Wissen - Vorsatz - Zurechnung [1 ed.] 9783161609046, 9783161609053, 3161609042

Der Umgang mit Wissensnormen ist in vielerlei Hinsicht von grundlegenden Unsicherheiten geprägt. Im Mittelpunkt steht da

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Wissen - Vorsatz - Zurechnung [1 ed.]
 9783161609046, 9783161609053, 3161609042

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Einführung
A. Wissen als Element des Tatbestands privatrechtlicher Normen
I. Unsicherheiten im Umgang mit dem Wissensbegriff
II. Unsicherheiten bei der Inbezugnahme von Wissen
1. Erklärungswille – Erklärungsbewusstsein – Erklärungsverschulden
2. Geschäftsführungswille – Geschäftsführungsbewusstsein – Geschäftsführungsvorsatz
3. Delegationswille – Delegationsbewusstsein – Delegationsvorsatz
4. Wissensverantwortung – Vorsatzverantwortung
5. Wissentliches Verschweigen – arglistiges Verschweigen – vorsätzliches Verschweigen
6. Bewusste Ausbeutung – vorsätzliche Ausbeutung
a) Wucher (§ 138 Abs. 2 BGB)
b) Wucherähnliches Rechtsgeschäft (§ 138 Abs. 1 BGB)
III. Unsicherheiten hinsichtlich der Zurechnung von Wissen
1. Wissenszurechnung
2. Vorsatzzurechnung (Verschuldenszurechnung)
3. Nebeneinander von Wissens- und Verschuldenszurechnung?
B. Gang der Untersuchung
Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung
A. Wissen
I. Ausgangspunkt: Die klassische erkenntnistheoretische Konzeption von Wissen
1. Wissen als wahre begründete Meinung
a) Meinung oder Überzeugung
b) Wahrheit
c) Begründung (epistemische Rechtfertigung)
d) Unvollkommenheit der klassischen Wissenskonzeption (Gettier und Folgende)
2. Objekt der Wissensrelation (Gegenstand von Wissen)
3. Subjekt der Wissensrelation (Wissensträger; epistemisches Subjekt)
a) Die natürliche Person als Wissensträger
b) Gruppen als Wissensträger?
aa) Einführung
bb) Kollektivistische Ansätze
cc) Individualistische Ansätze
dd) Prozessbezogene Ansätze
ee) Relevanz für die Zwecke des Privatrechts
c) Wissen ohne Wissensträger – ePerson als Wissensträger?
4. Abschließende Einordnung
II. Wissen und Kenntnis
III. Wissen, Vermutung und Zweifel
IV. Wissen als innere Tatsache
1. Rechtsanwendungsbezogene Objektivierung von Wissen
2. Insbesondere: Erfahrungssätze und Alltagstheorien
3. Die Formel vom Sichverschließen
a) Die Formel vom Sichverschließen in der Rechtsprechung des BGH
b) Einordnung als Erfahrungssatz
c) Einordnung als Modifikation des Objekts der Wissensrelation
d) Quasi-Positivierung durch tatbestandliche Gleichstellung objektiver Evidenz
e) Geltung für Tatsachen- und Rechtswissen
f) Irrelevanz in Bezug auf Arglist- bzw. Vorsatztatbestände
4. Daten- und Aktenwissen
a) Ausgangspunkt
b) Einordnung
c) Abgrenzung zur Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels
V. Bezugspunkte des Wissens
1. Tatsachenwissen
2. Rechtswissen
a) Relevanz von Rechtswissen
b) Parallelwertung in der Laiensphäre bzw. der Maßstab des redlich Denkenden
VI. Wissen und fahrlässiges Nichtwissen (Wissenmüssen)
1. Systemprägende Unterscheidung zwischen Wissen und fahrlässigem Nichtwissen
2. Teleologische Spaltung relativer Wissensnormen
B. Wissenszurechnung
I. Überblick
II. § 166 BGB: Punktuell-erklärungsbezogene Zurechnung von Willensmängeln, Wissen und Wissenmüssen im Verhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem
1. Unmittelbarer Anwendungsbereich
2. Unmittelbarer Regelungsgegenstand
a) § 166 Abs. 1 Fall 2 BGB: Maßgeblichkeit des Wissens usw. des Vertreters (punktuelle Wissenszurechnung)
b) § 166 Abs. 1 Fall 1 BGB: Grundsätzliche Unbeachtlichkeit des Wissens usw. des Vertretenen (Ausschluss der Wissenszusammenrechnung)
c) § 166 Abs. 2 BGB: Ausnahmsweise Beachtlichkeit auch des Wissens (Wissenmüssens) des Vertretenen (Wissenszusammenrechnung)
III. § 166 Abs. 1 BGB analog: Die Rechtsprechung des BGH zur sogenannten Wissensvertretung
1. Einführung
2. Der Tatbestand der Wissensvertretung: Erstreckung von § 166 BGB auf eigenverantwortlich tätige Repräsentanten ohne Vertretungsmacht
3. Folgen der Aufgabe der tatbestandlichen Beschränkung auf Stellvertretungsfälle und die rechtlichen Folgen von Willenserklärungen
a) Erweiterung des Anwendungsbereichs
b) Erweiterung der Reichweite der Zurechnung
4. Besonderheiten im Verjährungsrecht und für Ansprüche von Behörden
5. Kritik
IV. Die Rechtsprechung des BGH zum Organisationsmangel als Zurechnungsgrund
1. Urteil vom 8.12.1989 (Altbürgermeister/Gemeinde)
2. Urteil vom 24.1.1992 (Mitarbeiter des Baurechtsamts/Gemeinde)
3. Urteil vom 2.2.1996 (GmbH & Co. KG)
4. Urteil vom 13.10.2000 (Wissenszurechnung nur innerhalb der Struktureinheit, deren Aufgaben wahrzunehmen waren)
5. Urteil vom 13.1.2004 (Vorstandsmitglieder/Bank) und vom 18.1.2005 (Mitarbeiter/Bank I)
6. Urteil vom 15.12.2005 (Mitarbeiter/Bank II)
7. Urteile vom 11.7.2007 und vom 16.7 2009 (Mitarbeiter/Versicherungsunternehmen)
8. Urteil vom 10.12.2010 (Mitarbeiter des Bauordnungs- und des Sozialamts/Gemeinde)
9. Urteil vom 19.3.2021 (Erbe/Testamentsvollstrecker)
10. Besonderheiten im Verjährungsrecht und für Ansprüche von Behörden
11. Kritik
a) Normative Anknüpfung
b) Gleichstellungsargument
c) Verkehrsschutz- und Vertrauensargument
V. Absolute Wissenszurechnung im Verband
1. Einführung
2. Organtheorie
3. Regeln der Passivvertretung
4. Vertretertheorie
VI. Spezialregelungen
1. Wissenszurechnung bei Gläubigerwechsel durch Abtretung oder Legalzession und bei Wechsel einer Partei kraft Amtes
2. Wissenszurechnung bei Gesamtrechtsnachfolge – insbesondere: keine Vererbung von Wissen
3. Versicherungsvertragsrechtliche Sonderregelungen
a) § 2 Abs. 3 VVG: Generelle Zusammenrechnung des Wissens von Vertreter und Vertretenem
b) § 70 VVG: Zurechnung des Wissens von Versicherungsvertretern zulasten des Versicherers
c) Weitere versicherungsvertragsrechtliche Spezialregelungen
VII. Rechtsvergleichendes Panorama
VIII. Fazit
Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung
A. Vorsatz
I. Die Prägung des Vorsatzbegriffs durch die personale Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen
II. Erscheinungsformen des Vorsatzes
1. Absicht
2. Wissentlichkeit
3. Bedingter Vorsatz
III. Konkrete Möglichkeitsvorstellung im Sinne bedingten Wissens als hinreichendes kognitives Tatbestandselement
IV. Unentbehrlichkeit des voluntativen Tatbestandselements
V. Vorsatz als innere Tatsache
1. Feststellung des kognitiven Tatbestandselements
2. Feststellung des voluntativen Tatbestandselements
a) Feststellung des voluntativen Elements der Wissentlichkeit
b) Feststellung des voluntativen Elements des bedingten Vorsatzes bei erkannter Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung
c) Feststellung des voluntativen Elements des bedingten Vorsatzes bei bloßer Möglichkeitsvorstellung
3. Wechselseitige Ergründungs- und Besicherungsfunktion von kognitivem und voluntativem Vorsatzelement
VI. Bezugspunkte des Vorsatzes
1. Tatsachen und rechtliche Schlussfolgerungen
2. Rechts-, Pflicht- und Obliegenheitswidrigkeit („Unrechtsbewusstsein“)
a) Ausgangspunkt: Die Vorsatztheorie
b) Haftung für Fahrlässigkeit
c) Maßstab
d) Entbehrlichkeit des „Unrechtsbewusstseins“
aa) Problemaufriss
bb) Die Rechtsprechung des BGH zu § 826 BGB
cc) Die Rechtsprechung des BGH zu § 20 Abs. 7 S. 2 AktG und die Diskussion um einen speziellen kapitalmarktrechtlichen Vorsatzbegriff
dd) Die Rechtsprechung des BGH zur arglistigen Täuschung
3. Schlussfolgerung
VII. Arglist
1. Überblick
2. Arglist als – auch bedingter – Vorsatz
3. Bezugspunkte des Täuschungsvorsatzes
4. Arglistige Täuschung durch unrichtige Angaben ins Blaue hinein
a) Tatbestand
b) Abgrenzung zur Verantwortlichkeit für fahrlässige Falschinformation
5. Arglist und vorsätzliche sittenwidrige Schädigung
6. Historische Besicherung: Vom „wissentlichen Verschweigen“ zum „arglistigen Verschweigen“
B. Vorsatzzurechnung
I. § 278 BGB als Kardinalnorm der Arbeitsteilung
1. Teleologische Erwägungen
a) Überblick
b) Verantwortlichkeit für Erfüllungsgehilfen
c) Verantwortlichkeit für gesetzliche Vertreter
2. Anwendungsbereich: Bestehende Sonderverbindung
a) Überblick
b) Unanwendbarkeit auf Tatbestände, die eine Sonderverbindung erst begründen (insbesondere: Deliktsrecht)
c) Anwendbarkeit auf verschuldensabhängige Folgetatbestände
aa) Vertragsschlussbezogene Verschuldenstatbestände
bb) Geschäftsführung ohne Auftrag
cc) Eigentümer-Besitzer-Verhältnis
dd) Bereicherungsrechtliches Ausgleichsverhältnis
d) § 123 BGB: Erfüllungsgehilfe als Nicht-Dritter
3. Gesetzlicher Vertreter
4. Erfüllungsgehilfe
a) Tätigwerden nach den tatsächlichen Umständen mit dem Willen bzw. mit Wissen und Wollen des Schuldners
b) Begrenzung der Zurechnung in personaler Hinsicht
c) Begrenzung der Zurechnung in gegenständlicher Hinsicht
d) Explikation von § 278 S. 1 Alt. 2 BGB als Vorsatztatbestand
5. Tätigwerden in Erfüllung einer Verbindlichkeit des Schuldners
a) Pflichtenkreis des Schuldners
b) Insbesondere: Beachtung von Obliegenheiten (Pflichtenkreis im weiteren Sinne)
c) Sachlicher Zusammenhang mit dem zugewiesenen Aufgabenbereich
6. Regelungsgegenstand: Verhaltens- und Verschuldenszurechnung
II. § 31 BGB als Spezialregelung für Verbände
1. Einführung
2. Anwendungsbereich
a) Verbände
b) Organe, Organmitglieder und andere verfassungsmäßig berufene Vertreter
c) Erstreckung auf Repräsentanten
d) Organisationsmangel als Zurechnungsgrund
3. Verhalten in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen
4. Regelungsgegenstand: Verhaltens- und Verschuldenszurechnung
a) Verhaltenszurechnung
b) Verschuldenszurechnung
c) Weitergehende Zurechnungswirkung?
5. Verhältnis zu § 278 BGB
a) Unterschiede zwischen § 31 und § 278 BGB
b) Identität des materiellen Geltungsgrunds
c) Die Besonderheiten des von § 31 BGB adressierten Verhältnisses
III. Begründung von Verschulden im Wege der Wissenszurechnung
IV. Spezialregelungen
1. Besondere Zurechnungstatbestände des BGB
2. Handelsrechtliche Leutehaftung
3. Besondere versicherungsvertragsrechtliche Zurechnungstatbestände
a) § 20 VVG: Zurechnung von Kenntnis, Arglist und Vorsatz des Vertreters zulasten des Versicherungsnehmers im Rahmen des Vertragsschlusses
b) §§ 47 Abs. 1, 156, 176, 179 Abs. 3, 193 Abs. 2 VVG: Zurechnung von Wissen und Verhalten des Versicherten zulasten des Versicherungsnehmers
4. Zivilprozessuale Zurechnungstatbestände
5. Insolvenzrechtliche Besonderheiten
a) Überblick
b) Die Sonderregelung des § 60 Abs. 2 InsO
c) Einstandspflicht des Insolvenzverwalters für das Verschulden sachkundiger Personen
6. Bewertung
Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände – Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung
A. Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände
I. Wissen als norm- und erfahrungssatzgeprägtes Tatbestandsmerkmal
II. Fehlen einer stringenten funktionalen Unterscheidung zwischen Wissenstatbestand und Vorsatz- bzw. Verschuldenstatbestand im positiven Recht
III. Willentliches Verhalten trotz Wissens als vorsätzliches Verhalten
1. Die Irrelevanz „nackten Wissens“ im Recht
2. Wissenstatbestand als Vorsatztatbestand – absolute Wissensnorm als absolute Vorsatznorm
a) Ausgangspunkt
b) Die Vorsatzform der Wissentlichkeit als in einen Verhaltensbezug gesetztes unbedingtes Wissen
c) Der bedingte Vorsatz als in einen Verhaltensbezug gesetztes bedingtes Wissen
d) Die Absicht
3. Tatbestandsmäßigkeit nur der Wissentlichkeit?
a) Audrücklich geregelte Fälle
b) Insbesondere: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)
c) Nicht ausdrücklich geregelte Fälle
4. Fazit: Kategoriale Gleichartigkeit von Wissens- und Vorsatztatbeständen im geltenden Recht
IV. Teleologische Identität von Wissens- und Vorsatztatbestand hinsichtlich des Kriteriums der Aufwandsfreiheit
V. Relative Wissensnorm als Verschuldensnorm: Überwindung der vermeintlichen Verschiedenartigkeit von Wissen und Wissenmüssen
VI. Auflösung der Kategorie des Rechtswissens
VII. Auflösung der Kategorie des bewussten Sichverschließens
VIII. Normbeispiele
1. Ausgangspunkt
2. §§ 438 Abs. 3 S. 1, 442 Abs. 1 S. 2 Hs. 2, 444 Fall 1 BGB als explizite Vorsatztatbestände
3. § 442 Abs. 1 S. 1 BGB als Vorsatztatbestand – § 442 Abs. 1 BGB als Verschuldenstatbestand
a) Ausgangspunkt und Zweckerwägungen
b) Ansätze in Rechtsprechung und Literatur
c) Verhältnis zum Einwand des Mitverschuldens und zur Haftung aus culpa in contrahendo
d) Begründung echter Rechtspflichten
4. § 311a Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB als Vorsatztatbestand – § 311a Abs. 2 S. 2 BGB als Verschuldenstatbestand
a) Ausgangspunkt
b) Maßgebliche Pflichtverletzung
c) Explikation als Verschuldenstatbestand
d) Bezugspunkte des subjektiven Tatbestands
5. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB als Vorsatztatbestand – § 199 Abs. 1 Nr. 2 als Verschuldenstatbestand
6. §§ 173, 892 f., 932 ff. BGB und andere Gutglaubenstatbestände als Vorsatz- bzw. Verschuldenstatbestände
7. § 990 Abs. 1 S. 1 BGB als Verschuldenstatbestand, § 990 Abs. 1 S. 2 als Vorsatztatbestand
8. § 819 Abs. 1 BGB als Vorsatztatbestand
B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung bei der Verschuldensprüfung: Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Feststellung von Vorsatz und Fahrlässigkeit
I. Problemstellung
II. Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Vorsatzprüfung im Deliktsrecht
1. Die Fondsprospektentscheidung des BGH vom 28.6.2016 zu § 826 BGB
2. Keine Begründung des Schädigungsvorsatzes im Wege der isolierten Wissenszurechnung
3. Keine Begründung der Sittenwidrigkeit unter dem Aspekt der bewussten bzw. arglistigen Täuschung durch isolierte Wissenszurechnung
4. Fortschreibung in den Dieselentscheidungen des BGH vom 25.5.2020 (VW) und vom 8.3.2021 (Audi)
III. Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Vorsatzprüfung im Rahmen von Sonderverbindungen
1. Nochmals: Die Gemeindeentscheidungen des BGH vom 8.12.1989 und vom 10.12.2010 zu § 463 S. 2 BGB a. F
2. Unzulänglichkeit der Zurechnung fremden Wissen für die Begründung von Vorsatz
a) Einführung
b) Keine Zurechnung fremden Wollens im Wege der Wissenszurechnung
c) Keine Ableitung eigenen Wollens aus zugerechnetem fremden Wissen
d) Unzulänglichkeit der Zurechnung fremder Mangelkenntnis zur Begründung des subjektiven Tatbestands der arglistigen Täuschung auch bezüglich der weiteren Bezugspunkte des Vorsatzes
e) Unvereinbarkeit der Bürgermeisterentscheidung mit den Gründen der Fondsprospektentscheidung und der Dieselfallentscheidungen
3. Maßgeblichkeit der Regeln über die Verschuldenszurechnung: Arglistzurechnung als Zurechnung vorsätzlichen Verhaltens
4. Illustration anhand der Gemeindeentscheidungen und der WEG-Verwalterentscheidungen des BGH
IV. Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Fahrlässigkeitsprüfung
C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung
I. § 278 BGB als zentrale Zurechnungsnorm innerhalb bestehender Sonderverbindungen
1. Begrifflich-kategorische Ableitung
2. Ansätze in der Rechtsprechung und im Schrifttum
3. Teleologische Erwägungen und tatbestandliche Voraussetzungen der Zurechnung
4. Weiter Anwendungsbereich
5. Einheitlichkeit der Zurechnung bei Wissens- und Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen
6. Abgleich: Europäische Modellgesetze
7. Binneneinheitlichkeit der Zurechnung bei relativen Wissensnormen
8. Möglichkeit des individualvertraglichen Ausschlusses und der individualvertraglichen Beschränkung der Zurechnung (§ 278 S. 2 BGB)
9. Keine Unterscheidung zwischen beruflich und privat erlangtem Wissen
10. Insbesondere: Konzernverhältnisse
II. §§ 166, 831 BGB als Sonderregeln für die Begründung von Sonderverbindungen
1. Allgemeines
2. Residualfunktion von § 166 BGB
III. § 31 BGB als Sonderregel für Organe (Organmitglieder) von Verbänden
1. Allgemeines
2. Zurechnungswirkung innerhalb bestehender Sonderverbindungen
3. Zurechnungswirkung im Rahmen der Begründung von Sonderverbindungen
4. Zurechnungswirkung im Rahmen der Begründung einer Einstandspflicht des Verbands für sonstige Dritte (Nichtorgane) nach den allgemeinen Regeln der §§ 166, 278, 831 BGB
D. Einstandspflicht für eigenes vorsätzliches Verhalten des Normadressaten (insbesondere: Organisationsverschulden)
E. Exemplifizierung: Die Rechtsprechung des BGH zu § 634a Abs. 3 BGB (§ 638 BGB a. F.)
I. Einstandspflicht für fremdes vorsätzliches Verschweigen nach § 278 BGB
II. Einstandspflicht für eigenes vorsätzliches Organisationsverschulden
Kapitel 4: Einheit des subjektiven Tatbestands?
Zusammenfassung der Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Sachregister

Citation preview

Studien zum Privatrecht Band 104

Richard Rachlitz

Wissen – Vorsatz – Zurechnung

Mohr Siebeck

Richard Rachlitz, geboren 1983; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Regensburg; Rechtsreferendariat am Oberlandesgericht Nürnberg; Postgraduierten-Studium an der Universität Stellenbosch, Südafrika; Notarassessor in Prien am Chiemsee und bei der Bundesnotarkammer in Berlin (zunächst Referent, später Geschäftsführer der Bundesnotarkammer); Notar in Roding; Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Geschäftsführer des Examinatoriums Zivilrecht an der LMU München; 2021 Promotion.

ISBN  978-3-16-160904-6 / eISBN  978-3-16-160905-3 DOI 10.1628/978-3-16-160905-3 ISSN  1867-4275 / eISSN  2568-728X (Studien zum Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung au­ßerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Für Anna, Emma und Theodor

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/2021 der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation vorgelegt. Sie ist im Wesentlichen auf dem Stand von Mitte 2021. Die Arbeit ist in vier Kapitel untergliedert. Die ersten beiden Kapitel sind im Kern darstellender Natur. Sie sind geprägt von dem Bemühen, einen möglichst vollständigen Eindruck davon zu vermitteln, was nach dem aktuellen Erkenntnisstand den Wissens- und den Vorsatztatbestand im Privatrecht ausmacht und wie die Zurechnungsfrage, also die Frage nach der Einstandspflicht für „das Wissen“ bzw. „den Vorsatz“ eines anderen beantwortet wird. Der Anlage als Darstellung entsprechend wird besonderer Wert darauf gelegt, die behandelten Begriffe und Institute in ihrer auf Anwendung gerichteten Perspektive und mit Fokus auf die Rechtsprechung des BGH zu ergründen. Daneben ist die Untersuchung auf die Entwicklung einer erkenntnistheoretischen und einer soziologischen Perspektive auf das Thema bedacht. In Kapitel 3 werden die zum „Wissen und Vorsatz im Recht“ jeweils gewonnenen Einsichten in Beziehung zueinander gestellt. Wer sich auf die zentralen Thesen konzentrieren möchte, die in diesem Buch allgemein zum Verständnis von Wissensnormen und speziell zum Fundamentalproblem der Wissenszurech­ nung entfaltet werden, möge insbesondere dieses Kapitel in den Blick nehmen. Auf Grundlage der Einsicht, dass Wissen als Tatbestandselement privatrecht­ licher Normen immer nur in einem willensgetragenen Verhaltensbezug relevant ist, wie er für die Zwecke des Rechts und seiner Anwendung seinerseits im Vorsatztatbestand operabel gemacht ist, wird die These entfaltet, dass sich Wissensnormen und (explizite) Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen de lege lata in ihrem subjektiven Tatbestand generell und insbesondere hinsichtlich der Beantwortung der Zurechnungsfrage nicht kategorial unterscheiden. Normen mit (vermeintlich) einfachem Wissenstatbestand sind nichts anderes als verkürzt formulierte Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen. Die grundlegenden Probleme im Umgang mit Wissensnormen lösen sich damit auf. In Kapitel 4 werden schließlich in sehr knapper Form einige Überlegungen dazu skizziert, in welche Richtung sich diese Erkenntnisse – übertragen auch auf

VIII

Vorwort

vermeintlich eindimensionale Wollenstatbestände – im Sinne einer Einheit des subjektiven Tatbestands weiterentwickeln lassen dürften. Danken möchte ich meinem verehrten Lehrer Herrn Prof. Dr. Hans Christoph Grigoleit. Sein Vorbild, sein Rat und seine Unterstützung waren mir steter Ansporn und unschätzbare Hilfe. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Schön danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und für weiterführende, überaus wertvolle Anregungen, die er mir im Rahmen seines Gutachtens hat zuteilwerden lassen. Für ihre Hilfe bei der Korrektur der Arbeit danke ich Daniel

Baur, Philip Bender, Sophie Blumenberg, Maximilian Bühner, Moritz-­ Alexander Esch, Johannes Gansmeier, Konrad Heßler, Luca Kochendörfer, David ­Paparizos sowie Manuel Fink, Mara Keese, Leonie Klokkers, ­Anastassia ­Liutyi, Simon Pollak, Konstantin Suttner und Benedikt Velten. Der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München danke ich für die Verleihung des Fakultätspreises. Der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung danke ich für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Ganz besonders danken möchte ich schließlich meinen Eltern, die mir das Studium und so vieles mehr ermöglicht haben, meinem Bruder Kurt für zahlreiche unschätzbare Denkanstöße und eine tiefe Freundschaft sowie an allererster Stelle meinen beiden Kindern Emma und Theodor sowie meiner Ehefrau Anna für ihre grenzenlose Unterstützung und ihre liebende Nachsicht. München/Tann, März 2022

Richard Rachlitz

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Wissen als Element des Tatbestands privatrechtlicher Normen . . . . 1 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Kapitel  1: Wissen und Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . 19 A. Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Kapitel  2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 135 A. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 B. Vorsatzzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Kapitel  3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände – Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 259 A. Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände . . . . . . . . . . . . . . . 259 B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung bei der V ­ erschuldensprüfung: Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Feststellung von Vorsatz und Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . 305 C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung . . . . . . . . . . . . . . 324 D. Einstandspflicht für eigenes vorsätzliches Verhalten des Normadressaten (insbesondere: Organisationsverschulden) . . . . . 353 E. Exemplifizierung: Die Rechtsprechung des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB (§  638 BGB a. F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

Kapitel  4: Einheit des subjektiven Tatbestands? . . . . . . . . . . . . . 369 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

X

Inhaltsübersicht

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Wissen als Element des Tatbestands privatrechtlicher Normen . . 1 I. II.

Unsicherheiten im Umgang mit dem Wissensbegriff . . . . . . . . 2 Unsicherheiten bei der Inbezugnahme von Wissen . . . . . . . . . 3 1. Erklärungswille – Erklärungsbewusstsein – Erklärungsverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Geschäftsführungswille – Geschäftsführungsbewusstsein – ­Geschäftsführungsvorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 7 3. Delegationswille – Delegationsbewusstsein – Delegationsvorsatz 4. Wissensverantwortung – Vorsatzverantwortung . . . . . . . . 8 5. Wissentliches Verschweigen – arglistiges Verschweigen – vorsätzliches Verschweigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 6. Bewusste Ausbeutung – vorsätzliche Ausbeutung . . . . . . . 9 a) Wucher (§  138 Abs.  2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 b) Wucherähnliches Rechtsgeschäft (§  138 Abs.  1 BGB) . . . . 11 III. Unsicherheiten hinsichtlich der Zurechnung von Wissen . . . . . 13 1. Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Vorsatzzurechnung (Verschuldenszurechnung) . . . . . . . . . 15 3. Nebeneinander von Wissens- und Verschuldenszurechnung? . 16

B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Kapitel  1: Wissen und Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . 19 A. Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I.

Ausgangspunkt: Die klassische erkenntnistheoretische Konzeption von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Wissen als wahre begründete Meinung . . . . . . . . . . . . . . 19 a) Meinung oder Überzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

XII

Inhaltsverzeichnis

b) Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 c) Begründung (epistemische Rechtfertigung) . . . . . . . . . . 22 d) Unvollkommenheit der klassischen Wissenskonzeption (Gettier und Folgende) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Objekt der Wissensrelation (Gegenstand von Wissen) . . . . . 25 3. Subjekt der Wissensrelation (Wissensträger; epistemisches Subjekt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 a) Die natürliche Person als Wissensträger . . . . . . . . . . . . 26 b) Gruppen als Wissensträger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 bb) Kollektivistische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 cc) Individualistische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 dd) Prozessbezogene Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 ee) Relevanz für die Zwecke des Privatrechts . . . . . . . . . 31 c) Wissen ohne Wissensträger – ePerson als Wissensträger? . . 32 4. Abschließende Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Wissen und Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 III. Wissen, Vermutung und Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 IV. Wissen als innere Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Rechtsanwendungsbezogene Objektivierung von Wissen . . . 42 2. Insbesondere: Erfahrungssätze und Alltagstheorien . . . . . . . 46 3. Die Formel vom Sichverschließen . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Die Formel vom Sichverschließen in der Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Einordnung als Erfahrungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Einordnung als Modifikation des Objekts der Wissensrelation 53 d) Quasi-Positivierung durch tatbestandliche Gleichstellung objektiver Evidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 e) Geltung für Tatsachen- und Rechtswissen . . . . . . . . . . 56 f) Irrelevanz in Bezug auf Arglist- bzw. Vorsatztatbestände . . 56 4. Daten- und Aktenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Abgrenzung zur Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 V. Bezugspunkte des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Tatsachenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Rechtswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Relevanz von Rechtswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Parallelwertung in der Laiensphäre bzw. der Maßstab des redlich Denkenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

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XIII

VI. Wissen und fahrlässiges Nichtwissen (Wissenmüssen) . . . . . . . 64 1. Systemprägende Unterscheidung zwischen Wissen und fahrlässigem Nichtwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Teleologische Spaltung relativer Wissensnormen . . . . . . . . 66

B. Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. §  166 BGB: Punktuell-erklärungsbezogene Zurechnung von ­Willensmängeln, Wissen und Wissenmüssen im Verhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Unmittelbarer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Unmittelbarer Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) §  166 Abs.  1 Fall 2 BGB: Maßgeblichkeit des Wissens usw. des Vertreters (punktuelle Wissenszurechnung) . . . . . . . 71 b) §  166 Abs.  1 Fall 1 BGB: Grundsätzliche Unbeachtlichkeit des Wissens usw. des Vertretenen (Ausschluss der Wissenszusammenrechnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 c) §  166 Abs.  2 BGB: Ausnahmsweise Beachtlichkeit auch des Wissens (Wissenmüssens) des Vertretenen ­(Wissenszusammenrechnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. §  166 Abs.  1 BGB analog: Die Rechtsprechung des BGH zur sogenannten Wissensvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Der Tatbestand der Wissensvertretung: Erstreckung von §  166 BGB auf eigenverantwortlich tätige Repräsentanten ohne ­Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Folgen der Aufgabe der tatbestandlichen Beschränkung auf S­ tellvertretungsfälle und die rechtlichen Folgen von ­Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Erweiterung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . 80 b) Erweiterung der Reichweite der Zurechnung . . . . . . . . . 82 4. Besonderheiten im Verjährungsrecht und für Ansprüche von ­Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 5. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 IV. Die Rechtsprechung des BGH zum Organisationsmangel als ­Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Urteil vom 8.12.1989 (Altbürgermeister/Gemeinde) . . . . . . 88 2. Urteil vom 24.1.1992 (Mitarbeiter des Baurechtsamts/Gemeinde) 90 3. Urteil vom 2.2.1996 (GmbH & Co. KG) . . . . . . . . . . . . . 92 4. Urteil vom 13.10.2000 (Wissenszurechnung nur innerhalb der ­Struktureinheit, deren Aufgaben wahrzunehmen waren) . . . . 95

XIV

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5. Urteil vom 13.1.2004 (Vorstandsmitglieder/Bank) und vom 18.1.2005 (Mitarbeiter/Bank I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 6. Urteil vom 15.12.2005 (Mitarbeiter/Bank II) . . . . . . . . . . 98 7. Urteile vom 11.7.2007 und vom 16.7.2009 (Mitarbeiter/Versicherungsunternehmen) . . . . . . . . . . . . 100 8. Urteil vom 10.12.2010 (Mitarbeiter des Bauordnungs- und des Sozialamts/­Gemeinde) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 9. Urteil vom 19.3.2021 (Erbe/Testamentsvollstrecker) . . . . . . 103 10. Besonderheiten im Verjährungsrecht und für Ansprüche von ­Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 11. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Normative Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Gleichstellungsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Verkehrsschutz- und Vertrauensargument . . . . . . . . . . 111 V. Absolute Wissenszurechnung im Verband . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Organtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Regeln der Passivvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4. Vertretertheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 VI. Spezialregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Wissenszurechnung bei Gläubigerwechsel durch Abtretung oder Legalzession und bei Wechsel einer Partei kraft Amtes . . 123 2. Wissenszurechnung bei Gesamtrechtsnachfolge – insbesondere: keine Vererbung von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Versicherungsvertragsrechtliche Sonderregelungen . . . . . . . 126 a) §  2 Abs.  3 VVG: Generelle Zusammenrechnung des Wissens von Vertreter und Vertretenem . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) §  70 VVG: Zurechnung des Wissens von Versicherungsvertretern zulasten des Versicherers . . . . . . 127 c) Weitere versicherungsvertragsrechtliche Spezialregelungen . 129 VII. Rechtsvergleichendes Panorama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 VIII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Kapitel  2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung . . . . . . . . . . . . . 135 A. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I. II.

Die Prägung des Vorsatzbegriffs durch die personale Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen . . . . . . . . . 135 Erscheinungsformen des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Wissentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Bedingter Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

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XV

III. Konkrete Möglichkeitsvorstellung im Sinne bedingten Wissens als hinreichendes kognitives Tatbestandselement . . . . . . . . . . . . 144 IV. Unentbehrlichkeit des voluntativen Tatbestandselements . . . . . 146 V. Vorsatz als innere Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Feststellung des kognitiven Tatbestandselements . . . . . . . . 149 2. Feststellung des voluntativen Tatbestandselements . . . . . . . 149 a) Feststellung des voluntativen Elements der Wissentlichkeit . 150 b) Feststellung des voluntativen Elements des bedingten Vorsatzes bei erkannter Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 c) Feststellung des voluntativen Elements des bedingten Vorsatzes bei bloßer Möglichkeitsvorstellung . . . . . . . . . 153 3. Wechselseitige Ergründungs- und Besicherungsfunktion von ­kognitivem und voluntativem Vorsatzelement . . . . . . . . . . 153 VI. Bezugspunkte des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Tatsachen und rechtliche Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . 157 2. Rechts-, Pflicht- und Obliegenheitswidrigkeit ­(„Unrechtsbewusstsein“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Ausgangspunkt: Die Vorsatztheorie . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Haftung für Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 d) Entbehrlichkeit des „Unrechtsbewusstseins“ . . . . . . . . . 166 aa) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Die Rechtsprechung des BGH zu §  826 BGB . . . . . . . 167 cc) Die Rechtsprechung des BGH zu §  20 Abs.  7 S.  2 AktG und die Diskussion um einen speziellen kapitalmarktrechtlichen Vorsatzbegriff . . . . . . . . . . 168 dd) Die Rechtsprechung des BGH zur arglistigen Täuschung 169 3. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 VII. Arglist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Arglist als – auch bedingter – Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Bezugspunkte des Täuschungsvorsatzes . . . . . . . . . . . . . 179 4. Arglistige Täuschung durch unrichtige Angaben ins Blaue hinein 181 a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Abgrenzung zur Verantwortlichkeit für fahrlässige ­Falschinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5. Arglist und vorsätzliche sittenwidrige Schädigung . . . . . . . 184 6. Historische Besicherung: Vom „wissentlichen Verschweigen“ zum „arglistigen Verschweigen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

XVI

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B. Vorsatzzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I.

II.

§  278 BGB als Kardinalnorm der Arbeitsteilung . . . . . . . . . . 189 1. Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Verantwortlichkeit für Erfüllungsgehilfen . . . . . . . . . . . 191 c) Verantwortlichkeit für gesetzliche Vertreter . . . . . . . . . 197 2. Anwendungsbereich: Bestehende Sonderverbindung . . . . . . 199 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Unanwendbarkeit auf Tatbestände, die eine Sonderverbindung erst begründen (insbesondere: Deliktsrecht) . . . . . . . . . 200 c) Anwendbarkeit auf verschuldensabhängige Folgetatbestände 201 aa) Vertragsschlussbezogene Verschuldenstatbestände . . . . 201 bb) Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . . . . 204 cc) Eigentümer-Besitzer-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . 205 dd) Bereicherungsrechtliches Ausgleichsverhältnis . . . . . . 208 d) §  123 BGB: Erfüllungsgehilfe als Nicht-Dritter . . . . . . . . 209 3. Gesetzlicher Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 4. Erfüllungsgehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Tätigwerden nach den tatsächlichen Umständen mit dem Willen bzw. mit Wissen und Wollen des Schuldners . . . . . 213 b) Begrenzung der Zurechnung in personaler Hinsicht . . . . . 216 c) Begrenzung der Zurechnung in gegenständlicher Hinsicht . 217 d) Explikation von §  278 S.  1 Alt.  2 BGB als Vorsatztatbestand . 217 5. Tätigwerden in Erfüllung einer Verbindlichkeit des Schuldners 219 a) Pflichtenkreis des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Insbesondere: Beachtung von Obliegenheiten (Pflichtenkreis im weiteren Sinne) . . . . . . . . . . . . . . . 221 c) Sachlicher Zusammenhang mit dem zugewiesenen Aufgabenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 6. Regelungsgegenstand: Verhaltens- und Verschuldenszurechnung 227 §  31 BGB als Spezialregelung für Verbände . . . . . . . . . . . . . 228 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Organe, Organmitglieder und andere verfassungsmäßig berufene Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 c) Erstreckung auf Repräsentanten . . . . . . . . . . . . . . . . 230 d) Organisationsmangel als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . 231 3. Verhalten in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen . 232 4. Regelungsgegenstand: Verhaltens- und Verschuldenszurechnung 233 a) Verhaltenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

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b) Verschuldenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 c) Weitergehende Zurechnungswirkung? . . . . . . . . . . . . . 235 5. Verhältnis zu §  278 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 a) Unterschiede zwischen §  31 und §  278 BGB . . . . . . . . . 235 b) Identität des materiellen Geltungsgrunds . . . . . . . . . . . 237 c) Die Besonderheiten des von §  31 BGB adressierten Verhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. Begründung von Verschulden im Wege der Wissenszurechnung . 240 IV. Spezialregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Besondere Zurechnungstatbestände des BGB . . . . . . . . . . 241 2. Handelsrechtliche Leutehaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3. Besondere versicherungsvertragsrechtliche Zurechnungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) §  20 VVG: Zurechnung von Kenntnis, Arglist und Vorsatz des Vertreters zulasten des Versicherungsnehmers im Rahmen des Vertragsschlusses . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) §§  47 Abs.  1, 156, 176, 179 Abs.  3, 193 Abs.  2 VVG: Zurechnung von Wissen und Verhalten des Versicherten zulasten des Versicherungsnehmers . . . . . . . . . . . . . . 247 4. Zivilprozessuale Zurechnungstatbestände . . . . . . . . . . . . 249 5. Insolvenzrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) Die Sonderregelung des §  60 Abs.  2 InsO . . . . . . . . . . . 253 c) Einstandspflicht des Insolvenzverwalters für das Verschulden sachkundiger Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 6. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

Kapitel  3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände – Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung . . . . . . . . . . . . 259 A. Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände . . . . . . . . . . . . . . 259 I. II.

Wissen als norm- und erfahrungssatzgeprägtes Tatbestandsmerkmal 259 Fehlen einer stringenten funktionalen Unterscheidung zwischen ­Wissenstatbestand und Vorsatz- bzw. Verschuldenstatbestand im positiven Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 III. Willentliches Verhalten trotz Wissens als vorsätzliches Verhalten . 265 1. Die Irrelevanz „nackten Wissens“ im Recht . . . . . . . . . . . 265 2. Wissenstatbestand als Vorsatztatbestand – absolute Wissensnorm als absolute Vorsatznorm . . . . . . . . . . . . . 269 a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Die Vorsatzform der Wissentlichkeit als in einen Verhaltensbezug gesetztes unbedingtes Wissen . . . . . . . . 270

XVIII

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c) Der bedingte Vorsatz als in einen Verhaltensbezug gesetztes bedingtes Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 d) Die Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 3. Tatbestandsmäßigkeit nur der Wissentlichkeit? . . . . . . . . . 273 a) Audrücklich geregelte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Insbesondere: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) . 274 c) Nicht ausdrücklich geregelte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . 275 4. Fazit: Kategoriale Gleichartigkeit von Wissens- und ­Vorsatztatbeständen im geltenden Recht . . . . . . . . . . . . . 277 IV. Teleologische Identität von Wissens- und Vorsatztatbestand hinsichtlich des Kriteriums der Aufwandsfreiheit . . . . . . . . . . 279 V. Relative Wissensnorm als Verschuldensnorm: Überwindung der ­vermeintlichen Verschiedenartigkeit von Wissen und Wissenmüssen 280 VI. Auflösung der Kategorie des Rechtswissens . . . . . . . . . . . . . 281 VII. Auflösung der Kategorie des bewussten Sichverschließens . . . . . 282 VIII. Normbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 2. §§  438 Abs.  3 S.  1, 442 Abs.  1 S.  2 Hs.  2, 444 Fall 1 BGB als explizite Vorsatztatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3. §  442 Abs.  1 S.  1 BGB als Vorsatztatbestand – §  442 Abs.  1 BGB als Verschuldenstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Ausgangspunkt und Zweckerwägungen . . . . . . . . . . . . 285 b) Ansätze in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . 288 c) Verhältnis zum Einwand des Mitverschuldens und zur Haftung aus culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . 290 d) Begründung echter Rechtspflichten . . . . . . . . . . . . . . 291 4. §  311a Abs.  2 S.  2 Alt.  1 BGB als Vorsatztatbestand – §  311a Abs.  2 S.  2 BGB als Verschuldenstatbestand . . . . . . . 293 a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 b) Maßgebliche Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 c) Explikation als Verschuldenstatbestand . . . . . . . . . . . . 295 d) Bezugspunkte des subjektiven Tatbestands . . . . . . . . . . 296 5. §  199 Abs.  1 Nr.  2 Alt.  1 BGB als Vorsatztatbestand – §  199 Abs.  1 Nr.  2 als Verschuldenstatbestand . . . . . . . . . . 297 6. §§  173, 892 f., 932 ff. BGB und andere Gutglaubenstatbestände als Vorsatz- bzw. Verschuldenstatbestände . . . . . . . . . . . . 300 7. §  990 Abs.  1 S.  1 BGB als Verschuldenstatbestand, §  990 Abs.  1 S.  2 als Vorsatztatbestand . . . . . . . . . . . . . . 303 8. §  819 Abs.  1 BGB als Vorsatztatbestand . . . . . . . . . . . . . 304

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B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung bei der Verschuldensprüfung: Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Feststellung von Vorsatz und Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . 305 I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 II. Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Vorsatzprüfung im ­Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Die Fondsprospektentscheidung des BGH vom 28.6.2016 zu §  826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Keine Begründung des Schädigungsvorsatzes im Wege der isolierten Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 3. Keine Begründung der Sittenwidrigkeit unter dem Aspekt der bewussten bzw. arglistigen Täuschung durch isolierte ­Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 4. Fortschreibung in den Dieselentscheidungen des BGH vom 25.5.2020 (VW) und vom 8.3.2021 (Audi) . . . . . . . . . 310 III. Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Vorsatzprüfung im Rahmen von Sonderverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 1. Nochmals: Die Gemeindeentscheidungen des BGH vom 8.12.1989 und vom 10.12.2010 zu §  463 S.  2 BGB a. F. . . . 312 2. Unzulänglichkeit der Zurechnung fremden Wissen für die ­Begründung von Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 b) Keine Zurechnung fremden Wollens im Wege der Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 c) Keine Ableitung eigenen Wollens aus zugerechnetem fremden Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 d) Unzulänglichkeit der Zurechnung fremder Mangelkenntnis zur Begründung des subjektiven Tatbestands der arglistigen Täuschung auch bezüglich der weiteren Bezugspunkte des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 e) Unvereinbarkeit der Bürgermeisterentscheidung mit den Gründen der Fondsprospektentscheidung und der Dieselfallentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 3. Maßgeblichkeit der Regeln über die Verschuldenszurechnung: Arglistzurechnung als Zurechnung vorsätzlichen Verhaltens . . 319 4. Illustration anhand der Gemeindeentscheidungen und der WEG-Verwalterentscheidungen des BGH . . . . . . . . . 320 IV. Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Fahrlässigkeitsprüfung 322

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C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung . . . . . . . . . . . . . 324 I.

§  278 BGB als zentrale Zurechnungsnorm innerhalb bestehender ­Sonderverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 1. Begrifflich-kategorische Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Ansätze in der Rechtsprechung und im Schrifttum . . . . . . . 325 3. Teleologische Erwägungen und tatbestandliche Voraussetzungen der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . 328 4. Weiter Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 5. Einheitlichkeit der Zurechnung bei Wissens- und Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 6. Abgleich: Europäische Modellgesetze . . . . . . . . . . . . . . 334 7. Binneneinheitlichkeit der Zurechnung bei relativen Wissensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 8. Möglichkeit des individualvertraglichen Ausschlusses und der individualvertraglichen Beschränkung der Zurechnung (§  278 S.  2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 9. Keine Unterscheidung zwischen beruflich und privat erlangtem Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 10. Insbesondere: Konzernverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 340 II. §§  166, 831 BGB als Sonderregeln für die Begründung von ­Sonderverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 2. Residualfunktion von §  166 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 III. §  31 BGB als Sonderregel für Organe (Organmitglieder) von Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 2. Zurechnungswirkung innerhalb bestehender Sonderverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 3. Zurechnungswirkung im Rahmen der Begründung von ­Sonderverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 4. Zurechnungswirkung im Rahmen der Begründung einer ­Einstandspflicht des Verbands für sonstige Dritte (Nichtorgane) nach den allgemeinen Regeln der §§  166, 278, 831 BGB . . . . . 351

D. Einstandspflicht für eigenes vorsätzliches Verhalten des Normadressaten (insbesondere: Organisationsverschulden) . . . . 353 E. Exemplifizierung: Die Rechtsprechung des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB (§  638 BGB a. F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 I.

Einstandspflicht für fremdes vorsätzliches Verschweigen nach §  278 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

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II.

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Einstandspflicht für eigenes vorsätzliches Organisationsverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

Kapitel  4: Einheit des subjektiven Tatbestands? . . . . . . . . . . 369 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399

Die Bestrafung des bloßen Denkens, Meinens war eine Verirrung, die nur auf dem Boden einer mittel­ alterlichen Anschauung erwachsen konnte, und von der richter­ lichen Ahndung einer That, welche in ­keiner Beziehung zu dem Innern des Thäters steht, kommt das Recht zurück, sobald es über die ersten Stufen seiner Entwicklung hinausgelangt ist.1

Einführung A. Wissen als Element des Tatbestands privatrechtlicher Normen „Wissen“ gehört zum Kernbestand der Tatbestandselemente privatrecht­ licher2 Nor­­men. Auf Ebene des Normtextes wird „Wissen“ entweder unmittelbar als sol­ ches in Bezug genommen (einfache Wissenstatbestände) oder als Teil eines Vorsatz­erfordernisses (Vorsatztatbestände), und zwar überwiegend bei voll­ ständiger oder bedingter tatbestandlicher Gleichstellung fahrlässigen Nicht­ wissens (rela­tive Wissensnormen)3 bzw. von Fahrlässigkeit (Verschuldens­ normen)4, teilwei­se aber auch ohne diese Gleichstellung (absolute Wissens-5 1 

Frank, ZStW 10 (1890), 169. zum Begriff insbesondere Auer, in: Hilgendorf/Joerden (Hrsg.), Handbuch Rechts­philosophie, 2017, S.  40 ff.; dies., Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.  1 ff. 3 Z. B. §§   199 Abs.  1 Nr.  2, 122 Abs.  2, 123 Abs.  2, 142 Abs.  2, 173, 179 Abs.  3, 254 Abs.  2 S.  2, 311a Abs.  2 S.  2, 405, 434 Abs.  1 S.  3, 442 Abs.  1, 932 Abs.  2, 990 Abs.  1 S.  1 BGB, §  143 Abs.  2 S.  2 InsO. 4  Z. B. §§  280 Abs.  1 S.  2, 823 Abs.  1 BGB. Mit dem Begriff des Verschuldens sollen hier, ebenso wie mit dem Begriff des schuldhaften Verhaltens, Vorsatz und Fahrlässigkeit bzw. vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten in Bezug genommen sein. 5  Z. B. §§  124 Abs.  2 S.  1 Fall 1, 407, 536b S.  3, 626 Abs.  2 S.  2, 640 Abs.  3, 819 Abs.  1, 892, 990 Abs.  1 S.  2 BGB, §§  82, 131 Abs.  1 Nr.  3, Abs.  2, 132 Abs.  1 Nr.  1 und 2, 133 Abs.  1 S.  1 Hs.  2, Abs.  4 S.  2, 145 Abs.  2 Nr.  2 Hs.  2 InsO, §§  97 Abs.  3, 98 Abs.  3 WpHG. Zur Bezeichnung von Normen, die Wissen auf Ebene des Normtextes unmittelbar als solches in Bezug nehmen, als „Wissensnormen“ Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 185. Zur wei­ ter differenzierenden Bezeichnung von Wissensnormen, bei denen (grob) fahrlässiges Nicht­wissen dem Wissen nicht gleichgestellt ist, als „absolute Wissensnormen“ Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 170. Vgl. für eine frühe Zusammen­stellung „aller Vorschriften des 2 Vgl.

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Einführung

bzw. Vorsatznormen6). Darüber hinaus werden Wissenselemente zumindest begrifflich auch als Teil des Tatbestands der Willenserklärung in Bezug ge­ nommen, namentlich in Gestalt des verbreitet so genannten „Erklärungsbe­ wusstseins“.7

I. Unsicherheiten im Umgang mit dem Wissensbegriff In Anbetracht der herausgehobenen Bedeutung des Wissensbegriffs im Pri­ vatrecht verwundert es, wie wenig konturenscharf dieser ist.8 Regelmäßig erfolgt der Zugang intuitiv und erfahrungsbasiert. Insbesondere wird „Wis­ sen“ regelmäßig nicht als normative Kategorie wahrgenommen, sondern ausschließlich als (psychische) Faktizität und damit als außerrechtliche Vor­ gegebenheit.9 Dabei bestehen erhebliche Unsicherheiten im Umgang mit dem Wissens­ begriff. In besonderer Weise virulent werden diese Unsicherheiten bei Wis­ sensnormen. Ein Ausdruck dieser Unsicherheit ist die bezogen auf Normen mit (ver­ meintlich) einfachem Wissenstatbestand überaus verbreitete Formulierung, es müsse sich bei dem tatbestandlich erforderlichen Wissen um „positives Wissen“ (oder gleichbedeutend: „positive Kenntnis“) handeln.10 Dieses Be­ bürgerlichen Rechts […], die das Merkmal Kenntnis (Unkenntnis) oder etwas Inhaltsglei­ ches enthalten, ohne eine verschuldete Unkenntnis zu erwähnen“, Sallawitz, Die tatbe­ standsmäßige Gleichstellung von grobfahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  11–49. 6  Z. B. §§  123 Abs.  1 Alt.  1, 438 Abs.  3, 444 Alt.  1, 634a Abs.  3, 639 Alt.  1, 826 BGB, §  133 Abs.  1 S.  1 Hs.  1 InsO, §  20 Abs.  7 S.  2 AktG, §  44 Abs.  1 S.  2 WpHG, §  59 S.  2 WpÜG. Zur Identität von Arglist- und Vorsatztatbestand ausführlich unten Kapitel  2 A. VII. = S. 174 ff. 7  Näher dazu sogleich im Text. 8  Für das öffentliche Recht konstatiert Reinhardt, Wissen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht, 2010, S.  25 dasselbe. 9 Vgl. für eine im Grundsatz vergleichbare Kritik in Bezug auf den Willensbegriff Schewe, Reflexbewegung, Handlung, Vorsatz, 1972, S.  7; Luhmann, Recht und Automa­ tion in der öffentlichen Verwaltung, 21997, S.  32–34 (Diss., 11966). 10  Die Formulierung findet sich fast überall, wo von „Kenntnis“ oder „Wissen“ die Rede ist; vgl. exemplarisch BGH, Urt. v. 19.6.2013 – VIII ZR 183/12, NJW 2014, 211 Rn.  21; Beck­OGK  – Herresthal, BGB, Stand: 1.6.2019, §  311a Rn.  108; MünchKomm – Ernst, BGB, 82019, §  311a Rn.  47. Genauso mystisch ist teilweise etwa auch von „wirkli­ cher Kenntnis“ die Rede, vgl. etwa Mot. II, 1888, S.  215 bezogen auf den Kenntnisbegriff des §  442 Abs.  1 S.  1 BGB (aktuelle Fassung). Wenig weiterführend etwa auch die Defini­ tion von „Wissen als positive, personengebundene privat oder dienstlich erworbene Kenntnis“ bei Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 125. Für das Sozialrecht illustrativ noch BSG, Urt. v. 12.12.­ 2018 – B 12 R 15/18 R, NZS 2019, 465 Rn.  12: „Während ‚Kenntnis‘ nach seinem Wort­

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griffspaar ist seinerseits in keiner Weise eindeutig besetzt. Insbesondere bleibt regelmäßig unklar, welche Abgrenzungsfunktion dem Beiwort „posi­ tiv“ zukommen soll. Dient es der generellen Konkretisierung des privat­ rechtlichen Wissensbegriffs oder ist „positives Wissen“ nur ein Ausschnitt aus einem potentiell weiteren (gleichsam auch „nicht-positiven“) „Wissen“? Im erstgenannten Sinne könnte die Formulierung, in Bezug auf einen be­ stimmten Tatbestand sei „positives Wissen“ erforderlich, der Betonung des Umstands dienen, dass fahrlässiges Nichtwissen – auch in Form bewusster Fahrlässigkeit – tatbestandlich nicht genügt,11 so wie man von „positivem Tun“ spricht, um die aktive Einflussnahme auf Zustände und Ereignisse vom bloßen Unter­lassen als Verhaltensform abzugrenzen.12 Diese Feststel­ lung trifft ohne Zweifel zu und ist auch von erheblicher Relevanz.13 Dann wäre die Charakterisierung des erforderlichen Wissens als „positiv“ in der Sache redundant, aber jedenfalls unschädlich und als Klarstellung vielleicht sogar hilfreich. Denkbar ist aber auch, dass das Beiwort „positiv“ im zweitgenannten Sin­ ne der Klarstellung dienen soll, dass für das in Rede stehende tatbestandliche „Wissen“ ein bloßes Für-Möglich-Halten nicht genügt, sondern dass tatbe­ standliches Wissen ein hohes Maß an subjektiver Sicherheit voraussetzt hin­ sichtlich der Wahrheit einer Tatsache oder Information und hinsichtlich der Gründe, die der „positiv“ Wissende für seine Überzeugung hat.14 Dann käme dem Begriff der „positiven Kenntnis“ insbesondere Abgrenzungsfunk­ tion gegenüber dem bedingten Vorsatz bzw. dem darin enthaltenen „abge­ schwächten“ (bedingten) Wissenselement zu.

II. Unsicherheiten bei der Inbezugnahme von Wissen Zusätzliche Unsicherheiten ergeben sich daraus, dass teilweise Unklarheit oder Streit herrscht, ob in einem bestimmten Zusammenhang eigentlich ein isoliertes Wissenselement, ein isoliertes Willens- oder Wollenselement15 sinn das Wissen von einer Tatsache bedeutet (Duden Onlinewörterbuch, Stichwort Kenntnis recherchiert am 23.10.2018), […]“. 11  In diesem Sinne etwa Zimmermann, The New German Law of Obligations, 2005, S.  138. Für das Begriffspaar „wirkliche Kenntnis“ auch Mot. II, 1888, S.  215 f. 12  Vgl. zur Verwendung des Beiworts „positiv“ in Bezug auf Handlungen aus primär strafrechtlicher Sicht Fischer, Über das Strafen, 2018, S.  26 f. 13 Näher zur systemprägenden Unterscheidung zwischen Wissen und fahrlässigem Nicht­wissen unten Kapitel  1 A.VI. = S. 64 ff. 14  In diesem Sinne etwa Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grob­ fahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  51. 15  Die Begriffe Wille und Wollen sollen hier nicht systematisch unterschieden, sondern

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oder aber beides in Bezug genommen ist und ob das im letztgenannten Fall ein Vorsatzerfordernis bedeutet oder nicht. Das gilt in besonderer Weise dort, wo eine (vermeintlich) klare gesetzliche Entscheidung der Frage durch textliche Inbezugnahme des einen oder des anderen fehlt (sogleich 1 bis 3). Unklarheiten ergeben sich aber auch dort, wo das Gesetz klar ein isoliertes Wissenselement anspricht bzw. anzusprechen scheint (nachfolgend 4 bis 6). 1. Erklärungswille – Erklärungsbewusstsein – Erklärungsverschulden Als erstes Beispiel mag der Tatbestand der Willenserklärung dienen. Die Willenserklärung im Sinne des BGB wird allgemein als Äußerung eines Wil­ lens beschrieben, der unmittelbar auf die Herbeiführung einer Rechtswir­ kung gerichtet ist.16 Im Ausgangspunkt scheint es also so zu sein, als würden die Willens­erklärung und ihre Rechtswirkungen, vom erforderlichen Erklä­ rungselement ab­gesehen, ausschließlich voluntativ angeknüpft. Bei näherem Hinsehen lassen sich allerdings erstaunliche Unschärfen aus­ machen. Namentlich wird seit jeher diskutiert, ob der subjektive Tatbestand der Willenserklärung17 nun „Erklärungsbewusstsein“ oder „Erklärungswil­ len“ erfordert18 – oder aber nichts dergleichen bzw. nur sogenanntes poten­ tielles Erklärungsbewusstsein im Sinne von Erklärungsfahrlässigkeit.19 synonym und austauschbar verwendet werden, ähnlich wie die Begriffe Wissen und Kenntnis; speziell dazu noch unten Kapitel  1 A.II. = S. 37. 16  Exemplarisch BGH, Urt. v. 17.10.2000 – X ZR 97/99, NJW 2001, 289 Abschn.  II 1 b aa; gleichsinnig für den Begriff des Rechtsgeschäfts, der „der Regel nach als gleichbedeu­ tend gebraucht“ werde, Mot. I, 1888, S.  126: „Rechtsgeschäft im Sinne des Entwurfs ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, welcher nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist“; vgl. aus dem Schrifttum etwa Jauernig – Mansel, BGB, 182021, Vor §  116 Rn.  2; MünchKomm – Armbrüster, BGB, 82018, Vor §  116 Rn.  3 mit dem Hinweis, dass damit zunächst nur der „Voll­ begriff“ und damit nur der Ausgangspunkt der Betrachtung beschrieben ist. 17  Ähnliches lässt sich auch für den objektiven Tatbestand der Willenserklärung kons­ tatieren, der überwiegend dahin beschrieben wird, das in Rede stehende Erklärungssub­ strat müsse aus objektiver Empfängersicht Ausdruck eines „Rechtsbindungswillens“ sein (exemplarisch BGH, Urt. v. 18.12.2008 – IX ZR 12/05, NJW 2009, 1141 Rn.  7; Jauernig – Mansel, BGB, 182021, Vor §  104 Rn.  17), vereinzelt aber auch dahin, das in Rede stehende Erklärungssubstrat müsse Ausdruck eines „Rechtsbindungsbewusstseins“ sein (vgl. Münch­Komm – Armbrüster, BGB, 82018, Vor §  116 Rn.  23). 18  Vgl. für eine umfangreiche Übersicht über die im Schrifttum gebräuchliche Termino­ logie und die üblichen Kategorisierungen Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, 2011, S.  20–22 und S.  28 ff.; auch Durantaye, Erklärung und Wille, 2020, S.  33 ff., je m. w. N. 19  Nach der Rechtsprechung des BGH genügt für den Tatbestand einer Willenserklä­ rung, dass „ein sich in missverständlicher Weise Verhaltender bei Anwendung der im Ver­ kehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass die in seinem

A. Wissen als Element des Tatbestands privatrechtlicher Normen

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In der Diskussion deutet praktisch alles darauf hin, dass mit den Begriffen des „Erklärungswillens“ und des „Erklärungsbewusstseins“ in der Sache dasselbe gemeint ist.20 Und vieles deutet darauf hin, dass damit letztlich je­ weils auf ein kognitives Element und ein voluntatives Bezug genommen wird,21 womit es im Ergebnis kein großer Schritt mehr ist hin zum Verschul­ densprinzip als Zurechnungsgrund22 – jedenfalls in Form der Vorsatzverant­ wortlichkeit im Sinne eines „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirkli­ chung“,23 hier des objektiven Tatbestands einer Willenserklärung. Das wür­ de im Übrigen den verbreitet betonten Verhaltensbezug des Tatbestands der Willenserklärung reflektieren24 und sich außerdem stimmig mit der Lehre Verhalten liegende Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willens­ erklärung aufgefasst werden durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so ver­ standen hat“ (Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit); exemplarisch BGH Urt. v. 11.6.­ 2010 – V ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rn.  18; grundlegend BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83, NJW 1984, 2279; vgl. für einen Überblick Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bür­ gerlichen Rechts, 112016, §  32 Rn.  21 ff.; Habersack, JuS 1996, 585 ff.; kritisch etwa ­Canaris, NJW 1984, 2281 f. 20 Exemplarisch Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §  32 Rn.  20 mit Kritik an beiden Begriffen; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II: Das Rechtsgeschäft, 41992, §  4 2 b = S.  46 f. Für das Begriffspaar „Rechtsbindungs­ wille“ und „Rechtsbindungsbewusstsein“ ersichtlich auch MünchKomm – Armbrüster, BGB, 82018, Vor §  116 Rn.  23. 21  Vgl. wiederum etwa Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §  32 Rn.  22, wenn sie das Erfordernis eines von ihnen sogenannten Partizipationswillens unter anderem damit begründen, dass nur derjenige, der „am Rechtsverkehr bewusst teil­ nimmt“, in Kauf nehme, sich zu irren und fehlerhafte Willenserklärungen abzugeben. Möglicherweise mit anderer Tendenz, aber unklar und ohne nähere Auseinandersetzung, BGH, Urt. v. 24.10.1955 – II ZR 216/54, JR 1956, 59: „Dazu, daß ein bestimmtes Verhal­ ten als Erklärung gewertet werden kann, ist ein unzweideutiges Verhalten und außerdem, wenn nicht gar der Wille, so doch mindestens das Bewußtsein erforderlich, daß das Ver­ halten als eine Erklärung bestimmten Inhalts aufgefaßt werden kann“. 22  Vgl. für eine unter anderem am Verschuldensprinzip orientierte Zurechnungslehre in Bezug auf Willenserklärungen Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, 2011, passim und insbesondere S.  118 ff., wobei Werba die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahr­ lässigkeit allerdings nicht in den Mittelpunkt rückt; in diese Richtung auch Wolff, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Zweite Folge, 45. Band (1931), 53, 74 ff. Im Übrigen sei noch darauf hingewiesen, dass eine am Verschuldensprinzip orien­ tierte Zurechnungslehre keinesfalls eine rein „objektive Lehre“ ist, was besonders deut­ lich wird, wenn man den Vorsatz als Verschuldensform in die Betrachtung einbezieht. 23  Nach der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit (siehe Fn.  19) würde im Ausgangs­ punkt nichts anderes gelten, nur genügt danach eben auch Fahrlässigkeitsverantwortlich­ keit; vgl. zu dieser Kategorisierung auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S.  218. 24  Vgl. schon Mot. I, 1888, S.  126 f.: „Das Wesen des Rechtsgeschäftes wird darin ge­ funden, daß ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich

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von der Erklärungsfahrlässigkeit zu einem Ganzen fügen, sofern man dieser im Grundsatz folgt.25 Wirklich geklärt ist das alles aber bis heute nicht. 2. Geschäftsführungswille – Geschäftsführungsbewusstsein – Geschäftsführungsvorsatz Vergleichbares wie für den Tatbestand der Willenserklärung lässt sich im Recht der (echten) Geschäftsführung ohne Auftrag für den Tatbestand der Geschäfts­besorgung „für einen anderen“ (§  677 BGB) feststellen, wenn auch hier von den Vertretern subjektiver Theorien begrifflich teilweise auf den Fremdgeschäfts­führungswillen des Geschäftsführers,26 teilweise auf dessen Fremdgeschäfts­führungsbewusstsein und überwiegend, namentlich in der Rechtsprechung des BGH, unter dem Begriff des Fremdgeschäftsführungs­ willens in der Sache auf beides abgestellt wird,27 wobei auch hier wiederum bethätigt“, wobei das damit in Bezug genommene Verhaltenselement noch weiter als „Rechtshandlung“ konkretisiert wird, verstanden als „Handlung mit Rechtsfolgen, die, weil sie gewollt sind, eintreten“. Diesen sogenannten Rechtshandlungen werden Hand­ lungen gegenübergestellt, „an welche Rechtswirkungen sich anschließen, für deren Ein­ tritt nach der Rechtsordnung gleichgültig ist, ob dieselben von den Handelnden gewollt oder nicht gewollt sind“, wozu unter anderem die unerlaubten Handlungen, die Ge­ schäftsführung ohne Auftrag und der Besitzerwerb gezählt werden. Besonders prägend ist dieser Verhaltensbezug für die sogenannte Erklärungstheorie (siehe nur Flume, Allge­ meiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II: Das Rechtsgeschäft, 41992, §  4 3 = S.  48 f. und §  4 6 = S.  54–56), ohne allerdings sonst irrelevant zu sein. 25  Weitere Überlegungen in diese Richtung unten Kapitel  4 = S. 369 f. 26  Begrifflich für einen rein voluntativen Zugang jüngst Meier, Das subjektive System der Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S.  124 f., der dabei aber durchaus eine Verknüp­ fung jedenfalls mit einem Verhaltenselement herstellt, wenn er ausführt, der Fremdge­ schäftsführungswille des Geschäftsführers enthalte „den Willen, mit der, von ihm konkret gewählten Handlungsvariante, das Interesse des Geschäftsherrn zu erreichen“. Diesen Zu­ gang treibt Meier geradezu auf die Spitze, wenn er den von ihm so genannten „abstrakten Geschäftswillen“ des Geschäftsherrn, der nach Meiers zweigliedriger subjektiver Theorie für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§  677–686 BGB neben den Fremdge­ schäftsführungswillen des Geschäftsführers treten muss, weit über das bei Willenserklä­ rungen normalerweise geforderte Maß hinaus in einer Weise „subjektiviert“ und „indivi­ dualisiert“, die man sonst im Wesentlichen von der Testamentsauslegung kennt, wenn er ausführt, es sei der „wirkliche“ (§  133 BGB „ohne“ §  157 BGB!) und der „empirische“ Wille des Geschäftsherrn nach Maßgabe seiner individuellen Verhältnisse zu ermitteln, weil nur so dem Subordinationscharakter der GoA genüge getan sei. 27  Exemplarisch und gleichlautend BGH, Urt. v. 23.9.1999 – III ZR 322/98, NJW 2000, 72 Abschn.  II 2 a; BGH, Urt. v. 5.7.2018 – III ZR 273/16, NJW 2018, 2714 Rn.  20: „Ge­ schäftsführung ohne Auftrag setzt voraus, daß [dass] der Geschäftsführer ein Geschäft ‚für einen anderen‘ besorgt. Das ist der Fall, wenn er das Geschäft nicht (nur) als eigenes, son­ dern (auch) als fremdes führt, also in dem Bewusstsein und mit dem Willen, zumindest auch im Interesse eines anderen zu handeln” (Hervorhebung jeweils nicht im Original);

A. Wissen als Element des Tatbestands privatrechtlicher Normen

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zumindest Anklänge an einen Rekurs auf den Vorsatztatbestand zu finden sind28 (während nach der objektiven Theorie ein subjektives Element wiede­ rum überhaupt unmaßgeblich ist).29 Ganz ähnlich verhält es sich mit dem subjektiven Tatbestand der ange­ maßten Eigengeschäftsführung gemäß §  687 Abs.  2 BGB („Behandelt je­ mand ein fremdes Geschäft als sein eigenes, obwohl er weiß, dass er nicht dazu berechtigt ist“), der verbreitet dahin beschrieben wird, der Geschäfts­ führer müsse mit Eigen­ geschäftsführungswille und Fremdgeschäftsfüh­ rungsbewusstsein tätig werden,30 teilweise aber auch explizit als Vorsatz­ erfordernis ausgedrückt wird.31 3. Delegationswille – Delegationsbewusstsein – Delegationsvorsatz Ein weiteres Beispiel für die verbreiteten Unsicherheiten bei der Inbezug­ nahme von „Wissen“ ist der Tatbestand des Erfüllungsgehilfen im Sinne von §  278 BGB. Der BGH qualifiziert eine Person regelmäßig dann als Erfül­ lungsgehilfe, wenn sie nach den tatsächlichen Umständen mit dem „Willen“ des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als Hilfsperson tätig wird. Teilweise formuliert das Gericht aber auch, der Dritte müsse mit „Wissen und Wollen“ des Schuldners tätig werden. Ver­ gleichbares gilt für die Definition des „Nicht-Dritten“ im Sinne von §  123 Abs.  2 S.  1 BGB, die nach der Rechtsprechung des BGH jedenfalls Erfül­ lungsgehilfen umfasst und wo ebenfalls ­darauf abgestellt wird, ob der Dritte bei Abgabe der täuschenden Erklärung mit „Wissen und Wollen“ des Erklä­ rungsempfängers (Anfechtungsgegners) auftritt.

vgl. etwa auch Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, S.  440 f., der sowohl „the gestor’s knowledge“ als auch „the voluntariness of the action on the part of the gestor“ als mögliche Voraussetzungen der actio negotio­rum gestorum des römischen Rechts anspricht. 28  Besonders deutlich MünchKomm – Schäfer, BGB, 82020, §  677 Rn.  47: „Der Fremd­ geschäftsführungswille unterteilt sich in das kognitive Fremdgeschäftsführungsbewusst­ sein und die voluntative Fremdgeschäftsführungsabsicht“ und für den Gegenstand dieser Arbeit noch interessanter Rn.  49: „Der Geschäftsführer muss beim objektiv fremden Ge­ schäft wissen (dolus directus) oder es zumindest billigen (dolus eventualis), dass er das Geschäft eines anderen führt“. 29  Vgl. den Überblick bei BeckOGK – Thole, BGB, Stand: 15.4.2021, §  677 Rn.  29. 30  Vgl. exemplarisch MünchKomm – Schäfer, BGB, 82020, §  687 Rn.  21 ff. 31  Vgl. exemplarisch BeckOK – Gehrlein, BGB, Stand: 1.5.2021, §  687 Rn.  3; Omlor/ Gies, JuS 2013, 12, 17; vgl. ferner MünchKomm – Schäfer, BGB, 82020, §  687 Rn.  22 und BeckOGK – Hartmann, BGB, Stand: 1.4.2021, §  687 Rn.  72, die jeweils erörtern, ob für das von Ihnen begrifflich als Wissenserfordernis eingeordnete Tatbestandsmerkmal „ob­ wohl er weiß, dass er nicht dazu berechtigt ist” bedingter Vorsatz genügt.

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Einführung

Die Literatur folgt der Rechtsprechung in der angesprochenen Ambiva­ lenz überwiegend, vermeidet die Bezugnahme eines subjektiven Elements teilweise aber auch ganz. Wiederum lässt sich dabei nicht, jedenfalls nicht deutlich und klar feststellen, ob durch die unterschiedliche Wortwahl tat­ sächlich ein Unterschied in der Sache ausgedrückt sein soll oder ob es sich lediglich um begriff­liche Lapsus handelt. Und auch hier spricht im Ergebnis vieles dafür, dass die Formel vom Wissen und Wollen in der Sache treffend ist.32 4. Wissensverantwortung – Vorsatzverantwortung Unsicherheiten unmittelbar auf Ebene des Normtextes bestehen etwa bei §  311a Abs.  2 S.  2 BGB, der eine Haftung des Schuldners bei Bestehen eines anfäng­lichen Leistungshindernisses anders als §  280 Abs.  1 BGB nicht da­ rauf gründet, dass der Schuldner die Pflichtverletzung „zu vertreten hat“ (wobei grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit schaden, §   276 Abs.   1 BGB), sondern darauf, dass dieser das Leistungshindernis bei Vertrags­ schluss „kannte“ oder seine „Unkenntnis […] zu vertreten hat“. Warum und inwiefern sich beide Tatbestände in subjektiver Hinsicht unterscheiden, ob dies dogmatisch oder aus sonstigen Gründen geboten, sinnvoll oder aber im Gegenteil verfehlt ist, ist seit jeher umstritten.33 5. Wissentliches Verschweigen – arglistiges Verschweigen – vorsätzliches Verschweigen In ihrer eigentlichen Bedeutung weitgehend geklärt, aber begrifflich eben­ falls verwirrend ist auch die Wendung von der „arglistigen Täuschung“ bzw. vom „arglistigen Verschweigen“, wie sie sich etwa in §§  123 Abs.  1, 438 Abs.  3, 442 Abs.  1 S.  2 Alt.  1 und 444 Alt.  1 BGB findet. Die Wortwahl („arge List“) legt nahe, dass damit ein besonders nieder­ trächtiges Verhalten adressiert werden soll, das Ausdruck einer verwerfli­ chen oder betrügerischen Gesinnung ist. Im ersten Entwurf des BGB wurde demgegenüber teilweise noch, in der Wortwahl sittlich-moralisch neutral, an ein „wissentliches Verschweigen“ angeknüpft. Rechtsprechung und Litera­ tur sind schließlich einen dritten Weg gegangen und interpretieren das Tat­ bestandsmerkmal des arglistigen Verschweigens heute praktisch einmütig im Sinne eines „vorsätzlichen Verschweigens“, wobei bedingter Vorsatz ge­

32  33 

Ausführlich zum Ganzen unten Kapitel  2 B.I.4. = S. 213 ff. mit Nachweisen. Ausführlich unten Kapitel  3 A.VIII.4. = S. 293 ff.

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nügt und ein moralisches Unwerturteil mit seiner Feststellung dezidiert nicht bzw. nicht notwendig verbunden wird.34 Neue Unklarheiten ergeben sich allerdings aus der jüngsten Rechtspre­ chung des BGH zu §  826 BGB, wenn das Gericht als Fallgruppe tatbestand­ lichen sittenwidrigen Verhaltens zumindest semantisch die „bewusste Täu­ schung“ von der „arglistigen Täuschung“ unterscheidet.35 6. Bewusste Ausbeutung – vorsätzliche Ausbeutung Geht man etwas mehr ins Detail, bietet sich als weiteres anschauliches Bei­ spiel für die Unsicherheit im Umgang mit subjektiven Tatbestandsmerkma­ len im Privatrecht ein Blick auf den Wuchertatbestand an. Nach der Rechtsprechung des BGH besteht grundsätzlich keine Pflicht, den Wert eines Vertragsgegenstands gegenüber der anderen Vertragspartei offenzu­legen, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn dieser (erheb­ lich) unter der geforderten Gegenleistung liegt.36 Steht der Wert in einem auffälligen Missverhältnis zur geforderten Gegenleistung, kann der Kauf­ vertrag allerdings ausnahmsweise nach §  138 Abs.  1 oder Abs.  2 BGB wegen Wuchers oder als wucherähnliches Rechtsgeschäft unwirksam sein. a) Wucher (§  138 Abs.  2 BGB) Sowohl der privatrechtliche Wuchertatbestand des §  138 Abs.  2 BGB als auch der strafrechtliche Wuchertatbestand des §  291 Abs.  1 S.  1 StGB setzten neben einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleis­ tung und einer besonderen Schwächesituation beim anderen Teil (Zwangs­ lage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen, erhebliche Willens­ schwäche) insbesondere die „Ausbeutung“ (Wortlaut) dieser Lage voraus. Im Rahmen des §  138 Abs.  2 BGB soll das Tatbestandsmerkmal der Ausbeu­ tung nach hergebrachtem Verständnis erfordern, dass der Wucherer „Kennt­ nis von dem auffälligen Missverhältnis und der Ausbeutungssituation hat und sich diese Situation vorsätzlich zunutze macht“.37 Im Rahmen von §  291 34 

Ausführlich unten Kapitel  2 A.VII. = S. 174 ff. Ausführlich unten Kapitel  3 B.II.3 = S. 309 ff. 36  Vgl. BGH, Urt. v. 8.11.1991 – V ZR 260/90, NJW 1992, 899 Abschn.  II 1; aus straf­ rechtlicher Perspektive auch BGH, Urt. v. 16.1.2020 – 1 StR 113/19, BeckRS 2020, 8962 Rn.  32. 37  Wortgleich etwa BGH, Urt. v. 1.6.2017 – VII ZR 95/16, NJW 2017, 2403 Rn.  13; BGH, Urt. v. 25.2.2011 − V ZR 208/09, NJW-RR 2011, 880 Rn.  10; nahezu wortgleich etwa auch BGH, Urt. v. 24.5.1985 – V ZR 47/84, NJW 1985, 3006 Abschn.  II 3 c; BGH, Urt. v. 8.7.1982  – III ZR 1/81, NJW 1985, 3006 Abschn.  I 2 c. Vgl. aus dem Schrifttum etwa MünchKomm – Armbrüster, BGB, 82018, §  138 Rn.  154. 35 

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StGB wird der subjektive Tatbestand hingegen der allgemeinen Regel der §§  15, 16 StGB folgend dahin konkretisiert, der Wucherer müsse „vorsätz­ lich“ handeln, wobei nach herrschender Auffassung bedingter Vorsatz ge­ nügt und sich der Vorsatz auf sämtliche Merkmale des objek­tiven Tatbe­ stands beziehen muss, also insbesondere auf die Umstände, die das auffällige Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sowie die Schwäche­ situation begründen.38 Beim Blick auf den subjektiven Tatbestand der beiden Wuchertatbestände stellt sich zunächst die Frage, welche Bedeutung der „Zweiteilung“ des sub­ jektiven Tatbestands im Sinne eines Kenntnis- und eines Vorsatzerfordernis­ ses bei §  138 Abs.  2 BGB zukommen soll. Man könnte diese „Zweiteilung“ als zwar feinsinnigen, aber doch rein semantischen Ausdruck des Umstands verstehen, dass nur das Zunutzemachen verhaltensbezogen ist, während das Vorliegen eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegen­ leistung und das Vorliegen einer Schwächesituation beim anderen Teil nicht verhaltensbezogene Bezugspunkte des subjektiven Tatbestands sind, die man zwar „kennen“, aber nicht „vorsätzlich begehen“ kann. In der Sache ist diese Differenzierung indes entbehrlich. Der Vorsatztat­ bestand kann ohne weiteres auch auf Umstände bezogen sein, die isoliert betrachtet nicht verhaltensbezogen sind – und ist dies sogar praktisch im­ mer. Beim strafrecht­lichen Wuchertatbestand des §  291 StGB werden das Bestehen eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegen­ leistung und das Vorliegen einer Schwächesituation beim anderen Teil bei­ spielsweise völlig zwanglos als Elemente des Vorsatztatbestands in Bezug genommen. Für das Privatrecht soll an dieser Stelle als Beispiel ein Verweis auf den Tatbestand der arglistigen (vorsätzlichen) Täuschung genügen; auch hier bezieht sich der subjektive Tatbestand notwendig immer auch auf nicht verhaltensbezogene Umstände, namentlich auf den Umstand, der Gegen­ stand der Täuschung ist, etwa das Vorhandensein eines Mangels einer Kauf­ sache.

38  Vgl. Lackner/Kühl – Heger, StGB, 292018, §  291 Rn.  10; Schönke/Schröder – Heine/­ Hecker, StGB, 302019, §  291 Rn.  35; NK – Kindhäuser, StGB, 52017, §  291 S.  46; ausführlich bezogen auf die Schwächesituation Haberstroh, NStZ 1982, 265, 269 (für die Vorgänger­ norm des §  302a StGB a. F.); im Grundsatz etwa auch MünchKomm – Pananis, StGB, 3 2019, §  291 Rn.  43, der allerdings hinsichtlich der Erzielung eines übermäßigen Vermö­ gensvorteils dolus directus 1. Grades verlangt (im Übrigen aber ebenfalls bedingten Vor­ satz genügen lässt). Etwas unklar demgegenüber BGH, Urt. v. 16.1.2020 – 1 StR 113/19, NStZ-RR 2020, 213 Abschn.  II 1 a bb: „Das ‚Ausbeuten‘ ist als Ausnutzen oder bewuss­ tes Missbrauchen auszulegen“.

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Umgekehrt schließt die Möglichkeit, verhaltens- und nicht verhaltens­ bezogene Tatbestandselemente insgesamt über ein Vorsatzerfordernis in Be­ zug zu nehmen aber nicht aus, dass der „Zweiteilung“ des Tatbestands hier doch eine nicht nur semantische Bedeutung zukommt, namentlich im Sinne eines Ausschlusses der Tatbestandsmäßigkeit des bloß bedingten Vorsatzes. Danach würde es für den zivilrechtlichen Wuchertatbestand – anders als für den strafrechtlichen39 – nicht genügen, wenn der Wucherer es (nur, aber im­ merhin) für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht und sich der andere Teil in einer besonderen Schwäche­situation befindet, sondern er müsste dies – gemeint wäre dann wohl: sicher – wissen, ohne dass es dabei allerdings auf ein voluntatives Element ankäme. Es ist indes kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen würde, den zivil­ rechtlichen Wuchertatbestand in dieser Hinsicht anders zu konstituieren als den strafrechtlichen. Darüber hinaus wäre es auch vom Ergebnis her kaum überzeugend, wenn ein und derselbe Sachverhalt zwar den strafrechtlichen, nicht aber den zivilrechtlichen Wuchertatbestand erfüllte, namentlich weil dem (vermeintlichen) Wucherer (sicheres) Wissen um die Schwächesituation des anderen Teils nicht nachgewiesen werden kann,40 wohl aber, dass er de­ ren Vorliegen für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.41 b) Wucherähnliches Rechtsgeschäft (§  138 Abs.  1 BGB) Ein Kaufvertrag kann nach ständiger Rechtsprechung des BGH, auch wenn der Wuchertatbestand des §  138 Abs.  2 BGB nicht in allen Voraussetzungen erfüllt ist, als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach §  138 Abs.  1 BGB sitten­ 39  Auffällig ist allerdings, dass im Schrifttum zum strafrechtlichen Wuchertatbestand zwar einerseits ganz überwiegend betont wird, dass auf Ebene des subjektiven Tatbe­ stands auch bloß bedingter Vorsatz hinsichtlich sämtlicher Merkmale des objektiven Tat­ bestands genügt, dass dies dann aber häufig dahin näher konkretisiert wird, der Täter müsse das auffällige Missverhältnis und die Schwächesituation „kennen“; vgl. zu dahinge­ henden Formulierungen nur MünchKomm – Pananis, StGB, 32019, §  291 Rn.  43; Schön­ ke/Schröder – Heine/Hecker, StGB, 302019, §  291 Rn.  35; NK – Kindhäuser, StGB, 52017, §  291 S.  46. Nimmt man ernst, dass bedingter Vorsatz genügt, so kann es sich dabei nur um eine sprachliche Verkürzung handeln; in dieser Hinsicht klar und präzise etwa die Formu­ lierung bei Lackner/Kühl – Heger, StGB, 292018, §  291 Rn.  10. 40  Für den strafrechtlichen Wuchertatbestand hat Haberstroh, NStZ 1982, 265, 269 ausführlich dargelegt, dass sich sicheres Wissens von der Schwächesituation des anderen Teils kaum je wird feststellen lassen; „realistisch“ sei daher „allein die Frage nach dem Vorliegen bedingten Vorsatzes“. 41  Im Ergebnis würde sich dies freilich nicht auswirken, weil dann immerhin §   134 BGB i. V. m. §  291 StGB griffe.

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widrig sein.42 Dafür ist neben einem groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung (objektive Voraussetzung) erforderlich, dass der Begüns­ tigte in verwerflicher Gesinnung handelt (subjektive Voraussetzung), was nach der Rechtsprechung des BGH der Fall ist, wenn „diesem bewusst ist oder er sich grob fahr­lässig der Einsicht verschließt, dass der Käufer nur unter dem Zwang der Verhältnisse oder aus anderen, die freie Willensent­ schließung beeinträchtigenden Umständen, wie einem Mangel an Urteils­ vermögen oder wegen einer erheblichen Willensschwäche, sich auf den für ihn ungünstigen Vertrag einlässt“.43 Ähnlich wie im Rahmen von §  138 Abs.  2 BGB kann man sich auch hier die Frage stellen, ob mit der Umschreibung des subjektiven Tatbestands als „Bewusstseinserfordernis“ nicht nur sprachlich, sondern auch in der Sache tatsächlich „nur“ ein isoliertes Wissenserfordernis oder aber nicht doch ein Vorsatzerfordernis in Bezug genommen ist, das sich wie bei §  138 Abs.  1 BGB auf eine Ausnutzung der beeinträchtigenden Umstände oder aber auf das Unterlassen der Offenlegung des groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung als Verhalten bezieht. Der BGH ordnet den subjektiven Tatbestand des wucherähnlichen Rechts­geschäfts jedenfalls auch in der Sache als einfachen Wissenstatbestand ein, wenn er die Frage der Einstandspflicht der bevorteilten Vertragspartei für Dritte nach den Regeln der Wissenszurechnung beantwortet und nicht nach den Regeln der Verschuldenszurechnung: „Überläßt aber der Verkäufer die Verhandlungsführung und den tatsächlichen Vertrags­ abschluß vollständig einer mit der Sachlage allein vertrauten Hilfsperson, muß er sich deren Wissen auch im Rahmen des §  138 Abs.  1 BGB entsprechend §  166 Abs.  1 BGB zurechnen lassen; […]. Läßt sich bei Vorliegen eines objektiven Mißverhältnisses eine Kenntnis der [Vertragspartei] persönlich hiervon oder von den sonstigen die Sittenwidrig­ keit begründenden Umständen nicht feststellen, so wird es weiterer Sachaufklärung und weiterer Feststellungen zum Kenntnisstand der [in die Verhandlungsführung und den tatsächlichen Vertragsabschluß eingebundenen Dritten] sowie einer Zurechnung dieses Wissens zu Lasten der [Vertragspartei] bedürfen“.44

42 

Vgl. nur BGH, Urt. v. 9.10.2009 – V ZR 178/08, NJW 2010, 363 Rn.  6. So beispielhaft BGH, Urt. v. 9.10.2009 – V ZR 178/08, NJW 2010, 363 Rn.  10. 44  BGH, Urt. v. 8.11.1991 – V ZR 260/90, NJW 1992, 899 Abschn.  II 3; vgl. auch BGH, Urt. v. 7.2.1980 – III ZR 141/78, NJW 1980, 1155 Abschn. 3; BGH, Urt. v. 23.10.1963 – V ZR 256/62, WM 1964, 94 = BeckRS 1963, 31188331 Abschn.  II 3 b (auch dort ging es um §  138 Abs.  1 BGB). Das auf §  138 Abs.  2 BGB übertragend Staudinger – Sack/­Fischinger, BGB, 2017, §  138 Rn.  288. 43 

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III. Unsicherheiten hinsichtlich der Zurechnung von Wissen Damit ist der Bogen gespannt zum dritten Problemkreis im Umgang mit subjektiven Tatbestandsmerkmalen und insbesondere mit (vermeintlich) ein­ fachen Wissenstatbeständen im Privatrecht. Nicht nur beim Wuchertatbe­ stand, sondern überall, wo Wissen tatbestandlich relevant ist – sei es unmit­ telbar als solches, sei es als Element eines Vorsatztatbestands, sei es bei Gleichstellung fahrlässiger Unkenntnis bzw. von Fahrlässigkeit, sei es ohne diese Gleichstellung –, stellt sich gleichermaßen die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich der Norm­adressat (die Vertragspartei, der Besitzer im EBV, der Bereicherungsschuldner, der Erwerber einer Sache etc.) Wissen (Wissenmüssen) bzw. Vorsatz (Fahrlässigkeit) einer anderen Person zurechnen lassen muss, also für „das Wissen“ („das Wissenmüssen“) bzw. „den Vor­ satz“ („die Fahrlässigkeit“)45 eines anderen wie für eigenes Wissen (Wissen­ müssen) bzw. für eigenen Vorsatz (eigene Fahrlässigkeit) einstehen muss.46 1. Wissenszurechnung Obwohl es sich um eine normübergreifend bedeutsame Frage handelt, fehlt für (absolute und relative) Wissensnormen, die Wissen (scheinbar) unmittel­ bar als solches in Bezug nehmen, nach hergebrachtem Verständnis eine norm­übergreifende positivrechtliche Regelung. Einzig für den Fall der Stell­ vertretung, also in unmittelbarem Zusammenhang mit §  164 BGB, findet sich im BGB,47 so scheint es, mit §  166 BGB eine positivrechtliche Wissens­ zurechnungsnorm.48 45  Die Begriffe sind hier in Anführungszeichen gesetzt, weil es, wie noch zu zeigen sein wird, wenigstens verkürzt ist, von der Zurechnung „von Wissen“, „von Vorsatz“ usw. zu sprechen. Zurechenbar ist immer nur wissentliches (vorsätzliches) bzw. fahrlässiges Ver­ halten. 46  Vgl. allgemein zur Zurechnung als Rechtsproblem Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S.  467 ff., zitiert nach Neuner/Grigoleit, Claus-Wilhelm Canaris  – Gesammelte Schriften, Band  2: Vertrauenshaftung, 2012, S.  542 ff.; Bork, ZGR 1994, 237, 237 ff., je m. w. N. In den Kapiteln 1 bis 3 soll mit dem Begriff der Zurechnung die Verantwortlichkeit (Einstandspflicht) für fremde Verhältnisse in Bezug genommen sein, nicht hingegen die Verantwortlichkeit für eigene Verhältnisse („Eigenzurechnung“), die hier mit dem Begriff der Zuschreibung angesprochen wird; vgl. für einen Überblick dazu aus der jüngeren Lit. Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S.  49–51; Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Ge­ schäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  45 f. 47  Im VVG finden sich diverse Spezialregelungen, denen allerdings keine systemprä­ gende Bedeutung zukommt. Auch §§  404, 412 und §  857 BGB können in diesem Zusam­ menhang vernachlässigt werden. Näher unten Kapitel  1 B.VI. = S. 123 ff. 48  Vgl. zum Begriff der Zurechnungsnorm in Abgrenzung zur Grundnorm oder bezo-

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Ausgehend hiervon sind Rechtsprechung und Rechtswissenschaft seit je­ her bemüht, diese (vermeintliche) Lücke49 zu schließen. Gelungen ist das bis heute nicht. Die Rechtsprechung zur sogenannten Wissenszurechnung ist kaum zu überblicken, mitunter wenig konturenstark, von Kursänderungen geprägt und nicht immer frei von inneren Widersprüchen.50 Die Spanne der rechtlichen Konstruktionen, mit denen die Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums versuchen, des Problems Herr zu werden, reicht von der Or­ gantheorie51 über die an §  166 Abs.  1 BGB angeknüpfte Wissensvertretung52 bis hin zur Zurechnung kraft Organisationsmangels,53 für die sich eine nor­ mative Anknüpfung kaum mehr finden lässt und bisweilen auch gar nicht erst behauptet wird. In der Literatur werden daneben zahlreiche weitere allgemeine wie ver­ bandsspezifische Zurechnungsmodelle vertreten, die sich, soweit sich das überhaupt feststellen und ausbuchstabieren lässt, teilweise sehr grundsätz­ lich, teilweise aber auch nur in Randbereichen voneinander unterscheiden. Normativ wird dabei insbesondere an §  31 BGB,54 an §  26 Abs.  2 S.  2 BGB und die entsprechenden Parallelregelungen des Handels- und Gesellschafts­ genen Norm, in Bezug auf die etwas zugerechnet werden soll (das sind im hiesigen Kon­ text die Wissens-, Vorsatz- und Verschuldensnormen des Privatrechts), Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934, S.  3; Bork, ZGR 1994, 237, 239. 49  Es wird sich zeigen, dass schon dieser Befund nicht zutrifft: Erkennt man, dass Wis­ sensnormen nichts anderes sind als verkürzt formulierte Vorsatz- bzw. Verschuldens­ normen, stellt sich die Frage nach einer wie auch immer gearteten Zurechnung isolierten Wissens nicht. Die Lücke, die Rechtsprechung und Schrifttum insofern zu füllen suchen, gibt es nicht, weil das Gesetz im Rahmen des möglichen Wortsinns nicht unvollständig ist, sondern insbesondere mit §§  278, 31 BGB Zurechnungsregeln bereithält, die auch für Wissensnormen gelten. Vgl. zur Definition der Lücke Canaris, Die Feststellung von ­Lücken im Gesetz, 21983, passim und insbesondere §  29 = S.  39, zitiert nach Neuner/­ Grigoleit, Claus-Wilhelm Canaris – Gesammelte Schriften, Band  1: Rechtstheorie, 2012, S.  3 ff. und insbesondere S.  30 (dorther die nachfolgend wörtlich wiedergegebene Defini­ tion): „Eine Lücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts (d. h. des Gesetzes im Rahmen seines möglichen Wortsinnes und des Gewohnheitsrechts) gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung. Oder: Eine Lücke liegt vor, wenn das Gesetz innerhalb der Grenzen seines möglichen Wortsinnes und das Ge­ wohnheitsrecht eine Regelung nicht enthalten, obwohl die Rechtsordnung in ihrer Ge­ samtheit eine solche fordert“. 50  Besonders prägnant Liebscher, ZIP 2019, 1837, der die Aussage, es gäbe „allgemeine Grundsätze der Wissenszurechnung“, zutreffend als „reichlich kühne[n] Befund“ einord­ net. 51  Näher und m. w. N. unten Kapitel  1 B.V. = S. 116 ff. 52  Näher und m. w. N. unten Kapitel  1 B.III. = S. 73 ff. 53  Näher und m. w. N. unten Kapitel  1 B.IV. = S. 88 ff. 54  Näher und m. w. N. unten Kapitel  3 C.III. = S. 343 ff.

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rechts,55 an §§  164 Abs.  1, Abs.  3 und/oder 166 Abs.  2 BGB,56 an §§  280 Abs.  1, 241 Abs.  2 BGB,57 an §  278 BGB58 und/oder an §  831 BGB59 ange­ knüpft. Vereinzelt wird auch vertreten, das Problem der Wissenszurechnung sei generell nicht normübergreifend nach Maßgabe einer bestimmten Zu­ rechnungsnorm zu lösen (Einheitslösung), sondern nach Maßgabe jeder ein­ zelnen Wissensnorm (Trennungslösung).60 2. Vorsatzzurechnung (Verschuldenszurechnung) Ganz anders stellt sich die Rechtslage dar, wo es um (explizite) Vorsatz- und Verschuldensnormen geht. Hier wird die Frage nach der Einstandspflicht des Normadressaten für Dritte in §§  31, 278 BGB normübergreifend posi­ tivrechtlich beantwortet. Verbände haben danach generell – innerhalb und außerhalb von Sonder­ verbindungen – für das Verschulden ihrer Organe (Organmitglieder) einzu­ stehen und innerhalb von Sonderverbindungen außerdem für das Verschul­ den ihrer Erfüllungsgehilfen, während natürliche Personen ausschließlich innerhalb von Sonderverbindungen für das Verschulden ihrer gesetzlichen Vertreter und Erfüllungsgehilfen einstehen müssen und außerhalb von Son­ derverbindungen nur für eigenes Verschulden haften (§  831 BGB). Die Einstandspflicht für Erfüllungsgehilfen erfasst dabei nach gefestigter und jedenfalls in den Grundzügen breit konsentierter Rechtsprechung je­ 55 

Näher und m. w. N. unten Kapitel  1 B.V.3. = S. 122. Vgl. etwa Bruns, Voraussetzungen und Auswirkungen der Zurechnung von Wissen und Wissenserklärungen im allgemeinen Privatrecht und im Privatversicherungsrecht, 2007; Meyer, WM 2012, 2040, 2044; Altmeppen, BB 1999, 749, 753; Koller, JZ 1998, 75, 81. 57 Vgl. Rahn, Wissenszurechnung nach der Schuldrechtsnovelle, 2004; Risse, NZG 2020, 856, 863 f. 58  Näher und m. w. N. unten Kapitel  3 C.I. = S. 320 ff. 59  Namentlich im Kontext von §  990 BGB; näher und m. w. N. unten Kapitel  2 B.I.2.c) cc) = S. 205 f. 60 So insbesondere Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.   84 ff.; Prölss, FS Lee­nen, 2012, S.  229, 243 ff. Vgl. zu wissensnormbezogenen Betrachtungen ferner Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 191 ff.; Reuter, ZIP 2017, 310, 313 ff.; Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S.  21 ff.; Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  54 ff. Als normspezifische Sonderlösung im Sinne der Trennungslösung dürfte sich etwa auch der Ansatz von Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und die aktienrechtliche Verschwiegenheits­ pflicht, 2020, S.  235 ff. und zusammenfassend S.  377 einordnen lassen, der speziell für die Ad-hoc-Publizität eine Wissenszurechnung im Einzelfall nach Maßgabe einer Interessen­ abwägung befürwortet, in der „vor allem Kriterien des Insiderrechts zu berücksichtigen sind“. Die Frage der Wissenszurechnung speziell in Bezug auf die Ad-hoc-Publizität soll hier im Übrigen nicht näher betrachtet werden. 56 

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Einführung

den, der – ob selbständig oder unselbständig – innerhalb oder im allgemei­ nen Umkreis des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs mit Wissen (Wissen und Wollen) des Norm­adressaten in dessen Pflichtenkreis tätig wird.61 3. Nebeneinander von Wissens- und Verschuldenszurechnung? Nimmt man die hergebrachten Definitionen des subjektiven Tatbestands des Wuchers im Sinne von §  138 Abs.  2 BGB und des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts im Sinne von §  138 Abs.  1 BGB beim Wort, so müsste man nach dem Gesagten die Frage der Einstandspflicht der begünstigten Ver­ tragspartei für Dritte im Rahmen von §  138 Abs.  1 BGB („bewusst“) nach den wie auch immer gearteten Regeln der Wissenszurechnung beantwor­ ten62 und im Rahmen von §  138 Abs.  2 BGB („vorsätzlich“) nach den Regeln der Verschuldenszurechnung oder im We­ge einer irgendwie kumulierten Anwendung beider Zurechnungsregime („Kenntnis … hat und … vorsätz­ lich“).63 Dasselbe gilt etwa, wenn man §  311a Abs.  2 S.  2 BGB beim Wort nimmt, der in seiner ersten Alternative voraussetzt, dass der Schuldner das Leistungshindernis bei Vertragsschluss „kannte“ und in seiner zweiten Al­ ternative, dass er seine Unkenntnis „nicht zu vertreten hat“.64 Vergleichbares müsste schließlich auch für Regelungen gelten, die nach ihrem Wortlaut ein (explizites) Vorsatzerfordernis und ein (vermeintlich einfaches) Wissenserfordernis dergestalt kombinieren, dass eine Person vom Vorsatz einer anderen Person wissen muss. Beispiele sind §  133 Abs.  1 S.  1 InsO sowie der Nichtigkeitstatbestand des §  134 BGB in Verbindung mit §  1 Abs.  2 Nr.  2 Schwarz­ArbG, der nach ständiger Rechtsprechung des BGH dann erfüllt ist, „wenn der Unternehmer vorsätzlich hiergegen verstößt und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kennt und bewusst zum eige­ nen Vorteil ausnutzt“.65 Nimmt man beide Regelungen wiederum beim Wort, so müsste man die Zurechnungsfrage zulasten des Schuldners (im Fall des §  1 Abs.  2 Nr.  2 SchwarzArbG: des Werkunternehmers) nach den Regeln der Verschuldenszurechnung66 und die Zurechnungsfrage zulasten des an­ 61 

Ausführlich zum Ganzen unten Kapitel  2 B. = S. 189 ff. und Kapitel  3 C. = S. 324 ff. So in der Tat der BGH, s. vorstehend Einführung A.II.6.b) = S. 11 f. 63  Für die Anwendbarkeit der Regeln der Wissenszurechnung auch im Rahmen von §  138 Abs.  2 BGB Staudinger – Sack/Fischinger, BGB, 2017, §  138 Rn.  288. 64  Eine derartige aufgespaltene Zurechnung wird im Schrifttum durchaus vertreten, s. unten Kapitel  3 C.I.7. = S. 336 f. m. w. N. 65  Exemplarisch BGH, Urt. v. 16.3.2017 – VII ZR 197/16, NJW 2017, 1808 Rn.   15 m. w. N. (Hervorhebung nicht im Original). 66  Anders in Bezug auf §  133 Abs.  1 S.  1 InsO die überwiegende Auffassung im insol­ venzrechtlichen Schrifttum, vgl. MünchKomm – Kayser/Freudenberg, InsO, 42019, §  133 62 

B. Gang der Untersuchung

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deren Teils (im Fall des §  1 Abs.  2 Nr.  2 SchwarzArbG: des Bestellers) nach den wie auch immer gearteten Regeln der Wissenszurechnung67 beantwor­ ten. Umgekehrt legt das (vermeintliche) Nebeneinander von Wissens- und Verschuldenszurechnung jedenfalls im Ausgangspunkt nahe, (auch) bei ex­ pliziten Vorsatztatbeständen immerhin das Wissenselement des Vorsatzes isoliert im Wege der Wissenszurechnung zu begründen – ein Ansatz, den der BGH namentlich für §  463 S.  2 BGB a. F. praktiziert hat, dem er für §  826 BGB in seiner jüngsten Rechtsprechung aber (zutreffend) eine deutliche Absage erteilt hat.68 Unterstellt, die Regeln der Wissenszurechnung und die Regeln der Ver­ schuldenszurechnung unterscheiden sich in der Sache – und nach der Recht­ sprechung ist das, soviel lässt sich trotz aller tatbestandlichen Unsicherhei­ ten sagen, klar der Fall69 – wirft der skizzierte Befund die Frage auf, welche Gründe eigentlich eine unterschiedliche Beantwortung der Zurechnungs­ frage bei (vermeintlich) einfachen Wissenstatbeständen und bei Vorsatzbzw. Verschuldenstatbeständen tragen und rechtfertigen. Dieser Frage soll hier nachgegangen werden.

B. Gang der Untersuchung Im Folgenden werden zunächst der Wissensbegriff (1.  Kapitel, Abschnitt A) und die hergebrachten Regeln der Wissenszurechnung (1.  Kapitel, Abschnitt B) und sodann der Vorsatzbegriff (2.  Kapitel, Abschnitt A) und die her­ gebrachten Regeln der Vorsatz- bzw. Verschuldenszurechnung (2.  Kapitel, Rn.  18; K. Schmidt – Ganter/Weinland, InsO, 192016, §  133 InsO Rn.  40; Uhlenbruck – Hirte/Borries, InsO, 2019, §  133 Rn.  43: Geltung der Regeln der Wissenszurechnung auch für den Vorsatztatbestand des §  133 Abs.  1 S.  1 Hs.  1 InsO, wobei das als solches nicht infrage gestellte Wollens­element des Vorsatzes nicht näher adressiert wird. Zur prinzi­ piellen Unzulänglichkeit der Wissenszurechnung für die Begründung von Vorsatz unten Kapitel  3 B. = S. 305 ff. 67  So in Bezug auf §  133 Abs.  1 S.  1 InsO die Rechtsprechung des BGH; näher unten Kapitel  1 B.II.2.a) = S. 70 f. und B.IV.10 am Ende = S. 103 ff. 68  Näher und m. w. N. unten Kapitel  3 B. = S. 305 ff. 69  Besonders deutlich lässt sich das für die Regeln der Wissensvertretung (§  166 Abs.  1 BGB analog) zeigen, wenn es dort auf ein eigenverantwortliches Tätigwerden nach außen als Repräsentant des Geschäftsherrn vergleichbar einem Vertreter ankommen soll. Die Zurechnung des Wissens eines bloß intern tätigen Beraters muss danach generell ausschei­ den, während das Verschulden eines intern tätigen Beraters ohne weiteres nach §  278 BGB zurechenbar sein kann.

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Einführung

Abschnitt B) dargestellt. Der Anlage als Darstellung entsprechend soll dabei besonderer Wert darauf gelegt werden, diese Begriffe und Institute in ihrer auf Anwendung gerichteten Perspektive zu ergründen. Das wiederum erfor­ dert und bedingt unter anderem eine gewisse Konzentration auf die Recht­ sprechung des BGH, die nach Möglichkeit nicht von vornherein interpre­ tiert, sondern ausschnittsweise auch im Original wiedergegeben werden soll. Im Anschluss werden im 3.  Kapitel die zum „Wissen und Vorsatz im Recht“ jeweils gewonnenen Einsichten in Beziehung zueinander gestellt. Auf Grundlage der Erkenntnis, dass Wissen als Tatbestandselement einer (auch: vermeintlich einfachen Wissens-) Norm des Privatrechts immer nur in einem willensgetragenen Verhaltensbezug relevant ist, wird dabei der be­ reits aufgeworfenen Frage nachgegangen, ob sich (vermeintlich) einfache Wissensnormen und (explizite) Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen in ih­ rem subjektiven Tatbestand generell (3.  Kapitel, Abschnitt A) und insbeson­ dere hinsichtlich der Einstandspflicht für Dritte (3.  Kapitel, Abschnitte B und C) überhaupt unterscheiden bzw. sinnvoll unterscheiden lassen. Wie sich zeigen wird, ist diese Frage zu verneinen: (Vermeintlich) einfache Wissensnormen und (explizite) Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen nehmen gleichermaßen ein Vorsatzerfordernis bzw. in Fällen tatbestandlicher Gleich­stellung fahrlässigen Verhaltens ein Verschuldenserfordernis in Be­ zug. Normen mit (vermeintlich) einfachem Wissenstatbestand sind hiernach nichts anderes als verkürzt formulierte Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen. Die grundlegenden Probleme im Umgang mit Wissensnormen lösen sich damit auf. Das gilt insbeson­dere auch für das Problem der Zurechnung von „Wissen“ oder „fahrlässigem Nichtwissen“ (Wissenmüssen), das sich hier­ nach als Problem der Zurechnung vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhal­ tens darstellt und in sachgerechter und handhabbarer Weise in §§  31, 278 BGB adressiert wird, während sich insbesondere §  166 BGB als lediglich ausschnittsweise Adaption von §  278 BGB erweist.

Kapitel  1

Wissen und Wissenszurechnung A. Wissen I. Ausgangspunkt: Die klassische erkenntnistheoretische Konzeption von Wissen Was Wissen ist bzw. unter welchen Voraussetzungen man einer Person Wis­ sen zuschreiben kann, ist Gegenstand der Erkenntnistheorie (Epistemolo­ gie). In einem ersten Anlauf liegt es nahe, sich dem privatrechtlichen Wis­ sensbegriff unter Rekurs auf die klassische erkenntnistheoretische Konzep­ tion von Wissen zu ­nähern. 1. Wissen als wahre begründete Meinung Ihren Ausgang nehmen epistemologische Abhandlungen hergebrachter Weise  – bis heute – bei Platon.1 In seinem Dialog Theaitetos bespricht Platon eine klassische „Standarddefinition“ von Wissen2 als einer wahren begrün­ deten Meinung.3 a) Meinung oder Überzeugung Zunächst muss das epistemische Subjekt S (der Wissende; näher unten 3.) in Bezug auf ein bestimmtes Objekt p (das Gewusste, insbesondere eine Pro­ posi­tion; näher unten 2.) eine Meinung oder Überzeugung haben („S meint/ ist davon überzeugt, dass p“). Mit den Begriffen Meinung oder Überzeu­ gung wird dabei üblicherweise das Bestehen hoher subjektiver Sicherheit in 1  Vgl. für eine Einführung aus rechtswissenschaftlicher Perspektive Schrader, Wissen im Recht, 2017, S.  1 f. 2 Als deutsche Übersetzung von ἐπιστήμη (epistéme) ist neben Wissen insbesondere auch Erkenntnis gebräuchlich. 3  μετὰ λόγου ἀληθῆ δόξαν ἐπιστήμην εἶναι, in der Übersetzung von Friedrich Schleier­ macher: mit ihrer Erklärung verbundene richtige Vorstellung, beides zitiert nach Eigler (Hrsg.), Platon, Sechster Band, 72016, Theaitetos Abschn. 201c/d. Im englischen verbrei­ tet justified true belief, exemplarisch Gettier, Analysis 23 (1963), 121; Goldman, The Jour­ nal of Philosophy 106 (2009), 309.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

Bezug auf die Wahrheit von p ausgedrückt, wobei der Begriff der Überzeu­ gung eine höhere subjektive Sicherheit als der der (bloßen) Meinung aus­ drücken soll.4 b) Wahrheit Um als „Wissen“ qualifiziert werden zu können, muss die Meinung oder Überzeugung, „dass p“, nach der klassischen Konzeption von Wissen au­ ßerdem wahr sein. Ist p nicht wahr, liegt kein Wissen vor, sondern eine bloße Wissensbehauptung5 und privatrechtlich gegebenenfalls ein Irrtum6. Berechtigung und Gehalt des Wahrheitserfordernisses sind nicht unum­ stritten.7 Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit und wohl für das Recht insgesamt sind die damit zusammenhängenden Fragen allerdings nicht von Bedeutung. Das Recht unterstellt, zumal in seiner praktischen Anwendung, sowohl die Existenz als auch die praktische Möglichkeit der Erkenntnis von Tatsachen. In der Rechtsanwendung8 und in besonderer Weise in Entschei­ dungen von Gerichten werden Tatsachen ganz selbstverständlich als „Tatbe­ stand“ festgestellt und formuliert.9 Dass dieser möglicherweise nicht den Anforderungen eines erkenntnistheoretischen Wahrheitserfordernisses ent­ spricht, wird dabei von Rechts wegen hingenommen, soweit dies für die Zwecke des Rechts und dessen Anwendung erforderlich und gerechtfertigt ist. Namentlich das Zivilprozessrecht10 hält einige Regelungen bereit, die die „Wahrheitsfindung“ des Gerichts dezidiert unabhängig von einem objekti­ ven Wahrheitserfordernis normativ legitimieren. Hierher gehört etwa §  138 Abs.  1 ZPO, der die Parteien im Zivilprozess nach herrschendem Verständ­ 4 

Brendel, Wissen, 2013, S.  30. Dies., Wissen, 2013, S.  32 f. 6  Siehe dazu noch unten Kapitel  1 A.IV.2. = S. 46. 7  Für einen Überblick, insbesondere zu konstruktivistischen Konzepten von Wissen, aus der englischsprachigen Lit. etwa Goldman, in: Haddock/Millard/Pritchard (Hrsg.), Social Epistemology, 2010, S.  1, 3–5. 8  Der Begriff wird hier im gängigen Sinne so verwendet wie etwa von Rüthers/Fischer/ Birk, Rechtstheorie mit juristischer Methodenlehre, 102018, S.  407: „Bei der Rechtsanwen­ dung geht es um die Herleitung und Begründung eines Einzelfall-Urteils aus der Rechts­ ordnung. Der Rechtsanwender muß eine Entscheidung treffen“. Bedeutsam für die Zwe­ cke dieser Arbeit ist dabei insbesondere die Einsicht, dass die Rechtsanwendung „auch die Tatsachenfeststellung [steuert], weil einmal (formell) die Tatsachenfeststellung selbst nach Rechtsvorschriften erfolgt, zum anderen (materiell) die anzuwendenden Rechtsvorschrif­ ten die Tatsachenfeststellung voraussetzen und inhaltlich steuern“ (a. a. O., S.  409). 9  Vgl. auch Fatemi, NJOZ 2010, 2637: „Dabei gilt dasjenige als ‚Wirklichkeit‘, was beweisbar ist“ (wohl treffender: bewiesen ist). 10  Siehe auch Fischer, Über das Strafen, 2018, S.  132 ff. 5 

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nis nur zu subjektiver „Wahrheit“ (Wahrhaftigkeit) im Sinne eines bloßen Lügeverbots verpflichtet mit der Folge, dass auch von den Parteien selbst nur für möglich gehaltene (vermutete) Tatsachen (Wahrheitsbehauptungen) Gegenstand des Zivilprozesses und nach Maßgabe des weiteren Prozess­ rechts im Ergebnis prozessual „Wahrheit“ sein können.11 Weitere Beispiele sind §  138 Abs.  3 ZPO, wonach Tatsachen, die nicht bestritten werden, als zugestanden anzusehen und damit vom Gericht als Streitstoff zugrunde zu legen sind, und §  296 ZPO über die Zurückweisung verspäteten Vorbrin­ gens.12 Auch die Regeln zur Darlegungs- und Beweislast und zu Beweiser­ leichterungen gehören hierher.13 Das ist gerechtfertigt, weil Zweck des Zivilprozesses nicht ist, Wahrheit bzw. Erkenntnis in einem naturwissenschaftlichen oder erkenntnistheoreti­ schen Sinn hervorzubringen, sondern streitige Privatrechtsverhältnisse in angemessener Weise zu klären.14 Auch dem materiellen Privatrecht sind ver­ gleichbare Regelungen nicht fremd. Zu denken ist hier insbesondere an die Möglichkeit, streitige Tatsachenfragen und namentlich die Frage, ob eine bestimmte Tatsachenbehauptung wahr ist, für das Privatrechtsverhältnis der Beteiligten untereinander im Wege eines tatsachenbezogenen Anerkenntnis­ ses zu klären.15 Bei der Anwendung einer Wissensnorm ist der (objektive) Tatbestand dann so, wie er konsentiert bzw. gerichtlich festgestellt und formuliert ist (p), seinerseits Gegenstand der Frage, ob „S wusste, dass p“. Vor diesem Hintergrund soll Wahrheit hier – im Anschluss an Brendel – als „semanti­ sche Eigenschaft von Propositionen“ verstanden werden, allerdings anders als nach Brendel nicht dergestalt, dass eine Proposition p nur und genau 11  Näher,

jeweils auch zur Erstreckung des Lügeverbots auf die Tätigung anhaltloser Angaben ins Blaue hinein und m. w. N., Musielak/Voit – Stadler, ZPO, 182021, §  138 Rn.  2; MünchKomm – Fritsche, ZPO, 62020, §  138 Rn.  2; Gomille, Informationsproblem und Wahrheitspflicht, 2016, S.  19. 12  Vgl. zur Einordnung von §  296 ZPO als Vorschrift, die den Anspruch der Wahr­ heits­ermitt­lung prozessualen Notwendigkeiten unterordnet, etwa Brand, NJW 2017, 3558, 3559. 13  Ders., NJW 2017, 3558, 3560. 14  Vgl. Musielak/Voit – Stadler, ZPO, 182021, §  138 Rn.  2; Brand, NJW 2017, 3558 f.; vgl. aus der älteren Lit. noch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1969, S.  243 mit der zutreffenden Ergänzung, dass trotz aller (notwendigen) Abstriche die Erkenntnis der „materiellen Wahrheit“ doch Leitbild für die Bemühungen des Gerichts bleibt und bleiben muss. 15  Näher, auch zur Indizwirkung im Zivilprozess, MünchKomm – Habersack, BGB, 8 2020, §  781 Rn.  7; vgl. speziell zur Beweiskraft öffentlicher Urkunden außerdem noch §§  415 ff. ZPO und Rachlitz, DNotZ 2015, 470, 472 für sogenannte deklaratorische Mak­ lerklauseln.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

dann wahr ist, „wenn der durch p ausgedrückte Sachverhalt besteht, d. h. eine Tatsache darstellt“16 sondern dergestalt, dass eine Proposition p nur und genau dann wahr ist, wenn sie von Rechts wegen als Tatsache gilt, nament­ lich weil sie konsentiert ist oder gerichtlich als Tatsache festgestellt und for­ muliert ist.17 c) Begründung (epistemische Rechtfertigung) Schließlich muss die Meinung bzw. Überzeugung nach der klassischen Kon­ zeption von Wissen begründet, das heißt epistemisch gerechtfertigt sein. Es müssen „gute Gründe“ die (Wahrheit einer) Meinung bzw. Überzeugung stützen. Zwingender Gründe bedarf es nach herkömmlichem Verständnis demgegenüber nicht. Meinungen bzw. Überzeugungen können also episte­ misch gerechtfertigt, aber trotzdem falsch (nicht wahr) sein (Fallibilität epis­ temischer Rechtfertigung). Die Einzelheiten sind wiederum umstritten. Insbesondere ist umstritten, welche Art von Gründen Basis von Wissen sein und dieses epistemisch rechtfertigen können. Die Vertreter fundamentalistischer Theorien gehen davon aus, dass ausschließlich basale Gründe eine Meinung bzw. Überzeu­ gung epistemisch rechtfertigen können, wobei der Status dieser basalen Gründe wiederum uneinheitlich bestimmt wird. Insbesondere wird teilwei­ se auf rationalistische Gründe verwiesen (erste Prinzipien und notwendige Wahrheiten, die durch Vernunft eingesehen werden können), teilweise auf empirische Gründe (basale Sinneseindrücke). Für Vertreter kohärentisti­ scher Theorien stehen Meinungen bzw. Überzeugungen demgegenüber in einem wechselseitigen Rechtfertigungszusammenhang, sodass eine Meinung bzw. Überzeugung insbesondere dann als gerechtfertigt angesehen werden kann, wenn sie sich (möglichst) stimmig (kohärent) in bestehende Mei­ nungs- bzw. Überzeugungssysteme einfügen lässt, namentlich dergestalt, dass sie andere Meinungen bzw. Überzeugungen, die sich bereits bewährt haben, stützt und von diesen gestützt wird.18 16  Brendel, Wissen, 2013, Kapitel  3 Fn.  9 = S.  184 und zur Faktivität dieses Wissensbe­ griffs noch S.  156. 17 Ganz vergleichbar bezogen auf Verwaltungshandeln Hilbert, Die Verwaltung 51 (2018), 313 ff., wenn er den Sachverhalt prägnant als „Aussage über Tatsachen“ beschreibt (S.  315), der „im Verfahren überhaupt erst erzeugt bzw. für die Zwecke des Verfahrens konstruiert“ wird (S.  317) und dabei zutreffend darauf hinweist, dass dieser Befund „un­ abhängig vom eigenen erkenntnistheoretischen Standpunkt“ ist, weil das, was im Verfah­ ren „rechtsgeleitet festgelegt“ wird, nun einmal „am Ende des Verwaltungsverfahrens als Sachverhalt gilt“ (S.  320; Hervorhebungen jeweils im Original). 18  Brendel, Wissen, 2013, S.  33 f.

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Eine zweite wichtige Streitfrage dreht sich darum, ob dem epistemischen Subjekt S die rechtfertigenden Gründe bekannt und direkt zugänglich (ver­ fügbar) sein müssen (so der Internalismus) oder ob Wissen schon dann vor­ liegt, wenn es rechtfertigende Gründe überhaupt gibt, unabhängig davon, ob diese dem epistemischen Subjekt S bekannt bzw. zugänglich sind (so der Externalismus).19 Die Frage nach dem Erfordernis epistemischer Rechtfertigung einer Mei­ nung oder Überzeugung für die Begründung von Wissen spielt im Diskurs über den Wissensbegriff des Rechts bislang, soweit ersichtlich, keine oder jedenfalls keine dominante Rolle. Anklänge daran finden sich immerhin in der strafrechtlichen Literatur zum Vorsatzbegriff, wenn dort ausgeführt wird, ganz irreale Wünsche seien generell ungeeignet, das kognitive Element des Vorsatzes zu begründen. Lehrbuchbeispiel ist der Fall, dass jemand einen anderen zu einem Spazier­ gang veranlasst in der Hoffnung und mit dem Ziel, dieser solle dabei durch einen Blitzschlag umkommen. Zwar ist das voluntative Element des Tö­ tungsvorsatzes hier stark ausgeprägt; die bloße Hoffnung, der andere möge durch einen Blitz erschlagen werden, ist aber für das darüber hinaus, und zwar auch bei der Absicht,20 erforder­liche kognitive Vorsatzelement unzu­ reichend.21 Selbst wenn man hier feststellen könnte, der „Täter“ sei, im Sinne einer Wahnvorstellung, der festen Überzeugung gewesen, der Spaziergang würde für den Spaziergänger tödlich enden, wäre diese Überzeugung un­ geeignet, Wissen zu begründen, weil sie nicht hinreichend epistemisch ge­ rechtfertigt ist. Zwar ist es natürlich überhaupt (abstrakt) möglich, dass ­je­ mand auf einem Spaziergang von einem Blitz getroffen wird. Das kann als epistemische Rechtfertigung aber nicht genügen, weil dann praktisch jede Möglichkeitsvorstellung per se hinreichend begründet wäre. Vielmehr be­ darf es zumindest gewisser konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die Mög­ lichkeitsvorstellung im konkreten Fall valide ist. Im Privatrecht findet sich ein anschauliches Beipiel für einen Wissenstatbestand, der an eine von tat­ sächlichen Anhaltpunkten getragene Möglichkeitsvorstellung anknüpft, in §  9 Abs.  3 LkSG.22 Im Übrigen kommt dem Erfordernis epistemischer Rechtfertigung (je­ denfalls im Sinne des Internalismus) in rechtlichen Zusammenhängen große Bedeutung im Rahmen der Rechtsanwendung auf Feststellungsebene zu, 19 

Dies., Wissen, 2013, S.  34; Goldman, The Journal of Philosophy 106 (2009), 309 ff. Siehe allgemein noch unten Kapitel 2 A.II.1 = S. 141. 21 Vgl. Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  8 = S.  439; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8 2017, §  5 Rn.  37 = S.  97 m. w. N. 22  Näher dazu noch unten Kapitel  3 A.III.3 = S. 273 f. 20 

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

namentlich bei der Feststellung, ob jemand einer bestimmten Meinung oder Überzeugung war. Da eine Meinung bzw. Überzeugung als innere Tatsache einer unmittelbaren Wahrnehmung nicht zugänglich ist, muss sie regelmä­ ßig, zumal wenn der vermeintlich Wissende sich nicht dahin einlässt, er wis­ se oder habe gewusst, unter Anwendung von Erfahrungssätzen aus äußeren Umständen erschlossen werden.23 Solche Umstände werden regelmäßig eben jene Gründe sein, die die Meinung bzw. Überzeugung epistemisch rechtfertigen. Wenn beispielsweise festgestellt werden kann, dass S vor der Veräußerung eines Grundstücks im Zusammenhang mit einer baurechtli­ chen Anordnung des zuständigen Landratsamts im Verfügungswege mitge­ teilt worden war, dass die Decken des nunmehr veräußerten Gebäudes nicht mehr tragfähig seien und das Gebäude daher nicht mehr betreten werden darf, so wird man daraus auf Tatsachenebene regelmäßig folgern können, dass S bei Vertragsschluss der Meinung war, das Grundstück sei mangel­ haft24 und ihn regelmäßig nicht mit dem Einwand hören, ihn hätten „die Ausführungen des Landratsamts nicht überzeugt“.25 Zugleich rechtfertigt die Verfügung des Landratsamts diese Überzeugung epistemisch und be­ gründet damit „Wissen“, wenn sie eine gewisse Plausibilitätsschwelle über­ schreitet. Wenn hingegen nur festgestellt werden kann, dass S das hohe Alter des Gebäudes oder eine intensive Vornutzung bekannt war oder dass ihm von einem Spaziergänger mitgeteilt worden war, dass das Gebäude doch „ir­ gendwie unsicher“ aussehe, wäre beides regelmäßig nicht der Fall. Rechtlich stünde dann regelmäßig allenfalls fahrlässiges Nichtwissen in Rede.26 d) Unvollkommenheit der klassischen Wissenskonzeption (Gettier und Folgende) Es ist weitgehend anerkannt, dass die klassische Konzeption von Wissen als wahrer begründeter Meinung in bestimmten Fällen nicht adäquat ist. Dies wird insbesondere in den sogenannten Gettier-Beispielen deutlich, in denen die Wahrheit einer Überzeugung lediglich glücklichen Umständen zu ver­

23 

Ausführlich dazu noch unten Kapitel  1 A.IV. = S. 42 ff. Begriff des Mangels sei im vorliegenden Abschnitt zunächst in einem rein ­deskriptiven Sinne verwendet. Zum normativen Gehalt des Mangelbegriffs und dessen Relevanz als Bezugspunkt von Wissen unten Kapitel  1 A.V. = S. 60 ff. 25  Beispiel in Anlehnung an die Bürgermeisterentscheidung des BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975; ausführlich dazu noch unten Kapitel  1 B.IV.1. = S. 88 ff. und Kapitel  3 B.III. = S. 312 ff. 26 Näher zur systemprägenden Unterscheidung zwischen Wissen und fahrlässigem Nichtwissen unten Kapitel  1 A.VI. = S. 64. 24 Der

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danken ist und intuitiv27 damit kaum von „Wissen“ gesprochen werden kann.28 Um dem zu begegnen, lassen manche an die Stelle des Erfordernisses epistemischer Rechtfertigung beispielsweise das Prinzip epistemischer Si­ cherheit29 oder epistemischer Methodensicherheit treten.30 Für die Konturierung des privatrechtlichen Wissensbegriffs und erst recht für die praktische Handhabung von Wissensnormen sind diese Randberei­ che der erkenntnistheoretischen Konzeption von Wissen nicht von entschei­ dender Bedeutung. Sie sollen hier folglich vernachlässigt werden. 2. Objekt der Wissensrelation (Gegenstand von Wissen) Die Erkenntnistheorie befasst sich in der Regel mit bestimmten bestehen­den Sachverhalten oder Tatsachen (im weiteren Sinne, also etwa unter Ein­ schluss von Fähigkeiten und Fertigkeiten) als Objekten von Wissen.31 Im Zentrum steht dabei das sogenannte propositionale (auch: theoretische) „Wissen, dass“ („S weiß, dass p“, z. B.: „S weiß, dass Z gerade Auto fährt“ oder: „S weiß, dass Z Auto fahren kann“). Davon wird verbreitet sogenann­ tes nicht-propositionales (v. a.: interrogatives) „Wissen, wie“ unterschieden, also beispielsweise praktisches „Wissen, wie man Auto fährt“ oder phäno­ menales „Wissen, wie es ist (wie es sich anfühlt), Auto zu fahren“.32 Ob sich sämtliches „Wissen, wie“ auf propositionales „Wissen, dass“ zu­ rückführen (reduzieren) lässt (so der Intellektualismus) oder nicht (so der Anti-­Intel­lektualismus), ist umstritten.33 Die Rechtsordnung knüpft (jeden­ falls se­mantisch) Rechtsfolgen sowohl an „Wissen, wie“ (…man Auto fährt – als Voraus­setzung dafür, das Autofahren zu gestatten: „Befähigt zum Füh­ ren von Kraftfahrzeugen ist, wer (…) die zum sicheren Führen eines Kraft­ fahrzeugs (…) erforderlichen technischen Kenntnisse besitzt und zu ihrer praktischen Anwendung in der Lage ist“, §  2 Abs.  5 Nr.  3 StVG) als auch an „Wissen, dass“ (…die verkaufte Sache mangelhaft ist – als Voraussetzung dafür, dem Käufer die gesetzlichen Gewährleistungsrechte zu versagen: „Die Rechte des Käufers wegen eines Mangels sind ausgeschlossen, wenn er bei Vertragsschluss den Mangel kennt“, §  442 Abs.  1 S.  1 BGB). 27  Allgemein zur Intuition in der Philosophie und speziell zur Intuition in Bezug auf Wissen Brendel, Wissen, 2013, S.  165 ff. 28  Gettier, Analysis 23 (1963), 121 ff. Überblick bei Brendel, Wissen, 2013, S.  36 ff. m. w. N. zum Diskurs. 29  Vgl. die Ausführungen und Nachweise bei Brendel, Wissen, 2013, S.  57. 30 So Brendel selbst, vgl. dies., Wissen, 2013, S.  65. 31  Dies., Wissen, 2013, S.  29. 32  Dies., Wissen, 2013, S.  14 ff. 33  Dies., Wissen, 2013, S.  17 ff.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

Für den Gegenstand der vorliegenden Arbeit und vermutlich für das Recht insgesamt ist die Unterscheidung zwischen „Wissen, dass“ und „Wis­ sen, wie“ nicht von Bedeutung. Das gilt besonders aus prozessualer Sicht, wenn sich der Richter eine Überzeugung von einem tatsächlichen Sachver­ halt zu verschaffen sucht und damit „Überzeugung, dass“, also beispielswei­ se die „Überzeugung, dass A die zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs erforderlichen technischen Kenntnisse besitzt und zu ihrer praktischen An­ wendung in der Lage ist“ oder die „Überzeugung, dass die verkaufte Sache mangelhaft war und der Käufer dies wusste“. Von Rechts wegen bedeutsam ist demgegenüber die Unterscheidung zwi­ schen Tatsachen und rechtlichen Schlussfolgerungen (dem Recht selbst) als möglichen Objekten der Wissensrelation. Da es sich hierbei aber um eine genuin rechtliche Unterscheidung handelt, soll dieser später gesondert nach­ gegangen werden. 3. Subjekt der Wissensrelation (Wissensträger; epistemisches Subjekt) a) Die natürliche Person als Wissensträger Die Erkenntnistheorie befasst sich üblicherweise, etwa unter Rückbindung an die Philosophie Rene Descartes’34, aber etwa auch in Auseinandersetzung mit Friedrich Hayek35 und Karl Popper36, mit dem Individuum, dem einzel­ nen Menschen als Subjekt der Wissensrelation. Wissen wird hiernach als mentaler37 oder kognitionsbiologischer (zerebraler)38 Zustand oder als das Ergebnis men­taler oder kognitiver Fähigkeiten, Fertigkeiten und Prozesse39 verstanden, was jeweils notwendig eine natürliche Person als Wissensträger voraussetzt.40 34 Vgl.

Goldman, Royal Institute of Philosophy Supplement 64 (2009), 1. List/Pettit, Group Agency, 2011, S.  3. 36 Vgl. Bird, in: Lackey (Hrsg.), Essays in Collective Epistemology, 2016, S.  42, 58 in Auseinandersetzung mit Poppers Erkenntnistheorie ohne erkennendes Subjekt (Epistemology With­out a Knowing Subject). 37 Vgl. Goldman, Royal Institute of Philosophy Supplement 64 (2009), 1. 38  Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 173. 39  Brendel, Wissen, 2013, S.  71, 74 m. w. N. 40  Weniger deutlich ist das insbesondere für die speziell in Bezug auf die Wissensbedin­ gung epistemischer Rechtfertigung formulierte Theorie von der „Anwendung einer epis­ temisch sicheren Methode“; vgl. auch hierzu dies., Wissen, 2013, 65, 78: Nach Brendel begründet eine wahre Meinung dann Wissen, wenn sie durch eine epistemisch sichere Me­ thode gewonnen wurde, wobei eine Methode dann epistemisch sicher ist, wenn S durch ihre Anwendung in allen nahen möglichen Welten keine falsche Meinung gewinnt. Diese Einschränkung soll eine Antwort auf das Gettier-Problem darstellen, bezweckt also die Aussonderung solcher Fälle, in denen die Wahrheit einer Meinung nur glück­lichen Um­ 35 Vgl.

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Die Vorstellung von der einzelnen natürlichen Person als Wissensträger – in Abgrenzung zu Organisationen oder bloßen Informationsspeichern (Akten, Datenträgern) als Wissensträgern – ist intuitiv höchst plausibel. Sie liegt im Ausgangspunkt auch der Behandlung von Wissensfragen und dem diesbezüglichen Diskurs im Privatrecht zugrunde.41 b) Gruppen als Wissensträger? aa) Einführung In der Erkenntnistheorie wird der Blick in jüngerer Zeit unter der Über­ schrift „soziale Erkenntnistheorie“ (Social/Collective Epistemology) aller­ dings erweitert und unter anderem42 gefragt, ob bzw. in welcher Weise auch Gruppen (Groups, Collectives; etwa Regierungen, Gerichte, Parteien und Unternehmen)43 Subjekte von Wissen (Agents)44 sein können und wie sich die Mitglieder der Gruppe hinsichtlich ihres individuellen Wissens zu der Gruppe verhalten, der sie angehören oder die sie repräsentieren. Ganz ähnlich wie im rechtstheoretischen Diskurs um die Organtheorie auf der einen und die Vertretertheorie auf der anderen Seite stellt auch die soziale Erkenntnistheorie die Frage an den Anfang, ob die Zuschreibung, eine bestimmte Gruppe „wisse“, nur metaphorischer, sprachpragmatischer oder fiktiver Natur ist (eliminative Tradition) oder ob sie im engeren Sinne auf eigenes (autonomes) „Wissen der Gruppe“ verweist (emergente45 Tradi­ tion), ob eine Gruppe also im epistemologischen Sinne „tatsächlich“ Subjekt der Wissensrelation sein kann und dann selbst wissend „ist“ (rechtswissen­ schaftlich: Organtheorie) oder nicht (rechtswissenschaftlich: Vertretertheo­ ständen (sogenanntem veridischem epistemischem Zufall) zu verdanken ist (Brendel, a. a. O.). 41  In eine ähnliche Richtung dürfte etwa auch der Hinweis von K. Schmidt, Karlsruher Forum 1993 (VersR Sonderheft), 4, 5, gehen, der dieses Phänomen in ähnlichem Zusam­ menhang einmal als „Paradigma der natürlichen Person“ und als „Paradigma des Einzel­ kaufmanns“ bezeichnet hat, dem er das „Paradigma der Handelsgesellschaft“ gegenüber­ stellt (vgl. §  6 HGB). 42 Unter die Überschriften „Social Epistemology“ oder „Collective Epistemology“ werden noch andere Gegenstände und Diskurse gefasst, die hier außer Acht bleiben sol­ len. Für einen Überblick Goldman, in: Haddock/Millard/Pritchard (Hrsg.), Social Epis­ temology, 2010, S.  1 ff. 43  Der Fokus liegt dabei auf Zusammenschlüssen zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks (Joint Intention); vgl. dazu List/Pettit, Group Agency, 2011, S.  33–35. 44  Für eine mögliche allgemeine Definition des Begriffs des Agents vgl. dies., Group Agency, 2011, S.  19 ff. 45  Vgl. zur Emergenz in der Soziologie allgemein noch Miebach, Soziologische Hand­ lungs­theorie, 42014, S.  34.

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rie).46 Im Kern geht es dabei um die Frage, ob die Realität bestimmter Grup­ pen, aus der Wissen ein Ausschnitt ist, überhaupt nur oder jedenfalls tref­ fender erfasst und beschrieben werden kann, wenn man sie als autonom wissende Subjekte betrachtet.47 So reizvoll die Befassung mit dieser Frage erkenntnistheoretisch sein mag, so wenig ergiebig ist sie für die Zwecke des Privatrechts. Ob man die Vor­ stellung einer Gruppe als autonomes epistemisches Subjekt nun ablehnt oder nicht: Das Recht ist jedenfalls nicht daran gehindert, eine Gruppe als epistemisches Subjekt zu behandeln, indem es ihr diese Fähigkeit normativ zuschreibt.48 Dass Verbände im Prinzip Adressaten von Wissensnormen und damit im Rechtssinne Subjekte der Wissensrelation sein können, ist im Er­ gebnis selbstverständlich; die Anerkennung dieser Möglichkeit ist untrenn­ bar mit der Anerkennung ihrer Rechts­fähigkeit verbunden. Es wäre unsin­ nig, einer Aktiengesellschaft einerseits die Möglichkeit zuzugestehen, selbst Partei eines Kaufvertrags zu sein, andererseits aber davon auszugehen, diese könne per se nicht Adressatin des Vorwurfs arglistiger Täuschung über einen Mangel der veräußerten Sache sein, weil sie selbst als juristische Person in einem natürlichen Sinne einen Mangel nicht „kennen kann“. Auf Basis der Annahme, dass eine Gruppe prinzipiell als Subjekt der Wis­ sensrelation in Betracht kommt oder wie ein solches zu behandeln sein kann, kann die weitere Frage gestellt werden, wie sich diese Gruppe hinsichtlich 46  Vgl. für einen Überblick und zu den englischsprachigen Begrifflichkeiten List/­Pettit, Group Agency, 2011, S.  73; Lackey, in: dies. (Hrsg.), Essays in Collective Epistemology, 2016, 64–66; Roth, Shared Agency, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Sum­ mer 2017 Edition. 47 Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive wohl Heidrich, Das Wissen der Bank, 2001, S.  100, wenn er, unter Rekurs auf Luhmanns Theorie sozialer Systeme, der juristi­ schen Person, jedenfalls was Wissensprozesse anbelangt, „selbstreferentielle Selbster­ schaffung und -erhaltung“ zuspricht (anders dann aber S.  124); auch Guski, ZHR 184 (2020), 363, 376 f.; vgl. zur diesbezüglichen Diskussion in der Rechtswissenschaft insbe­ sondere noch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, §  8 II 3. Der primär erkenntnistheo­ retische und der primär rechtswissenschaftliche Diskurs ähneln sich diesbezüglich übri­ gens bisweilen auch auf begrifflicher Ebene in erstaunlicher Weise, etwa wenn Lackey, in: dies. (Hrsg.), Essays in Collective Epistemology, 2016, S.  64, 90 die von ihr abgelehnte emergente Tradition (Non-Reductionist Account) als „mystery“ markiert; für die Rechts­ wissenchaft Flume, unten Kapitel  1 Fn.  372. 48  Vgl. dazu dezidiert für die Zwecke des Rechts List/Pettit, Group Agency, 2011, S.  76; vgl. auch S.  78, wo List/Pettit auch die Anerkennung von Group Agents ganz allge­ mein u. a. mit einem Bedürfnis nach „Handhabbarkeit“ oder Komplexitätsreduktion be­ gründen: „the difficulty of predicting from an individualistic base what a group agent does provides a justification for making sense of the group agent in terms that abstract from the way its members perform“. Im Ergebnis gehen List/Pettit aber über ein bloß fiktionales Verständnis der Personalität von Gruppen hinaus.

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der Kon­stitution von Wissen zu ihren Mitgliedern (im weiteren Sinne)49 ver­ hält. Diese Frage kann auf unterschiedliche Art weiter konkretisiert werden. So kann gefragt werden, unter welchen Voraussetzung Wissen von Mitglie­ dern einer Gruppe Wissen der Gruppe „ist“ bzw. unter welchen Vorausset­ zungen Wissen von Mitgliedern einer Gruppe als Wissen der Gruppe „gilt“ (Wissensaggregation; Knowledge Aggregation)50? Alternativ lässt sich das Problem auch als Zurechnungsproblem beschreiben: Unter welchen Voraus­ setzungen kann Wissen von Mitgliedern einer Gruppe als Wissen der Grup­ pe dieser zugerechnet werden? In der sozialen Erkenntnistheorie existieren hierzu diverse Ansätze. bb) Kollektivistische Ansätze Auf der einen Seite stehen Ansätze, nach denen eine Gruppe „G weiß, dass p“, wenn „alle Mitglieder von G wissen, dass p“ (Summative Approach).51 Alternativ wird die Aussage, „G weiß, dass p“ auch davon abhängig gemacht bzw. daran angeküpft, dass die Mitglieder der Gruppe gegenseitig ihre Ak­ zeptanz von p ­offen zum Ausdruck bringen (Joint/Mutual Acceptance/ Commitment/Awareness Account).52 Die Operabilität solcher kollektivistischer Ansätze für die Zwecke des Privatrechts dürfte insbesondere davon abhängen, wie man den Kreis der Mitglieder zieht, deren Wissen potentiell maßgeblich sein soll. Zieht man ihn weit, was wohl zumindest im ersten Zugriff dem vorherrschenden Ver­ ständnis entspricht, dürften kollektivistische Ansätze für die Zwecke des Privatrechts von vornherein inadäquat sein; insbesondere ist nicht zu erken­ nen, wie sie dann rechtstatsächlich fruchtbar gemacht werden könnten. Et­ was anderes gilt, wenn man den Kreis der wissensvermittelnden „Mitglie­ 49  Der Begriff des Mitglieds wird an dieser Stelle in einem organisationssoziologischen Sinne verwendet und verweist auf diejenigen Personen, die in einer Gruppe wirken, also nicht nur auf deren Mitglieder im rechtlichen Sinne, sondern etwa auch deren Mitarbeiter; vgl. etwa Kühl, Organisationen, 2011, S.  17 f., 23 ff. 50  List/Pettit, Group Agency, 2011, S.  42 ff., 60. 51  Vgl. für einen Überblick Goldman/O’Connor, Social Epistemology, in: The Stan­ ford Encyclopedia of Philosophy, Fall 2019 Edition, Abschn. 3.3 unter Verweis auf Quinton: „a group believes something just in case all, or almost all, of its members hold the belief“; Gilbert/Pilchman, in: Lackey (Hrsg.), Essays in Collective Epistemology, 2016, S.  189, 194 f., je m. w. N. 52  Vgl. für einen Überblick wiederum Goldman/O’Connor, Social Epistemology, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Fall 2019 Edition, Abschn. 3.3 unter Verweis auf frühere Arbeiten von Gilbert und Schmitt: „A group G believes that p if and only if the members of G are jointly committed to believe that p as a body“; Gilbert/Pilchman, in: Lackey (Hrsg.), Essays in Collective Epistemology, 2016, S.  189, S.  197 ff., je m. w. N.

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der“ eng zieht und beispielsweise ausschließlich das Wissen bzw. die allseiti­ ge Akzeptanz des Wissens eines Ausschusses, der vertretungsbefugten Personen oder gar eines einzelnen Experten für maßgeblich hält.53 Solche Ansätze können durchaus operabel sein. Sie wären allerdings als individua­ listische oder prozessbezogene Ansätze treffender beschrieben. cc) Individualistische Ansätze Den kollektivistischen Ansätzen lassen sich individualistische Ansätze ge­ genüberstellen, wonach das Wissen einer Gruppe pauschal mit dem Wissen eines einzigen oder einzelner weniger Mitglieder der Gruppe gleichgesetzt wird. Solche Systeme werden teilweise als diktatorische Systeme bezeich­ net.54 Mit Blick auf das Privatrecht gehören hierher insbesondere Ansätze, die Wissen der Mitglieder der Vertretungs- und Leitungsorgane eines Ver­ bands pauschal als Wissen des Verbands einordnen.55 dd) Prozessbezogene Ansätze In gewisser Hinsicht „zwischen“ den beiden soeben dargelegten Ansätzen liegen Ansätze, die in unterschiedlicher Weise den Prozess der „Wissensbil­ dung“ (mode of determination) auf Ebene der Gruppe in den Mittelpunkt rücken.56 Standardbeispiel für einen prozessbezogenen Ansatz der Wissensaggrega­ tion ist die Mehrheitsentscheidung. Danach weiß G etwa dann, dass p, wenn 53 Vgl. für ähnliche Überlegungen unter Zuordnung zur Gruppe der commitment ­ odels Bird, in: Lackey (Hrsg.), Essays in Collective Epistemology, 2016, S.  42, 43 f.; m Gilbert/­Pilchman, in: Lackey (Hrsg.), Essays in Collective Epistemology, 2016, S.  189, 198. 54  List/Pettit, Group Agency, 2011, S.  48 f. 55  Näher zur Organtheorie und ihrer Bedeutung für die Begründung von „Wissen des Verbands“ Kapitel  2 B.V. = S. 116 ff. 56  Vgl. allgemein List/Pettit, Group Agency, 2011, S.  60; Goldman/O’Connor, Social Epistemology, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Fall 2019 Edition, Abschn. 4.1. Prozessbezogene Beschreibungen und Konzeptualisierungen von Wissen sind nicht auf Gruppen beschränkt. Vielmehr wird auch das Wissen natürlicher Personen verbreitet prozessbezogen beschrieben und konzeptualisiert, namentlich als Ergebnis mentaler (kog­nitiver, zerebraler) Fähigkeiten und Fertigkeiten oder als Ergebnis der Anwendung einer epistemisch sicheren Methode. Eine prozessbezogene Konzeption von Wissen in Bezug auf Gruppen bedeutet und begründet also keinen kategorialen Unterschied zwi­ schen Wissenskonzepten, die sich auf einzelne natürliche Personen beziehen und solchen, die sich auf Gruppen beziehen. Eine prozess­bezogene Konzeption dürfte in Bezug auf Gruppen aber immerhin intuitiv plausibler sein als in Bezug auf die einzelne natürliche Person. Im Übrigen unterscheiden sich die Prozesse als solche erheblich voneinander.

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die Mehrheit der Mitglieder explizit kundtut zu wissen, dass p.57 Es lassen sich aber auch – beinahe beliebig – andere formale, deliberative, informelle und sogar implizite Prozesse als Prozesse der Wissensaggregation ohne Rückbindung an ein Mehrheitsprinzip beschreiben.58 Ein vergleichsweise stark auf das einzelne Mitglied bezogener Prozess, der in der Literatur be­ schrieben wird, sieht etwa vor, dass für jede Voraussetzung p einer bestimm­ ten Schlussfolgerung einzelne Mitglieder oder Untergruppen von Mitglie­ dern als „Spezialisten“ oder „Experten“ insofern für allein „zuständig“ er­ klärt werden, als sie allein diesbezüglich Wissen der Gruppe begründen.59 ee) Relevanz für die Zwecke des Privatrechts Der vorstehende kursorische Überblick zeigt deutlich, dass es im erkenntnis­ theoretischen Diskurs kein gemeinsames Grundverständnis davon gibt, (ob und) wie Wissen einer Gruppe begründet werden kann. Das Spektrum der hierzu er­örterten Ansätze ist denkbar weit. Die diesbezüglichen Varianzen und Vagheiten ähneln denen, die im privatrechtlichen Diskurs um das „Wis­ sen des Verbands“ festzustellen sind und hier in dem Eingeständnis gipfeln, die „Frage der Wissenszurechnung von Organvertretern“ lasse „sich nicht mit logisch-begrifflicher Stringenz […], sondern nur in wertender Beurtei­ lung entscheiden“.60 Dieser Befund deutet seinerseits darauf hin, dass (vermeintlich) einfache Wissensnormen im Kontext der Teilnahme von Verbänden am Rechtsver­ kehr – und überhaupt im Kontext arbeitsteiliger Teilnahme am Rechtsver­ kehr – fundamentale Funktions- und Operabilitätsdefizite aufweisen, die es erforderlich machen, sich nicht nur mit der Operation der Wissenszurech­ nung zu befassen, sondern auch den Gegenstand der Zurechnung, also die privatrechtlichen Wissenstatbestände als solche zu hinterfragen.

57 Vgl. List/Pettit, Group Agency, 2011, S.  60–64; s. dort und insbesondere S.  44–50 auch zum Scheitern solcher Mehrheitsmodelle in bestimmten Fällen (Doctrinal Paradox; Impossibility Theorem). 58 Vgl. dies., Group Agency, 2011, S.  60 ff und speziell zum Verzicht auf ein Mehrheits­ prinzip S.  68. 59  Dies., Group Agency, 2011, S.  71 f. (heterogeneous distributed premise-based procedure). Für einen Überblick Goldman, in: Lackey (Hrsg.), Essays in Collective Epistemo­ logy, 2016, S.  11, 33 f.; Bird, in: Lackey (Hrsg.), Essays in Collective Epistemology, 2016, S.  42, 44 f. 60  BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 b.

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c) Wissen ohne Wissensträger – ePerson als Wissensträger? Die Annahme, eine Gruppe oder Organisation könne selbst wissen, liegt im ersten Zugriff intuitiv nicht unbedingt nahe, genauso wenig wie die Annah­ me, eine Gruppe oder Organisation könne selbst handeln. Letztlich ist hier­ für, so jedenfalls das herkömmliche Verständnis, immer die Vermittlung über eine bestimmte (wissende, handelnde) natürliche Person erforderlich. Davon gehen im Ergebnis ersichtlich auch die vorstehend skizzierten An­ sätze aus. Denkbar wäre aber auch, den Wissensbegriff gänzlich von der natürlichen oder juristischen Person (Gruppe) als Wissensträger zu lösen. Schon früh hat beispielsweise Hans-Leo Weyers in einem Diskussionsbeitrag die (nach eigenem Bekunden) „zugegeben ungeschützte Behauptung“ gewagt, Wissen sei „nichts anderes als verfügbare Information“, wobei er Informationen vor Augen hat, die in Informationssystemen (etwa von Banken) gespeichert sind.61 Insbesondere für den Verband finden sich dahingehende Ansätze auch in der jüngeren Literatur.62 Und auch die Rechtsprechung zum soge­ nannten Daten- und Aktenwissen könnte, jedenfalls in ihrer frühen Aus­ prägung, hier eingeordnet werden.63 Abwegig ist das sicherlich nicht. Mit dem geltenden Recht ist eine gene­ relle Öffnung des Wissensbegriffs in diese Richtung gleichwohl nicht zu vereinbaren.64 61 

Weyers, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 42, 43 (Diskussionsbeitrag). Ansätze dahin etwa auch bei Heidrich, Das Wissen der Bank, 2001, S.  159 ff., der dem damaligen Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG) „unter datenschutzrechtlichem Ge­ sichtspunkt eine rechtliche Neubewertung von Information und Wissen an sich“ ent­ nimmt, weil dort auch die Erhebung bzw. das Vorhandensein von Daten und Informatio­ nen geregelt sei. 62  Vgl. etwa Schwintowski, ZIP 2015, 617, 621 (zutreffende Kritik bei Koch, ZIP 2015, 1757, 1761); Guski, ZHR 184 (2020), 363 ff., der einen personalen Bezug aber immerhin über die Behandlung des Verbands als autonomem Wissensträger herstellt. 63  Richtigerweise ist diese indes als Operation auf Tatsachen- und Feststellungsebene einzuordnen; näher daher erst unten Kapitel  1 A.IV.4. = S. 57 ff. 64  Ebenso etwa Dauner-Lieb, FS Kraft, 1998, S.  43, 48 f.; Adler, Wissen und Wissenszu­ rechnung, 1997, S.  12 ff., 141 f.; Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  29 f.; Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwortung bei juristischen Personen, 2017, S.  48 ff.; Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  37 ff.; Fietz, Die Wissenszurechnung gegenüber juristischen Personen, 2021, S.  95 f., 104 f.; ferner Erman – Schmidt-Räntsch, BGB, 162020, §  276 Rn.  14a, wenn sie im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB den Fall des unterlassenen Zu­ griffs auf Daten- und Aktenwissens der Tatbestandsalternative des grob fahrlässigen Nichtwissens zuweist.

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Auf der einen Seite verwischt sie die Grenze zwischen Wissenstatbestän­ den und bloßen Anzeige-, Zustellungs- und Bekanntmachungstatbestän­ den.65 Auf der anderen Seite verwischt sie die kategoriale Unterscheidung zwischen Wissen und fahrlässigem Nichtwissen. Beide Unterscheidungen sind im deutschen Privatrecht deutlich angelegt. Informationen, die in einem Informationssystem gespeichert oder sonst wie verfügbar sind, ohne einer natürlichen Person tatsächlich präsent zu sein, müssen immerhin noch abge­ rufen werden. Der Vorwurf, verfügbare Informationen nicht abgerufen (be­ schafft) zu haben, begründet aber grundsätzlich gerade „nur“ den Vorwurf fahrlässigen Nichtwissens. Das ist unverkennbar, wenn man etwa analoge Bibliotheken und Archive als „Informationssysteme“ in den Blick nimmt, gilt aber genauso für Informationen, die digital gespeichert sind. Auch hier steht als entscheidender Zwischenschritt zwischen Wissenmüssen und Wis­ sen immer noch das Erfordernis, tätig zu werden und auf die Information auch tatsächlich zuzugreifen, was wiederum – vor allem – Wissen darum voraussetzt, dass die betreffende Information an einer bestimmten Stelle (in einem bestimmten Dateisystem usw.) überhaupt oder auch nur mög­ licherweise verfügbar ist.66 Wer die bloße Verfügbarkeit67 einer Information als Wissen genügen lässt, unterstellt damit pauschal die Erfüllung einer Be­ dingung, deren Erfüllung nach allgemeiner Lebenserfahrung keinesfalls pauschal unterstellt werden kann.68

65 

Näher dazu noch unten Kapitel  1 A.IV.1. = S. 42 ff. Vgl. dazu auch Noack, ZHR 183 (2019), 105, 133 f., der das als subjektive Verfügbar­ keit (im Gegensatz zu objektiver Verfügbarkeit im Sinne bloßen Gespeichertseins von Informationen) adressiert. Noack hält eine Zuschreibung bzw. Zurechnung von subjektiv nicht verfügbarem Wissen allerdings dann für möglich, wenn „Daten in das System ge­ langt sind und ein Alarm ausgelöst wurde“, da es dann nicht angehen könne, diesen „zu ignorieren“. Dem ist im Ergebnis – nur – unter den – jeweils voraussetzungsreichen – Ge­ sichtspunkten des (bewussten) Sichverschließens bzw. des vorsätzlichen Organisations­ verschuldens zuzustimmen; deutlich weiter demgegenüber Noack, a. a. O., S.  144 These II. 9: „Die Wissenszurechnung i. S. d. Wissenmüssens ist entsprechend umfassend angelegt, die alten Grundsätze über die Grenzen der Speicherung und Suche gelten nicht mehr. Es ist eine wertende Zurechnung vorzunehmen, insbesondere danach, ob Anlass bestand, die ‚richtigen Fragen‘ zu stellen“. 67  Ob es insofern weiter führt, stattdessen an elektronisch „verarbeitete“ Information anzuknüpfen, ist zweifelhaft, zumal die Abgrenzung zu bloß „verfügbarer“ Information im Einzelnen schwierig sein dürfte; vgl. dazu Linke, Digitale Wissensorganisation, 2021, S.  138 ff., 286 im Anschluss an Schrader. 68  Davon getrennt zu betrachten ist die Feststellungs- und Beweisebene. Hier kann die bloße Verfügbarkeit von Informationen durchaus eine für die Begründung von Wissen relevante Indizlage begründen; näher unten Kapitel  1 A.IV. = S. 42 ff. 66 

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Diesem Umstand kann auch nicht dadurch abgeholfen werden, dass In­ formationsspeicher, vollautomatisierte Vorgänge, quasi-autonome oder au­ tonome Systeme69 oder KI-Agenten70 selbst als wissentragende Personen im Rechtssinne  – als elektronische Personen (ePersonen)71 – eingeordnet wer­ den. Personen im Sinne des Privatrechts sind ausschließlich natürliche und juristische Personen (BGB Buch  1 Abschnitt 1). Dieser um den Verband als fingierter Rechtsperson erweiterte Anthropozentrismus ist in der deutschen Privatrechtsordnung klar angelegt. Die privatrechtliche Relevanz verfügba­ rer Informationen, vollautomatisierter Vorgänge, (quasi-)autonomer Syste­ me und KI-generierter „Handlungen“ erschöpft sich de lege lata darin, dass sie nach den allgemeinen Regeln einer natürlichen Person als deren eigenes (!) Wissen, Wollen und Verhalten zugeschrieben werden,72 beim Vertrags­ schluss etwa nach den Regeln der Auslegung73 und bei der Erfüllung von Verbindlichkeiten in Anknüpfung an die Entscheidung über den Einsatz des betreffenden Systems (Betreiberhaftung).74 Es ist nicht ersichtlich, dass den 69 

Vgl. für einige Bemerkungen zur Terminologie Wagner, ZEuP 2021, 545, 547 f. Vgl. etwa Hacker, RW 2018, 243, 245, der zwischen vollständig autonomen, mittel­ stark autonomen und schwach autonomen KI-Agenten unterscheidet und jedenfalls bei vollständig autonomen KI-Agenten von einer Personenähnlichkeit im Sinne von §  278 S.  1 BGB und der Lehre vom Wissensvertreter nach §  166 Abs.  1 BGB analog ausgeht; Linke, Digitale Wissensorganisation, 2021, der unter anderem zwischen Abschluss- und Beratungsagenten sowie Multiagentensystemen unterscheidet, dabei autonome Systeme allerdings „nur“ als Zurechnungssubjekte einordnet, die tatbestandsrelevante Verhältnis­ se selbst verwirklichen können, aber nicht als rechtsfähig (a. a. O., S.  49, 132 ff., 260 ff.). Die Verhältnisse des autonomen Systems rechnet Linke dann in analoger Anwendung von §§  164 ff. BGB und nach organisationspflichtenbezogenen Grundsätzen einer Rechts­ person zu, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es dabei in der Sache wirklich um Fremdzurechnung geht oder nicht vielmehr um Eigen­zurechnung (= Zuschreibung) im hier dargelegten Sinne. 71  Vgl. zu diesem Begriff Riehm, RDi 2020, 42 ff.; auch Linke, Digitale Wissensorganisa­ tion, 2021, 260 f. 72  Ebenso und näher Riehm, RDi 2020, 42, 47 f. m. w. N. zur diesbezüglichen Diskus­ sion. 73  Nach den allgemeinen Regeln der Auslegung ist eine vollautomatisierte Buchungsoder Bestellmaske oder -bestätigung regelmäßig Ausdruck eines Rechtsbindungswillens desjenigen, der diesen Vorgang beherrscht und demgemäß der dahinterstehenden Person als deren (eigene) Willenserklärung zuzuschreiben; vgl. dazu BGH, Urt. v. 16.10.­2012 – X ZR 37/12, NJW 2013, 598 Rn.  12 ff. und insbesondere Rn.  19. Gleichsinnig ist die auto­ matisierte Abwicklung eines Lastschriftverfahrens im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB denjenigen organschaftlichen Vertretern des Kreditinstituts zuzuschreiben, die den Einsatz des Verfahren autorisiert haben; s. im Ergebnis OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 6.3.2019  – 3 U 145/18, BeckRS 2019, 5090 Rn.  34–36 und die zutreffende Einordnung der Entscheidung bei jurisPK – Lakkis, BGB, 92020, §  199 Rn.  104 (Stand: 1.5.2020). 74  Anders etwa Schirmer, JZ 2019, 711 m. w. N., der das Problem für den Vertrags­ 70 

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betreffenden Phänomenen damit nicht oder nicht mehr sachgerecht Rech­ nung getragen werden könnte. Mit Zurechnung im Sinne einer Einstands­ pflicht für fremde Verhältnisse, die zunächst einer anderen Person (der ePer­ son) als deren eigene zugeschrieben werden, hat das nichts zu tun. Dasselbe gilt für eine de lege ferenda sicherlich diskussionswürdige besondere Haf­ tung von Herstellern autonomer Systeme.75 Darüber hinaus wäre es auch wertungsmäßig nicht überzeugend, einem autonomen System usw. eigene Verantwortlichkeit zuzuschreiben und diese einer „dahinter stehenden“ natürlichen Personen dann im Sinne einer Ein­ standspflicht für fremde Verhältnisse zuzurechnen (was allerdings mit der Behandlung eines autonomen Systems usw. als Rechtsperson notwendig ver­ bunden wäre), weil dadurch die Verantwortlichkeit der „dahinter“ stehen­ den natürlichen Personen notwendig von diesen weg diffundiert und – als „bloß abgeleitete“ Verantwortlichkeit – regelrecht kaschiert würde.76 Die Diskussion weist insofern, durchaus naheliegender Weise, auffällige Parallelen zur Diskussion um das „Wesen“ des Verbands bzw. der juristi­ schen Person auf, zumal wenn dort der Verband und hier die ePerson emer­ gent oder gar, im Sinne der Mystifikation der Organtheorie,77 gleichsam „leiblich“ gedacht werden. Die Gegenüberstellung von ePerson und Ver­ band (man denke besonders an die GbR!) erhellt im Übrigen, wie gewichtig und weitreichend die Folgen und der Regelungsbedarf sind, die sich aus der Anerkennung der ePerson als Rechtsperson insbesondere mit Blick auf die Konkretisierung ihrer Stellung im Rechtsverkehr und die Begründung, Be­ grenzung und Abgrenzung ihrer Verantwortlichkeit und der Verantwort­ lichkeit der „dahinter“ stehenden natürlichen Personen jedenfalls ergäben. Eine Gleichstellung verfügbarer Information mit vorhandenem Wissen einer natürlichen Person muss schließlich auch deshalb grundsätzlich aus­ scheiden, weil Wissen im Privatrecht, wie im Einzelnen noch zu zeigen ist, immer nur in einem Verhaltensbezug, als „Verhalten im Wissen um p“ rele­ vant ist. Bloß verfügbare Information steht aber definitionsgemäß gerade nicht in einem solchen Verhaltensbezug. Auch deshalb ist sie rechtlich grund­sätzlich nicht relevant. schluss als solches der Zurechnung fremder Willenserklärungen und für die Erfüllung von Verbindlich­keiten als solches der Zurechnung fremden schuldhaften Verhaltens einordnet und auf dieser Grundlage autonome Systeme als (zumindest teilrechtsfähige) Stellvertre­ ter und Erfüllungs­gehilfen einordnet bzw. einordnen muss. 75  Vgl. zu Initiativen in diesem Bereich auf Ebene der Europäischen Union Wagner, ZEuP 2021, 545 ff. 76  Deutlich auch Schaub, InTeR 2019, 2, 5, 7 speziell für Algorithmen im Internet. 77  So die zu Recht diskursprägende Markierung durch Flume, unten Kapitel  1 Fn.  372.

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4. Abschließende Einordnung Der erkenntnistheoretische Diskurs darum, was „Wissen“ ist, kann hier na­ turgemäß weder in seiner ganzen Breite noch in aller Tiefe nachgezeichnet werden. Das ist aber auch nicht nötig. Denn das Privatrecht ist in der Kon­ zeptualisierung und Zuschreibung von Wissen – ebenso wie (erst recht) in der Regelung der Wissenszurechnung – autonom. Bei der Betrachtung des Wissensbegriffs im Privatrecht kann es immer nur um die konkret norm­ bezogene oder normübergreifend generalisierende Ergründung und Kontu­ rierung eines spezifisch privatrechtlichen Wissensbegriffs gehen.78 Die Erkenntnistheorie kann bei dieser Aufgabe ohne weiteres als Inspira­ tionsquelle und Prüfstein dienen. Es ist intuitiv höchst plausibel, dass die erkenntnistheoretische Antwort auf die Frage, ob in einem bestimmten Fall Wissen vorliegt, in den allermeisten Fällen im Ergebnis mit der privatrecht­ lichen Antwort übereinstimmen wird. Anklänge an die Erkenntnistheorie finden sich denn auch sowohl in den Materialien zum BGB als auch im rechtstheoretischen Diskurs. Namentlich findet sich in den Protokollen zum BGB in Bezug auf die den guten Glau­ ben des Grundbuchs ausschließende Kenntnis im Sinne von §  892 Abs.  1 S.  1 BGB die ersichtlich erkenntnistheoretisch gefärbte Umschreibung, „[d]as ‚Kennen‘ bedeute hier wie an anderen Stellen des Entw. soviel wie ‚für wahr halten‘“.79 In eine ähnliche Richtung gehen Umschreibungen in der rechts­ wissenschaftlichen Literatur, Wissen sei die Übereinstimmung einer (sub­ jektiven) Vorstellung mit (objektiven) Gegebenheiten (Tatsachen).80 Gewis­ se Parallelitäten im erkenntnistheoretischen und im privatrechtstheoreti­ schen Diskurs lassen sich außerdem dort feststellen, wo es darum geht, ob Gruppen (Verbände) „wissen“ können und nach welchen Regeln Wissen der Mitglieder (Organe etc.) Wissen der Gruppe (des Verbands) begründet. 78 Ebenso

Fatemi, NJOZ 2010, 2637. Ähnliches gilt beispielsweise für die Informatik. Dort wird – für die Zwecke der Informatik – zwischen Daten, Informationen und Wissen unterschieden, um die Wissensebene insbesondere als Ebene subjektiver Interpretation zu kennzeichnen, die jedenfalls nach klassischem Verständnis dem Menschen vorbehalten bleibt: Wissen als „durch den Menschen klassifizierte und interpretierte (‚veredelte‘) In­ formation“; vgl. Abts/Mülder, Grundkurs Wirtschaftsinformatik, 92017, S.  10–12. Ähnli­ ches gilt für die Wirtschaftswissenschaft; vgl. dazu Schrader, Wissen im Recht, 2017, S.  4 ff. 79  Prot. III, 1899, S.  86. 80  Vgl. dazu Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  47; v. Tuhr, Der All­ gemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band  II/1, 1914 (unveränderter Nach­ druck 1957), §  49 II 2 und 3 = S.  127 ff.; Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grobfahrläs­siger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  50; kritisch bezüglich der poten­ tiellen Weite des Begriffs der „Vorstellung“ Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Son­ derheft), 4, 5 f.

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Alles in allem kann die Erkenntnistheorie also durchaus Konzeptansätze beisteuern, die Verständnis und Betrachtung von Fragen des Wissens und der Wissenszurechnung auch aus genuin privatrechtlicher Perspektive zu befruchten vermögen. Beseitigen lassen die Unsicherheiten im Umgang mit dem Wissensbegriff im Privatrecht durch den Rekurs auf den erkenntnis­ theoretischen Wissensbegriff nicht. Die weitere Annäherung an den privat­ rechtlichen Wissensbegriff hat daher aus genuin rechtlicher Perspektive zu erfolgen.

II. Wissen und Kenntnis In der Erkenntnistheorie wird der Begriff „Kenntnis“ teilweise als eine Un­ terform von „Wissen“ behandelt, namentlich als „Wissen durch Bekannt­ schaft“.81 Das Privatrecht trifft demgegenüber keine systematische inhalt­ liche Unterscheidung zwischen „Wissen“ („S weiß, dass p“) und „Kenntnis“ („S kennt p“). Beide Begriffe bzw. Begriffsgruppen werden vielmehr syno­ nym und in austauschbarer Weise verwendet.82 Das entspricht der alltäg­ lichen Sprachpraxis,83 in der beide Begriffe ebenfalls austauschbar sind. Der Halbsatz: „wenn er bei Vertragsschluss den Mangel kennt“ (§  442 Abs.  1 S.  1 BGB) kann sprachlich auch wie folgt formuliert werden: „wenn er bei Ver­ tragsschluss von dem (um den) Mangel weiß“, ohne dass damit eine inhalt­ liche Änderung verbunden wäre. Ein anschauliches Beispiel dafür, dass im Bürgerlichen Gesetzbuch die Be­ griffe „Kenntnis“ und „Wissen“ synonym verwendet werden, bietet §  166 Abs.  2 BGB. Während im Regelungstext der Vorschrift ausschließlich das Wort „Kenntnis“ in unterschiedlichen Formen verwendet wird („kannte“, „Unkenntnis“, „kennen musste“, „Kennenmüssen“, „Kenntnis“), ist die Vor­ schrift – heute amtlich – mit dem Begriff „Wissenszurechnung“ überschrie­ ben. Ein weiteres anschauliches Beispiel bietet §  1472 Abs.  2 S.  1 und 2 BGB.84 Insgesamt dominiert im Bürgerlichen Gesetzbuch quantitativ der Begriff der „Kenntnis“. Die Wörter „kennen“ (auch als Bestandteil von „kennen muss(te)“ oder „Kennenmüssen“), „kennt“, „kannte(n)“, „gekannt, „(un) 81 Vgl.

Brendel, Wissen, 2013, S.  15 m. w. N. Ebenso etwa Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  47; Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2640. Für das öffentliche Recht auch Reinhardt, Wissen und Wissenszurech­ nung im öffentlichen Recht, 2010, S.  24 Fn.  3. Etwas anderes gilt möglicherweise für §  138 Abs.  4 ZPO. Es spricht einiges dafür, dass dort als Wissen über Tatsachen, die Gegenstand der „eigenen Wahrnehmung“ einer Partei gewesen sind, Kenntnis im genannten engeren Sinne in Bezug genommen ist. 83  Vgl. dazu auch Schrader, Wissen im Recht, 2017, S.  3. 84  Beispiel nach Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2640. 82 

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be­kannt“ und „(Un)Kenntnis“ kommen im Bürgerlichen Gesetzbuch deut­ lich häufiger vor als die Wörter „wissen“ (auch als Bestandteil von „wissent­ lich“), „weiß“, „wusste(n)“, „gewusst“ und „Wissen“. Gleichwohl soll hier grundsätzlich der Begriff des Wissens verwendet werden. Der Begriff des Wissens dominiert sowohl die Vorsatzlehre, der im Rahmen der folgenden Überlegungen besondere Bedeutung zukommen wird (Vorsatz als „Wissen und Wollen“), als auch die Zurechnungslehre („Wissenszurechnung“).

III. Wissen, Vermutung und Zweifel Nach §  665 S.  1 BGB ist im Auftragsrecht der Beauftragte „berechtigt, von den Weisungen des Auftraggebers abzuweichen, wenn er den Umständen nach annehmen darf, dass der Auftraggeber bei Kenntnis der Sachlage die Abweichung billigen würde“. Eine ähnliche Formulierung findet sich in §  670 BGB, wonach der Auftraggeber zum Ersatz von Aufwendungen ver­ pflichtet ist, die der Beauftragte zum Zwecke des Auftrags macht, wenn der Beauftragte diese „den Umständen nach für erforderlich halten darf“. In der Diskussion um den privatrechtlichen Wissensbegriff sind beide Vorschriften vereinzelt dahin beschrieben worden, sie setzten in ihrem sub­ jektiven Tatbestand kein Wissen des Beauftragten voraus, sondern lediglich eine „Vermutung“.85 Auf dieser Grundlage wird postuliert, die Vorschriften normierten eine Art „abgeschwächtes“ Wissen, was wiederum – gleichsam im Umkehrschluss – dafür spreche, eine bloße Vermutung sei tatbestandlich kein Wissen.86 Indes geben §  665 S.  1 BGB und §  670 BGB für die Konturierung des Wis­ sensbegriffs im Privatrecht nichts her. Denn maßgeblich ist danach nicht, ob der Auftraggeber tatsächlich zugestimmt hätte bzw. ob die Aufwendungen tatsächlich erforderlich waren und der Beauftragte hiervon Kenntnis hatte oder dies vermuten durfte, sondern ob der Beauftragte „nach sorgfältiger, nach den Umständen des Falles gebotener Prüfung“87 aus seiner Perspektive ex ante von der Billigung bzw. Erforderlichkeit ausgehen durfte.88 Damit normieren beide Vorschriften einen Fahrlässigkeitsmaßstab.

85 So

ders., NJOZ 2010, 2637. Ders., NJOZ 2010, 2637, 2638. 87  BGH, Urt. v. 19.9.1985 – IX ZR 16/85, NJW 1986, 310 Abschn.  II 3 c bb. 88  Vgl. MünchKomm – Schäfer, BGB, 82020, §  665 Rn.  21, §  670 Rn.  27; BeckOGK  – Riesen­huber, Stand: 1.5.2021, §  665 Rn.  47 ff.; §  670 Rn.  40 ff. Vgl. zu §  670 BGB auch noch BGH, Urt. v. 8.5.2012 − XI ZR 61/11, NJW 2012, 2337 Rn.  28 f. 86 

A. Wissen

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Was bleibt ist die Frage, welcher Grad an Wissen, welche subjektive Si­ cherheit erforderlich ist und vorliegen muss, damit „Wissen“ im Sinne der relevanten Tatbestände des Privatrechts vorliegt. Insbesondere: Schließen Zweifel oder Unsicherheiten hinsichtlich der Wahrheit der betreffenden Tatsache oder des betreffenden Sachverhalts Wissen aus bzw. ab welchem Grad?89 An dem einen Ende des Meinungsspektrums steht die Auffassung, jeder Zweifel schließe Wissen aus; Wissen liegt danach nur bei fester (sicherer) innerer Überzeugung90 bzw. Gewissheit von der Wahrheit einer Informa­ tion oder einer Tatsache (der Proposition der Wissensrelation) vor.91 In eine ähnliche Richtung geht etwa auch die Aussage, nur zuverlässige Kenntnis begründe Wissen.92 Etwas weiter ist der Wissensbegriff derer, die genügen lassen, dass der mutmaß­liche Wissensträger von der Wahrheit einer Infor­ mation zwar nicht überzeugt ist, diese aber für höchstwahrscheinlich93 oder 89  Selbstverständlich kann es dabei nur um konkrete Zweifel in dem Sinne gehen, dass „allgemeine Zweifel der Philosophie gegenüber menschlichem Wissen“ für die Zwecke des Rechts und seiner Anwendung keine Rolle spielen; Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grobfahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  51. 90  Der Begriff der Überzeugung ist allerdings ein eigenständiger technischer Rechts­ begriff des Prozessrechts, vgl. §§  286, 287, 296 ZPO und öfter sowie §§  257c Abs.  4, 261, 437 StPO. 91  So etwa v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band  II/1, 1914 (unveränderter Nachdruck 1957), §  49 II = S.  130; Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2638; Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwortung bei juristischen Personen, 2017, S.  39. In diese Richtung etwa auch RG, Urt. v. 24.4.1937 – V 24/37, RGZ 154, 385, 397 zu §  814 BGB: „Zweifel an der Verpflichtung zur Leistung [schließen] deren Rückforderung nicht aus […]“; BGH, Urt. v. 9.5.2014 – V ZR 305/12, NJW 2014, 2790 Rn.  27 zu §  819 Abs.  1 BGB: „Kennenmüssen und Zweifel des Schuldners genügen nicht“; BGH, Urt. v. 16.3.2012 − V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn.  26 und 29, wo „Vermutungen“ über Mangelursachen wegen bestehender „Unsicherheiten“ nicht als tatbestandliche Kenntnis gewertet wurden; BSG, Urt. v. 25.1.1994 – 7 RAr 14/93, BSGE 74, 20 Rn.  29 (juris) für §  45 Abs.  4 S.  2 SGB X unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des RG zu §  407 BGB: „­Informationen über die die Aufhebung rechtfertigenden Fakten müssen vielmehr einen Sicherheitsgrad erreichen, der vernünftige, nach den Erfahrungen des Lebens objektiv ge­ rechtfertigte Zweifel schweigen läßt“; BSG, Urt. v. 12.12.2018  – B 12 R 15/18 R, NZS 2019, 465 Rn.  12, wo das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis im Sinne von §  24 Abs.  2 SGB IV als „sicheres Wissen“ verstanden wird. Unklar aber etwa BGH, Urt. v. 15.5.­1968, NJW 1968, 2099 zu §  121 Abs.  1 S.  1 BGB: „[…] hängt von der Feststellung des Zeitpunktes ab, in dem der Kläger Gewißheit darüber erlangte, daß seine Erklärung und sein Wille sich möglicherweise nicht gedeckt haben“ (Hervorhebungen nicht im Original). 92  Beispielhaft BGH, Urt. v. 26.4.1973 – III ZR 116/71, WM 1973, 750 Abschn.  II 2 (zu §§  121, 124 BGB); Stück, GmbHR 2019, 156, 163 (zu §  626 Abs.  2 BGB); MünchKomm  – Krebs, HGB, 52021, §  15 Rn.  50. 93  So etwa Reichel, Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart

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erheblich wahrscheinlich94 erachtet oder nur leise und unbegründete Zweifel95 hat. Wohl noch etwas weiter ist der Wissensbegriff derer, die das Vorlie­ gen von Wissen erst dann verneinen, wenn der (vermeintlich) Wissende (das Subjekt der Wissensrelation) berechtigten oder gewichtigen Anlass zu Zweifeln96 hat oder die es genügen lassen, wenn der vermeintliche Wissensträger den in Rede stehenden Umstand für einigermaßen wahrscheinlich hält.97 Teilweise wird der Grad an subjektiver Sicherheit, der erforderlich ist, da­ mit von „Wissen“ im Rechtssinne gesprochen werden kann, nicht norm­ übergreifend aus dem Wissensbegriff selbst abgeleitet, sondern konkret normbezogen aus Gegenstand und Zweck der einzelnen Wissensnorm.98 Die Rechtsprechung praktiziert das namentlich bei §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB. Rückt man den Zweck des Verjährungsrechts in den Mittelpunkt, hängt die Beantwortung der Frage, ob jemand „Kenntnis“ im Sinne der Vorschrift hat, entscheidend davon ab, ob dem Betroffenen auf Basis der Informationen, die er zu den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners hat, die Klageerhebung zumutbar ist.99 Das ist nicht erst dann der Fall, wenn der Betroffene absolute Gewissheit hinsichtlich der den An­ (Grünhut’s Zeitschrift) 42 (1916), 173, 189: „Einen Tatumstand weiß, wessen Bewußt­ seinslage so beschaffen ist, daß ein verständiger Durchschnittsmensch in gleicher Lage jenen Umstand für höchstwahrscheinlich halten würde: sein etwa dennoch bestehender Zweifel wird als grundlos ignoriert“ unter Hinweis darauf, dass dies zunächst nur für das Zivilrecht gelte und das Strafrecht strenger sein möge. 94 So Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 174. 95 Vgl. Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grobfahrlässiger Un­ kenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  53 f. 96  In diesem Sinne BGH, Urt. v. 22.1.1958 – V ZR 27/57, NJW 1958, 668: „…nicht schon dann Kenntnis i. S. von §  990 Abs.  1 S.  2 BGB erlangt, wenn diese Umstände ihm gegenüber lediglich behauptet oder ihm in einer solchen Weise übermittelt werden, daß er berechtigten Anlaß hat, an der Richtigkeit dieser Umstände zu zweifeln“; BGH Urt. v. 23.6.1967, V ZR 10/66, DB 1967, 1807 für §  121 Abs.  1 S.  1 BGB: „Zur Kenntnis erforder­ lich ist zwar nicht die volle Überzeugung von der Richtigkeit des Mitgeteilten, aber doch die Zuverlässigkeit der Mitteilung […], mindestens in dem Sinne, daß kein gewichtiger Anlaß zu Zweifeln besteht. Ist dagegen ein solcher Anlaß vorhanden, so liegt noch keine Kenntnis vor“. 97 Vgl. Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 6, allerdings bezogen auf die Anforderungen an den Nachweis von Wissen. 98  Vgl. aus der Lit. etwa Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grob­ fahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  70; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S.  200; Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  53 ff. 99  Vgl. BGH, Urt. v. 25.7.2017 – VI ZR 433/16, NJW 2017, 3510 Rn.  34; BGH, Ver­ säumnis­urt. v. 17.6.2016 – V ZR 134/15, NJW 2017, 248 Rn.  11; BGH, Urt. v. 15.6.­2010  – XI ZR 309/09, NJW-RR 2010, 1574 Rn.  12 m. w. N. Aus der Lit. statt vieler MünchKomm – Grothe, BGB, 82018, §  199 Rn.  30.

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spruch begründenden Umstände und der Person des Schuldners hat und diesbezüglich von allen Zweifeln frei ist. Vielmehr ist eine Klageerhebung im Allgemeinen schon dann zumutbar und liegt damit im Allgemeinen schon dann Kenntnis im Sinne des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB vor, „wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist. Weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beur­ teilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Be­ weismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können“.100

Eine solchermaßen konkret normbezogene Betrachtung stellt die Recht­ sprechung etwa auch für den öffentlich-rechtlichen Wissenstatbestand des §  48 Abs.  4 S.  1 VwVfG an.101 Eine abschließende Stellungnahme zur Konkretisierung der Anforderun­ gen an den für die Konstitution rechtlich relevanten Wissens erforderlichen Grad subjektiver Sicherheit ist nicht veranlasst. Durch die Auflösung des Wissenstatbestands im Vorsatztatbestand wird die Frage, welches Maß an subjektiver Sicherheit erforderlich ist, um den Tatbestand der in Rede ste­ henden Wissensnorm zu begründen, in spezifischer Weise als Frage danach operabel gemacht, ob Wissentlichkeit und damit unbedingtes Wissen erfor­ derlich ist oder bedingter Vorsatz und damit bedingtes Wissen genügt.102 100  BGH, Urt. v. 25.7.2017 – VI ZR 433/16, NJW 2017, 3510 Rn.  34. Gleichsinnig etwa BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, BeckRS 2019, 26716 Rn.  12. Vgl. aus der älteren Rechtsprechung zu §  852 BGB a. F. etwa noch BGH, Urt. v. 14.2.1967 – VI ZR 107/65, VersR 1967, 496: „Stehen […] nur Versorgungsleistungen in Rede, die der Dienstherr dem Beamten nach seiner Zurruhesetzung zu erbringen hat, so kann dem Dienstherrn wegen einer etwaigen späteren Versorgungslast nicht zugemutet werden, gegen den Schädiger schon dann im Wege der Klage vorzugehen, wenn er nur erst eine allgemeine Schaden­ kenntnis hat und nur erst die Möglichkeit in Betracht zu ziehen braucht, daß eine Ver­ schlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Beamten eintreten und seine Zurruhesetzung notwendig werden könnte. Auch den Schädigern (und ihren Haftpflicht­ versicherern) kann nicht daran gelegen sein, sich Klagen wegen Versorgungsleistungen ausgesetzt zu sehen, die möglicherweise gar nicht gewährt zu werden brauchen. Nur eine greifbare Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen kann es rechtfertigen, daß der Dienstherr wegen Versorgungsschadens Vorsorge für den Rückgriff gegen den Schädiger zu treffen genötigt ist. Das will nicht heißen, daß die Zurruhesetzung des Beamten bereits unausbleiblich geworden sein müßte. Wohl aber müssen sich die Dinge so gestaltet haben, daß die Notwendigkeit einer Zurruhesetzung ernstlich in Frage steht“. 101  Vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.12.1984 – Gr. Sen. 1/84, Gr. Sen. 2/84, NJW 1985, 819 Abschn. 2 a: „Die Frist beginnt demgemäß zu laufen, wenn die Behörde ohne weitere Sachaufklärung objektiv in der Lage ist, unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu entscheiden“. 102  Ausführlich dazu unten Kapitel  3 A.III. = S. 265 ff.

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Im Übrigen wird das Zweifelsproblem regelmäßig auf Tatsachenebene ­adressiert.103

IV. Wissen als innere Tatsache 1. Rechtsanwendungsbezogene Objektivierung von Wissen In der Rechtsanwendung stellt sich Wissen als innere Tatsache dar. Als Tat­ sache kann und muss es im Ausgangspunkt ebenso festgestellt werden wie der äußere Tatbestand, der seinen Gegenstand (das Objekt der Wissensrela­ tion) bildet.104 Prozessual ist es dem Beweis (Beweiserhebung, Beweiswürdi­ gung) zugänglich. Im Ausgangspunkt ist in der Rechtsanwendung damit nur das (verfahrens­ ordnungsgemäß) „von außen“ feststellbare oder festgestellte Wissen als Tat­ sache relevant. Wissen, das jemand tatsächlich hat, dessen Vorliegen durch einen Dritten – namentlich ein Gericht – aber nicht festgestellt werden kann oder festgestellt worden ist, behandelt das Recht grundsätzlich also als Nichtwissen. Insofern ist das Wissen in der Rechtsanwendung in spezifi­ scher Weise – im Sinne der Methode seines Beweises105 – objektiviert.106 Das Gegenteil gilt dort, wo das Vorliegen von Wissen von Gesetzes wegen vermutet wird. Dahingehende Beweislastregeln sind nicht selten. Besonders relevant sind insofern die diversen Gutglaubenstatbestände (vgl. nur §§  932 Abs.  2, 892 Abs.  1 BGB). Als weiteres Beispiel sei §  311a Abs.  2 S.  2 BGB genannt, wonach der Schuldner darlegen und beweisen muss, dass er die den anfänglichen Ausschluss der Leistungspflicht nach §  275 BGB begründen­ 103 

Ausführlich dazu sogleich im Text. Auch insofern exemplarisch BGH, Urt. v. 25.7.­ 2017  – VI ZR 433/16, NJW 2017, 3510 Rn.  34, wonach die Frage, ob und wann der Gläu­ biger Kenntnis von bestimmten Umständen hatte oder ob seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruhte, zwar nicht ausschließlich Tatfrage ist, sondern – wie dargelegt – „maßgeblich durch den der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegenden Begriff der Zumutbarkeit der Klageerhebung geprägt“ ist; sie ist aber eben doch auch Tatfrage und „unterliegt als Ergebnis tatrichter­licher Würdigung [damit] nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht“. 104  Für den erkenntnistheoretischen Wissensbegriff ist, wie gezeigt, umstritten, ob und inwiefern Wissen voraussetzt, dass die in Rede stehende Meinung oder Behauptung wahr ist, ob und inwiefern man also nur wahre Tatsachen usw. „wissen“ kann. Es wurde eben­ falls bereits ausgeführt, dass diese Frage für den Gegenstand des Rechts, jedenfalls in sei­ ner praktischen Anwendung, unerheblich ist. 105  Vgl., bezogen auf den Vorsatz, die Ausführungen und Nachweise zum strafrechts­ wissenschaftlichen Diskurs bei NK – Puppe, StGB, 52017, §  15 Rn.  54. 106  Für Beispiele relevanter Regelungen des Zivilprozessrechts siehe die Ausführungen oben Kapitel  1 A.I.1.b) und c) = S.  20 ff.

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den Umstände nicht gekannt hat (noch dass diese Unwissenheit auf einem Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beruhte).107 Unterbleibt dies, wird der Adressat als wissend behandelt, unabhängig davon, ob er es wirklich war. Der Umstand, dass Wissen als innere Tatsache einer unmittelbaren Wahr­ nehmung nicht zugänglich ist, macht es regelmäßig – namentlich dann, wenn sich der Betroffene nicht selbst dahingehend erklärt, er wisse oder habe ge­ wusst und vorbehaltlich einer abweichender Beweislastregel – erforderlich, dieses aus Umständen, sogenannten Indiztatsachen oder Indikatoren108 bzw. Beweisanzeichen abzuleiten, die nach der Lebenserfahrung bzw. anerkann­ ten Erfahrungssätzen im Rahmen einer Gesamtwürdigung den Schluss zu­ lassen, der Betroffene wisse bzw. habe gewusst.109 Bei den infrage kommen­ den Indiztatsachen oder Indikatoren kann es sich etwa um Kommunikati­ onsakte handeln, an denen der Betroffene beteiligt war (beispielsweise einen Brief, einen Vermerk, eine E-Mail, ein Gespräch), aber auch um sonstige Handlungen und Wahrnehmungen des Betrof­fenen bzw. eine Aussage dar­

107 

Vgl. BeckOGK – Herresthal, BGB, Stand: 1.6.2019, §  311a Rn.  142. den Unterschied zwischen Indizien und Indikatoren hat in jüngerer Zeit in Bezug auf den Tötungsvorsatz im Strafrecht und seine Feststellung im Strafprozess vor allem Puppe, ZIS 2014, 66 ff. hingewiesen. „Indizien“ sind danach empirische Gründe für den Beweis einer von ihnen inhaltlich unabhängigen Tatsachenbehauptung, während „In­ dikatoren“ Gegenstand und Inhalt eines Werturteils sind. Nach meinem Verständnis ist der Wissensbegriff im Privatrecht insgesamt normativ geprägt; die Feststellung von Wis­ sen im Prozess ist dabei aber durchaus an dem Ziel ausgerichtet, soweit wie möglich em­ pirische Tatsachenbehauptung zu bleiben (näher unten Kapitel  3 A.I. = S. 259 ff.). Inso­ fern halte ich den Rückgriff auf Indizien und Indikatoren gleichermaßen für zulässig und notwendig. In diesem Sinne verstehe ich auch die Rechtsprechung des BGH zum Vorsatz und seiner Feststellung im Prozess (näher dazu noch unten Kapitel  2 A.IV. und VI. = S. 146 ff.). 109  Instruktiv für den Kenntnistatbestand des §  133 Abs.  1 InsO BGH, Urt. v. 31.10.­ 2019 – IX ZR 170/18, NJW-RR 2020, 294 Rn.  12 ff.; vgl. ferner für den Fall des Eigenbe­ darfs des Vermieters BVerfG, Beschl. v. 30.6.1993 – 2 BvR 459/93, NJW 1993, 2165 Ab­ schn.  II 4 b; für den Fall kollusiven Zusammenwirkens BGH, Urt. v. 5.11.2003 – VIII ZR 218/01, NJW-RR 2004, 247 Abschn.  II 2; generell Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 175; Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 6; Sallawitz, Die tatbestands­ mäßige Gleichstellung von grobfahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  71 ff. In­ struktiv etwa auch BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  50 für die indizien- und erfahrungssatzbasierte Feststellung der hypothetischen Lage im Rahmen der schadensrechtlichen Differenzhypothese. Einen ganz eigenen, am Patentrecht orien­ tierten Ansatz zur Bestimmung des relevanten Kenntnisstands einer Person präsentiert Schrader, Wissen im Recht, 2017, S.  455 ff. mit Binnenverweisen; vgl. auch die Zusammen­ fassung ders., AcP 218 (2018), 675, 676 f. 108  Auf

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über.110 In zivilprozessualer Hinsicht ist dabei zu beachten, dass nach §  138 Abs.  4 ZPO eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig ist, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.111 Unter Berücksichtigung der Feststellungs- und Beweisebene nähern sich Tatbestände, die „Wissen“ zum Tatbestandsmerkmal haben, im Ergebnis solchen Tatbeständen an, die bestimmte Rechtsfolgen schon auf Ebene des materiellen Rechts an eine bloße Anzeige knüpfen, wie etwa §  409 BGB (Abtretungsanzeige) und §  1280 BGB (Verpfändungsanzeige).112 Ganz Ähn­ liches gilt für Zustellungserfordernisse (vgl. etwa §  132 Abs.  1 BGB), das Er­ fordernis öffentlicher Bekanntmachung (vgl. etwa §  132 Abs.  2 BGB) und für das Zugangserfordernis bei Willenserklärungen unter Abwesenden ganz allgemein (§  130 Abs.  1 S.  2 BGB). Materiell sind Wissenstatbestände von solchen Tatbeständen zwar kategorial zu unterscheiden. Insbesondere be­ gründet die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme, die mit einer Anzeige, Zustellung, öffentlichen Bekanntmachung oder auch allgemein mit dem Zu­ gang einer Willenserklärung begründet wird, materiell gerade noch nicht bzw. nicht notwendig Wissen.113 Auf Feststellungs- und Beweisebene114 110  Exemplarisch BGH, Urt. v. 19.6.2013 – VIII ZR 183/12, NJW 2014, 211 Rn.  21; BGH, Urt. v. 14.9.2018 – V ZR 165/17, BeckRS 2018, 26602 Rn.  11. Ähnlich Wächter, M&A Litigation, 32017, S.  367, der dies als Zugang und Wahrnehmung einer verkörperten Information beschreibt; ähnlich auch schon v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band  II/1, 1914 (unveränderter Nachdruck 1957), S.  8 Fn.  19. 111  Vgl. zur Reichweite von §  138 Abs.  4 ZPO und insbesondere zur Pflicht der Partei, die ihr möglichen Informationen von Personen einzuholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind, aus der jüngeren Rechtsprechung etwa BGH, Teilversäumnis- und Schlussurt. v. 8.1.2019 – II ZR 139/17, NJW-RR 2019, 747 Rn.  34 ff. 112 Vgl. für weitere Beispiele MünchKomm – Armbrüster, BGB, 82018, Vor §   116 Rn.  16. 113 Vgl. für den Zugang Bork, DB 2012, 33, 37; Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grobfahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  86; Schilken, Wis­ senszurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  99. Insbesondere Wissens- und Anzeigetatbestän­ de unterscheiden sich noch darin, dass anderweitig als durch eine ordnungsgemäße An­ zeige erlangtes Wissen eine tatbestandlich vorausgesetzte Anzeige grundsätzlich nicht ersetzt und nach wohl überwiegend vertretener Auffassung außerdem darin, dass die Rechtsfolge von Anzeigetatbeständen auch dann eintreten kann, wenn der Anzeigeadres­ sat weiß, dass die Anzeige inhaltlich falsch ist (vgl. m. w. N. und eigenem differenzieren­ den Ansatz BeckOGK – Lieder, BGB, Stand: 1.4.2021, §  409 Rn.  35 ff.). 114  Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S.  51 ff. erwägt sogar auf materiell-rechtlicher Ebene, jedenfalls für juristische Personen, die „norma­tive Zurechnung (Fiktion)“ von Wissen in entsprechender Anwendung von §  130 Abs.  1 S.  1 BGB.

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kann der Zugang einer Anzeige,115 Erklärung etc. aber durchaus eine Indiz­ lage begründen, die den Schluss auf Wissen trägt.116 Vereinzelt sind die An­ zeige eines Umstands und das Wissen um denselben Umstand auch materiell-­ rechtlich gleichgestellt, namentlich hinsichtlich des Er­löschens einer Außen­ vollmacht, vgl. §§  170, 173 BGB.117 Unter Berücksichtigung der Feststellungs- und Beweisebene dürfte sich ferner ergeben, dass das Vorhandensein von Wissen bei einer Person und die Frage einer möglichen Zurechnung dieses Wissens zulasten einer anderen Person rechtstatsächlich dort besonders relevant – weil objektiviert nachvoll­ ziehbar – sein dürften, wo die Begründung oder das Vorhandensein von Wis­ sen in Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt von Anfang an und dauerhaft in Schrift­stücken, E-Mails etc. dokumentiert wird. Das betrifft insbesondere Sachverhalte, bei denen die Erarbeitung, Aufbereitung, Speicherung und Vermittlung relevanter Informationen prozesshaft organisiert ist, wie dies ­regelmäßig im unternehmerischen Verkehr (im Gegensatz zum alltäg­lichen privaten Verkehr), in noch stärkerer Weise im arbeitsteilig organisierten un­ ternehmerischen Verkehr (im Gegensatz zum einzelunternehmerischen Ver­ kehr) und am deutlichsten im professionell beratenen Verkehr der Fall ist, wo eine genaue Dokumentation des beratungsgegenständlichen Wissens und von dessen Weitergabe entweder bereits Vertragsgegenstand ist oder etwa aus Gründen der Haftungsvermeidung auf Beraterseite erfolgt. Daraus kann sich eine faktische Ungleichbehandlung insbesondere des arbeitsteilig organisier­ ten unternehmerischen und professionell beratenen Verkehrs gegenüber dem privaten und auch gegenüber dem einzelunternehmerischen Verkehr erge­ ben, und zwar zum Nachteil des erstgenannten, die im Ergebnis, jedenfalls bei extensiver Wissenszurechnung innerhalb solcher Verbindungen, eine „Überreizung“ von Wissenstatbeständen bedeuten kann.118 Im Übrigen gilt auch und gerade in Ansehung von Wissen als innerer Tat­ sache der allgemeine Satz, dass keine unerfüllbaren Beweisanforderungen 115  Vgl. zum Zugangserfordernis bei der Abtretungsanzeige BeckOGK – Lieder, BGB, Stand: 1.4.2021, §  409 Rn.  18. 116  Vgl. allgemein Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grobfahrlässi­ ger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  87; Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  99 f.; für ein Beispiel BGH, Urt. v. 14.9.2018 – V ZR 165/17, BeckRS 2018, 26602 Rn.  11 sowie die nachfolgend unter A.IV.2., S. 46 ff., dargestellte Rechtsprechung des BGH zur Haftung wegen fehlerhafter Aufklärung beim Beitritt zu einer Fondsgesell­ schaft in Fällen, in denen ein fehlerhafter Prospekt nicht übergeben worden ist, aber im­ merhin als Arbeitsgrund­lage für das Beratungsgespräch diente. 117  Vgl. zum Ganzen auch v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band  II/1, 1914 (unveränderter Nachdruck 1957), §  49 I = S.  128 ff. 118  Vgl. im Kontext der Wissenszurechnung auch Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 190.

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gestellt werden dürfen.119 Gegebenenfalls, namentlich wenn die primär dar­ legungsbelastete Partei „keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen“,

greifen Erleichterungen nach Maßgabe der Grundsätze der sekundären Dar­ legungslast,120 denen im vorliegenden Zusammenhang eine große praktische Bedeutung beizumessen ist.121 Im Übrigen gilt im Zivilprozess auch für die Feststellung von Wissen der allgemeine Maßstab richterlicher Überzeugung, §  286 ZPO.122 2. Insbesondere: Erfahrungssätze und Alltagstheorien In der klassischen Lehre von der Tatsachenfeststellung vor Gericht steht nicht die Feststellung von Wissen, sondern, neben der Identifikation von Lügen, die Feststellung von Irrtümern im Mittelpunkt.123 Wissen und Irr­ tum stehen in einem spezifischen Verhältnis zueinander. Sie lassen sich als 119  Vgl. für den Kenntnistatbestand des §  133 Abs.  1 InsO BGH, Urt. v. 31.10.2019 – IX ZR 170/18, NJW-RR 2020, 294 Rn.  12; für den Fall der Arglist BGH, Urt. v. 31.1.1996 – VIII ZR 297/94, NJW 1996, 1205 Abschn.  III; BGH, Urt. v. 22.11.1996 – V ZR 196/95, NJW-RR 1997, 270 Abschn.  II 2. 120  BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  37 (VW Dieselfall); nahezu wortgleich BGH, Urt. v. 29.6.2021 – VI ZR 566/19, DAR 2021, 498 Rn.  16 (VW Dieselfall), je m. w. N. aus der Rechtsprechung und je bezogen auf die Wissenselemente des §  826 BGB. 121  Vgl. insbesondere Altmeppen, NJW 2020, 2833, 2836 f. (in erster Linie bezogen auf „einfache“ Wissenstatbestände im hergebrachten Sinne, die Altmeppen ausdrücklich kate­ gorial von Verschuldens- und damit auch Vorsatztatbeständen trennt, aber ohne weiteres auf diese übertragbar); ferner etwa noch Pfeiffer, ZIP 2017, 2077 ff. für Organwissen; ­Jurgeleit, BauR 2018, 389, 391 f. für den Arglisttatbestand des §  638 BGB; Lippe, VersR 2021, 69, 71 für das Versicherungsvertragsrecht. 122  Vgl. nur BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 13/12, NJW 2013, 611 Rn.   25 für das Kenntniserfordernis des §  133 Abs.  1 S.  1 InsO; Buck-Heeb, Wissen und juristische Per­ son, 2001, S.  49 ff. 123  Vgl. insbesondere Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 42014, S.  4 ff. Das dürfte daran liegen, dass sich die „klassische“ Lehre von der Tatsachenfeststel­ lung vor Gericht im Wesentlichen mit der Frage befasst, wie festzustellen ist, ob eine vor Gericht geäußerte Meinung oder Überzeugung, „dass p“, wahr ist oder nicht, ob S also tatsächlich „Wissen“ wiedergibt oder aber einem Irrtum unterliegt oder gar bewusst die Unwahrheit sagt. Das Ziel besteht darin zu klären, wie sich p objektiv (tatsächlich) dar­ stellt. Bei Kenntnistatbeständen verhält es sich gleichsam umgekehrt: In objektiver Hin­ sicht muss hier zunächst feststehen, „dass p“ (z. B.: dass die Kaufsache schon bei Vertrags­ schluss tatsächlich mangelhaft war) und auf dieser Grundlage festgestellt werden, ob S „wusste“ (also insbesondere: meinte oder überzeugt war), dass p.

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Gegensatzpaar beschreiben. In Fällen des Irrtums liegt, epistemologisch ge­ sprochen, deshalb kein Wissen vor, weil die (subjektive) Meinung oder Überzeugung des Irrenden, „dass p“, (objektiv) nicht wahr ist.124 Vor diesem Hintergrund können die Faktoren, die üblicherweise für die Feststellung eines Irrtums herangezogen werden, auch für die Feststellung von Wissen herangezogen werden. Irrtümer werden klassischerweise vor allem darauf zurückgeführt, dass eine äußere Tatsache (p) fehlerhaft wahr­ genommen, verarbeitet (verstanden) und gespeichert (bzw. abgerufen oder wiedergegeben) wird.125 Umgekehrt kann man hiernach zum Zwecke der Feststellung von Wissen insbesondere fragen, ob der mutmaßlich Wissende (als Subjekt der Wissensrelation) eine bestimmte festgestellte Tatsache bzw. das, was diese Tatsache konstituiert (als Objekt der Wissensrelation) fehler­ frei wahrgenommen und verarbeitet (verstanden) sowie gespeichert hat bzw. abrufen (wiedergeben) konnte oder kann. Auf dieser Grundlage dürften sich – in gewissem Umfang sicherlich kon­ sensfähige – Erfahrungssätze oder wenigstens plausible Alltagstheorien126 formulieren lassen. Ein solcher Erfahrungssatz könnte etwa dahin gehen, dass eine Person eine Information, die ihr gegenüber äußerlich kommuni­ ziert wird oder die sie wahrnehmen könnte, nicht notwendig auch tatsäch­ lich wahrnimmt, verarbeitet127 und sich merkt (speichert), sondern dass dies maßgeblich von der subjektiven Bedeutung der Information für diese Per­ son im Zeitpunkt der Erlangung der Information abhängt.128 Ein ähnlicher Erfahrungssatz könnte etwa dahin gehen, dass einmal erworbenes Wissen wieder verloren gehen (also vergessen werden) kann129 und dass dies maß­ 124 Vgl. v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band  II/1, 1914 (unveränderter Nachdruck 1957), §  49 III = S.  132; Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 138: „[…] der Irrtum logisch nur ein spezieller Fall der Unkenntnis ist, weil hier wie dort die richtige Vorstellung fehlt und beim Irrtum bloß noch eine unrichtige hinzu­ kommt“; Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grobfahrlässiger Unkennt­ nis mit Kenntnis, 1973, S.  50: „Weicht aber das Vorstellungsbild des Betroffenen von der Wirklichkeit ab, so befindet er sich im Irrtum. Ein Irrtum schließt demnach Kenntnis aus“; Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2640. 125 Ausführlich Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 42014, S.  4–51. 126  Damit sind nicht im Einzelnen empirisch abgesicherte, aber eben doch plausible Überlegungen zu Wahrscheinlichkeiten bzw. Häufigkeitsverteilungen gemeint; vgl. dies., Tatsachenfeststellung vor Gericht, 42014, S.  150 f. 127  Vgl. auch Wächter, M&A Litigation, 32017, S.  367. 128  Vgl. BGH, Urt. v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339 Abschn.  II C 2 b aa für die Gefährlichkeit von Asbest; Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4 2014, S.  13; Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 6. 129  Vgl. dazu, dass Vergessen Wissen ausschließt, etwa BGH, Urt. v. 10.7.1987 – V ZR 152/86, NJW-RR 1987, 1415 Abschn.  II 3; BGH, Urt. v. 31.1.1996 – VIII ZR 297/94,

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geblich von der Zeit, die seit dem Erwerb des Wissens vergangen ist und  – wiederum – von der Bedeutung der betreffenden Information für den Wis­ sensträger im weiteren Zeitverlauf nach ihrer Erlangung abhängt.130 Der BGH hat in seiner Rechtsprechung außerdem beispielsweise den Erfah­ rungssatz erwogen, dass bei „normale[m] Zusammenleben“ von Ehegatten „auch die Ehefrau immer über alle rechtlich erheblichen Einzelheiten unterrichtet ist, wenn sich im wesentlichen der Ehemann als Vater mit der Wahrnehmung des [verfahrens­ gegenständlichen] Ersatzanspruches [des gemeinsamen Kindes] befaßt hat“.131

Über solche eher allgemeinen bis kuriosen Erfahrungssätze hinaus lassen sich auch ganz spezifische Erfahrungssätze formulieren, die von vornherein ganz bestimmte Situationen oder Tatbestände zum Gegenstand haben. Sol­ NJW 1996, 1205 Abschn.  II 2 c; Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2638; Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 174 m. w. N.; Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 6; wohl anders Liese, Grenzen der Wissenszurechnung, 2020, S.  17, wenn er es genügen lässt, dass sich der Betreffende „nur unter gehöriger Anstrengung seines Gedächtnisses des Um­ stands hätte erinnern können“. Vgl. außerdem noch dazu, dass auch eine konkrete Mög­ lichkeitsvorstellung im Sinne des bedingten Vorsatzes infolge Vergessens ausgeschlossen sein kann, BGH, Urt. v. 11.5.2001  – V ZR 14/00, NJW 2001, 2326 Abschn.  II 2 (für §  463 BGB a. F.): „Das BerGer. lässt es offen, ob sich der Bekl. bei den Kaufvertragsverhandlun­ gen und dem Vertragsabschluss an den Umstand, dass es sich um ein Auffüllgrundstück handelt, erinnerte oder ihn vergessen hatte. Revisionsrechtlich ist deswegen zu Gunsten des Bekl. davon auszugehen, dass er keine entsprechende Erinnerung besaß. Dies schließt es denkgesetzlich aus, dass er den Fehler wenigstens für möglich hielt. […] Seine Erklä­ rung, dass ihm solche Mängel nicht bekannt seien, traf jedoch zu. Denn eine Kenntnis von zeitlich zurückliegenden Umständen und Vorgängen ohne Erinnerung gibt es nicht“. 130  Vgl. BGH, Urt. v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339 Abschn.  II C 2 b bb für die Gefährlichkeit von Asbest; BGH Urt. v. 15.4.1997 – XI ZR 105/96, NJW 1997, 1917 Abschn.  II 2 a für Umstände im Zusammenhang mit der Hereinnahme eines disparischen Schecks: „Dem Erinnerungsvermögen sind nicht nur zeitliche Grenzen gesetzt. Es ist vielmehr auch in erheb­lichem Umfang situationsabhängig […]. Bei der Erledigung unbe­ deutender Geschäfte ist es gering. Von einem Bankangestellten, der solche Arbeiten aus­ führt, sind keine besonderen Erinnerungsleistungen und deshalb grundsätzlich auch kei­ ne Recherchen in Karteien oder Speichern zu erwarten oder zu verlangen. Bei bedeutende­ ren Geschäften ist dies anders […]“; M ­ edicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Son­derheft), 4, 6; Dauner-Lieb, FS Kraft, 1998, S.  43, 48; Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 125. 131  BGH, Urt. v. 20.1.1976 – VI ZR 15/74, NJW 1976, 2344 Abschn.  II 2 a (bezogen auf §  852 BGB a. F.); der BGH hat das im Ergebnis offengelassen, denn „[s]ollte sie es nicht gewesen sein, so ist das in der Tat nur denkbar, weil sie darauf bewußt verzichtet und vielmehr die ganze Angelegenheit ihrem Ehemann überlassen hat. Dann aber müßte sie sich auch als Mitvertreterin die Kenntnis ihres Ehemanns dem Schädiger gegenüber an­ rechnen lassen. Die Grundsätze über den sogenannten Wissensvertreter müßten entspre­ chende Anwendung finden“; vgl. zur Einordnung der zitierten Ausführungen insbeson­ dere BGH, Urt. v. 13.12.2012 – III ZR 298/11, NJW 2013, 448 Rn.  20.

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che Erfahrungssätze werden teilweise auch als tatsächliche Vermutungen bezeichnet, in Abgrenzung zu gesetzlichen Vermutungen im Sinne von §  292 ZPO. Ein Beispiel hierfür ist der Schluss von einem besonders groben Miss­ verhältnis von Leistung und Gegenleistung auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten im Rahmen von §  138 Abs.  1 BGB beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft, der sich nach der Rechtsprechung des BGH „von dem Erfahrungssatz her[leitet], dass außergewöhnliche Leistungen in der Regel nicht ohne Not oder einen anderen den Benachteiligenden hemmenden Umstand zuge­ standen werden und der Begünstigte diese Erfahrung teilt […]. Das trägt die den Beweis der subjektiven Voraussetzungen des §  138 Abs.  1 BGB erleichternde tatsächliche Vermu­ tung, die von dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden muss und nur dann nicht zur Anwendung kommt, wenn sie im Einzelfall durch besondere Umstän­ de erschüttert ist“.132

Ein weiteres Beispiel ist der in der Rechtsprechung des BGH anerkannte Erfahrungssatz aus dem Bereich der Aufklärungspflichten vor dem Beitritt zu einer Fondsgesellschaft, wonach „etwaige Prospektfehler auch dann für die Anlageentscheidung ursächlich werden, wenn der Anlageinteressent den Prospekt selbst zwar nicht erhalten hat, der Prospekt aber dem Anlagevermittler als Arbeitsgrundlage für das mit dem Anlageinteressenten geführte Be­ ratungsgespräch diente“, weil „sich eine auf dieser Grundlage erteilte mündliche Aufklä­ rung erfahrungsgemäß auf die Umstände und Risiken [­beschränkt], die im Prospekt ge­ nannt werden“.133

Die Tatsache, dass ein fehlerhafter Prospekt als Arbeitsgrundlage für ein Be­ ratungsgespräch diente, begründet hier als Indiztatsache in Verbindung mit dem Erfahrungssatz, dass sich Beratungsgespräche üblicherweise am Inhalt des maßgeblichen Prospekts orientieren werden, den Schluss, dass der An­ lageinteressent aus dem Beratungsgespräch dieselben (fehlerhaften) Vorstel­ lungen „gewonnen“ hat, die er bei Lektüre des Prospekts erlangt hätte, wäre ihm dieser ausgehändigt worden. 3. Die Formel vom Sichverschließen Generell ist die Konturierung des Wissensbegriffs im Privatrecht maßgeb­ lich d ­ avon geprägt, dass sich nach ständiger Rechtsprechung derjenige als wissend behandeln lassen muss, der (vermeintlich oder tatsächlich) die Au­ gen vor dem Evidenten verschließt. 132  Ausführlich zum Ganzen BGH, Urt. v. 9.10.2009 – V ZR 178/08, NJW 2010, 363 Rn.  12 ff. (wörtliches Zitat Rn.  16) mit weiteren Ausführungen zum prozessualen Um­ gang mit solchen tatsächlichen Vermutungen. 133  BGH, Teilversäumnis- und Schlussurt. v. 8.1.2019 – II ZR 139/17, NJW-RR 2019, 747 Rn.  22 m. w. N., auch zu den Grenzen dieses Erfahrungssatzes.

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a) Die Formel vom Sichverschließen in der Rechtsprechung des BGH Nach ständiger Rechtsprechung des BGH genügt es für die Annahme, je­ mand habe um einen bestimmten Umstand gewusst, also etwa im Sinne der Wissens­alternative des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB die Person des Schädigers gekannt, dass dieser jemand „eine sich ihm ohne weiteres anbietende, gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnis­ möglichkeit, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht, nicht wahrnimmt, gleichsam die Augen vor einer sich ihm aufdrängenden Kenntnis ver­ schließt“; ein solcher Sachverhalt genügt für die Annahme tatbestandlichen Wissens oder ist ihm zumindest gleichgestellt.134

Die Anforderungen, die der BGH in diesem Zusammenhang stellt, sind hoch. Insbesondere betont der BGH regelmäßig, mitunter sogar „mit Nach­ druck“,135 dass grob fahrlässige Unkenntnis nicht genügt.136 Beispielsweise braucht der Gläubiger keine „langen und zeitraubenden Telefonate“ zu füh­ ren, um die Anschrift des Schädigers zu erfahren.137 Die Anforderungen an die Annahme relevanten Sichverschließens waren in vielen Entscheidungen des BGH bei einer Beurteilung auf Grundlage der Feststellungen der Beru­ fungsgerichte denn auch nicht erfüllt.138 Entscheidungen, in denen der BGH 134  Exemplarisch BGH, Urt. v. 24.3.1987 – VI ZR 217/86, NJW 1987, 3120 Abschn.  II 1 (zu §  852 Abs.  1 BGB a. F.). Wortgleich oder weitgehend wortgleich etwa BGH, Urt. v. 15.12.1987  – VI ZR 285/86, NJW-RR 1988, 411 Abschn.  II 2 b (zu §  852 Abs.  1 BGB a. F.); BGH, Urt. v. 9.3.2010 – XI ZR 93/09, NZG 2010, 550 Abschn.  II 2 b bb 2 b (zu §  826 BGB). Für das rechtsfolgenbezogene Wissen um den Mangel des rechtlichen Grundes im Sinne von §  819 BGB auch BGH, Urt. v. 12.7.1996 – V ZR 117/95, NJW 1996, 2652 Ab­ schn.  III 1. Deutlich in diese Richtung auch bereits BGH, Urt. v. 22.1.1958 – V ZR 27/57, NJW 1958, 668; BGH, Urt. v. 9.2.1955 – VI ZR 40/54, NJW 1955, 706. Noch etwas an­ ders, namentlich ablehnend gegenüber einer etwas weitergehenden Formulierung BGH, Urt. v. 23.6.1967 – V ZR 10/66, DB 1967, 1807, wonach der „Satz, zur Kenntnis genüge schon, daß der Berechtigte sich in zumutbarer Weise ohne besondere Mühe die zur rest­ lichen Aufklärung fehlenden Angaben verschaffen könne“, weder für §  852 BGB noch für §  121 Abs.  1 S.  1 BGB „in dieser Allgemeinheit anerkannt“ sei. 135  Etwa BGH, Urt. v. 6.3.2001 – VI ZR 30/00, NJW 2001, 1721 Abschn.  II 2 b; BGH, Urt. v. 16.5.1989 – VI ZR 251/88, NJW 1989, 2323 Abschn.  II 2 a. 136  Vgl. neben den vorgenannten Entscheidungen etwa noch BGH, Urt. v. 14.10.2003 – VI ZR 379/02, NJW 2004, 510 Abschn.  II 3 b m. w. N.; BGH, Urt. v. 12.12.2000 – VI ZR 345/99, NJW 2001, 964 Abschn.  II 4; BGH, Urt. v. 18.1.2000 – VI ZR 375/98, NJW 2000, 953 Abschn.  II 2 b; BGH, Urt. v. 9.7.1996 – VI ZR 5/95, NJW 1996, 2933 Abschn.  II 2 b aa; BGH, Urt. v. 6.2.1990 – VI ZR 75/89, NJW-RR 1990, 606 Abschn.  II 2 a; BGH, Urt. v. 30.1.1973 – VI ZR 4/72, VersR 1973, 371 Abschn.  I 2. 137  Vgl. BGH, Urt. v. 29.5.1973 – VI ZR 68/72, VersR 1973, 841 Abschn.  II 2 c m. w. N. aus der älteren Rechtsprechung des III., VI. und VII. Zivilsenats des BGH sowie des RG. 138  Vgl. etwa BGH, Urt. v. 28.11.2006 – VI ZR 196/05, NJW 2007, 834 Rn.  6; BGH, Urt. v. 14.10.2003 – VI ZR 379/02, NJW 2004, 510 Abschn.  II 3 b; BGH, Urt. v. 6.3.2001

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in Fällen der Wissenszurechnung eine angegriffene Feststellung relevanten Sichverschließens durch die Instanzgerichte bestätigte, sind die Ausnahme. Eine solche Ausnahme stellt eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1989 dar.139 Auf dem Betriebsgelände einer GmbH & Co. KG (G-KG) war es zu einem Großbrand gekommen. Nach den Feststellungen musste sich „allen Beteiligten von vornherein die Überzeugung aufdrängen“, dass der Brand mit Schweißarbeiten einer beauftragten Heizungsbaufirma zusam­ menhing. Ein Mitarbeiter der G-KG war bei den Schweißarbeiten zugegen und hatte Kenntnis vom Schadenshergang. Der Geschäftsleiter der G-KG als der mit Blick auf den Beginn der Verjährungsfrist nach §  852 Abs.  1 BGB a. F. maßgebliche Wissensträger war noch am selben Tag von dem Brand unterrichtet worden. Zwar konnte nicht festgestellt werden, dass er am Tag des Brandes oder wenige Tage danach tatsächlich Kenntnis vom konkreten Schadens­hergang und insbesondere der Person der Schädiger erlangte. Es lag nach Auffassung des VI. Zivilsenats des BGH aber „auf der Hand“, dass er sich bei seinem Mitarbeiter nach dem Schadenshergang erkundigte und auch die Namen und Adressen der Schädiger „ließen sich mit einem einfa­ chen Telefonanruf bei deren Arbeitgeberin, die der G-KG bekannt war, oder bei der Polizei ermitteln“. Vor diesem Hintergrund sei „davon auszugehen“, dass der Geschäftsleiter die für den Lauf der Verjährung hinreichende Kenntnis hatte.140

– VI ZR 30/00, NJW 2001, 1721 Abschn.  II 2 b.; BGH, Urt. v. 12.12.2000 – VI ZR 345/99, NJW 2001, 964 Abschn.  II 4; BGH, Urt. v. 18.1.2000 – VI ZR 375/98, NJW 2000, 953 Abschn.  II 2 b; BGH, Urt. v. 16.12.1997 – VI ZR 408/96, NJW 1998, 988 Abschn.  II 2 c; BGH, Urt. v. 9.7.­1996  – VI ZR 5/95, NJW 1996, 2933 Abschn.  II 2 b aa und bb; BGH, Urt. v. 6.2.1990 – VI ZR 75/89, NJW-RR 1990, 606 Abschn.  II 2 b; BGH, Urt. v. 16.5.1989 – VI ZR 251/88, NJW 1989, 2323 Abschn.  II 2 b; BGH, Urt. v. 5.2.1985 – VI ZR 61/83, VersR 1985, 367 Abschn.  II 2. 139  BGH, Urt. v. 19.12.1989 – VI ZR 57/89, NJW-RR 1990, 343. 140  Zum Ganzen, auch zu sämtlichen wörtlich wiedergegebenen Passagen, BGH, Urt. v. 19.12.1989 – VI ZR 57/89, NJW-RR 1990, 343. Vgl. für ein weiteres Beispiel BGH, Urt. v. 5.4.1976 – III ZR 69/74, VersR 1976, 859 Abschn.  II 3 (hinsichtlich der Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen eine Gleichsetzung akzeptierend, in anderer Hinsicht aber ablehnend). In Sachverhalt („habe sich die Überzeugung aufdrängen müssen und aufgedrängt, daß der Brand durch Schweißarbeiten […] hervorgerufen worden war“) und Würdigung („liegt aber der Schluß des Berufungsgerichts auf die Kenntnis […] im Bereich möglicher tatrichter­licher Würdigung“) ähnlich auch BGH, Urt. v. 23.9.1975 – VI ZR 62/73, VersR 1976, 166 Abschn.  II 2; vgl. schließlich etwa noch BGH, Urt. v. 16.5.1989 – VI ZR 251/88, NJW 1989, 2323 Abschn.  II 2 a: Kenntnis kann erst dann angenommen werden, wenn der Geschädigte „bereits so viele Informationen besitzt, daß ihm eine ein­ fache Nachfrage die Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen verschafft“.

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b) Einordnung als Erfahrungssatz Der Umstand, dass dem Betroffenen eine „gleichsam auf der Hand liegende, ganz mühelos zugängliche Erkenntnismöglichkeit“ zur Verfügung stand, lässt sich jedenfalls als Indiztatsache dafür einordnen, dass jemand tatsäch­ lich bestimmtes Wissen hatte. Insofern handelt es sich bei der Formel vom Sichverschließen jedenfalls um einen Erfahrungssatz, der die Unsicherheit adressiert, die mit der Feststellung (dem Beweis) von Wissen generell ver­ bunden ist, indem er ein hohes Maß an Evidenz des betreffenden Umstands für den Wissensnachweis genügen lässt.141 Er adressiert damit zugleich den (ansonsten allzu naheliegenden) tatsachenbezogenen Einwand, man habe eine ganz naheliegende Wahrnehmung tatsächlich (vermeintlich) nicht ge­ macht oder Zweifel an der Wahrheit einer Information oder Tatsache gehabt und deshalb „nicht gewusst“, indem er diesen Einwand für unbeachtlich er­ klärt. Dadurch macht er Wissenstatbestände in Fällen streitiger Einlassung überhaupt erst sinnvoll praktikabel. In der Rechtsprechung des BGH kommt dieses Verständnis in dem Hin­ weis zum Ausdruck, „dass der Verletzte es nicht in der Hand haben darf, einseitig die Verjährungsfrist dadurch zu verlängern, dass er die Augen vor einer sich ihm aufdrängenden Kenntnis verschließt“; denn dann würde „letztlich das Sich­berufen auf Unkenntnis als Förmelei erschein[en], weil 141  Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 175. Gleichsinnig beweisrechtliche Überlegungen in den Mittelpunkt rückend etwa Martinek, JZ 2004, 42, 43; Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 13: „Daß jemand etwas zu einer bestimmten Zeit gewußt hat, folgt vielfach nur aus der Evidenz, daß er es hätte wissen müssen“; MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  823 Rn.  47: „Obwohl der BGH dies bisher nicht klar ausspricht, ist die Rspr. vor allem dem Umstand geschuldet, dass sich Vorsatz als innere Tatsache ohnehin nicht zuverlässig feststellen lässt. Deshalb bleibt gar nichts anderes übrig als auf Vorsatz zu schließen, wenn der Schädiger in einer Situation handelte, in der sich die Kenntnis der die Rechtswidrigkeit des eigenen Tuns begründenden Umstände geradezu aufdrängte“. Kritisch Schrader, Wissen im Recht, 2017, S.  435 f. und ders., AcP 218 (2018), 675, 676 f., weil dadurch die Grenze zwischen Wissen und Wissenmüssen verwischt werde. Schrader schlägt stattdessen vor, „aus der Sicht [eines] objektiven Dritten die Frage zu beantwor­ ten, ob er ausgehend von den ihm bekannten Einzelinformationen und unter Zuhilfenah­ me seines sonstigen Wissens und üblichen Könnens Anlass hatte, in die Richtung des Gegenstandes der tatbestandlichen Kenntnis zu denken“ und dabei die Kenntnis nicht „bloß hätte haben können, wenn er beispielsweise Rechtsrat eingeholt hätte“, sondern „die Kenntnis haben würde, wenn ihm die einzelnen Informationen bekannt sind“ (Schrader, a. a. O., S.  677). Dieser Ansatz dürfte dem der Rechtsprechung indes sehr ähn­ lich sein. Beide Ansätze gleichen sich grundlegend in ihrer Objektivierung und machen diese Objektivierung einmal durch die Frage nach dem, was sich objektiv „aufdrängen“ muss, und einmal durch die Frage nach der Kenntnis, die ein objektiver Dritter „haben würde“ in vergleichbarer Weise operabel.

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jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Um­ ständen die Kenntnis gehabt hätte“.142 c) Einordnung als Modifikation des Objekts der Wissensrelation Richtigerweise erschöpft sich die Formel vom Sichverschließen allerdings nicht in einem Verweis auf einen Erfahrungssatz. Sie geht vielmehr noch darüber hinaus, wenn sie auch Fälle erfasst, in denen (ausnahmsweise) „po­ sitiv“ feststeht, dass eine für die Begründung tatbestandlichen Wissens er­ forderliche Wahrnehmung tatsächlich nicht gemacht wurde. Dann (und nur dann) tritt an die Stelle des Wissens (der Feststellung des Wissens) um die tatbestandlich eigentlich relevanten Umstände das Wissen (die Feststellung des Wissens) um die bloße Erkenntnismöglichkeit (Erkenntnisquelle) in Ver­ bindung mit der „Entscheidung“, den Schritt von dieser „erkannten Er­ kenntnismöglichkeit“ hin zur „eigentlichen“ Erkenntnis „bewusst“ nicht zu gehen.143 Damit wird letztlich das Objekt der Wissensrelation verschoben. Insofern stellt die Formel vom (bewussten) Sichverschließen nicht nur eine Opera­ tion auf Tatsachen- und Feststellungsebene dar, sondern auch eine normati­ ve Korrektur des Wissenserfordernisses selbst. In dieser Dimension adres­ siert sie ein evidentes Gerechtigkeits- und Operabilitätserfordernis in Bezug auf Wissenstatbestände, wonach bei jedem Rechtsunterworfenen zumindest 142  BGH, Urt. v. 14.10.2003 – VI ZR 379/02, NJW 2004, 510 Abschn.  II 3 b m. w. N. für §  852 BGB a. F. Gleichsinnig etwa BGH, Urt. v. 6.3.2001 – VI ZR 30/00, NJW 2001, 1721 Abschn.  II 2 b; BGH, Urt. v. 12.12.2000 – VI ZR 345/99, NJW 2001, 964 Abschn.  II 4; BGH, Urt. v. 18.1.2000 – VI ZR 375/98, NJW 2000, 953 Abschn.  II 2 b; BGH, Urt. v. 9.7.1996 – VI ZR 5/95, NJW 1996, 2933 Abschn.  II 2 b aa; BGH, Urt. v. 6.2.1990 – VI ZR 75/89, NJW-RR 1990, 606 Abschn.  II 2 a; BGH, Urt. v. 19.12.1989 – VI ZR 57/89, NJWRR 1990, 343 Abschn.  II 2 b; BGH, Urt. v. 16.5.1989 – VI ZR 251/88, NJW 1989, 2323 Abschn.  II 2 a; BGH, Urt. v. 5.2.1985 – VI ZR 61/83, VersR 1985, 367 Abschn.  II 2. 143  Deutlich in diesem Sinne etwa BGH, Urt. v. 30.1.1973 – VI ZR 4/72, VersR 1973, 371 Abschn.  I 2: Für eine Kenntnis „von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichti­ gen“ (Wortlaut §  852 Abs.  1 BGB a. F.) könne „die Kenntnis der Erkenntnisquellen ausrei­ chen, wenn deren Ausnutzung zumutbar ist“; BGH, Urt. v. 9.2.1955 – VI ZR 40/54, NJW 1955, 706; Bork, DB 2012, 33, 38. Ein dahingehendes Verständnis kommt auch in der Rechtsparömie „ignorantia facti, non iuris excusat“ sowie in Erklärungsansätzen deutlich zum Ausdruck, wonach „nicht belohnt werden dürfe, wer sich – zur Vermeidung belas­ tender Rechtsfolgen – gegen eine Kenntnisnahme des Sachverhalts sperrt“, vgl. zu beidem Martinek, JZ 2004, 42 f. m. w. N., der einer „Gleichsetzung von Tatsachenkenntnis und Kenntnisverweigerung“ selbst allerdings kritisch gegenübersteht (Martinek, a. a. O., S.  44); vgl. zum Ganzen ferner ders., JZ 1996, 1099, 1100; Reichel, Zeitschrift für das Pri­ vat- und Öffentliche Recht der Gegenwart (Grünhut’s Zeitschrift) 42 (1916), 173, 189 f.; Schrader, Wissen im Recht, 2017, S.  155, 243 ff., 413, 455.

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eine prinzipielle Offenheit (ein Minimum an Offenheit) für Wahrnehmun­ gen und wertende Reflexion vorausgesetzt und erwartet werden kann und muss.144 Das dürfte letztlich auch gemeint sein, wenn die Gleichsetzung des (bewussten) Sichverschließens mit „echtem“ Wissen verbreitet, isoliert aber wenig aussagekräftig,145 in normativer Anknüpfung an §  162 BGB mit dem Rechtsmissbrauchsgedanken gerechtfertigt wird.146 d) Quasi-Positivierung durch tatbestandliche Gleichstellung objektiver Evidenz Vereinzelt wird ein Wissenserfordernis auch dadurch normativ erweitert, dass dem Wissen die objektive Evidenz der relevanten Umstände auf Tatbe­ standsebene „offen“ gleichgestellt wird. So verfährt die Rechtsprechung namentlich bei ungeschriebenen Wissens­ erfordernissen. Wichtiges Beispiel ist der Tatbestand des Missbrauchs der 144 Ebenso, allerdings jedenfalls in der Formulierung ausschließlich bezogen auf Rechtsfragen als Bezugspunkt von Wissen, MünchKomm – Schwab, BGB, 82020, §  819 Rn.  2. Ähnlich BGH, Urt. v. 9.5.2014 – V ZR 305/12, NJW 2014, 2790 Rn.  27 zu §  819 Abs.  1 BGB: derjenige, der „die Tatsachen kennt, auf Grund derer sich die Rechtsgrund­ losigkeit seines Erwerbs aufdrängt, verdient keinen Schutz“. Schrader, Wissen im Recht, 2017, S.  447, weist außerdem noch darauf hin, dass die „Grenzziehung zwischen den Fäl­ len, in denen die Kenntnis nicht vorliegt, weil die betroffene Person sich bewusst der Er­ kenntnis verschlossen hat und der Person, die über die Kenntnis schlicht nicht verfügt, regelmäßig ausschließlich eine Wertungsfrage ist“; gleichsinnig etwa bereits Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 155. 145  Bei Wissensnormen, bei denen der Rechtsmissbrauchsgedanke von vornherein kei­ ne tragende Rolle spielt (etwa: §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB), ist nicht ersichtlich, warum er es für die Einbeziehung eines Sichverschließens in den Tatbestand der Norm tun sollte. Wenn sich der nachweisbar Wissende zwar tatbestandlich, aber nicht rechtsmissbräuch­ lich verhält – warum sollte sich der nicht (nicht nachweisbar) Wissende, aber sich gegen­ über einer auf der Hand liegenden Erkenntnismöglichkeit Verschließende nicht nur tatbe­ standlich, sondern sogar rechtsmissbräuchlich verhalten? Ist die Adressierung rechtsmiss­ bräuchlichen Verhaltens hingegen Gegenstand der in Rede stehenden Wissensnorm als solcher (etwa: §  442 BGB), geht der Rechtsmissbrauchsgedanke im Wissenstatbestand insgesamt auf und kann damit gleichfalls kein hinreichender Grund gerade für die Einbe­ ziehung des Sichverschließens sein. 146  Exemplarisch BGH, Urt. v. 15.12.1987 – VI ZR 285/86, NJW-RR 1988, 411 Ab­ schn.  II 2 b: „Diese Gleichsetzung der Erkenntnismöglichkeit mit der positiven Kenntnis in Anlehnung an den dem §  162 BGB zugrundeliegenden Rechtsgedanken soll mißbräuch­ liches Umgehen der gesetzlichen Verjährungsregeln durch Hinausschieben des Beginns der Verjährung als gegen Treu und Glauben verstoßend verhindern“; aus der Lit. etwa Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2640; Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwortung bei juristischen Personen, 2017, S.  45 f.; Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäfts­leiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  29 ff.

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Vertretungsmacht, wenn dort der Kenntnis des Vertragsgegners vom Miss­ brauch der Vertretungsmacht durch den Vertreter der Fall der „massive Ver­ dachtsmomente voraussetzenden objektiven Evidenz“ des Missbrauchs gleichgestellt ist.147 Weiteres Beispiel ist der Tatbestand der haftungsbewehr­ ten (§  280 Abs.  1 BGB) Warnpflicht eines Discount-Brokers als Neben­ pflicht (§  241 Abs.  2 BGB), die nach der Rechtsprechung des BGH besteht, wenn dieser „die tatsächliche Fehlberatung des Kunden bei dem in Auftrag gegebenen Wertpapiergeschäft entweder positiv kennt oder wenn diese Fehlberatung aufgrund massiver Verdachts­momente objektiv evident ist“.148 In der Sache dürfte kein relevanter Unterschied bestehen zwischen der normativen Korrektur positiver Wissenserfordernisse nach der Formel vom Sichverschließen und der offenen Gleichstellung von Wissen und objektiver Evidenz schon auf Tatbestandsebene. Das zeigt sich deutlich, wenn (auch) in Bezug auf den Tatbestand des Missbrauchs der Vertretungsmacht insbeson­ dere gefragt wird, ob „sich nach den gegebenen Umständen die Notwendig­ keit einer Rück­frage des Geschäftsgegners bei dem Vertretenen geradezu aufdrängt[e]“149 und in Bezug auf den Tatbestand der Warnpflicht als Ne­ benpflicht, ob sich die aufklärungspflichtigen Tatsachen „einem zuständigen Bankmitarbeiter nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen musste[n]; er ist dann nach Treu und Glauben nicht berechtigt, seine Augen vor solchen Tatsachen zu verschließen“.150

147  Vgl.

exemplarisch BGH, Urt. v. 9.5.2014 – V ZR 305/12, NJW 2014, 2790 Rn.  18 m. w. N.; aus der Lit. Palandt – Ellenberger, BGB, 802021, §  164 Rn.  14. Vgl. auch Vedder, Miss­brauch der Vertretungsmacht, 2007, S.  64–69 mit der wichtigen Klarstellung, dass sich der Tat­bestand der „objektiven Evidenz“ auch als „Verletzung der Obliegenheit, nicht mit einem ‚offensichtlich‘ oder ‚evident‘ vorsätzlich missbräuchlich handelnden Vertreter abzuschließen“, bestimmen lässt (Vedder, a. a. O., S.  65 f.). Vedder geht aller­ dings zumindest begrifflich noch weiter und hält den Einwand des Missbrauchs der Ver­ tretungsmacht nicht nur für gegeben, wenn der Geschäftsgegner den Missbrauch der Ver­ tretungsmacht durch den Vertreter kennt oder dieser objektiv evident ist, sondern auch dann, wenn er ihn im Sinne auch nur einfach fahrlässiger Unkenntnis kennen musste, wobei er in der Sache allerdings strenge Anforderungen stellt („erhebliche Verdachtsmo­ mente“; Vedder, a. a. O., S.  69). 148  BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, NJW 2016, 2569 Rn.  39 m. w. N. 149  BGH, Urt. v. 14.6.2016 – XI ZR 483/14, NJW-RR 2016, 1138 Rn.  24 m. w. N. 150  BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, NJW 2016, 2569 Rn.  39; in der Sache etwa auch BGH, Urt. v. 19.3.2013 – XI ZR 431/11, NJW 2013, 3293: „so dass sich aufdrängt, die Bank habe sich der Kenntnis der arglistigen Täuschung geradezu verschlossen“.

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e) Geltung für Tatsachen- und Rechtswissen Der BGH hat in seiner Rechtsprechung die Gleichstellung des (bewussten) Sichverschließens mit „echtem“ Wissen bisweilen auf Fälle beschränkt, in denen tatbestandlich an die Kenntnis bestimmter Rechtsfolgen bzw. eines Rechtsgrundmangels bzw. an die rechtliche (Gesamt-)Bewertung von Tat­ sachen angeknüpft wird (z. B. §  819 Abs.  1 BGB, §  990 Abs.  1 S.  2 BGB) und es abgelehnt diesen anzuwenden, soweit es um die Kenntnis von Tatsachen geht.151 Dem ist nicht zu folgen.152 Diese Beschränkung ist schon in der Recht­ sprechung des BGH selbst keinesfalls konsentiert, sondern vereinzelt ge­ blieben.153 Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Kategorie des Sichverschlie­ ßens im Gegenteil gerade in Bezug auf tatsächliche Umstände von Bedeu­ tung ist. In Bezug auf Rechtsfragen greift nämlich bereits die weitgehend funktionsäquivalente, aber speziell auf rechtliche Schlussfolgerungen bezo­ gene Formel von der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ bzw. der Maß­ stab des „redlich Denkenden“ Platz.154 f) Irrelevanz in Bezug auf Arglist- bzw. Vorsatztatbestände Es fällt auf, dass die Entscheidungen, in denen eine Gleichstellung des (be­ wussten) Sichverschließens mit „echtem“ Wissen in Bezug auf tatsächliche Umstände abgelehnt wurde, teilweise zu §  463 S.  2 BGB a. F. und zu §  444 BGB ergangen sind.155 §  463 S.  2 BGB a. F. und §  444 BGB statuieren bzw. statuierten indes gar kein isoliertes Wissenserfordernis, sondern über den Arglisttatbestand ein (explizites) Vorsatzerfordernis, das sich von einem iso­ lierten Wissenserfordernis nach hergebrachtem Verständnis kategorial un­ terscheidet. Dabei geht es aber nicht um die Unterscheidung zwischen Tat­ sachen- und Rechtswissen, die der BGH in seiner älteren Rechtsprechung für relevant erachtet hat. Vielmehr rückt die Frage in den Mittelpunkt, ob 151 

Vgl. BGH, Urt. v. 7.3.2003 – V ZR 437/01, NJW-RR 2003, 989 Abschn.  II 2 b (zu §  463 S.  2 BGB a. F); BGH, Urt. v. 12.4.2013 – V ZR 266/11, NJW 2013, 2182 Rn.  14 (zu §  444 BGB) je m. w. N.; vgl. aus der Lit. zu dieser Differenzierung insbesondere Martinek, JZ 1996, 1099, 1100 ff. und ders., JZ 2004, 42 ff., je m. w. N. 152 Ebenso Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band   II/2: Besonderer Teil, 13 1994, §  73 II 1 a = S.  310 Fn.  45. 153  Vgl. die Nachweise oben Kapitel  1 A.IV.3.a)–c) = S. 49 ff. 154  Ausführlich dazu unten Kapitel  1 A.V.2. = S. 60 ff. 155  Vgl. namentlich die beiden vorgenannten Entscheidungen BGH, Urt. v. 7.3.2003  – V ZR 437/01, NJW-RR 2003, 989 Abschn.  II 2 b (zu §  463 S.  2 BGB a. F); BGH, Urt. v. 12.4.2013  – V ZR 266/11, NJW 2013, 2182 Rn.  14 (zu §  444 BGB).

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die Formel vom bewussten Sichverschließen in Bezug auf Vorsatztatbestän­ de überhaupt einschlägig ist. Das ist zu verneinen. Die Fälle, die hergebrachter Weise mit der Formel vom Sichverschließen erfasst werden, gehen in Bezug auf Vorsatztatbestän­ de in der Kategorie des bedingten Vorsatzes auf, für den nach herkömm­ lichem Verständnis als kognitives Element genügt, dass der Normadressat die Verwirklichung des in Rede stehenden Tatbestands konkret für möglich hält: „Bewusst“ nicht wissen bzw. „bewusst“ nicht „wissen wollen“ kann man von vornherein nur, was man zumindest konkret für möglich hält. Der Kategorie des bewussten Sichverschließens bedarf es hier also von vorn­ herein nicht.156 4. Daten- und Aktenwissen a) Ausgangspunkt Mit Blick auf die Möglichkeiten der Datenverarbeitung hat der BGH in ei­ ner Entscheidung vom 14.7.1993 ausgeführt: „Was ein Versicherer aufgrund (…) elektronischer Datensammlungen oder herkömmlicher Akten wissen kann, wird aktuelles, von ihm zu berücksichtigendes Wissen, soweit sich der Versicherungsnehmer darauf mit hinreichender Deutlichkeit157 zur Beant­ wortung ihm gestellter Fragen bezieht“. Die Entscheidung betraf die Frage, ob ein Versicherer bei Vertragsschluss von einer früheren Knieoperation des Versicherungsnehmers auch dann Kenntnis erlangt, wenn der Versicherungsnehmer zwar nicht unmittelbar auf die Knieoperation hinweist, aber immerhin darauf, dass die erbetenen Gesundheitsangaben bereits anderweitig bei dem Versicherer (bzw. bei einer anderen Versicherung, wenn sich der Versicherer die Einwilligung des An­ tragstellers hat geben lassen, im Verbund mit dem anderen Versicherer die Daten des Antragstellers zu sammeln)158 verfügbar sind. Der BGH bejahte dies und sprach den Versicherungsnehmer auf dieser Grundlage vom Vor­ wurf der arglistigen Täuschung des Versicherers frei.159

156 

Vgl. dazu auch noch unten Kapitel  3 A.VII. = S. 282 f. Näher dazu MünchKomm – Reiff, VVG, 22016, §  70 Rn.  22 m. w. N. 158 Vgl. speziell hierzu BGH, Urt. v. 14.7.1993 – IV ZR 153/92, NJW 1993, 2807 ­Abschn.  II 2; vgl. auch BGH Beschl. v. 10.9.2003 – IV ZR 198/02, NJW-RR 2003, 1603; vgl. aber auch BGH, Urt. v. 13.12.1989 – IV a ZR 177/88, NJW-RR 1990, 285 Abschn. 3; aus der Lit. MünchKomm – Reiff, VVG, 22016, §  70 Rn.  23 f. 159  BGH, Urt. v. 14.7.1993 – IV ZR 153/92, NJW 1993, 2807 Abschn.  II 2. 157 

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b) Einordnung Diese Rechtsprechung ist in der Folge namentlich im Versicherungsvertrags­ recht immer wieder aufgegriffen worden.160 Ob sie sich verallgemeinern lässt und wie sie einzuordnen ist, ist umstritten.161 Richtigerweise ist Zurückhaltung geboten. Allerdings lässt sich für Fälle, in denen „Daten- und Aktenwissen“ vorhanden ist, ein Erfahrungssatz for­ mulieren bzw. das Wissenserfordernis normativ erweitern: Wenn und soweit (1) Informationen tatsächlich in der Sphäre des Normadressaten vorhanden sind (und ins­besondere nicht nur in einer externen Datenbank, auch wenn diese öffentlich oder wenigstens für den Normadressaten zugänglich ist),162 (2) ihr Abruf praktisch aufwandsfrei möglich ist163 und (3) ein Anlass zum Abruf besteht, der eine Qualität hat, die das Nichtabrufen der gespeicherten Information als ein Sichverschließen im vorstehend geschilderten Sinne er­ scheinen lässt, kann die „Anlass-Rechtsprechung“ als Fallgruppe des allge­ meineren Satzes eingeordnet werden, wonach sich derjenige als wissend be­ handeln lassen muss, der (vermeintlich oder tatsächlich) die Augen vor dem Evidenten verschlossen hat.164 Unter diesen drei Voraussetzungen – und nur dann – ist ein Sachverhalt in besonderer Weise aus der Menge der weiteren Sachverhalte herausgehoben, in denen zwar ebenfalls die Möglichkeit der Kenntnisnahme von Informationen besteht, der Nicht­abruf trotz dieser 160 

Vgl. dazu unten Kapitel  1 B.VI.3. = S. 126 ff. Einer Verallgemeinerung zugeneigt etwa Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 7; Taupitz, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 16, 29; vgl. auch Heidrich, Das Wissen der Bank, 2001, S.  110 f. Kritisch und zurückhaltend etwa Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2641 f.; Dauner-Lieb, FS Kraft, 1998, S.  43, 49. 162 Dem BGH ist daher beizupflichten, wenn er es abgelehnt, einem Versicherer Informatio­nen zuzuschreiben, die in der vom Gesamtverband der Deutschen Versiche­ rungswirtschaft e.V. zum Schutz vor Versicherungsbetrug geführten Uniwagnis-Datei verfügbar sind, vgl. BGH, Urt. v. 17.1.2007 – IV ZR 106/06, NJW-RR 2007, 606 Rn.  15 ff. Dasselbe hat der BGH entschieden für Informationen, die auf Grundlage von §  9 Abs.  1 S.  1 InsO unter www.insolvenzbekanntmachungen.de öffentlich abrufbar sind, vgl. BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 62/09, NJW 2010, 1806 Rn.  10 ff. bezogen auf §  82 InsO und im Kontext der Rechtsprechung zum Organisationsmangel als Zurechnungsgrund; vgl. dazu auch noch BFH, Urt. v. 18.8.2015  − VII R 24/13, NZI 2016, 44 Rn.  14 ff. sowie aus der Lit. Bork, DB 2012, 33, 36 ff. 163  Dieser Gedanke kommt auch bei Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonder­ heft), 4, 7 zum Ausdruck, wenn er ausführt, im allgemeinen dürfe niemand, der etwas zu erklären hat, „die andere Partei durch einen bloßen Hinweis damit belasten, die unvoll­ ständige Erklärung aus ihrer eigenen Informationssphäre zu vervollständigen oder zu be­ richtigen“ (Hervorhebung nicht im Original). Vgl. zum Kriterium der Aufwandsfreiheit auch noch unten Kapitel  3 A.IV. = S. 279 f. 164  Noch zurückhaltender Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 174. 161 

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Möglichkeit aber lediglich den Vorwurf (gegebenenfalls gro­ber) Fahrlässig­ keit zu begründen vermag. c) Abgrenzung zur Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels Während unter den genannten engen Voraussetzungen das Vorhandensein von „Daten- und Aktenwissen“ die Zuschreibung oder Fiktion eigenen Wissens bei demjenigen erlaubt, der die praktisch aufwandsfreie Möglichkeit und einen gewichtigen Anlass zum Abruf dieses „Wissens“ hat, präsentiert sich die Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels als materiell-recht­ liche Operation, die eine Einstandspflicht für fremdes Wissen begründet.165 Insofern unterscheiden sich beide Ansätze rechtskonstruktiv fundamental. In ihrer gedanklichen Struktur ähneln sich beide Ansätze allerdings stark. Das wird etwa in der später noch ausführlich behandelten Asbest-Entschei­ dung des BGH aus dem Jahr 1996 deutlich, in der das Gericht ausführt, man könne den Inhalt von Speichern nur – aber immerhin dann – als Wissen „zurechnen, soweit ein besonderer Anlaß besteht, sich seiner in der konkre­ ten Situation (noch) zu vergewissern“.166 Insgesamt lässt sich zwischen der älteren Rechtsprechung zum Daten- und Aktenwissen und der jüngeren Rechtsprechung zur Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels in der Sache kein gewichtiger Unterschied erkennen, zumal beide Ansätze mitun­ ter auch formal nicht oder nicht klar von­einander unterschieden werden. In der späteren Rechtsprechung ist das Problem jedenfalls zunehmend als Pro­ blem der materiellen Einstandspflicht für fremdes Wissen und nicht mehr als Frage der Zuschreibung bzw. Fiktion eigenen Wissens behandelt worden.167 165 

Diese Unterscheidung kommt auch im Urteil des BGH v. 14.7.1993 – IV ZR 153/92, NJW 1993, 2807 Abschn.  II 3 deutlich zum Ausdruck: „Wenn die Knieoperation danach nicht schon aufgrund der Angaben des Kl. zu 1 in seinem Lebensversicherungsantrag an die C der Bekl. selbst bekannt war, kommt es entgegen der Ansicht des BerGer. darauf an, ob der Agent sie gekannt hat, der den Versicherungsantrag vom 20.9.1989 aufgenommen hat” (Hervorhebun­gen nicht im Original). Diese zweite Frage behandelt der BGH dann als Problem der Einstandspflicht für fremdes Wissen nach seiner versicherungsvertrag­ lichen Auge und Ohr-­Recht­sprechung; vgl. ferner Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprü­ che von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  34. 166  BGH, Urt. v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339 Abschn.  II C 2 b bb; näher dazu unten Kapitel  1 B.IV.3. = S. 92 f. 167  Überaus weit aber wieder BGH, Urt. v. 8.9.2016 – IX ZR 151/14, NJW-RR 2017, 429 Rn.  17: „Dem beklagten Land ist das Wissen der handelnden Finanzbehörde und des jeweils zuständigen Sachbearbeiters zuzurechnen [Nachw.]. Als bekannt ist hierbei, auch ohne dass es auf individuelle Kenntnis des handelnden Sachbearbeiters im Einzelfall an­ kommt, der Inhalt der in der Finanzbehörde geführten Steuerakten anzusehen [Nachw.]. Auf diese Weise wird verhindert, dass sich eine möglicherweise auch im Wechsel der zu­

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V. Bezugspunkte des Wissens 1. Tatsachenwissen Von der Frage, was mit dem Tatbestandsmerkmal des „Wissens“ bzw. der „Kennt­nis“ im Privatrecht ganz grundlegend gemeint ist, ist die Frage zu unterscheiden, worauf sich dieses Wissen im Einzelfall tatbestandlich bezie­ hen muss, was mit anderen Worten also gewusst werden muss, damit Wissen im Sinne einer Wissensnorm vorliegt. In der Terminologie der klassischen Erkenntnistheorie ist damit das Objekt der Wissensrelation angesprochen. Es liegt auf der Hand, dass das Objekt der Wissensrelation im Recht kon­ kret normbezogen zu bestimmen ist. Nach der in Rede stehenden Wissens­ norm bemisst sich nicht nur, welche Tatsachen jemand wissen muss, um im Sinne der Norm zu wissen, sondern auch, ob darüber hinaus tatbestandlich erforderlich ist, dass der Betroffene bestimmte rechtliche Schlussfolgerun­ gen gezogen hat, ob also ein Wissen auch um bestimmte rechtliche Wertun­ gen oder Rechtsfolgen erforderlich ist.168 Objektive Tatsachen sind tatbestandlich relevant, wenn etwa im Rahmen des §  442 Abs.  1 S.  1 BGB gefragt wird, ob der Käufer bei Vertragsschluss wusste, dass das erworbene Haus von Schimmelpilz befallen ist. Tatsachen­ wissen stellt den regelmäßigen Gegenstand von Wissensnormen dar und prägt demgemäß die allgemeine Auseinandersetzung mit Fragen des Wis­ sens im Privatrecht. 2. Rechtswissen a) Relevanz von Rechtswissen Lehrbuchbeispiel für eine Wissensnorm, bei der das erforderliche Wissen nach hergebrachtem Verständnis tatbestandlich bestimmte rechtliche Schluss­ folgerungen umfassen muss, ist §  814 BGB. Hier muss sich das Wissen des Leistenden und nunmehrigen Kondiktionsgläubigers tatbestandlich darauf beziehen, „dass er zur Leistung nicht verpflichtet war“, also auf den Aus­ schluss der Leistungspflicht als rechtliche Schlussfolgerung im konkreten ständigen Amtsträger ausdrückende, organisationsbedingte ‚Wissensaufspaltung‘ zulas­ ten des Rechtsverkehrs auswirkt“. 168  Vgl. dazu bereits v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band  II/1, 1914 (unveränderter Nachdruck 1957), §  49 II = S.  127; Sallawitz, Die tatbe­ standsmäßige Gleichstellung von grobfahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  83 ff.; vgl. allgemein zum Problem des Rechtswissens im Privatrecht noch Rittner, FS v. Hippel, 1967, S.  391, passim und insbesondere S.  406 ff. für eine konkret normbezogene Analyse.

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Einzelfall. Das bloße Wissen um die Tatsachen, aus denen sich der Aus­ schluss der Leistungspflicht ergibt, genügt nicht.169 Entsprechendes gilt für §  819 Abs.  1 BGB.170 Für andere Wissensnormen ist umstritten, ob sie das Wissen um eine kon­ krete rechtliche Schlussfolgerung als tatbestandliche Voraussetzung ha­ ben.171 So ist etwa für §  442 Abs.  1 S.  1 BGB umstritten, ob der Käufer, um wissend im Sinne der Vorschrift zu sein, bei Vertragsschluss lediglich den tatsächlichen Ist-Zustand der Kaufsache kennen muss (im Beispiel oben also den Schimmelbefall)172 oder ob er auch wissen muss, dass dieser Ist-Zustand von dem gemäß §  434 BGB maßgeblichen Soll-Zustand (im Beispiel in Er­ mangelung einer negativen Beschaffenheitsvereinbarung regelmäßig die Schim­melfreiheit, §  434 Abs.  1 S.  2 Nr.  2 BGB) negativ abweicht und damit (prospektiv) einen Mangel im Sinne des §  434 BGB begründet.173 Verlangt man, dass der Käufer eine bestimmte Ist-Beschaffenheit nicht nur als Tatsa­ che gekannt, sondern deren Abweichung von einer bestimmten Soll-Be­ schaffenheit auch rechtlich zutreffend als Mangel der Kaufsache eingeordnet hat, wäre ein Verlust der Mängelrechte nach §  442 Abs.  1 S.  1 BGB beispiels­ weise ausgeschlossen, wenn der Käufer bei Vertragsschluss rechtsirrig mein­ te, Schimmelbefall begründe von Rechts wegen bei gebrauchten Immobilien generell keinen Sachmangel. Unberührt bleibt ein Ausschluss der Mängel­ rechte nach Maßgabe von §  442 Abs.  1 S.  2 BGB. 169  Ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. nur BGH, Urt. v. 28.11.1990 – XII ZR 130/89, NJW 1991, 919 Abschn.  II; BGH, Urt. v. 11.11.2008 – VIII ZR 265/07, NJW 2009, 580 Rn.  17; BGH, Urt. v. 15.1.1954 – V ZR 165/52, LM Nr.  19 §  242 (Cd) BGB; in diesem Sinne auch bereits RG, Urt. v. 24.4.1937 – V 24/37, RGZ 154, 385, 397. 170  Ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. nur BGH, Urt. v. 9.5.2014 – V ZR 305/12, NJW 2014, 2790 Rn.  27; BGH, Urt. v. 22.4.1998 – XII ZR 221/96, NJW 1998, 2433 Ab­ schn.  II 2 b; BGH, Urt. v. 17.6.1992 – XII ZR 119/91, NJW 1992, 2415 Abschn.  II 2 b. Begründen lässt sich das vor allem mit der ratio der beschränkten Haftung des Bereiche­ rungsschuldners nach §  818 I–III BGB, die darin besteht, das Vertrauen auf die rechtliche Beständigkeit eines Erwerbs zu schützen; vgl. auch MünchKomm – Schwab, BGB, 82020, §  819 Rn.  2. 171 Vgl. für weitere Beispiele neben den hier angesprochenen Schrader, Wissen im Recht, 2017, S.  435 mit den dort in Bezug genommenen Teilen. 172  In diesem Sinne etwa BeckOK – Faust, BGB, Stand: 1.5.2021, §  442 Rn.  16. 173 In diesem Sinne etwa MünchKomm – Westermann, BGB, 82019, §  442 Rn.  4; Fleischer/­Körber, BB 2001, 841, 847 (für §  460 S.  1 BGB a. F.); vgl. auch BGH, Urt. v. 28.6.­ 1961 – V ZR 201/60, NJW 1961, 1860 (für §  460 S.  1 BGB a. F.): „Einen den Wert oder die Tauglichkeit des Hauses zum vertragsgemäßen Gebrauch mindernden Mangel kennt ein Käufer nicht schon deshalb, wenn er nur die äußere Erscheinungsform des Mangels, im vorliegenden Falle die Feuchtigkeit an den Wänden, beobachtet hat, sondern erst dann, wenn er weiß, daß durch diesen Fehler der Wert oder die Tauglichkeit des Kaufobjektes aufgehoben oder gemindert wird“.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

Im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB setzt Kenntnis nach ständiger Rechtsprechung des BGH demgegenüber „aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit grundsätzlich nicht voraus, dass der Geschädigte aus den ihm bekannten Tatsachen auch die richtigen rechtlichen Schlüsse zieht, diese also zutreffend rechtlich würdigt. Daher beeinflussen rechtlich fehlerhafte Vorstellungen seinerseits den Beginn der Verjährung in der Regel nicht“.174

Der BGH begründet das maßgeblich mit dem Wortlaut der Vorschrift („den Anspruch begründenden Umständen“) sowie damit, dass sich der Geschä­ digte jederzeit rechtlich beraten lassen kann.175 Etwas anderes gelte – nach der soeben genannten ratio konsequent  – ausnahmsweise dann, wenn die „Rechtslage im Einzelfall so unübersichtlich oder zweifelhaft ist, dass sie selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag“ oder bei dem Geschädigten durch eine objektiv irreführende rechtliche Be­ ratung eine „Fehlvorstellung über dessen Pflichtenumfang hervorgerufen worden ist und er keinen konkreten Anlass hat, der Richtigkeit der erteilten Information zu misstrauen“; dann kann auch fehlendes Rechtswissen den Verjährungsbeginn hindern.176 Im Übrigen bestimmt der BGH das „Maß“ der erforderlichen Kenntnis, wie bereits dargelegt, danach, ob dem Gläubi­ ger eine Klage zugemutet werden kann.177

174  BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, BeckRS 2019, 26716 Rn.   12 m. w. N., insbesondere auch aus der Rechtsprechung zu §  852 Abs.  1 BGB a. F. (exemplarisch BGH, Urt. v. 24.2.1994 – III ZR 76/92, NJW 1994, 3162 Abschn. 4 a), an die der BGH ausdrück­ lich auch zur Auslegung von §  199 Abs.  1 Nr.  1 BGB anknüpft. 175  BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, BeckRS 2019, 26716 Rn.  12, 14. 176  BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, BeckRS 2019, 26716 Rn.  12; vgl. auch BGH, Urt. v. 7.3.2019 – III ZR 117/18, NJW 2019, 1953 Rn.  19, 21, jeweils für den Fall fehlerhafter Belehrung durch einen Notar. Vgl. zur erstgenannten Fallgruppe außerdem noch BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 182/13, BeckRS 2015, 3384 Rn.  38. Im Sinne der zweitgenannten Fallgruppe bezogen auf rechtsanwaltliche Beratungsfehler wohl gleich­ sinnig BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, NJW 2014, 993 Rn.  15 ff. und BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 217/12, NJW 2014, 1800 Rn.  8 f. wonach der Geschädigte auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen muss, aus denen sich „für ihn – zumal wenn er juristischer Laie ist – ergibt“ (Hervorhebung jeweils nicht im Original), dass der Rechtsberater von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen ist oder aus rechtlicher Sicht erforder­ liche Maßnahmen nicht eingeleitet hat bzw. „Kenntnis von der Pflichtwidrigkeit“ (BGH, a. a. O., NJW 2014, 993 Rn.  17) bzw. von Tatsachen haben muss, „die aus seiner Sicht auf eine anwaltliche Pflichtverletzung deuten“ (BGH, a. a. O., NJW 2014, 1800 Rn.  9). 177  Näher und m. w. N. oben Kapitel  1 A.III. = S. 38 ff.

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b) Parallelwertung in der Laiensphäre bzw. der Maßstab des redlich Denkenden Der vorstehende Befund zeigt, dass die Antwort auf die Frage, ob eine Wis­ sensnorm eine bestimmte rechtliche Schlussfolgerung tatbestandlich zum notwendigen Objekt der Wissensrelation erhebt, durch Auslegung der in Rede stehenden Wissensnorm zu ermitteln ist und sich nicht etwa unter Re­ kurs auf den Wissensbegriff als solchen bestimmen lässt. Bestimmt eine Wissensnorm auch rechtliche Schlussfolgerungen zum not­ wendigen Objekt der Wissensrelation, so wird zur Konkretisierung des er­ forderlichen „Maßes“ der Rechtskenntnis regelmäßig die Formel von der „Parallel­wertung in der Laiensphäre“178 bzw. der Maßstab des „redlich Den­ kenden“179 bemüht. Damit ist jedenfalls gemeint, dass das erforderliche Rechtswissen nicht erst dann vorliegt, wenn der Normadressat aus den ihm bekannten Tatsa­ chen die im Ergebnis zutreffende rechtliche Schlussfolgerung juristisch präzise zieht. Gutachterliche Sicherheit ist für die Annahme tatbestandlichen Rechtswissens nicht erforderlich. Darüber hinaus verweisen beide Formeln aber auch auf eine spezifische Objektivierung des Wissenstatbestands in Be­ zug auf Rechtsfragen, nach der vor allem wesentlich ist, ob sich die in Rede stehende rechtliche Schluss­folgerung derart aufdrängte, dass sie auch ein rechtlicher Laie typischerweise gezogen haben würde. Die Formeln von der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ und vom „redlich Denkenden“ stellen sich damit im Ergebnis als Adaptionen der Formel vom Sichverschließen für Fälle dar, in denen Gegenstand (Objekt) von Wissen eine rechtliche Schluss­ folgerung ist.

178 

Vgl. nur BGH, Urt. v. 25.1.2008 – V ZR 118/07, NJW-RR 2008, 824 Rn.  13; BGH, Urt. v. 13.5.2014 – XI ZR 170/13, NJW-RR 2014, 1133 Rn.  109; aus der Lit. statt vieler MünchKomm – Schwab, BGB, 82020, §  814 Rn.  16. 179  Vgl. BGH, Urt. v. 22.1.1958 – V ZR 27/57, NJW 1958, 668; Larenz/Canaris, Lehr­ buch des Schuldrechts, Band  II/2: Besonderer Teil, 131994, S.  309 f.; ausführlich BuckHeeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  76 f., 90 ff.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

VI. Wissen und fahrlässiges Nichtwissen (Wissenmüssen) 1. Systemprägende Unterscheidung zwischen Wissen und fahrlässigem Nichtwissen Im deutschen180 Privatrecht wird klar zwischen Wissen (Kenntnis) und Wis­ senmüssen (Kennenmüssen) unterschieden.181 §  122 Abs.  2 BGB stellt beide Be­griffe nebeneinander und definiert den Begriff des Wissenmüssens (Ken­ nenmüssens) als Nichtwissen (Unkenntnis) „infolge von Fahrlässigkeit“. Die Definition des §  122 Abs.  2 BGB setzt das Nichtwissen in Relation („infolge“) zu der Erwartung, die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ nicht außer Acht zu lassen (so die allgemeine Definition der Fahrlässigkeit in §  276 Abs.  2 BGB). Wenn das Gesetz an das Wissensmüssen eines Umstands für den Norm­adressaten bestimmte negative Rechtsfolgen wie den Verlust der Mängelgewährleistungsrechte (§  442 Abs.  1 Fall 2 BGB) oder eine Haftung in Fällen anfäng­licher Unmöglichkeit (§  311a Abs.  2 BGB) knüpft, legt es diesem folglich – sanktioniert durch die genannten negativen Konsequenzen – die Pflicht oder die Obliegenheit auf (zu versuchen), das eigene Nichtwis­ sen mit der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ zu vermeiden bzw. – an­ ders herum formuliert – sich bestimmtes Wissen (bestimmte Informationen) zu verschaffen und dieses zu verarbeiten und vorzuhalten (zu speichern). Die Anknüpfung privatrechtlicher Sanktionen an fahrlässiges Nichtwissen begründet damit informationelle Sorgfaltspflichten gerichtet auf die Gewin­ nung, Verarbeitung und Speicherung relevanter Informationen.182 Wie weit 180 Ähnliches gilt etwa für das englische Privatrecht, wo zwischen (auch: imputed) knowl­edge und constructive knowledge unterschieden wird; vgl. Reynolds/Watts, Bows­ tead and Reynolds on agency, 212018, Rn.  8-209. 181  Vgl. zu Überlegungen dahin, Wissen und Wissenmüssen de lege lata oder de lege ferenda auch dort gleichzustellen, wo dies nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht der Fall ist, Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  66 ff. m. w. N. 182  Vgl. aus dem älteren Schrifttum etwa Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstel­ lung von grobfahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  109 m. w. N.; aus dem neue­ ren Schrifttum etwa Fietz, Die Wissenszurechnung gegenüber juristischen Personen, 2021, S.  97; Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  50–52, dort auch zur Frage, ob insofern eine Pflicht oder Obliegenheit in Rede steht; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertrags­ recht, 2001, S.  430 ff. und insbesondere S.  435: „Impetus zur Wissensbeschaffung“; ders., AcP 200 (2000), 91, 101 f.; Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und Bankrechtliche Auf­ klärungspflichten, 1998, S.  87 ff.; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S.  9; ders., ZHR 181 (2017), 160, 172; deutlich zur systemprägenden Unterscheidung zwi­ schen Wissen und Wissenmüssen auch Koller, JZ 1998, 75, 78 (Fn.  48); für das Wettbe­ werbsrecht ferner Rohlfing, GRUR 2006, 735, 738. Anders etwa Schüler, Die Wissenszu­ rechnung im Konzern, 2000, S.  45 ff., der das fahrlässige Nichtwissen, ebenso wie das

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diese reichen, ist im Einzelfall durch Aus­legung zu ermitteln; regelmäßig besteht eine Pflicht oder Obliegenheit zur Nachforschung nur bei hinrei­ chend konkretem Anlass. In den Motiven zum BGB und in der älteren Literatur ist dieser Gedanke bezogen auf den Tatbestand grob fahrlässigen Nichtwissens bisweilen – in eher rudimentärer Form – dahin formuliert worden, dieser sei Ausdruck der Pflicht, „die Augen offen zu halten“ bzw. „aufzupassen“.183 In den Worten der Ökonomik geht es bei der Anknüpfung negativer Rechtsfolgen an fahr­ lässiges Nichtwissen darum, aufseiten des Normadressaten im Interesse der Transaktionseffizienz einschließlich einer zutreffenden Preisbildung und insbesondere auch im Interesse einer sozial wünschenswerten präferenz­ gerechten Güterallokation einen erforderlichen Anreiz zur Informations­ beschaffung zu setzen.184 Die Anknüpfung privatrechtlicher Sanktionen an Wissen begründet hin­ gegen keine Pflicht zur Gewinnung, Verarbeitung und Speicherung relevan­ ter Informationen.185 Wie im Einzelnen noch auszuführen sein wird, be­ gründet sie aber immerhin eine Pflicht oder Obliegenheit bzw., in der Ter­ minologie der Ökonomik, einen Anreiz zur Offenlegung bereits gewonnener, verarbeiteter und gespeicherter – also tatsächlich vorhandener, aktuell ver­ fügbarer – Informationen bzw. zu einem sonstigen Verhalten im Wissen um bestimmte Umstände,186 etwa zur Vornahme verjährungshemmender Hand­ Wissen, als bloßen Zustand betrachtet; Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  31 ff. m. w. N. 183  Vgl. Mot. II, 1888, S.  226 sowie die Erörterungen bei Köhler, JZ 44 (1989), 761, 764 m. w. N. aus dem damaligen Schrifttum. 184 Näher Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S.   284 ff. und insbesondere zum Gedanken präferenzgerechter Güterallokation S.  288 f. und Fn.  214; Fleischer, Informati­ onsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S.  146 ff. 185  Vgl. schon RG, Urt. v. 28.1.1905, Rep. V 251/04, RGZ 59, 400, 408: „Mit Recht legt der Berufungsrichter auch darauf kein Gewicht, ob etwa der Fiskus die im Verkehr erfor­ derliche Sorgfalt insofern außer acht gelassen hat, als er bei genauer Durchforschung sei­ ner Akten und bei gehöriger Umfrage bei den Beamten seines Ressorts Kenntnis […] hätte haben müssen. Hierauf kann es nach §  439 Abs.  1 BGB [entspricht im Wesentlichen §  442 Abs.  1 S.  1 BGB] nicht ankommen, weil nur die wirkliche Kenntnis des Mangels die Vertretungspflicht des Veräußerers ausschließen soll, nicht auch das Kennenmüssen oder die auf Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis“; aus dem Schrifttum exemplarisch Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 13, wenn er im Ausgangspunkt fest­ hält, es verwische die Grenzen zwischen Wissen und Wissenmüssen, wenn zum Wissen Informationen gerechnet werden, die erst mittels einer gewissen Mühe erreichbar sind. 186  Anders Teile des Schrifttums, die die Funktion des Tatbestandsmerkmals des Wis­ sens, sehr viel abstrakter, auf die Prinzipien des Vertrauensschutzes, des Selbstschutzes und des veni­re contra factum proprium zurückführen; vgl. Engelhardt, Wissensverschul­

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

lungen (§  199 Abs.  1 Nr.  2 Alt.  1 BGB), zur Abstandnahme von einem ei­ gentlich intendierten Vertragsschluss (§§  442 Abs.  1, 932, 892 BGB) oder zum Unterlassen entreichernder Handlungen (§  819 Abs.  1 BGB). Aus öko­ nomischer Perspektive kann es dabei um den Schutz und die Verwirklichung derselben Interessen gehen wie bei der Anknüpfung negativer Rechtsfolgen an fahrlässiges Nichtwissen. Es kann aber auch um den Schutz und die Ver­ wirklichung spezifisch-andersartiger Interessen gehen, so etwa bei §  199 BGB um den Schutz bzw. die Verwirklichung von Rechtsfrieden, Rechtssi­ cherheit und Entlastung.187 Sofern das betreffende Verhalten ohnehin im (wirtschaftlichen) Interesse des Wissensträgers liegt, beim Kauf aus Sicht des Verkäufers also etwa in Ansehung werterhöhender Informationen über die Kaufsache, bedarf es ei­ ner rechtlich sanktionierten Pflicht oder Obliegenheit im Grundsatz nicht. Ihr bedarf es aber, wo das betreffende Verhalten nicht bereits im eigenen Interesse des Wissens­trägers liegt, also beispielsweise aus Verkäufersicht be­ züglich der Offenlegung wertmindernder Informationen. Hier ist aus öko­ nomischer Perspektive eine dahingehende Anreizwirkung insbesondere dann und deshalb effizient, wenn und weil damit unproduktiver, weil durch dieses Verhalten vermeidbarer Aufwand, etwa zur (erneuten) Informations­ beschaffung beim Begünstigten der Wissensnorm, eine nicht präferenzge­ rechte Güterallokation, die Bildung eines unzutreffenden Preises und/oder Gefahren und Kosten aus der uninformierten Nutzung der Sache vermieden werden.188 2. Teleologische Spaltung relativer Wissensnormen Relative Wissensnormen sind dadurch gekennzeichnet und unterscheiden sich dadurch von absoluten Wissensnormen, dass das (grob) fahrlässige Nichtwissen dem Wissen auf Tatbestandsebene uneingeschränkt oder unter Vorbehalt „gleichgestellt“ ist. Beispielsweise ist es nach §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB für den Beginn der re­ gelmäßigen Verjährung erforderlich, aber auch genügend, dass „der Gläubi­ ger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müss­ den, 2019, S.  10–12; Fietz, Die Wissenszurechnung gegenüber juristischen Personen, 2021, S.  86 ff., je m. w. N. 187  Näher noch unten Kapitel  3 A.VIII.5. = S. 295 f. 188  Vgl. zur Unterscheidung zwischen wertmindernden und werterhöhenden Infor­ mationen Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S.  287 ff. m. w. N. aus der Lit. zur In­ formationsökonomik.

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te“. Für die Rechtsfolge (Verjährungsbeginn) macht es dabei keinerlei Un­ terschied, ob tatbestandlich Wissen oder grob fahrlässiges Nichtwissen vor­ liegt. Auch bei §§  442 Abs.  1, 536b S.  1, 2 BGB ist das grob fahrlässige Nicht­ wissen dem Wissen grundsätzlich gleichgestellt, allerdings nur vorbehaltlich bestimmter negativer Tatbestandsmerkmale (keine Gleichstellung, wenn die andere Vertragspartei den Mangel arglistig verschwiegen hat; bei §  442 Abs.  1 S.  2 BGB außerdem keine Gleichstellung, wenn der Verkäufer eine Beschaf­ fenheitsgarantie übernommen hat). Hier kann es also ausnahmsweise ergeb­ nisrelevant sein, ob tatbestandlich Wissen oder „nur“ (grob) fahrlässiges Nichtwissen gegeben ist. Für die vollständige oder zumindest bedingte „Gleichstellung“ von Wis­ sen und (grob) fahrlässigem Nichtwissen sind verschiedene Gründe denk­ bar. Denkbar ist insbesondere, die tatbestandliche Gleichstellung von Wis­ sen und (grob) fahrlässigem Nichtwissen als Beweiserleichterung zu recht­ fertigten.189 Die tatbestandliche Gleichstellung von Wissen und (grob) fahrlässigem Nichtwissen stellte sich hiernach insbesondere als eine Reakti­ on auf die Schwierigkeiten dar, die es bereiten kann zu beweisen, dass je­ mand zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmte Tatsachen kannte oder bestimmte Informationen hatte. Daneben kann es, wie gezeigt, auch Schwie­ rigkeiten bereiten festzulegen, was – insbesondere: welcher Grad an subjek­ tiver Sicherheit – überhaupt erforderlich ist, um von „Wissen“ sprechen zu können. Auch solche Unsicherheiten würden entschärft, wenn das (grob) fahrlässige Nichtwissen dem Wissen gleichgestellt und „echtes“ Wissen da­ her tatbestandlich gar nicht erforderlich ist, damit die in Rede stehende Rechtsfolge eingreift. Für Fälle des Handelns in eigenen Angelegenheiten wird außerdem ausgeführt, die Gleichstellung von Wissen und (grob) fahr­ lässigem Nichtwissen entspreche dem Rechtsgedanken des §  277 BGB und

189 Vgl. Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grobfahrlässiger Un­ kenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  108; Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwor­ tung bei juristischen Personen, 2017, S.  43 f.; Fietz, Die Wissenszurechnung gegenüber juristischen Personen, 2021, S.  99 f.; für §  442 Abs.  1 S.  2 BGB auch Goldschmidt, ZIP 2005, 1305, 1309; vgl. ferner für §  460 S.  2 BGB a. F. die Ausführungen von Köhler, JZ 44 (1989), 761, 764 m. w. N. aus dem damaligen Schrifttum. In diese Richtung auch die Be­ gründung zur Neuregelung des Verjährungsrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, wonach mit der tatbestandlichen Gleichstellung von Wissen und grob fahrlässigem Nichtwissen in §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB bereits zuvor anerkannte „Auflocke­ rungstendenzen“ – namentlich die Gleichstellung von Wissen und Sichverschließen im Rahmen von §  852 Abs.  1 BGB – aufgegriffen würden (BT-Drucks. 14/6040, S.  108); vgl. auch HKK – Hermann, BGB, 2003, §§  194–225 Rn.  30.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

sei damit Ausdruck des allgemeinen Gedankens, in eigenen Angelegenheiten schade grobe Fahrlässigkeit generell.190 Überzeugend sind diese Begründungsansätze nicht. Insbesondere verken­ nen sie die kategoriale Verschiedenartigkeit von Wissen und (auch: grob) fahrlässigem Nichtwissen (Wissenmüssen) hinsichtlich der präsumierten Verhaltenserwartung. Danach kann sich die Aussage, (grob) fahrlässiges Nichtwissen sei dem Wissen „gleichgestellt“, nur auf die Rechtsfolgen be­ ziehen, die für beide Fälle identisch sind. Inhaltlich geht es demgegenüber keinesfalls um eine Gleichstellung, sondern um ein Danebenstellen. Da der Zweck, der der Tatbestands­mäßigkeit (grob) fahrlässigen Nichtwissens zu­ grunde liegt, ein anderer ist als derjenige, der der Tatbestandsmäßigkeit von Wissen zugrunde liegt – nochmals und verkürzt: das Tatbestandsmerkmal des fahrlässigen Nichtwissens begründet informationelle Sorgfaltspflichten gerichtet auf Informationsermittlung, das Tatbestandsmerkmal des Wissens eine andersartig-normspezifische Verhaltenserwartung „im Wissen um p“ –, führt die rechtsfolgenseitige Gleichbehandlung von Wissen und (grob) fahr­ lässigem Nichtwissen zu einer teleologischen Aufspaltung der Norm. Der Zweck der rechtsfolgenseitigen Gleichbehandlung von Wissen und (grob) fahrlässigem Nichtwissen liegt folglich darin, den Pflichten- bzw. Obliegen­ heitskreis des Normadressaten inhaltlich um die jeweils in Rede stehende, aus dem Normzweck zu ermittelnde Verhaltenspflicht bzw. Obliegenheit zu erweitern.191 An Wissen und Wissenmüssen werden also inhaltlich grundverschiedene Verhaltenserwartungen geknüpft. Da absolute Wissensnormen keine Pflicht oder Obliegenheit zur Informationsbeschaffung begründen, ist auch jede Ausdehnung des Wissensbegriffs im Sinne bloßen Wissenmüssens kategori­ al ausgeschlossen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, welches Maß an subjektiver Sicherheit man für die Annahme tatbestandlichen „Wissens“ vo­ raussetzt und welche Anforderungen man an die rechtfertigenden Gründe stellt. Insofern ist zu beachten, dass es die systemprägende Unterscheidung 190 

Vgl. dazu Begründung, BT-Drucks. 14/6040, S.  108 zu §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB. Ganz deutlich auch Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grobfahr­ lässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  109 f.; Bauer, FS Schultz, 1987, S.  21, 34, wenn er umgekehrt betrachtet festhält, die Statuierung eines absoluten Wissensmaßstabs habe den Sinn, dem Normadressaten keine besonderen Nachforschungsobliegenheiten aufzu­ erlegen. Vgl. für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsnormen auch Grigoleit, Vorvertragliche In­ formationshaftung, 1997, S.  9: „Während sich der Informationspflichtige nämlich bei der Vorsatzhaftung auf die (nach bestem Wissen) korrekte Weitergabe vorhandener Informa­ tionen beschränken kann, hat die Anerkennung der Fahrlässigkeitshaftung zur Folge, daß die Pflichtenstellung mittelbar auch auf den Erwerb von Informationen zur Korrektur unrichtiger Vorstellungen bzw. zur Erweiterung der Informationsbasis ausgedehnt wird“. 191 

B. Wissenszurechnung

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zwischen Wissen und Wissenmüssen nicht ausschließt, bereits eine konkrete Möglichkeits- oder Wahrscheinlichkeitsvorstellung tatbestandlich als (be­ dingtes) „Wissen“ zu erfassen, wenn und weil damit nicht der Vorwurf einer informationellen Sorgfaltspflichtverletzung verbunden ist, sondern der Vor­ wurf eines sonstigen Verhaltens „trotz dessen“. Darauf wird in Kapitel  3 zu­ rückzukommen sein.

B. Wissenszurechnung I. Überblick Unter welchen Voraussetzungen jemand für das Wissen einer anderen Per­ son einzustehen hat, ist nicht allgemein geregelt. Ausdrücklich angespro­ chen ist die Zurechnung fremden Wissens im BGB immerhin in §  166 Abs.  1 BGB. Die Norm hat nach ihrem Wortlaut allerdings einen eng begrenzten Anwendungs­bereich; sie betrifft ausschließlich das Verhältnis zwischen Ver­ treter und Vertretenem und die rechtlichen Folgen von Willenserklärungen. Im Übrigen ist die Frage der Einstandspflicht für fremdes Wissen nicht explizit positivrechtlich aufgelöst. Die Rechtsprechung rekurriert maßgeb­ lich auf eine maximalextensive Ausdehnung von §  166 Abs.  1 BGB, auf die außerpositive Lehre vom Organisationsmangel als Zurechnungsgrund und bisweilen auf die Organtheorie. Die Weiterungen, die §  166 BGB erfahren hat, sowie besonders die Voraus­ setzungen und Grenzen der Wissenszurechnung nach Maßgabe von Wissens­ organisationspflichten sind kaum zu überblicken und in den Einzelheiten auch nicht immer nachvollziehbar. Im Folgenden soll gleichwohl anhand wichtiger Entscheidungen des BGH versucht werden, die wesentlichen Li­ nien der Rechtsprechung nachzuzeichnen. Dabei kann es nicht um eine ­erschöpfende Darstellung gehen. Eine solche ist angesichts der Fülle an Ma­ terial und der zu konstatierenden Diffusionstendenzen kaum zu leisten.192 Die nachfolgenden Ausführungen sind vielmehr auf die wesentlichen Wei­ chenstellungen, die der BGH in seiner Rechtsprechung vorgenommen hat, und die wesentlichen – überwiegend fundamentalen – Kritikpunkte zu kon­ zentrieren, die im Schrifttum dagegen vorgebracht werden.

192  Vgl. für eine breitere Darstellung insbesondere die zahlreichen Monographien zum Thema, insbesondere Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

II. §  166 BGB: Punktuell-erklärungsbezogene Zurechnung von Willensmängeln, Wissen und Wissenmüssen im Verhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem 1. Unmittelbarer Anwendungsbereich Der unmittelbare Anwendungsbereich von §  166 Abs.  1 BGB ist eng. In sach­licher Hinsicht gilt die Regelung ihrem Wortlaut nach ausschließlich für die „rechtlichen Folgen einer Willenserklärung“ und auch hier nur insoweit, als Willensmängel im Sinne der §§  116–123 BGB193 oder die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände in Rede stehen. In persönlicher Hin­ sicht ist §  166 Abs.  1 BGB auf Vertretungsfälle beschränkt (rechtliche, ge­ setzliche und organschaftliche Vertretung; Vertreter ohne Vertretungsmacht bei Genehmigung durch den Vertretenen gemäß §  177 Abs.  1 BGB).194 Für §  166 Abs.  2 BGB gilt nach der Rechtsprechung des BGH im Ergeb­ nis weitgehend dasselbe. Seinem Wortlaut nach erfasst §  166 Abs.  2 BGB zwar nur die rechtsgeschäftliche Vertretung. Dazu kann auch der Fall des §  177 Abs.  1 BGB gerechnet werden. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt §  166 Abs.  2 BGB allerdings noch darüber hinaus auch in Fällen gesetz­ licher oder organschaftlicher Vertretung, wenn der gesetzliche oder organ­ schaftliche Vertreter insofern wie ein Bevollmächtigter handelt, als er „be­ stimmten Weisungen“ des Vertretenen folgt.195 Für Verwalter kraft Amtes, insbesondere also für Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter und Insolvenzverwalter gilt §  166 BGB demgegenüber nicht. Das ergibt sich jedenfalls für §  166 Abs.  1 BGB von selbst; hier stellen sich im sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift keine Zurechnungs­ fragen, weil der Verwalter kraft Amtes im eigenen Namen handelt und da­ mit „selbstverständlich“ seine Person in Betracht kommt.196

193 

Vgl. Palandt – Ellenberger, BGB, 802021, §  166 Rn.  3. Vgl. Palandt – ders., BGB, 802021, §  166 Rn.  2; vgl. speziell für den Fall der nachträg­ lichen Genehmigung des Vertreterhandelns noch BGH, Urt. v. 16.12.2009 – XII ZR 146/07, NJW 2010, 861 Rn.  22 m. w. N. aus der Rechtsprechung. Für die organschaftliche Vertretung wird auf Grundlage der Organtheorie verbreitet anderes vertreten, vgl. dazu unten Kapitel  3 C.III.3. = S. 348. 195  Vgl. BGH, Urt. v. 10.10.1962 – VIII ZR 3/62, NJW 1962, 2251; Palandt – ders., BGB, 802021, §  166 Rn.  10 m. w. N.; Altmeppen, BB 1999, 749, 752. Zum Begriff der Wei­ sung im Sinne des §  166 Abs.  2 BGB unten Kapitel  1 B.II.2.c) = S.  71 f.; zur Anwendbar­ keit und Bedeutung von §  166 Abs.  2 BGB speziell im Fall gesetzlicher bzw. organschaft­ licher Vertretung unten Kapitel  3 C.III.3. = S. 348. 196  Vgl. Palandt – Ellenberger, BGB, 802021, §  166 Rn.  2. 194 

B. Wissenszurechnung

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2. Unmittelbarer Regelungsgegenstand a) §  166 Abs.  1 Fall 2 BGB: Maßgeblichkeit des Wissens usw. des Vertreters (punktuelle Wissenszurechnung) Nach §  166 Abs.  1 BGB kommt, soweit die rechtlichen Folgen einer Willens­ erklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennen­ müssen gewisser Umstände beeinflusst werden, nicht die Person des Vertre­ tenen, sondern die des Vertreters in Betracht. Damit ordnet die Vorschrift in positiver Hinsicht an, dass Willensmängel, Wissen und fahrlässiges Nicht­ wissen des Vertreters für und gegen den Vertretenen wirken. Diese Zurech­ nung ist von vornherein auf das konkret in Rede stehende Rechtsgeschäft, bei dessen Abschluss der Vertreter tätig ist, bezogen und beschränkt.197 Die Kenntnis des Vertreters ist danach nur maßgebend, soweit sie sich auf die Folgen der Willenserklärung auswirkt, die der Vertreter für den Vertretenen abgegeben oder empfangen hat.198 Insofern stellt §  166 Abs.  1 Fall 2 BGB in Stellvertretungsfällen einen „Gleichlauf“ der Zurechnung von Willensmängeln, Wissen und Wissenmüs­ sen mit der Zurechnung von Willenserklärungen nach §  164 BGB her. Das bereitet, wie die folgenden Beispiele zeigen, im Einzelnen keine großen Schwierigkeiten: – Unterliegt der Vertreter bei der Abgabe einer Willenserklärung, die nach §  164 Abs.  1 BGB für und gegen den Vertretenen wirkt, einem rechtlich re­ levanten Irrtum oder wurde er zu ihrer Abgabe durch arglistige Täuschung oder Drohung bestimmt, so wirkt nach §  166 Abs.  1 Fall 2 BGB der Irrtum bzw. die Zwangslage des Vertreters für und gegen den Vertretenen („kommt […] die Person […] des Vertreters in Betracht“) und der Vertretene kann die Willenserklärung des Vertreters wie eine eigene anfechten.199 Umgekehrt muss sich der Vertretene im Rahmen von §  142 Abs.  2 BGB als um die An­ fechtbarkeit eines Rechtsgeschäfts wissend behandeln lassen, wenn sein Ver­ treter die Anfechtbarkeit kannte.200 197 Vgl. Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 8; Wächter, M&A Li­ tigation, 32017, S.  380. 198  Im Ausgangspunkt ist das auch in der Rechtsprechung des BGH anerkannt, vgl. BGH, Urt. v. 1.3.1984 – IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953 Abschn. 3 b; vgl. im Übrigen etwa noch Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankge­ schäfte, 2003, S.  121, S.  138 ff. 199  Sofern von der Vertretungsmacht umfasst, kann die Anfechtung auch durch den Vertreter im Namen des Vertretenen erfolgen; vgl. nur MünchKomm – Schubert, BGB, 8 2018, §  166 Rn.  34. 200  Vgl. BGH, Urt. v. 1.6.1989 – III ZR 261/87, NJW 1989, 2879 Abschn.  II 3 b.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

– Weiß der Vertreter, dass die Sache, die er für den Vertretenen erwirbt, nicht dem Veräußerer gehört, oder ist seine diesbezügliche Unkenntnis grob fahrlässig, so wirkt dieses Wissen bzw. grob fahrlässige Nichtwissen, soweit der Vertreter nach §  164 Abs.  1 BGB mit Wirkung für und gegen den Vertre­ tenen handelt, (gleichfalls) für und gegen den Vertretenen mit der Folge, dass der Vertretene sich als bösgläubig im Sinne von §§  892, 932 BGB behandeln lassen muss und ein gutgläubiger Erwerb der Sache ausscheidet. – Weiß der Vertreter, dass der Vertragsgegner das Rechtsgeschäft, an dem er für den Vertretenen mitwirkt, mit dem Vorsatz vornimmt, seine Gläubi­ ger zu benachteiligen, so muss der Vertretene diese Kenntnis und damit die Anfecht­barkeit des Rechtsgeschäfts nach §  3 Abs.  1 S.  1 AnfG201 bzw. §  133 Abs.  1 S.  1 InsO202 gegen sich gelten lassen. An der Wirkung des Wissens des Vertreters für und gegen den Vertrete­ nen nach §  166 Abs.  1 BGB ändert sich grundsätzlich nichts, wenn der Ver­ treter zugleich in einem Näheverhältnis auch zum Vertragsgegner steht und als dessen Wissensvertreter anzusehen ist; dann kommt es gegebenenfalls zu einer Dop­pelwirkung seines Wissens für und gegen beide Vertragsteile.203 Dasselbe gilt in den Fällen des §  181 BGB.204 Eine Ausnahme von der Zurechnungswirkung des §  166 Abs.  1 BGB kommt insbesondere Betracht, wenn die eine Vertragspartei mit dem Ver­ treter der an­deren Vertragspartei bewusst (vorsätzlich) zum Nachteil des Vertretenen zusammenwirkt oder wenn sie damit rechnen muss, dass der Vertreter sein Wissen dem Vertretenen vorenthalten würde (§  242 BGB).205 201  Vgl. BGH, Urt. v. 25.4.1985 – IX ZR 141/84, NJW 1985, 2407 Abschn.  II 2 a mit der Besonderheit, dass die Vertreterin als Mutter des damals 15-jährigen Vertretenen das Rechtsgeschäft mit sich im eigenen Namen geschlossen hatte (§  181 BGB). Eine Wissens­ zurechnung nach den Regeln der Wissenszurechnung (§  166 BGB analog) lehnt der BGH demgegenüber für den in tatsächlicher Hinsicht ebenfalls infrage kommenden Fall, dass der Sohn die Schenkung als lediglich rechtlich vorteilhaft gemäß §  107 BGB wirksam selbst angenommen haben sollte, ab (BGH, a. a. O., Abschn.  III 2). 202  Vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 13/12, NJW 2013, 611 Rn.  26; BGH, Urt. v. 8.1.­2015 − IX ZR 198/13 NJW-RR 2015, 567 Rn.  11, jeweils für das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant, wobei zu betonen ist, dass die wissentragenden Rechtsanwäl­ te den Anfechtungsgegner jeweils schon bei der Entgegennahme der angefochtenen Zah­ lungen des späteren Insolvenzschuldners bzw. der diesbezüglichen Mahnung vertreten hatten und nicht (erst) im Rahmen des Streits um die Rückgewähr dieser Zahlungen mit dem Insolvenzverwalter. 203  Vgl. BGH, Urt. v. 28.1.2000 – V ZR 402/98, NJW 2000, 1405 Abschn.  II 2 b. 204  Vgl. BGH, Urt. v. 25.4.1985 – IX ZR 141/84, NJW 1985, 2407 Abschn.  II 2 a; BGH, Urt. v. 29.10.2020 – IX ZR 212/19, NZG 2021, 239 Rn.  10, auch zur Beschränkung der Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht in diesem Fall. 205  Vgl. dazu BGH, Urt. v. 28.1.2000 – V ZR 402/98, NJW 2000, 1405 Abschn.  II 2 b;

B. Wissenszurechnung

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Insofern gilt hinsichtlich der Wirkung des Wissens des Vertreters für und gegen den Vertretenen nach §  166 Abs.  1 BGB nichts anderes als hinsichtlich der Wirkung von dessen Willenserklärung für und gegen den Vertretenen nach §  164 Abs.  1, Abs.  3 BGB (Missbrauch der Vertretungsmacht).206 b) §  166 Abs.  1 Fall 1 BGB: Grundsätzliche Unbeachtlichkeit des Wissens usw. des Vertretenen (Ausschluss der Wissenszusammenrechnung) In negativer Hinsicht ordnet §  166 Abs.  1 Fall 1 BGB an, dass Willensmän­ gel, Wissen und fahrlässiges Nichtwissen aufseiten des Vertretenen grund­ sätzlich unbeachtlich sind („kommt nicht die Person des Vertretenen […] in Betracht“). Relevant ist die Unerheblichkeitsanordnung des §  166 Abs.  1 Fall 1 BGB insbesondere in Ansehung des Wissens und des fahrlässigen Nichtwissens des Vertretenen. Weiß beispielsweise der Vertretene, dass die Sache, die ein anderer in seinem Namen erwirbt, nicht dem Veräußerer gehört, so wirkt dieses (eigene) Wissen des Vertretenen grundsätzlich nicht für und gegen ihn selbst mit der Folge, dass er als gutgläubig im Sinne von §§  892, 932 BGB gilt, wenn ein gutgläubiger Vertreter für ihn handelt. Die Anordnung, dass eigenes Wissen oder Wissenmüssen des Vertretenen in Stellvertretungsfällen grundsätzlich unbeachtlich ist, stellt die vertretene natürliche Person dem vertretenen rechtsfähigen Verband insofern gleich, als der vertretene Verband selbst per se nicht wissen kann. In beiden Fällen ist im Ergebnis grundsätzlich allein das Wissen des Vertreters maßgeblich. Auch wenn im Fall der Vertretung einer natürlichen Person de facto eine Zusammenrechnung des Wissens von Vertreter und Vertretenem durchaus möglich wäre, ordnet das Gesetz im Grundsatz das Gegenteil an. Um zu ergründen, was diese gesetzgeberische Entscheidung gegen eine prinzipielle Zusammenrechnung des Wissens von Vertreter und Vertretenem, wie sie bei der Vertretung natürlicher Personen ohne weiteres möglich wäre, abgesehen vom bereits angeführten Argument der Gleichstellung mit dem vertretenen Verband sachlich trägt, ist der Blick auf die Regelung des §  166 Abs.  2 BGB zu lenken. BGH, Urt. v. 27.2.2008 – IV ZR 270/06, NJW-RR 2008, 977 Rn.  10; BGH, Urt. v. 5.7.2011 − XI ZR 306/­10, NJOZ 2012, 375 Rn.  19 ff.; BGH, Urt. v. 19.3.2013 – XI ZR 46/11, NJW 2013, 2015 Rn.  27 ff. 206  Näher zum Ganzen, insbesondere auch zu der Frage, ob bzw. inwiefern sich der Missbrauch der Vertretungsmacht und das „missbräuchliche Ausnutzen der Wissenszu­ rechnung“ unterscheiden bzw. unterscheiden lassen, Jung, Wissenszurechnung und Wis­ sensverantwortung bei juristischen Personen, 2017, S.  175 ff.; Waas, JA 2002, 511.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

c) §  166 Abs.  2 BGB: Ausnahmsweise Beachtlichkeit auch des Wissens (Wissenmüssens) des Vertretenen (Wissenszusammenrechnung) §  166 Abs.  2 BGB macht vom Grundsatz der alleinigen Maßgeblichkeit des Wissens des Vertreters eine Ausnahme, wenn der Vertreter „nach bestimm­ ten Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt“ hat. Dann (und nur dann) kann sich der Vertretene (Vollmachtgeber) in Ansehung solcher Umstände, die er selbst kannte oder kennen musste, nicht auf die Unkenntnis oder das fehlende diesbezügliche Verschulden des Vertreters berufen, sondern muss auch sein eigenes Wissen bzw. fahrlässiges Nichtwissen gegen sich gelten lassen. Dann (und nur dann) kommt es also zu einer Zusammenrechnung des Wissens von Vertreter und Vertretenem in der Person des Vertretenen in dem Sinne, dass Wissen vorliegt, wenn entweder der Vertreter oder der Ver­ tretene die tatbestandlich maßgeblichen Umstände kennt.207 Der BGH sieht den Zweck von §  166 Abs.  2 BGB darin zu „verhüten, daß durch Bevollmächtigung eines arglosen Dritten die gesetzliche Folge der Mangelhaftigkeit eines Rechtsaktes umgangen wird“.208 Das ist im Grund­ satz sicher richtig, erschöpft den Gehalt der Regelung aber nicht. Insbeson­ dere ist es nicht etwa so, dass die Vorschrift nur den Fall erfassen würde, dass der Vertretene einen arglosen Dritten als undoloses Werkzeug gleichsam vorschickt, weil er erkanntermaßen relevantes eigenes Wissen hat und sich die Ausschlusswirkung des §  166 Abs.  1 Fall 1 BGB bewusst erschleichen will.209 §  166 Abs.  2 BGB greift vielmehr auch dann, wenn der Vertretene vorab selbst nicht erkannt hat, dass irgendwelches eigenes Wissen im Rahmen eines intendierten Vertragsschlusses relevant werden könnte. Tatbestandliche Vor­ aussetzung seines Eingreifens ist allein, dass der Vertreter nach bestimmten Weisungen des Vertretenen handelt. Vor diesem Hintergrund muss auch die Ermittlung des Zwecks von §  166 Abs.  2 BGB am Erfordernis der „bestimm­ 207  Deutlich in diesem Sinne auch Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  335–337. Vgl. zum Verständnis von §  166 Abs.  2 BGB als Norm der Wissenszusammen­ rechnung insbesondere noch Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 8. Anders (§  166 Abs.  2 BGB als Anordnung einer Wissenszurechnung vom Vertretenen zum Vertreter) Ertel, Die Wissenszurechnung im deutschen und anglo-amerikanischen Zivilrecht, 1998, S.  71. Hingewiesen sei noch darauf, dass der Begriff der „Wissenszusam­ menrechnung“ uneinheitlich gebraucht wird. Teilweise wird darunter, abweichend vom hiesigen Begriffsverständnis, eine Zusammenrechnung von auf mehrere Personen verteil­ ten Wissensfragmenten verstanden. Der BGH hat das in seiner Fondsprospektentschei­ dung als mosaikartige Wissenszusammensetzung bezeichnet und für §  826 BGB zutref­ fend abgelehnt; näher dazu unten Kapitel  3 B.II. = S.  306 ff. und C.I.3. = S. 328 ff. 208  BGH, Urt. v. 10.10.1962 – VIII ZR 3/62, NJW 1962, 2251. 209  So aber wohl Risse, NZG 2020, 856, 857 f.

B. Wissenszurechnung

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ten Weisung“ ansetzen. Rückt man dieses in den Mittelpunkt, erweist sich §  166 Abs.  2 BGB als Ausdruck des Gedankens, dass die Freistellung des Ver­ tretenen von den recht­lichen Folgen eigenen Wissens (Wissensmüssens) nur bezüglich solcher Vertretergeschäfte gerechtfertigt ist, die der Vertreter eigenständig, also ohne relevanten Verhaltensbeitrag des Vertretenen vornimmt. Erkennt man dies, ist damit zugleich der Zweck der Unbeachtlichkeitsanord­ nung von §  166 Abs.  1 Fall 1 BGB erkannt. Er liegt darin, die Teilnahme am Rechtsverkehr unter Einschaltung eigenständig handelnder Vertreter als spe­ zifische Form arbeitsteiliger Teilnahme am Rechtsverkehr zu ermöglichen. Die Entlastung des Vertretenen von seinem eigenen Wissen nach §  166 Abs.  1 Fall 1 BGB ist notwendige Bedingung für das eigenständige Agieren eines Stellvertreters. Würde der Vertretene im Rahmen eines Vertragsschlus­ ses durch einen Vertreter stets auch für eigenes Wissen einstehen müssen, wäre er verpflichtet oder wäre damit zumindest die normative Erwartung verbunden (aus welchem Grund würde man den Vertretenen sonst für sein Wissen einstehen lassen?), sein Verhältnis zum Vertreter so zu organisieren, dass dieser sich vor jedem Vertragsschluss bei ihm erkundigt oder sonst wie in Erfahrung bringt, ob der Vertretene irgendwelches Wissen hat, das für den intendierten Vertragsschluss relevant ist (ob er also beispielsweise Infor­ mationen über eine Kontaminierung des Grundstücks hat, das der Vertreter zu veräußern gedenkt). Denn nur dann ist der Vertreter im Rahmen des Ver­ tragsschlusses überhaupt in der Lage, dieses Wissen (des Vertretenen) erfor­ derlichenfalls dem intendierten Vertragspartner zu offenbaren oder alter­ nativ den durch das tatbestandlich relevante Wissen des Vertretenen „inkri­ minierten“ Vertragsschluss ganz zu unterlassen. Ein solcher Transfer von Wissen vom Vertretenen auf den Vertreter würde, auf die eine oder die ande­ re Weise, notwendig eine Einbindung des Vertretenen in die Vorbereitung jedes einzelnen210 Vertragsschlusses durch einen Vertreter voraussetzen. Hiervon entlastet §  166 BGB den Vertretenen.211 Nach §  166 Abs.  2 BGB soll ein solcher Austausch zwischen Vertreter und Vertretenem nur dann stattfinden (müssen), wenn der Vertretene ohnehin bereits dadurch in den konkret intendierten Vertragsschluss involviert ist, dass er dem Vertreter 210  Theoretisch

wäre als Alternative denkbar, dass der Vertreter den Vertretenen an seinem gesamten Wissen vorab teilhaben lässt, doch kann diese Alternative mangels prak­ tischer Relevanz außer Betracht bleiben. 211  Anders insbesondere im Versicherungsvertragsrecht: Dort ist als Zweck diverser besonderer Zurechnungstatbestände anerkannt, insbesondere in Vertretungsfällen und in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer nicht der Versicherte ist, einen Informations­ austausch zwischen Vertreter und Vertretenem bzw. zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem anzureizen; vgl. unten Kapitel  2 B.VI.3. = S. 126 ff.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

eine „bestimmte Weisung“ erteilt. Ist dies nicht der Fall, darf sich der Vertre­ tene nach §  166 Abs.  1 BGB in Bezug auf die rechtsgeschäftlichen Erklärun­ gen seines Vertreters vollkommen passiv verhalten und seinen Vertreter vollkommen eigenständig agieren lassen. Auf diese Weise ermöglicht und fördert §  166 BGB eine spezifische Form der arbeitsteiligen Teilnahme am Rechtsverkehr, nämlich diejenige unter Einschaltung eigenständig handeln­ der Vertreter. Die Rechtsprechung setzt diesen Gedanken im Ergebnis um, indem sie den Begriff der Weisung weit auslegt.212 Danach genügt als „Weisung“ im Sinne von §  166 Abs.  2 BGB, dass der Bevollmächtigte den Vertreter zu dem in Rede stehenden Rechtsakt „veranlassen wollte”.213 Erlangt der Vertretene das maßgebliche Wissen erst nach Erteilung der Vollmacht oder nach Veran­ lassung des Vertreters (aber noch vor Abschluss des Vertretergeschäfts), muss hinzukommen, dass „der Vollmachtgeber nicht eingreift, obwohl er es könnte“.214 Auch das spiegelt den geschilderten Gedanken wider: Erforder­ lich für eine Verantwortlichkeit des Vertretenen für eigenes Wissen ist stets ein relevanter, auf den konkret in Rede stehenden Vertragsschluss bezogener Verhaltensbeitrag.

212 

Vgl. BGH, Urt. v. 10.10.1962 – VIII ZR 3/62, NJW 1962, 2251. BGH, Urt. v. 10.10.1962 – VIII ZR 3/62, NJW 1962, 2251 m. w. N. aus der Rechtspre­ chung des RG. Vgl. aus der Lit. insbesondere Baumann, ZGR 3 (1973), 284, 292; Schilken, Wis­senszurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  59 ff.; Taupitz, JZ 1996, 734 („steuernd einge­ wirkt“). 214  BGH, Urt. v. 21.6.1968 – V ZR 32/65, NJW 1969, 37 Abschn.  II 2 c. Vgl. aus der Lit. insbesondere Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  64 ff., allerdings im Wege der analogen Anwendung von §  166 Abs.  2 BGB; Altmeppen, BB 1999, 749, 752, der darauf abstellt, ob „der Geschäftsherr die Kenntnis besitzt und es gleichwohl zu dem Geschäftsabschluß des Vertreters kommen läßt“. Deutlich weiter geht Schultz, NJW 1996, 1392, 1393 (nachfolgendes wörtliches Zitat von hier) und gleichsinnig ders., NJW 1997, 2093, 2094: „Gleich zu behandeln […] ist die Konstellation, in dem die Unkenntnis des Vertreters darauf beruht, daß der Vertretene es unterlassen hat, den Vertreter einzu­ weisen und über die einschlägigen Tatsachen zu informieren, wenn ein Anlaß dafür be­ standen hat. Ein solcher Anlaß besteht immer dann, wenn der Geschäftspartner darauf vertrauen durfte, daß der Vertreter, mit dem er verhandeln und abschließen soll, vollinfor­ miert ist. Es wird daher für eine entsprechende Anwendung des §  166 II BGB in aller Regel genügen, wenn der Vertretene es versäumt hat, bei sich für eine Organisation zu sorgen, die den erforderlichen Informationsfluß vom Vertretenen zum Vertreter gewähr­ leistet, wobei es unerheblich ist, ob dieser ein Organ oder ein bevollmächtigter Dritter ist“. Noch weiter geht Beuthien, NJW 1993, 3585, 3586 f., der die Weisung nur als „ein besonders schlimmes Beispiel der Bösgläubigkeit des Vertretenen“ einordnet: „Bei §  166 II BGB sollte dem Vertretenen die eigene Bösgläubigkeit auch dann schaden, wenn er dem Vertreter keinerlei Weisung erteilt hat“. 213 

B. Wissenszurechnung

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III. §  166 Abs.  1 BGB analog: Die Rechtsprechung des BGH zur sogenannten Wissensvertretung 1. Einführung Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gilt §  166 Abs.  1 BGB nicht nur im Verhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem in Ansehung der rechtli­ chen Folgen von Willenserklärungen, die der Vertreter im Namen des Ver­ tretenen abgibt oder entgegennimmt, sondern auch in „vergleichbaren“ Sachverhalten.215 Auf dieser Basis hat der BGH die Grenzen des §  166 Abs.  1 BGB erheblich verschoben. 2. Der Tatbestand der Wissensvertretung: Erstreckung von §  166 BGB auf eigenverantwortlich tätige Repräsentanten ohne Vertretungsmacht Die bedeutsamste Weiterung, die §  166 Abs.  1 BGB in der Rechtsprechung erfahren hat, ist die Aufgabe der tatbestandlichen Beschränkung auf Vertre­ tungsfälle und mit ihr die Aufgabe der tatbestandlichen Beschränkung auf die recht­lichen Folgen von Willenserklärungen. Diesen Weg hatte bereits das RG beschritten. Hervorgehoben sei eine Entscheidung aus dem Jahr 1921, auf die der BGH später insbesondere im Verjährungsrecht rekurriert hat.216 Sie betraf einen versicherungsvertragli­ chen Kenntnistatbestand, nach dem der Versicherungsschutz in der verfah­ rensgegenständlichen Haftpflichtversicherung ausgeschlossen war, wenn dem Versicherungsnehmer bestimmte Umstände, konkret der Mangel der Bewachung bestimmter Objekte, „bekannt“ waren. Der Direktor der Versi­ cherungsnehmerin hatte von den maßgeblichen Umständen keine Kenntnis, wohl aber ein „einfacher“ Angestellter. Das RG führt hierzu aus: „Wenn der verantwortliche Leiter eines geschäftlichen Unternehmens dessen Innenbe­ reich in der Weise regelt, daß Tatsachen, deren Kenntnis von Rechtserheblichkeit ist, nicht von ihm selbst, sondern von einem bestimmten Angestellten zur Kenntnis genommen werden, so muß er sich im Verhältnis zu einem Dritten, der aus der Tatsachenkenntnis Rechte herleitet, die Kenntnis des Angestellten wie eine eigene zurechnen lassen. Wenn auch der Angestellte nicht sein Stellvertreter im Willen ist, eine Willenserklärung über­ haupt nicht in Betracht kommt, so ist er doch zum Wissensvertreter bestellt, und der Leiter des Unternehmens würde in einem solchen Falle gegen Treu und Glauben im ge­

215  Vgl. zum Verweis auf die Vergleichbarkeit der Sachverhalte exemplarisch BGH, Urt. v. 25.3.1982 – VII ZR 60/81, NJW 1982, 1585 Abschn.  III 3 a; BGH, Urt. v. 24.1.1992  – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099 Abschn.  II 3 a. 216  Siehe dazu unten Kapitel  1 B.III.4. = S. 84 ff.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

schäftlichen Verkehr verstoßen, wenn er aus der inneren Geschäftsverteilung dem Dritten gegenüber den Einwand der Unkenntnis herleiten wollte“.217

Der BGH greift die Figur des Wissensvertreters begrifflich auf. Jedenfalls für das Versicherungsvertragsrecht ist er der Rechtsprechung des RG zu­ nächst auch in der Sache gefolgt.218 Ansonsten entfernt er sich in der Sache aber von der Rechtsprechung des RG: – Normativ rekurriert der BGH nicht mehr auf die Grundsätze von Treu und Glauben, sondern auf §  166 Abs.  1 BGB, dem der allgemeine Rechtsge­ danke zu entnehmen sei, dass „sich – unabhängig von einem Vertretungsverhältnis – derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in ­eigener Verantwortung betraut, das in die­ sem Rahmen erlangte Wissen des an­deren zurechnen lassen“ muss.219

Auf §  242 BGB bzw. die Grundsätze von Treu und Glauben rekurriert der BGH nur noch vereinzelt bzw. ergänzend.220 – Inhaltlich stellt der BGH nicht mehr maßgeblich darauf ab, dass der Wissens­träger nach Maßgabe der Organisation des Innenbereichs durch den Geschäftsherrn als Norm- und Zurechnungsadressaten in bestimmter Weise für diesen tätig wird, sondern – bei normativer Anknüpfung an §  166 Abs.  1 BGB konsequent – darauf, dass der Wissensträger, vergleichbar einem rechtsgeschäftlichen Vertreter, 217  RG, Urt. v. 8.3.1921 – VII 330/20, RGZ 101, 402, 403 (Hervorhebungen nicht im Original). Das ist später zutreffend als Einstandspflicht nach den Regeln des §  278 BGB eingeordnet worden, vgl. Richardi, AcP 169 (1969), 385, 388. Ohne Begründung weist Richardi diesen Gedanken allerdings mit dem Hinweis zurück, man könne „jedoch das Problem der Wissensvertretung nicht durch die Konstruktion einer Obliegenheit lösen“. Das Gegenteil wird hier gezeigt werden. Vgl. zum gemeinen Recht bzw. zum damaligen Handels- und Versicherungsvertragsrecht außerdem noch RG, Urt. v. 17.12.1898 – Rep. I 349/98 = RGZ 43, 142, 146 f. Im Zusammenhang mit versicherungsrechtlichen Obliegen­ heiten bei Gefahrerhöhungen bereits für eine entsprechende Anwendung von §  166 Abs.  1 BGB RG, Urt. v. 12.12.1919 – VII 215/19, RGZ 97, 279, 281 f. Vgl. für einen Überblick über die Rechtsprechung des RG zur Zurechnung im Versicherungsvertragsrecht und für eine Einordnung der drei genannten Entscheidungen Möller, Verantwortlichkeit des Ver­ sicherungsnehmers für das Verhalten Dritter, 1939, S.  25 ff.; vgl. zur Rechtsprechung des RG außerdem noch Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Per­ sonen, 1998, S.  30 ff. 218  Vgl. BGH, Urt. v. 13.5.1970 – IV ZR 1058/68, VersR 1970, 613 Abschn.  IV unter Verweis auf die genannte Entscheidung des RG und praktisch wortgleicher Übernahme der zitierten Passage. 219  Exemplarisch BGH, Urt. v. 25.3.1982 – VII ZR 60/81, NJW 1982, 1585 Abschn.  III 3 a (in Bezug auf §  819 Abs.  1 BGB). 220  Vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2012 – III ZR 298/11, NJW 2013, 448 Rn.  21; BGH, Urt. v. 4.7.2014 – V ZR 183/13, NJW 2014, 2861 Rn.  16.

B. Wissenszurechnung

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„nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant221 bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls wei­ terzuleiten“.222

Folglich scheidet eine Wissenszurechnung in sinngemäßer Anwendung von §  166 Abs.  1 BGB nach der Rechtsprechung des BGH etwa aus, wenn der Wissensträger den Geschäftsherrn nur intern beraten hat und weder beim Vertragsabschluß noch bei den Vertragsverhandlungen dem andern Vertrags­ teil gegenüber als für den Begünstigten handelnd (etwa als Vermittlungs­ agent) aufgetreten ist.223 Dasselbe gilt etwa hinsichtlich des Wissens eines Kompaniechefs, das hiernach der Wehrbereichsverwaltung im Rahmen der Abwicklung eines gegen diese gerichteten Schadensersatzanspruchs nicht 221 Die Inbezugnahme des Wissensträgers als Repräsentant und die normative An­ knüpfung an §  166 Abs.  1 BGB finden sich in der Rechtsprechung des BGH, soweit er­ sichtlich, erstmals in Bezug auf §  990 BGB für den Besitzdiener; vgl. BGH, Urt. v. 9.2.1960 – VIII ZR 51/59, NJW 1960, 860 Abschn. 3, damals übrigens noch unter zutreffender Betonung der relevanten Verhaltensbeiträge des Besitzherrn: „Wohl aber rechtfertigt es sich, […] das Verhalten des Besitzdieners, nach welchem die Frage seiner Gut- oder Bös­ gläubigkeit zu beurteilen ist, dann dem Besitzherrn zuzurechnen, wenn es mittelbar auf dessen eigenem Verhalten beruht, der Besitzherr also, ähnlich wie im Falle der Stellvertre­ tung der Vertretene durch seine Vollmacht, die Voraussetzung dafür geschaffen hat, daß der Besitzdiener zugunsten des Besitzherrn tätig geworden ist“. Zuvor bereits, allerdings noch unter entsprechender Anwendung auch von §  831 BGB mit der Folge, dass eine Wissenszurechnung zusätzlich davon abhängig sein sollte, dass der Besitzherr bei der Auswahl und Überwachung des Besitzdieners nicht sorgfältig verfahren ist, BGH, Urt. v. 9.2.1955 – IV ZR 188/54, NJW 1955, 866 Abschn. b (aufgegeben mit dem vorgenannten Urteil). Im Versicherungsvertragsrecht hat der BGH demgegenüber auch später noch zwischen Wissensvertreter und Repräsentant unterschieden, vgl. BGH, Urt. v. 13.5.1970 – IV ZR 1058/68, VersR 1970, 613 Abschn.  IV: „Im Gegensatz zum Repräsentanten brau­ che ein Wissensvertreter nicht in einem Geschäftsbereich von einiger Bedeutung einge­ setzt zu sein, sondern könne überall im Betrieb des VN tätig werden. […] Gegen diese Ausführungen [des Berufungsgerichts] ist rechtlich nichts einzuwenden“. 222  Exemplarisch BGH, Urt. v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099 Abschn.  II 3 a (in Bezug auf §  463 S.  2 BGB a. F.; im konkreten Fall verneint); aus der jüngeren Recht­ sprechung BGH, Urt. v. 25.1.2019 – V ZR 38/18, NJW 2019, 2380 Rn.  24 (als Verhand­ lungsführer oder -gehilfe tätiger Makler des Verkäufers). 223  BGH, Urt. v. 23.10.1963 – V ZR 256/62, WM 1964, 94 = BeckRS 1963, 31188331 Abschn.  II 3 b mit dem bemerkenswerten Hinweis, ein „Tätigwerden der Hilfsperson nach außen gegenüber dem Gegenbeteiligten“ sei „auch in den Fällen des §  123 Abs.  2 BGB: ‚hat … die Täuschung verübt‘ [Nachw.] – und beim Besitzerwerb durch einen Be­ sitzdiener [Nachw.] Voraussetzung dafür, daß ihre Kenntnis dem ‚Geschäftsherrn‘ ange­ lastet wird“; dem folgend etwa BGH, Urt. v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099 Abschn.  II 3 a; wohl auch BGH, Urt. v. 22.11.1996 – V ZR 196/95, NJW-RR 1997, 270 Abschn.  II 1; vgl. aus der Lit. etwa Fleischer/Körber, BB 2001, 841, 847; Bank, in: Drygala/ Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  93, 100 f.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

zugerechnet werden kann, wenn und weil der Kompaniechef nur eine „inhaltlich begrenzte Hilfstätigkeit“ wahrnimmt, also nicht in eigener Verant­ wortung tätig wird,224 sowie für einen Mitarbeiter, zu dem nicht mehr vor­ getragen ist, als dass er in dem als Zurechnungsadressat in Rede stehenden Nahverkehrsunternehmen für die Nahverkehrsinfrastruktur zuständig ge­ wesen sei.225 Der BFH ist der Rechtsprechung des BGH für das Steuerrecht gefolgt und ordnet hier Personen als Wissensvertreter ein, die für den Normadres­ saten Erklärungen gegenüber den Finanzbehörden abgeben (§  149 AO) bzw. an das Finanzamt übermitteln.226 Der BGH hat außerdem klargestellt, dass die Grundsätze der Wissensvertretung auch zwischen Ehegatten An­ wendung finden.227 3. Folgen der Aufgabe der tatbestandlichen Beschränkung auf Stellvertretungsfälle und die rechtlichen Folgen von Willenserklärungen a) Erweiterung des Anwendungsbereichs Die Aufgabe der tatbestandliche Beschränkung auf Stellvertretungsfälle und die rechtlichen Folgen von Willenserklärungen ist zum einen deshalb von großer Bedeutung, weil sie die Tür zu einer breitflächigen (analogen) An­ wendung von §  166 Abs.  1 BGB auf sämtliche (vermeintlich) einfachen Wis­ sensnormen des BGB öffnet. Während §  166 Abs.  1 BGB in seinem direkten Anwendungsbereich auf die rechtlichen Folgen von Willenserklärungen beschränkt ist, die ein Ver­ treter für einen anderen abgegeben oder empfangen hat, ermöglicht seine analoge ­Anwendung eine Wissenszurechnung etwa auch im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB (auch: §  852 BGB a. F.),228 von §  814 BGB,229 von 224 

Vgl. BGH, Urt. v. 19.3.1985 – VI ZR 190/83, NJW 1985, 2583 (in Bezug auf §  852 BGB a. F.; Hervorhebung nicht im Original). 225  Vgl. BGH, Urt. v. 11.12.2018 – KZR 26/17, NJW 2019, 661 Rn.  89–91 – Schienenkartell, außerdem mit der Hilfsüberlegung, dass eine Wissenszruechnung selbst dann aus­ scheiden würde, wenn dem betreffende Wissensträger Vertretungsmacht eingeräumt ge­ wesen wäre, weil dann ein Fall des Missbrauchs der Vertretungsmacht in Gestalt des kollusiven Zusammenwirkens mit dem Vertragsgegner bzw. dem Kartellanten vorgelegen hätte; vgl. speziell hierzu aus der Lit. Wagner, JZ 2019, 470. 226  Vgl. BFH, Urt. v. 21.4.2010 – VI R 29/08, DStR 2010, 1427 Rn.  15 f. m. w. N. 227  BGH, Urt. v. 13.12.2012 – III ZR 298/11, NJW 2013, 448 Rn.  20 (bezogen auf §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB); zuvor bereits BGH, Urt. v. 6.2.2002 – VIII ZR 185/00, NZI 2002, 341 Abschn. 2 b, allerdings mit etwas unklarem Bezug. 228  Näher speziell hierzu unten Kapitel  1 B.III.4. = S. 84 f. 229  Vgl. für den Fall, dass die Leistung, deren Rückabwicklung im Streit steht, durch

B. Wissenszurechnung

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§  819 Abs.  1 BGB,230 von §  990 BGB231 und von §  30 KO a. F.232 und von § 11 Abs.  2 S.  2 AnfG.233 Teilweise ist die Rechtsprechung sogar noch weiter gegangen und hat §  166 Abs.  1 BGB analog auch auf Vorsatztatbestände angewendet. Nament­ lich hat der BGH es für möglich und zulässig erachtet, das kognitive Ele­ ment des Arglist­tatbestands des §  463 S.  2 BGB a. F. im Wege der Wissens­ zurechnung zu be­gründen.234

einen Vertreter erbracht wird, BGH, Urt. v. 10.12.1998 – III ZR 208/97, NJW 1999, 1024 Abschn.  I 3; BGH, Urt. v. 18.1.1979 – VII ZR 165/78, NJW 1979, 764 Abschn. 2 a aa., jeweils allerdings ohne explizite normative Anbindung an §  166 BGB; aus der Lit. Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 142. 230  BGH, Urt. v. 25.3.1982 – VII ZR 60/81, NJW 1982, 1585 Abschn.  III 3 a; BGH, Urt. v. 29.3.1962 – VII ZR 238/60, WM 1962, 609 Abschn. 3. Beide Fälle betrafen die Zurechnung des Wissens eines Kontobevollmächtigten. Eine unmittelbare Anwendung von §  166 Abs.  1 BGB dürfte aber deshalb ausgeschieden sein, weil der Bevollmächtigte bei Abhebung und Verbrauch des Geldes und damit bei der Entreicherung nicht tätig geworden ist und der Wissensträger außerdem zum Abschluss der bereicherungsrechtlich rückabgewickelten Verträge nicht bevollmächtigt war. Vgl. aus jüngerer Zeit noch BGH, Urt. v. 23.1.2014 – III ZR 436/12, NJW 2014, 1294 Rn.  11. 231  Grundlegend BGH, Urt. v. 9.2.1960 – VIII ZR 51/59, NJW 1960, 860 Abschn. 3; zuvor bereits in diese Richtung BGH, Urt. v. 9.2.1955 – IV ZR 188/54, NJW 1955, 866 Abschn. b. 232  Vgl. BGH, Urt. v. 15.1.1964 – VIII ZR 236/62, NJW 1964, 1277 Abschn. 3: „[S; Wis­sensträger] war demnach das andere Ich des Beklagten in der Geschäftsleitung der E. Dabei nahm er für den Beklagten gerade auch die Aufgabe wahr, die kritische Lage der E. zu beobachten und im Notfall Alarm zu schlagen. In dieser Kontrollfunktion trat er an die Stelle des Beklagten. Der Sachverhalt kann deshalb nicht anders beurteilt werden, als wenn der Beklagte sich selbst zum alleinigen Geschäftsführer der E. hätte bestellen lassen und S. ihn dann während seines Urlaubs vertreten hätte. Wenn S. an Stelle des Beklagten die Geschäftsleitung der E. übernahm, so tat er dies zwar nicht im Rechtssinne als sein Vertreter, aber er übte an seiner Stelle und allein in seinem Interesse eine Funktion aus, die im Rahmen der risikobelasteten Stützungsaktion dem Beklagten den Vorteil einbrachte, durch seinen Vertrauensmann über die Entwicklung der E. ständig auf dem laufenden gehalten zu werden. Nahm der Beklagte diesen Vorteil für sich wahr, so ist es nicht unbil­ lig, daß ihm im Anfechtungsprozeß die Kenntnis des von ihm eingesetzten Beobachters zum Nachteil gereicht. In entsprechender Anwendung des §  166 BGB ist ihm deshalb die Kenntnis des S. von der Zahlungseinstellung der E. als eigene zuzurechnen“; vgl. des wei­ teren nur BGH, Urt. v. 10.2.1971 – VIII ZR 182/69, NJW 1971, 1702 Abschn. 3 (im kon­ kreten Fall verneint). 233  BFH, Urt. v. 30.6.2020 – VII R 63/18, NZI 2021, 226 Rn.  43 ff. m. w. N. 234  Vgl. unten Kapitel  1 B.IV.1. = S. 88 f. In jüngerer Zeit hat das Gericht dem jeden­ falls für §  826 BGB allerdings zurecht eine Absage erteilt; vgl. unten Kapitel  3 B. = S.  305 ff.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

b) Erweiterung der Reichweite der Zurechnung Die Aufgabe der tatbestandliche Beschränkung auf Stellvertretungsfälle und die rechtlichen Folgen von Willenserklärungen ist außerdem deshalb von großer Bedeutung, weil sie die Tür öffnet zur Berücksichtigung des Wissens eines Stell­vertreters bzw. Repräsentanten zulasten des Vertretenen bzw. Ge­ schäftsherrn auch im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften und sonstigen Rechtshandlungen, an denen der Wissensträger (Stellvertreter, Repräsen­ tant) selbst gar nicht beteiligt ist.235 Im unmittelbaren Anwendungsbereich von §  166 Abs.  1 BGB muss sich der Vertretene das Wissen eines Vertreters nur zurechnen lassen, soweit es für die rechtlichen Folgen derjenigen Willenserklärung relevant ist, die der Vertreter für ihn abgegeben hat. Eine „rechtsgeschäftsübergreifende“ Zu­ rechnung des Wissens sämtlicher Personen zulasten des Vertretenen, denen dieser aktuell oder gar irgendwann einmal in der Vergangenheit Vollmacht erteilt hatte oder die irgendwann einmal in der Vergangenheit für ihn als Vertreter tätig geworden sind, findet danach nicht statt. Auch hierüber ist der BGH hinweg gegangen. Namentlich soll dem Ver­ tretenen bzw. dem Geschäftsherrn über den Wortlaut von §  166 Abs.  1 BGB hinaus das Wissen eines Vertreters oder Repräsentanten auch im Rahmen späterer eigener Rechtshandlungen und im Rahmen von Rechtshandlungen anderer für ihn tätiger Personen zugerechnet werden.236 In der Literatur ist 235  Vgl. auch Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 144–146; Hauschka/Moosmayer/Lösler – Buck-Heeb, 32016, §  2 Rn.  17. 236  Ausdrücklich BGH, Urt. v. 1.3.1984 – IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953 Abschn. 3 b (in Bezug auf §  30 Nr.  1 KO a. F.); vgl. auch schon BGH, Urt. v. 10.10.1962 – VIII ZR 3/62, NJW 1962, 2251 (für §  3 Abs.  1 S.  1 AnfG): Zurechnung des Wissens des Vaters als „allgemeinem gesetzlichem Vertreter“ zulasten der minderjährigen Vertragspartnerin, die bei dem in Rede stehenden Rechtsgeschäft nicht von diesem selbst, sondern von einem auf sein Betreiben bestellten, unwissenden Ergänzungspfleger vertreten wird, wobei der BGH, darauf sei noch hingewiesen, die Zurechnung auf eine analoge Anwendung von §  166 Abs.  2 BGB stützt und der Minderjährigen insofern auch die Veranlassungshand­ lung („Weisung“) einschließlich des damit verbundenen volitiven Elements (!) des gesetz­ lichen Vertreters zurechnet; kritisch dazu Paulus, in: Pawlowski/Wieacker (Hrsg.), Fest­ schrift für Karl Michaelis, 1972, S.  215 ff. Vgl. aber auch BGH, Urt. v. 25.4.1985 – IX ZR 141/84, NJW 1985, 2407 Abschn.  III 2: Keine Wissenszurechnung nach den Regeln der Wissensvertretung im Rahmen von §  3 Abs.  1 S.  1 AnfG, wenn die Mutter als gesetzliche Vertreterin ihres minderjährhigen Sohnes die Anfechtbarkeit des in Rede stehenden Rechtsgeschäfts kennt, dieser das Rechtsgeschäft (Schenkung) aber als lediglich rechtlich vorteilhaftes Rechtsgeschäft wirksam (§  107 BGB) selbst für sich im eigenen Namen schließt; auch für diesen Fall eine Wissenszurechnung bejahend demgegenüber Tintelnot, JZ 1987, 795, 799.

B. Wissenszurechnung

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diese Wirkung treffend als „Infektion“ des Geschäftsherrn mit dem Wissen einer Hilfsperson bezeichnet worden.237 Der BGH rekurriert zur Begrün­ dung auf den „allgemeinen Rechtsgedanken […], daß derjenige, der sich bei der Erledigung bestimmter Angelegenheiten eines Vertreters bedient, die in diesem Rahmen vom Vertreter erlangte Kenntnis als eigene gelten lassen muß, sich also nicht auf eigene Unkenntnis berufen kann“.238

Wie weit die Wissenszurechnung nach den Grundsätzen der Wissensvertre­ tung in dieser Hinsicht im Einzelnen reichen soll, bleibt allerdings unklar. Nicht selten war in den entschiedenen Fällen die „Zurechnungsbrücke“ durchaus kurz: (1) Die Bankkassiererentscheidung des BGH aus dem Jahr 1984 betraf etwa die Frage der Zurechnung des Wissens eines zum Erwerb von Bargeld bevoll­ mächtigten Bankkassierers um den Konkurs eines Bankkunden, das dieser im Rahmen einer Bargeldeinzahlung erlangt hatte, zulasten der Bank im Rahmen von am darauffolgenden Tag durch andere, insofern unwissende Mitarbeiter veranlassten Gutschriften zugunsten des Kontos desselben Kunden.239 (2) In seinen Filialleiterentscheidungen aus dem Jahr 1989 hat der BGH einer Bank das Wissen eines Filialleiters, das dieser bei Kreditverhandlungen in seiner Filiale erworben hat, auch für einen später ohne seine Mitwirkung in einer anderen Filiale gewährten Kredit nur unter besonderer Hervor­ hebung des Umstands zugerechnet, dass beide Kredite der Finanzierung desselben Vorhabens dienen sollten und die Vertreter der Bank diesen engen Zusammenhang bei der späteren Kreditgewährung kannten, sodass ein In­ formationsaustausch beider Filialen möglich und naheliegend war.240 In ei­ nem ähnlich gelagerten Fall hat der BGH diese Rechtsprechung im Jahr 2004 bestätigt.241 (3) Ebenfalls im Jahr 2004 führt der BGH schließlich in einer Entschei­ dung zur Einstandspflicht des Bauträgers für Wohnflächenangaben eines Maklers vor dem Hintergrund seiner Rechtsprechung, wonach auch die nur einseitige Vorstellung einer Vertragspartei (Käufer) über bestimmte Eigen­ 237  Hauschka/Moosmayer/Lösler – Buck-Heeb, 32016, §  2 Rn.  19; dies., Wissen und juristische Person, 2001, S.  357. 238  BGH, Urt. v. 1.3.1984 – IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953 Abschn. 3 b. 239  BGH, Urt. v. 1.3.1984 – IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953 Abschn. 3 b 240  BGH, Urt. v. 1.6.1989 – III ZR 261/87, NJW 1989, 2879 Abschn.  II 3 b; BGH, Urt. v. 1.6.1989 – III ZR 277/87, NJW 1989, 2881 Abschn.  I 2 a. 241  BGH, Urt. v. 15.1.2004 – IX ZR 152/00, NJW 2004, 2232 Abschn.  II 3 b für Bürg­ schaften, die zeitlich nacheinander jeweils für das gleiche Kontokorrentdarlehen der Hauptschuldnerin in unterschiedlichen Bankfilialen vereinbart worden waren.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

schaften der Kaufsache (Wohnflächen) für die Bestimmung des Vertragsin­ halts dann von Bedeutung ist, wenn der Erklärungsempfänger (Bauträger) den wirklichen Willen des Erklärenden (Käufer) erkennt und in Kenntnis dieses Willens den Vertrag abschließt, aus, der Bauträger müsse sich im Rah­ men des Vertragsschlusses, an dem er selbst mitwirkt, das Wissen des Mak­ lers, der in atypischer Weise als Verhandlungs­gehilfe des Bauträgers tätig ge­ worden war und der die betreffenden Wohnflächenangaben „noch am Tage vor Vertragsabschluss“ übersandt hatte, in entsprechender Anwendung von §  166 Abs.  1 BGB zurechnen lassen mit der Folge, dass die dies­bezüglichen einseitigen Vorstellungen des Käufers zum Vertragsinhalt wurden.242 4. Besonderheiten im Verjährungsrecht und für Ansprüche von Behörden Grundsätzlich wendet der BGH §  166 BGB auch im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB analog an. Allerdings nimmt das Gericht hier eine bemer­ kenswerte Differenzierung vor: Während sich der Gläubiger das Wissen ei­ nes gesetzlichen Vertreters unbedingt zurechnen lassen müsse, scheide eine generelle Zurechnung des Wissens eines rechtsgeschäftlichen Vertreters „we­ gen des Zwecks der Verjährungsvorschriften“ grundsätzlich aus; eine Wis­ senszurechnung jenseits der Fälle gesetzlicher Vertretung komme nur (und immerhin) nach den Grundsätzen der Wissensvertretung in Betracht, wenn der Gläubiger den „Dritten mit der Erledigung bestimmter Angelegenhei­ ten, insbesondere mit der Betreuung und Verfolgung der in Frage stehenden Ersatzforderung, in eigener Verantwortung betraut hat“.243 Dabei sei we­ sentlich, „dass die Erlangung der Tatsachenkenntnis, die dem Anspruchsteller zugerechnet werden soll, zu dem Aufgabenkreis des Vertreters gehört, auch wenn dieser die zur Kenntnis ge­ nommenen Tatsachen nicht an den Vertretenen weitergibt“. Dem liege die Erwägung zu­ grunde, „dass es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn jemand, der einen Ver­ treter mit einem bestimmten Aufgabenkreis betraut und ihm in diesem Aufgabenkreis die 242  BGH, Urt. v. 8.1.2004 – VII ZR 181/02, NJW 2004, 2156 Abschn.  II 2 d. Hervorzu­ heben ist, dass der BGH zwar formal auf §  166 BGB (analog) rekurriert, in der Sache aber §  278 BGB prüft, wenn er maßgeblich darauf abstellt, dass der Makler in atypischer Weise als „Verhandlungsgehilfe“ des Bauträgers anzusehen war, weil er „mit Wissen und Wol­ len“ des Bauträgers Aufgaben übernommen hatte, die typischerweise diesem obliegen und damit „in de[ss]en Pflichtenkreis tätig“ wurde. 243  BGH, Urt. v. 23.1.2014 – III ZR 436/12, NJW 2014, 1294 Rn.  15 f. für die Verjäh­ rung eines Anspruchs aus §  812 Abs.  1 S.  1 Alt.  2 BGB und unter Verweis auf BGH, Urt. v. 15.10.1992 – IX ZR 43/92, NJW 1993, 648 Abschn.  II 4 a. Dem für die mit §  199 Abs.  1 BGB übereinstimmende Verjährungsregelung des §  11 Abs.  2 UWG folgend BGH, Urt. v. 14.1.2016  – I ZR 65/14, NJW 2016, 3445 Rn.  59 ff.; vgl. ferner BGH, Urt. v. 11.12.2018 – KZR 26/17, NJW 2019, 661 Rn.  94 ff. – Schienenkartell.

B. Wissenszurechnung

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Kenntnisnahme von Tatsachen überträgt, aus der inneren Geschäftsverteilung einem Dritten gegenüber den Einwand der Unkenntnis herleiten wollte“.244

Für die Verjährung deliktischer Ansprüche von Behörden und Körperschaf­ ten des öffentlichen Rechts hat der BGH die Reichweite der Wissenszurech­ nung nach den Regeln der Wissensvertretung weiter konkretisiert. Hier ist für den ­Beginn der Verjährung ausschließlich auf das Wissen des oder der für die Ver­folgung des betreffenden Anspruchs zuständigen Bediensteten abzu­ stellen. Namentlich stellt der BGH bei der Prüfung, ob in Bezug auf mög­ liche Regressansprüche einer Behörde oder einer Körperschaft des öffent­ lichen Rechts Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Rechtsträgers vorliegt, ausschließlich auf die Regressabteilung bzw. deren Bedienstete ab.245 Das betrifft vor allem Ansprüche, die im Wege der Legalzession (etwa nach §  116 Abs.  1 SGB X) auf einen öffentlichen Träger (etwa einen Versi­ cherungs- oder Sozial­hilfeträger) übergegangen sind, der zugunsten eines Geschädigten Leistungen erbracht hat, nunmehr – mehrere Jahre später – Regress beim Schädiger sucht und sich diesbezüglich mit der Einrede der Verjährung konfrontiert sieht. Der BGH hat die dargelegten Grundsätze aber auch angewendet, wo es um originäre Schadensersatz­ansprüche einer Behörde oder Körperschaft des öffentlichen Rechts aus unerlaubter Hand­ lung ging.246 Die geschilderte Rechtsprechung zu §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB geht im We­ sentlichen auf entsprechende Entscheidungen zu §  852 Abs.  1 BGB a. F. zu­ rück.247 Zur Begründung verwies der BGH im Kontext von §  852 Abs.  1 244 

BGH, Urt. v. 23.1.2014 – III ZR 436/12, NJW 2014, 1294 Rn.  15 f. Vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2011 – III ZR 252/10, NJW 2012, 447 Rn.  20; BGH, Urt. v. 28.2.2012 – VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789 Rn.  11; BGH, Urt. v. 17.4.2012 − VI ZR 108/11, NJW 2012, 2644 Rn.  11 ff.; BGH, Urt. v. 25.7.2017 – VI ZR 433/16, NJW 2017, 3510 Rn.  34 (für §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB i. V. m. §  113 S.  1 SGB VII); für das Verhältnis von Pflege- und Krankenkasse, zwischen denen eine „Verwaltungsgemeinschaft“ besteht, BGH, Urt. v. 15.3.­2011 − VI ZR 162/10, NJW 2011, 1799 Rn.  11 ff.; dem folgend BVerwG, Urt. v. 15.3.­2017  – 10 C 3/16, NVwZ 2017, 969 Rn.  21. 246  Vgl. bezogen auf §  852 BGB a. F. BGH, Urt. v. 18.1.1994 – VI ZR 190/93, NJW 1994, 1150 für den Fall der Vorenthaltung von Beiträgen zur Sozialversicherung. 247  Vgl. zur geschilderten Differenzierung zwischen gesetzlichem und rechtsgeschäft­ lichem Vertreter BGH, Urt. v. 15.10.1992 – IX ZR 43/92, NJW 1993, 648 Abschn.  II 4 a m. w. N. aus der älteren Rechtsprechung des BGH; ebenso gegen eine pauschale Zurech­ nung des Wissens eines rechtsgeschäftlichen Vertreters im Rahmen von §  852 BGB a. F. in Anknüpfung an §  166 BGB, da §  166 BGB „nur für Willenserklärungen, nicht aber im Falle des §  852 BGB Anwendung“ finde, BGH, Urt. v. 29.1.1968 – III ZR 118/67, NJW 1968, 988 unter Rekurs auf RG, Urt. v. 8.3.1921 – VII 330/20, RGZ 101, 402, 403. Zur Maßgeblichkeit ausschließlich des Wissens des zuständigen Bediensteten BGH, Urt. v. 28.11.2006 – VI ZR 196/05, NJW 2007, 834 Rn.  5; BGH, Urt. v. 4.2.1997 – VI ZR 306/95, 245 

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

BGB a. F. im Wesentlichen auf zwei Aspekte: Zum einen würde eine andere Betrachtungs­weise „in unzulässiger Weise in die Verwaltungsorganisation eingreifen, die durch Organisationsnormen festgelegt worden ist“;248 insbe­ sondere könnten „Vorstellungen von der ‚Einheitlichkeit der öffentlichen Hand‘ […] sich weder über eine solche Zuständigkeitsregelung hinwegset­ zen noch sie modifizieren“.249 In dieselbe Richtung gehen Ausführungen, eine formal an die interne Organisation anknüpfende Bestimmung des maß­ geblichen Wissensträgers würde in Fällen der vorliegenden Art „die beste Gewähr für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit“ bieten; würde demgegen­ über schon die Kenntnis „irgendeines mit der Sachbehandlung befassten Be­ diensteten“ den Lauf der Verjährung auslösen, würde dies „zu Abgren­ zungsschwierigkeiten führen“.250 Zum anderen verwies der BGH auf den absoluten Wissensmaßstab des §  852 Abs.  1 BGB a. F. Die Anknüpfung des Verjährungsbeginns ausschließ­ lich an die Kenntnis von den anspruchbegründenden Umständen diene dem Schutz des Verletzten.251 Insbesondere sei der Verletzte danach nicht ver­ pflichtet, „aktive Bemühungen im Interesse des Schädigers zu entfalten, um sich die für den Verjährungsbeginn notwendige Kenntnis zu verschaffen“252 bzw. „im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist eigene Initiativen zur Erlangung der Kenntnis über den Schadenshergang und die Person des Schädigers zu entfalten“.253

NJW 1997, 1584 Abschn.  II 1 c; BGH, Urt. v. 25.6.­1996 – VI ZR 117/95, NJW 1996, 2508 Abschn.  II 4 a aa; BGH, Urt. v. 18.1.1994 – VI ZR 190/­93, NJW 1994, 1150 Abschn.  II 1 a aa; BGH, Urt. v. 22.4.1986 – VI ZR 133/8, NJW 1986, 2315 Abschn.  II 2 b aa; BGH, Urt. v. 19.3.1985 – VI ZR 190/83, NJW 1985, 2583 Abschn.  II 2 a; für den Fall einer vertraglichen Ausschlussfrist, auf die der Senat im Ergebnis seine Rechtsprechung zur Verjährung delik­ tischer Ansprüche anwendet, auch BGH, Urt. v. 27.3.2001 – VI ZR 12/00, NJW 2001, 2535 Abschn.  II 2 a cc; der III. Zivilsenat ist der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats gefolgt, vgl. BGH, Urt. v. 9.3.2000 – III ZR 198/99, NJW 2000, 1411 Abschn.  II 1. 248  BGH, Urt. v. 20.11.1973 – VI ZR 72/72, NJW 1974, 319 Abschn.  II 2. Gleichsinnig BGH, Urt. v. 4.2.1997 – VI ZR 306/95, NJW 1997, 1584 Abschn.  II 1 d. 249  BGH, Urt. v. 20.11.1973 – VI ZR 72/72, NJW 1974, 319 Abschn.  II 2 am Ende; aufgegriffen von BGH, Urt. v. 24.9.1985 – VI ZR 101/84, VersR 1986, 163 Abschn.  II 2 c. 250  BGH, Urt. v. 11.2.1992 – VI ZR 133/91, NJW 1992, 1755 Abschn.  II 1 b. 251  Vgl. neben den nachfolgend zitierten Entscheidungen etwa noch BGH, Urt. v. 11.2.­ 1992  – VI ZR 133/91, NJW 1992, 1755 Abschn.  II 1 b. 252  BGH, Urt. vom 27.3.2001 – VI ZR 12/00, NJW 2001, 2535 Abschn.  II 2 b aa für eine vertragliche Ausschlussfrist, auf die der Senat im Ergebnis seine Rechtsprechung zur Verjährung deliktischer Ansprüche anwendet. 253  BGH, Urt. v. 6.3.2001 – VI ZR 30/00, NJW 2001, 1721 Abschn.  II 2 c.; BGH, Urt. v. 18.1.­2000 – VI ZR 375/98, NJW 2000, 953.

B. Wissenszurechnung

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Den zweiten Begründungsstrang konnte der BGH unter §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB wegen des nunmehr geltenden relativen Wissensmaßstabs nicht unmodifiziert aufrecht erhalten. Er begründet das Festhalten an seiner bis­ herigen Rechtsprechung, abgesehen von einem Verweis auf die Gesetzesma­ terialien, denen diesbezüglich keine Änderungstendenz entnommen werden könne,254 daher nunmehr noch deutlicher in Abgrenzung zu seiner Recht­ sprechung zur Wissens­zurechnung im rechtsgeschäftlichen Verkehr. Dort stehe nämlich gerade der Schutz eben dieses rechtsgeschäftlichen Verkehrs255 und insbesondere „eines Partners bei der Anbahnung und dem Abschluss von Rechtsgeschäften“256 im Vordergrund. Das sei im Deliktsrecht gerade nicht der Fall. Dies gelte ungeachtet des Umstands, dass §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB für den Verjährungsbeginn (anders als noch §  852 Abs.  1 BGB a. F.) grob fahrlässige Unkenntnis genügen lässt, da nur der für den Schadensfall zuständige Bedienstete „mit der Erledigung der betreffenden Angelegen­ heit, hier also mit der Geltendmachung von Regressansprüchen […], in eige­ ner Verantwortung betraut worden“257 bzw. „in den betreffenden Aufgaben­ kreis eingebunden“258 und damit Wissensvertreter sei. 5. Kritik Die Rechtsprechung zur Wissensvertretung findet im Schrifttum verbreitet Zustimmung,259 wird teilweise aber auch kritisiert. Im Mittelpunkt der Kri­ tik steht zu Recht das Erfordernis eigenverantwortlichen Tätigwerdens nach 254 

BGH, Urt. v. 20.10.2011 – III ZR 252/10, NJW 2012, 447 Rn.  21; BGH, Urt. v. 28.2.­ 2012  – VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789 Rn.  12. 255  Vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2011 – III ZR 252/10, NJW 2012, 447 Rn.  21; BGH, Urt. v. 28.2.­2012 – VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789 Rn.  14. 256  So die weitere Konkretisierung bei BGH, Urt. v. 28.2.2012 – VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789 Rn.  14; zuvor, noch unter Geltung von §  852 Abs.  1 BGB a. F. für eine vertrag­ liche Ausschlussfrist, auf die der Senat im Ergebnis seine Rechtsprechung zur Verjährung deliktischer Ansprüche anwendet, bereits BGH, Urt. v. 27.3.2001 – VI ZR 12/00, NJW 2001, 2535 Abschn.  II 2 b bb. 257  BGH, Urt. v. 20.10.2011 – III ZR 252/10, NJW 2012, 447 Rn.  12; BGH, Urt. v. 28.2.­ 2012  – VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789 Rn.  13. 258  BGH, Urt. v. 15.3.2011 − VI ZR 162/10, NJW 2011, 1799 Rn.  14. 259  Natürlich wurde die Rechtsprechung zur Wissensvertretung im Schrifttum teilwei­ se auch vorbereitet. Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und Bankrechtliche Aufklä­ rungspflichten, 1998, S.  109 f. und Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1255 m. w. N. führen die Rechtsfigur des Wissensvertreters auf Möller, Wissenszurechnung und Wissen­ serklärungsvertretung im Versicherungsvertragsrecht, WuRdVers 1938, 9 ff., 17 zurück. Vgl. im Übrigen insbesondere noch Richardi, AcP 169 (1969), 385 ff. Begrifflich war der Wissensvertreter, wenn auch zutreffend noch ohne das Erfordernis eigenverantwort­ lichen Tätigwerdens nach außen als Repräsentant, in der Rechtsprechung des RG bereits

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außen als Repräsentant des Geschäftsherrn, das im Wesentlichen der norma­ tiven Anlehnung an §  166 Abs.  1 BGB geschuldet ist, in der Sache aber den eigentlichen Zurechnungsgrund verfehlt. Darauf wird im Einzelnen noch zurückzukommen sein.260 Mit der Fokussierung auf das Erfordernis eigenverantwortlichen Tätig­ werdens nach außen erfasst der Tatbestand der Wissensvertretung außerdem viele Fälle nicht, in denen anerkanntermaßen ein Bedürfnis nach einer Wis­ senszurechnung besteht. Statt deshalb das Erfordernis eigenverantwort­ lichen Tätigwerdens nach außen als solches zu hinterfragen, ist die Recht­ sprechung einem Ansatz gefolgt, der erkannte Zurechnungslücken organi­ sationspflichtenbasiert zu schließen sucht.

IV. Die Rechtsprechung des BGH zum Organisationsmangel als Zurechnungsgrund 1. Urteil vom 8.12.1989 (Altbürgermeister/Gemeinde) Die sogenannte Bürgermeisterentscheidung des V. Zivilsenats des BGH vom 8.12.­1989261 (auch: Schlachthoffall262 oder Kühlhausfall263) kann als Grundlagen­entscheidung zur Wissenszurechnung kraft Organisationsman­ gels gelten. Insbesondere handelt es sich, soweit ersichtlich, um die erste Entscheidung zur Wissenszurechnung im Verhältnis zwischen Organ (Bür­ germeister) und Verband (Gemeinde), die in der Begründung über den apo­ diktischen – wenngleich auch hier noch anzutreffenden – Verweis auf die Organtheorie hinausgeht, wonach Wissen eines Organmitglieds Wissen der Gesellschaft „ist“.264 deutlich früher vertreten (siehe oben Kapitel  1 B.III.2. = S. 77 f.), worauf Möller und Faßbender auch hinweisen. 260  Vgl. unten Kapitel  3 C.I.3. = S. 328 ff. 261  BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975. 262 Vgl. Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bank­ geschäfte, 2003, S.  121, 128. 263 So Hagen, DRiZ 1997, 157, 158. 264  Gewisse, wenn auch ganz zurückgenommene Ansätze einer organisationspflichten­ basierten Betrachtung finden sich schon in der älteren Rechtsprechung, allerdings noch bezogen auf die Grundsätze der Wissensvertretung und nicht im Sinne eigenständiger Zu­rechnungsregeln; vgl. insbesondere BGH, Urt. v. 10.12.1973 – II ZR 138/72, NJW 1974, 458 Abschn.  II 1 zu §§  990, 989 BGB i. V. m. Art.  21 ScheckG betreffend die Her­ reinnahme eines Verrechnungsschecks von einem Nichtberechtigten und die Verfügung hierüber: Der „erhobene Einwand, damit würden die Anforderungen an eine Bank über­ spannt“, sei unbegründet; die „Bank braucht den ihr insoweit drohenden Gefahren nicht durch eine kostspielige Organisation, sondern nur [und immerhin] damit begegnen, daß

B. Wissenszurechnung

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Gegenstand der Entscheidung war die Haftung einer Gemeinde als Ver­ käuferin eines Grundstücks für die Mangelhaftigkeit (Fehlerhaftigkeit im Sinne des damaligen Kaufrechts) desselben. Da die Gewährleistung im nota­ riellen Kaufvertrag ausgeschlossen worden war, kam von vornherein nur ein Anspruch aus §§  463 S.  2, 476 BGB a. F. in Betracht. Danach stand dem Käu­ fer auch dann, wenn die Gewährleistung vertraglich ausgeschlossen worden war, ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu, wenn der Verkäufer den betreffenden Mangel arglistig verschwiegen hatte. Problematisch war, dass der Bürgermeister, der die Gemeinde beim Ver­ tragsschluss im Jahr 1982 vertreten und für dessen verschuldetes Verhalten die Gemeinde nach §§  31, 89 Abs.  1 BGB ohne weiteres einzustehen hatte, persönlich von dem in Rede stehenden Mangel, der erheblichen Gefährdung der Tragfähigkeit einer Decke, nichts wusste. Der handelnde Bürgermeister selbst konnte über den Fehler also von vornherein nicht arglistig (vorsätz­ lich) täuschen. Da der Mangel der Gemeinde im Jahr 1965 vom zuständigen Landratsamt durch Ver­fügung265 mitgeteilt worden war, stand aber fest, dass der im Jahr 1965 – also etwa 17 Jahre vor Vertragsschluss – amtierende Bür­ germeister um den Mangel wusste.266 Vor diesem Hintergrund stellt der erkennende Senat zunächst fest, „dass bei keinem der Organvertreter der [Gemeinde] alle Voraussetzungen der ‚Arglist‘ i. S. des §  463 Satz  2 BGB [a. F.] vorgelegen hätten“.267 Damit alleine ließe sich jedoch eine Haftung der Gemeinde nicht verneinen. Vielmehr müs­ se sich die Gemeinde, was das kognitive Elements des Arglisttatbestands an­ belangt,268 „das Wissen aller ihrer vertretungsberechtigten Organwalter zu­ rechnen lassen“.269 Normativ knüpft der Senat dabei an §§  31, 89 BGB an.270 sie die mit der Eröffnung von Konten betrauten Personen entsprechend informiert und zur Sorgfalt bei der Feststellung der Personalien anhält“. Entsprechend resümiert Bohrer, DNotZ 1991, 124, 131, der BGH entdecke in seiner Bürgermeisterentscheidung das Prin­ zip der Wissensverantwortung, das Bohrer als „ein selbständiges Strukturelement des pri­ vaten Rechts“ neben der Verkehrssicherungspflicht und der Vertrauenshaftung und als „einen weiteren Baustein für eine künftige allgemeine zivilrechtliche Organisationslehre” einordnet. 265  Anordnung baulicher Maßnahmen, der in der Folge allerdings nicht nachgekom­ men worden war. 266  BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 letzter Satz vor Abschn.  II 3 c. 267  BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 b. (Hervorhe­ bung im Original). 268  Ausführlich zum Arglisttatbestand unten Kapitel  2 A.VII. = S. 174 ff. und speziell zur Begründung des voluntativen Elements im Wege der Zurechnung Kapitel  3 B. = S.  305 ff. 269  BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 b. 270  Vgl. BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 1.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

Zunächst rekurriert der Senat noch auf die Organstellung des Altbürger­ meisters: „Das Wissen schon eines in der Angelegenheit vertretungsberechtigten Organmitglieds ist als Wissen des Organs anzusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen […]. Dies gilt auch dann, wenn das Organmitglied an dem betreffenden Rechtsgeschäft nicht selbst mitgewirkt hat […]. Die Wissenszurechnung kommt selbst dann in Betracht, wenn der Organvertreter von dem zu beurteilenden Rechtsgeschäft nichts gewußt hat […]. Auch das Ausscheiden des [wissenden] Organvertreters aus dem Amt steht dem Fortdauern der Wissenszurechnung nicht entgegen.“271

Dabei lässt es der erkennende Senat aber nicht bewenden. Als Antwort auf die Bedenken, die im damaligen Schrifttum gegen eine ausschließlich auf die Organstellung abstellende Wissenszurechnung im Verband erhoben worden sind, fährt der Senat fort: „Die Frage der Wissenszurechnung von Organvertretern läßt sich nicht mit logisch-be­ griff­licher Stringenz […], sondern nur in wertender Beurteilung entscheiden. Speziell in der allgemeinen Organisationslehre des öffentlichen Rechts ist die Unterscheidung zwi­ schen dem Organ als einem institutionellen Subjekt und den wechselnden Organver­ tretern anerkannt […]. Daher ist es denklogisch nicht ausgeschlossen, in der Zurech­ nungskette vom Organvertreter über das Organ zur juristischen Person als dem ‚Zurech­ nungsendsubjekt‘ […] der juristischen Person einmal zugerechnete Kenntnisse über die Amtsdauer des kenntnisvermittelnden Organvertreters hinaus auch weiterhin zuzurech­ nen. […] Jedenfalls für die Frage der Risikoverteilung bei Grundstücksgeschäften der vor­ liegenden Art erscheint es dem Senat im Interesse des Verkehrsschutzes geboten, der Ge­ meinde das ihr durch Organvertreter einmal vermittelte, typischerweise aktenmäßig fest­ gehaltene Wissen auch weiterhin (hier: bis zum Abschluß des zu beurteilenden Vertrages) zuzurechnen. Nur so läßt sich die strukturelle Besonderheit der organisatorischen Auf­ spaltung gemeindlicher Funktionen in personeller und zeitlicher Hinsicht (Wechsel der Amtsträger) ausgleichen. Der Bürger, der mit der Gemeinde einen wirtschaftlich bedeut­ samen Vertrag schließt und ihr dabei im Zweifel sogar erhöhtes Vertrauen entgegenbringt, darf im Prinzip nicht schlechter gestellt werden, als wenn er es nur mit einer einzigen natürlichen Person zu tun hätte“.272

Damit legt der V. Zivilsenat den Grundstein für die bis heute andauernde Entwicklung einer Theorie der organisationspflichtenbezogenen Wissens­ zurechnung. 2. Urteil vom 24.1.1992 (Mitarbeiter des Baurechtsamts/Gemeinde) Bevor der V. Zivilsenat des BGH sein Konzept einer organisationspflichten­ bezogenen Wissenszurechnung im Jahr 1996 endgültig ausbuchstabiert, sieht es allerdings zunächst danach aus, als mache der Senat eine Kehrtwende. 271  272 

BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 b. BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 b.

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Der sogenannten Knollenmergelentscheidung273 vom 24.1.1992274 (auch: Bau­grundfall275) lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde wie der nur etwa zwei Jahre zuvor veröffentlichten Bürgermeisterentscheidung dessel­ ben Senats. Auch hier stellte sich die Frage nach der Haftung der Gemeinde wegen arglistigen Verschweigens eines Mangels eines Grundstücks (diesmal ging es um Knollenmergel) nach §  463 S.  2 BGB a. F. Die Gemeinde war beim Vertragsschluss aufgrund einer vom Oberbürgermeister erteilten Voll­ macht durch einen Stadt­amtsrat beim Liegenschaftsamt vertreten worden. Weder dieser noch der Oberbürgermeister oder ein sonstiger amtierender oder – und hierin liegt der entscheidende Unterschied zum Bürgermeister­ fall – früherer verfassungsmäßig berufener Vertreter der Gemeinde hatte Kenntnis von dem Mangel. Der Mangel war nur  – aber immerhin – einem „einfachen“ Sachbearbeiter in dem mit dem Geschäft nicht befassten Bau­ rechtsamt bekannt. Der entscheidende Senat kommt in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass sich die Gemeinde das Wissen dieses Sachbearbeiters nicht zurechnen lassen muss. Normativ knüpft er seine Ausführungen diesmal nicht an §§  31, 89 BGB an, sondern an §  166 BGB. Er stellt dazu zunächst fest, dass der Sachbearbeiter kein Wissensvertreter der Gemeinde gewesen sei, weil diese ihn nicht mit der eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Aufgaben im privatrechtlichen Geschäftsverkehr betraut hatte.276 Auch eine Zurechnung nach Grundsätzen einer Wissensorganisations­ pflicht in Bezug auf „typischerweise aktenmäßig festgehaltenes“ Wissen lehnt das Gericht ab: „Ob und gegebenenfalls inwieweit diese Auffassung im Hinblick auf die erweiterten In­ formationsmöglichkeiten mittels elektronischer Datenverarbeitung Zustimmung ver­ dient, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Bekl. war jedenfalls nicht verpflichtet, zwischen dem Liegenschafts- und dem Baurechtsamt allgemein einen Informationsaus­ tausch zu organisieren“.277

Zur Begründung verweist der BGH darauf, dass im privaten Rechtsverkehr nur die jeweilige einzelne „Funktionseinheit (Amt, Behörde)“ nach außen in Erscheinung und dem Verhandlungspartner als Einheit gegenüber treten würde. Zudem würde es „Schwierigkeiten“ bereiten, „objektive Abgren­ zungskriterien dafür zu finden, welche Ämter unter Wahrung etwaiger 273 

So auch auch die Bezeichnung bei Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 148. 274  BGH, Urt. v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099. 275 So Hagen, DRiZ 1997, 157, 159. 276  BGH, Urt. v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099 Abschn.  II 3 a. 277  BGH, Urt. v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099 Abschn.  II 3 b.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

Dienstgeheimnisse und bestehender Belange des Datenschutzes welche In­ formationen auszutauschen haben“. Außerdem zieht der BGH wiederum einen Vergleich mit der einzelnen natürlichen Person: „eine als Grundstücks­ verkäuferin auftretende Privatperson besäße auch nicht die Informationen, welche die Gemeinde aufgrund ihrer öffentlichen Aufgaben […] erlangt“. Eine Wissenszurechnung würde hier dazu führen, dass der Vertragspartner der Gemeinde besser stünde als der einer natürlichen Person.278 Daneben stellt das Gericht noch fest, dass die Gemeinde auch nach den Grundsätzen der Filialleiterentscheidungen des III. Zivilsenats vom 1.6.­ 1989279 nicht gehalten war, bei einem anderen Amt Erkundigungen einzu­ holen: „Weder bestand zwischen dem fiskalischen Grundstücksgeschäft der [Gemeinde] und den Verwaltungsvorgängen in dem Baurechtsamt ein sachlicher Zusammenhang, noch la­ gen dem Liegenschaftsamt irgendwelche Hinweise darauf vor, daß in dem Baurechtsamt vertragserhebliche Kenntnisse über die Baugrundbeschaffenheit des Kaufobjekts vorhan­ den waren“.280

3. Urteil vom 2.2.1996 (GmbH & Co. KG) In seiner sogenannten Altlastenentscheidung281 vom 2.2.1996282 (auch: Kon­ taminationsfall;283 Säge- und Imprägnierwerk284) entwickelt der V. Zivilsenat des BGH sein Konzept einer organisationspflichtenbasierten Wissenszu­ rechnung fort. Anlass bot der Verkauf eines Grundstücks durch eine GmbH & Co. KG. Die Gesellschaft hatte auf dem Grundstück ein Säge- und Im­ prägnierwerk betrieben. Wie sich später zeigte, war das Grundstück erheb­ lich mit Teerölrückständen verunreinigt. In Rede stand eine Haftung nach §  463 S.  2 BGB a. F. Ob die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH von etwaigen zielgerichteten Vergrabun­gen wussten, hatte das Berufungsgericht offengelassen, da ihnen jedenfalls das Wissen früherer vertretungsberechtig­ ter Personen oder verantwortlicher Werksleiter zuzurechnen sei. Der Senat kommt demgegenüber zu dem Ergebnis, dass sich mit dieser Begründung ein arglistiges Verschweigen nicht bejahen lasse. Er setzt sich 278 

BGH, Urt. v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099 Abschn.  II 3 b. Vgl. BGH, Urt. v. 1.6.1989 – III ZR 261/87, NJW 1989, 2879; BGH, Urt. v. 1.6.1989 – III ZR 277/87, NJW 1989, 2881; näher dazu oben Kapitel  1 B.III.3.b) = S. 82 f. 280  BGH, Urt. v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099 Abschn.  II 3 c. 281  So auch die Bezeichnung bei Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neu­ es Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 129. 282  BGH, Urt. v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339. 283 So Hagen, DRiZ 1997, 157, 160. 284 So Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  8.74. 279 

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zunächst ausführlich mit seiner Bürgermeisterentscheidung und mit seiner Knollen­mergelentscheidung, mit den Filialleiterentscheidungen des III. Zi­ vilsenats vom 1.6.1989285 und mit drei in Reaktion hierauf verfassten Stel­ lungnahmen (Bohrer286, Medicus287, Taupitz288) auseinander und führt auf dieser Grundlage – gleichsam als Synthese und unter Wiederholung seines Diktums, die „Frage der Wissenszurechnung von Organvertretern juristi­ scher Personen“ lasse sich „nicht mit logisch-begrifflicher Stringenz, son­ dern nur in wertender Beurteilung entscheiden“289 – in Form eines Hinwei­ ses „für das weitere Verfahren“ ohne klare normative Anknüpfung und in auffällig abstrakter Weise aus: „Der Senat […] bejaht die erörterte Möglichkeit einer Wissenszurechnung insbesondere auch für die – hier zu beurteilende – GmbH & Co. KG; denn die Wissenszurechnung gründet nicht in der Organstellung oder einer vergleichbaren Position des Wissensver­ mittlers (Organtheorie), sondern im Gedanken des Verkehrsschutzes und der daran ge­ knüpften Pflicht zu ordnungsgemäßer Organisation der gesellschaftsinternen Kommuni­ kation. […] Kommt danach, wovon das BerGer. im Ergebnis ausgegangen ist, eine Wissenszurech­ nung zu Lasten der Kl. in ihrer Eigenschaft als GmbH & Co. KG grundsätzlich in Be­ tracht,290 so folgt andererseits gerade aus dem Gleichstellungsargument, daß auch der Wissenszurechnung persönliche und zeitliche Grenzen zu ziehen sind: das als Wissen 285  Vgl. BGH, Urt. v. 1.6.1989 – III ZR 261/87, NJW 1989, 2879; BGH, Urt. v. 1.6.­ 1989  – III ZR 277/87, NJW 1989, 2881; näher dazu oben Kapitel  1 B.III.3.b) = S. 82 f. 286  Bohrer, DNotZ 1991, 124 ff. 287  Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4 ff. 288  Taupitz, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 16 ff.; Taupitz hat zum Urteil des BGH vom 2.2.1996 seinerseits eine Anmerkung verfasst, siehe ders., JZ 1996, 734 ff. 289  BGH, Urt. v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339 Abschn.  II C 2 a (erster Ab­ satz). 290  Anders oder jedenfalls zurückhaltend noch BGH, Urt. v. 17.5.1995 – VIII ZR 70/94, NJW 1995, 2159 Abschn.  II 2 b; vgl. dazu etwa Reischl, JuS 1997, 783 ff. Später hat der BGH seine Rechtsprechung zum Organisationsmangel als Zurechnungsgrund hingegen beispielsweise auch auf die GbR erstreckt, vgl. BGH, Urt. v. 12.11.1998 – IX ZR 145/98, NJW 1999, 284 Abschn.  V 2 b: „ist der schuldtilgenden GbR das Wissen eines anderen als des konkret handelnden, vertretungsbefugten Gesellschafters jedenfalls dann zuzurech­ nen, wenn die unterlassene Weitergabe dieses Wissens an den handelnden Gesellschafter eine Verletzung der der Gesellschaft obliegenden Organisationspflichten darstellt“, wobei der Senat offenlässt, ob die Zurechnung „auf der Grundlage des §  31 BGB erfolgt oder auf einer ausdehnenden Anwendung des §  166 Abs.  2 BGB beruht“ (BGH a. a. O.). In einem anderen Fall hat der BGH die „Frage, ob eine Wissenszurechnung zu Lasten einer GbR auch dann möglich ist, wenn – wie hier – nur ein Gesamtvertreter ohne hinreichende Ver­ tretungsmacht gehandelt hat“, offengelassen, vgl. BGH, Urt. v. 16.12.­2009  – XII ZR 146/­ 07, NJW 2010, 861 Rn.  22. Vgl. allgemein zur Geltung der Regeln von der Wissenszurech­ nung kraft Organisationsmangels für Personengesellschaften noch Nobbe, in: Hadding/ Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 135 f.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

Zuzurechnende darf nicht zu einer Fiktion entarten, die juristische Personen oder andere am Rechtsverkehr teilnehmende Organisationen weit über jede menschliche Fähigkeit hinaus belastet. Vielmehr muß für denjenigen Menschen, für den die Zurechnung gelten soll, wenigstens eine reale Möglichkeit, aber auch ein Anlaß bestehen, sich das Wissen aus dem eigenen Gedächtnis, aus Speichern oder von anderen Menschen zu beschaffen. Das bedeutet zweierlei: Soll das Risiko aus der Wissensaufteilung derjenige tragen, der sie veranlaßt hat und durch zweckmäßige Organisation beherrschen kann, so ist einmal entscheidend, ob die Information über den Umstand überhaupt gespeichert werden mußte. Das hängt davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie später rechtserheblich werden konnte. Zu beurtei­ len ist das nach dem Zeitpunkt der Wahrnehmung und nicht nach einem erst später er­ reichten Wissensstand. Solange etwa Asbest oder bestimmte Lösungsmittel als harmlos galten, durfte man keine Speicherung von Informationen verlangen […]; für die Zeit vor 1955, für die das BerGer. hier ein Vergraben als nicht widerlegt ansieht, wäre dies nahelie­ gend. Zudem muß auch hinsichtlich der Dauer der Speicherung von Informationen unter­ schieden werden: Je erkennbar wichtiger ein Umstand ist, um so länger muß er gespei­ chert bleiben. Wird die Speicherung zu früh aufgehoben, so beendet das die Wissenszu­ rechnung nicht. Weiter ist entscheidend, daß sich auch das Erinnerungsvermögen des Menschen typi­ scherweise nach der erkennbaren Wichtigkeit der Wahrnehmung und danach bestimmt, wie lange diese zurück liegt. Als Wissen kann man den Inhalt von Speichern daher nur zurechnen, soweit ein besonderer Anlaß besteht, sich seiner in der konkreten Situation (noch) zu vergewissern. Auch das richtet sich nach der Zumutbarkeit: Maßgeblich sind auch hier vor allem die Bedeutung des Anlasses und die Schwierigkeit der Suche“.291

Der Senat erteilt der Organtheorie als Grundlage der Wissenszurechnung damit explizit eine Absage292 und knüpft die Wissenszurechnung auch nicht mehr an die Organstellung oder eine vergleichbare Position (Vertre­ter, Wissensvertreter)293 des Wissensträgers. Vielmehr werden die Gedanken des Verkehrsschutzes und der Risikoverteilung nach Veranlassung, Beherr­ schungsmöglichkeit und Verfügbarkeit, später dann Organisationsargument genannt,294 und das Gleichstellungsargument, also der nachgerade bildlich praktizierte Vergleich mit der einzelnen natürlichen Person als Vertragspart­ ner als tragende Gründe für eine Wissenszurechnung angeführt. Tatbestandlich soll für eine Wissenszurechnung entscheidend sein, ob für den Handelnden Möglichkeit und Anlass bestand, sich das Wissen, dessen Zurechnung in Rede steht, zu „beschaffen“. Das in Rede stehende Wissen muss dabei zwar irgendwann einmal tatsächlich in der Organisation vor­ handen gewesen sein. Ob es tatsächlich gespeichert wurde bzw. aktuell noch 291  BGH,

Urt. v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339 Abschn.  II C 2 a (letzter Absatz) und b. 292  Vgl. auch Taupitz, JZ 1996, 734. 293  So für einen vergleichbaren Fall fast zeitgleich BGH, Urt. v. 31.1.1996 – VIII ZR 297/94, NJW 1996, 1205 Abschn.  II 2 b. 294  BGH, Urt. v. 10.12.2010 – V ZR 203/09, BeckRS 2011, 01685 Rn.  16.

B. Wissenszurechnung

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verfügbar ist, soll demgegenüber unerheblich sein; maßgeblich soll nur sein, ob es gespeichert werden und noch gespeichert sein musste. Die Entscheidung vom 2.2.1996 ist in der Rechtsprechung des BGH spä­ ter immer wieder aufgegriffen worden, und zwar nicht nur in Fällen, in de­ nen eine Arglisthaftung nach §  463 S.  2 BGB a. F. in Rede stand,295 sondern etwa auch im Rahmen der §§  990, 989 BGB, Art.  21 ScheckG, dort allerdings bei der Prüfung grober Fahrlässigkeit,296 sowie im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB, hier wiederum im Rahmen der Kenntnisalternative.297 4. Urteil vom 13.10.2000 (Wissenszurechnung nur innerhalb der Struktureinheit, deren Aufgaben wahrzunehmen waren) Nachdem der V. Zivilsenat mit seiner Altlastenentscheidung bereits betont hatte, dass die von ihm entwickelten Grundsätze zur Wissenszurechnung nicht nur zulasten von juristischen Personen gelten, sondern auch zulasten von Personen­gesellschaften, stellt er mit Urteil vom 13.10.2000298 ergänzend 295  Vgl.

etwa BGH, Urt. v. 1.10.1999 – V ZR 218/98, NJW 1999, 3777 Abschn.  II 1 (Veräußerung eines belasteten Grundstücks durch eine Gemeinde; Haftung im Fall ver­ neint): „Richtig geht das BerGer. auch davon aus, daß eine Zurechnung in Betracht kommt, wenn – bei nur aktenmäßig vorhandenem Wissen aus früherer Zeit – die Gemein­ de entweder einer ihr obliegenden Pflicht, Wissen zu speichern, nicht nachgekommen ist oder trotz einer aus konkretem Anlaß gebotenen Pflicht eine solche Information von dem Verhandlungsführer beim Bauamt nicht abgefragt hat“. 296 Vgl. BGH Urt. v. 15.4.1997 – XI ZR 105/96, NJW 1997, 1917 Abschn.   II 2 b (Scheck­­inkassofall) im Zusammenhang mit der Hereinnahme von Schecks: Als bei einer Bank „vorhanden anzusehen ist dabei das Wissen, das bei sachgerechter Organisation dokumentiert und verfügbar ist und zu dessen Nutzung unter Berücksichtigung der geschäft­lichen Bedeutung des Vorgangs Anlaß bestand“; dazu ausführlich Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 149–151; Schröter, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bank­ geschäfte, 2003, S.  163, 176–179. Noch auf Vertretungsgrundsätze abstellend etwa BGH, Urt. v. 19.1.1993 – XI ZR 76/92, NJW 1993, 1066 Abschn.  II 1. 297  BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 182/13, BeckRS 2015, 3384 Rn.  25 f.; der BGH verneint die Möglichkeit einer Wissenszurechnung, weil „sowohl in der Rechtspraxis als auch im Schrifttum bis zu den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zur Unwirksam­ keit von Treuhändervollmachten der vorliegenden Art wegen Verstoßes gegen das Rechts­ beratungsgesetz nicht von einem solchen Verstoß ausgegangen wurde“ und die Gläubige­ rin (Bank) daher „in den 1990er Jahren im Hinblick auf die Wirksamkeit der von ihr im Wege eines Treuhänder­modells der vorliegenden Art geschlossenen Darlehensverträge dem Vorliegen von notariellen Vollmachtsurkunden keine besondere Bedeutung beimes­ sen“ musste. 298  BGH, Urt. v. 13.10.2000 – V ZR 349/99, NJW 2001, 359; vgl. dazu auch Hauschka/ Moosmayer/Lösler – Buck-Heeb, 32016, §  2 Rn.  4 mit Erwägungen dahin, ob aus der Zu­ rechnung zulasten der Gesellschaft immerhin eine Binnenhaftung desjenigen Organmit­

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

klar, dass die Wissenszurechnung hiernach ausschließlich zulasten der juris­ tischen Person oder Personengesellschaft stattfindet, der der Wissensträger angehört, nicht hingegen (auch oder ausschließlich) zulasten ihrer Organe oder vertretungsberechtigten Mitglieder. Die Frage war relevant geworden für die Beurteilung des gutgläubigen Erwerbs eines Grundstücks durch eine GbR299 nach §  892 Abs.  1 S.  2, Abs.  2 Alt.  1 BGB. Der Beklagte300 war sowohl Mitgesellschafter der F-Grund­ stücksgesellschaft S-GbR als auch Geschäftsführer der S-Immobilien GmbH. „Die GbR“ hatte am 7.7.1992 ein Grundstück erworben und am 13.5.1994 „ihre“ Eintragung als Eigentümerin in das Grundbuch beantragt. Kurz vor Beantragung der Grundbucheintragung hatte eine Mitarbeiterin der S-Im­ mobilien GmbH durch ein Schreiben Kenntnis vom Erlass eines allgemei­ nen Verfügungsverbots über das Vermögen des Verkäufers des Grundstücks erlangt; an den Beklagten war das Schreiben nicht weitergegeben worden. Der BGH kommt in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, der Beklagten müsse sich das Wissen der Mitarbeiterin der von ihm geführten S-Immobi­ lien GmbH nicht pauschal in der Weise zurechnen lassen, dass er sich auch in seiner Stellung als Gesellschafter der erwerbenden GbR als wissend be­ handeln lassen muss: Die Zurechnung von Wissen finde „zu Lasten der juristischen Person oder Personengesellschaft statt, nicht zu Lasten ihrer Organe oder vertretungsberechtigten Mitglieder […]. Die Zurechnung steht der Geltend­ machung von Unkenntnis entgegen, ohne dass sie eine tatsächlich fehlende Kenntnis er­ setzt“ und sei „daher grundsätzlich nicht geeignet, ‚Wissen‘ eines personenidentischen Organs einer anderen juristischen Person oder eines personenidentischen Mitglieds einer Gesamthandsgesellschaft außerhalb derjenigen Struktureinheit zu begründen, deren Auf­ gaben wahrzunehmen waren“. Etwas anderes gelte nur, „wenn die Wahrnehmung der Aufgaben der juristischen Person oder Gesamthandsgesellschaft so organisiert ist, dass ein Teil ihres Aufgabenbereichs auf eine natürliche Person oder eine selbstständige juris­ tische Einheit ausgegliedert ist“.301

5. Urteil vom 13.1.2004 (Vorstandsmitglieder/Bank) und vom 18.1.2005 (Mitarbeiter/Bank I) Hingewiesen sei des weiteren auf zwei Entscheidungen des XI. Zivilsenats des BGH vom 13.1.2004 und vom 18.1.2005. Gegenstand war jeweils die Haftung einer Bank wegen Verletzung einer vertraglichen bzw. vorvertrag­ glieds folge, welches eine hinreichend sorgfältige Organisation des Unternehmens unter­ lassen hat. 299  Bzw. damals noch durch die Gesellschafter als GbR; das soll hier ausgeblendet blei­ ben. 300  Konkret der Bekl. zu 2. 301  BGH, Urt. v. 13.10.2000 – V ZR 349/99, NJW 2001, 359 Abschn.  II 3 b.

B. Wissenszurechnung

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lichen Pflicht zur Information über spezielle Risiken des finanzierten Ge­ schäfts, einmal aus einer tatsächlich übernommenen Beratung (konkluden­ ter Beratungsvertrag)302 und einmal, unabhängig von einer tatsächlichen Beratung, aus einem erkennbaren konkreten Wissensvorsprung vor dem Darlehensnehmer in Bezug auf spezielle Risiken des finanzierten Vorha­ bens.303 Maßgeblich ist insofern jedenfalls das Wissen ihrer Vorstandsmitglieder. Das hat der BGH in seiner Entscheidung vom 13.1.2004 unter Rekurs auf seine Rechtsprechung zum Organisationsmangel als Zurechnungsgrund entschieden: „Dieses Wissen musste bei ordnungsgemäßer Organisation der Kommunikation zum Schutze des [Kunden], der nicht allein deshalb schlechter gestellt werden darf, weil Ver­ tragspartner nicht eine natürliche Person, sondern eine Bank mit organisationsbedingter Wissensaufspaltung ist, akten- oder EDV-mäßig dokumentiert, für alle mit der Vermark­ tung des Bauträger­modells befassten Mitarbeiter verfügbar gehalten und von ihnen ge­ nutzt werden. Dass das über die erforderlichen Kenntnisse verfügende Vorstandsmitglied der [Bank] an dem Vertrag mit dem [Kunden] nicht mitgewirkt und davon möglicherwei­ se nichts gewusst hat, ist deshalb ohne Belang“.304

Ein Jahr später stand dann das Wissen305 eines Mitarbeiters unterhalb der Organebene unter anderem um den schlechten Zustand der finanzierten Wohnungen, bewusst falsche Mietzinsversprechen und die weitgehende Wertlosigkeit von Mietgarantieverträgen in Rede. Dieser Mitarbeiter (B) war an der Vertragsabwicklung (in der A.-Filiale) nicht unmittelbar beteiligt gewesen, sondern war in einer anderen Filiale (in Dü.) tätig. Der BGH führt zu diesem Sachverhalt aus, die Bank müsse sich dessen Wissen gleichwohl zurechnen lassen, „wenn [!] B […] in der Dü.-Filiale an der Aushandlung des Rahmenkonzepts für die Fi­ nanzierung der Wohnungen in dem D.-Gebäudekomplex beteiligt war. Insbesondere ent­ lastet es die [Bank] nicht, dass das hier streitgegenständliche Darlehen aus für einen Au­ 302 

BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02, NJW 2004, 1868 Abschn.  II 2 a. Vgl. BGH, Urt. v. 18.1.2005 – XI ZR 201/03, NJW-RR 2005, 634 Abschn.  II 2 a; vgl. zur Haftung der nicht beratenden, sondern lediglich kreditgebenden Bank, wenn „die Bank“ in Bezug auf spezielle Risiken des Vorhabens einen konkreten Wissensvorsprung vor dem Darlehensnehmer hat und dies auch erkennen kann, außerdem etwa noch BGH, Urt. v. 19.3.2013 – XI ZR 46/11, NJW 2013, 2015 Rn.  23. 304  BGH, Urt. v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02, NJW 2004, 1868 Abschn.  II 2 c unter Be­ zugnahme unter anderem auf die vorstehend besprochenen Urteile vom 8.12.1989, vom 24.1.1992, vom 2.2.1996 und vom 13.10.2000, aber ohne normative Anknüpfung. 305  An einer Stelle spricht das Gericht, das sei nur am Rande erwähnt, vom „Wissen und Wollen“ des Wissensträgers, s. BGH, Urt. v. 18.1.2005 – XI ZR 201/03, NJW-RR 2005, 634 Abschn.  II 2 b aa. 303 

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

ßenstehenden nicht nachvollziehbaren Gründen organisatorisch von ihrer A.-Filiale, die weder einen räumlichen Bezug zum Ort der Wohnanlage noch zum Wohnort der Erwer­ ber hatte, abgewickelt wurde […], weil [das verfahrensgegenständliche] Darlehen nur ei­ nen Ausschnitt der vorher angeblich in Dü. von B in verantwortlicher Position verbind­ lich ausgehandelten Rahmenfinanzierung für das Objekt in D. darstellte, die für die A.-Filiale maßgeblich war und für den Darlehensvertrag des Kl. und seiner Ehefrau Be­ deutung erlangt hat. Ist der [Bank] danach nach dem Vorbringen des Kl.306 bei Abschluss des streitigen Darlehensvertrags das arbeitsteilige Wirken von B zugute gekommen, muss sie auch die damit verbundenen Gefahren tragen, d. h. sich dessen Wissen zurechnen las­ sen“.307

Hervorgehoben sei noch, dass der BGH in diesem Zusammenhang nur auf eine einzige weitere Entscheidung verweist, nämlich auf ein Urteil vom 23.11.1995. Dort hatte der BGH zwar in der Tat den Gedanken ausbuchsta­ biert, dass derjenige, der „den Vorteil der Arbeitsteilung in Anspruch nimmt, […] auch deren Nachteil tragen [soll], nämlich das Risiko, daß der an seiner Stelle handelnde Gehilfe schuldhaft rechtlich geschützte Interessen des Gläubigers verletzt“,

dies allerdings bezogen auf §  278 BGB in einem (expliziten) Fall der Ver­ schuldenszurechnung.308 Diese Vermischung von Wissens- und Verschul­ denszurechnung ist bemerkenswert, passt aber zur Anknüpfung der Zu­ rechnung an einen aktuellen Verhaltensbeitrag des Wissensträgers in Bezug auf das in Rede stehende Kundenverhältnis (Beteiligung an der Aushand­ lung des Rahmenkonzepts für die Finanzierung der verfahrensgegenständ­ lichen Wohnungen). 6. Urteil vom 15.12.2005 (Mitarbeiter/Bank II) Während der XI. Zivilsenat in seiner vorstehend wiedergegebenen Entschei­ dung vom 18.1.2005 zur Wissenszurechnung unterhalb der Organebene noch um eine Anknüpfung an einen aktuellen Verhaltensbeitrag des Wissens­ 306  Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass sich dieses Vorbringen im weiteren Verfahren vor dem Berufungsgericht nicht bestätigte. Demgemäß lehnte der BGH eine Wissenszurechnung in einem weiteren Revisionsurteil in derselben Sache letzt­ lich doch noch ab. Ergänzend verweist er nun außerdem darauf, eine Wissenszurechnung scheide auch deshalb aus, weil es sich um privat erlangtes Wissen gehandelt habe; BGH, Urt. v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, NJW 2007, 2989 Rn.  12–14. 307  BGH, Urt. v. 18.1.2005 – XI ZR 201/03, NJW-RR 2005, 634 Abschn.  II 2 b c. 308  Vgl. BGH, Urt. v. 23.11.1995 – IX ZR 213/94, NJW 1996, 464. Konkret betraf die Entscheidung die Anwendbarkeit von §  278 BGB auf §  19 BNotO und die Zurechenbar­ keit des Verschuldens eines Notargehilfen im Rahmen einer Grundbucheinsicht (fahrläs­ sige Nichtfeststellung einer in Abt. II Nr.  1 des Grundbuchs eingetragenen Grunddienst­ barkeit).

B. Wissenszurechnung

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trägers in Bezug auf das in Rede stehende Rechtsverhältnis bemüht ist, stellt der IX. Zivilsenat in einer Entscheidung vom 15.12.2005309 für die Banken­ wirtschaft ausdrücklich klar, dass die Grundsätze organisationspflichtenba­ sierter Wissenszurechnung unabhängig von einem aktuellen Verhaltensbei­ trag des Wissensträgers und unabhängig davon gelten, auf welcher Ebene dieser angesiedelt ist.310 Die Entscheidung betraf diverse Leistungen einer Bank an einen Kunden, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden war und die daher nach §  82 S.  1 InsO nur dann befreiende Wirkung hatten, wenn die Bank zur Zeit der Leistung „die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte“. Der BGH stellt hierzu klar, dass „jede am Rechtsverkehr teilnehmende Person“ sicherstellen müsse, „dass die ihr ord­ nungsgemäß zugehenden, rechtserheblichen Informationen von ihren Entscheidungsträ­ gern zur Kenntnis genommen werden können. Sie muss es deshalb so einrichten, dass ihre Repräsentanten, die dazu berufen sind, im Rechtsverkehr bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen, die erkennbar erheblichen Informationen tatsächlich an die entscheidenden Personen weiterleiten“; insbesondere müssten „Erkenntnisse, die von einzelnen Angestellten gewonnen werden, jedoch auch für andere Mitarbeiter und späte­ re Geschäftsvorgänge erheblich sind, die erforderliche Breitenwirkung erzielen. Dazu kann ein Informationsfluss von unten nach oben, aber auch ein horizontaler, filialüber­ greifender Austausch erforderlich sein […]. Die Notwendigkeit eines Informationsaus­ tauschs innerhalb der Bank bedingt entsprechende organisatorische Maßnahmen. Solche sind wegen des möglichen Zugriffs auf Datenspeicher zumutbar […]. Jedenfalls dann, wenn es an derartigen organisatorischen Maßnahmen fehlt, muss sich die Bank das Wissen einzelner Mitarbeiter – auf welcher Ebene auch immer diese angesiedelt sind  – zurechnen lassen“.311

309 

BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, NJW-RR 2006, 771. Im Ergebnis auch bereits BGH, Urt. v. 15.4.1997 – XI ZR 105/96, NJW 1997, 1917 Abschn.  II 2 b für §§  990, 989 BGB i. V. m. Art.  21 ScheckG: Zurechnung nicht nur des präsenten Wissens der konkret mit der Bearbeitung eines Schecks befassten Bankangestell­ ten, sondern sämtlichen Wissens, das „in den beteiligten Bankabteilungen, in der Regel Schalterabteilung oder Posteingangsstelle und Scheckabteilung“, vorhanden ist, wobei dabei als vorhanden anzusehen ist „das Wissen, das bei sachgerechter Organisation doku­ mentiert und verfügbar ist und zu dessen Nutzung unter Berücksichtigung der geschäft­ lichen Bedeutung des Vorgangs Anlaß bestand“. 311  BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, NJW-RR 2006, 771 Rn.  13 (Hervorhe­ bung nicht im Original); daneben nimmt der BGH in dieser Entscheidung auch Anleihen bei der Organtheorie; vgl. dazu noch unten Kapitel  2 B.V.2. = S. 117. 310 

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

7. Urteile vom 11.7.2007 und vom 16.7.2009 (Mitarbeiter/Versicherungsunternehmen) Mit Urteil vom 16.7.2009 hat der IX. Zivilsenat des BGH seine Entschei­ dung vom 15.12.2005 auf die Versicherungswirtschaft übertragen, wenn auch mit unklarem Vorbehalt für „Mitarbeiter, die nicht zu den Entschei­ dungsträgern gehören, etwa bei der Posteingangsstelle beschäftigt sind“.312 In ähnlicher Weise hatte schon zwei Jahre zuvor der für Versicherungs­ verhältnisse zuständige IV. Zivilsenat des BGH geurteilt, dass ein Versiche­ rer, der einen Vorschaden im Rahmen eines laufenden, auch für die neue Schadensmeldung maßgeblichen Versicherungsvertrags über einen bestimm­ ten versicherten Gegenstand selbst reguliert hat, diesen Vorschaden in sei­ nen Einzelheiten „kenne“ mit der Folge, dass eine Leistungsfreiheit des Ver­ sicherers nicht in Betracht kommt, auch wenn der Versicherungsnehmer bei der Schadensanzeige diesen Vorschaden verschwiegen hat: „Denn diese Kenntnis ist bei seinem mit der Schadensregulierung befassten Sachbearbei­ ter – und mithin beim Versicherer selbst – angefallen, und es bleibt im Weiteren allein eine Frage seiner innerbetrieblichen Organisation, wie er dieses Wissen auch anderen Sachbe­ arbeitern zugänglich macht“.313 312  Vgl. BGH, Urt. v. 16.7.2009 – IX ZR 118/08, NZI 2009, 680 Rn.  16 (ebenfalls bezo­ gen auf §  82 InsO): „Ob sich die Organisation, wenn es an einem derartigen internen In­ formationssystem fehlt, das Wissen einzelner Mitarbeiter, die nicht zu den Entschei­ dungsträgern gehören, etwa bei der Posteingangsstelle beschäftigt sind, unmittelbar zu­ rechnen lassen muss (vgl. BGH, NJW-RR 2006, 771 […]), mag dahinstehen. Jedenfalls müssen sich die Entscheidungsträger so behandeln lassen, als hätten sie das Wissen ge­ habt, wenn die Zeit verstrichen ist, die bei Bestehen eines effizienten internen Informati­ onssystems benötigt worden wäre, um ihnen die Kenntnis zu verschaffen. Diese Zeit­ spanne ist angesichts des Standes der modernen Büro- und Kommunikationstechnik als gering zu veranschlagen“. Vgl. ferner BGH, Urt. v. 15.4.2010  – IX ZR 62/09, NJW 2010, 1806 Rn.  10 ff. (ebenfalls bezogen auf §  82 InsO). 313  BGH, Urt. v. 11.7.2007 – IV ZR 332/05, NJW 2007, 2700 Abschn.  II 1 mit insofern kritischer Anm. Höher. In eine ähnliche Richtung wies bereits das Urt. v. 28.9.2005 – IV ZR 255/04, NJW 2006, 289 Rn.  33 ff.: Hier lehnt der Senat eine Leistungsfreiheit der Ver­ sicherung wegen Verletzung von Informationsobliegenheiten ab, „weil die bei der [Versi­ cherung] für die Haftpflichtversicherung zuständigen Mitarbeiter allen Anlass hatten, das bei der Gebäudeversicherung angefallene Wissen über den Fortgang des Haftpflichtpro­ zesses zu erfragen, so dass die von der [Versicherung] als Gebäudeversicherer erlangten Kenntnisse ihr auch im Rahmen des Haftpflichtversicherungsverhältnisses zuzurechnen sind und ein darüber hinausgehender Informationsbedarf hier nicht mehr gegeben war“. Der Senat verfolgt hier aber noch nicht einen organisationspflichtenbezogenen Ansatz, sondern verweist maßgeblich auf zwei ältere Entscheidung zur Zurechenbarkeit von Da­ ten- und Aktenwissen (oben Kapitel  1 A.IV.4. = S.  57 ff.) und führt aus, die dort formu­ lierten Grundsätze ließen sich „erst recht auf den vorliegenden Fall übertragen, in dem die [Versicherung] als Gebäudeversicherer und als Haftpflichtversicherer tätig geworden ist.

B. Wissenszurechnung

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8. Urteil vom 10.12.2010 (Mitarbeiter des Bauordnungs- und des Sozialamts/­Gemeinde) Dass auch der V. Zivilsenat seine anfängliche Zurückhaltung hinsichtlich ei­ ner organisationspflichtenbasierten Zurechnung unterhalb der Organebene aufgegeben hat, zeigt eine kaum beachtete Entscheidung vom 10.12.2010.314 Ihr lag ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde wie der Bürgermeisterentschei­ dung vom 8.12.1989 und ein praktisch identischer Sachverhalt wie der Knol­ lenmergelentscheidung vom 24.1.1992. Insbesondere betraf sie, wie die bei­ den genannten Entscheidungen, die Haftung einer Gemeinde nach §  463 S.  2 BGB a. F. für ein von ihr veräußertes Grundstück wegen arglistiger Täu­ schung über einen verborgenen Mangel des darauf befindlichen Gebäudes (diesmal: Schwammbefall unter anderem im Bereich des Küchenfußbodens). Mitarbeiter des Bauordnungsamts und des Sozialamts der Gemeinde waren im Jahr 1988 schriftlich über den Schwammbefall informiert worden. Sie hatten diese Information auch intern dokumentiert. Eine Weiterleitung die­ ser Information an das für den nunmehr in Rede stehenden Grundstücks­ verkauf zuständige Liegenschaftsamt war demgegenüber nicht erfolgt. Auch eine Nachfrage von dort im Vorfeld der etwa vier Jahre später, im Jahr 1992, erfolgten Veräußerung war unterblieben. Entsprechend war der Käufer im Zuge des Vertragsschlusses vom – selbst unwissenden – Leiter des Liegen­ schaftsamtes, der die Gemeinde bei dem Abschluss des Kaufvertrags vertrat, nicht über den Schwammbefall unterrichtet worden. In seiner Entscheidung rekurriert der Senat zur Begründung des kogni­ tiven Elements des Arglisttatbestands315 auf die Regeln zur Wissenszurech­ nung kraft Wissensorganisationspflicht, wie er sie mit Urteil vom 2.2.1996 ausformuliert hatte. Nach einer weitgehend wörtlichen Wiedergabe wesent­ licher Ausführungen aus seiner Entscheidung vom 2.2.1996 stellt er fest: „Sowohl das Bauordnungsamt als auch das Sozialamt waren aber nicht die einzigen Stel­ len, die der Schwammbefall anging. Wegen der auch schon nach der damaligen Rechtspre­ Für die Bekl. als Haftpflichtversicherer bestand […] Anlass dazu, sich mit den für die Gebäudeversicherung zuständigen Mitarbeitern ins Benehmen zu setzen, um künftig die eingehenden Informationen auszutauschen. […] Ein aufmerksamer Sachbearbeiter der Haftpflichtversicherung hätte auf Grund dieses Hinweises schon zu einem frühen Zeit­ punkt erkennen können und müssen, dass der Gang der Auseinandersetzung um die Fehlleitung der Versicherungsleistung in der Gebäudeversicherung für den Versiche­ rungsfall in der Haftpflichtversicherung von Bedeutung war“. 314  BGH, Urt. v. 10.12.2010 – V ZR 203/09, BeckRS 2011, 01685. 315  Ausführlich zur Explikation des Arglisttatbestands als Vorsatztatbestand und zu den Elementen des Vorsatzes unten im Zweiten Teil; zur Begründung des voluntativen Elements unten im Dritten Teil.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

chung des Senats […] überragenden rechtlichen Bedeutung, die ein – auch ein beseitigter  – Schwammbefall bei dem Verkauf des Grundstücks erlangt, durften beide Ämter ihre Er­ kenntnisse nicht für sich behalten, sondern mussten sie an das für Grundstücksverkäufe zuständige Liegenschaftsamt weiterleiten. Das ist nicht geschehen. Der notwendige In­ formationsaustausch war nicht durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt. Wegen dieser Pflichtverletzung muss sich die Beklagte so behandeln lassen, als wäre die Kenntnis bei dem Liegenschaftsamt und damit auch bei dessen Leiter, der die Beklagte bei dem Abschluss des Kaufvertrags vertreten hat, vorhanden gewesen. Schließlich war der Leiter des Liegenschaftsamts zur Einholung von Informationen über einen eventuellen früheren Schwammbefall verpflichtet. Er hat […], mehr als zwei Jahre vor dem Abschluss des Kaufvertrags, an einer Besprechung teilgenommen, in der es um den Verkauf auch des [betreffenden Grundstücks] ging. Der damalige Geschäftsführer der Käuferin […] hat in diesem Gespräch auf die Möglichkeit von Schwammbefall hinge­ wiesen. Das musste den Leiter des Liegenschaftsamt später veranlassen, nicht nur – wie geschehen – bei dem Bauverwaltungsamt, dem Tiefbauamt und dem Grünflächenamt, sondern auch bei anderen Ämtern, die mit der Bewirtschaftung des Kaufgegenstands be­ fasst waren und deshalb Kenntnis über tatsächliche Umstände bezüglich des Kaufgegen­ stands haben konnten, unter Bezugnahme auf den Kaufvertragsentwurf anzufragen, ob aus dortiger Sicht Vertragsänderungen oder -ergänzungen notwendig seien. […] Da der Leiter des Liegenschaftsamts seiner Pflicht zur Einholung von Informationen nicht nach­ gekommen ist, ist wiederum der [Gemeinde] das bei dem Bauordnungsamt und bei dem Sozialamt vorhanden und verfügbar gewesene Wissen zuzurechnen“.316

En Passant stellt der Senat noch fest, „dass es für die Wissenszurechnung nicht darauf ankommt, ob die bei einem Grund­ stücksverkauf zu offenbarenden Umstände einem Bediensteten einer Gemeinde im Rah­ men von derer privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Tätigkeit bekannt geworden sind. Eine solche Unterscheidung bei der Kenntniserlangung hat der Senat bisher nicht vorgenommen. Für sie spricht […] auch nicht das Gleichstellungsargument […]. Selbst­ verständlich muss eine natürliche Person bei einem Grundstücksverkauf einen wesent­ lichen Mangel des Kaufgegenstands, der ihr auf öffentlich-rechtlicher Grundlage bekannt geworden ist (z. B. eine behördliche Nutzungsuntersagung), offenbaren“.317

Auf seine Knollenmergelentscheidung aus dem Jahr 1992, in der er noch zum gegenteiligen Ergebnis gekommen war, geht der Senat nicht ein. Die Entscheidung zeigt exemplarisch, wie sehr die Grundsätze, die der V. Zivil­ senat für die Wissenszurechnung mit seiner Entscheidung vom 2.2.1996 for­ muliert hat, die Grenze zwischen Wissen und Wissenmüssen verwischt. Wenn der Senat darauf rekurriert, dass der Leiter des Liegenschaftsamts ver­ anlasst sein „musste“, beim Bauordnungsamt und beim Sozialamt für den Verkauf wesentliche Informationen anzufragen und dass ihn eine dahin­ gehende „Pflicht zur Einholung von Informationen“ traf, der er nicht nach­ gekommen sei, rekurriert er ersichtlich auf dasjenige, was ein sorgfältiger 316  317 

BGH, Urt. v. 10.12.2010 – V ZR 203/09, BeckRS 2011, 01685 Rn.  21 f. BGH, Urt. v. 10.12.2010 – V ZR 203/09, BeckRS 2011, 01685 Rn.  17.

B. Wissenszurechnung

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Mitarbeiter des zuständigen Liegenschaftsamtes beachtet hätte, und damit auf den Fahrlässigkeitsmaßstab des §  276 Abs.  2 BGB. 9. Urteil vom 19.3.2021 (Erbe/Testamentsvollstrecker) Der BGH hat seine Rechtsprechung zur organisationspflichtenbasierten Wis­ senszurechnung immer wieder bestätigt. In jüngerer Zeit hat sich das Gericht etwa mit der Frage befasst, ob hiernach im Rahmen von §  444 BGB eine Zu­ rechnung des Wissens eines Miterben über die einen Sachmangel begründende Denkmaleigenschaft des Kaufobjekts zulasten des handelnden Testaments­ vollstreckers infrage kommt. Es hat die Frage verneint, weil es sich bei dem Testamentsvollstrecker „nicht um eine juristische Person oder eine vergleich­ bare Organisation handelt“. Außerdem unterscheide sich das Verhältnis von Testamentsvollstrecker und Erben „grundlegend von der Struktur eines arbeitsteilig organisierten Unternehmens […]. Der Erbe ist nicht kraft Erbenstellung in die Organisation des Testamentsvollstreckers einge­ gliedert. Er ist nicht dessen Mitarbeiter und steht auch nicht in dessen Lager“.318

10. Besonderheiten im Verjährungsrecht und für Ansprüche von Behörden Wie gezeigt, kommt nach der Rechtsprechung des BGH eine Wissenszu­ rechnung nach den Regeln der Wissensvertretung grundsätzlich auch im Verjährungsrecht in Betracht, wobei sich der BGH in Bezug auf deliktische Ansprüche von Behörden und Körperschaften des öffentlichen Rechts streng an den internen Zuständigkeitsregeln des betroffenen Rechtsträgers orientiert. Das galt für §  852 Abs.  1 BGB a. F. und das gilt genauso für §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB. Einen – unterstellten – Organisationsmangel lehnte der BGH unter Gel­ tung von §  852 Abs.  1 BGB a. F. bei Ansprüchen von Behörden und Körper­ schaften des öffentlichen Rechts als Zurechnungsgrund demgegenüber grundsätzlich ab. Der VI. Zivilsenat des BGH hatte sich insofern früh fest­ gelegt. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1977 hatte er festgestellt, der  – unterstellte – Fall, es seien „Umstände ursächlich geworden, die mit einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang nicht mehr in Einklang zu bringen seien“ (es ging um eine erhebliche Verzögerung bei der internen Weiterleitung von Informationen), könne der betreffenden Stelle nicht mit der Folge zur Last gelegt werden, dass „sie sich so behandeln lassen muß, als wäre der Antrag unter Zugrundelegung einer als gewöhnlich anzusehenden Laufzeit bei ihr eingegangen. Dies widerspräche dem Sinn und 318 

BGH, Urt. v. 19.3.2021 – V ZR 158/19, ZEV 2021, 382 Rn.  20 f.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

Zweck von §  852 BGB, der im Interesse des Geschädigten […] die dem Schädiger günstige kurze Verjährungsfrist dadurch in ihrer Auswirkung mindert, daß er als Voraussetzung für deren Beginn die Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen verlangt. Ein Kennenkönnen oder Kennenmüssen genügt nicht“.319

Später ergänzte der Senat diese Ausführungen noch dahin, der Schädiger habe „keinen Anspruch darauf, dass die Behörden – etwa unter dem Ge­ sichtspunkt des Schuldnerschutzes – eine Organisationsform schaffen, die die Kenntnis i. S. des §  852 I BGB zum frühestmöglichen Zeitpunkt eintre­ ten ­lässt“.320 In der Folge bestätigte der BGH die Nichtanwendbarkeit der Grundsätze einer Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels im Rah­ men von §  852 BGB a. F. wiederholt.321 Mit Urteil vom 28.2.2012 schien der VI. Zivilsenat des BGH einer organisa­tionspflichtenbasierten Zurechnung in Bezug auf deliktische An­ sprüche von Behörden und Körperschaften des öffentlichen Rechts zu­ nächst auch unter Geltung von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB eine Absage zu er­ teilen. Danach sei es unerheblich, „ob die fehlende Kenntnis der Regress­ abteilung darauf beruht, dass sie seitens der Leistungsabteilung nicht die entsprechenden Informationen erhalten hat“; eine Zurechnung des Wissens der Mitarbeiter der Leistungsabteilung zulasten der Behörde oder des Ver­ sicherungsträgers unter dem Gesichtspunkt von Organisationsmängeln mit Blick auf Informationen, „deren Relevanz für spätere Geschäftsvorgänge innerhalb des Organisationsbereichs dem Wissenden erkennbar ist und die deshalb dokumentiert und verfügbar gehalten oder an andere Personen in­ nerhalb des Organisationsbereichs weitergegeben werden müssen“, scheide im Bereich des Deliktsrechts aus, weil Grundlage einer solchen Zurechnung der Verkehrsschutz sei, der im Deliktsrecht nicht im Vordergrund stehe.322 319  BGH, Urt. v. 24.5.1977 – VI ZR 75/76, VersR 1977, 739 Abschn.  II 2 a; gleichsinnig BGH, Urt. v. 24.9.1985 – VI ZR 101/84, VersR 1986, 163 Abschn.  II 2 b. 320  BGH, Urt. v. 22.4.1986 – VI ZR 133/8, NJW 1986, 2315 Abschn.  II 2 b aa, wobei der Senat offenlässt, ob anders zu entscheiden ist, wenn „ein innerhalb der für Regressan­ gelegenheiten zuständigen Arbeitseinheit – etwa der Regressabteilung oder dem Regress­ dezernat – tätiger Sachbearbeiter, der nach der internen Geschäftsverteilung für die Bear­ beitung des konkreten Regressfalles nicht zuständig ist, die nach §  852 Abs.  1 BGB vor­ ausgesetzte Kenntnis erlangt“; gleichsinnig BGH, Urt. v. 24.9.1985 – VI ZR 101/84, VersR 1986, 163 Abschn.  II 2 b. 321  Vgl. etwa noch BGH, Urt. v. 11.2.1992 – VI ZR 133/91, NJW 1992, 1755 Abschn.  II 2; BGH, Urt. v. 28.11.2006 – VI ZR 196/05, NJW 2007, 834 Rn.  7. 322  BGH, Urt. v. 28.2.2012 – VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789 Rn.  14. Offener hingegen von Anfang an die Rechtsprechung des III. Zivilsenats des BGH, der mit dem Hinweis, dass nunmehr auch grob fahrlässige Unkenntnis für den Verjährungsbeginn genügt, be­ reits in einer Entscheidung vom 20.10.2011 – III ZR 252/10, NJW 2012, 447 Rn.  18 andeu­ tet, dass „jedenfalls dann“ an der bisherigen (restriktiven) Rechtsprechung zu §  852 Abs.  1

B. Wissenszurechnung

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Mit Urteil vom 17.4.2012, also nur wenige Wochen später, fügt der VI.  Zi­ vilsenat des BGH seiner Rechtsprechung indes einen entscheidenden neuen Aspekt hinzu. Zunächst bestätigt er die soeben zitierte Rechtsprechung. Er bezieht diese aber nur noch auf die Leistungsabteilung und deren Mitarbei­ ter: „Dass die Leistungsabteilung das bei ihr vorhandene Wissen grob fahr­ lässig nicht an die Regressabteilung weiterleitete, genügte nicht, um die Ver­ jährungsfrist nach §  199 I Nr.  2 Fall 2 BGB in Lauf zu setzen“.323 Demgegen­ über könnte die klagende Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung dadurch „zur Verjährung führende Kenntnis [sic] i. S. des §  199 I Nr. 2 BGB erlangt haben, weil sie sich die grob fahrlässige Unkenntnis [sic] der Mit­ arbeiter der Regressabteilung zurechnen lassen muss“:324 Es sei nämlich ­„Sache der Regressabteilung, behördenintern in geeigneter Weise zu sichern, dass sie frühzeitig von Schadensfällen Kenntnis erlangt, die einen Regress begründen könnten“.325 Als grob fahrlässige Unkenntnis könne „weiter zu werten sein, dass die Mitarbeiter der Regressabteilung des Sozialversiche­ rungsträgers erkennen mussten, dass Organisationsanweisungen notwendig sind oder vorhandene Organisationsanweisungen von den Mitarbeitern der Leistungsabteilung nicht beachtet wurden und es deswegen zu verzögerten Zuleitungen von Vorgängen kam. Um solche, den Regress gefährdende Fall­ gestaltungen zu vermeiden, ist es naturgemäß Aufgabe der Regressabteilung, darauf hinzuwirken, dass eine zeitnahe Information sichergestellt wird“.326 Dabei werde es „nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast […] regelmäßig Sache des klagenden Trägers der Sozialversicherung sein, Einzel­ heiten der internen Organisation und der internen Abläufe darzulegen“.327 Wie diese Ausführungen im Einzelnen einzuordnen sind, ist ungeklärt.328 Jedenfalls scheint der VI. Zivilsenat des BGH eine organisationspflichtenba­ sierte Wissenszurechnung auch bei der Bestimmung des Beginns der Verjäh­ rung deliktischer Ansprüche von Behörden und Körperschaften des öffent­ lichen Rechts nicht mehr prinzipiell für ausgeschlossen zu halten. Für eine Anwaltssozietät als einer „am Rechtsverkehr teilnehmenden Organisation BGB a. F. festgehalten werden könne, wenn „nur ein individuelles Fehlverhalten der Mit­ glieder der Leistungsabteilung in Rede steht und für einen Organisationsmangel kein hin­ reichender Anhalt besteht“. Nähere Ausführungen macht der Senat allerdings nicht. 323  BGH, Urt. v. 17.4.2012 − VI ZR 108/11, NJW 2012, 2644 Rn.  12 ff. (wörtliches Zitat Rn.  14). 324  BGH, Urt. v. 17.4.2012 − VI ZR 108/11, NJW 2012, 2644 Rn.  18 (Hervorhebung nicht im Original). 325  BGH, Urt. v. 17.4.2012 − VI ZR 108/11, NJW 2012, 2644 Rn.  19. 326  BGH, Urt. v. 17.4.2012 − VI ZR 108/11, NJW 2012, 2644 Rn.  22. 327  BGH, Urt. v. 17.4.2012 − VI ZR 108/11, NJW 2012, 2644 Rn.  23. 328  Vgl. etwa die Anm. von Schultz, NJW 2012, 2647.

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

[…], bei der typischerweise Wissen bei verschiedenen Personen ‚aufgespal­ tet‘ ist“, hat der BGH die Möglichkeit einer organisationspflichtenbasierten Zurechnung im Rahmen der deliktischen Haftung oder Verjährung zuletzt offen­gelassen.329 Im Schrifttum ist die Frage, ob eine organisationspflichtenbezogene Zu­ rechnung im Rahmen des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB überhaupt in Betracht kommt, ob dabei zwischen Ansprüchen aus Delikt und solchen aus rechts­ geschäftlichem Kontakt sowie zwischen Ansprüchen öffentlich-rechtlicher Rechtsträger und s­olchen privater Rechtsträger zu unterscheiden ist und welche Tatbestandsalternative (Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis) insofern einschlägig ist, umstritten.330 Für einen nicht-deliktischen An­ spruch einer Bank als Gläubigerin hat der XI. Zivilsenats des BGH in einer Entscheidung vom 13.1.2015 immerhin erwogen, dass „Organisationsmän­ gel“ im Bereich organisiert und kontrolliert zu verwaltender Vertragsver­ hältnisse „unter Umständen den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit [!] im Sinne des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB begründen“ könnten.331 Weitgehend geklärt sein dürfte demgegenüber, darauf sei an dieser Stelle noch hingewiesen, dass eine organisationspflichtenbasierte Wissenszu­ rechnung zwischen verschiedenen Behörden grundsätzlich ausscheidet. Der BGH hat das namentlich für §  133 Abs.  1 InsO klargestellt.332 Das 329 

BGH, Urt. v. 26.5.2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn.  24 f. Vgl. dazu ausführlich und m. w. N. Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  135 ff. m. w. N. 331  BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 182/13, BeckRS 2015, 3384 Rn.  35 f. Zu den Aus­ führungen des Senats zur Wissensalternative des §  199 Abs.  1 Nr.  2 Alt.  1 BGB oben Fn.  297. 332  Vgl. BGH, Beschl. v. 29.6.2006 – IX ZR 167/04, BeckRS 2006, 8996 Rn.  3 (für §  133 Abs.  1 S.  1 InsO): Keine Zurechnung des Wissens von Bediensteten von Steuerbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen zulasten der beklagten Stadt (vgl. zum Normbezug die Entscheidungsgründe des Berufungsgerichts, OLG Hamm Urt. v. 20.7.2004 – 27 U 45/03, BeckRS 2005, 198 Rn.  37 ff.); BGH, Urt. v. 30.6.2011 − IX ZR 155/08, NJW 2011, 2791 Rn.  17 ff. (ebenfalls für §  133 Abs.  1 S.  1 InsO): Zwar müsse „jede am Rechtsverkehr teil­ nehmende Organisation sicherstellen, dass die ihr zugehenden rechtserheblichen Infor­ mationen von ihren Entscheidungsträgern zur Kenntnis genommen werden können, und es deshalb so einrichten, dass ihre Repräsentanten, die dazu berufen sind, im Rechtsver­ kehr bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen, die erkennbar er­ heblichen Informationen tatsächlich an die entscheidenden Personen weiterleiten“; dies habe der Senat ausdrücklich für den Bankenbereich und für die Versicherungswirtschaft entschieden und für andere am Rechtsverkehr teilnehmende Organisationen und damit auch für Behörden gelte nichts anderes. Daraus folge aber „zunächst nur die Obliegen­ heit, die Organisationsstruktur so zu gestalten, dass die der Organisation tatsächlich zu­ gegangenen Informationen, die mit den vorhandenen Entscheidungsgrundlagen in sachli­ chem Zusammenhang stehen, innerhalb dieser Organisation an die hiervon betroffenen 330 

B. Wissenszurechnung

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BVerwG333 und das BSG334 sind ihm darin gefolgt.335 Gleichsinnig hat der BFH Zweifel daran geäußert, ob eine organisationspflichtenbasierte Zurech­ nung zwischen organisatorisch getrennten Finanzbehörden zweier Bundes­ länder in Betracht kommen kann, was jedenfalls voraussetze, dass „der Fis­ kus als eine ‚am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation‘ im Sinne der BGH-Rechtsprechung anzusehen ist“.336 Unberührt bleibt die Möglichkeit einer Wissenszurechnung nach den Regeln der Wissensvertretung namentlich in Fällen, in denen eine Behörde oder ein Sozialversicherungsträger eine an­ dere zuständige Behörde mit der Vollstreckung fälliger Forderungen beauf­ tragt337 oder wenn „eine Behörde bei ihrer Tätigkeit in Zusammenarbeit mit anderen Behörden gezielt deren Wissen zum Vorteil des gemeinsamen Rechtsträgers bei der Abwicklung eines konkreten Vertrags“ nutzt.338 Stellen weitergegeben werden (…). Eine Zurechnung des Wissens anderer Behörden kann dadurch nicht allgemein begründet werden. Die Zuständigkeitsgrenzen der Behörden sind grundsätzlich zu respektieren, weil anderenfalls in unzulässiger Weise in gesetzliche Zuständigkeitsregelungen eingegriffen würde“ (Hervorhebungen nicht im Original). 333  BVerwG, Urt. v. 12.3.2015 – 3 C 6/14, NVwZ-RR 2015, 681 Rn.  16 (für §  349 Abs.  5 S.  4 LAG): Keine Wissenszurechnung im Verhältnis zwischen den Ausgleichsbehörden unterschiedlicher Körperschaften. 334  Vgl. BSG, Urt. v. 17.4.2008 – B 13 R 123/07 R, NZS 2009, 329 Rn.   20 (für §  24 Abs.  2 SGB IV): Keine Wissenszurechnung im Verhältnis Bayerisches Staatsministerium der Justiz/Bezirksfinanzdirektion. Innerhalb einer Bezirksfinanzdirektion hält das BSG unter Verweis auf die oben dargestellte Entscheidung des BGH vom 15.12.2005 eine Wis­ senszurechnung dem­gegenüber grundsätzlich für möglich (BSG, a. a. O., Rn.  19). 335  Mitunter weiter, aber insgesamt nicht ganz klar, hingegen die Rechtsprechung des BAG, vgl. insbesondere BAG, Urt. v. 23.5.2001 – 5 AZR 374/99, AP BGB §  812 Nr.  25 Abschn.  III 3: „Das kl. Land als Gläubiger muss sich das Verhalten und Wissen seiner Mitarbeiter zurechnen lassen“; näher dazu Klueß, NZA 2018, 491, 492 mit dem Fazit: „Die ausdifferenzierte Rechtsprechung zur Wissenszuordnung in arbeitsteilig organisierten ju­ ristischen Personen wird in der Arbeitsgerichtsbarkeit so gut wie nicht aufgegriffen“. 336  BFH, Urt. v. 18.8.2015 − VII R 24/13, NZI 2016, 44 Rn.  23 bezogen auf den Kennt­ nistatbestand des §  82 InsO (im Streitfall offen gelassen). Außerdem stelle sich die Frage, ob die Rechtsprechung zum Organisationsmangel als Zurechnungsgrund „auf Grund der besonderen Pflichtverhältnisse zwischen Finanzbehörden und Steuerpflichtigen, insbe­ sondere der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen, durch einen Rückgriff auf die zu §  173 AO entwickelten Grundsätze zu modifizieren ist“ (BFH, a. a. O., Rn.  23). Nach der Rechtsprechung des BFH zu §  173 AO kann sich die Finanzbehörde nach Treu und Glau­ ben nicht auf Unkenntnis berufen, „wenn die entsprechende Tatsache bei ordnungsmäßi­ ger Erfüllung der amtlichen Ermittlungspflichten bekannt geworden wäre [… und] der Steuerpflichtige seinerseits die Mitwirkungspflichten erfüllt hat“ (BFH, a. a. O., Rn.  16 m. w. N.). 337  Vgl. BGH, Beschl. v. 14.2.2013 − IX ZR 115/12, NZI 2013, 398 Rn.  4; BGH, Urt. v. 7.5.2015 – IX ZR 95/14, NJW 2015, 2113 Rn.  23; BGH, Urt. v. 31.10.2019 – IX ZR 170/18, NJW-RR 2020, 294 Rn.  14 je zu §  133 Abs.  1 InsO. 338  BGH, Urt. v. 30.6.2011 − IX ZR 155/08, NJW 2011, 2791 Rn.   19: dann bestehe

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

11. Kritik Im Schrifttum ist die Lehre vom Organisationsmangel als Zurechnungs­ grund zunächst verbreitet auf Zustimmung gestoßen.339 Insbesondere im jüngeren Schrifttum wird ihr demgegenüber zunehmend – und zu Recht – mit deutlicher Skepsis begegnet.340 a) Normative Anknüpfung Ein wesentlicher Kritikpunkt ist das Fehlen einer hinreichend klaren nor­ mativen Anknüpfung. Im Schrifttum werden verschiedene Ansätze ver­ treten, namentlich eine Rechtfertigung als richterliche Rechtsfortbildung bzw. eine Gesamtanalogie zu §§  166, 278 und 831 BGB,341 eine Einzelanalo­ gie zu §  166 Abs.  2 BGB,342 ein Rekurs auf das Schikaneverbot des §  226 „insoweit auch eine behördenübergreifende Pflicht, sich gegenseitig über alle hierfür rele­ vanten Umstände zu informieren. Hinsichtlich der Abwicklung dieses Vertrags wird fak­ tisch eine aufgabenbezogene neue Handlungs- und Informationseinheit gebildet; inner­ halb dieser Einheit muss sichergestellt werden, dass alle bekannten oder zugehenden rechtserheblichen Informa­ tionen unverzüglich an die entscheidenden Personen der Hand­lungseinheit in den anderen Behörden weitergeleitet und von diesen zur Kenntnis genommen werden“. Wurden vorhandene Informationen in einem solchen Fall nicht übermittelt, müssten „sich die Entscheidungsträger der am Aufrechnungsvorgang betei­ ligten Behörden so behandeln lassen, als hätten sie dieses Wissen abgefragt und erhalten“; vgl. dazu aus der Lit. noch Bork, DB 2012, 33, 40; Risse, NZG 2020, 856, 860. Unter Re­ kurs auf die genannte Entscheidung überaus weit BGH, Urt. v. 8.9.­2016 – IX ZR 151/14, NJW-RR 2017, 429 Rn.  17 bezogen auf §  143 Abs.  2 S.  2 InsO. 339  Vgl. etwa die Nachweise bei Altmeppen, BB 1999, 749, 750 Fn.  11. Vgl. aber etwa auch die Diskussion im Rahmen des Karlsruher Forums 1994, die bereits von einiger Skepsis geprägt ist; exemplarisch Kötz, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 43. 340  Der Diskurs ist kaum zu überblicken. Vgl. neben den nachfolgend zitierten Beiträ­ gen insbesondere noch die nach wie vor instruktive Kritik von Faßbender, Innerbetrieb­ liches Wissen und Bankrechtliche Aufklärungspflichten, 1998, S.  120 ff. 341 Vgl. Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bank­ geschäfte, 2003, S.  121, 153 f.: Rechtsfortbildung und Anlehnung an die in §§  166 Abs.  1, 278 und 831 BGB enthaltenen Grundgedanken (Beherrschung der von eingeschalteten Hilfspersonen und arbeitsteiliger Organisation für den Rechtsverkehr ausgehenden Ge­ fahr; Nutzen-Lasten-Prinzip; weitgehend problemlose Aktivierbarkeit von Akten- und Speicherwissen „nach der stürmischen Entwicklung der elektronischen Datenverarbei­ tung“); Hagen, DRiZ 1997, 157 ff.; vgl. auch Thomale, AG 2015, 641, 648 und gleichlau­ tend ders., Der gespaltene Emittent, 2018, S.  14: „unter rechtsrealistischen Gesichtspunk­ ten als geltendes Recht anzunehmen“; Fietz, Die Wissenszurechnung gegenüber juristi­ schen Personen, 2021, S.  147 ff.: „richterliche Rechtsfortbildung praeter legem“; Linke, Digitale Wissensorganisation, 2021, S.  97 ff.: „zulässige Rechtsfortbildung extra legem“. 342 Vgl. Schultz, NJW 1996, 1392, 1393; ders., NJW 1997, 2093, 2094; vgl. auch Taupitz, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 16, 26, wenn auch nicht ganz deutlich.

B. Wissenszurechnung

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BGB343 und ein Rekurs auf die einzelnen Wissensnormen selbst.344 Das überzeugt nicht.345 Dasselbe gilt im Ergebnis für den Ansatz von BuckHeeb, wonach der handelnden Person bei organisa­tionsbedingter Wissens­ aufspaltung nach §  242 BGB die Berufung auf ihr eigenes Nichtwissen ver­ wehrt sei.346 Insbesondere fehlt es, wie im Einzelnen noch zu zeigen ist, schon an einer Regelungslücke. b) Gleichstellungsargument Auch das Argument der Gleichstellung von natürlicher und juristischer Per­ son (Verband) überzeugt so, wie es der Lehre vom Organisationsmangel als Zurechnungsgrund zugrunde gelegt wird, nicht. Insbesondere verläuft die relevante „Bruchlinie“ nicht zwischen der natürlichen Person und dem Ver­ band, sondern zwischen der nicht arbeitsteiligen Teilnahme am Privatrechtsverkehr durch eine einzelne natürliche Person, bei der sich die Frage der Wissenszurechnung von vornherein nicht stellt, und der irgendwie orga­ nisierten arbeitsteiligen Teilnahme am Privatrechtsverkehr, bei der sie sich im Grundsatz für den Verband und die in nicht verbandsmäßig organisierter Weise arbeitsteilig am Rechtsverkehr teilnehmende natürliche Person glei­ chermaßen stellt.347 Die Besonderheiten des Verbands als spezifischer Form 343 

Schwintowski, ZIP 2015, 617, 622. Trennungslösung; s. dazu oben Einführung A.III.1 = S. 13 ff. m. w. N. 345 Exemplarisch Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 315; Buck-Heeb, ZHR 182 (2018), 96 und Seidel, AG 2019, 492, die dem Pflichtenkonzept jeweils einen „Behelfscharakter“ bescheinigen. 346 So Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  448 ff.; beschränkt auf die Mitarbeiterebene auch Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwortung bei juristi­ schen Personen, 2017, S.  252 f. (für die Organebene stellt Jung hingegen normativ auf §  31 BGB ab, wobei die „organisationsinterne Pflichtenlage bei Organmitgliedern wesentlich weiter und strenger ist als auf der Mitarbeiterebene“ (Jung, a. a. O., S.  266 und nochmal S.  269), was im Einzelen aber unklar bleibt). Zur Kritik Harke, Wissen und Wissensnor­ men, 2017, S.  51–54, der ausführt, auf diese Weise seien „die Probleme jedoch mehr ver­ drängt als gelöst“ (S.  52); Prölss, FS Leenen, 2012, S.  229, 241 f. 347 Vgl. von den Vertretern einer organisationspflichtenbezogenen Wissenszurech­ nung etwa Bork, DB 2012, 33, 34: „Die Grundwertungen gelten unabhängig davon, ob der Träger der arbeitsteiligen Organisation eine juristische Person, eine Personengesell­ schaft oder eine natür­liche Person ist“; von denen, die dem Ansatz der Rechtsprechung kritisch gegenüberstehen Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 191: „Jedoch wird eine solche Einzelperson in der Regel gezwungen sein, sich – dem wachsenden Aktivitätsvolumen entsprechend – arbeitsteilig zu organisieren, so dass auch aus diesem Grund ein ceteris paribus-Vergleich kaum sinnvoll möglich ist“; Adler, Wissen und Wissenszurechnung, 1997, S.  11 ff.; Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  322. Zu weit geht dem­ gegenüber die Kritik von Guski, ZHR 184 (2020), 363, 369, der das Gleichstellungsargu­ 344 

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

der arbeitsteiligen Teilnahme am Privatrechtsverkehr werden, wie im Ein­ zelnen noch zu zeigen sein wird, nämlich von §  31 BGB bereits hinreichend adressiert. Davon abgesehen bewirkt die Lehre vom Organisationsmangel als Zu­ rechnungsgrund auch gar keine Gleichstellung, sondern führt, jedenfalls wenn man sie auf Verbände beschränkt und nicht auch zulasten natürlicher Personen anwendet, die in nicht verbandsmäßig organisierter Weise arbeits­ teilig am Rechtsverkehr teilnehmen, zu einer erheblichen Benachteiligung des Verbands im Vergleich zur natürlichen Person, die sich Dritter bedient. Das liegt vor allem an der Verwischung der systemprägenden Unterschei­ dung zwischen Wissen und fahrlässigem Nichtwissen,348 die der Lehre vom Organisationsmangel inhärent ist349 und die in jüngerer Zeit im Zusammen­ ment als „Verzweiflungsgestus“ brandmarkt und insbesondere darauf abhebt, natürliche Personen und Verbände seien von vornherein schon gar nicht vergleichbar. Anders etwa Goldschmidt, ZIP 2005, 1305, 1311, der die Beschränkung der Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels auf arbeitsteilige Abläufe innerhalb von Unternehmen und ihre Nichtanwendung auf Fälle, in denen der Wissensträger ein rechtlich und organisatorisch selbständiger Dritter (etwa ein externer Berater) ist, für überzeugend hält; auch Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S.  11 ff., nach dem der Gleichstellungsgedanke auf den Gedanken commutativer Gerechtigkeit verweise. Vereinzelt wird dem im Text geäußerten Einwand auch mit einer Übertragung der Grundsätze vom Organisationsmangel als Zu­ rechnungsgrund auf die einzelne natürliche Person als Zurechnungsadressat begegnet; siehe Buck-Heeb, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  65, 83. 348  Vgl. zu dieser Unterscheidung allgemein oben Kapitel  1 A.VI. = S. 64 ff. 349  Deutlich in diese Richtung von den Vertretern der Lehre vom Organisationsmangel als Zurechnungsgrund etwa Bohrer, DNotZ 1991, 124, 128 f. vor dem Hintergrund der Bürgermeisterentscheidung vom 8.12.1989: „Gerade an zeitlichen Distanzfällen läßt sich aber zeigen, daß das materiell-rechtliche Tatbestandsmerkmal ‚Kenntnis‘ durch beweis­ rechtliche Wertungen (‚die Person mußte wissen‘) zu einer ‚Soll-Kenntnis‘ umgeformt wird und sich damit im Ergebnis einem materiell-rechtlichen ‚Kennen-müssen‘ (‚die Per­ son hätte wissen müssen‘) nähert, ohne daß allerdings – wie in den Fällen des ‚Ken­ nen-müssens‘ – ein gesetzlicher Maßstab für diese ‚Soll-Kenntnis‘ fixiert wäre“; die Frage könne „keineswegs mit einer konstruktiv-­wertenden Zurechnung realen Wissens beant­ wortet werden“, sondern sie betreffe „umfassend die zeitliche, personelle und inhaltliche Verfügbarkeit von Informationen […]. Nicht Wissen, sondern Umstände, aus denen Kenntnis gefolgert werden müßte, werden zugerechnet“; Schwin­tow­ski, ZIP 2015, 617, 622: „Die juristische Person weiß folglich alles das, was sie bei ordnungsgemäßer Organi­ sation der gesellschaftsinternen Kommunikation hätte wissen müssen“; Schwab, JuS 2017, 481, 485 f.: „Die Verletzung der Pflicht, die interne Weiterleitung von Informatio­ nen zu organisieren, führt zur Wissenszusammenrechnung, wenn sie schuldhaft – und sei es nur fahrlässig – verletzt wurde. Vorsatz ist nicht zu verlangen, denn das Gleichstel­ lungsargument stößt hier an eine Grenze: Während bei der natürlichen Einzelperson ent­ scheidend ist, ob sie tatsächlich über bestimmtes rechtlich relevantes Wissen verfügt, kommen wir bei der Organisation nicht um eine normative Betrachtungsweise herum. Wir müssen fragen, welche Speicherung und Weitergabe von Wissen erwartet werden

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hang mit §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB auch in der Rechtsprechung des BGH of­ fenkundig geworden ist, wenn der BGH dort erwägt, die Grundsätze der Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels der Tatbestandsalternative der grob fahrlässigen Unkenntnis zuzuweisen.350 Zu bedenken ist außer­ dem, dass sich im Verband und im sonst wie arbeitsteilig organisierten un­ ternehmerischen Verkehr typischerweise schlicht mehr Wissen „ansammelt“ als bei der natürlichen Person, die nicht arbeitsteilig am Rechtsverkehr teil­ nimmt („vier Augen sehen mehr als zwei“).351 Diese „Wissensansammlung“ kommt dem Verband bzw. der Person, die ihre unternehmerische Entfal­ tung arbeitsteilig organisiert, nur insoweit zugute, als der jeweilige Wissens­ träger einen relevanten Verhaltensbeitrag leistet. Deshalb ist es  – auch am Maßstab der Gleichstellungsthese – auch nur insoweit gerechtfertigt, den Verband bzw. die sonst wie arbeitsteilig am Rechtsverkehr teilnehmende na­ türliche Person an dem „angesammelten“ Wissen festzuhalten. c) Verkehrsschutz- und Vertrauensargument Schließlich ist zu konstatieren, dass die Voraussetzungen und Grenzen einer Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels bis heute überaus diffus geblieben sind.352 Das liegt im Zurechnungsgrund des Organisationsman­ darf“ (Hervorhebungen im Original). Näher zur Kritik Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 195 f. m. w. N.; Prölss, FS Leenen, 2012, S.  229, 237 f.; Altmeppen, BB 1999, 749, 750; inso­ fern kritisch auch Bork, DB 2012, 33, 37 f. 350  Vgl. BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 182/13, BeckRS 2015, 3384 Rn.  35 f. und oben Kapitel  1 B.IV.10. = S. 103; vgl. ferner Erman – Schmidt-Räntsch, BGB, 162020, §  276 Rn.  14b; Engelhardt, Wissensverschulden, 2019, S.  53 ff., die das, was üblicherweise als Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels behandelt wird, unter dem Stichwort „Wissensverschulden“ als wissensorganisationsobliegenheitsbezogenen Fahrlässigkeits­ vorwurf einordnet, der ausschließlich bei relativen Wissensnormen Platz greife. 351  Vgl. zu diesem Aspekt bereits oben Kapitel   1 A.IV.1. = S. 42 ff. und speziell als Argument gegen eine grenzenlose Wissenszusammenrechnung im Verband Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 190; Schwab, JuS 2017, 481, 483; Schröter, in: Hadding/Hopt/Schi­ mansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, 163. Besonders gravierend wäre die Benachteiligung des Verbands, würde man so weit gehen, das gesamte Wissen aller Mitarbeiter einer Organisation im Sinne schlichter „Addition“ zusammenzurech­ nen; vgl. mit dieser Zuspitzung Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1258. 352  Exemplarisch Risse, NZG 2020, 856, 857 und 864: „Rechtslage […] erschreckend unklar“, „Voraussehbarkeit von Entscheidungen nicht mehr gegeben“; Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 193 f.: „Nicht als gesichert gelten kann etwa, wie der personale Rahmen der Passivlegitimation von Wissensorganisationspflichten zu ziehen ist […]; ob allein ‚Ab­ rufungsfehler‘ seitens eines für den in Frage stehenden Geschehensablauf Verantwortli­ chen schaden oder auch ‚Weiterleitungsfehler‘ anderer Hilfspersonen […]; wie die Lehre von der Wissensverantwortung wertungsmäßig überzeugend mit den anderen, nach wie

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gels begründet und betrifft damit den „Wesenskern“ dieser Zurechnungs­ lehre. Der Vorwurf eines Organisationsmangels knüpft ersichtlich an die Verlet­ zung von Standards der Informations- und Wissensorganisation (auch: Knowledge Governance)353, die zu einer entsprechenden Organisations­ pflicht erhoben werden,354 auf deren Beachtung (Einhaltung) im Rechtsver­ kehr vertraut werde und vertraut werden dürfe.355 Das zentrale Problem besteht darin, dass diese Standards nicht abstrakt-generell356 und positiv357 vor praktizierten Ansätzen der Wissenszurechnung (Organzurechnung; Kriterium des Wissensvertreters) abgestimmt werden kann“; vgl. ferner Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1255 f.; Buck-Heeb, ZHR 182 (2018), 96. 353 Vgl. Thomale, AG 2015, 641, 650, der damit in einem abstrakt-negativen Sinne den Versuch beschreibt, „sich durch gesellschaftsinterne Wissensorganisationsprozesse vor einer Wissenszurechnung zu schützen“. Dabei wären allerdings jedenfalls die Grenzen zu beachten, die sich aus der Einstandspflicht für eigenes vorsätzliches oder, wo gleichge­ stellt, fahrlässiges Organisationsverschulden ergeben; dazu unten Kapitel  3 D. = S. 353 ff. und E.II. = S. 362 ff. sowie Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  180. Außerdem würde die Beachtung wie auch immer gearteter „Regeln“ der Knowledge Governance wohl nichts an einer Wissenszurechnung nach den Grundsätzen der Wissensvertretung und einer Wis­ senszurechnung im Verhältnis zwischen Organ (Organmitglied) und Verband ändern, sofern man darin gesonderte Zurechnungstatbestände erblickt; dazu Hauschka/Moos­ mayer/Lösler – Buck-Heeb, 32016, §  2 Rn.  13 f. 354  Vgl. von Seiten der Befürworter etwa Weller, ZGR 2016, 384, 409 f.; von Seiten der Kritiker etwa Altmeppen, BB 1999, 749, 751. Insgesamt anders offenbar Schüler, Die Wis­ senszurechnung im Konzern, 2000, S.  77 f., der für die „Beurteilung des Wissens der juris­ tischen Person“ zwar gleichfalls auf das „Kriterium der ordnungsgemäßen Organisation zurückgreifen“ möchte, aber im selben Atemzug ausführt, es sei „der Gesellschaft wei­ testgehend freigestellt, den Umfang des Informationsaustausches innerhalb der Gesell­ schaft individuell zu bestimmen“ – mit wenig überzeugender Folge: „Je besser jedoch die Voraussetzungen für die Weiterleitung von Informationen innerhalb der Gesellschaft aus­ gebaut sind, um so mehr Wissen muß sich die Gesellschaft zurechnen lassen“. 355 Vgl. speziell zur Kritik an diesem Vertrauensargument auch Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 317 f. m. w. N. 356  In seiner Entscheidung BGH, Urt. v. 31.1.1996 – VIII ZR 297/94, NJW 1996, 1205 Abschn.  II 2 c bb akzeptiert der BGH immerhin im Einzelfall eine bestimmte wissens­ organisatorische Maßnahme als genügend: „Die ihr vorliegende Dokumentationspflicht hat die Bekl. indessen dadurch hinreichend erfüllt, daß sie in Gestalt der ‚Gebrauchtwagen-­ Vereinbarung‘ organisatorische Vorkehrungen getroffen hat, um für einen etwaigen Käu­ fer relevante Informationen schon beim Einkauf eines Gebrauchtwagens schriftlich fest­ zuhalten und an die Verkaufsabteilung weiterzuleiten“. 357  Etwas anderes ist es zu sagen, dass eine konkrete Organisationsform hinsichtlich des Umgangs mit vorhandenem Wissen ersichtlich unzulänglich ist. Dann geht es aber nicht um Zurechnung, sondern um eine Haftung für eigenes Organisationsverschulden. Dazu unten Kapitel  3 D. = S. 353 ff. und E.II. = S. 362 ff.

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expliziert werden.358 In aller Regel wird lediglich das Ziel umschrieben, das durch organisatorische Maßnahmen erreicht werden soll.359 Soweit eine ab­ strakt-positive Explikation der gebotenen organisatorischen Maßnahmen versucht wird, bleibt diese entweder vage und unvollständig360 oder sie ver­ 358  Pointiert in diese Richtung auch die Kritik von Liebscher, ZIP 2019, 1837, 1838: „Es wird dann schlicht postuliert: Das Unternehmen und seine organschaftlichen Vertreter müssten sich solche in ihrer ‚Organisation‘ begangenen Rechtsverstöße, namentlich im Unternehmen vorhandenes Wissen, ‚zurechnen‘ lassen. Es wird behauptet, die Verstöße hätten bekannt sein müssen und wenn nicht, dann sei das Unternehmen schlecht organi­ siert“. Deutlich auch Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 261: „Entweder, die Wissensorganisa­ tionspflicht ist erfüllt worden, dann ist das Wissen beim Prinzipal vorhanden, oder sie ist verletzt worden, dann wird das Wissen zugerechnet. Folglich verlangen die deutschen Ge­ richte dem Geschädigten den Nachweis einer Verletzung der Wissensorganisationspflicht auch gar nicht ab“. Anschaulich ferner ein Wortbeitrag, wiedergegeben bei Ehrl, ZHR 183 (2019), 145, 148 f.: „Ein Teilnehmer aus der Praxis konstatierte, dass die Juristen den Un­ ternehmen bei diesen Fragen sehr wenig Orientierungshilfe bieten würden. Es gebe nur wenige ausdrücklich normierte (Organisations-)Pflichten im Zusammenhang mit der Di­ gitalisierung, geschweige denn mit der KI. […] Häufig seien diese Aspekte zeitlich dem positiven Recht voraus, weil sich die Organisationspflichten und die Frage nach den regu­ latorischen technischen Mindestanforderungen letztlich stark von den jeweiligen tatsäch­ lichen technischen Standards ableiten würden“. Vgl. schließlich aus dem etwas älteren Schrifttum noch Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S.  217: „Da es die ordnungsgemäße Organisation nicht gibt, ist sie aber kein geeigneter Vertrauenstatbestand“. 359  So namentlich die Rechtsprechung des BGH; vgl. zu diesem Befund die vorstehend überblicksartig dargestellten Entscheidungen des BGH, exemplarisch etwa BGH, Urt. v. 26.5.­2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn.  26: „Daraus würde für eine Anwaltssozi­ etät das Erfordernis eines effektiven Informationssystems zur ordnungsgemäßen Organi­ sation der gesellschaftsinternen Kommunikation und des Informationsaustauschs zwi­ schen den Sozien folgen, das in der Verpflichtung zur Führung von Handakten in §  50 I BRAO bereits gesetzlich angelegt ist. Für das einzelne Mandat eingebrachtes oder erwor­ benes Fachwissen außerhalb von Rechtskenntnissen, aus nichtjuristischen Wissensgebie­ ten wie beispielsweise Medizin, gehörte im Regelfall aber nicht zu dem in einer Sozietät notwendig auszutauschenden und in ein Informationssystem einzuspeisenden Wissen“. Aus dem Schrifttum etwa Hauschka/Moos­mayer/Lösler – Buck-Heeb, 32016, §  2 Rn.  4 und Rn.  23 ff.; im Ausgangspunkt auch schon dies., Wissen und juristische Person, 2001, S.  409. Vgl. von den Vertretern einer organisationspflichtenbasierten Zurechnung etwa Taupitz, JZ 1996, 734, 735: „Es kann nur um die Zurechnung des Wissens gehen, das bei ordnungsgemäßer, und das heißt ‚optimaler‘ Organisation (unter Berücksichtigung der Bedeutung der fraglichen Information, der technischen Möglichkeiten, der erforderlichen Übermittlungszeit und des Datenschutzes) bei der konkret handelnden Person vorhan­ den oder verfügbar wäre“; Thomale, AG 2015, 641, 650: „Wie dies am besten zu gesche­ hen hat, ist im Wesentlichen eine logistische und betriebswirtschaftliche Frage und soll daher hier nicht weiter behandelt werden“; Bork, DB 2012, 33, 35. 360 Exemplarisch Weller, ZGR 2016, 384, 410 f., der sich auf das Problem des Doppel­ mandatsträgers konzentriert; Reinking/Kippels, ZIP 1988, 892, 896 für den Händler, der eine Warenkartei errichten und diese mit anderen Erkenntnisquellen, beim Kfz-Handel

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liert sich in einer praktisch unüberschaubaren Auf­listung von Einzelkrite­ rien, die in einem beweglichen System vereinigt361 oder in sonstiger Weise nebeneinander gestellt werden362. Es würde zwar wohl zu weit gehen zu sagen, es sei generell unmöglich, Standards der Informations- oder Wissensorganisation abstrakt-generell und positiv zu formulieren.363 Außerdem soll hier nicht gesagt sein, dass Versuche einer Formulierung positiver Standards der Informations- und Wissensorganisation nicht sinnvoll wären; im Gegenteil sind sie im Interesse der Schadens- und Haftungsvermeidung auf Ebene des einzelnen Unterneh­ mens usw. unbedingt notwendig. „Gute“ (Wissens-)Organisation ist natür­ lich Aufgabe jedes Unternehmensleiters.

etwa mit einer Reparaturakte abgleichen müsse. Unvollständig wäre eine abstrakt-gene­ relle, positive Beschreibung von Organisationspflichten etwa auch, wenn sie datenschutz­ rechtliche Aspekte oder Regelungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten aus­ blendet; vgl. dazu nur Rodewald, GmbHR 2014, 639, 644; Schröter, in: Hadding/Hopt/­ Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  163, 169 f., 179 ff. 361  Vgl. zu diesem Ansatz insbesondere Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S.  267 ff. und öfter; auch Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 319 f., der allerdings zugleich zutreffend konstatiert: „Was dies allerdings in concreto bedeutet, was eine ordnungsgemäße Wissensorganisa­tion schließlich ausmacht, welche Kriterien für sie maßgeblich sind, wel­ che Bedingungen an sie zu stellen sind, all dies bleibt offen – nicht viel anders als bei sonstigen ‚Unternehmens­organisationspflichten‘. Ob es daher tatsächlich eine Möglich­ keit zur Abschottung eines Sonderwissens eines Organmitglieds oder eines Repräsentan­ ten kommen kann, wie es Befürworter einer knowledge governance postulieren, erscheint fraglich“ (Spindler, a. a. O., 321); allgemein auf deliktsrechtlich angeknüpfte Organisa­ tionspflichten bezogen in diesem Sinne skeptisch auch schon ders., Unternehmensorgani­ sationspflichten, 22011, S.  1028: „schlechterdings kaum vorhersehbar […], wann eine Or­ ganisation von der Rechtsprechung als ausreichend beurteilt wird“ und noch deutlicher speziell für den Bereich der Wissenszurechnung S.  656 ff. Für eine Betrachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, hinsichtlich der Zusammenführung in einem beweglichen Sys­ tem aber unentschieden, BeckOGK – Fleischer, AktG, Stand: 1.6.2021, §  78 Rn.  62. Vgl. schließlich noch den Überblick bei Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1256 f. m. w. N. und zutreffender Kritik. 362 Vgl. Engelhardt, Wissensverschulden, 2019, S.  125 ff., die die Anforderungen an ein „Wissensmanagementsystem“ (S.  133 und öfter) insbesondere nach Maßgabe personaler Grenzen, informationsbezogener Grenzen (insbesondere: Relevanz, Privatsphäre, Unter­ nehmens­ geheimnis), systematischer Grenzen (insbesondere: Verschwiegenheitspflicht, Datenschutz, Selbstbezichtigung) und zeitlicher Grenzen der von ihr entwickelten Syste­ me des Wissensverschuldens und der Wissensfiktion konkretisiert. 363  Vgl. im vorliegenden Zusammenhang etwa den Überblick zum Unternehmensfüh­ rungssystem (Rahmenwerk) des US-amerikanischen Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission (COSO-Rahmenwerk) von Naumann/Siegel, ZHR 181 (2017), 273, 288 ff.; aus Praxissicht etwa noch Hauschka, AG 2004, 461, 463 ff.

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Darum geht es hier aber nicht. Hier geht es nicht um die (sinnvolle) Ab­ bildung unternehmerischer Entscheidungen, die insbesondere an konkreten Kosten-Nutzen-Kalkülen orientiert sind,364 sondern um die verbindliche Vorgabe abstrakt-­genereller Standards im Sinne rechtlicher Maßstabsbildung, an deren Verletzung bestimmte negative Rechtsfolgen geknüpft wer­ den, die im (man ist geneigt zu sagen: theoretischen) Fall ihrer Beachtung nicht eintreten. Es ist aber nach zutreffendem Verständnis von vornherein nicht Aufgabe des Privatrechts als Ge­setzesrecht (und kann es nicht sein), abstrakt-positive Standards der Informations- oder Wissensorganisation vorzugeben. Das drückt sich deutlich im bereits angesprochenen Fehlen ei­ ner normativen Grundlage für die Lehre von der Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels aus.365 Aufgabe des Privatrechts ist es nur, die Risiken und Nachteile aus der Inanspruchnahme von Organisationsfreiheit, wie sie für eine freie Rechts- und Wirtschaftsordnung nachgerade kon­stituierend 364  Vgl. im Zusammenhang mit dem Problem der Wissenszurechnung Koller, JZ 1998, 75, 78; Schröter, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankge­ schäfte, 2003, S.  163, 178 f. 365  Vgl. auch Broemel, RW 2013, 62, 73, der gleichsinnig betont, das allgemeine Zivil­ recht kenne keine ausdrücklichen Vorgaben an die Ausgestaltung der Unternehmensorga­ nisation, die Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels dabei allerdings als (impli­ zite) Ausnahme von diesem Grundsatz einordnet, wodurch in Anbetracht der Breite und Diffusion der in Rede stehenden Zurechnung allerdings nicht mehr viel von dem genann­ ten Grundsatz übrig bleibt, es sei denn, man wollte – was allerdings nicht überzeugen könnte und, soweit ersichtlich, auch nicht behauptet wird – das Konkretisierungsdefizit dieser Lehre seinerseits als freiheitswahrend einordnen. Unklar bleibt insbesondere auch, warum, wenn „der Gesetzgeber im allgemeinen Zivilrecht die Befolgung von Normen sowie die dafür erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen im Verantwortungsbe­ reich des Einzelnen ansiedelt“ (so zutreffend Broemel, a. a. O., S.  78), der einzelfallbezo­ gene Entscheidungszwang der Gerichte dazu führen soll, „dass sich das Rechtssystem [!] der Frage, welche organisatorischen Anforderungen im Einzelfall etwa zur Verhinderung mittelbarer Rechtsverletzungen geboten sind [gewesen wären?], nicht entziehen kann“ (Broemel, a. a. O., S.  78). Das wird namentlich von §  278 BGB deutlich widerlegt. Davon zu unterscheiden und von alledem unberührt bleibt die faktische Anreizwirkung einer risikobasierten Zurechnung; vgl. unten Kapitel  2 B.I.1. = S. 189 ff. Echte Ausnahmen mögen immerhin diverse bereichsspezifische Organisationsvorgaben darstellen, z. B. in §§  25a KWG, 80 WpHG, 23 ff. VAG (vgl. für einen Überblick ebenfalls Boemel, a. a. O., S.  64 ff.), aber etwa auch in §  28 Abs.  1 S.  2 BörsG, §  91 Abs.  2 AktG und der Richtlinie 2006/73/EG der Kom­mission v. 10.8.2006, die teilweise sogar von Spezialregelungen zur Ausgliederung bzw. Auslagerung flankiert werden (vgl. §§  25b KWG, 80 Abs.  6 WpHG, 32 VAG). Diese Regeln sind indes „zuvörderst aus ihrer eigenen, aufsichtsrechtlichen Zwecksetzung heraus zu verstehen“ (Fleischer, ZIP 2003, 1, 10) und bekräftigen im Um­ kehrschluss den Grundsatz der Organisationsfreiheit. Etwas anderes mag für Art.  9 MAR gelten; vgl. dazu Neumann, Wissenszurechnung bei juristischen Personen nach der Re­ form der Ad-hoc-Publizität und des Insiderhandels durch die MAR, 2020, S.  248 ff.

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ist,366 effizient zu verteilen.367 Darauf wird im Rahmen der Auseinander­ setzung mit der Zurechnungsnorm des §  278 BGB zurückzukommen sein.

V. Absolute Wissenszurechnung im Verband 1. Einführung Nach §  31 BGB ist ein Verein für den Schaden verantwortlich, den der Vor­ stand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufe­ ner Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zu­ fügt. Die Vorschrift gilt nach heute praktisch allgemeinem Verständnis für sämtliche Verbände des Privatrechts einschließlich der privatrechtlichen Stif­ tung (§  86 BGB) und gemäß §  89 BGB außerdem entsprechend für den Fis­ kus und Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts. Nach ihrem Wortlaut begründet die Vorschrift eine Zurechnung des Wis­ sens eines Organmitglieds zulasten des Verbands allenfalls insofern, als ein Wissenselement tatbestandlich Voraussetzung für die Begründung einer Schadensersatzhaftung ist, also im Rahmen der durch §  31 BGB jedenfalls bewirkten Verschuldenszurechnung. Auf die diesbezüglichen Einzelheiten wird im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Einstandspflicht des Ver­ bands für das Verschulden seiner Organe (Organmitglieder) näher einzuge­ hen sein.368 An dieser Stelle ist allein die Frage von Interesse, ob der Verband darüber hinaus auch für das Wissen seiner Organe (Organmitglieder) im Rahmen von Wissensnormen mit (vermeintlich) isoliertem Wissenstatbe­ stand einzustehen hat. Das wird im Ausgangspunkt ganz überwiegend be­

366  Vgl. zur prägendenden Bedeutung von Organisationsfreiheit jüngst etwa Denga, ZIP 2020, 945; ferner Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 22011, S.  445 ff. und S.  1028: „[…] ist eine Haftungszurechnungsregel effizienter, die das Unternehmen als ‚black box‘ betrachtet. Die Entwicklung zur ‚körperschaftlichen Organisationspflicht‘ hat hier den Weg gewiesen, indem statt einer Pflicht, die in die Verbandsautonomie ein­ greift, die Zurechnung erweitert wurde; Köndgen, FS W.-H. Roth, 2015, S.  311, 313 unter Rekus auf Durkheim; geradezu selbstverständlich etwa auch Fleischer, ZIP 2003, 1, 9. Vgl. aus verfassungsrechtlicher Sicht noch BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 – Mitbestimmung; BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15 ua, NJW 2020, 905 Rn.  326 – Verfassungswidrigkeit von §  217 StGB; Ossenbühl, AcöR 115 (1990), 1, 16 ff.; Broemel, RW 2013, 62, 76 f. 367  Vgl. auch Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, 314 f. und 441: „Risiko­ gedan­ke“ statt „Verschuldensgedanke“; Canaris, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonder­ heft), 33, 34: „Risikozurechnungsgedanke“; Kieser/Kloster, GmbHR 2001, 176, 180. 368  Näher unten Kapitel  2 B.II. = S. 229 ff., auch zum Anwendungsbereich.

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jaht. Keine Einigkeit besteht allerdings hinsichtlich der Begründung und der Reichweite dieser Einstandspflicht. 2. Organtheorie Das „Wesen“ des Verbands ist Gegenstand eines fundamentalen Theorien­ streits. Nach der Organtheorie, die einen besonders anschaulichen Aus­ druck in der maßgeblich von Otto von Gierke geprägten Theorie von der realen Verbandspersönlichkeit findet und ihrerseits, bezogen auf die juristi­ sche Person, in die Genossenschaftstheorie eingebettet ist,369 stellt sich Or­ ganhandeln als eigenes Handeln des Verbands, Organwissen als eigenes Wis­ sen des Verbands und der Organwille als eigener Wille des Verbands dar; der Verband „ist“ danach also selbst handlungs-, wissens- und willensfähig.370 Nach der Vertretertheorie, die bezogen auf die juristische Person ihrerseits in die Fiktionstheorie eingebunden ist,371 wird dem Verband Handeln, Wis­ sen und Wollen seiner Organe (Organmitglieder) hingegen allenfalls als fremdes Handeln, Wissen und Wollen zugerechnet.372 369 Vgl.

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, §  8 II 2 mit instruktivem Überblick über den Streit um die Theorie der juristischen Person. 370  V. Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887 (re­ prografischer Nachdruck 1963), S.  603 ff. und speziell für das Wissen S.  627; v. Gierke bezieht sich seinerseits auf die germanistische Rechtstradition unter anderem seines Leh­ rers Georg Beseler und stellt seine Ausführungen offen in den „denkbar schärfsten Gegen­ satz“ zur romanistischen Fiktions- und Vertreterlehre. Vgl. ferner exemplarisch Richardi, AcP 169 (1969), 385, 388 f.: „Eine juristische Person kann nur durch ihre Organe handeln. Deren Wille ist ihr Wille, deren Wissen folglich ihr Wissen“; Beuthien, FS Zöllner, 1998, S.  87, 108: „Die juristische Person ist nicht nur eine rechtliche Fiktion, sondern tritt im Rechtsverkehr auch als real wahrnehmbare Verbandsperson in Erscheinung“; Neuner/ Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §  17 Rn.  70 = S.  194: „doch ist das Handeln einer Organperson ein unmittelbares Handeln der juristischen Person“; Palandt – Ellenberger, BGB, 802021, §  26 Rn.  2: „Sein [des Vorstands] Handeln ist kein Handeln für den Verein, sond Handeln des Vereins“. 371  Vgl. wiederum K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, §  8 II 2. 372  Vgl. hierzu vor allem Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/ Zweiter Teil: Die juristische Person, 1983, §  11 I = S.  377 ff., der sich seinerseits unter an­ derem auf Savigny beruft und die Organtheorie als „mystifizierende Transsubstantiation“ einordnet. Unter Übernahme der Terminologie Savignys spricht Flume von „Anrech­ nung“, womit jedoch nichts anderes gemeint ist als mit dem Begriff der Zurechnung; skeptisch bezüglich der Organtheorie von den Zeitgenossen v. Gierkes insbesondere noch Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, 61887, §  49 Fn.  8 = S.  137 f.: „der Be­ weis dafür, daß die Willen der Corporationsmitglieder eine Einheit in der Wirklichkeit, und nicht bloß für die Vorstellung bilden, ist nicht erbracht“; aus dem jüngeren Schrift­ tum exemplarisch Altmeppen, BB 1999, 749, 753.

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Im Anwendungs- und Regelungsbereich des §  31 BGB ist der Streit um die Organ- oder Vertretertheorie als Grundlage der Verantwortlichkeit des Verbands nicht umfassend positivrechtlich entschieden,373 aber immerhin, wie bereits angedeutet, doch positivrechtlich insofern aufgelöst, als es um die Einstandspflicht des Verbands für zum Schadensersatz verpflichtende Handlungen von Organmitgliedern geht. Unabhängig davon, wie man die Verantwortlichkeit des Verbands für zum Schadensersatz verpflichtende Handlungen von Organmitgliedern rechtstheoretisch fundieren mag: Dass Verbände für schädigende Handlungen ihrer Organmitglieder verantwort­ lich sind, wenn diese in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen tätig sind, steht im Anwendungs- und Regelungsbereich von §  31 BGB kraft gesetzlicher Anordnung fest. Für die Beantwortung der Frage nach der isolierten Wissenszurechnung im Verhältnis zwischen Organmitglied und Verband jenseits der Verantwortlichkeit für schädigende Handlungen ist der Streit um das „Wesen“ des Verbands demgegenüber unmittelbar virulent. Dasselbe gilt übrigens, darauf sei hier nur kurz hingewiesen, auch in anderen Zusammenhängen: Kann ei­ nem Verband auch das störende Verhalten eines Organmitglieds zugerech­ net werden, sodass ein Unterlassungsanspruch aus §  1004 BGB unmittelbar gegen den Verband infrage kommt? Kann einem Verband der Besitz eines Organmitglieds zugerechnet werden, sodass ein Verband unmittelbar zur Herausgabe einer Sache verpflichtet sein kann? Diese Fragen stehen hier nicht im Fokus. An dieser Stelle muss die Feststellung genügen, dass sie im Ergebnis überwiegend bejaht werden,374 dass dabei normativ aber keines­ falls durchgehend an §  31 BGB angeknüpft wird.375 373 

Statt einiger K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, §  10 I = S.  251; Schwab, JuS 2017, 481, 482; Reuter, ZIP 2017, 310, 311. Anders teilweise die Vertreter der Organtheorie, etwa Palandt – Ellenberger, BGB, 802021, §  31 Rn.  1: „Ausdruck der Organtheorie“. Von den Vertretern der Organtheorie gegen eine „Inanspruchnahme“ von §  31 BGB etwa Beuthien, FS Zöllner, 1998, S.  87, 90 f. 374  Vgl. zur Störereigenschaft von Verbänden etwa MünchKomm – Raff, BGB, 82020, §  1004 Rn.  187. Zum Organbesitz etwa BeckOGK – Götz, BGB, Stand: 1.4.2021, §  854 Rn.  120 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, §  10 III = S.  266 ff.; auch BGH Urt. v. 21.4.­2016 – IX ZR 72/14, NJW-RR 2016, 825 Rn.  11 (für §  149 ZVG). 375  In normativer Anknüpfung an §  31 BGB etwa MünchKomm – Raff, BGB, 82020, §  1004 Rn.  187 und K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, §  10 IV = S.  274 für die Störerei­ genschaft des Verbands im Rahmen von §  1004 BGB. Ohne normative Anknüpfung an §  31 BGB etwa BeckOGK – Götz, BGB, Stand: 1.4.2021, §  854 Rn.  120 ff. und K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, §  10 III = S.  266 ff. für den Organbesitz als Besitz des Verbands. Auch in Kommentierungen zu §  31 BGB werden häufig zwar die Probleme der Wissens­ zurechnung im Verhältnis zwischen Organ und Verband thematisiert, nicht aber weitere Zurechnungsfragen wie die im Text angesprochenen.

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Wendet man sich der Frage der Einstandspflicht des Verbands für das Wissen seiner Organmitglieder zu, so fällt der Blick zunächst auf §  166 Abs.  1 BGB. Wendet man die Regelung ihrem Wortlaut gemäß auch auf die gesetzliche (organschaftliche) Vertretung eines Verbands durch ein Organ (Organmitglied) an, bewirkt sie auch hier rechtsfolgenseitig immerhin eine konkret-erklärungsbezogene Wissenszurechnung im Rahmen eines aktuell getätigten Vertretergeschäfts. Das ist unproblematisch. Im Mittelpunkt der Kontroverse um die Wissenszurechnung im Verhält­ nis zwischen Organ (Organmitglied) und Verband steht folglich die Frage, ob das Wissen des einen Organmitglieds O als Wissen des Verbands auch dann von Relevanz ist, wenn kein Vertretergeschäft in Rede steht, bei dem O im Namen des Verbands handelt, sondern entweder ein sonstiges Verhalten des O in Angelegenheiten des Verbands (Wissenszurechnung jenseits der Stellvertretung) oder ein Verhalten des weiteren Organmitglieds A in Ange­ legenheiten des Verbands, an dem O in nicht beteiligt ist, von dem O gege­ benenfalls noch nicht einmal weiß und bei dem O gegebenenfalls noch nicht einmal mehr Organmitglied ist.376 Sowohl in der (vor allem älteren) Literatur als auch in der (vor allem älte­ ren) Rechtsprechung finden sich zahlreiche Stellungnahmen im Sinne einer dahin­gehenden absoluten Wissenszurechnung.377 Auf normativer Ebene ist 376  Vergleichbar

spitzen etwa auch Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/­Zweiter Teil: Die juristische Person, 1983, §  11 IV = S.  399, Grunewald, FS Beusch, 1993, S.  301, 303 und Taupitz, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 16, 25 die Problematik zu; vgl. aus der jüngeren Lit. etwa noch Weller, ZGR 2016, 384, 403 und besonders anschaulich Schwab, JuS 2017, 481, 482. 377  Vgl. nur RG, Urt. v. 8.2.1935 – V 223/34, JW 1935, 2044 zu §  892 BGB: „Das Wissen dieses Organs ist das Wissen der Gesellschaft. […] Es liegt in der Natur der Sache begrün­ det, daß das Wissen jedes einzelnen, der im entscheidenden Zeitpunkt gesetzlicher Vertre­ ter ist, der juristischen Person oder Gesellschaft innewohnt. Darauf, ob das einzelne Or­ gansmitglied bei dem gerade in Betracht kommenden Geschäft als Vertreter mitgewirkt hat, kommt es nicht an. Die Gesellschaft kann die durch ihren Organteil vorhandene Kenntnis nicht bei einem Einzelgeschäft nach Belieben oder Zufall abstreifen. […] Das ist ein Erfordernis des redlichen Geschäftsverkehrs und entspricht zudem der natürlichen Anschauung“; BGH, Urt. v. 23.10.1958  – II ZR 127/57, BeckRS 1958, 31386400 Ab­ schn.  II 5: „Denn das Wissen eines Organmitglieds ist das Wissen der Rechtsperson [Nachw.]. Hat eine Rechtsperson einmal von einem Sachverhalt Kenntnis erlangt, so bleibt sie wissend, auch wenn das wissende Organmitglied ausgeschieden ist, neue Organ­ mitglieder bestellt worden sind und diese für die juristische Person gehandelt haben, ohne ihrerseits von jenem Sachverhalt erfahren zu haben“; BGH, Urt. v. 6.4.­1964 – II ZR 75/62, NJW 1964, 1367 Abschn.  II 2: „Denn das Wissen schon eines Mitglieds des in der Ange­ legenheit vertretungsberechtigten Organs ist das Wissen der Gesellschaft“. Zur älteren Lit. vgl. die zahlreichen Nachweise bei Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/Zweiter Teil: Die juristische Person, 1983, §  11 IV = S.  399. Auch das Verhältnis

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

allerdings festzuhalten, dass §  31 BGB dafür nichts hergibt. Im Wortlaut der Vorschrift fehlt für ein solches Verständnis – gerade im Vergleich mit §  166 BGB – jeder Anhaltspunkt. Daher wird zur Begründung verbreitet auf die Organtheorie rekurriert, nach der Wissen eines Organmitglieds Wissen des Verbands „ist“. Letztlich dürfte in der Begründung einer absoluten Wissens­ zurechnung sogar ein Kern der Organtheorie liegen.378 Offen bleibt aber, was die Annahme, dass Wissen eines Organmitglieds Wissen des Verbands „ist“, ihrerseits tragen soll.379 Im Gesetz findet sich, wie gesagt, keinerlei Anhaltspunkt in diese Richtung.380 Dass §  166 BGB sie von Versicherungsagent und Versicherer hat der BGH in seiner sogenannten „Auge und Ohr“-Rechtsprechung übrigens bisweilen vergleichbar bildlich beschrieben, vgl. BGH Urt. v. 11.11.1987 – IVa ZR 240/86, NJW 1988, 973 Abschn. 3 c: „Die Entgegennahme eines Antrages auf Abschluß eines Versicherungsvertrages und die Kenntnisnahme der von dem Ast. bei dieser Gelegenheit abgegebenen – mündlichen – Erklärungen zu den ihm im Antragsformular des Versicherers gestellten Fragen stellen einen einheitlichen Le­ bensvorgang dar, der keine juristische Aufspaltung erlaubt. Bei der Entgegennahme eines Antrages auf Abschluß eines Versicherungsvertrages steht dem Antragsteller – auf alleini­ ge Veranlassung des Versicherers – der empfangsbevollmächtigte Vermittlungsagent, bild­ lich gesprochen, als das Auge und Ohr des Versicherers gegenüber. Was ihm mit Bezug auf die Antragstellung gesagt und vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorge­ legt worden“; praktisch wortgleich BGH Urt. v. 18.12.­1991  – IV ZR 299/90, NJW 1992, 828 Abschn. 1 a; das Bild vom Versicherungsagenten als „Auge und Ohr“ des Versicherers diente hier der Begründung einer Wissenszurechnung nach §  166 BGB; diese ist heute in §  70 VVG speziell geregelt, vgl. noch unten Kapitel  1 B.VI.3. = S. 126 ff. Ähnliches gilt, darauf sei abschließend noch hingewiesen, für das Verhältnis zwischen Besitzherr und Besitzdiener, vgl. BGH, Urt. v. 9.2.1955 – IV ZR 188/54, NJW 1955, 866 Abschn. b: „Der Besitzdiener repräsentiert in gewissem Sinn den Besitzherrn tatsächlich und stellt gleich­ sam das Organ dar, durch das dieser beim Besitzerwerb handelt. Daher ist das Verhalten des Besitzdieners beim Besitzerwerb, nach welchem die Frage seiner Gut- oder Bösgläu­ bigkeit zu beurteilen ist, also insbes. seine Kenntnis oder sein Kennenmüssen bestimmter Umstände, dem Besitzherrn dann zuzurechnen, wenn es mittelbar als auf dessen eigenem Verhalten beruhend zu erachten ist“. 378  In diese Richtung auch Fleischer, NJW 2006, 3239, 3243; Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §  17 Rn.  54 = S.  190; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/Zweiter Teil: Die juristische Person, 1983, §  11 IV = S.  399, nach dem es sich bei der Wissenszusammenrechnung auf Ebene des Verbands „geradezu um ein Schulbeispiel für die naturalistische Anwendung der Organtheorie“ handelt. Inso­ fern kann übrigens die Fondsprospekt-Entscheidung des BGH, Teilveräumnis- und ­Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, die sich in Bezug auf §  826 BGB klar gegen eine Wissenszusammenrechnung ausspricht, als deutliche Absage an die Organ­ theorie verstanden werden. 379  Vgl. zur damit angesprochenen Fundamentalkritik an der Organtheorie als einer petitio principii exemplarisch Taupitz, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 16, 19; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 217 ff.; Grunewald, FS Beusch, 1993, S.  301, 303. 380  Grundlegend auf Basis auch einer Auswertung der Materialien zum BGB Flume,

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nicht trägt, wurde ausgeführt. Die Annahme einer absoluten Wissenszu­ rechnung wird aber auch von §  31 BGB deutlich widerlegt. Denn sie wider­ spricht der auf die Zurechnung von Verschulden und Verhalten als Einheit angelegten Tendenz der Vorschrift,381 die ihrerseits, wie im Einzelnen noch zu zeigen ist, dem allgemeinen Prinzip folgt, dass Wissen im Privatrecht tat­ bestandlich generell ausschließlich in einem Verhaltensbezug, als Verhalten im Wissen um bestimmte Umstände relevant ist.382 Eine absolute Wissens­ zurechnung, in deren Folge es bei mehrgliedrigen Organen stets und ohne weiteres zu einer absoluten Zusammenrechnung des Wissens aller Organ­ mitglieder auf Ebene des Verbands käme, ist damit unvereinbar. Im Übrigen vernebelt die Organtheorie die maßgeblichen Wertungszusammenhänge, statt Begründung, Reichweite und Grenzen der Wissenszurechnung sachbe­ zogen zu explizieren. In der jüngeren Rechtsprechung des BGH lassen sich durchaus Absetz­ bewegungen von der Organtheorie bzw. einer pauschalen, allein auf die Or­ ganstellung eines Wissensträgers gegründeten Wissenszurechnung feststel­ len. Die pauschale Gleichsetzung, Wissens des Organs sei per se Wissen des Verbands, wurde, beginnend mit der Bürgermeisterentscheidung aus dem Jahr 1989, zunehmend abgelöst durch die Theorie vom Organisationsman­ gel als Zurechnungsgrund. In einer Grundsatzentscheidung hierzu aus dem Jahr 1996 hat der V. Zivilsenat des BGH der Organtheorie jedenfalls in ihrer Dimension als Begründung einer Zurechnung isolierten Wissens sogar aus­ drücklich eine Absage erteilt.383 Eine konsentierte, auch gedankliche Abkehr von der Organtheorie lässt sich in der Rechtsprechung des BGH gleichwohl nicht feststellen; bis in die jüngere Zeit hinein finden sich im Gegenteil in der Rechtsprechung des BGH immer noch Anklänge daran.384 Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/Zweiter Teil: Die juristische Person, 1983, §  11 = S.  377 ff. 381 Ebenso Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und Bankrechtliche Aufklärungs­ pflichten, 1998, S.  105. Näher unten Kapitel  2 B.II.4. = S. 233 f. 382  Näher unten Kapitel  3 A.III. = S. 265 ff. 383  BGH, Urt. v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339 Abschn.  C 2 a: „[…]; denn die Wissenszurechnung gründet nicht in der Organstellung oder einer vergleichbaren ­Position des Wissensvermittlers (Organtheorie), sondern […]“; vgl. für das Strafrecht etwa noch BGH, Beschl. v. 27.1.2021 – StB 44/20, NJW 2021, 1022 Rn.  20 zur Entbindung eines von einer juristischen Person beauftragten Wirtschaftsprüfers von der Schweige­ pflicht: „Da eine juristische Person indes nicht unmittelbar handlungsfähig ist, können die Erklärung nur die für sie handelnden natürlichen Personen abgeben“. 384  Vgl. etwa BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, NJW-RR 2006, 771 Rn.   13: „Das Wissen eines vertretungsberechtigten Organmitglieds ist als Wissen des Organs an­ zusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen“; vgl. zu dem Befund der

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3. Regeln der Passivvertretung Außer mit der Organtheorie wird eine absolute Wissenszurechnung im Ver­ band jedenfalls im rechtsgeschäftlichen Kontext außerdem unter Rückgriff auf die verbandsrechtlichen Regeln zur Passivvertretung begründet (vgl. ins­ besondere §  26 Abs.  2 S.  2 BGB/§  28 Abs.  2 BGB a. F., §  125 Abs.  2 S.  3 HGB, §  35 Abs.  2 S.  2 GmbHG und §  78 Abs.  2 S.  2 AktG).385 Auch dem kann nicht gefolgt werden. Zum einen sind die angeführten Vorschriften durch ihre Bezogenheit auf den Fall der Abgabe von Willens­ erklärungen von vornherein nicht geeignet, eine Wissenszurechnung jenseits des Vertragsschlusskontextes zu begründen.386 Zum anderen sieht sich eine verhaltensunabhängige absolute Wissenszurechnung unter Rekurs auf die Regeln der Passivvertretung denselben Einwänden ausgesetzt wie die Or­ gantheorie.387 Insbesondere muss jede verhaltensunabhängige absolute Wis­ senszurechnung schon deshalb ausscheiden, weil Wissen im Privatrecht, wie im Einzelnen noch zu zeigen ist, tatbestandlich stets ausschließlich in einem Verhaltensbezug, als Verhalten im Wissen um bestimmte Umstände relevant ist. 4. Vertretertheorie Können weder die Organtheorie noch die Regeln zur Passivvertretung eine Wissenszurechnung im Verband überzeugend begründen, bleibt, abgesehen von §  166 Abs.  1 BGB, noch ein Rückgriff auf §  166 Abs.  2 BGB. Unter der Voraussetzung, dass man die Vorschrift, über ihren Wortlaut hinaus, mit Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung des BGH auch Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schim­ ansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 127 f. 385  Vgl. BGH, Urt. v. 3.3.1956 – IV ZR 314/55, NJW 1956, 869: „Ist einem Verein ge­ genüber eine Willenserklärung abzugeben, so genügt gemäß §  28 Abs.  2 BGB [a. F.] die Abgabe gegenüber einem Mitglied des Vorstandes. Aus diesem Satz wird in der Recht­ sprechung und der Rechtslehre allgemein gefolgert, daß die Kenntnis eines von mehreren Gesamtvertretern als Kenntnis der Körperschaft gilt […]. Die Bekl. muß sich danach so behandeln lassen, als ob sie von dem Inhalt des Bestätigungsschreibens Kenntnis erlangt hat“; aus dem jüngeren Schrifttum exemplarisch MünchKomm – Spindler, AktG, 52019, §  78 Rn.  94 m. w. N., der für das Aktienrecht die Frage der Zurechnung unter Heranzie­ hung von §  26 Abs.  2 S.  2 BGB, §  31 BGB bzw. §  78 Abs.  2 S.  2 AktG analog in richter­ rechtlicher Rechtsfortbildung beantwortet. 386  Vgl. auch Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S.  67 f. 387  So etwa auch Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band   II/Zweiter Teil: Die juristische Person, 1983, §  11 IV = S.  402; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 223 f.; Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  223; Buck-Heeb, Wissen und juris­ tische Person, 2001, S.  256 ff.

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dem BGH auf die organschaftliche Vertretung erstreckt,388 ist hiernach auch auf dem Boden der Vertretertheorie eine – allerdings verhaltensbezogene und nicht eine absolute – Wissenszusammenrechnung auf Ebene des Ver­ bands begründet, wenn der Verband als Geschäftsherr, vertreten durch Or­ ganmitglied O, das Verhalten des nunmehr handelnden Organmitglieds A in einer Weise beeinflusst, die eine Weisung im Sinne der Vorschrift konstitu­ iert. Dasselbe ordnet §  31 BGB an. Darauf soll später näher eingegangen werden.389

VI. Spezialregelungen 1. Wissenszurechnung bei Gläubigerwechsel durch Abtretung oder Legalzession und bei Wechsel einer Partei kraft Amtes Nach §§  404, 412 BGB kann der Schuldner einer abgetretenen oder kraft Gesetzes übertragenen Forderung dem neuen Gläubiger die Einwendungen entgegensetzen, die zur Zeit des Forderungsübergangs gegen den bisherigen Gläubiger begründet waren. Zu den Einwendungen im weiteren Sinne gehört auch die Einrede der Ver­jährung. §  404 BGB wird in diesem Kontext überwiegend weit verstan­ den und erfasst danach nicht nur den Fall, dass die Verjährungsfrist im Zeit­ punkt des Forderungsübergangs bereits abgelaufen war, sondern auch den Fall, dass die Verjährungsfrist vor Übergang der Forderung nur, aber im­ merhin, begonnen hatte. Der neue Gläubiger muss mit anderen Worten also auch die schon und noch laufende Verjährung gegen sich gelten lassen, und zwar auch dann, wenn sich der Beginn der Verjährung nach §  199 Abs.  1 BGB richtet und damit Kenntnis bestimmter Umstände oder grob fahrlässi­ ge Unkenntnis voraussetzt.390 Dasselbe wie beim Gläubigerwechsel durch Abtretung oder Legalzession gilt nach der Rechtsprechung des BGH beim Wechsel eines Insolvenzver­ walters. Hat die Verjährungsfrist bezüglich eines der Insolvenzverwaltung unterliegenden Anspruchs gegenüber dem bisherigen Insolvenzverwalter bereits begonnen, muss sich entsprechend §  404 BGB auch dessen Nachfol­

388 

Siehe oben Kapitel 1 B.II.1 = S. 70. Unten Kapitel  3 C.III. = S. 343 ff. 390 Vgl. aus dem Schrifttum etwa BeckOGK – Lieder, BGB, Stand: 1.4.2021, §   404 Rn.  41, 41.1 und 49.1 m. w. N.; für §  852 BGB a. F. auch BGH, Urt. v. 10.7.1967 – III ZR 78/66, NJW 1967, 2199 Abschn.  II 1; BGH, Urt. v. 2.3.1982 – VI ZR 245/79, NJW 1982, 1761 Abschn.  I 2. 389 

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ger im Amt den Fristlauf entgegenhalten lassen.391 Für andere Verwalter kraft Amtes dürfte nichts anderes gelten. In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der BGH den Fortlauf der Verjäh­ rungsfrist nach §§  404, 412 BGB (direkt/analog) ausdrücklich als Fall der Wissens­zurechnung eingeordnet.392 Diese Einordnung darf allerdings nicht den Blick darauf verstellen, dass das Wissen bzw. das grob fahrlässige Nicht­ wissen in den Fällen der §§  404, 412 BGB (direkt/analog) nicht isoliert als solches zugerechnet wird in dem Sinne, dass sich der neue Gläubiger oder Verwalter als wissend bzw. grob fahrlässig nichtwissend behandeln lassen muss. Der Fortlauf der einmal begonnenen Verjährungsfrist ist vielmehr Folge des Umstands, dass der neue Gläubiger bzw. der neue Insolvenzver­ walter die Forderung bzw. die Befugnis zur Verfügung hierüber so erwirbt, wie sie im Zeitpunkt des Übergangs bestand. Für die Behandlung des Prob­ lems der Wissenszurechnung kommt den §§  404, 412 BGB damit keine grö­ ßere und insbesondere keine systemprägende Bedeutung zu. 2. Wissenszurechnung bei Gesamtrechtsnachfolge – insbesondere: keine Vererbung von Wissen Der BGH wendet die geschilderten Grundsätze auch im Fall der Gesamt­ rechtsnachfolge nach §  1922 BGB an. Wie der Einzelrechtsnachfolger gemäß §§  404, 412 BGB erwirbt auch der Erbe eine der Verjährung unterliegende Forderung also „in dem Zustand, in dem sie sich im Zeitpunkt des Rechts­ übergangs befindet, das heißt bereits verjährt, mit laufender Verjährung oder mit noch nicht begonnener Verjährung“.393 Für andere Fälle der Gesamt­ rechtsnachfolge dürfte wiederum nichts anderes gelten. Darüber hinaus muss der Erbe nach §  1922 BGB auch sonstige wissensbe­ zogene Tatbestände, die der Erblasser zu seinen Lebzeiten bereits erfüllt hatte, gegen sich gelten lassen. Hat der Erblasser beim Abschluss eines Kaufvertrags dem Käufer einen Mangel vorsätzlich verschwiegen oder um­ gekehrt als Käufer einen Kaufvertrag im Wissen um einen Mangel geschlos­ sen, treffen die Rechtsfolgen der §§  438 Abs.  3 S.  1, 442 Abs.  1 S.  2 Hs.  2, 444 Fall 1 BGB bzw. des §  442 Abs.  1 S.  1 BGB auch den Erben. Das ist Folge des universalen Eintritts des Erben in die – hier: kaufvertragsbezogenen – Rechtspositionen des Erblassers und hat – wie der Fortlauf der Verjährung in den Fällen der §§  404, 412 BGB – mit der isolierten Zurechnung von Wis­ 391 

Vgl. BGH, Versäumnisurt. v. 30.4.2015 – IX ZR 1/13, NJW-RR 2015, 1321 Rn.  12. Vgl. BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345 Rn.  25; BGH, Ver­ säumnisurt. v. 30.4.2015 – IX ZR 1/13, NJW-RR 2015, 1321 Rn.  12. 393  Vgl. BGH, Urt. v. 30.4.2014 – IV ZR 30/13, NJW 2014, 2492 Rn.  13. 392 

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sen letztlich nichts zu tun. Auch bei der Überleitung einer beweis- und dar­ legungsrechtlichen Position des Erblassers auf den Erben nach §  1922 BGB handelt es sich nach der Rechtsprechung des BGH nicht um eine Zurech­ nung fremden Wissens.394 Umgekehrt muss sich der Erbe, der selbst einen Kaufvertrag über einen Nachlassgegenstand schließt, etwaiges Wissen des Erblassers über dessen Mangelhaftigkeit grundsätzlich nicht zurechnen lassen. Insbesondere findet keine generelle Vererbung von Wissen statt. Das Wissen des Erblassers ist kein Vermögensbestandteil bzw. nicht Teil der Erbschaft im Sinne von §  1922 BGB.395 Denkbar ist eine Wissenszurechnung im Verhältnis zwischen Erblasser und Erben allenfalls dann, wenn der Erblasser noch irgendwie an der Ver­ wirklichung eines später von seinem Erben vollendeten mehraktigen Tatbe­ stands mitgewirkt hat. Diskutiert wird insofern namentlich der Fall, dass im Rahmen von §§  929, 932 BGB die Einigung noch mit dem bösgläubigen Er­ blasser erfolgt ist, die Übergabe dann aber an den gutgläubigen Erben er­ folgt.396 Richtigerweise kommt auch hier eine Zurechnung allerdings nicht pauschal, sondern nur in Betracht, wenn sich der Erbe des Erblassers als Hilfsperson im Sinne von §  278 BGB bedient bzw. bedient hat.397 Als spezielle Wissenszurechnungsnorm könnte nach hergebrachtem Ver­ ständnis immerhin §  857 BGB eingeordnet werden.398 Danach geht der Be­ sitz des Erblassers so auf den Erben über, wie er beim Erblasser bestanden hatte. Sofern der Erblasser unberechtigter Besitzer und hinsichtlich seines fehlenden Rechtes zum Besitz unredlich war, muss sich nach herrschender Meinung auch der Erbe als unredlicher Besitzer behandeln lassen (vgl. für die Fehlerhaftigkeit des Be­sitzes auch §  858 Abs.  2 BGB).399 Die Zurechnung ist hiernach allerdings eng begrenzt auf besitz- bzw. besitzrechtsbezogenes Wissen des Erblassers und erfolgt außerdem wiederum nicht isoliert als Zu­ rechnung „nur“ von Wissen, sondern adressiert das in Rede stehende Wissen als Element eines – eigentlich zu­gerechneten – Besitztatbestands. Damit kommt auch §  857 BGB für die Behandlung des Problems der Wissenszu­ rechnung keine systemprägende Bedeutung zu. 394  Vgl.

dazu im Kontext von §  138 Abs.  4 ZPO BGH, Beschl. v. 28.2.2019 – IV ZR 153/18, ZEV 2019, 261 Rn.  11 und die dort zitierten Entscheidungen. 395  Vgl. auch Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 8. 396  Vgl. zu diesen und ähnlichen Fällen insbesondere Gursky, JR 1986, 225, 226 ff.; zurückhaltender BeckOGK – Klinck, BGB, Stand: 1.7.2021, §  932 Rn.  54.2. 397  Ausführlich unten Kapitel  3. 398  Vgl. bereits Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 8. 399  MünchKomm – Schäfer, BGB, 82020, §  857 Rn.  8.

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3. Versicherungsvertragsrechtliche Sonderregelungen Außerhalb des BGB finden sich besondere Regelungen zur Wissenszurech­ nung insbesondere im VVG. a) §  2 Abs.  3 VVG: Generelle Zusammenrechnung des Wissens von Vertreter und Vertretenem §  2 Abs.  3 VVG ordnet an, dass dann, wenn ein Versicherungsvertrag von einem Vertreter geschlossen wird, „in den Fällen des Absatzes 2 sowohl die Kenntnis des Vertreters als auch die Kenntnis des Vertretenen zu berück­ sichtigen“ ist. Der in Bezug genommene §  2 Abs.  2 S.  1 VVG sieht vor, dass dem Versicherer ein Anspruch auf die Prämie nicht zusteht, wenn der Ver­ sicherer bei Abgabe seiner Vertragserklärung davon Kenntnis hat, dass der Eintritt eines Versicherungsfalles ausgeschlossen ist. §  2 Abs.  2 S.  2 VVG ordnet parallel dazu an, dass der Ver­sicherer nicht zur Leistung verpflichtet ist, wenn der Versicherungsnehmer bei Abgabe seiner Vertragserklärung da­ von Kenntnis hat, dass ein Versicherungsfall schon eingetreten ist. Insofern, als sich nach §  2 Abs.  3 VVG Versicherer und Versicherungsneh­ mer bei einem Vertragsschluss durch einen Vertreter dessen Wissen zurech­ nen lassen müssen, wiederholt §  2 Abs.  3 VVG lediglich die identische An­ ordnung des §  166 Abs.  1 BGB. Der eigenständige Regelungsgehalt von §  2 Abs.  3 VVG liegt darin, dass neben dem Wissen des Vertreters grundsätzlich auch das Wissen des Vertretenen, also des Versicherers respektive des Versi­ cherungsnehmers zu berücksichtigen ist, ohne dass es auf die Voraussetzun­ gen des §  166 Abs.  2 BGB ankäme, also darauf, dass der Vertreter nach be­ stimmten Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt hat (Wissenszusam­ menrechnung).400 Zweck der Regelung ist es nach hergebrachtem Verständnis, Unredlich­ keiten beim Vertragsschluss401 bzw. der „Gefahr der Manipulation“,402 das heißt der Erschleichung der Versicherungsprämie entgegen §  2 Abs.  2 S.  1 VVG respektive der Erschleichung der Versicherungsleistung entgegen §  2 Abs.  2 S.  2 VVG durch das „Vorschicken“ eines unwissenden Vertreters ent­ gegenzuwirken. Damit ist allerdings erst einmal nur die Wirkung von §  2 Abs.  3 VVG beschrieben. Auf Basis der allgemeinen Zwecküberlegungen zu §  166 Abs.  2 BGB lässt sich diese Wirkung ihrerseits als Ausdruck der an den Versicherer und den Versicherungsnehmer gerichtet Verhaltenserwartung 400 Vgl. NK – Brömmelmeyer, VVG, 42020, §   2 Rn.  36; MünchKomm – Muschner, VVG, 22016, §  2 Rn.  64; Prölss/Martin – Armbrüster, VVG, 312021, §  2 Rn.  34. 401  MünchKomm – Muschner, VVG, 22016, §  2 Rn.  65. 402  BGH Urt. v. 19.2.1992 – IV ZR 106/91, NJW 1992, 1505 Abschn. 3.

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beschreiben, beim Abschluss eines Versicherungsvertrags unter Beteiligung eines Vertreters im Innenverhältnis vertragsschlussrelevante Informationen auszutauschen. Von ihnen wird – anders als sonst beim Einsatz von Vertre­ tern, vgl. §  166 BGB – erwartet, ihr Innenverhältnis so zu organisieren, dass der Vertreter sich vor jedem Vertragsschluss erkundigt oder sonst wie in Erfahrung bringt, ob der Vertretene irgendwelches Wissen hat, das für den intendierten Vertragsschluss relevant ist. Diese Verhaltenserwartung trägt wiederum der spezifischen, besonderen Relevanz von „Vorwissen“ im Rah­ men des Abschlusses von Versicherungsverträgen Rechnung.403 Enttäuschen Versicherer oder Versicherungsnehmer diese Erwartung, müssen sie sich so behandeln lassen, als hätten sie sich so verhalten, wie von ihnen erwartet. Jenseits von §  2 Abs.  3 VVG kommt auch im Versicherungsvertragsrecht eine Wissenszurechnung nach den Grundsätzen der Wissensvertretung in Betracht.404 Vergegenwärtigt man sich, dass §  2 Abs.  3 VVG den Regelungsge­ halt des §  166 Abs.  1 BGB im Ausgangspunkt nur wiederholt und die Zu­ rechnungswirkung im Übrigen noch über §  166 Abs.  2 BGB hinaus im Sinne einer generellen Wissenszusammenrechnung erweitert, ist das konsequent. b) §  70 VVG: Zurechnung des Wissens von Versicherungsvertretern zulasten des Versicherers §  2 Abs.  2, Abs.  3 VVG ist auf den Vertragsschluss, genauer auf die Abgabe der Vertragserklärungen von Versicherer und Versicherungsnehmer bezo­ gen und steht damit im Kontext des §  166 BGB. Unabhängig vom Kontext des Vertragsschlusses ordnet §  70 S.  1 VVG für den Versicherer an, dass die Kenntnis von Versicherungsvertretern im Sinne von §  59 Abs.  2 VVG und von gemäß §  73 VVG gleichgestellten Personen (etwa Angestellte eines Ver­ sicherers, die mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Versicherungs­ verträgen betraut sind) der Kenntnis des Versicherers auch sonst gleichsteht, soweit nach dem VVG die Kenntnis des Versicherers erheblich ist. Die Zu­ rechnung kann beispielsweise zur Folge haben, dass der Versicherer nach §  30 Abs.  2 VVG die Möglichkeit verliert, sich auf eine vereinbarte Leis­ tungsfreiheit wegen Verletzung der Obliegenheit zur unverzüglichen An­ zeige des Eintritts eines Versicherungsfalls nach §  30 Abs.  1 VVG zu beru­ 403 

Vgl. für §  47 VVG auch MünchKomm – Dageförde, VVG, 22016, §  47 Rn.  6. Vgl. BGH, Urt. v. 21.6.2000 – IV ZR 157/99, NJW-RR 2000, 1471 Abschn.  II 4 b für den Versicherungsmakler, den der Versicherungsnehmer mit der Weiterleitung seines Antrags an den Versicherer betraut hat. Vgl. im Übrigen den Überblick etwa bei Münch­ Komm – M ­ uschner, VVG, 22016, §  2 Rn.  68; Prölss/Martin – Armbrüster, VVG, 312021, §  2 Rn.  36; NK  – Brömmelmeyer, VVG, 42020, §  2 Rn.  37. 404 

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Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

fen, wenn der Versicherungsvertreter (auf andere Weise als durch Anzeige seitens des Versicherungsnehmers)405 vom Eintritt des Versicherungsfalles rechtzeitig Kenntnis erlangt hatte.406 Soweit Personen, die nicht von §  70 VVG erfasst werden, Kenntnis von relevanten Umständen erlangen, sowie für Wissenstatbestände außerhalb des VVG wird wie im Zusammenhang mit §  2 Abs.  3 VVG verbreitet auf die allgemeinen Grundsätze der Wissenszurechnung und auf §  166 BGB (ana­ log) verwiesen.407 §  70 S.  2 VVG enthält allerdings eine besondere Einschränkung der Zu­ rechnungswirkung. Danach findet im Anwendungsbereich von §  70 VVG eine Wissenszurechnung im Verhältnis zwischen Versicherer und Versiche­ rungsvertreter nicht statt „für die Kenntnis des Versicherungsvertreters, die er außerhalb seiner Tätigkeit als Vertreter und ohne Zusammenhang mit dem betreffenden Versicherungsvertrag erlangt hat“. Das wird verbreitet so verstanden, dass privat erlangtes Wissen grundsätzlich von der Zurech­ nungswirkung ausgeschlossen ist.408 Darüber hinaus wird vereinzelt vertre­ 405  Von der Zurechnung nach §  70 VVG ist nach verbreitetem Verständnis die Emp­ fangsvertretung der Versicherung durch den Versicherungsvertreter zu unterscheiden: Danach wirkt, wenn der Versicherungsnehmer dem Versicherungsvertreter einen Versi­ cherungsfall (auch: mündlich) anzeigt, diese Anzeige als Anzeige im Sinne von §  30 Abs.  1 VVG unabhängig von §  30 Abs.  2 VVG schon nach §  69 Abs.  1 Nr.  2 VVG für und gegen den Versicherer; vgl. NK  – Münkel, VVG, 42020, §  70 Rn.  8 f.; MünchKomm – Reiff, VVG, 22016, §  70 Rn.  5 ff. 406  Vgl. für diese Beispiel MünchKomm – Reiff, VVG, 22016, §  70 Rn.  4; vgl. ferner den Überblick bei Langheid/Rixecker – Rixecker, VVG, 62019, §  70 Rn.  2. Vgl. zur unübersicht­ lichen Rechtslage unter Geltung von §  44 VVG a. F., der auf den ersten Blick das Gegenteil anzuordnen schien, nach der Rechtsprechung des BGH aber „nur die Frage der Wissens­ zurechnung für denjenigen Teilausschnitt der Tätigkeit eines Vermittlungsagenten regelt [nämlich dezidiert ausschloss], der nicht zu seinem Tätigwerden als Stellvertreter des Ver­ sicherers […] zählt“, sodass der BGH sich nicht gehindert sah, im Übrigen auf §  166 BGB zu rekurrieren, BGH Urt. v. 11.11.1987 – IVa ZR 240/86, NJW 1988, 973 Abschn. 3 c (Hervorhebung nicht im Original); BGH Urt. v. 18.12.1991 – IV ZR 299/90, NJW 1992, 828 Abschn. 1 a („Auge und Ohr“-Rechtsprechung). 407  Vgl. etwa Langheid/Rixecker – Rixecker, VVG, 62019, §  70 Rn.  3; MünchKomm – Reiff, VVG, 22016, §  70 Rn.  11a f.; Prölss/Martin – Dörner, VVG, 312021, §  70 Rn.  13 ff. 408  Vgl. zu den Einzelheiten MünchKomm – Reiff, VVG, 22016, §  70 Rn.  18; Langheid/­ Rixecker – Rixecker, VVG, 62019, §  70 Rn.  4. Zur Vorgängerregelung des 44 VVG a. F. hatte der BGH etwa entschieden, dass dem Versicherer das Wissen des mit der Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses beauftragten Arztes nur insoweit zuzurechnen sei, als dieser es durch den Antragsteller im Rahmen der „Erklärung vor dem Arzt” erlangt hat; eine weitergehende Zurechnung von Wissen, das sich für den Arzt aus früheren Untersuchun­ gen oder Behandlungen ergeben hat, komme hingegen nicht in Betracht; BGH Urt. v. 11.2.­2009 – IV ZR 26/06, NJW-RR 2009, 606 Rn.  18.

B. Wissenszurechnung

129

ten, §  70 S.  2 VVG beschränke auch die Zurechnung beruflich erlangten Wissens dahingehend, dass eine Zurechnung nur vertragsbezogen erfolge, sodass beispielsweise Informationen über eine Vor­erkrankung, die der Versiche­ rungsvertreter im Rahmen der Abwicklung einer Krankheitskostenversi­ cherung erlangt hat, nicht auch für eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu­ zurechnen sei.409 c) Weitere versicherungsvertragsrechtliche Spezialregelungen Weitere Sonderregelungen zur Wissenszurechnung finden sich insbesondere in §  20 Abs.  3 VVG und in §§  47 Abs.  1, 156, 176, 179 Abs.  3, 193 Abs.  2 VVG. Die Vorschriften ordnen nach ihrem Wortlaut allerdings nicht nur eine Zurechnung von Wissen an, sondern auch eine Zurechnung von Arglist, Vorsatz, grober Fahrlässigkeit und Verhalten. Auf sie soll daher im Rahmen der Auseinander­setzung mit der Verschuldenszurechnung näher eingegan­ gen werden.410

VII. Rechtsvergleichendes Panorama Es versteht sich von selbst, dass ein großes Thema wie das der Wissenszu­ rechnung großes rechtsvergleichendes Potential hat. In jüngerer Zeit hat ­namentlich Gerhard Wagner eine ausführliche rechtsvergleichende Unter­ suchung zur Wissenszurechnung im französischen, englischen und US-ame­ rikanischen Recht vorgelegt.411 Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Wis­ senszurechnung in allen drei untersuchten Rechtsordnungen „keine große Rolle“ spielt; entweder fehle überhaupt ein Befund oder das Thema führe „allenfalls ein Schattendasein“:412 409 Langheid/Rixecker

– Rixecker, VVG, 62019, §  70 Rn.  4. Anders MünchKomm  – Reiff, VVG, 2016, §  70 Rn.  18b; NK – Münkel, VVG, 42020, §  70 Rn.  10; Prölss/Martin  – Dörner, VVG, 312021, §  70 Rn.  7. 410  Unten Kapitel  2 B.IV.3. = S. 245 ff. 411  Wagner, ZHR 181 (2017), 203 ff. Siehe für einen Überblick außerdem noch Jansen/ Zimmermann, Commentaries on European Contract Laws, 2018, S.  222 ff. (mit instruk­ tiver rechtsvergleichender Gegenüberstellung von Regeln zur Verschuldenszurechnung) und bei Lando/Beale, The Principles of European Contract Law – Part  I: Performance, Non-Performance and Remedies, 1995, S.  65; ferner Ertel, Die Wissenszurechnung im deutschen und anglo-amerikanischen Zivilrecht, 1998; Walter, Die Wissenszurechnung im schweizerischen Privatrecht, 2005; Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwor­ tung bei juristischen Personen, 2017 zum koreanischen Recht. 412  Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 205 (von dort das zweite wörtliche Zitat), 248 (von dort erste das wörtliche Zitat). 2

130

Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

– Im französischen Vertrags- und Deliktsrecht werde eine Diskussion über die Zurechnung von Wissen, soweit ersichtlich, überhaupt nicht ge­ führt. Im posi­tiven Recht fänden sich mit Art.  1138 Abs.  1 Code civil (Zu­ rechnung der arg­listigen Täuschung – dol)413 und Art.  1242 Abs.  5 Code civil (Zurechnung von dommage causé par leurs domestiques et préposés dans les fonctions auxquelles ils les ont employés)414 ausschließlich Regelungen strikter Verhaltens- bzw. Verschuldenszurechnung.415 – Auch im englischen und im US-amerikanischen Recht spiele die Wis­ senszurechnung bei weitem nicht dieselbe Rolle wie im deutschen Recht. Die vicarious liability insbesondere nach dem Prinzip des respondeat supe­ rior werde auch hier von vornherein ausschließlich als Verhaltens- bzw. Ver­ schuldenszurechnung (namentlich im Sinne einer Einstandspflicht für ein fremdes Delikt) und nicht als Wissenszurechnung adressiert.416 Eine imputation of knowledge417 werde in beiden Rechtsordnungen zwar immerhin im Zusammenhang mit der Begründung von direct liability diskutiert und praktiziert. Dabei werde teilweise an den Status einer Person, namentlich als directing mind and will oder alter ego einer Gesellschaft angeknüpft, was durchaus einer Wissenszurechnung im hergebrachten, nicht verhaltensbezo­ genen Sinne entsprechen dürfte.418 413  Die Regelung dürfte weniger mit §  166 BGB, sondern eher mit §  123 Abs.  2 BGB („Nicht-­Dritter“) vergleichbar sein, der seinerseits im Kontext des §  278 BGB steht; näher dazu unten Kapitel  2 B.I.2.d) = S. 204 ff. 414  Die Regelung ist jedenfalls im Grundsatz mit §§  31, 278 BGB vergleichbar; näher zum Regelungsgehalt Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 211. 415  Ders., ZHR 181 (2017), 203, 210–214; vgl. ferner Römmer-Collmann, Wissenszu­ rechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S.  213 f. Im Ergebnis könnte möglicher­ weise immerhin der französischen „obligation de résultat d’ordre public“ zulasten des gewerblichen Verkäufers eine gewisse Nähe zur deutschen Wissenszurechnung zuzu­ sprechen sein, die ko­nstruktiv aber als Wissensvermutung eingeordnet wird; vgl. dazu Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S.  492 f. Vgl. schließlich zum französischen Recht, mit anderer Tendenz („adopted a general principle of imputation of the agent’s knowledge or foresight“) Jansen/Zimmermann, Commentaries on European Contract Laws, 2018, S.  224. 416 Vgl. Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 214 ff. (englisches Recht) und 226 ff. (US-ameri­ kanisches Recht); für das englische Recht deutlich in diesem Sinne etwa auch Wicke, Res­ pondeat Superior, 2000, S.  216 ff. und zusammenfassend S.  316 ff. 417 Vgl. zu den Begrifflichkeiten Ertel, Die Wissenszurechnung im deutschen und anglo-­amerikanischen Zivilrecht, 1998, S.  11 f.; Reynolds/Watts, Bowstead and Reynolds on agency, 212018, Rn.  8-209. 418  Der Unterscheidung zwischen Organmitgliedern und sonstigen Gehilfen im Ver­ band kommt allerdings keine prägende Bedeutung zu, vgl. Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 248; für das englische Recht auch Taupitz, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 16, 19.

B. Wissenszurechnung

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Davon abgesehen steht aber auch im Zusammenhang mit der Begründung von direct liability eine verhaltensbezogene Betrachtung ganz im Mittel­ punkt, die insbesondere daran anknüpft, dass ein agent das in Rede stehende Wissen erworben hat „while acting for the principal“419 bzw. „while acting within the course of employment and within the scope of his or her authority“420. Bestätigt wird dieser Befund für das englische law of agency etwa durch die Feststellung von Reynolds/Watts, „[t]here is relatively little case law on the somewhat different situation where a principal has agents who hold knowledge relevant to a transaction […] but who are not involved in it“.421 Bei aller besonders für das englische Recht konstatierten Unsicherheit und Unübersichtlichkeit422 lässt sich also festhalten, dass das Problem der 419  Für das englische law of agency Reynolds/Watts, Bowstead and Reynolds on agen­ cy, 212018, Rn.  8-208 und im Einzelnen Rn.  8-211; näher und rechtsvergleichend zum eng­ lischen Recht Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 217 ff.; Taupitz, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 16, 21, wenn er ausführt, dass es „nur auf das Wissen desjenigen Ver­ treters ankommt, der das fragliche Geschäft vornimmt“; ebenso Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S.  212; Ertel, Die Wissenszu­ rechnung im deutschen und anglo-­amerikanischen Zivilrecht, 1998, S.  125 ff. 420  Für das US-amerikanische law of agency Gutter v. EI DuPont de Nemours, 124 F.Supp. 2d 1291 (S.D.Fla. 2000), 1309; näher und rechtsvergleichend zum US-amerikani­ schen Recht Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 234–236, insbesondere auch zu §  5.03 des Restatement of the Law of Agency (3rd edn., 2006). Dabei ist die Zurechnung im US-ame­ rikanischen Recht nach Wagner sachlich beschränkt auf die Erfüllung der dem Wissens­ träger übertragenen Aufgaben und wird auch im theoretischen Ansatz verhaltensbezogen begründet, nämlich damit, dass der Agent (Wissensträger) die „Verbindung des Prinzipals zur Außenwelt“ darstelle und diesen „handlungsfähig“ mache (Wagner, a. a. O., S.  234). Hingewiesen sei schließlich noch darauf, dass die Wissenszurechnung im US-amerikani­ schen Recht, anders als im englischen Recht, nach Wagner, a. a. O., S.  235 insbesondere auch privates Wissen des Agenten erfasse. Vgl. zur Tätigkeitsbezogenheit der Wissenszu­ rechnung im US-amerikatnischen law of agency ferner Ertel, Die Wissenszurechnung im deutschen und anglo-amerikanischen Zivilrecht, 1998, S.  169. 421  Reynolds/Watts, Bowstead and Reynolds on agency, 212018, Rn.   8-211. Soweit Reynolds/­Watts, a. a. O., für etwaige verbleibende Fälle unter anderem darauf hinweisen, dass „[p]lainly, no tolerance is likely to be shown if there were evidence that the principal had deliberately excluded an agent with prior knowledge from participating in the trans­ action“, entspricht das im Grundsatz der in Kapitel  3 unter D. = S. 353 ff. und E.II. = S.  362 ff. behandelten Haftung des Geschäftsherrn für eigenes vorsätzliches Organisa­ tionsverschulden. 422 Vgl. dies., Bowstead and Reynolds on agency, 212018, Rn.  8-209; Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 218 und 222. Anders der Befund von Ertel, Die Wissenszurechnung im deut­ schen und anglo-amerikanischen Zivilrecht, 1998, S.  170: „gefestigte rechtliche Beurtei­ lung der Wissenszurechnung“ im anglo-amerikanischen Recht (Hervorhebung im Origi­ nal).

132

Kapitel 1: Wissen und Wissenszurechnung

Einstandspflicht für Dritte im französischen, englischen und US-amerikani­ schen Recht jedenfalls in erster Linie nicht (auch) als Problem der Zurech­ nung fremden Wissens adressiert wird, sondern als Problem der Zurechnung fremden wissensgetragenen Verhaltens insbesondere nach Risikobereichen und damit im Sinne einer verhaltensbezogenen Vorsatz- bzw. Verschuldens­ zurechnung, wie sie im deutschen Privatrecht in §§  31, 278 BGB geregelt ist.423 Dasselbe gilt für die Prin­ciples of European Contract Law (PECL) und den Draft Common Frame of R ­ eference (DCFR).424 Der Gedanke der Orga­ nisationspflichtverletzung spielt in den untersuchten Rechtsordnungen als materieller Zurechnungsgrund, soweit ersichtlich, demgegenüber keine oder jedenfalls keine dominante Rolle.425 Bei diesen Feststellungen kann und muss es hier sein Bewenden haben. In Anbetracht der Komplexität des Themas, die vor allem in der funktionsbe­ dingt unauflöslichen Abhängigkeit jeder Zurechnungsregel von ihrem Norm- bzw. Regelungskontext und namentlich der bezogenen Grundnorm begründet liegt, müsste eine umfassendere rechtsvergleichende Untersu­ chung eben jene Grundnormen in vergleichbarer Weise aufarbeiten, wie dies hier für das deutsche Privatrecht unternommen wird. Das kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Stattdessen soll hier ein stabiler Bezugsrahmen zugrunde gelegt werden.

VIII. Fazit Es ist bis heute nicht gelungen, ein klares und stimmiges Konzept der Wis­ senszurechnung zu formulieren und überzeugend normativ anzuknüpfen, das in der Lage wäre, vorhersehbare Ergebnisse zu produzieren. Das liegt, wie im Folgenden zu zeigen ist, im Wesentlichen daran, dass das zu lösende Problem unzutreffend, nämlich als solches der isolierten Wis­ 423  Deutlich in diesem Sinne auch das Fazit von Neumann, Wissenszurechnung bei juristischen Personen nach der Reform der Ad-hoc-Publizität und des Insiderhandels durch die MAR, 2020, S.  75. Entsprechendes vertritt Walter, Die Wissenszurechnung im schweizerischen Privatrecht, 2005, S.  318 für das schweizerische Privatrecht. 424  Näher dazu noch unten Kapitel  3 C.I.6. = S. 334 f. 425 Vgl. für das französische und das US-amerikanische Recht Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 212 resp.  236. Allgemein für Rechtssysteme mit respondeat superior-Doktrin auch Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 22011, S.  808 f. Andererseits weist Wagner jedenfalls für das englische Recht aber immerhin auf die Möglichkeit einer Eigen­ haftung des Prinzipals wegen Verletzung eigener Organisationspflichten hin, vgl. Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 215 m. w. N.; in diese Richtung auch Neumann, Wissenszurech­ nung bei juristischen Personen nach der Reform der Ad-hoc-Publizität und des Insider­ handels durch die MAR, 2020, S.  69 f.; vgl. ferner noch Fn.  421.

B. Wissenszurechnung

133

senszurechnung beschrieben wird. Diese Problembeschreibung ist deshalb unzutreffend, weil das Privatrecht eine Einstandspflicht für bloßes Wissen gar nicht kennt. Wissen ist immer nur im Kontext eines bestimmten recht­ lich relevanten Verhaltens – der Abgabe einer Willenserklärung, der Mitwir­ kung an der Vorbereitung eines Vertragsschlusses oder der Erfüllung einer Verbindlichkeit, der Vornahme entreichernder Handlungen usw. – relevant. Ist aber schon die Problembeschreibung unzutreffend, so kann eine befrie­ digende Lösung von vornherein nicht gelingen. Dabei hält das Privatrecht durchaus Regeln bereit, die das eigentlich in Rede stehende Problem adressieren, nämlich die Einstandspflicht für frem­ des schuldhaftes Verhalten im Wissen um einen bestimmten Umstand.

Kapitel  2

Vorsatz und Vorsatzzurechnung A. Vorsatz I. Die Prägung des Vorsatzbegriffs durch die personale Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen Vom Begriff des Wissens bzw. der Kenntnis wird nach hergebrachtem Ver­ ständnis der Begriff des Vorsatzes kategorial unterschieden. Diese Unter­ scheidung scheint auf den ersten Blick mit nachgerade mathematischer Prä­ zision zu erfolgen, wenn Vorsatz, im Privatrecht wie im Strafrecht,1 ganz überwiegend als „Wissen und Wollen“ der Tatbestandsverwirklichung, als „Wissen und Wollen“ der Merkmale des Tatbestands bzw. als das „Wollen“ der Tatbestandsverwirk­lichung in „Kenntnis“ aller objektiven Tatumstän­ de2 und damit jedenfalls als „Wissen + X“ definiert wird.3 Der Vorsatz ist dabei notwendig auf ein bestimmtes Tun, Dulden4 oder Unterlassen, also auf eine Handlung im weiteren Sinne (Verhalten)5 bezo-

1 Unklar

Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S.  6, der den Vorsatztatbestand beispielsweise des §  826 BGB als „strafrechtliche Kategorie“ einordnet. 2  Vgl. für das Privatrecht exemplarisch BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  60 sowie den Überblick bei MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  276 Rn.  154; für das Strafrecht etwa MünchKomm – Joecks, StGB, 42020, §  16 Rn.  13; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 51996, §  29 II 2 = S.  293. 3  Ein in diesem Sinne zweigliedriger Vorsatzbegriff findet sich etwa schon bei Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse – 1830. Dritter Teil. Die Philo­sophie des Geistes. Mit den mündlichen Zusätzen, 1970, §  504; vgl. zum Vor­ satzbegriff Hegels auch ­Aichele, in: Hilgendorf/­Joerden (Hrsg.), Handbuch Rechtsphilo­ sophie, 2017, S.  401, 403. 4  Das Dulden ist als bloße Unterform des Unterlassens einzuordnen. Trotzdem wird es begrifflich verbreitet neben die beiden eigentlichen Verhaltensformen gestellt, auf Ge­ setzesebene etwa in §  890 Abs.  1 ZPO. 5  Der Begriff der Handlung wird uneinheitlich verwendet. Teilweise wird darunter nur aktives Tun verstanden, teilweise auch Unterlassen; im zweitgenannten, umfassenden Sinne etwa Roxin, Strafrecht, 42006, §  8 Fn.  1 = S.  238. Dieses Begriffsverständnis wird

136

Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

gen. Das wird in der ebenfalls, zumal im Privatrecht, gebräuchlichen Be­ schreibung in beson­derer Weise ausgedrückt, wonach „der Handelnde […] die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in sei­ nen Willen aufgenommen“6 bzw. „sich den Erfolg seines Handelns vorge­ stellt und ihn in Kenntnis der Pflichtwidrigkeit seiner Herbeiführung in sei­ nen Willen aufgenommen“ haben muss.7 Damit unterscheidet sich der Vorsatztatbestand von einfachem „Wissen“ also nicht nur in der Ergänzung eines Wissenselements um ein Wollens­ element, sondern auch in seinem Bezug auf ein Verhaltenserfordernis, dem seinerseits notwendig (jedenfalls) ein Wollenselement innewohnt.8 Verhalten, Wissen und Wollen sind dabei wechselseitig aufeinander bezo­ gen. Vorsatz kann nur in Bezug auf ein bestimmtes Verhalten gedacht wer­ den und ein Verhalten ist umgekehrt nur dann vorsätzlich, wenn es sich ge­ rade als Verhalten im Wissen um die Tatbestandsverwirklichung und mit dem Willen zur Tatbestandsverwirklichung darstellt, wobei die Tatbestands­ verwirklichung wiederum nur wollen (oder auch nur „billigend in Kauf

auch hier zugrunde gelegt; im Übrigen sollen Tun und Unterlassen um der Klarheit willen regelmäßig unter dem Begriff des Verhaltens zusammengefasst werden. 6 Exemplarisch: BGH, Teilversäumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  25 (Hervorhebung nicht im Original); BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  61. 7  Exemplarisch: Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 II = S.  279 (Hervorhebung nicht im Original); speziell zur „Kenntnis der Pflichtwid­ rigkeit“ als Element des Vorsatzes noch unten Kapitel  2 A.VI.2. = S. 159 ff. Vgl. allgemein zur Verhaltensbezogenheit des Vorsatzes außerdem noch Oldenbourg, Die Wissenszu­ rechnung, 1934, S.  10 f. 8  Es ist beispielsweise praktisch allgemein anerkannt, dass ein Verhalten unter dem Einfluss von vis absoluta kein Verhalten im privatrechtlichen Sinne darstellt und folglich nicht zurechenbar ist. Vgl. darüber hinaus etwa Neuner, AcP 218 (2018), 1, 2 bezogen auf den Begriff der Handlungsfreiheit, der besage, „dass man das tun kann, was man tun will“; ferner Westermann, JuS 1963, 1, 6. Vgl. für das Strafrecht schließlich noch den Überblick bei Roxin, Strafrecht, 42006, §  8 = S.  236 ff. unter anderem zu den Handlungs­ begriffen Liszts („Handlung ist die auf menschliches Wollen zurückführbare Bewirkung einer Veränderung in der Außenwelt“), ­Belings („Die Handlung ist allemal zu bejahen, wenn ein vom Willen getragenes menschliches Verhalten vorliegt“) und Welzels (Hand­ lung als finale Tätigkeit im Sinne eines „bewusst vom Ziel her gelenktes Wirken“, das den äußeren Kausalverlauf „final überdeterminiert“); jeweils zitiert nach ders., Strafrecht, 4 2006, §  8 Rn.  10 bzw. 17 = S.  241 und 244. Vereinzelt wird allerdings auch etwas anderes vertreten, jüngst etwa von Durantaye, Erklärung und Wille, 2020, S.  42 f., die für den Tatbestand der Willenserklärung sogar das von ihr so gegenannte „Handlungsbewusst­ sein“ für entbehrlich erachtet.

A. Vorsatz

137

nehmen“)9 kann, wer die maßgeblichen Umstände kennt (oder zumindest „für möglich hält“).10 Damit weist der Vorsatzbegriff in seinem Verhaltensbezug (naheliegender Weise) große Nähe zum soziologischen Begriff des Handelns auf, der seit Max Weber gleichsinnig auf ein Verhalten in seinem subjektiven Zusammenhang bezogen ist und über dessen Definition unter den handlungstheore­ tisch geprägten Soziologen auch heute noch weitgehende Einigkeit besteht:11 „Soziologie (im hier verstandenen Sinn dieses sehr vieldeutig gebrauchten Wortes) soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. ‚Handeln‘ soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und 9  Zum damit in Bezug genommenen bedingten Vorsatz näher unten Kapitel   2 A.II. = S. 141 ff. 10  Für das Strafrecht besonders deutlich herausgearbeitet von Otto, Jura 1996, 468, 459–470, der (1) Wissen als Vorsatzelement als „das aktuelle verhaltenswirksame Bewußt­ sein der Tatumstände“ definiert, „auch wenn es nur aktuell reproduziert werden kann. Nicht erforderlich ist die aktuelle Reproduktion, d. h. Reflexion, ungenügend ist die bloße Reproduzierbarkeit durch Gedächtnisleistung“ und (2) Wollen als Vorsatzelement als „ein durch ein vorgestelltes Ziel motiviertes, ‚zweckmäßiges‘ Verhalten“ im Sinne eines „verwirklichen [W]ollen“; vgl. außerdem BGH Beschl. v. 3.5.1995 – 2 StR 139/95, StV 1995, 511 Rn.  12: „[…]; das trifft indessen nur zu, wenn der Täter mit der Möglichkeit, daß als Folge seines Handelns der Tod des Opfers eintreten könne, gerechnet hat, also das Wissenselement des bedingten Vorsatzes gegeben ist. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so scheidet die Annahme einer Billigung des Todeserfolgs schon deshalb aus, weil sich nie­ mand mit einem Ereignis willentlich abfinden kann, dessen Eintritt er gedanklich nicht in Betracht zieht“; Platzgummer, Die Bewußtseinsform des Vorsatzes, 1964, S.  58 ff.; Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 52016, §  12 Rn.  269 = S.  102. Vgl. für das Privatrecht etwa Wolff, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Zweite Folge, 45. Band (1931), 53, 69 ff., der die Verhaltensbezogenheit sowohl des Willens- als auch den Vorsatzbegriffs betont, wobei der Vorsatzbegriff Wolffs allerdings von einem dezidierten Willenselement frei zu sein scheint; Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsge­ schäft, 1955, S.  393 im Kontext der gesetzlichen Vertretung: „Außerdem ist ein Handeln überhaupt nicht ohne Berücksichtigung der subjektiven Seite des Handelnden, isoliert von den Absichten, die dieser dabei verfolgt, bewertbar“; auch Neuner, AcP 218 (2018), 1, 4, 24 und 25, wenn er Wissen zu den „faktischen Voraussetzungen“ von Entscheidungs­ freiheit zählt, wenn er die Entscheidungsfähigkeit als Element des „freien Willens“ im Privatrecht als kognitives Element einordnet und wenn er die Steuerungsfähigkeit als wei­ teres Element des „freien Willens“ im Privatrecht mit dem RG, Urt. v. 19.1.1922, VI 585/21, RGZ 103, 399, 401, als „Bestimmbarkeit des Willens durch vernünftige Erwägun­ gen“ definiert. Vgl. schließlich aus dem älteren Schrifttum für den Dolusbegriff noch Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band  II: Schuld und Vorsatz, Teil  2: Der rechts­ widrige Vorsatz, 21916, S.  649 ff. 11 Vgl. Miebach, Soziologische Handlungstheorie, 42014, S.  20.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn ver­ binden“.12 Verhalten und subjektiver Sinn bilden hiernach für die Zwecke des deutenden Verstehens eine unauflösliche Einheit. Diese Erkenntnis liegt auch zahl­ reichen weiteren soziologischen Handlungsbegriffen bzw. Handlungstheorien (in einem weiteren Sinne) zugrunde, die soziales Handeln von Individuen oder Gruppen in Interaktionsprozessen zu erklären und zu erfassen suchen,13 be­ sonders deutlich etwa der Rekonstruktion der Begriffe „teleologisches Handeln“14 und „normreguliertes Handeln“15, wie sie Jürgen Habermas vornimmt, sowie dessen Auseinandersetzung mit der Problematik des Sinnverstehens16,

12 

Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 1922/­ 2005, S.  3. 13  Vgl. für einen Überblick in Stichworten sowie insbesondere zum Begriff der Hand­ lungstheorie (einem weiteren Sinne) Miebach, Soziologische Handlungstheorie, 42014, S.  15. 14 Vgl. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Erster Band (edition suhr­ kamp), 1988, S.  126 f. sowie S.  129–132 und insbesondere: „Der Begriff des teleologischen Handelns setzt Beziehungen zwischen einem Aktor und einer Welt existierender Sachver­ halte voraus. Diese objektive Welt ist als Gesamtheit der Sachverhalte definiert, die beste­ hen oder eintreten bzw. durch gezielte Intervention herbeigeführt werden können. Das Modell stattet den Handelnden mit einem »kognitiv-volitiven Komplex« aus, so daß er einerseits (durch Wahrnehmungen vermittelt) Meinungen über existierende Sachverhalte ausbilden und andererseits Absichten mit dem Ziel entwickeln kann, erwünschte Sachver­ halte zur Existenz zu bringen“ (S.  129 f.; Hervorhebung nicht im Original). 15 Vgl. ders., Theorie des kommunikativen Handelns, Erster Band (edition suhrkamp), 1988, S.  127 sowie S.  132–135 und insbesondere: „[…] soll verständlich machen, dass das normative Handlungsmodell den Handelnden nicht nur mit einem »kognitiven«, sondern auch mit einem »motivationalen Komplex« ausstattet, welcher normenkonformes Verhal­ ten ermöglicht“ (S.  133; Hervorhebungen nicht im Original). 16 Vgl. ders., Theorie des kommunikativen Handelns, Erster Band (edition suhrkamp), 1988, S.  152 ff. Dabei geht es um die Frage, „was es heißt, soziale Handlungen zu verste­ hen“ (S.  152). Die besondere Relevanz der Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen gerade in diesem – für die Zwecke des Rechts und seine Anwendung ganz elemen­ taren – Zusammenhang kommt hier etwa in Aussagen zum Ausdruck wie: „Je eindeutiger eine Handlung dem objektiv zweckrationalen Ablauf entspricht, um so weniger bedarf es weiterer psychologischer Überlegungen, um sie zu erklären“.

A. Vorsatz

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ersichtlich aber etwa auch der voluntaristischen Handlungstheorie17 und den diversen Praxistheorien18.19 Die Einsicht, dass für die Zwecke des deutenden Verstehens Verhalten und subjektiver Sinn eine unauflösliche Einheit bilden, ist für Zwecke des Rechts und seiner praktischen Anwendung, die in der Feststellung oder ­Zuschreibung von Vorsatz nichts anderes ist als deutendes Verstehen, im Vorsatzbegriff und seinem Verhaltensbezug und damit in der personalen Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen operabel gemacht,20 die 17 Die

voluntaristische Handlungstheorie (Parsons; Münch) betont nach Miebach, So­ ziologische Handlungstheorie, 42014, S.  70, unter anderem die „Willensanstrengung der Handelnden zur Verwirklichung von Normen und Werten“. 18  Vgl. für einen Überblick Reckwitz, Zeitschrift für Soziologie 32 (2003), 282 ff., nach dem die diversen Praxistheorien „Handeln im Rahmen von Praktiken zuallererst als wissensbasierte Tätigkeit [begreifen], als Aktivität, in der ein praktisches Wissen, ein Können im Sinne eines ‚know how‘ und eines praktischen Verstehens zum Einsatz kommt“ (S.  292; Hervorhebung im Original) bzw. gleichsinnig die „körperlich-leibliche Mobili­ sierbarkeit von Wissen [als ein Können], die häufig gar nicht mit einer Explizierungsfähig­ keit oder Explizierungsbedürftigkeit dieses Wissens einhergeht“ (S.  290) betonen. In der Konsequenz sind danach „Wissen und seine Formen nicht ‚praxisenthoben‘ als Bestand­ teil und Eigenschaften von Personen, sondern immer nur in Zuordnung zu einer Praktik zu verstehen und zu rekonstruieren […]: Statt zu Fragen, welches Wissen eine Gruppe von Personen, d. h. eine Addition von Individuen, ‚besitzt‘, lautet die Frage, welches Wis­ sen in einer bestimmten sozialen Praktik zum Einsatz kommt (und erst darauf aufbauend kann man auf die Personen als Träger der Praktiken rückschließen)“ (S.  292; Hervor­ hebungen im Original). Dabei werden voluntative Elemente zum Teil auch unmittelbar in Wissensbegriffe inkorporiert, etwa als „das, was man als ein motiva­tional-emotionales Wissen bezeichnen kann, d. h. ein impliziter Sinn dafür‚ was man eigentlich will‘, ‚worum es einem geht‘ und was ‚undenkbar‘ wäre“; ders., Zeitschrift für Soziologie 32 (2003), 282, 292. 19  Auf die Einzelheiten kann und muss hier aus dem im Text genannten Grund nicht näher eingegangen werden. Gleichwohl sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich mitunter verblüffende Parallelen zum rechtswissenschaftlichen Theorienstreit um den Vorsatzbegriff ausmachen lassen, namentlich im Gegenüber von voluntaristischer Handlungstheorie und den diversen Praxistheorien. 20  Vgl. für das Strafrecht etwa MünchKomm – Joecks, StGB, 42020, §  16 Rn.  13 (Vor­ satz als „ein die Handlung als soziale Sinneinheit aktiv gestaltender und formender finaler Verwirklichungswille“); Fischer, Über das Strafen, 2018, S.  28 f. und S.  203 ff. (Wissen und Wollen als die „zwei Seiten innerer Einstellung“); Philipps, ZStW 85 (1973), 27, 35 f.; ­Schewe, Bewußtsein und Vorsatz, 1967, S.  81, 86 und öfter; ders., Reflexbewegung, Hand­ lung, Vorsatz, 1972, passim (besonders anschaulich, allerdings bezogen auf den Hand­ lungsbegriff, S.  63 ff., wenn er den „Eindruck, Finalität sei identisch mit einer Verhaltens­ weise, bei der eine vorwegnehmende ‚bewußte‘ Zielvorstellung und ein subjektives ‚Will­ kür-Erlebnis‘ aufweisbar sind“, zwar aus Sicht der forensischen Psychiatrie und Psychologie „in jener allgemeinen Form“ nicht für gerechtfertigt hält, ihm aber doch eine „praktische Richtigkeit“ jedenfalls mit Blick auf die „‚auffälligsten‘, d. h. der menschli­

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man in Anlehnung an Niklas Luhmann auch als „Reflexion auf die Totalität der Person“,21 mit Reinhard Frank als Reflexion auf den „ganze[n] Men­ sch[en] […], welcher handelt“,22 oder mit Günter Schewe als „Integrierung eines Wissensbestandes“ in einen Situations- und Handlungs- bzw. (kürzer) Erlebniszusammenhang23 bezeichnen könnte. Im Privatrecht kommt die Notwendigkeit personaler Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen auch in den Regeln der Vorsatz- bzw. Ver­ schuldenszurechnung nach §§  31, 278 BGB deutlich zum Ausdruck. Beide Vorschriften, also auch §  278 BGB, dessen Wortlaut („Verschulden“) auf den ersten Blick e­ twas anderes nahelegt, begründen eine Zurechnung von Ver­ schulden und Verhalten als Einheit im Sinne einer gemeinsamen Zurech­ nung des Wissens und des Wollens und des Verhaltens einer Person zulasten einer anderen Person.24 Für §  166 BGB in seinem eigentlichen Anwendungsund Geltungsbereich, gilt, wenn man ihn nur zusammen mit §  164 BGB be­ trachtet, wie gezeigt25 nichts anderes. chen Einsicht besonders zugänglichen Fälle von Finalität“ zubilligt); vgl. ferner die Über­ legungen aus soziologischer Perspektive von Hutter/Teubner, in: Fuchs/Göbel (Hrsg.), Der Mensch – das Medium der Gesellschaft?, 1994, S.  110 ff. 21  Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 61999, S.   13: „Zwecke sind nicht bloße Erwartungen, auch nicht bloße Wünsche; sie werden erst Zweck durch Bereitschaft zum Einsatz [Anm.], und das heißt: durch Bereitschaft zum Verzicht. Zwecksetzung wird daher zumeist als Willensakt dargestellt. Der Willensbegriff aber bezeichnet eine – wenn auch unzulängliche und abgekürzte – Reflexion auf die Totalität der Person“. An anderer Stelle, nämlich im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Recht, nimmt Luhmann den Vorsatz, neben der Fahrlässigkeit, auch begrifflich als „subjektive Komponente des Han­ delns“ in Bezug, s. ders., Das Recht der Gesellschaft, 1995, S.  19. 22  Frank, ZStW 10 (1890), 169: „Aber warum bestrafen wir nicht den bösen Willen? Warum sind Gedanken auch vor Gericht zollfrei? Warum auf der andern Seite rechnen wir es dem Menschen nicht an, wenn er, von physischer Gewalt getrieben, die Ursache eines Thatbestandes wird welchen das Gesetz als widerrechtlich bezeichnet? Die Anwort hat hier wie dort zu lauten: weil es nicht der ganze Mensch ist, welcher handelt, sondern nur ein Teil seines impirischen Ich, dort das geistige, hier das leibliche“. 23  Schewe, Bewußtsein und Vorsatz, 1967, S.  52 auf der Basis und im Rahmen einer bemerkenswerten Kritik des vornehmlich strafrechtswissenschaftlichen Diskurses rund um Begriffe wie „potentielles“ und „aktuelles“ Wissen, „Mitbewusstsein“, „Daran-Den­ ken“ usw., wobei Schewe, a. a. O., S.  64 ff., aus der Perspektive der Psychologie die als „elementaristisch“ oder „atomistisch“ betitelte Argumentation mit diesen Begriffen als „‚begriffspsychologische‘ und ‚begriffsjuristische‘, also letztlich […] an Begriffen statt an Sachverhalten orientierte Schein­argumentation“ kritisiert und einem „gestalttheoreti­ schen“ Denken gegenüberstellt, das er offen in die Nähe eines teleologischen Rechts­ denkens rückt. 24  Näher unten Kapitel  2 B.I.6. = S. 227 f. 25  Oben Kapitel  1 B.II.2.a) = S. 70 f.

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II. Erscheinungsformen des Vorsatzes Üblicherweise werden, deutlich im Strafrecht,26 etwas weniger deutlich, aber im Grundsatz auch im Privatrecht,27 zwei bzw. drei Vorsatzformen un­ terschieden: Absicht und Wissentlichkeit, die sich nach herkömmlichem Verständnis unter dem Begriff des direkten (unbedingten) Vorsatzes (dolus directus ersten und zwei­ten Grades) zusammenfassen lassen, sowie bedingter Vorsatz (dolus eventualis). 1. Absicht Bei der Absicht steht nach hergebrachtem Verständnis das voluntative Vorsatz­element im Vordergrund. Absicht liegt danach vor, wenn die Ver­ wirklichung des in Rede stehenden objektiven Tatbestands dezidiert Ziel des Handelnden ist, von diesem also „erstrebt“ oder „angestrebt“ wird. An das kognitive Vorsatzelement werden im Gegenzug nur geringe An­ forderungen gestellt, ohne dass es allerdings ganz aufgegeben würde: Aus­ reichend, aber auch erforderlich ist, dass der Handelnde sich die Tat­be­ standsverwirk­lichung zumindest als möglich vorstellt28 bzw., um näher beim klassischen Wissensbegriff zu bleiben, sich zumindest der unmittelbaren, konkreten Gefahren­lage bewusst ist.29 2. Wissentlichkeit Bei der Vorsatzform der Wissentlichkeit steht demgegenüber das kognitive Vorsatzelement im Vordergrund. Wissentlichkeit liegt danach vor, wenn die Verwirklichung des in Rede stehenden objektiven Tatbestands bzw. die Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs als sicher vorausgesehen bzw. vorgestellt wird. Das Wollenselement wird aber auch hier nicht gänzlich aufgegeben, son­ dern stellt sich im Gegenteil als gleichsam notwendige Bedingung eines

26  Vgl. für das Strafrecht nur Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 A = S.  436 ff.; Kühl, Straf­ recht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  28 ff. = S.  93 ff. 27  Vgl. für das Privatrecht etwa BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VI ZR 212/07, NJW 2009, 681 Rn.  30 f.; MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  276 Rn.  154; MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  826 Rn.  28. 28 Vgl. Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  33 ff. = S.  95 ff.; Roxin, Straf­ recht, 42006, §  12 Rn.  7 ff. = S.  438 ff.; Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 52016, §  12 Rn.  283 = S.  107. Vgl. zur abweichenden Auffassung von Schroeder noch LK – Vogel, StGB, 122007, §  15 Rn.  84. 29 Vgl. Otto, Jura 1996, 468, 472.

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rechtlich relevanten Verhaltens im sicheren Wissen um die Tatbestandsver­ wirklichung dar.30 Statt auf ein Handeln im „sicheren Wissen“ um die Tatbestandsverwirkli­ chung wird teilweise auch darauf abgestellt, ob sich der Handelnde vorstellt, sein Handeln werde „höchstwahrscheinlich“ zur Tatbestandsverwirk­ lichung führen. Damit soll allerdings nicht primär eine Absenkung des er­ forderlichen Maßes an Wissen ausgedrückt werden, sondern in erster Linie dem Umstand Rechnung getragen werden, Künftiges (die künftige Tatbe­ standsverwirklichung) könne nicht „sicher gewusst“ werden.31 Das ist auch vor dem Hintergrund des erkenntnistheoretischen Wissensbegriffs plausi­ bel, wenn die Vorstellung, das eigene Handeln werde „höchstwahrschein­ lich“ zur Tatbestandsverwirklichung führen, epistemisch gerechtfertigt, also von hinreichenden Gründen getragen und nicht bloß Spekulation oder gar eine Wahnvorstellung ist; denn auch nach dem erkenntnistheoretischen Wis­ sensbegriff genügt für Wissen eine hohe subjektive Überzeugung. 3. Bedingter Vorsatz Beim bedingten Vorsatz liegen kognitives und voluntatives Element des Vor­satzes gewissermaßen nur in abgeschwächter („verdünnter“)32 Form vor. Die Verwirklichung des objektiven Tatbestands wird (nur, aber immerhin) „für möglich gehalten“ (kognitives Element) und (nur, aber immerhin) „bil­ ligend in Kauf genommen“ (voluntatives Element).33 30 

Vgl., jeweils für das Strafrecht, nur RG, Urt. v. 23.12.1881, Rep. III 2754/81 = RGSt 5, 314, 317: „[D]ie als notwendig erkannten Folgen der Handlung werden von dem Han­ delnden in den Willen aufgenommen, auch wenn ihm an diesen Folgen nichts liegt“; ­Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  4 = S.  437: „Wenn ein Attentäter mit Sicherheit weiß, dass die Bombe, die sein Opfer in die Luft sprengen soll, auch die umstehenden Personen zu Tode bringen wird, kann man deren Tod als ‚gewollt‘ bezeichnen, obwohl er nicht er­ strebt, das Willenselement also weniger stark ist als bei der Absicht“; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  40 = S.  98: „Wer um sicher eintretende Folgen seines Ver­ haltens weiß, will diese auch in einem für den Vorsatz ausreichendem Maße; wer trotz ‚Gewissheitsvorstellung‘ hinsichtlich des Eintritts eines tatbestandsmäßigen Erfolgs im Gefolge seiner Handlung handelt, der will diesen Erfolg […] auch herbeiführen“. 31  Vgl. NK – Puppe, StGB, 52017, §  15 Rn.  111; MünchKomm – Joecks, StGB, 42020, §  16 Rn.  27; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 51996, §  29 III = S.  299. 32 Vgl. Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  43 = S.  99 f. 33  Exemplarisch BGH, Urt. v. 3.10.1989 – XI ZR 157/88, NJW 1990, 389 Abschn.  I 3 b (für §  826 BGB); BGH, Urt. v. 5.3.1975 – VIII ZR 230/73, BeckRS 1975, 31118386 Ab­ schn.  III 2 b (für §  826 BGB); MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  276 Rn.  156, 161; BeckOK – Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  276 Rn.  15; Larenz, Lehrbuch des Schuld­ rechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 II = S.  280. Der Begriff der „billigenden In­ kaufnahme“ soll hier nicht als Stellungnahme zugunsten einer Billigungstheorie im enge­

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Die Einzelheiten sind umstritten. Namentlich die Abgrenzung des be­ dingten Vorsatzes von der sogenannten bewussten Fahrlässigkeit (luxuria), bei der der Handelnde die Tatbestandsverwirklichung gleichfalls für mög­ lich hält,34 ist Gegenstand einer unübersichtlichen Kontroverse. Auf Grund­ lage der sogenannten Willenstheorien des Vorsatzes35 lässt sich ganz abstrakt immerhin sagen, dass es bei der (bewussten) Fahrlässigkeit an dem für die Begründung von Vorsatz notwendigen voluntativen Element fehlt. Das vo­ luntative Element drückt dabei die innere Einstellung des Handelnden zur Tatbestandsverwirklichung aus.36 Der Streit dreht sich im Wesentlichen dar­ um, wie diese innere Einstellung des Handelnden beschaffen sein muss, um ihm Vorsatz zuschreiben zu können. Klar ist zunächst, dass es nicht darauf ankommt, ob der Handelnde die Tatbestandsverwirklichung dezidiert anstrebt; dann liegt bereits Vorsatz in Gestalt von Absicht vor.37 Einigkeit dürfte heute außerdem bestehen, dass es ebenfalls nicht darauf ankommt, ob dem Handelnden die Tatbestandsver­ wirklichung emotional erwünscht ist.38 Jenseits dessen werden zahlreiche verschiedene Abgrenzungstheorien vertreten. Wohl überwiegend wird darauf abgestellt, ob der Handelnde die von ihm erkannte Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ernst genommen und billigend in Kauf genommen (sich mit ihr abgefunden, sie hingenommen) hat – dann ist sein Handeln als bedingt vorsätzlich zu qualifizie­ ren  –, oder ob er ernsthaft darauf vertraut hat, der Tatbestand werde nicht verwirklicht werden, sei es von selbst oder weil er dies werde abwenden können.39 Zur Begründung dieser Elemente wird im Schrifttum unter ande­ ren Sinne verstanden werden, sondern offen auf ein gegenüber der Absicht abgeschwäch­ tes voluntatives Element verweisen. 34 Vgl. Fischer, ZIS 2014, 97, 98. 35  Näher dazu sogleich Kapitel  2 A.III. = S. 146 ff. 36 Vgl. Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  12 = S.  84 m. w. N.; Fischer, ZIS 2014, 97, 99. 37  Für das Privatrecht statt vieler MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  823 Rn.  47. 38  Vgl. für das Privatrecht nur BGH, Urt. v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, NJW 2001, 3187 Abschn.  III 2 a; BGH, Urt. v. 11.11.2003 – VI ZR 371/02 Abschn.  II 3 a; Münch­ Komm – ders., BGB, 82020, §  826 Rn.  28. Ausführlich und m. w. N. aus der Rechtspre­ chung des BGH zum Strafrecht Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  54 ff. = S.  104 ff.; vgl. auch Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  72 Fn.  141 = S.  468: Dass zum Vorsatz kein Billigen in dem Sinne gehöre, dass der Täter den Erfolg für wünschenswert halten muss, könne heute als gesichert angesehen werden. 39  Vgl. für das Privatrecht etwa BGH, Urt. v. 4.6.2013 – VI ZR 288/12, NJW-RR 2013, 1448 Rn.  22; BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VI ZR 212/07, NJW 2009, 681 Rn.  30; BGH, Urt. v. 13.12.2001 – VII ZR 305/99, NJW-RR 2002, 740 Abschn.  II 2; BeckOK – Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  276 Rn.  15. Für das Strafrecht ausführlich Roxin, Strafrecht, 42006, §  12

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rem darauf verwiesen, dass sich die Tatbestandsverwirklichung nur im ers­ ten Fall als Planverwirklichung oder Ergebnis einer „Entscheidung dafür“40 darstelle, im zweiten Fall hingegen lediglich als Folge von Leichtsinn.41

III. Konkrete Möglichkeitsvorstellung im Sinne bedingten Wissens als hinreichendes kognitives Tatbestandselement Die Wissentlichkeit als Erscheinungsform des Vorsatzes verweist in ihrem kognitiven Element auf unbedingtes Wissen. Für das kognitive Element der Absicht und des bedingten Vorsatzes, wo nach ganz überwiegendem Ver­ ständnis genügt, dass der Handelnde die Tatbestandsverwirklichung „für möglich hält“, gilt das nicht. Hier wird kein Wissen im klassischen, unbe­ dingten Sinne („Wissen, dass p“) in Bezug genommen. Es fehlt an dem er­ forderlichen Grad subjektiver Sicherheit hinsichtlich der objektiven Wahr­ heit von p. Das dürfte auch ein Grund dafür sein, warum in der näheren Diskussion des Vorsatzbegriffs jenseits des anfänglichen Hinweises auf die Formel vom „Wissen und Wollen“ der Tatbestandsverwirklichung das „Wissenselement“ des Vorsatzes begrifflich regelmäßig – und so auch hier – nicht als solches, sondern als „kognitives“ oder „intellektuelles“ Element des Vorsatzes in Bezug genommen wird.42 Rn.  21 ff. = S.  445 ff.; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  11 f. = S.  83 f. und Rn.  72 ff. = S.  112 ff. 40  In diese Richtung auch BGH, Urt. v. 4.6.2013 – VI ZR 288/12, NJW-RR 2013, 1448 Rn.  22 m. w. N.: „dagegen nimmt der bedingt vorsätzlich handelnde Täter die Gefahr des­ halb in Kauf, weil er, wenn er sein Ziel nicht anders erreichen kann, es auch durch das unerwünschte Mittel erreichen will”. 41  Vgl. zur theoretischen Fundierung des wohl herrschenden Verständnisses des be­ dingten Vorsatzes aus dem strafrechtswissenschaftlichen Schrifttum etwa Roxin, Straf­ recht, 42006, §  12 Rn.  21 ff. = S.  445 ff.; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, Rn.  72 ff. = S.  112 ff. Die Deutung des voluntativen Vorsatzelements im Sinne einer „Entscheidung für die Tatbestandsverwirklichung“ deckt sich auch mit dem Verständnis vom „freien Wil­ len“ im Privatrecht als Ausdruck von Einsichtsfähigkeit (wobei insofern eher ein kogniti­ ves Element in Rede steht) und insbesondere Steuerungsfähigkeit; näher dazu Neuner, AcP 218 (2018), 1, S.  23 ff. und S.  30 oben. 42  Ein weiterer Grund könnte insbesondere in der Diskussion darum liegen, ob zum Vorsatz aktuelles Wissen oder wirkliches Daran-Denken gehört oder aber bloßes oder bloß potentielles Wissen usw. genügt; nach wie vor instruktiv dazu aus dem strafrecht­ lichen Schrifttum Platzgummer, Die Bewußtseinsform des Vorsatzes, 1964, S.  1 ff. und Schewe, Bewußtsein und Vorsatz, 1967, S.  47 ff. Diese Diskussion ist bereits angesprochen worden (oben bei Fn.  23) und soll hier nicht weiter Gegenstand sein. Hinzuweisen ist an dieser Stelle nur darauf, dass für das Privatrecht nicht gilt, worauf Platzgummer (etwa a. a. O., S.  31) und andere in diesem Zusammenhang für das Strafrecht hinweisen, dass sich

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Umgekehrt kann sich das kognitive Vorsatzelement bei den Vorsatzfor­ men der Absicht und des bedingten Vorsatzes aber auch nicht in einer belie­ bigen, auch bloß abstrakten oder theoretischen Möglichkeitsvorstellung er­ schöpfen. Ein solches Verständnis der Formel vom „Für-Möglich-Halten“ wäre grundsätzlich43 höchst unplausibel. Denn eine bloß abstrakte oder theo­retische Möglichkeitsvorstellung wird man praktisch immer unterstel­ len und praktisch nie belastbar feststellen können. Erforderlich ist vielmehr eine konkrete Möglichkeitsvorstellung, die von einzelfallbezogenen – und damit ihrerseits von außen feststellbaren – Anhaltspunkten getragen ist. Eine solche konkrete Möglichkeitsvorstellung erfüllt die Anforderungen an „Wissen“ in einem weiteren, bedingten44 Sinne. Eine konkrete Möglich­ keitsfeststellung, die von einzelfallbezogenen Anhaltspunkten getragen ist, lässt sich ohne weiteres als „Wissen, dass möglicherweise p“ beschreiben. Die „Möglichkeitsformel“ stellt sich hiernach als bloße Modifikation der allgemeinen Wissensrelation dar, wobei die Modifikation nicht den eigent­ lichen Wissensbegriff betrifft, sondern ausschließlich das Objekt der Wis­ sensrelation. Eine „Möglichkeitsvorstellung“ erfüllt die erkenntnistheoreti­ schen Grundanforderungen an den Wissensbegriff, wenn der Wissende (1) sich subjektiv hinreichend sicher (also: der Meinung bzw. Überzeugung) ist, dass möglicherweise p; (2) wenn diese Meinung oder Überzeugung wahr ist, also objektiv tatsächlich die Möglichkeit besteht, dass p; und (3) wenn die Meinung bzw. Überzeugung, „dass möglicher­weise p“, epistemisch gerecht­ fertigt ist, es dafür also „gute Gründe“ in Gestalt von einzelfallbezogenen Anhaltspunkten gibt. Ob Anhaltspunkte eine hinreichend konkrete Möglichkeitsvorstellung und damit bedingtes Wissen begründen, ist eine Frage des Einzelfalls, wobei die diesbezüglichen Anforderungen durch Auslegung der in Rede stehenden Vorschrift zu ermitteln sind. Im Bereich der arglistigen Täuschung über vertragswesent­liche Umstände beim Kauf tendiert der BGH beispielsweise dahin, keine hohen Anforderungen zu stellen. Hier soll es zur Begründung von bedingtem Täuschungsvorsatz bereits ausreichen, dass der Verkäufer die nämlich ein Großteil des relevanten Verhaltens unter dem Einfluss von Trieben und Af­ fekten vollzieht. 43  Eine Ausnahme gilt insoweit für Rechtsfragen als Bezugspunkt; näher dazu Kapi­ tel  2 A.VI.2. = S. 159 ff. 44  Wenn das kognitive Element des bedingten Vorsatzes hier als „bedingtes Wissen“ bezeichnet wird, so wird damit letztlich nichts anderes gesagt, als dass sich, wie Roxin zutreffend ausführt, die Bezeichnung des Vorsatzes als „bedingt“ nicht auf das voluntati­ ve Vorsatzelement, sondern auf das kognitive Vorsatzelement im Sinne eines „Vorsatzes auf bewusst un­sicherer Tatsachengrundlage“ bezieht; vgl. Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  24 = S.  447.

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„frühere Nutzung des Grundstücks“ kannte und es zumindest für möglich hielt, dass diese einen Altlastenverdacht begründet. Weiterer Anhaltspunkte als einer bestimmten früheren Nutzung bedarf es nicht. So komme es „etwa bei einer früheren Nutzung als Deponie oder wilde Müllkippe nicht darauf an, ob der Verkäufer Kenntnis von den konkret dort hingelangten Materialien und Schadstoffen hatte“; denn dem „Käufer soll durch die Offenbarung der früheren Nutzung gerade die Möglichkeit zur Untersuchung des Baugrundes und zur Abschätzung etwaiger Mehr­ kosten im Fall der Übernahme des mangelhaften Grundstücks gegeben werden. Dieser Zielrichtung der Aufklärungspflicht liefe es zuwider, wenn den Verkäufer eine Offenba­ rungspflicht erst dann träfe, wenn er konkrete [meint: noch stärkere usw.], über das Wis­ sen um die frühere Nutzung hinausgehende Anhaltspunkte dafür hat, dass das Grund­ stück tatsächlich kontaminiert ist“.45

IV. Unentbehrlichkeit des voluntativen Tatbestandselements Außer auf ein kognitives Element verweist der hergebrachte Vorsatzbegriff, wie gezeigt, auch auf ein voluntatives Element. Das gilt für jede der genann­ ten Vorsatzformen. Zwar steht bei der Vorsatzform der Wissentlichkeit das kognitive Vorsatzelement im Vordergrund, sodass diese dem einfachen Wis­ sen deutlich angenähert ist. Das Wollenselement wird aber auch hier nicht gänzlich aufgegeben; im Gegenteil schließt ein Handeln (oder Unterlassen) „trotz dessen“ gleichsam notwendig das voluntative Vorsatzelement ein. Darin und außerdem in ihrer notwendigen Verhaltensbezogenheit unter­ scheidet sich auch die Wissentlichkeit als Vorsatzform von einfachem Wis­ sen. Namentlich in der strafrechtswissenschaftlichen Literatur wird teilweise al­lerdings auf ein voluntatives Element des Vorsatzes auch ganz verzichtet.46 Als Varianten dieser sogenannten Wissens-47 oder Vorstellungstheorien48 45  BGH, Urt. v. 21.7.2017 – V ZR 250/15, NJW 2018, 389 Rn.  12; gleichsinnig schon für das alte Kaufrecht etwa BGH, Urt. v. 3.3.1995 – V ZR 43/94, NJW 1995, 1549 Ab­ schn.  II 2 b m. w. N. (frühere Werksdeponie); BGH, Urt. v. 1.10.1999 – V ZR 218/98, NJW 1999, 3777 Abschn.  II 2 (früherer Tankbetrieb). Vgl. etwa auch noch BGH, Urt. v. 16.3.2012 − V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn.  24, wo das Gericht das Vorhandensein von Feuchtigkeitsflecken als Anhaltspunkt jedenfalls ohne feststellbare erhöhte Feuchtig­ keit im Keller auf Feststellungs­ebene nicht genügen ließ für die Annahme einer hinrei­ chend konkreten Möglichkeitsvorstellung von einem Mangel (Kellerfeuchtigkeit wegen schadhafter oder fehlender Abdichtung). 46  Vgl. den Überblick bei Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  41 ff. = S.  455 ff. und die Nachweise bei Schönke/Schröder – Sternberg-Lieben/Schuster, StGB, 302019, §  15 Rn.  12– 14 sowie bei Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 51996, §  29 II 2 Fn.  8 = S.  293. 47  So etwa die Begrifflichkeit bei NK – Puppe, StGB, 52017, §  15 Rn.  78. 48  So etwa die Begrifflichkeit bei Frank, ZStW 10 (1890), 169 ff. und Hillenkamp/Cornelius, 32 Probleme aus dem Strafrecht, 152017, S.  1, je in Abgrenzung zu (dort) sogenann­

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des Vor­satzes werden verbreitet die sogenannten Möglichkeitstheorien, die sogenann­ten Wahrscheinlichkeitstheorien und die sogenannten Risikotheo­ rien unterschie­den. Nach den Möglichkeitstheorien begründet bereits die Vorstellung, die Tat­bestandsverwirklichung sei konkret möglich, für sich genommen Vor­ satz.49 Eberhard Schmidhäuser hat dies einmal so formuliert, „Vorsätzlich­ keit und Fahr­lässigkeit [seien danach] auch in dem umstrittenen Grenzbe­ reich ganz als ‚Kenntnis‘ und ‚Unkenntnis‘ zu unterscheiden“.50 Nach den diversen Wahrscheinlichkeitstheorien ist in ähnlicher Weise und insbeson­ dere gleichfalls unter Verzicht auf ein voluntatives Vorsatzelement darauf abzustellen, ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung für wahrscheinlich hält.51 In eine ähnliche Richtung geht etwa auch Ingeborg Puppes Lehre von der Vorsatzgefahr, die als Variante der Risikotheorien eingeordnet wird.52 Puppe stellt zur Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit in subjektiver Hin­ sicht allein auf die „Gefahrvorstellung“ des Handelnden ab. Habe diese ob­ jektiv die Qualität einer Vorsatzgefahr, liege Vorsatz vor. Der Täter müsse, damit sein Verhalten als vorsätzliches Verhalten qualifiziert werden kann, zwar „die Tatsachen kennen bzw. sich vorstellen, die das Urteil begründen, dass die Gefahr, die er setzt bzw. zu setzen glaubt, eine Vorsatzgefahr ist“ und sich „auch bewusst sein, dass überhaupt eine Gefahr der Tatbestands­ verwirklichung besteht“. Darauf, ob er die Tatbestandsverwirklichung auch will oder wenigstens billigend in Kauf nimmt, komme es hingegen nicht an; die Qualifizierung einer Gefahr als Vorsatzgefahr wird vielmehr davon ab­ hängig gemacht, ob die Gefahr bzw. ihre Schaffung „für sich betrachtet eine taugliche Methode zur Herbeiführung des Erfolges darstellt“, was dann der Fall sei, wenn „nach den Kenntnissen dessen, der die Methode anwendet, die Chance, das Ziel zu erreichen, relativ hoch ist“.53 ten Willens­theorien. Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  51 = S.  103 spricht etwa von kognitiven oder intellektuellen Theorien im Gegensatz zu (dort) sogenannten Einwilligungstheorien im weiteren Sinne oder volitiven Theorien. 49 Vgl. insbesondere Schröder, FS Sauer, 1949, S.   207 ff.; Schmidhäuser, GA 1957, 305 ff.; Überblick und Kritik etwa bei Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 51996, §  29 III = S.  302. 50  Schmidhäuser, GA 1957, 305, 312. 51  Vgl. den Überblick und die Nachweise bei Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  45 f. = S.  457 und Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 52013, §  29 III = S.  302. 52 Vgl. Hillenkamp/Cornelius, 32 Probleme aus dem Strafrecht, 152017, S.  3 ff.; Kindhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  14 Rn.  18 = S.  133. 53  NK – Puppe, StGB, 52017, §  15 Rn.  69 ff.; kritisch etwa Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  48 ff. = S.  458 f.

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Allerdings weist auch Puppes Lehre von der Vorsatzgefahr einen relevan­ ten voluntativen Bezug auf, nämlich „insofern […], als der Täter einen not­ wendigen Faktor der [von] ihm erkannten Vorsatzgefahr willentlich setzt“.54 Puppe erfasst dieses voluntative Element zwar nicht (auch) als Element des Vorsatzes, aber immerhin als Element der betreffenden Handlung, die ihrer­ seits willensgesteuert sein muss, um rechtlich relevant sein zu können. Das­ selbe gilt für die weiteren Wissenstheorien des Vorsatzes, wenn man zutref­ fend ein voluntatives Element generell als Voraussetzung des Handlungsbe­ griffs annimmt.55 In Rede steht damit letztlich also gar nicht die vollständige Abwesenheit ­voluntativer Elemente auf Tatbestandsebene, sondern deren funktionale Zu­ ordnung.56 Insofern überzeugen die kognitiven Vorsatztheorien mit ihrer strikten Trennung zwischen der Handlung, die in subjektiver Hinsicht aus­ schließlich v­ oluntativ adressiert wird, und dem Resttatbestand, der getrennt davon ausschließlich kognitiv adressiert wird, nicht. Jedenfalls auf Tatsa­ chen- und Feststellungsebene sind voluntative und kognitive Elemente nur und erst in funktioneller Wechselbeziehung sinnvoll operabel. Namentlich kommt dem volunta­tiven Element in Bezug auf die tatbestandlich relevan­ ten kognitiven Elemente eine unverzichtbare Ergründungs- und Besiche­ rungsfunktion zu. Das soll im Folgenden näher ausgeführt werden.

54 

NK – Puppe, StGB, 52017, §  15 Rn.  77. schon Frank, ZStW 10 (1890), 169, 218, 222; deutlich in diese Richtung etwa auch Kindhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  14 Rn.  29 = S.  136: „Dass die Recht­ sprechung und ein Teil der Lehre […] eine zumindest reduzierte voluntative Komponente fordern, mag mit dem Umstand zusammenhängen, dass auch bedingt vorsätzliches Han­ deln ein mit einer Entscheidung zugunsten der Tatbestandsverwirklichung verbundenes gewolltes Handeln ist“; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 51996, §  29 II = S.  294: „Dabei ist jedoch zu beachten, dass der tatbestandliche Erfolg nur bei der Absicht Inhalt des Willens ist, während sich der Wille beim direkten und bedingten Vorsatz auf den Vollzug der tatbestandsmäßigen, das Handlungsobjekt gefährdenden Handlung be­ schränkt“; vgl. ferner die Zusammenfassung bei Otto, Jura 1996, 468, 471, jeweils m. w. N. für die Wissenstheorien des Vorsatzes von Schmid­häuser, Frisch, Herzberg und Kind­ häuser. Allgemein zur Verhaltensbezogenheit des Vorsatzes und zu den subjektiven Ele­ menten des Handlungsbegriffs oben Kapitel  2 A.I. = S. 135 ff. 56  Nach wie vor instruktive Überlegungen dazu schon bei Frank, ZStW 10 (1890), 169, 201 ff.; Schewe, Bewußtsein und Vorsatz, 1967, S.  30 f., je m. w. N. 55  Vgl.

A. Vorsatz

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V. Vorsatz als innere Tatsache 1. Feststellung des kognitiven Tatbestandselements Ebenso wie isoliertes „Wissen“ kann auch Vorsatz als subjektives Tatbe­ standsmerkmal und, prozessual gesprochen, innere Tatsache von außen nicht unmittelbar festgestellt werden. Er muss vielmehr, wie isoliertes „Wis­ sen“, aus Indizien bzw. Indikatoren erschlossen werden.57 Für „Wissen“ als isolierte innere Tatsache wurden dieser Umstand und der Umgang damit ausführlich behandelt.58 Für den Vorsatz gilt das dazu Gesagte grundsätzlich entsprechend. Insbesondere kann und muss auch hier auf Erfahrungssätze bzw. Alltagstheorien zurückgegriffen werden. Außer­ dem greifen gegebenenfalls Erleichterungen nach Maßgabe der Grundsätze der sekundären Darlegungslast, denen für das Privatrecht auch hier, mit Blick auf den Vorsatztatbestand, große praktische Bedeutung beizumessen ist.59 Zwar genügt für die Feststellung des kognitiven Elements des bedingten Vorsatzes die Feststellung, der Handelnde habe die Tatbestandsverwirk­ lichung konkret für möglich gehalten, also die Feststellung bedingten Wis­ sens. Auf Feststellungs- und Beweisebene begründet diese Abschwächung aber keinen kategorialen Unterschied. Vielmehr folgt die Feststellung, je­ mand habe etwas „konkret für möglich“ oder auch „für wahrscheinlich“ gehalten, denselben Regeln wie die Feststellung, jemand habe etwas „unbe­ dingt gewusst“. Insbesondere ist man auch hier regelmäßig – namentlich dann, wenn sich der Betroffene nicht selbst dahingehend erklärt, er habe p für möglich oder wahrscheinlich gehalten – darauf angewiesen, dies aus In­ dizien bzw. Indikatoren abzuleiten, die nach der Lebenserfahrung bzw. an­ erkannten Erfahrungssätzen den Schluss zulassen, der Betroffene habe p für möglich bzw. wahrscheinlich gehalten. 2. Feststellung des voluntativen Tatbestandselements Für das Wollenselement des Vorsatzes gilt im Grunde nichts anderes. Auch das Wollenselement des Vorsatzes stellt sich in der Rechtsanwendung und namentlich im Zivilprozess maßgeblich als Problem seiner Feststellung und seines Beweises dar und wird insofern maßgeblich von den Regeln der Dar­ 57  Vgl. bezogen auf den Vorsatz für das Privatrecht nur MünchKomm – Wagner, BGB, 2020, §  826 Rn.  30 und für das Strafrecht Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  32 = S.  450; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  87 ff. = S.  117 ff. 58  Oben Kapitel  1 A.IV. = S. 42 ff. 59  Vgl. bereits oben Kapitel  1 A.IV.1. = S. 42 ff. 8

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legungs- und Beweislast, von Beweiserleichterungen, den allgemeinen Be­ weisregeln (etwa §§  138, 296 ZPO und §  286 ZPO) und der Anwendung von Erfahrungssätzen geprägt.60 Eine Besonderheit im Zusammenhang mit der Feststellung von Vorsatz besteht allerdings darin, dass hier die Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen fruchtbar gemacht werden kann, die den verhaltensbezogenen Vorsatztatbestand prägt.61 Danach kann es insbesondere zulässig sein, aus dem Wissens­element (bzw. aus der Feststellung des Wissenselements) in Verbindung mit einem bestimmten Verhalten (bzw. aus der Feststellung ei­ nes bestimmten Verhaltens) auf das voluntative Vorsatzelement zu schlie­ ßen.62 a) Feststellung des voluntativen Elements der Wissentlichkeit Bei der Vorsatzform der Wissentlichkeit wird das in typisierter Weise prak­ tiziert: Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass jemand, der sich im sicheren Wissen um die Tatbestandsverwirklichung seines Verhaltens bzw. mit der Vorstel­lung, diese werde höchstwahrscheinlich durch sein Verhalten herbeigeführt werden, „so und nicht anders“ verhält, die Tatbestandsver­ wirklichung auch will.63 Dieser Schluss ist gerechtfertigt, weil hier in spezifischer Weise mit dem sicheren Wissen bzw. dem Für-Höchstwahrscheinlich-Halten ein Verhalten des Wissensträgers korrespondiert: Erst ein Verhalten im sicheren Wissen um die Tatbestandsverwirklichung trägt, gedacht als Verhalten trotz sicheren Wissens um die Tatbestandsverwirklichung,64 den Schluss, die Tatbe­ standsverwirklichung sei auch gewollt und damit den Schluss auf das volun­ tative Vorsatzelement. Dabei handelt es sich letztlich um einen tatsachen60  Näher dazu bezogen auf die Feststellung von Wissen als innerer Tatsache im Zivil­ prozess oben Kapitel  1 A.IV. = S. 42 ff. 61  Vgl. dazu oben A.I. 62  Vgl. auch BGH, Teilveräumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  26, allerdings ohne Berücksichtigung auch des Verhaltenselements: „So mag es durchaus gerechtfertigt sein, im Einzelfall aus dem Wissen einer natürlichen Person auf deren Willen zu schließen“; auch mit dem geschilderten Verhaltensbezug BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  62 (VW Dieselfall): „Es kann aber durch­ aus gerechtfertigt sein, im Einzelfall aus dem Wissen einer natürlichen Person auf deren Willen zu schließen […]. Aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns kann sich die Schlussfolgerung ergeben, dass mit Schädigungsvorsatz gehandelt worden ist“. 63  Siehe oben Kapitel  2 A.II.2. = S. 141 f. 64 Mit dieser Formulierung etwa auch Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  11 = S.  11: „Entscheidung für die Handlung samt ihrer Folgen trotz Kenntnis der Tatumstände und Voraussicht der Folgen“.

A. Vorsatz

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und beweisbezogenen Erfahrungssatz mit einem Verhaltens- und einem korrespondierenden unbedingten Wissenselement als Indiztatsachen. b) Feststellung des voluntativen Elements des bedingten Vorsatzes bei erkannter Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung Der Schluss vom kognitiven Vorsatzelement in Verbindung mit einem be­ stimmten Verhalten auf das voluntative Vorsatzelement ist allerdings nicht auf Fälle des unbedingten Wissens (des sicheren Wissens bzw. des Für-­ Höchstwahrscheinlich-Haltens im Sinne der Vorsatzform der Wissentlich­ keit) beschränkt. Er kann zwar nicht in typisierter Weise praktiziert werden, aber doch im Einzelfall nach der Lebenserfahrung auch dann zulässig sein, wenn derjenige, dessen Verhalten in Rede steht, die Tatbestandsverwirk­ lichung nur, aber immerhin für (einfach) wahrscheinlich gehalten hat und auch dann die Feststellung des voluntativen Elements des bedingten Vor­ satzes tragen. Es liegt durchaus nahe, dass jemand, der sich „so und nicht anders“ verhält, obwohl er es für wahrscheinlich hält, dass sein Verhalten zur Tatbestandsverwirklichung führen wird, die Tatbestandsverwirklichung zumindest billigend in Kauf genommen hat.65 65  Vgl. aus der Rechtsprechung des BGH zum Privatrecht BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 13/12, NJW 2013, 611 Rn.  14 (für den Glaubigerbenachteiligungsvorsatz im Rahmen von §  133 Abs.  1 InsO): „Kennt der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit, kann daraus auf einen Benachteiligungsvorsatz geschlossen werden. […] Auch die nur drohende Zahlungs­ unfähigkeit stellt ein starkes Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuld­ ners dar, wenn sie ihm bei der Vornahme der Rechtshandlung [sic] bekannt war [Nachw.]. In diesen Fällen handelt der Schuldner dann nicht mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er auf Grund konkreter Umstände – etwa der sicheren Aussicht, demnächst Kredit zu erhal­ ten oder Forderungen realisieren zu können – mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen kann. Droht die Zahlungsunfähigkeit, bedarf es konkreter Umstände, die nahe­ legen, dass die Krise noch abgewendet werden kann“. Vgl. aus dem Schrifttum etwa ­Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 51996, §  29 III = S.  302 im Rahmen ihrer Kri­ tik an der Wahrscheinlichkeitstheorie (darauf bezieht sich das folgende „nur“): „Die grö­ ßere oder geringere Wahrscheinlichkeit ist nur [und immerhin] ein Indiz für das Ernstneh­ men der Gefahr durch den Täter“; Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  73: „Andererseits wird der Streit um objektive und subjektive, intellektuelle und voluntative Elemente bei der Vorsatzabgrenzung vielfach in seiner Bedeutung überschätzt. Wenn alle einander bekämp­ fenden Lehren in den konkreten Ergebnissen nahe beieinander liegen, ist das kein Zufall. Denn auch Elemente mit voluntativem Einschlag […] können nur aus objektiven Anhalts­ punkten erschlossen werden […]. Das Maß der erkannten Gefahr und der Umstand, ob der Täter von seinem Standpunkt aus einen Anlass hatte, den Erfolg in Kauf zu nehmen, werden dabei die größte Rolle spielen“ (Hervorhebung nicht im Original); vgl. auch noch dort Rn.  78 ff. = S.  472 ff. für dahingehende Beispiele aus der Rechtsprechung des BGH zum Strafrecht.

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Nichts anderes als eine Anwendung und Konkretisierung dieses Erfah­ rungssatzes ist es, wenn der BGH im Rahmen der Vorsatzprüfung bei §  826 BGB in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, es könne „im Einzelfall beweisrechtlich naheliegen, dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betrof­ fenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Ge­ fahr verwirklicht oder nicht“.66 In eine ähnliche Richtung, allerdings wohl noch etwas weiter geht die vor allem im Zusammenhang mit der Experten­ haftung gebrauchte Formulierung, von vorsätzlichem Handeln sei „auszu­ gehen, wenn der Schädiger so leichtfertig gehandelt hat, dass er eine Schädi­ gung des anderen Teils in Kauf genommen haben muss“.67 Damit nähert man sich im Ergebnis den Vorstellungstheorien des Vor­ satzes an, ohne allerdings das voluntative Vorsatzelement ganz aufzugeben. Es behält eine eigenständige Funktion insbesondere dahin, dass es die Fest­ stellung von Vorsatz trotz (erkannter) Wahrscheinlichkeit der Tatbestands­ verwirklichung im Einzelfall ausschließen kann, nämlich wenn (festgestellt werden kann, dass) derjenige, dessen Verhalten in Rede steht, die Tatbe­ standsverwirklichung nicht billigend in Kauf nahm. Die (erkannte) Wahr­ scheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist in Bezug auf das volunta­ tive Vorsatzelement eben nur Indiztatsache. Der Erfahrungssatz, der den Schluss auf das voluntative Vorsatzelement trägt, kann nach Maßgabe der sonstigen Umstände also widerlegt sein, etwa weil es an einem Motiv für die Inkaufnahme der Tatbestandsverwirklichung fehlt.68 66  BGH, Urt. v. 4.6.2013 – VI ZR 288/12, NJW-RR 2013, 1448 Rn.  22; BGH, Urt. v. 20.11.­2012 – VI ZR 268/11, NJW-RR 2013, 550 Rn.  33; BGH, Urt. v. 20.12.2011 – VI ZR 309/10, NJW-­RR 2012, 404 Rn.  11; nahezu wortgleich etwa BGH, Urt. v. 13.12.2001 – VII ZR 305/99, NJW-­RR 2002, 740 Abschn.  II 2; BGH, Urt. v. 11.11.2003 – VI ZR 371/02, NJW 2004, 446 Ab­schn.  II 3 b.; vgl. aus dem privatrechtlichen Schrifttum MünchKomm  – Wagner, BGB, 82020, §  826 Rn.  30. Vgl. zur Akzeptanz dieses Schlusses auch in der Recht­ sprechung der Strafsenate des BGH die Nachweise bei Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8 2017, §  5 Rn.  88 = S.  119. 67  BGH, Urt. v. 9.3.2010 – XI ZR 93/09, NZG 2010, 550, 552; BGH, Urt. v. 6.5.2008  – XI ZR 56/07, NJW 2008, 2245 Rn.  46; gleichsinnig bereits BGH, Urt. v. 5.3.1975 – VIII ZR 230/73, BeckRS 1975, 31118386 Abschn.  III 2 b bb; zustimmend, näher und mit zu­ treffender Einordnung der Feststellung von Leichtfertigkeit als Beweisanzeichen für vor­ sätzliches Verhalten MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  826 Rn.  31 ff.; kritisch BeckOGK – Spindler, BGB, Stand: 1.5.2021, §  826 Rn.  18 ff. 68  Vgl. für das Strafrecht Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  32 = S.  450 f. und für Bei­ spiele aus der Rechtsprechung der Strafsenate des BGH dort Rn.  79 f. = S.  473 f.; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  88 = S.  119. Teilweise wird auch danach unter­ schieden, ob aktives Tun oder Unterlassen in Rede steht und dem genannten Schluss im

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c) Feststellung des voluntativen Elements des bedingten Vorsatzes bei bloßer Möglichkeitsvorstellung Darüber hinaus kann das voluntative Vorsatzelement des Vorsatzes die Fest­ stellung von Vorsatz im Einzelfall auch dann begründen, wenn (nur fest­ gestellt werden kann, dass) derjenige, dessen Verhalten in Rede steht, die Tatbestandsverwirklichung zwar nicht für wahrscheinlich, aber immerhin konkret für möglich hielt. Aus einem bloßen (wenn auch konkreten) Für-­ Möglich-Halten kann zwar keinesfalls nach der allgemeinen Lebenserfah­ rung darauf geschlossen werden, die Tatbestandsverwirklichung werde zu­ mindest auch billigend in Kauf genommen.69 Hier liegt vielmehr das Gegen­ teil nahe, was letztlich Ausdruck der Schwäche („Verdünnung“) des kognitiven Vorsatzelements in Gestalt bloß bedingten Wissens ist. Es ist aber denkbar, dass das voluntative Vorsatzelement positiv festgestellt wer­ den kann. So liegt es bei der Absicht und so kann es, im Sinne des bedingten Vorsatzes, beispielsweise liegen, wenn (festgestellt werden kann, dass) je­ mand ein Grundstück „um jeden Preis“ loswerden will, um einer erkannter­ maßen drohenden Sanierungsanordnung zuvor zu kommen.70 Dann mag sich die Veräußerung ohne Offenlegung einer nur, aber immerhin konkret für möglich gehaltenen schwerwiegenden Bodenkontamination im Einzel­ fall als arglistige (vorsätzliche) Täuschung darstellen. 3. Wechselseitige Ergründungs- und Besicherungsfunktion von kognitivem und voluntativem Vorsatzelement Auf Tatsachen- und Beweisebene erweist sich der herrschende zweigliedrige kognitiv-voluntative Vorsatzbegriff damit keinesfalls als besonders „leicht­ gängig“, sondern im Gegenteil als in besonderem Maße sensibel. Die Fälle, in denen dem voluntativen Element neben dem Verhaltensbe­ zug des Vorsatzes und neben dem kognitiven Vorsatzelement, zumal in sei­ ner Ausprägung als Wahrscheinlichkeitsvorstellung, im Einzelfall Ergebnisrelevanz zukommt, dürften selten und eher exzentrischer Natur sein. Hinzu kommt, dass im Privatrecht ein besonderer Unrechtsgehalt, der in einem voluntativen Element im Sinne einer Entscheidung für die Rechtsgutsverlet­

zweiten Fall eine tendenziell geringere Plausibilität zugeschrieben; vgl. Heinrich, Straf­ recht Allgemeiner Teil, 52016, §  12 Rn.  267 = S.  101 f. 69  Deutlich etwa Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 52016, §   12 Rn.  273 = S.  104. Anders Frisch, JuS 1990, 362, 366. 70  Beispiel in Anlehnung an die Ausführungen von Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  32 = S.  450 f. zum „Lederriemenfall“.

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zung zum Ausdruck kommen mag,71 regelmäßig und namentlich dort, wo es ausschließlich um den Ausgleich von reinen Vermögensinteressen geht, kei­ ne oder jedenfalls keine so bedeutsame Rolle spielt wie im Strafrecht. Das voluntative Vorsatzelement ist aber jedenfalls aus einem anderen Grund unverzichtbar. Ihm kommt nämlich im Zusammenspiel mit dem ­kognitiven Vorsatzelement auch jenseits der behandelten Fälle generell eine gewichtige Ergründungs- und Besicherungsfunktion zu,72 namentlich die Funk­tion, die erheblichen Unschärfen des kognitiven Vorsatzelements aus­ zugleichen, die – sowohl auf theoretisch-definitorischer Ebene bestehen (welches Maß an subjektiver Sicherheit ist erforderlich und wie präsent und begründet muss eine Vorstellung sein, um bedingtes oder unbedingtes Wissen zu begründen? welche Anforderungen sind an die epistemische Rechtfertigung einer Über­ zeugung oder Meinung zu stellen, um „Wissen“, ein „Für-Wahrschein­ lich-Halten“ oder auch nur ein bloßes „Für-Möglich-Halten“ zu begrün­ den?) – als auch auf Ebene der Rechtsanwendung bei der Feststellung eines be­ stimmten „Wissensstandes“. Es liegt, zumal auf Ebene der konkreten Rechtsanwendung, ein entschei­ dender Gewinn darin, ein Urteil über den subjektiven Tatbestand nicht al­ lein auf die Annahme bzw. Feststellung zu stützen, jemand habe dieses und 71 Vgl. für das Strafrecht ders., Strafrecht, 42006, §   12 Rn.  72 f. = S.  468 f. und öfter; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  11 = S.  83 f. und öfter; wohl anders NK  – Puppe, StGB, 52017, §  15 Rn.  67, wenn sie das von ihr abgelehnte voluntative Vorsatzele­ ment als „für das subj. Unrecht irrelevantes Gesinnungsmoment“ einordnet. 72  Deutlich in diese Richtung etwa auch Schünemann, JR 1989, 89, 94 mit der zutref­ fenden Feststellung, dass der „verbleibende Unterschied zwischen den diversen kogni­ tiven Vorsatztheorien und der herrschenden kognitiv-voluntativen Vorsatztheorie „nur darin [besteht], daß der BGH in einer dogmatisch nicht abschließend definierten Weise Raum für eine ‚Gesamtwürdigung der konkreten Gegebenheiten‘ läßt“; Fischer, Über das Strafen, 2018, S.  203 ff., der Wissen und Wollen als die „zwei Seiten innerer Einstellung“ einordnet. Mit entgegengesetzter Tendenz NK – Puppe, StGB, 52017, §  15 Rn.  43 f., die den Ertrag des Willenselements im Ergebnis für „allzu geringfügig“ hält und insbesonde­ re die „völlige Unberechenbarkeit und Manipulierbarkeit der Entsch. zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit“ nach dem hergebrachten Vorsatzbegriff kritisiert. Mit der hier beton­ ten Ergründungs- und Besicherungsfunktion ist übrigens nicht gemeint, dass im Rahmen der Vorsatzprüfung ein etwaiges „Weniger“ an Wissen oder an „vorgestellter Wahrschein­ lichkeit“ durch ein „Mehr“ an Wollen kompensiert werden könnte; vgl. zu Überlegungen in diese Richtung dies., GS Kaufmann, 1989, S.  15, 31 f. und Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  49 f. = S.  102 f. Die Ergründungs- und Besicherungsfunktion des Wol­ lenselements des Vorsatzes ist vielmehr, wie gesagt, auf die generelle Unsicherheit im Um­ gang mit dem Inneren (dem Subjektiven) eines anderen bezogen.

A. Vorsatz

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jenes „gewusst“ (hatte „sichere Kenntnis davon, dass“; „war überzeugt da­ von oder meinte zumindest, es sei (ganz) (überwiegend) wahrscheinlich bzw. möglich, dass“), sondern nur und erst auf die Annahme bzw. Feststel­ lung, jemand habe dieses und jenes „gewusst und gewollt“ („zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen“), weil der Rechtsanwen­ der dabei gehalten ist, aus zwei Blickwinkeln auf den zu beurteilenden Sach­ verhalt zu blicken.73 Damit ist letztlich die vom BGH für das Privatrecht wie für das Strafrecht ­regelmäßig angemahnte umfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls bei der Vorsatzprüfung angesprochen.74 Während für die Fest­ stellung des kognitiven Vorsatzelements Indizien wie (1) die objektive Ge­ fährlichkeit der Handlung und die Fähigkeit des Handelnden, diese zu er­ kennen (Intelligenz, Erfahrung), (2) die Sichtbarkeit und Überschaubarkeit der Situation für den Handelnden insbesondere unter Berücksichtigung vo­ rangehender Kommunikationsakte,75 (3) die Zeit, die der Handelnde für eine Wahrnehmung hat und (4) als Gegenindiz beispielsweise die affektive Belastung des Handelnden in der konkreten Situation relevant sind, stehen bei der Feststellung des voluntativen Vorsatzelements Indizien im Fokus, die Rückschlüsse auf die in dem in Rede stehenden Verhalten wirksam ge­ wordene innere Einstellung des Handelnden zulassen, etwa (5) ein betätigtes Vermeideverhalten, (6) eine emotive Nähe zwischen den Beteiligten und (7) vor allem die Motivlage des Handelnden.76 73  In

diesem Sinne wohl etwa auch Lackner/Kühl – Kühl, StGB, 292018, §  15 Rn.  30; Otto, Jura 1996, 468, 471: „Die Wissens- und Willensseite des Vorsatzes sind nur verschie­ dene Elemente desselben komplexen psychologischen Sachverhalts“ (wörtliches Zitat der noch von Lackner verantworteten 21.  Aufl. 1995 des vorgenannten Kommentars; Her­ vorhebung nur bei Otto). 74  BGH, Urt. v. 4.6.2013 – VI ZR 288/12, NJW-RR 2013, 1448 Rn.   22: „Allerdings kann der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht allein das Kriterium für die Frage sein, ob der Handelnde mit dem Erfolg auch einverstanden war. Vielmehr ist immer eine umfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls erforderlich“; gleichsinnig BGH, Urt. v. 20.11.2012 – VI ZR 268/11, NJW-RR 2013, 550 Rn.  33; BGH, Urt. v. 20.12.2011 – VI ZR 309/10, NJW-RR 2012, 404 Rn.  11 m. w. N. Diesbezüglich kri­ tisch MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  826 Rn.  30, nach dem mehr als die Kenntnis von der Wahrscheinlichkeit der Schadensverursachung im Zeitpunkt ex ante nicht zu ver­ langen sei. Allgemein zur „Gesamtwürdigungsrechtsprechung“ der Strafsenate des BGH noch Fischer, ZIS 2014, 97, 101 mit dem Hinweis, Kritik daran „mag sich – zu Recht – auch gegen eine Ersetzung differenzierter Tatsachen-Bewertung durch ein möglicherwei­ se von normativen Erwägungen überlagertes „Beweis­bild“ richten“. 75  Vgl. speziell hierzu auch schon oben Kapitel  1 A.IV.1. = S. 42 ff. 76 Vgl. aus dem strafrechtswissenschaftlichen Schrifttum etwa den Überblick von Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  87 = S.  118 f. m. w. N.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Auf theoretisch-definitorischer Ebene zeigt sich die wechselseitige Er­ gründungs- und Besicherungsfunktion der beiden subjektiven Vorsatzele­ mente deutlich in der vorstehend geschilderten Konkretisierung des volun­ tativen Elements im Sinne eines „Ernstnehmens“ der konkreten Möglich­ keit der Tatbestandsverwirklichung, wenn man dieses zutreffend dahin versteht, dass damit auf ein Erfordernis der psychischen Verarbeitung des Risikowissens bzw. der erkannten konkreten Möglichkeit der Tatbestands­ verwirklichung verwiesen wird.77 Dieses Verarbeitungselement ist unmit­ telbar auf das Wissenselement bezogen und geht jedenfalls dann sogar ganz darin auf, wenn man den Wissensbegriff im Sinne des Internalismus konkre­ tisiert und für das Vorliegen von „Wissen“ die direkte Zugänglichkeit (Ver­ fügbarkeit) rechtfertigender Gründe fordert.78 Für eine konkrete Wahrscheinlichkeits- oder Möglichkeitsvorstellung als bedingtes Wissen gilt in Bezug auf die erforderliche Konkretheit der Vor­ stellung nichts anderes. Ob eine wahrgenommene Information verarbeitet und gespeichert wird und damit Wissen oder eine konkrete Wahrscheinlich­ keits- oder Möglichkeitsvorstellung begründet oder nicht, hängt, wie bereits angesprochen, auch von der Bedeutung der Information für den Wahrneh­ menden ab und damit von einem voluntativen Element, denn die subjektive Bedeutung einer Information beschreibt letztlich vor allem die Intensität, mit der man etwas „wissen will“.79 Das Erfordernis eines „Sich-Abfindens“ bzw. „Hinnehmens“ der Tatbe­ standsverwirklichung geht hingegen über das kognitive Element hinaus. Hier verwirklicht sich die Ergründungs- und Besicherungsfunktion des vo­ luntativen Vorsatz­elements auf Ebene der Rechtsanwendung, und zwar da­ durch, dass die Feststellung des „Sich-Abfindens“ bzw. des „Hinnehmens“ der Tatbestandsverwirklichung, wie gezeigt, jenseits des Schlusses von einer (seinerseits festgestellten) konkreten Wahrscheinlichkeitsvorstellung den Rekurs auf andere Erfahrungssätze und Indizien bzw. Indikatoren als bei der Feststellung des kognitiven Vorsatzelements ermöglicht und fordert.

77  Näher dazu ders., Strafrecht Allgemeiner Teil, 82017, §  5 Rn.  73 f. = S.  112 f. m. w. N. aus der strafrechtswissenschaftlichen Lit. 78  Oben Kapitel  1 A.I.1.c) = S. 22. 79 Ganz ähnlich, wenn auch vor allem auf den „Abruf“ von Wissen bezogen, van Dunné, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 49 (Diskussionsbeitrag).

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VI. Bezugspunkte des Vorsatzes 1. Tatsachen und rechtliche Schlussfolgerungen Ähnlich wie bei (vermeintlich) einfachen Wissenstatbeständen, stellt sich auch bei Vorsatztatbeständen die Frage, ob sich der Vorsatz nur auf die die Tatbestandsmäßigkeit des in Rede stehenden Sachverhalts konstituierenden Tatsachen beziehen oder auch relevante rechtliche Schlussfolgerungen ein­ schließen muss. Im Strafrecht wird insofern maßgeblich zwischen deskriptiven und nor­ mativen Tatbestandsmerkmalen unterschieden, wobei die Details allerdings umstritten sind. Im Wesentlichen werden als deskriptive Tatbestandsmerk­ male solche Tatbestandsmerkmale eingeordnet, die im Kern auf Tatsachen verweisen, die man als solche wahrnehmen und erkennen kann (z. B. „weg­ nehmen“), wobei auch innere Tatsachen (seelische Gegebenheiten oder Vor­ gänge) als deskriptive Tatbestandsmerkmale erfasst werden.80 Hier muss sich der Vorsatz auf die Tatsachen beziehen, die die Tatbestandsmäßigkeit des Sachverhalts begründen. Als normative Tatbestandsmerkmale werden demgegenüber Tatbestands­ merkmale eingeordnet, die in ihrem Kern wertungsabhängig („Urkunde“) oder sogar insgesamt rechtlich geprägt sind (z. B. „fremde“ Sache).81 Bei solchen norma­tiven Tatbestandsmerkmalen muss sich der Vorsatz nicht nur auf die Tatsachen beziehen, die dem normativen Tatbestandsmerkmal zu­ grunde liegen, sondern darüber hinaus auch auf deren sozialen Sinn- oder Bedeutungsgehalt,82 wobei es ausreicht, wenn dieser im Sinne einer „Paral­ lelwertung in der Laiensphäre“ nachvollzogen wird.83 Verkennt der Täter den sozialen Sinn- oder Bedeutungsgehalt eines normativen Tatbestands­ merkmals, unterliegt er einem Tatsachenirrtum und handelt unvorsätzlich. Die Unterscheidung zwischen deskriptiven oder normativen Tatbestands­ merkmalen wirft zahlreiche Fragen auf. Bereits die Unterscheidung als sol­ che ist problematisch. Auch die Konkretisierung (vermeintlich) simpler Tat­ bestandsmerkmale wie etwa der „Wegnahme“ im Strafrecht ist jedenfalls in Randbereichen durchaus von rechtlichen Wertungen abhängig. Das führt 80 

Vgl. statt vieler Roxin, Strafrecht, 42006, §  10 Rn.  58 = S.  308 Vgl. Lackner/Kühl – Kühl, StGB, 292018, §  15 Rn.  5. 82 Exemplarisch Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  101 = S.  486; Lackner/Kühl – Kühl, StGB, 292018, §  15 Rn.  14. 83  Vgl. zur Gebräuchlichkeit dieser Formel (auch) im Strafrecht nur Roxin, Strafrecht, 4 2006, §  12 Rn.  101 ff. = S.  486 ff. (dort Fn.  187 auch zur abweichend formulierten, inhalt­ lich aber wohl identischen Formel von der „Parallelbeurteilung im Täterbewusstsein“); Lackner/Kühl – Kühl, StGB, 292018, §  15 Rn.  14. 81 

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für das Strafrecht teilweise zu der Annahme, bei den meisten Tatbestands­ merkmalen seien letztlich beide Formen der Kenntnis nötig, indem „deren deskriptive Elemente wahrgenommen und ihre normativen Gehalte verstan­ den werden müssen“.84 Für das Privatrecht werden die Unterscheidung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen und der Rekurs auf die Formel von der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ für letztere teilweise übernommen.85 Damit wird zur Konkretisierung des Bezugspunktes des Vorsatzes bei nor­ mativen Tatbestandsmerkmalen auf dieselbe Formel rekurriert wie für die Konkretisierung des Bezugspunktes einfachen Wissens bei Normen, die tat­ bestandlich Rechtswissen voraussetzen. Beispiel für ein jedenfalls im Kern deskriptives Tatbestandsmerkmal im Privatrecht könnte etwa dasjenige der „tatsächlichen Sachherrschaft“ als Element des unmittelbaren Besitzes86 und dasjenige des „Entzugs“ des Be­ sitzes als Element verbotener Eigenmacht gemäß §  858 Abs.  1 BGB sein, die im Rahmen von §  992 BGB nach wohl überwiegendem Verständnis ver­ schuldet sein muss.87 In der Rechtsprechung des BGH anerkanntes Beispiel für ein normatives Tatbestandsmerkmal ist der Bedeutungssinn eines Bank­ geschäfts bezüglich §§  1 Abs.  1, 2 Nr.  1, 32 Abs.  1, 54 Abs.  1 Nr.  2 KWG a. F., der etwa über §  823 Abs.  2 BGB Vorsatzbezugspunkt sein kann.88 Weiteres, weniger randständiges Beispiel könnte etwa – Parallel zu §  442 Abs.  1 S.  1 BGB auf Käuferseite89 – das Tatbestandsmerkmal des „Mangels“ als Be­ zugspunkt des arglistigen (= vorsätzlichen) Verschweigens nach §§   438 Abs.  3 S.  1, 442 Abs.  1 S.  2, 444 Fall 1 BGB sein mit der Folge, dass der Vor­ wurf des arglistigen Verschweigens eines Mangels ausscheidet, wenn der Verkäufer von den ihm bekannten mangelbegründenden Umständen nicht zumindest im Sinne einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ auf die Man­ 84 Exemplarisch

Roxin, Strafrecht, 42006, §  10 Rn.  59 f. = S.  308 f. und §  12 Rn.  100 = S.  485 (hierher das wörtliche Zitat). 85  Vgl. etwa BGH Urt. v. 10.7.1984 – VI ZR 222/82, NJW 1985, 134 Abschn.  II 2 b aa (für §  823 Abs.  2 BGB i. V. m. §  1 des Gesetzes zur Sicherung von Bauforderungen (GSB) vom 1.6.­1909); BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  276 Rn.  44. 86  Vgl. aber zur normativen Überlagerung selbst dieses Tatbestandsmerkmals jeden­ falls in den Randbereichen die Probefahrtentscheidungen BGH, Urt. v. 17.3.2017 – V ZR 70/16, NJW-RR 2017, 818 Rn.  10 ff. und BGH, Urt. v. 18.9.2020 – V ZR 8/19 Rn.  10 ff. 87  Vgl. etwa BeckOK – Fritzsche, BGB, Stand: 1.5.2021, §  992 Rn.  6. Gegen ein Ver­ schuldenserfordernis in Bezug auf die verbotene Eigenmacht bei §  992 BGB aber etwa BeckOGK  – Spohnheimer, BGB, Stand: 1.5.2021, §  992 Rn.  9. 88  BGH, Teilversäumnis- und Schlussurt. v. 30.7.2019 – VI ZR 486/18, NJW-RR 2019, 1524 Rn.  27, wobei der BGH hier allerdings auf bußgeldrechtliche Maßstäbe abstellt. 89  Vgl. oben Kapitel  1 A.V.2.a) = S. 60 f.

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gelhaftigkeit der Kaufsache im Rechtssinne geschlossen hat, etwa weil er meinte, es sei bei gebrauchten Häusern im Sinne des §  434 Abs.  1 S.  2 Nr.  2 BGB üblich und zu erwarten, dass sie (auch erheblichen) Schimmelbefall aufweisen. Doch wird für den subjektiven Tatbestand des arglistigen Ver­ schweigens eines Mangels überwiegend verneint, dass sich der Vorsatz hier überhaupt auf die rechtliche Schlussfolgerung, die Kaufsache sei mangelhaft, erstrecken müsste.90 Im Ergebnis dürfte sich die Rechtslage bei (expliziten) Vorsatznormen da­ mit nicht anders darstellen als bei Wissensnormen: Ob und in welcher Weise recht­ liche Schlussfolgerungen Bezugspunkt des subjektiven Tatbestands sind und damit vom Vorsatz (arglistige Täuschung durch den Verkäufer be­ züglich der Mangelfreiheit der Kaufsache) oder vom Wissen (Kenntnis des Käufers von einem Mangel der Kaufsache) umfasst sein müssen, ist durch Auslegung zu ermitteln. Man mag das betreffende Tatbestandsmerkmal bei Vorsatznormen bejahendenfalls als normatives Tatbestandsmerkmal be­ zeichnen und ansonsten als deskriptives Tatbestandsmerkmal, doch ist da­ mit in der Sache nichts anderes gesagt als bei Wissensnormen: Im ersten Fall ist eine rechtliche Schlussfolgerung im Sinne einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ notwendiges Element des subjektiven Tatbestands, im zweiten Fall nicht. 2. Rechts-, Pflicht- und Obliegenheitswidrigkeit („Unrechtsbewusstsein“) a) Ausgangspunkt: Die Vorsatztheorie Bis hierin dürften sich (vermeintlich) einfache Wissenstatbestände und Vor­ satz­tatbestände im Privatrecht hinsichtlich ihrer Bezugspunkte auch nach hergebrach­tem Verständnis nicht unterscheiden. Bei Vorsatztatbeständen kommt allerdings noch eine weitere Ebene hinzu. Hier wird außerdem die Frage gestellt, ob sich der Vorsatz zusätzlich auf die Rechts-, Pflicht- oder 90  Exemplarisch BGH, Beschl. v. 8.12.2006 – V ZR 249/05, NJW 2007, 835 Rn.  8: „Ein arglistiges Verschweigen setzt voraus, dass der Verkäufer den Fehler kennt oder ihn zu­ mindest für möglich hält, wobei es genügt, dass er die den Fehler begründenden Umstän­ de kennt (oder für möglich hält). Ob er sie rechtlich zutreffend als Fehler im Sinne des Gesetzes einordnet, ist demgegenüber ohne Belang […]. Damit kann – entgegen der Auf­ fassung der Revisionserwiderung – ein arglistiges Verhalten nicht mit dem Argument ver­ neint werden, die Bekl. hätten die Gefahr gelegentlicher Überschwemmungen für den „Normalfall” gehalten. Maßgeblich und ausreichend ist vielmehr allein, dass ihnen diese Gefahr, die allein schon den Sachmangel begründet, nach den Feststellungen des BerGer. tatsächlich bekannt war“; vgl. ferner BGH, Urt. v. 30.11.2012 – V ZR 25/12, NJW 2013, 1671 Rn.  20; BGH, Urt. v. 7.3.2003 – V ZR 437/01, NJW-­RR 2003, 989 Abschn.  II 2 b; aus der Lit. etwa BeckOGK – Arnold, BGB, Stand: 11.1.­2021, §  438 Rn.  192.

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Obliegenheitswidrigkeit des in Rede stehenden (vorsätzlichen) Verhaltens als solche und damit auf die rechtliche Gesamtbewertung91 des in Rede ste­ henden Verhaltens als rechts-, pflicht- oder obliegenheitswidrig beziehen muss. Diese Frage wird verbreitet formal von der Frage der Inbezugnahme sonstiger Rechtsfragen über normative Tatbestandsmerkmale getrennt be­ handelt und unter dem (allerdings, zumal für das Privatrecht, nicht sehr glücklichen) Stichwort des „Unrechtsbewusstseins“ erörtert. Für das Strafrecht wird heute ganz überwiegend davon ausgegangen, dass das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit des eigenen Verhaltens nicht als Ele­ ment des Vorsatzes relevant ist. Es ist aber auch nicht vollständig irrelevant, sondern wird als Element der Schuld adressiert (§  17 StGB; Schuldtheo­ rie).92 Für das Privatrecht wird hingegen überwiegend davon ausgegangen, das Bewusstsein der Pflicht- oder Rechtswidrigkeit des eigenen Verhaltens sei grundsätzlich Element des Vorsatzes (Vorsatztheorie).93 So wird etwa für §  280 BGB davon ausgegangen, der Vorsatz des Schuldners müsse sich auch darauf beziehen, dass sein Verhalten rechtlich die Verletzung einer Pflicht aus dem in Rede stehenden Schuldverhältnis darstellt.94 Gleichsinnig wird 91 Vgl.

Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  104 = S.  489 und §  21 Rn.  2 = S.  927. Vgl. insbesondere BGH, Beschl. v. 18.3.1952 – GSSt 2/51, NJW 1952, 593. 93  Vgl. allgemein etwa Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 14 1987, §  20 II = S.  279 f.; BeckOK – Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  276 Rn.  13; Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1996, Rn.  487 f.; Rittner, FS v. Hippel, 1967, S.  391, 411. Wohl erstmals RG, Urt. v. 29.9.1909 – Rep. I 310/08, RGZ 72, 4, 6 (obi­ ter dictum): „Das vorsätzliche Verschulden schließt richtiger Ansicht nach nicht nur die Erkenntnis des schädigenden Erfolges, sondern auch die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des Handelns in sich“. Grundlegende Aufarbeitung der frühen Rechtsprechung zum Rechtsirrtum bei Mayer-­Maly, AcP 170 (1970), 133 ff. Nach Binding war das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (der „Unerlaubtheit“) auch im römischen Recht notwendiger Be­ zugspunkt des dolus; näher Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band  II: Schuld und Vorsatz, Teil  2: Der rechtswidrige Vorsatz, 21916, S.  672 ff. und insbesondere die Nachw. S.  675 Fn.  18. Für die Anwendung der Schuldtheorie auch im Privatrecht Münch­ Komm – Wagner, BGB, 82020, §  823 Rn.  49. 94  Vgl. etwa BeckOGK – Riehm, BGB, Stand: 1.4.2021, §  280 Rn.  184; Larenz, Lehr­ buch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 II = S.  281 f. (Beispielsfall: Irrtum des Schuldners über seine transportvertragliche Verpflichtung zur vorübergehen­ den Durchführung von Nachttransporten). Vgl. für die Haftung aus culpa in contrahendo BGH, Urt. v. 04.11.1987  – VIII ZR 313/86, NJW-RR 1988, 241 II 2 c bb: „Ein Verschul­ den des Streithelfers läßt sich nicht mit der Begründung verneinen, auch er habe sich über die Rechtsfolgen des Leasingverhältnisses keine klare Vorstellung gemacht. Da er sich mit der Vorbereitung des Leasingvertrages befaßte, wäre es seine Pflicht gewesen, sich über die wesentlichen Einzelheiten der vorformulierten Bedingungen zu informieren“; für den Fall der Haftung wegen vorsätzlicher Aufklärungspflichtverletzung bezüglich vereinbar­ 92 

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auch bei §  823 Abs.  1 BGB95 und bei §  839 BGB96 davon ausgegangen, der Vorsatz müsse sich auf die Rechtswidrigkeit der in Rede stehenden Rechts­ gutsverletzung bzw. die Pflicht- bzw. Rechtswidrigkeit der in Rede stehen­ den Amtshandlung erstrecken. Fehlt das erforderliche „Unrechtsbewusstsein“, liegt also ein relevanter Rechts­irrtum (Verbotsirrtum) vor, stellt sich das in Rede stehende Verhalten nach der Vorsatztheorie ebenso wie bei einem Tatsachenirrtum als unvorsätzlich dar, und zwar – das ist gerade der Gehalt der Vorsatztheorie – unab­ hängig davon, ob der Irrtum vermeidbar (vorwerfbar) oder unvermeidbar (nicht vorwerfbar) war.97 Bei absoluten Vorsatznormen, die eine Haftung für Fahrlässigkeit nicht vorsehen, kommt eine Haftung dann nach her­ kömmlichem Verständnis nicht in Betracht. b) Haftung für Fahrlässigkeit Ganz anders stellt sich die Rechtslage bei Tatbeständen dar, die Fahrlässig­ keit genügen lassen (Verschuldensnormen). Der Vorwurf der Fahrlässigkeit ter Rückvergütungen zugunsten einer Bank BGH, Urt. v. 19.12.2006 – XI ZR 56/05, NJW 2007, 1876 Rn.  25: „Das Verschweigen der Rückvergütungen ist nur dann vorsätzlich ge­ schehen, wenn K die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens bewusst war. Auch ein bloßer Rechtsirrtum schließt nach ständiger Rechtsprechung des BGH Vorsatz aus“. 95  Vgl. etwa BGH, Urt. v. 12.5.1992 – VI ZR 257/91, NJW 1992, 2014 Abschn.  II 5; Beck­OGK – Spindler, BGB, Stand: 1.5.2021, §  823 Rn.  94. Abweichend MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  823 Rn.  49. Besonderheiten ergeben sich bei §  823 Abs.  2 BGB aus dem Zusammenspiel mit Strafvorschriften in Ansehung der dort maßgeblichen Schuld­ theorie; MünchKomm – ders., BGB, 82020, §  823 Rn.  610; BeckOGK – Spindler, BGB, Stand: 1.5.2021, §  823 Rn.  273; BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  276 Rn.  47; Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 159 ff. 96  Vgl. BGH, Urt. v. 16.6.1977 – III ZR 179/75, NJW 1977, 1875 Abschn.  I 5 für einen Fluglotsenstreik. Der BGH lässt dabei übrigens in der Sache bedingten Vorsatz ausrei­ chen, wenn er ausführt, „die Flugleiter hätten spätestens in dem hier kritischen Zeitpunkt […] mit der Möglichkeit (positiv) gerechnet, daß ihre einen für die Volkswirtschaft we­ sentlichen Verkehrsbereich nachhaltig störende Aktion gegen ihre Amtspflichten versto­ ße. Dem Zusammenhang der Gründe des angefochtenen Urteils ist auch die weitere Fest­ stellung zu entnehmen, daß die Beamten die Möglichkeit, mit der Aktion ihre Amts­ pflichten zu verletzen, gebilligt haben“. 97  Vgl. den Überblick über die Rechtsprechung bei BGH, Urt. v. 15.7.2014 – XI ZR 418/13, NJW 2014, 2951 Rn.  14 f.: „Während die vorsätzliche Haftung bereits bei einem bloßen Rechts­irrtum entfällt […], ist die Haftung wegen Fahrlässigkeit nur bei einem unvermeidbaren Rechtsirrtum ausgeschlossen“. Gleichsinnig wird das teilweise dahin formuliert, auch ein „fahrlässiger Rechtsirrtum“ schließe den Vorsatz aus; etwa Emme­ rich/Habersack – Emmerich, 92019, §  20 AktG Rn.  55; Emmerich/Habersack – Schürnbrand/Habersack, 92019, §  44 WpHG Rn.  21.

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entfällt nämlich nur, wenn der Rechtsirrtum unvermeidbar (nicht vorwerf­ bar; nicht sorgfaltswidrig im Sinne von §  276 Abs.  2 BGB) war.98 An die Unvermeidbarkeit eines Rechtsirrtums werden dabei sehr hohe Anforderungen gestellt. Der BGH verlangt in ständiger Rechtsprechung, dass der Schuldner „die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig be­ achten“ muss.99 Kommt der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Rechtslage unklar ist, setzt ein Entfallen des Fahrlässig­ keitsvorwurfs weiter ­voraus, dass der Schuldner „mit einer anderen Beurtei­ lung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte“.100 Fahrlässig handelt hiernach also regelmäßig bereits, wer auch nur „mit der Möglichkeit rech­ nen [musste], dass das zuständige Gericht einen anderen Rechtsstandpunkt einnehmen würde als er“101 oder wer sich „erkennbar in einem Grenzbe­ reich des rechtlich Zulässigen bewegt“.102 Den Schuldner treffe „grundsätz­ lich“ das „Risiko, die Rechtslage zu verkennen“.103 Hintergrund dieser Strenge ist, dass der Schuldner das Risiko der zweifelhaften Rechtslage nicht dem anderen Teil (dem Gläubiger) zuschieben können soll.104 98  Vgl.

den Überblick über die Rechtsprechung bei BGH, Urt. v. 15.7.2014 – XI ZR 418/13, NJW 2014, 2951 Rn.  14 f.; vgl. aus der Lit. etwa Palandt – Grüneberg, BGB, 80 2021, §  276 Rn.  11; BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  276 Rn.  47. 99  Etwa für den Fall eines Rechtsirrtums über Bestehen und Umfang einer konkreten Aufklärungspflicht BGH, Urt. v. 15.7.2014 – XI ZR 418/13, NJW 2014, 2951 Rn.  14; fer­ ner etwa BGH, Urt. v. 20.9.2011 − II ZR 234/09, NJW-RR 2011, 1670 – ISION; aus der jüngeren Lit. etwa Verse, ZGR 2017, 174, 176 f. 100  Gleichlautend etwa BGH, Teilversäumnis- und Schlussurt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/­13, NJW 2014, 2720 Rn.  23; BGH, Urt. v. 5.4.2017 – IV ZR 437/15, NJW 2017, 2268 Rn.  19; gleichsinnig etwa auch BGH, Urt. v. 15.7.2014 – XI ZR 418/13, NJW 2014, 2951 Rn.  14 f. 101  BGH, Urt. v. 5.4.2017 – IV ZR 437/15, NJW 2017, 2268 Rn.  19 m. w. N. 102  BGH, Urt. v. 15.7.2014 – XI ZR 418/13, NJW 2014, 2951 Rn.  15; BGH, Teilver­ säumnis- und Schlussurt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, NJW 2014, 2720 Rn.  24. 103  BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NJW-RR 2015, 988 Rn.  28 zu §  93 Abs.  1 S.  1 AktG. 104  BGH, Urt. v. 15.7.2014 – XI ZR 418/13, NJW 2014, 2951 Rn.  15; BGH, Teilver­ säumnis- und Schlussurt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, NJW 2014, 2720 Rn.  24; aus der jüngeren Lit. Verse, ZGR 2017, 174, 181 mit instruktiver Gegenüberstellung der (insofern weniger strengen) Rechtsprechung im Straf- und Bußgeldrecht, wo dieses „Drittbelas­ tungsargument“ nicht oder jedenfalls nicht mit gleicher Dringlichkeit Platz greift. Zu den (seltenen) Fällen, in denen der BGH die Unvermeidbarkeit eines Rechtsirrtums ange­ nommen hat, gehört etwa der Fall, dass eingeholte rechtsanwaltliche Auskünfte zur recht­ lichen Behandlung des in Rede stehenden Sachverhalts (Erlaubnispflichtigkeit eines be­ stimmten Geschäftsmodells nach dem Kreditwesengesetz) offensichtlich mit der zunächst geäußerten, später allerdings korrigierten Auffassung der zuständigen Aufsichtsbehörde

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Holt der Schuldner Rechtsrat ein – was nach dem Vorstehenden geboten sein kann –, hat er nach allgemeinen Regeln jedenfalls für die sorgfältige Auswahl, Anleitung und Überwachung des Rechtsberaters einzustehen (Haftung für ei­genes Verschulden). Im Kontext der gesellschaftsrechtlichen Innenhaftung der Leitungsorgane hat der BGH das weiter dahin konkreti­ siert, ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft, das selbst nicht über die für eine Beurteilung der Rechtslage erforderliche Sachkunde verfügt, könne sich nur ausnahmsweise wegen eines Rechtsirrtums entlasten, wenn es sich „unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt und die erteilte Rechtsauskunft einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht“,105 wobei die Plausibilitätsprüfung allerdings „nicht in einer rechtlichen Überprüfung der erhaltenen Rechtsauskunft“ bestehe, sondern in der Überprüfung, „ob dem Berater nach dem Inhalt der Auskunft alle erforderlichen Infor­ mationen zur Verfügung standen, er die Informationen verarbeitet hat und alle sich in der Sache für einen Rechtsunkundigen aufdrängenden Fragen widerspruchsfrei beantwortet hat oder sich auf Grund der Auskunft weitere Fragen aufdrängen“.106 übereinstimmten; vgl. BGH, Urt. v. 27.6.2017 – VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004 Rn.  15 ff. zu §  823 Abs.  2 BGB iVm §§  32 Abs.  1, 54 KWG. 105  BGH, Urt. v. 20.9.2011 − II ZR 234/09, NJW-RR 2011, 1670 Rn.  18 – ISION zu §  93 Abs.  3 Nr.  4 AktG; in der Folge BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NJW-RR 2015, 988 Rn.  28, 35 zu §  93 Abs.  1 S.  1 AktG; vgl. dazu aus der Lit. etwa Koch, FS Bergmann, 2019, S.  413, 419 f., 423 ff. (insbesondere auch zur Einordnung dieser Frage als Verschul­ densfrage); Verse, ZGR 2017, 174, 176 f.; Weyland, NZG 2019, 1041 ff., je m. w. N. 106  BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NJW-RR 2015, 988 Rn.  33 zu §  93 Abs.  1 S.  1 AktG. In dieselbe Richtung geht es, wenn der BGH feststellt, der Schuldner dürfe nach den für ihn erkennbaren Umständen (erst dann) nicht mehr auf die Richtigkeit einer ein­ geholten rechtsanwaltlichen Auskunft vertrauen, „wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist. Eher zur Absiche­ rung als zur Klärung bestellte ‚Gefälligkeitsgutachten‘ scheiden als Grundlage unver­ meidbarer Verbotsirrtümer aus. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine ‚Feigenblattfunktion‘ erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Insbesondere bei komplexen Sachver­ halten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schrift­ liches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen. Die Beurteilung, ein Verbotsirrtum sei infolge eines vom Täter eingeholten anwaltlichen Rates unvermeidbar gewesen, setzt deshalb hinreichende Feststellungen zu Anlass, Zweck und Inhalt des dem Rechtsanwalt erteilten Auftrags sowie zu dem ersichtlichen Gehalt und den Begleitumständen der anwaltlichen Überprüfung voraus“; BGH, Urt. v. 27.6.2017 – VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004 Rn.  13 zu §  823 Abs.  2 BGB i. V. m. §§  32 Abs.  1, 54 KWG.

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Innerhalb bestehender Sonderverbindungen kommt außerdem eine Ein­ stands­pflicht für ein etwaiges Verschulden des Beraters nach Maßgabe von §  278 BGB in Betracht, für dessen Ausschluss wiederum die dargestellten strengen Grundsätze gelten.107 Denn „[m]üsste der Schuldner nur für eine sorgfältige Auswahl des Beraters haften, ginge eine etwaige Falschberatung durch diesen zu Lasten des Gläubigers, der an dem Beratungsver­ hältnis nicht beteiligt ist und dem auch kein Schadensersatzanspruch gegen den Berater zustünde, während der Schuldner dadurch geschützt ist, dass er bei seinem Rechtsberater Regress nehmen kann“.108

In diesem Zusammenhang hat der BGH weiter festgestellt, dass für die Ein­ ordnung eines Beraters als Erfüllungsgehilfe des beratenen Schuldners be­ reits die Beratung bei der Entscheidung in rechtlicher Hinsicht genügen könne; dass der Berater „zur Ausführung der eigentlichen Erfüllungshand­ lung (…) tätig geworden“ ist, sei darüber hinaus nicht erforderlich.109 Zu beachten ist allerdings, dass es sich bei der Einordnung eines Beraters als Erfüllungsgehilfe um eine Frage des Einzelfalls handelt, wobei nach den allgemeinen Regeln des §  278 S.  1 Alt.  2 BGB vor allem maßgeblich ist, ob der Berater seine Beratungsleistung überhaupt im Pflichtenkreis des Schuldners110 „zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit“ gegenüber dem anderen Teil der Sonderverbindung erbringt. Das wird häufig nicht der Fall sein. c) Maßstab Auffällig ist, dass für das Privatrecht kaum thematisiert wird, welche Anfor­ derungen eigentlich im Einzelnen an das „Unrechtsbewusstsein“ bzw. an 107 

Vgl. BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 158/70, NJW 1972, 1048 Abschn. 3 b (zu §  771 ZPO und unter anderem mit dem Hinweis, dass „die Entschließung über die Freigabe mit einem Risiko verbunden ist, das dem wirtschaftlichen Bereich des Mandanten zugeordnet ist“; vgl. dazu auch noch unten Kapitel  2 Fn.  241); BGH, Urt. v. 12.7.2006 – X ZR 157/05, NJW 2006, 3271 Rn.  20 (zu §  286 Abs.  4 BGB); BGH, Teilversäumnis- und Schlussurt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 103/13, NJW 2014, 2720 Rn.  25 (zu §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 lit.  b BGB  – Zahlungsverzug). 108  BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428 Rn.  23 (zu §  573 Abs.  2 Nr.  1 BGB – schuldhafte Pflichtverletzung des Mieters). 109  BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, NJW 2007, 428 Rn.  22 m. w. N. auch zu abweichenden Stimmen. 110  Vgl. auch BGH, Urt. v. 20.9.2011 − II ZR 234/09, NJW-RR 2011, 1670 Rn.  17  – ISION; dort schied eine Einstandspflicht der beklagten Vorstandsmitglieder für die un­ richtige Rechtsauskunft mandatierter Rechtsanwälte aus, weil diese nicht in deren (der Vorstandsmitglieder) Pflichtenkreis tätig waren, sondern im Namen und im Pflichtenkreis der Gesellschaft; vgl. dazu auch Weyland, NZG 2019, 1041, 1042; Harbarth, ZGR 2017, 211, 229 f.

A. Vorsatz

165

die „positive“ Feststellung des Vorsatzes hinsichtlich der Rechts-, Pflichtoder Obliegenheitswidrigkeit des in Rede stehenden Verhaltens jenseits der Unterscheidung zwischen unvermeidbaren und vermeidbaren Rechtsirr­tü­ mern zu stellen sind. Richtigerweise kann insofern nichts anderes gelten als in Ansehung nor­ ma­tiver Tatbestandsmerkmale. Maßgeblich ist also, ob der Handelnde die Rechts-, Pflicht- oder Obliegenheitswidrigkeit seines Handelns im Sinne einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ nachvollzogen hat oder nicht.111 Denn in der Sache besteht zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und der Bewertung des in Rede stehenden Verhaltens als rechts-, pflicht- oder obliegenheitswidrig kein Unterschied. Jeweils sind rechtliche Schlussfolge­ rungen Bezugspunkt des Vorsatzes und jeweils stellt sich der fehlerhafte rechtliche Schluss als Rechtsirrtum dar. Letztlich lässt sich die Bewertung des in Rede stehenden Verhaltens als rechts-, pflicht- oder obliegenheitswidrig bzw. „die Rechtswidrigkeit“, „die Pflichtwidrigkeit“ und „die Obliegenheitswidrigkeit“ damit als normatives Tatbestandsmerkmal einordnen. Das ist nach der Vorsatztheorie ohne wei­ teres möglich, weil die Unterscheidung zwischen normativen Tatbestands­ merkmalen und der rechtlichen Bewertung des in Rede stehenden Verhal­ tens als rechts-, pflicht- oder obliegenheitswidrig auch rechtsfolgenseitig von vornherein keine Rolle spielt. Jeweils steht der Ausschluss des Vorsatzes in Rede. Ein Grund für eine Differenzierung zwischen (sonstigen) normativen Tatbestandsmerkmalen und dem „Unrechtsbewusstsein“ ist schließlich auch insofern nicht ersichtlich, als mit Blick auf das „Unrechtsbewusssein“ teil­ weise postuliert wird, auch der „gewissenlos“ und „rechtsblind“ Handelnde müsse sich so behandeln lassen, als habe er mit „Unrechtsbewusstsein“ ge­ handelt.112 Auch dieser Satz kann – als bloße Adaption der Formel vom Sichverschließen und als Konkretisierung des allgemeinen Maßstabs des be­ dingten Vorsatzes – unabhängig davon Geltung beanspruchen, ob die Rechts-, Pflicht- oder Obliegenheitswidrigkeit des in Rede stehenden Ver­ haltens oder ein sonstiges normatives Tatbestandsmerkmal als Bezugspunkt des Vorsatzes in Rede steht.

111  Deutlich

in diesem Sinne etwa auch Otto, Jura 1996, 468, 474 f., wenn er darauf hinweist, dass „die Feststellung eines aktuellen Unrechtsbewusstseins nach denselben Grundsätzen erfolgt wie die Feststellung der aktuellen Kenntnis der Tatumstände und ihres sozialen Bedeutungsgehalts“. 112 Vgl. dazu BeckOK – Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §   276 Rn.  11; BeckOGK  – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  276 Rn.  49, je m. w. N. und selbst eher zurückhaltend.

166

Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

d) Entbehrlichkeit des „Unrechtsbewusstseins“ aa) Problemaufriss Vermutlich wird die Frage, welche Anforderungen im Einzelnen an das „Unrechtsbewusstsein“ und seine Feststellung zu stellen sind, im Privat­ recht deshalb kaum thematisiert, weil im Regelfall, nämlich bei Verschul­ densnormen, ohne weiteres auf den Fahrlässigkeitstatbestand ausgewichen werden kann und aus­gewichen wird. Das macht in aller Regel die positive Feststellung des „Unrechts­bewusstseins“ und damit auch die nähere Aus­ einandersetzung mit dessen Gehalt entbehrlich. Bei absoluten Vorsatznormen ist das allerdings nicht möglich. Wichtigstes Beispiel ist §  826 BGB. Hier scheidet ein Ausweichen auf den Fahrlässig­ keitsmaßstab aus. Dasselbe gilt immer dann, wenn eine Haftung für Fahrläs­ sigkeit vertraglich wirksam ausgeschlossen ist113 sowie für Normen, die tat­ bestandlich an eine arglistige (= vorsätzliche) Täuschung anknüpfen. Rele­ vant werden kann die Feststellung gerade von Vorsatz (und nicht „nur“ von Fahrlässigkeit) auch überall dort, wo nach Verschuldensgraden, also jeden­ falls zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit differenziert wird, wie etwa im Rahmen einer Verschuldensabwägung nach §  254 BGB,114 im Rahmen der Haftungsverteilung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber115 und im Rahmen der Amtshaftung nach §§  839 Abs.  1 S.  2, Abs.  2 S.  1 BGB, Art.  34 S.  2 GG116. In jüngerer Zeit sind außerdem diverse absolute Vorsatznormen des Kapitalmarktrechts und des Konzernrechts117 sowie der absolute Vor­ satzvorbehalt bezüglich des aktienrechtlichen Anfechtungsausschlusses nach §  1 Abs.  7 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossen­ schafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämp­ fung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie relevant geworden.118 113 Vgl.

Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 II =

S.  281 f. 114  Exemplarisch BGH, Urt. v. 22.9.1970 – VI ZR 193/69, NJW 1970, 2291 Abschn.  IV 2; BGH, Urt. v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941 Abschn.  II 4; BGH, Urt. v. 5.3.2002 – VI ZR 398/00, NJW 2002, 1643 Abschn.  II 4; BeckOK – Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  254 Rn.  59. 115  Vgl. dazu BeckOGK – Feuerborn, BGB, Stand: 15.6.2021, §  619a Rn.  66 m. w. N. 116  Vgl. dazu MünchKomm – Papier/Shirvani, BGB, 82020, §  839 Rn.  345. 117  Speziell hierzu unten Kapitel  2 A.VI.2.d)cc) = S. 168 f. 118  Art.  2 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zi­ vil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020, BGBl. I, S.  569, 570. Das Gesetz knüpft hier sprachlich an den Vorsatz „der Gesellschaft“ als juristischer Person an; die Zurechnungsfrage ist insoweit in erster Linie nach Maßgabe von §  31 BGB zu beantwor­ ten.

A. Vorsatz

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Nach der Vorsatztheorie müsste in all diesen Fällen der „Vorsatzvorwurf“ von vornherein ausscheiden, wenn sich der Normadressat der Rechts- oder Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht „bewusst“ ist, also einem Recht­ sirrtum unterliegt – und zwar unabhängig davon, ob der Rechtsirrtum ver­ meidbar (vorwerfbar) ist oder nicht, handelt es sich dabei nach herkömm­ lichem Verständnis doch um eine Frage des Fahrlässigkeitstatbestands. So ist es im Ergebnis allerdings nicht, jedenfalls nicht in allen genannten Fällen. bb) Die Rechtsprechung des BGH zu §  826 BGB Namentlich bei §  826 BGB stellt sich die Rechtslage nach vorherrschendem Verständnis anders dar. Hier geht der BGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Sittenwidrigkeitsverdikt als Rechtsfrage überhaupt nicht vom Vorsatz des Schädigers umfasst sein muss, sondern dass es ausreicht, wenn der Schädiger die die Sittenwidrigkeit begründenden Tatsachen kennt.119 Das Sittenwidrigkeitsverdikt wird also von vornherein weder als normatives Tatbestandsmerkmal noch über das Erfordernis eines Unrechts­ bewusstseins angesteuert. §  826 BGB erscheint insofern auf den ersten Blick als Ausnahme, die sich mit den Besonderheiten des Sittenwidrigkeitsverdikts und namentlich mit dessen besonderer Unbestimmtheit und Offenheit begründen lassen könn­ te.120 Im Ergebnis genauso relevant ist allerdings der geschilderte Umstand, dass bei §  826 BGB ein „Rekurs“ auf ein alternatives Fahrlässigkeitsverdikt generell und damit auch im Bereich der Rechtsirrtumsdogmatik tatbe­ standlich ausscheidet.121 Das rückt §  826 BGB in eine besondere Nähe zu strafrechtlichen Tatbeständen, die ebenfalls ausschließlich vorsätzliches Ver­ halten unter Strafe stellen. Dass hier eine streng subjektive „alles-odernichts“-Lösung nicht überzeugen könnte, nach der selbst der vermeidbare Rechts­irrtum von jeder Haftung entbindet, deutet der Blick auf das Straf­ recht an.122 Für das Privatrecht gilt das umso mehr: Während es im Strafrecht in ­Fällen des Verbotsirrtums „nur“ um den Wegfall (§  17 S.  1 StGB: unvermeid­barer Verbots­irrtum) oder die Milderung (§  17 S.  2 StGB: vermeidbarer Verbots­ irrtum) des vergleichsweise abstrakteren staatlichen Strafanspruchs geht, 119 

MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  276 Rn.  159 m. w. N. So etwa BeckOGK – Spindler, BGB, Stand: 1.5.2021, §  826 Rn.  18. 121  Vgl. auch die diesbezüglichen Überlegungen bei MünchKomm – Wagner, BGB, 8 2020, §  823 Rn.  50 und BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  276 Rn.  48. 122  Ganz Ähnliches hat Bauer, FS Schultz, 1987, S.  21 ff. für absolute Wissensnormen nachgewiesen. Das passt zu dem hier entwickelten Ansatz, wonach Wissenstatbestände nichts anderes sind als verkürzt formulierte Vorsatztatbestände. 120 

168

Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

geht es hier um den Wegfall eines konkreten Anspruchs auf Ersatz erlittener Schäden gegen den sich Irrenden. Ein Vorsatzausschluss infolge Rechtsirr­ tums ginge folglich ein­seitig zulasten des Geschädigten. Damit würde dem Geschädigten im Ergebnis die Irrtumslast zugewiesen und es dem Schädiger spiegelbildlich erlaubt, seine Interessen überall dort auf Risiko und Kosten Dritter wahrzunehmen, wo die Rechtslage nicht klar und einfach ist und sie jedenfalls der Schädiger (glaubhaft) nicht überblickt hat (vermeidbarer Rechtsirrtum). Insofern ist die Lage bei §  826 BGB letztlich gegenüber der Lage bei Verschuldenstatbeständen, wo dasselbe Argument greift zur Be­ gründung, warum an die Vermeidbarkeit eines Rechts­irrtums auf Fahrläs­ sigkeitsebene sehr hohe Anforderungen zu stellen sind, in besonderer Weise verschärft. Der Rechtsprechung zu §  826 BGB ist deshalb in ihrer haftungs­ verschärfenden Tendenz zuzustimmen. cc) Die Rechtsprechung des BGH zu §  20 Abs.  7 S.  2 AktG und die Diskussion um einen speziellen kapitalmarktrechtlichen Vorsatzbegriff Eine ganz ähnliche Diskussion wird seit geraumer Zeit im Kapitalmarktund Konzernrecht geführt, wo Verstöße gegen in den Details hochkomplexe beteiligungsbezogene Melde-, Veröffentlichungs- und Angebotspflichten rechtsfolgenseitig zum Teil123 nur bei Vorsatz (Fahrlässigkeit schadet also nicht) mit Rechtsverlust sanktioniert werden (siehe §  20 Abs.  7 S.  2 AktG, §  44 Abs.  1 S.  2 WpHG, §  59 S.  2 WpÜG). Auch hier stellt sich die Frage, ob es wertungsmäßig gerechtfertigt ist, den Vorsatz und damit den Rechtsver­ lust bei einem Rechtsirrtum, wenn also der Meldepflichtige seine Melde­ pflicht rechtlich nicht erkennt, unabhängig von dessen Unvermeidbarkeit nach Maßgabe der Vorsatztheorie entfallen zu lassen. Der BGH hat in einer Entscheidung zu §  20 Abs.  7 S.  2 AktG festgestellt, ein „möglicher Rechtsirrtum“ schließe „Vorsatz aus, da für die Anwendung des §  20 AktG der zivilrechtliche Vorsatzbegriff gilt“. Er konkretisiert dies weiter dahin, die meldepflichtige Beklagte müsse allerdings „nicht mit einer bestimmten Absicht gehandelt haben; der ihr obliegende Entlastungsbeweis wäre etwa auch dann nicht geführt, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Bekl. eine Verletzung von Mitteilungspflichten billigend in Kauf nahm, weil sie als alleinige Aktionärin den tatsächlichen Eintritt nachteiliger Folgen nicht ernsthaft in Betracht ­zog“.124 Der BGH legt hier also, anders als bei §  826 BGB, das herkömmliche Verständnis von der vorsatzausschließenden 123 

Betroffen sind jeweils ausschließlich Ansprüche aus §  58 Abs.  4 AktG (Dividende) und aus §  271 AktG (Liquidationserlös). 124  BGH, Urt. Urt. v. 5.4.2016 – II ZR 268/14, NZG 2016, 1182 Rn.  36 f.

A. Vorsatz

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Wirkung des bloßen Verbotsirrtums zugrunde, scheint dabei aber auf Tat­ sachenebene strenge Anforderungen an dessen Feststellung zu legen.125 Das wirkt im Ergebnis einer ausufernden Entlastung unter Berufung auf fehlen­ des Unrechtsbewusstsein entgegen. Im Schrifttum wird demgegenüber jedenfalls für die genannten Normen des Kapitalmarktrechts teilweise davon ausgegangen, das Vorhandensein von „Unrechtsbewusstsein“ sei hier, in Abweichung von der Vorsatztheorie und wie bei §  826 BGB bezogen auf das Sittenwidrigkeitsverdikt, generell nicht notwendiger Bezugspunkt des Vorsatzes.126 Auf dieser Grundlage wird die Unterscheidung zwischen vermeidbarem und unvermeidbarem Rechtsirrtum, die sonst der Fahrlässigkeitsebene zugeordnet ist, auf die Vor­ satzebene gezogen und angenommen, der Vorsatz entfalle „nur, wenn der Meldepflichtige die pflichtbegründende Norm nicht kennt und die man­ gelnde Kenntnis objektiv unvermeidbar war“ (kapitalmarktrechtlicher Vor­ satzbegriff).127 dd) Die Rechtsprechung des BGH zur arglistigen Täuschung Auch bei §  123 BGB geht der BGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, bei der Beurteilung des Tatbestands der arglistigen Täuschung sei „die Vor­ satz ausschließende Wirkung eines Rechtsirrtums zu berücksichtigen“128 bzw. dass zum „Vorsatz im Zivilrecht, den Arglist voraussetzt, nicht nur die Kenntnis der Tatbestandsmerkmale der verletzten Norm, sondern auch das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit gehört“.129 Die Frage kann insbesondere 125  Ganz eindeutig ist das deshalb nicht, weil nicht ganz klar wird, ob sich die zitierten Ausführungen zur Feststellungsebene tatsächlich (auch) auf Rechtsfragen rund um das Eingreifen der Meldepflicht bzw. auf das Bestehen der Meldepflicht als Rechtsfrage bezie­ hen oder aber vielleicht nur auf die relevanten Tatsachengrundlagen (etwa eines Zurech­ nungstatbestands) als Bezugspunkt des Vorsatzes. 126  Vgl. insbesondere Schneider/Schneider, ZIP 2006, 493, 499 f.; Assmann/Schneider/­ Mülbert – Schneider, WpHG, 72019, §  44 Rn.  82 ff. 127  So formuliert Assmann/Schneider/Mülbert – Schneider, WpHG, 72019, §  44 Rn.  86. Kritisch etwa Scholz/Weiß, BKR 2013, 324 ff. m. w. N. zur Diskussion und mit dem zu­ treffenden Hinweis, dass der von Schneider/Schneider vorgeschlagene „kapitalmarktrecht­ liche Vorsatzbegriff“, wie auch hier dargelegt, zu einer gegenüber den allgemeinen Regeln verschärften Haftung führt. Gegen einen speziellen konzern- und kapitalmarktrechtli­ chen Vorsatzbegriff mit der Folge, dass nach allgemeinen Regeln auch ein „fahrlässiger [also: vermeidbarer] Rechtsirrtum“ den Vorsatz ausschließt, etwa Emmerich/Habersack  – Emmerich, 92019, §  20 AktG Rn.  55; Emmerich/Habersack – Schürnbrand/Habersack, 9 2019, §  44 WpHG Rn.  21. 128  So formuliert etwa BGH, Urt. v. 29.6.2010 – XI ZR 104/08, NJW-RR 2011, 270 Rn.  43. 129  So formuliert etwa BGH, Urt. v. 10.11.2009 – XI ZR 252/08, NJW 2010, 596 Rn.  38;

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

in Fällen arglistigen Verschweigens relevant werden, das nur bei Bestehen einer Offenbarungspflicht tatbestandsmäßig ist, ist aber in der Rechtspre­ chung des BGH auch in Fällen arglistiger Täuschung durch aktives Tun re­ levant geworden.130 Welche Anforderungen im Einzelnen an das Unrechtsbewusstsein zu ­stellen sind, bleibt dabei allerdings regelmäßig offen.131 Entscheidungen, in denen der BGH den Vorsatz und damit den Tatbestand der arglistigen Täu­ schung infolge eines Rechtsirrtums konkret für ausgeschlossen hielt, sind jedenfalls die Ausnahme.132 Vereinzelt hat der BGH sogar die Annahme ei­ nes Rechtsirrtums durch ein Berufungsgericht korrigiert.133 Das ist durch­ aus bemerkenswert, wo es auf Vorsatzebene doch nach hergebrachtem Ver­ ständnis eigentlich nicht um Fragen der (Un-)Vermeidbarkeit gehen soll, sondern um eine Tatsachenfeststellung. Für den Tatbestand des arglistigen Verschweigens eines Mangels im Kauf­ recht wurde bereits gezeigt, dass sich der Vorsatz nach der Rechtsprechung des BGH nicht auf das Vorhandensein eines Mangels als Rechtsfrage bezie­ hen muss. Es genügt vielmehr, dass sich der Vorsatz auf die Umstände be­ zieht, die den Mangel begründen.134 Entsprechend ist in der Rechtsprechung des BGH zum arglistigen Verschweigen eines Mangels im Kaufrecht bislang, soweit ersichtlich, abweichend von §  123 BGB auch nicht ausdrücklich vgl. zum Ganzen außerdem etwa noch BGH, Urt. v. 5.6.2007 – XI ZR 348/05, NJW 2007, 2407 Rn.  21. 130  Vgl. BGH, Urt. v. 29.6.2010 – XI ZR 104/08, NJW-RR 2011, 270 Rn.  39 ff.: aktive Vorspiegelung einer unzutreffenden Provisionshöhe durch einen Finanzierungsvermitt­ ler, der die entsprechende Gestaltung und Ausfüllung des Objekt- und Finanzierungsver­ mittlungsauftrags jedenfalls nicht dezidiert für unrechtmäßig hielt. Im Ergebnis verneint der BGH das Vorliegen eines Rechtsirrtums mit dem Hinweis, es habe „bereits damals gefestigter Rechtsprechung des BGH“ entsprochen, „[d]ass derjenige, der im Rahmen von Vertragsverhandlungen Angaben macht, die für den Kaufentschluss des anderen von Bedeutung sein können, diese Angaben zutreffend machen muss, selbst wenn sie nicht geschuldet waren“ (BGH, a. a. O., Rn.  44). Damit rekurriert das Gericht implizit auf das Vermeidbarkeitskriterium, das nach herkömmlichem Verständnis allerdings dem Fahrläs­ sigkeitstatbestand vorbehalten sein soll. 131  Vgl. aus dem Schrifttum zu §  123 BGB etwa noch Jauernig – Mansel, BGB, 182021, §  123 Rn.  7: „Die Kenntnis der Tatsachen kann nicht durch wertende Überlegungen er­ setzt werden. Nur hinsichtlich des Schlusses von der Tatsachenkenntnis auf die Einschät­ zung der Rechtslage kommt eine Abmilderung des Erkenntnisgrades in Betracht“. In der Kommentar­literatur wird das Unrechtsbewusstsein als Bezugspunkt des Vorsatzes bei §  123 BGB, wenn überhaupt, verbreitet allenfalls am Rande thematisiert. 132  In den zitierten Entscheidungen wurde ein vorsatzausschließender Rechtsirrtum jeweils verneint. 133  Vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2009 – XI ZR 252/08, NJW 2010, 596 Rn.  39 ff. 134  Oben Kapitel  2 A.VI.1. = S. 157 f.

A. Vorsatz

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postuliert worden, der Täuschungsvorsatz müsse den rechtlichen Schluss von der erkennbar wesentlichen Bedeutung des in Rede stehenden Um­ stands für den anderen Vertragsteil oder dergleichen auf das Bestehen einer Offenlegungspflicht oder -obliegenheit und damit das „Bewusstsein“ der Pflicht- oder Obliegenheitswidrigkeit der unterlassenen Offenlegung um­ fassen mit der Folge, dass der Täuschende etwa mit dem (vielleicht durchaus verbreiteten, jedenfalls aber vermeidbar irrigen) Einwand gehört würde, er sei fest davon ausgegangen, jeder dürfe am Markt grenzenlos seinen Vorteil suchen. 3. Schlussfolgerung Die Rechtsprechung zu §  826 BGB, zu diversen Tatbeständen der arglistigen Täuschung bzw. des arglistigen Verschweigens sowie die Diskussion um ei­ nen eigenständigen konzern- und kapitalmarktrechtlichen Vorsatzbegriff zeigen, dass die Frage, ob und in welcher Weise die Bewertung eines Verhal­ tens als rechts-, pflicht- oder obliegenheitswidrig Bezugspunkt des Vorsatz­ tatbestands ist, im Privatrecht nur durch Auslegung der jeweils in Rede ste­ henden Norm beantwortet werden kann.135 Das bestätigt den bereits oben erörterten Befund, dass zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und der Bewertung des in Rede stehenden Verhaltens als rechts-, pflicht- oder obliegenheitswidrig im Privatrecht kein Unterschied besteht. Namentlich bei §  826 BGB sowie noch mehr bei §  20 Abs.  7 S.  2 AktG, §  44 Abs.  1 S.  2 WpHG und §  59 S.  2 WpÜG dürfte sich beides wohl auch kaum oder nicht unterscheiden lassen. Im Rahmen der Auslegung kommt dem bereits angeführten Aspekt be­ sonderes Gewicht zu, dass die durchgreifende Anerkennung eines Recht­ sirrtums im Privatrecht grundsätzlich zulasten Dritter ginge, die dem Irrtum allemal ferner stehen als der sich Irrende.136 Wenn aber umgekehrt dem Ir­ renden dann, wenn sich seine Meinung von der Rechtmäßigkeit bzw. Pflicht­ gemäßheit des eigenen Verhaltens (oder gar eine bloße dahingehende Hoff­ nung) als richtig erweist (also kein Rechtsirrtum vorliegt), die Vorteile seines Verhaltens zugewiesen sind und bleiben, weil dann keine Anfechtung, kein Schadensersatzanspruch etc. gegen ihn in Betracht kommt, dann erscheint es 135  Ebenso etwa MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  276 Rn.  159; Beck­OGK  – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  276 Rn.  47 f. 136 Vgl. auch, bezogen auf den Schuldnerverzug, die dahingehenden Überlegungen von H ­ uber, Leistungsstörungen, Band  1, 1999, §  29 III 1 = S.  710 f. m. w. N. Das übersieht, wer allein darauf abstellt und den Rechtsirrtum allein deshalb für beachtlich hält, dass – selbstverständlich – niemand „das Recht“ zur Gänze „kennt“ und „kennen kann“; vgl. zu dieser Klage mit Beispielen aus der Rechtsgeschichte Rittner, FS v. Hippel, 1967, S.  391 ff.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

prima facie richtig, ihm grundsätzlich auch das Rechtsirrtumsrisiko zuzu­ weisen. Eine großzügige Freistellung des Irrenden von den vermögensrechtlichen Folgen eines Rechtsirrtums widerspräche auch der Wertung des §  122 BGB, der eine Anfechtung unter anderem wegen eines Inhaltsirrtums, wozu nach heute wohl herrschender Auffassung auch ein Rechtsirrtum gehören kann, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beab­ sichtigten Wirkungen erzeugt,137 gerade nur gegen, wenn auch begrenzten, verschuldensunabhängigen  – und damit von der Rechtsirrtumsproblematik von vornherein „freigestellten“ (!) – vermögensmäßigen Ausgleich (Scha­ densersatz) zulässt. Die Vorschrift gilt zwar unmittelbar nur in Vertragsver­ hältnissen,138 wird aber ihrerseits auf ein allgemeines Prinzip der Vertrauens­ haftung für „Mängel der eigenen Sphäre“ zurückgeführt.139 Dieser Befund legt nahe, dass zumindest der vermeidbare Rechtsirrtum im Privatrecht grundsätzlich und insbesondere auch bei reinen Vorsatztat­ beständen unbeachtlich ist, und zwar unabhängig davon, ob eine Rechtsfra­ ge über das Erfordernis der Rechts-, Pflicht- oder Obliegenheitswidrigkeit des eigenen Verhaltens oder über ein (sonstiges) „normatives Tatbestands­ merkmal“ in Bezug genommen wird und damit auch unabhängig davon, ob man beide Fälle im Privatrecht überhaupt sinnvoll unterscheiden kann und muss. Die Vermeidung eines Rechtsirrtums ist Sache des Normadressaten, seine Berücksichtigung würde zulasten Dritter gehen.140 Eine Ausnahme ist insbesondere dort denkbar, wo einer Vorsatznorm ausschließlich oder in erster Linie ein abstrakter Strafzweck und weniger eine konkrete Aus­ gleichsfunktion zugunsten eines Geschädigten zukommt, was bei den oben erörterten konzern- und kapitalmarktrechtlichen Vorsatzvorschriften in Be­ tracht zu ziehen ist. Dieses Ergebnis stellt sich letztlich als spezifische Adaption der allgemei­ nen Regeln des bedingten Vorsatzes für Rechtsfragen als Bezugspunkt dar,141 die auf der Grundannahme fußt, dass es für die Zwecke des Privatrechts je­ dem Rechtsunterworfenen grundsätzlich zumutbar ist, prospektiv zu klä­ ren, ob ein intendiertes Verhalten rechts-, pflicht- oder obliegenheitswidrig

137  BGH, Urt. v. 29.6.2016 – IV ZR 387/15, NJW 2016, 2954 Rn.  11; näher zur Diskus­ sion MünchKomm – Armbrüster, BGB, 82018, §  119 Rn.  82 ff. 138  MünchKomm – ders., BGB, 82018, §  122 Rn.  13. 139  MünchKomm – ders., BGB, 82018, §  122 Rn.  4. 140  Für §  823 Abs.  1 BGB auch MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  823 Rn.  49. 141 Vgl. dazu auch Huber, Leistungsstörungen, Band   1, 1999, §  29 V = S.  722 f. mit deutlicher Tendenz in dieselbe Richtung.

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ist.142 Insofern unterscheiden sich Rechtsfragen als Bezugspunkt des Vorsat­ zes von Tatsachen als Bezugspunkt des Vor­satzes, nämlich insofern, als in Bezug auf Rechtsfragen, anders als in Bezug auf Tatsachen, Aufklärungsund Ermittlungsaufwand stets und damit auch bei reinen Vorsatztatbestän­ den geschuldet bzw. gefordert ist und es nicht genügt, sich auf den Abruf (quasi) aufwandsfrei verfügbaren liquiden Wissens zu beschränken.143 Wer sich verhält, ohne die danach typisiert implizierte Möglichkeitsvorstellung von der Rechts- oder Pflichtwidrigkeit des eigenen Verhaltens durch eine Prüfung der Rechtslage entkräftet zu haben (vermeidbarer Rechtsirrtum), trägt das Irrtumsrisiko, kann sich also nicht darauf berufen, er habe eine Rechtsverletzung nicht zumindest billigend in Kauf genommen. Darauf, ob das in Rede stehende Verhalten „im Allgemeinen sozialadäquat“ ist oder aber „zumindest potentiell sozialschädlich“, kommt es dabei nicht an.144 Ob das im Sinne eines strengen iuris ignorantia nocet145 im Privatrecht auch für den unvermeidbaren Rechtsirrtum gilt, muss hier dahingestellt bleiben. 142 Ebenso Bauer, FS Schultz, 1987, S.  21, 33 ff. für absolute Wissensnormen, der inso­ fern von einer „allgemeinen oder beruflichen Informationsobliegenheit“ spricht und fest­ stellt, der Erwerb der grundlegenden Rechtskenntnisse müsse von allen am Geschäftsver­ kehr Beteiligten gefordert werden, weil ansonsten der in Rechtsdingen möglichst ostenta­ tiv Nachlässige gegenüber dem allgemein Sorgfältigen privilegiert würde; dass Bauer das für absolute Wissensnormen nachweist, passt zu dem hier entwickelten Ansatz, wonach Wissenstatbestände nichts anderes sind als verkürzt formulierte Vorsatztatbestände. Der hier formulierte Gedanke entspricht überdies dem Gedanken, den der BGH zur Begrün­ dung seiner „strengen Linie“ (auch) in Ansehung von Vorsatz-Fahrlässigkeitstatbestän­ den anführt, besonders deutlich etwa BGH, Urt. v. 5.4.2017 – IV ZR 437/15, NJW 2017, 2268 Rn.  19 bezogen auf §  280 Abs.  1 S.  2 BGB: „Nach ständiger Rechtsprechung des BGH fordert der Geltungsanspruch des Rechts, dass der Verpflichtete grundsätzlich das Risiko eines Irrtums über die Rechtslage selbst trägt“. Warum für absolute Vorsatztatbe­ stände insofern etwas anderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich. 143  Ähnlich schon Savigny, wenn er den Unterschied zwischen error iuris und error facti zum Ausgangspunkt nimmt und annimmt, dass die Nachlässigkeit als entscheiden­ des Kriterium für die Berücksichtigung des Irrtums „bei dem factischen Irrthum als eine besondere Thatsache erwiesen werden muß“, während „sie sich bei dem Rechtsirrthum von selbst versteht, und nur durch den Beweis ungewöhnlicher Umstände widerlegt wer­ den kann“; S­ avigny, System Band  III, S.  335; vgl. auch Rittner, FS v. Hippel, 1967, S.  391, 398 f. 144  Vgl. zur dahingehenden Unterscheidung im Rahmen von §  823 Abs.  2 BGB i. V. m. §§  2 Abs.  2, 3, 10 Abs.  1 S.  1, 20 Abs.  1 Nr.  2 RDG, wobei der Vorsatz allerdings nach bußgeldrechtlichen Maßstäben zu ermitteln ist, BGH, Teilversäumnis- und Schlussurt. v. 30.7.2019 – VI ZR 486/18, NJW-RR 2019, 1524 Rn.  27 f. m. w. N. 145  Instruktiv zur Behandlung des error iuris im römischen Recht Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, S.  604 ff.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

VII. Arglist 1. Überblick Einige Vorschriften des BGB setzen tatbestandlich Arglist voraus. Der Be­ griff der Arglist wird im BGB nicht isoliert verwendet, sondern ausschließ­ lich in den beiden Verbindungen „arglistige Täuschung“146 und „arglistiges Verschweigen“147. Dabei fällt auf, dass der Tatbestand der arglistigen Täu­ schung im Text des BGB148 stets und ausschließlich in Bezug auf ein Recht zur Lösung von einer Vereinbarung oder Erklärung Verwendung findet149 und der Tatbestand des arglistigen Verschweigens stets und ausschließlich in Bezug auf einen Mangel oder Fehler. Sowohl der Tatbestand des arglistigen Verschweigens als auch der Tatbe­ stand der arglistigen Täuschung sind verhaltensbezogen.150 Der Tatbestand des arglistigen Verschweigens ist dabei von vornherein auf ein Unterlassen 146  §§  123 Abs.  1, 124 Abs.  2, 318 Abs.  2 BGB (Anfechtung); §§  1314 Abs.  2 Nr.  3, 1760 Abs.  2 lit.  c, Abs.  4 BGB (Aufhebung einer Ehe, einer Annahme als Kind); §  2339 Abs.  1 Nr.  3 BGB (Erbunwürdigkeit). 147  Eines Mangels oder Fehlers: §  438 Abs.  3 S.  1, 442 Abs.  1 S.  2, 444, 445, 523 Abs.  1, 524 Abs.  1, Abs.  2 S.  2, 536b S.  2, 536d, 600, 634a Abs.  3, 639, 2138 S.  2, 2376 Abs.  2, 2385 S.  2 Hs.  2 BGB. 148  Verbreitet werden daneben auch diverse außerpositive oder an §   242 BGB ange­ knüpfte Fallgruppen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens als „Arglisteinrede“ (vgl. auch die amtliche Überschrift von §  853 BGB) oder „Arglisteinwand“ bezeichnet. Diese sollen hier ausgeblendet bleiben, da sie teilweise ganz spezifisch auf einen bestimmten Norm­ kontext bezogen sind und im Übrigen wenig mit dem Tatbestand der „Arglist“ zu tun haben, wie er im Normtext des BGB vorkommt, wenn sie rein objektiv angeknüpft wer­ den; instruktiv MünchKomm – Schubert, BGB, 82019, §  242 Rn.  203 ff. und insbesondere Rn.  208 m. w. N.; exemplarisch BGH, Urt. v. 29.10.2020 – IX ZR 10/20, NJW 2021, 1957 Rn.  32 für den vom BGH so genannten „Arglisteinwand“ im Verjährungsrecht, der nicht voraussetze, dass „der Schuldner den Gläubiger absichtlich von der Erhebung der Klage abgehalten hat“, sondern schon dann greife, wenn „der Schuldner durch sein Verhalten objektiv – sei es auch unabsichtlich – bewirkt, dass die Klage nicht rechtzeitig erhoben wird, und die Verjährungseinrede unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls mit dem Gebot von Treu und Glauben unvereinbar wäre“. 149  Das gilt namentlich auch für §§  281 Abs.  1 S.  3, 323 Abs.  5 S.  2 BGB (regelmäßig keine Unerheblichkeit der Pflichtverletzung bei arglistiger Täuschung; BGH, Urt. v. 24.3.2006 – V ZR 173/05, NJW 2006, 1960 Rn.  11 ff.) sowie für §§  281 Abs.  2 Fall 2, 323 Abs.  2 Nr.  3 BGB (grundsätzlich Entbehrlichkeit der Fristsetzung bei arglistiger Täu­ schung; BGH, Beschl. v. 8.12.2006 – V ZR 249/05, NJW 2007, 835 Rn.  12 ff.; aus der Lit. zu beiden Fällen etwa Arnold, JuS 2013, 865, 869 f.). Auch diese Vorschriften beziehen sich auf ein Recht zur Beendigung des (weiteren) vertraglichen Austauschs, hier in Form der Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung (vgl. §  281 Abs.  4 BGB) bzw. des Rücktritts. 150  Zur generellen Verhaltensbezogenheit des Vorsatzes oben Kapitel  2 A.I. = S. 135 ff.

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bezogen, nämlich auf das Unterlassen der Offenlegung (die Nichtoffenba­ rung) eines Mangels oder Fehlers. Der Tatbestand der arglistigen Täuschung ist insofern offen und kann im Grundsatz sowohl durch aktives Tun als auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Die arglistige Täuschung durch Unterlassen stellt sich also begrifflich und in der Sache als arglistiges Ver­ schweigen dar, ist hinsichtlich des Bezugspunktes des Verschweigens aber offen, kann also Mängel und Fehler umfassen, aber auch sonstige Umstände. Das Unterlassen (Verschweigen) ist dem aktiven Tun (einer Angabe) aller­ dings grundsätzlich nur bei Bestehen einer Offenlegungspflicht gleichge­ stellt. Eine solche Offenlegungspflicht besteht nach herkömmlichem Ver­ ständnis insbesondere bezüglich solcher Umstände, die für den anderen Teil offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind, weil sie geeignet sind, den Vertragszweck zu gefährden oder zu vereiteln.151 Ein in diesem Sinne wesentlicher Umstand wird beim Kauf einer Sache beispielsweise regelmä­ ßig ein Mangel der Kaufsache sein, wobei der BGH im Ergebnis zutreffend dazu tendiert, auf die Wesentlichkeit (Erheblichkeit) des in Rede stehenden Mangels zu rekurrieren,152 während in der Literatur auf die Feststellung ei­ ner Offenlegungspflicht teilweise auch ganz verzichtet wird, soweit es um Mängel der Kaufsache geht, da Mängel unabhängig von ihrer Wesentlichkeit im Rahmen eines Vertragsschlusses generell offenbart werden müssten.153

151 

Vgl. nur MünchKomm – Armbrüster, BGB, 82018, §  123 Rn.  34 m. w. N. BGH weist in Entscheidungen, in denen er eine Offenlegungspflicht bejaht, regelmäßig darauf hin, dass ein wesentlicher oder erheblicher Mangel in Rede steht; als Voraussetzung einer Offenlegungspflicht postuliert er das dabei aber nicht bzw. nicht deutlich; vgl. etwa BGH, Urt. v. 8.4.1994 – V ZR 178/92, NJW-RR 1994, 907 Abschn.  II 2 b (zu §  463 S.  2 BGB a. F.); BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Ab­ schn.  II 2 (zu §  463 S.  2 BGB a. F.); BGH, Urt. v. 16.3.2012 − V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn.  21 (zu §  444 BGB); BGH, Urt. v. 9.2.2018 – V ZR 274/16, NJW 2018, 1954 Rn.  9 (zu §  444 BGB). 153  Vgl. BeckOK – Faust, BGB, Stand: 1.5.2021, §   438 Rn.  38; Erman – Grunewald, BGB, 162020, §  438 Rn.  24; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S.  489. Hintergrund ist, dass der kaufrechtliche Mangelbegriff einen Wesentlichkeits- oder Erheblichkeitsvorbehalt im Ausgangspunkt nicht kennt (vgl. insbesondere BGH, Urt. v. 26.10.2016 – VIII ZR 211/15, NJW 2017, 1100 Rn.  31 ff.). Darauf kommt es indes regel­ mäßig nicht an: Die Nichtoffenlegung unwesentlicher Mängel ist regelmäßig nämlich je­ denfalls deshalb nicht sanktioniert, weil es insofern regelmäßig am Vorsatz des Verkäufers hinsichtlich der Kausalität der Unkenntnis des Käufers für den Vertragsschluss fehlen wird. Insofern kommt dem Wesentlichkeitskriterium insbesondere bei komplexen Kauf­ gegenständen wie bebauten Grundstücken oder Unternehmen eine unentbehrliche Filter­ funktion zu; vgl. zu diesem Aspekt noch unten Kapitel  2 Fn.  169 und Maier, Aufklärungs­ pflichten und Wissenszurechnung beim Unternehmenskauf, 2016, S.  210. 152  Der

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Im Übrigen können im Einzelfall etwa auch bloße Unsicherheitsfaktoren aufklärungspflichtig sein, wenn sie für den anderen Teil offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind (z. B. in Fachkreisen bekannte besondere Rostanfälligkeit des veräußerten Kfz unabhängig davon, ob es bereits Rost­ schäden aufweist;154 mangelhafte Außenabdichtung des veräußerten Gebäu­ des unabhängig davon, ob es bereits zu Wasserschäden gekommen ist155). Das entspricht der generellen Gleichstellung bedingten Wissens im Sinne konkreter Möglichkeits- oder Wahrscheinlichkeitsvorstellungen mit unbe­ dingtem Wissen im Rahmen von Vorsatztatbeständen. 2. Arglist als – auch bedingter – Vorsatz Arglist ist nach heute156 ganz herrschendem Verständnis und insbesondere nach ständiger Rechtsprechung des BGH nichts anderes als Vorsatz, ein­ schließlich des bedingten Vorsatzes.157 Die Tatbestände der arglistigen Täu­ 154  155 

990.

Vgl. BGH, Urt. v. 14.3.1979 – VIII ZR 129/78, NJW 1979, 1707 Abschn.  I 2 c. Vgl. OLG Koblenz, Hinweisbeschl. v. 13.11.2009 – 2 U 443/09, NJW-RR 2010, 989,

156  Anders noch Teile der älteren Rechtsprechung und des Schrifttums, exemplarisch Hoffmann, JR 1969, 372, 373 f.: „In [….] ‚Arglist‘ ist eine moralisch negative Wertung enthalten“; „besonders intensive Verletzung von Treu und Glauben“. In diese Richtung auch noch Prölss, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 36 (Diskussionsbeitrag; „hier geht es um verwerfliches Handeln“) und Arnold, JuS 2013, 865 ff., nach dem die arglistige Täuschung als unbestimmter Rechtsbegriff unter Bezugnahme auf moralische Normen und Inhalte zu konkretisieren sei und moralische Maßstäbe und Wertungen in das Privatrecht integriere. Teilweise wird auch Binding für dieses Verständnis des Arglist­ tatbestands in Anspruch genommen (s. etwa Dauner-Lieb, FS Kraft, 1998, S.  43, 54), doch steht der von Binding behandelte Arglisttatbestand in einem ganz spezifischen Bezug, siehe noch unten Kapitel  2 A.VII.6. = S. 186 ff. Schon das römische Recht war in seiner Entwicklung durch eine gewisse Tendenz zur Weiterung des Tatbestands des dolus ein­ schließlich der exceptio doli geprägt, vgl. Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, S.  662 ff., wobei aus der Perspektive der vorliegenden Arbeit in begrifflicher Hinsicht in­ teressant ist, dass Zimmermann, a. a. O., S.  666, den Tatbestand des dolus teilweise als „knowingly“ oder „deliberately“ in Bezug nimmt. 157  Für das arglistige Verschweigen BGH, Urt. v. 29.11.1967 – V ZR 16/67, BeckRS 1967, 31177843 Abschn.  II B; BGH, Urt. v. 25.10.1968 – V ZR 55/65, BeckRS 1968, 31175469 Abschn. 2 a; BGH, Urt. v. 10.7.1987 – V ZR 152/86, NJW-RR 1987, 1415 Ab­ schn.  II 3; BGH, Urt. v. 7.7.1989 – V ZR 21/88, NJW 1990, 42 Abschn.  II 3 a; BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 c; BGH, Urt. v. 16.3.2012 − V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn.  24; aus der Lit. statt vieler BeckOK – Faust, BGB, Stand: 1.5.2021, §  438 Rn.  40. Für die arglistige Täuschung BGH, Urt. v. 10.11.2009 – XI ZR 252/08, NJW 2010, 596 Rn.  41; BGH, Urt. v. 13.6.2007 – VIII ZR 236/06, NJW 2007, 3057 Rn.  29; BGH, Urt. v. 19.5.1999 – XII ZR 210/97, NJW 1999, 2804 Abschn.  II 5; BGH, Urt. v. 21.6.1974 – V ZR 15/73, NJW 1974, 1505 Abschn.  I.; BGH, Urt. v. 28.4.1971 – VIII ZR 258/69, NJW 1971, 1795 Abschn.  II 3 d.; aus der Lit. statt vieler MünchKomm – Arm-

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schung und des arglistigen Verschweigens setzen insbesondere nicht voraus, dass das Verhalten des Betroffenen Ausdruck einer verwerflichen oder gar betrügerischen Gesinnung oder auch nur moralisch vorwerfbar ist.158 Dies kann ohne weiteres der Fall sein, wie etwa bei der wissentlichen Täuschung durch aktives Tun in Form einer Lüge (z. B. ausdrückliche Behauptung der Abwesenheit eines bestimmten Mangels der Kaufsache durch den Verkäufer trotz sicheren Wissens um dessen Vorhandensein), wird tatbestandlich aber nicht vorausgesetzt. Hintergrund ist, dass die diversen Regeln über die arg­ listige Täuschung bzw. das arglistige Verschweigen jeweils dem Schutz der Freiheit der Willensbildung aufseiten des Getäuschten bei Abgabe einer Er­ klärung bzw. Abschluss eines Vertrages dienen; dieser Zweck ist als solcher ethisch neutral und das diesbezügliche Schutzgebot damit von einer spezifi­ schen, besonders verwerflichen Motivlage aufseiten des Täuschenden unab­ hängig.159 Die Erkenntnis, dass Arglist keine eigenständige subjektive Kategorie ist, sondern nichts anderes als inhaltlich – nämlich in seinem Bezugspunkt – in besonderer Weise konkretisierter – auch bedingter – Vorsatz, prägt die Handhabung der Arglisttatbestände. Sie ermöglicht einen Rückgriff auf das ausdifferenzierte, feingesteuerte, etablierte und eingeübte Handwerkszeug zum allgemeinen Vorsatztatbestand. Dass für den Tatbestand der Arglist auch nur bedingter Vorsatz genügt, liegt in der Konsequenz des Rekurses auf den allgemeinen Vorsatztat­bestand und wäre übrigens, jedenfalls nach heutigem Stand der Dogmatik, auch dann so, wenn insofern doch (noch) auf den Tatbestand des Betrugs verweisen würde, wie dies verbreitet der Rechts­ lage vor Inkrafttreten des BGB und des HGB entsprach,160 für §  123 BGB brüster, BGB, 82018, §  123 Rn.  15, 18; auch bereits Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerli­ chen Rechts, Band  II: Das Rechtsgeschäft, 41992, §  29, 2 = S.  542. Vgl. aber auch BeckOK  – Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  276 Rn.  16, nach dem bedingter Täuschungsvorsatz nur „idR“ ausreichen soll (allerdings ohne Gegenbeispiel). 158  Vgl. etwa BGH, Urt. v. 16.3.2012 − V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn.  24; BGH, Urt. v. 22.11.1996 – V ZR 196/95, NJW-RR 1997, 270; BGH, Urt. v. 3.3.1995 – V ZR 43/94, NJW 1995, 1549 Abschn.  II 2 b; BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 c; Reinking/Kippels, ZIP 1988, 892, 893. Anders unter Verweis auf den allgemeinen Sprachgebrauch Hartung, NZG 1999, 524, 528; Meyer, WM 2012, 2040, 2042. 159 Vgl. Reinking/Kippels, ZIP 1988, 892, 893. Anders mag dies gewesen sein beim Arglisttatbestand des §  170 Reichsstrafgesetzbuch (1871), siehe unten Kapitel  2 A.VII.6. = S. 186 ff. 160  Ausführlich zu früheren gewohnheitsrechtlichen Bezugnahmen auf den Tatbestand des Betrugs und zur Ersetzung des Tatbestandsmerkmals „Betrug“ durch „arglistiges Ver­ schweigen“ im HGB zum 1.1.1900 RG, Urt. v. 26.6.1903 – Rep. II 4/03, RGZ 55, 210, 212 f.; zumindest begrifflich für das römische Recht etwa auch Zimmermann, The Law of

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(heutige Zählung) im Ersten Entwurf des BGB vorgesehen war161 und heute noch einer beachtlichen Tendenz im Versicherungsvertragsrecht ent­ spricht.162 Denn auch für den Tatbestand des Betrugs genügt, jedenfalls nach heutigem Stand der Dogmatik, hinsichtlich der Täuschung eines anderen be­ dingter Vorsatz.163 Gleichsinnig wäre es wenig überzeugend, für den Tatbe­ stand der Arglist Wissentlichkeit oder Absicht zu fordern,164 für denjenigen des §  826 BGB hingegen bedingten Vorsatz genügen zu lassen.165 Obligations, 1996, S.  309: „fraudulently (dolo malo) failed to disclose“, wobei allerdings schon dem römischen Recht zumindest die dicta in venditione als gleichgestellter Tatbe­ stand bekannt war, deren Geltungsgrund nach Zimmermann, a. a. O., S.  309, „not so much bad faith on the part of the vendor, but the fact that his dicta had engendered reasonable reliance in the person of the purchaser“ war. 161  §  103 Abs.  1 BGB 1. Entwurf lautete: „Ist Jemand zur Abgabe einer Willenserklä­ rung widerrechtlich durch Drohung oder durch Betrug bestimmt worden, so kann er die Willens­erklärung anfechten“. In §  98 Abs.  1 BGB 2. Entwurf wurde dann das Tatbestands­ merkmal des Betrugs – nunmehr in begrifflicher Übereinstimmung mit den Täuschungs­ tatbeständen des Kaufrechts (dazu unten Kapitel  2 A.VII.6. = S. 186 ff.) – durch dasjenige der „arglistigen Täuschung“ ersetzt. In den Protokollen wird ausgeführt, damit solle klar­ gestellt werden, „daß im Abs.  1 nicht nothwendig ein Betrug im Sinne des St.G.B. voraus­ gesetzt werde, daß vielmehr eine die Anfechtung begründende Beeinflussung des Willens auch dann als vorliegend zu erachten sei, wenn in Folge des Verhaltens des anderen Thei­ les der Anfechtende einen vermögensrechtlichen Schaden nicht erlitten habe“; Prot. I, 1897, S.  119. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte v. Lübtow, FS Bartholomeyczik, 1973, S.  249 ff., wobei v. Lübtow zutreffend betont, dass zum Vorsatz „der Wille zur Handlung und die Vorstellung ihrer Tragweite [gehören]. Das Bewußtsein, einen Irrtum zu erregen, genügt alleine nicht. Es muß sich der Handlungswille hinzugesellen“ (v. Lübtow, a. a. O., S.  259). 162  Vgl. die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Ver­ sicherungsvertragsrechts, BT-Drucks. 16/3945, S.  49 und öfter („betrügerisches Verhal­ ten“); Looschelders/Pohlmann – Pohlmann, VVG, 32017, §  28 Rn.  57. 163  Vgl. zu den zahlreichen Parallelen zwischen der privatrechtlichen Täuschung und dem strafrechtlichen Betrug Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S.  244 f.; wohl mit anderer Tendenz Odersky, in: Brandner/Hagen/Stürner (Hrsg.), Fest­ schrift für Karlmann Geiß, 2000, S.  135, 142, der dabei übrigens Kenntnis und bedingten Vorsatz begrifflich in eigentümlicher – im Ergebnis für das Privatrecht allerdings ganz treffender – Weise gleichsetzt. 164  In diese Richtung allerdings noch die ersten Ansätze einer Konkretisierung des Tat­ bestands des arglistigen Verschweigens bei RG, Urt. v. 26.6.1903 – Rep. II 4/03, RGZ 55, 210, 213 ff., wonach darunter „ein Verschweigen in der Absicht, den Gegenkontrahenten zu täuschen“, zu verstehen sei. Anders, wenn auch ohne nähere Auseinandersetzung in der Sache, aber bereits RG, Urt. v. 26.10.1906 – 90/06 II, JW 1906, 734, 735: „[…] durch seine Arglist die Unterbrechung der Verjährung verhindern wollte oder doch das Bewußtsein der Möglichkeit hatte, dadurch werde eine Unterbrechung der Verjährung verhindert“ (Her­ vorhebung nicht im Original). 165  Näher zum Verhältnis von Arglist und §  826 BGB noch unten Kapitel  2 A.VII.5. = S. 184 f.

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3. Bezugspunkte des Täuschungsvorsatzes Inhaltlich, in seinen Bezugspunkten, ist der Arglisttatbestand in spezifischer Weise konkretisiert. Der – auch bedingte – Vorsatz muss sich in tatsächlicher Hinsicht166 auf drei Umstände beziehen: In Bezug auf das arglistige Ver­ schweigen sind dies (1) das Vorhandensein mangel- bzw. fehlerbegründen­ der Umstände, (2) die diesbezügliche Unkenntnis der anderen Vertragspar­ tei167 und (3) die Kausalität168 des Mangels oder Fehlers bzw. der diesbezüg­ lichen Unkenntnis der anderen Vertragspartei für den Abschluss des Vertrags durch die andere Vertragspartei zu den vereinbarten Konditionen oder die Annahme der angebotenen Sache als Erfüllung169. Parallel dazu muss sich der – auch bedingte – Vorsatz des Täuschenden bei der arglistigen Täuschung auf (1) die Unrichtigkeit oder, bei einer Täuschung durch Unterlassen, die Unvollständigkeit der eigenen Angaben, (2) die diesbezügliche Unwissen­ heit der anderen Vertragspartei und damit die Erregung oder Aufrechterhal­ tung eines Irrtums bei dieser und (3) die Kausalität des Irrtums für die Ab­ gabe der in Rede stehenden Erklärung und/oder ihren Inhalt beziehen.170 166 

Zur Frage, ob bzw. inwiefern auch rechtliche Schlussfolgerungen notwendiger Be­ zugspunkt des Tatbestands der arglistigen Täuschung bzw. des arglistigen Verschweigens sind, bereits oben Kapitel  2 A.VI. = S. 157 ff. 167  Am Vorsatz bezüglich der Unkenntnis der anderen Vertragspartei fehlt es typischer­ weise insbesondere bei Mängeln, die ohne weiteres erkennbar sind, wobei der BGH in diesen Fällen regelmäßig schon das Bestehen einer Offenlegungspflicht verneint; vgl. etwa BGH, Urt. v. 14.9.2018 – V ZR 165/17, BeckRS 2018, 26602 Rn.  7 m. w. N. (für §  444 BGB); BGH, Urt. v. 16.3.2012 − V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn.  21 (zu §  444 BGB); BGH, Urt. v. 12.11.2010  – V ZR 181/09, NJW 2011, 1279 Rn.  10 (für §  444 BGB). Nicht ohne weiteres erkennbar sind nach der Rechtsprechung des BGH solche Mängel, von denen „bei einer Besichtigung zwar Spuren zu erkennen sind, die aber keinen tragfähigen Rück­ schluss auf Art und Umfang des Mangels erlauben“; BGH, Urt. v. 14.6.2019 – V ZR 73/18, BeckRS 2019, 23720 Rn.  11 m. w. N. 168  Maßgeblich ist allein die diesbezügliche Vorstellung des Verschweigenden. Objek­ tive Kausalität in dem Sinne, dass die andere Vertragspartei tatsächlich den Vertrag nicht schließen bzw. anders disponieren würde, würde sie den Mangel bzw. Fehler kennen, ist nicht erforderlich; BGH, Urt. v. 7.7.1989 – V ZR 21/88, NJW 1990, 42 Abschn.  II 3 b (für §  463 S.  2 BGB a. F.); BGH, Urt. v. 15.7.2011 – V ZR 171/10, NJW 2011, 3640 Rn.  8 ff. (für §  444 BGB); BGH, Urt. v. 14.9.­2018 – V ZR 165/17, BeckRS 2018, 26602 Rn.  7 (für §  444 BGB); Lorenz, LMK 2011, 323580 unter 2 e. 169 Am Vorsatz bezüglich der Kausalität kann es insbesondere bei unwesentlichen Mängeln fehlen, wobei der BGH in diesen Fällen teilweise schon das Bestehen einer Of­ fenlegungspflicht verneint; vgl. dazu oben Kapitel  2 Fn.  152. 170  Vgl. etwa BGH, Urt. v. 28.4.1971 – VIII ZR 258/69, NJW 1971, 1795 Abschn.  II 3 d; BGH, Urt. v. 19.5.1999 – XII ZR 210/97, NJW 1999, 2804 Abschn.  II 5; aus der Lit. etwa MünchKomm – Armbrüster, BGB, 82018, §  123 Rn.  14.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Dabei genügt nach den allgemeinen Regeln des bedingten Vorsatzes je­ weils, dass der Betroffene die genannten Umstände jeweils für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.171 Eine konkrete Möglichkeitsvorstellung als kognitives Vorsatzelement genügt insbesondere auch hinsichtlich des Vor­ liegens mangel- bzw. fehlerbegründender Umstände. Wenn insofern teil­ weise die Rede davon ist, der Verschweigende müsse den Mangel „gekannt“ oder „als solche[n] wahrgenommen“ haben und die Formel des „für-mög­ lich-Haltens“ nur auf die anderen beiden Elemente des Vorsatzes bezogen wird,172 handelt es sich regelmäßig um eine unpräzise Verkürzung173 und im Übrigen um eine unbegründete und abzulehnende Korrektur des allgemei­ nen Vorsatzbegriffs.174 Für die Unkenntnis des Käufers als Bezugspunkt des Vorsatzes des Verkäufers gilt nichts anderes.175

171  Vgl. etwa BGH, Urt. v. 26.4.2017 – VIII ZR 233/15, NJW 2017, 3292 Rn.  26 (für §§  323 Abs.  2 Nr.  3, 444 BGB); BGH, Beschl. v. 8.12.2006 – V ZR 249/05, NJW 2007, 835 Rn.  8 ff. (für §§  323 Abs.  2 Nr.  3, 444 BGB); BGH, Urt. v. 7.3.2003 – V ZR 437/01, NJWRR 2003, 989 Abschn.  II 2 b (für §  463 S.  2 BGB a. F.); BGH, Urt. v. 22.11.1996 – V ZR 196/95, NJW-RR 1997, 270 (für §  463 S.  2 BGB a. F.); BGH, Urt. v. 3.3.1995 – V ZR 43/94, NJW 1995, 1549 Abschn.  II 2 b (für §  463 S.  2 BGB a. F.); BGH, Urt. v. 7.7.1989 – V ZR 21/88, NJW 1990, 42 Abschn.  II 3 a (für §  463 S.  2 BGB a. F.). 172  Vgl. etwa BGH, Urt. v. 15.7.2011 – V ZR 171/10, NJW 2011, 3640 Rn.  19; BGH, Beschl. v. 30.9.2010 – V ZR 89/10, BeckRS 2010, 25406; BGH, Urt. v. 12.10.2006 – VII ZR 272/05, NJW 2007, 366 Rn.  11. Auch im (zumal älteren) Schrifttum finden sich teilweise Formulierungen, die in eine solche Richtung gehen, vgl. etwa Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  II/1: Besonderer Teil, 131986, S.  59 (für §  463 BGB a. F.): „‚Arglistig‘ handelt der Verkäufer, wenn er den Fehler kennt und weiß, daß…“. 173  Deutlich BGH, Urt. v. 19.2.2016 – V ZR 216/14, NJW 2016, 2315 Rn.  16 einerseits und Rn.  21 andererseits. 174  Im Ergebnis deutlich wie hier etwa BGH, Urt. v. 11.5.2001 – V ZR 14/00, NJW 2001, 2326 Abschn.  II 2 a; BGH, Urt. v. 16.3.2012 − V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn.  24; BGH, Urt. v. 15.4.2015 – VIII ZR 80/14, NJW 2015, 1669 Rn.  16; BGH, Urt. v. 21.7.2017 – V ZR 250/15, NJW 2018, 389 Rn.  11 f.; BGH, Urt. v. 14.6.2019 – V ZR 73/18, BeckRS 2019, 23720 Rn.  11; BGH, Urt. v. 6.3.2020 – V ZR 2/19, BeckRS 2020, 14890 Rn.  8; BGH, Urt. v. 28.5.2021 – V ZR 24/20, NJW 2021, 3397 Rn. 10, 18; vgl. aus der Lit. statt vieler Meyer, WM 2012, 2040, 2041 f. 175  Vgl. auch BGH, Urt. v. 22.11.1996 – V ZR 196/95, NJW-RR 1997, 270 Abschn.  II 3 m. w. N.: „Nimmt der Verkäufer an, der Käufer sei aufgrund von Indizien imstande, den Mangel zu erkennen, so handelt er, der Verkäufer, gleichwohl arglistig, wenn er sich be­ wußt hierum nicht kümmert und in Kauf nimmt, daß der Käufer, weil er die Prüfung un­ terläßt, den Vertrag abschließt, den er bei Kenntnis des Mangels nicht geschlossen hätte“.

A. Vorsatz

181

4. Arglistige Täuschung durch unrichtige Angaben ins Blaue hinein a) Tatbestand Eine arglistige Täuschung kann nach überwiegendem Verständnis auch durch Angaben ins Blaue hinein erfolgen. Unter diesem Schlagwort werden üblicherweise Fälle zusammengefasst, in denen eine Partei „ohne tatsäch­ liche Grund­lage[n]“ über einen wesentlichen Punkt unrichtige Angaben macht.176 Damit ist der Tatbestand der arglistigen Täuschung indes nur unvollstän­ dig beschrieben. Vergegenwärtigt man sich, dass Arglist nichts anderes ist als hinsichtlich seiner Bezugspunkte in bestimmter Weise spezifizierter – auch bedingter – Vorsatz, stellt sich die Tätigung einer unrichtigen Angabe genau genommen nur und gerade dann als arglistige Täuschung dar, wenn der Täu­ schende es zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, (1) dass die Angabe, die er macht, unrichtig ist, (2) dass der andere Teil die Unrichtig­ keit der Angabe nicht (er-)kennt und (3) dass der andere Teil die in Rede stehende Erklärung nicht oder nicht so abgeben würde, würde er die Un­ richtigkeit der Angabe (er-)kennen.177 Die Qualifikation einer Angabe dahin, sie sei ohne tatsächliche Grundlage getätigt worden, verweist auf das Tatbestandselement der bedingt vorsätz­ lich unrichtigen Angabe im Sinne von vorstehend (1) und konkretisiert die­ ses in spezifischer Weise. Sie legt dabei zutreffend offen, dass es insofern maßgeblich auf das (subjektiv für möglich gehaltene und billigend in Kauf genommene) Fehlen einer hinreichenden Beurteilungsgrundlage für die ge­ tätigte Angabe ankommt.178 Die Tatbestandselemente (2) und (3) sind indes nicht minder bedeutsam. Sie konkretisieren, komplettieren und explizieren den eigentlichen Vorwurf erst. Dieser besteht nicht isoliert in der Tätigung einer Angabe ohne tatsächliche Grundlage, sondern erst und gerade darin, 176  So die gängige Formulierung in der Rechtsprechung des BGH, vgl. etwa BGH, Urt. v. 29.1.­1975 – VIII ZR 101/73, NJW 1975, 642 Abschn. 5; BGH, Urt. v. 3.12.1986 – VIII ZR 345/85, NJW-RR 1987, 436 Abschn.  II 2 a aa; BGH, Urt. v. 18.1.1995 – VIII ZR 23/94, NJW 1995, 955 Abschn.  I 3; BGH, Urt. v. 7.6.2006 – VIII ZR 209/05, NJW 2006, 2839 Rn.  13; in der Sache etwa auch BGH, Urt. v. 25.3.1998 – VIII ZR 185/96, NJW 1998, 2360 Abschn.  II 1 b („ohne hinreichende Erkenntnisgrundlage“). 177  Vgl. zur Einordnung unrichtiger Angaben ins Blaue hinein als Fallgruppe der be­ dingt vorsätzlichen Täuschung etwa BGH, Urt. v. 12.1.2001 – V ZR 322/99, NJOZ 2001, 5 Abschn.  II 2 c; BGH, Urt. v. 25.3.1998 – VIII ZR 185/96, NJW 1998, 2360 Abschn.  II 1 b; BGH, Urt. v. 26.9.1997 – V ZR 29/96, NJW 1998, 302 Abschn.  II 1 c; MünchKomm – Armbrüster, BGB, 82018, §  123 Rn.  16; MünchKomm – Westermann, BGB, 82019, §  438 Rn.  29; BeckOK  – Faust, BGB, Stand: 1.5.2021, §  438 Rn.  41; ders., JZ 2007, 101, 103. 178  Faust, JZ 2007, 101, 103.

182

Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

dass der Täuschende durch seine Angabe den anderen Teil zumindest be­ dingt vorsätzlich in seiner Entscheidung beeinflusst, eine bestimmte Erklä­ rung abzugeben (also etwa ein Kaufangebot anzunehmen).179 Diese Beein­ flussung lässt sich wiederum in spezifischer Weise weiter konkretisieren. Sie geht im Fall unrichtiger Angaben ins Blaue hinein dahin, den anderen Teil davon abzuhalten, die Umstände, die Gegenstand der getätigten Angabe sind, selbst nachzuprüfen, also etwa die Kaufsache selbst zu untersuchen oder sachverständig begutachten zu lassen.180 Hieraus lässt sich auch erklären, dass und warum der Tatbestand der arg­ listigen Täuschung durch Tätigung einer unrichtigen Angabe ins Blaue hin­ ein entfällt, wenn deren Unsicherheit (das Fehlen einer tatsächlichen Grund­ lage) als solche bzw. die maßgeblichen Unsicherheitsfaktoren in einer Weise offengelegt werden, die geeignet ist zu verhindern, dass die Angabe bei der anderen Seite eine Fehlvorstellung hinsichtlich der Validität der Angabe her­ vorruft.181 Maßgeblich ist dabei, ob sich nach der Vorstellung des die Angabe Tätigenden (Vorsatzfrage) lediglich eine ungesicherte Einschätzung oder 179  Das betonend etwa auch BGH, Urt. v. 12.1.2001 – V ZR 322/99, NJOZ 2001, 5 Abschn.  II 2 c m. w. N. 180  Vgl. BGH, Urt. v. 18.3.1981 – VIII ZR 44/80, NJW 1981, 1441 Abschn.  II 2 a (für §  476 BGB a. F.): „Macht der Verkäufer Angaben über den Wert oder den Zustand des Fahrzeugs, insbesondere über dessen Mängelfreiheit, so erübrigt sich aus der Sicht des Käufers eine weitere Überprüfung, weil er im redlichen Handelsverkehr davon ausgehen darf, daß der Verkäufer seine Erklärungen nicht ins Blaue hinein abgibt. Der die Arglist begründende Vorwurf gegenüber dem Verkäufer liegt in einem solchen Fall in dem Um­ stand, daß er die für ihn erkennbare Vorstellung des Käufers ausnutzt“; MünchKomm – Westermann, BGB, 82019, §  438 Rn.  29; Faust, JZ 2007, 101, 103; Dauner-Lieb, FS Kraft, 1998, S.  43, 55 f.; vgl. zum damit korrespondierenden Zweck mangelverdachtsbezogener Aufklärungspflichten auch BGH, Urt. v. 21.7.­2017 – V ZR 250/15, NJW 2018, 389 Rn.  12 (zu §  444 BGB). 181  Vgl. BGH, Urt. v. 8.5.1980 – IV a ZR 1/80, NJW 1980, 2460 Abschn. 2 b: „Gab die Verkäuferin unter diesen Umständen die Erklärung ab, obwohl sie wußte, daß sie über ihren Gegenstand ‚schlechterdings nicht im Bilde sein konnte‘, und verschwieg sie dies der Bekl., so beging sie eine arglistige Täuschung“; BGH, Urt. v. 7.6.2006 – VIII ZR 209/05, NJW 2006, 2839 Rn.  15: „Jedoch muss der Verkäufer, der von einer eigenen Un­ tersuchung des Fahrzeugs absieht und gleichwohl dessen Unfallfreiheit zusichert, die Be­ grenztheit seines Kenntnisstandes deutlich machen, wenn er – wie dies nach den Feststel­ lungen des BerGer. hier der Fall war  – die Unfallfreiheit in einer Weise behauptet, die dem Käufer den Eindruck vermitteln kann, dies geschehe auf der Grundlage verlässlicher Kenntnis. Einen solchen – einschränkenden – Hinweis hat der Verkäufer B versäumt. Er hat die Unfallfreiheit des Fahrzeugs dem Kl. gegenüber zugesichert, ohne deutlich zu machen, dass er über die Unfallfreiheit keine eigenen Erkenntnisse hatte und auch die ihm vorliegenden Akten darüber nichts aussagten“; MünchKomm – Westermann, BGB, 82019, §  438 Rn.  29.

A. Vorsatz

183

Vermutung etc. mitgeteilt oder aber eine Tatsachenbehauptung aufgestellt wird.182 Darüber hinaus ist die Verantwortlichkeit für Angaben ins Blaue hinein dahin deutlich begrenzt, dass sie ausschließlich auf Fälle aktiven Tuns bezo­ gen ist.183 Der Vorwurf der arglistigen Täuschung durch Angaben ins Blaue hinein kann folglich alternativ auch dadurch vermieden werden, dass man die betreffende Angabe nicht tätigt, sondern schweigt.184 b) Abgrenzung zur Verantwortlichkeit für fahrlässige Falschinformation Wie gezeigt, geht der Vorwurf bei der tatbestandsmäßigen arglistigen Täu­ schung durch unrichtige Angaben ins Blaue hinein dahin, die Aussage über­ haupt getroffen zu haben und dabei deren Unsicherheit (das Fehlen einer tatsächlichen Grundlage) bzw. die maßgeblichen Unsicherheitsfaktoren eventualvorsätzlich – im Hinblick auf eine erhoffte Erklärung des anderen Teils – nicht oder nicht hinreichend deutlich offengelegt zu haben. Die Unsicherheit (das Fehlen einer tatsächlichen Grundlage) bzw. das Be­ stehen irgendwelcher Unsicherheitsfaktoren als solches ist demgegenüber nicht Gegenstand des Vorwurfs. Insbesondere geht der Vorwurf nicht dahin, der Täuschende habe irgendwelche Prüfungs- oder Ermittlungspflichten be­ züglich der getätigten Angaben und ihrer Grundlagen verletzt oder hätte 182  Vgl. auch BGH, Urt. v. 12.1.2001 – V ZR 322/99, NJOZ 2001, 5 Abschn.  II 2 c bb: keine arglistige Täuschung durch unrichtige Angaben ins Blaue hinein, weil der sich Äu­ ßernde „lediglich seine Einschätzungen zu den Ursachen der sichtbaren feuchten Flecken mitgeteilt [hat], indem er auf die Frage der Käufer – für sich genommen plausible – Ver­ mutungen genannt hat“. 183  BGH, Urt. v. 19.6.2013 – VIII ZR 183/12, NJW 2014, 211 Rn.  25 f. 184  Damit ist noch nicht gesagt, dass dieses Verhalten nicht seinerseits eine arglistige Täuschung durch Unterlassen bzw. ein arglistiges Verschweigen darstellt. Dieses Verhal­ ten (das Schweigen) muss sich vielmehr seinerseits am Tatbestand der arglistigen Täu­ schung (in Form des arglistigen Verschweigens) messen lassen; vgl. zu diesem Zusammen­ hang etwa BeckOK  – Faust, BGB, Stand: 1.5.2021, §  438 Rn.  41. Das Unterlassen (Ver­ schweigen) ist dem aktiven Tun (einer Angabe) nach herkömmlichem Verständnis allerdings, wie gezeigt, grundsätzlich nur bei Bestehen einer Offenlegungspflicht gleich­ gestellt, also insbesondere bezüglich solcher Umstände, die für den anderen Teil offen­ sichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind, weil sie geeignet sind, den Vertrags­ zweck zu gefährden oder zu vereiteln. In der inhaltlichen Begrenztheit auf wesentliche Umstände besteht dabei der entscheidende Unterschied zur arglistigen Täuschung durch eventualvorsätzlich ins Blaue hinein getätigte Angaben. Aktiv getätigte Angaben – ob auf Nachfrage der anderen Seite hin getätigt oder aus eigener Initiative – müssen, will man sich nicht dem Vorwurf der arglistigen Täuschung aussetzen, wenn sie sich als unrichtig erweisen, subjektiv eine hinreichende Grundlage haben, unabhängig davon, ob sie ver­ tragswesentliche Umstände betreffen oder nicht.

184

Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Anlass zu durchgreifenden Zweifeln hinsichtlich der Richtigkeit der von ihm getätigten Angaben haben müssen. Hierin liegt der entscheidende Un­ terschied zum Vorwurf fahrlässiger Falschinformation.185 5. Arglist und vorsätzliche sittenwidrige Schädigung Wie gezeigt, setzt der Arglisttatbestand nach heute ganz vorherrschendem Verständnis nicht voraus, dass das Verhalten des Betroffenen moralisch vor­ werfbar ist. Dem entspricht es, wenn der BGH immer wieder betont, dass mit der tatbestandlichen Feststellung, jemand habe arglistig gehandelt, kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muss.186 Für den Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung ist dies nach der Rechtsprechung des BGH anders.187 Das wirft die Frage nach dem Verhältnis des Tatbestands der arglistigen Täuschung bzw. des arglistigen Verschweigens zum Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung und damit zu §  826 BGB auf. Im Schrifttum wird überwiegend angenommen, eine arglistige Täuschung bzw. ein arglistiges Verschweigen erfülle (zumindest) in aller Regel den Tat­ bestand des §  826 BGB.188 Auch der BGH geht in ständiger Rechtsprechung

185  Vgl.

zur Abgrenzung auch BGH, Urt. v. 19.6.2013 – VIII ZR 183/12, NJW 2014, 211Rn.  26; BGH, Urt. v. 16.3.2012 − V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn.  28; BGH, Urt. v. 14.6.­2019 – V ZR 73/18, BeckRS 2019, 23720 Rn.  15. Umgekehrt ist es aber natürlich möglich, den Vorwurf der arglistigen Täuschung durch unrichtige Angaben ins Blaue ­hinein dadurch zu vermeiden, dass man die Grundlagen der getätigten Angabe überprüft und diese dann schlicht unterlässt, wenn und weil sich in diesem Rahmen die Unrichtig­ keit der intendierten Angabe herausstellt; wohl in diesem Sinne, aber nicht ganz klar, BGH, Urt. v. 7.6.2006 – VIII ZR 209/05, NJW 2006, 2839 Rn.  15; BGH, Urt. v. 14.3.1979 – VIII ZR 129/78, NJW 1979, 1707 Abschn.  I 2 c. Wohl weiter bzw. zu weit („indirekte Nachforschungspflicht“ insbesondere bei Nachfragen des Käufers, weil der Verkäufer verpflichtet sei, diese wahrheitsgemäß zu beantworten, widrigenfalls eine Angabe ins Blaue hinein vorläge) Schudlo/Kersten, BB 2021, 1154, 1158. 186  Vgl. bereits oben Kapitel 2 Fn. 158. 187  BGH, Teilversäumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  23; BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  15. 188 Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band   II/2: Besonderer Teil, 13 1994, §  78 II 2 b = S.  452; Oechsler, NJW 2017, 2865, 2866; Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 165; BeckOK – Förster, BGB, Stand: 1.5.2021, §  826 Rn.  57. Von Teilen des Schrift­ tums wird eine dahingehende Gleichsetzung aber auch dezidiert abgelehnt und betont, es müssten „weitere Umstände“ hinzutreten; so etwa BeckOGK – Spindler, BGB, Stand: 1.5.2021, §  826 Rn.  33, insbesondere unter Verweis darauf, dass andernfalls über §  826 BGB die Frist des §  124 BGB unterlaufen werden könnte; vgl. dagegen aber bereits BGH, Urt. v. 31.1.1962 – VIII ZR 120/60, NJW 1962, 1196 Abschn.  II. 5.

A. Vorsatz

185

davon aus, dass eine arglistige189 bzw. bewusste190 Täuschung grundsätzlich einen vorsätzlichen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne von §  826 BGB darstellt. Zu beachten ist allerdings, dass der Tatbestand des §  826 BGB über das Verdikt der Sittenwidrigkeit hinaus noch die objektive Schädigung des anderen Teils sowie – auch bedingten – Schädigungsvorsatz voraussetzt.191 Für Arglisttatbestände ist dies demgegenüber nicht der Fall.192 In diesem Punkt unterscheiden sich die arglistige Täuschung bzw. das arglistige Ver­ schweigen und die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. Es erscheint denn auch nicht unplausibel, erst und gerade in der Verknüp­ fung von arglistiger Täuschung bzw. arglistigem Verschweigen und vorsätz­ licher Schädigung eines anderen einen moralischen Unwertgehalt zu erbli­ cken und damit nur und erst die Feststellung des Tatbestands des §  826 BGB, nicht aber schon die Feststellung eines isolierten Arglisttatbestands als mo­ ralisches Unwerturteil zu begreifen.193 Im Ergebnis wird die Feststellung der 189  BGH, Urt. v. 29.10.1959 – VIII ZR 125/58, NJW 1960, 237 Abschn. 3; BGH, Urt. v. 21.6.­­1974 – V ZR 15/73, NJW 1974, 1505 Abschn.  I; BGH, Urt. v. 25.1.1984 – VIII ZR 227/82, NJW 1984, 2284 Abschn.  IV 3; BGH, Urt. v. 9.10.1991 – VIII ZR 19/91, NJW 1992, 310 Abschn.  II 2 a.; BGH, Beschl. v. 2.11.2000 – III ZB 55/99, NJW 2001, 373 ­insbesondere Abschn.  II 2 c bb; BGH, Urt. v. 21.12.2004 – VI ZR 306/03, NJW-RR 2005, 611 Abschn.  II 1 und 2; BGH, Urt. v. 28.2.2005 – II ZR 13/03, NJW-RR 2005, 751 Ab­ schn.  II 2. 190  BGH, Teilveräumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  16; BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  15. Näher zur zwei­ felhaften Konkretisierung des Sittenwidrigkeitsverdikts im Sinne einer „bewussten Täu­ schung“ noch unten Kapitel  3 B.II.3. = S. 309. 191  Deutlich etwa auch BGH, Urt. v. 29.10.1959 – VIII ZR 125/58, NJW 1960, 237 Abschn. 3: „Das arglistige Täuschen verstößt gegen die guten Sitten. Wird dadurch einem anderen vorsätzlich Schaden zugefügt, so hat der Täuschende den Schaden auf Grund des §  826 BGB zu ersetzen“; vgl. auch bereits RG, Urt. v. 26.10.1906 – 90/06 II, JW 1906, 734, 735; aus der Lit. MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  826 Rn.  66. 192  Vgl. BGH Urt. v. 14.7.1954 – II ZR 190/53, LM §  123 Nr.  9 Abschn.  I 3; BGH, Urt. v. 27.4.­1972 – II ZR 150/68, BeckRS 1972, 31123022 Abschn.  III 2; BGH, Urt. v. 21.6.­ 1974  – V ZR 15/­73, NJW 1974, 1505 Abschn.  I; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II: Das Rechtsgeschäft, 41992, §  29, 2 = S.  543. 193  Deutlich in diesem Sinne Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  II/2: Besonderer Teil, 131994, §  78 II 2 b = S.  452, nach denen die Rechtswidrigkeit der Täu­ schung „durch die Wertung des §  123 BGB indiziert“ werde; dass „sie außerdem i. d. R. den qualifizierten Unrechtsgehalt der Sittenwidrigkeit [im Sinne des §  826 BGB] aufweist, ergibt sich aus ihrer Verbindung mit dem Schädigungsvorsatz“. In diese Richtung weisen auch andere Überlegungen, die den Schädigungsvorsatz generell in den Mittelpunkt der Betrachtung des §  826 BGB stellen, namentlich die Überlegung, zentraler Rechtsgedanke des §  826 BGB sei die „Deprivilegierung des Vorsatztäters zum Schutz seiner Opfer“; ausf. dazu, auch zur hieran geäußerten Kritik, Staudinger – Oechsler, BGB, 2018, §  826 Rn.  12 ff.

186

Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

subjektiven Kausalität der Täuschung bzw. des Verschweigens im Sinne des Arglisttatbestands zwar fast immer mit der Feststellung eines zumindest be­ dingten Schädigungsvorsatzes einhergehen.194 Logisch zwingend ist das al­ lerdings nicht. Zu denken ist insbesondere an Fälle, in denen der Täuschende bzw. Verschweigende „in bester Absicht“ handelt.195 6. Historische Besicherung: Vom „wissentlichen Verschweigen“ zum „arglistigen Verschweigen“ Die Explikation des Arglisttatbestands als „gewöhnlicher“ Vorsatztatbe­ stand mit spezifischen Bezugspunkten überzeugt schließlich auch vor dem Hintergrund seiner Genese. Im Ersten Entwurf des BGB von 1887 wurde der Tatbestand der §§  442 Abs.  1 S.  2 Alt.  1, 444 Alt.  1 BGB (aktuelle Fassung), der heute im Gesetz als „arglistiges Verschweigen“ des Verkäufers adressiert und praktisch einhellig als „vorsätzliches Verschweigen“ verstanden wird, noch dahin beschrieben, der Käufer müsse sich die eigene grob fahrlässige Unkenntnis bezüglich ei­ nes Mangels der Kaufsache bzw. einen Haftungsausschluss dann nicht ent­ gegenhalten lassen, wenn der Verkäufer den Mangel „gekannt und dem Erwerber verschwiegen hat“ (gleichlautend §§  380 Abs.  2, 382 Abs.  2, 396 Abs.  2 BGB 1. Entwurf).196 Vergleichbares gilt für die Schadensersatzhaf­ 194  In diese Richtung weisen generell wiederum Überlegungen, die die Funktion des Sittenwidrigkeitsverdikts als „Vermutungsbasis“ hinsichtlich des Schädigungsvorsatzes betonen; vgl. dazu wiederum Staudinger – Oechsler, BGB, 2018, §  826 Rn.  58a ff. 195  Ein Handeln in bester Absicht steht der Verwirklichung des Tatbestands der arglis­ tigen Täuschung bzw. des arglistigen Verschweigens nicht entgegen, eben weil dieser nach ganz h. M. sittlich neutral ist; vgl. v. Lübtow, FS Bartholomeyczik, 1973, S.  249, 272 f.; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II: Das Rechtsgeschäft, 41992, §  29, 2 = S.  543; Reinking/Kippels, ZIP 1988, 892, 893; MünchKomm – Armbrüster, BGB, 8 2018, §  123 Rn.  18 m. w. N. Anders – soweit ersichtlich einzig und im konkreten Fall ein Handeln „nur zum Besten“ ablehnend – BGH, Urt. v. 14.7.1954 – II ZR 190/53, LM §  123 Nr.  9. Vgl. beispielhaft für einen Fall, in dem es bei einer arglistigen Täuschung möglicher­ weise am Schädigungsvorsatz fehlte, noch BGH, Urt. v. 27.4.1972 – II ZR 150/68, BeckRS 1972, 31123022 Abschn.  III 2. Vgl. schließlich zur nicht unähnlichen Diskussion um den Dolusbegriff des klassischen römischen Rechts, der als „dolus malus“ in einem engeren Sinne grundsätzlich mit einem moralischen Unwerturteil verknüpft war bzw. ein solches voraussetzte mit der Folge, dass in Fällen von Handlungen „out of compassion […] prompted by a morally commendable impulse“ die actio de dolo im Einzelfall ausge­ schlossen sein konnte, Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, S.  669 m. w. N. (kon­ kret für die Freilassung eines Sklaven). 196  Vgl. dazu auch Mot. II, 1888, S.  224, 226. Die zitierte Formulierung im Ersten Ent­ wurf des BGB setzte die 1. Kommission für den Fall des §  444 Alt.  1 BGB (heutige Zäh­ lung) übrigens ihrerseits an die Stelle des zunächst unterbreiteten Vorschlags, die Unwirk­

A. Vorsatz

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tung des Verkäufers wegen arglistigen Verschweigens, wie sie bis zur Schuld­ rechtsreform in §  463 S.  2 BGB a. F. und in §  480 Abs.  2 BGB a. F. kodifiziert war. Hier waren §§  385 Alt.  2, 398 Abs.  3 BGB 1. Entwurf und gleichlautend für die Verjährung in diesem Fall §§  397 Abs.  2 BGB 1. Entwurf (vgl. im geltenden Recht §  438 Abs.  3 BGB) noch dahin formuliert, der Verkäufer müsse einen Mangel „wissentlich verschwiegen“ haben. Das Begriffspaar des „arglistigen Verschweigens“ fand erst in den Zweiten Entwurf des BGB Eingang (vgl. die Nachfolgeregelungen §§  384, 398 S.  2, 400 S.  2, 412, 413 Abs.  1 S.  1, 415 Abs.  2 BGB 2. Entwurf).197 In den Proto­ kollen wird als Begründung angegeben, die jeweils angeordneten negativen Rechtsfolgen für den Verkäufer gingen dann zu weit und sollten daher dann nicht eintreten, wenn der Verkäufer einen ihm bekannten Mangel dem Käu­ fer nur deshalb nicht mitteilt, weil er davon ausgeht, er sei dem Käufer be­ reits bekannt.198 Dieser Fall sollte durch die Verwendung der Formel vom „arglistigen Verschweigen“ aus dem Tatbestand der Norm aussortiert wer­ den. Für eine darüber hinausgehende Änderungstendenz finden sich in den Protokollen keinerlei Anhaltspunkte. Pate stand dabei, soviel sich sagen lässt, (ausgerechnet) der Straftatbestand der Ehe­erschleichung gemäß §  170 Reichsstrafgesetzbuch (1871), damals nach Karl Binding der einzige Tatbe­ stand im deutschsprachigen Rechtskreis, in dem dieser Begriff überhaupt Verwendung fand – und zwar mit einem Zweckbezug, der demjenigen durchaus nicht unähnlich war, der nunmehr auch für die genannten Tatbe­ stände des Privatrechts zum Ausdruck gebracht werden sollte: „Geschieht das Verschweigen, um den andern Teil nicht unglücklich, vielleicht gar um ihn glücklich zu machen, oder aus Lässigkeit, so ist die Strafdrohung des §  170 unanwend­ bar“.199 samkeit eines Haftungsausschlusses daran anzuknüpfen, dass der Veräußerer das ihn zur Gewährleistung verpflichtende Recht bzw. den Mangel dem Erwerber „absichtlich verschwiegen hat“, §§  20, 36 Teilentwurf zum Obligationenrecht 1882. Die Änderung war damit begründet worden, dass „das Wort ‚verschweigen‘ zur Genüge auf den sogenannten dolus malus hinweise und die Auslegung ausschließe, es genüge, wenn ohne böse Absicht das Recht des Dritten nicht angezeigt sei, z. B. weil der Veräußerer irrig unterstellt habe, auch der Erwerber sei davon unterrichtet“ (§§  20, 36 TE-OR und Begründung zitiert nach Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1980, §  443 = S.  67 und Vor §§  462–480 = S.  141 f.). Auch das passt zu den hier präsentierten Überlegungen und bestätigt insbesondere die kategoriale Gleichsetzung von Arglist und Vorsatz. 197  Dasselbe gilt etwa auch für den Tatbestand des §  123 Abs.  1 Alt.  1 BGB, der in §  103 Abs.  1 Alt.  2 BGB 1. Entwurf zunächst noch als „Betrug“ in Bezug genommen war; s. dazu bereits oben Kapitel  2 A.VII.2. = S. 176 f. 198  Gleichsinnig Prot. I, 1897, S.  667, 672, 686, 701. 199  Insofern instruktiv Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band  II: Schuld und Vorsatz, Teil  2: Der rechtswidrige Vorsatz, 21916, S.  1150 f. (erste Auflage 1872). Bin-

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Dieser Befund ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Er bestätigt zum Ersten, wie erwähnt, dass mit dem Begriff der „Arglist“ nichts anderes ad­ ressiert wird als der allgemeine Vorsatztatbestand, weil sich das Erfordernis, der Verkäufer müsse davon ausgehen, der Käufer kenne den Mangel nicht, in der Sache identisch als spezifischer Bezugspunkt des allgemeinen Vorsatz­ tatbestands erfassen lässt und allgemein erfasst wird und mit dem Begriff der Arglist nach dem dokumentierten Willen der Gesetzesverfasser nicht mehr als ein solches Erfordernis zum Ausdruck gebracht werden sollte. Der ­historische Befund bestätigt also die kategoriale Gleichartigkeit von Arglist und Vorsatz. Zum Zweiten indiziert der historische Befund die kategoriale Gleichartig­ keit nicht nur von Vorsatz und Arglist, sondern auch und gerade von Wis­ senstatbestand und Vorsatztatbestand, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Begriff der Arglist (= des Vorsatzes) an die Stelle der Begriffe der „Kennt­ nis“ und der „Wissentlichkeit“ getreten ist und eine über die skizzierte Klar­ stellung hinausgehende Änderung nach dem dokumentierten Willen der Gesetzesverfasser damit nicht bezweckt war. Das legt, isoliert betrachtet, an sich noch nahe, dass der Begriff der Arglist eigentlich bloße „Kenntnis“ oder „Wissentlichkeit“ meint.200 Als richtig wird sich indes der umgekehrte Schluss erweisen, den die Gesetzesverfasser mit dem Übergang von den Begriffen der Kenntnis und der Wissentlichkeit hin zum Begriff der Arglist und in der Folge Rechtsprechung und Literatur dings Ausführungen hierzu lassen auch erahnen, woher das frühe Verständnis vom Tatbe­ stand der Arglist als Tatbestand der „Niedertracht“ kam, stand der Tatbestand der Arglist mit seinem Bezug zur Eheerschleichung ursprünglich doch in einem besonderen Kontext, in dem besagtes Verständnis seine Berechtigung gehabt haben mag: „[…] Arglist, die nur im Tatbestande der Eheerschleichung zur Verwendung kommt, […] ist durch Nieder­ tracht geschärfte List, also bei dem genannten Verbrechen die täuschende Vorsätzlichkeit [sic], den andern Teil zum Abschluss einer Ehe zu bewegen, welche er bei Einsicht in die Sachlage nach Ansicht des Täuschenden nicht eingegangen wäre, und die ihm, wie der Täter weiß, eine arge Lage bereitet. Geschieht das Verschweigen, um den andern Teil nicht unglücklich, vielleicht gar um ihn glücklich zu machen, oder aus Lässigkeit, so ist die Strafdrohung des §  170 unanwendbar“; vgl. zum Normbezug noch a. a. O. Fn.  25 mit Quellenregister S.  1233, 1235; vgl. im Übrigen zu Überlegungen Bindings zum Verhältnis von Arglist und dolus insbesondere noch a. a. O., S.  639 mit Fn.  9. Konkret ging die Wen­ dung vom „arglistigen Verschweigen“ bzw. von der „arglistigen Täuschung“ zumindest teilweise offenbar auf die Arbeit des Reichsjustizamtes zurück, vgl. für §  444 Alt.  1 BGB (heutige Zählung) Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1980, §  443 = S.  68 oben bei Struckmann (Nr 1, 104). 200  So jedenfalls für §  638 Abs.  1 S.  1 BGB a. F. (§  634a Abs.  3 BGB) in der Tat Vogel, Arglis­ tiges Verschweigen des Bauunternehmers aufgrund Organisationsverschuldens, 1998, S.  65 ff.

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mit der Auslegung des Begriffs der Arglist als Vorsatz hier auch gegangen sind, nämlich die grundsätzliche Einordnung (vermeintlich) einfacher Wis­ senstatbestände als (verkürzt formulierte) Vorsatztatbestände. Hierfür ist der Arglisttatbestand nachgerade Vorbild.

B. Vorsatzzurechnung I. §  278 BGB als Kardinalnorm der Arbeitsteilung Von der Wissenszurechnung ist nach herkömmlichem Verständnis die Ver­ schuldenszurechnung nach §  278 BGB kategorial zu unterscheiden. Nach §  278 S.  1 BGB hat ein Schuldner ein Verschulden seines gesetzlichen Vertre­ ters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. 1. Teleologische Erwägungen a) Überblick Der materielle Geltungsgrund der Garantiehaftung201 für gesetzliche Vertre­ ter und Erfüllungsgehilfen gemäß §  278 BGB ist seit jeher umstritten. Wohl überwiegend wurde und wird die Regelung als Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes der Zusammengehörigkeit von Nutzen und Risiko (Vorteil und Nachteil) beschrieben: Wer den Nutzen aus dem arbeitsteiligen Tätig­ werden Dritter im eigenen Pflichtenkreis und der damit bewirkten arbeits­ teiligen Erweiterung des eigenen Geschäftskreises für sich in Anspruch nimmt, der muss auch die Risiken tragen, die sich daraus ergeben.202 Werner 201 

Mit der Beschreibung der unbedingten Einstandspflicht für Erfüllungsgehilfen als „Garantiehaftung“ soll hier zunächst nur die Wirkung des §  278 BGB beschrieben sein, nicht dessen materieller Geltungsgrund. 202  Exemplarisch BGH, Urt. v. 23.11.1995 – IX ZR 213/94, NJW 1996, 464 Abschn.  II 3; BGH, Urt. v. 24.11.1995 – V ZR 40/94, NJW 1996, 452 Abschn.  II 3 a; s. ferner Mot. II, 1888, S.  30, wörtlich wiedergegeben unten Kapitel  2 B.II.5.b) = S. 237 f. Vgl. schon für das gemeine Recht und das damalige Handels- und Versicherungsvertragsrecht RG, Urt. v. 17.12.1898 – Rep. I 349/98 = RGZ 43, 142, 146 f. (betr. den zu Gunsten eines Kaufmanns geübten, für den Abschluss eines Versicherungsvertrages kausal gewordenen dolus einer Hilfsperson, und zwar, das sei hier noch erwähnt, dezidiert bezogen nicht nur auf die „Erfüllung von Verträgen“, sondern „auch auf die Mitwirkung von Gehilfen beim Ver­ tragsschlusse“). Vgl. im Übrigen für e­ inen kritischen Überblick über die verschiedenen Ansätze zur Begründung von §  278 BGB Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S.  134 ff. sowie Fundel, Die Haftung für Gehilfenfehlverhalten im Bürgerlichen Recht,

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Flume hat §  278 BGB vor diesem Hintergrund zutreffend und prägnant als „Kardinalnorm der Arbeitsteilung“ eingeordnet.203 Die Beschreibung von §  278 BGB als Ausdruck eines allgemeinen Grund­ satzes der Zusammengehörigkeit von Nutzen und Risiko ist intuitiv plau­ sibel, aber auch vage. Sie kann daher zwar Ausgangspunkt, keinesfalls aber Endpunkt einer gründlichen Auseinandersetzung mit §  278 BGB sein. Das wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die arbeitsteilige Teil­ nahme am Rechtsverkehr unter Einsatz von Erfüllungsgehilfen (§  278 S.  1 Alt.  2 BGB) nicht nur dem Schuldner nutzt, sondern auch dem Gläubiger, wenn dessen Leistungsinteresse dadurch überhaupt, besser und/oder güns­ tiger befriedigt wird.204 Für den gesetzlichen Vertreter (§  278 S.  1 Alt.  1 BGB) gilt das zwar nicht in identischer, aber doch in vergleichbarer Weise, denn auch dessen Tätigwerden ist auch für Gläubiger jedenfalls insofern vonnut­ zen, als er es dem Gläubiger überhaupt erst ermöglicht, mit dem ansonsten von der Teilnahme am Rechtsverkehr ausgeschlossenen (z. B. geschäftsun­ fähigen oder selbst nicht handlungsfähigen) Vertretenen in rechtsgeschäft­ lichen Austausch zu treten. Und auch im Rahmen von §§  523 Abs.  1, 524 Abs.  1 BGB trägt der Verweis auf die Zusammengehörigkeit von Nutzen und Risiko die Begründung einer Verschuldenszurechnung alleine ersicht­ lich nicht.205 Der Gedanke der Zusammengehörigkeit von Nutzen und Risiko bedarf also weiterer Konkretisierung. Im Folgenden ist zu zeigen, dass der spezi­ fische Nutzen, der die vollständige Zuweisung des Risikos aus der Ein­ schaltung von Erfüllungsgehilfen (§  278 S.  1 Alt.  2 BGB) an den Schuldner materiell trägt, in der Absicherung der internen Organisationsfreiheit des Schuldners liegt. Es ist für den Gläubiger nämlich grundsätzlich nur dann akzeptabel, interne Organisations­entscheidungen des Schuldners „blind“ hinzunehmen, wenn sie durch eine pauschale Einstandspflicht des Schuld­ ners für das Verschulden seiner Erfüllungs­gehilfen im Rahmen seiner Orga­ nisationsentscheidung kompensiert wird. Die Respektierung interner Orga­ nisationsentscheidungen des Schuldners als gesetzliches Regelmodell ist ih­ 1999, S.  56 ff. Vgl. zum im Ausgangspunkt identischen Rekurs auf das Nutzen-Risiko-­ Prinzip bei §  831 BGB schließlich noch Wicke, Respondeat Superior, 2000. 203  Flume, AcP 197 (1997), 441, 453. 204 Vgl. Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S.  143 ff.; speziell für den Verband als Schuldner auch Reuter, ZIP 2017, 310, 313, der daraus allerdings die Schlussfolgerung zieht, dies rechtfertige es, „vom Gegenüber zu verlangen, sich angemessen darauf einzu­ stellen, dass er es nicht mit einer natürlichen Person, sondern einem komplexen Gebilde mit vielen Entscheidungs- und Wissensträgern zu tun hat“. Für den Bereich des §  278 BGB gilt das, wie im Folgenden zu zeigen ist, indes gerade nicht. 205 Vgl. Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  31.

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rerseits ökonomisch sinnvoll, weil es der Schuldner ist, der am besten weiß, wie er die Erfüllung seiner Verbindlichkeiten („seinen Betrieb“) in Bezug auf die Einschaltung Dritter bestmöglich organisiert. Er ist es im Regelfall auch, der den Nutzen und die Risiken aus der Einschaltung Dritter am bes­ ten überblicken und abwägen und die Risiken minimieren kann. Für den gesetzlichen Vertreter (§  278 S.  1 Alt.  1 BGB) gilt letztlich nichts anderes, nur dass sich die Einstandspflicht des Vertretenen hier nicht als Kehrseite einer bewussten und willentlichen Organisationsentscheidung des Schuldners darstellt, sondern als Kehrseite einer gesetzlichen Organisations­ entscheidung (primär) zugunsten des Schuldners. b) Verantwortlichkeit für Erfüllungsgehilfen Erfüllungsgehilfen setzt der Schuldner von sich aus bei der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten ein. Das ist ihm immer dann gestattet, wenn er die ge­ schuldete Leistung, wie regelmäßig, nicht persönlich zu erbringen hat. Die durch den Einsatz eines oder mehrerer Erfüllungsgehilfen für den Schuldner bewirkte Arbeitsteilung versetzt ihn in die Lage, seinen Tätigkeitskreis zu erweitern,206 weil sein eigener, persönlicher Beitrag zur Erfüllung der in Rede stehenden Verbindlichkeit bzw. zur Bewirkung der geschuldeten Leis­ tung dadurch inhaltlich kleiner oder wenigstens andersartig wird. Der Ein­ satz mehrerer angestellter Handwerker ermöglicht es dem Schuldner, mehr oder andere („komplexere“) Aufträge anzunehmen und zu erfüllen, als er annehmen und erfüllen könnte, wenn er alleine handeln würde. Je umfangreicher die Arbeitsteilung, desto mehr wird sich der persönliche Beitrag des Schuldners zur Erfüllung der in Rede stehenden Verbindlichkeit weg von der unmittelbaren Mitwirkung hin in Richtung auf die Organisa­ tion der Arbeitsteilung und der relevanten Prozesse verschieben und sich im äußersten Fall auf die bloße Auswahl, Anleitung und Überwachung redu­ zieren oder sogar in einer bloßen Organisationsentscheidung erschöpfen, wenn selbst die Auswahl, Anleitung und Überwachung der Personen, die die „eigentlichen“ Erfüllungshandlungen vornehmen, delegiert wird. Würde der Schuldner nur für eigenes Verschulden haften, würde sich seine Haftung dann in einer Haftung für Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungsver­ schulden (culpa/cura in eligendo, instruendo vel custodiendo) bzw. Organi­ sationsverschulden erschöpfen.207 Damit bestünde für den Schuldner ins­ besondere dann, wenn bei der Erfüllung der „eigentlichen“ Schuld ein re­ 206  Vgl.

zu diesem Gedanken statt vieler Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 VIII = S.  297 f. 207  Staudinger – Caspers, BGB, 2019, §  278 Rn.  1.

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levantes Risiko einer Schädigung des Gläubigers besteht, der Anreiz, die eigentlichen Erfüllungshandlungen möglichst umfassend zu sedimentieren. Wollte der Gläubiger diese aus seiner Sicht nachteilhafte Anreizwirkung aufseiten des Schuldners vermeiden, müsste er entweder auf der Übernahme einer Garantiehaftung durch den Schuldner im Sinne des §  278 BGB beste­ hen208 oder sich vertraglich Einfluss auf die Organisation der Erfüllung der Verbindlichkeiten („des Betriebs“) des Schuldners und namentlich auf das Ob der Delegation von Aufgaben sowie auf die Auswahl, Anleitung und Überwachung etwaiger Erfüllungsgehilfen ausbedingen. Die zweite Alternative wäre indes regelmäßig praktisch kaum durchführ­ bar – und zwar weder für den Gläubiger noch für den Schuldner – und auch ökonomisch ganz ineffizient, sowohl aus der Perspektive des konkret-indi­ viduellen Vertragsschlusses als auch aus der Perspektive abstrakt-positiver Maßstabsbildung.209 Es ist vielmehr der Schuldner, der am besten (und ins­ besondere besser als der Gläubiger) weiß und – so die in §  278 BGB aus­ drückte Erwartung an ihn  – wissen muss, wie er die Erfüllung seiner Ver­ bindlichkeiten („seinen Betrieb“) in Bezug auf die Einschaltung Dritter bestmöglich organisiert, also ob er zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten überhaupt Gehilfen einsetzt und wenn ja, wie er diese auswählt, anleitet und überwacht. Er ist es im Regelfall schließlich, der den Nutzen und die Risiken aus der Einschaltung Dritter am besten (und insbesondere besser als der Gläubiger) überblicken und abwägen und die Risiken minimieren kann und daher internalisieren soll.210 In der prinzipiellen Respektierung der internen 208  Der Umstand, dass §   278 BGB dasjenige anordnet, was vernünftige Parteien als Ausgleich für die Respektierung der internen Organisationsfreiheit des Schuldners durch den Gläubiger ohnehin vereinbaren würden, verweist auf einen zutreffenden Kern rechts­ geschäftlicher Erklärungsansätze in Bezug auf §  278 BGB; in diese Richtung auch Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S.  142 f. 209  Vgl. bereits oben Kapitel  1 B.IV.11.c) = S. 111 ff. im Rahmen der Kritik an der Leh­ re vom Organisationsmangel als Zurechnungsgrund. 210 Vgl. zur Ökonomik der Einstandspflicht für Hilfspersonen insbesondere auch ­Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, passim und für eine Zusammenfassung S.  295 f. sowie ferner S.  376 ff. Dieser Gedanke ist übrigens keinesfalls neu; er lässt sich schon für das römische Recht nachweisen, vgl. Wicke, Respondeat Superior, 2000, S.  24, und findet sich, zunächst ver­ anschaulicht anhand der Regeln zum paterfamilias des römischen Rechts (näher speziell hierzu, mit Fokus auf den Vertragsschluss, Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, S.  51 ff.) und dann weiter entwickelt für den Unternehmer, beson­ ders plastisch etwa auch bei Rümelin, AcP 88 (1898), 285, 296 ff., wobei Rümelin zutref­ fend darauf hinweist, dass sich das danach geforderte Verhalten „[m]it irgend einem äuße­ ren Maßstab […] allerdings nicht nachmessen“ lässt und die hieraus sich ergebenden An­ forderungen „nicht zur Bildung eines Maßstabes [führen], mit dem das Verhalten des Handelnden im einzelnen Fall nachgemessen werden soll, sondern sie bilden nur einen

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Organisationsentscheidungen des Schuldners liegt der zentrale Unterschied zu jeder Form organisationspflichten- bzw. organisationsmangel­bezogener Zurechnung.211 Die unbedingte Einstandspflicht des Schuldners für das Verschulden sei­ ner Erfüllungsgehilfen bei der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten ist Kehr­ seite dieser primären Organisationsfreiheit des Schuldners. Die gesetzliche Anordnung einer unbedingten Einstandspflicht des Schuldners für das Ver­ schulden seiner Erfüllungsgehilfen stellt abstrakt-generell sicher, dass der Gläubiger dadurch, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit nicht allein und persönlich, sondern in von ihm einseitig bestimmter arbeitsteiliger Or­ ganisation erfüllt,212 nicht benachteiligt wird, sodass der Gläubiger insofern „rationale Apathie“ walten lassen kann. Der Schuldner wird im Ergebnis so Grund für die Statuierung der Causalhaftung“ (S.  297), womit Rümelin letztlich auch schon die hier geäußerte Kritik an der Lehre von der Wissenszurechnung kraft Organisa­ tionsmangels vorwegnimmt. Hingewiesen sei außerdem noch darauf, dass sich derselbe Gedanke auch bei v. Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Recht­ sprechung, 1887 (reprografischer Nachdruck 1963), S.  803 f. findet, bei ihm allerdings, der Eigenart der Genossenschaftstheorie entsprechend, in naturalistischer Ausprägung und durchaus in einem gewissen Duktus des organisatorischen Makels: „lehnt sich in der That der Gedanke, auf welchem diese Haftung [für fremdes Verschulden in ihrer damaligen Gestalt] beruht, an die dem Körperschaftsdelikt zu Grunde liegende Vorstellung eines fehlerhaft funk­ tionierenden Organismus an“. Vgl. schließlich für einen instruktiven Überblick zur ratio des §  278 BGB m. w. N. aus dem älteren Schrifttum noch Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934, S.  40 ff., der diese, insofern zumindest im Ausgangspunkt ähnlich wie hier (konstruktiv aber ganz anders), auch für die Lösung des Problems der Wissenszurechnung fruchtbar macht. 211  Vgl. auch Köndgen, FS W.-H. Roth, 2015, S.  311, 332; dass die h. L., wie Köndgen festhält, in eine andere Richtung ginge und die arbeitsteilige Erfüllung von Verbindlich­ keiten, wenn schon nicht als „Anomalie“, so doch als „rechtfertigungsbedürftige[n] Son­ derweg“ einordnet („Sonderfallthese“; alle wörtlichen Zitate a. a. O., S.  330 f.), ist – jen­ seits der Lehre vom Organisationsmangel als Zurechnungsgrund bei Wissensnormen – zweifelhaft; relativierend auch Köndgen, a. a. O., S.  333 unten. Nicht zuzustimmen ist Köndgen ferner insoweit, als er nicht den Risikogedanken, sondern eine „Organisations­ pflicht, die das notwendige Korrelat der Organisationsfreiheit ist“, zum Zurechnungs­ grund erhebt und dabei – deutlich über §  278 BGB und wohl auch noch über die handels­ rechtliche Leutehaftung hinaus – „das Unternehmen als Zurechnungseinheit“ behandelt (Köndgen, a. a. O., S.  337 f.); damit würden die Defizite des organisationspflichtenbezoge­ nen Zurechnungsmodells bei der Wissenszurechnung (dazu oben Kapitel  1 B.IV.11. = S.  108 ff.) in den Bereich der (explizit) verhaltensbezogenen Verschuldens­verantwortung übertragen und – was Köndgen, a. a. O., S.  338, auch ausspricht – die in §§  276, 278 BGB deutlich angelegte Unterscheidung zwischen der Einstandspflicht für fremdes Verschul­ den und derjenigen für eigenes Verschulden verwischt. 212  Vgl. zu diesen Gedanken bereits BGH, Urt. v. 12.3.1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754 Abschn.  II 2 b. Vgl. auch Köndgen, FS W.-H. Roth, 2015, S.  311, 335, der allerdings – insofern unklar – konstatiert, dies sei „nicht die Position des BGB“; ferner Wagner,

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gestellt, als hätte er ausschließlich in Person erfüllt und sich dabei schuldhaft so verhalten wie sein(e) Erfüllungsge­hilfe(n).213 Hinzu kommt, dass die Delegation des Erfüllungsrisikos die vertragliche oder gesetzliche Pflicht des Schuldners zur Erfüllung der in Rede stehenden Verbindlichkeit verfehlen würde, wenn und weil diese, wie regelmäßig, nach Maßgabe des abgegebenen Leistungsversprechens oder kraft Gesetzes eben nicht (nur) in der Beauftragung, Auswahl, Anleitung und/oder Überwa­ chung eines Dritten besteht (Substitution),214 sondern in einer sonstigen Leistung oder der Herbei­führung eines sonstigen Erfolgs durch den Schuld­ ner.215 Damit fällt der Einsatz Dritter bei der Erfüllung einer Verbindlichkeit in den Risikobereich des Schuldners. Entscheidet er sich dafür, Dritte zur Er­ füllung seiner Verbindlichkeiten einzusetzen und damit die Vorteile der Ar­ beitsteilung in Anspruch zu nehmen, so haftet er für deren Verschulden auch dann, wenn er sie ordentlich ausgewählt, angeleitet216 und überwacht hat.217 Bei ordentlicher Auswahl, Anleitung und Überwachung wird die ZHR 181 (2017), 203, 255 ff. m. w. N. insbesondere aus der Ökonomik, wobei Wagner allerdings den Fokus auf die Lage außerhalb bestehender Sonderverbindungen legt. 213  Besonders deutlich dazu Prölss, FS Canaris I, 2007, S.  1037, 1048 m. w. N. 214 Ein Schuldverhältnis kann von vornherein ausschließlich auf die Beauftragung, Auswahl, Anleitung und/oder Überwachung eines Dritten gerichtet sein. Beispiel mag der sogenannte Werkverschaffungsvertrag sein, vgl. K. Schmidt, Handelsrecht – Unter­ nehmensrecht I, 62014, §  36 Rn.  37 = S.  1191 f. m. w. N. Das Auftrags- und das Verwah­ rungsrecht kennen außerdem den Fall, dass es dem Schuldner gestattet ist, die Ausführung des Auftrags einem Dritten im Sinne echter Substitution zu „übertragen“, vgl. §§  664 Abs.  1 S.  2, 691 Abs.  1 S.  2 BGB. Darum geht es hier gerade nicht und das ist auch die Ausnahme; näher dazu etwa MünchKomm  – Grundmann, BGB, 82019, §  278 Rn.  28; ­Huber, Leistungsstörungen, Band  1, 1999, §  27 II 6 a cc = S.  684 f. 215  Maßgeblich hierauf abstellend Delmere, Der Erfüllungsgehilfe in §  278 BGB, 1989, S.  139 ff.; Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S.  59 f.; der Gedanke kommt auch in den Motiven zum BGB zum Ausdruck, wenn dort betont wird, der „Schuldner, welcher zur Leistung verpflichtet ist“, könne sich seiner Verantwortung „für diejenigen nicht ent­ schlagen, welche er bei den ihm dem Gläubiger gegenüber obliegenden Handlungen zu­ zieht. Wenn der Schuldner eine Leistung versprochen hat, so erblickt der heutige Verkehr in diesem Versprechen auch die Uebernahme einer Garantie für das ordnungsmäßige Ver­ halten derjenigen, deren Mitwirkung bei der Leistung sich zu bedienen dem Schuldner ausdrücklich oder stillschweigend gestattet ist“; Mot. II, 1888, S.  30 (Hervorhebungen nicht im Original). 216  Der Schuldner hat nach §  278 BGB selbst dann für das Verschulden eines Erfüllungs­ gehilfen einzustehen, wenn dieser vorsätzlich von Weisungen des Schuldners abweicht oder gegen ein ausdrückliches Verbot verstößt, solange nur das Handeln des Erfüllungs­ gehilfen noch im Zusammenhang mit den ihm zugewiesenen Aufgaben steht, siehe unten Kapitel  2 B.I.5.c) = S. 224 f. 217  Vgl. nur BGH, Urt. v. 23.11.1995 – IX ZR 213/94, NJW 1996, 464 Abschn.  II 4. Das

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Wahrscheinlichkeit, dass ein Erfüllungsgehilfe verschuldet eine Pflicht des Geschäftsherrn aus dem Schuldverhältnis verletzt, zwar regelmäßig geringer sein als bei diesbezüglicher Nachlässigkeit. Insofern knüpft die Vorschrift des §  278 BGB also, wie bereits angedeutet, durchaus auch an die Möglich­ keit der Risikobeherrschung aufseiten des Schuldners an und setzt einen Anreiz zu ordentlicher Organisation arbeitsteiliger Pflichterfüllung.218 ­Allein hierauf abzustellen griffe aber zu kurz, weil sich der Schuldner im Rahmen von §  278 BGB durch den Verweis auf die ordentliche Organisation seiner Sphäre gerade nicht entlasten kann. Die Haftung des Schuldners für ein Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen ist davon unabhängig, weil nur so gewährleistet ist, dass das Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner in­ nerhalb bestehender Sonderverbindungen – anders als im Deliktsrecht – je­ denfalls regelmäßig von Organisationsangelegenheiten des Schuldners frei­ gehalten und erreicht wird, dass der Geschäftsherr die vollen Schadenskos­ ten seiner Aktivität internalisiert.219 Eben diesem Umstand trägt §  278 BGB mit der Anordnung einer Garantiehaftung für Erfüllungsgehilfen Rechnung. Begreift man §  278 BGB als notwendige Konzession an die korrespondie­ rende Respektierung der internen Organisationsentscheidungen des Schuld­ ners durch den Gläubiger bei der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten ihm gegenüber – nochmals: nur dann ist dem Gläubiger die Gestattung arbeits­ teiliger Erfüllung einer Verbindlichkeit durch den Schuldner nach dessen dürfte auch gemeint sein, wenn Canaris, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 33, 34  – übrigens bezogen auf das Problem der Wissenszusammenrechnung – die Einstands­ pflicht des Schuldners nach §  278 BGB als Haftung am Maßstab des „idealen“ Schuldners beschreibt. 218  Maßgeblich hierauf abstellend Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S.  273 ff., 377 f., 386 ff.; Bachmann, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  125, 134; vgl. auch Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 272: „Die strikte Zurechnung des delikti­ schen Verhaltens von Mitarbeitern generiert beim Prinzipal nicht mehr und nicht weniger Sorgfalts­anreize zur Auswahl, Anleitung, Fortbildung und Instruktion von Mitarbeitern sowie zur Gewährleistung eines sicheren Arbeitsumfelds als eine Verschuldenshaftung. Im Vergleich zu einer Verschuldenshaftung hat die strikte Haftung aber den Vorteil, jede Kosten­externalisierung zuverlässig zu verhindern und damit das Aktivitätsniveau des Unternehmens im Sinne der Allokationseffizienz zu steuern“. 219  Ausf. zum Gedanken der Internalisierung und zu seiner Geltung auch in Ansehung von Vorsatzdelikten Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 257 ff., der diesen Gedanken letztlich dezidiert und – abgesehen von der Verhaftung in der Kategorie des isolierten Wissenstat­ bestands – zutreffend auch auf die „Wissenszurechnung“ im hergebrachten Sinne bezieht: „Ein Unternehmen hat auch dann einen Anreiz, die interne Weiterleitung und Aufbewah­ rung von Wissen zu organisieren, wenn ihm das Wissen seiner Mitarbeiter einfach zuge­ rechnet wird. Die Einsicht, dass sich mittels strikter Haftung die Sorgfaltsaufwendungen eines Akteurs genauso gut steuern lassen wie mit einer Verschuldenshaftung gilt entspre­ chend für die Wissenszurechnung“ (Wagner, a. a. O., 262).

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Belieben zumutbar –, ist zugleich die Voraussetzung expliziert, von der eine Zurechnung fremden Verschuldens zulasten des Schuldners abhängt: Das in Rede stehende Verhalten des Dritten muss in spezifischer Weise in den ­Organisationsbereich des Schuldners fallen bzw. auf einer bewussten und willentlichen Organisationsentscheidung des Schuldners beruhen.220 Das entspricht im Kern und auch in den wesentlichen Einzelheiten den Anfor­ derungen, die die Rechtsprechung stellt, wenn sie danach fragt, ob das Ver­ halten des Erfüllungsgehilfen einerseits in den Pflichtenkreis des Schuldners und andererseits in den allgemeinen Umkreis des ihm zugewiesenen Aufga­ benbereichs fällt. Die unbedingte Einstandspflicht des Schuldners für das Verschulden der von ihm eingesetzten Erfüllungsgehilfen ist auch nicht überschießend. §  278 BGB gilt ausschließlich innerhalb bestehender Sonderverbindungen. Damit steht, anders als im Deliktsrecht,221 von vornherein keine potentiell unüber­ sehbare Haftung im Raum, sondern eine Haftung ausschließlich innerhalb des durch die Sonderverbindung vorgegebenen Pflichtenkreises, in den sich der Schuldner entweder freiwillig begeben hat222 oder der ihm von Gesetzes wegen zugemutet wird und der bei vertraglichen Schuldverhältnissen vor allem durch das abgegebene Leistungsversprechen223 und im Übrigen ge­ setzlich definiert und beschränkt ist, und zwar sowohl gegenständlich in Richtung auf das, was geschuldet ist, als auch personal in Richtung auf die andere Partei der Sonderverbindung. Das korrespondiert mit dem Umstand, dass sich der Nutzen aus dem Ein­ satz Dritter für den Schuldner nur innerhalb bestehender Sonderverbindun­ gen konkret aktualisiert – am deutlichsten in vertraglichen Sonderverbin­ dungen im Anspruch auf die Gegenleistung gegen den Gläubiger, aber etwa auch im gesetzlichen Schuldverhältnis des EBV im Besitz einer Sache des Gläubigers –, während er außerhalb von Sonderverbindungen zunächst le­ diglich Bestandteil der allgemeinen Lebensgestaltung ist.224 Folglich werden 220 

Vgl. auch Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S.  150. Ob die Möglichkeit des Exkulpationsbeweises im Rahmen von §  831 BGB gerecht­ fertigt oder im Gegenteil rechtspolitisch verfehlt ist und einer strikten Zurechnung im Sinne des §  278 BGB weichen sollte, ist bekanntlich umstritten, vgl. nur MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  831 Rn.  1 ff.; Wicke, Respondeat Superior, 2000, S.  25 ff.; Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 271 f., je m. w. N. Das soll hier nicht weiter Thema sein. 222  Insofern wird §  278 BGB verbreitet auch als Regelung einer Einstandspflicht kraft Parteiwillens erklärt und beschrieben; ausführlich und m. w. N. Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S.  138 ff. 223  So zutreffend ders., Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S.  140. 224  Im Kern auch Liebscher, ZIP 2019, 1837, 1846: „Daher gilt eine strenge Haftung nur in vertraglichen Sonderbeziehungen. Das hierdurch begründete besondere Nähe­ 221 

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im Deliktsrecht, jenseits von §  31 BGB, die Risiken und Gefahren arbeits­ teiligen Handelns, anders als innerhalb bestehender Sonderverbindungen, insbesondere nicht im Wege der Zurechnung fremden Verschuldens, son­ dern ausschließlich durch eine Haftung für eigenes Auswahl-, Anleitungsund Überwachungs- bzw. Organisationsverschulden (§  831 BGB und §  823 Abs.  1 BGB) den Rechtskreisen der Verkehrsteilnehmer zugewiesen.225 c) Verantwortlichkeit für gesetzliche Vertreter Für den gesetzlichen Vertreter226 gilt letztlich nichts anderes. Allerdings kann das Handeln des gesetzlichen Vertreters mit Wirkung für den Vertrete­ nen nicht auf den in einer Organisationsentscheidung manifestierten Willen des Vertretenen zurückgeführt werden. Insofern besteht ein durchaus er­ heblicher Unterschied zur Einstandspflicht für Erfüllungsgehilfen.227 Zu beachten ist aber, dass der gesetzliche Vertreter immerhin kraft Geset­ zes verpflichtet ist, ausschließlich die Interessen des Vertretenen wahrzu­ nehmen. Im Rahmen des ihm gesetzlich oder aufgrund eines Gesetzes zuge­ wiesen Aufgabenkreises treffen die Folgen seines Verhaltens den Vertrete­ nen. Die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten des Vertretenen durch den Vertreter kommt damit in erster Linie unmittelbar dem Vertretenen zugute. Dann ist es aber auch gerechtfertigt und geboten, dem Vertretenen das Risiko schuldhaft pflichtwidrigen Vertreterverhaltens zuzuweisen:228 „Wenn der [gesetzliche Vertreter] Verträge mit den Vermögensinhaber bindender Wir­ kung eingehen und erfüllen kann, so muß der Vermögensinhaber für Vertragsverletzun­ gen des [gesetzlichen Vertreters] einstehen, auch wenn sich diese Vertragsverletzungen gleichzeitig als nicht ordnungsmäßige Verwaltungshandlungen darstellen. Dies verlangt der in §  278 BGB zum Ausdruck gekommene Schutz des Vertragsgegners, dem keine verhältnis zum selbstgewählten Vertragspartner führt zu gesteigerten Nichtschädigungs­ pflichten“. 225  Vgl. aus dem jüngeren Schrifttum zu den deliktsrechtlichen Verkehrs- und Organi­ sa­ tionspflichten bei arbeitsteiligem Handeln insbesondere noch Habersack/Zickgraf, ZHR 182 (2018), 252, 266 ff. 226  Der Begriff wird im Rahmen von §  278 BGB weit verstanden und erfasst auch Ver­ walter kraft Amtes, unten Kapitel  2 B.I.3. = S. 212 f. 227  Vgl. auch BGH, Urt. v. 7.9.2017 – IX ZR 224/16, NJW 2017, 3516 Rn.  28 im Kon­ text der Wissenszurechnung: „Die mit jeder Vertreterbestellung verbundene Fremdbe­ stimmung beruht nur bei einer rechtsgeschäftlichen Vertretung auf dem freien Willen des Vertretenen. Dagegen ist das minderjährige Kind nicht in der Lage, auf die gesetzliche Vertretungsbefugnis seiner Eltern einzuwirken“. 228  Vgl. nur Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 VII = S.  295; ferner für den Anwendungsbereich des §  166 BGB Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, 1955, S.  393.

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Nachteile daraus erwachsen dürfen, daß sein Vertragspartner seine Verbindlichkeit nicht in eigener Person erfüllen will oder erfüllen kann“.229

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Einstandspflicht des gesetzlich Ver­ tretenen für seinen gesetzlichen Vertreter als Kehrseite einer gesetzlichen Organisationsentscheidung (primär) zugunsten des Schuldners rechtferti­ gen. Wenn der Gesetzgeber bzw. eine Behörde oder ein Gericht in Vollzug des Gesetzes sich dafür entscheiden, dem ansonsten von der Teilnahme am Rechtsverkehr ausgeschlossenen (z. B. geschäftsunfähigen oder selbst nicht handlungsfähigen) Vertretenen (ausschließlich) „über“ einen gesetzlichen Vertreter die Teilnahme am Rechtsverkehr zu ermöglichen, so ist diese Ent­ scheidung dem Rechtsverkehr nur zuzumuten, wenn sie im Rahmen des dem Vertreter zugewiesenen Aufgabenbereichs durch eine unbedingte Einstandspflicht des Vertretenen für seinen Vertreter kompensiert wird. Insbesondere wäre ohne eine Zurechnung des Vertreterverschuldens zu­ lasten des Vertretenen der Schutz des Vertragsgegners in für diesen unzu­ mutbarer Weise unvollständig: Würde dem Vertretenen beispielsweise eine durch seinen gesetzlichen Vertreter im Rahmen des Vertragsschlusses oder im Rahmen der Vertragserfüllung begangene arglistige Täuschung oder eine sonstige schuldhafte Verletzung einer vertraglichen Pflicht nicht zugerech­ net, wäre der Vertragsgegner, von §  311 Abs.  3 BGB abgesehen, auf delikti­ sche Ansprüche gegen den Vertreter verwiesen; in den Fällen des §  278 S.  1 Alt.  1 BGB käme, wenn es sich bei dem Vertretenen um eine natürliche Per­ son handelt, noch nicht einmal eine Einstandspflicht für eigenes Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungsverschulden des Vertretenen in Betracht. Damit wären im Ergebnis, zumal bei lediglich fahrlässigem Handeln des Vertreters (keine Haftung für primäre Vermögensschäden nach §  826 BGB), dem Vertragsgegner in erheblichem Maße die Risiken aus einem pflichtwid­ rigen Handeln des gesetzlichen Vertreters zugewiesen, obwohl der Vertrags­ gegner dem gesetzlichen Vertreter allemal ferner steht als der Vertretene, wenn man berücksichtigt, dass dem Vertretenen auch die Vorteile des Ver­ treterhandelns und der ihm zugrunde liegenden gesetzlichen Organisations­ entscheidung primär zugutekommen. Im Einzelfall kann freilich eine Korrektur dieses Grundsatzes gerechtfer­ tigt sein, nämlich dann, wenn der gesetzlich Vertretene seine Bindung an die Interessen des Vertretenen in gravierender Weise verletzt. Der BGH hat das im Kontext der Wissenszurechnung im Rahmen von §  133 Abs.  1 InsO für den Fall angenommen, dass „sich die Eltern in Verfolgung ihrer eigenen 229  BGH, Urt. v. 10.2.1958 – II ZR 292/56, NJW 1958, 670, 670 f. für den von §  278 S.  1 Alt.  1 BGB gleichfalls erfassten Fall eines Treuhänders als Verwalter kraft Amtes.

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wirtschaftlichen Belange aus eigensüchtigen Beweggründen über die Ver­ mögensinteressen des Kindes hinwegsetzen“; dann müsse sich der vertrete­ ne Minderjährige das Wissen seiner Eltern vom Benachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners in Anwendung des §  133 Abs.  1 InsO nicht zurechnen lassen.230 Dieser Gedanke greift grundsätzlich auch im Rahmen von §  278 S. 1 Alt. 1 BGB Platz, wobei allerdings prima facie einiges dafür spricht, den Ausschluss der Zurechnungswirkung zusätzlich von der Kenntnis oder (grob) fahrlässigen Unkenntnis des anderen Teils der in Rede stehenden Sonderverbindung abhängig zu machen. 2. Anwendungsbereich: Bestehende Sonderverbindung a) Überblick Die Anwendung von §  278 BGB setzt eine bestehende Sonderverbindung bzw.  – gleichsinnig – ein bestehendes Schuldverhältnis voraus. Das folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift („Schuldner“231; „Erfüllung seiner Verbind­ lichkeit“) und ist im Grundsatz seit jeher praktisch allgemein anerkannt.232 Als Sonderverbindung kommt grundsätzlich jedes Rechtsverhältnis in Betracht, aus dem eine Verbindlichkeit der einen gegen die andere Seite her­ vorgeht.233 §  278 BGB gilt damit insbesondere nicht nur innerhalb bestehen­ der rechtsgeschäftlicher (vertraglicher sowie vor- und nachvertraglicher) Schuldverhältnisse (culpa in contrahendo, Kauf etc.; auch: Vertrag zugunsten Dritter, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter), sondern auch inner­ halb bestehender gesetzlicher Schuldverhältnisse, also etwa innerhalb von durch Delikt (§§  823 ff. BGB),234 durch Geschäftsführung ohne Auftrag 230 

BGH, Urt. v. 7.9.2017 – IX ZR 224/16, NJW 2017, 3516 Rn.  26 ff. (wörtliches Zitat Rn.  28); im Ergebnis zustimmend, hinsichtlich der Begründung aber kritisch Huber, NZI 2017, 858. 231  Vgl. aber auch §  276 BGB, der den Normadressaten gleichfalls, auch in der amt­ lichen Überschrift, als „Schuldner“ in Bezug nimmt und in §  276 Abs.  1 S.  1 Hs.  2 BGB sogar den „Inhalt des Schuldverhältnisses“ anspricht und trotzdem, jedenfalls in seinem Abs.  2, ganz selbstverständlich etwa auch im Rahmen von §  823 BGB angewendet wird. 232  Vgl. zu diesem Erfordernis, teilweise im Kontext von §  254 Abs.  2 S.  3 BGB (aktuelle Fassung), bereits RG, Urt. v. 29.1.1906 – Rep. VI 175/05, RGZ 62, 346, 348; RG, Urt. v. 9.5.1939 – VII 251/38, RGZ 160, 310, 314; ferner exemplarisch BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 158/70, NJW 1972, 1048 Abschn. 3 b. Nur vereinzelt wird etwas anderes vertreten, in jüngerer Zeit etwa von Prölss, FS Canaris I, 2007, S.  1037, 1050 f. m. w. N. und 1068 für Fälle von Ver­ kehrspflichtverletzungen. 233  Vgl. etwa Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 VIII = S.  296 f.; Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  278 Rn.  2; Medicus/Petersen, Bürger­ liches Recht, 272019, Rn.  798–800. 234  Vgl. im Einzelnen unten Kapitel  2 B.I.2.b) = S. 200.

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(§§  677 ff. BGB),235 durch ungerechtfertigte Bereicherung (§§  812 ff. BGB),236 durch sachenrechtliche Tatbestände (z. B.: Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, §§  987 ff., 994 ff. BGB;237 Verhältnis zwischen Eigentümer und Inhaber eines beschränkten dinglichen Rechts;238 Gemeinschaftsverhältnis von Wohnungs­ eigentümern nach dem WEG;239 nach der Rechtsprechung des BGH hinge­ gen nicht: Verhältnis zwischen Nachbarn im Sinne der §§  906 ff. BGB240), aufgrund eines Vollstreckungseingriffs241 oder nach den Regeln der InsO zwischen dem Insolvenzverwalter und den Beteiligten des Insolvenzverfah­ rens242 begründeten Schuldverhältnissen.243 b) Unanwendbarkeit auf Tatbestände, die eine Sonderverbindung erst begründen (insbesondere: Deliktsrecht) Wenn die Anwendung von §  278 BGB eine bestehende Sonderverbindung voraussetzt, so ist damit gemeint, dass die Vorschrift nicht auf Tatbestände 235 

Vgl. im Einzelnen unten Kapitel  2 B.I.2.c)bb) = S. 204. Vgl. im Einzelnen unten Kapitel  2 B.I.2.c)dd) = S. 208. 237  Vgl. im Einzelnen unten Kapitel  2 B.I.2.c)cc) = S. 205. 238  Vgl. dazu, dass bei einer Grunddienstbarkeit zwischen dem Eigentümer des herr­ schenden und dem Eigentümer des dienenden Grundstücks ein gesetzliches Schuldver­ hältnis besteht, auf das §  278 BGB anwendbar ist, BGH, Urt. v. 28.6.1985 – V ZR 111/84, NJW 1985, 2944 Abschn.  II 2 b; Staudinger – Caspers, BGB, 2019, §  278 Rn.  11. Für das Verhältnis zwischen Eigentümer und Nießbraucher etwa BayObLG, Beschl. v. 10.1.1985  – BReg. 2 Z 117/84, BayObLGZ 1985, 6 Abschn.  II 2 b aa; Palandt – Herrler, BGB, 802021, Einf v §  1030 Rn.  3. 239 Vgl. BGH, Beschl. v. 22.4.1999 – V ZB 28/98, NJW 1999, 2108 Abschn.   III 3 m. w. N.; Staudinger – Caspers, BGB, 2019, §  278 Rn.  9. 240  Vgl. BGH, Urt. v. 25.11.1964 – V ZR 185/62, NJW 1965, 389; BGH, Urt. v. 15.7.­ 2011  – V ZR 277/10, NJW 2011, 3294 Rn.  17; Staudinger – ders., BGB, 2019, §  278 Rn.  10 m. w. N., auch zu abweichenden Stimmen. 241  BGH, Urt. v. 7.3.1972 – VI ZR 158/70, NJW 1972, 1048 Abschn. 3 b (von dort auch das nachfolgende wörtliche Zitat); BGH, Urt. v. 30.4.2015 – IX ZR 301/13, NJW-RR 2015, 850 Rn.  7. Die Sonderverbindung besteht dabei zwischen dem Vollstreckungsgläu­ biger und dem Schuldner sowie gegebenenfalls zwischen dem Vollstreckungsgläubiger und einem etwaigen Drittberechtigten im Sinne von §  771 ZPO, dem sie „als Ausgleich für das zeitweilige Verbot, seine materiellen Abwehransprüche unmittelbar durchzuset­ zen, zunächst den Anspruch auf sorgfältige Prüfung des dem Pfändungsgläubiger zur Darlegung und Glaubhaftmachung des Drittrechts Unterbreiteten“ gewährt und die die Anwendung des §  278 BGB begründet, „wenn der Pfändungsgläubiger sich zur Prüfung des Freigabeverlangens des Dritten eines Rechtsanwalts bedient“. 242  Vgl. im Einzelnen unten Kapitel  2 B.IV.5. = S. 252. 243  Vgl. den Überblick bei Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  278 Rn.  2 f. in Verbin­ dung mit Einl v §  241 Rn.  4 ff. und Überbl v §  311 Rn.  5. Im Einzelnen ist manches um­ stritten. Insofern sei auch auf die nachfolgenden Ausführungen verwiesen. 236 

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bzw. im Rahmen der Prüfung von Tatbeständen anwendbar ist, die eine sol­ che überhaupt erst begründen. Das hat zur Folge, dass Schuldverhältnisse, deren Begründung Verschul­ den voraussetzt, nicht im Wege der Zurechnung fremden Verschuldens ge­ mäß §  278 BGB begründet werden können. Relevanz hat das insbesondere für das gesetz­liche Schuldverhältnis aus Delikt, dessen Begründung nach §§  823 ff. BGB, von den Tatbeständen der Gefährdungshaftung abgesehen, Verschulden voraussetzt. An die Stelle von §  278 BGB tritt hier §  831 BGB, der allerdings keine Einstandspflicht für fremdes Verschulden begründet, sondern eine Haftung für vermutetes eigenes Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungsverschulden des Geschäftsherrn beim Einsatz eines Verrich­ tungsgehilfen, wenn dieser in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich einen Schaden zufügt.244 c) Anwendbarkeit auf verschuldensabhängige Folgetatbestände Davon abgesehen wirft die Beschränkung des Anwendungsbereichs von §  278 BGB auf die Erfüllung von Verbindlichkeiten im Rahmen bestehender Sonderverbindungen Probleme auf. Problematisch sind Fälle, in denen ne­ ben der Begründung einer Sonderverbindung ein verschuldensabhängiger Folgetatbestand im Raum steht, der seinerseits an den Zeitpunkt der Be­ gründung der Sonderverbindung anknüpft. aa) Vertragsschlussbezogene Verschuldenstatbestände Im Bereich der rechtsgeschäftlichen Sonderverbindungen gibt es eine Viel­ zahl solcher vertragsschlussbezogenen Verschuldenstatbestände. Im Kauf­ recht knüpfen beispielsweise §§  438 Abs.  3 S.  1, 442 Abs.  1 S.  2, 444 Fall 1 BGB tat­bestandlich an das arglistige Verschweigen eines Mangels durch den Verkäufer jedenfalls bei Vertragsschluss an.245 Würde §  278 BGB voraus­ setzen, dass die kaufvertragliche Sonderverbindung im relevanten Zeit­244  Vgl. zu gewissen Vorverlagerungstendenzen hinsichtlich der Anwendung von §  278 BGB im Rahmen von §  254 Abs.  2 S.  2 BGB noch BGH, Versäumnisurt. v. 10.11.2016 – III ZR 235/15, NJOZ 2017, 1521 Rn.  37 ff. 245  Vgl. dazu, dass maßgeblicher Zeitpunkt jedenfalls der Vertragsschluss ist, Beck­ OGK – Arnold, BGB, Stand: 11.1.2021, §  438 Rn.  209; BeckOGK – Stöber, BGB, Stand: 1.6.2021, §  442 Rn.  40; BeckOGK – ders., BGB, Stand: 1.6.2021, §  444 Rn.  49, je m. w. N. Teilweise wird auch vertreten, jedenfalls beim Gattungskauf stattdessen oder alternativ (nur oder auch) auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs abzustellen; vgl. dazu BeckOK – Faust, BGB, Stand: 1.5.2021, §  438 Rn.  44; MünchKomm – Westermann, BGB, 82019, §  438 Rn.  33, je m. w. N.

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punkt schon begründet gewesen sein muss, so wäre die Vorschrift hier nicht anwendbar. Das dürfte in der Tat das vorherrschende Verständnis sein.246 Im Bereich rechtsgeschäftlicher Sonderverbindungen kommt es darauf im Ergebnis indes nicht an: §  278 BGB ist hier nach zutreffendem Verständnis schon deshalb auch auf vertragsschlussbezogene Verschuldenstatbestände anwendbar, weil vor dem eigentlichen Vertragsschluss und damit vor Be­ gründung des eigentlich intendierten vertraglichen Schuldverhältnisses ge­ mäß §  311 Abs.  2 BGB ein vorvertragliches Schuldverhältnis besteht, auf das §  278 BGB bereits anwendbar ist. In dieses vorvertragliche Schuldverhältnis sind die vertragsschlussbezogenen Verschuldenstatbestände eingebettet, so­ dass §  278 BGB auch hier ohne weiteres Anwendung findet. Damit macht es im Ergebnis, was die Anwendbarkeit von §  278 BGB und damit die Einstandspflicht für Dritte anbelangt, keinen Unterschied, ob bei­ spielsweise im Rahmen von §§  438 Abs.  3 S.  1, 442 Abs.  1 S.  2, 444 Fall 1 BGB, im Rahmen von §§  281 Abs.  1 S.  3, 323 Abs.  5 S.  2 BGB (regelmäßig keine Unerheblichkeit der Pflichtverletzung bei arglistiger Täuschung) und §§  281 Abs.  2 Fall 2, 323 Abs.  2 Nr.  3 BGB (grundsätzlich Entbehrlichkeit der Fristsetzung bei arglistiger Täuschung),247 oder im Rahmen von §  634a Abs.  3 BGB (§  638 BGB a. F.)248 ein arglistiges Verschweigen bei Vertragsschluss oder bei Gefahrübergang (im Werkvertragsrecht: bis zur Abnahme) generell tatbestandlich relevant ist bzw. konkret in Rede steht. Dieser Gleichlauf ist sachlich zwingend. Ein Grund dafür, die Frage der Zurechnung eines arglistigen Verschweigens bzw. einer arglistigen Täuschung durch einen Dritten abhängig davon unterschiedlich zu beurteilen, ob diese im Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder später erfolgt bzw. tatbestandlich er­ folgt sein muss, ist nicht ersichtlich.249 Das wird besonders deutlich, wenn 246 

Vgl. die Nachweise in Fn.  249; allgemein wohl auch Lorenz, JuS 2007, 983. Vgl. m. w. N. oben Kapitel  2 Fn.  149. 248  Ausführlich zur Anwendung von §  278 BGB im Rahmen von §  634a Abs.  3 BGB (§  638 BGB a. F.) unten Kapitel  3 E.I. = S. 356 ff. 249  Dezidiert anders beispielsweise für §  438 Abs.  3 BGB BeckOK – Faust, BGB, Stand: 1.5.2021, §  438 Rn.  45: „Setzt der Verkäufer Hilfspersonen beim Vertragsschluss ein, gilt §  166 iVm den Grundsätzen über die Wissenszurechnung […]. In Bezug auf beim Gefahr­ übergang eingesetzte Hilfspersonen gilt §  278 S.  1 Alt.  2”; BeckOGK – Arnold, BGB, Stand: 11.1.2021, §  438 Rn.  202: „Bei Vertragsschluss kommt es zur Wissenszurechnung gem. §  166. […] Bei Vorgängen nach Vertragsschluss – insbesondere solchen im Rahmen des Gefahrübergangs – ist §  278 heranzuziehen“. Für §§  460 S.  2, 463 S.  2 BGB a. F. aus­ drücklich anders etwa auch Bayreuther, JA 1998, 459, 462, der zwar erkennt, dass die ge­ nannten Regeln in ein bestehendes vorvertragliches Schuldverhältnis eingebettet sind, §  278 BGB aber trotzdem nicht anwenden will, unter anderem weil es „weniger um ein schuldhaft-schädigendes Handeln des Vertreters bei Vertragsverhandlungen“ und auch nicht um ein „Verschulden im technischen Sinne (etwa §  276 BGB)“ gehe, sondern „die 247 

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Vertragsschluss und Gefahrübergang zeitlich zusammenfallen bzw. sich allen­ falls durch die Fiktion einer „juristischen Sekunde“ zeitlich voneinander tren­ nen lassen. Es wäre außerdem wenig überzeugend, dem Geschäftsherrn zwar im Rahmen der Haftung aus culpa in contrahendo nach §§  280 Abs.  1, 311 Abs.  2, 241 Abs.  2 BGB das Verschulden seines Verhandlungs- bzw. Ab­ schlussgehilfen nach Maßgabe des §  278 BGB zuzurechnen, nicht aber im Rahmen einer auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogenen vertrags­ rechtlichen Vorsatz- bzw. Verschuldensnorm. Die Anwendung von §  278 BGB auf vertragsschlussbezogene Vorsatz- bzw. Verschuldenstatbestände wie etwa §§  438 Abs.  3 S.  1, 442 Abs.  1 S.  2, 444 Fall 1 BGB entspricht zudem der Geltung identischer Zurechnungsregeln im Rahmen von §  123 BGB.250 Schließlich spricht für das geschilderte Verständnis der Umstand, dass es für die Einstandspflicht gemäß §  278 BGB auch sonst nicht darauf ankommt, ob der Dritte zeitlich vor oder zeitlich nach der Begründung des Schuldver­ hältnisses für den Schuldner tätig wird, also etwa schon vor Vertragsschluss durch den Geschäftsherrn mit der Herstellung des vertragsgegenständlichen Werks begonnen und dabei einen Fehler begangen hatte, solange nur der erforderliche Bezug zum Pflichtenkreis des Schuldners besteht.251 Auch in diesen Fällen ist kein Grund dafür ersichtlich, warum §  278 BGB nicht an­ wendbar sein sollte; im Gegenteil würde eine entsprechende Differenzie­ rung ersichtlich zu unsinnigen Ergebnissen führen. Maßgeblich ist allein, dass der Schuldner den Beitrag des Gehilfen später dem – dann begründe­ ten  – Schuldverhältnis zuordnet. Für die Anwendbarkeit von §  278 BGB ist entgegen verbreitetem Ver­ ständnis also nicht die zeitliche Abfolge von Vertragsschluss (Begründung eines Schuldverhältnisses) und Einsatz der Hilfsperson entscheidend. Die Beschränkung von §  278 BGB auf die „Erfüllung“ von Verbindlichkeiten bedeutet nur, dass die Vorschrift auf Tatbestände nicht anwendbar ist, die ein Schuldverhältnis überhaupt erst begründen. Rechtsfolgen entweder verschuldensneutral oder an eigenständige subjektive Merkmale geknüpft [sind], wie etwa der Arglist in §  463 S. BGB“; s. aber zur Identität von Arglistund Vorsatztatbestand oben Kapitel  2 A.VII. = S. 174 ff.; zur Identität von Wissens- und Vorsatztatbestand unten Kapitel  3. 250  Näher dazu noch unten Kapitel  2 B.I.2.d) = S. 204 ff. 251  Vgl. RG, Urt. v. 21.9.1923 – III 569/22, RGZ 108, 221, 224; BGH, Urt. v. 5.4.1967 – VIII ZR 32/65, NJW 1967, 1805 Abschn.  II; Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  278 Rn.  12; MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  278 Rn.  23 m. w. N., auch zur Gegen­ ansicht; Weißhaupt, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  151, 160 f.; im Grundsatz auch Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  8.171 f.; ausführlich Delmere, Der Erfüllungsgehilfe in §  278 BGB, 1989, S.  180 ff.

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bb) Geschäftsführung ohne Auftrag Soweit das in Rede stehende Schuldverhältnis, wie regelmäßig, verschuldens­ unabhängig begründet wird, spielt §  278 BGB im Rahmen der Begründung des Schuldverhältnisses von vornherein keine Rolle. So müsste es etwa, jedenfalls nach hergebrachtem Verständnis,252 beim ge­ setzlichen Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag liegen. Es entsteht mit der von einem Fremdgeschäftsführungswillen getragenen Übernahme der Geschäftsbesorgung für einen anderen ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung unabhängig davon, ob den Geschäftsführer ein Über­ nahmeverschulden trifft oder nicht, sodass sich auch die Frage nach einer Verschuldenszurechnung eigentlich von vornherein nicht stellt. Teilweise wird §  278 BGB (direkt oder analog) allerdings auch hier, also bei der Begründung des gesetzlichen Schuldverhältnisse aus Geschäftsfüh­ rung ohne Auftrag angewendet, nämlich in Fällen, in denen sich die unmit­ telbar handelnde Person als sogenannter Geschäftsführungsgehilfe einem fremden Willen unterordnet.253 Als Beispiele werden Arbeitnehmer und Be­ amte genannt, deren Handlungen dem Arbeitgeber bzw. Dienstherrn als Geschäftsherr im Sinne des §  278 BGB zuzurechnen seien, sodass das Schuld­ verhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag (ausschließlich) zwischen dem Arbeitgeber oder Dienstherrn als Geschäftsführer im Sinne der §§  677 ff. BGB und dem Geschäftsherrn im Sinne der §§   677 ff. BGB zustande kommt.254 Gleichsinnig geht der BGH, allerdings ohne Rekurs auf §  278 BGB, in seiner Rechtsprechung davon aus, der Geschäftsführer im Sinne der §§  677 ff. BGB brauche „nicht in eigener Person tätig zu werden“, sondern könne „sich bei der Ausführung des Geschäfts seiner Leute oder sonstiger Dritter bedienen“; so handele beispielsweise bei einer Seenotrettung der Ka­ pitän des Hilfe leistenden Schiffes für den Reeder, sodass der Reeder (und nicht etwa der Kapitän) als Geschäftsführer im Sinne der §§  677 ff. BGB die durch das Rettungsmanöver veranlassten Aufwendungen von dem Reeder des anderen Fahrzeugs ersetzt verlangen könne.255 252  Etwas anders stellt sich der Tatbestand der GoA dar, wenn man das Tatbestands­ merkmal des Fremdgeschäftsführungswillens als Vorsatzerfordernis begreift; vgl. dazu oben Einleitung A.II.2. = S. 6 und unten Kapitel  4 = S. 369 f. 253  MünchKomm – Schäfer, BGB, 82020, §  677 Rn.  20. 254  MünchKomm – ders., BGB, 82020, §  677 Rn.  20. 255  Vgl. BGH, Urt. v. 25.11.1976 – II ZR 201/74, NJW 1977, 530 Abschn. 2 b; im Er­ gebnis auch, und zwar gleichfalls ohne Rekurs auf §  278 BGB, BGH, Urt. v. 20.6.1963 – VII ZR 263/61, NJW 1963, 1827 Abschn.  II 3: „Die Tätigkeit der Feuerwehren habe sich auf den Interessenkreis der Beklagten bezogen und deren Belange gefördert; die Klägerin habe also ein Geschäft der Beklagten geführt“; BGH, Urt. v. 13.11.2003 – III ZR 70/03,

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Der normative Rekurs auf §  278 BGB im Rahmen der Begründung des Schuldverhältnisses aus Geschäftsführung ohne Auftrag, der in der Literatur bisweilen anzutreffen ist, ist nach der gängigen Dogmatik nicht begründbar. Das Ergebnis leuchtet gleichwohl ein. Insofern mögen die vorstehenden Ausführungen Beispiel für weitreichende Extensionstendenzen bei §  278 BGB sein. Konsequenterweise müsste §  278 BGB dann auch und erst recht im Rahmen der Übernahmehaftung des Geschäftsführers nach §  678 BGB gelten.256 Davon abgesehen ist §  278 BGB nach zutreffendem Verständnis jedenfalls dann anwendbar, wenn das Schuldverhältnis der Geschäftsführung ohne Auftrag einmal begründet ist und damit insbesondere im Rahmen der Ausführungs­haftung des Geschäftsführers nach §§  280 Abs.  1, 677 BGB. Folglich ist der Geschäftsführer gemäß §  278 BGB auch für das Ausfüh­ rungsverschulden von Erfüllungsgehilfen verantwortlich, die er als Schuld­ ner des gesetzlichen Schuldverhältnisses der Geschäftsführung ohne Auf­ trag zur Erfüllung seiner Pflichten aus der übernommenen Geschäftsfüh­ rung einsetzt. cc) Eigentümer-Besitzer-Verhältnis Ähnlich schwierig ist die Rechtslage im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV). Auch das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis entsteht als gesetzliches Schuldverhältnis verschuldensunabhängig mit der Begründung einer Vindi­ kationslage. Die Vindikationsfolgeansprüche des Eigentümers gegen den Besitzer sind allerdings davon abhängig, dass der Besitzer entweder verklagt (§§  987, 989 BGB) oder bei dem Erwerb des Besitzes hinsichtlich seines feh­ lenden Besitzrechts nicht in gutem Glauben ist (§  990 Abs.  1 S.  1 BGB) oder später erfährt, dass er zum Besitz nicht berechtigt ist (§  990 Abs.  1 S.  2 BGB; mala fides superveniens). Im Rahmen der Verschuldensprüfung nach §§  987 Abs.  2, 989 BGB wird die Frage der Einstandspflicht für Dritte wohl überwiegend nach Maßgabe von §  278 BGB beantwortet.257 Wie die Zurechnungsfrage im Rahmen von NJW 2004, 513 Abschn.  I 2 b: „Das dienstliche Handeln des Polizeibeamten ist immer dem Staat, der durch seine Organe handelt, zuzurechnen“. Aus der Lit. etwa Staudinger  – Bergmann, BGB, 2020, Vorbem zu §§  677 ff Rn.  181. 256  Gegen die Geltung von §  278 BGB BeckOGK – Thole, BGB, Stand: 15.4.2021, §  678 Rn.  23. Für die Geltung von §  278 BGB Staudinger – Bergmann, BGB, 2020, §  678 Rn.  20. Vgl. zum subjektiven Tatbestand des §  678 BGB auch die Formulierung von Münch­ Komm  – Schäfer, BGB, 82020, §  678 Rn.  11: „obwohl er den entgegenstehenden Willen kannte (Vorsatz)“. 257  Vgl. Staudinger – Caspers, BGB, 2019, §  278 Rn.  11 m. w. N.; vgl. auch das Beispiel

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§  990 BGB zu beantworten ist, wird kontrovers diskutiert. Überwiegend wird auf §  166 BGB in direkter und analoger Anwendung rekurriert,258 teil­ weise auf §  831 BGB analog.259 Richtigerweise ist hingegen auch hier auf §  278 BGB abzustellen.260 Gegen die Anwendung von §  278 BGB im Rahmen (jedenfalls)261 von §  990 Abs.  1 S.  2 BGB scheint zunächst zu sprechen, dass §  990 Abs.  1 S.  2 BGB262 seinem Wortlaut nach kein Vorsatz- bzw. Verschuldenserfordernis, sondern ein einfaches Wissenserfordernis in Bezug zu nehmen scheint.263 Dass das (generell) nicht zutrifft und die Unterscheidung zwischen Wissensbei Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 272019, Rn.  798. Offengelassen von BGH, Urt. v. 30.9.­2003 – XI ZR 232/02, NJW-RR 2004, 45 Abschn.  II 2 b bb 2 b. 258  So insbesondere auch der BGH, vgl. die Nachweise oben Kapitel  1 Fn.  231. 259  Vgl. für einen Überblick über die Auffassungen zur Beantwortung der Zurech­ nungsfrage im Rahmen von §  990 BGB Staudinger – Thole, BGB, 2019, §  990 Rn.  55 ff. m. w. N.; aus dem älteren Schrifttum etwa noch Wetzel, Die Zurechnung des Verhaltens Dritter bei Eigentums­störungstatbeständen, 1971, S.  21 ff. Differenzierend Baur/Stürner, Sachenrecht, 182009, §  5 Rn.  15: grundsätzlich gelte §  831 BGB, bei juristischen Personen aber Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels. Warum bei juristischen Personen nicht §  31 BGB zur Anwendung kommen soll, der immerhin auch im – nach Baur/Stürner maßgebenden – Deliktsrecht zur Anwendung kommt, bleibt unklar. 260  Ebenso Canaris, Bankvertragsrecht, 31988, Rn.  800a; Hübner, Allgemeiner Teil des Bür­gerlichen Gesetzbuches, 1996, Rn.  1231; vgl. allgemein auch unten Kapitel  3 C.I. = S.  320 ff. 261  Vgl. die nachfolgende Fn. 262  Den Bösgläubigkeitstatbestand des §  990 Abs.  1 S.  1 BGB hat hingegen auch der BGH dezidiert als Verschuldenstatbestand eingeordnet, siehe BGH, Urt. v. 9.2.1960 – VIII ZR 51/59, NJW 1960, 860 Abschn. 3: „Wenn in §  990 BGB auf den bösen Glauben bei dem Erwerb des Besitzes abgestellt wird, so geht es also im Grunde um die Frage des Verschuldens“; gleichwohl will der BGH zur Beantwortung der Zurechnungsfrage dezidiert nicht auf §  278 BGB abstel­ len, weil „nicht, wie in den Fällen der §§  278, 831 BGB, die Haftung für ein von einem anderen ausgehendes Verhalten in Frage [stehe], sondern entspr. §  166 BGB die Zurechenbarkeit des Kennens oder Kennenmüssens“; vgl. ferner BGH, Urt. v. 19.1.1993 – XI ZR 76/92, NJW 1993, 1066 Abschn.  II 1. Das trifft indes nicht zu. Vielmehr ist der Tatbestand des §  990 BGB, wie allgemein noch zu zeigen sein wird, nur in einem Verhaltensbezug, nämlich als Inbesitznahme im Wissen/fahrlässigen Nichtwissen um das fehlende Recht zum Besitz bzw. als Unterlassen der Herausgabe im Wissen um das fehlende Recht zum Besitz vollständig beschrieben; vgl. insbesondere unten Kapitel  3 A.III. = S. 265 ff. Im Übrigen verweist der BGH in der Sache letztlich ersichtlich doch auf Tatbestand und Telos von §  278 BGB: „Wer als Unternehmer im Wirtschaftsleben zur Erlangung von Eigentum den Besitz einer Sache mittels seiner Angestell­ ten als der Besitzdiener erwirbt, ohne sich um die Berechtigung zum Besitz zu kümmern, vielmehr den Angestellten die Prüfung überläßt, kann sich, wenn diese bösgläubig sind, dem wirklichen Eigentümer gegenüber nicht darauf berufen, er habe sich berechtigter­weise für den Eigentümer gehalten“ (BGH, Urt. v. 9.2.1960 – VIII ZR 51/59, NJW 1960, 860 Abschn. 3). 263  Vgl. etwa Staudinger – Caspers, BGB, 2019, §  278 Rn.  11; MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  278 Rn.  18.

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und Verschuldenstat­beständen besonders in Zurechnungsfragen nicht zu überzeugen vermag, wird noch darzulegen sein. Bezogen auf §  990 Abs.  1 S.  1 BGB könnte man meinen, eine Anwendung von §  278 BGB schiede, wie im Deliktsrecht, (auch) deshalb aus, weil die Vorschrift an den Zeitpunkt des Besitzerwerbs und damit an den Zeitpunkt der Begründung der Sonderverbindung des EBV anknüpft.264 Auch das steht der Anwendung von §  278 BGB indes nicht entgegen. Denn anders als die deliktsrechtliche Sonderverbindung entsteht die Sonderverbindung des EBV unabhängig von einem subjektiven Tatbestandsmerkmal, sobald ein anderer als der Eigentümer, ohne dazu berechtigt zu sein, Besitz an einer Sache erlangt. Die für die Anwendung von §  278 BGB erforderliche Sonder­ verbindung entsteht damit in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des Besitz­ erwerbs, ohne dass es insofern auf §  278 BGB an­käme und ist sodann auch im Rahmen des §  990 Abs.  1 S.  1 BGB, expliziert als Vorsatz-Fahrlässig­ keitstatbestand, für die Zwecke der Vindikationsfolgeansprüche taugliche Grundlage für die Anwendung von §  278 BGB. Das folgt daraus, dass die Beschränkung von §  278 BGB auf die „Erfül­ lung“ von Verbindlichkeiten nur bedeutet, dass die Vorschrift auf Tatbestän­ de nicht anwendbar ist, die ein Schuldverhältnis überhaupt erst begründen und gilt insbesondere auch für den Fall des Besitzerwerbs durch einen Be­ sitzdiener: Dass dessen tatsächliche Sachherrschaft Besitz des Geschäftsherrn (Besitzherrn) und damit eine Sonderverbindung zwischen Eigentümer und Besitzherr begründet, ist gerade nicht Folge einer Anwendung von §  278 BGB, sondern ergibt sich aus §  855 BGB,265 der seinerseits unabhängig vom Bestehen einer Sonderverbindung zwischen dem Geschäftsherrn und dem Eigentümer ist. Wird für den Besitzer ein Dritter tätig, hat der Besitzer nach Maßgabe von §  278 BGB also sowohl für dessen Vorsatz (oder grobe Fahrlässigkeit) hin­ sichtlich des fehlenden Rechts zum Besitz (§  990 Abs.  1 S.  1 und 2 BGB) als auch für dessen Verschulden hinsichtlich einer unterlassenen Nutzungszie­

264  So etwa Staudinger – Thole, BGB, 2019, §  990 Rn.  72; Lorenz, JZ 1994, 549, 550; Bayreuther, JA 1998, 459, 463. 265  Es handelt sich dabei durchaus um eine Zurechnung, nämlich um die Zurechnung der tatsächlichen Sachherrschaft des Besitzdieners an den Besitzherrn verbunden mit der Anordnung, dass die tatsächliche Sachherrschaft des Besitzdieners bei diesem keinen Be­ sitz begründet mit der Folge, dass ausschließlich der Besitzherr als Besitzer gilt, doch folgt diese Zurechnung eben nicht aus §  278 BGB, sondern aus §  855 BGB. Monografisch zu §  855 BGB als verhaltensbezogener Zurechnungsnorm Wetzel, Die Zurechnung des Ver­ haltens Dritter bei Eigentumsstörungstatbeständen, 1971, S.  3 ff.

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hung (§  987 Abs.  2 BGB) oder einer Beschädigung der Sache (§  989 BGB) einzustehen. Erfüllungsgehilfe ist insbesondere auch ein Besitzdiener, der für den Be­ sitzherrn die tatsächliche Sachherrschaft über die Sache ausübt, wenn dieser – was allerdings beim Besitzdiener praktisch immer, jedenfalls ganz regel­ mäßig der Fall sein wird – dabei mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn dergestalt in dessen Pflichtenkreis tätig wird, dass er etwaige Pflichten zu erfüllen hat, die sich für den Geschäftsherrn aus dem Besitz Dritten gegen­ über ergeben. Der Geschäftsherr (Besitzherr) muss dann (und deshalb) im Rahmen von §  990 Abs.  1 BGB unbedingt für das Wissen (den Vorsatz) bzw. die Bösgläubigkeit (den Vorsatz oder die grobe Fahrlässigkeit) des Besitz­ dieners einstehen, genauso wie im Rahmen von §§  987 Abs.  2, 989 BGB für dessen Verschulden.266 Ob der Besitzdiener eine Stellung hat, die einem rechtsgeschäftlichen Stellvertreter vergleichbar ist oder ob der Geschäfts­ herr den Besitzdiener ordnungsgemäß ausgewählt, angeleitet und überwacht hat, spielt dafür – wie für die Zurechnung der tatsächlichen Sachherrschaft nach §  855 BGB auch und anders als dann, wenn man die Zurechnungsfrage unter Rekurs auf §  166 BGB (direkt oder analog) oder auf §  831 BGB (ana­ log) beantwortet – keine Rolle. dd) Bereicherungsrechtliches Ausgleichsverhältnis Ganz ähnlich wie im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis verhält es sich im be­ reicherungsrechtlichen Ausgleichsverhältnis, soweit hier subjektive Um­ stände eine Rolle spielen, also namentlich bei §  814 Alt.  1 und bei §  819 Abs.  1 BGB. Auch hier wird die Zurechnungsfrage überwiegend unter Rekurs auf §  166 BGB in direkter und analoger Anwendung beantwortet, teilweise aber auch unter Rekurs auf Wissensorganisationspflichten, die Organtheorie oder andere Zurechnungslehren.267 In besonderer Weise umstritten ist die Rechtslage, wenn der Bereicherte beschränkt geschäftsfähig ist. Teilweise wird auch in diesem Fall §  166 BGB angewendet und auf den gesetzlichen Vertreter abgestellt (und zwar ausschließlich und unabhängig davon, ob die­ ser an dem Bereicherungsvorgang ­irgendwie beteiligt war), während andere 266  Im Ergebnis auch Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und Bankrechtliche Auf­ klärungspflichten, 1998, S.  170 ff., wenn er in Bezug auf Scheckeinreichungsfälle resü­ miert, „daß einer Bank nur die Kenntnis derjenigen Personen als Besitzdiener schaden kann, die persönlich mit dem Erwerb und der Bearbeitung des Schecks befaßt waren“. 267  Vgl. für einen Überblick MünchKomm – Schwab, BGB, 82020, §  814 Rn.  21 und §  819 Rn.  7 ff. m. w. N.; speziell zur Rechtsprechung des BGH auch schon oben Kapitel  1 Fn.  229 f.

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§§  827, 828 BGB anwenden, also eine Zurechnung fremder subjektiver Um­ stände zulasten des beschränkt Geschäfts­fähigen ablehnen stattdessen unter den dort normierten Voraussetzungen (ausschließlich) auf diesen selbst ab­ stellen.268 Was die Anwendung von §  278 BGB angeht, so könnte man wie bei §  990 Abs.  1 BGB meinen, diese scheide aus, da bei §  814 und bei §  819 Abs.  1 BGB jeweils ein Kenntnis- und kein Vorsatztatbestand in Rede steht und bei §§  814, 819 Abs.  1 Alt.  1 BGB (nicht aber bei §  819 Abs.  1 Alt.  2 BGB) außer­ dem jeweils der Zeitpunkt, in dem das gesetzliche Schuldverhältnis der Be­ reicherungshaftung erst entsteht („bei dem Empfang“). Es gilt indes nichts anderes als für §  990 Abs.  1 BGB: Dass zwischen Wissensnormen und Vor­ satz- bzw. Verschuldensnormen generell und besonders in Zurechnungsfra­ gen nicht überzeugend unterschieden werden kann, wird noch darzulegen sein. Im Übrigen entsteht die bereicherungsrechtliche Sonderverbindung zwischen Bereicherungsgläubiger und Bereicherungsschuldner kenntnisbzw. verschuldensunabhängig; auf §  278 BGB kommt es insofern wiederum von vornherein nicht an. Die bereicherungsrechtliche Sonderverbindung ist vielmehr hinreichende Grundlage für die Anwendung von §  278 BGB auch auf §§  814, 819 Abs.  1 BGB. d) §  123 BGB: Erfüllungsgehilfe als Nicht-Dritter Nach §  123 Abs.  2 S.  1 BGB muss der Erklärungsempfänger (Anfechtungs­ gegner) die arglistige Täuschung durch einen Dritten im Rahmen des An­ fechtungsrechts und in Ansehung empfangsbedürftiger Willenserklärungen nur dann gegen sich gelten lassen, wenn er die Täuschung kannte oder ken­ nen musste. §  123 Abs.  2 S.  1 BGB regelt die Zurechnungsfrage damit aller­ dings nicht abschließend. Es ist vielmehr jedenfalls im Grundsatz praktisch allgemein anerkannt, dass sich der Erklärungsempfänger außerdem die arg­ listige Täuschung durch Personen zurechnen lassen muss, die nicht „Dritte“ im Sinne von §  123 Abs.  2 S.  1 BGB sind, und zwar unabhängig von seiner eigenen Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt als Dritter nicht, wer bei Abgabe der täuschenden Erklärung „mit Wissen und Wollen des Anfechtungsgeg­ ners als dessen Vertrauensperson oder Repräsentant auftritt“.269 Zur weite­ 268  Vgl. auch hierzu den Überblick bei MünchKomm – ders., BGB, 82020, §  819 Rn.  9 der selbst für eine Differenzierung zwischen Leistungs- und Eingriffskondiktion eintritt, und außerdem noch den Flugreisefall BGH, Urt. v. 7.1.1971 – VII ZR 9/70, NJW 1971, 609 Abschn.  II 5. 269  BGH, Urt. v. 30.3.2011 − VIII ZR 94/10, NJW 2011, 2874 Rn.  15 m. w. N.; praktisch

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ren Konkretisierung verweist der BGH darauf, dass die Anforderungen, die diesbezüglich zu stellen sind, grundsätzlich denjenigen entsprechen, die für die Begründung der Stellung als Erfüllungsgehilfe (unter Einschluss insbe­ sondere von Verhandlungsgehilfen) nach §  278 S.  1 Alt.  2 BGB gelten.270 Verkürzt lässt sich also sagen, dass der Schuldner (jedenfalls) für seine Erfül­ lungsgehilfen auch im Rahmen des §  123 BGB „garantiemäßig“ einzustehen hat. Nichts anderes gilt für gesetzliche Vertreter und gemäß §  31 BGB für Organe (Organmitglieder) von Verbänden.271 Die grundsätzliche Gleichsetzung von „Nicht-Dritten“ und Erfüllungs­ gehilfen ist schon deshalb sachgerecht, weil es sich bei § 123 Abs. 1 Fall 1 BGB um einen in ein bestehendes, vorvertragliches Schuldverhältnis einge­ betteten Vorsatztatbestand handelt.272 Dass die Zurechnung in beiden Fällen wortgleich und insbesondere auch auf das „Wissen und Wollen des Anfechtungsgegners“ abstellend etwa BGH, Urt. v. 28.9.1988 – VIII ZR 160/87, NJW 1989, 287 Abschn.  II 4 a m. w. N. Vgl. aus der Lit., gleichfalls auf ein „Wissen und Wollen des Anfechtungsgegners“ abstellend, etwa Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S.  325. 270  Ausdrücklich BGH, Urt. v. 30.3.2011 − VIII ZR 94/10, NJW 2011, 2874 Rn.  15; BGH, Urt. v. 28.9.1988 – VIII ZR 160/87, NJW 1989, 287 Abschn.  II 4 c; BGH, Urt. v. 17.4.1986 – III ZR 246/84, NJW-RR 1987, 59 Abschn.  II 3 b. Noch ohne diese Gleich­ stellung BGH, Urt. v. 8.2.­1956 – IV ZR 282/55, NJW 1956, 705 Abschn. 2 a (s. dort auch zur Rechtsprechung des RG). Vgl. aus der Lit. etwa Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §  41 Rn.  111 = S.  498: „im Wesentlichen diesselben Krite­ rien“; Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und Bankrechtliche Aufklärungspflichten, 1998, S.  149. Gegen einen Gleichlauf (freilich nur einen „mechanischen“) Bachmann, in: Drygala/­Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  125, 140. 271  Vgl. für beide Fälle Schubert, AcP 168 (1968), 470, 485 und 487; im Ergebnis auch BeckOGK – Rehberg, BGB, Stand: 1.6.2021, §  123 Rn.  46.1. 272  Vgl. bereits oben Kapitel 2 B.I.2.c) = S. 192 f. sowie BGH, Urt. v. 26.9.1962 – VIII ZR 113/62, NJW 1962, 2195, 2196: „Eine Sonderstellung nimmt dabei der Fall ein, daß der Täuschende vom Erklärungsempfänger mit der Führung von Vertragsverhandlungen beauftragt war und sie für ihn – wenn auch ohne Abschlußvollmacht – führt. Schon durch den Eintritt in die Vertragsverhandlungen entsteht ein gesetzliches Schuldverhältnis zwi­ schen den Beteiligten, zwischen denen ein Vertragsschluß erreicht werden soll; dieses ver­ pflichtet sie zur Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und – bei Verletzung – zum Schadensersatz (§  276 BGB). Dabei haftet der, der sich eines Gehilfen bei den Ver­ handlungen bedient, für dessen Verschulden gem. §  278 BGB wie für eigenes. Falls also der Verhandlungsgehilfe den anderen Teil arglistig täuscht, muß der, der ihn zugezogen hat, jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes diese Täuschung wie eine eigene gelten lassen. Es besteht aber kein Anlaß, diesen Grundsatz auf das Schadenser­ satzrecht zu beschränken; er verdient vielmehr als allgemeiner Grund Anwendung auch auf das aus der arglistigen Täuschung sich ergebende Anfechtungsrecht. Steht aber die Täuschung durch den Verhandlungsgehilfen der Täuschung durch den Auftraggeber gleich, so bedeutet das für §  123 Abs.  2 BGB, daß jener nicht Dritter i. S. dieser Bestim­ mung ist“; vgl. ferner BGH, Urt. v. 17.4.1986 – III ZR 246/84, NJW-RR 1987, 59 Ab­ schn.  II 3 b: „Der Personenkreis, für den ein Verhandlungspartner wegen culpa in contra­

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zumindest im Ausgangspunkt identischen Regeln folgt, liegt prima facie au­ ßerdem auch sachlich deshalb nahe, weil jeweils die arbeitsteilige Teilnahme am Rechtsverkehr als Rechtsproblem in Rede steht.273 Ob es bei der Anwendung von §  278 BGB im Rahmen von §  123 BGB sein Bewenden hat, ist umstritten.274 Verbreitet wird unter Verweis auf den Zweck von §  123 BGB vertreten, die Zurechnung von Täuschungen durch „Nicht-Dritte“ im Rahmen von §  123 Abs.  2 S.  1 BGB gehe jedenfalls in den Randbereichen noch über die Einstandspflicht für Erfüllungsgehilfen nach §  278 BGB hinaus. Namentlich müsse sich der Erklärungsempfänger (An­ fechtungsgegner) eine Täuschung durch einen Dritten auch dann zurechnen lassen, wenn der Dritte zwar nicht als dessen Erfüllungsgehilfe tätig gewor­ den ist, aber sonst wie in dessen „Lager“ steht275 oder auch nur nach außen hin als „Vertrauensmann“ erscheint, wenn dieser Rechtsschein dem Anfech­ tungsgegner zurechenbar ist.276 Andere führen (teilweise wohl in der Sache überschneidend) den Stellvertreter aufgrund von Duldungs- oder Anscheins­ vollmacht und den Vertreter ohne Vertretungsmacht, dessen Handeln der Geschäftsherr gem. §  177 BGB genehmigt, als „Nicht-Dritte“ im Sinne von §  123 Abs.  2 BGB an, die nicht (auch) Erfüllungsgehilfen im Sinne von §  278 BGB seien.277 Die Frage, ob und inwiefern die Zurechnung im Rahmen von §  123 BGB tatsächlich gegenüber §  278 BGB erweitert ist, kann und muss hier nicht ab­ schließend erörtert werden. Die Beantwortung dieser Frage wird maßgeblich dadurch erschwert, dass in der Literatur zu §  123 BGB teilweise ersichtlich ein von der Rechtsprechung des BGH zu §  278 BGB abweichender Begriff des Erfüllungsgehilfen zugrunde gelegt wird. Das gilt etwa für den Vertreter ohne Vertretungsmacht, dessen Erklärung der Vertretene (Anfechtungsgegner) ge­ nehmigt und den der BGH in seiner Rechtsprechung durchaus auch über

hendo nach §  278 BGB einzustehen hat, ist im übrigen der gleiche, wie bei §  123 BGB; denn bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung handelt es sich nur um einen Son­ derfall der Haftung für culpa in contrahendo“; vgl. aus der Lit. insbesondere Schubert, AcP 168 (1968), 470, passim. 273  Vgl. zu diesem Gedanken bezogen auf §  123 Abs.  2 S.  1 BGB, auch in seiner histo­ rischen Entwicklung, Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S.  322. 274  Im Grundsatz dafür insbesondere Schubert, AcP 168 (1968), 470 ff. 275  Statt vieler Palandt – Ellenberger, BGB, 802021, §  123 Rn.  13; MünchKomm – Armbrüster, BGB, 82018, §  123 Rn.  73, wobei der Gehalt dieses Zurechnungskriteriums, gera­ de auch in Abgrenzung zu §  278 BGB, häufig ganz und gar im Dunkeln bleibt. 276 Vgl. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S.  325; Neuner/ Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §  41 Rn.  111 = S.  498. 277  Vgl. BeckOGK – Rehberg, BGB, Stand: 1.6.2021, §  123 Rn.  43.1.

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§  278 BGB erfasst.278 Gleichsinnig wäre es auch jedenfalls in Fällen der Dul­ dungsvollmacht wenig überzeugend, dem Geschäftsherrn gemäß §  164 BGB zwar die vertragsschlussbezogene Willenser­klärung des Vertreters zuzurech­ nen, nicht aber gemäß §  278 BGB dessen auf eben jenen Vertragsschluss bezo­ genes vorvertragliches Verschulden im Rahmen seiner Haftung aus culpa in contrahendo.279 Das gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass sogar der bloße Scheinverhandlungsgehilfe von §  278 BGB erfasst ist.280 Im Übrigen dürften sich Fälle der Zurechnung unter Rechtsscheinsgesichtspunkten regelmäßig je­ denfalls über §  123 Abs.  2 S.  1 Alt.  2 BGB als Fälle der Kenntnis oder fahrlässi­ gen Unkenntnis (!) des Geschäftsherrn adressieren lassen.281 In seinem eigentlichen Regelungsbereich normiert §  123 Abs.  2 S.  1 BGB vor diesem Hintergrund übrigens, darauf sei abschließend hingewiesen, nichts anderes als einen Fall der Verantwortlichkeit für eigene Verhältnisse, die funktional der Haftung für eigenes Auswahl-, Anleitungs- und Überwa­ chungsverschulden des Anfechtungsgegners im Bereich des Schadensersatz­ rechts entspricht und im Anwendungsbereich der Haftung aus culpa in contrahendo regelmäßig auch neben diese tritt.282 3. Gesetzlicher Vertreter §  278 BGB begründet eine Verantwortlichkeit des Schuldners für gesetzliche Vertreter (Alt.  1) und für sogenannte Erfüllungsgehilfen (Alt.  2; dazu so­ gleich).

278 

BGH, Urt. v. 13.11.1954 – II ZR 23/54, WM 1955, 690, 692. diese Richtung auch BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  40. Für eine Einordnung sogar des Anscheinsbevollmächtigten als Erfüllungsgehilfe (wofür in der Tat einiges spricht, wenn man die Anscheinsvollmacht nicht grundsätzlich ablehnt) Staudinger – Caspers, BGB, 2019, §  278 Rn.  24. 280  Vgl. dazu noch unten Kapitel  2 B.I.4.d) = S. 217 sowie Canaris, Die Vertrauenshaf­ tung im deutschen Privatrecht, 1971, S.  77, zitiert nach Neuner/Grigoleit, Claus-Wilhelm Canaris  – Gesammelte Schriften, Band  2: Vertrauenshaftung, 2012, S.  111 f. 281 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S.  78, zitiert nach Neuner/Grigoleit, Claus-Wilhelm Canaris – Gesammelte Schriften, Band  2: Vertrau­ enshaftung, 2012, S.  113 ; auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S.  325, wenn er zu der von ihm vertretenen Zurechnung unter Rechtsscheinsgesichts­ punkten ausführt, eine Zurechnung könne sich „durch (u. U. auch nur fahrlässige) Dul­ dung“ ergeben. 282  Vgl. zur Streitfrage um das Nebeneinander von §  123 BGB und der Haftung aus culpa in contrahendo Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §  41 Rn.  115 ff. = S.  499 f.; Palandt – Ellenberger, BGB, 802021, §  123 Rn.  27. 279  In

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Der Begriff des gesetzlichen Vertreters wird weit verstanden. Er erfasst nicht nur gesetzliche Vertreter im eigentlichen Sinne, die im fremden Namen handeln und deren Vertretungsmacht auf Gesetz beruht (z. B. Eltern, Vor­ mund, Betreuer, Pfleger), sondern auch Personen, die kraft Gesetzes im ei­ genen Namen mit Wirkung für und gegen einen anderen handeln können, also etwa Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter und Insolvenzverwal­ ter (Verwalter kraft Amtes).283 Der Wortlaut von §  278 BGB erfasst außer­ dem Organmitglieder, die gesetzliche Vertreter des Verbandes sind, dem sie angehören (Vorstandsmitglieder etc.). Für sie und vergleichbare Repräsen­ tanten von Verbänden gilt mit §  31 BGB allerdings eine strengere Sonder­ regelung mit weiterem Anwendungsbereich.284 4. Erfüllungsgehilfe a) Tätigwerden nach den tatsächlichen Umständen mit dem Willen bzw. mit Wissen und Wollen des Schuldners Für andere Personen als gesetzliche Vertreter kommt eine Einstandspflicht des Schuldners nach §  278 BGB nur in Betracht, wenn und soweit er sich ihrer zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit „bedient“ (Erfüllungsgehilfen).285 Das er­ fordert nach ständiger Rechtsprechung des BGH, dass der Dritte nach den tatsächlichen Um­ständen mit dem Willen286 bzw. mit Wissen und Wollen287 des Schuldners bei der Er­füllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als Hilfsperson tätig wird.288 Maßgeblich ist insofern, in Abgrenzung zur Verant­ 283  Grundlegend BGH, Urt. v. 10.2.1958 – II ZR 292/56, NJW 1958, 670; vgl. aus der Lit. etwa Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  278 Rn.  5. 284  Näher dazu unten Kapitel  2 B.II. = S. 226 ff. 285  So auch bereits der Wortlaut von §  224 Abs.  2 BGB 1. Entwurf. 286  Vgl. aus der Rechtsprechung exemplarisch BGH, Urt. v. 24.1.2019 – I ZR 160/17, NJW 2019, 1596 Rn.  48; für vorvertragliche Schuldverhältnisse etwa noch BGH, Urt. v. 9.7.2013 – II ZR 9/12, NJW-RR 2013, 1255 Rn.  37; aus der Lit. exemplarisch BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  34; Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  278 Rn.  7; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 272019, Rn.  801. 287  So formuliert etwa BGH, Urt. v. 5.4.2017 – IV ZR 437/15, NJW 2017, 2268 Rn.  23; BGH, Urt. v. 11.7.2012 − IV ZR 164/11, NJW 2012, 3647 Rn.  51. Der Rekurs auf ein „Wissen und Wollen“ findet sich in der Rechtsprechung des BGH auch in der Definition des „Nicht-Dritten“ im Sinne von §  123 Abs.  2 S.  1 BGB, und zwar unter ausdrücklicher Gleichsetzung mit dem Begriff des Erfüllungsgehilfen; vgl. dazu m. Nachw. oben Kapi­ tel  2 B.I.2.d) = S. 204 f. 288  Im Schrifttum wird der explizite Rekurs auf ein subjektives Element aufseiten des Schuldners teilweise auch vermieden, vgl. exemplarisch Larenz, Lehrbuch des Schuld­ rechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 VIII = S.  299, nach dem Erfüllungsgehilfe ist, „wer von dem Schuldner zu einer Tätigkeit herangezogen wird, die im Bereich der dem

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wortlichkeit für gesetzliche Vertreter, dass das Tätigwerden des Erfüllungs­ gehilfen nach den tatsächlichen Umständen auf den Willen bzw. das Wissen und Wollen des Schuldners (Geschäftsherrn) zurückgeführt werden kann.289 In welcher rechtlichen Beziehung der Erfüllungsgehilfen zum Schuldner steht, ist dabei irrelevant. Insbesondere ist die Qualifikation einer Person als Erfüllungsgehilfe weder von einer Willenserklärung des Schuldners noch gar von einem Vertrag zwischen Schuldner und Erfüllungsgehilfe abhängig.290 Das oder jedenfalls das dürfte gemeint sein, wenn nicht isoliert auf den Wil­ len des Schuldners abgestellt wird, sondern darauf, dass der Dritte „nach den tatsächlichen ­Umständen mit dem Willen des Schuldners“ tätig wird. Folg­ lich sind nach hergebrachtem Verständnis auch die Regeln über Rechtsge­ schäfte grundsätzlich unbeachtlich.291 Maßgeblich sind allein die den Willen des Schuldners repräsentierenden bzw. die von diesem getragenen „rein tat­ sächlichen Vorgänge“.292 Außerdem ist die Einstandspflicht danach nicht da­ von abhängig, dass sie als solche (als Rechtsfolge) vom Willen (Wissen und Wollen) des Schuldner umfasst ist.293 Entsprechend kann der Schuldner die Zurechnung auch nicht dadurch ausschließen, dass er einseitig294 erklärt, sich eines bestimmten Dritten nicht oder nicht mehr zu bedienen, wenn bzw. so­ lange er es tatsächlich doch willentlich (willentlich und wissentlich) tut bzw. getan hat.295 Unerheblich ist darüber hinaus, ob der Dritte an Weisungen des Schuldners gebunden ist oder nicht. Folglich sind etwa Angestellte und selb­ ständige Subunternehmer gleichermaßen Erfüllungsgehilfen des Schuldners, wenn er sich ihrer nur „zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient“.296 Der Erfüllungsgehilfe, der für den Schuldner bereits im Rahmen eines vor­ vertraglichen Schuldverhältnisses tätig wird, wird verbreitet als Verhand­ Schuldner obliegenden Leistungshandlung liegt“ (unter explizitem Rekurs ausschließlich auf ein Willenserfordernis dann aber S.  300). 289  Das Erfordernis eines Tätigwerdens bei der Erfüllung einer dem Schuldner oblie­ genden Verbindlichkeit gilt demgegenüber für Erfüllungsgehilfen und gesetzliche Vertre­ ter gleichermaßen; näher dazu unten Kapitel  2 B.I.5. = S. 220 ff. 290  Vgl. BGH, Urt. v. 20.6.1984 – VIII ZR 137/83, NJW 1985, 914 Abschn.  II 1 b. 291  Vgl. etwa BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  39. 292  Vgl. BGH, Urt. v. 13.4.1978 – III ZR 125/76, NJW 1978, 2294 Abschn. 4; gleich­ sinnig BGH, Urt. v. 27.3.1968 – VIII ZR 10/66, NJW 1968, 1569 Abschn.  II 1; BGH, Urt. v. 21.4.­1954  – VI ZR 55/53, NJW 1954, 1193. 293  Vgl. bereits Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934, S.  25. 294  Davon unberührt bleibt die Möglichkeit einer abweichenden Vereinbarung, §  278 S.  2 BGB. 295  Vgl. auch Schuberth, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  189, 194. Anders Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  8.205 ff. 296  Vgl. nur RG, Urt. v. 21.12.1920 – VII 315/20, RGZ 101, 152, 154; BGH, Urt. v. 23.9.­ 2010 – III ZR 246/09, NJW 2011, 139 Rn.  18 m. w. N.

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lungs- oder Abschlussgehilfe bezeichnet. Klassischer Verhandlungs- oder Abschlussgehilfe ist der rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter.297 Notwendig ist das Bestehen von Abschlussvollmacht für die Stellung als Verhandlungsoder Abschlussgehilfe des Schuldners des intendierten Vertrags aber nicht.298 Vielmehr ist für eine Zurechnung nach §  278 BGB auch hier allein maßgeb­ lich, dass der Gehilfe nach den tatsächlichen Umständen mit dem Willen (mit Wissen und Wollen) des Schuldners des intendierten Vertrags in dessen (vor­ vertraglichem) Pflichtenkreis tätig wird (und dieser ihn mit der Führung von Vertragsverhandlungen betraut hat). Im Übrigen entspricht der Begriff des Erfüllungsgehilfen, wie bereits aus­ geführt, im Grundsatz demjenigen des „Nicht-Dritten“ im Sinne von §  123 Abs.  2 S.  1 BGB.299 Nur am Rande sei außerdem noch darauf hingewiesen, dass der Begriff des Erfüllungsgehilfen jedenfalls im Kern außerdem dem Be­ griff des Angestellten im Sinne des §  56 HGB (Ladenvollmacht) entspricht. Nach der Rechtsprechung des BGH ist „angestellt“ im Sinne der Vorschrift, wer mit „Wissen und Willen des Ladeninhabers“ im Laden tätig ist und dort die in §  56 HGB genannten Verrichtungen ausübt, also Verkäufe und Emp­ fangnahmen, die in einem derartigen Laden gewöhnlich geschehen.300 Wie bei §  123 Abs.  2 S.  1 BGB, kann die tatbestandliche Parallelität auch hier darauf zurückgeführt werden, dass jeweils die arbeitsteilige Teilnahme am Rechts­ verkehr als Rechtsproblem adressiert wird. Dass §  56 HGB nach zutreffen­ dem Verständnis ein Tatbestand der Rechtsscheinhaftung ist, die nicht ex voluntate, sondern ex lege eintritt,301 steht dazu übrigens nicht in Widerspruch. Hier wie dort kann der Geschäftsherr die Zurechnung nicht dadurch aus­ 297 Ausführlich Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II: Das Rechts­ geschäft, 41992, §  46 6 = S.  797 f.; vgl. im Übrigen noch BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  40. Ohne Berücksichtigung des vorvertraglichen Bereichs anders noch Mot. II, 1888, S.  29, wonach die „rechtsgeschäftliche Vertretung in der in Frage stehenden Beziehung an und für sich unerheblich erscheint und nur von Belang wird, wenn der Stellvertreter bei der Bewirkung der Leistung thätig ist, in welchem Falle derselbe als faktischer Vertreter jedem Anderen gleich steht, dessen sich der Schuldner bei der Bewir­ kung der Leistung bedient“. 298  Vgl. BGH Urt. v. 9.7.2013 – II ZR 9/12, NJW-RR 2013, 1255 Rn.  37; BGH, Urt. v. 24.9.­1996 – XI ZR 318/95, NJW-RR 1997, 116 Abschn.  II 1. 299  Vgl. oben Kapitel  2 B.I.2.d) = S. 204 ff. 300  BGH, Urt. v. 24.9.1975 – VIII ZR 74/74, NJW 1975, 2191 Abschn.  II 2; näher aus der Lit., insbesondere zur umstrittenen Frage, ob es tatbestandlich erforderlich und wie ggf. zu bestimmen ist (subjektiv aus Sicht des Geschäftsherrn oder objektiviert aus Kun­ densicht?), dass die Hilfsperson vom Geschäftsherrn gerade zu Verkaufszwecken einge­ schaltet worden ist, etwa Baumbach/Hopt – Merkt, HGB, 402021, §  56 Rn.  2 f.; BeckOK  – Meyer, HGB, Stand: 15.4.­2021, §  56 Rn.  8. 301  Vgl. dazu Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S.  189 f.,

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schließen, dass er sie nicht will. Davon abgesehen folgt aus der Einordnung von §  56 HGB als Tatbestand der Rechtsscheinhaftung im Wesentlichen noch, dass dessen Wirkung ausschließlich gegenüber gutgläubigen Dritten ein­ tritt.302 b) Begrenzung der Zurechnung in personaler Hinsicht Das Erfordernis, dass der Dritte nach den tatsächlichen Umständen mit dem Willen (Wissen und Wollen) des Schuldners tätig sein muss, begrenzt die Zu­ rechnungswirkung des §  278 BGB in doppelter Hinsicht. Zum einen be­ grenzt es die Zurechnungswirkung des §  278 BGB in personaler Hinsicht auf diejenigen Personen, die überhaupt mit dem Willen (Wissen und Wollen) des Schuldners bei der Erfüllung seiner Verbindlichkeit für ihn tätig sind. Das Verhalten von Personen, die zwar objektiv im Pflichtenkreis des Schuldners tätig sind, deren Tätigwerden der Schuldner nach den tatsächlichen Umstän­ den aber nicht will (bzw. von dem er nicht weiß), braucht er sich grundsätz­ lich nicht zurechnen zu lassen.303 Dabei ist allerdings nicht erforderlich, dass der Schuldner (Geschäftsherr) die individuelle Person des Erfüllungsgehilfen kennt. Es genügt vielmehr, dass er nach den tatsächlichen Umständen will, dass überhaupt „ein Dritter“ in seinem Pflichtenkreis bestimmte Aufgaben in seinem Interesse wahr­ nimmt. Folglich sind auch Hilfspersonen eines Erfüllungsgehilfen dann Er­ füllungsgehilfen des Schuldners, wenn sich nach den tatsächlichen Umstän­ den sein Wille (Wissen und Wollen) auch auf deren Einsatz erstreckt, sich also aus den tatsächlichen Umständen ergibt, dass er mit dem Einsatz weite­ rer Hilfspersonen einverstanden war.304 Dass der Schuldner im Einzelnen erfährt, ob und welche Gehilfen letztlich für ihn tätig geworden sind, ist nicht erforderlich.305 Ein dahingehendes Einverständnis des Geschäftsherrn mit dem Einsatz weiterer Hilfspersonen durch den unmittelbar von ihm zitiert nach Neuner/Grigoleit, Claus-Wilhelm Canaris – Gesammelte Schriften, Band  2: Vertrauenshaftung, 2012, S.  236 f. 302  Vgl. Baumbach/Hopt – Merkt, HGB, 402021, §  56 Rn.  5: §  54 Abs.  3 HGB analog. 303 Ebenso Bachmann, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  125, 137. 304 So formulieren Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band   I: Allgemeiner Teil, 14 1987, §  20 VIII = S.  300; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 272019, Rn.  802. Dasselbe dürfte gemeint sein, wenn darauf abgestellt wird, dass der Schuldner um den Einsatz wei­ terer Hilfspersonen wusste bzw. damit rechnen musste, vgl. etwa BGH, Urt. v. 14. 5. 2012  − II ZR 69/12, NJW-RR 2012, 1316 Rn.  14; BGH, Urt. v. 24.91996 – XI ZR 318/95, NJW-RR 1997, 116 Abschn.  II 1; BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  45. 305  Vgl. BGH, Urt. v. 18.10.1951 – III ZR 138/50, NJW 1952, 217 Abschn. 2; BeckOK  – Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  278 Rn.  15.

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selbst eingesetzten Erfüllungsgehilfen erster Stufe wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Geschäftsherr die Organisation der relevanten Tätigkeiten im Einzelnen dem Erfüllungsgehilfen erster Stufe überlässt, wie dies bei Beauftragung eines Selbständigen oder selbständigen Unternehmens regelmäßig der Fall sein wird. Einer „doppelten Anwendung“ von §  278 BGB, also der Konstruktion einer Zurechnung eines seinerseits dem Erfül­ lungsgehilfen nach §  278 BGB zuzurechnenden Dritt- bzw. „Viertverschul­ dens“ bedarf es in solchen Fällen nicht.306 Erstreckt sich der Wille (das Wissen und Wollen) des Schuldners nicht auf den Einsatz weiterer Hilfspersonen, kommt immer noch eine Zurechnung eigenen Auswahl-, Anleitungs- oder Überwachungsverschuldens des Erfül­ lungsgehilfen in Betracht.307 c) Begrenzung der Zurechnung in gegenständlicher Hinsicht Zum anderen begrenzt das Erfordernis des Tätigwerdens mit dem Willen (Wissen und Wollen) des Schuldners die Zurechnungswirkung des §  278 BGB nach zutreffendem Verständnis auch in gegenständlicher Hinsicht da­ hin, dass eine Zurechnung grundsätzlich nur insoweit erfolgt, als die Hilfs­ person innerhalb oder im allgemeinen Umkreis des ihr vom Schuldner zuge­ wiesenen Aufgabenbereiches tätig wird. Da dies in der Sache allerdings für gesetzliche Vertreter gleichermaßen gilt, soll darauf sogleich gesondert ein­ gegangen werden.308 d) Explikation von §  278 S.  1 Alt.  2 BGB als Vorsatztatbestand Wie gezeigt, rekurriert der BGH sprachlich zur Konkretisierung des Erfor­ dernisses, dass sich der Normadressat (Geschäftsherr) des Dritten „zur Er­ füllung seiner Verbindlichkeit bedient“, teilweise auf ein Wissen und Wollen des Geschäftsherrn, teilweise aber auch auf ein bloßes Wollen, wobei jeweils die Maßgeblichkeit der tatsächlichen Umstände betont wird.

306  Beide dargestellten Zurechnungswege nebeneinanderstellend BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  45. 307  Sehr klar etwa Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 VIII = S.  300; im Ergebnis wohl auch BeckOK – Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  278 Rn.  15 (Einstandspflicht des Schuldners „idR für die Eigenmächtigkeit seines Erfüllungs­ gehilfen“); MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  278 Rn.  44 („Einschaltung weite­ rer Hilfspersonen als Verschulden des Erfüllungsgehilfen zu qualifizieren und daher eben­ falls zuzurechnen“). 308  Unten Kapitel  2 B.I.5.c) = S. 224 f.

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Es spricht sehr viel dafür, dass damit in der Sache und untechnisch auf ein Vorsatzerfordernis Bezug genommen ist.309 Die Einstandspflicht des Ge­ schäftsherrn für einen Dritten nach §  278 S.  1 Alt.  2 BGB setzte hiernach voraus, dass der Geschäftsherr sich des Dritten vorsätzlich bedient, diesen also in seinem Pflichtenkreis vorsätzlich einsetzt, indem er ihm in seinem Pflichtenkreis entweder aktiv einen Aufgabenbereich zuweist oder dessen Tätigwerden innerhalb seines Pflichtenkreises zumindest duldet. Die Be­ schreibung von §  278 S.  1 Alt.  2 BGB als Vorsatztatbestand erfasst den sub­ jektiven Tatbestand des „Wissens und Wollens“ in seinem Verhaltensbezug und macht so den für die Anordnung des §  278 S.  1 Alt.  2 BGB maßgebli­ chen spezifischen Verhaltensbeitrag des Schuldners explizit.310 Ob dabei im Rahmen von §  278 S.  1 Alt.  2 BGB bedingter Vorsatz genüg­ te oder aber Wissentlichkeit oder Absicht erforderlich wäre, wäre durch Auslegung zu ermitteln. Es spricht wiederum sehr viel dafür, dass bedingter Vorsatz genügt, sodass ausreichend ist, dass der Schuldner das Tätigwerden des Dritten in seinem Pflichtenkreis konkret für möglich hält und billigend in Kauf nimmt. Zunächst reflektiert die Kategorie des bedingten Vorsatzes die Maßgeblichkeit der tatsächlichen Umstände, wie sie der BGH in ständi­ ger Rechtsprechung betont, indem er den damit ersichtlich angesprochenen Handhabbarkeits- und Objektivierungs­ bedürfnissen der Rechtspraxis in der ihm eigenen Weise Rechnung trägt. Außerdem entspricht die Kategorie des bedingten Vorsatzes in spezifischer Weise der soeben beschriebenen, in Rechtsprechung und Literatur in der Sache zumindest im Grundsatz breit anerkannten Duldungsalternative, die etwa Fälle der Weiterdelegation („Er­

309  Deutliche Ansätze in diese Richtung, wenn auch nicht in der hier ausgesprochenen Konsequenz, auch bei Delmere, Der Erfüllungsgehilfe in §  278 BGB, 1989, S.  167 ff., wenn er – explizit unter Verweis auf den strafrechtlichen Vorsatzbegriff – insbesondere bloß latentes Mitbewusstsein des Schuldners hinsichtlich der Einbeziehung in seinen Pflichtenkreis genügen lässt. Einen anderen, nachgerade entgegengesetzten (nämlich in Richtung rechtsgeschäftlicher Regeln tendierenden) Ansatz zur Einordnung des „Sich-­ Bedienens“ als rechtsgeschäftsähn­liche Widmung, deren Vorliegen und Inhalt durch ob­ jektivierte Auslegung zu ermitteln sei, sich auch nach Rechtsscheinsgrundsätzen ergeben könne und die der Schuldner bis zum Vertragsschluss bzw. dem sonst maßgeblichen Zeit­ punkt einseitig wieder zurückziehen könne, präsentiert Weißhaupt, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  151, 161 f., 165. 310  Auch insofern deutlich in dieselbe Richtung Delmere, Der Erfüllungsgehilfe in §  278 BGB, 1989, S.  194 ff.; vgl. ferner Fundel, Die Haftung für Gehilfenfehlverhalten im Bürger­ lichen Recht, 1999, S.  113 f., der zwar begrifflich allein auf den „Schuldnerwillen“ abstellen will, in der Sache aber darauf abstellt, dass der „Geschäfts- und Tätigkeitskreis gewollt und wissentlich durch die bewußte Inanspruchnahme von Hilfspersonen erweitert wird“.

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füllungsgehilfe des Erfüllungsgehilfen“) und des sogenannten Scheinerfül­ lungsgehilfen311 erfasst. Schließlich, und entscheidend, korrespondiert die Konkretisierung des Tatbestands des §  278 S.  1 Alt.  2 BGB als – auch: bedingter – Vorsatztatbe­ stand mit dem tragenden Grund für die Zurechnung des schuldhaften Ver­ haltens eines Dritten nach §  278 S.  1 Alt.  2 BGB: Sie überführt den Gedan­ ken, dass die Ein­standspflicht des Geschäftsherrn notwendige Bedingung der unbesehenen Akzeptanz seiner internen Organisationsentscheidungen ist, in einen subsumtionsfähigen Tatbestand, macht diesen Gedanken opera­ bel und expliziert den maßgeblichen wissens- und willensgetragenen Verhal­ tensbeitrag des Geschäftsherrn, an den seine Einstandspflicht nach §  278 S.  1 Alt.  2 BGB anknüpft, nämlich die wissentliche und willentliche Einbindung des Dritten in seinen Pflichtenkreis. Gegen die Einordnung von §  278 S.  1 Alt.  2 BGB als Vorsatztatbestand spricht allerdings, dass die Einstandspflicht für Erfüllungsgehilfen nach ih­ rem Zweck nicht von der Verletzung irgendeiner Pflicht oder Obliegenheit aufseiten des Schuldners abhängt. Geht man davon aus, dass der Vorsatztat­ bestand de lege lata in seinem Bezug auf rechtswidriges, pflichtwidriges oder obliegenheitswidriges Verhalten beschränkt ist, ist ein Rekurs auf die Kategorie des Vorsatzes im Rahmen von §  278 S.  1 Alt.  2 BGB ausgeschlos­ sen. Ob das auch in der Sache überzeugt, kann hier nicht abschließend be­ antwortet werden.312 5. Tätigwerden in Erfüllung einer Verbindlichkeit des Schuldners Die Verantwortlichkeit des Schuldners nach §  278 BGB setzt voraus, dass die Hilfsperson des Schuldners „zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit“ tätig wird. Das gilt ungeachtet des insofern ungenauen Wortlauts für gesetzliche 311  Das Tätigwerden des Scheinerfüllungsgehilfen (im Sinne der Duldungsalternative) im Pflichtenkreis des Geschäftsherrn geht nicht auf eine unbedingte Entscheidung des Geschäftsherrn (auf dessen unbedingtes Wissen und Wollen) zurück, sondern auf eine bedingte Entscheidung, die verbreitet als Duldung beschrieben wird, aber genauso gut und wohl noch treffender als billigende Inkaufnahme beschrieben werden kann. Darüber hinaus würde das hier skizzierte Verständnis auch zwanglos erklären, warum die An­ scheinsalternative, also das bloße Erkennenkönnen des Tätigwerdens eines Scheinerfül­ lungsgehilfen als Fahrlässigkeitstatbestand für eine Zurechnung nach §  278 BGB, expli­ ziert als absoluter Vorsatztatbestand, nicht genügt; vgl. zu beiden Varianten des Schein­ erfüllungsgehilfen insbesondere Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S.  77 ff., zitiert nach Neuner/Grigoleit, Claus-Wilhelm Canaris – Gesammelte Schrif­ ten, Band  2: Vertrauenshaftung, 2012, S.  111 ff. 312  Vgl. dazu auch noch unten Kapitel  4 = S. 369 f.

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Vertreter und Erfüllungsgehilfen gleichermaßen313 und ist dahin zu konkre­ tisieren, dass das schuldhafte Verhalten, um dessen Zurechnung es geht, ei­ nerseits in den Pflichtenkreis des Schuldners (nachfolgend a) und anderer­ seits in den allgemeinen Umkreis des Aufgabenbereichs der Hilfsperson (nachfolgend c) fallen muss. Zum Pflichtenkreis des Schuldners in einem weiteren Sinne gehört dabei auch die Beachtung von Obliegenheiten (nach­ folgend b). a) Pflichtenkreis des Schuldners Der Pflichtenkreis des Schuldners richtet sich nach der konkret in Rede ste­ hende Sonderverbindung zwischen ihm und dem Gläubiger, bei vertrag­ lichen Schuldverhältnissen also nach dem Inhalt des betreffenden Vertrags und bei gesetz­lichen Schuldverhältnissen nach den einschlägigen gesetz­ lichen Regelungen.314 Der Pflichtenkreis gibt den äußeren Rahmen vor, in­ nerhalb dessen eine Zurechnung des Verhaltens eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen überhaupt in Betracht kommt. Handlungen Dritter außerhalb des Pflichtenkreises des Schuldners sind diesem von vornherein nicht zurechenbar. Die Konkretisierung eines bestimmten Pflichtenkreises unterscheidet die Haftung innerhalb bestehender Sonderverbindungen maßgeblich von der Haftung aus Delikt für die Verletzung allgemeiner Rechtspflichten, die gegenüber jedermann bestehen. Sie ist damit ein we­ sentlicher Bestandteil der sachlichen Rechtfertigung der gegenüber dem De­ liktsrecht erheblich erweiterten Einstandspflicht für Dritte innerhalb beste­ hender Sonderverbindungen.315 Zum Pflichtenkreis des Schuldners gehört jedenfalls die Vornahme der primär geschuldeten Leistungshandlung(en) im Sinne von §  241 Abs.  1 BGB bzw. die Herbeiführung des geschuldeten Erfolgs. Darüber hinaus gehört die Beachtung von Neben- und Schutzpflichten im Sinne von §  241 Abs.  2 BGB316 zum Pflichtenkreis des Schuldners. Auch in Bezug hierauf kommt eine Zurechnung des Verhaltens Dritter (sogenannter Bewahrungsgehil­ 313 Vgl. etwa BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §   278 Rn.  91; Palandt – Grüne­berg, BGB, 802021, §  278 Rn.  12. 314 Vgl. Bachmann, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  125, 138; Fundel, Die Haftung für Gehilfenfehlverhalten im Bürgerlichen Recht, 1999, S.  127 ff. mit Überblick für verschiedene Vertragstypen; siehe für einen solchen Überblick außerdem noch Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  278 Rn.  13 ff. 315  Siehe schon oben Kapitel  2 B.I.1. = S. 189 ff. 316  Vgl. nur BGH, Urt. v. 19.3.2013 – XI ZR 46/11, NJW 2013, 2015 Rn.  17; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 VIII = S.  301; Beck­ OGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  95 m. w. N.

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fen)317 in Betracht, und zwar sowohl im Rahmen vorvertraglicher Schuld­ verhältnisse als auch sonst. Folglich gehören auch etwaige Aufklärungs- und Offenbarungspflichten zu dem für §  278 BGB relevanten Pflichtenkreis des Schuldners, und zwar unabhängig davon, ob diese im Einzelfall als Leis­ tungs- oder Nebenpflichten einzuordnen sind.318 Dasselbe gilt im Ergebnis für Unterlassungspflichten.319 b) Insbesondere: Beachtung von Obliegenheiten (Pflichtenkreis im weiteren Sinne) Schließlich gehört zum Pflichtenkreis des Schuldners in einem weiteren Sin­ ne grundsätzlich auch die Beachtung von Obliegenheiten, hier verstanden als Verhaltensanforderungen, deren Erfüllung nicht primär erzwungen wer­ den kann und deren Nichterfüllung (folglich) auch nicht sekundär mit einer Schadensersatzpflicht, sondern andersartig-spezifisch sanktioniert ist, na­ mentlich mit dem Verlust einer günstigen Rechtsposition.320 Das ist für das 317 

Vgl. nur Bachmann, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  125, 130. Vgl. nur BGH, Urt. v. 19.3.2013 – XI ZR 46/11, NJW 2013, 2015 Rn.  18; BGH, Urt. v. 3.7.1985 – VIII ZR 102/84, NJW 1985, 2258 Abschn.  I 3 c cc; Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  278 Rn.  19. 319  Vgl. nur BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  96. 320  So auch das Begriffsverständnis von Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerli­ chen Rechts, 112016, §  19 Rn.  35 = S.  226: „Obliegenheiten sind Verhaltensanforderungen, zu deren Erfüllung man nicht gezwungen werden kann, deren Beachtung aber im eigenen Interesse liegt, um sonst eintretende Nachteile zu vermeiden. […] Ungeachtet ihres Ei­ gennutzens dienen Obliegenheiten grundsätzlich auch dem Interesse eines anderen, ohne dass dieser aber ein entsprechendes Verhalten von dem Belasteten fordern und einklagen kann. Die Rechtsordnung sieht hier von jedem Erfüllungszwang und auch von einer Schadensersatzpflicht im Falle der Nichterfüllung ab und begnügt sich stattdessen mit schwächeren Sanktionen. Diese bestehen in der Regel in dem Verlust einer günstigen Rechtsposition oder in einem sonstigen Rechtsnachteil“; gleichsinnig etwa Schulze, Die Naturalobligation, 2012, S.  345–347; Schlechtriem/Schmidt-­Kessel, Schuldrecht, Allge­ meiner Teil, 62005, Rn.  683 = S.  308; für das Versicherungsvertragsrecht etwa auch Bruck/ Möller – Heiss, VVG, 92008, §  28 Rn.  46 f.; vgl. außerdem noch R. Schmidt, Die Obliegen­ heiten, 1953, passim und insbesondere S.  301 f., der Obliegenheiten als teleologische Nöti­ gungstatstände minderer (schwächerer) Nötigungswirkung beschreibt, die im Interesse sowohl des Belasteten als auch des anderen Teils auferlegt werden, und diese zur einen Seite hin zu den Verbindlichkeiten als teleologischen Nötigungstatständen größerer (höchster) Zwangsintensität und zur anderen Seite hin zu „bloß“ funktionellen Nöti­ gungstatbeständen oder Lasten abgrenzt, die lediglich Pflichten im eigenen Interesse be­ gründen, wobei die Abgrenzungen zwischen den „einzelnen Erscheinungen des Rechts­ zwanges […] jeweils auf das besondere Rechtsgebiet und die typischen Interessenlagen abgestimmt werden“ müssten. Anders Hähnchen, Obliegenheiten und Nebenpflichten, 2012, passim und insbesondere S.  311 ff., die Obliegenheiten im engeren Sinne als Neben­ 318 

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Mitverschulden und die Schadensminderungsobliegenheit in §  254 Abs.  2 S.  2 BGB gesetzlich angeordnet,321 gilt nach Maßgabe des Zwecks von §  278 BGB und der jeweiligen obliegenheitsbegründenden Norm aber grundsätz­ lich auch sonst,322 wobei §  278 BGB, ohne Relevanz im Ergebnis, überwie­ gend „nur“ analog angewendet wird, weil die Beachtung von Obliegenhei­ ten nicht im wörtlichen Sinne „geschuldet“ sei und (gleichsinnig) Obliegen­ heiten keine „Verbindlichkeiten“ darstellten. So sind §§  276–278 BGB nach zutreffendem Verständnis etwa auch im Rahmen von §  323 Abs.  6 Alt.  1 BGB („Gläubiger […] verantwortlich“),323 von §  326 Abs.  2 S.  1 Alt.  1 BGB („Gläubiger […] verantwortlich“),324 von §  346 Abs.  3 S.  1 Nr.  2 BGB („Gläubiger […] zu vertreten hat“)325 und von §  839 Abs.  3 BGB („der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat“)326 zur Bestimmung dessen einschlägig, wofür der Gläubiger verant­ wortlich ist bzw. was er zu vertreten hat. Eines Rekurses auf einen außer­ positiven Gedanken der Verantwortlichkeit nach Risikosphären bedarf es daneben oder stattdessen nicht.327 pflichten einordnet, die bei Vorliegen eines allgemeinen Rechtsschutzinteresses schadens­ ersatzbewehrt und „gelegentlich“ sogar erzwingbar sind, weil sie auch bzw. sogar primär im Interesse des anderen Teils liegen. 321 Vgl. zur Einordnung von §   254 BGB als Obliegenheitstatbestand BeckOK – ­Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  254 Rn.  9 ff.; Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 425 m. w. N. und näherer Konkretisierung des Zurechnungstatbestands. 322  Vgl. Staudinger – Caspers, BGB, 2019, §  278 Rn.  45 f.; Prölss, FS Canaris I, 2007, S.  1037, 1051 ff.; Fundel, Die Haftung für Gehilfenfehlverhalten im Bürgerlichen Recht, 1999, S.  122 ff., je m. w. N.; insofern auch Hähnchen, Obliegenheiten und Nebenpflichten, 2012, S.  107, 314, wobei darauf hinzuweisen, dass die hier behandelten und als Obliegen­ heitstatbestände beschriebenen Wissenstatbestände verschuldensabhängig sind; vor dem Hintergrund des Versicherungsvertragsrechts R. Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953, S.  283 ff. und zusammenfassend S.  318 f. und dort Nr.  23. 323  BeckOGK – Looschelders, BGB, Stand: 1.5.2021, §  323 Rn.  322. 324  BeckOGK – Herresthal, BGB, Stand: 1.6.2019, §  326 Rn.  200; BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  97; Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 419; aus­ führlich Canaris, FS Picker, 2010, S.  113, 115 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen ins­ besondere in Fn.  10; Canaris ordnet den Fall des §  326 Abs.  2 S.  1 Alt.  1 BGB dabei sogar als echte Pflichtverletzung des Gläubigers ein (a. a. O., Fn.  10); für §  324 Abs.  1 S.  1 BGB a. F. auch BGH, Urt. v. 22.9.2004 – VIII ZR 203/03, NJW-RR 2005, 357 Abschn.  II 3 b cc. 325  BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  97. 326  MünchKomm – Papier/Shirvani, BGB, 82020, §  839 Rn.  395 m. w. N. 327  Vgl. dazu aber etwa, bezogen auf §  326 Abs.  2 S.  1 BGB (§  324 Abs.  1 S.  1 BGB a. F.), MünchKomm – Ernst, BGB, 82019, §  326 Rn.  54 m. w. N. und Rn.  62 f., nach dem es auf ein „irgendwie geartetes Fehlverhalten“ des Gläubigers bzw. einen „Verhaltensvorwurf“ nicht ankomme. Das überzeugt insofern nicht, als der Gedanke einer Verantwortlichkeit nach Risikosphären, jedenfalls seit der Schuldrechtsreform, in §§  276–278 BGB positivrechtlich aufgelöst ist; vgl. Canaris, FS Picker, 2010, S.  113, 117 f. In Anbetracht dessen bedarf es des

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Konkret begründet §  278 S.  1 BGB auch in Bezug auf Obliegenheiten eine Verantwortlichkeit des Gläubigers für vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten seines gesetzlichen Vertreters und sonstiger Dritter, die im Rah­ men der in Rede stehenden Sonderverbindung für ihn als Hilfspersonen tätig werden. Etwas anderes gilt nur dort, wo die Auslegung der in Rede stehenden obliegenheitsbegründenden Norm oder Vereinbarung ergibt, dass sachliche Gründe eine von §  278 BGB abweichende Beantwortung der Frage der Zurechnung des schuldhaften Verhaltens Dritter gebieten. So ver­ hält es sich insbesondere, wenn eine Obliegenheit ausnahmsweise einmal höchstpersönlicher Natur ist.328 Auch auf versicherungsrechtliche Oblie­ genheiten soll §  278 BGB nach verbreiteter Auffassung nicht anwendbar sein, namentlich wenn und weil gerade auch Versicherungsschutz für das Fehlverhalten von Hilfspersonen geboten werden soll.329 An die Stelle von Rückgriffs unmittelbar auf einen außerpositiven Spährengedanken zur Begründung und Begrenzung der Einstandspflicht nicht (mehr). Das gilt auch und besonders insoweit, als der Regelungsgehalt des §  278 BGB betroffen ist; vgl. insofern auch MünchKomm – Ernst, BGB, 82019, §  326 Rn.  63, wonach sich die von ihm vertretene Ansicht „im Ergebnis nicht von denjenigen [unterscheidet], die eine Anwendung des §  278 bejahen. Zu widersprechen wäre im Ergebnis nur der Ansicht, die eine Anwendung des §  326 Abs.  2 S.  1 Var.  1 ableh­ nen würde, wenn der zur Primärschuldbefreiung führende Umstand nicht vom Gläubiger selbst, sondern von dessen Leuten verursacht worden ist“. 328  Etwa §  2283 Abs.  1, Abs.  2 Hs.  2 BGB, wenn man die Vorschrift zutreffend als ob­ liegenheitsbezogene Vorsatznorm expliziert. Dann scheidet hier eine Vorsatzzurechnung (Wissenszurechnung) aus. Im Ergebnis auch Richardi, AcP 169 (1969), 385, 389; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 186. 329 Vgl. zur (Nicht-)Anwendbarkeit von §   278 auf versicherungsrechtliche Obliegen­ heiten BGH, Urt. v. 25.11.1953 – III ZR 7/53, NJW 1954, 148 Abschn. 2; BGH, Urt. v. 14.8.2019 – IV ZR 279/17, NJW 2019, 3582 Rn.  26 ff., wonach sogar eine versicherungsver­ tragliche AGB, die eine an §  278 BGB orientierte Zurechnung begründet, nach §  307 Abs.  1 S.  1, Abs.  2 Nr.  1 BGB unwirksam sein soll; aus dem älteren Schrifttum insbesondere Möller, Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für das Verhalten Dritter, 1939, S.  25 f., 67 ff., der zwar die Anwendung von §  278 BGB ablehnt, weil „es keine Verbindlichkeit gibt, den Versicherungsfall nicht herbeizuführen“ und „Obliegenheiten, selbst dann, wenn sie keine Wissenserklärungen, sondern ein sonstiges Verhalten des Versicherungsnehmers zum Ge­ genstand haben, keine echten Rechtspflichten sind“ (Möller, a. a. O., S.  68), eine Zurechnung andererseits aber mit der Erwägung rechtfertigt, es handele sich bei der Einsetzung eines Repräsentanten „um einen Vorgang, welcher der Einsetzung eines Erfüllungsgehilfen oder der Bestellung eines Verrichtungsgehilfen insofern ähnelt, als auch hier die Betrauung mit einem rein tatsächlichen Verhalten, nicht mit der Abgabe einer Willenserklärung erfolgt“ (Möller, a.  a.  O., S.   94); aus dem aktuellen Schrifttum exemplarisch MünchKomm – ­Muschner, VVG, 22016, §  20 Rn.  6 m. w. N. Für die grundsätzliche, wenn auch nach Maßga­ be der Besonderheiten der versicherungsvertrag­lichen Sonderverbindung modifizierte (be­ schränkte) Anwendbarkeit von §  278 BGB auf versicherungsrechtliche Obliegenheiten aber R. Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953, S.  290 f. für von ihm sogenannte funktionsbedingte

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

§  278 BGB tritt danach eine spezifische versicherungsrechtliche Repräsen­ tantenhaftung.330 c) Sachlicher Zusammenhang mit dem zugewiesenen Aufgabenbereich Die Verantwortlichkeit des Schuldners für den Dritten nach §  278 BGB ist darüber hinaus davon abhängig, dass das in Rede stehende schuldhafte Ver­ halten der Hilfsperson in einem sachlichen (unmittelbaren sachlichen; inne­ ren) Zusammenhang mit den ihr zugewiesenen Aufgaben steht. Auch das gilt für Erfüllungs­gehilfen331 und gesetzliche Vertreter332 gleichermaßen.333 Der Aufgabenbereich des gesetzlichen Vertreters ergibt sich aus dem Ge­ setz, ggf. in Verbindung mit dem seiner Bestellung zugrundeliegenden Rechtsakt. Dem Erfüllungsgehilfen wird sein Aufgabenbereich vom Schuld­ ner zugewiesen, wobei maßgeblich ist, wofür dieser ihn nach den tatsäch­ lichen Umständen willentlich (gewollt und wissentlich; vorsätzlich) ein­ setzt334 und ein bloßes Dulden als Zuweisungsverhalten (ausdrückliche oder Erfüllungsgehilfen; Bruck/Möller – Heiss, VVG, 92008, §  28 Rn.  48, 80 ff.; Looschelders/ Pohlmann – Pohlmann, VVG, 32017, §  28 Rn.  64; für bestimmte Fälle auch Prölss, FS Cana­ ris I, 2007, S.  1037, 1054; Prölss/Martin – Armbrüster, VVG, 312021, §  28 Rn.  95 f. 330 Vgl. dazu etwa den Überblick bei MünchKomm – Wandt, VVG, 22016, §  28 Rn.  105 ff.; Bruck/Möller – Heiss, VVG, 92008, §  28 Rn.  77 ff.; Prölss/Martin – A ­ rmbrüster, VVG, 312021, §  28 Rn.  98 ff., je m. w. N. 331  Vgl. aus der Rechtsprechung etwa BGH, Urt. v. 7.5.1965 – I b ZR 108/63, NJW 1965, 1709 Abschn.  II 7; BGH, Urt. v. 13.5.1997 – XI ZR 84/96, NJW 1997, 2236 Abschn.  II 2 a bb; BGH, Urt. v. 20.6.1984 – VIII ZR 137/83, NJW 1985, 914 Abschn.  II 1 b; BGH, Urt. v. 19.7.­ 2001 – IX ZR 62/00, NJW 2001, 3190 Abschn.  II 1 a. Für den vorvertraglichen Kontakt (Ver­ handlungsgehilfen) exemplarisch BGH, Urt. v. 26.4.1991 – V ZR 165/89, NJW 1991, 2556 Abschn.  II 3 b; BGH, Urt. v. 2.6.1995 – V ZR 52/94, NJW 1995, 2550 Abschn.  II 2 a (Makler nur dann, wenn er über das für die Durchführung des Maklerauftrags Notwendige hinaus tätig wird, etwa wie ein bevollmächtigter Vertreter auftritt und erkennbar in enger Beziehung zum Geschäftsherrn steht); vgl. speziell für Schutzpflichtverletzungen (und wohl auch hierauf beschränkt) noch Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 VIII = S.  302, der danach unterscheidet, ob eine vertragsspezifische Schutzpflicht des Schuld­ ners oder eine allgemeine, nicht vertragsspezifische Schutzpflicht in Rede steht; speziell für Obliegenheitsverletzungen noch BeckOK – Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  278 Rn.  23. 332  Deutlich OLG Koblenz, Beschl. v. 30.1.2012 – 3 W 40/12, FamRZ 2013, 69; Stau­ dinger  – Bienwald, BGB, 2017, §  1902 Rn.  121. 333  Anders MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  278 Rn.  47; Lorenz, JuS 2007, 983, 984. 334  Vgl. für ein Beispiel OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.6.2016 – I-6 U 20/15, NZG 2017, 152 Rn.  41 ff. – Clean Air Mobility/Masterflex zur Einordnung der Geschäftsleiter der Zielgesellschaft eines Unternehmenskaufs, die im Rahmen einer Due Diligence Auskünf­ te erteilen, als Erfüllungsgehilfen des Verkäufers in Bezug auf die Tatbestände der vorsätz­ lichen culpa in contrahendo und des §  444 BGB. Die Einzelheiten sind umstritten, wobei

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stillschweigende Organisationsentscheidung) genügt.335 Dabei handelt es sich nach der zutreffenden Rechtsprechung des BGH in erster Linie um eine Tatsachenfrage.336 Im Wortlaut der Vorschrift und auch in der gängigen Definition des Er­ füllungsgehilfenbegriffs kommt das Erfordernis eines sachlichen Zusam­ menhangs zwischen dem schuldhaften Gehilfenverhalten, dessen Zurech­ nung in Rede steht, und dem ihm zugewiesenen Aufgabenbereich nur un­ zureichend bzw. nur über die Bezeichnung des Dritten als „Hilfsperson“ zum Ausdruck. Für den gesetzlichen Vertreter dürfte es sich allerdings von selbst verste­ hen. Beispiel ist der Betreuer für den Volljährigen, der nach §  1896 Abs.  2 BGB nur für Aufgabenkreise bestellt werden darf, in denen die Betreuung erforderlich ist. Ist ein Betreuer beispielsweise ausschließlich für die Gel­ tendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtig­ ten bestellt worden (vgl. §  1896 Abs.  3 BGB), so liegt es auf der Hand, dass sich der Betreute grundsätzlich nur solches schuldhaftes Verhalten des Be­ treuers zurechnen lassen muss, das zumindest in den allgemeinen Umkreis337 eben dieses Aufgabenbereichs fällt. Unterstützt der Betreuer den Betreuten auch in sonstigen Angelegenheiten, ohne hierfür bestellt zu sein, kommt die Zurechnung eines diesbezüglichen Verschuldens nach §  278 S.  1 Alt.  1 BGB die Frage begrifflich überwiegend als Abgrenzung des Erfüllungsgehilfen (auch: Aus­ kunftsgehilfen) von der bloßen sogenannten Auskunftsperson erörtert wird; vgl. aus der Lit. etwa Weißhaupt, ZIP 2016, 2447 ff.; Schuberth, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrau­ enshaftung, 2020, S.  189, 192; Nelle, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  199 ff.; Schaefer/Ortner, DStR 2017, 1710 ff.; Werner, jM 2017, 222 ff.; Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  8.150 ff., 8.173 ff. und 9.77 ff. Dazu sei hier nur angemerkt, dass bei der Frage, ob ein Wissensträger als Erfüllungsgehilfe anzusehen ist, der Pflichten­ kreis des „Geschäftsherren in spe“, hier also die Reichweite von dessen Aufklärungspflicht oder -obliegenheit den äußeren Rahmen der Zurechnung vorgibt; oder anders gewendet: soweit der Verkäufer im Rahmen einer Due Diligence Informationen oder Informanten überobligationsmäßig zur Verfügung stellt, ist er definitionsgemäß nicht „Schuldner“ ei­ ner „Verbindlichkeit“ im Sinne von §  278 S.  1 BGB; vgl. auch Weißhaupt, in: Drygala/ Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  151, 169 ff. Davon abgesehen ist die Masterflex-Entscheidung ein Beispiel dafür, wie wenig das Nebeneinander von Verschuldensund Wissenszurechnung überzeugt. Das Gericht bejaht nämlich zugleich eine Zurech­ nung des Wissens derselben Geschäftsleiter der Zielgesellschaft zulasten des Käufers im Rahmen von §  442 BGB (OLG Düsseldorf, a. a. O., Rn.  55 ff.). Warum insofern andere Maßstäbe gelten sollen (§  166 BGB direkt/analog statt §  278 BGB), erschließt sich nicht. 335 Ebenso Bachmann, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  125, 139. 336  Vgl. BGH, Urt. v. 10.2.2005 – III ZR 258/04, NJW-RR 2005, 756 Abschn.  II 1. 337  So formulieren auch BGH, Urt. v. 4.2.1997 – XI ZR 31/96, NJW 1997, 1360 Ab­ schn.  II 2 b bb; Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  278 Rn.  20.

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hingegen von vornherein nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt die Möglichkeit einer Einstandspflicht nach §  278 S.  1 Alt.  2 BGB, wenn der Be­ treuer nach den allgemeinen Regeln insofern als Erfüllungsgehilfe des Be­ treuten anzusehen ist, was wiederum maßgeblich davon abhängen wird, ob der Betreute nach allgemeinen Regeln den dafür erforderlichen „Einsatz­ willen“ (Vorsatz) rechtlich wirksam bilden kann. Im Übrigen ergibt sich das Erfordernis des Tätigwerdens innerhalb oder im allgemeinen Umkreis des zugewiesenen Aufgabenbereichs aus dem Zweck von §  278 BGB. Nur insoweit, als ein Dritter innerhalb oder im all­ gemeinen Umkreis des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs tätig ist, erwei­ tert er den Geschäfts- und Tätigkeitskreis des Schuldners in dessen Interesse, und nur insofern verwirklicht sich das Personalrisiko aus einer Organisati­ onsentscheidung des Schuldners bzw. aus einer gesetzlichen Organisations­ entscheidung zu seinen Gunsten. Nur insofern ist es also, als Kehrseite, auch gerechtfertigt, dem Schuldner das Personalrisiko in Form einer pauschalen Verantwortlichkeit für das Verschulden des Dritten zuzuweisen. Eine Haf­ tung des Schuldners für eigenes Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungs­ verschulden bleibt (jenseits der Fälle gesetzlicher Vertretung) unberührt. Davon streng zu unterscheiden und für die Zurechnung irrelevant ist die Frage, ob der Dritte innerhalb des ihm zugewiesenen Aufgabenkreises im Verhältnis zum Schuldner pflichtgemäß bzw. rechtmäßig handelt oder nicht. Selbst der Umstand, dass der Erfüllungsgehilfe vorsätzlich weisungswidrig handelt oder gegen ein ausdrückliches Verbot verstößt, hindert eine Zurech­ nung grundsätzlich nicht.338 Auch dieses Risiko geht der Schuldner durch den Einsatz einer Hilfsperson bzw. mit seiner diesbezüglichen Organisa­ tionsentscheidung grundsätzlich ein.339 Insbesondere bei Begehung einer vorsätzlichen Straftat durch eine Hilfsperson gegenüber dem Vertragspart­ ner des Schuldners oder einem sonstigen Dritten kann die Beantwortung der Frage, ob dieses Verhalten noch im sach­lichen Zusammenhang mit dem ihr zugewiesenen Aufgabenbereich steht, allerdings durchaus schwierig und zu verneinen sein.340 Richtigerweise kann es dabei aber nur darum gehen, ex­ 338  Vgl. BGH, Urt. v. 14.5.2012 − II ZR 69/12, NJW-RR 2012, 1316 Rn.   12; BGH, Urt. v. 19.7.2001 – IX ZR 62/00, NJW 2001, 3190 Abschn.  II 1 a; BGH, Urt. v. 11.10.1994  – XI ZR 238/93, NJW 1994, 3344 Abschn.  II 3 b; BGH, Urt. v. 15.12.1959 – VI ZR 222/58, NJW 1960, 669 Abschn. 5 a; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 VIII = S.  303. 339  Vgl. etwa BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  103. 340 Im Einzelnen ist die Abgrenzung umstritten, wobei nicht immer genau nachvoll­ ziehbar ist, worin die Unterschiede im Detail genau liegen sollen; vgl. zum Ganzen etwa BeckOK – L ­ orenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  278 Rn.  44 (maßgeblich ist, „ob dem Gehilfen erst durch die ihm vom Schuldner übertragene Tätigkeit die Gelegenheit gegeben wurde,

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zentrische Einzelfälle von der Zurechnung auszunehmen, bei denen sich die Möglichkeit der Inanspruchnahme (auch) des Geschäftsherrn wertungsmä­ ßig als zufällige Begünstigung des Geschädigten darstellt. 6. Regelungsgegenstand: Verhaltens- und Verschuldenszurechnung Nach seinem Wortlaut begründet §  278 BGB ausschließlich eine Zurechnung fremden „Verschuldens“. Es ist aber allgemein anerkannt, das die Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus auch eine Zurechnung des anspruchsbegründen­ den Verhaltens (Tun, Dulden oder Unterlassen341) des gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen anordnet.342 Im Ergebnis wird dem Geschäftsherrn damit das vorsätzliche oder fahrlässige Verhalten des gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen als Einheit zugerechnet. Das muss so sein, weil Ver­ schulden und Verhalten notwendig aufeinander bezogen sind und Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit nur in Bezug auf ein bestimmtes Verhalten ein und der­ selben Person gedacht werden können.343 Wenn sich danach das Verschulden nach dem Verhalten des Vertreters oder Erfüllungsgehilfen bestimmt, dann wäre ohne eine Zurechnung auch dieses Verhaltens die Begründung des Haf­ tungstatbestands unvollständig.344 Jedenfalls in Ansehung von Erfüllungsgehilfen ist die Erstreckung der Zurechnungswirkung des §  278 BGB auch auf das Verhalten noch aus einem weiteren Grund unabdingbar: Den Erfüllungsgehilfen treffen die Pflichten auf die Rechtsgüter des Gläubigers einzuwirken“); MünchKomm – Grundmann, BGB, 8 2019, §  278 Rn.  47 („Zurechnung ist allein dann zu verneinen, wenn die Einschaltung des Gehilfen nicht gefahrerhöhend wirkte oder aber die andere Seite die Gefahr besser beherrschen kann als der Geschäftsherr“); vgl. ferner den Überblick bei BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  102. 341  Vgl. allgemein zum Unterlassen BGH, Urt. v. 14.2.1957 – VII ZR 287/56, NJW 1957, 709 Abschn. 1 b; speziell für Offenbarungspflichten BGH, Urt. v. 20.12.1973 – VII ZR 184/72, NJW 1974, 553 Abschn.  II (für den Arglisttatbestand des §  638 Abs.  1 S.  1 BGB a. F.); BGH, Urt. v. 12.3.1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754 Abschn.  II 2 a (für den Arglisttatbestand des §  638 Abs.  1 S.  1 BGB a. F.); BeckOK – Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  278 Rn.  20; ausführlich Delmere, Der Erfüllungsgehilfe in §  278 BGB, 1989, S.  22 ff. 342  Deutlich bringt das etwa BGH, Urt. v. 27.6.1963 – VII ZR 7/62, NJW 1963, 2166 Abschn.  II 1 a auf den Punkt: Der Geschäftsherr „haftet dann ebenso, wie wenn er die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung selbst begangen hätte“. Vgl. auch Mot. II, 1888, S.  30, wonach der in §  278 BGB (aktuelle Zählung) ausgedrückte Grundsatz „auch in Ansehung der Verantwortlichkeit für die Handlungen der Gehülfen [gilt]. Diese An­ wendbarkeit versteht sich geeignetenfalls von selbst“. 343  Vgl. für den Vorsatz oben Kapitel  2 A.I. = S. 135 ff. 344 Deutlich und speziell im Kontext des §   278 BGB etwa Larenz, Lehrbuch des Schuld­rechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 VII = S.  296 und §  20 VIII = S.  303 f.

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und Obliegenheiten aus dem Schuldverhältnis, um deren schuldhafte Verlet­ zung es geht, selbst gar nicht. Sein Verhalten kann isoliert betrachtet folglich nicht pflicht- oder obliegenheitswidrig sein. Nur dadurch, dass man das Verhalten des Erfüllungsgehilfen kraft Zurechnung als Verhalten des Schuld­ ners betrachtet, kann seine Pflicht- oder Obliegenheitswidrigkeit beurteilt werden. Die Betrachtung des Verhaltens des Erfüllungsgehilfen als Verhalten des Schuld­ners ermöglicht und bedingt schließlich, bei Anwendung von §  278 BGB im Rahmen von §  276 Abs.  2 BGB grundsätzlich denjenigen Sorgfalts­ maßstab zur Anwendung zu bringen, der für den Schuldner persönlich gilt („Meisterstandard, nicht Lehrlingsstandard“).345 Besonderheiten gelten, so­ weit der Erfüllungsgehilfe über Sonderwissen oder besondere Fähigkeiten verfügt. Diese muss sich der Schuldner (Geschäftsherr) nach der Rechtspre­ chung des BGH jedenfalls dann entgegenhalten lassen, wenn der Gehilfe mit besonderer eigener Fachkunde werbend aufgetreten ist; dann erhöhen sich die Sorgfaltsanforderungen innerhalb der betroffenen Sonderverbindung entsprechend.346

II. §  31 BGB als Spezialregelung für Verbände 1. Einführung Der fundamentale Theorienstreit um das „Wesen“ des Verbands und das Ver­ hältnis zwischen dem Verband und seinen Organen (Organmitgliedern) wurde bereits behandelt. An dieser Stelle genügt es daran zu erinnern, dass dieser Streit im Anwendungs- und Regelungsbereich des §  31 BGB positiv­ 345  Vgl. BGH, Urt. v. 15.12.1959 – VI ZR 222/58, NJW 1960, 669 Abschn. 5 b: Sorg­ faltsmaßstab nicht nach der Personengruppe junger Lehrlinge, sondern nach der Perso­ nengruppe des Meisters als des Vertragsschuldners zu bestimmen; aus der Lit. Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  278 Rn.  27; Lorenz, JuS 2007, 983, 984. 346  Vgl. BGH, Urt. v. 26.4.1991 – V ZR 165/89, NJW 1991, 2556 Abschn.  II 3 c: Die Erhöhung des Sorgfaltsstandards sei „nach dem Schutzzweck des §  278 BGB zu bejahen. Die vom Verhandlungsgehilfen behauptete besondere Fachkunde kommt in ihrer wer­ benden Wirkung dem Schuldner zugute, und der Vertragsgegner kann ohne entsprechen­ de Verlautbarung nicht wissen, welche auf den Verhandlungsgegenstand bezogenen Er­ klärungen des Verhandlungsgehilfen von seinem Auftrag gedeckt sind oder dessen Gren­ zen überschreiten“; dem folgend BGH, Urt. v. 7.10.2008 – XI ZR 89/07, NJW 2008, 3700 Rn.  17 (im Fall abgelehnt, da nicht festgestellt war, dass sich die Beteiligten auf eine beson­ dere Sachkunde des Erfüllungsgehilfen berufen hatten); aus der Lit. Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  278 Rn.  27; Lorenz, JuS 2007, 983, 984. Weitergehend Bachmann, in: Dry­ gala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  125, 127: Es genügt, dass der Gehilfe über besondere Fachkunde verfügt.

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rechtlich aufgelöst ist. Indem §  31 BGB eine Verantwortlichkeit des Verbands für den Schaden begründet, den „der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausfüh­ rung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt“, bewirkt die Vorschrift eine Verschuldens- und Verhaltenszurechnung. Deren Voraussetzungen und Grenzen sollen im Folgenden dargestellt werden. 2. Anwendungsbereich a) Verbände Über seinen Wortlaut hinaus wird §  31 BGB ganz überwiegend als allgemei­ ne Norm des Verbandsrechts eingeordnet und folglich insbesondere auch auf andere juristischen Personen, auf die Personengesellschaften einschließ­ lich der rechtsfähigen Außen-GbR,347 auf den nicht rechtsfähigen Verein (§  54 BGB), auf die privatrechtliche Stiftung (§  86 BGB) und auf die gemäß §  9a Abs.  1 S.  1 WEG rechtsfähige Wohnungseigentümergemeinschaft ange­ wendet.348 Teilweise wird eine (analoge) Anwendung von §  31 BGB auch über das Verbandsrecht hinaus befürwortet, nach verbreiteter Auffassung etwa auf die Insolvenzmasse als Sondervermögen349 und vereinzelt sogar, was allerdings nicht überzeugt, auf die Erbengemeinschaft.350 Nach §  89 BGB findet §  31 BGB zudem auf den Fiskus sowie auf die Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts entsprechende Anwen­ dung. b) Organe, Organmitglieder und andere verfassungsmäßig berufene Vertreter §  31 BGB begründet nach seinem Wortlaut eine Verantwortlichkeit des Ver­ bands für den Vorstand als Kollektivorgan, für die Mitglieder des Vor­ 347 

Vgl. speziell hierzu BGH, Urt. v. 24.2.2003 – II ZR 385/99, NJW 2003, 1445 Ab­ schn.  II 2 b; ferner die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Moderni­ sierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), BT-Drucksache 19/27635, S.  164. 348  Vgl. im Einzelnen und jeweils m. w. N. Staudinger – Schwennicke, BGB, 2019, §  31 Rn.  9, 101 ff.; BeckOGK – Offenloch, BGB, Stand: 1.7.2021, §  31 Rn.  6 ff.; vgl. speziell für die GbR noch BGH Urt. v. 24.2.2003 – II ZR 385/99, NJW 2003, 1445 Abschn.  II 2 b (bezogen eine Haftung der GbR nach §  826 BGB). 349  Vgl. Staudinger – Schwennicke, BGB, 2019, §  31 Rn.  110; BeckOGK – Offenloch, BGB, Stand: 1.7.2021, §  31 Rn.  35. Dagegen MünchKomm – Leuschner, BGB, 82018, §  31 Rn.  10. 350  So BeckOGK – Offenloch, BGB, Stand: 1.7.2021, §  31 Rn.  27 ff.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

stands351 und für andere verfassungsmäßig berufene Vertreter (besondere Vertreter, §  30 BGB).352 Infolge der Erstreckung auf andere Verbandstypen sind außerdem die Mitglieder der entsprechenden Leitungsorgane erfasst (Geschäftsführer bei der GmbH; Gesellschafter bei der OHG etc.).353 Au­ ßerdem ist die Vorschrift nach verbreiteter Auffassung auf schädigendes Verhalten der Innenorgane (Mitglieder- oder Gesellschafterversammlung, Aufsichts-, Verwaltungs- oder Stiftungsrat) bzw. ihrer Mitglieder anwend­ bar, wenn es Außenbezug hat (z. B. Fassung eines Beschlusses mit beleidi­ gendem Inhalt).354 c) Erstreckung auf Repräsentanten In Literatur und Rechtsprechung besteht darüber hinaus weitgehend Einig­ keit, dass §  31 BGB analog355 bzw. in extensiver Auslegung des Tatbestands des anderen verfassungsmäßig berufenen Vertreters356 noch weiter auf soge­ nannte Repräsentanten zu erstrecken ist, denen durch allgemeine Betriebs­ regelung und Handhabung bedeutsame, wesensgemäße (wesensmäßige) Funktionen des Verbands zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfül­ lung zugewiesen sind, ohne dass es darauf ankäme, ob sie Vertretungsmacht haben, unabhängig davon, ob ihre Position in der Satzung oder im Gesell­ schaftsvertrag verankert ist und jedenfalls bei einem selbständigem Auftre­ ten nach außen unbeschadet einer internen Weisungsgebundenheit (typi­ scherweise also etwa Filialleiterinnen und -leiter, Chefärztinnen und -ärzte usw.).357 Das dürfte im Ergebnis der Erstreckung von §  166 BGB auf Wis­ 351  Vgl. zur Unterscheidung zwischen Organen als institutionellen Zuständigkeitssub­ jekten und Organwaltern als den natürlichen Personen, die deren Zuständigkeiten „tat­ sächlich“ wahrnehmen, den Überblick für das Privatrecht bei Fleischer, NJW 2006, 3239, 3243. 352  Vgl. MünchKomm – Leuschner, BGB, 82018, §  31 Rn.  13. 353  Vgl. nur BeckOGK – Offenloch, BGB, Stand: 1.7.2021, §  31 Rn.  51 ff. 354  Vgl. m. w. N. BeckOGK – ders., BGB, Stand: 1.7.2021, §  31 Rn.  44; Flume, Allge­ meiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/Zweiter Teil: Die juristische Person, 1983, §  11 III 2 = S.  387. 355 Vgl. Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §   17 Rn.  76 = S.  196. 356  Vgl. Palandt – Ellenberger, BGB, 802021, §  31 Rn.  6; BeckOGK – Offenloch, BGB, Stand: 1.7.2021, §  31 Rn.  43. 357  Vgl., je m. w. N., BGH, Urt. v. 10.2.2005 – III ZR 258/04, NJW-RR 2005, 756 Ab­ schn.  II 3 b bb (für den Generalagenten eines Versicherungsunternehmens; konkret ver­ neint); BGH, Urt. v. 14.3.2013 – III ZR 296/11, NJW 2013, 3366 Rn.  14 (für einen Han­ delsvertreter; konkret verneint); BGH, Urt. v. 11.12.2018 – KZR 26/17, NJW 2019, 661 Rn.  87 f. – Schienenkartell (bezogen auf die nicht näher konkretisierte Behauptung, der Betreffende sei der für die Nah­verkehrsinfrastruktur zuständige Mitarbeiter gewesen;

B. Vorsatzzurechnung

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sensvertreter entsprechen, die auch dort verbreitet als Repräsentanten be­ zeichnet werden, wobei diese Parallele allerdings kaum ausgesprochen und offengelegt (oder aber zurückgewiesen) wird.358 Zur Begründung der Gleichstellung wird angeführt, dass die Funktionen solcher Repräsentanten denen von Organmitgliedern vergleichbar seien und es nicht dem Belieben „des Verbands“ überlassen bleiben dürfe zu entschei­ den, für wen er nach §  31 BGB haften will.359 Das ist, wenn man es mit §  278 BGB vergleicht, nicht zwingend, soll hier aber nicht weiter hinterfragt wer­ den. d) Organisationsmangel als Zurechnungsgrund Gelegentlich hat der BGH §  31 BGB auch ganz unabhängig von der Stellung dessen angewandt, der unmittelbar an der Schadenstiftung beteiligt war. Nach §  31 BGB sei der Verband nämlich auch für Organisationsmängel ver­ antwortlich, wobei „ein Organisationsmangel, der zur Haftung der juristi­ schen Person unter Ausschluß des Entlastungsbeweises gemäß §  31 BGB führt, allein schon darin erblickt werden [könne], daß kein verfassungsmä­ ßig berufener Vertreter für den fraglichen Aufgabenkreis bestellt worden ist“.360 Organisieren die zuständigen Organe den Verband nicht in der gebo­ tenen Weise, müsse sich der Verband im Ergebnis „so behandeln lassen, als habe er den Beauftragten Organstellung eingeräumt“.361 Diese Rechtsprechung dürfte sich als eine Art verschuldensbezogenes Pendant zur Lehre von der Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels einordnen lassen.362 Sie hat Bedeutung vor allem im Deliktsrecht, wo eine Zurechnung des unmittelbar schadenstiftenden schuldhaften Verhaltens „einfacher“ Hilfs­personen zulasten des Verbands nach §  278 BGB nicht in Betracht kommt. Zutreffend ist es demgegenüber, die Einstandspflicht des konkret verneint); Staudinger – Schwennicke, BGB, 2019, §  31 Rn.  17 ff.; BeckOGK – Offen­loch, BGB, Stand: 1.7.2021, §  31 Rn.  43 f. und im Einzelnen Rn.  71 ff. 358  Etwa nicht bei BGH, Urt. v. 14.3.2013 – III ZR 296/11, NJW 2013, 3366; Münch­ Komm  – Leuschner, BGB, 82018, §  31 Rn.  14 ff.; Staudinger – Schwennicke, BGB, 2019, §  31 Rn.  21 ff.; BeckOGK – Offenloch, BGB, Stand: 1.7.2021, §  31 Rn.  43. 359 So Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §  17 Rn.  76 = S.  196. 360  BGH, Urt. v. 10.5.1957 – I ZR 234/55, BGHZ 24, 200 Abschn.  III 2 (für eine Haf­ tung des Verbands aus §  823 Abs.  1 BGB). 361  BGH, Urt. v. 8.7.1980 – VI ZR 158/78, NJW 1980, 2810 Abschn.  B II 1 b bb (für eine Haftung des Verbands aus §  823 Abs.  1 BGB). Vgl. aus der Kommentarliteratur etwa Palandt  – Ellenberger, BGB, 802021, §  31 Rn.  7. 362  Das ist seinerseits Indiz dafür, wie wenig die hergebrachte kategoriale Unterschei­ dung zwischen Wissens- und Verschuldenszurechnung zu überzeugen vermag.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Verbands in den betreffenden Fällen nicht als verbandsrechtliche Besonder­ heit zu erfassen, sondern als Anwendungsfall der allgemeinen Haftung für eigenes Organisationsverschulden der zuständigen Organe in Form der in­ ternen „Nichtzuweisung“ von Sicherungsaufgaben (Verkehrssicherungs­ pflichten) des Verbands analog zur unsorgfältigen „Übertragung“ an Exter­ ne, das dem Verband nach §  31 BGB zuzurechnen ist.363 3. Verhalten in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen §  31 BGB begrenzt die Zurechnung auf Fälle, in denen das Organ (Organ­ mitglied) „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen“ tätig war. Nach der Rechtsprechung des BGH ist dafür allein entscheidend, ob das Verhalten des Organmitglieds in den ihm übertragenen Funktionsbereich bzw. den ihm zugewiesenen Geschäfts-, Wirkungs- oder Aufgabenkreis fiel.364 Ob das Verhalten von der Vertretungsmacht des Organmitglieds ge­ deckt war, ist unerheblich.365 In Grenzfällen ist nach der Rechtsprechung zu fragen, ob das schadenstiftende Verhalten aus der Sicht eines Außenstehen­ den366 so sehr außerhalb des Aufgabenbereiches des betreffenden Organmit­ glieds stand, das ein „innerer“367 oder ein „enger objektiver“368 Zusammen­ hang zwischen dem Handeln und dem „allgemeinen Rahmen“369 der ihm 363 In

diesem Sinne auch Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2016, §  17 Rn.  73 = S.  194 f.; MünchKomm – Leuschner, BGB, 82018, §  31 Rn.  34. Inso­ fern unklar aber BGH, Urt. v. 10.5.1957 – I ZR 234/55, BGHZ 24, 200 Abschn.  III 2: „Nicht nur bei sog. Verkehrssicherungspflichten, sondern bei allen Geschäften des täg­ lichen Lebens und des wirtschaftlichen Verkehrs kann ein Organisationsmangel […]“. 364  Vgl. exemplarisch und mit den im Text ausgewiesenen semantischen Varianzen RG, Urt. v. 13.3.1939 – III 128/37, RGZ 162, 129, 169; BGH, Urt. v. 20.2.1979 – VI ZR 256/77, NJW 1980, 115 Abschn.  II 1, 2, wo der BGH für das Verhältnis Bürgermeister/Gemeinde auch darauf abstellt, ob der Bürgermeister „in amtlicher Eigenschaft“ handelte; BGH, Urt. v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941 Abschn.  II 2 a; BGH, Urt. v. 14.3.2013 – III ZR 296/11, NJW 2013, 3366 Rn.  17. 365  Vgl. dazu insbesondere BGH, Urt. v. 20.2.1979 – VI ZR 256/77, NJW 1980, 115 Abschn.  II 1. 366  Vgl. BGH, Urt. v. 20.2.1979 – VI ZR 256/77, NJW 1980, 115 Abschn.  II 1; Palandt  – Ellenberger, BGB, 802021, §  31 Rn.  10. 367  RG, Urt. v. 13.3.1939 – III 128/37, RGZ 162, 129, 169; BGH, Urt. v. 20.2.1979 – VI ZR 256/77, NJW 1980, 115 Abschn.  II 1; BGH, Urt. v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941 Abschn.  II 2 a. 368  BGH, Urt. v. 14.3.2013 – III ZR 296/11, NJW 2013, 3366 Rn.  17. 369  RG, Urt. v. 13.3.1939 – III 128/37, RGZ 162, 129, 169; BGH, Urt. v. 20.2.1979 – VI ZR 256/77, NJW 1980, 115 Abschn.  II 1; BGH, Urt. v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941 Abschn.  II 2 a; BGH, Urt. v. 14.3.2013 – III ZR 296/11, NJW 2013, 3366 Rn.  17 und 18. 11

B. Vorsatzzurechnung

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übertragenen Obliegenheiten nicht mehr erkennbar und daher der Schluß geboten ist, daß das Organmitglied „nur bei Gelegenheit“370 gehandelt ha­ be.371 Der Umstand, dass ein Organmitglied seine Stellung missbraucht oder seine Befugnisse vorsätzlich überschreitet, genügt für einen Ausschluss der Zurechnung dabei für sich genommen ebenso wenig wie im Rahmen von §  278 BGB.372 Im Übrigen behandelt der BGH die Feststellung der Zurech­ nungswirkung im Wesentlichen als Tatfrage.373 Die Konkretisierung, die das Erfordernis einer Tätigkeit „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen“ im Rahmen des §  31 BGB in der Rechtsprechung erfahren hat, entspricht begrifflich und in der Sache im We­ sentlichen der Konkretisierung des Erfordernisses einer Tätigkeit „zur Er­ füllung seiner Verbindlichkeit“ im Rahmen des §  278 BGB.374 Das legt prima facie nahe, das Erfordernis einer Tätigkeit „in Ausführung der ihm zuste­ henden Verrichtungen“ als besondere Ausformung des Erfordernisses einer Tätigkeit „zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit“ und damit §  31 BGB als besondere Ausformung von §  278 BGB zu betrachten. Bevor dieser Frage abschließend nachgegangen werden kann, ist zunächst aber noch die Rechts­ folgenseite von §  31 BGB in den Blick zu nehmen. 4. Regelungsgegenstand: Verhaltens- und Verschuldenszurechnung Der Gegenstand der Zurechnung im Verhältnis zwischen Organ (Organ­ mitglied) und Verband wird im Wortlaut von §  31 BGB als „zum Schadens­ ersatz verpflichtende Handlung“ in Bezug genommen. a) Verhaltenszurechnung Weitgehend Einigkeit besteht darin, dass §  31 BGB nicht nur eine Verant­ wortlichkeit des Verbands für positives Tun (Handlungen im engeren Sinne) begründet, sondern, eine Handlungspflicht vorausgesetzt,375 auch für Un­ 370  RG,

Urt. v. 13.3.1939 – III 128/37, RGZ 162, 129, 169; BGH, Urt. v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941 Abschn.  II 2 a; BGH, Urt. v. 14.3.2013 – III ZR 296/11, NJW 2013, 3366 Rn.  18. 371  Vgl. dazu aus dem Schrifttum statt vieler nur Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §  17 Rn.  74 = S.  195. 372  BGH, Urt. v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941 Abschn.  II 2 a; BGH, Urt. v. 14.3.2013 – III ZR 296/11, NJW 2013, 3366 Rn.  17. 373  BGH, Urt. v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941 Abschn.  II 2 a. 374  Vgl. auch Palandt – Ellenberger, BGB, 802021, §  31 Rn.  10. 375  Insofern ist nach herrschender Meinung jedenfalls auf den Verband abzustellen, nach teil­weise vertretener Auffassung auch, nach wieder anderer Auffassung ausschließ­

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

terlassen. Das entspricht der generellen Ambivalenz des Handlungsbe­ griffs.376 Darüber hinaus ist kein Grund dafür ersichtlich, zwischen zum Schadens­ ersatz verpflichtenden Handlungen und rechtlich relevantem Verhalten jen­ seits der Haftung auf Schadensersatz zu differenzieren. §  31 BGB gilt viel­ mehr, jedenfalls analog, auch jenseits der Haftung auf Schadensersatz und begründet damit eine generelle Einstandspflicht des Verbands für das (schuldhafte) Verhalten seiner Organe (Organmitglieder).377 b) Verschuldenszurechnung §  31 BGB ist keine Anspruchsgrundlage.378 Erst recht begründet die Vor­ schrift keine Garantiehaftung des Verbands gegenüber Dritten für jedes Ver­ halten seiner Organe (Organmitglieder) unabhängig davon, ob dieses schuld­haft ist oder nicht. Sofern die in Rede stehende Grundnorm tatbe­ standlich Verschulden voraussetzt, setzt vielmehr auch die Verantwortlich­ keit des Verbands voraus, dass das in Rede stehende Verhalten des Organs (Organmitglieds) verschuldet ist.379 Das Verschulden des Organs (Organmitglieds) wird dem Verband zusam­ men mit dem Verhalten zugerechnet, auf das es sich bezieht, und begründet, gedacht als schuldhaftes Verhalten des Verbands, unter den weiteren Voraus­ setzungen der bezogenen Grundnorm (z. B. Verstoß gegen die rechtsge­ schäftliche Pflicht des Verbands zur Lieferung einer mangelfreien Sache und erfolgloser Ablauf einer gegenüber dem Verband gesetzten Frist zur Leis­

lich auf das Organ (Organmitglied); ausführlich dazu BeckOGK – Offenloch, BGB, Stand: 1.7.2021, §  31 Rn.  100 ff. 376  Vgl. Mot. I, 1888, S.  103; aus der Lit. Staudinger – Schwennicke, BGB, 2019, §  31 Rn.  45; MünchKomm – Leuschner, BGB, 82018, §  31 Rn.  20, je m. w. N. Allgemein zur Ambivalenz des Handlungsbegriffs oben Kapitel  2 A.I. = S. 135. 377  Näher dazu unten Kapitel  3 C.III. = S. 343 ff. 378  Vgl. Staudinger – Schwennicke, BGB, 2019, §  31 Rn.  8. 379  Deutlich bereits Mot. I, 1888, S.  103, wonach auch in der Rechtsprechung zum ge­ meinen Recht und den partikularen Rechten eine Haftung des Verbands dann angenom­ men worden ist, „wenn bei der Verwaltung des Vermögens der Körperschaft oder bei ei­ nem von derselben betriebenen Gewerbe durch schuldhaftes Thun oder Unterlassen des Vertreters Dritte geschädigt worden sind [Nachw.]“. Prot. I, 1897, S.  522 f., wenn dort erörtert wird, dass eine Einstandspflicht des Verbands auch in Fällen gelten müsse, „in welchen das Gesetz eine Schadensersatzpflicht [ausnahmsweise] ohne Rücksicht auf Ver­ schulden des Urhebers des Schadens anerkenne“. Vgl. ansonsten noch Staudinger – Schwennicke, BGB, 2019, §  31 S.  48; in Bezug auf §  826 BGB auch BGH, Teilveräumnisund Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250.

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tung oder Nacherfüllung, §§  280 Abs.  1, Abs.  3, 281 Abs.  1 BGB) Verant­ wortlichkeit des Verbands.380 c) Weitergehende Zurechnungswirkung? Ob dem Verband über das schuldhafte Verhalten seiner Organe (Organmit­ glieder) hinaus auf Grundlage von §  31 BGB oder nach Maßgabe außerposi­ tiver Grundsätze noch andere Umstände zuzurechnen sind, etwa deren Wis­ sen im Rahmen (vermeintlich) einfacher Wissensnormen oder der Besitz, ist umstritten. Für das Wissen wurde die Frage bereits behandelt.381 5. Verhältnis zu §  278 BGB a) Unterschiede zwischen §  31 und §  278 BGB Abschließend ist das Verhältnis von §  31 BGB zu §  278 BGB in den Blick zu nehmen. Die beiden Regelungen unterscheiden sich im Wesentlichen in zwei Aspekten: – §  31 BGB ist, anders als §  278 BGB, nach seinem Wortlaut und nach seinem Standort (Buch  1) nicht auf die Erfüllung von Verbindlichkeiten aus bestehenden Sonderverbindungen beschränkt. Die Vorschrift gilt damit so­ wohl innerhalb bestehender Sonderverbindungen und tritt hier, soweit eine Zurechnung im Verhältnis zwischen Organ (Organmitglied) und Verband in Rede steht, an die Stelle von §  278 BGB, als auch im Rahmen der Begründung von Sonderverbindungen (namentlich aus Delikt) und begründet auch hier eine Garantiehaftung des Verbands für das schuldhafte Verhalten seiner Organe (Organmitglieder). – §  31 BGB ist, anders als §  278 BGB, bezogen auf die Zurechnung vorsätz­lichen Verhaltens innerhalb wie außerhalb bestehender Sonderver­ bindungen unnachgiebig, lässt für Vorsatzfälle also weder einen Ausschluss noch eine Beschränkung der Einstandspflicht des Verbands für seine Organe (Organmitglieder) im Sinne von §  278 S.  2 BGB zu, und zwar weder durch AGB (§  309 Nr.  7 Buchst. b BGB; das gilt auch für §  278 BGB)382 noch durch Individualvereinbarung (§  276 Abs.  3 BGB; §  278 S.  2 BGB e contrario) noch durch Satzungsregelung (§  40 BGB).383 380  Ob für personenbezogene Voraussetzungen einer Haftung auf den Verband als Zu­ rechnungsadressaten oder auf das Organ (Organmitglied) abzustellen ist, ist allerdings umstritten; ausführlich BeckOGK – Offenloch, BGB, Stand: 1.7.2021, §  31 Rn.  99. 381  Vgl. oben Kapitel  1 B.V. = S. 116 ff. 382  Zur Abgrenzung von Individualvereinbarung und AGB Miethaner, AGB-Kontrol­ le versus Individualvereinbarung, 2010. 383 Vgl. zum Ganzen Palandt – Ellenberger, BGB, 802021, §   31 Rn.  2, 4; Palandt –

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Darüber hinaus generalisiert §  31 BGB den „zugewiesenen Aufgabenbe­ reich“ der Hilfsperson, auf dessen allgemeinen Umkreis die Zurechnungs­ wirkung des §  278 BGB generell beschränkt ist, im Sinne des Erfordernisses eines Tätigwerdens „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen“ abstrakt. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine relevante Vertiefung oder Verschärfung der Zurechnungswirkung. Beide Normen unterscheiden sich insofern vielmehr ausschließlich hinsichtlich der Genese des für die Reichweite der Einstandspflicht mitentscheidenden Aufgabenkreises, der bei §  278 S.  1 Alt.  1 BGB gesetzlich, bei §  278 S.  1 Alt.  2 BGB privatautonom und bei §  31 BGB organschaftlich (gesetzlich und statutarisch bzw. gesell­ schaftsvertraglich) definiert wird.384 Außerdem ginge §  31 BGB in seiner Zurechnungswirkung weiter als §  278 BGB, würde man ihn – was allerdings umstritten ist – über seinen Wortlaut hinaus auf weitere Umstände, etwa das Wissen eines Organs im Rahmen einer Wissensnorm oder den Besitz erstrecken. Grüne­berg, BGB, 802021, §  278 Rn.  6; Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §  17 Rn.  70 = S.  194; Grigoleit – Grigoleit, AktG, 22020, §  78 Rn.  52; Huber, Leistungsstörungen, Band  1, 1999, §  27 II 6 c = S.  687. Einschränkend MünchKomm – Leuschner, BGB, 82018, §  31 Rn.  20, 29, der mit Blick auf §  278 S.  2 BGB zwischen Organ­ mitgliedern im engeren Sinne (nach §  31 BGB kein Haftungsausschluss für Vorsatz mög­ lich) und Repräsentanten, also dem „erweiterten“ Anwendungsbereich von §  31 BGB (nach §  278 S.  2 BGB Haftungsausschluss für Vorsatz möglich) unterscheidet. Wieder anders Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 272019, Rn.  779, nach denen §  31 von vorn­ herein nur außerhalb von Sonderverbindungen gelte. Wäre das zutreffend, könnte der Verband innerhalb von Sonderverbindungen nach Maßgabe von §  278 S.  2 BGB individu­ alvertraglich jedwede Haftung ausschließen, da er ja generell ausschließlich durch andere Personen (Organmitglieder und sonstige Dritte) tätig wird und werden kann. Das über­ zeugt nicht, weshalb Medicus/Petersen, a. a. O., Rn.  809 auf die Organhaftung innerhalb von Sonderverbindungen §  278 S.  2 BGB nicht anwenden wollen; im Ergebnis auch Wester­hoff, Organ und (gesetzlicher) Vertreter, 1993, S.  113 ff., 175. Insofern wiederum anders Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/Zweiter Teil: Die juris­ tische Person, 1983, §  11 III 5 = S.  397 f., der §  278 S.  2 BGB grundsätzlich auch in den Fällen des §  31 BGB anwenden will, wiewohl er die Regelung „in ihrer Allgemeinheit zweifellos problematisch“ findet. 384 Bedeutung hat diese aufgabenbereichsspezifische Begrenzung der Zurechnung etwa für den Aufsichtsrat einer AG: Hier kommt eine Zurechnung zulasten der AG grundsätzlich nur im Rahmen des originären Zuständigkeitsbereichs des Aufsichtsrats in Betracht, wenn also der relevante Geschehensablauf in den Bereich der Funktionszuwei­ sung an den Aufsichtsrat fällt; vgl. im Ergebnis Grigoleit – Grigoleit, AktG, 22020, §  78 Rn.  35; MünchKomm – Habersack, AktG, 52019, §  112 Rn.  27; Hauschka/Moosmayer/ Lösler – Buck-Heeb, 32016, §  2 Rn.  11; Koch, ZIP 2015, 1757, 1762. Vgl. zur Zuständig­ keitsabhängigkeit der Zurechnung bei §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB etwa noch Erman – Schmidt-Räntsch, BGB, 162020, §  276 Rn.  14; Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  111 f., 185 ff.

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b) Identität des materiellen Geltungsgrunds Die Unterschiede zwischen beiden Normen sind damit keinesfalls grund­ legender Natur.385 Im Gegenteil erweist sich §  31 BGB als besondere Aus­ prägung von §  278 BGB, als ausschnittsweise Modifikation in Bezug auf Verbände, die im Wesentlichen von denselben materiellen Erwägungen ge­ tragen wird und im Übrigen den Besonderheiten des Verbands als Norm­ adressaten und der besonderen Nähe von Organen (Organmitgliedern) und Verband Rechnung trägt. Die teleologische Nähe beider Vorschriften kommt, worauf besonders Werner Flume mit Nachdruck hingewiesen hat,386 bereits in den Materialien zum BGB deutlich zum Ausdruck, wo beide Vorschriften auf denselben Geltungsgrund zurückgeführt werden, nämlich – §  31 BGB darauf, „daß, wenn die Körperschaft durch die Vertretung die Möglichkeit gewinne, im Rechtsverkehre handelnd aufzutreten, ihr auch an­ gesonnen werden müße, die Nachtheile zu tragen, welche die künstlich ge­ währte Vertretung mit sich bringe, ohne daß sie in der Lage sei, Dritte auf den häufig unergiebigen Weg der Belangung des Vertreters zu verweisen“387 und – §  278 BGB darauf, dass der „Schuldner, welcher sich der Hülfe Dritter bei der Bewirkung der Leistung bedient, im eigenen Interesse und folgewei­ se auch auf seine eigene Gefahr handelt. In seiner Eigenschaft als Schuldner, welcher zur Leistung verpflichtet ist, kann er sich der Verantwortung, nach Maßgabe der von ihm in dem betreffenden Schuldverhältnisse zu beob­ achtenden Diligenz, für diejenigen nicht entschlagen, welche er bei den ihm dem Gläubiger gegenüber obliegenden Handlungen zuzieht“388. – Ergänzend sei außerdem auf die Protokolle hingewiesen, wo es heißt, dass §  31 BGB (heutige Zählung) „nur darum handele, diejenige Haftung der Körperschaft zu regeln, welche auf dem besonderen Verhältnisse derselben zu ihren Organen beruhe, daß dagegen die Frage, inwieweit eine von Ver­ schulden unabhängige Haftung für schädigende Handlungen Dritter [na­

385  So

auch Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/Zweiter Teil: Die juristische Person, 1983, §  11 III = S.  398. 386 Vgl. ders., Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/Zweiter Teil: Die ju­ ristische Person, 1983, §  11 III = S.  381 ff. und insbesondere S.  383: „Nach den Motiven ist die Haftung nach §  31 BGB im Grundsätzlichen nicht anders begründet als die nach §  278 BGB. Die Regelung des §  31 BGB ist hiernach nur eine Ergänzung zu §  278 BGB […]“. 387  Mot. I, 1888, S.  103. 388  Mot. II, 1888, S.  30.

238

Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

mentlich von Angestellten des Verbands] anzuerkennen sei, für juristische Personen nicht anders entschieden werden könne, als für natürliche“.389 Auch der BGH führt §  31 BGB in seiner Rechtsprechung letztlich auf denselben Zweck zurück wie §  278 BGB, nämlich darauf, „den Rechtsver­ kehr vor den Risiken der Organbestellung zu schützen“.390 Das ist im Kern nichts anderes als eine Adaption des Zwecks von §  278 BGB, der (gleichfalls) auf die Zuweisung der Risiken aus der arbeitsteiligen Teilnahme am Rechts­ verkehr an denjenigen gerichtet ist, der die zugrundeliegenden Organisa­ tionsentscheidungen trifft, die diesbezüglichen Risiken am besten kontrol­ lieren kann und in erster Linie den Nutzen daraus hat.391 Und in der Tat lässt sich ein kategorialer Unterschied zwischen einer na­ türlichen Person, die sich zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten Dritter be­ dient, und einem Verband, der dasselbe (notwendig) tut, nicht erkennen: Es ist für den Gläubiger hier wie dort nur dann akzeptabel, interne Organisa­ tionsentscheidungen seines Vertragspartners und gesetzliche Organisations­ entscheidungen (primär) zu dessen Gunsten – beim Verband in erster Linie in Gestalt der Anerkennung seiner Rechtsfähigkeit und der Ausstattung mit Organen – „blind“ hinzunehmen, wenn dieses Zugeständnis durch eine pauschale Einstandspflicht des Schuldners für das Verschulden derjenigen Hilfspersonen kompensiert wird, die im Rahmen dieser Organisationsent­ scheidungen für ihn tätig werden. Insgesamt adressieren beide Vorschriften also dasselbe Problem. So wie sich der Schuldner im Rahmen des §  278 BGB des Erfüllungsgehilfen „be­ dient“ bzw. durch einen gesetzlichen Vertreter am Rechtsverkehr teilnimmt, so bedient sich der Verband – neben „einfachen“ Erfüllungsgehilfen, für die auch hier §  278 BGB gilt – seiner Organe und Organmitglieder als „beson­ derer Erfüllungsgehilfen“392 und nimmt durch sie am Rechtsverkehr teil. Und auch in ihrer Antwort auf dieses Problem unterscheiden sich beide Vorschriften nicht: Beide ordnen eine unbedingte, garantiemäßige Einstand­ spflicht des Geschäftsherrn (hier des Verbands) für das schuldhafte Verhal­ ten der Hilfspersonen an.

389 

Prot. I, 1897, S.  523 primär mit Blick auf die Haftung aus Delikt. BGH, Urt. v. 20.2.1979 – VI ZR 256/77, NJW 1980, 115 Abschn.  II 2 b. 391  Deutlich in diesem Sinne etwa auch Fleischer, NJW 2006, 3239, 3243, der diese Er­ wägungen interessanter Weise – und zutreffend – übrigens wiederum im Rahmen der Wissenszurechnung fruchtbar machen möchte; Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S.  157 ff. Vgl. weiter etwa Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, §  17 Rn.  68 = S.  193. 392  Vgl. auch Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S.  159 f. 390 

B. Vorsatzzurechnung

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c) Die Besonderheiten des von §  31 BGB adressierten Verhältnisses Obschon §  31 BGB und §  278 BGB im Wesentlich von denselben materiel­ len Erwägungen getragen werden, ist die Einstandspflicht des Verbands für das Verschulden seiner Organe nach §  31 BGB doch umfassender und strik­ ter ausgestaltet als die allgemeine Einstandspflicht nach §  278 BGB. Die zentrale Besonderheit des Verbands als Teilnehmer am Rechtsverkehr liegt jedenfalls darin, dass dieser faktisch nicht selbst handeln und damit selbst weder ein Delikt begehen noch sich als Geschäftsherr im Sinne des §  278 BGB oder des §  831 BGB Dritter bedienen noch als Vertretener im Sinne des §  166 Abs.  2 BGB Weisungen erteilen kann. Das legt nahe, die be­ sondere Strenge des §  31 BGB als Adressierung der sich hieraus andernfalls ergebenden Haftungs­lücken zu erklären.393 Damit ist die Besonderheit des Verbands als Rechtsträger aber noch nicht erschöpfend beschrieben. Denn das Gesagte gilt unter Umständen auch für natürliche Personen, nämlich für solche, die von Rechts wegen, namentlich wegen Geschäftsunfähigkeit, von der persönlichen Teilnahme am Rechts­ verkehr ausgeschlossen und auf einen gesetzlichen Vertreter angewiesen sind; für diese gilt aber „nur“ §  278 S.  1 Alt.  1, S.  2 BGB. Insofern liegt der entscheidende Unterschied darin, dass mit der Gründung eines Verbands für den Rechtsverkehr freiwillig besondere (spezifische) Risiken aus der Teil­ nahme einer selbst nicht handlungsfähigen Person geschaffen werden und „der Verband“ bzw. die dahinter stehenden natürlichen Personen nach Maß­ gabe der internen Zuständigkeits­regeln die vertretungsbefugten Organmit­ glieder selbst auswählen. Der gesetzlich Vertretene entscheidet sich hin­ gegen weder für die Teilnahme am Rechtsverkehr durch einen Dritten als solche noch für dessen Person. Beides lässt sich nicht auf seinen Willen zu­ rückführen. Das rechtfertigt es, die selbst nicht handlungsfähige natürliche Person hinsichtlich ihrer Einstandspflicht für schuldhaftes Verhalten ihres gesetzlichen Vertreters besserzustellen als den selbst nicht handlungsfähigen 393  Näher

unten Kapitel  3 C.III. = S. 343 ff. In besonderer Weise gilt dieser Gedanke übrigens im Rahmen von §  823 Abs.  2 BGB, soweit eine Haftung für die Verletzung straf­ rechtlicher Schutzgesetze in Rede steht. Hier überwindet §  31 BGB nicht nur das fakti­ sche Defizit, dass Verbände nicht „selbst“ handeln können usw., sondern auch das aus Sicht des Privatrechts bestehende rechtliche Defizit, dass nach den im Strafrecht geltenden Maßstäben, die im Rahmen von §  823 Abs.  2 BGB grundsätzlich auch für die privatrecht­ liche Haftung gelten, eine Wissens- bzw. Verschuldenszurechnung auf Schuldner- bzw. Täterseite im Sinne einer Verantwortlichkeit für (aus Sicht des Verbands als eigenständiger Rechtspersönlichkeit) fremdes Wissen bzw. Verschulden von vornherein ausscheidet; vgl. dazu BGH, Teilveräumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  28 m. w. N.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Verband (vgl. neben §  278 S.  1 Alt.  1, S.  2 BGB in Abgrenzung zu §  31 BGB insbesondere noch §§  827 ff. BGB). Die „Pauschalierung“ des Aufgabenbereichs des verfassungsmäßigen Ver­ treters nach Maßgabe der „ihm zustehenden Verrichtungen“ folgt demselben Muster. Der Wille des Verbands hinsichtlich der Zuweisung eines be­stimmten Aufgabenbereichs an seine Organe (Organmitglieder) drückt sich in den abstrakt-generellen Zuständigkeitsregeln des Verbands, genauer in der verfassungsmäßigen Zuweisung einer bestimmten Rolle an das einzelne ­Organ (Organmitglied) beispielsweise als Vorstand (Vorstandsmitglied) oder Aufsichtsrat (Aufsichtsratsmitglied) aus. Es ist daher nur konsequent, auch die Zurechnung des Verhaltens und des Verschuldens der Organmitglieder in ihrer „Breite“ davon abhängig zu machen, ob sie in ihrer Eigenschaft als Or­ ganmitglied (in der korporativen Sphäre)394 tätig werden oder nicht und das in den Randbereichen genauso zu konkretisieren wie im Rahmen von §  278 BGB.395 Auch darin zeigt sich, dass die Einstandspflicht des Verbands für seine Organe (Organmitglieder) keinesfalls kategorial andersartig ist als die­ jenige für „einfache“ Erfüllungsgehilfen, sondern dass Organe (Organmit­ glieder) im Gegenteil nichts anderes sind als besondere Gehilfen.

III. Begründung von Verschulden im Wege der Wissenszurechnung Der BGH hat in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder eine Ein­ standspflicht für fremdes Verschulden auf eine Zurechnung von Wissen ge­ stützt. Prominentestes Beispiel ist die Rechtsprechung des BGH zur Begrün­ dung des Tatbestands des arglistigen Verschweigens gemäß §  463 S.  2 BGB a. F. In seiner Bürgermeisterentscheidung vom 8.12.1989 ist der BGH auf der Grundlage der Zurechnung des Wissens des Altbürgermeisters zulasten der Gemeinde nicht nur zu dem Ergebnis gelangt, die Gemeinde habe den Mangel gekannt, sondern mit der Begründung, die Gemeinde dürfe „auch hinsichtlich der weiteren Elemente des bedingten Vorsatzes nicht besser [stehen] als eine natürliche Person“, in einem zweiten Schritt auch dazu, der amtierende Bürgermeister bzw. die Gemeinde habe dem Käufer den Mangel bei Vertragsschluss arglistig verschwiegen.396 Als weiteres Beispiel sei auf die Rechtsprechung des BGH zu §  912 BGB hingewiesen. Nach §  912 BGB hängt die Duldungspflicht des Nachbarn 394 

So formuliert Fleischer, NJW 2006, 3239, 3243. zur diesbezüglichen Nähe beider Vorschriften auch Palandt – Ellenberger, BGB, 802021, §  31 Rn.  10. 396  BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 c. 395 Vgl.

B. Vorsatzzurechnung

241

beim Überbau unter anderem davon ab, dass dem überbauenden Eigen­ tümer weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Auch hier ­rekurriert der BGH zur Beantwortung der Frage nach der Einstandspflicht des Eigentümers für Dritte (Architekt, Bauunternehmer) auf die Regeln der Wissenszurechnung, konkret auf die Regeln zur Wissensvertretung (§  166 BGB analog).397 Vereinzelt hat der BGH auch ein Nebeneinander der Regeln der Wissens­ zurechnung (§  166 BGB analog) und von §  278 BGB erwogen.398 Das überzeugt nicht. Die isolierte Zurechnung von Wissen ist für Ver­ schuldenstatbestände generell und besonders deutlich für Vorsatztatbestän­ de, wenn man Vorsatz als „Wissen und Wollen“ der Tatbestandsverwirk­ lichung begreift, definitionsgemäß unzulänglich. Eine Einstandspflicht für fremdes Verschulden kommt vielmehr von vornherein ausschließlich nach den Regeln der Verschuldenszurechnung in Betracht (§§  31, 278 BGB). Das wird später noch im Einzelnen auszuführen sein.399

IV. Spezialregelungen 1. Besondere Zurechnungstatbestände des BGB Abgesehen von diversen Verweisungen auf §  278 BGB, etwa in §§  254 Abs.  2 S.  2, 434 Abs.  2 S.  1, 664 Abs.  1 S.  3, 691 Abs.  1 S.  3 BGB, und von der Gel­ tung identischer Zurechnungsmaßstäbe im Rahmen von §  123 Abs.  2 BGB („Nicht-­Dritter“)400 finden sich im BGB neben §§  278, 31 BGB noch weite­ re Vorschriften, die eine Einstandspflicht für fremdes Verschulden begrün­ den. Deren gegenüber §  278 BGB eigenständiger Gehalt ist überwiegend unklar und jedenfalls gering. 397  Vgl. BGH, Urt. v. 24.6.1964 – V ZR 162/61, NJW 1964, 2016 Abschn. 8 (bejaht für das Verhältnis zwischen Architekt und Eigentümer), wobei sich der Senat an der Anwen­ dung von §  278 BGB gehindert sah, weil die „Pflicht zur Wahrung der Grundstücksgren­ ze […] keine besondere nachbarrechtliche, schuldrechtliche [ist], sondern sie entspringt dem Eigentum (der Grunddienstbarkeit) unmittelbar“; BGH, Urt. v. 10.12.1976 – V ZR 235/75, NJW 1977, 375 Abschn. 2 (verneint für das Verhältnis zwischen Bauunternehmer und Eigentümer, weil dieser im Gegensatz zum Architekten im Verkehr in aller Regel nicht als Repräsentant des Eigentümers gelte); dem folgend etwa BeckOGK – Vollkommer, BGB, Stand: 15.2.2021, §  912 Rn.  32; MünchKomm – Brückner, BGB, 82020, §  912 Rn.  16; Bayreuther, JA 1998, 459, 462. Zutreffend für eine Anwendung von §  278 BGB hingegen etwa MünchKomm – Säcker, BGB, 62013, §  912 Rn.  19 f. 398  Vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2004 – VIII ZR 36/03, NJW 2005, 365 Abschn.  II 2 (§  278 BGB) und 3 (§  166 BGB analog). 399  Näher unten Kapitel  3 B. = S. 305 ff. 400  Oben Kapitel  2 B.I.2.d) = S. 204 f.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Nach §  540 Abs.  2 BGB hat der Mieter, der den Gebrauch der Mietsache einem Dritten (z. B. Untermieter) überlässt, dem Dritten bei dem Gebrauch zur Last fallendes Verschulden zu vertreten, auch wenn der Vermieter die Erlaubnis zur Überlassung erteilt hat. Der Mieter haftet dem Vermieter da­ nach für schuldhafte Verletzungen der mietvertraglichen Pflichten durch den Dritten so, als hätte er sie selbst schuldhaft verletzt. Die Vorschrift be­ gründet damit wie §  278 S.  1 BGB eine Verschuldenszurechnung, die im We­ sentlichen und wohl sogar insgesamt derjenigen nach §  278 S.  1 BGB ent­ spricht, wenn man den Dritten als Erfüllungsgehilfen des Mieters bezüglich der (insbesondere: Obhuts-)Pflichten einordnet, die den Mieter bei dem Gebrauch der Mietsache treffen.401 Der eigenständige Gehalt von §  540 Abs.  2 BGB dürfte vor allem in der (klarstellenden) Anordnung bestehen, dass die Gebrauchsüberlassung an den Dritten auch dann, wenn sie mit Erlaubnis des Vermieters geschieht, keine Übertragung der mietvertraglichen (Ob­ huts-)Pflichten im Sinne echter Substitution (wie etwa nach §§  664 Abs.  1 S.  2, 691 Abs.  1 S.  2 BGB) und auch nicht per se einen Zurechnungsausschluss (§  278 S.  2 BGB) begründet. Eine vergleichbare Regelung findet sich in §  675z S.  3 BGB. Danach haben Zahlungsdienstleister ein Verschulden, das einer zwischengeschalteten Stelle zur Last fällt, wie eigenes Verschulden zu vertreten. Auch §  675z S.  3 BGB begründet damit eine Verschuldenszurechnung im Sinne von §  278 S.  1 BGB mit der zwischengeschalteten Stelle als Erfüllungsgehilfin des Zahlungs­ dienstleisters.402 Der gegenüber §  278 S.  1 BGB eigenständige Gehalt der Rege­ lung dürfte wiederum vor allem in der Klarstellung bestehen, dass die Ein­ schaltung einer zwischengeschalteten Stelle durch einen Zahlungsdienstleis­ ter grundsätzlich403 keine echte Substitution etwa im Sinne der §§  664 Abs.  1 S.  2, 691 Abs.  1 S.  2 BGB begründet,404 wobei die Nichtgeltung von §  664 Abs.  1 S.  2 BGB im vorliegenden Zusammenhang auch in §  675c Abs.  1 BGB gesetz­ lich klargestellt ist.405 Im Übrigen wird in Hs.  2 der Regelung noch klargestellt, dass eine Verschuldenszurechnung zulasten des Zahlungsdienstleisters aus­ scheidet, wenn die wesentliche Ursache bei einer zwischengeschalteten Stelle liegt, die der Zahlungsdienstnutzer vorgegeben hat. Da es sich bei der zwi­ 401  Vgl.

BeckOGK – Emmerich, BGB, Stand: 1.4.2021, §  540 Rn.  62; auch Palandt – Weiden­kaff, BGB, 802021, §  540 Rn.  15. 402  Vgl. Palandt – Sprau, BGB, 802021, §  675z Rn.  5. 403  Zur Möglichkeit und Praxis abweichender Vereinbarung außerhalb des Geschäfts­ verkehrs mit Verbrauchern MünchKomm – Zetzsche, BGB, 8Stand: 8/2020, §  675z Rn.  17. 404  So (im Übrigen kein sachlicher Unterschied) MünchKomm – ders., BGB, 8Stand: 8/­2020, §  675z Rn.  17 f. 405  Vgl. auch dazu Palandt – Sprau, BGB, 802021, §  675z Rn.  5.

B. Vorsatzzurechnung

243

schengeschalteten Stelle dann regelmäßig auch nach allgemeinen Regeln nicht um einen Erfüllungsgehilfen des Zahlungsdienstleisters handeln dürfte, dürf­ te allerdings auch dieser Regelung gegenüber §  278 BGB lediglich klarstellen­ der Charakter zukommen. 2. Handelsrechtliche Leutehaftung Abgesehen von §  56 HGB (Ladenvollmacht), dessen Tatbestand im Wesent­ lichen demjenigen des §  278 BGB entspricht,406 kennt das Handelsrecht als besondere Form der Verschuldenszurechnung die sogenannte Leutehaftung. Für den Frachtvertrag ist sie beispielsweise in §  428 S.  1 HGB geregelt. Da­ nach hat der Frachtführer im Anwendungsbereich der Vorschrift, der sich auf bestimmte frachtvertragsrechtliche Sonderregelungen beschränkt,407 Handlungen und Unterlassungen seiner „Leute“ in gleichem Umfange zu vertreten wie eigene Handlungen und Unterlassungen, wenn die Leute in Ausübung ihrer Verrichtungen handeln. Zu den „Leuten“ gehören, verkürzt gesagt, alle im Betrieb des Frachtführers Beschäftigten.408 Vergleichbare Rege­ lungen finden sich in §  462 S.  1 HGB für den Speditionsvertrag und in §§  501 S.  1, 527 Abs.  2, 540 S.  1 HGB für den Seehandel. Ob bzw. inwiefern die handelsrechtliche Leutehaftung in relevanter Weise über die bürgerlich-rechtliche Zurechnung nach §  278 BGB hinausgeht, ist umstritten. Teilweise wird betont, dass die handelsrechtlichen Zurechnungs­ regeln eine Zurechnung auch im Rahmen von verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen ermöglichen (vgl. etwa §§  425 ff. HGB) und hier eine reine (isolierte) Verhaltenszurechnung begründen.409 Hinzuweisen ist außer­ dem darauf, dass beispielsweise im Anwendungsbereich des §  428 S.  1 HGB die Regelung des §  449 HGB an die Stelle von §  278 S.  2 BGB tritt. Gewich­ tig sind diese Besonderheiten nicht. Legt man das hergebrachte Verständnis von §  278 BGB zugrunde, könnte man eine relevante Besonderheit der handelsrechtlichen Leutehaftung im­ merhin darin erblicken, eine Verschuldenszurechnung zulasten des Ge­ schäftsherrn unabhängig davon anzuordnen, ob das in Rede stehende Ver­ halten seiner „Leute“ in den Aufgabenbereich fiel, der diesen mit Blick auf die Erfüllung der Verbindlichkeit des Geschäftsherrn gegenüber dem be­ 406 

Oben Kapitel  2 B.I.4.a) = S. 213 ff. Vgl. im Einzelnen MünchKomm – Herber/Harm, HGB, 42020, §  428 Rn.  4; Baum­ bach/Hopt – Merkt, HGB, 402021, §  428 Rn.  1. 408 Vgl. für §   428 HGB MünchKomm – Herber/Harm, HGB, 42020, §  428 Rn.  5; Baumbach/­Hopt – Merkt, HGB, 402021, §  428 Rn.  2. 409  Vgl. für §  428 HGB MünchKomm – Herber/Harm, HGB, 42020, §  428 Rn.  2. 407 

244

Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

troffenen Gläubiger zugewiesenen ist.410 Verbreitet wird zwar das Gegenteil betont und abstrakt ausgeführt, eine Verschuldenszurechnung nach den Re­ geln der Leutehaftung setze durchaus voraus, dass das in Rede stehende Ver­ halten der Hilfsperson noch zum allgemeinen Umkreis des ihr zugewiese­ nen Aufgabenbereichs gehörte.411 Zugleich wird aber ebenso verbreitet be­ tont, eine Zurechnung nach §  428 S.  1 HGB setze nicht voraus, dass die betreffende Hilfsperson in die Beförderung eingeschaltet ist412 bzw. erfolge auch dann, wenn das in Rede stehende Verhalten „nicht unmittelbar mit der Ausführung der ihnen [den betreffenden Leuten] obliegenden Verrichtun­ gen zu tun hatte“.413 Entsprechend hafte der Frachtführer nach §§  425, 428 S.  1 HGB beispielsweise auch für das Unterlassen eines Buchhalters, der während seiner Arbeitszeit den Defekt einer Sicherungsanlage feststellt, aber nicht meldet.414 Gleichsinnig wird für §  462 S.  1 HGB betont, es sei nicht erforderlich, dass der Dritte gerade zur Besorgung der Versendung zum Einsatz kommt,415 sondern es genüge, „dass der Schaden im Rahmen des Spe­ ditionsbetriebs entstanden ist“416 und als Beispiel angeführt, der Spediteur hafte nach §  462 S.  1 HGB auch für Leute, die ausschließlich zur Reinigung von Lager und Fahrzeugen eingesetzt sind und dabei Schaden stiften.417 Da­ mit wird im Ergebnis auf einen Bezug zum zugewiesenen Aufgabenbereich verzichtet. Welche Relevanz diesem Punkt zukommt, hängt im Ergebnis seinerseits davon ab, welcher Gehalt im Rahmen von §  278 BGB dem Erfordernis eines Tätigwerdens innerhalb oder im allgemeinen Umkreis des zugewiesenen Aufgabenbereiches beizumessen ist. Im Schrifttum ist hierzu namentlich von Karsten Schmidt angemerkt worden, die Rechtsprechung unterscheide auch bei §  278 BGB zwischen den Leuten des Schuldners und sonstigen Er­ 410  Vgl. zum dahingehenden historischen Befund K. Schmidt, FS Raisch, 1995, S.  189, 200 m. w. N.; vgl. ferner Köndgen, FS W.-H. Roth, 2015, S.  311, 314; Prölss, FS Canaris I, 2007, S.  1037, 1065; MünchKomm – Herber, HGB, 42020, §  501 Rn.  8, der insofern auf eine extensive Auslegung des Erfordernisses der Handlung „in Ausübung ihrer Verrich­ tungen“ verweist, soweit sich dieses im Gesetztext überhaupt findet (nicht bei §  501 S.  1 HGB); wohl auch Huber, Leistungsstörungen, Band  1, 1999, §  27 II 6 = S.  679 f. 411 Vgl. für §   428 HGB MünchKomm – Herber/Harm, HGB, 42020, §  428 Rn.  6; ­Koller, Transportrecht, 92016, §  428 Rn.  6. 412  Vgl. für §  428 HGB Baumbach/Hopt – Merkt, HGB, 402021, §  428 Rn.  2. 413  Für §  428 HGB MünchKomm – Herber/Harm, HGB, 42020, §  428 Rn.  2. 414  Vgl. zu diesem Beispiel Koller, Transportrecht, 92016, §  428 Rn.  9; BeckOK – Kirchhof, HGB, Stand: 15.4.2021, §  428 Rn.  3. 415  MünchKomm – Bydlinski, HGB, 42020, §  462 Rn.  3. 416  BeckOK – Spieker/Schönfleisch, HGB, Stand: 15.4.2021, §  462 Rn.  7. 417  MünchKomm – Bydlinski, HGB, 42020, §  462 Rn.  3.

B. Vorsatzzurechnung

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füllungsgehilfen und frage im ersten Fall auch im Rahmen von §  278 BGB nicht danach, ob der Betroffene in Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgaben gehandelt hat.418 Ob sich der Rechtsprechung eine solche Linie tatsächlich entnehmen lässt, kann hier nicht abschließend beurteilt werden; ausdrücklich ausgesprochen hat der BGH ein dahingehendes Verständnis von §  278 BGB bislang, soweit ersichtlich, nicht. Im Ergebnis ist K. Schmidt aber zuzustimmen: Die Beschäftigten (die Leute) des Schuldners sind im Ausgangspunkt definitionsgemäß in den Or­ ganisationsbereich des Schuldners eingegliedert. Damit greift der Zweck des §  278 BGB grundsätzlich Platz419 und dem Erfordernis eines „inneren Zu­ sammenhangs“ zwischen dem in Rede stehenden Gehilfenverhalten und dem zugewiesenen Aufgabenbereich kommt von vornherein allenfalls noch ein auf ganz exzentrische Fälle bezogener Ausnahmegehalt zu, der ihm ­prima facie allerdings wiederum auch im Anwendungsbereich der handels­ rechtlichen Leutehaftung zukommen muss. Letztlich erweitern die handelsrechtlichen Sonderregeln die Einstands­ pflicht des Geschäftsherrn gegenüber §  278 BGB also nicht in relevanter Weise. 3. Besondere versicherungsvertragsrechtliche Zurechnungstatbestände a) §  20 VVG: Zurechnung von Kenntnis, Arglist und Vorsatz des Vertreters zulasten des Versicherungsnehmers im Rahmen des Vertragsschlusses Nach §  19 VVG hat der Versicherungsnehmer im Rahmen des Vertrags­ schlusses mit dem Versicherer die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform ge­ fragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig, kann der Versicherer nach §  19 Abs.  2, Abs.  3 S.  1 VVG grundsätzlich vom Vertrag zurücktreten. Tritt der Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalles vom Vertrag zu­ rück, ist er nach §  21 Abs.  2 S.  2 VVG unter anderem dann nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht arglistig verletzt hat. Das Rücktrittsrecht des Versicherers erlischt grundsätzlich nach Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss (§  21 Abs.  3 S.  1 VVG); bei 418 Grundlegend K. Schmidt, FS Raisch, 1995, S.  189, 200 ff.; vgl. auch ders., Handels­ recht  – Unternehmensrecht I, 62014, §  32 Rn.  46 = S.  1077; ders., Karlsruher Forum 1993 ­(VersR Sonderheft), 4, 9; Prölss, FS Canaris I, 2007, S.  1037, 1065. 419  Näher oben Kapitel  2 B.I.1.b) = S. 191 ff.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

vorsätzlicher oder arglistiger Verletzung der Anzeigepflicht beläuft sich die Frist auf zehn Jahre (§  21 Abs.  3 S.  2 VVG). Das Gesetz unterscheidet hier dem Wortlaut nach zwischen Kenntnis(§  19 Abs.  1 VVG), Vorsatz- (§  19 Abs.  3 S.  1, wobei die grob fahrlässige Ver­ letzung der Anzeigepflicht unter bestimmten Voraussetzungen der vorsätz­ lichen gleichgestellt ist; §  21 Abs.  3 S.  2 Alt.  1 VVG) und Arglisterfordernissen (§  21 Abs.  2 S.  2, Abs.  3 S.  2 Alt.  2 VVG). Entsprechend weit ist die Zurechnungsregelung des §  20 VVG gefasst: Wird der Vertrag von einem Vertreter des Versicherungsnehmers geschlossen, sind bei der Anwendung der §§  19 Abs.  1–4, 21 Abs.  2 S.  2, Abs.  3 S.  2 VVG „sowohl die Kenntnis und die Arglist des Vertreters als auch die Kenntnis und die Arglist des Versiche­ rungsnehmers zu berücksichtigen“; außerdem kann sich der Versicherungs­ nehmer „darauf, dass die Anzeigepflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrläs­ sig verletzt worden ist, nur berufen, wenn weder dem Vertreter noch dem Versicherungsnehmer Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt“. Dass sich Kenntnis-, Vorsatz- und Arglisttatbestand nicht sinnvoll unter­ scheiden lassen, wurde bereits gezeigt und wird noch näher darzulegen sein. Insofern vermögen die genannten Regelungen jedenfalls begrifflich nicht zu überzeugen. Für die Beantwortung der Zurechnungsfrage spielt diese Un­ terscheidung immerhin auch nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Rolle. Denn §  20 VVG ordnet einheitlich für alle drei Tatbestände eine unbedingte Zurechnung im Verhältnis zwischen Vertreter und Versicherungsnehmer zulasten des Ver­sicherungsnehmers an. Insofern überzeugt die Regelung im Ergebnis und insofern exemplifiziert sie immerhin die Möglichkeit einer ein­ heitlichen Beantwortung der Zurechnungsfrage für (vermeintlich) einfache Wissenstat­bestände und (explizite) Vorsatztatbestände. Wird auf Seiten des Versicherungsnehmers ein Dritter ohne Vertretungs­ macht tätig, kommt §  20 VVG nach seinem Wortlaut nicht zur Anwendung.420 Für diesen Fall wird auch im Regelungsbereich des §  20 VVG eine Zurech­ nung nach den Grundsätzen der Wissensvertretung befürwortet.421 Für den (vermeintlich) einfachen Wissenstatbestand des §  19 Abs.  1 VVG ist das, wie für §  2 Abs.  3 VVG auch,422 nachvollziehbar. Für die Vorsatz- bzw. Arglist­ tatbestände der §§  19 Abs.  3 S.  1, 21 Abs.  2 S.  2, Abs.  3 S.  2 Alt.  1 VVG gibt 420  Teilweise wird darüber hinaus auch die Anwendbarkeit auf die gesetzliche Vertre­ tung verneint und auch insofern auf §  166 BGB verwiesen, etwa von Prölss/Martin – Armbrüster, VVG, 312021, §  20 Rn.  2; anders MünchKomm – Muschner, VVG, 22016, §  20 Rn.  3. 421 Überblick etwa bei MünchKomm – Muschner, VVG, 22016, §   20 Rn.  6; NK – Schimi­kowski, VVG, 42020, §  20 Rn.  3. 422  Oben Kapitel  1 B.VI.3.a) = S. 123 f.

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eine (wie auch immer geartete) Wissensvertretung hingegen wesensgemäß nichts her; hier kommt von vornherein nur ein Rückgriff auf §  278 BGB in Betracht.423 Auch auf die Arglistanfechtung des Versicherers nach §  22 VVG ist §  20 VVG nach seinem Wortlaut nicht anwendbar. Stattdessen wird wie­ derum auf die allgemeinen Zurechnungsregeln verwiesen, wobei verbreitet auch insofern auf §  166 BGB abgestellt wird.424 b) §§  47 Abs.  1, 156, 176, 179 Abs.  3, 193 Abs.  2 VVG: Zurechnung von Wissen und Verhalten des Versicherten zulasten des Versicherungsnehmers Für die Versicherung für fremde Rechnung und für bestimmte Versicherun­ gen auf die Person eines anderen bzw. gegen Unfälle eines anderen ordnen §§  47 Abs.  1, 156 (auch in Verbindung mit §  176) sowie §§  179 Abs.  3, 193 Abs.  2 VVG in der Sache übereinstimmend425 an, dass immer dann, wenn die Kenntnis und das Verhalten des Versicherungsnehmers von rechtlicher Be­ deutung sind, auch die Kenntnis und das Verhalten der versicherten Person zu berücksichtigen sind. So muss sich der Versicherungsnehmer nach §  47 VVG etwa die verspätete Schadenmeldung der versicherten Person zurech­ nen und entgegenhalten lassen426 oder nach §  156 VVG einen Verstoß gegen vorvertragliche Anzeigepflichten durch diese.427 Hintergrund ist, dass die personale Trennung von Versicherungsnehmer und versicherter Person die Rechtsstellung des Versicherers nicht ver­ schlechtern soll.428 Zu diesem Zweck ist mit den genannten Zurechnungs­ 423 

Vgl. zur Diskussion um die Anwendbarkeit von §  278 BGB im Versicherungsver­ tragsrecht oben Kapitel  2 B.I.5.b) = S. 221 f.; zur Unzulänglichkeit einer (wie auch immer gearteten) Wissenszurechnung für die Zurechnung von vorsätzlichem (arglistigem) Ver­ halten unten Kapitel  3 B.III. = S. 312 ff. 424 MünchKomm – Muschner, VVG, 22016, §   20 Rn.  4; NK – Schimikowski, VVG, 4 2020, §  20 Rn.  2. 425  Vgl. aber insbesondere die beiden in §  47 Abs.  2 VVG normiert Ausnahmen. Vgl. im Übrigen noch zur Analogiefähigkeit von §§  156, 179 Abs.  3, 193 Abs.  2 VVG und kon­ kret zur analogen Anwendung auf die Filmausfallversicherung BGH, Urt. v. 16.10.2013 – IV ZR 390/­12, NJW 2014, 778 Rn.  25 ff. 426  Vgl. MünchKomm – Dageförde, VVG, 22016, §  47 Rn.  1. 427  Vgl. MünchKomm – Heiss, VVG, 22017, §  156 Rn.  1; Langheid/Rixecker – Grote, VVG, 62019, §  156 Rn.  2; vgl. schließlich zur umstrittenen Reichweite der Zurechnungs­ wirkung nach §  47 VVG, insbesondere zur Zurechnung in umgekehrter Richtung sowie zur (mittelbaren) Zurechnung zwischen mehreren versicherten Personen noch Looschelders, VersR 2018, 1413, 1415 f. m. w. N. 428  Vgl. für §§  156, 179 Abs.  3, 193 Abs.  2 VVG (direkt/analog) BGH, Urt. v. 16.10.­ 2013  – IV ZR 390/12, NJW 2014, 778 Rn.  27; vgl. speziell für §  47 VVG außerdem noch MünchKomm – Dageförde, VVG, 22016, §  47 Rn.  1; für §  156 VVG noch MünchKomm – Heiss, VVG, 22017, §  156 Rn.  1; für §  179 VVG noch MünchKomm – Dörner, VVG,

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regeln ebenso wie mit §  2 Abs.  3 VVG429 und abweichend von §  166 BGB430 die Verhaltenserwartung verknüpft, dass sich Versicherungsnehmer und versicherte Person über sämt­liche vertragswesentlichen Umstände austau­ schen, damit der Versicherungsnehmer diese seinerseits dem Versicherer mitteilen kann.431 Für §  47 VVG ist das in §  47 Abs.  2 VVG in der Sache ex­ plizit klargestellt, wenn dort angeordnet ist, dass die Kenntnis des Versi­ cherten nicht zu berücksichtigen ist, wenn der Vertrag ohne sein Wissen geschlossen worden ist oder ihm eine rechtzeitige Benachrichtigung des Versicherungsnehmers nicht möglich oder nicht zumutbar war. Dass Verhalten und Kenntnis explizit gemeinsam Gegenstand einer Zu­ rechnungsnorm sind, ist bemerkenswert, gilt aber – wie noch auszuführen ist – auch sonst, weil Wissen im Privatrecht immer nur in einem Verhaltens­ bezug relevant ist und relevant sein kann. Mit anderen Worten: Die Beson­ derheit der Zurechnungsnormen der §§  47 Abs.  1, 156, 176, 179 Abs.  3, 193 Abs.  2 VVG liegt nicht darin, dass Verhalten und Kenntnis überhaupt ge­ meinsam Gegenstand der Zurechnung sind, sondern dass dies explizit im Normtext zum Ausdruck kommt. Im Schrifttum ist man hierbei allerdings nicht stehengeblieben. Noch über ihren Wortlaut hinaus werden die genannten Zurechnungsregeln teilweise nicht „nur“ als Tatbestände der Verhaltens- und Wissenszurechnung verstan­ den, sondern als (insofern implizite) Tatbestände der Verschuldenszurechnung.432 Auch das ist bemerkenswert und, wie gleichfalls noch auszuführen ist, (generell) zutreffend. In dieselbe Richtung weist schließlich die Anwen­ dung von §  278 BGB, wo §§  47 Abs.  1, 156, 176, 179 Abs.  3, 193 Abs.  2 VVG tatbestandlich nicht eingreifen, weil es nicht um ein vertragswidriges Verhal­ ten der versicherten Person geht, sondern um ein vertragswidriges Verhalten eines Verhandlungsgehilfen.433

2 2017, §  179 Rn.  11, je m. w. N. Vgl. für §§  79 Abs.  1, 161, 178a Abs.  3 S.  1, 179 Abs.  4 VVG a. F. schließlich noch Lange, VersR 2006, 605 ff. Abschn.  II 1. 429  Oben Kapitel  1 B.VI.3.a) = S. 123 f. 430  Oben Kapitel  1 B.II.2.b) = S. 71 f. 431  Vgl. für §  47 VVG NK – Muschner, VVG, 42020, §  47 Rn.  1; auch schon für §  79 Abs.  1 VVG a. F. Lange, VersR 2006, 605 ff. Abschn.  II 1. Deshalb ist auch irrelevant, ob der Versicherer den Versicherten direkt befragt hat oder nicht; Langheid/Rixecker – ­Rixecker, VVG, 62019, §  47 Rn.  4. 432  Vgl. insbesondere Prölss/Martin – Klimke, VVG, 312021, §  47 Rn.  2, 6, 7a ff., wobei allerdings in Bezug auf das wiederholt angeführte Beispiel des §  19 VVG das Verhältnis von §  47 VVG und §  20 VVG unklar bleibt. 433  Vgl. dazu BGH Urt. v. 8.2.1989 – IV a ZR 197/87, NJW-RR 1989, 1183 Abschn.  II 3 (bezogen auf §  161 VVG a. F. = §  156 VVG). Vgl. in diesem Zusammenhang außerdem

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4. Zivilprozessuale Zurechnungstatbestände Nach §  51 Abs.  1 ZPO bestimmt sich die Vertretung nicht prozessfähiger Parteien durch andere Personen (gesetzliche Vertreter) im Zivilprozess nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. §  51 Abs.  2 ZPO stellt ergänzend das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters dem Verschulden der Partei gleich. Für den Bereich der rechtsgeschäftlichen Vertretung ordnet §  85 Abs.  1 ZPO an, dass die von einem Prozessbevollmächtigten vorgenomme­ nen Prozesshandlungen434 für die Partei „in gleicher Art verpflichtend [sind], als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären“ (S.  1). Dasselbe gilt für Geständnisse und andere „tatsächliche Erklärungen“ (S.  2). Ergänzend hierzu stellt §  85 Abs.  2 ZPO das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Die umfassende Zurechnung gemäß §§  51, 85 ZPO bewirkt, dass sich eine Prozesspartei, die ihren Prozess durch einen Vertreter führt, so behandeln lassen muss, als wenn sie den Prozess selbst führen würde.435 Dadurch soll verhindert werden, dass durch die Einschaltung eines Vertreters eine Ver­ schiebung von Prozessrisiken zu Lasten des Gegners eintritt.436 Darüber ­hinaus dienen §§  51, 85 ZPO der Rechtssicherheit und der Verfahrensver­ noch MünchKomm – Dörner, VVG, 22017, §  179 Rn.  11, der §  179 Abs.  3 VVG auf den Rechtsgedanken der §§  166, 278 BGB zurückgeführt. 434 Vgl. zum Begriff der Prozesshandlung und insbesondere zur Abgrenzung zum Rechts­geschäft, zur Möglichkeit materiell-rechtlicher Folgewirkungen von Prozesshand­ lungen (etwa nach §  204 BGB) und zur möglichen Doppelnatur von Erklärungen Münch­ Komm – Rauscher, ZPO, 62020, Einleitung Rn.  440 ff. Insbesondere gilt §  85 Abs.  1 S.  1 ZPO auch für Prozesshandlungen, die der Partei günstig sind, MünchKomm – Toussaint, ZPO, 62020, §  85 Rn.  3 m. w. N. Außerdem bezieht sich §  85 ZPO auf jedes Verschulden des Vertreters im Rahmen der Prozeßführung und damit auch auf ein Verschulden im Verkehr mit dem Vertretenen; grund­legend und gegen die gemeinrechtliche Praxis des sogenannten beneficium in integrum restitutionis ob culpam advocati BGH, Urt. v. 21.5.­ 1951 – IV ZR 11/51, NJW 1951, 963. 435  Vgl. für das StrEG, aber unter Rekurs auf einen allgemeinen Rechtsgedanken und die Re­geln der ZPO, BGH, Urt. v. 11.3.1976 – III ZR 113/74, NJW 1976, 1218 Abschn. 3 a; Münch­Komm – Toussaint, ZPO, 62020, §  85 Rn.  1; Musielak/Voit – Weth, ZPO, 182021, §  85 Rn.  1. 436  Vgl. für das StrEG, aber unter Rekurs auf einen allgemeinen Rechtsgedanken und die Regeln der ZPO, BGH, Urt. v. 11.3.1976 – III ZR 113/74, NJW 1976, 1218 Abschn. 3 a: „Insbesondere darf sich die Vertreterbestellung nicht zum Nachteil eines Verfahrensbe­ teiligten mit entgegengesetzter Interessenrichtung auswirken. Ein Beteiligter, der das Ver­ fahren durch einen von ihm bevollmächtigten Vertreter betreiben läßt, soll somit bei der Versäumung einer Verfahrenshandlung verfahrensrechtlich nicht besser stehen als ein Be­ teiligter, der das Verfahren persönlich betreibt“; MünchKomm – Toussaint, ZPO, 62020, §  85 Rn.  1; Musielak/Voit – Weth, ZPO, 182021, §  85 Rn.  1, 8; MünchKomm – Lindacher/ Hau, ZPO, 62020, §§  51, 52 Rn.  32.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

einfachung; die dadurch bewirkte Belastung des Vertretenen ist zumutbar, und zwar nicht nur in vermögensrechtlichen Angelegenheiten, sondern auch in nichtvermögensrechtlichen Angelegenheiten, also etwa in Kindschafts­ sachen.437 Stellt man Zivilprozessrecht und materielles Privatrecht gegenüber, so las­ sen sich §§  51, 85 ZPO als zivilprozessuale Parallelregelungen zu §§  164, 166 und §  278 BGB einordnen.438 Die regelungssystematische Verdichtung in §§  51, 85 ZPO expliziert dabei für das Zivilprozessrecht die nach hiesigem Verständnis auch für das materielle Privatrecht zu konstatierende Nähe der §§  164, 166 und 278 BGB (und bekräftigt sie umgekehrt für das materielle Recht).439 Grund­legende Unterschiede zwischen §  278 BGB und §§  51 Abs.  2, 85 Abs.  2 ZPO lassen sich dabei nicht ausmachen. Ein relevanter Unter­ schied im Bereich des §  85 Abs.  2 BGB liegt immerhin darin, dass die Zu­ rechnung hier eine wirksame Bevollmächtigung voraussetzt,440 während es im Rahmen von §  278 S.  1 Alt.  2 BGB auf die rechtliche Beziehung zwischen Schuldner und Hilfsperson und die Wirksamkeit etwaiger Abreden nicht ankommt.441 Jenseits der §§  51, 85 ZPO wird teilweise auch für das Prozessrecht die Möglichkeit einer (außerpositiven) Wissenszurechnung postuliert.442 Na­ mentlich hat der BGH für die Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäu­ mung der Frist zur Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung nach §  112e BRAO, §  124a Abs.  4 S.  4 VwGO entschieden, eine Prozess­ partei müsse sich die Kenntnis ihres Prozessbevollmächtigten vom Datum der Zustellung „nach dem Rechtsgedanken des §  166 Abs.  1 BGB“ zurech­ nen lassen.443 Dabei bleibt allerdings unklar, wie die Zurechnung fremden 437  Vgl.

für §  85 Abs.  2 ZPO bzw. die Vorgängerregelung des §  232 Abs.  2 ZPO a. F. BVerfG, Beschl. v. 8.5.1973 – 2 BvL 5, 6, 7 u. 13/72, NJW 1973, 1315; vgl. aus der Lit. etwa Musielak/Voit – Weth, ZPO, 182021, §  85 Rn.  2; kritisch etwa BeckOK – Piekenbrock, ZPO, Stand: 1.3.2021, §  85 Rn.  6, je m. w. N. Für §  51 ZPO BGH, Beschl. v. 4.11.1992 – XII ZB 46/92, NJW-RR 1993, 130 Abschn.  II 2 b; BeckOK – Hübsch, ZPO, Stand: 1.3.2021, §  51 Rn.  32. 438  Vgl. auch Musielak/Voit – Weth, ZPO, 182021, §  85 Rn.  1; BeckOK – Piekenbrock, ZPO, Stand: 1.3.2021, §  85 Rn.  1. 439  Näher unten Kapitel  3 C.II.2. = S. 343 ff. 440  BGH, Beschl. v. 22.10.1986 – VIII ZB 40/86, NJW 1987, 440 Abschn.  II 2 b (für den Fall der Geschäftsunfähigkeit der vertretenen Prozesspartei); MünchKomm – Toussaint, ZPO, 62020, §  85 Rn.  12; Musielak/Voit – Weth, ZPO, 182021, §  85 Rn.  11. 441  Vgl. oben Kapitel  2 B.I.4.a) = S. 213 ff.; vgl. zu diesem Unterschied zwischen §  278 S.  1 Alt.  2 BGB und §  85 Abs.  2 ZPO auch BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  278 Rn.  11. 442  Vgl. MünchKomm – Toussaint, ZPO, 62020, §  85 Rn.  8 m. w. N. 443  BGH, Besch. v. 28.3.2013 – AnwZ (Brfg) 54/12, BeckRS 2013, 8226 Rn.  5. Vgl. auch

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Wissens das für die Verwehrung der Wiedereinsetzung maßgebliche444 Verschulden begründen soll.445 Auch das Verhältnis zu §  85 Abs.  2 ZPO (im ge­ schilderten Fall in Verbindung mit §  112c Abs.  1 S.  1 BRAO, §  173 VwGO) bleibt unklar; hierzu führt der BGH lediglich aus, ein „etwaiges Verschul­ den seiner Prozessbevollmächtigten erster oder zweiter Instanz würde dem Kläger [auch?] nach §  112c Abs.  1 S.  1 BRAO, §  173 VwGO i. V. m. §  85 Abs.  2 ZPO zugerechnet werden“.446 Überwiegend wird die Einstandspflicht der Partei für ihren Prozessver­ treter (auch) im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand demge­ genüber zutreffend ausschließlich anhand von §  85 Abs.  2 ZPO beurteilt.447 Das Beispiel wirft (auch) für das Zivilprozessrecht die Frage auf, ob neben den positivrecht­lichen Regeln der Verhaltens- und Verschuldenszurechnung für eine (wie auch immer geartete) außerpositive Wissenszurechnung über­ haupt Raum ist. Für die Zwecke der Wiedereinsetzung in den Stand ist sie jedenfalls weder geeignet noch erforderlich. Und auch im Bereich (vor-)pro­ zessualen aufklärungsfeindlichen Verhaltens kann ohne weiteres auf den Rechtsgedanken der §§  31, 278 BGB zurückgegriffen werden.448 Von alldem zu unterscheiden ist die materiell-rechtliche Einstandspflicht des Vertretenen für seinen Prozessvertreter. Sie richtet sich ausschließlich nach den allgemeinen Regeln des materiellen Rechts.449 Insbesondere gilt hier im Verhältnis zwischen der Partei des streitgegenständlichen Rechtsverhält­ nisses (Mandant) und deren Vertreter (Rechtsanwalt) ohne weiteres §  278

noch BGH, Urt. v. 24.10.1968 – II ZR 214/66, NJW 1969, 925 Abschn.  II 2 b (Wissenszu­ rechnung im Rahmen des Abschlusses eines Prozessvergleichs). 444  Siehe §  112c Abs.  1 S.  1 BRAO §  60 Abs.  1 VwGO. Nichts anderes gilt nach §  233 ZPO. Insofern unmissverständlich auch BGH, Besch. v. 28.3.2013 – AnwZ (Brfg) 54/12, BeckRS 2013, 8226 Rn.  5. 445  Allgemein zu diesem Problem unten Kapitel  3 B. = S. 305 ff. 446  BGH, Besch. v. 28.3.2013 – AnwZ (Brfg) 54/12, BeckRS 2013, 8226 Rn.  5. 447  Geradezu selbstverständlich etwa BGH, Beschl. v. 10.11.2016 – V ZA 12/16, NJW 2017, 735 Rn.  7; BGH, Beschl. v. 4.9.2018 – VIII ZB 70/17, NJW-RR 2018, 1325 Rn.  10; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 8.7.2019 – 5 U 56/19, BeckRS 2019, 39729 Rn.  9; Roh­ wetter, NJW 2019, 1990, 1992. 448 Näher Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1977, S.  169 m. w. N. Dabei geht es um die Behandlung von Fällen, in denen ein von einer Prozesspar­ tei mit der Dokumentation von Vorgängen usw. beauftragter Dritter vorsätzlich oder fahrlässig relevante Aufklärungsmittel unterdrückt oder erst gar nicht hat entstehen las­ sen. 449  Vgl. BeckOK – Piekenbrock, ZPO, Stand: 1.3.2021, §  85 Rn.  12; MünchKomm – Toussaint, ZPO, 62020, §  85 Rn.  9; im Grundsatz auch Musielak/Voit – Weth, ZPO, 182021, §  85 Rn.  4 und 10 (vgl. aber auch Rn.  3), je m. w. N. auch zu abweichenden Stimmen.

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

BGB.450 Der BGH hat den Prozessvertreter darüber hinaus (auch) in diesem Zusammenhang wiederholt als „Wissensvertreter“ eingeordnet und auf die­ ser Grundlage für die Zwecke des materiellen Rechts (unter Einschluss von materiell-rechtlichen Regelungen der ZPO, namentlich von §  717 Abs.  2 ZPO)451 eine Einstandspflicht des Vertretenen für das Wissen (Wissenmüs­ sen) des Vertreters im Bereich des Verjährungsrechts begründet.452 5. Insolvenzrechtliche Besonderheiten a) Überblick Der Insolvenzverwalter ist den Insolvenzgläubigern zur bestmöglichen Er­ haltung und Verwertung der Insolvenzmasse verpflichtet. Daneben treffen ihn in­solvenzspezifische Pflichten etwa auch gegenüber dem Insolvenz­ schuldner.453 Verletzt der Insolvenzverwalter schuldhaft die Pflichten, die ihm nach der InsO obliegen, ist er nach §  60 Abs.  1 S.  1 BGB allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet. Dabei hat er nach §  60 Abs.  1 S.  2 BGB für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters ein­ zustehen. Setzt der Insolvenzverwalter bei der Erfüllung seiner insolvenzspezifi­ schen Pflichten Dritte ein, kommt eine Einstandspflicht des Insolvenzver­ walters für deren Verhalten und Verschulden nach §  278 BGB in Betracht. Insbesondere besteht nach der Rechtsprechung des BGH zwischen dem In­ solvenzverwalter und den Beteiligten des Insolvenzverfahrens, denen ge­ genüber ihm insolvenzspezifische Pflichten auferlegt sind, eine (gesetzliche) Sonderverbindung.454 Für die grundsätzliche Geltung von §  278 BGB im 450  Vgl.

speziell zur Einstandspflicht des Mandanten für fehlerhafte Rechtsauskünfte des mandatierten Rechtsanwalts nach §  278 BGB oben Kapitel  2 A.VI.2.b) = S. 161 ff. 451  Vgl. BGH, Urt. v. 26.10.2006 – IX ZR 147/04, NZI 2007, 740 Abschn.  II 1 c im Rahmen der Verjährung des Anspruchs, die sich nach den Regeln des BGB richtet: „Da die Kl. sich die Kenntnis der Rechtsanwälte, von denen sie im Vorprozess vertreten wur­ den, als Wissensvertreter zurechnen lassen müssen, hat die Verjährung […]“. Zur Einord­ nung des Anspruchs aus §  717 Abs.  2 ZPO als materiell-rechtlicher Schadensersatzan­ spruch und zur Maßgeblichkeit von §  852 BGB a. F. bzw. §  199 BGB hinsichtlich der Verjährung MünchKomm – Götz, ZPO, 62020, §  717 Rn.  9. 452  Vgl. neben der vorgenannten Entscheidung noch BGH, Urt. v. 31.10.1989 – VI ZR 84/89, NJW-RR 1990, 222 Abschn.  II 1 c bb; BGH, Urt. v. 2.7.1992 – IX ZR 174/91, NJW 1992, 3034 Abschn. 2 b (bezogen auf §  852 BGB a. F.); vgl. aus jüngerer Zeit auch OLG Celle, Urt. v. 28.12.2011 – 3 U 173/11, VuR 2012, 183 Abschn. (3) (bezogen auf §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB: Geltung von §  166 BGB und nicht von §  85 Abs.  2 ZPO). 453  Vgl. für einen Überblick über die insolvenzspezifischen Pflichten des Insolvenzver­ walters Gehrlein, ZInsO 2020, 165 ff. 454  BGH, Urt. v. 3.3.2016 – IX ZR 119/15, NZI 2016, 352 Rn.  19.

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Rahmen der Tätigkeit des Insolvenzverwalters spricht dabei insbesondere ein Umkehrschluss zu §  60 Abs.  2 InsO. Außerdem verweist der BGH auf den allgemeinen Rechtsgedanken, der Schuldner (hier: Insolvenzverwalter) solle sich seiner Haftung für Pflichtverletzungen nicht dadurch entziehen können, dass er Gehilfen einsetzt.455 b) Die Sonderregelung des §  60 Abs.  2 InsO Nach §  60 Abs.  2 InsO ist die Einstandspflicht des Insolvenzverwalters für Dritte in spezifischer Weise begrenzt. Danach hat der Insolvenzverwalter, soweit er zur Erfüllung der ihm als Verwalter obliegenden Pflichten Ange­ stellte des Schuldners im Rahmen ihrer bisherigen Tätigkeit einsetzen muss und diese Angestellten nicht offensichtlich ungeeignet sind, ein Verschulden dieser Personen nicht gemäß §  278 BGB zu vertreten, sondern ist nur für deren Überwachung456 und für Entscheidungen von besonderer Bedeutung verantwortlich. Außerdem ist er für die Entscheidung verantwortlich, den Betrieb jedenfalls bis zu einer Verwertung überhaupt fortzuführen und nicht einzustellen.457 Für ein Verschulden der Mitarbeiter des Betriebs im Rahmen der Betriebsfortführung haftet der Insolvenzverwalter demgegenüber nach Maßgabe von §  60 Abs.  2 InsO nicht. Die Regelung des §  60 Abs.  2 InsO fügt sich bruchlos in den skizzierten allgemeinen teleologischen Kontext des §  278 BGB. Sie adressiert den Um­ stand, dass der Einsatz Dritter in den hier in Rede stehenden Fällen gerade nicht auf einer Organisationsentscheidung des Insolvenzverwalters beruht. Der Einsatz von Angestellten des Insolvenzschuldners im Rahmen ihrer bis­ herigen Tätigkeit (!) ist nicht Ausdruck der internen Organisationsfreiheit des Insolvenzverwalters (als Schuldner im Sinne von §  278 S.  1 BGB in Be­ zug auf die insolvenzspezifischen Pflichten), sondern Folge früherer organi­ satorischer Entscheidungen des Insolvenzschuldners458 und der insolvenz­

455 

BGH, Urt. v. 3.3.2016 – IX ZR 119/15, NZI 2016, 352 Rn.  19. Gehrlein, ZInsO 2020, 165, 174 f. 457  Näher zur Betriebsfortführung BGH Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, BeckRS 2009, 3720; Gehrlein, ZInsO 2020, 165, 173. 458  In der Sache ganz ähnlich auch ders., ZInsO 2020, 165, 174, wenn er darauf hin­ weist, dass dem Insolvenzverwalter bei der Übernahme seines Amtes die tatsächlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Insolvenzschuldners häufig nicht be­ kannt sind. Für den Geschäftsleiter einer eigenverwalteten Gesellschaft (§  270 InsO) gilt das nicht; ob dieser Umstand im Ergebnis eine unterschiedliche Behandlung des Insol­ venzverwalters im Regelverfahren und des Geschäftsleiters in der Eigenverwaltung trägt, ist gleichwohl zweifelhaft; vgl. wiederum ders., ZInsO 2020, 165, 175. 456 Näher

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Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

rechtlichen Pflicht des Insolvenzverwalters, ein sanierungsfähiges Unter­ nehmen bis zu einer etwaigen Verwertung fortzu­führen. c) Einstandspflicht des Insolvenzverwalters für das Verschulden sachkundiger Personen In der Literatur wird über §  60 Abs.  2 InsO hinaus vielfach vertreten, der Verwalter hafte auch bei Zuziehung einer sachkundigen Person (§  5 InsVV; z. B. Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) stets nur für eigenes Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungsverschulden. Diese Beschrän­ kung seiner persönlichen Haftung sei angesichts der Vielzahl und Komple­ xität der Verwalteraufgaben sachgerecht. Außerdem erfülle der Insolvenz­ verwalter bereits durch die Einschaltung einer sachkundigen Person seine insolvenzspezifischen Pflichten. Für §  278 BGB wäre danach im Wesent­ lichen nur noch Raum, soweit es um ein Verschulden unselbständiger Mit­ arbeiter des Insolvenzverwalters geht.459 Der BGH hat demgegenüber klargestellt, der Insolvenzverwalter müsse sich grundsätzlich auch das Verschulden sachkundiger Personen nach Maß­ gabe des §  278 BGB zurechnen lassen. Er könne seine Verantwortung grund­ sätzlich nicht auf externe (beauftragte) Selbständige verlagern.460 Gegebe­ nenfalls könne und müsse der Insolvenzverwalter den beauftragten Dritten in der Folge seinerseits auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.461 Die Einstandspflicht des Insolvenzverwalters auch für (von ihm!) beauf­ tragte Selbständige liegt in der Konsequenz der Anwendbarkeit von §  278 BGB im Rahmen der gesetzlichen Sonderverbindung zwischen dem Insol­ venzverwalter und den Beteiligten des Insolvenzverfahrens, denen gegen­ über ihm insolvenzspezifische Pflichten auferlegt sind. Der Rechtsprechung des BGH kann vor diesem Hintergrund insbesondere nicht entgegengehal­ ten werden, der Insolvenzverwalter könne die Tätigkeit von ihm beauftrag­ ter Experten nicht bzw. nicht in gleichem Maße überwachen wie die Tätig­ keit seiner eigenen Angestellten.462 Denn darauf kommt es im Rahmen von §  278 BGB – aus guten Gründen – generell nicht an.463 So kann etwa auch 459 

Vgl. zum Ganzen den Überblick und die weiteren Nachweise bei BGH, Urt. v. 3.3.­ 2016 – IX ZR 119/15, NZI 2016, 352 Rn.  21 und bei Holzer, NZI 2016, 903 f. sowie etwa noch Trams, NJW-Spezial 2019, 149. 460  BGH, Urt. v. 3.3.2016 – IX ZR 119/15, NZI 2016, 352 Rn.  22 (konkret für die Ein­ schaltung eines Rechtsanwalts zum Forderungseinzug). 461  BGH, Urt. v. 3.3.2016 – IX ZR 119/15, NZI 2016, 352 Rn.  22. 462  So aber Holzer, NZI 2016, 903, 905. 463  Näher oben Kapitel  2 B.I.1. = S. 189 ff.

B. Vorsatzzurechnung

255

den „einfachen Rechtsuchenden“ nach §  278 BGB eine Einstandspflicht für das Verschulden des von ihm mandatierten Rechtsanwalts treffen.464 Zu berücksichtigen ist aber, dass die Einstandspflicht des Insolvenzver­ walters nach §  60 Abs.  1 InsO auf die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten beschränkt ist. Diese konstituieren den Pflichtenkreis im Sinne von §  278 BGB, der den äußeren Rahmen vorgibt, innerhalb dessen eine Zurechnung des schuldhaften Verhaltens Dritter überhaupt in Betracht ­ kommt.465 Der Konkretisierung des insolvenzspezifischen gesetzlichen Pflichtenkreises des Insolvenzverwalters kommt damit sowohl für die Be­ gründung als auch für die Begrenzung der Einstandspflicht des Insolvenz­ verwalters für Dritte entscheidende Bedeutung zu. Insofern verdient insbesondere der Ansatz Markus Gehrleins Beachtung, zwischen insolvenzspezifischen Grundentscheidungen und ihrer nicht in­ solvenzspezifischen Umsetzung zu differenzieren.466 Mit Blick auf unter­ nehmerische Entscheidungen würde das den Insolvenzverwalter in eine ge­ wisse Nähe zu den Leitungsorganen von Gesellschaften rücken. Zwar hat der BGH festgestellt, dass die „Situation“ des Insolvenzverwalters nicht vollständig derjenigen des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft ent­ spricht.467 Er hat aber auch klargestellt, dass den Insolvenzverwalter ebenso wie das Vorstandsmitglied für unternehmerische Entscheidungen keine Er­ folgshaftung trifft.468 Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig überzeu­ gend anzunehmen, die Einstandspflicht des Insolvenzverwalters für das schuldhafte Verhalten sachkundiger Berater gehe weiter als diejenige der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft.469 464  Oben

Kapitel  2 A.VI.2.b) = S. 161 ff. und B.IV.4. = S. 249 f.; vgl. auch Gehrlein, ­ InsO 2020, 165, 170 mit dem Hinweis, dass die Einstandspflicht nach §  278 BGB auch Z dann gilt, wenn die Einschaltung eines Rechtsanwalts (konkret: zum Forderungseinzug) im Hinblick auf den Anwaltszwang im Zivilprozess nach §  78 ZPO erforderlich ist. 465  Im Grundsatz auch ders., ZInsO 2020, 165, 171, der die Einstandspflicht des Insol­ venzverwalters nach §  278 BGB allerdings auch mit der Verletzung von Überwachungs­ pflichten in Zusammenhang bringt. Darauf kommt es im Rahmen von §  278 BGB indes nicht an; es geht hier nicht um eine Einstandspflicht für eigenes Verschulden. 466  Ders., ZInsO 2020, 165, 171 467  Vgl. BGH, Urt. v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, NJW 2020, 1800 Rn.  40 im Kontext der Frage nach der Anwendbarkeit von §  93 Abs.  1 S.  2 AktG auf die Haftung des Insol­ venzverwalters bei unternehmerischen Entscheidungen (im Ergebnis verneint). 468  Vgl. BGH, Urt. v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, NJW 2020, 1800 Rn.  35. 469 Ähnlich Gehrlein, ZInsO 2020, 165, 173, wenn er es für maßgeblich erachtet, dass die an dem Insolvenzverfahren Beteiligten „nicht bessergestellt werden [sollten], wie wenn der [Insolvenz-]Schuldner selbst oder ein sonstiger Treuhänder die für die Masse­ erhaltung objektiv notwendigen und geeigneten Maßnahmen wie Beauftragung von

256

Kapitel 2: Vorsatz und Vorsatzzurechnung

Hinzu kommt, dass sich die Einbeziehung sachverständiger Dritter dann nicht mehr als Organisationsentscheidung des Insolvenzverwalters darstellt, wenn sie aufgrund von Umständen außerhalb des Verantwortungs- und Ri­ sikobereichs des Insolvenzverwalters objektiv unausweichlich ist, nament­ lich aufgrund der Art des Schuldnervermögens (Unternehmen) oder in Be­ zug auf einzelne besonders komplexe Aspekte des Insolvenzverfahrens. Dann widerspricht eine Einstandspflicht des Insolvenzverwalters für das schuldhafte Verhalten hinzugezogener sachkundiger Dritter auch unter dem Aspekt ihrer Anknüpfung an eine Organisationsentscheidung des Schuld­ ners (im Sinne des §  278 BGB, hier also des Insolvenzverwalters) der ratio des §  278 BGB.470 Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass damit ein gewisser haf­ tungsrechtlicher Anreiz auf Seiten des Insolvenzverwalters zur Delegation überall dort einhergehen könnte, wo hiernach eine Verschuldenszurechnung ausscheidet.471 6. Bewertung Betrachtet man die besonderen verhaltens- und verschuldensbezogenen Zu­ rechnungstatbestände des BGB (unter Einschluss von §  123 Abs.  2 S.  1 BGB), des HGB, des VVG, der ZPO und der InsO in einer Gesamtschau, so lässt sich konstatieren, dass sich regelmäßig keine relevante eigenständige Funktion dieser Zurechnungstatbestände im Sinne einer relevanten Abwei­ chung von der allgemeinen Regel des §  278 BGB ausmachen lässt. Das gilt insbesondere auch für §  60 Abs.  2 InsO, der punktuell die Besonderheit ad­ ressiert, dass der Insolvenzverwalter kraft Amtes Herr über einen fremden Betrieb wird, dessen Organisa­tion er nicht selbst geprägt hat. Diese Ausnah­ me fügt sich bruchlos in den all­gemeinen teleologischen Kontext des §  278 BGB. Dasselbe lässt sich für die handelsrechtliche Leutehaftung feststellen. Eine gewisse Eigenständigkeit weisen immerhin die §§  47 Abs.  1, 156, 176, 179 Abs.  3, 193 Abs.  2 VVG auf, die mit der Verschiedenheit von Versiche­

Hand­werkern oder Wach­personal und Einschaltung von Anwälten oder Steuerberatern ergriffen hätte“. 470  Auch insofern ähnlich ders., ZInsO 2020, 165, 171 f., wenn er ausführt, dass es für die Einstandspflicht des Insolvenzverwalters keinen Unterschied machen könne, „ob der Verwalter, der eine bestimmte Aufgabe aus eigener Kompetenz nicht erledigen kann, auf Mitarbeiter des Schuldners [= §  60 Abs.  2 InsO direkt] oder sonstige Dritte angewiesen ist“. 471  Vgl. zu diesem Argument, allerdings nur bezogen auf den unmittelbaren Anwen­ dungsbereich von §  60 Abs.  2 InsO, auch ders., ZInsO 2020, 165, 174.

B. Vorsatzzurechnung

257

rungsnehmer und versicherter Person allerdings eine isolierte, nicht system­ prägende versicherungsvertragsrechtliche Besonderheit adressieren. Im Übrigen wird die Frage der Einstandspflicht für Dritte in den hier untersuchten Rechtsverhältnissen, in denen sie insgesamt oder hinsichtlich bestimmter Aspekte positivrechtlich eigenständig angeknüpft ist, im Grun­ de einheitlich im Sinne von §  278 BGB beantwortet: Für Dritte, die mit Wis­ sen und Wollen des Geschäftsherrn oder kraft Gesetzes in dessen Pflichten­ kreis und im Umkreis des ihnen zugewiesenen Aufgabenbereichs tätig wer­ den, hat der Geschäftsherr innerhalb bestehender Sonderverbindungen grundsätzlich unbedingt einzustehen. Jenseits der hier untersuchten Rechts­ gebiete lassen sich weitere Beispiele finden, die in dieselbe Richtung weisen (vgl. etwa §  8 Abs.  2 UWG, §  14 Abs.  7 MarkenG).472 Dieser Befund deutet darauf hin, dass §  278 BGB seinerseits Ausdruck eines allgemeinen Prinzips der garantiemäßigen Einstandspflicht für Hilfspersonen innerhalb von ­Sonderverbindungen ist, das die deutsche Privatrechtsordnung insgesamt durchzieht. Im folgenden dritten Kapitel soll der Fokus auf die Gegenüberstellung von Tatbeständen mit (vermeintlich isoliertem) Wissenselement und solchen mit (explizitem) Vorsatzelement gelegt werden. Es wird sich zeigen, dass sich diese für die Zwecke des Privatrechts nicht sinnvoll voneinander unter­ scheiden lassen. Einfache Wissenstatbestände sind vielmehr nur dann zu­ treffend beschrieben, wenn man sie als (verkürzt formulierte) Vorsatztatbe­ stände expliziert. Das gilt in besonderer Weise, soweit es um die Begründung einer Einstandspflicht für Dritte geht.

472 

Vgl. dazu etwa BGH, Urt. v. 15.2.2018 – I ZR 138/16, MMR 2018, 667 Rn.  61 ff. – ­ RTLIEB; im Kontext der Wissenszurechnung außerdem noch BGH, Urt. v. 21.1.2021  – O I ZR 20/17, MMR 2021, 481 Rn.  40 ff. – Davidoff Hot Water IV.

Kapitel  3

Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände – Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung A. Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände I. Wissen als norm- und erfahrungssatzgeprägtes Tatbestandsmerkmal Es hat sich gezeigt, dass sich durchaus einige allgemeine Aussagen darüber treffen lassen, was „Wissen“ im Privatrecht ausmacht. Es ist intuitiv plausi­ bel, dass der privatrechtliche Wissensbegriff dem erkenntnistheoretischen Wissensbegriff zumindest ähnlich ist und dass (unbedingtes) Wissen über ein bloßes Vermuten hinaus namentlich ein hohes Maß an subjektiver Si­ cherheit hinsichtlich der Wahrheit des in Rede stehenden Sachverhalts sowie eine gewisse epistemische Rechtfertigung dieser „Wahrheitsvorstellung“ er­ fordert. Umgekehrt wird (unbedingtes) Wissen durch erhebliche Zweifel oder das Fehlen hinreichender Gründe bzw. Anhaltspunkte für die Wahr­ heit einer Vorstellung ausgeschlossen. Diese Feststellungen tragen durchaus noch die Annahme, der Wissens­ begriff des Privatrechts verweise ausschließlich auf eine außerrechtliche Fak­ tizität. Bestätigt wird diese Annahme scheinbar durch die prozessuale Ein­ ordnung von Wissen als innerer Tatsache, die festgestellt werden kann und dem Beweis zugänglich ist, zumal wenn man die Beweislastregeln und Er­ fahrungssätze, die in diesem Zusammenhang gelten, als rein prozessuale Konzessionen an die praktischen Bedürfnisse einer Feststellung von Wissen einordnet, die über den eigentlichen materiellen Wissensbegriff nichts aus­ sagen. Ansätze einer normativen Prägung des Wissensbegriffs finden sich indes bereits bei der Konkretisierung des Maßes an subjektiver Sicherheit, die er­ forderlich ist, damit jemand weiß, wenn man dieses konkret normbezogen ermittelt. Auch Erfahrungssätze und Alltagstheorien zur Feststellung von Wissen im Prozess und besonders die Regeln zum (bewussten) Sich­ver­ schließen lassen sich ohne weiteres als Ausdruck einer normativen Prägung des Wissensbegriffs als solchem begreifen. Dasselbe gilt für die Formel von

260

Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ bzw. den Maßstab des „redlich Denkenden“, wo es um Recht als Gegenstand von Wissen geht. Es ist sicher richtig, dass jeder sinnvolle Wissensbegriff notwendig auch auf die außerrechtliche Faktizität von „Wissen“ verweist. Ein Wissensbe­ griff, der die Alltagserfahrung von Wissen – namentlich dort, wo sich im Alltag ohne weiteres Konsens darüber herstellen lässt, dass etwas als „Wis­ sen“ gelten darf – nicht umfasst und in sich aufnimmt, ist offensichtlich un­ brauchbar. Insofern soll hier also keinesfalls einem normativistischen Wis­ sensbegriff das Wort geredet werden, der von der gewöhnlichen Lebensauf­ fassung und außerrechtlichen Erkenntnissen ganz losgelöst wäre.1 Das heißt aber nicht, dass sich der privatrechtliche Wissensbegriff in einem Verweis auf die außerrechtliche Gegebenheit von Wissen erschöpfen müsste. Im Gegenteil wäre es geradezu paradox, würde das Recht die – im wahrsten Sinne des Wortes – Zweifelsfälle, die im Faktischen bestehen, nicht genuin adressieren. Es ist nicht ansatzweise zu erkennen, warum das Recht hier nicht gestalten, sondern nur nachvollziehen und damit all die Probleme, die im Umgang mit „Wissen“ als Faktizität bestehen, in sich aufnehmen sollte. Die normative Prägung des privatrechtlichen Wissensbegriffs auf eben diese Zweifelsfälle zu beschränken, ist allerdings gleichfalls nicht möglich. Denn um sie – und nur sie – zu erfassen, müsste man sie erschöpfend identi­ fizieren und isolieren können, und zwar in einer rechtlich operablen, sub­ sumtionsfähigen Weise. Das ist aber bislang ersichtlich nicht gelungen. Dies ist indes auch nicht nötig, wenn man den privatrechtlichen Wissens­ begriff insgesamt als normativ geprägt erkennt und anerkennt.2 Seine Fest­ stellung muss zwar einerseits geleitet sein von dem Versuch, soweit wie 1 

So auch für den Handlungsbegriff des Strafrechts Roxin, Strafrecht, 42006, §  8 Rn.  54 = S.  260. 2  Im Ansatz auch Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 6: „So erhält das ‚Wissen‘ eine bestimmte normative Komponente. [… Namentlich] gilt als Wissen, was man nach Erfahrungsregeln im Gedächtnis hatte und sich daher vorstellen konnte“; Adler, Wissen und Wissenszurechnung, 1997, S.  9; Fietz, Die Wissenszurechnung gegenüber ju­ ristischen Personen, 2021, S.  102 („normative Korrektur“); Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S.  5, wobei allerdings unklar bleibt, ob Thomale a. a. O. mit dem Begriff des Wissens nicht auch das fahrlässige Nichtwissen und die Wissenszurechnung in Bezug nimmt. Anders wohl das hergebrachte Verständnis, vgl. etwa Schrader, Wissen im Recht, 2017, S.  103 ff.; Römmer-­Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S.  57, nach dem die Bedeutung der Tatbestandsmerkmale Wissen und Kenntnis „zu­ nächst vom Wortsinn her eindeutig“ sei und es sich „nicht um ein juristisches Kunstwort“ handele, „dessen Bedeutung im Einzelfall erst mit juristischen Methoden erschlossen werden“ müsse; „[b]iologischer und rechtlicher Wissens­begriff sind vielmehr deckungs­ gleich“; Prölss, FS Leenen, 2012, S.  229, 232, wenn er das „Vorhandensein von Wissen als reines Faktum“ betrachtet.

A. Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

261

möglich empirische Tatsachenbehauptung zu bleiben, kann dabei de facto aber nicht stehen bleiben, sondern muss, zumal in Grenzfällen, stets auch normative Konzessionen machen. So sehr es wünschenswert sein mag, bei­ des strikt zu trennen und sich auf ersteres zu beschränken: Es wäre undurch­ führbar und unehrlich, weil es unabdingbare Wertungselemente im Rahmen der „alltäglichen“ Feststellung von Wissen als innerer Tatsache verschleiert, statt sie offen zu adressieren. Den Wissensbegriff des Privatrechts als insgesamt normativ geprägt zu begreifen, überzeugt auch unabhängig von den geschilderten Operabilitäts­ erfordernissen. Rechtlich und damit in seiner Bedeutung als Rechtsbegriff relevant ist „Wissen“ immer nur als subjektives Tatbestandsmerkmal irgend­ einer Wissensnorm. Damit ist der Begriff des Wissens als Rechtsbegriff not­ wendig in einen bestimmten normativen Kontext gesetzt. Namentlich steht er notwendig in Relation zu den sonstigen Tatbestandsmerkmalen, zu den Rechtsfolgen und zu den Zwecken der jeweils in Rede stehenden Wissens­ norm. Auch deshalb ist der privatrecht­liche Wissensbegriff, als Rechtsbe­ griff („im Rechtssinne“), gleich dem Besitz­begriff,3 dem Handlungsbegriff4 und dem Willensbegriff,5 notwendig normativ geprägt. Im Folgenden soll „Wissen“ daher nicht mehr nur normunabhängig-­ abstrakt, sondern als Tatbestandsmerkmal von Wissensnormen des Privat­ rechts in den Blick genommen werden. Im Zentrum wird dabei die Erkennt­ nis stehen, dass „Wissen“ als Tatbestand privatrechtlicher Wissensnormen niemals allein für sich genommen – gleichsam als „nackte Tatsache“ – rele­ vant ist, sondern immer nur bezogen auf ein bestimmtes Verhalten (Tun, Dulden oder Unterlassen). Diese Erkenntnis bedingt die Explikation von 3 

Zutreffend für den in auffälliger Parallelität gleichfalls nur vermeintlich auf eine reine Faktizität („tatsächliche Sachherrschaft“) verweisenden Begriff des Besitzes Lepsius, Be­ sitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht, 2002, S.  171 ff. und insbesondere S.  177 unter Bezugnahme insbesondere auf Georg Jellinek. 4  Zutreffend für den in auffälliger Parallelität gleichfalls nur vermeintlich auf eine reine Faktizität verweisenden Handlungsbegriff des Strafrechts Roxin, Strafrecht, 42006, §  8 Rn.  74 = S.  270. 5  Zutreffend für den in auffälliger Parallelität gleichfalls nur vermeintlich auf eine reine (hier: „psychische“) Faktizität verweisenden Willensbegriff Wolff, Jherings Jahr­bücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Zweite Folge, 45. Band (1931), 53, 67 ff.; für das Strafrecht in großer Klarheit auch Schewe, Reflexbewegung, Handlung, Vorsatz, 1972, S.  7 ff. (insbesondere S.  65–68), der das Problem aus der Perspektive des Gegenüber von fo­ rensischer Psychiatrie und Psychologie auf der einen und Rechtswissenschaft und Rechts­ anwendung auf der anderen Seite (oder personal gewendet: von Sachverständigem und Richter) behandelt; Puppe, ZIS 2014, 66, 70 m. w. N.; wohl auch Neuner, AcP 218 (2018), 1, 24 (relativer Rechtsbegriff). Vgl. zur Diskussion um die normative Prägung des Begriffs der Willenserklärung noch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S.  217.

262

Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

Wissenstatbeständen als Vorsatztatbestände, die jeweils ein bestimmtes „Verhalten trotz Wissens“ oder „im Wissen“ privatrechtlich adressieren.

II. Fehlen einer stringenten funktionalen Unterscheidung zwischen Wissenstatbestand und Vorsatz- bzw. Verschuldenstatbestand im positiven Recht Das hergebrachte Verständnis des Wissenstatbestands beruht auf der Prä­ misse, der Wissenstatbestand der Wissensnormen des Privatrechts sei ein­ gliedrig und kategorial vom Vorsatztatbestand verschieden. Für dieses – bislang, soweit ersichtlich, einhellige – Verständnis spricht vor allem der Umstand, dass Vorsatz und Wissen/Kenntnis nun einmal zwei unterschiedliche Begriffe sind.6 Es wird zudem ersichtlich getragen von der unausgesprochenen Vorstellung, die Begriffe Wissen und Vorsatz würden im Privatrecht und insbesondere im BGB, anders als die Begriffe Wissen und Kenntnis, nicht in beliebiger Weise austauschbar verwendet, sondern in planmäßig differenzierter Weise. Immerhin lässt sich sagen, dass sich der Vorsatztatbestand vom Wissen­ statbestand im Wesentlichen durch seine spezifische Funktion als Tatbe­ standsmerkmal von Haftungs- und insbesondere von Schadensersatznor­ men auszeichnet. Dabei (und deshalb) weist der Vorsatz regelmäßig einen unmittelbaren und offenen Bezug zur Verletzung einer Rechtspflicht im Sinne eines pflichtwidrigen Verhaltens (exemplarisch: §  280 Abs.  1 BGB) oder eines Rechtsguts im Sinne eines rechtswidrigen Verhaltens (exempla­ risch: §  823 Abs.  1 BGB) als weiteres Tatbestandsmerkmal auf, auf das er sich beziehen muss und welches die in Rede stehende Haftungsnorm sanktio­ niert. Vorsatztatbestände sanktionieren also insbesondere rechts- oder pflichtwidriges Verhalten, indem sie eine Haftung des Schuldners der in Rede stehenden primären Rechtspflicht bzw. der Person begründen, die den in Rede stehenden Verhaltenstatbestand verwirklicht. Bei Normen mit (vermeintlich) einfachem Wissenstatbestand scheint es sich auf den ersten Blick häufig anders zu verhalten. An „Wissen“ knüpft das Gesetz häufig jedenfalls unmittelbar keine Haftung auf Schadensersatz, sondern andersartige, spezifische Rechtsfolgen, etwa den Beginn der Verjäh­ rung eines Anspruchs (§  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB), den Verlust von Mängel­ rechten (§  442 Abs.  1 S.  1 BGB und in spezifischer Weise auch §  377 Abs.  1 und 3 HGB), den Verlust von bereicherungsrechtlichen Ansprüchen (§  814 BGB), den Verlust der Möglichkeit, sich auf den Wegfall der Bereicherung 6 Exemplarisch

Engelhardt, Wissensverschulden, 2019, S.  110 f.

A. Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

263

zu berufen (§  819 Abs.  1 BGB), oder die Unwirksamkeit eines Rechtsge­ schäfts (Tatbestände des gutgläubigen Erwerbs). Das könnte man dahinge­ hend zusammenfassen, dass Anknüpfungs­ gegenstand jeweils eine bloße Obliegenheitsverletzung ist.7 Deutlich ausgeprägt ist diese funktionale Differenzierung in Fällen, in de­ nen an einen Tatbestand mit (vermeintlich) einfachem Wissenserfordernis eine Schadensersatzhaftung nur über eine gesonderte Schadensersatznorm mit gesondertem Verschuldenserfordernis anknüpft wird, wie dies etwa bei §  990 Abs.  1 BGB (vermeintlich einfacher Wissenstatbestand) in Verbindung mit §  989 BGB (Verschuldenstatbestand) und bei §  819 Abs.  1 BGB (ver­ meintlich einfacher Wissenstatbestand) in Verbindung mit §§  292 Abs.  1, 989 BGB (Verschuldenstatbestand) der Fall ist. Verschuldensunabhängig schul­ det der um sein fehlendes Recht zum Besitz wissende unberechtigte Besitzer nach den Regeln des EBV nur und immerhin die Herausgabe gezogener Nutzungen nach §§  990 Abs.  1 S.  1 und 2, 987 Abs.  1 BGB. Es ist aber nicht etwa so, dass dieser „Plan“ stringent durchgehalten wür­ de. Das wird deutlich bei Normen, die eine Haftung auf Schadensersatz un­ mittelbar an (vermeintlich) einfaches Wissen oder Wissenmüssen knüpfen, also etwa bei §  122 BGB, bei §  179 BGB,8 bei §  311a Abs.  2 BGB und bei § 46 Abs. 3 AktG. Dasselbe gilt für Normen, die umgekehrt andere negative Rechtsfolgen als eine Haftung auf Schadensersatz an ein „Verschulden“ oder „Vertretenmüssen“ oder ein „schuldhaftes Zögern“ knüpfen, wie §§  254, 346 Abs.  3 S.  1 Nr.  29, 839 Abs.  3, 987 Abs.  210 BGB sowie §  121 Abs.  1 S.  1 BGB und viele mehr. Unsicherheiten bestehen außerdem in all den Fällen, in denen unklar und umstritten ist, ob überhaupt ein isoliertes Wissenselement oder aber ein Willenselement oder – in Gestalt des Vorsatztatbestands – bei­ des in Bezug genommen ist, von denen einige in der Einleitung angespro­ chen worden sind. 7 

Vgl. zum Begriff der Obliegenheit oben Kapitel  2 B.I.5.b) = S. 221 f. Nach dem Wortlaut von §  179 Abs.  2 BGB ist die Haftung des Vertreters ohne Ver­ tretungsmacht auf das Erfüllungsinteresse davon abhängig, dass er den Mangel seiner Ver­ tretungsmacht bei Vertragsschluss „gekannt“ hat. Kenntnis- bzw. Verschuldensunabhän­ gig haftet er nur (und immerhin) auf das negative Interesse. 9  §  987 Abs.  2 BGB statuiert ein Verschuldenserfordernis, ist rechtsfolgenseitig seinem Wortlaut nach aber nicht auf Schadensersatz, sondern auf Wertersatz für nicht gezogene Nutzungen gerichtet. Das RG hat die Vorschrift als verdeckte Schadensersatznorm ein­ geordnet, vgl. RG, Urt. v. 16.9.1918 – Rep. VI 163/18, RGZ 93, 281, 284; RG, Urt. v. 13.2.1934 – VII 308/33, RGZ 143, 374, 377. Anders etwa BeckOK – Fritzsche, BGB, Stand: 1.5.2021, §  987 Rn.  77 m. w. N. 10  Andere Normen des Rücktrittsrechts knüpfen demgegenüber, begrifflich weiter, an die „Verantwortlichkeit“ des Gläubigers an; oben Kapitel 2 B.I.5.b) = S. 221 ff. 8 

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

Im Übrigen ist es auch nicht so, dass es gleichsam begriffsnotwendig aus­ geschlossen wäre, den Vorsatztatbestand auf Obliegenheitsverletzungen zu beziehen. Denn auch Obliegenheitstatbestände begründen Verhaltenserwar­ tungen, die zwar nicht primär einklagbar und sekundär schadensersatzbe­ wehrt, aber eben doch – andersartig-spezifisch mit dem Verlust einer Rechts­ position – sanktioniert sind.11 Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass diese notwendige Verhaltensbezogenheit und der Sanktionscharakter auch von Wissensnormen es gebieten, (explizite) Vorsatznormen und Wissensnormen kategorial gleich zu behandeln. Das gilt sowohl mit Blick auf die Beantwor­ tung der Zurechnungsfrage als auch sonst. Zumindest rudimentäre Überlegungen oder Intuitionen in diese Richtung finden sich, darauf sei vorab noch hingewiesen, schon in der älteren Litera­ tur. So resümiert der frühere Vorsitzende Richter am BGH Erich Steffen am Schluss eines Diskussionsbeitrags auf dem Karlsruher Forum 1994, mit der Gleichstellungsthese12 gerate die Wissenszurechnung „noch viel stärker in die Nähe des Kennenmüssens. Es wird dann statt eines schwachen §  166 BGB zumindest ein halber §  276 BGB hineingebracht, d. h. also weg von dem augenblicklich noch gesetzlichen Konzept der Kenntnis. Und dieser Befund darf nicht so ganz leicht genommen werden angesichts der sehr star­ ken Tendenzen im Rahmen des §  852 BGB mit dem Vorwurf an den Geschä­ digten, mit dem Vorwurf aus §  276 BGB zu arbeiten, und sei es auch nur zur Arbeitserleichterung des damit Arbeitenden“.13 Soweit und sofern Steffen mit dem Verweis auf §  276 BGB auch in Ansehung absoluter Wissensnor­ men auf die Tatbestandsalternative der Fahrläs­sigkeit Bezug nimmt, ist dem zu widersprechen; die Unterscheidung zwischen Vorsatz bzw. Wissen und Fahrlässigkeit bzw. fahrlässiger Unkenntnis ist systemprägend. Soweit und sofern mit dem Hinweis auf den „halben §  276 BGB“ hingegen die Frage verbunden ist, was eigentlich (vermeintlich) einfache Wissenstatbestände 11  Vgl. allgemein zum Begriff der Obliegenheit oben Kapitel  2 B.I.5.b) = S. 221 f.; spe­ ziell zum Sanktionscharakter von Obliegenheitstatbeständen MünchKomm – Baldus, BGB, 82020, §  985 Rn.  153: „Gläubigerfehlverhalten wird zumeist mit anderen Sanktionen belegt als Schuldnerfehlverhalten, stellt aber gleichfalls eine Abweichung vom Geschulde­ ten dar“; Schulze, Die Naturalobligation, 2012, S.  345 f.: „Der drohende Verlust eigener Rechtspositionen kann allerdings durchaus als rechtliches Zwangsmittel angesehen wer­ den. […] Zwar trifft die Obliegenheit den Belasteten nur, wenn er sich zu einer bestimm­ ten Handlung entschließt, insbesondere eigene Rechte oder Interessen verfolgt. Das ob­ liegende Verhalten mutiert damit aber nicht seinerseits auch zu einem Handeln im eigenen Interesse, sondern bleibt Handeln im Fremdinteresse“. 12  Vgl. oben Kapitel  1 B.IV.11.b) = S. 109 ff. 13  Steffen, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 32, 33; Anklänge in diese Rich­ tung auch bei Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  8.5.

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und Vorsatztatbestände (bzw. den Tatbestand der fahrlässigen Unkenntnis und denjenigen fahrlässigen Verhaltens) unterscheidet, zumal in Zurech­ nungsfragen, ist die Frage unbedingt aufzugreifen.

III. Willentliches Verhalten trotz Wissens als vorsätzliches Verhalten 1. Die Irrelevanz „nackten Wissens“ im Recht In der Literatur wurde bereits gezeigt, dass das Wissen um einen Umstand im Privatrecht (nichts anderes gilt im Strafrecht14 und wohl auch im Öffent­ lichen Recht15) niemals isoliert als solches, als bloßer Zustand16 oder „nackte 14 

Vgl. bereits Frank, ZStW 10 (1890), 169, 204 (siehe auch schon oben Fn.  1): „Freilich auf die Frage: ist Denken strafbar? wird der Mann aus dem Volke mit einem ebenso ent­ schiedenen Nein antworten wie der Reichsgerichtsrat, aber lediglich deshalb, weil man bei dem Worte ‚Denken‘ nur eine rein innere Thätigkeit im Auge hat, die in keiner Weise zur Entäußerung gelangt ist. Fragt man aber weiter: ist der zur That gewordene Gedanke straf­ bar? so wird hier wie dort die Antwort bejahend ausfallen. Und was ist denn die Handlung anders als eine Erschließung unsres innern Seins, motiviert nicht nur durch die Gefühle, sondern auch durch die Vorstellungen und durch die Denkthätigkeit? Jedes dieser Mo­ mente verhält sich zur Handlung kausal, mithin liegt auch in jedem zu seinem Teil ein Grund der Strafbarkeit“; auch Otto, Jura 1996, 468, 471 m. w. N.: „Das bloße Wissen sozi­ algefährlicher sozialschädlicher Geschehensabläufe ist strafrechtlich irrelevant“. Entspre­ chend wird auch im Strafrecht das Problem der Wissenszurechnung, soweit eine solche überhaupt in Betracht kommt (namentlich beim Betrug auf Opferseite), in erster Linie als spezifisches Problem arbeitsteiligen Handelns erfasst; vgl. BGH, Urt. v. 5.12.2002 – 3 StR 161/02, NJW 2003, 1198 Abschn.  II 1 b aa; Tiedemann, FS Klug, 1983, S.  405, 413; Wittmann, Wissenszurechnung im Strafrecht, 2006, passim und exemplarisch S.  15 und S.  110; vgl. zur Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen einer Wissenszurechnung im Straf­ recht nach Maßgabe von Verantwortungsbereichen außerdem noch Rengier, FS Roxin, 2001, S.  811, 823 f. und Eisele, ZStW 116 (2004), 15 ff., die für eine Wissenszurechnung wohl ebenfalls, ohne dass dieser Aspekt allerdings im Mittelpunkt stünde, einen konkreten Verhaltensbeitrag des Wissensträgers voraussetzen, namentlich die Teilnahme an Verhand­ lungen, die Repräsentation des Geschäftsherrn oder allgemein ein Tätigwerden für ihn. 15  Das Gesagte gilt für das Öffentliche Recht jedenfalls überall dort, wo Wissen in Bezug auf behördliche Entscheidungen oder behördliche Untätigkeit rechtlich relevant ist, wie etwa im Rahmen von §  48 Abs.  4 S.  1 VwVfG (s. dazu schon oben Fn.  101); aus­ führlich zu Wissenstatbeständen und zur Wissenszurechnung im Öffentlichen Recht Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, die den allgemeinen Verhaltens­ bezug von Zurechnung deutlich herausstellt, das aber nicht auf die Zurechnung gerade von Wissen überträgt; Reinhardt, Wissen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht, 2010, S.  25; Lange, Zweckveranlassung, 2014. 16  So aber etwa Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2000, S.  45; Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  17 f., 32 ff., jeweils ausdrücklich auch für das fahr­ lässige Nichtwissen (Wissenmüssen); aus dem jüngeren Schrifttum etwa noch Altmeppen, NJW 2020, 2833, 2834 f., allerdings ohne ausdrückliche Erstreckung auf das fahrlässige

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Tatsache“, Gegenstand einer Norm ist. Gegenstand von Normen ist Wissen immer nur in Verbindung mit einem rechtlich relevanten Verhalten (Tun, Dulden oder Unterlassen) des Wissensträgers,17 etwa dergestalt, dass der Wissende: – es als Gläubiger unterlässt, einen Anspruch in verjährungshemmender Weise geltend zu machen, obwohl ihm dies auf Basis der ihm verfügbaren Informationen zumutbar wäre (§  199 Abs.  1 Nr.  2 Alt.  1 BGB),18 Nichtwissen; jedenfalls für Wissensnormen, die einen Fristbeginn an das Wissen um be­ stimmte Umstände knüpfen, ferner Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  57 Fn.  236; vgl. außer­ dem noch Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwortung bei juristischen Perso­ nen, 2017, S.  242 und, eher beiläufig, Koller, JZ 1998, 75, 76. 17 Vgl. Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und Bankrechtliche Aufklärungspflich­ ten, 1998, S.   90, 150 ff., der das als Verhaltensakzessorietät des Wissens bezeichnet; ­Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1254 f.; Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 126, 132; Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 177; Grigoleit – ders., AktG, 22020, §  78 Rn.  30; Fietz, Die Wissenszurech­ nung gegenüber juristischen Personen, 2021, S.  92 f.; Römmer-Collmann, Wissenszurech­ nung innerhalb juristischer Personen, 1998, S.  58: „Sinn und Zweck des Tatbestandsmerk­ mals ist es […], das Handeln des Einzelnen besonderen Lauterkeitsmaßstäben zu unter­ werfen, wenn er in Kenntnis gewisser Umstände tätig wird“ und öfter; Baumbach/Hopt – Hopt, HGB, 402021, (7) Bankgeschäfte Rn.  A/16; wohl auch Scheuch, FS Brandner, 1996, S.  121, 131 (aber unklar; deutlich anders S.  122 f.); Prölss, FS Leenen, 2012, S.  229, 255: „Alle Normen, die mit dem Wissen einer Person nachteilige Rechtsfolgen für diese ver­ binden, haben auch den Zweck, die Person zur Berücksichtigung dieses Wissens anzuhal­ ten oder negativ ausgedrückt: eine Missachtung dieses Wissens zu vermeiden“, der das aber nur als Ausgangspunkt für eine Unterscheidung zwischen Wissensnormen mit und solchen ohne „‚pönalen‘ Charakter“ nimmt; vgl. aus der älteren Lit. noch v. Tuhr, Der All­ gemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band  II/1, 1914 (unveränderter Nachdruck 1957), §  43 II = S.  8 und §  49 II = S.  127: „Wenn das Gesetz an die Kenntnis einer Tatsache Rechtsfolgen knüpft, muß die Kenntnis soweit präzisiert sein, daß der Wis­ sende […] bei seinem Verhalten die Tatsache berücksichtigen kann und soll“ (Hervorhe­ bung nicht im Original; etwas anders dann aber §  49 II = S.  128); außerdem Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S.  468, zitiert nach Neuner/Grigoleit, Claus-Wilhelm Canaris – Gesammelte Schriften, Band  2: Vertrauenshaftung, 2012, S.  543: „Verantwortlich aber kann man zivilrechtlich gesehen entweder für sein Verhalten oder für seinen Geschäftskreis sein“ (Hervorhebung im Original). In einer Fußnote zu diesem Satz stellt Canaris klar, dass darin „natürlich keineswegs unbedingt ein Gegensatz zu lie­ gen [braucht], da der Umfang des Geschäftskreises regelmäßig durch willentliches Verhal­ ten festgelegt wird“; andererseits seien „beide Kriterien aber auch nicht etwa identisch, wie z. B. die aus §  278 BGB folgende Haftung für den gesetzlichen Vertreter […]“; vgl. schließlich für das schweizerische Privatrecht noch Walter, Die Wissenszurechnung im schweizerischen Privatrecht, 2005, S.  315 f. Differenzierend Baum, Die Wissenszurech­ nung, 1999, S.  33 ff., der zwischen verhaltensbezogenen und nicht verhaltensbezogenen Wissensnormen, bei denen „Wissen an sich“ rechtsfolgenbegründend sei, unterscheidet. 18  Näher dazu unten Kapitel  3 A.VIII.5. = S. 295 f.

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– als Schuldner nach Abtretung der Forderung an den bisherigen Gläubi­ ger eine Leistung bewirkt oder mit dem bisherigen Gläubiger in Ansehung der Forderung ein Rechtsgeschäft vornimmt, obwohl er um die Abtretung weiß (§  407 Abs.  1 BGB),19 – eine Sache, um deren Mangelhaftigkeit er weiß, kauft (vgl. §  442 Abs.  1 S.  1 BGB)20 oder (weiter) nutzt, ohne den Mangel zu rügen (§  377 HGB), – eine Sache verkauft, obwohl er weiß, dass der Erfüllung seines Leis­ tungsversprechens ein Hindernis nach §  275 Abs.  1 bis 3 BGB entgegensteht (§  311a Abs.  2 S.  2 Alt.  1 BGB),21 – als Partei eines Dienstvertrags es unterlässt, die Kündigung des Dienst­ verhältnisses innerhalb von zwei Wochen zu erklären oder, sofern nötig, eine hierfür erforderliche Versammlung des zuständigen Organs einzuberu­ fen, obwohl er um die für die Kündigung maßgebenden Tatsachen weiß (§  626 Abs.  2 BGB),22 – eine fremde Sache in Besitz nimmt oder es unterlässt, die Sache an den Eigentümer herauszugeben, obwohl er weiß, dass er dem Eigentümer ge­ genüber nicht zum Besitz berechtigt ist (§  990 Abs.  1 BGB),23 – als Bereicherungsschuldner die bereicherungsrechtlichen Ansprüche des Bereicherungsgläubigers vereitelt, obwohl er weiß, dass er das betreffen­ de Etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat und daher zu dessen Heraus­ gabe verpflichtet ist (§  819 Abs.  1 BGB),24 – an einem Übertragungsgeschäft mitwirkt, obwohl er weiß, dass der be­ treffende Gegenstand nicht dem Veräußerer gehört (Tatbestände des gut­ gläubigen Erwerbs),25 wobei das (grob) fahrlässige Nichtwissen dem Wissen teilweise tatbe­ standlich gleichgestellt ist, teilweise aber auch nicht. Über das Verhaltenserfordernis wohnt dem Wissenstatbestand seinerseits notwendig ein Wollenselement inne.26 Dieses (willentliche) Verhalten kann 19 

Beispiel nach Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1254. Näher dazu unten Kapitel  3 A.VIII.3. = S. 283 ff. 21  Näher dazu unten Kapitel  3 A.VIII.4. = S. 292 ff. 22  Vgl. zur Einordnung von §   626 Abs.  2 BGB als verhaltensbezogenem Tatbestand auch Stein, ZGR 1999, 264, 275 ff.; vgl. zu §  626 Abs.  2 BGB im hiesigen Kontext ferner Grunewald, FS Beusch, 1993, S.  301, 315 f.; Rahn, Wissenszurechnung nach der Schuld­ rechtsnovelle, 2004; etwas anders, aber wohl ohne Ergebnisrelevanz, Baisch, Verjährungs­ beginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  215 ff. 23  Näher unten Kapitel  3 A.VIII.7. = S. 297. 24  Näher unten Kapitel  3 A.VIII.8. = S. 298. 25  Näher dazu unten Kapitel  3 A.VIII.6. = S. 296 ff. 26  Oben Kapitel  2 A.I. = S. 135 ff. 20 

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in Verbindung mit dem in Rede stehenden Wissen sanktionswürdig sein oder nicht. Ist es – wie in den vorgenannten Beispielsfällen – sanktionswür­ dig, wobei die Sanktionswürdigkeit des in Rede stehenden Verhaltens, ganz allgemein gesprochen, in einer normativ relevanten Gefährdung der Interes­ sen eines anderen liegt,27 so stellt das sanktionswürdige willentliche „Verhal­ ten trotz Wissens“ bei genauer Betrachtung nichts anderes dar als eine vor­ sätzliche Verletzung einer sanktionierten Pflicht oder Obliegenheit, sich (nicht so, sondern) anders zu verhalten.28 Der Unterschied zwischen beiden Betrachtungen liegt darin, dass mit der Formulierung eines verhaltensbezogenen Vorsatztatbestands der – auch sonst, aber gleichsam verdeckt – in Rede stehenden Verhaltensmaßstab, genauer die Verhaltenspflicht oder -erwartung, die die Norm als Rechtspflicht oder Ob­ liegenheit statuiert, expliziert und so als „eigentliche“ tatbestandliche Anknüp­ fung der in Rede stehenden Rechtsfolge im Sinne von Verantwortlichkeit29 und bei einem  – vorsätzlichen oder, wo gleichgestellt, fahrlässigen – Verstoß als Vorwurf30 offengelegt wird, der bei Wissensnormen zwar regelmäßig nicht 27  Vgl.

auch Schünemann, JR 1989, 89, 95; speziell für Wissensnormen Goldschmidt, ZIP 2005, 1305, 1308: „Wenn eine Rechtsnorm an die Kenntnis oder das Kennenmüssen bestimmte Rechtsfolgen knüpft, sind diese Rechtsfolgen regelmäßig für den nachteilig, der über das rechtserhebliche Wissen verfügt oder verfügen sollte. […] Derartige Sanktio­ nen dienen dem Schutz des Rechtsverkehrs“. Anders etwa Buck-Heeb, Wissen und juris­ tische Person, 2001, S.  18, die den Grund für die Berücksichtigung von Wissen(müssen) im Gedanken fehlender Schutzwürdigkeit und im Vertrauensgedanken sieht, wobei das der hier vertretenen Aufassung im Einzelfall nicht widersprechen muss. 28  Vgl. auch R. Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953, zusammenfassend S.  312 f. und dort insbesondere Nr.  5; Walter, Die Wissenszurechnung im schweizerischen Privatrecht, 2005, S.  316. Im Übrigen zeichnet sich das Verschuldenskriterium gerade dadurch aus, dass es über ein Wissenselement hinaus ein Element des Anders-handeln-Könnens ent­ hält; vgl. BeckOGK – Riehm, BGB, Stand: 1.4.2021, §  280 Rn.  182; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  II/1: Besonderer Teil, 131986, §  75 I 2 b = S.  351; Löwisch, AcP 165 (1965), 421, 426 m. w. N. Man könnte das Gesagte auch als Explikation des regulatori­ schen Gehalts privatrechtlicher Wissensnormen beschreiben (vgl. allgemein dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, passim und exemplarisch für den nach dem hier entfalteten Verständnis parallelen Fall arglistigen Verhaltens des Verkäufers S. 104 ff.) oder noch abstrakter als Auswahl von Verhaltenserwartungen (Luhmann, Rechtssoziologie, 4 2008, S. 99–106 und öfter) oder Verteilung tragbarer Verhaltenslasten (ders., Soziale Welt 1969, 28, 30 unten, 42 ff.). 29  Vgl. auch Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 125. 30  Vgl. dazu, dass dem Vorsatz als Verschuldensart ein Vorwurfselement innewohnt, Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 141987, §  20 II = S.  281. All­ gemein für das Verschulden auch BGH, Urt. v. 13.5.2015 – XII ZR 65/14, NJW 2015, 2419 Rn.  37: „Der Vorwurf schuldhaften Verhaltens beinhaltet aber ein Werturteil, indem dem Handelnden vor­geworfen wird, er habe vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Rechts­

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im Verstoß gegen ein Verbot besteht, aber eben doch im Verstoß gegen eine konkrete Verhaltenserwartung. Damit folgen auch Wissensnormen einem Verschuldensprinzip – bei abso­ luten Wissensnormen verengt auf Vorsatzverantwortlichkeit, bei relativen Wissensnormen im Sinn von Vorsatz-Fahrlässigkeits-Verantwortlichkeit – und nicht einer Art wissensbezogenem Erfolgsprinzip.31 Ein kategorialer Unterschied zwischen Wissens- und Verschuldensnor­ men besteht damit nicht. Allenfalls ließe sich, verkürzt und vereinfacht, wohl sagen, dass schuldhafte Verstöße gegen einfache Wissensnormen typi­ scherweise schwächer sanktioniert sind als schuldhafte Verstöße gegen expli­ zite Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen, so wie auf der gegenüberliegenden Seite die Bewertung eines bestimmten schuldhaften Verhaltens (sogar) als Straftat „die schärfste dem Gesetzgeber zur Verfügung stehende Form der Missbilligung mensch­ lichen Verhaltens“ darstellt, die eingesetzt wird, „wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zu­ sammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist“.32

Bedeutung für die Konstituierung des jeweils in Bezug genommenen sub­ jektiven Tatbestands und erst recht für die Beantwortung der Zurechnungs­ frage hat diese Differenzierung grundsätzlich nicht. 2. Wissenstatbestand als Vorsatztatbestand – absolute Wissensnorm als absolute Vorsatznorm a) Ausgangspunkt Wie gezeigt, ist allen drei Vorsatzformen gemein, dass sich der Vorsatz je­ weils dergestalt in einem bestimmten (tatbestandlichen) Verhalten aktuali­ sieren muss, dass dieses sich gerade als Verhalten im Wissen um die Tatbe­ standsverwirklichung und mit dem Willen zur Tatbestandsverwirklichung darstellt. ordnung verstoßen“; L ­ öwisch, AcP 165 (1965), 421, 426. Für das Strafrecht instruktiv insbesondere noch BGH, Beschl. v. 18.3.1952 – GSSt 2/51 NJW 1952, 593 Abschn.  III 2; ­Schewe, Bewußtsein und Vorsatz, 1967, S.  14 f. Zur Beschreibung von „Handeln trotz Kenntnis“ als vorwerfbar jüngst Altmeppen, NJW 2020, 2833, 2835, der dem aber keine weitere Bedeutung beimisst. 31  Überlegungen in diese Richtung auch bei Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  8.90, 8.108 und öfter. 32  BVerfG, Beschl. v. 10.2.2021 – 2 BvL 8/19, NJW 2021, 1222 Rn.  155 (Hervorhebung nicht im Original).

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Nichts anderes gilt für Wissensnormen. Berücksichtigt man, dass auch Normen, deren subjektiver Tatbestand durch die Inbezugnahme einfachen „Wissens“ ausgedrückt ist, notwendig verhaltensbezogen sind und dass über das Verhaltenselement auch diesen Normen notwendig ein voluntati­ ves Element innewohnt, wird klar, dass auch hier in der Sache ein Vorsatz­ erfordernis in Bezug genommen ist. Der Wissenstatbestand der Wissens­ normen und der Vorsatztatbestand der Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen unterscheiden sich nicht kategorial.33 b) Die Vorsatzform der Wissentlichkeit als in einen Verhaltensbezug gesetztes unbedingtes Wissen Für die Vorsatzform der Wissentlichkeit liegt das nachgerade auf der Hand. Bei der Vorsatzform der Wissentlichkeit erschließt sich das voluntative Vorsatz­element aus einem Verhalten trotz unbedingten Wissens um die Tat­ bestandsverwirklichung. Ein Verhalten im sicheren Wissen darum, dass es den Tatbestand einer Norm verwirklicht, kann nur dahin gedacht werden, dass die Tatbestandsverwirklichung zumindest billigend in Kauf genommen wird. Das ist vor allem deshalb so, weil dem Verhaltensbegriff, um es noch ein­ mal zu betonen, notwendig ein „Minimum“ an Willentlichkeit inkorporiert sein muss, damit er für die Zwecke des Privatrechts überhaupt tauglich ist (selbstverständlich begründet der mit vis absoluta nach oben gerissene Arm unabhängig davon, ob der so Angegangene sicheres Wissens darum hat, dass ein Auktionator, der die Gewalteinwirkung von seinem Platz aus nicht er­ kennen kann, seinen nach oben gestreckten Arm als Gebot werten wird, den Tatbestand einer Willenserklärung nicht).34 Wenn nun Wissen normativ aber ausschließlich in einem spezifischen, vo­ luntativen Verhaltensbezug relevant ist, dann bleibt zwischen dem (ver­ meintlichen) Tatbestand des Wissens und dem der Wissentlichkeit kein Un­ terschied – abge­sehen davon, dass bei Normen mit Vorsatztatbestand der Schluss auf das voluntative Vorsatzelement ausdrücklich noch vollzogen wird, während man bei Normen mit (vermeintlich) einfachem Wissens­ 33  Besonders deutlich Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grobfahr­ lässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  56, der allerdings die Verhaltensbezogenheit des Vorsatzes nicht berücksichtigt: „Kenntnis ist daher [unbedingter] Vorsatz minus Wil­ lensmoment und Unrechtsbewußtsein“. 34  Vgl. oben Kapitel  2 A.I. = S. 135 ff.; für den hier als Beispiel gewählten Fall der vis absoluta auch Durantaye, Erklärung und Wille, 2020, S.  47, die ansonsten ein von ihr so genanntes Handlungsbewusstsein allerdings für entbehrlich hält.

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tatbestand darauf verzichtet, diesen Schluss ausdrücklich zu vollziehen. Ir­ gendwelche Unterschiede in der Sache bestehen nicht. Wissentlichkeit ist nichts anderes als in einen voluntativen Verhaltensbe­ zug gesetztes unbedingtes Wissen. c) Der bedingte Vorsatz als in einen Verhaltensbezug gesetztes bedingtes Wissen Etwas weniger klar scheinen die Dinge beim bedingten Vorsatz zu sein. Zum einen genügt hier als kognitives Element eine konkrete Möglich­ keitsvorstellung. Auch das unterscheidet (vermeintlich) einfache Wissen­ statbestände und Vorsatztatbestände indes keinesfalls kategorial.35 Denn es ist weder begrifflich noch aus sonstigen Gründen per se ausgeschlossen, dass für die Verwirklichung eines Wissenstatbestands bloß bedingtes Wissen im Sinne einer konkreten Möglichkeits- oder Wahrscheinlichkeitsvorstellung genügen kann. Das ist vielmehr eine Frage der Auslegung der in Rede ste­ henden Norm.36 35  Jedenfalls im Ausgangspunkt anders Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstel­ lung von grobfahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, S.  57, der allerdings immerhin einräumt, dass (1) die Grenze zwischen beiden Rechtsbegriffen „fließend“ sei, weil der Begünstigte einen Umstand „derartig für möglich halten“ könne, „daß bereits Kenntnis angenommen werden kann, gerade weil ‚leise Zweifel‘ unbeachtlich sind“ und dass (2) nach dem Normzweck gegebenenfalls sogar „eine Gleichstellung von bedingtem Vorsatz und mit Kenntnis“ in Betracht kommen kann (Sallawitz, a. a. O., S.  58). 36  Deutlich in diese Richtung schon Reichel, Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart (Grünhut’s Zeitschrift) 42 (1916), 173, 189: „Das Strafrecht kennt neben dem dolus determinatus auch einen dolus eventualis. Dies ist auch für uns beleh­ rend. Eventualwissen [sic] des Erwerbers liegt vor, wenn ihm bekannt ist, daß die Veräu­ ßerungsbefugnis des Veräußerers aus einem bestimmten Grunde zweifelhaft ist, er gleich­ wohl aber, ohne den Zweifel irgendwie aufzuklären, sich zum Erwerbe anschickt, indem er die Eventualität der Nichtberechtigung seines Vormannes bewußt und unbekümmert in den Kauf nimmt. Ein solcher Erwerber ist schlechtgläubig. [Beispiel:] K erhält eine absolut vertrauenswürdige Mitteilung, unter den Kühen des V befinden sich einige unterschlagene Stücke; gleichwohl kauft er auf gut Glück einige Tiere aus der fraglichen Masse“; auch Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 6, wenn er ausführt, die „Forderung nach einem sicheren Wissen [passe] nicht zum allseits anerkannten Eventual­ vorsatz“; ein dahingehender Wissensbegriff wäre hierfür „nicht verwendbar“; Wächter, M&A Litigation, 32017, S.  363; offen für eine „Reduktion des Wissenserfordernisses auf ‚Eventualwissen‘“ nach Maßgabe des Zwecks der einzelnen Wissensnorm auch BuckHeeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  59 f. Dagegen Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwortung bei juristischen Personen, 2017, S.  41; Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2638, der die Zweigliedrigkeit des bedingten Vorsatzes als Argument dafür anführt, dass für „Wissen“ – wenn man dieses als engen, eingliedrigen Tatbestand betrachtet – eine feste Überzeugung erforderlich sei.

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Zum anderen verweist der bedingte Vorsatz auf ein voluntatives Element in Gestalt der billigenden Inkaufnahme der Tatbestandsverwirklichung, das einem (vermeintlich) einfachen Wissenstatbestand zu fehlen scheint. Auch das begründet aber keinen kategorialen Unterschied zwischen Wissens- und Vorsatznormen. Wenn man Wissenstatbestände zutreffend verhaltensbezo­ gen betrachtet, ist schon der Befund unzutreffend, Wissensnormen fehle ein voluntatives Element. Vielmehr wohnt über das Verhaltenselement auch Wissensnormen notwendig ein voluntatives Element inne. Im Übrigen wäre es geradezu paradox, würde das Privatrecht die Opera­ bilisierungsleistung des Tatbestands des bedingten Vorsatzes, die in der wechselseitigen Ergründungs- und Besicherungsfunktion der beiden sub­ jektiven Vorsatzelemente liegt, für (vermeintlich) einfache Wissensnormen nicht fruchtbar machen und stattdessen der ersichtlich defizitären Diskus­ sion um einen isolierten, faktischen Wissensbegriff verhaftet bleiben (feste/ sichere innere Überzeugung – zuverlässige Kenntnis – für höchst oder er­ heblich oder einigermaßen wahrscheinlich halten – nur leise und unbegrün­ dete Zweifel bzw. keinen berechtigten oder gewichtigen Anlass zu Zweifeln haben etc.). Ein etwaiges besonderes Unrechtselement des voluntativen Ele­ ments spielt im Privatrecht demgegenüber keine entscheidende Rolle. d) Die Absicht Die Vorsatzform der Absicht unterscheidet sich auf den ersten Blick deut­ lich vom isolierten Wissenstatbestand, steht hier doch gerade das voluntative Vorsatzelement im Vordergrund. Indes wird auch bei der Vorsatzform der Absicht auf das kognitive Element nicht etwa ganz verzichtet. Erforderlich ist vielmehr auch hier, dass sich der Handelnde einer unmittelbaren, konkre­ ten Gefahrenlage bewusst ist bzw. eine konkrete Möglichkeitsvorstellung im Sinne des bedingten Vorsatzes hat. Auch die Absicht knüpft damit an ein bedingtes Wissenselement an und kann folglich begrifflich ohne weiteres als Vorsatzalternative von einem (vermeintlichen) Wissenstatbestand in Bezug genommen sein. Insofern gilt nichts anderes als für den bedingten Vorsatz. Dass an das voluntative Ele­ ment hier höhere Anforderungen gestellt werden als beim bedingten Vor­ satz, steht dem nicht ent­gegen. Im Gegenteil wäre es widersprüchlich, über ein (vermeintliches) Wissens­erfordernis zwar die Vorsatzform des bedingten Vorsatzes in Bezug zu nehmen, nicht aber diejenige der Absicht. Das ent­ spricht im Ergebnis der herrschenden Auffassung im Strafrecht, wenn auch dort, wie sogleich zu zeigen ist, die Vorsatzform der Absicht von Tatbestän­

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den erfasst ist, die an ein „wissentliches“ Verhalten oder an ein Verhalten „wider besseres Wissen“ anknüpfen. 3. Tatbestandsmäßigkeit nur der Wissentlichkeit? a) Audrücklich geregelte Fälle Wo ein Vorsatzerfordernis in Bezug genommen ist, genügt im Grundsatz bedingter Vorsatz. Das gilt im Privatrecht genauso wie im Strafrecht. Es gibt aber Ausnahmen. Wie bereits angesprochen, erfordern einzelne Straftatbe­ stände „wissentliches“ Verhalten oder ein Verhalten „wider besseres Wis­ sen“ (vgl. etwa §  187 StGB und §  258 StGB), was ganz überwiegend so ver­ standen wird, dass „bloß“ bedingter Vorsatz den subjektiven Tatbestand der Norm nicht erfüllt,37 sondern Wissentlichkeit oder, ihr gleichgestellt, Ab­ sicht erforderlich ist.38 In vergleichbarer Weise hat das BVerfG für den Tat­ bestand der Hehlerei entscheiden, dass §  261 Abs.  2 Nr.  1 StGB mit dem Grundgesetz (nur) insoweit vereinbar ist, als Strafverteidiger nur dann mit Strafe bedroht werden, wenn sie im Zeitpunkt der Annahme ihres Honorars sichere Kenntnis von dessen Herkunft hatten: „Müsste ein Beschuldigter schon dann damit rechnen, dass sein Verteidiger das übernommene Mandat im Interesse des Selbstschutzes niederlegen wird, wenn der Verteidiger es nur für möglich hält, dass sein Mandant die ihm zur Last gelegte Katalogtat begangen hat, so könnte er sich, von seinem Verteidiger zu Beginn des Man­ dats über das mögliche Auftreten dieses Falls informiert, an einer offenen, rückhaltlosen und vertrauensvollen Kommunikation mit seinem Verteidiger über einen zentralen Punkt des Tatverdachts gehindert sehen, um den Ver­ teidiger seiner Wahl nicht zu verlieren“.39 Auch im Privatrecht ist es ohne weiteres denkbar, dass tatbestandlich aus­ drücklich Wissentlichkeit vorausgesetzt und damit insbesondere der be­ dingte Vorsatz von der Tatbestandsmäßigkeit ausgeschlossen ist. Beispiele 37  Vgl. etwa Roxin, Strafrecht, 42006, §   12 Rn.  3 und 18 = S.  437 und 444; Schönke/ Schröder – Sternberg-Lieben/Schuster, StGB, 302019, §  15 Rn.  69. 38 Vgl. dazu, dass die Verengung eines subjektiven Tatbestands auf „wissentliches“ Verhalten oder ein Verhalten „wider besseres Wissen“ nach herkömmlichem Verständnis im strachrechtlichen Schrifttum nicht nur den direkten Vorsatz (dolus directus 2. Grades) umfasst, sondern auch die Absicht (dolus directus 1. Grades) und damit nur die Tatbe­ standsmäßigkeit des bloß bedingten Vorsatzes ausschließt, Roxin, Strafrecht, 42006, §  12 Rn.  5 = S.  437 f.; MünchKomm – Joecks, StGB, 42020, §  16 Rn.  27. 39 BVerfG, Urt. v. 30.3.2004 – 2 BvR 1520/01 u. 2 BvR 1521/01, NJW 2004, 1305 (wörtliches Zitat S.  1309 f.; Hervorhebung nicht im Original). Ansonsten ist für die Straf­ barkeit nach §  261 Abs.  1 und 2 StGB bedingter Vorsatz ausreichend; vgl. nur BGH, Urt. v. 13.11.2019 – 5 StR 409/19, NStZ-RR 2020, 80 Abschn.  II 2.

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dafür finden sich im Versicherungsrecht, wenn etwa ein Risikoausschluss vertraglich von einer „wissentlichen“ Pflichtverletzung abhängig gemacht wird; bedingter Vorsatz reicht dann nach zutreffender Rechtsprechung des BGH ebenso wenig wie Fahrlässigkeit.40 Ähnliche Regelungen finden sich nicht selten in Unternehmenskaufverträgen, wenn dort (jedenfalls) für ver­ traglich vereinbarte Gewährleistungen ein bestimmter Wissensmaßstab fest­ gelegt wird.41 b) Insbesondere: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) Umgekehrt ist es auch ohne weiteres denkbar, dass sich unmittelbar aus dem Wortlaut einer Norm ergibt, dass die Vorsatzform des bedingten Vorsatzes genügt. So liegt es etwa bei §  630c Abs.  3 S.  1 BGB („Weiß der Behandelnde […] oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte […]“), wenn die Regelung nicht sogar als relative Vorsatznorm aus­ zulegen ist. Ein weiteres anschauliches Beispiel liefert §  9 Abs.  3 LkSG.42 Die Rege­ lung lautet: „Liegen einem Unternehmen tatsächliche Anhaltspunkte vor, die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht bei mittelbaren Zuliefe­ rern möglich erscheinen lassen (substantiierte Kenntnis), so hat es anlassbezogen unver­ züglich 1. eine Risikoanalyse […] durchzuführen, 2. […].“

§  9 Abs.  3 LkSG ist ersichtlich als Wissensnorm formuliert und definiert den angesprochenen Tatbestand als „substantiierte Kenntnis“. Bei Lichte – also im maßgeblichen Verhaltenskontext – betrachtet ist damit indes nichts ande­ 40  Vgl.

für zwei Beispiele BGH, Beschl. v. 27.5.2015 – IV ZR 322/14, r+s 2015, 386 sowie BGH, Urt. v. 28.9.2005 – IV ZR 255/04, NJW 2006, 289 Rn.  25 f. mit weiteren Bei­ spielen aus der Rechtsprechung des BGH. Die zweitgenannte Entscheidung ist zugleich Beispiel dafür, dass es unmöglich ist, kognitive und voluntative Elemente auf Tatsachenund Feststellungsebene strikt zu trennen, wenn das Gericht die Feststellungen des Beru­ fungsgerichts dahin kritisiert, dieses setze „sich weder mit der seinerzeit offensichtlichen beruflichen Unerfahrenheit der Kl. noch mit der nahe liegenden Frage auseinander, wel­ ches Motiv sie gehabt haben sollte, wissentlich gegen die Verpflichtung zu verstoßen“; zur Relevanz des Motivs als Indiz für das voluntative Vorsatzelement oben Kapitel  2 A.V.3. = S. 153 ff. Vgl. aus dem Schrifttum speziell zum Ausschlusstatbestand für wissentliche Pflichtverletzung und Vorsatz in der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung und ins­ besondere in der D&O-Versicherung außerdem noch Kordes, RuS 2019, 307 ff.; Lippe, VersR 2021, 69, 70. 41  Vgl. dazu Bank, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.   93, 94, 106 f. 42  Die Regelung geht auf das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 16.7.2021, BGBl. I, S.  2959, zurück.

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res angesprochen als der Tatbestand des bedingten Vorsatzes im Sinne einer von konkreten Anhaltspunkten43 getragenen Möglichkeitsvorstellung, er­ gänzt um das volitive Element der billigenden Inkaufnahme der pflichtwid­ rigen Nichtdurchführung einer Risikoanalyse usw. In der Bußgeldvorschrift des §  24 Abs.  1 Nr.  2, Nr.  7 lit.  b) LkSG ist der Tatbestand im Übrigen sogar explizit als (dort allerdings: relativer) Vorsatztatbestand in Bezug genom­ men („wer vorsätzlich oder fahrlässig […] entgegen §  9 Abs.  3 Nr.  1 eine Ri­ sikoanalyse nicht […] durchführt“ usw.). c) Nicht ausdrücklich geregelte Fälle Das wirft die Frage auf, wie es sich mit (vermeintlichen) Wissenstatbestän­ den des Privatrechts, expliziert als Vorsatztatbestände, verhält, die – wie re­ gelmäßig  – die Frage, ob bedingtes Wissen bzw. bedingter Vorsatz für die Tatbestandsmäßigkeit genügt, auf Ebene des Normtextes nicht ausdrücklich adressieren: Verweisen diese auf den allgemeinen Vorsatztatbestand unter Einschluss des bloß bedingten Vorsatzes oder verweisen sie auf einen ver­ engten Vorsatztatbestand unter Ausschluss des bloß bedingten Vorsatzes? Das ist durch Auslegung der jeweiligen Wissensnorm zu ermitteln. In der Literatur finden sich Ansätze solcher Überlegungen. So weist etwa Stefan Grundmann in seiner Kommentierung des privatrechtlichen Vorsatztatbe­ stands (!) darauf hin, dass „höhere“ oder „intensivere“ Anforderungen an die Kenntnis (als eine bloße Möglichkeitsvorstellung) zu stellen sind, „wenn sich dies aus dem Gesetzeswortlaut und -sinn ergibt“. Als Beispiele führt er dann einzelne (vermeintliche) Wissensnormen (!) an, nämlich §§  407, 814, 819, 892 und 990 BGB, während bei §§  442, 640 Abs.  3, 687 Abs.  2 BGB „nur diffuse Kenntniselemente“ zu fordern seien.44 Auf die genannten Bei­ spiele soll hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Der Grundtendenz dieser Ausführungen, dass nämlich die Anforderungen an das Wissens­ element (vermeintlicher) Wissenstatbestände durch Auslegung der in Rede stehenden Norm zu ermitteln ist, ist jedenfalls zuzustimmen. Nebenbei ­illustrieren die Ausführungen Grundmanns die Unmöglichkeit einer kate­ 43  In

der Regierungsbegründung, BT-Drucks. 19/28649, S.  50, wird dazu ausgeführt, solche Anhaltspunkte könnten „zum Beispiel Berichte über die schlechte Menschen­ rechtslage in der Produktionsregion, die Zugehörigkeit eines mittelbaren Zulieferers zu einer Branche mit besonderen menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken so­ wie frühere Vorfälle beim mittelbaren Zulieferer sein“ und das Unternehmen „etwa über das Beschwerdeverfahren gemäß §  8, über eigene Erkenntnisse, über die zuständige Be­ hörde oder aber durch andere Informationsquellen“ erreichen. 44  MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  276 Rn.  157.

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gorialen Unterscheidung zwischen Vorsatztatbeständen und (vermeintlich) einfachen Wissenstatbeständen.45 Praktisch relevant wird die Frage vornehmlich bei absoluten Wissens­ normen, da relevante Fälle des bloß bedingten Vorsatzes ansonsten über die Tatbestandsalternative der (groben) Fahrlässigkeit erfasst würden.46 Der Einschluss des bloß bedingten Vorsatzes liegt insbesondere dann nahe, wenn der in Rede stehende Tatbestand eine Nähe zur arglistigen Täuschung bzw. zum arglistigen Verschweigen aufweist, für das nach praktisch allgemeiner Auffassung bedingter Vorsatz genügt. Das ist etwa der Fall bei §  442 Abs.  1 S.  1 BGB.47 Bei §  892 BGB liegt es demgegenüber nahe, dass die besondere „Vertrau­ enswürdigkeit“ des Grundbuchs und das besondere Verkehrsschutzbedürf­ nis bei Grundstücken und Grundstücksrechten der Tatbestandsmäßigkeit des bloß bedingten Vorsatzes entgegensteht. Auf das hoheitlich geführte Grundbuch darf man sich verlassen und soll man sich von Rechts wegen verlassen dürfen.48 Der Ausschluss der Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten infolge einer (wenn auch konkreten und billigend in Kauf genommenen) bloßen Möglichkeitsvorstellung auf Seiten des Erwer­ bers hinsichtlich der Nichtberechtigung des im Grundbuch eingetragenen Veräußerers verträgt sich damit nicht.49 Der gutgläubige Erwerb eines Rechts an einem Grundstück oder eines Rechts an einem solchen Recht 45  Ähnliches lässt sich, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen, etwa für die Ausfüh­ rungen Fleischers zu den Einzelelementen einer transnationalen Theorie vorvertraglicher Informationsverantwortlichkeit feststellen, wenn Fleischer hierfür im ersten Zugriff „po­ sitives Wissen von dem betreffenden Umstand“ voraussetzt, im weiteren aber, von knap­ pen Ausführungen zum englischen Recht abgesehen, ausschließlich auf diverse Vorsatzbzw. Verschuldenserfordernisse rekurriert; vgl. Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S.  989 f. 46  Auch insofern illustrativ MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  276 Rn.  157. 47 Ausführlich unten Kapitel   3 A.VIII.3. = S. 283 ff. Abweichend Wächter, M&A Litiga­tion, 32017, Rn.  9.32. 48 Näher Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487; Stürner, DNotZ 2017, 904, 907 f. 49  Grundlegend RG, Urt. v. 1.6.1927 – V 392/26, RGZ 117, 180, 189: „Auch das Be­ wußtsein der Möglichkeit, einem anderen durch den Erwerb des Grundstücks Rechts­ nachteile zuzufügen, genügt […] für sich allein nicht, um den öffentlichen Glauben des Grundbuchs unter dem Gesichtspunkt außer Wirksamkeit zu setzen, daß Berufung da­ rauf arglistig sei“. Dezidiert anders (bedingter Vorsatz (!) genügt) Ratz, AcP 128 (1928), 309, 342 und die damalige Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte, vgl. die Wieder­ gabe der dahingehenden Auffassung des Berufungsgerichts bei RGZ, a. a. O., 188 sowie Sallawitz, Die tatbestandsmäßige Gleichstellung von grobfahrlässiger Unkenntnis mit Kenntnis, 1973, 55 m. w. N. Sallawitz selbst möchte §  892 BGB de lege ferenda im Sinne von §  932 Abs.  2 BGB öffnen, weil einerseits der Gutglaubensschutz erhalten bliebe und andererseits der Erwerber „von sich aus aktiv ins Rechtsleben eingreift und während

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wäre danach nur dann ausgeschlossen, wenn der Erwerber es entweder ge­ rade darauf anlegt bzw. es erstrebt, ein Grundstück zu erwerben, das nicht dem Veräußerer gehört (Absicht), oder wenn er es sich als sicher vorstellt, dass das Grundstück nicht dem Veräußerer gehört (Wissentlichkeit). Ein bloßes Für-Möglich-Halten genügte hiernach nicht, auch dann nicht, wenn es mit der billigenden Inkaufnahme des Erfolgs verbunden wäre. Die Frage, welches Maß an subjektiver Sicherheit erforderlich ist, um den Tatbestand einer absoluten Wissensnorm zu begründen, ist damit in spezifi­ scher Weise als Frage danach operabel gemacht, ob tatbestandlich Wissent­ lichkeit als Vorsatzform und damit unbedingtes Wissen gefordert ist oder bedingter Vorsatz und damit bedingtes Wissen im Sinne einer konkreten Möglichkeitsvorstellung in Verbindung mit der billigenden Inkaufnahme der Tatbestandsverwirklichung genügt. Für den weiteren Gegenstand der vorliegenden Arbeit, die Zurechnung subjektiver Tatbestandsmerkmale im Privatrecht, hat dieser Aspekt übrigens keinerlei Relevanz. Auch dann, wenn eine Wissensnorm einen verengten Vorsatztatbestand in Bezug nimmt im Sinne eines Ausschlusses der Tatbe­ standsmäßigkeit des bloß bedingten Vorsatzes, stellt sich die Frage der Zu­ rechnung als Frage der Zurechnung vorsätzlichen Verhaltens und nicht als Frage einer (wie auch immer gearteten) Zurechnung einfachen Wissens. 4. Fazit: Kategoriale Gleichartigkeit von Wissens- und Vorsatztatbeständen im geltenden Recht Es ist nicht ersichtlich, warum die personale Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen50 bei Wissenstatbeständen von vornherein unbeachtlich sein sollte oder auch nur sein könnte. Es handelt sich dabei nicht (nur) um eine normativistische Konstruktion in dem Sinne, dass erst und ausschließ­ lich der Vorsatzbegriff als Rechtsbegriff diese Korrespondenz in sich und aus sich selbst heraus begründen würde, sondern um ein allgemeines Prinzip in dem Sinne, dass Sachverhalte, die Gegenstand des Rechts sind, nur und erst unter Berücksichtigung dieser Korrespondenz vollständig gedacht und erfasst werden können. Insbesondere ist Wissen immer nur in einem Verhal­ tensbezug sanktionswürdig oder auch nur regelungsbedürftig. Dass eine s­einer Erwerbsbemühungen ohnehin Anlaß zur gesteigerten Aufmerksamkeit“ habe; ­Sallawitz, a. a. O., 121. Das überzeugt nicht. 50 Wenn Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 184 insofern von der „Korrespondenz von Handlungsverantwortung und Wissensträgerschaft“ spricht, ist in der Sache nichts ande­ res gemeint, wenn man den Begriff der Handlung in einem weiteren Sinne versteht (Tun, Dulden, Unterlassen) und außerdem berücksichtigt, dass jede rechtlich relevante Hand­ lung notwendig in einem Willensbezug steht.

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verhaltensbezogene, kognitiv-voluntative Betrachtung Sachverhalte, die Gegenstand des Rechts sind, in ihrer subjektiven Dimension weniger defizi­ tär und unvollständig erfasst als eine ausschließlich kognitive, gilt für (expli­ zite) Vorsatznormen und (vermeintliche) Wissensnormen gleichermaßen.51 Die kategoriale Gleichsetzung von Wissenstatbeständen und Vorsatztat­ beständen erfordert folglich keine dahingehende gesetzgeberische Entschei­ dung, sondern folgt bereits auf Grundlage des geltenden Rechts daraus, dass Wissen im Recht notwendig nur in Bezug auf ein bestimmtes Verhalten (Tun, Dulden, Unterlassen) relevant ist und dem Verhaltenselement seiner­ seits notwendig ein voluntatives Element innewohnt. Damit sprechen auch (vermeintliche) Wissenstatbestände notwendig die personale Korrespon­ denz von Verhalten, Wissen und Wollen an, wie sie für die Zwecke des Rechts im Vorsatztatbestand operabel gemacht ist: Vorsatz ist nichts anderes als in einen voluntativen Verhaltensbezug gesetztes Wissen – und umge­ kehrt. Es handelt sich bei der Explikation von (vermeintlichen) Wissenstatbe­ ständen als Vorsatztatbestände also nicht um eine Anregung zu entspre­ chender Normsetzung durch den Gesetzgeber, sondern um Auslegung des geltenden Rechts. Davon zu trennen ist der Befund, dass es im Interesse der Rechtsklarheit sicherlich wünschenswert wäre, absolute und relative Wis­ sensnormen auch gesetzestextlich als verhaltensbezogene Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen zu formulieren und dabei insbesondere den Verhal­ tensbeitrag offenzulegen, an den die in Rede stehende Sanktion geknüpft ist – genauso wie es sicherlich wünschenswert wäre, den Tatbestand der „arglis­ tigen Täuschung“ bzw. des „arglistigen Verschweigens“ textlich als „vor­ sätzliche Täuschung“ bzw. „vorsätzliches Verschweigen“ zu fassen.

51 

Um zu verdeutlichen, was damit gemeint ist, sei beispielhaft noch auf BGH, Urt. v. 22.1.­1958 – V ZR 27/57, NJW 1958, 668 verwiesen. Hier führt der BGH bezogen auf den (vermeintlich) einfachen Wissenstatbestand des §  990 Abs.  1 S.  2 BGB („erfährt der Besit­ zer später“) aus: „Die Kenntnis der Umstände und des sich aus ihnen ergebenden Mangels des Rechts zum Besitz muß aber dann als erlangt gelten, wenn dem Besitzer die Rechte des Eigentümers durch liquide Beweise dargetan […] oder er über den Mangel seines Besitzrechts in einer Weise aufgeklärt wird, daß sich ein redlich Denkender der Überzeu­ gung hiervon nicht verschließen würde […]. Dies muß jedenfalls dann gelten, wenn die Entschließungsfreiheit (der Wille, aus der gegebenen Aufklärung die gebotenen Schlüsse zu ziehen) beim Besitzer durch Rücksichten auf den eigenen Vorteil beeinflußt sein kann.“ Das Gericht rekurriert hier zur Besicherung des Wissenstatbestands ersichtlich auf ein voluntatives Element, das seinerseits motivbasiert begründet wird („Rücksichten auf den eigenen Vorteil“; zur Bedeutung des Motivs im Rahmen der Feststellung des volunta­ tiven Vorsatzelements oben Kapitel  2 A.V.3. = S. 153 ff.).

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Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass hier keineswegs einer Gleichstellung von „Wissen“ und „Vorsatz“ das Wort geredet wird. Eine solche begriffliche und inhaltliche Gleichstellung ist nach der herkömmli­ chen Vorsatzdogmatik denklogisch ausgeschlossen, weil der Vorsatzbegriff zum einen seinerseits auf ein Wissenselement verweist und sich zum anderen darin nicht erschöpft. Es geht nur – und immerhin – um die Explikation, dass Normen mit (vermeintlich einfachem) Wissenstatbestand tatsächlich (verdeckt) auf einen Vorsatztatbestand bzw. bei Gleichstellung fahrlässiger Unkenntnis auf einen Verschuldenstatbestand verweisen. Das Wissensele­ ment des Vorsatztatbestands bleibt als solches unangetastet.

IV. Teleologische Identität von Wissens- und Vorsatztatbestand hinsichtlich des Kriteriums der Aufwandsfreiheit Wie gezeigt,52 wird dem Normadressaten mit dem Tatbestand des „fahrläs­ sigen Nichtwissens“ ein gewisser, nach Maßgabe der im Verkehr erforderli­ chen Sorgfalt (§  276 Abs.  2 BGB) gebotener Aufwand hinsichtlich der Ge­ winnung, Verarbeitung und Speicherung relevanter Informationen zugemu­ tet. Treibt er diesen Aufwand nicht, tut er dies gewissermaßen auf eigenes Risiko und muss sich gegebenenfalls so behandeln lassen, als hätte er den gebotenen Aufwand betrieben und dadurch das in Rede stehende Wissen generiert. Im Unterschied dazu begründet der Tatbestand des „Wissens“ für die be­ lastete Partei keine informationellen Sorgfaltspflichten. Sie muss keinen Aufwand betreiben gerichtet auf die Gewinnung, Verarbeitung und Spei­ cherung bestimmter relevanter Informationen. Hat der Normadressat das tatbestandliche Wissen aber – wobei grundsätzlich gleichgültig ist, woher er es hat und warum –, so ist mit der Tatbestandsmäßigkeit dieses Wissens im­ merhin die Erwartung verbunden, sich in diesem Wissen in bestimmter Wei­ se zu verhalten, namentlich das Wissen offenzulegen, auf einen intendierten Vertragsschluss zu verzichten, eine ent­reichernde Handlung zu unterlassen etc. Dem liegt der übergreifende Gedanke zugrunde, dass es einer wissenden Partei jedenfalls insoweit zumutbar ist, auf gewichtige Interessen der ande­ ren Partei Rücksicht zu nehmen, als ihr dies aufwandsfrei oder mit verhält­ nismäßig geringem Aufwand möglich ist.53 Nichts anderes gilt für (explizite) Vorsatztatbestände. Auch diese begrün­ den, wie der BGH namentlich für Tatbestände des arglistigen Verschweigens 52 

Oben Kapitel  1 A.VI.1. = S. 64 ff. Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 171.

53 Vgl.

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wiederholt betont hat, im Gegensatz zu Fahrlässigkeitstatbeständen keine Pflicht zur Informationsermittlung bzw. zur „aufwändigen“ Vermeidung von Nichtwissen.54 Stattdessen sanktionieren auch (explizite) Vorsatztatbe­ stände ein sonstiges Verhalten im Wissen um bestimmte Umstände (etwa den Verkauf einer Sache im Wissen um deren Mangelhaftigkeit) in der Erwar­ tung, sich gerade nicht so, sondern anders zu verhalten (etwa den intendier­ ten Vertragsschluss zu unterlassen oder alternativ den Mangel offenzulegen), was der wissenden Partei zum Schutz gewichtiger Interessen der anderen Partei wiederum jedenfalls insoweit zumutbar ist, als es ihr aufwandsfrei oder mit verhältnismäßig geringem Aufwand möglich ist.55 Damit bestätigt sich die Identität von (vermeintlich) einfachen Wissenstatbeständen und (ex­ pliziten) Vorsatztatbeständen auch in teleologischer Hinsicht.

V. Relative Wissensnorm als Verschuldensnorm: Überwindung der vermeintlichen Verschiedenartigkeit von Wissen und Wissenmüssen Relative Wissensnormen knüpfen an das „Wissen“ und das „fahrlässige Nichtwissen“ identische Rechtsfolgen. Begreift man die Tatbestandsalterna­ tive des Wissens als Verweis auf ein nicht verhaltensbezogenes und insofern nicht mit einer Verhaltenserwartung verknüpftes, rein faktisches Merkmal, die Tatbestandsalternative des fahrlässigen Nichtwissens hingegen als Ver­ weis auf ein originär sanktionsrechtliches, verhaltensbezogenes und norma­ tives Merkmal, das einen rechtlichen Vorwurf adressiert (namentlich, dass der Betroffene das­jenige außer Acht gelassen hat, was die im Verkehr erfor­ derliche Sorgfalt fordert, §   276 Abs.   2 BGB),56 erscheint die identische Sanktionierung wenig plausibel. 54  Vgl. etwa BGH, Urt. v. 19.6.2013 – VIII ZR 183/12, NJW 2014, 211 Rn.  24; BGH, Urt. v. 15.4.2015 – VIII ZR 80/14, NJW 2015, 1669 Rn.  14; Goldschmidt, Die Wissens­ zurechnung, 2001, S.  116 und S.  157 ff. zu §  463 S.  2 BGB a. F., je m. w. N. Auch das Zivil­ prozessrecht kennt, darauf sei noch hingewiesen, diese Unterscheidung zwischen (nach­ forschungsbezogenem) Fahrlässigkeitstatbestand und (auf ein sonstiges Verhalten im Wissen um bestimmte Umstände bezogenem) Vorsatztatestand; vgl. §  427 S.  1 Alt.  1 und 2 ZPO und näher Gomille, Informationsproblem und Wahrheitspflicht, 2016, S.  77. 55 Vgl. Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S.  9: „Während sich der Informationspflichtige nämlich bei der Vorsatzhaftung auf die (nach bestem Wissen) kor­ rekte Weitergabe vorhandener Informationen beschränken kann, […]“; auch Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 264: „Ein Vorsatzdelikt lässt sich typischerweise durch bloße Pas­ sivität vermeiden“. 56  Vgl. zum „Vorwurf“ fahrlässiger Unkenntnis exemplarisch Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  32 ff., dort allerdings auch kritisch zu dessen Einordnung als Verschuldensform und zum Pflichten- bzw. Obliegenheitsbezug von Tatbeständen der grob fahrlässigen Unkenntnis; Köhler, JZ 44 (1989), 761, 764.

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Erkennt man, dass das Gesetz mit dem Tatbestandsmerkmal des Wissens nichts anderes meint als den vorsätzlichen Verstoß gegen eine spezifische Verhaltenspflicht oder Obliegenheit, so wirft die identische Sanktionierung von Wissen und fahrlässigem Nichtwissen – expliziert als vorsätzliches bzw. fahrlässiges Verhalten – keine grundlegenden Fragen mehr auf. Jeweils wird eine bestimmte Verhaltensanforderung formuliert und bei vorsätzlichem bzw. fahrlässigem Verstoß sanktioniert. Die vermeintliche innere Spannung zwischen den Tatbestands­alternativen relativer Wissensnormen löst sich auf. Relative Wissensnormen sind hiernach nichts anderes als Verschuldens­ normen. Dass sich der Vorwurf vorsätzlich pflicht- bzw. obliegenheitswid­ rigen Verhaltens inhaltlich von dem Vorwurf fahrlässig pflicht- oder oblie­ genheitswidrigen Verhaltens unterscheidet,57 ist dabei nicht entscheidend. Die rechtsfolgenseitig identische Sanktionierung von vorsätzlichem und fahrlässigem pflicht- oder obliegenheitswidrigem Verhalten stellt im Privat­ recht jedenfalls heute keine Besonderheit mehr dar, sondern den Regelfall.

VI. Auflösung der Kategorie des Rechtswissens Ob bzw. in welchen Fällen Rechtsfragen Gegenstand eines subjektiven Tat­ bestands sind, ist für Wissensnormen ebenso wenig abschließend geklärt bzw. genauso umstritten wie für (explizite) Vorsatznormen. Erhebliche Un­ sicherheit besteht außerdem, und zwar auch und besonders bei Vorsatz­ normen, hinsichtlich der Konkretisierung der Anforderungen an ein tatbe­ standliches Rechtswissen bzw. Unrechtsbewusstsein. Gründe dafür, beide Fragen mit Blick auf Wissensnormen und (explizite) Vorsatznormen unterschiedlich zu beantworten, sind nicht ersichtlich. Dem entspricht es, wenn mit der Einordnung (vermeintlich) einfacher Wissen­ statbestände als (verkürzt formulierte) Vorsatztatbestände Einheitlichkeit auch insofern verbunden ist. Ob Rechtsfragen und insbesondere die Rechts-, Pflicht- oder Obliegenheitswidrigkeit des in Rede stehenden Verhaltens als solche Bezugspunkt des Vorsatzes sind, ist normbezogen durch Auslegung zu ermitteln. Ist dies der Fall, genügt eine zutreffende Parallelwertung der betreffenden Rechtsfragen in der Laiensphäre den Anforderungen des Vor­ satztatbestands. Jedenfalls vermeidbare Rechtsirrtümer sind dabei aus über­ geordneten Erwägungen regelmäßig unbeachtlich.58 57  Der Fahrlässigkeitsvorwurf kann bei Verschuldensnormen – genauso wie bei rela­ tiven Wissensnormen (für diese oben Kapitel  1 A.VI. = S. 64 ff.) – insbesondere auch dahin gehen, gebotene tatsachenbezogene Ermittlungen unterlassen zu haben; vgl. nur ­Huber, Leistungsstörungen, Band  1, 1999, §  28 I 1 = S.  695. 58  Auführung dazu oben Kapitel  2 A.VI.2. = S. 159 ff.

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Als Beispiel sei auf die Rechtsprechung des BGH zum Verjährungsbeginn nach §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB in Fällen fehlerhafter rechtlicher Beratung hin­ gewiesen. Hier erfüllen, so wird man die Ausführungen des BGH wohl ver­ stehen können, bereits deutliche Zweifel an der Pflichtgemäßheit der Bera­ tung bzw. ein hinreichender Verdacht, die Beratung sei fehlerhaft erfolgt, den Wissenstatbestand des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB.59 Expliziert man §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB in seiner Kenntnisalternative als Vorsatztatbestand, lässt sich diese Rechtsprechung ohne weiteres als Fall des bedingten Vorsatzes erfassen, bei dem die Pflichtverletzung des rechtlichen Beraters zwar nicht „sicher erkannt“, aber doch konkret für möglich gehalten und die Verjäh­ rung des Anspruchs insofern billigend in Kauf genommen wird, als gleich­ wohl eine zumutbare Klageerhebung unterlassen wird.

VII. Auflösung der Kategorie des bewussten Sichverschließens Bewusst nicht wissen bzw. bewusst nicht „wissen wollen“ kann man von vornherein nur, was man zumindest konkret für möglich hält. Betrachtet man diese im Rahmen des Vorwurfs des (bewussten) Sichverschließens im­ plizit vorausgesetzte konkrete Möglichkeitsvorstellung in ihrem Verhaltens­ kontext, begründet sie den Vorwurf bedingt vorsätzlichen Verhaltens, wenn die Tatbestandsverwirklichung außerdem billigend in Kauf genommen wird. Dann lässt sich ein bestimmtes Verhalten „trotz dessen“, etwa das Unterlas­ sen verjährungshemmender Maßnahmen, ohne weiteres als bedingt vorsätz­ liches Verhalten oder – verkürzt60 – als bedingt vorsätzliches Nichtwissen beschreiben.61 59  Deutlich

in diesem Sinne BGH, Urt. v. 10.10.2019 – III ZR 227/18, BeckRS 2019, 26716 Rn.  18; vgl. dazu auch schon oben Kapitel  1 A.V.2. = S. 60 ff. 60  Die Kategorisierung als bedingt vorsätzliches Nichtwissen darf nicht den Blick da­ für versperren, dass dieses vorsätzliche Nichtwissen in den hergebrachten Kategorien des „Wissens“ und „Nichtwissens“ kategorial dem Wissen und nicht dem fahrlässigen Nicht­ wissen zuzuordnen ist. Die kategoriale Bruchlinie verläuft nicht etwa zwischen Wissen auf der einen Seite und vorsätzlichem oder fahrlässigem Nichtwissen auf der anderen, sondern zwischen Wissen und vorsätzlichem Nichtwissen auf der einen und fahrlässigem Nichtwissen auf der anderen Seite. In §  122 Abs.  2 BGB wird das dadurch deutlich, dass die Vorschrift, anders als in §  24 Abs.  2 SGB IV und auch in §  311a Abs.  2 S.  2 BGB formu­ liert, nicht zwischen Wissen und zu vertretendem bzw. verschuldetem Nichtwissen, son­ dern zwischen Wissen (dem das vorsätzliche Nichtwissen gleichgestellt ist) und fahrlässi­ gem Nichtwissen unterscheidet. 61  Vgl. auch BSG, Urt. v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R, NZS 2019, 465, wonach ein Beitragsschuldner dann „unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte“ (Wortlaut §  24 Abs.  2 SGB IV), wenn er diese vorsätzlich verkannte, wobei nach allgemei­ nen Regeln genüge, dass er seine Zahlungspflicht für möglich hielt und billigend in Kauf

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Ordnet man (vermeintlich) einfache Wissenstatbestände generell als Vor­ satztatbestände ein, löst sich die Kategorie vom (bewussten) Sichverschlie­ ßen insgesamt sachgerecht auf. Es liegt auf eben dieser Linie, wenn der BGH in seiner jüngeren Rechtsprechung zum (expliziten) Vorsatztatbestand des §  444 BGB ausführt, ein bewusstes Sichverschließen genüge ganz generell den Anforderungen, die an die Arglist (= Vorsatz) zu stellen sind, nicht und stattdessen auf die Kategorie des bedingten Vorsatzes und die dafür gelten­ den allgemeinen Regeln verweist.62 Die Integration der Fälle des (bewussten) Sichverschließens in den be­ dingten Vorsatz entspricht im Ergebnis der Einordnung der arglistigen Täti­ gung unrichtiger Angaben ins Blaue hinein als bedingt vorsätzliche Täu­ schung. Auch dort ist es unerheblich, dass der Täuschende um die Umstän­ de, um die es eigentlich geht, nicht sicher weiß, wenn und weil er immerhin für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, (1) dass es sich insofern tat­ sächlich anders verhält, als von ihm behauptet, (2) dass der andere Teil das nicht erkennt und (3) dass der andere Teil seine Erklärung nicht oder nicht so abgeben würde, würde er die Unrichtigkeit oder Unsicherheit der Aus­ sage erkennen. In der Rechtsprechung des BGH kommt diese Nähe der Fälle (bewuss­ ten) Sichverschließens und (arglistiger) unrichtiger Angaben ins Blaue hin­ ein beispielsweise in Wendungen zum Ausdruck, arglistig täuschen könne auch der­jenige, „der sich der ihm ohne weiteres möglichen und zumutbaren Erkenntnis der die Täu­ schung begründenden Umstände verschließt und das Fehlen derartiger Umstände blind­ lings vertraglich zusichert“.63

Als weiteres Beispiel sei auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2017 zum Schengener Informationssystem SIS verwiesen, in der das Gericht die Annahme, der Verkäufer habe den Rechtsmangel des verkauften Fahrzeugs in Form von dessen Eintragung im SIS arglistig verschwiegen, mit Wendun­ gen begründet, die auch die Annahme eines (bewussten) Sichverschließens getragen hätten, wenn es ausführt, der Verkäufer habe sich über eine immer­ hin denkbare zwischenzeit­liche Löschung der internationalen Sachfahn­ dung

nahm. Weitergehend übrigens BSG, Urt. v. 1.7.2010 – B 13 R 67/09 R, BeckRS 2010, 72664, wonach im Rahmen von §  24 Abs.  2 SGB IV auch fahrlässige Unkenntnis schade. 62  BGH, Urt. v. 22.4.2016 – V ZR 23/15, NJW 2017, 150 Rn.  21 (zu §  444 BGB); BGH, Urt. v. 14.6.2019 – V ZR 73/18, BeckRS 2019, 23720 Rn.  15 (zu §  444 BGB). 63  BGH, Urt. v. 8.5.1980 – IV a ZR 1/80, NJW 1980, 2460 Abschn. 2 b.

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„durch eine – von ihm selbst oder über seinen Anwalt vorgenommene – einfache Nach­ frage bei der Staatsanwaltschaft oder Polizei Klarheit verschaffen können. Wenn der Bekl. in dieser Situation nicht nachfragte, rechtfertigt dies den Schluss, er habe den (Rechts-) Mangel zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen“.64

Die Integration der Fälle des (bewussten) Sichverschließens in den Tatbe­ stand des bedingten Vorsatzes erhellt und trägt zudem die residuale Erstre­ ckung des Kriteriums der (verhältnismäßigen) Aufwandsfreiheit auch auf die Informationsermittlung. Informationsermittlung, die dem Normadres­ saten praktisch ohne Aufwand möglich ist, ist zumutbar, wenn und weil dieser die konkrete Möglichkeit der Informationsermittlung erkennt. Ihr Unterlassen trägt gegebenenfalls den Vorwurf billigender Inkaufnahme ei­ nes für möglich gehaltenen tatbestand­lichen Erfolgs. Dabei gelten strenge Maßstäbe.

VIII. Normbeispiele 1. Ausgangspunkt Absolute und relative Wissensnormen als Vorsatz- respektive Verschuldens­ normen zu explizieren ist möglich durch dieselbe Operation, die das Krite­ rium des fahrlässigen Nichtwissens als Verletzung informationeller Sorg­ faltspflichten, konkret als Verletzung der Pflicht zur Beschaffung, Verarbei­ tung und Speicherung von Informationen beschreibt. An die Stelle der Pflicht zur Beschaffung, Verarbeitung und Speicherung von Informationen, die beim Normadressaten im maßgeblichen Zeitpunkt (z. B. bei Vertrags­ schluss) nicht vorhanden sind, tritt in Bezug auf Wissenstatbestände die Pflicht oder Obliegenheit zu einem sonstigen Verhalten im Wissen um be­ stimmte Umstände. Das soll im Folgenden am Beispiel einiger bedeutender Wissensnormen weiter ausgeführt werden. 2. §§  438 Abs.  3 S.  1, 442 Abs.  1 S.  2 Hs.  2, 444 Fall 1 BGB als explizite Vorsatztatbestände Nach §  438 Abs.  3 S.  1 BGB verjähren die Mängelansprüche des Käufers mit Ausnahme der in §  438 Abs.  1 Nr.  1 BGB Genannten in der regelmäßigen Verjährungsfrist, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat. Darüber hinaus ordnet §  442 Abs.  1 S.  2 Hs.  2 BGB für diesen Fall an, dass der Käufer Rechte wegen eines Mangels der Kaufsache ausnahmsweise auch dann geltend machen kann, wenn ihm der Mangel selbst infolge grober 64 

BGH, Urt. v. 26.4.2017 – VIII ZR 233/15, NJW 2017, 3292 Rn.  27.

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Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist. §  444 Fall 1 BGB regelt für den Fall des arglistigen Verschweigens eines Mangels durch den Verkäufer schließ­ lich, dass sich der Verkäufer nicht auf einen Haftungsausschluss berufen kann. Alle drei Vorschriften sind keine Wissensnormen, sondern – vor dem Hintergrund, dass Arglist nichts anderes ist als Vorsatz – (explizit) verhal­ tensbezogene Vorsatznormen. Der Abschluss eines Vertrags über eine man­ gelhafte Sache bzw. die mangelhafte Leistung unter arglistigem Verschwei­ gen des Mangels lässt sich zwanglos als vorsätzlich pflichtwidriges Verhalten im Sinne der Regeln der culpa in contrahendo (arglistiges Verschweigen bei Vertragsschluss) bzw. des Kaufvertragsrechts (arglistiges Verschweigen bei Gefahrübergang) beschreiben. Dieses Verhalten begründet, neben einer Haftung aus §§  280 Abs.  1, 311 Abs.  2, 241 Abs.  2 BGB,65 unter anderem eine in der beschriebenen Weise verschärfte Haftung des Verkäufers nach §  437 BGB. Dabei genügt nach allgemeinen Regeln bedingter Vorsatz.66 3. §  442 Abs.  1 S.  1 BGB als Vorsatztatbestand – §  442 Abs.  1 BGB als Verschuldenstatbestand a) Ausgangspunkt und Zweckerwägungen Nach §  442 Abs.  1 S.  1 BGB sind – gleichsam umgekehrt zu §§  438 Abs.  3 S.  1, 444 Fall 1 BGB – die Rechte des Käufers wegen eines Mangels kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn dieser bei Vertragsschluss den Mangel kann­ te. Der Käufer, der einen Mangel der Kaufsache bei Vertragsschluss nicht kennt, braucht – vorbehaltlich §  442 Abs.  1 S.  2 BGB – nichts zu tun, um sich seine Rechte wegen des Mangels zu erhalten. Der Käufer, der bei Vertrags­ schluss einen Mangel der Kaufsache kennt, muss demgegenüber, will er sich seine Rechte wegen des Mangels erhalten, den Mangel offenlegen. Darin liegt nach zutreffendem Verständnis der Zweck der Vorschrift. Der Käufer soll veranlasst werden, einen vor oder bei Vertragsschluss erkannten Mangel anzusprechen.67 Dann können beide Parteien den Mangel im Rahmen des Vertragsschlusses (offen) berücksichtigen und insbesondere eine negative Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des §  434 Abs.  1 S.  1 BGB treffen,68 65 

Vgl. zum Nebeneinander von vorvertraglicher und vertraglicher Haftung in Vorsatz­ fällen nur Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  311 Rn.  15 m. w. N. 66  Beispielhaft BGH, Urt. v. 19.2.2016 – V ZR 216/14, NJW 2016, 2315 Rn.  16 ff. 67 Grundlegend Köhler, JZ 44 (1989), 761, 763; vgl. auch Maier, Aufklärungspflichten und Wissenszurechnung beim Unternehmenskauf, 2016, S.  192. 68  Vgl. auch Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  9.48; allgemein zur Möglichkeit ei­

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mit der sie die Sollbeschaffenheit gegenüber dem objektiven Maßstab des §  434 Abs.  1 S.  2 Nr.  2 BGB (offen) absenken. §  442 Abs.  1 S.  1 BGB adressiert damit nicht nur abstrakt die geringe Schutz­würdigkeit eines um einen Mangel wissenden Käufers,69 einen an­ sonsten bestehenden Selbstwiderspruch70 oder einen vermuteten Verzicht des Käufers auf die Mangelhaftung des Verkäufers.71 Vielmehr dient die Vorschrift konkret dazu, die unredliche, verdeckte Spekulation des Käufers auf eine spätere Geltendmachung von Mängelrechten gegen den in Anse­ hung des Mangels womöglich unwissenden Verkäufer zu verhindern; ein Phänomen, das etwa im Kontext des Unternehmenskaufs als sogenanntes Sandbagging (close and sue) bekannt und beschrieben ist.72 Im Ergebnis soll der Käufer, der einen vor Vertragsschluss erkannten Mangel offenlegt, zu­ mindest nicht schlechter stehen als der Käufer, der einen erkannten Mangel für sich behält. Da der Käufer, der einen erkannten Mangel offenlegt und die Sache gleichwohl erwirbt, diesbezüglich regelmäßig keine Mängelrechte hat (der Verkäufer wird dann auf eine negative Beschaffenheitsvereinbarung be­ stehen, sodass der Fehler keinen Mangel mehr begründet), nimmt §  442 Abs.  1 S.  1 BGB dem Käufer eben diese Mängelrechte auch dann, wenn er den Mangel nicht offenlegt und damit nicht zum Gegenstand einer negati­ ven Beschaffenheitsvereinbarung macht.73 ner negativen Beschaffenheitsvereinbarung über eine vorhandene wertmindernde Eigen­ schaft der Kaufsache sowie zur Abgrenzung von einer auf eine bestimmte Eigenschaft bezogenen Haftungsbeschränkung BGH, Urt. v. 25.1.2019 – V ZR 38/18, NJW 2019, 2380 Rn.  18 f.; BGH, Urt. v. 30.11.2012 – V ZR 25/12, NJW 2013, 1671 Rn.  12. 69  Vgl. dazu BGH, Urt. v. 3.3.1989 – V ZR 212/87, NJW 1989, 2050 Abschn. 1 für §  460 S.  1 BGB a. F.; Palandt – Weidenkaff, BGB, 802021, §  442 Rn.  1; Goldschmidt, ZIP 2005, 1305, 1309; Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  95. 70  Vgl. auch dazu BGH, Urt. v. 3.3.1989 – V ZR 212/87, NJW 1989, 2050 Abschn. 1 für §  460 S.  1 BGB a. F. 71  Vgl. dazu BGH, Urt. v. 20.12.1978 – VIII ZR 114/77, NJW 1979, 713 Abschn.  II 2 a für §  439 BGB a. F. 72  Näher zum Sandbagging, bei dem der Käufer den Vollzug eines Unternehmens­ kaufs betreibt, obwohl er weiß, dass eine Garantiezusage des Verkäufers unrichtig ist und den Verkäufer anschließend deswegen in Anspruch nimmt, vor dem Hintergrund des §  442 BGB Weißhaupt, WM 2013, 782, 783 f.; Maier, Aufklärungspflichten und Wissens­ zurechnung beim Unternehmenskauf, 2016, S.  228–230; instruktiv auch Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  9.10 ff. im Kontext selbständiger Garantien, der die „ethisch-mora­ lische Verurteilung“ des close and sue allerdings für fragwürdig hält. 73  Ganz in diesem Sinne bereits Köhler, JZ 44 (1989), 761, 763 (bezogen auf §  460 S.  1 BGB a. F.): „Die ratio legis erhellt dann sogleich, wenn man die angeordnete Sanktion, also den Gewährleistungsausschluss, einmal hinwegdenkt: Der Käufer könnte, trotz Kennt­nis des Mangels, in Ruhe zusehen, wie der Verkäufer seine Leistung unter Kosten­ aufwand erbringt, und könnte sich anschließend für einen Gewährleistungsanspruch ent­

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Wirtschaftlich geht die Steuerungswirkung der Vorschrift sogar noch wei­ ter. Vorausgesetzt, §  442 Abs.  1 S.  1 BGB greift, wird der Käufer, der einen erkannten Mangel offenlegt, regelmäßig sogar besser stehen als der Käufer, der dies nicht tut. Während Mängelrechte keinem von beiden zustehen (sie­ he soeben), hat der Käufer, der einen erkannten Mangel offenlegt, immerhin zumindest die Chance, eine Anpassung des Kaufpreises nach unten, eine sonstige Verbesserung der Konditionen zu seinen Gunsten, einen Austausch der Sache oder dergleichen zu erreichen.74 Die Offenlegung des Mangels ex ante vermeidet zugleich die Risiken und Kosten, die bei einer ex-post-Behandlung des Mangels nach den Regeln des Gewährleistungsrechts anfallen. Das ist bei generalisierender Betrachtung ökonomisch sinnvoll, weil die Risiken und Kosten einer ex-ante-Verhandlungslösung gegenüber den Risiken und Kosten einer ex-post-Gewährleistungslösung typischerweise geringer sind, und zwar sowohl auf Seiten des Verkäufers (allgemeine Mehrkosten einer ex-post-Abwicklung nach Ge­ währleistungsrecht, etwa zusätzliche Transportkosten; Kosten für die Prü­ fung, ob die Sache tatsächlich bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war;75 Vorhalte- und Prozesskosten) als auch auf Seiten des Käufers (insbesondere: Prozess- und Insolvenzrisiko).76 Aus Sicht des Verkäufers sanktioniert der scheiden“; vgl. ferner MünchKomm – Westermann, BGB, 82019, §  442 Rn.  1. Überlegun­ gen in diese Richtung auch bei BGH, Urt. v. 5.1.1960 – VIII ZR 1/59, NJW 1960, 720 Abschn.  III 2 und 3: „Noch fraglicher erscheint aber, ob im Falle der gesteigerten Haftung des Verkäufers aus §  459 Abs.  2 BGB [a. F.] für zugesicherte Eigenschaften der Regelung des §  460 BGB [a. F.] entnommen werden kann, dem Schadensersatzanspruch des Käufers nach §  463 BGB [a. F.] könne nicht entgegengehalten werden, er habe den Fehler trotz der Zusicherung fahrlässig nicht gekannt oder er habe es schuldhaft unterlassen, den Verkäu­ fer insoweit auf bestehende Zweifel hinzuweisen, deren Kenntnis ihn davon abgehalten haben würde, den Kauf abzuschließen oder die Zusicherung zu geben. […] Auch wenn die Kl. nicht verpflichtet war, ihr gegenüber geäußerte Zweifel des RA W. der Bekl. schon vor Abschluß des Vertrages mitzuteilen, so durfte sie doch solche Zweifel nicht ungeklärt lassen, und sich vorbehalten, zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt die Bekl. in An­ spruch zu nehmen“. Den Rekurs auf §  254 BGB hat der BGH später zutreffend nicht weiter verfolgt, vgl. dazu sogleich im Text. Im Rahmen von und bezogen auf §  460 BGB a. F. (§  442 BGB) treffen die damaligen Zweckerwägungen des BGH aber durchaus. 74  Köhler, JZ 44 (1989), 761, 763. 75  Die damit verbundenen Kosten und Risiken werden regelmäßig vor allem zur Be­ gründung einer Überprüfungspflicht des Käufers hinsichtlich der Mangelfreiheit der Kaufsache im Sinne eines caveat emptor angeführt und damit auf den Vorwurf mangelbe­ zogenen fahrlässigen Nichtwissens bezogen; exemplarisch Zimmermann, The New Ger­ man Law of Obligations, 2005, S.  79; die Vermeidung dieser Kosten ist tragender Grund aber auch (und erst recht) für den Ausschlussgrund bei „Wissen“. 76 Grundlegend Köhler, JZ 44 (1989), 761, 763; dem folgend etwa Fleischer/Körber, BB 2001, 841, 844; BeckOK – Faust, BGB, Stand: 1.5.2021, §  442 Rn.  2. Vor dem geschilderten

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Verlust der Mängelrechte damit letztlich die erhebliche Gefährdung seiner Vermögensinteressen, die für ihn mit dem Abschluss eines Kaufvertrags über eine objektiv mangelhafte Sache einhergeht, wenn es an einer negativen Beschaffenheitsvereinbarung fehlt und der Käufer den Mangel kennt. Vor diesem Hintergrund lässt sich §  442 Abs.  1 S.  1 BGB zwanglos als Norm begreifen, die das vorsätzliche Verschweigen eines Mangels durch den Käufer (zumindest) als vorvertragliche Obliegenheitsverletzung – ge­ nauer als Verstoß gegen eine vorvertragliche Offenlegungsobliegenheit – mit dem Verlust sämtlicher Mängelrechte sanktioniert. Parallel zum vorsätz­ lichen Verschweigen eines Mangels durch den Verkäufer (§§  438 Abs.  3 S.  1, 442 Abs.  1 S.  2 Hs.  2, 444 Fall 1 BGB) ist das Vorsatzerfordernis in spezifi­ scher Weise dahin konkretisiert, dass der Käufer es zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen muss, (1) dass die Kaufsache mangel­ haft ist, (2) der Verkäufer den Mangel nicht kennt und (3) der Verkäufer die Sache nicht oder nicht zu den vereinbarten Konditionen (sondern insbeson­ dere nur unter dem Vorbehalt einer negativen Beschaffenheitsvereinbarung) veräußert hätte, hätte er den Mangel gekannt. §  442 Abs.  1 S.  2 BGB ergänzt den Obliegenheitenkreis des Käufers um eine informationserwerbsbezogene Sorgfaltskomponente, die durch den Maßstab der groben Fahrlässigkeit, den Vorbehalt arglistigen Verschweigens auf Verkäuferseite und den Vorbehalt der Übernahme einer Garantie für die Beschaffenheit der Sache durch den Verkäufer allerdings eng begrenzt ist.77 Insgesamt erweist sich §  442 Abs.  1 BGB damit als in spezifischer Weise be­ grenzte Verschuldensnorm. b) Ansätze in Rechtsprechung und Literatur In der Literatur zu §§  460, 464 BGB a. F.78 finden sich zahlreiche Ansätze einer Beschreibung beider Tatbestände als verhaltensbezogene VorsatzHintergrund ließe sich §  442 BGB auch in den Kontext vorprozessualer Aufklärung und Information einordnen; ausführlich dazu Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1977, S.  261 ff. Kritisch etwa BeckOGK – Stöber, BGB, Stand: 1.6.2021, §  442 Rn.  6; dass durchaus Fälle denkbar sind, „in denen ein monatelanges Verhandeln über eine vertrag­liche Regelung in Bezug auf solche Mängel höhere Kosten verursacht als ein schneller Vertragsschluss mit einer anschließenden Geltendmachung von Gewährleis­ tungsrechten durch den Käufer“ (Stöber, a. a. O.), steht einer (anderweitigen) gesetzlichen Typisierung im dargelegten Sinne allerdings nicht entgegen. 77  Vgl. auch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S.  470 ff. 78  §  460 BGB a. F. entsprach im Wesentlichen §  442 BGB. §  464 BGB a. F. ordnete jen­ seits von §  460 BGB a. F. (= §  442 BGB) einen Ausschluss der kaufrechtlichen Gewährleis­ tungshaftung auch dann an, wenn der der Käufer eine mangelhafte Sache annahm, ob­ schon er den Mangel kannte, es sei denn, er behielt sich seine Rechte wegen des Mangels

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bzw. Verschuldenstatbestände. Insbesondere Reimer Schmidt hat §§  460, 464 BGB a. F. schon früh als obliegenheitsbegründende Vorschriften expli­ ziert.79 Weitgehend gleichsinnig wurde die Regelung des §  464 BGB a. F. in der Literatur verbreitet auf den Gedanken zurückgeführt, das Verschweigen von Mängeln einer Kaufsache durch den Käufer sei arglistig, weil es regel­ mäßig Beweisschwierigkeiten und eine Schädigung des Verkäufers verursa­ che.80 Dem ist zuzustimmen. Allerdings ist nicht ersichtlich, warum diese zwecktheoretische Erkenntnis auf tat­bestandlicher Ebene ohne Relevanz sein sollte. Ihr ist im Gegenteil auch dort Geltung zu verschaffen, indem man den Kenntnistatbestand nicht nur zweck­theoretisch, sondern auch tat­ bestandlich als Vorsatztatbestand begreift. Auch die Kritik, die dieses Zweckverständnis in der Literatur erfahren hat, bestätigt die hier gefundene Lösung. Helmut Köhler hält der Auffas­ sung, §  464 BGB a. F. sanktioniere das arglistige Verschweigen eines Mangels durch den Käufer, entgegen, der Käufer handele nicht notwendig arglistig, wenn er bei der Annahme der Kaufsache in Kenntnis des Mangels schweige: „Man denke nur an den Fall, dass beim Versendungskauf der Käufer zwar den Mangel erkennt und sogleich die Vorbehaltsanzeige abschicken möchte, aber durch irgendeinen Umstand daran gehindert wird, und sei es nur, dass etwas Dringenderes dazwischen kommt“.81 Es mag durchaus zweifelhaft sein, ob dem Käufer in diesem Fall tatsächlich der Vorwurf des arglistigen Verschweigens gemacht werden kann. Knüpft man den Gewährleistungs­ ausschluss indes tatbestandlich nicht an das „nackte“ Wissen des Käufers um den Mangel bei Annahme der Kaufsache, sondern – wie hier vertreten und nach der in Bezug genommenen Zweckbetrachtung geboten – an ein vor­ bei der Annahme vor (vgl. im geltenden Werkvertragsrecht noch §  640 Abs.  3 BGB). §  464 BGB a. F. wurde im Zuge der Schuldrechtsreform ersatzlos gestrichen. 79  R. Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953, S.  184 f., der daraus übrigens auch zutreffend die Konsequenz der entsprechenden Anwendung von §  278 BGB zieht; ferner etwa Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S.  470 ff.; Esser/Weyers, Schuld­ recht, Band  II: Besonderer Teil, Teilband 1, 81998, §  5 II 4 = S.  45. Dagegen Schilken, Wis­ senszurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  95; Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  176 f. 80  Vgl. dazu Köhler, JZ 44 (1989), 761, 768 m. w. N. aus dem damaligen Schrifttum; ferner Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  II/1: Besonderer Teil, 131986, S.  48, der §  464 BGB a. F. als einen Fall des „Rechtsverlustes in Folge der ‚Verschweigung‘ seiner Rechte“ beschreibt, der gerechtfertigt ist, weil der Käufer „durch sein Schweigen in Ver­ bindung mit der Annahme [der Kaufsache] einen Tatbestand schafft, auf den der Verkäu­ fer soll vertrauen dürfen. Der Verlust seiner Ansprüche ist eine gesetzlich Folge seines Verhaltens“. 81  Köhler, JZ 44 (1989), 761, 769.

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sätzliches Handeln des Käufers, so mag sich in dem von Köhler angeführten Beispiel ergeben, dass der Käufer ausnahmsweise nicht vorsätzlich handelte. Was die Frage anbelangt, ob §  442 Abs.  1 S.  1 BGB auch die Vorsatzform des bedingten Vorsatzes einschließt,82 lässt sich schließlich auf die Rechtspre­ chung zu §  439 Abs.  1 BGB a. F.83 verweisen. Danach war es der Kenntnis von einem Rechtsmangel gleichzusetzen, wenn der Käufer „mit dem Vorliegen eines Rechtsmangels gerechnet und das Risiko, daß diese Annahme richtig sei, bewußt in Kauf genommen hat“.84 Mit dem hergebrachten Verständnis vom (vermeintlich) einfachen Wissenstatbestand ist dieses Ergebnis nur mit Mühe vereinbar; expliziert man §  439 BGB a. F. als Vorsatztatbestand, lassen sich die zitierten Ausführungen hingegen unproblematisch als Verweis auf den allgemeinen Tatbestand des bedingten Vorsatzes einordnen. c) Verhältnis zum Einwand des Mitverschuldens und zur Haftung aus culpa in contrahendo Erkennt der Käufer infolge einfacher (nicht grober) Fahrlässigkeit einen Mangel der Kaufsache nicht, stellt sich die Frage, ob dies den Mitverschul­ denseinwand des §  254 Abs.  1 BGB und/oder eine Haftung des Käufers aus culpa in contrahendo gemäß §  280 Abs.  1, 241 Abs.  2, 311 Abs.  2 BGB be­ gründen kann. Das wird überwiegend mit dem Argument abgelehnt, §  442 Abs.  1 BGB berücksichtige die insofern maßgeblichen Umstände typisie­ rend dahin, dass dem Käufer in Ansehung von Mängeln der Kaufsache generell nur Kennnis oder grob fahrlässige Unkenntnis (vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten) schaden solle; vor diesem Hintergrund würde sich eine Einstandspflicht des Käufers für einfache Fahrlässigkeit als „Umge­ hung“ einer abschließenden gesetzgeberischen Entscheidung darstellen.85 Dieser Befund ist hier vor allem mit Blick darauf interessant, wie selbst­ verständlich mit §  254 Abs.  1 und §  280 Abs.  1 BGB auf der einen und §  442 82  Der Frage dürfte neben §  442 Abs.  1 S.  2 BGB im Ergebnis keine große praktische Bedeutung zukommen; sie ist aber insbesondere rechtstheoretisch interessant. 83  Die Regelung war das Pendant zu §  460 S.  1 BGB bezogen auf Rechtsmängel. 84  BGH, Urt. v. 20.12.1978 – VIII ZR 114/77, NJW 1979, 713 Abschn.  II 3; BGH, Urt. v. 31.1.1990 – VIII ZR 314/88, NJW 1990, 1106 Abschn.  II 2 a; Überlegungen dahin auch schon bei RG, Urt. v. 8.7.1919 – II 30/19, RGZ 96, 227, 230. 85  Vgl. nur BGH, Urt. v. 28.6.1978 – VIII ZR 112/77, NJW 1978, 2240 Abschn.  II 1 im Anwendungsbereich des §  460 BGB a. F. (Sachmängel); BGH, Urt. v. 31.1.1990 – VIII ZR 314/88, NJW 1990, 1106 Abschn.  II 2 a im Anwendungsbereich des §  439 BGB a. F. (Rechtsmängel); BeckOK – Faust, BGB, Stand: 1.5.2021, §  442 Rn.  36; BeckOGK – ­Stöber, BGB, Stand: 1.6.2021, §  442 Rn.  114. Anders MünchKomm – Westermann, BGB, 82019, §  442 Rn.  15; Mittenzwei, JuS 1994, 187, 191 ff.

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Abs.  1 BGB auf der anderen Seite zwei Normen mit (explizitem) Verschul­ denstatbestand und eine Norm mit (vermeintlich) einfachem Wissenstatbe­ stand dergestalt in Beziehung zueinander gesetzt werden, dass die eine den anderen vorgeht. Dieser Schluss setzt nämlich voraus, dass §  254 Abs.  1, §  280 Abs.  1 und §  442 Abs.  1 BGB prinzipiell dasselbe regeln und nicht etwa kategorial verschiedene Dinge. Das trifft auch zu. Alle drei Vorschriften be­ treffen die Verantwortlichkeit des Käufers. §  442 Abs.  1 BGB definiert und sanktioniert insofern einen speziellen Fall alleiniger oder weit überwiegen­ der Verantwortlichkeit des Käufers. Für eine vergleichbare Sanktionierung bloß gleichrangiger oder gar untergeordneter Verantwortlichkeit auf Käu­ ferseite bleibt daneben kein Raum. d) Begründung echter Rechtspflichten §  442 Abs.  1 BGB regelt jedenfalls den Obliegenheitenkreis des Käufers. Ab­ schließend ist der Frage nachzugehen, ob die Regelung darüber hinaus sogar eine echte Rechtspflicht begründet, die bezogen auf die Vorsatzalternative des §  442 Abs.  1 S.  1 BGB auf Offenlegung (oder Unterlassung des Vertrags­ schlusses) gerichtet wäre und deren Verletzung über den Rechtsverlust nach §  442 Abs.  1 BGB hinaus auch – schadensersatzbewehrt wäre, namentlich nach den Regeln der culpa in contrahendo (§§  280 Abs.  1, 311 Abs.  2, 241 Abs.  2 BGB)86 und bei Vorsatz nach §  826 BGB, – und im Vorsatzfall außerdem ein Anfechtungsrecht des Verkäufers we­ gen arglistiger Täuschung durch Unterlassen nach §  123 Abs.  1 S.  1 BGB be­ gründen würde. Die Folgen, die mit einer Einordnung des §  442 Abs.  1 BGB als Rechts­ pflicht verbunden wären, soll folgendes Beispiel illustrieren: Angenommen, der Käufer erkennt, dass die Kaufsache, die er erwerben möchte, mangelhaft ist, legt diesen Umstand dem Verkäufer gegenüber, den er insofern für un­ wissend hält, aber nicht offen (vorsätzliche Nichtoffenbarung), weil er die Sache zunächst mehrere Monate lang benutzen und dann im Wege des Ver­ langens von Neulieferung gegen eine neue „eintauschen“ möchte (Schädi­ gungsvorsatz), was er dann auch unter Verursachung entsprechender Kos­ ten für den Verkäufer tut (objektiver Schaden) – würde §  442 Abs.  1 S.  1 BGB eine Rechtspflicht zur Offenbarung statuieren, begründeten die ge­ 86 Das ist insofern kein Widerspruch zu den vorstehenden Ausführungen, als in Aknüpfung an §  442 Abs.  1 BGB von vornherein nur eine Haftung des Käufers für vor­ sätzliches oder grob fahrlässiges, nicht aber für (einfach-)fahrlässiges Verhalten in Be­ tracht kommt.

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schilderten Umstände ohne weiteres einen Schadensersatzanspruch des Ver­ käufers aus §  280 Abs.  1 BGB und §  826 BGB. Insbesondere bedürfte es kei­ nes besonderen Vertrauens- oder Näheverhältnisses (z. B.: enge, laufende Geschäftsbeziehung) oder sonstiger besonderer Umstände, um eine Rechts­ pflicht zur Offenbarung und damit die Tatbestandsmäßigkeit des (vorsätz­ lichen) Verschweigens des Mangels zu begründen, sondern es würde generell bereits der vorvertragliche, auf den Abschluss eines Kaufvertrags gerich­ tete Kontakt zwischen Käufer und Verkäufer genügen. Bei unbefangener Betrachtung spricht alles für eben diese Lesart. Für die Einordnung von §  442 Abs.  1 BGB als pflichtbegründende Norm spricht vor allem der Zweck der Vorschrift, auch und vor allem den Verkäufer vor vermeidbaren Risiken und Kosten einer ex-post-Behandlung von Mängeln nach den Regeln des Gewährleistungsrechts zu schützen, soweit dies für den Käufer aufwandsfrei oder mit verhältnismäßig geringem Aufwand möglich ist. Die Vorschrift intendiert, entgegen verbreiteter Vorstellung, eben nicht nur eine Verhaltenssteuerung im wohlverstandenen Eigeninteresse des Käu­ fers, sondern auch im Interesse des Verkäufers.87 Bezogen auf die Vorsatzalternative des §  442 Abs.  1 S.  1 BGB kommt hin­ zu, dass die Regelung insofern Ausdruck des grundsätzlichen Verbots der Lüge (durch Unterlassen) im Sinne eines „Verschweige nicht vorsätzlich Mängel“ ist und damit – wie andere Vorsatz- bzw. Arglisttatbestände auch – einen rechts­ethischen Minimalstandard postuliert, dessen Beachtung die Rechtsordnung nicht unter lediglich punktueller Zuweisung ganz bestimm­ ter Rechtsnachteile (hier des Verlusts der Mängelrechte) ins Belieben der Teilnehmer am Rechtsverkehr stellt, sondern dezidiert einfordert und breit sanktioniert. In Vorsatzfällen ist es auch ohne weiteres gerechtfertigt, den Verkäufer nicht nur punktuell von der Gewährleistungshaftung freizustel­ len – das ist „das Mindeste“ –, sondern ihm darüber hinaus auch generell das Gestaltungsrecht zuzubilligen, sich durch Anfechtung nach §  123 Abs.  1 BGB vom Kaufvertrag insgesamt zu lösen.

87 

Vgl. auch Schulze, Die Naturalobligation, 2012, S.  345, der zu den Charakteristiken von Obliegenheitsnormen zählt, dass dort die Wahrnehmung von Interessen im eigenen Rechtskreis des Belasteten in Rede steht.

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4. §  311a Abs.  2 S.  2 Alt.  1 BGB als Vorsatztatbestand – §  311a Abs.  2 S.  2 BGB als Verschuldenstatbestand a) Ausgangspunkt Nach §  311a Abs.  2 BGB kann der Gläubiger im Falle eines anfänglichen Leistungshindernisses im Sinne des §  275 Abs.  1 bis 3 BGB Schadensersatz statt der Leistung oder Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, wenn der Schuldner, was vermutet wird, das Leistungshindernis bei Vertragsschluss kannte oder seine Unkenntnis zu vertreten hat. Die Vorschrift stellt auf den ersten Blick keine reine (explizite) Verschuldensnorm dar, sondern jeden­ falls in ihrer ersten Alternative eine Kenntnisnorm, bei der zu vertretende Unkenntnis (im Regelfall also: fahrlässige Unkenntnis, §  276 Abs.  1 BGB) der Kenntnis gleichgestellt ist. Damit ist die Haftungsnorm des §  311a Abs.  2 BGB hinsichtlich des subjek­tiven Tatbestands abweichend von §§  280 Abs.  1, Abs.  3, 283 BGB formuliert. Warum dies so ist und ob dies dogmatisch oder aus sonstigen Gründen geboten, sinnvoll oder aber im Gegenteil verfehlt ist, ist umstrit­ ten. b) Maßgebliche Pflichtverletzung Von der Haftung nach §§  280 Abs.  1, Abs.  3, 283 BGB unterscheidet sich die Haftung nach §  311a Abs.  2 BGB vor allem darin, dass sie nicht an die Nicht­ erfüllung einer Leistungspflicht oder die Herbeiführung bzw. Nichtabwen­ dung der Umstände anknüpft und anknüpfen kann, auf Grund derer die Leistungspflicht nach §  275 Abs.  1 bis 3 BGB wegfällt,88 weil eine Leis­ tungspflicht in den Fällen des §  311a BGB (Leistungshindernis bei Vertrags­ schluss) von vornherein nicht begründet wird.89 Stattdessen wird im Rahmen von §  311a Abs.  2 BGB verbreitet die „Nicht­ erfüllung des [nach §  311a Abs.  1 BGB wirksamen] Leistungsversprechens“ als maßgeblicher Haftungsgrund angegeben.90

88  Näher zur Konkretisierung der Pflichtverletzung bei §  280 Abs.  1, Abs.  3, 283 BGB BeckOK – Lorenz, BGB, Stand: 1.5.2021, §  283 Rn.  2, §  280 Rn.  20 m. w. N. 89  Anders etwa MünchKomm – Ernst, BGB, 82019, §  311a Rn.  4: „Nichterfülltbleiben der Leistungspflicht“, wobei Ernst konsequenterweise die Nähe beider Haftungstatbe­ stände betont. 90  So insbesondere die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 14/6040 S.  165; Canaris, JZ 2001, 499, 507; ders., Karlsruher Forum 2002 (VersR Sonderheft), 5, 51, jeweils unter Betonung des Umstandes, dass §  275 Abs.  1 bis 3 BGB den Schuldner eben nur von seiner primären Leistungspflicht befreie,

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Das trifft den Haftungsgrund allerdings ebenfalls nicht oder jedenfalls nicht genau. Richtigerweise knüpft die Haftung nach §  311a Abs.  2 BGB nämlich vorgelagert bereits an die Abgabe des Leistungsversprechens („den Vertragsschluss“) trotz eines bestehenden Leistungshindernisses an; denn darin liegt das maßgebliche, schädigende Verhalten des Schuldners.91 Die Haftung aus §  311a Abs.  2 BGB stellt sich hiernach als besondere, nämlich auf das positive Interesse gerichtete Ausprägung der Haftung für Verschul­ den bei Vertragsschluss dar, die an die Verletzung der vorvertraglichen Pflicht anknüpft, die Abgabe eines Leistungsversprechens zu unterlassen, dessen Erfüllung von Anfang an nach §  275 BGB ausgeschlossen ist bzw. sein wird. Dass bei Vermeidung des in Rede stehenden Verhaltens der Vertrag nicht geschlossen worden wäre, ist richtig, steht der Gewährung eines nicht nur auf das negative, sondern auf das positive Interesse gerichteten Anspruchs zugunsten des Vertragspartners aber nicht entgegen.92 Das Gesetz schützt während das Leistungsversprechen als solches wirksam sei, vgl. ders., JZ 2001, 499, 506 sowie ders., Karls­ruher Forum 2002 (VersR Sonderheft), 5, 10. 91  Zumindest im Ausgangspunkt deutlich in diesem Sinne auch Grunewald, JZ 2001, 433, 435: „Vorzuwerfen ist ihm, dass er den Vertrag geschlossen hat und nunmehr nicht leisten kann, was er versprochen hat“; Lorenz, NJW 2002, 2497, 2500: „Verschuldensvor­ wurf an den Schuldner ist hier […] einen von ihm nicht erfüllbaren Vertrag geschlossen zu haben“; vgl. in der Sache auch Grigoleit, FS Köhler, 2014, S.  183, 185. Vgl. ferner Flume, ZIP 1994, 1497, 1498: „Die anfängliche Unmöglichkeit selbst hat der Schuldner nicht zu vertreten. Es geht vielmehr nur darum, daß, wer die Unmöglichkeit kennen muß, den Vertragspartner vor Schaden aus dem Vertragsschluß bewahren muß, und das bedeutet die Haftung auf das negative Interesse“. Nur dem letzten Halbsatz ist auf Basis des gel­ tenden Rechts (der Beitrag ist die Wiedergabe eines Diskussionsbeitrags Flumes „Zu dem Vorhaben der Neuregelung des Schuld­rechts“ auf dem Stand des 60. Deutschen Juristen­ tages 1994) zu widersprechen; dazu sogleich im Text. Im Übrigen ist noch darauf hinzu­ weisen, dass der Abgabe eines Leistungsversprechens ohne weiteres ein Verhaltensele­ ment innewohnt, wie es teilweise für die Begründung einer Schadensersatzhaftung sach­ gesetzlich generell gefordert wird und jedenfalls für den Regelfall auch plausibel ist; vgl. dazu ausführlich Grigoleit, FS Köhler, 2014, S.  183, 186. 92  Anders etwa Altmeppen, DB 2001, 1399, 1400, allerdings immerhin nicht für den „Fall des vorsätzlichen [sic] Versprechens einer objektiv unmöglichen Leistung“: hier hält auch Altmeppen, a. a. O., 1401 f., der der Regelung des §  311a Abs.  2 BGB ansonsten mit grundlegender Skepsis begegnet, eine Haftung auf das positive Interesse für „berechtigt“. Bereits zum alten Recht mit Vertrauensschutzerwägungen eine Haftung auf das positive Interesse im Fall der arglistigen Täuschung über die eigene Leistungsfähigkeit (insbeson­ dere durch Verschweigen eines Mangels) befürwortend Flume, Allgemeiner Teil des Bür­ gerlichen Rechts, Band  II: Das Rechtsgeschäft, 41992, §  27, 5 = S.  533; anders aber für den Fall des Kennenmüssens der Unmöglichkeit ders., ZIP 1994, 1497, 1498. Gleichsinnig für die – allerdings außervertragliche – Vertrauenshaftung kraft dolosen Verhaltens, konkret wegen vorsätzlicher (arglistiger) Täuschung über die Formnichtigkeit eines Vertrages als

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insofern das Vertrauen des Gläubigers in die (anfängliche) Leistungsfähig­ keit seines Vertragspartners (die Erfüllbarkeit des Vertrags), wenn dieser über den einfachen (reinen) vorvertraglichen Kontakt hinaus ein Leistungs­ versprechen abgibt und einen wirksamen Vertrag schließt, indem es ihn – in konsequenter Vollendung des Rechtsgedankens des §  311a Abs.  1 BGB – wirtschaftlich („in Geld“, vgl. §  251 Abs.  1 Fall 1 BGB) an seinem Leistungs­ versprechen festhält.93 c) Explikation als Verschuldenstatbestand Die Haftung aus §  311a Abs.  2 BGB ist also in ein bestehendes vorvertrag­ liches Schuldverhältnis eingebettet. Folge ist unter anderem die Anwendbar­ keit von §§  276–278 BGB im Rahmen von §  311a Abs.  2 S.  2 BGB. Die in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts beschworene „Eigentümlichkeit der Konstellation [des §  311a Abs.  2 BGB] als Informations- und Irrtumsproblematik“94 fällt dem­ „Prototyp“ der Vertrauenshaftung, auch schon Canaris, Die Vertrauenshaftung im deut­ schen Privatrecht, 1971, S.  278, zitiert nach ­Neuner/Grigoleit, Claus-Wilhelm Canaris – Gesammelte Schriften, Band  2: Vertrauenshaftung, 2012, S.  332, nach dem es „rechts­ ethisch unerträglich [wäre], wenn derjenige, der arglistig das Bestehen einer bestimmten Rechtslage behauptet, nicht dem Gutgläubigen gegenüber zu seinem Wort stehen müßte. Die Gewährung eines Erfüllungsanspruchs ist daher in der Tat eine ‚rechtsethische Not­ wendigkeit‘“. Nur am Rande sei bemerkt, dass Canaris in diesem Zusammenhang Arglist und Kenntnis gleichstellt oder jedenfalls nicht klar unterscheidet, etwa wenn er ausführt: „Auch die an die übrigen Tatbestandsmerkmale zu stellenden Anforderungen werden we­ sentlich von dem Vorliegen des dolus praeteritus beeinflußt. So ergibt sich daraus ins­ besondere, daß grundsätzlich nur positive Kenntnis des Formmangels, nicht aber auch schon grobe Fahrlässigkeit schadet; denn diese tritt bei der rechtsethischen Bewertung gegenüber dem Gewicht der Arglist gänzlich zurück“. Selbst für den Vorsatzfall zwei­ felnd Katzenstein, JR 2003, 447, 450 und insbesondere 452 Fn.  72: „Da eine strafähnliche Sanktion im System des zivilrechtlichen Vermögensschutzes einen Fremdkörper darstellt, ist allerdings selbst für arglistiges Verhalten ihre Berechtigung nicht zweifelsfrei“. 93 Vgl. Grunewald, JZ 2001, 433, 435; Grigoleit, FS Köhler, 2014, S.  183, 188 f.; Looschelders, FS Canaris I, 2007, S.  737, 744 f. 94 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 14/6040 S.  165 f.: „Anders als die Schuldrechtskommission geht der Entwurf davon aus, dass sich das Pflichtenprogramm des Schuldners vor Vertragsschluss anders gestaltet als nach Vertragsschluss. Vorher geht es nämlich im Wesentlichen um Informa­ tionspflichten, nachher dagegen um Pflichten bezüglich des Leistungsgegenstandes selbst. Deshalb wird die Schadensersatzpflicht für anfängliche Unmöglichkeit jetzt nicht mehr als bloßer Unterfall eines allgemeinen Tatbestandes der Pflichtverletzung behandelt wie in den Vorschlägen der Schuld­rechtskommission. Sie beruht vielmehr auf eigenständigen Anspruchsvoraussetzungen, die der Eigentümlichkeit dieser Konstellation als Informa­ tions- und Irrtumsproblematik Rechnung tragen. Demgemäß stellt §  311a Abs.  2 RE da­

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gegenüber nicht entscheidend ins Gewicht. Insbesondere begründet sie kei­ nen kategorialen Unterschied zwischen dem subjektiven Tatbestand des §  311a Abs.  2 BGB und dem subjektiven Tatbestand des §  280 Abs.  1, Abs.  3, 283 BGB. Das gilt auch und gerade für den Kenntnis- bzw. Vorsatztatbe­ stand. Der pauschale Verweis auf eine vermeintliche „Irrtumsproblematik“ trägt jedenfalls im Kenntnis- bzw. Vorsatzfall von vornherein nicht. Und auch der pauschale Verweis auf eine vermeintliche „Informationsproblema­ tik“ ist wenig weiterführend, weil eine Informationspflichtverletzung gera­ de nicht tragender Grund der Haftung ist, jedenfalls nicht der Kenntnisbzw. Vorsatzhaftung: Es ist schlechterdings unvorstellbar, dass der in Rede stehende Vertrag gleichwohl überhaupt oder mit dem vereinbarten Inhalt zustande gekommen wäre, hätte der Teil, dessen Leistung bereits bei Ver­ tragsschluss ein Hindernis entgegensteht, dies offenbart. Das „loyale“ Ver­ halten, das die Norm jedenfalls im Kenntnis- bzw. Vorsatzfall verlangt, liegt damit zumindest im Ergebnis nicht in der Erfüllung einer Informations­ pflicht (Offenlegung des bestehenden Leistungshindernisses), sondern in der Nichtabgabe eines Leistungsversprechens. Die Vorschrift lässt sich aber immerhin insofern als Informationshaftung beschreiben, als die Offenle­ gung des bestehen Leistungshindernisses dieses Ergebnis praktisch immer herbeizuführen vermag.95 Mit dem subjektiven Tatbestandsmerkmal der „Kenntnis“ ist in §  311a Abs.  2 S.  2 Alt.  1 BGB also nichts anderes angesprochen als das subjektive Tatbestandsmerkmal des „Vorsatzes“. In Verbindung mit der Fahrlässig­ keitsalternative des §  311a Abs.  2 S.  2 Alt.  2 BGB erweist sich die Regelung danach als „normaler“ (vorvertraglicher) Verschuldenstatbestand. d) Bezugspunkte des subjektiven Tatbestands Hinsichtlich des Bezugspunkts des subjektiven Tatbestands unterscheiden sich §§  280 Abs.  1, Abs.  3, 283 BGB und §  311a Abs.  2 BGB, anders als in ihrem Haftungsgrund, nicht. Bezugspunkt des subjektiven Tatbestands sind in beiden Fällen diejenigen Umstände, auf Grund derer die Leistungspflicht nach §  275 Abs.  1 bis 3 BGB (von Anfang an respektive nachträglich) ausge­ schlossen ist.96 rauf ab, ob der Schuldner die Unmöglichkeit kannte oder kennen musste“; gleichsinnig Canaris, JZ 2001, 499, 507, insbesondere Fn.  81. 95 Die Fahrlässigkeitshaftung nach §  311a Abs.  2 BGB ist hingegen durchaus „informa­ tionspflichtbezogen“ zu begründen, namentlich insofern, als der Schuldner eine etwaige Fahrlässigkeitshaftung dadurch vermeiden kann, dass er sich in hinreichender Weise dar­ um bemüht, ein mögliches anfängliches Leistungshindernis aufzudecken. 96 Vgl. zu §§   280 Abs.  1, Abs.  3, 283 BGB etwa BeckOK – Lorenz, BGB, Stand:

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Die Abgabe des Leistungsversprechens als weiteres Element der Pflicht­ verletzung ist auf Ebene des subjektiven Haftungstatbestands des §  311a Abs.  2 BGB unerheblich, weil diese in subjektiver Hinsicht bereits über den Vertragsschluss selbst, das heißt über den Tatbestand des Leistungsverspre­ chens als Willenserklärung in Bezug genommen ist. Dieser Teil kann auf Ebe­ ne des subjektiven Tatbestands des §  311a Abs.  2 BGB also letztlich wegge­ kürzt werden. Deshalb ändert die Identität des Bezugspunkts des subjekti­ ven Tatbestands auch nichts daran, dass der Haftungsgrund bei §  311a Abs.  2 BGB ein anderer ist und sein kann als bei §§  280 Abs.  1, Abs.  3, 283 BGB, ohne dass darin ein logischer Bruch läge.97 Eine Besonderheit des §  311a Abs.  2 BGB besteht allerdings darin, dass sich der subjektive Tatbestand hier über die Umstände hinaus, auf Grund derer die Leistungspflicht nach §  275 Abs.  1 bis 3 BGB von Anfang an aus­ geschlossen ist, der Eigenart der vorvertraglichen Haftung entsprechend au­ ßerdem noch darauf beziehen muss, dass der andere Teil das Leistungshin­ dernis nicht kennt98 und  – was allerdings immer der Fall sein wird – den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt schließen würde, wenn er es kennen würde. 5. §  199 Abs.  1 Nr.  2 Alt.  1 BGB als Vorsatztatbestand – §  199 Abs.  1 Nr.  2 als Verschuldenstatbestand §  199 Abs.  1 BGB regelt den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und macht diese unter anderem davon abhängig, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kennt­ nis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Unter Offenlegung des Grundappells des Verjährungsrechts kann §  199 Abs.  1 Nr.  2 Alt.  1 BGB ohne weiteres als Norm begriffen werden, die im Interesse des Rechtsfriedens, der Rechtssicherheit, der Entlastung und vor allem der Beschränkung willkürlicher Verzögerung der Rechtsdurch­ setzung zulasten des Schuldners99 das vorsätzliche Verschweigen eines An­ 1.5.2021, §  283 Rn.  3; BeckOGK – Riehm, BGB, Stand: 1.4.2021, §  283 Rn.  30, der darin allerdings einen Unterschied zu §  311a Abs.  2 BGB sieht. Zu §  311a Abs.  2 BGB etwa BeckOK – Gehrlein, BGB, Stand: 1.5.2021, §  311a Rn.  44; BeckOGK – Herresthal, BGB, Stand: 1.6.2019, §  311a Rn.  104. 97  Vgl. auch Looschelders, FS Canaris I, 2007, S.  737, 745 f. Anders etwa Katzenstein, JR 2003, 447, 449 f. 98  Kennt auch der Vertragspartner das Leistungshindernis schon bei Vertragsschluss und schließen beide gleichwohl den Vertrag, dürfte immer oder praktisch immer ein Fall des §  117 BGB gegeben sein. 99  Näher zu den Zwecken der Verjährung HKK – Hermann, BGB, 2003, §§  194–225

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spruchs100 oder genauer das (auch bedingt) vorsätzliche Unterlassen verjäh­ rungshemmender Maßnahmen durch den Gläubiger damit sanktioniert, dass dem Anspruchsgegner nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums die Einrede der Verjährung nach §  214 Abs.  1 BGB zugebilligt wird. In der Rechtsprechung des BGH kommt dieser Gedanke etwa zum Aus­ druck, wenn der BGH eine Wissenszurechnung (im hergebrachtem Sinne) im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB in Fällen, in denen sich der betref­ fende Anspruch gegen diejenige Person richtet, deren Wissen zugerechnet werden soll, mit der Begründung ablehnt, hier könne „nicht erwartet wer­ den, dass der Schuldner dafür sorgt, dass die Ansprüche gegen ihn selbst geltend gemacht werden“.101 Noch deutlicher in die skizzierte Richtung weisen Entscheidungen, die den Verjährungsbeginn grundsätzlich an die rechtliche Befugnis des Wissensträgers knüpfen, verjährungshemmende Maßnahmen vorzunehmen,102 und in denen der BGH den Verjährungsbe­ ginn an die fehlende Schutzwürdigkeit eines Gläubigers knüpft, der aus ihm bekannten Umständen den Schluss auf das Bestehen eines Schadensersatz­ anspruchs gezogen hat.103 Und die Tatbestandsalternative der grob fahrlässi­ gen Unkenntnis hat der BGH sogar wiederholt und dezidiert als „subjektiv vorwerfbare Vernachlässigung der Ermittlungspflichten“104 und „schwere Form des ‚Verschuldens gegen sich selbst‘“ eingeordnet, die es erfordere,

Rn.  12 ff.; Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Ge­ schäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  65 ff. 100  Vgl. auch Mot. I, 1888, S.  291: „Der Verkehr erträgt es nicht, daß lange verschwiege­ ne […] Tatsachen zur Quelle von Anforderungen […] gemacht werden“; „beharrliche […] Nichtbethätigung des Anspruchs“; BeckOGK – Piekenbrock, BGB, Stand: 1.5.2021, §  194 Rn.  11: „Verschweigung“; „Nichtgebrauch eines bekannten Rechts“. Historisch-begriff­ lich wird die (deutsch-rechtliche) Verschweigung allerdings von der Verjährung durchaus unterschieden; vgl. dazu HKK – Hermann, BGB, 2003, §§  194–225 Rn.  9, der den Unter­ schied in „der notwendigen bewussten Unterlassung einer Geltendmachung eigenen Rechts“ und in „der Perspektive von Verlust bzw. Erwerb“ sieht. Teilweise wird bzw. wurde insofern sogar von „Strafe“ für Saumseligkeit gesprochen oder die Verjährung als Folge willentlicher bzw. mutmaßlicher Aufgabe des betreffenden Anspruchs, als Derelik­ tion, eingeordnet; instruktiv auch dazu HKK – ders., BGB, 2003, §§  194–225 Rn.  15. 101  BGH, Urt. v. 23.1.2014 – III ZR 436/12, NJW 2014, 1294 Rn.  20. 102  Vgl. BGH, Urt. v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, NJW 2020, 1800 Rn.  56; BGH, Urt. v. 16.7.2015 – IX ZR 127/14, NJW 2015, 3299 Rn.  14 m. w. N. 103  BGH, Urt. v. 29.10.2020 – IX ZR 10/20, NJW 2021, 1957 Rn.  29, außerdem mit dem Hinweis, der Gläubiger habe nun „zumindest drei Jahre Zeit, den erkannten Scha­ densersatzanspruch durchzusetzen oder jedenfalls den Lauf der Verjährungsfrist zu hem­ men“. 104  BGH, Versäumnisurt. v. 30.4.2015 – IX ZR 1/13, NJW-RR 2015, 1321 Rn.  10.

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dass dem Gläubiger ein „schwerer Obliegenheitsverstoß in eigenen Angele­ genheiten der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden“ kann.105 §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB ist also insgesamt als obliegenheitsbezogener106 Verschuldenstatbestand einzuordnen, der an den Gläubiger – bei Meidung der Gestattung der Einrede der Verjährung zugunsten des Schuldners im Falle vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Unterlassens – die Verhaltens­ erwartung richtet, einen Anspruch innerhalb der Verjährungsfrist in verjäh­ rungshemmender Weise, also insbesondere durch Eintritt in Verhandlungen (§  203 BGB) oder durch Rechtsverfolgung (§  204 BGB) geltend zu ma­ chen.107 105  BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 182/13, BeckRS 2015, 3384 Rn.  31; fast wortgleich BGH, Urt. v. 26.5.2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn.  19. Die Einzelheiten sind umstritten, namentlich, ob bzw. inwieweit die Tatbestandsalternative der grob fahrlässi­ gen Unkenntnis über die Grenzen des bewussten Sichverschließens hinausgeht. Der BGH bejaht das zutreffend, vgl. BGH, Urt. v. 28.2.2012 – VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789 Rn.  12; vgl. außerdem insbesondere Zimmermann, The New German Law of Obliga­ tions, 2005, S.  140: „The concept of ‚gross negligence‘ implies a duty, at the part of a potential creditor, to find out whether or not he has a claim“, wobei Zimmermann der Gleich­ stellung von Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis selbst allerdings kritisch gegen­ übersteht. Anders etwa Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  86 ff. m. w. N., auch zur Rechtspre­ chung des BGH; der Ansicht Baischs ist nicht zu folgen, jedenfalls dann nicht, wenn damit – isoliert betrachtet zutreffend – auf ein enges Verständnis vom Tatbestand des Sichver­ schließens Bezug genommen wird: Dadurch würden beide Tatbestandsalternativen des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB in eins gesetzt und die systemprägende Unterscheidung zwischen Wissen und grob fahrlässigem Nichtwissen verwischt, ohne das für die damit letztlich bewirkte Korrektur des relativen Wissenstatbestands des §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB hinrei­ chende Gründe gegeben sind. Insbesondere ist dem Gläubiger über die – stets geforderte – prinzipielle Offenheit für Wahrnehmungen hinaus im öffentlichen Interesse an einer zügigen Klärung potentiell streitiger Rechtsverhältnisse und im Interesse des potentiellen Schuldners jedenfalls bei Bestehen konkreter Anhaltspunkte ein gewisser – wenn auch stark zurückgenommener – Ermittlungsaufwand in Abwägung mit seinen eigenen Inter­ essen zumutbar. Namentlich hat der Gläubiger auch dann die von Baisch, a. a. O., zutref­ fend in den Mittelpunkt gerückte „faire Chance zur Anspruchsdurchsetzung“. 106  Teilweise wird die Verhaltenserwartung, die in den Regeln der Verjährung zum Aus­ druck kommt, sogar im Sinne einer allgemeinen Rücksichtnahmepflicht formuliert; vgl. MünchKomm – Grothe, BGB, 82018, Vor §  194 Rn.  6 m. w. N. Zur Einordnung von §  121 Abs.  1 BGB als Obliegenheitsnorm vgl. Schulze, Die Naturalobligation, 2012, S.  345. 107  Ebenso Staudinger – Caspers, BGB, 2019, §  278 Rn.  51 m. w. N., und zwar dezidiert auch mit der weiteren Folgerung der Anwendbarkeit von §  278 BGB; vgl. auch Zimmermann, The New German Law of Obligations, 2005, S.  140, wo als ein zentraler Gedanke des Verjährungsrechts angeführt wird: „a claim must not prescribe if it is impossible for the creditor to pursue it (agere non valenti non currit praescriptio)“, was umgekehrt heißt, dass ein Anspruch sehr wohl zu verfolgen ist, sobald dies möglich ist; BeckOGK – Piekenbrock, BGB, Stand: 1.5.2021, §  194 Rn.  5, 11. Anders Baisch, Verjährungsbeginn der An­

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6. §§  173, 892 f., 932 ff. BGB und andere Gutglaubenstatbestände als Vorsatz- bzw. Verschuldenstatbestände Eine wichtige Gruppe von Wissensnormen des Privatrechts stellen die zahl­ reichen Gutglaubenstatbestände dar, insbesondere §§  171–173 BGB, §§  892 f. und §§  932 ff. BGB, §  16 Abs.  3 S.  3 GmbHG und §  68 Abs.  1 S.  2 AktG in Verbindung mit Art.  16 WG und §§  366 f. HGB. Den Gutglaubenstatbeständen ist gemein, dass sie unter bestimmten Vor­ aussetzungen die Übertragung des Eigentums oder die Begründung oder Übertragung eines beschränkten dinglichen Rechts an einem Gegenstand108 durch einen Nichtberechtigten zugunsten eines Dritten bzw. spiegelbildlich den Entzug oder die Belastung des Eigentums oder eines beschränkten ding­ lichen Rechts durch einen Nichtberechtigten zulasten des wahren Berech­ tigten (des tatsächlichen Inhabers der betreffenden Rechtsposition) ermög­ lichen. Für §§  171–173 BGB gilt Entsprechendes auch in Ansehung der Be­ gründung schuldrechtlicher Rechts­geschäfte. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Voraussetzungen. Zum einen setzt der Schutz des guten Glaubens einen Rechtsschein- bzw. Publizitätsträger auf­ seiten des Nichtberechtigten voraus,109 namentlich den Besitz einer Voll­ machtsurkunde oder der veräußerten Sache oder auf die veräußerte Sache bezogene Besitzverschaffungsmacht, gegebenenfalls in Verbindung mit ei­ nem Indossament, die Eintragung im Grundbuch oder die Eintragung in der GmbH-Gesellschafterliste. Den Gutglaubenstatbeständen ist ferner gemein, dass sie einen gutgläubigen Erwerb ausschließen, wenn dem Erwerber die Nichtberechtigung des Veräußerers bekannt ist. Überwiegend, aber nicht durchgehend (namentlich nicht in den Fällen der §§  892 f. BGB, also in An­ sehung von Rechten an Grundstücken und von Rechten an solchen Rech­ ten) schadet zudem (grob) fahrlässige Unkenntnis. Überträgt der Veräußerer nach Maßgabe des in Rede stehenden Gutglau­ benstatbestands das Eigentum eines anderen wirksam auf einen gutgläubi­ gen Erwerber, kommt eine Haftung des Veräußerers gegenüber dem vorma­ ligen Eigentümer aus §  823 Abs.  1 BGB unter dem Gesichtspunkt der Eigen­ sprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  57 Fn.  236, nach dem es bei Normen, die einen Fristbeginn an Kenntnis knüpfen, nicht um ein Handeln trotz Wissens gehe. Dabei übersieht Baisch aber die Verhaltensform des Un­ terlassens. 108  Teilweise in Verbindung mit weiteren Vorschriften, etwa §  1207 BGB für das Pfand­ recht an einer beweglichen Sache. 109  Allgemein etwa MünchKomm – Oechsler, BGB, 82020, §  932 Rn.  5; Westermann, JuS 1963, 1, 2.

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tumsverletzung in Betracht.110 Für beschränkte dingliche Rechte und Mitgliedschaftsrechte gilt im Ergebnis dasselbe; sie sind als „sonstige Rech­ te“ ebenfalls nach §  823 Abs.  1 BGB geschützt.111 Eine Haftung des gutgläu­ bigen Erwerbers wegen Verletzung des Eigentums des vormaligen Eigen­ tümers scheidet demgegenüber aus.112 Dem gutgläubigen Erwerber ist der Gegenstand sowohl in seiner Substanz als auch in seinem wirtschaftlichen Wert grundsätzlich dauerhaft zugewiesen (vgl. auch § 816 Abs. 1 BGB e contrario). Die Zuerkennung eines gegen den Erwerber gerichteten Schadens­ ersatzanspruchs zugunsten des vormaligen Eigentümers, gerichtet auf Na­ turalherausgabe, auf Wertersatz für die Sachsubstanz oder auf Herausgabe nach der Übereignung gezogener Nutzungen ist damit grundsätzlich nicht vereinbar; ein dahingehender Anspruch des vormaligen Eigentümers würde den gutgläubigen Erwerb im Ergebnis insgesamt oder wenigstens in wirt­ schaftlicher Hinsicht entwerten.113 Gleichsinnig nehmen die gesetzlichen Gutglaubensvorschriften dem Verhalten des Erwerbers auch die Rechtswid­ rigkeit.114 Scheidet ein gutgläubiger Erwerb aus, weil der (vermeintliche) Erwerber die Nichtberechtigung des Veräußerers kannte und erwirbt er das in Rede stehende Recht folglich nicht, ist eine deliktsrechtliche Haftung des „Erwer­ bers“ (genauer: des Erwerbsversuchers) gegenüber dem (Noch-)Eigentümer hingegen nicht aus grundlegenden Erwägungen heraus von vornherein aus­ geschlossen. Entsteht dem Eigentümer durch den „untauglichen Übereig­ nungsversuch“ etwa ein Nutzungsausfallschaden oder entgeht ihm ein Ge­ winn, weil er die Sache jedenfalls einstweilen faktisch selbst nicht weiter­ veräußern kann (§  252 BGB), kommt im Gegenteil eine Haftung wegen Eingriffs in den Zuweisungsgehalt des Eigentums (§  903 BGB) aus §  823 Abs.  1 BGB ohne weiteres in Betracht, namentlich unter dem Gesichtspunkt 110  Vgl.,

jeweils für §  932 BGB und m. w. N., BGH, Urt. v. 12.3.1996 – VI ZR 90/95, NJW 1996, 1535 Abschn.  II. 3; MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  823 Rn.  255; gene­ ralisierend etwa Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  II/2: Besonderer Teil, 13 1994, §  76 II 3 a = S.  386. 111  Vgl. statt vieler und m. w. N. MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  823 Rn.  306 ff. und Rn.  351 ff. Im Folgenden soll im Interesse der Lesbarkeit verkürzt nur noch vom Ei­ gentum die Rede sein. 112  Vgl. BGH, Urt. v. 25.4.1967 – VII ZR 1/65, NJW 1967, 1660 Abschn.  II. 3. a. (für §  932 BGB); allgemein MünchKomm – ders., BGB, 82020, §  823 Rn.  256; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  II/2: Besonderer Teil, 131994, §  76 II 3 a = S.  386. 113  Vgl. etwa MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  823 Rn.  256; Staudinger – Hager, BGB, 2017, §  823 Rn.  B66. 114 So Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  II/2: Besonderer Teil, 131994, §  76 II 3 a = S.  386.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

der Vorenthaltung des Besitzes,115 einer sonstigen schwerwiegenden Nut­ zungsstörung116 und/oder der Anmaßung der Eigentümerstellung durch den Erwerber gegenüber Dritten.117 Außerdem kommt ein Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus §  826 BGB in Betracht. Insbe­ sondere greift im Fall des bösgläubigen Erwerbers jedenfalls ganz regelmä­ ßig nicht die „Sperrwirkung“ des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses nach §  993 Abs.  1 Hs.  2 BGB.118 Bei Sachen steht dem Eigentümer außerdem ein Anspruch auf Herausgabe aus §  985 BGB zu.119 Die vorsätzliche Perpetuierung (und letztlich: Usurpation) einer eigen­ tumswidrigen Lage, die in der Mitwirkung an einem Übertragungsgeschäft trotz Wissens um die Nichtberechtigung des Veräußerers liegt, ist dem Ei­ gentümer gegenüber also rechtswidrig und folglich zu unterlassen (§  1004 Abs.  1 S.  2 BGB).120 Diese Unterlassungspflicht gegenüber dem wahren 115  Ob

auch der dem Zuweisungsgehalt des Eigentums widersprechenden Besitzerwerb bereits §  823 BGB unterfällt, ist umstritten; bejahend Staudinger – Hager, BGB, 2017, §  823 Rn.  B102 m. w. N. auch zur anderen Ansicht; Wieling, Sachenrecht, 52007, §  12 III 5 a = S.  176 für den Besitzerwerb durch Straftat. 116  Vgl. dazu Staudinger – Hager, BGB, 2017, §  823 Rn.  B102. 117  Str.; vgl. allgemein dazu Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band   II/2: Besonderer Teil, 131994, §  76 II 3 = S.  386 ff.; MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  823 Rn.  268. Anders Staudinger – Hager, BGB, 2017, §  823 Rn.  B78. 118  Etwas anderes kann sich im Einzelfall aus den unterschiedlichen Anknüpfungs­ punkten der Bösgläubigkeit ergeben (dinglicher Erwerbstatbestand: Eigentum des Veräu­ ßerers; §  990 BGB: Eigenes Besitzrecht). 119  Einem GmbH-Gesellschafter steht gleichsinnig ein Anspruch darauf zu, dass infol­ ge einer unwirksamen GmbH-Anteilübertragung keine – falsche – geänderte GmbH-Ge­ sellschafterliste zum Handelsregister eingereicht wird (vgl. BGH, Urt. v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, NZG 2019, 979 Rn.  37 ff.: Möglichkeit der Erwirkung einer einstweiligen Verfü­ gung gegen die Aufnahme einer den betroffenen Gesellschafter nicht mehr als Gesell­ schafter ausweisenden Gesellschafterliste nach möglicherweise fehlerhafter Einziehung) und eine etwa bereits eingereichte – falsche – Liste durch Einreichung einer neuen Liste korrigiert wird, die ihn (wieder) als Gesellschafter ausweist (vgl. BGH, Urt. v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, NZG 2019, 979 Rn.  48; MünchKomm – Heidinger, GmbHG, 32019, §  40 Rn.  179; vgl. zur Befugnis des GmbH-Geschäftsführers zur Listenkorrektur bereits BGH, Urt. v. 17.12.2013 – II ZR 21/12, NZG 2014, 184 Rn.  33 ff.). Dass sich der An­ spruch hier gegen die GmbH bzw. deren Geschäftsführer richtet, ist dem verfahrensrecht­ lichen Umstand geschuldet, dass die Gesellschafter selbst nach §  40 GmbHG nicht unmit­ telbar zur Einreichung von GmbH-Gesellschafterlisten befugt sind. Dieser Aspekt ist im vorliegenden Zusammenhang daher vernachlässigbar. 120  Näher und m. w. N., auch zu abweichenden Stimmen im Schrifttum, BeckOGK – Spohnheimer, BGB, Stand: 1.5.2021, §  1004 Rn.  121 ff. unter Rückbindung an die von ­Picker begründete Usurpationslehre; vgl. speziell zum Unterlassungsanspruch aus §  1004 BGB im Zusammenhang mit falschen Behauptungen über die Eigentumslage hinsichtlich einer Sache noch Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  II/2: Besonderer Teil,

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ding­lich Berechtigen ist Ausfluss und Ausdruck der Ausschlussfunktion der diesem zugewiesenen Rechtsposition (Eigentum, beschränktes dingliches Recht, Mitgliedschaft). Damit rückt auch bei Gutglaubenstatbeständen ein bestimmtes Verhalten in den Mittelpunkt, das diese adressieren und das im Wissensbegriff nur ver­ kürzt angesprochen ist, nämlich die – vorsätzliche, oder, wo gleichgestellt, (grob) fahrlässige121 – Mitwirkung an einem Rechtsgeschäft mit einem Nicht­ berechtigten. Die allgemeine Rechtspflicht, solches Verhalten zu unterlassen, wird von den Gutglaubenstatbeständen in spezifischer Weise mit der Nich­ tigkeit eben dieses Erwerbsgeschäfts sanktioniert.122 Diese Sanktion lässt die deliktische Haftung des Erwerbers und etwaige Herausgabe- oder sonstige Restitutionsansprüche des Eigentümers unberührt. Anders als ein Schadens­ ersatzanspruch setzt sie auch nicht voraus, dass dem wahren Berechtigten aus dem Verhalten ein Schaden entsteht. 7. §  990 Abs.  1 S.  1 BGB als Verschuldenstatbestand, §  990 Abs.  1 S.  2 als Vorsatztatbestand Nichts anderes gilt im Ergebnis für §  990 Abs.  1 BGB. Hier sind die Tatbe­ standsmerkmale des guten Glaubens bzw. der „Unkenntnis“ zwar nicht auf das Eigentum etc. des Veräußerers im Zusammenhang mit einem Verfü­ gungsgeschäft bezogen, sondern auf das Bestehen eines Rechts zum Besitz einer Sache.123 Auch §  990 Abs.  1 BGB lässt sich aber ohne weiteres als abso­ lute Vorsatznorm (S.  2) bzw. Verschuldensnorm (S.  1)124 explizieren, die im 13 1994, §  76 II 3 = S.  391. Wohl anders Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und Bank­ rechtliche Aufklärungspflichten, 1998, S.  170 im Kontext der §§  989, 990 BGB, der inso­ fern allerdings die Verhaltensform des Unterlassens nicht hinreichend berücksichtigt. 121  Vereinzelt wird die Mitwirkung auf Erwerberseite an einem Erwerbsgeschäft mit einem Nichtberechtigten sogar verschuldensunabhängig mit der Nichtigkeit des betref­ fenden Erwerbsgeschäfts sanktioniert, namentlich gemäß §  935 BGB in Ansehung von abhanden gekommenen beweglichen Sachen; vgl. zum Schutzzweck der Regelung BVerfG, Beschl. v. 10.2.­2021  – 2 BvL 8/19, NJW 2021, 1222 Rn.  156. 122  Vgl. für eine frühe Explikation von §  892 BGB als Vorsatztatbestand Ratz, AcP 128 (1928), 309, 342 Ganz ähnlich für das schweizerische Privatrecht Walter, Die Wissens­ zurechnung im schweizerischen Privatrecht, 2005, S.  316. Anders Hähnchen, Obliegen­ heiten und Nebenpflichten, 2012, S.  86, nach der es bei §  932 Abs.  2 BGB „nicht etwa um ein konkret gewünschtes Verhalten zum Erhalt einer Rechtsposition“ gehe. 123  Vgl. nur BeckOK – Fritzsche, BGB, Stand: 1.5.2021, §  990 Rn.  6, 22. 124  Nach wohl h. M. nimmt §  990 Abs.  1 S.  1 BGB auf §  932 Abs.  2 BGB Bezug, sodass dem Besitzer, nach hergebrachtem Verständnis, Kenntnis und grob fahrlässige Unkennt­ nis vom fehlenden Besitzrecht schaden. Das gilt nach überwiegendem Verständnis auch für unbewegliche Sachen. Teilweise wird insofern aber auch der Maßstab des §  892 Abs.  1 BGB angewendet; näher dazu BeckOK – ders., BGB, Stand: 1.5.2021, §  990 Rn.  6.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

Rahmen der durch die Vindikationslage begründeten Sonderverbindung des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses die Nutzung (§  987 Abs.  1 BGB), die Nichtnutzung entgegen den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft (§  987 Abs.  2 BGB) und die vollständige oder teilweise Vereitelung der Her­ ausgabe (§  989 BGB) einer fremden Sache durch einen Besitzer, der dem Ei­ gentümer gegenüber nicht zum Besitz berechtigt ist, mit einer Verpflichtung zur Herausgabe gezogener Nutzungen, zum Nutzungs­ersatz bzw. zum Schadensersatz sanktioniert, wenn sich der Besitzer vorsätzlich bzw., soweit gleichgestellt, (grob) fahrlässig verhält. Der Vorsatz bzw. das (grobe) Verschulden des Besitzers muss sich dabei auf sämtliche genannten objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen, also auf die Nutzung, die Verletzung der Regeln der ordnungsgemäßen Wirtschaft bzw. die Ver­eitelung der Herausgabe sowie darauf, dass ihm dem Eigentümer ge­ genüber kein Recht zum Besitz zusteht;125 in Bezug auf die Verletzung der Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft bzw. die Vereitelung der Heraus­ gabe genügt alternativ auch einfache Fahrlässigkeit.126 Im Ergebnis wird damit expliziert, dass und wie die Regelung des §  990 Abs.  1 BGB in spezifischer Weise vorsätzliche und, soweit gleichgestellt, (grob) fahrlässige Verstöße des Besitzers ohne Recht zum Besitz gegen die Pflicht sanktioniert, die Sache an den Eigentümer herauszugeben und sie bis dahin nach den Regeln der ord­ nungsgemäßen Wirtschaft zu behandeln.127 8. §  819 Abs.  1 BGB als Vorsatztatbestand Auch §  819 Abs.  1 BGB, der in Verbindung mit §  818 Abs.  4 BGB eine ver­ schärfte Haftung des Bereicherungsschuldners begründet, der den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang „kennt“ oder später „erfährt“, verweist in der Sache auf einen Vorsatztatbestand. Legt man auch hier den maßgeblichen Verhaltensbezug offen,128 stellt sich die Anordnung der ver­ 125 Das beinhaltet Vorsatz hinsichtlich der Fremdheit der Sache, vgl. BeckOGK – Spohn­heimer, BGB, Stand: 1.5.2021, §  990 Rn.  16. 126  Eine unvorsätzliche Nutzung im Sinne des §  987 Abs.  1 BGB ist kaum vorstellbar. 127  Vgl. auch Staudinger – Thole, BGB, 2019, §  989 Rn.  22, der gleichsinnig von einer „gesetzlichen Pflicht zur sicheren Verwahrung der herauszugebenden Sache“ spricht, die „dem verschärft haftenden Vindikationsgegner durch die §§  989 ff. BGB implizit auferlegt wird“. 128  Dezidiert für eine Einordnung von §  819 BGB als „bereicherungsunabhängige Ver­ haltenshaftung“ auch Canaris, JuS 1980, 332, 335 und zuvor der Sache nach bereits ders., JZ 1971, 560, 562; deutlich auch Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  II/2: Besonderer Teil, 131994, §  73 II 1 d = S.  311 f., wenn dort die verschärfte Haftung des kla­ genden Bereicherungsgläubigers hinsichtlich seiner eigenen Bereicherungsschuld damit begründet wird, es wäre ein „untragbarer Selbstwiderspruch, wenn er sich nicht (zumin­

B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung

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schärften Bereicherungshaftung, parallel zu §  990 BGB, als spezifische Sank­ tionierung eines vorsätzlichen Verstoßes des Bereicherungsschuldners gegen die Pflicht dar, im gesetzlichen Schuldverhältnis der Bereicherungshaftung etwas, das er durch Leistung oder in sonstiger Weise ohne rechtlichen Grund erlangt hat, an den Bereicherungsgläubiger herauszugeben und den Berei­ cherungsgegenstand bis dahin nach den Regeln der ordnungsgemäßen Wirt­ schaft zu behandeln.129

B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung bei der Verschuldensprüfung: Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Feststellung von Vorsatz und Fahrlässigkeit I. Problemstellung Wenn Vorsatz als „Wissen und Wollen“ der Tatbestandsverwirklichung de­ finiert wird, liegt es auf den ersten Blick nahe, in Bezug auf das Wissensele­ ment des Vorsatztatbestands die Grundsätze der Wissenszurechnung anzu­ wenden. Fallen etwa Wissen und Verhalten dergestalt auseinander, dass A (willentlich) eine schädigende Handlung vornimmt (z. B. eine mangelhafte Sache zum Preis einer mangelfreien Sache verkauft), ohne die maßgeblichen schädigenden Umstände zu kennen (im Beispiel also ohne zu wissen, dass die Sache mangelhaft ist), während B diese Kenntnis im Zeitpunkt der Vor­ nahme der schädigenden Handlung hat (im Beispiel also weiß, dass die Sache mangelhaft ist) und stehen A und B in einem engen Verhältnis zueinander (ist B beispielsweise Angestellter des A), könnte man im Rahmen der Vor­ satzprüfung bei §§  280 Abs.  1, Abs.  3, 281 BGB und bei §  826 BGB zumin­ dest in Betracht ziehen, A das relevante Wissen des B zuzurechnen und so zu einer Haftung des A wegen vorsätzlicher mangelhafter Leistung und we­ gen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu kommen. Dasselbe gilt für dest vorsorglich) grundsätzlich so verhielte, als hätte er auch seinerseits die empfangene Leistung ohne Rechtsgrund erlangt“; allerdings lehnen Larenz/Canaris, a. a. O., §  73 II 3 a = S.  313 f. in Bezug auf den (vermeintlich) einfachen Wissenstatbestand des §  819 Abs.  1 BGB die Anwendung von §  278 BGB letztlich mit dem begrifflichen Argument ab, „Wis­ senszurechnung bei der Entstehung des Haftungstatbestandes der §§  819 f. BGB und Ver­ haltenszurechnung hinsichtlich des Umgangs mit dem Kondiktionsgegenstand sind also zwei unterschiedliche Probleme, auch wenn es de facto häufig für beide auf dieselbe Per­ son ankommt“; insofern ist ihnen zu widersprechen. 129  Vgl. den Wegfall des Einwands der Entreicherung nach §  818 Abs.  3 BGB und au­ ßerdem §§  818 Abs.  4, 292 BGB in Verbindung mit §  987 und §  989 BGB, im Einzelnen BeckOK – Wendehorst, BGB, Stand: 1.5.2021, §  818 Rn.  90 ff.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

die diversen Tatbestände der arglistigen Täuschung bzw. des arg­listigen Ver­ schweigens. Letztlich mag das sogar generell für Verschuldenstat­bestände erwogen werden.130 Dem ist eine klare Absage zu erteilen. Zurechnungsfragen sind bei Ver­ schuldenstatbeständen generell ausschließlich nach den Regeln der Verschul­ dens­zurechnung und damit ausschließlich nach Maßgabe der §§  31, 278 BGB zu beantworten. Eine wie auch immer geartete „Wissenszurechnung“ bei der Verschuldensprüfung ist mit dem gesetzlichen System der Haftung für eigenes oder fremdes Verschulden außerhalb (unten II. für den Vor­ satztatbestand) und innerhalb (unten III. für den Vorsatztatbestand) von Sonderverbindungen unvereinbar (für den Fahrlässigkeitstatbestand noch unten IV.).

II. Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Vorsatzprüfung im Deliktsrecht 1. Die Fondsprospektentscheidung des BGH vom 28.6.2016 zu §  826 BGB Mit Urteil vom 28.6.2016131 hat der VI. Zivilsenat des BGH zur Wissens­ zurechnung im Deliktsrecht Stellung bezogen. Der Senat hatte über Scha­ densersatzansprüche von Investoren eines Immobilienfonds zu entscheiden. Gegenstand des Fonds waren die Errichtung und Vermietung einer Mehr­ familienhausanlage. Im Zuge der Bauarbeiten stellte sich heraus, dass das Grundstück mit Altlasten kontaminiert war. In dem zuvor unter anderem von der beklagten Initiatorin des Fonds, einer juristischen Person, emittier­ ten Fondsprospekt fand das Thema Altlastenverdacht keine Erwähnung. Objektiv bestand ein solcher im Bereich des Fondsgrundstücks allerdings bereits seit längerem. Ob der damalige Vorstand der Fondsinitiatorin hier­ von Kenntnis hatte, hat das Berufungsgericht offengelassen. Es hat stattdes­ sen maßgeblich auf das „in ihrem Hause bei – namentlich nicht bekannten – Mitarbeitern und in Form schriftlicher Dokumente vorhandene Wissen um die Altlastensituation des Grundstücks“ abgestellt und dieses der Fonds­ initiatorin zugerechnet.132 Der VI. Zivilsenat des BGH stellt demgegenüber klar, Voraussetzung für die Haftung einer juristischen Person nach §§  826, 31 BGB sei jedenfalls, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (insbesondere der damalige Vorstand der Fondsinitiatorin) „persönlich die objektiven und subjektiven 130 

Vgl. daher bereits oben Kapitel  2 B.III. = S. 240 ff. BGH, Teilveräumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250. 132  KG, Urt. v. 27.8.2015 – 2 U 42/09, BeckRS 2016, 17728 Rn.  55 ff. 131 

B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung

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Tatbestandsvoraussetzungen des §  826 BGB verwirklicht hat“.133 Letztlich hat dies zur Folge, dass die Gesellschaft und wenigstens ein verfassungsmä­ ßig berufener Vertreter notwendig als Gesamtschuldner haften (§  840 Abs.  1 BGB).134 Der Senat erteilt damit dem gegenteiligen Verständnis des Beru­ fungsgerichts eine Absage, das eine deliktische Haftung der juristischen Per­ son dezidiert unabhängig davon für möglich gehalten hatte, ob auch ein ver­ fassungsmäßig berufener Vertreter persönlich haftet.135 Auf dieser Grundlage führt der Senat aus, die Feststellungen des Beru­ fungs­­gerichts würden weder die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters noch die Annahme eines Schä­ digungsvorsatzes in der Person eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters tragen. Für beide Tatbestandsmerkmale lehnt er eine Wissenszurechnung im Ergebnis ab. Die Begründung für dieses zutreffende Ergebnis verdient es, näher betrachtet zu werden. Die Entscheidung zeigt, dass die Begründung von Vorsatz im Wege der Wissenszurechnung grundsätzlich ausscheiden muss. Und sie bietet ein anschauliches Beispiel für die Unhaltbarkeit einer kategorialen Unterscheidung zwischen Vorsatz und Kenntnis. 2. Keine Begründung des Schädigungsvorsatzes im Wege der isolierten Wissenszurechnung Mit Blick auf den für eine Haftung nach §  826 BGB (in Verbindung mit §  31 BGB) erforderlichen (zumindest bedingten) Schädigungsvorsatz weist der Senat darauf hin, dass dieser ein Wissens- und ein Wollenselement enthalte und es auf Ebene der einzelnen verfassungsmäßig berufenen Vertreter je­ weils jedenfalls am Wollenselement, also der zumindest billigenden Inkauf­ nahme der Schädigung eines anderen fehlte. Das Wollenselement setze aber – und das ist das entscheidende Argument gegen jede Form der Wissenszu­ rechnung bei Vorsatztatbeständen – „damit korrespondierende Kenntnisse derselben natürlichen Person voraus“ und könne daher nicht losgelöst von diesen beurteilt werden. Es sei schlechterdings nicht vorstellbar, wie sich etwaige voluntative Elemente mehrerer Personen „in tatsächlicher Hinsicht zu der Tatbestandsvoraussetzung einer billigenden Inkaufnahme [durch eine einzelne Person, namentlich einen verfassungsmäßig berufenen Vertre­ 133  BGH, Teilveräumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  27 und gleichsinnig Rn.  13. 134  So im Ergebnis bereits BGH, Urt. v. 12.12.2000 – VI ZR 345/99, NJW 2001, 964 Abschn.  II 2 b. 135  KG, Urt. v. 27.8.2015 – 2 U 42/09, BeckRS 2016, 17728 Rn.  53 unter Berufung auf MünchKomm – Wagner, BGB, 72013, §  826 Rn.  35 f.; auch nach der Entscheidung im Er­ gebnis unverändert MünchKomm – Wagner, BGB, 82020, §  826 Rn.  40.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

ter] zusammenfügen lassen sollen. Im Ergebnis müsste regelmäßig in Fällen, in denen sich das kognitive Element des Vorsatzes nur durch Zusammen­ rechnung der ‚im Hause‘ der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse herstellen lässt, in tatsächlicher Hinsicht auf die positive Feststellung des Wollenselements verzichtet werden. Auch dies würde der Vorschrift des §  826 BGB nicht gerecht“.136 Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen, und zwar nicht nur für den Fall der Zusammenrechnung des Wissens mehrerer Personen bei einer anderen Person, sondern generell für jede Form der Wissenszurechnung. Wissensund Wollenselement des Vorsatzes sind notwendig aufeinander bezogen. Die Verwirklichung eines Tatbestands „wollen“ oder auch nur „billigend in Kauf nehmen“ kann nur, wer die maßgeblichen Umstände „kennt“ oder zu­ mindest „für möglich hält“.137 Wird das Wissen bei einer Person A im Wege der Zurechnung fremden Wissens begründet, muss grundsätzlich auch das zugehörige Wollen bei A im Wege der Zurechnung begründet werden, weil A einen tatbestandlichen Erfolg selbst nicht wollen kann, den er selbst nicht kennt.138 Entscheidend ist die Feststellung, dass eine wie auch immer geartete Wissenszurechnung für die Zurechnung auch des Wollens wesensgemäß nichts hergibt. Insofern bedürfte es einer „Wollenszurechnung“. Eine „Wollenszu­ rechnung“ ist dem deutschen Privatrecht auch keinesfalls fremd. Es gibt sie durchaus, aber eben nur als Zurechnung von aufeinander bezogenem Wis­ sen und Wollen in Gestalt der Vorsatzzurechnung. Darum geht es hier aber nicht und darum kann es hier auch nicht gehen, weil das Deliktsrecht eine Verschuldenszurechnung jenseits von §  31 BGB nicht kennt. §  278 BGB ist nicht anwendbar und §  831 BGB begründet keine Einstandspflicht für fremdes Verschulden, sondern eine Haftung für eigenes Auswahl- und Überwa­ chungsverschulden.139

136  BGH, Teilveräumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  26; Hervorhebung nicht im Original. 137  Vgl. schon oben Kapitel  2 A.I. = S. 135 ff. 138  Eine Ausnahme könnte allenfalls dann gelten, wenn man auf einen abstrakten Er­ folg abstellt und der Zurechnungsadressat diesen abstrakten Erfolg, der den in Rede ste­ henden konkreten (ihm unbekannten) Erfolg vollständig in sich einschließt, im Sinne ei­ nes „koste es, was es wolle“ selbst will, ähnlich wie beim sogenannten generellen Vorsatz. Dieser Ausnahmefall soll hier unberücksichtigt bleiben. Kritisch in dieser Hinsicht etwa NK – Puppe, StGB, 52017, §  15 Rn.  77 a. E. 139  Der BGH will seine Ausführungen demgegenüber explizit nicht als generelle Absa­ ge an jede Möglichkeit einer Wissenszurechnung im Deliktsrecht oder auch nur im Rah­ men von §  826 BGB verstanden wissen. Er lässt die Frage vielmehr ausdrücklich offen,

B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung

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3. Keine Begründung der Sittenwidrigkeit unter dem Aspekt der bewussten bzw. arglistigen Täuschung durch isolierte Wissenszurechnung Da der Senat die Sittenwidrigkeit unter dem Aspekt der „bewussten Täu­ schung“ prüft, kam es auch insofern maßgeblich auf ein subjektives Element an. Hier lehnt der Senat eine Wissenszurechnung im Ergebnis ebenfalls ab, allerdings mit auffällig abweichender Begründung als im Rahmen der Vor­ satzprüfung. Er unterscheidet dabei die „bewusste Täuschung“ als Fallgrup­ pe der Sittenwidrigkeit im Sinne von §  826 BGB begrifflich vom Tatbestand der arglistigen Täuschung, wie ihn das BGB sonst kennt140 und führt aus, über eine Wissenszusammenrechnung führe „kein Weg zu dem für das Merkmal der Arglist entbehrlichen […], für das Merkmal der Sittenwidrigkeit iSd §  826 BGB aber erforderlichen moralischen Unwerturteil“;141 ins­ besondere lasse sich eine „die Verwerflichkeit begründende bewusste Täuschung nicht dadurch konstruieren, dass die im Hause der Bekl. vorhandenen kognitiven Elemente ‚mosaikartig‘ zusammengesetzt werden. Eine solche Konstruktion würde dem persona­ len Charakter der Schadensersatzpflicht gem. §  826 BGB, die sich hierdurch von der ver­ traglichen oder vertragsähnlichen Haftung deutlich unterscheidet, nicht gerecht“.142

Diese Ausführungen werfen die Frage auf, worin sich eine „bewusste“ Täu­ schung von einer arglistigen unterscheidet. Semantisch liegt die Antwort auf der Hand: Arglistig ist eine Täuschung, wenn sie mit Wissen und Wollen geschieht. Bewusst ist eine Täuschung, wenn sie wissentlich, also in Kennt­ nis der Umstände, aber ohne voluntatives Element erfolgt. Das dürfte in der Tat das Verständnis des Senats sein, wenn er den Tatbestand der „bewussten Täuschung“ maßgeblich unter dem Gesichtspunkt prüft, ob ein Mitglied des Vorstands „Kenntnis“ von den maßgeblichen Umständen hatte und die Fra­ ge der Zurechnung als Frage ausschließlich der Zurechnung von „Wissen“ bzw. „kognitiver Elemente“ behandelt.143 Und es erklärt, warum der Senat hier, anders als in Bezug auf den Schädigungsvorsatz, eine Zurechnung nicht bereits mit dem Argument des Aufeinanderbezogenseins von Wissen und Wollen ablehnt. Es handelt sich bei der „bewussten Täuschung“ also nicht um ein rein semantisches Distinguishing von der arglistigen (vorsätzlichen) Täuschung, sondern auch um ein inhaltliches. vgl. BGH, Teilversäumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  23 und 26. 140  Näher oben Kapitel  2 A.VII. = S. 174 ff. 141  Vgl. dazu aber oben Kapitel  2 A.VII.5. = S. 184 f. 142  BGH, Teilversäumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  23. 143  BGH, Teilversäumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  22 f.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

Überzeugend ist das nicht. Ein Blick in die weiteren Entscheidungen des BGH, die der Senat als Nachweis für die „bewusste Täuschung“ als Fallgrup­ pe des Sittenwidrigkeitstatbestands anführt, zeigt, dass der BGH die Sitten­ widrigkeit dort sehr wohl unter dem Gesichtspunkt der „arglistigen Täu­ schung“ geprüft hat.144 Hätte der Senat dies auch hier getan und vergegen­ wärtigt man sich nochmals, dass die arglistige Täuschung nichts anderes ist als eine vorsätzliche Täuschung, hätte er eine Wissenszurechnung hier aus demselben Grund ablehnen können und müssen wie eine Wissenszurech­ nung bezüglich des Schädigungsvorsatzes, nämlich mit der ebenso grund­ legenden wie allgemeingültigen Überlegung, dass eine bloße Zurechnung von „Wissen“ für eine Begründung von Vorsatz im Sinne von „Wissen und Wollen“ von vornherein nichts hergibt und hergeben kann. Es drängt sich an dieser Stelle der Verdacht auf, dass der Senat dies ver­ meidet, um einen allzu offenen Bruch mit der Rechtsprechung zur Wissens­ zurechnung in Bezug auf den subjektiven Tatbestand der „arglistigen Täu­ schung“ (sic) namentlich bei §  463 S.  2 BGB a. F. zu entgehen. Dort soll, nach der Rechtsprechung des BGH, die Begründung von Arglist (Vorsatz) im Wege der bloßen Wissenszurechnung (nicht: Vorsatzzurechnung!) nämlich durchaus möglich sein. In diesem Sinne ist auch die Betonung des persona­ len Charakters145 der Schadensersatzpflicht gemäß §  826 BGB und des (nur) hier erforderlichen moralischen Unwerturteils146 in der Fondsprospektent­ scheidung zu verstehen. 4. Fortschreibung in den Dieselentscheidungen des BGH vom 25.5.2020 (VW) und vom 8.3.2021 (Audi) Wie wenig die Unterscheidung zwischen arglistiger und bewusster Täu­ schung überzeugt, zeigen schließlich, darauf sei abschließend hingewiesen, auch die Entscheidungen des VI. Zivilsenats des BGH vom 25.5.2020 (VW) und vom 8.3.2021 (Audi) zum sogenannten „Dieselfall“. 144 

Vgl. die bei BGH, Teilversäumnis- und Endurt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  16 zitierten Entscheidungen: BGH, Urt. v. 21.12.2004 – VI ZR 306/03, NJW-RR 2005, 611 Abschn.  II 1: „bewusst arglistige Täuschung“; BGH, Urt. v. 28.2.­ 2005  – II ZR 13/03, NJW-RR 2005, 751 Abschn.  II 2: „arglistige Täuschung“; BGH, Urt. v. 3.12.2013 – XI ZR 295/12, NJW 2014, 1098 Rn.  31: „arglistige Täuschung“ (in Rn.  24 allerdings keine ausdrückliche Bezeichnung als solche). 145  Dem folgend Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S.  16, 21. Ebenfalls eine Wis­ senszusammenrechnung bei §  826 BGB unter Hinweis auf ein dort enthaltenes „Element personalen Vorwurfs“ ablehnend Canaris, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 33, 35 (Diskussionsbeitrag). 146  Vgl. dazu aber oben Kapitel  2 A.VII.5. = S. 184 f.

B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung

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Auch diese betreffen §§  826, 31 BGB. In den Entscheidungsgründen greift der Senat zunächst die Terminologie seiner Fondsprospektentscheidung auf, wenn er unter Verweis eben hierauf ausführt, die für das Sittenwidrigkeits­ verdikt erforderliche Verwerflichkeit des Verhaltens des Schädigers könne sich aus einer „bewussten Täuschung“ ergeben.147 Im Rahmen der Subsum­ tion stellt er dann aber doch auf eine „bewusste und gewollte Täuschung“,148 eine „arglistige Täuschung“,149 eine „bewusste arglistige Täuschung“150 bzw. darauf ab, die Motorsteuerungssoftware des Dieselmotors sei „bewusst und gewollt“151 bzw. „gewollt“152 so programmiert worden, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Parallel hierzu stellt der VI. Zivilsenat in seiner VW-Entscheidung außerdem darauf ab, der vormalige Leiter der Ent­ wicklungsabteilung als verfassungsmäßig berufener Vertreter der beklagten VW AG, auf dessen „Wissen und Wollen“ das Berufungsgericht unter ande­ rem abgestellt hatte (§  31 BGB),153 habe „Kenntnis“ von der illegalen Ab­ schalteinrichtung erlangt und dies „gebilligt“.154 Im Ergebnis nimmt der BGH offenkundig also, anders als die Begrifflich­ keit von der „bewussten Täuschung“ suggeriert, kein isoliertes Wissenser­ fordernis in Bezug, sondern ein Vorsatzerfordernis. Davon abgesehen bestä­ tigt er bezogen auf den getrennt von der Sittenwidrigkeit festzustellenden Schädigungsvorsatz in beiden Entscheidungen unter Hinweis auf dessen Verhaltensbezogenheit sowie darauf, dass der Vorsatz ein Wissens- und ein Wolleneselement enthält,155 die prinzipielle Unzulänglichkeit jeder Form ei­ 147  BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  15; BGH, Urt. v. 8.3.­ 2021  – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn.  17. 148  BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  16. 149  BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  21, 23, 25; BGH, Urt. v. 8.3.2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn.  19, 20. 150  BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  25. 151  BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  16; BGH, Urt. v. 8.3.­ 2021  – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn.  19. 152  BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  19. 153  BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  31. 154  BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  30 und 32. Anders aber für den „vormaligen Vorstand der Beklagten“; insofern fragt der BGH ausschließ­ lich, ob dieser „von der unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst hat“ (Rn.  34) bzw. von dieser „Kenntnis“ bzw. diesbezüglich „Kenntnisse“ hatte (Rn.  39 und öfter). 155  Vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  62: „Es kann aber durchaus gerechtfertigt sein, im Einzelfall aus dem Wissen einer natürlichen Person auf deren Willen zu schließen [Nachw.]. Aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns kann sich die Schlussfolgerung ergeben, dass mit Schädigungsvorsatz gehandelt worden ist“; BGH, Urt. v. 8.3.2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn.  32: „Denn auch insoweit

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

ner (isolierten) Wissenszurechnung zur Begründung des Schädigungsvor­ satzes im Rahmen von §  826 BGB.156

III. Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Vorsatzprüfung im Rahmen von Sonderverbindungen 1. Nochmals: Die Gemeindeentscheidungen des BGH vom 8.12.1989 und vom 10.12.2010 zu §  463 S.  2 BGB a. F. Die Entscheidung des V. Zivilsenats des BGH vom 8.12.1989 wurde in ihrer auf das kognitive Element des Arglisttatbestands des §  463 S.  2 BGB a. F. bezogenen Dimension als eine der Grundlagenentscheidungen zur Wissens­ zurechnung bereits ausführlich behandelt.157 Der Senat bejaht darin die Zu­ rechnung des Wissens eines Altbürgermeisters über die Mangelhaftigkeit eines Grundstücks, das dieser etwa 17 Jahre vor dem nunmehr in Rede ste­ henden Verkaufs dieses Grundstücks erlangt hatte, zulasten der Gemeinde. Der Senat kommt auf der Grundlage der Zurechnung des Wissens des Alt­ bürgermeisters zulasten der Gemeinde indes nicht nur zu dem Ergebnis, die Gemeinde habe den Mangel gekannt, sondern in einem zweiten Schritt auch zu dem Ergebnis, der amtierende Bürgermeister bzw. die Gemeinde habe den Käufer bei Vertragsschluss arglistig getäuscht.158 Zur Begründung des voluntativen Elements des Arglisttatbestands verweist der Senat noch ein­ mal159 darauf, der Bürger müsse „in seinem Vertrauen geschützt werden“ und dürfe „aus der Eigenart der gemeindlichen Organisation keinen Nach­ teil erfahren“; daher erscheine es „interessengerecht, die Gemeinde auch hinsichtlich der weiteren Elemente des bedingten Vorsatzes nicht besser als eine natürliche Person zu stellen. Bei einer solchen könnte nach der Lebenserfahrung von der Kenntnis eines schwerwiegenden verborgenen Mangels der vorliegenden Art auf die Einsicht und die Billigung geschlossen werden, daß der Vertrags­ partner (Kl.) den Mangel vielleicht nicht kennt und anderenfalls den Vertrag möglicher­ weise nicht oder nicht so, wie geschehen, abgeschlossen hätte“.160

wäre jedenfalls hinsichtlich des Wollenselements des Vorsatzes […] rechtsfehlerfrei festzu­ stellen gewesen, dass Personen, für deren Verhalten die Beklagte nach §  31 BGB einzuste­ hen hat, Kenntnis […] besaßen“ (Hervorhebungen jeweils nicht im Original). 156  Der BGH diskutiert die Wissenszurechnung in diesem Zusammenhang noch nicht einmal mehr; BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn.  61–63; BGH, Urt. v. 8.3.2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn.  32. 157  Oben Kapitel  2 B.IV.1. = S. 88 ff. 158  BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 c. 159  Für das kognitive Element des Arglisttatbestands oben Kapitel  2 B.IV.1. = S. 88 ff. 160  BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 c.

B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung

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Eine solche Gleichstellung rechtfertige sich „um so eher, als damit kein moralisches Unwerturteil verbunden ist. […] Erst recht ver­ flüchtigt sich ein etwa verbleibender Vorwurf gegenüber einer juristischen Person (Ge­ meinde) in dem Maße, in dem ihr – wie hier – Einzelwissen verschiedener natürlicher Personen (Organvertreter) kumulativ, gleichsam mosaikartig, zugerechnet wird. Dabei geht es nicht um eine Sanktion für moralisch vorwerfbares Verhalten, sondern um eine angemessene Risikoverteilung zwischen Bürger und Gemeinde“.161

Noch kürzer handelt der Senat das voluntative Arglistelement in seiner Ge­ meindeentscheidung vom 10.12.2010 ab,162 die in ihrer das kognitive Arglistelement betreffenden Dimension ebenfalls bereits dargestellt worden ist.163 Hier stellt der Senat unter Berufung auf die Feststellungen des Beru­ fungsgerichts164 lapidar fest, es habe sich „aufgrund der gesamten Umstände [aufgedrängt] […], dass die Käuferin keine anderen Erkenntnisse über früheren Schwammbefall […] hatte […]; aufgrund des in dem Ge­ spräch am 19. April 1990 angesprochenen eventuellen Schwammbefalls drängte es sich auch auf, dass die Käuferin bei Offenlegung eines weiteren Schwammbefalls den Vertrag nicht oder nicht mit dem Inhalt, wie geschehen, abgeschlossen hätte. Beides hat der Leiter des Liegenschaftsamts billigend in Kauf genommen. Zu keiner anderen Beurteilung führt der Umstand, dass seinerzeit die Möglichkeit des Schwammbefalls von einem der Gesell­ schafter der Klägerin angesprochen worden ist, und zwar im Hinblick auf die kaufver­ traglich zu vereinbarenden Regelungen über die Sanierung und Modernisierung der vor­ handenen Altbebauung. Dies zeigt vielmehr, dass die Käuferin den Vertragsinhalt wenigs­ tens in diesem Punkt von der Schwamm­problematik abhängig machen wollte“.165

2. Unzulänglichkeit der Zurechnung fremden Wissen für die Begründung von Vorsatz a) Einführung Die Frage, ob sich der Arglisttatbestand unter Rückgriff auf eine (wie auch immer geartete) Wissenszurechnung begründen lässt, ist nicht nur mit Blick auf §  463 S.  2 BGB a. F. von rechtshistorischem Interesse, sondern mit Blick auf die Arglisttatbestände etwa der §§  438 Abs.  3 S.  1, 442 Abs.  1 S.  2, 444 Fall 1 BGB und bei zutreffender Explikation (vermeintlich) einfacher Wis­ senstatbestände als (verkürzt formulierte) Vorsatztatbestände noch weit da­ 161 

BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 c. BGH, Urt. v. 10.12.2010 – V ZR 203/09, BeckRS 2011, 01685. 163  Oben Kapitel  2 B.IV.8. = S. 101 ff. 164  Das Berufungsgericht war allerdings noch zu dem Ergebnis gelangt, der Leiter des Liegenschaftsamtes habe mangels Kenntnis von dem Schwammbefall den Mangel gerade nicht arglistig verschwiegen; wiedergegeben bei BGH, Urt. v. 10.12.2010 – V ZR 203/09, BeckRS 2011, 01685 Rn.  6. 165  BGH, Urt. v. 10.12.2010 – V ZR 203/09, BeckRS 2011, 01685 Rn.  24. 162 

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

rüber hinaus auch für das geltende Recht von zentraler Bedeutung. Dass die Frage generell verneint werden muss166 zeigt sich, wenn man sich vergegen­ wärtigt, dass – der Arglisttatbestand als Vorsatztatbestand167 ein Wissens- und ein Wol­ lenselement umfasst (dazu unten b. und c.) und – der Bezugspunkt des Vorsatzes beim Tatbestand des arglistigen Ver­ schweigens in spezifischer Weise konkretisiert ist und sich nicht ausschließ­ lich auf das Vorhandensein eines Mangels beziehen muss, sondern auch da­ rauf, dass der andere Teil diesen nicht kennt und den Vertrag in Kenntnis des Mangels nicht oder nicht zu den vereinbarten Konditionen geschlossen hät­ te (unten d.). b) Keine Zurechnung fremden Wollens im Wege der Wissenszurechnung Für die Begründung von Vorsatz im Wege der Zurechnung auch fremden Wollens gibt eine wie auch immer geartete Wissenszurechnung wesensge­ mäß nichts her. Die Zurechnung fremden Wissens und Wollens ist vielmehr Gegenstand der Regeln der Verschuldenszurechnung in Form der Vorsatz­ zurechnung.

166  Vgl. zur Kritik an der Begründung des Vorsatz- bzw. Arglisttatbestands im Wege der Wissenszurechnung insbesondere auch Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 215 f. und ders., NJW 1993, 889 ff.; Flume, AcP 197 (1997), 441, 442 und zuvor bereits ders., JZ 1990, 550, 551; Dauner-Lieb, FS Kraft, 1998, S.  43, 46, 55–56; Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 272; Hoenig/Klingen, NZG 2013, 1046, 1050; Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  8.89; ­Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S.  75 f.; Drygala, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  3, 17; für das Versicherungsvertragsrecht kritisch bezüglich ei­ ner Begründung von Vorsatz (Arglist) im Wege der einfachen Wissenszurechnung etwa auch Prölss/Martin – Klimke, VVG, 312021, §  47 Rn.  7b. Der Rechtsprechung des BGH zustimmend Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S.  295 ff., der dafür auf das voluntative Vor­satz­element verzichtet; in diese Richtung auch Medicus, Karlsruher Forum 1994 (Ver­ sR Sonderheft), 4, 6; Bank, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  93, 96 Fn.  7; vgl. außerdem Schwab, JuS 2017, 481, 489, wobei es allerdings nicht zutrifft, dass die Ablehnung der Begründung des Arglisttatbestands im Wege der Wissenszurechnung, wie Schwab ausführt, „auf der Vorstellung [beruht], dass die Rechtsfolgen arglistigen Verhal­ tens die besonders verwerfliche Art und Weise der Einflussnahme auf den Getäuschten sanktionieren sollen“. Maßgeblich sind vielmehr die im folgenden angeführten Gründe. Demgegenüber trifft es durchaus zu, dass es, wie Schwab weiter ausführt, um eine „ange­ messene Risikoverteilung“ geht, nur bestimmt sich diese eben nicht nach den (wie auch immer gearteten) Grundsätzen der Wissenszurechnung, sondern nach §§  31, 278 BGB. 167  Dass Arglist nichts anderes ist als Vorsatz wird auch in der Bürgermeisterentschei­ dung des BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 c ausgesprochen.

B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung

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c) Keine Ableitung eigenen Wollens aus zugerechnetem fremden Wissen Die Untauglichkeit der Wissenszurechnung zur der Begründung des Wol­ lenselements des Vorsatzes lässt sich auch nicht dadurch überwinden, dass man, statt fremdes Wollen zuzurechnen, eigenes Wollen aus zugerechnetem fremden Wissen irgendwie ableitet oder schlussfolgert. Genau das klingt indes an, wenn der V. Zivilsenat in seiner Bürgermeister­ entscheidung ausführt, bei einer natürlichen Person könne „nach der Lebens­erfahrung von der Kenntnis eines schwerwiegenden verborgenen Mangels der vorliegenden Art auf die Einsicht und die Billigung geschlossen werden“, was dann im Wege der Gleichstellung auch für eine Gemeinde als Zurechnungsadressatin gelten müsse.168 Bei einer natürlichen Person aus dem Wissen um bestimmte Umstände (bzw. aus der Feststellung des Wissens um bestimmte Umstände) auf das voluntative Vorsatzelement zu schließen, kann ohne weiteres zulässig und gerechtfertigt sein und wird bei der Vorsatzform der Wissentlichkeit sogar formelhaft praktiziert.169 Dieser Schluss ist allerdings nur dann zulässig und gerechtfertigt, wenn mit dem Wissen ein Verhalten des Wissensträgers kor­ respondiert: Erst ein Verhalten im Wissen um die Tatbestandsverwirkli­ chung trägt, gedacht als Verhalten trotz Wissens um die Tatbestandsverwirk­ lichung, den Schluss, die Tatbestandsverwirk­lichung sei auch gewollt und damit den Schluss auf das voluntative Vorsatz­element. Dabei handelt es sich um einen Erfahrungssatz mit einem Verhaltens- und einem korrespondie­ renden Wissenselement als Indiztatsachen. Der Schluss von diesen beiden Indiztatsachen auf den Willen zur Tatbestandsverwirklichung ist zulässig und gerechtfertigt, wenn und weil immerhin das Verhalten selbst gewollt war und damit nach allgemeiner Lebenserfahrung eine Entscheidung gegen ein anderes mögliches Verhalten ausdrückt. Damit ist die personale Koinzidenz von Wissen und Verhalten aber not­ wen­dige Bedingung der Vermutung, die Tatbestandsverwirklichung sei auch ge­wollt. Hatte die Person, deren Verhalten in Rede steht, das tatbestand­liche Wissen selbst nicht, ist dieser Schluss nicht gerechtfertigt. Bei einem Verkäu­ fer, der selbst tatsächlich nicht weiß, dass die Sache, die er verkauft, mangel­ haft ist, kann von vornherein nicht die Rede davon sein, der Vertragsschluss unter Nichtoffenbarung des Mangels als relevantes eigenes Verhalten sei ir­ gendwie Ausdruck eines Täuschungswillens. In tatsächlicher Hinsicht von isoliert im Wege der Zurechnung begründetem Wissen auf das voluntatives 168  169 

BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 c. Ausführlich oben Kapitel  2 A.V.2. = S. 149 ff.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

Element des Vorsatzes zu schließen, kommt einer Fiktion gleich:170 „You cannot add an innocent state of mind to an innocent state of mind and get as a result a dishonest state of mind“171. Der Einwand, dass von bloßem Wissen ohne korrespondierendes „Ver­ halten im Wissen“ derselben Person nicht auf das voluntative Vorsatzele­ ment geschlossen werden kann, ließe sich nur dadurch überwinden, dass man dem Zurechnungsadressaten auch das Verhalten des Wissenden als fremdes „Verhalten im Wissen“ zurechnet. Dafür gibt eine wie auch immer geartete Wissenszurechnung aber wesensgemäß ebenso wenig her wie für die Zurechnung fremden Wollens. Die Zurechnung fremden Verhaltens ist vielmehr nur – und immerhin – nach den Regeln der Verschuldenszurech­ nung möglich,172 die zusammen mit der Zurechnung fremden Wissens und Wollens gerade auch eine Zurechnung des damit korrespondierenden Ver­ haltens bewirken.173 Wenn dem aber schon für natürliche Personen so ist, lässt sich das Gegen­ teil bei einer juristischen Person keinesfalls mit einem Gleichstellungsargu­ ment begründen.

170  An dieser Stelle sei nochmals auf die Ausführungen des VI. Zivilsenat in seinem Fondsprospekturteil zum Verhältnis von Wissen und Wollen bezogen auf den Schädi­ gungsvorsatz bei §  826 BGB hingewiesen: „So mag es durchaus gerechtfertigt sein, im Einzelfall aus dem Wissen einer natürlichen Person auf deren Willen zu schließen. Sind aber die maßgeblichen Kenntnisse auf mehrere Personen innerhalb einer juristischen Per­ son verteilt und ist nicht festgestellt, wer über welche Kenntnisse verfügt, so kommt die Unterstellung einer der juristischen Person bzw. ihrem Organ zuzurechnenden billigen­ den Inkaufnahme der Schädigung ohne diesbezügliche Feststellungen einer Fiktion gleich“; BGH, Teilveräumnis- und Endurt. v. 28.6.­2016  – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn.  26. 171  So für das englische Recht im Kontext des tort of deceit per Delin J in Armstrong v Strain (1951) 1 T.L.R. 856, 872, zitiert nach Reynolds/Watts, Bowstead and Reynolds on agency, 212018, Rn.  8–185 Fn.  1147 (sogenannte division of ingredients). 172  Im Ausgangspunkt genauso, abweichend aber insbesondere, was die normative An­ knüpfung anbelangt (§  166 Abs.  1 BGB analog jedenfalls dann, wenn eine Vertretung in Rede steht) etwa Waltermann, NJW 1993, 889, 893. 173  Dem personalen Korrespondenzerfordernis wird hier auf Ebene der Person Rech­ nung getragen, deren verschuldetes Verhalten zugerechnet wird. Hier ist ein Schluss von einem Verhalten in Kenntnis der Tatbestandsverwirklichung auf den Willen zur Tatbe­ standsverwirklichung grundsätzlich zulässig. Das so begründete Wollen kann dann, als Bestandteil des Vorsatzes zusammen mit dem korrespondierenden Verhalten, Gegenstand der Zurechnung sein.

B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung

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d) Unzulänglichkeit der Zurechnung fremder Mangelkenntnis zur Begründung des subjektiven Tatbestands der arglistigen Täuschung auch bezüglich der weiteren Bezugspunkte des Vorsatzes Die isolierte Zurechnung fremden Wissens um einen Mangel ist zur Begrün­ dung des subjektiven Tatbestands der arglistigen Täuschung außerdem des­ halb unzulänglich, weil sie auch bezüglich der weiteren Bezugspunkte des Vorsatzes neben dem Vorhandensein eines Mangels der Kaufsache, nämlich der Unkenntnis des Käufers hinsichtlich des Mangels und des Umstands, dass dieser den Vertrag in Kenntnis des Mangels nicht oder nicht zu den vereinbarten Konditionen geschlossen hätte, nichts hergibt. Ein eigenes Verschulden des am Vertragsschluss beteiligten Bürgermeis­ ters bzw. des Leiters der Liegenschaftsabteilung scheidet insoweit denknot­ wendig aus, da der Mangel auch für die beiden weiteren Elemente des Tatbe­ stands des arglistigen Verschweigens notwendiger Bezugspunkt ist, der am Vertragsschluss beteiligte Bürgermeister bzw. der Leiter der Liegenschafts­ abteilung diesen aber selbst nicht kannten. Eine Zurechnung von Wissen des früheren Bürgermeisters bzw. der Mitarbeiter des Bauordnungs- und des Sozialamts scheidet insofern ebenfalls aus; bezüglich der beiden vertrags­ schlussbezogenen Elemente des Vorsatztatbestands konnten diese denknot­ wendig nichts Konkretes „wissen“.174 Eine Begründung des Vorsatztatbestands auch bezüglich der beiden ver­ tragsschlussbezogenen Elemente des Vorsatztatbestands im Wege der Wis­ senszurechnung ist allenfalls denkbar, wenn man diese nicht konkret auf den in Rede stehenden Vertragsschluss bezieht, sondern gleichsam typisierend auf einen etwaigen Käufer, für den sie typischerweise vertragswesentlich sein werden, was man im Kaufrecht insbesondere dann annehmen könnte, wenn es um einen schwerwiegenden Mangel geht.175 In diese Richtung deuten wiederum die bereits zitierten Ausführungen des V. Zivilsenats des BGH in seiner Bürgermeisterentscheidung, wonach „nach der Lebenserfahrung“ bei einer (gedachten) natürlichen Person von der Kenntnis eines schwerwiegenden Mangels auf die weiteren vertrags­ schlussbezogenen Elemente des Vorsatztatbestands „geschlossen werden“ könne.176 174  Im Ergebnis ebenso Flume, AcP 197 (1997), 441, 442 und zuvor bereits ders., JZ 1990, 550, 551. 175 Ähnlich Wächter, M&A Litigation, 32017, S.  385, nach dem der „Schluss“ des BGH von dem im Wege der Zurechnung begründeten Wissen um einen Mangel auf die beiden vertragsschlussbezogenen Elemente des Arglisttatbestands nur als Verzicht auf diese bei­ den Elemente des Arglisttatbestands verstanden werden kann. 176  Siehe BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, NJW 1990, 975 Abschn.  II 3 c.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

In Fällen, in denen das tatbestandliche Wissen um einen schwerwiegenden Mangel im Wege der Zurechnung fremden Wissens begründet wird, ist die­ ser Schluss indes unzulässig, und zwar in derselben Weise wie der Schluss auf das voluntative Vorsatzelement (vorstehend c.): Es mag zwar durchaus gerechtfertigt sein, im Einzelfall aus dem Wissen um einen bestimmten Um­ stand (Mangelkenntnis) in Verbindung mit einem bestimmten objektiven Verhalten (Vertragsschluss ohne Offenlegung des Mangels zu einem Preis, der den Mangel nicht abbildet) darauf zu schließen, die handelnde Person habe es zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass der andere Teil den Mangel nicht kennt und den Vertrag in Kenntnis des Mangels nicht oder nicht so abgeschlossen hätte. In den hier in Rede stehen­ den Fällen steht allerdings fest, dass der Handelnde, dem das Wissen eines anderen um einen Mangel zugerechnet wird, den Mangel selbst tatsächlich gerade nicht kannte. Dann fehlt für den genannten Schluss aber jede Grund­ lage; es gibt ersichtlich keinen Erfahrungssatz, wonach von der Unkenntnis eines Mangels darauf geschlossen werden könnte, der Unwissende habe es zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass der andere Teil den Mangel nicht kannte und den Vertrag in Kenntnis des Man­ gels nicht oder nicht so geschlossen hätte. Auch hier gilt: An im Wege der Zurechnung begründetes Wissen kann kein tatsachen- und beweisbezoge­ ner Erfahrungssatz anknüpfen. Das käme einer Fiktion gleich. Infrage kommt wiederum nur – und immerhin – eine Zurechnung auch dieser weiteren Elemente des Vorsatztatbestands nach den Regeln der Ver­ schuldens­zurechnung. e) Unvereinbarkeit der Bürgermeisterentscheidung mit den Gründen der Fondsprospektentscheidung und der Dieselfallentscheidungen Die Begründung des Arglisttatbestands im Wege der Wissenszurechnung steht schließlich in klarem Widerspruch zur Fondsprospektentscheidung des VI. Zivilsenats und zu dessen Dieselfallentscheidungen, in denen die Be­ gründung des Schädigungsvorsatzes im Wege der Wissenszurechnung ­zutreffend jeweils aus Gründen ausgeschlossen wurde, die im Vorsatztat­ bestand als solchem wurzeln (Vorsatz als Verhalten im Wissen und Wollen) und damit für den Täuschungsvorsatz gleichermaßen gelten. Die Bürger­ meisterentscheidung ist mit den Gründen der genannten Entscheidungen unvereinbar.177 177 

Im Ausgangspunkt auch Fietz, Die Wissenszurechnung gegenüber juristischen Per­ sonen, 2021, S.  170, allerdings mit gegenteiliger Auflösung dieser Widersprüchlichkeit (Ablehnung der Fondsprospektrechtsprechung). Gegen eine Verallgemeinerungsfähigkeit

B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung

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3. Maßgeblichkeit der Regeln über die Verschuldenszurechnung: Arglistzurechnung als Zurechnung vorsätzlichen Verhaltens Die Begründung des Tatbestands der arglistigen Täuschung bzw. des arglis­ tigen Verschweigens im Wege der isolierten Zurechnung fremden Wissens ist bereits im Ansatz verfehlt. Da es sich bei dem Tatbestand der arglistigen Täuschung bzw. des arglistigen Verschweigens um einen absoluten, in spe­ zifischer Weise konkretisierten Vorsatztatbestand handelt, kommt eine Be­ gründung im Zurechnungswege von vornherein ausschließlich nach den Regeln der verhaltensbezogenen Verschuldenszurechnung in Gestalt der Vorsatzzurechnung und damit nach §§  31, 278 BGB in Betracht.178 Die Frage nach der Einstandspflicht für Dritte ist für Arglisttatbestände nicht anders zu beantworten als für sonstige Vorsatz- bzw. Verschuldenstat­ bestände. Ein sachlicher Grund für eine Differenzierung zwischen Arglist­ tatbeständen und sonstigen Vorsatz- bzw. Verschuldenstatbeständen ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil entspricht die Gleichbehandlung in der Zu­ rechnungsfrage gerade der generellen Auflösung des Arglisttatbestands im allgemeinen Vorsatztatbestand, also dem Umstand, dass Arglist nichts ande­ res ist als hinsichtlich des Bezugspunkts in spezifischer Weise konkretisier­ ter Vorsatz. Umgekehrt wäre es mangels sachlichen Differenzierungsgrunds nicht überzeugend, dem Geschäftsherrn beispielsweise im Rahmen von §  463 S.  2 BGB a. F. oder von §§  438 Abs.  3 S.  1, 442 Abs.  1 S.  2, 444 Fall 1 BGB eine arglistige Täuschung durch einen Verhandlungsgehilfen beim Ver­ tragsschluss nach anderen Regeln (nämlich nach wie auch immer gearteten Regeln der Wissenszurechnung) zuzurechnen als für die Begründung der Haftung des Geschäftsherrn aus culpa in contrahendo in Bezug auf densel­ ben Sachverhalt.179 der Fondsprospektentscheidung und insbesondere gegen ihre Übertragung auf die Kapi­ talmarktinformationshaftung auch Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht, 2020, S.  162 ff. 178  Gewisse Ansätze auch bei Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 13 Fn.  73: „Dagegen kommt §  278 BGB überhaupt nur in Betracht, soweit das Wissen oder Wissenmüssen als Element des Verschuldens erheblich ist“. Im Ergebnis wohl wie hier, aber normativ unter Rekurs auf §  166 Abs.  2 BGB, Meyer, WM 2012, 2040, 2044: „Hier erfolgt die Zurechnung des Verhaltens in entsprechender Anwendung des §  166 Abs.  2 BGB, es gibt wirklich eine Person im Unternehmen, die arglistig handelt, weil sie die sich bietende und ihr bekannte Möglichkeit zur Aufklärung nicht nutzt – das ist die oben geschilderte Konstellation der „gespaltenen Arglist“; vgl. ferner Hartung, NZG 1999, 524, 527 ff. Im Ergebnis wohl gleichfalls wie hier, aber normativ unter Rekurs auf §  123 Abs.  2 BGB, Reinking/Kippels, ZIP 1988, 892, 894 f. 179  Zur zu diesem Argument schon oben Kapitel  2 B.I.2.c)aa) = S. 201 f. Zur Nähe von

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

Die Sachrichtigkeit der Beantwortung der Zurechnungsfrage bei Arglist­ tatbeständen ausschließlich nach Maßgabe der §§  31, 278 BGB gilt auch für §  123 BGB. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH hat sich ein Er­ klärungsempfänger (als Anfechtungsgegner) die Täuschung des Erklärenden (als Anfechtungsberechtigtem) durch einen Dritten im Ergebnis unabhängig von §  123 Abs.  2 BGB stets jedenfalls nach den Regeln des §  278 BGB zu­ rechnen zu lassen: Erfüllungs- bzw. Verhandlungsgehilfen des Anfechtungs­ gegners – und zwar dezidiert im Sinne des §  278 BGB – gelten nämlich nicht als Dritte im Sinne des §  123 Abs.  2 BGB.180 Schließlich entspricht die Anwendung von §  278 BGB, darauf sei abschlie­ ßend noch hingewiesen, der Rechtsprechung des BGH zum werk­vertrags­ recht­lichen Arglisttatbestand des §  634a Abs.  3 BGB (§  638 BGB a. F.); dort beantwortet der BGH die Zurechnungsfrage seit jeher ausschließlich nach Maßgabe von §  278 BGB. Dass es bei §  634a Abs.  3 BGB (§  638 BGB a. F.) jedenfalls regelmäßig auf den Zeitpunkt der Abnahme ankommt und nicht, wie bei §  463 S.  2 BGB a. F. und bei §§  438 Abs.  3, 442 Abs.  1 S.  2, 444 Fall 1 BGB, auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, ist hinsichtlich der Anwend­ barkeit von §  278 BGB nach zutreffendem Verständnis unerheblich.181 4. Illustration anhand der Gemeindeentscheidungen und der WEGVerwalterentscheidungen des BGH Will man die beiden hier behandelten Gemeindefälle nach Maßgabe von §§  31, 278 BGB lösen, so ist zu fragen, ob dem ehemaligen oder dem aktuel­ len Bürgermeister oder einem Mitarbeiter der Gemeinde der Vorwurf der arglistigen Täuschung zu machen war und ob diese im maßgeblichen Zeit­ punkt Organ im Sinne des §  31 BGB oder Erfüllungsgehilfe im Sinne des §  278 BGB waren. Für ein Verhalten des ehemaligen Bürgermeisters muss die Gemeinde da­ nach nicht einstehen: Ihn konnte der Vorwurf arglistiger Täuschung von vornherein nicht treffen. Eine Haftung der Gemeinde kommt nur in Be­ tracht, wenn entweder der aktuelle Bürgermeister (§§  31, 89 BGB) oder ein aktueller Mitarbeiter der Gemeinde oder ein sonst wie von der Gemeinde aktuell mit dem Vertragsschluss befasster Dritter (§  278 BGB) jedenfalls konkret für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, dass die Kaufsache mangelhaft ist, dass der Käufer den Mangel nicht kannte und dass der Käu­ §  463 S.  2 BGB und der c.i.c. speziell im Kontext der Zurechnungsfrage Reinking/Kippels, ZIP 1988, 892, 894. 180  Näher dazu oben Kapitel  2 B.I.2.d) = S. 204 f. 181  Näher auch hierzu oben Kapitel  2 B.I.2.c)aa) = S. 201 f.

B. Ausschließlichkeit der Regeln zur Verschuldenszurechnung

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fer in Kenntnis des Mangels den Vertrag nicht (so) geschlossen hätte. Die letzten beiden Aspekte setzen voraus, dass der Mitarbeiter oder der sonstige Dritte von dem Vertragsschluss wusste oder diesen zumindest konkret für möglich hielt. Gehörte es unter dieser Voraussetzung zum Aufgabenbereich des Dritten, vertragswesentliche Umstände gegenüber dem Käufer oder auch nur intern zu offenbaren, so wäre er als Erfüllungsgehilfe der Gemein­ de einzuordnen gewesen mit der Folge, dass das arglistige Verschwei­gen durch ihn der Gemeinde nach §  278 BGB zuzurechnen ist. Im mitgeteilten Sachverhalt zur Bürgermeisterentscheidung vom 8.12.­ 1989 finden sich Andeutungen in diese Richtung. Es hatte nämlich vor Ver­ tragsschluss eine Besichtigung mit einem Gemeindemitarbeiter stattgefun­ den. Außerdem liegt es nahe, dass vor Vertragsschluss ein Gemeindemit­ arbeiter182 mit der Betreuung des Vorgangs und der Vorbereitung des Ver­­trags­schlusses betraut und damit Erfüllungsgehilfe der Gemeinde war und aus den Akten Kenntnis vom Mangel erlangt hatte oder es infolge der Durchsicht der Akten oder aus anderen Gründen zumindest für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, dass das Gebäude mangelhaft ist, dass der Kaufinteressent dies nicht weiß und dass dieser das Grundstück nicht bzw. nicht zu dem vereinbarten Preis kaufen würde, würde er um den Mangel wissen. Die Kenntnis der Mitarbeiter des Bauordnungs- bzw. Sozialamts ge­ nügt nach diesen Maßstäben demgegenüber nicht, weil diese nicht im kauf­ vertragsbezogenen Pflichtenkreis der Gemeinde tätig waren. Ansätze in diese Richtung finden sich auch in der Rechtsprechung des BGH, namentlich in der ebenfalls bereits behandelten Knollenmergelent­ scheidung des V. Zivilsenats vom 24.1.1992.183 Hier hatte der BGH eine Einstandspflicht der Gemeinde für das Wissen eines Mitarbeiters in dem mit dem Geschäft nicht befassten Baurechtsamt verneint. Dem ist im Ergebnis, nicht aber in der Begründung zuzustimmen. Generell abzulehnen ist die Be­ handlung der Zurechnungsfrage als Frage der Zurechnung bloßen Wissens im Rahmen des Arglisttat­bestands des §  463 S.  2 BGB; in Betracht kommt von vornherein nur eine Zurechnung nach den Regeln der Zurechnung von Wissen und Wollen und damit nach den Regeln der Verschuldenszurech­ nung. Davon abgesehen lassen sich die Erwägungen des BGH in der Sache aber ohne weiteres an §  278 BGB anknüpfen: Fragt man, ob der um den Mangel wissende Mitarbeiter des Baurechtsamts Erfüllungsgehilfe der Ge­ 182  Nach Flume, JZ 1990, 550, 551 soll sogar der aktuelle Stellvertreter des Bürgermeis­ ters im Jahr 1981 nach der Ortsbesichtigung eine Mitteilung erhalten und nach Abzeich­ nung zu den Akten genommen haben; (nur) deshalb hält Flume die Entscheidung im Er­ gebnis für zutreffend. 183  BGH, Urt. v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

meinde als Schuldnerin des verfahrensgegenständlichen Kaufvertrags war, so wird man die Frage mit den vom BGH angeführten Argumenten zu ver­ neinen haben, weil ihm kein Aufgabenbereich im vertragsschlussbezogenen Pflichtenkreis der Gemeinde zugewiesen war. Als Mitarbeiter des Baurecht­ samts war er nach den tatsächlichen Umständen nicht mit dem Willen (Wis­ sen und Wollen; Vorsatz) der Gemeinde bzw. ihrer Organe (§§  31, 89 BGB) bei der Erfüllung der (vor-)vertraglichen Pflichten der Gemeinde aus dem Verkauf des Grundstücks tätig. Genau das hat der BGH mit Urteil vom 27.9.2002 übrigens für das Ver­ hältnis zwischen WEG-Verwalter und veräußerndem Wohnungseigentümer entschieden. Dass der Verwalter vor Vertragsschluss von dem zuständigen Bau- und Wohnungsaufsichtsamt auf Feuchtigkeitsschäden hingewiesen und aufgefordert worden war, Dichtungen und Anschlüsse der Terrassen zu überprüfen und fachgerecht instand zu setzen, begründet keine Kenntnis des veräußernden Wohnungseigentümers von diesem Mangel. Der BGH be­ gründet dies wie folgt: Da die Verwalterin „nicht als Verhandlungsgehilfin [sic] der Beklagten aufgetreten ist, sondern an dem Ab­ schluss des Kaufvertrages nicht beteiligt war, kann ihre Kenntnis von den Mängeln den Beklagten nach §  166 Abs.  1 BGB nicht zugerechnet werden. Auch eine Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung nach §  166 Abs.  1 BGB analog kommt nicht in Be­ tracht, weil [die Verwalterin] in den persönlichen Angelegenheiten des Wohnungseigen­ tümers eine rechtlich und organisatorisch selbständige Dritte ist, so dass eine Wissenszu­ rechnung unter dem Gesichtspunkt der Pflicht zur ordnungsgemäß organisierten Kom­ munikation [Verweis auf die vorstehend erörterte Entscheidung] ausscheidet“.184

Auch das lässt sich zutreffend damit begründen, dass ein WEG-Verwalter im Rahmen der Veräußerung des verwalteten Wohnungseigentums regelmä­ ßig nicht Erfüllungs- bzw. Verhandlungsgehilfe des Wohnungseigentümers ist.

IV. Keine isolierte Wissenszurechnung bei der Fahrlässigkeitsprüfung Wissen kann auch im Rahmen von Fahrlässigkeitstatbeständen eine Rolle spielen.185 Zwar gilt im Privatrecht aus Verkehrsschutzgründen grundsätz­ lich ein objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab. Sonderwissen und besondere 184  BGH, Urt. v. 27.9.2002 – V ZR 320/01, NJW 2003, 589 Abschn.  II 2 b; bestätigt mit Urt. v. 19.3.2021 – V ZR 158/19, ZEV 2021, 382 Rn.  22; zuvor bereits BGH, Urt. v. 22.11.­ 1996 – V ZR 196/95, NJW-RR 1997, 270 Abschn.  II 1. Vgl. zur Wissenszurechnung im Verhältnis zwischen Verwalter und Wohnungseigentümer außerdem noch BGH, Urt. v. 4.7.­2014 – V ZR 183/13, NJW 2014, 2861 Rn.  15 ff. 185  Vgl. zu diesem Befund speziell im Kontext der Wissenszurechnung auch Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 169.

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Fähigkeiten können nach herrschendem Verständnis die Sorgfaltsanforde­ rungen aber erhöhen.186 So hat beispielsweise ein Arzt, der über den zu for­ dernden Standard hinaus über medizinische Spezialkenntnisse verfügt, diese nach der Rechtsprechung des BGH zugunsten seines Patienten einzuset­ zen.187 Ferner dürfte allgemein anerkannt sein, dass nicht nur die unbewuss­ te, sondern auch und erst recht die bewusste Fahrlässigkeit, bei der der Han­ delnde die Tatbestandsverwirklichung, anders als bei bedingt vorsätzlichem Verhalten, zwar nicht billigend in Kauf nimmt, aber immerhin für möglich hält, den Fahrlässigkeitsvorwurf trägt.188 Auch hier wird im Rahmen des Fahrlässigkeitstatbestands ersichtlich an ein individuelles Wissenselement (bedingtes Wissen) angeknüpft. Dasselbe gilt nach verbreiteter, wenn auch nicht unumstrittener Auffassung für den Vorwurf grober Fahrlässigkeit, wenn für dessen Begründung ein objektiv schwerer und subjektiv nicht ent­ schuldbarer Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt und damit „eine Beurteilung der individuellen Kenntnisse, Erfahrungen und der Ein­ sichtsfähigkeit des Handelnden“ gefordert wird.189 Für den Fahrlässigkeitsvorwurf wird die Möglichkeit eines Rekurses auf die Grundsätze der Wissenszurechnung – etwa dadurch, dass man einem behandelnden Chefarzt Sonderwissen eines Assistenzarztes zurechnet und auf diese Weise den für den Chefarzt (!) geltenden Sorgfaltsmaßstab insofern über den objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstab hinaus erhöht –, anders als für den Vorsatzvorwurf kaum thematisiert.190 Die Begründung des Fahrläs­ sigkeitsvorwurfs im Wege der Wissenszurechnung wäre auch nicht überzeu­ gend. Letztlich gilt für den Fahrlässigkeitstatbestand nichts anderes als für den Vorsatztatbestand: Eine Wissenszurechnung ist diesbezüglich unzu­ länglich, weil der Fahrlässigkeitsvorwurf, genauso wie der Vorsatzvorwurf, 186  Vgl. nur MünchKomm – Grundmann, BGB, 82019, §  276 Rn.  56; Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  276 Rn.  15. 187  Vgl. BGH, Urt. v. 10.2.1987 – VI ZR 68/86, NJW 1987, 1479; vgl. außerdem BGH, Urt. v. 9.1.1990 – VI ZR 103/89, NJW-RR 1990, 406 Abschn.  II 2 a für Spezialwissen über Schwachstellen bei Kunststoffteilen. 188 Vgl. zur Tatbestandsmäßigkeit der bewussten Fahrlässigkeit etwa BeckOGK – Schaub, BGB, Stand: 1.3.2021, §  276 Rn.  58 m. w. N. 189  Staudinger – Caspers, BGB, 2019, §  276 Rn.  94 ff. (wörtl. Zitat Rn.  95); vgl. außerdem etwa Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäfts­ leiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  87, je m. w. N., auch zu abweichenden Ansichten. Vgl. aus der Rechtsprechung schließlich noch BGH, Urt. v. 29.1.2003 – IV ZR 173/01, NJW 2003, 1118 Abschn. II. 190  In einem Fall hat der BGH für den Tatbestand der sogenannten Erklärungsfahrläs­ sigkeit bei fehlendem Erklärungsbewusstsein einen Rückgriff auf die Grundsätze der Wissenszurechnung zumindest erwogen, im Ergebnis aber abgelehnt; vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2009 – XII ZR 146/07, NJW 2010, 861 Rn.  18 ff.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

notwendig verhaltensbezogen ist und eine wie auch immer geartete bloße Wissenszurechnung insoweit definitionsgemäß nichts hergibt. Die Zurech­ nung fremden fahrlässigen Verhaltens ist vielmehr, genauso wie die Zurech­ nung fremden vorsätzlichen Verhaltens, nur – und immerhin – nach den Regeln der verhaltensbezogenen Verschuldenszurechnung möglich. Dabei kommt gegebenenfalls auch eine sorgfaltspflichterhöhende Zurechnung von Sonderwissen und besonderen Fähigkeiten in Betracht, aber eben von vorn­ herein nur zusammen mit einem relevanten Verhaltensbeitrag des „Sonder­ wissensträgers“.191

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung I. §  278 BGB als zentrale Zurechnungsnorm innerhalb bestehender Sonderverbindungen 1. Begrifflich-kategorische Ableitung Der Umstand, dass Wissenstatbestände nichts anderes sind als verkürzt for­ mulierte Vorsatz- bzw. Verschuldenstatbestände, bedingt die Anwendung der Regeln der Verschuldenszurechnung auch auf Wissensnormen. Wenn Gegenstand von Wissensnormen nicht etwa „nacktes Wissen“ ist, sondern vorsätzliches oder, wo gleichgestellt, (grob) fahrlässiges Verhalten, dann kann auch Gegenstand der Zurechnung nur vorsätzliches oder, wo gleichge­ stellt, (grob) fahrlässiges Verhalten sein. Innerhalb bestehender Sonderver­ bindungen richtet sich die Einstandspflicht des Schuldners für Dritte folg­ lich auch hier grundsätzlich nach §  278 BGB. Die „Wissenszurechnung“ geht in einer verhaltensbezogenen Vorsatzzurechnung (absolute Wissens­ normen) bzw. einer verhaltensbezogenen Verschuldenszurechnung (relative Wissensnormen) auf.192 191  Vgl. zur Zurechnung auch von Sonderwissen und besonderen Fähigkeiten bei der Zurechnung fahrlässigen Verhaltens nach §  278 BGB oben Kapitel  2 B.I.6. = S. 227 ff. 192 Das entspricht im Ergebnis weitgehend der Lehre von der verhaltensakzessori­ schen Wissenszurechnung, die allerdings normativ überwiegend an §  166 BGB ange­ knüpft wird. Für eine verhaltensakzessorische Wissenszurechnung – abgesehen von den nachfolgend in Fn.  194 Genannten, die normativ wie hier an §  278 BGB anknüpfen – ins­ besondere Nobbe, in: Hadding/­Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bank­ geschäfte, 2003, S.  121, 132; Kieser/Kloster, GmbHR 2001, 176, 180; Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160 ff.; Grigoleit – ders., AktG, 22020, §  78 Rn.  30; Baumbach/Hopt – Hopt, HGB, 40 2021, (7) Bankgeschäfte Rn.  A/16; vgl. ferner Hoenig/Klingen, NZG 2013, 1046, 1049; jedenfalls im Ausgangspunkt auch Koller, JZ 1998, 75, 78; Fietz, Die Wissenszurechnung gegenüber juristischen Personen, 2021, S.  110 f. (daneben aber auch für eine organisations­

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung

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2. Ansätze in der Rechtsprechung und im Schrifttum Überwiegend wird die Anwendung von §  278 BGB auf Wissensnormen ab­ gelehnt.193 Es finden sich in der Literatur aber auch Stimmen, die das Prob­ pflichtenbezogene Zurechnung, S.  147 ff.); bezogen auf den Tatbestand des §  990 BGB Wilhelm, WuB 1995, I D 3  – 3.95: „Es kommt auf die Bösgläubigkeit solcher Personen an, die in selbständiger Wahrnehmung einer Zuständigkeit unmittelbar oder mittelbar an der Entscheidung über den Besitzerwerb oder die Aufrechterhaltung des Besitzes beteiligt sind“; für Organmitglieder Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  244 ff. Vgl. ­außerdem noch Walter, Die Wissenszurechnung im schweizerischen Privatrecht, 2005, S.  85 ff., 318 sowie Wagner, ZHR 181 (2017), 203 ff., der zeigt, dass auch im französischen, im englischen und im US-amerikanischen Recht überhaupt oder jedenfalls in erster Linie Verhalten und nicht isoliertes Wissen Zurechnungsgegenstand sind (näher oben Kapitel  1 B.VII. = S. 129 ff.). Vgl. schließlich allgemein zur Verhaltensbezogenheit des Begriffs der Zurechnung in der Rechtsphilosophie Liebscher, ZIP 2019, 1837, 1838 f. m. w. N., wobei Liebscher diese Verhaltensbezogenheit des Zurechnungsbegriffs allerdings selbst dezi­ diert nicht übernimmt, wenn er die von ihm entwickelten Begriffe der Zurechnung im weiteren Sinne und der Zurechnung im engeren Sinne jeweils auf „bestimmtes (nicht zwingend eigenes) Verhalten bzw. […] bestimmte (nicht zwingend ad persona verwirk­ lichte) Umstände und deren Folgen“ bzw. auf „fremdes tatbestandsmäßiges Handeln bzw. in einer dritten Person verwirklichte Umstände“ bezieht (Liebscher, a. a. O., 1839). 193  Vgl. Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 51 in seinem Schlussbei­ trag: „Bei §  278 BGB geht es um Verschulden, bei §  166 BGB geht es um Willensmängel, Wissen, Wissenmüssen; das sind verschiedene Dinge. Wissen braucht kein Verschulden zu sein. Wissen kann ein Verschuldenselement sein, aber es ist als solches kein Verschulden. […] Man kann nicht sagen, §  278 BGB mache den §  166 BGB überflüssig. Und wenn ich jetzt hier die zu wählen hätte, welche die für unseren Themenbereich näherliegende Norm ist, dann würde ich doch sagen: §  166 BGB muß der Ausgangspunkt sein; §  278 BGB eignet sich nur für Fälle, in denen das Wissen wirklich Verschuldenselement ist und es letzten Endes um Verschuldens­zurechnung und nicht um Wissenszurechnung geht“. Gleichsinnig Taupitz, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 50 in seinem Schlussbeitrag: „Herr Canaris, Sie haben völlig zu Recht noch einmal, wie ja auch Herr Medicus, die Frage nach der gesetzlichen Grundlage in den Vordergrund gestellt, und Sie haben große Sympathie für §  278 BGB geäußert [Nachweis nachfolgend in Fn.  194]. Allerdings meine ich, daß der Gesetzgeber offenbar ein anderes Verständnis hatte. Denn wenn §  278 BGB unsere Prob­ leme der Wissenszurechnung lösen würde, dann bedürfte es ja des §  166 BGB nicht. […] Dabei meine ich allerdings durchaus, daß ganz generell die Ausdehnung von Organisa­ tions- und damit auch Kommunikationspflichten einer versteckten Analogie zu §  278 BGB sehr nahe kommt. Gleichwohl meine ich, daß noch genügend Unterschiede bestehen […]“. Zu zeigen, dass es auch bei Wissensnormen durchaus „um Verschuldenszurechnung geht“ und die „versteckte Analogie zu §  278 BGB“ gleichsam explizit zu machen, ist Gegenstand dieser Arbeit. Ablehnend ferner Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 188; ders., NJW 1993, 889, 894; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 387; Wetzel, Die Zurechnung des Verhaltens Drit­ ter bei Eigentumsstörungstatbeständen, 1971, S.  46 ff.; Schilken, Wissens­zurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  223; Adler, Wissen und Wissenszurechnung, 1997, S.  20 f.; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S.  134 ff.; Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  54 ff.;

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

lem der Wissenszurechnung dezidiert bei §  278 BGB verorten194 oder bei Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  172 ff.; Bruns, Voraussetzungen und Auswirkungen der Zurechnung von Wissen und Wissenserklärungen im allgemeinen Pri­ vatrecht und im Privatversicherungsrecht, 2007; Liese, Grenzen der Wissenszurechnung, 2020, S.  31 f. Eine normative Anknüpfung an §  278 BGB ebenfalls ablehnend Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 188 f., der allerdings einräumt, dass die von ihm vertretene „weite Zurechnung von Wissen in Abhängigkeit von der Handlungsverantwortung auch dem Wertungskern der §§  31, 278 BGB entspricht“ (Grigoleit, a. a. O., S.  184). 194 Vgl. Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und Bankrechtliche Aufklärungspflich­ ten, 1998, S.  150 ff., der insbesondere auch das maßgebliche Verhalten zutreffend dem Sach­ zusammenhang der jeweiligen Wissensnorm entnimmt, allerdings ohne den Schritt hin zur Explikation als Vorsatz- bzw. Verschuldensnorm zu gehen; Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1258, dort allerdings mit unklarer alternativer Heranziehung von §  166 BGB analog; Canaris, Bankvertragsrecht, 31988, Rn.  106 für die Vertrags- und Schutzpflichthaf­ tung und Rn.  800a (unter Verweis auf Rn.  106) für den Tatbestand des bösen Glaubens im Sinne von §  990 BGB; vgl. auch bereits ders., Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 33, 34 (Diskussionsbeitrag) mit der Frage, ob nicht §  278 BGB das Problem der Wissens­ zurechnung jedenfalls in vielen Fällen bereits löst und dem Hinweis, dass dessen ratio durchaus passt, sowie die Überlegungen dess. zu „Begriff und Wesen der Zurechnung“ in: Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S.  468, zitiert nach: Neuner/Grigoleit, Claus-Wilhelm Canaris – Gesammelte Schriften, Band  2: Vertrauenshaftung, 2012, S.  543: „Verantwortlich aber kann man zivilrechtlich gesehen entweder für sein Verhalten oder für seinen Geschäftskreis sein. […] Als Mindestvoraussetzung, die für jede Art der Zurechnung gegeben sein muß, ist folgerichtig zunächst zu fordern, daß irgendeine Bezie­ hung zwischen dem Gegenstand der Zurechnung – dem Schaden, der Erklärung, dem Ver­ trauenstatbestand uw. – und dem Verhalten oder dem Geschäftskreis des Inanspruchge­ nommenen besteht. Schon daraus erklärt sich z. B. ohne weiteres, daß, wie allgemein aner­ kannt ist, die Möglichkeit einer Zurechnung in den Fällen der vis absoluta von vornherein ausscheidet, und ebenso folgt daraus, daß man für das Verhalten eines Dritten grundsätz­ lich nicht einzustehen braucht, sondern sich dieses allenfalls dann zurechnen lassen muß, wenn es mittelbar auf ein eigenes Verhalten zurückgeht oder wenn der Dritte zum eigenen Geschäftskreis gehört“ (um das Bild zu vervollständigen, sei allerdings auch noch auf Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band  II/2: Besonderer Teil, 131994, §  73 II 3 a = S.  313 f. hingewiesen, wo im Rahmen von §  819 BGB die Anwendbarkeit von §  278 BGB abgelehnt und auf §  166 BGB rekurriert wird, weil Wissenszurechnung und Verhaltenszu­ rechnung „zwei unterschiedliche Probleme“ seien; wiederum anders, nämlich die An­ wendbarkeit von 166 BGB auf die „bereicherungsrechtliche Verhaltenshaftung aus §  819 BGB“ dezidiert bezweifelnd, Canaris, JuS 1980, 332, 335); im Ergebnis im Grundsatz wie hier ferner Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1996, Rn.  1231; für von ihm sogenannte „funktionsbedinge Erfüllungsdiener“ oder -gehilfen auch R. Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953, S.  184 f. bezogen auf §  460 S.  2 BGB a. F. und allgemein bezogen auf Obliegenheitsverletzungen S.  283 ff. und zusammenfassend S.  318 f. (Nr.  23); für einen Teil der Wissensnormen auch Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S.  55 ff., allerdings beschränkt auf „Bestimmungen über die Verschuldenshaftung und verwandte Regelun­ gen“ bzw. „haftungsorientierte Bestimmungen“, während er sich bei „erklärungsorientier­ ten Regelungen“, deren „Rechtsfolgenanordnung eher einer Willenserklärung ähnelt“, der Lehre vom Wissensvertreter unter Rekurs auf §  166 BGB (analog) anschließt (wörtliche

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denen, trotz formaler Ablehnung dieser Anknüpfung, zumindest eine ge­ dankliche Anlehnung an §  278 BGB sehr deutlich hervortritt.195 Auch in der Rechtsprechung des BGH klingen, von einer eher „formelhaften“ Zurück­ weisung abgesehen, immer wieder Begründungsmuster an, die eine „Wis­ senszurechnung“ in der Sache durchaus von denselben Voraussetzungen abhängig machen und an denselben Zweck knüpfen wie eine Verschuldens­ zurechnung nach §  278 BGB. Darauf wurde bereits verschiedentlich, im je­ weiligen Zusammenhang, hingewiesen. Herausgehoben sei an dieser Stelle die Rechtsprechung des BGH zur „Wissenszurechnung“ im Verjährungsrecht: Wenn der BGH dahin differen­ ziert, dass sich der Gläubiger im Rahmen von §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB das Wissen eines gesetzlichen Vertreters unbedingt zurechnen lassen muss, das Wissen eines rechtsgeschäftlichen Vertreters hingegen nur (aber immerhin) nach den Grundsätzen der Wissensvertretung,196 dann ist das in §  166 Abs.  1 BGB, auf dessen Rechtsgedanken der BGH rekurriert, in keiner Weise ange­ legt, in §  278 S.  1 BGB hingegen dezidiert ausgesprochen. Dasselbe gilt für die Beschränkung der Zurechnung auf die intern zuständigen Mitarbeiter der Regressabteilung: Bei Anwendung von §  278 BGB ergibt sich das ein­ fach daraus, dass nur die Mitarbeiter der Regressabteilung, nicht aber die Zitate S.  55 f.); soweit ein Gehilfe „im Verlauf eines adäquaten Handelns“ für den Schulder bestimmte Umstände wahrnimmt auch Prölss, FS Canaris I, 2007, S.  1037, 1061; für die Anwendung von §  278 BGB auch Merkt, BB 1995, 1041, 1047 und ders., WiB 1996, 145, 150, allerdings jeweils eher beiläufig und ohne nähere Auseinandersetzung. Auf §  278 BGB rekurriert auch Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934, der allerdings nicht an einen normspezfischen Verhaltensbeitrag des Wissensträgers im hier dargelegten Sinne anknüpft, sondern an das von ihm so gekennzeichnete passive Verhalten der Kenntniserlangung, das Wissen allgemein konstituiere (Oldenbourg, a. a. O., S.  15 f.). Vgl. ferner Rahn, Wissens­ zurechnung nach der Schuldrechtsnovelle, 2004, allerdings ebenfalls mit erheblichen Un­ terschieden zur hier vertretenen Lösung, nämlich auf Grundlage der Annahme einer Schutzpflicht im Sinne von §  241 Abs.  2 BGB zur ordnungsgemäßen Organisation der ge­ sellschaftsinternen Kommunikation, deren Verletzung eine Haftung nach §§  280 Abs.  1, 249 Abs.  1 BGB i. V. m. §§  31, 278 BGB gerichtet auf Naturalrestitution in Gestalt der Zu­ rechnung bzw. Fiktion von Kenntnis begründe; ebenso Risse, NZG 2020, 856, 863 f. 195 Exemplarisch Prölss, FS Leenen, 2012, S.  229, 244: „wie bei […] §  278 BGB […]. Nur geht es bei der Wissenszurechnung nicht um eine solche des Zurechnungssubjektes mit dem haftungsrechtlich relevanten Verhalten eines Dritten“; Hoffmann, JR 1969, 372, 374; Engelhardt, Wissensverschulden, 2019, S.  37, die teilweise, namentlich im Rahmen des von ihr sogenannten Wissensverschuldens, auch explizit auf §  278 BGB rekurriert (S.  66 f.). Auch in der Rechtsprechung des BGH finden sich deutliche Anlehnungen an §  278 BGB; exemplarisch BGH, Urt. v. 8.1.2004 – VII ZR 181/02, NJW 2004, 2156 Ab­ schn.  II 2 d; BGH, Urt. v. 18.1.2005 – XI ZR 201/03, NJW-RR 2005, 634 Abschn.  II 2 b c. 196  Ausführlich und m. w. N. oben Kapitel  1 B.III.4. = S. 84 ff.

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Mitarbeiter der Leistungsabteilung in dem im Verhältnis zu Regressschuld­ nern maßgeblichen Pflichtenkreis „Regress“ tätig sind. Hinzu kommt, dass die „Definition“ des Wissensvertreters durch den BGH derjenigen des Erfüllungsgehilfen in der Sache immerhin nahe kommt, wenn Wissensvertreter jeder ist, der vom unmittelbaren Normadressaten „mit der Er­ledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut ist“ und die Wissensvertretung davon abhängig gemacht wird, dass „die Erlangung der Tatsachenkenntnis, die dem Anspruchsteller [Gläubiger] zugerechnet werden soll, zu dem Aufgabenkreis des Vertreters gehört“.197 3. Teleologische Erwägungen und tatbestandliche Voraussetzungen der Zurechnung Der zentrale Unterschied zwischen dem Tatbestand der Wissensvertretung in der Rechtsprechung des BGH (der Definition des Wissensvertreters) und dem Tatbestand der Verschuldenszurechnung gemäß §  278 S.  1 Alt.  2 BGB (der Definition des Erfüllungsgehilfen) besteht in dem der normativen und gedanklichen Anknüpfung an §  166 BGB geschuldeten Erfordernis eines Tä­ tigwerdens in eigener Verantwortung nach außen. Diese tatbestandliche Verengung ist teleologisch nicht gerechtfertigt.198 Sie verfehlt, wie überhaupt die normative Anknüpfung an §  166 BGB, den eigentlichen Zurechnungsgrund. Dieser liegt nicht nur und gerade im Ein197  Exemplarisch BGH, Urt. v. 23.1.2014 – III ZR 436/12, NJW 2014, 1294 Rn.  15 f.; BGH, Urt. v. 4.7.2014 – V ZR 183/13, NJW 2014, 2861 Rn.  16 für das Verhältnis zwischen Verwalter und Wohnungseigentümer mit der Klarstellung, dass es insofern „keinen Un­ terschied“ mache, „ob die Wahrnehmung der Aufgabe durch den Verwalter auf einer Ein­ zelübertragung seitens der Wohnungseigentümer oder auf der gesetzlichen Aufgabenzu­ weisung“ beruht (Rn.  17). Auch im Schrifttum sind zur Beschreibung des Tatbestands der Wissensvertretung Formulierungen verbreitet, die sich nicht vom Tatbestand des §  278 S.  1 Alt.  2 BGB unterscheiden; exemplarisch und besonders deutlich Ott, Jura 2021, 9, 12: „dass der Geschäftsherr sich des Handelns sonstiger Dritten an seiner Stelle bewusst und gewollt bedient hat“. 198 Ebenso Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 184; Grigoleit – ders., AktG, 22020, §  78 Rn.  32; Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  162–165; Baisch, Verjährungs­ beginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  130; Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  40. Für das Erfordernis eines Tätigwerdens nach außen auch Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  226; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S.  90; Jung, Wissenszurechnung und Wis­ sensverantwortung bei juristischen Personen, 2017, S.  111 f. Für das Erfordernis der Ei­ genverantwortlichkeit bzw. eines Entscheidungsspielraums auch Waltermann, NJW 1993, 889, 891 f.; Lorenz, JZ 1994, 549, 551 (bezogen auf §  990 BGB i. V. m. §  166 BGB analog). Ansätze in die hier ausgeführte Richtung etwa auch bei Weißhaupt, in: Drygala/ Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  151, 185, wenn er ausführt: „Folgerichtig

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satz eines Repräsentanten im Rechtsverkehr, sondern ganz allgemein in der arbeitsteiligen Teilnahme am Rechtsverkehr.199 Das Tätigwerden eines Re­ präsentanten nach außen ist phänomenologisch ein Ausschnitt und norma­ tiv eine Fallgruppe dieses Rechtsproblems.200 Dass sich das Problem der arbeitsteiligen Teilnahme am Rechtsverkehr rechtlich nicht im Einsatz von Repräsentanten erschöpft, ist auch in der Rechtsprechung anerkannt. Den zweiten Aspekt dieses Problems, nämlich die Unübersichtlichkeit und Unzugänglichkeit der relevanten internen Pro­ zesse für Außenstehende sowie die Gefahr einer Sedimentierung von Wissen und Verantwortung, adressiert der BGH mit einer Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels. So gewendet wird aber auch hier der eigentliche Zu­ rechnungsgrund verfehlt. Er liegt gerade nicht in einem Organisations­ mangel, sondern wiederum ganz allgemein in der arbeitsteiligen Teilnahme am Rechtsverkehr. Die Erfüllung von Verbindlichkeiten im Wege interner Delegation einzelner dabei zu erledigender Aufgaben ist ein weiterer Aus­ schnitt und normativ eine weitere Fallgruppe dieses Rechtsproblems. In beiden angesprochenen Dimensionen wird das spezifische Risiko der arbeitsteiligen Teilnahme am Rechtsverkehr in Bezug auf bestehende Son­ derverbindungen von §  278 BGB adressiert, und zwar für Verbände und na­ türliche Personen als Normadressaten gleichermaßen201 und damit im Sinne müssten die vorstehenden Ausführungen zum Erfüllungsgehilfen ceteris paribus für den Wissensvertreter gelten“. 199  Das ist im Übrigen auch für die Wissenszurechnung im hergebrachten Sinne seit je­ her praktisch allgemein anerkannt. Besonders deutlich Beuthien, NJW 1993, 3585, 3587: „Als Wissenszurechnungsnorm gleicht §  166 I Fall 2 BGB insoweit §  278 S.  1 BGB. […] Dabei beruht §  278 S.  1 BGB auf demselben Zurechnungsgrund wie §  166 I Fall 2 BGB. Je­ weils soll der Geschäftsherr nicht nur den Vorteil arbeitsteiligen Wirtschaftens genießen, sondern auch die damit verbundenen Gefahren tragen. Hätte der Schuldner in Person ge­ leistet oder verhandelt, so hätte der Fehler auch ihm unterlaufen können“; vgl. außerdem exemplarisch Richardi, AcP 169 (1969), 385, 389; Schultz, NJW 1990, 477, 481; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 197; Wilhelm, WuB 1995, I D 3 – 3.95; Koller, JZ 1998, 75; Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S.   71; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S.  165 ff., 226; Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  27 ff., 50; Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  2; MünchKomm – Schubert, BGB, 82018, §  166 Rn.  49; vgl. bezogen auf Unternehmen auch Canaris, Bankver­ tragsrecht, 31988, Rn.  800a; vgl. außerdem noch Dauner-Lieb, FS Kraft, 1998, S.  43, 53 mit der Frage, ob sich eine am Gedanken der Arbeitsteilung angeknüpfte Wissenszurechnung auch auf den Privatbereich ausdehnen müsste (vgl. nunmehr zur Wissenszurechnung zwi­ schen Ehegatten BGH, Urt. v. 13.12.2012 – III ZR 298/11, NJW 2013, 448 Rn.  20). 200  Ausführlich zum Problem der arbeitsteiligen Teilnahme am Rechtsverkehr oben Kapitel  2 B.I.1. = S. 189 ff. 201  §  31 BGB ist lex specialis nur für das Verhältnis von Organen (Organmitgliedern)

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des im Kontext der Wissenszurechnung praktisch allgemein betonten dies­ bezüglichen Gleich­behandlungsgebots.202 Nach §  278 BGB ist die Zurechnung weder davon abhängig, dass die Hilfs­person nicht nur intern beratend, sondern auch nach außen repräsen­ tierend tätig wird noch davon, ob der Geschäftsherr seinen Betrieb (die Er­ füllung der in Rede stehenden Verbindlichkeit) fehlerhaft oder ordnungs­ gemäß organisiert, weil sich bei einem schuldhaften Verhalten eines Dritten, der mit Wissen und Wollen (Vorsatz) des Geschäftsherrn in dessen Pflich­ tenkreis und im allgemeinen Umkreis des ihm zugewiesenen Aufgaben­ bereichs tätig wird, jeweils, also in allen genannten Fällen gleichermaßen, das Risiko arbeitsteiliger Teilnahme am Rechtsverkehr und damit ein Risiko verwirklicht, das auf einer freien Organisationsentscheidung des Geschäfts­ herrn bzw. einer gesetzlichen Organisationsentscheidung primär zu seinen Gunsten beruht.203 Darüber hinaus ist die Zurechnung entgegen verbreiteter Auffassung auch nicht davon abhängig, dass gerade die Erlangung des in Rede stehenden Wis­ sens zum Aufgabenkreis der Hilfsperson gehört. Beim Tatbestand des „Wis­ sens“ (des Vorsatzes) spielt der Vorgang des Wissenserwerbs generell keine Rolle; dadurch unterscheidet er sich definitionsgemäß vom Tatbestand des fahrlässigen Nichtwissens (Fahrlässigkeitstatbestand). Wenn aber der Vor­ gang des Wissenserwerbs für den Normadressaten selbst keinerlei Rolle spielt, wenn es also beispielsweise für den Verkäufer oder den Käufer einer zum Verband. Für „einfache“ Erfüllungsgehilfen muss der Verband genauso einstehen wie die natürliche Person. 202  In dieselbe Richtung Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S.  61 ff. 203  Ganz ähnlich im rechtsvergleichenden Kontext Jansen/Zimmermann, Commenta­ ries on European Contract Laws, 2018, S.  222 f.; für das deutsche Recht, wenn auch ohne normative Anknüpfung an §  278 BGB und der hergebrachten Kategorie der Wissenszu­ rechnung verhaftet, Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 197 f.; auch Seidel, AG 2019, 492, 495, wenn er den Gedanken einer ausgeglichenen Risikoverteilung und die Frage nach der Risikobeherrschung in den Fokus rückt. Zu widersprechen ist Seidel insoweit, als er die­ sen Ansatz jedenfalls im Grundsatz auf das Deliktsrecht übertragen und dort zur Begrün­ dung des kognitiven Elements des Vorsatzes heranziehen will (S.  499). Für §  826 BGB lehnt er ebendies im Ergebnis zutreffend ab; warum die von ihm hier zutreffend betonte „besondere Verknüpfung zwischen dem kognitiven Element und dem voluntativen Ele­ ment des Vorsatzes“ (S.  501) bei anderen Vorsatztatbeständen nicht relevant sein soll, bleibt unklar. Kritisch hinsichtlich eines Rekurses auf den Gedanken der Risikoverteilung zur Begründung einer Wissenszurechnung im hergebrachten Sinne, weil der Kreis der relevanten Hilfspersonen vom Gedanken der gerechten Risikoverteilung nicht festgelegt werde, Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  34. Mit Blick auf §§  278, 31 BGB überzeugt das nicht; im Übrigen misst auch Goldschmidt, a. a. O., S.  35 dem Gedanken der Risikoverteilung immerhin zurechnungsbegrenzende Funktion bei.

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Sache ir­relevant ist, woher er das tatbestandliche Wissen (z. B. um einen Mangel der Sache) hat, ist nicht ersichtlich, warum dieser Umstand in Zu­ rechnungsfällen ­irgendeine Rolle spielen sollte.204 Maßgeblich ist allein, dass das tatbestandlich relevante Wissen bei einer Hilfs­person im relevanten Zeitpunkt tatsächlich vorhanden ist und sich in Bezug auf die in Rede stehende Sonderverbindung (innerhalb des dadurch begründeten Pflichtenkreises) ein Verhaltensbeitrag des Wissensträgers rea­ lisiert, der in den allgemeinen Umkreis des Aufgabenbereichs fällt, der ihm vom Normadressaten zugewiesen ist. Das entspricht dem anthropozentri­ schen Prinzip der personalen Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen und trägt, verkürzt ausgedrückt, dem Prinzip der Zusammengehö­ rigkeit von Nutzen und Risiko Rechnung, das §  278 BGB generell trägt:205 „Wo innerbetriebliches Wissen nicht mit einem konkreten Handeln zusam­ mentrifft, stiftet es keinen Nutzen und es besteht daher auch kein Bedürfnis für irgendeinen Vorteilsausgleich“.206 Auch eine mosaikartige Zusammen­ setzung von auf verschiedene Personen verteilten Wissensfragmenten, die erst zusammengenommen das kognitive Tatbestandselement begründen, schei­det hiernach aus.207 Im Übrigen ist die arbeitsteilige Teilnahme am Rechtsverkehr hiernach, anders als nach der Lehre vom Organisationsmangel als Zurechnungsgrund, nicht etwa bemakelt und wird danach auch nicht als solche bzw. als Abwei­ chung von irgendeinem „Standard“ der Informations- und Wissensorgani­ sation sanktioniert, sondern im Gegenteil als grundsätzlich ökonomisch wünschenswerte Form der Teilnahme am Privatrechtsverkehr und insbe­ sondere als Inanspruchnahme von Organisationsfreiheit akzeptiert,208 wenn 204 Ebenso

Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  28 f., 245, und zwar zutref­ fend auch für §  31 BGB; Grunewald, FS Beusch, 1993, S.  301, 319 für den Fall, dass der Wissensträger gegenüber dem Verhandlungsparner handelt. Anders die h. M., vgl. nur BGH, Urt. v. 23.1.2014 – III ZR 436/12, NJW 2014, 1294 Rn.  15 f.; Hoffmann, JR 1969, 372, 374; Schultz, NJW 1990, 477, 480 f. 205  Ausführlich oben Kapitel  2 B.I.1. = S. 189 ff. 206  Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1258. 207 Ausführlich dazu bereits oben Kapitel   3 B.II. = S. 306 ff. im Kontext von §  826 BGB, wobei anzumerken ist, dass der „personale Charakter“, den der BGH in seiner Fondsprospektentscheidung betont, nicht auf §  826 BGB beschränkt ist, sondern dem Vorsatztatbestand generell innewohnt, s. oben Kapitel  2 A.I. = S. 135 ff. Hingewiesen sei außerdem noch darauf, dass von der hier angesprochenen mosaikartigen Zusammenset­ zung verteilter Wissensfragmente die Wissenszusammenrechnung zu unterscheiden ist, bei der entweder der Vertreter oder der Vertrenene die (alle!) tatbestandlich maßgeblichen Umstände kennt und die in §  166 Abs.  2 BGB (nur) für den Fall des Vertragsschlusses durch einen Vertreter geregelt ist, siehe oben Kapitel  1 B.II.2.c) = S. 74. 208  Vgl. dazu näher die teleologische Analyse von §  278 BGB oben Kapitel  2 B.I.1. =

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

auch nur um den Preis einer Einstandspflicht für rechtlich relevantes – wil­ lentliches und wissent­liches, mithin vorsätzliches oder, wo gleichgestellt, (grob) fahrlässiges – Ver­halten (Tun, Dulden, Unterlassen) der eingesetzten Hilfspersonen, das, gedacht als  – willentliches und wissentliches, mithin vorsätzliches oder, wo gleichgestellt, (grob) fahrlässiges – Verhalten des Ge­ schäftsherrn den Tatbestand der in Rede stehenden Wissensnorm erfüllt. 4. Weiter Anwendungsbereich Der verbreitete Vorbehalt bezüglich einer Anwendung von §  278 BGB auf Wissensnormen liegt, so darf vermutet werden, nicht nur in der begriff­ lich-kategorialen Unterscheidung zwischen Vorsatz (Verschulden) und Wis­ sen (Wissenmüssen) begründet, sondern auch in einem engen Verständnis vom sachlichen oder „zeitlichen“ Anwendungsbereich der Vorschrift. Aus dem Wortlaut von §  278 BGB („Schuldner“; „Verbindlichkeit“) er­ gibt sich deutlich, dass die Vorschrift nur innerhalb bestehender Sonderver­ bindungen gilt. Sie ist damit nicht auf Tatbestände anwendbar, die ein Schuldverhältnis überhaupt erst begründen. Das hat Bedeutung überall (und nur!) dort, wo die Begründung eines Schuldverhältnisses als solche (auch) von einem subjektiven Tatbestandsmerkmal abhängig ist (Vertragsschluss; §§  823 ff. BGB). Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich demgegenüber nicht, dass diese generell nicht auf Normen anwendbar wäre, die einzelne Folgen re­ geln, die sich aus einer bestehenden Sonderverbindung ergeben. Vielmehr ist §  278 BGB auf wissens- bzw. verschuldensabhängige Folgenormen ohne weiteres anwendbar, und zwar auch dann, wenn diese in zeitlicher Hinsicht (auch) an den Zeitpunkt der Begründung der Sonderverbindung anknüpfen (z. B. „Kenntnis“ oder „zu vertretende Unkenntnis“ bzw. „arglistige“ Täu­ schung bei Vertragsschluss, §§  311a Abs.  2, 442 BGB etc.; „Bösgläubigkeit“ bei Besitzerwerb, §  990 Abs.  1 S.  1 BGB; „Kenntnis“ vom Mangel des recht­ lichen Grundes bei Empfang der Leistung, §  819 Abs.  1 BGB). Das wurde ausführlich dargestellt209 und gilt für (vermeintlich) einfache Wissensnor­ men genauso wie für explizite Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen.

S. 189 ff. Vgl. speziell im Zurechnungskontext außerdem noch Bork, ZGR 1994, 237, 239 f. mit dem zutreffenden Hinweis, dass Zurechnung keineswegs Missbrauch voraus­ setzt, sondern „in vielen Fällen notwendiges Korrektiv nützlicher, sinnvoller, mitunter auch unumgänglicher, jedenfalls erlaubter Arbeitsteilung oder Funktionsaufspaltung zwi­ schen mehreren Rechtssubjekten“ ist. 209  Oben Kapitel  2 B.I.2. = S. 199 ff.

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung

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5. Einheitlichkeit der Zurechnung bei Wissens- und Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen Jenseits der tatbestandlichen Identität der bezogenen Grundnormen und der teleologischen Identität des zu adressierenden Rechtsproblems spricht vor allem die Abwesenheit plausibler Gründe für eine unterschiedliche Beant­ wortung der Zurechnungsfrage bei Wissensnormen und (expliziten) Vor­ satz- bzw. Verschuldensnormen dafür, diese eben nicht unterschiedlich, son­ dern einheitlich zu beantworten. Teilweise ist auf Basis der hergebrachten Unterscheidung zwischen Wis­ sens- und Vorsatztatbestand schon gar nicht klar, ob eigentlich das eine oder das andere in Bezug genommen ist. An dieser Unsicherheit nimmt die Ent­ scheidung für das eine oder das andere Zurechnungsregime teil. In ver­ gleichbarer Weise wirkt sich die Anwendung der Regeln der Wissenszurech­ nung auf explizite Arglist- bzw. Vorsatztatbestände im Ergebnis als Korrek­ tur der Regeln der Verschuldenszurechnung aus, wo nach den Regeln der Verschuldenszurechnung eine Zurechnung entweder gesetzlich überhaupt nicht vorgesehen ist (Deliktsrecht; Ausnahme: §  31 BGB) oder tatbestand­ lich nicht eingreift (kein aktueller Verhaltensbeitrag des Wissensträgers im Sinne eines Tätigwerdens im Pflichtenkreis des Schuldners), ohne dass dies begründet oder auch nur offen ausgesprochen würde. Wenig überzeugend ist eine Differenzierung auch überall dort, wo identi­ sche Rechtsfolgen sowohl an einen (vermeintlich) einfachen Wissenstatbe­ stand als auch an einen expliziten Vorsatztatbestand geknüpft werden, wie dies etwa beim Wucher und wucherähnlichen Rechtsgeschäft der Fall ist, wenn nicht – wofür allerdings überhaupt nichts ersichtlich ist – das Neben­ einander beider Tatbestandsalternativen gerade dazu diente, zwei unter­ schiedliche Zurechnungsregime zur Anwendung zu bringen. Im Übrigen ist auch allgemein kein Grund ersichtlich, warum die Frage der Einstandspflicht für Dritte bei expliziten Vorsatz- bzw. Verschuldens­ normen anders beantwortet werden sollte als bei Wissensnormen. Insbeson­ dere kann die Unterschiedlichkeit der Zurechnungsregeln nicht damit be­ gründet werden, die Regeln der Verschuldenszurechnung bezögen sich auf rechts- oder pflichtwidriges Verhalten und die Regeln der Wissenszurech­ nung auf einen rein faktischen, inneren Zustand. Dass das allgemein unzu­ treffend ist, wurde ausführlich dargelegt. Der angesprochene Unterschied besteht nicht, absolute Wissensnormen sind nichts anderes als verkürzt for­ mulierte Vorsatznormen und relative Wissensnormen nichts anderes als ver­ kürzt formulierte Verschuldensnormen.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

Eine unterschiedliche Beantwortung der Zurechnungsfrage kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass Wissensnormen teilweise keine ech­ te Pflicht, sondern nur eine Obliegenheit und damit begrifflich keine „Ver­ bindlichkeit“ begründen. §  278 BGB ist auch auf Obliegenheiten anwend­ bar, jedenfalls analog.210 Das gilt insbesondere auch dort, wo der Normad­ ressat gesetzestextlich als „Gläubiger“ in Bezug genommen ist. Entnimmt man beispielsweise §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB die an den Gläubiger eines An­ spruchs gerichtete implizite Verhaltenserwartung (Obliegenheit), verjäh­ rungshemmende Maßnahmen nicht (vor­sätzlich oder grob fahrlässig) zu unterlassen, ist die Anwendung von §  278 BGB nicht „nur“ Folge einer „bloß begrifflichen“ Explikation des Tatbestands als auf eine Obliegenheits­ verletzung bezogener Verschuldenstatbestand (Vorsatz und grobe Fahrläs­ sigkeit schaden), sondern Konsequenz des materiellen Gebots der Gleichbe­ handlung von Gläubiger und Schuldner, das sich im vertraglichen Kontext seinerseits auf das Prinzip vertraglicher Austauschgerechtigkeit zurückfüh­ ren lässt.211 Insofern unterscheidet sich §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB nicht von §  326 Abs.  2 S.  1 Alt.  1 BGB. Auch §  326 Abs.  2 S.  1 Alt.  1 BGB wird über­ wiegend und zutreffend eine an den Gläubiger im Sinne der Vorschrift ge­ richtete, übrigens auch dort „nur“ implizite Verhaltenserwartung (Oblie­ genheit) entnommen, die Herbeiführung des Leistungserfolgs durch den Schuldner nicht unmöglich zu machen, die ihrerseits die Anwendung von §  278 BGB trägt.212 Nicht anders stellt sich die Anwendung von §  278 BGB etwa auf §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB dar. 6. Abgleich: Europäische Modellgesetze Die Überzeugungskraft einer einheitlichen Beantwortung der Zurechnungs­ frage bei Wissens- und Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen belegen schließ­ lich Art.  1:305 der Principles of European Contract Law (PECL; überarbei­ tete Fassung)213 sowie Art.  II-1:105 des Draft Common Frame of Reference (DCFR).

210  211 

Näher oben Kapitel  2 B.I.5.b) = S. 221 f. Vgl. dazu, bezogen auf §  326 Abs.  2 S.  1 Alt.  1 BGB, Canaris, FS Picker, 2010, S.  113,

115 f. 212  Oben Kapitel  2 B.I.5.b) = S. 221 f. 213  In Art.  1:109 Abs.  1 und 2 der PECL in ihrer ursprünglichen Fassung waren noch zwei gesonderte Regelungen für die „Zurechnung von Kenntnis und Vorsatz“ (Über­ schrift) vorgesehen; siehe die deutsche Übersetzung von Drobnig/Zimmermann, ZEuP 1995, 864, 865.

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung

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Art.  1:305 der PECL lautet:214 Wenn eine Person, die mit Zustimmung einer Partei in den Abschluss eines Vertrages eingeschaltet war oder die von einer Partei mit der Erfüllung betraut war oder mit deren Zustimmung geleistet hat: (a) einen Umstand gekannt oder vorhergesehen hat oder ihn hätte kennen oder vorher­ sehen müssen; oder (b) vorsätzlich oder grob fahrlässig oder entgegen den Geboten von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs gehandelt hat, wird dieses Wissen, diese Voraussicht oder dieses Verhalten der Partei selbst zugerech­ net.

Art.  II.–1:105 des DCFR lautet:215 Wenn eine Person, die mit Zustimmung einer Partei in den Abschluss eines Vertrages oder eines anderen Rechtsgeschäfts eingeschaltet war oder mit der Ausübung eines Rechts oder der Erfüllung einer Verpflichtung aus diesem Rechtsgeschäft betraut war: (a) einen Umstand gekannt oder vorausgesehen hat oder behandelt wird, als hätte sie einen Umstand gekannt oder vorausgesehen; oder (b) vorsätzlich oder in einem anderen maßgeblichen Bewusstsein gehandelt hat, wird dieses Wissen, dieses Voraussehen oder dieses Bewusstsein der Partei zugerech­net.

Die PECL und der DCFR unterscheiden zwar noch formal-begrifflich zwi­ schen Wissenstatbeständen und Vorsatz- bzw. Verschuldenstatbeständen. Die Zurechnung wird aber für beide Fälle einheitlich geregelt, und zwar in Abhängigkeit von einem konkreten Verhaltensbeitrag des Wissensträgers216 in einer Weise, die im Großen und Ganzen der Regelung des §  278 BGB – erstreckt auf den Vertragsschluss – entspricht („eingeschaltet“217; „betraut“; „Zustimmung“). Das entspricht im Kern der hier vertretenen Lösung. Dar­ über hinaus reflektiert die Verhaltensbezogenheit der Zurechnung auch das

214 Zitiert

nach Schulze/Zimmermann, Europäisches Privatrecht: Basistexte, 62020,

III.10. 215  Zitiert nach dies., Europäisches Privatrecht: Basistexte, 62020, III.25. 216  Das galt auch schon für Art.  1:109 Abs.  1 der PECL in ihrer ursprünglichen Fas­ sung, der eine Zurechnung davon abhängig machte, dass der Wissensträger am Abschluss oder an der Erfüllung des Vertrages „beteiligt“ war; vgl. auch die Begründung bei Lando/ Beale, The Principles of European Contract Law – Part  I: Performance, Non-Performan­ ce and Remedies, 1995, S.  64. 217  Die gedankliche Nähe zu §  278 S.  1 Alt.  2 BGB auch in Bezug auf den Regelungsbe­ standteil „Wissenszurechnung“ (im hergebrachten Sinne) kommt etwa deutlich zum Aus­ druck, wenn Jansen/Zimmermann, Commentaries on European Contract Laws, 2018, S.  224 ausführen, dass das „involvement must occur with the assent of the party to whom the knowledge or foresight is imputed“ und dass die Zurechnung etwa auch „sub-contractors“ erfassen kann.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

weitere rechtsvergleichende Panorama, soweit sich hierzu Aussagen treffen lassen und soweit dieses hier betrachtet wurde.218 7. Binneneinheitlichkeit der Zurechnung bei relativen Wissensnormen Im Schrifttum wird namentlich für §  311a Abs.  2 BGB, der als relative Wis­ sensnorm Wissen und zu vertretendes (fahrlässiges) Nichtwissen rechtsfol­ genseitig identisch sanktioniert, vereinzelt eine gespaltene Lösung der Zu­ rechnungsfrage vertreten. Danach muss sich der Schuldner das bei Vertrags­ schluss vorhandene Wissen Dritter um ein anfängliches Leistungshindernis nach den (wie auch immer gearteten) Regeln der Wissenszurechnung zu­ rechnen lassen und das zu vertretende Nichtwissen nach den Regeln der Verschuldenszurechnung gemäß §  278 BGB.219 Das überzeugt nicht. Insbesondere ist kein sachlicher Grund dafür er­ sichtlich, warum es für die Bestimmung des Kreises der Personen, deren Wissen sich der Schuldner zurechnen lassen muss, maßgeblich sein soll, wer für ihn eigenverantwortlich im Rechtsverkehr tätig geworden und ob er sei­ ner abstrakten Wissensorganisationspflicht nachgekommen ist, während es für die Bestimmung des Kreises der Personen, deren zu vertretendes Nicht­ wissen sich der Schuldner zurechnen lassen muss, darauf ankäme, wen er in Bezug auf das in Rede stehende Schuldverhältnis als Erfüllungsgehilfen ein­ gesetzt hat. Überzeugend erscheint es vielmehr, die Zurechnungsfrage für beide Tat­ bestandsalternativen identisch zu beantworten und damit den Kreis der Per­ sonen, deren Wissen (vorsätzliches Verhalten) oder fahrlässiges Nichtwissen (fahrlässiges Verhalten) sich der Schuldner zurechnen lassen muss, identisch zu ziehen. Das ist auch in §  166 Abs.  1 BGB deutlich angelegt, der in Stell­ vertretungsfällen beide Tatbestandsalternativen relativer Wissensnormen gleichermaßen erfasst. Es liegt allerdings in der Konsequenz der hier entwi­ ckelten Vorsatztheorie, dass die Zurechnung jenseits des unmittelbaren An­ wendungsbereichs von §  166 Abs.  1 BGB einheitlich nach den Regeln der §§  31, 278 BGB erfolgt. Für §  311a Abs.  2 BGB entspricht dies im Ergebnis – wenn auch ohne Explikation des Kenntnistatbestands des §  311a Abs.  2 S.  2 Alt.  1 BGB (Wortlaut) als Vorsatz­tatbestand und damit auf den ersten Blick nicht selbstverständlich – einer beachtlichen Tendenz in der Litera­ tur.220 218 

Näher oben Kapitel  2 B.VII. = S. 129 f. Vgl. BeckOGK – Herresthal, BGB, Stand: 1.6.2019, §  311a Rn.  121–124. 220  Verbreitet wird die Zurechnungsfrage bei §  311a Abs.  2 BGB ohne Differenzierung zwischen Kenntnis und zu vertretender Unkenntnis pauschal nach Maßgabe von §  278 219 

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung

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8. Möglichkeit des individualvertraglichen Ausschlusses und der individualvertraglichen Beschränkung der Zurechnung (§  278 S.  2 BGB) Nach §  278 S.  2 BGB kann die Haftung des Geschäftsherrn nicht nur für fahr­lässige, sondern abweichend von §  276 Abs.  3 BGB auch für vorsätzliche Pflicht- oder Obliegenheitsverletzungen durch Hilfspersonen individual­ vertraglich ausgeschlossen werden. Das gilt auch für Wissensnormen, wenn man diese als Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen expliziert. In den herge­ brachten Kategorien bedeutet das die Möglichkeit des individualvertrag­ lichen Ausschlusses der „Wissenszurechnung“ in Bezug auf Tatbestände, die in ein bestehendes Schuldverhältnis eingebettet sind.221 Erst recht ist eine Beschränkung möglich, etwa auf einen bestimmten Personenkreis222 oder eine bestimmte Vorsatzform, namentlich auf Absicht und Wissentlichkeit, wie dies in der einen oder anderen Form häufig in Unternehmenskaufverträ­ gen vereinbart wird.223 BGB beantwortet; vgl. etwa BeckOK – Gehrlein, BGB, Stand: 1.5.2021, §  311a Rn.  8; Jau­ ernig – Stadler, BGB, 182021, §  311a Rn.  7; ferner MünchKomm – Ernst, BGB, 82019, §  311a Rn.  49. 221  Unter anderem unter Verweis auf die Wertung des §  278 S.  2 BGB zumindest für eine Einschränkbarkeit der Reichweite der Wissenszurechnung auch Meyer, WM 2012, 2040, 2045 f.; Hoenig/Klingen, NZG 2013, 1046, 1051; Risse, NZG 2020, 856, 862 f.; im Ergebnis auch Bank, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  93, 108 ff. m. w. N. und unter zutreffender Betonung des Vorbehalts der §§  138, 242 BGB; vgl. spe­ ziell für die Wissensvertretung im hergebrachten Sinne auch Hartung, NZG 1999, 524, 530; für die wissensorganisationspflichtenbasierte Zurechnung Weißhaupt, WM 2013, 782, 788, „es sei denn, der Unternehmenskäufer ist evident unerfahren und wird auch nicht durch professionelle Berater begleitet“; auch Hauschka/Moosmayer/Lösler – BuckHeeb, 32016, §  2 Rn.  60 f., mit (im Einzelnen allerdings unklaren) Vorbehalten. Zurückhal­ tend Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  8.139 ff., der dabei allerdings nach dem von ihm vertretenen Zurechnungs- bzw. Haftungsmodell ausschließlich eine Haftung für eigenes (Wissensorganisations-)Verschulden im Blick hat; im Kontext des „eigentlichen“ Anwen­ dungsbereichs des §  278 BGB demgegenüber wie hier Rn.  8.224. Unter anderem mit Hin­ weis auf §  276 Abs.  3 BGB offenlassend Schudlo/Kersten, BB 2021, 1154, 1159. Anders Rasner, WM 2006, 1429: „im Bereich der §§  444, 276 BGB einer vertraglichen Regelung nicht zugänglich“. 222  Eine echte Beschränkung liegt insofern nur vor, wenn sich der Geschäftsherr einer bestimmten Person überhaupt im Sinne von §  278 S.  1 Alt.  2 BGB „bedient“ hat, aber trotzdem nicht für diese einstehen will. Davon jedenfalls konstruktiv zu unterscheiden ist der Fall, dass sich der Geschäftsleiter bestimmter Personen von vornherein nicht bedient, wobei allerdings zu beachten ist, dass es dabei maßgeblich auf die tatsächlichen Umstände ankommt, siehe oben Kapitel  2 B.I.4. = S. 213 ff.; vgl. dazu im Kontext des Unterneh­ menskaufs etwa Weißhaupt, ZIP 2016, 2447, 2452; Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  8.205 ff.; Schuberth, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  189, 197. 223  Vgl. dazu Bank, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  93, 98 ff.; Bachmann, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  125, 147 f.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

In Bezug auf Tatbestände, die eine Sonderverbindung überhaupt erst be­ gründen, gilt §  278 S.  2 BGB demgegenüber nicht, auch nicht seinem Rechts­ gedanken nach.224 Die Reichweite der Zurechnung im – nach hiesigem Ver­ ständnis einzig in Rede stehenden – unmittelbaren Anwendungsbereich des §  166 Abs.  1, Abs.  2 BGB ist allerdings ohnehin von vornherein begrenzt, namentlich auf die Person des konkret handelnden Vertreters. §  31 BGB bleibt ebenfalls unberührt. Dasselbe gilt für die Haftung für eigenes – vor­ sätzliches oder, wo gleichgestellt, fahrlässiges – Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungs- bzw. Organisationsverschulden.225 9. Keine Unterscheidung zwischen beruflich und privat erlangtem Wissen Für die Wissenszurechnung im hergebrachten Sinne wird diskutiert, ob die­ se in beruflichen (geschäftlichen, dienstlichen) Kontexten nur eine Zurech­ nung beruflich erlangten Wissens bewirkt226 oder ob bzw. unter welchen Voraussetzungen sie auch privat erlangtes Wissen erfasst.227 224 Ebenso

Weißhaupt, ZIP 2016, 2447, 2457. Näher dazu unten Kapitel  3 D. und E.II., S. 353 ff., 362 ff. 226  So BGH, Urt. v. 9.4.1990 – II ZR 1/8, NJW 1990, 2544 Abschn. 2 b für §  406 BGB und das Verhältnis zwischen Geschäftsführer und GmbH: „Die von vornherein vorhande­ ne Kenntnis des Kl. als ihres Geschäftsführers braucht sich die Bekl. nicht zurechnen zu lassen; denn es handelt sich dabei um privates Wissen, das mit der Geschäftsführungstätig­ keit nichts zu tun hatte“; BGH, Urt. v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, NJW 2007, 2989 Rn.  14 (zur Frage des Bestehens einer Aufklärungspflicht aufgrund Sonderwissens): „Auf ein sol­ ches privat erlangtes Wissen ihrer Mitarbeiter erstreckt sich die Pflicht der Bank zur aktenund EDV-mäßigen Dokumentation nicht. Diese rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass der Kunde nicht deshalb schlechter gestellt werden soll, weil er nicht mit einer natürlichen Person, sondern mit einer Bank mit organisationsbedingter Wissensaufspaltung kontra­ hiert […]. Dies trifft jedoch nur bei dienstlich erlangtem Wissen von Bankmitarbeitern zu“; BGH, Urt. v. 14.1.2016 – I ZR 65/14, NJW 2016, 3445 Rn.  61 (für die mit §  199 Abs.  1 BGB übereinstimmende Verjährungsregelung des §  11 Abs.  2 UWG), weil die Wissenszu­ rechnung „auf der Erwägung beruht, dass der Geschäftsherr aus einer geschäftsorganisato­ risch bedingten Wissensaufspaltung keine Vorteile ziehen soll“, wobei aber etwas anderes gelten soll, sofern „ausnahmsweise der Geschäftsherr aus Gründen des Verkehrsschutzes zur Organisation eines Informationsaustauschs verpflichtet ist, der auch privat erlangtes Wissen umfasst“; dahingehend auch die Tendenz (im Einzelfall aber offen gelassen) bei BGH, Urt. v. 9.7.2013 – II ZR 193/11, BeckRS 2013, 14004 Rn.  31: jedenfalls wenn es sich um einen Umstand handelt, der für den Erfolg des Gesellschaftsunternehmens von ganz wesentlicher Bedeutung und bei jedem Vertriebsvorgang zu beachten ist; BGH Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, NJW 2016, 2569 Rn.  37 mit BGH, Urt. v. 26.4.2016  – XI ZR 114/15, BKR 2016, 341 Rn.  36. Aus dem Schrifttum etwa Taupitz, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 16, 25 für Repräsentanten und Wissensvertreter (anders aber für Stell­ vertreter, also im unmittelbaren Anwendungsbereich von §  166 BGB). 227  Grundsätzlich für eine Berücksichtigung auch von privatem Wissen, mit Unter­ 225 

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung

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Zuzugeben ist, dass eine Unterscheidung zwischen privat erlangtem Wis­ sen und beruflich erlangtem Wissen dem positiven Recht nicht gänzlich fremd ist. Wichtiges Beispiel ist §  70 S.  2 VVG, wonach die in §  70 S.  1 VVG grundsätzlich angeordnete Zurechnung des Wissens des Versicherungsver­ treters zulasten des Versicherers nicht für solches Wissen gilt, das er außer­ halb seiner Tätigkeit als Vertreter und ohne Zusammenhang mit dem betref­ fenden Versicherungsvertrag erlangt hat.228 Unter Geltung von §  278 BGB ist privat und beruflich erlangtes Wissen indessen, ebenso wie im Rahmen von §§  31, 166 BGB, grundsätzlich glei­ chermaßen relevant.229 Wenn die Zurechnung maßgeblich an ein Tätigwer­ den im Pflichtenkreis des Schuldners und innerhalb oder im allgemeinen Umkreis des zugewiesenen Aufgabenbereichs anknüpft, dann kommt es ausschließlich darauf an, dass der Handelnde bei seinem Tätigwerden das relevante Wissen hatte, sich also im Wissen um die maßgeblichen Umstände im Pflichtenkreis des Schuldners tatbestandsmäßig verhalten hat und nicht schieden im Detail, Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 185 f. und Grigoleit – ders., AktG, 2 2020, §  78 Rn.  32; Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  166 f. und dies., WM 2008, 281, 283 ff. (jedenfalls bei Beteiligung am fraglichen Rechtsakt, im Übrigen nach Maßgabe des Einzelfalls); Fleischer, NJW 2006, 3239, 3242 (privates Wissen der Ge­ schäftsleiter zuzurechnen, wenn diese an dem betreffenden Geschäft mitgewirkt haben); MünchKomm – Spindler, AktG, 52019, §  78 Rn.  102 (Pflicht zur Offenlegung und damit Zurechnung privaten Wissens von Organmitgliedern aufgrund ihrer Treuepflicht zumin­ dest im Grundsatz zu bejahen, sofern keine Pflichtenkollisionen bestehen und das Wissen im Zusammenhang mit dem Wirkungskreis der Gesellschaft steht; in abgeschwächter Form gelte dies auch für Mitarbeiter aufgrund ihrer arbeitsvertraglichen Treuepflicht); MünchKomm – Schubert, BGB, 82018, §  166 Rn.  60 (je nach Stellung des Mitarbeiters oder Organvertreters, Bedeutung der Information für den Geschäftsherrn, Zusammen­ hang zwischen den bearbeiteten Geschäftsvorgängen und der Information); Liese, Gren­ zen der Wissenszurechnung, 2020, S.  63–65 (Einzelfallfrage). Auf dem Boden der Organ­ theorie in diese Richtung offen, wobei die Entscheidung illustriert, dass bereits die Unter­ scheidung zwischen beruflich und privat erlangtem Wissen als solche unklar ist, BGH, Urt. v. 30.4.1955 – II ZR 5/54 Rn.  24 (abgerufen über research.wolterskluwer-online.de): „Die Revision meint, das Wissen des Beklagten zu 2) um die Unsittlichkeit der Abtretung schade der Beklagten zu 3) nicht, da er seine Kenntnis nicht in seiner Eigenschaft als Ge­ schäftsführer der Beklagten zu 3), sondern als Gesellschafter der E. & H. GmbH erlangt habe […]. Sie übersieht hierbei, daß das Wissen eines Organmitglieds das Wissen der Ge­ sellschaft ist (RG JW 1935, 2044) und daß es dafür nicht darauf ankommt, in welcher Ei­ genschaft ein Organmitglied sein Wissen erlangt hat“. Vgl. für §  31 BGB schließlich noch Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  249. 228  Näher dazu oben Kapitel  1 B.VI.3.b) = S. 124 f. 229  Das dürfte im Ergebnis der Auffassung derer entsprechen, nach denen auf Basis des hergebrachten Verständnisses von der Wissenszurechnung eine generelle Zurechnung auch privaten Wissens stattfindet, wenn der Wissensträger am fraglichen Rechtsakt mitge­ wirkt haben, s. die Nachweise vorstehend in Fn.  227.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

darauf, woher er dieses Wissen hatte. Der Wissenserwerb braucht generell weder in den Pflichtenkreis noch in den zugewiesenen Aufgabenbereich zu fallen. Darauf kann es in Bezug auf absolute Wissensnormen (Vorsatznor­ men) deshalb nicht ankommen, weil der Wissenserwerb hier niemals in den Pflichtenkreis des Geschäftsherrn fällt, denn der Wissenstatbestand (Vor­ satztatbestand) begründet, in Abgrenzung zum Fahrlässigkeitstatbestand, definitionsgemäß keine Wissenserwerbspflicht.230 Außerdem muss auch der Normadressat selbst sein eigenes Wissen unabhängig davon gegen sich gel­ ten lassen, ob er es privat oder dienstlich erlangt hat.231 Etwas anderes gilt, wo die Berücksichtigung nur von beruflich erlangtem Wissen gesetzlich angeordnet ist (§  70 S.  2 VVG) oder die Auslegung der in Rede stehenden Wissensnorm (Vorsatz- bzw. Verschuldensnorm) ergibt, dass privates Wissen unerheblich bzw., wie beim Fahrlässigkeitstatbestand im Rahmen der Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs des §  276 Abs.  2 BGB, nur unter besonderen Voraussetzungen, namentlich einer „persön­ liche Vertrauenswerbung“ durch den Erfüllungsgehilfen, erheblich sein soll.232 10. Insbesondere: Konzernverhältnisse In der Literatur wird die Wissenszurechnung im Konzern verbreitet als Son­ derproblematik behandelt.233 Im Kern geht es darum, inwieweit sich Kon­ zerngesellschaften Wissen, das in anderen, rechtlich selbständigen Konzern­ gesellschaften vorhanden ist, zurechnen lassen müssen. Dieser Diskurs ist teilweise von komplexen, spezifisch konzernrechtli­ chen Anlagen geprägt (insbesondere: Trennungsprinzip) und kann hier nicht in allen Einzelheiten nachvollzogen und aufgelöst werden. Es liegt prima 230  Siehe bereits oben Kapitel  1 A.VI. = S. 64 ff. und Kapitel  3 A.IV. = S. 279 f. sowie C.I.3. = S. 328 ff. 231  Vgl. zu diesem Argument auch Buck-Heeb, WM 2008, 281, 284 f.; für das schwei­ zerische Privatrecht Walter, Die Wissenszurechnung im schweizerischen Privatrecht, 2005, S.  154 ff., 323. 232  Siehe oben Kapitel  2 B.I.6., S. 227 f. zur Berücksichtigung besonderer Fachkunde eines Erfüllungsgehilfen bei der Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs des §  276 Abs.  2 BGB. 233  Vgl. speziell zur Wissenszurechnung im Konzern etwa Grigoleit – Grigoleit, AktG, 2 2020, §  78 Rn.  41 ff. m. w. N.; BeckOGK – Fleischer, AktG, Stand: 1.6.2021, §  78 Rn.  57 ff.; Liebscher, ZIP 2019, 1837, 1843 ff.; Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 332 ff.; Drexl, ZHR 161 (1997), 491 ff.; ders., in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  85 ff.; Bork, ZGR 1994, 237 ff.; Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2000; Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S.  95 ff.; Liese, Grenzen der Wissenszurechnung, 2020, S.  89 ff.

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung

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facie aber nahe, dass die Zurechnungsfrage in Ansehung (vermeintlich) ein­ facher Wissensnormen auch in Konzernsachverhalten innerhalb bestehen­ der Sonderverbindungen nach §  278 BGB zu beantworten ist. §  278 BGB gilt auch für Verbände als Adressaten von Wissensnormen. Insbesondere bleibt die Einstandspflicht nach §  278 BGB für Erfüllungsge­ hilfen – genauer: für andere Erfüllungsgehilfen als den Organen (Organmit­ gliedern) des Normadressaten – innerhalb bestehender Sonderverbindungen von §  31 BGB unberührt. Im Übrigen ist die Konzernierung nichts anderes als eine spezifische Form der Inanspruchnahme und Ausübung von Organi­ sationsfreiheit,234 welche die Einstandspflicht für Erfüllungsgehilfen nach §  278 S.  1 Alt.  2 BGB in der Sache trägt. Wenn nach §  278 S.  1 Alt.  2 BGB eine Einstandspflicht für insgesamt unabhängige, selbständig tätige Subunter­ nehmer in Betracht kommt, dann kommt eine Einstandspflicht im Konzern erst recht in Betracht. Weil es nach §  278 S.  1 Alt.  2 BGB von vornherein nur auf die tatsächli­ chen Verhältnisse ankommt und nicht auf die rechtliche Beziehung zwi­ schen Geschäftsherr und Erfüllungsgehilfe, kann sich hiernach in Konzern­ verhältnissen eine Einstandspflicht von Konzerngesellschaft A (Geschäfts­ herrin) für die Organe, Organmitglieder oder Mitarbeiter (Erfüllungsgehilfen) einer anderen Konzerngesellschaft B ergeben.235 Erforderlich dafür ist, dass der Wissensträger mit Wissen und Wollen (Vorsatz) der Konzerngesellschaft A (insoweit „vertreten“ nach Maßgabe von §  31 BGB) in deren Pflichten­ kreis und im allgemeinen Umkreis des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs tätig wird. Dass der Wissensträger organisatorisch auch und sogar primär in den Geschäftsbereich eines anderen Geschäftsherrn (Konzerngesellschaft B) eingeordnet ist, spielt demgegenüber keine Rolle. Die Art oder gar der bloße Umstand der Konzernierung sind für die Zurechnung ebenfalls nicht ent­ scheidend.236 Schranken können sich nach hergebrachtem Verständnis ins­ besondere aus gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten ergeben.237 234 Vgl., insbesondere für grenzüberschreitende Fälle mit Ableitung aus Art.   49, 54 AEUV, Schön, ZGR 2019, 343 ff. 235  Vgl. auch Koller, JZ 1998, 75, 84; Bork, ZGR 1994, 237, 254, der allerdings darauf abstellt, ob die andere Konzerngesellschaft selbst Erfüllungsgehilfin ist. 236  Vgl. auch Grigoleit – Grigoleit, AktG, 22020, §  78 Rn.  42; Verse, AG 2015, 413, 418 ff.; Koch, ZIP 2015, 1757, 1765; Schirmer, AG 2015, 666, 668. Überlegungen in diese Richtung aber bei Schwintowski, ZIP 2015, 617, 622 f. 237  Vgl. BGH Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, NJW 2016, 2569 Rn.  29 ff. und parallel dazu BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 114/15, BKR 2016, 341 Rn.  28 ff. (Ausschluss der Wissenszurechnung im Rahmen der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht gemäß §  93 Abs.  1 S.  3 i. V. m. §  116 S.  1 BGB bejaht); ferner BGH, Urt. v. 8.1.2015 − IX ZR 198/13 NJW-RR 2015, 567 Rn.  13 m. w. N. (bezogen auf §  133 Abs.  1 S.  1 InsO: Ausschluss der

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

Darüber hinaus kommt, ebenfalls nach allgemeinen Regeln,238 innerhalb wie außerhalb bestehender Sonderverbindungen eine Einstandspflicht der beherrschenden Gesellschaft für eigenes vorsätzliches oder, wo gleich­ gestellt, fahrlässiges Organisationsverschulden in Betracht,239 wobei eine Einstandspflicht für vorsätzliches Organisationsverschulden in Konzern­ verhältnissen insbesondere dann nahe liegt, wenn ein wissenssensibler Or­ ganisationsbereich in einer Weise auf eine Konzerngesellschaft ausgelagert wird, die den Vorwurf begründet, die beherrschende Gesellschaft habe mit dieser Organisation eigenes Wissen vermeiden wollen.240

II. §§  166, 831 BGB als Sonderregeln für die Begründung von Sonderverbindungen 1. Allgemeines Für eine Zurechnung von Wissen und Wissenmüssen (vorsätzlichem bzw. fahrlässigem Verhalten) in Bezug auf Tatbestände, die eine Sonderverbin­ dung überhaupt erst begründen, gibt §  278 BGB nichts her. Insofern ist die Einstandspflicht für Dritte, vorbehaltlich §  31 BGB (dazu im Anschluss un­ ter III.), in §  166 BGB für das Vertragsrecht und in §  831 BGB für das De­ liktsrecht geregelt. Wissenszurechnung für das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant bezüglich Kenntnissen aus anderen Mandaten bejaht, es sei denn, die Kenntnisse stammen aus allge­ mein zugänglichen Quellen oder der Rechtsanwalt hat diese auf seiner Internetseite oder gegenüber einer Zeitung öffentlich bekanntgegeben); aus der Lit. statt vieler Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  464 ff.; Schröter, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bank­geschäfte, 2003, S.  163, 168 f.; Verse, AG 2015, 413, 415 ff.; Koch, ZIP 2015, 1757, 1762 f. Anders insbesondere Schwintowski, ZIP 2015, 617 ff. Mit guten Gründen für eine Einzelfall­betrachtung nach Maßgabe des Zwecks der in Rede stehenden Wissensnorm und des in Rede stehenden Geheimhaltungsbefehls, was meines Erachtens letztlich auf eine Abwägung hinauslaufen sollte, wie sie auch in anderen Ver­ traulichkeitskontexten praktiziert wird (vgl. etwa G ­ rigoleit – Rachlitz, AktG, 22020, §§  394, 395 Rn.  7 ff.), Schirmer, AG 2015, 666, 668 f.; vgl. speziell für den Kontext der Ad-hoc-Publizität auch Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und die aktien­ rechtliche Verschwiegenheitspflicht, 2020, S.  252 ff. 238  Vgl. unten Kapitel  3 D. und E.II. = S. 353 ff. und 362 ff. 239  Vgl. speziell zu deliktsrechtlichen Verkehrs- und Organisationspflichten im Kon­ zern Habersack/Zickgraf, ZHR 182 (2018), 252 ff., die in diesem Zusammenhang das Er­ fordernis „aktiver Einflussnahme des herrschenden Gesellschafters“ betonen, die dann haftungsbegründend wirke, „wenn sie sich auf die Gefahrenquelle und deren Steuerung selbst bezieht“ (s. die Zusammenfassung S.  295). 240  Ebenso Grigoleit – Grigoleit, AktG, 22020, §  78 Rn.  43 unter gleichsinniger Bezug­ nahme auf den Tatbestand des „Sichverschließens“.

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung

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„Im Deliktsrecht“ – gemeint ist: bei der Begründung eines deliktischen Tatbestands aus §§  823 ff. BGB – scheidet folglich eine irgendwie geartete Zurechnung fremden Wissens oder Verschuldens aus,241 während sie sich etwa im Rahmen der Verjährung eines Anspruchs „aus Delikt“, also aus der  – dann bereits bestehenden – deliktischen Sonderverbindung gemäß §§  195, 199 Abs.  1 BGB allgemein nach §  278 BGB richtet. Bei der Begründung von Sonderverbindungen, die unabhängig von einem Wissens- oder Verschuldenserfordernis entstehen (GoA,242 Bereicherungs­ recht, EBV) spielt die Frage der Zurechnung fremden Wissens bzw. Ver­ schuldens von vornherein keine Rolle. Auf Folgeansprüche aus bestehenden Sonderverbindungen (z. B. §§  280 Abs.  1, 677 BGB; §§  990, 987 und 989 BGB) sowie auf Normen, die die Haftung aus einer bestehenden Sonderver­ bindung verschärfen (z. B. §§  438 Abs.  3, 442 Abs.  1 S.  2 Alt.  1, 444 Alt.  1, 634a Abs.  3 BGB; §  819 Abs.  1 BGB), ist §  278 BGB demgegenüber anwend­ bar; ein Erfordernis, dass die Sonderverbindung nicht nur als solche unab­ hängig von §  278 BGB entstehen muss, sondern auch zeitlich davor, gibt es nicht.243 2. Residualfunktion von §  166 BGB In Rechtsprechung und Schrifttum kommt §  166 BGB bei der Beantwor­ tung der Frage nach der Einstandspflicht für fremdes Wissen eine zentrale Rolle zu. Wie gezeigt, werden insbesondere die Grundsätze der Wissensver­ tretung überwiegend auf eine analoge Anwendung von §  166 Abs.  1 BGB gestützt. Das überzeugt nicht. Insbesondere ignoriert diese Anknüpfung den Zu­ sammenhang, in dem §  166 BGB steht. Die Regelung steht nämlich keines­ falls irgendwie für sich allein, sondern vervollständigt nur die Wirkung von Verhalten und Wollen des Vertreters für und gegen den Vertretenen nach §  164 BGB, auf die §  166 BGB nach seinem Wortlaut ausschließlich bezogen ist, um die Wirkung auch von dessen Wissen für und gegen den Vertretenen. Die Erstreckung der Zurechnungswirkung von §  166 BGB auf Willens- oder Verhaltenselemente ist im unmittelbaren Anwendungsbereich der Vor­ 241  Vgl.

oben Kapitel  2 B.I.2.b) = S. 200 f. und Kapitel  3 B.II. = S. 306 ff.; aus der Lit. ders., ZHR 181 (2017), 160, 186 f. 242 Sofern man die Entstehung einer Sonderverbindung aus GoA, wofür sehr viel spricht, von einem Vorsatztatbestand abhängig sieht, dürfte §  278 BGB nach allgemeinen Regeln insofern ebenfalls nicht anwendbar sein, weil eben die Begründung einer Sonder­ verbindung in Rede steht, doch ist das durchaus umstritten, s. oben Kapitel  2 B.I.2.c)bb) = S. 204 f. 243  Oben Kapitel  2 B.I.2. = S. 199 ff.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

schrift, der sich auf die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung in Stell­ vertretungsfällen beschränkt, entbehrlich, weil sich die Wirkung des Willens und des Verhaltens des Vertreters für und gegen den Vertretenen in ihrer hier relevanten Dimension, also in Bezug auf die Abgabe und Entgegennahme von Willenserklärungen, bereits aus §  164 BGB ergibt. Die Wissenszurech­ nung nach §  166 BGB ergänzt diese allgemeine Zurechnungswirkung der Stellvertretung punktuell um das weitere Element des Wissens. Im Ergebnis werden nach §§  164, 166 BGB Verhalten, Wissen und Wollen des Vertreters zusammen in der Person des Vertreters ermittelt und als Einheit dem Vertre­ tenen zugerechnet. Damit bestätigen §§  164, 166 BGB, zusammen betrach­ tet, das geschilderte Prinzip personaler Korrespondenz von Verhalten, Wis­ sen und Wollen.244 Der Grundsatz der Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen kommt im Übrigen auch im Rahmen von §  166 Abs.  2 BGB deutlich zum Ausdruck, der über das Erfordernis der bestimmten Weisung gleichfalls das Wissen (hier des Vertretenen) nur und gerade in einem spezifischen Wol­ lens- und Verhaltensbezug (der Erteilung einer Weisung oder einer sonsti­ gen Veranlassung des Vertragsschlusses) adressiert. Isoliert, also ohne den spezifischen Verhaltens- und Wollensbezug, wie er sich in der Erteilung ei­ ner Weisung ausdrückt, ist das Wissen des Vertretenen demgegenüber nach §  166 BGB gerade unmaßgeblich. Jenseits der Stellvertretungskonstellation ist die Wirkung von Verhalten, Wissen und Wollen einer Person für und gegen eine andere Person, abgese­ hen von §  31 BGB, in §  278 BGB als Verschuldenszurechnung geregelt. Vor diesem Hintergrund erweist sich §  166 BGB als lex specialis zu §  278 BGB.245 §  166 BGB ist damit, entgegen dem hergebrachten Verständnis in Rechtspre­ 244  Besonders deutlich Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934, S.  10; vgl. im Übri­ gen auch Reischl, JuS 1997, 783, 787; Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und Bank­ rechtliche Aufklärungspflichten, 1998, S.  148; Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1258; Nobbe, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 133, 147; Prölss, FS Leenen, 2012, S.  229, 235; nur für die aktive Stellvertre­ tung Ertel, Die Wissenszurechnung im deutschen und anglo-amerikanischen Zivilrecht, 1998, S.  63. Anders Müller-­Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, 1955, S.  392, der keinen inneren Zusammenhang sieht zwischen der (Antwort auf die) Frage, auf wes­ sen Willen und Verhalten es ankommt und der (Antwort auf die) Frage, auf wessen Wissen es ankommt. 245  So bereits Hoffmann, JR 1969, 372; vgl. auch Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309, 439, wenn er §§  164 Abs.  1, 166 Abs.  1 BGB – und zwar zusammen – auf den Gedanken der Gefahrbeherrschung zurückführt, wie er seinerseit für bestehende Schuldverhältnisse §  278 BGB zugrundeliegt; kritisch dazu Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  127 ff.

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung

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chung und Literatur, keinesfalls seinerseits Ausdruck eines allgemeinen Zu­ rechnungsprinzips im Sinne einer Einstandspflicht für vertreterähnliche Re­ präsentanten im Rechtsverkehr, sondern bloße Adaption oder Modifikation des allgemeinen (und viel weiteren) Zurechnungsprinzips des §  278 BGB für Stellvertretungsfälle. Oder anders ausgedrückt: Die Repräsentationstheorie ist eben ausschließlich im Kontext des Vertragsschlusses, also für die Stellvertretung Gesetz geworden und gilt selbst hier keinesfalls absolut (§  166 Abs.  2 BGB); im Übrigen liegt dem BGB, jedenfalls innerhalb bestehender Sonderverbindungen, die Geschäftsherrentheorie zugrunde.246 Das kommt im Nebeneinander von §§  164, 166 Abs.  1 BGB und §  278 BGB deutlich zum Ausdruck. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen jemand für einen Dritten ein­ stehen muss, der nicht als sein Stellvertreter tätig wird, ist damit nicht im Wege eines Vergleichs mit dem Tätigwerden eines Stellvertreters zu beant­ worten, sondern nach Maßgabe der lex generalis des §  278 BGB. Ordnet man §  166 BGB in den Kontext des §  278 BGB ein, ergibt sich folgendes Bild: – Zum einen überträgt §  166 BGB die Grundsätze des §  278 BGB, im Sin­ ne einer Erweiterung des Anwendungsbereich, auf den Bereich der Begrün­ dung vertraglicher Schuldverhältnisse bzw. des Abschlusses schuldrechtli­ cher oder dinglicher Verträge247 durch einen Stellvertreter. Im Ergebnis stellt §  166 BGB den rechtsgeschäftlichen Vertreter in Bezug auf die rechtlichen Folgen der von ihm oder ihm gegenüber abgegeben Willenserklärungen 246  Vgl. auch Altmeppen, NJW 2020, 2833, 2836. Nach wie vor instruktiv dazu Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 196 f. und Richardi, AcP 169 (1969), 385, 396, der das im Er­ gebnis freilich umgekehrt sieht. Ausführlich zur Repräsentationstheorie m. w. N. aus dem älteren Schrifttum noch Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  9 ff.; siehe auch Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, S.  57, der die Repräsentationstheorie (representation theory) ebenfalls ausschließlich vertragsschlussbezogen und unter Verweis allein auf §  166 BGB (Zimmermann, a. a. O., Fn.  172) und §§  164 ff. BGB (Fn.  175) disku­ tiert; vgl. schließlich zur Kritik am Repräsentationsgedanken allgemein und besonders im Kontext der Wissenszurechnung noch Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  119 ff. m. w. N. 247  Dabei erfasst §  166 BGB bezogen auf §§  929, 932 BGB insbesondere auch den Fall, dass der Stellvertreter erst nach der dinglichen Einigung, aber noch bis zur Übergabe als maßgeblichem Zeitpunkt „bösgläubig“ wird bzw., nach hiesigem Verständnis, vorsätzlich oder grob fahrlässig das Eigentum des wahren Eigentümers verletzt. Warum §  166 BGB hier nicht einschlägig sein soll, nur weil Einigung und Übergabe zeitlich auseinanderfal­ len, erschließt sich nicht; insbesondere sind auch in diesem Fall ohne weiteres die „recht­ lichen Folgen einer Willenserklärung“ betroffen. Im Grundsatz ebenso Schilken, Wis­ senszurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  240 ff. Anders Richardi, AcP 169 (1969), 385, 392; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 195, 205.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

pauschal einem Erfüllungsgehilfen im Sinne von §  278 S.  1 Alt.  2 BGB (und damit zugleich einem gesetzlichen Vertreter im Sinne von §  278 S.  1 Alt.  1 BGB) gleich. Das ist konzeptionell stimmig. Der rechtsgeschäftliche Vertre­ ter mag zwar in Bezug auf die Abgabe oder den Empfang einer Willenserklä­ rung begrifflich nicht als Erfüllungsgehilfe gelten, weil er insofern nicht im Pflichtenkreis eines anderen tätig wird (es gibt grundsätzlich keine Rechts­ pflicht zur Abgabe oder zum Empfang von Willenserklärungen); er lässt sich gleichwohl zwanglos auch insofern als Person einordnen, deren sich der Vertretene „bedient“, die also aufgrund einer entsprechenden Organisati­ onsentscheidung des Vertretenen mit dessen Wissen und Wollen – ausge­ drückt in der Erteilung rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht – tätig wird. – Zum anderen schließt §  166 BGB in Fällen der Stellvertretung die Einstandspflicht des gänzlich passivistischen (sonst: §  166 Abs.  2 BGB) Ver­ tretenen für eigene Willensmängel und eigenes Verschulden („die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände“) aus, die §  278 BGB ansonsten generell unberührt lässt.248 Damit ermöglicht §  166 BGB die Teilnahme am Rechtsverkehr unter Einschaltung eines eigenständig handelnden Vertreters als spezifische Form der Arbeitsteilung.249 Entsprechendes gilt, darauf sei der Vollständigkeit halber noch hingewie­ sen, für §  123 Abs.  2 S.  1 BGB.250

III. §  31 BGB als Sonderregel für Organe (Organmitglieder) von Verbänden 1. Allgemeines Entgegen der Organtheorie ist der Verband selbst nicht handlungs-, wis­ sens- und willensfähig.251 Der Verband als Rechtsträger darf deshalb aber nicht besser stehen als die natürliche Person als Rechtsträger. Daher muss er sich für die Zwecke des Privatrechts das Verhalten, Wissen und Wollen sei­ ner Organe (Organmitglieder) zurechnen lassen. Das ist in §  31 BGB für „zum Schadensersatz verpflichtende Handlungen“ angeordnet, gilt aber auch jenseits der Haftung auf Schadensersatz. Denn auch jenseits der Haf­ tung auf Schadensersatz ist kein Grund dafür ersichtlich, warum der Ver­ band aus seiner fehlenden Handlungs-, Wissens- und Willensfähigkeit ir­ 248 

Näher unten Kapitel  3 D. und E.II. = S. 353 ff., 362 ff. Näher oben Kapitel  1 B.II.2.c) = S. 71 ff. 250  Näher zur Einordnung von §  123 Abs.  2 S.  1 BGB in den Kontext des §  278 BGB oben Kapitel  2 B.I.2.d) = S. 204 ff. 251  Näher oben Kapitel  1 B.V.2. = S. 117 ff. 249 

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung

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gendwelche Vorteile in Gestalt der Nichtanwendbarkeit (Nichtoperabilität) irgendwelcher Normen haben sollte, die ein Verhalten, Wissen und Wollen des Normadressaten voraussetzen.252 Der Totalität des personalen Defizits des Verbands gemäß gilt §  31 BGB damit überall dort, wo eine Norm tatbestandlich an ein wissens- und wil­ lensgetragenes Verhalten eines Verbands als Rechtsträger anknüpft und rechnet dem Verband als Rechtsträger überall dort das wissens- und willens­ getragene Verhalten seiner Organe (Organmitglieder) zu. Insbesondere gilt §  31 BGB innerhalb bestehender Sonderverbindungen (unten 2.) genauso wie im Rahmen der Begründung von Sonderverbindungen (unten 3.) und für unmittelbar selbst haftungs- oder sank­tionsrelevantes Verhalten der Or­ gane (Organmitglieder) genauso wie im Rahmen der Begründung einer Einstandspflicht des Verbands für sonstige Dritte (Nichtorgane) nach den allgemeinen Regeln der §§  166, 278, 831 BGB (unten 4.).253 Der Umstand, dass Wissensnormen nichts anderes sind als verkürzt for­ mulierte Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen, begründet für den Verband als Norm­adressaten die Anwendung von §  31 BGB auch auf Wissensnormen, 252 Vgl.

dazu, wobei allerdings teilweise die Verhaltensbezogenheit von §  31 BGB („Handlung“) ignoriert und im Ergebnis eine absolute Wissenszurechnung entsprechend der Organ­theorie vertreten wird, insbesondere K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, §  10 IV = S.  273 f.: §  31 BGB als Ausdruck eines allgemeinen Rechtssatzes; außerdem etwa Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  237 ff.; Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwortung bei juristischen Personen, 2017, S.  168 ff.; Schilken, Wissenszu­ rechnung im Zivilrecht, 1983, S.  133 ff.; bezogen auf §  199 Abs.  1 Nr.  2 BGB etwa auch Erman – Schmidt-Räntsch, BGB, 162020, §  276 Rn.  14; Baisch, Verjährungsbeginn der An­ sprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  118 und öfter, die jeweils insbesondere nicht danach differenzieren, ob eine Haftung auf Scha­ densersatz in Rede steht; für das Versicherungsvertragsrecht etwa Bruck/Möller – Heiss, VVG, 92008, §  28 Rn.  74 m. w. N.; vgl. aus verfassungsrechtlicher Sicht für §  890 Abs.  1 ZPO schließlich noch BVerfG, Beschl. v. 25.10.­1966 – 2 BvR 506/63, NJW 1967, 195 Ab­ schn.  C III 2 b: „Die juristische Person ist als solche nicht handlungsfähig. Wird sie für schuldhaftes Handeln im strafrechtlichen Sinne in Anspruch genommen, so kann nur die Schuld der für sie verantwortlich handelnden Personen maßgebend sein“, wobei die per­ sonale Reichweite der Zurechnung im Einzelnen noch offengelassen wird; mit Verweis auf §  31 BGB später BVerfG, Beschl. v. 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04, NJW-RR 2007, 860 Rn.  11. Anders etwa Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/Zweiter Teil: Die juristische Person, 1983, §  11 III = S.  396, wenn er hervorhebt, §  31 BGB handele, im Unterschied zu §  278 BGB, nur von der Schadensersatzhaftung; ablehnend etwa auch Liese, Grenzen der Wissenszurechnung, 2020, S.  35 f. m. w. N. 253  Auch jenseits des materiellen Privatrechts greift der Rechtsgedanke des §  31 BGB Platz, wo ein Verband als Normadressat angesprochen ist, etwa im Zivilprozessrecht im Rahmen von §  138 Abs.  4 ZPO (Erklärung mit Nichtwissen); vgl. BGH, Urt. v. 7.10.1998  – VIII ZR 100/97, NJW 1999, 53 Abschn. 3 m. w. N.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

und zwar nicht, weil die Regelung neben der Zurechnung von schuldhaftem Verhalten auch die isolierte Zurechnung von Wissen anordnen würde, son­ dern weil es umgekehrt auch bei Wissensnormen von vornherein um die Zurechnung von vorsätzlichem oder, wo gleichgestellt, (grob) fahrlässigem Verhalten („Handlung“ im Sinne von §  31 BGB) geht. 2. Zurechnungswirkung innerhalb bestehender Sonderverbindungen Innerhalb bestehender Sonderverbindungen tritt §  31 BGB an die Stelle von §  278 BGB, soweit eine Zurechnung im Verhältnis von Organ (Organmit­ glied) und Verband in Rede steht. Der Regelung liegen im Ausgangspunkt dieselben materiellen Erwägungen zugrunde wie §  278 BGB. Darüber hin­ aus trägt sie der Totalität des personalen Defizits des Verbands als Rechtsträ­ ger und der dadurch bedingten totalen Abhängigkeit des Verbands von sei­ nen Organen (Organmitgliedern) Rechnung, indem sie einen – auch: indivi­ dualvertraglichen – Ausschluss oder eine Beschränkung der Einstandspflicht des Verbands für seine Organe (Organmitglieder) im Sinne von §  278 S.  2 BGB, also für Vorsatzfälle, verbietet. In den hergebrachten Kategorien be­ deutet das die Unzulässigkeit eines Ausschlusses oder einer Beschränkung der Zurechnung des Wissens der Organe (Organmitglieder) zulasten des Verbands.254 Im Übrigen bedingt die Anwendung von §  31 BGB auch auf Wissensnor­ men, dass eine Zurechnung im Verhältnis zwischen Organ (Organmitglied) und Verband wie bei §  278 BGB von einem aktuellen Verhaltensbeitrag des wissens­tragenden Organs (Organmitglieds) abhängig ist. Das folgt aller­ dings nicht aus einem Vergleich mit §  166 BGB,255 sondern ergibt sich ohne weiteres unmittelbar aus §  31 BGB („Handlung“). 3. Zurechnungswirkung im Rahmen der Begründung von Sonderverbindungen Bedeutung hat §  31 BGB anerkanntermaßen außerdem insofern, als die Re­ gelung eine Zurechnung von Verhalten, Wissen und Wollen (vorsätzlichem oder, wo gleichgestellt, fahrlässigem Verhalten) eines Organs (Organmit­ glieds) in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen zulasten des Ver­ bands auch bei und zum Zwecke der Begründung einer Sonderverbindung aus Delikt anordnet (§§  823 ff. BGB in Verbindung mit §  31 BGB).256 254  Ausführlich zu den Gemeinsamkeiten und den Besonderheiten von §  31 BGB im Vergleich mit §  278 BGB oben Kapitel  2 B.II.5. = S. 235 ff. 255  So aber Grigoleit – Grigoleit, AktG, 22020, §  78 Rn.  35. 256  Vgl. nur BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962.

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung

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§  31 BGB hat aber auch Bedeutung bei der Begründung vertraglicher Son­ derverbindungen durch ein Organ (Organmitglied) mit Wirkung für und gegen den Verband. Hier gelten im Grundsatz die allgemeinen Regeln der §§  164, 166 BGB, wenn und weil das Organ (Organmitglied) dabei als ge­ setzlicher (organschaftlicher) Vertreter des Verbands handelt (§  26 Abs.  1 S.  2 BGB, §  78 AktG usw.). Gibt ein organschaftlicher Vertreter innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Verbands eine Wil­ lenserklärung ab oder empfängt er ein solche, wirken seine Willenserklärung bzw. deren Empfang, etwaige Willensmängel, sein Wissen und, wo gleich­ gestellt, sein Wissenmüssen (sein vorsätz­liches und, wo gleichgestellt, fahr­ lässiges Verhalten), jedenfalls wenn man der Vertretertheorie folgt,257 nach §§  164, 166 Abs.  1 BGB für und gegen den Verband.258 §  31 BGB spielt inso­ fern keine Rolle.

257  Namentlich von Vertretern der Organtheorie wird demgegenüber entgegen §   26 Abs.  1 S.  2 BGB, §  78 AktG usw. davon ausgegangen, die §§  164 ff. BGB würden nicht für rechtsgeschäftliches Handeln von Organmitgliedern passen, da diese nicht als Vertreter fungierten, sondern den Verband selbst verkörpern würden; vgl. exemplarisch Hartung, NZG 1999, 524, 526; MünchKomm – Spindler, AktG, 52019, §  78 Rn.  94; Jung, Wissens­ zurechnung und Wissensverantwortung bei juristischen Personen, 2017, S.  165 ff., je m. w. N. Mangels Regelungslücke gegen eine Anwendung von §  166 Abs.  2 BGB im Falle der organschaftlichen Vertretung etwa auch MünchKomm – Schubert, BGB, 82018, §  166 Rn.  105. 258  Statt vieler etwa Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß §  199 I BGB, 2018, S.  115; Adler, Wissen und Wissens­ zurechnung, 1997, S.  47–50, 106 f. Vgl. auf Basis der Vertretertheorie auch Mot. I, 1888, S.  102 betr. §  46 BGB 1. Entwurf [= i. W. §  31 BGB aktuelle Fassung]: „Das Erfordernis der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen, die Erheblich­ keit von Zwang, Betrug, Irrthum, Wissen und Wissenmüssen bestimmen sich dabei nach dem Vorstande (§  117 [= i. W. §  166 Abs.  1 BGB aktuelle Fassung])“; im weiteren Verlauf haben die Gesetzesverfasser allerdings ausdrücklich klargestellt, „jede Stellungnahme zur Konstruktionsfrage zu vermeiden“ und deren „Entscheidung […] der Wissenschaft über­ lassen“; Prot. I, 1897, S.  509 betr. §  26 Abs.  1 S.  2 Hs.  2 BGB aktuelle Fassung. Näher zum historischen Befund und den Grenzen möglicher Ableitungen daraus Schilken, Wissens­ zurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  130 f.; auch auf Basis der – allerdings dezidiert nicht naturalistisch verstandenen – Organtheorie wie hier etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4 2002, §  10 II = S.  254 f. Zu dieser Frage wird eine praktisch kaum zu überblickende Viel­ zahl von Auffassungen vertreten, die sich zum Teil grundlegend, zum Teil aber auch nur, soweit sich das überhaupt sagen lässt, in Details unterscheiden; exemplarisch noch Westerhoff, Organ und (gesetzlicher) Vertreter, 1993, der einerseits die Organtheorie zurück­ weist (S.  177, These 30) und der auch hier vertretenen Auffassung folgt, dass organschaft­ liche Vertretung „Stellvertretung im Sinne der §§  164 ff.“ BGB ist (S.  174, These 4), ande­ rerseits aber §   166 BGB in Ansehung von Organwaltern der Leitungsorgane nicht anwenden will, sondern für eine „wertende Zurechnung“ eintritt, die allerdings „in wei­

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

Von Bedeutung ist §  31 BGB aber im Rahmen bzw. anstelle von §  166 Abs.  2 BGB: – Wendet man §  166 Abs.  2 BGB entgegen seinem Wortlaut mit der Recht­ sprechung des BGH259 auch auf die gesetzliche (organschaftliche) Vertretung eines Verbands an, hilft §  31 BGB im Rahmen von §  166 Abs.  2 BGB über das Defizit hinweg, dass der Verband selbst, wenn man nicht der Organ­ theorie folgt, weder etwas wissen noch eine Weisung im Sinne der Vorschrift erteilen kann. Denn der Verband als Rechtsträger darf deshalb nicht besser stehen als die natürliche Person als Rechtsträger. Daher ist dem Verband nach §  31 BGB im Rahmen von §  166 Abs.  2 BGB relevantes wissens- und willensgetragenes Verhalten seiner Organe (Organmitglieder) in Ausfüh­ rung der ihnen zustehenden Verrichtungen zuzurechnen, das die Abgabe oder den Empfang der in Rede stehenden Willenserklärung in einer Weise beeinflusst hat, die eine „Weisung“ im Sinne der Vorschrift konstituiert.260 – Dasselbe ergibt sich unmittelbar aus §  31 BGB, wenn man §  166 Abs.  2 BGB wortlautgetreu nicht auf die gesetzliche (organschaftliche) Vertretung anwendet. Auch dann gilt, dass der Verband als Rechtsträger nicht besser stehen darf als die natürliche Person als Rechtsträger, nur weil er selbst als Vertretener nicht handlungs-, wissen- und willensfähig ist und damit das Vertreterhandeln selbst nicht unmittelbar beeinflussen kann. Folglich muss sich der Verband auch hiernach relevantes Verhalten, Wissen und Wollen seiner Organe (Organmitglieder) in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen zurechnen lassen, wenn dieses in einem Bezug zu dem in Rede stehenden Vertretergeschäft steht.261 tem Umfang die Gleichstellung [bewirke]: Wissen des Organwalters ist Wissen der juris­ tischen Person“ (S.  175 These 10). 259  Vgl. die Nachweise oben Kapitel  1 B.II.1. = S. 70 f. 260  Vgl. insbesondere Baumann, ZGR 3 (1973), 284, 292 ff.; vgl. ferner, teilweise aller­ dings ohne Rekurs auch auf §  31 BGB, Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/Zweiter Teil: Die juristische Person, 1983, §  11 IV = S.  400 und noch deutlicher S.  403; Tintelnot, JZ 1987, 795, 799 f.; Scheuch, FS Brandner, 1996, S.  121, 126 f. (für die Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft); Taupitz, JZ 1996, 734, 735; Beuthien, FS Zöllner, 1998, S.  87, 101; Altmeppen, BB 1999, 749, 753; ders., NJW 2020, 2833, 2836 f. (der dort übrigens implizit Elemente des bedingten Vorsatzes in Bezug nimmt, wenn er darauf abstellt, ob „ein wissender Repräsentant mit der Möglichkeit rechnet, ein unwis­ sender Repräsentant werde im Außenverhältnis handeln“; Römmer-Collmann, Wissens­ zurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S.  99 f. und S.  123 ff.; vgl. auch Grigo­ leit – Grigoleit, AktG, 22020, §  78 Rn.  35 m. w. N. Dagegen Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S.  136 f.; Adler, Wissen und Wissenszurechnung, 1997, S.  73 ff. 261  Vgl. insbesondere K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, §  10 V = S.  288. Kritisch Buck-Heeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  250 ff.; Baum, Die Wissenszurech­ nung, 1999, S.  353.

C. Wissenszurechnung als Vorsatzzurechnung

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In der Sache besteht zwischen beiden Zurechnungswegen kein relevanter Unterschied. Jeweils ergibt sich eine konkret verhaltensbezogene Wissenszusammenrechnung auf Ebene des Verbands:262 Gibt das Organmitglied oder der rechtsgeschäftliche Vertreter A innerhalb der ihm zustehenden Vertre­ tungsmacht im Namen des Verbands eine Willenserklärung ab, so bestim­ men sich die Folgen dieser Willenserklärung nicht nur nach dem Wissen oder, wo gleichgestellt, Wissenmüssen (dem vorsätzlichen oder, wo gleich­ gestellt, fahrlässigen Verhalten) des A (§  166 Abs.  1 BGB), sondern auch nach dem Wissen oder, wo gleichgestellt, Wissenmüssen (dem vorsätzlichen oder, wo gleichgestellt, fahrlässigen Verhalten) des Organmitglieds B, wenn B in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen in Bezug auf das Ver­ tretergeschäft des A einen relevanten Verhaltensbeitrag erbracht hat (§  166 Abs.  2 BGB/§  31 BGB). Eine absolute Zurechnung des Wissens aller Organ­ mitglieder zulasten des Verbands unabhängig von einem aktuellen Verhal­ tensbeitrag in Bezug auf das in Rede stehende Vertretergeschäft findet dem­ gegenüber nicht statt. Methodisch überzeugender ist letztlich der zuerst skizzierte Zurech­ nungsweg einer kumulierten Anwendung von §  166 Abs.  2 BGB und §  31 BGB. Für die Begründung vertraglicher Sonderverbindungen ist §  166 BGB die sachnähere Zurechnungsnorm. Daneben erschöpft sich die Funktion von §  31 BGB darin, im Rahmen des §  166 Abs.  2 BGB der Besonderheit der Totalität des personalen Defizits des Verbands Rechnung zu tragen, der als Vertretener selbst nichts wissen und keine Weisung im Sinne der Vorschrift erteilen kann. 4. Zurechnungswirkung im Rahmen der Begründung einer Einstandspflicht des Verbands für sonstige Dritte (Nichtorgane) nach den allgemeinen Regeln der §§  166, 278, 831 BGB Die §§  166, 278, 831 BGB gelten ohne weiteres auch zulasten des Verbands als Rechtsträger: – Gibt ein rechtsgeschäftlicher Vertreter innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen eines Verbands eine Willenserklärung ab oder empfängt er ein solche, wirken seine Willenserklärung bzw. deren Empfang, 262 

Vgl. auch Tintelnot, JZ 1987, 795, 799 f.; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band  II/Zweiter Teil: Die juristische Person, 1983, §  11 IV = S.  400 und noch deut­ licher S.  403; Beuthien, FS Zöllner, 1998, S.  87, 101; Grigoleit – Grigoleit, AktG, 22020, §  78 Rn.  35 m. w. N.; ähnlich auch Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb ­juristischer Personen, 1998, S.  154 ff., der die Durchführung der Wissenszusammenrech­ nung allerdings vom Bestehen von Informationspflichten abhängig macht.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

etwaige Willensmängel, sein Wissen und, wo gleichgestellt, sein Wissenmüs­ sen (sein vorsätzliches und, wo gleichgestellt, fahrlässiges Verhaltens) nach §§  164, 166 Abs.  1 BGB für und gegen den Verband. Insofern besteht zu­ nächst kein Unterschied zur organschaftlichen Vertretung des Verbands. Im Unterschied zur organschaftlichen Vertretung gilt im Fall der rechts­ geschäftlichen Vertretung des Verbands außerdem unzweifelhaft §   166 Abs.  2 BGB. Dabei stellt sich wiederum das Problem, dass der Verband selbst, wenn man nicht der Organtheorie folgt, weder etwas wissen noch eine Weisung im Sinne der Vorschrift erteilen kann. Auch hier gilt aber, dass der Verband als Rechtsträger deshalb nicht besser stehen darf als die natürli­ che Person als Rechtsträger. Daher ist dem Verband auch bei einer rechtsge­ schäftlichen Vertretung im Rahmen von §  166 Abs.  2 BGB gemäß §  31 BGB relevantes wissens- und willensgetragenes Verhalten seiner Organe (Organ­ mitglieder) in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen zuzurech­ nen, das die Abgabe oder den Empfang der in Rede stehenden Willenserklä­ rung in einer Weise beeinflusst hat, die eine „Weisung“ im Sinne der Vor­ schrift konstituiert.263 – Bedient sich der Verband zur Erfüllung einer Verbindlichkeit (Pflicht oder Obliegenheit) innerhalb einer bestehenden Sonderverbindung eines Erfüllungsgehilfen, wirkt dessen vorsätzliches oder, wo gleichgestellt, fahr­ lässiges Verhalten im Rahmen von Wissensnormen genauso wie im Rahmen von Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen nach Maßgabe von §  278 S.  1 Alt.  2 BGB gegen den Verband und begründet entweder eine Haftung des Ver­ bands oder löst eine sonstige, andersartig-spezifische Rechtsfolge zu dessen Lasten aus (z. B. Eintritt der Verjährung). – Gleichsinnig gilt im Deliktsrecht: Bedient sich der Verband eines Ver­ richtungsgehilfen und fügt dieser in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich einen Schaden zu, wirkt dieses Verhalten nach Maß­ gabe von §  831 Abs.  1 BGB gegen den Verband und begründet eine delikti­ sche Haftung des Verbands, es sei denn, den Verband trifft kein Auswahl-, Anleitungs- oder Überwachungsverschulden. Die Besonderheit des Verbands als Rechtsträger liegt in allen drei Fällen ausschließlich darin, dass der Verband Gehilfen nicht selbst einsetzen, anlei­ ten und überwachen kann. Daraus darf ihm aber wiederum kein Vorteil ge­ genüber der natürlichen Person als Rechtsträger erwachsen. Auch insofern gleicht deshalb §  31 BGB die fehlende Handlungs-, Wissens- und Willens­ 263 

Jedenfalls im Ausgangspunkt auch Schwab, JuS 2017, 481, 482; Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S.  99 f. und S.  123 ff., jeweils allerdings unter Rekurs ausschließlich auf §  166 Abs.  2 S.  1 BGB.

D. Einstandspflicht für eigenes vorsätzliches Verhalten des Normadressaten

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fähigkeit des Verbands durch eine Zurechnung des Verhaltens, Wissens und Wollens seiner Organe (Organmitglieder), hier in Gestalt des wissentlichen und willentlichen (vorsätzlichen) Einsatzes und im Fall des §  831 BGB der sorgfaltswidrigen Auswahl, Anleitung oder Überwachung des Gehilfen aus, wobei mittelbare Verantwortlichkeit genügt („Delegationskette“).

D. Einstandspflicht für eigenes vorsätzliches Verhalten des Normadressaten (insbesondere: Organisationsverschulden) Neben und unabhängig von einer Einstandspflicht für fremdes vorsätzliches oder, wo gleichgestellt, fahrlässiges Verhalten kommt, bei expliziten Vor­ satz- bzw. Verschuldensnormen genauso wie bei (vermeintlich) einfachen absoluten und relativen Wissensnormen, (selbstverständlich) auch eine Einstandspflicht für eigenes vorsätzliches oder, wo gleichgestellt, fahrlässi­ ges Verhalten des Normadressaten in Betracht. Das wirft keine besonderen Fragen auf, wo dem Normadressaten selbst ein unmittelbar tatbestandsverwirklichendes vorsätzliches oder, bei Ver­ schuldenstatbeständen bzw. relativen Wissensnormen, fahrlässiges Verhal­ ten zur Last fällt. Eine Einstandspflicht für eigenes Verschulden des Nor­ madressaten kann aber auch auf nur mittelbar tatbestandsverwirklichendem vorsätzlichem (oder fahrlässigem) Verhalten gründen. Damit ist im Kontext der arbeitsteiligen Teilnahme am Rechtsverkehr die Haftung für Organisati­ onsverschulden (in einem weiteren Sinne) angesprochen. Bei Fahrlässigkeitstatbeständen (unter Einschluss von relativen Wissens­ normen) stehen insofern negative Rechtsfolgen wegen fahrlässiger Verlet­ zung von Ermittlungspflichten oder -obliegenheiten bzw. einer Pflicht oder Obliegenheit zur ordnungsgemäßen Informationsorganisation in Rede. Bei absoluten Vorsatztatbänden (unter Einschluss von absoluten Wissensnor­ men) kommt demgegenüber nur eine Anknüpfung an eine vorsätzlich unzu­ reichende Organisation in Betracht.264 264 Überlegungen in diese Richtung auch bei Wächter, M&A Litigation, 32017, Rn.  8.53 f., 8.89 f., 8.106 ff. Im Ausgangspunkt ähnlich, im Ergebnis aber die Grenze zwi­ schen Wissen und Wissenmüssen (Vorsatz und Fahrlässigkeit) verwischend Rahn, Wis­ senszurechnung nach der Schuldrechtsnovelle, 2004, passim und zusammenfassend S.  170 f., nach der sich bei absoluten Wissensnormen „aus dem ‚Inhalt des Schuldverhält­ nisses‘ (§  276 Abs.  1 BGB)“ ergebe, dass für die Tatbestandsmäßigkeit genüge, wenn „ent­ weder eine bewusste Nicht- oder Schlechtorganisation von Wissen oder eine fahrlässige Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation mit positiver Kenntnis zumindest in einer Wissensperson zusammen­ fällt“.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

In der Rechtsprechung des BGH ist eine Haftung für vorsätzliches Organisationsverschulden, abgesehen von §  634a Abs.  3 (§  638 BGB a. F.), auf den im Anschluss unter E. gesondert eingegangen werden soll, etwa für den Be­ reich der Bankenhaftung anerkannt.265 Gestützt auf seine Rechtsprechung zur Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels266 verlangt der BGH in ei­ nem ersten Schritt, eine Bank müsse „ihren Geschäftsbetrieb zum Schutz des Rechtsverkehrs so organisieren, dass bei ihr vorhandenes Wissen den Mitarbeitern, die für die betreffenden Geschäftsvorgänge zuständig sind, zur Verfügung steht und von diesen auch genutzt wird“. Hieran knüpft das Gericht in einem zweiten Schritt eine Haftung der Bank wegen vorsätzlicher Verletzung der ihr obliegenden Pflicht, Kunden über Rückvergütungen zu unterrichten, „wenn sie ihre Verpflichtung zur Aufklärung der Kunden gekannt oder zumindest für möglich gehalten hat (bedingter Vorsatz) und es gleichwohl bewusst unterlassen hat, ihre Anlageberater anzuweisen, die Kunden entsprechend aufzuklären“.267

Vergleichbares hat der BGH in jüngerer Zeit für einen Schadensersatzan­ spruch aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen wegen arglistiger Täu­ schung im Zusammenhang mit der Vermittlung von Kapitalanlagen ent­ schieden. Auch hier verweist das Gericht in einem ersten Schritt auf seine Rechtsprechung zur Wissenszurechnung kraft Organisationsmangels268 und stellt in einem zweiten Schritt klar, dass „allerdings“ erforderlich sei, „dass die Vertriebsgesellschaft ihrerseits zumindest bedingt vorsätzlich bei der Weiterga­ be unwahrer Tatsachen an die Untervermittler oder bei dem Zurückhalten geschäftsrele­ vanten Wissens gehandelt hat. Der Inhaber oder das Organ der Organisation muss so­ wohl die Pflicht zur Aufklärung des Kunden gekannt oder zumindest für möglich gehal­ ten haben und es gleichwohl bewusst unterlassen haben, die unmittelbar tätigen Vermittler entsprechend zu instruieren“.269

265  Vgl. aus dem Schrifttum auch Koller, JZ 1998, 75, 81, die die Haftung für vorsätz­ liches Organisationsverschulden allerdings bei §  166 Abs.  2 BGB analog oder an den Ein­ wand des Rechtsmissbrauchs anknüpft. 266  Konkret auf die zu §§  990, 989 BGB i. V. m. Art.  21 ScheckG ergangene Entschei­ dung BGH, Urt. v. 15.4.1997 – XI ZR 105/96, NJW 1997, 1917 Abschn.  II 2 b (vgl. dazu schon oben Kapitel 1 Fn. 130, Fn.  296 und Fn.  310). 267  BGH, Urt. v. 12.5.2009 – XI ZR 586/07, NJW 2009, 2298 Rn.  13 f. 268  Vgl. BGH, Urt. v. 24.11.2009 – XI ZR 260/08, NJW 2010, 602 Rn.  23. 269  Gleichlautend BGH, Urt. v. 10.11.2009 – XI ZR 252/08, NJW 2010, 596 Rn.  30; BGH, Urt. v. 24.11.2009 – XI ZR 260/08, NJW 2010, 602 Rn.  24. Die das Anlagegeschäft finanzierende Bank musste sich dann bei Vorliegen eines verbundenen Geschäfts i. S. d. §  9 VerbrKrG a. F. die arglistige Täuschung durch die Vertriebsgesellschaft zurechnen lassen.

E. Exemplifizierung: Die Rechtsprechung des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB

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Die Einstandspflicht für vorsätzliches Organisationsverschulden ist der Sa­ che nach das organisationsbezogene Pendant zum Vorwurf (bewussten) Sichverschließens.270 Die Gegenüberstellung des Satzes vom (bewussten) Sichverschließen gibt zugleich einen Anhaltspunkt für die – engen – Gren­ zen einer Einstandspflicht für „vorsätzliches Organisationsverschulden“. Insbesondere genügt eine bloß fahrlässige Fehlorganisation für den Vorsatz­ vorwurf genauso wenig wie das Unterlassen aufwändiger Nachforschungen. Mit dieser Klarstellung ist der Rechtsprechung des BGH also zuzustim­ men. Missverständlich ist nur die Bezugnahme auf die Regeln der Wissens­ zurechnung kraft Organisationsmangels, weil es eben nicht um eine Ein­ standspflicht für fremdes Wissen geht,271 sondern um die Begründung eigenen (vorsätzlichen) Organisationsverschuldens der Bank respektive der Vertriebsgesellschaft bzw. von deren Organen (§  31 BGB).272

E. Exemplifizierung: Die Rechtsprechung des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB (§  638 BGB a. F.) Was die Explikation von Wissensnormen als Vorsatz- bzw. Verschuldens­ normen in Fällen der arbeitsteiligen Teilnahme am Rechtsverkehr im Einzel­ nen bedeutet, lässt sich besonders anschaulich anhand der Rechtsprechung

270  Vgl.

auch Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 191; Goldschmidt, Die Wissenszurech­ nung, 2001, S.  140; für das US-amerikanische Recht Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 267. In der Sache ähnlich Engelhardt, Wissensverschulden, 2019, S.  87 ff. und S.  116 f., die das allerdings nicht als Vorsatzverantwortlichkeit einordnet, sondern als „Wissensfiktion“ kraft rechtsmissbräuchlichen Verhaltens, die sie normativ bei §  162 BGB (analog) ver­ ortet. Der Sache nach findet sich der hier ausgeführte Gedanke, allerdings bezogen auf die Lehre vom Organisationsmangel als Zurechnungsgrund, etwa auch bei Nobbe, in: ­Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Neues Schuldrecht und Bankgeschäfte, 2003, S.  121, 154 f., bei Medicus, Karlsruher Forum 1994 (VersR Sonderheft), 4, 13 und bei Fietz, Die Wissenszurechnung gegenüber juristischen Personen, 2021, S.  171 f. Die Lehre vom Or­ ganisationsmangel als Zurechnungsgrund leistet eine entsprechende Abgrenzung von Wissen und Wissenmüssen (Vorsatz und Fahrlässigkeit) aber gerade nicht. Allgemein zum bewussten Sichverschließen und zur Auflösung in der Vorsatzform des bedingten Vorsat­ zes oben Kapitel  1 A.IV.3. = S. 49 ff. und Kapitel  3 A.VII. = S.  282 f. 271  Auch um eine „Wissensfiktion“ geht es dabei, entgegen Engelhardt, Wissensverschul­ den, 2019, S.  25 f., nicht. 272  Vgl. auch Wächter, M&A Litigation, 32017, S.  373, der die Wissenszurechnung bzw. Wissensorganisationshaftung als Frage der Haftung für eigenes Verschulden nach §  276 BGB einordnet und der Haftung für fremdes Verschulden nach §  278 BGB gegenüber­ stellt.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB (§  638 BGB a. F.) illustrieren.273 Dass es sich dabei um einen expliziten Vorsatztatbestand handelt, spielt vor dem Hinter­ grund der Erkenntnis, dass auch Wissensnormen nichts anderes sind als – allerdings: implizite – Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen, keine Rolle.

I. Einstandspflicht für fremdes vorsätzliches Verschweigen nach §  278 BGB Im Rahmen von §  463 S.  2 BGB a. F. ist die Anwendung von §  278 BGB in der Rechtsprechung des BGH die Ausnahme geblieben.274 Das Gegenteil gilt für den Arglisttatbestand des §  634a Abs.  3 BGB (638 Abs.  1 S.  1 BGB a. F.), der das arglistige Verschweigen275 eines Mangels durch den Werkunterneh­ mer bei (bis zur) Abnahme276 mit der Anwendung der subjektiv angeknüpf­ ten regelmäßigen Verjährungsfrist sanktioniert. Hier beantwortet der BGH die Frage der Einstandspflicht für Dritte seit jeher nach Maßgabe von §  278 BGB.277 Den Ausgangspunkt bildet eine Grundlagenentscheidung aus dem Jahr 1973. Dort legt der BGH seiner Rechtsprechung zunächst ein enges Ver­ ständnis von §  278 BGB zugrunde. Einem Werkunternehmer könne 273 

In dieselbe Richtung bereits Harke, Wissen und Wissensnormen, 2017, S.  66 ff. insbesondere oben Kapitel  3 B.III.1. = S. 312 ff. Vgl. aber immerhin BGH, Urt. v. 8.5.1968 – VIII ZR 62/66, BeckRS 1968, 31178653 Abschn.  II 2 b. (i. V. m. §  651 BGB a. F.); ferner BGH, Urt. v. 6.2.2002 – VIII ZR 185/00, NZI 2002, 341 Abschn. 2 b, wobei allerdings der genaue Bezug offen bleibt. 275  Im 1. Entwurf des BGB war, wie im Kaufrecht auch, in §  570 Abs.  2 BGB 1. Ent­ wurf (heute §  640 Abs.  3 BGB) und in §  571 Abs.  2 BGB 1. Entwurf (heute §  634a Abs.  3 BGB) noch vorgesehen, den Tatbestand dahin zu beschrieben, der Werkunternehmer (da­ mals: „Übernehmer“) müsse „den Mangel gekannt und [dem Besteller] verschwiegen“ haben. Auch hier hat die heutige Fassung des Tatbestands als „arglistiges Verschweigen“ erst später Einzug gehalten (vgl. §§  575, 576 Abs.  1 BGB 2. Entwurf). Näher zur Einord­ nung dieses Befundes oben Kapitel  2 A.VII.6. = S. 186 ff.; vgl. speziell für das Werkver­ tragsrecht außerdem noch Vogel, Arglistiges Verschweigen des Bauunternehmers auf­ grund Organisationsverschuldens, 1998, S.  20 ff. 276 Vgl. zur Abnahme als spätesten Zeitpunkt BGH, Urt. v. 20.12.1973 – VII ZR 184/72, NJW 1974, 553 Abschn. 3; Koller, JZ 1998, 75, 82; Palandt – Retzlaff, BGB, 802021, §  634a Rn.  12; Vogel, Arglistiges Verschweigen des Bauunternehmers aufgrund Organisa­ tionsverschuldens, 1998, S.  102 ff. Der Abnahme ist die Vollendung gleichgestellt, §  646 BGB. 277  Vgl. die nachfolgend behandelten Entscheidungen; überblicksartig außerdem noch ­Jurgeleit, BauR 2018, 389, 392 ff.; Vogel, Arglistiges Verschweigen des Bauunternehmers aufgrund Organisationsverschuldens, 1998, S.   89  ff., auch zur Rechtsprechung der Oberlandes­gerichte; Palandt – Retzlaff, BGB, 802021, §  634a Rn.  12. 274  Näher

E. Exemplifizierung: Die Rechtsprechung des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB

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„nicht schon die Kenntnis und das Verheimlichen von Fertigungsmängeln durch bei der Herstellung des Werks mitwirkende Beschäftigte als ‚arglistiges Verschweigen‘ der Män­ gel gegenüber dem Besteller angerechnet werden. Solche Personen sind zwar Erfüllungs­ gehilfen des Unternehmers bei der Herstellung des Werks, aber nicht seine Erfüllungsge­ hilfen in bezug auf seine Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller“.278

Eine Einstandspflicht des Werkunternehmers für die „Kenntnis einer jeden, bei der Herstellung des Werkes mitwirkenden Hilfsperson von einem Werk­ mangel“ unabhängig davon, ob er diese (auch) „mit der Aufgabe betraut hat, an seiner Stelle etwaige für den Besteller erhebliche Mängel zu offenbaren, erscheint […] nicht gerechtfertigt. Sie ist mit dem in §  278 BGB zum Aus­ druck gekommenen Gedanken nicht vereinbar, wonach der Schuldner für das Verschul­ den Dritter deswegen einzustehen hat, weil er ihnen die Erfüllung bestimmter Vertrags­ pflichten anvertraut hat. In der Regel kann daher nur der als ‚Erfüllungsgehilfe des Unter­ nehmers bei der Offenbarungspflicht‘ und daher als ‚Erfüllungsgehilfe beim arglistigen Verschweigen‘ angesehen werden, der mit der Ablieferung des Werks an den Besteller betraut ist oder dabei mitwirkt. Denn erst die Ablieferung des Werks ist der Zeitpunkt, in welchem sich das ‚arglistige Verschweigen‘ des Unternehmers endgültig verwirklicht“.279

Etwas anderes gelte allerdings für Hilfspersonen, die zwar nicht mit der Ab­ lieferung des Werks, aber doch mit der Prüfung des Werks auf Mangelfrei­ heit befasst sind, „weil allein ihr Wissen und ihre Mitteilung an den Unternehmer diesen überhaupt instand setzt, seine Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller zu erfüllen“. In solchen Fällen könne es „unter Umständen nach Treu und Glauben (§  242 BGB) untragbar erscheinen, ein ‚arglistiges Verschweigen‘ z. B. nur deswegen zu verneinen, weil – angesichts der stark arbeitsteiligen Organisation eines Großbetriebs – die eine Hilfsperson, welche prüft, den Mangel entdeckt und verschweigt, mit der Ablieferung nichts zu tun hat, während die andere Hilfsperson, welche bei der Ablieferung und Abnahme des Werks mitwirkt, nicht mit der Prüfung befaßt war und daher den Mangel nicht kennt“.280

Maßgeblich seien dabei die Umstände des Einzelfalls. Ein arglistiges Ver­ schweigen des örtlichen Bauleiters „als de[s] an dieser Baustelle oberste[n] verantwortliche[n] Mann[es] des Unternehmers“ müsse sich der Unterneh­ mer beispielsweise in der Regel zurechnen lassen, während ein „arglistiges Verschweigen von unter dem örtlichen Bauleiter arbeitenden, für einen klei­ neren Bereich mit Prüfungsaufgaben betrauten Personen vielfach nicht aus­ reichen“ wird.281

278 

BGH, Urt. v. 20.12.1973 – VII ZR 184/72, NJW 1974, 553 Abschn.  II 2. BGH, Urt. v. 20.12.1973 – VII ZR 184/72, NJW 1974, 553 Abschn.  II 2 c, 3. 280  BGH, Urt. v. 20.12.1973 – VII ZR 184/72, NJW 1974, 553 Abschn.  II 3 (Hervorhe­ bungen im Original). 281  BGH, Urt. v. 20.12.1973 – VII ZR 184/72, NJW 1974, 553 Abschn.  II 3 b. 279 

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

In Abgrenzung zur Bürgermeisterentscheidung besonders zu betonen ist schließlich noch, dass der BGH ersichtlich voraussetzt, dass auch die übri­ gen Voraussetzungen arglistigen Verschweigens in der Person des Erfüllungsgehilfen vorliegen. Für den konkreten Fall stellt das Gericht insofern darauf ab, dass sich die Kolonnenführer (Poliere) des Werkunternehmers bewusst waren, „daß die von ihnen geduldete ‚Pfuscharbeit‘, die später zu den Betonabsprengungen führ­ te, für die Entschließung der [Bestellerin] bei Abnahme des Werkes erheblich war, ferner, daß sie ohne Rücksicht auf nachlässige Bauaufsicht durch den Architekten der [Bestelle­ rin] zur Mitteilung der Herstellungsmängel gegenüber [dem Werkunternehmer] ver­ pflichtet waren, um auf diese Weise die Unterrichtung der [Bestellerin] zu ermöglichen, sowie, daß sie diese Pflicht verletzten“.282

Der BGH hat seine Rechtsprechung zu §  638 BGB a. F. wiederholt, zuletzt auch unter Geltung von §  634a Abs.  3 BGB,283 bestätigt und die Reichweite der Einstandspflicht nach §  278 BGB (in Verbindung mit §  242 BGB) immer weiter präzisiert. Insbesondere hat er zutreffend auch einen selbständig täti­ gen Subunternehmer des Werkunternehmers, dem dieser die eigenverant­ wortliche Montage von Natursteinplatten übertragen und auf den er sich dabei verlassen hatte, als Erfüllungsgehilfen des Werkunternehmers einge­ ordnet mit der Folge, dass sich der Werkunternehmer das arglistige Ver­ schweigen der mangelhaften Verlegung der Platten durch den Subunterneh­ mer zurechnen lassen musste.284 An der Einstandspflicht des Werkunternehmers ändert sich auch nichts dadurch, dass der Besteller mit der Weitervergabe der Montage an den Sub­ unternehmer einverstanden war. Denn der Besteller darf „durch sein Einverständnis nicht schlechter gestellt sein, als wenn entweder die [Werkun­ ternehmerin] die Montage selbst ausgeführt und für das Verhalten ihres verantwortlichen Poliers einzustehen hätte oder aber er die Montage unmittelbar der [Subunternehmerin] übertragen hätte“.285

Selbst die Einsetzung eines Bauleiters zur Überwachung des Subunterneh­ mers schließt, wie der BGH gleichfalls klargestellt hat, die Einstandspflicht des Werkunternehmers für ein arglistiges Verschweigen des Subunterneh­ mers nicht aus: „Wäre es anders, wäre der arbeitsteilig organisierte Unternehmer allein mit dem Vortrag entlastet, er habe die Überwachung des Herstellungsprozesses ordnungsgemäß organi­ 282 

BGH, Urt. v. 20.12.1973 – VII ZR 184/72, NJW 1974, 553 Abschn.  II 3 d. Vgl. BGH, Beschl. v. 30.10.2013 – VII ZR 339/12, NJW-RR 2014, 85 Rn.  10. 284  BGH, Urt. v. 15.1.1976 – VII ZR 96/74, NJW 1976, 516 Abschn. 1–3 und 5. 285  BGH, Urt. v. 15.1.1976 – VII ZR 96/74, NJW 1976, 516 Abschn. 4. 283 

E. Exemplifizierung: Die Rechtsprechung des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB

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siert. Damit würde den Interessen des Bestellers, im Hinblick auf die Zurechnung der Arglist keine unangemessenen Nachteile durch die arbeitsteilige Organisation erdulden zu müssen, nicht ausreichend Rechnung getragen“.286

Das ist schon deshalb richtig, weil die Einstandspflicht für fremdes Ver­ schulden nach § 278 BGB von der Frage eigenen Organisationsverschuldens definitionsgemäß unabhängig ist. Der BGH folgt damit den allgemeinen Regeln des §  278 BGB.287 Die ge­ schilderte Rechtsprechung berücksichtigt und verwirklicht auch den Zweck der Vorschrift.288 Dem BGH ist nahezu uneingeschränkt und besonders hin­ sichtlich der „Grundentscheidung“ zuzustimmen, die Zurechnungsfrage, dem positiven Recht Folge leistend, als Frage der Verschuldenszurechnung nach Maßgabe von §  278 BGB zu beantworten und nicht als Frage der blo­ ßen Wissenszurechnung nach Maßgabe von §  166 BGB (analog).289 Zu widersprechen ist einzig der Annahme, die Einbeziehung auch von Dritten, die nicht an der Ablieferung des Werks an den Besteller mitwirken, sondern ausschließlich an der Herstellung und Prüfung des Werks, bedürfe des ergänzenden Rekurses auf §  242 BGB. Der BGH leitet das aus dem Be­ griff des Erfüllungs­gehilfen ab und verweist auf den Zweck des §  278 BGB.290 Indes gehören Herstellung, Prüfung und Ablieferung des Werks sämtlich zum Pflichtenkreis des Werkunternehmers in seinem Verhältnis zum Bestel­ ler. Damit ist im Ausgangspunkt jeder gleichermaßen Erfüllungsgehilfe des 286 

BGH, Urt. v. 12.10.2006 – VII ZR 272/05, NJW 2007, 366 Rn.  15. Allgemein zu den Voraussetzungen der Einstandspflicht nach §  278 S.  1 Alt.  2 BGB oben Kapitel  2 B.I.2.–5. = S. 199 ff. 288 Allgemein dazu und insbesondere zur Irrelevanz irgendwelcher Anforderungen ordnungsgemäßer Organisation oben Kapitel  2 B.I.1. = S. 189 ff. 289  Vgl. auch Canaris, Bankvertragsrecht, 31988, Rn.  800a, der der besprochenen Ent­ scheidung des BGH vom 20.12.1973 ebenfalls ausdrücklich zustimmt, ohne sich aller­ dings mit letzter Deutlichkeit zur dogmatischen Begründung der Einstandspflicht einzu­ lassen (vgl. aber den Verweis auf Rn.  106, wo §  278 BGB dezidiert als Grundlage der Wis­ senszurechnung herangezogen wird, siehe schon oben Fn.  194); ferner Taupitz, JZ 1996, 734, 735, der der besprochenen Entscheidung des BGH vom 20.12.1973 gleichfalls zu­ stimmt, sich die normative Anknüpfung an §  278 BGB allerdings nicht zu eigen macht. Anders Jurgeleit, BauR 2018, 389, 397 ff.; ­Vogel, Arglistiges Verschweigen des Bauunter­ nehmers aufgrund Organisationsverschuldens, 1998, S.  62 ff., 112 ff., der gegenteilig zum hier vertretenen Verständnis den (expliziten) Arglisttatbestand des §  638 BGB a. F. als einfachen Wissenstatbestand begreift und damit die (analoge) Anwendung von §  166 BGB begründet. 290  Lang, FS Odersky, 1996, S.  583, 585, damals Vorsitzender Richter des VII. Zivilse­ nats des BGH, ergänzt, es sei „wirtschaftlich nicht vertretbar“, müsste der Werkunterneh­ mer immer dann haften, wenn ein nur mit der Herstellung in untergeordneter Funktion befaßter Gehilfe einen ihm unterlaufenen Fehler verdeckt und verschweigt. 287 

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

Werkunternehmers, den dieser in einem dieser Bereiche wissentlich und wil­ lentlich (vorsätzlich)291 einsetzt.292 Darüber hinaus setzt die Zurechnung noch voraus, dass das in Rede ste­ hende schuldhafte Verhalten der Hilfsperson, hier das arglistige Verschwei­ gen eines Mangels, in sachlichem Zusammenhang mit den ihr zugewiesenen Aufgaben steht. Das ist dann, wenn ein Kolonnenführer, Bauleiter oder Ar­ chitekt im Zusammenhang mit der Herstellung oder Prüfung des betreffen­ den Werks einen Mangel wahrnimmt, aber nicht weitergibt, anders als der BGH anzunehmen scheint, allerdings durchaus der Fall. Dass die Hilfs­ person nur intern eingesetzt wird und nicht auch mit der Mitteilung von Mängeln nach außen gegenüber dem Besteller im Rahmen der Ablieferung beauftragt ist, ändert an der Einstandspflicht des Werkunternehmers nach §  278 S.  1 Alt.  2 BGB nichts. Im Rahmen von §  278 BGB genügt für die Zu­ rechnung generell, anders als vom BGH für die Wissenszurechnung nach §  166 BGB (analog) aus dem dort angestellten Vergleich mit dem Vertreter abgeleitet („Repräsentant“),293 gerade auch ein solches rein internes Tätig­ werden für den Geschäftsherrn.

291 

Näher oben Kapitel  2 B.I.4. = S. 213 ff. Vogel, Arglistiges Verschweigen des Bauunternehmers aufgrund Organisa­ tionsverschuldens, 1998, S.  50 ff. und besonders deutlich S.  99 ff., der §  638 Abs.  1 S.  1 BGB a. F. allerdings als Wissenstatbestand begreift, der Vorschrift „nur“ eine gesetzlich nor­ mierte Offenbarungsobliegenheit hinsichtlich aller bekannter Mängel entnimmt und auf dieser Grundlage die Anwendung von §  278 BGB im Ergebnis doch ablehnt. 293  Vgl. oben Kapitel  2 B.I.4. = S. 213 ff. Für den Sonderfall, dass (nur) einer von mehreren Verkäufern einen Mangel der Kaufsache arglistig verschweigt, hat der BGH eine dahingehende Differenzierung nach den Regeln der Wissenszurechnung (§  166 BGB ana­ log) auch in Bezug auf §  444 Alt.  1 BGB für nicht überzeugend befunden: „Über eine (ggf. analoge) Anwendung von §  166 BGB lässt sich eine angemessene, die Interessen beider Vertragsparteien wahrende Lösung nicht erzielen. Die darauf gestützte Zurechnung der Arglist eines Mitverkäufers scheiterte nämlich dann, wenn – wie hier – die Verkaufsver­ handlungen durch den nicht arglistigen Verkäufer geführt werden, während der arglistige Mitverkäufer lediglich eine Offenbarungspflicht verletzt, ohne ausdrückliche Erklärun­ gen abzugeben. Infolgedessen haftete der selbst nicht arglistige Verkäufer, wenn er sich im Hintergrund hält und durch den arglistigen Mitverkäufer vertreten lässt, aber nicht, wenn er selbst die Verhandlungen führt; eine solche Differenzierung kann nicht überzeugen. Im Ergebnis muss eine Verkäufermehrheit im Innenverhältnis dafür Sorge tragen, dass die im Verhältnis zu dem Käufer bestehenden Offenbarungspflichten erfüllt werden, um insge­ samt von dem Ausschluss der Sachmängelhaftung profitieren zu können. Anderenfalls erweist sich die Freizeichnung aus Sicht des Käufers als unredlich; hiervor soll §  444 BGB den Käufer schützen“ (BGH, Versäumnisurt. v. 8.4.2016 – V ZR 150/15, DNotZ 2016, 918 Rn.  22 f.). 292 Ebenso

E. Exemplifizierung: Die Rechtsprechung des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB

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Der maßgebliche Verhaltensbeitrag der eingesetzten – selbständigen oder unselbständigen294 – Hilfspersonen besteht insofern in der bei einem Tätig­ werden im Rahmen der Herstellung oder Prüfung eines Werkes denknotwendig zumindest konkludent erfolgenden – unzutreffenden – Mitteilung gegenüber dem Geschäftsherrn, die Herstellung bzw. Prüfung sei so, wie beauftragt, erfolgt.295 Wenn die Mitteilung des Gegenteils in Form eines Hin­ weises auf wahrgenommene Mängel an den Geschäftsherrn unterbleibt und dieser folglich seinerseits außerstande ist, diese Mängel dem Besteller gegen­ über offenzulegen, verwirklicht sich ein Risiko aus der Entscheidung des Werkunternehmers, seinen Betrieb bzw. die Herstellung des Werks in dieser und jener Weise arbeitsteilig zu organisieren, das bei persönlicher Herstel­ lung des Werks von vornherein nicht bestanden hätte und für das der Wer­ kunternehmer folglich – das ist der „Preis“ für die Inanspruchnahme der ihm zugebilligten Organisationsfreiheit bzw. notwendige Bedingung (ex ante blinder) Respektierung seiner internen Organisationsentscheidungen durch den Besteller – garantiemäßig einzustehen hat. Die Zurechnung folgt damit in jeder Hinsicht dem Zweck des §  278 BGB. Der Werkunternehmer wird an seiner freien Organisationsentscheidung zugunsten des Ein­satzes Dritter im Rahmen der Erfüllung seiner werkvertraglichen Pflichten festge­ halten und so gestellt, wie er stünde, hätte er das Werk persönlich hergestellt. Das entspricht im Ergebnis einer Einstandspflicht des Geschäftsherrn für „Hilfspersonen, die den kritischen Geschehensablauf überblicken, ohne weiteres in der Lage sind, ihr Wissen der zuständigen Stelle zur Kenntnis zu bringen, und dadurch sowie aufgrund eines Mindestmaßes an funktionsspezifischem Einfluss die aus der Wissens­ norm resultierenden Rechtsnachteile vermeiden können“,296

294 Anders Lang, FS Odersky, 1996, S.  583, 585 f., der insofern differenziert und darauf abstellt, eine echte Mitteilungspflicht gegenüber dem Werkunternehmer treffe nur den selbständig Nachunternehmer und der daher nur hier eine pauschale Einstandspflicht des Werkunternehmers nach §  278 BGB annimmt. Darauf kommt es im Rahmen von §  278 BGB aber nicht an, maßgeblich ist allein, ob der Dritte – selbständig oder unselbständig – im Pflichtenkreis des Werkunternehmers tätig ist. 295  Durchaus ähnlich, aber normativ in Anknüpfung an §  166 BGB, Koller, JZ 1998, 75, 82, der insofern allerdings darauf abstellt, ob der Wissensträger auch Entscheidungsträger ist, d. h. „darüber zu befinden [hat], ob angesichts bestimmter Umstände die Vertragskon­ formität des Werkes in Frage gestellt und welche Kompensationsmaßnahmen zu ergreifen sind“ und dabei zwischen „einfachen Arbeitern“ und „Personen in leitenden Funktio­ nen“ unterscheidet. Organisiert der Werkunternehmer seinen Betrieb bzw. die Herstel­ lung des Werks vorsätzlich so, dass eine Mitteilung wahrgenommener Mängel durch Hilf­ spersonen an ihn nicht erfolgt, haftet er für eigenes vorsätzliches Organisa­tionsverschulden. Dazu sogleich unter II. 296  Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 184; Grigoleit – ders., AktG, 22020, §  78 Rn.  32.

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

führt dieses Ergebnis allerdings auf den Tatbestand des §  278 BGB und die dazu entwickelten allgemeinen Grundsätze zurück und konkretisiert insbe­ sondere das Erfordernis „funktionsspezifischen Einflusses“ im Sinne eines Tätigwerdens im Pflichtenkreis des Schuldners und innerhalb oder im allge­ meinen Umkreis des zugewiesenen Aufgabenbereichs. Das Gesagte gilt, darauf sei abschließend noch hingewiesen, im Grund­ satz für sämtliche Vertragstypen, wobei definitionsgemäß Unterschiede hin­ sichtlich des relevanten Pflichtenkreises bestehen. So ist etwa der Pflichten­ kreis des Verkäufers, der nicht selbst Hersteller ist, gegenüber demjenigen des Werkunternehmers deutlich enger. Hier kommt im Ausgangspunkt nur, aber immerhin als Erfüllungsgehilfe in Betracht, wer beim Vertragsschluss oder bei der Übereignung und Übergabe tätig wird.297 Davon abgesehen un­ terscheidet sich die Rechtslage aber nicht vom Werkvertragsrecht: Erkennt ein solchermaßen als Erfüllungsgehilfe Tätiger bzw. hält er es zumindest für möglich und nimmt billigend in Kauf, dass die Sache mangelhaft ist, der Käufer den Mangel nicht kennt und den Vertrag in Kenntnis des Mangels nicht schließen bzw. die Sache in Kenntnis des Mangels nicht entgegenneh­ men würde, muss sich der Verkäufer das vorsätzliche Verschweigen im ­Rahmen der §§  438 Abs.  3, 442 Abs.  1 S.  2 Alt.  1, 444 Alt.  1 BGB zurechnen lassen. Umgekehrt muss sich der Käufer, der wissentlich und willentlich (vorsätzlich) einen Dritten im Rahmen des Vertragsschlusses, der Kaufpreis­ zahlung, der Abnahme der Kaufsache oder beispielsweise auch bei der Prü­ fung und Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Verkäufer einsetzt, sich deren vorsätzliches Verhalten als vorsätzliche Pflicht- oder Obliegen­ heitsverletzung etwa im Sinne von §  442 Abs.  1 S.  1 BGB bzw. von §  199 Abs.  1 Nr.  2 Alt.  1 BGB zurechnen lassen.

II. Einstandspflicht für eigenes vorsätzliches Organisationsverschulden Mit einer weiteren Grundlagenentscheidung aus dem Jahr 1992298 hat der BGH seine Rechtsprechung zu §  638 BGB a. F. um den Aspekt der Einstand­ 297 

Vgl. für den Vertragsschluss oben Kapitel  2 B.I.2.c)aa) = S. 201 f.; für die Übereig­ nung und Übergabe Palandt – Grüneberg, BGB, 802021, §  278 Rn.  13. Der Hersteller ge­ hört grundsätzlich nicht zu den Erfüllungsgehilfen des Verkäufers, es sei denn, der Ver­ käufer bedient sich ausnahmsweise zur Erfüllung eigener Pflichten des Herstellers; vgl. dazu etwa, bezogen auf Offenlegungspflichten, die Überlegungen bei Medicus, JuS 1988, 1, 6 f. 298  BGH, Urt. v. 12.3.1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754. Übersicht über die dama­ ligen Reaktionen im Schrifttum und über nachfolgende Entscheidungen der Oberlandes­

E. Exemplifizierung: Die Rechtsprechung des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB

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spflicht für eigenes Organisationsverschulden ergänzt. Er bestätigt zunächst seine Rechtsprechung zur Einstandspflicht für fremdes Verschulden nach Maßgabe von §  278 BGB (in Verbindung mit §  242 BGB),299 führt dann aber aus, damit werde „der Anwendungsbereich des §  638 BGB a. F. bezüglich des arglistigen Verschweigens nicht vollständig erfaßt“. Sorge der Werkun­ ternehmer „nicht für eine den Umständen nach angemessene Überwachung und Prüfung der Leistung und damit auch nicht dafür, daß er oder seine in­ soweit eingesetzten Erfüllungsgehilfen etwaige Mängel erkennen können“, so handele er nämlich vertragswidrig. Denn er müsse „fehlerfrei leisten. Er muß daher jedenfalls die organisatorischen Voraussetzungen schaffen, um sachgerecht beurteilen zu können, ob das fertiggestellte Werk bei Abliefe­ rung keinen Fehler aufweist“.300 Zwar sei es „allein Sache des Unternehmers, wie er seinen Betrieb organisiert. Der Besteller darf je­ doch nicht dadurch haftungsrechtlich benachteiligt werden, daß er anstelle eines Allein­ unternehmens ein Unternehmen beauftragt, das arbeitsteilig organisiert ist. Dies führt zwar […] nicht zur Zurechnung der Kenntnisse einer jeden bei der Herstellung des Wer­ kes mitwirkenden Hilfsperson. Der Unternehmer hat jedoch dann einzustehen, wenn er die Überwachung und Prüfung des Werkes nicht oder nicht richtig organisiert hat und der Mangel bei richtiger Organisation entdeckt worden wäre. Der Besteller ist dann so zu stellen, als wäre der Mangel dem Unternehmer bei Ablieferung des Werkes bekannt gewe­ sen“.301

Auch diese Rechtsprechung hat der BGH wiederholt bestätigt. Er hat hierzu insbesondere klargestellt, dass eine Haftung nach diesen Grundsätzen aus­ scheide, wenn der Werkunternehmer „einen erfahrenen und sachkundigen Bauleiter für die Überwachung des Einfamilienhauses mit Garage eingesetzt hat“. Insbesondere komme es „für die Prüfung der Organisationspflichtverletzung grundsätzlich nicht darauf an, inwie­ weit der Bauleiter die Baustelle tatsächlich besichtigt hat […]. Die konkrete Ausübung der bauleiten­den Tätigkeit im Einzelfall ist in aller Regel keine Frage der Organisation der Bauüberwachung. Etwas anderes kann zum Beispiel gelten, wenn die Bauüberwachung vom Unternehmer in einer Weise organisiert ist, die es dem Bauleiter nicht möglich macht, die ihm obliegenden Aufgaben zu erfüllen“.302

gerichte bei Vogel, Arglistiges Verschweigen des Bauunternehmers aufgrund Organisa­ tionsverschuldens, 1998, S.  9 ff. 299  BGH, Urt. v. 12.3.1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754 Abschn.  II 2 a. 300  BGH, Urt. v. 12.3.1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754 Abschn.  II 2 b. 301  BGH, Urt. v. 12.3.1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754 Abschn.  II 2 b. 302  BGH, Urt. v. 12.10.2006 – VII ZR 272/05, NJW 2007, 366 Rn.  17. Der BGH stellt die Einstandspflicht für Organisationsverschulden hier dezidiert neben eine solche für

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

Dass insofern etwas anderes gilt als im Kontext des §  278 BGB (s. vorste­ hend), ist nicht etwa widersprüchlich, sondern im Gegenteil sachgerecht und stringent, weil dort eben eine Einstandspflicht des Werkunternehmers für das Verschulden des Bauleiters und hier eine Einstandspflicht des Wer­ kunternehmers für eigenes Organisationsverschulden in Rede steht. Das hat der BGH später mit Blick auf ein etwaiges Organisationsverschulden des Nachunternehmers noch einmal bekräftigt: „Dem Unternehmer kann eine solche Obliegenheitsverletzung nicht allein deshalb ange­ lastet werden, weil sein Nachunternehmer die Herstellung des ihm übertragenen Werks seinerseits nicht richtig organisiert. Eine Zurechnung über §  278 BGB kommt nicht in Betracht, weil sich der Unternehmer regelmäßig nicht des Nachunternehmers zur Erfül­ lung seiner eigenen Organisationspflichten im Rahmen der dargestellten Obliegenheit bedient. Die ordnungsgemäße Organisation des Herstellungsprozesses beim Nachunter­ nehmer ist regelmäßig allein dessen Angelegenheit und wird nicht im Fremdinteresse durchgeführt“.303

Später hat der BGH außerdem noch klargestellt, dass die „Organisationspflicht keine vertragliche Verbindlichkeit gegenüber dem Besteller [ist]. Sie ist vielmehr eine Obliegenheit, deren Verletzung zu einer für den Unternehmer nach­ teiligen Verjährung führt. Es liegt in seinem eigenen Interesse, seinen Betrieb so zu orga­ nisieren, dass er sich nicht dem Vorwurf aussetzt, er habe durch Arbeitsteilung von vorn­ herein verhindert, arglistig zu werden“.304

Der BGH hat ferner zutreffend betont, dass die Anknüpfung arglistigen Verschweigens an die Verletzung einer Organisationsobliegenheit nur in Be­ tracht kommt, wenn der Werkunternehmer „die Herbeiführung des von ihm geschuldeten Werkerfolgs arbeitsteilig organisiert hat“; bei einem allein tätigen Werkunternehmer sei für einen Rückgriff auf diese Grundsätze dem­ gegenüber „kein Raum“.305 Er stellt außerdem klar, dass eine Obliegenheits­ verletzung „im Grundsatz auch dann vorliegen kann, wenn ein Unternehmer die Erfüllungsgehilfen, deren er sich zur Erfüllung der Offenbarungspflicht bedient, unsorgfältig aussucht oder ihnen keine ausreichende Möglichkeit gibt, Mängel wahrzunehmen, so dass sie auch nicht in der Lage sind, diese zu offenbaren“. Denn es mache „keinen Unterschied, ob ein Un­ ternehmer überhaupt keine Erfüllungsgehilfen bei der Verpflichtung zur Offenbarung von Mängeln der übernommenen Leistung einsetzt oder so schlecht ausgewählte oder eingesetzte Erfüllungsgehilfen, dass er nicht davon ausgehen kann, diese würden ihre

fremdes Verschulden nach §  278 BGB, die er davor erörtert; vgl. hierzu vorstehend bei Fn.  286. 303  BGH, Urt. v. 11.10.2007 – VII ZR 99/06, NJW 2008, 145 Rn.  18. 304  BGH, Urt. v. 27.11.2008 – VII ZR 206/06, NJW 2009, 582 Rn.  15. 305  BGH, Urt. v. 27.11.2008 – VII ZR 206/06, NJW 2009, 582 Rn.  17.

E. Exemplifizierung: Die Rechtsprechung des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB

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Pflichten erfüllen können“.306 Der Organisationsfehler müsse allerdings „ein solches Ge­ wicht haben, dass es gerechtfertigt ist, den Unternehmer demjenigen Unternehmer gleich­ zustellen, der einen Mangel arglistig verschweigt. Den Unternehmer muss der Vorwurf treffen, er habe mit seiner Organisation die Arglisthaftung vermeiden wollen“; dieser Vorwurf sei „gerechtfertigt, wenn der Unternehmer Personal zur Erfüllung seiner Offen­ barungspflicht einsetzt, von dem er weiß, dass es dieser Pflicht nicht nachkommen wird oder nicht nachkommen kann. Gleiches gilt, wenn er zwar ein entsprechendes Wissen nicht hat, er aber die Augen vor dieser Erkenntnis verschließt“.307

Auch der Rechtsprechung zur Haftung für eigenes vorsätzliches Organisa­ tionsverschulden ist zuzustimmen.308 Dass neben einer Haftung für fremdes Verschulden nach §  278 BGB grundsätzlich auch eine Haftung für eigenes Verschulden in Betracht kommt, ist nachgerade selbstverständlich.309 Wer seinen Betrieb (die arbeitsteilige Erfüllung einer Verbindlichkeit) so organi­ siert, dass ihn interne Mängelanzeigen seiner Erfüllungsgehilfen nicht errei­ chen, erfüllt selbst den Tatbestand des arglistigen Verschweigens eines Man­ gels, wenn und weil er es dabei (genauer: im Rahmen des jeweils in Rede 306 

BGH, Urt. v. 27.11.2008 – VII ZR 206/06, NJW 2009, 582 Rn.  21. BGH, Urt. v. 27.11.2008 – VII ZR 206/06, NJW 2009, 582 Rn.  22; fortgeführt und konkretisiert mit Urt. v. 22.7.2010 – VII ZR 77/08, NJW-RR 2010, 1604 Rn.  12 ff. Im Übrigen weist der BGH insbesondere noch darauf hin, dass „allein der durch einen Bau­ mangel verursachte Anschein einer Bauüberwachungspflichtverletzung nur ausnahms­ weise den weitergehenden Anschein erwecken kann, der mit der Bauüberwachung beauf­ tragte Architekt habe seine mit der Bauleitung befassten Mitarbeiter in der dargestellten Weise unsorgfältig ausgesucht oder eingesetzt“; ein solcher Anschein entstehe „selbst bei schwerwiegenden Baumängeln jedenfalls dann nicht, wenn der sich hieraus ergebende Bauüberwachungsfehler seiner Art nach auch einem sorgfältig ausgewählten und einge­ setzten Bauleiter unterlaufen kann“ (BGH, Urt. v. 22.7.2010 – VII ZR 77/08, NJW-RR 2010, 1604 Rn.  15); insofern kritisch, wobei allerdings unklar ist, ob nur oder auch auf die Rechtsprechung zu §  278 BGB bezogen, Jurgeleit, BauR 2018, 389, 396. 308 Ebenso für §   463 S.   2 BGB a. F. Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001, S.  136 ff.; insgesamt in eine ähnliche Richtung auch Liese, Grenzen der Wissenszurech­ nung, 2020, S.  284 ff. Anders Vogel, Arglistiges Verschweigen des Bauunternehmers auf­ grund Organisa­tionsverschuldens, 1998, S.  144 ff., der auf Grundlage eines beweglichen Zurechnungssystems in Anknüpfung an §  166 BGB allerdings zu durchaus ähnlichen Er­ gebnissen kommt, wenn er neben einer Zurechnung des Wissens bestimmter intern einge­ setzter Hilfspersonen „solche Wissensdefizite als bekannt [zurechnet], die – grob gesagt – als Mangel so beschaffen sind, daß der im entsprechenden Baufachgebiet Bewanderte sich sagen muß, daß vom Unternehmer gegen grundlegendes und vorauszusetzenden baufachliches Wissen verstoßen wurde“ (Vogel, a. a. O., S.  329). 309  Im Ausgangspunkt auch Flume, AcP 197 (1997), 441, 453. Die Ausnahme bestätigt übrigens die Regel: Etwas anderes gilt ebenso selbstverständlich, wo das Gesetz etwas anderes anordnet. Das ist namentlich in Stellvertretungsfällen der Fall, wo nach §  166 Abs.  1 BGB grundsätzlich nur die Person des Vertreters und nicht auch die des Vertrete­ nen in Betracht kommt; näher dazu oben Kapitel  1 B.II.2.b) = S. 71 f. und Kapitel  3 C. II.2. = S. 343 f. 307 

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Kapitel 3: Wissenstatbestände als Vorsatztatbestände

stehenden Vertragsschlusses, der jeweils in Rede stehenden Abnahme etc.) zumindest konkret für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass das Werk oder, beim Kauf, die Sache mangelhaft ist, der Vertragsgegner dies nicht weiß und den Vertrag im Wissen um den Mangel nicht geschlossen bzw. das Werk oder die Sache nicht abgenommen hätte.310 Davon wird man nach der Lebenserfahrung regelmäßig insbesondere dann ausgehen können, wenn entweder der Organisationsfehler im Sinne der soeben geschilderten Rechtsprechung des BGH objektiv von hohem Gewicht ist oder der in Rede stehende Mangel objektiv gravierend und besonders augenfällig ist;311 hierbei handelt es sich nicht um ein eigenständiges tatbestandliches Erfordernis, sondern um ein Indiz (Beweisanzeichen) in Verbindung mit einem Erfah­ rungssatz auf Tatsachenebene. Die Konkretisierung dahin, der Organisationsmangel müsse ein solches Gewicht haben, dass den Unternehmer der Vorwurf trifft, „er habe mit sei­ ner Organisation die Arglisthaftung vermeiden wollen“, trifft aber auch auf normativer Ebene ins Schwarze: Sie reflektiert die systemprägende Unter­ scheidung von Vorsatz und Fahrlässigkeit und berücksichtigt, dass im Rah­ men von §  634a Abs.  3 BGB (§  638 BGB a. F.) eben nur das arglistige, also vorsätzliche Verschweigen, im Kontext arbeitsteiliger Teilnahme am Rechts­ 310 Ähnlich Schlechtriem, FS Heiermann, 1995, S.  281, 290–292, der dabei auch auf die Parallele zur Rechtsprechung zum Organisationsverschulden im Deliktsrecht hinweist (s. dazu noch am Ende dieses Abschnitts); auch Jurgeleit, BauR 2018, 389, 398, wenngleich mit anderer Schlussfolgerung. Anders Schwab, JuS 2017, 481, 490, der die Grenze zwi­ schen Wissen und Wissensmüssen überschritten sieht; es trifft aber nicht zu, dass das Wis­ senselement des Arglisttatbestands, und um nichts anderes geht es, unbedingtes Wissen voraussetzt (so aber wohl Schwab, a. a. O., 490: „Kenntnis von dem Mangel“). Vielmehr genügt nach allgemeinen Regeln bedingtes Wissen im Sinne einer konkreten Möglich­ keitsvorstellung in Verbindung mit der bil­ligenden Inkaufnahme der Tatbestandsverwirk­ lichung; näher oben Kapitel  2 A.VII. = S.  174 ff. Anders auch Flume, AcP 197 (1997), 441, 453 f., der die geschilderte Rechtsprechung des BGH wegen Fehlens einer dogmati­ schen Begründung mit dem pauschalen Hinweis darauf ablehnt, das bloße Organisations­ verschulden begründe nicht den Arglisttatbestand. Warum das bei vorsätzlicher Fehlorga­ nisation so sein soll – nochmals: nur darum geht es hier –, erschließt sich indes nicht. In Richtung einer Einordnung als Rechtsfortbildung Lang, FS Odersky, 1996, S.  583, 586. 311  Vgl. zu diesem zweiten Aspekt BGH, Urt. v. 12.3.1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754 Abschn.  II 2 c: „Dabei kann die Art des Mangels ein so überzeugendes Indiz für eine fehlende oder nicht richtige Organisation sein, daß es weiterer Darlegung hierzu nicht bedarf [Nachweise]. So kann ein gravierender Mangel an besonders wichtigen Gewerken ebenso den Schluß auf eine mangelhafte Organisation von Überwachung und Überprü­ fung zulassen wie ein besonders augenfälliger Mangel an weniger wichtigen Bauteilen. Demgegenüber wird der Unternehmer vorzutragen haben, wie er seinen Betrieb im ein­ zelnen organisiert hatte, um den Herstellungsprozeß zu überwachen und das Werk vor Ablieferung zu überprüfen“. Anders Rutkowsky, NJW 1993, 1748, 1749.

E. Exemplifizierung: Die Rechtsprechung des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB

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verkehr dargestellt als vorsätzliche Fehlorganisation, tatbestandsmäßig ist.312 Insofern unterscheidet sich die Einstandspflicht für eigenes vorsätzli­ ches Organisationsverschulden deutlich, und zwar sowohl rechtskonstruk­ tiv als auch in den Anforderungen, von der Lehre von der Zurechnung kraft Organisationsmangels. Der Vorwurf vorsätzlichen Organisationsverschul­ dens ist der Sache nach das organisationsbezogene Pendant zum Vorwurf bewussten Sichverschließens313 und adressiert letztlich, untechnisch gespro­ chen, das Problem „organisierter Unverantwortlichkeit“.314 Im Übrigen dürfte der Vorwurf vorsätzlichen Organisationsverschuldens, bei Vorliegen von Schädigungsvorsatz, in der Regel auch eine Haftung aus §  826 BGB und bei Verletzung eines der in §  823 Abs.  1 BGB geschützten Rechtsgüter auch eine Haftung nach dieser Vorschrift unter dem Gesichtspunkt der Verlet­ zung einer Verkehrs- bzw. Verkehrssicherungspflicht begründen.315

312  Im Ergebnis mindestens ähnlich, allerdings konstruktiv anders (§  242 BGB), BuckHeeb, Wissen und juristische Person, 2001, S.  460: „Es geht nicht um eine ‚richtige‘ Orga­ nistation, sondern darum, ob es hier als rechtsmißbräuchlich eingestuft werden kann, wenn der Unternehmer auf sein Nichtwissen verweist“, was der Fall sei, wenn „sich der Unternehmer etwa seiner Verantwortung hinsichtlich der Mangelfreiheit durch Aufga­ bendelegation an niederrangigere [darauf kommt es m. E. allerdings nicht an; Anm. d. Verf.] Funktionsträger bewußt zu entziehen versuchte“ (Hervorhebung im Orginial). Anders etwa Koller, JZ 1998, 75, 83, wenn er ausführt, die dargelegten Grundsätze spreng­ ten die Fesseln der Wissenszurechnung. Er geht dabei davon aus, der Werkunternehmer hafte (schon), wenn und weil er „die Kontrolle der Werkleistung nicht ausreichend orga­ nisiert und die dazu eingesetzten Personen nicht richtig überwacht hat“. Ähnlich Rutkowsky, NJW 1993, 1748 f., der davon ausgeht, der BGH setze „jedes Organisationsverschul­ den“ mit Arglist gleich. Damit wäre in der Tat nur der Fahrlässigkeitsmaßstab in Bezug genommen. Darum geht es hier aber nicht; hier geht es um ein bewusstes organisatori­ sches Sichverschließen. 313  Vgl. oben Kapitel  1 A.IV.3. = S. 49 ff., Kapitel  3 A.VII. = S. 282 f. und Kapitel 3 D. = S. 337 ff. 314 Vgl. aus einer Metaperspektive Denga, ZIP 2020, 945, 946 m.  w. N.; illustrativ Weißhaupt, in: Drygala/Wächter (Hrsg.), Vertrauenshaftung, 2020, S.  151, 156: „Beispiel: Das zuständige Vorstandsmitglied der Verkäufer-AG betraut seinen ehrgeizigen Chauf­ feur mit der M&A-Gesamtprojektleitung und Verhandlungsführung“. 315  Vgl. zur Haftung für Organisationsverschulden im Deliktsrecht insbesondere den in­struktiven Beitrag von Schlechtriem, FS Heiermann, 1995, S.  281 ff. und vor allem S.  285 m. w. N. aus der Rechtsprechung des BGH, wobei Schlechtriem die Rechtsprechung des BGH zum Deliktsrecht ebenfalls in Bezug setzt zur hier besprochenen Rechtsprechung des BGH zu §  634a Abs.  3 BGB (§  638 BGB a. F.), s. Schlechtriem, a. a. O., S.  290 ff. Zu beachten ist natürlich, dass für eine Haftung aus §  823 Abs.  1 BGB, anders als im Rahmen von §  634a Abs.  3 BGB, fahrlässiges Organisationsverschulden genügt. Aus dem jüngeren Schrifttum zu den deliktsrechtlichen Verkehrs- und Organisationspflichten bei arbeitstei­ ligem Handeln insbesondere noch Habersack/Zickgraf, ZHR 182 (2018), 252, 266 ff.

Kapitel  4

Einheit des subjektiven Tatbestands? Als Normen zur Sanktionierung vorsätzlichen oder, wo gleichgestellt, fahr­ lässigen pflicht- oder obliegenheitswidrigen Verhaltens begründen Wissens­ normen, genauso wie explizite Vorsatz- oder Verschuldensnormen, Verant­ wortlichkeit. In Bezug auf pflicht- oder obliegenheitswidriges Verhalten wirft der Re­ kurs auf den Vorsatz- und Verschuldenstatbestand keine fundamentalen Probleme auf. Ihm liegt die Betrachtung des Normadressaten als Schuldner der ihm auferlegten Pflicht oder Obliegenheit zugrunde, dessen Verantwort­ lichkeit sich innerhalb bestehender Sonderverbindungen nach den §§  276– 278 BGB bestimmt. Die Begründung von Verantwortlichkeit für pflicht- oder obliegenheits­ widriges Verhalten ist allerdings nur ein Ausschnitt aus dem fundamentalen Problemfeld der subjektiven Zurechnung im Privatrecht.1 De lege lata spricht sehr viel dafür anzunehmen, dass der Vorsatz- und der Verschuldenstatbestand in ihrem Bezug jeweils kategorisch auf rechts-, pflicht- oder obliegenheitswidriges und damit auf in einem weiteren Sinne objektiv vorwerfbares Verhalten beschränkt sind.2 Das ist sowohl in den einzelnen Wissens-, Vorsatz- und Verschuldensnormen als auch im Wortlaut der §§  276–278 BGB („Haftung“) deutlich angelegt. Zwingend ist diese Begrenzung indes nicht. Nimmt man mit Max Weber und der handlungstheoretisch geprägten Soziologie die Einsicht ernst, dass 1  Canaris, FS Picker, 2010, 113 vor dem Hintergrund von §  326 Abs.  2 S.  1 Alt.  1 BGB. Namentlich lässt sich auch die subjektive Zurechnung einer Willenserklärung als Problem der (Selbst-)Verantwortung beschreiben; vgl. Habersack, JuS 1996, 585, 586 m. w. N.; all­ gemein zur Zurechnung als Rechtsproblem aus dem jüngeren Schrifttum noch Denga, ZIP 2020, 945 ff. 2  Deutlich etwa BGH, Urt. v. 13.5.2015 – XII ZR 65/14, NJW 2015, 2419 Rn.  37 und die dort angeführten Nachweise: „Der Vorwurf schuldhaften Verhaltens beinhaltet aber ein Wert­urteil, indem dem Handelnden vorgeworfen wird, er habe vorsätzlich oder fahr­ lässig gegen die Rechtsordnung verstoßen. Verschulden setzt daher Rechtswidrigkeit ­voraus [Nachw.]. Unabhängig davon, ob man insoweit auf das Verhaltens- oder das Er­ folgsunrecht abstellt [Nachw.], scheidet ein Schuldvorwurf aus, wenn es an einem Rechts­ verstoß fehlt“.

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Kapitel 4: Einheit des subjektiven Tatbestands?

für die Zwecke des deutenden Verstehens Verhalten und subjektiver Sinn eine unauflösliche Einheit bilden3 und vergegenwärtigt man sich auf dieser Grundlage, dass praktische Rechtsanwendung – zumal die Auslegung! – ganz wesentlich immer auch deutendes Verstehen ist, stellt sich die Frage, warum – und wie überhaupt  – das Prinzip der personalen Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen, wie es für die Zwecke des Privatrechts im Vorsatztatbestand operabel gemacht ist, nicht auch dort gelten soll, wo von vornherein kein Vorwurf rechts-, pflicht- oder obliegenheitswidrigen Verhaltens in Rede steht? Ebenso wie Wissen de lege lata tatbestandlich nicht isoliert Gegenstand und Bezugspunkt von Normen ist, sondern stets ein bestimmtes, volitives Verhalten im Wissen um bestimmte Umstände adressiert ist, sollte de lege ­ferenda möglicherweise auch Wollen nicht isoliert Gegenstand und Bezugs­ punkt von Normen sein, sondern überhaupt nur vorsätzliches oder, sofern gleichzustellen, fahrlässiges Verhalten. Insbesondere ist auch die Willenserklärung als Tatbestand zur Begrün­ dung vertraglicher Sonderverbindungen mit einem Verweis auf ein Wollen und ein damit korrespondierendes Erklärungsverhalten ersichtlich unvoll­ ständig beschrieben. Die Relevanz kognitiver Elemente, namentlich einer konkreten Vorstellung vom Erklärungswert des eigenen Verhaltens, lässt sich im Grundsatz nicht in Abrede stellen.4 3 Näher und mit Nachweisen oben Kapitel   2 A.I. = S. 135 ff.; für einen Überblick über den betreffenden philosophischen Diskurs etwa Setiya, Intention, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Fall 2018 Edition, insbesondere Abschn. 1 Intending as Doing und Abschn. 5 Intention and Belief. 4  Vgl. dazu etwa schon Beuthien, FS Zöllner, 1998, S.  87, 93; auch Faßbender, Innerbe­ triebliches Wissen und Bankrechtliche Aufklärungspflichten, 1998, S.  155; Schrader, Wis­ sen im Recht, 2017, S.  450 ff.; Schewe, Bewußtsein und Vorsatz, 1967, S.  31 m. w. N. zur Beschreibung des Willens als „zum Entschluß gekommene[s] Bewußtsein“. Vgl. dazu, dass sogar eine rein kognitive Rekunstruktion eines entscheidungsbezogenen Freiheitsbe­ griffs denkbar ist, schließlich noch Luhmann, Zeitschrift für Wissenschaftsforschung 9/10 (1994/1995), 107, Abschn.  VII., zitiert nach Baecker, Die Kontrolle von Intransparenz, 2 2018, S.  61 f.: „Wollte man den Begriff der Freiheit an das skizzierte Verständnis von Ent­ scheidung anpassen, müßte man ihn rein kognitiv rekonstruieren. Freiheit wäre dann nichts anderes als das Erkennen von Alternativen in einer sich determinierenden Situati­ on. Es ginge um die Konstruktion von Wahlmöglichkeiten in Formen, die es ermöglichen, die Option dem Beobachter intern zuzurechnen; sei es durch den Handelnden selbst, sei es durch einen externen Beobachter. Alle Normen würden demnach, wie schon im Para­ dies, Freiheit generieren, nämlich die Freiheit, zu gehorchen oder die Norm zu brechen. Entscheidungen kämen überhaupt erst dadurch zustande, daß andere Entscheidungen Erwartungen festlegen, auf die man sich einzustellen hat“. Für die Zwecke des Privat­ rechts ist eine auch voluntative Anknüpfung der Zurechnung aus den hier dargelegten

Kapitel 4: Einheit des subjektiven Tatbestands?

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Es liegt vor diesem Hintergrund nahe, de lege ferenda – die Abgabe einer Willenserklärung als vorsätzliche Verwirklichung des objektiven Tatbestands einer Willenserklärung zu erfassen,5 – den Tatbestand der Duldungsvollmacht („kennt und duldet“)6 als vor­ sätz­liche Duldung des vertretergleichen Auftretens eines anderen zu erfas­ sen, – den Tatbestand des willentlichen (bewussten und gewollten) Sich-Be­ dienens bei §  278 BGB als vorsätzliches Sich-Bedienen, das heißt als vorsätz­ lichen Einsatz eines Dritten im eigenen Pflichtenkreis durch aktive Zuwei­ sung eines darauf bezogenen Aufgabenbereichs oder durch Duldung von des­sen Tätigwerden innerhalb oder im allgemeinen Umkreis des eigenen Pflichtenkreises zu erfassen7 und – den Tatbestand des Fremdgeschäftsführungswillens bei §  677 BGB als vorsätzliche Verwirklichung des objektiven Tatbestands einer echten Ge­ schäftsführung ohne Auftrag zu erfassen, wobei jeweils zusätzlicher Festlegung bedarf, ob bzw. unter welchen Vor­ aussetzungen fahrlässiges Verhalten vorsätzlichem Verhalten gleichzustellen ist oder nicht. Dem läge, um es noch einmal zu wiederholen, die Einsicht zugrunde, dass die personale Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen nicht (nur) normativistische Konstruktion in dem Sinne ist, dass erst und ausschließlich Gründen – genauso wie in Bezug auf Wissensnormen – allerdings unverzichtbar, zumal wo der Wille nun einmal Geltungsgrund ist. 5  Begrifflich wird der subjektive Tatbestand der Willenserklärung bzw. des Rechtsge­ schäfts auch in der klassischen Rechtsgeschäftslehre mitunter als „Absicht“ in Bezug ge­ nommen, freilich ohne dass damit wirklich eine entsprechende inhaltliche Festlegung ver­ bunden würde; vgl. etwa Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, 61887, § 69 Fn. 1a = S. 187 f. 6  Exemplarisch zur hergebrachten Fassung des Tatbestands der Duldungsvollmacht im Sinne eines – immerhin: verhaltensbezogenen – Wissenstatbestands BGH, Urt. v. 5.11.­ 1962 – VII ZR 75/61, LM §  167 BGB Nr.  13 Abschn.  II 2; BGH, Urt. v. 30.5.1975 – V ZR 206/73, NJW 1975, 2101 Abschn.  II 3 b (insoweit bei JZ 1976, 132 nicht abgedruckt). Gegen eine Verbindung des Rechtsscheinprinzips mit dem Verschuldensprinzip Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S.  476 ff., zitiert nach Neuner/Grigoleit, Claus-­Wilhelm Canaris – Gesammelte Schriften, Band  2: Vertrauenshaftung, 2012, S.  552 ff. m. w. N. zu abweichenden Stimmen aus dem älteren Schrifttum, sowie Canaris, JZ 1976, 132, 133 f., wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, dass Canaris seine Ableh­ nung im Wesentlichen mit der  – auch hier betonten – Beschränkung der Kategorie des Verschuldens auf die Verletzung von besonderen Verhaltenspflichten im geltenden Recht (und im Übrigen mit einer generellen Skepsis gegenüber der Kategorie der Obliegenheit) begründet. 7  Siehe bereits oben Kapitel  2 B.I.4.d) = S. 217 f.

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Kapitel 4: Einheit des subjektiven Tatbestands?

der Vorsatzbegriff als Rechtsbegriff diese Korrespondenz in sich und aus sich selbst ­heraus begründet, sondern ein allgemeines Prinzip in dem Sinne, dass auch-subjektive Sachverhalte, die Gegenstand des Rechts sind, über­ haupt nur unter Berücksichtigung dieser Korrespondenz deutend verstan­ den werden können und damit zutreffend erfasst sind. Von Tatbeständen, die an ein rechts-, pflicht- oder obliegenheitswidriges Verhalten anknüpfen, würde sich die Willenserklärung als Vorsatztatbe­ stand, abgesehen vom Bezugspunkt des in Rede stehenden Verhaltens und seiner Qualifikation als nicht vorwerfbar, damit nur noch (und immerhin) hinsichtlich des Geltungsgrunds der bewirkten Rechtsfolgen unterscheiden, wenn man davon ausgeht, dass diese hier ex voluntate eintreten8 und dort unabhängig davon ex lege. Dieser Unterschied mag beispielsweise die Gel­ tung der Regel falsa demonstratio non nocet begründen; die konstituieren­ den Tatbestandselemente wären jeweils dieselben. Die rechtsfolgenseitige Gleichstellung fahrlässigen Verhaltens ließe sich demgegenüber „– thesenhaft zuspitzend – als Entgrenzung von Innen be­ schreiben und durch einen Prinzipienwandel von Autonomie zu objektiver Zurechnung charakterisieren“.9 Sie ist in mancherlei Hinsicht, ansatzweise in Gestalt der Anfechtungslösung des BGB, ganz deutlich in Gestalt der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit und in der Anscheinsvollmacht, rechtliche Realität. Dogmatisch vollständig aufgelöst ist sie bislang nicht. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit ergibt sich, grob skizziert, folgendes Bild: Vollausgeprägte Autonomie verwirklicht sich 8  Vgl. Mot. I, 1888, S.  126 (wörtlich wiedergegeben oben Einführung Fn.  16), 191. Zu­ rückhaltender Prot. I, 1897, S.  106 f. Kritisch aus dem jüngeren Schrifttum Durantaye, Erklärung und Wille, 2020, S.  30 ff. Dass sich der Rekurs auf den Willen als Geltungs­ grund und die Konturierung des subjektiven Tatbestands im Sinne eines Vorsatztatbe­ stands nicht ausschließen, zeigt die strafrechtliche Einwilligungstheorie, die man insofern der privatrechtlichen Willenstheorie gegenüberstellen könnte. 9  Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.  165. Der zitierte Gedanke kommt im jüngeren Schrifttum besonders deutlich etwa bei Durantaye, Erklärung und Wille, 2020, zum Ausdruck, wenn sie ausführt: „Eine (objektiv als solche zu bewertende) Willens­erklärung, die nicht von einem subjektiven Willen getragen ist, stellt eine Störung des Rechtsverkehrs dar, die möglichst vermieden werden sollte“ (S.  37) und daraus folgt: „Ausreichender Anknüpfungspunkt für eine selbstverantwortliche Haftung kann aber bereits ein Verhalten sein, das objektiv den Anschein erweckt, als sei es rechtlich erheb­ lich. Eine darüber hinausgehende subjektive Vorwerfbarkeit [sic!] ist nicht erforderlich“ (S.  40) und dezidiert sogar das Vorhandensein eines von ihr so genannten Handlungsbe­ wusstseins für entbehrlich erachtet (S.  42 f.). Ein so weitreichender Austausch der Legiti­ mationsbasis rechtsgeschäftlicher Bindung überzeugt aus ganz grundlegenden Erwägun­ gen nicht; gegen eine Anknüpfung der Gültigkeit von Willenserklärungen an eine Oblie­ genheits- oder Pflichtverletzung etwa Singer, JZ 1989, 1030, 1032.

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in der Zurechnung von Rechtsfolgen kraft personaler Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen und damit in einer absoluten Vorsatzanknüp­ fung. In dieser Autonomiestruktur ist die Einbeziehung des bedingten Vor­ satzes als Tatbestand einer „Privatautonomie im weiteren Sinne“10 angelegt. Die Anknüpfung von Rechtsfolgen auch an bloß fahrlässiges Verhalten stellt sich demgegenüber als Durchbrechung des Prinzips vollausgeprägter Auto­ nomie dar. Das bedeutet aber nicht, dass sie deshalb per se ausgeschlossen wäre. Rechtskonstruktiv löst sie sich im Gegenteil – anders als das Neben­ einader von einfachem Wissen oder einfachem Wollen und Fahrlässigkeit – bruchlos im allgemeinen Verschuldenstatbestand auf. Als Durchbrechung des geschilderten Autonomieprinzips bedarf die rechtsfolgenseitige Gleich­ stellung von vorsätzlichem und bloß fahrlässigem Verhalten – genauer: die damit verbundene materielle11 Objektivierung – allerdings in jedem Fall stichhaltiger Begründung.12

10 Nach Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, 1967, S.  127. Vgl. im Übrigen wiederum Singer, JZ 1989, 1030, 1033, wenn er die Anfechtungslösung des geltenden Rechts bei irrtumsbehafteten Willenserklä­ rungen dahin beschreibt, es bestehe „eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß derjeni­ ge, der trotz Kenntnis des Irrtums ungebührlich lange schweigt, das Geschäftsergebnis billigt oder doch wenigstens hinnimmt“. 11  Zur davon zu unterscheidenden bloß rechtsanwendungsbezogenen (beweisrechtli­ chen) Objektivierung siehe oben Kapitel  1 A.IV. = S. 42 ff. und Kapitel  2 A.V = S. 149 ff. 12  Vgl. auch Grigoleit, in: Bender (Hrsg.), The Law Between Objektivity and Power, 2021 (im Erscheinen), insbesondere Statements 2 und 3; speziell bezogen auf das informa­ tionelle Vorsatzdogma bereits ders., Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S.  40 ff. Speziell für die hier im Fokus stehenden Wissensnormen ist damit insbesondere die Kritik an der Ein­ebnung der positivrecht­lichen Unterscheidung zwischen Wissen (vorsätzliches Verhalten) und Wissenmüssen (fahrlässiges Verhalten) durch die pflichtenbasierte Wis­ senszurechnug kraft Organisationsmangels angesprochen; siehe oben Kapitel  1 A.VI. = S. 64 ff. und B.IV.11.b) = S. 109 f.

Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Der Vorsatzbegriff ist geprägt durch die personale Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen. Der verhaltensbezogene Vorsatzbegriff macht die Einsicht, dass für die Zwecke des deutenden Verstehens Verhalten und subjektiver Sinn eine unauflösliche Einheit bilden, für die Zwecke des Rechts und seiner praktischen Anwendung operabel. 2. Diese Erkenntnis gilt nicht nur für explizite Vorsatz- bzw. Verschul­ densnormen, sondern auch für Normen mit (vermeintlich) einfachem Wis­ senstatbestand (Wissensnormen). Denn Wissen ist niemals allein, als „nackte Tatsache“, Gegenstand einer Norm, sondern immer nur in einem spezifi­ schen, volitiven Verhaltensbezug wie der Führung von Vertragsverhand­lun­ gen, der Abgabe einer Willenserklärung, der Erfüllung einer Verbindlich­ keit, der Inbesitznahme einer Sache, der Vornahme einer entreichernden Hand­lung oder dem „Verjährenlassen“ eines Anspruchs im Sinne des Un­ terlassens verjährungshemmenden Tuns. 3. Wissenstatbestände adressieren also genauso wie Vorsatztatbestände willentliches Verhalten trotz Wissens. Expliziert man diesen notwendigen Verhaltens- und Wollensbezug, so zeigt sich, dass absolute Wissensnormen, ähnlich wie Normen mit Arglisttatbestand, nichts anderes sind als verkürzt formulierte (absolute) Vorsatznormen. Geradezu offenkundig ist dies bei der Vorsatzform der Wissentlichkeit, die nichts anderes ist als in einen voli­ tiven Verhaltensbezug gesetztes unbedingtes Wissen. Ob darüber hinaus auch bedingter Vorsatz genügt, ist durch Auslegung der in Rede stehenden Wissensnorm zu ermitteln. Die Frage, welches Maß an subjektiver Sicher­ heit erforderlich ist, um den Tatbestand einer absoluten Wissensnorm zu begründen, ist damit in spezifischer Weise als Frage danach operabel ge­ macht, ob tatbestandlich Wissentlichkeit als Vorsatzform und damit unbe­ dingtes Wissen gefordert ist oder bedingter Vorsatz und damit bedingtes Wissen im Sinne einer konkreten Möglichkeitsvorstellung in Verbindung mit der billigenden Inkaufnahme der Tatbestandsverwirklichung genügt. Ist das fahrlässige Nichtwissen (Wissenmüssen) dem Wissen tatbestandlich gleichgestellt (relative Wissensnormen), ist im Ergebnis der allgemeine Ver­ schuldenstatbestand in Bezug genommen.

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4. Erkennt man die notwendige personale Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen und erkennt man auf dieser Basis, dass Wissenstatbe­ stände nichts anderes sind als verkürzt formulierte Vorsatz- bzw. Verschul­ denstatbestände, so offenbart sich, dass eine wie auch immer geartete isolierte Zurechnung fremden Wissens zur Tatbestandsbegründung notwendig unzulänglich ist. Die Frage der Wissenszurechnung stellt sich nicht mehr. Die Wissenszurechnung geht in der verhaltensbezogenen Vorsatz- bzw. Verschuldenszurechnung auf. Auch Ansätze dahin, (sogar) explizite Vor­ satztatbestände wie §  463 S.  2 BGB a. F. im Wege bloßer Wissenszurechnung zu begründen, scheiden danach, wie der BGH seit jeher für §  638 BGB a. F. (§  634a Abs.  3 BGB) erkannt und zwischenzeitlich auch für §  826 BGB zu­ treffend entschieden hat, von vornherein aus. 5. Dieses Ergebnis entspricht dem Regelbefund des BGB. Die Einstands­ pflicht für fremdes vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten ist im BGB norm­übergreifend in §§  31, 278 BGB positiv geregelt. Eine „Wissenszurech­ nung“ ist im BGB demgegenüber nur ganz punktuell in §  166 BGB für das Verhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem und auch hier ausschließlich in Bezug auf die recht­lichen Folgen der in Rede stehenden Willenserklärung angeordnet. §  166 BGB vervollständigt damit die Wirkung von Verhalten und Wollen des Vertreters für und gegen den Vertretenen nach §  164 BGB um die Wirkung auch von dessen Wissen für und gegen den Vertretenen. Damit bestätigen die §§  164, 166 BGB das geschilderte Korrespondenzprin­ zip und sind zugleich als Ausprägung dieses Prinzips einzuordnen. 6. Es ist auch abgesehen hiervon kein Grund ersichtlich, der es rechtferti­ gen oder gar gebieten würde, die Frage der Einstandspflicht für Dritte (die Zurechnungsfrage) bei Wissensnormen anders zu beantworten als bei (ex­ pliziten) Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen. Das zeigt sich besonders deut­ lich bei Normen, die identische Rechtsfolgen alternativ (vermeintlich) an einen einfachen Wissenstatbestand und (oder) an einen Vorsatztatbestand knüpfen (z. B. §  138 Abs.  1 und Abs.  2 BGB in den Fällen des Wuchers und des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts) sowie bei Normen, die Wissen und fahrlässiges oder zu vertretendes Nichtwissen rechtsfolgenseitig gleich be­ handeln (z. B. §  311a Abs.  2 S.  2 BGB), gilt aber auch sonst. 7. §  278 BGB ist damit für Wissensnormen genauso wie für Vorsatz- bzw. Verschuldensnormen zentrale Zurechnungsnorm innerhalb bestehender Son­derverbindungen. a) Innerhalb bestehender Sonderverbindungen hat der „eigentliche“ Ad­ ressat der in Rede stehenden Wissensnorm folglich auch hier grundsätzlich nur (aber immerhin) nach Maßgabe von §  278 BGB insoweit für gesetzliche Vertreter sowie für wissentlich und willentlich eingesetzte sonstige Dritte

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(Erfüllungsgehilfen) einzustehen, als diese in seinem Pflichten- bzw. Oblie­ genheitenkreis und innerhalb oder im allgemeinen Umkreis des ihnen zuge­ wiesenen Aufgabenbereichs tätig werden. b) Das Erfordernis eines relevanten Verhaltensbeitrags des Wissensträgers verwirklicht das Erfordernis personaler Korrespondenz von Wissen, Wollen und Verhalten (auch) in Zurechnungsfragen. Da §  278 BGB für natürliche Personen und Verbände als Geschäftsherren gleichermaßen gilt, verwirk­ licht die Regelung insoweit außerdem die Gleichbehandlung von natürlicher Person und Verband. c) Zurechnungsgrund ist dabei weder eine irgendwie geartete Stellung des Wissensträgers als Repräsentant vergleichbar einem Vertreter noch ein ir­ gendwie gearteter Organisationsmangel, sondern – gleichsam im Gegen­ teil  – im Fall des §  278 S.  1 Alt.  2 BGB die Inanspruchnahme interner Orga­ nisationsfreiheit durch den Schuldner in Gestalt seiner freien Organisations­ entscheidungen und im Fall des §  278 S.  1 Alt.  1 BGB eine gesetzliche Organisationsentscheidung (primär) zu seinen Gunsten. d) Der Anwendungsbereich von §  278 BGB ist dabei weit: Die Beschrän­ kung des Anwendungsbereichs von §  278 BGB auf die Erfüllung von Ver­ bindlichkeiten im Rahmen bestehender Sonderverbindungen bedeutet nicht etwa, dass die Sonderverbindung zeitlich vor dem Einsatz der Hilfsperson bzw. der Erbringung des maßgeblichen Verhaltensbeitrags durch diese be­ gründet worden sein muss. Die Beschränkung von §  278 BGB auf die Erfül­ lung von Verbindlichkeiten bedeutet nur, dass die Vorschrift auf Tatbestände nicht anwendbar ist, die ein Schuldverhältnis überhaupt erst begründen (Vertragsschluss; Delikt). Auf wissens- bzw. verschuldensabhängige Folgetatbestände ist §  278 BGB demgegenüber auch dann anwendbar, wenn diese an den Zeitpunkt der Begründung der Sonderverbindung anknüpfen (z. B. „Kenntnis“ oder „zu vertretende/fahr­lässige Unkenntnis“ bzw. „arglistige“ Täuschung bei Vertragsschluss, §§  311a Abs.  2, 442 BGB etc.; „Bösgläubig­ keit“ bei Besitzerwerb, §  990 Abs.  1 S.  1 BGB; „Kenntnis“ vom Mangel des rechtlichen Grundes bei Empfang der Leistung, §  819 Abs.  1 BGB). e) Unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken des §  278 BGB lässt sich in­ nerhalb bestehender Sonderverbindungen auch die Frage der Einstands­ pflicht in Konzernverhältnissen sachgerecht beantworten. 8. Für eine Zurechnung von Wissen und Wissenmüssen (vorsätzlichem bzw. fahrlässigem Verhalten) in Bezug auf Tatbestände, die eine Sonderver­ bindung überhaupt erst begründen, gibt §  278 BGB nichts her. Insofern ist die Einstandspflicht für Dritte, vorbehaltlich §  31 BGB, in §  166 BGB für das Vertragsrecht und in §  831 BGB für das Deliktsrecht geregelt.

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9. Für das Verhältnis zwischen Organ (Organmitglied) und Verband gilt mit §  31 BGB eine Sonderregel. a) §  31 BGB trägt dem Umstand Rechnung, dass der Verband als Rechtsträ­ ger selbst nicht handlungs-, wissens- und willensfähig ist, deshalb aber nicht besser stehen darf als die natürliche Person als Rechtsträger. Daher muss sich der Verband als Rechtsträger für die Zwecke des Privatrechts das Ver­ halten, Wissen und Wollen seiner Organe (Organmitglieder) zurechnen las­ sen. Das ist in §  31 BGB für „zum Schadensersatz verpflichtende Handlun­ gen“ angeordnet, gilt aber auch jenseits der Haftung auf Schadensersatz. Denn auch jenseits der Haftung auf Schadensersatz ist kein Grund ersicht­ lich, warum der Verband aus seiner fehlenden „natürlichen“ Handlungs-, Wissens- und Willensfähigkeit irgendwelche Vorteile in Gestalt der Nicht­ anwendbarkeit (Nichtoperabilität) von Normen haben sollte, die ein Ver­ halten, Wissen und Wollen des Normadressaten voraussetzen. b) Der geschilderten Totalität des personalen Defizits des Verbands ge­ mäß gilt §  31 BGB überall dort, wo eine Norm tatbestandlich an ein wissensund willensgetragenes Verhalten eines Verbands als Rechtsträger anknüpft und rechnet dem Verband als Rechtsträger überall dort das wis­sens- und willensgetragene Verhalten seiner Organe (Organmitglieder) zu. Insbeson­ dere gilt §  31 BGB innerhalb bestehender Sonderverbindungen genauso wie im Rahmen der Begründung von Sonderverbindungen (Vertrag, Delikt) und für unmittelbar selbst haftungs- oder sanktionsrelevantes Verhalten der Or­ gane (Organmitglieder) genauso wie im Rahmen der Begründung einer Einstandspflicht des Verbands für sonstige Dritte (Nicht­organe) nach den allgemeinen Regeln der §§  166, 278, 831 BGB, soweit diese wiederum an ein wissens- und willensgetragenes Verhalten des Verbands anknüpfen („Wei­ sungen“, „bedient“, „bestellt“). 10. Von all dem zu unterscheiden ist die Einstandspflicht des Normadres­ saten für eigenes Verschulden (eigenes schuldhaftes Verhalten), das sich ge­ nerell für den Verband als Normadressaten und im Kontext arbeitsteiliger Teilnahme am Rechtsverkehr auch für die natürliche Person als Normadres­ satin als – vorsätz­liches oder, wo gleichgestellt, fahrlässiges – Organisations­ verschulden darstellen und als solches den Tatbestand einer Wissensnorm erfüllen kann. Der Vorwurf vorsätzlichen Organisationsverschuldens ist der Sache nach das organisationsbezogene Pendant zum Vorwurf (bewussten) Sichverschließens. 11. Es spricht sehr viel dafür, dass sich die Einsicht in die Notwendigkeit personaler Korrespondenz von Verhalten, Wissen und Wollen zur Begrün­ dung subjektiver Zurechnung de lege ferenda – unter Aufgabe der im gel­ tenden Recht deutlich angelegten Beschränkung des Vorsatztatbestands auf

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in einem weiteren Sinne vorwerfbares, das heißt rechts-, pflicht- oder oblie­ genheitswidriges Verhalten – im Sinne einer Theorie von der Einheit des subjektiven Tatbestands fortentwickeln lässt. Danach würde beispielsweise: – der Tatbestand der Abgabe einer Willenserklärung als vorsätzliche Ver­ wirklichung des objektiven Tatbestands einer Willenserklärung, – der Tatbestand der Duldungsvollmacht („kennt und duldet“) als vorsätz­ liche Duldung des vertretergleichen Auftretens eines anderen, – der Tatbestand des willentlichen (bewussten und gewollten) Sich-Bedie­ nens bei §  278 S.  1 Alt.  2 BGB als vorsätzliches Sich-Bedienen und – der Tatbestand des Fremdgeschäftsführungswillens bei §  677 BGB als vorsätzliche Verwirklichung des objektiven Tatbestands der echten Ge­ schäftsführung ohne Auftrag beschrieben. In dieser Autonomiestruktur ist die Einbeziehung des bedingten Vorsatzes als Tatbestand einer „Privatautonomie im weiteren Sinne“ angelegt. Zusätz­ licher Festlegung bedarf jeweils, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen, einer dahingehenden Tendenz in der Rechtsprechung und im Schrifttum fol­ gend (insbesondere: Erklärungsfahrlässigkeit, Anscheinsvollmacht), fahrläs­ siges Verhalten vorsätzlichem Verhalten im Sinne des allgemeinen Verschul­ denstatbestands gleichzustellen ist. Dem läge jedenfalls die Einsicht zugrunde, dass die personale Korrespon­ denz von Verhalten, Wissen und Wollen nicht (nur) normativistische Kon­ struktion in dem Sinne ist, dass erst und ausschließlich der Vorsatzbegriff als Rechtsbegriff diese Korrespondenz in sich und aus sich selbst heraus be­ gründen würde, sondern ein allgemeines Prinzip in dem Sinne, dass auch-subjektive Sachverhalte, die Gegenstand des Rechts sind, überhaupt nur unter Berücksichtigung dieser Korrespondenz deutend verstanden wer­ den kön­nen und damit zutreffend erfasst sind.

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Sachregister Abschlussgehilfe 215 Absicht  141, 272 absolute Vorsatznorm  2, 166 absolute Wissensnorm  2 absolute Wissenszurechnung  120, 122 Abtretung 123 aktuelles Wissen  144 Altlastenentscheidung 92 Amtshaftung 166 anfängliche Unmöglichkeit  293 Angaben ins Blaue hinein  181, 283 Anscheinsvollmacht  211, 372 Anthropozentrismus 34 Anti-Intellektualismus 25 Arbeitsteilung  109, 189, 329, 361 Arglist  8, 169, 174, 246, 284 Arglistiges Verschweigen Siehe Arglist Arglistige Täuschung Siehe Arglist Atomistisches Denken (Vorsatz)  140 Aufgabenbereich  224, 360 Aufwandsfreiheit  279, 284 Auskunftsgehilfe 224 Ausschluss der Zurechnung Siehe Zurechnungsausschluss Auswahlverschulden usw. 191, 197, 201, 212, 217, 226, 254, 308, 352, 353, 362 autonome Systeme  34 Bankkassiererentscheidung 83 bedingter Vorsatz  142, 151, 271, 282 bedingtes Wissen  144, 271 Behörden  85, 103 Beraterhaftung  164, 255 Bereicherungsrecht  208, 304 beruflich erlangtes Wissen  129, 338 Besitz 261 Besitzdiener 207 Betriebsfortführung 253

Betrug 177 Bewahrungsgehilfe 221 Beweisanzeichen 43 Beweislast  21, 42 bewusste Fahrlässigkeit  143 bewusstes Sichverschließen Siehe Sichverschließen bewusste Täuschung  9, 185, 306 Bürgermeisterentscheidung  88, 240, 312 close and sue Siehe Sandbagging Collective Epistemology Siehe Social Epistemology COVID-Maßnahmengesetz 166 Daran-Denken 144 Darlegungslast Siehe Beweislast Daten- und Aktenwissen  32, 57 Delegationsbewusstsein Siehe Delega­ tionswille Delegationswille  7, 371 deskriptive Tatbestandsmerkmale  157 deutendes Verstehen  138 Dieselentscheidungen 310 dolus eventualis Siehe bedingter Vorsatz Draft Common Frame of Reference (DCFR)  132, 334 Duldungsvollmacht  211, 212, 371 Eheerschleichung 187 Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV)  205, 304 Eigenzurechnung 13 Einheitslösung 15 elektronische Person Siehe ePerson eliminative Tradition  27 emergente Tradition  27 englisches Recht  129

400

Sachregister

ePerson 34 epistemische Rechtfertigung  22, 145 epistemisches Subjekt  26 Epistemologie Siehe Erkenntnistheorie Erbe 124 Erbenbesitz 125 Erfahrungssatz  24, 43, 47, 52, 149, 156 Erfolgsprinzip 269 Erfüllungsgehilfe  164, 189, 213, 328 Erkenntnistheorie 19 Erklärungsbewusstsein  4, 370 Erklärungsfahrlässigkeit  4, 372 Erklärungswille Siehe Erklärungs­ bewusstsein Eventualvorsatz Siehe bedingter Vorsatz Externalismus 23 falsa demonstratio non nocet  372 Fiktionstheorie 117 Filialleiterentscheidungen 83 Fiskus Siehe Wissenszurechnung (Steuerrecht) Fondsprospektentscheidung 306 französisches Recht  129 Fremdgeschäftsführungsbewusstsein Siehe Fremdgeschäftsführungswille Fremdgeschäftsführungswille  6, 371 Fremdzurechnung 13 fundamentalistische Theorien  22 Für-Möglich-Halten Siehe bedingter Vorsatz Genossenschaftstheorie 117 Gesamtrechtsnachfolge 124 Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)  6, 204 Gettier-Beispiele 24 Gläubigerwechsel 123 Gleichstellungsargument  109, 264, 330 Grundbuch 276 Gutglaubenstatbestände 300 gutgläubiger Erwerb Siehe Gutglaubens­ tatbestände Handlung  138, 148, 234, 261 Handlungstheorie Siehe soziologische Handlungsbegriffe Hehlerei 273

imputation of knowledge  130 Indikatoren  43, 149 Indizien  149, 155 Indiztatsachen 43 informationelle Sorgfaltspflichten  64, 279 Informationsorganisation Siehe Wissens­ organisation Insolvenzverwalter 252 Intellektualismus 25 Internalismus 23 Irrtum  20, 46 Joint Acceptance Account  29 kapitalmarktrechtlicher Vorsatz­ begriff 169 Knollenmergelentscheidung 91 Knowledge Aggregation  29 Knowledge Governance  112 kohärentistische Theorien  22 Kommunikationsakte 43 Konzern 340 Körperschaften des öffentlichen Rechts Siehe Behörden Korrespondenz Siehe personale Korres­ pondenz Legalzession 123 Leistungshindernis bei Vertragsschluss Siehe Anfängliche Unmöglichkeit Leutehaftung 243 Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz 23, 274 Lücke 14 Lüge  21, 46, 292 Makler 83 Masterflex 224 Missbrauch der Vertretungsmacht  55, 73 Mitverschulden 290 Möglichkeitstheorien Siehe Vorstellungs­ theorien Möglichkeitsvorstellung Siehe bedinger Vorsatz negative Beschaffenheitsvereinbarung  285 Nicht-Dritter 209

Sachregister Nichtwissen (infolge von Fahrlässigkeit) Siehe Wissenmüssen normativer Besitzbegriff  261 normativer Handlungsbegriff  261 normativer Willensbegriff  261 normativer Wissensbegriff  259 normative Tatbestandsmerkmale  157 normativistische Konstruktion  277, 371 normreguliertes Handeln  138 objektive Evidenz  54 objektive Zurechnung  372 Obliegenheit  221, 263, 268, 334, 369 Operabilisierungsleistung des Vorsatz­ tatbestands  272, 370 Organisationsfreiheit  115, 190, 238, 341 Organisationsmangel  59, 87, 231 Organisationsverschulden Siehe Auswahl­ verschulden usw. organisierte Unverantwortlichkeit  367 Organtheorie  35, 94, 117, 346 Parallelwertung in der Laiensphäre  63, 157, 165 passivistischer Vertretener  74, 346 Passivvertretung 122 personale Korrespondenz  135, 150, 277, 331, 344, 370 Pflichtenkreis  164, 196, 203, 208, 215, 218, 220, 255, 321, 328, 331, 339, 341, 346, 359, 362, 371 Platon (Dialog Theaitetos)  19 positive Kenntnis  2 positives Wissen  2 potentielles Erklärungsbewusstsein Siehe Erklärungsfahrlässigkeit potentielles Wissen  144 Praxistheorien 139 Principles of European Contract Law (PECL)  132, 334 privat erlangtes Wissen  128, 338 propositionales Wissen  25 Prozessbevollmächtigter Siehe Prozess­ vertretung Prozessvertretung 249 Rechtsauskunft Siehe Rechtsrat

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Rechtsirrtum Siehe Rechtswissen Rechtsrat 163 rechtsvergleichendes Panorama  129, 336 Rechtswissen  60, 159, 281 redlich Denkender  63 Reflexion auf die Totalität der Person  140 relative Wissensnorm  1, 66 Repräsentant  78, 230, 329, 360 respondeat superior  130 Risikotheorien Siehe Vorstellungstheorien sachkundige Person (InsVV)  254 Sandbagging 286 Scheingehilfe 219 Schlachthoffall Siehe Bürgermeister­ entscheidung Schuldtheorie 160 Schuldverhältnis Siehe Sonderverbindung sekundäre Darlegungslast  46, 149 Sichverschließen  49, 58, 63, 282, 367 Sinnverstehen 138 Sittenwidrigkeit  9, 167, 306 Social Epistemology  27 Sonderverbindung  199, 332, 342, 348 soziale Erkenntnistheorie  27 soziologische Handlungsbegriffe und -theorien 138 Stellvertretung  70, 343, 351 subjektiver Sinn  138, 370 subjektive Sicherheit  39 subjektive Zurechnung  369 substantiierte Kenntnis  23, 274 Substitution  194, 242 Summative Approach  29 tatsächliche Vermutung  49 teleologisches Handeln  138 Theorie von der realen Verbandspersön­ lichkeit 117 Trennungslösung 15 Überbau 241 unbedingtes Wissen  144 Unrechtsbewusstsein Siehe Rechtsirrtum Untermieter 242 Unternehmenskauf  274, 286, 337 Unwerturteil 184 US-amerikanisches Recht  129

402

Sachregister

Verantwortlichkeit  35, 268, 369 Verband 229 Verbotsirrtum Siehe Rechtsirrtum verfügbare Information  32 Verhalten  135, 266 verhaltensakzessorische Wissenszurech­ nung 324 Verhalten trotz Wissens  150, 262, 268, 270, 315 Verhandlungsgehilfe 215 Verjährungsrecht  84, 103, 297, 327 Verkehrsschutzargument 111 Verkehrs- und Verkehrssicherungspflich­ ten  197, 232, 367 Vermutung 38 Verschuldensnorm 1 Verschuldensprinzip 269 Versicherungsvertragsrecht  126, 245, 274 Vertrauensargument 111 Vertretertheorie  117, 123, 346 Vertretung, Vertreter Siehe Stellvertretung Verwalter kraft Amtes  70, 124, 213 vis absoluta  270 voluntaristische Handlungstheorie  139 Vorsatzgefahr, Lehre von der Siehe Vorstellungstheorien vorsätzliche sittenwidrige Schädigung Siehe Sittenwidrigkeit Vorsatztheorie 160 Vorsatzzurechnung Siehe Verschuldens­ zurechnung Vorstellungstheorien 147 vorwerfbares Verhalten Siehe Vorwurf Vorwurf  268, 281, 369

Wahnvorstellung 23 Wahrheit 20 Wahrheitsfindung Siehe Wahrheit Wahrscheinlichkeitstheorien Siehe Vorstellungstheorien Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 250 Willenserklärung  4, 370 Wissenmüssen 64 Wissensorganisation  87, 112, 331 Wissenstheorien Siehe Vorstellungs­ theorien Wissensvertretung (Überblick)  77, 328 Wissenszurechnung (Öffentliches Recht)  41, 85, 107, 265 Wissenszurechnung (Sozialrecht)  2, 39, 107, 282 Wissenszurechnung (Steuerrecht)  80, 107, 229 Wissenszurechnung (Strafrecht)  265 Wissenszurechnung (Überblick)  14, 69 Wissentlichkeit  141, 150, 270, 273 Wucher  9, 16, 49, 333 Zahlungsdienstleister 242 Zugangserfordernisse 44 Zurechnung (Eigen-, Fremd-)  13 Zurechnungsausschluss 337 Zusammenhang (innerer, sachlicher)  224, 245 Zuschreibung 13 Zustellungserfordernisse 44 Zweifel 39