eine große Umstellung und am Anfang oft das größte Problem. Ziel ist es, ein tiefes Verständnis der Physik zu erlangen. Eine Kenntnis der Fakten ist ebenfalls wichtig, aber in der Regel einfacher zu erreichen als ein tiefes Verständnis. Von zentraler Bedeutung ist die Frage nach dem Warum? Warum läuft ein bestimmter Prozess so ab und nicht anders? Warum ergibt sich dieses Ergebnis und nicht ein anderes? Hier einige Tipps. Patentrezepte gibt es leider nicht: 4 Gewöhnen Sie sich daran, die Warum?-Frage ständig zu stellen, wenn Sie in diesem oder anderen Büchern lesen, wenn Sie über die Experimente nachdenken, wenn Sie mit jemandem über Physik sprechen, . . . 4 Hinterfragen Sie die Informationen, die Ihnen angeboten werden. Sie müssen damit rechnen, dass auch in diesem Buch Fehler sind: Schreibfehler, ungenaue oder unkorrekte Formulierungen und vielleicht auch Punkte, die wir selbst noch nicht genügend verstanden haben. Auch jedes andere Lehrbuch mag Fehler enthalten und OnlineArtikel enthalten meist noch mehr. Denken Sie kritisch und erkennen Sie diese Fehler! 4 Physikalische Aussagen sind an Voraussetzungen geknüpft. Lernen Sie nicht nur die Aussagen, sondern denken Sie darüber nach, unter welchen Voraussetzungen sie gelten. 4 Haben Sie einen bestimmten Sachverhalt verstanden? Falls ja, sollten Sie in der Lage sein, den Sachverhalt zu erklären. Versuchen Sie das! Stellen Sie sich vor, ein Freund oder eine Freundin fragt Sie danach, und versuchen Sie (z. B. in Gedanken), ihm den Sachverhalt mit Ihren Worten zu erklären. 4 Überarbeiten Sie die einzelnen Kapitel. Erstellen Sie Notizen, indem Sie die wesentlichen Inhalte in Ihren Worten niederschreiben. 4 Benutzen Sie unterschiedliche Quellen (z. B. mehrere Lehrbücher) zu einem Thema, sodass Sie unterschiedliche Zugänge und Erklärungen zum Thema kennenlernen. 4 Diskutieren Sie über Physik. Sprechen Sie Punkte an, die Sie selbst noch nicht ganz verstehen, oder diskutieren Sie weitergehende Fragen und Probleme. Zum Aufbau des Buches: Die fünf Teile sind in Kapitel untergliedert. Jedes Kapitel enthält einen Text mit Abbildungen und Gleichungen, der den wesentlichen Stoff des Kapitels beschreibt. Daneben gibt es Experimente und Beispiele, die den Text ergänzen, sowie einige Bemerkungen zum methodischen Vorgehen in der Physik. Experiment 0.1: Experiment

In dieser Darstellung werden im Buch die Experimente präsentiert. Manche sind im Text zitiert und dann für das Verständnis sehr wichtig. Andere dienen mehr der Illustration. Das ein oder andere können Sie vielleicht selbst nachmachen. Versuchen Sie es!

VII Vorwort zur zweiten Auflage

Beispiel 0.1: Darstellung eines Beispiels

Ferner sind in den Text Beispiele eingegliedert, die den Inhalt ergänzen. Dieser Text zeigt die Formatierung eines Beispiels. Beispiele sind wichtig. Sie zeigen, wie Sie das gelernte Wissen anwenden können. Arbeiten Sie die Beispiele durch. An ihnen können Sie ihr Verständnis testen.

Methodische Bemerkung Darüber hinaus sind an einigen Stellen Texte eingefügt, die auf das methodische Vorgehen in der Physik hinweisen. Sie sollen Ihnen klar machen, wie die Physik arbeitet. Sie erkennen sie an dieser Formatierung.

Am Ende der meisten Kapitel gibt es zudem Übungsaufgaben. Einen kurzen Abriss der Lösungen finden Sie im Anhang. Viel Spaß und Erfolg! Das vorliegende Buch ist nicht nur unser Werk. Hinter dem Buch stehen viele Helfer, bei denen wir uns hier herzlichst bedanken wollen. Unser Dank geht an Beate Roth fürs Korrekturlesen, an unsere Kollegen Prof. Lutz Feld, Dr. Katja Klein und Egon Schneevoigt, denen wir viele der tollen Experimente (und die Fotos davon) zu verdanken haben, ferner an Jennifer Merz, Franziska Scholz, Richard Brauer, Niklas Mohr, Jan Domenik Sammet, Rüdiger Jussen, Hendrik Jansen, Joschka Lingemann, Lukas Gromann, Julius Schniewind, Sarah Böhm und bei all den Studierenden, die uns auf Fehler hingewiesen haben. Schließlich wollen wir uns beim Springer-Verlag für die exzellente Unterstützung bedanken. Achim Stahl Stefan Roth

Aachen März 2022

IX Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis I

Einleitung

1

Was ist Physik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7

Physikalische Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 10 10 13 16 19 23 23

3 3.1 3.2 3.3 3.4

Messfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4 4.1 4.2 4.3

Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II

Mechanik der Massenpunkte

5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8

Kinematik des Massenpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5

Dynamik eines Massenpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grundgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Länge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Winkelmaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schreibweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Messwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statistische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerfortpflanzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematische Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Physikalische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissenschaftliche Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geltungsbereich der klassischen Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Der Massenpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichförmige Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ungleichförmige Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der freie Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wurfbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreisbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Der Trägheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Grundgesetz der Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Reaktionsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Superposition von Kräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Messung von Kräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 28 31 33 35 37 38 39 41

45 46 47 53 57 59 62 67 73 79 80 85 94 98 101

X

Inhaltsverzeichnis

7 7.1 7.2 7.3 7.4

Arbeit und Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeit und Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Symmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 106 114 117 129

8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5

Impuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Massenmittelpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoßprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systeme mit veränderlicher Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Kraftstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133 134 136 142 151 154

9 9.1 9.2 9.3 9.4

Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161 162 164 169 171

10 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5

Scheinkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5

Himmelsmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III

Der starre Körper

12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5

Der starre Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5

Drehbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleitreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rollreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichförmig beschleunigte Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zentrifugalkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Coriolis-Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absolute Bewegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Das erste Kepler’sche Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das zweite und dritte Kepler’sche Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gravitationsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwere und träge Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Potenzial und potenzielle Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Drehmoment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Schwerpunkt eines Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Hauptsatz der Statik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statik starrer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Der Drehimpuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rotation um eine feste Achse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drehimpulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rollbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreiselbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175 176 178 180 186 201 205 206 210 217 234 235

247 248 250 255 258 262 277 278 282 294 300 307

XI Inhaltsverzeichnis

13.6 13.7 13.8

Der Trägheitstensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rotation um freie Achsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenüberstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV

Elastische Körper

14 14.1 14.2 14.3 14.4 14.5

Elastomechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 15.1 15.2 15.3 15.4 15.5

Hydro- und Aerostatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16 16.1 16.2 16.3 16.4 16.5 16.6 16.7 16.8

Hydro- und Aerodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Schwingungen und Wellen

17 17.1 17.2 17.3 17.4 17.5

Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harmonische Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erzwungene Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gekoppelte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stehende Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

461 462 475 482 493 503

18 18.1 18.2 18.3 18.4 18.5

Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harmonische Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wellengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wellenpakete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energiedichte und Energietransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reflexion und Interferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

519 520 527 530 536 538

Dehnungselastizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finite-Elemente-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Der Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompressibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweredruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beschreibung von Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kontinuitätsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strömung idealer Fluide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Innere Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laminare Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Turbulente Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strömungswiderstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dynamischer Auftrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

320 330 332

341 342 347 352 354 356 361 362 369 373 380 385 397 398 403 408 422 427 436 438 445

XII

Inhaltsverzeichnis

19 19.1 19.2 19.3 19.4

Akustik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schallwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schallempfinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewegte Schallquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Musikinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A1 Liste der Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A2 Lösungen der Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A3 Mathematische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

545 546 556 562 569 581 582 585 605 652

XIII Verzeichnis der Experimente

Verzeichnis der Experimente Experiment 2.1: Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.2: Uhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 2.3: Waagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.1: Geschossgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.2: Stroboskopaufnahme einer fallenden Kugel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.3: Fallbeschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.4: Freier Fall im Luftschatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.5: Freier Fall mit der Fallmaschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.6: Superposition mit der Eisenbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.7: Wurfparabel mit Wasserstrahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.8: Superposition mit der Armbrust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 5.9: Superposition mit der Sprungschanze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 6.1: Trägheit einer schweren Kugel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 6.2: Trägheit am gedeckten Tisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 6.3: Trägheit bei der Rotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 6.4: Beschleunigung auf der Luftkissenbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 6.5: Reactio auf Skateboards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 6.6: Rückstoß vom Medizinball . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 6.7: Wasserrakete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 6.8: Addition von Kräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 7.1: Flaschenzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 7.2: Energieumwandlung mit Dynamo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 7.3: Energieerhaltung am Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 7.4: Trinkente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 8.1: Impulserhaltung auf der Luftkissenbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 8.2: Pendelwagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 8.3: Stöße auf der Luftkissenbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 8.4: Kugelstoßpendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 8.5: Flummipyramide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 8.6: Ballistisches Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 8.7: Raketenwagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 8.8: Kraftstoß mit dem Skateboard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 9.1: Haftreibung auf der schiefen Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 9.2: Haftreibung auf der schiefen Ebene 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 9.3: Haft- und Gleitreibung auf Stab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 9.4: Messung des Gleitreibungskoeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 9.5: Gleitender Stab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 9.6: Wärme durch Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 10.1: Scheinkraft im beschleunigten Bezugssystem . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 10.2: Messung der Zentrifugalkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 10.3: Zentrifugalkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 10.4: Abplattung der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 10.5: Die Oberfläche rotierender Flüssigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 10.6: Rotierender Eimer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 18 21 55 58 63 63 65 68 70 70 71 84 84 85 92 95 95 96 99 106 117 118 128 135 139 146 149 150 150 154 156 164 167 169 170 170 171 179 182 183 184 185 186

XIV

Verzeichnis der Experimente

Experiment 10.7: Eisbärjagd mit Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 10.8: Modellversuch zum Foucault’schen Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 10.9: Foucault’sches Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 11.1: Gravitationswaage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 12.1: Drehmomentscheibe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 12.2: Drehmoment an der Garnrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 12.3: Bestimmung des Schwerpunktes von Platten . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 12.4: Steinetreppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.1: Messung von Trägheitsmomenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.2: Satz von Steiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.3: Drehimpulserhaltung mit dem Drehstuhl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.4: Der kardanische Kreisel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.5: Der widerspenstige Koffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.6: Gyroskop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.7: Feuertornado . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.8: Zylinder rollt auf schiefer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.9: Maxwell-Rad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.10: Vertikales Gyroskop – Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.11: Brummkreisel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.12: Vertikales Gyroskop – Teil 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.13: Kugelkreisel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.14: Levitron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.15: Kreiselkompass nach Magnus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.16: Rotation um freie Achsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 13.17: Jonglieren mit Zigarrenkisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 14.1: Dehnung eines Kupferdrahts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 14.2: Querkontraktion an einem Gummiband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 14.3: Dehnung über die Elastizitätsgrenze hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 14.4: Biegung sichtbar gemacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.1: Isotropie des Drucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.2: Hydraulische Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.3: Kompressibilität von Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.4: Schweredruck in Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.5: Kommunizierende Röhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.6: Hydrostatisches Paradoxon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.7: Dichtewaage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.8: Auftrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.9: Kartesischer Taucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.10: Magdeburger Halbkugeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.11: Messung der Oberflächenspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.12: Schwimmende Büroklammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.13: Minimalflächen durch Oberflächenspannung . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.14: Druck in einer Seifenblase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.15: Grenzwinkel im Keilglas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 15.16: Kapillarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.1: Strömungen im Strömungskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.2: Hydrodynamisches Paradoxon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.3: Eimer mit Loch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190 196 197 224 253 254 255 268 288 290 296 298 298 299 299 302 305 308 311 314 316 317 318 331 331 342 345 345 347 366 368 371 374 374 375 375 381 383 384 387 387 388 388 392 394 398 410 412

XV Verzeichnis der Experimente

Experiment 16.4: Prandtl’sches Staurohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.5: Wasserstrahlpumpe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.6: Schwebende Kugel im Luftstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.7: Aerodynamisches Paradoxon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.8: Hagen-Poiseuille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.9: Stokes’sches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.10: Strömungswiderstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.11: Rauchringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.12: Dynamischer Auftrieb an einer Tragfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 16.13: Magnus-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.1: Federpendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.2: Physikalisches Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.3: Mach’scher Pendelapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.4: Torsionspendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.5: Mathematisches Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.6: Mathematisches Pendel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.7: Pohl’sches Rad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.8: Erzwungene Schwingungen am Pohl’schen Rad . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.9: Resonanz mit Federpendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.10: Zungenfrequenzmesser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.11: Resonanzkatastrophe am Weinglas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.12: Gekoppelte Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.13: Metronome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.14: Schwebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.15: Eigenmoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.16: Pendelkette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.17: Wellenmaschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.18: Seilwellen im Gummiseil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.19: Stehende Wellen mit der Wellenmaschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.20: Stehende Wellen auf Gummiseil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.21: Kundt’sche Staubfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.22: Chladni’sche Klangfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 17.23: Schwingungen einer Gitarrensaite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 18.1: Wasserwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 18.2: Wasserwellen 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 18.3: Fourieranalyse mit Mikrofon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 18.4: Reflexion von Wasserwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 18.5: Interferenz mit Wasserwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 19.1: Flackernde Kerzenflamme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 19.2: Rubens’sches Flammenrohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 19.3: Schallausbreitung in Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 19.4: Schall im Vakuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 19.5: Schallausbreitung in Holz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 19.6: Lochsirene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 19.7: Interferenz mit Schall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 19.8: Messung der Schallgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 19.9: Schallgeschwindigkeit in Helium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experiment 19.10: Stimmlage in Helium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

415 416 420 421 430 434 440 440 446 455 462 466 466 467 467 468 475 483 489 490 492 494 495 501 504 507 508 509 512 512 514 514 515 520 523 533 539 541 547 547 548 549 549 550 550 554 555 555

XVI

Verzeichnis der Experimente

Experiment 19.11: Schallgeschwindigkeit in einem Festkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Experiment 19.12: Doppler-Effekt mit Pfeife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 Experiment 19.13: Monochord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572

1

Einleitung Inhaltsverzeichnis Kapitel 1

Was ist Physik? – 3

Kapitel 2

Physikalische Größen – 9

Kapitel 3

Messfehler – 27

Kapitel 4

Methodik – 37

I

3

Was ist Physik?

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_1

1

4

Kapitel 1  Was ist Physik?

1

. Abb. 1.1 Rudolf Mößbauer. © Nobel Foundation

Die Physik ist eine alte Wissenschaft. Ihr Ursprung liegt in der griechischen Philosophie. Der Name „Physik“ stammt ebenfalls aus dem Griechischen (φυσι›ή ™εωρία, physike theoria). Er wurde von Aristoteles geprägt und bezeichnet die Beschreibung und Erklärung von Ursachen und Zusammenhängen in der Natur. Heute zählt die Physik zu den Naturwissenschaften. Diese Zuordnung hat ihren Grund. Die Physik ist eine Wissenschaft der Natur, das heißt, sie beschäftigt sich mit der Natur. Dabei geht es meist um die unbelebte Natur, wie z. B. um die Hebelgesetze oder um Polarlichter. Die Physik ist unterteilt in unterschiedliche Disziplinen. Dieser erste Band widmet sich der Mechanik, die man als die Lehre von der Bewegung der Körper bezeichnen könnte. Die neuzeitliche Physik ist eine experimentelle Wissenschaft. Ob ein bestimmtes Modell richtig oder falsch ist, entscheiden die Physiker mithilfe von Experimenten. Dies war nicht immer so. Im Mittelalter studierten die Physiker antike Schriften, um darin Erkenntnis zu finden. Doch seit Galileo Galilei (1564–1642) ist das Experiment die Basis der Physik. Physik ist eine exakte Wissenschaft. Qualitative Erklärungen von Phänomenen mögen für das Verständnis der Physik wichtig sein, doch sie sind nicht ausreichend. Jedes physikalische Modell muss in der Lage sein, quantitative Vorhersagen über Prozesse in der Natur zu machen, die sich anhand von Experimenten überprüfen lassen. Dazu benutzt die Physik die Sprache der Mathematik. Will man Physik verstehen, muss man diese erlernen. Hier ein ausführlicherer Artikel von Rudolf Mößbauer (. Abb. 1.1), Nobelpreisträger in Physik 1961, zur Bedeutung der Physik1 : Die Bedeutung der Physik Die Physik ist darum bemüht, den Ablauf des Geschehens auf allgemeingültige Gesetze – die Naturgesetze – zurückzuführen. Diese Gesetze sind von übergeordneter Gültigkeit, nichts kann sich ihnen entziehen. Während alles Materielle in dieser Welt ständigem Wandel unterworfen ist, ist die naturgesetzliche Ord1

© Mit freundlicher Genehmigung C. Mößbauer.

5 Kapitel 1  Was ist Physik?

. Abb. 1.2 Beugung von Licht am Doppelspalt

. Abb. 1.3 Reise in den Atomkern

nung zeitlos. Wir können ihr, an jedem Ort und zu jeder Zeit, unser volles Vertrauen schenken und auf dieser aufbauen. Die Wurzeln der Physik liegen in der Antike. Jedoch erst im 17. Jahrhundert wurde durch Johannes Kepler, Galileo Galilei und Isaac Newton die Methodik der modernen Physik dadurch begründet, dass sie einzelne Vorgänge aus ihrem Zusammenhang herauslösten und mit Hilfe von Experimenten quantitativ untersuchten; dass sie schließlich ein physikalisches Grundgesetz mathematisch formulierten. Am Ende des 19. Jahrhunderts begann man, die elektronische Struktur der Materie aufzuklären (. Abb. 1.2, 1.3, 1.4). Joseph Thomson entdeckte 1897 das Elektron, das erste unteilbare Teilchen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts revolutionierte Albert Einstein mit seiner Relativitätstheorie unsere Vorstellung von Raum und Zeit. Er und Max Planck entdeckten das Photon als Elemen-

1

6

Kapitel 1  Was ist Physik?

1

. Abb. 1.4 Von der Erde in den Kosmos

. Abb. 1.5 DNA

tarteilchen des Lichts. Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger, Paul Dirac und Wolfgang Pauli haben mit der Entwicklung der Quantentheorie das Problem des Welle-Teilchen-Dualismus gelöst. Diese Entdeckungen markieren den Beginn der modernen Physik des 20. Jahrhunderts. Seither entdecken die Physiker immer neue, aufregende Phänomene und Naturgesetze. Viele Entdeckungen unserer Zeit werden wesentlich durch den Einsatz von physikalischen Methoden geprägt. Beispiele hierfür sind die Entschlüsselung der Desoxyribonukleinsäure (DNA, . Abb. 1.5), wie auch die Aufklärung der Sequenzen im menschlichen Genom. Die physikalische Forschung bildet ein unverzichtbares Element vor allem der natur- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen. Sie ist die Grundlage moderner Technik. So hat der vor 50 Jahren erfundene Halbleiter-Transistor unsere gesamte elektronische Technik verändert. Durch ihn und andere Halbleiterbauelemente, deren Miniaturisierung in hochintegrierte elektronische Schaltungen wurde es möglich, moderne Computer- und Kommunikationstechnologien zu entwickeln. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts forschen Physiker an grundlegenden Problemen der Physik, der Chemie, der Technik und, in zunehmendem Maße, auch der Biologie. Das offene Feld spannender physikalischer Forschung in der Zukunft ist riesengroß. Einige Beispiele: Physiker sind heute in der Lage, makroskopisch kohärente Materiewellen zu erzeugen. Diese bestehen aus einer großen Anzahl von Atomen, die jedoch Welleneigen-

7 Kapitel 1  Was ist Physik?

. Abb. 1.6 Nanometer Metalldraht

schaften besitzen. Die Erforschung dieser kohärenten Materiewellen und ihre Wechselwirkung mit anderer Materie und mit Licht verspricht sehr spannend zu werden. Die Erforschung von kleinsten Strukturen mit Durchmessern von wenigen Nanometern (. Abb. 1.6), die nur aus wenigen Atomen oder Molekülen bestehen, wird in der sogenannten Nanotechnologie zu zahlreichen technischen Neuanwendungen führen. Methoden der mathematischen Physik werden zur Analyse von komplexen dynamischen Vorgängen und Strukturbildungsprozessen unerlässlich bleiben. In der Hochtemperatursupraleitung wird unter anderem mit dem Ziel weiter geforscht, die Verluste bei der elektrischen Energieversorgung zu reduzieren. Die kontrollierte Kernfusion ist eines der ehrgeizigsten Zukunftsprojekte der Physik (. Abb. 1.7).

. Abb. 1.7 TOKAMAK-Experiment zur Fusion von Wasserstoff

1

8

1

Kapitel 1  Was ist Physik?

Die Durchmusterung des Kosmos, z. B. mit Röntgenteleskopen, wird unsere Kenntnisse über den Ursprung, die Struktur, die Dynamik des Kosmos ebenso erweitern wie die Analyse der unsichtbaren Neutrino-Ströme mittels aufwendiger unterirdischer Detektoren. Experimente und theoretische Entwicklungen werden zu einem neuen Verständnis der elementaren Bausteine des Universums und einer einheitlichen Beschreibung der fundamentalen Naturkräfte führen. Physiker werden in Zukunft intensiver Fragestellungen physikalischer Natur in anderen Naturwissenschaften untersuchen, wie z. B. biophysikalische Elementarprozesse. Physik war, bleibt und wird auch künftig grundlegende Naturwissenschaft, Teil unserer Kultur und Grundlage unserer Technik sein. München 2002 Rudolf Mößbauer

9

Physikalische Größen Inhaltsverzeichnis 2.1

Definition – 10

2.2

Die Grundgrößen – 10

2.3

Die Länge – 13

2.4

Die Zeit – 16

2.5

Die Masse – 19

2.6

Die Winkelmaße – 23

2.7

Schreibweisen – 23

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_2

2

10

Kapitel 2  Physikalische Größen

2.1

2

Definition

Die Physik beschreibt Objekte und Phänomene durch bestimmte Eigenschaften, die man „physikalische Größen“ nennt. Diese physikalischen Größen müssen quantitativ bestimmbar sein. Dies kann entweder durch ein Messverfahren geschehen, dann spricht man von einer „Messgröße“, oder die Größe kann aus anderen Messgrößen berechnet werden, dann spricht man von einer „abgeleiteten Größe“. Den Zusammenhang zwischen physikalischen Größen vermitteln physikalische Gesetze. Um den Wert einer Messgröße nachvollziehbar anzugeben, gibt man einen Zahlenwert, auch Maßzahl genannt, und eine Einheit an. Beschreibt man also eine Länge als 1,5 Kilometer, dann ist 1,5 der Zahlenwert und „Kilometer“ die Einheit. Man verwendet die Einheit „Kilometer“ als Maßstab und gibt mit dem Zahlenwert 1,5 an, dass die Länge eineinhalbmal so lang ist wie ein Kilometer. 2.2

Die Grundgrößen

Sollen wissenschaftliche Ergebnisse weltweit vergleichbar sein, so muss man sich auf eine einheitliche Definition der physikalischen Größen verständigen. Diese einheitliche Definition geht von einer Reihe sogenannter Grund- oder Basisgrößen aus, von denen die anderen physikalischen Größen abgeleitet werden. Auf der 10. Generalkonferenz für Maße und Gewichte (Conférence Générale des Poids et Mesures, CGPM) verständigte man sich 1954 in Paris auf sieben Basisgrößen, die zusammen mit den zugehörigen Basiseinheiten heutzutage in den meisten Ländern anerkannt sind. Sie sind in . Tab. 2.1 aufgeführt.

. Tab. 2.1 Basisgrößen nach dem SI-System Basisgröße

Basiseinheit

Einheitenzeichen

Länge

Meter

m

Masse

Kilogramm

kg

Zeit

Sekunde

s

Elektrische Stromstärke

Ampere

A

Temperatur

Kelvin

K

Stoffmenge

Mol

mol

Lichtstärke

Candela

cd

11 2.2  Die Grundgrößen

Seit 1960 wird diese Vereinbarung als SI (SI D Système International d’Unités D Internationales Einheitensystem) bezeichnet. Die Basiseinheiten des SI sind in Deutschland für den amtlichen und geschäftlichen Verkehr verbindlich vorgeschrieben (im Gesetz über Einheiten im Messwesen) und werden auch in fast allen Bereichen weitgehend benutzt. Einzelne Abweichungen haben sich noch erhalten, wie z. B. die Angabe der Motorleistung von Fahrzeugen in PS. Im SI-System wird sie in Watt bzw. kW angegeben. Die sieben Basiseinheiten sind folgendermaßen festgelegt: Meter – Das Meter ist die Längeneinheit im SI-System. Es hat eine Reihe unterschiedlicher Definitionen durchlaufen und ist heute indirekt über die Lichtgeschwindigkeit auf die Zeiteinheit zurückgeführt. Ein Meter ist die Länge der Strecke, die Licht im Vakuum im 299 792 458-ten Bruchteil einer Sekunde durchläuft. Der Bruchteil wurde so gewählt, dass diese Definition in etwa den vorherigen entspricht. Kilogramm – Die Einheit der Masse im SI-System ist das Kilogramm. Es wurde bis 2019 durch einen Standard-Masseköper (Urkilogramm) festgelegt, dessen Masse das Kilogramm definierte. Heute wird es mittels einer Kibble-Waage aus dem Planck’schen Wirkungsquantum abgeleitet. Sekunde – Auch die Definition der Sekunde hat viele Versionen durchlaufen. Sie wird längst nicht mehr von der astronomischen Definition des Tages abgeleitet. Sie bezieht sich heute auf einen Schwingungsprozess in Cäsiumatomen des Nuklids 133 Cs, der äußerst stabil abläuft. Die Sekunde entspricht 9 192 631 770 Schwingungsperioden der Strahlung, die beim Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus im Grundzustand dieser Atome ausgesandt wird. Ampere – Das Ampere ist die elektrische Basiseinheit. Sie gibt die Stärke des elektrischen Stromes an. Lässt man durch zwei parallele, geradlinige und unendlich lange Leiter von vernachlässigbar kleinem, kreisförmigem Querschnitt einen Strom fließen, so ziehen sich die Leiter gegenseitig an. Lange Zeit war das Ampere über diese Kraft definiert. Fließt ein Strom von 1 A durch die Leiter, so ergibt sich im Vakuum bei einem Abstand der Leiter von 1 m eine Kraft von 2  107 N je Meter Leiterlänge. Heute wird das Ampere auf die Ladung zurückgeführt, die von bewegten Elektronen transportiert wird. Kelvin – Mit dem Kelvin werden Temperaturen gemessen. Die Definition wird vom Tripelpunkt des Wassers abgeleitet. Das Kelvin ist der 273,16-te Teil der Temperatur des Tripelpunktes in Bezug auf den absoluten Temperaturnullpunkt. Auch das Kelvin wird heute auf eine Naturkonstante zurückgeführt, nämlich auf

2

12

Kapitel 2  Physikalische Größen

. Tab. 2.2 Ergänzende SI-Einheiten

2

Größe

Einheit

Einheitenzeichen

Ebener Winkel

Radiant

rad

Räumlicher Winkel

Steradiant

sr

die Boltzmann-Konstante. Wir werden im Band über die Wärmelehre darauf eingehen. Mol – Mit der Einheit Mol wird die Stoffmenge eines Systems gemessen. Es entspricht der Stoffmenge, die sich aus ebenso vielen Atomen, Molekülen oder Ionen zusammensetzt, wie Atome in 12 g des Kohlenstoffnuklids 12 C enthalten sind. Auch diese Einheit wird heute wie alle anderen Einheiten auf eine Naturkonstante zurückgeführt. Hier ist es die Avogadro-Konstante, die auf den Wert 6;022 140 76  1023 festgelegt ist. Ein Mol ist die Stoffmenge eines Systems, das genauso viele Atome bzw. Moleküle enthält. Candela – Mit der Einheit Candela wird schließlich die Stärke einer Lichtquelle angegeben. Man geht von einer Lichtquelle monochromatischer Strahlung der Frequenz 540 1012 Hz aus. Beträgt die Intensität der Strahlung in einer bestimmten Richtung genau 1/683 W pro Steradiant, so entspricht dies einer Lichtstärke von einem Candela. Die 11. Generalkonferenz für Maße und Gewichte (CGPM) hat 1960 zwei ergänzende Winkeleinheiten im SI-System festgelegt. Sie sind in . Tab. 2.2 aufgeführt. Radiant – Der Radiant gibt den Winkel in einer Ebene an. Verbindet man die Schenkel des Winkels mit einem Bogen, so ist der Radiant das Verhältnis von Bogenlänge zur Länge der Schenkel. Steradiant – Der Steradiant ist der entsprechende räumliche Winkel. In 7 Abschn. 2.6 ist die Definition genauer beschrieben. Alle weiteren physikalischen Größen und Einheiten lassen sich auf die oben angegebenen Basisgrößen und Einheiten des SISystems zurückführen. Diese weiteren Größen werden mithilfe von Definitionsgleichungen auf Basisgrößen und ergänzende Größen zurückgeführt. So ist beispielsweise die Einheit der Kraft – das Newton – keine Basiseinheit. Die Kraft wird über das Newton’sche Grundgesetz der Mechanik F D ma

(2.1)

13 2.3  Die Länge

auf die Grundgrößen Länge, Masse und Zeit zurückgeführt. Aus Gl. 2.1 sieht man, dass für das Newton gelten muss 1 N D ŒF  D ŒmŒa D 1 kg

m s2

(2.2)

Die eckigen Klammern um eine Größe bezeichnen die Einheit der eingeschlossenen Größe. Bitte beachten Sie, dass diese Auswahl der Grundgrößen ebenso wie die Wahl der Standards eine Konvention darstellt. Man hätte beispielsweise statt der Zeit auch die Geschwindigkeit als Grundgröße wählen können. Dann würde die Zeit entsprechend als abgeleitete Größe erscheinen. In der Tat ist das SI-System nicht das einzige Einheitensystem, das heute noch in Gebrauch ist. Im britischen Empire war lange Zeit das imperial system offiziell in Gebrauch und wird auch heute noch bei vielen Gelegenheiten benutzt. Es hat weit mehr Grundgrößen und Einheiten. Neben der Länge sind beispielsweise Grundgrößen für die Fläche und das Volumen definiert. In den USA wird dieses System heute noch offiziell benutzt. Es ist nahezu das einzige Land, das sich nicht dem SI-System angeschlossen hat. Ein anderes alternatives Einheitensystem ist das CGSSystem, das manchmal in der Wissenschaft benutzt wird. Die Abkürzung steht für die drei mechanischen Grundgrößen in diesem System: „Centimeter-Gram-Second“. Es benutzt im Bereich der Mechanik andere Standards als das SI-System. Die verschiedenen Erweiterungen des CGS-Systems in die Elektrodynamik kommen gar ohne eine elektrische Basiseinheit aus. Wie wir gesehen haben, sind Anzahl wie Auswahl der Grundgrößen eine Konvention. Das SI-System benutzt lediglich sieben Grundgrößen. Doch auch diese könnte man noch weiter reduzieren. So könnte man die Stoffmenge auf die Masse zurückführen und sie daher nicht als Grundgröße, sondern als abgeleitete Größe behandeln. Oder man könnte die Temperatur über die thermische Energie auf m, kg und s zurückführen. Wir wollen uns in diesem Buch ausschließlich auf das SI-System, wie es oben beschrieben ist, beziehen. Die mechanischen Grundgrößen sind im Folgenden noch ausführlicher dargestellt. 2.3

Die Länge

Die Bedeutung der Länge als physikalische Größe dürfte intuitiv klar sein. Die Einheit der Länge ist das Meter. Zur Realisierung einer Längenmessung benötigt man einen Längenstandard. Im einfachsten Fall ist dies ein Stab, dessen Länge möglichst genau einem Meter entspricht. Um eine Länge zu vermessen, zählt man aus, wie oft der Längenstandard angelegt werden muss, bis

2

14

Kapitel 2  Physikalische Größen

2

. Abb. 2.1 Historische Definition des Meters

die zu vermessende Länge erreicht ist. Dies ergibt die Länge der Strecke in Meter. Für eine genaue Messung braucht man allerdings noch eine Möglichkeit, den Längenstandard in gleiche Teile zu unterteilen. Das Meter wurde in Paris inmitten der Wirren der französischen Revolution erfunden, um dem Chaos damaliger Längenmaße ein Ende zu setzen (. Abb. 2.1). Es war ursprünglich über den Umfang der Erde definiert. Man nahm die Strecke vom Nordpol zum Äquator, den sogenannten Meridianquadranten. Diese Strecke sollte 10 Millionen Meter entsprechen. In einer sechsjährigen Anstrengung vermaßen die beiden Astronomen Jean-Baptiste Delambre und Pierre Méchain die Strecke von Dünkirchen im Norden Frankreichs bis Barcelona mit trigonometrischen Methoden. Mit der bekannten Erdkrümmung konnten sie die Länge des Meters bestimmen und bildeten diese in Form eines Maßstabes ab, dem sogenannten Urmeter. Ausgehend von dieser Definition wurden mehrere Urmeter aus einer Platin-Iridium-Legierung angefertigt. Es galt bis 1960 als Standard im SI-System (. Abb. 2.2). Doch auch die aufwendige Metalllegierung entsprach bald nicht mehr den Anforderungen an Stabilität. Außerdem war der Abgleich mit den nationalen Standards all der anderen Ländern sehr aufwendig. Sie mussten regelmäßig zum Urmeter nach Paris transportiert und mit diesem verglichen werden. Daher entschied man sich 1960, das Meter über die Wellenlänge eines Krypton-Lasers zu definieren. Diese kann in jedem Labor reproduziert werden, wodurch der aufwendige Abgleich mit dem Urmeter entfällt. Im Jahre 1983 einigte man sich schließlich darauf, auf eine unabhängige Definition des Meters gänzlich zu verzichten. Das Meter ist seitdem über die Lichtgeschwindigkeit mit der Einheit „Sekunde“ verknüpft. Es ist die Strecke, die Licht im Vakuum im 299 792 458-ten Teil einer Sekunde durchquert. Das Meter ist damit keine Basiseinheit mehr, sondern eine von der Sekunde ab-

. Abb. 2.2 Zwei Prototypen des Meters. An beiden Enden befinden sich je drei parallele Markierungen. Die Mittleren zeigen Anfang bzw. Ende des Meters an. © National Institute of Standards and Technology NIST

15 2.3  Die Länge

geleitete Einheit. Wir haben es oben trotzdem aus historischen Gründen erwähnt. Experiment 2.1: Maßstäbe

Das erste Experiment präsentiert unterschiedliche Messgeräte zur Längenmessung. Die ersten drei Messgeräte dürften hinlänglich bekannt sein:

Das folgende Bild zeigt einen Laserentfernungsmesser. Er nutzt direkt die Definition des Meters über die Lichtgeschwindigkeit. Das Gerät sendet einen kurzen Laserlichtpuls aus, der am Ende der Messstrecke reflektiert wird. Aus der Laufzeit t und

2

16

Kapitel 2  Physikalische Größen

der Lichtgeschwindigkeit (in Luft) c ergibt sich die Strecke zu s D 12 ct. Wegen der sehr kurzen Zeiten, die hier zu messen sind (1 Meter entspricht etwa 3 ns), ist die Genauigkeit allerdings begrenzt. Auch teure Geräte erreichen nur eine Genauigkeit von typisch 0;5 mm.

2

© Wikimedia: Zátonyi Sándor (ifj.) Fizped

Die letzte Abbildung zeigt einen Messschieber, auch Schiebelehre genannt, zur präzisen Messung kleiner Abstände. Ausgestattet mit Nonius oder heute immer häufiger mit digitaler Anzeige. Sie erreicht eine Genauigkeit bis zu 0;1 mm.

2.4

Die Zeit

Wie die Länge war auch die Zeit lange über astronomische Vorgänge definiert, nämlich über die Erdrotation. Ein Tag ist in 24 Stunden unterteilt, eine Stunde in 60 Minuten und eine Minute in 60 Sekunden. Die Sekunde, die heutige Basiseinheit der Zeit, war also der 24  60  60 D 86 400-ste Teil eines Tages. Der Name „Sekunde“ stammt aus dem Lateinischen. Er bedeutet „Die

17 2.4  Die Zeit

. Abb. 2.3 Abweichung der tatsächlichen Tageslänge von 86 400 s. © Bundesamt für Kartographie und Geodäsie, International Earth Rotation and Reference Systems Service, Annual Report 2012

Zweite“. Gemeint ist die zweite Unterteilung der Stunde nach der Minute. Doch Erdrotation und Tageslänge schwanken von Tag zu Tag. Die Abweichungen der Tageslänge von 86 400 s werden ständig aufgezeichnet. Sie sind in . Abb. 2.3 für die Jahre 1972 bis 2013 dargestellt. Man sieht Abweichungen von einigen Millisekunden. Die Schwankungen rühren hauptsächlich daher, dass die Erde kein vollständig starrer Körper ist. Erdkern und Erdmantel, aber auch die Ozeane und die Atmosphäre bewegen sich gegeneinander und beschleunigen und bremsen sich in ihren Rotationen gegenseitig. Das erzeugt die Schwankungen in der Rotation der Erdkruste, von der aus wir die Tageslänge messen. Die Abweichungen summieren sich über die Tage auf. Nähert sich die kumulative Abweichung einer Sekunde, wird eine Schaltsekunde in die Zeitrechnung eingefügt, um die Uhren synchron mit dem Tageslauf zu halten. Während Abweichungen von 3 ms in Bezug auf die Tageslänge für das praktische Leben ohne große Bedeutung sind, reicht diese Genauigkeit für manche wissenschaftlichen Messungen nicht aus. Daher hat man sich bereits 1967 entschieden, die Zeiteinheit aus atomaren Messungen abzuleiten. Sie ist heute über die Periodendauer eines Strahlungsüberganges im Grundzustand von 133 Cs-Atomen definiert. Vergleicht man den Gang mehrerer CsAtomuhren gegeneinander, so kann man sich vergewissern, dass deren Schwankungen gegeneinander deutlich geringer sind als die der Erdrotation. Die besten Cs-Atomuhren erreichen Frequenzunsicherheiten von etwa 1015 . Das ist besser als 1 s in einer Million Jahren. An weiteren Verbesserungen und alternativen Uhren wird intensiv geforscht.

2

18

Kapitel 2  Physikalische Größen

Experiment 2.2: Uhren

2

Zeiten werden mit Uhren gemessen. Unser Foto zeigt ein einfaches Exemplar. Benötigt man im Labor sehr genaue Zeittakte, so kann man eine gute lokale Uhr auf das Funksignal der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt oder das der GPSSatelliten synchronisieren. Für höchste Anforderungen muss man selbst eine Atomuhr betreiben.

Aus dem Zeittakt von mehreren Hundert Atomuhren nationaler Behörden generiert das Bureau International des Poids et Mesures (BIPM) in Paris dann eine universelle Zeit. Man nennt sie UTC für Universal Time Coordinated. Von ihr wird dann auch die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) abgeleitet (C1 Stunde). In Deutschland ist die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig für die offizielle Zeit verantwortlich. Sie verbreitet den Zeittakt unter anderem über Funk, Telefon und Internet. Sogenannte Funkuhren synchronisieren sich auf dieses Zeitsignal. Beispiel 2.1: Fontänen-Atomuhr

Durch Verdampfen erhält man ein Gas von Cäsiumatomen bei Raumtemperatur. In einem Kreuz von sechs gegenläufigen Laserstrahlen (optische Melasse) lassen sich dann daraus ca. 106 Cäsiumatome in einer Atomwolke sammeln und stark abkühlen. Dabei werden die Relativgeschwindigkeiten zwischen den Atomen auf Werte von einigen Zentimeter pro Sekunde reduziert. Nun bekommen die Atome einen kleinen „Schubs“ nach oben. Auch dies geschieht durch Impulsübertrage von einem Laser. Die Atome durchlaufen Flugbahnen nach oben bis sie, von der Schwerkraft abgebremst, wieder zurückfallen. Die Bewegung ähnelt der von Wassermolekülen in einer Fontäne, daher der Name Fontänenuhr. Die Flugbahn erreicht eine Höhe von etwa 1 m und dauert etwa 1 s. Die Atome befinden sich vor dem Flug in einem einheitlichen Zustand. Beim Flug durchqueren sie beim Aufsteigen wie auch beim Zurückfallen einen Mikrowellenresonator. Er arbeitet wie in einer Rabi-Apparatur. Er regt Übergange an, sofern die eingestrahlte Frequenz der Frequenz des Übergangs in den Atomen entspricht. Beim Zurückfallen werden unterhalb des Resonators in der Nachweiszone die Übergänge nachgewiesen. Mit einem elektrischen Regelkreis gleicht man nun die Mikrowellenfrequenz auf den Wert ab, bei dem ein maximales Signal entsteht. Per Definition ist dies eine Frequenz von 9 192 631 770 Hz. Man müsste nun nur noch 9 192 631 770 Schwingungsperioden abzäh-

19 2.5  Die Masse

2

len und hätte damit eine Sekunde bestimmt. In der Praxis gewinnt man die Sekunde durch Frequenzteilung aus dem Quarzoszillator, von dem ausgehend das Mikrowellensignal zur Bestrahlung der Atome erzeugt wird.

© Mit freundlicher Genehmigung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt

Im Foto sind die Cäsium-Fontänen CSF1 und CSF2 der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig zu sehen.

2.5

Die Masse

Das Kilogramm war die letzte Einheit, die noch über einen materiellen, von Menschen hergestellten Standard definiert war. Es ist die Einheit der Masse. Im Bureau International des Poids et Mesures (BIPM) lagert unter drei Glasglocken das Urkilogramm. Es besitzt die Form eines Zylinders und besteht aus einer besonders stabilen Platin-Iridium-Legierung. . Abb. 2.4 zeigt ein Foto davon. Der Zylinder ist 39 mm hoch und hat einen Durchmesser von ebenfalls 39 mm. Seine Masse definierte das Kilogramm.

© Mit freundlicher Genehmigung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt

20

Kapitel 2  Physikalische Größen

2

. Abb. 2.4 Das Urkilogramm des Bureau International des Poids et Mesures (BIPM) in Sèvres bei Paris. © Mit freundlicher Genehmigung, Bureau International des Poids et Mesures

Die nationalen Metrologieinstitute besitzen eigene Standards, die sie typischerweise alle zehn Jahre mit Arbeitsnormalen am BIPM verglichen. Die nationalen Standards weichen um bis zu ein Milligramm vom Original ab. Durch die Vergleiche konnte man den Unterschied auf einige Mikrogramm genau bestimmen. Aber selbst bei sorgfältigster Behandlung ist ein solcher Standard nicht vor minimalen Veränderungen gefeit. Abrieb und chemische Anlagerungen an der Oberfläche verändern seine Masse. Deshalb suchte man nach Wegen, die Einheit auf die Messung von Naturkonstanten zurückzuführen. Dabei genügt es nicht, eine Relation zu finden, die das Kilogramm über Naturkonstanten definiert, es muss ein Messverfahren entwickelt werden, das es erlaubt mit vertretbarem Aufwand und hinreichender Genauigkeit

21 2.5  Die Masse

ein Standardgewicht zu realisieren. Im Jahr 2018 hatte die Messtechnik endlich das gesteckte Ziel einer relativen Genauigkeit von 109 erreicht, so dass am 20. Mai 2019, dem Tag der Metrologie, die neue Definition des Kilogramms in Kraft treten konnte. In der deutschen Übersetzung lautet die Definition: „Das Kilogramm, Einheitenzeichen kg, ist die SI-Einheit der Masse. Es ist definiert, indem für die Planck-Konstante h der Zahlenwert 6;626 070 15  1034 festgelegt wird, ausgedrückt in der Einheit Js, die gleich kg m=s2 ist, wobei der Meter und die Sekunde mittels c und vCs definiert sind.“ Dabei bezeichnet c die Lichtgeschwindigkeit und vCs die Frequenz des in 7 Abschn. 2.4 beschriebenen Strahlungsübergangs in 133 Cs-Atomen. In der Definition ist kein Messverfahren angegeben. Letztendlich ist jedes Messverfahren, das die benötigte Genauigkeit erreicht, akzeptabel. Vom BIPM wurde eine Liste anerkannter Messverfahren veröffentlicht. Das bekannteste ist die sogenannte Kibble-Waage, die das Gewicht eines Körpers mit der magnetischen Kraft auf eine Spule in einem Magnetfeld vergleicht. Diese Kraft lässt sich über Quanteneffekte sehr präzise bestimmen. Im Band über Elektrizität und Magnetismus werden wir die Kibble-Waage besprechen, wobei die Erklärung der quantenphysikalischen Messung noch auf spätere Bände warten muss. In . Abb. 2.5 ist im Foto die Kibble-Waage des National Institutes of Standards and Technology (NIST) der USA zu sehen. Bei diesem Messinstrument handelt es sich um eine Balkenwaage, deren Balken in Form eines Rades ausgeführt sind. Er ist im Foto oben zu erkennen. Außerdem sehen Sie rechts einen der Ausleger der Waage, auf dem das zu bestimmende Gewicht platziert wird. Die gesamte Waage befindet sich in einer Vakuumkammer, um einen Einfluss des Auftriebs in Luft auszuschließen. Experiment 2.3: Waagen

Die Masse eines Körpers bestimmt man mit einer Waage. Es gibt mechanische Waagen und elektronische. Als Beispiele sind eine Balkenwaage und eine Küchenwaage gezeigt. Bei einer elektronischen Waage verformt die Masse durch ihr Gewicht eine Feder, einen Biegebalken oder etwas Ähnliches. Die Verformung wird elektronisch erfasst und die Masse daraus berechnet.

2

. Abb. 2.5 Kibble-Waage zur Bestimmung eines Gewichts über das Planck’sche Wirkungsquantum. © Jennifer Lauren Lee, for the U.S. National Institute of Standards and Technology (NIST)

22

Kapitel 2  Physikalische Größen

2

© Wikimedia: Mauro Cateb

23 2.6  Die Winkelmaße

2.6

Die Winkelmaße

Winkel werden häufig in Grad (Symbol ı ) gemessen. Der Vollkreis entspricht 360ı . Man unterteilt das Grad in Bogenminuten und Sekunden. 4 1ı entspricht 600 (Bogenminuten) 4 10 entspricht 6000 (Bogensekunden) Üblich ist neben dem Grad auch Radiant als Einheit. Man nennt dies das Bogenmaß ˛ des Winkels. Man kann es auf Längeneinheiten zurückführen (siehe . Abb. 2.6), z. B. durch die Relation ˛D

b r

. Abb. 2.6 Definition des Winkelmaßes

(2.3)

Man kann Grad und Radiant umrechnen über die Relation 2 rad D 360 Grad

(2.4)

Der Vollkreis hat 2 rad. Der Raumwinkel ˝ ist im dreidimensionalen entsprechend definiert (siehe . Abb. 2.7). Es gilt die Relation ˝D

A r2

(2.5)

wobei A die Fläche des Kugelausschnittes und r der Radius der Kugel ist. Die Einheit heißt „Steradiant“ (sr). Die Vollkugel entspricht einem Raumwinkel von 4 sr. Der Raumwinkel lässt sich auch aus dem Öffnungswinkel des Kegels in . Abb. 2.7 bestimmen. Es ist ˝ D 4 sin2

˛ 4

(2.6)

wobei ˛ der volle Öffnungswinkel des Kegels ist. 2.7

Schreibweisen

In der Wissenschaft treten sowohl sehr große, wie auch sehr kleine Zahlen auf. Dabei kann es von Vorteil sein, die Exponentialdarstellung zu benutzen. In dieser Darstellung ist beispielsweise die Lichtgeschwindigkeit c D 2;99792458  108

m : s

(2.7)

. Abb. 2.7 Definition des Raumwinkels ˝

2

24

Kapitel 2  Physikalische Größen

. Tab. 2.3 Metrische Vorsilben der Einheiten Präfix

2

Exa Peta

Potenz

Abkürzung

18

E

15

P

12

10 10

Tera

10

T

Giga

109

G

Mega

106

M

Kilo

103

k

2

h

1

da

0



Dezi

1

10

d

Centi

102

c

Milli

103

m

Mikro

106



Nano

109

n

Hekto Deka

10 10 10

Piko Femto Atto

12

p

15

f

18

a

10 10 10

Beachten Sie, im Deutschen ist der Dezimalpunkt das Komma, in der englischsprachigen Welt wird hingegen meist der Punkt benutzt. Das kann verwirrend sein. Bei sehr großen Zahlen fügt man manchmal zur Trennung der Tausender nach jeder dritten Ziffer ein kleines Lehrzeichen oder einen Punkt ein. Im englischsprachigen Raum wird dazu ein Komma benutzt. Als Beispiel diene die mittlere Entfernung des Mondes von der Erde. Sie beträgt 384 401;0 km bzw. in englischer Schreibweise 384;401:0 km. Die Einheiten werden in vielen Fällen mit Präfixen versehen. Die wichtigsten sind in . Tab. 2.3 angegeben. ?Aufgaben 1. Welche der nachfolgenden physikalischen Größen sind Skalare (ein Zahlenwert mit Einheit), welche sind Vektoren (haben neben dem Betrag auch eine Richtung)? 4 Zeit 4 Impuls 4 Kraft

25 2.7  Schreibweisen

4 Temperatur 4 Masse 4 Beschleunigung 4 Energie 4 Arbeit 4 Geschwindigkeit 2. Das Gesetz von Hagen-Poiseuille beschreibt die laminare Strömung einer Flüssigkeit durch ein Rohr: I D

 r4 p 8 l

Dabei ist I der Volumendurchsatz pro Zeiteinheit, r der Radius und l die Länge des Rohrs sowie p die Druckdifferenz (Einheit N=m2 ) zwischen den Rohrenden. Bestimmen Sie die physikalische Einheit der Materialkonstanten , die als Viskosität bezeichnet wird. Drücken Sie diese durch die Basiseinheiten des SI-Systems aus. 3. In den folgenden Gleichungen wird die Strecke s in Metern (m), die Zeit t in Sekunden (s) und die Geschwindigkeit v in Metern pro Sekunde (m=s) angegeben. Bestimmen Sie jeweils die physikalische Einheit der Konstanten ci : a) s D c1 C c2 t C 12 c3 t 2 b) v 2 qc12 D 2c2 .s  c3 /2 c) t D

2s c1

d) s D c1 cos.c2 t/ C cc32 sin.c2 t/ 4. Ist Ihnen aufgefallen, dass beim zylindrischen Standard des Kilogramms Höhe und Durchmesser übereinstimmen? Dies ist kein Zufall. Zeigen Sie, dass sich so die minimale Oberfläche bei vorgegebenem Volumen ergibt.

2

27

Messfehler Inhaltsverzeichnis 3.1

Messwert – 28

3.2

Statistische Interpretation – 31

3.3

Fehlerfortpflanzung – 33

3.4

Systematische Fehler – 35

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_3

3

28

Kapitel 3  Messfehler

3.1

3

Messwert

„Messen ist eine Kunst“ lautet ein bekannter Spruch über die Experimentalphysik. Auch wenn man diesen Spruch nicht wörtlich nehmen sollte, deutet er ein wichtiges Problem an. Wer eine Messung durchführt, mag sich erhoffen, als Ergebnis den wahren Wert einer Größe zu erhalten, doch dies ist leider nicht so. Es gibt vielfältige Gründe, warum der Messwert vom wahren Wert abweichen wird: Umwelteinflüsse stören die Messung, die Messgeräte haben nur eine begrenzte Genauigkeit, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Experimentator muss damit leben, dass das Messergebnis nicht den wahren Wert widerspiegelt. Die Kunst besteht darin, dem wahren Wert möglichst nahezukommen. Wir wollen dies etwas formalisieren: Die Abweichung eines aus Messungen gewonnenen Wertes vom wahren Wert der Messgröße wird Messfehler x genannt. Die Definition lautet x D xi  xw

(3.1)

Hier ist xi der Messwert und xw der wahre Wert. Zu den Aufgaben des Experimentators gehört es nicht nur, ein Messverfahren zu entwickeln, das den Messfehler in akzeptablem Rahmen hält, sondern auch diesen der Größe nach zu bestimmen. In vielen Fällen ist diese Aufgabe schwieriger und aufwendiger als die eigentliche Messung. Die Definition aus Gl. 3.1 ist für die Bestimmung des Messfehlers nutzlos, da man den wahren Wert nicht kennt. Man muss daher versuchen, den Messfehler auf anderem Wege abzuschätzen. Wie dies im Einzelnen geht, erlernen Sie im Rahmen der physikalischen Praktika. Es würde den Umfang dieses Buches sprengen. Beispiel 3.1: Statistischer Messfehler

Aus der Messung der Schwingungsperiode eines Fadenpendels kann man die Fallbeschleunigung auf der Erde bestimmen (siehe 7 Experiment 17.5). Sie führen eine solche Messung durch. Mit einer Stoppuhr bestimmen Sie die Dauer der Schwingungen. Um die Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen der Uhr zu reduzieren, messen Sie 20 Schwingungsperioden. Sie lenken das Pendel aus und lassen es schwingen. Dann starten Sie die Uhr bei Maximalausschlag (da ist die Bewegung am langsamsten), zählen 20 Schwingungsperioden ab und stoppen die Uhr wieder beim Maximalausschlag. Diese Messung führen Sie insgesamt 15-mal durch. Die Tabelle zeigt die Messwerte.

29 3.1  Messwert

Nr.

Messwert

1

43;4 s

2

41;0 s

3

42;8 s

4

40;6 s

5

41;2 s

6

41;8 s

7

41;8 s

8

45;6 s

9

39;0 s

10

44;8 s

11

41;4 s

12

41;8 s

13

41;2 s

14

37;4 s

15

41;2 s

Aus diesen Messwerten bestimmen Sie den Mittelwert T nach der Formel T D

N 1 X ti N iD1 20

wobei ti die Messwerte aus der Tabelle für 20 Schwingungsperioden sind und N die Anzahl der Messungen (hier 15) ist. Es ergibt sich T D 2;083 s. In den 15 Messwerten ist aber nicht nur die Information über den Mittelwert enthalten, sondern aus der Streuung der Messwerte kann man auch den statistischen Fehler bestimmen. Dabei muss man die Abweichung der einzelnen Messwerte vom Mittelwert betrachten. Die sogenannte Standardabweichung der Einzelmessung  gibt an, wie weit diese um den Mittelwert streuen. Man berechnet sie nach v u 2 N  u 1 X ti T Ti Dt N  1 iD1 20 Mit den Werten aus der Tabelle erhalten wir  D 0;010 s. Betrachten wir nun den ersten Messwert aus der Tabelle. Aus ihm erhalten wir den Messwert T1 D .2;17 ˙ 0;10/ s, aus dem zweiten

3

30

3

Kapitel 3  Messfehler

T2 D .2;05 ˙ 0;10/ s usw. Aber Sie haben ja bereits den Mittelwert bestimmt. Dieser gibt ein genaueres Ergebnis als eine Einzelmessung. Auch dessen statistischen Fehler kann man aus der Tabelle bestimmen. Nun müssen Sie die Standardabweichung des Mittelwertes bestimmen. Dies geschieht nach der Formel v u u ¢T D t

2 N  ¢T 1 1 X ti T Dp i N  1 N iD1 20 N

Sie erhalten T D 0;026 s und damit als Ergebnis der Messung T D .2;084 ˙ 0;026/ s

Das Ergebnis einer Messung wird angegeben als x D .A ˙ A/  Einheit

(3.2)

mit dem Messwert A und dem (absoluten) Messfehler A. Der relative Messfehler ist A=A. Dabei gibt man lediglich die signifikanten Stellen an. Es macht keinen Sinn, einen Messwert mit einer Genauigkeit anzugeben, die deutlich über den Messfehler hinausgeht. Eine sinnvolle Angabe wäre z. B. L D .1;53 ˙ 0;02/ m oder L D .1;534 ˙ 0;023/ m (3.3) Messwert und Messfehler werden immer mit der gleichen Anzahl an Nachkommastellen angegeben. Beispiel 3.2: Planung einer Messung: Messgenauigkeit

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie wollen im Baumarkt Farbe kaufen, um ihr Zimmer neu zu streichen. Wie viele Liter Farbe müssen Sie besorgen? Zunächst müssen Sie die Wandfläche bestimmen, doch leider haben Sie keinen Meterstab und auch keinen LaserEntfernungsmesser oder Ähnliches. Die Raumhöhe beträgt 2;5 m. Sie kommen auf die Idee, die Breite der Wände mit ihren Füßen auszumessen, stellen sich aber die Frage, ob das an Genauigkeit genügt. Ihre Messung ergibt für den rechteckigen Raum eine Grundfläche von 14,5 Füßen  16,5 Füßen. Sie schätzen, dass die Länge Ihres Fußes jedenfalls zwischen 20 cm und 30 cm liegt und wählen als Maß .25 ˙ 5/ cm. Es ergibt sich eine Wandfläche von .2  14;5 C 2  16;5/  0;25 m  2;5 m D 38;75 m2 . Sie

31 3.2  Statistische Interpretation

ziehen noch 2 m2 für die Tür und je 1;5 m2 für zwei Fenster ab, was auf 33;75 m2 führt. Die Farbe hat eine Ergiebigkeit von 10 m2 = l, sodass ein 10-Liter-Eimer für zweimaliges Streichen reichen würde. Wie groß ist die Unsicherheit dieser Abschätzung? Sie rechnen noch einmal mit 20 cm bzw. 30 cm Fußlänge und erhalten zwischen 26 m2 und 41;5 m2 . Sie kommen in allen Fällen zum selben Schluss: Ein 5-Liter-Eimer ist zu wenig, ein 10-Liter-Eimer reicht auch im ungünstigsten Fall aus. Sie kaufen einen 10-Liter-Eimer. Sicherlich ist es möglich, die Wände Ihres Zimmers genauer zu vermessen, aber Sie hätten keinen Vorteil davon. Der 10Liter-Eimer ist in jedem Fall die richtige Menge. Eine genauere Messung hätte lediglich einen höheren Aufwand verursacht. Das Beispiel soll zeigen, wie wichtig es ist, sich vor Beginn einer Messung Gedanken darüber zu machen, welche Genauigkeit die Messung erreichen soll. Dies bestimmt entscheidend den Aufwand, den man dafür treiben muss.

3.2

Statistische Interpretation

Im vorangegangenen Abschnitt haben Sie gelernt, dass die Angabe eines Messwertes ohne Fehler wenig Sinn macht: „Die Länge einer Strecke wurde zu 1;53 m bestimmt.“ Was bedeutet das? Kann es sein, dass der wahre Wert dieser Strecke unterhalb von 1;5 m liegt? Oder gar unterhalb von 1;4 m? Ohne die Angabe eines Messfehlers lässt sich keine dieser Fragen beantworten.

3

32

Kapitel 3  Messfehler

3 . Abb. 3.1 Wahrscheinlichkeitsverteilung einer einfachen Längenmessung mit Gauß’schem Fehler

Selbst mit Fehlerangabe ist die Antwort auf diese Fragen nicht offensichtlich. Nehmen wir an, die Messung hätte L D .1;53 ˙ 0;02/ m ergeben. Ist damit sicher, dass der wahre Wert nicht unterhalb von 1;5 m liegt? Keineswegs! Die Fehlerangabe gibt lediglich eine Orientierung, wie weit der Messwert vom wahren Wert entfernt sein könnte. Sie begrenzt aber die Abweichung nicht. Hinter einem korrekt bestimmten Fehler verbirgt sich eine statistische Interpretation. Man stellt sich dabei vor, dass eine Messung nicht nur einmal, sondern viele Male durchgeführt wird. Dabei ist es wichtig, dass die Einzelmessungen voneinander unabhängig sind, d. h. Fehler, die bei einer Messung zu einer Abweichung um einen bestimmten Wert in eine bestimmte Richtung führen, dürfen bei anderen Messungen nicht zur selben (oder damit korrelierten) Abweichung führen. Beispielsweise muss man sich bei der Längenmessung vorstellen, dass man bei jeder Messung einen anderen Maßstab benutzt, da sonst Abweichungen in der tatsächlichen Länge des Maßstabes zu dem immer selben Fehler führen würden. Die Messergebnisse dieser vielen Messungen werden um einen Zentralwert streuen. Der Messfehler ist ein Maß für diese Streuung. Die exakte Bedeutung hängt von der Häufigkeitsverteilung der Messwerte ab. In . Abb. 3.1 ist eine solche Häufigkeitsverteilung zu sehen. Sie gibt die Häufigkeit an, mit der ein bestimmter Messwert bei vielfacher Wiederholung der Messung auftreten wird. Als Beispiel ist hier eine Normalverteilung (Gauß-Kurve) gewählt 1 x 2 1 Prob.x/ D p e  2 .  /  2

(3.4)

mit dem Mittelwert  und der Standardabweichung  . Der Mittelwert , auch Erwartungswert genannt, ist der wahrscheinlichste Wert. Ihn wird man als Messwert angeben. Die Standardabweichung  bestimmt die Breite der Kurve. Sie wird als Fehler angegeben, also Ergebnis D  ˙  . Führt man eine Einzelmessung aus, so lässt sich aus der Kurve bestimmen, wie wahrscheinlich es ist, dass der Messwert zwischen    und  C  liegen wird. Es

33 3.3  Fehlerfortpflanzung

ergibt sich 68,27 %. Mit der Fehlerangabe L D .1;53 ˙ 0;02/ m meint man also, dass bei einer vielfachen Wiederholung dieser Messung 68,27 % der Messergebnisse innerhalb von 2 cm um den Mittelwert 1;53 m liegen. Die Zahl 68,27 % nennt man das „Vertrauensintervall“ der Messung. Dieses Vertrauensintervall wird häufig benutzt, da es gerade einer Standardabweichung der Normalverteilung entspricht. Man kann aber auch andere Vertrauensintervalle benutzen. Streng genommen müsste man für eine vollständige Angabe neben dem Messwert und dem Fehler auch die Form der Wahrscheinlichkeitsverteilung angeben. Aber das macht man in der Praxis nur sehr selten. Der Grund, der dieses überflüssig macht, liegt im zentralen Grenzwertsatz der Statistik. Dieser besagt in etwa, dass bei der Überlagerung vieler unkorrelierter statistischer Streuungen am Ende eine Normalverteilung entsteht, und zwar unabhängig davon, welche Form die überlagerten Häufigkeitsverteilungen ursprünglich hatten. Da eine Messung in der Regel eine Überlagerung vieler statistischer Effekte ist, sollten die Messergebnisse einer Normalverteilung folgen. Dies wird bei der Angabe einer Messung als L D .1;53 ˙ 0;02/ m implizit angenommen. 3.3

Fehlerfortpflanzung

Der vergangene Abschnitt bezog sich auf die direkte Messung physikalischer Größen. Beispielhaft hatten wir eine Längenmessung betrachtet. Nun wollen wir untersuchen, welchen Einfluss Messfehler auf die Bestimmung abgeleiteter Größen haben. Wir betrachten noch einmal den Stab der Länge L D .1;53 ˙ 0;02/ m. Nehmen wir an, der Stab hat einen Radius von r D 2;5 cm. Wie groß ist dann das Volumen V? Es gilt V D  r 2L

(3.5)

Es ergeben sich 3004;1 cm3 . Wie groß ist der Fehler aufgrund der ungenauen Messung der Länge? Man kann ihn bestimmen, indem man L D .1;53 C 0;02/ m und L D .1;53  0;02/ m als Länge benutzt. Es ergeben sich Volumina von VC D 3043;4 cm3 und von V D 2964;9 cm3 . Also V D .3004 ˙ 39/ cm3 . Der Fehler der direkten Messung der Länge hat einen Einfluss auf die Genauigkeit der Bestimmung des Volumens als abgeleitete Größe. Man spricht von Fehlerfortpflanzung auf die abgeleitete Größe. Oben wurde der Fehler auf das Volumen durch Einsetzen unterschiedlicher Werte der Länge quasi durch Ausprobieren bestimmt. Obwohl dies zum korrekten Ergebnis führt, ist es nicht gerade ein elegantes Verfahren. In der Fehlerrechnung lernt man, dass sich der Fehler auf eine Größe x auf eine abgeleitete Größe A

3

34

Kapitel 3  Messfehler

folgendermaßen fortpflanzt: @A.x/ x @x

A D

3

(3.6)

Hierbei ist x der Fehler auf die Größe x und A der fortgepflanzte Fehler auf A. Dazwischen steht die Ableitung von A nach x. Angewandt auf unser Beispiel ergibt sich V D

@V .L/ L D  r 2 L D 19;6 cm2  2 cm D 39;2 cm3 (3.7) @L

in Übereinstimmung mit der empirischen Bestimmung durch Ausprobieren oben. Schließlich kann man sich die Frage stellen, wie sich der Fehler auf die abgeleitete Größe verändert, wenn in die Bestimmung mehr als eine fehlerbehaftete Größe eingeht. Man muss dann die Fehler aus den verschiedenen fehlerbehafteten Eingangsgrößen einzeln fortpflanzen und zu einem Gesamtfehler quadratisch addieren. Im Falle einer Größe A, die von zwei Eingangsgrößen x und y abhängt, wäre dies1 s  A D

@A.x; y/ @x



2 x2 C

@A.x; y/ @y

2 y2

(3.8)

bzw. bei beliebig vielen Eingangsgrößen xi mit Fehlern i v u n   uX @A.x1 ; : : : ; xn / 2 t A D i2 @x i i D1

(3.9)

Kommen wir zurück zu unserem Beispiel der Bestimmung des Volumens des Stabes und nehmen wir an, dass neben der Längenmessung auch die Messung des Radius fehlerbehaftet sei. Es sei r D .2;5 ˙ 0;1/ cm. Dann ist s  V D

@V .L; r/ @L



2 L2 C

@V .L; r/ @r

2 r2

q D . r 2 /2 L2 C .2 rL/2 r2 p D .39;2 cm3 /2 C .240;3 cm3 /2 D 243;5 cm3

(3.10)

Das Ergebnis ist nun V D .3000 ˙ 240/ cm3 . 1

Hier tauchen in der Formel partielle Ableitungen auf, z. B. @A.x;y/ @x . Diese Schreibweise bedeutet, dass die Funktion A nach der genannten Variable (hier x) abgeleitet wird und alle anderen Variablen als konstant betrachtet werden.

35 3.4  Systematische Fehler

3.4

Systematische Fehler

In den vorangegangenen Abschnitten haben Sie Messfehler kennengelernt, die zu statistischen Fluktuationen des Messwertes führen. Im Beispiel der Messung der Länge eines Stabes wird der Experimentator bei einer Wiederholung der Messung den Maßstab ein klein wenig anders anlegen, sodass ein anderer Messwert entsteht. Dies wäre ein Beispiel eines Effektes, der dazu führt, dass der Messwert streut. Den Einfluss dieses Effektes kann er reduzieren, indem er die Messung mehrmals wiederholt und statt einer Einzelmessung den Mittelwert aller Messungen angibt. Bei den einzelnen Messungen wird er den Maßstab mal zu weit vorne und mal zu weit hinten angelegt haben, was sich dann in etwa herausmittelt. Man kann also durch Wiederholung der Messung diesen Fehler reduzieren. Man nennt solche Messfehler daher auch statistische Fehler. Doch nicht jeder Messfehler ist von dieser statistischen Art. Benutzt der Experimentator zur Messung der Länge des Stabes immer denselben Maßstab, so entsteht ein Fehler, der zu einer systematischen Abweichung der Messwerte in eine bestimmte Richtung führt. Man nennt dies einen systematischen Fehler. Ist beispielsweise der Maßstab in Wirklichkeit ein wenig zu lang, so entsprechen die gemessenen 1;52 m in Wirklichkeit einer etwas größeren Länge. Den Einfluss dieses Effektes kann man durch Wiederholung der Messung nicht reduzieren, da ja bei jeder Messung dieselbe Abweichung aufs Neue auftritt. Manchmal gibt man beim Ergebnis statistische und systematische Fehler getrennt an. Würde bei der oben beschriebenen Längenmessung zum angegeben statistischen Fehler ein Fehler von 1 cm aufgrund der Ungenauigkeit des Maßstabes hinzukommen, so könnte man schreiben L D .1;53 ˙ 0;02stat ˙ 0;01sys / m. Die Bestimmung des systematischen Fehlers ist oft die größte Herausforderung für den Experimentator und nimmt in vielen Fällen mehr Zeit und Energie in Anspruch als die Bestimmung des Messwertes selbst. In unserem Beispiel könnte der Experimentator Glück haben und die Genauigkeit des Maßstabes wurde vom Hersteller auf dem Maßstab vermerkt. Dann wird er wohl diesen Wert übernehmen. Falls nicht, könnte er den systematischen Fehler, der durch die begrenzte Genauigkeit des Maßstabes entsteht, dadurch bestimmen, dass er sich mehrere verschiedene Maßstäbe besorgt. Hat er mit dem ersten Maßstab die Messung 10-mal wiederholt und den Mittelwert angegeben, so wird er sie nun mit jedem der neuen Maßstäbe auch 10-mal durchführen und die Mittelwerte gegeneinander vergleichen. Die Streuung der Mittelwerte gegeneinander gibt ihm ein Maß für deren Genauigkeit. Die Schwierigkeit mit den systematischen Fehlern liegt darin, dass man sie übersehen kann. Jede Messung hat wieder an-

3

36

Kapitel 3  Messfehler

dere systematische Fehler. Der Experimentator muss erst einmal erkennen, wo systematische Fehler versteckt sein könnten, bevor er sich ein Verfahren zu seiner Bestimmung (oder Elimination) überlegen kann.

3

?Aufgaben 1. Sie kaufen einen 125-g-Becher Joghurt. Ihre Küchenwaage (Genauigkeit 0;5 g) misst ein Gewicht von 137;6 g. Nachdem Sie den Joghurt gegessen haben, messen Sie den gespülten Becher. Die Waage zeigt 12;9 g an. Ist das in Ordnung? 2. Ihre Armbanduhr besitze eine zeitliche Stabilität von 105 . Wie häufig sollten Sie die Uhr stellen, wenn Sie nicht mehr als eine halbe Minute falsch gehen soll? 3. Mit einer Laufzeitmessung von Laserpulsen kann man die Entfernung von der Erde zu einem von den ApolloAstronauten auf dem Mond zurückgelassenen Spiegel mit einer relativen Genauigkeit von 3  1010 bestimmen. Wie groß ist die absolute Genauigkeit der Messung (Abstand Erde–Mond: 326 321 km)? Mit welcher Genauigkeit wurde hierfür die Laufzeit gemessen? 4. Im 7 Beispiel 3.1 sollte aus der Messung der Periodendauer T der Schwingung eines Fadenpendels der Länge l die Fallbeschleunigung g bestimmt werden, wobei gilt: gD

4 2 l T2

Zeigen Sie, dass aus dem Fehlerfortpflanzungsgesetz folgt: r  g l 2  T 2 D C 2 g l T Es wurde ein 1;1 m langes Fadenpendel benutzt, wobei die Unsicherheit der Pendellänge auf 2 mm abgeschätzt ist. Ermitteln Sie zusammen mit der Messung der Periodendauer T D 2;095˙0;022 s die Fallbeschleunigung g und deren Fehler. Welches ist der dominierende Beitrag zum Fehler? Kann einer der Beiträge vernachlässigt werden?

37

Methodik Inhaltsverzeichnis 4.1

Physikalische Theorien – 38

4.2

Wissenschaftliche Methode – 39

4.3

Geltungsbereich der klassischen Physik – 41

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_4

4

38

Kapitel 4  Methodik

4.1

4

Physikalische Theorien

Die Arbeitsweise der Physik ist ein Wechselspiel zwischen Modellbildung und experimenteller Überprüfung der Modelle. Die Modelle enthalten Vorstellungen über das Wesen der Natur im Gültigkeitsbereich des Modells. Sie sind in der Sprache der Mathematik geschrieben. Die Modelle erlauben es, Vorhersagen über die Ergebnisse der Experimente zu machen. Ebenso kann man alltägliche Vorgänge mit den Modellen beschreiben und vorhersagen. Mit den Experimenten überprüft man die Vorhersagen. Je häufiger und je präziser dies gelingt, desto mehr Vertrauen haben die Physiker in ein Modell. Das Überprüfen der Modelle ist nicht die einzige Aufgabe der Experimente. Es mag ein Traum sein, eines Tages ein Modell zu finden, das die Natur alleine aus sich heraus quantitativ erklärt, doch bis heute enthalten alle Modelle eine Reihe von Naturkonstanten, deren Werte nicht aus den Modellen abgeleitet werden können. Man muss sie experimentell bestimmen. Erst wenn alle in einem Modell vorkommenden Naturkonstanten gemessen sind, kann das Modell quantitative Vorhersagen machen. Ähnliches gilt für Materialkonstanten, die in vielen Modellen auftreten und die Eigenschaften bestimmter Materialien angeben1 . Nicht jede Vorstellung über physikalische Prozesse kann als Modell akzeptiert werden. Es gibt feste Kriterien, die ein Modell erfüllen muss (. Abb. 4.1). Die Wichtigsten sind die interne Konsistenz und die Falsifizierbarkeit. Ein Modell muss frei von inneren Widersprüchen sein, und es muss möglich sein, daraus Vorhersagen abzuleiten, die überprüft werden können. Eine Vorstellung,

. Abb. 4.1 Schematische Darstellung des Wechselspiels von Theorie und Experiment

1

Zum Beispiel ist die Schmelztemperatur von Eisen eine Materialkonstante, während die Gravitationskonstante eine Naturkonstante ist. Die Schmelztemperatur von Eisen ist zumindest im Prinzip im Rahmen des geltenden Modells berechenbar, die Gravitationskonstante nicht.

39 4.2  Wissenschaftliche Methode

die nicht überprüft werden kann, gilt nicht als Modell. Manchmal benutzt man statt des Begriffs „Modell“ auch „Theorie“. Im Grunde bezeichnet beides dasselbe. Ist der Geltungsbereich eher speziell und eng, so benutzen die Physiker meist den Begriff „Modell“, während „Theorie“ Fällen mit großem Geltungsbereich, die schon vielfach überprüft wurden, vorbehalten ist. Man kann die Physik in zwei Disziplinen unterteilen: Die theoretische Physik untersucht Theorien und leitet aus ihnen Vorhersagen für Experimente ab. Die experimentelle Physik entwickelt Experimente und führt diese durch. Die Grenzen sind fließend und für einen guten Physiker ist es wichtig, beides wenigstens in Ansätzen zu beherrschen. 4.2

Wissenschaftliche Methode

Einen wichtigen Punkt müssen wir noch näher betrachten. Er entstammt der Erkenntnistheorie (oder Wissenschaftstheorie), einem Arbeitsgebiet der Philosophie. Es beschäftigt sich damit, wie wir unter anderem in der Naturwissenschaft Erkenntnisse gewinnen. Kann man nachweisen, dass eine bestimmte Theorie wahr ist? Überraschenderweise ist die Antwort „nein“2 . Auch wenn noch so viele Experimente bei der Überprüfung einer Theorie zu einem übereinstimmenden Ergebnis kommen, heißt das noch lange nicht, dass die Theorie wahr sein muss, denn hier liegt ein Induktionsschluss vor. Induktion ist der (logische) Schluss von Einzelfällen auf allgemeine Aussagen. Solche Schlüsse sind nur unter besonderen Randbedingungen logisch zwingend (z. B. bei der vollständigen Induktion als mathematischer Beweis). In einem Experiment wird immer nur ein besonderer Einzelfall untersucht. Die Theorie macht aber Aussagen über den allgemeinen Fall. In der Philosophie wird dies meist anhand eines einfachen Beispiels mit Schwänen als Hume-Kant-Popper’sches Induktionsproblem diskutiert3 . Das Beispiel geht folgendermaßen: Sie beobachten (erwachsene) Schwäne und stellen fest, dass alle beobachteten Schwäne ein weißes Federkleid besitzen. Rechtfertigt dies die Aussage (Theorie) „Alle Schwäne sind weiß“? Die Antwort ist „nein“, denn die Beobachtung einer Reihe von Schwänen sagt nichts über die Farbe der unbeobachteten Schwäne aus. Schon der nächste könnte schwarz sein (. Abb. 4.2). In der Methode der Naturwissenschaft tritt an die Stelle des Nachweises der Gültigkeit einer Theorie (Verifikation) die Falsifikation. Der Wissenschaftler versucht nicht, eine Theorie zu beweisen, sondern er versucht, 2 3

Diese philosophische Strömung nennt man „Kritischer Rationalismus“, wichtiger Vertreter war Karl Popper. Eine gute Einleitung in das Induktionsproblem findet man auf: 7 http:// arbeitsblaetter.stangl-taller.at/DENKENTWICKLUNG/Induktion.shtml.

4

40

Kapitel 4  Methodik

4 . Abb. 4.2 David Hume (1711–1776), Immanuel Kant (1724–1804) und Karl Popper (1902–1994) erkannten, dass, obwohl sie noch nie einen Schwan beobachtet hatten, dessen Federkleid nicht weiß war, man daraus nicht schließen kann, dass alle Schwäne weiß sind. Das Foto zeigt den Gegenbeweis, einen australischen Trauerschwan. © Mit freundlicher Genehmigung von Christian Träger

sie zu widerlegen (falsifizieren). Findet er trotzdem eine Übereinstimmung seines Ergebnisses mit der Theorie steigt das Vertrauen in die Theorie, doch nur ein einziges Experiment, das einen Widerspruch nachweist, genügt, um die Theorie zu widerlegen. In der Praxis ist dies leider nicht so eindeutig. Es gibt fast zu jeder Theorie Messungen, die nicht mit ihr übereinstimmen. Die Wissenschaftler diskutieren über die Zuverlässigkeit der Experimente oder der theoretischen Vorhersagen, man spekuliert über Lösungsansätze oder über unverstandene Aspekte der Theorie. Ein klassisches Beispiel ist Michelsons Messung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit 1881 und 1887, die der damaligen Theorie der Lichtausbreitung widersprach. Diese Messungen wurden erst 30 Jahre später als Falsifikation der damaligen Theorie anerkannt, erst als Einstein 1905 mit der speziellen Relativitätstheorie die „korrekte“ Theorie entwarf. Solche Prozesse enthalten eine Menge Psychologie4 . Erkenntnistheorie kann nicht Thema dieses Buches sein. Eine Auseinandersetzung mit Erkenntnistheorie können wir Ihnen aber ausdrücklich empfehlen. Sie schärft die Gedankengänge und hilft, ein guter Physiker zu werden. Wir möchten Sie noch auf einen weiteren Aspekt der Methodik wissenschaftlichen Denkens hinweisen, der uns für das Verständnis der Physik wichtig erscheint. Diese Gedanken gehen auf die kritische Philosophie Immanuel Kants zurück. Er hat sich mit den Begriffen „a priori“ und „a posteriori“ auseinandergesetzt. Mit Aposteriori bezeichnet er Erkenntnisse, die sich aus der Erfahrung, die in der Wissenschaft durch Experimente und Beob4

Erstmals dargelegt wurde dies in dem Buch von Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen.

41 4.3  Geltungsbereich der klassischen Physik

achtungen gewonnen wird, herausbilden. Mit Apriori bezeichnet er Erkenntnisse, die bereits vor jeder Erfahrung entstehen. Solche Apriori sind streng allgemeingültig und notwendig für jegliche Wissenschaft. Sie sind Voraussetzungen, auf denen wir eine Wissenschaft erst aufbauen können. Hier einige Beispiele: 4 Naturwissenschaftliches Denken basiert auf einer Vorstellung von Raum und Zeit. Ohne eine solche Vorstellung könnten wir keine Physik betreiben. 4 Ein Bestandteil dieser Vorstellung von Raum und Zeit ist die Homogenität des Raumes. Darunter verstehen wir die Annahme, dass alle Orte im Raum gleichberechtigt sind. Nur so ist es möglich, dass wissenschaftliche Ergebnisse durch andere Wissenschaftler überprüft werden können, da die Prüfung vermutlich an einem anderen Ort durchgeführt wird. 4 Die zeitliche Konstanz der Naturgesetze ist eine weitere Voraussetzung physikalischer Wissenschaft. Experimente müssen wiederholbar sein und immer zum gleichen Ergebnis führen, was impliziert, dass sich die zugrundeliegenden Naturgesetze nicht verändern. 4 Wir nehmen an, dass die Naturgesetze einfach sind – wir sprechen oft von der Eleganz einer Theorie. Stehen mehrere, unterschiedlich komplexe Erklärungen zu einander in Konkurrenz, wählen wir die einfachste Erklärung, z. B. eine solche, die auf einer monokausalen Kette von Ursachen beruht. Wir halten es für wichtig, dass Sie sich bewusst machen, dass es solche Voraussetzungen für wissenschaftliches Denken gibt, die auch die Grenzen wissenschaftlichen Denkens markieren. 4.3

Geltungsbereich der klassischen Physik

Das Thema dieses Bandes ist die klassische Mechanik. Sie ist Teil der klassischen Physik. Wie alle physikalischen Theorien hat auch die klassische Mechanik nur einen begrenzten Geltungsbereich. Er kann durch ein Dreieck mit drei Grenzen beschrieben werden (. Abb. 4.3). An den Grenzen des Dreiecks verliert die klassische Mechanik ihre Gültigkeit.

4

42

Kapitel 4  Methodik

4

. Abb. 4.3 Geltungsbereich der klassischen Physik

Diese sind erreicht, sobald 1. Geschwindigkeiten sich der Lichtgeschwindigkeit nähern, d. h. v 1 c 2. Der Einfluss der Massen oder Energiedichten eine signifikante Raumkrümmung bewirkt, d. h. GM 1 c2 R 3. Wirkungen nicht mehr groß gegenüber dem Planck’schen Wirkungsquantum sind, d. h. Et 1 ¯ Die klassische Physik muss dann durch eine allgemeinere Theorie ersetzt werden. Diese sind in den drei obigen Fällen: 1. Spezielle Relativitätstheorie, 2. Allgemeine Relativitätstheorie, 3. Quantentheorie. Ist mehr als einer der obigen Grenzfälle erreicht, so verwendet man bei 1. + 2. die Allgemeine Relativitätstheorie (enthält die Spezielle Relativitätstheorie). 1. + 3. die Relativistische Quantenfeldtheorie (QFT). 2. + 3. die Quantentheorie der Gravitation. Diese Theorie gibt es allerdings noch nicht.

43

Mechanik der Massenpunkte Inhaltsverzeichnis Kapitel 5

Kinematik des Massenpunktes – 45

Kapitel 6

Dynamik eines Massenpunktes – 79

Kapitel 7

Arbeit und Energie – 105

Kapitel 8

Impuls – 133

Kapitel 9

Reibung – 161

Kapitel 10

Scheinkräfte – 175

Kapitel 11

Himmelsmechanik – 205

II

45

Kinematik des Massenpunktes Inhaltsverzeichnis 5.1

Der Massenpunkt – 46

5.2

Bezugssysteme – 47

5.3

Gleichförmige Bewegung – 53

5.4

Ungleichförmige Bewegung – 57

5.5

Beschleunigung – 59

5.6

Der freie Fall – 62

5.7

Wurfbewegung – 67

5.8

Kreisbewegung – 73

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_5

5

46

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

5.1

5

Der Massenpunkt

Der Massenpunkt, auch Punktmasse genannt, ist eine modellhafte Darstellung eines Körpers. Er dient vornehmlich der vereinfachten Beschreibung der Bewegung des Körpers. Eigenschaften des Körpers wie Volumen und Form werden vernachlässigt. Der Körper wird als mathematischer Punkt angesehen, der keine Ausdehnung, aber eine endliche Masse besitzt. Die gesamte Masse des Körpers ist in diesem Punkt lokalisiert. In der Regel wird man den Schwerpunkt1 des Körpers als diesen Punkt wählen. Die Beschreibung eines Körpers als Massenpunkt ist eine Näherung. In der Natur gibt es keine Massenpunkte. Jeder Körper hat eine Ausdehnung. Durch die Näherung kann das Verhalten des Körpers nur noch unvollständig beschrieben werden. Beispielsweise hat ein Massenpunkt keinen Luftwiderstand, denn dieser ist proportional zur Querschnittsfläche des Körpers, welche für einen Massenpunkt null ist. Oder betrachten Sie die Rotation eines Körpers: Es ist sinnlos, von der Drehung eines Punktes um sich selbst oder von seiner Ausrichtung im Raum zu sprechen. Man kann einem Punkt keine Rotation zuweisen. Trotzdem kann ein Massenpunkt eine ausgezeichnete Näherung sein. Dabei kommt es nicht unbedingt auf die tatsächliche Größe des Körpers an. So kann man die Flugbahn von Ionen durch einen Massenspektrographen mit Massenpunkten bestimmen, ebenso wie man die Bewegung der Erde um die Sonne unter der Annahme berechnen kann, dass es sich bei der Erde um einen Massenpunkt handelt. Es kommt darauf an, dass die Effekte, die man dabei ignoriert, vernachlässigbar klein sind. Im Falle der Bahnbewegung der Erde ignoriert man beispielsweise, dass die Sonne die sonnenzugewandte Seite der Erde stärker anzieht, da sie näher an der Sonne ist als die sonnenabgewandte Seite. Sie müssen für jeden Einzelfall entscheiden, ob der Massenpunkt eine angemessene Näherung darstellt oder nicht. Dies wirft die Frage auf, was eine angemessene Näherung ist. Um diese Frage zu beantworten, muss man sich zunächst klarmachen, dass man ein reales Problem nie exakt lösen kann. Selbst bei einfach erscheinenden Problemen, wie z. B. der Fallbewegung einer Bleikugel im Vakuum, kann man Einflüsse entdecken, die man in seiner Rechnung nicht berücksichtigt hat. Im Falle der Bleikugel wäre dies beispielsweise die Anziehungskraft des Experimentators auf die Bleikugel. Die Behandlung eines realen Problems kann nur mit endlicher Genauigkeit geschehen. Wer ein Problem angeht, sollte sich im Vorhinein Gedanken machen, welche Genauigkeit er erreichen will. An dieser Genauigkeit müssen sich alle Näherungen messen lassen, auch die des Mas1

Die genaue Definition des Schwerpunktes folgt in 7 Abschn. 12.3.

47 5.2  Bezugssysteme

senpunktes. Stören die durch die Annahme eines Massenpunktes vernachlässigten Effekte die gewünschte Genauigkeit nicht, ist der Massenpunkt eine angemessene Näherung. Beispiel 5.1: Fadenpendel

Bei der Behandlung der pendelnden Kugel als Massenpunkt nimmt man an, dass die Kräfte im Schwerpunkt der Kugel angreifen und für alle Punkte der Kugel eine einheitliche Pendellänge gilt. Wir wollen diese Näherung mit einer Abschätzung illustrieren. Wir betrachten eine Kugel mit Radius R D 2 cm und einer Masse m D 200 g, die an einem Faden der Länge l D 80 cm hängt. Wird sie auf 5° aus der Ruhelage ausgelenkt, beträgt die Rückstellkraft 0,17 N. Lassen wir die Kugel los, so wird sie pendeln und dabei im Nulldurchgang ihre maximale Geschwindigkeit erreichen. An diesem Punkt ist auch der Luftwiderstand maximal. Er beträgt, wie wir noch in 7 Abschn. 16.7 lernen werden, 4;8  109 N. Bei der Behandlung des Pendelkörpers als Massenpunkt vernachlässigen wir diese Kraft gegenüber der Rückstellkraft.

5.2

Bezugssysteme

Um die Bewegung eines Körpers zu beschreiben, muss man ein Bezugssystem wählen. Das Bezugssystem legt den Ort fest, in Bezug auf den man die Position des Körpers angibt, und es legt die Raumrichtungen fest, bezüglich derer man Richtungen angibt. Die Bewegung eines Körpers kann aus unterschiedlichen Bezugssystemen ganz verschieden erscheinen (. Abb. 5.1). Stellen Sie sich vor, ein Zug fährt mit konstanter Geschwindigkeit durch einen Bahnhof. Ein Fahrgast lässt eine Holzkugel aus dem Fenster fallen. Aus seinem Bezugssystem (Koordinatenursprung mit dem Zug verankert, x-Achse nach oben, y-Achse auf den Bahnsteig zu, z-Achse in Fahrtrichtung) scheint die Kugel zunächst senkrecht nach unten zu fallen, bis sie schließlich vom Fahrtwind nach hinten, d. h. in negativer z-Richtung, abgelenkt wird. Aus dem Bezugssystem eines Beobachters auf dem Bahnsteig ergibt sich jedoch ein ganz anderes Bild (Koordinatenursprung ortsfest mit dem Bahnsteig, x-Achse nach oben, z-Achse in Bewegungsrichtung des Zuges, y-Achse senkrecht zu beiden): Die Holzkugel fliegt zunächst mit derselben Geschwindigkeit wie der Zug in positiver z-Richtung. Ihre Bahn weist durch den Fall zunehmend nach unten und die Geschwindigkeit in z-Richtung nimmt durch den Luftwiderstand ab.

5

48

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

5 . Abb. 5.1 Blick aus einem ICE auf einen benachbarten langsameren Zug. Aus der Sicht des ICE scheint er rückwärts zu fahren

Beide Beschreibungen der Flugbahn sind gleichwertig. Man kann nicht sagen, die eine sei besser als die andere oder gar die eine sei korrekt, die andere falsch. Es ist eine Frage der Praktikabilität, welches Bezugssystem man wählt. Meist nimmt man ein Bezugssystem, in dem die Beschreibung bzw. Berechnung der Bewegung möglichst einfach erscheint. Objektive Fragen lassen sich aus jedem beliebigen Bezugssystem heraus beantworten. Stellen Sie sich vor, auf dem Gleisbett unter dem Fenster wäre ein Korb aufgestellt. Trifft die Holzkugel in den Korb oder nicht? Dies ist eine objektive Frage. Es muss sich in jedem Bezugssystem dieselbe Antwort ergeben. Auch die Frage, ob die Kugel beim Aufprall zerbricht, lässt sich objektiv beantworten. Andere Fragen können vom Bezugssystem abhängen, wie z. B. die Frage, welche Geschwindigkeit die Kugel beim Aufprall hat (in Bezug auf den Koordinatenursprung). Zur quantitativen Beschreibung von Bewegungen benutzt man Koordinatensysteme. Am weitesten verbreitet ist das kartesische oder rechtwinklige Koordinatensystem. Häufig werden auch Zylinder- oder Kugelkoordinaten benutzt. Diese drei Koordinatensysteme sind in . Abb. 5.2 dargestellt. Darüber hinaus gibt es viele weitere Koordinatensysteme, die oft an spezielle Probleme angepasst sind. Ein Punkt in einem kartesischen Koordinatensystem wird durch die Achsenabschnitte x, y und z dargestellt. Als Vektor ausgedrückt: rE D .x; y; z/

(5.1)

In Zylinderkoordinaten projiziert man den Ortsvektor rE in die xy-Ebene. Die Länge der Projektion nennt man . Man gibt ferner den Winkel der Projektion zur x-Achse und die Höhe z des

49 5.2  Bezugssysteme

. Abb. 5.2 Koordinatensysteme: Kartesische Koordinaten (a), Zylinderkoordinaten (b), Kugelkoordinaten (c)

Punktes über der x-y-Ebene an. Als Vektor schreiben wir rE D . ; ; z/

(5.2)

In Kugelkoordinaten gibt man die Länge des Ortsvektors rE, den Winkel , den wir bereits von den Zylinderkoordinaten kennen (Azimuthwinkel), und den Winkel des Ortsvektors gegen die z-Achse an (Polarwinkel): rE D .r; ; /

(5.3)

Die Achsen der Koordinatensysteme charakterisiert man durch Einheitsvektoren entlang der Achsen. Sie sind in . Abb. 5.2 rot dargestellt. In diesen drei Beispielen stehen die Koordinatenachsen senkrecht aufeinander. Sie bilden ein rechtshändiges Dreibein. Es gibt allerdings auch Koordinatensysteme, bei denen die Achsen nicht senkrecht aufeinanderstehen. Man kann die Koordinaten eines Punktes von einem Koordinatensystem in ein anderes umrechnen. Diese sogenannten Koordinatentransformationen lassen sich aus den Abbildungen ableiten. Für die Umrechnung zwischen kartesischen Koordinaten und Polarkoordinaten ergibt sich: p x D cos D x 2 C y 2 y y D sin D arctan x zDz zDz (5.4)

5

50

5

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

. Abb. 5.3 Bewegte Koordinatensysteme am Bahnsteig und im Zug

Bei der angegebenen Berechnung des Winkels ist die Periodizität der Arcus-Tangens-Funktion zu beachten. Für negative x ist gegebenenfalls  zu addieren oder zu subtrahieren. Die Umrechnung zwischen kartesischen und Kugelkoordinaten ergibt sich mit derselben Bemerkung zum Winkel als p x D r sin cos r D x 2 C y 2 C z 2 y y D r sin sin D arctan x z z D r cos D arccosp (5.5) 2 x C y2 C z2 Mit dem Beispiel der Durchfahrt eines Zuges durch einen Bahnhof am Anfang dieses Abschnitts hatten wir zwei Koordinatensysteme vorgestellt, die gegeneinander bewegt sind, nämlich das Koordinatensystem, das mit dem Bahnsteig verankert ist, und das Koordinatensystem, das sich mit dem Zug mitbewegt (siehe . Abb. 5.3). Der Einfachheit halber hatten wir kartesische Koordinaten für beide Systeme gewählt. Wie rechnen wir von dem einen System in das andere um? Wir bezeichnen das System am Bahnsteig mit S und die zugehörigen Koordinaten mit (x; y; z), das System, das sich mit dem Zug mitbewegt, mit S 0 und die Koordinaten entsprechend mit (x 0 ; y 0 ; z 0 ). Wesentlich für die Umrechnung zwischen S und S 0 ist der Vektor rE.t/, der den Koordinatenursprung von S mit dem von S 0 verbindet. Mit der Bewegung des Zugs wird sich dieser Vektor verändern. Beachten Sie bitte, dass wir ihn sowohl in den Koordinaten von S als auch in denen von S 0 angeben können. Befindet sich beispielsweise der Ursprung von S 0 zum Zeitpunkt t0 vom Bahnsteig aus gesehen am Ort .x0 ; y0 ; z0 /, dann liegt der Ursprung von S aus Sicht des Zugs bei .x00 ; y00 ; z00 /, wobei x00 D x0 ; y00 D y0 und z00 D z0 gilt, sofern die Achsen der beiden Koordinatensystem gleich orientiert sind und wir die gleichen Einheiten für beide System verwenden. Ein Punkt sE, der in S die Koordinaten .xs ; ys ; zs / hat, besitzt in S 0 die Koordina-

51 5.2  Bezugssysteme

ten .xs 0 ; ys 0 ; zs 0 /, wobei für die x–Koordinate xs D x0 C xs0 gelten muss, sowie entsprechende Relationen für die anderen beiden Koordinaten. Bewegen sich die beiden Koordinatensysteme S und S 0 geradlinig und gleichförmig gegeneinander, so kann der Vektor rE.t/ durch eine konstante Geschwindigkeit vE D .vx ; vy ; vz / ausgedrückt werden: rE.t/ D vE t, wobei wir angenommen haben, dass die Koordinatensysteme zum Zeitpunkt zusammenfallen. Es gilt dann: xs D vx t C xs0 ys D vy t C ys0 : zs D vz t C zs0

(5.6)

Man nennt dies die Galilei-Transformation zwischen den Koordinatensystemen. Häufig verallgemeinert man die Transformation zu einer Gruppe von Transformationen, die ebenfalls den Namen Galilei-Transformation trägt, indem man folgende Transformationen hinzunimmt: 4 Die Verschiebung der Koordinatenursprünge gegeneinander um einen festen Vektor aE D .ax ; ay ; az /. 4 Die Verschiebung des Zeitpunktes zwischen den Uhren in den beiden Koordinatensystemen um einen Wert ta , so dass t D ta C t 0 gilt. 4 Die Drehung der Koordinatensysteme gegeneinander, beschrieben durch eine Drehmatrix M . Es gilt dann allgemein: 1 1 0 xs vx .ta C t 0 / C ax C xs 0 @ ys A D M @ vy .ta C t 0 / C ay C ys 0 A: zs vz .ta C t 0 / C az C zs 0 0

(5.7)

Beispiel 5.2: Geschwindigkeiten aus der Sicht eines Autos

Ein Mitarbeiter einer Kfz-Versicherung wandte sich mit folgendem Sachverhalt an uns: Ein Kunde meldete zum wiederholten Male einen Schaden durch Steinwurf an seinem Fahrzeug, einem Audi A8, an. Er sei auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit zwischen 100 km=h und 120 km=h unter einer Brücke durchgefahren, als Jugendliche Steine auf die Fahrbahn fallen ließen. Drei Steine trafen seinen Wagen, zwei auf dem Kofferraumdeckel, der dritte schlug die Heckscheibe ein. Ist das glaubhaft? Zu den Angaben des Kunden gehört die Häufung der Treffer im hinteren Bereich des Wagens. Von außen gesehen fielen die

5

52

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

5 Steine senkrecht nach unten. Ihre Geschwindigkeit können wir aus dem Fallgesetz bestimmen. Doch aus der Sicht des Fahrers kamen die Steine von schräg oben auf das Fahrzeug zu. Bezeichnen wir mit vEv die vertikale Geschwindigkeit durch den Fall und mit vEh die Geschwindigkeit des Fahrzeuges jeweils aus der Sicht vom Fahrbahnrand, dann sieht der Fahrer die Steine mit einer Geschwindigkeit vE0 D vEv  vEh auf sich zukommen. Die Richtung dieser Geschwindigkeit haben wir für vh D 100 km=h berechnet und als schräge Linien in die Abbildung eingetragen. Nehmen wir nun an, dass die Jugendlichen viele Steine haben fallen lassen, so können wir aus dem Bild die Wahrscheinlichkeit ablesen, mit der ein Stein den Wagen in einem der Bereiche A bis F trifft. Die Wahrscheinlichkeit für einen Treffer der Heckscheibe beträgt nur 2,2 %! Bei noch etwas höheren Geschwindigkeiten wird sie ganz zu null. Die kombinierte Wahrscheinlichkeit für zwei Treffer des Kofferraudeckels und einem Treffer der Heckscheibe ist geringer als 0,01 %. Das Bild und die Wahrscheinlichkeiten haben wir der Versicherung übermittelt. Wir wissen leider nicht, wie sich Versicherung und Kunde geeinigt haben.

Beispiel 5.3: Mitbewegtes Koordinatensystem

Eine Person fährt auf einer Achterbahn durch einen Looping. Sie hält eine Kugel an einem Faden in der Hand. Während des Loopings beobachtet die Person, wie das Pendel sich aus seiner Ruhelage heraus bewegt. Sie benutzt Kugelkoordinaten mit dem Ursprung in dem Punkt, in dem sie den Faden hält. Dieses Koordinatensystem bewegt sich mit ihr mit. Die z-Achse zeigt zur Achse des Loopings, die x-Achse in Fahrtrichtung. Die Position der Kugel in diesem System ist durch .r; ; / D .l; 0; .t// gegeben, wobei l die Länge des Fadens ist.

53 5.3  Gleichförmige Bewegung

Wir wollen die Bewegung nicht berechnen, sondern nur beschreiben. Dazu wählen wir ein kartesisches Koordinatensystem, dessen Ursprung am Ein- und Ausgangspunkt des Loopings liegt. Die Richtungen der Koordinatenachsen können Sie der Skizze entnehmen. Die Bahn des Haltepunktes des Pendels durch den Looping ist aus dem kartesischen Koordinatensystem gegeben durch: sEH .t/ D .R sin.2 t=T /; Rt=10; R.1  cos.2 t=T ///: Die Koordinaten der Kugel in diesem System erhalten wir, indem wir .r; ; / aus dem mitbewegten System zu den Koordinaten des Haltepunktes addieren:  sEK D R sin.2 t=T / C l sin. .t//; Rt=10;

 R.1  cos.2 t=T // C l cos. .t// :

Dies ist die Bewegung, die eine Person, die neben der Achterbahn steht, beobachtet. Wollten wir die Bewegungen berechnen, müssten wir die Kräfte bestimmen, die auf die Kugel wirken. Dies ist zum einen die Gewichtskraft, die im ortsfesten System immer nach unten zeigt und zum anderen die Fliehkraft, die im mitbewegten System immer von der Achse des Loopings weg zeigt, d. h. im mitbewegten System in negative z-Richtung. Mit den Koordinatentransformationen können wir die Kräfte in das jeweils andere System transformieren. Versuchen Sie es!

Nach diesen beiden einleitenden Unterkapiteln wenden wir uns nun dem eigentlichen Thema zu, der Kinematik. Darunter versteht man die Beschreibung von Bewegungen, d. h. die Angabe, wo sich ein Körper zu bestimmten Zeiten befindet. Deren Ursache (Einfluss von Kräften) werden wir danach als Dynamik kennenlernen. 5.3

Gleichförmige Bewegung

Bei einer gleichförmigen Bewegung bewegt sich ein Körper in einer geraden Linie mit konstanter Geschwindigkeit durch den Raum. Es ändert sich weder die Richtung noch der Betrag der Geschwindigkeit. Der vom Körper zurückgelegte Weg ist proportional zur verstrichenen Zeit. Trägt man die zurückgelegte Strecke grafisch gegen die verstrichene Zeit auf, ergibt sich eine Gerade (siehe . Abb. 5.4).

5

54

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

. Abb. 5.4 Ein Auto fährt mit konstanter Geschwindigkeit. In festen Zeiten legt es feste Strecken zurück

5

Zur weiteren Beschreibung definieren wir die Geschwindigkeit: vD

s t

(5.8)

Dabei ist v die Geschwindigkeit, s der zurückgelegte Weg und t die dafür benötigte Zeit. Die Einheit der Geschwindigkeit ist m=s bzw. davon abgeleitete Einheiten wie z. B. km=h. Einige typische Geschwindigkeiten finden Sie in . Tab. 5.1.

. Tab. 5.1 Ungefähre Geschwindigkeiten einiger Prozesse oder Bewegungen Wachstum von Tropfsteinen

0,1 mm=a

3,2 pm=s

Wachstum Rasen

5 cm=Woche

83 nm=s

Nacktschnecken

5 cm=min

0,8 mm=s

Fußgänger

5 km=h

1,4 m=s

Schnellster Sprint (Usain Bolt 2019)

200 m=19;19 s

10,4 m=s

Gepard (schnellstes Landtier)

110 km=h

30 m=s

Reisegeschwindigkeit Langstrecken- 860 km=h flugzeug

240 m=s

Schallgeschwindigkeit in Luft

1236 km=h

343,2 m=s

Bahngeschwindigkeit der Erde um die Sonne

29,8 km=s

8;3  103 m=s

˛-Teilchen im radioaktiven Zerfall

0,05 % c

1;5  107 m=s

Lichtgeschwindigkeit

300 000 km=s

3  108 m=s

55 5.3  Gleichförmige Bewegung

Beispiel 5.4: Gleichförmige Bewegung

Ein Auto legt auf leerer, aber geschwindigkeitsbegrenzter Autobahn bei Tempo 120 in einer Stunde 120 km zurück. Seine Geschwindigkeit ist vD

km 120 000 m m 120 km D 120 D D 33;3 1h h 60  60 s s

Experiment 5.1: Geschossgeschwindigkeit

Auf einer Achse, die von einer Bohrmaschine angetrieben wird, sind im Abstand von 50 cm hintereinander zwei Pappscheiben montiert. Die Gewehrkugel (Luftgewehr) durchschlägt die Pappscheiben am äußeren Rand. Auf den Pappscheiben sind Winkelmarkierungen angebracht, die aufeinander ausgerichtet sind. Nachdem das Geschoss die erste Scheibe durchschlagen hat, dreht sich die Achse weiter, sodass es die zweite Scheibe unter einem Winkel ˛ versetzt durchschlägt. Hinter der zweiten Scheibe wird das Geschoss in einer stabilen Holzwand gestoppt. Die Bohrmaschine dreht mit 3000 Umdrehungen pro Minute. Der Durchschuss auf der zweiten Scheibe ist gegenüber der ersten um ˛ D 27ı versetzt. Wir bestimmen die Geschossgeschwindigkeit: 3000 U=min entspricht 50 Umdrehungen pro Sekunde oder 20 ms Zeit für eine volle Umdrehung. Aus einem Dreisatz ergibt sich dann als Flugzeit von der ersten zur zweiten Scheibe tD

© Foto: Hendrik Brixius

27ı 20 ms D 1;5 ms 360ı

und daraus ergibt sich die Geschossgeschwindigkeit zu vD

m 0;5 m D 333 1;5 ms s

Die hier betrachtete gleichförmige Bewegung ist ein Spezialfall. Im Allgemeinen kann sich die Geschwindigkeit mit der Zeit ändern, z. B. wenn ein Auto beschleunigt oder bremst. Die Geschwindigkeit wurde hier vereinfachend als skalare Größe eingeführt. Genau genommen ist sie eine vektorielle Größe, das heißt, sie hat eine Richtung (siehe 7 Anhang A3.2). Der Geschwindigkeitsvektor zeigt in Richtung der Bewegung (in unserem Beispiel mit dem Auto in die Fahrtrichtung). Die korrekte

© Foto: Hendrik Brixius

5

56

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

Definition ist vE D

sE t

(5.9)

Nun haben wir auch die Wegstrecke als Vektor (Es ) geschrieben. Der Vektor zeigt vom Ausgangspunkt der Bewegung zu ihrem Endpunkt. Ändert sich die Richtung der Geschwindigkeit nicht, so spricht man von einer geradlinigen Bewegung. Sowohl geradlinige als auch gleichförmige Bewegung sind Spezialfälle einer allgemeinen Bewegung. Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Nomenklatur: Die hier eingeführten Symbole v, s und t sind die üblichen Symbole für diese Größen, die sich aus ihren lateinischen Namen ableiten. Dies ist eine Konvention, die Sie durchaus brechen dürfen. So bezeichnet man beispielsweise in einem Problem mit mehreren Geschwindigkeiten oft weitere Geschwindigkeiten mit u. Weichen Sie von den üblichen Konventionen ab, sollten Sie allerdings Ihre Symbole für den Leser eindeutig definieren.

5

Beispiel 5.5: Eisstockschießen

Beim Eisstockschießen ist die Reibung gering. Die Bewegung des Stocks kann als gleichförmige Bewegung genähert werden (bis er auf Hindernisse trifft).

© Wikimedia: Skandehoras

Beispiel 5.6: Schwimmen in fließendem Wasser

Ein durchschnittlicher Schwimmer kann in stehendem Gewässer eine Geschwindigkeit von 1 m=s erreichen. Stellen Sie sich nun vor, er möchte mit dieser Geschwindigkeit einen 50 m breiten Fluss durchschwimmen, dessen Fließgeschwindigkeit 0;5 m=s beträgt. Wie weit wird er abgetrieben, wenn er immer senkrecht zur Fließrichtung schwimmt? Wählen wir ein Koordinatensystem (ein zweidimensionales genügt) so, dass der Fluss in x-Richtung fließt und der Schwimmer in y-Richtung startet. Dann ist seine Geschwindigkeit in Bezug auf das Ufer durch die vektorielle Summe der Fließgeschwindigkeit vEfließ und der Geschwindigkeit des Schwimmers vES gegeben:  m  vEfließ D 0;5 ; 0 s  m vES D 0; 1 s

 m m vE D vEfließ C vES D 0;5 ; 1 s s

57 5.4  Ungleichförmige Bewegung

Nun können wir mit dem Strahlensatz den Abtrieb s bestimmen s 0;5 m=s D ) s D 25m 1 m=s 50 m Interessanter ist vielleicht die Frage, unter welcher Richtung der Schwimmer gegen den Strom schwimmen muss, damit er nicht abgetrieben wird. Nun ist vES D .cos ; sin /  1 ms , wobei der Winkel zur x-Achse (Strömungsrichtung) ist. Der Schwimmer treibt nicht ab, wenn die x-Komponente von vE D vEfließ C vES verschwindet. Also 0;5

m m C cos  1 D 0 ) cos D 0;5 ) D 120ı s s

Er muss mit 120ı zur x-Achse oder mit 30ı gegen die Strömung schwimmen. Lassen Sie uns zum Schluss noch bestimmen, wie lange die Überquerung in den beiden Fällen dauert.p Im ersten Fall (mit Abtrieb) ist die zurückzulegende Strecke s D .50 m/2 C .25 m/2 D 55;9 m, im zweiten Fall sind es 50 m. Die Geschwindigkeiten betragen (Beträge von vE) 1;12 m=s bzw. 0;87 m=s. Daraus ergeben sich die Zeiten zu (t D s=jE v j) 50 s bzw. 57;7 s. Nimmt der Schwimmer den Abtrieb in Kauf, so ist er schneller.

5.4

Ungleichförmige Bewegung

Das 7 Beispiel 5.4 erscheint konstruiert. Eine gleichförmige Fahrt mit einem PKW kommt selten vor. Die Geschwindigkeit ändert sich in der Regel fortwährend. In . Abb. 5.5 ist ein ganz anderes Beispiel zu sehen, das ein Motorsportfreund mit dem GPS in seinem Wagen auf der Nordschleife des Nürburgrin-

. Abb. 5.5 Geschwindigkeitsprofil eines Sportwagens auf der Nordschleife des Nürburgrings

5

58

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

ges aufgenommen hat. Würde man in die Definitionsgleichung des vorherigen Abschnitts (Gl. 5.8) die für die Gesamtstrecke von 21;5 km gebrauchte Zeit einsetzen, ergibt sich seine Durchschnittsgeschwindigkeit. Wollen wir aber den tatsächlichen Verlauf der Fahrt beschreiben, müssen wir die Definition der Geschwindigkeit noch einmal überdenken. Wir wenden uns zunächst einem einfacheren Beispiel zu, dem freien Fall (7 Experiment 5.2). Experiment 5.2: Stroboskopaufnahme einer fallenden Kugel

5

© Fotos: Hendrik Brixius

Wir beobachten den freien Fall einer Stahlkugel. Die Stahlkugel wird in einem ca. 1;5 m hohen Fallturm oben durch einen Elektromagneten gehalten. Der Fallturm ist innen schwarz ausgekleidet. An der Seite sind Lichtschranken zur Aufnahme der Bewegung angebracht. Zunächst wollen wir die Bewegung fotografisch erfassen. Dazu wird der Raum abgedunkelt und der Fallturm mit einer Stroboskoplampe beleuchtet (Frequenz ca. 20 Hz). Mit dem Öffnen des Elektromagneten wird die Kamera für die Dauer des Falls ausgelöst (Belichtungszeit 2 s). Die beiden Bilder zeigen die Apparatur und die stroboskopische Aufnahme. Man sieht einen halbkreisförmigen Reflex des Stroboskoplichtes von der Kugel insgesamt 13-mal. Der Abstand der Reflexe wird nach unten immer größer. Die Geschwindigkeit der Kugel nimmt im Fallen zu.

. Abb. 5.6 zeigt Momentaufnahmen einer fallenden Kugel in festen Zeitabständen t. Wir wollen die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t4 bestimmen. Es gibt zwei Möglichkeiten v D s=t anzuwenden: s4 s5 v4 D v5 D (5.10) t t Die Geschwindigkeit v4 ist kleiner als v5 , die gesuchte Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t4 liegt irgendwo dazwischen. Sie lässt sich aus der Abbildung nicht exakt bestimmen. Verringert man t, so verkleinert sich der Unterschied zwischen v4 und v5 . Man nähert sich der gesuchten Geschwindigkeit. Man kann sie mit beliebiger Genauigkeit eingrenzen, indem man t entsprechend klein wählt. Mathematisch entspricht dies einem Grenzübergang vom Differenzenquotienten zur Ableitung. Die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t D t4 ist: . Abb. 5.6 Schematische Darstellung des freien Falls einer Kugel. Gezeigt ist die Position der Kugel zu verschiedenen Zeitpunkten mit festem Abstand

v.t4 / D lim

t !0

s.t4 C t/  s.t4 / s D lim t !0 t t

(5.11)

wobei man genauso gut von v5 hätte ausgehen können (siehe 7 Anhang A3.2 bis 7 Anhang A3.5).

59 5.5  Beschleunigung

Auch hier haben wir zunächst die Richtung der Geschwindigkeit unterdrückt. Man erhält sie aus vE.t/ D lim

t !0

sE.t C t/  sE.t/ d sE D t dt

(5.12)

Die Geschwindigkeit zeigt in Richtung der Tangenten an die Bahnkurve. 5.5

Beschleunigung

Umgangssprachlich versteht man unter Beschleunigung die Erhöhung der Geschwindigkeit, wie in . Abb. 5.7 bei einem Motorrad zu sehen ist. In der Physik wird der Begriff etwas allgemeiner benutzt. Er bezeichnet jegliche Änderung der Geschwindigkeit. Dies kann auch eine Verringerung der Geschwindigkeit – ein Abbremsen – sein. Dann ist der Wert der Beschleunigung negativ. Eine Änderung der Richtung der Geschwindigkeit – eine Kurve –, selbst bei konstantem Betrag der Geschwindigkeit, bezeichnet man in der Physik ebenfalls als „Beschleunigung“. Als Symbol für die Beschleunigung benutzt man üblicherweise ein a. Die Beschleunigung kann sich zeitlich verändern. Daher definiert man sie wie die Geschwindigkeit als zeitliche Ableitung: sE.t C t/  sE.t/ d sE D (5.13) t !0 t dt   vE.t C t/  vE.t/ d vE d d sE d 2 sE aE .t/ D lim D D D 2 t !0 t dt dt dt dt (5.14) vE.t/ D lim

. Abb. 5.7 Ein beschleunigendes Motorrad. Der Beschleunigungsvektor zeigt horizontal nach vorne. © MOTORRAD/jkünstle

5

60

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

. Tab. 5.2 Typische Beschleunigungen in einigen Prozessen

5

S + U Bahnen

1 m=s2

PKW bei Auffahrt auf Autobahn

2 m=s2

Ariane 5 Rakete beim Start

5 m=s2

Fallbeschleunigung

9;81 m=s2

PKW Vollbremsung

10 m=s2

Extremwerte in einer Achterbahn

40 m=s2

PKW: Frontalaufprall auf Mauer aus 50 km=h

200 m=s2

Belastungsgrenze eines Menschen bei sehr kurzen Belastun- 1000 m=s2 gen ( ms) Ultrazentrifugen

106 m=s2

Elektron in einer Fernsehröhre

1017 m=s2

Wie die Geschwindigkeit ist auch die Beschleunigung eine vektorielle Größe. Sie hat eine Richtung. Sie zeigt in die Richtung der Änderung des Geschwindigkeitsvektors. Man unterscheidet zwei Spezialfälle in Bezug auf den Geschwindigkeitsvektor: 4 Bahnbeschleunigung: Beschleunigung zeigt in Richtung der Geschwindigkeit, 4 Zentripetal- oder Normalbeschleunigung: Beschleunigung steht senkrecht zur Geschwindigkeit. Man kann eine beliebige Beschleunigung in diese Komponenten zerlegen (es gibt zwei Normalkomponenten, da es zwei unabhängige Richtungen senkrecht zur Bewegung gibt). Die Einheit der Beschleunigung kann man aus der Definitionsgleichung ablesen. Sie ist m=s2 . Ändert sich die Beschleunigung zeitlich nicht, so spricht man von gleichförmiger Beschleunigung. In diesem Fall kann man die Beschleunigung vereinfacht berechnen aus aE D

E v t

(5.15)

wobei E v die Änderung der Geschwindigkeit in der Zeit t ist. Typische Beschleunigungen finden Sie beispielhaft für einige Prozesse in . Tab. 5.2.

61 5.5  Beschleunigung

Beispiel 5.7: Beschleunigung eines Sportwagens

Der Porsche 911 Carrera beschleunigt von null auf hundert in 4,3 s. Die mittlere Beschleunigung beträgt (100 km=h sind 27;8 m=s) aD

m 27;8 m=s D 6;5 2 4;3 s s © Porsche AG

Ist die Beschleunigung zeitlich konstant, so lassen sich Geschwindigkeit und zurückgelegter Weg einfach berechnen. Es gilt dann (siehe 7 mathematischer Anhang A3.7) a.t/ D a0 D konst: Z Z dv.t/ dt D a0 t C v0 v.t/ D a0 dt D dt Z Z s.t/ D v.t/dt D .a0 t C v0 /dt D

1 2 a0 t C v0 t C s0 2

mit v0 D v.t D 0/

mit s0 D s.t D 0/

(5.16)

Wie man sieht, nimmt die Geschwindigkeit linear mit der Zeit zu. Der zurückgelegte Weg steigt quadratisch mit der Zeit an. Unser Ergebnis für s.t/ nennt man die Ortsfunktion oder auch das Weg-Zeit-Gesetz. Sie gibt an, wo sich der Körper zu einem Zeitpunkt t befindet. Die Bahnkurve, auch Trajektorie genannt, beschreibt den Weg eines Körpers durch den Raum. Ein Beispiel ist in . Abb. 5.8 zu sehen. Die grüne Kurve gibt die Orte an, entlang deren sich der Körper bewegt hat. Die Richtung der Beschleunigung lässt

. Abb. 5.8 Die Bahnkurve eines fiktiven Körpers (grüne Linie). Die Orts- und Geschwindigkeitsvektoren sind zu den Zeitpunkten t0 und t1 angegeben (schwarz bzw. rot)

5

62

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

sich grafisch aus der Bahnkurve ermitteln. In der Abbildung ist die Position des Körpers zu den Zeitpunkten t0 und t1 angegeben (schwarze Vektoren). Der Geschwindigkeitsvektor ist jeweils die Tangente an die Bahnkurve an dieser Position (rote Vektoren). Aus den Geschwindigkeitsvektoren kann man E v D vE1  vE0 bestimmen (blauer Vektor). Der Vektor der Beschleunigung zeigt in diese Richtung. Beachten Sie, dass man die Länge der Orts-, Geschwindigkeitsund Beschleunigungsvektoren nicht direkt miteinander vergleichen kann, da sie unterschiedliche Einheiten tragen.

5 Beispiel 5.8: Beschleunigung eines PKWs

Wir kommen noch einmal auf die Beschleunigung eines Sportwagens zurück. Nehmen wir an, dass er mit 5;6 m=s2 beschleunigt. Allerdings geht das nicht beliebig lange. Um einen ungefähren Eindruck vom Verhalten des Wagens bei Beschleunigung zu erhalten, nehmen wir an, dass er bis zu einer Geschwindigkeit von 100 km=h (27;8 m=s) konstant beschleunigt und danach die Beschleunigung linear abfällt, sodass er am Ende 240 km=h (66;7 m=s) erreicht. Die Rechnung ergibt dann für Geschwindigkeiten unter 100 km=h das bereits bekannte Ergebnis und bei Geschwindigkeiten darüber: a.t/ D a0  ct2 1 v.t/ D a0 t  ct22 2 1 2 1 3 s.t/ D a0 t  ct2 2 6 Dabei ist t2 die Zeit nach Erreichen der 100 km=h und c D 0;4 m=s3 eine Konstante. Das Ergebnis ist in den Abbildungen dargestellt (durchgezogene Kurven) im Vergleich zum Fall ohne Reduktion der Beschleunigung (gestrichelte Kurven).

5.6

Der freie Fall

Der freie Fall ist ein Spezialfall einer beschleunigten Bewegung. Er ist uns aus dem Alltag bestens bekannt. Gemeint ist das Herabfallen von Körpern, ohne dass sie dabei gebremst werden. Die Erdanziehung verursacht diese Bewegung. Das Fallgesetz, das den freien Fall mathematisch beschreibt, ist eines der ältesten Gesetze der neuzeitlichen Physik. Es besagt, dass alle Körper gleich schnell fallen.

63 5.6  Der freie Fall

>Fallgesetz Alle Körper fallen gleich schnell.

Das Fallgesetz überrascht, da es unserer alltäglichen Erfahrung widerspricht. Im Alltag erfahren wir, dass schwere Körper schneller zu Boden fallen als leichte. Ziehen wir aus Versehen eine Serviette vom Tisch, auf der ein Glas stand, so wird das Glas vor der Serviette auf dem Boden aufschlagen. Der Grund ist der Luftwiderstand. Beim Fall des Glases ist er vernachlässigbar, aber die Serviette bremst er deutlich ab. Im Experiment kann man den Einfluss des Luftwiderstandes ausschalten. Dann zeigt sich das Fallgesetz in seiner ganzen Breite. In 7 Experiment 5.3 kann man eine Feder und eine Bleikugel in einem Vakuumrohr fallen sehen. Sie fallen gleich schnell. Experiment 5.3: Fallbeschleunigung

In einem Glasrohr befinden sich eine Bleischeibe und eine Feder. Die Luft im Glasrohr wird mit einer Vorpumpe abgesaugt. Ein Druck unterhalb von 1 mbar beeinflusst den Fall der Körper nicht mehr. Man verschließt das Rohr mit einem Ventil und hält es vertikal. Dreht man nun rasch das untere Ende nach oben, werden Bleistück und Feder nach oben mitgenommen. Anschließend kann man ihren Fall durchs Rohr beobachten. Der Fall dauert nur eine knappe halbe Sekunde. Eventuell muss man den Versuch wiederholen, bis man den Fall genau erkennen kann.

Experiment 5.4: Freier Fall im Luftschatten

Wie wir gesehen haben, ist das Fallgesetz wegen des Luftwiderstandes nicht unmittelbar aus der Erfahrung zugänglich. Es gibt allerdings einen einfachen Trick, wie man den Luftwiderstand ausschalten kann, nämlich durch einen Fall im Windschatten. Dies können Sie leicht selbst ausprobieren. Sie brauchen ein Blatt Papier und ein Buch2 . Sie nehmen das Blatt in die eine und das Buch in die andere Hand, halten sie auf gleiche Höhe und lassen sie gleichzeitig fallen. Wegen des Luftwiderstandes trifft das Buch zuerst auf dem Boden auf. Nun wiederholen Sie das Experiment, indem Sie das Blatt auf das Buch legen. Lassen Sie nun das Buch los, fallen Blatt und Buch gleich schnell. Das Buch verdrängt die Luft und ohne den Luftwiderstand fällt das Blatt genauso schnell wie das Buch.

2

Seien Sie nett zu diesem Buch und suchen Sie ein anderes, weniger wertvolles.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

5

64

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

5

. Abb. 5.9 Galileo Galilei (1564–1642) führte das Experiment in die Naturwissenschaften ein. © CPA Media Co. Ltd/picture alliance

. Abb. 5.10 Der Schiefe Turm zu Pisa. Angeblich hat Galileo Galilei vom Turm seine Fallexperimente durchgeführt

Das Fallgesetz geht zurück auf Galileo Galilei (. Abb. 5.9). Das Manuskript zum Fallgesetz stammt aus dem Jahre 1604, wie eine Analyse der Tinte mit einem Protonenstrahl zeigen konnte, (New Scientist Nr. 2343, S. 17). Wie konnte Galilei das Fallgesetz mit den damals verfügbaren experimentellen Hilfsmitteln nachweisen? Die Geschichte besagt, dass er Fallexperimente am schiefen Turm von Pisa (. Abb. 5.10) durchgeführt hat. Er behauptet Stein- und Holzkugeln vom Turm geworfen zu haben und hundertmal beobachtet zu haben, dass sie gleichzeitig unten ankommen. Man kann sich leicht vergewissern, dass dies nicht stimmt. Die Holzkugel schlägt wegen des Luftwiderstandes nach der Steinkugel auf dem Boden auf. Bei der Höhe des Turmes ist der Unterschied groß genug, dass er sicher auffällt. Auch wenn diese Geschichte sich wohl so nicht ereignet hat, zeigt sie die wichtigste Leistung Galileis. Er führte das Experiment in die Physik ein. Die Kollegen vor ihm suchten die Bestätigung ihrer Gedanken (Modelle) noch in den Aristotelischen Schriften. Galilei suchte sie in der Natur selbst, indem er Experimente durchführte. Doch wie kam er von der Beobachtung, dass die Steinkugel vor der Holzkugel auf dem Boden aufschlägt, zum Fallgesetz? Er musste erkennen, dass der Luftwiderstand das Experiment stört. Um das Experiment erfolgreich durchzuführen, musste er von diesem und anderen Umwelteinflüssen abstrahieren. Eine Aufga-

65 5.6  Der freie Fall

. Abb. 5.11 Rekonstruktion der schiefen Ebene, mit der Galilei das Fallgesetz überprüfte. © Museo Galileo – Instituto e Museo di Storia della Scienza in Florenz

be, der sich auch heute noch jeder Experimentator gegenübergestellt sieht. In jedem Experiment gibt es Einflüsse aus der Umgebung, die sich auf die Messung auswirken und den eigentlichen Effekt, den man messen möchte, verfälschen. Es ist Teil der „Kunst des Experimentierens“, ein Experiment so zu konzeptionieren, dass Umwelteinflüsse vernachlässigbar sind, bzw. einen Weg zu finden, wie man sie abschätzen und im Ergebnis korrigieren kann. Galilei ging folgenden Weg. Er hat den freien Fall aus der Senkrechten auf die schiefe Ebene verlagert. Dort „fallen“ die Körper langsamer. Da der Luftwiderstand quadratisch von der Geschwindigkeit abhängt, ist er bei langsameren Geschwindigkeiten vernachlässigbar und man kann das „reine“ Fallgesetz beobachten. . Abb. 5.11 zeigt Galileis schiefe Ebene. Die Bahn ist für unterschiedliche Metall- und Holzkugeln ausgelegt. Über der Laufrinne sind verschiebbare Bögen angebracht, an denen jeweils ein Glöckchen hängt, das von den durchlaufenden Kugeln angestoßen wird. Können Sie sich vorstellen, wie man mit den Glöckchen das Bewegungsgesetz ausmisst? Experiment 5.5: Freier Fall mit der Fallmaschine

Wir benutzen noch einmal die Fallmaschine, die Sie bereits aus 7 Experiment 5.2 kennen. An der Seite der Fallstrecke sind Lichtschranken in festen, gleichen Abständen angebracht, die

5

66

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

den Durchgang der Kugel registrieren. Die Signale werden mit einem Computer erfasst. Er stellt die Messung der Durchgangszeiten grafisch dar und bestimmt daraus Geschwindigkeit und Beschleunigung. Die drei Abbildungen zeigen die Messergebnisse. In der Abbildung mit der Beschleunigung erkennt man die begrenzte Genauigkeit der Zeitmessungen.

5

Das Fallgesetz besagt, dass alle Körper mit derselben Beschleunigung nach unten fallen. Man nennt sie die Fall- oder Schwerebeschleunigung g. Auf der Erde beträgt sie ungefähr 9,81 m/s2 . Tatsächlich ist sie nicht überall gleich. Sie variiert leicht von Ort zu Ort. Ein Effekt, den allerdings Galilei noch nicht messen konnte. Verantwortlich für die Variation sind mehrere Effekte. Neben der Erdanziehung muss die Fliehkraft berücksichtigt werden, die durch die Erdrotation entsteht. Da diese am Äquator maximal ist, ist dort g am kleinsten. Mit steigender Höhe nimmt g ebenfalls ab, da man sich weiter vom Erdmittelpunkt entfernt und damit die Gravitationskraft ab- und außerdem die Fliehkraft zunimmt. Die Abplattung der Erde durch die Rotation spielt ebenfalls eine Rolle. Dazu kommen lokale Effekte durch Variation der Dichte des umgebenden Gesteins und der Topologie (steht man auf einer Bergspitze oder auf einer Ebene). Beispielhaft seien einige Orte aufgeführt2: g D 9;83219 m=s2

an den Polen (Meereshöhe)

g D 9;81101 m=s

in Aachen

g D 9;78033 m=s

am Äquator (Meereshöhe)

2 2

Es gibt Näherungsformeln, mit denen man g ungefähr bestimmen kann, z. B. die WELMEC-Formel g D 9;780318.1 C 0;0053024 sin2 '  0;0000058 sin2 2'/ 1  0;000003085 2 h s

m s2

(5.17)

Dabei ist ' die geographische Breite und h die Höhe über dem Meeresspiegel in Metern. Für Aachen (geographische Breite 50,7667ı; Höhe über N. N. 173 m) ergibt die WELMEC Formel 9;81084 m=s2 . Die Korrektur durch die geographische Breite beträgt C3;18 , die Korrektur durch die Meereshöhe 0;05 . 2

Die Angaben sind dem Schwereinformationssystem SIS der PhysikalischTechnischen Bundesanstalt Braunschweig entnommen: 7 http://www.ptb.de/ cartoweb3/SISproject.php.

67 5.7  Wurfbewegung

Die restliche Differenz zur obigen Zahl kann man durch die lokalen Gegebenheiten erklären. Beispiel 5.9: Turmspringen

Das Fallgesetz besagt, dass alle Körper gleich schnell fallen. Aus der konstanten Fallbeschleunigung g, ergibt sich die Fallbewegung eines Körpers zu 1 h.t/ D h0 C v0 t  gt 2 2 v.t/ D v0  gt mit der Starthöhe h0 und der Startgeschwindigkeit v0 . Betrachten wir als Beispiel eine Turmspringerin, die aus unterschiedlichen Höhen ins Becken springt. Das Sprungbrett bzw. der Sprungturm habe die Höhe h0 . Die Springerin springt mit einer Geschwindigkeit von 4;5 m=s nach oben ab, was sie auf eine Höhe von gut einem Meter bringt, bevor sie ins Wasser fällt. Wir bestimmen einige interessante Größen: Dauer des Sprungs (aus h.t D tend / D 0): q v0 C 2gh0 C v02 tend D g Geschwindigkeit beim Auftreffen auf dem Wasser v.t D tend /: q vend D  2gh0 C v02 Die Dauer des Sprungs und die Auftreffgeschwindigkeit steigen mit der Wurzel aus der Höhe des Sprungturms an. Hier einige Zahlenbeispiele h0 tend vend

5.7

1m 1;10 s 22;7 km=h

3m 1;36 s 32;0 km=h

10 m 1;96 s 53;0 km=h

Wurfbewegung

Ein Werfer wirft einen Körper im Schwerefeld der Erde. Wie sieht die Flugbahn des Körpers aus? Der gleichförmigen Bewegung durch die Anfangsgeschwindigkeit überlagert sich die Fallbewegung. Die resultierende Bewegung ist die Summe der beiden Einzelbewegungen, die sich gegenseitig nicht beeinflussen. Wir demonstrieren dies in 7 Experiment 5.6.

5

68

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

Experiment 5.6: Superposition mit der Eisenbahn

5

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Wir benutzen eine elektrische Eisenbahn. Auf einen offenen Güterwagon ist eine Wurfmaschine geladen. Sie kann eine Kunststoffkugel senkrecht nach oben abfeuern. Der Mechanismus wird von einer Mechanik an einer bestimmten Stelle am Gleis ausgelöst. Die Kugel fliegt einen halben bis einen Meter hoch und fällt dann wieder herunter. Fährt die Eisenbahn mit konstanter Geschwindigkeit, fällt die Kugel wieder in den Trichter der Wurfmaschine zurück.

Wir wollen nun versuchen, eine Wurfbewegung mathematisch zu beschreiben. Dazu wählen wir ein rechtshändiges Koordinatensystem mit der z-Richtung nach oben und der x-Richtung in Fahrtrichtung des Zuges. Mit dem Abschießen der Kugel starten wir die Uhr (t D 0). Vor dem Abschuss hat die Kugel eine horizontale Geschwindigkeit, die der des Zuges entspricht vx D vZug . Durch den Abschuss entsteht eine Bewegung in der Vertikalen mit der Anfangsgeschwindigkeit vz D v0 . Wir gehen davon aus, dass sich die horizontale und die vertikale Bewegung gegenseitig nicht beeinflussen. In der Horizontalen wirkt keine Beschleunigung. Folglich ist die horizontale Bewegung gleichförmig: x.t/ D vZug t C x0

(5.18)

In y-Richtung gibt es keine Bewegung (y.t/ D y0 ) und in der Vertikalen wirkt die Fallbeschleunigung (nach unten, daher negativ). Es ergibt sich eine Fallbewegung: 1 z.t/ D  gt 2 C v0 t C z0 2

(5.19)

Dabei sind die Koordinaten der Kugel zum Zeitpunkt t D 0 mit x0 , y0 und z0 angegeben. Die tatsächliche Bewegung entsteht als Überlagerung (Superposition) dieser beiden Bewegungen. Die

69 5.7  Wurfbewegung

Ortsfunktion lautet 0 1 vZug t C x0 A y0 rE.t/ D @ 1 2  2 gt C v0 t C z0

(5.20)

Horizontal- und Vertikalbewegung sind unverändert. Sie haben hier ein Beispiel für das Superpositionsprinzip kennengelernt. Wir haben die horizontale und die vertikale Bewegung unabhängig voneinander berechnet und die Ergebnisse am Ende überlagert. Die Anwendung des Superpositionsprinzips vereinfacht die Berechnung dieser Bewegung und anderer Bewegungen erheblich. Beachten Sie aber, dass Sie nicht in allen Fällen ein Superpositionsprinzip anwenden können. Wesentliche Voraussetzung ist, dass sich die beiden Bewegungen (hier die horizontale und die vertikale) gegenseitig nicht beeinflussen. Dies ist in jedem Einzelfall zu überprüfen, bevor das Superpositionsprinzip angewendet wird. Die Parameter in 7 Experiment 5.6 sind so gewählt, dass der Luftwiderstand vernachlässigbar ist. Schießen wir die Kugel noch höher, trifft dies nicht mehr zu. Wie wir später noch lernen werden, hängt der Luftwiderstand quadratisch vom Betrag der Geschwindigkeit der Kugel ab. Dies bedeutet, dass der Luftwiderstand, den Sie in der horizontalen Bewegung berücksichtigen müssen, auch von der vertikalen Geschwindigkeitskomponente abhängt und umgekehrt. Sie können die eine Bewegung nicht mehr ohne die andere bestimmen. Man sagt, die Bewegungen sind durch den Luftwiderstand gekoppelt. Das Superpositionsprinzip gilt nicht mehr. Zur Beschreibung von Bewegung benutzt man in der Kinematik zwei unterschiedliche Darstellungen. Die erste – die Ortsfunktion – haben Sie bereits kennengelernt. Sie gibt die Position des Körpers im Koordinatensystem zu einem beliebigen Zeitpunkt t an. Sie enthält alle Informationen über die Bewegung, aber manchmal ist es schwierig, sich mit der Ortsfunktion den Weg vorzustellen, den der Körper zurücklegt. Dazu benutzt man die Bahnkurve. Wir wollen die Form der Bahnkurve in unserem Beispiel bestimmen. Der Einfachheit halber wählen wir .x0 ; y0 ; z0 / D .0; 0; 0/. Aus der horizontalen Bewegung (Gl. 5.18) ergibt sich x.t/ D vZug t ! t D

x ; vZug

(5.21)

was wir in die vertikale Bewegung einsetzen   x 1 g v0 x 2 1 C v0 D  2 x2 C x (5.22) z.x/ D  g 2 vZug vZug 2 vZug vZug

5

70

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

Wie man sieht, ergibt sich eine Parabel (z hängt quadratisch von x ab). Man nennt sie die Wurfparabel. Die Wurfparabel lässt sich sehr schön mit Wasser darstellen (siehe 7 Experiment 5.7). Mathematisch gesehen ist die Ortsfunktion nichts anderes als eine bestimmte Parameterdarstellung der Bahnkurve, nämlich die, die die Zeit als Parameter benutzt. Experiment 5.7: Wurfparabel mit Wasserstrahl

Aus einem Schlauch tritt ein dünner Wasserstrahl aus. Jedes einzelne Wassermolekül durchläuft eine Wurfparabel. Befestigt man Millimeterpapier hinter dem Strahl, so kann man die Form der Bahnkurve direkt ablesen.

5

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Experiment 5.8: Superposition mit der Armbrust

Ein Wilderer jagt Affen. Er hat ein Opfer auf einem Baum entdeckt und richtet seine Armbrust auf den Affen. Doch dieser erkennt die Gefahr und lässt sich in dem Moment, in dem der Wilderer den Abzug betätigt, vom Baum fallen. Was geschieht? Das Experiment stellt diese Geschichte nach.

© Foto: Hendrik Brixius

Auch hier gilt das Superpositionsprinzip. Der Pfeil aus der Armbrust wird horizontal abgeschossen. Die horizontale Bewegung ist von einer vertikalen Fallbewegung überlagert. Diese wird von der Horizontalbewegung nicht beeinflusst. Vertikal macht der Pfeil einen freien Fall, ebenso wie der Affe. Sie fallen gleich schnell. Der Pfeil wird den Affen treffen und zwar unabhängig davon, wie scharf der Schuss ist. Selbst wenn man die Armbrust nur ganz schwach spannt und der Pfeil auf den knapp 10 Meter Flugstrecke zum Affen um einen ganzen Meter fällt, wird er © Foto: Hendrik Brixius

71 5.7  Wurfbewegung

den Affen präzise treffen. Sich fallen zu lassen, war eine folgenschwere Fehlentscheidung.

Experiment 5.9: Superposition mit der Sprungschanze

Dies ist ein weiteres Experiment, das die Superposition von horizontaler und vertikaler Bewegung eindrucksvoll demonstriert. Eine Stahlkugel rollt eine Sprungschanze hinunter und verlässt am unteren Ende die Bahn mit einer horizontalen Geschwindigkeit. Eine zweite Kugel wird von einem Elektromagneten in derselben Höhe gehalten, in der die erste Kugel die Sprungschanze verlässt. Am Ende der Sprungschanze löst sie eine Lichtschranke aus, die den Strom zum Elektromagneten unterbricht. Die zweite Kugel fällt im selben Moment (Laufzeiten der Elektronik sind vernachlässigbar) aus der Ruhe nach unten, in dem die erste Kugel die Sprungschanz horizontal verlässt. Nach einem kurzen Flug, der mit dem Auge kaum zu verfolgen ist, hört man den Aufprall der Kugeln gegeneinander. Damit das Experiment gelingt, muss die Bahn so auf die ruhende Kugel ausgerichtet sein, dass sich die Kugeln nicht seitlich verfehlen. Außerdem darf der Abstand nicht so groß gewählt sein, dass die Kugeln den Boden erreichen, bevor sie sich treffen. (©) RWTH Aachen, Sammlung Physik

Beispiel 5.10: Optimierung einer Wurfbewegung

Ein Fußballspieler kickt einen Ball von einem Balkon in den Garten. Er versucht, den Ball so weit wie möglich zu kicken. Dabei wird er den Ball nicht horizontal, sondern nach oben treten. Mit welchem Abschlagswinkel ˇ relativ zur Horizontalen erreicht er die maximale Entfernung?

5

72

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

Die Berechnung der Flugweite (ohne Reibung) ergibt: s ! v02 2gh0 sin 2ˇ 1 C 1 C 2 2 RD 2g v0 sin ˇ Dabei ist g die Fallbeschleunigung, die anderen Größen sind in der Skizze erklärt. Falls Sie die Formel nachrechnen wollen, nutzen Sie die Superposition! Bei welchem Winkel wird R maximal? Dazu betrachten wir, wie in der Formel angegeben, die Reichweite als Funktion des Abschlagswinkels R.ˇ/. Am Maximum dieser Funktion muss ihre Steigung verschwinden. Diese berechnen Sie mit Produktregel und mehrfacher Anwendung der Kettenregel. Es ergibt sich

5

s ! v02 2gh0 d R.ˇ/ D cos 2ˇ 1 C 1 C 2 2 dˇ g v0 sin ˇ C

v02 1 gh0 sin 2ˇq cos ˇ 2gh0 v 2 sin3 ˇ g 1C 2 2 0 v0 sin ˇ

d Nun setzt man dˇ R.ˇ D ˇmax / D 0 und erhält (siehe 7 mathematischer Anhang A3.8):

ˇmax

1 0q 2 2gh C v 0 0 C B D arccos@q A 2gh0 C 2v02

Nun müsste man streng genommen noch überprüfen, ob es sich tatsächlich um ein Maximum handelt, indem man zeigt, dass3 ˇ d2 R.ˇ/ˇˇDˇmax < 0 2 dˇ In diesem Fall hilft aber auch physikalische Intuition. Für ˇ D 0 ist die Reichweite zunächst gering und steigt mit steigendem ˇ an. Irgendwann wird sie das von uns berechnete Maximum erreichen und geht dann wieder zurück, da sich für ˇ D 90ı eine Reichweite von 0 ergeben wird. Dazwischen kann es neben dem Maximum keine weiteren Strukturen geben.

3

Der senkrechte Strich bedeutet, dass der Ausdruck links des Strichs ausgewertet werden muss und danach, wie rechts unten angegeben, ˇ durch ˇmax zu ersetzen ist.

73 5.8  Kreisbewegung

5.8

Kreisbewegung

Zum Schluss dieses Kapitels wenden wir uns noch einer besonderen beschleunigten Bewegung zu, der Kreisbewegung. Obwohl ein Körper bei einer Kreisbewegung nicht schneller wird, handelt es sich um eine beschleunigte Bewegung. Der Körper ändert kontinuierlich seine Bewegungsrichtung und damit seine Geschwindigkeit, und wie wir gesehen haben, ist jegliche Änderung der Geschwindigkeit mit einer Beschleunigung verbunden. Die Beschleunigung, die die Bewegung zu einer Kreisbewegung macht, heißt „Zentripetalbeschleunigung“. Sie zeigt immer zum Mittelpunkt der Kreisbahn. Die Geschwindigkeit auf der Kreisbahn heißt „Bahngeschwindigkeit“. Sie verläuft tangential, d. h. in Richtung der Tangenten an die Kreisbahn. Beschleunigung und Geschwindigkeit stehen senkrecht aufeinander. Es gibt einen festen Zusammenhang zwischen der Bahngeschwindigkeit und der Zentripetalbeschleunigung. Dieser ist in . Abb. 5.12 dargestellt. Ein Körper befindet sich im Punkt A. Die Bahngeschwindigkeit sei vB . Würde man die Änderung der Richtung der Geschwindigkeit auf der Kreisbahn ignorieren, legte der Körper in der Zeit t die Strecke AB zurück. Diese ist gegeben durch AB D vB t. Um auf der Bahn zu bleiben, muss der Weg des Körpers um die Strecke h ergänzt werden. Wählen wir t sehr klein (Grenzwert t ! 0), dann steht h senkrecht auf AB und die Anfangsgeschwindigkeit in dieser Richtung ist null. Um in der Zeit t die Strecke h zurückzulegen, muss die Zentripetalbeschleunigung aZ wirken, sodass hD

1 aZ t 2 2

(5.23)

. Abb. 5.12 Skizze zur Bestimmung der Zentripetalbeschleunigung auf einer Kreisbahn

5

74

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

Nun müssen wir nur noch h berechnen. Dazu wenden wir den Satz des Pythagoras auf das Dreieck OAB an: r 2 C .vB t/2 D .r C h/2 vB2 t 2 D 2rh C h2  2rh ! h D

vB2 t 2 2r

(5.24)

Einsetzen in (Gl. 5.23) ergibt

5

aZ D

vB2 r

(5.25)

Wie man sieht, nimmt die Zentripetalbeschleunigung mit steigender Bahngeschwindigkeit quadratisch zu. Je schneller sich der Körper bewegt, desto stärker muss er zum Mittelpunkt hin beschleunigt werden, um die Kreisbahn zu erhalten und dies umso mehr, je enger der Radius der Bahn. Was hätten Sie aus Ihrer alltäglichen Erfahrung erwartet? ?Aufgaben 1. Geben Sie folgende Geschwindigkeiten jeweils in m=s und km=h an: a) Die mittlere Wachstumsgeschwindigkeit eines Baumes, der in 100 Jahren eine Höhe von 30 m erreicht hat. b) Die Geschwindigkeit der Erde beim Umkreisen der Sonne (Abstand Erde–Sonne ca. 149 600 000 km). c) Die Geschwindigkeit der Spitze des 0;7 m langen Stundenzeigers einer Turmuhr. d) Die Schallgeschwindigkeit, die sich aus der Beobachtung ergibt, dass das Echo von einer 0;5 km entfernten Felswand 3 s nach dem Rufen zu hören ist. 2. Ein Radrennen besteht aus einer Bergetappe und nachfolgend einer Talfahrt auf dem gleichen Weg zurück zum Start. Bergauf beträgt die Geschwindigkeit des Siegers im Mittel km v1 D 15 km h und bergab v2 D 50 h . Wie groß ist die mittlere Geschwindigkeit des Gesamtrennens? Ist sie größer oder kleiner als 12 .v1 C v2 /? 3. Eine Leuchtkugel wird senkrecht nach oben abgeschossen. Wie groß muss die Geschwindigkeit sein, damit eine Höhe von 100 m erreicht wird? Wie lange muss die Verzögerung für das Aufleuchten gewählt werden, damit dieses am höchsten Punkt geschieht? 4. Eine S-Bahn wird bei der Anfahrt mit 0;8 sm2 beschleunigt und beim Anhalten mit 1;2 sm2 gebremst. Wie groß ist die minimale Fahrtzeit zwischen zwei Stationen, die 1 km auseinanderliegen? Welche Geschwindigkeit erreicht der Zug dabei maximal? Um wie viel verlängert sich die Fahrtzeit bei einer ? Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km h

75 5.8  Kreisbewegung

5. Betrachtet wird die eindimensionale Bewegung mit konstanter Beschleunigung a, wobei zum Zeitpunkt t D 0 der Ort mit s0 und die Geschwindigkeit mit v0 gegeben sind. Stellen Sie die Beziehungen zwischen den veränderlichen Größen t, s und v auf und zwar für jedes der drei Paare .t; v/, .t; s/ und .s; v/! 6. Zwei Autofahrer fahren innerorts, der eine ordnungsgemäß , der andere mit eimit einer Geschwindigkeit von v1 D 50 km h . Beide Auner überhöhten Geschwindigkeit von v2 D 70 km h tos besitzen die gleiche Bremsverzögerung. Wie groß ist das Verhältnis der Bremswege der beiden Autos? Beide Autos nähern sich nebeneinander einem Zebrastreifen, der gerade von einem Passanten betreten wird, und bremsen gleichzeitig mit der gleichen Verzögerung. Das erste Auto kommt gerade rechtzeitig vor dem Zebrastreifen zum Stehen. Welche Geschwindigkeit vZ hat das zweite Auto beim Überfahren des Zebrastreifens? Die Reaktionszeit der beiden Autofahrer soll jeweils so kurz sein, dass Sie sie vernachlässigen dürfen. 7. Usain Bolt absolvierte bei seinem Weltrekordlauf von 2009 die 100-Meter-Strecke in 9;58 s. Nehmen Sie an, dass er dabei bis zur 25-Meter-Marke konstant beschleunigte und ab da mit konstanter Geschwindigkeit ins Ziel lief. Wie groß waren dann Beschleunigung und Endgeschwindigkeit? 8. Beim Tontaubenschießen müssen die Schützen eine Wurfscheibe, die in 19 m Entfernung mit einer Geschwindigkeit von 19 m=s auf einer Bahn senkrecht zur Schusslinie fliegt, getroffen werden. Wie weit muss der Schütze die Flinte vorhalten, d. h. wie groß ist die Strecke zwischen der Wurfscheibe und dem Zielpunkt, den der Schütze anvisieren muss, um zu treffen? Die Geschossgeschwindigkeit betrage 360 m=s. 9. Ein Luftschiff bewegt sich mit der konstanten Geschwindigkeit v bezüglich der umgebenden Luft. Berechnen Sie allgemein die Zeit t, die das Luftschiff für die Hin- und Rückfahrt zwischen zwei Orten mit Abstand s benötigt für die folgenden Fälle: a) Windstille, b) Seitenwind mit der Windgeschwindigkeit w, c) Rückenwind auf der Hinfahrt und Gegenwind auf der Rückfahrt mit Windgeschwindigkeit w. Reihen Sie die Fahrtzeiten der drei Fälle. 10. Aus einer Düse spritzt horizontal Wasser mit einer Geschwindigkeit von 12 m=s. In welcher Entfernung und unter welchem Winkel zur Horizontalen kommt der Strahl auf dem Boden auf, wenn sich die Düse 0;5 m über dem Boden befindet? 11. Ein Trickskikünstler springt über eine waagrechte Schanze und landet 10 m hinter der Absprungkante gemessen auf dem

5

76

5

Kapitel 5  Kinematik des Massenpunktes

um 45ı geneigten Hang. Wie groß war die Geschwindigkeit beim Absprung? 12. Bei einem Parabelflug bewegt sich ein Flugzeug auf einer parabelförmigen Flugbahn, sodass im Inneren des Flugzeugs Schwerelosigkeit herrscht. Ein Flugzeug mit einer Geschwindigkeit von 600 km=h startet aus einem Steigflug unter einem Steigwinkel von 45ı solch einen Parabelflug und beendet diesen wieder bei einem Sinkwinkel von 45ı . Wie lange dauert der Parabelflug, d. h. wie lange herrscht im Flugzeug Schwerelosigkeit? 13. a) Zeigen Sie, dass bei einem Wurf, bei dem Abwurf- und Auftreffort auf der gleichen Höhe liegen, für die Reichweite des Wurfobjektes gilt: R D 2h sin 2ˇ wobei ˇ der Abwurfwinkel relativ zur Horizontalen ist und h D v 2 =.2g/ die Wurfhöhe beim Wurf senkrecht nach oben wäre. b) Bei welchem Abwurfwinkel ˇmax ergibt sich demnach maximale Reichweite? c) Zeigen Sie, dass bei einem Wurf, bei dem der Abwurfort um H über dem Auftreffort liegt, für die Reichweite des Objektes gilt: ! r H 2 R D 2h cos ˇ sin ˇ C sin ˇ C h d) Zeigen Sie, dass sich für den Abwurfwinkel ˇmax , bei dem die Reichweite R maximal wird, ergibt: sin ˇmax D q

1 2C

H h

14. Berechnen Sie aus der Wurfparabel unter Vernachlässigung der Luftreibung den optimalen Abwurfwinkel für einen Kugelstoßer, der die Kugel auf einer Höhe von 2;1 m mit einer Geschwindigkeit von 13 m=s abstößt. Warum werden beim Kugelstoßen in Wirklichkeit die Kugeln unter kleineren Winkeln gestoßen? 15. Eine Panzerhaubitze trifft ein Übungsziel in 22 km Entfernung bei einer Rohrneigung von 60ı . Dies nennt man „Steilfeuer“, da der Abschusswinkel größer als 45ı ist. Danach soll das gleiche Ziel bei gleicher Treibladung und gleichem Geschoss mit einer Rohrneigung kleiner als 45ı getroffen werden („Flachfeuer“). Wie groß muss diese Rohrneigung beim zweiten Schuss gewählt werden? In welchem zeitlichen Abstand müssen die Schüsse erfolgen, damit die beiden Geschosse gleichzeitig am Ziel eintreffen? Vernachlässigen Sie

77 5.8  Kreisbewegung

Luftwiderstand, Drall des Geschosses und Einfluss der Erddrehung. 16. Zu Trainingszwecken soll ein Astronaut mit einer Zentrifuge der vierfachen Erdbeschleunigung ausgesetzt werden. Dabei rotiert am Ende eines 6 m langen Auslegers eine Kabine, in der der Sitz des Astronauten drehbar gegen die Horizontale aufgehängt ist. Mit welcher Umlauffrequenz muss die Zentrifuge betrieben werden? Unter welchem Winkel zur Horizontalen sitzt dann der Astronaut? 17. Um wie viel ist man aufgrund der Erdrotation am Äquator leichter als an den Polen? Nehmen Sie an, dass die Erde eine ideale Kugel mit dem Radius 6400 km sei.

5

79

Dynamik eines Massenpunktes Inhaltsverzeichnis 6.1

Der Trägheitssatz – 80

6.2

Das Grundgesetz der Mechanik – 85

6.3

Das Reaktionsprinzip – 94

6.4

Superposition von Kräften – 98

6.5

Messung von Kräften – 101

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_6

6

80

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

6.1

6 . Abb. 6.1 Aristoteles (384–322 v. Chr.). © CPA Media Co. Ltd/ picture alliance

Der Trägheitssatz

Durch das gesamte Mittelalter waren die Lehren des Aristoteles (384–322 v. Chr., (. Abb. 6.1)) aus der Antike die entscheidende Quelle der Erkenntnis über die Natur. Wir wollen dieses Kapitel mit einem Rückblick auf seine Bewegungslehre beginnen: Aristoteles fasst den Begriff der Bewegung viel allgemeiner als wir ihn heute benutzen. Jede Art der Veränderung eines Gegenstandes bezeichnet er als Bewegung. Er benutzt das altgriechische Wort kínesis, von dem sich auch das Wort „Kinematik“ als Lehre von der Bewegung ableitet, die wir im vergangenen Kapitel diskutiert haben. Aristoteles schreibt: „Das endliche ZurWirklichkeit-Kommen eines bloß der Möglichkeit nach Vorhandenen, insofern es eben ein solches ist – das ist Bewegung.“ Er geht davon aus, dass eine solche Veränderung bereits als Möglichkeit im Gegenstand angelegt sein muss. Wird diese Möglichkeit schließlich realisiert, so nennt er dies „Bewegung“. Aristoteles unterscheidet vier Arten der Bewegung. Er nennt sie Bewegung 4 dem Wesen nach (Substanz) ! Werden und Vergehen, 4 dem Wie viel nach (Quantität) ! Wachsen und Schwinden, 4 dem Wie nach (Qualität) ! Veränderung einer Eigenschaft, 4 dem Ort nach (Lokalität) ! Bewegung im heutigen Sinne. Die letzte dieser vier Bewegungsarten entspricht dem, was wir heute ausschließlich unter Bewegung verstehen. Auf diese wollen wir uns im Folgenden konzentrieren. Aristoteles unterteilt die Ortsbewegungen weiter in (. Abb. 6.2):

. Abb. 6.2 Natürliche und erzwungene Bewegung bei Aristoteles

81 6.1  Der Trägheitssatz

6

4 Natürliche Ortsbewegung, die zur Folge hat, dass sich leichte Körper nach oben bewegen und schwere nach unten bewegen. So steigt Rauch (ein leichter Körper) auf, während ein Stein (ein schwerer Körper) zu Boden fällt. 4 Erzwungene Ortsbewegung, die einen Antrieb erfordert. Heute würden wir von einer Kraft sprechen. Ohne diesen Antrieb kommt die erzwungene Ortsbewegung zum Stillstand. Ist der Antrieb stark, ergibt sich eine schnelle Bewegung, lässt er nach, wird sie langsamer. Diese Vorstellung erscheint uns fremd. Sie dürfte auch Ihrem physikalischen Verständnis widersprechen. Doch verurteilen Sie sie nicht leichtfertig. Sie entspringt unmittelbar unserer alltäglichen Erfahrung. Schwere Körper fallen scheinbar ohne Antrieb zu Boden, leichte Körper steigen auf. Will man einen Körper entgegen seiner natürlichen Tendenz bewegen, so erfordert dies eine Kraft. Beispielsweise wenn Sie versuchen, den hinuntergefallenen Stein wieder aufzuheben, oder wenn Sie einen schweren Wagen über eine Straße ziehen. Ziehen Sie stark, rollt der Wagen schneller. Hören Sie auf zu ziehen, bleibt der Wagen stehen, die Bewegung ist beendet. So viel zu Aristoteles. Mit dem Beginn der neuzeitlichen Wissenschaften brechen die Physiker schließlich mit Aristoteles’ Vorstellungen über Bewegung. Wir wenden uns Newtons Vorstellungen zu (. Abb. 6.3): Sir Isaac Newton (1643–1727) schafft 1687 mit seiner Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (auf Mathematik beruhende Naturphilosophie, . Abb. 6.4) die Grundlagen der heutigen Mechanik. Sie enthält eine andere Vorstellung von Bewe-

. Abb. 6.3 Portrait Sir Isaac Newtons. Gemalt von Godfrey Kneller (National Portrait Gallery, London). © CPA Media Co. Ltd/ picture alliance

. Abb. 6.4 Newtons Principa © Wikimedia: Andrew Dunn, 5. November 2004

82

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

gung. Newton baut seine Theorie der Mechanik auf drei Axiomen auf. Das erste der drei Axiome ist das sogenannte Trägheitsgesetz. >Newtons erstes Axiom (lex prima), Trägheitsgesetz Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen Bewegung, sofern er nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird.

6

Dies widerspricht Aristoteles. Nach Newton ist keine Kraft (kein Antrieb) notwendig, um eine Bewegung aufrechtzuhalten. Ist ein Körper erst einmal in Bewegung, bewegt er sich immer weiter. Ganz im Gegenteil, eine Kraft ist notwendig, um die einmal begonnene Bewegung zu beenden. Doch Newton widerspricht auch der alltäglichen Erfahrung. Will man einen schwer beladenen Wagen ziehen, braucht man eine Kraft, um die Bewegung aufrechtzuhalten. Ohne Kraft kommt der Wagen zum Stillstand. Um die alltägliche Erfahrung mit Newtons Axiom zu erklären, muss man überall Reibung einführen. Newtons Erklärung einer alltäglichen Bewegung ist wesentlich komplizierter als die aristotelische, auch wenn sie Ihnen durch Ihre Vorbildung vertrauter erscheinen mag.

Axiome An dieser Stelle sind einige Gedanken über Axiome angebracht. Axiome sind die Ausgangspunkte physikalischer Theorien. Es sind allgemeine Sätze, auf denen die Theorie aufbaut. Sie sollten unmittelbar einleuchtend sein. Sie können nicht aus der Theorie und auch nicht aus Experimenten abgeleitet werden. Um solche Axiome handelt es sich sowohl bei Aristoteles’ Erklärung von Bewegung als auch bei Newtons Trägheitsgesetz. Axiome können nicht richtig oder falsch sein, aber sie können mehr oder weniger sinnvoll, nützlich oder geeignet sein. Dies stellt sich mit dem Erfolg der Theorie heraus, die auf ihnen aufbaut. Aristoteles’ Theorie kann einen Bereich der Natur korrekt wiedergeben. Aber mit der Entwicklung neuer Experimentiertechniken in Newtons Zeiten können neue Bereiche experimentell erforscht werden, die Newtons, aber nicht Aristoteles’ Theorie der Bewegung erfassen kann. Hier sind insbesondere die Bewegungen der Planeten zu nennen. Newtons Theorie kann diese erklären, aber Aristoteles’ Theorie nicht. Auch reibungsfreie Bewegungen, die man zu Newtons Zeiten näherungsweise erzeugen konnte, kann man nur mit Newtons Theorie erklären. Wegen des größeren Geltungsbereiches sind Newtons Axiome nützlicher und werden heute fast ausschließlich benutzt.

83 6.1  Der Trägheitssatz

Erst mit den Experimenten zur Lichtgeschwindigkeit im späten 19. Jahrhundert entdeckte man neue Bereiche, die eine Erweiterung der Newton’schen Axiome erforderte. Solange die Geschwindigkeiten im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit klein sind, dürfen sie aber auch heute noch benutzt werden.

Wir haben in 7 Abschn. 5.2 gesehen, dass die Beschreibung einer Bewegung immer die Angabe eines Bezugssystems erfordert. Newton ging davon aus, dass es ein globales Bezugssystem gibt, in dem die gesamte Welt ruht. Dieses Bezugssystem ist mit den Fixsternen verankert. Es definierte zu seiner Zeit das Universum. Newtons Aussagen beziehen sich auf dieses Bezugssystem. Für ihn war dies die natürliche Wahl. Doch die moderne Kosmologie hat uns gezeigt, dass es ein solches Bezugssystem nicht gibt. Auf welches Bezugssystem müssen wir dann das Trägheitsgesetz beziehen? Oder bedeutet dies, dass wir ein beliebiges Bezugssystem benutzen können? Sicherlich nicht. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Zug, der aus dem Bahnhof heraus beschleunigt. Eine leere Bierflasche, die ein Fahrgast zurückgelassen hat, liegt auf dem Boden. Sie sollte nach dem Trägheitsgesetz in Ruhe verharren, aber sie rollt zum Ende des Wagens. Hier gibt es keine Kraft als Ursache der Bewegung. Die Ursache liegt nicht in einer Kraft, sondern im Bezugssystem. Wir verstehen das Trägheitsgesetz heute so, dass es behauptet, dass es Bezugssysteme gibt, in denen man das Trägheitsgesetz anwenden kann. Man nennt diese „Inertialsysteme“. Das Axiom gibt auch eine Vorschrift, wie man Inertialsysteme identifizieren kann: Man muss das Trägheitsgesetz überprüfen. Trifft es zu, handelt es sich um ein Inertialsystem. Sie könnten beispielsweise eine Kugel an einem Faden aufhängen. Hängt sie senkrecht nach unten, ohne sich weiter zu bewegen, ist das Trägheitsgesetz erfüllt. Sie befinden sich in einem Inertialsystem. Bewegt sich die Kugel aber aus der Ruhelage, ist Ihr System kein Inertialsystem. In der Praxis ist die Unterscheidung zwischen Inertial- und Nichtinertialsystemen meist kein Problem. In der Regel kann man Effekte aufgrund der Beschleunigung des Systems abschätzen und entscheiden, ob sie relevant sind oder nicht, aber logisch erscheint die Formulierung des Trägheitsgesetzes wie ein Zirkelschluss: Das Trägheitsgesetz soll in Inertialsystemen gelten, welche wir als solche definieren, in denen das Trägheitsgesetz gilt. Zum Schluss noch eine Bemerkung zu Newtons Weltsystem. Es ist assoziiert mit einem absoluten Raum, der unabhängig von allem anderen existiert. In diesem Raum befindet sich das Universum. Die Fixsterne ruhen in diesem Raum. Es war darüber zugänglich. Nun wissen wir heute, dass kein absoluter Raum exis-

6

84

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

tiert, in dem sich unser Universum befindet, und es gibt auch keine ruhenden Fixsterne. Trotzdem ist dieses System der Fixsterne manchmal hilfreich, zum Beispiel, wenn Sie Abweichungen vom Trägheitsgesetz abschätzen wollen, die durch die Bewegung der Erde um die Sonne entstehen. Sie können es verwenden, solange Sie keine kosmologischen Fragen angehen wollen. Experiment 6.1: Trägheit einer schweren Kugel

Eine Kugel ist an einem dünnen Faden aufgehängt. Unten ist ein Griff mittels eines Fadens an der Kugel angebracht. Beide Fäden haben die gleiche Zugfestigkeit. Nun zieht man am Griff, bis einer der beiden Fäden reißt. Welcher wird es sein1 ? Die Frage ist so nicht zu beantworten. Es hängt davon ab, wie man zieht. Zieht man langsam an dem Griff, so wird der obere Faden reißen. Er wird zusätzlich zur Zugkraft durch das Gewicht der Kugel belastet und reißt daher vor dem unteren Faden. Zieht man hingegen ruckartig, so wird der untere Faden reißen. Nun kommt die Trägheit der Kugel ins Spiel. Durch den kurzen Ruck wird der untere Faden belastet. Dieser zieht die Kugel nach unten und sollte den oberen Faden abreißen, doch die Kugel widersetzt sich aufgrund ihrer Trägheit der Bewegung, sodass die Zugkraft erst allmählich nach oben weitergeben wird. Ist der Zug kurz genug, reißt der untere Faden, noch bevor der obere weiter belastet wird, sodass dieser „überlebt“. Es empfiehlt sich, eine schwere Metallkugel zu verwenden, sodass der Effekt möglichst deutlich wird.

6

Experiment 6.2: Trägheit am gedeckten Tisch

Stellen Sie sich vor, Sie sind abends alleine zu Hause und haben sich ein gemütliches Abendessen zubereitet. Sie legen ein Tischtuch auf und decken den Tisch festlich. Doch dann kommt Ihnen das Tischtuch für ein Abendessen ohne Gäste doch etwas übertrieben vor. Doch wie entfernen Sie das Tischtuch, ohne noch einmal alles abdecken zu müssen? – Richtig! – Sie erinnern sich des Trägheitsgesetzes, greifen das Tischtuch an einem Ende und ziehen es mit einem kräftigen Ruck unter Porzellan und Gläsern heraus. Aufgrund der Trägheit verharrt das Geschirr am Platz und Sie haben das gewünschte Ziel erreicht2 . 1 2

Möchte man das Experiment vorführen, so muss die Kugel gegen Herabfallen gesichert werden. Sollten Sie das Experiment selbst durchführen wollen (es ist gar nicht so schwierig, wie es im ersten Moment erscheint), sollten Tisch und Tischdecke nicht zu groß sein. Achten Sie auf eine glatte Tischdecke (z. B. eine Papiertischdecke) und verwenden Sie beim ersten Versuch nicht gleich das teuerste Geschirr. Autoren und Verlag übernehmen keine Haftung.

85 6.2  Das Grundgesetz der Mechanik

Experiment 6.3: Trägheit bei der Rotation

Dieses Experiment ist besonders einfach. Alles was Sie brauchen, um es selbst durchzuführen, ist ein rohes Ei. Sie legen das Ei auf eine glatte Fläche. Das könnte das Ceran-Kochfeld in Ihrer Küche sein. Es hat einen Rand, der verhindert, dass das Ei hinunterfällt. Nun versetzen Sie das Ei in eine möglichst rasche Rotation. Dann halten Sie das Ei kurz an, bis es vollständig zu Ruhe gekommen ist und lassen es wieder los. Wie von alleine beginnt das Ei, sich erneut zu drehen. Wie kann das sein? Im Inneren der harten Schale befindet sich eine Flüssigkeit (Eiweiß und Eigelb). Wenn Sie das Ei andrehen, wird diese durch Reibung allmählich auch in Rotation versetzt. Nun stoppen Sie das Ei. Dabei wird die Schale angehalten, die Flüssigkeit rotiert aber weiter. Sie wird nur durch Reibung langsam abgebremst. Lassen Sie das Ei rechtzeitig wieder los, rotiert die Flüssigkeit noch. Sie nimmt nun über Reibung die Schale wieder mit. Das Ei beginnt erneut zu rotieren. Sie glauben nicht, dass das Wiederanlaufen etwas mit der Flüssigkeit im Inneren des Eis zu tun hat? Versuchen Sie es mit einem hartgekochten Ei!

6.2

Das Grundgesetz der Mechanik

Newtons erstes Axiom behandelt den kräftefreien Fall. Es besagt, dass sich ohne Krafteinwirkung eine gleichförmige Bewegung ergibt. Über eine Bewegung mit Krafteinwirkung sagt es lediglich, dass diese ungleichförmig sei. Das zweite Newton’sche Axiom quantifiziert nun den Fall mit Krafteinwirkung: >Newtons zweites Axiom (lex secunda), Aktionsprinzip Die Änderung der Bewegung einer Masse ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt.

Man nennt es auch das „Grundgesetz der Mechanik“. Kennt man die Kraft, die auf einen Körper wirkt, so kann man mit dem Grundgesetz seine Bewegung berechnen. Heute drücken wir es meist als Gleichung aus: FE D mE a

(6.1)

Newton hat hier die Masse als Eigenschaft physikalischer Körper eingeführt, die deren Trägheit, d. h. deren Widerstand gegen Bewegungsänderungen beschreibt. Man spricht manchmal auch

6

86

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

. Tab. 6.1 Die Masse einiger Objekte

6

Elektron

9;109  1031 kg

Wasserstoffatom

1;67  1027 kg

Protein-Molekül (Aktin)

6;97  1023 kg

Bakterium

 1015 kg

Eizelle (Mensch)

4 g

Haar .5 cm)

100 g

Fliege

100 mg

Mensch

50 : : : 100 kg

Auto

1t

Airbus A380 (max. Startgewicht)

578 t

Mond

7;348  1022 kg

Erde

5;97  1024 kg

Sonne

1;989  1030 kg

explizit von der trägen Masse. Es gibt Körper in einem weiten Bereich unterschiedlicher Massen. In . Tab. 6.1 haben wir einige Beispiele für Sie zusammengestellt. Die Formulierung in Gl. 6.1 nimmt an, dass die Masse m des bewegten Körpers sich nicht verändert. Eine Verallgemeinerung für sich ändernde Massen werden Sie weiter unten kennenlernen. Beispiel 6.1: Beschleunigung eines Sportwagens

In 7 Beispiel 5.7 hatten wir beschrieben, dass ein Porsche 911 Carrera mit einer Beschleunigung von bis zu 6;5 m=s2 beschleunigen kann. Welche Kraft muss der Motor dazu über die Reifen auf die Straße übertragen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir das Gewicht des Wagens kennen. Wir schätzen es inklusive Benzin und Fahrer mit 1;5 t ab. Dann ergibt sich die Kraft aus F D m a zu nahezu 10 kN. Jeder der beiden hinteren Reifen muss also 5 kN übertragen (Heckantrieb).

Beispiel 6.2: Bremskraft eines Super-Öltankers

Die Jahre Viking, später in Knock Nevis umbenannt, war ein Öltanker und das größte jemals gebaute Schiff. Sie hatte eine maximale Verdrängung von 647 955 t, was ihrem Gewicht bei voller

87 6.2  Das Grundgesetz der Mechanik

Beladung entsprach, bei einer maximalen Ladung von 564 000 t Rohöl. Die maximale Geschwindigkeit betrug 15;8 Knoten oder 8;13 m=s. Sie war nach einem Umbau 458;45 m lang. Das Schiff wurde 2010 abgewrackt. Wie jeder Tanker musste sie bei der Probefahrt nachweisen, dass sie innerhalb von 15 Schiffslängen zum Stillstand gebracht werden kann, indem die Maschinen auf „Volle Fahrt zurück“ gehen. Welche Bremskraft ist hierfür nötig? Mit konstanter Beschleunigung wird die Geschwindigkeit des Schiffs in der Zeit t D v=jaj auf null abgebremst. Die Beschleunigung ist hier negativ. Dabei legt es die Strecke s D 2 1 a t 2 D 12 va zurück, woraus sich eine Beschleunigung von 2  2 1 8;13 ms m 1 v2 D  0;0048 2 : jaj D 2 s 2 15  485 m s Hieraus ergibt sich eine Bremskraft von F D m jaj  3;11  106 N: Allerdings sind hier einige Bemerkungen angebracht: 4 Die Leistung der Schiffsmotoren war noch höher, so dass die Jahr Viking unter dem maximal erlaubten Bremsweg zum Stillstand gebracht werden konnte. 4 Beim Abbremsen spielt auch die Reibung mit dem verdrängten Wasser eine wichtige Rolle, was den Bremsweg weiter verkürzt. 4 Der Radius des Wendekreises ist wie bei den meisten Schiffen dieser Art geringer als der Bremsweg. Im Falle eines plötzlich auftauchenden Hindernisses wird der Kapitän wohl eher abdrehen und wenden, statt anzuhalten.

Das Grundgesetz ist eine Differenzialgleichung (siehe 7 mathematischer Anhang A3.10). Sie gibt nicht die Bewegung rE.t/ eines Körpers direkt an, sondern indirekt die Beschleunigung, die auf ihn wirkt. Die Bewegung muss man hieraus erst berechnen. Betrachten wir zunächst den einfachsten Fall, in dem die beschleunigende Kraft verschwindet, FE D 0. Dann ist d vE.t/ D0 dt Z Z d vE.t/ dt D 0E dt D cE vE.t/ D dt

aE .t/ D

(6.2)

© wikimedia: Fred the Oyster

6

88

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

wobei cE ein konstanter Vektor ist (die Integrationskonstante). Die Geschwindigkeit ist in diesem Fall also konstant, was wir bereits aus dem Trägheitsgesetz wissen. Nehmen wir nun an, dass tatsächlich eine Kraft wirkt. Diese nehmen wir als zeitlich konstant an, FE .t/ D FE0 . Dann ist die Beschleunigung ebenfalls zeitlich konstant, mit aE D

6

1 E F0 m

(6.3)

Dies ist der Fall, den wir in 7 Abschn. 5.5 als gleichförmige Beschleunigung kennengelernt haben (Gl. 5.16). Schwieriger wird die Lösung der Differenzialgleichung, wenn die Kraft orts- oder zeitabhängig ist. Systematisch lernt man die Lösungsverfahren in den Kursen der theoretischen Physik. Hier seien nur einige wenige Beispiele angeführt. Beispiel 6.3: Bewegung im Gravitationsfeld

In 7 Abschn. 5.7 haben wir die Wurfbewegung diskutiert und dabei angenommen, dass die Fallbeschleunigung während des Wurfes konstant ist. Bei sehr großen Wurfhöhen bewegt sich der Körper aus dem Gravitationsfeld der Erde heraus, wodurch die Fallbeschleunigung abnimmt. Diesen Fall wollen wir als Beispiel der Bewegung unter dem Einfluss einer ortsabhängigen Kraft diskutieren. Wir werden später noch lernen, dass sich die Gewichtskraft, die auf einen Körper im Schwerefeld der Erde wirkt, mit dem Abstand vom Erdmittelpunkt verringert. m FEG D GM 2 eOr ; r dabei ist m die Masse des Körpers, M die der Erde, G eine Konstante (die Gravitationskonstante) und eOr ein Vektor, der vom Zentrum der Erde nach außen zeigt. Die Gewichtskraft wirkt in die entgegengesetzte Richtung (zum Mittelpunkt). Wir schießen einen Körper mit großer Geschwindigkeit senkrecht nach oben ab. Dann lässt sich das Problem auf eine eindimensionale Rechnung in Richtung r reduzieren. Aus dem Grundgesetz erhalten wir ma D m

m dvr D GM 2 ; dt r

mit der Radialgeschwindigkeit vr . Statt über ihre zeitliche Änderung kann man sie über ihre räumliche Änderung ausdrücken: dvr dr dvr dvr D D vr : dt dr dt dr

89 6.2  Das Grundgesetz der Mechanik

Dies setzen wir ein und separieren die Variablen r und vr , d. h. wir bringen alle Größen, die r enthalten, auf die eine Seite der Gleichung und die, die vr enthalten, auf die andere: dvr m D GM 2 dr r m mvr dvr D GM 2 dr r 1 vr dvr D GM 2 dr r

mvr

Dies integrieren wir nun und erhalten Z

Z

1 dr r2

vr dvr D GM GM 1 2 v D Cc 2 r r

wobei c eine Integrationskonstante ist, die wir aus den Randbedingungen bestimmen müssen. Wir wählen c so, dass sich beim Abschuss, d. h. bei einem Abstand r D rE , der der Oberfläche der Erde entspricht, die Anfangsgeschwindigkeit v0 ergibt. 1 2 GM 1 GM v D C c ! c D v02  2 0 rE 2 rE und damit   1 1 GM GM 1 1 1 2 vr D C v02   D v02 C GM 2 r 2 rE 2 r rE oder s



vr D v02 C 2GM

1 1  r rE



Nun lässt sich beispielsweise die Flughöhe rmax berechnen als der Abstand r, für den die Radialgeschwindigkeit null wird. Danach stürzt der Körper wieder auf die Erde zurück. s 0 D v02 C 2GM



1 rmax



1 rE



 ) rmax D

1 v02  rE 2GM

1

Das Ergebnis ist in der Abbildung als Funktion der Anfangsgeschwindigkeit dargestellt. Für kleine Geschwindigkeiten ist die Flughöhe kaum vom Erdradius zu unterscheiden, doch mit steigendem v0 steigt sie immer mehr an, bis sie oberhalb von 10 000 m=s gegen unendlich strebt. Die Fluchtgeschwindigkeit

6

90

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

ist erreicht. Der Körper entfernt sich vollständig aus dem Schwerefeld der Erde. Den genauen Wert können Sie sicherlich selbst bestimmen.

6 Beispiel 6.4: Bewegung bei zeitabhängiger Kraft

Ein Fußballspieler tritt gegen einen Ball. Die Kraft auf den Ball wächst von der ersten Berührung zu einem Maximum an und fällt wieder ab, wenn der Ball wegzufliegen beginnt. Wir wollen den zeitlichen Verlauf der Kraft durch eine Gauß-Kurve nähern. Wir nehmen ferner an, dass der Ball zentral getroffen wird und damit geradeaus wegfliegt. Dann genügt es, den Betrag der Kraft zu betrachten: F .t/ D F0 e t

2 =t 2 0

Wie groß ist die Geschwindigkeit nach dem Stoß? Wir setzen ein in das Grundgesetz der Mechanik. 2

ma D m

 t2 dv D F0 e t0 dt 2

F0  tt 2 e 0 dt m Zve Z1 2 F0  tt 2 e 0 dt dv D m dv D

0

1

Im ersten Schritt haben wir wieder die Variablen separiert. Da wir nur an der Endgeschwindigkeit interessiert sind, haben wir im zweiten Schritt über den gesamten Stoß integriert. Der Stoß findet bei t D 0 statt. Bei t D 1 ist die Geschwindigkeit noch null, bei t D C1 ist die Endgeschwindigkeit ve erreicht. Das Integral lässt sich in einem Tabellenwerk nachschlagen. Es ergibt sich ve D

F0p t0 m

91 6.2  Das Grundgesetz der Mechanik

Beispiel 6.5: Numerische Integration der Bewegungsgleichung

In manchen Fällen kann die Abhängigkeit der beschleunigenden Kraft von Ort und Zeit so kompliziert werden, dass keine analytische Lösung mehr gefunden werden kann. Man kann dann die Differenzialgleichung immer noch numerisch lösen. Ein besonders einfaches Verfahren (das Sie eventuell selbst programmieren können) sei hier vorgestellt. Wir beginnen zum Zeitpunkt t. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Körper am Ort rE und hat die Geschwindigkeit vE. Auf ihn wirkt die Kraft FE .Er ; t/. Diese Kraft führt zu einer Änderung der Geschwindigkeit, die man aus dem Grundgesetz der Mechanik berechnen kann. mE aDm

d vE D FE .Er ; t/ dt

1 E F .Er ; t/dt m vE.tCt/ Z d vE E vD d vE D

vE.t/

1 D m

tCt Z

  1 FE rE; t 0 dt 0  FE .Er ; t/ m

t

tCt Z

dt 0 D

1 E F .Er ; t/t m

t

Dabei haben wir angenommen, dass das Zeitintervall t so klein ist, dass die Kraft über dieses Intervall als konstant angenommen werden kann. Dann kann man die Kraft aus dem Intergral herausziehen und das Integral ergibt nur noch t. Damit haben wir die Geschwindigkeit am Ende des Zeitintervalls t bestimmt. Der Ort ergibt sich aus rE.t C t/ D rE.t/ C vE.t/  t: Nun haben wir Ort und Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t C t und müssen nur noch iterieren. Wir bestimmen Ort und Zeit nach weiteren Zeitschritten t. Da wir die Zeitintervalle klein wählen müssen, sind viele Iterationen nötig. Dies macht man sinnvollerweise mit einem Computer. An einigen Stellen haben wir eine Wahl getroffen, die nicht eindeutig war. Wir benutzten die Kraft zu Beginn des Zeitinter  valls FE rE; t für die Berechnung der Geschwindigkeitsänderung. Ebenso gut hätten wir die Kraft am Ende FE .Er ; t C t/ oder in der Mitte nehmen können. Für die Berechnung der Ortsänderung haben wir die Geschwindigkeit zu Beginn des Zeitintervalls benutzt. Auch hier hätten wir die Geschwindigkeit am Ende oder in der Mitte des Intervalls benutzen können. Ähnliche Überlegungen gelten für den Ort. Wenn die Zeitintervalle klein genug

6

92

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

gewählt sind, führen alle Wahlmöglichkeiten zum gleichen Ergebnis. Man kann dies benutzen, um zu überprüfen, ob die Zeitintervalle klein genug sind. Im ersten Moment mag ein solches Verfahren unbefriedigend sein. Am Ende bekommt man Zahlentabellen über die Bewegung, aber keine Lösungsfunktion. In der Praxis macht dies aber keinen Unterschied. Man kann die Bahn mit einem solchen Verfahren mit einer Genauigkeit bestimmen, die alleine durch Rechenzeit und numerische Ungenauigkeiten des Rechners begrenzt ist. Eine Genauigkeit, die in der Praxis ausreicht.

6 Experiment 6.4: Beschleunigung auf der Luftkissenbahn

Das Grundgesetz der Mechanik zeigt zwei einfache Proportionalitäten, die sich überprüfen lassen. Die Beschleunigung sollte proportional zur beschleunigenden Kraft und umgekehrt proportional zur beschleunigten Masse sein.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Zur Durchführung des Experimentes benutzen wir eine Luftkissenbahn, um eventuelle Verfälschungen der Messung durch Reibung ausschließen zu können. Durch kleine Löcher in der Schiene der Bahn entweicht Druckluft, auf der ein Schlitten schwebt. Der Schlitten wird über einen Faden und eine Umlenkrolle mit Gewichten beschleunigt. Auf der Schiene sind 10 Lichtschranken angebracht, mit denen die Bewegung aufgezeichnet und die Beschleunigung bestimmt werden kann. Die Abbildung zeigt die Apparatur. Es wurden drei Messungen durchgeführt, die

93 6.2  Das Grundgesetz der Mechanik

in den drei Skizzen und der Tabelle dargestellt sind. Aus der ersten Messung wurden Vorhersagen für die folgenden abgeleitet. Beachten Sie, dass nicht nur die Masse des Schlittens, sondern auch die des beschleunigenden Gewichtes selbst beschleunigt werden muss.

Masse Schlitten (g)

Masse Gewicht (g)

Beschleunigung (m=s2 ) Erwartet

Gemessen

241,5

26

0,911

241,5

52

1,66

1,73

535,0

52

0,83

0,87

Newton zur Ehre bezeichnet man die Einheit der Kraft als 1 Newton, mit dem Symbol N. Über das Grundgesetz der Mechanik lässt sich die Einheit auf die Basiseinheiten m, s, kg zurückführen: 1N D 1

kg m s2

6

94

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

1 N ist die Kraft, die man aufwenden muss um einen Körper der Masse 1 kg mit 1 m=s2 zu beschleunigen. Um eine Abschätzung für die uns weniger vertraute Einheit Newton zu gewinnen, kann man sich merken, dass 1 N ungefähr der Gewichtskraft einer Masse von 100 g entspricht. 6.3

6

Das Reaktionsprinzip

Das dritte Newton’sche Axiom beschäftigt sich mit der Ursache der Kräfte. Jede Kraft muss eine materielle Ursache haben. Es muss einen Körper geben, von dem die Kraft ausgeht. Das dritte Newton’sche Axiom besagt nun, dass auf den Körper, der die Kraft ausübt, eine ebenso große Kraft zurückwirkt. >Newtons drittes Axiom (lex tertia), Reaktionsprinzip Kräfte treten immer paarweise auf. Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine Kraft aus (actio), so wirkt eine gleich große, aber entgegen gerichtete Kraft von Körper B auf Körper A (reactio).

Man kürzt dieses Axiom oft mit den Worten „actio D reactio“ ab. Auch dieses Axiom kann man als Gleichung ausdrücken: FEA!B D FEB!A Dabei steht links die Kraft, die vom Körper A auf den Körper B wirkt, und rechts die rückwirkende Kraft von B auf A. Solche Reactio-Kräfte sind uns vielfältig aus dem Alltag bekannt. Sie heben eine schwere Tasche an, indem sie diese nach oben ziehen. Die Reactio spüren Sie deutlich als die Kraft, mit der die Tasche ihre Hand nach unten zieht. Oder Sie ziehen einen Schlitten, auf dem ein Kind sitzt, einen Hang hinauf. Sie ziehen nach oben (actio), aber der Schlitten zieht an Ihnen nach unten (reactio). Deshalb haben Sie Schwierigkeiten voranzukommen, wenn der Schnee gefroren und glatt ist. Beispiel 6.6: Reactio am Hammer

Sie schlagen einen Nagel in eine Wand. Der Hammer überträgt eine Kraft auf den Nagel, die diesen in die Wand treibt. Aber betrachten Sie einmal die Bewegung des Hammers. Er kommt mit hoher Geschwindigkeit auf den Nagel zu und wird abrupt abgebremst. Seine Geschwindigkeit wird plötzlich zu null. Nach dem zweiten Newton’schen Axiom ist für eine Geschwindigkeitsänderung immer eine Kraft verantwortlich. Diese Kraft ist hier die

95 6.3  Das Reaktionsprinzip

Reactio-Kraft des Nagels. Der Nagel wirkt mit einer Kraft auf den Hammer zurück, die diesen abbremst.

Experiment 6.5: Reactio auf Skateboards

Dieses Experiment ist ein sportlicher Wettbewerb. Zwei etwa gleich schwere Kontrahenten stellen sich jeweils auf ein Skateboard. In der Mitte zwischen den beiden Skateboards wird eine Markierung angebracht (Ziellinie). Nun bekommen die beiden Kontrahenten ein Seil in die Hand, mit dem sie versuchen, den Anderen über die Ziellinie zu ziehen. Wessen Skateboard zuerst die Ziellinie erreicht, hat verloren. Wer wird gewinnen?

© Foto: Hendrik Brixius

Keiner wird gewinnen! Die beiden Skateboards kommen gleichzeitig auf der Ziellinie an. Wenn einer der Kontrahenten am Seil zieht, zieht er sein Gegenüber auf die Ziellinie zu, doch vom Gegenüber wird eine Reactio ausgehen, die ihn selbst in gleichem Maße auf die Ziellinie zuzieht. Da die Kräfte gleich sind, kommen sie (bei gleichen Massen) gleichzeitig an3 .

Experiment 6.6: Rückstoß vom Medizinball

Kennen Sie die schweren Medizinbälle, die man in Sporthallen findet? Haben Sie schon einmal versucht, einen solchen Ball zu werfen? Stellen Sie sich fest auf beide Beine und stoßen Sie den Ball von der Brust weg. Sie übertragen eine Kraft auf den Ball, die diesen von Ihnen weg beschleunigt, doch Sie werden deutlich

3

Gegebenenfalls muss ein Schiedsrichter darauf achten, dass sich die Kontrahenten keine Vorteile durch Reibungseffekte erhaschen.

6

96

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

spüren, dass vom Ball eine Kraft auf Sie zurückwirkt. Sie werden nach hinten gestoßen.

6

Man kann diesen Rückstoß sichtbar machen, indem man sich auf eine bewegliche Unterlage stellt, z. B. in ein Boot auf einem See. Das Boot bewegt sich nach dem Wurf nach hinten weg. Dasselbe geschieht, wenn Sie den schweren Ball in einem Boot stehend fangen. Beim Fangen bremsen Sie den Ball durch eine gegen die Wurfrichtung gerichtete Kraft ab. Die Reactio darauf bewegt das Boot nach hinten. Der Mensch in dem einen Boot scheint eine Kraft auf den Menschen im anderen Boot auszuüben, ohne diesen zu berühren. So stellt man sich übrigens in der modernen Physik die Fernwirkung von Kräften vor.

Experiment 6.7: Wasserrakete

Raketen werden durch die Reactio beschleunigt. Im Inneren der Rakete befindet sich ein Treibstoff, der mit hoher Geschwindigkeit ausgestoßen wird. In der Rakete wirkt eine Kraft, die den Treibstoff nach hinten beschleunigt. Als Reactio übt der beschleunigte Treibstoff eine Kraft auf die Rakete aus, die nach vorne zeigt. Diese Kraft beschleunigt die Rakete. Im Bild sehen Sie ein einfaches, aber trotzdem eindrucksvolles Exemplar, eine Kaltwasserrakete. Die Rakete ist ein einfaches Kunststoffgefäß mit einem Volumen von etwa einem halben Liter. Es wird mit 40 ml Wasser betankt. Danach wird die Rakete mit Druckluft auf 5 bar aufgeblasen. Entfernt man den Schlauch, startet die Rakete. Die Druckluft drückt das Wasser aus der Öffnung hinten und beschleunigt die Rakete. Sie fliegt locker quer durch den Hörsaal.

97 6.3  Das Reaktionsprinzip

© Foto: Hendrik Brixius

Beispiel 6.7: Seilkräfte

Die Skizze zeigt zwei Massen, die mit einem Seil über eine Umlenkrolle miteinander verbunden sind. Wir nehmen an, dass die Massen von Seil und Umlenkrolle sowie Reibungseffekte zu vernachlässigen sind. Sind die Massen nicht gleich groß, wird die schwerere die leichtere nach oben ziehen. Wir wollen die Beschleunigung bestimmen. Der Einfachheit halber nehmen wir m1 > m2 an. Die beschleunigende Kraft ist F D m1 g  m2 g Bei der Beschleunigung muss allerdings die Trägheit beider Masm1 m2 F sen überwunden werden. Folglich ist a D m1 Cm D m g. 2 1 Cm2 Nun wollen wir noch die Kräfte bestimmen, die auf das Seil und auf die Aufhängung der Umlenkrolle wirken. Gehen wir vom rechten Seil aus. Zum einen hängt das Gewicht m2 an diesem Seil. Dessen Gewichtskraft spannt das Seil nach unten. Zusätzlich wird das Gewicht nach oben beschleunigt mit der Beschleunigung a, wozu eine Kraft m2 a erforderlich ist. Die Reactio auf diese Kraft addiert sich zur Gewichtskraft, sodass sich für die Seilkraft ergibt FSeil D m2 g C m2

2m1 m2 m1  m2 gD g m1 C m2 m1 C m2

Auf das linke Seil muss die gleiche Kraft wirken. In der Aufhängung addieren sich die beiden Kräfte.

6

98

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

6.4

Superposition von Kräften

In Newtons zweitem Axiom ist von einer einzigen Kraft, die auf einen Körper wirkt, die Rede. Die Verallgemeinerung auf mehrere Kräfte ist einfach. Newton beschreibt diese in einem Korollar. Man muss die Kräfte vektoriell zu einer Gesamtkraft FEges addieren, die dann zur Berechnung der Bewegung heranzuziehen ist. Also X FEges D FEi (6.4) i

6

Hier stoßen wir erneut auf ein Superpositionsprinzip. Es ist mit dem Superpositionsprinzip für Geschwindigkeiten, das wir in 7 Abschn. 5.7 kennengelernt haben, eng verknüpft. Haben wir mehrere Bewegungen, die sich gegenseitig nicht beeinflussen, so können wir diese einzeln aus dem Grundgesetz der Mechanik berechnen. Wir können dann Superposition für die Geschwindigkeiten annehmen: X vEi (6.5) vEges D i

Es gilt dann auch Superposition für die Beschleunigungen, denn aEges D

X d vEi X d vEges d X vEi D aEi D D dt dt i dt i i

und daraus folgt Superposition für die Kräfte X X X FEi D FEges aEi D mE ai D mE ages D m i

i

(6.6)

(6.7)

i

Allerdings gilt der Umkehrschluss nicht. Die Superposition der Kräfte ist allgemein gültig. Sie ist Teil der axiomatischen Grundlage der klassischen Mechanik. Die Geschwindigkeiten vEi in Gl. 5.7 lassen sich aber nur dann aus FEi D m aEi einzeln berechnen, wenn keine der Kräfte FEi von den Bewegungen, die durch die anderen Kräften FEj .j ¤ i/ erzeugt werden, beeinflusst wird. Betrachten Sie bitte noch einmal das 5.6 und das Ergebnis unserer Berechnung der Bewegung (Gl. 5.20). Was würde sich ändern, wenn wir den Luftwiderstand berücksichtigen? Wir werden später noch sehen, dass der Luftwiderstand eine Kraft FEL darstellt, die der Bewegung entgegengerichtet ist, d. h. in die Richtung E v zeigt, und deren Betrag quadratisch vom Betrag der Geschwindigkeit abhängt, d. h. jFEL j / vx2 C vy2 C vz2 . Berücksichtigen wir diese Kraft, so wird das Aufsteigen und wieder Herabfallen der Kunststoffkugel durch die Geschwindigkeit vx des Zugs beeinflusst. Betrag und Richtung des Luftwiderstands hängen von der

99 6.4  Superposition von Kräften

vertikalen und von der horizontalen Komponente der Bewegung ab. Die eine lässt sich nicht mehr berechnen, ohne die andere zu kennen, und umgekehrt. Superposition gilt zwar noch für die Kräfte, lässt sich aber nicht mehr auf die Geschwindigkeiten übertragen. Wollen Sie die Superposition der Geschwindigkeiten zur Vereinfachung der Berechnung einer Bewegung verwenden, so müssen Sie im Einzelfall prüfen, ob tatsächlich keine gegenseitige Beeinflussung der Bewegungskomponenten vorliegt. Experiment 6.8: Addition von Kräften

Mit Kraftmessern lässt sich sehr schön zeigen, dass Kräfte sich vektoriell addieren. In der Abbildung ist ein Gewicht zu sehen, das an zwei schiefen Kraftmessern aufgehängt ist. In der Skizze daneben sind die beiden gemessenen Kräfte FE1 und FE2 in dunkelrot dargestellt. Sie addieren sich vektoriell zur resultierenden Kraft FER (grün). Dies ist durch das Kräfteparallelogramm dargestellt. Die resultierende Kraft ist der Gewichtskraft des Gewichtes genau entgegengesetzt.

© Foto: Hendrik Brixius

Das Superpositionsprinzip benutzt man auch umgekehrt, wenn man Kräfte in Komponenten zerlegen will. In . Abb. 6.5 ist als Beispiel ein Körper auf einer schiefen Ebene zu sehen. Auf den

. Abb. 6.5 Zerlegung der Gewichtskraft eines Körpers auf einer schiefen Ebene

6

100

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

Körper wirkt die Gewichtskraft FEG . Man zerlegt sie in den Hangabtrieb FEH parallel zur Ebene und die Normalkraft FEN senkrecht dazu. Die vektorielle Summe von FEH und FEN ergibt wieder FEG . Selbstverständlich sind auch andere Zerlegungen möglich. Man könnte FEG in mehr als zwei Komponenten zerlegen, oder in zwei Komponenten, die andere Richtungen als FEH und FEN haben. Diese Zerlegungen sind zwar möglich, allerdings weniger hilfreich. Der Nutzen der in der Abbildung gezeigten Zerlegung liegt darin, dass FEN senkrecht zur Bewegungsrichtung zeigt und damit keinen Einfluss auf die Bewegung auf der Ebene hat. Sie wird alleine von FEH bestimmt, welches exakt in Bewegungsrichtung zeigt.

6

Beispiel 6.8: Superposition beim Hammerwurf

Beim Hammerwurf wirken auf den Hammer, der heute durch eine Stahlkugel mit einem Gewicht von 7,26 kg repräsentiert wird, mehrere Kräfte. Wesentlich sind die Kräfte FE1 , mit der der Hammerwerfer mit ausgestreckten Armen am ca. 1,2 m langen Stahlseil zieht, die Fliehkraft (oder Zentrifugalkraft) FE2 , die vom Drehpunkt des Hammerwerfers radial nach außen wirkt, und eventuell der Luftwiderstand FE3 , der entgegen der Bahngeschwindigkeit wirkt. Aus der Summe der Kräfte resultiert die Beschleunigung der Stahlkugel. Wir haben sie in der Abbildung geometrisch konstruiert. An den Endpunkt der Kraft FE1 haben wir den Vektor der Kraft FE2 angeheftet und an deren Endpunkt den Vektor von FE3 . Der Endpunkt von FE3 markiert dann den Endpunkt der resultierenden Gesamtkraft FEg (rot).

Beispiel 6.9: Kräftezerlegung an Seilen

Sie können Kräfte mit einem Kräfteparallelogramm geometrisch zerlegen. In unserem Beispiel hängt ein Gewicht an zwei unterschiedlich langen Seilen an zwei unterschiedlich hoch angebrachten Ösen. Es zieht mit seiner Gewichtskraft FEG nach unten. Die Reaktio, die das Gewicht hält, verteilt sich auf die beiden Seilkräfte FE1 und FE2 . Deren Größe können Sie bestimmen, indem Sie um den Aufhängepunkt und die Spitze der Reaktionskraft FEG ein Parallelogramm konstruieren, dessen Seiten parallel zu den Seilen gerichtet sind, wie dies in der Skizze zu sehen ist. Beachten Sie, dass die beiden Kräfte FE1 und FE2 auch dem Betrag nach nicht gleich sind und dass sich Konfigurationen finden lassen (welche?), in denen der Betrag einer oder beider Seilkräfte den Betrag der Gewichtskraft übersteigt. Probieren Sie es aus!

101 6.5  Messung von Kräften

Beispiel 6.10: Kräfte beim Segeln

Die Abbildung zeigt eine grobe Darstellung der Kräfteverhältnisse an einem Segelboot. Die Kraft des Windes zeigt senkrecht nach unten. Durch den Bernoulli-Effekt (siehe 7 Kap. 16) entsteht eine Kraftkomponente senkrecht zum Segel, die den Antrieb des Bootes ausmacht. Sie ist mit FESegel bezeichnet. Ein Schwert (oder Kiel) und das Ruder verhindern, dass das Boot senkrecht zur Fahrtrichtung abgetrieben wird. Daher müssen wir die Kraft FESegel in eine Komponente senkrecht zum Schwert FE? und eine entlang dessen Richtung FEk zerlegen. Die erste Komponente hat keinen Einfluss auf die Bewegung. Sie wird vom Schwert absorbiert. Da FESegel etwa in der Mitte des Segels angreift, die Gegenkraft des Schwertes aber sehr viel tiefer (in der Mitte des Schwertes) wirkt, neigt sich das Boot vom Wind weg (Krängung). Die zweite Komponente FEk bewegt das Boot gegen die Reibung im Wasser und gegen den Luftwiderstand auf dem gewählten Kurs. Beachten Sie, dass durch die Kräftezerlegung am Segel ein Kraftkomponente entsteht, die einen Kurs gegen den Wind möglich macht.

6.5

Messung von Kräften

Kräfte werden üblicherweise mit Federwaagen gemessen. In . Abb. 6.6 ist ein Exemplar im Einsatz zu sehen. Im Inneren befindet sich eine Feder, die durch die Kraft gedehnt wird. Die Auslenkung der Feder ist proportional zur Stärke der Kraft. Die Feder ist von einer Hülle umschlossen, auf der eine Skala angebracht ist (abwechselnd rot und weiß unterlegt). Die Skala ist direkt in N geeicht. Die Federwaage hat eine verschiebbare äußere Hülle, mit der man die Federwaage vor Anlegen der Kraft auf null justiert. Die Federwaage übt über den Haken vorne und das Seil eine Kraft auf den Körper aus. Diese Kraft soll die Federwaage messen. Die Kraft bewirkt eine Reactio gleicher Größe, mit der das Seil an der Feder in der Federwaage zieht und diese dehnt. Die Dehnung bestimmen wir über das Hooke’sche Gesetz4 : Die Dehnung s der Feder ist proportional zur angreifenden Kraft F D Ds, wobei die Federkonstante D die Stärke der Feder charakterisiert. Das Hooke’sche Gesetz stellt eine Näherung dar, die nur für kleine Auslenkungen der Feder gilt. Daher dürfen Federwaagen nicht zu sehr belastet werden. Aus bekannter Federkonstante 4

Mit dem Hooke’schen Gesetz werden wir uns in 7 Abschn. 14.1 näher beschäftigen.

6

102

Kapitel 6  Dynamik eines Massenpunktes

. Abb. 6.6 Eine Federwaage misst hier die Kraft im Seil

6 ergibt sich die Einteilung der Skala in Newton. Für Kräfte unterschiedlicher Größenordnung gibt es Federwaagen mit Federn unterschiedlichster Federkonstanten. Alternativ kann man Kräfte über ein Gegengewicht bestimmen (. Abb. 6.7). Die Kraft wird über ein Seil und Seilrollen in die Vertikale umgelenkt. Man wählt ein Gewicht, dessen Gewichtskraft die gesuchte Kraft genau kompensiert. Das Gewicht bleibt dann in Ruhe. Aus der Masse des Gewichtes kann man die Kraft berechnen. Allerdings muss man die Fallbeschleunigung g genau kennen, die von der geographischen Breite, der Meereshöhe und anderen Parametern abhängt. . Abb. 6.7 Bestimmung einer unbekannten Kraft durch ein Gegengewicht

?Aufgaben 1. Eine Lokomotive der Baureihe 189 mit einer Masse von 87 t besitzt eine Anfahrzugkraft von 300 kN. Wie stark kann die Lokomotive auf ebener Strecke mit einem angehängten Containerzug der Masse 100 t bzw. mit einem angehängten Erzzug der Masse 4000 t beschleunigen? Wie groß ist in den beiden Fällen jeweils die Kraft auf die Kupplung, mit der die Wagen an die Lokomotive gehängt sind? Vernachlässigen Sie Reibungseffekte. 2. Bei einem ICE 3 wird für eine Schnellbremsung aus 300 km=h ein Bremsweg von 2800 m angegeben. Welche Bremskraft muss das Bremssystem dafür aufbringen können? Der ICE 3 hat eine Masse von 409 t. 3. In einem Aufzug wird die Kabine der Masse 1100 kg durch ein Seil gehalten. Welche Kraft wirkt am Seil, wenn die Kabine beim Anfahren mit 0;9 sm2 nach oben beschleunigt wird? Wie groß ist die Kraft bei der gleichen Beschleunigung nach unten? 4. Ein Fahrzeug steht an einem Hang mit 12 % Steigung. Plötzlich versagen die Bremsen. Welche Beschleunigung erfährt das Fahrzeug? Vernachlässigen Sie Reibungseffekte.

103 6.5  Messung von Kräften

5. Betrachten Sie zwei Massen, die mit einem Seil über eine Umlenkrolle miteinander verbunden sind und reibungsfrei auf zwei senkrecht aufeinander stehenden Ebenen gleiten können (siehe Skizze). Wie groß muss bei gegebenem Winkel das Verhältnis der Massen sein, damit diese in Ruhe bleiben? Wie groß ist bei gleichen Massen (m1 D m2 ) die Beschleunigung a?

6. Ein Seil der Masse m und der Gesamtlänge L hängt mit dem Stück der Länge l über eine Tischkante herab und wird zunächst so festgehalten. Zum Zeitpunkt t D 0 wird es losgelassen und gleitet reibungsfrei über die Tischkante. Berechnen Sie den Ort s.t/ des unteren Seilendes, gemessen von der Tischkante aus. Nach welcher Zeit ist das Seil komplett vom Tisch gerutscht? 7. Die Wagen von Achterbahnen werden nach der Fahrt mit Wirbelstrombremsen abgebremst, deren Bremskraft proportional zur Geschwindigkeit ist, Fbrems D kv. Berechnen Sie für einen Wagen der Masse m die Geschwindigkeit v.t/, wenn er ab dem Zeitpunkt t D 0, bei dem er die Anfangsgeschwindigkeit v0 besitzt, abgebremst wird. Wie lange dauert die Abbremsung eines 400 kg schweren Wagens von 50 km=h auf 5 km=h, wenn die Bremskraft bei v D 10 ms gerade 5 kN beträgt? 8. Als Beifahrer in einem Auto beobachten Sie bei einem Bremsvorgang, dass ein Faden mit einem Gegenstand am Ende, der sonst lotrecht vom Rückspiegel nach unten hängt, um 8ı nach vorne ausgelenkt wird. Wie groß ist die Bremsbeschleunigung? 9. Ein Flugzeug vollzieht einen Steigflug mit einer Beschleunigung von 2;5 sm2 unter einem Winkel von 20ı zur Horizontalen. Welche Kraft übt dann ein Passagier der Masse 80 kg auf seinen Sitz aus? 10. Eine Straßenlaterne der Masse 25 kg wird mittig zwischen zwei Hauswänden von 10 m Abstand aufgehängt. Wie stark muss das Seil am Ort der Laterne mindestens durchhängen, damit die Belastung des Seils 10 kN nicht übersteigt?

6

105

Arbeit und Energie Inhaltsverzeichnis 7.1

Arbeit und Leistung – 106

7.2

Energie – 114

7.3

Energieerhaltung – 117

7.4

Symmetrien – 129

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_7

7

106

Kapitel 7  Arbeit und Energie

7.1

Arbeit und Leistung

Der Begriff „Arbeit“ hat im allgemeinen Sprachgebrauch eine vielfältige Bedeutung. Wir sprechen von Arbeit als Beruf mit den Worten „zur Arbeit gehen“ oder von der Arbeit eines Künstlers im Sinne eines geschaffenen Kunstwerkes. Etymologisch hängt das Wort mit dem Begriff der Mühe zusammen. Diese alltäglichen Begriffe sind recht vage und daher für den unmittelbaren Gebrauch in der Physik nicht geeignet. Wir müssen die physikalischen Begriffe präziser fassen. Dem physikalischen Begriff der Arbeit wollen wir uns über eine einfache Maschine nähern, dem Flaschenzug. Experiment 7.1: Flaschenzug

7 Mit einem Flaschenzug soll eine Last bestehend aus 8 Gewichten angehoben werden. Der Flaschenzug ist aus 3 losen Rollen und einer festen Rolle (die Rolle ganz links), die lediglich der Umlenkung der Zugkraft nach unten dient, aufgebaut. Wie im Foto zu sehen, genügt ein einziges Gewicht am Zugseil links, um die Last im Gleichgewicht zu halten. Jede der losen Rollen untersetzt die Gewichtskraft der Last um einen Faktor 2, sodass insgesamt nur 1/8 der Gewichtskraft nötig ist, um die Last anzuheben. Man nennt diese Anordnung einen Potenzflaschenzug. Er untersetzt das Gewicht um einen Faktor 2r , wobei r die Anzahl der losen Rollen ist. Ziehen wir am Zugseil nach unten, so bewegt sich die Last nach oben. Dabei können wir eine weitere wichtige Beobachtung machen: Wir müssen am Zugseil eine sehr viel größere Strecke ziehen, als sich die Last hebt. Um diese 10 cm anzuheben, müssen wir das Zugseil 80 cm nach unten ziehen.

Beispiel 7.1: Flaschenzüge

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Die Abbildungen zeigen drei Flaschenzüge mit steigender Untersetzung der Last. Die oberen Rollen sind fest, die unteren lose. Der erste untersetzt die Kraft um einen Faktor 2, der zweite um einen Faktor 3 und der letzte um einen Faktor 4. Die Strecke, um die man das Zugseil bewegen muss, verlängert sich entsprechend um einen Faktor 2, 3 bzw. 4.

107 7.1  Arbeit und Leistung

Wie in 7 Experiment 7.1 und 7 Beispiel 7.1 gezeigt, kann man mittels eines Flaschenzuges die Kraft reduzieren, die man benötigt, um ein Gewicht zu heben. Leider verlängert sich dadurch die Wegstrecke, die man ziehen muss. Der Kraftaufwand zum Heben der Last reduziert sich auf 1=n, die Wegstrecke verlängert sich um einen Faktor n. Das Produkt aus Wegstrecke und Kraft ist konstant. Diese Feststellung gilt nicht nur für Flaschenzüge. Sie ist viel allgemeiner. Das Produkt aus der Kraft und der unter der Kraft zurückgelegten Wegstrecke nennt man in der Physik die Arbeit W D F  s. Bei dieser einfachen Definition sind wir stillschweigend davon ausgegangen, dass die Bewegung entlang der Kraftrichtung erfolgt. Ist dies nicht der Fall, zählt nur die Komponente der Kraft in Bewegungsrichtung. Dies kann man durch ein Skalarprodukt ausdrücken: W D FE  sE :

(7.1)

Die Einheit der Arbeit ist ein Joule (Symbol J), benannt nach James Prescott Joule. Zurückgeführt auf Basiseinheiten ist 1 J D 1 Nm D 1

kg m2 : s2

(7.2)

Beispiel 7.2: Hebearbeit mit einem Kran

Ein Kran bewegt eine Last von m D 200 kg von der Straße auf das h D 3 m höher gelegenen Obergeschoss des Rohbaus. Die verrichtete Arbeit ist W D FEG  hE D FG h D mgh W D 200 kg  9;81

m kg m2  3 m D 5886  5;9 kJ s2 s2

7

108

7

Kapitel 7  Arbeit und Energie

Beispiel 7.3: Hebel

Die beim Flaschenzug beobachtete Konstanz der Arbeit findet man bei allen Hebemaschinen, wie hier beim Hebel. Gezeigt sind ein- und ein zweiseitiger Hebel. Die Kraft, die man zum Anheben der Last braucht, ist untersetzt, je nachdem, wie weit entfernt vom Drehpunkt die Kraft angreift. Allerdings ist die Höhe, auf die die Last angehoben wird, um denselben Faktor reduziert.

Hebel sind im Alltag weit verbreitet. Können Sie deren Funktion in den abgebildeten Objekten erkennen?

109 7.1  Arbeit und Leistung

Betrachten wir nun die Situation in . Abb. 7.1. Ein Wagen wird einen Hang hinaufgezogen. Je nach Steigung muss eine unterschiedlich große Kraft aufgewandt werden. Die Kraft ändert sich entlang des Weges. Die Kraft sei jeweils waagerecht, sodass je nach Steigung ein Winkel zwischen Kraft und Weg auftritt. Wir benutzen daher das Skalarprodukt FE  sE. Der variablen Kraft tragen wir Rechnung, indem wir den Weg in kleine Teilstücke Esi unterteilen und für jedes Teilstück die Arbeit berechnen und dieses schließlich über den gesamten Weg summieren: Wi D FEi  Esi ; W D

X

Wi :

(7.3)

i

Machen wir die Teilstücke Esi immer kleiner, so beschreibt die Summe immer genauer die tatsächlich geleistete Arbeit. Machen wir die Teilstücke schließlich infinitesimal klein, so erhalten wir ein exaktes Ergebnis. Mathematisch entspricht dies dem Übergang zum Integral: ZB W D

  FE sE d sE ;

(7.4)

A

wobei A und B Anfangs- und Endpunkte des Weges sind. Beachten Sie, dass die Arbeit positive wie negative Werte annehmen kann. Die Arbeit ist positiv, wenn die angewandte Kraft in Richtung der Bewegung zeigt. Wenn Sie den gerade skizzierten Wagen, den Hang hinaufziehen, ist dies der Fall. Man sagt, die Kraft verrichtet Arbeit am Wagen. Stellen Sie sich nun vor,

7

. Abb. 7.1 Arbeit entlang eines variablen Weges

110

Kapitel 7  Arbeit und Energie

Sie ziehen mit einer zu geringen Kraft am Wagen und der Wagen rollt trotz Ihrer Anstrengung langsam rückwärts den Hang hinunter. Die Arbeit ist dann negativ. Der Wagen verrichtet Arbeit an Ihnen. Zum Schluss dieses Abschnitts wollen wir noch die Leistung als weitere physikalische Größe einführen. Sie ist definiert als die Arbeit, die pro Zeiteinheit verrichtet wird: P D

W : t

(7.5)

Diese Definition ist allerdings nur gültig, solange die Arbeit im Zeitintervall t konstant ist. Sollte sich die Arbeit mit der Zeit verändern, so müssen wir zur Ableitung übergehen, ähnlich wie wir dies bei der Definition der Geschwindigkeit ausführlich diskutiert hatten (7 Abschn. 5.4):

7

P .t/ D

d W .t/ : dt

(7.6)

Die Einheit der Leistung ist das Watt (Symbol W), benannt nach James Watt, dem Erfinder der Dampfmaschine. Mit Gl. 7.5 lässt sich diese Einheit auf die SI-Einheiten zurückführen 1W D 1

J kg m2 D1 3 : s s

(7.7)

Einige typische Leistungen haben wir für Sie in . Tab. 7.1 zusammengestellt.

. Tab. 7.1 Typische Leistung einiger Prozesse Minimale Leistung an der Antenne für Radioempfang

2,5 fW

Schallleistung an der Hörschwelle

2,5 pW

Lichtleistung eines Laserpointers

1 mW

Menschliches Herz

1,5 W

Energiesparlampe

10 W

Radsportler, Spitzenleistung

400 W

Sonneneinstrahlung pro Quadratmeter

1,37 kW

Wasserkocher

2 kW

PKW

70 kW

Nennleistung großer Windräder

5 MW

Antriebsleistung eines Hochgeschwindigkeitszugs

20 MW

Kernreaktor, thermische Leistung

5 GW

Weltenergieverbrauch

20 TW

111 7.1  Arbeit und Leistung

Beispiel 7.4: Einheiten im Alltag

Im Alltag sind neben dem Watt noch einige andere Einheiten der Arbeit und Leistung in Gebrauch. Die Leistung von Motoren drückt man im Vergleich zur Leistung von Pferden durch Pferdestärken (PS) aus. 4 PS entsprechen in etwa einer Leistung von 3 kW. Genauer: 1 PS D 0;7354 kW. Historisch gesehen entsprach ein PS der Dauerleistung eines Arbeitspferdes. Definiert ist es als die Leistung, die notwendig ist, um ein Gewicht von 75 kg in einer Sekunde auf 1 m anzuheben. Allerdings kann ein Pferd durchaus mehr als ein PS leisten. Bis zu 20 PS schafft es im Galopp und selbst ein kräftiger Mensch kann die Leistung von einem PS überschreiten. Den Elektrizitätswerken müssen wir die elektrische Arbeit des Stromes bezahlen, den sie uns zur Verfügung stellen. Die SI-Einheit wäre Joule. Doch meist rechnen die Elektrizitätswerke den Strom in Kilowattstunden (kWh) ab. Dies ist eine recht anschauliche Einheit. Sie bedeutet, dass man mit einer Kilowattstunde einen Verbraucher von 1 kW Leistung 1 h lang betreiben kann. 1 kWh entspricht 3;6 MJ.

Beispiel 7.5: Arbeit an einem Pendel

Die Skizze zeigt ein Gewicht an einem Seil. Das Gewicht wird aus der Ruhelage bis zum Winkel ˚E ausgelenkt. Wie viel Arbeit muss verrichtet werden? Die Gewichtskraft beträgt FG D mg. Wir zerlegen sie in die Komponenten entlang des Seils und senkrecht dazu. Die erste Komponente wird vom Seil aufgefangen. Gegen die zweite muss beim Auslenken Arbeit verrichtet werden. Ihr Betrag ist FG? D FW D mg sin ˚. Wir könnten den Sinus des Winkels ˚ ersetzen durch sin ˚ D x= l, was zeigt, dass die Rückstellkraft FW proportional zur Auslenkung des Pendels aus der Ruhelage ist, wir bleiben hier aber bei der Formulierung über den Winkel ˚. Die Arbeit berechnet sich nach Z˚E W D

FEW  d sE

0

Da Kraft und Weg in dieselbe Richtung zeigen, können wir auf das Skalarprodukt verzichten und erhalten Z˚E W D

Z˚E FW  ds D

0

mg sin ˚ds 0

7

112

Kapitel 7  Arbeit und Energie

Die Wegstücke lassen sich durch den Winkel ausdrücken. Es ist ds D ld˚ und damit Z˚E

Z˚E mgl sin ˚d˚ D mgl

W D 0

sin ˚d˚ 0

Eine Stammfunktion des sin ist  cos. Damit ergibt sich ˇ˚ W D mgl. cos ˚/ˇ0 E D mgl. cos ˚E  . cos 0// D mgl.1  cos ˚E / Dies ist die Arbeit, die verrichtet werden muss, um das Pendel auf ˚E auszulenken.

7 Beispiel 7.6: Arbeit gegen die Gewichtskraft

Will man einen Körper von der Oberfläche eines Planeten entfernen (z. B. mit einer Rakete), so muss man gegen die Gewichtskraft Arbeit verrichten. Wir wollen berechnen, wie viel Arbeit geleistet werden muss, um den Körper vollständig aus dem Schwerefeld eines Planeten zu entfernen. Dazu müssen wir ihn unendlich weit vom Planeten wegbewegen. Wir werden weiter unten noch lernen, dass die Schwerkraft umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes vom Planetenmittelpunkt r abnimmt. Also können wir schreiben FG D k

1 ; r2

wobei das Gewicht des Körpers in der Konstanten k steckt. Um die Arbeit zu berechnen, nehmen wir an, dass die Rakete senkrecht nach oben startet, der Körper also einen radialen Weg verfolgt, sodass Kraft und Weg in dieselbe Richtung zeigen. Die Arbeit berechnet sich dann als Wegintegral von der Oberfläche des Planeten mit Radius R ins Unendliche (siehe 7 mathematischer Anhang A3.11). Z1 W D

k

1 dr r2

R

Eine Stammfunktion zu 1=r 2 ist 1=r, sodass wir erhalten ˇ   1 1 1 ˇ1 k  W D k ˇˇ D k D r R 1 R R

113 7.1  Arbeit und Leistung

Beispiel 7.7: Beschleunigung bei konstanter Leistung

Ein PKW (Masse 1,4 t) fährt mit einer Geschwindigkeit von v0 D 50 km=h. Er erreicht einen langsam fahrenden LKW. Der Fahrer entscheidet zu überholen. Er erhöht die Motorleistung auf den Wert P D 100 PS. Wie ändert sich die Geschwindigkeit? Um die Frage zu beantworten, müssen wir zunächst die Kraft bestimmen, mit der der Wagen beschleunigt. Es gilt: P D

d.F  s/ dW D D F .t/  v.t/: dt dt

Da die Leistung konstant sein soll, nimmt die beschleunigende Kraft mit steigender Geschwindigkeit ab. Diese Kraft setzen wir in das Grundgesetz ein. Wir erhalten: F .t/ 1 P dv DaD D : dt m m v.t/ Diese Differenzialgleichung lässt sich lösen, indem wir die Variablen v und t separieren, d. h. wir bringen alle Terme, in denen t vorkommt, auf eine Seite der Gleichung und alle mit v auf die andere. In etwas salopper Schreibweise erhalten wir: m v.t/ dv D dt: P Dies integrieren wir, wobei wir darauf achten müssen, dass sich die Integrationsgrenzen auf beiden Seiten der Gleichung entsprechen. Wir beginnen die Integrationen zum Zeitpunkt 0 mit der Geschwindigkeit v0 und enden mit dem Zeitpunkt t und der Geschwindigkeit v: Zv

Zv

m 0 m v .t/ dv 0 D P P

v0

0

0

Zt

v dv D v0

dt 0 :

0

Die Integration ergibt:  1m 2 v  v02 D t; 2P woraus v.t/ D

r

2P t C v02 m

folgt. Die Skizze zeigt den Zuwachs an Geschwindigkeit während des Beschleunigungsvorgangs in blau. Zum Vergleich haben wir in schwarz einen Überholvorgang mit konstanter Beschleunigung a D P =.m v0 / dargestellt. Die anfängliche Beschleunigung ist in beiden Fällen gleich, aber im realistischeren Fall konstanter Motorleistung nimmt die Beschleunigung mit steigender

7

114

Kapitel 7  Arbeit und Energie

Geschwindigkeit ab. Vielleicht wundern Sie sich, dass ein PKW mit 100 PS so hohe Geschwindigkeiten erreicht. Dies liegt daran, dass wir den Luftwiderstand vernachlässigt haben, der sich ab ca. 80 km=h deutlich bemerkbar macht und die maximale Geschwindigkeit, die der Wagen bei gegebener Leistung erreichen kann, begrenzt1 .

7.2

7

Energie

Im vorherigen 7 Abschn. 7.1 haben wir die Arbeit als physikalische Größe definiert. Wir wollen uns nun dem eng damit verbundenen Begriff der Energie zuwenden. Die Energie ist ein abstrakterer Begriff. Sie bezeichnet die Fähigkeit eines physikalischen Systems, Arbeit zu verrichten. Das physikalische System kann dabei vieles sein, ein einfacher Körper oder eine komplizierte Maschine. Beispielsweise hat ein Körper, der sich bewegt, die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten. Man könnte an einem rollenden Wagen ein Seil anbringen und dieses über eine Umlenkrolle mit einem Gewicht verbinden (. Abb. 7.2). Der Wagen würde das Gewicht anheben, was nach 7 Abschn. 7.1 eine Verrichtung von Arbeit ist (W D FG h). Dabei würde der Wagen abgebremst, bis er schließlich zum Stillstand kommt. Damit ist seine Energie verbraucht. Er kann keine weitere Arbeit verrichten. Allerdings hat nun die angehobenen Masse die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten. Sie könnte über eine weitere Umlenkrolle eine andere Masse anheben. Die Energie des Wagens ist also nicht verloren gegangen. Sie wurde auf das angehobene Gewicht übertragen. Wir wollen dieses Beispiel quantitativ ausführen. Wie viel Arbeit kann der Wagen verrichten, wenn er sich anfänglich mit der

. Abb. 7.2 Ein Wagen, der mit einer Geschwindigkeit vE fährt, verrichtet die E indem er ein Gewicht anhebt Arbeit W D FE  h, 1

Der Fall mit Luftwiderstand FL D k v 2 ist nach demselben Verfahren lösbar, allerdings ist die Lösung etwas länglich.

115 7.2  Energie

7

Geschwindigkeit v0 bewegt und auf der Strecke von s1 nach s2 vollständig abgebremst wird? Die Masse des Wagens sei M, die des Gewichtes m. Der Wagen wird mit einer Kraft F D mg abgebremst, die nach Newton über die Beziehung dv (7.8) dt zu einer negativen Beschleunigung vom Betrag a führt. Die verrichtete Arbeit ist: Zs2 Zs2 Z0 dv ds ds D M dv W D F ds D M dt dt F D Ma D M

s1

s1

Z0 DM

vdv D

v0

ˇ0 1 1 M v 2 ˇv D  M v02 : 0 2 2

(7.9)

v0

Sie wurde dem Wagen entzogen. Damit haben wir den anfänglichen Energieinhalt des Wagens bestimmt. Da die Energie in der Bewegung des Wagens steckte, nennen wir sie auch die kinetische Energie Ekin . Es gilt für beliebige Körper: 1 2 (7.10) mv : 2 Zur Verrichtung einer Arbeit muss man den Körper nicht notwendigerweise vollständig abbremsen. Bremst man ihn auf die Geschwindigkeit v1 ab, so ist die verrichtete Arbeit: Ekin D

1 2 1 2 (7.11) mv  mv D Ekin < 0 : 2 1 2 0 Ein weiteres Gedankenexperiment soll eine andere Form der Energie verdeutlichen. Betrachten Sie den Aufbau in . Abb. 7.3. Eine Last wird über eine Umlenkrolle von der Höhe hA bei A zur Höhe hB bei B angehoben. Wegen actio D reactio gilt dem Betrage nach F D FG . Die verrichtete Arbeit ist: W D

ZB

ZB F ds D

W D A

mgds D mg.hB  hA / :

(7.12)

A

Durch die Kraft F haben wir Arbeit an der Last verrichtet. Diese hat nun wiederum die Fähigkeit, selbst Arbeit zu verrichten. Wir haben ihr Energie zugeführt. Die Energie ist in der Position der Last im Schwerefeld der Erde gespeichert (z. B. relativ zum Meeresspiegel). Wir bezeichnen sie daher als Lageenergie: EL D mgh :

(7.13)

Analog zur kinetischen Energie gilt auch hier für die verrichtete Arbeit: W D mgh0  mgh1 D EL :

(7.14)

. Abb. 7.3 Eine Kraft hebt eine Last

116

Kapitel 7  Arbeit und Energie

. Tab. 7.2 Typische Energien einiger Objekte Brown’sche Molekularbewegung eines Luftmoleküls bei Raumtemperatur

Kinetische Energie

4;0  1021 J

Bindungsenergie eines Wassermoleküls

Chemische Energie

8;3  1019 J

Bindungsenergie des Elektrons in einem Wasserstoffatom

Elektrische und kinetische Energie

2;2  1018 J

Flug eines Moskitos

Kinetische Energie

107 J

Lageenergie

1J

Erwärmen eines Liters Wasser um 10

Latente Wärme

42 kJ

Fahrt eines PKWs bei 120 km=h

Kinetische Energie

0,5. . . 1 MJ

Fahrt einer Person mit einem Fahrstuhl in die 10. Etage

Lageenergie

2 MJ

Brennwert eines Liter Benzins

Chemische Energie

33 MJ

Spaltung eines Kilogramms 235 U

Kernenergie

86 TJ

Eine Masse von 1 kg (E D mc 2 )

Ruheenergie

9  1016 J

Bildung der Sonne aus einer Gaswolke

Gravitationsenergie

1041 J

Eine Tafel Schokolade vom Boden aufheben ı

7

Eine gespannte Feder kann Arbeit verrichten. Entspannt sich die Feder, so übt sie eine Kraft der Größe FD D Ds (Hooke’sches Gesetz) aus, die z. B. eingesetzt werden kann, um einen Wagen zu beschleunigen. Wir berechnen die Arbeit, die die Feder bei der Entspannung verrichtet: Z0 Dsds D

W D s0

1 2 ˇˇ0 1 Ds s D  Ds02 0 2 2

(7.15)

Dabei ist s0 die Auslenkung aus der Ruhelage. Die Energie war in der Spannung im Material der Feder gespeichert. Man nennt sie die Federenergie. Die verrichtete Arbeit und die Energie hängen zusammen über W D

1 2 1 2 Ds  Ds D ED 2 0 2 1

(7.16)

Es gibt noch viele weitere Formen der Energie, die Sie im Folgenden noch kennenlernen werden. In einem System können verschiedene Energieformen gleichzeitig auftreten. Man unterteilt sie in die kinetische Energie und die potenzielle Energie. Letztere umfasst alle Energieformen, die nicht kinetischer Art sind. Sie alle tragen wie die Arbeit das Joule als Einheit. Einige typische Energien sind in . Tab. 7.2 angeführt.

117 7.3  Energieerhaltung

7.3

Energieerhaltung

Wir haben die Energie als abstrakte Größe eingeführt. Man mag sich fragen, welchen Nutzen diese Definition hat. Wirklich sinnvoll wird das Energiekonzept erst durch den Energieerhaltungssatz oder einfach Energiesatz. Er ist zunächst eine empirische Tatsache, d. h. man hat ihn aus der Erfahrung mit Experimenten erschlossen. Er lautet: >Energiesatz In einem abgeschlossenen System verändert sich die Summe aller Energieformen nicht.

Wir müssen zunächst den Begriff des abgeschlossenen Systems klären. Es handelt sich dabei um ein System, das so von seiner Umgebung abgetrennt ist, dass weder Energie oder Materie in die Umgebung entweichen kann, noch Energie oder Materie aus der Umgebung auf das System übertragen werden kann. Zurück zum Energiesatz: Er ist ein wichtiger Satz in der gesamten Physik. Bis heute wurde keinerlei Verletzung des Energiesatzes beobachtet. Wir gehen davon aus, dass er in allen Bereichen der Physik uneingeschränkt gültig ist. Er besagt, dass die Summe aller Energien in einem abgeschlossenen System zeitlich konstant ist, sie ist erhalten. Dies impliziert nicht, dass jede Energieform konstant ist. Man kann Energie durchaus von einer Form in eine andere umwandeln, lediglich die Summe aller Energieformen bleibt immer gleich. Beispiel 7.8: Skifahrer

Ein Skifahrer fährt (reibungsfrei) eine Piste hinunter. Am Anfang der Piste sind seine Geschwindigkeit und damit auch seine kinetische Energie gleich null. Aber er hat eine Lageenergie der Größe mgh0 , wobei h0 die Höhe ist, aus der er startet. Während der Fahrt verwandelt sich die Lageenergie zunehmend in kinetische Energie, bis die Lageenergie am Fuß des Berges schließlich ganz umgewandelt ist (Endgeschwindigkeit vE ). Zu jedem Zeitpunkt gilt: 1 1 mgh0 D mgh.t/ C mv.t/2 D mvE2 2 2

Experiment 7.2: Energieumwandlung mit Dynamo

Dieses Experiment zeigt die Umwandlung von Energie mit einem Dynamo. Der Dynamo ist an einem Stativ befestigt. Das An-

7

118

Kapitel 7  Arbeit und Energie

triebsrad ist durch ein größeres Rad ersetzt, auf dem eine Schnur aufgewickelt ist. An dieser Schnur hängt ein Gewicht. Lässt man das Gewicht los, wird es zu Boden sinken. Dabei wird der Dynamo angetrieben und die angeschlossene Glühbirne leuchtet. Zu Beginn besitzt das Gewicht eine gewisse Lageenergie. Diese wird nach dem Loslassen umgewandelt. Ein kleiner Teil geht in die kinetische Energie des Gewichtes und des Rades samt Achse (Rotationsenergie) über. Dies ist aber nur wenig, da das Gewicht langsam sinkt. Der größere Teil der Lageenergie wird im Dynamo in elektrische Energie umgewandelt, welche wiederum in der Glühbirne in Wärme umgewandelt wird. Der Glühfaden strahlt diese Wärme wieder ab, einen Teil davon als sichtbares Licht.

7 Experiment 7.3: Energieerhaltung am Pendel

Dies ist ein spannendes Experiment. Sie können überprüfen, wie viel Vertrauen Sie in die Gesetze der Physik haben. Sie stellen sich mit dem Rücken gegen eine Wand (oder einen Wandschirm). Vor Ihnen hängt ein schweres Pendel an einem langen Drahtseil. Sie halten den Pendelkörper vor ihr Gesicht, sodass er die Nasenspitze gerade berührt. Hierzu müssen Sie gegebenenfalls die Länge der Pendelschnur anpassen. Dann lassen Sie das Pendel los und bleiben unbeweglich stehen. Das Pendel wandelt seine Lageenergie allmählich in kinetische Energie um. Am tiefsten Punkt hat es maximale kinetische Energie. Dann wird auf der Ihnen gegenüber liegenden Seite die kinetische Energie beim Durchschwingen des Pendels wieder in Lageenergie zurückverwandelt. Das Pendel hat den gegenüberliegenden Wendepunkt erreicht und kommt nun auf Sie zu. Es wandelt die Lagenenergie wieder in kinetische Energie um (Nulldurchgang) und dann wieder in Lageenergie zurück. Wenn die Energieerhaltung klappt, wird das Pendel am Ende wieder dieselbe Lageenergie haben wie am Anfang. Dann müsste es wieder am selben Punkt ankommen, an dem Sie es losgelassen haben. Es wendet direkt vor Ihrer Nase. Was dürfen Sie allerdings nicht tun?2 Wir führen das Experiment regelmäßig in den Vorlesungen mit einem Probanden vor. Wir benutzen eine ca. 5 kg schwere Stahlkugel an einem rund 8 m langen Stahlseil. Das Gesicht des Probanden übertragen wir in Großaufnahme auf eine Leinwand. Der Gesichtsausdruck des Probanden führt meist zu großer Heiterkeit im Hörsaal.

119 7.3  Energieerhaltung

P. S.: Bis jetzt hat die Energieerhaltung immer funktioniert. Es wurde noch keine Nase beschädigt.

Beispiel 7.9: Energieerhaltung beim Stabhochsprung

Eine sehr schöne Folge von Energieumwandlungen kann man beim Stabhochsprung beobachten:

Der Springer läuft an. Mit kräftigen Schritten beschleunigt er. Seine kinetische Energie nimmt zu, bis sie kurz vor dem Aufsetzen der Stange das Maximum erreicht hat.

Der Springer setzt die Stange ein. Die Stange biegt sich durch. Kinetische Energie wird in elastische Energie in der Stange umgewandelt, bis die Stange maximal gebogen ist und der Absprung erfolgt.

2

Den Pendelkörper beim Loslassen nicht anschubsen!

7

120

Kapitel 7  Arbeit und Energie

7

Jetzt ist der Springer im Aufsteigen. Die im Stab gespeicherte Energie wird in die kinetische Energie der Bewegung nach oben und in Lageenergie durch die gewonnene Höhe umgesetzt. Hinzu kommt die Energie aus dem Absprung (Beschleunigung nach oben).

Mit dem Absprung gewinnt der Springer an Höhe. Ist der Sprung gelungen, wandelt er die gesamte kinetische Energie und die im Stab gespeicherte elastische Energie in Lageenergie um. Im

121 7.3  Energieerhaltung

höchsten Punkt ist die Stange wieder entspannt und der Springer hat nahezu keine kinetische Energie mehr.

Schließlich fällt der Springer nach unten. Die Lageenergie verwandelt sich erneut in kinetische Energie, die schließlich durch Reibung in der Matte absorbiert wird.

Wir wenden uns den Energiemengen zu. Wie viel Energie wird benötigt, um ein Gewicht auf die Höhe h zu heben? Kann man den Energieaufwand optimieren, d. h. kann man Wege oder Maschinen finden, die das Gewicht mit geringerer Energie auf die Höhe h bringen? Betrachten Sie hierzu die verschiedenen Wege, die in . Abb. 7.4 dargestellt sind. Muss bei allen Wegen dieselbe Arbeit verrichtet werden? Betrachten Sie zunächst Beispiel A in . Abb. 7.4. Dieses Beispiel ist einfach. Die Kraft ist F D mg und damit ist die zu verrichtende Arbeit W D mgh. Diese Arbeit müssen wir aus einem Energiereservoir (z. B. aus der Steckdose) entnehmen, um das Gewicht zu heben. Benutzen Sie eine Rampe wie in B, um das Gewicht nach oben zu bringen, so reduziert sich die Kraft auf F D mg sin ˛. Allerdings ist der Weg über die Rampe länger als bei A. Er beträgt h= sin ˛, sodass sich für die Arbeit wiederum W D mgh ergibt. Das nächste Beispiel (C) zeigt wiederum eine Rampe (schiefe Ebene), nun mit größerer Neigung. Da sich in der Rechnung zu Beispiel B der Neigungswinkel heraus kürzte, ergibt sich auch hier W D mgh.

7

122

7

Kapitel 7  Arbeit und Energie

. Abb. 7.4 Mögliche Wege, ein Gewicht auf die Höhe h zu heben

In Beispiel D wird ein Flaschenzug eingesetzt, um die Kraft zu reduzieren. Mit ähnlichen Techniken (z. B. Getriebe) reduzieren auch moderne Maschinen den Kraftaufwand zum Heben des Gewichts. Hier ist es ein 2-facher Flaschenzug. Die Kraft ist nur noch F D mg=2, aber der Weg ist 2h, sodass sich am Ende doch wieder W D mgh ergibt. Was wird sich im allgemeinen Fall ergeben, der in Beispiel E durch eine Straße mit variabler Neigung symbolisiert ist? Leider ist dieser Fall schwierig zu berechnen. Man muss den Weg in infinitesimale Rampen zerlegen. Doch das Ergebnis wird wieder das gleiche sein: W D mgh. Das Ergebnis ist also unabhängig vom Weg immer das gleiche: W D mgh :

(7.17)

Hat Sie das überrascht? Falls ja, dann überlegen Sie doch mal, was Sie mit einem Weg hätten erreichen können, auf dem die Arbeit zum Heben des Gewichtes geringer wäre. Sie könnten auf diesem Weg das Gewicht nach oben schaffen und dann auf dem Weg A wieder herunter. Mit der auf A frei werdenden Energie könnten Sie das nächste Gewicht auf ihrem Weg nach oben schaffen. Dabei würde noch etwas Energie übrig bleiben. Mit diesem Überschuss treiben Sie einen Generator an und machen Strom. Sie hätten ein Perpetuum Mobile erschaffen. Wir haben den Energiesatz zunächst als empirische Tatsache eingeführt. Bei genauerer Betrachtung stellt man allerdings fest, dass er bereits in den Newton’schen Axiomen enthalten ist. Berechnen Sie eine Bewegung aus den Axiomen, so wird diese automatisch dem Energiesatz entsprechen, vorausgesetzt, Sie ha-

123 7.3  Energieerhaltung

. Abb. 7.5 Kräfte an einem Skifahrer

ben ausschließlich energieerhaltende Kräfte betrachtet (keine Reibung). Als Beispiel berechnen wir den Skifahrer, den Sie bereits aus 7 Beispiel 7.8 kennen, aus Newtons zweitem Axiom. Der Hangabtrieb ist (. Abb. 7.5) ˇ ˇ ˇE ˇ (7.18) ˇFH ˇ D mg sin ˛ Wir erhalten aus F D ma D mg sin ˛ a.t/ D g sin ˛ D konst. v.t/ D sin ˛ gt 1 s.t/ D sin ˛ gt 2 2

(7.19)

Wir wollen die Endgeschwindigkeit vE bestimmen. Die Wegstrecke bis zum Ende der Piste ist h0 = sin ˛, wobei h0 die Höhe ist, aus der der Skifahrer gestartet ist. Aus der Bewegungsgleichung ergibt sich die Zeit tE , die der Skifahrer für die gesamte Abfahrt benötigt s 2h0 h0 1 (7.20) D sin ˛ gtE2 ! tE D sin ˛ 2 sin2 ˛ g Damit ergibt sich die Endgeschwindigkeit als vE D v.tE /: p vE D sin ˛ gtE D 2gh0 (7.21) Zur Kontrolle benutzen wir den Energiesatz. Aus mgh0 D

1 2 mv 2 E

folgt ebenfalls p vE D 2gh0

(7.22)

(7.23)

7

124

Kapitel 7  Arbeit und Energie

Wir haben aus den Newton’schen Axiomen eine Bewegung berechnet und ein Ergebnis erhalten, das im Einklang mit dem Energiesatz steht. Diese Rechnung zeigt noch etwas anderes: Unsere Berechnung aus den Newton’schen Axiomen liefert die volle Information über die Bewegung (s.t/; v.t/; : : :), ist aber oft etwas mühsam. Über den Energiesatz kommt man häufig viel schneller zum Ziel. Beispiel 7.10: Achterbahn mit Looping

7

Wie schnell muss eine Achterbahn fahren, damit in einem Looping niemand aus dem Wagen fällt? Betrachten Sie die Skizze einer Loopingbahn, die wir als reibungsfrei annehmen wollen. Der Wagen startet aus der Ruhe vom Punkt A in einer Höhe h. Wir bestimmen zunächst die Geschwindigkeiten in den Punkten B und C aus dem Energiesatz (vA D 0 und hB D 0) mgh D

1 1 2 mv D mg.2r/ C mvC2 2 B 2

Wir erhalten vA D 0

p vB D 2gh

p vC D 2g.h  2r/

und aus a D v 2 =r bestimmen wir die Beschleunigungen in radialer Richtung aA D 0

aB D 2g

h r

 aC D 2g

 h 2 : r

Nun können wir die Bedingung festlegen, für die sichere Fahrt durch den Looping. Es muss gelten aC  g  h 2g 2 g r   h 2 1 2 r h 1 2 r 2 5 h  r 2 

Die Starthöhe muss mindestens 2,5-mal den Radius des Loopings betragen. Im Freizeitland Geiselwind steht der Boomerang, eine Achterbahn mit Looping vom Typ Shuttle Coaster. In einer solchen Achterbahn werden die Wagen rückwärts eine Anlauframpe

125 7.3  Energieerhaltung

7

hochgezogen. Nach Lösen der Wagen fahren diese dann frei, d. h. ohne Antrieb durch die Anlage. Die Anlauframpe hat eine Steigung von 45ı und eine maximale Höhe von 35 m. Der Wagenzug ist 15 m lang. Der Looping sei als idealer Kreis mit einem Radius von 8 m angenommen. Wir wollen die Beschleunigungen für diese Achterbahn berechnen. Wir müssen berücksichtigen, dass der Schwerpunkt des Zuges, wenn er ganz oben am Ende der Anfahrtrampe angekommen ist, immer noch tiefer liegt, nämlich bei h D 35 m  12 15 m sin 45ı  30 m. Eingesetzt in die Formeln von oben ergibt sich für den höchsten und den tiefsten Punkt des Loopings m I s m vC D 17 I s vB D 24

m  7g s2 m aC D 34 2  3g s aB D 74

Auf die Fahrgäste wirkt im tiefsten Punkt die Beschleunigung aB C g D 8g nach unten und am höchsten Punkt die Beschleunigung aC  g D 2g nach oben. Tatsächlich hat der Looping nicht die Form eines Kreises, sondern die einer Klothoide. Können Sie sich vorstellen warum?

Wir gehen noch einmal zurück zu den Beispielen in . Abb. 7.4. Die Arbeit, die wir verrichten müssen, um das Gewicht zu heben, ergab immer denselben Wert, unabhängig vom gewählten Weg. Dies muss nicht immer der Fall sein. Sobald Kräfte auftreten, die dem System Energie entziehen (sogenannte dissipative Kräfte), wird dies nicht mehr gelten. Unser Beispiel ändert sich, sobald wir Reibungskräfte betrachten. Vergleichen Sie B und C in . Abb. 7.4 und F in . Abb. 7.6. Im reibungsfreien Fall benötigen Sie keine Kraft für die waagerechte Strecke in CF . Sie trägt zur Arbeitsbilanz nicht bei. Mit Reibung liefert sie einen zusätzlichen Beitrag zur Arbeit, der umso größer ist, umso länger die waagerechte Strecke ist. Damit kann F nicht mehr dieselbe Arbeit ergeben wie C . Es gibt keine allgemeine Regel, die bestimmt, ob bei einem Prozess die Arbeit vom Weg unabhängig ist oder nicht. Dies muss man im Einzelfall untersuchen. Man muss sich anschauen, ob dissipative Effekte vernachlässigbar sind oder nicht. Nur falls solch dissipative Effekte vernachlässigbar sind, ist die geleistete Arbeit vom Weg unabhängig und die Energie bleibt erhalten. Dann treffen die folgenden drei äquivalenten Aussagen zu. Dabei bedeutet äquivalent, dass jede Aussage die anderen bewirkt und umgekehrt.

. Abb. 7.6 Ein weiterer möglicher Weg, ein Gewicht auf die Höhe h zu heben

126

Kapitel 7  Arbeit und Energie

4 Bewegt man einen Körper vom einem beliebigen Punkt A zu einem ebenfalls beliebigen Punkt B, so ist die zu verrichtende Arbeit vom Weg unabhängig. 4 Die zu verrichtende Arbeit entlang eines jeden geschlossenen Weges ist immer null. 4 Jedem Ort lässt sich eindeutig eine potenzielle Energie zuordnen. Sind diese Bedingungen erfüllt, spricht man auch von konservativen Kräften im Gegensatz zu dissipativen. Wir wollen zeigen, dass aus dem ersten Satz die anderen beiden folgen. Betrachten Sie . Abb. 7.7. Die Arbeit von A nach B entlang der beiden beliebigen Wege S1 und S2 ist Z WS1 D FE .Er /d sE ;

7

S1

Z

WS 2 D

FE .Er /d sE ;

(7.24)

S2

. Abb. 7.7 Zwei Wege von A nach B

wobei nach der Aussage des ersten Satzes gilt: WS1 D WS 2 :

(7.25)

Wir zeigen zunächst, dass aus dieser Annahme der zweite Satz folgt. Dazu durchlaufen wir den Weg S2 rückwärts, d. h. wir bestimmen die Arbeit von B nach A auf Weg S2. Wir bezeichnen diesen Weg als S2. Die Richtung des Weges dreht sich um und damit wechselt die Arbeit das Vorzeichen. Es ist WS 2 D WS 2 . Dann ist Z Z FE .Er /d sE WS1 C WS 2 D FE .Er /d sE C S1

S 2

D WS1  WS 2 D 0 :

(7.26)

Die Summe dieser beiden Integrale ist aber nichts anderes als das Integral entlang des geschlossenen Weges von A über S1 nach B und entgegen S2 wieder zurück. Dies ist ein geschlossener Weg. Wir sind bei A gestartet und enden wieder da. Es gilt also (der Kreis auf dem Integralzeichen deutet an, dass der Weg geschlossen ist): I FE .Er /d sE D 0 : (7.27) Da sowohl A und B als auch S1 und S2 beliebig sind, muss es für jeden geschlossenen Weg gelten. Damit haben wir gezeigt, dass die zweite Aussage aus der ersten folgt.

127 7.3  Energieerhaltung

Um den dritten Satz aus dem ersten abzuleiten, müssen wir eine eindeutige Definition der potenziellen Energie angeben. Wir brauchen eine Formel, mit der wir für jeden Punkt des Raumes seine potenzielle Energie eindeutig berechnen können. Wir wählen einen Referenzpunkt A und definieren als potenzielle Energie an einem beliebigen Ort rE: ZrE Epot .Er / WD Epot .A/ C

FE d sE :

(7.28)

A

Weil das Integral in Folge des ersten Satzes nicht vom Weg abhängt, liefert diese Formel ein eindeutiges Ergebnis. Den Wert der potenziellen Energie Epot .A/ im Punkt A kann man beliebig wählen. Er fällt bei allen Rechnungen heraus. Üblicherweise setzt man ihn gleich null. Man hat damit den Energienullpunkt gewählt. Noch interessanter ist es, die Umkehrung des letzten Beweises zu betrachten. Der Einfachheit halber wollen wir den eindimensionalen Fall betrachten. Wir drücken die potenzielle Energie als Integral aus Zx0 Epot .x0 / D

Zx0 dEpot D

A

dEpot dx dx

(7.29)

A

nach der Definition der Arbeit gilt auch Zx0 Epot .x0 / D

F dx

(7.30)

A

wobei F die Kraft ist, die man aufwenden muss, um den Körper gegen die Systemkräfte von A nach x0 zu bringen. Diese ist der Kraft, die das System erzeugt, entgegengerichtet. Wir erhalten eine Relation zwischen der Energie und der vom System ausgehenden Kraft: F .x/ D 

dEpot .x/ dx

(7.31)

In drei Dimensionen erhält man entsprechend   @Epot .Er / @Epot .Er / @Epot .Er / E pot .Er / (7.32) E F .Er / D  ; ; D rE @x @y @z mit dem Gradientenoperator E D r



@ @ @ ; ; @x @y @z

 (7.33)

7

128

Kapitel 7  Arbeit und Energie

In manchen Fällen hängt die potenzielle Energie nicht nur vom Ort, sondern auch von den Eigenschaften des Körpers ab, den man an den jeweiligen Ort bringt. In solchen Fällen behilft man sich, indem man die potenzielle Energie auf die Eigenschaften des Körpers normiert. Ein gutes Beispiel ist das Gravitationsfeld. Es ist ein konservatives Kraftfeld. Für einen vorgegebenen Körper kann man eine potenzielle Energie im Gravitationsfeld definieren. Diese hängt allerdings von der Masse des Körpers ab und ist damit nicht auf andere Körper übertragbar. Um dieses Manko zu umgehen, definiert man ein Potenzial als ®.Er / D

Epot .Er / m

(7.34)

Es ist die potenzielle Energie einer Einheitsmasse. Ähnliche Definitionen eines Potenzials findet man an vielen anderen Stellen in der Physik. Zum Schluss dieses wichtigen Kapitels wollen wir uns noch einer besonderen Maschine zuwenden, dem Perpetuum Mobile. Unter einem Perpetuum Mobile (1. Art) versteht man eine Maschine, die ohne Energiezufuhr von außen ewig läuft und dabei Arbeit verrichtet. Beispiele dafür gibt es genug. Eines ist in 7 Beispiel 7.11 gezeigt. Doch nach allem, was wir in diesem Kapitel diskutiert haben, sollte Ihnen klar sein, dass diese Maschine nicht wirklich funktioniert.

7

Beispiel 7.11: Perpetuum Mobile 1. Art

Die Abbildung zeigt einen Vorschlag von Leonardo da Vinci mit Gewichten, die sich je nach Position nach außen klappen oder nicht. Wird sich die Scheibe drehen?

Experiment 7.4: Trinkente

Hier ist unsere Variante eines Perpetuum Mobile: Die Trinkente. Man stellt ihr eine Wasserschale hin und drückt den Kopf einmal nach vorne, sodass der Schnabel ins Wasser eintaucht. Die Ente wird sich wieder aufrichten, um immer wieder aufs Neue am Wasser zu nippen. Sie tut dies trotz erheblicher Reibung tagelang. Wo kommt die Energie her?3

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

3

Wir werden im Band über die Wärmelehre auf die Trinkente zurückkommen.

129 7.4  Symmetrien

7.4

Symmetrien

Symmetrien spielen in der modernen Physik eine wichtige Rolle. Üblicherweise untersucht man Gegenstände auf ihre Symmetrie. . Abb. 7.8 zeigt ein Beispiel, eine Schneeflocke. Die Schneeflocke ist symmetrisch unter einer Reihe von Symmetrietransformationen, z. B. unter einer Drehung um 60ı . Damit meint man, dass sich dasselbe Bild ergibt, wenn man die Flocke um 60ı dreht. Man nennt die Drehung um 60ı eine Symmetrietransformation der Schneeflocke. Es gibt weitere. Zum Beispiel Achsenspiegelungen um mehrere Achsen oder die Punktspiegelung am Mittelpunkt. In der Physik betrachtet man Symmetrie als die Invarianz einer physikalischen Theorie unter verschiedenen Symmetrietransformationen. Wie bei der Schneeflocke meint man damit, dass sich die Gesetze der Theorie nicht verändern, wenn man die Symmetrietransformation auf die Natur anwendet. Beispielsweise könnte man fragen, ob die Newton’schen Axiome invariant unter Raumspiegelung sind, das heißt, ob sie das Spiegelbild der Natur gleichermaßen korrekt beschreiben würden. Sie tun es in der Tat. Die Mathematikerin und Physikerin Emmy Noether (. Abb. 7.9) hat gezeigt, dass eine solche Invarianz einer Theorie unter eine Symmetrietransformation immer zu einem Erhaltungssatz führt. Man nennt dies heute das Noether-Theorem. Es gehört in den Bereich der theoretischen Physik und soll hier nur kurz erwähnt werden. Noether hat ferner angegeben, wie man die erhaltene Größe bestimmen kann. Auch der Energieerhaltungssatz folgt aus der Invarianz der Naturgesetze unter einer Symmetrietransformation. Es handelt

. Abb. 7.8 Das Bild einer Schneeflocke. Es zeigt eine hohe Symmetrie

7

130

Kapitel 7  Arbeit und Energie

7

. Abb. 7.9 Emmy Noether. In einem Nachruf in der New York Times schrieb Albert Einstein über sie: „In the judgment of the most competent living mathematicians, Fräulein Noether was the most significant creative mathematical genius thus far produced since the higher education of women began.“ © Science Source/ mauritius images

sich um die Invarianz unter Zeittranslation, das ist die Verschiebung des Nullpunktes der Zeitachse. In alle Naturgesetze gehen nur zeitliche Abstände zwischen Ereignissen ein, nie absolute Zeiten in Bezug auf einen Zeitpunkt t D 0. Dies impliziert, dass die Naturgesetze sich zeitlich nicht verändern. Beispiel 7.12: Konstanz der Naturgesetze am Pendel

Wir können hier die Energieerhaltung nicht aus der Symmetrietransformation ableiten, aber man kann sich den Zusammenhang an einfachen Beispielen klarmachen. Wir wollen ein Pendel betrachten. Die zeitliche Konstanz der Naturgesetze bedeutet unter anderem, dass die Frequenz, mit der das Pendel schwingt, dieselbe ist, egal, wann Sie das Pendel zum Schwingen bringen. Versuchen Sie sich nun vorzustellen, dass die Energie nicht erhalten wäre. Dann könnte es auch keine Konstanz der Naturgesetze geben, denn wenn Sie das Pendel auslenken und festhalten und sich sein Energieinhalt mit der Zeit verändern würde, dann

131 7.4  Symmetrien

müsste es doch unterschiedlich schnell schwingen, je nach dem Energieinhalt zum Zeitpunkt, an dem Sie loslassen.

?Aufgaben 1. Berechnen Sie 4 die Arbeit, um ein Fahrrad (Masse 15 kg) die Kellertreppe (Höhe 3 m) hochzutragen. 4 die kinetische Energie, die das Fahrrad bei einem Tempo von 15 km=h hat. 4 die auf die Erdoberfläche bezogene potenzielle Energie eines Airbus 380 (Masse 430 t) in Reiseflughöhe (10 000 m). 4 die kinetische Energie eines Airbus 380 mit Reisegeschwindigkeit (920 km=h). 4 die thermische Leistung der Sonne aus der Wärmeeinstrahlung, die von der Sonne auf der Erde ankommt (Solarkonstante E0 D 1367 W=m2 , Abstand Erde–Sonne 1;5 1011 m). 4 Lageenergie des Wassers eines vollgefüllten Pumpspeichers mit einem Oberbecken vom Volumen 7  106 m3 auf einer Höhe von 250 m. 4 Leistung dieses Pumpspeicherkraftwerks, wenn das Wasser mit einem Durchfluss von 350 m3 =s abläuft. 2. Bei einer Spindelkelter wird der für das Auspressen des Fruchtsafts benötigte Druck dadurch erzeugt, dass eine sich aus einem feststehenden Gewinde herausdrehende Spindel auf einen Stempel drückt. Das Gewinde habe eine Ganghöhe von 8 mm und die Spindel werde an einem Handgriff, der sich 1 m von der Achse entfernt befindet, mit einer Kraft von 200 N gedreht. Wie groß ist die Kraft, die der Stempel ausübt? 3. Ein Fahrrad besitzt eine Kettenschaltung mit drei Kettenblättern vorne an den Pedalen und sieben Ritzeln hinten am Rad. Das größte Kettenblatt vorne hat 45, das kleinste 29 Zähne. Das größte Ritzel hinten hat 34, das kleinste 13 Zähne. Wie groß ist die Übersetzungsbandbreite der Schaltung, also das Verhältnis der aufzuwendenden Kraft zwischen dem größten und kleinsten einstellbaren Gang? 4. Ein PKW wird von der Geschwindigkeit v1 D 100 km=h auf v2 D 130 km=h beschleunigt, wobei der Zugewinn an kinetischer Energie durch den Motor geliefert wird. Berechnen Sie die Geschwindigkeit v3 , die der Wagen erhalten hätte, wenn dieselbe Energie für die Beschleunigung aus dem Stand aufgewandt worden wäre.

7

132

7

Kapitel 7  Arbeit und Energie

5. Bei einem schiefen Wurf habe das Wurfobjekt am Scheitelpunkt der Flugbahn eine kinetische Energie, die halb so groß ist wie seine potenzielle Energie bezogen auf die Abwurfhöhe. Unter welchem Winkel gegenüber der Horizontalen wurde es geworfen? 6. Ein Kind holt auf einer Schaukel so lange Schwung, bis der Umkehrpunkt des Auslenkungswinkels der Schaukelbewegung gleichmäßig senkrecht zur Vertikalen bleibt. Es überlegt nun, bei welchem Auslenkungswinkel ˇ es abspringen muss, um möglichst weit vom Ruhepunkt der Schaukel entfernt zu landen. Berechnen Sie diese Entfernung S in Abhängigkeit von der Schaukellänge L und dem Winkel ˇ, wobei Sie annehmen können, dass der Schwerpunkt des Kindes bei der Landung auf gleicher Höhe ist wie vorher auf der Schaukel beim niedrigsten Punkt der Bewegung. Bestimmen Sie den optimalen Winkel ˇ numerisch. Sie finden entsprechende Programme auch im Netz. 7. Ein Boot wird von einem Motor der Leistung 5 kW angetrieben. Dabei erreicht es eine Geschwindigkeit von 40 m=s. Wie groß ist die Widerstandskraft, die der Bewegung entgegenwirkt? 8. Die Drachenfelsbahn ist die älteste der vier noch betriebenen Zahnradbahnen in Deutschland. Die Beförderung erfolgt durch elektrische Triebwagen mit einer Motorleistung von 175 kW. Die Triebwagen besitzen eine Leermasse von 12 400 kg und bieten maximal 80 Fahrgästen Platz. Schätzen Sie ab, ob die genannte Motorleistung ausreichend sein kann, um die im Datenblatt angegebene Fahrgeschwindigkeit von 14 km=h bei einer Steigung von 20 % zu erreichen. 9. Ein Kleintransporter mit einer Masse von 2 t wird auf der Autobahn bei Vollgas (maximale Motorleistung) gefahren. Bergauf, bei einer Steigung der Fahrbahn von 4 %, wird eine Geschwindigkeit von 130 km=h, bei der entsprechenden Talfahrt mit einem Gefälle von 4 % werden 150 km=h erreicht. Berechnen Sie die maximale Motorleistung des Kleintransporters unter der vereinfachenden Annahme, dass der Reibungswiderstand (Luft- und Rollreibung) direkt proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit ist. Gehen Sie davon aus, dass die maximale Motorleistung konstant und insbesondere unabhängig von der Geschwindigkeit des Fahrzeugs ist, was allerdings nur eine gute Näherung ist, wenn es sich um einen Elektroantrieb handelt.

133

Impuls Inhaltsverzeichnis 8.1

Impulserhaltung – 134

8.2

Massenmittelpunkt – 136

8.3

Stoßprozesse – 142

8.4

Systeme mit veränderlicher Masse – 151

8.5

Der Kraftstoß – 154

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_8

8

134

Kapitel 8  Impuls

8.1

Impulserhaltung

Wir definieren den Impuls p eines Körpers als das Produkt aus seiner Masse und seiner Geschwindigkeit pE D mE v

(8.1)

Wie die Geschwindigkeit ist auch der Impuls ein Vektor. Die Einheit des Impulses lässt sich aus der Definition ableiten. Sie ist Œp D 1

kg m s

(8.2)

Die Einheit hat keinen eigenen Namen und kein eigenes Symbol. Mit der Definition des Impulses lässt sich das zweite Newton’sche Axiom umformulieren

8

d d pE D .mE v/ FE D dt dt

(8.3)

Unter der Annahme, dass sich die Masse des Körpers nicht ändert, erhalten wir die bekannte Form d d vE FE D .mE v/ D m D mE a dt dt

(8.4)

Tatsächlich ist die hier angegebene Form FE D d p=dt E allgemeiner gültig. Newtons Formulierung ist eine Spezialisierung auf konstante Massen. Beispiel 8.1: Die Kraft eines Wasserstrahls

Der Strahl aus einem Wasserwerfer trifft eine Plakatwand. Welche Kraft übt der Strahl auf die Wand aus? Die Wasserkanone kann bis zu 1200 l=min verspritzen und selbst in einigen Metern Entfernung hat das Wasser noch eine Geschwindigkeit bis zu v D 30 m=s. Ein Liter Wasser entspricht einer Masse von einem Kilogramm, d. h. in einer Minute werden m D 1200 kg Masse ausgestoßen. Diese trägt einen Impuls p D mv D 36 000 kg m=s. Um die Impulsänderung p abzuschätzen, nehmen wir an, dass das Wasser an der Plakatwand abgestoppt wird und danach nach unten fließt. Wir vernachlässigen eventuelles Zurückspritzen des Wassers. Dann ist p D p und die Kraft ergibt sich zu F D

36 000 kg m=s p D D 600 N; t 60 s

was der Gewichtskraft einer Masse von 60 kg entspricht. Würde das Wasser von der Plakatwand elastisch abprallen, erhielten wir die doppelte Kraft.

135 8.1  Impulserhaltung

Wir wollen ein System von Körpern betrachten, in dem nur innere Kräfte wirken, d. h. es wirken Kräfte zwischen den Körpern des Systems, aber keine Kräfte mit Objekten außerhalb des Systems. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass das System nur aus zwei Körpern besteht. Dann erhalten wir die Bewegungsgleichungen aus d FE12 D pE1 dt

d pE2 FE21 D dt

(8.5)

wobei FE12 die Kraft ist, die Körper 2 auf Körper 1 ausübt und FE21 entsprechend. Die beiden Kräfte sind über actio D reactio miteinander verknüpft: FE12 D FE21

oder FE12 C FE21 D 0

(8.6)

Wir setzen ein d d d FE12 C FE21 D pE1 C pE2 D .pE1 C pE2 / D 0 dt dt dt

(8.7)

Woraus folgt pE1 C pE2 D konst.

(8.8)

Wir haben gerade aus den Newton’schen Axiomen abgeleitet, dass für ein System von zwei Körpern der Impuls eine Erhaltungsgröße ist. Dies gilt allgemein für Systeme mit beliebig vielen Körpern. Die Ableitung geht analog. Es ist nur mehr Schreibarbeit. Wir formulieren also allgemein >Impulssatz In einem System, in dem nur innere Kräfte wirken, ist der Gesamtimpuls erhalten.

Wie schon der Energiesatz, lässt sich auch der Impulssatz im Noether’schen Sinne auf eine Invarianz der Naturgesetze unter einer Symmetrietransformation zurückführen. Dem Impulssatz liegt die Translationssymmetrie des Raumes zugrunde. Diese Symmetrie besagt, dass ein physikalischer Prozess (z. B. ein Experiment) an jedem Ort im Raum dasselbe Ergebnis liefert. Experiment 8.1: Impulserhaltung auf der Luftkissenbahn

Auf einer Luftkissenbahn kann man die Impulserhaltung sehr schön demonstrieren. In der Mitte der Bahn befinden sich zwei Wagen. In . Abb. 8.1 sieht man zwei Wagen gleicher Masse. Man kann das Experiment mit Wagen unterschiedlicher Masse wiederholen. Die Wagen werden jeweils vor Beginn des Experimentes gewogen. Die beiden Wagen sind über eine komprimierte

8

136

Kapitel 8  Impuls

8

. Abb. 8.1 © Foto: Hendrik Brixius

Feder und einen Faden miteinander verbunden. Die Feder stößt die Wagen voneinander ab, der Faden verhindert dies. Zu Beginn ruhen die Wagen in der Mitte der Bahn. Der anfängliche Gesamtimpuls ist folglich null. Dann brennt man mit einem Feuerzeug den Faden durch. Die beiden Wagen stoßen sich voneinander ab und bewegen sich dann gleichförmig voneinander weg. An der Lichtschranke wird ihre Geschwindigkeit gemessen. Da die Feder eine innere Kraft darstellt, muss der Gesamtimpuls erhalten sein, dies bedeutet pE1 D pE2 . Demnach müssen sich die Geschwindigkeiten umgekehrt wie die Massen verhalten, was man mit der Messung überprüfen kann.

8.2

Massenmittelpunkt

Im vergangenen Kapitel haben wir Systeme von Körpern diskutiert, auf die keine äußeren Kräfte wirken. Wir haben herausgefunden, dass sich der Gesamtimpuls eines solchen Systems nicht verändert. Wir wollen nun die Dynamik solcher Systeme untersuchen. Dazu führen wir den Begriff des Massenmittelpunktes ein.

137 8.2  Massenmittelpunkt

. Abb. 8.2 Der Massenmittelpunkt eines Systems aus 3 Massenpunkten

Er ergibt sich aus den Positionen, an denen sich die einzelnen Massenpunkte des Systems befinden: P mi rEi rEMM D Pi (8.9) i mi In . Abb. 8.2 ist ein Beispiel gezeigt. Bestimmt werden soll der Massenmittelpunkt eines Systems aus drei Massenpunkten mit den Massen 2m, 3m und 4m. Sie befinden sich an den Positionen rE1 D .4; 0; 2;5/ rE2 D .2; 4; 3/ rE3 D .0; 0; 3/

m1 D 2 m m2 D 3 m m3 D 4 m

(8.10)

Einsetzen in Gl. 8.9 ergibt rEMM D .1;56; 1;33; 2;89/ :

(8.11)

Der Massenmittelpunkt ist in . Abb. 8.2 eingezeichnet. Er liegt in der Ebene, die von den drei Massenpunkten des Systems aufgespannt wird. Bei drei Massenpunkten ist dies immer der Fall. Für einen ausgedehnten Körper mit kontinuierlicher Massenverteilung müssen die Summen in der Definition des Massenmittelpunktes durch Integrale über das Volumen des Körpers ersetzt werden (siehe 7 mathematischer Anhang A3.12 und 7 A3.13): R Z rEd m 1 ¡.Er /Er dV : (8.12) D rEMM D RV M V dm V

M ist die gesamte Masse des Körpers und ¡.Er / seine lokale Dichte.

8

138

Kapitel 8  Impuls

Wir wollen zunächst die Bewegung des Massenmittelpunktes ohne Einwirkung äußerer Kräfte betrachten. Wie wir im vorherigen Kapitel gelernt haben, ist in diesem Fall der Gesamtimpuls erhalten. Wir bestimmen die Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes: P P  d Ei Ei d d i mi dt r i mi r P rEMM D D P dt dt i mi i mi P p E m v E ges i i D Pi D D konst. m M i i

(8.13)

Die Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes ist in diesem Fall zeitlich konstant. Dies fassen wir zusammen: >Schwerpunktsatz

8

Bei Abwesenheit äußerer Kräfte bewegt sich der Massenmittelpunkt geradlinig und gleichförmig. Beispiel 8.2: Schwerpunktsatz: zweistufige Rakete

Betrachten Sie die Flugbahn dieser zweistufigen Rakete. Die Rakete startet mit der ersten Stufe. Am höchsten Punkt der Flugbahn ist die erste Stufe ausgebrannt und wird abgesprengt. Beim Absprengen wirkt eine Kraft zwischen der ersten und der zweiten Stufe. Dies ist eine innere Kraft. Der Massenmittelpunkt bewegt sich auf einer Wurfparabel weiter (gestrichelte Linie). Die erste Stufe fällt – abgebremst durch das Absprengen – zu Boden. Die zweite Stufe fliegt weit über die Flugbahn des Massenmittelpunktes hinaus.

139 8.2  Massenmittelpunkt

Experiment 8.2: Pendelwagen

Der Pendelwagen ist eigentlich ein Kinderspielzeug. Auf einem Fahrgestell mit vier Rädern ist ein Pendel montiert. Lenkt man das Pendel auf dem ruhenden Wagen aus, so führt der Wagen eine Gegenbewegung zum schwingenden Pendel aus. Immer wenn sich das Pendel nach rechts bewegt, rollt der Wagen nach links und umgekehrt. Der Schwerpunkt bleibt dabei ortsfest. Schiebt man den Wagen an, so beginnt auch das Pendel zu schwingen. Die einzelnen Teile führen komplizierte ruckartig anmutende Bewegungen aus. Nun kann man nur noch erahnen, dass sich der Schwerpunkt gleichmäßig bewegt.

Bis jetzt haben wir den Fall behandelt, dass keine äußeren Kräfte auf das System wirken. Nun wollen wir den allgemeinen Fall mit äußeren Kräften betrachten und berechnen die Beschleunigung des Massenmittelpunktes: P Ei d2 d d pEMM d i p P r E D D (8.14) v E D MM MM dt 2 dt dt M dt i mi Wir multiplizieren die Gleichung mit der Gesamtmasse M D P i mi M aEMM D

X d X d X FEi pEi D pEi D dt i dt i i

(8.15)

wobei wir im letzten Schritt Newtons zweites Axiom für die einzelnen Massenpunkte benutzt haben. Wegen des dritten Axioms taucht in der Summe zu jeder inneren Kraft auch die entsprechende Gegenkraft auf, sodass sich die inneren Kräfte in der Summe herausheben und die Summe sich auf die externen Kräfte reduziert: X FEi;ext (8.16) M aEMM D i

Das Ergebnis hat die Form des zweiten Newton’schen Axioms, angewandt auf den Massenmittelpunkt. Wir sehen, der Massenmittelpunkt bewegt sich, als ob die Gesamtmasse in ihm vereinigt wäre und die äußeren Kräfte an ihm angreifen. Beispiel 8.3: Das Zweikörperproblem

Wir wollen ein System betrachten, das aus zwei Massenpunkten besteht und auf das keine äußeren Kräfte wirken. Können wir die Bewegung der Körper allgemein bestimmen?

© Foto: Hendrik Brixius

8

140

Kapitel 8  Impuls

Wir beziehen die Ortsvektoren rE1 und rE2 der beiden Massenpunkte auf den Schwerpunkt rEs , d. h.: rE1 D rES C rE1s rE2 D rES C rE2s Dann begeben wir uns in ein Koordinatensystem, in dem der Schwerpunkt ruht, und berechnen zunächst die Bewegung in Bezug auf den Schwerpunkt. Die Bewegungsgleichungen stellen ein System zweier gekoppelter Differenzialgleichungen dar. Die Kopplung steckt in der Kraft, denn jede Kraft hängt von der Position beider Punktmassen ab, genauer gesagt von der relativen Position Er D rE2s  rE1s der beiden Punktmassen zu einander. Die Differenzialgleichungen lauten:

8

  d 2 rE1s D FE21 Er 2 dt   d 2 rE2s D FE12 Er : m2 2 dt m1

Wir multiplizieren die erste DGL mit m2 und die zweite mit m1     und setzen wegen actio D reactio FE21 Er D FE12 Er :   d 2 rE1s D m2 FE12 Er dt 2   d 2 rE2s D m1 FE12 Er : m1 m2 dt 2 m1 m2

Wir subtrahieren die beiden Gleichungen voneinander und erhalten:   m1 m2 d 2 Er D FE12 Er : 2 m1 C m2 dt Dies ist die Bewegungsgleichung einer einzelnen Punktmasse der Größe m0 D m1 m2 =.m1 C m2 /. Man nennt m0 die reduzierte Masse des Systems. Diese einfache Differenzialgleichung müssen wir nun zuerst lösen, wobei Lösungsverfahren und Lösung von der genauen Form der Kraft abhängen. Dann benötigen wir die Bewegung des Schwerpunkts. Da keine äußeren Kräfte wirken, ist dies eine einfache, gleichförmige Bewegung. Haben wir beide Bewegungen gelöst, können wir aus Er .t/ und rEs .t/ die Bewegung der beiden einzelnen Punktmassen berechnen. Es gilt ja nach der Definition des Schwerpunkts .m1 C m2 / rEs D m1 rE1 C m2 rE2 ;

141 8.2  Massenmittelpunkt

wozu wir m2 Er D m2 rE2  m2 rE1 addieren und dann nach rE1 auflösen. Wir erhalten rE1 .t/ D rEs .t/ C

m2 Er .t/ m1 C m2

und entsprechend: rE2 .t/ D rEs .t/ C

m1 Er .t/: m1 C m2

Damit haben wir das Zweikörperproblem auf die Lösung eines Einkörperproblems mit der reduzierten Masse m0 zurückgeführt.

In 7 Abschn. 12.3 werden wir den Schwerpunkt definieren als den Punkt, an dem man einen Körper unterstützen muss, sodass er in Ruhe bleibt. Es wird sich herausstellen, dass Massenmittelpunkt und Schwerpunkt eines Körpers zusammenfallen. Vielleicht haben Sie bemerkt, dass der Name „Schwerpunktsatz“ nicht korrekt ist. Er müsste eigentlich „Massenmittelpunktsatz“ heißen. Da die beiden Punkte aber zusammenfallen, wollen wir es bei der üblichen Bezeichnung belassen. Beispiel 8.4: Mondbahn

Sonne, Erde und Mond sind riesige Körper. Trotzdem kann man ihre Bewegung als Massenpunkte beschreiben. Man mag sich angesichts der Abweichungen der Form der Körper von einer perfekten Kugel fragen, wo genau man die Massenpunkte ansetzen sollte. Wir haben die Antwort gefunden: Die Massenpunkte müssen jeweils im Massenmittelpunkt der Himmelskörper angesetzt werden. Die Körper bewegen sich, als ob die gegenseitigen Kräfte in den Massenmittelpunkten angreifen würden. Allerdings handelt es sich um ein 3-Körper-Problem, dessen Lösung über dieses Buch hinausgeht.

8

142

Kapitel 8  Impuls

8.3

8

Stoßprozesse

Eine wichtige Anwendung der Erhaltungssätze auf Systeme mit inneren Kräften sind die sogenannten Stoßprozesse. Dabei stoßen einzelne Massenpunkte zusammen. Man interessiert sich in der Regel für die Geschwindigkeiten der Stoßpartner nach dem Stoß. In der Mechanik treten sie beispielsweise beim Billardspiel auf oder bei der Bewegung von Molekülen in Gasen. Sie kommen aber auch in anderen Bereichen der Physik vor, z. B. bei der Rayleigh-Streuung von Licht in der Atmosphäre. Wir wollen diese Prozesse im Folgenden diskutieren. Stoßen zwei oder mehrere Körper zusammen, so wirken starke innere Kräfte, gegenüber denen man eventuelle äußere Kräfte vernachlässigen kann. Daher können wir auf den Impulssatz zurückgreifen. Zwar werden sich die Impulse der einzelnen Körper ändern, der Gesamtimpuls muss aber vor und nach dem Stoß derselbe sein. Es muss folglich gelten X i

! pEi

D vor

X

! pEi

i

(8.17) nach

wobei pEi;vor und pEi;nach die Impulse der einzelnen Stoßpartner vor und nach dem Stoß sind. Nicht notwendigerweise erhalten ist bei einem Stoß die kinetische Energie. Es gibt Stöße, bei denen die Stoßpartner voneinander abprallen, sodass tatsächlich die Summe der kinetischen Energien vor und nach dem Stoß gleich bleibt. Aber dies ist ein Spezialfall. Im Allgemeinen werden sich die Körper beim Stoß deformieren und erwärmen. Dabei geht kinetische Energie verloren. Man unterscheidet daher elastische und inelastische Stöße. Einige Konfigurationen werden in 7 Experiment 8.3 demonstriert. Im Prinzip können beliebig viele Körper zusammenstoßen. In der Realität ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass mehr als zwei Körper in exakt dem selben Moment aufeinandertreffen. Wir wollen uns daher meist auf den Stoß zweier Körper beschränken.

8.3.1

Elastischer Stoß

Als „elastisch“ bezeichnet man einen Stoß, bei dem keinerlei kinetische Energie verlorengeht. Die Stoßpartner prallen voneinander ab. Ein gutes Beispiel sind die Stöße der Kugeln beim Billardspiel. Die Summe der kinetischen Energien nach dem Stoß

143 8.3  Stoßprozesse

entspricht der Summe davor: X i

8.3.2

! D

Ekin;i vor

X

! Ekin;i

i

(8.18) nach

Total inelastischer Stoß

Dies ist das andere Extrem. Bei einem total inelastischen Stoß wird so viel kinetische Energie umgewandelt, wie nach der Impulserhaltung nur möglich ist. Dies führt dazu, dass die Stoßpartner sich nach dem Stoß gemeinsam weiterbewegen. Ein Beispiel sind Verkehrsunfälle. Stoßen zwei Autos zusammen, so deformieren sie sich und können sich ineinander verkeilen. Sie rutschen dann nach dem Stoß gemeinsam weiter. Allerdings wird die Bewegung nach dem Stoß durch die hohe Reibung auf der Straße schnell abgebremst: .E v1 /nach D .E v2 /nach D : : : D .E v /nach

(8.19)

Dass bei einem solchen Stoss tatsächlich ein Maximum an kinetischer Energie verloren geht, sieht man am einfachsten, wenn man sich ins Schwerpunktsystem der beiden stoßenden Körper begibt. Dieses System bewegt sich mit dem Schwerpunk mit, der Gesamtimpuls ist null. Vor dem Stoß bewegen sich die Körper mit entgegengesetztem Impuls aufeinander zu. Nach dem Stoß ruhen sie beide. Die kinetische Energie der Relativbewegung ist verschwunden, lediglich die kinetische Energie der Schwerpunktbewegung verbleibt. Diese kann wegen der Impulserhaltung nicht umgewandelt werden.

8.3.3

Inelastischer Stoß

Elastischer und total inelastischer Stoß sind Grenzfälle. Beim ersten geht keine kinetische Energie verloren, beim letzteren die maximal mögliche. Diese Grenzfälle können in der Realität nur näherungsweise erreicht werden. Reale Stöße liegen immer zwischen den Grenzfällen. Man nennt solche Stöße „inelastisch“. Es wird ein Teil der kinetischen Energie der Stoßpartner in andere Energieformen umgewandelt. Beachten Sie aber, dass in allen Fällen der Gesamtimpuls erhalten sein muss. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Verlust an kinetischer Energie beim Stoß zu quantifizieren. Eine Möglichkeit stellt die sogenannte Stoßzahl k dar, die man auch den Restitutionskoeffizienten nennt. Beim Stoß

8

144

Kapitel 8  Impuls

zweier Massenpunkte ist: ˇ    ˇ ˇ vE2  vE1 nach ˇ nach   ˇ : k D ˇ  ˇ vE2  vE1 ˇ vor

(8.20)

vor

Es ist das Verhältnis der Relativgeschwindigkeiten vor und nach dem Stoß. Für einen elastischen Stoß ergibt sich k D 1 für einen total inelastischen Stoß k D 0. Reale Stöße haben einen Wert zwischen 0 und 1. Wir wollen nun einige Spezialfälle näher diskutieren. Zunächst gehen wir davon aus, dass sich die Stoßpartner nur in einer Dimension bewegen können, wie z. B. Wagons auf einer Schiene. Danach gehen wir zu Stößen in zwei (Kugeln auf einem Billardtisch) und drei Dimensionen (Moleküle in einem Gas) über. 8.3.4

8

. Abb. 8.3 Elastischer Stoß in einer Dimension

Elastischer Stoß in einer Dimension

Zwei Körper stoßen in einer Richtung elastisch aufeinander (siehe . Abb. 8.3). Um die Darstellung zu vereinfachen, wollen wird die Geschwindigkeiten vor dem Stoß mit uE 1 und uE 2 bezeichnen und die Geschwindigkeiten nach dem Stoß mit vE1 und vE2 . Positive Geschwindigkeiten zeigen immer nach rechts. Die Massen der Körper seien m1 und m2 . Auf die Vektorpfeile können wir in einer Dimension auch verzichten. Wie groß sind die Geschwindigkeiten nach dem Stoß? Bei einem elastischen Stoß muss die kinetische Energie erhalten bleiben. Darüber hinaus ist wie bei allen Stößen der Gesamtimpuls erhalten. Also gilt 1 1 1 1 m1 u21 C m2 u22 D m1 v12 C m2 v22 2 2 2 2 m1 u1 C m2 u2 D m1 v1 C m2 v2

(8.21)

Wir multiplizieren die erste Gleichung mit 2 und sortieren die Terme neu m1 u21  m1 v12 D m2 v22  m2 u22 m1 u1  m1 v1 D m2 v2  m2 u2

(8.22)

Nun klammern wir die Massen aus und zerlegen die Quadrate in lineare Faktoren m1 .u1  v1 /.u1 C v1 / D m2 .v2  u2 /.v2 C u2 / m1 .u1  v1 / D m2 .v2  u2 /

(8.23)

145 8.3  Stoßprozesse

Wir dividieren die erste Gleichung durch die zweite und erhalten .u1 C v1 / D .v2 C u2 / ) v2 D u1 C v1  u2

(8.24)

was wir wiederum in die erste Gleichung von Gl. 8.23 einsetzen m1 .u1  v1 /.u1 C v1 / D m2 .u1 C v1  2u2 /.u1 C v1 / m1 .u1  v1 / D m2 .u1 C v1  2u2 / m1 u1  m1 v1 D m2 u1 C m2 v1  2m2 u2 m1 v1 C m2 v1 D m1 u1  m2 u1 C 2m2 u2 .m1 C m2 /v1 D 2m1 u1 C 2m2 u2  m2 u1  m1 u1 m1 u 1 C m2 u 2 v1 D 2  u1 (8.25) m1 C m2 und analog erhält man v2 D 2

m1 u 1 C m2 u 2  u2 : m1 C m2

(8.26)

Der erste Summand dieses Ergebnisses gibt die Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes an. Es ist vMM D

m1 u 1 C m2 u 2 m1 C m2

(8.27)

Man hätte die Rechnung deutlich vereinfachen können, wenn wir von Anfang an das Schwerpunktsystem benutzt hätten, in dem der Massenmittelpunkt in Ruhe ist. Interessant ist es noch, den Spezialfall zu betrachten, in dem die beiden Massen gleich sind m1 D m2 D m. Dann vereinfacht sich das Ergebnis zu v1 D u2 v2 D u1

(8.28)

Die beiden Körper tauschen die Geschwindigkeiten aus. Der ursprünglich schnellere Körper wird abgebremst und der langsamere beschleunigt. Läuft beispielsweise ein Eisenbahnwagon auf einen gleich schweren, ruhenden Wagon auf, so wird der erste Wagon abgestoppt und der zweite wird mit der Geschwindigkeit des ersten losrollen, vorausgesetzt, die Geschwindigkeit ist nicht zu groß und das Abstoßen an den Puffern elastisch.

8.3.5

Total inelastischer Stoß in einer Dimension

Beim total inelastischen Stoß bewegen sich beide Körper nach dem Stoß gemeinsam (. Abb. 8.4). Es ist v1 D v2 D v. Wir haben

8

146

Kapitel 8  Impuls

jetzt nur noch die Impulserhaltung als Bedingung m1 u 1 C m2 u 2 D m1 v C m2 v :

(8.29)

Daraus folgt . Abb. 8.4 Total inelastischer Stoß in einer Dimension

vD

m1 u 1 C m2 u 2 m1 C m2

(8.30)

oder für gleich schwere Körper vD

1 .u1 C u2 / : 2

(8.31)

Stoßen zwei gleich schwere Körper mit gleicher Geschwindigkeit total inelastisch gegeneinander (u1 D u2 ), so bleiben sie am Ort des Stoßes liegen. Bei einem realen Stoß ergibt sich m1 u1 C m2 u2  m2 .u1  u2 / k m1 C m2 m1 u1 C m2 u2  m1 .u2  u1 / k v2 D ; m1 C m2

v1 D

8

(8.32)

mit der Stoßzahl k. Das Ergebnis des total inelastischen Stoßes (Gl. 8.30) gilt entsprechend auch für Stöße von mehr als zwei Körpern. Auch in mehr als einer Dimension kommt man zum selben Ergebnis, man muss es allerdings dann in Vektorform schreiben vE D

m1 uE 1 C m2 uE 2 : m1 C m2

(8.33)

Experiment 8.3: Stöße auf der Luftkissenbahn

Man kann elastische wie inelastische Stöße in einer Dimension sehr schön auf der Luftkissenbahn demonstrieren. Dabei können Wagen mit gleicher, wie mit unterschiedlicher Masse zum Einsatz kommen. Elastische Stöße realisiert man durch eine Feder, die man an einem der Wagen anbringt. Total inelastische Stöße kann man durch eine Kugel Knetmasse zwischen den Wagen erreichen. Benutzt man beispielsweise zwei gleich schwere Wagen, von denen einer zu Beginn ruht, so genügen zwei Messstrecken für die Geschwindigkeit, um die Kinematik vollständig auszumessen. Man bestimmt die Geschwindigkeit des einlaufenden Wagens. Im elastischen Fall wird er nach dem Stoß stehenbleiben, und der gestoßene Wagen läuft mit derselben Geschwindigkeit weg. Im inelastischen Fall laufen beide Wagen gemeinsam nach dem Stoß mit der halben Anfangsgeschwindigkeit weiter.

147 8.3  Stoßprozesse

8.3.6

8

Elastischer Stoß in zwei Dimensionen

Bei elastischen Stößen in mehr als einer Dimension lässt sich kein eindeutiges Ergebnis mehr angeben. Selbst bei eindeutig vorgegebener Anfangskonfiguration sind viele Konfigurationen nach dem Stoß möglich. Dies liegt an der Näherung der Körper als Massenpunkte. Würde man ausgedehnte Kugeln betrachten, so legt der Punkt, an dem die Kugeln sich berühren, die Geschwindigkeiten und Richtungen nach dem Stoß eindeutig fest. Gute Billardspieler machen sich dies zunutze. In zwei Dimensionen haben wir vier unbekannte Größen, die wir berechnen wollen, nämlich die Komponenten der Endgeschwindigkeiten der beiden Körper in den zwei betrachteten Raumrichtungen (. Abb. 8.5). Im Falle von Massenpunkten haben wir aber nur drei Nebenbedingungen zur Verfügung. Diese sind der Impulssatz in den beiden Raumrichtungen und der Energiesatz. Folglich kann es keine eindeutige Lösung geben. Wir können einer weiteren Größe einen Wert frei zuweisen. Wir wählen hierfür die Ablenkung des ersten Massenpunktes aus seiner ursprünglichen Bewegungsrichtung, also den Winkel zwischen uE 1 und vE1 . Wir nennen ihn 1 . Um die Rechnung zu vereinfachen, wollen wir ein spezielles Koordinatensystem wählen (. Abb. 8.6). Es soll sich anfänglich mit dem zweiten Massenpunkt mitbewegen, sodass dieser vor E Wir haben dem Stoß in diesem Koordinatensystem ruht uE 2 D 0. ferner die Freiheit, die Orientierung der Achsen zu wählen. Wir drehen das Koordinatensystem so, dass der erste Massenpunkt sich anfänglich entlang der x-Achse bewegt. Dann lauten die Erhaltungssätze (siehe 7 mathematischer Anhang A3.15) 1 1 1 m1 u21 D m1 v12 C m2 v22 2 2 2 m1 u1 D m1 v1;x C m2 v2;x 0 D m1 v1;y C m2 v2;y

(8.34)

Wir gehen zu ebenen Polarkoordinaten über 1 1 1 m1 u21 D m1 v12 C m2 v22 2 2 2 m1 u1 D m1 v1 cos ™1 C m2 v2 cos ™2 0 D m1 v1 sin ™1 C m2 v2 sin ™2

(8.35)

Gibt man nun 1 vor, so kann man aus diesem Gleichungssystem v1 , v2 und 2 bestimmen. Die Lösung ist länglich. Wir überlassen sie dem Leser zur Übung (siehe 7 mathematischer Anhang A3.15). Stattdessen wollen wir ein interessantes Ergebnis für den

. Abb. 8.5 Elastischer Stoß in zwei Dimensionen

. Abb. 8.6 Elastischer Stoß in zwei Dimensionen im Koordinatensystem

148

Kapitel 8  Impuls

Spezialfall gleicher Massen ableiten. Wir setzen also m1 D m2 D m und schreiben die Impulserhaltung wieder in Vektorschreibweise v1 C mE v2 mE u1 D mE

oder uE 1 D vE1 C vE2

(8.36)

Die rechte Gleichung besagt, dass die Vektoren uE 1 , vE1 und vE2 ein Dreieck bilden. Der Energiesatz hat nun folgende Form 1 1 2 1 2 mE u21 D mE v C mE v 2 2 1 2 2

oder u21 D v12 C v22

(8.37)

Das ist aber nichts anderes als der Satz von Pythagoras für dieses Dreieck. Die drei Vektoren bilden folglich ein rechtwinkeliges Dreieck mit den beiden Vektoren vE1 und vE2 als Katheten. Sie schließen einen rechten Winkel ein, d. h. die Geschwindigkeiten der beiden Körper nach dem Stoß stehen senkrecht aufeinander. Allerdings gilt diese einfache Relation nur bei gleichen Massen.

8

Beispiel 8.5: Der Stoß beim Billard

Während beim Stoß zweier Massenpunkte in einer Ebene die Richtung der Geschwindigkeiten nach dem Stoß durch die Anfangsbedingungen nicht eindeutig festgelegt ist, ist dies beim Stoß ausgedehnter Kugeln sehr wohl der Fall. Unsere Skizze zeigt das Beispiel eines Billardstoßes. Der Massenmittelpunkt der weißen Kugel ist nicht genau auf den Massenmittelpunkt der gelben Kugel gerichtet. Sie trifft die gelbe Kugel in einem gewissen Abstand. Beim Stoß entsteht eine Kraft, die vom Massenmittelpunkt über den Berührungspunkt der beiden Kugel zum Massenmittelpunkt der gelben Kugel zeigt. Entlang dieser Linie wird die gelbe Kugel weggestoßen. Die Richtung der weißen Kugel nach dem Stoß folgt dann aus der Impulserhaltung, wie wir diese mit Massenpunkten berechnet hatten. Sind die beiden Kugeln gleich schwer, bildet sich ein rechter Winkel zwischen ihren Richtungen aus.

8.3.7

Elastischer Stoß in drei Dimensionen

Der elastische Stoß in drei Dimensionen bringt nichts wirklich Neues. Wir haben nun für jede der unbekannten Geschwindigkeiten drei unbekannte Komponenten, also insgesamt sechs Unbekannte. Dem stehen vier Bestimmungsgleichungen gegenüber: der Energiesatz und die drei Komponenten des Impulssatzes. Wir wollen wieder den Spezialfall betrachten, dass der zweite Massenpunkt vor dem Stoß ruht. Wir wählen ein ähnliches

149 8.3  Stoßprozesse

Koordinatensystem wie im 2-dimensionalen Fall. Die x-Achse ist wieder durch die Bewegung des ersten Massenpunktes vor dem Stoß gegeben. Wir drehen das Koordinatensystem so lange um die x-Achse, bis sich der erste Massenpunkt nach dem Stoß in der x-y-Ebene bewegt. Die z-Achse steht senkrecht darauf. Betrachten wir die z-Komponente des Gesamtimpulses. Sie ist vor dem Stoß null. Nach dem Stoß ist aber durch die spezielle Wahl der y-Achse die z-Komponente des ersten Massenpunktes immer noch null. Dann muss wegen der Impulserhaltung auch die z-Komponente des Impulses des zweiten Massenpunktes verschwinden. Das heißt, dass sich keiner der Massenpunkte je in z-Richtung bewegt. Der Stoß findet tatsächlich in einer Ebene statt. Wir haben den Stoß in drei Dimensionen auf den 2-dimensionalen Fall reduziert. Experiment 8.4: Kugelstoßpendel

Das Kugelstoßpendel gilt als physikalische Spielerei. Eine Reihe gleich schwerer Kugeln ist an Fäden als Pendel aufgehängt. Lenkt man die erste Kugel aus und lässt sie auf die ruhenden Kugeln fallen, so springt auf der gegenüberliegenden Seite die letzte Kugel weg. Die anderen bleiben in Ruhe. Es entsteht ein periodisches Hin und Her, an dem nur die beiden äußeren Kugeln beteiligt sind. Die Kugeln führen nahezu elastische Stöße in einer durch die Aufhängung vorgegebenen Richtung aus. Die erste Kugel trifft die zweite. Beim Stoß wird sie abgestoppt. Ihr Impuls wird vollständig auf die zweite Kugel übertragen. Diese stößt nun die dritte und überträgt ihren Impuls, und so weiter, bis die letzte Kugel erreicht ist, die dann ausschwingt. Die Bewegung der inneren Kugeln vom Anstoß bis zur Weitergabe des Impulses ist so gering, dass man sie nicht wahrnimmt. Interessant ist zu beobachten, was passiert, wenn man statt einer Kugel zwei auslenkt. Man könnte naiv erwarten, dass dann auf der gegenüberliegenden Seite eine Kugel mit doppelter Geschwindigkeit abgestoßen wird. Dies ist aber nicht der Fall. Es werden zwei Kugeln beide mit der einfachen Geschwindigkeit abgestoßen. Warum muss das so sein? Der Grund ist, dass neben dem Impuls bei elastischen Stößen auch die kinetische Energie vollständig übertragen werden muss. Dies ist nur möglich, wenn das abgestoßene Objekt dieselbe Masse wie das anstoßende hat, also ebenfalls zwei Kugeln abgestoßen werden. Rechnen Sie es nach!

8

150

Kapitel 8  Impuls

Experiment 8.5: Flummipyramide

Die Flummipyramide ist ein einfaches, aber durchaus beeindruckendes Experiment. Sie benötigen dazu zwei bis vier Flummis unterschiedlicher Größe. Man hält sie wie in der Skizze zu sehen übereinander und lässt sie dann fallen. Bei mehreren Flummis gehört ein wenig Geschick dazu, sie gerade fallen zu lassen. Die Flummis fallen gleich schnell. Der unterste wird zuerst auf dem Boden aufkommen, nach oben abspringen und gegen den darüberliegenden stoßen. Er stößt diesen nach oben weg und überträgt dabei einen Teil seiner Energie auf ihn. Der zweite stößt dann wiederum den dritten nach oben und so weiter. Der oberste wird mit einer überraschend großen Geschwindigkeit nach oben abgestoßen. Bitte führen Sie das Experiment nicht in Ihrer Wohnung durch! Mit Gl. 8.26 kann man die Geschwindigkeit eines gestoßenen Flummis bestimmen. Nehmen wir an, die Flummis unterscheiden sich in der Masse jeweils um einen Faktor 2. Dann folgt aus Gl. 8.26 mit m1 D 2m, m2 D m, u1 D u, u2 D u, dass sich nach dem Stoß für den oberen Flummi die Geschwindigkeit v2 D 5=3u ergibt. Bei einer Pyramide mit vier Flummis treten drei Stöße auf, sodass die Endgeschwindigkeit des oberen Flum 3 mis vend D 53 u  4;6u beträgt.

8

Experiment 8.6: Ballistisches Pendel

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Das ballistische Pendel wird zur Bestimmung der Geschwindigkeit von Projektilen verwendet. An einer langen Schnur hängt ein Projektilfänger, z. B. eine dicke Holzplatte. Das Projektil, dessen Masse man kennen muss, wird auf die Platte abgefeuert. Es bleibt in der Platte stecken. Durch den Rückstoß schlägt das Pendel ein wenig aus. Der Ausschlag wird gemessen. Pendellänge, sowie Gewicht und Dicke des Fängers müssen an die Waffe angepasst sein. Für das Luftgewehr, das wir in der Vorlesung benutzen, genügt bereits eine kleine Platte von wenigen Zentimeter Dicke an einem 2 Meter langen Pendel. Der Einschlag des Projektils in der Platte stellt einen total inelastischen Stoß dar. Die gesamte kinetische Energie des Projektils wird abgegeben, das Projektil bewegt sich nach dem Stoß gemeinsam mit der Platte. Wir bestimmen zunächst die Geschwindigkeit u des Pendelkörpers (Platte) nach dem Stoß. Die Masse des Pendelkörpers ist M D 1800 g, die Länge des Pendels l D 220 cm und g D 9;81 m=s2 die Fallbeschleunigung. Die horizontale Auslenkung wurde zu a D 4;5 cm gemessen. Die Masse des Projektils ist m D 0;75 g. Dann ergibt die Energieerhaltung

151 8.4  Systeme mit veränderlicher Masse

für das Pendeln nach dem Stoß  a 1 .m C M /u2 D .m C M /gh D .m C M /gl 1  cos 2 l Daraus ergibt sich r r  m a a D 2 gl sin2  0;095 u D 2gl 1  cos l 2l s Nun setzen wir für den inelastischen Stoß Impulserhaltung an und erhalten die gesuchte Geschwindigkeit des Projektils v0 : mv0 D .m C M /u ) v0 D

m mCM u  228 m s

Es ergibt sich eine Geschwindigkeit des Projektils von 228 m=s. Wir können nun die Elastizität des Stoßes numerisch überprüfen. Die Energien vor und nach dem Stoß sind 1 2 mv  19;5 J 2 0 1 .m C M /u2  0;008 J 2 In der Tat geht nahezu die gesamte kinetische Energie beim Stoß verloren.

8.4

Systeme mit veränderlicher Masse

Bis hierher hatten wir angenommen, dass die Masse des Systems konstant bleibt. Es gibt einige Anwendungen, wo dies nicht gegeben ist. Diese wollen wir jetzt untersuchen. Wir betrachten ein System der Masse M , das in einem infinitesimalen Schritt einen Massenzuwachs dM erfährt. Das System bewegt sich anfänglich mit der Geschwindigkeit vE. Auch die Masse, die auf das System übertragen wird, kann eine Anfangsgeschwindigkeit haben. Wir wollen sie mit uE bezeichnen. Um die Bewegung zu berechnen, gehen wir von der allgemeinen Form der Newton’schen Bewegungsgleichung aus: d pE d FE D D .mE v/ : dt dt

(8.38)

8

152

Kapitel 8  Impuls

Wir bestimmen den Impuls p des Systems vor und nach Aufnahme von dM : pEvor D M vE C dM uE pEnach D .M C dM /.E v C d vE/ D M vE C dM vE C Md vE C dMd vE ;

(8.39)

wobei der letzte Term vernachlässigt werden kann, da er ein Produkt aus zwei sehr kleinen infinitesimalen Größen darstellt. Wir bestimmen die Impulsänderung d pE D pEnach  pEvor D dM vE C Md vE  dM uE D Md vE  dM vErel :

(8.40)

Im letzten Schritt haben wir die Relativgeschwindigkeit vErel D u E vE eingeführt, das ist die Geschwindigkeit, mit der sich dM aus der Sicht des Systems bewegt. Wir differenzieren nach der Zeit

8

d pE d vE dM DM  vErel D FEext dt dt dt

(8.41)

oder M aE D FEext C

dM vErel : dt

(8.42)

Den ersten Teil dieses Ergebnisses hatten wir bereits in 7 Abschn. 8.2 für den Massenmittelpunkt eines Systems mit konstanter Masse erhalten. Ändert sich die Masse des Systems, so muss die Gleichung um den zweiten Term ergänzt werden. Ein Massenzuwachs oder -abfluss wirkt wie eine externe Kraft der Größe dM vE . dt rel Beispiel 8.6: Förderband

Wir betrachten ein waagerechtes Förderband. An einem Ende wird Schüttgut auf das Band geschüttet. Dadurch erhöht sich die Masse des Bandes um die Masse des Schüttgutes. Wie viel Kraft ist nötig, um das Band anzutreiben? Wir gehen davon aus, dass das Band reibungsfrei läuft, d. h. es ist keine Kraft notwendig, um das Band ohne Schüttgut zu bewegen. Der Massenzuwachs dM=dt ist positiv. Das Schüttgut fällt senkrecht nach unten. Die Geschwindigkeitskomponente in Richtung der Bewegung des Bandes ist null. Die Relativgeschwindigkeit zwischen Schüttgut und Band ist vrel D u  v D v. Sie zeigt entgegen der Laufrichtung des Bandes. Um einen gleichmäßigen Lauf des Bandes zu gewährleisten, muss der Motor selbst im reibungsfreien Fall eine Kraft auf das Band ausüben,

153 8.4  Systeme mit veränderlicher Masse

sodass FMotor 

dM v D 0: dt

Beispiel 8.7: Raketengleichung

Eine Rakete beschleunigt, indem sie Gase mit hoher Geschwindigkeit vrel < 0 gegen die Flugrichtung ausstößt. Die Masse der Gase, die pro Sekunde ausgestoßen werden, ist dM =dt oder MP . Die Größe ist ebenfalls negativ. Die Rakete entwickelt einen Schub FSchub D MP vrel : Die Masse der Rakete nimmt durch den Ausstoß linear ab M.t/ D M0 C MP t : Da auf die Rakete keine externe Kraft einwirkt, ergibt sich aus Gl. 8.41, dv.t/ D MP vrel : .M0 C MP t/ dt Wir separieren die Variablen und integrieren: 1 dt dv D MP vrel M0 C MP t Z Z 1 dt dv D vrel M0 Ct MP   M0 M.t/ C t C c D vrel ln Cc: v.t/ D vrel ln P M MP Die Integrationskonstante ist so zu bestimmen, dass sich zum Start (t D 0) die Geschwindigkeit null ergibt. Wir erhalten c D

8

154

Kapitel 8  Impuls

vrel ln M0 =MP und damit v.t/ D vrel ln

M.t/ M0

Setzt man für M.t/ das Gewicht der ausgebrannten Rakete (das wird im Wesentlichen die Nutzlast sein) ein, so erhält man die Endgeschwindigkeit der Rakete. Beachten Sie, dass wir in unserer Rechnung die Erdanziehung nicht berücksichtigt haben. Das Ergebnis gilt nur in der Schwerelosigkeit des Alls.

Experiment 8.7: Raketenwagen

8

© NASA

Mit einer Gasflasche kann man einen einfachen Raketenantrieb konstruieren. Auf dem Fahrgestell unter der Blechhaube ist eine CO2 -Flasche waagerecht montiert. Ein Rohr leitet das austretende Gas nach hinten um. Öffnet man die Flasche, beschleunigt der Wagen langsam, aber stetig und macht dabei einen großen Lärm. Im Foto fährt eine Kollegin zur Weihnachtsvorlesung mit dem Raketenwagen in den Hörsaal.

8.5

Der Kraftstoß

Stoßprozesse bewirken eine Impulsänderung. Dabei wirkt während den meist kurzen Stößen zwischen den Stoßpartnern eine Kraft. Der zeitliche Verlauf der Kraft ist schwer zu bestimmen und oft ohne Relevanz. Es kommt auf die Impulsänderung an. Wir integrieren Newtons Grundgesetz der Mechanik über die Dauer

155 8.5  Der Kraftstoß

des Stoßes: d pE FE D dt Zt2 Zt2 d pE E 1 / D pE : dt D p.t E 2 /  p.t FE dt D dt t1

(8.43)

t1

Das Integral über die Kraft nennt man den Kraftstoß TE : TE D

Zt2

FE dt :

(8.44)

t1

Beispiel 8.8: Sportklettern

Beim Sportklettern benutzt man elastische Seile, um die Sturzbelastung auf den Kletterer zu reduzieren. Stürzt der Kletterer aus einer bestimmten Höhe, so hat er einen Impuls nach unten, den das Seil beim Auffangen auf null reduzieren muss. Es entsteht ein Kraftstoß, dessen Größe durch die Fallhöhe gegeben ist. Ein elastisches Seil verlängert die Dauer des Stoßes (langsames Abbremsen) und reduziert dabei die Kraft, die während des Auffangens auf den Kletterer wirkt.

Beispiel 8.9: Auto Crashtest

Bei einem Autounfall werden die Insassen durch einen Kraftstoß abgebremst. Die Größe des Kraftstoßes ist durch die äußeren Bedingungen gegeben (Anfangsgeschwindigkeit, Deformation des Wagens, Aufprall auf Wand oder entgegenkommendem Fahrzeug, etc.). Ohne Sicherheitsgurt fliegt der Körper zunächst frei nach vorne. Beim Aufschlag aufs Lenkrad bzw. Armaturenbrett entstehen gefährliche Kraftspitzen. Wie man im Diagramm unten sieht, glättet der Sicherheitsgurt den Kraftverlauf und reduziert dadurch die Maximalkraft, der ein Insasse ausgesetzt ist. Der Kraftstoß, das ist das Integral über die Kurven, ist in beiden Fälle der gleiche.

© Wikimedia: Usien

8

156

Kapitel 8  Impuls

Experiment 8.8: Kraftstoß mit dem Skateboard

8

Einen Kraftstoß kann man mit einem Skateboard demonstrieren. Es sollen sich zwei Personen auf das Skateboard stellen. Springt die hintere Person vorsichtig nach hinten vom Skateboard ab, entsteht ein Kraftstoß, der das Skateboard mit der anderen Person nach vorne beschleunigt.

?Aufgaben 1. Bestimmen Sie die Lage des Massenschwerpunkts eines homogenen Kegels, der die Höhe H und dessen Grundfläche den Radius R besitzt. 2. Bestimmen Sie die Lage des Schwerpunkts der ebenen Form in der Skizze unter Annahme einer homogenen Massenverteilung.

3. Bei einer Variation des Versuchs „Ballistisches Pendel“ wird ein Geschoss der Masse 0,75 g und der Geschwindigkeit 300 m=s durch einen Pendelkörper der Masse 1800 g, der an einem 2,2 m langen Faden hängt, hindurch geschossen. Der Pendelkörper schlägt in horizontaler Richtung um 2,5 cm aus. Wie groß ist die Geschwindigkeit des Geschosses nach dem Durchschuss? 4. Ein Gewehr der Masse 4,4 kg wird abgefeuert, wobei für den Abschuss der Kugel mit der Masse 11,5 g eine Energie von 2900 J eingesetzt wird. Welche Geschwindigkeit erreicht die Kugel und wie groß ist die Rückstoßgeschwindigkeit des Gewehrs, falls es nicht gehalten wird? Warum sollte man Gewehre beim Schuss fest an die Schulter pressen?

157 8.5  Der Kraftstoß

5. An einer Kreuzung kollidieren bei Glatteis zwei Fahrzeuge und rutschen danach ineinander verkeilt weiter. Die Fahrtrichtungen standen vor der Kollision senkrecht auf einander. Das erste Fahrzeug mit der Masse 1,4 t hatte vor der Kollision eine Geschwindigkeit von 30 km=h, das zweite Fahrzeug der Masse 1,8 t eine Geschwindigkeit von 20 km=h. Welche Geschwindigkeit haben die beiden Fahrzeuge nach der Kollision? Unter welchem Winkel relativ zur ursprünglichen Richtung von Fahrzeug 1 rutschen die Fahrzeuge weiter? Welcher Anteil der ursprünglichen kinetischen Energie geht in andere Energieformen verloren? 6. Im Billardspiel manifestieren sich die aus der Impulserhaltung folgenden Stoßgesetze: a) Betrachten Sie den Stoß einer Billardkugel (weiß) auf eine ruhende Billardkugel (blau) der gleichen Masse in der Näherung von Massenpunkten. Geben Sie die möglichen Geschwindigkeiten und Richtungen der Kugeln nach dem Stoß an. b) Berücksichtigen Sie nun die Ausdehnung der Kugeln (Durchmesser d D 57;2 mm). Berechnen Sie die Richtung der beiden Kugeln in Abhängigkeit vom Stoßparameter b. Dies ist der Abstand, den die beiden Kugelmittelpunkte vor dem Stoß senkrecht zur Richtung der einlaufenden Kugel voneinander haben.

c) Im Bild ist ein Billardtisch mit einer Spielfläche der Länge 2540 mm und der Breite 1270 mm skizziert. Die weiße Kugel liegt in dem eingezeichneten Koordinatensystem bei .1;0j0;25/, die blaue Kugel bei .1;2j0;5/. Der Spieler möchte mit der weißen Kugel die blaue Kugel auf direktem Weg in das Loch rechts unten stoßen, das bei den Koordinaten .2;0j0;0/ liegt. Berechnen Sie den Streuwinkel der blauen Kugel in der Massenpunktnäherung. Berechnen Sie den Streuwinkel der blauen Kugel unter Berücksichtigung der Kugelausdehnung. Kann die Lochmitte von der blauen Kugel erreicht werden? Berücksichtigen Sie nun zusätzlich die Ausdehnung des Lochs (Durchmesser D D 135 mm) und berechnen Sie,

8

158

8

Kapitel 8  Impuls

wo die blaue Kugel von der weißen getroffen werden muss, um sie im Loch zu versenken. d) Der direkte Stoß hat sich in Teilaufgabe c als schwierig herausgestellt. Die blaue Kugel soll daher über Bande in das Loch rechts unten gestoßen werden. Berechnen Sie den Streuwinkel der blauen Kugel in der Massenpunktnäherung. Berechnen Sie den Streuwinkel der blauen Kugel unter Berücksichtigung der Kugelausdehnung. Berücksichtigen Sie die Ausdehnung des Loches und berechnen Sie, wo und mit welcher Genauigkeit die blaue Kugel von der weißen getroffen werden muss. 7. Mit welcher Kraft muss ein Feuerwehrmann das Strahlrohr halten, wenn aus diesem 10 l Wasser pro Sekunde mit einer Geschwindigkeit von 15 m=s strömen? 8. Ein Förderband läuft mit einer Geschwindigkeit v und transportiert dabei Schüttgut mit dem Durchsatz d m=dt auf eine Höhe h. Wie groß ist die benötigte Leistung? Vergleichen Sie diese mit dem Zugewinn an potenzieller und kinetischer Energie pro Zeiteinheit und erklären Sie, wohin die Energie „verschwindet“. 9. Ein für Raumfahrttechnik begeisterter Student baut eine Rakete. Die Rakete hat eine Masse von 4 kg, worin die Masse des Treibstoffs von 3,5 kg enthalten ist. Der Treibstoff verbrennt gleichmäßig innerhalb von 7 s, wobei die Verbrennungsgase relativ zur Rakete mit einer Geschwindigkeit von 80 m=s ausgestoßen werden. a) Stellen Sie die Bewegungsgleichung für die Rakete auf und zeigen Sie, dass gilt: dm dv D vrel  mg; m dt dt wobei m D m.t/ die aktuelle Masse, v D v.t/ ihre aktuelle Geschwindigkeit und vrel D const: die Geschwindigkeit des Gases relativ zur Rakete bezeichnen. b) Der Student belädt die Rakete mit einer zusätzlichen „Nutzlast“ von 3,5 kg und zündet den Treibsatz. Wann darf der Student mit dem Abheben der Rakete rechnen? Wie groß darf die Nutzlast der Rakete sein, damit sie sofort abhebt? c) Lösen Sie nun die obige Bewegungsgleichung ab dem Zeitpunkt t0 D 0, bei dem die Rakete vom Erdboden x0 D 0 mit der Masse m0 abhebt. Nehmen Sie die Erdbeschleunigung g als konstant an. d) Der Student hat aus Teilaufgabe b gelernt und entfernt daher im Folgenden die Nutzlast der Rakete. Berechnen Sie die Maximalgeschwindigkeit der Rakete! e) Berechnen Sie durch Integration von v.t/ die Flughöhe der Rakete s.t/! f) Berechnen Sie die maximale Flughöhe der Rakete!

159 8.5  Der Kraftstoß

10. Ein Frosch der Masse 0,1 kg sitzt auf einer Waage. Als er von ihr senkrecht nach oben abspringt, zeigt sie kurzfristig eine Kraft von 2,5 N. Für die Dauer der Absprungphase können 0,2 s angenommen werden. Wie hoch springt der Frosch?

8

161

Reibung Inhaltsverzeichnis 9.1

Allgemeines – 162

9.2

Haftreibung – 164

9.3

Gleitreibung – 169

9.4

Rollreibung – 171

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_9

9

162

Kapitel 9  Reibung

9.1

9

Allgemeines

Reibung ist eine Kraft, die die Bewegung von Körpern behindert, sie verlangsamt. Sie entsteht, wenn reale Körper sich berühren. Sie hängt stark von der Beschaffenheit der Oberflächen ab, die sich berühren. An rauen Oberflächen sind die Reibungskräfte größer als an glatten. Man kann sich das so vorstellen, dass die Oberflächen der beiden Körper sich ineinander „verhaken“. Es ist eine Kraft nötig, um diesen Kontakt aufzuheben und die Körper weiterzubewegen, also die Reibung zu überwinden. Ohne diese Kraft kommen die Körper allmählich zum Stillstand. Aber auch zwischen ruhenden Körpern wirken Reibungskräfte. Sie können verhindern, dass die Körper sich gegeneinander verschieben, selbst wenn Kräfte auf diese wirken. Reibung ist oftmals unerwünscht. Man kann sie reduzieren, aber in der Realität nie ganz ausschalten. Es gibt aber auch Situationen, in denen Reibung gewollt und wichtig ist. Stellen Sie sich nur einmal vor, wie schwierig es ist, auf einer Eisfläche zu gehen, auf der die Reibung gegenüber normalem Boden stark reduziert ist. Für unsere Fortbewegung ist Reibung entscheidend. Man kann die Reibung reduzieren, indem man die Oberflächen der reibenden Körper glättet. So ist es leichter, einen Körper über poliertes Parkett zu ziehen als über rauen Asphalt. In diesem Kapitel wollen wir die Reibung zwischen festen Körpern besprechen. Reibung tritt aber auch mit Flüssigkeiten und Gasen auf, selbst unter diesen. Sie ist in der Regel mit Flüssigkeiten gering und mit Gasen noch geringer. So hilft ein Flüssigkeitsfilm (Schmierfilm) zwischen Festkörpern die Reibung zu reduzieren, und die Reibung mit Luft ist zumindest bei niedrigen Geschwindigkeiten meist vernachlässigbar (Luftwiderstand). Wo immer Reibung auftritt, wird der Bewegung Energie entzogen. Sie wird größtenteils in Wärme umgewandelt (Reibungswärme). Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt, wo starke Reibung auftritt, z. B. in Bremsen. Diese verringern durch Reibung die Bewegung und laufen dabei heiß, sofern sie nicht ausreichend gekühlt werden. Bei der Reibung verändern sich die Oberflächen. Spitzen der Oberfläche werden abgetragen und entweder in Tälern wieder abgelagert oder ganz entfernt. So entstehen Abrieb und Verschleiß. Reibung ist eine dissipative Kraft. Sie ist nicht konservativ. In Prozessen mit Reibung wird der Energiesatz scheinbar verletzt. Energie geht „verloren“. Beispiel 9.1: Reibung im Alltag

Reibung hat eine große Bedeutung im Alltag. Viele einfache Dinge beruhen auf Reibung. Aber Reibung hat auch negative Seiten.

163 9.1  Allgemeines

Sie verschleißt Maschinen und verbraucht Energie. Hier einige Beispiele: Kein Knoten hält ohne Reibung

Ohne Reibung fällt der Nagel aus der Wand

Optimale Reibung für den Sport

9

164

Kapitel 9  Reibung

Doch Reibungswärme und Verschleiß können auch zum Problem werden

© Wikimedia: Tristan Nitot

9 9.2

Haftreibung

Wir beginnen die Behandlung der Reibung mit einem einfachen Experiment (7 Experiment 9.1): Auf den Körper wirkt die Gewichtskraft. Ist das Brett waagerecht, wirkt sie senkrecht zum Brett und wird von ihm vollständig absorbiert. Aber schon, wenn man das Brett nur um einen kleinen Winkel kippt, muss man die Gewichtskraft in eine Normalkraft senkrecht zum Brett und den Hangabtrieb parallel zum Brett zerlegen (7 Abschn. 6.4 und Gl. 7.18). Nur die Normalkraft wird vom Brett kompensiert. Nach dem Grundgesetz der Mechanik müsste der Körper sich dann bewegen, doch wie wir im Experiment gesehen haben, tut er es nicht. Offensichtlich gibt es eine weitere Kraft, die den Hangabtrieb kompensiert. Dies ist die Reibungskraft. Da der Körper in diesem Experiment auf der Ebene haftet und noch nicht rutscht, spricht man von Haftreibung. Die maximale Haftreibung ist die Kraft, die man überwinden muss, um den Körper relativ zu seiner Unterlage in Bewegung zu setzen. Experiment 9.1: Haftreibung auf der schiefen Ebene

Man legt einen Körper auf ein Brett. In unserem Beispiel (s. Foto) ist es ein schwarzer Kunststoffblock. Selbst wenn man das Brett ein wenig kippt, bleibt der Körper liegen. Mit einer Stellschraube und einem Winkelmesser kann man den Winkel bestimmen,

165 9.2  Haftreibung

ab dem der Körper ins Rutschen gerät. Man sollte die Messung allerdings einige Male wiederholen, da die Messwerte streuen.

© Foto: Hendrik Brixius

Die einzelnen Kräfte sind in . Abb. 9.1 dargestellt. Die Gewichtskraft FEG wurde in die Normalkraft FEN senkrecht zur Ebene und den Hangabtrieb FEH parallel zur Ebene zerlegt. Der Körper drückt mit der Normalkraft auf die Ebene. Diese wird durch die Reactio der Ebene FEE , die in umgekehrter Richtung zeigt, ausgeglichen. Die Haftreibungskraft FER;Haft muss den Hangabtrieb kompensieren, sodass sich FEG , FEE und FER;Haft zu null addieren und der Körper in Ruhe bleibt. Verringern wir die Neigung der Ebene, reduziert sich der Hangabtrieb. Der Körper ist nach wie vor in Ruhe. Die Reibungskraft hat sich entsprechend verringert. Es gilt also unabhängig von der Größe des Hangabtriebs FER;Haft D FEH

(9.1)

Vergrößern wir die Neigung der Ebene, so finden wir einen Grenzwinkel, ab dem der Körper schließlich ins Rutschen gerät (siehe

. Abb. 9.1 Kräftezerlegung an der schiefen Ebene

9

166

Kapitel 9  Reibung

7 Experiment 9.1). Die Reibungskraft erreicht beim Grenzwinkel einen Maximalwert, den sie nicht überschreiten kann. Diesen wollen wir bestimmen.

Phänomenologischer Ansatz

9

Bevor wir mit der Bestimmung des Grenzwinkels beginnen, sei eine Bemerkung erlaubt. Die ersten Kapitel dieses Buches waren im Wesentlichen axiomatisch aufgebaut. Sie haben die Axiome der Newton’schen Mechanik kennengelernt, und wir haben versucht, diese auf unterschiedliche Gegebenheiten anzuwenden. Dabei haben wir neue Gesetzmäßigkeiten abgeleitet, wie z. B. den Impulssatz. Die Phänomene, die wir diskutiert haben, lassen sich alle aus den Newton’schen Axiomen erklären. Dies sollte Ihnen als der beste Weg erscheinen und im Prinzip könnten wir auch bei der Reibung so vorgehen. Die Reibungskräfte gehen zurück auf die Kräfte zwischen den Atomen in den Oberflächen der reibenden Körper. Kommen die Oberflächen in Kontakt, bilden sich Kräfte zwischen den Atomen aus, die die Ursache der Reibung bilden. Sie müssen überwunden werden, wenn der Körper sich bewegen soll. Die Reibungskraft ist die Superposition dieser Kräfte und kann im Prinzip aus ihnen berechnet werden. Doch leider geht das nur im Prinzip. Die Kräfte hängen von der detaillierten Struktur der Oberfläche ab und selbst wenn man diese kennen würde, wäre die Berechnung der Kräfte noch zu schwierig. Insgesamt ist dieses Problem zu komplex, als dass eine strenge Ableitung aus den Axiomen durchführbar ist. Es gelänge auch dann nicht, wenn wir die Quantenmechanik zur Beschreibung der Atome zur Hilfe nehmen würden. Das macht das Problem nur noch komplizierter. Solche Probleme tauchen in der Physik häufig auf. In manchen Bereichen stößt man früher, in anderen später an die Grenzen dessen, was man tatsächlich aus den Axiomen ableiten kann. Dann muss man einen anderen Weg gehen. Man versucht, das Phänomen, um das es geht, mit Experimenten systematisch zu untersuchen und aus diesen Experimenten die wesentlichen Zusammenhänge abzuleiten. Man nennt dies einen empirischen, d. h. auf der Erfahrung beruhenden Ansatz. So findet man neue physikalische Gesetze, die man dann zur Beschreibung der Phänomene benutzt. Man nennt sie daher auch „phänomenologische Gesetze“. Wie bei den Axiomen gilt auch hier, je größer der Geltungsbereich, desto wertvoller das Gesetz. In vielen Fällen wird man die Zusammenhänge nicht vollständig klären können. So ist beispielsweise bei der Reibung die Abhängigkeit der Reibungskraft vom Material der Oberflächen schwer zu quantifizieren. Man ist gezwungen, Konstanten ein-

167 9.2  Haftreibung

zuführen, die vom Material abhängig sind. Solche Materialkonstanten sind nur im Prinzip berechenbar, sie müssen gemessen werden. Sie repräsentieren unsere Unfähigkeit, diese Rechnungen tatsächlich auszuführen. Man sollte aber phänomenologische Gesetze nicht als minderwertig gegenüber axiomatisch abgeleiteten Gesetzen bewerten.

Wir benutzen noch einmal den Aufbau von 7 Experiment 9.1, um systematisch zu untersuchen, von welchen Parametern die maximale Haftreibung abhängt (7 Experiment 9.2). Experiment 9.2: Haftreibung auf der schiefen Ebene 2

Wir stellen die schiefe Ebene aus 7 Experiment 9.1 horizontal ein und legen einen Körper auf die Ebene. Wir bestimmen die maximale Haftreibung, indem wir mit einer Federwaage am Körper ziehen, bis der Körper ins Rutschen gerät. 4 Wir untersuchen die Abhängigkeit vom Gewicht des Körpers, indem wir zusätzliche Gewichte auf den Körper stellen. Mit zunehmendem Gewicht wird die Reibungskraft an der Rutschgrenze größer. Eine genauere Untersuchung zeigt, dass die Reibungskraft proportional zum Gewicht ist. 4 Wir untersuchen die Abhängigkeit von der Größe der Auflagefläche, indem wir den quaderförmigen Körper auf seine drei unterschiedlichen Seiten legen. Wir stellen fest, dass dies keinen Einfluss auf die Reibungskraft hat. 4 Wir ändern die Neigung der schiefen Ebene und stellen fest, dass sich die maximale Reibungskraft mit dem Cosinus des Neigungswinkels der Ebene verändert. 4 Zum Schluss benutzen wir Körper aus unterschiedlichen Materialen und stellen fest, dass unterschiedliche Materialien zu unterschiedlichen Reibungskräften führen. Dieser Zusammenhang ist allerdings schwer quantifizierbar, da die Beschaffenheit einer Oberfläche sich kaum quantifizieren lässt. Die Tabelle fasst die Ergebnisse zusammen: Größe

Abhängigkeit

Gewicht

Proportional

Auflagefläche

Keine

Neigung der Ebene

Proportional cos ˛

Beschaffenheit der Oberfläche

Ja, aber kompliziert

9

168

Kapitel 9  Reibung

. Tab. 9.1 Reibungskoeffizienten einiger Stoffpaare Materialien

Haftreibung

Gleitreibung

H

G

Stahl – Stahl

0,3

0,2

Stahl mit Ölfilm

0,1

0,05

Teflon – Stahl

0,04

0,04

Leder – Stahl

0,6

0,3

Schlittschuh – Eis

0,03

0,01

Holz – Holz

0,5

0,3

Gummi – Asphalt (trocken)

1,0

0,8

Gummi – Asphalt (nass)

0,6

0,4

Aus den ersten drei Beobachtungen in 7 Experiment 9.2 schließen wir:

9

jFER;max j / cos ˛jFEG j D jFEN j

(9.2)

Die komplizierte Abhängigkeit von der Beschaffenheit der Oberfläche verstecken wir, indem wir eine materialabhängige Konstante einfügen. Man nennt die Konstante den Haftreibungskoeffizienten H . Er hängt sowohl von Material und Beschaffenheit des Körpers als auch der Unterlage ab. Einige Werte finden Sie in . Tab. 9.1. Insgesamt haben wir damit jFER;Haft j  H jFEN j

. Abb. 9.2 Mikroskopisches Bild einer Oberfläche bei der Reibung

(9.3)

Der tatsächliche Betrag und die Richtung der Haftreibungskraft werden durch die angreifende Kraft bestimmt. Die Haftreibungskraft wirkt ihr entgegen und ist dem Betrage nach gleich groß. Erhöht man die angreifende Kraft, steigt auch die Haftreibungskraft an, bis schließlich die Haftreibungsgrenze (Gl. 9.3) erreicht ist und der Körper sich in Bewegung setzt. Wir haben nun ein makroskopisches Bild der Reibung entworfen. Wir wollen nun noch einmal zum mikroskopischen Bild zurückkehren und eine einfache Erklärung der Haftreibung versuchen. Wir können Reibung qualitativ erklären, indem wir die Struktur der Oberfläche betrachten (. Abb. 9.2, 9.3). Der Körper ist mit der Unterlage verhakt. Mikroskopische Unebenheiten greifen ineinander. Diese verhindern eine Bewegung. Wollen wir die Haftreibung überwinden, so müssen wir den Körper zunächst etwas anheben. Dies erfordert eine zusätzliche Kraft, eine Kraft, die uns als Reibung erscheint. Dies ist ein einfaches Bild, doch es kann einige der Zusammenhänge, die wir gefunden

169 9.3  Gleitreibung

. Abb. 9.3 Aufnahme einer Zink-Oberfläche mit einem Rasterelektronenmikroskop

haben, erklären. Die Reibung ist proportional zum Gewicht des Körpers. Dies kann das mikroskopische Bild erklären, denn wir brauchen umso mehr Kraft, um den Körper anzuheben, je schwerer er ist. Ebenso kann das Bild erklären, dass die Kraft auf der schiefen Ebene geringer ist. Schließlich kann das Bild auch erklären, dass die Reibung nicht von der Auflagefläche abhängt. Wir müssen den Körper um eine bestimmte Strecke anheben, unabhängig wie groß die Fläche ist. Man sieht außerdem, dass die Reibungskraft für raue Oberflächen größer ist als für glatte. Aber einen tieferen Einblick in die Materialabhängigkeit schaffen wir mit diesem einfachen Bild leider auch nicht. Die Realität ist viel komplizierter. 9.3

Gleitreibung

Wendet man genügend Kraft auf, so kann man die Haftreibung überwinden. Es setzt dann eine Bewegung ein. Die Reibung wird geringer, sie verschwindet aber nicht. Wir sprechen nun von Gleitreibung. Die Gleitreibungskraft definieren wir, als die Kraft, die notwendig ist, um die Bewegung zwischen dem Körper und seiner Unterlage aufrecht zu erhalten. Dass dies tatsächlich so ist, kann man mit einem ganz einfachen Experiment demonstrieren (7 Experiment 9.3). Experiment 9.3: Haft- und Gleitreibung auf Stab

Das erste Experiment demonstriert den quantitativen Unterschied zwischen Haftreibung und Gleitreibung. In der Abbildung ist der Versuchsaufbau skizziert. Eine drehbare Stange ist schräg montiert. An einem Faden ist ein Gewicht an der Stange aufgehängt. Der Faden ist nicht an der Stange festgeknotet. Er hängt in einer

9

170

Kapitel 9  Reibung

Schleife über der Stange. Nun stellt man die Neigung der Stange so ein, dass das Gewicht gerade noch nicht hinunterrutscht. Es wird durch die Haftreibung gehalten. Dreht man nun an der Stange, so geht man von Haftreibung auf Gleitreibung über. Da die Gleitreibung geringer ist als die Haftreibung, rutscht der Faden entlang der Stange ab.

Die experimentelle Untersuchung der Gleitreibung führt auf ein ähnliches Reibungsgesetz wie schon bei der Haftreibung: jFER;Gleit j D G jFEN j

(9.4)

Die Gleitreibungskraft wirkt immer der Bewegung des Körpers entgegen. Innerhalb vernünftiger Grenzen hängt sie nur unwesentlich von der Geschwindigkeit der Bewegung ab. Die Proportionalitätskonstante ist der materialabhängige Gleitreibungskoeffizient. Sie finden einige Werte in . Tab. 9.1.

9 Experiment 9.4: Messung des Gleitreibungskoeffizienten

Mit der in der Abbildung skizzierten Apparatur kann man die Gleitreibungskoeffizienten messen. Ein kleiner Elektromotor treibt eine Seilwinde, mit der der Körper langsam, aber gleichmäßig über die entsprechende Unterlage gezogen wird. Mit einer Federwaage im Seil kann man die Gleitreibungskraft ablesen. Einige Beispiele von Gleitreibungskoeffizienten sind in . Tab. 9.1 aufgeführt.

Experiment 9.5: Gleitender Stab

Dies ist ein einfaches Experiment mit einem überraschenden Ergebnis. Sie können es selbst ausprobieren. Sie nehmen einen Stab und legen ihn wie im Foto auf die ausgestreckten Zeigefinger. Dabei unterstützen Sie den Stab zunächst an den beiden Enden. Dann schieben Sie die beiden Finger langsam aufeinander zu. Der Stab wird mal auf dem rechten Finger gleiten, mal auf dem linken. Was auch immer Sie tun, die beiden Finger treffen sich genau in der Mitte. Der Stab bleibt im Gleichgewicht. Dabei hätte man naiv erwarten können, dass der Stab, wenn er erst

171 9.4  Rollreibung

einmal auf einer Seite gleitet, auf dieser Seite wegen der reduzierten Reibung weitergleiten wird, bis der Stab schließlich aus dem Gleichgewicht gerät. Können Sie erklären, warum man immer in der Mitte endet? Reibung hängt vom Gewicht ab. Doch wie groß ist das Gewicht auf einem einzelnen Finger?

© Foto: Hendrik Brixius

Experiment 9.6: Wärme durch Reibung

Die Überwindung der Gleitreibung erfordert Arbeit. Diese Arbeit wird von der Kraft verrichtet, die entgegen der Gleitreibung den Körper bewegt. Die Arbeit ist W D FER;Gleit  sE Diese Arbeit erzeugt Wärme und bewirkt Verschleiß. Einen Effekt, den man leicht beobachten kann. Haben Sie schon einmal versucht, mit einem stumpfen Bohrer in ein Brett zu bohren, womöglich noch mit hoher Drehzahl. Der Bohrer dringt kaum ins Holz ein, aber Bohrer und Brett werden so heiß, dass sich das Holz schwarz verfärbt und möglicherweise zu qualmen beginnt. Dies ist der Effekt der Reibungswärme.

9.4

Rollreibung

Rollt ein Körper auf einer Unterlage, so deformieren sich Körper und Unterlage durch das Gewicht des Körpers (Normalkraft, siehe . Abb. 9.4). Diese meist elastische Deformation verbraucht

9

172

Kapitel 9  Reibung

Energie. Der Körper sinkt ein wenig in der Unterlage ein. Vor dem Auflagepunkt steigt die Unterlage an. Eine Kraft ist nötig, damit er weiterrollen kann. Dadurch entsteht eine Reibungskraft, die Rollreibungskraft. Wie die Haft- und Gleitreibung ist auch die Rollreibung materialabhängig. Sie hängt zusätzlich noch von der Form des rollenden Körpers ab, nämlich von seinem Radius r. Es gilt

. Abb. 9.4 Rollreibung an einem Rad

jFER;Roll j D R

jFEN j r

(9.5)

Beispiel 9.2: Rollwiderstand am Fahrrad

Ein Fahrradreifen deformiert sich beim Fahren an der Auflage auf die Straße. Es entsteht Rollwiderstand. Die Luft im Reifen erwärmt sich. Ein hoher Reifendruck reduziert die Deformation und damit den Rollwiderstand. Ein Effekt, den Sie bei schlecht aufgepumpten Reifen sicherlich schon einmal bemerkt haben.

9

Beispiel 9.3: Das Lager einer Achse

Die Abbildungen zeigen einige technische Lösungen, wie eine Achse drehbar gelagert werden kann. In A ist als einfachste Lösung ein Gleitlager zu sehen. Die Achse dreht sich im Lager. Dabei tritt Haft- bzw. Gleitreibung auf, die durch einen Ölfilm reduziert werden kann. In B ist ein Kugellager zu sehen. Die Achse rollt auf Kugeln, die in einer äußeren Hülle des Lagers gefasst sind. Die Reibung eines solchen Lagers ist deutlich geringer als bei A, da hier nur noch Rollreibung auftritt. Ähnlich funktioniert das Rollenlager in Abbildung C. Hier sind die Kugeln durch zylindrische Rollen ersetzt.

Sie haben nun Haft-, Gleit- und Rollreibung kennengelernt. Wie Sie in 7 Experiment 9.3 gesehen haben, ist die Gleitreibung geringer als die Haftreibung. In der Regel ist die Rollreibung noch einmal deutlich geringer als diese beiden.

173 9.4  Rollreibung

?Aufgaben 1. Wie weit rollt ein Eisenbahnwagon auf ebener Strecke, wenn er aus einer Geschwindigkeit von 40 km=h nur durch Reibungsverluste der Rollreibung abgebremst wird (Effektiver Reibungskoeffizient  D FFNR D 0;004)? 2. Ein PKW der Masse 1;5 t wird von der Geschwindigkeit 130 km/h gleichmäßig abgebremst und zum Stehen gebracht, ohne dass die Räder blockieren. Wie groß ist die minimale Bremszeit, wenn der Haftreibungskoeffizient zwischen Gummi und Asphalt zu H D 0;6 angenommen wird? Welche Wärmeleistung entsteht dann zu Beginn des Bremsvorgangs an den Bremsen? 3. Beim Eisstockschießen erhält ein Stock einen Stoß und rutscht in 6 s insgesamt 7 m weit. Wie groß ist der Gleitreibungskoeffizient G ? 4. Ein Wagen rollt eine Rampe der Länge L D 10 m, die um den Winkel ˛ D 5ı gegen die Horizontale geneigt ist, hinab und direkt im Anschluss eine Rampe mit der gleichen Neigung wieder hinauf. Wie weit rollt er auf der zweiten Rampe hinauf, wenn der effektive Reibungskoeffizient  D FFNR D 0;02 beträgt? 5. Ein Junge schleift ein Brett der Masse 20 kg an einem Seil, das im Schwerpunkt des Bretts befestigt ist, hinter sich her. Das Brett besitzt einen Reibungskoeffizient von  D 0;3 zum Untergrund. Wie groß ist die kleinste Kraft, mit der das Brett gezogen werden kann, und unter welchem Winkel ˛ zwischen Seil und Untergrund muss der Junge das Brett hierfür ziehen?

9

175

Scheinkräfte Inhaltsverzeichnis 10.1

Überblick – 176

10.2

Gleichförmig beschleunigte Bezugssysteme – 178

10.3

Zentrifugalkraft – 180

10.4

Coriolis-Kraft – 186

10.5

Absolute Bewegung? – 201

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_10

10

176

Kapitel 10  Scheinkräfte

10.1

10

Überblick

Wir haben unsere bisherigen Betrachtungen auf den Newton’schen Axiomen aufgebaut. Von diesen haben wir gelernt (7 Kap. 6), dass sie nur in Inertialsystemen gelten. Newtons erstes Axiom kann man als Definition eines Inertialsystems verstehen. Es definiert Inertialsysteme als solche, in denen ein kräftefreier Körper in seiner Bewegung oder Ruhe verharrt. Wir wollen nun aufzeigen, wie man mit Newtons Axiomen auch in Nicht-Inertialsystemen arbeiten kann. Hat man erst einmal ein Inertialsystem gefunden, so ergeben sich daraus weitere. Jedes System, das sich gleichförmig gegen ein Inertialsystem bewegt oder gegenüber diesem ruht, ist selbst wieder ein Inertialsystem (. Abb. 10.1). Ein System, das sich hingegen beschleunigt gegenüber einem Inertialsystem bewegt, ist selbst kein Inertialsystem. Die Berechnung von Bewegungen ist in Inertialsystemen meist besonders einfach. Es gibt aber auch Situationen, in denen man eine Bewegung aus einem Nicht-Inertialsystem heraus beschreiben und berechnen will. Streng genommen ist das viel benutzte Laborsystem kein Inertialsystem. Es ist mit der Erde verankert, die um ihre eigene Achse und um die Sonne rotiert. Trotzdem möchte man oft in diesem System rechnen. Um das Grundgesetz der Mechanik anwenden zu können, führt man zusätzliche Trägheits- oder Scheinkräfte ein. Es gilt dann X X FESchein FEreal C (10.1) mE aD wobei die erste Summe die Kräfte enthält, die auch in Inertialsystemen auftreten und die zweite Summe die zusätzlichen Scheinkräfte. Die Scheinkräfte haben keine materielle Ursache. Sie sind nicht von einer Reactio begleitet. Sie verrichten keine Arbeit. Ihr Sinn besteht darin, die Abweichung des Verhaltens von Körpern in einem beschleunigten Bezugssystem gegenüber einem Inertialsystem zu erklären.

. Abb. 10.1 Ist S ein Inertialsystem, so ist S0 ein Inertialsystem, falls

d 2 sE.t / dt 2

D0

177 10.1  Überblick

Beispiel 10.1: Die S-Bahn fährt an

In S- und U-Bahnen finden sich häufig die Hinweise „Bitte gut festhalten“. Der Grund sind die Scheinkräfte, die beim Beschleunigen und Abbremsen der Bahn entstehen. Für einen stehenden Fahrgast in einer Bahn, die mit 1;0 m=s2 beschleunigt, addiert sich zu der nach unten gerichteten Schwerkraft die nach hinten gerichtete Trägheitskraft, was kräftemäßig der Situation auf einer schiefen Ebene entspricht, die mit ca. 10 % Steigung nach vorne ansteigt. jE aZug j jFESchein j D 0;1 D jgj E jFEG j Um nicht umzukippen, muss er sich festhalten (oder sein Gewicht verlagern). Erreicht die S-Bahn ihre konstante Reisegeschwindigkeit, entfällt die Trägheitskraft und auch der Boden erscheint wieder eben. Der Fahrgast muss dies wiederum ausgleichen.

Beispiel 10.2: Ball auf Karussell

Ein Mädchen steht auf einem Karussell. Stellen Sie sich vor, sie legt einen Ball auf den Boden des Karussells und lässt ihn los. Wie wird sich der Ball aus der Sicht des Mädchens bewegen? Der Ball, der ursprünglich ruhte, beginnt nach außen zu rollen. Er wird nach außen beschleunigt. Daraus würden Sie als Beobachter auf dem Karussell schließen, dass eine Kraft auf den Ball wirken muss. Dies ist die Scheinkraft.

10

178

Kapitel 10  Scheinkräfte

10.2

. Abb. 10.2 Ein Fahrstuhl beschleunigt nach unten

10

Gleichförmig beschleunigte Bezugssysteme

Wir wollen mit einem Beispiel beginnen. Als beschleunigtes Bezugssystem betrachten wir einen Fahrstuhl, der mit konstanter Beschleunigung a0 nach unten beschleunigt, wie dies ein Fahrstuhl zu Beginn einer Abwärtsfahrt tut (. Abb. 10.2). Eine Person im Fahrstuhl lässt einen Gegenstand fallen. Wir beobachten den Fall aus der Sicht dieser Person und aus der Sicht eines Beobachters am Boden des Gebäudes. Als Bezugssysteme wählen wir für den Beobachter am Boden den Fahrstuhlschacht. Wir nennen dieses System S. Dies ist ein Inertialsystem. Der Beobachter beobachtet einen freien Fall des Gegenstandes. Dieser fällt mit der Fallbeschleunigung g nach unten. Die Person im Fahrstuhl wählt als Bezugssystem die Fahrstuhlkabine (System S0 ). Dies ist ein beschleunigtes Bezugssystem. In diesem Bezugssystem wird sie ebenfalls eine Fallbewegung beobachten, allerdings mit einer reduzierten Fallbeschleunigung a0 . Die z-Achse zeige jeweils nach oben, mit dem Körper zunächst im Koordinatenursprung. Der Fall beginnt bei t D 0: System S: System S0 :

1 z.t/ D  gt 2 2 1 0 z .t/ D  a0 t 2 2

(10.2)

Die Bewegung der Fahrstuhlkabine aus Sicht von S ist 1 z0 .t/ D  a0 t 2 2

(10.3)

Eine Koordinatentransformation von S0 nach S ergibt: z.t/ D z0 .t/ C z 0 .t/ 1 1 0 1  gt 2 D  a0 t 2  a t 2 2 2 2

(10.4)

Wir dividieren beide Seiten durch  12 t 2 und erhalten g D a0 C a 0 ) a 0 D g  a0

(10.5)

Wir wollen die zugehörige Scheinkraft bestimmen. In S0 gilt: FEG C FESchein D mE a0 D m.gE  aE0 / ;

(10.6)

mit FEG D mgE FESchein D mE a0

(10.7)

179 10.2  Gleichförmig beschleunigte Bezugssysteme

Die Scheinkraft zeigt in die Richtung gegen die Beschleunigung des Bezugssystems S0 . Der Betrag der Scheinkraft ist durch die Beschleunigung von S0 gegeben. Diese Relation gilt für alle geradlinig, gleichförmig beschleunigte Bezugssysteme. Ist die Beschleunigung nicht gleichförmig, so muss aE0 durch aE0 .t/ ersetzt werden. Beispiel 10.3: Geradlinig beschleunigte Bezugssysteme

Ein Aufzug stellt ein beschleunigtes Bezugssystem dar, auch wenn er nicht so hoch ist, wie der Aufzug im Bild, der in Dublin auf eine Aussichtsplattform auf einem Industriekamin führt. Der Fahrstuhl wird beim Anfahren und Abstoppen beschleunigt. Die Beschleunigung dreht dabei ihre Richtung um. Dazwischen verhält sich der Fahrstuhl wie ein Inertialsystem. Andere alltägliche Beispiele für geradlinig beschleunigende Systeme sind anfahrende oder abbremsende Autos oder Züge. © Wikimedia: Jaqian

Experiment 10.1: Scheinkraft im beschleunigten Bezugssystem

Das Ergebnis von Gl. 10.7 lässt sich einfach demonstrieren. Man braucht nicht notwendigerweise einen Aufzug. Die Abbildung zeigt die Apparatur. An zwei Umlenkrollen hängt auf der rechten Seite das beschleunigte Bezugssystem S0 und auf der linken Seite

10

180

Kapitel 10  Scheinkräfte

ein Gegengewicht. Wählen wir das Gegengewicht etwas leichter als die rechte Seite, so wird diese mit konstanter Beschleunigung nach unten fallen. In S0 ist ein einfaches Experiment aufgebaut. Ein Gewicht hängt an einer Federwaage. Die Federwaage wird über eine Funkkamera beobachtet. Nach Gl. 10.7 müsste sich das Gewicht verringern, was man in der Tat beobachten kann. Lässt man S0 fallen, geht der Ausschlag der Federwaage zurück bis S0 auf einer Schaumgummiplatte, die auf dem Boden unter der Apparatur liegt, gestoppt wird. Man kann den Versuch auch umdrehen, indem man S0 mit einem zu großen Gegengewicht nach oben beschleunigt. Dann nimmt der Ausschlag der Federwaage zu.

10

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

10.3

Zentrifugalkraft

Wir wollen uns nun mit rotierenden Bezugssystemen auseinandersetzen. Auch diese sind beschleunigte Bezugssysteme und daher keine Inertialsysteme. Wir beginnen mit einem ganz einfachen Experiment (. Abb. 10.3). Auf einer rotierenden Scheibe ist eine Kugel über eine Federwaage an der Drehachse befestigt. Kugel und Federwaage rotieren mit der Scheibe mit. Ein Beobachter betrachtet das Experiment von außen aus einem Bezugssystem S, das ruht (Inertialsystem). Ein zweiter Beobachter S0 steht auf der Scheibe und dreht sich mit. Was beobachten sie?

181 10.3  Zentrifugalkraft

. Abb. 10.3 Gedankenexperiment zur Zentrifugalkraft

Aus der Sicht des ruhenden Beobachters S übt die Feder eine Kraft FED auf die Kugel aus, die diese auf eine Kreisbahn zwingt. Man nennt diese Kraft die Zentripetalkraft FEZP . Sie ist zum Mittelpunkt der Kreisbahn gerichtet und tritt immer bei Kreisbewegungen auf. Sie bewirkt die Zentripetalbeschleunigung, die Sie bereits in 7 Abschn. 5.8 kennengelernt haben. Es ist vB2 rE r r D mE aZP

aEZP D  FEZP

(10.8)

Die Größe vEB ist dabei die Bahngeschwindigkeit der Kugel. Man kann die Zentripetalbeschleunigung auch durch die Winkelgeschwindigkeit !E ausdrücken, wobei vEB D !E  rE ist (zum Vektoroder Kreuzprodukt siehe 7 mathematischer Anhang A3.16). Die Winkelgeschwindigkeit gibt an, um welchen Winkel sich ein Objekt pro Zeiteinheit dreht. Die Einheit ist 1=s (genauer rad=s). Dann ist aEZP D ! 2 r

rE D ! 2 rE r

(10.9)

Wir betrachten die Bewegung nun aus der Sicht des rotierenden Beobachters (S0 ). Für ihn ruht die Kugel, doch an der Federwaage sieht er, dass diese eine Kraft auf die Kugel ausübt. Er kommt zu dem Schluss, dass es eine weitere Kraft geben muss, die die Federkraft „neutralisiert“, sodass die Summe der an der Kugel angreifenden Kräfte verschwindet und diese in Ruhe bleibt. Dies ist die Zentrifugalkraft FEZF . Sie ist eine Scheinkraft, die nur im beschleunigten Bezugssystem auftritt. Aus der Bedingung FED C FEZF D 0 folgt v 2 rE FEZF D FED D m B D m! 2 rE r r

(10.10)

Achtung: Die Zentrifugalkraft ist nicht die Gegenkraft (Reactio) zur Zentripetalkraft. Die Zentripetalkraft ist eine echte Kraft, deren Gegenkraft auf die Halterung der Feder wirkt. Die Zentrifugalkraft ist dagegen eine Scheinkraft. Sie hat keine Gegenkraft.

10

182

Kapitel 10  Scheinkräfte

Experiment 10.2: Messung der Zentrifugalkraft

Mit dem in der Skizze gezeigten Experiment können wir die Zentrifugalkraft messen. Auf einer drehbar gelagerten Schiene steht ein Spielzeugwagon. Die Schiene kann über ein Gummiseil von einem externen Motor angetrieben werden. Der Wagon ist an einer Schnur befestigt, die über eine Umlenkrolle entlang der Drehachse nach oben umgelenkt wird. Sie ist außerhalb des Fotos an einer Federwaage befestigt. Wird die Schiene in Rotation versetzt, spürt der Wagon eine Zentrifugalkraft, die über die Schnur auf die Federwaage übertragen wird. Mit zunehmender Rotation steigt die Zentrifugalkraft quadratisch an, die Federwaage wird immer stärker gestreckt und der Wagon bewegt sich auf der Schiene nach außen. Über die Positionsanzeige können wir die Zentrifugalkraft ablesen.

10

Beispiel 10.4: Alltägliche Beispiele zur Zentrifugalkraft

Sicherlich kennen Sie das Gefühl des Fliegens in einem Karussell. Es wird durch die Zentrifugalkraft erzeugt. Im Karussell befinden Sie sich in einem rotierenden Bezugssystem. Ein anderes alltägliches Beispiel rotierender Bezugssysteme sind Autos, die eine Kurve durchfahren. Bei entsprechender Geschwindigkeit ist die Zentrifugalkraft deutlich zu spüren. Das Auto kippt in der Kurve ein wenig nach außen. Die Insassen werden nach außen gedrückt.

183 10.3  Zentrifugalkraft

10

© Foto: pixabay.com

Experiment 10.3: Zentrifugalkraft

Mit einer Abwandlung der Apparatur aus 7 Experiment 10.1 lässt sich auch die Zentrifugalkraft nachweisen. Federwaage und Gewicht werden dieses Mal an einer Schnur befestigt und vom Experimentator wie ein Lasso über dem Kopf im Kreis geschwungen. Mit etwas Geschick bekommt man eine hinreichend gleichmäßige Rotation. Die Federwaage wird wieder über eine Funkkamera beobachtet. Sie zeigt die Größe der Zentrifugalkraft an.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

184

Kapitel 10  Scheinkräfte

Experiment 10.4: Abplattung der Erde

Die Erde ist keine exakte Kugel. Aufgrund der Zentrifugalkraft ist sie an den Polen leicht abgeplattet. Mit diesem Modell kann die Abplattung veranschaulicht werden. Das Modell besteht aus zwei gekreuzten Stahlbändern, welche mit einer festen und einer gleitenden Halterung an einer Stange befestigt sind. Befindet sich das Modell in Ruhe, bilden die Bänder Kreise (im linken Bild durch die gelbe Linie angedeutet). Das Modell wird in einen Experimentiermotor eingespannt und in Rotation versetzt. Die Rotationsfrequenz ist stufenlos verstellbar. Die Zentrifugalkraft FEZF D m! 2 rE ist beim größten Abstand r von der Drehachse, also am Äquator, am größten. Dadurch entsteht eine Verformung, die von der Rotationsfrequenz ! abhängt. Die Bänder bilden bei Rotation das Bild einer durchsichtigen, rotierenden Kugel, welche bei schneller Rotation die Form eines abgeplatteten Sphäroids annimmt. Zum Vergleich wurde die Form aus dem linken Bild ins rechte übertragen (gepunktete gelbe Linie). Die Abplattung ist deutlich zu erkennen.

10

Bei der Erde ist der Effekt klein. Der äquatoriale Durchmesser beträgt 12 756 km im Vergleich zu 12 716 km von Pol zu Pol, ein Unterschied von 0,3 %.

185 10.3  Zentrifugalkraft

10

Experiment 10.5: Die Oberfläche rotierender Flüssigkeiten

Eine ruhende Flüssigkeit bildet eine plane Oberfläche aus. Dies ändert sich, wenn man die Flüssigkeit in Rotation versetzt. Man stellt das Gefäß auf eine elektrisch angetriebene Drehscheibe, und nach einer kurzen Anlaufphase wird die Rotation des Gefäßes über Reibung auf die Flüssigkeit übertragen. Dann stellt sich eine gekrümmte Oberfläche ein, wie man sie auf dem Foto erkennen kann. Sie mögen sich fragen, welche genaue Form die Oberfläche hat. Man kann sie berechnen. Nach der Anlaufphase ändert sich die Form der Oberfläche nicht mehr. Sie ist statisch. Wir benutzen dies als Bedingung, um die Form zu bestimmen. Dazu betrachten wir die Kraft auf ein Molekül der Flüssigkeit an der Oberfläche (siehe Skizze). Wir zerlegen diese Kraft in eine Komponente senkrecht zur Oberfläche und eine parallel dazu. Die Komponente senkrecht zur Oberfläche wird durch den Druck der darunterliegenden Moleküle kompensiert, nicht aber die parallele Komponente. Sie führt dazu, dass sich Moleküle entlang der Oberfläche bewegen. Dies würde dazu führen, dass sich die Oberfläche in ihrer Form verändert. Da dies nach der Anlaufphase nicht mehr passiert, müssen wir fordern, dass die Kraftkomponente parallel zur Oberfläche verschwindet, sobald der statische Fall erreicht ist. Darauf bauen wir die Berechnung auf. Zur Berechnung benutzen wir Zylinderkoordinaten mit der z-Achse nach oben und der r-Koordinate von der Drehachse radial nach außen. Nennen wir O.r/ die mathematische Form der Oberfläche. Aus dem Kräftedreieck in der Skizze kann man das Steigungsdreieck konstruieren und die Steigung der Oberfläche ablesen. Es ist jFEZF j !2 m! 2 r dO.r/ D D r D dr mg g jFEG j Integration dieser Differenzialgleichung (beide Seiten über r integrieren) ergibt O.r/ D

!2 2 r Ck 2g

Dies ist eine Parabel bezüglich r mit einem Minimum bei null, deren Krümmung durch die Winkelgeschwindigkeit bestimmt ist. Eine solche Form wird sich bei allen Flüssigkeiten unabhängig von der Form des Gefäßes einstellen.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

186

Kapitel 10  Scheinkräfte

Experiment 10.6: Rotierender Eimer

Dieses Experiment können Sie einfach zu Hause durchführen. Es zeigt den Einfluss der Zentrifugalkraft auf Wasser in einem Eimer. Es braucht allerdings Vertrauen in die physikalischen Gesetze, die wir gefunden haben. Falls Sie zögern, werden Sie die Lacher der Zuschauer auf Ihrer Seite haben. Man füllt einen Eimer etwa zur Hälfte mit Wasser und rotiert ihn wie in der Skizze angedeutet schnell am langen Arm. Die Zentrifugalkraft wirkt immer nach außen und hält das Wasser selbst im oberen Bereich im Eimer. Schwierig ist nur die erste Umdrehung.

10.4

10

Coriolis-Kraft

Im vorherigen Kapitel haben wir die Kräfte studiert, die auf einen Körper wirken, der in einem rotierenden Bezugssystem ruht, und sind zur Zentrifugalkraft gelangt. Wir wollen nun den allgemeinen Fall eines bewegten Körpers in einem rotierenden Bezugssystem behandeln. 10.4.1

Ableitung der Coriolis-Kraft

Wir wollen versuchen dieses Problem allgemein zu behandeln, ohne Bezug auf ein bestimmtes Beispiel zu nehmen. Wir gehen von einem Inertialsystem S aus. In diesem System rotiert ein weiteres System S0 mit konstanter Winkelgeschwindigkeit um eine Achse !E (. Abb. 10.4). Der Ursprung beider Systeme falle zusammen und liege auf der Rotationsachse. Ein Körper bewegt sich durch die Systeme. Da beide Systeme einen gemeinsamen Ursprung haben, fallen die beiden Ortsvektoren rE.t/ und rE0 .t/, die

. Abb. 10.4 Darstellung einer Bewegung in einem rotierenden Bezugssystem

187 10.4  Coriolis-Kraft

die Bahn beschreiben, zusammen. Die Bahnkurve des Körpers ist System S: System S0 :

rE.t/ D x.t/eOx C y.t/eOy C z.t/eOz rE0 .t/ D x 0 .t/eOx0 C y 0 .t/eOy0 C z 0 .t/eOz0

(10.11)

Dabei sind eOx , eOx0 , usw. Einheitsvektoren in Richtung der Koordinatenachsen der beiden Systeme. Durch die Rotation von S0 verändern sich dessen Einheitsvektoren ständig. Korrekterweise sollten wir eOx0 .t/ schreiben, was wir aber unterdrücken. Wir betrachten nun die Geschwindigkeiten auf der Bahn System S: System S0 :

dx.t/ dy.t/ dz.t/ eOx C eOy C eOz dt dt dt dx 0 .t/ 0 dy 0 .t/ 0 dz 0 .t/ 0 vE0 .t/ D eOx C eOy C eO (10.12) dt dt dt z vE.t/ D

So weit so gut. Nun wollen wir die Geschwindigkeit, die der Beobachter im System S sieht, nicht mehr durch seine eigenen Koordinaten darstellen, sondern durch die Koordinaten des Systems S0 . Der Beobachter in S erkennt, dass sich das Objekt relativ zu den gestrichenen Koordinaten bewegt und dass sich außerdem die Koordinatenachsen des Systems S0 bewegen. Es ist dx 0 .t/ 0 dy 0 .t/ 0 dz 0 .t/ 0 eOx C eOy C eO dt dt dt z d eOy0 d eO0 d eO0 C x 0 .t/ x C y 0 .t/ C z 0 .t/ z dt dt dt (10.13) D vE0 .t/ C uE.t/

System S: vE.t/ D

Wie erwartet, setzt sich die Geschwindigkeit aus der Sicht von S zusammen aus der Geschwindigkeit aus der Sicht von S 0 und einem Geschwindigkeitsvektor, der die Bewegung der Koordinatenvektoren des Systems S 0 relativ zu S beschreibt, den wir uE .t/ genannt haben. Nun rotieren die Einheitsvektoren des Systems S0 um die Rotationsachse mit der Winkelgeschwindigkeit !. E Es ist also d eOx0 D !E  eOx0 dt

d eOy0 dt

D !E  eOy0

d eOz0 D !E  eOz0 dt

(10.14)

und damit uE.t/ D .!E  eOx0 /x 0 .t/ C .!E  eOy0 /y 0 .t/ C .!E  eOz0 /z 0 .t/ D !E  .eOx0 x 0 .t/ C eOy0 y 0 .t/ C eOz0 z 0 .t// D !E  rE0 .t/ D !E  rE.t/

(10.15)

Im letzten Schritt haben wir ausgenutzt, dass die Ortsvektoren aus beiden Systemen zusammenfallen.

10

188

Kapitel 10  Scheinkräfte

Als ersten Schritt erhalten wir somit für die Transformation der Geschwindigkeiten vE.t/ D vE0 .t/ C !E  rE.t/

(10.16)

Wir wollen nun eine entsprechende Relation für die Beschleunigungen ableiten aE .t/ D

d vE.t/ d vE0 .t/ d rE.t/ D C !E  dt dt dt

(10.17)

Wir machen einen Zwischenschritt und berechnen zunächst

d vE0 .t / : dt

dvy0 .t/ 0 d vE0 .t/ dv 0 .t/ dvx0 .t/ 0 D eOx C eOy C z eOz0 dt dt dt dt d eOy0 d eOx0 d eO0 0 0 C vx .t/ C vy .t/ C vz0 .t/ z dt dt dt D aE 0 .t/ C .!E  eOx0 /vx0 .t/ C .!E  eOy0 /vy0 .t/ C .!E  eOz0 /vz0 .t/ D aE 0 .t/ C !E  vE0 .t/

(10.18)

Wir erhalten mit vE.t/ D vE0 .t/ C !E  rE.t/

10

aE .t/ D aE 0 .t/ C !E  vE0 .t/ C !E  vE.t/ D aE 0 .t/ C !E  vE0 .t/ C !E  .E v 0 .t/ C !E  rE.t// D aE 0 .t/ C 2!E  vE0 .t/ C !E  .!E  rE.t//

(10.19)

und schließlich aufgelöst nach aE 0 .t/ (E a  bE D bE  aE ) aE 0 .t/ D aE .t/ C 2E v 0 .t/  !E C !E  .Er 0 .t/  !/ E

(10.20)

Wir untersuchen zunächst den letzten Term. Wir betrachten den Spezialfall, dass !E und rE senkrecht aufeinander stehen. Mit den Fingern der rechten Hand kann man leicht ermitteln, dass die beiden Kreuzprodukte einen Vektor in Richtung von rE erzeugen. Der Betrag des Vektors ist ! 2 r. Es handelt sich um die aus dem vorigen Kapitel bereits bekannte Zentrifugalbeschleunigung. Ebenfalls bekannt ist der erste Term. Dies ist die eigentliche Beschleunigung des Körpers entlang seiner Bahn. Neu ist allerdings der mittlere Term. Er tritt nur dann auf, wenn sich der Körper im rotierenden Bezugssystem bewegt (E v 0 ¤ 0). Daher wurde er in 7 Abschn. 10.3 nicht bemerkt. Man nennt ihn die CoriolisBeschleunigung aEC und die zugehörige Scheinkraft die CoriolisKraft, benannt nach dem französischen Mathematiker und Physiker Gaspard Gustave de Coriolis (. Abb. 10.5), der diese Kraft im frühen 19. Jahrhundert erstmals ableitete. aE 0 .t/ D aE .t/ C aEC C aEZF

(10.21)

Wir wollen zunächst Spezialfälle der Coriolis-Kraft für bestimmte Richtungen von vE0 diskutieren (siehe . Abb. 10.6):

189 10.4  Coriolis-Kraft

. Abb. 10.5 Gaspard Gustave de Coriolis. © MP/Leemage/picture-alliance

1. Radialbewegung (E v 0 kEr 0 ) Der Körper bewegt sich auf der Scheibe radial nach außen (oder innen). Er spürt eine Coriolis-Kraft quer zu seiner Bewegung, gegen (oder in) die Richtung der Bahngeschwindigkeit. Ein ruhender Beobachter sieht, dass sich der Körper von der Drehachse entfernt. Dadurch müsste die Bahngeschwindigkeit zunehmen. Da aber eine beschleunigende Kraft fehlt, bleibt er hinter der Rotation der Scheibe zurück. Dies empfindet der bewegte Beobachter als Coriolis-Kraft. 2. Tangentialbewegung (E v 0 ?Er 0 ) Der Körper bewegt sich bei konstantem Radius entlang eines Kreises um die Drehachse. Ist die Bewegung in Drehrichtung gerichtet, so erfährt er eine radial nach außen gerichtete Coriolis-Kraft. Bewegt er sich entgegen der Drehrichtung, ist die Coriolis-Kraft entsprechend nach innen gerichtet. Aus der Sicht eines ruhenden Beobachters ergibt sich das folgende Bild. Durch die zusätzliche Bewegung in Drehrichtung rotiert der Körper schneller als es seinem Radius entspricht. Dadurch wird die Fliehkraft erhöht und er spürt eine Kraft nach außen.

. Abb. 10.6 Coriolis-Kraft bei unterschiedlichen Bewegungen

10

190

Kapitel 10  Scheinkräfte

3. Axialbewegung (E v 0 k!) E Der Körper bewegt sich parallel zur Drehachse. Es tritt keine Coriolis-Kraft auf. Die Bewegung in eine beliebige Richtung kann man durch Superposition dieser drei Spezialfälle darstellen.

10.4.2

Beispiele

Coriolis-Kräfte treten auf der Erde aufgrund der Erdrotation auf. . Abb. 10.7 zeigt ein Beispiel. Bewegt sich ein Körper auf der nördlichen Hemisphäre der Erde nach Norden, so zeigt die Coriolis-Kraft nach Osten. Die Geschwindigkeit vE0 hat eine Radialkomponente nach innen, die die Coriolis-Kraft erzeugt. Auf der Südhälfte zeigt die Coriolis-Kraft bei Bewegung in nördlicher Richtung entsprechend nach Westen. Experiment 10.7: Eisbärjagd mit Schwierigkeiten

10

. Abb. 10.7 Coriolis-Kraft auf der nördlichen Hemisphäre der Erde

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Dieses Experiment demonstriert sehr schön den Einfluss der Coriolis-Kraft auf Bewegungen in einem rotierenden System. Auf einem Drehstuhl sitzt eine Person (der Jäger). Am Drehstuhl ist an einem Gestell etwa 2 m vor der Person auf einer Plexiglasscheibe der Eisbär als Zielscheibe aufgemalt. Die Person hat eine Spielzeugpistole vor sich mit Pfeilen, die mit Saugnäpfen an der Plexiglasscheibe haften. Zunächst kann der Jäger bei ruhendem Stuhl die Pistole, die am Gestell festgeklemmt ist, auf das Ziel ausrichten und überprüfen, dass er bei ruhendem Stuhl auch wirklich trifft. Dann wird der Stuhl in Rotation gesetzt. Der Jäger feuert die Pistole bei gleicher Justierung erneut ab, doch dieses Mal geht der Schuss daneben. Während der Pfeil von der Pistole

191 10.4  Coriolis-Kraft

zum Ziel fliegt, bewegt sich der Eisbär weiter, sodass der Pfeil horizontal neben dem Ziel haften bleibt. Eine Funkkamera am Stuhl des Jägers zeichnet den Schuss aus seiner Perspektive auf. Er sieht, dass der Pfeil vor dem Ziel seitlich abdriftet. Dies ist der Einfluss der Coriolis-Kraft.

Beispiel 10.5: Coriolis-Kraft und Jumbo-Jet

Ein Flugzeug fliegt auf dem Äquator mit einer Geschwindigkeit v D 900 km=h nach Osten. Dies entspricht dem Spezialfall einer reinen Tangentialbewegung. Die Coriolis-Kraft zeigt von der Erdachse weg (nach oben). Es ist 2 rad D 7;27  105 Tag s m vFlugzeug D 250 s m aC D 0;04 2  0;5 % g : s !Erde D

© Wikimedia: Arcturus

Beispiel 10.6: Pirouette beim Schlittschuhlauf

Die Schlittschuhläuferin setzt zur Pirouette an. Zieht sie Arme, Beine und Körper zur Drehachse, so wirkt auf diese eine Coriolis-Kraft in Drehrichtung. Diese beschleunigt die Pirouette. Die Schlittschuhläuferin dreht sich schneller. Man nennt dies auch den Pirouetteneffekt.

10

192

Kapitel 10  Scheinkräfte

© Wikimedia: Albertosepe

10

© Wikimedia: Albertosepe

Beispiel 10.7: Globale Wetterbewegungen

© NASA

Die Coriolis-Kraft ist dafür verantwortlich, dass sich die Luftmassen um großräumige Hochdruckgebiete auf der Nordhalbkugel im Uhrzeigersinn, um Tiefdruckgebiete entgegen dem Uhrzeigersinn bewegen. Bei einem Tiefdruckgebiet strömt die Luft aufgrund des Druckgefälles nach innen. Diese Strömung wird auf der Nordhalbkugel durch die Coriolis-Kraft nach rechts abgelenkt. Es ergibt sich eine gegen den Uhrzeigersinn gerichtete Rotation, im Bild an einem Islandtief zu sehen. Bei großräumigen Luftströmungen kann die Corioliskraft trotz ihrer geringen Größe einen erheblichen Einfluss erreichen, der so weit gehen kann, dass sich die Luftmassen senkrecht

193 10.4  Coriolis-Kraft

zum Druckgradienten bewegen. In der Skizze ist die Richtung des Druckgradienten durch blaue Pfeile markiert. Die Geschwindigkeit der Luftmassen ist in eine Axialbewegung parallel zur Rotationsachse der Erde und eine Radialbewegung senkrecht zu dieser zu zerlegen. Der letztere Anteil bewirkt die Corioliskraft, deren Richtung in der Skizze durch rote Pfeile angedeutet ist. Sie erzeugt den großräumigen Luftwirbel.

Beispiel 10.8: Ausflusswirbel im Waschbecken

Strömt Wasser aus der Badewanne aus, so wirkt eine CoriolisKraft auf das Wasser. Es entsteht eine bevorzugte Drehrichtung des Ausflusswirbels. Obwohl man dieses Beispiel oft hört, stimmt es nicht. Die Coriolis-Kraft ist viel zu klein, um einen merkbaren Effekt zu hinterlassen. Die Drehrichtung wird von anderen störenden Einflüssen (Luftströmungen, unsymmetrische Wannenform, etc.) bestimmt.

Beispiel 10.9: Nachweis der Erdrotation

Ein Körper, der von einem hohen Turm fällt, wird aufgrund der Erdrotation vom senkrechten Fall nach Osten abgelenkt, ein Effekt, der schon von Galilei und Newton vorhergesagt wurde. Gelingt es, die Abweichung experimentell nachzuweisen, so hat man damit die Rotation der Erde gezeigt. Giovanni Battista Guglielmini gelang dies erstmals 1791 mit Fallexperimenten vom 120 Meter hohen Torre degli Asinelli in Bologna (Bild). Wir wollen die Ablenkung berechnen. Wir vernachlässigen Luftreibung und behandeln den Fall als frei. Dann können wir die Fallzeit t0 aus der Fallhöhe h0 berechnen: s 1 s.t/ D h0  gt 2 ) t0 D 2

2h0 g

Der Betrag der Geschwindigkeit nimmt beim Fall linear zu v.t/ D gt. Die Komponente senkrecht zur Erdachse (Radialbewegung) ist v? .t/ D gt cos ', mit der geographischen Breite ' D 44;5ı von Bologna. Die Komponente parallel zur Erdachse (Axialbewegung) ist hier ohne Bedeutung. Die CoriolisBeschleunigung ist dann aC .t/ D 2!Erde gt cos '

10

194

Kapitel 10  Scheinkräfte

Daraus kann man die Bewegung integrieren. Für die Geschwindigkeit und zurückgelegte Strecke in östlicher Richtung ergibt sich vC .t/ D !Erde gt 2 cos ' sC .t/ D

1 !Erde gt 3 cos ' 3

Nun müssen wir nur noch die Fallzeit einsetzen und erhalten die Ablenkung s  3 2h30 1 2h0 2 2 sC D !Erde g cos ' D !Erde cos ' 3 g 3 g

(10.22)

was etwa 2 cm ergibt.

Beispiel 10.10: Mäander

10

Auf das fließende Wasser eines Stromes wirkt durch die Erdrotation eine Coriolis-Kraft, die dazu führt, dass das rechte Flussufer (in Fließrichtung) stärker erodiert als das linke. Dadurch entstehen Mäander. Selbst Einstein nahm sich dieses Phänomens an: A. Einstein, „Die Ursache der Mäanderbildung der Flussläufe und des sogenannten Baer’schen Gesetzes“, in: Die Naturwissenschaften 14, Nr. 11, 1926, S. 223–224.

© Oliver Kurmis

195 10.4  Coriolis-Kraft

Beispiel 10.11: Corioliswaage

Die Corioliswaage wird eingesetzt, um den Durchsatz an Schüttgut, wie z. B. Getreide, in einer Förderanlage zu wiegen. Unsere Skizze zeigt den groben Aufbau. Das Schüttgut fällt von oben durch das Einlaufrohr auf einen rotierenden Teller. Über eine kegelförmige Erhöhung in der Mitte des Tellers rutscht das Schüttgut nach außen, wo vertikale Bleche es mit der Geschwindigkeit des Tellers in Rotation versetzen. Die Zentrifugalkraft transportiert es weiter nach außen, wodurch die Bahngeschwindigkeit und damit die Zentrifugalkraft weiter zunimmt, bis es schließlich gegen die Wände der Waage geworfen wird, von dort nach unten in einen Trichter rutscht und durch den Trichter die Waage wieder verlässt. Bewegt sich das Schüttgut von der Tellermitte nach außen, muss es beschleunigt werden. Hierzu muss der Motor, der den Teller antreibt, Arbeit verrichten. Diese Arbeit wird z. B. über die Leistungsaufnahme des Motors aus dem Stromnetz bestimmt. Aus ihr lässt sich der Massenstrom des Schüttguts, das ist die Masse, die pro Zeiteinheit durch die Waage transportiert wird, bestimmen.

Beispiel 10.12: Rotierendes Gestänge

Eine Stange rotiert mit einer Winkelgeschwindigkeit !E um eine Achse senkrecht zu ihr. Auf der Stange ist ein Zylinder angebracht, der sich reibungsfrei nach außen bewegen kann. Wir wollen die Kraft FES bestimmen, die die Stange auf den Zylinder ausübt. Wir wählen ein rotierendes Bezugssystem mit der x-Achse entlang der Stange. Rutscht der Zylinder nach außen, so muss die Stange eine Kraft auf ihn ausüben, um den Zylinder in Rotationsrichtung zu beschleunigen. Sie zeigt in y-Richtung. Wir gehen aus von Gl. 10.20. mE a D FED C 2mE v  !E C !E  .Er  !/ E Wir bestimmen die Richtungen dieser Komponenten. Wegen der Fixierung auf der Stange muss die Beschleunigung in x-Richtung zeigen (Dies nennt man eine Zwangsbedingung). 0 2 1 0 1 0 1 0 1 0 0 m! 2 r m ddt 2r C B C B B B C dr C @ 0 A D @FD A C @2m! dt A C @ 0 A 0 0 0 0 Wie man sieht, bestimmt die Zentrifugalkraft die Beschleunigung in radialer Richtung. Es ergibt sich r.t/ aus der Differenzialglei-

10

196

Kapitel 10  Scheinkräfte

chung d 2 r.t/ D m! 2 r.t/ dt 2 mit der Lösung: r.t/ D r0 e !t m

Da die Zentrifugalkraft eine Scheinkraft ist, verrichtet sie keine Arbeit. Gleichzeitig drückt aber die Stange mit der Kraft FED gegen den Zylinder und verrichtet Arbeit an ihm. Wie die Rechnung zeigt, ist diese Kraft dem Betrage nach gerade gleich der Coriolis-Kraft FED D 2m! 2 r eOy D FEC

10.4.3

Das Foucault’sche Pendel

Durch die Erdrotation dreht ein Pendel auf der Erde seine Schwingungsrichtung. Einfach einzusehen ist dies für ein Pendel auf dem Nordpol (siehe 7 Experiment 10.9). Ein Beobachter außerhalb der Erde sieht ein Pendel mit fester Schwingungsrichtung, unter dem sich die Erde wegdreht. Der Beobachter auf dem Nordpol wird dagegen behaupten, dass das Pendel seine Schwingungsrichtung kontinuierlich ändert. In der Summe um 360ı pro Tag. Der Effekt tritt auch auf, wenn sich das Pendel in gemäßigten Breiten befindet. Dann ist die tägliche Drehung allerdings geringer als 360ı . Bekannt wurde das Pendel, als der französische Physiker Jean Bernard Léon Foucault ein 67 m langes und 28 kg schweres Pendel 1851 im Panthéon in Paris anbrachte, um der Öffentlichkeit die Erdrotation zu demonstrieren. Heute schwingt im Panthéon eine Rekonstruktion seines Pendels (. Abb. 10.8).

10

Experiment 10.8: Modellversuch zum Foucault’schen Pendel

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Das Experiment demonstriert ein Foucault’sches Pendel am Nordpol. Auf einer rotierenden Scheibe ist über der Drehachse ein Pendel montiert. Die Scheibe wird von einem Motor langsam gedreht. Filmt man das Pendel von oben mit einer Kamera, sieht man sehr schön, wie sich die ‚Erde‘ unter dem Pendel dreht. Das Pendel bleibt in seiner ursprünglichen Schwingungsrichtung stehen.

197 10.4  Coriolis-Kraft

. Abb. 10.8 Das Foucault’sche Pendel im Panthéon in Paris © wikimedia: Britchi Mirela

Experiment 10.9: Foucault’sches Pendel

© Foto: Hendrik Brixius

Um das Foucault’sche Pendel vorzuführen, braucht man ein langes Pendel mit einem hinreichend schweren Pendelkörper, sodass es lange schwingt. Das Bild zeigt unser Pendel vor dem Start. Es wird von einem Elektromagneten gehalten, sodass beim Start keine Störungen auf das Pendel übertragen werden. Am Pendelkörper ist unten eine Spitze angebracht. Foucault selbst streute Sand auf den Boden des Panthéons, in welchem die Spitze Spuren der Bewegung aufzeichnete. Wir haben auf einem Kreis um die Ruhelage des Pendels Schrauben auf ihren Köpfen aufge-

10

198

Kapitel 10  Scheinkräfte

stellt, die das Pendel eine nach dem anderen umwirft, in dem Maße, in dem sich die Schwingungsebene dreht.

Beispiel 10.13: Bewegungsgleichung des Foucault’schen Pendels

Wie bereits erwähnt, dreht sich die Ebene des Foucault’schen Pendels wegen der Erddrehung. Wir wollen berechnen, wie schnell sich die Pendelebene dreht. Wir beschreiben das Pendel in einem Koordinatensystem, das im Ruhepunkt des Pendels mit der Erde verankert ist und sich folglich mit der Erde mit dreht (Abbildung). Die x-Achse zeigt horizontal in Richtung der Erddrehung, die y-Achse ebenfalls horizontal in Richtung Norden. Die z-Achse gibt die Vertikale an. Sie zeigt entgegen der Richtung der Schwerkraft. Wir beginnen unsere Diskussion mit einer Näherung: Wir nehmen an, dass die Pendellänge l, also die Länge des Fadens, an dem der Pendelkörper hängt, sehr viel größer als die Auslenkung des Pendelkörpers aus seiner Ruhelage ist. Dies bedeutet unter anderem, dass der Pendelkörper sich in der x-y-Ebene bewegt und wir seine z-Koordinate während der gesamten Bewegung näherungsweise auf null setzen können. Sein Ortsvektor ist demnach rE D .x; y; 0/. Nun beginnen wir die Berechnung, indem wir die Bewegungsgleichung aufstellen. Auf den Pendelkörper wirken drei Kräfte: 4 Die Gewichtskraft FEG D m g eOz : Aus dieser resultiert eine Rückstellkraft, die immer auf den Ruhepunkt zeigt und proportional zur Auslenkung ist (siehe 7 Beispiel 7.5). Sie hat den Betrag m g r= l, wobei r die Auslenkung, m die Masse des Pendelkörpers und g die Fallbeschleunigung ist. Wir schreiben die Kraft als 0 1 x B C FER D m !02 @ y A; 0

10

mit der Konstanten !02 D g= l. E  . E  .RE C rE//: Dabei 4 Die Zentrifugalkraft FEZ D m E die Winkelgeschwindigkeit der Erde und RE bezeichnet den Vektor vom Mittelpunkt der Erde zum Nullpunkt unseres E entspricht einer DreKoordinatensystems. Der Betrag von hung von 2 pro Tag1 . Diese Zentrifugalkraft steht senkrecht

1

Hier ist ein siderischer Tag einzusetzen (86 164;099 s). In einem Jahr dreht sich die Erde gegenüber den Fixsternen 366 mal um sich selbst, was uns durch den zusätzlichen Umlauf der Erde um die Sonne wie 365 Sonnentage erscheint.

199 10.4  Coriolis-Kraft

auf der Erdachse. Sie verändert die Gewichtskraft. Diese Veränderung ist für rE D 0E bereits im Wert von g und in der Definition der Vertikalen unseres Koordinatensystems enthalten. Die Variation der Zentrifugalkraft durch die Tatsache, dass sich der Pendelkörper aus der Ruhelage heraus bewegt, ist so gering, dass wir sie vernachlässigen können. Wir brauchen die Zentrifugalkraft daher nicht weiter zu berücksichtigen. E  vE: Aus der Abbildung 4 Die Corioliskraft FEC D 2m E ablesen. Sie lassen sich die Komponenten des Vektors E D .0; cos ; sin /. Die Kraft, die von der ybetragen Komponente ausgeht, zeigt selbst in die z-Richtung und damit in Richtung der Gewichtskraft. Man kann sich leicht vergewissern, dass sie gegenüber der Gewichtskraft vernachlässigt werden kann. Die Komponente, die von z ausgeht, liegt dagegen in der Bahnebene. Sie bewirkt die Drehung der Pendelebene, die wir berechnen wollen. Um die Gleichungen übersichtlicher zu gestalten, kürzen wir im Folgenden Ableitungen nach der Zeit durch Punkte auf den Symd d2 x.t/ D x, P ax D dt R usw. bolen ab. Wir schreiben vx D dt 2 x.t/ D x, Die Bewegungsgleichung lautet damit: 0

1 x    B C E  E  RE C rE  2 m E  rEP: m rER D m !02 @ y A  m 0 Mit den oben beschriebenen Näherungen lauten die ersten beiden Komponenten dieser Differenzialgleichung – nur diese sind hier relevant –: xR D !02 x C 2 sin yP P yR D !02 y  2 sin x: p Wir haben hier eine Konstante !0 D g= l eingeführt, die die Schwingungsfrequenz des Pendels ergibt, falls dieses in einem Inertialsystem schwingt. Um diese beiden gekoppelten Differenzialgleichungen zu lösen, transformieren wir auf ebene Polarkoordinaten: x D r cos ' y D r sin '; mit den beiden zeitabhängigen Polarkoordinaten r.t/ und '.t/. Wir leiten die beiden Gleichungen zweimal unter Berücksichti-

10

200

Kapitel 10  Scheinkräfte

gung der Produktregel ab und erhalten: xP D rP cos '  r sin ' 'P yP D rP sin ' C r cos ' 'P sowie xR D rR cos '  2 rP sin ' 'P  r cos ' 'P 2  r sin ' 'R R yR D rR sin ' C 2 rP cos ' 'P  r sin ' 'P2 C r cos ' ': Damit könnten wir die beiden Differenzialgleichungen auf Polarkoordinaten transformieren. Zuvor schieben wir aber noch einen anderen Schritt ein. Wir möchten die Beschleunigungen in x- und y-Richtung durch die radiale Beschleunigung ar und die Winkelbeschleunigung a' ersetzen. Aus der Skizze lesen wir ab: vr D cos ' xP C sin ' yP D rP v' D  sin ' xP C cos ' yP D r 'P

bzw:

xP D cos ' vr  sin ' v' yP D sin ' vr C cos ' v'

und

10

ar D cos ' xR C sin ' yR D rR  r 'P 2 a' D  sin ' xR C cos ' yR D r 'R C 2 rP ': P Nun fügen wir in die letzten beiden Gleichungen xR und yR aus der Differenzialgleichung ein und erhalten:   rR  r 'P 2 D cos ' !02 x C 2 sin yP  2  C sin ' !0 y  2 sin xP   r 'R C 2 rP 'P D  sin ' !02 x C 2 sin yP   C cos ' !02 y  2 sin xP ; wo wir schließlich auch die rechte Seite durch Polarkoordinaten ausdrücken. Wir erhalten: rR  r 'P 2 D 2 sin r 'P  !02 r r 'R C 2 rP 'P D 2 sin r: P Die erste Differenzialgleichung beschreibt die radiale Beschleunigung, die zweite die Winkelbeschleunigung der Pendelmasse. Wir bringen die Gleichungen noch in die Normalform:   rR C r !02  'P 2  2 sin 'P D 0 r 'R C 2 rP .'P C sin / D 0:

201 10.5  Absolute Bewegung?

Wir sind hier vornehmlich an der Winkelgeschwindigkeit 'P interessiert, die die Drehung der Pendelebene beschreibt. Tatsächlich kann man eine spezielle Lösung für 'P direkt aus der zweiten Differenzialgleichung ablesen. Nehmen wir an, dass die Winkelgeschwindigkeit den konstanten Wert 'P D  sin hat, so ist 'R D 0. Dies löst die Differenzialgleichung, was Sie leicht durch Einsetzen überprüfen können. Die Drehung der Pendelebene ist E der Erdalso auf der Nordhalbkugel gegenläufig zur Drehung achse und gegenüber dieser um einen Faktor sin verlangsamt, wobei die geographische Breite darstellt. Setzen wir diese Winkelgeschwindigkeit in die Differenzialgleichung der radialen Beschleunigung ein, erhalten wir rR C ! 2 r D 0; q mit ! D !02 C sin2 2 . Wie wir in 7 Abschn. 17.1 sehen werden, ist dies die Differenzialgleichung einer harmonischen Schwingung mit einer Frequenz !, die gegenüber der Frequenz in einem Inertialsystem leicht erhöht ist. Allerdings ist zu beachten, dass dies nur eine spezielle Lösung der Differenzialgleichung darstellt, die allgemeine Lösung2 führt auf eine anharmonische Schwingung, deren Behandlung hier den Rahmen sprengen würde.

Zum Schluss dieser Abschnitte über Scheinkräfte in rotierenden Bezugssystemen sei darauf hingewiesen, dass neben der Zentrifugalkraft und der Corioliskraft noch eine weitere Scheinkraft auftreten kann, wenn die Winkelgeschwindigkeit !, E mit der sich das Bezugssystem dreht, zeitlich nicht konstant ist. Man nennt diese weitere Scheinkraft die Eulerkraft. Sie hat die Größe d !E FEE D m  rE: dt 10.5

(10.23)

Absolute Bewegung?

Newton ging davon aus, dass unser Sonnensystem eingebettet ist in ein unbewegliches und unveränderliches Universum. Mit ihm war ein Bezugssystem verbunden, das er als absolut ruhend ansah. Experimentell war es über die Fixsterne zugänglich (. Abb. 10.9). In diesem Bezugssystem hat er seine Axiome formuliert. 2

Die allgemeine Lösung für die Winkelgeschwindigkeit lautet 'P D c=r 2  sin .

10

202

Kapitel 10  Scheinkräfte

. Abb. 10.9 Der Sternenhimmel, Newtons absolutes Bezugssystem. © NASA, ESA, and The Hubble Heritage Team (STScI/AURA)

10

Dieses einfache Bild hat die moderne Kosmologie zunichte gemacht. Das Universum verändert sich fortwährend, auf kleinen Skalen unter dem Einfluss der Sterne, auf großen Skalen expandiert es. Es gibt keine Möglichkeit, über das Universum ein absolutes Bezugssystem zu definieren. Heute gehen wir vom Relativitätsprinzip aus. Es besagt, dass es kein ausgezeichnetes, absolut ruhendes Bezugssystem gibt. Mit Einsteins Worten lautet es: >Relativitätsprinzip Die Gesetze, nach denen sich die Zustände der physikalischen Systeme ändern, sind unabhängig davon, auf welches von zwei relativ zueinander in gleichförmiger Translationsbewegung befindlichen Koordinatensysteme diese Zustandsänderungen bezogen werden.

Es geht auf Galilei zurück und wird daher auch Galilei-Invarianz der Naturgesetze genannt. Newton kannte es ebenfalls, aber Bedeutung gewann es erst im 20. Jahrhundert mit der Relativitätstheorie. Doch wie steht es mit Beschleunigungen? Gilt auch hier ein Relativitätsprinzip? Kann man Bezugssysteme auszeichnen, die nicht beschleunigt sind? Die Erde bewegt sich beschleunigt gegenüber den Fixsternen. Sie umkreist die Sonne und kreist mit ihr um das Zentrum der Milchstraße. Man kann diese Beschleunigung messen (z. B. aus

203 10.5  Absolute Bewegung?

der 3-K-Hintergrundstrahlung). Aber bedeutet dies, dass die Fixsterne nicht beschleunigt sind? Oder wäre es im Sinne eines Relativitätsprinzips äquivalent zu sagen, die Erde bewegt sich gleichförmig und die Fixsterne sind relativ zur Erde beschleunigt? Wir lassen diese Frage hier offen. Sie gehört in den Bereich der allgemeinen Relativitätstheorie. Zum Schluss sei noch einmal betont, dass es kein absolut ruhendes Bezugssystem gibt, aber die Fixsterne können als näherungsweise ruhendes Bezugssystem trotzdem in manchen Überlegungen hilfreich sein. Beispiel 10.14: Relativitätsprinzip

Wenn wir uns Raketen vorstellen, die im ansonsten leeren Weltraum aneinander vorbeitreiben, so sind Aussagen über Geschwindigkeiten offensichtlich relativ: Aus der Sicht des Beobachters A, der seine Rakete als in Ruhe befindlich wahrnimmt, zieht die Rakete B mit beachtlicher Geschwindigkeit vorbei. Aus Sicht des Beobachters B dagegen ruht seine Rakete, während A sich bewegt.

?Aufgaben 1. Ein Hammerwerfer rotiert um die eigene Achse und hält dabei die Kugel mit dem gespannten Seil der Länge 1 m am ausgestreckten Arm der Länge 0,5 m, sodass sich diese auf einem Kreis bewegt, dessen Achse im Allgemeinen gegen die Horizontale geneigt ist. Mit wie vielen Umdrehungen pro Sekunde muss sich der Hammerwerfer mindestens drehen, um unter einem Winkel von 45ı abwerfen zu können? 2. Ab welcher Geschwindigkeit wird für einen Körper, der parallel zum Äquator um die Erde fliegt, die Erdanziehung durch die Zentrifugalkraft ausgeglichen? Wie kurz müsste ein Erdentag sein, um die Erdanziehung am Äquator aufzuheben? 3. Berechnen Sie für nebenstehenden Fliehkraftregler bei gegebener Gestängelänge l den Öffnungswinkel ˛ als Funktion der Rotationsfrequenz f und skizzieren Sie die Lösung. Sie können hierbei die Masse des Gestänges gegenüber den Gewichten vernachlässigen. Bei welchen Rotationsfrequenzen kann der Fliehkraftregler sinnvoll regeln? 4. Ein Motorradfahrer legt sich in die Kurve. Wie groß ist der Neigungswinkel gegen die Vertikale in Abhängigkeit von seiner Geschwindigkeit v und dem Radius r der Kurve? Mit welcher maximalen Geschwindigkeit kann er die Kurve durchfahren, wenn die Reifen auf dem Asphalt einen Haftreibungskoeffizienten  besitzen? Welchen ma-

10

204

Kapitel 10  Scheinkräfte

ximalen Neigungswinkel kann der Motorradfahrer ohne Wegrutschen fahren, wenn man von einem Haftreibungskoeffizienten von  D 1 ausgeht? 5. Ein von einem Punkt senkrecht über einem Ort auf der Nordhalbkugel mit der geographischen Breite ' frei fallender Körper erfährt durch die Coriolis- und die Zentrifugalkraft eine Ablenkung. Berechnen Sie jeweils Betrag und Richtung der beiden resultierenden Beschleunigungen. Bestimmen Sie die Abweichung von der Senkrechten, den ein Körper erfährt, der in Aachen (51ı nördliche Breite) aus 100 m Höhe fallen gelassen wird.

10

205

Himmelsmechanik Inhaltsverzeichnis 11.1

Das erste Kepler’sche Gesetz – 206

11.2

Das zweite und dritte Kepler’sche Gesetz – 210

11.3

Das Gravitationsgesetz – 217

11.4

Schwere und träge Masse – 234

11.5

Potenzial und potenzielle Energie – 235

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_11

11

206

Kapitel 11  Himmelsmechanik

11.1

. Abb. 11.1 Johannes Kepler 1610. © akg-images/picture-alliance

11

Das erste Kepler’sche Gesetz

Im Jahre 1600 wird Johannes Kepler (. Abb. 11.1) zunächst Assistent von Tycho Brahe in Prag. Ein Jahr später, nach Brahes Tod, rückt er zum kaiserlichen Hofmathematiker auf. Er bekommt damit Zugriff auf das Lebenswerk Brahes, den umfangreichsten und genausten Beobachtungen von Sternbewegungen seiner Zeit. Kepler ist ein Anhänger des heliozentrischen Weltbildes. Er hatte erkannt, dass eine Beschreibung der Bewegung der Planeten in diesem System viel einfacher ist, als im ptolemäischen System. Die Beobachtung der Position eines Planeten am Fixsternhimmel ergibt komplizierte Schleifenbahnen, wenn man die Bewegung des Planeten auf die Erde bezieht (. Abb. 11.2). Wie wir im Folgenden sehen werden, sind die Bewegungen viel einfacher, wenn man die Sonne als Bezugspunkt wählt. Es ergeben sich annähernd Kreise. Heute ist es selbstverständlich, dass wir versuchen, die Bahnen der Planeten mathematisch zu beschreiben. Doch die moderne Wissenschaft entstand erst zu Keplers Zeiten. Und auch bei ihm kann man diesen Übergang spüren. In seinem Jugendwerk Mysterium Cosmographicum versucht er noch ganz in der damaligen Tradition verankert, die Planetenbewegung als Harmonie geometrischer Formen zu beschreiben. . Abb. 11.3 zeigt unser Sonnensystem mit den Sphären der sechs damals bekannten Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn, die sich in wohl bestimmten Abständen um die Sonne drehen. Kepler versuchte die Abstandsverhältnisse durch die Abmessungen der fünf Platonischen Körper zu erklären. Es gab nach göttlichem Plan genau sechs Planeten und genau fünf Platonische Körper, die in

. Abb. 11.2 Die Bewegung des Mars am Fixsternhimmel im Sommer 2003. Man nennt solche Schleifen Epizykeln. © Grafik: Robert J. Ballantyne (7 http:// www.ballantyne.com)

207 11.1  Das erste Kepler’sche Gesetz

11

. Abb. 11.3 Keplers Modell der Planetenbahnen aus seinem Jugendwerk Mysterium Cosmographicum (1596)

die Zwischenräume passen sollten. Ein Vorgehen, das uns heute höchst befremdlich erscheint. Zunächst ging Kepler, wie alle Anhänger des heliozentrischen Weltbildes, davon aus, dass die Planeten auf Kreisbahnen um die Sonne laufen. Doch schließlich musste Kepler erkennen, dass sich Brahes genaue Beobachtungen auch in diesem Weltbild nicht durch Kreise beschreiben lassen. Er musste die „göttliche“ Form des Kreises aufgeben und Ellipsen zulassen. So kam er schließlich zu der folgenden Erkenntnis >1. Kepler’sches Gesetz Die Planeten bewegen sich auf Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht.

Die Eigenschaften der Planetenbahnen sind in . Tab. 11.1 zusammengestellt (siehe auch . Abb. 11.4). Die numerische Exzentrizität gibt die Abweichung der Bahnkurve von einer Kreisbahn an. Die Werte sind sehr klein. Die Bahnen ähneln einer Kreisbahn. Die elliptische Form der Bahnen ist keine besondere Eigenschaft unseres Sonnensystems, sondern eine Folge der Zentralkraft. Die Bewegung zweier Körper – hier Sonne und Planet – führt immer dann auf einen Kegelschnitt als Bahnkurve, wenn die Kraft zwischen den Körpern entlang deren Verbindungslinie zeigt.1 Dies ist hier der Fall. Ein anderes Beispiel findet man in einem klassischen Atommodell. Die elektrische Anziehungskraft, 1

Allerdings sind es nur dann Kegelschnitte im 3-dimensionalen Raum, wenn die Kraft wie 1=r 2 abfällt.

. Abb. 11.4 Die Planeten unseres Sonnensystems in realistischen Größenverhältnissen

208

Kapitel 11  Himmelsmechanik

. Tab. 11.1 Bahndaten der Planeten (Pluto gilt offiziell nicht mehr als Planet) Große Halbachse a

Numerische UmlaufExzentrizi- zeit tät  T

Bahn- T 2 =a3 neigung

106 km



Grad

s2 =109 km3

Merkur

57,9

0,206

87,97 d

7,0

0,297

Venus

108,2

0,0068

224,7 d

3,4

0,300

Erde

149,6

0,0167

365,256 d

0,0

0,299

Mars

228,0

0,0935

686,98 d

1,9

0,305

Jupiter

778,4

0,0484

11,86 a

1,3

0,300

Saturn

1433,4

0,0542

29,46 a

2,5

0,299

Uranus

2872,4

0,0472

84,01 a

0,8

0,298

Neptun

4495,0

0,0113

164,79 a

1,8

0,300

Pluto

5906,4

0,2488

247,68 a

17,2

0,299

11

die der Kern auf die Elektronen ausübt, zeigt auch längs deren Verbindungslinie. Folglich kreisen die Elektronen auf Ellipsenbahnen um den Atomkern. Beispiel 11.1: Periheldrehung

Wir haben Ihnen erklärt, dass die Planeten auf einer Keplerellipse um die Sonne umlaufen, deren Lage gegenüber den Fixsternen unveränderlich ist. Tatsächlich kommt es zu Störungen der Bahnen, die in einer Drehung des Perihels der jeweiligen Planetenbahn um die Sonne resultieren. Die Planeten bewegen sich tatsächlich auf Rosetten, wie dies in der Abbildung angedeutet ist. Am stärksten ausgeprägt ist der Effekt beim Merkur. Das Perihel seiner Bahn dreht sich pro Jahrhundert um 571;9100 oder

209 11.1  Das erste Kepler’sche Gesetz

0;1589ı . Zu den äußeren Planeten hin nimmt die Periheldrehung ab. Bei Neptun beträgt sie lediglich 10400 . Der größte Teil der Periheldrehung kann durch die Störungen der Bahn durch die anderen Planeten erklärt werden. Bei Merkur lässt sich rund die Hälfte des Effekts durch den Einfluss der Venus auf seine Bahn erklären, 25 % des Effektes gehen auf Jupiter zurück und 18 % auf die anderen Planeten. Die Entdeckung des Planeten Neptun geht auf die Beobachtung der Periheldrehung des Uranus zurück, die nur durch einen weiteren Planeten – eben Neptun – erklärt werden konnten. Da alle Planeten in der gleichen Richtung um die Sonne rotieren, addiert sich deren gegenseitiger Einfluss auf die Bahnen zu einer Periheldrehung in eben diese Richtung auf. Allerdings ist dies nicht der einzige Effekt, der einen Einfluss auf die Position des Perihels hat. Abweichungen von der Rotationssymmetrie des Zentralgestirns können ebenfalls eine Periheldrehung bewirken. So dreht beispielsweise der Äquatorwulst der Erde das Perigäum von Satelliten. Im Falle der Planetenbahnen ist der Einfluss von Abweichungen der Sonne von einer Kugelform allerdings sehr gering. Wenn Sie in Gedanken die Vorhersagen für die Periheldrehung des Merkur aufaddiert haben, haben Sie bemerkt, dass diese den beobachteten Wert von 571;9100 nicht vollständig erklären. Nach aktuellen Messungen bleiben 43;1100 unerklärt. Dies war lange Zeit ein Rätsel und führte zu Spekulationen über die Abweichung des Gravitationskraft von einer strikten 1=r 2 -Abhängigkeit, was schließlich in einem Triumph der Einstein’schen Allgemeinen Relativitätstheorie mündete, die eine solche Abweichung durch Verzerrungen der Raum-Zeit in der Nähe großer Massen erklärt und die Periheldrehungen der Planeten korrekt vorhersagt.

11

210

Kapitel 11  Himmelsmechanik

11.2

Das zweite und dritte Kepler’sche Gesetz

Das zweite Kepler’sche Gesetz befasst sich mit der Geschwindigkeit, mit der die Planeten auf der Ellipse umlaufen. Es ist in . Abb. 11.5 illustriert. >2. Kepler’sches Gesetz Der Fahrstrahl von der Sonne zum Planeten überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen.

11

Der Planet kreist auf der dargestellten Ellipse um die Sonne. Der Fahrstrahl ist die Verbindungslinie von der Sonne zum Planeten. Die abgebildeten Strecken s1 , s2 und s3 seien so gewählt, dass der Planet jeweils die gleichen Zeiten braucht, um diese zu durchlaufen. Das Gesetz besagt dann, dass auch die grau unterlegten Flächen gleich groß sein müssen. Wegen des Bezuges zu den Flächen, nennt man das Gesetz auch den Flächensatz. Beachten Sie, dass sich die Geschwindigkeit, mit der sich der Planet auf der Bahn bewegt, kontinuierlich ändert. Wenn der Planet sich der Sonne nähert, so führt die Anziehungskraft der Sonne zu einer Beschleunigung des Planeten. Im Perihel, dem sonnennächsten Punkt, hat er die maximale Geschwindigkeit. Nach dem Perihel wird er von der Anziehung der Sonne wieder abgebremst. Die geringste Geschwindigkeit hat er im Aphel, dem sonnenfernsten Punkt der Bahn. Das zweite Kepler’sche Gesetz ist eine Folge des Drehimpulserhaltungssatzes. Den Drehimpuls werden wir erst in 7 Kap. 13 kennenlernen. Der Vollständigkeit halber sei der Zusammenhang hier schon aufgezeigt. Wir betrachten dazu die Bewegung des Planeten in einem infinitesimal kleinen Zeitintervall dt (. Abb. 11.6). In dieser Zeit legt der Planet die Strecke vE.t/dt zurück. Die Fläche dA, die der Fahrstrahl in dieser Zeit überstreicht, ist dA D

1 jEr j jE v dtj sin ˛ 2m

. Abb. 11.5 Illustration des Flächensatzes

(11.1)

211 11.2  Das zweite und dritte Kepler’sche Gesetz

. Abb. 11.6 Bestimmung des Drehimpulses aus dem Flächensatz

wobei ˛ der Winkel zwischen dem Ortsvektor und dem Geschwindigkeitsvektor ist. Dann ist dA 1 1 1 D jEr j jE v j sin ˛ D jEr j jpj E sin ˛ D jEr  pj E dt 2 2m 2m 1 E jLj D const. (11.2) D 2m E der bereits erwähnte Drehimpuls. Das zweite KepHier ist L ler’sche Gesetz ist also eine direkte Folge des Drehimpulserhaltungssatzes. Es gilt, solange wir Kräfte auf den Planeten, die nicht von der Sonne ausgehen, vernachlässigen können. Solche Störungen könnten beispielsweise die anderen Planeten im Sonnensystem verursachen. Beispiel 11.2: Planetenbahnen Teil 1: Zentrifugalpotenzial

Die Bewegung eines Planeten um die Sonne erfolgt in einer Ebene, der sogenannten Bahnebene. Um die Bahn zu berechnen, muss man den Umlauf mathematisch erfassen. Dabei spielt die Energie des Planeten eine wichtige Rolle. Diese wollen wir hier bestimmen. Wir benutzen dazu Polarkoordinaten mit dem Ursprung des Koordinatensystems in der Sonne. Den Nullpunkt des Polarwinkels ' wollen wir als die Richtung von der Sonne zum Perihel festlegen. Der Planet soll entgegen dem Uhrzeigersinn umlaufen. Die Sonne ist so schwer, dass wir sie als ortsfest annehmen können. Den Einfluss weiterer Planeten auf die Bahn wollen wir vernachlässigen. Dann ist die Energie des Planeten (Masse m) gegeben durch Etot D

1 2 mv C Epot .r/ 2

Die potenzielle Energie Epot resultiert aus der Anziehungskraft der Sonne auf den Planeten. Sie hängt ausschließlich vom Abstand des Planeten von der Sonne, nicht aber vom Polarwinkel

11

212

Kapitel 11  Himmelsmechanik

ab. In kartesischen Koordinaten wäre v 2 D vx2 C vy2 , wir wollen hier aber Polarkoordinaten benutzen. Dann gilt v 2 D vr2 C v'2 , und der Geschwindigmit der Radialgeschwindigkeit vr D dr dt . Also ist keitskomponente senkrecht dazu v' D r! D r d' dt 1 m.vr2 C v'2 / C Epot .r/ 2  2  2 ! dr 1 2 d' Cr C Epot .r/ D m 2 dt dt

Etot D

E D rE  mE In Gl. 11.2 hatten wir den Drehimpuls eingeführt als L v. Wegen des Kreuzproduktes trägt nur die Geschwindigkeitskomponente senkrecht zu rE bei, also v' . Dem Betrage nach ist L D mrv' D mr 2

d' L d' ) D dt dt mr 2

Dies ergibt Etot D

11

 2 dr 1 L2 m C C Epot .r/ 2 dt 2mr 2

Nach dem zweiten Kepler’schen Gesetz ist der Drehimpuls L eine Konstante. Der mittlere Term hängt damit nur vom Abstand r von der Sonne ab. Er ähnelt dem Term der potenziellen Energie. Man nennt diesen Term daher ein Potenzial, auch wenn das streng genommen nicht ganz korrekt ist. Er heißt „Zentrifugalpotenzial“. Man fasst ihn mit der potenziellen Energie zu einem effektiven Potenzial zusammen:  2 dr 1 C Eeff .r/ Etot D m 2 dt

mit

Eeff .r/ D

L2 C Epot .r/ 2mr 2

Betrachten Sie nun die Gleichung noch einmal genau. Was haben wir erreicht? Die Planetenbewegung ist zweidimensional, aber die Energiebilanz enthält nur noch die Koordinate r. Wir haben das Problem auf eine Dimension reduziert. Das wird die Berechnung, mit der wir uns erst befassen können, wenn wir Epot .r/ angeben können, erheblich erleichtern. Wie ist uns dies gelungen? Bei festem Drehimpuls ist die Umlaufgeschwindigkeit durch den Radius festgelegt. Rückt der Planet näher an die Sonne heran, so muss er sich schneller drehen, um den Bahndrehimpuls aufrechtzuhalten, und wenn er sich von der Sonne entfernt, entsprechend langsamer. Dies haben wir ausgenutzt, um die kinetische Energie, die in der Rotation steckt, durch den Abstand r auszudrücken und haben dadurch den Polarwinkel eliminiert.

213 11.2  Das zweite und dritte Kepler’sche Gesetz

Die Abbildung zeigt den Verlauf des effektiven Potenzials. Es steigt zu kleinen Abständen hin stark an, da dort die Rotationsgeschwindigkeit stark zunimmt. Ferner eingetragen ist die Gesamtenergie eines Planeten auf einer Ellipsenbahn, die aufgrund der Energieerhaltung konstant sein muss. Die Linie wird durch die Punkte begrenzt, an denen das effektive Potenzial den Wert der gesamten Energie erreicht. Innerhalb dieses Bereiches hat der Planet eine positive kinetische Energie in der Radialbewegung, außerhalb dieser Punkte müsste sie negativ sein, was nicht möglich ist. Dort kann sich der Planet nicht aufhalten. Die beiden Punkte markieren den Abstand des Planeten zur Sonne im Perihel und im Aphel. Ist die Gesamtenergie kleiner als null, ergeben sich Ellipsenbahnen, bei positiven Energien Hyperbeln. An der Grenze bei Etot D 0 ist die Bahn parabolisch. Hyperbolische (und parabolische) Bahnen treten beispielsweise bei aperiodischen Kometen auf. Sie sind nicht gebunden. Der Himmelskörper kann sich von der Sonne unendlich weit wegbewegen. Bei den gebundenen Bahnen (Ellipsen) lässt sich noch eine andere Tendenz ablesen: Je geringer (negativer) die Gesamtenergie, desto mehr nähern sich die Bahnradien in Perihel und Aphel an. Die Exzentrizität der Ellipsen nimmt ab, bis sie schließlich im Minimum des effektiven Potenzials gleich sind. Dann läuft der Planet auf einer Kreisbahn um.

Beispiel 11.3: Planetenbahnen Teil 2: Mitbewegung der Sonne

In Keplers erstem Gesetz wird ausgesagt, dass die Sonne in einem der beiden Brennpunkte der Bahnellipsen ruht. Dies ist streng genommen nicht korrekt. Betrachtet man die Sonne und einen ihrer Planeten und vernachlässigt man die Kräfte der anderen Planeten, so wirken auf Sonne und Planet von außen keine Kräfte. Ihr Schwerpunkt ruht, bzw. bewegt sich gleichförmig

11

214

Kapitel 11  Himmelsmechanik

durchs Universum (Schwerpunktsatz). Der Planet, aber auch die Sonne bewegen sich auf Ellipsenbahnen um den im Brennpunkt ruhenden Schwerpunkt. Allerdings sind die Halbachsen der Sonnenbahn sehr viel kleiner als die Halbachsen der Planetenbahnen, sodass Kepler die Mitbewegung der Sonne nicht aufgefallen ist. Wir wollen zeigen, wie man sie berücksichtigen kann.

Wir hatten mit r den Abstand zwischen Planet und Sonne bezeichnet. Ferner sei rE1 der Vektor vom Brennpunkt zum Planeten und rE2 der entsprechende Vektor der Sonne. Dann ist r D r1 C r2 . In Bezug auf den Schwerpunkt muss ferner gelten mr1 D M r2 . Aus den beiden Beziehungen folgt

11

r1 D

M r mCM

r2 D

m r mCM

Betrachten wir nun noch einmal die totale Energie aus 7 Beispiel 11.2, wobei wir nun die Energie von Planet und Sonne berücksichtigen müssen: 1 2 1 mv C M v22 C Epot .r/ 2 1 2    2 ! dr1 2 1 2 d' C r1 D m 2 dt dt   2 2 ! dr2 1 2 d' C r2 C M C Epot .r/ 2 dt dt

Etot D

Beachten Sie, dass die Winkelgeschwindigkeiten d' für Planet dt und Sonne gleich sind, da sie immer einander gegenüberstehen. Wir untersuchen die Terme einzeln und beginnen mit den Radialgeschwindigkeiten:     dr1 2 1 dr2 2 1 m C M 2 dt 2 dt  2  2 2 M m2 1 1 dr dr M D m C 2 .m C M /2 dt 2 .m C M /2 dt

215 11.2  Das zweite und dritte Kepler’sche Gesetz

    1 mM 2 C M m2 dr 2 1 mM.m C M / dr 2 D D 2 .m C M /2 dt 2 .m C M /2 dt  2 1 mM dr D 2 m C M dt Für die Winkelgeschwindigkeiten ergibt sich     1 2 d' 2 1 d' 2 mr1 C M r22 2 dt 2 dt   2  1 m2 d' M2 D C M r2 m 2 2 2 dt .m C M / .m C M /  2 1 mM 2 d' r D 2mCM dt Unverändert bleibt die potenzielle Energie Epot .r/, die alleine vom Abstand Sonne-Planet, nicht aber vom Schwerpunkt abhängt. Damit haben wir r1 und r2 eliminiert und alle Terme auf r transformiert. Wir führen noch eine Größe m0 ein, die man die „reduzierte Masse“ nennt m0 D

mM mCM

Wir setzen alles in die Energiebilanz ein und erhalten 1 2 1 mv C M v22 C Epot .r/ 2 1 2  2  2 ! dr 1 0 2 d' D m Cr C Epot .r/ 2 dt dt

Etot D

Dies ist exakt dieselbe Relation, von der wir 7 Beispiel 11.2 ausgegangen sind, nur dass die Masse des Planeten durch die reduzierte Masse ersetzt wurde. Wir haben das Zweikörperproblem auf ein Einkörperproblem reduziert. Mit der reduzierten Masse rechnen wir zunächst die Bewegung in r aus und bestimmen dann M m r und r2 D mCM r die Bewegung von Sonne und mit r1 D mCM Planet. Wegen der großen Masse der Sonne ist die Korrektur gering. Für die Bewegung der Erde um die Sonne ergibt sich ungefähr m0 D .1  3  106 /mL und die Halbachsen der Sonnenbahn sind um denselben Faktor 3  106 kleiner als die der Erde. Die Mitbewegung der Sonne hat allerdings eine Bedeutung, falls man beispielsweise den Einfluss der anderen Planeten auf die Erdbahn berücksichtigen möchte. Auch die anderen Planeten bewegen die Sonne und damit indirekt den Schwerpunkt der Erdbahn.

11

216

Kapitel 11  Himmelsmechanik

Das dritte Kepler’sche Gesetz macht schließlich eine Aussage über die Umlaufzeit der Planeten. Wie in . Tab. 11.1 zu sehen, nimmt die Umlaufzeit mit steigendem Abstand von der Sonne zu. Keplers drittes Gesetz quantifiziert dies: >3. Kepler’sches Gesetz Die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten verhalten sich wie die dritten Potenzen der großen Halbachsen.

In einer Gleichung ausgedrückt bedeutet dies: 2 TPlanet D konst. 3 aPlanet

(11.3)

Ein Blick in . Tab. 11.1 (letzte Spalte) zeigt, dass diese Beziehung in unserem Sonnensystem tatsächlich sehr gut erfüllt ist. Beispiel 11.4: Trojaner

11

Zu unserem Sonnensystem gehört neben den Planeten auch eine große Zahl kleinerer Himmelskörper, die Asteroiden. Die Trojaner sind eine Gruppe solcher Asteroiden, die die Sonne im selben Abstand wie der Jupiter umkreisen. Nach dem dritten Kepler’schen Gesetz ist die Umlaufzeit unabhängig von der Masse des Himmelskörpers. Tatsächlich kreisen die Trojaner mit derselben Geschwindigkeit, wie der um viele Größenordnungen schwerere Jupiter. Daher kommen sie sich nicht in die Quere.

217 11.3  Das Gravitationsgesetz

Zum Schluss sei noch bemerkt, dass Planetenbahnen tatsächlich komplizierter sind. Dies liegt daran, dass die Sonne nicht im Brennpunkt ruht, sondern genau genommen der gemeinsame Schwerpunkt von Sonne und Planet im Brennpunkt liegt. Die Sonne umkreist diesen wie der Planet auf einer Ellipse, nur mit viel kleinerer Halbachse. Da es aber mehr als einen Planeten gibt, führt dies zu einer komplizierten Bewegung der Sonne, die sich wiederum auf die Planetenbahnen auswirkt. Außerdem sind die Anziehungskräfte zwischen den Planeten nicht gänzlich vernachlässigbar. Beispiel 11.5: Bestimmung der Masse des Zentralgestirns

Das dritte Kepler’sche Gesetz bietet eine Möglichkeit, die Masse eines Zentralgestirns aus den Daten des umlaufenden Himmelskörpers zu berechnen. Wir greifen hier ein wenig vor, indem wir den Wert der Konstanten im dritten Kepler’schen Gesetz angeben. Wir werden ihn weiter unten noch bestimmen, 4 2 T2 D a3 MG wobei M die Masse des Zentralgestirns und G die Gravitationskonstante ist. Hat man durch astronomische Beobachtungen die Bewegung eines Körpers um ein Zentralgestirn erfasst (z. B. eines Mondes um einen Planeten oder eines Planeten um seine Sonne), kann man mit dem dritten Kepler’schen Gesetz die Masse des Zentralgestirns berechnen. Als Beispiel ermitteln wir die Sonnenmasse MJ aus dem Abstand der Erde von der Sonne und der Länge eines Jahres: MJ D

4 2 a3 4 2 D 2 G T 6;674  1011

m3 kg s

.1;496  1011 m/3 .365;62  24  3600 s/2

D 1;984  1030 kg

11.3

Das Gravitationsgesetz

Von der Antike bis zu Newton war die Welt unterteilt in irdische und himmlische Sphären. Die himmlischen Sphären galten als göttlich vollkommen. Sie unterlagen nicht den Gesetzen der irdischen Welt. Es gehört zu den ganz großen Leistungen Newtons zu erkennen, dass sowohl die irdische als auch die himmlische Physik auf derselben Basis ruht. Newton erkannte, dass dieselben Naturgesetze, die den Fall eines Apfels vom Baum bewirken,

11

218

Kapitel 11  Himmelsmechanik

. Abb. 11.7 Illustration aus Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica

11

auch die Bewegung des Mondes um die Erde und die der Planeten um die Sonne bestimmen. Er hat sich dies mit einem einfachen Gedankenexperiment erklärt, das er in seinem Hauptwerk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica mit der Skizze aus . Abb. 11.7 illustriert hat. Er hat sich vorgestellt, jemand steht auf einem hohen Berg (V). Wirft er einen Stein vom Berg, so wird dieser bei (D) landen. Wirft er ihn schneller, wird der Stein weiter fliegen, vielleicht bis (E). Newton schreibt dazu: „Ein Stein, den man mit immer größere Geschwindigkeit von einer Bergspitze wirft, wird schließlich nicht mehr auf dem Erdboden landen, sondern die Erde ‚umfallen‘. In diesem Sinn ‚umfällt‘ auch der Mond die Erde.“ Einer Anekdote zu Folge, soll ihm diese Idee gekommen sein, als er unter einem Apfelbaum saß und beobachtete, wie ein Apfel zu Boden fiel. Hat man erst einmal akzeptiert, dass Newtons Axiome auch für die Bewegung der Planeten gelten, so kann man mit ihnen die Planetenbewegung berechnen. Allerdings muss man dazu die Kraft kennen, die die Planeten an die Sonne bindet, die Gravitationskraft. Es dürfte nicht überraschen, dass das Gravitationsgesetz bereits in den Kepler’schen Gesetzen enthalten ist. Wir wollen es daraus ableiten. Auch Newton hat es aus den Kepler’schen Gesetzen gewonnen. Aus dem ersten Kepler’schen Gesetz (Ellipsenbahnen) folgt, dass es sich bei der Gravitation um eine Zentralkraft handeln

219 11.3  Das Gravitationsgesetz

muss. Sofort einleuchtend ist dies für den Spezialfall einer Kreisbahn. Für diesen Spezialfall haben wir bereits mehrfach gesehen, dass die Zentripetalkraft zum Mittelpunkt des Kreises zeigt, also auf die Sonne zu. In einer Gleichung ausgedrückt kann man schreiben FEGrav .r/ D f .r/eOr

(11.4)

wobei eOr ein Einheitsvektor vom Planeten zur Sonne ist. Vom Fallgesetz wissen wir, dass die Gewichtskraft proportional zur Masse des fallenden Körpers sein muss. Die Reactio auf die Erde muss von derselben Größe sein. Dies macht aber nur Sinn, wenn wir davon ausgehen, dass die Gravitationskraft proportional zur Masse beider beteiligter Objekte ist. Sie hat also die Form FEGrav .r/ D Gm1 m2 g.r/eOr

(11.5)

Wir haben eine Proportionalitätskonstante G eingeführt. Sie heißt Gravitationskonstante. Es ist eine Naturkonstante, die die Stärke der Gravitationskraft bestimmt. Den Wert der Gravitationskonstanten muss man in Experimenten bestimmen. Wir wollen dies weiter unten noch besprechen. Sie ergibt sich zu G D .6;67384 ˙ 0;00080/1011

m3 kg s2

(11.6)

Die Funktion g.r/ beschreibt die Abhängigkeit der Gravitationskraft vom Abstand zwischen den beiden Körpern. Sie lässt sich für die Planetenbewegung aus dem dritten Kepler’schen Gesetz bestimmen. Die Gravitationskraft wirkt in der Planetenbewegung als Zentripetalkraft. Diese hat – wie wir bereits wissen – die Größe m! 2 r. Also muss gelten GmPlanet mSonne g.r/ D mPlanet ! 2 r

(11.7)

Nun ist aber die Winkelgeschwindigkeit umgekehrt proportional zur Umlaufzeit !  1=T und diese nach dem Kepler’schen Gesetz mit der großen Halbachse verknüpft ! 2  T 2  r 3 . Es folgt damit aus Gl. 11.7 g.r/  r 2 . Für das Gravitationsgesetz ergibt sich somit: >Gravitationsgesetz m1 m2 FEGrav .Er / D G 2 eOr r

11

220

Kapitel 11  Himmelsmechanik

Beispiel 11.6: Gravitation eines rotationssymmetrischen Sterns

In der Regel approximieren wir die Gravitationswirkung eines ausgedehnten Sterns durch die einer Punktmasse. Wir wollen zeigen, warum dies selbst in dessen unmittelbarer Nähe eine gute Näherung ist. Es wird sich herausstellen, dass die Gravitation des Sterns sogar identisch mit der einer Punktmasse ist, sofern der Stern rotationssymmetrisch aufgebaut ist. Wir berechnen die Gravitationskraft auf eine Masse m1 , die sich im Abstand r vom Stern mit Radius R und Masse m2 befindet (r > R/. Wir wählen ein Koordinatensystem mit dem Ursprung im Zentrum des Sterns und drehen die Achsen so, dass die Masse m1 auf der z-Achse liegt (siehe Skizze).

11

Wir bezeichnen die Massenverteilung des Sterns mit .r 0 / und erkennen die Rotationssymmetrie des Sterns daran, dass die Massenverteilung nur vom Betrag des Vektors rE0 abhängt. Aus Symmetriegründen muss die Gravitationskraft entlang der z-Achse weisen. Es genügt, für jedes Massenelement d m2 des Sterns die Projektion der Gewichtskraft auf die z-Achse zu berücksichtigen: Z ˇ ˇ ˇ ˇ FEG D Fr eOz D ˇd FEG ˇ cos : Den Winkel können wir aus der Skizze ablesen. Es ist: cos D

r  r 0 cos ˇ ˇ : ˇrE  rE0 ˇ

ˇ ˇ q 2 Der Abstand ˇrE  rE0 ˇ D rE  rE0 zwischen m1 und d m2 lässt sich durch ˇ ˇ ˇrE  rE0 ˇ2 D r 2 C r 0 2  2rr 0 cos ausdrücken. Dies alles eingesetzt ergibt ZR Z Z2 Fr D G m1 0

0

0

ZR Z D 2 G m1 0

0

.r 0 / cos 02 0 ˇ ˇ d' sin d r dr ˇrE  rE0 ˇ2 .r 0 / .r  r 0 cos / 02 0  3=2 sin d r dr ; 02 2 0 r C r  2rr cos

wobei wir im zweiten Schritt bereits die Integration über d' ausgeführt haben. Sie ergibt einen Faktor 2. Um das nächste

221 11.3  Das Gravitationsgesetz

Integral zu lösen, substituieren wir x D cos , dx D  sin d und erhalten: ZR ZC1 Fr D 2 G m1 0 1

.r 0 / .r  r 0 x/ 02 0  3=2 dxr dr : 02 2 0 r C r  2rr x

Dieses Integral lässt sich durch eine zweite Substitution noch weiter vereinfachen. Wir setzen y D r  r 0 x, dy D r 0 dx und erhalten: ZR rCr Z 0 Fr D 2 G m1 0 rr 0

.r 0 / y 0 0 3=2 dyr dr :  0 2 2 r  r C 2ry

Die Lösung dieses Integrals finden wir in Tabellenwerken. Es ergibt sich: ZR Fr D 2 G m1

  2 ¡ r0 4 r2

0

2 3rCr 0 02  0  12 2 r  r 2 2 5  4 r  r C 2ry C  r 0 dr 0  12 02 2 r  r C 2ry rr 0 ZR

  2  0 2r C 2r 0 r 0 dr 0 ¡ r0 4 r2 0 0 1 ZR  0 02 0 m1 @ D G 2 4 ¡ r r dr A: r D 2 G m1

0

Der Term in der letzten Klammer ergibt aber nichts anderes als die Masse m2 des Sterns. Damit erhalten wir als Ergebnis: m1 m2 FEG D G eOz ; r2 was trotz der Ausdehnung des Sterns der Kraft einer Punktmasse m2 entspricht.

Beispiel 11.7: Das Gravitationsfeld im Inneren eines Sterns

Nachdem wir in 7 Beispiel 11.6 die Gravitationskraft eines rotationssymmetrischen Sterns auf eine äußere Masse bestimmt haben, wollen wir uns nun die Frage stellen, wie sich die Kraft verändert, wenn sich die Masse m0 im Inneren des Sterns befindet. Der Stern habe die Masse M und den Radius R. Die Masse m0 befindet sich in einem Abstand r vom Mittelpunkt

11

222

Kapitel 11  Himmelsmechanik

des Sterns. Nun ist r < R. Wir unterteilen den Stern in konzentrische Massenschalen und betrachten zunächst die äußeren Schalen, d. h. solche mit einem Radius r 0 > r. Auf die Masse m0 wirken Kräfte von dieser Massenschale, die in unterschiedliche Richtungen weisen. Zu jeder Kraft gibt es eine entsprechende Kraft aus der Gegenrichtung. Ein Paar FE1 , FE2 solcher Kräfte ist in der Skizze eingetragen. Wir wollen zeigen, dass die beiden Kräfte gleich groß sind und sich somit zu null addieren. Da wir keine Annahme über die Richtung des Paars gemacht haben, würde dies für alle Paare gelten, und wir kämen zu der Schlussfolgerung, dass eine äußere Massenschale keine resultierende Kraft auf die Masse m0 ausübt. Wir betrachten die Flächenelemente dA1 und dA2 , die von m0 aus gesehen denselben Raumwinkel auf der Kugelschale abdecken. In unserem Beispiel ist dA1 größer als dA2 , was FE1 vergrößert, aber der Abstand r1 von dA1 zur Masse m1 ist auch größer als der Abstand r2 von dA2 , was FE1 verringert. Es ist:   d m1 D r 0 dr 0 dA1   d m2 D r 0 dr 0 dA2

11

wobei dr 0 die Dicke der Kugelschale ist. Die beiden Kräfte sind: ˇ ˇ   dA1 m0 d m1 ˇEˇ D G m0 r 0 dr 0 2 ˇ F1 ˇ D G r12 r1 ˇ ˇ   m d m dA ˇEˇ 0 2 2 D G m0 r 0 dr 0 2 ˇ F2 ˇ D G r22 r2 Nach dem Strahlensatz gilt aber dA2 dA1 D 2 ; r12 r2 was zeigt, dass die Kräfte gleich groß sind und die äußeren Kugelschalen damit keine Kraft auf die Masse m0 ausüben. Betrachten wir nun die inneren Kugelschalen, d. h. die Kugelschalen mit r 0 < r. Hier können wir auf die Argumente von 7 Beispiel 11.6 zurückgreifen, denn die Masse m0 liegt außerhalb dieser Kugelschalen. Die Kraft der inneren Kugelschalen entspricht der Kraft eines Massenpunktes gleicher Masse, der im Mittelpunkt M des Sterns liegt. Die Gravitationskraft FE0 des Sterns auf die Masse m0 in seinem Inneren ist: m0 mr eOr ; FE0 D G r2 wobei mr die Masse angibt, die sich innerhalb des Radius r befindet: Zr   0 r 0 r 2 dr 0 : mr D 4 0

223 11.3  Das Gravitationsgesetz

Im Falle eines Sterns mit homogener Dichte ergibt sich mr D 4  r 3 , was auf eine Kraft FE0 führt, die linear mit dem Abstand 3 r vom Zentrum des Sterns anwächst.

11.3.1

Messung der Gravitationskonstanten

Die Gravitation ist in der Lage, die Erde mit ihrer riesigen Masse auf ihrer Umlaufbahn zu halten, doch dafür braucht es einen Himmelskörper mit noch mehr Masse: die Sonne. Für Massen, die im Labor verfügbar sind, ist die Gravitationskraft sehr schwach. Zwischen zwei Gewichten von m D 1 kg, die sich in einem Abstand von r D 10 cm voneinander befinden, wirkt nur eine winzige Gewichtskraft von 6;67  109 N. Das macht die Messung der Gravitationskonstanten so schwierig. Geringste Störungen aus der Umgebung beeinflussen die Messung. Obwohl sie die erste Naturkonstante ist, die entdeckt wurde, ist sie auch heute noch eine der am wenigsten genau gemessenen. Wir wollen die Messung der Gravitationskonstanten mit der Gravitationswaage, die auf die ersten Messungen von Henry Cavendish (1797) zurückgeht (. Abb. 11.8), besprechen. Das Verfahren wurde von Loránd Eötvös später perfektioniert. Mit der Gravitationswaage wird die Anziehungskraft zwischen Metallkugeln gemessen. Die Kugeln befinden sich in geringem Abstand, um eine möglichst große Gravitationskraft zu erzeugen. Die großen Kugeln (siehe . Abb. 11.9) sind wäh-

. Abb. 11.8 Skizze von Cavendish’s Apparatur aus seiner Publikation „Experiments to determine the Density of the Earth“ von 1798

11

224

Kapitel 11  Himmelsmechanik

. Abb. 11.9 Schematischer Aufbau einer Gravitationswaage

rend der Messung fest. Die kleinen Kugeln hängen an einem dünnen Metalldraht, durch dessen Verdrillung um den Winkel ' eine Rückstellkraft entsteht. Die Gravitationskraft zwischen den Kugeln ist

11

FG D 2G

mM ; r2

(11.8)

wobei der Faktor 2 daher rührt, dass es zwei Paare von Kugeln sind. Mit dieser Kraft werden die kleinen Kugeln von den großen Kugeln angezogen. Die Kraft, die die jeweils gegenüberliegende Kugel ausübt, wird vernachlässigt. Eine Messung ist in 7 Experiment 11.1 gezeigt. Auf ein weiteres Auswerteverfahren kommen wir in 7 Abschn. 14.4 zurück. Experiment 11.1: Gravitationswaage

Die Abbildung zeigt eine Gravitationswaage, die an der Betonwand des Hörsaals fest verankert ist. Der Torsionsfaden befindet sich in einem Rohr, an dessen unterem Ende sich ein Gehäuse mit zwei Glasplatten anschließt. Darin befinden sich der Spiegel und der Balken mit den beiden kleinen Kugeln. Das Gehäuse schirmt die Bewegung der kleinen Kugeln von Luftströmungen und anderen Umwelteinflüssen ab. Zunächst werden die großen Kugeln wie in der Abbildung zu sehen möglichst nahe an die kleinen Kugeln herangebracht. Man gibt der Apparatur Zeit, die Ruhelage zu finden. Dies dauert einige Stunden. Danach dreht man die großen Kugeln in die entgegengesetzte Position nahe an der jeweils anderen kleinen

225 11.3  Das Gravitationsgesetz

Kugel und beobachtet die Bewegung über Laser und Spiegel. Die kleinen Kugeln „fallen“ zunächst beschleunigt auf die großen zu, bis durch die zunehmende Kraft des Torsionsfadens eine gedämpfte Schwingung entsteht, um einen Nullpunkt, der durch die Gravitationskraft gegenüber der ursprünglichen Ruhelage verschoben ist.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Messung auszuwerten. Hier sei die relativ einfache Beschleunigungsmethode, die nur die anfängliche Bewegung nutzt, dargestellt. Zu Beginn der Bewegung ist die Geschwindigkeit noch klein, und die Veränderung der Kräfte mit der Auslenkung kann vernachlässigt werden. In der ursprünglichen Ruhelage kompensiert die Torsionskraft des Fadens die Gravitationskraft der Kugeln. Es ist mM r2 Nachdem die großen Kugeln in die gegenüberliegende Position gebracht sind, wirkt die Gravitationskraft in die umgekehrte Richtung. Torsionskraft und Gravitationskraft addieren sich. Nun „fallen“ die kleinen Kugeln mit zunächst konstanter Beschleunigung auf die großen zu. Es ist Ftors D 2G

mM r2 Nun zeichnet man die Bewegung auf und kann aus der Beschleunigung die Gravitationskonstante G ermitteln. Die Abbildung zeigt eine Messung über einen längeren Zeitraum. An die anfänglichen Messpunkte ist eine Parabel angepasst, wie man sie aus der Beschleunigungsmethode erwarten würde. Bei den ersten Messpunkten ist die Anpassung sehr gut. Ferner ist eine harmonische, 2ma D FG C Ftors D 4G

11

226

Kapitel 11  Himmelsmechanik

gedämpfte Schwingung an die Messpunkte des gesamten Messintervalls angepasst. Man beachte allerdings, dass es sich hier um eine anharmonische Schwingung handelt, was zu systematischen Abweichungen der Anpassung von den Messpunkten führt.

11

Übrigens ist es durchaus möglich, dieses Experiment mit einfachen Mitteln selbst durchzuführen. Versuchen Sie es! Anleitungen finden Sie im web, z. B. hier: 7 https://www.fourmilab.ch/ gravitation/foobar/.

Die Experimente zur Messung der Gravitationskonstante wurden sukzessive verbessert. . Abb. 11.10 zeigt eine Apparatur mit der eine internationale Forschergruppe am Bureau International des Poids et Mesures 2001 eine präzise Messung publiziert hat. Das Experiment trägt den Namen „Big G“. In diesem Experiment werden statt der Paare von Kugeln jeweils vier Zylinder benutzt. Die äußeren großen Zylinder sind in der Abbildung gut zu erkennen. Das Drehmoment, das von störenden Massen außerhalb der Apparatur auf die inneren, kleinen Massen ausgeübt wird, fällt bei einer Apparatur mit zwei Massen wie 1=r 3 ab, bei vier Massen hingegen wie 1=r 5. Dies reduziert den störenden Einfluss dieser Massen deutlich. Die Apparatur wird während der Messung evakuiert. Sie ist auf einem Koordinatenmessgerät aufgebaut, welches die Vermessung der mechanischen Dimensionen der Apparatur mit Mikrometerpräzision erlaubt. Als Ergebnis ergab sich G D 3 6;667559.67/  1011 kgms2 , eine Genauigkeit von 41 ppm. Das National Institute of Standards and Technology der USA veröffentlicht regelmäßig eine Zusammenfassung der Messungen

227 11.3  Das Gravitationsgesetz

. Abb. 11.10 Die Gravitationswaage des ‚Big G‘-Experimentes am Bureau International des Poids et Mesures in Sèvres bei Paris. © Bureau International des Poids et Mésures

und bestimmt daraus einen empfohlenen Wert für G. Der empfohlene Wert ist in Gl. 11.6 angegeben. Er setzt sich aus 11 Messungen zusammen, die in . Tab. 11.2 zusammengefasst sind. Wie

. Tab. 11.2 Messungen der Gravitationskonstanten G G in 1011

Unsicherheit m3

kg s2

in ppm

Luther and Towler (1982)

6,67248(43)

64

Karagioz and Izmailov (1996)

6,6729(5)

75

Baglay and Luther (1997)

6,67398(70)

100

Gundlach und Merkowitz (2000)

6,674255(92)

14

Quinn et al. (2001)

6,67559(27)

40

Kleinvoß et al. (2002)

6,67422(98)

150

Armstrong and Fitzgerald (2003)

6,67387(27)

40

Hu, Guo and Luo (2005)

6,67228(87)

130

Schlamminger et al. (2006)

6,67425(12)

19

Luo et al. (2010)

6,67349(18)

27

6,67260(25)

37

Parks and Faller (2010)

a

a Die Autoren dieser Messung haben nach dem Druck unserer ersten Auflage einen Fehler in der Auswertung ihrer Messung gefunden und mussten ihr Ergebnis korrigieren: Siehe H. Parks, J. Faller, Physical Review Letters, 122 (2019) 199901.

11

228

Kapitel 11  Himmelsmechanik

man sieht, sind heute deutlich verbesserte Genauigkeiten möglich, allerdings zeigt die Tabelle auch Unstimmigkeiten zwischen den Messungen. Beispielsweise unterscheiden sich die beiden ge3 nausten Messungen um 0;0019  1011 kgms2 bei Fehlern kleiner als 0;0002  1011 sind. 11.3.2

m3 , kg s2

ein Indiz, wie schwierig diese Messungen

Gravitation an der Erdoberfläche

Die Gewichtskraft, die Körper an der Erdoberfläche erfahren, ist eine Folge der Gravitationskraft der Erde. Wir wollen die Gewichtskraft eines Körpers der Masse m berechnen (mL ist die Masse der Erde, rL ihr Radius): FG D mg D G

mmL GmL GmL D m ) g D 2 2 2 rL rL rL

(11.9)

Setzen wir Masse und Durchmesser (Äquator) der Erde ein, ergibt sich gD

11

m3 5;974  kg s2 .12 756 km=2/2

6;674  1011

1024 kg

D 9;801

m s2

(11.10)

Wie man aus dem Gravitationsgesetz sieht, ist die Gewichtskraft an der Erdoberfläche nicht konstant. Mit zunehmender Höhe nimmt sie ab. Inwiefern ist dann die einfache Formel F D mg gerechtfertigt? Wir untersuchen diese Frage, indem wir das Gravitationsgesetz für Radien nahe des Erdradius’ nähern. Wir setzen für den Abstand eines Körpers vom Zentrum der Erde r D rL Ch, wobei h die Höhe über dem Erdradius angibt, und entwickeln das Gravitationsgesetz in einer Taylor-Reihe erster Ordnung: d h mmL i h C::: G 2 FG .rL C h/ D FG .rL / C dr r rDrL

mmL L h C::: D FG .r / C 2G 3 r rDrL ! mmL h L D FG .r /  2 L G 2 C::: r rL   h (11.11) D FG .rL /  1  2 L C : : : r In einer Höhe von 1 km reduziert sich beispielsweise die Gravitationskraft um 0,03 %. Solange solche Abweichungen vernachlässigbar sind, kann man F D mg verwenden.

229 11.3  Das Gravitationsgesetz

Näherungen In der gerade durchgeführten Rechnung bestimmten wir die Gewichtskraft auf einen Körper an der Erdoberfläche näherungsweise. Solche Näherungsverfahren sind äußerst wichtig für die Physik. Sie vereinfachen die Berechnung eines Ergebnisses und machen es in vielen Fällen erst möglich, ein Ergebnis zu erhalten. Dabei sind genäherte Ergebnisse nicht weniger wert als exakte. Beachten Sie, dass in jeder Berechnung eines realen Prozesses bereits im Ansatz Näherungen eingehen müssen. Es gibt immer irgendwelche Effekte, die Sie vernachlässigen. Bevor Sie überhaupt anfangen zu rechnen, müssen Sie sich klar darüber werden, welche Genauigkeit Sie erreichen wollen. Machen Sie dann im Laufe der Berechnung Näherungen, so ist dies keine Beeinträchtigung, sofern die Näherungen die angestrebte Genauigkeit nicht beeinträchtigen.

Beispiel 11.8: Ebbe und Flut

Auch der Mond übt eine Gewichtskraft auf Objekte auf der Erde aus, auch auf das Wasser in den Ozeanen. Diese Gewichtskraft M , wobei MM die Masse unseres Mondes ist und ist FM D G mM 2 rM rM der Abstand zwischen Erde und Mond (Abstand der Mittelpunkte). Die Größe m bezeichnet die Masse des Objektes auf der Erde. Allerdings befindet sich das Wasser nicht im Zentrum der Erde, sondern an deren Oberfläche (Radius der Erde RE , Masse ME ). Je nachdem, ob das Wasser sich auf der dem Mond zugewandten oder abgewandten Seite befindet, unterscheidet sich die vom Mond erzeugte Fallbeschleunigung um ˙aM D G

DG

MM MM G 2 2 .rM RE / rM 0 1 MM B 2 @ rM

D ˙2g

1 1

RE rM

MM RE C 2  1A  ˙G 2  2 rM rM

3 MM RE 3 ME rM

Setzt man Werte ein, so findet man, dass die durch den Mond verursachte Fallbeschleunigung etwa 107 g beträgt. Oder anders ausgedrückt, das Gewicht einer Person mit 100 kg ändert sich um 10 mg. Die Oberfläche der Ozeane passt sich so an, dass die Gesamtbeschleunigung an der Oberfläche des Wassers überall gleich ist.

11

230

Kapitel 11  Himmelsmechanik

Hieraus lässt sich der Tidenhub d bestimmen. G

ME ˙ aG D g .RE ˙ d /2 1 D g aG g .1 ˙ RdE /2 s 1 d 1 aG 1˙ D 1˙ RE 1 agG 2 g d D˙

1 aG RE 2 g

Die Abschätzung ergibt einen Tidenhub von ˙30 cm. Dies ist der Tidenhub auf dem offenen Ozean. Der Tidenhub an der Küste ist durch Strömungseffekte in der Regel deutlich höher.

Beispiel 11.9: Trojaner, Teil 2

11

In 7 Beispiel 11.4 hatten wir die Trojaner auf dem Jupiterorbit vorgestellt. Wir hatten argumentiert, dass sie dort stabil stehen, da sie aufgrund des dritten Kepler’schen Gesetzes dieselben Umlaufzeiten wie der Jupiter selbst haben. Doch dies ist nicht ganz richtig. Ist Ihnen aufgefallen, dass nur auf bestimmten Positionen des Jupiterorbits Asteroiden stehen? Das dritte Kepler’sche Gesetz geht davon aus, dass alleine die Gravitationskraft des Zentralgestirns (der Sonne) auf die umlaufenden Himmelskörper wirkt. Doch die Asteroiden auf dem Jupiterorbit spüren sicherlich neben der Anziehungskraft der Sonne die des Jupiters. Und in der Tat hat diese Kraft dazu geführt, dass die Asteroiden von manchen Positionen verschwunden sind. Sie sind auf den Jupiter gestürzt. Doch warum gibt es angesichts der Anziehungskraft des Jupiters überhaupt stabile Positionen für Asteroiden auf der Jupiterbahn? Dies liegt wesentlich an der Mitbewegung der Sonne. Weder der Jupiter noch die Asteroiden kreisen um die Sonne. Sie kreisen um den gemeinsamen Schwerpunkt von Sonne und Jupiter (den Beitrag der Asteroiden zum Schwerpunkt können wir vernachlässigen). Die Kräfteverhältnisse sind in der Abbildung dargestellt. Sie zeigt die Position in einem Koordinatensystem, das mit Sonne und Jupiter um deren Schwerpunkt S rotiert. In diesem System sind alle Objekte ortsfest. Die Sonne steht links vom Schwerpunkt im Abstand rS , der Jupiter rechts im Abstand rJ . Unten in der Skizze ist ein Asteroid platziert. Eingezeichnet sind die Gravitationskräfte FES und FEJ , die

231 11.3  Das Gravitationsgesetz

Sonne und Jupiter auf den Asteroiden ausüben. Ferner müssen wir die Zentrifugalkraft FEZ berücksichtigen, da es sich um ein beschleunigtes (rotierendes) Bezugssystem handelt. Die Gravitationskräfte zeigen auf Sonne bzw. Jupiter, die Zentrifugalkraft geht vom Schwerpunkt aus, um den das ganze System rotiert.

Die Kräfte sind rechts in der Skizze noch einmal im Kräfteparallelogramm dargestellt. Es muss gelten 8 S ˆ jFE j D G mM ˆ dS2 < S J FES C FEJ C FEZ D 0 mit jFEJ j D G mM dJ2 ˆ ˆ :jFE j D m! 2 d Z

Die Rotationsfrequenz der drei Himmelskörper kann man aus der Balance von Zentrifugalkraft und Gravitation bekommen. Wir betrachten die Rotation des Jupiters unter Vernachlässigung der Kräfte durch den Asteroiden. Die Gravitationskraft wird durch den Abstand r zwischen Sonne und Jupiter bestimmt, während die Zentrifugalkraft durch den Abstand des Jupiters vom Schwerpunkt rJ bestimmt wird. Es ist rJ D MS =.MS C MJ /r (7 Beispiel 11.3).

G

MS G.MS C MJ / MS MJ D MJ ! 2 r ) !2 D r2 MS C MJ r3

Leonhard Euler und Joseph-Louis Lagrange haben dieses Problem bearbeitet und kamen zu dem überraschenden Ergebnis, dass die drei beteiligten Himmelskörper unabhängig von deren Massen ein gleichseitiges Dreieck bilden. Wir wollen zeigen, dass dies tatsächlich stimmt. Wir wenden den Cosinussatz auf das

11

232

Kapitel 11  Himmelsmechanik

Kräfteparallelogramm an und erhalten     mMS 2 mMJ 2 C G 2 FZ2 D G 2 dS dJ    mMS mMJ  2 cos.  ˛/ G 2 G 2 dS dJ  2  2 mM mM S J C G 2 FZ2 D G 2 dS dJ    mMS mMJ C 2 cos ˛ G 2 G 2 dS dJ

2 2 MJ MS MJ MS C C 2 cos ˛ FZ2 D G 2 m2 dS4 dJ4 dS2 dJ2

(Ergebnis A);

wobei ˛ den Winkel bezeichnet, den FES und FEJ einschließen. Nun kann man andererseits die Zentrifugalkraft aus der Geometrie der Anordnung der Himmelskörper bestimmen. Wir betrachten das Dreieck, das aufgespannt wird vom Schwerpunkt, dem Mittelpunkt der Verbindungslinie zwischen Sonne und Jupiter und dem Asteroiden. Die Seitenlängen sind rJ  r=2 (oben), p die Höhe h D 23 r des gleichseitigen Dreiecks Sonne-JupiterAsteroid und d . Hieraus können wir d bestimmen. Wir erhalten p

11

!2

2 MS r  r 2 MS C MJ 2 !  MS MS D 1 C r2 MS C MJ MS C MJ

d D 2

3 r 2



C

Nun können wir die Zentrifugalkraft bestimmen. Wir erhalten FZ2 D m2 ! 4 d 2 G 2 m2 MS D .MS C MJ /2 1  C r4 MS C MJ D

G 2 m2 .MS2 C MJ2 C MS MJ / r4



MS MS C MJ

2 !

(Ergebnis B)

Wir haben nun zwei Resultate für FZ2 erhalten, wobei wir für Ergebnis B angenommen hatten, dass Sonne, Jupiter und der Asteroid ein gleichseitiges Dreieck bilden. Dann können wir auch für Ergebnis A ˛ D 60ı und dS D dJ D r setzen und wir sehen, dass die beiden Ergebnisse übereinstimmen. An dieser speziellen Stelle auf der Jupiterbahn kompensiert die Zentrifugalkraft die gemeinsame Anziehung von Sonne und Jupiter. Ein Asteroid, der sich an dieser Stelle befindet, wird dort verbleiben. An anderen Stellen auf der Jupiterbahn ist dieses Kräftegleichgewicht nicht

233 11.3  Das Gravitationsgesetz

gegeben. Asteroiden, die sich möglicherweise dort befanden, haben diese Stellen verlassen. Sie sind in den Jupiter oder die Sonne gestürzt oder wurden aus der Bahn geschleudert.

Insgesamt gibt es in einem solchen Drei-Körper-System fünf Punkte, an denen sich Gravitation und Zentrifugalkraft gegenseitig kompensieren. Man nennt sie die Lagrange-Punkte des Systems. Die Skizze zeigt die Lage der Lagrange-Punkte. Wir hatten oben die Lage von L5 bestimmt. L4 ist symmetrisch angeordnet. Die Punkte L1 bis L3 lassen sich einfach aus der Bilanz von Gravitation und Zentrifugalkraft bestimmen. In den Punkten L4 und L5 befinden sich die in 7 Beispiel 11.4 erwähnten Asteroiden (Trojaner und Griechen). Die Punkte L1 bis L3 sind leer. Sie sind nicht stabil. Bewegt sich der Asteroid geringfügig aus seiner Position entlang der Verbindungslinie zwischen Sonne und Jupiter, z. B. durch eine Kraft, die von einem weiteren Planeten wie dem Saturn ausgeht, so wird er in die Sonne oder den Jupiter stürzen. Dies ist anders in den Punkten L4 und L5 . Wird ein Asteroid geringfügig aus diesen Punkten ausgelenkt, so entsteht eine Kraft, die zurückzeigt auf den Lagrange-Punkt. Lagrange-Punkte treten nicht nur im System Sonne–Jupiter auf, sondern in der Bahn aller Planeten und auch im System Erde–Mond. Tatsächlich hat man einige Asteroiden in den Lagrange-Punkten der Marsbahn gefunden, und es gibt Hinweise, dass es auch in der Erdbahn einen (kleinen) Begleiter gibt. Beim Jupiter sind es jedoch Tausende. Dies liegt daran, dass der Jupiter mit Abstand der schwerste Planet im Sonnensystem ist. Die Verschiebung der Sonne aus dem Schwerpunkt rS ist im System Sonne-Jupiter am größten. Gleichzeitig ist die Störung der Bewegungen durch die anderen Planeten am geringsten. Durch den Einfluss der anderen Planeten bewegt sich die Sonne. Bei den leichteren Planeten kann diese Bewegung so stark werden, dass der Lagrange-Punkt zeitweise instabil wird und die Asteroiden verloren gehen.

11

234

Kapitel 11  Himmelsmechanik

11.4

11

Schwere und träge Masse

In 7 Abschn. 6.2 haben wir über Newtons zweites Axiom die Masse eines Körpers als Quantifizierung seiner Trägheit kennengelernt. In FE D mE a beschreibt die Masse den Widerstand, den ein Körper einer Änderung seiner Bewegung entgegensetzt, d. h. seine Trägheit. Man spricht daher auch von „träger Masse“. Sie gibt an wie viel Kraft man aufwenden muss, um einen Körper zu beschleunigen. Ist Ihnen aufgefallen, dass sich im vorherigen 7 Abschn. 11.3 eine weitere Definition der Masse findet, nämlich . Hier bestimmt die Masse die im Gravitationsgesetz FG D G mM r2 Stärke, mit der die Gravitationskraft auf den Körper wirkt. Man nennt sie daher die „schwere Masse“ (von Schwerkraft). Die beiden Definitionen haben zunächst nichts miteinander zu tun. Sie definieren die Masse als unabhängige physikalische Größen. Es sollte überraschen, dass wir für beide unterschiedlichen Größen denselben Namen und dasselbe Symbol verwenden. Sie könnten durchaus verschieden sein! Dass dies nicht der Fall ist, haben wir aus Beobachtungen gelernt. Man kann es beispielsweise aus dem Fallgesetz ableiten (7 Abschn. 5.6). Wir betrachten noch einmal das Fallgesetz und achten darauf, ob es sich bei den Massen um eine schwere oder träge Masse handelt. Wir bestimmen die Fallbeschleunigung aus Newtons zweitem Axiom mit der trägen Masse m t : FE D m t aE

(11.12)

Als Kraft wirkt hier die Gewichtskraft FE D ms g. E Da diese aus dem Gravitationsgesetz abgeleitet ist, müssen wir hier die schwere Masse ms einsetzen. Es ist also ms gE D m t aE

oder aE D

ms gE mt

(11.13)

Nun besagt ja das Fallgesetz, dass aE für alle Körper gleich ist. Dies kann nach Gl. 11.13 aber nur der Fall sein, wenn ms und m t zueinander proportional sind, sodass sich der Bruch auf eine Konstante kürzen lässt, also ms D cm t . Die Konstante c kann man durch eine Redefinition der Gravitationskonstanten absorbieren. FG D G

mt Mt mt Mt m s Ms cm t cM t DG D Gc 2 2 D G 0 2 (11.14) r2 r2 r r

Man kann das Gravitationsgesetz auch durch die trägen Massen ausdrücken, wenn man eine neue Gravitationskonstante G 0 D Gc 2 einführt. Diese Redefinition hatten wir bereits durchgeführt, die in 7 Abschn. 11.3 benutzte Gravitationskonstante gilt für c D 1, sodass wir den Strich an G wieder fallen lassen können. Damit gilt

235 11.5  Potenzial und potenzielle Energie

ms D m t , und wir können die Unterscheidung zwischen schwerer und träger Masse wieder aufgeben. Diese Gleichheit zwischen der Kraftwirkung auf einen Körper und seiner Trägheit ist eine spezielle Eigenschaft der Gravitation. Man vergleiche beispielsweise mit der Coulomb-Kraft Fel D k qQ . Hier tritt im Zähler eine neue physikalische Größe auf – r2 die elektrische Ladung –, die nicht proportional zur Trägheit des Körpers ist. Der Zusammenhang von träger und schwerer Masse war lange bekannt, seine Bedeutung wurde aber verkannt. Erst Albert Einstein erhob die Gleichheit zum Postulat und baute auf ihr seine Theorie der Gravitation, die allgemeine Relativitätstheorie, auf. 11.5 11.5.1

Potenzial und potenzielle Energie Die potenzielle Energie

Bei der Gravitation handelt es sich um eine konservative Kraft. Wir können daher den Argumenten von 7 Abschn. 7.3 folgen und eine potenzielle Energie definieren. Betrachten wir als Beispiel das Schwerefeld der Erde. Als Nullpunkt wollen wir zunächst die Erdoberfläche wählen, die durch den Erdradius rL näherungsweise gegeben ist. Zr Epot .r/ D 

0

0

Zr

FG .r /dr D 

rL

rL

D G

mmL mmL CG L r r

G

mmL 0 dr r 02 (11.15)

In vielen Fällen sind die Höhenänderungen, die auftreten, gering im Vergleich zum Erdradius selbst (rL  6370 km). In diesen Fällen ist eine Näherung sinnvoll, die wir durch eine TaylorEntwicklung um r D rL gewinnen. Wir setzen r D rL Ch und beachten   Epot rL D 0: Epot .rL C h/ D Epot .rL /

mmL mmL d hC ::: G CG L C dr r r rDrL h mmL i hC ::: D G 2 r rDrL mmL D G 2 h C::: rL D mgh C : : :

(11.16)

11

236

Kapitel 11  Himmelsmechanik

. Abb. 11.11 Potenzielle Energie eines Körpers der Masse 1 kg im Schwerefeld der Erde. Schwarz: exakte Kurve; blau: Näherung

Mit der Fallbeschleunigung g aus Gl. 11.9 erhalten wir die bekannte Gleichung für die Lageenergie Epot D mgh

11

(11.17)

Möchte man diese Näherung geringer Höhenänderungen nicht machen, so ist es meist praktischer, als Nullpunkt der potenziellen Energie einen Punkt zu wählen, der unendlich weit weg liegt von der Masse M , die das Gravitationsfeld erzeugt. Dann ergibt sich die potenzielle Energie zu mM (11.18) Epot .r/ D G r Als Beispiel zeigt . Abb. 11.11 die potenzielle Energie eines Körpers der Masse 1 kg im Schwerfeld der Erde. Die schwarze Kurve (Hyperbel) zeigt die exakte Form. Im Vergleich dazu ist in blau (Gerade) die Näherung mgh eingetragen. Auf Höhe des Erdradius stimmen sie überein. Der Verlauf der potenziellen Energie im Inneren der Erde wurde unter der Annahme bestimmt, dass die gesamte Masse der Erde in ihrem Mittelpunkt vereint ist. Tatsächlich müsste der Verlauf im Inneren flacher sein. Beispiel 11.10: Fluchtgeschwindigkeit

Aus dem Energiesatz lässt sich die Fluchtgeschwindigkeit von der Erde berechnen, das ist die Geschwindigkeit, mit der man eine Rakete abschießen muss, damit sie das Gravitationsfeld der Erde ohne weiteren Antrieb verlässt. Im Unendlichen hat die Rakete dann weder potenzielle noch kinetische Energie. Daher müssen sich auch zu Beginn der Reise potenzielle und kinetische Energie zu null addieren. mmL 1 C mv 2 D 0 rL 2 s 2GmL q D 2grL  40 000 km=h )vD rL

G

237 11.5  Potenzial und potenzielle Energie

11

Die Fluchtgeschwindigkeit ist unabhängig von der Masse der Rakete (siehe auch 7 Beispiel 6.3).

11.5.2

Das Potenzial und die Feldstärke

Die Gravitationskraft, die ein Körper (Probekörper) im Einflussbereich eines Planeten, einer Sonne oder eines anderen Objektes erfährt, hängt von seiner Masse ab. Möchte man die Gravitationswirkung beispielsweise des Planeten allgemein charakterisieren, stört die Abhängigkeit von der Masse des Probekörpers. Man führt eine weitere physikalische Größe ein, aus der man diese Abhängigkeit eliminiert. Diese Größe heißt „Gravitationsfeld“ oder E Sie gibt die Gravitationskraft auf ei„Gravitationsfeldstärke“ G. nen Einheitskörper der Masse 1 kg an: FE GE D m

(11.19)

In . Abb. 11.12 ist ein zweidimensionaler Schnitt durch das Gravitationsfeld der Erde zu sehen. Die Feldlinien (grün) geben die Richtung des Gravitationsfeldes an. Die Liniendichte ist ein Maß für die Stärke des Feldes am jeweiligen Ort. Ähnlich wie wir es gerade bei der Gravitationskraft getan haben, kann man auch bei der potenziellen Energie von der Masse des Körpers, der sich im Gravitationsfeld befindet, abstrahieren, indem man die potenzielle Energie auf eine Einheitsmasse bezieht. Man nennt diese Größe das „Gravitationspotenzial“ ˚G ˚G D

Epot m

(11.20)

In . Abb. 11.13 ist das Gravitationspotenzial der Erde, die als homogene Kugel angenommen wurde, dargestellt. Es ist wiederum ein zweidimensionaler Schnitt durch das Zentrum der Kugel zu sehen. Die Höhe der Fläche (z-Koordinate) gibt den Wert des Potenzials am jeweiligen Ort an. Die Farben geben ebenfalls den Wert des Potenzials an. Der Übergang von einer Farbe zur nächsten erfolgt bei einem festen Wert des Potenzials. Daher stellen die Grenzlinien konstantes Potenzial dar. Man nennt sie „Äquipotenziallinien“. Wie wir in 7 Abschn. 4.3 gesehen haben, zeigt die Kraft immer in Richtung des Gradienten der Fläche, d. h. in die Richtung des größten Gefälles. Je steiler die Fläche an einem Punkt nach unten abfällt, desto größer ist die Gravitationskraft an diesem Ort.

. Abb. 11.12 Das Gravitationsfeld der Erde

238

Kapitel 11  Himmelsmechanik

. Abb. 11.13 Das Gravitationspotenzial der Erde. Gezeigt ist ein Schnitt durch das Zentrum der Erde. Die Abstände sind in Einheiten des Erdradius angegeben

11

So wie man potenzielle Energien addieren kann, kann man auch Potenziale additiv zusammensetzen. In . Abb. 11.14 ist das gemeinsame Gravitationspotenzial von Erde und Mond zu sehen. Die Erde befindet sich im Zentrum bei x; y D 0. Das Koordinatensystem ist so gewählt, dass der Mond auf der x-Achse liegt, in einem Abstand von etwa 60 Erdradien von der Erde. Das Potenzial des Mondes ist an dieser Stelle als kleine Eindellung zu erkennen. Beachten Sie die geänderte Skala der z-Achse gegenüber . Abb. 11.13.

. Abb. 11.14 Das Gravitationspotenzial von Erde und Mond. Der Mond befindet sich an der durch den Pfeil gekennzeichneten Stelle. Um die Vertiefung des Potenzials durch den Mond sichtbar zu machen, wurde das Potenzial nach unten bei 6 MJ=kg abgeschnitten

239 11.5  Potenzial und potenzielle Energie

Beispiel 11.11: Planetenbahnen Teil 3: Bahngleichung

Wir wollen nun 7 Beispiel 11.2 fortsetzen und versuchen, eine Planetenbahn zu berechnen. Wir gehen von der Energiebilanz aus, die sich aus kinetischer Energie und effektivem Potenzial zusammensetzt, und setzen die gravitative Energie ein   m dr 2 L2 mM C G 2 dt 2mr 2 r

Etot D

Daraus folgt s   mM 2 dr L2 D˙ Etot C G  2 2 dt m r m r Nun ist d' D

d' dt d' dt D dr D dt dt dr

d' dt dr dt

dr

Aus 7 Beispiel 11.2 wissen wir, dass setzen wir die Relation von oben ein

d' dt

D

L mr 2

ist, und für

L 2

mr d' D q   2  ˙ m Etot C G mM r

L2 m2 r 2

dr

und integrieren. Z

L 2

'.r/ D ˙

mr q  dr  2 2 mM  mL2 r 2 m Etot C G r Z 1 dr D ˙L q 2 2 2 2mEtot C 2G m rM  Lr 2 r

Wir substituieren u D 1=r mit du D 1=r 2 dr und erhalten Z 1 du '.u/ D L p 2mEtot C 2Gm2 M u  L2 u2 Dieses Integral findet man in Tabellenwerken. Es ist Z 1 p du au2 C bu C c a D L2 < 0 mit

b D 2Gm2 M c D 2mE tot  D 4ac  b 2 < 0

LösungW p

1 2au C b arcsin p a 

dr dt

11

240

Kapitel 11  Himmelsmechanik

Wir setzen ein und erhalten '.u/ D L p

1 L2

D ˙ arccosp

arccos p

2L2 u C 2Gm2 M 8L2 mEtot C 4G 2 m4 M 2

L2 u C Gm2 M 2L2 mEtot C G 2 m4 M 2

! C '0

C '0

was wir nach u auflösen: L2 u C Gm2 M cos.'  '0 / D p ˙ 2L2 mEtot C G 2 m4 M 2 2

2

 L2 u C 1  L u C GmM D q m D qGm M 2E 2 tot ˙ G2L ˙ 2L mEtot C G 2 m2 M 2 2 m3 M 2 C 1 Wir führen zwei Abkürzungen ein, deren Bedeutung wir noch sehen werden: L2 Gm2 M r 2L2 Etot C1 D G 2 m3 M 2

pD

11

Dann ist pu C 1 ˙ ˙ cos.'  '0 / D pu C 1 cos.'  '0 / D

r.'/ D

p 1 D u 1  cos.'  '0 /

Dies ist die Gleichung einer Ellipse, wie wir sie bereits aus der Diskussion am Ende p von 7 Abschn. 11.1 kennen. Die Größen p D b 2 =a und  D a2  b 2 =a sind der Halbparameter und die numerische Exzentrizität der Ellipse (a, b: große und kleine Halbachse). In der Regel wählen wir das negative Vorzeichen. Das positive Vorzeichen beschreibt eine um 90° gedrehte Ellipse, deren große Halbachse entlang der y-Achse zeigt.

Beispiel 11.12: Kegelschnitte

Bereits in 7 Abschn. 11.1 hatten wir erwähnt, dass die Bewegung unter dem Einfluss einer Zentralkraft auf Kegelschnitte als Bahnen führt. In 7 Beispiel 11.5 haben wir dies implizit bewiesen.

241 11.5  Potenzial und potenzielle Energie

Wir haben berechnet, dass sich die Bahn durch r.'/ D

p 1   cos '

darstellen lässt. Der Parameter  bestimmt, um welchen Kegelschnitt es sich dabei handelt. Wir erhalten 4 für  D 0 einen Kreisbahn, 4 für 0 <  < 1 die Keplerellipsen, 4 für  D 1 eine parabolische Bahn 4 und schließlich für  > 0 Hyperbelbahnen. Lediglich die ersten beiden Fälle beschreiben geschlossene Bahnen, bei denen der Himmelskörper an das Zentralgestirn gebunden ist. Im Fall   1 nähert sich das Objekt dem Zentralgestirn aus dem Unendlichen, wird von diesem aus der geraden Bahn abgelenkt und entfernt sich wieder. Welche der vier möglichen Bahnen sich einstellt, hängt von den Anfangsbedingungen ab, die wir durch die Gesamtenergie Etot und den Bahndrehimpuls L ausdrücken können. Wir hatten den Parameter  zu r D

2 L2 Etot C1 G 2 m3 M 2

bestimmt. Eine parabolische Bahn ergibt sich offensichtlich, wenn wir Etot D 0 setzen. Der Himmelskörper startet seine Bahn mit verschwindender Geschwindigkeit im Unendlichen, durchläuft die parabolische Bahn und nähert sich im Unendlichen wieder der Geschwindigkeit null. Eine Kreisbahn ergibt sich für  D 0, d. h. für 2 L2 Etot D 1 G 2 m3 M 2

)

Etot D 

1 G 2 m3 M 2 : 2 L2

Dies entspricht dem Minimum des effektiven Potenzials (siehe 7 Beispiel 11.1), was Sie leicht durch eine Kurvendiskussion überprüfen können. Bei dieser Energie ist r D konst:, damit dr=dt D 0 und das effektive Potenzial macht bereits die gesamte Energie aus. Keplerellipsen ergeben sich für Werte der Gesamtenergie zwischen dem Minimum (Kreisbahn) und null (Parabel). Hyperbelbahnen gehören zu Bewegungen mit Etot > 0.

11

242

Kapitel 11  Himmelsmechanik

?Aufgaben

11

1. Um über dem Empfangsgebiet scheinbar still zu stehen, befinden sich Fernsehsatelliten auf geostationären Bahnen, bei denen sie mit der Winkelgeschwindigkeit der Erdrotation die Erde umkreisen. Berechnen Sie die Höhe über der Erdoberfläche, auf der sich solch ein Satellit befindet. Für einen Fernsehsatelliten wird festgestellt, dass er an Höhe verloren hat und sich dadurch seine Position am Himmel innerhalb eines Jahres um 0;3ı verschiebt. Um wie viel muss er mithilfe der Steuerdüsen wieder angehoben werden? 2. Berechnen Sie mithilfe des dritten Kepler’schen Gesetzes die Länge der großen Halbachse der Umlaufbahn des Halley‘schen Kometen in astronomischen Einheiten (AE). Der Komet erreicht sein Perihel alle 76 Jahre und besitzt dort einen Minimalabstand zur Sonne von 0;6 AE (Die astronomische Einheit AE bezeichnet den mittleren Abstand von Sonne und Erde). Welchen Maximalabstand zur Sonne wird er auf seiner Umlaufbahn einnehmen? 3. Ein Astronaut erkundet einen Asteroiden auf einem Weg von Pol zu Pol und bemerkt dabei, dass er mit wachsender Geschwindigkeit immer leichter wird. Ab einer Geschwindigkeit von 1;5 m=s beginnt er zu schweben und kann den Asteroiden wie ein Satellit umkreisen. Wie groß ist der Durchmesser des Asteroids, wenn Sie davon ausgehen, dass er eine mittlere Dichte wie die der Erde besitzt ( D 5;5103 kg=m3 )? Der Asteroid dreht sich auch um die eigene Achse. Ab welcher Rotationsfrequenz wäre der Astronaut am Äquator auch im Stehen schon schwerelos? Wie lange ist dann ein Asteroidentag? Können Himmelskörper mit Erddichte existieren, die noch kürzere Tage aufweisen? 4. Erde und Mond kreisen in 27;3 Tagen einmal um ihren gemeinsamen Schwerpunkt. Die Masse der Erde beträgt das 81-fache der Masse des Mondes. Wie weit sind die Mittelpunkte von Erde und Mond voneinander entfernt und wie weit ist das Zentrum der Mondbahn vom Erdmittelpunkt entfernt? 5. Um eine Raumsonde zu einem der äußeren Planeten zu schicken, sollte man die Bewegung der Erde um die Sonne mit ausnutzen. Eine Raumsonde wird daher tangential zur Umlaufbahn der Erde abgeschickt und auf eine elliptische Umlaufbahn um die Sonne gebracht, die ihren Perihel auf der Erdbahn und ihren Aphel auf der Bahn des Zielplaneten hat. Man kann zeigen, dass die Gesamtenergie der Sonde auf ihrer Umlaufbahn gegeben ist durch Etot D G

Mm 2a

243 11.5  Potenzial und potenzielle Energie

Leiten Sie hieraus ab, dass die Geschwindigkeit der Sonde wie folgt von ihrem Abstand r von der Sonne abhängt: s v D vF rE



1 1  r 2a



vF W

Fluchtgeschwindigkeit an der Erdbahn

rE W

Bahnradius des Erdbahn

aW

Große Halbachse der Sondenbahn

Wie groß ist dann die benötigte Startgeschwindigkeit relativ zur Erde, um die Sonde auf einer elliptischen Bahn zum Jupiter (rJ D 5;3rE ) zu bringen? Wie groß ist der Vorteil gegenüber dem direkten Weg?

11

245

Der starre Körper Inhaltsverzeichnis Kapitel 12

Der starre Körper – 247

Kapitel 13

Drehbewegungen – 277

III

247

Der starre Körper Inhaltsverzeichnis 12.1

Definition – 248

12.2

Das Drehmoment – 250

12.3

Der Schwerpunkt eines Körpers – 255

12.4

Der Hauptsatz der Statik – 258

12.5

Statik starrer Körper – 262

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_12

12

248

Kapitel 12  Der starre Körper

12.1

Definition

In unserer bisherigen Betrachtungsweise haben wir Körper vereinfachend als Massenpunkte beschrieben. Ein Massenpunkt ist 4 punktförmig, das heißt, er besitzt keine Ausdehnung, 4 strukturlos, das heißt, er hat keinen inneren Aufbau. Diese Vereinfachung wollen wir nun teilweise aufgeben und uns damit einer realistischeren Beschreibung von Objekten in der Natur nähern. Unter einem starren Körper versteht man einen ausgedehnten Körper, der nicht deformiert werden kann, selbst nicht durch äußere Kräfte. Mikroskopisch gesehen bedeutet dies, dass die Position der Massenpunkte (Atome), aus denen der Körper aufgebaut ist, relativ zueinander fest ist. Sie können nur gemeinsam durch den Raum bewegt werden. Ein starrer Körper ist also 4 ausgedehnt, das heißt, er hat eine Oberfläche, eine Form und ein Volumen, 4 strukturiert, das heißt, er hat eine Dichte und eine Zusammensetzung, 4 starr, das heißt, Form und Struktur sind unveränderlich.

12

Wie der Massenpunkt ist auch der starre Körper eine Idealisierung. Es gibt keine echt starren Körper. Die Atome, aus denen die Körper aufgebaut sind, sind nicht ortsfest. Wirken Kräfte auf den Körper, werden sich die Atome verschieben. Der Körper wird deformiert. Doch hier wollen wir die Näherung machen, dass diese Deformationen vernachlässigbar sind. Wir werden sie im 7 Kap. 14 wieder aufgreifen. Wir haben bereits in 7 Kap. 6 die Masse als wichtige Eigenschaft kennengelernt, die die Trägheit des Körpers beschreibt. Bei ausgedehnten Körpern bestimmen Dichte und Volumen seine Masse. Ist er homogen, was bedeutet, dass überall im Körper die gleiche Dichte herrscht, so besteht ein einfacher Zusammenhang zwischen den Größen Masse m, Volumen V und Dichte , nämlich: m D V:

(12.1)

Die Dichte ist eine Eigenschaft des Stoffs, aus dem der Körper besteht. In . Tab. 12.1 haben wir einige Werte für Sie zusammengestellt. Variiert die Dichte im Körper, müssen wir ein Integral zur Bestimmung der Masse heranziehen. Es ist dann: Z   mD rE d 3 rE: (12.2) V

249 12.1  Definition

. Tab. 12.1 Dichte einiger Stoffe Hochvakuum (105 Pa/

1,3 mg=m3

Wasserstoff (Normaldruck)

0,0899 kg=m3

Luft (Normalbedingungen)

1,29 kg=m3

Aerogel (typisch)

20 kg=m3

Lithium

0,534 kg=dm3

Ethanol

0,789 kg=dm3

Heizöl

0,85 kg=dm3

PE (Polyethylen)

0,95 kg=dm3

Wasser

1 kg=dm3

Aluminium

2,70 kg=dm3

Stahl

7,86 kg=dm3

Blei

11,34 kg=dm3

Quecksilber

13,55 kg=dm3

Wolfram

19,25 kg=dm3

Neutronenstern (im Kern)

1015 kg=dm3

Dabei müssen wir über alle Volumenelemente des Körpers integrieren, was durch die Bezeichnung der Integrationsgrenzen am Integralzeichen als „V “ angedeutet ist. Umgekehrt gilt für die Dichte:     d m rE ; (12.3) rE D dV   wobei d m rE ein infinitesimales Volumenelement mit Masse d m am Ort rE darstellt und dV dessen Masse bezeichnet. Beispiel 12.1: Starre Körper

Die Bilder zeigen Beispiele von Körpern, deren Bewegung man als die eines starren Körpers behandeln kann.

12

250

Kapitel 12  Der starre Körper

Ein Massenpunkt führt relativ einfache Bewegungen aus. Er hat drei unabhängige Bewegungsmöglichkeiten, nämlich die Bewegung in die drei Raumrichtungen x, y, und z. Man nennt diese Bewegungen „Translationen“. Beim starren Körper kommen drei weitere hinzu. Ein starrer Körper kann sich zusätzlich drehen. Man nennt diese Bewegungen „Rotationen“. Auch hier gibt es drei unabhängige Möglichkeiten, nämlich die Rotationen um die drei Koordinatenachsen. Drehungen um andere Achsen kann man durch diese und eventuell zusätzliche Translationen darstellen. Die Anzahl der Bewegungsmöglichkeiten nennt man auch die „Anzahl der Freiheitsgrade“ eines Körpers. Ein Massenpunkt hat drei Freiheitsgrade, ein starrer Körper hat dagegen sechs, nämlich drei Translationen und drei Rotationen.

12

12.2

Das Drehmoment

Wir betrachten einen starren Körper (. Abb. 12.1), der an einer Achse drehbar gelagert ist. Am Körper greift eine Kraft an. Sie versucht den Körper zu drehen. Man spricht von einem Drehmoment. Die Verbindungslinie zwischen dem Angriffspunkt der Kraft und dem Drehpunkt nennt man den Kraftarm. Die Drehwirkung der Kraft hängt von der Länge des Kraftarmes ab und vom Winkel, unter dem die Kraft angreift. Relevant ist die Projektion des Kraftarmes auf eine Linie senkrecht zur Kraft und senkrecht zur Drehachse (. Abb. 12.2). Man nennt diese Projektion den Hebelarm. Die Länge des Hebelarms ist der senkrechte Abstand der Drehachse von der Wirkungslinie der Kraft. . Abb. 12.1 Die Kraft bewirkt ein Drehmoment

251 12.2  Das Drehmoment

. Abb. 12.2 Definition von Hebel- und Kraftarm

Anschaulich ist klar, dass die Drehwirkung proportional zur Kraft FE und zum Kraftarm rE ist und auch vom Winkel zwischen Kraftarm und Kraft abhängt sowie von der Orientierung der Drehachse. Man kann die Drehwirkung durch den Hebelarm l und die Kraft ausdrücken. Dann ist die Drehwirkung proportional zu lF? , wenn F? die Kraftkomponente senkrecht zur Drehachse ist. Diese Größe nennt man das Drehmoment. Will man auf die komplizierten Projektionen verzichten, kann man das Drehmoment stattdessen mit einem Kreuzprodukt ausdrücken. Man greift dann auf den Kraftarm zurück. Es ist E D rE  FE ; M

(12.4)

wobei rE der Vektor von der Drehachse zum Angriffspunkt der Kraft (der Kraftarm) und FE die angreifende Kraft ist. Das Drehmoment ist ein axialer Vektor. Die Richtung des Drehmoments definiert die Drehachse. Es erzeugt eine Drehung in Richtung einer Rechtsschraube (siehe 7 Anhang A3.16). Der Betrag des Drehmomentes ist E j D jEr j jFE j sin ˛ jM

(12.5)

mit dem Winkel ˛ zwischen Kraft und Kraftarm. Aus der Definition kann man die Einheit des Drehmomentes ablesen. Sie beträgt ŒM  D 1 Nm D 1

kg m2 s2

(12.6)

Obwohl es mathematisch korrekt wäre, statt Nm auch Joule zu benutzen, ist dies nicht üblich. Man drückt damit aus, dass es sich beim Drehmoment nicht um eine Energiegröße handelt.

12

252

Kapitel 12  Der starre Körper

Beispiel 12.2: Schraubenschlüssel

Der Schraubenschlüssel erzeugt ein Drehmoment, durch das sich die Schraube öffnet bzw. schließt.

Beispiel 12.3: Drehmomente in der Kurve

12

Fährt ein Auto mit hoher Geschwindigkeit in eine Kurve, wirken Drehmomente auf das Fahrzeug, die es zum Umkippen bringen können. Der Drehpunkt ist dabei der Reifen auf der Außenspur (oranger Punkt in der Abbildung). Wenn das Auto kippt, wird es sich um diesen Punkt drehen. Die wichtigsten Kräfte sind die Gewichtskraft und die Zentrifugalkraft, die beide im Schwerpunkt des Fahrzeugs angreifen. Sie sind einander entgegen gerichtet. E G , das von der Gewichtskraft FEG erzeugt Das Drehmoment M wird, zeigt in der Skizze in die Zeichenebene, während das DrehE Z , das von der Zentrifugalkraft FEZ hervorgerufen moment M EZ wird, aus der Zeichenebene herauszeigt. Spätestens wenn M E dem Betrage nach größer wird als MG wird es für die Insassen kritisch. Nehmen wir als Beispiel einen PKW mit einer Spurweite von s D 1;5 m und einer Masse von m D 1;6 t, so beträgt der Hebelarm lG D 2s cos ˇ und das Drehmoment MG D m g 2s cos ˇ. Bei einem EZ Kippwinkel ˇ D 30ı ergäbe dies 9558 Nm. Das Drehmoment M hängt von der Geschwindigkeit des PKWs und dem Kurvenradius ab. Versuchen Sie die Formel selbst abzuleiten! Sie werden sehen, dass das Fahrzeug umso stabiler wird, umso größer die Spurweite und umso dichter der Schwerpunkt über der Fahrbahn liegt.

253 12.2  Das Drehmoment

Beispiel 12.4: Kurbel

Bei einem Verbrennungsmotor erzeugt die Pleuelstange (Länge r1 ) ein Drehmoment auf die Kurbelwelle (Kraftarm rE2 ) und setzt damit die Auf- und Abbewegung des Zylinders in eine Drehung um. E D rE2  FE . Ist F2 die Kraft senkrecht Das Drehmoment ist M nach unten auf die Kurbel, so ist der Betrag des Drehmomentes M D sin 'r2 F2 , wenn ' der Winkel ist, um den die Kurbel sich aus der höchsten Stellung gedreht hat. Die Kräfte sind in der anderen Skizze abgeleitet. Wenn ˛ der Winkel der Pleuelstange zur Vertikalen ist, dann ist F2 D cos ˛F1 und F1 D cos ˛F0 . Andererseits folgt aus den beiden Dreiecken um den Hebelarm `, dass gilt ` D sin 'r2 und ` D sin ˛r1 und damit sin ˛ D r2 =r1 sin '. Setzt man alles ineinander ein, ergibt sich ein Drehmoment von   r2 M D 1  22 sin2 ' sin 'r2 Fo r1 Die Grafik zeigt dieses Drehmoment unter der Annahme einer konstanten Kraft F0 für die Abwärtsbewegung.

Experiment 12.1: Drehmomentscheibe

Dieses Experiment demonstriert das Gleichgewicht zwischen Drehmomenten. Eine Plexiglasscheibe ist drehbar gelagert (Foto). In gleichen Abständen sind Stifte angebracht, an denen man Gewichte aufhängen kann. Jedes Gewicht bewirkt ein Drehmoment bezüglich der Achse. Sind die Drehmomente rechts und links gleich, bleibt die Scheibe stehen. Das Foto zeigt ein Beispiel. Hier ist das Drehmoment links Mlinks D m3r C mr und rechts Mrechts D 4mr.

12

254

Kapitel 12  Der starre Körper

© Foto: Hendrik Brixius

Experiment 12.2: Drehmoment an der Garnrolle

12

Dies ist ein einfaches und trotzdem interessantes Experiment. Sie können es selbst ausprobieren. Alles, was Sie brauchen, ist eine Garnrolle. In der Vorlesung benutzen wir eine übergroße 50-cmRolle. Es geht aber auch mit einer echten. Sie wickeln einige Zentimeter des Fadens ab und ziehen vorsichtig daran, sodass die Rolle auf der Unterlage nicht rutscht. In welche Richtung wird sie rollen? Die Antwort ist gar nicht so einfach. Sie hängt nämlich davon ab, wie flach Sie ziehen. Die beiden Skizzen zeigen die Situation. Ziehen Sie sehr flach, wird die Garnrolle auf Sie zurollen. Der Kraftarm zeigt nach oben und das Drehmoment dadurch in die Skizze hinein. Ziehen Sie allerdings steil nach oben, so dreht sich die Garnrolle in die umgekehrte Richtung. Nun zeigt das Drehmoment aus der Zeichenebene heraus. Beachten Sie, dass der Drehpunkt hier nicht durch die Achse der Garnrolle gegeben ist. Es ist vielmehr der Punkt, an dem die Garnrolle auf der Unterlage aufliegt.

255 12.3  Der Schwerpunkt eines Körpers

12.3

12

Der Schwerpunkt eines Körpers

Wir wollen in diesem Abschnitt einen wichtigen Begriff einführen, den des Schwerpunkts. Wir definieren ihn als den Punkt, an dem man einen Körper unterstützen muss, sodass er in Ruhe bleibt (siehe . Abb. 12.3). In Ruhe bedeutet dabei, dass er weder eine Translation noch eine Rotation ausführt. In 7 Experiment 12.3 zeigen wir Ihnen, wie man den Schwerpunkt eines Körpers experimentell bestimmen kann. Experiment 12.3: Bestimmung des Schwerpunktes von Platten

Der Schwerpunkt flacher Platten lässt sich recht einfach bestimmen. Man hängt die Platte an einem Punkt auf. Am selben Punkt befestigt man ein Lot. Nun markiert man mit einem Stift den Verlauf des Lots auf der Platte. Anschließend wiederholt man das Procedere mit einigen weiteren Aufhängepunkten. Die so bestimmten Linien werden sich in einem Punkt schneiden. Dies ist der Schwerpunkt der Platte.

. Abb. 12.3 Eine unregelmäßige Platte im Schwerpunkt unterstützt. Sie bleibt in Ruhe

256

Kapitel 12  Der starre Körper

Wir vermuten, dass der Schwerpunkt rES mit dem Massenmittelpunkt rEMM zusammenfällt, den wir in 7 Abschn. 8.2 kennengelernt haben. Um dies zu erkennen, müssen wir zeigen, dass ein Körper, der in diesem Punkt unterstützt wird, weder nach unten fällt (keine Translation) noch um den Auflagepunkt kippt (keine Rotation). Der Massenmittelpunkt ist P mi rEi 1 X D mi rEi rEMM D Pi M i i mi

(12.7)

Wird der Körper in diesem Punkt unterstützt, so drückt er mit einer Kraft FEG auf den Unterstützungspunkt. Dies bewirkt eine Reactio, die die Gewichtskraft kompensiert und zwar unabhängig davon, wo der Körper unterstützt wird. X © Foto: Hendrik Brixius

FEext D FEG C FEreactio D 0

(12.8)

Es tritt keine Translation auf. Damit bleibt noch zu zeigen, dass der Körper sich nicht um den Unterstützungspunkt dreht und von der Unterlage kippt. Dazu zeigen wir, dass die Summe der Drehmomente bezüglich des Unterstützungspunktes verschwindet. JeEi der einzelne Massenpunkt des Körpers übt ein Drehmoment M aus. Es ist

12

E i D .Eri  rEMM /  mi gE M D rEi  mi gE  rEMM  mi gE D mi g.Eri  eOz / C mi g.ErMM  eOz /

(12.9)

Das gesamte Drehmoment ist dann E D M

X i

D g

Ei D  M

X i

X

mi g.ErMM  eOz /

i

X X .mi .Eri  eOz // C g .mi /.ErMM  eOz / i

D g

mi g.Eri  eOz / C

X

! mi rEi

i

 eOz C gM.ErMM  eOz /

i

D gM rEMM  eOz C gM.ErMM  eOz / D 0

(12.10)

Damit haben wir gezeigt, dass ein Körper, der im Massenmittelpunkt unterstützt wird, weder eine Translation noch ein Rotation ausführt. Der Massenmittelpunkt fällt folglich mit dem Schwerpunkt zusammen. Im Weiteren werden wir daher nur noch den Begriff „Schwerpunkt“ benutzen und rES schreiben.

257 12.3  Der Schwerpunkt eines Körpers

Für Körper mit einer kontinuierlichen Massenverteilung müssen die Summen durch Integrale ersetzt werden: R V rES D rEMM D R

rEd m dm

D

V

1 M

Z .Er /Er dV

(12.11)

V

Beispiel 12.5: Schwerpunkt

Hier sind einige Beispiele ausgedehnter Körper. Der Schwerpunkt des Ellipsoids liegt in seinem Mittelpunkt. Der Schwerpunkt der Hantel liegt in der Mitte der Stange. Auch das achteckige Objekt hat seinen Schwerpunkt in der Mitte, woran man sieht, dass der Schwerpunkt nicht notwendigerweise zum Körper gehört.

Beispiel 12.6: Schwerpunkt einer Halbkugel

Wir wollen den Schwerpunkt einer homogenen Halbkugel bestimmen. Aus Symmetriegründen muss der Schwerpunkt auf der z-Achse liegen. Es genügt folglich, die z-Komponente zu bestimmen. Die x- und y-Komponenten sind null. Die z-Komponente

12

258

Kapitel 12  Der starre Körper

bestimmt sich aus (siehe 7 mathematischer Anhang A3.19) 1 .ErS /z D M



Z

1 0 0 zdV D M

V

ZR Z 2 Z2 r cos r 2 sin d'd dr 0

0

0



D

2 0 M

ZR Z 2

r 3 cos sin d dr 0

2 0 D M

0



ZR r

3

0



D

 1 0 r 4 M 4

1  cos2 2

R D 0

2 0

 0 dr D M

ZR r 3 dr 0

 0 R4 4M

Nun ist die Masse der Halbkugel M D 2 R3 0 und damit .ErS /z D 3 3 R. 8   3 rES D 0; 0; R 8

12.4

12

Der Hauptsatz der Statik

Die Statik beschäftigt sich mit den Bedingungen, unter denen Körper ruhen. Wir haben bereits gelernt, dass dies gilt, wenn die Summe aller von außen angreifenden Kräfte sowie die Summe aller von außen angreifenden Drehmomente null ist. Dies nennt man auch den Hauptsatz der Statik >Hauptsatz der Statik (1) Ein Körper bleibt in Ruhe, wenn die Summe aller von außen angreifenden Kräfte und die Summe aller von außen angreifenden Drehmomente verschwindet.

Zur weiteren Untersuchung der Statik eines Körpers benutzt man oft noch einen anderen Satz, der gelegentlich ebenfalls als Hauptsatz der Statik bezeichnet wird. Leider ist die Bezeichnung hier nicht eindeutig. >Hauptsatz der Statik (2) Die Wirkung aller in einer Ebene auf einen Körper einwirkenden Kräftepaare lässt sich durch ein einziges Kräftepaar mit dem Schwerpunkt als Mittelpunkt ersetzen.

259 12.4  Der Hauptsatz der Statik

. Abb. 12.4 Zur Illustration des Hauptsatzes des Statik (2)

Es sollte nicht weiter überraschen, dass man mehrere Kräftepaare zu einem einzelnen zusammenfassen kann. Wir haben ja wiederholt Kräfte addiert. Überraschend ist, dass der Schwerpunkt gerade in der Mitte zwischen den Angriffspunkten der beiden Kräfte liegt, wie es die Skizze . Abb. 12.4 zeigt. Die Aufgabe des Statikers ist es dann, eine Halterung für den Körper zu entwerfen, die Kraft und Drehmoment dieser beiden Kräfte aufnimmt. Bitte beachten Sie, dass diese Betrachtungen jeweils nur in einer Ebene gelten. Weitere Ebenen sind separat zu betrachten. Wir wollen die Konstruktion des zweiten Satzes etwas näher beleuchten. Aus . Abb. 12.4 ist leicht abzulesen, dass die Definition der Kräfte nicht eindeutig ist. Man kann beispielsweise den Hebelarm l verändern, solange man die Kräfte entsprechend anpasst. Ebenso könnte man die Angriffspunkte der Kräfte entlang ihrer Wirkungslinien verschieben. Auch dies würde die Situation nicht verändern. Das im Satz beschriebene Kräftepaar ist nicht eindeutig festgelegt. Der Satz besagt lediglich, dass sich mindestens ein solches Kräftepaar finden lässt. Ein Kräftepaar ist dabei keine beliebige Kombination von zwei Kräften. Die Kräfte eines Kräftepaares wirken immer entlang paralleler Wirkungslinien, die nicht zusammenfallen dürfen. Hinter dem zweiten Satz steht die Erkenntnis, dass man eine beliebige Bewegung durch eine Rotation um den Schwerpunkt und eine Translation des Körpers darstellen kann. Aus dem Schwerpunktsatz wissen wir bereits, dass man die translatorische Wirkung aller externen Kräfte auf einen Körper durch eine einzige Kraft auf den Schwerpunkt zusammenfassen kann. Diese Nettokraft übt kein Drehmoment auf den Körper aus. In . Abb. 12.5 haben wir die Wirkungslinien der Kräfte so gewählt, dass sie die Richtung der Nettokraft angeben. Der Betrag der Nettokraft ist FA  FB . Sie zeigt in diesem Beispiel in Richtung

12

260

Kapitel 12  Der starre Körper

. Abb. 12.5 Zur Parallelverschiebung von Kräftepaaren (siehe Text)

12

von FEA . Für die Behandlung der Drehung wollen wir sie von den beiden Kräften abziehen, sodass im Weiteren FEA D FEB D FE ist. Ebenso wie die translatorische Wirkung der externen Kräfte kann man die Drehwirkung zusammenfassen, indem man die Drehmomente, die die einzelnen Kräfte ausüben, addiert. Dazu muss man allerdings einen Drehpunkt festlegen, und es ist überraschend, dass man diesen in den Schwerpunkt verschieben kann. Nehmen wir zunächst an, der Drehpunkt sei ein beliebiger Punkt O (. Abb. 12.5). Es wirken die beiden Kräfte FE und FE . Das Drehmoment bezüglich O ist ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ Eˇ ˇ ˇ ˇM ˇ D ˇErB  FE  rEA  FE ˇ D rB F sin 'B  rA F sin 'A D .rB sin 'B  rA sin 'A / F:

(12.12)

Wie aus . Abb. 12.5 zu sehen, kann man die Klammer durch die Hebelarme sEA und sEB ausdrücken: ˇ ˇ ˇ Eˇ (12.13) ˇM ˇ D .sB  sA / F D 2 l F: Dies ist aber gerade das Drehmoment, das die beiden Kräfte auch bezüglich des Schwerpunktes ausüben. Wir kommen folglich zu dem Schluss, dass man das Drehmoment, das ein Kräftepaar mit reiner Drehwirkung (entgegengesetzt gleich große Kräfte) erzeugt, parallel verschieben kann, ohne dass es sich verändert. Beispiel 12.7: Abrollen auf der Ebene

Sie ziehen horizontal an der Achse eines Rades. Welches Drehmoment wirkt bezüglich der Achse? Wir trennen zunächst die Translationsbewegung ab. Die horizontale Nettokraft ist die Differenz aus der angreifenden Kraft FE0 und der Reibungskraft FER .

261 12.4  Der Hauptsatz der Statik

Sie bewirkt eine Beschleunigung des Rads. Der restliche Anteil bewirkt ein Drehmoment um den Auflagepunkt des Rades. Dieses ist dem Betrage nach FR R, wenn R der Radius des Rades ist. Dieses dürfen wir parallel in die Achse verschieben, sodass auch für die Achse gilt M D FR R.

Beispiel 12.8: Abrollen eines Rades, Teil 2

Wir führen 7 Beispiel 12.7 noch etwas weiter. In Skizze A ist das Abrollen eines Rads auf einer schiefen Ebene zu sehen. Drei Kräfte wirken auf das Rad. Zum einen ist dies die Gewichtskraft FEG , die am Schwerpunkt des Rads angreift. Diese kann man in die Normalkraft und den Hangabtrieb zerlegen. Die Normalkraft wirkt senkrecht auf die Unterlage und erzeugt am Auflagepunkt des Rads (roter Punkt in der Skizze) eine Reactio der Unterlage auf das Rad. Diese haben wir mit FEU bezeichnet. Außerdem wirkt eine Reibungskraft zwischen dem Rad und der Unterlage, die verhindert, dass das Rad rutscht statt zu rollen. Sie muss denselben Betrag wie der Hangabtrieb haben, aber diesem entgegengesetzt sein, so dass sich im Auflagepunkt alle angreifenden Kräfte zu null addieren und dieser in Ruhe bleibt. Die Reibungskraft haben wir in der Skizze mit FER bezeichnet.

12

262

Kapitel 12  Der starre Körper

Es liegen also zwei Kräfte vor, die am Auflagepunkt angreifen (FEU und FER ), und eine, die am Schwerpunkt angreift (FEG ). Nach dem zweiten Hauptsatz der Statik können wir diese durch ein Kräftepaar ersetzen, das symmetrisch zum Schwerpunkt angreift. Dieses haben wir in der Skizze B eingezeichnet. Die beiden Kräfte sind mit FEA und FEB bezeichnet. Die Differenz FEA  FEB entspricht dem Hangabtrieb. Sie beschleunigt das Rad den Hang hinunter (Translationsbewegung). Die beiden Kräfte greifen mit einem Hebelarm s am Schwerpunkt an und bewirken ein Drehmoment. Wir haben als Hebelarm ein Viertel des Radius r des Rads gewählt und ihn so gedreht, dass die Kräfte senkrecht auf demHebelarmstehen. Sie bewirken ein Drehmoment der Größe 1 r FEA C FEB . Dieses Drehmoment beschleunigt die Rotation 4 des Rads, so dass es ohne Schlupf den Hang hinunterrollen kann.

12.5

Statik starrer Körper

Wie wir gesehen haben, ist ein Körper dann in Ruhe, wenn die Summe aller von außen angreifenden Kräfte und die Summe aller von außen angreifenden Drehmomente verschwinden. Wir betrachten zunächst ein einfaches Beispiel (. Abb. 12.6). Die Seilbahn wird vom Drahtseil getragen. Drehmomente treten hier nicht auf. Die Gewichtskraft wird durch die beiden Seilkräfte FE1 und FE2 kompensiert, die sich z. B. grafisch aus der Skizze bestimmen lassen. Damit bleibt die Seilbahn in Ruhe.

12 . Abb. 12.6 Kräfte an einer Seilbahn

Beispiel 12.9: Golden Gate

Die Fahrbahn der Golden-Gate-Brücke wird von Stahlseilen getragen, die oben an zwei Haupttrageseilen befestigt sind. Durch die Belastung der Brücke hängen die Hauptseile durch. Durch welche mathematische Funktion lässt sich der Durchhang beschreiben? Wie betrachten die Hauptspanne zwischen den beiden Pfeilern. Das Gewicht der vertikalen Seile vernachlässigen wir, sodass sich ein konstantes Gewicht  pro Längeneinheit der Brücke ergibt. Das Problem ist offensichtlich symmetrisch um den Punkt O, sodass es genügt, eine Hälfte der Brücke zu betrachten. Im Seil wirkt die Zugkraft FEZ , die in der Mitte durch die Zugkraft der anderen Hälfte FE0 kompensiert wird. An jedem Punkt der Brücke muss Kräftegleichgewicht sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Richtung herrschen. Wir wählen ein Koordi-

263 12.5  Statik starrer Körper

natensystem mit Ursprung in O. Die x-Achse zeigt zum rechten Pfeiler, die y-Achse nach oben. Summieren wir über alle Elemente von der Mitte der Brücke bis zu einer beliebigen Stelle x, so muss gelten X X

Fx D FZ .x/ cos  F0 D 0 Fy D FZ .x/ sin  x D 0

Wir dividieren die zweite Gleichung durch die erste und erhalten tan D

dy x D ; dx F0

wobei tan die Steigung der Kurve im Punkt x angibt. Wir separieren die Variablen und integrieren: Z

Z dy D

1  2 x dx ) y.x/ D x C x0 F0 2 F0

Es ergibt sich ein parabolischer Durchhang der Hauptseile.

Wir haben nun einige Beispiele diskutiert, bei denen Kräfte, aber noch keine Drehmomente auftraten. Nun wollen wir uns mit Drehmomenten auseinandersetzen. Betrachten Sie den LKW in . Abb. 12.7. Wir wollen die Achslasten berechnen. Die Zugmaschine habe ein Gewicht von 2 t, der Hänger samt Ladung 12 t. Für die Zugmaschine ist das Gewicht ungleich verteilt. Wir können näherungsweise davon ausgehen, dass das gesamte Gewicht der Zugmaschine auf deren Vorderachse lastet, während der Hänger nur die Hinterachse belastet. Dann wird die vorderste Achse mit 2 t belastet. Das Gewicht des Hängers verteilt sich auf die Hinterachse der Zugmaschine (A) und auf die Dreifachachse des Hängers, die wir durch einen einzigen Auflagepunkt bei B repräsentieren. Für den

12

264

Kapitel 12  Der starre Körper

. Abb. 12.7 Verteilung der Last auf die Achsen eines LKWs

Hänger muss gelten FEG D FEA C FEB

(12.14)

Diese Kräfte werden durch die Reactio der Straße auf den Druck der Reifen kompensiert. Doch dies genügt nicht, um die Achslasten zu bestimmen. Wir müssen ferner in Betracht ziehen, dass der Hänger nur dann ruht, wenn auch die Summe der Drehmomente verschwindet. Die Gewichtskraft auf den Schwerpunkt verursacht E B . Es muss gelten: EA und M die beiden Drehmomente M E B j D lA FA  lB FB D 0 ) FB D E A j  jM jM

lA FA lB

(12.15)

Aus den beiden Relationen erhält man1 : lB FG D 3;4 t lA C lB lA FB D FG D 8;6 t lA C lB

12

FA D

(12.16)

Da sich die Last bei B auf drei Achsen verteilt, haben wir pro Achse 4 Vorderachse der Zugmaschine: ca. 2,0 t, 4 Hinterachse der Zugmaschine: ca. 3,4 t, 4 Hänger pro Achse: ca. 2,9 t. Beispiel 12.10: Auf einer Wippe

Papa schaukelt mit seinen beiden Kindern Eva und Max auf einer Wippe. Wo muss er sich hinsetzen, damit die Wippe ins Gleichgewicht kommt (Maße und Gewichte siehe Skizze)?

1

Wir geben hier Gewichtskräfte in Tonnen an, wie dies im Sprachgebrauch üblich ist. Korrekt wäre es, das Ergebnis mit g zu multiplizieren, was auf Kräfte von 34 kN und 86 kN führt.

265 12.5  Statik starrer Körper

Die Drehmomente, die die beiden Kinder mit ihrem Gewicht erzeugen, müssen durch das Drehmoment des Vaters kompensiert werden. Es muss gelten: 19 kg  2;8 m C 27 kg  2;1 m D 69 kg  x: Es ergibt sich x D 1;59 m. Der Vater muss sich im Abstand von 1,59 m vom Drehpunkt hinsetzen. Das Gleichgewicht ist übrigens unabhängig von der Stellung der Wippe. Zeigen Sie es!

Beispiel 12.11: Absprung vom Sprungbrett

Ein Springer läuft an und springt mit voller Kraft von der Spitze des Bretts ab. Nehmen wir als Orientierung an, dass er beim Absprung eine Beschleunigung von a D 4g erreicht. Welche Kräfte müssen an den beiden Auflagepunkten des Sprungbretts aufgenommen werden? Vernachlässigen wir das Gewicht des Sprungbretts. Dann muss gelten: Gleichgewicht der KräfteW

F1  F 2 D F 0

Gleichgewicht der DrehmomenteW

l2 F2 D l0 F0 :

Dabei ist l0 der Abstand des Springers von der rechten Auflage des Bretts und l2 der Abstand der linken Auflage von der rechten. Wir erhalten:   l0 l0 F0 und F2 D F0 : F1 D 1 C l2 l2 Die Kraft F0 hatten wir zu 4 m g angenommen, wobei m die Masse des Springers ist. Die Kraft auf die rechte Auflage kann durchaus Werte bis 10 kN erreichen, was einem Gewicht von einer Tonne entspricht. Die Kraft auf die linke Auflage ist zwar geringer, beachten Sie aber, dass sie nach oben zeigt.

12

266

12

Kapitel 12  Der starre Körper

Eine wichtige Anwendung ist die Statik von Körpern, die auf einer Unterlage stehen. Es geht um die Frage, ob ein Körper stabil steht oder ob er umkippt. Wir betrachten beispielhaft den Körper in . Abb. 12.8. Es ist eine Art Tisch mit Beinen, die unter einem festen, schiefen Winkel angebracht sind. Der Punkt S markiert den Schwerpunkt des Körpers. An ihm greift die Gewichtskraft an. Die senkrechte, gestrichelte Linie markiert die Begrenzung P der Standfläche des Köpers. Befindet sich der Schwerpunkt außerhalb der Standfläche, so entsteht ein Drehmoment um den Punkt P. Der Körper beginnt nach links zu drehen. Er kippt um. Wäre der Schwerpunkt dagegen über der Standfläche, so würde das Drehmoment um P in die entgegengesetzte Richtung wirken. Es würde durch die Standfläche kompensiert. Der Körper bliebe stehen. Dies gilt allgemein für alle Körper. Solange der Schwerpunkt über der Standfläche liegt, steht der Körper stabil. Diese Bedingung muss allerdings nicht nur für eine Projektion des Körpers, sondern für alle Projektionen gegeben sein, denn wenn der Körper auch nur in eine Richtung kippt, ist er instabil. . Abb. 12.9 zeigt einen dreibeinigen Tisch von oben. Die drei Füße sind als dunkle Quadrate angedeutet. Das gestrichelte Dreieck markiert die Standfläche. Auf dem Tisch liegt ein schwerer Gegenstand (hellblau), der den Schwerpunkt S seitlich verschiebt. In der Projektion auf die Ebene A liegt der Schwerpunkt noch innerhalb der

. Abb. 12.8 Kippt der Körper um?

267 12.5  Statik starrer Körper

. Abb. 12.9 Stabilität eines dreibeinigen Tisches

projizierten Standfläche, nicht aber in der Projektion auf B. Der Tisch wird in Richtung von B umkippen. In der Realität steht aber nicht jeder Körper stabil, dessen Schwerpunkt sich über der Standfläche befindet. Man betrachte die drei Beispiele in . Abb. 12.10. In allen drei Fällen befindet sich der Schwerpunkt über der Standfläche, sodass die Körper im Prinzip stabil stehen sollten. Aber was passiert, wenn der Körper auch nur eine minimale Störung erfährt, z. B. eine winzige Kraft zur Seite? Auf den linken Körper wird dies keinen Einfluss haben. Er steht in einer stabilen Gleichgewichtslage. Nicht aber der rechte Körper. Durch die Störung würde der Schwerpunkt verschoben, sodass die Gewichtskraft nun ein kleines Drehmoment ausübt. Der Körper kippt ein wenig, wodurch sich der Hebelarm der Gewichtskraft vergrößert. Das Drehmoment steigt. Die Störung verstärkt sich, sodass der Körper umkippt. Man nennt dies ein instabiles Gleichgewicht. Das ursprüngliche Gleichgewicht ist instabil gegenüber minimalen Störungen. Auch das Gleichgewicht des mittleren Körpers ist nicht stabil gegenüber Störungen. Allerdings tritt hier keine Verstärkung der Störung auf. Wird der Körper gestört, rollt er ein klein wenig und endet in einer neuen Gleichgewichtslage. Ein solches Gleichgewicht nennt man labil.

. Abb. 12.10 Verschiedene Gleichgewichtslagen

12

268

Kapitel 12  Der starre Körper

Experiment 12.4: Steinetreppe

Wir bauen eine Steinetreppe. Wir stapeln Steine auf einem Tisch so aufeinander, dass der oberste Stein möglichst weit über den Tisch hinausragt. Wie stapelt man die Steine optimal? Ist es möglich, dass der oberste Stein vollständig über den Tisch hinausragt? Wie groß kann der Überhang maximal werden? Wir gehen das Problem systematisch an und legen zunächst nur einen Stein auf die Tischkante. Optimal platziert befindet sich der Schwerpunkt des Steines direkt über der Kante. Der Überhang beträgt a=2, wenn a die Kantenlänge des Steines ist. Nun nehmen wir einen zweiten Stein hinzu. Den oberen Stein legen wir wieder mit seinem Schwerpunkt auf die Kante des unteren, sodass er gerade noch liegen bleibt. Nun müssen wir den gemeinsamen Schwerpunkt beider Steine bestimmen. Er liegt in der Mitte, d. h. 34 a vom rechten Ende des unteren Steines entfernt und ebenso weit vom linken Ende des oberen. Diesen Schwerpunkt schieben wir auf die Kante des Tisches. Der untere Stein steht nun 14 a über, der obere 12 a. Der Überhang ist Ü D 12 a C 14 a. Nun heben wir die beiden Steine an und schieben einen dritten darunter. Man kann ihn um 16 a über die Kante hinausschieben. Und so weiter. Für n Steine ergibt sich UR D

12

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

n n X 1 aX1 aD 2i 2 iD1 i iD1

Es ergibt sich eine harmonische Reihe. Die harmonische Reihe divergiert, wenn auch langsam, d. h. es ist möglich, einen beliebig großen Überhang zu erreichen! Für vier Steine ergibt sich ein a > 1. Bei perfekter Positionierung ist bereits Überhang von 25 12 2 der vierte Stein vollständig außerhalb des Tisches. Das Foto zeigt einen Versuch mit Holzklötzen. Das Lot zeigt an, dass der siebte Holzklotz vollständig außerhalb des untersten liegt, der hier die Tischplatte ersetzt. Versuchen Sie selbst, ob Sie präziser stapeln können.

269 12.5  Statik starrer Körper

Beispiel 12.12: Kraftwirkung des Bizepses

Auch in unserem Körper wirken Drehmomente. Die Skizze zeigt die Muskulatur des Oberarmes. Der Bizeps bewirkt mit seiner Kraft FEM ein Drehmoment, das den Unterarm (Gewicht FEA  20 N) und ein eventuelles Gewicht in der Hand FEL hebt. Der Drehpunkt ist der Ellbogen. Die Länge der Kraftarme beträgt ungefähr lM  6 cm für den Bizeps, lA  18 cm zum Schwerpunkt des Unterarmes und ca. lL  35 cm für die Last in der Hand. Welche Kraft muss der Bizeps erbringen, um eine Last von 10 kg  100 N zu halten? Wir setzen ein Gleichgewicht der Drehmoment an (' ist der Winkel zwischen Unter- und Oberarm):  FL lL sin '  FA lA sin ' C FM lM sin ' D 0 ) FM D

FL lL C FA lA  640 N lM

Die Kraft, die der Bizeps aufwenden muss, ist erheblich größer als das Gewicht der Last. Sie ist unabhängig vom Winkel, unter dem man das Gewicht hält.

12

270

Kapitel 12  Der starre Körper

. Abb. 12.11 Stabilität einer Leiter

Wir wollen ein weiteres Beispiel berechnen (. Abb. 12.11). Wie steil muss die Leiter aufgestellt werden, damit sie nicht wegrutscht? Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass nur am Boden, nicht aber an der Wand Reibung auftritt. Auch hier müssen wir das Gleichgewicht der Kräfte und der Drehmomente sicherstellen. Das Gleichgewicht der Kräfte ist einfach zu erkennen. In vertikaler Richtung wird das Gewicht der Leiter FEG durch die Reactio des Bodens auf die Leiter FEB kompensiert. In horizontaler Richtung haben wir die Reibungskraft am Boden FER und die Reactio der Wand FEW , die sich gegenseitig kompensieren. Um die Kräfte zu berechnen, betrachten wir die Drehmomente in Bezug auf den Auflagepunkt auf dem Boden. Der Hebelarm der Gewichtskraft ist d=2, der der Wandkraft ist h. Die Kräfte FEB und FER tragen nicht bei, da ihr Hebelarm null ist: M D mg

d  FW h D 0 2

(12.17)

Man erhält für die Reibungskraft: FR D FW D mg

d < H mg ) d < 2hH 2h

(12.18)

Solange diese Bedingung erfüllt ist, steht die Leiter stabil. Beispiel 12.13: Baukran

12

Baukräne heben über eine Seilrolle im Ausleger eine Last. Der Kran hat in der Regel nur eine begrenzte Standfläche, sodass er beim Anheben der Last umkippen würde, wäre hinten nicht ein Gegengewicht angebracht. Wir wollen berechnen, wie schwer dieses sein muss. Vielleicht ist Ihre erste Reaktion, das Gegengewicht so schwer zu machen, dass es das gleiche Drehmoment wie die Last erzeugt. Doch das wäre zu viel. In diesem Fall würde der Kran nach hinten kippen, sobald Sie die Last ablegen. Um einen stabilen Kran zu erreichen, müssen wir neben Last und Gegengewicht auch das Eigengewicht des Krans berücksichtigen. Wir nehmen folgende Daten an: Der Kran soll bei einer Auslage von 20 m eine Last von 2;2 t heben. Sein Eigengewicht beträgt 10,5 t, die Standfläche 4,5 m  4 m wie in der Skizze zu sehen. Das Gegengewicht ist am hinteren Ausleger bei 8 m Abstand montiert. Wir beginnen mit der Last. Der Drehpunkt ist das rechte Ende der Standfläche. In der Skizze sind die Kräfte bezeichnet. Es ist FEK das Eigengewicht, FEL das Gewicht der Last und FEG das des

271 12.5  Statik starrer Körper

Gegengewichtes. An der Grenze zum Kippen muss gelten FL .20 m  2 m/  FK 2 m  FG;min .8 m C 2 m/ D 0 )mG;min D

mL 18 m  mK 2 m D 1860 kg 10 m

Andererseits darf der Kran ohne Last nicht nach hinten kippen: FG;max .8 m  2;5 m/  FK 2;5 m D 0 ) mG;max D

mK 2;5 m D 4773 kg 5;5 m

In diesem Bereich ist das Gegengewicht zu wählen.

Beispiel 12.14: Statik einer Fachwerkbrücke

Vermutlich haben Sie schon einmal eine ähnliche Brücke wie die im Foto gesehen. Wir wollen uns die Statik einer solchen Brücke etwas genauer ansehen. Sie ist aus Streben aufgebaut, die jeweils gleichseitige Dreiecke bilden. Dies ergibt identische Einheiten (Elementarzellen), zu der jeweils vier Streben gehören. Sie sind in Skizze A dunkel gezeichnet. An den Knoten (rote Punkte) sind die Streben miteinander verbunden. Wir rechnen jeweils zwei Knoten zu einer Elementarzelle. Dies sind die beiden Knoten an den linken Enden der Streben A und B. Die beiden Knoten an deren rechten Enden zählen bereits zur nächsten Elementarzelle.

12

272

Kapitel 12  Der starre Körper

© wikimedia: Georgfotoart

Wir wollen das Gewicht der Streben vernachlässigen. Lediglich das Gewicht der Fahrbahn und eventuell darauf befindlicher Fahrzeuge betrachten wir. Bei leerer Brücke liegt der Schwerpunkt jedes Teilstücks (zwischen den Knoten i und i C 1) in der Mitte zwischen den beiden Enden. Befinden sich Fahrzeuge auf der Fahrbahn, wird es komplizierter. Aber es lässt sich immer noch Gewicht und Schwerpunkt jedes Teilstücks bestimmen. Daraus können wir die Kräfte ermitteln, die das Teilstück auf die Knoten i und i C 1 ausübt. Beachten Sie bitte, dass bei Knoten i noch ein Teil der Last des Teilstücks der Fahrbahn der vorherigen Zelle hinzukommt und ebenso bei Konten i C 1 eine Teillast der folgenden Zelle. Wir können also an jedem (unteren) Knoten die angreifenden Gewichtskräfte FEG;i berechnen. Der entscheidende Schritt besteht nun darin, zu realisieren, dass sich die Brücke nur dann im statischen Gleichgewicht befindet, wenn sich an allen Knoten die angreifenden Kräfte zu null addieren. Wir haben die Kräfte in Skizze A an zwei Knoten eingezeichnet. Die Pfeile repräsentieren lediglich die Richtungen der Kräfte, nicht aber deren Beträge! Einzelne Kräfte können negativ werden. Dann zeigen sie entgegen der eingezeichneten Pfeilrichtung. Vernachlässigen wir die Gewichte der Streben, so zeigen die Kräfte, die die Streben übertragen, entlang ihrer Achsen2 . Sie sind entgegengesetzt gleich groß. Wir haben sie daher mit demselben Symbol bezeichnet. Für jeden Knoten an der Fahrbahn der Brücke gilt folglich:

12

FEA;i1 C FED;i1 C FEC;i C FEA;i C FEG;i D 0

2

Die Summen der Kräfte und der Drehmomente, die an jeder Strebe angreifen, müssen ebenfalls null ergeben. Wenn aber neben den Kräften, die von

273 12.5  Statik starrer Körper

bzw. in Komponenten ausgedrückt (x-Achse horizontal nach rechts, y-Achse nach oben): FA;i1  cos 60ı FD;i1 C cos 60ı FC;i C FA;i D 0 sin 60ı FD;i1 C sin 60ı Fc;i  FG;i D 0 und für die Knoten am oberen Ende der Brücke: FB;i  cos 60ı FD;i C cos 60ı FC;i  FB;i1 D 0  sin 60ı FC;i  sin 60ı FD;i D 0: Jede Zelle der Brücke besitzt vier Streben und damit vier Kräfte, die wir bestimmen müssen. Hat die Brücke N Zellen, ergeben sich 4N Streben3 . Die Brücke liegt an beiden Enden mit ihrem Gewicht auf dem Brückenkopf auf. Vom Brückenkopf geht eine Reactio aus, die die gesamte Brücke trägt. Wir haben sie in Skizze B mit FEE;1 bezeichnet. Die entsprechende Kraft am anderen Ende der Brücke ist FEE;N C1 . Unsere Aufgabe ist es folglich, 4N C 2 Kräfte zu bestimmen. Dazu nutzen wir die Bedingungen, die wir an den Knoten abgeleitet haben. Es sind 2  .2N C 1/ Bedingungen. Dies ist genau die erforderliche Anzahl, um alle Kräfte festlegen zu können. Beachten Sie, dass es sich durchweg um lineare Bedingungen handelt, die sich durch Einführung eines E D .FE;1 ; FA;1 ; FB;1 ; : : : ; FD;N ; FE;N C1 /, der alKräftevektors G E D 0 bringen le Kräfte als Komponenten enthält, in die Form A G lässt, wobei A eine Matrix ist. Durch Invertieren der Matrix lässt sich die Lösung bestimmen.

3

den Knoten ausgehen, keine weitere Kräfte wirken, kann dies nur erfüllt sein, wenn die beiden Kräfte entgegengesetzt gleich groß sind. In der letzten Zelle rechts fehlt eigentlich die Strebe B, was auf FEB;N D 0 führen muss.

12

274

Kapitel 12  Der starre Körper

?Aufgaben 1. Im vorigen Abschnitt (. Abb. 12.11) wurde die Bedingung für die Stabilität einer leeren Leiter zu d < 2hH berechnet. Welche Bedingung sollte erfüllt sein, damit Sie es wagen, die Leiter bis zum oberen Ende zu besteigen? 2. Betrachtet werde ein Seil, das unter dem eigenen Gewicht durchhängt. Die Form, unter der das Seil frei hängt, werde durch die Funktion y.x/ beschrieben. Zeigen Sie, dass gilt: y 00 D

12

1 p  1 C .y 0 /2 ; FH

wobei  das Eigengewicht des Seils pro Längeneinheit entlang des Seils darstellt. Besorgen Sie sich die Lösung der Differenzialgleichung, die auch als Kettenlinie bekannt ist. Warum wird die Kettenlinie auch oft bei der Konstruktion von Bögen und Gewölben zugrunde gelegt? 3. Eine homogene Platte hat die Form eines rechtwinkligen Dreiecks. Die Platte soll an zwei Punkten, die sich auf den Katheten a und b des Dreiecks befinden, aufgehängt werden und zwar so, dass sich die Platte im labilen Gleichgewicht befindet, sich also nicht von selbst senkrecht stellt. Stellen Sie eine Beziehung zwischen den beiden Positionen der Aufhängepunkte auf den Kathetenachsen auf. Berechnen Sie die Grenzfälle und die symmetrische Konfiguration. 4. Eine homogene quadratische Platte der Masse m und der Seitenlänge a wird an drei Fäden in der Horizontalen gehalten. Zwei der Fäden sind an benachbarten Ecken angebracht, der Aufhängepunkt des dritten Fadens kann an der gegenüberliegenden Seite frei verschoben werden. Wie groß sind die Kräfte in den beiden fixen Fäden in Abhängigkeit von der Lage des Aufhängepunkts des dritten Fadens? 5. Wo liegt der Schwerpunkt eines geraden Kreiskegels mit homogener Dichte? Welche Lage ergibt sich für den Schwerpunkt, falls die Dichte zwischen Grundfläche und Spitze des

275 12.5  Statik starrer Körper

Kegels so linear abnimmt, dass sie an der Spitze nur halb so groß wie an der Grundfläche ist? 6. Eine Garnrolle wird auf einer ebenen Unterlage durch Ziehen am Faden ins Rollen gebracht. Die Richtung, in die die Garnrolle wegrollt, hängt dabei davon ab, welchen Winkel der Faden relativ zur Unterlage einnimmt. a) Bei welchem Winkel ˛ geschieht der Übergang von der einen in die andere Richtung, wenn der Außendurchmesser (Rolldurchmesser) der Garnrolle da D 3 cm und der Innendurchmesser (Durchmesser der Wicklung) di D 2;5 cm betragen? b) Nun wird an dem Faden genau unter dem in a) berechneten Übergangswinkel ˛ gezogen. Mit welchem Vielfachen der Gewichtskraft der Garnrolle darf dann an dem Faden maximal gezogen werden, ohne dass die Garnrolle ins Gleiten gerät? Der Haftreibungskoeffizient zwischen der Rollfläche der Garnrolle und der Unterlage sei H D 0;9.

12

277

Drehbewegungen Inhaltsverzeichnis 13.1

Der Drehimpuls – 278

13.2

Rotation um eine feste Achse – 282

13.3

Drehimpulserhaltung – 294

13.4

Rollbewegungen – 300

13.5

Kreiselbewegung – 307

13.6

Der Trägheitstensor – 320

13.7

Rotation um freie Achsen – 330

13.8

Gegenüberstellung – 332

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_13

13

278

Kapitel 13  Drehbewegungen

13.1

Der Drehimpuls

Wir wollen den Drehimpuls zunächst mathematisch einführen: Wir betrachten einen Massenpunkt (. Abb. 13.1). Seine Bewegung ist gegeben durch: d pE d vE D : FE D m dt dt . Abb. 13.1 Zur Definition des Drehimpulses

(13.1)

Wir multiplizieren (Vektorprodukt) von links mit dem Ortsvektor und erhalten das Drehmoment: E D rE  FE D rE  d pE : M dt

(13.2)

Eine kurze Zwischenrechnung zeigt, dass sich die rechte Seite vereinfachen lässt: d d rE d pE .Er  p/ E D  pE C rE  : dt dt dt

(13.3)

Der erste Summand verschwindet aber, da d rE  pE D vE  mE v D m.E v  vE/ D 0 : dt

(13.4)

Also ist rE 

d d pE D .Er  p/ E : dt dt

(13.5)

Damit erhalten wir

13

E D d .Er  p/ M E : dt

(13.6)

Für Drehbewegungen stellt dieser Ausdruck das Äquivalent zu Newtons zweitem Axiom für lineare Bewegungen dar. Man nennt ihn auch den Drallsatz. Wie Sie gesehen haben, haben wir Gl. 13.1 aus diesem Axiom abgeleitet. Es ist also kein neues Axiom. Um die Äquivalenz noch deutlicher zu machen, führen wir eine neue E D rE  pE den Drehimpuls und damit ist Größe ein. Wir nennen L E E D dL : M dt

. Abb. 13.2 Rechte-Hand-Regel für Kreuzprodukte

(13.7)

Diese Gleichung wurde erstmals 1754 von Leonard Euler aufgestellt. Sie heißt daher auch Euler’scher Drehimpulssatz. Der Drehimpuls hat eine Richtung, die durch das Kreuzprodukt gegeben ist (siehe . Abb. 13.2). Er steht immer senkrecht auf dem Orts- und dem Impulsvektor des Massenpunktes. Die Rechte-Hand-Regel gibt Ihnen die Richtung an.

279 13.1  Der Drehimpuls

Beispiel 13.1: Drehimpuls

Die beiden Räder des Fahrrades haben einen großen Drehimpuls um deren Achsen. Sie stabilisieren die Fahrt.

© Wikimedia: ProfDEH

Beachten Sie: Sowohl der Drehimpuls, als auch das Drehmoment beziehen sich auf einen Drehpunkt. Zur korrekten Angabe eines Drehimpulses und eines Drehmomentes gehört die Angabe, auf welchen Drehpunkt sich die Größen beziehen. Sie verändern sich, wenn Sie den Drehpunkt verschieben. Dabei muss der Drehpunkt nicht notwendigerweise durch eine Achse apparativ ausgezeichnet sein. Man kann ihn für die Beschreibung der Bewegung beliebig wählen. Der Vektor rE ist jeweils der Vektor vom Drehpunkt zum Massenpunkt. Sie müssen für die Berechnung von Drehmoment und Drehimpuls jeweils denselben Drehpunkt und damit denselben Vektor rE wählen. Die beiden Skizzen in . Abb. 13.3 sollen beispielhaft zeigen, wie sich der Drehimpuls durch Verschiebung des Bezugspunktes (Drehpunkt) verändert. Beide Skizzen stellen dieselbe Bewegung dar, aber sowohl Richtung als auch Betrag des Drehimpulses sind verschieden.

. Abb. 13.3 Drehimpuls und Drehpunkt

13

280

Kapitel 13  Drehbewegungen

. Abb. 13.4 Drehimpuls einer geradlinigen Bewegung

Selbst eine geradlinige Bewegung kann einen Drehimpuls enthalten. Dies mag im ersten Moment überraschend klingen, aber betrachten Sie doch das Beispiel in . Abb. 13.4. Es handelt sich um einen nicht-zentralen Stoß zweier Kugeln, wobei die rechte Kugel ruht. Als Drehpunkt wählen wir den Schwerpunkt der ruhenden Kugel. In diesem Fall zeigt der Drehimpuls senkrecht aus der Zeichenebene heraus. Man zeichnet den Vektor jeweils am Drehpunkt. Diese Überlegungen bezogen sich wieder auf einen Massenpunkt, aber der Übergang zu starren Körpern ist nicht schwer. Bauen wir einen starren Körper aus Massenpunkten auf, so müssen wir die Definition des Drehimpulses entsprechend erweitern. Für viele Massenpunkte ist X X Ei D ED L L rEi  pEi ; (13.8) i

i

dabei müssen sich die Drehimpulse aller Massenpunkte auf denselben Drehpunkt beziehen. Für eine kontinuierliche Massenverteilung gilt dann entsprechend Z Z Z         ED ED L dL rE  vE rE d m D rE  vE rE rE dV : Körper

Körper

Körper

(13.9)

13 Beispiel 13.2: Drehimpuls einer Hantel

Wir betrachten eine Hantel, die um ihren Mittelpunkt (Bezugspunkt) rotiert. Wir wollen sie als zwei Massenpunkte an der Stelle der Gewichte nähern. Der Abstand der beiden Gewichte sei l, die Masse eines Gewichtes m. Dann ist der Drehimpuls E D jLj

1 l l l mv 0 C mv 0 D lm! D ml 2 ! : 2 2 2 2

281 13.1  Der Drehimpuls

. Abb. 13.5 Drehimpuls einer Hantel

Wir wollen das Beispiel der Hantel (13.2) noch etwas näher betrachten. Die Hantel rotiert um ihren Schwerpunkt, wir wählen nun aber einen anderen Punkt als Bezugspunkt für die Berechnung des Drehimpulses. Zunächst wollen wir noch als Einschränkung vorgeben, dass sich der Schwerpunkt der rotierenden Hantel nicht bewegt. Die Vektoren rE1 und rE2 zeigen vom Bezugspunkt zu den Gewichten, die entsprechenden gestrichenen Vektoren rE10 und rE20 vom Schwerpunkt zu den Gewichten (. Abb. 13.5). Es ist rE1 D rES C rE10 und rE2 D rES C rE20 . Dann ist: E ges D rE1  pE1 C rE2  pE2 L D rE10  pE1 C rE20  pE2 C rES  pE1 C rES  pE2 E 0ges C rES  .pE1 C pE2 / D L E 0ges : DL

(13.10)

E 0ges stellt den Drehimpuls bezüglich des Der erste Summand L Schwerpunktes dar, der zweite Summand verschwindet, da bei ruhendem Schwerpunkt die Summe der Impulse null sein muss. Wir kommen also im Fall eines ruhenden Schwerpunktes zu dem Schluss, dass der Drehimpuls nicht vom Bezugspunkt abhängt. Wir wollen nun den allgemeinen Fall betrachten und auch Bewegungen des Schwerpunktes zulassen. Wir haben dann   E ges D L E 0ges C rES  pE1 C pE2 L E 0ges C rES  .m1 C m2 /E DL vS E 0ges C rES  M vES DL E Eigen C L E Bahn : DL

(13.11)

Wie Sie sehen, kann man den Drehimpuls bezüglich eines beliebigen Bezugspunktes aus zwei Termen zusammensetzen. Der erste ist der Drehimpuls der Drehung um den Schwerpunkt des Körpers. Man nennt ihn seinen „Eigendrehimpuls“ oder auch „Spin“. Der zweite Term ist der Drehimpuls des Körpers bezüglich des gewählten Bezugspunktes, den man erhält, wenn man den Körper durch einen Massenpunkt in seinem Schwerpunkt ersetzt. Man nennt diesen Term den „Bahndrehimpuls“. Der Bahndrehimpuls hängt vom Bezugspunkt ab, nicht aber der Eigendrehimpuls.

13

282

Kapitel 13  Drehbewegungen

Wir haben diese Rechnung für einen starren Körper aus zwei Massenpunkten durchgeführt. Sie können sich leicht vergewissern, dass das Ergebnis für beliebige (starre) Körper gilt. Sie lernen nun einen weiteren sehr wichtigen Erhaltungssatz kennen: Am Anfang dieses Kapitels hatten wir aus Newtons zweitem Axiom folgende Beziehung abgeleitet (Gl. 13.7) E E D dL M dt

(13.12)

Greift an dem Körper kein äußeres Drehmoment an, so folgt, dass die zeitliche Ableitung des Drehimpulses verschwindet, d. h. der Drehimpuls stellt eine Erhaltungsgröße dar. Dabei unterscheiden wir ähnlich wie beim Impulserhaltungssatz innere und äußere Drehmomente. Ein inneres Drehmoment ist ein solches, das von Kräften zwischen den Teilen des Körpers erzeugt wird. Bei starren Körpern kann es keine Auswirkungen haben. Ein äußeres Drehmoment geht auf von außen angreifende Kräfte zurück. Wir formulieren den Drehimpulserhaltungssatz: >Drehimpulssatz In einem System, in dem keine äußeren Drehmomente wirken, ist der Gesamtdrehimpuls erhalten.

13

Wie schon der Energie- und Impulssatz, lässt sich auch der Drehimpulssatz im Noether’schen Sinne auf die Invarianz der Naturgesetze unter einer Symmetrietransformation zurückführen. In diesem Fall handelt es sich um die Rotationssymmetrie des Raumes, die man auch als Isotropie des Raumes bezeichnet, d. h. die Beobachtung, dass im Raum keine Richtung ausgezeichnet ist. 13.2

Rotation um eine feste Achse

Wir behandeln zunächst Drehungen, bei denen die Rotationsachse durch äußere Bedingungen (Halterungen) festgehalten wird. Sie sehen in . Abb. 13.6 zwei Skizzen, die die Rotation eines Massenpunktes um eine feste Achse aus unterschiedlichen Per-

. Abb. 13.6 Rotation eines Massenpunktes um eine ortsfeste Achse

283 13.2  Rotation um eine feste Achse

spektiven zeigen: einmal entlang der Rotationsachse sowie senkrecht dazu dargestellt. Der Vektor rE? liegt in der Bahnebene des Massenpunktes. Wir nehmen an, dass sein Betrag konstant bleibt, d. h. der Massenpunkt rotiert auf einer Kreisbahn. Wir berechnen die Bewegung: E dL d v/ D .Er?  mE dt dt d .Er?  m.!E  rE? // D dt d E .mEr?2 !/ D dt d !E E DM D mEr?2 dt

(13.13)

Die zeitliche Ableitung der Winkelgeschwindigkeit nennt man die „Winkelbeschleunigung“. Man kürzt sie üblicherweise mit ˛E ab. Die Winkelbeschleunigung ist ein Vektor. Im Falle einer festen Rotationsachse zeigt er entlang der Achse. Somit lautet unser E D mEr 2 ˛E , was schon deutlich an das zweite NewErgebnis M ? ton’sche Axiom erinnert. Um diese Analogie noch deutlicher herauszustellen, führen wir das Trägheitsmoment I ein. Wir haben dann: E D I ˛E M

mit

I D mEr?2 :

(13.14)

Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied zwischen der Masse und dem Trägheitsmoment: Die Masse ist eine Eigenschaft des Körpers, das Trägheitsmoment enthält in seiner Definition rE? und hängt somit auch von der Lage der Rotationsachse ab. Die Definition des Trägheitsmomentes, die wir zunächst für einen einzelnen Massenpunkt kennengelernt haben, kann man wiederum auf Systeme von Massenpunkten oder kontinuierliche Masseverteilungen erweitern: I D

X

2 mi rE?;i

i

Z I D

Z rE?2 d m D

Körper

.Er /Er?2 dV

(13.15)

Körper

Wir betrachten die Bewegung eines Massenpunktes unter dem Einfluss eines konstanten Drehmomentes. Das Drehmoment wirke entlang der Drehachse. Da alle Vektoren entlang der Drehachse zeigen, können wir auf Vektorpfeile verzichten und mit Beträgen

13

284

Kapitel 13  Drehbewegungen

arbeiten. Es ist: M D I˛ D I )

d 2' D˛ dt 2

d! d 2' DI 2 dt dt mit

˛D

M ; I

(13.16)

wobei der Drehwinkel ' die Position des Massenpunktes auf der Kreisbahn angibt. Diese Differenzialgleichung lässt sich einfach integrieren: Z d 2' dt D ˛dt dt 2 d' D !.t/ D ˛t C !0 dt Z Z d' dt D .˛t C !0 / dt dt 1 '.t/ D ˛t 2 C !0 t C '0 2

Z

(13.17)

Als Integrationskonstanten haben wir die anfängliche Position des Massenpunktes auf dem Kreis '0 D '.t D 0/ und die anfängliche Rotationsgeschwindigkeit !0 D !.t D 0/ eingeführt. Wir erhalten eine beschleunigte Rotation, deren Gleichungen an die eindimensionale Bewegung bei konstanter Beschleunigung erinnern (siehe Gl. 5.16). Beispiel 13.3: Balancierstange

13

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wodurch eine Balancierstange beim Balancieren hilft? Der Akrobat steht in einem stabilen Gleichgewicht auf dem Hochseil, doch der Stabilitätsbereich ist eng. Kippt er nur ein wenig zur Seite, bewegt er sich auf einen Punkt zu, an dem die Position instabil wird und er einen Absturz nicht mehr aufhalten kann. Er muss reagieren, bevor er diesen Punkt erreicht. Die Balancierstange vergrößert sein Trägheitsmoment und verschafft ihm damit Zeit, um auf Störungen zu reagieren. Versuchen Sie das Trägheitsmoment der Balancierstange aus . Tab. 13.1 abzuschätzen und vergleichen Sie dies mit dem Trägheitsmoment des Akrobaten. Eine 10 kg schwere und 10 m lange Stange hat ein Trägheitsmoment, das größer ist als das des Akrobaten selbst! Außerdem verlagert die Balancierstange mit ihren nach unten weisenden Ende den Schwerpunkt nach unten.

285 13.2  Rotation um eine feste Achse

© wikimedia: Sebastiaan ter Burg from Utrecht, The Netherlands

13.2.1

Berechnung von Trägheitsmomenten

Um Rotationsbewegungen tatsächlich auszurechnen, muss man die Trägheitsmomente der beteiligten Körper kennen. In 7 Experiment 13.1 werden Sie sehen, wie man Trägheitsmomente messen kann. Hier wollen wir die Berechnung am Beispiel einer Kreisscheibe demonstrieren (. Abb. 13.7). Wir bestimmen das Trägheitsmoment bezüglich der Symmetrieachse. Man nennt es das polare Trägheitsmoment. Die Kreisscheibe habe eine konstante Dichte und einen Radius R. Dann ist das Trägheitsmoment Z I D

r?2 dV

Körper

. Abb. 13.7 Das Trägheitsmoment einer Kreisscheibe

(13.18)

13

286

Kapitel 13  Drehbewegungen

Ein infinitesimaler Ring der Kreisscheibe hat folgende geometrische Größen: 2 r? 2 r?dr? 2hr? dr?

Umfang: Fläche: Volumen:

(13.19)

ZR I D

r?2 2  h r? dr? 0



ZR D 2 h

r?3 dr? D 2 h 0

ˇ 1 4 ˇˇR 1 r? ˇ D  hR4 (13.20) 4 2 0

Man kann das Ergebnis noch vereinfachen, indem wir die Masse der Kreisscheibe M D  hR2 benutzen. Dann ist I D 12 MR2 . Das Trägheitsmoment ist proportional zur Masse der Kreisscheibe. Es ist – bei fester Masse – unabhängig von der Höhe der Kreisscheibe. Damit gilt dieses Ergebnis auch für einen Zylinder. Fügen wir eine zweite Kreisscheibe der Höhe h hinzu, so können wir deren Trägheitsmomente einzeln berechnen und danach addieren, oder wir betrachten sie als eine einzige Kreisscheibe mit doppelter Masse. Da beides zum selben Ergebnis führen muss, muss gelten Iges D I1 C I2 . Dies gilt sogar allgemein, solange sich die Trägheitsmomente alle auf dieselbe Rotationsachse beziehen. In . Tab. 13.1 sind die Trägheitsmomente einiger gängiger Körper bezüglich ihrer Symmetrieachsen aufgeführt. Die Symmetrieachsen gehen in allen Fällen durch den Schwerpunkt.

13

Beispiel 13.4: Trägheitsmoment einer Achse mit Rädern

Eine Achse mit zwei Reifen auf Felgen (Abb.) ist schon ein recht komplexes Objekt. Das Trägheitsmoment lässt sich aus einzelnen Elementen nach . Tab. 13.1 zusammensetzen. Alle Trägheitsmomente beziehen sich auf die Rotation um die Achse selbst. Das Trägheitsmoment eines Rades setzt sich zusammen aus dem Trägheitsmoment der Felge (Radius r) und dem Reifen (Innenradius r, Außenradius R): IRad D IReifen C IFelge . Für die Felge können wir direkt den Eintrag für einen Vollzylinder aus der Tabelle nehmen IFelge D 12 mFelge r 2 . Für den Reifen benutzen wir das Integral aus Gl. 13.20 in den Grenzen r bis R: IReifen D 12 mReifen .R2 C r 2 /. Dann ergibt sich für die gesamte Achse Igesamt D IAchse C 2IRad , wobei IAchse für die meisten Anwendungen vernachlässigbar sein dürfte.

287 13.2  Rotation um eine feste Achse

. Tab. 13.1 Trägheitsmomente einiger einfacher Körper um deren Symmetrieachsen Trägheitsmoment Kugel Radius R

2 2 5 MR

Kugelschale Radius R

2 MR2 3

Zylinder Radius R

1 MR2 2

Zylinder Radius R, Höhe h

1 MR2 4

Hohlzylinder Radius R

MR2

Kegel Radius R, Höhe h

3 MR2 10

Quader Kanten a und b

1 M 12

Torus M Radius R, Ring r

3 4



Bemerkungen

Infinitesimale Dicke der Schale

C

1 M h2 12

a2 C b 2

r 2 C R2





Kanten senkrecht zur Achse Äußerster Rand bei R C r.

13

288

Kapitel 13  Drehbewegungen

Beispiel 13.5: Das Trägheitsmoment eines Kegels

Wir wollen als Beispiel das Trägheitsmoment eines Kegels mit homogener Dichte 0 in Bezug auf seine Symmetrieachse bestimmen. Wir wählen zur Berechnung Zylinderkoordinaten mit dem Ursprung im Mittelpunkt der Grundfläche des Kegels. Der Radius der Grundfläche sei R und die Höhe h. Die Zylinderkoordinate, die wir üblicherweise mit bezeichnen, entspricht hier dem senkrechten Abstand r? von der Rotationsachse. Der Radius des Kegels nimmt vom Wert R am Fuß des Kegels linear auf null an der Kegelspitze ab. Die obere Integrationsgrenze für r? ist folglich R.1  z= h/. Das Trägheitsmoment berechnet sich aus: Zh

Z I D

0 r?2

R.1z= Z h/Z2

dV D 0

V

r?2 d'r? dr? dz 0

0

0

Zh R.1z= Z h/ D 2 0

r?3 0

D

 0 R4 2

Zh dr? dz D 2 0

0

Zh 

0

1

ˇ 1 4 ˇˇR.1z= h/ r dz 4 ? ˇ0

z 4 dz h

0

 Zh  z2 z3 z4  0 R z D 1  4 C 6 2  4 3 C 4 dz 2 h h h h 4

0

13

4



ˇh z2 z3 z4 1 z 5 ˇˇ C2 2  3 C h h h 5 h4 ˇ 0

D

 0 R 2

D

3  0 R4 h D MR2 ; 10 10

z2

wobei wir im letzten Schritt die Masse M D 0 V mit dem Volumen V D 13 R2 h des Kegels eingesetzt haben. Sie finden den Wert in . Tab. 13.1 wieder.

Experiment 13.1: Messung von Trägheitsmomenten

Eine einfache Methode zur Messung von Trägheitsmomenten stellt ein Torsionspendel dar. An einer senkrechten Achse (Bild) ist eine Spiralfeder befestigt. An der Achse wird das Objekt befestigt, dessen Trägheitsmoment zu messen ist. Im Bild ist dies ein Gewicht, das in einem Abstand von ca. 20 cm um die Achse rotiert. Im Bild ist das Objekt über ein Gestänge an der Achse befestigt. Alternativ kann man einen Tisch auf die

289 13.2  Rotation um eine feste Achse

Achse aufschrauben und das Objekt auf den Tisch legen, bzw. auf dem Tisch festklemmen. Dreht man die Achse ein Stück und lässt dann los, entsteht eine Schwingung. Wie wir noch im 7 Abschn. 17.1 sehen p werden, ist die Schwingungsperiode der Schwingung T D 2 I =D. Diese Periodendauer misst man. D ist die Federkonstante der Spiralfeder, die man kennen muss. Man macht zunächst eine Leermessung T0 mit der Apparatur und allen Halterungen, aber ohne den zu vermessenden Körper, und dann eine zweite Messung T mit dem Körper. Dann ist T 2  T02 D 2

13.2.2

IObjekt I  I0 D 2 D D

Der Satz von Steiner

Sie haben nun eine Reihe von Beispielen gesehen, in denen Trägheitsmomente in Bezug auf Achsen durch den Schwerpunkt der Körper bestimmt wurden. Im Prinzip lässt sich aus Gl. 13.15 das Trägheitsmoment in Bezug auf eine beliebige Achse berechnen, aber die Integrale sind in der Regel komplizierter. Hier lernen Sie eine alternative Möglichkeit kennen. Wenn es Ihnen gelingt, das Trägheitsmoment bezüglich einer Achse durch den Schwerpunkt, die parallel zur gesuchten Achse liegt, zu bestimmen, so kann das Trägheitsmoment zu der gesuchten Achse mithilfe des Satzes von Steiner berechnet werden. Betrachten Sie die Skizze in . Abb. 13.8. Das Trägheitsmoment IS bezüglich einer Achse durch den Schwerpunkt S sei bekannt. Das Trägheitsmoment IA bezüglich einer dazu parallelen Achse durch den Punkt A wollen wir bestimmen. Die Strecke y steht senkrecht auf der Geraden durch A und S. Wir benutzen den

13

290

Kapitel 13  Drehbewegungen

. Abb. 13.8 Zum Satz von Steiner

Satz von Pythagoras rS2 D b 2 C y 2 rA2 D .a C b/2 C y 2

(13.21)

Dann ist Z

Z

IA D

rA2 d m D V

..a C b/2 C y 2 / d m V

Z

.a C b C 2ab C y 2 / d m

D

2

2

V

Z

Z a2 d m C

D V

Da

Z 2ab d m C

V

Z V

V

Z

d m C 2a

2

Z

b dm C V

D a M C 0 C IS 2

13

.b 2 C y 2 / d m rS2 d m V

(13.22)

Dabei ist M die Masse des Körpers. Das mittlere Integral verschwindet, da es aufgrund der Definition des Schwerpunktes null ergeben muss. Wir erhalten also >Satz von Steiner Hat ein Körper der Masse M ein Trägheitsmoment IS in Bezug auf eine Achse durch den Schwerpunkt, so ist das Trägheitsmoment in Bezug auf eine um den Abstand a parallel verschobene Achse IA D IS C a2 M Experiment 13.2: Satz von Steiner

Mit der Apparatur aus 7 Experiment 13.1 kann man den Satz von Steiner quantitativ überprüfen. Man justiert den Körper auf dem Drehtisch mit dem Schwerpunkt über der Drehachse und misst

291 13.2  Rotation um eine feste Achse

sein Trägheitsmoment. Dann verschiebt man den Körper um die Strecke a, misst erneut und vergleicht mit der Vorhersage aus dem Satz von Steiner.

13.2.3

Rotationsenergie

Wir wollen die kinetische Energie eines rotierenden Körpers bestimmen, indem wir diese auf die bekannte Formel für die kinetische Energie zurückführen (siehe . Abb. 13.9). Für ein infinitesimal kleines Massenelement des Körpers beträgt die kinetische Energie dEkin D

1 1 d m v 2 D d m r?2 ! 2 2 2

(13.23)

was wir über den Körper integrieren. Erot

1 D !2 2

Z r?2 d m D

1 2 I! 2

(13.24)

V

Diese Gleichung für die Rotation entspricht der bekannten Formel Ekin D 12 mv 2 für die kinetische Energie einer Translationsbewegung. Man nennt sie die „Rotationsenergie“. Sie ist eine besondere Form der kinetischen Energie. Greift an einem Körper eine Kraft an und dreht diesen, so verrichtet sie Arbeit, selbst wenn der Schwerpunkt des Körpers nicht bewegt wird und der Körper „nur“ rotiert (siehe . Abb. 13.10). Ist der Körper reibungsfrei gelagert, so wird die verrichtete Arbeit in Rotationsenergie umgesetzt. Man kann diese Arbeit berechnen. Für eine infinitesimal kurze Strecke in Richtung der Kraft erhält

. Abb. 13.9 Zur Berechnung der Rotationsenergie

13

292

Kapitel 13  Drehbewegungen

. Abb. 13.10 Eine Kraft verrichtet Arbeit

man W D F ds mit ds D rd' W D rF d'

(13.25)

Im einfachsten Fall, bei konstanter Kraft und konstantem Hebelarm, ergibt die Integration W D M', wobei wir das Drehmoment M eingesetzt haben. Für beliebige Richtungen der Kraft und des Hebelarmes erhalten wir ein Drehmoment, das senkrecht auf rE und FE steht, aber möglicherweise einen Winkel mit der Drehachse einschließt. Dann ist lediglich die Projektion des Drehmomentes auf die Drehachse für die verrichtete Arbeit von Relevanz. Diese erhalten wir durch ein Skalarprodukt: Z E d '; E E (13.26) W D M  'E bzw. W D M

13

wobei die zweite Formel für veränderliche Drehmomente einzusetzen ist. Der Vektor 'E zeigt entlang der Drehachse (Rechtsschraube). Nun kann man wie im Fall einer linearen Bewegung die Leistung definieren P D

dW E  !E DM dt

(13.27)

Beispiel 13.6: Schwungradspeicherung

Mit Schwungrädern kann man Energie speichern. In der Skizze sehen Sie den Aufbau eines modernen Schwungradspeichers für elektrische Energie. Ein Elektromotor treibt das Schwungrad an und wandelt dabei elektrische Energie in Rotationsenergie um. Um die Energie zurückzugewinnen, muss man den Elektromotor lediglich in einen Generator umpolen. Solche Speicher werden benutzt, um die Leistung elektrischer Energiequellen auf den Bedarf des Verbrauchers anzupassen. Der Rotor besteht aus kohlefaserverstärktem Kunststoff. Solche Rotoren können bis zu

293 13.2  Rotation um eine feste Achse

50 000 Umdrehungen pro Minute erreichen. Um die Reibung zu reduzieren, ist das Schwungrad in einem Vakuumtank eingebaut. Der Rotor schwebt auf magnetischen Lagern. Etwa 90 % der eingebrachten Energie können wieder abgerufen werden.

Beispiel 13.7: Rotationsenergie bei der Beschleunigung eines PKW

Beschleunigt ein PKW, so muss der Motor Arbeit verrichten, die nicht alleine in die kinetische Energie der Translationsbewegung des Wagens fließt. Ein Teil der Arbeit wird benötigt, um die Räder und andere Elemente im Motor und im Getriebe in Rotation zu versetzen. Wir wollen das Verhältnis von Rotationsenergie zu Translationsenergie überschlagen. Wir wählen die Daten des abgebildeten Audi R8 Coupé als Beispiel und betrachten die Beschleunigung von null auf 100 km=h. Das Geschwindigkeitsziel vereinfacht die Rechnung, obwohl das Verhältnis von Rotationsenergie zu Translationsenergie nicht von der Endgeschwindigkeit abhängt. Beide Energien steigen quadratisch mit der Geschwindigkeit an.

Die kinetische Energie berechnet sich aus 12 mv 2 . Bei einer Masse des Wagens von 1,66 t ergibt sich eine kinetische Energie von Ekin D 640 kJ.

13

294

Kapitel 13  Drehbewegungen

Für die Berechnung der Rotationsenergie nehmen wir ein Vorderrad vom Typ 245/35R19. Es hat einen Felgendurchmesser von 19 Zoll (48,26 cm) und eine Höhe des Reifens von etwa 8,6 cm, was einen Durchmesser des Rads von 65,4 cm und einen Umfang von 205,5 cm ergibt. Bei 100 km=h dreht sich das Rad 13,5 mal pro Sekunde, was einer Winkelfrequenz von ! D 84;9 rad=s entspricht. Die Rotationsenergie berechnet sich nach Erot D 12 I! 2 . Wir müssen folglich noch das Trägheitsmoment des Rads abschätzen. Das Trägheitsmoment der Felge (Masse ca. 12 kg) schätzen wir als homogene Kreisscheibe mit der Formel IF D 12 MR2  0;35 kg m2 nach unten ab, das des Reifens (Masse ca. 11 kg) als Zylindermantel nach oben IR D M R2  1;18 kg m2 . In der Summe ergibt dies etwa I  1;5 kg m2 . Allerdings dreht das Rad nicht um seine Achse, sondern um den Auflagepunkt auf der Straße. Wir müssen nach dem Satz von Steiner noch einen Beitrag MR2  2;5 kg m2 addieren, was auf ein Trägheitsmoment um den Auflagepunkt von ungefähr 3;7 kg m2 führt. Daraus ergibt sich eine Rotationsenergie von 13,1 kJ für ein Vorderrad. Berücksichtigen wir, dass die Hinterräder etwas breiter und damit auch etwas schwerer sind (295 cm hinten, 245 cm vorne), kommen wir auf eine Rotationsenergie von rund 60 kJ für alle vier Räder. Dies bedeutet, dass zwischen 5 und 10 Prozent der Arbeit, die aufgewendet werden muss, um den Wagen zu beschleunigen, in die Rotationsenergie der Räder fließt. Kein ganz vernachlässigbarer Beitrag.

13.3

13

. Abb. 13.11 Andrei Lutai in der Rotation bei einem Sprung. © Wikimedia: Emilia Karbownik

Drehimpulserhaltung

Bereits in 7 Abschn. 13.1 hatten wir gesehen, dass der Drehimpuls zeitlich konstant ist, wenn auf ein System kein äußeres Drehmoment wirkt. Wir wollen hier einige Beispiele näher betrachten. Zunächst untersuchen wir ein Beispiel aus dem Sport. Wir erklären, wie Eiskunstläufer hohe Rotationsgeschwindigkeiten bei einer Pirouette und Sprüngen erreichen (. Abb. 13.11). Durch Anlauf und Absprung erreicht der Eiskunstläufer eine DrehbeweE und einer anfänglichen Rotationsgung mit einem Drehimpuls L geschwindigkeit !0 . Bringt er dann Arme und Beine möglichst dicht an die Rotationsachse, wie dies imR Bild zu sehen ist, so reduziert er sein Trägheitsmoment I D r?2 d m. Da aber nach dem Absprung kein äußeres Drehmoment mehr wirkt, muss der E D I !E konstant bleiben. Bei verringertem TrägDrehimpuls L heitsmoment I muss daher die Rotationsgeschwindigkeit steigen. Dies nutzt der Sportler aus. Dieselbe Technik setzen Turner oder Turmspringer beim Salto ein.

295 13.3  Drehimpulserhaltung

Beispiel 13.8: Schwungradsteuerung

Astronomische Teleskope werden mit Motoren, die das Teleskop gegen die Halterung bewegen, in die gewünschte Beobachtungsrichtung gebracht. Aber wie macht man das mit Weltraumteleskopen? Es gibt ja keine feste Halterung, gegen die man Kräfte ausüben könnte. Man benutzt mehrere Schwungräder mit unterschiedlich ausgerichteten Achsen. Bremst man eines der Schwungräder ab oder beschleunigt es durch einen Motor, so dreht sich der ganze Satellit um die Achse des Rades und hält so den Drehimpuls konstant. Das Foto zeigt ein Schwungradmodul.

Hat ein Stern am Ende seiner Lebensdauer die gesamte Materie, aus der er aufgebaut ist, verbrannt (fusioniert), implodiert der Stern. Wir nennen dies eine Super Nova. Der Stern kollabiert, die Hülle des Sterns wird abgesprengt. In vielen Fällen entsteht ein Neutronenstern. Beim Kollaps reduziert sich das Trägheitsmoment des Sterns. Bei erhaltenem Drehimpuls führt dies zu einer starken Beschleunigung der Rotation. Eine typische Masse eines solchen Sterns ist 4  1030 kg (2 Sonnenmassen) bei einem Radius vor der Explosion von 7  105 km. Ein solcher Beispielstern dreht sich einmal alle 10 Tage um seine eigene Achse. Der Drehimpuls ist L1 D I1 !1 D

2 MR12 !1 5

(13.28)

Bei der Explosion verliert der Stern etwa die Hälfte seiner Masse. Der Kern kollabiert in einen Neutronenstern mit einem Radius von etwa 10 km. Nun ist der Drehimpuls L2 D I2 !2 D

2M 2 R !2 5 2 2

(13.29)

Wenn wir vernachlässigen, dass durch die abgesprengte Hülle dem Stern Drehimpuls verlorengeht, ergibt sich aus der Drehimpulserhaltung !2 D

2R12 !1 R22

(13.30)

Der Neutronenstern dreht sich nach dem Kollaps innerhalb von Millisekunden um seine eigene Achse. Das Foto (. Abb. 13.12) zeigt die Super Nova RCW 103 im Röntgenlicht. Der Stern ist vor rund 2000 Jahren explodiert. Man sieht die abgesprengte Hülle als Gaswolken und in der Mitte den Neutronenstern.

13

296

Kapitel 13  Drehbewegungen

. Abb. 13.12 Die Super Nova RCW 103. © NASA/CXC/Penn State/G. Garmire et al.

Experiment 13.3: Drehimpulserhaltung mit dem Drehstuhl

13

© Foto: Hendrik Brixius

297 13.3  Drehimpulserhaltung

Auf einem Drehstuhl lassen sich der Pirouetteneffekt und die Drehimpulserhaltung sehr schön demonstrieren. Im ersten Versuch hält der Proband zwei Gewichte in den ausgestreckten Armen. Er wird von außen vorsichtig angedreht. Zieht er die Arme ein und bringt die Gewichte auf die Brust, erhöht sich die Rotationsgeschwindigkeit durch den Pirouetteneffekt deutlich. Im zweiten Versuch übergibt man dem Probanden eine Fahrradfelge auf einer Achse, die man vorher schnell angedreht hat. Man übergibt das Rad mit horizontal ausgerichteter Drehachse. Der Proband kippt dann die Achse in vertikale Richtung, dabei beginnt der Drehstuhl sich zu drehen, und zwar in entgegengesetzter Richtung zum Rad. Der Proband kann durch die Verkippung der Achse Geschwindigkeit und Richtung der Drehung des Stuhls steuern. Beim Kippen der Achse spürt er einen deutlichen Widerstand. Er muss ein Drehmoment aufwenden, um die Richtung des Drehimpulses des Rades zu verändern.

© Foto: Hendrik Brixius

13

298

Kapitel 13  Drehbewegungen

Experiment 13.4: Der kardanische Kreisel

Mit dem kardanischen Kreisel kann man direkt die Drehimpulserhaltung demonstrieren. Die Achse des Kreisels ist so gelagert, dass sie sich nahezu reibungsfrei drehen kann. Die Lagerung ist im Bild zu erkennen. Der rote Pfeil markiert die Drehachse des Kreisels. Die Halterung der Achse lässt sich horizontal wie vertikal drehen. Man dreht den Kreisel an und bewegt ihn dann durch den Raum. Die Orientierung der Drehachse des Kreisels bleibt stabil im Raum stehen, egal wie wild man den Kreisel auch bewegt.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

13 Experiment 13.5: Der widerspenstige Koffer

Dieser Versuch führt immer wieder zur Belustigung der Studierenden im Hörsaal. Wir veranstalten ein kleines Wettrennen, bei dem zwei Kontrahenten einen Koffer durch einen engen Parcours tragen müssen. Schon bei der ersten Kurve stellt sich einer der beiden Koffer als widerspenstig heraus. Er widersetzt sich einer Drehung. Der Läufer packt den Griff des Koffers fester und zwingt ihn um die Kurve, doch nun klappt der Koffer plötzlich nach oben und bringt den Läufer fast zu Fall. Sie ahnen schon, was hier nicht stimmt? Ein Koffer ist ganz normal. Im anderen befindet sich ein Elektromotor, der einen schweren Kreisel antreibt. Die Achse des Kreisels liegt horizontal. Will der Läufer den Koffer um eine Kurve tragen, muss er die Kreiselachse drehen und mit ihr den Drehimpuls. Dem widersetzt sich der Kreisel. © Foto: Hendrik Brixius

299 13.3  Drehimpulserhaltung

13

Experiment 13.6: Gyroskop

Dies ist ein einfaches, aber faszinierendes Experiment. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie perplex ich war, als ich es als junger Student zum ersten Mal gesehen habe. Ein Kreisel – in unserem Fall eine Fahrradfelge – wird kräftig angedreht und mit zwei Fäden an einer Stange aufgehängt. Je ein Faden befindet sich auf den beiden Seiten der Achse. Dann nimmt man eine Schere und trennt einen der beiden Fäden durch. Alle erwarten, dass die Felge herunterkippt, doch wie man im Bild sieht, passiert nichts. Die Felge bleibt auch an einem Faden waagerecht hängen, obwohl dieser weit außerhalb des Schwerpunktes angebracht ist. Der Drehimpuls hält die Drehachse in der Waagerechten. Erst bei genauem Hinsehen bemerkt man, dass die Drehachse langsam ihre Orientierung verändert, aber dazu kommen wir erst später (7 Abschn. 13.5). © RWTH Aachen, Sammlung Physik

Beispiel 13.9: Diskuswurf

Ein schwerer rotierender Diskus behält wegen seines großen Drehimpulses fast über die ganze Flugbahn hinweg seine Schräglage bei. Unter Ausnutzung der Tragflächenwirkung fliegt er deutlich weiter als ein nicht rotierender Diskus.

Experiment 13.7: Feuertornado © Bundeswehr/Rott

Ein Feuertornado ist ein äußerst seltenes Naturspektakel (Bild). Er entsteht durch die Rotation der Luft im Tornado. Befindet sich im Zentrum des Tornados ein Feuer, so erhitzt es die Luft. Diese steigt auf und ein Unterdruck entsteht. Rotierende Luft strömt von außen ins Zentrum nach. Aufgrund der Drehimpulserhaltung steigt dabei die Rotation stark an. Die Luft wird stark verwirbelt, was die Flamme anfacht und die Feuersäule erzeugt. Man kann den Feuertornado in einem Versuch nachstellen. Auf einer Drehscheibe steht eine Flamme (einige cm Höhe). Ein Drahtgitter umgibt die Drehscheibe. Dreht man sie an, so setzt das Gitter die Luft in Rotation, wodurch der Feuertornado einsetzt.

300

Kapitel 13  Drehbewegungen

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

© 2012 Chris Tangey

13.4

13

Rollbewegungen

Wir kommen nun zu einer Drehbewegung, die uns aus dem Alltag von Fahrzeugen aller Art bekannt ist: das Rollen. . Abb. 13.13 zeigt das Rollen eines Rades auf einer festen Unterlage. Die Drehachse des Rades befindet sich in dessen Mitte. Das Rad berührt im Auflagepunkt A die Unterlage und rollt um diesen Punkt ab. Die Bewegung setzt sich zusammen aus einer Drehung um die Achse mit der Bahngeschwindigkeit vE D !E  rE und einer Translation des Rades mit der Geschwindigkeit des Schwerpunktes vES . Im Auflagepunkt muss eine Reibungskraft angreifen, die verhindert, dass das Rad auf der Unterlage gleitet (wegrutscht). Für den Auflagepunkt A erhält man vEA D !E  rEA . Rollt das Rad ohne Schlupf, so ruht der Auflagepunkt. Man erhält daraus die Rollbedingung, vS D R!, die die Rotationsgeschwindigkeit ! des Rades in Relation zu seiner Translationsgeschwindigkeit vS setzt. Dabei ist R der Radius des Rades. Der höchste Punkt des Rades B bewegt sich mit der doppelten Geschwindigkeit.

. Abb. 13.13 Ein Rad rollt auf einer Unterlage

301 13.4  Rollbewegungen

. Abb. 13.14 Ein Rad rollt auf einer schiefen Ebene

Wir wollen als Beispiel das Rollen eines Zylinders auf einer schiefen Ebene untersuchen (. Abb. 13.14). Wir versuchen die Beschleunigung des Zylinders zu berechnen. Dazu zerlegen wir die Gewichtskraft in Hangabtrieb und Normalkraft, wie in der Skizze angegeben. Durch den Hangabtrieb entsteht ein Drehmoment um den Auflagepunkt A des Zylinders. Dieses hat die Größe (M : Drehmoment; m: Masse des Zylinders) M D FH R D mgR sin ˛

(13.31)

Daraus bestimmen wir die Winkelbeschleunigung d! d! M ) D (13.32) dt dt I Aus der . Tab. 13.1 entnehmen wir das Trägheitsmoment eines Vollzylinders um seine Achse. Es ist IS D 12 mR2 . Dieser Wert bezieht sich auf eine Drehung um eine Achse durch den Schwerpunkt. Wir benötigen aber das Trägheitsmoment bezüglich einer Achse durch den Auflagepunkt. Wir benutzen den Satz von Steiner, um dieses zu bestimmen: 3 (13.33) IA D IS C mR2 D mR2 2 Damit erhalten wir für die Winkelbeschleunigung M DI

d! 2g mgR sin ˛ D D 3 sin ˛ 2 dt 3 R mR 2

(13.34)

Aus der Rollbedingung können wir nun die Beschleunigung berechnen: d! 2 D g sin ˛ (13.35) vS D R! ) aS D R dt 3 Die Beschleunigung 4 hängt nicht von der Masse ab (wie beim freien Fall), 4 hängt nicht vom Radius des Zylinders ab, 4 hängt von der Massenverteilung im Zylinder ab (über IS ).

13

302

Kapitel 13  Drehbewegungen

Experiment 13.8: Zylinder rollt auf schiefer Ebene

Wir wollen die Bedingungen untersuchen, die die Beschleunigung eines rollenden Zylinders auf einer schiefen Ebene bestimmen, und machen zu diesem Zweck ein kleines Wettrennen zwischen einem roten und einem weißen Zylinder (Bild). Die Zylinder haben gleichen Radius und gleiche Masse (Waage). Trotzdem ist der weiße Zylinder immer schneller. Die Zylinder bestehen aus einem Aluminiummantel und den Deckeln, ebenfalls aus Aluminium, auf denen sie rollen. Den Grund, warum der weiße Zylinder schneller ist, erkennt man erst, wenn man die Deckel abschraubt. Im Inneren des weißen Zylinders befindet sich ein Vollzylinder aus Holz, während man im roten Zylinder ein Bleiblech findet, das zu einem Rohr gebogen direkt innerhalb des Aluminiummantels sitzt. Das Innere des roten Zylinders ist leer. Das Trägheitsmoment des weißen Zylinders ist ungefähr 12 MR2 und damit kleiner als das ungefähre Trägheitsmoment des roten Hohlzylinders (MR2 ). Daher ist der weiße Zylinder schneller.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

13 Wir wollen nun die Bedingung betrachten, unter der ein Vollzylinder ohne Schlupf den Hang hinunterrollt. Die Normalkraft wird durch die Auflage kompensiert. In Richtung der Bewegung wirken der Hangabtrieb und die Reibungskraft. Also muss gelten FEges D FEH C FER D mE aS 2 mg sin ˛  H FN D mg sin ˛ 3 2 mg sin ˛  H mg cos ˛ D mg sin ˛ 3 2 sin ˛  H cos ˛ D sin ˛ 3 1 H cos ˛ D sin ˛ 3 1 H  tan ˛; 3

(13.36)

303 13.4  Rollbewegungen

wobei wir die aus 7 Abschn. 9.2 bekannte Formel für die Haftreibung benutzt haben. Den Haftreibungskoeffizienten für Aluminium auf Holz haben wir zu 0,18 gemessen. Setzen wir dieses in die Gleichung ein, so sehen wir, dass der Zylinder bis zu einem Winkel von 28ı rollen sollte. Bei noch größeren Winkeln rutscht er den Hang hinunter. Man kann dies mit dem 7 Experiment 13.8 demonstrieren. Kippt man die Ebene stärker, so sieht man, dass der Zylinder ab etwa 28ı auf der Ebene zu rutschen beginnt. Wir wollen das Rollen eines Rads noch einmal etwas allgemeiner behandeln. Wir nehmen an, dass die Achse des Rads durch eine Kraft F0 , die parallel zur Unterlage wirkt, beschleunigt wird. Dies könnte eine Kraft sein, die von außen an der Achse zieht, oder eine Kraft F0 D M0 =R, die von einem Motor ausgeht, der mit einem Drehmoment M0 die Achse dreht. Für die Geschwindigkeit der Achse gilt weiterhin die Rollbedingung vS D R !, aus der die Beschleunigung aS D R

d! dt

(13.37)

der Achse folgt. Das Drehmoment M , das das Rad in Rotation versetzt, beträgt: M D F0 R D IA

d! ; dt

(13.38)

woraus sich die Beschleunigung zu aS D

R2 F0 IA

(13.39)

ergibt. Dabei ist IA das Trägheitsmoment des Rads in Bezug auf den Auflagepunkt A. Man erhält es mittels des Satzes von Steiner aus dem Trägheitsmoment IS um seinen Schwerpunkt: IA D m R2 C IS . Mathematisch gesehen muss das Trägheitsmoment IS einen Wert annehmen, der irgendwo zwischen null, für den Fall, dass die gesamte Masse des Rads auf der Achse konzentriert ist, und m R2 , für den Fall, dass alle Masse auf dem äußersten Radius R konzentriert ist, liegt. Für realistische Räder wird der Wert wohl eher zwischen 12 mR2 , was einer Näherung des Rads als homogene Kreisscheibe entspricht, und mR2 liegen. Wir führen eine Konstante k ein und schreiben das Trägheitsmoment als IS D k mR2 . Der Faktor k beschreibt die Verteilung der Masse auf dem Rad. Für realistische Räder wird er zwischen 0,5 und 1 liegen. Dann ist IA D .1 C k/ mR2 . Als Beschleunigung des Rads erhalten wir schließlich: aS D

1 F0 : 1Ck m

(13.40)

13

304

Kapitel 13  Drehbewegungen

Durch die Rotation ist die Beschleunigung des Rads gegenüber der Beschleunigung eines Massenpunkts gleicher Masse m um 1 den Faktor 1Ck reduziert. Die Bedingung für ein Rollen ohne Schlupf lautet nun mit der Haftreibung FR : F0  FR D m aS

(13.41)

woraus für den Haftreibungskoeffizienten H die Bedingung H 

k F0 1 C k FN

(13.42)

folgt. Dabei ist FN die Normalkraft auf die Auflage. Beispiel 13.10: Bremsendes Auto

Beim Bremsen neigt sich ein Auto nach vorne. Wir wollen versuchen, dieses zu erklären. Betrachten Sie hierzu die Skizze. Sie zeigt die Kräfte, die beim Bremsen auftreten. Das Gewicht verteilt sich auf die Auflagepunkte der Räder. Wir wollen der Einfachheit halber annehmen, dass der Schwerpunkt in der Mitte zwischen den beiden Achsen liegt, jeweils im Abstand l von diesen. Die Reactio auf die Gewichtskraft trägt das Auto, die Reibungskräfte bewirken das Bremsen (a < 0): mg D FN1 C FN 2 ma D FR1 C FR2

13

Nehmen wir an, dass die Räder nicht blockieren, so sind die Reibungskräfte FR1 D H FN1 FR2 D H FN 2 FR1 C FR2 D H .FN1 C FN 2 / Damit erhält man FN1 C FN 2 D mg D m

a H

) a D H g Wir betrachten nun die Einzelkräfte auf die Achsen und berechnen daraus das Drehmoment um den Schwerpunkt. Bei gleichmäßigem Bremsen stellt sich ein Gleichgewicht ein, indem

305 13.4  Rollbewegungen

sich die links- und rechtsdrehenden Momente kompensieren: MN 2 C MR1 C MR2 D MN1 lFN 2 C hFR1 C hFR2 D lFN1 lFN 2 C hH FN1 C hH FN 2 D lFN1 lFN 2 C hH FN 2 D lFN1  hH FN1 .l C hH /FN 2 D .l  hH /FN1 ) FN1 D

.l C hH / FN 2 .l  hH /

Dabei ist l der horizontale Abstand der Achsen vom Schwerpunkt und h die Höhe des Schwerpunktes über dem Boden. Wir setzen typische Werte für einen PKW ein: l D 1;5 m h D 0;75 m H D 0;6 m D 800 kg und erhalten FN1 D 520 kg g

FR1 D 3060 N

FN 2 D 280 kg g

FR2 D 1650 N

Wie man sieht, ist die Normalkraft auf die Vorderachse deutlich größer, sodass sich das Auto nach vorne neigt. Außerdem ist auch die Bremskraft auf der Vorderachse größer, sodass die Bremsen am Vorderrad entsprechend kräftiger ausgelegt sein müssen als die hinteren Bremsen. Vom Fahrradfahren dürfte Ihnen die unterschiedliche Bremswirkung des Vorder- und Hinterrades bekannt sein.

Experiment 13.9: Maxwell-Rad

Das Maxwell-Rad kennen wir alle als Spielzeug. Es ist das Modell des Yo-Yos. Es besteht aus einer Schwungmasse, hier ein Speichenrad. Das Rad ist an zwei Schnüren aufgehängt, die um seine Achse gewickelt sind. Lässt man es fallen, so wickeln sich die Schnüre ab und versetzen das Rad in Rotation. Wir haben das Maxwell-Rad an einer Balkenwaage montiert, die wir auf das Gewicht des Rades ausbalanciert haben. Nachdem wir das Rad loslassen, zeigt die Waage an, dass sich das Gewicht des Rades

13

306

Kapitel 13  Drehbewegungen

reduziert hat. Um eine gleichmäßige Anzeige zu ermöglichen, ist die Waage in einem Ölbad gedämpft. Sind die Schnüre vollständig abgerollt, sieht man einen Ruck an der Waage. Das Rad dreht sich weiter, wickelt die Schnüre wieder auf und steigt auf. Dabei zeigt die Waage an, dass auch beim Aufsteigen das Gewicht des Rades reduziert ist.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

13 Beispiel 13.11: Maxwell-Rad

Wir wollen die Bewegung des Maxwell-Rades aus 7 Experiment 13.9 berechnen. Auf das Maxwell-Rad wirkt die Gewichtskraft. Wir zerlegen sie in den Anteil, der die translatorische Beschleunigung bewirkt Fa , und den Anteil, der die Rotation antreibt F' FG D Fa C F' Wir drücken die Winkelbeschleunigung ˛ durch das Drehmoment M D rF' aus und übersetzen in M D I ˛ mit der Rollbedingung a D r˛. Die Größe r ist der Radius der Achse, auf der die Schnüre aufgerollt sind. FG D ma C

I˛ Ia M D ma C D ma C 2 r r r

307 13.5  Kreiselbewegung

13

Das Trägheitsmoment ist durch das Rad dominiert, das wir hier näherungsweise als Scheibe annehmen wollen. Es ist 12 mR2 , mit der Masse m und dem R des Rades. Damit ist FG D mg D ma C )aD

1 1C

1 R2 2 r2

  1 mR2 a 1 R2 D 1 C ma 2 r2 2 r2

g

Die Kraft im Seil, die durch die Waage angezeigt wird, ist FSeil D m.g  a/ < mg Beachten Sie, dass das Rad beim Umkehren einen Kraftstoß nach oben bekommt, der dem Rad eine Anfangsgeschwindigkeit für das Aufsteigen gibt. Diese Geschwindigkeit wird beim Aufsteigen durch Fa abgebaut. Sie zeigt wie beim Abrollen nach unten, wodurch die Seilkraft auch beim Aufsteigen gegenüber einem ruhenden Rad reduziert ist.

13.5

Kreiselbewegung

Wir haben Drehbewegungen um eine feste Achse (7 Abschn. 13.2) und um parallel verschiebbare Achsen (7 Abschn. 13.4) besprochen. Der nächste Schritt beschäftigt sich nun mit Achsen, die nur noch an einem einzelnen Punkt unterstützt werden, bevor wir uns im letzten Abschnitt mit der Rotation um gänzlich freie Achsen befassen wollen. 13.5.1

Präzession des Kreisels

Wir wollen diesen Abschnitt damit beginnen, die Bewegung des Gyroskops genauer zu betrachten. Sie haben eine Version in 7 Experiment 13.6 kennengelernt. Eine ähnliche Apparatur ist in 7 Experiment 13.10 dargestellt, die sich für unsere Untersuchungen noch besser eignet. In diesem Experiment dreht sich ein Schwungrad mit hoher Geschwindigkeit !E 0 um eine Achse. Wirkt ein Drehmoment auf die Achse, so zeigt das Experiment, dass die Achse nicht mehr ortsfest ist, sondern sich um die Vertikale dreht (. Abb. 13.15). Man kann dies so beschreiben: Die Achse des Rades läuft auf einem Kegel um, dessen Achse durch die Vertikale gegeben ist. Dieses Umlaufen nennt man die „Präzessionsbewegung“ !EP , im Gegensatz zur schnellen Drehung des

. Abb. 13.15 Die Präzessionsbewegung

308

Kapitel 13  Drehbewegungen

Schwungrades um seine eigene Achse !E 0 , die man manchmal die „Rotation“ des Rades nennt. Allgemein spricht man hier von „Kreiselbewegungen“ oder „Kreiseln“. Das Wort „Gyroskop“ bedeutet übersetzt „Kreiselinstrument“. Experiment 13.10: Vertikales Gyroskop – Teil 1

13

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Auch dieses Gyroskop besteht aus einem Schwungrad (Kreisel), dessen Achse an nur einem Punkt unterstützt ist (siehe Bild). Die Kreiselachse liegt vertikal im Unterschied zum Gyroskop in 7 Experiment 13.6, wo sie horizontal orientiert war. Die Halterung des Kreisels ist in der Vergrößerung zu erkennen. Der Kreisel dreht sich in einem Kugellager um die Achse, sodass sich diese nicht dreht. Sie hat am unteren Ende eine Spitze, mit der sie auf einer Stange steht, die am Tisch befestigt ist. Der Schwerpunkt des Kreisels befindet sich knapp unterhalb der Spitze, sodass dieser stabil steht. Man kann ihn nun andrehen und die Bewegung beobachten. Ist der Kreisel gut justiert, so dreht er sich um die vertikale Achse, welche sich nicht bewegt. Dies führen wir wie in 7 Experiment 13.6 auf die Drehimpulserhaltung zurück. Interessant wird es nun, wenn wir ein Drehmoment auf die Achse ausüben. Dazu ist oben an der Achse ein seitlicher Haken angebracht, an den wir ein Gewicht hängen. Da es einige Zentimeter weg von der Achse hängt, bewirkt es ein Drehmoment. Die Größe des Drehmomentes können wir über das Gewicht einstellen. In 7 Experiment 13.6 wird das Drehmoment durch das Gewicht des Kreisels erzeugt und ist nicht einstellbar. Das Drehmoment bewirkt, dass die Kreiselachse zur Seite kippt. Sie kippt aber keineswegs ganz zur Seite, wie das ohne Rotation des Kreisels der Fall wäre. Die Kreiselachse kippt nur ein kleines Stück und dreht sich dann langsam um die Vertikale. Je schneller sich der Kreisel dreht, desto weniger kippt die Achse und desto langsamer dreht sie sich um die Vertikale.

Wir wollen die Präzession näher untersuchen: Das angehängte Gewicht bewirkt durch seine Gewichtskraft FE ein Drehmoment E um den Punkt, an dem der Kreisel gelagert ist. Kraft und DrehM moment sind in . Abb. 13.16 dargestellt. Vergewissern Sie sich, dass die Richtungen stimmen! Das Drehmoment zeigt horizontal und bewirkt eine Drehimpulsänderung (Gl. 13.7) E dL E DM dt

(13.43)

in Richtung des Drehmomentes. In 7 Experiment 13.10 hatten wir beschrieben, dass sich der Schwerpunkt des Kreisels knapp

309 13.5  Kreiselbewegung

. Abb. 13.16 Blick von der Seite auf das Gyroskop aus 7 Experiment 13.10. a senkrecht zum Hebelarm; b in Richtung des Hebelarms

unterhalb des Auflagepunktes befindet. Kippt der Kreisel, so bewirkt sein Gewicht ein weiteres Drehmoment. Dieses wollen wir vernachlässigen. Wir nehmen quasi an, dass der Kreisel so justiert ist, dass sich sein Schwerpunkt genau im Auflagepunkt befindet, sodass dieses Drehmoment verschwindet. In . Abb. 13.17 sind die Drehimpulse in unterschiedlichen Projektionen dargestellt. In der Aufsicht (b) erkennt man die ÄnE . Nach einer kurzen derung des Drehimpulses in Richtung von M Zeit t ergibt sich eine Änderung um L. Addiert man diese E den der Kreisel unvektoriell zur Projektion des Drehimpulses L, mittelbar nach dem Abkippen hatte, sieht man, wie die Drehachse präzediert. Aus der Skizze liest man ab ' D 

L  ; E L.0/

(13.44)

xy

E E wobei .L.0// xy die Projektion von L.0/ in die horizontale Ebene ist. Diese kann man schließlich aus Skizze a in . Abb. 13.17 E ablesen. Es ist .L.0// xy D L0 sin ˛. Dabei ist L0 der Betrag des

. Abb. 13.17 Drehimpulse am Gyroskop; a Blick senkrecht zum Hebelarm; b Blick von oben

13

310

Kapitel 13  Drehbewegungen

Drehimpulses, der sich beim Kippen aus der Vertikalen im den Winkel ˛ nicht verändert: ' D

L : L0 sin ˛

(13.45)

Wie man ebenfalls sieht, hat sich durch das Kippen der Drehachse um den Winkel ˛ die Komponente des Drehimpulses in z-Richtung von ursprünglich L0 auf L0 cos ˛ reduziert. Da es aber kein Drehmoment gibt, das in dieser Richtung wirkt, kann sich diese Komponente des Drehimpulses nicht ändern. In der Tat ändert sie sich nicht. Die scheinbare Änderung wird kompensiert E P , der mit der Präzessionsbewegung verdurch den Drehimpuls L bunden ist. Er zeigt ebenfalls in z-Richtung und entspricht dem Drehimpuls des gekippten, aber nicht rotierenden Rades auf dem Kegel um die Vertikale. Es muss folglich gelten: L0 D L0 cos ˛ C LP ) LP D .1  cos ˛/L0 :

(13.46)

Wir können also schreiben: L D sin ˛'L0 L ' D sin ˛ L0 : t t

(13.47)

Gehen wir nun zu infinitesimal kleinen Zeitschritten über, so erhalten wir dL D sin ˛!P L0 ; dt

13

(13.48)

wobei man die rechte Seite unter Berücksichtigung der Richtung der Vektoren auch schreiben kann als E dL E: D !EP  L dt

(13.49)

Dies nennt man die „Kreiselgleichung“. Für einen Spezialfall eines Kreisels lässt sich die Winkelgeschwindigkeit der Präzession !EP einfach bestimmen. In diesem Fall befindet sich an der Achse des Kreisels kein zusätzliches Gewicht. Stattdessen wird das Drehmoment, das die Präzession antreibt, durch das Gewicht des Kreisels selbst erzeugt, indem man den Auflagepunkt so einstellt, dass sich der Schwerpunkt des Kreisels oberhalb des Auflagepunktes befindet. Kippt der Kreisel zur Seite, so entsteht ein Drehmoment E E D rE  mgE D d L D !EP  L; E M dt

(13.50)

311 13.5  Kreiselbewegung

wobei rE der Vektor vom Auflagepunkt des Kreisels zu seinem Schwerpunkt ist. Er schließt den Winkel ˛ mit der Vertikalen ein. Die Masse des Kreisels ist m. Dem Betrage nach gilt dann rmg sin ˛ D sin ˛!P L0 rmg rmg ) !P D D L0 I!0

(13.51)

Man sieht, dass die Präzession umso schneller ist, je größer das Drehmoment ist, das das Gyroskop antreibt. Sie wird langsamer bei größerem Trägheitsmoment und schnellerer Rotation des Kreisels. Experiment 13.11: Brummkreisel

© Berthold Werner

Der Brummkreisel ist ein altes Blechspielzeug, das ganz ähnlich dem Gyroskop funktioniert. Im Bild ist einer zu sehen. Man stülpt den Gummifuß, auf dem er für das Foto stand, nach oben. Darunter befindet sich eine Metallspitze, auf der er dann frei kreiseln kann. Man pumpt oben am roten Knopf, was durch eine Mechanik in eine Beschleunigung der Rotation umgesetzt wird. Dreht er sich ausreichend schnell (der Brummkreisel brummt dann), lässt man ihn los. Am Anfang ist keine Präzession zu erkennen. Der Kippwinkel ˛ ist so klein und die Präzession so langsam, dass der Kreisel festzustehen scheint. Nimmt durch die unvermeidliche

13

312

Kapitel 13  Drehbewegungen

Reibung ! allmählich ab, so steigt nach Gl. 13.51 die Präzessionsfrequenz an und gleichzeitig nimmt der Kippwinkel zu. Nun kann man die Präzession gut erkennen. Je mehr ! abnimmt, desto größer werden !P und ˛, bis die Präzession schließlich in ein Trudeln übergeht und der Kreisel irgendwo anstößt. Diese Beobachtungen kann man an allen Spielzeugkreiseln machen.

Beispiel 13.12: Sakai-Kreisel

Der Sakai-Kreisel wird aus einem Stück Draht gebogen (siehe Foto und Skizze). Allerdings läuft er nur bei einem bestimmten Winkel ˇ stabil. Der Winkel muss so gewählt werden, dass sich der Schwerpunkt über dem Drehpunkt befindet. Um den Winkel zu bestimmen, berechnen Sie die x-Komponente des Schwerpunktes. Sie setzt sich zusammen aus den Schwerpunkten des Kreissegmentes (xB ; mB ) und den beiden Schenkeln (xS ; mS ). Mit dem Radius r und der Massenbelegung ergibt sich ˇ r cos 2 2 mS D 2r xS D

1 xB D r.2  ˇ/ D

13

2ˇ=2 Z

ˇ=2

1 xrd' D r.2  ˇ/

2ˇ=2 Z

r 2 cos 'd' ˇ=2

ˇ 2r sin 2  ˇ 2

mB D r.2  ˇ/

© Wikimedia: Hawobo

Aus der Bedingung xB mB C xS mS D 0 folgt schließlich tan ˇ2 D 1 oder ˇ D 53ı . Versuchen Sie selbst einen zu biegen, z. B. aus 2 einer Büroklammer.

Beispiel 13.13: Saros-Zyklus

Die Umlaufbahn des Mondes um die Erde ist gegenüber der Umlaufbahn der Erde um die Sonne, der sogenannten Ekliptik, um

313 13.5  Kreiselbewegung

ca. ˛ D 5ı gekippt (siehe Skizze). Das System Erde–Mond bildet einen Kreisel, der durch die Kräfte der Sonne beeinflusst wird. Diese erzeugt ein Drehmoment, das versucht, den Erde-MondKreisel in die Ekliptik zu drehen. Allerdings verändert sich dieses Drehmoment mit dem Umlauf des Mondes. Wir werden daher darüber mitteln. Wir wollen zunächst das Drehmoment bestimmen. Beachten Sie, dass genau genommen der Schwerpunkt von Erde und Mond auf der Erdbahn umläuft. Erde und Mond kreisen um diesen, die viel schwerere Erde mit einem entsprechend kleineren Bahnradius. Würden sich Erde und Mond in einem homogenen Gravitationspotenzial bewegen, würde das Drehmoment auf die Erde das auf den Mond exakt kompensieren. Das Gravitationspotenzial ist aber nicht homogen. Bei Neumond ist der Mond näher an der Sonne und daher überwiegt sein Drehmoment. Die Variation des Abstandes der Erde zur Sonne ist demgegenüber vernachlässigbar. Die zusätzliche Kraft auf den Mond ist F D G

mM mS rM mM mS mM mS G 2 G .rE  rM /2 rE rE2 rE2

mit den Massen von Sonne und Mond mM ; mS und den Radien der Erd- und Mondbahn rE ; rM . Der zugehörige Hebelarm ist rM sin ˛. In der Vollmondposition ist die Kraft auf den Mond um einen ähnlichen Betrag schwächer, was zu einem entsprechenden Drehmoment in dieselbe Richtung führt. In den Positionen dazwischen ist sowohl F , als auch der Hebelarm um einen Faktor cos ' kleiner, wenn ' der Winkel zur Neumondposition ist. Die Mittelung ergibt cos2 ' D 1=2. Im Laufe eines Jahres dreht sich zusätzlich das Erde-Mond-System einmal um die Sonne, was zu einer weiteren Reduktion des Drehmomentes um einen Faktor 2 führt. Damit ist das mittlere Drehmoment M D

1 rM mM mS 1 2 G rM sin ˛ D rM mM !E2 sin ˛; 2 rE 2 rE2

wobei wir beim letzten Schritt Gravitationskraft und Zentrifugalkraft auf der Erdbahn gleichgesetzt haben. Der Drehimpuls des Erde-Mond-Kreisels ist 2 mM !M LM D rM mM vM D rM

Aus Gl. 13.50 folgt dann !P D

M 1 !E2 D LM sin ˛ 2 !M

Aus der Gleichung ergibt sich eine Präzessionsperiode von 26 Jahren. Tatsächlich dauert die Periode nur 18,5 Jahre. Der Unterschied liegt in den Näherungen, die wir gemacht haben.

13

314

Kapitel 13  Drehbewegungen

Die Präzession des Erde-Mond-Kreisels bestimmt das Auftreten von Sonnenfinsternissen. Am sogenannten Knotenpunkt durchstößt die Mondbahn die Ekliptik. Durch die Präzession wandern die Knotenpunkte um die Erde. Nur wenn der Mond sich im Umlauf um die Erde auf einem der Knotenpunkte befindet und dieser genau zwischen Erde und Sonne liegt, tritt eine Sonnenfinsternis ein. Aus der Berechnung der Sonnenfinsternisse stammt der Name Saros-Zyklus.

13.5.2

Nutation des Kreisels

Wir haben nun Rotation und Präzession eines Kreisels kennengelernt. Doch diese beschreiben noch nicht die ganze Komplexität einer Kreiselbewegung. Der Bewegung der Kreiselachse durch die Präzession ist noch eine weitere Bewegung überlagert, die man Nutation (Nicken) nennt. Wir betrachten ein weiteres Mal das Gyroskop (7 Experiment 13.12): Experiment 13.12: Vertikales Gyroskop – Teil 2

13

Um die Bewegung der Kreiselachse des Gyroskops sichtbar zu machen, bringen wir an der Spitze der Achse eine rote LED an, verdunkeln den Raum und nehmen die Bewegung in einer Dauerbelichtung mit einer Kamera auf. Zwei Aufnahmen sind abgebildet. Die erste wurde mit einer hohen Rotationsgeschwindigkeit des Kreisels aufgenommen. Die Spitze der Drehachse läuft auf einem einigermaßen glatten Kreis um. Nicht so im zweiten Bild. Bei dieser Aufnahme war die Rotationsgeschwindigkeit deutlich geringer. Die Rotationsachse durchläuft sogenannte Epizykel. Der langsamen Drehung durch die Präzession ist eine schnellere Drehung auf einem Kreis mit deutlich kleinerem Radius überlagert. Dies ist die Nutation. Bei genauerem Hinsehen sieht man, dass die Amplitude der Nutationsbewegung (der Radius des Kreises) abnimmt. Die Ursache ist Reibung. Eine solche Dämpfung der Nutationsbewegung beobachtet man bei den meisten Kreiseln. Die Nutationsbewegung wird zu Beginn der Bewegung angestoßen (z. B. durch das Anhängen des Gewichtes) und klingt dann ab.

315 13.5  Kreiselbewegung

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

13

316

Kapitel 13  Drehbewegungen

. Abb. 13.18 Rotation, Präzession und Nutation am Kreisel

Wie wir bereits gesehen haben, wird die Achse des Gyroskops nach dem Loslassen um den kleinen Winkel ˛ nach unten kippen, bis die vertikalen Komponenten von L0 und LP dem ursprünglichen Drehimpuls entsprechen. Die Achse wird aber nicht in dieser Gleichgewichtslage stehen bleiben. Durch die anfängliche Abwärtsbewegung entsteht ein periodisches Auf und Ab der Achse um den Winkel ˛ der Gleichgewichtslage. Wir sehen im Experiment ein periodisches Wippen der Achse. Diese Bewegung, die der Rotation des Rades um seine Achse und der Präzession überlagert ist, nennt man die „Nutation“. Die Nutation ist meist durch Reibungskräfte stark gedämpft, sodass man sie nur zu Beginn der Bewegung beobachten kann. . Abb. 13.18 zeigt die vollständige Bewegung eines rotierenden Körpers, an dem ein Drehmoment angreift. !E R bezeichnet die Rotation des Körpers um seine Achse, !EP die Präzession der Drehachse um die Vertikale und !E N die Nutation. Amplitude und Geschwindigkeit der drei Bewegungen hängen von den Randbedingungen (Beschaffenheit des Rotationskörpers, Lage der Drehachse, !R ) ab. Die Berechnung der Nutation sei der theoretischen Physik vorbehalten. Beispiel 13.14: Bewegung der Erdachse

13

Die Rotation der Erde ist ein ausgezeichnetes Beispiel einer Kreiselbewegung. Die Erde ist nicht perfekt rund. Sie hat einen äquatorialen Wulst. Am Äquator beträgt ihr Durchmesser 12 756 km, von Pol zu Pol nur 12 713 km. Nun wird der sonnennahe Teil des äquatorialen Wulstes von der Sonne stärker angezogen als der sonnenferne. Dadurch entsteht ein Drehmoment auf die Erdachse. Die Erdachse ist um 23,44° gegen die Senkrechte auf die Bahnebene geneigt. Es kommt zu einer Präzession der Erde um die Vertikale auf die Ekliptik (Bahnebene), die die Jahreszeiten auf der Erde erzeugt. Die Erde dreht sich in 23 h 56 min 4;1 s einmal um die eigene Achse (siderischer Tag). Eine vollständige Präzession dauert etwa 26 000 Jahre. Der Präzession durch das Drehmoment der Sonne sind weitere Störungen durch den Mond und die anderen Planeten überlagert. Diese werden in der Astronomie fälschlicherweise als Nutation bezeichnet. Eine kleine Nutation in unserem Sinne tritt auch auf. Sie hat eine Periode von etwa 304 Tagen.

Experiment 13.13: Kugelkreisel

Dieser Kreisel besteht aus einer massiven Stahlkugel (Radius ca. 25 cm) aus einem Kugellager eines Braunkohlebaggers. Auf-

317 13.5  Kreiselbewegung

grund der großen Masse laufen alle Prozesse recht langsam ab und können daher genau beobachtet werden. Der Kreisel ist auf einem Luftkissen gelagert, sodass er nahezu reibungsfrei dreht. Wiederum ist oben eine Stange angebracht mit einem kleinen Gewicht. Wird die Stange aus der Vertikalen gekippt, übt sie ein Drehmoment auf den Kreisel aus, welches eine Präzessionsbewegung antreibt. Mit leichten Stößen gegen die Stange kann man eine Nutation anregen, die bei diesem Kreisel nur langsam abklingt.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Experiment 13.14: Levitron

Dies ist ein spannender kleiner Kreisel, der auf einem Magnetfeld schwebt. Das Magnetfeld wird von Permanentmagneten erzeugt, die mit alternierender Polarität in einem Kasten gestapelt sind. Der Kreisel selbst besteht aus ferromagnetischem Material. Er wird von den Magneten abgestoßen. Zunächst muss die Unterlage waagerecht ausgerichtet werden. Sonst läuft der Kreisel später seitlich von der Unterlage. Dann legt man eine Plexiglasscheibe auf die Unterlage und dreht den Kreisel darauf an. Wenn der Kreisel stabil läuft, kann man die Plexiglasscheibe und mit ihr den Kreisel vorsichtig anheben. Dies erfordert ein wenig Fingerspitzengefühl. Schwebt der Kreisel erst einmal, kann man die Plexiglasscheibe darunter wegziehen. Im Prinzip kann man auch hier Präzession und Nutation demonstrieren, aber es ist auch schön, dem schwebenden Kreisel einfach zuzuschauen.

13

318

Kapitel 13  Drehbewegungen

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

13.5.3

Der Kreiselkompass

Der Kreiselkompass zeigt die Nord-Süd-Richtung an. Man dreht ihn an und nach einiger Zeit richtet er seine Drehachse entsprechend aus. Er benutzt dabei keine magnetischen Kräfte und wird daher auch nicht von magnetischen Störungen beeinflusst. Experiment 13.15: Kreiselkompass nach Magnus

13

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Wir benutzen den Kreisel, den wir bereits aus 7 Experiment 13.4 kennen. Die Achse, die den Kreisel in seiner Aufhängung vertikal drehbar macht, wird blockiert, die horizontale Richtung mit einer Dämpfung versehen. Die Erdrotation ist zu langsam, um sie mit diesem Kreisel nachzuweisen. Er besitzt keinen Motor und bleibt nach ca. einer Minute stehen. Das Ausrichten nach der Erdachse benötigt aber einige Minuten. Daher stellen wir den Kreisel auf einen Drehstuhl, der die Erdrotation simuliert. Wir kippen den Kreisel, wie im Bild zu sehen, um eine Position auf der nördlichen Halbkugel anzudeuten. Die Rotationsachse des Kreisels ist wieder mit einem roten Pfeil markiert. Nun dreht man den Kreisel in einer beliebigen Orientierung an und dreht dann langsam und möglichst gleichmäßig den Drehstuhl. Die Drehachse des Kreisels dreht sich unmittelbar auf den fiktiven Nordpol zu. Sie schwankt um diese Richtung, bis die Dämpfung den Kreisel beruhigt hat. Nun ist er in Nord-SüdRichtung ausgerichtet. Je nach Anfangsbedingung kann es auch passieren, dass der Pfeil in die umgekehrte Richtung zum fiktiven Südpol zeigt. Der Kreiselkompass zeigt lediglich die Nord-SüdRichtung an, er kann Nord- und Südpol aber nicht unterscheiden.

319 13.5  Kreiselbewegung

. Abb. 13.19 Ein Kreiselkompass (aufgeschnitten). © Wikimedia: Fa. Anschütz

. Abb. 13.19 zeigt einen kommerziellen Kreiselkompass. Das Gehäuse ist aufgeschnitten, sodass man ins Innere blicken kann. Man erkennt das von einem Elektromotor angetriebene Schwungrad, den Kreisel. Die Achse des Kreisels liegt horizontal. Er ist so gelagert, dass sich die Achse in der horizontalen Ebene beliebig drehen kann. Eine Dämpfung dieser Drehung reduziert die Einschwingzeit des Kompass’ nach dem Starten des Motors. Um die Funktion des Kreiselkompass zu verstehen, stellen wir uns der Einfachheit halber vor, dass er am Äquator aufgestellt sei. Die Kreiselachse zeige beim Start in Ost-West-Richtung, also zunächst in die falsche Richtung (. Abb. 13.20). Wir blicken „von oben“ auf die Erde. Der schwarze Doppelpfeil gibt die anfängliche Kreiselachse an. Durch die Drehung der Erde muss sich auch die Kreiselachse um die Erdachse drehen. Es wirkt ein Drehmoment auf den Kreisel, das in Richtung Norden zeigt (in der E E wächst Abb. durch den grünen Punkt angegeben). Nach ddtL D M

. Abb. 13.20 Schematische Darstellung eines Kreiselkompass am Äquator. Blick von Norden auf die Erde

13

320

Kapitel 13  Drehbewegungen

die Komponente des Drehimpulses des Kreisels, die nach Norden zeigt, an, was ihn schließlich in Nord-Süd-Richtung ausrichtet. Beispiel 13.15: Radfahren

Beim freihändigen Radfahren steuert man das Vorderrad, indem man sich in die Kurve legt. Man kann das so erklären: Durch die Gewichtsverlagerung erzeugt man ein Drehmoment auf das Vorderrad (Skizze). Dieses bewirkt eine Präzession der Achse des Rades in der Horizontalen, die es in die gewünscht Fahrtrichtung dreht. Allerdings wird diese einfache Erklärung auch kontrovers diskutiert.1

13.6

13

Der Trägheitstensor

Zum Abschluss dieses Kapitels über die Drehbewegungen starrer Körper wollen wir uns noch mit Drehungen beschäftigen, bei denen die Drehachse keinerlei Zwangsbedingungen unterliegt. Sie kann sich frei im Raum ausrichten. Um diese zu behandeln, wollen wir zunächst den Begriff des Trägheitsmomentes erweitern. Wir haben das Trägheitsmoment eines Körpers als skalare Größe eingeführt und gesehen, dass es von der Lage der Rotationsachse abhängt. Wir mussten es für jede Achse neu berechnen. Dabei dürfte klar sein, dass die Trägheitsmomente nahe beieinander liegender Achsen in Relation zueinander stehen. Schränkt man sich auf Achsen durch den Schwerpunkt ein2 , so kann man das Trägheitsmoment für beliebige Richtungen der Achse in geschlossener Form angeben, allerdings nicht durch eine skalare Größe, sondern durch einen Tensor zweiter Stufe, eine 3  3-Matrix. Wir deuten dies an, indem wir das Symbol mit einer kleinen Schlange überschreiben: IQ. Man nennt ihn den Trägheitstensor (zu Tensoren siehe 7 Anhang A3.20). E D I !. Wir betrachten noch einmal die Relation L E Wir haben sie aus dem Bahndrehimpuls einzelner Massenelemente abgeleitet:   E i D rEi  mi vEi D rEi  mi !E  rEi L

(13.52)

Dabei dürfen wir den Vektor !E beliebig wählen. Bei der Einführung des Trägheitsmomentes in 7 Abschn. 13.2 hatten wir !E aus 1 2

Eine ausführliche Darstellung findet man z. B. in: Rainer Müller, Klassische Physik, Kap. 13.8 Haben wir erst einmal die Trägheitsmomente durch den Schwerpunkt erfasst, können wir mithilfe des Satzes von Steiner Trägheitsmomente in Bezug auf beliebige Achsen berechnen.

321 13.6  Der Trägheitstensor

dem Ausdruck herausgezogen und den Rest zum Trägheitsmoment zusammengefasst. Nun gehen wir anders vor. Wir rechnen den Ausdruck komponentenweise aus (!E D .!x !y !z /, rEi D .xi yi zi /): 0

1 !y zi  !z yi E i D rEi  mi @ !z xi  !x zi A L !x yi  !y xi 0 2 1 yi !x  xi yi !y  xi zi !z C zi2 !x 2 2 D mi @zi !y  yi zi !z  xi yi !x C xi !y A xi2 !z  xi zi !x  yi zi !y C yi2 !z  0  2 1 yi C zi2 !x  xi yi !y  xi zi !z  2  D mi @xi yi !x C xi C zi2 !y  yi zi !z A xi zi !x  yi zi !y C xi2 C yi2 !z 0 2 1 0 1 xi zi yi C zi2 xi yi !x D mi @ xi yi xi2 C zi2 yi zi A  @!y A : !z xi zi yi zi xi2 C yi2

(13.53)

In der dritten Zeile haben wir lediglich umsortiert und das Ergebnis in der letzten Zeile in Matrixschreibweise umformuliert. Nun können wir den Trägheitstensor ablesen. Wir müssen nur noch von einzelnen Massenpunkten auf das Integral über den Körper E D IQ!E mit übergehen. Es ist dann L 0

Ixx Q @ I D Iyx Izx

Ixy Iyy Izy

1 Ixz Iyz A Izz

(13.54)

und Z Ixx D

Z Z .y 2 C z 2 /d m Ixy D  xyd m Ixz D  xzd m

V

Iyx

V

V

Izx

V

Z Z Z 2 2 D  xyd m Iyy D .x C z /d m Iyz D  yzd m V

V

Z Z Z D  xzd m Izy D  yzd m Izz D .x 2 C y 2 /d m : V

V

V

(13.55) Beispiel 13.16: Trägheitstensor eines Quaders

Wir berechnen als Beispiel den Trägheitstensor eines Quaders mit homogener Dichte , der quadratischen Grundfläche a  a

13

322

Kapitel 13  Drehbewegungen

und der Höhe b. Die Skizze zeigt das Koordinatensystem, dessen Ursprung mit dem Schwerpunkt des Quaders zusammenfällt. Nun müssen wir die neun Integrale aus Gl. 13.55 berechnen. Die ersten beiden sind Z



Ixx D

Cb=2 Z Ca=2 Z Ca=2 Z

 y2 C z2 d m D

 2  x C z 2 dxdydz

b=2 a=2 a=2

V Cb=2 Z Ca=2 Z

D b=2 a=2 Cb=2 Z Ca=2 Z 

D b=2 a=2

1 3 x C z2x 3

Ca=2 dydz a=2

Cb=2   Z  1 3 1 4 a C z 2 a dydz D a C z 2 a2 dz 12 12 b=2

1 1 4 a b C b 3 a2 D 12 12 b

Ixy D 

a

xyd m D  V b

 b2 a

ZC 2 ZC 2

D  b2

a

ZC 2 ZC 2 ZC 2

Z

 a2

1 2 x y 2

C a2  a2

xydxdydz  a2  a2

dydz D 0

Insgesamt ergibt sich 0

13

IQQuader

a2 C b 2 1 2 B a b@ 0 D 12 0

0 a2 C b 2 0

1 0 0 C A 2a2

Dieses Ergebnis kann man mit dem Eintrag in . Tab. 13.1 vergleichen. Ixx entspricht dem dort angegebenen Trägheitsmoment. Die Elemente außerhalb der Diagonalen verschwinden hier. Dies liegt daran, dass wir die Koordinatenachsen von vorneherein entlang der Symmetrieachsen des Quaders orientiert hatten.

Man kann nun in den unterschiedlichen Relationen das Trägheitsmoment durch den Trägheitstensor ersetzen. Zum Beispiel in Erot D

1 T Q !E I !E 2

(13.56)

Der Trägheitstensor lässt sich grafisch durch das Trägheitsellipsoid veranschaulichen. Ein Beispiel ist in . Abb. 13.21 gezeigt.

323 13.6  Der Trägheitstensor

Der Mittelpunkt des Ellipsoids liegt im Schwerpunkt S des Körpers. Die Achsen des Ellipsoids nennt man die „Hauptträgheitsachsen“. Sie sind durch die Symmetrieachsen des Kreiselköpers vorgegeben und fallen nicht notwendigerweise mit den Koordinatenachsen zusammen, denn diese hängen von der Orientierung des Körpers im Koordinatensystem ab. Wir haben die Hauptträgheitsachsen daher in der Abbildung mit x 0 , y 0 und z 0 bezeichnet.3 Man kann nun eine beliebige Rotationsachse (durch den Schwerpunkt) einzeichnen. Ihr Durchstoßpunkt durch die Oberfläche des Ellipsoids ist in . Abb. 13.21 mit P bezeichnet. Die Länge der Strecke SP gibt das Trägheitsmoment bezüglich dieser Achse an: 1 jSP j D p I

(13.57)

Beachten Sie: Entgegen der Intuition ist das Trägheitsmoment für die Richtungen besonders klein, für die die Halbachse des Trägheitsellipsoides besonders groß ist. Trägheitsmomente bezüglich Achsen, die nicht durch den Schwerpunkt gehen, kann man hieraus mittels des Satzes von Steiner berechnen. Beispiel 13.17: Trägheitstensor

Wir hatten den Trägheitstensor über den Drehimpuls eingeführt (Gl. 13.53). Wir wollen noch kurz zeigen, dass dies im Einklang mit unserer bisherigen Definition des Trägheitsmomentes ist (Gl. 13.15). Wir hatten Z I D

r?2 d m Körper

mit dem senkrechten Abstand zur Drehachse, den wir aus r?2 C rk2 D r 2 bestimmen können, definiert. Die Komponente parallel zur Drehachse bestimmen wir durch ein Skalarprodukt: rk D rE  !O D rE  !=!. E Damit ist 

Z I D

r  2

Körper

D

1 !2

Z 

rE  !E !

2 ! dm

 2  rE2 !E 2  rE  !E d m

Körper

3

Allgemein sind die Hauptträgheitsachsen durch die drei Eigenvektoren des Trägheitstensors gegeben. Benutzt man diese als Koordinatenachsen, wird der Trägheitstensor zu einer Diagonalmatrix.

13

. Abb. 13.21 Das Trägheitsellipsoid

324

Kapitel 13  Drehbewegungen

Schreiben wir dieses nun in Komponenten aus, so erhalten wir 2 3 Z 3 X 1 6 7 .Er 2 ıij  ri rj /d m5!i !j I D 2 4 ! i;j D1 Körper

D

1 !2

Z

3 X

Iij !i !j

mit

Iij D

i;j D1

.Er 2 ıij  ri rj /d m Körper

Ersetzen wir nun noch r1 D x, r2 D y und r3 D z, so sehen wir das Ergebnis, das wir bereits aus Gl. 13.53 kennen.

Die Trägheitsmomente bezüglich der drei Hauptachsen nennt man die Hauptträgheitsmomente Ia ; Ib ; Ic . Üblicherweise sortiert man sie der Größe nach: Ia  Ib  Ic . Sind alle drei Hauptträgheitsmomente voneinander verschieden, so spricht man von einem „asymmetrischen Kreisel“. Sind wenigstens zwei gleich, so nennt man den Kreisel „symmetrisch“. In . Abb. 13.22 sind zwei Moleküle gezeigt. H2 O ist ein asymmetrischer Kreisel, CO2 ein symmetrischer (die Trägheitsmomente um die Vertikale und um die Achse senkrecht zur Zeichenebene sind gleich). Unter den symmetrischen Kreiseln unterscheidet man ferner prolate Kreisel (Ia < Ib D Ic ) und oblate Kreisel (Ia D Ib < Ic ). In . Abb. 13.23 sind deren Trägheitsellipsoide gezeigt. Sind alle drei Hauptträgheitsmomente gleich, spricht man von einem „sphärischen Kreisel“. Wählt man als Koordinatenachsen die Hauptträgheitsachsen, so ist der Trägheitstensor eine Diagonalmatrix:

13 . Abb. 13.23 Trägheitsellipsoide eines prolaten und oblaten Kreisels

0 Ia Q @ I D 0 0

0 Ib 0

1 0 0A: Ic

(13.58)

Der Drehimpuls bei Rotation um die Achse !E ist dann E D IQ!E D .Ia !x 0 ; Ib !y 0 ; Ic !z 0 / : L

. Abb. 13.22 Beispiele: Molekülkreisel

(13.59)

325 13.6  Der Trägheitstensor

Beispiel 13.18: Schiefe Rotation

Wir wollen Ihnen hier ein Beispiel für eine Rotation vorführen, bei der der Drehimpuls nicht auf die Drehachse fällt, eine Situation, die Sie vielleicht überraschen mag. Wir betrachten die Rotation eines Reifens. Der Reifen ist in der Abbildung gezeigt. Wir haben ihn so ausgerichtet, dass seine Symmetrieachse (gestrichelte Linie) vertikal orientiert ist. Der Reifen soll sich um eine Achse drehen, die nicht mit der Symmetrieachse zusammenfällt. Die Drehachse ist gegen die Symmetrieachse um den Winkel 90ı  ˛ verkippt. Im eingezeichneten Koordinatensystem liegt sie in der x-z-Ebene und schließt mir der x-Achse den Winkel ˛ ein. Wir berechnen den Drehimpuls, indem wir den Reifen in infinitesimal kleine Stücke unterteilen. In der Position, in der er in der Skizze zu sehen ist, liegt der Reifen in der x-y-Ebene. Ein einzelnes Stückchen hat die Position rE D R .cos '; sin '; 0/, wobei R der Radius des Rings ist und ' die Position unseres infinitesimalen Stücks entlang des Rings bestimmt. Die Tangentialgeschwindigkeit vE, mit der das Stück um die Achse rotiert, ergibt sich aus vE D !E  rE, mit !E D !0 .cos ˛; 0; sin ˛/: vE D R !0 .sin ˛ sin ';  sin ˛ cos ';  cos ˛ sin '/: Neben der Tangentialgeschwindigkeit treten auch Geschwindigkeitskomponenten in radialer Richtung und entlang der Drehachse auf, diese sind hier aber ohne Bedeutung, da sie nicht zum Drehimpuls beitragen. Aus der Geschwindigkeit bestimmen wir E D rE  m vE: nun den Drehimpuls L   E D d m R2 !0 cos ˛ sin2 ';  cos ˛ sin ' cos '; sin ˛ ; dL mit der Masse d m D m d'=2. Dies müssen wir nun noch über R E D 2 d L). E Wir erhalten: den gesamten Reifen integrieren (L 0 E D m R2 !0 L



 1 cos ˛; 0; sin ˛ ; 2

was nicht parallel zum Vektor !E zeigt. Dreht sich nun der Reifen um die Drehachse, so rotiert die Symmetrieachse auf einem Kegel um die Drehachse. Der Drehimpuls rotiert dabei mit. Er wird immer zwischen der Drehachse und der Symmetrieachse in der von diesen beiden Achsen aufgespannten Ebene stehen. Fixieren Sie die Achse durch Lager und zwingen den Reifen zu einer Rotation um diese schiefe Achse, so muss der Drehimpuls auf einem Kegel um die Drehachse umlaufen. Um dies zu erreichen, sind Drehmomente notwendig, die von den Lagern auf die Achse übertragen werden. Auch diese drehen sich mit der

13

326

Kapitel 13  Drehbewegungen

Rotation des Reifen. Sie spüren dies als Rütteln an den Lagern, sofern der Reifen wie in unserem Beispiel schief zur Drehachse steht. Unsere kleine Rechnung lässt sich auch anders betrachten: Wenn die Drehachse frei ist, so können keine Drehmomente auf sie ausgeübt werden. Der Drehimpuls steht fest im Raum. Da aber die Drehachse einen Winkel mit dem Drehimpuls einschließt, rotiert nun die Drehachse auf einem Kegel um den ortsfesten Drehimpuls. Der Kreisel trudelt. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Drehachse nicht mit einer der Symmetrieachsen des Kreisels zusammenfällt. Kommen wir zum Schluss dieses Beispiels noch auf die Formeln zu sprechen. Wir hatten zu Beginn dieses Abschnitts das E D I !E eingeführt, die wir Trägheitsmoment über die Relation L hier nicht anwenden können, denn sie geht von einer ParalleliE und !E aus. Stattdessen müssen wir die Relation tät zwischen L E D IQ !E mit dem Trägheitstensor IQ verwenden. VernachlässiL gen wir das Volumen des Reifens, wie wir das in der Rechnung oben auch getan haben, so benötigen wir den Trägheitstensor eines Kreisrings. Dieser ist 1 0 1 2 0 0 2 mR B 1 mR2 0 C 0 IQ D @ A; 2 0 0 mR2 was mit !E D !0 .cos ˛; 0; sin ˛/ den korrekten Drehimpulsvektor ergibt.

13 Offensichtlich bieten die Hauptträgheitsachsen eine gewisse Vereinfachung der Beschreibung von Drehbewegungen. In einem Koordinatensystem S 0 , das durch die Hauptträgheitsachsen eOx 0 , eOy 0 und eOz 0 gegeben ist, hat der Trägheitstensor eine diagonale Form mit zeitlich konstanten Elementen. Allerdings ist zu beachten, dass in manchen Situationen das körperfeste System der Hauptträgheitsachsen S 0 gegenüber einem raumfesten System S rotiert und somit kein Inertialsystem darstellt. Transformieren wir die E D d L=dt E Grundgleichung M in das System S 0 , so müssen wir beachten, dass die zeitliche Ableitung einen Beitrag erhält, der auf die Rotation von S 0 gegenüber S zurückgeht. Wir wollen die Ableitung hier nicht ausführen. Es ergibt sich E E D dL M in S dt   E E E D d L C !E  L in S 0 : M dt

(13.60)

327 13.6  Der Trägheitstensor

E und !E in S 0 einfach. Es Dafür ist der Zusammenhang zwischen L gilt: E D Ia !x 0 eOx 0 C Ib !y 0 eOy 0 C Ic !z 0 eOz 0 L

(13.61)

mit den Hauptträgheitsmomenten Ia , Ib und Ic bezüglich der Hauptträgheitsachsen eOx 0 , eOy 0 und eOz 0 . Die Gl. 13.60 im System S 0 nennt man die Euler’schen Kreiselgleichungen oder auch einfach die Euler’schen Gleichungen. Es handelt sich um drei gekoppelte Differenzialgleichungen. Ausgeschrieben lauten sie: d!x 0 C .Ic  Ib /!y 0 !z 0 dt d!y 0 My 0 D Ib C .Ia  Ic /!z 0 !x 0 dt d!z 0 Mz 0 D Ic C .Ib  Ia /!x 0 !y 0 : dt

Mx 0 D Ia

(13.62)

Beachten Sie allerdings, dass zur Lösung dieser DifferenzialgleiE in das System S 0 zu transchungen zunächst das Drehmoment M formieren ist. Beispiel 13.19: Schlupffreier Billardstoß

Sie stoßen eine Billardkugel (Masse m, Radius R, Trägheitsmoment I ) parallel zum Tisch an. In welcher Höhe h müssen Sie die Kugel treffen, damit sie selbst ohne Reibung zum Tisch ohne Schlupf zu rollen beginnt? Bei einer homogenen Kugel handelt es sich um einen sphärischen Kreisel mit drei identischen Hauptträgheitsmomenten: 1 0 2 2 0 0 5 mR C B 2 mR2 0 0 IQ D @ A: 5 2 mR2 0 0 5 E D F .hR/ eOz . Der Stoß erzeugt ein Drehmoment der Größe M Damit lauten die Euler’schen Gleichungen: d 2 'x dt 2 d 2 'y 0 D Ib dt 2 d 2 'z F .h  R/ D Ic dt 2 0 D Ia

mit den Drehwinkeln 'i um die i-te Achse. Die Kugel wird durch den Stoß in x-Richtung beschleunigt. Es muss also F D m ax gelten. Die Beschleunigung ax ist über die Rollbedingung mit der

13

328

Kapitel 13  Drehbewegungen

Winkelbeschleunigung verbunden. Es muss ax D R d 2 'x =dt 2 gelten. Also ergibt sich F .h  R/ D Ic

d 2 'z ax F D Ic D Ic dt 2 R mR

woraus hDRC

7 Ic D R mR 5

folgt. Wird die Kugel in dieser Höhe getroffen, läuft sie ohne Schlupf an.

Beispiel 13.20: Kräftefreier symmetrischer Kreisel

Als weitere Anwendung der Euler’schen Gleichungen wollen wir auf die Bewegung eines kräftefreien symmetrischen Kreisels eingehen. Wir nehmen an, es handele sich um einen oblaten Kreisel, d. h. Ia D Ib < Ic . Die Euler’schen Gleichungen lauten: d!x 0 C .Ic  Ia / !y 0 !z 0 dt d!y 0 C .Ia  Ic / !x 0 !z 0 0 D Ia dt d!z 0 ; 0 D Ic dt 0 D Ia

13

wobei wir bereits Ib durch Ia ersetzt haben. Die dritte Gleichung besagt, dass !z 0 konstant ist. Zur Lösung der ersten beiden Differenzialgleichungen führen wir eine neue Größe ein: D

Ic  Ia !z 0 : Ia

Es handelt sich dabei um eine konstante Frequenz, deren Bedeutung wir noch klären werden. Die Differenzialgleichungen nehmen dann folgende Form an: d!x 0 C !y 0 D 0 dt d!y 0  !x 0 D 0: dt

329 13.6  Der Trägheitstensor

Die allgemeine Lösung lautet: !x 0 .t/ D cos. t/ !x 0 .0/  sin. t/ !y 0 .0/ !y 0 .t/ D sin. t/ !x 0 .0/ C cos. t/ !y 0 .0/: Bei einem oblaten Kreisel ist die Lage der z 0 -Achse als Symmetrieachse des Kreisels, auch Figurenachse genannt, vorgegeben. Die beiden anderen Hauptachsen stehen senkrecht auf der Symmetrieachse, sind aber wegen Ia D Ib nicht eindeutig festgelegt. Wir können sie so drehen, dass !y 0 .0/ zu null wird. Damit liegt die Drehachse !E anfänglich in der x 0 -z 0 -Ebene. Der q Winkel von

!E zur z 0 -Achse sei . Beachten Sie, dass !? D !x20 C !y20 D !x 0 .0/ ebenso konstant ist wie !z 0 . Dies bedeutet aber, dass der Winkel konstant sein muss. Die Drehachse des Kreisels läuft mit der Winkelgeschwindigkeit auf einem Kegel um die Figurenachse um, sofern nicht neben !y 0 .0/ auch noch !x 0 .0/ null ist. Die Bewegung für !x 0 .0/ ¤ 0 haben wir in 7 Beispiel 13.18 das Trudeln der Kreiselachse genannt. Mit den Euler’schen Gleichungen konnten wir die Bewegung explizit bestimmen. Damit haben wir zwar die Bewegung im körperfesten System der Hauptträgheitsachsen S 0 gelöst, doch meist ist die Lösung im raumfesten System S gesucht. Wir müssten eigentlich noch die Koordinatentransformation von S 0 nach S ableiten. Glücklicherweise gibt es hier einen einfachen Zugang über den Drehimpuls. Dieser muss im raumfesten System S erhalten sein. Er berechnet sich nach E D IQ !E D Ia !x 0 eOx 0 C Ia !y 0 eOy 0 C Ic !z 0 eOz 0 L   D Ia !E  !z 0 eOz 0 C Ic !z 0 eOz 0 D Ia !E C .Ic  Ia /!z 0 eOz 0 ; was zeigt, dass der Drehimpuls immer in der Ebene liegt, die von !E und der Figurenachse eOz 0 aufgespannt wird. Ferner sehen wir, dass neben !z 0 auch !z konstant ist, wenn wir die Rotationsenergie betrachten. Diese berechnet sich als Erot D

1 1 T Q 1 !E I !E D !E T L eOz D !z L: 2 2 2

Da sowohl L als auch Erot konstant sind, muss auch !z konstant sein. Dies bedeutet aber, dass !E auf einem Kegel um den Drehimpuls umläuft, und da der Drehimpuls, der Vektor !E und die Figurenachse in einer Ebene liegen, muss die Figurenachse mit der gleichen Geschwindigkeit um den Drehimpuls umlaufen. Obwohl es noch viele weitere Details dieser Bewegung zu besprechen gäbe, wollen wir die Diskussion an dieser Stelle beenden.

13

330

Kapitel 13  Drehbewegungen

13.7

Rotation um freie Achsen

Wir wenden uns nun der freien Rotation zu, d. h. Drehbewegungen, bei denen die Drehachse sich beliebig im Raum bewegen kann. Denken Sie beispielsweise an einen Jongleur, der Bälle oder Kegel wirft und dabei in Rotation versetzt. Auch dies sind starre Körper, die wir hier als Kreisel bezeichnen. Die Flugbahn des Schwerpunkts ist durch die Wurfbewegung gegeben, aber wie verändert sich die Drehachse auf der Bahn? Im einfachsten Fall wirkt von außen kein Drehmoment auf den Kreisel. Der Drehimpulsvektor ist in diesem Fall konstant, aber wie man aus Gl. 13.59 sieht, fällt die Rotationsachse des Körpers im Allgemeinen nicht mit der Richtung des Drehimpulses zusammen. Die Rotationsachse ist dann nicht mehr fest im Raum, sie dreht sich um die Drehimpulsrichtung. Der Kreisel trudelt. Eine Rotation mit feststehender Drehachse erhält man nur unter bestimmten Bedingungen, die wir hier nicht ableiten, aber wenigstens angeben wollen. Eine feste Rotationsachse erhalten wir a. im Falle eines sphärischen Kreisels, d. h. falls Ia D Ib D Ic . b. im Falle eines symmetrischen Kreisels bei Rotation um eine Achse senkrecht zur Symmetrieachse, d. h. falls Ia D Ib und !z 0 D 0 oder Ib D Ic und !x 0 D 0. c. bei einem beliebigen Kreisel, wenn die Rotationsachse mit einer der Hauptachsen zusammenfällt. Dann ist nur eine der drei Komponenten von !E von null verschieden.

13

Den Fall c. finden Sie in 7 Beispiel 13.20 wieder, wenn Sie dort !x 0 D !y 0 D 0 setzen. Dann wird der Winkel zu null und Drehachse und Figurenachse fallen zusammen. Ist eine der drei Bedingungen erfüllt, fällt die Rotationsachse mit dem Drehimpuls zusammen. Sie ist konstant und der Kreisel rotiert wie um eine feste Achse. Für die praktische Anwendung muss man allerdings noch studieren, ob die Rotation um die entsprechende Achse auch stabil ist, d. h. man muss untersuchen, was passiert, wenn die Rotationsachse aufgrund einer kleinen Störung (Unwucht im Kreisel, Luftströmungen, Störungen beim Andrehen, usw.) geringfügig aus der Drehimpulsrichtung ausgelenkt wird. Es stellt sich heraus, dass a. im Falle eines sphärischen Kreisels alle Achsen stabil sind, b. im Falle eines symmetrischen Kreisel die beiden KonfiguraE und !E zusammenfallen, stabil sind, tionen, bei denen L c. im allgemeinen Fall nur die Rotation um die Hauptachsen, die zum kleinsten und zum größten Trägheitsmoment gehören, stabil sind. Dreht man den Kreisel um die mittlere Achse an, führt eine kleine Störung dazu, dass der Kreisel ins Tru-

331 13.7  Rotation um freie Achsen

13

deln gerät und sich schließlich auf einer der beiden stabilen Achsen einpendelt. Experiment 13.16: Rotation um freie Achsen

Die Bedingungen, unter denen ein Körper stabil um eine freie Achse rotiert, mögen zunächst komplex erscheinen. Doch die Ergebnisse sind durchaus intuitiv, wie dieses Experiment zeigt. An einem Motor kann man unterschiedliche Gegenstände aufhängen und um die vertikale Achse in Rotation versetzen. Wir betrachten zunächst eine Stange. Eine Stange ist ein symmetrischer, prolater Kreisel mit Ia < Ib D Ic . Wobei Ia das Trägheitsmoment ist, das zur Rotation um die Längsachse gehört, und die Ib und Ic um die Achsen senkrecht dazu. Die Stange ist über eine weitere dünne und leichte Stange beweglich mit dem Motor verbunden. Bei ausgeschaltetem Motor hängt die Stange aufgrund der Schwerkraft in der Position A (siehe Abbildung). Dies ist auch dann noch der Fall, wenn der Motor sich langsam dreht. Wir drehen nun um !x 0 , was nach der Diskussion dieses Kapitels nicht stabil ist, aber bei langsamer Rotation macht es die Gewichtskraft möglich. Erhöht man nun die Rotationsgeschwindigkeit, so kommt die Stange durch Störungen in Positionen, wie sie als B in der Abbildung gezeigt ist. Sie bewegt sich unregelmäßig. Ist die Rotationsgeschwindigkeit schließlich hoch genug, springt die Stange in die Position C, in der sie schließlich stabil rotiert. Nun ist die Längsachse der Stange !x 0 null, wie dies nach unseren Überlegungen im Text der Fall sein sollte. Man kann andere Gegenstände anbringen und beobachten, was passiert. Im Foto ist eine Kette gezeigt, die bei ausgeschaltetem Motor nach unten hängt. Bei hoher Rotationsgeschwindigkeit wird sie einen Kreis formen, mit einer vertikal ausgerichteten Achse, um die die Kette stabil rotiert.

Experiment 13.17: Jonglieren mit Zigarrenkisten

Dieses Experiment ist ein Spiel mit überraschendem Ausgang: Man bittet zwei Studierende auf die Bühne, die sich die im Foto abgebildeten Zigarrenkisten zuwerfen sollen. Jeweils gegenüberliegende Seiten der Zigarrenkiste sind mit einer Farbe beklebt, um diese Seiten leichter erkennbar zu machen. Man stellt die beiden Werfer so auf, dass das Publikum sie von der Seite sieht, und bittet sie, die Zigarrenkisten beim Wurf in möglichst schnelle Rotation zu bringen. Dabei sollen die Zigarrenkisten zunächst so geworfen werden, dass das Publikum die gelbe Seite sieht. Die

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

332

Kapitel 13  Drehbewegungen

Zigarrenkisten rotieren dann um eine Achse senkrecht zur gelben Fläche. Das klappt sehr gut.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

13

Im nächsten Durchgang dreht man die Zigarrenkisten, sodass die kleine, blaue Fläche dem Publikum zugewandt ist und die Zigarrenkisten um eine Achse senkrecht zu dieser rotieren. In dieser Orientierung sind sie ein wenig schwieriger zu werfen, aber auch das klappt in der Regel ganz gut. Schließlich bittet man die Studenten, die Zigarrenkisten mit der roten Seite zum Publikum zu werfen. Überraschender Weise ist dies nicht möglich. So oft die Studenten auch probieren, die Zigarrenkisten trudeln kurz, drehen zur Seite weg und rotieren am Ende der Flugbahn um die gelbe oder manchmal auch die blaue Seite. Die Zigarrenkiste ist ein asymmetrischer Kreisel. Zur roten Stirnfläche gehört das mittlere Trägheitsmoment Ib , und wie wir gelernt haben, ist nur die Rotation um die Achsen mit dem größten und kleinsten Trägheitsmoment stabil, nicht aber die Rotation um das mittlere.

13.8

Gegenüberstellung

Im Laufe dieses Kapitels haben Sie neben den bereits bekannten Translationsbewegungen die Rotationsbewegung kennengelernt. Wir haben versucht, die Beschreibung von Rotationen ähnlich der der Translationen aufzubauen. Am Ende dieses Kapitels möchten wir diese Analogie noch einmal verdeutlichen. In . Tab. 13.2 sind zunächst die physikalischen Größen gegenübergestellt, die wir zur Darstellung der Bewegungen benutzen. Translatorische Bewegungen beschreiben wir durch Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung. An deren Stelle treten bei Rotationen der Drehwinkel, die Winkelgeschwindigkeit und die

333 13.8  Gegenüberstellung

. Tab. 13.2 Physikalische Größen zur Beschreibung von Translationsund Rotationsbewegungen Translation

Rotation

Weg sE

Drehwinkel 'E

Geschwindigkeit vE

Winkelgeschwindigkeit !E

Beschleunigung aE

Winkelbeschleunigung ˛E

Masse m

Trägheitsmoment I

Impuls pE

E Drehimpuls L

Kraft FE

E Drehmoment M

. Tab. 13.3 Physikalische Relationen für Translations- und Rotationsbewegungen Translation

Rotation

pE D mE v

E D I !E L

FE D mE a D ddtpE R W D FE d sE

E D I ˛E D d LE M dt R E d 'E W D M

Ekin D 12 mv 2

Erot D 12 I! 2

Winkelbeschleunigung. Hat man sich auf eine Drehachse festgelegt, entspricht das Trägheitsmoment bei Rotationen der Masse bei Translationen. Will man sich nicht auf eine Drehachse festlegen, muss man mit Trägheitstensor und dem Satz von Steiner arbeiten. Der Drehimpuls und das Drehmoment übernehmen bei Rotationen die Rolle, die Impuls und Kraft bei Translationen innehaben. Man sollte allerdings beachten, dass die Analogie, die die Tabelle aufzeigt, begrenzt ist. Die Größen der Rotation beziehen sich auf eine bestimmte Rotationsachse, wohingegen die Größen der Translation ohne einen solchen Bezug auskommen. Am offensichtlichsten ist dieser Unterschied bei Masse und Trägheitsmoment. Die Masse ist eine Eigenschaft des Körpers, die unabhängig von einem räumlichen Bezug angegeben werden kann, sein Trägheitsmoment dagegen nicht. Es ändert sich je nach Orientierung oder Lage der Drehachse. Ähnliches gilt auch für alle anderen Größen in der Tabelle. In . Tab. 13.3 sind die wichtigsten Relationen zur Berechnung von Translations- und Rotationsbewegungen gegenübergestellt. Auch hier ist die begrenzte Analogie, die wir bereits in . Tab. 13.2 gesehen haben, erkennbar. Schließlich sind in . Tab. 13.4 die wichtigsten Umrechnungen von Translations- in Rotationsgrößen zusammengestellt.

13

334

Kapitel 13  Drehbewegungen

. Tab. 13.4 Umrechnung der Translationsgrößen in Rotation vE D !E  rE E D rE  pE L E D rE  FE M R I D r?2 d m

?Aufgaben

13

1. Ein Fahrradfahrer beschleunigt innerhalb von 5 s aus der Ruhe auf eine Endgeschwindigkeit von 30 km=h. Die Laufräder besitzen eine Masse von je 1 kg und haben einen Durchmesser von 0;62 m. Berechnen Sie die Winkelbeschleunigung eines Laufrads und die Kraft, die der Radfahrer dafür aufwenden muss, ein Laufrad zu beschleunigen. Gehen Sie dabei davon aus, dass sich die gesamte Masse des Laufrads auf seiner Lauffläche konzentriert. Rechnen Sie einmal mit der Radnabe und einmal mit dem Auflagepunkt des Reifens als Rotationspunkt. Vergleichen Sie beide Ergebnisse! 2. Ein Draht mit einer Massenbelegung pro Längeneinheit wird zu einem Sakai-Kreisel gebogen, wobei der Kreisbogen einen Krümmungsradius R erhält. Berechnen Sie das Trägheitsmoment bezüglich der Kreiselachse, also der Hauptträgheitsachse. Vergleichen Sie mit dem Trägheitsmoment eines Kreisrings vom gleichen Radius. 3. Eine homogene Scheibe mit dem Radius R, die mit der Drehachse senkrecht zur Scheibenfläche mit der Winkelgeschwindigkeit ! rotiert, wird auf einer ebenen Unterlage abgelegt. Der Reibungskoeffizient zwischen Unterlage und Scheibe betrage . Mit welcher Winkelbeschleunigung wird die Scheibe gebremst? Übertragen Sie das Resultat auf einen Eishockeypuck (Durchmesser 76;2 mm), der bei einer Anfangsgeschwindigkeit von 6 m=s eine Strecke von 22 m auf dem Eis zurücklegt. Wenn man den Puck mit einer Umdrehungsfrequenz von 40 1s in Drehung versetzt, wie lange dreht er sich noch weiter? 4. Mit welcher Geschwindigkeit erreicht die Stabspitze eines homogenen Stabs der Länge l, der aus der senkrechten Ruhelage umkippt, den Boden? Nehmen Sie an, dass der Fuß des Stabs nicht rutscht, aber reibungsfrei drehend gelagert ist. 5. Eine homogene Scheibe mit der Masse M und dem Radius R ist über eine als masselos angenommene Achse mit dem Radius r auf einem Schienenpaar gelagert. Um die Achse ist ein Faden gewickelt, an dem ein frei hängendes Gewicht der Masse m zieht. Berechnen Sie die Zeit, in der der Mittelpunkt der Scheibe, die sich anfangs in Ruhe befindet, die Strecke l zurücklegt!

335 13.8  Gegenüberstellung

6. Berechnen Sie die Beschleunigung, mit der ein Vollzylinder einerseits und ein Hohlzylinder andererseits eine schiefe Ebene der Steigung 10 % herunterrollen! Vergleichen Sie mit der Beschleunigung eines gleitenden Zylinders. Wie groß muss der Haftreibungskoeffizient zwischen der Außenfläche der rollenden Zylinder und der Oberfläche der schiefen Ebene sein, damit diese nicht ins Rutschen kommen? 7. Ein Junge wirft einen Flummi mit Radius R mit Drall und der Anfangsgeschwindigkeit v0 unter einem Winkel zur Horizontalen auf den Boden. Wie groß muss die Winkelgeschwindigkeit !0 des Flummis beim Abwurf sein, damit dieser direkt in Richtung der Hand zurückfliegt? Nehmen Sie einen elastischen Abprall ohne Schlupf an. Übertragen Sie das Ergebnis auf die Situation eines Fußballs (Hohlkugel!), der von der Torlatte nach unten abprallt, gerade noch hinter der Torlinie auftrifft (Ball im vollen Umfang hinter der Linie) und danach zur Torlatte wieder hochspringt. Wieviel Umdrehungen pro Sekunde muss hierfür der Ball besitzen (elastischer Abprall ohne Schlupf auf dem Kunstrasen, Torlinienbreite 10 cm, Balldurchmesser 22 cm, Höhe der Torlatte 2;44 m, Ballgeschwindigkeit 120 km=h)? 8. Ein Kollergang ist ein Mühlentyp, der früher vor allem für Ölmühlen im Einsatz war. Hierbei wird der Mühlstein, dessen Drehachse an einer vertikalen Stange drehbar gelagert ist, über das Mahlgut gerollt. Mit welcher Gesamtkraft drückt der Mühlstein auf das Mahlgut (Eigengewicht plus Kraft durch die Präzession), wenn sein Radius r D 0;5 m und seine Masse m D 500 kg betragen und er in R D 1 m Abstand mit einer Umlauffrequenz von f D 1 1s um die vertikale Antriebsachse bewegt wird? Übertragen Sie zunächst die Skizze und tragen Sie die benötigten Vektoren ein.

9. Durch die Gezeitenkräfte bremst der Mond die Rotation der Erde um die eigene Achse ab, genauso wie die Eigenrotation des Mondes durch die Gezeitenkräfte schon so stark abgebremst wurde, dass sie heute mit der Bahnrotation übereinstimmt und der Mond immer mit der gleichen Seite zur Erde weist. Wie groß ist der Abstand zwischen Erde und

© Wikimedia: Alex Anlicker

13

336

Kapitel 13  Drehbewegungen

Mond und wie lang ist ein Erdentag, wenn auch die Gezeitenbremsung der Erdrotation abgeschlossen ist? Nutzen Sie dabei aus, dass durch die Abbremsung zwar Rotationsenergie verloren geht, der Gesamtdrehimpuls des Systems aber erhalten bleibt. Vernachlässigen Sie die Neigung der Erdachse zur Mondbahn sowie den Drehimpuls, der in der Eigenrotation von Erde und Mond nach dem Abschluss der Gezeitenbremsung noch steckt. Nehmen Sie die Erde als homogene Kugel mit Trägheitsmoment 25 mR2 an.

13

337

Elastische Körper Im vorherigen Kapitel haben wir uns mit starren Körpern beschäftigt. Starre Körper sind eine Idealisierung. Wir haben diese ausführlich diskutiert. Mikroskopisch gesehen bestehen die Körper aus Atomen oder Molekülen. Atome haben eine typische Größe von 0;1 nm. Moleküle können größer sein. Mikroskopisch betrachtet bedeutet die Idealisierung des starren Körpers, dass sich die Atome bzw. Moleküle alle an einem festen Platz in Bezug auf ihre Nachbarn befinden. Sie ändern weder den Abstand noch die Position zu ihren Nachbarn. Ein solcher Körper behält seine äußere Form bei. Er ist ein Festkörper. Die Idealisierung des starren Körpers wollen wir nun fallen lassen. Wir werden zulassen, dass sich die Atome und Moleküle unter dem Einfluss äußerer Kräfte gegeneinander verschieben. Damit wird es möglich werden, neben Festkörpern auch Flüssigkeiten und Gase zu behandeln. Die wichtigsten Eigenschaften dieser drei Aggregatzustände sind im Folgenden kurz zusammengefasst. 2Festkörper

Festkörper haben meist eine kristalline Struktur. Elastische Kräfte halten die Atome (oder Ionen oder Moleküle) an ihren Gitterplätzen. Unter dem Einfluss äußerer Kräfte verändern sich ihre Abstände und die Richtungen zwischen ihnen geringfügig. Der Abstand der Atome oder Moleküle im Gitter beträgt je nach Festkörper zwischen 0;2 bis 50 nm. Man unterscheidet: 4 Einkristalle: Der gesamte Körper ist aus einem regelmäßigen Gitter aufgebaut, das sich über den gesamten Körper erstreckt. 4 Polykristalline Körper: Der Körper ist aus vielen kleinen Einkristallen aufgebaut. Die Orientierung der Einkristalle ändert sich von einem zum nächsten. 4 Amorphe Festkörper: Diese haben kein regelmäßiges Gitter, die Position der Atome oder Moleküle relativ zueinander ist aber trotzdem (nahezu) fest, sodass der Körper seine Form nicht ändert.

IV

2Flüssigkeiten

Die Atome bzw. Moleküle, aus denen eine Flüssigkeit besteht, sind nicht an feste Positionen gebunden. Sie können sich beliebig gegeneinander verschieben. Ihr Abstand ist ähnlich dem in Festkörpern. Eine Flüssigkeit passt ihre Gestalt der Form des Gefäßes an, in dem sie sich befindet. Die Flüssigkeit füllt das Gefäß bis zur Füllhöhe vollständig aus. 2Gase

In Gasen sind die Atome bzw. Moleküle nahezu frei beweglich. Ein Gas nimmt den ihm zur Verfügung stehenden Raum vollständig ein. Der Abstand der Atome im Gas ist stark vom Druck abhängig, sodass kein typischer Wert angegeben werden kann. Beispiel IV.1: Silizium

Die Abbildungen zeigen Silizium als Festkörper in seinen unterschiedlichen Formen. Das erste Bild zeigt einen Silizium-Einkristall, wie er in der Halbleiterindustrie zur Herstellung von Schaltelementen benutzt wird (ein sogenannter Ingot). Die äußere Form rührt vom Herstellungsprozess her. Die Oberfläche ist strukturlos, glänzend. Im nächsten Bild ist polykristallines Silizium zu sehen, mit einer Vergrößerung der Oberfläche im dritten Bild. Deutlich sind die einzelnen Kristalle zu erkennen. Ferner gibt es amorphes Silizium. Dessen Oberfläche ist matt und rau.

© Wikimedia: Stahlkocher

339

© Wikimedia: Warut Roonguthai

© Wikimedia: Armin Kübelbeck

Inhaltsverzeichnis Kapitel 14

Elastomechanik – 341

Kapitel 15

Hydro- und Aerostatik – 361

Kapitel 16

Hydro- und Aerodynamik – 397

IV

341

Elastomechanik Inhaltsverzeichnis 14.1

Dehnungselastizität – 342

14.2

Biegung – 347

14.3

Kompression – 352

14.4

Scherung – 354

14.5

Finite-Elemente-Methode – 356

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_14

14

342

Kapitel 14  Elastomechanik

Wir wollen zunächst untersuchen, wie sich Festkörper unter dem Einfluss äußerer Kräfte deformieren. Flüssigkeiten und Gase werden wir erst im nächsten Kapitel (7 Kap. 15) betrachten. 14.1

Dehnungselastizität

Sehr schön lässt sich die Deformation eines Festkörpers unter äußeren Kräften an einem Draht demonstrieren. Er verlängert sich, wenn man an ihm zieht. Experiment 14.1: Dehnung eines Kupferdrahts

Ein rund 5 Meter langer Kupferdraht mit einem Durchmesser von 0;5 mm ist an einem Ende an der Wand befestigt. Das andere Ende wird über eine Rolle umgelenkt. Ein Eimer ist daran angebracht, in den man Gewichte einfüllen kann. An der Umlenkrolle ist ein Zeiger montiert, der eine Dehnung des Drahtes anzeigt. Füllt man Gewichte in den Eimer, so dehnt sich der Draht. Man kann ablesen, dass die Dehnung proportional zum Gewicht des Eimers ist. Nimmt man die Gewichte wieder aus dem Eimer, verkürzt sich der Draht auf seine ursprüngliche Länge.

14

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

In . Abb. 14.1 ist die Dehnung eines Drahtes schematisch dargestellt. Im elastischen Bereich ist die Dehnung proportional zur

343 14.1  Dehnungselastizität

angreifenden Kraft FE . Ein stärkerer Draht würde sich bei einer gleichen Kraft entsprechend weniger dehnen. Die Dehnung muss umgekehrt proportional zur Querschnittfläche A des Drahtes sein. Man kann sich die Proportionalität durch ein Gedankenexperiment erschließen: Stellen Sie sich vor, Sie wollen mit der Kraft FE nicht nur einen Draht der Querschnittsfläche A dehnen, sondern zwei dieser Drähte, die Sie parallel spannen. Die Kraft teilt sich dann gleichmäßig zwischen den Drähten auf und jeder wird nur zur Hälfte gedehnt. Nun kann man aber die beiden parallelen Drähte auch als einen Draht mit doppelter Querschnittsfläche betrachten, welcher nur um die Hälfte gedehnt wird. Die Dehnung ist folglich umgekehrt proportional zur Querschnittsfläche. Wir definieren die (Zug-)Spannung  als Hilfsgröße zur Beschreibung der Dehnung D

F ; A

(14.1)

wobei die Kraft in Richtung des Drahtes wirkt und die Fläche senkrecht zur Kraft gemessen wird (falls der Draht schräg angeschnitten sein sollte). Die Dehnung " selbst messen wir als relative Längenänderung des Drahtes " D L=L. Die in Experimenten beobachteten Zusammenhänge lassen sich durch die einfache Relation " /  ausdrücken. Wir führen eine Proportionalitätskonstante E ein und erhalten  D E"

(14.2)

Man nennt dies das Hooke’sche Gesetz. Wie wir im Folgenden noch sehen werden, ist die strikte Proportionalität des Hooke’schen Gesetzes eine Näherung, die nur bei sehr kleinen Auslenkungen zutrifft. Die Proportionalitätskonstante E heißt „Elastizitätsmodul“ oder auch Young’scher Modul. Er ist eine Materialeigenschaft des Drahtes. In . Tab. 14.1 finden Sie beispielhaft die Werte einiger Materialien. Die Einheit des Elastizitätsmoduls ist N=m2 , man kürzt sie auch mit Pascal (Pa) ab. Gleichung 14.2 stellt nur einen Spezialfall des Hooke’schen Gesetzes dar. Allgemein besagt das Gesetz, das 1676 vom englischen Physiker Robert Hooke zunächst als Anagramm veröffentlicht wurde, dass die Deformation elastischer Körper den angreifenden Spannungen proportional ist. >Hooke’sches Gesetz Die Deformation eines elastischen Körpers ist der angreifenden Spannung proportional.

Wir haben den Elastizitätsmodul als Materialkonstante eingeführt, den man experimentell für jeden Draht bestimmen muss.

. Abb. 14.1 Dehnung eines Drahtes

14

344

Kapitel 14  Elastomechanik

. Tab. 14.1 Elastische Konstanten einiger Materialien Material

Elastizitätsmodul Torsionsmodul GPa GPa

Wolfram

400

150

Stahl

200

80

0,3

Kupfer

110

40

0,36

Aluminium

70

25

0,35

Carbonfaser

150

Glas(faser)

50 . . . 90

Holz



Querkontraktionszahl

0,1

20

0,2 . . . 0,3

1

(entlang der Faser)

10 . . . 20

(quer zu Faser)

0,2 . . . 2

Kunststoffe (PE,PP,PA)

1... 5

0,1

0,3 . . . 0,5

Gummi

0,01 . . . 0,1

0,0002

0,5

Graphen

 1000

Man erhält ihn aus der quantitativen Auswertung eines Experimentes, wie z. B. 7 Experiment 14.1. Für einfache Materialien kann man den Elastizitätsmodul auch aus den Eigenschaften des Festkörpers (aus den Eigenschaften der Bindung zwischen den Atomen) berechnen. Dies werden Sie in der Festkörperphysik lernen. Die Berechnung ist kompliziert und meist nur von begrenzter Genauigkeit, sodass sie für die Praxis der Elastomechanik ohne große Bedeutung ist.

14 Beispiel 14.1: Federkonstante eines Drahtes

In 7 Abschn. 6.5 haben wir die Federkonstante eingeführt. Sie gibt an, wie viel Kraft man auf eine Feder ausüben muss, um diese um eine bestimmte Länge zu strecken: F D Ds. Entsprechend kann man eine Federkonstante für einen Draht oder einen elastischen Faden definieren. Man kann diese Federkonstante aus dem Elastizitätsmodul bestimmen: DD

F A A F D D DE s L "L L

345 14.1  Dehnungselastizität

14

Ein Draht, der gestreckt wird, verändert seine Form. Er wird sich verjüngen. In 7 Experiment 14.2 wird dies an einem Modell demonstriert. Man spricht von einer „Querkontraktion des Drahtes“. Je mehr man den Draht dehnt, desto mehr wird er sich verjüngen. Die Querkontraktion ist proportional zur Längenänderung des Drahtes d L D  : d L

(14.3)

Dabei ist d der Durchmesser des Drahtes. Die Proportionalitätskonstante  heißt „Querkontraktionsfaktor“ oder auch „PoissonZahl“. Experiment 14.2: Querkontraktion an einem Gummiband

Querkontraktion tritt nicht nur an Drähten auf. Hier demonstrieren wir sie an einem Gummiband. Auf dem kurzen und breiten Gummiband ist ein weißer Kreis aufgezeichnet. Dehnt man das Gummiband manuell, deformiert sich der Kreis zu einer Ellipse. Er verlängert sich in Richtung der Zugspannung und verjüngt sich senkrecht dazu. Als Referenz hängt vor dem Gummiband eine durchsichtige Folie, auf die ein Kreis (rot gestrichelt) in der ursprünglichen Form aufgemalt ist. Die Folie ist nur einseitig befestigt und wird dadurch nicht gedehnt.

Experiment 14.3: Dehnung über die Elastizitätsgrenze hinaus

Für dieses Experiment verwenden wir denselben Aufbau wie in 7 Experiment 14.1. Wir geben ein Gewicht in den Eimer, beobachten die Dehnung des Drahtes und nehmen das Gewicht wieder heraus. Dann erhöhen wir schrittweise das Gewicht. Zunächst nimmt die Längenausdehnung proportional zum Gewicht zu und verschwindet wieder vollständig, nachdem das Gewicht entfernt wurde. Der Kupferdraht hat nur eine begrenzte Zugfestigkeit. Der lineare Bereich des Hooke’schen Gesetzes endet bei diesem Draht bei etwa 1;5 kg. Nach höheren Belastungen geht die Längenausdehnung des Drahtes nach Entfernen des Gewichtes nicht mehr ganz auf null zurück. Bei etwa 4 kg beginnt der Draht zu fließen. Nachdem man das Gewicht in den Eimer gegeben hat, verlängert sich der Draht allmählich immer weiter. Er wird länger und länger, bis er schließlich reißt und der Eimer mit den Gewichten auf die schwarze Matte am Boden stürzt. Manchmal hat man Glück und das Fließen des Drahtes kommt noch einmal zum Stillstand. Gibt man dann auch nur ein weiteres kleines Gewicht hinzu, beginnt er erneut zu fließen und reißt.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

346

Kapitel 14  Elastomechanik

. Abb. 14.2 Dehnung eines Drahtes unter Zugspannung. Kurve B: Zugspannung korrigiert auf Querschnittsänderung durch Querkontraktion

14

Wir betrachten noch einmal die Dehnung eines Drahtes. Wir erhöhen die Zugspannung immer weiter, bis der Draht schließlich reißt (7 Experiment 14.3). In . Abb. 14.2 ist die Längenänderung des Drahtes bis zum Bruch dargestellt. Man nennt es ein SpannungsDehnungs-Diagramm. Der elastische Bereich, in dem das Hooke’sche Gesetz gilt, ist grau unterlegt. Das Ende des elastischen Bereiches wird „Elastizitäts“- oder „Streckgrenze“ genannt. Eine Längenänderung im elastischen Bereich ist nur von temporärer Art. Nimmt man die Spannung vom Draht, verkürzt er sich wieder auf seine ursprüngliche Länge. Dies ist nicht mehr der Fall, wenn man die Elastizitätsgrenze überschreitet. Nimmt man in diesem Fall die Spannung weg, so verkürzt sich der Draht zwar, aber nicht mehr bis auf seine ursprüngliche Länge. Es bleibt eine permanente Deformation (Verlängerung). Jenseits der Elastizitätsgrenze bewirkt eine Erhöhung der Zugspannung eine deutlich größere Längenänderung. Erhöht man die Spannung immer weiter, reißt der Draht schließlich. Den Wert der Spannung, bei der der Draht gerade noch nicht reißt, nennt man seine „Zugfestigkeit“. Für einen Stahldraht ist die Streckgrenze etwa 2  108 N=m2 und die Zugfestigkeit etwa 5  108 N=m2 . Die aus dem Spannungs-Dehnungs-Diagramm abgelesenen Spannungswerte (Zugfestigkeit, Streckgrenze) entsprechen nicht der wahren Spannung im Material. Dies liegt daran, dass bei der Berechnung der Spannung die Zugkraft auf den Ausgangsquerschnitt des Drahtes bezogen wird. Durch die Querkontraktion reduziert sich aber der Querschnitt des Drahtes bei der Zugprobe. Korrigiert man die Zugspannung auf den tatsächlichen Querschnitt der Probe, ergibt sich die Kurve B in . Abb. 14.2.

347 14.2  Biegung

Beispiel 14.2: Zugfestigkeit eines Stahldrahtes

Ein Stahldraht mit 1 mm2 Querschnittfläche (0;56 mm Radius) kann ein Gewicht von bis zu 50 kg tragen. Die Zugfestigkeit von Stahldrähten beträgt 5  108 N=m2 . Mit Gl. 14.1 ergibt sich eine maximale Zugkraft von F D 5  108 mN2  1 mm2 D 500 N, was einem Gewicht von ca. 50 kg entspricht. Allerdings sieht man schon bei 20 kg Last eine deutliche Verlängerung des Drahtes.

14.2

Biegung

In 7 Abschn. 14.1 haben wir mit der Dehnung die einfachste elastische Eigenschaft eines Festkörpers kennengelernt. Wir wollen uns nun mit einer weiteren elastischen Eigenschaft befassen, der Biegung. Sie tritt beispielsweise auf, wenn man Balken belastet. Dabei treten Spannungen im Körper auf. Einzelne Bereiche des Körpers werden gedehnt, während andere gestaucht (komprimiert) werden. In 7 Experiment 14.4 werden diese Spannungen sichtbar gemacht. Experiment 14.4: Biegung sichtbar gemacht

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

14

348

Kapitel 14  Elastomechanik

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Durch den Effekt der Spannungsdoppelbrechung kann man mechanische Spannungen in Werkstoffen sichtbar machen. Die beiden Bilder zeigen einen Teil des optischen Aufbaus (von links: Projektionslampe, erster Polfilter, Werkstück) und das Ergebnis. Das durchsichtige Werkstück (Plastik) wird mit polarisiertem Licht bestrahlt. Durch die mechanischen Spannungen entsteht eine Anisotropie im Material, die abhängig von der Wellenlänge ist. Die Phasengeschwindigkeit von Licht mit Polarisation in Richtung der Spannung wird sich von der von Licht mit senkrechter Polarisation unterscheiden. Dadurch wird der Polarisationsvektor gedreht. Da der Effekt wellenlängenabhängig ist, entsteht eine farbige Abbildung der Spannungen.

14

Wir wollen versuchen, ein einfaches Beispiel einer Biegung quantitativ zu erfassen, ein einseitig eingespannter Balken. Die Situation ist in . Abb. 14.3 dargestellt. Der Balken ist links fest an einer Wand verschraubt. Am rechten Ende wird er mit einer Kraft FE0 belastet. Die Länge des Balkens ist L0 . Er hat einen rechteckigen Querschnitt mit Höhe a und Breite b. Der Balken deformiert sich unter der Last. Er wird dabei an seiner Oberseite gedehnt und an seiner Unterseite gestaucht. In der Mitte des Balkens gibt es einen Bereich, der seine ursprüngliche Länge beibehält. Man nennt ihn die „neutrale Faser“. Wir betrachten einen Ausschnitt der Länge L aus dem gebogenen Balken (siehe . Abb. 14.3, zweite Skizze). Der Biegeradius und der Biegewinkel ' sind über L miteinander verknüpft: L D '. Das obere Ende des Balkens wird um das Stück L gedehnt:  a 1 L C L D C ' D ' C a' : (14.4) 2 2

349 14.2  Biegung

14

. Abb. 14.3 Ein einseitig eingespannter Balken unter einer Last FE

Für die relative Längenänderung ergibt sich: 1 a' L a D 2 D : L ' 2

(14.5)

Aus dem Hooke’schen Gesetz erhalten wir die auftretenden Spannungen. Dem Betrage nach ergibt sich oben

o D E

Mitte

m D 0

unten

u D E

a 2 a 2

(14.6)

Bei einem beliebigen radialen Abstand x zur neutralen Faser hat man entsprechend eine Spannung  D E x . Aus den Spannungen resultieren Kräfte, die wiederum ein Drehmoment im Balken erzeugen (. Abb. 14.4). Das Drehmoment ist dem Drehmoment, das von der von außen am Balken angreifenden Kraft erzeugt wird, entgegengerichtet. Der Balken wird sich so lange deformieren, bis die Drehmomente sich exakt kompensieren. Aus der Spannung in einem infinitesimal kleinen Stück dx des Balkens resultiert eine Kraft x (14.7) dF D  dA D E bdx; woraus sich ein infinitesimales Drehmoment ergibt: dM D xdF D

Eb 2 x dx :

(14.8)

Dies integrieren wir nun über den Querschnitt des Balkens von der neutralen Faser bis nach außen (x D a=2). Ein Faktor 2 berücksichtigt, dass sich aus der oberen und unteren Hälfte jeweils

. Abb. 14.4 Kräfte im gebogenen Balken

350

Kapitel 14  Elastomechanik

ein Drehmoment gleicher Größe und Richtung ergibt. Dann ist: Za=2 M D2 0

Eb 2 Eb 1 3 a=2 a3 b E D x dx D 2 x : 3 12 0

(14.9)

Dieses Drehmoment muss das äußere Drehmoment M0 D F0 L0 kompensieren. Also muss gelten: M D

a3b E a3 b E : D F0 L0 D M0 ) D 12 12 F0 L0

(14.10)

Damit haben wir die Biegung des Balkens bestimmt. Wir wollen dieses Ergebnis näher untersuchen. Ein großer Biegeradius bedeutet, dass der Balken sich nur wenig biegt. Dies erreicht man durch einen größeren Elastizitätsmodul E oder durch einen kurzen Balken L0 . Je länger der Balken, desto stärker biegt er sich. Offensichtlich nimmt die Biegung auch mit zunehmender Kraft zu. Interessant ist die Abhängigkeit vom Querschnitt des Balkens. Hier geht nicht einfach die Querschnittsfläche ein, wie man vielleicht naiv erwarten würde. Bei vorgegebener Querschnittsfläche biegt sich ein Balken mit großer Höhe (a3 ), aber geringer Breite (b) deutlich weniger. Dies nützt man in der Statik aus, indem man Balken verwendet, die einen rechteckigen Querschnitt haben, mit einer größeren Höhe als Breite. Beispiel 14.3: Querschnitte von Stahlträgern

14

Wir wollen die Stabilität dreier Stahlträger vergleichen. Die drei Träger haben die gleiche Querschnittsfläche von a2 =4. Die Querschnitte sind in der Abbildung mit ihren Maßen dargestellt. Wir wollen den Biegeradius bei vertikaler und horizontaler Belastung bestimmen. Die Berechnung für A und B ergibt sich direkt aus Gl. 14.10.

Zur Berechnung des Doppel-T-Trägers beachten wir, dass unsere Berechnung quer zur belastenden Kraft linear in der Dicke ist. In Gedanken können wir den Balken in Schichten parallel zur neutralen Faser zerschneiden und dann die Beiträge der einzelnen

351 14.2  Biegung

Schichten zum Biegeradius einfach addieren. Man kann dies am Beispiel des quadratischen Balkens B leicht überprüfen. Zerlegt man ihn beispielsweise in drei Scheiben mit jeweils der Dicke 1 a, so beträgt der Biegeradius für jede einzelnen Scheibe 1=3 des 6 Gesamtwertes. Addiert man die Biegeradien der drei Schichten, kommt man zum korrekten Wert des gesamten Balkens zurück. Physikalisch liegt dies daran, dass zwischen den Schichten keine Kräfte auftreten, sodass es egal ist, ob die einzelnen Schichten zu einem Balken vereinigt sind oder nicht. In die senkrechte Richtung gilt diese Linearität nicht! Auf diese Art und Weise kann man nun den Doppel-T-Träger berechnen. Die Zerlegung in drei Schichten für die Berechnung der vertikalen Belastung ist in der Skizze durch weiß gestrichelte Linien angedeutet. Man erhält D

  a 3 a  a 3 a a 1 E C2 C4 : 12 F0 L0 2 6 6 6 6

Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst. Balken A B C

Vertikal

Horizontal

1 E 4 a 48 F0 L0 1 E 4 a 192 F0 L0 43 E 4 a 5184 F0 L0

1 E 4 a 768 F0 L0 1 E 4 a 192 F0 L0 19 E 4 a 5184 F0 L0

Der Balken A hat die höchste Steifigkeit bei vertikaler Belastung, allerdings auch die geringste bei horizontaler Belastung. Das dürfte nicht überraschen. Interessant ist der Vergleich von B und C: Bei vertikaler Belastung krümmt sich der Doppel-T-Träger nur gut halb so stark wie der quadratische, bei Querbelastung sind sie nahezu gleich steif. Dabei kann man die Stabilität des Doppel-TTrägers noch weiter erhöhen, indem man die Platten, aus denen er aufgebaut ist, noch dünner und höher macht (bei konstanter Querschnittsfläche).

Wir wollen zum Schluss noch die Belastungsgrenze des Balkens untersuchen. Der Balken bricht, sobald an einer Stelle im Balken die Zugfestigkeit des Materials überschritten wird. Die Spannung ist an der obersten (bzw. durch Stauchung an der untersten) Fläche maximal. Dort ist die Längenausdehnung, wie wir gesehen haben (Gl. 14.5), L=L D a=2 . Damit ist die maximale Spannung im

14

352

Kapitel 14  Elastomechanik

Material max D E

a a 12 F0 L0 6F0 L0 DE D 2 2 a3 b E a2b

(14.11)

Wird die Last so groß, dass diese Zugspannung die Zugfestigkeit des Materials überschreitet, bricht der Balken. 14.3

Kompression

Unter einer „Kompression“ versteht man die Verringerung des Volumens eines Körpers unter dem Einfluss äußerer (Druck-) Kräfte. Die Kompression ist eine weitere elastische Eigenschaft fester Körper, die wir in diesem Kapitel studieren wollen. Eine Verringerung des Volumens entsteht bereits dadurch, dass man bei einer Dehnung die Richtung der Kraft umkehrt. Man spricht dann von einer „Stauchung des Körpers“. Damit wollen wir beginnen. Wir betrachten einen Quader als einfaches Beispiel (. Abb. 14.5). Das Volumen des Quaders ist Ld 2 . Die Volumenänderung lässt sich auf die Längenänderung bei Stauchung zurückführen, die wir bereits (7 Abschn. 14.1) besprochen haben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Längenänderung immer mit einer Querkontraktion einhergeht. In unserem Fall, bei negativer Längenänderung, ist die Querkontraktion positiv, d. h. der Quader verbreitert sich quer zur Kompressionsrichtung. Längenänderung (Gl. 14.2) und Querkontraktion (Gl. 14.3) hatten wir bestimmt zu

14

L  D L E d L D  d L

(14.12)

Im Falle der Kompression (. Abb. 14.6) bezeichnet man  nicht als Spannung, sondern als Druck oder auch Druckänderung, falls man berücksichtigen möchte, dass der Körper bereits vor der Druckänderung den Umgebungsdruck spürte.

. Abb. 14.5 Stauchung eines Quaders

353 14.3  Kompression

. Abb. 14.6 Kompression eines Körpers durch einen allseitigen Druck

Wir berechnen die Volumenänderung: V D .L C L/.d C d /2  Ld 2 D .L C L/.d 2 C d 2 C 2dd /  Ld 2 D .Ld 2 C Ld 2 C 2Ldd C Ld 2 C Ld 2 C 2Ldd /  Ld 2 D Ld 2 C 2Ldd C Ld 2 C Ld 2 C 2Ldd  2Ldd C Ld 2   d L D 2 C Ld 2 d L   d L D 2 C V d L

(14.13)

Beachten Sie, dass die Formeln für die Längenänderung und die Querkontraktion nur für kleine Längenänderungen gültig sind. Es sind lineare Näherungen. Daher haben wir auch in unserer Rechnung alle Terme vernachlässigt, die über eine lineare Näherung hinausgehen, d. h. mehr als einen Faktor  enthalten. Wir haben dies erst zu einem relativ späten Zeitpunkt in der Rechnung getan, wo abzusehen war, dass die führenden Terme von erster Ordnung in  sein werden. Wir drücken nun die Volumenänderung durch den Elastizitätsmodul aus:    V    D 2 C D .1  2/ : (14.14) V Stauchung E E E In unserem ersten Beispiel wirkte die Kraft nur von einer Seite. Wir wollen nun annehmen, dass durch eine Änderung des Umgebungsdruckes eine Kraft allseitig wirkt. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn der Körper unter Wasser gebracht wird und dann den Wasserdruck spürt.

14

354

Kapitel 14  Elastomechanik

Der Körper erfährt nun eine Stauchung in allen drei Raumrichtungen. Dies nennt man Kompression. Das Volumen verringert sich dadurch dreifach:     V V p D3 D 3.1  2/ : (14.15) V Kompression V Stauchung E 14.4

. Abb. 14.7 Scherung eines Quaders

Scherung

Als weitere elastische Eigenschaft fester Körper wollen wir die Scherung untersuchen. Sie tritt auf, wenn Kräfte parallel zu den Flächen des Körpers wirken. In . Abb. 14.7 ist ein einfaches Beispiel zu sehen. Der Körper wird an seiner Unterseite festgehalten, an der Oberseite wirkt eine Kraft parallel zur Fläche. Beachten Sie, dass durch die Kraft auf die Oberseite nicht nur eine Kraft, sondern auch ein Drehmoment auf den Körper wirkt. Sowohl die Kraft als auch das Drehmoment müssen durch die Halterung kompensiert werden. Aus der angreifenden Kraft und der Fläche bestimmt man die sogenannte Schubspannung  D

14

jFEk j : A

(14.16)

Die Definition der Schubspannung ähnelt der Definition der Zugspannung in Gl. 14.1. Beide sind durch ein Verhältnis von Kraft und Fläche definiert und tragen daher die Einheit Pascal, allerdings geht in die Zugspannung die Kraftkomponente senkrecht zur Fläche ein, während die Schubspannung aus der parallelen Komponente gebildet wird. Das Vorgehen ist nun ganz analog zur Dehnung bzw. Stauchung. Für kleine Scherungen stellt sich der Scherungswinkel ˛ (Definition siehe . Abb. 14.7) als proportional zur Schubspannung heraus:  D G˛ :

(14.17)

Wieder haben wir eine Proportionalitätskonstante eingeführt. Man nennt sie den Schub- oder Torsionsmodul. Es ist wie der Elastizitätsmodul eine Materialkonstante. Einige Werte waren bereits in . Tab. 14.1 angegeben. Die verschiedenen elastischen Konstanten sind nicht unabhängig voneinander. Man kann beispielsweise zeigen (Elastizitätstheorie), dass gilt: E D 1C : 2G

(14.18)

355 14.4  Scherung

Beispiel 14.4: Torsion

Die Verdrillung oder Torsion stellt eine besondere Form der Scherung dar. Sie tritt an Drähten auf, wenn ein Ende festgehalten und das andere gedreht wird. Eine Verdrillung an einem kurzen Drahtstück ist in der Skizze gezeigt. In einer solchen Situation kommt man auf eine besondere Form des Hooke’schen Gesetzes. Die angreifende Kraft erzeugt ein Drehmoment und dieses verursacht eine proportionale Verdrillung des Drahtes: M D D ˛: Die Verdrillung dünner Drähte stellt ein sehr empfindliches Mittel zur Messung kleiner Drehmomente dar. Ein Beispiel haben Sie bei der Gravitationswaage kennengelernt 7 Experiment 11.1 Die elastische Konstante D wird Winkelrichtgröße genannt und lässt sich unter Berücksichtigung der Dimensionen des Drahtes auf den Schubmodul G zurückführen. Wir wollen den Zusammenhang ableiten. Dazu unterteilen wir den in der Skizze abgebildeten Zylinder in infinitesimal dünne, koaxiale Hohlzylinder mit Radius r und Wandstärke dr. Greift an einem der Hohlzylinder die Kraft d FE an, so entsteht eine Schubspannung d  D dF=dA, wobei dA D 2 rdr der Stirnfläche des Hohlzylinders entspricht. Der Scherungswinkel ˛ lässt sich durch den Winkel ', der die Verdrillung des Zylinders beschreibt, ausdrücken. Aus der Skizze lesen wir r' D L˛ ab. Damit erzeugt ein solcher Hohlzylinder ein Drehmoment der Größe dM D r dF D r  2 rdr D G ˛ 2 r 2 dr D

2G ® r 3 dr: L

Durch Integration erhalten wir das gesamte Drehmoment:

M D

2G ® L

ZR r 3 dr D

GR4 ': 2L

0

Damit haben wir die elastische Konstante D auf den Schubmodul G zurückgeführt. Es gilt: DD

R4 G: 2L

Damit haben wir die wichtigsten elastischen Eigenschaften fester Körper besprochen. Weitere findet man in Büchern der Statik.

14

356

Kapitel 14  Elastomechanik

14.5

14

Finite-Elemente-Methode

Sie haben nun einige elastische Eigenschaften fester Körper kennengelernt. Man kann Sie ausnutzen, um die Deformation von Körpern unter dem Einfluss äußerer Kräfte und Drehmomente zu bestimmen. Ein einfaches Beispiel haben wir in 7 Abschn. 14.2 diskutiert: die Biegung eines Balkens unter einer Last an seinem freien Ende. Dabei konnten wir auch die Spannungen im Balken bestimmen und daraus die Belastungsgrenze, an der der Balken bricht, ableiten. Auf solchen Rechnungen beruht die Statik. Sie sind unumgänglich, um beispielsweise die Tragfähigkeit einer Brücke oder eines Dachstuhls zu bestimmen oder die Deformation eines Elementes einer Maschine im Betrieb zu ermitteln. Leider lassen sich mit den vorgestellten analytischen Verfahren nur einfache Anwendungen berechnen. In der Praxis ist dies nicht hinreichend. Man muss auf numerische Näherungsverfahren zurückgreifen. Das am weitesten verbreitetste Verfahren, die Methode der finiten Elemente, wollen wir hier kurz anreißen. Eine echte Einführung würde den Rahmen dieses Textes allerdings sprengen. Die Finite-Elemente-Methode erlaubt es, partielle Differenzialgleichungen unter Randbedingungen zu lösen. Dies kann man unter anderem einsetzen, um die Deformation von Körpern unter äußeren Belastungen zu bestimmen. Die Berechnung wird auf einem Rechner durchgeführt und kann grob in drei Schritte gegliedert werden. 1. In der Vorbereitungsphase wird der zu untersuchende Körper in einfache Teilstücke zerlegt. Im Falle einer dreidimensionalen Rechnung sind dies Volumenelemente. Man nennt sie „finite Elemente“ wegen ihrer endlichen Größe und grenzt sie damit von infinitesimal kleinen Elementen ab, die in einer mathematisch exakten Lösung auftreten würden. Deren Ecken, an denen sich benachbarte Elemente berühren, nennt man „Knoten“. Die näherungsweise Bestimmung der Verschiebung dieser Knoten ist das Ziel der Berechnung. Die Unterteilung des Körpers in finite Elemente wird von einem Computerprogramm automatisch ausgeführt. Dies ist meist der schwierigste und zeitaufwendigste Teil der Berechnung. 2. Die Kräfte, die an den Knoten wirken, sind über eine Differenzialgleichung mit den Verschiebungen verknüpft. In diese Differenzialgleichung gehen die elastischen Eigenschaften des Körpers ein. Die Differenzialgleichungen werden für jedes Volumenelement einzeln näherungsweise gelöst (splines). An jedem Knoten muss die Lösung Randbedingungen erfüllen. An Knoten im Inneren des Körpers müssen sich die Kräfte zu null addieren, an Knoten am äußeren Rand müssen sich die von außen angreifenden Kräfte ergeben. Die Randbedingungen führen auf ein (sehr großes) lineares Gleichungssystem,

357 14.5  Finite-Elemente-Methode

das ebenfalls numerisch gelöst wird. Gesucht wird dabei die Lösung, die die im System gespeicherte Energie minimiert. Am Ende der Rechnung hat man die Position der Knoten näherungsweise bestimmt und kann daraus die Spannungen bestimmen. 3. Schließlich wird das Ergebnis grafisch aufgearbeitet, sodass die Deformation des Körpers sichtbar wird und man beispielsweise erkennen kann, wie groß die Spannungen im Körper an unterschiedlichen Stellen werden. Auch hier gilt wieder: Überschreiten die Spannungen auch nur in einem Punkt die Belastungsgrenze des Körpers, wird er brechen oder reißen. Außerdem kann man an der Verschiebung der Knoten gegenüber dem unbelasteten Ausgangszustand die Deformation des Körpers ablesen. Beispiel 14.5: PKW-Unfall

Die Abbildung zeigt das Ergebnis einer Berechnung mittels finiter Elemente der Deformation einer PKW-Karosserie beim Aufprall auf eine Mauerkante. Dargestellt sind die Deformation der Karosserie nach dem Aufprall und die Spannungen im Material der Karosserie durch einen Farbcode (grün: hohe Spannungen, blau: geringe Spannungen).

Beispiel 14.6: Biegung eines Balkens

Wir wollen das Beispiel eines einseitig fest eingespannten Balkens noch einmal aufgreifen (. Abb. 14.3). Die Abbildung zeigt das Ergebnis einer Berechnung der Spannungen nach der Finite-

14

358

Kapitel 14  Elastomechanik

Elemente-Methode. Der Balken ist links in der Wand befestigt. In der Berechnung wurde angenommen, dass diese Befestigung perfekt steif ist. Am rechten Ende wird er mit einer Kraft FE0 senkrecht nach unten belastet. Die Spannungen sind farbcodiert. Die Skala reicht von 0 bis 90 MPa. Deutlich ist die in 7 Abschn. 14.2 diskutierte neutrale Faser in der Mitte des Balkens zu erkennen. In der Mitte des Balkens treten keine Spannungen auf. Die Spannungen nehmen zum oberen und unteren Rand des Balkens nichtlinear zu. Dabei sind die Spannungen direkt an der Befestigung am größten. Sie liegen noch deutlich unter der Belastungsgrenze eines Stahlträgers.

?Aufgaben

14

1. Ein Eisenbahn-Oberleitungsdraht aus Kupfer der Länge 1500 m wird durch die Kraft 10 kN gespannt. Er verlängert sich dadurch um 1;1 m. Welche Querschnittsfläche besitzt der Draht ursprünglich und um wie viel wird diese durch das Spannen verringert? (Elastizitätsmodul von Kupfer: E D 1;1  1011 N=m2 , Schubmodul: G D 4;0  1010 N=m2 ) 2. Ein Aluminiumstab mit der Querschnittsfläche 1 cm2 wird durch eine Kraft von 10 kN gedehnt. Welche Dichteänderung erfährt das Material des Stabs dabei? (Elastizitätsmodul von Aluminium: E D 0;7  1011 N=m2 , Poisson-Zahl:  D 0;35) 3. Ein Stahldraht wird an einem Ende aufgehängt. Wie lange darf der Draht maximal sein, damit er nicht unter seinem eigenen Gewicht reißt? (Dichte von Stahl: D 7;8  103 kg=m3 , Zugfestigkeit: 5;0  108 N=m2 ) 4. Ein Seil der Länge L aus einem Material mit Elastizitätsmodul E hat einen kreisförmigen Querschnitt, dessen Durchmesser sich von d1 auf d2 linear entlang des Seils verringert. Um wie viel verlängert sich das Seil, wenn man am dünneren Ende mit der Kraft F zieht? 5. Im Folgenden wird die Dehnung eines Speichenrads betrachtet: a) Ein gerader dünner Stab der Länge L aus einem Material mit Dichte und Elastizitätsmodul E rotiert mit der Win-

359 14.5  Finite-Elemente-Methode

6.

7.

8.

9.

kelgeschwindigkeit ! um eine Achse durch das Stabende und senkrecht zur Stabachse. Wie groß ist die Dehnung des Stabs? b) Ein dünner Ring mit Radius R aus einem Material mit Dichte und Elastizitätsmodul E rotiert mit der Winkelgeschwindigkeit ! um eine Achse durch den Ringmittelpunkt senkrecht zur Ringfläche. Wie groß ist die Dehnung des Rings? c) Vergleichen Sie die Ergebnisse aus a) und b) in Hinblick auf die Rotation eines Speichenrads! Ein starrer Balken der Masse m wird waagrecht an drei Drähten aufgehängt (zwei an den Enden, einer in der Mitte), die im nicht belasteten Zustand exakt gleichlang sind. Die beiden äußeren Drähte sind identisch, während sich der mittlere Draht von den beiden äußeren Drähten jeweils in den Elastizitätsmodulen E sowie dem Drahtdurchmesser d unterscheidet. Mit welcher Kraft sind die Drähte jeweils gespannt? Wie müssen bei gegebenem Verhältnis Em =Ea die Durchmesser dm und da gewählt werden, damit sich an allen drei Drähten gleiche Kräfte ergeben? Eine waagrechte Stange der Masse m wird von zwei gleich langen Drähten aus identischem Material, aber mit unterschiedlichen Querschnitten A1 und A2 an beiden Enden gehalten. Wo entlang der Stange kann eine Masse M m an die Stange gehängt werden, sodass die Stange weiterhin waagrecht bleibt? Betrachten Sie einen Hohldraht mit der Länge L, dem Radius R und einer sehr dünnen Wand der Dicke d . Das Material besitze den Schubmodul G. Welches Drehmoment muss angewendet werden, um eine Verdrillung des Drahts um den Winkel ' zu erreichen? Bestimmen Sie daraus die Winkelrichtgröße D des Hohldrahts. Wie groß ist diese bei einem Volldraht mit gleichem Außenradius? Der Biegeradius eines Stabs mit beliebigem Querschnitt ist gegeben durch D

E F0 L 0

Z x 2 dA

Das Integral nennt man auch das „Flächenträgheitsmoment“. Leiten Sie hiermit eine Formel für die Krümmung eines Rohrs mit Innenradius Ri und Außenradius Ra her.

14

361

Hydro- und Aerostatik Inhaltsverzeichnis 15.1

Der Druck – 362

15.2

Kompressibilität – 369

15.3

Schweredruck – 373

15.4

Auftrieb – 380

15.5

Grenzflächen – 385

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_15

15

362

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

15.1

Der Druck

Wir haben die Diskussion der Festkörper abgeschlossen und wollen uns nun den Gasen und Flüssigkeiten zuwenden. Gase und Flüssigkeiten ähneln einander in vielen Aspekten. Aus diesem Grund wollen wir sie gemeinsam besprechen. Um die Beschreibung zu vereinfachen, führen wir einen neuen Überbegriff ein: das Fluid. Es soll sowohl Gase als auch Flüssigkeiten bezeichnen. Eine der wichtigsten Größen zur Behandlung von Fluiden ist der Druck. Ein Fluid verspürt einen Druck, wenn Kräfte auf es einwirken. Der Druck ist definiert über die Kraft, die auf eine Fläche im Fluid oder an dessen Begrenzung wirkt. Der Druck p ergibt sich als das Verhältnis der Komponente der Kraft senkrecht zur Fläche, dividiert durch die Größe der Fläche selbst: pD

jFE? j : A

(15.1)

Der Druck ist eine skalare Größe, auch wenn man ihn oft als Pfeil in Skizzen markiert (siehe . Abb. 15.1). Der Pfeil gibt dann die Richtung der Kraft an. Die Einheit des Druckes im SI-System ist das Pascal:

. Abb. 15.1 Zur Definition des Drucks

Œp D 1

N D 1 Pa : m2

(15.2)

Es ist allerdings noch eine Reihe älterer Einheiten in Gebrauch, die Sie in . Tab. 15.1 finden.

. Tab. 15.1 Gebräuchliche Druckeinheiten

15

Einheit

105 Pa entsprechen

Bar

1 bar

mm Quecksilbersäule

750 torr

Physikalische Atmosphäre

0;98692 atm

Technische Atmosphäre

1;0197 at

Pounds per Square Inch

14;50 psi

363 15.1  Der Druck

Beispiel 15.1: Das Gewicht der Luft

Ein Luftdruck von 10 000 Pa impliziert, dass auf jedem Quadratmeter das Gewicht von etwa einer Tonne Luft lastet (p D mg=A). Wir spüren dieses Gewicht nicht, da derselbe Druck im Inneren unseres Körpers herrscht. Betrachten wir den abgebildeten Vakuumbehälter (Durchmesser 20 cm), so lastet auf dem Deckel das Gewicht von gut 30 kg Luft. In belüftetem Zustand ist dies unproblematisch, da die Luft von unten mit gleicher Kraft gegen den Deckel drückt und so das Gewicht der darüber liegenden Luftsäule trägt. Dies ändert sich, wenn wir den Behälter evakuieren. Nun muss der Deckel tatsächlich die Luftsäule tragen. Er muss entsprechend stabil ausgelegt sein.

© 6-Liter Vakuumkammer aus Edelstahl der Firma Silikonfabrik

Beispiel 15.2: Plattenfeder-Manometer

Das Plattenfeder-Manometer ist ein einfaches Gerät zur Druckmessung. Es wird z. B. an Gasflaschen eingesetzt. Es misst den Druckunterschied zwischen dem Flansch und dem Inneren des Manometers, in dem sich Luft unter Umgebungsdruck befindet. Die beiden Bereiche sind durch eine Membran getrennt (in der Skizze blau), die sich bei Druckanstieg am Flansch bewegt. Die Bewegung wird durch eine Mechanik auf den Zeiger übertragen.

© Wikimedia: Romary

15

364

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

Beispiel 15.3: Dosenbarometer

Grundsätzlich unterscheidet man Manometer, die einen Druck gegen einen anderen Druck (meist Umgebungsdruck) messen, und Barometer, die den Druck absolut bestimmen, indem sie gegen Vakuum (oder zumindest stark reduzierten Druck) messen. Dosenbarometer findet man in vielen Apparaturen wie Wetterstationen oder Höhenmesser. Der Deckel der Dose besteht aus einer elastischen Membran. Im Inneren wird bei der Herstellung ein Unterdruck erzeugt, gegen den der Umgebungsdruck gemessen wird. Je nach Umgebungsdruck wird die Membran unterschiedlich stark eingedrückt, was über eine Mechanik auf einen Zeiger übertragen und als Druck angezeigt wird.

Beispiel 15.4: Barometer nach Torricelli

Evangelista Torricelli war als Nachfolger des Physikers Galileo Galilei am Hofe der Medici tätig. Er erfand das Barometer, dessen Prinzip wir heute noch verwenden. Die Abbildung zeigt ein Barometer nach Torricellis Prinzip. Der längere Schenkel des URohrs ist oben verschlossen. Im kürzeren Schenkel, der nach oben offen ist, befindet sich ein Quecksilberreservoir. Das URohr wird vollständig mit Quecksilber gefüllt (ohne Luftblasen) und erst dann aufgerichtet. Dabei bildet sich am oberen Ende des längeren Schenkels ein Vakuum. Der Unterschied zwischen dem Quecksilberniveau in den beiden Schenkeln ist bei normalem Luftdruck etwa 760 mm. Hierauf basiert die Einheit Torr. Steigt oder sinkt der Luftdruck, steigt oder sinkt der Quecksilberspiegel im längeren Schenkel entsprechend. Für genaue Messungen müssen Temperaturschwankungen korrigiert werden. Deshalb befindet sich ein kleines Thermometer auf dem Barometer.

15

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Wir haben den Druck als skalare Größe definiert, d. h. ohne Bezug auf eine Richtung. Dies ist eine sinnvolle Definition, da der Druck in einem Fluid tatsächlich nicht von der Richtung abhängt. Er ist isotrop. Wir wollen diese Behauptung anhand eines Gedankenexperimentes erläutern. Betrachten Sie hierzu . Abb. 15.2. Ein Prisma schwebt in einem Fluid. Die Seitenlängen sind l1 und l2 , die korrespondierenden Seitenflächen A1 und A2 . Auf die drei Seitenflächen wirken Kräfte. Da der Körper schwebt, halten sich die Kräfte die Waage. Wir wollen diese quantifizieren.

365 15.1  Der Druck

. Abb. 15.2 Zur Isotropie des Drucks

Die Spitze des Dreiecks schließt das Doppelte des Winkels ˛ ein. Er ergibt sich aus den Seiten zu sin ˛ D

l1 =2 : l2

(15.3)

Von unten wirkt die Kraft FE1 . Auf die schrägen Flächen wirkt jeweils die Kraft FE2 . Sie hat eine vertikale Komponente, die nach unten zeigt und die Kraft FE1 kompensiert. Diese Komponente ist F2;v D sin ˛F2 :

(15.4)

Aus der Bedingung, dass der Körper schwebt, folgt dann F1 D 2 sin ˛F2 D 2 F1 l1 F1 l1 b F1 A1 p1

F2 l2 F2 D l2 b F2 D A2 D p2

l1 =2 l1 F2 D F2 l2 l2

D

(15.5)

Dabei ist p1 der Druck auf die Grundfläche von unten und p2 der Druck auf die schrägen Seitenflächen. Diese Rechnung hat uns gezeigt, dass der Druck auf beide Flächen gleich groß ist, und zwar unabhängig davon, wie die Fläche orientiert ist, d. h. unabhängig vom Winkel ˛. Diese Überlegungen gehen auf Blaise Pascal zurück, nach dem wir die Einheit des Drucks benennen. . Abb. 15.3 zeigt anschaulich, wie es zur isotropen Druckverteilung kommt. In diesem Gedankenexperiment wird von oben eine Kraft auf das Medium ausgeübt. In Skizze a ist das Medium ein Festkörper, in Skizze b ein Fluid. Von oben drückt der

15

366

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

. Abb. 15.3 Druckausbreitung in einem Festkörper (a) und einem Fluid (b)

Stempel auf das Medium. Zwei waagerechte Stempel zeigen die Ausbreitung des Drucks an. Drückt man auf den Festkörper (a), so erhält dieser seine Form und gibt die Kraft lediglich auf den Boden weiter. Bei einem Fluid dagegen (b) können sich die Moleküle gegeneinander verschieben. Das Fluid gibt den Druck auch zur Seite weiter und ändert dadurch seine Form. Experiment 15.1: Isotropie des Drucks

15

Die Isotropie des Drucks lässt sich mit einem einfachen Experiment demonstrieren. Wir messen den Druck in einem Wassergefäß mit einem Dosenmanometer. Eine Dose ist einseitig mit einer Membran verschlossen. In der Dose befindet sich Luft, zunächst unter Normaldruck. Bringt man das Manometer ins Wasser, drückt der Wasserdruck die Membran leicht ein, der Luftdruck im Manometer steigt auf den Wasserdruck im Außenbereich an. Über einen Schlauch wird der Luftdruck ans Messgerät übertragen, wo dieser z. B. über die Kraft auf einen Stempel bestimmt wird. Die Dose ist an einem Stab drehbar angebracht, sodass man die Membran in unterschiedliche Richtungen ausrichten kann (im Bild zeigt sie nach oben). Man kann so zeigen, dass der Druck im Gefäß in alle Richtungen gleich ist (er hängt allerdings von der Wassertiefe ab, wie wir in 7 Abschn. 15.3 sehen werden).

367 15.1  Der Druck

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Wird auf einen Stempel Druck ausgeübt, so wirkt eine Kraft auf diesen. Bewegt sich der Stempel unter dem Druck, so wird dabei Arbeit verrichtet. Diese lässt sich leicht berechnen. Es ist d W D F dx D pA dx D p dV :

(15.6)

Diese Relation werden wir noch vielfältig benutzten. Die geleistete Arbeit ist durch den Druck und die Volumenänderung des Fluids gegeben. Auf der isotropen Ausbreitung des Drucks beruht die Technologie der Hydraulik. Man kann dies in der Skizze in . Abb. 15.4 erkennen. Die Hydraulikpumpe erzeugt im rechten Stempel durch eine Kraft FE1 einen Druck p D F1 =A1 . Die Pumpe ist über Schläuche mit dem Hydraulikzylinder links verbunden. Da sich der Druck in alle Richtungen gleich ausbreitet, herrscht im Hydraulikzylinder ebenfalls der Druck p. Dieser erzeugt eine Kraft F2 D pA2 D F1 A2 =A1 , die sehr viel größer sein kann als die erzeugende Kraft in der Pumpe. Beispiel 15.5: Hydraulische Bremse

Ein hydraulisches Bremssystem überträgt die Kraft des Bremspedals über den Druck in den Bremsschläuchen auf die Bremszylinder, die dann die Bremsbeläge gegen die Bremsscheibe pressen.

. Abb. 15.4 Eine simple Hydraulik mit zwei Zylindern

15

368

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

Eine hydraulische Bremse kommt ohne ein kompliziertes System von Gestängen aus.

Beispiel 15.6: Hydrauliken

Viele Maschinen werden über Hydrauliken angetrieben, insbesondere, wenn große Kräfte zum Einsatz kommen. Öl wird als Fluid eingesetzt. Eine Pumpe erzeugt den Öldruck. Über Schläuche gelangt der Druck in die Zylinder, die die Maschine bewegen. Mit Ventilen kann man die Bewegung steuern. Der Bagger ist nur ein Beispiel von vielen.

15

Experiment 15.2: Hydraulische Presse

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Dieses Experiment demonstriert die Wirkungsweise einer hydraulischen Presse. Die Presse besteht aus zwei medizinischen Spritzen unterschiedlicher Größe (10 ml und 100 ml). Sie sind über einen Schlauch miteinander verbunden und mit gefärbtem Wasser gefüllt. Nun stellt man vorsichtig Gewichte auf den Spritzenstempel. Je nach Gewicht bewegen sich die Stempel auf oder ab. Die Kraft an der großen Spritze ist im Verhältnis der Stempelflächen größer als die Kraft an der kleinen Spritze. Im Gleichgewicht trägt sie ein entsprechend größeres Gewicht.

369 15.2  Kompressibilität

Zum Schluss dieser Einführung des Drucks, wollen wir uns noch mit der Frage beschäftigen, wie der Druck auf die Flüssigkeit selbst wirkt. Wir greifen aus der Flüssigkeit ein kleines Volumenelement heraus und fragen uns, welche Kraft durch den Druck auf dieses Volumenelement wirkt. Die Situation ist in . Abb. 15.5 skizziert. Zunächst sieht man, dass sich bei einem räumlich konstanten Druck die Kräfte auf die gegenüberliegenden Flächen gerade kompensieren. Das Volumenelement erfährt in diesem Fall keine Kraft. Eine Nettokraft entsteht erst, wenn wir räumliche Änderungen des Drucks im Fluid in Betracht ziehen. Dann ist die Kraft auf das Volumenelement 1 0 Fx .x0 /  Fx .x0 C dx/ FE D @ Fy .y0 /  Fy .y0 C dy/ A Fz .z0 /  Fz .z0 C dz/ 1 0 .px .x0 /  px .x0 C dx//dydz (15.7) D @.py .y0 /  py .y0 C dy//dxdz A .pz .z0 /  pz .z0 C dz//dxdy Machen wir das Volumenelement genügend klein, können wir den Druck um den Punkt .x0 ; y0 ; z0 / nach Taylor entwickeln: p.x0 C dx/ D p.x0 / C

@p ˇˇ dx C : : : ˇ @x xDx0

(15.8)

und entsprechend für die anderen Richtungen. Terme der Ordnung .dx/2 oder auch dxdy werden wir im Folgenden vernachlässigen. Damit erhalten wir 0 @p ˇˇ 1  @x ˇ dxdydz ˇxDx0 B C B @p ˇ E dxdydz C (15.9) F D B @y ˇ C D  grad p dV @ A ˇyDy0 @p ˇ  @z ˇ dxdydz zDz0

Dies nennt man die Druckkraft. Sie führt zu einer Bewegung des Volumenelementes innerhalb des Fluids. Im statischen Fall, auf den wir uns in diesem Kapitel beziehen, muss sie verschwinden. Wir werden sie später benutzen, um Strömungen zu beschreiben. 15.2

Kompressibilität

Wir wollen uns nun mit den elastischen Verformungen von Fluiden beschäftigen. Bei Festkörpern haben wir eine Reihe unterschiedlicher Deformationen kennengelernt, z. B. Dehnung, Stauchung, Biegung, Scherung. Da in Fluiden die Moleküle frei gegeneinander verschiebbar sind, führen diese Deformationen nicht

15

. Abb. 15.5 Kräfte auf ein Volumenelement in einem Fluid

370

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

. Tab. 15.2 Kompressibilität einiger Flüssigkeiten bei Raumtemperatur sowie zum Vergleich die Kompressibilität von Eisen Material

Kompressibilität in 1011 =Pa

Aceton

120

Ethanol

110

Petroleum

70

Wasser

46

Quecksilber

4

Eisen

0,6

zu einer elastischen Reaktion. Versucht man eine Flüssigkeit zu scheren, z. B., indem man das Gefäß schert (bei konstantem Volumen), so werden sich die Moleküle in der Flüssigkeit neu anordnen. Es entsteht keine Rückstellkraft, die der Scherung entgegenwirkt, und damit keine elastische Deformation. Dasselbe gilt für die anderen Beispiele. Die einzige elastische Deformation, die man bei Fluiden beobachten kann, ist mit Volumenänderung verbunden. Es ist die Kompression. Wie bei den Festkörpern stellt sie sich als proportional zum Druck heraus (7 Abschn. 14.3). V 1 D p V 

15

bzw.

V D p V

(15.10)

Die Konstante  in der ersten Relation heißt „Kompressionsmodul“, die Konstante  in der zweiten „Kompressibilität“. . Tab. 15.2 zeigt die Werte einiger Flüssigkeiten und zum Vergleich den Wert von Eisen. Für Flüssigkeiten und Festkörper sind die Kompressionsmodule sehr klein, d. h. selbst bei großem Druck ändert sich das Volumen nur geringfügig. Für Gase sind sie sehr viel größer. Man kann sie für Gase aus dem Boyle-Mariotte’schen Gesetz berechnen. Mehr dazu in der Wärmelehre. Wir demonstrieren die geringe Kompressibilität und die allseitige Druckausbreitung in einem Fluid mit einem Experiment (7 Experiment 15.3). Beispiel 15.7: Volumenänderung verschiedener Stoffe

Wirkt auf einen Körper von außen ein Druck, so wird der Körper zusammengepresst. Sein Volumen verringert sich. Allerdings hängt die Volumenänderung stark von den Eigenschaften des Körpers ab. Stellen Sie sich vor, wir bringen verschiedene Körper

371 15.2  Kompressibilität

von der Wasseroberfläche in eine Tiefe von 10 m. Dann steigt der Druck auf den Körper um etwa 100 000 Pa an. Handelt es sich dabei um einen Stahlwürfel mit einem Volumen von einem Liter, so verringert sich dieses Volumen nicht einmal um 0,1 mm3 (Kompressionsmodul 160 GPa). Bringen wir hingegen einen Liter Wasser in einer dünnen Plastikflasche eingeschlossen in dieselbe Tiefe, so wird dieses Volumen um etwa 5 mm3 verringert (Kompressionsmodul 2 GPa). Selbst dies wird schwierig zu beobachten sein. Bringen wir schließlich eine mit Luft gefüllte Flasche in diese Tiefe, so sehen wir einen deutlichen Effekt. Ihr Volumen wird um rund 10 % reduziert (Kompressionsmodul 0,14 MPa).

Experiment 15.3: Kompressibilität von Wasser

Die geringe Kompressibilität von Wasser lässt sich eindrucksvoll in folgendem Experiment demonstrieren. Mit einem Luftgewehr (Kaliber 4,5 mm) schießt man auf einen Kaffeebecher aus Plastik (Styropor). Man wiederholt das Experiment dreimal mit unterschiedlichen Bechern. Einer ist leer (gefüllt mit Luft), einer ist mit Sand gefüllt und der dritte mit Wasser. Die erste Bildsequenz (. Abb. 15.6) zeigt Aufnahmen mit einer Hochgeschwindigkeitskamera (10 000 Bilder pro Sekunde) am luftgefüllten Becher. Die dargestellten Bilder haben jeweils einen zeitlichen Abstand von 50 ms. Das Projektil kommt von rechts. Am rechten Rand des ersten Bildes ist es zu erkennen. Es durchschlägt die Wände des Bechers. Beim Ein- und Austritt entsteht ein Loch im Becher. Am Austrittsloch werden einige Plastikstücke herausgerissen, sodass das Austrittsloch ein wenig größer ist. Man kann sie in den Bildern 4 und 5 erkennen, außerdem sieht man in Bild 3 und 4 das austretende Projektil.

. Abb. 15.6 © RWTH Aachen, Sammlung Physik

15

372

15

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

Im zweiten Durchgang schießt man auf den sandgefüllten Becher. (Aus Platzgründen haben wir auf die Bildsequenz verzichtet.) Das Projektil tritt in den Becher ein und bleibt im Sand stecken. Man kann den Becher anschließend auskippen und das Projektil herausfischen. Im dritten Durchgang ist der Becher mit Wasser gefüllt (. Abb. 15.6 zweite Bildsequenz). Im ersten Bild sieht man das Projektil, das wiederum von rechts auftrifft. Der Eintritt des Projektils in den Becher schlägt nicht nur ein Loch in den Becher, aus dem Wasser ausläuft, sondern der Becher platzt. In den Bildern 3 bis 5 sieht man, wie der Becher explosionsartig zerreißt und Wasser herausspritzt. Eine Inspektion des Bechers nach dem Schuss zeigt mehrere Risse quer durch den Becher. Wie sind die unterschiedlichen Resultate zu erklären? Beginnen wir mit dem sandgefüllten Becher. Wenn das Projektil eintritt, durchschlägt es die Wand des Bechers und erzeugt einen Druck auf den Becherinhalt. Im Falle des Sandes breitet sich der Druck nur lokal vor der Projektilspitze aus. Man hat eine hohe Reibung, die das Projektil schnell abbremst. Anders im Fall eines luft- oder wassergefüllten Bechers. Im Fluid breitet sich der Druck isotrop aus. Mit dem Eintritt des Projektils entsteht ein Druck überall im Becher. Beim luftgefüllten Becher führt dieser zu einer Kompression der Luft im Becher, die schließlich nach oben entweicht. Der Druck auf die Wände bleibt während der gesamten Zeit gering, sodass zusätzlich zum Ein- und Austritt kein Schaden am Becher entsteht. Anders beim wassergefüllten Becher. Wasser kann näherungsweise als inkompressibel angesehen werden. Von der Projektilspitze geht eine Druckwelle aus, die nahezu unvermindert in alle Richtungen läuft und auf die Wände trifft. Diese Druckwelle bringt die Wände zum Platzen und spritzt das Wasser heraus. Man könnte den Becher auch oben verschließen, z. B. indem man flüssiges Wachs auf das Wasser gießt. Doch dies macht keinen wesentlichen Unterschied. Die Druckwelle im Wasser breitet sich mit der entsprechenden Schallgeschwindigkeit aus. Sie trifft die Wände und zerreißt diese, lange bevor Wasser nach oben entweichen kann. Wir wollen die Kräfte auf die Wände grob abschätzen. Das Volumen des Wassers im Becher ist etwa 0;2 l D 200 cm3 , das Projektil hat ein Volumen von ca. 1 cm3 . Unmittelbar nach dessen Eindringen in den Becher reduziert sich das Volumen, das dem Wasser zur Verfügung steht, um V D 1 cm3 , V 1 cm3 D D 0;005 V 200 cm3

373 15.3  Schweredruck

was wegen der geringen Kompressibilität zu einem Druckanstieg führt: p D 

1 V D 0;005  107 Pa  100 bar V 46  1011 Pa1

Der Mantel des Bechers hat eine Fläche von ungefähr 100 cm2 , woraus sich eine Kraft auf den Mantel von F D pA D 107 Pa  102 m2 D 100 kN ergibt. Auch wenn dies nur eine grobe Abschätzung ist und der wahre Druck durch Reibung und andere Effekte reduziert wird, ist klar, dass die Wände des Bechers einem solchen Druck nicht standhalten können. Der Druck bringt den Becher zum Platzen. Die letzte Bildsequenz zeigt ein ähnliches Experiment. Statt des Bechers wird ein rohes Ei beschossen. Trotz Luftblase im Ei bringt das Projektil das Ei zum Platzen.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

15.3

Schweredruck

In den bisherigen Überlegungen haben wir äußere Kräfte auf die Fluide vernachlässigt. Wir wollen uns nun einem wichtigen Einfluss solch äußerer Kräfte zuwenden, dem Einfluss der Schwerkraft. Die Gewichtskraft erzeugt durch die Last der oben liegenden Schichten des Fluids einen Druck auf die darunter liegenden, der von oben nach unten im Fluid zunimmt. Man nennt diesen Druck den „Schweredruck“. Wir wollen ihn zunächst für eine Flüssigkeit bestimmen, die wir näherungsweise als inkompressibel annehmen.

15

374

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

. Abb. 15.7 Zur Bestimmung des Schweredrucks

Die Skizze in . Abb. 15.7 zeigt ein Volumenelement in einer Flüssigkeit in der Tiefe z0 . Die Flüssigkeit soll sich im statischen Gleichgewicht befinden, das bedeutet, dass sich das Volumenelement in Ruhe befindet, die Kräfte auf das Volumenelement addieren sich zu null. Zusätzlich zu den in der Skizze angegebenen Kräften durch den Umgebungsdruck wirkt die Gewichtskraft. Die Gewichtskraft ist gegeben durch FG D mg D Vg D Agdz;

(15.11)

wenn dz die Höhe des Volumenelementes ist und A seine Fläche. Diese Kraft muss durch den Anstieg des Drucks mit der Tiefe kompensiert werden: pA C Agdz D .p C dp/A p C gdz D p C dp gdz D dp dp D g dz ) p.z/ D gz C p0 :

(15.12)

Die Größe p0 , die als Integrationskonstante erschien, stellt den Umgebungsdruck an der Oberfläche dar. Der Term gz ist der Schweredruck. Er nimmt linear mit der Tiefe zu. Für Wasser ist der Koeffizient g ungefähr 1 bar=10 m, d. h. der Wasserdruck steigt alle 10 Meter Wassertiefe um 1 bar an. Diesem Druck ist ein Taucher zusätzlich zum Druck an der Oberfläche ausgesetzt. Experiment 15.4: Schweredruck in Wasser

Mit dem Aufbau aus 7 Experiment 15.1 lässt sich der Schweredruck in Wasser quantitativ bestimmen. Vergleicht man den Anstieg des Drucks mit der Wassertiefe, in der sich die Dose befindet, so sieht man einen linearen Anstieg des Drucks mit der Tiefe. Wie im Bild von 7 Experiment 15.1 zu sehen, ergibt sich am Boden des Gefäßes bei einer Tiefe von etwa 20 cm der erwartete Druck von etwa 2000 Pa gegenüber der Oberfläche.

15

Experiment 15.5: Kommunizierende Röhren

In Gl. 15.12 haben wir gesehen, dass der Schweredruck in einer Flüssigkeit ausschließlich von ihrer Dichte und dem Flüssigkeitsstand abhängt, nicht aber von den Dimensionen oder der Orientierung des Gefäßes. Dies lässt sich mit den sogenannten kommunizierenden Röhren sehr schön zeigen. Das Gefäß in der © RWTH Aachen, Sammlung Physik

375 15.3  Schweredruck

Abbildung zeigt drei kommunizierende Röhren. Durch die Verbindung der Röhren stellt sich unten ein gleichmäßiger Druck p ein (daher der Name „kommunizierend“), d. h. alle drei Röhren müssen denselben Schweredruck erreichen. Wie man im Bild sieht, erzeugt dies den gleichen Füllstand in allen drei Röhren.

Experiment 15.6: Hydrostatisches Paradoxon

Wie wir gesehen haben, wird der Schweredruck in einer Flüssigkeit durch das Gewicht der darüber liegenden Flüssigkeitssäule erzeugt. Darauf spielt das hydrostatische Paradoxon an. In den beiden Abbildungen sind zwei unterschiedliche Gefäße zu sehen, die mit gefärbtem Wasser gefüllt sind. Sie sind in eine Halterung eingesteckt, die die unten offenen Gefäße mit einer Membran verschließt. Über diese Membran und den roten Zeiger kann der Druck am Boden der Gefäße gemessen werden. Im konischen Gefäß befindet sich mehr Flüssigkeit. Man mag naiv erwarten, dass durch das höhere Gewicht ein größerer Druck in der Tiefe entsteht. Doch dies ist nicht der Fall. Der Zeiger zeigt für beide Gefäße den gleichen Druck. Der Druck hängt alleine von der Höhe der Wassersäule ab, nicht aber von deren Form (siehe Gl. 15.12).

© Fotos: Hendrik Brixius

Experiment 15.7: Dichtewaage

Mit der simplen Apparatur, die in der Abbildung dargestellt ist, kann man die Dichte unbekannter Flüssigkeiten bestimmen. Im U-Rohr befindet sich gelb gefärbtes Wasser, mit einer Dichte von w D 1 g=cm3 . Auf der linken Seite füllt man ein wenig der Flüssigkeit mit unbekannter Dichte x (hier Petroleum) ein. Nun misst man die Füllhöhen hx und hw ; wie in der Abbildung angedeutet. Da in der Höhe der unteren gestrichelten Linie der gleiche Druck in beiden Schenkeln des U-Rohres herrschen muss, muss das Gewicht der über dieser Linie lastenden Flüssigkeitssäulen gleich sein. Folglich muss gelten (A ist der Querschnitt des Rohres): © Fotos: Hendrik Brixius

hw w hw Ag D x hx Ag ) x D w hx Eine Messung ergab hw D 3;2 cm und hx D 5;1 cm, woraus man eine Dichte von x D 0;62 g=cm3 erhält (Literaturwert der Dichte von Petroleum 0;66 g=cm3 ).

15

376

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Betrachtet man Gase anstelle von Flüssigkeiten, so kann man nicht mehr von einer konstanten Dichte ausgehen. Gase sind leicht kompressibel. Die Last der oberen Schichten komprimiert die darunterliegenden Schichten, sodass deren Dichte nach unten steigt. Dies ist beispielsweise in der Atmosphäre der Erde der Fall. An der Erdoberfläche ist die Dichte der Luft höher als auf

15

. Abb. 15.8 Temperatur und Druck in der Atmosphäre (Höhen nicht maßstabsgetreu)

377 15.3  Schweredruck

einem Berg. Die tatsächliche Variation des Drucks mit der Höhe ist in . Abb. 15.8 dargestellt. Wir wollen die Veränderung des Luftdrucks mit der Höhe h berechnen. Nach dem Boyle-Mariotte’schen Gesetz gilt für ideale Gase m pV D p D konst. (15.13) Auch wenn die Luft kein ideales Gas ist, wollen wir diese Relation hier näherungsweise benutzen. Wir bezeichnen die Größen auf Meeresniveau mit einem Index 0 und die Größe in der Höhe h ohne Index. Dann ist m m p0 D p 0 p0 p D 0 p (15.14) .p/ D 0 : p0 Wie bei den inkompressiblen Flüssigkeiten gilt auch hier die ReD .z/g (Gl. 15.12), nur dass nun die Dichte mit der lation dp dz Höhe variiert. Wir ersetzen die Tiefe z (nach unten gerichtet) durch die Höhe h (nach oben gerichtet): 

dp D .p/g dh

1 dp D gdh .p/ Zp Zh 1 0 dp D .g/dh0 .p 0 / p0

0

Zp

1 0

p0

0 pp0

0

Zh

dp D g

dh0

0

ˇp ˇh p0 ln p 0 ˇpo D gh0 ˇ0 0

p0 .ln p  ln p0 / D gh 0 0 p D  gh ln p0 p0   p 0 D exp  gh p0 p0   0 p.h/ D p0 exp  gh (15.15) p0 Dies nennt man die „barometrische Höhenformel“. Setzt man die Zahlenwerte für unsere Atmosphäre ein, ergibt sich p.h/ D 1;013  105 Pa e h=8 km :

(15.16)

15

378

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

. Abb. 15.9 Variation des Drucks in Luft und Wasser mit der Höhe bzw. Tiefe

Der Luftdruck fällt mit steigender Höhe exponentiell ab, mit einer Halbwertskonstanten von etwa 5;5 km, d. h. alle 5;5 km halbiert sich der Luftdruck. Die beiden Grafiken in . Abb. 15.9 zeigen Luft- und Wasserdruck im Vergleich. Bei Luft sieht man einen exponentiellen Verlauf, während wir bei Wasser einen linearen Verlauf abgeleitet haben. Dieser Unterschied geht auf unsere Annahme bezüglich der Kompressibilität des Fluids zurück. Flüssigkeiten können wir als annähernd inkompressibel betrachten, was auf den linearen Verlauf führt, während diese Annahme bei einem Gas nicht gerechtfertigt ist. Beispiel 15.8: Höhenmesser

15

Ein Höhenmesser basiert auf der barometrischen Höhenformel. Er misst den Luftdruck. Auf einer geeigneten Skala wird dieser dann als Höhe angezeigt. Im Bild ist ein Höhenmesser an der Hand eines Fallschirmspringers zu sehen (Skala bis 4000 m). Ähnliche Höhenmesser werden bei Bergtouren eingesetzt. Bei Messungen über längere Zeiten ist allerdings auf Luftdruckschwankungen durch Wetteränderungen zu korrigieren. © Wikimedia: Srvban

Beispiel 15.9: Schweredruck in der Sonne

Die Sonne ist eine riesige Gaskugel, die durch die Gravitation zusammengehalten wird. Das Gewicht der äußeren Schichten erzeugt einen Schweredruck, der mit der Tiefe in der Sonne zunimmt. In einem ganz einfachen Modell können wir annehmen, dass Gravitation und Schweredruck das Gas im Gleichgewicht halten. Wir wollen versuchen, diesen Druck abzuschätzen. Tatsächlich kommen noch der Strahlungsdruck durch die Kernfusi-

379 15.3  Schweredruck

on im Inneren der Sonne und die Fliehkräfte durch die Rotation der Sonne hinzu. Diese wollen wir hier vernachlässigen. Wir beginnen damit, die Masse d m einer Kugelschale mit Radius r zu bestimmen. Diese beträgt: d m.r/ D 4 r 2 .r/ dr: Hieraus ergibt sich die Masse m.r/, die innerhalb des Radius r eingeschlossen ist, zu: Zr m.r/ D 4 

  0 r 0 r 2 dr 0 :

0

Am Radius r herrsche der Schweredruck p.r/. Dann wird dieser Druck um dp D dFG =A mit steigendem Radius abnehmen, wobei dFG die Gravitationskraft auf die Kugelschale mit Radius r ist. Also: dp.r/ D

G m.r/rd2m.r/

D G

4 r 2

m.r/ .r/ dr: r2

Um hieraus m.r/ und p.r/ zu bestimmen, muss das Dichteprofil .r/ bekannt sein. Dies ist kompliziert, da sich im Inneren der Sonne die Temperatur stark erhöht, sich die Zusammensetzung des Gases ändert (es kommt Helium hinzu) und sich das Gas weit außerhalb des Bereichs idealer Gase befindet. Um trotzdem eine grobe Abschätzung zu erreichen, nehmen wir eine konstante Dichte 0 an. Dann ist m.r/ D

4 0 r 3 3

und Z

4 3

0

0 r 3 0 0 dr r 02 Z 4 2 D  G 02 r 0 dr 0 D  G 02 r 2 C C: 3 3

p.r/ D G

Die Integrationskonstante C ergibt sich aus der Bedingung, dass der Schwerdruck am Rand des Sterns (r D R) verschwinden muss. Wir erhalten:     M2 3 r2 2 G 02 R2  r 2 D G 4 1 2 : p.r/ D 3 8 R R R3 Im letzten Schritt haben wir die Masse der Sonne M D 4 3 0 30 eingesetzt. Mit der Masse der Sonne von M D 1;989  10 kg und

15

380

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

einem Radius R D 696106 m erhalten wir in diesem stark vereinfachten Modell für das Zentrum der Sonne c D 0 D 1;4 g=cm3 und pc D 1;3 109 bar. Die tatsächlichen Werte sind mit etwa c D 160 g=cm3 und pc D 2;5 1011 bar deutlich höher, was in erster Linie auf die Kompression des Gases im Inneren der Sonne zurückzuführen ist.

15.4

Auftrieb

Ein Körper, der vollständig oder teilweise in ein Fluid eingetaucht ist, erfährt durch den Schweredruck im Fluid eine der Schwerkraft entgegengerichtete Kraft. Diese Kraft ist verantwortlich dafür, dass manche Körper schwimmen, andere Körper im Wasser in einer festen Tiefe schweben oder nur langsam zu Boden sinken. Man nennt diese Kraft den „(statischen) Auftrieb“. Beispiel 15.10: Toter Mann

Wegen des hohen Salzgehaltes im Toten Meer ist der Auftrieb dort größer als in anderen Gewässern. Er ist so groß, dass er einen Menschen bequem über Wasser halten kann.

15

. Abb. 15.10 Auftrieb an einem Quader

Wir wollen versuchen, den Auftrieb FA quantitativ zu erfassen. Dazu betrachten wir einen Quader, der vollständig in eine Flüssigkeit eingetaucht ist (. Abb. 15.10). Der Auftrieb ergibt sich als die Differenz der Kräfte auf die untere (F2 ) und obere Fläche

381 15.4  Auftrieb

15

(F1 ). Die Grundfläche des Quaders sei A. Die obere Fläche befindet sich in der Tiefe h1 , die untere in der Tiefe h2 . Dann ist FA D F2  F1 D Ap2  Ap1 D A. F l gh2 C p0 /  A. F l gh1 C p0 / D F l gA.h2  h1 / D F l VKörper g

(15.17)

dabei ist F l die Dichte der Flüssigkeit und VKörper das Volumen des Körpers. Das Produkt F l VKörper ergibt die Masse der Flüssigkeit, die vom Körper verdrängt wird und F l VKörper g ihr Gewicht. Man kann folglich sagen, dass der Auftrieb dem Gewicht der verdrängten Flüssigkeit entspricht. Dieses nennt man auch das „Archimedische Prinzip“. Der Legende nach wurde es von Archimedes bereits im dritten Jahrhundert vor Christus entdeckt, als dieser überprüfen sollte, ob eine von seinem König bestellte Krone tatsächlich aus reinem Gold bestand. Experiment 15.8: Auftrieb

Den Auftrieb kann man messen, indem man das Gewicht eines Körpers verfolgt, wenn man diesen in Wasser eintaucht. Das Gewicht reduziert sich dann um den Auftrieb. Man hängt ein Aluminiumgewicht an eine Federwaage. Sie zeigt 6;2 N an. Dann fährt man mit dem Hubtisch den Wasserbecher soweit hoch, bis das Gewicht vollständig eingetaucht ist. Nun zeigt die Federwaage nur noch 3;7 N an. Der Auftrieb beträgt 2;5 N.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Vom Gewicht eines Körpers und seinem Auftrieb hängt es ab, ob er in einer Flüssigkeit schwimmt, schwebt oder sinkt (. Abb. 15.11). Ist der Auftrieb des Körpers geringer als sein Gewicht, so sinkt er zu Boden. Dies ist dann der Fall, wenn die mittlere Dichte des Körpers größer ist als die Dichte der Flüssigkeit. Die Gewichtskraft ist gegeben durch FG D VKörper Körper g,

. Abb. 15.11 Kräfte beim Schwimmen

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

382

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

während der Auftrieb gegeben ist durch FA D VKörper Fluid g. Halten sich Auftrieb und Gewichtskraft die Waage, so schwebt der Köper in der Flüssigkeit. Ist er leichter, steigt er an die Oberfläche, bis er schließlich aus dem Fluid herausragt. Steigt er dann weiter, reduziert sich das verdrängte Volumen und damit der Auftrieb, bis ein Gleichgewicht zwischen FA und FG erreicht ist. Nun schwimmt der Körper an der Oberfläche. Beachten Sie bitte, dass der Auftrieb und die Gewichtskraft immer in entgegengesetzte Richtungen wirken, aber dass sie nicht notwendigerweise am selben Punkt angreifen. Die Gewichtskraft greift am Schwerpunkt des Körpers an, der Auftrieb hingegen am Schwerpunkt der verdrängten Flüssigkeit. Ist die Masse im Körper ungleich verteilt, weicht sein Schwerpunkt von dem der verdrängten Flüssigkeit ab. Es entsteht ein Drehmoment, das zu Instabilitäten in der Lage des Körpers führen kann. Beispiel 15.11: Sporttaucher

15

© Wikimedia: Stephan Borchert

Die Kontrolle des Auftriebs ist ein wichtiger Aspekt beim Sporttauchen. Ein Sporttaucher trägt einen Neoprenanzug (typisch sind durchaus zwei Lagen à 7 mm), um sich vor dem kalten Wasser zu schützen. Dieser Anzug vergrößert sein Volumen und damit seinen Auftrieb. Er schwimmt. Um tauchen zu können, muss er sein Gewicht durch einen Bleigurt vergrößern. Nun kann er tauchen. Unter Wasser reguliert er den Auftrieb mit einer Tarierweste. Die Weste verfügt über Kammern, die sich aus der Druckluftflasche mit Luft befüllen lassen. Sie blasen sich auf, vergrößern das Volumen des Tauchers und erhöhen den Auftrieb.

383 15.4  Auftrieb

15

Über ein Ventil reguliert er den Druck in der Weste so, dass er im Wasser schwebt. Hat sich der Taucher austariert, befindet er sich in einem labilen Gleichgewicht. Ist der Auftrieb auch nur ein wenig zu gering, sinkt der Taucher langsam. Der Schweredruck steigt und drückt die Luftkammern der Tarierweste weiter zusammen. Dadurch reduziert sich der Auftrieb und der Taucher sinkt schneller. Er muss den Auftrieb feinregulieren. Erfahrene Taucher erreichen dies durch die Atemtechnik, indem sie mehr oder weniger Luft in den Lungen halten.

Beispiel 15.12: Segelyacht mit Kiel

Unten im Kiel der Yacht befindet sich Ballast. Dieser verschiebt den Schwerpunkt der Yacht nach unten, unter den Schwerpunkt des verdrängten Wassers. Neigt sich das Boot zur Seite, so entsteht aus der Gewichtskraft ein Drehmoment rE  FEG um den Schwerpunkt des verdrängten Wassers (Drehpunkt), das das Boot stabilisiert. Selbst ein gekentertes Boot kann sich so wieder aufrichten.

Experiment 15.9: Kartesischer Taucher

Der Kartesische Taucher ist ein Kinderspielzeug, das auf Auftrieb basiert. In einer Wasserflasche befindet sich eine Figur, die gerade noch schwimmt. Die Flasche ist mit einer Gummikappe abgeschlossen. Im Inneren der Figur ist eine Luftblase. Drückt man auf die Gummikappe, komprimiert man die Luftblase in der Figur und reduziert dadurch ihren Auftrieb. Sie sinkt. Durch Variation des Drucks kann man die Figur zum Schweben bringen.

© Wikimedia: Gustav Broennimann

384

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

Reduziert man den Druck, tritt Flüssigkeit aus der Figur aus und die Luftblase wächst. Oft ist die Figur so geformt, dass die Flüssigkeit über eine kleine Öffnung seitlich austritt. Dies setzt dann die Figur in Rotation. Sie scheint in der Flasche zu tanzen.

Beispiel 15.13: Ballonfahrt

Auftrieb tritt in allen Fluiden auf, nicht nur in Flüssigkeiten. Im Bild ist ein Heißluftballon zu sehen. Die Dichte der heißen Luft im Ballon ist geringer als die Dichte der umgebenden Luft. Daher ist das Gewicht der verdrängten Luft größer als das Gewicht des Ballons. Er fliegt.

Auch in der Atmosphäre gibt es einen Umgebungsdruck, der ständig von allen Seiten auf uns einwirkt. Wir spüren ihn nicht, da auch im Inneren unseres Körpers derselbe Druck herrscht. Wir erkennen ihn im Experiment, wenn wir den Gegendruck im Inneren eines Gefäßes beseitigen, indem wir es evakuieren. Stellen Sie sich eine zylindrische Vakuumkammer mit einem Querschnitt von 1 m2 vor. Evakuiert man die Kammer, so lastet auf dem Deckel das Gewicht der darüber liegenden Luftsäule. Bei einem Druck von 1 bar ist die Kraft auf den Deckel F D pA D 105 N, was einem Gewicht von 10 t entspricht. Entsprechend dick muss der Deckel sein, um dieses Gewicht zu tragen. Experiment 15.10: Magdeburger Halbkugeln

15

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Der Magdeburger Bürgermeister und Physiker Otto Guericke demonstrierte 1657 den Umgebungsdruck auf eine evakuierte Kugel. Die Kugel (Durchmesser 42 cm) bestand aus zwei Halbkugeln, die er evakuierte. Der Umgebungsdruck presst dann die Halbkugeln zusammen. Selbst 16 Pferde vermochten es nicht, sie zu trennen, wie auf dem historischen Stich zu sehen. Wir stellen das Experiment mit zwei kleineren Kugeln (Radius 6 cm) nach. Ist die Kugel evakuiert, ist die Kraft auf eine der Halbschalen gegeben durch F D pA D 105 Pa   r 2  1;1 kN. Im Idealfall sollte die Kugel 110 kg halten können. Die Demonstration kann man im zweiten Bild sehen.

385 15.5  Grenzflächen

15.5 15.5.1

Grenzflächen Oberflächenspannung

Die Oberflächenspannung ist eine Eigenschaft der Oberfläche einer Flüssigkeit, die man als die Grenzfläche zwischen einer Flüssigkeit und einem Gas wie etwa der Luft betrachten kann. Die Oberfläche einer Flüssigkeit verhält sich ähnlich einer gespannten, elastischen Folie. Die Oberflächenspannung ist die Ursache für dieses elastische Verhalten. Man kennt es aus dem Alltag. Flüssigkeiten wie Wasser nehmen die energetisch günstige, kugelähnliche Tropfenform ein, um eine möglichst geringe Oberfläche zu bilden. Je höher die Oberflächenspannung, desto kugelähnlicher wird der Tropfen. Dem wirkt die Gewichtskraft entgegen, die die Flüssigkeit nach unten in eine flache „Pfütze“ drückt. Trotz der hohen Dichte ist die Tropfenform bei Quecksilber besonders stark ausgeprägt. Quecksilber hat eine sehr hohe Oberflächenspannung (siehe . Abb. 15.12). Die Oberflächenspannung entsteht aus Kohäsion, also der Anziehungskraft zwischen Molekülen in einem Fluid. In einem Fluid treten anziehende Kräfte zwischen den Molekülen auf. Betrachtet man ein Molekül im Inneren des Fluids, so addieren sich die Kräfte, die es von seinen Nachbarn erfährt, vektoriell zu null (. Abb. 15.13). Bei einem Molekül an der Oberfläche ist dies allerdings nicht der Fall, da einseitig Nachbarn fehlen. Auf ein solches Molekül wirkt eine Nettokraft, die ins Innere des Fluids zeigt. Um die Oberfläche eines Fluids zu vergrößern, müssen

© Foto: Hendrik Brixius

15

386

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

. Abb. 15.12 Tropfenbildung. a Wassertropfen auf einem wasserabweisenden Gewebe © Wikimedia: Brocken Inaglory; b Quecksilbertropfen © Fotolia.com: marcel

. Abb. 15.13 Kräfte auf ein Molekül in einer Flüssigkeit und an einer Grenzfläche

15 . Abb. 15.14 Zur Bestimmung der Oberflächenspannung

zusätzliche Moleküle an die Oberfläche gebracht werden. Dabei muss Arbeit gegen die Kohäsionskräfte verrichtet werden. Betrachten Sie die einfache Situation in . Abb. 15.14. Zwischen der Oberfläche eines Fluids und einem Draht hat sich ein Flüssigkeitsfilm gebildet. Seitlich wird der Film durch zwei weitere Drähte begrenzt. Wir vergrößern den Film, indem wir den horizontalen Draht nach oben ziehen. Die Vergrößerung der Oberfläche ist A D 2lds, wenn wir den Draht um die Strecke ds nach oben bewegen. Der Faktor 2 berücksichtigt Vorder- und Rückseite des Films. Die Arbeit W , die wir verrichten müssen, ist proportional zur Vergrößerung der Oberfläche. Es ist W D A :

(15.18)

Die Größe  heißt „spezifische Oberflächenenergie“ oder „Oberflächenspannung“. Sie lässt sich aus . Abb. 15.14 bestimmen. Es ist D

W F ds F F D D D ; A 2lds 2l L

(15.19)

387 15.5  Grenzflächen

15

wobei wir L als die Länge eingeführt haben, auf der die Oberfläche vergrößert wird (Vorder- plus Rückseite). Aus diesem Ergebnis erklärt sich die Bezeichnung von  als Spannung. Experiment 15.11: Messung der Oberflächenspannung

Zur Messung der Oberflächenspannung greifen wir auf Gl. 15.19 zurück. Allerdings wählen wir eine etwas andere Anordnung. Statt eines Drahtes benutzen wir einen Aluminiumring mit einem Radius von 3 cm. Dieser ist an einigen Schnüren über eine Federwaage aufgehängt. Die Federwaage zeigt die Kraft F D 5;0 cN an. Die Wasserschale steht auf einem Hubtisch. Wir heben sie so weit an, bis der Ring ins Wasser eintaucht, und senken sie dann vorsichtig wieder ab. Nun steigt die Kraftanzeige durch die Oberflächenspannung auf F D 5;5 cN an. Wieder bildet sich an der Innen- und Außenseite ein Flüssigkeitsfilm, sodass L D 2  2 r gilt. Die Oberflächenspannung ist  D 0;5 cN=4 r. Es ergeben sich etwa 10 cN=m (Literaturwert 7;2 cN=m bei 20 ı C).

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Beispiel 15.14: Wasserläufer

Wasserläufer sind Wanzen, die auf der Wasseroberfläche laufen können. Die Oberflächenspannung ermöglicht dies. Die Tiere werden 8 bis 20 mm lang (ohne Beine). Sie laufen auf sechs Beinen, die am Ende – wie im Bild zu sehen – flach auf dem Wasser aufliegen. Wie viel Gewicht können die Beine tragen? Wir wollen dies abschätzen. Die Beine liegen wenigstens auf einer Länge von 2 mm auf dem Wasser auf. An der Grenze der Tragfähigkeit wird die Oberfläche so weit eingedrückt, dass die Kraft an den Beinen senkrecht nach oben zeigt. Sie ist F D Wasser L. Dabei ist L die Länge der Auflage rund um das Bein. Dies sind je 2 mm für jede Seite. Die kurzen Strecken, die der Dicke der Beine entsprechen, können wir vernachlässigen. Also N  4 mm D 1;7 mN. L D 4 mm pro Bein und damit F D 6  0;072 m Sie tragen m D F=g D 0;17 g. Der Wasserläufer wiegt tatsächlich deutlich weniger.

Experiment 15.12: Schwimmende Büroklammer

Schon als Kinder lernen wir, dass Eisen nicht schwimmt. Doch hier machen wir eine Ausnahme: Wir bringen eine Büroklammer zum Schwimmen. Legt man sie vorsichtig auf der Oberfläche ab,

© Wikimedia: Markus Gayda

388

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

so ist die Oberflächenspannung im Wasser groß genug, dass die Klammer nicht einsinkt. Sie schwimmt (siehe Abbildung). Sie können dies einfach selbst ausprobieren. Mit einer kleinen Büroklammer geht der Versuch einfacher. Legen Sie sie am besten flach auf eine Messerspitze und setzen Sie sie mit dem Messer vorsichtig auf der Wasseroberfläche ab. Sie können dann das Messer nach unten wegnehmen. Die Büroklammer schwimmt. Spülen Sie das Glas vorher gründlich mit frischen Wasser aus und die Büroklammer ab. Spülmittel enthält Substanzen, die die Oberflächenspannung des Wassers reduzieren und damit die Benetzung ihres Geschirrs verbessern. Nur so kann das reinigende Wasser in kleine Ritzen vordringen. Für unseren Versuch ist das kontraproduktiv. Nehmen Sie mit der Messerspitze einen winzigen Tropfen Spülmittel auf und berühren Sie damit die Oberfläche des Wassers, so wird die Büroklammer unmittelbar sinken. Alternativ können Sie auch eine Rasierklinge oder ein Stück Aluminiumfolie zum Schwimmen bringen.

Experiment 15.13: Minimalflächen durch Oberflächenspannung

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

15

Die Oberflächenspannung führt zur Bildung von Tropfen, weil bei der Tropfenform die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen minimal ist. Hier demonstrieren wir den entsprechenden Effekt in zwei Dimensionen. Aus einem Kunststofffaden ist eine unregelmäßige Form geknüpft. Diesen befestigen wir mit drei weiteren Fäden in einem Kunststoffring. Nun benetzen wir den ganzen Ring mit Seifenblasenflüssigkeit aus dem Spielwarengeschäft. Es bildet sich eine ebene Fläche, die das gesamte Innere des Kunststoffrings erfüllt. Noch hat der innere Faden eine unregelmäßige Form. Mit etwas Geschick gelingt es uns, die Seifenblasenhaut im inneren Ring zum Platzen zu bringen und sie außen zu erhalten. Nun hat die Seifenblase ein Loch entlang des inneren Fadens. Die Oberflächenspannung entlang des Lochs minimiert die Länge des Randes. Der ehemals unregelmäßige Faden wird in einen nahezu perfekten Kreis gezwungen, den man im Foto schwach erkennen kann.

Experiment 15.14: Druck in einer Seifenblase

Im Inneren einer Seifenblase herrscht ein kleiner Überdruck, der der Seifenblase ihre Form verleiht. Diesen wollen wir untersu-

389 15.5  Grenzflächen

chen. Wir tauchen einen Trichter in Seifenlauge und benetzen die Öffnung des Trichters. Bläst man nun vorsichtig in den Trichter, entsteht eine Seifenblase. Wir brechen das Aufblasen rechtzeitig ab, sodass sich die Seifenblase nicht vom Trichter ablöst. Wir benutzen einige Schläuche und ein Drei-Wege-Ventil. Wir pusten zunächst die linke Seifenblase über den rechten Schlauch auf einen Radius r0 auf. Dann stellen wir das Ventil auf die rechte Seifenblase um und blasen diese auf ungefähr 80 % von r0 auf. Nun wollen wir den Druck in den beiden unterschiedlich großen Seifenblasen vergleichen. Dazu stellen wir das Ventil so ein, dass es die beiden Seifenblasen miteinander verbindet. Nun kommt es zum Druckausgleich zwischen den beiden Seifenblasen. Man beobachtet, dass die kleine Seifenblase schrumpft und dabei die große Blase weiter aufbläst.

Wie kann das sein? Naiv mag man erwarten, dass der Druck in der Seifenblase umso größer ist, je größer ihr Radius. Doch das Gegenteil ist der Fall. Vermutlich haben Sie den gleichen Effekt schon einmal bei einem Luftballon bemerkt. Sicherlich haben Sie schon einmal einen Luftballon mit dem Mund aufgeblasen. Anfänglich geht das Aufblasen sehr schwer. Für die ersten Zentimeter müssen Sie sich anstrengen, um gegen den Druck im Luftballon weitere Luft hineinzupusten. Mit zunehmender Größe lässt der Druck im Luftballon nach. (Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Größe des Luftballons hängt nicht nur vom Druck im Luftballon ab, sondern wesentlich auch von der Menge an Luft, die Sie hineinpusten.) Wir wollen die energetischen Verhältnisse quantitativ erfassen: Die Oberfläche der Seifenblase mit Radius r sei A. Durch die Expansion der Luft in der Seifenblase wird Arbeit verrichtet (Energie freigesetzt). Die Kraft ist F D pA und die verrichtete Arbeit bei einer kleinen Ausdehnung der Seifenblase ist d W D pAdr D p4 r 2 dr. Andererseits muss Arbeit verrichtet werden, um gegen die Oberflächenspannung die Oberfläche

15

390

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

der Seifenblase zu vergrößern (Energie wird verbraucht). Die zu verrichtende Arbeit ist nach Gl. 15.18 d W D dA D 28 rdr, wobei der Faktor 2 berücksichtigt, dass die innere und die äußere Oberfläche der Seifenblase vergrößert wird. Im Gleichgewicht, das sich einstellt, müssen beide Energiebeiträge gerade gleich groß sein. Folglich ist p4 r 2 dr D 8 rdr. Daraus ergibt sich, dass p D 4 r . Der Druck im Gleichgewicht ist umgekehrt proportional zum Radius. Wie vermutet, sinkt er mit steigendem Radius in der Seifenblase.

15.5.2

15

Haftspannung

Die Oberflächenspannung gehört zu den Grenzflächenspannungen. Sie tritt an der Grenzfläche zwischen zwei Medien auf. Dabei können die beiden Medien durchaus in unterschiedlichen Phasen vorliegen. Beispielsweise hatten wir die Bildung von Wassertropfen durch die Oberflächenspannung erklärt, die an der Grenzfläche zwischen dem flüssigen Wasser und der umgebenden Luft auftritt. Es tritt aber auch Oberflächenspannung an der Grenze zur festen Unterlage auf, und es kann auch Oberflächenspannung zwischen zwei flüssigen Phasen geben, z. B. bei einem Öltropfen, der auf Wasser schwimmt. In allen Fällen entsteht die Oberflächenspannung durch Kräfte zwischen den Molekülen innerhalb eines Mediums (hier im Wasser). Man nennt sie „Kohäsionskräfte“. Vernachlässigt haben wir Kräfte, die zwischen den Molekülen unterschiedlicher Medien über die Grenzfläche hinweg wirken. Diese nennt man „Adhäsionskräfte“. Im Falle eines Regentropfens wären dies beispielsweise Kräfte zwischen Wassermolekülen und den Molekülen der Luft. Es gibt aber Fälle, in denen diese Kräfte relevant sind. Der Meniskus einer Pipette (7 Beispiel 15.15) ist ein solcher Fall. Die Kräfte, die zwischen den Wassermolekülen und der Glaswand wirken, erzeugen ihn. Die Spannung, die dabei auftritt, nennt man die „Haftspannung“. Wir wollen sie im Folgenden etwas näher untersuchen. Beispiel 15.15: Meniskus

Eine Wasseroberfläche in einem Glas ist nie perfekt eben.Sie wölbt sich durch die Haftspannung zur Gefäßwand hin nach oben. Dies erzeugt eine charakteristische Form der Oberfläche, die in engen Gefäßen besonders deutlich zu erkennen ist. Man

391 15.5  Grenzflächen

15

nennt dies den Meniskus (vom griechischen Wort meniskos, was „Halbmond“ bedeutet). Die Abbildung zeigt den Meniskus in einer Laborpipette.

Um die Effekte der Haftspannung zu verstehen, gehen wir zunächst wieder auf das mikroskopische Bild zurück. Betrachten wir ein Molekül an einer Grenzfläche weit entfernt von deren Rand, so werden sich die Komponenten der Kräfte, die auf das Molekül parallel zur Grenzfläche wirken, aus Symmetriegründen wegheben. Für ein Molekül am Rand der Grenzfläche ist dies nicht mehr der Fall. Es entsteht hier eine Nettokraft parallel zur Grenzfläche. Als Beispiel wollen wir die Oberfläche von Wasser in einem Glas betrachten (. Abb. 15.15). Wir haben hier drei Medien, die aneinander angrenzen: Die Glaswand (Index 1), das Wasser (Index 2) und die Luft über dem Wasser (Index 3). Zwischen jedem Medienpaar entsteht eine Kraft an der Grenzfläche, die an deren Rand eine Komponente parallel zur jeweiligen Grenzfläche hat. Diese sind in . Abb. 15.15 mit FEij bezeichnet. Die Kräfte sind proportional zur Länge l des Randes über den sie wirken. Wir können folglich schreiben Fij D ij l :

(15.20)

Die Größen ij nennt man die „Haftspannungen“. Wie in . Abb. 15.15 angedeutet, verändern die Haftspannungen die Oberfläche des Wassers. Wir wollen den Winkel ˛ bestimmen, den die Oberfläche mit der Wand des Glases einschließt. Man nennt ihn den Grenzwinkel. Im Wasserglas wird sich ein statischer Zustand einstellen. In diesem Zustand müssen sich die vertikalen Komponenten der Kräfte gegenseitig kompensieren. Es muss gelten (z-Richtung vertikal): X .FEij /z D 0 : (15.21) i;j

Diese Komponenten kann man nun einzeln bestimmen: F12  F13  F23 cos ˛ D 0 12 l  13 l  23 l cos ˛ D 0 12  13 cos ˛ D : 23

(15.22)

Von der relativen Größe und den Richtungen dieser Spannungen hängt es ab, ob sich die Oberfläche nach oben oder nach unten wölbt.

. Abb. 15.15 Kräfte an den Grenzflächen in einem Wasserglas

392

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

Beispiel 15.16: Haftende Tautropfen

An einem frühen, sonnigen Morgen kann man Tautropfen beobachten, die an einem Spinnennetz haften und in der Sonne spielen. Es sind Adhäsionskräfte und daraus resultierende Haftspannungen, die die Wassertropfen im Netz halten.

Experiment 15.15: Grenzwinkel im Keilglas © Wikimedia: böhringer friedrich

In einem Keilglas kann man die Ausbildung eines Meniskus deutlich erkennen. Am spitz zulaufenden Ende des Glases blickt man quer durch die Oberfläche. Wie im Text beschrieben, hängt die Krümmung der Oberfläche von den Haftspannungen und damit von den Materialien ab. Das Bild zeigt rechts gefärbtes Wasser und links Quecksilber, jeweils in einem Keilglas, dessen spitzes Ende zur Mitte zeigt. Die Oberfläche des gefärbten Wassers ist nach oben gewölbt, die von Quecksilber hingegen nach unten.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

15.5.3

15

Kapillarität

Betrachten wir noch einmal die Rechnung zum Grenzwinkel einer Flüssigkeitsoberfläche, die zu Gl. 15.22 führte. Nicht in allen Fällen kann sich ein Kräftegleichgewicht einstellen. Es gibt Fälle, in denen F12 größer ist als die Summe der beiden anderen Kräfte, selbst wenn sich im Grenzfall ˛ D 0ı einstellt. In diesem Fall wird die Flüssigkeit an der Gefäßwand aufsteigen. Sie benetzt die Gefäßwand. Allerdings müssen wir dann noch weitere Kräfte berücksichtigen. Zum einen ist dies die Gewichtskraft auf die aufsteigende Flüssigkeit, zum anderen die Oberflächenspannung. Steigt Flüssigkeit am Rand auf, so vergrößert sich die Oberfläche. Es muss Arbeit gegen die Kräfte, die aus der Oberflächenspannung resultieren, verrichtet werden. Ist die Oberflächenspannung groß genug, so kann der gesamte Flüssigkeitsspiegel gegen die Gewichtskraft angehoben werden. Dieser Effekt tritt besonders in engen Röhren (Kapillaren) auf. Man nennt ihn „Kapillarität“. Der

393 15.5  Grenzflächen

Rand einer Flüssigkeit, entlang dessen Haftspannung zur Gefäßwand auftritt, verlängert sich linear mit dem Radius einer Kapillare, wohingegen die Oberfläche der Flüssigkeit und damit die Masse, die mit der Oberfläche angehoben werden muss, quadratisch mit dem Radius ansteigt. Daher ist der Effekt in engen Kapillaren stärker als in weiten. Je mehr Flüssigkeit in einer Kapillare aufsteigt, desto größer wird die Gewichtskraft, die durch die Haftspannung zu überwinden ist. Ab einer bestimmten Höhe kann diese nicht mehr durch die Haftspannung überwunden werden, sodass die Flüssigkeitssäule auf dieser Höhe stehen bleibt. Die maximale Steighöhe hmax ist erreicht. Da die Kräfte aus der Haftspannung, wie wir gesehen haben, linear mit dem Radius der Kapillare ansteigen, die Gewichtskraft aber quadratisch, muss die maximale Steighöhe umgekehrt proportional zum Radius der Kapillaren sein. Das ist die Aussage des Kapillargesetzes. Es lautet hmax D

2 cos ˛ ; g r

(15.23)

wobei die Dichte der Flüssigkeit ist, r der Radius der Kapillaren und ˛ der Grenzwinkel zum Rand der Kapillaren.

Intuitive Ableitung der Formeln Ist Ihnen aufgefallen: Statt Gl. 15.23 mathematisch abzuleiten, wie Sie das bisher gewohnt waren, haben wir lediglich einige Argumente zur Abhängigkeit der maximalen Steighöhe vom Radius der Kapillare niedergeschrieben. Selbstverständlich ist die mathematische Ableitung der Formel der korrekte Weg, aber trotzdem ist es sinnvoll, sich über die wichtigsten Zusammenhänge einer Formel Gedanken zu machen. Die mathematische Ableitung liefert zwar das gewünschte Ergebnis, aber nicht immer das notwendige Verständnis. Haben Sie die Argumente von oben erfasst, so haben Sie ein Verständnis bekommen, warum die Steighöhe mit kleiner werdendem Radius zunimmt (weil das anzuhebende Gewicht mit dem Radius schneller abnimmt, als die Haftspannung, die es anhebt). Versuchen Sie selbst, bei anderen Gesetzen die wichtigsten Zusammenhänge mit Worten zu begründen. Gelingt Ihnen dies, ist der Schritt zu einer mathematischen Ableitung meist nicht mehr weit. In unserem Fall haben wir bei der maximalen Steighöhe ein Gleichgewicht aus Haftspannung und Gewicht: FG D FHaft D U , wobei FHaft die Kraft aus der Haftspannung und U der Umfang der Kapillaren ist. Nun ist FG / hmax r 2 und U / r, woraus die r-Abhängigkeit folgt. Wenn Sie die Proportionalitäten ausführen, erhalten Sie das volle Kapillargesetz.

15

394

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

Experiment 15.16: Kapillarität

Das Kapillargesetz lässt sich mit einer Reihe Glaskapillaren mit unterschiedlichem Durchmesser demonstrieren. Wir tauchen sie in gefärbtes Wasser und beobachten, dass das Wasser in den dünneren Kapillaren weiter aufsteigt. Der Durchmesser der Kapillaren ist auf dem Bild in mm angegeben.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Beispiel 15.17: Wassertransport in Bäumen

15

Bäume nehmen mit ihren Wurzeln Wasser auf und transportieren es in die Blätter, wo es zur Fotosynthese gebraucht wird oder auch verdunstet. Der Transport des Wassers gegen die Schwerkraft ist ein komplizierter Prozess, in dem mehrere Effekte zusammenspielen. Die Kapillarität ist einer dieser Effekte, aber auch ein osmotischer Effekt in den Wurzeln (Wurzeldruck) trägt bei und ein Sog, der durch das Verdunsten des Wassers in den Blättern entsteht (Transpirationssog). Je höher der Baum, desto schwieriger ist der Transport des Wassers. Vermutlich ist die maximale Höhe, die ein Baum erreichen kann, durch den Wassertransport begrenzt. Die Abbildung zeigt den höchsten bekannten Baum mit Namen Hyperion, einen Sequoia (coastal redwood) mit einer Höhe von 115,6 m. Viel höher können Bäume wohl nicht wachsen.

395 15.5  Grenzflächen

Beispiel 15.18: Papierchromatografie

Papier saugt durch die Kapillarität Flüssigkeiten in sich auf. Diesen Effekt nutzt man in der Papierchromatografie zur Identifikation von Substanzen aus. Man bringt einen Tropfen der zu untersuchenden Substanz und weitere Tropfen von Vergleichssubstanzen auf ein Filterpapier auf und trocknet sie. Dann stellt man das Papier in ein Gefäß mit etwas Lösungsmittel, sodass nur das untere Ende in das Lösungsmittel eintaucht. Durch die Kapillarität steigt das Lösungsmittel auf und nimmt die Substanzen aus den Tropfen mit, wobei diese mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten aufsteigen. Bricht man das Experiment nach einer bestimmten Zeit ab, entstehen charakteristische Steighöhenmuster. Die Abbildung zeigt ein Papierchromatogramm von Filzstiften unterschiedlicher Farbe.

© Ulfbastel aus der deutschsprachigen Wikipedia

Beispiel 15.19: Füllfederhalter

Kapillarität ist für die Funktion eines Füllfederhalters wichtig. Ein Tintentropfen gelangt aus dem Tank in ein kleines Loch unter der Feder. Von dort aus führt ein Spalt zur Spitze der Feder. Er ist in der Abbildung deutlich zu sehen. Durch die Kapillarität wird die Tinte durch den Spalt an die Spitze der Feder transportiert und dort verschrieben.

?Aufgaben 1. Ein Tischtennisball (Masse 2;7 g, Durchmesser 40 mm) wird d D 10 cm unter Wasser gedrückt. Bis in welche Höhe h springt er nach dem Loslassen aus dem Wasser heraus? Vernachlässigen Sie Reibung, Oberflächenspannung sowie den Auftrieb in der Luft.

15

396

15

Kapitel 15  Hydro- und Aerostatik

2. Ein Eisstück schwimmt auf der Grenzfläche zwischen Wasser und Öl. Welcher Volumenanteil des Eisstücks liegt unter der Wasseroberfläche ( Wasser D 1;0 g=cm3 , Öl D 0;75 g=cm3 , Eis D 0;92 g=cm3 )? Berechnen Sie für den Fall eines Eiswürfels mit 2 cm Kantenlänge in einem zylindrischen Glas von 4 cm Durchmesser, wie sich die Flüssigkeitsspiegel von Wasser und Öl nach dem Schmelzen des Eiswürfels geändert haben! 3. Ein Stratosphärenballon soll eine Nutzlast von 1200 kg in eine Höhe von 33 km tragen. a) Mit wie viel Kubikmeter Helium muss der Ballon beim Start befüllt werden? Nehmen Sie einen Start bei Normbedingungen (Druck 1013 hPa, Temperatur 0ı C, He D 0;18 kg=m3 , Luft D 1;3 kg=m3 ) an und vernachlässigen Sie die Temperaturabnahme mit zunehmender Höhe sowie das Eigengewicht des Ballons! Welchen Durchmesser hat der Ballon auf der Zielhöhe? b) Das Material des Stratosphärenballons besteht aus 20 m starkem Polyethylen ( PE D 0;9  103 kg=m3 ). Die Temperatur in 33 km Höhe liegt bei 40ı C. Die Dichte der Gase kann als umgekehrt proportional zur absoluten Temperatur angenommen werden. Berechnen Sie hieraus Korrekturen zum Ergebnis von Teilaufgabe a! c) Sollte der Ballon exakt mit der berechneten Menge an Helium befüllt werden? 4. Betrachtet werde eine senkrechte Staumauer mit Bogenlänge L und Krümmungsradius R, hinter der Wasser bis zu einer Höhe H aufgestaut ist. Berechnen Sie den über die Fläche der Staumauer gemittelten Betrag der Kraft, die auf die Mauer wirkt, und daraus die auf jede der beiden Bergwände abgeleitete Kraft! 5. Zwei Seifenblasen mit den Durchmessern 4 cm und 6 cm stoßen zusammen und vereinigen sich zu einer großen Seifenblase. Berechnen Sie den Innendruck in den beiden Seifenblasen vor dem Zusammenstoß und in der großen Seifenblase danach (Oberflächenspannung der Seifenlauge:  D 0;030 N=m)! Nehmen Sie die Luft als inkompressibel an. Wie gut ist diese Näherung? 6. Wie hoch steigt Wasser in einem Kapillarrohr mit 1 mm Durchmesser ( D 0;073 N=m)? Ist es möglich, dass alleine aufgrund der Kapillarkräfte der Saft in den 0;01 mm dicken Kanälen eines Baumes bis in seine Krone transportiert wird? Vernachlässigen Sie in beiden Fällen die Korrektur durch den Grenzwinkel ˛.

397

Hydro- und Aerodynamik Inhaltsverzeichnis 16.1

Beschreibung von Strömungen – 398

16.2

Die Kontinuitätsgleichung – 403

16.3

Strömung idealer Fluide – 408

16.4

Innere Reibung – 422

16.5

Laminare Strömungen – 427

16.6

Turbulente Strömungen – 436

16.7

Strömungswiderstand – 438

16.8

Dynamischer Auftrieb – 445

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_16

16

398

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

16.1

Beschreibung von Strömungen

Nachdem wir uns mit ruhenden Fluiden auseinandergesetzt haben, wollen wir nun die Effekte kennenlernen, die bei bewegten (strömenden) Fluiden auftreten. Wir beginnen mit einer Beschreibung und Klassifikation der Strömungen, bevor wir in den späteren Kapiteln versuchen wollen, diese zu erklären. Doch zunächst brauchen wir eine Möglichkeit, Strömungen sichtbar zu machen. Eine solche Möglichkeit wird in 7 Experiment 16.1 gezeigt. Diese wollen wir als Beispiel weiter betrachten. Experiment 16.1: Strömungen im Strömungskanal

Die erste Abbildung zeigt die Apparatur. Wasser wird mit hoher Geschwindigkeit durch einen Kanal gepumpt (Pfeile). Im mittleren Bereich kann man durch Glasscheiben durch den Kanal hindurchblicken. Von oben kann man verschiedene Gegenstände in den Kanal einbringen. In der Pumpe (links) wird das Wasser verwirbelt. Luftbläschen werden eingebracht, welche man bei geeigneter Beleuchtung als weiße Punkte erkennen kann. Diese machen die Strömung sichtbar. Die Strömung wird mit einer Hochgeschwindigkeitskamera mit 500 Bildern pro Sekunde aufgezeichnet. Auf den Bildern erkennt man kurze weiße Striche, die durch Bewegungsunschärfe aus den Bildern der Luftbläschen entstehen.

16

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

399 16.1  Beschreibung von Strömungen

Die folgenden Abbildungen zeigen jeweils eine Momentaufnahme aus den Filmen der Strömung an einer Kugel, an einem offenen Halbzylinder und an einem Tragflächenprofil. Die Strömung kommt jeweils von links.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

16

400

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Um Strömungen zu beschreiben, müssen wir sie zunächst quantitativ erfassen. Betrachten Sie hierzu . Abb. 16.1, die einen Ausschnitt aus der ersten Aufnahme aus 7 Experiment 16.1 zeigt. Durch die Bewegungsunschärfe entstehen im Bild aus den Luftbläschen kleine Linien. Aus der Richtung und Länge der Linien können wir die Geschwindigkeit des Luftbläschens im Moment der Aufnahme ermitteln. Wir gehen nun folgendermaßen vor. Wir unterteilen die Strömung in Volumenelemente (bläuliche Rechtecke). Für jedes Volumenelement bestimmen wir nach der be-

16

. Abb. 16.1 Erfassung einer Strömung als Geschwindigkeitsfeld

401 16.1  Beschreibung von Strömungen

. Abb. 16.2 Langzeitaufnahme einer Strömung. © Foto: Hendrik Brixius

schriebenen Methode die Geschwindigkeit des Fluids vE.Er0 ; t0 /. Gegebenenfalls müssen wir zwischen Luftbläschen interpolieren. So erhalten wir für die gesamte Strömung vE.Er ; t0 / zum Zeitpunkt der Aufnahme und, wenn wir schließlich den gesamten Film auswerten, vE.Er ; t/. Man nennt dies das „Geschwindigkeitsfeld der Strömung“. Es beschreibt die Strömung mathematisch und enthält die vollständige Information über die Strömung. Im Allgemeinen hängt die Geschwindigkeit des Fluids nicht nur vom Ort ab, sondern sie kann sich auch mit der Zeit verändern. Ist dies nicht der Fall, spricht man von einer „stationären Strömung“. Leider ist das Geschwindigkeitsfeld in der Praxis oft nicht zugänglich, sodass man sich mit einfacheren Darstellungen der Strömung begnügen muss. Zwei wichtige wollen wir hier vorstellen. Benutzen wir in 7 Experiment 16.1 statt der Hochgeschwindigkeitskamera eine einfache Kamera mit einer längeren Belichtungszeit, so sehen wir die Bläschen als Linien. Wir haben die Bahnkurven der Bläschen visualisiert. In . Abb. 16.2 ist das Beispiel mit dem Hohlzylinder aus dem Experiment zu sehen. Jede Linie gibt die Bahn eines Bläschens durch den Strömungskanal wieder. Man nennt dies die „Bahnlinien der Strömung“. Man kann aus den Bahnlinien die Information im Geschwindigkeitsfeld zurückgewinnen, sofern dieses stationär ist. Die Richtung des Geschwindigkeitsfeldes muss in jedem Punkt tangential zur Bahnlinie sein. Den Betrag der Geschwindigkeit kann man nur indirekt erschließen: In Bereichen, in denen die Bahnlinien dichter liegen, ist die Geschwindigkeit höher und umgekehrt.

16

402

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

Beispiel 16.1: Windkanal

Strömungen in Luft kann man durch Rauch in einem Windkanal sichtbar machen. Die Abbildung zeigt die Strömungen an einem PKW mit Dachlast bei einer Geschwindigkeit von 60 km=h. Hinter der Dachlast ist die Strömung verwirbelt, sodass keine Linien mehr erkennbar sind.

© [email protected]

16

Eine andere Möglichkeit der Visualisierung eines Geschwindigkeitsfeldes sind Stromlinien. Sie bilden Momentaufnahmen der Strömung ab. Die Stromlinien sind so zu wählen, dass in jedem Punkt die Tangente der Stromlinie mit dem Geschwindigkeitsvektor der Strömung zusammenfällt. Die Stromlinien geben folglich die Bewegungsrichtung der Volumenelemente der Strömung zu einem bestimmten Zeitpunkt an. Im Gegensatz dazu zeigen die Bahnlinien die Bewegung einzelner Volumenelemente im Laufe der Zeit an. Handelt es sich um eine stationäre Strömung, so fallen Bahnlinien und Stromlinien zusammen. Man unterscheidet grundsätzlich zwei Arten von Strömungen: laminare Strömungen und turbulente. Eine laminare Strömung ist gleichmäßig. Benachbarte Schichten des Fluids gleiten glatt übereinander hinweg. In . Abb. 16.2 sieht man Bereiche laminarer Strömung links vor dem Hohlzylinder, sowie oberund unterhalb dessen. Die Bahnlinien einzelner Volumenelemente überschneiden sich nicht. Das Geschwindigkeitsfeld ist zeitunabhängig, sofern man die Versuchsbedingungen nicht verändert. Man findet laminare Strömung am ehesten bei geringen Strömungsgeschwindigkeiten. Demgegenüber sind turbulente Strömungen durch Wirbel gekennzeichnet, wie wir sie beispielsweise in . Abb. 16.2 rechts hinter dem Hohlzylinder finden. Die Strömung verändert sich zeitlich oft sogar sehr rasch. Die

403 16.2  Die Kontinuitätsgleichung

16

Bahnlinien benachbarter Volumenelemente können sich selbst bei infinitesimalen Abständen makroskopisch unterscheiden. Die Strömung trägt teilweise chaotische Züge. Turbulente Strömungen treten bei hohen Strömungsgeschwindigkeiten auf, insbesondere an Ecken und Kanten von Strömungshindernissen. In einer Strömung werden sich im Allgemeinen benachbarte Schichten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegen. Dadurch entsteht Reibung zwischen den Schichten, die zu einem Energieverlust führt. Man spricht von „innerer Reibung“ oder auch von „Viskosität“. Sieht man von Reibung ab, vernachlässigt man die Schwerkraft und nimmt man das Fluid ferner als inkompressibel an, so nennt man dies ein „ideales Fluid“. Ideale Fluide sind relativ einfach zu behandeln, darin liegt ihre Bedeutung. In der Natur gibt es aber keine idealen Fluide, man nutzt sie in manchen Situationen als Näherung realer Fluide. Beispielsweise kann man Strömungen in Gasen ganz gut durch ein ideales Fluid nähern, falls die Strömungsgeschwindigkeit überall klein gegenüber der Schallgeschwindigkeit im Gas ist. Mehr zur Reibung in Fluiden erfahren Sie in 7 Abschn. 16.4. 16.2

Die Kontinuitätsgleichung

Wir wollen zunächst den Volumenstrom definieren. Er ist ein Maß für die Menge an Fluid, das in einer bestimmten Zeit durch die Strömung transportiert wird. In . Abb. 16.3 ist die Definition anhand einer Strömung in einem Rohr illustriert. Der Volumenstrom I gibt an wie viel Fluid pro Zeit durch die Fläche A im Rohr fließt. Es ist I D

V : t

(16.1)

Der Volumenstrom lässt sich aus der Skizze bestimmen. Alle Moleküle, die sich im markierten Volumen V befinden, werden in der Zeit t die Fläche A durchqueren, wenn das Volumen so gewählt ist, dass die Grundfläche des Zylinders gerade A und seine Höhe vt ist. Also ist I D

Avt V D D Av : t t

(16.2)

Ist die Strömung nicht stationär, müssen wir zu infinitesimalen Größen übergehen. Die Höhe des Zylinders ist dann dx und es ergibt sich I D

dV Adx dx D DA D Av : dt dt dt

(16.3)

. Abb. 16.3 Zur Definition des Volumenstroms

404

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

. Abb. 16.4 Volumenstrom an der Verjüngung eines Rohres

Statt des Volumenstroms, der das strömende Volumen beschreibt, kann man auch den Massenstrom angeben, der sich auf die bewegte Masse bezieht. Er gibt die Masse des Fluids an, die in der Zeit t die Fläche A durchfließt. Wegen D m=V gilt J D

m V D D I D Av : t t

(16.4)

Ändert sich der Querschnitt eines Rohres, durch das ein Fluid strömt, so müssen Massen- bzw. Volumenstrom trotzdem konstant bleiben, denn was links ins Rohr hineinfließt, muss rechts wieder herauskommen. Ein Beispiel ist in . Abb. 16.4 skizziert, das auch die Bezeichnungen einführt. Für den Volumenstrom muss gelten I1 D I2 A1 v1 D A2 v2 v1 A2 D ; v2 A1

16

(16.5)

d. h. die Geschwindigkeiten verhalten sich umgekehrt wie die zur Verfügung stehenden Querschnittflächen der Rohre. Offensichtlich gilt dies nicht nur für zylindrische Rohre, sondern für jede Strömung, egal ob es sich um eine Luftströmung in einem Windkanal oder die Strömung eines Flusses in seinem Bett handelt. Was am einen Ende hineinfließt, muss am anderen Ende wieder herausfließen, solange wir die Fluide als inkompressibel annehmen können. Schließlich kann das Fluid nicht zwischen Anfang und Ende verschwinden. Allerdings kann es bei zeitlich veränderlichen Strömungen zu einer Verzögerung kommen. Erhöht man den Zufluss, so wird es einige Zeit dauern, bis auch der Abfluss steigt. In dieser Zeit steigt die Masse, die sich in der Strömung befindet, an, bei gasförmigen Fluiden, indem der Druck und damit die Dichte des Fluids steigt, bei flüssigen Fluiden durch ein Ansteigen der Füllhöhe im Kanal. 7 Beispiel 16.2 zeigt eine Illustration. Beispiel 16.2: Flutwelle unterhalb eines Stausees

Stellen Sie sich einen Fluss vor, der durch einen darüberliegenden Stausee geregelt wird. Am Ausfluss des Stausees wird der

405 16.2  Die Kontinuitätsgleichung

16

Volumenstrom I1 gemessen, weiter unten am Fluss I2 . Im stationären Zustand ist die Ausflussmenge I1 konstant. Dann wird auch die Messstelle I2 denselben Volumenstrom wie I1 anzeigen. Zwischen I1 und I2 befindet sich immer dieselbe Menge Wasser im Flussbett. Öffnet man nun den Abfluss des Stausees weiter, so wird zunächst I1 ansteigen. Eine Flutwelle läuft den Fluss hinunter. Die Wassermenge im Fluss steigt an, aber erst wenn die Flutwelle die Messstation 2 erreicht hat, steigt dort auch I2 an.

Wir wollen diese Erkenntnis nun mathematisch fassen. Wir betrachten dazu den Massenstrom durch einen infinitesimalen Würfel (. Abb. 16.5). Zunächst reduzieren wir das Problem auf eine Dimension, der Strom fließe ausschließlich in x-Richtung. Der Massenstrom J1 dringt links in den Würfel ein und tritt rechts als J2 wieder aus. Da der Würfel nur infinitesimal klein sein soll, kann sich J2 nur geringfügig von J1 unterscheiden. Wir können daher den Massenstrom nach Taylor entwickeln: J1 D J.x0 / J2 D J.x0 / C

@J.x; t/ dx : @x

(16.6)

Ist J1 nicht gleich J2 , so bedeutet dies, dass sich die Masse des Fluids, die sich in unserem Würfel befindet, verändert. Da das Volumen des Würfels konstant sein soll, muss sich die Dichte des Fluids ändern. @J.x; t/ @ .x; t/ dx D  dV @x @t @ .x; t/ dxdydz D @t @ @ . .x; t/v.x; t/dA/dx D . .x; t/v.x; t/dxdydz/ @x @x @ .x; t/ dxdydz D @t @ .x; t/ @ : (16.7) )  . .x; t/v.x; t// D @x @t J2  J1 D

. Abb. 16.5 Zur Ableitung der Kontinuitätsgleichung

406

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

Die Größe j D v nennt man die „Massenstromdichte“. Sie gibt an, wie viel Masse eine Strömung pro Zeiteinheit und pro Flächeneinheit bewegt. Wir müssen nun noch berücksichtigen, dass die Strömung sich in alle drei Raumrichtungen ausbreiten kann, d. h. neben den Massenströmen J1 und J2 durch die linke und rechte Fläche kann es noch Massenströme durch die vordere/hintere sowie obere/untere Flächen geben und selbstverständlich auch quer dazu. Diese müssen wir addieren: 

@      @      rE; t vE rE; t  rE; t vE rE; t @x @y   @ rE; t @      rE; t vE rE; t D  @z @t  @ rE; t @ E  @ E  @ E   j rE; t  j rE; t  j rE; t D (16.8) @x @y @z @t

Das Ergebnis nennt man die „Kontinuitätsgleichung“. Man kann sie mathematisch noch etwas eleganter formulieren, indem man den Divergenz-Operator benutzt. Dann lautet sie: >Kontinuitätsgleichung     @ rE; t E div j rE; t D @t

mit

      jE rE; t D rE; t vE rE; t

Für inkompressible Flüssigkeiten ( D konst.) reduziert sie sich auf   div vE rE; t D 0 :

16

(16.9)

Kontinuitätsgleichungen treten in der Physik immer dann auf, wenn eine bestimmte Eigenschaft nicht verloren gehen kann. Hier sind es die Moleküle des Fluids. Ein weiteres Beispiel werden Sie in der Elektrizitätslehre kennenlernen, wo es eine Kontinuitätsgleichung für die elektrische Ladung gibt. Ferner kann man Kontinuitätsgleichungen für die Energie aufstellen. Allgemein gibt die Divergenz der Stromdichte an, wie viel dieser Eigenschaft aus dem infinitesimalen Volumen heraus- oder in das Volumen hineinfließt. Dies zeigt sich dann in einer Veränderung der Dichte im Volumen.

407 16.2  Die Kontinuitätsgleichung

Beispiel 16.3: Stromschnellen

Verengt sich der Querschnitt, so muss die Strömungsgeschwindigkeit zunehmen. Hier sieht man dieses eindrucksvoll an einem Wildwasser. Felsen versperren den Flusslauf teilweise. Als Folge steigt die Strömungsgeschwindigkeit zwischen den Felsen stark an und bringt den Kanuten in Bedrängnis.

Beispiel 16.4: Knotenregel

Ist der Volumenstrom zu einem Volumenelement auf bestimmte Wege begrenzt, so lässt sich aus der Kontinuitätsgleichung eine Knotenregel ableiten. Dies ist dann der Fall, wenn das Fluid durch Rohre auf solche Wege eingeschränkt wird. In der Skizze ist ein Beispiel dargestellt. Fünf Rohre unterschiedlicher Stärke führen zu einem gemeinsamen Punkt, den man einen Knotenpunkt nennt. Durch die unteren beiden Rohre fließen die Volumenströme I1 und I5 in den Knotenpunkt hinein, durch die anderen drei Rohre fließt das Fluid wieder ab. Nehmen wir das Fluid als inkompressibel an, so muss I1 C I5 D I2 C I3 C I4 gelten. Definieren wir zufließende Volumenströme als positiv und abfließende als negativ, so muss gelten: X Ii D 0: i

Dies nennt man eine Knotenregel. In der Elektrizitätslehre werden wir auf eine entsprechende Knotenregel für elektrische Ströme stoßen, die dort eine wichtige Rolle in der Elektronik spielt.

16

408

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

Strömung idealer Fluide

16.3 16.3.1

Die Bernoulli-Gleichung

Wir hatten ideale Fluide als inkompressible Fluide definiert, in denen keine Reibung auftritt und für die der Einfluss der Schwerkraft vernachlässigbar ist. Mit deren Strömungsverhalten wollen wir uns zunächst beschäftigen. Wir betrachten den Fluss durch ein Rohr, dessen Querschnitt sich von A1 auf A2 verjüngt (. Abb. 16.6). Aus der Kontinuitätsgleichung wissen wir, dass sich an der Verjüngung die Fließgeschwindigkeit erhöhen muss, denn es gilt A1 v1 D A2 v2 :

(16.10)

Da die Geschwindigkeit im dünnen Rohr höher ist, muss das Fluid an der Grenzschicht beschleunigt werden. Da keine äußeren Kräfte auftreten, kann nur eine Druckdifferenz an der Verjüngung für die Beschleunigung verantwortlich sein. Auf die Grenzschicht, die in . Abb. 16.6 mit der Dicke dx markiert ist, wirkt die Kraft F D p1 A2  p2 A2 D .p1  p2 /A2 dv v2  v1 Dm Dm ; dt dt mit m D A2 dx. Damit ergibt sich dx .v2  v1 / dt dx .p1  p2 / D .v2  v1 / ; dt

(16.11)

.p1  p2 /A2 D A2

dabei ist ist

16

dx dt

(16.12)

die mittlere Geschwindigkeit in der Grenzschicht. Es

dx v2 C v1 D dt 2  v2 C v1 1  .v2  v1 / D v22  v12 ) .p1  p2 / D 2 2 1 1 (16.13) p1 C v12 D p2 C v22 2 2

. Abb. 16.6 Zur Strömung eines idealen Fluids

409 16.3  Strömung idealer Fluide

oder 1 p C v 2 D konst. 2

(16.14)

Man nennt dies die „Bernoulli-Gleichung“ nach dem Physiker Daniel Bernoulli. Sie stellt einen Zusammenhang zwischen der Fließgeschwindigkeit und dem Druck im Rohr her. Wir haben die Bernoulli-Gleichung dynamisch, d. h. aus den Newton’schen Axiomen abgeleitet. Man kann sie auch aus dem Energieerhaltungssatz bekommen. An der Grenzfläche wird Volumenarbeit in kinetische Energie umgesetzt. Also gilt: 1 pV C mv 2 D Etot D konst: 2 1 pV C V v 2 D Etot D konst: 2 1 p C v 2 D konst: 2

(16.15)

Die Bernoulli-Gleichung ist aus einer Energiebilanz entstanden, die wir in eine Druckbilanz umgerechnet haben. Die Größen der linken Seite tragen die Einheit des Drucks, daher muss die Konstante auf der rechten Seite dieselbe Einheit tragen. Wir nennen sie folglich den totalen Druck ptot . Links stehen die Größe p, die unabhängig von der Geschwindigkeit auftritt, und der Term 1 v 2 , der mit der Fließgeschwindigkeit des Fluids stark ansteigt. 2 Den ersten Term nennt man den „statischen Druck“, den zweiten den „dynamischen Druck“ oder den „Staudruck“. Damit lautet die Bernoulli-Gleichung >Bernoulli-Gleichung 1 pstat C v 2 D ptot D konst. 2

. Abb. 16.7 zeigt eine einfache Anordnung zur Bestimmung des statischen Anteils des Drucks. Gemessen werden soll der statische Druck in einem Rohr, in dem das Fluid mit einer Geschwindigkeit vE fließt. An das Rohr ist ein vertikales Steigrohr (oben offen) angebracht, das über die Öffnung A mit der Strömung verbunden ist. Die Höhe der Wassersäule im Steigrohr zeigt den statischen Druck im Fluid an. An der Grenzfläche A stellt sich ein Gleichgewicht zwischen dem Druck im strömenden Fluid und dem Schweredruck in der Säule ein. Da das Fluid parallel zur Grenzfläche fließt, ist der dynamische Druck hier unwirksam, denn die Geschwindigkeit v im Term des dynamischen Drucks bezeichnet eine Geschwindigkeit senkrecht zur Fläche. Die Höhe der vertikalen Säule ist ausschließlich durch den statischen Druck bestimmt.

16

410

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

. Abb. 16.7 Die Wassersäule im senkrechten Rohr zeigt den statischen Druck an

In der Säule steigt das Fluid so weit an, bis an deren Oberfläche der Schweredruck zu null geworden ist und sich die Oberfläche im Gleichgewicht mit dem Umgebungsdruck befindet. Der Einfluss des dynamischen Drucks auf die Steighöhe führt zum hydrodynamischen Paradoxon, das wir in 7 Experiment 16.2 demonstrieren. Experiment 16.2: Hydrodynamisches Paradoxon

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

16

Wie wir gesehen haben, ist der Druck in vertikalen Steigrohren von der Fließgeschwindigkeit im darunter befindlichen Rohr abhängig. Dies ist die Grundlage des hydrodynamischen Paradoxons. Unser Rohr hat in der Mitte eine bauchige Verbreiterung. Wir pumpen Wasser durch das Rohr, welches in der Verbreiterung langsamer fließt, als im übrigen Rohr. Wegen pstat C 12 v 2 D ptot oder pstat D ptot  12 v 2 ist dort der statische Druck höher, was zu einem höheren Druck im Steigrohr führt. Die Steigrohre sind hier so kurz ausgeführt, dass die Wassersäule über das Ende des Steigrohrs ansteigt und Wasser aus den Steigrohren spritzt. Wie in der Abbildung deutlich zu erkennen ist, ist diese Fontäne an der bauchigen Erweiterung höher als am benachbarten Rohr, im Gegensatz zur naiven Erwartung, dass eine höhere Fließgeschwindigkeit durch höheren Druck bewirkt wird und eine höhere Fontäne erzeugen würde () Paradoxon). Die folgenden beiden Fotos zeigen eine weitere Demonstration des hydrodynamischen Paradoxons. Aus einem Behälter fließt Wasser durch ein horizontales Rohr. Im ersten Foto hat das Rohr einen gleichbleibenden Durchmesser. Die vier Steigrohre zeigen den Druckverlust aufgrund der Reibung in der Flüssigkeit an, die wir bisher vernachlässigt haben. Im zweiten Foto sehen wir ein Rohr mit drei aufgesetzten Steigrohren und einer Verengung des horizontalen Rohrs direkt unter dem mittleren Steigrohr. Es ist zu erkennen, dass dort die Steighöhe des Wassers gegenüber dem Rohr mit konstantem Durchmesser deutlich zurückbleibt.

411 16.3  Strömung idealer Fluide

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Wir hatten ja zunächst den Einfluss der Schwerkraft auf die Fluide vernachlässigt, was man beispielsweise an unserem Ansatz über die Energieerhaltung in Gl. 16.15 sieht, wo in der Energiebilanz kein Term der Lageenergie im Schwerefeld der Erde auftaucht. Wir wollen die Betrachtung nun erweitern und den Einfluss der Schwerkraft mitnehmen. Wir erweitern den Ansatz um die Lageenergie 1 pV C V v 2 C Vgh D Etot 2 1 p C v 2 C gh D ptot 2 pstat C pdyn C pSchwere D ptot

(16.16)

und erhalten eine Bernoulli-Gleichung, die nun zusätzlich den Schweredruck enthält. Die Höhe h ist dabei eine relative Höhe innerhalb des Fluids, da der Nullpunkt der Lageenergie frei wählbar ist.

16

412

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

. Abb. 16.8 Druckverhältnisse in einem Becher mit Schweredruck

Wir betrachten ein Beispiel (. Abb. 16.8). Ein Flüssigkeitsbehälter hat in einer Höhe hB über dem Boden einen Ausfluss. Wir wollen die Geschwindigkeit vB bestimmen, mit der die Flüssigkeit ausströmt. Das oben offene Gefäß sei bis zur Höhe hA gefüllt. Der Schweredruck an der Oberfläche der Flüssigkeit ist durch den Luftdruck der Umgebung patm gegeben. Aus der Bernoulli-Gleichung lassen sich die verschiedenen Komponenten des Drucks bestimmen und hieraus die Austrittsgeschwindigkeit. Wir setzen den Druck an den Punkten A und B gleich: 1 1 patm C va2 C gha D patm C vb2 C ghb 2 2 1 2 gha D vb C ghb ; 2

(16.17)

wobei wir im zweiten Schritt bereits berücksichtigt haben, dass die Fließgeschwindigkeit an der Oberfläche verschwindet. Hieraus folgt: 1 2 v D g.ha  hb / 2 b 1 2 v D gh 2 b p vb D 2gh :

(16.18)

Experiment 16.3: Eimer mit Loch

Wir haben die Situation aus . Abb. 16.8 nachgestellt. Das Gefäß verfügt über drei Öffnungen in unterschiedlichen Höhen, sodass man die Abhängigkeit der Austrittsgeschwindigkeit nachvollziehen kann. Die Austrittsgeschwindigkeit kann man aus der Entfernung vom Gefäß bestimmen, in der der Wasserstrahl den Boden trifft. Stellen wir das Gefäß auf eine ebene Fläche (nicht an die Tischkante, wie im Bild), so ergibt sich p aus der Wurfbewegung des freien Falls eine Weite von s D vb 2hb =g. Setzen wir unser Ergebnis für vb aus Gl. 16.18 ein, so erhalten wir s p p 2hb D 2 .ha  hb /hb s D 2g.ha  hb / g

16 © RWTH Aachen, Sammlung Physik

Hier zeigt sich eine nette Optimierungsaufgabe: In welcher Höhe hb muss man den Ausfluss anbringen, um eine maximale Reichweite des Wasserstrahls zu erreichen? Wir bestimmen das Maximum von s: 1 1 1 @s D2 p .ha  2hb / D 0 ) hb D ha @hb 2 .ha  hb /hb 2 Man kann dies aus der Abbildung erahnen.

413 16.3  Strömung idealer Fluide

16.3.2

Drucksonden

In 7 Abschn. 15.1 haben wir eine Reihe von Manometern und Barometern kennengelernt. Wir haben sie dort benutzt, um im statischen Fall den Druck zu messen. Ob man nun im Falle strömender Fluide den statischen, den dynamischen Druck oder deren Summe misst, hängt von der Orientierung der Messfläche zur Strömung ab. In . Abb. 16.9 sind die beiden wesentlichen Orientierungen gezeigt. Im oberen Fall ist die Strömung parallel zur Fläche. In diesem Fall wirkt auf die Fläche A nur der statische Druck. Der dynamische Druck ist unwirksam. Nicht so im unteren Fall (Pitotrohr). Hier ist die Fläche senkrecht zur Strömung ausgerichtet. Sie zeigt den totalen Druck an. Man kann dies so verstehen: Unmittelbar vor der Fläche ist die Strömungsgeschwindigkeit null, sodass dort ptot D pstat ist. Da aber ein Gleichgewicht mit der umgebenden Strömung besteht, muss der Gesamtdruck vor der Fläche dem Gesamtdruck in der Strömung entsprechen. Allerdings darf das Manometer nicht zu groß sein, da es sonst die Strömung stört und verändert (in . Abb. 16.9 wäre dies wohl der Fall). Man kann das Verhalten der Manometer auch auf mikroskopischer Basis verstehen (. Abb. 16.10). Die Kraftwirkung auf die Fläche A entsteht durch Moleküle, die auf die Fläche auftreffen und von dieser abprallen. Dabei übt jedes Molekül einen Kraftstoß auf die Fläche aus. Der Druck (Kraft pro Fläche) ist der zeitliche Mittelwert über die Kraftstöße aller Moleküle. Ist die Fläche parallel zur Strömungsgeschwindigkeit orientiert, so sind nur die Geschwindigkeiten senkrecht zur Strömungsrichtung relevant. Diese sind statistisch verteilt und repräsentieren den statischen Druck. Bewegt sich das Fluid aber auf die Fläche zu (Strömungsgeschwindigkeit senkrecht zur Fläche), so sind die Impulse der Moleküle relativ zur Fläche größer, beim Abprallen ist der Kraftstoß größer und folglich der Druck. Nun spürt die Fläche den gesamten Druck, einschließlich des dynamischen, durch die Bewegung des Fluids erzeugten Drucks.

. Abb. 16.9 Die Orientierung der Messfläche bestimmt welcher Druck gemessen wird

16

414

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

. Abb. 16.10 Mikroskopische Erklärung des Drucks

Mit den Anordnungen aus . Abb. 16.9 lassen sich also der statische Druck und der Gesamtdruck messen. Der dynamische Druck lässt sich nicht direkt bestimmen. Er muss über eine Differenzmessung ermittelt werden: pdyn D ptot  pstat . Man kann diese Differenz mit dem Prandtl’schen Staurohr direkt ausführen. Der prinzipielle Aufbau ist in . Abb. 16.11 skizziert. Das Staurohr hat zwei Öffnungen. Eine ist in der Mitte gegen die Strömung orientiert (grau). Sie misst den totalen Druck ptot . Seitlich sind weitere Öffnungen angebracht, die mit dem Außenraum (hellblau) des Staurohrs verbunden sind. Diese Öffnungen sind parallel zur Strömung orientiert, sodass hier nur der statische Druck pstat wirkt. Die zentrale Öffnung ist über eine Röhre mit dem luftdicht schließenden Gehäuse des Anzeigeinstruments verbunden. In unserem Beispiel wird die Druckdifferenz über ein Dosenmanometer bestimmt. Die Ausdehnung der Druckdose, welche zur Auslenkung des Zeigers führt, wird durch die Differenz aus Gesamtdruck und statischem Druck bewirkt. In . Abb. 16.12 sind die verschiedenen Sonden noch einmal im Vergleich dargestellt.

16

. Abb. 16.11 Prinzip des Prandtl’schen Staurohrs

415 16.3  Strömung idealer Fluide

16

. Abb. 16.12 Unterschiedliche Drucksonden, a einfaches Pitotrohr, b statische Sonde, c Prandtl’sches Staurohr

Experiment 16.4: Prandtl’sches Staurohr

Im Experiment ist ein Prandtl’sches Staurohr in einem Windkanal zu sehen. Die Differenzmessung von ptot und pstat erfolgt hier durch ein U-Rohr-Manometer. Man kann unterschiedliche Gegenstände in den Windkanal einbringen und dann das Geschwindigkeitsprofil vermessen.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Beispiel 16.5: Geschwindigkeitsmessung an Flugzeugen

Die Geschwindigkeit von Flugzeugen wird mit einem Prandtl’schen Staurohr gemessen. Der Differenzdruck ist von der Geschwindigkeit der anströmenden Luft abhängig und somit ein Maß für die Geschwindigkeit. Die erste Abbildung zeigt zwei Staurohre am Rumpf einer Antonov An-225. Die © Wikimedia: K¯arlis Dambr¯ans

416

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

zweite Abbildung zeigt ein Staurohr einer F15. Deutlich sind die Öffnung vorne für die Übertragung des totalen Drucks sowie fünf Bohrungen als seitlichen Öffnungen für den statischen Druck zu erkennen. Mit dem Prandtl’schen Staurohr misst man die Geschwindigkeit relativ zur umgebenden Luftströmung. Ergänzt wird dies heute durch eine Messung der absoluten Geschwindigkeit mit dem GPS. © Wikimedia: Muraer

Experiment 16.5: Wasserstrahlpumpe

Wasser wird mit einem Überdruck p durch eine Düse gedrückt, hinter der es sich auf Atmosphärendruck entspannt. In der Düse erreicht das Wasser hohe Geschwindigkeiten .vA /. In der umgebenden (ruhenden) Luft stellt sich derselbe Druck .pA / ein. Dieser ist 1 pA D patm C p  vA2 2 Ist der Wasserdruck p hoch genug, erreicht die Geschwindigkeit Werte, die so groß sind, dass pA kleiner als der Atmosphärendruck wird. Ein Unterdruck entsteht. Die Pumpe saugt Luft an.

16

© Foto: Hendrik Brixius

Beispiel 16.6: Vergaser

In einem Ottomotor muss das Benzin vor der Verbrennung zerstäubt und mit Luft vermischt werden. Dies geschieht im Vergaser. Während des Ansaugtaktes saugt der Zylinder Luft durch den Vergaser. Ähnlich wie bei der Wasserstrahlpumpe wird der statische Unterdruck ausgenutzt, der entsteht, wenn der Luft-

417 16.3  Strömung idealer Fluide

strom durch eine Verengung im Vergaser (Venturirohr) strömt. In der Verengung endet das Ansaugrohr. Durch den Unterdruck saugt es Benzin durch die Kraftstoffdüse und zerstäubt es. Die Drosselklappe regelt die Spritzufuhr. Sie ist mit dem Gaspedal verbunden.

Nach demselben Prinzip funktionieren auch einfache Zerstäuber, wie der Zerstäuber an einer Parfumflasche. Durch Betätigen des Sprühknopfes drückt man einen Luftstrom durch ein Venturirohr. Dadurch wird Parfum angesaugt, zerstäubt und mit dem Luftstrom ausgestoßen. Das Foto zeigt ein Venturirohr, das mit einem Wasserstrahl rot gefärbtes Wasser ansaugt.

Beispiel 16.7: Bunsenbrenner

Strömt das Gas aus der Düse aus, erzeugt es einen dynamischen Unterdruck. Dadurch saugt der Bunsenbrenner Luft an und vermischt diese mit dem Gas. Über die Regelung der Luftzufuhr regelt man die Stärke der Flamme.

Beispiel 16.8: Verdeck eines Cabrios

Fährt ein Cabrio (geschlossenes Verdeck) mit hoher Geschwindigkeit, so entsteht über dem Verdeck durch den Fahrwind ein Unterdruck. Dadurch wölbt sich das Verdeck entgegen der Intuition nach außen. Die Kraft auf das Verdeck ist nicht unerheblich. Sie kann ein schlecht befestigtes Verdeck abreißen.

16

418

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

Bei einer Geschwindigkeit von v D 120 km=h ist die Druckdifferenz zwischen Innenraum (pI ) und Außen (pA ) 1 1 N pA C v 2 D pI ) pI  pA D v 2  1400 2 2 2 m wobei wir für den Zahlenwert die Dichte von Luft mit ungefähr D 1;3 kg=m3 angesetzt haben. Bei einem Verdeck mit einer Fläche von rund 2 m2 entspricht dies einer Kraft von 2800 N oder einer Last von 280 kg, der das Verdeck standhalten muss.

Beispiel 16.9: Sturm deckt Dächer ab

Ein Sturm mit hohen Windgeschwindigkeiten kann Dächer abdecken. Dabei drückt er keineswegs die Dächer ein, wie man vielleicht naiv erwarten würde. Nein, er deckt sie ab. Die Ziegel werden vom Sturm nach außen weggerissen, was man mit der Bernoulli-Gleichung leicht erklären kann. Im Inneren des Hauses herrscht Windstille und damit Atmosphärendruck. Außen hat man Windgeschwindigkeiten, die noch dadurch erhöht werden, dass das Haus ein Hindernis für den Wind darstellt. Es herrscht der statische Druck pstat D p0  1=2 v 2 . Die Druckdifferenz erzeugt eine Kraft auf die Ziegel, die nach außen zeigt und die Ziegel vom Dach abheben kann.

16

419 16.3  Strömung idealer Fluide

Beispiel 16.10: Windrad

Heute wird in zunehmendem Maße elektrische Energie aus Windenergie gewonnen. Hierzu werden Windräder mit meist drei Rotorblättern benutzt. Wir wollen zunächst einmal bestimmen, wie viel Windleistung überhaupt zur Verfügung steht. Die kinetische Energie der Luft in einem Volumen dV beträgt EWind D

1 2 Luft vWind dV 2

Pro Zeiteinheit t trifft das Volumen V D vWind At auf die Rotorfläche A auf. Mit der Rotorfläche ist dabei die Kreisscheibe gemeint, die die Rotoren überstreichen. Dann ist die zur Verfügung stehende Leistung PWind D

1 3 Luft vWind A 2

Sie ändert sich mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit. Diese starke Abhängigkeit von der Windgeschwindigkeit erzeugt ein großes logistisches Problem. An vielen Tagen ist die Windgeschwindigkeit so gering, dass der Betrieb der Anlage nicht lohnt und sie abgeschaltet wird (typisch bei Windgeschwindigkeiten unter 4 m=s). An den Tagen mit mittleren bis hohen Windgeschwindigkeiten erzeugt die Anlage elektrische Energie, die dann gespeichert werden muss. Bei Windgeschwindigkeiten oberhalb von etwa 25 m=s muss die Anlage aus dem Wind gedreht werden, da sonst die Gefahr besteht, dass die Rotoren beschädigt werden. Wir wollen nun versuchen, die Leistung zu bestimmen, die auf den Rotor übertragen werden kann. Diese kann dann mit einem Generator mit hohem Wirkungsquerschnitt in elektrische Leistung übersetzt werden. Wir bestimmen sie als PRotor D F v; wobei die Kraft F auf den Rotor durch die Bernoulli-Gleichung gegeben ist F D

  1 Luft v12  v22 2

Dabei ist v1 die Windgeschwindigkeit, mit der die Luft anströmt, und v2 die Windgeschwindigkeit hinter dem Rotor. Um PRotor zu bestimmen, benötigen wir die tatsächliche Menge an Luft, die den Rotor umströmt. Diese ist nicht durch vWind gegeben. Vor dem Rotor entsteht ein Staudruck, der die Geschwindigkeit der Luft reduziert. Wir schätzen v durch den Mittelwert der Luft vor

16

420

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

und hinter dem Rotor ab1 . Dann ist   .v1 C v2 / 1 Luft v12  v22 2 2 2  v1  v22 .v1 C v2 / PW D f PW D 2v13   2 v  v22 .v1 C v2 / mit f D 1 2v13 PRotor D

Wie die Windleistung ist auch die auf den Rotor übertragene Leistung proportional zur dritten Potenz der Windgeschwindigkeit. Der Faktor f gibt den Wirkungsgrad der Umwandlung an. Eine genauere Betrachtung zeigt, dass er für v2 D 13 v1 ein Maximum hat, Darauf werden die Rotoren optimiert. Entgegen der Intuition erzeugt ein vollständiges Abbremsen der Luft auf v2 D 0 nicht die höchste Rotorleistung. Der maximale Wirkungsgrad beträgt 0,59. Reale Windräder haben typische Wirkungsgrade von 0,4.

© Wikimedia: Dirk Ingo Franke

Experiment 16.6: Schwebende Kugel im Luftstrom

Die meisten Leser dürften diesen Effekt schon einmal gesehen haben. Er wird in vielen Technikmuseen oder Wissenschaftsshows gezeigt: Ein Ball (oder auch mehrere) tanzt im Luftstrom eines Gebläses. Dass der Ball schwebt, ist noch recht einfach einzusehen. Die von unten anströmende Luft drückt den Ball nach oben und kompensiert damit seine Gewichtskraft. Aber warum ist seine Lage stabil? Mehrere Bälle tanzen wild im Luftstrom. Warum werden sie nicht zur Seite gestoßen, wenn sie mal zufällig etwas aus der Mitte geraten? Und warum schwebt der Ball auch dann noch, wenn man das Gebläse wie im zweiten Bild zur Seite kippt? Grund dafür ist der dynamische Druck, wie wir ihn von der Bernoulli-Gleichung kennen. Die Lage in der Mitte des Luftstroms ist stabil. Das Gebläse erzeugt einen Luftstrom, dessen Geschwindigkeit in der Mitte am höchsten ist und zum Rand hin abnimmt. Gerät der Ball aufgrund einer kleinen Störung etwas aus der Mitte heraus, so ist die Geschwindigkeit der Luft auf der Innenseite höher als auf der Außenseite. Dadurch entsteht eine Druckdifferenz, die den Ball wieder zur Mitte drückt. Das

16 © Foto: Hendrik Brixius

1

Durch das Abbremsen der Luft scheint die Kontinuitätsgleichung verletzt zu sein. Doch dies ist nicht der Fall. Durch den Rotor wird ein Teil des Luftstroms seitlich verdrängt. Die Querschnittsfläche, die die Luft durchströmt, vergrößert sich, sodass vA konstant bleibt.

421 16.3  Strömung idealer Fluide

funktioniert selbst dann noch, wenn man das Gebläse kippt. Aufgrund seiner Schwerkraft rutscht der Ball etwas aus der Mitte nach unten, aber die Druckdifferenz, die nun durch den dynamischen Druck entstanden ist, hält ihn da, solange die Störungen nicht zu groß werden. © Foto: Hendrik Brixius

Experiment 16.7: Aerodynamisches Paradoxon

Das Aerodynamische Paradoxon ist ein Effekt, der bei kräftigen Luftströmungen auftritt, die zwischen zwei Flächen eingeschlossen sind. Der dynamische Druck verringert den statischen Druck zwischen den Flächen, sodass diese zusammengedrückt werden. Es gibt das Paradoxon in vielen Varianten. Die Abbildung zeigt eine Variante, die Sie leicht selbst durchführen können. Sie benötigen lediglich zwei Blätter Papier. Halten Sie sie in einem fingerbreiten Abstand vor den Mund und pusten Sie kräftig zwischen die Blätter. Naiv mag man erwarten, dass die Blätter auseinander gedrückt werden, doch sie werden zusammengedrückt.

16.3.3

Die Bewegungsgleichung

Zum Schluss dieses Abschnitts wollen wir den Gedankengang von Gl. 15.9 noch einmal aufnehmen. Dort hatten wir die Druckkraft auf ein infinitesimal kleines Volumenelement im Fluid bestimmt zu FEp D  grad p dV . Damit wollen wir nun die Bewegungsgleichung für ein Volumenelement aufstellen. Wir gehen von der Newton’schen Bewegungsgleichung aus und wenden diese auf ein Volumenelement an. Allerdings interessiert uns nun weniger die Bewegung eines einzelnen Volumenelementes, als   vielmehr die Veränderung des Strömungsfeldes vE rE; t unter dem Einfluss der Kräfte. Für das Volumenelement der Masse d m muss gelten d vE FE D d m : dt

(16.19)

Als Kräfte wollen wir die in Gl. 15.9 berechnete Druckkraft FEp , sowie eventuell weitere externe Kräfte auf das Fluid FEext berücksichtigen. Eine solche externe Kraft könnte beispielsweise die Gewichtskraft FEG D d mgE sein. Gleichung 16.19 fordert eine to-

16

422

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

tale Ableitung. Es ist d @ @ @x @ @y vE.x.t/; y.t/; z.t/; t/ D vE C vE  C vE  dt @t @x @t @y @t @ @z C vE  @z @t @ D vE C vE  grad vE @t @ vE2 D vE C grad  vE  rot vE : @t 2 (16.20) Die Relation zum letzten Umwandlungsschritt lernt man in der Vektoranalysis. Man kann sich durch Ausschreiben der Komponenten von der Richtigkeit überzeugen. Der Term @t@ vE beschreibt Beschleunigungen, die daher rühren, dass sich die Geschwindigkeit an einem festen Ort mit der Zeit verändern kann. Der (oder die beiden) restliche Term berücksichtigen, dass selbst in einem statischen Geschwindigkeitsfeld Beschleunigungen auftreten, wenn sich ein Volumenelement des Fluids von einem Ort zu einem anderen Ort mit einer anderen Geschwindigkeit bewegt. Auch diese Änderung der Geschwindigkeit stellt eine Beschleunigung dar. Ersetzen wir nun noch die Masse in Gl. 16.20 durch die Dichte (d m D dV ), so erhalten wir     @ dV vE C vE  grad vE D  grad p dV C gdV E (16.21) @t oder 

16

   @ vE C vE  grad vE D  grad p C gE : @t

(16.22)

In Komponenten ausgeschrieben sinddies drei partielle Differenzialgleichungen, die über den Term vE  grad vE miteinander gekoppelt sind. Mit ihnen kann man das Geschwindigkeitsprofil einer Strömung berechnen. Man nennt sie die „Euler-Gleichungen“. Wir werden sie am Ende des folgenden Kapitels noch einmal aufgreifen, um sie um einen Reibungsterm zu erweitern. 16.4

Innere Reibung

. Abb. 16.13 zeigt die Reaktion von Körpern auf eine Scherkraft. Die erste Abbildung zeigt einen Festkörper. Die Scherkraft greift an einer Platte an, die an der Oberfläche befestigt ist, und zieht diese nach rechts. Es kommt zu einer elastischen Reaktion, die wir in 7 Abschn. 14.4 kennengelernt haben. Die Schubspannung

423 16.4  Innere Reibung

. Abb. 16.13 Scherung eines Festkörpers und versuchte Scherung eines Fluids

erzeugt eine rücktreibende Kraft Fk D A. Im zweiten Bild ist der gleiche Aufbau an einem Fluid (hier eine Flüssigkeit) dargestellt. Die Platte schwimmt auf dem Fluid. Es greift die Kraft Fk an. Doch bei einem Fluid gibt es keine elastische Reaktion (Fk ). Beim Fluid verschieben sich die Moleküle, bis wieder ein kräftefreier Zustand entstanden ist. Die Platte bewegt sich, solange die Kraft wirkt. Allerdings gilt dies nur im statischen Fall. Zieht man eine Platte mit einer konstanten Kraft Fk über die Oberfläche einer Flüssigkeit (. Abb. 16.14), so tritt durchaus eine Kraftwirkung auf. Eine Reibungskraft wirkt zwischen der Flüssigkeit und der Platte. Sie ist proportional zur Geschwindigkeit, mit der sich die Platte bewegt. Die Platte wird folglich beschleunigt, bis sich die angreifende Kraft und die Reibungskraft die Waage halten und sich eine konstante Geschwindigkeit einstellt. Um die Reibung weiter zu untersuchen, unterteilen wir die Flüssigkeit in dünne horizontale Schichten (. Abb. 16.15). Die z-Achse in der Abbildung gibt die Höhe in der Flüssigkeit an,

. Abb. 16.14 Ein Fluid zeigt Reibung

. Abb. 16.15 Schichtenweiser Aufbau der Reibung

16

424

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

. Tab. 16.1 Viskosität einiger Stoffe Viskosität  in mPa s Glas

 1019

Pech

 1011

Honig

3000

Öl

100 : : : 1000

Alkohol

1;2

Wasser

1;0

Ethyläther

0;2

Luft

0;018

Methan

0;011

Wasserstoff

0;009

mit dem Nullpunkt am Boden des Gefäßes. Eine Platte schwimmt auf dem Fluid und wird wieder durch eine horizontale Kraft gezogen. Das Gefäß sei groß genug, sodass sich eine konstante Geschwindigkeit einstellen kann. Man kann davon ausgehen, dass die Randschichten der Flüssigkeit am Gefäß bzw. an der Platte haften. Adhäsionskräfte halten sie fest. Die oberste Schicht bewegt sich folglich mit der Geschwindigkeit v0 der Platte, die unterste Schicht ruht (v D 0). Zwischen zwei benachbarten Schichten entsteht eine Reibungskraft, die proportional zur Fläche ist, auf der sich die Schichten berühren. Ferner hängt die Reibungskraft vom Geschwindigkeitsunterschied zwischen den Schichten ab. Je größer dieser ist, desto größer ist die Reibungskraft. Wir können folglich schreiben: FR dv D : A dz

16

(16.23)

Man nennt die Proportionalitätskonstante , die wir in die Gleichung eingefügt haben, die (dynamische) Viskosität oder Zähigkeit. Die Einheit der Viskosität ist Œ D 1

kg Ns D 1 2 D 1 Pa s : ms m

(16.24)

Früher verwendete man die Einheit 1 Poise D 0;1 Pa s. Die Größe = heißt „kinematische Viskosität“. Den Kehrwert 1= nennt man die „Fluidität“. In . Tab. 16.1 sind beispielhaft die Viskositäten einiger Stoffe aufgeführt. Man mag sich wundern, warum Glas in dieser Tabelle auftaucht. Die molekulare Struktur gleicht der einer Flüssigkeit. Die

425 16.4  Innere Reibung

Moleküle sind nicht in einem regelmäßigen Gitter angeordnet. Es ist ein amorpher Festkörper. Tatsächlich kann ein amorpher Festkörper fließen. Die Viskosität von Glas ist allerdings derart hoch, dass das Fließen auf menschlichen Zeitskalen nicht beobachtet werden kann. Hier und da liest man, dass man an mittelalterlichen Kirchenfenstern das Fließen erkennen kann, sie sind oft unten dicker als oben. Doch dies ist wohl eher eine Folge des Herstellungsprozesses. Die Viskosität ist eine Materialeigenschaft, die man experimentell bestimmen muss. Eine Möglichkeit bietet das Rotationsviskosimeter (. Abb. 16.16). Es dient der Bestimmung der Viskosität von Flüssigkeiten. Die Messflüssigkeit befindet sich in einem engen Spalt zwischen zwei koaxialen Zylindern. Einer der beiden Zylinder wird durch einen Motor angetrieben (Searle-System mit rotierendem Innenzylinder, Couette-System mit rotierendem Außenzylinder), der jeweils andere ist feststehend. In dem engen Spalt zwischen der Wand und dem Innenzylinder treten Reibungskräfte auf, die die Bewegung des Rotationskörpers abbremsen. Diese Widerstandskraft wird als Messwert registriert (z. B. über die elektrische Leistung des Motors). Es ist die Größe FR in unserer Formel. Ferner müssen wir die Drehgeschwindigkeit ! des Motors bestimmen. Dann ist D

 1 !r r1 C r2 FR mit r D : 2rh r2  r1 2

(16.25)

Die Viskosität ist stark temperaturabhängig. Daher ist es wichtig, bei der Messung auf stabile Temperaturverhältnisse zu achten. Wir haben die Viskosität über die Reibung zwischen Schichten im Fluid eingeführt. Für die spätere allgemeine Behandlung von Strömungen benötigen wir die Reibungskräfte, die an infinitesimal kleinen Volumenelementen im Fluid angreifen. Diese wollen wir hier schon einmal ableiten. Betrachten Sie die Skizze in . Abb. 16.17. Sie zeigt ein Volumenelement der Größe dx; dy; dz; ausgehend von der linken unteren Ecke bei .x0 ; y0 ; z0 /. Ist die Geschwindigkeit des Fluids überall gleich, so wird unser Volumenelement von der Strömung mitgenommen. Reibung tritt erst auf, wenn sich Schichten unterschiedlich bewegen, d. h. wenn im Fluid ein nicht konstantes Geschwindigkeitsprofil herrscht. Wir wollen zunächst annehmen, dass das Fluid in z-Richtung strömt und sich die Geschwindigkeit lediglich in x-Richtung verändert. Dann müssen wir die Reibung an den beiden in der Skizze dargestellten Grenzflächen betrachten, die sich mit den Geschwindigkeiten vE.x0 / und vE.x0 C dx/ bewegen. Nehmen wir an, dass die Geschwindigkeit entlang der x-Richtung ansteigt. Dann wird sich die linke Grenzschicht langsamer und die rechte schneller als unser Volumenelement bewegen. Die Reibung mit der linken Grenzschicht bremst die Bewe-

. Abb. 16.16 Viskosimeter (Searle-System)

16

426

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

. Abb. 16.17 Reibung an einem infinitesimalen Volumenelement

gung unseres Volumenelementes, die mit der rechten Seite beschleunigt es. Die Nettokraft ist .FR /z D dFR .x0 C dx/  dFR .x0 /

(16.26)

Wir benutzen Gl. 16.23 für die Reibungskräfte FR D A dv . Da dr das Volumenelement infinitesimal klein ist, können wir das Geschwindigkeitsprofil nach Taylor entwickeln. Also   @vz vE.x0 C dx/ D vz .x0 C dx/eOz D vz .x0 / C dx eOz (16.27) @x Dann ist @vz .x0 C dx/ @vz .x0 /  dydz @x @x   @vz .x0 / @vz .x0 / @2 vz .x0 / D dydz dx  dydz C 2 @x @x @x 2 2 @ vz .x0 / @ vz .x0 / dxdydz D  dV (16.28) D @x 2 @x 2 Beschränken wir das Geschwindigkeitsprofil nicht mehr nur auf die x-Richtung, erhalten wir entsprechend  2  @ vz @2 vz @2 vz C C dV D r 2 vz dV (16.29) .FR /z D  @x 2 @y 2 @z 2  @2 Im letzten Schritt haben wir den Laplace-Operator r 2 D @x 2 C  @2 @2 2 C @z 2 eingesetzt . Lassen wir nun noch eine beliebige Ge@y 2 schwindigkeitsrichtung zu, so erhalten wir entsprechend   (16.30) d FER D  r 2 vx ; r 2 vy ; r 2 vz dV D r 2 vEdV .FR /z D dydz

16

2

Oft wird der Laplace-Operator mit  bezeichnet. Wir benutzen die Bezeichnung r 2 um ihn vom Symbol  zu unterscheiden, mit dem wir häufig Differenzen ausdrücken (wie hier Fr ).

427 16.5  Laminare Strömungen

16

Beispiel 16.11: Pitch-Drop-Experiment

Dieses Experiment gehört wohl eher in die Klasse der Kuriositäten und nicht der wissenschaftlichen Experimente. Es wurde 1930 von Professor Thomas Parnell an der Universität von Queensland in Brisbane, Australien gestartet. Im Trichter befindet sich Pech. Das Pech fließt durch den Trichter, wenn auch sehr langsam. Am unteren Ende des Trichters bilden sich Tropfen, die sich schließlich ablösen und in das Gefäß unter dem Trichter fallen. Professor Parnell musste acht Jahre warten, bis der erste Tropfen fiel. Weitere folgten in 1947, 1954, 1962, 1970, 1979, 1988, 2000 und 2014. Vielleicht fragen Sie sich, wie lange Herr Parnell brauchte, um das Pech in den Trichter einzufüllen. Er benutzte einen Trick. Er erwärmte das Pech, wodurch es flüssiger wird. Die Viskosität sinkt deutlich und er konnte das Pech einfüllen. Nun musste er nur noch warten, bis das Pech wieder fest geworden war, wofür er drei Jahre veranschlagte.

Man kann die Viskosität über ein atomares Bild verstehen und teilweise berechnen. Allerdings würde dies den Rahmen dieses Bandes sprengen. Auch in einem Fluid wirken Kräfte zwischen den Molekülen. Selbst wenn diese nicht stark genug sind, um ein Molekül an seine Nachbarn zu binden, erzeugen sie eine Kraft, die der gegenseitigen Verschiebung der Moleküle entgegenwirkt. Dies ist die mikroskopische Ursache der Reibungskraft. 16.5 16.5.1

Laminare Strömungen Hagen-Poiseuille’sches Gesetz

Zu Beginn dieses Kapitels hatten wir laminare Strömungen beschrieben als gleichmäßige, wirbelfreie Strömungen, die vornehmlich bei geringen Strömungsgeschwindigkeiten auftreten. Reibung kann in laminaren Strömungen eine Rolle spielen. Äußere Kräfte verrichten Arbeit gegen die Reibungskräfte. Meist geschieht dies durch Druckdifferenzen entlang der Strömung. Neben der Überwindung der Reibung wird die verrichtete Arbeit auch in kinetische Energie des Fluids umgewandelt. In laminaren Strömungen ist diese allerdings noch vernachlässigbar klein. Auch als wir im vergangenen Kapitel Reibung im Fluid eingeführt haben, sind wir von laminaren Strömungen ausgegangen, denn nur in einer laminaren Strömung ist eine Einteilung der Strömung in Schichten sinnvoll. Turbulenzen lassen sich nicht

© University of Queensland, John Mainstone

428

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

. Abb. 16.18 Schichten gleicher Strömung in einem Rohr

in Schichten zerlegen! Wir wollen diese Überlegungen weiterführen und auf ein besonders wichtiges Beispiel anwenden: die Strömung durch ein zylindrisches Rohr. Wir unterteilen die Strömung im Rohr in einzelne, konzentrische Schichten (. Abb. 16.18). Auf der linken Seite strömt das Fluid mit einem Druck p1 ein, auf der rechten Seite mit p2 aus. Wir gehen davon aus, dass es sich um eine laminare stationäre Strömung handelt. Durch den Druckunterschied zwischen den beiden Enden des Rohres wird Arbeit am Fluid verrichtet. Diese dient der Überwindung der Reibung zwischen den Schichten. Am linken Ende des Rohres verrichtet der Druck Arbeit, am rechten Ende wird ein Teil der Arbeit wieder freigesetzt. Die Bilanz für ein festes Zeitintervall für einen Zylinder des Fluids mit Radius r und Querschnittsfläche A ergibt W D F1 s  F2 s D p1 As  p2 As D pV; (16.31) dabei ist s die Strecke, um die sich das Fluid durch das Rohr bewegt, V D A s das Volumen, das geflossen ist. Im stationären Zustand muss sich für jeden Zylinder die Kraft Fp , die vom Druck ausgeübt wird, mit der an der Grenzschicht angreifenden Reibungskraft FR die Waage halten. Wir bezeichnen mit R den Innenradius des Rohres. Die Länge des Rohres sei mit L bezeichnet. Dann sind die Kräfte auf eine Zylinderschicht:

16

Fp D pAQuerschnitt D p r 2 dv dv FR D AMantel  D 2 rL : dr dr

(16.32)

Die Formel für die Reibungskraft haben wir aus Gl. 16.23 übernommen. Beachten Sie bitte, dass wir dort die Koordinate z (hier r) so definiert hatten, dass die Geschwindigkeit mit z anstieg. Hier ist die Strömungsgeschwindigkeit im Zentrum maximal und am Rand null. Sie fällt mit der Koordinate r ab. Daher tritt hier ein zusätzliches Minuszeichen auf, sodass sich am Ende ein positiver Betrag für die Reibungskraft ergibt. Wir setzen ins Kräftegleich-

429 16.5  Laminare Strömungen

gewicht ein und integrieren: Fp D FR p r 2 D 2 rL pr D 2L

dv dr

dv dr

p dv rD 2L dr ZR ZR dv 0 p 0 0 r dr D  dr 2L dr 0 r

r

 p 1  2 R  r 2 D .v.R/  v.r// 2L 2  1 p  2 v.r/ D R  r2 : 4 L

(16.33)

Im vorletzten Schritt haben wir berücksichtigt, dass die Geschwindigkeit außen an der Wand des Rohres verschwinden muss (v.R/ D 0). Wir erhalten ein Geschwindigkeitsprofil, das zum Zentrum des Rohres hin quadratisch ansteigt. Wir wollen verstehen, wie viel Fluid in einer festen Zeit durch das Rohr fließt. Dazu benutzen wir den Volumenstrom I , den wir in 7 Abschn. 16.2 eingeführt hatten. Wir hatten: I D

dV D Av : dt

(16.34)

Für eine infinitesimal dünne zylindrische Schicht im Rohr ergibt sich damit ein Volumenstrom dI der Größe dI D v.r/dA D v.r/2 rdr D

 1 p  2 R  r 2 2 rdr (16.35) 4 L

Durch Integration ergibt sich hieraus der gesamte Volumenstrom: ZR I D

 1 p  2 R  r 2 2 rdr 4 L

0

1 p D 2 4 L

ZR



 R2  r 2 rdr

0



1 p 1 2 2 1 4 R r R  r 4 L 2 4  0 1 p 1 4 1 4  p 4 D 2 R  R D R : 4 L 2 4 8 L D 2

(16.36)

16

430

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

Wir erhalten schließlich das Hagen-Poiseuille’sche Gesetz. >Hagen-Poiseuille’sches Gesetz I D

 p 4 R 8 L

Der Volumenstrom durch ein Rohr hängt sehr empfindlich vom Radius des Rohres ab. Er erhöht sich mit der vierten Potenz des Radius! Im Gegensatz dazu gehen die Druckdifferenz und die Länge des Rohres nur linear ein und zwar im direkten Verhältnis zueinander. Verlängert man ein Rohr, so muss man die Druckdifferenz über dem Rohr entsprechend erhöhen, will man denselben Volumenstrom erhalten. Erhöhen kann man den Volumenstrom, indem man den Druck auf das Rohr erhöht. Er steigt linear mit dem Druck an. Will man den Volumenstrom verdoppeln, muss man den Druck verdoppeln. Sehr viel effizienter ist da eine Vergrößerung des Rohrdurchmessers. Bereits eine Vergrößerung des Radius um rund 20 % hat den gleichen Effekt. Beispiel 16.12: Blutkreislauf

Das Hagen-Poiseuille’sche Gesetz ist von entscheidender Bedeutung für die Regelung des menschlichen Blutkreislaufes. Die Arterien, durch die das Blut vom Herz in den Körper fließt, sind von einer Muskulatur umschlossen, durch die der Körper deren Querschnitt verändern kann. Wie wir gesehen haben, reicht nach dem Hagen-Poiseuille’schen Gesetz bereits eine geringe Änderung des Arterienradius, um eine merkliche Änderung der Durchblutung zu erreichen. Im Alter kann sich durch Verkalkungen der Durchmesser der Arterien verringern. Hat er sich beispielsweise um 10 % verringert, so reduziert dies den Blutfluss um 14  0;94 D 34 %. Um die Durchblutung zu erhalten, muss der Körper den Blutdruck um 34 % steigern. Bluthochdruck entsteht.

16 © Wikimedia: Sansculotte

Experiment 16.8: Hagen-Poiseuille

Das Experiment zeigt quantitativ die Abhängigkeit des Volumenstromes vom Rohrdurchmesser nach dem HagenPoiseuille’schen Gesetz. An eine auf dem Kopf stehende Flasche sind über ein T-Stück zwei Auslaufrohre mit unterschiedlichem Durchmesser angebracht. Die Rohrstücke haben die gleiche Länge. Der Aufbau stellt sicher, dass über beiden Rohren dieselbe

431 16.5  Laminare Strömungen

16

Druckdifferenz herrscht. Öffnet man das Auslaufventil, so kann man an den Bechergläsern die ausgelaufene Flüssigkeitsmenge ablesen und vergleichen. Wir wählen zwei Auslaufrohre, die sich im Durchmesser um einen Faktor 2 unterscheiden. In der Tat stellen wir fest, dass durch das dickere Rohr die 16-fache Menge an Flüssigkeit ausläuft.

16.5.2

Rohrnetze

Wir haben nun die Strömungsverhältnisse in einem einfachen Rohr kennengelernt. Auf der Basis des Hagen-Poiseuille’schen Gesetzes lassen sich nun auch komplizierte Netzwerke mit Rohren unterschiedlichen Durchmessers bestimmen. Das Vorgehen ist äquivalent zum Vorgehen, das sie später in elektrischen Schaltkreisen bei der Berechnung komplizierter Netzwerke aus Widerständen kennenlernen werden. Man kann quasi elektrische Schaltkreise durch Wasserläufe in Rohren abbilden. Der Volumenstrom des Fluids entspricht dem elektrischen Strom, und der Druck entspricht der elektrischen Spannung. Die Verhältnisse an einem elektrischen Widerstand und das Ohm’sche Gesetz, das Sie vermutlich noch aus der Schule kennen, sind in . Abb. 16.19 dargestellt. Wir wollen nun ein entsprechendes Gesetz für den Volumenstrom durch ein Rohr angeben. Aus Gl. 16.36 folgt p D

8L I :  R4

(16.37)

Dies schreiben wir um als p D p1  p2 D W I

(16.38)

mit dem Rohrwiderstand W D

8L 1 :  R4

Die Situation ist in . Abb. 16.20 dargestellt.

. Abb. 16.19 Das Ohm’sche Gesetz

(16.39)

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

432

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

. Abb. 16.20 Der Rohrwiderstand W

. Abb. 16.21 Reihenschaltung zweier Rohre

. Abb. 16.22 Parallelschaltung zweier Rohre

Aber was geschieht, wenn sich die Dicke des Rohres verändert? Wir können dies als Serien- oder Reihenschaltung zweier Rohre mit unterschiedlichem Rohrwiderstand beschreiben (. Abb. 16.21). Aufgrund der Kontinuitätsgleichung muss gelten I1 D I2 D I ;

(16.40)

wobei I1 der Volumenstrom durch Rohr 1 und I2 der entsprechende Volumenstrom durch Rohr 2 ist. Ferner müssen sich die Druckdifferenzen additiv verhalten pges D p1 C p2 :

(16.41)

Damit kann man den gesamten Fluss berechnen:

16

pges D p1 C p2 D W1 I C W2 I D .W1 C W2 /I D Wges I mit Wges D W1 C W2 : (16.42) Dies kann man nun auch sukzessive für mehrere Rohre machen, sodass wir zu dem Schluss kommen: Fließt das Fluid hintereinander durch mehrere Rohre, muss man die Rohrwiderstände addieren. Anders sind die Verhältnisse, wenn das Fluid zwei Rohre parallel durchströmt (. Abb. 16.22). Man nennt dies die „Parallelschaltung der Rohre“. Nun ist die Druckdifferenz an beiden

433 16.5  Laminare Strömungen

16

Rohren gleich p1 D p2 D pges ;

(16.43)

wohingegen sich der Volumenstrom durch beide Rohre additiv aus den Volumenströmen durch die beiden einzelnen Rohre zusammensetzt: Iges D I1 C I2 :

(16.44)

Wir berechnen den gesamten Fluss: Iges D I1 C I2 D

pges pges C D W1 W2

1 pges Wges 1 1 D C W1 W2



 1 1 C pges W1 W2

D mit

1 Wges

(16.45)

Fließt das Fluid parallel durch mehrere Rohre, muss man die Kehrwerte der einzelnen Rohrwiderstände zum Kehrwert des Gesamtwiderstandes addieren. In der Bestimmung des Rohrwiderstandes sind wir vom Hagen-Poiseuille’schen Gesetz ausgegangen, das für kreisförmige Rohrquerschnitte gilt. Für andere Formen ergeben sich Korrekturen, die man durch eine Rechnung ähnlich der für runde Rohre berechnen kann. Sind Breite und Höhe des Querschnittes nicht zu verschieden, muss man den Radius durch 2A=U ersetzen, wobei A die Querschnittsfläche und U der benetzte Umfang des Rohres ist (bei offenen Rinnen jeweils nur der Teil des Umfangs, der vom Fluid benetzt wird). 16.5.3

Stokes’sche Reibung

Wir wollen zum Schluss noch die Bewegung eines Körpers durch ein Fluid unter dem Einfluss der Reibung betrachten. Der Einfachheit halber schränken wir uns auf Kugeln ein (. Abb. 16.23). Unter dem Einfluss der Schwerkraft FEG fällt die Kugel durch das Fluid. Sie beschleunigt, bis die Reibung FER der um den Auftrieb FEA verminderten Gewichtskraft die Waage hält. Dann stellt sich eine konstante Sinkgeschwindigkeit ein. Experimentell zeigt sich, dass die Reibungskraft proportional zur Oberfläche A der Kugel und zur Viskosität  des Fluids ist. Ferner hängt sie vom Geschwindigkeitsgradienten in der umgebenden Strömung ab. Die Grenzschicht wird an der Kugel haften und mit ihr sinken, während in größerer Entfernung kaum noch Bewegung im Fluid zu beobachten sein wird: FR D A

dv dv D 4R2  : dr dr

(16.46)

. Abb. 16.23 Bewegung mit Reibung in einem Fluid

434

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

Nun müssten wir eigentlich das Geschwindigkeitsprofil berechnen, um den Term dv zu bestimmen. Doch dies wollen wir nicht dr exakt tun. Stattdessen schätzen wir den Gradienten ab, indem wir annehmen, dass die Geschwindigkeit sich über die Strecke eines Kugelradius von der Geschwindigkeit der Kugel v auf null reduziert, also dv v  : dr R

(16.47)

Wir setzen dies ein und erhalten: v FR  4R2  D 4Rv : R

(16.48)

Eine genauere Berechnung des Geschwindigkeitsprofils führt zum Stokes’schen Gesetz >Stokes’sches Gesetz FR D 6Rv

(16.49)

Es beschreibt die Reibung einer Kugel in einer laminaren Strömung. Wichtig ist, dass die Reibungskraft proportional zur relativen Geschwindigkeit zwischen dem Körper und dem Fluid ansteigt und außerdem proportional zur Viskosität ist. Diese Abhängigkeiten findet man nicht nur bei der Reibung einer Kugel im Fluid, sondern immer bei laminaren Strömungen. Der Faktor 6R kommt von der Geometrie der Kugel. Dieser ist für andere Körper entsprechend anzupassen. Experiment 16.9: Stokes’sches Gesetz

16

In diesem Experiment beobachtet man, wie Kugeln in einem Fluid fallen. Wir benutzen Rizinusöl, da dieses eine hohe Viskosität hat und die Kugeln daher nur langsam sinken. Nach einer anfänglichen Beschleunigung stellt sich eine konstante Sinkgeschwindigkeit ein. Diese ist durch das Gleichgewicht von Gewichtskraft, Auftrieb und Stokes’scher Reibungskraft gegeben FG  FA D FR Kugel VKugel g  Öl VKugel g D 6Öl Rv   4 R3 g Kugel  Öl D 6Öl Rv 3 2 Kugel  Öl 2 )vD g R 9 Öl Die Sinkgeschwindigkeit sollte quadratisch mit dem Radius der Kugeln ansteigen. Dies lässt sich quantitativ überprüfen. Man

435 16.5  Laminare Strömungen

stoppt die Zeit für eine bestimmte Fallstrecke und bestimmt daraus die Geschwindigkeit. Es ist darauf zu achten, dass die Kugeln vollständig mit Öl benetzt sind (eventuell vorher benetzen) und keine Luftblasen entstehen. Das Diagramm zeigt die Messergebnisse im Vergleich mit den nach der obigen Formel berechneten Werten. Für das große Gefäß (Durchmesser 5 cm) stimmen die Messungen sehr gut mit den Erwartungen überein. Am kleinen Gefäß (Durchmesser 3 cm) gibt es bei großen Kugeln (bis 1 cm Durchmesser) Abweichungen. Diese sind offensichtlich darauf zurückzuführen, dass das Geschwindigkeitsprofil sich nicht vollständig ausbreiten kann. Die von der Kugel mitgenommene Flüssigkeit erreicht die Wände, wo zusätzliche Reibung auftritt.

© Foto: Hendrik Brixius

Beispiel 16.13: Kugelfallviskosimeter

Mit dem Viskosimeter bestimmt man die Viskosität von Flüssigkeiten. Es basiert auf dem Gesetz von Stokes. Ein Zylinder wird mit der zu untersuchenden Flüssigkeit gefüllt. Man lässt eine kleine Metallkugel (Radius R) durch die Flüssigkeit fallen und bestimmt die Sinkgeschwindigkeit v. Nach dem Stokes’schen Gesetz gilt dann D

 2gR2  Kugel  Fluid 9v © Wikimedia: N. Detlefsen

16

436

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

16.6

Turbulente Strömungen

Wie wir gesehen haben, sind Strömungen bei niedrigen Strömungsgeschwindigkeiten laminar. Erhöht man die Strömungsgeschwindigkeit, so erreicht man einen Punkt, an dem die Bildung von Wirbeln einsetzt. Man spricht nun von einer turbulenten Strömung. Die Bilder in . Abb. 16.24 zeigen diesen Übergang. Zu sehen ist die Umströmung eines Zylinders bei fünf verschiedenen Strömungsgeschwindigkeiten. Die Strömungsgeschwindigkeit nimmt von (a) bis (e) zu. Bei (a) erkennt man die gleichmäßigen Strömungslinien einer laminaren Strömung. Bereits bei (c) sieht man erste Wirbel hinter der

16

. Abb. 16.24 Umströmung einer Kugel mit zunehmender Geschwindigkeit

437 16.6  Turbulente Strömungen

. Abb. 16.25 Die Entstehung von Wirbeln hinter einer umströmten Kugel

Kugel, die bei (d) deutlich ausgebildet sind. Bei noch höheren Strömungsgeschwindigkeiten wie bei (e) lösen sich einzelne Wirbel vom Hindernis ab und können noch in großer Entfernung von diesem beobachtet werden. Doch wie entstehen Wirbel? Wir betrachten hierzu das Strömungsbild in . Abb. 16.25 genauer. Es zeigt die Strömung an einer Kugel bei einer Strömungsgeschwindigkeit, bei der sich die ersten beiden Wirbel rechts hinter der Kugel bilden. Die Kugel wird von links angeströmt. Man erkennt auf der Mittellinie zwei Staupunkte, Sv und Sh , vor und hinter der Kugel. An den Staupunkten ruht das Fluid. Man glaubt eine Strömungslinie zu erkennen, die von links auf Sv zuführt und dort endet, bzw. eine Linie, die von Sh ausgeht. Bei P ist die Strömungsgeschwindigkeit maximal, was man an der Dichte der Linien erkennen kann. Das Fluid wird von Sv ausgehend auf P zu beschleunigt. Dort erreicht es seine maximale Geschwindigkeit und wird schließlich auf Sh zu wieder abgebremst. Durch die Reibung kommt es allerdings bereits vor Sh an den Punkten W zum Stillstand. An den Staupunkten ist jeweils pstat D ptot , wohingegen der statische Druck bei P geringer ist. Es entsteht eine Druckdifferenz, die das Fluid von Sv über W nach P zurückdrückt. Diese Druckdifferenz verursacht eine Bewegung, die der Hauptströmung entgegenläuft. An der Oberfläche der Kugel sind die Geschwindigkeitsunterschiede und damit die Druckdifferenzen am größten. Weiter weg von der Oberfläche nehmen sie rasch ab. Dadurch entsteht ein Drehmoment, das die beiden Wirbel erzeugt. An Kanten, Stufen oder anderen Übergängen ändert sich die Strömungsgeschwindigkeit oft stark. Dort sind die Beschleunigung und auch die Druckunterschiede besonders groß. Wirbelbildung setzt zuerst an diesen Stellen ein.

16

438

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

16.7

Strömungswiderstand

Wie wir gesehen haben, entsteht bei der Umströmung eines Körpers durch ein Fluid eine Widerstandskraft, der sogenannte Strömungswiderstand. Wir wollen diesen noch einmal im Zusammenhang betrachten. Den Fall laminarer Strömungen hatten wir bereits in 7 Abschn. 16.5 behandelt. Das Gesetz von Stokes beschreibt den Strömungswiderstand: FR D 6Rv :

(16.50)

Im Fall turbulenter Strömungen kommt ein weiterer Effekt hinzu, der hier sogar dominiert. Vor dem Körper herrscht der statische Druck p1 , der hier maximal ist, da das Fluid an dieser Stelle ruht. Hinter dem Körper ist der Druck durch die Strömungen im Wirbel reduziert. Dort gilt p2 C vw2 D ptot D p1 ; 2

(16.51)

wobei vw die Strömungsgeschwindigkeit im Wirbel ist. Es herrscht eine Druckdifferenz zwischen der Vorder- und Hinterseite des Körpers, die zu einer Kraft auf den Körper entgegen der Bewegungsrichtung führt. Dadurch entsteht ein zusätzlicher Strömungswiderstand. Es ist p D p2  p1 D

2 v 2 w

(16.52)

und der zusätzliche Strömungswiderstand wäre FW D pA D

16

2 v A: 2 w

(16.53)

Allerdings ist in dieser Formel vw nicht die Geschwindigkeit zwischen Körper und Fluid, sondern die lokale Geschwindigkeit des Fluids hinter dem Körper. Sie variiert im Wirbelfeld stark von Ort zu Ort. Trotzdem ist sie mit der Geschwindigkeit v des Körpers korreliert. Mit zunehmender Strömungsgeschwindigkeit v nimmt auch die lokale Geschwindigkeit in den Wirbeln zu. Wir ersetzen in der Formel vw durch v und führen einen zusätzlichen Faktor cw ein, der der Tatsache Rechnung trägt, dass vw hinter dem Körper stark variiert und daher die Druckdifferenz nicht über die ganze Fläche konstant ist und vw nicht identisch mit v ist. Wir haben folglich für den Strömungswiderstand: FW D cw v 2 A : 2

(16.54)

Die Konstante cw hängt von der Form des Körpers ab. Man nennt sie den „Widerstandsbeiwert“. Widerstandsbeiwerte für einige Formen sind in . Tab. 16.2 angegeben.

439 16.7  Strömungswiderstand

. Tab. 16.2 Widerstandsbeiwerte einiger Körperformen Körper

cw -Wert

Tropfenform

0,04

Tragfläche

0,1

Tragfläche (unten plan)

0,2

Kugel

0,4

Stehender Mensch

0,7 . . . 0,8

Halbkugel (innen voll)

0,8

Scheibe od. quad. Platte

1,2

Hohlkugel

1,4

Rechteckplatte (lang)

2,0

Bei kleinen Strömungsgeschwindigkeiten ist man im laminaren Bereich. Hier wächst der Strömungswiderstand (Reibungskraft) zunächst linear mit der Geschwindigkeit an. Nimmt die Geschwindigkeit zu, so entstehen die ersten Wirbel, und die Dynamik der Wirbel erzeugt einen zusätzlichen Strömungswiderstand, der nun quadratisch mit der Strömungsgeschwindigkeit anwächst. Da dieser schneller mit der Geschwindigkeit wächst als die Stokes’sche Reibung, wird er bei hohen Geschwindigkeiten dominieren. Im turbulenten Bereich findet man folglich eine quadratische Abhängigkeit von der Geschwindigkeit. Dass der Strömungswiderstand im turbulenten Bereich größer sein muss als im laminaren, liegt daran, dass in den Wirbeln das Fluid stark beschleunigt und wieder abgebremst wird. Dabei wird der Strömung Energie entzogen, was den Widerstand erhöht.

16

440

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

Experiment 16.10: Strömungswiderstand

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Der Strömungswiderstand eines Körpers in einer turbulenten Strömung ist kaum berechenbar. Man muss ihn experimentell bestimmen. Die Abbildung zeigt eine Messapparatur zur Messung des Luftwiderstandes. Der Ventilator (rechts) saugt Luft durch den Kanal. Im mittleren Bereich kann man den zu vermessenden Körper (hier eine Kugel) einbringen. Der Körper ist an einem fahrbaren Schlitten aufgehängt, der über eine Schnur mit einem Kraftmesser (über dem linken Ende des Kanals) verbunden ist. Der Kraftmesser zeigt direkt den Luftwiderstand bei einer gegebenen Strömungsgeschwindigkeit an.

Experiment 16.11: Rauchringe

16

Dies ist ein stimmungsvolles Experiment zum Ausblasen von Kerzen. Es demonstriert die hohe Windgeschwindigkeit in Wirbeln. Wir schneiden in die Stirnseite eines Pappkartons (ca. 70 cm Kantenlänge) ein 15 cm großes rundes Loch. In einigen Meter Abstand stellen wir eine Reihe brennender Kerzen auf. Schlägt man kräftig gegen die Seiten des Pappkartons, so stößt er durch die Öffnung Luft aus. Beim Austritt entsteht an der Kante des Lochs ein Ring von Wirbeln, der sich stabil durch den Raum ausbreiten kann. Man kann die Wirbel sichtbar machen, in dem man den Karton mit Rauch oder Nebel füllt, z. B. aus einer Nebelmaschine, oder indem man feuchten Tabak im Karton verbrennt. Man verschließt das Loch mit einem Papier, bis sich der Karton mit Rauch gefüllt hat und öffnet das Loch erst unmittelbar vor dem Experiment.

441 16.7  Strömungswiderstand

Nach einem kräftigen Schlag auf die Kartonwände sieht man, wie ein Rauchring auf die Kerzen zufliegt. Trifft ein Rauchring eine Kerze mittig, so wird diese zwar flackern, aber sie geht nicht aus. Nur wenn die Wirbel des Rings die Flamme direkt treffen, ist die Windgeschwindigkeit so hoch, dass die Kerze ausgepustet wird. Zielen ist nicht einfach. Man muss einige Male üben, bis man die Kerzen richtig trifft.

Wir wollen versuchen uns den komplizierten Verhältnissen in einer Strömung noch einmal quantitativer zu nähern. Dazu betrachten wir ein Gedankenexperiment (. Abb. 16.26). Eine planparallele Platte fällt in ein langes Becken der Breite 2D. Randeffekte am Ende der Platte seien vernachlässigbar. Die Schichten des Fluids bewegen sich mit der Platte nach unten (in Richtung s). Die Schicht, die unmittelbar an der Platte anliegt, hat wie diese die Geschwindigkeit v0 . Weiter entfernte Schichten bewegen sich langsamer. Die beiden Schichten links und rechts am Rand des Beckens bewegen sich überhaupt nicht. Sie haften an der Wand des Beckens. Wie man leicht nachrechnet, stellt sich ein lineares Geschwindigkeitsprofil ein: v.x/ D

x v0 : D

(16.55)

Wir bestimmen zunächst die Reibungskraft, die beim Eintauchen überwunden werden muss, und die gegen sie verrichtete Arbeit

. Abb. 16.26 Gedankenexperiment zur Ableitung der Reynoldszahl

16

442

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

WR : dv v0 D 2A dx D v0 WR D FR s D 2As : D FR D 2A

(16.56)

Der Faktor 2 rührt daher, dass rechts und links der Platte Reibung auftritt. Je weiter die Platte eintaucht, desto größer ist die Reibung. Mit dem Eintauchen wird immer mehr Fluid mitbewegt. Es muss dazu beschleunigt werden. Die dafür benötigte Arbeit ist: Z WB D

1 2 v .x/d m D 2

V

Z

1 2 v .x/dV mit d m D dV 2

V

ZD D 2A

1  x 2 v0 dx 2 D

0

1  v0 2 1 3 D D v02 AD : D 2A x 2 D 3 3 0

16

(16.57)

Wir lassen nun in Gedanken die Breite D des Beckens gegen unendlich gehen. Die Reibungskraft geht dann gegen null. Dies dv imist auch zu erwarten, da sich das Geschwindigkeitsgefälle dx mer weiter verringert und damit die Reibungskräfte immer kleiner werden. Die für die Beschleunigung aufgebrachte Arbeit divergiert dagegen, da mit steigender Breite eine immer größere Masse Fluid beschleunigt werden muss. Dies ist ein unphysikalisches Ergebnis. Es würde ja bedeuten, dass die Platte in einem großen Becken nicht mehr eintauchen kann, da die Energie zum Beschleunigen des Fluids fehlt. Wir schließen daraus, dass unser Ansatz bereits falsche Annahmen enthielt. Dies ist in der Tat der Fall. Wir haben angenommen, dass sich das Strömungsprofil von der Platte bis zum Rand des Beckens ausbreitet, unabhängig davon, wie breit das Becken ist. Dies ist nicht richtig. In Wirklichkeit ist die Bewegung der Schichten des Fluids auf einen endlichen Bereich um die Platte begrenzt. Die Größe dieses Bereiches stellt sich so ein, dass die Beschleunigungsarbeit die Reibungsarbeit nicht übersteigt. Nur dieser Bereich wird von der Platte mitbewegt. Es muss also gelten v0 1 2 v AD  2As 3 0 D v0 D 2 6  s v0 D D  1;  s

(16.58)

443 16.7  Strömungswiderstand

wobei die letzte Zeile nur noch eine grobe Abschätzung ist. Der erste Faktor in dieser Abschätzung enthält die Größen ; ; v0 ; D, die das Fluid und die Strömung beschreiben. Man nennt ihn die Reynolds-Zahl Re: Re D

v0 D : 

(16.59)

Der zweite Term ist ein rein geometrischer Faktor, der die Dimensionen unseres Gedankenexperimentes beschreibt. Wir können drei Spezialfälle unterscheiden: Re 1 – In diesem Grenzfall muss D=s sehr viel größer als 1 sein, d. h. die Grenzschicht, die von der Platte bewegt wird, ist sehr viel größer als die Platte selbst. Dies bedeutet wiederum, dass sich die Geschwindigkeit über einen großen Bereich nur langsam ändert. Der Gradient dv D vD0 des Geschwindigkeitsprofils ist geds ring. Es entsteht eine laminare Strömung. Re  1 – In diesem Fall ist D  s. Die Grenzschicht ist etwa so breit, wie die Platte hoch ist. Dies ist der Übergangsbereich zum nächsten Spezialfall. Re 1 – In diesem Fall muss die Grenzschicht viel kleiner sein, als die Dimensionen der Platte. Die Geschwindigkeit ändert sich über eine sehr kurze Strecke von v0 auf null. Der Gradient ist groß. Es entstehen Wirbel. Die Strömung ist turbulent. Die Reynolds-Zahl grenzt also laminare gegen turbulente Strömungen ab. Es ist üblich bei Reynolds-Zahlen oberhalb von 1200 von „turbulenten Strömungen“ zu sprechen. Die Grenze Re  1200 ist nur eine ungefähre Richtzahl. Die genaue Grenze, bei der Wirbelbildung einsetzt, hängt noch von der Form des Körpers ab. Bei stromlinienförmigen Körpern setzen Wirbel erst sehr viel später ein als bei Körpern mit Ecken und Kanten. Beispiel 16.14: Reynolds-Zahlen

Aus den Reynolds-Zahlen lassen sich Grenzgeschwindigkeiten abschätzen, bei deren Erreichen mit Wirbelbildung zu rechnen ist. Aus Re  1200 an der Grenze zur turbulenten Strömung folgt vGrenz  1200= . In Luft ist diese Geschwindigkeit gering. Sie beträgt ungefähr 0;01 m=s. Selbst ein Regentropfen, der durch die Luft fällt, erzeugt bereits Wirbel, Flugzeuge und andere fliegende Objekte allemal.

Zum Schluss dieses Abschnitts wollen wir noch einmal die Gedanken zur allgemeinen Berechnung der Strömungen aufnehmen.

16

444

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

Ausgehend von Newtons Bewegungsgleichung waren wir auf die Euler-Gleichungen gekommen (Gl. 16.22).     @ vE C vE  grad vE D  grad p C gE (16.60) @t Dabei stehen rechts die externen Kräfte, denen wir jetzt noch die Reibungskraft aus Gl. 16.30 hinzufügen müssen. Wir erhalten     @ vE C vE  grad vE D  grad p C gE C E v (16.61) @t Man nennt sie die Navier-Stokes-Gleichungen. Mit ihnen lassen sich Strömungen selbst kompressibler Fluide unter Einschluss von Reibung berechnen. Leider sind die Gleichungen so komplex, dass man sie in der Regel nicht analytisch lösen kann. Die Navier-Stokes-Gleichungen sind aber die Grundlage der numerischen Simulation von Strömungen. Beispiel 16.15: Strömungsmodelle

Strömungen (insbesondere turbulente) sind nur sehr schwierig zu berechnen. Werden Strömungskanäle geplant, so bedient man sich oft Modellen (sogenannte hydraulische Modelle). Man baut den Flusslauf, die Staustufe oder den Kanal in einem reduzierten Maßstab auf und optimiert die Strömung im Modell bevor der eigentliche Bau beginnt. Allerdings darf man im Modell nicht das gleiche Fluid verwenden wie im späteren Kanal. Das Fluid ist so zu wählen, dass sich mit dessen Dichte und Viskosität dieselbe Reynolds-Zahl ergibt, wie man sie im späteren Kanal erwartet. Nur so ist sichergestellt, dass sich im Modell ähnliche Strömungsverhältnisse ergeben.

Beispiel 16.16: Der cW -Wert eines PKWs

16

© Wikimedia: Martinkogler

445 16.8  Dynamischer Auftrieb

Der Luftwiderstand eines PKWs wird wesentlich durch die Größe des PKWs (Querschnittsfläche A) und seine Form bestimmt. Der Einfluss der Form wird über den cW -Wert gemessen. Der Luftwiderstand ist FW D c w

Luft 2 v A 2

Der Luftwiderstand steigt quadratisch mit der Geschwindigkeit. Ab einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h dominiert der Luftwiderstand über andere Reibungsverluste wie den Rollwiderstand der Räder oder Reibungsverluste im Motor. Er ist wesentlich für den Kraftstoffverbrauch eines PKWs und wird daher von den Konstrukteuren so weit wie möglich reduziert. Zu den Anfangszeiten der Automobile waren die Fahrgeschwindigkeiten gering und der Spritverbrauch ohne Bedeutung. Automobile aus dieser Zeit haben einen cW -Wert von rund 1. Die Optimierung setzte erst in den letzten Jahrzehnten ein. Heute können PKWs cW -Werte erreichen, die nur knapp über 0,2 liegen (z. B. Mercedes-Benz C117 mit 0,22). Die Abbildung zeigt eine Spezialentwicklung mit minimalem Spritverbrauch, an der die TU Graz arbeitet (IBEX). Bei solchen Spezialentwicklungen können die cW -Werte unter 0,1 liegen.

16.8

Dynamischer Auftrieb

In 7 Abschn. 15.4 haben wir den statischen Auftrieb in einem ruhenden Fluid kennengelernt. Wir waren auf das Archimedische Prinzip gestoßen. In strömenden Fluiden kommt eine weitere Auftriebskraft hinzu, die man den „dynamischen Auftrieb“ nennt. Er tritt immer dann auf, wenn Körper asymmetrisch umströmt werden. Wir wollen ihn hier am Beispiel einer Tragfläche eines Flugzeuges diskutieren. Der dynamische Auftrieb ist dafür verantwortlich, dass Flugzeuge fliegen. Der dynamische Auftrieb tritt aber noch in vielen anderen Beispielen auf. Eine kleine Auswahl ist in 7 Beispiel 16.17 zu sehen.

16

446

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

Beispiel 16.17: Dynamischer Auftrieb

Die abgebildeten Objekte nutzen alle den dynamischen Auftrieb aus: Segel, Schiffschraube, Windrad, Spoiler.

© Wikimedia: ducktail964 © Wikimedia: Mikink

Der dynamische Auftrieb an den Tragflächen und am Rumpf eines Flugzeuges hält dieses in der Luft. Hier ist eine Vorbemerkung angebracht, bevor wir in die Diskussion einsteigen: Eine schlüssige Erklärung ist leider nicht so einfach. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir eingestehen, dass wir zwar immer größere und immer kompliziertere Flugzeuge entwickeln und bauen können, doch eine echte Erklärung, warum sie fliegen, haben wir nicht. Wir wollen Ihnen nun drei Modelle des dynamischen Auftriebs vorstellen. Am Ende kommen wir dann noch einmal auf die Frage, warum ein Flugzeug fliegt, zurück. Doch betrachten Sie zunächst einmal 7 Experiment 16.12. Es zeigt den dynamischen Auftrieb in einem Windkanal und demonstriert, dass er die Ursache ist, die Flugzeuge in der Luft hält. © Wikimedia: Stahlkocher

Experiment 16.12: Dynamischer Auftrieb an einer Tragfläche

Wir benutzen hierzu noch einmal den Windkanal, den Sie bereits aus 7 Experiment 16.4 und 7 Experiment 16.10 kennen. In den Windkanal wird ein Stück eines Modells einer Tragfläche mit ihrem charakteristischen Profil eingebracht. Die Tragfläche ist an zwei Stäben befestigt, sodass man von außen den Anstellwinkel einstellen kann. Zusätzlich zur Messeinrichtung für den Luftwiderstand aus 7 Experiment 16.10 ist die Tragfläche an einer Federwaage aufgehängt, die es erlaubt, den Auftrieb direkt zu bestimmen. Bei abgeschaltetem Ventilator gleicht man den Zeiger auf null ab und beobachtet dann die Veränderung des Gewichtes durch die Strömung. Zur Messung der Strömungsgeschwindigkeit kann zusätzlich ein Prandtl’sches Staurohr eingebracht

16

© Wikimedia: Dirk Ingo Franke

447 16.8  Dynamischer Auftrieb

werden. Die Abbildung zeigt die Tragfläche und die Messeinrichtung für den Auftrieb.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Bereits bei Anstellwinkeln knapp unterhalb von 0ı beobachtet man einen positiven Auftrieb, der von dem Ende des Profils herrührt, das auch bei einem Anstellwinkel von 0ı noch deutlich nach unten gerichtet ist. Er nimmt mit Anstellwinkeln bis rund 20ı stetig zu. Vergrößert man den Anstellwinkel noch weiter, geht der Auftrieb allerdings rasch zurück. Die Strömung reißt ab. Bei negativen Anstellwinkeln beobachtet man auch einen negativen Auftrieb (Abtrieb), d. h. eine Erhöhung des Gewichtes der Tragfläche durch die Strömung. Variiert man die Strömungsgeschwindigkeit, kann man näherungsweise eine quadratische Abhängigkeit erkennen. An der Messeinrichtung für den Luftwiderstand kann man beobachten, dass dieser mit steigendem Anstellwinkel kräftig zunimmt und zwar sowohl bei positiven als auch bei negativen Anstellwinkeln.

16

448

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

16.8.1

1. Modell: Impulserhaltung, Kraftstoß

Die aerodynamische Form einer Tragfläche reduziert den Luftwiderstand eines Flugzeuges signifikant und erleichtert damit das Fliegen. Für die Erklärung des Auftriebs wollen wir hier allerdings von der komplizierten Form abstrahieren und ein einfaches Brett als Tragflächenprofil annehmen, siehe . Abb. 16.27. In der Skizze sehen Sie den Anstellwinkel ˛, die Gesamtkraft auf die Tragfläche FEges und deren Zerlegung in die Reibungskraft FER und den dynamischen Auftrieb FEA . Den statischen Auftrieb können wir hier vernachlässigen. Ist die Tragfläche einer Strömung ausgesetzt, so prallen die Luftmoleküle gegen die Unterseite der Tragfläche. Wir wollen annehmen, dass sie elastisch von der Tragfläche abprallen. Dann ist ˇ ˇ ˇ ˇ ˇvEi ˇ D ˇvEf ˇ D v :

(16.62)

Aus der Skizze sieht man ˇ ˇ ˇE v ˇ D 2v sin ˛ :

(16.63)

Nun kann man die Kraft aus dem zweiten Newton’schen Axiom berechnen: P P p mv M M D D v D 2v sin ˛; (16.64) Fges D t t t t die Luftmasse ist, die in der Zeitspanne t auf die wobei M t Tragfläche auftrifft. Diese müssen wir noch auf die Geschwindigkeit des Fluids zurückführen (. Abb. 16.28). Mit M V D t t und der Relation V D h0 A D vt sin ˛A ;

(16.65)

(16.66)

die man aus der Skizze abliest, erhalten wir

16

Fges D

V 2v sin ˛ D 2 Av 2 sin2 ˛ : t

. Abb. 16.27 Fliegen: Modell 1

(16.67)

449 16.8  Dynamischer Auftrieb

. Abb. 16.28 Zur Berechnung von M=t

Schließlich zerlegen wir die Kraft noch in den Auftrieb und die Reibungskraft. Die Zerlegung kann man aus . Abb. 16.27 ablesen. Es ergibt sich FA D Fges cos ˛ D 2 Av 2 sin2 ˛ cos ˛ FR D Fges sin ˛ D 2 Av 2 sin3 ˛ :

(16.68)

An dieser Stelle können wir zunächst einmal festhalten, dass dieses Modell die grundsätzlichen Abhängigkeiten richtig wiedergibt, die wir in 7 Experiment 16.12 gesehen hatten. Der dynamische Auftrieb ist proportional zur Fläche des Profils. Er ist quadratisch von der Strömungsgeschwindigkeit abhängig und auch die Abhängigkeit vom Anstellwinkel wird vernünftig beschrieben. Wir wagen einen quantitativen Vergleich. Für eine Boeing 747 hat man ungefähr folgende Werte: A D 500 m2 v D 900 km=h Luft D 1;3 kg=m3 ˛  5ı : Eingesetzt ergibt dies FA D 6  105 N FR D 5  104 N :

(16.69)

Die tatsächlichen Werte sind FA D 3  106 N FR D 1;5  105 N :

(16.70)

Der Ansatz, Tragflächen als rechteckige Platten anzunehmen, war sehr grob und vielleicht darf man an dieser Stelle nicht allzu viel erwarten, doch immerhin gibt unser Modell die Größenordnung von Auftrieb und Reibungskraft richtig wieder. Der Auftrieb kommt um einen Faktor 5 zu klein heraus. Das Ergebnis reagiert empfindlich auf den Anstellwinkel. Setzt man 6ı statt der angegebenen 5ı ein, reduziert sich die Abweichung bereits auf einen Faktor 4. Ferner sollte man beachten, dass auch der Rumpf der Boeing 747 mit etwa 20 % zum Auftrieb beiträgt, ein Beitrag, der in unserem Modell fehlt. Insgesamt können wir mit dem Ergebnis dieses einfachen Modells zufrieden sein.

16

450

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

Trotzdem ist das Modell an sich unzureichend. Es ist grob, und viele der Details eines echten Flugzeuges sind nicht berücksichtigt. Und es gibt ein weiteres grundlegenderes Problem. Man betrachte noch einmal das aerodynamische Paradoxon (7 Experiment 16.7) und versuche dieses mit unserem Modell zu erklären. Noch offensichtlicher ist das Versagen des Modells bei einer anderen Version des aerodynamischen Paradoxons, die in . Abb. 16.29 gezeigt wird. Luft wird durch das Rohr in den Spalt zwischen den beiden Scheiben geblasen. Die untere Scheibe ist nur locker befestigt. Nach unserem Modell müsste der Druck der einströmenden Moleküle die untere Scheibe nach unten wegdrücken, doch macht man das Experiment, so stellt man fest, dass die untere Scheibe nach oben gehoben wird. Unser Modell versagt, und nach allem, was wir in 7 Abschn. 4.2 gelernt haben, müssten wir das Modell deshalb verwerfen. . Abb. 16.29 Aerodynamisches Paradoxon

16.8.2

2. Modell: Bernoulli-Gleichung

In unserem zweiten Modell wollen wir versuchen, den dynamischen Auftrieb an der Tragfläche durch den dynamischen Druck aus der Bernoulli-Gleichung zu erklären. Dazu betrachten wir die Strömung um ein Tragflächenprofil. Wir nehmen an, dass sich eine laminare Strömung um die Tragfläche ausbildet. Sie ist in . Abb. 16.30 dargestellt. Die Luft strömt von links an, wo sie von der Tragfläche in einen Strom auf der Oberseite und einen an der Unterseite geteilt wird. Hinter der Tragfläche vereinen sich die beiden Strömungen wieder. Durch die Krümmung der Tragfläche ist der Weg der Moleküle auf der Oberseite länger als an der Unterseite. Die Moleküle müssen oben schneller strömen (vo > vu ). Dann ergibt sich aus der BernoulliGleichung: po C vo2 D konst D pu C vu2 ) po < pu : 2 2

16

(16.71)

Daraus resultiert ein dynamischer Auftrieb FA D .pu  po /A D

  2 1 vo  vu2 A D v 2 AcA ; 2 2

. Abb. 16.30 Strömung an einem Tragflächenprofil

(16.72)

451 16.8  Dynamischer Auftrieb

wobei cA ein geometrischer Faktor ist, der angibt, um wie viel schneller die Strömung oben als unten ist. Wieder erhalten wir die Proportionalität des dynamischen Auftriebs zu v 2 A, die wir bereits im ersten Modell gesehen haben. Dies ist ein Erfolg. Die numerische Übereinstimmung mit dem echten Flugzeug hängt wesentlich von dem Wert von cA ab, den wir hier nicht bestimmen konnten. Es gibt aber auch an diesem Modell Kritikpunkte: Wir haben angenommen, dass sich das vor der Tragfläche geteilte Luftvolumen hinter der Tragfläche wieder identisch vereint. Dies war das wesentliche Argument dafür, dass die Geschwindigkeit oben größer ist als unten. Dies stimmt aber nicht. Tatsächlich braucht die Luft länger, um die Tragfläche oben zu umströmen. In der Folge ist die Strömung hinter dem Flügel nach unten gerichtet. Unsere Erklärung des Fliegens beruht wesentlich auf der Form der Tragfläche. Ein Flugzeug mit planen Tragflächen dürfte nach diesem Modell nicht fliegen können. Dies stimmt aber nicht. Viele der frühen Doppeldecker (siehe . Abb. 16.31) hatten plane Flügel und konnten trotzdem fliegen. In dieselbe Richtung geht das Argument, dass Flugzeuge auch auf dem Rücken fliegen können (wenn auch mit größerem Anstellwinkel). Nach unserem Modell sollte dann der Auftrieb nach unten zeigen und das Flugzeug abstürzen. Und schließlich sollten wir beachten, dass wir von der Bernoulli-Gleichung ausgegangen sind, die die laminare Strömung beschreibt. Tatsächlich ist die Strömung an der Tragfläche eines Flugzeuges aber stark turbulent. Eigentlich dürfen wir die Bernoulli-Gleichung gar nicht anwenden.

. Abb. 16.31 Historischer Doppeldecker

16

452

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

16.8.3

16

3. Modell: Wirbelbildung

Wie wir bereits erwähnt haben, bilden sich an der Tragfläche eines Flugzeugs Wirbel aus. Diese sind für die Flugeigenschaften und die Erklärung des Fliegens wichtig. Wir wollen sie in diesem dritten Modell berücksichtigen. Der wichtigste Wirbel ist der sogenannte Anfahrwirbel. Er ist in . Abb. 16.32 schematisch dargestellt (In der Abbildung rechts am Ende der Tragfläche). Der Anfahrwirbel entsteht bereits beim Beschleunigen des Flugzeugs vor dem Abheben. Weitere Wirbel entstehen an den seitlichen Enden der Tragflächen, am Leitwerk und an den Motoren. Unter besonderen Wetterbedingungen können die Wirbel Kondensation in der Luft auslösen und dadurch sichtbar werden. In . Abb. 16.33 sind die Wirbel, die sich von den Flügelspitzen ablösen, deutlich zu erkennen. In den Wirbeln ist ein Drehimpuls gespeichert. Die Drehimpulserhaltung erzwingt bei deren Entstehung eine Kompensation durch einen gegenläufigen Wirbel. Für den Anfahrwirbel bildet sich der gegenläufige Wirbel um die Tragfläche herum aus. Er ist in . Abb. 16.34 schematisch dargestellt (rot). An der Oberseite der Tragfläche addieren sich die Strömungsgeschwindigkeiten der regulären Strömung und des Gegenwirbels, auf der Unterseite sind sie gegenläufig. Dadurch ist die Geschwindigkeit oben höher als unten, was nach diesem Modell dann aufgrund der BernoulliGleichung zum dynamischen Auftrieb führt, der das Flugzeug trägt. Doch auch dieses dritte Modell muss man kritisieren: Zunächst einmal ist festzustellen, dass das Modell nicht konkret genug ist, um daraus analytische Vorhersagen abzuleiten. Es hat seine Bedeutung als Erklärung von Simulations- oder Messergebnissen. Wieder haben wir die Bernoulli-Gleichung benutzt, obwohl sie nur für laminare Strömungen gilt, wir hier aber explizit auf Wirbelbildung abheben. Dies ist ein grundsätzliches Problem mit diesem Modell. Doch es gibt auch empirische Probleme. Sollte sich der Anfahrwirbel vom Flugzeug lösen, würde nach diesem Modell der Gegenwirbel verschwinden und das Flugzeug müsste abstürzen. Der Anfahrwirbel kann Hunderte von Metern hinter dem Flugzeug hergeschleppt werden. Fliegt ein zweites Flugzeug zwischen

. Abb. 16.32 Strömung an einer Tragfläche mit Anfahrwirbel

453 16.8  Dynamischer Auftrieb

. Abb. 16.33 Wirbel an einer Boeing 727

. Abb. 16.34 Strömung an einer Tragfläche mit Anfahr- und Gegenwirbel

Tragfläche und Anfahrwirbel hindurch, sollte es diesen abtrennen und das erste Flugzeug zum Absturz bringen. Dies wurde tatsächlich getestet. Entgegen der Modellvorhersage ist nichts Schlimmes passiert. Falls Sie jetzt völlig verwirrt sind, was das Fliegen angeht, sollten Sie den methodischen Einschub lesen.

Modelle Was haben wir nun über das Fliegen gelernt? Vielleicht zunächst einmal, dass es gar nicht so einfach zu erklären ist. Wir haben drei Modelle unterschiedlicher Komplexität besprochen. Alle drei haben ihre nützliche Seite, das erste ist einfach (Stöße von Molekülen an der Tragfläche). Es erklärt einige wesentliche Aspekte korrekt. Das zweite Modell (Bernoulli) kommt auf einem eleganteren und überzeugenderen Weg zu einem ganz ähnlichen Ergebnis. Das dritte Modell eignet sich besonders für numerische Simulationen. Doch alle drei haben ihre Probleme. Von allen drei Modellen kann man zeigen, dass sie an wichtigen Stellen versagen. In 7 Abschn. 4.2 haben wir den Begriff der Falsifikation diskutiert. Wir haben gesehen, dass nur eine einzige falsche Vorhersage eines Modells genügt, um dieses zu

16

454

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

widerlegen. In diesem Sinne müssten wir alle drei hier vorgestellten Modelle als physikalische Theorien verwerfen. Was müssten wir stattdessen als Modell annehmen? Nun, wir müssten die Bewegung aller Luftmoleküle und die des Flugzeuges mithilfe der Newton’schen Bewegungsgleichungen berechnen. Wir sind überzeugt davon, dass dies zu einer korrekten Beschreibung des Fliegens führen würde, doch leider ist diese Rechnung viel zu kompliziert, als dass wir sie tatsächlich ausführen könnten. Das Fliegen ist ein so komplexer Vorgang, dass wir ihn nicht auf die elementaren Gesetze der Mechanik zurückführen können. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als Modelle der Art zu verwenden, wie wir sie vorgestellt haben. Wir müssen uns allerdings darüber bewusst sein, dass diese Art von Modellen (es sind keine Theorien im Sinne von 7 Abschn. 4.2) einen nur sehr begrenzten Geltungsbereich hat. Er ist so eng, dass diese Modelle eben nur manche Aspekte des Fliegens richtig wiedergeben und andere nicht. Dies mag nun auch verständlich machen, warum es sinnvoll sein mag, mehr als ein Modell zu benutzen. Verschiedene Modelle beschreiben unterschiedliche Aspekte des Fliegens korrekt und versagen an wiederum unterschiedlichen Punkten. Nicht eines der Modelle ist korrekt und die anderen falsch, sondern mit mehreren gemeinsam kann man sich einem Verständnis des Phänomens Fliegen annähern.

16.8.4

16

Magnus-Effekt

Es gibt noch eine weitere Form des dynamischen Auftriebs, den wir am Ende dieses Abschnitts noch kurz besprechen wollen. Man nennt ihn den „Magnus-Effekt“. Wird ein symmetrischer Körper, wie z. B. ein Zylinder angeströmt, so entsteht durch die Reibung eine Kraft auf den Körper. Aus Symmetriegründen muss diese in Richtung der Strömung zeigen (. Abb. 16.35a). Die Situation ändert sich, wenn wir den Zylinder in Rotation versetzen. Die Schicht unmittelbar um den Zylinder haftet an ihm und wird bei der Rotation mitgenommen. Durch Reibung überträgt sich dies auch auf die angrenzenden Schichten. Dadurch wird ein großer Teil der Strömung oben am Zylinder vorbeigelenkt (. Abb. 16.35b). Oben steigt die Strömungsgeschwindigkeit, unten sinkt sie. Nach Bernoulli entsteht eine Druckdifferenz, die zu einer nach oben gerichteten Kraft führt. Der rotierende Zylinder wird in der Strömung seitlich abgelenkt. Dies nennt man den „Magnus-Effekt“.

455 16.8  Dynamischer Auftrieb

. Abb. 16.35 Umströmung eines ruhenden (a) und rotierenden (b) Zylinders

Auch für die Kraft FEM aus dem Magnus-Effekt lässt sich eine Formel ableiten. Sie lautet: 1 FEM D cM Fl A !E  vE: 2

(16.73)

Den schwer erfassbaren Einfluss der Form des Körpers und die Details der Strömungsverhältnisse haben wir in einer Konstanten cM absorbiert, die in der Regel experimentell bestimmt werden muss. Die Kraft ist proportional zur Dichte des Fluids Fl , zur Querschnittsfläche A des angeströmten Körpers, sowie zur Strömungsgeschwindigkeit vE und zur Rotationsgeschwindigkeit !. E Sie steht senkrecht auf beiden. Experiment 16.13: Magnus-Effekt

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Das Experiment demonstriert den Magnus-Effekt in Wasser. Wegen der höheren Viskosität ist der Magnus-Effekt in Wasser größer und leichter sichtbar zu machen als in Luft. Wir lassen

16

456

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

unterschiedliche Körper durch eine Glasröhre in ein Wasserbecken rutschen. Am Ende der Röhre fallen die Körper durchs Wasser. Was äquivalent zu einer Situation ist, in der das Wasser (nach oben) an den Körpern vorbeiströmt. Die Körper sind aus massivem Metall, mit einem Durchmesser von nur etwa 5 mm. Sie fallen recht schnell. Die Bewegung kann mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgezeichnet werden. Zunächst lassen wir einen Zylinder mit der Stirnseite voran durch die Röhre rutschen. Seine Bahn folgt im Wasser einer Wurfbewegung (mit Reibung). Er landet im Punkt A. Im zweiten Durchgang setzen wir eine Kugel ein. Sie rutscht nicht durch die Röhre, sondern rollt. Dadurch wird sie in eine rasche Rotation versetzt. Am Ende der Röhre fällt auch die Kugel nach unten. Sie wird aber durch den Magnus-Effekt deutlich sichtbar nach links abgelenkt. Auf der linken Seite zeigen die Strömung durch den Fall und die lokale Strömung durch die Rotation in dieselbe Richtung. Sie addieren sich und verringern links den statischen Druck. Folglich wird die Kugel durch den Magnus-Effekt nach links abgelenkt.

Beispiel 16.18: Magnus-Effekt im Sport

Der Magnus-Effekt spielt bei manchen Ballsportarten eine wichtige Rolle, z. B. beim Top-Spin im Tennis oder Tischtennis.

16

© Wikimedia: Pierre-Yves Beaudouin (Ausschnitt)

Der Tischtennisspieler führt beim Top-Spin den Schläger beim Schlag von unten nach oben (im Bild von Ding Ning zu sehen) und versetzt den Ball dadurch in eine starke Vorwärtsrotation. Der Magnus-Effekt führt nun zu einer Kraft nach unten, die den

457 16.8  Dynamischer Auftrieb

Ball (siehe Skizze) nach unten auf die Platte drückt. So sind härtere Schläge möglich, bei denen der Ball ohne den MagnusEffekt über das Ende der Platte hinausfliegen würde.

Beispiel 16.19: Schiffsantrieb durch Magnus-Effekt

Der Magnus-Effekt kann eingesetzt werden, um eine besondere Art von Segelschiffen anzutreiben. Anton Flettner entwickelte diesen Antrieb. Auf dem Schiff werden große Rotoren aufgebaut, die man Flettner-Rotoren nennt. Die Abbildung zeigt den von Flettner 1924 umgebauten Segelschoner Buckau. Nach einer Reihe von Tests überquerte er 1926 erfolgreich den Atlantik. Auch heute werden immer noch Schiffe mit Flettner-Rotoren gebaut, allerdings vornehmlich um Windenergie zu nutzen und dadurch den Treibstoffverbrauch zu senken. Der Antrieb funktioniert nur bei Wind. Das Schiff muss seitlich angeströmt werden. Dann erzeugen die Flettner-Rotoren, die alle in derselben Richtung rotieren müssen, eine Kraft nach vorne, die das Schiff antreibt.

?Aufgaben 1. Ein Pumpspeicherwerk hat ein Oberbecken, das 240 m oberhalb des Turbinenhauses liegt. Berechnen Sie unter Vernachlässigung von Reibungsverlusten, mit welcher Geschwindig-

16

458

Kapitel 16  Hydro- und Aerodynamik

2.

3.

4.

5.

keit das Wasser an den Turbinen ankommt? Wie groß muss die Gesamtquerschnittsfläche der Fallrohre gewählt werden, um eine elektrische Leistung von 600 MW zu liefern? Gehen Sie von einem Wirkungsgrad der Anlage von 75 % aus. Wie lange dauert das Entleeren eines am Anfang bis zur Höhe H gefüllten zylindrischen Tanks mit dem Durchmesser D durch ein kreisrundes Loch mit dem Durchmesser d , das sich in dessen Boden befindet? Ein Behälter ist bis zu einer Höhe von 0;5 m mit Öl ( D 900 kg=m3 ;  D 0;1 Pa s) gefüllt. Die Füllhöhe wird durch Nachfüllen konstant gehalten. Am Boden des Behälters wird Öl durch einen dünnen horizontal liegenden Schlauch mit der Länge 10 m und dem Durchmesser 10 mm abgelassen. Wie groß ist der Volumenstrom? Gehen Sie von laminarer Strömung aus. Ist diese Annahme berechtigt? In einem Sektglas beobachtet man, wie Kohlensäurebläschen mit einer Geschwindigkeit von 10 cm=s aufsteigen. Welchen Durchmesser haben die Bläschen? Nehmen Sie für die Viskosität von Sekt 2;0  103 Pa s und für seine Dichte 990 kg=m3 an. Der Auftrieb eines Flugzeugs FA kann durch folgende Formel beschrieben werden: FA D

16

1 2 v AcA ; 2

wobei die Dichte der Luft, A die Flügelfläche und cA der Auftriebsbeiwert sind. Der Airbus A 380 hat eine Masse von 560 t, besitzt eine effektive Flügelfläche von 850 m2 mit einem cA -Wert von 1;2 und wird durch vier Triebwerke mit einer Schubkraft von je 310 kN angetrieben. Welche Startbahnlänge benötigt der A 380 für einen Start in Frankfurt am Main mindestens? Vernachlässigen Sie Reibung und Luftwiderstand. Wie sieht es bei einem Start in MexikoStadt aus? Die maximale Geschwindigkeit des A 380 beträgt 1100 km=h. Bis in welche Höhe könnte der A 380 bei dieser Geschwindigkeit aufsteigen (Vernachlässigen Sie den Temperaturgradient)? 6. Man kann die Leistung einer Windkraftanlage durch folgende Formel abschätzen:   1 A v 3 P D  2  W 4 m m=s Hier ist A die Fläche, die von den Flügeln überstrichen wird, und v die Windgeschwindigkeit. Welcher Widerstandsbeiwert cW für das Windrad liegt obiger Formel zugrunde? Wie groß muss nach dieser Formel eine Windkraftanlage dimensioniert werden, damit sie bei Windstärke 4 Bft (v D 8 m=s) in etwa 2 MW Leistung liefert?

459

Schwingungen und Wellen Schwingungen und Wellen sind ein zentrales Thema der gesamten Physik. Man findet wichtige Beispiele von Schwingungen nicht nur in der Mechanik, sondern auch in anderen Gebieten der Physik. Licht wird als Schwingung erklärt, Elektronen führen in Atomen Schwingungen aus, Wärme in Festkörpern geht auf Schwingungen zurück, usw. Auch hier in der Mechanik haben wir bereits auf Schwingungen zurückgegriffen, z. B. bei der Bestimmung von Trägheitsmomenten (7 Experiment 13.1). Wir wollen die Schwingungen und darauf aufbauend die Wellen nun systematisch behandeln.

Inhaltsverzeichnis Kapitel 17

Schwingungen – 461

Kapitel 18

Wellen – 519

Kapitel 19

Akustik – 545

V

461

Schwingungen Inhaltsverzeichnis 17.1

Harmonische Schwingungen – 462

17.2

Gedämpfte Schwingungen – 475

17.3

Erzwungene Schwingungen – 482

17.4

Gekoppelte Schwingungen – 493

17.5

Stehende Wellen – 503

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_17

17

462

Kapitel 17  Schwingungen

17.1 17.1.1

Harmonische Schwingungen Einfache Schwingungen

Schwingungen sind periodische Bewegungen eines Körpers. In regelmäßigen Zeitabständen (Periodendauer) wiederholt sich die Bewegung immer wieder aufs Neue. Zu jeder Schwingung gibt es eine Ruhelage, in der die Gesamtkraft auf den Körper verschwindet. Lenkt man den Körper aus der Ruhelage aus, so entsteht eine Bewegung aus dem Wechselspiel einer rücktreibenden Kraft – auch Rückstellkraft genannt –, die den Körper wieder in die Ruhelage zurückführen möchte, und der Trägheit des Körpers. Wir betrachten zunächst in 7 Experiment 17.1 ein Beispiel einer Schwingung. Experiment 17.1: Federpendel

Der Aufbau zeigt einige Federpendel. Sie sind aus unterschiedlichen Massen und unterschiedlichen Federn aufgebaut. Mit der Stoppuhr können wir die Periodendauer bestimmen. Sie unterscheidet sich zwischen den Pendeln. Mit dem Maßstab (links) bestimmen wir zusätzlich die Amplitude der Schwingungen. Das ist die maximale Strecke, um die sich die Massen aus der Ruhelage herausbewegen. Sie hängt davon ab, wie stark wir die Schwingungen zu Beginn anstoßen. Wir können beobachten, dass sich die Periodendauer im Rahmen der Messgenauigkeit bei unterschiedlichen Amplituden nicht verändert. Ferner beobachten wir, dass die Amplitude durch Reibung allmählich abnimmt.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Wir betrachten das Beispiel des Federpendels aus 7 Experiment 17.1 noch etwas genauer (siehe . Abb. 17.1): Am Federpendel stellt sich bei xR eine Ruhelage ein, die durch ein Gleichgewicht aus Gewichtskraft FG und Federkraft FD bestimmt ist: FD D DxR D mg D FG :

17

(17.1)

Lenkt man die Masse aus der Ruhelage aus, so entsteht aus der nun veränderten Bilanz von Schwerkraft und Federkraft eine Rückstellkraft. Wir bezeichnen mit x die Auslenkung aus der Ruhelage, dann ist die Rückstellkraft: Fr D D.xR  x/  mg D Dx : . Abb. 17.1 Federpendel

(17.2)

Das Minuszeichen zeigt an, dass die Rückstellkraft der Auslenkung entgegengerichtet ist. Ist der Körper nach oben ausgelenkt,

463 17.1  Harmonische Schwingungen

so zeigt die Rückstellkraft nach unten und umgekehrt. Sie zeigt immer auf die Ruhelage zu. Die Rückstellkraft nimmt mit zunehmender Auslenkung zu. Hier haben wir die Federkraft durch das Hooke’sche Gesetz genähert und einen linearen Anstieg der Rückstellkraft mit der Auslenkung erhalten. Dies werden wir später die „harmonische Näherung“ nennen. Aus dem zweiten Newton’schen Axiom können wir nun die Bewegung der Pendelmasse berechnen: d 2 x.t/ D Dx.t/ dt 2 d 2 x.t/ D C x.t/ D 0 : 2 dt m m

(17.3)

p Wir definieren eine Konstante !0 D D=m. Es wird noch zu zeigen sein, dass es sich bei dieser Größe tatsächlich um eine Winkelgeschwindigkeit handelt. Damit ist: d 2 x.t/ C !02 x.t/ D 0 : dt 2

(17.4)

Dies ist die Differenzialgleichung der harmonischen Schwingung. Die Lösung dieser Differenzialgleichung lautet: x.t/ D x0 sin.!0 t C '0 / D x0 cos.!0 t C '00 / mit

r !0 D

D : m

(17.5)

Nun sehen wir, dass die Konstante !0 in der Tat die Kreisfrequenz darstellt, mit der sich die schwingende Federmasse bewegt. Wir können hieraus die Frequenz f0 und die Periode T0 der Schwingung bestimmen: !0 D 2 f0

und f0 D

1 : T0

(17.6)

Die Einheit der Frequenz ist das Hertz Œf  D 1 Hz D 1s . Wir erkennen ferner die Zusammenhänge, die wir bereits in 7 Experiment 17.1 gesehen haben. Die Periode der Schwingung hängt von der Federkonstante der Feder und der Masse des schwingenden Körpers ab, nicht aber von der Amplitude x0 der Schwingung. Vielleicht ist hier noch eine Bemerkung zur Lösung der Differenzialgleichung angebracht. Wir haben diese Lösung im Wesentlichen geraten. Allgemeine Verfahren zur Bestimmung der Lösung von Differenzialgleichungen sind schwierig. Wir haben einen Ansatz für die Lösung gewählt und müssen nun noch zeigen, dass dieser in der Tat eine Lösung der Differenzialgleichung

17

464

Kapitel 17  Schwingungen

ist. Dazu berechnen wir die Ableitungen: x.t/ D x0 sin.!0 t C '0 / dx.t/ D x0 !0 cos.!0 t C '0 / v.t/ D dt d 2 x.t/ a.t/ D D x0 !02 sin.!0 t C '0 / : dt 2 Wir setzen diese in die Differenzialgleichung ein: d 2 x.t/ C !02 x.t/ D 0 dt 2 x0 !02 sin.!0 t C '0 / C !02 x0 sin.!0 t C '0 / D 0 :

(17.7)

X (17.8)

Die Lösung enthält zwei Integrationskonstanten, die wir frei wählen können. Die erste, x0 , gibt die Amplitude der Schwingung an, die andere, '0 , die Phasenlage der Schwingung zum Zeitpunkt t D 0. Je nachdem, welchen Wert '0 hat, befindet sich der schwingende Körper bei t D 0 gerade in der Ruhelage, einem der Punkte maximaler Auslenkung oder irgendwo dazwischen. Erwähnt sei noch, dass man die Punkte maximaler Auslenkung auch die „Wendepunkte der Schwingung“ nennt, da sich für den schwingenden Körper in den Wendepunkten die Richtung der Bewegung umdreht.

17.1.2

Energiebetrachtung

Wir wollen nun den Energieinhalt der Schwingung betrachten. Er setzt sich zusammen aus der potenziellen Energie, die in der Feder gespeichert ist (Federenergie EF ), und der kinetischen Energie der Bewegung Ekin 1 Dx 2 2 1 Ekin D mv 2 : 2 Die Gesamtenergie ist dann: EF D

17

(17.9)

1 1 (17.10) Dx 2 C mv 2 : 2 2 Wegen der Energieerhaltung muss diese für die gesamte Bewegung konstant sein. Wir können sie daher zu einem beliebigen Zeitpunkt berechnen. Ist der Körper im Wendepunkt, so verschwindet die kinetische Energie und es ist: Etot D

1 (17.11) Dx02 : 2 Alternativ können wir die Gesamtenergie im Nulldurchgang, d. h. im Durchgang durch die Ruhelage, bestimmen, wo die FederenEtot D

465 17.1  Harmonische Schwingungen

ergie null ist: 1 2 1 (17.12) mvmax D mx02 !02 : 2 2 Zur Kontrolle bestimmen wir noch die Energie zu einem beliebigen Zeitpunkt der Schwingung Etot D

1 1 Dx 2 .t/ C mv 2 .t/ 2 2 1 1 D Dx02 sin2 .!0 t C '0 / C mx02 !02 cos2 .!0 t C '0 / 2 2 D 1 1 D Dx02 sin2 .!0 t C '0 / C mx02 cos2 .!0 t C '0 / 2 2 m 1 D Dx02 .sin2 .!0 t C '0 / C cos2 .!0 t C '0 // 2 1 (17.13) D Dx02 : 2 Wir erhalten ein konsistentes Ergebnis mit den obigen Berechnungen. Etot D

17.1.3

Das physikalische Pendel

In 7 Experiment 17.2 bis 7 Experiment 17.5 ist noch eine Reihe weiterer Beispiele dargestellt. Wir wollen eines davon mathematisch untersuchen, das sogenannte physikalische Pendel. Als „physikalisches Pendel“ bezeichnet man einen starren Körper, der außerhalb seines Schwerpunktes drehbar aufgehängt ist. In . Abb. 17.2 ist eine Stange als physikalisches Pendel dargestellt. Lenkt man sie aus der Ruhelage aus, entsteht ein rücktreibendes Drehmoment: M D FG a D mgh sin '

(17.14)

Für kleine Auslenkungen kann man es nähern durch M  mgh'

(17.15) . Abb. 17.2 Physikalisches Pendel

Wir setzen dies in die Bewegungsgleichung ein: d 2 '.t/ DM dt 2 d 2 '.t/ I D mgh'.t/ dt 2 d 2 '.t/ mgh C '.t/ D 0 dt 2 I d 2 '.t/ mgh C !02 '.t/ D 0 mit !02 D 2 dt I I

(17.16)

17

466

Kapitel 17  Schwingungen

Dies ist die gleiche Differenzialgleichung, wie wir sie beim Federpendel erhalten haben, allerdings nun im Winkel ' und nicht in der Auslenkung x. Wieder ergibt sich ein sinusförmiger Verlauf als Lösung (bzw. ein kosinusförmiger). '.t/ D '0 sin.!0 t C ' 0 /

(17.17)

Beachten Sie bitte, dass hier '0 die Amplitude der Schwingung bezeichnet, während die Phase mit ' 0 bezeichnet ist. Solche Schwingungen, die einem sinusförmigen Verlauf folgen, nennt man „harmonische Schwingungen“. Sie treten immer dann auf, wenn die Rückstellkraft linear mit der Auslenkung ansteigt. Experiment 17.2: Physikalisches Pendel

Dieses physikalische Pendel ist ein trapezförmiges Brett mit mehreren Aufhängungen. Man kann so die Abhängigkeit vom Trägheitsmoment I und vom Abstand der Aufhängung zum Schwerpunkt studieren.

Experiment 17.3: Mach’scher Pendelapparat

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

17 © RWTH Aachen, Sammlung Physik

Dieses Stangenpendel ist eine weitere Variante eines physikalischen Pendels. Allerdings ist die Aufhängung so konstruiert, dass die Schwingungsebene starr mit der Aufhängung verbunden ist. Kippt man die Aufhängung, so kippt auch die Schwingungsebene. Bei gekippter Schwingungsebene trägt nicht mehr die volle

467 17.1  Harmonische Schwingungen

Gewichtskraft zur Rückstellkraft bei. Wir haben g auf g cos ˛ reduziert. Die Schwingung wird langsamer. Man kann so die Abhängigkeit der Periodendauer von der Fallbeschleunigung studieren.

Experiment 17.4: Torsionspendel

Mit einer langen Feder lässt sich nicht nur ein Federpendel bauen, sondern auch ein sogenanntes Torsionspendel. Man dreht den Pendelkörper vorsichtig um seine eigene Achse und achtet dabei sorgfältig darauf, ihn nicht nach oben oder unten aus der Ruhelage auszulenken. Lässt man ihn los, entsteht eine Drehschwingung um die Federachse. Lenkt man ihn zusätzlich nach oben oder unten aus, entsteht eine kompliziertere Bewegung, die wir erst in 7 Abschn. 17.4 besprechen wollen.

Experiment 17.5: Mathematisches Pendel

Das mathematische Pendel ist ein idealisiertes Pendel. Es besteht aus einer masselosen Aufhängung und einem punktförmigen Pendelkörper. Obwohl dies nicht realisierbar ist, kann man der Idealisierung genügend nahe kommen, um mit dem mathematischen Pendel eine gute Messung der Fallbeschleunigung durchzuführen. Man kann mit moderatem Aufwand durchaus eine Genauigkeit von 0;1 % erreichen. Die Abbildung zeigt die Kräfteverhältnisse an einem mathematischen Pendel. Die horizontale Auslenkung ist x, der Auslenkwinkel '. Sie hängen zusammen über sin ' D xl . Die Rückstellkraft ist Fr D  sin 'FG . Für kleine Auslenkungen zeigt Fr näherungsweise in Richtung von x. Damit ergibt sich für die x. Die Differenzialgleichung lautet Rückstellkraft Fr D  mg l m

d 2 x.t/ mg x.t/ D dt 2 l

d 2 x.t/ C !02 x.t/ D 0 dt 2

mit

!02 D

g l

mit der üblichen Lösung. Als Aufhängung benutzt man einen Faden oder eine dünne Stange, die man mit einer Schneide nahezu reibungsfrei lagern kann. Bei einer Pendellänge von ca. 1 m sollte man ein kompaktes Gewicht von rund 1 kg verwenden, z. B. eine Stahlkugel. Ist sie zu leicht, spielt die Reibung eine zu große Rolle. Beim

17

468

Kapitel 17  Schwingungen

Auslenken muss man darauf achten, dass die Kugel sauber in einer stabilen Ebene schwingt (eventuell bifilar aufhängen). Die Länge der Aufhängung wird bis zum Schwerpunkt des Pendelkörpers gemessen. Diese Messung begrenzt die Genauigkeit der Bestimmung der Fallbeschleunigung. Die Schwingungsperiode kann man genauer bestimmen, indem man eine größere Zahl von Schwingungen misst.

Experiment 17.6: Mathematisches Pendel 2

Wie wir in 7 Experiment 17.5 berechnet haben, sollte die Schwingungsperiode eines mathematischen Pendels nicht von der Masse des Pendelkörpers abhängen. Dieses zunächst überraschende Ergebnis lässt sich mit diesem einfachen Experiment sehr schön demonstrieren. An einer Stange (Abbildung) hängen hintereinander drei Pendel mit gleicher Länge. Den Pendelkörper bildet jeweils eine Metallkugel gleichen Durchmessers. Allerdings bestehen die drei Pendelkörper aus verschiedenen Materialien und sind daher unterschiedlich schwer. Vorne hängt eine Messingkugel, in der Mitte eine Kugel aus Aluminium und hinten schließlich eine Bleikugel. Die Bleikugel ist mehr als viermal so schwer wie die Kugel aus Aluminium. Lenken wir die drei Kugeln gemeinsam aus und lassen sie im selben Moment los, so können wir beobachten, wie diese über viele Schwingungsperioden synchron schwingen. Ihre Schwingungsperioden sind gleich. Sie sind nur durch die Länge des Fadens und die Fallbeschleunigung bestimmt.

Beispiel 17.1: Zwangsbedingungen und Zwangskräfte

17

Als wir starre Körper einführten, haben wir Ihnen erklärt, dass ein Massenpunkt drei Freiheitsgrade und ein starrer Körper im Allgemeinen sechs Freiheitsgrade hat. Hier werden wir nun den Sprung von einfachen Pendeln zu gekoppelten Pendeln machen und Ihnen darlegen, dass ein einfaches Pendel einen Freiheitsgrad und ein gekoppeltes Pendel zwei Freiheitsgrade besitzt. Wo liegt der Unterschied? Der Unterschied rührt daher, dass sich die Pendelkörper nicht frei bewegen können. Eine Kugel eines Fadenpendels hat nur eine Bewegungsmöglichkeit. Sie kann sich ausschließlich entlang der Schwingungsrichtung der Pendelbewegung bewegen, aber nicht senkrecht dazu. Ihre Gewichtskraft und die Aufhängung

469 17.1  Harmonische Schwingungen

am Faden verhindern dies. Deshalb zählen wir nur einen Freiheitsgrad. Wir sprechen davon, dass die Bewegung der Kugel Zwangsbedingungen unterliegt. Zwangsbedingungen reduzieren die Bewegungsmöglichkeiten der Körper und vermindern damit die Zahl der Freiheitsgrade. Wir wollen dies am Beispiel des Fadenpendels ausführen. Die Kugel, die wir durch einen Massenpunkt nähern, besitzt zunächst drei Freiheitsgrade, die in einem kartesischen Koordinatensystem (siehe Abbildung) der Bewegung in x-, y- und z-Richtung entsprechen. Die Kugel sei bifilar aufgehängt, was verhindert, dass sie sich in z-Richtung bewegt. Dies führt zur Zwangsbedingung: z D 0: Die Gewichtskraft, die auf die Kugel wirkt, hält den Faden gespannt, so dass die Fadenlänge und damit der Abstand vom Koordinatenursprung immer l beträgt. Dies können wir durch eine zweite Zwangsbedingung ausdrücken, nämlich: x2 C y2 D l 2 : Jede Zwangsbedingung reduziert die Zahl der Freiheitsgrade um eins. Mit den beiden Zwangsbedingungen bleibt von den ursprünglich drei Freiheitsgraden nur noch einer übrig. Dies bringt uns zu der Frage, wie wir die Bewegung des Systems angesichts der Zwangsbedingungen berechnen können. Neben der Rückstellkraft FEr , die die Schwingung antreibt, wirken noch weitere Kräfte auf die Kugel, nämlich die andere Komponente der Gewichtskraft und die Seilkraft. Diese Kräfte sorgen dafür, dass die Bewegung der Kugel den Zwangsbedingungen folgt. Wir nennen diese Kräfte entsprechend die Zwangskräfte FEZw . Sie wirken immer senkrecht zur erlaubten Bewegung und verrichten daher keine Arbeit am System. Wollen wir die Bewegung aus dem Grundgesetz der Mechanik berechnen, müssen wir auch die Zwangskräfte berücksichtigen: d 2 rE D FEr C FEZw : dt 2 Dies führt zum richtigen Ergebnis, ist aber oft umständlich, da wir Kenntnis über die Zwangskräfte haben müssen. Wir wollen Ihnen daher einen anderen Weg aufzeigen. Wir erweitern den Begriff der Koordinate zur verallgemeinerten oder generalisierten Koordinate. Diese ist eine Größe, die die Position des Körpers, hier der Kugel, bestimmt. Das Adjektiv „verallgemeinert“ bzw. „generalisiert“ deutet an, dass es sich dabei nicht notwendigerweise um eine Länge handelt, wie dies bei kartesischen Koordinaten der Fall ist. Gesucht ist nun eine solche

m

17

470

Kapitel 17  Schwingungen

Größe, die die Position der Kugel eindeutig festlegt und die Zwangsbedingungen automatisch erfüllt. Im Fall des Fadenpendels erfüllt der Winkel (siehe Abbildung) diese Bedingungen. Die Transformation von der generalisierten Koordinate auf die kartesischen Koordinaten lautet: x D l sin ' y D l cos ' z D 0: Die Bedingung z D 0 trifft unverkennbar zu und x 2 C y 2 D .l sin '/2 C .l cos '/2 führt, wie gewünscht, auf l 2 .sin2 ' C cos2 '/ D l 2 . Die Bewegungsgleichung lautet: m m

d2 .l sin '/ D 0 dt 2

d2 .l cos '/ D mg ; dt 2

wobei wir die dritte Komponente, die offensichtlich erfüllt ist, weggelassen haben. Die Ableitungen ergeben: !   d 2' d' 2 C cos ' 2 D 0 ml  sin ' dt dt !  2 d 2' d' C sin ' 2 D mg : ml cos ' dt dt Sie multiplizieren die erste Gleichung mit cos ' und die zweite mit sin ' und addieren die beiden. Dann ergibt sich nach kurzer Umformung: g d 2' sin ' : D dt 2 l

17

Dies ist die gesuchte Bewegungsgleichung. Die Lösung wird die Zwangsbedingung automatisch erfüllen, da sie für beliebige Werte von ' erfüllt sind. In Kleinwinkelnäherung sin '  '  x= l ergibt sich die bekannte Differenzialgleichung des mathematischen Pendels. Für dieses Beispiel ist dies nicht der einfachste Lösungsweg, aber vielleicht können Sie erahnen, wie hilfreich die Reduktion der Freiheitsgrade für andere Beispiele sein mag. Zum Schluss dieses Beispiels sei noch erwähnt, dass die Wahl der verallgemeinerten Koordinaten nicht eindeutig ist. Wir hätten beispielsweise auch die Wegstrecke s (Bogenlänge) der Kugel von der Ruhelage zur aktuellen Position wählen können. Die Anzahl der verallgemeinerten Koordinaten ist dagegen durch das System eindeutig festgelegt.

471 17.1  Harmonische Schwingungen

17.1.4

Darstellung im Phasenraum

Wir haben nun anhand einiger Beispiele die Bewegungsgleichungen harmonischer Schwingungen studiert. Wir wollen noch eine andere Betrachtungsweise der Schwingungen hinzufügen, die in Bereichen der modernen Physik von Bedeutung ist: die Darstellung der Bewegung im Phasenraum. Man kann allgemein den Zustand eines Massenpunktes festlegen, indem man dessen Ort und Geschwindigkeit zu einem einzelnen festen Zeitpunkt angibt. Kennt man die auftretenden Kräfte, so kann man aus diesem Zustand Ort und Geschwindigkeit zu beliebigen Zeitpunkten in der Zukunft wie in der Vergangenheit berechnen. In einem Diagramm, in dem man Ort und Geschwindigkeit gegeneinander aufträgt, ergibt sich dann eine Linie, die die Bewegung abbildet. Diese Darstellung von Ort und Geschwindigkeit nennt man den „Phasenraum“. Für eine allgemeine Bewegung in drei Raumdimensionen hat der Phasenraum 6 Dimensionen (je 3 Orts- und Geschwindigkeitskoordinaten). In unserem Beispiel einer harmonischen Schwingung läuft die Bewegung nur in einer Koordinate ab und der Phasenraum hat daher nur 2 Dimensionen. Die Auslenkung der Schwingung sei durch die Größe x gegeben. Die Rückstellkraft im harmonischen Fall ist dann Fr D kx. Wir bestimmen die Geschwindigkeit des Systems zu einem beliebigen Zeitpunkt t. Wie wir gesehen haben, gilt für die Gesamtenergie: Etot D

1 2 1 1 2 1 2 D kxmax : (17.18) mv .t/ C kx 2 .t/ D mvmax 2 2 2 2

Hieraus folgt: 1 2 1 2 1  kx 2 .t/ mv .t/ D kxmax 2 2 2 k 2 k 2 2 v .t/ D xmax  x .t/ m m   k x 2 .t/ 2 v 2 .t/ D xmax 1 2 : m xmax 2 D Ebenfalls aus Gl. 17.18 sehen wir, dass vmax   x 2 .t/ 2 2 v .t/ D vmax 1  2 xmax s x 2 .t/ v.t/ D ˙vmax 1  2 xmax

ist.

(17.19) k 2 m xmax

und damit

(17.20)

17

472

Kapitel 17  Schwingungen

. Abb. 17.3 Phasenraumellipsen harmonischer Schwingungen

Dies ist die Parameterdarstellung einer Ellipse in den Koordinaten x.t/ und v.t/ mit der Zeit als Parameter. Einige Ellipsen sind in . Abb. 17.3 zu sehen. Die Bahnen werden jeweils im Uhrzeigersinn durchlaufen. Ein voller Umlauf um die Ellipse entspricht einer Schwingungsperiode. Die Größe der Ellipsen ist durch die Gesamtenergie des Systems gegeben. Ellipsen mit größeren Halbachsen beschreiben Schwingungen mit mehr Energie (größere Amplitude).

Laplace’scher Dämon Nach den Gesetzen der klassischen Mechanik genügt die Angabe von Ort und Geschwindigkeit eines Körpers zu einem einzigen Zeitpunkt, um dessen Bewegung aus der Vergangenheit und in die Zukunft exakt vorhersagen zu können. Möchte man diese Berechnung durchführen, so muss man allerdings die Kräfte auf den Körper kennen. Da diese von anderen Körpern ausgeübt werden, die sich gegebenenfalls selbst bewegen, muss man die Bewegungen aller beteiligten Körper gemeinsam berechnen in 2 einem System gekoppelter Differenzialgleichungen mi d dtrEi2.t/ D FEi .Er1 ; : : : ; rEN /. In der Praxis ist dies nur für einfache Systeme

17

möglich, aber philosophisch betrachtet spielt diese mathematisch technische Begrenzung keine Rolle. Aus einer Momentaufnahme der Welt, aus der die Position und Geschwindigkeit aller Körper zu diesem Zeitpunkt hervorgeht, ist es nach den Gesetzen der klassischen Physik einer Person im Prinzip möglich, die Zukunft exakt vorherzusagen. Man nennt diese fiktive Person den „Laplace’schen Dämon“ nach dem Mathematiker Pierre-Simon Laplace. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass es einen Laplace’schen Dämon nur im Rahmen der klassischen Physik geben kann. Die Quantenphysik widerlegt diese Vorstellung, und Ergebnisse der Chaostheorie schränken sie selbst für die klassische Physik ein.

473 17.1  Harmonische Schwingungen

17.1.5

Anharmonische Schwingungen

Wir haben nun eine Reihe von Beispielen harmonischer Schwingungen diskutiert. Aber nicht alle Schwingungen sind notwendigerweise harmonisch. Wie bereits erwähnt, ist die Rückstellkraft der Schlüssel. Bei harmonischen Schwingungen ist sie proportional zur Auslenkung. Wir haben bereits andere Beispiele gesehen. Im 7 Experiment 11.1, der Gravitationswaage trat eine Torsionsschwingung der Kugeln auf, deren rückstellendes Drehmoment nicht proportional zur Auslenkung ist. Dort wurde eine Messung der Schwingung über gut zwei Perioden aufgezeichnet, die eine kleine, aber deutlich sichtbare Abweichung von einer harmonischen Schwingung zeigt. Die Schwingungsgleichung lautet: I

d 2 '.t/ DM: dt 2

(17.21)

Das Drehmoment setzt sich zusammen aus der Torsion des Fadens MF und der Gravitationskraft durch die beiden großen Kugeln MG . Es ist  rF4 ' 2LF mM l MG D G 2 l mit r D r0  sin ' ; r 2

MF D GT

(17.22)

wobei ' D 0 die Ruhelage darstellt, in der die kleinen und großen Kugeln den Abstand r0 haben (G ist die Graviationskonstante, GT der Torsionsmodul des Drahtes). Setzt man dies in Gl. 17.21 ein, so ergibt sich eine nichtlineare Differenzialgleichung, die nicht auf eine harmonische Lösung führt. Die Lösung dieser nichtlinearen Differenzialgleichungen ist oft schwierig. Wir wollen das Beispiel der Gravitationswaage hier beenden und stattdessen die Diskussion des mathematischen Pendels noch einmal aufnehmen. Statt als lineare Schwingung in der horizontalen Auslenkung x (7 Experiment 17.5) wollen wir das Pendel als Drehschwingung in der Koordinate ' darstellen. Es ergibt sich (I D ml 2 ) d 2 '.t/ D mgl sin '.t/ dt 2 d 2 '.t/ C !02 sin '.t/ D 0 mit dt 2

I

!02 D

g l

(17.23)

Wir hatten nun für kleine Auslenkungen die Näherung sin '  ' benutzt und waren so auf eine harmonische Differenzialgleichung gekommen. Wir haben aus der Reihenentwicklung des Sinus nur den ersten Term übernommen. Wir wollen nun als Korrektur den nächst größeren Term mitberücksichtigen sin '  '  16 ' 3 . Die

17

474

Kapitel 17  Schwingungen

Differenzialgleichung lautet nun

17

d 2 '.t/ 1 g C !02 '.t/  !02 ' 3 .t/ D 0 mit !02 D (17.24) dt 2 6 l Wir wollen wieder einen harmonischen Ansatz versuchen '.t/ D Q wobei wir eine Frequenz zulassen, die von !0 '0 sin.! 0 t C '/, abweicht. Setzen wir diesen Ansatz in die Differenzialgleichung ein, so ergibt sich     '0 ! 02 sin ! 0 t C 'Q C '0 !02 sin ! 0 t C 'Q   1 (17.25)  '03 !02 sin3 ! 0 t C 'Q D 0 6 Der kubische Term lässt sich umrechnen mittels sin3 x D 14 .3 sin x  sin 3x/ in     '0 ! 02 sin ! 0 t C 'Q C '0 !02 sin ! 0 t C 'Q      1 1 D 0 (17.26)  '03 !02 3 sin ! 0 t C 'Q  sin 3 ! 0 t C 'Q 6 4 Diese Gleichung kann nicht für beliebige Zeiten erfüllt sein, was zeigt, dass die Differenzialgleichung nicht mit einem harmonischen Ansatz exakt gelöst werden kann. Wir können aber trotzdem eine Näherung daraus ableiten. Es ist der letzte Summand mit der 3-fachen Frequenz, der den sinusförmigen Verlauf ändert. Er mittelt sich über eine Periode von ! 0 t heraus. Wir können ihn daher weglassen. Dann muss gelten     '0 ! 02 sin ! 0 t C 'Q C '0 !02 sin ! 0 t C 'Q  3  1  '03 !02 sin ! 0 t C 'Q D 0 6 4 1 02 ! C !02  '02 !02 D 0 8   '2 ! 02 D !02 1  0 (17.27) 8 Dies ist die gesuchte Korrektur. Mit steigender Amplitude nimmt die Kreisfrequenz gegenüber einer infinitesimalen Amplitude ab, bzw. die Periodendauer zu. Bei einer Amplitude von 10° beträgt die Korrektur beispielsweise 0,38 %. Beachten Sie, dass in dieser Darstellung des mathematischen Pendels als Drehschwingung auch die Korrektur durch die nicht verschwindende Ausdehnung des Pendelkörpers leicht eingebracht werden kann. Zunächst waren wir ja von einem punktförmigen Pendelkörper ausgegangen. Benutzt man beispielsweise eine Kugel mit Radius r, deren Schwerpunkt die Pendellänge l markiert, so müssen wir lediglich das Trägheitsmoment I nach dem Satz von Steiner korrekt berechnen. Es ergibt sich I D m.l 2 C 25 r 2 / und damit g  ! 02 D  (17.28) 2 l 1 C 25 rl 2

475 17.2  Gedämpfte Schwingungen

Eventuell könnte man hier auch das Trägheitsmoment des Fadens mit einrechnen (man muss ihn dann auch bei der Rückstellkraft berücksichtigen). Aber dieser Effekt ist meist vernachlässigbar. Eine weitere Korrektur durch die Reibung können wir im folgenden Abschnit beschreiben. 17.2

Gedämpfte Schwingungen

Im ersten Unterkapitel über die Schwingungen sind wir von reibungsfreien Verhältnissen ausgegangen, obwohl man in den Experimenten durchaus Reibung beobachten konnte. Wir wollen uns nun diesem Einfluss auf die Schwingungen zuwenden. In 7 Experiment 17.7 kann man die Effekte systematisch studieren. Experiment 17.7: Pohl’sches Rad

Das Pohl’sche Rad (Abbildung) ist ein Metallrad (kupfern), das Drehschwingungen um seine Achse ausführt. Die Achse ist drehbar gelagert und mit einer Spiralfeder verbunden (im Bild hinter dem Rad erkennbar), die das rückstellende Drehmoment in die Ruhelage bewirkt. Lenkt man das Rad aus, führt es harmonische Schwingungen aus. Ein elektronischer Aufnehmer erlaubt es, die Auslenkungen auf einem Rechner darzustellen. Das Pohl’sche Rad ist zusätzlich mit einer Wirbelstrombremse versehen (am tiefsten Punkt des Rades), die eine einstellbare Reibungskraft erlaubt. Die beiden Abbildungen zeigen das Rad und eine Messung mit einer relativ geringen Reibung (Dämpfung).

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

17

476

Kapitel 17  Schwingungen

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Wie man sieht, führt die Reibung zu einer allmählichen Abnahme der Amplitude. Erhöht man die Dämpfung, so nimmt die Amplitude rascher ab. Bei sehr großer Dämpfung tritt schließlich gar keine periodische Bewegung mehr auf. Das Rad kehrt allmählich in die Ruhelage zurück. Dies nennt man den „Kriechfall“.

In . Abb. 17.4 ist noch einmal ein Federpendel gezeigt, bei dem wir nun neben der Rückstellkraft Fr D kx die Reibungskraft FR D cv berücksichtigen wollen. Wir nehmen an, dass es sich um eine Art Stokes’scher Reibung handelt, die proportional zur Geschwindigkeit ist. Zur Unterscheidung bezeichnen wir die Rückstellkraft mit einem kleinen r im Index. Die Differenzialgleichung lautet ma D Fr C FR d 2 x.t/ D kx.t/  cv.t/ dt 2 d 2 x.t/ c dx.t/ k C C x.t/ D 0 : 2 dt m dt m m

17 . Abb. 17.4 Federpendel mit Reibung

(17.29)

Wir führen zwei Konstanten ein d 2 x.t/ dx.t/ c C 2 C !02 x.t/ D 0 mit 2 D ; dt 2 dt m

k : m (17.30)

!02 D

477 17.2  Gedämpfte Schwingungen

Die Konstante !02 kennen wir bereits aus dem reibungsfreien Fall. Sie hat dort die Kreisfrequenz der Schwingung angegeben. Es wird sich herausstellen, dass sie auch hier wieder eng mit der Frequenz verknüpft ist. Die zweite Konstante beschreibt die Dämpfung des Systems durch Reibung. Die Definition ist 2 D c=m. Beachten Sie allerdings, dass manche Autoren die Dämpfung ohne den Faktor 2 definieren ( D c=m), was zu Verwirrungen führen kann. Wir wollen nun eine Lösung für die Differenzialgleichung suchen. Wir erwarten eine Schwingung, deren Amplitude mit der Zeit abnimmt. Wir wählen einen exponentiellen Ansatz. Dieser Ansatz enthält die harmonische Schwingung, wenn wir zulassen, dass der Exponent komplexe Werte annimmt. Er ist allgemeiner als der Ansatz, den wir für die Differenzialgleichung der ungedämpften Schwingung verwendet haben, da bei negativem, reellem Exponenten auch eine Abnahme der Amplitude darin enthalten ist. Der Lösungsansatz lautet x.t/ D ae t dx.t/ D ae t dt d 2 x.t/ D a2 e t : dt 2

(17.31)

Wir setzen diesen Ansatz in die Differenzialgleichung ein und erhalten a2 e t C 2 ae t C !02 ae t D 0 a2 C 2 a C !02 a D 0 2 C 2  C !02 D 0 :

(17.32)

Wir erhalten als Bedingung eine quadratische Gleichung für , die erfüllt sein muss, damit unser Ansatz die Differenzialgleichung löst. Wir lösen sie nach  auf q (17.33) 1;2 D  ˙ 2  !02 : (An dieser Stelle mögen Sie erkennen, warum wir den Faktor 2 in die Definition von eingefügt haben.) Wir haben zwei Lösungen gefunden. Die Lösung der Differenzialgleichung wird die Summe dieser beiden Lösungen sein. Die Amplitude a des Ansatzes geht nicht in die Lösungsbedingung ein, sodass wir für die beiden Lösungen beliebige Amplituden (a1 und a2 ) wählen können. Die allgemeine Lösung ist: p 2 2 p 2 2 x.t/ D a1 e . C !0 /t C a2 e .  !0 /t  p 2 2 p 2 2 (17.34) D e  t a1 e !0 t C a2 e  !0 t :

17

478

Kapitel 17  Schwingungen

Was für eine Bewegung diese Lösung tatsächlich beschreibt, hängt von den äußeren Bedingungen ab, in diesem Fall von den Werten der beiden Konstanten und !0 . Sie bestimmen, ob der Exponent reell oder imaginär ist. Wir unterscheiden drei Fälle

2 < !02 , 2 D !02 und 2 > !02 . 17.2.1

Schwache Dämpfung ( < !0 )

In diesem Fall ist die Reibungskraft (im Mittel) geringer als die rücktreibende Kraft. Der Radikand (der Ausdruck unter der Wurzel) ist negativ. Wir trennen das Minuszeichen desRadikanden ab,  indem wir eine neue Konstante ! 2 D  2  !02 > 0 einführen. Dann ist p 2 2 p p p 2 2 e !0 t D e ! t D e 1 ! t D e i !t p 2 2 p p p 2 2 e  !0 t D e  ! t D e  1 ! t D e i !t : (17.35) und die Lösung vereinfacht sich zu   x.t/ D e  t a1 e i !t C a2 e i !t :

(17.36)

Nun müssen wir allerdings Folgendes bedenken: Die Auslenkung x.t/ ist eine physikalische Größe. Sie kann nur reelle Werte annehmen. Dass wir hier komplexe Zahlen angesetzt haben, ist lediglich ein mathematisches Hilfsmittel, um die Rechnungen zu verkürzen. Die Exponentialfunktionen werden für manche Zeiten komplexe Werte ergeben. Um die Auslenkung reell zu halten, müssen wir nun auch für a1 und a2 bestimmte komplexe Werte zulassen, die wir so wählen, dass die gesamte Amplitude reell wird. Wie man leicht nachrechnen kann (bestimmen Sie den Imaginärteil von x.t/), ist dies der Fall, falls a1 D a2 D a. Die komplexe Phase der Zahl a sei mit ' bezeichnet. Dann ist

17

  x.t/ D e  t a e i !t C a e i !t D e  t .a cos !t C i a sin !t C a cos.!t/ C i a sin.!t// D e  t .a cos !t C i a sin !t C a cos !t  i a sin !t/ D e  t ..a C a / cos !t C i .a  a / sin !t / D e  t .2c D D cvac vph D vac k k k2  2  1 1 d! c2 D q 2cvac k D vac < cvac : vg D dk 2 !2 C c2 k2 vph p vac Beachten Sie bitte: Die Aussage der Relativitätstheorie, dass sich nichts schneller bewegt als Licht im Vakuum, bezieht sich auf die Gruppengeschwindigkeit. Die Phasengeschwindigkeit kann größer als cvac werden.

533 18.3  Wellenpakete

Ein Wellenpaket entsteht durch Überlagerung von Wellen unterschiedlicher Frequenzen. Man kann es schreiben als Z1 .x; t/ D

0

A.k; !/ sin.kx  !t/d k :

(18.29)

1

Die Funktion A.k; !/ gibt die Stärke an, mit der eine Welle mit Frequenz ! zum Wellenpaket beiträgt. Man kann damit Wellenpakete mit beliebigem Amplitudenverlauf erzeugen. Allerdings enthält dann A.k; !/ beliebige Frequenzen zwischen null und unendlich. Die Funktion A.k; !/ lässt sich aus .x; t/ durch eine Fourier-Transformation bestimmen. Wir wollen hier auf den mathematischen Formalismus nicht näher eingehen, sondern demonstrieren die Frequenzanalyse in einem Experiment (7 Experiment 18.3). Experiment 18.3: Fourieranalyse mit Mikrofon

Software, die automatische Fourier-Analysen ausführt, ist heute weit verbreitet. Wir zeigen hier die Fourier-Spektren einer Stimmgabel und einer menschlichen Stimme. Der Schall wird mit einem Mikrofon in ein elektrisches Signal umgewandelt, welches dann von einem Analog-zu-Digitalkonverter (flash-ADC) digitalisiert wird. Die Software führt dann über ein einstellbares Zeitintervall die Fourier-Analyse aus, d. h. sie bestimmt numerisch das inverse Integral zu Gl. 18.29. Das Fourier-Spektrum der Stimmgabel ist in (a) zu sehen. Sie gibt den Kammerton a’ mit einer Frequenz von 440 Hz ab. Er ist im Fourier-Spektrum als schmaler hoher Peak zu sehen. Es handelt sich um eine nahezu rein harmonische Schwingung. Obertöne sind kaum noch zu erkennen. Anders die menschliche Stimme (Abbildung b). Der Experimentator singt einen Ton a in das Mikrofon, allerdings eine Oktave tiefer als der Kammerton der Stimmgabel. Die Grundfrequenz des gesungenen Tones liegt bei 220 Hz. Deutlich sind Obertöne zu erkennen, die stärksten bei 440 Hz (a’), 660 Hz (e”) und 880 Hz (a”).

18

534

Kapitel 18  Wellen

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Beispiel 18.5: Fourierdarstellung

Im Haupttext haben wir die Fourierdarstellung von Wellenpaketen angesprochen. Zur Illustration wollen wir Ihnen ein einfaches Beispiel präsentieren. Das Wellenpaket bewege sich in die zRichtung und habe die folgende Form: .z; t/ D

18

0

sin.2f t  kz/ sin2 .2fmod  kz/ :

1 f gewählt. Die Abbildung zeigt Wir haben 0 D 1 und fmod D 40 den zeitlichen Verlauf der Auslenkung an einem festen Punkt entlang der Wellenausbreitung. Stellen Sie sich vor, es wäre eine akustische Welle, dann könnte dies der zeitliche Verlauf sein, mit dem das Wellenpaket auf einem Mikrofon auftrifft.

535 18.3  Wellenpakete

Wir können dieses Wellenpaket durch eine Fourierreihe darstellen: 1

.t/ D

a0 X C .al cos.2 lf0 t/ C bl sin.2 lf0 t// : 2 lD1

Die Koeffizienten al und bl lassen sich mit folgenden Formeln berechnen: al D

bl D

1  1 

Z .t/ cos.2 lf0 t/ dt  Z

.t/ sin.2 lf0 t/ dt : 

Wir haben die Integrale numerisch ausgewertet. In unserem Beispiel sind nur wenige Koeffizienten von null verschieden, nämlich b39 D 1=4, b40 D 1=2 und b41 D 1=4. Die Frequenz f0 entspricht der Frequenz fmod und b40 gehört zur Trägerfrequenz f unseres Wellenpakets. Im Allgemeinen erhalten wir für eine Fourierreihe endlicher Länge allerdings nur eine näherungsweise Beschreibung des Wellenpakets. Ferner sollten Sie beachten, dass unser Beispiel für .z; t/ kein einzelnes Wellenpakte darstellt. Hätten wir unsere Abbildung nach rechts oder links fortgesetzt, würden Sie erkennen, dass sich das Wellenpaket regelmäßig wiederholt. Die Frequenz f0 in der Fourierreihe ist die Frequenz dieser Wiederholung. Nur periodische Funktionen lassen sich durch Fourierreihen darstellen. Wollten wir ein einzelnes Wellenpaket darstellen, müssten wir von der Fourierreihe zu einem Fourierintegral übergehen. Es treten dann nicht nur die diskreten Frequenzen lf0 im Spektrum auf. Wir erhalten stattdessen ein kontinuierliches Spektrum an Frequenzen.

18

536

Kapitel 18  Wellen

Beispiel 18.6: Amplitudenmodulation

Niederfrequente Nutzsignale wie Sprache oder Musik können häufig nicht direkt über gewünschte Übertragungsmedien wie beispielsweise einen Funkkanal übertragen werden. Zur Übertragung muss das Nutzsignal im Frequenzbereich verschoben werden, was durch Amplitudenmodulation bewerkstelligt werden kann. Ferner können durch das Verschieben in unterschiedliche Frequenzbereiche mehrere Nutzsignale gleichzeitig und ohne gegenseitige Störung übertragen werden. Bei der Amplitudenmodulation wird die Amplitude einer hochfrequenten Trägerwelle abhängig vom zu übertragenden, niederfrequenten (modulierenden) Nutzsignal verändert. Angewandt wird die Amplitudenmodulation zum Beispiel beim Rundfunk auf den Frequenzbändern Langwelle, Mittelwelle, Kurzwelle, beim Fernsehen, abhängig von der verwendeten Fernsehnorm oder beim CB-Funk.

Im dispersionsfreien Fall wird sich die Form des Wellenpaketes mit der Zeit nicht verändern, aber im Falle von nicht verschwindender Dispersion sehr wohl. Dann ändert sich die Form des Wellenpaketes. In der Regel zerläuft es. Dies ist ein technisches Problem vor allem für die Übertragung digitaler Signale, die aus Rechteckpulsen bestehen. Durch die Dispersion werden die Pulse je nach Länge der Übertragungsstrecke immer breiter. Ein Mindestabstand aufeinanderfolgender Pulse muss gewahrt bleiben, sodass sie nicht ineinanderlaufen. Dies begrenzt die Übertragungsgeschwindigkeit. In . Abb. 18.7 ist ein gaußförmiges Wellenpaket abgebildet, das sich unter Dispersion ausbreitet. Man kann erkennen, wie sich das Wellenpaket mit der Ausbreitung verbreitert.

18

18.4

Energiedichte und Energietransport

In einer Welle bewegen sich Massen gegen eine Rückstellkraft. Es wird fortlaufend kinetische Energie in potenzielle umgesetzt und umgekehrt, woraus wir schließen, dass in einer Welle Energie gespeichert ist. Um den Energieinhalt zu bestimmen,

537 18.4  Energiedichte und Energietransport

. Abb. 18.7 Verbreiterung eines Wellenpaketes durch Dispersion

gehen wir zurück auf ein System gekoppelter Schwingungen. In 7 Abschn. 17.1 haben wir gesehen, dass sich die Energie eines Oszillators ausdrücken lässt als max max D Epot : E D E kin C E pot D Ekin

(18.30)

Im Mittel ist die Energie auf kinetische und potenzielle Anteile gleich verteilt. Am Nulldurchgang liegt die gesamte Energie als kinetische Energie vor. Sie hat ihr Maximum erreicht. Am Umkehrpunkt ist dagegen die potenzielle Energie maximal und gleich der Gesamtenergie. Drückt man die Gesamtenergie über die maximale kinetische Energie aus, so ergibt sich ED

1 1 2 mv0 D mx02 ! 2 : 2 2

(18.31)

Für eine Welle in einem kontinuierlichen Medium kann man keine einzelnen Oszillatoren angeben. Stattdessen betrachtet man

18

538

Kapitel 18  Wellen

die Energiedichte. Man erhält sie aus der Formel für den Oszillator, indem man die Masse durch die Massendichte ersetzt "D

1 2

2 2 0! :

(18.32)

Die Amplitude hatten wir beim Oszillator x0 genannt, bei einer Welle benutzen wir nun 0 . Nach der Energiedichte wollen wir nun die Intensität einer Welle bestimmen. Sie ist definiert als die Energie, die von der Welle pro Zeiteinheit durch eine Einheitsfläche transportiert wird Intensität D

Energie : Fläche  Zeit

(18.33)

Man nennt die Intensität auch die „Energieflussdichte“. Die Welle durchläuft eine Fläche der Größe A. Die Intensität bestimmt sich aus (siehe . Abb. 18.8) I D

E "V D : At At

(18.34)

Das Volumen des Wellenfeldes, das in der Zeit t die Fläche A durchdringt, ist gegeben durch V D Ax D Avg t . Abb. 18.8 Zur Bestimmung der Energieflussdichte

(18.35)

und damit I D

"V 1 D "vg D vg At 2

2 2 0! :

(18.36)

Die Intensität der Welle ist proportional zum Quadrat ihrer Amplitude und zum Quadrat ihrer Frequenz. Diese Beziehung, die wir hier für mechanische Wellen abgeleitet haben, gilt allgemein für alle Wellen. Zum Schluss dieses Abschnitts noch eine Bemerkung zum Energietransport einer Welle: Für ebene Wellen ist die Amplitude überall dieselbe. Sie ändert sich auch zeitlich nicht. Dadurch ändert sich trotz Wellenausbreitung die Energiedichte in keinem Punkt des Wellenfeldes. Daher kann man nicht von einem Energietransport durch die Welle sprechen. Dies ist bei Wellenpaketen grundsätzlich anders. Hier ist die Energie im Bereich des Wellenpaketes lokalisiert. Bewegt sich das Wellenpaket mit der Geschwindigkeit vg durchs Medium, so bewegt sich auch die darin gespeicherte Energie. Die Welle transportiert Energie.

18 18.5

Reflexion und Interferenz

In 7 Abschn. 17.5 haben wir kennengelernt, wie Wellen am Ende einer Saite reflektiert werden. Dieses Phänomen ist keineswegs auf eindimensionale Wellen beschränkt. Wellen werden an den

539 18.5  Reflexion und Interferenz

Grenzen des Mediums reflektiert. Wir können dies mit Wasserwellen in der Wellenwanne zeigen (7 Experiment 18.4). Experiment 18.4: Reflexion von Wasserwellen

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Wir benutzen wieder die Wellenwanne, die Sie bereits aus 7 Experiment 18.1 kennen. Vor dem Erreger legen wir eine rechteckige Plexiglasplatte ins Wasser. Sie ist nur knapp mit Wasser überspült. Die von links kommende Welle wird an der Grenze zum flachen Wasser über der Plexiglasplatte reflektiert. Die blaue Linie zeigt die Momentaufnahme einer bereits teilweise reflektierten Wellenfront. Die Pfeile geben die Bewegungsrichtung an.

Bei genauerer Betrachtung können wir das Reflexionsgesetz erkennen. Die Welle wird so reflektiert, dass Einfallswinkel ein und Ausfallswinkel (Reflexionswinkel) aus gleich sind: ein D

aus . Dies nennt man das „Reflexionsgesetz“. In der Skizze sind die Winkel definiert. Sie werden immer gegen das Lot gemessen. Bei dreidimensionalen Wellen legt der Ausfallswinkel gegen das

18

540

Kapitel 18  Wellen

Lot die Richtung der Welle noch nicht eindeutig fest. Man muss zusätzlich beachten, dass die Welle immer in einer Ebene reflektiert wird, die das Lot auf die Grenzfläche einschließt.

Wie wir gesehen haben, kann man Wellen durch viele einzelne Oszillatoren darstellen. Für jeden Oszillator gibt es eine Rückstellkraft, die seine Schwingung ermöglicht. Wir haben diesen in der Form Frück D kx kennengelernt. (Beachten Sie, dass hier mit k nicht die Wellenzahl gemeint ist, sondern die elastische Konstante des Systems). Je größer k ist, desto geringer werden die Amplituden der Oszillatoren ausfallen. An der Grenze eines Mediums ändert sich k. Man nennt die Seite mit dem größeren Wert von k das „dichtere Medium“ und entsprechend die Seite mit dem kleineren k das „dünnere Medium“. Bereits in 7 Abschn. 17.5 haben wir Phasensprünge bei der Reflexion am festen Ende beobachtet. Das feste Ende ist ein dichtes Medium mit unendlich großem k. Allgemein tritt ein Phasensprung um  immer dann auf, wenn eine Reflexion am dichteren Medium erfolgt. Bei einer Reflexion am dünneren Medium tritt kein Phasensprung auf. Beispiel 18.7: Echo

Ein Echo entsteht durch die Reflexion der Schallwellen an den umliegenden Bergwänden.

18 © Wikimedia: Hans Hillewaert

Zum Schluss des Kapitels über Wellen wollen wir noch ein Phänomen kurz anreißen, das charakteristisch für Wellen ist: die In-

541 18.5  Reflexion und Interferenz

terferenz. In die Tiefe werden wir erst in der Wellenoptik gehen. Wann immer Sie solche Interferenzeffekte beobachten, können Sie sicher sein, dass dem Wellen zugrunde liegen. Unter „Interferenz“ versteht man die Überlagerung zweier oder mehrerer Wellen. Dabei addieren sich die Amplituden der Wellen     ges rE; t D 1 rE; t C

 2

 rE; t C : : :

(18.37)

Dies ist ein weiteres Beispiel für ein Superpositionsprinzip. Die Aussage von Gl. 18.37, dass sich die Amplituden addieren, mag selbstverständlich erscheinen. Dabei ist die Aussage keineswegs trivial. Man hätte ebenso erwarten können, dass sich die Intensitäten der Wellen addieren. Dies ist aber nicht der Fall. Es addieren sich die Amplituden. Die Intensität der resultierenden Welle erhält man für Wellen gleicher Frequenz aus      1 Iges rE; t D vg ! 2 1 rE; t C 2

 2

 2 rE; t C : : : :

(18.38)

Da Amplituden auch negative Werte annehmen, kann es durchaus vorkommen, dass die Intensität der aus der Überlagerung resultierenden Welle geringer ist, als die Intensitäten der einzelnen Wellen. Es kommt auf die Phasenlage zwischen den einzelnen Wellen an. In 7 Experiment 18.5 zeigen wir noch einige Interferenzeffekte. Experiment 18.5: Interferenz mit Wasserwellen

Wir benutzen ein letztes Mal die Wellenwanne, die Sie bereits aus 7 Experiment 18.1 kennen. Ein einfaches Beispiel von Interferenz entsteht durch zwei Kreiswellen, die von benachbarten Erregern ausgehen. Dies ist im ersten Beispiel zu sehen. Im rechten Bereich sieht man deutlich Richtungen, unter denen sich Wellenberge und Wellentäler abwechseln. Hier breitet sich die Welle aus. Dazwischen sind Richtungen, unter denen man eine gleichmäßige, strukturlose Helligkeit sieht. Hier ist die Wasseroberfläche in Ruhe. Die beiden Wellen löschen sich in diesen Bereichen durch die Interferenz aus. Das zweite Beispiel zeigt ein klassisches Interferenzexperiment: den Doppelspalt. Im Wasserbecken ist ein Hindernis (orange markiert) aufgebaut, das lediglich zwei schmale Durchlässe hat. Der Doppelspalt wird von links mit ebenen Wasserwellen angeregt. Rechts von den Spalten sieht man in ihrer unmittelbaren Nähe Kreiswellen ausgehen. Dies sind die sogenannten Huygens’schen Elementarwellen. Weiter weg von den beiden Spalten überlagern sich diese und führen zu einem Interferenzmuster

18

542

Kapitel 18  Wellen

ähnlich dem im ersten Beispiel. Wieder gibt es Richtungen vom Spalt, unter denen keine Anregungen zu erkennen sind. Hier löschen sich die Wellen von den beiden Spalten gegenseitig aus. Dazwischen sind Interferenzmaxima.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

?Aufgaben

18

1. Ein Flugzeug überfliegt gerade einen Beobachter im Zenit und dieser schätzt, dass die Richtung, aus dem er den Schall des Flugzeuges hört, ca. 30ı von der Richtung abweicht, in der er das Flugzeug sieht. Welche Geschwindigkeit hat das Flugzeug, wenn man eine Schallgeschwindigkeit von 330 m=s annimmt?

543 18.5  Reflexion und Interferenz

2. Für die Ausbreitungsgeschwindigkeit v einer p transversalen Welle entlang einer gespannten Saite gilt v D = , wobei  die Saitenspannung und die Dichte des Saitenmaterials sind. Eine Geige besitzt vier Stahlsaiten ( Stahl D 7;86  103 kg=m3 ), die zwischen dem Sattel und dem Steg über eine Länge von 33 cm frei schwingen können. Ihre Durchmesser und die Frequenzen, auf die sie gestimmt sind, sind wie folgt gegeben: E-Saite A-Saite D-Saite G-Saite

0,25 mm 0,45 mm 0,70 mm 0,75 mm

664,50 Hz 443,00 Hz 295,33 Hz 196,89 Hz

Wie groß ist die Gesamtkraft, mit der die vier Saiten der Geige gespannt werden? 3. Die Schallgeschwindigkeit in Festkörpern mit Elastizitätsp modul E und Dichte ist v D E= . Die Schallgeschwindigkeitpin einem Gas mit Kompressionsmodul  und Dichte ist v D = . In einer mit Sauerstoff unter Normdruck gefüllten Kundt‘schen Röhre werden mithilfe eines 0,75 m langen Stahlstabs stehende Wellen erzeugt. Welchen Abstand haben benachbarte Knoten? 4 Elastizitätsmodul und Dichte von Stahl: E D 2;0  1011 N=m2 , D 7;8  103 kg=m3 ; 4 Kompressionsmodul und Dichte von Sauerstoff:  D 1;4  105 N=m2 , D 1;4 kg=m3 . 4. Zwei Lautsprecher sind im Abstand von 2 m aufgestellt und senden denselben Ton. Ein Beobachter befindet sich gleich entfernt von beiden Lautsprechern und in 3 m Entfernung von der Verbindungslinie zwischen den Lautsprechern. Der Beobachter läuft nun parallel zu dieser Verbindungslinie los und nimmt nach einer Strecke von 1,45 m ein Minimum der Lautstärke war. Welche Frequenz besitzt der ausgesandte Ton?

18

545

Akustik Inhaltsverzeichnis 19.1

Schallwellen – 546

19.2

Schallempfinden – 556

19.3

Bewegte Schallquellen – 562

19.4

Musikinstrumente – 569

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5_19

19

546

Kapitel 19  Akustik

19.1

Schallwellen

In diesem Kapitel wollen wir uns speziell mit Schallwellen beschäftigen. Wir können sie auch als ein Beispiel der Wellen, die wir im vergangenen Kapitel besprochen haben, auffassen. Wegen der großen Bedeutung des Schalls im alltäglichen Leben – man denke nur an Sprache oder Musik – wollen wir ihm aber ein gesondertes Kapitel widmen. Schall breitet sich in Luft und anderen Gasen oder Flüssigkeiten als periodische Verdünnung und Verdichtung des Mediums aus. Auch in Festkörpern kann sich Schall ausbreiten, wobei sich der Mechanismus der Schallausbreitung in Festkörpern allerdings von dem in Flüssigkeiten und Gasen unterscheiden kann. Wir wollen uns im Wesentlichen auf die Schallausbreitung in Fluiden konzentrieren. Eine Schallwelle entsteht, wenn ein Erreger die Luft an einer Stelle verdichtet (oder verdünnt). Bewegt sich beispielsweise die Membran eines Lautsprechers nach vorne, so drückt sie die Luftschicht unmittelbar vor der Membran zusammen (siehe . Abb. 19.1). Der Druck in dieser Schicht steigt. Sie dehnt sich aus und drückt dabei die nächste, vor ihr liegende Luftschicht zusammen. So breitet sich die Erregung von Luftschicht zu Luftschicht aus. Luftmoleküle bewegen sich dabei zwischen den Verdichtungen und Verdünnungen hin und her. Es handelt sich folglich um eine longitudinale Welle. In Festkörpern treten auch transversale Schallwellen auf. Jede Schallwelle braucht ein Medium. Sie basiert auf der Bewegung der Moleküle des Mediums. Im Vakuum kann sich keine Schallwelle ausbreiten (siehe 7 Experiment 19.4). Wir demonstrieren die Schallausbreitung zunächst mit einigen Experimenten (7 Experiment 19.1 bis 7 Experiment 19.5).

19

. Abb. 19.1 Schematische Darstellung einer Schallwelle

547 19.1  Schallwellen

19

Experiment 19.1: Flackernde Kerzenflamme

Mit einer Kerze kann man die Bewegung der Luft in einer Schallwelle sichtbar machen. Man stellt die brennende Kerze direkt vor die Membran des Lautsprechers. Als Signalquelle benutzt man einen durchstimmbaren Sinusgenerator. Bei niedrigen Frequenzen (10 Hz) kann man die Bewegung der Luft am Flackern der Kerze sehr deutlich erkennen. Mit höheren Frequenzen wird das Flackern schneller (aber Vorsicht, man sieht nicht direkt die Frequenz des Schalls). Das Flackern ist selbst dann noch zu erkennen, wenn die Frequenz des Schalls schon oberhalb des menschlichen Hörbereiches liegt.

Experiment 19.2: Rubens’sches Flammenrohr

Dieses Experiment demonstriert, dass Schallwellen sich in der Tat aus Druckunterschieden aufbauen. Am Rohr befindet sich mittig unten ein Anschluss, über den das Rohr langsam mit Propangas geflutet wird. An der Oberseite ist eine Reihe kleiner Löcher angebracht, über die das Gas wieder ausströmt. Nun wird das Rohr rechts mit einem Stopfen verschlossen und an der linken Seite wird ein Lautsprecher möglichst luftdicht angekoppelt. Er überträgt einen in der Frequenz einstellbaren Sinuston. Nun entzündet man das Gas an der Oberseite und variiert die Frequenz. Bei bestimmten Frequenzen stellen sich stehende Wellen ein, die man an einer regelmäßigen Verteilung der Flammenhöhe, wie im Bild zu sehen, erkennt.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

An den Schwingungsknoten der stehenden Welle ist das Gas nahezu in Ruhe. Der Gasfluss ist so weit heruntergeregelt, dass an diesen Stellen keine sichtbare Flamme entsteht. Anders an den Schwingungsbäuchen. Hier ändert sich der Druck periodisch zwischen Über- und Unterdruck gegenüber der Umgebung. Bei

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

548

Kapitel 19  Akustik

Unterdruck wird Luft von außen angesaugt und mit dem Gas vermischt. Bei Überdruck wird dieses Gas dann ausgestoßen. Es entsteht eine deutliche Flamme, deren Höhe proportional zur Amplitude der Welle ist. Wer gerne spielt: Mit Musik aus dem Lautsprecher kann man sehenswerte Untermalungen der Musik erhalten.

Experiment 19.3: Schallausbreitung in Luft

Wir hatten erklärt, dass mit der Ausbreitung einer Schallwelle eine longitudinale Bewegung der Luftmoleküle verbunden ist. Dies demonstriert dieses einfache Experiment. Wir bauen eine Übertragungsstrecke für Schall mit zwei Tamburinen auf. Das linke Tamburin schlagen wir mit einem Klöppel kräftig an. Das rechte nimmt den Schall wieder auf. Dazwischen befindet sich ein leeres Rohr. Es dient lediglich dazu, den Schall auf das zweite Tamburin zu bündeln, sodass die Intensität entlang der Übertragungsstrecke nur unwesentlich abnimmt. Durch die Bewegung der Moleküle in der Schallwelle wird das rechte Tamburin ausgelenkt. Diese Auslenkung machen wir mit einem Tischtennisball sichtbar, der vor dem Tamburin, in Kontakt mit der Membran hängt. Er ist im Bild leider durch das Tamburin verdeckt. Schlägt man das linke Tamburin an, wird er vom rechten Tamburin ein wenig abgestoßen. Da die Bewegung nur gering ist, verdeutlichen wir sie durch eine kleine Spielfigur, die wir hinter den Tischtennisball stellen. Mit dem linken Tamburin erzeugen wir eine Schallwelle. Die Luft überträgt sie auf das rechte Tamburin. Diese stößt den Tischtennisball an, welcher dann die Figur umwirft.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

19

549 19.1  Schallwellen

19

Experiment 19.4: Schall im Vakuum

Schall braucht ein Medium zur Ausbreitung. In der Regel ist dies die Luft. Nimmt man sie weg, kann sich der Schall nicht mehr ausbreiten. Dieser Versuch zeigt dies eindrücklich. Eine laute Sirene hängen wir an einem Ständer unter einer Glasglocke auf. Der einfache Ständer unterdrückt die Schallausbreitung über den Boden nach draußen. Zunächst befindet sich Luft unter der Glocke. Der Ton der Sirene ist deutlich zu hören. Dann pumpen wir mit einer einfachen Vakuumvorpumpe die Luft unter der Glocke ab. Der Ton der Sirene wird immer leiser. Parallel beobachten wir den Druck unter der Glocke. Ab etwa 30 mbar ist die Sirene nicht mehr zu hören. Zum Schluss kehren wir das Experiment noch um. Wir schalten die Pumpe ab und lassen durch ein Ventil wieder langsam Luft in die Glocke. Mit der Luft kommt auch der Ton wieder zurück.

Experiment 19.5: Schallausbreitung in Holz

Dieser Versuch soll zeigen, dass sich Schall auch in einem Festkörper durch die Bewegung der Moleküle ausbreitet. Als Ausbreitungsstrecke benutzen wir eine lange Holzstange. Auf der rechten Seite schlagen wir sie mit einem Gummihammer an. Am linken Ende zeigt eine kleine Holzkugel, die als Pendel aufgehängt ist, einen Ausschlag an. Dieser könnte durch die Schallwelle erzeugt worden sein. Er könnte aber auch daher rühren, dass wir beim Anschlagen den Stab geringfügig bewegen und so einen Impuls übertragen. Um diesen zweiten Effekt zu unterdrücken, befestigen wir die Holzstange mit kräftigen Schraubzwingen an einem sehr schweren Steinblock. Dieser sollte eine Bewegung des Stabes verhindern. Doch am Ende ist nicht ganz klar, ob der Ausschlag wirklich von der Schallwelle herrührt.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

550

Kapitel 19  Akustik

Experiment 19.6: Lochsirene

Die Lochsirene ist ein einfaches Gerät zur Erzeugung kräftiger Töne. Sie besteht aus einer Metallscheibe mit Löchern (siehe Abbildung), die mit hoher Frequenz gedreht wird. Man bläst von oben eine der Lochreihen kräftig an, z. B. mit Druckluft (einige bar) aus einer Flasche. Je höher der Druck, desto lauter der Ton. Befindet sich gerade ein Loch unter dem Schlauchende, so wird Luft durch das Loch gepresst und komprimiert die darunterliegende Luft. Dreht sich die Scheibe, wird die Kompression unterbrochen. Der Luftstrom wird zerhackt. Es entsteht eine periodische Anregung unter der Scheibe, aus der die Schallwelle entsteht. Es ist keine harmonische Welle. Der Amplitudenverlauf ist eher rechteckig, was zu einem grellen unangenehmen Ton führt. Neben der Rotationsfrequenz der Scheibe bestimmt die Anzahl der Löcher die Frequenz des Tones. Bei unserer Scheibe ist sie für die verschiedenen Ringe gerade so gewählt, dass eine Dur-Tonleiter entsteht. Man kann ein kleines Liedchen auf der Scheibe spielen.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Dass es sich bei Schall tatsächlich um eine Welle handelt, kann man durch Interferenz zeigen. Nur Wellen zeigen Interferenzeffekte. In 7 Experiment 19.7 sehen Sie ein Beispiel dafür, dass Schall tatsächlich Interferenz zeigt. Experiment 19.7: Interferenz mit Schall

19

Wir stellen zwei Lautsprecher im Abstand einiger Meter auf. Beide Lautsprecher werden mit demselben Signal angesteuert. Eine Frequenz im unteren Bereich, z. B. 220 Hz wird gewählt

551 19.1  Schallwellen

(Wellenlänge   1;5 m). Im Bild sieht man die Schallwellen von beiden Lautsprechern. Dargestellt seien die Wellenberge. An einigen Stellen kreuzen sich die Linien. Dort treffen die Wellenberge von beiden Lautsprechern aufeinander und verstärken sich. Es gibt aber auch Stellen, an denen die Wellenberge des einen Lautsprechers auf die Wellentäler des anderen treffen und die beiden Wellen sich gegenseitig auslöschen. Läuft man in einigen Metern vor den beiden Lautsprechern vorbei, so kann man eindeutig hören, dass die Lautstärke an einigen Stellen lauter ist, als an anderen. Beeindruckend ist auch folgender Aufbau. Man stellt die beiden Lautsprecher direkt nebeneinander und polt einen der beiden Lautsprecher um. Nun ist seine Welle gegenphasig zur anderen. Steht man in einigem Abstand vor den Lautsprechern, hört man nur einen leisen Ton, da sich die Wellen der beiden Lautsprecher gegenseitig auslöschen. Zieht man nun den Stecker bei einem der beiden Lautsprecher, so wird der Ton überaschenderweise deutlich lauter.

Um die Schallausbreitung mathematisch zu fassen, gehen wir von einem Schallkanal mit gedachten Wänden und einem rechteckigen Querschnitt aus. Er ist in . Abb. 19.2 angedeutet. Die Koordinate x bezeichnet die Position entlang des Kanals. In diese Richtung breitet sich die Schallwelle aus. Im Kanal sind zwei Ebenen von Luftmolekülen angedeutet, die sich in der Ruhelage, d. h. ohne eine Schallwelle, an den Positionen x0 und x0 C dx befinden. Durch die Schallwelle werden diese Moleküle in x-Richtung aus ihrer Ruhelage ausgelenkt. Die Auslenkung gegenüber der Ruhelage sei .x0 ; t/ bzw. .x0 C dx; t/. Durch die Verschiebung der Moleküle ändert sich lokal der Druck, was zu den notwendigen Rückstellkräften für die Wellenausbreitung führt.

19

552

Kapitel 19  Akustik

. Abb. 19.2 Zur Berechnung der Ausbreitung einer Schallwelle

Wir stellen die Auslenkung bei x0 C dx durch eine TaylorEntwicklung aus der Auslenkung bei x0 dar. Mit der Bezeichnung dx haben wir schon angedeutet, dass wir diesen Abstand sehr klein machen werden, sodass eine Entwicklung in erster Ordnung ausreichen wird:

@ .x0 C dx; t/ D .x0 ; t/ C dx : (19.1) .x; t/ @x xDx0 Um Zugang zum Druck zu bekommen, bestimmen wir das Volumen, das von den beiden Flächen eingeschlossen wird. In der Ruhelage ist es V D A.x0 C dx/  Ax0 D Adx :

(19.2)

Trifft eine Schallwelle ein, so haben wir: V C dV D A.x0 C dx C .x0 C dx; t//  A.x0 C .x0 ; t//

@ dx .x; t/ D Adx C A @x xDx0



@ @ dx D V .x; t/ .x; t/ ) dV D A @x @x xDx0 xDx0 (19.3) Durch das Eintreffen einer Schallwelle ändert sich das Volumen, das den Luftmolekülen, die sich ursprünglich zwischen x0 und x0 C dx befanden, zur Verfügung steht. Dadurch ändert sich der Druck in diesem Bereich. Wir bezeichnen den Druck, der vor dem Eintreffen der Schallwelle herrschte, mit p0 . Mit Schallwelle haben wir p D p0 C dp, mit

19

dp D 

@ dV ; D  .x; t/ V @x xDx0

(19.4)

wobei wir hier auf eine Relation zurückgegriffen haben (Gl. 14.15), die Sie in 7 Abschn. 14.3 kennengelernt haben. Wir müssen den

553 19.1  Schallwellen

Kompressionsmodul  in Bezug zum Druck p setzen. Dazu benutzen wir eine Relation, die wir erst im Rahmen der kinetischen Gastheorie ableiten können. Es wird sich dp D  p0 dVV ergeben, d. h.  D p0 , mit einer Konstanten D Cp =CV . Damit haben wir

@ : (19.5) .x; t/ dp D  p0 @x xDx0 Aus dem Druck ergibt sich die Kraft, die auf die ausgelenkte Luftschicht wirkt (wieder benutzen wir eine Taylor-Entwicklung erster Ordnung in x):   @p dF D pA  p C dx A @x @p D  dxA @x @ D  .p0 C dp/dxA @x @ D  .dp/dxA @x !

@ @  p0 .x; t/ dxA D @x @x xDx0 D p0 A

@2 .x; t/ dx : @x 2

(19.6)

Um die Bewegung der Luftschicht zu bestimmen, benutzen wir das Newton’sche Grundgesetz der Mechanik. Die Auslenkung der Luftschicht ist .x; t/, ihre Beschleunigung berechnen wir als zweite Ableitung nach der Zeit. Mit der Luftschicht sei eine Masse d m D dV D Adx verbunden. Dann ist dF D d m

@2 .x; t/ @2 .x; t/ D A dx : 2 @t @t 2

(19.7)

Wir setzen Gl. 19.6 ein und erhalten @2 .x; t/ @2 .x; t/ dx D A dx @x 2 @t 2 @2 .x; t/ @2 .x; t/

p0 D 2 @x @t 2 2 @ .x; t/

p0 @2 .x; t/ D : @t 2 @x 2

p0 A

(19.8)

Die Differenzialgleichung stellt die Bewegungsgleichung für ein Massenelement des Mediums dar. Es ist die Wellengleichung, wie wir sie bereits von Gl. 18.17 kennen. Sie hat die Lösung .x; t/ D

0

sin.kx  !t C 0 /

(19.9)

19

554

Kapitel 19  Akustik

mit der Schallgeschwindigkeit vph D

! D k

r

p0 :

(19.10)

Die Gruppengeschwindigkeit folgt aus r

p0 !Dk r

p0 d! D D vph : ) vg D dk

(19.11)

Wie wir sehen, sind Gruppen- und Phasengeschwindigkeit gleich. Die Ausbreitung einer Schallwelle in Luft ist folglich dispersionsfrei. Dies ist für die menschliche Kommunikation wichtig. Würden die Wellenpakete des Schalls bei der Ausbreitung zerlaufen, wäre keine akustische Verständigung über größere Strecken möglich. Die Schallgeschwindigkeit in Luft unter Normalbedingungen ist 9 p0 D 1;01  105 Pa > > > = kg m D 1;29 3 ) vPh D 331 : (19.12) m > s cp > >

D D 1;40 ; cV Der Schall braucht etwa 3 Sekunden, um einen Kilometer zurückzulegen. Experiment 19.8: Messung der Schallgeschwindigkeit

Die Messung der Schallgeschwindigkeit in Luft gelingt mithilfe einer elektronischen Stoppuhr recht einfach. Die Start- und Stoppsignale für die Uhr werden mit zwei Mikrofonen erzeugt, die man in einem Abstand l voneinander aufstellt. Mit einer Spielzeugpistole erzeugen wir einen Knall, dessen Ausbreitung wir dann stoppen. Es ergeben sich ungefähr 330 m=s.

19

555 19.1  Schallwellen

19

Experiment 19.9: Schallgeschwindigkeit in Helium

Wie wir gesehen haben, hängt die Schallgeschwindigkeit von den Eigenschaften des Mediums ab. In Luft ergaben sich 331 m=s. In Helium ist die Schallgeschwindigkeit deutlich höher. Sie beträgt bei Normalbedingungen 981 m=s. Füllt man Orgelpfeifen mit Helium statt mit Luft, so äußert sich dies in höheren Tönen. In der Orgelpfeife wird durch das anströmende Gas eine stehende Welle angeregt. Die Wellenlänge der Erregung ist durch die Geometrie der Pfeife festgelegt. Die Frequenz der Schwingung, die wir als Tonhöhe wahrnehmen, ist dann durch v D f der Schallgeschwindigkeit im Medium proportional und bei Helium entsprechend höher als bei Luft. Man kann die Orgelpfeifen anregen, indem man sie mit Luft aus einer Druckluftflasche anbläst. Wechselt man zu einer Heliumflasche, so hört man ein Ansteigen der Tonhöhe in dem Maße, in dem die Luft in der Pfeife durch Helium ersetzt wird.

Experiment 19.10: Stimmlage in Helium

Dies ist ein einfaches Experiment, das immer wieder zu Heiterkeit führt. Man atmet Helium aus einer Flasche ein und spricht dann. Wie bei den Orgelpfeifen in 7 Experiment 19.9 verschiebt sich im Kehlkopf die Tonhöhe. Man bekommt eine piepsige, unnatürlich hohe Stimme. Nach einigen Atemzügen ist der Effekt wieder verschwunden. Man sollte das Experiment allerdings nicht zu oft wiederholen, da es den Stimmbändern nicht förderlich ist.

Experiment 19.11: Schallgeschwindigkeit in einem Festkörper

Mit diesem Experiment bestimmen wir die Schallgeschwindigkeit in Metallstäben. Die Stäbe sind 1,5 m lang und 1,2 cm im Durchmesser. Wir verwenden Stäbe aus Kupfer, Messing, Aluminium und Stahl. Als Zeitsensor benutzen wir einen Piezokristall. Der Sensor wird auf den Boden gelegt. Er ist durch eine dünne Filzmatte geschützt. Die Stäbe werden vorsichtig auf den Sensor gestellt. Sie werden von einer Klammer in der Senkrechten gehalten. Die Klammer darf nur locker anliegen, da sie sonst den Schall zu sehr dämpft. Nun wird der Stab oben leicht mit einem Hämmerchen angeschlagen. Aus dem Signal des Sensors erkennt man, dass der Schall mehrfach im Stab auf und ab reflektiert wird. Aus dem zeitlichen Abstand zweier Reflexionen bestimmt

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

556

Kapitel 19  Akustik

man die Schallgeschwindigkeit als v D 2L=t. Es ergeben sich Werte von 4000 bis 5000 m=s.

Beispiel 19.1: Gewitter

Blitz und Donner entstehen gleichzeitig. Der Donner braucht etwa 3 Sekunden, um einen Kilometer zu überbrücken. Dem gegenüber ist die Zeit, die das Licht des Blitzes für dieselbe Ausbreitung braucht, vernachlässigbar (wenige s). Man kann die Entfernung des Blitzes aus dem Zeitunterschied des Eintreffens von Lichtblitz und Donnerknall beim Beobachter abschätzen, 1 km pro 3 Sekunden. © U. S. National Oceanic and Atmospheric Administration

19.2

Schallempfinden

Schall ist ein subjektives Empfinden. Wir beschreiben es mit Begriffen wie „laut“ und „leise“, „tief“ und „hoch“ oder „harmonisch“ und „dissonant“. Weil das Schallempfinden für unseren Alltag so wichtig ist, wollen wir wenigstens in Ansätzen versuchen zu erklären, wie es mit den physikalischen Eigenschaften der Schallwellen zusammenhängt. Lassen Sie uns mit einem kurzen Blick ins Ohr beginnen (. Abb. 19.3).

19 . Abb. 19.3 Anatomie des Ohrs. © Wikimedia: Chittka L. Brockmann

557 19.2  Schallempfinden

. Abb. 19.4 Empfindlichkeit des Ohrs

Wir nehmen Schall über unsere Ohren wahr. Der Schall erreicht über den äußeren Gehörgang das Trommelfell und versetzt dieses in Schwingungen. Der Hammer überträgt die Schwingungen auf den Amboss, wo sie vom Steigbügel zur Schnecke geleitet werden. In der mit Flüssigkeit gefüllten Schnecke werden sie in elektrische Signale umgewandelt. Über den Hörnerv gelangen sie ins Gehirn und werden dort verarbeitet. Die Frequenz der ankommenden Schallwellen bestimmt die Tonhöhe, ihre Intensität die Lautstärke. . Abb. 19.4 zeigt die Empfindlichkeit des Ohrs in Abhängigkeit von der Frequenz. Nach unten gibt es keine klare Hörgrenze. Unterhalb von etwa 20 Hz werden Schwingungen nicht mehr als Töne wahrgenommen, sondern als Vibration. Oberhalb von 10 bis 20 kHz (altersabhängig) nimmt die Empfindlichkeit sprunghaft ab. Darüber können keine Töne mehr wahrgenommen werden. In der Musik drückt man die Tonhöhe über die Noten aus (siehe . Abb. 19.5). Die Töne der verschiedenen Oktaven werden von unten nach oben mit Großbuchstaben, Kleinbuchstaben, 1fach gestrichen, 2-fach gestrichen, usw. bezeichnet. . Tab. 19.1 gibt die Frequenzen der Töne vom c’ zum c” an (wohl tempe-

. Abb. 19.5 Tonleitern

19

558

Kapitel 19  Akustik

. Tab. 19.1 Frequenzen der Töne der 1-gestrichenen Oktave c’

262 Hz

d’

294 Hz

e’

330 Hz

f’

349 Hz

g’

392 Hz

a’

440 Hz

h’

494 Hz

c”

524 Hz

riert). Diese Oktave enthält den Kammerton a’, der üblicherweise als Referenz dient. Klänge, wie sie durch ein Musikinstrument oder durch Gesang erzeugt werden, bestehen nicht aus einer einzelnen sinusförmigen Welle mit fester Frequenz. Sie setzen sich aus einem Grundton und einer Reihe mehr oder minder kräftiger Obertöne zusammen. Der Grundton wird als Tonhöhe wahrgenommen, die Obertöne bestimmen die Klangfarbe. Betrachten wir beispielsweise ein Saiteninstrument mit einer Saite der Länge L, so können sich darauf stehende Wellen mit den Wellenlängen n2  D L ausbreiten. In der Regel werden auch all diese Wellen gemeinsam angeregt. Diesen Wellen entsprechen Töne mit den Frequenzen f D

19

nv 2L

(19.13)

Gehen wir von einer Saite mit dem Kammerton a’ (440 Hz) als Grundton aus, so sind die Obertöne a” (880 Hz), e” (1320 Hz), a” (1760 Hz), c# ”’ (2200 Hz), e”’ (2640 Hz), f# ”’ (3080 Hz), a”’ (3520 Hz), usw. Diese Obertöne stehen in ganzzahligen Verhältnissen zum Grundton. Sie definieren die Intervalle in unseren Tonleitern. . Tab. 19.2 listet die unterschiedlichen Intervalle auf. In der Obertonreihe des Kammertons tritt zunächst eine Oktave zum a” auf, dann eine Quinte zum e” und dann erneut eine Oktave auf den Grundton. Das c# entspricht einer großen Terz, das f# einer großen Sext (jeweils in Bezug auf ein a). Diese Intervalle empfinden wir als besonders harmonisch. Die disharmonischen Intervalle, wie die Sekunden oder die Septimen tauchen in den Obertonreihen erst in sehr hohen Ordnungen auf. Für andere Grundtöne sind die Frequenzen entsprechend zu verschieben, die Frequenzverhältnisse sind dieselben.

559 19.2  Schallempfinden

. Tab. 19.2 Tonintervalle Prime

c/c

1W1

kleine Sekunde

c /c

10 W 9

große Sekunde

d/c

9W8

kleine Terz

#

d /c

6W5

große Terz

e/c

5W4

Quarte

f/c

4W3

übermäßige Quarte

f# /c

7W5

Quinte

g/c

3W2

kleine Sext

#

g /c

8W5

große Sext

a/c

5W3

kleine Septime

b/c

9W5

große Septime

h/c

15 W 8

Oktave

c’/c

2W1

#

. Abb. 19.6 Frequenzspektrum einer Stimmgabel (Kammerton a’). © RWTH Aachen, Sammlung Physik

. Abb. 19.6 zeigt das Fourier-Spektrum einer Stimmgabel mit dem Kammerton a’, aufgenommen mit der Apparatur aus 7 Experiment 18.3. Deutlich sind neben dem Grundton die ersten Obertöne bei 880 Hz, 1320 Hz, 1760 Hz und 2200 Hz zu sehen.

19

560

Kapitel 19  Akustik

Beispiel 19.2: Temperierte Stimmung

g’

391,1 Hz

g’

391,1 Hz

a’

440 Hz

a’

440 Hz

h’

495 Hz

h’

488,9 Hz

c# ”

550 Hz

c”

521,5 Hz

d”

586,7 Hz

d”

586,7 Hz

e”

660 Hz

e”

651,9 Hz

#

#

733,3 Hz

f ”

733,3 Hz

#

g ”

825 Hz

g”

782,2 Hz

a”

880 Hz

f ”

19

Im Text haben wir die Tonintervalle erklärt. Sie sind in . Tab. 19.2 angegeben. Stellen Sie sich nun vor, Sie müssen ein Tasteninstrument wie das abgebildete stimmen. Sie beginnen mit dem Kammerton a’ und stellen die Töne entsprechend den ganzzahligen Verhältnissen ein. Durch Veränderung der Spannung der Saiten kann man die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle auf der Saite und damit deren Frequenz verändern. Sie haben das Instrument nun in einer sogenannten reinen Stimmung in a gestimmt. Die Frequenzen sind in der Tabelle in den beiden linken Spalten für die Töne der A-Dur-Tonleiter angegeben. Nun wollen Sie aber ein Stück in G-Dur spielen. Sie gehen vom Kammerton a um eine große Sekunde nach unten und erhalten g’ (391,1 Hz). Auf diesem Ton bauen Sie nun die Tonleiter mit den ganzzahligen Verhältnissen der Intervalle auf. Sie erhalten die Töne der rechten Spalten. Vergleichen Sie die Frequenzen! Die Quinte d” in G-Dur stimmt mit der Quarte (ebenfalls d”) in A-Dur exakt überein. Dies stimmt aber nicht für alle Töne. Das h’ hat nach Ihrer reinen Stimmung in A-Dur eine Frequenz von 495 Hz. In der G-Dur-Tonleiter sollte es aber eine Frequenz von 488,9 Hz haben. Es wird unrein klingen, wenn Sie in G-Dur spielen wollen. Eigentlich müssten Sie das Instrument vorher auf G umstimmen. Dies ist aber zu aufwendig. Daher hat man sich andere Stimmungen überlegt, wie z. B. die heute meist benutzte temperierte Stimmung. Die Oktave, die 12 Halbtöne umfasst, wird in 12 gleiche p Frequenzschritte unterteilt. Die Frequenzverhältnisse sind 12 2n W 1. Dadurch nivelliert man die Unterschiede der Stimmungen. Das Instrument klingt in allen Tonarten ein wenig unrein, ist aber dafür für alle gleichermaßen brauchbar. Wiederum ausgehend vom Kammerton a’ wäre das oben problematische h’ nun 493,9 Hz, während es in A-Dur

561 19.2  Schallempfinden

495 Hz sein sollte und in G-Dur 490 Hz (das g’ ist in dieser Stimmung 392 Hz). Man hat nun bei allen Tonarten Abweichungen, sie sind aber insgesamt kleiner.

Wie die Tonhöhe ist auch die Lautstärke eine subjektive Empfindung. Sie ist mit der Intensität der Schallwelle verknüpft. In 7 Abschn. 18.4 hatten wir die Intensität einer Welle definiert als die von einer Welle durch eine Einheitsfläche übertragene Leistung. Wie wir gesehen hatten, ist die Intensität proportional zum Quadrat der Wellenamplitude. Das menschliche Ohr hat einen enormen dynamischen Bereich. Es kann Schallwellen in einem Bereich von minimal 1012 W=m2 bis maximal 1 W=m2 wahrnehmen und noch darüber hinaus. Allerdings ist Schall oberhalb von 1 W=m2 schmerzhaft und es kann zu Schädigungen des Ohrs kommen. Der schmerzfreie Bereich umfasst 12 Größenordnungen, ein dynamischer Bereich, den kaum ein technisches Messgerät erreicht. Die Empfindlichkeit des menschlichen Gehörs hängt von der Frequenz der Töne ab. Im Bereich von 1 kHz bis 4 kHz ist sie am höchsten. In diesem Frequenzbereich liegen die Grundtöne der Sprache. Musik deckt einen deutlich größeren Frequenzbereich ab. Will man den Klang der Musik voll erfassen, müssen die Töne lauter sein, als die der normalen Konversation. Die spektrale Empfindlichkeit des Ohrs ist in . Abb. 19.4 angegeben. Vermutlich liegt es am enormen dynamischen Bereich unseres Hörens, dass wir Schallintensität nicht als linear wahrnehmen. Was wir als Lautstärke empfinden, hängt eher logarithmisch von der Intensität ab. Um einen Schall zu erzeugen, den wir als doppelt so laut empfinden, ist eine Schallwelle mit ungefähr der zehnfachen Intensität notwendig. Beispielsweise kommt einem Menschen eine Schallwelle mit der Intensität 102 W=m2 doppelt so laut vor wie eine, deren Intensität 103 W=m2 beträgt. . Tab. 19.3 gibt die Intensitäten einiger gängiger Schallquellen an. Wegen der annähernd logarithmischen Beziehung zwischen der subjektiven Empfindung einer Lautstärke und der objektiven Schallintensität drückt man diese gewöhnlich durch eine logarithmische Skala aus. Die Einheit dieser Skala ist benannt nach Graham Bell. Sie heißt 1 bel. Bekannter ist die abgeleitete Einheit Dezibel (dB). Es sind 10 dB D 1 bel. Wir definieren den Schallpegel L einer Schallwelle als LŒdB D 10 log

I I0

(19.14)

19

562

Kapitel 19  Akustik

. Tab. 19.3 Schallintensität und Schallpegel einiger Schallquellen Intensität [W=m2 ]

Schallpegel [dB]

Flugzeugturbine, 10 m Entfernung

1000

150

Schmerzgrenze Presslufthammer Rockkonzert

1

120

Geschrei

103

90

PKW-Innenraum bei 120 km=h

105

70

Unterhaltung (50 cm)

3  106

65

minimales Flüstern

1010

20

Hörgrenze

12

10

0

mit der Intensität I0 als Referenz, für die man üblicherweise die untere Hörgrenze von 1012 W=m2 benutzt. Beispiel 19.3: Hörschwelle

Zur Veranschaulichung der hohen Empfindlichkeit des menschlichen Ohres kann man die minimal wahrnehmbare Intensität I0 D 1012 W=m2 in eine Amplitude umrechnen. Aus Gl. 18.36 folgt

0

s 1 2I0 D ! vg

Bei einer Frequenz von 2 kHz (! D 12 500 Hz) ergibt sich mit einer Dichte D 1;29 mkg3 und vg D 331 m=s eine Amplitude von gerade mal 51012 m. Das ist weniger als der Durchmesser eines Atoms!

19.3

19

. Abb. 19.7 Portrait Christian Dopplers (1803–1853). © Austrian Archives/IMAGNO/picturealliance

Bewegte Schallquellen

Bewegen sich Schallquellen oder der Beobachter, so verändern sich die Frequenzen und Wellenlängen der Wellen. Diesen Effekten wollen wir hier nachgehen. Wir behandeln zunächst den wichtigsten Effekt, den sogenannten Doppler-Effekt. Er hat nichts mit verdoppeln zu tun. Der Effekt ist benannt nach dem österreichischen Mathematiker und Physiker Christian Doppler (. Abb. 19.7), der den Effekt theoretisch vorhergesagt hat.

563 19.3  Bewegte Schallquellen

Der Doppler-Effekt tritt immer dann auf, wenn sich Schallquelle oder Beobachter relativ zum Medium der Welle bewegen. Er tritt nicht nur bei Schall auf, sondern bei allen Wellen. Selbst bei elektromagnetischen Wellen (Licht) gibt es einen vergleichbaren Effekt. Allerdings ist die Situation bei elektromagnetischen Wellen etwas anders, da es in diesem Fall kein Medium gibt, in dem sich die Wellen ausbreiten. Wir beschränken uns hier auf Schallwellen. Wir vergleichen die Abstrahlung einer Schallwelle von einer ruhenden Quelle mit der einer bewegten Quelle (. Abb. 19.8). Bei ruhender Quelle ist der Abstand zweier Wellenberge gerade eine Wellenlänge . Dies ändert sich, wenn sich die Schallquelle bewegt. Nehmen wir an, der Beobachter sei rechts, d. h. die Schallquelle bewegt sich auf ihn zu. Dann verkürzt sich der Abstand zweier Wellenberge für den Beobachter, da sich die Quelle zwischen der Emission zweier Wellenberge um die Strecke s auf ihn zubewegt hat: 0 D   s D   vQ T :

(19.15)

Dabei ist vQ die Geschwindigkeit der Quelle und T die Schwingungsperiode des Erregers. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der

. Abb. 19.8 Schallwellen einer ruhenden und einer bewegten Quelle

19

564

Kapitel 19  Akustik

Schallwelle ist vPh D =T . Damit ergibt sich   vQ  D 1 vPh vPh v f Ph f0 D 0 D vQ :  1  vPh 0 D   vQ

(19.16)

Der Beobachter sieht also eine Welle, deren Wellenlänge verkürzt und deren Frequenz gegenüber dem ruhenden Fall erhöht ist. Untersuchen wir nun den Fall, dass die Schallquelle ruht und der Beobachter sich bewegt. Ihre erste Reaktion mag sein, dass dieses zum selben Ergebnis führen muss, da es nur auf die Relativgeschwindigkeit ankommt, doch dies ist nicht korrekt. Die beiden Fälle sind objektiv unterscheidbar durch die Bewegung im Medium. Im oben behandelten Fall ruht der Beobachter im Medium, nun ruht die Schallquelle im Medium. Wir gehen nun von folgender Überlegung aus. Wenn der Beobachter ruht, so verstreicht die Zeit T vom Zeitpunkt, an dem ihn ein Wellenberg erreicht, bis zum nächsten. Bewegt er sich auf die Quelle zu, so erscheint ihm diese Zeit verkürzt auf T 0 . Wir betrachten das Ganze nun aus dem System der ruhenden Schallquelle. Im Moment, in dem den Beobachter der erste Wellenberg erreicht, ist er vom zweiten die Strecke  entfernt. In der Zeit T 0 hat sich dieser zweite Wellenberg um die Strecke T 0  vPh auf den Beobachter zubewegt, und der Beobachter hat sich mit der Geschwindigkeit vB um die Strecke T 0 vB auf den zweiten Wellenberg zubewegt. Da sich nach T 0 Wellenberg und Beobachter treffen sollen, muss gelten T 0 vPh C T 0 vB D    vB 0 T vPh 1 C D vPh 0 D

 ; B 1 C vvPh

(19.17)

woraus folgt   vB f Df 1C : vPh 0

(19.18)

Wir fassen noch einmal alle Ergebnisse zusammen ()( zeigt an, dass sich Schallquelle bzw. Beobachter aufeinander

19

565 19.3  Bewegte Schallquellen

zubewegen):

) ( ( )

bewegte Quelle   vQ 0 D  1  vPh   vQ 0 D  1 C vPh bewegte Quelle

) (

f0 D

f v 1 v Q

Ph

( )

0

f D

f v

1C v Q

bewegter Beobachter 0 D

 v 1C v B

0 D

 v 1 v B

Ph

Ph

bewegter Beobachter   B f 0 D f 1 C vvPh   B f 0 D f 1  vvPh

(19.19)

Ph

Wenn sich Beobachter und Quelle aufeinander zubewegen, empfängt der Beobachter eine erhöhte Frequenz und eine verkürzte Wellenlänge. Bewegen sie sich voneinander weg, so ist die Frequenz erniedrigt und die Wellenlänge vergrößert. Das Ausmaß der Veränderungen unterscheidet sich allerdings geringfügig (in zweiter Ordnung in v=vPh /, je nachdem, ob sich die Quelle oder der Beobachter bewegt. Experiment 19.12: Doppler-Effekt mit Pfeife

Dieses Experiment können Sie selbst ausführen. Sie brauchen lediglich eine kleine elektrische Schallquelle, z. B. einen Summer, eine kleine Sirene oder eine Pfeife, eine Schnur und einen Partner oder eine Partnerin. Sie binden die Schallquelle an die Schnur und rotieren sie möglichst schnell über Ihrem Kopf. Sie selbst werden keine Veränderung der Tonhöhe hören, aber der außenstehende Partner hört ein deutliches Auf und Ab der Tonhöhe, je nachdem, ob die Pfeife gerade auf ihn zukommt, oder sich von ihm wegbewegt.

Beispiel 19.4: Rotverschiebung

Auch bei elektromagnetischen Wellen tritt ein Doppler-Effekt auf. Bewegt sich ein Sender auf uns zu, so wird die Wellenlänge verkürzt, die Frequenz ins Blaue verschoben, entfernt er sich von uns, wird die Welle rotverschoben. Wegen der viel höheren Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen im Vergleich zum Schall, tritt allerdings erst bei Geschwindigkeiten, die sich der Lichtgeschwindigkeit nähern, ein merklicher Effekt auf. Ein Beispiel ist die Verschiebung von Spektrallinien von Sternen, die sich auf uns zu- oder von uns wegbewegen. Die Abbildung zeigt ein Beispiel. Die Spektrallinien sind als schwarze

© Wikimedia: Georg Wiora

19

566

Kapitel 19  Akustik

Linien vor einem Hintergrund zu erkennen, der zur Illustration in der Farbe der jeweiligen Wellenlänge dargestellt ist. Rechts sind die Linien der Sterne eines weit entfernten Galaxienhaufens zu sehen (BAS11), links zum Vergleich die unserer Sonne. Die Rotverschiebung ist deutlich zu erkennen. Allerdings muss man beachten, dass bei so weit entfernten Objekten die kosmologische Rotverschiebung, die durch die Expansion des Universums entsteht, zu berücksichtigen ist. Sie überwiegt deutlich. Der Beitrag des Doppler-Effektes ist auf dieser Skala nicht mehr zu erkennen.

Beispiel 19.5: Doppler-Effekt am Martinshorn

Fährt ein Polizeiauto mit Blaulicht und Sirene an uns vorbei, so können wir hören, wie sich die Tonhöhe der Sirene oder der Klang des Motors beim Vorbeifahren verändern: Kommt der Wagen auf uns zu, hört sich die Sirene höher an. Der Grund ist einfach: Die Schallwellen der Sirene werden „gestaucht“, was zu einem höheren Ton führt. Entfernt er sich dagegen, werden die Schallwellen gestreckt, was wiederum einen tieferen Ton verursacht. Die Änderung der Tonhöhe ist also nur ein Beobachtungseffekt. Für den Fahrer hört sich seine Sirene die ganze Zeit über gleich an.

Wir haben nun bewegte Schallquellen behandelt. Dabei haben wir implizit angenommen, dass die Geschwindigkeiten der Quellen kleiner als die Schallgeschwindigkeit sind. Erreicht die Geschwindigkeit die Schallgeschwindigkeit, entsteht aus dem Doppler-Effekt etwas Neues: der Überschallknall. Bei der Ableitung des Doppler-Effektes hatten wir den Abstand zweier Wellenberge bei bewegter Quelle betrachtet. Wir erhielten (Gl. 19.16)

19

  vQ 0 D   s D  1  : vPh

(19.20)

Erreicht die Geschwindigkeit der Quelle die Schallgeschwindigkeit (vQ D vPh ), so wird 0 zu null. Die Wellenberge überlagern sich. Es entsteht eine Wellenfront mit besonders hoher Amplitu-

567 19.3  Bewegte Schallquellen

. Abb. 19.9 Schallausbreitung bei hohen Geschwindigkeiten

de, die man als Knall empfindet. Man nennt sie die „Schallmauer“ oder den „Überschallknall“. In . Abb. 19.9 sind drei Situationen gezeigt. In der ersten bewegt sich die Schallquelle mit 60 % der Schallgeschwindigkeit, in der zweiten genau mit Schallgeschwindigkeit und in der dritten mit der 1,4-fachen Schallgeschwindigkeit. Gezeigt ist jeweils die Emission eines Wellenberges im Abstand von einer Schwingungsperiode. Die Positionen der Schallquelle sind zeitlich mit den Ziffern 1 (jetzt) bis 6 (5T vorher) durchnummeriert. Die Wellenberge breiten sich kugelförmig von dem Punkt aus, an dem sie erzeugt wurden.

19

568

Kapitel 19  Akustik

. Abb. 19.10 Öffnungswinkel des Mach’schen Kegels

19

In der ersten Abbildung bei 60 % der Schallgeschwindigkeit kann man den Doppler-Effekt erkennen. Vor der Schallquelle (rechts) sind die Wellenberge enger zusammengerückt. Die Wellenlänge ist verkürzt. Hinter der Schallquelle ist der Abstand der Wellenberge deutlich größer. Die Wellenfronten der einzelnen Wellenberge sind deutlich voneinander getrennt. Es tritt keine Überlagerung auf. Anders im zweiten Bild, wenn sich die Schallquelle selbst mit Schallgeschwindigkeit bewegt. Auf Höhe der Quelle treffen die Wellenberge aufeinander und überlagern sich zum Überschallknall. Die Wellenfront, die dadurch entsteht, ist gerade (eine Ebene im Raum). Sie ist durch die gestrichelte, orangefarbene Linie angedeutet. In der Abbildung scheint dies nur in der Nähe der Schallquelle zu stimmen. Dies liegt aber daran, dass nur die jüngsten 5 Wellenberge dargestellt sind. Bezieht man alle früheren Wellenberge mit ein, ergibt sich eine perfekte Ebene. Im letzten Bild bewegt sich die Schallquelle mit einer Geschwindigkeit größer als die Schallgeschwindigkeit. Die Druckwelle formt einen Kegel (orangefarbene Linie), den die Quelle mit sich führt. Die Schallquelle scheint auf der Spitze des Kegels zu sitzen. Man nennt ihn den „Mach’schen Kegel“, nach dem deutschen Physiker Ernst Mach. Wir wollen den Öffnungswinkel des Mach’schen Kegels bestimmen. Betrachten Sie hierzu . Abb. 19.10. Die Skizze zeigt eine Schallquelle, die sich mit Überschallgeschwindigkeit bewegt. In der Zeit t legt sie die Strecke vQ t (von Punkt 4 nach Punkt 1) zurück. In dieser Zeit hat die Schallwelle, die am Punkt 4 ausgesandt wurde, einen Radius vP h t erreicht. Die Wellenfronten haben sich zu einem Kegel überlagert, dessen Öffnungswinkel ˛ in der Skizze eingetragen ist. Das Dreieck, das aus der Strecke 14, der gestrichelten Linie vP h t und der Wellenfront gebildet wird, ist ein

569 19.4  Musikinstrumente

rechtwinkeliges. Wir lesen ab: sin

vph t 1 ˛ 1 D D vQ D : 2 vQ t M v

(19.21)

Ph

Die Größe M nennt man die „Mach-Zahl“. Sie gibt die Geschwindigkeit der Quelle als Vielfaches der Schallgeschwindigkeit an. Für Schallgeschwindigkeit (Mach 1) ist der halbe Öffnungswinkel des Kegels 90ı . Die Mantelfläche des Kegels ist zu einer Ebene, der Schallmauer, entartet. Mit steigender Geschwindigkeit wird der Kegel immer spitzer. Beispiel 19.6: Überschallknall beim Flugzeug

Die Schallgeschwindigkeit in Luft beträgt etwa 330 m=s. Sie ist abhängig von Feuchtigkeit, Temperatur und Druck und reduziert sich in 10 km Höhe auf rund 290 m=s oder 1050 km=h. Erreicht ein Flugzeug diese Geschwindigkeit, durchbricht es die Schallmauer. Es entsteht der Mach’sche Kegel, der bei speziellen Wetterbedingungen durch Kondensation sichtbar wird. Die Druckwelle stört die Strömungsbedingungen am Flugzeug. Das Flugzeug muss sie durchdringen, was zusätzlichen Schub erfordert. Dafür muss das Flugzeug ausgelegt sein, wie der im Foto abgebildete Kampfjet.

Beispiel 19.7: Mach’scher Kegel bei Wasserwellen

Überschallknall und Mach’scher Kegel treten nicht nur bei Schallwellen auf, wie hier an einer Ente zu sehen, die sich mit mehrfacher Wasserwellengeschwindigkeit bewegt.

19.4

Musikinstrumente

Zum Schluss dieses Kapitels über die Akustik wollen wir noch ein wenig näher auf Musikinstrumente eingehen. Man kann sie grob in drei Gruppen unterteilen: 4 Saiteninstrumente, bei denen der Ton durch eine schwingende Saite erzeugt und von einem Resonanzkörper verstärkt wird. Zu dieser Gruppe gehören die Streichinstrumente Geige, Bratsche, Cello und Kontrabass (Saiten werden mit einem Bogen gestrichen) sowie die Gitarre, die Harfe und das Cembalo, bei denen die Saite gezupft wird. Außerdem das Klavier bzw. der Flügel, bei denen die Saite angeschlagen wird.

© Foto U. S. Navy

19

570

Kapitel 19  Akustik

4 Blasinstrumente, bei denen der Ton durch eine schwingende Luftsäule erzeugt wird. Ein Resonanzkörper ist in der Regel nicht notwendig. Man unterscheidet Holzblasinstrumente, die die Schwingung über eine hölzerne Zunge anregen (Saxophon, Klarinette, Oboe, Fagott, Blockflöte, Querflöte), und Blechblasinstrumente, bei denen die Schwingung mit den Lippen angeregt wird (Trompete, Posaune, Tuba, Horn), und die Orgel mit unterschiedlichen Pfeifen. 4 Schlaginstrumente mit unterschiedlichen Techniken, z. B. Trommeln, bei denen eine Membran schwingt, oder Xylophone, bei denen Stäbe aus verschiedenen Materialien angeschlagen werden. Wir untersuchen das Monochord als Beispiel eines einfachen Saiteninstrumentes (7 Experiment 19.13). Einige Saiten sind über einem Klangkörper gespannt. Die Tonhöhe kann durch verschiebbare Stege verändert werden. An beiden Enden ist die Saite fest eingespannt. Beim Anschlagen der Saite wird eine Erregung erzeugt. Sie läuft zum Ende der Saite, wird dort reflektiert (festes Ende) und überlagert sich mit der einlaufenden Welle. Wir nennen ein die Welle vor der Reflexion und aus die Welle danach. Wir wollen harmonische Wellen annehmen. Dann ist D aus .x; t/ D ein .x; t/

 kx/ 0 cos.!t C kx C / D  0 cos.!t

0

cos.!t C kx/ : (19.22)

Die auslaufende Welle unterscheidet sich von der einlaufenden durch die Laufrichtung (Ckx statt kx) und den Phasensprung um  aufgrund der Reflexion am festen Ende. Wir benutzen die Additionstheoreme der Kosinunsfunktion, um die Wellen umzuschreiben und zu addieren: D 0 Œcos.!t/ cos.kx/ C sin.!t/ sin.kx/ aus .x; t/ D  0 Œcos.!t/ cos.kx/  sin.!t/ sin.kx/ ) † .x; t/ D 2 0 sin.!t/ sin.kx/ : (19.23) ein .x; t/

19

Die Überlagerung von ein- und auslaufender Welle † ergibt eine stehende Welle. Der erste Sinus-Term beschreibt die Schwingung der Welle in der Zeit, der zweite Sinus-Term gibt die Variation der Schwingung entlang der Saiten an. An der Stelle der Reflexion hat die stehende Welle einen Knoten. Am Monochord findet diese Reflexion nicht nur an einem Ende der Saite statt, sondern an beiden Enden. Es können sich nur Wellen ausbilden, die an beiden Enden einen Knoten haben. Wir wählen die x-Achse so, dass das linke Ende der Saite bei x D 0 liegt. Dann ist dort automatisch ein Knoten ( † .0; t/ D 0). Für das rechte Ende

571 19.4  Musikinstrumente

. Abb. 19.11 Die ersten Schwingungsmoden des Monochords

der Saite bei x D L muss dann gelten ( kL D n )

† .L; t/

2 n L D n ) L D  :  2

D 0) (19.24)

Die Schwingungsmoden für n D 1; 2; 3 sind in . Abb. 19.11 dargestellt und zwar jeweils zu den Zeitpunkten t D 0, t D 8 T , t D 2 T usw. Die Schwingungen mit n D 2; 3; : : : haben zusätzliche 8 Knoten. Die Wellenlängen und Frequenzen der Moden sind D

2L n

und f D

n vPh D vPh :  2L

(19.25)

Hat man eine Saite beispielsweise so abgeglichen, dass die Grundmode (n D 1) einem Ton c’ entspricht, so sind die Oberschwingungen (n D 2; 3; : : :) die Töne c”, g”, c”’, e”, usw. Es ertönen neben dem Grundton die reinen Intervalle. Die Schwingungen der Saiten werden über den Steg auf den Resonanzkörper des Instrumentes übertragen und regen diesen zu eigenen Schwingungen an. Erst durch diese Verstärkung entsteht

19

572

Kapitel 19  Akustik

ein deutlich hörbarer Ton. Der Resonanzkörper hat aber auch einen ganz wesentlichen Einfluss auf den Klang des Instrumentes. Er verstärkt keineswegs alle Frequenzen gleichermaßen. Manche Frequenzen regen stärkere Resonanzen im Klangkörper an und werden dadurch hervorgehoben, andere nicht. Experiment 19.13: Monochord

Ein Monochord besteht aus mehreren Saiten, die über einem Resonanzkörper gespannt sind. Unser Exemplar hat lediglich zwei Saiten. Die Saiten können gestrichen, gezupft oder geschlagen werden. Sie sind alle auf denselben Ton gestimmt. Spielt man eine Saite an, so werden die anderen Saiten in Resonanz angeregt und verstärken den Ton. Mit einem verschiebbaren Steg kann man die Länge der einzelnen Saiten verkürzen. Stellt man sie auf ganzzahlige Teillängen ein, so kann man auch gezielt Obertöne der angespielten Saite verstärken. So entsteht ein voller obertonreicher Klang.

© RWTH Aachen, Sammlung Physik

Beispiel 19.8: Geige

19

Die Verstärkung der Töne durch den Resonanzkörper bestimmt entscheidend den Ton einer Geige. Material, Form und Dicke von Boden und Decke haben einen wesentlichen Einfluss. Die Decke enthält die beiden F-Löcher und ist durch einen Stab, den Bassbalken, auf der Innenseite verstärkt. Anders als beim geometrischen Resonanzkörper des Monochords, bei dem sich scharfe Resonanzen ausbilden, hat eine Geige durch die runden Formen breite, eng beieinanderliegende Resonanzen. Die Abbildung zeigt Chladni’sche Klangfiguren (siehe 7 Experiment 17.22) von Decke (oben) und Geigenboden (unten). Die Resonanzfrequenzen der Decke (147 Hz, 222 Hz, 304 Hz–349 Hz) und des Bodens (116 Hz, 167 Hz, 222 Hz, 230 Hz, 349 Hz, 403 Hz) sind leicht gegeneinander versetzt (im Verhältnis 5 W 4). Die vierte Mode fehlt in der Decke. Die Resonanzen müssen gut aufeinander abge-

573 19.4  Musikinstrumente

stimmt sein, um einen vollen, angenehmen Klang zu erzeugen. Darin liegt die Kunst des Geigenbauens.

© Spektrum Akademischer Verlag, Physik der Musikinstrumente, Artikel Carleen Maley Hutschins, Klang und Akustik der Geige, Abb. 5

Bei den Blasinstrumenten schwingt eine Luftsäule im Rohr. Wir wollen als Beispiel eine Trompete betrachten. Am Mundstück wird der Ton durch Druckvariationen mit den Lippen angeregt. Der Druck in der Luftsäule hat hier ein loses Ende, d. h. einen Schwingungsbauch. Im Schalltrichter hat der Druck der Luftsäule dagegen ein festes Ende. Im einfachsten Modell könnte man die Trompete durch ein gerades Rohr mit einem festen und einem losen Ende modellieren. Das würde zu Schwingungen führen, wie sie in . Abb. 19.12 dargestellt sind. Als Frequenzen der Moden ergeben sich fn D

.2n  1/ vPh ; 4 l

(19.26)

wobei l die Länge des Rohres ist. Durch das Anblasen kann der Trompeter unterschiedliche Moden anregen. Mit den Ventilen der Trompete kann er die Rohrlänge verändern und so auch Zwischentöne zwischen den Grundmoden erreichen. Dieses Modell eines einseitig offenen, zylindrischen Rohres vereinfacht das Instrument stark. Klarinetten haben ein gerades Rohr und nur einen kleinen Schalltrichter. Für sie stimmt die Formel näherungsweise. Für Trompeten kann man versuchen, eine etwas realistischere Modellierung eines realen Instrumentes zu erreichen, indem man wenigstens die allmähliche Zunahme des Rohrdurchmessers entlang des Instrumentes grob berücksichtigt. Im einfachsten Fall setzt man das Schallrohr aus einem zylindrischen und einen konischen Teil zusammen. Dieser Fall lässt sich noch analytisch behandeln. Am Eingang des zylindrischen Roh-

19

574

Kapitel 19  Akustik

. Abb. 19.12 Schwingungsmoden in einem einfachen Rohr

19

. Abb. 19.13 Resonanzfrequenzen einer Schlauchtrompete (Gesamtlänge L1 C L2 D 1;5 m, Schlauchdurchmesser 19 mm). © Aus Bachelorarbeit Jonathan Parlasca, RWTH Aachen

res befindet sich das Mundstück, über das der Bläser mit seinen Lippen die Schwingung anregt. Am Ende des konischen Rohres folgt ein Abstrahltrichter. Die verschiedenen Blechblasinstrumente unterscheiden sich auch durch das Längenverhältnis des zylindrischen und des konischen Anteils. Eine Tuba besteht nahezu vollständig aus einem konischen Teil, während bei einer Posaune der zylindrische Anteil überwiegt. Man kann ein solches vereinfachtes Modell einer Trompete mit einem Mundstück, einem Gummischlauch und einem Kunststofftrichter nachbauen. Mit einem Aufbau ähnlich dem aus 7 Experiment 18.3 lassen sich dann die Resonanzfrequenzen bestimmen. . Abb. 19.131 zeigt die Ergebnisse einer Berechnung des Grundtones und der ersten fünf Obertöne der Schlauchtrompete als Funktion des Längenverhältnisses L1 =.L1 C L2 / (blaue Linien) im Vergleich zu einigen Messungen (rote Kreuze). Wie 1

Aus der Bachelorarbeit von Thomas Jonathan Parlasca, RWTH Aachen, 25. September 2012.

575 19.4  Musikinstrumente

man sieht, hat das Längenverhältnis einen deutlichen Einfluss auf die Lage der Resonanzen. Ausgehend von diesem Modell kann man versuchen, sich Schritt für Schritt einem realen Instrument zu nähern, indem man den tatsächlichen Verlauf des Rohrdurchmessers benutzt, den Abstrahltrichter einschließt, die Erregung durch das Mundstück berücksichtigt, und so weiter. Wir haben nun das Monochord als Saiteninstrument und die Trompete als Blasinstrument etwas näher untersucht. Wir wollen zum Schluss dieses Kapitels noch einen Blick auf ein Schlaginstrument, die Pauke, werfen. Bei der Pauke wird der Schall durch Schwingungen auf einem Fell erzeugt, das über die Pauke gespannt ist. Unter dem Fell befindet sich ein Resonanzkörper, der die Töne verstärkt. Die Schwingungen auf dem Fell kann man als Chladni’sche Klangfiguren sichtbar machen. . Abb. 19.14 zeigt einige Schwingungsmoden als Beispiel. Wegen der hohen Symmetrie einer Pauke sind auch die Schwingungen besonders regelmäßig. Schlägt man die Pauke an, hört man ein Spektrum an Schwingungsmoden, das den Klang ausmacht. Durch den Anschlag der Pauke kann man zwar nicht einzelne Moden isolieren und damit einen anderen Ton erzeugen, aber man kann die relative Stärke der einzelnen Moden verändern und damit die Klangfarbe verändern. Beispiel 19.9: Eigenmoden einer Kreismembran

Zum Ende des Bands möchten wir Ihnen noch ein mathematisch etwas anspruchsvolleres Beispiel präsentieren. Wir wollen die Eigenmoden einer kreisförmigen Membran berechnen, wie sie beispielsweise bei Pauken auftreten. Wir werden Polarkoordinaten verwenden, die wir in der Abbildung angegeben haben. Zunächst benötigen wird die Wellengleichung, die wir von Gl. 18.17, die den eindimensionalen Fall behandelt, auf unser zweidimensionales Beispiel erweitern. Sie lautet dann:

2 @2 .x; y; t/ @ .x; y; t/ @2 .x; y; t/ 2 C ; D ph 2 2 @x @y @t 2 die wir nun in Polarkoordinaten darstellen:

2 @ .r; '; t/ 1 @2 .r; '; t/ 1 @ .r; '; t/ 2 ph C C @r 2 r @r r2 @' 2 D

@2 .r; '; t/ : @t 2

Als ersten Schritt zur Lösung trennen wir den zeitabhängigen Anteil ab. Er lässt sich durch den folgenden Ansatz erfassen: .r; '; t/ D .r; '/  sin.!t C 0 / ;

. Abb. 19.14 Chladni’sche Klangfiguren auf einer Pauke

19

576

Kapitel 19  Akustik

Der Sinusterm beschreibt die zeitliche Schwingung, während die Funktion .r; '/, die nicht mehr von der Zeit abhängt, das räumliche Muster der stehenden Wellen inklusive der Lage der Wellenberge und Knoten beschreibt. Setzen wir den Ansatz in die Differenzialgleichung ein, erhalten wir:

2 1 @2 .r; '/ @ .r; '/ 1 @.r; '/ C 2 C sin.!t C 0 / @r 2 r @r r @' 2 D

!2 .r; '/ sin.!t C 0 / : 2 ph

Diese Differenzialgleichung ist erfüllt, wenn die Ortsfunktion .r; '/ die folgenden Differenzialgleichung erfüllt: 1 @2 .r; '/ 1 @.r; '/ @2 .r; '/ C C D .r; '/ ; @r 2 r @r r 2 @' 2 2 eingeführt haben. Wir wobei wir eine neue Konstante  D ! 2 =ph können nun die r- und '-Abhängigkeiten sortieren:

@.r; '/ @2 .r; '/ C r 2 .r; '/ Cr @r 2 @r @2 .r; '/ D : @' 2

r2

Diese Differenzialgleichung lässt sich mit einem faktorisierten Ansatz lösen: .r; '/ D

0 R.r/˚.'/ :

Wir haben die Amplitude 0 explizit ausgeschrieben, so dass wir uns keine Gedanken mehr um die Skalierung von R.r/ und ˚.'/ machen müssen. Wir setzen den Ansatz in die Differenzialgleichung ein und erhalten nach kurzer Umformung:

1 @R.r/ 1 @2 ˚.'/ @2 R.r/ 2 C r C r D D r2 2 R.r/ @r @r ˚.'/ @' 2 Da die linke Seite nur von r abhängt und die rechte nur von ', kann diese Gleichung nur erfüllt sein, wenn jede Seite für sich genommen etwas ergibt, das weder von r noch von ' abhängt. Wir haben diese Konstante  genannt und bereits in die Gleichung eingetragen. Wir erhalten so zwei nicht gekoppelte Differenzialgleichungen, die wir nach einer weiteren kurzen Umformung folgendermaßen schreiben können:

19

1/ 2/

r2

@2 R.r/ @R.r/ C .r 2  /R.r/ D 0 Cr @r 2 @r @2 ˚.'/ C ˚.'/ D 0 : @' 2

577 19.4  Musikinstrumente

Die zweite Differenzialgleichung dürfte Ihnen bekannt vorkommen. Es ist die Differenzialgleichung einer ungedämpften freien Schwingung mit der Lösung: ˚.'/ D cos

p

  ' C ˚' :

Beachten Sie allerdings, dass als Variable hier nicht die Zeit t auftritt, sondern die Polarkoordinate '. Daher muss ˚.'/ D ˚.' C 2/ gelten, denn diese Koordinaten entsprechen dem selben Punkt auf der Membran. Die Bedingung ist genau dann erfüllt, p wenn  D n gilt, mit einer ganzen, nicht negativen Zahl n2 . Da ' den Winkel zur x-Achse darstellt, können wir durch geeignete Drehung des Koordinatensystems um den Mittelpunkt der Membran ˚' zu null machen. Wir werden den Parameter daher im Folgenden weglassen. Wir wenden uns nun der verbleibenden Differenzialgleichung zu. Wir p eliminieren die Konstante  durch eine Substitution D r, was uns auf die endgültige Form: 2

 @R. /  2 @2 R. / C  n2 R. / D 0 C 2 @ @

führt. Dies ist die Bessel’sche Differenzialgleichung, benannt nach dem Astronomen, Physiker und Mathematiker Friedrich Wilhelm Bessel, der viele Eigenschaften der Lösungsfunktionen abgeleitet hat. Die Lösung lässt sich nicht durch trigonometrische oder verwandte Funktionen darstellen, aber das sollte Sie nicht stören. Die Lösungen heißen Bessel-Funktionen der ersten Art Jn . /. Zu jeder Zahl n gibt es eine eigene Lösungsfunktion. Man kann sie beispielsweise durch eine Potenzreihe angeben: Jn . / D

1  v X

2

kD0

.1/k  2k : kŠ.n C k/Š 2

Die ersten vier sind in der Abbildung unten gezeigt. Die Nullstellen der Bessel-Funktionen finden Sie in der folgenden Tabelle. Wir werden sie gleich benötigen.

2

Negative Zahlen n erfüllen zwar auch die Bedingung. Diese Lösungen sind aber bei geeigneter Wahl von ' in den Lösungen mit positivem n bereits enthalten.

19

578

Kapitel 19  Akustik

Nullstelle J0 ./

J1 ./

J2 ./

J3 ./

J4 ./

0.

2,4048

3,8317

5,1356

6,3802

7,5883

1.

5,5201

7,0156

8,4172

9,7610

11,0647

2.

8,6537

10,1735

11,6198

13,0152

14,3725

3.

11,7915

13,3237

14,7960

16,2235

17,6160

4.

14,9309

16,4706

17,9598

19,4094

20,8269

p Wir haben also R.r/ D Jn . r/ gefunden. Nun ist es Zeit, auf die Randbedingung des Problems einzugehen. Wir berechnen ja die Schwingung einer kreisförmigen Membran, die am äußeren Rand am Körper des Instruments eingespannt ist. Die Auslenkung muss am äußeren Rand verschwinden, was uns auf die p Bedingung R.RM / D 0 bzw. Jn . RM / D 0 führt. Setzen wir die Konstante  ein, erhalten wir die Bedingung:  Jn

!nl RM ph

 D 0:

Die Frequenzen !nl sind die Eigenfrequenzen der Membran. Der Index n bezeichnet die Ordnung der Bessel-Funktion und der Index l gibt an, um welche der Nullstellen der Funktion es sich handelt. Die Grundmode ergibt sich beispielsweise für (n D 0, l D 0): 2RM !00 RM : D 2;4048 ) 00 D ph 2;4048

19

Für die Umrechnung der Wellenlänge 00 in eine Frequenz benötigen wir noch die Phasengeschwindigkeit ph , die von der Spannung der Membran (Stimmung) abhängt. Für die D-Basspauke mit einem Durchmesser von 2RM D 73 cm ergeben sich

579 19.4  Musikinstrumente

je nach Stimmung Grundtöne zwischen D (73,3 Hz) und A (110 Hz). In den Abbildungen sind einige der Moden abgebildet. Vergleichen Sie mit den Chladni’schen Klangfiguren in . Abb. 19.14.

?Aufgaben 1. Hält man eine Orgelpfeife während des Spielens an ihrem oberen Ende zu, ändert sich ihre Tonlage. Um welche musikalischen Intervalle unterscheiden sich der Grundton vor und beim Zuhalten sowie der erste Oberton vor und beim Zuhalten? Die Frequenz des ersten Obertons verringere sich durch das Zuhalten um 131 Hz. In welchem Ton ist die Orgelpfeife gestimmt und wie lang ist sie? 2. In der Werkhalle des Physikalischen Instituts werden ein Standbohrer mit 72 dB, eine Drehbank mit 78 dB und eine Fräsmaschine mit 74 dB gleichzeitig betrieben. Wie groß ist der gesamte Schallpegel der drei Maschinen? 3. Ein Zug passiert einen Bahnübergang, wobei der Lokomotivführer zur Warnung ein Pfeifsignal ertönen lässt. Ein wartender Musiker an der Bahnschranke beobachtet, dass sich die Pfeiftöne beim Nähern und Entfernen der Lokomotive um eine große Terz (Frequenzverhältnis 5=4) unterscheiden. Wie schnell ist der Zug? 4. Ein Schiff befindet sich auf der Meeresoberfläche in Ruhe und versendet ein Echolot-Signal der Frequenz 50 kHz. Nach einer Zeit von 2,6 s empfängt es unter einem Winkel von 65ı zur Senkrechten das an einem U-Boot reflektierte Signal. Wie weit ist das U-Boot entfernt (vSchall D 1475 m=s)? Mit welcher Geschwindigkeit bewegt sich das U-Boot horizontal auf das Schiff zu, wenn die Frequenz des empfangenen Signals um 380 Hz über der des ausgesandten Signals liegt? 5. Eine Schallquelle bewegt sich mit der Geschwindigkeit 2 m=s senkrecht auf eine Wand zu und sendet dabei einen Ton der Frequenz 262 Hz aus. Bestimmen Sie die Schwebungsfrequenz, die ein ruhender Beobachter hinter dem Sender wahrnimmt.

19

581

Serviceteil A1

Liste der Symbole – 582

A2

Lösungen der Aufgaben – 585

A3

Mathematische Einführung – 605

Stichwortverzeichnis – 652

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Roth, A. Stahl, Mechanik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64365-5

582

A1

Liste der Symbole

A1

Liste der Symbole

Arbeit

work

W

Avogadro-Konstante

Avogadro constant

NA

7 Abschn. 7.1

Bahngeschwindigkeit orbital velocity

vEB

7 Abschn. 5.8

Beschleunigung

acceleration

aE

7 Abschn. 5.5

Dezibel

decibel

dB

7 Abschn. 19.2

Dichte

density

%

Drehimpuls

angular momentum

E L

7 Abschn. 13.1

Drehmoment

torque

E M

7 Abschn. 12.2

Drehwinkel

angle of rotation

'E

7 Abschn. 12.2

Druck

pressure

p

7 Abschn. 15.1

Durchmesser

diameter

d

Elastizitätsmodul

elastic modulus

E

7 Abschn. 14.1

Energie

energy

E

7 Abschn. 7.2

Energiedichte

energy density

"

7 Abschn. 18.4

Fallbeschleunigung

gravitational acceleration

gE

7 Abschn. 5.6

Federkonstante

stiffness

D

7 Abschn. 14.1

Fläche

area

A; F

Frequenz

frequency

f

7 Abschn. 17.1

Geschwindigkeit

velocity

vE

7 Abschn. 5.3

Gewichtskraft

gravitational force

EG F

gravitational field strength

E G

7 Abschn. 11.5

Gravitationskonstante gravitational constant

G

7 Abschn. 11.3.1

Gravitationspotenzial gravitational potential

˚G

7 Abschn. 11.5

Gruppengeschwindigkeit

group velocity

vg

7 Abschn. 18.3

Güte

Q factor

Q

7 Abschn. 17.4

Impuls

momentum

pE

7 Kap. 8

Intensität

Intensity

I

7 Abschn. 18.4

Joule (Einheit)

Joule

J

7 Abschn. 7.1

Kelvin (Einheit)

Kelvin

K

7 Abschn. 2.2

Gravitationsfeld

7 Abschn. 11.3.2

583 A1

Liste der Symbole

Kilogramm (Einheit)

kilogram

kg

7 Abschn. 2.5

kinetische Energie

kinetic energy

Ekin

7 Abschn. 7.2

Kompressibilität

compressibility



7 Abschn. 15.2

Kompressionsmodul

bulk modulus



7 Abschn. 15.2

Kraft

force

F

7 Abschn. 6.2

Kraftstoß

impulse

T

7 Abschn. 8.5

Leistung

power

P

7 Abschn. 7.1

Lichtgeschwindigkeit velocity of light

c

Machzahl

Mach number

M

Masse

mass

m; M 7 Abschn. 6.2

Massenbelegung

area density



7 Abschn. 18.2

Massenstrom

mass flow rate

J

7 Abschn. 16.2

Massenstromdichte

mass flux

j

7 Abschn. 16.2

Meter (Einheit)

meter

m

7 Abschn. 3.2

Newton (Einheit)

Newton

N

7 Abschn. 6.2

7 Abschn. 19.3

7 Abschn. 15.5.1

Oberflächenspannung surface tension Pascal (Einheit)

Pascal

Pa

7 Abschn. 14.1

Periodendauer

periode

T

7 Abschn. 17.1

Phasengeschwindigkeit

phase velocity

vph

7 Abschn. 18.3

Potenzial

potential

'

7 Abschn. 17.4

Präzessionsfrequenz

frequency of precession

!EP

7 Abschn. 13.5

Querkontraktionsfaktor

Poisson’s ratio



7 Abschn. 14.1

Radiant (Einheit)

radian

rad

7 Abschn. 2.6

Radius

radius

r

Raumwinkel

solid angle

˝

7 Abschn. 2.6

reduzierte Masse

reduced mass

m0

7 Abschn. 11.2

Reibungskoeffizient

coefficient of friction

H , G

7 Kap. 9

Reibungskraft

friction

FER

7 Abschn. 9.1

relative Längenänderung

relative elongation

Reynoldszahl

Reynolds number

Re

7 Abschn. 16.7

Rückstellkraft

restoring force

FEr

7 Abschn. 17.1

Schallpegel

sound pressure

L

7 Abschn. 19.2

7 Abschn. 14.1

584

A1

Liste der Symbole

Schubspannung

shear stress



7 Abschn. 14.4

Schwerpunkt

center of gravity

rES

7 Abschn. 12.3

Schwingungsperiode

periode

T

7 Abschn. 17.1

Sekunde (Einheit)

second

s

7 Abschn. 2.4

Steradiant (Einheit)

steradian

sr

7 Abschn. 2.6

Strecke

distance

s

Torsionsmodul

shear modulus

G

7 Abschn. 14.4

Trägheitsmoment

moment of inertia

I

7 Abschn. 13.2

Trägheitstensor

inertia matrix

IQ

7 Abschn. 13.6

Viskosität

viscosity



7 Abschn. 16.4

Volumen

volume

V

Volumenstrom

volumetric flow rate

I 

rE; t



7 Abschn. 16.2 7 Abschn. 18.1

Welle

wave function

Wellenlänge

wave length



7 Abschn. 18.1

Wellenvektor

wave vector

kE

7 Abschn. 18.1

Wellenzahl

wave number

k

7 Abschn. 18.1

Widerstandsbeiwert

drag coefficient

cw

7 Abschn. 16.7

Winkel

angle

˛; ˇ; ; ;

Winkelbeschleunigung angular acceleration

˛E

7 Abschn. 13.2

Winkelgeschwindigkeit

angular velocity

!E

7 Abschn. 10.3

Zeit

time

t

7 Abschn. 2.4

Zentrifugalkraft

centrifugal force

FEZF

7 Abschn. 10.3

Zentripetalkraft

centripetal force

FEZP

7 Abschn. 10.3

Zugspannung

tension



7 Abschn. 14.1

585 A2

Lösungen der Aufgaben

A2

Lösungen der Aufgaben

2Kapitel 1

Keine Aufgaben 2Kapitel 2

1. Skalare: Zeit, Temperatur, Masse, Energie, Arbeit Vektoren: Impuls, Kraft, Beschleunigung, Geschwindigkeit 4 2.  D 8 rl p I1 ) ΠD

m4 Pa 3 m ms

D Pa s D

N s m2

D

kg m s m2 s2

D

kg ms

3. a) Œc1  D m; Œc2  D ms ; Œc3  D sm2 b) Œc1  D ms ; Œc2  D s12 ; Œc3  D m c) Œc1  D sm2 d) Œc1  D m; Œc2  D 1s ; Œc3  D ms 4V V  2 4. Volumen: V D 4 d 2 h ) h D d 2 . Oberfläche A D 4 d C 2 d soll minimal werden. @A @d D 0 ergibt die gesuchte Beziehung: 4 dV2 C d D 0 ) 4V D d 3 ) h D d

2Kapitel 3

1. Die Differenz beträgt 124,7 g. Innerhalb der angegebenen Genauigkeit stimmt das mit 125 g überein. 30 s 6 2. Man sollte sie spätestens nach t D 10 5 D 3  10 s wieder stellen, also einmal pro Monat. 3. Absolute Genauigkeit der Entfernung: s D 3  1010  3;3  108 m D 0;1 m. Absolute Genauigkeit der Laufzeit: t D s D c 0;1 m 10 D 3  10 s D 0;3 ns. 3108 ms 4. Mit den angegebenen Werten für l und T ergibt sich g D 9;89438 : : : sm2 . Aus der Fehlerfortpflanzung erhält man einen  relativen Fehler von gg D 0;021, also insgesamt g D 9;89 ˙ 0;21 sm2 . Die Unsicherheit von T ist der dominierende Beitrag. Die Unsicherheit von l kann vernachlässigt werden. 2Kapitel 4

Keine Aufgaben 2Kapitel 5

9;5  109 ms D 3;4  108 km h 2;98  104 m=s D 1;07  105 km=h 1;02  104 m=s D 3;67  104 km=h 333 ms D 1200 km h v1 v2 km 1 2. v D 2 D 23 < .v1 C v2 / v1 C v2 h 2 1. a) b) c) d)

586

A2

Lösungen der Aufgaben

p m 3. v D 2gh D 44 s s 2s tD D 4;5 s g a1 0;8 4. t2 D t1 t1 D 1;2 ja2 j  2 a1 2s D a1 t12 C ja2 j t12 ) t1 D 38;7 s a2 t D t1 C t2 D 64;5 s m km vmax D a1 t1 D 31;0 D 111 s h t 0 D t1 C tv C t2 D 34;7 s C 7;1 s C 23;1 s D 64;9 s t 0  t D 0;4 s 5. v  v0 D at 1 s  s0 D at 2 C v0 t 2 v 2  v02 D 2a.s  s0 / v2 6. sD 2a s2 v2 D 22 D 2;0 s1 v1 v22  vZ2 D 2as D v12 q km vZ D v22  v12 D 49 h 1 7. at12 D s1 D 25 m 2 vt2 D at1 t2 D s2 D 75 m t D t1 C t2 D 9;58 s 2s1 s2 DaD t1 .t  t1 / t12 2s1 t D 3;83 s t1 D 2s1 C s2 2s1 m a D 2 D 3;4 2 s t1 m v D at1 D 13 s 19 m m 8.  19 D 1;0 m 360 ms s 2s 9. a) Windstille: ta D v 2s 2s 1 b) Seitenwind: tb D p D q 2 2 v 1 v w

v2 w2

587 A2

Lösungen der Aufgaben

s s C vw vCw 2s 1 D v 1  w22

c) Rücken- und Gegenwind: tc D

ta < tb < tc 10.

s

v

s

2h 2  0;5 m m D 3;8 m D 12  g s 9;81 sm2 s s 9;81 sm2 2  0;5 m gt g 2h D D 0;262 D D v v g 12 ms 9;81 sm2

s D vt D v tan D

vvert vhori

) D 15ı s s 2 2 l 11. t D p hD g g 2 s s pl 9;81 sm2  10 m l s g m vD D 2 D p D 5;9 p D t t 2 2 s 2 2 m pv p p 167 s v 12. t D 2 2 D 2 D 2 D 24 s g g 9;81 sm2 13. a) x D .v cos ˇ/t 1 y D .v sin ˇ/t  gt 2 2 2v sin ˇ y.tend / D 0 ) tend D g 2 2v sin ˇ cos ˇ D 2h sin 2ˇ R D x.tend / D g b) R ist maximal für sin 2ˇ D 1 ) ˇmax D 45ı c) x D .v cos ˇ/t 1 y D H C .v sin ˇ/t  gt 2 2 1 2 y.tend / D 0 ) gtend  v sin ˇtend  H D 0   2 q 1 2 2 v sin ˇ C v sin ˇ C 2gH ) tend D g r R D x.tend / D 2h cos ˇ sin ˇ C   d R d) D  2 sin2 ˇ C 2 cos2 ˇ dˇ h q  2 sin ˇ sin2 ˇ C H= h 2 sin ˇ cos ˇ C 2 cos ˇ p 2 sin2 ˇ C H= h

H sin ˇ C h 2

!

588

A2

Lösungen der Aufgaben

Mit s D sin ˇ und a D H= h folgt aus

 

d R dˇ h

D 0:

p     .1  2s 2 / s 2 C a  s s 2 C a C s 1  s 2 D 0 p 2s 3 C as  s s2 C a D 1  2s 2 2   2 .s 2 C a/ 1  2s 2 D 2s 3 C as  s 1 1 s2 D ) sin ˇmax D p 2Ca 2 C H= h 1 14. sin ˇmax D p 2 C H= h v2 D 8;61 m 2g 1 sin ˇmax D q D 0;668 ) ˇmax D 42ı 2;1 m 2 C 8;61 m Normalerweise wird unter kleineren Winkeln (30ı 40ı ) gestoßen, da man aufgrund der menschlichen Anatomie unter diesen Winkeln der Kugel eine größere Geschwindigkeit geben kann. 15. sin 2ˇ1 D sin 2ˇ2 ˇ1 D 60ı ) ˇ2 D 30ı s gR v2 m RD sin 2ˇ ) v D D 499 g sin 2ˇ s hD

R R t D t1  t2 D  v cos ˇ1 v cos ˇ2   1 R 1 D  v cos ˇ1 cos ˇ2   1 1  D 44 s  cos 60ı cos 30ı D 37 s 16.





p p ! 2 r D a D .4g/2  g 2 D 15g sp 15g ! 1 1 f D D D 0;40 2 2 r s g 1 cos ˛ D D ) ˛ D 76ı 4g 4

589 A2

Lösungen der Aufgaben

 aD! r D 2

17. )

2 24  3600 s

2  6;4  106 m D 0;034

m s2

a D 0;0035 g

2Kapitel 6

F 300 kN m D D 1;6 2 m 87 t C 100 t s F 300 kN m aD D D 0;073 2 m 87 t C 4000 t s m F D m  a D 100 t  1;6 2 D 160 kN s m F D m  a D 4000 t  0;073 2 D 294 kN s v2 F Dma Dm D 507 kN 2s  m m Foben D m.g C a/ D 1100 kg 9;81 2 C 0;9 2 D 11;8 kN s s Funten D m.g  a/ D 9;8 kN m a D g sin ˇ D g sin.arctan 0;12/ D 1;2 2 s F1 D m1 g cos ; F2 D m2 g sin m1 F1 D F2 , D tan m2 F1  F2 m1 cos  m2 sin aD Dg m1 C m2 m1 C m2 g m1 D m2 ) a D .cos  sin / 2 F g g s D s ) sR D s F Dm g)aD L m L L D A˛e ˛t  B˛e ˛t Ansatz: s.t/ D Ae ˛t C Be ˛t ) sP .t/ p Einsetzen in DGL: sR D ˛ 2 s ) ˛ D g=L 1. Anfangsbedingung: sP .0/ D 0 D A˛  B˛ ) A D B Daraus folgt: s.t/ D A.e ˛t C e ˛t / D 2A cosh ˛t 2. Anfangsbedingung:q s.0/ D l D 2A ) A D l=2

1. a D

2. 3.

4. 5.

6.

Lösung: s.t/ D l cosh

g t L

q Ende bei: s./ D L )  D Lg arccosh Ll k k 7. ma D kv ) vP D  v ) v.t/ D v0 e  m t m F Ns 5 kN kD D m D 500 v 10 s m m v0 400 kg 50 D ln D 1;8 s t1 D ln k v1 5 500 Ns m a m 8. tan 8ı D ) a D g tan 8ı D 1;4 2 s q g 9. F D .mg C ma sin.20ı //2 C .ma cos.20ı //2 D 874 N

590

A2

Lösungen der Aufgaben

10.

1 mg 2

FSeil

d d lmg Dq  )d D l=2 4FSeil .l=2/2 C d 2 D

10 m  25 kg  9;81 sm2 4  10 kN

D 0;061 m

2Kapitel 7

1.

2. 3.

4. 5.

6.

W D mgh D 441 J 1 Ekin D mv 2 D 130 J 2 Epot D mgh D 4;2  1010 J 1 Ekin D mv 2 D 1;4  1010 J 2 PS D E0 4 r 2 D 3;9  1026 W Epot D mgh D 1;7  1013 J dm gh D 8;6  108 W PP D dt 2 r 2  1 m F D 200 N D 157 kN 2 rF D GF 0 ) F 0 D G 0;008 m Uhinten Fhinten D Uvorne Fvorne 0 0 0 0 Uhinten Fhinten D Uvorne Fvorne 0 F0 Uvorne Uhinten 45 34 0 Fhinten D Fhinten ) vorne D  0 D  D4 Fvorne Uhinten Uvorne 13 29 q 1 1 km 1 2 mv D mv22  mv12 ) v3 D v22  v12 D 83 2 3 2 2 h p 1 2 1 mv D mgh ) vx D gh 2 x 2 s p vy 2h Dt D ) vy D 2gh g g p vy tan ˇ D D 2 ) ˇ D 55ı vx ! r H 2 R D 2h cos ˇ sin ˇ C sin ˇ C h

v2 2g 1 2 1 mgL  mgH D mv ) mgL cos ˇ D mv 2 2 2 v2 ) L cos ˇ D Dh 2g S D L sin ˇ C R s !! 1  cos ˇ D L sin ˇ C 2 cos2 ˇ sin ˇ C sin2 ˇ C cos ˇ ı Winkel für maximales S ist ˇ D 41 mit H D L.1  cos ˇ/

und h D

591 A2

Lösungen der Aufgaben

P D 125 N v km 8. v D 14 h D 3;9 ms ; m D 12 400 kg C 80 Plätze  20 t; Steigung:  D 20 % D 0;2 7. F D

PD

E mgh h s D D mg  mg v D 160 kW < 175 kW t t s t

9. Kraft aufgrund des Fahrzeuggewichts: FG  mg  4 % Kraft aufgrund der Reibung: FR D kv 2 P D F  v D FR .v1 /  v1 C FG  v1 D FR .v2 /  v2  FG  v2 v1 C v2 ) kv13 C FG v1 D kv23  FG v2 ) k D FG 3 v  v13 2  v1 C v2 2 P D kv13 C FG v1 D FG v1 3 v C1 v2  v13 1 0 1 v2 C 1 B v C D FG v1 @  13 C 1A D 142 kW v2 1 v1 2Kapitel 8

1. rES D .0;0; zs / 1 zS D M

ZH

R2 zdm D M

0

3.

4.

5.

0 2

1 H 4 r12 r 2 .r2  r1 / D xS D D 1 2 2 M r1 C r2 r2  r1 h 1a a2  )h D 1;4  104 m a 2l 2l p 1 M u2 D Mgh ) u D 2gh 2 ! r ga2 1 m mv D mv0  M u ) v D mv0  M D 173 m l s s v u 2E 2E m m2 m u  D 710 I v1 D v2 D 1;9 v2 Dt  m2 m s m s 2 1 m2 1 C m1 q q p12 C p22 m21 v12 C m22 v22 km v0 D D D 17 m1 C m2 m1 C m2 h m2 v2 p2 ı D ) ' D 41 tan ' D p1 m1 v1 Vor dem Stoß: Ekin D 12 m1 v12 C 12 m2 v22 D

2.

R

ZH  z 2 z 1 dz H

1

H2 D

1 R2 H 12 3  r12 .r2  r1 /

592

A2

Lösungen der Aufgaben

0 Nach dem Stoß: Ekin D 12 .m1 C m2 /v 02 0 Ekin Ekin  Ekin E0 D D 1  kin D 0;52 Ekin Ekin Ekin

6. a) 'b unbestimmt; 'w D 2  'b ; vb D v cos 'b ; vw D v sin 'b b) sin 'b D db ; 'w D 2  'b c) Aus der Geometrie folgt: 'b D 1;455 < 2 b Bei ausgedehnten Kugeln: 'b0 D 'b C arcsin rwb ; b D  0 d sin 'b Iteratives Einsetzen gibt: b D 56;8 mm; 'b0 D 1;595 > 2 Geht kinematisch nicht! Berücksichtigung der Lochbreite bedeutet Winkel kann um D=2 D 0;056 kleiner sein. rbL Iteratives Einsetzen gibt: b D 57;17 mm; 'b0 D 1;53 Die blaue Kugel müsste streifend auf 0;03 mm genau getroffen werden. d) Aus der Geometrie folgt: 'b D 0;185 Bei ausgedehnten Kugeln: b D 12;2 mm; 'b0 D 0;215 Mit Lochbreite: b D 15;8 mm; 'b0 D 0;279 Nötige Treffgenauigkeit: 3;6 mm dm v D 150 N 7. F D dt dm 2 dm v ) P1 D F v D v 8. F D dt dt dm L dh dm L h dm mD ) P2 D m  g  D gv D gh dt v dt dt v L dt  dm  gh C v 2 P D dt d .mv/ D  ddtm .vˇ rel  9. a) Ansatz: dt ˇ v/  mg ˇv > mg b) Bedingung für Abheben: ˇˇ dm dt ˇ rel ˇ ˇ  dm ˇ ˇt g ) t D ˇ Zeitpunkt des Abhebens: dt vrel D m0  ˇ dm dt vrel m0  g D 6;5 s j dm dt j ˇ dm ˇ v ˇ ˇ ˇ ˇ rel D ˇ Sofortiges Abheben: ˇ dm dt vrel > m0 g ) m0 < dt g 4;08 kg Maximale Nutzlast: 4;08  kg  4;0 kg D 0;08 kg  m.t / c) v.t/ D vrel ln m0  gt d) Maximalgeschwindigkeit bei tend D 7 s mit m.tend / D 0;5 kg Eingesetzt in Lösung von c: vmax D v.tend / D 98 ms     e) s.t/ D vrel mdm0 mm0 ln mm0  1 C 1  12 gt 2 dt

f) Flughöhe bei Ende des Abbrands: s.tend / D 153 m Danach steigt Rakete weiter im freien Fall bis zur Maximalhöhe: smax D s.tend / C

2 vmax D 153 m C 490 m D 643 m 2g

593 A2

Lösungen der Aufgaben

Z 10. p D

F dt D 2;5 N  0;2 s D 0;5

kg m m )vD5 )sD s s

v2 D 1;3 m 2g 2Kapitel 9

FR v2 v2 D gI s D D D 1;6 km m 2a 2g v D 6;1 s 2. Fbrems  FR D H mg ) t D H g Pbrems D Fbrems v D H mgv D 319 kW 2s 2s 3. a D 2 I ma D mgG ) G D 2 D 0;04 t gt 4. Beschleunigung: ma D mg sin ˛  mg cos ˛ Bremsen: ma0 D .mg sin ˛ C mg cos ˛/ 1. a D

2aL D v 2 D 2a0 x tan ˛   xDL D 6;3 m tan ˛ C  5. F cos ˛ D FR D FN D .mg  F sin ˛/ mg )F D cos ˛ C  sin ˛ dF D 0 ) sin ˛ D  cos ˛ ) tan ˛ D  d˛ ˛ D 17ı I F D 56 N 2Kapitel 10

1. 2.

3.

4.

r g 1 1 mg D m! r sin 45 ) f D D 0;5 2 r sin 45ı s m mv 2 p D mg ) v D gr D 8  103 r s r r 2 m! r D mg ) T D 2 D 5  103 s D 1;4 h g m! 2 l sin ˛ FZ D tan ˛ D FG mg   g 1 ˛ D arccos l 4 2 f 2 FZ v2 tan D D FG gr mv 2 p D mg ) vmax D gr FZ D FR ) r v2 tan max D max D  ) max D 45ı gr 2

ı

594

A2

Lösungen der Aufgaben

5. aEC D 2!E  vE ) aC D 2!v cos '   aEZ D !E  !E  rE ) aZ D ! 2 RE cos ' 1 xR D 2! cos 'gt ) x D ! cos ' gt 3 3s

8h3 1 ! cos ' D 14 mm 3 g 1 yR D ! 2 RE cos ' sin ' ) y D ! 2 RE cos ' sin ' t 2 2 h 2 D ! RE cos ' sin ' g D 170 mm D

2Kapitel 11

Mm 1. G 2 D m! 2 r ) r D r



GM !2

 13

 D

gRE2 !2

 13

D 4;2  107 m ) d D r  RE D 36  103 km ! 

) D 2;3  106 ! D T ! r 2 ! 2 ! D ) jrj D r D 64 m r 3 ! 3 ! 2   2  3 TH 3 76 3 aH TH2 2. D 2 ) aH D aE D  1 AE TE 1 aE3 TE D 17;9 AE rmax D 2aH  rmin D 35;2 AE mv 2 2v Mm ) 2RA D q 3. G 2 D D 2;4 km r RA G 4  3

1 1 v f D D 2  104 s1 !D 2 2 RA 1 )T D D 5  103 s D 1;4 h f Mm Mm 2 4. ! rDG 2 M Cm r m G.m C M / gRE2  ) r D 3;9  108 m 1 C ) r3 D D !2 !2 M m rE D r D 4;7  106 m M Cm

595 A2

5.

Lösungen der Aufgaben

2L2 Etot a2  b 2 C 1 D I G 2 m3 M 2 a2 L2 Mm b2 pD D ) Etot D G 2 Gm M a 2a 1 2 Mm Mm D G Etot D mv  G 2 r 2a s s     1 1 1 1 ) v D 2GM  D vF rE  r 2a r 2a s   1 1 vF vStart D v  vE D vF rE  p rE rE C rJ 2 s ! 1 1 1  p vF D 0;21vF D 1 C 5;3 2 "2 D

vdirekt

km D 8;8 s s s   r 1 1 rE 1 D 2GM  D 1 vF D vF 1  rE rJ rJ 5;3 D 0;9vF D 38

km s

2Kapitel 12

d 1. mLeiter g C mPerson gd  FW h D 0 2   1 d mLeiter C mPerson g < H .mLeiter C mPerson /g 2 h d mLeiter C mPerson H  H für mPerson mLeiter < 1 h m C mPerson 2 Leiter p ds 2. dx D ds )  D  D  1 C y 02 dx    1 p FH 00 y D  1 C y 02 ) y.x/ D .x  x0 / cosh FH  FH C y0 3. Koordinatensystem mit x-Achse und y-Achse durch die Katheten. Gewicht muss gehalten werden und Drehmomente um x-Achse und y-Achse müssen verschwinden: mg D F1 C F2 I

mg

a D F1 x1 I 3

mg

b D F2 y2 3

a b C D3 x1 x2 b a I y2 D b ) x1 D I 2 2 2 y2 D b 3

x1 D a ) y2 D x1 D

2 a; 3

596

A2

Lösungen der Aufgaben

4. Koordinatensystem mit festen Punkten auf der x-Achse. Gewicht verteilt sich auf drei Punkte und Drehmomente um xAchse und y-Achse müssen verschwinden: a a mg D F3 x C F2 aI mg D F3 a 2 2 1  1 x3  x3 I F1 D mg F2 D mg 1  2 a 2 a

mg D F1 C F2 C F3 I F3 D

1 mgI 2

1 5. M D V D R2 H 3 ZH ZH  1 1 z 2 2 zd m D z 1 dz zS D R M M H 0

0

1 1 1 R2 H 2 D H D M 12 4 ZH z 2 7 z  1 1 dz D 0 R2 H M 0 D 0 R2 2H H 24 0

zS0

1 D 0 0 R2 M

ZH  z 2 z  1 z 1 dz 2H H 0

1 8 1 H D 0 0 R2 H 2 D M 15 35 di 6. a) cos ˛ D ) ˛ D 34ı da b) F cos ˛  .mg  F sin ˛/ ) F  )

 mg cos ˛   sin ˛

F  2;7 mg

2Kapitel 13

v m Drehung um Nabe: D 1;7 t s 1 a ˛ D D 5;4 2 r s

1. a D

F D ma C

M I˛ mr 2 ˛ D ma C D ma C D 2ma D 3;3 N r r r

Drehung um Auflagepunkt des Reifens: F D

 M 1 D mr 2 C I ˛ D 2mr˛ D 2ma D 3;3 N r r

597 A2

Lösungen der Aufgaben

1 2. ISakai D mBogen R2 C 2  mSpeiche R2 3   1 1 3 D 6;02 R3 D 2 R   arctan C 2 3 IRing D mRing R2 D 2 R3 D 6;28 R3 3. dFR D g 2 rdr mit der Massenbelegung pro Flächeneinm heit D R 2 Z M D

Z dM D

ZR rdFR D 2g

r 2 dr D

2 mgR 3

0

4 g 1 M D I ˛ D mR2 ˛ ) ˛ D  2 3 R 1 2 v02 2 v2 mgs D mv0 )  D )˛D 0 2 2gs 3 sR !0 3f0 sR D 8;8 s tD D ˛ v02 l 4. Epot D mg I 2

1 1 Erot D I! 2 D ml 2 ! 2 6 r 2 p 3g Epot D Erot ) ! D ) v D !  l D 3gl l Ia mg 5. mg  ma D Ma C 2 ) a D 2 r .M C m/ C M2 Rr 2 s r 2 m C M C M2 Rr 2 2l tD D 2l a mg mg sin ˇ g 6. a D m C RI2 m 2 VollzylinderW a D g sin ˇ D 0;65 2 3 s 1 m HohlzylinderW a D g sin ˇ D 0;49 2 2 s m Gleitender ZylinderW a D g sin ˇ D 0;98 2 s

 m mg cos ˇ > mg sin ˇ  ma D mg sin ˇ 1  m C I =R2 ( 1 1 3 tan ˇ D 0;03 .Vollzylinder/ D  > tan ˇ 1 2 mR 1C I 2 tan ˇ D 0;05 .Hohlzylinder/ 7. Beim Abprall wird durch den kurzen Kraftstoß Impuls in Drehimpuls umgewandelt. Da keine kinetische Energie verloren geht und der Impulsbetrag gleichbleibt, bleibt auch der Drehimpulsbetrag gleich, der Drehsinn ändert nur die Richtung.

598

A2

Lösungen der Aufgaben

Flummi: F ıt D px D 2mv0 cos I I! 4 L D D mR!0 F ıt D R R 5 5 v0 cos ) !0 D 2 R 3 v0 cos m Fußball: !0 D I v0 D 33;3 I 2 R s 0;244 m I tan  0;05 m C 0;11 m !0 1 R D 0;11 m ) f0 D D5 2 s R 8. AbrollbedingungW !r D !P R ) ! D !P r E  !EP I L E D I !E D 1 mr 2 !E E D RE  FEP D L PräzessionW M 2 2 L!P I! !P I!P 1 FP D D D D mr.2f /2 D 4;9 kN R R r 2 Fges D FP C FG D FP C mg D FP C 4;9 kN D 9;8 kN 2 9. LE D  mE RE2 !E < 0 5  mE mM  02 0 2 LEM D !M > 0 rEM !M  rEM mE C mM   mE mM mM gRE2 mE mM 2 3 !M rEM D G 2 ) rEM D 1C 2 mE C mM mE !M rEM    2  1  1 mE 1 mM 3 2 43 03 3 3 LEM D mE 1 C g RE !M  !M 1C mM mE 2 D LE D mE RE2 !E 5 2 TM0 D 0 !M " #3    2 2 23 mE mM  3  2  13 D 2 RE !E 1 C g 3 C !M 1C 5 mM mE D 4;6  106 s D 53 d

  1 mM gRE2 3 0 rEM D 1 C D 6;0  108 m 02 mE !M 2Kapitel 14

1.

F l F DE ) A D l D 1;2  104 m2 D 1;2 cm2 A l E l E A d l D  1 D 0;375I 2 D 2 2G A d l D 5;5  104

599 A2

Lösungen der Aufgaben

1  d12 l  V1  d l .d Cd /2 .lCl/ 2.  2 D 1 D  1 d l V d 2l    D 2  D .2  1/ D 4;3  104 E E E F max g Almax 3. max D D ) lmax D D 6;5 km A A g  F 4. d.l/ D dl D d lI E A.l/E   l 2  d1  .d1  d2 / A.l/ D 4 L L Z 1 F 4 FL 1 l D dl D E A.l/  E d1 d2 0

5. a) dF D ! 2 rdm D ! 2 r Adr ZL )  .r / D !

2

r 0 dr 0 D

 1 2 2 ! L  r 2 2

r

1  d.L/ D dr ) L D E E

ZL  .r /dr D

! 2 L3 3E

0 

Z2 b)

cos 'd' D A! 2 R2 )  D ! 2 R2

F D ! 2 R AR 0

R .2R/   ! 2 R3 D D ) R D R D R 2R E E E c) Der Ring dehnt sich dreimal stärker als die Speiche l d 2 Ea Fa 6. F D AE D 2a ) l Fm dm Em mg mg mg D Fm C 2Fa ) Fm D I Fa D da2 Ea d2 E 1 C 2 d 2 Em 2 C dm2 Ema m a s 2 dm Em Em mg da D 1 , Fm D Fa D D ) 2 da Ea 3 dm Ea 7. x: Position der Masse entlang der Stange der Länge L Lx x I F2 D L L F1 l Lx x L F2 D ) D )xD D A1 E1 l A2 E2 A1 A2 1 C A1 =A2 F1 D

600

A2

Lösungen der Aufgaben

8. Scherungswinkel: ˛ ˛

'R 'R ) F D GA˛ D G2Rd L L 2'G 3 R d ) M D RF D L 2G 3 M D R d )DD ' L

Volldraht 2G M D' L

ZR r 3 dr D '

G 4 G 4 R )DD R 2L 2L

0

9.

x D r cos 'I Z dA D rd'dr )

ZRa Z2 x dA D 2

r 3 cos2 'd'dr Ri 0

D D

 E  4 R  Ri4 F0 L0 4 a

  4 Ra  Ri4 4

2Kapitel 15

1. Vorher: Epot D mgd Nachher: Epot D mgh  43  r 3 gd  hD

 4  r 3  1 d D 1;1 m 3 m

2. VEis Eis D VÖl Öl C VWasser Wasser VEis D VÖl C VWasser VWasser Eis  Öl ) D D 0;68 VEis Wasser  Öl   Eis VWasser Eis D 1;5 mm  Wasserspiegel steigt um: AVGlas Wasser VEis   Eis Eis Ölspiegel sinkt um: AVGlas  1 D 0;5 mm Wasser

601 A2

Lösungen der Aufgaben

3. a) m C V He D V Luft m m p.0/ D Luft .h/  He .h/ Luft .0/  He .0/ p.h/ p.h/ m V .0/ D V .h/ D p.0/ Luft .0/  He .0/ 3 3 D 1;1  10 m     0 g h V .h/ D V .0/ exp h D V .0/ exp p0 8 km V .h/ D

D 7;2  104 m3  1 V .h/ 3 )d D2 D 52 m 4=3  2 b) Ballonmasse: mB D Ad D 4 d2 d D 187 kg ) V V D mB D C13 % m D    T D 15 % Temperatur: V V T c) Der Ballon sollte mit weniger Helium befüllt werden, damit er nicht bei leichtem Hinaussteigen über die Zielhöhe platzt. ZH 1 4. p.h/ D g.H  h/ ) FStau D L p.H /dh D gLH 2 2 0

1 1 2R R 1 FBerg D FRing D FStau D FStau D gRH 2 2 2 L L 2 4 5. pD I p1 D 6;0 PaI p2 D 4;0 PaI r q 4 Vges D V1 C V2 ) rges D 3 r13 C r23 ) pges D q 3 r13 C r23 D 3;7 Pa 2 6. h D D 2;9 cm gr Baum: r D 0;005 mm ) h D 2;9 m 2Kapitel 16

p m 1 1 1. v D 2gh D 68 I P D p VP D v 2 Av D Av 3 s 2 2 Pel 2 2 )AD D 5m  v 3 p VP ALoch v d 2p 2. v D 2ghI hP D  D D  2 2gh ATank ATank D s D 2 2H )TD 2 d g

602

A2

Lösungen der Aufgaben

m3  R4 VP D gh D 1;0  106 8 L s vR VP Re D D D 0;57  R s 18v D 0;6 mm 4. Vg D 6vr ) d D 2r D g v2 1 m2 g 5. mg D AcA v 2 ) s D D 2 2a AcA F Frankfurt: D 1;3 kg=m3 ) s D 1;9 km Mexico-Stadt: D 0;96 kg=m3 ) s D 2;5 km 3.

Maximale Flughöhe bei vmax D 1100 km=h:   hmax 2mg ) hmax D 19 km D 0 exp  D 2 AcA vmax 8 km 1 1 cW Av 2 ) P D cW Av 3 2 2 Mit D 1;3 kg=m3  1 kg=m3 und cW  0;4 ergibt sich die angegebene Formel. Einsetzen der Werte ergibt Rotordurchmesser von ca. 140 m.

6. F D

2Kapitel 17

1. 2.

3.

4.

5. 6.

r r m0 m0 C m1 m1 D 114 g 1;2  2 D 2 ) m0 D D D .1;2/2  1 FA D g Ah D D  h ) D D g A r r m kg 4 m 16  m T D 2 D 0;96  103 3 D ) D 2 D d g d s gT 2 m r m RE T DRE D mgI T D 2 D 2 ) D 42 min D g 2 s RE 2 T 2 m! RE D mgI T D D 2 ) D 42 min ! g 2 r 1 2g m D lA I F D 2xA g ) D D 2A g ) f D 2 l v   u m1 m2 r r u 1 mgs 1 m1  m2 g 1 t mg m1 Cm2 l f D D D 2 I 2 .m1 C m2 /l 2 2 m1 C m2 l 2 R lr D s C s2s s I C ms 2 R2 C 2s 2 D 2 mgs 2gs dT R D 0 , s Dp ds 2 T D 2

603 A2

Lösungen der Aufgaben

r !D

7.

D 1 I1  I2 1 ) 2 2 D I D !1 !2

) D D 4 2

1 2 2 mR T22  T12

D 2;0  103 Nm

N  G 4 64 mR2 L  D 2;0  1010 2 d )GD  2 2 4 32 L m T2  T1 d   4 2 l 2 R2 1 C 5 l2 T2   4 2 l 1  16 mmF T2   L 4 2 l 1 C 2 T K  

2T 2 4 2 l 1 C T2 4 2

D D 8. a) g D b) g D c) g D d) g D

'02 D 1;3  103 8 2 R2 D 1;6  104 5 l2 1 mF D 2;2  103 6 m L D 1;1  104 K

2T 2 D 1;2  106 4 2 D 9. !r2 D !02  2 2 D  2 2 m F 1 xres D x.!r / D q 2 m D  2 e)



m

2

F D 2 D0

C m 2mxres 1 1 ) D 4;1 I !r D 8;1 s s 2 !r tan 'r D D 2 m  !r

4 

) 'r D 63ı TSchweb 1 1 1 1 10. t D D f f D 23s D 4 4 fSchweb 4 2 1 2 11. a) Mathematische Pendel von Glockenkörper und von Klöppel haben den Pendelkörper an der gleichen Position. Wenn die Haftreibung im Drehpunkt des Klöppels genügend groß und die Kraft beim Anschwingen genügend klein ist, bleibt Klöppel synchron zum Glockenkörper.  2  T g  2 b) l D g ) l  l1 D T  T12 D 67 cm  a 2 2 4

604

A2

Lösungen der Aufgaben

Abhilfe z. B. durch Änderung der Aufhängung, d. h. Änderung von a. 2Kapitel 18

1. vFlugzeug D vSchall sin ˛  600 km=h 2. Grundton:  D 2l F D A D v 2 A D .f /2

d2  D l 2 f 2 d 2  4

F D FE C FA C FD C FG   D l 2  fE2 dE2 C fA2 dA2 C fD2 dD2 C fG2 dG2 D 355 N r O F e vO vF e vO 3. fO D D fF e D ) LO D LF e D LF e D O F e vF e EF e O 47 mm  vSchall 4. D s D 0;84 m ) f D  200 Hz 2 2s 2Kapitel 19

0 1. Grundton: fauf =fzu0 D 2 (Oktave) 1 1. Oberton: fauf =fzu1 D 43 (Quarte)

vSchall vSchall 1 0 f 1 D fauf  fzu1 D D ) fauf D 2f 1 4L 2L   D 262 Hz c 0 vSchall LD D 0;63 m 0 2fauf ! X Li 10 10 D 80 dB 2. Lges D 10 log i

1 C vvs vs km 5 D D 132 3. v ) v D 4 1  vs 9 h 1 4. l D vSchall t D 1;9 km 2 vSchall C vrel 0 f Df vSchall  vrel f0f f ) vrel D vSchall 0  vSchall f Cf 2f vrel km ) vUboot D D 22 sin 65ı h 1 1 5. fdirekt D fSender freflektiert D fSender vSender I 1 C vSchall 1  vvSender Schall fSchwebung D .freflektiert  fdirekt / D 2fSender  2fSender

vSender D 3 Hz vSchall

vSender vSchall

1



vSender vSchall

2

605 A3

Mathematische Einführung

A3

Mathematische Einführung

A3.1

Rechnen mit Potenzen

Größen in der Physik können unterschiedlichste Werte annehmen. So beträgt beispielsweise der Abstand der Erde zur nächsten Galaxie 23 650 000 000 000 000 000 000 m, während der Durchmesser eines Atoms nur etwa 0,0000000001 m beträgt. Um nicht ständig diese große Anzahl an Nullen schreiben zu müssen, benutzt man in der Physik häufig Potenzen. Die Präfixe, die Sie kennengelernt haben (. Tab. 2.3), sind ein Beispiel. Um die Potenzen einsetzen zu können, muss man ihre Rechenregeln beherrschen. 2Definitionen

(n und m müssen hier natürliche Zahlen sein 1; 2; 3; : : : ) an D a  a  a  : : :  a 1 1 1 1 an D    : : :  a a a a a0 D 1

(insgesamt n mal) (insgesamt n mal) .falls a nicht Null ist/

0 D0 p 1 an D n a p p m n n a m D am D n a 0

2Beispiele

74 D 7  7  7  7 D 2401 103 D 10  10  10 D 1000 1 1 1 22 D  D 2 2 4 1 1 1 1 1 1 6      D 0;000001 10 D 10 10 10 10 10 10 p 1 3 27 3 D 27 D 3 2Die wichtigsten Rechenregeln sind

(Die Rechenregeln für positive und negative Exponenten sowie Brüche sind gleich. Wir können sie zusammenfassen, indem wir für die Exponenten n und m rationale Zahlen zulassen. Rationale Zahlen sind alle Zahlen, die sich als Bruch darstellen lassen. Dazu gehören auch die ganzen Zahlen, da man ja beispielsweise statt 4 auch 41 schreiben kann.

606

A3

Mathematische Einführung

a, b und p können dagegen beliebige reellen Zahlen sein.) pan D p.an / an  am an am n a  bn an bn n m .a /

D a.aCm/ D a.nm/ D .a  b/n  a n D b .nm/ Da

2Beispiele

  4 a2  b 2 D .2ab/2  4 13 D 83:521 17

102  105  10 D 102 D 0;01 a2  b 3

A3.2

kann nicht weiter vereinfacht werden

Vektoren

Vektoren beschreiben gerichtete Größen, d. h. solche Größen, die außer einem Wert noch eine Richtung besitzen. Stellen Sie sich einen Elfmeter beim Fußball vor. Sicherlich ist es wichtig, auf welche Geschwindigkeit der Schütze den Ball beim (Straf-)stoß bringt. War es ein harter Schuss oder eher ein weicher? Doch mindestens ebenso wichtig ist die Richtung des Balls. Ist der Schuss platziert in eine der Ecken des Tores, ist er flach, geht er in eine der oberen Ecken oder gar über das Tor? In der Physik beschreibt man die Geschwindigkeit des Balles mit einem Vektor. Wie hoch die Geschwindigkeit ist, wird durch dessen Betrag angegeben, gemessen in m=s. Die Richtung gibt an, wohin der Ball sich bewegt. In Skizzen repräsentiert man Geschwindigkeitsvektoren als Pfeile, die jeweils in die Richtung der Bewegung zeigen. Die Länge des Pfeils gibt den Betrag der Geschwindigkeit an. Je länger der Pfeil, desto schneller die Bewegung. Mathematisch sind Vektoren Objekte in mehrdimensionalen Räumen. Man kann sie durch ihre Komponenten in den jeweiligen Dimensionen angeben. Sie existieren aber unabhängig von einer Komponentendarstellung. Wir unterscheiden Vektoren von einfachen Zahlen durch einen kleinen Pfeil über dem Symbol. Z. B. aE D .a1 ; a2 ; a3 ; : : : ; an /

607 A3

Mathematische Einführung

Dieser Vektor hat n Komponenten. Es ist also ein n-dimensionaler Vektor, wobei n eine natürliche Zahl ist (1; 2; 3; 4; : : :). Zunächst werden Sie in der Physik fast ausschließlich auf dreidimensionale Vektoren treffen, wobei die drei Dimensionen die drei Richtungen im Raum darstellen (oben-unten, rechts-links, vorne-hinten). Möchte man die Komponenten eines Vektors angeben, so muss man zunächst ein Koordinatensystem festlegen (siehe 7 Abschn. 5.2). Hierzu noch eine Illustration unseres Beispiels vom Elfmeter. Die Abbildung zeigt den Ball, der in die rechte obere Ecke des Tores fliegt. Es sei ein harter Schuss mit einer Geschwindigkeit von etwa 81 km=h. Der Geschwindigkeitsvektor im angedeuteten kartesischen Koordinatensystem ist   km km km km ; 21 ; 77 D .14; 21; 77/ vE D 14 h h h h

Beachten Sie, dass physikalische Vektoren meist Einheiten tragen. Die wichtigsten Rechenregeln für Vektoren sind: aE C bE D .a1 C b1 ; a2 C b2 ; a3 C b3 / aE  bE D .a1  b1 ; a2  b2 ; a3  b3 / c  aE D .c  a1 ; c  a2 ; c  a3 / mit den beiden Vektoren aE D .a1 ; a2 ; a3 /

bE D .b1 ; b2 ; b3 /

und c einer beliebigen reellen Zahl. Den Betrag eines Vektors bestimmt man nach folgender Regel ˇ ˇ q 2 ˇaE ˇ D a C a2 C a2 1 2 3

608

A3

Mathematische Einführung

In unserem Beispiel ist der Betrag der Geschwindigkeit ˇ ˇ q ˇvEˇ D 142 .km=h/2 C 212 .km=h/2 C 772 .km=h/2 ˇ ˇ q ˇvEˇ D 196.km=h/2 C 441.km=h/2 C 5929.km=h/2 ˇ ˇ q ˇvEˇ D 6566.km=h/2 ˇ ˇ ˇvEˇ D 81;03 km=h Die Regeln sind hier für drei Dimensionen aufgeschrieben. Sie gelten für n Dimensionen entsprechend. Manchmal gibt es Situationen, in denen nur die Richtung eines Vektors relevant ist, aber nicht dessen Betrag. Dann benutzt man Einheitsvektoren. Sie sind so skaliert, dass sich der Betrag 1 ergibt. Statt eines Vektorpfeils über dem Symbol bezeichnet man einen Einheitsvektor meist mit einem kleinen Dach. aE 1 aO D ˇ ˇ D q .a1 ; a2 ; a3 / ˇaEˇ 2 a1 C a22 C a32 Die Richtung unseres Fußballs beim Elfmeter wäre: vO D

1 .14; 21; 77/ km=h D .0;1728; 0;2592; 0;9503/ 81;03 km=h

Man kann Vektoren auch miteinander multiplizieren. Die wichtigste Multiplikation ist das Skalarprodukt. Man multipliziert die Vektoren Komponente für Komponente und addiert die Ergebnisse. aE  bE D a1  b1 C a2  b2 C a3  b3 Das Ergebnis ist eine Zahl, die mit der Richtung zwischen den beiden Vektoren verknüpft ist. Ist der Winkel zwischen den beiden Vektoren, so gilt: ˇ ˇˇ ˇ ˇ ˇˇ Eˇ aE  bE D ˇE aˇˇb ˇ cos

Über das Skalarprodukt kann man den Winkel zwischen Richtungen bestimmen aE  bE cos D ˇ ˇˇ ˇ ˇ ˇˇ Eˇ aˇˇb ˇ ˇE Man könnte beispielsweise fragen, wie der Richtungsunterschied zwischen einem Elfmeter auf die rechte und die linke obere Ecke

609 A3

Mathematische Einführung

ist: vEl D .14; 21; 77/ km=h vEl D .14; 21; 77/ km=h

linksW rechtsW



km vEl  vEr D .14  14  21  21 C 77  77/ h cos D

5684 .km=h/2 .81;03 km=h/2

2



km D 5684 h

2

D 0;8657 ! D 30;0ı

Einige Spezialfälle sollte man sich merken: 4 Zeigen die beiden Vektoren in dieselbe Richtung (Winkel null), so ist das Skalarprodukt maximal. Es ergibt sich das Produkt der Beträge. 4 Ist zwischen den Vektoren ein rechter Winkel, so verschwindet das Skalarprodukt. 4 Zeigen die Vektoren in entgegengesetzte Richtung, so ist das Skalarprodukt negativ. Es ergibt sich das Negative des Produktes der Beträge. Wichtig ist zu erkennen, dass das Skalarprodukt nicht vom Koordinatensystem abhängt. Zwar ändern sich die Komponenten beider Vektoren, wenn man das Koordinatensystem ändert, doch als Skalarprodukt ergibt sich immer derselbe Wert. Zum Schluss sei noch eine wichtige Relation für die Beträge von Vektoren angegeben, die so genannte Dreiecksungleichung.

A3.3

Folgen

Folgen sind Abbildungen von den natürlichen Zahlen in einen Wertebereich W . Jeder natürlichen Zahl wird eine Zahl im Wertebereich zugeordnet. Man kann die Folge durch eine Tabelle, durch die Auflistung der Folgenglieder oder durch eine Rechenvorschrift darstellen. Hier ein Beispiel: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 4 9 16 25 36 49 64 Man könnte dieselbe Folge auch in dieser Weise angeben an D 0; 1; 4; 9; 16; 25; 36; 49; 64; : : :

610

A3

Mathematische Einführung

oder über eine Rechenvorschrift an D .n  1/2 In dieser Folge wird der 1 die Zahl 0 zugeordnet, der 2 die 1, der 3 die 4 usw. Als Wertebereich könnte man die ganzen positiven Zahlen (inkl. 0) angeben. Hier drei weitere Beispiele: bn D 1; C1; 1; C1; 1; C1; 1; : : : bn D .1/n 1 1 1 1 1 1 1 cn D 1; ; ; ; ; ; ; : : : cn D 2 3 4 5 6 7 n dn D 1 dn D 1; 1; 1; 1; 1; 1; 1; 1; : : : Interessant ist, wie sich die Folgen für immer größeres n weiterentwickeln. Die erste Folge .an / beispielsweise wächst immer weiter an. Man meint damit, dass man eine beliebig große Zahl – genannt Schranke – vorgeben kann, aber die Folge trotzdem über diese Schranke hinaus anwächst. Man muss nur das n groß genug wählen. Man sagt dann, die Folge .an / divergiert oder man sagt, sie wächst gegen unendlich. So definiert man in der Mathematik den Begriff des Unendlichen (nur ist die Definition in der Mathematik meist kompakter formuliert). Im Gegensatz zur ersten Folge konvergiert die dritte Folge (cn ). Sie nähert sich immer mehr der Zahl Null an. Der Unterschied zwischen cn und der Null wird mit steigendem n immer kleiner. Man nennt Null dann den Grenzwert der Folge. Dies kann man ähnlich wie bei der Divergenz formulieren: Eine Folge konvergiert gegen einen Grenzwert, wenn man eine beliebig kleine Zahl vorgeben kann (Schranke), sodass der Abstand zwischen Folgenglied an und Grenzwert noch kleiner wird, sofern man das n groß genug wählt. Es muss dann für dieses an und alle folgenden Glieder der Abstand zum Grenzwert kleiner als die Schranke sein. Der Grenzwert muss nicht notwendigerweise null sein. Folgen können gegen beliebige Zahlen konvergieren. So konvergiert beispielsweise die vierte Folge dn gegen den Grenzwert 1. Interessant ist noch die zweite Folge bn . Der Wert der Folge springt ständig zwischen C1 und 1 hin und her. Die Folge divergiert offensichtlich nicht. Man wähle beispielsweise 100 als Schranke. Die Folge wird nie größer als 100. Aber sie konvergiert auch nicht. Man könnte verleitet sein, null als Grenzwert anzugeben, aber der Abstand zu null wird nie kleiner als 1. Auch C1 oder 1 sind keine Grenzwerte. Zwar wird der Abstand zu C1 manchmal sogar null, z. B. bei n D 42, aber dies gilt nicht für alle folgenden Glieder. Diese Folge konvergiert nicht. Sie hat keinen Grenzwert.

611 A3

Mathematische Einführung

Symbolisch schreibt man die Grenzwerte (die umgekippte Acht ist das Zeichen für unendlich): lim an D 1

n!1

lim bn

n!1

existiert nicht

lim cn D 0

n!1

lim dn D 1

n!1

Das in 7 Experiment 5.2 diskutierte Beispiel einer stroboskopischen Aufnahme einer fallenden Kugel lässt sich durch Folgen beschreiben. Dort wurde als mittlere Geschwindigkeit zwischen t4 und t5 die folgende Geschwindigkeit angegeben, wobei s.ti / die Höhe der Kugel zum Zeitpunkt ti angibt: v4 D

s4 s.t4 /  s.t3 / s.t4 /  s.t4  t/ D D t t t

Diese ist geringer als die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t5 . Man kann nun folgende Folge angeben: .v4 /n D

s.t4 /  s.t4  t=n/ t=n

Mit steigendem n wird das Zeitintervall, an dessen Anfang und Ende man die Positionen der Kugel bestimmt, immer kleiner. Die Geschwindigkeit der Kugel ändert sich über das immer kürzere Intervall immer weniger, sodass die mittlere Geschwindigkeit über das Intervall sich der tatsächlichen Geschwindigkeit am Ende des Intervalls nähert. Tatsächlich konvergiert diese Folge gegen die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t4 . Hier seien noch die Werte der ersten Folgenglieder für eine Fallbeschleunigung von 9;81 m=s2 , einen Zeitpunkt t4 D 10 s und t D 1 s angegeben. t=n ist das Zeitintervall über das man mittelt. n t=n 1 1s 2 0;5 s 3 0;25 s 4 0;125 s 5 0;0625 s ::: ::: 1

.v4 /n 93;195 m=s 95;648 m=s 96;874 m=s 97;587 m=s 97;793 m=s ::: 98;1 m=s

612

A3

Mathematische Einführung

A3.4

Rechenregeln für Grenzwerte

Ohne weitere Begründung seien hier die Rechenregeln für Grenzwerte angegeben. Sie sind hier für Folgen niedergeschrieben. Sie lassen sich entsprechend auf Reihen und Funktionen erweitern. lim c  an D c  lim an

n!1

n!1

Hierbei kann c eine beliebige Zahl sein, wobei angenommen ist, dass die Folge konvergiert. Divergiert die Folge .an /, so divergiert auch c  .an /, sodass die Rechenregel oben symbolisch gilt (rechts steht dann c1, was streng genommen nicht definiert ist). Man muss allerdings auf die Vorzeichen achten. Divergiert beispielsweise die Folge ins Positive und wählt man c negativ, so divergiert c  .an / ins Negative, usw. Im noch fehlenden Fall, in dem der Grenzwert der Folge nicht existiert, hat auch c  .an / keinen Grenzwert. Auch hier muss man die Rechenregel symbolisch verstehen. lim .an C bn / D lim an C lim bn

n!1

n!1

n!1

lim .an  bn / D lim an  lim bn

n!1

n!1

n!1

Auch diese Rechenregeln sind bei Divergenzen oder nicht existierenden Grenzwerten symbolisch zu verstehen. lim .an  bn / D lim an  lim bn n!1 n!1   an limn!1 an lim D n!1 bn limn!1 bn

n!1

Für die letzte Rechenregel muss man ausschließen, dass Folgenglieder bn oder deren Grenzwert null ergeben, um eine Division durch null zu verhindern.

613 A3

Mathematische Einführung

A3.5

Ableitung einer Funktion

Wir beginnen zunächst mit einem physikalischen Beispiel. Wir wollen eine Autofahrt beschreiben. Dabei sei s die vom Auto zurückgelegte Fahrstrecke. Wir tragen die Strecke grafisch auf

Am Anfang ist die Kurve recht flach. In einem festen Zeitintervall erhöht sich der zurückgelegte Weg nur geringfügig. Dies bedeutet, dass das Auto langsam fährt. Ist die Kurve steiler, wie z. B. im Punkt t2 , so ist die pro Zeitintervall zurückgelegte Strecke größer. Das Auto fährt schneller. Die Steigung der Kurve gibt die Geschwindigkeit an. Man kann sie bestimmen, indem man eine Tangente an die Kurve zeichnet und deren Steigung bestimmt. Dies ist an den Zeitpunkten t1 und t2 angedeutet. Die Steigung einer Kurve ist positiv, wenn der Wert der Funktion mit steigender Zeit zunimmt. In unserem Beispiel ist dies fast überall der Fall. Das Auto bewegt sich vom Ausgangspunkt (s D 0) weg. Ganz am Ende wird die Kurve waagerecht. Die Wegstrecke nimmt nicht mehr zu. Die Steigung und damit die Geschwindigkeit des Autos sind null (es ist am Ziel angekommen). Von einer negativen Steigung spricht man, wenn die Funktion mit der Zeit abnimmt. In unserem Beispiel könnte man das so interpretieren, dass das Auto zurückfährt. Ist die Steigung immer positiv, spricht man von einer monoton steigenden Funktion. Die Steigung darf nirgends negativ sein, aber null ist erlaubt. In unserem Beispiel bedeutet dies, dass das Auto anhalten darf, aber nicht rückwärtsfahren. Ist die Steigung gar immer größer null, spricht man von einer streng monoton steigenden Funktion. Nun muss das Auto immerzu fahren. Anhalten ist nicht mehr erlaubt. Eine monoton oder streng monoton fallende Funktion ist entsprechend charakterisiert. Verlassen wir nun unser Beispiel und betrachten zunächst den einfachen Fall einer Geraden. Wir beschreiben sie als Funktion f .x/. Dabei kann x die Zeit sein, muss aber nicht. Die Grafik zeigt ein Beispiel.

614

A3

Mathematische Einführung

Die Steigung der Funktion bezeichnet man mit f 0 .x/. Man bestimmt sie über das Steigungsdreieck (siehe Grafik) f 0 .x/ D

y x

Dies entspricht dem Tangens des Winkels, den die Gerade mit der x-Achse einschließt. Für eine Gerade f .x/ D ax C b ergibt sich y f .x0 C h/  f .x0 / D x .x0 C h/  x0 .a.x0 C h/ C b/  .ax0 C b/ ah D D Da h h

f 0 .x/ D

Nun können wir die Ableitung einer beliebigen Funktion einführen: Die Ableitung einer Funktion f 0 .x/ ist definiert als die Steigung der Tangenten an die Kurve im Punkt x. Eine andere Schreibweise ist f 0 .x/ D

d f .x/ dx

In der Physik benutzt man meist statt des Strichs einen Punkt, wenn es sich um eine Ableitung nach der Zeit handelt: d f .t/ D fP.t/ dt Doch wie bestimmt man die Tangente? Dazu muss man einen Grenzwertprozess durchführen. Er ist in den folgenden Abbildungen skizziert.

615 A3

Mathematische Einführung

Die erste Abbildung zeigt eine Funktion, an der am Punkt x0 ein Steigungsdreieck angezeichnet ist. Die rote Linie zeigt die Steigung der Geraden, die durch das Dreieck angegeben wird. Sie ist nicht die gesuchte Tangente. Die Tangente ist durch eine gestrichelte, rote Linie angedeutet. Die Steigung, die durch das Steigungsdreieck bestimmt ist, hängt von der Wahl von h ab. Verkleinern wir h, so nähert sie sich der Tangenten an. Zur Illustration ist in der folgenden Abbildung h halbiert.

Man sieht, dass die Gerade, die jetzt durch das Steigungsdreieck bestimmt ist, der Tangenten schon deutlich ähnlicher ist. In der nächsten Abbildung ist eine erneute Halbierung von h angedeutet.

616

A3

Mathematische Einführung

Man erhält also die Steigung der Tangenten aus dem Steigungsdreieck durch den Grenzübergang h ! 0: f .x0 C h/  f .x0 / h!0 h Zunächst ein Wort der Vorsicht. Die Ableitung ist ein Grenzwertprozess. Wie wir in 7 Abschn. 3 des mathematischen Anhangs A3 bei der Einführung des Grenzwertes mit Folgen gesehen haben, existiert der Grenzwert nicht in allen Fällen. Man muss sich zunächst vergewissern, dass die Ableitung auch existiert, bevor man sie auszurechnen versucht. Man nennt die Funktion dann differenzierbar. In der klassischen Physik sind Fälle nicht differenzierbarer Funktionen eher selten. Hier rettet einen meist die Erkenntnis, dass die Natur keine Sprünge macht (natura non facit saltus). Aber vergessen sollte man es trotzdem nicht. Dies mag an abstrakten Aspekten zur Ableitung für die Anfänge der Experimentalphysik genügen. Die Mathematiker mögen mir das saloppe Vorgehen entschuldigen. f 0 .x/ D lim

A3.6

Rechenregeln für Ableitungen

Zunächst sollen einige Ableitungen beispielhaft ausgerechnet werden: f .x/ D ax 2 Dann ist

    a.x C h/2  ax 2

f .x C h/  f .x/ D lim h!0 h h 2 2 ax C 2axh C ah  ax 2 D lim h!0 h   2axh ah2 D lim C D lim .2ax/ C lim .ah/ h!0 h!0 h!0 h h D 2ax C 0 D 2ax

f 0 .x/ D lim

h!0

617 A3

Mathematische Einführung

und damit d  2 ax D 2ax dx Ebenso berechnet man die Ableitung eines Polynoms dritter Ordnung f .x/ D ax 3

    a.x C h/3  ax 3

f .x C h/  f .x/ D lim h!0 h h 3 2 ax C 3ax h C 3axh2 C ah3  ax 3 D lim h!0 h     2 D lim 3ax C lim .3axh/ C lim ah2 D 3ax 2

f 0 .x/ D lim

h!0

h!0

h!0

h!0

Die Abbildung zeigt links (a) den Graphen der Funktion und rechts (b) den Graphen der Ableitung. Allgemein ergibt sich für Polynome d .ax n / D nax n1 dx Ein drittes Beispiel benutzt die Additionstheoreme der Kreisfunktionen. Gesucht ist die Ableitung der Funktion f .x/ D sin x: f .x C h/  f .x/ sin.x C h/  sin x D lim h!0 h!0 h h

f 0 .x/ D lim

618

A3

Mathematische Einführung

Nun ist sin ˛  sin ˇ D 2 cos ˛Cˇ sin ˛ˇ und damit 2 2 2 cos xChCx sin xChx 2 2 h!0 h cos.x C h=2/ sin h=2 D 2 lim h!0 h sin h=2 D lim cos.x C h=2/  lim D cos x  1 D cos x h!0 h!0 h=2

f 0 .x/ D lim

d .sin x/ D cos x. Also ist dx In der Praxis schlägt man die Ableitungen elementarer Funktionen in einem Tabellenwerk der Mathematik nach (sofern man sie nicht auswendig kennt). Die wichtigsten seien hier angeführt:

f .x/ c x xn

f 0 .x/ 0 1 nx n1

1 xn p

n x nC1 1 p 2 x 1 p n n x n1 x

x p n x ex ax ln x loga x sin x cos x tan x cot x sinh x cosh x tanh x arc sin x arc cos x

Bemerkungen

n2Q x¤0 x¤0 x¤0

e a ln a x

1 x

1 x

loga e cos x  sin x

x¤0 x¤0

1 cos2 x 1 sin2 x

cos x ¤ 0 sin x ¤ 0

1 cosh2 x p 1 1x 2 p 1 1x 2

cosh x ¤ 0 x¤1 x¤1

cosh x sinh x

Mithilfe der folgenden Rechenregeln lassen sich nun aus den elementaren Funktionen in der Tabelle die Ableitungen zusammengesetzter Funktionen bestimmen. d d .c  f .x// D c  f .x/ dx dx d d d .f .x/ C g.x// D f .x/ C g.x/ dx dx dx d d d .f .x/  g.x// D f .x/  g.x/ dx dx dx

619 A3

Mathematische Einführung

2Produktregel

d d d .f .x/  g.x// D f .x/  g.x/ C g.x/ f .x/ dx dx dx 2Quotientenregel

  d d f .x/  f .x/ dx g.x/ g.x/ dx d f .x/ D 2 dx g.x/ .g.x//

2Kettenregel

d d d D f .g.x// D f .z/  g.x/ mit dx dz dx

A3.7

z D g.x/

Unbestimmte Integrale

In der Beschreibung der Bewegungen sind wir zunächst von der Bewegungsgleichung s.t/ ausgegangen und haben uns gefragt, welche Geschwindigkeit und welche Beschleunigung der Körper zum jeweiligen Zeitpunkt hat. Wir haben gelernt, dass wir die Funktion ableiten müssen: s.t/ ! v.t/W v.t/ ! a.t/W

d s.t/ dt d v.t/ a.t/ D dt v.t/ D

Dann tauchte das Problem auf, in umgekehrter Richtung vorgehen zu wollen, d. h. wir haben die Beschleunigung vorgegeben und wollten daraus die Geschwindigkeit und dann die Bewegungsgleichung ableiten. Mathematisch kann man das so beschreiben. Wir kennen eine Funktion f .x/ und suchen eine Funktion F .x/, die die folgende Bedingung erfüllt d F .x/ D f .x/ dx Man nennt F .x/ eine Stammfunktion zu f .x/. In unserem Beispiel kannten wir a.t/ und suchen v.t/, sodass d v.t/ D a.t/ dt Es gibt kein allgemeines Rechenverfahren, mit dem man eine Stammfunktion finden könnte. Aus der Tabelle der Ableitungen, die Sie im vorigen Abschnitt gesehen haben, kann man allerdings eine Tabelle von Stammfunktionen erzeugen. Dort steht beispielsweise, dass d n x D nx n1 dx

620

A3

Mathematische Einführung

also ist x n eine Stammfunktion zu nx n1 f .x/ D nx n1 ! F .x/ D x n Da bei der Ableitung Konstanten erhalten bleiben, kann man beide Funktionen mit n1 multiplizieren und erhält f .x/ D x n1 ! F .x/ D

1 n x n

Was man noch etwas eleganter schreiben kann, indem man n  1 ersetzt durch m f .x/ D x m ! F .x/ D

1 x mC1 mC1

So kann man sich Tabellen von Stammfunktionen erzeugen, wie man sie in Tabellenwerken der Mathematik findet. In der Mathematik werden Sie Rechenverfahren kennenlernen, wie man die Suche nach der Stammfunktion auf die Einträge in der Tabelle zurückführen kann. Die Stammfunktion einer Funktion f schreibt man auch oft als sogenanntes unbestimmtes Integral Z F .x/ D

f .x/dx

Später werden Sie noch die bestimmten Integrale kennenlernen, die Sie daran erkennen, dass oben und unten am Integrationszeichen Integrationsgrenzen angegeben sind. Zum Schluss dieser sehr kurzen Einführung möchten wir Sie darauf hinweisen, dass die Stammfunktion nie eindeutig ist. Das bedeutet, dass es mehr als eine Stammfunktion zu f .x/ gibt (sogar unendlich viele). Ist nämlich F0 .x/ eine Stammfunktion zu f .x/, so ist auch Fk .x/ D F0 .x/ C k eine Stammfunktion mit einer beliebigen Zahl k, denn nach der Summenregel gilt d d d d Fk .x/ D .F0 .x/ C k/ D F0 .x/ C k D f .x/ dx dx dx dx da die Ableitung einer Konstanten k null ist. Diese Konstante dürfen Sie bei der Bestimmung der Stammfunktion nicht vergessen. Ihr Wert lässt sich in physikalischen Anwendungen meist durch die Randbedingungen bestimmen. Zum Beispiel könnten wir die Anfangsbedingung benutzen, dass zum Zeitpunkt t D 0 die Geschwindigkeit v0 betragen sollte. Daher muss k D v0 sein.

621 A3

Mathematische Einführung

A3.8

Die zweite Ableitung

Die Ableitung einer Funktion hatten Sie als Steigung der Kurve kennengelernt. Wir wollen diese nun weiter untersuchen. Wir benutzen noch einmal das Beispiel der Wegstrecke, die ein Auto zurücklegt.

Wir hatten gesehen, dass die Tangenten an die Kurve die Geschwindigkeit angeben. Die Geschwindigkeit ist nicht konstant. Sie ändert sich während der Fahrt. Wenn die Steigung (von links nach rechts) größer wird, nimmt die Geschwindigkeit zu. Das Auto beschleunigt. Nimmt sie ab, bremst das Auto. Sie können dies aus der Kurve ablesen, indem Sie einen Kreis in die Kurve einpassen, der zum jeweiligen Zeitpunkt dieselbe Krümmung wie die Kurve aufweist. Zu den Zeitpunkten t1 und t2 sind die Kreise eingetragen. Bei t1 ist der Radius des Kreises groß, die Krümmung gering. Die Geschwindigkeit nimmt nur wenig zu. Bei t2 liegt der Kreis an der unteren Seite der Kurve. Die Krümmung ist negativ. Die Geschwindigkeit nimmt mit der Zeit ab. Das Auto bremst. Außerdem ist der Radius des Kreises viel kleiner als bei t1 und damit die Krümmung größer. Die Krümmung der Kurve gibt die Beschleunigung an. Man erhält sie, indem man die Funktion zweimal ableitet: f 00 .x/ D

  d d2 d f .x/ D f .x/ dx 2 dx dx

Bei Ableitungen nach der Zeit schreibt man in der Physik wiederum d2 f .t/ D fR.t/ dt 2 Aus dem Verhalten der Steigung und der Krümmung lässt sich das Verhalten der Funktion selbst ableiten. Insbesondere lassen

622

A3

Mathematische Einführung

sich Extremwerte (das sind die Punkte, an denen die Funktion ein Maximum oder ein Minimum annimmt) und die Sattel- und Wendepunkte bestimmen. Diese sind in der Abbildung unten skizziert.

Betrachten wir zunächst das Maximum. Es ist ein Punkt xmax für den in einer Umgebung von xmax gilt:f .xmax / > f .x/. Ist die Umgebung begrenzt, spricht man von einem lokalen Maximum (davon kann eine Funktion mehrere haben). Erstreckt sich die Umgebung über den gesamten Definitionsbereich der Funktion, ist es ein globales Maximum. Aus der Abbildung sieht man, dass die Steigung links des Maximums positiv (Funktion steigt) und rechts davon negativ (Funktion fällt) ist. Am Maximum selbst ist die Steigung null. Das muss so sein, denn hätte man beispielsweise eine positive Steigung, würde das ja bedeuten, dass der Funktionswert rechts des Maximums noch größer wäre, was nicht sein kann. Ein Minimum definiert man entsprechend. Hier ist die Steigung links des Minimums negativ (Funktion fällt) und rechts des Minimums positiv (Funktion steigt). Wiederum verschwindet die Steigung im Minimum. Man kann die Minima und Maxima finden, indem man die Punkte sucht, an denen die Steigung null wird: d f .x/ D 0 dx Nun kann man Maxima und Minima unterscheiden, indem man die Krümmung (zweite Ableitung) betrachtet. Im Falle des Maximums ist sie negativ, denn die Steigung nimmt ja im Bereich des Maximums ab (sie wechselt von positiv nach negativ). Für das Minimum ist die zweite Ableitung dagegen positiv. Wir halten also fest: MaximumW MinimumW

d f .x/ D 0 dx d f .x/ D 0 dx

d2 f .x/ < 0 dx 2 2 d f .x/ > 0 dx 2

Im noch fehlenden Fall, dass sich auch die Krümmung zu null ergibt, entsteht ein Sattelpunkt (falls nicht auch noch die dritte

623 A3

Mathematische Einführung

Ableitung verschwindet). Der Sattelpunkt ist in der Abbildung rechts zu sehen. Im Sattelpunkt hat die Kurve eine horizontale Tangente (Steigung null). SattelpunktW

d f .x/ D 0 dx

d2 f .x/ D 0 dx 2

Der Sattelpunkt ist ein Spezialfall des Wendepunkts, der in der Abbildung ebenfalls dargestellt ist. WendepunktW

d f .x/ ¤ 0 dx

d2 f .x/ D 0 dx 2

Im Wendepunkt wechselt die Krümmung das Vorzeichen. Hat man eine positive Steigung (wie in der Abbildung), so nimmt die Steigung links des Wendepunkts allmählich ab. Erreicht aber nicht wie im Sattelpunkt null. Rechts des Wendepunkts nimmt sie dann wieder zu. Bei negativer Steigung entsprechend.

A3.9

Umkehrfunktionen

In 7 Beispiel 5.10 tauchte die Funktion arccos auf (ausgeschrieben arcuscosinus). Dabei handelt es sich um die Umkehrfunktion der Cosinus-Funktion.

Betrachten wir zunächst die Winkelfunktionen selbst, bevor wir uns den Umkehrfunktionen zuwenden. Die Abbildung zeigt die Definition der Winkelfunktionen am Einheitskreis. Hier hat die Hypotenuse des Dreiecks die Länge 1. Im allgemeinen Fall gilt sin D

Gegenkathete Hypotenuse

und entsprechend für die anderen Winkelfunktionen. Häufig ist ein Winkel vorgegeben, und wir fragen uns, wie groß die Projektion einer Strecke unter diesem Winkel auf die Kathete ist. Die Antwort erhält man aus den Winkelfunktionen. Als Beispiel ist

624

A3

Mathematische Einführung

in der nächsten Abbildung der Graph der Sinusfunktion zu sehen. Will man den Wert der Funktion ablesen, so sucht man auf der xAchse den Winkel , findet den zugehörigen Punkt auf der Kurve und liest dessen y-Koordinate ab (siehe Pfeile).

Nun wollen wir den umgekehrten Weg gehen. Vorgegeben ist nun der Wert der Sinusfunktion, und wir wollen wissen, für welchen Winkel die Sinusfunktion diesen Wert annimmt. Dies ist in der nächsten Abbildung gezeigt.

Dies kann man unter bestimmten Bedingungen, auf die wir weiter unten noch eingehen, als eine neue Funktion darstellen, indem man die x- und y-Achsen vertauscht. Man nennt diese neue Funktion die „Umkehrfunktion von f .x/“ und schreibt f 1 .x/, in unserem Beispiel sin1 . Einige häufige Umkehrfunktionen tragen einen eigenen Namen. Für die Winkelfunktionen sind es die bereits erwähnten Funktionen arcsin x, arccos x, arctan x und arccot x. In 7 Beispiel 5.10 kommt man am Ende der Berechnung des Winkels mit der maximalen Reichweite auf q 2gh0 C v02 cos ˇmax D q 2gh0 C 2v02

625 A3

Mathematische Einführung

von wo aus man über die Umkehrfunktion des Cosinus auf den gesuchten Winkel kommt:

ˇmax

1 0q 2 2gh C v 0 0 C B D arccos.cos ˇmax / D arccos@ q A 2gh0 C 2v02

Der Graph der Umkehrfunktion des Sinus ist in der nächsten Abbildung zu sehen.

Beim Betrachten der Umkehrfunktion in den letzten beiden Abbildungen fällt auf, dass die Umkehrung nicht eindeutig ist. Gibt man wie im Beispiel einen Wert von 0,8 für den Sinus vor, so gibt es mehr als einen Winkel (tatsächlich unendlich viele, wenn man den Graph bis zu beliebigen Winkeln verlängert), der auf einen Sinus von 0,8 führt. In der letzten Abbildung erkennt man es daran, dass zu jedem x mehr als ein Funktionswert zu gehören scheint. Dies ergibt aber keine sinnvolle Funktion. Um eine Funktion sinnvoll umkehren zu können, muss man den Definitionsbereich der Funktion so weit einschränken, dass die Umkehrung eindeutig wird, d. h. so weit, dass jeder Wert im Wertebereich nur noch einmal auftaucht. Für den Sinus kann man das tun, indem man sich beispielsweise auf den schwarzen Bereich des Graphen für Winkel zwischen 0ı und 90ı beschränkt. Meist wählt man für die Umkehrung des Sinus Winkel zwischen 90ı und 90ı . Das ist der maximale Bereich, in dem der Sinus eindeutig umkehrbar

626

A3

Mathematische Einführung

ist. Man sagt, man beschränkt sich auf einen Ast oder Zweig der Funktion. Die Auswahl des Zweiges ist zunächst willkürlich. In der physikalischen Anwendung muss man darauf achten, ob dies tatsächlich der Zweig ist, der die korrekte Lösung ergibt. In unserem Beispiel mit dem Fußball findet man im Bereich 90ı bis 180ı ein weiteres Extremum der Schussweite beim Wert 180ı  ˇmax . Dies entspricht einem Schuss in die entgegengesetzte Richtung (im Bild nach links), der dieselbe Reichweite hätte.

A3.10

Differenzialgleichungen

Das Grundgesetz der Mechanik ist eine Differenzialgleichung. Es gibt eine Bedingung vor, die jede Bewegung rE.t/ in der Mechanik zu erfüllen hat. Die Bedingungsgleichung enthält nicht nur rE.t/ selbst, sondern auch die zweite Ableitung der Bewegung aE.t/ D d2 rE.t/. Deshalb nennt man sie eine Differenzialgleichung. dt 2  d2 1  rE.t/ D FE rE.t/; t 2 dt m Sie setzt die zweite Ableitung der Bewegung mit der Bewegung selbst in Bezug. Die Aufgabe ist es, eine bzw. alle möglichen Bewegungen zu finden, die diesen Bezug erfüllen. Die Lösung solcher Differenzialgleichungen ist oft nicht einfach. In den Beispielen haben Sie die Separation der Variablen (7 Beispiel 6.3 und 6.4) und ein numerisches Lösungsverfahren (7 Beispiel 6.5) als Lösungsverfahren kennengelernt. Mit ein wenig Erfahrung wird es Ihnen in vielen Fällen gelingen, durch Ausprobieren die Lösung zu erraten. Wichtig ist, dass Sie jeweils überprüfen, ob die vermutete Lösung tatsächlich eine Lösung der Differenzialgleichung ist. Dies tun Sie, indem Sie die vermutete Lösung in die Differenzialgleichung einsetzen. Dies sei an einem Beispiel illustriert. Ist die Kraft konstant, so ergibt dies eine konstante Beschleunigung. d2 s.t/ D F0 dt 2 Für diesen Fall hatten wir in 7 Abschn. 5.5 die Bewegung berechnet. Es ergab sich m

1 2 a0 t C v0 t C s0 2 Um dies einzusetzen, müssen wir die Ableitungen berechnen: s.t/ D

d s.t/ D a0 t C v0 dt d2 s.t/ D a0 dt 2

627 A3

Mathematische Einführung

Eingesetzt in die Differenzialgleichung ergibt sich ma0 D F0 Dies ist erfüllt, falls wir für die Beschleunigung a0 D F0 =m setzen. Nun werden Sie zu Recht sagen, dass es schwierig ist, die genaue Form der Bewegung zu erraten. Aber dies ist auch nicht nötig. Es genügt eine ungefähre Idee. Vermuten Sie beispielsweise, dass die Lösung unseres Beispiels ein Polynom in der Zeit ist, dann genügt dies. Sie setzen ein allgemeines Polynom an: s.t/ D

N X

cn t n

nD0

Sie berechnen die Ableitungen X d ncn t n1 s.t/ D dt nD1 N

X d2 s.t/ D n.n  1/cn t n2 dt 2 nD2 N

Beachten Sie, dass durch die Ableitung jeweils das konstante Glied aus der Summe verschwindet. Nun setzen Sie dieses in die Differenzialgleichung ein: N X d2 m 2 s.t/ D m n.n  1/cn t n2 D F0 dt nD2

Diese Relation muss für beliebige Zeiten erfüllt sein. Da rechts die Größe F0 unabhängig von der Zeit ist, muss auch die linke Seite zeitunabhängig sein. Links steht aber nur ein einziger Summand, der zeitunabhängig ist, nämlich der Term für n D 2. Er ist proportional zu t 0 D 1. Alle anderen Terme dürfen nicht auftauchen. Also cn D 0 für n > 2. Damit reduziert sich das Ganze auf   m 2.2  1/c2 t 22 D F0 2mc2 D F0 1 F0 c2 D 2m Für die Koeffizienten c0 und c1 ergab sich keine Bedingung. Sie können zunächst beliebig gewählt werden. Damit ergibt sich als Lösung der Differenzialgleichung s.t/ D

1 F0 2 t C c1 t C c0 2m

628

A3

Mathematische Einführung

was unserem Ergebnis schon sehr ähnelt. Die Koeffizienten c0 und c1 sind aus der Differenzialgleichung heraus nicht festgelegt. Sie werden über die Randbedingungen festgelegt, z. B. Ort und Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t D 0. Damit ergibt sich dann eine einzige eindeutige Lösung. Dies gilt allgemein in der Mechanik. Hat man zu einem Zeitpunkt Ort und Geschwindigkeit eines Körpers festgelegt, so ist dessen Bewegung für alle Zeiten eindeutig bestimmt. Es kann unter diesen Randbedingungen nur eine einzige Lösung der Differenzialgleichung geben.

A3.11

Das Integral

Bei der Berechnung der Arbeit standen wir vor dem Problem, wie sie zu berechnen ist, falls sich die Kraft entlang des Weges verändert. In diesem Falle teilt man den Weg in einzelne Teilstrecken ein. Diese müssen nicht unbedingt die gleiche Länge haben. Wir wollen es hier der Einfachheit halber aber annehmen. Das Diagramm unten zeigt ein Beispiel für die Berechnung einer Arbeit. In grün ist der Verlauf der Kraft entlang des Weges dargestellt. Die Kraft verändert sich mit dem Weg. Die Wegstrecke ist in 7 äquidistante Stücke s unterteilt. Für jedes Wegstück lässt sich die Arbeit als Wi D Fi s bestimmen, wobei wir annehmen, dass die Kraft entlang des Weges zeigt. Die gesamte Arbeit ist dann W D

7 X i D1

Wi 

7 X

Fi s

i D1

Im letzten Schritt haben wir die Kraft auf jedem Teilstück durch einen repräsentativen Wert Fi dargestellt. Diese Werte müssen wir noch festlegen. Wir betrachten zwei unterschiedliche Möglichkeiten. Wir nehmen einmal das Maximum der Kraft auf dem Wegstück s und einmal das Minimum. Diese beiden Möglichkeiten sind im Diagramm angedeutet. Fi s entspricht der Fläche eines Rechtecks in diesem Diagramm (Höhe  Breite). Die roten Rechtecke zeigen die Berechnung mit der maximalen Kraft, die blauen Rechtecke das Ergebnis für die minimale Kraft. Die roten Rechtecke sind teilweise von den blauen verdeckt. Sie erstrecken sich ebenfalls bis hinunter zur x-Achse. Die Summe der roten Flächen nennt man eine „Obersumme“ der Funktion und die der blauen eine „Untersumme“.

629 A3

Mathematische Einführung

Obersumme wie Untersumme stellen eine näherungsweise Berechnung der verrichteten Arbeit dar. Diese Näherung kann man verbessern, indem man den zurückgelegten Weg in noch kleinere Wegstücke unterteilt. Die nächste Abbildung zeigt eine Unterteilung in doppelt so viele (14) äquidistante Wegstücke.

Die Obersumme überschätzt die tatsächlich geleistete Arbeit, die Untersumme unterschätzt sie. Vor allem in den Bereichen, in denen die Funktion steil verläuft, ist der Unterschied groß. Im flachen Bereich rechts haben sich hingegen Ober- und Untersumme schon ganz gut an die Funktion angenähert. Macht man die Unterteilung in die Wegstücke immer feiner, kann man sich beliebig gut an die tatsächlich geleistete Arbeit annähern. Wir unterteilen hierzu die Strecke in n äquidistante Wegstücke s D s=n und lassen n immer größer werden. W D lim

n!1

n X i D1

Fi

s n

Man nennt dies das (bestimmte) Integral und schreibt n X

s Fi D W D lim n!1 n i D1

Zs 0

  F s 0 ds 0

630

A3

Mathematische Einführung

Dabei soll die Strecke bei 0 beginnen und bei s enden. Diese Grenzen des Integrationsweges sind am Integralzeichen angegeben. Unter dem Integral haben wir s 0 geschrieben, um diese Variable von der Länge s der Strecke zu unterscheiden. Geometrisch gesehen entspricht das Integral der Fläche Fab unter der Kurve in den Einheiten, die an den Achsen angegeben sind. Dies ist in der nächsten Abbildung dargestellt. Wir haben hier – wie in der Mathematik üblich – x statt s als Integrationsvariable gewählt und das Intergral insofern verallgemeinert, als wir den Integrationsweg nicht mehr bei 0 starten, sondern bei einem beliebigen Wert a. Zb Fab D

f .x/dx a

Aus dieser geometrischen Interpretation lassen sich einige einfache Rechenregeln ableiten: Flächen lassen sich additiv zusammensetzen. Daher muss gelten Zb

Zb f .x/dx D

a

Za f .x/dx 

0

f .x/dx 0

und ferner (siehe Skizze unten) Zb

Zc f .x/dx D

a

Zb f .x/dx C

a

f .x/dx c

631 A3

Mathematische Einführung

Hieraus sieht man schließlich, dass Zb

Za f .x/dx D 

a

f .x/dx b

Wir wollen uns nun dem wichtigen Hauptsatz der Integral- und Differenzialrechnung zuwenden. Wir benutzen hierzu noch einmal die Skizze mit a, b und c, machen aber Fbc sehr klein:

Wir betrachten die Fläche unter der Kurve, ausgehend von 0 und endend bei b. Dabei wollen wir b als Variable betrachten, d. h. aufschreiben, wie sich die Fläche als Funktion von b verändert. Zb F0b D F .b/ D

f .x/dx 0

Um zu verstehen, wie sich diese Fläche mit b verändert berechnen wir deren Ableitung nach b. F .b C h/  F .b/ dF .b/ D lim h!0 db h 3 2 bCh Z Zb 1 D lim 4 f .x/dx  f .x/dx 5 h!0 h 0 0 3 2 b bCh Z Z Zb 14 f .x/dx C f .x/dx  f .x/dx 5 D lim h!0 h 0

3 2 bCh Z 1 f .x/dx 5 D lim 4 h!0 h

b

0

b

1 D lim Œhf .b/ D lim f .b/ D f .b/ h!0 h h!0 In der vorletzten Zeile haben wir dabei ausgenutzt, dass für ein sehr kleines h die Fläche durch ein Rechteck berechnet werden

632

A3

Mathematische Einführung

kann. Das Integral ist also h  f .b/. Wir bekommen als Ergebnis, dass die Ableitung des Integrals die Funktion selbst ist d db

Zb f .x/dx D f .b/ 0

Die Funktion, über die man integriert, nennt man den „Integranden“. Das Ergebnis kann man auch so ausdrücken: Das Integral ist eine Stammfunktion des Integranden. Nutzen wir nun noch die bereits gelernten geometrische Regeln, so erhalten wir Zb Fab D

Zb f .x/dx D

a

Za f .x/dx 

0

f .x/dx D F .b/  F .a/ 0

Dies ergibt schließlich den Hauptsatz der Integral- und Differenzialrechnung: Zb f .x/dx D F .b/  F .a/ wobei

Es ist

d F .x/ D f .x/ dx

a

d. h. F .x/ ist eine Stammfunktion zu f .x/. Wie man eine Stammfunktion bestimmt, hatten wir bereits im Abschnitt über die unbestimmten Integrale angesprochen und wollen wir hier nicht mehr wiederholen. Für die bestimmten Integrale muss man also am Ende die obere und die untere Grenze in die Stammfunktion einsetzen und die Differenz bilden. Eine eventuelle Konstante in der Stammfunktion (sie ist ja nicht eindeutig) fällt bei der Differenzbildung heraus, sodass das bestimmte Integral ein eindeutiges Ergebnis liefert. Hier – ohne Begründung – noch einige wichtige Rechenregeln für die Integrale (sie gelten ebenfalls für unbestimmte Integrale): a. Konstanten kann man „vorziehen“: Zb

Zb cf .x/dx D c

a

f .x/dx a

b. Integrale von Summen: Zb

Zb .f .x/ C g.x//dx D

a

Zb f .x/dx C

a

g.x/dx a

633 A3

Mathematische Einführung

c. Integrale von Produkten. Aus Zb

d .f .x/  g.x//dx D dx

a

Zb 

 d f .x/  g.x/dx dx

a



Zb f .x/ 

C

 d g.x/ dx dx

a

erhält man durch Umstellen eine Regel, die man partielle Integration nennt 

Zb f .x/ 

 d g.x/ dx D f .x/  g .x/jba dx

a

Zb  

 d f .x/  g.x/dx dx

a

Der mittlere Term ist folgendermaßen zu verstehen f .x/  g .x/jba D f .b/g.b/  f .a/g.a/ d. Substitution, bei der die Integrationsvariable gewechselt wird: 1 .b/ gZ

Zb f .g.x//dx D

f .u/ g 1 .a/

a

d 1 g .u/du du

wobei g 1 .u/ die Umkehrfunktion zu g.x/ ist.

A3.12

Uneigentliche Integrale

In manchen Fällen (z. B. 7 Beispiel 7.6) tauchen Integrale auf, die sich bis ins Unendliche erstrecken. Solche Integrale nennt man „uneigentlich“, da sie eigentlich kein Integral, sondern der Grenzwert eines Integrals sind. In der Lösung, beim Einsetzen der Grenzen, ergab sich in 7 Beispiel 7.6 dann auch der Term „1=1“. Dies ist eine saloppe Schreibweise, die in der Physik durchaus üblich ist. Hier wollen wir versuchen, die Bedeutung zu erklären. Wir nehmen noch einmal dieses Integral als Beispiel Z1 W D

k R

1 dr r2

634

A3

Mathematische Einführung

Gemeint ist damit, dass man das Integral zunächst als bestimmtes Integral bis zu einer festen Grenze ausrechnet, und danach die Grenze ins Unendliche anwachsen lässt. Also Zb

1 dr r2 R ˇ ! 1 ˇˇb D lim k ˇ b!1 r R    1 1 D lim k  b!1 b R   1 1 D k lim  b!1 R b        1 1 1 k D k lim  lim Dk 0 D b!1 R b!1 b R R

W D lim

b!1

k

Sind beide Grenzen unendlich (Integration von 1 nach C1), so sind nach der Integration zwei Grenzübergänge auszuführen. Zum Schluss möchten wir darauf hinweisen, dass sowohl Differentiation wie Integration als auch die hier beschriebenen uneigentlichen Grenzen Grenzwertprozesse darstellen. Diese Grenzwertprozesse darf man in ihrer Reihenfolge nur dann miteinander vertauschen, wenn alle Grenzwerte existieren und endlich sind!

A3.13

Mehrfachintegrale

Zunächst hatten wir immer nur in einer Variablen integriert. In der Definition des Massenmittelpunktes (7 Abschn. 8.2) tauchen zum ersten Male Integrale über drei Dimensionen auf. Man erkennt dies daran, dass am Integralzeichen nicht mehr nur ein Intervall in einer Dimension (auf der x-Achse) angegeben ist, sondern ein dreidimensionales Volumen, über das zu integrieren ist. Wir betrachten zunächst das Integral der Masse. Auf das Vektorintegral im Zähler der Definition des Massenmittelpunktes kommen wir noch zu sprechen. Das Integral lautet Z Z   M D d m D rE dV V

V

Man kann dieses Integral als drei Integrale ausschreiben, muss dann allerdings ein Koordinatensystem wählen. In kartesischen Koordinaten ergibt sich xmax Zzmax Zymax Z M D .x; y; z/dxdydz zmin ymin xmin

635 A3

Mathematische Einführung

dabei bezeichnen die Integrationsgrenzen die geometrischen Grenzen des Körpers. Bei allzu komplizierten Formen muss man den Körper eventuell in Teilvolumina zerlegen und diese am Ende addieren. Die drei Integrale werden nacheinander ausgeführt. Die hier gewählte Reihenfolge ist zuerst x, dann y und zum Schluss z. 0 ymax0 x 1 1 Zzmax Z Zmax @ @ .x; y; z/dx Ady Adz M D zmin

ymin

xmin

Die Klammern werden aber meist weggelassen. Man beachte, dass dies nur eine mögliche Reihenfolge der Integration ist. Man kann die Reihenfolge vertauschen, wenn alle Integrale in ursprünglicher und neuer Reihenfolge existieren und endlich sind. Sind die Integrationsgrenzen Konstanten, so integriert man über einen Quader. Ein Beispiel ist in der Abbildung zu sehen. Zur Vereinfachung wurde xmax D 0 und ymin D 0 gesetzt.

Das vorige Beispiel mit konstanten Integrationsgrenzen liefert Quader. Im allgemeinen Fall sind die Grenzen von den Koordinaten abhängig. Man kann damit jeden beliebigen Körper integrieren. Wir wollen als Beispiel die Masse einer Dreikantfeile (ohne Griff) bestimmen. Die Feile hat einen dreieckigen Querschnitt und wird zur Spitze hin etwas dünner. Die beiden Skizzen zeigen Querschnitt und Längsprofil.

636

A3

Mathematische Einführung

In den Skizzen ist das Koordinatensystem so gewählt, dass die Feile längs der z-Achse liegt. Die Spitze befindet sich bei z D 0. Die Feile hat eine Länge l. Der Querschnitt ist ein gleichseitiges Dreieck mit der Kantenlänge a. Die Kantenlänge beträgt an der Spitze der Feile a0 und steigt zum Schaft hin auf 3a0 an. Die Höhe ist h. Die Formeln für a und h sind in der Skizze angegeben. Wir integrieren zunächst über x. Die Integrationsgrenze xmax hängt davon ab, bei welchem y wir uns befinden. Sie lässt sich aus dem rechtwinkeligen (halben) Dreieck bestimmen. Der Winkel in einem gleichseitigen Dreieck ist 60ı . Die Ankathete hat die Länge p a  y und die Gegenkathete ist xmax . Der Tangens von 60ı ist 3. 2 Damit ergibt sich für positive y xmax D

p

 3

a.z/ y 2



Die Dichte 0 nehmen wir als konstant an. Die Masse ist Z l Ca=2 Z Zxmax 0 dxdydz M D2 0

0

0

Dabei haben wir die Symmetrie in y ausgenutzt, um das Integral auf positive Werte von y zu beschränken. Nun müssen wir die Integrale lösen. Die Konstante können wir vorziehen Z l Ca=2 Z Zxmax M D 2 0

dxdydz 0

0

0

637 A3

Mathematische Einführung

Das x-Integral ist einfach. Der Integrand ist eine 1. Die Stammfunktion ist x. Z l Ca=2 Z M D 2 0 xjx0 max dydz 0

0

Z l Ca=2 Z D 2 0

.xmax  0/ dydz 0

0

Z l Ca=2 Z

 p a 3  y dydz 2

D 2 0 0

0

Im letzten Schritt haben wir xmax eingesetzt. Dies ist nötig, da xmax von y abhängt. Würden wir das unterlassen, würden wir beim jetzt folgenden y-Integral einen Fehler machen. Der Integrand ist ein Polynom ersten Grades in y, dessen Stammfunktion sich ebenfalls leicht finden lässt. ˇ Zl  p a 1 2 ˇˇCa=2 M D 2 3 0 dz y y ˇ 2 2 0 0

p D 2 3 0

Z l 

a2 a2  4 8



  0 dz

0

p D 2 3 0

Zl

a.z/2 dz 8

0

1p 3 0 D 4

Zl 

a0 C 2a0

z 2 dz l

0

1p 3 0 a02 D 4

 Zl  z2 z 1 C 4 C 4 2 dz l l 0

Im letzten Schritt ist nun ein Polynom zweiten Grades zu integrieren. Es ergibt:  ˇl 4z 3 ˇˇ z2 1p 2 3 0 a0 z C 2 C 2 ˇ M D 4 l 3l 0   1p 4 D 3 0 a02 l C 2l C l 4 3 13 p 3 0 a02 l D 12

638

A3

Mathematische Einführung

Auf diese Art und Weise lassen sich die Massen beliebiger Körper integrieren.

A3.14

Vektorintegrale

Wir kommen noch einmal auf die Formel zur Bestimmung des Massenmittelpunktes zurück: rEMM

R Z   rEd m 1 D RV rE rEdV D M V dm V

Das Integral im Zähler unterscheidet sich von den bisher betrachteten Integralen dadurch, dass der Integrand keine einfache Funktion, sondern ein Vektor (genauer gesagt eine vektorwertige Funktion) ist. Folglich ist auch das Ergebnis der Integration keine Zahl, sondern ein Vektor. Man nennt es ein „Vektorintegral“. Man berechnet Vektorintegrale komponentenweise. Das Integral über die x-Komponente des Integranden ergibt die xKomponente des Ergebnisvektors und entsprechend für y und z. In unserem Beispiel wäre dies 0 R   0 1 1 R   1 rE xdV rE xdV M B V B C C V B C C 1 B B R rEydV C B 1 R rEydV C rEMM D B M B CD C B C C M B VR   V   R @ @ 1 A A r E zdV r E zdV M V

A3.15

V

Das Lösen von Gleichungssystemen

Wir betrachten noch einmal das Beispiel des Billardstoßes mit zwei gleich schweren Kugeln in einer Ebene (7 Abschn. 8.3.6). In Gl. 8.34 hatten wir die Bedingungen aufgeschrieben 1 1 1 m1 u21 D m1 v12 C m2 v22 2 2 2 m1 u1 D m1 v1 cos 1 C m2 v2 cos 2 0 D m1 v1 sin 1 C m2 v2 sin 2 Wir vereinfachen das Problem, indem wir annehmen, dass die Massen gleich schwer sind. Dann gilt * u2 D v 2 C v 2 1 1 2 u1 D v1 cos 1 C v2 cos 2 0 D v1 sin 1 C v2 sin 2

639 A3

Mathematische Einführung

Eine solche Zusammenfassung mehrerer Gleichungen nennt man ein „Gleichungssystem“. Hier stehen den drei Bestimmungsgleichungen vier unbekannte Größen gegenüber, nämlich v1 , v2 , 1 und 2 . Man sagt, das Gleichungssystem ist unterbestimmt. In einem solchen Fall besteht die Lösungsmenge nicht nur aus einzelnen Werten, sondern aus einer eindimensionalen Menge. Wir können eine weitere Größe vorgeben. Für einen bestimmten Bereich dieser Größe wird sich dann jeweils eine Lösung finden lassen. Wir wollen den Winkel 1 vorgeben. Um ein solches Gleichungssystem zu lösen, stehen drei sogenannte Äquivalenzumformungen zur Verfügung. a. Einsetzen: Das heißt man löst eine der Gleichungen nach einer der Variablen auf und ersetzt diese dann in den anderen Gleichungen. b. Gleichsetzen: Enthalten zwei Gleichungen eine identische Seite, so kann man die anderen Seiten gleichsetzen (a D b, a D c dann gilt auch b D c). c. Addieren/Subtrahieren: Man kann zwei Gleichungen addieren bzw. subtrahieren (jeweils beide Seiten der Gleichungen). Wir beginnen die Lösung unseres Beispiels, indem wir Äquivalenzumformung a. auf die dritte Gleichung anwenden: 0 D v1 sin 1 C v2 sin 2 v1 ! sin 2 D  sin 1 v s2  2 v1 ! cos 2 D 1  sin2 1 v2 Beachten Sie, dass die Winkel zwischen 0ı und 90ı liegen und daher Kosinus und Sinus immer positiv sind. Dies setzen wir nun in die zweite Gleichung ein. Die dritte müssen wir nicht mehr weiter betrachten. Wir haben sie verbraucht. *

u21 D v12 C v22 r  2 u1 D v1 cos 1 C v2 1  vv12 sin2 1

Wir isolieren die Wurzel in der zweiten Gleichung und quadrieren s u1  v1 cos 1 D v2

 1

v1 v2

2 sin2 1

u21 C v12 cos2 1  2v1 u1 cos 1 D v22  v12 sin2 1 u21 C v12 cos2 1 C v12 sin2 1  2v1 u1 cos 1 D v22 u21 C v12  2v1 u1 cos 1 D v22

640

A3

Mathematische Einführung

Wenn wir nun auch noch in der ersten Gleichung v22 isolieren, erhalten wir  u21  v12 D v22 2 2 u1 C v1  2v1 u1 cos 1 D v22 Nun steht in beiden Gleichungen v22 auf der rechten Seite, sodass wir Verfahren b. anwenden und die beiden Gleichungen gleichsetzen können. Wir erhalten: u21  v12 D u21 C v12  2v1 u1 cos 1  2v12 D 2v1 u1 cos 1 v1 D u1 cos 1 Damit haben wir den ersten Teil der Lösung gefunden. Die Gleichung gibt v1 als Funktion der beiden bekannten Größen u1 und 1 an. Nun setzen wir dieses Ergebnis in das ursprüngliche Gleichungssystem ein und beginnen von vorne: *

u21 D u21 cos2 1 C v22 u1 D u1 cos2 1 C v2 cos 2 0 D u1 cos 1 sin 1 C v2 sin 2

Der nächste Teil der Lösung lässt sich direkt aus der ersten Gleichung bestimmen u21 D u21 cos2 1 C v22   u21 1  cos2 1 D v22 u21 sin2 1 D v22 v2 D u1 sin 1 Es steht noch aus, 2 zu bestimmen. Dazu nutzen wir die vorher gefundene Relation zu cos 2 : s  2 v1 cos 2 D 1  sin2 1 v2 s   u1 cos 1 2 2 cos 2 D 1  sin 1 u1 sin 1 p cos 2 D 1  cos2 1 cos 2 D sin 1 2 D arc cos sin 1 Damit haben wir das gesuchte Ergebnis gefunden. Es ist v1 D u1 cos 1 v2 D u1 sin 1 2 D arccos sin 1

641 A3

Mathematische Einführung

Die Anfangsgeschwindigkeit u1 kann dabei beliebige Werte annehmen (positiv, da es sich um einen Betrag handelt). Der Winkel 1 hat dagegen einen eingeschränkten Bereich. Er muss im Intervall 0ı bis 90ı liegen. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass man für Winkel 1 > 90ı keine Lösung mehr finden kann.

A3.16

Das Kreuzprodukt

In rotierenden Bezugssystemen tritt eine neue Klasse von Vektoren auf, die sogenannten axialen Vektoren. Zu ihnen gehört E oder der z. B. die Winkelgeschwindigkeit !, E das Drehmoment M E Drehimpuls L. Diese Vektoren zeigen entlang der Drehachsen, wie dies in der Skizze für !E zu sehen ist.

Wir betrachten die Bahngeschwindigkeit vEB eines rotierenden Körpers. Sie ist offensichtlich proportional zur Winkelgeschwindigkeit !. E Je schneller das Bezugssystem rotiert, desto schneller bewegt sich auch der Körper. Die Bahngeschwindigkeit des Körpers hängt außerdem vom Abstand des Körpers von der Drehachse ab, genauer gesagt, vom senkrechten Abstand zur Drehachse rE? . Je größer dieser ist, desto größer ist die Bahngeschwindigkeit. Die Anzahl der Umdrehungen pro Sekunde (die Frequenz) ist gegeben durch f D

! 2

Mit jeder Umdrehung legt der Körper die Strecke s D 2 r?, also ist die Bahngeschwindigkeit vB D

! 2 r? D !r? 2

Die zweite Skizze zeigt den allgemeinen Fall mit einem Ortsvektor, dessen Ursprung nicht in der Bahnebene des Körpers liegt. Man liest ab vB D !r sin '

642

A3

Mathematische Einführung

Damit haben wir den Betrag der Bahngeschwindigkeit geklärt. Die Richtung der Bahngeschwindigkeit ist tangential. Wie man aus der Skizze sieht, ist diese Richtung senkrecht zum Ortsvektor und senkrecht zur Winkelgeschwindigkeit. Um dies mathematisch auszudrücken, führt man das sogenannte Kreuz- oder Vektorprodukt ein. Man schreibt es als aE  bE D cE. Das Ergebnis ist wiederum ein Vektor, der senkrecht auf beiden Ausgangsvektoren steht. Der Betrag des Produktes ist E D jE E sin ' jE a  bj aj  jbj wie wir dies für unsere Anwendung benötigen. Der Winkel ' ist E Der Betrag der Winkel zwischen den beiden Vektoren aE und b. entspricht der Fläche eines Parallelogramms, das von den beiden Vektoren aufgespannt wird. Mit der obigen Vorschrift ist das Vorzeichen des Vektorproduktes noch nicht festgelegt. Man wählt das Vorzeichen des ErE cE in dieser Reihenfolge ein rechtshändiges gebnisses so, dass aE , b, Dreibein bilden. Zur Veranschaulichung kann man die rechte(!) Hand benutzen (siehe Abbildung). Man zeigt mit dem Daumen in Richtung des ersten Vektors des Kreuzproduktes und mit dem Zeigefinger in die Richtung des zweiten. Spreizt man dann den Mittelfinger, wie im Bild zu sehen, senkrecht von Daumen und Zeigefinger ab, so gibt er die Richtung des Ergebnisvektors an. Nützlich ist auch noch die Regel im zweiten Bild. Sie gilt für Drehbewegungen. Man zeigt mit dem Daumen der rechten Hand in Richtung der Winkelgeschwindigkeit. Dann geben die vier Finger die Drehrichtung an.

643 A3

Mathematische Einführung

Man kann das Vektorprodukt aus den Komponenten der Vektoren berechnen. Es gilt 1 ay bz  az by aE  bE D @ az bx  ax bz A ax by  ay bx 0

Hier noch die wichtigsten Rechenregeln aE  aE D 0 aE  bE D bE  aE

A3.17

Geometrie der Ellipse

Ellipsen spielen in der Himmelsmechanik eine zentrale Rolle. Die Ellipse ist eine geschlossene Linie, ähnlich einem Kreis. Sie wird durch zwei Brennpunkte festgelegt. Man definiert die Ellipse als die Menge aller Punkte P , für die die Summe der Abstände zu zwei gegebenen Punkten F1 und F2 gleich 2a ist. F1 und F2 sind die beiden Brennpunkte, der Mittelpunkt der Verbindungslinie zwischen ihnen ist auch der Mittelpunkt M der Ellipse. Die Größe a ist die große Halbachse der Ellipse. Die Größen sind in der Skizze eingetragen. Für alle Punkte auf der Ellipse gilt also r1 C r2 D 2a.

Rücken die beiden Brennpunkte näher zusammen, ähnelt die Ellipse immer mehr einem Kreis. Fallen die beiden Brennpunkte schließlich zusammen, ergibt sich ein Kreis. Dann ist r1 D r2 D r und die große Halbachse wird zum Radius des Kreises. Die kleine Halbachse ist die Größe b. Sie wird durch die große Halbachse und die Lage der Brennpunkte bereits eindeutig festgelegt. p Man nennt e D a2  b 2 die Exzentrizität der Ellipse und  D e=a die numerische Exzentrizität. Die numerische Exzentrizität ist dimensionslos. Ihr Wert liegt zwischen 0 und 1. Eine numerische Exzentrizität von 0 entspricht einem Kreis. Dann ist a D b. Nähert sich der Wert der Eins, so wird die Ellipse immer flacher und entartet schließlich in eine Linie.

644

A3

Mathematische Einführung

In der Astronomie nennt man den Punkt der größten Annäherung eines Planeten an die Sonne das Perihel. Falls die Sonne im Brennpunkt F1 steht, ist dies rechts der Punkt, an dem die große Halbachse die Ellipse berührt. Den Punkt der größten Entfernung von der Sonne (gegenüber) nennt man das Aphel. In Polarkoordinaten kann man die Ellipse folgendermaßen darstellen r.'/ D

p 1 C  cos '

mit dem Halbparameter p D b 2 =a, der numerischen Exzentrizität  und dem Winkel ' des Fahrstrahls zur Richtung des Perihels. Die Ellipse gehört zu den Kegelschnitten. Das sind die Kurven, die man als Schnittmenge einer Ebene mit einem Kegel erhält. Die Skizze zeigt ein Beispiel, das zu einer Ellipse führt. Es können sich aber auch Kreise (Ebene senkrecht zur Achse des Kegels), Parabeln (Ebene parallel zur Achse des Kegels) oder Hyperbeln ergeben.

A3.18

Taylor-Entwicklung

Bei der Berechnung der Gewichtskraft haben wir ein Näherungsverfahren benutzt, das in der Physik häufig Anwendung findet (7 Abschn. 11.3.2). Man nennt es eine Taylor-Entwicklung. Wir wollen es hier etwas näher beleuchten. Die exakte Form der Gewichtskraft lautet FG D G

mm˚ r2

Wir interessieren uns für den Verlauf bei Abständen in der Nähe des Erdradius. Dieser ist in der Abbildung skizziert.

645 A3

Mathematische Einführung

Als eine allererste grobe Näherung – man bezeichnet diese als die 0-te Näherung – kann man annehmen, dass die Gewichtskraft in der Nähe des Erdradius konstant ist. In der Skizze entspricht dies der horizontalen roten Linie. In der Praxis benutzen Sie diese Näherung häufig. Immer wenn Sie FG D mg schreiben, nehmen Sie an, dass die Gewichtskraft unabhängig von der Höhe h ist. Erst bei Höhen, die weit über 1 km hinausgehen, macht sich die Veränderung der Gravitationskraft bemerkbar. Eine bessere Beschreibung der Gewichtskraft erhalten Sie dann, wenn Sie die exakte Kurve in der Skizze durch eine Gerade nähern. Welche Steigung muss diese Gerade besitzen? Nun, ihre Steigung sollte der Steigung der Kurve an der Ausgangshöhe (Erdradius) entsprechen. Diese Steigung ist die Ableitung der exakten Funktion an dieser Stelle. Man nennt dies die 1-te Näherung. Sie hat die mathematische Form FG .r˚ C h/  FG .r˚ / C

ˇ ˇ d h FG .r/ˇˇ dr rDr˚

Es ist eine Geradengleichung in der Höhe h mit der oben angegebenen Steigung. Man kann diese Näherung weiter verbessern, indem man der Geraden zusätzlich eine Parabel hinzuaddiert. Es entsteht eine Näherung der Form FG .r˚ C h/  FG .r˚ / C c1  h C c2  h2 Mit der Wahl des Koeffizienten c1 wie oben hat man erreicht, dass die Näherung dieselbe Steigung wie die exakte Form hat. Wählt man nun den Koeffizienten c2 so, dass auch die Krümmung zwischen Näherung und exakter Funktion übereinstimmen, so ist das die beste Wahl. Die zweite Näherung ist also ˇ ˇ ˇ ˇ d d2 ˇ FG .r˚ C h/  FG .r˚ /C hC 2 FG .r/ˇˇ h2 FG .r/ˇ dr dr rDr˚ rDr˚

646

A3

Mathematische Einführung

Man kann dieses Verfahren auf Terme immer höherer Ordnung erweitern. Es ergibt sich eine Reihe ˇ 1 X ˇ dn FG .r/ˇˇ  hn FG .r˚ C h/ D FG .r˚ / C n dr rDr ˚ nD1 ˇ 1 n X ˇ d D F .r/ˇˇ  hn ; n G dr rDr˚ nD0 wobei man rechts unter der 0-ten Ableitung den Wert der Funktion selbst versteht. Dies nennt man die Taylor-Reihe oder TaylorEntwicklung einer Funktion. Man kann mithilfe der Taylor-Entwicklung nicht nur Funktionen nähern, man kann darüber hinaus auch abschätzen, wie gut die gemachte Näherung ist. Hierzu betrachtet man den Wert des ersten Gliedes, das man vernachlässigt hat. Dies ist genau, was wir in der Rechnung zu FG getan haben. Wir haben die nullte Näherung FG D mg benutzt und das nächste Glied als Abschätzung der Näherung bestimmt. Für h D 100 m ergibt sich ein relativer Fehler von 31 ppm (parts per million D 0,000031). Bevor man die Taylor-Reihe ansetzt, muss man sich allerdings noch über einen wesentlichen Aspekt klar werden. Die TaylorReihe einer Funktion konvergiert im Allgemeinen nur in einem begrenzten Wertebereich, dem sogenannten Konvergenzbereich. Außerhalb dieses Bereiches ist die Taylor-Reihe sinnlos. Praktisch bedeutet dies, dass der Punkt, an dem man die Taylor-Reihe benutzen möchte, möglichst dicht an dem Punkt liegen sollte, um den man sie entwickelt. Ein Beispiel, das man oft benutzt: p

1 3 D 1 C x C x2 C : : : 2 4 1x 1

Hier erhält man eine schnelle Konvergenz, wenn x deutlich kleiner als 1 ist. Wird x größer, wird die Konvergenz schlechter, d. h. man muss mehr Glieder berücksichtigen, um eine entsprechende Genauigkeit zu erreichen. Für x  1 konvergiert die Reihe schließlich nicht mehr.

A3.19

Volumenintegrale

Wir haben nun mehrfach Volumenintegrale kennengelernt, z. B. zur Bestimmung der Masse eines Körpers oder zur Bestimmung seines Schwerpunktes. Wie drücken diese Integrale über das Volumen des Körpers durch Dreifach-Integrale aus. Wir hatten dies bereits in 7 Abschn. 13 dieses Anhangs A3 besprochen. Hier noch einmal das Beispiel eines Integrals über einen Quader.

647 A3

Mathematische Einführung

Geometrisch gesehen zerlegen wir den Quader in lauter infinitesimal kleine Quader mit den Kantenlängen dx, dy und dz. Ein infinitesimaler Quader am Ort .x; y; z/ liefert den Beitrag f .x; y; z/dxdydz zum Integral. Die Funktion f wäre im Beispiel der Berechnung der Masse des Quaders die Dichte am Ort .x; y; z/. Das Integral ist dann Zc Zb Za I D

f .x; y; z/dxdydz 0

0

0

Für einen Quader ist dies in den meisten Fällen eine angemessene Art das Integral zu bestimmen. Aber was tun wir, wenn wir über eine Kugel integrieren wollen. Nun sind die kartesischen Koordinaten, die wir oben benutzt haben, nicht mehr geeignet. Wir wollen nun Kugelkoordinaten benutzen. Man mag naiv vermuten, dass das Integral nun folgendermaßen lauten muss ZR Z Z2 f .'; ; r/d'd dr 0

0

0

Doch dies ist nicht richtig. Die zweite Skizze zeigt, woran dies liegt. Das Volumen der kleinen Elemente, aus denen das Integral zusammengesetzt wird, hängt bei vorgegebenen d'd dr von der Position ab. Das war bei den kartesischen Koordinaten nicht der Fall. Man sieht in der Skizze, dass das Volumen mit steigendem r zunimmt, aber auch von abhängt. Man kann die Kantenlängen des Elementes aus der Skizze ablesen. Sie sind dr, rd und sin rd'. Das Volumen des Elementes muss bei der Integration berücksichtigt werden. Das Integral in Kugelkoordinaten lautet folglich ZR Z Z2 I D

f .'; ; r/r 2 sin d'd dr 0

0

0

648

A3

Mathematische Einführung

Dies war eine geometrische Begründung für die Form des Integrals in Kugelkoordinaten. Systematischer gesprochen, muss man berücksichtigen, dass bei einer Koordinatentransformation der Integrationsvariablen nicht nur x, y und z zu transformieren sind, sondern auch dx, dy und dz. Für eindimensionale Integrale haben wir dies bereits in 7 Abschn. 11 dieses Anhangs A3 kennengelernt. Wir haben es dort „Substitution“ genannt. Im Dreidimensionalen gilt etwas Ähnliches. Sind u1 , u2 und u3 die Koordinaten, in denen das Integral gegeben ist (bei uns waren diese x, y und z), und sind v1 , v2 und v3 neue Koordinaten (in unserem Beispiel waren diese ', und r), dann kann man die sogenannte Jacobi- oder Funktionalmatrix aufstellen. Sie lautet 0 @u B J D@

@u1 @v2 @u2 @v2 @u3 @v2

1 @v1 @u2 @v1 @u3 @v1

1

@u1 @v3 @u2 C @v3 A @u3 @v3

Die Determinante dieser Matrix (Jacobi-Determinante) muss ins Integral eingehen. ZR Z Z2 I D

f .'; ; r/ det Jd'd dr 0

0

0

649 A3

Mathematische Einführung

In unserem Beispiel war u1 D x D r cos' sin

u2 D y D r sin' sin

@u1 D @v1 @u1 D @v2 @u1 D @v3 @u2 D @v1 usw.

@u1 @' @u1 @ @u1 @r @u2 @'

D r sin ' sin D r cos ' cos D cos ' sin D r cos ' sin

woraus sich die Jacobi-Determinante ergibt. Die beiden wichtigsten Determinanten sind die für die Transformation von kartesischen Koordinaten in Zylinderkoordinaten det J D und die für die Transformation von kartesischen Koordinaten in Kugelkoordinaten det J D r 2 sin . Weitere können Sie leicht selbst ausrechnen.

A3.20

Matrizen

In den Gleichungen in 7 Abschn. 13.6 sind wir erstmals auf eine Matrix gestoßen (IQ). Wir wollen hier kurz die wichtigsten Rechenregeln ansprechen. Eine Matrix hat Parallelen zu einem Vektor, allerdings sind die Zahlen nicht in einer, sondern in zwei Dimensionen sortiert, in den Zeilen und Spalten der Matrix. Eine Matrix mit n Zeilen und m Spalten nennt man eine n  m-Matrix. Ein einzelnes Element einer n  m-Matrix XQ hat dann zwei Indizes Xij . Der erste Index gibt die Zeile an, zu der das Element gehört, der zweite die Spalte. Diese Matrix schreibt man 0 B B XQ D B @

X11 X21 :: : Xn1

X12 X22 :: : Xn2

  :: : 

X1m X2m :: : Xnm

1 C C C A

Im vorliegenden Buch benutzen wir meist nur 3  3-Matrizen, wie z. B. den Trägheitstensor. Man kann Matrizen addieren und subtrahieren, indem man die einzelnen Elemente der Matrix addiert bzw. subtrahiert. Dazu müssen die Dimensionen der Matrizen übereinstimmen. Z. B. wäre 0 1 X11  Y11 X12  Y12    X1m  Y1m B X21  Y21 X22  Y22    X2m  Y2m C B C XQ  YQ D B C :: :: :: :: @ A : : : : Xn1  Yn1 Xn2  Yn2    Xnm  Ynm

650

A3

Mathematische Einführung

Man kann Matrizen mit einer Konstanten multiplizieren. Es ist 0 B B c XQ D B @

cX11 cX21 :: : cXn1

cX12 cX22 :: : cXn2

  :: : 

cX1m cX2m :: : cXnm

1 C C C A

Ferner kann man zwei Matrizen miteinander multiplizieren. Ist z. B. ZQ P D XQ  YQ , dann sind die Elemente von ZQ gegeben durch Zij D k Xi k Ykj . Als Matrix P P 0 P 1 X Y X Y  X Y Pk 1k k1 Pk 1k k2 Pk 1k km B C  k X2k Yk1 k X2k Yk2 k X2k Ykm C B XQ  YQ D B C :: :: :: :: @ A : : : : P P P X Y X Y    X Y k nk k1 k nk k2 k nk km Wie man an der Multiplikationsvorschrift sieht, ist eine Multiplikation zweier Matrizen nur dann möglich, wenn die Dimensionen der beiden Matrizen zusammenpassen. Will man eine n  m-Matrix mit einer k  l-Matrix multiplizieren, so ist dies nur möglich, falls m D k. Das Ergebnis ist dann eine n  l-Matrix. Im Falle der Multiplikation zweier 3  3-Matrizen ergibt sich wieder eine 3  3-Matrix. Bei Rechnungen mit Matrizen tritt oft die sogenannte transponierte Matrix auf. Man bezeichnet die transponierte Matrix zu XQ mit XQ T . Ausgeschrieben bedeutet dies 0 B B XQT D B @

X11 X12 :: : X1m

X21 X22 :: : X2m

  :: : 

Xn1 Xn2 :: : Xmn

1 C C C A

Man kann sich das so vorstellen, dass man die Elemente der Matrix an der Diagonalen spiegelt. Die transponierte einer n  mMatrix ist eine m  n-Matrix. Auch Vektoren kann man als Matrizen auffassen. Ein Vektor aE wäre in diesem Sinne eine n  1-Matrix 1 0 a11 B a21 C C B aE D aQ D B : C; @ :: A an1 wobei man den zweiten Index dann meist weglässt. Der transponierte Vektor entspricht in diesem Sinne einer 1  n-Matrix   aE T D aQ T D a11 a12    a1n

651 A3

Mathematische Einführung

Man kann unser Skalarprodukt dann auch als Matrixmultiplikation darstellen. ! X T aE  bE D aQ  bQ D a1k bk1 k

Wir haben nun Vektoren als eindimensionale Objekte  aE D .ai / und Matrizen als zweidimensionale Objekte aQ D aij kennengelernt. Man kann dies auf höhere Dimensionen erweitern.  Ein  dreidimensionales Objekt hätte dann drei Indizes aQ D aij k , usw. Man spricht dann von Tensoren. Der Vektor ist ein Tensor erster Stufe, die Matrix ein Tensor zweiter Stufe, usw. Damit sollte die Herkunft des Namens „Trägheitstensor“ geklärt sein. Man kann im Prinzip Tensoren bis zu beliebigen Stufen einführen. In der klassischen Mechanik werden Sie kaum Tensoren mit einer Stufe höher als zwei antreffen. In der allgemeinen Relativitätstheorie findet man allerdings häufig Tensoren bis zur vierten Stufe.

652

Stichwortverzeichnis

Stichwortverzeichnis A abgeleitete Größe, 10, 33 abgeschlossenes System, 117 Ableitung, 58 Abrollen, 260 Absolute Bewegung, 201 absoluter Raum, 83 Achse, 286 Achsenabschnitte, 48 Achslast, 263 Achterbahn, 124 Actio, 94 Adhäsion, 390, 424 aerodynamisches Paradoxon, 421, 450 Aggregatzustand, 337 Aktionsprinzip, 85 Akustik, 546 Amorphe Festkörper, 337 Ampere, 11 Amplitude, 462–464, 522 Amplitudenmodulation, 530 Anfahrwirbel, 452 Anstellwinkel, 446, 448 aperiodischen Grenzfall, 480 Aphel, 210, 213, 644 Äquipotenziallinien, 237 Arbeit, 106, 107, 109, 112, 291 – Einheiten, 111 – Unabhängigkeit vom Weg, 126 Archimedisches Prinzip, 381 Aristoteles, 4, 64, 80 Armbrust, 70 Asteroiden, 216 Atmosphäre, 362 Atommodell, 207 Atomuhr, 17, 18, 28 Auftrieb, 380, 381, 384 – dynamisch, 445 – statisch, 380 Ausbreitungsgeschwindigkeit, 512 Ausfallswinkel, 539 Ausflusswirbel, 193 Auslenkung, 462, 466 Axialbewegung, 190 Axiome, 82 Azimuthwinkel, 49

Bahngeschwindigkeit, 73, 181 Bahngleichung, 239 Bahnkurve, 61, 69 Bahnlinie, 401, 402 Balken, 351, 357 Balkenwaage, 21 Bar, 362 Barometer, 364 barometrische Höhenformel, 377, 378 Basiseinheit, 10 Basisgrößen, 10 Bassbalken, 572 Baukran, 270 Bäume – Wassertransport, 394 bel, 561 Belastungsgrenze, 351 Bernoulli, 409 Bernoulli-Gleichung, 409, 411, 450 beschleunigendes Motorrad, 59 Beschleunigung, 59, 61, 62 Beschleunigungsmethode, 225 Bewegung – geradlinig, 56 – gleichförmig, 53, 55, 56 – ungleichförmig, 57 Bewegungsgleichung, 421 Bezugssystem, 47 – absolut, 201 – beschleunigt, 178, 179, 182, 183, 191–195, 203, 211, 213, 216, 217 – global, 83 – rotierend, 180, 186 Biegeradius, 348 Biegewinkel, 348 Biegung, 347, 348, 350, 357 Bizeps, 269 Blasinstrumente, 570, 573 Blechblasinstrumente, 570 Bogenmaß, 23 Bogenminuten, 23 Boyle-Mariottsches Gesetz, 370, 377 Brahe, Tycho, 206 Bremsen, 304 Bremskraft, 305 Brummkreisel, 311 Büroklammer, 387

B

C

Bahnbeschleunigung, 60 Bahndrehimpuls, 281 Bahnebene, 211

Cabrio, 417 Candela, 12 Cavendish, 223

653 Stichwortverzeichnis

Dämpfung, 475, 477 – schwache, 478 – stark, 479 Dehnung, 342, 345 Dezibel, 561 Dichte, 375 dichteres Medium, 540 Differentialgleichung, 87, 463, 476 – gekoppelt, 496 – inhomogen, 484 – zweiter Ordnung, 529 Differenzenquotienten, 58 differenzierbar, 616 Diskuswurf, 299 Dispersion, 532, 536, 554 dissipative Kraft, 125, 162 Donner, 556 Doppeldecker, 451 Doppelspalt, 541 Dopplereffekt, 562, 565, 566 Drallsatz, 278 Drehimpuls, 212, 278–280, 282, 294 Drehimpulserhaltungssatz, 282 Drehmoment, 250–254, 278, 279, 283, 308 – äußeres, 282 Drehpunkt, 279 Drehwinkel, 332 Dreibein, 49 Druck, 352, 353, 362, 364, 389 – dynamisch, 409 – Messung, 409 – statisch, 409 – total, 409 Druckkraft, 369 dünneres Medium, 540 Durchschnittsgeschwindigkeit, 58 Dynamik, 80 dynamischer Auftrieb, 445, 446, 450 dynamischer Druck, 409

Eigenmoden, 499 Eigenschwingung, 495, 499 Einfallswinkel, 539 Einheit, 10 Einheitsvektoren, 49 Einkristall, 337, 338 Einstein, 194, 235 Eisbärjager, 190 Eisenbahn, 68 Eisstockschießen, 56 Ekliptik, 312 Elastischer Stoß, 147 Elastizitätsgrenze, 346 Elastizitätsmodul, 343, 344, 353 Elastomechanik, 338 elektrischer Widerstand, 431 Ellipse, 207, 240, 643 Emmy Noether, 129 empirischer Ansatz, 166 Energie – Definition, 114 – Federenergie, 116 – kinetische, 115, 116 – Lageenergie, 115 – potenzielle, 116 – Rotation, 291 Energiedichte, 538 Energieerhaltung, 119, 121, 122 – am Pendel, 118 Energieerhaltungssatz, 117 Energieflussdichte, 538 Energienullpunkt, 127 Energiesatz, 117, 122 Energieumwandlung, 119 Eötvös, 223 Epizykel, 206 Epizyklen, 314 Erdradius, 228, 235 Erdrotation, 193, 196 Erhaltungssatz – Drehimpuls, 282 Erkenntnistheorie, 39 Erwartungswert, 32 erzwungene Schwingung, 482 Euler-Gleichungen, 422, 444 Eulerkraft, 201 Euler’scher Drehimpulssatz, 278 Euler’schen Kreiselgleichungen, 327 Experiment, 4, 38, 64, 65 Exzentrizität, 207, 643

E

F

Ebbe, 229 ebene Welle, 520, 525, 526 effektives Potenzial, 212 Eigendrehimpuls, 281

Fadenpendel, 47 Fahrrad, 172, 320 Fahrstrahl, 210 Fallbeschleunigung, 66, 467

CGS-System, 13 chaotisches System, 503 Chladni’sche Klangfiguren, 572, 575 Coriolis, 188 Corioliskraft, 188, 190–194 Corioliswaage, 195 Couette-System, 425 Crashtest, 155

D

A–F

654

Stichwortverzeichnis

Fallexperimente, 64 Fallgesetz, 62, 65, 66, 234 Falsifikation, 39 Falsifizierbarkeit, 38 Federenergie, 116, 464 Federkonstante, 344, 463 Federpendel, 462 Federwaage, 101, 102 Fehler – statistisch, 35 – systemaitsch, 35 Fehlerfortpflanzung, 27, 33 Fehlerrechnung, 33 Feldstärke, 237 FEM, 356 Fernwirkung, 96 Festkörper, 337 Feuertornado, 299 finite Elemente, 356 Finite-Elemente-Methode, 356–358 Fixsterne, 83 Flächensatz, 210 Flaschenzug, 106, 107 Flettner-Rotoren, 457 Fliegen, 446 Fließen, 345 Fließgeschwindigkeit, 408 Fluchtgeschwindigkeit, 236 Flugbahn, 48 Flugzeug, 446 Fluid, 362 – ideal, 403 – ideales, 408 Fluidität, 424 Flüssigkeit, 362 Flut, 229 Flutwelle, 404, 407 Flüssigkeit, 338 Folge, 609 Fontänenuhr, 18 Förderband, 152 Foucault, 196 Foucault’sches Pendel, 196, 197 Fouriertransformation, 533 freie Achse, 320 freie Schwingung, 482 freier Fall, 58, 62 Freiheitsgrad, 250, 496 Freiheitsgrade, 502 Frequenz, 463, 512, 521, 523 Füllfederhalter, 395 Funktionalmatrix, 648

G Galilei, 4, 5 Galilei-Invarianz, 202

Galilei-Transformation, 51 Galileo Galilei, 64, 65 Garnrolle, 254 Gas, 338, 362 Gaußkurve, 32 gedeckter Tisch, 84 Gegengewicht, 270 gekoppelte Schwingungen, 493 Geltungsbereich, 41, 82 geographische Breite, 66 geradlinigen Bewegung, 56 Geschossgeschwindigkeit, 55 Geschwindigkeit, 54, 58, 59 Geschwindigkeitsfeld, 401 Geschwindigkeitsvektor, 55 Gewichtskraft, 112, 228 Gitter, 337 Glas, 424 gleichförmige Beschleunigung, 60 gleichförmige Bewegung, 53 Gleichgewicht – labil, 383 Gleichgewichtslage, 267 Gleitlager, 172 Gleitreibung, 169, 170 Gleitreibungskoeffizient, 170 Globale Wetterbewegungen, 192–195 Golden Gate, 262 Grad, 23 Gradientenoperator, 127 Gravitationsfeld, 88, 237, 556, 560 Gravitationsfeldstärke, 237 Gravitationsgesetz, 218 Gravitationskonstante, 219, 225 Gravitationskraft, 228 Gravitationspotenzial, 237 Gravitationswaage, 223 Grenzflächen, 385 Grenzflächenspannung, 390 Grenzwert, 610, 612 Grenzwertsatz der Statistik, 33 Grenzwinkel, 391 Grundgesetz der Mechanik, 85 Grundgrößen, 10 Grundton, 558 Gruppengeschwindigkeit, 532, 554 Guglielmini, 193 Güte, 488 Gyroskop, 307, 308, 314

H Haftreibung, 164, 167, 168, 303 Haftreibungskoeffizient, 168 Haftreibungskraft, 165 Haftspannung, 390, 391 Hagen-Poiseuille’sches Gesetz, 430, 433

655 Stichwortverzeichnis

Halbachse, 643 Halbparameter, 240, 644 Hammer, 94 Hangabtrieb, 100, 164, 301 Hantel, 281 harmonische Näherung, 463 harmonische Schwingung, 466 Häufigkeitsverteilung, 32 Hauptsatz – Statik, 258 Hauptsatz der Integral- und Differenzialrechnung, 632 Hauptträgheitsachsen, 323 Hauptträgheitsmoment, 324 Hebel, 108 Hebelarm, 250 Heißluftballon, 384 heliozentrisches Weltbild, 206 Höhenmesser, 378 Holzblasinstrumente, 570 Hooke’sches Gesetz, 101, 116, 343, 345, 346, 349, 463 Hume-Kant-Popper’sches Induktionsproblem, 39 Huygens’sche Elementarwellen, 541 Hydraulik, 367 hydrodynamisches Paradoxon, 410 Hydrostatisches Paradoxon, 375

I Imperial System, 13 Impuls, 134 – Definition, 134 Impulserhaltung, 135 Impulssatz, 135, 282 Induktion, 39 Induktionsproblem, 39 Induktionsschluss, 39 Inertialsystem, 83, 176 Ingot, 338 inhomogenen Differentialgleichung, 484 inkompressibel, 372 Inkompressibilität, 371 innere Kräfte, 135 instabiles Gleichgewicht, 267 Integral, 109 – bestimmt, 629 – uneigentliches, 633 Integrand, 632 Intensität, 538, 561 Interferenz, 541, 550 Interval – Musik, 558 Isotropie, 364, 366 Isotropie des Raumes, 282

J Jacobimatrix, 648

Jakobideterminante, 649 Joule, 107

K Kapillargesetz, 393, 394 Kapillarität, 392, 395 kartesische Koordinaten, 48 Karussell, 177, 182 Kegelschnitt, 207, 644 Keilglas, 392 Kelvin, 11 Kepler, 5, 206 Kepler’sches Gesetz – drittes, 216 – erstes, 207 – zweites, 210 Kerzen ausblasen, 440 Kibble-Waage, 21 Kilogramm, 11, 19 Kinematik, 53 Kinesis, 80 kinetische Energie, 115 Kirchenfenster, 425 Klang, 558 klassische Mechanik, 41 Knoten, 356 Knotenpunkt, 314 Kohäsion, 385, 390 Kometen, 213 kommunizierende Röhren, 374 kompressibel, 376 Kompressibilität, 370, 371 Kompression, 352, 354, 370 Kompressionsmodul, 370 konservative Kraft, 126 Konstanz der Naturgesetze, 130 Kontinuitätsgleichung, 406 Koordinate, generalisierte, 469, 502 Koordinate, verallgemeinerte, 469, 502 Koordinatensystem, 49 – kartesisch, 48 – rechtwinklig, 48 – zylindrisch, 48 Koordinatentransformationen, 49 Koordinatenursprung, 47 Kraft, 82, 96 – dissipativ, 125 – konservativ, 126, 235 – Messung, 79, 101 – rücktreibend, 462 – zeitabhängig, 90 Kraftarm, 250, 251 Kräfte – Addition, 99 Kräftepaar, 259 Kräfteparallelogramm, 99

F–K

656

Stichwortverzeichnis

Kraftmesser, 99, 101 Kraftstoß, 155, 156, 307 Kran, 107 Kreisbewegung, 45, 73 Kreisel, 308 – asymmetrisch, 324 – oblat, 324 – prolat, 324 – sphärisch, 324 – stabile Achse, 330 – symmetrisch, 324 Kreiselgleichung, 310 Kreiselinstrument, 308 Kreiselkompass, 318 Kreisfrequenz, 463 Kreiswelle, 520, 525 Kreuzprodukt, 251, 278 Kriechfall, 476, 479 Kristallgitter, 337 kristalline Struktur, 337 Kugelkoordinaten, 48, 49, 649 Kugellager, 172 Kugelstoßpendel, 149 Kugelwelle, 526 Kupferdraht, 342 Kurbelwelle, 253 Kurvendiskussion, 621

L labiles Gleichgewicht, 267 Lageenergie, 115, 236 Länge, 13 Längenänderung – bei Dehnung, 343 Längeneinheit, 11 Laplace’scher Dämon, 472 Laserentfernungsmesser, 15 Lautstärke, 557, 561 Leistung, 110 – Rotation, 292 Leiter, 270 Leonardo da Vinci, 128 Lichtgeschwindigkeit, 15, 42 lineare Wellen, 520 longitudinale Polarisation, 526 longitudinale Welle, 509, 546 Looping, 124 Lot, 540 Luftdruck, 378 Luftgewehr, 55 Luftkissenbahn, 92, 135, 146 Luftwiderstand, 162, 445

M Mach’scher Kegel, 568, 569

Machzahl, 569 Magnus-Effekt, 454–457 Manometer, 363, 366 – mikroskopisch, 413 Masse, 86 – schwere, 234 – träge, 234 Massenbelegung, 528 Massenmittelpunkt, 136, 137, 145, 256 Massenpunkt, 46, 248 Massenstrom, 195, 404 Massenstromdichte, 406 Maßzahl, 10 Materialkonstante, 38, 167 mathematisches Pendel, 473 Matrix, 649 – Multiplikation, 650 – transponiert, 650 Maxwell-Rad, 305 Mechanik, 4 Medium, 523, 563 Medizinball, 95 Meniskus, 390 Meridianquadrant, 14 Messfehler, 28 Messgröße, 10 Messwert, 28 Meter, 11, 13 Mitbewegung Sonne, 214 Mitteleuropäische Zeit, 18 Mittelwert, 32 Modell, 38 modernen Physik, 6 Mol, 12 Mondbahn, 141 Monochord, 570 monoton steigend, 613 Mößbauer, 4 Musikinstrumente, 569 Mysterium Cosmographicum, 206

N Näherungsverfahren, 229 Naturgesetze, 4 Naturkonstante, 38, 223 Naturwissenschaft, 4 Navier-Stokes-Gleichungen, 444 Neptun – Entdeckung, 209 neutrale Faser, 348, 358 Neutronenstern, 295 Newton, 5, 81, 217 Newton (Einheit), 93 Newton’sche Axiome, 122, 176 – drittes, 94 – erstes, 82

657 Stichwortverzeichnis

– veränderliche Masse, 152 – zweites, 85, 134, 139 Nicht-Inertialsysteme, 176 Noether-Theorem, 129, 135, 282 Nonius, 16 Normalbeschleunigung, 60 Normalkraft, 100, 164, 301 Normalmoden, 495, 499 Normalverteilung, 32, 33 Nulldurchgang, 464 numerische Exzentrizität, 240, 644 numerische Integration, 91 numerische Verfahren, 356 Nutation, 314, 316

O Oberflächenenergie, spezifische, 386 Oberflächenspannung, 385–388, 390, 392 – Messung, 387 Obersumme, 628 Obertöne, 558, 572 Ohm’sches Gesetz, 431 Ohr, 557 Oktave, 558 Orgelpfeifen, 555 Ortsbewegung, 80 Ortsfunktion, 61, 69, 70

P Papierchromatografie, 395 Parallelschaltung, 432 Parcours, 298 Parfumflasche, 417 partielle Integration, 633 Pascal, 343, 362, 365 Pauke, 575 Pendel, 111 Perihel, 210, 213, 644 Periheldrehung, 209 Periodendauer, 462, 463 Perpetuum Mobile, 122, 128 – 1. Art, 128 Pferdestärke, 11, 111 phänomenologische Gesetze, 166 phänomenologischer Ansatz, 166 Phase, 464 Phasengeschwindigkeit, 527, 529, 532 Phasenraum, 471, 481 Phasenraumellipse, 472 Phasensprung, 510 Phasenverschiebung, 487 Philosophie, 4 Physik, 4 – experimentell, 39 – klassisch, 41

– theoretisch, 39 physikalische Größe, 10 physikalisches Pendel, 465 Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, 18 Pirouette, 191, 294 Pirouetteneffekt, 191, 297 Pitotrohr, 413 Planck’sches Wirkungsquantum, 42 Planetenbahnen – Teil 1, 211 – Teil 2, 213 – Teil 3, 239 Platonische Körper, 206 Plattenfeder-Manometer, 363 Pohl’sches Rad, 484 Poise, 424 Poisson-Zahl, 345 Polarisation, 526 – longitudinal, 526 – transversal, 526 Polarisationszustände, 526 Polarwinkel, 49 polykristallin, 338 Polykristalline Körper, 337 Potenzial, 128 potenzielle Energie, 116, 126, 236 – Definition, 127 Prandtl’sches Staurohr, 414, 415, 446 Präzession, 307, 312 – Erdachse, 316 psi, 362 ptolemäisches Weltbild, 206 Punkt, 46 Punktmasse, siehe Massenpunkt

Q Quantenfeldtheorie, 42 Quantentheorie, 42 Quecksilbersäule, 362 Querkontraktion, 345 Querkontraktionsfaktor, 345 Quinte, 558

R Radfahren, 320 Radialbewegung, 189 Radialgeschwindigkeit, 88 Radiant, 12, 23 Rakete, 96, 138 Raketengleichung, 153 Raketenwagen, 154 Raumkrümmung, 42 Raumwinkel, 12, 23 Reactio, 94, 95, 176, 181 Reaktionsprinzip, 94

K–R

658

Stichwortverzeichnis

Rechte-Hand-Regel, 278 reduzierte Masse, 140, 215 Reflexion, 510 – festes Ende, 510 – loses Ende, 510 Reflexionsgesetz, 539 Reflexionswinkel, 539 Regentropfen, 443 Reibung, 162, 475 – Fluid, 427, 433 – Flüssigkeit, 423 – innere, 403 – mikroskopisches Bild, 168 Reibungskoeffizienten, 168 Reibungskraft, 162, 476 – mikroskopisch, 427 Reibungswärme, 162, 171 Reihenschaltung, 432 reine Stimmung, 560 Relativgeschwindigkeit, 152 Relativitätsprinzip, 202 Relativitätstheorie, 42, 532 – allgemeine, 42, 235 – spezielle, 42 Resonanz, 487, 490 Resonanzamplitude, 488 Resonanzfrequenz, 488 Resonanzkatastrophe, 488, 491 Resonanzkörper, 569, 575 Restitutionskoeffizient, 143 Reynoldszahl, 443, 444 – Beispiele, 444 Rohrwiderstand, 431 Rollbedingung, 300 Rollen, 300, 302 Rollenlager, 172 Rollreibung, 172 Rollwiderstand, 172 Rotation, 46, 85, 250, 332 – beschleunigt, 284 – feste Achse, 282 – freie Achse, 330 Rotationsenergie, 291 Rotationsgeschwindigkeit, 294 Rotationssymmetrie, 282 Rotationsviskosimeter, 425 rotierende Flüssigkeit, 185 rotierender Eimer, 186 Rückstellkraft, 462, 466, 476, 484 Rückstoß, 95 rücktreibenden Kraft, 462 Ruhelage, 462

S Saiteninstrumente, 569 Sakai-Kreisel, 312

Saros-Zyklus, 312, 314 Satz von Steiner, 289 S-Bahn, 177 Schall, 546, 557 Schallausbreitung, 548, 549, 551 Schallempfinden, 556 Schallgeschwindigkeit, 529, 554, 555 Schallmauer, 566, 569 Schallwelle, 524, 546, 547 Schaltsekunde, 17 Scheinkraft, 176, 179, 188 Scherung, 354, 422 Scherungswinkel, 354 Schiebelehre, 16 schiefe Ebene, 65, 99, 164, 167, 169, 170 schiefer Turm von Pisa, 64 Schiffschraube, 446 Schlaginstrument, 570, 575 Schlupf, 302 Schmierfilm, 162 Schneeflocke, 129 Schraubenschlüssel, 252 Schub, 153 Schubmodul, 354 Schubspannung, 354 Schweben, 380, 381 Schwebung, 500, 530 Schwerebeschleunigung, 66 Schweredruck, 373–375, 411 Schwereinformationssystem SIS, 66 Schwerkraft, 112, 411 Schwerpunkt, 46, 141, 255–257 – Halbkugel, 257 Schwerpunktsatz, 138, 214 Schwerpunktsystem, 143 Schwimmen, 380, 381 – Büroklammer, 387 Schwimmer, 56 Schwingung, 462 – anharmonisch, 473 – erzwungen, 482 – frei, 482 – gekoppelt, 493 – harmonische, 466 – schwach gedämpft, 479 Schwingungsbauch, 514 Schwingungsknoten, 514 Schwingungsmoden, 571 Schwingungsperiode, 523 Schwungradspeicherung, 292 Schwungradsteuerung, 295 Searle-System, 425 Segel, 446 Segeln, 101 Seifenblase, 388 Seilbahn, 262 Seilkraft, 97

659 Stichwortverzeichnis

Seilwelle, 527 Sekunde, 11, 16, 18 Sequoia, 394 Serienschaltung, 432 Sicherheitsgurt, 155 Silizium, 338 Sinken, 381 SI-System, 11 Skalarprodukt, 107, 608 Skateboards, 95 Skifahrer, 117 Spannung, 358 – Zug-, 343 Spannungs-Dehnungs-Diagramm, 346 Spannungsdoppelbrechung, 348 Sphären, 217 Spin, 281 Spoiler, 446 Sportklettern, 155 Sportwagen, 61 Stabhochsprung, 119 stabiles Gleichgewicht, 267 Stabilität, 266 Stammfunktion, 619, 632 Standardabweichung, 32 Standfläche, 266 starrer Körper, 248, 249 starrer Körper, 337 Statik – Hauptsatz, 258 stationäre Lösung, 484 statischer Auftrieb, 380 statischer Druck, 409 Statistik – Grenzwertsatz, 33 statistischer Fehler, 35 Stauchung, 352 Staudruck, 409 Staupunkt, 437 stehende Welle, 511, 512, 547 Steifigkeit, 351 Steigrohr, 409 Steiner – Satz von, 289, 290, 301, 323, 333 Steinetreppe, 268 Steradiant, 12, 23 Stoffmenge, 12 Stokes’sche Reibung, 434 Stokes’sches Gesetz, 434, 435, 438 Stoß – elastisch, 142, 144, 147, 148 – inelastisch, 143 – total inelastisch, 143, 145, 146 Stoßprozesse, 142 Stoßzahl, 143 Streckgrenze, 346 Stroboskop, 515, 520

Stroboskopaufnahme, 58 Stromlinie, 402 Strömung, 398, 400, 443 – laminar, 402, 427, 443 – stationär, 401 – turbulent, 402, 436, 443 Strömungswiderstand, 438 Sturm, 418 Substitution, 633 Super Nova, 295 Superposition, 68–71, 79, 98 Superpositionsprinzip, 98, 99, 541 Symmetrie, 129 Symmetrietransformation, 129, 282 System – abgeschlossen, 117 systematischer Fehler, 35

T Tageslänge, 17 Tangentialbewegung, 189 Tarierweste, 382 Taucher, 382 Taylorentwicklung, 646 Temperatur, 11 Tensor, 651 Theorie, 39, 82 Tonhöhe, 557 Tonintervalle, 558 Top-Spin, 456 Torr, 364 Torsion, 355 Torsionsfaden, 224 Torsionsmodul, 354 Torsionspendel, 288 Torsionsschwingungen, 495 Total inelastischer Stoß, 145, 146 totaler Druck, 409 Trägheit, 84, 85, 366, 398, 520, 547 Trägheitsellipsoid, 322 Trägheitsgesetz, 82 Trägheitskraft, 176 Trägheitsmoment, 283, 285–287, 289, 294, 320 – Berechnung, 285 – Messung, 288 – polar, 285 Trägheitstensor, 320, 321 Trajektorie, 61 Translation, 250, 332 Translationssymmetrie des Raumes, 135 Transpirationssog, 394 transversale Polarisation, 526 transversale Welle, 509 Tripelpunkt, 11 Trojaner, 216, 233 Trommelfell, 557

R–T

660

Stichwortverzeichnis

Trompete, 573 Trudeln, 312, 326, 330 Turmspringen, 67

U Überlagerung, 512 Überschallknall, 566, 569 Uhren, 18 Ultraschall, 547 Umkehrfunktion, 624 Umkippen eines Körpers, 266 Umlaufzeit, 216 Umwelteinflüsse, 64 Universal Time Coordinated, 18 Untersumme, 629 Urkilogramm, 11, 19, 20 Urmeter, 14

V Vektor – axial, 251, 641 Vektoren, 606 Vektorintegral, 638 Venturirohr, 417 Verdeck, 417 Verdrillung, 355 Vergaser, 416 Verifikation, 39 Verschleiß, 162, 171 Vertrauensintervall, 33 Viskosität, 403, 424 – kinematische, 424 – Messung, 425 – Tabelle, 424 Volumenänderung, 352, 353 Volumenarbeit, 409 Volumenstrom, 403, 429 Vorhersagen, 4, 38

W Waage, 21 wahrer Wert, 28 Wahrscheinlichkeitsverteilung, 32 Wasserdruck, 378 Wasserläufer, 387 Wasserstrahl, 70 Wasserwelle, 520 Watt, 110 Weg-Zeit-Gesetz, 61 Welle, 507 – 1-dimensional, 520, 525 – 2-dimensional, 520, 525 – 3-dimensional, 520 – eben, 525, 526 – Energiedichte, 538

– Energieinhalt, 536 – Intensität, 538 – linear, 520 – stehend, 511 Wellenberg, 511, 520 Wellengleichung, 529, 553 Wellenlänge, 512, 521–523 Wellenpaket, 530 Wellental, 511, 520 Wellenvektor, 525 Wellenzahl, 523, 525 WELMEC-Formel, 66 Wendepunkt, 464 -Wert, 445 Widerstandsbeiwert, 438 – Tabelle, 439 Wilberforce-Pendel, 495 Windkanal, 402 Windrad, 446 Winkel, 12 Winkelbeschleunigung, 283, 301, 333 Winkelgeschwindigkeit, 181, 332, 463, 641 Winkelmaß, 21, 23 Winkelrichtgröße, 355 Wirbel, 402, 437, 452 Wirbelstrombremse, 483 Wirkungslinie, 250 Wirkungsquantum, 42 Wissenschaftstheorie, 39 Wurfbewegung, 67, 71, 88 Wurfparabel, 70 Wurzeldruck, 394

Y Young’scher Modul, 343 Yo-Yo, 305

Z Zähigkeit, 424 Zahlenwert, 10 Zeittranslation, 130 Zentralkraft, 207 Zentrifugalkraft, 181, 182, 184, 186, 188, 191–195, 203, 211, 213, 216, 217 Zentrifugalpotenzial, 212 Zentripetalbeschleunigung, 60, 73, 74, 181 Zentripetalkraft, 181 Zerstäuber, 417 Zugfestigkeit, 345, 346, 352 Zugspannung, 343 Zwangsbedingung, 195, 469 Zwangskraft, 469 Zweikörperproblem, 139, 141, 215 Zylinderkoordinaten, 48, 649 Zylinderwelle, 526

springer-spektrum.de

Experimentalphysik anschaulich erklärt – für Ausbildung und Studium S. Roth, A. Stahl Der Mechanik-Coach Begleitbuch zum Online-Kurs Experimentalphysik | Mechanik

S. Roth, A. Stahl Elektrizität und Magnetismus Experimentalphysik – anschaulich erklärt

2022, etwa 150 S., 40 Abb., 30 Abb. in Farbe, brosch. € (D) 39,99 | € (A) 38,81 | CHF 44.00 ISBN 978-3-662-63617-6

2018, XIV, 606 S., 770 Abb., brosch. € (D) 44,99 | € (A) 46,26 | CHF 50.00 ISBN 978-3-662-54444-0 eBook € 34,99 | CHF 40.00 ISBN 978-3-662-54445-7(eBook)

• Macht fit für die Prüfung der Experimentalphysik-

• Begeistert durch moderne, reich bebilderte und



• Erleichtert das Auffinden von Inhalten durch klare



Vorlesung zur Mechanik! Enthält freien Zugang zum Online-Kurs Experimentalphysik | Mechanik Ergänzendes Begleitbuch zum Online-Kurs mit Glossar, Zusammenfassungen, Platz für eigene Notizen uvm.

ansprechende Aufmachung farbige Strukturierung

• Bietet zeitgemäßen Zugang zur Elektrodynamik

S. Roth, A. Stahl Optik Experimentalphysik – anschaulich erklärt

S. Roth, A. Stahl Mechanik und Wärmelehre Experimentalphysik – anschaulich erklärt

2019, XI, 513 S., 700 Abb. in Farbe, brosch. € (D) 34,99 | € (A) 35,97 | CHF 39.00 ISBN 978-3-662-59336-3 eBook € 26,99 | CHF 31.00 ISBN 978-3-662-59337-0 (eBook)

2016, XIX, 738 S., 267 Abb. in Farbe, brosch. € (D) 44,99 | € (A) 46,26 | CHF 50.00 ISBN 978-3-662-45303-2 eBook € 34,99 | CHF 40.00 ISBN 978-3-662-45304-9 (eBook)

• Präsentiert den Vorlesungsstoff der Optik für das

• Veranschaulicht Mechanik und Wärmelehre







Bachelorstudium Physik im Haupt- und Nebenfach reich bebildert Bietet eine klare, vielfarbige Strukturierung der Inhalte, Aufgaben und Experimente Enthält mathematische Grundlagen



anhand vieler Beispiele aus Natur, Technik und Wissenschaft Erarbeitung des Stoffes anhand von ausführlich beschriebenen Experimenten und veranschaulichenden Bildern Ermöglicht eine Vertiefung anhand von Übungsaufgaben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden

€ (D): gebundener Ladenpreis in Deutschland, € (A): Preis in Österreich. CHF: unverbindliche Preisempfehlung. Alle Preise inkl. gesetzl. MwSt. zzgl. evtl. anfallender Versandkosten.

Jetzt bestellen auf springer.com/shop oder in Ihrer Buchhandlung A106713

iversity.org

STUDYBUDDY-KURSE Unterstützung bei der Prüfungsvorbereitung



Jetzt anmelden

• Inhalte basieren auf erfolgreichen Springer Lehrbüchern und sind angereichert mit digitalem Content

• Mobiles Lernen in der eigenen Geschwindigkeit • „Fast Track”-Variante für Studis kurz vor der Prüfung sowie

„In Depth”-Inhalte für Studierende, die Bestnoten anstreben

• Zusatzmaterial wie Audio und Video, online und offline

• Überprüfung des Lernstatus mittels Fortschrittsbalken

• Kurse in Biochemie, Entwicklungspsychologie, Experimentalphysik, Genetik und Statistik

• Kurs für Studierende aller Fachrichtungen: "Wie lernt man richtig?"

springernature.com A106363

springer-spektrum.de

Auf zu neuen Lernwelten mit Springer Spektrum! Die neue Springer Lehrbuchplattform für dein Physikstudium Mit Lexikon, Prüfungsfragen und Videos für das Bachelor- und Masterstudium

• • •

Du willst dich online auf deine Prüfungen vorbereiten? Du hast das passende Lehrbuch noch nicht gefunden? Du stehst kurz vor einer Prüfung, hast aber noch keinen Überblick?

Kein Problem: Auf lehrbuch-physik.springer.com haben wir wichtige Springer Spektrum-Lehrbücher zu allen Themen der Physik zusammengestellt! Dazu gibt es umfangreiche Materialien und Lernangebote: Lernkarten zu den einzelnen Lehrbüchern, ein umfangreiches Lexikon, interessante, thematisch passende Videos, unsere Facebook News und vieles mehr! Für Dozentinnen und Dozenten gibt es exklusiv vorbereitete Präsentationen mit Abbildungen passend zur Vorlesung.

lehrbuch-physik.springer.com A75957

springer.com

Willkommen zu den Springer Alerts Unser Neuerscheinungs-Service für Sie: aktuell | kostenlos | passgenau | flexibel

Mit dem Springer Alert-Service informieren wir Sie individuell und kostenlos über aktuelle Entwicklungen in Ihren Fachgebieten. Abonnieren Sie unseren Service und erhalten Sie per E-Mail frühzeitig Meldungen zu neuen Zeitschrifteninhalten, bevorstehenden Buchveröffentlichungen und speziellen Angeboten. Sie können Ihr Springer Alerts-Profil individuell an Ihre Bedürfnisse anpassen. Wählen Sie aus über 500 Fachgebieten Ihre Interessensgebiete aus. Bleiben Sie informiert mit den Springer Alerts.

Mehr Infos unter: springer.com/alert A82259 | Image: © Molnia / Getty Images / iStock

Jetzt anmelden!