Wissen in Bewegung: Gelehrte Journale, Debatten und der Buchhandel der Aufklärung 3515125922, 9783515125925

Aufklärung ohne Zeitschriften ist undenkbar. Vor allem die Gelehrten Journale stellten eine neue Form von Öffentlichkeit

114 41 4MB

German Pages [254] Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Wissen in Bewegung: Gelehrte Journale, Debatten und der Buchhandel der Aufklärung
 3515125922, 9783515125925

Table of contents :
Inhalt
Wissen braucht einen Träger. Gelehrte Blätter als zentrales Medium der Aufklärung (Katrin Löffler)
Journalproduktion und ihre Voraussetzungen
Die Vor- und Frühgeschichte der Acta Eruditorum im Kontext der Leipziger Sozietätslandschaft des 17. Jahrhunderts. Zum Verhältnis von journalistischer Rezensions- und sozietärer Vortragspraxis (Maximilian Görmar)
Der Großrezensent Albrecht von Haller. Hallers Exzerpte und Rezensionen in den Jahren 1745 bis 1747 (Claire Gantet)
Autoren, Verleger, Käufer: Gelehrte Journale und der Buchhandel
Der Diskurs über den Büchernachdruck in den Gelehrten Journalen und Zeitungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Simon Portmann)
Bücher in Bewegung. Bibliotheken und Auktionen in den Gelehrten Journalen des 18 Jahrhunderts (Flemming Schock)
Manuskripte in der Schublade. Autor sucht Verleger (Katrin Löffler)
Diskurse und Debatten: Gelehrte Journale und die Topographie des Wissens
Rezensionen des allgemeinen Wissens. Frühneuzeitliche Lexika im Blickfeld zeitgenössischer Rezensenten (Andreas Müller)
Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert (Kristina Küntzel-Witt)
Die Debatte um die Taufe in den Gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts (Thea Sumalvico)
Die Kometenerscheinung von 1743/44 in Gelehrten Journalen. Eine Annäherung (Doris Gruber)
Informieren, Kritisieren, Räsonieren: Strukturen und Praktiken Gelehrter Journale
Johann Christoph Gottscheds Ruhmgeschichte im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik (Anett Lütteken)
Gottsched und der Parnassus Boicus. Gelehrte Rezensionspraxis zwischen Leipzig und München (Markus Christopher Müller)
Von »gelehrten Sachen« in den Gelehrten Nachrichten und Gelehrten Beyträgen im Wien(n)erischen Diarium 1766–1769 (Nora Fischer)
Auserlesenheit als Alleinstellungsmerkmal. Die Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur (1772–1781) als Rezensionsorgan der Aufklärung (Arne Klawitter)
»Journale sind es, in die diese Wissenschaften sich ergossen haben« Fachzeitschriften als Diskussionsräume naturwissenschaftlicher Forschungsmethoden um 1800 (Alexander Stoeger)
Namenregister

Citation preview

Wissen in Bewegung Gelehrte Journale, Debatten und der Buchhandel der Aufklärung Herausgegeben von Katrin Löffler

Geschichte Franz Steiner Verlag

Beiträge zur Kommunikationsgeschichte | 33

beiträge zur kommunikationsgeschichte Herausgegeben von Carsten Kretschmann, Bernd Sösemann und Rudolf Stöber Band 33

Wissen in Bewegung Gelehrte Journale, Debatten und der Buchhandel der Aufklärung Herausgegeben von Katrin Löffler

Franz Steiner Verlag

Dieser Band wurde durch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) im Rahmen des Akademienprogramms mit Mitteln des Bundes (Bundesministerium für Bildung und Forschung) und des Landes Sachsen (Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst) gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Layout und Herstellung durch den Verlag Druck: Druckerei Steinmeier GmbH & Co. KG, Deiningen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12592-5 (Print) ISBN 978-3-515-12595-6 (E-Book)

Inhalt Katrin Löffler Wissen braucht einen Träger Gelehrte Blätter als zentrales Medium der Aufklärung

9

Journalproduktion und ihre Voraussetzungen Maximilian Görmar Die Vor- und Frühgeschichte der Acta Eruditorum im Kontext der Leipziger Sozietätslandschaft des 17. Jahrhunderts Zum Verhältnis von journalistischer Rezensions- und sozietärer Vortragspraxis

31

Claire Gantet Der Großrezensent Albrecht von Haller Hallers Exzerpte und Rezensionen in den Jahren 1745 bis 1747

45

Autoren, Verleger, Käufer: Gelehrte Journale und der Buchhandel Simon Portmann Der Diskurs über den Büchernachdruck in den Gelehrten Journalen und Zeitungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Flemming Schock Bücher in Bewegung Bibliotheken und Auktionen in den Gelehrten Journalen des 18 Jahrhunderts

75

Katrin Löffler Manuskripte in der Schublade Autor sucht Verleger

91

6

Inhalt

Diskurse und Debatten: Gelehrte Journale und die Topographie des Wissens Andreas Müller Rezensionen des allgemeinen Wissens Frühneuzeitliche Lexika im Blickfeld zeitgenössischer Rezensenten

109

Kristina Küntzel-Witt Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Thea Sumalvico Die Debatte um die Taufe in den Gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts . . . . . . 145 Doris Gruber Die Kometenerscheinung von 1743/44 in Gelehrten Journalen Eine Annäherung

157

Informieren, Kritisieren, Räsonieren: Strukturen und Praktiken Gelehrter Journale Anett Lütteken Johann Christoph Gottscheds Ruhmgeschichte im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Markus Christopher Müller Gottsched und der Parnassus Boicus Gelehrte Rezensionspraxis zwischen Leipzig und München

187

Nora Fischer Von »gelehrten Sachen« in den Gelehrten Nachrichten und Gelehrten Beyträgen im Wien(n)erischen Diarium 1766–1769 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Arne Klawitter Auserlesenheit als Alleinstellungsmerkmal Die Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur (1772–1781) als Rezensionsorgan der Aufklärung

213

Inhalt

Alexander Stoeger »Journale sind es, in die diese Wissenschaften sich ergossen haben« Fachzeitschriften als Diskussionsräume naturwissenschaftlicher Forschungsmethoden um 1800

7

231

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Wissen braucht einen Träger Gelehrte Blätter als zentrales Medium der Aufklärung Katrin Löffler Seit dem späten 17. Jahrhundert beschleunigten die Gelehrten Journale die Zirkulation von Ideen und wurden für die ständig aktualisierte Problematisierung von Wissensbeständen in Deutschland – wie in ganz Europa – zum wesentlichen Instrument. Sie bildeten nicht nur den gesamten Wissens- und Kulturaustausch der Gelehrtenrepublik ab, sie konstituierten und steuerten aufklärerische Diskurse und normierten gelehrte Praktiken wie die der Kritik. Aufklärung ist ohne Zeitschriften nicht denkbar, denn sie stellten eine Öffentlichkeit her, die es zuvor nicht gab und die es der interessierten Allgemeinheit ermöglichte, am kritischen Diskurs teilzuhaben. Insofern konfigurierten die Periodika die Art und Weise, in der man Wissen verbreitete und diskutierte, völlig neu. Das alles ist seit Jürgen Habermas und seiner These vom »Strukturwandel der Öffentlichkeit«1 bekannt, die Bedeutung der Zeitschriften ist evident, ihre Einschätzung als »Schlüsselwerke der Aufklärung«2 ein Gemeinplatz der Forschung. Jahrhundertelang war der Brief das zentrale Medium gelehrter Kommunikation gewesen.3 Er diente über die bloße wechselseitige Information hinaus der kritischen Einschätzung von Schriften und konnte, wenn sich Gelehrte mit ihren Fachkollegen über ein festgelegtes Thema austauschten, die Form der Epistolae doctae annehmen, der Abhandlungsbriefe. Die Korrespondenz wurde weitgehend auf Latein geführt, erst

1 2 3

Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied: Luchterhand 1962. Paul Raabe: Die Zeitschrift als Medium der Aufklärung. In: Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung (1974), S. 99–136, hier S. 104. Vgl. Monika Ammermann: Gelehrten-Briefe des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. In: Bernhard Fabian, Paul Raabe (Hg.): Gelehrte Bücher vom Humanismus bis zur Gegenwart (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens, 9). Wiesbaden: Harrassowitz 1983, S. 81–96; Martin Gierl: Korrespondenzen, Disputationen, Zeitschriften. Wissensorganisation und die Entwicklung der gelehrten Medienrepublik zwischen 1670 und 1730. In: Richard van Dülmen, Sina Rauschenbach (Hg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Köln u. a.: Böhlau 2004, S. 417–438.

10

Katrin Löffler

nach 1650 kam zunehmend auch die deutsche Sprache in Gebrauch. In der Regel blieb indes der briefliche Austausch auf wenige Beteiligte begrenzt, er basierte auf einer persönlichen Beziehung, war also mehr oder weniger exklusiv und von vergleichsweise gemächlichem Tempo. Die Drucklegung von Gelehrtenkorrespondenzen wiederum, verstärkt seit dem 17. Jahrhundert, belegt das öffentliche Interesse sowohl an den Briefinhalten als Teil der Literärgeschichte wie auch an den Personen und den privat kommunizierten Informationen zur Entstehung gelehrter Schriften. In den Briefen, so heißt es in den Erlangischen gelehrten Anmerkungen und Nachrichten 1759 bei der Rezension einer Briefausgabe, entdecken die »Gelehrten einander ihre Anschläge, klagen sie ihre wechselsweise Schicksale und Anliegen, hier liefern sie die wahre Geschichte ihrer Schriften, und verbergen die geheimsten Triebfedern ihrer Handlungen nicht«.4 Zudem kam den Briefen eine wissenschaftsdidaktische Funktion zu, denn an ihnen ließen sich verschiedene Arbeitsmethoden beobachten.5 Mit der Entwicklung der Wissenschaften und ihrer institutionellen Träger, vor allem mit den zahlreichen Gründungen von Universitäten, Sozietäten und Akademien in der Frühen Neuzeit, wuchs auch das Bedürfnis nach Austausch, sodass Privatbriefe oft mehrfach gleichlautend verschickt oder als ›Sendschreiben‹ konzipiert wurden. Von dieser »Funktion als halb privates, halb öffentliches Rundschreiben« entlasteten die Zeitschriften den Brief,6 dennoch blieb er als Medium wichtig, das viele Aufgaben zu erfüllen hatte: Information, Austausch über fachliche Fragen, Debatten und wissenschaftliche Vorhaben, gegenseitige Ermutigung, Bildung von Bündnissen, Unterstützung mit Literatur.7 Medienhistorisch ist der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz von paradigmatischem Interesse: Er hegte selbst die Idee zu einer Zeitschriftengründung nach französischem Vorbild, publizierte den größten Teil seines Werkes nicht in monographischer Form, sondern in hunderten Zeitschriftenartikeln, unterhielt eine ausgedehnte Korrespondenz und war mit seinen Forschungen selbst vielfach Gegenstand des Diskurses in den Gelehrten Journalen.8 4 5 6

7 8

Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 5. Juni 1759, S. 192 f. Es geht um die von Johann Ludwig Uhl herausgegebene Briefsammlung Sylloge nova epistolarum varii argumenti (Nürnberg 1760–1759). Vgl. Ammermann: Gelehrten-Briefe (wie Anm. 3), S. 87. Regine Zott: Die unzeitgemäßen Hundsposttage … Fragen nach einer Brieftheorie. In: Hans-Gert Roloff (Hg.): Wissenschaftliche Briefeditionen und ihre Probleme. Berlin: Weider 1998, S. 43–72, hier S. 47; siehe auch dies.: Der Brief und das Blatt. Die Entstehung wissenschaftlicher Zeitschriften aus der Gelehrtenkorrespondenz. In: Wissenschaftliche Zeitschrift und Digitale Bibliothek (Wissenschaftsforschung, Jahrbuch 2002), Berlin 2003, S. 47–59. Vgl. Detlef Döring: Gelehrtenkorrespondenz. In: Ulrich Rasche (Hg.): Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven. Wiesbaden: Harrassowitz 2011, S. 315–340. Vgl. Flemming Schock, Katrin Löffler: Anmerkungen zur Leibniz-Rezeption in den deutschsprachigen gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts. In: Daniel Fulda, Pirmin Stekeler-Weithofer (Hg.): Theatrum naturae et artium – Leibniz und die Schauplätze der Aufklärung. Leipzig, Stuttgart: Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig / S. Hirzel 2019, S. 194–210.

Wissen braucht einen Träger

11

Aber nicht nur als Medium der privaten oder halböffentlichen Kommunikation blieb der Brief unverzichtbar. Für die Redakteure und Herausgeber von Gelehrten Journalen waren briefliche Netzwerke geradezu existentiell, um die gewünschten Rezensionen und Nachrichten zu erhalten. Sie »stützten sich nicht nur auf, sie generierten auch Korrespondenz«.9 Das bekannteste Beispiel ist die erste deutsche allgemeine wissenschaftliche Zeitschrift, die Acta Eruditorum, die ab 1682 auf Latein in Leipzig erschienen. Um sie auf ein solides Fundament zu stellen und Beiträger zu gewinnen, initiierte der Begründer Otto Mencke nicht nur eine gelehrte Sozietät, sondern unternahm 1680 auch eine Reise nach den Niederlanden und Großbritannien.10 Sein Sohn Johann Burckhard, der die Acta Eruditorum fortführte, reiste im Anschluss an sein Studium nach Großbritannien und den Niederlanden, und auch dessen Sohn Friedrich Otto unternahm eine solche Peregrinatio academica, um sich mit den »gelehrtesten Männern daselbst«11 bekannt zu machen – unerlässlich für den Erhalt und Ausbau der Kontakte. Das hohe Ansehen der Gelehrtenkorrespondenzen verdeutlicht auch die Tatsache, dass der Bibliothekskatalog von Otto und Johann Burckhard Mencke etwa 190 Titel von Briefsammlungen vom 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert enthielt.12 Vom Korrespondentennetz der (Nova) Acta Eruditorum profitierten ebenfalls die 1715 in Leipzig begründeten Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen, die personell eng zusammenhingen.13 Wie symbiotisch Korrespondenz und Gelehrte Zeitschrift medientechnisch verflochten waren, machte exemplarisch Johann Peter Kohl sichtbar, der seine ab 1732 erscheinenden Hamburgischen Berichte von neuen Gelehrten Sachen mit dem Zusatz aus einem täglichen, beglaubten Briefwechsel mit in- und auswärtigen Gelehrten versah. Dieser Aspekt der Produktionsbedingungen Gelehrter Journale ist bislang wenig untersucht worden,14 was nicht zuletzt in der schwierigen Quellenlage begründet ist, insofern nicht überlieferte (und veröffentlichte) Briefwechsel bzw. Verlagsarchive vorhanden sind wie im Fall von Friedrich Nicolai und dessen Allgemeiner Deutscher Bibliothek.15 9 10 11 12 13

14 15

Gierl: Korrespondenzen (wie Anm. 3), S. 432. Joachim Kirchner: Zur Entstehungs- und Redaktionsgeschichte der Acta eruditorum. In: Archiv für Buchgewerbe und Gebrauchsgraphik 4/1928 (Pressa-Sonderheft), S. 75–88, hier S. 78. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 3. Juli 1732, S. 470. Vgl. Ammermann: Gelehrten-Briefe (wie Anm. 3), S. 81. Vgl. Rüdiger Otto: Johann Gottlieb Krause und die Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen. In: Hanspeter Marti, Detlef Döring (Hg.): Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld 1680– 1780. Basel: Schwabe 2004 S. 215–328. Otto betont die Bedeutung von Krauses eigener Korrespondenz neben der Menckeschen. Siehe Flemming Schock: Der vortreffliche Herr Brückmann. Korrespondenz und Naturforschung in den Hamburgischen Berichten von neuen Gelehrten Sachen (1732–1759). In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 19 (2017), S. 5–27. Zur Quellenlage, besonders zu gedruckten und ungedruckten Briefwechseln Friedrich Nicolais, vgl. Ute Schneider: Friedrich Nicolais Allgemeine Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik. Wiesbaden: Harrassowitz 1995, S. 32–36. Eine Gesamtedition der Korrespondenz Nicolais ist in Planung; vgl. Christine Haug: Einführung. Autor-Verleger-Korrespondenzen als

12

Katrin Löffler

Projekte, die sich (auch) der Erschließung von Gelehrtenkorrespondenzen widmen, wie beispielsweise das Berner Projekt zu Albrecht von Haller16 oder die Edition des Briefwechsels von Johann Christoph Gottsched, geben der Forschung nun auch die Möglichkeit an die Hand, deren publizistische Aktivitäten genauer zu untersuchen.17 Eine zentrale Funktion der Gelehrten Blätter war die Information über Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt, denn in Anbetracht der anschwellenden Buchproduktion im Laufe des 18. Jahrhunderts18 bedurfte es mehr und mehr auch der Orientierung. Eine öffentlich zugängliche Information über Novitäten boten bis dahin die Messkataloge, die 1564 ihren Anfang nahmen, aber lediglich bibliographische Daten enthielten. Mit der vielfach konstatierten »Bücherflut« korrespondierte daher die wachsende Zahl der Gelehrten Blätter. Bereits im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts sprach man von den »Journal-Fluten«.19 Verlässliche Zahlenangaben sind kaum möglich; man schätzt, dass es zwischen dem ausgehenden 17. und dem beginnenden 19. Jahrhundert 500 bis 800 Titel waren.20 Die zahlreichenden Neugründungen auf dem Gebiet des Römisch-deutschen Reichs wurden durch die territoriale Zersplitterung, das heißt die Vielzahl der Macht- und kulturellen Zentren begünstigt.21

16 17

18

19 20 21

eine Quelle der Buchhandels- und Verlagsgeschichtsschreibung. In: Thomas Bremer, Christine Haug (Hg.): Verlegerische Geschäftskorrespondenz im 18. Jahrhundert. Das Kommunikationsfeld zwischen Autor, Herausgeber und Verleger in der deutschsprachigen Aufklärung. Wiesbaden: Harrassowitz 2018, S. 1–45, hier S. 16. Vgl. http://www.albrecht-von-haller.ch/d/hallerprojekt1991-2003.php. Johann Christoph Gottsched: Briefwechsel. Unter Einschluß des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Im Auftrage der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hg. von Detlef Döring und Manfred Rudersdorf. Berlin: de Gruyter 2007 ff. Gabriele Ball widmete in ihrer Studie zu Gottscheds literarischer Publizistik ein Kapitel den damals noch ungedruckten Briefen; vgl. dies.: Moralische Küsse. Gottsched als Zeitschriftenherausgeber und literarischer Vermittler. Göttingen: Wallstein 2000, S. 239–321. Um das Jahr 1740 rechneten die Zeitgenossen mit rund 750 jährlichen Neuerscheinungen, in den 1780er und 1790er Jahren hingegen bereits mit etwa 5000 für den deutschen Sprachraum ohne das Habsburgerreich; vgl. Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels. München: Beck 21999, S. 122. Thomas Habel: Deutschsprachige Gelehrte Journale und Zeitungen. In: Ulrich Rasche (Hg.): Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven (Wolfenbütteler Forschungen 128). Wiesbaden: Harrassowitz 2011, S. 341–398, hier S. 358. Vgl. Habel: Deutschsprachige Gelehrte Journale (wie Anm. 19), S. 359. Zur Geschichte der Gelehrten Periodika vgl. Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts. Bremen: edition lumière 2007; ders.: Deutschsprachige Rezensionszeitschriften der Aufklärung. Zur Geschichte und Erschließung. In: Peter Albrecht, Holger Böning (Hg.): Historische Presse und ihre Leser. Studien zu Zeitungen und Zeitschriften, Intelligenzblättern und Kalendern in Norddeutschland. Bremen: edition lumière 2005, S. 42–77; ders.: Deutschsprachige Gelehrte Journale (wie Anm. 19); Wiebke Hemmerling: Von Nutz und Lust. Zum Verhältnis von Gelehrsamkeit und Curiosität in frühen deutschen Zeitschriften. In: Flemming Schock (Hg.): Polyhistorismus und Buntschriftstellerei. Populäre Wissensformen und Wissenskultur in der Frühen Neuzeit. Berlin 2012 (Frühe Neuzeit, 169), S. 221–229.

Wissen braucht einen Träger

13

Das Kerngeschäft dieser Periodika aber waren die Rezensionen, die die neuen Schriften mehr oder weniger kritisch einordneten. Wenn hier also von Gelehrten Zeitschriften die Rede ist, dann sind die enzyklopädisch ausgerichteten Periodika gemeint, die zumindest ein gewisses Spektrum an Disziplinen abdeckten und überwiegend Besprechungen von Novitäten auf dem Buchmarkt enthielten. Manche beschränkten sich auf Rezensionen, andere nahmen auch Buchanzeigen und Buchankündigungen auf; mitunter konnten Personalnachrichten, Nekrologe, Akademienachrichten etc. enthalten sein, ebenso Repliken und Stellungnahmen, und etliche der Blätter veröffentlichten gelegentlich auch kürzere Originalbeiträge. Die Gelehrten Blätter bieten also in ihrer inhaltlichen Struktur ein durchaus vielgestaltiges Bild.

Titelkupfer der Nova literaria circuli Franconici oder fränckische Gelehrten-Historie, 1725 erschienen (Bayrische Staatsbibliothek München, BV041542569). Unten links im Bild sitzt der personifizierte Main, zu seinen Füßen ein stehendes und ein aufgeschlagenes Buch, ein großes Zeichenblatt und ein Zirkel als Attribute gelehrten Fleißes. Über ihm fliegt die Fama als Personifikation des Ruhms, ausgestattet mit Fanfare und Palmzweig. Putten, die auf Inseln stehen, halten der Fama Blätter entgegen, auf denen wohl die Neuigkeiten aus dem Reich der Gelehrsamkeit niedergeschrieben sind. Interessanterweise bläst die Fama nur eine Fanfare; in der ikonographischen Tradition hingegen sind es zwei Fanfaren, die für den guten und den schlechten Ruf stehen. Die verbliebene Fanfare lässt sich somit als Intention des Blattes deuten, die Gelehrsamkeit des Fränkischen Kreises – gemeint ist der Fränkische Reichskreis im Gebiet des oberen und mittleren Mains – bekannt zu machen und ihren Ruf zu verbessern. Die Vignette der 1711 in Leipzig erschienen Gelehrten Fama (Universitätsbibliothek Leipzig) trug noch zwei Fanfaren in den Händen.

14

Katrin Löffler

Ihre Bezeichnung war schon bei den Zeitgenossen keineswegs klar.22 Die Einordnung als »Zeitschrift« ist späteren Datums; im 18. Jahrhundert sprach man von Ephemeriden oder in Anlehnung an das Französische und Englische von »Journalen«. Noch in der zweiten, erweiterten Auflage von Johann Christoph Adelungs Wörterbuch der hochdeutschen Mundart fehlt »Zeitschrift« als Lemma,23 wird aber unter »Journal« als Synonym genannt.24 Im deutschen Sprachraum bezeichnete man bis ins 19. Jahrhundert hinein verschiedenartige Periodika als Journale.25 Da die rasche Information über Neuigkeiten im Vordergrund stand, benutzte man häufig auch das Wort »Zeitungen« in der ursprünglichen Bedeutung von »Nachrichten«. Die Periodizität weist eine große Bandbreite auf: von mehreren Nummern pro Woche bis zum monatlichen oder sporadischen Erscheinen je nach materialen und personalen Ressourcen.26 Bei den langlebigen und oft auch überregional bedeutsamen Journalen, hinter denen meist eine gelehrte Gesellschaft oder eine wissenschaftliche Institution stand, konnte die Kontinuität ganz anders abgesichert werden als bei Blättern, die von Einzelpersonen initiiert wurden. Potentiell stand die Beteiligung an der Journal-Kommunikation allen Gebildeten offen, sei es passiv als Leser, sei es aktiv als Beiträger. Die Rezensenten blieben in der Regel anonym (siehe unten),27 anders verhielt es sich jedoch bei abgedruckten Zuschriften zu diversen Gegenständen wie beispielsweise meteorologischen oder astronomischen Erscheinungen, mitunter auch bei Stellungnahmen zu strittigen Themen, die häufig namentlich gezeichnet waren. Um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen: Die Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen veröffentlichten im Dezember 1731 einen Bericht von Johann Gottlieb Michaelis, Inspektor des Mathematisch-physikalischen Kabinetts in Dresden, in dem er ausführlich das Nordlicht beschrieb, das er am 7. Oktober 1731 beobachtet hatte;28 und die in Hamburg erscheinenden Freyen Urtheile und Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und Historie überhaupt druckten 1750 den Bericht des Frankfurter Professors Johann Friedrich Polack über seine Beobachtung der Sonnenfinsternis vom 8. Januar 1750 ab, und zwar bereits zwei Wochen nach diesem Ereignis.29 Von dieser Praxis profitierten beide Seiten. Die Herausgeber 22 23 24 25 26 27 28 29

Vgl. Rudolf Stöber: Deutsche Pressegeschichte. 3., überarb. Aufl. Konstanz, München: UVK 2014, S. 82–84; Habel: Deutschsprachige Rezensionszeitschriften (wie Anm. 21), S. 50 f. Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. 2., verm. und verb. Auflage. T. 4. Leipzig 1801. Ebd., T. 2 (1796), Sp. 1441: »Eine Schrift, welche zur gewissen kurz auf einander folgenden Zeiten erscheinet; eine Zeitschrift, und nachdem die Zeitfristen sind, eine Tageschrift, Wochenschrift, Monathsschrift.« Stöber: Deutsche Pressegeschichte (wie Anm. 22), S. 82. Vgl. Habel: Deutschsprachige Rezensionszeitschriften (wie Anm. 21), S. 53 f. Vgl. ebd., S. 56 f.; ders.: Deutschsprachige Gelehrte Journale (wie Anm. 19), S. 379–382. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 3. Dezember 1731, S. 855–859. Freye Urtheile und Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und Historie überhaupt, 23. Januar 1750, S. 53–55.

Wissen braucht einen Träger

15

gewannen bereichernde, auflockernde Beiträge für ihr Blatt, der Abdruck solcher Einsendungen trug zur Leser- bzw. Abonnentenbindung bei, und jede abgedruckte Leserzuschrift demonstrierte die potentielle Offenheit über den Kreis der »Korrespondenten« hinaus. Das Beispiel des Wolfenbütteler Mediziners und Naturforschers Franz Ernst Brückmann, der ein wichtiger Beiträger der Hamburgischen Berichte von neuen gelehrten Sachen war, erhellt die Vorteile der anderen Seite: die Selbstpräsentation als Wissenschaftler, die Gewinnung von Resonanz auf das eigene Tun und die Vergrößerung des Netzwerkes.30 »Gelehrtes Mancherley« und Spezialisierung: Spektrum der Gelehrten Journale Es klingt wie eine Kapitulationserklärung, was der Geograph und Theologe Anton Friedrich Büsching im November 1785 schrieb: Die mathematischen, geographischen, politischen und historischen Kenntnisse des Erdbodens hätten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erstaunlich zugenommen und wüchsen tagtäglich, so dass ein »einziger Mann, wenn er gleich an Arbeitsamkeit seines gleichen nicht hätte«, diese nicht sammeln, ordnen und überschauen könnte.31 Er sah zudem die Schwierigkeit, dass die geographischen Neuigkeiten oft mit Materien aus anderen Wissenschaften vermengt seien, die herauszufiltern den Herausgebern und Verlegern des »gelehrten Mancherley«32 Schaden und Unlust bringen würde. Um der großen Zerstreuung zu begegnen, schlug er vor, dass sowohl die Verfasser geographischer Texte als auch die Herausgeber universal ausgerichteter Periodika die einschlägigen Texte an die Fachjournale senden sollten. Büsching kannte sich im Metier aus, er hatte bereits viele Jahre als Rezensent und Herausgeber Erfahrungen gesammelt33 und verantwortete nun die Wöchentlichen Nachrichten von neuen Landcharten, geographischen, statistischen und historischen Büchern und Sachen (1773–1788), ein Rezensionsblatt, dessen Beiträge er bis auf eine Ausnahme alle selbst schrieb.34 Seine Bemerkungen sind in zweierlei Hinsicht von Interesse, denn er 30 31 32 33

34

Vgl. Schock: Der vortreffliche Herr Brückmann (wie Anm. 14). Friedrich Anton Büsching: Wöchentliche Nachrichten von neuen Landcharten, geographischen, statistischen und historischen Büchern und Sachen, 14. November 1785, S. 361. Ebd., S. 362. In der Vorrede zum ersten Band seiner Wöchentlichen Nachrichten von neuen Landcharten, geographischen, statistischen und historischen Büchern und Sachen 1773 gibt er an, ab 1747 mehrere Jahre für Friedrich Wilhelm Krafts Neue theologische Bibliothek Bücher rezensiert zu haben und von 1759 bis 1765 Mitarbeiter der Göttingischen gelehrten Anzeigen gewesen zu sein; außerdem beruft er sich auf seine Erfahrungen als Herausgeber der Nachrichten von dem Zustande der Wissenschaften und Künste in den königlich dänischen Reichen und Ländern (1753–1757) und der Gelehrten Abhandlungen und Nachrichten aus und von Rußland (1764/1765). Vgl. Thomas Habel: Gelehrte Journale (wie Anm. 21), S. 429.

16

Katrin Löffler

konstatierte nicht nur den schnellen, für den Einzelnen nicht mehr fassbaren Zuwachs an Wissen einer Fachdisziplin, sondern auch dessen fragmentierte Publizität und formulierte deshalb den Wunsch nach medialer Spezialisierung. Mit dem »gelehrten Mancherley« zielt er eben auf die Periodika, die in enzyklopädischer Manier aus allen Wissensgebieten Neuigkeiten vermittelten. Nach seinen kritischen Äußerungen sollte man denken, dass sich deren Ende nun abzeichnete, da sie für fachspezifische Interessen zu wenig Material boten, aber sie bestanden bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts fort.35 Ein Spätling der allgemeinen Rezensionszeitschrift, das Literarische Centralblatt für Deutschland, wurde sogar erst 1850 vom Leipziger Germanisten Friedrich Zarncke im Anschluss an die Allgemeine Literatur-Zeitung (1785–1849) begründet. Dieses Wochenblatt berücksichtigte, anders als der Name suggeriert, keineswegs nur belletristische Neuerscheinungen, sondern alle Wissensgebiete. Zarncke hatte nicht nur Gelehrte im Blick, die über die Grenzen ihres eigenen Faches hinaus das Ganze der wissenschaftlichen Entwicklung überschauen wollten, sondern durchaus die Nachwelt, denn er prognostizierte im Editorial, dass das Blatt in späteren Zeiten »eine der wichtigsten und sprechendsten Urkunden über die Entwicklung unserer Literatur, und nicht nur für den Fachgelehrten und den Buchhändler, sondern auch für den Culturhistoriker ein schätzbares Repertorium« sein werde.36 Zwar ging die Tendenz frühzeitig zur Spezialisierung, aber unter chronologischem Aspekt lösten die Fachblätter die polyhistorischen Journale und Zeitungen keineswegs ab, sondern kamen fast zeitgleich auf den Buchmarkt. Als älteste deutschsprachige Fachzeitschrift gelten die Unschuldigen Nachrichten von alten und neuen theologischen Sachen (1701–1719), die der Dresdner Superintendent Valentin Ernst Löscher herausgab.37 Die Prototypen der Gelehrten Zeitschrift bildeten sich bereits mit deren Aufkommen heraus. Thomas Habel, profunder Kenner der Materie, hat sie hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung und der Adressaten unterschieden. Idealtypisch ist zum einen das Periodikum, das sich dezidiert an die Mitglieder der Respublica literaria richtet und umfassend und ausgewogen informiert; Vorbild dafür sind die Acta Eruditorum. Der andere Typus ist gekennzeichnet durch bewusste Auswahl und einen ›journalistischen‹ Ton, der unterhaltenden Charakter besitzt und auf ein allgemeingebildetes, interessiertes Lesepublikum zielt. Vorbild sind hier Christian Thomasius’ Freymüthige Lustige und Ernsthaffte iedoch Vernunfft- und Gesetz-Mässige Gedancken oder Monats-Ge35 36 37

Habel: Deutschsprachige Gelehrte Journale (wie Anm. 19), S. 359. Literarisches Centralblatt für Deutschland, Nr. 1, 1. Oktober 1850, S. 1. Das Blatt existierte bis 1944. Siehe auch Thomas Lick: Friedrich Zarncke und das »Literarische Centralblatt« für Deutschland. Eine buchgeschichtliche Untersuchung. Wiesbaden: Harrassowitz 1993. Habel: Deutschsprachige Gelehrte Journale (wie Anm. 19), S. 363, Anm. 42. In der Folge weitergeführt unter dem Titel Fortgesetzte Sammlung von alten und neuen theologischen Sachen, Büchern, Uhrkunden, Controversien, Anmerckungen und Vorschlägen (1720–1750) und Neue Beyträge von Alten und Neuen Theologischen Sachen, Büchern, Urkunden, Controversien, Anmerkungen, Vorschlägen ec (1751–1761).

Wissen braucht einen Träger

17

spräche, über allerhand, fürnehmlich aber Neue Bücher (1688–1690). Die Übergänge sind fließend, und schon früh finden sich Periodika, die Merkmale dieser beiden Typen kombinieren. Ein Beispiel ist die Curieuse Bibliothec, oder Fortsetzung der Monatlichen Unterredungen einiger guten Freunde, von allerhand Büchern und andern annehmlichen Geschichten, die der kurfürstlich-sächsische Historiograph Wilhelm Ernst Tentzel von 1704 bis 1706 herausbrachte. Inhaltlich strebte er Vollständigkeit an, im Blick auf die Adressaten hatte er sowohl das fachgelehrte als auch das allgemeingebildete Lesepublikum im Blick.38 Dominierend auf dem Zeitschriftenmarkt wurde der erste Typ, der relativ nüchtern über gelehrte Neuerscheinungen und Neuigkeiten informierte, keine unterhaltenden Intentionen verfolgte und sich an die entsprechend disponierte akademisch gebildete Leserschaft richtete. Er umfasste das gesamte oder ein großes Gebiet des Wissens und berücksichtigte Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt von Lissabon bis St. Petersburg. Unter den deutschsprachigen Periodika sind die langlebigen, universal aufgestellten Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen repräsentativ für diesen Typus. Sie kamen von 1715 bis 1784 heraus, mit Fortsetzungen bis 1797,39 und waren damit eine Rezensionszeitschrift, die fast das gesamte 18. Jahrhundert über erschien. Weitere Vertreter sind die Göttingischen Gelehrten Anzeigen, die 1739 gegründet wurden und bis heute fortgeführt werden, und die Erlangischen gelehrten Anmerkungen und Nachrichten (1746–1789). Neben diesem polyhistorischen und transnationalen Journaltyp gab es auch andere, inhaltlich begrenzte Typen. Die Einschränkung konnte unter nationalem, regionalem oder konfessionellem Aspekt erfolgt sein; sie konnte zur Spezialisierung auf die Schriften bestimmter Disziplinen oder Institutionen, aber auch auf eine bestimmte Gattung wie Disputationsschriften tendieren.40 Beispiel dafür ist die Physikalisch-ökonomische Bibliothek, worinn von den neuesten Büchern, welche die Naturgeschichte, Naturlehre und die Land- und Stadtwirthschaft betreffen, zuverlässige und vollständige Nachrichten ertheilet werden, die der Göttinger Professor für Ökonomie Johann Beckmann ab 1770 in Göttingen verfasste bzw. herausgab. Wie bereits im Titel angezeigt, dominieren Rezensionen von technischen, ökonomischen und naturkundlichen Neuerscheinungen; das Blatt ist primär an ein Fachpublikum aus Landwirtschaft, Gewerbe, Handel und Verwaltung adressiert.

38

39 40

Habel: Deutschsprachige Gelehrte Journale (wie Anm. 19), S. 360–362; ders.: Deutschsprachige Rezensionszeitschriften (wie Anm. 21), S. 47–49; ders.: Wilhelm Ernst Tentzels Monatliche Unterredungen und Curieuse Bibliothec. Beobachtungen zu den Anfängen des gelehrten Journalismus in Deutschland. In: Leipziger Jahrbuch für Buchgeschichte, 20 (2011/12), S. 67–107. Neue Leipziger gelehrte Zeitungen (1785 bis 1787) und Neue Leipziger gelehrte Anzeigen (1789 bis 1797). Zu dieser Differenzierung vgl. Habel: Deutschsprachige Gelehrte Journale (wie Anm. 19), S. 367– 374.

18

Katrin Löffler

Regelungsbedürftig: Öffentlichkeit und Kritik Mit der neuen Form medialer Wissensvermittlung kamen zwangsläufig neue Probleme auf. Die öffentliche Kommunikation, nunmehr abgelöst von der freundschaftlichen oder kollegialen Basis des brieflichen Austauschs, unterlag anderen Bedingungen. Wer publizierte, musste damit rechnen, in der Öffentlichkeit der Journale nicht zur Zustimmung, sondern auch Kritik zu erfahren. Die Akzeptanz von (öffentlich gemachter) Kritik ist eine zeitlose Herausforderung für jeden rezensierten Autor, war aber mit der Entstehung der Rezensionszeitschriften ein noch unbekanntes und gewöhnungsbedürftiges Phänomen. Das erhellt beispielhaft eine Äußerung des ersten deutschen Zeitschriftenbibliographen Christian Juncker, der 1709 in einer anonym publizierten Streitschrift zu Journalkritiken meinte, dass es besser wäre, die Kritiker würden ihre Gedanken privat mitteilen. Damit griff er auf das ältere Modell gelehrter Kommunikation zurück, den Brief, der einen geschützten Raum bot.41 Ein grundsätzliches Problem war (und ist) also auf beiden Seiten, sowohl beim Rezensenten wie beim Rezensierten, die erforderliche Trennung zwischen Person und Werk, aber auch die ungleiche Kommunikationssituation in Bezug auf die potentiellen Adressaten: Eine Kritik in den Journalen erreichte mit geringem Aufwand wesentlich mehr Leser als das kritisierte Werk selbst. Die beteiligten Akteure – Beiträger, Redakteure, Herausgeber – nahmen immer wieder Bezug auf ihr Tun, und ebenso meldeten sich mitunter die Rezensierten zu Wort, sodass die aufkommenden Gelehrten Journale zwangsläufig selbstreflexiv waren und eine Debatte über Aufgabe und Regeln ihr Entstehen flankierte. Wichtige Punkte in dieser frühen »Journaldebatte« waren grundsätzliche Fragen nach der Legitimität und dem Nutzen öffentlicher Kritik, aber auch speziellere Fragen wie die Parteilichkeit und Kompetenz der Rezensenten. Besonders umstritten war die Anonymität der Rezensenten, die einerseits die freimütige Meinungsäußerung garantieren sollte, andererseits aber (zu) scharfe Angriffe und böswillige Kritik erleichterte.42 Schon in den frühen Zeiten des Journalwesens waren deshalb die Kritikfähigkeit des Gelehrten wie auch die Balance zwischen der Aufrichtigkeit des Urteils und die schickliche Form der Kritik im Blick ein Gegenstand von Kontroversen.43

41 42 43

Vgl. Wiebke Hemmerling: Totschlag mit der Feder? Zur Kontroverse um das anonyme Rezensionswesen in der deutschen Frühaufklärung. In: Frauke Berndt, Daniel Fulda (Hg.): Die Sachen der Aufklärung. Hamburg: Meiner 2012, S. 163–169, hier S. 168. Vgl. Wiebke Hemmerling: Versprochene Früchte, leere Schalen. Zur Journaldebatte des frühen 18. Jahrhunderts in Deutschland. In: Scientia Poetica 15 (2011), S. 115–153; dies.: Totschlag (wie Anm. 41). Vgl. Wiebke Hemmerling: Heumann contra Türck, Gundling und Gottsched. Ausschnitte früher öffentlicher Streitkultur in Rezensionszeitschriften. In: Martin Mulsow, Kasper Eskildsen, Helmut Zedelmaier (Hg.): Christoph August Heumann (1681–1764). Gelehrte Praxis zwischen christlichem Humanismus und Aufklärung. Stuttgart: Steiner 2017 (Gothaer Forschungen zur Frühen

Wissen braucht einen Träger

19

Eine Sonderform der Anonymität war die Vergabe von Chiffren, wie sie Friedrich Nicolai in seiner Allgemeinen Deutschen Bibliothek praktizierte und damit einerseits der weitverbreiteten Praxis Rechnung trug, andererseits aber den Lesern ermöglichen wollte, vergleichend zu prüfen, ob Rezensionen denselben Verfasser hatten.44 Die Anonymität des Rezensionswesens stellt heute die historische Presseforschung vor die schwierige und teilweise recht mühsame Aufgabe, die Rezensenten eines Blattes zu ermitteln.45 Friedrich Anton Büsching gehörte zu denjenigen, die dezidiert gegen die Anonymität Stellung bezogen. In der Vorrede zu seinen Wöchentlichen Nachrichten von neuen Landcharten, geographischen, statistischen und historischen Büchern und Sachen bekennt er sich zu seiner alleinigen Verfasserschaft; wer mit seinen Meinungen und Urteilen nicht zufrieden sei und solches bezeige, tue »unrecht, wenn er sich nicht nennet«.46 Die Geschichte sollte ihm Recht geben, denn durchgesetzt hat sich die namentlich gezeichnete Rezension, die es erlaubt, den Kritiker ebenfalls zum Gegenstand von Kritik zu machen. Rezensionen finden: Digitalisierung und Datenbank So alt wie die Gelehrten Journale sind auch die Versuche, die in ihnen enthaltenen Informationen in einer wiederauffindbaren Weise verfügbar zu machen. Diese Aufgabe übernahmen »Metajournale«, also Periodika, die über die aktuelle Zeitschriftenproduktion auf dem Laufenden hielten, vor allem aber die Register, ohne die kaum ein Periodikum auskam.47 Als auch die Menge der Register unüberschaubar wurden, entstand die Idee zu einer umfassenden Verzeichnung der Rezensionsproduktion.48 Nicht zufällig nahm ein Bibliothekar, der kraft seines Amtes über die Kompetenz des Systematisierens und Katalogisierens verfügte, ein solches Projekt in Angriff: Johann Samuel Ersch (1766–1828).49 Ersch verzeichnete in seinem Allgemeinen Repertorium der Literatur für die Jahre 1785–1800, das in acht Bänden von 1793 bis 1807 in Weimar erschien, sowohl Monographien als auch wichtige Beiträge aus Sammelbänden bzw. Zeitschriften und die dazugehörigen Rezensionen, die er mit Bewertungskategorien versah.

44 45 46 47 48 49

Neuzeit, 12), S. 25–37. Zur zeitgenössischen Kritik des Rezensionswesens siehe auch Habel: Gelehrte Journale (wie Anm. 21), S. 296–315. Vgl. Ute Schneider: Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik. Wiesbaden: Harrassowitz 1995, bes. 96–98. Vgl. Habel: Gelehrte Journale (wie Anm. 21), S. 135–149. Friedrich Anton Büsching: Wöchentliche Nachrichten von neuen Landcharten, geographischen, statistischen und historischen Büchern und Sachen, Vorrede zum 1. Jahrgang (1773), S. 7. Habel: Deutschsprachige Gelehrte Journale (wie Anm. 19), S. 384 f. Ebd., S. 385 f. Johann Samuel Ersch wirkte ab 1800 als Bibliothekar und 1802 auch als Professor an der Universität Jena.

20

Katrin Löffler

Eintrag in Johann Samuel Erschs Allgemeinem Repertorium der Literatur für die Jahre 1785–1800, Bd. 2.2 (1793). Der Titel Historia Regum Islamiticorum in Abyssinia des arabischen Historikers Al-Maqrizi erhielt seinen Platz in der Wissenschaftssystematik unter »Fach XXXIII«: Geographie und Geschichte/Geschichte außereuropäischer Völker und Staaten. Nach den Angaben zu Umfang und Format folgen in der letzten Zeile die Rezensionen mit dem Kürzel für Zeitschriften (hier für Allgemeine Literatur-Zeitung und Göttinger gelehrte Anzeigen), Jahrgang, Band, Seitenzahl. Das Sternchen am Ende bedeutet, dass der Titel im angeführten Blatt positiv besprochen wurde; das Fehlen eines Zeichens (wie bei der ALZ) hieß, dass das Buch für mittelmäßig gehalten wurde bzw. eine Bewertung fehlte.

Für die rund einhundert Jahre Rezensionsproduktion vor dem Jahr 1785 fand sich jedoch kein zweiter Ersch. Die Mammutaufgabe der Erschließung dieses Zeitraums übernahm ein Projekt der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, das unter der Bezeichnung »Systematischer Rezensionsindex« startete und die Ergebnisse im Index zu deutschsprachigen Rezensionszeitschriften des 18 Jahrhunderts (Laufzeit 1987–2007) zusammenfasste. Ein anderes Projekt war vorausgegangen, das zumindest partiell Rezensionen erfasste: der Index deutschsprachiger Zeitschriften (Laufzeit 1975–1986). Dieser Index wurde zunächst 1989/1990 als Mikrofiche-Edition zugänglich gemacht und 1997 unverändert in Form von zehn Registerbänden gedruckt, die nach den Autoren der Beiträge sowie nach Schlagwörtern geordnet sind.50 Hinzu kam 2011 das derzeit laufende Projekt Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung (Laufzeit 2011–2025). Die Ergebnisse dieser drei Projekte werden nunmehr in einer Datenbank zusammengeführt,51 die letztendlich ein Korpus von rund 320 Periodika umfassen wird und den Anspruch hat, das europaweit umfänglichste Instrumentarium für die Erforschung der Aufklärung und ihres Zeitschriftenwesens zu sein. Die lange Laufzeit der Projekte und vor allem die Tatsache, dass die Anfänge in den Zeiten der Zettelkästen liegen, bringen allerdings eine unvermeidliche Heterogenität mit sich, die es bei der Auswertung der Datenbank zu berücksichtigen gilt. Die Erfassungspraxis hat sich von Projekt zu Projekt verändert und erweitert. Vor allem 50 51

Index deutschsprachiger Zeitschriften 1750–1815. Erstellt durch eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Klaus Schmidt. 10 Bde. Hildesheim: Olms 1997. Abzurufen unter http://www.gelehrte-journale.de/startseite/.

Wissen braucht einen Träger

21

statistisch orientierte Fragestellungen führen deshalb leicht zu verzerrten Ergebnissen, wenn nicht die Eigenheiten des jeweiligen Teilprojekts berücksichtigt werden: − Der Index deutschsprachiger Zeitschriften 1750–1815 (IdZ) ist auf die genannten Jahre begrenzt und bezieht sich auf eine Auswahl an allgemeinen Publikums- und Literaturzeitschriften (insgesamt 195), die Rezensionen enthalten können. Bevorzugt wurden langlebige und umfangreiche Periodika, ausgeklammert blieben Rezensionsblätter im engeren Sinn, Moralische Wochenschriften und Fachzeitschriften. Außerdem wurden kleinere Beiträge, die unterhalb der Grenze von einer halben Seite Umfang lagen, nicht erfasst. Die inhaltliche Erschließung erfolgte durch Schlagwörter, unterteilt in Personen-, geographische und Sachschlagwörter. Dabei verfuhr man relativ strikt, indem man im Durchschnitt nur 1,5 Schlagwörter pro Artikel vergab. Dadurch funktionieren die Schlagwörter als konzise Suchbegriffe; ein Nachteil besteht darin, dass Details vernachlässigt werden mussten. Die Systemstellen fehlen hier, und außerdem gibt es keine Verlinkung auf Digitalisate der Zeitschriften. Allerdings wurden die Metadaten dieses Index’ von einem in Bielefeld angesiedelten Digitalisierungsprojekt genutzt, das in den Digitalen Sammlungen der Universität Bielefeld unter dem Titel Zeitschriften der Aufklärung abgerufen werden kann. − Der Index zu deutschsprachigen Rezensionszeitschriften des 18 Jahrhunderts (IdRZ) konzentrierte sich auf 63 wichtige Rezensionsorgane des Zeitraums von 1688 bis 1784, also ebenfalls bis zum Erscheinen von Johann Samuel Erschs Allgemeinem Repertorium der Literatur, die wegen ihrer breiten regionalen Streuung und langen Laufzeit als repräsentativ gelten können. Im Mittelpunkt standen dabei die Buchbesprechungen; die Zeitschriften wurden also nicht zwingend vollständig bearbeitet. Bei der inhaltlichen Erschließung sind zu den (nicht durchgängig vergebenen) Schlagwörtern Systemstellen hinzugekommen, das heißt eine Zuordnung zur zeitgenössischen Fächersystematik, die Ersch für sein Repertorium entwickelt hat und die für das Projekt modifiziert worden ist. Eine Verlinkung auf Digitalisate fand ebenfalls noch nicht statt. − Im Projekt Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung (GJZ 18) wird ein Korpus von 65 fachübergreifenden Periodika des Zeitraums von 1688 bis 1784 ausgewertet, und zwar ebenfalls Rezensionszeitschriften im engeren Sinn. Bei der Korpusauswahl wurde Wert darauf gelegt, dass die wichtigen Periodika der katholischen Aufklärung und Journale aus den deutschsprachigen Grenzregionen vertreten sind.52 Die Periodika werden vollständig erfasst; die Schlagwortvergabe ist wie in den Vorgängerprojekten in 52

Zum Korpus vgl. Stefan Dietzel, Maja Eilhammer: Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung. Ein Langzeitprojekt der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (2012–2025). In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 17 (2015), S. 167–193, hier S. 171–174.

22

Katrin Löffler

Personen-, geographische und Sachschlagwörter unterteilt, wird allerdings frei gehandhabt. Das hat den Vorteil, Phänomene und Einzelaspekte umfänglicher als zuvor verzeichnen zu können, aber auch den Nachteil, bei der systematischen Suche nicht immer konzise und abstrahierend genug zu sein, zumal sich bei rund einem Dutzend Projektmitarbeitern an drei Standorten unvermeidlich individuelle Praktiken entwickeln. Ein großer Vorzug besteht in der begleitenden Digitalisierung: Fast durchgehend wird seitengenau verlinkt, sodass die Nutzer komfortabel den jeweiligen Zeitschriftenartikel aufrufen können. Zu berücksichtigen ist, dass das Projekt etwa in der Mitte der Laufzeit angekommen ist und sich die Ergebnisse durch den täglichen Zuwachs permanent ändern. Die lückenhafte und verstreute Überlieferung der Gelehrten Blätter war bislang ein wesentlicher Grund dafür, dass deren Erforschung weit hinter ihrer Bedeutung für die Aufklärung zurückgeblieben ist. In der Kombination von Digitalisierung, bibliographischer und inhaltlicher Erschließung bietet die Datenbank nun einen strukturierten Zugang, der mehr leistet, als es eine bloße Massendigitalisierung könnte. Sie erlaubt, Fragen der allgemeinen Wissenstopographie und Wissensvernetzung im 18. Jahrhundert präziser zu beantworten und das bisherige Wissen zur Aufklärung zu modifizieren, zu ergänzen und zu vertiefen. Das Potential: Fragen, Kontroversen, Netzwerke Da die Gelehrten Blätter in ihrer Gesamtheit die Entwicklungen und Veränderungen des Wissens im Zeitalter der Aufklärung nahezu vollständig zu erfassen suchten, bieten sie wie kaum eine andere Quelle einen einzigartigen »Fundus zur Wissenschaftsund Gelehrtengeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts«.53 Ob Pest und Pocken, Hölle und Heiliger Geist, Kindsmord und Kaiserwahl, ob die Linnésche Klassifikation der Pflanzen, die Geschichte der Kolonien, die Gefahren der Romanlektüre, Reisen ins Heilige Land, Experimente mit der Elektrizität, die Bekämpfung von Pflanzenschädlingen, Versuche zum Seidenbau oder die Gewinnung von Salpeter – die Datenbank ermöglicht es nunmehr Forschern der unterschiedlichsten Disziplinen, die öffentliche Präsenz und Diskussion von Wissensbeständen im Zeitalter der Aufklärung zu untersuchen. Gegebenenfalls lassen sich vorhandene Forschungsergebnisse modifizieren und präzisieren. So erweist sich der Blitzableiter in der Wahrnehmung durch die Gelehrten Journale keineswegs (wie erwartet) als markantes Medienereignis,54 und die 53 54

Habel: Deutschsprachige Gelehrte Journale (wie Anm. 19), S. 391. Vgl. Flemming Schock: Donnerstrahl und Eisenstangen. Die Debatte über den Blitzableiter in den Journalen der Gelehrtenrepublik. In: Aufklärung. Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte. Bd. 26. Jg. 2014, S. 67–99.

Wissen braucht einen Träger

23

vergleichende Auswertung einer naturkundlich ausgerichteten Zeitschrift wie der Physikalisch-ökonomischen Bibliothek55 sowie von Journalen des katholischen Raums zum Thema Blitzableiter56 gibt Auskunft über die je spezifische Rezeption. Die Recherche in der Datenbank ist zum einen in klassischer Form über Suchbegriffe möglich, die im Ergebnis zu einer Trefferliste führen, auf die folgende Filter anwendbar sind: Zeitschrift (Listenform, sortiert nach Trefferquote), Erscheinungsjahr (Graph), Systemstelle (Listenform, sortiert nach Trefferquote) und Artikeltyp (Rezension vs. Nachricht/Beitrag/Anzeige). Zum anderen leisten spezifische Funktionen der Website den unkomplizierten Zugriff auf Teildatenmengen und die Visualisierung der Ergebnisse. Ein dynamisches Balkendiagramm, das die Verteilung der Artikel auf die Disziplinen zeigt, veranschaulicht das inhaltliche Profil der Zeitschriften im chronologischen Verlauf, wahlweise auch für einzelne Jahre oder im Zweijahresvergleich. Ein weiterer fachspezifischer Sucheinstieg ist über die Baumstruktur der Fächersystematik möglich. So lässt sich beispielsweise auf einen Blick erkennen, wie sich Artikel über Forschungs- und Entdeckungsreisen auf Kontinente und Länder verteilen. Abgesehen von der Nutzbarkeit der Datenbank für Abfragen zu jeglichen Wissensbeständen, die im Jahrhundert der Aufklärung in der medialen Öffentlichkeit zirkulierten, sind die Journale aufgrund ihrer Spezifik für einige Themenfelder von besonderem Quellenwert: (1) Rezensionswesen und gelehrte Streitkultur, (2) Gelehrten- und Institutionsgeschichte und (3) buchgeschichtliche Fragen. (1) Rezensionswesen und gelehrte Streitkultur: Die Entfaltung des Journal- und Rezensionswesens wurde, wie gesagt, von selbstreflexiven Überlegungen zu Aufgaben und Praktiken des Rezensierens flankiert; es entwickelte sich also begleitend ein journalistisches Selbstverständnis. War bis etwa zur Jahrhundertmitte die Vorstellung von neuen Titeln oft kaum mehr als ein Inhaltsreferat, so zeigt sich zunehmend ein größerer Anspruch an die journalistische Vermittlungsleistung, wobei das fachkundige, persönlich wertende Urteil immer mehr zum »Indiz eines ›modernen‹ Rezensierens«57 wurde, auch wenn es nie gänzlich fehlte – man denke nur an den meinungsstarken Christian Thomasius als einen der Begründer des deutschsprachigen Rezensionswesens. Das Urteil über Schriften aber erforderte die Kompetenz des Rezensenten, wie das Beispiel der Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen exemplarisch belegt. Im November 1742 erfuhren die Leser, dass künftig ein Kreis von sechs gelehrten Männern mit einer »gewissen Hauptwissenschaft«, also mit Fachgebieten, die Neuerscheinungen besprechen werde, um den »Werth oder Unwerth« bestimmen zu können.58

55 56 57 58

Johann Beckmann: Physikalisch-ökonomische Bibliothek. Göttingen 1770–1806. Dietzel, Eilhammer: Gelehrte Journale (wie Anm. 52), S. 180–190. Habel: Gelehrte Journale (wie Anm. 21), S. 224. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, Leipzig 15. November 1742, Nr. 102, S. 830–832.

24

Katrin Löffler

Die zahlreichen Rezensionen der GJZ-Datenbank liefern reichhaltiges Material, um die Anforderungen an das Rezensionswesen zu rekonstruieren, und mehr noch: Sie implizieren die Kriterien für die Bewertung von Neuerscheinungen, und das heißt für die Herausbildung des modernen Normsystems wissenschaftlichen Publizierens. Dazu zählen Normen wie die Neuheit der Erkenntnisse, die Kohärenz der Argumentation, der korrekte Quellennachweis, Stil und Sprache. Nicht zuletzt werden auch moralische Regeln für die Kommunikation im wissenschaftlichen Diskurs formuliert, vor allem im Zusammenhang mit Kontroversen und Konfessionsverschiedenheiten. Der erwähnte Büsching plädierte beispielsweise nicht nur für die namentliche Kenntlichkeit, sondern formulierte mustergültig eine solche Norm des Rezensionswesens: Veröffentlichungen zu kritisieren, ohne den Autor zu kränken, und selbst Kritik zu akzeptieren, wobei er für sich in Anspruch nahm, auch »unbillige und ungerechte Urtheile«59 mit Geduld ertragen zu können. Diese Debatten und Entwicklungen sind bislang wenig untersucht worden.60 (2) Gelehrten- und Institutionsgeschichte: Ergiebig sind die Gelehrten Zeitschriften ebenfalls im Hinblick auf die Geschichte von Bildungseinrichtungen (Gymnasien, Universitäten, Ritterakademien, Stadtschulen), Sprachgesellschaften und anderen Gelehrtensozietäten. Quellen dafür sind zum einen Rezensionen und Anzeigen von akademischen Textgattungen wie Disputationsschriften, Universitätsprogrammen und Einladungsschriften,61 zum anderen eingestreute Nachrichten über universitäre Feierlichkeiten, Baumaßnahmen, Schenkungen, Studentenschaft etc. Häufig berichten Korrespondenten über die Zusammenkünfte und Preisaufgaben von Akademien oder anderen Gelehrtengesellschaften. So wird beispielsweise die Gründung der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg in den Gelehrten Blättern von Anfang an intensiv begleitet, nicht zuletzt wegen der Berufung zahlreicher deutscher Wissenschaftler in die aufblühende Stadt an der Newa. Mintunter konnte durch die personelle Konstellation die Berichterstattung über eine Gelehrtensozietät besonders intensiv ausfallen, so im Fall der Jenaischen gelehrten Zeitungen, deren Mitherausgeber Carl Gotthelf Müller zugleich Präses der Teutschen Gesellschaft in Jena und Professor an der dortigen Universität war.62

59 60 61

62

Ebenda. Vgl. hierzu Habel: Gelehrte Journale (wie Anm. 21), S. 218–252. Zum Quellenwert der Gelehrten Journale siehe auch Thomas Habel: Deutschsprachige Gelehrte Journale (wie Anm. 19); Wiebke Hemmerling: Das akademische Journal. Zum Nachrichtenwert von Dissertationen in den Periodika des 18. Jahrhunderts. In: Reimund B. Sdzuj, Robert Seidel, Bernd Zegowitz (Hg.): Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. Festschrift für Hanspeter Marti zum 65. Geburtstag. Wien u. a.: Böhlau 2012, S. 637–649. Siehe Riccarda Henkel: Sozietätsgeschichte und Zeitschriften. Der Nutzen von gelehrten Journalen zur Sozietätsforschung am Beispiel der Jenaischen gelehrten Zeitungen. In: Claire Gantet,

Wissen braucht einen Träger

25

Eine große Anzahl von Nachrichten betrifft einzelne Persönlichkeiten. Dabei handelt es sich um kurze Todesmitteilungen wie auch längere Nekrologe, Nachrichten von abgelehnten oder angenommenen Berufungen, Stellenwechseln, Notizen zu Vorhaben oder Reisen, Bibliotheken oder Naturaliensammlungen und vieles andere mehr. Auch das Potential der Zeitschriften, Kontakte und Netzwerke zu knüpfen, wird deutlich, wenn zum Beispiel einzelne Gelehrte Nachrichten über ihre Forschungs- und Publikationsvorhaben bekannt machten und Mithilfe erbaten. So ließ der niederländische Gelehrte und Bücherliebhaber Gerard Meerman die Leser der Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen wissen, dass er sich mit der Geschichte des Papiers befasse und »alle Gelehrte in Europa« ersuche, die ältesten auf leinenes Papier geschriebenen Dokumente ihres Landes zu ermitteln und zu beschreiben und ihm die entsprechenden Notizen bis spätestens Februar 1763 nach Rotterdam zu schicken. Offensichtlich im Bedenken, dass die dankbare Nennung der Namen nicht Anreiz genug sein könnte, ihm zuzuarbeiten, lobte er einen Preis von 25 Dukaten für denjenigen aus, der das älteste Manuskript ausfindig machen würde.63 (3) buchgeschichtliche Fragen: Historiker wie Robert Darnton haben den Blick dafür geschärft, dass die Aufklärung mehr war als nur die Verbreitung von Ideen, dass diese intellektuelle Bewegung vielmehr auch eine spezifische Materialität besaß.64 Das zielt vor allem auf die Funktionsweise des Buchmarkts, sowohl national als auch transnational, und damit auch auf die materiellen Belange der Akteure (Verleger, Autoren, Herausgeber, Vermittler wie beispielsweise Übersetzer und Journalisten). In besonderem Maße gilt das für die Rezensionszeitschriften und den Buchhandel im 18. Jahrhundert in ihrer wechselseitigen Dynamik. Als Rezensions- und Nachrichtenorgane stellten die Gelehrten Blätter nicht nur einen öffentlichen Kommunikationsraum her, sondern waren das Medium par excellence, das den gelehrten Buchmarkt zu organisieren half, das heißt sie vermittelten geschäftliche Beziehungen zwischen Autoren, Verlegern und Rezipienten. Und so enthalten sie Informationen, die sonst nirgendwo überliefert oder nur mühsam zugänglich sind, da sie mit den Verlagsarchiven verlorengingen bzw. nur selten in edierter Form vorliegen, beispielsweise in Verleger-Autor-Korrespondenzen. Das Spektrum reicht von der verkaufsfördernden Ankündigung, Anzeige und Rezension eines Titels über die Bekanntmachung von Buchprojekten, für die jemand Unterstützung suchte, bis hin zu Subskriptionsangeboten65 oder Warnungen

63 64 65

Flemming Schock (Hg.): Zeitschriften, Journalismus und gelehrte Kommunikation im 18. Jahrhundert. Festschrift für Thomas Habel. Bremen: edition lumière 2014, S. 89–111. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 1. Februar 1762, S. 65–68. U. a. Robert Darnton: Glänzende Geschäfte. Die Verbreitung von Diderots Encyclopedie oder: Wie verkauft man Wissen mit Gewinn. Berlin 1979; ders.: What is the History of the Book? In: Daedalus. Journal of the American Academy of Arts and Sciences 111 (1982) 3, S. 65–83. Wurde die Praxis der Subskription bislang v. a. bei Schriftstellern wie Friedrich Gottlieb Klopstock, Christoph Martin Wieland und Gotthold Ephraim Lessing erforscht, so ermöglicht nun

26

Katrin Löffler

vor Raubdrucken. Autoren, die für ihre Manuskripte einen Verleger suchten, ließen entsprechende Nachrichten einrücken. Verleger, die Ladenhüter losschlagen wollten, vermeldeten einen Preisnachlass, und die Buchauktionatoren gaben Versteigerungstermine bekannt. Auch für die Geschichte des Übersetzungswesens sind die Gelehrten Blätter aufschlussreich, denn häufig enthalten Rezensionen Einschätzungen der Qualität einer Übersetzung. Zum Tagungsband Dieser Band versammelt die Beiträge einer Tagung, die im Rahmen des Akademieprojekts Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung (GJZ 18) am 17. und 18. September 2018 in Kooperation der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Universitätsbibliothek Leipzig veranstaltet wurde. Ziel war dabei, das Potential der Gelehrten Blätter weiter zu erschließen und darüber hinaus die Funktionen der laufend ergänzten und optimierten Datenbank mit einer fachwissenschaftlichen wie allgemein interessierten Öffentlichkeit zu diskutieren. Die Beiträge konzentrieren sich auf vier Themenfelder: (1) Journalproduktion und ihre Voraussetzungen: Die historische Praxis des wissenschaftlichen Kommunizierens ist wenig erforscht, und auch über die Voraussetzungen für die Produktion von Rezensionszeitschriften weiß man wenig. Zwei Beiträge liefern dazu fundamentale Erkenntnisse auf der Basis von noch weitgehend unerschlossenen archivalischen Quellen. Sie untersuchen am Beispiel der Acta Eruditorum, der ältesten wissenschaftlichen Zeitschrift im deutschsprachigen Raum, wie eng dieses Periodikum mit dem Wirken einer Gelehrtengesellschaft zusammenhing (Görmar), und am Beispiel des bedeutenden Göttinger Naturwissenschaftlers Albrecht von Haller, wie effizient dieser die Praktik des Exzerpierens mit der Praktik des Rezensierens verknüpfte. (2) Autoren, Verleger, Käufer: Gelehrte Journale und der Buchhandel: Die Rezensionsorgane waren auch für die Genese und Distribution von Büchern bedeutsam. Die Potentiale des Mediums für die Buchhandelsgeschichte sind noch weitgehend uner-

die Datenbank einen breiten, alle Wissensgebiete umfassenden Zugriff. Auf einer einschlägigen Arbeitstagung in Mainz (2009) konstatierte Franz Stephan Pelgen, dass die Erforschung des Pränumerationswesens noch am Anfang stehe, und führte dies wesentlich auf die Quellenproblematik zurück. Abhilfe versprach er sich vom Göttinger »Rezensionsindex«-Projekt und speziell vom Nachfolgeprojekt GJZ 18; vgl. Franz Stephan Pelgen: Pränumerationen im 18. Jahrhundert als Geschäftsprinzip und Marktalternative. Akten der interdisziplinären Arbeitstagung vom 20./21. Februar 2009 in Mainz. Ruhpolding/Mainz: Rutzen 2009, S. 14.

Wissen braucht einen Träger

27

schlossen. Zu welchen Zwecken wurden die Zeitschriften von den beteiligten Akteuren genutzt? Inwiefern waren Bücher publizistisch und kollektiv organisierte Projekte? Diesen Fragestellungen widmen sich drei Beiträge. Sie befassen sich mit dem für den Buchhandel akuten Thema des illegalen Büchernachdrucks (Portmann) und der Frage, inwieweit das neue Medium von Verlegern, Autoren und Buchkäufern genutzt wurde, um jeweils spezifische Anliegen – die Organisation von Buchauktionen (Schock) bzw. die Suche von Autoren nach einem Verlag für ihr Manuskript (Löffler) – mittels der überregionalen Öffentlichkeit, die die Journale herstellten, zu verbreiten. (3) Diskurse und Debatten: Gelehrte Journale und die Topographie des Wissens: Wie lässt sich entlang der Buchbesprechungen, Nachrichten und Debattenbeiträge in den Zeitschriften die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte einzelner Autoren, Werke und Themenkomplexe nachzeichnen? Den Zeitgenossen dienten die Gelehrten Journale vor allem dazu, einen Überblick über wichtige Themen und Debatten zu erhalten. Insofern geben die Periodika wie kaum ein anderes Medium Auskunft darüber, was im Bewusstsein der größeren, wissenschaftlich interessierten Öffentlichkeit wirklich präsent (und strittig) war. Der Sammelband enthält vier Beiträge, die sich mit der Repräsentanz von Wissensbeständen und einzelnen Debatten in den Gelehrten Journalen beschäftigen. Gegenstand sind die Bewertungskritierien bei der Rezension von Universallexika (A. Müller), die Diskussion über die sogenannte Zweite Kamtschatka-Expedition (Küntzel-Witt), die Debatte über Taufe und Taufexorzismus (Sumalvico) und über Kometenerscheinungen (Gruber). (4) Informieren, Kritisieren, Räsonieren: Strukturen und Praktiken Gelehrter Journale: Welche Normen für die Kommunikation zwischen Gelehrten wurden formuliert, und wie positionierten und profilierten sich einzelne Periodika? Die Gelehrten Journale sind eine exzellente Quelle dafür, um nachzuvollziehen, wie die kritische Öffentlichkeit für wissenschaftliche Neuerscheinungen und Debatten konkret konstituiert wurde. Diesem Themenfeld sind fünf Beiträge zugeordnet. Sie untersuchen kritisch die Genese von gelehrtem Renommee einzelner Persönlichkeiten und Kanonisierungsprozessen am Beispiel von Johann Christoph Gottsched (Lütteken), die wechselseitige Rezeption aufklärerischer Journale im katholischen Süddeutschland und protestantischen Mitteldeutschland (M. Ch. Müller), die Voraussetzungen und Intentionen der ersten Gelehrten Zeitschrift, die – vergleichsweise spät – in Wien erschien (Fischer), die Konzeption und das Profil der Auserlesenen Bibliothek, die durch die Qualität ihrer Rezensionen im Korpus der Gelehrten Journale herausragt (Klawitter), und schließlich, gleichsam als Ausblick, die Etablierung von naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften (Stoeger).

Journalproduktion und ihre Voraussetzungen

Die Vor- und Frühgeschichte der Acta Eruditorum im Kontext der Leipziger Sozietätslandschaft des 17. Jahrhunderts Zum Verhältnis von journalistischer Rezensionsund sozietärer Vortragspraxis Maximilian Görmar Einleitung Als Christian Juncker sein 1692 erschienenes Schediasma Historicum De Ephemeridibus Sive Diariis Eruditorum schrieb, definierte er Gelehrte Zeitschriften so: EPHEMERIDES ERUDITORUM esse libros, in quibus vel per septimanas, vel per menses annumve editis non libri modo vulgati sed & alia doctorum monumenta […] in usum publicum, & promovenda rei literariae causa, vel a singulis Viris vel integris Societatibus recensentur.1

Zu den zuletzt genannten Zeitschriften, die von Gesellschaften herausgegeben wurden, zählte Juncker auch die seit 1682 in Leipzig nach französischem, englischem und italienischem Vorbild erscheinenden Acta Eruditorum, die als erste deutsche Rezensionszeitschrift gelten.2 Als Wurzel der Collectores Actorum Eruditorum, wie sich die

1

2

»Gelehrte Zeitschriften sind Bücher, die wöchentlich, monatlich oder jährlich herausgegeben werden und in denen nicht nur veröffentlichte Bücher und andere Schriften der Gelehrten […] zum öffentlichen Nutzen und um die Gelehrsamkeit voranzubringen entweder von einzelnen Männern oder von ganzen Gesellschaften besprochen und beurteilt werden.« (Christian Juncker: Schediasma Historicum De Ephemeridibus Sive Diariis Eruditorum. Leipzig: Gleditsch 1692, Praefatio, fol. A5v). Vgl. ebd., S. 142–165; Acta Eruditorum 1 (1682), Vorrede; Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts. Bremen: edition lumière 2007, S. 57. Bei Verweisen auf die Acta Eruditorum in den Fußnoten werden sie im Folgenden mit AE abgekürzt.

32

Maximilian Görmar

Herausgebergesellschaft selbst nannte,3 galten bereits den Zeitgenossen drei Leipziger gelehrte Gesellschaften: das 1641 gegründete Collegium Gellianum, das 1655 gegründete Collegium Anthologicum und die 1663 gegründete Societas Conferentium.4 Auch die spätere Forschung hat die Bedeutung der drei genannten Sozietäten für die Entstehung der Acta Eruditorum anerkannt.5 Allerdings fehlt bisher eine befriedigende Untersuchung der Zusammenhänge, unter anderem weil umfangreiches Primärmaterial erst Ende der 1980er Jahre wieder in den Sondersammlungen der Leipziger Universitätsbibliothek entdeckt und namentlich von Detlef Döring bekannt gemacht wurde.6 Es handelt sich dabei um zehn Manuskriptbände mit Vortragsprotokollen, Statuten, Mitgliederlisten und Rechnungen,7 die trotz ihres teils fragmentarischen Charakters genaue Einblicke in die Arbeit der Sozietäten erlauben.8 Anhand dieser Quellen sollen bisherige Annahmen in der Literatur ergänzt und gegebenenfalls korrigiert und insbesondere zwei Anliegen nachgegangen werden: Zum Ersten soll mittels einer historischen Netzwerkanalyse die Personenkonstellation rekonstruiert werden,9 die 1681/82 die Gründung der Acta Eruditorum ermöglichte. Dabei sind insbesondere die personellen Überschneidungen zwischen den früher in Leipzig bestehenden Sozietäten und dem Herausgeberkreis in den Blick zu nehmen. Zum Zweiten soll anhand der erhaltenen Protokolle und Statuten die Vortragspraxis in den Sozietäten untersucht und mit

3 4

5

6 7 8

9

Vgl. zum Beispiel AE 2 (1683), fol.):(4v. Vgl. Rector Universitatis Lipsiensis Exequias Dn. Ottoni Menckenio […] Intimat. Leipzig: Fleischer [1707], unpaginiert; Augustinus Hubertus Laeven: The »Acta Eruditorum« under the Editorship of Otto Mencke. The History of an International Learned Journal between 1682 and 1707. Amsterdam, Maarssen: Holland University Press 1990, S. 22–28. Vgl. Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4); Augustinus Hubertus Laeven, Lucia Johanna Maria Laeven-Aretz: The Authors and Reviewers of the Acta Eruditorum 1682–1735, Molenhoek 2014. An älterer Literatur: Georg Witkowski: Geschichte des literarischen Lebens in Leipzig. Leipzig/Berlin: Teubner 1909 (ND München: Saur 1994), S. 184–188; Joachim Kirchner: Zur Entstehungs- und Redaktionsgeschichte der Acta Eruditorum. In: ders.: Ausgewählte Aufsätze aus Paläographie, Handschriftenkunde, Zeitschriftenwesen und Geistesgeschichte. Hg. vom Verlag Anton Hiersemann. Stuttgart: Hiersemann 1970, S. 153–172; Ulrich Hensing: Acta Eruditorum (1682–1782). In: Heinz-Dietrich Fischer (Hg.): Deutsche Zeitschriften des 17. bis 20. Jahrhunderts. Pullach bei München: Verlag Dokumentation 1973, S. 29–48. Vgl. Detlef Döring: Samuel Pufendorf und die Leipziger Gelehrtengesellschaften in der Mitte des 17. Jahrhunderts (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 129/2). Berlin: Akademie-Verlag 1989, S. 14 f. Universitätsbibliothek Leipzig: Mss 2617–2627. Soweit nicht anders vermerkt, stammen die zitierten Handschriften aus der Universitätsbibliothek Leipzig. Vgl. Thomas Fuchs: Die neuzeitlichen Handschriften der Signaturengruppe Ms 2000 (Ms 2001– Ms 2999) sowie kleinere Bestände (Cod. Haen, Ms Apel, Ms Gabelenz, Ms Nicolai, Ms Thomas). Wiesbaden: Harrassowitz 2011, S. 191–194. Daneben sind Gelegenheitsdrucke der Sozietäten zu nennen, die erst seit einigen Jahren über das Verzeichnis der deutschen Drucke des 17. Jahrhunderts (VD 17, URL: http://www.vd17.de) bibliographisch erschlossen sind. Zur historischen Netzwerkanalyse vgl. einführend Marten Düring, Ulrich Eumann, Martin Stark, Linda von Keyserlingk (Hg.): Handbuch Historische Netzwerkforschung. Grundlagen und Anwendungen. Berlin: Lit 2016.

Die Vor- und Frühgeschichte der Acta Eruditorum

33

den in den Acta Eruditorum veröffentlichten Rezensionen verglichen werden, um so weiterführende Aussagen zur Genese dieser Textsorte machen zu können. Dabei ist auch den in den Sozietäten etablierten kommunikativen Normen sowie ihrem Fortleben in der Rezensionspraxis der Acta Eruditorum nachzuspüren. Personelle Verflechtungen zwischen den Collectores Actorum Eruditorum und anderen Leipziger Sozietäten Als die Herausgeber der Acta Eruditorum im Sommer 1681 zu einer Sozietät zusammentraten,10 bewegten sie sich in einer bereits Jahrzehnte andauernden Tradition.11 Gelehrte Gesellschaften hatten sich seit 1624 in Leipzig zunächst für homiletische Übungen gebildet, begonnen mit dem Montägigen Predigerkollegium, dem 1640 ein zweites, das Donnerstägige Predigerkollegium, folgte.12 Ab 1641 bildete sich mit dem bereits erwähnten Collegium Gellianum, dem Collegium Anthologicum und der Societas Conferentium eine zweite Gruppe von Sozietäten, die Riccarda Henkel als »Fachkollegien« bezeichnet hat.13 Als dritte Gruppe von Sozietäten entstanden ab 1673 mit der Vertrauten deutschen Rednergesellschaft die Rednergesellschaften in Leipzig, ein weltliches Pendant zu den Predigerkollegien.14 Die Sozietät der Collectores Actorum Eruditorum stand von diesen drei Gruppen den sogenannten Fachkollegien am nächsten. Dabei dürfte das Collegium Gellianum am unmittelbarsten auf sie gewirkt haben. So wurde beispielsweise von Joachim Feller, selbst Mitglied in beiden Sozietäten, eine explizite Verbindung hergestellt, als er ein Gelegenheitsgedicht im Jahr 1690 im Namen des »Gellii Lipsiensis Acta Eruditorum nunc

10

11

12 13

14

Vgl. Kirchner: Entstehungsgeschichte (wie Anm. 5), S. 157. Dass es sich tatsächlich um eine förmliche Sozietät handelte, geht bereits aus den zeitgenössischen Quellen hervor. Otto Mencke beispielsweise selbst spricht 1685 in einem Brief an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen von einer zur Herausgabe der Zeitschrift »aufgerichteten Societät« (zitiert nach: Laeven: Acta Eruditorum [wie Anm. 4], S. 120). Vgl. als Überblick Detlef Döring: Sozietäten und gesellige Verbindungen. In: ders. (Hg.): Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 2. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2016, S. 402–417; Riccarda Henkel: Sozietätswesen im 18. Jahrhundert. In: Detlef Döring (Hg.): Stadt und Universität Leipzig. Beiträge zu einer 600-jährigen wechselvollen Geschichte. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2010, S. 185–220. Vgl. Döring: Sozietäten (wie Anm. 11), S. 402; Henkel: Sozietätswesen (wie Anm. 11), S. 188 f. Vgl. ebd., S. 188. Dieser Sozietätstyp stand in einer bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts zurückreichenden didaktischen Tradition, in der Collegia Gelliana Gruppen von Studenten oder Schülern waren, die dem gemeinschaftlichen Lesen und Exzerpieren von Büchern dienten. Benannt waren sie nach Aulus Gellius, einem römischen Buntschriftsteller des 2. Jahrhunderts. Vgl. Döring: Sozietäten (wie Anm. 11), S. 403; Maximilian Görmar: Das Collegium Gellianum in Leipzig (1641–1679) – Ein Beitrag zur Gelliusrezeption im 17. Jahrhundert. In: International Journal of the Classical Tradition 25 (2018), S. 127–157, hier S. 132 f. Vgl. Henkel: Sozietätswesen (wie Anm. 11), S. 191 f.

34

Maximilian Görmar

colligentis« verfasste.15 Dies geht aber auch aus der Chronologie der Geschichte der drei Fachkollegien hervor. Die Societas Conferentium löste sich 1670 als erstes wieder auf.16 Das Collegium Anthologicum dürfte um 1673 seine Tätigkeit vorläufig eingestellt haben und wurde erst 1685 zu neuem Leben erweckt.17 Das Collegium Gellianum hingegen, von dem man bisher auch annahm, dass es 1673 aufgehört hatte zu bestehen,18 existierte noch mindestens bis 1679. Das geht aus dem Rektoratsprogramm und einem Epicedium zur Beerdigung von Christian Friedrich Franckenstein hervor, der zuletzt Professor für Alte Sprachen und Geschichte sowie Senior der Sozietät gewesen war.19 Möglicherweise bestand das Kollegium auch noch, bis 1680 die Pest ausbrach,20 oder man hatte die Versammlungen zunächst eingestellt, als mit Otto Mencke und Christoph Pfautz kurz zuvor zwei der Mitglieder eine längere Reise in die Niederlande und nach England angetreten hatten, um Kontakte zu möglichen Beiträgern und Abnehmern der geplanten Zeitschrift aufzubauen.21 Offenbar hatten die Mitglieder der Sozietät geplant, ihre Sitzungen nach einiger Zeit wieder aufzunehmen, wurden aber von Mencke nach seiner Rückkehr 1681 dazu überredet, gemeinschaftlich die von ihm geplanten Acta Eruditorum herauszugeben.22 Jedoch scheinen Mencke und Pfautz bereits vor ihrer Abreise aus Leipzig einige Kollegen dort für ihr Projekt gewonnen zu haben. Jedenfalls erwähnte Pfautz in einem Brief an Leibniz, den er am 8./18. Januar 1681 aus Oldenburg schrieb, bereits Johann Olearius, Johann Bohn, Joachim Feller und Johann Cyprian als zukünftige Mitarbei15

16 17 18 19

20 21 22

Joachim Feller: Mel Maiale In Fel Ferale Conversum, Quum […] Fridericus Benedictus Carpzovius […] Filium […] Johannem Fridericum […] Dormitorio Paulino inferri curaret / Gellii Lipsiensis Acta Eruditorum nunc colligentis nomine descriptum […]. Leipzig: Günther 1690. Vgl. auch Adam Friedrich Glafey: Kern der Geschichte des Hohen Chur- und Fürstlichen Hauses zu Sachsen. Frankfurt/Leipzig: Riegel 1721, S. 1107 und 1114 f. Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Philosophischer Briefwechsel. Bd. 1. Hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Berlin: Akademie Verlag 22006, S. 118. Vgl. Döring: Pufendorf (wie Anm. 6), S. 14 f. Vgl. ebd. S. 14; Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 22–28; Kirchner: Entstehungsgeschichte (wie Anm. 5), S. 154 f. Vgl. Gellium Extinctum, Hoc est […] Dn. Christianum Fridericum Franckenstein […] Anno M. DC. LXXIX. beate defunctum. Ipso exequiarum die, qui est IV. Id. dicti Mensis, luget Collegium Gellianum. Leipzig: Scholvien 1679; Rector Academiae Lipsiensis Funus Celeberrimi Polyhistoris, hoc est […] Christiani Friderici Franckensteinii […] indicit. Leipzig: Scholvien 1679, unpaginiert. Vgl. Görmar: Collegium Gellianum (wie Anm. 13), S. 155. Das Collegium Anthologicum beispielsweise stellte seine Tätigkeit 1698 vorübergehend ein, als Johann Burckhard Mencke, Otto Menckes Sohn und Nachfolger als leitender Herausgeber der Acta Eruditorum, mit Friedrich Wilhelm Schütz nach England verreiste. Vgl. Ms 2620, fol. 7r. Dies suggeriert jedenfalls das Rektoratsprogramm zu Menckes Beerdigung: »Hi conventus aliquandiu intermissos, non sine praesagio Societatis alterius, cui locum facere, seque Collegas tacite destinare nondum constabat, redintegrare parati erant. Verum mutatis animis operam suam addixerunt Menckenio utilius collocandam.« (Rector Universitatis Lipsiensis [wie Anm. 4], unpaginiert).

Die Vor- und Frühgeschichte der Acta Eruditorum

35

Abb. 1 Mitgliedschaften der Gründungsmitglieder der Collectores Actorum Eruditorum (Vierecke) in anderen Sozietäten (Dreiecke).

ter an der geplanten Zeitschrift.23 Bis auf Bohn hatten diese Gelehrten genauso wie Pfautz, wie Abbildung 1 zeigt,24 gemeinsam dem Collegium Gellianum und dem Collegium Anthologicum sowie dem Donnerstägigen Predigerkollegium angehört, Cyprian 23 24

Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Mathematischer, naturwissenschaftlicher und technischer Briefwechsel. Bd. 3. Hg. vom Leibniz-Archiv der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover. Berlin: Akademie Verlag 1991, S. 321. Es handelt sich hier um ein bimodales Netzwerk, das mit der Software Gephi (herunterzuladen unter URL: https://gephi.org [zuletzt: 13.12.2018]) erstellt wurde. Bimodale Netzwerke bestehen aus zwei Knotentypen, im vorliegenden Fall aus Sozietäten und Personen. Verbindungen zwischen diesen Typen entstehen nur durch Knoten des jeweils anderen Typs, sodass theoretisch keine tatsächlichen Beziehungen, sondern nur potentielle abgebildet werden. Nur weil zwei Personen in derselben Sozietät Mitglied waren, heißt das nicht zwangsläufig, dass sie sich wirklich persönlich kannten. Aufgrund der geringen Größe der Sozietäten und der wöchentlichen Sitzungen, die viele Möglichkeiten boten, Bekanntschaft miteinander zu schließen, kann man für die hier verwendeten Daten aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von tatsächlichen Bekanntschaften zwischen den Personen ausgehen. Im Unterschied zu unimodalen Netzwerken bilden bimodale bzw. multimodale Netzwerke die Komplexität sozialer Beziehungsgeflechte besser ab, eignen sich aber schlechter für quantitative Berechnungen. Allerdings fällt dies bei dem hier erarbeiteten relativ kleinen Netzwerk kaum ins Gewicht. Vgl. Martin Stuber, Stefan Hächler, Lothar Krempel, Marion Maria Ruisinger: Exploration von Netzwerken durch Visualisierung. Die Korrespondenznetze von Banks, Haller, Heister, Linné, Rousseau, Trew und der Oekonomischen Gesellschaft Bern. In: Regina Dauser, Stefan Hächler, Michael Kempe, Franz Mauelshagen, Martin Stuber (Hg.): Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts. Berlin: Akademie Verlag 2008, S. 347–374; Alexander Rausch: Bimodale Netzwerke. In:

36

Maximilian Görmar

zusätzlich auch der Societas Conferentium.25 Cyprian und Pfautz werden auch von Otto Mencke in einem Brief an Leibniz vom 14./24. September 1681 im Zusammenhang mit der Zeitschrift erwähnt und zusätzlich noch Valentin Alberti und Adam Rechenberg.26 Alberti hatte ebenfalls dem Collegium Gellianum, dem Collegium Anthologicum, als dessen Gastgeber er zeitweise auch fungierte,27 und dem Donnerstägigen Predigerkollegium angehört, Rechenberg nur dem Collegium Anthologicum und dem Donnerstägigen Predigerkollegium.28 Mencke selbst war ebenfalls Mitglied im Collegium Gellianum und Collegium Anthologicum, aber auch im Montägigen Predigerkollegium gewesen.29 Dagegen besaßen Michael Ettmüller und Friedrich Benedikt Carpzov, die mit Sicherheit ebenfalls noch 1681 zu den Collectores Actorum Eruditorum stießen,30 keine Verbindungen zu anderen Sozietäten. Damit dürfte der engere Leipziger Kreis, der zu den Gründungsmitgliedern der Collectores gehörte, trotz aller Unsicherheiten abgesteckt sein.31 Es handelt sich im Ganzen um zehn Personen, eine Größe, die in etwa der der anderen Leipziger Sozietäten entspricht und sich als praktikabel erwiesen hatte.32 Auffällig an dem in Abbildung 1 dargestellten Befund ist, dass nicht nur zu den Fachkollegien, sondern auch zu den Predigerkollegien Querverbindungen bestanden. Besonders aus dem Donnerstägigen Predigerkollegium dürften sich einige der ersten Collectores gekannt haben. Ihm hatten insgesamt sechs von ihnen angehört, genauso viele wie dem Collegium Gellianum. Im Collegium Anthologicum waren sieben der genannten Personen Mitglied gewesen, die bis auf Adam Rechenberg alle auch im Collegium Gellianum gewesen waren. Aus Sicht des Netzwerks weniger wichtig waren die Societas

25

26 27 28 29 30

31 32

Christian Stegbauer, Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, S. 421–432. Vgl. die Mitgliederlisten in Georg Christian Gebauer: Collegiorum Lipsiensium Gelliani et Anthologici Historia. In: ders.: Anthologicarum Dissertationum Liber. Leipzig: Fritsch 1733, S. IX– CXXVIII, hier S. XII–XVI, XXXIII–LII und LIV–CXXVII; Christian Gottlieb Jöcher: Danck-Predigt welche zum Andencken der vor hundert Jahren geschehenen Stifftung des Donnerstägigen Großen Prediger-Collegii zu Leipzig […] gehalten. Leipzig: Gleditsch 1740, S. 32–80. Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Allgemeiner, politischer und historischer Briefwechsel. Bd. 3. Hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Leipzig: Koehler 1938, S. 502. Vgl. Zwickau Ratsschulbibliothek: Br. 102.124: Brief von Joachim Feller an Christian Daum, 28. März 1661. Vgl. die in Anm. 25 genannten Quellen. Vgl. neben den in Anm. 25 genannten Quellen für das Montägige Predigerkollegium Nomina Sociorum qui Collegio Concionatorio Maiori, atque Antiqiori […] interfuerunt. Leipzig: [ohne Verlagsangabe] 1725. Von Ettmüller stammen mehrere Rezensionen im Januarheft 1682, und Carpzov berichtete im August 1681 brieflich an Christian Daum in Zwickau von den Sitzungen der Collectores Actorum Eruditorum. Vgl. Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 376; Wittkowski: Leipzig (wie Anm. 5), S. 185. Vgl. auch Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 44 f. Im Collegium Gellianum war die Mitgliederzahl auf neun beschränkt, im Collegium Anthologicum auf zehn. Vgl. Döring: Pufendorf (wie Anm. 6), S. 18 und 35.

Die Vor- und Frühgeschichte der Acta Eruditorum

37

Conferentium und das Montägige Predigerkollegium, denen jeweils nur eine Person, Cyprian bzw. Mencke, angehört hatte.

Abb. 2 Mitgliedschaften der Gründungsmitglieder der Collectores Actorum Eruditorum (Vierecke) in anderen Sozietäten (Dreiecke). Die Größe der Knoten zeigt die Zahl der zwischen 1682 und 1706 beigesteuerten Rezensionen an.

Dieses dichte Bekanntschaftsnetz dürfte die Arbeit in der Societas Collectorum Actorum Eruditorum wesentlich erleichtert haben. Insofern könnte man meinen, dass die Mitarbeiter, die Mencke schon lange aus anderen Sozietäten kannte, besonders wertvolle und fleißige Mitarbeiter an den Acta Eruditorum gewesen wären. Und in der Tat befinden sich außer Mencke selbst vier von ihnen, Feller, Pfautz, Rechenberg und Cyprian, unter den produktivsten Rezensenten. Allerdings schrieb Friedrich Benedikt Carpzov, der keiner weiteren Sozietät angehörte, bei weitem die meisten Rezensionen (206), abgesehen von Mencke (219), wie deutlich in Abbildung 2 zu erkennen ist.33 Insofern kann der Grad der Vernetzung zu anderen Sozietäten nur bedingt als Indikator für die Bedeutung einer Person für eine einzelne Sozietät gelten. An Carpzov, der als Kaufmann über internationale Geschäftskontakte verfügte und als Ratsbaumeister dem Stadtregiment angehörte, zeigt sich darüber hinaus, dass das Netz der Leipziger Sozietäten nur eines von vielen Netzwerken war, deren Zusammenspiel den Erfolg der Acta Eruditorum sicherte.34 Dazu zählte auch die weitgespannte 33 34

Die Zahlen sind entnommen aus Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 140 und 373–387. Hier sind auch familiäre Beziehungen zu nennen. Christoph Pfautz beispielsweise heiratete Menckes Schwester, die er kennengelernt hatte, als Mencke und Pfautz 1681 wegen der Pest zunächst

38

Maximilian Görmar

Korrespondenz, die Mencke, Carpzov und andere zur europäischen res publica litteraria unterhielten,35 sowie in Leipzig die Kontakte zu den Buchdruckern und Verlegern.36 Diese vielen Fäden liefen bei Mencke zusammen, der selbstredend auch als Professor für Moral und mehrmaliger Rektor der Universität vielfältige Beziehungen knüpfte.37 Bei dieser Vielzahl von Komponenten ist der Einfluss, den die Sozietäten auf die Acta Eruditorum hatten, mit den bisher angewandten netzwerkanalytischen Methoden nur bedingt abzuschätzen. Sie können lediglich die zugrundeliegenden Strukturen und Verflechtungen sichtbar machen. Daher soll im Folgenden dem inhaltlichen Einfluss nachgegangen werden, den die gelehrten Gesellschaften auf die Arbeitsweise und Rezensionspraxis in den Acta Eruditorum hatten. Der Einfluss der Arbeitsweise und Vortragspraxis der früheren Leipziger Sozietäten auf die Arbeitsweise und Rezensionspraxis der Collectores Actorum Eruditorum Der Einfluss der früheren Sozietäten auf die Grundsätze der Redaktionstätigkeit und die Form der Rezensionen der Collectores Actorum Eruditorum wird in der Forschung in der Regel vorausgesetzt, ist aber bisher nicht systematisch untersucht worden. Im Folgenden soll durch einen Vergleich der programmatischen Festlegungen in den Vorreden der Acta Eruditorum und der Statuten der Sozietäten versucht werden, diese Lücke zu verringern. Hinzu kommt ein exemplarischer Vergleich der Rezensionen in den Acta und der Vorträge in den Sozietäten, vor allem im Collegium Gellianum. Auf der formalen Ebene fällt zunächst die gemeinsame Verwendung der lateinischen Sprache auf, die im Collegium Gellianum und den anderen Sozietäten durch die

35

36 37

nicht nach Leipzig zurückkehren konnten und längere Zeit in Oldenburg in Menckes Elternhaus verweilten. Vgl. Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 40 f. Vgl. Detlef Döring: Das gelehrte Leipzig der Frühaufklärung am Rande und im Umfeld der Universität. In: ders.: Studien zur Wissenschafts- und Bildungsgeschichte in Deutschland um 1700. Gelehrte Sozietäten – Universitäten – Höfe und Schulen. Hg. von Joachim Bahlcke, Mona Garloff. Wiesbaden: Harrassowitz 2015, S. 93–124, hier S. 99. Zu Menckes Korrespondenznetz vgl. Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 147–194; Hubertus Augustinus Laeven: Otto Mencke (1644–1707): The Outlines of his Network of Correspondents. In: Christian Berkvens-Stevelinck, Hans Bots, Jens Häseler (Hg.): Les Grands Intermediaires culturels de la Republique des Lettres. Études de réseaux de correspondances du XVIe au XVIIIe siècles. Paris: Editions Champion 2005, S. 229–256. Vgl. Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 42 f. Vgl. ebd., S. 32–40. Dies traf natürlich auch auf viele andere Mitglieder der Collectores Actorum Eruditorum zu, die Professoren an der Leipziger Universität waren. Vgl. Detlef Döring: Die Anfänge der Ausdifferenzierung der modernen Wissenschaftsdisziplinen an den deutschen protestantischen Universitäten 1670–1720. In: Joseph S. Freedman (Hg.): Die Zeit um 1670. Eine Wende in der europäischen Geschichte und Kultur?. Wiesbaden: Harrassowitz 2016, S. 99–134, hier S. 129 f.

Die Vor- und Frühgeschichte der Acta Eruditorum

39

Statuten vorgegeben war.38 Über die Gründe, warum sich die Herausgeber in den Acta Eruditorum der lateinischen und nicht der deutschen Sprache bedienten, hüllen sie sich weitestgehend in Schweigen.39 Sicher mag einer der Hauptgründe gewesen sein, dass die Zeitschrift nur so eine internationale Leserschaft erreichen konnte.40 Möglicherweise trug auch die Tatsache dazu bei, dass man sich selbst im mehr oder weniger privaten Innenraum der Sozietäten größtenteils des Lateinischen als Umgangssprache bediente, während man in den italienischen und französischen Akademien sowie den englischen Gesellschaften hauptsächlich die Landessprache verwendete.41 Andere Gemeinsamkeiten zwischen der Collectores Actorum Eruditorum und den anderen Sozietäten waren der wöchentliche Versammlungsmodus bei einem der Mitglieder zu Hause,42 das Anfertigen und Publizieren von Gelegenheitsgedichten zu bestimmten Anlässen43 und die Art der Themenvergabe, die unter Berücksichtigung der Vorlieben und Fähigkeiten der Mitglieder erfolgte.44 Größere Werke wurden dabei über mehrere Wochen und Monate abschnittsweise behandelt.45 Ganz ähnlich gab es auch in den Acta Eruditorum Rezensionen, die sich über mehrere Monatshefte erstrecken konnten.46 Formale Unterschiede ergeben sich hauptsächlich aus dem unterschiedlichen Umgang mit den Arbeitsergebnissen, die in den früheren Sozietäten nur intern doku-

38 39 40 41

42

43 44 45 46

Vgl. Gebauer: Historia (wie Anm. 25), S. XXX und LIII f. Vgl. AE 1 (1682), Vorrede, unpaginiert. Vgl. Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 51 f. Freilich gab es auch im deutschen Raum Sozietäten, die sich der deutschen Sprache bedienten und sich ihrer Pflege widmeten. Am bekanntesten ist hier die Fruchtbringende Gesellschaft. Vgl. Gabriele Ball, Klaus Conermann, Andreas Herz, Helwig Schmidt-Glintzer: Fruchtbringende Gesellschaft (1617–1680). Hundert Jahre nach der Reformation. Forschungen der Arbeitsstelle der Sächsischen Akademie der Wissenschaften an der Herzog August Bibliothek. Wiesbaden: Harrassowitz 2017. Die Collectores trafen sich immer mittwochs um elf Uhr zunächst im Haus Otto Menckes. Vgl. Kirchner: Entstehungs- und Redaktionsgeschichte (wie Anm. 5), S. 157 f.; Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 45; Juncker: Schediasma (wie Anm. 1), S. 144. Das Collegium Gellianum traf sich immer sonntags nach dem Gottesdienst und das Collegium Anthologicum am Samstag. Vgl. Döring: Pufendorf (wie Anm. 6), S. 18 und 21. Bei den Predigerkollegien geht der Versammlungstag schon aus ihrer Benennung hervor. Dazu zählen vor allem Beerdigungen, aber auch Hochzeiten und Promotionen. Vgl. beispielsweise das in Anm. 15 genannte Gedicht von Joachim Feller. Vgl. Leibniz: Allgemeiner Briefwechsel, Bd. 3 (wie Anm. 26), S. 547; Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 135; Görmar: Collegium Gellianum (wie Anm. 13), S. 151; Döring: Pufendorf (wie Anm. 6), S. 19 f. und 23–25. Mitunter wurden die Themen auch für ein ganzes Jahr festgelegt. 1651 beispielsweise widmete sich Johannes Strauch im Collegium Gellianum den Werken Suetons und Esaias Pufendorf, der ältere Bruder Samuel Pufendorfs, Gellius’ Noctes Atticae. Vgl. Döring: Pufendorf (wie Anm. 6), S. 20. Ein Beispiel ist die erste Rezension in den Acta Eruditorum von Michael Ettmüller zu Nehemiah Grews Katalog der Sammlungen der Royal Society, die sich über zwei Monate erstreckte. Vgl. AE 1 (1682), S. 1–4 und 33–38.

40

Maximilian Görmar

mentiert, bei den Collectores aber in Form der Acta Eruditorum publiziert wurden.47 Dies mag auch der Grund dafür sein, dass sich von den Sitzungen der Herausgebergesellschaft keine Protokolle finden lassen, sieht man einmal von der Möglichkeit eines vollständigen Verlustes dieser Quellen ab. Man sah unter Umständen einfach nicht die Notwendigkeit, Protokolle zu führen oder dauerhaft aufzubewahren, wenn die Arbeitsergebnisse der Sozietät ohnehin gedruckt wurden. Dafür spricht, dass die annotierten Exemplare der Acta Eruditorum, anhand derer Laeven die Beiträger und Rezensenten identifizieren konnte, zumindest teilweise die Handexemplare Menckes gewesen sein dürften und so ein Protokoll der Sitzungen ersetzten.48 Was die inhaltliche Gestaltung der Acta Eruditorum anbelangt, so gibt es auch hier einige signifikante Gemeinsamkeiten mit der Vortragspraxis in den Sozietäten. Zunächst ist der universelle Anspruch zu nennen, alle Gebiete der Gelehrsamkeit abzudecken. Zwar gab es im Collegium Gellianum ursprünglich die Festlegung, vor allem die Philologia Sacra und die Geschichte zu behandeln.49 Doch das Kollegium öffnete sich im Laufe der Zeit auch anderen Wissensgebieten, obgleich altertumswissenschaftliche, bibelkundliche und theologische Vorträge deutlich in der Mehrzahl waren.50 Allerdings ist auffällig, dass Anfang der 1670er Jahre in den letzten Sitzungen des Collegium Gellianum, von denen wir Protokolle besitzen, gerade Otto Mencke und Christoph Pfautz dazu beitrugen, dass auch andere Themen und neuere Literatur mehr und mehr Berücksichtigung fanden.51 So referierte Mencke unter anderem über juristische Themen, wobei er auch auf Hugo Grotius’ Naturrechtslehre zurückgriff,52 und über mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte,53 während Pfautz einige geographische Vorträge hielt, für die er unter anderem Giovanni Ricciolis erstmals 1661 erschienene Geographia et Hydrographia reformata verwendete.54 Die Mehrzahl der Mitglieder im Collegium Gellianum hielt gleichwohl weiterhin Vorträge zu den vor-

47 48 49 50 51

52 53 54

Vgl. Kirchner: Entstehungs- und Redaktionsgeschichte (wie Anm. 5), S. 154. Vgl. Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 129–133. »Praecipuas partes habeto philologia sacra: Historica, praesertim, quibus ritus antiqui & mores & rerum initia, causaeve traduntur, admittuntur.« (Ms 2617 fol. 6r). Vgl. auch Görmar: Collegium Gellianum (wie Anm. 13), S. 128 f. Anm. 7. Vgl. ebd., S. 139–141; Döring: Pufendorf (wie Anm. 6), S. 20. So betrug 1671/72 der Anteil der Vorträge, die sich mit theologischen oder kirchengeschichtlichen Themen befassten, nur noch ca. 18 Prozent und der Anteil der altertumskundlichen Vorträge nur knapp 24 Prozent. Dagegen machten Vorträge zu Geschichte, Politik und Staatsrecht in Mittelalter und Früher Neuzeit nun etwa 19 Prozent aus, und der Anteil von Vorträgen zu weniger häufigen Gebieten, darunter auch Naturwissenschaften und Mathematik, lag nun bei knapp 25 Prozent. Vgl. Görmar: Collegium Gellianum (wie Anm. 13), S. 140 f. So erörterte Mencke beispielsweise eine Stelle in Grotius’ De Iure Belli ac Pacis, nach der das Anfertigen eines Testaments ein natürliches Recht sei. Vgl. Ms 2619, fol. 181v–182r. Als Beispiel sei ein Vortrag über die Anfänge der Medici als Herzöge der Toskana genannt. Vgl. ebd., fol. 198r–198v. Vgl. ebd., fol. 215v–217r.

Die Vor- und Frühgeschichte der Acta Eruditorum

41

herrschenden Themen Theologie und Altertumskunde.55 Hier offenbarte sich auch der immer noch prägende Einfluss der lutherischen Orthodoxie, etwa wenn Valentin Alberti, selbst einer der profiliertesten orthodoxen Theologen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, das Konkordienbuch gegen Kritik der Calvinisten verteidigte.56 Auch die Collectores Actorum Eruditorum bekannten sich grundsätzlich zur lutherischen Orthodoxie, versprachen aber die Schriften, die dieser zuwiderliefen, bei aller Kritik, möglichst objektiv und höflich zu besprechen.57 Dieses Prinzip gegenseitigen Respekts und einer gewissen Toleranz gegenüber Andersdenkenden dürfte nicht unwesentlich durch die in den Sozietäten übliche Forderung nach Eintracht unter den Mitgliedern und nach einer sachlichen Redeweise beeinflusst worden sein.58 Gerade Mencke hat sich dieses Ideal zu eigen gemacht, schließlich nahm er bei seiner weitgespannten internationalen Korrespondenz wenig Rücksichten auf konfessionelle Unterschiede. Ihm ging es vor allem um das Ziel, seine Zeitschrift auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Gelehrsamkeit zu halten.59 Dementsprechend nahmen in den Acta, zumindest was die Originalbeiträge anbelangt, Mathematik und Naturwissenschaften wesentlich mehr Raum ein als im Collegium Gellianum und den anderen Sozietäten.60 Damit ist auch ein Hauptunterschied zwischen den Rezensionen in den Acta Eruditorum und den Vorträgen in den Sozietäten angesprochen: das Aktualitätsprinzip.61 Während in der Zeitschrift neue Bücher besprochen und exzerpiert wurden, waren es in den Kollegien meist die Werke antiker Autoren oder der großen Humanisten des 16. Jahrhunderts.62 Hinzukamen formale Merkmale, die die neue Textgattung Rezension von den Vorträgen bzw. den Vortragsprotokollen in den Sozietäten unterschieden. Zu diesen Formalia ist die größere Ausführlichkeit der bibliographischen Angaben zu zählen, die an die Spitze der Rezensionen gesetzt wurden statt eines Titels.63 Demgegenüber sind die Literatur- und Quellenangaben in den Vortragsprotokollen stark verkürzt und stehen in der Regel am Ende der betreffenden Stellen bzw. Vorträge.64 Gemeinsam ist den Vorträgen und den Rezensionen ihr vorherrschender Ex-

55

56 57 58 59 60 61 62 63 64

Ein Beispiel für die Verbindung von beidem ist ein Vortrag Thomas Stegers zu Gellius, Noctes Atticae 16,16 unter dem Titel »De no[m]i[n]e AGRIPPAE«. Hier wird ein Bezug zu Herodes Agrippa II. aus der Apostelgeschichte (25,13–26 und 26,1–31) hergestellt. Vgl. ebd., fol. 191v–193r; Görmar: Collegium Gellianum (wie Anm. 18), S. 147 f. Vgl. Ms 2619 fol. 178v–179v. Vgl. Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 59. Vgl. Döring: Pufendorf (wie Anm. 6), S. 18, 21 und 34–36. Vgl. Laeven: Otto Mencke (wie Anm. 35). Vgl. Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 52–55 und 419 f. Vgl. Habel: Gelehrte Journale (wie Anm. 2), S. 48. Vgl. Görmar: Collegium Gellianum (wie Anm. 13), S. 141–155. Vgl. Habel: Gelehrte Journale (wie Anm. 2), S. 47 f. Mitunter wird auch nur der Autor angegeben, wie in einem Vortrag von Friedrich Rappolt aus dem Jahr 1643 über das lateinische Wort buttubata. Er schreibt: »Martinio vox mere Hebraea est.« (Ms 2617 fol. 73v). Mit Martinius ist gemeint: Matthias Martini: Lexicon Philologicum, Praecipue

42

Maximilian Görmar

zerptcharakter,65 der zumindest zum Teil dem gemeinsamen Anliegen geschuldet ist, dem Leser die Mühe zu ersparen, das betreffende Buch oder die Stelle selbst unbedingt lesen zu müssen.66 Auch die bunte Anordnung der einzelnen Beiträge, die sich in beiden Fällen nicht nach thematischen Gesichtspunkten richtet, folgt dem Grundsatz »variatio delectat«, dem sich bereits Gellius mit seinen Noctes Atticae, gleichfalls eine Sammlung von Lesefrüchten, verpflichtet hatte.67 Fazit Fasst man die hier angestellten Untersuchungen zum Einfluss der Leipziger Sozietäten auf die Acta Eruditorum und ihre Herausgeber zusammen, ergibt sich, dass letztere sowohl strukturell und personell als auch inhaltlich auf ersteren aufbauen konnten. Die Sozietäten, besonders das Collegium Gellianum und das Collegium Anthologicum, stellten ein bewährtes Organisationsmodell und die Normen gemeinsamer gelehrter Arbeit zu Verfügung. Zudem findet sich das thematische Spektrum der polyhistorisch orientierten Kollegien in den Acta Eruditorum durchaus wieder, wenn auch mit einigen Verschiebungen zum mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich hin, die der gestiegenen Bedeutung dieser Wissenschaftsbereiche geschuldet waren. Hieran zeigt sich ein ganz wesentlicher Unterschied zur Arbeit in den Kollegien: der Anspruch auf Aktualität, der Hand in Hand mit der Publizität ging. Beides brachte das neue Medium Zeitschrift mit sich.68 Die Orientierung auf die Zeitschrift als Kernstück der Arbeit bewirkte im Vergleich zu den früheren Sozietäten mithin die größten Innovationen. Dabei spielten die ausländischen Vorbilder, vor allem das Journal des sçavans und die Philosophical Transactions, die entscheidende Rolle und bestimmten die Form und Gestaltung der Textgattung Rezension wesentlich.69 Die Acta Eruditorum und die dahinterstehende Herausgebergesellschaft bildeten aus diesen ausländischen Anregungen und dem in Leipzig etablierten Modell gelehrter Gesellschaften eine gelungene Syn-

65 66

67 68 69

Etymologicum. Bremen: Wille 1623. Von dort (ebd., Sp. 207) ist der Vortrag Rappolts fast vollständig übernommen. Vgl. Görmar: Collegium Gellianum (wie Anm. 13), S. 141 f. Vgl. Laeven: Acta Eruditorum (wie Anm. 4), S. 87–96; Habel: Gelehrte Journale (wie Anm. 2), S. 58 f. Dies gilt insbesondere für fremdsprachige Bücher. So begründen die Herausgeber zum Beispiel die Ausführlichkeit der Rezension von Nehemiah Grews englischsprachigem Museum Regalis Societatis (1681) damit, dass so auch Leser, die des Englischen nicht mächtig seien, Nutzen aus dem Buch ziehen und die Exzerpte in den Acta bei der Betrachtung der zahlreichen Abbildungen im Buch heranziehen könnten. Vgl. AE 1 (1682), S. 38. Vgl. Herbert Jaumann: Critica. Untersuchungen zur Geschichte der Literaturkritik zwischen Quintilian und Thomasius. Leiden/New York/Köln: Brill 1995, S. 261. Vgl. Habel: Gelehrte Journale (wie Anm. 2), S. 48. Vgl. ebd., S. 46–52.

Die Vor- und Frühgeschichte der Acta Eruditorum

43

these, die den Ruf der Stadt als »Athenes d’Allemagne«70 in der europäischen Gelehrtenrepublik auf Jahrzehnte hinaus sicherstellte. Die Collectores Actorum Eruditorum stehen damit nicht nur am Beginn des wissenschaftlichen Journalismus in Deutschland, sondern können auch als eine frühe Aufklärungsgesellschaft gelten.71

70

71

Vgl. das Urteil Pierre Bayles von 1692: »[L]es savans homme qui font le journal de Leipsic, avec beaucoup d’avantage pour la Republique des lettres, et avec beaucoup de gloire pour leur ville, qu’on peut à bon droit apeller l’Athenes d’Allemagne.« (Zitiert nach Witkowski: Leipzig [wie Anm. 5], S. 187) Die Sozietätsforschung hat m. E. die Grenze zwischen der aufklärerischen und der voraufklärerischen Sozietätsbewegung bisher allzu schematisch mit dem Jahr 1700 gezogen. Vgl. etwa Holger Zaunstöck: Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer 1999, S. 61 f.

Der Großrezensent Albrecht von Haller Hallers Exzerpte und Rezensionen in den Jahren 1745 bis 1747 Claire Gantet Albrecht von Haller schrieb eine Unzahl von Rezensionen. Dem Literaturwissenschaftler Karl S. Guthke folgend schätzen sie die Historiker auf die beträchtliche Zahl von 9000 allein für die Göttingischen gelehrten Anzeigen (fortan GGA).1 Diesen deutschsprachigen Besprechungen müssen mindestens 44 Beiträge in der Bibliothèque raisonnée des ouvrages des savans de l’Europe (fortan BR)2 sowie einzelne aus der Bibliothèque germanique (fortan BG) noch dazugezählt werden. Wenngleich nach damaliger Konvention Besprechungen anonym erschienen, war Hallers emsige Rezensionstätigkeit den Zeitgenossen bekannt. Ein Leser aus dem Ende des 18. Jahrhunderts vermerkte handschriftlich eingangs in seinem Exemplar der GGA:

1

2

Karl S. Guthke: Haller und die Literatur. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1962. Siehe Hubert Steinke, Claudia Profos (Hg.): Bibliographia Halleriana. Verzeichnis der Schriften von und über Albrecht von Haller. Basel: Schwabe 2004 (Studia Halleriana VIII), Nr. 2477. Der Titel Göttingische gelehrte Anzeigen ist ein Sammeltitel für die Göttinger gelehrte Zeitschrift, die unter folgenden Titeln erschien: Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen (1739–1752) und Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1753–1801). Stellvertretend siehe Hubert Steinke, Urs Boschung, Wolfgang Pross (Hg.): Albrecht von Haller. Leben – Werk – Epoche. Göttingen: Wallstein 2008, und André Holenstein, Hubert Steinke, Martin Stuber (Hg.): Scholars in Action. The Practice of Knowledge and the Figure of the Savant in the 18th Century. 2 Bde. Leiden: Brill 2013 (History of Science and Medicine Library, 34/9). Ich danke Martin Stuber und Fabian Krämer recht herzlich für ihre Lektüre dieses Beitrags. Karl S. Guthke (Haller und die Bibliothèque raisonnée. In: Jahrbuch des freien Deutschen Hochstifts. Tübingen 1973, S. 1–13) konnte 44 Rezensionen Hallers in der BR nachweisen. Mindestens 50 Beiträge Hallers schätzt Bruno Lagarrigue: Un temple de la culture européenne (1728–1753). L’histoire externe de la Bibliothèque raisonnée des savants de l’Europe. Amsterdam: Baarle Nassau 1993, S. 93– 123, 132. Die Notiz von Jean-Daniel Candaux: Bibliothèque raisonnée. In: Jean Sgard (Hg.): Dictionnaire des journaux, http://dictionnaire-journaux.gazettes18e.fr/journal/0169-bibliothequeraisonnee [zuletzt: 10.01.2019], die lediglich ein Dutzend Rezensionen verzeichnet, ist mangelhaft.

46

Claire Gantet

Seit 1745 bis zu seinem Tode 17[78] lieferte Haller über 12000 Recensionen für die Göttingische gel. Zeitung, sonderlich über medizinische u. a. Werke aus den schönen Wissenschaften, besonders französische. S. Heinzmanns Vorr zu A. v. Haller Tagebuch seiner Beobachtungen über Schriftsteller.3

Die Masse der Rezensionen, die Haller seit 1737 für diverse Periodika und ab 1745 vornehmlich für die GGA schrieb, beeindruckte also die Gelehrten und verlieh ihm hohe Autorität.4 Wie war es überhaupt möglich, so viele Besprechungen zu schreiben? 9000 nachgewiesene Rezensionen allein für die GGA von 1745 bis 1777 (oder sogar 9300, wenn man diejenigen hinzufügt, die zu seinem Tod im Druck waren und posthum erschienen), das heißt 266 Rezensionen im Jahr oder eine Rezension fast alle 1,3 Tage – ein arbeitsökonomisch und -physiologisch gewaltiges Pensum! Die Datenbank Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung (GJZ 18) ist leider kaum hilfreich, um die Rezensionstätigkeit Albrecht von Hallers zu verstehen. Die Eingabe des Namens »Albrecht von Haller« ergibt nur 634 Treffer in den GGA, meist rezensierte Werke von Haller oder Hinweise auf ihn in den erschlossenen Rezensionen anderer Werke.5 Da die GGA im vorgängigen Projekt IdRZ 18 erschlossen wurden, fehlt die Verlinkung auf die Digitalisate der Journalartikel, und zudem wurden grundsätzlich keine Journale in französischer Sprache aufgenommen. Das Berner Projekt hallerNet wird in den nächsten Jahren diesem Manko abhelfen, indem es die GGA-Rezensionen mit den entsprechenden Briefen Hallers verknüpfen wird.6 Vorerst muss auf digitalisierte Periodika und auf Handschriften zurückgegriffen werden.

3

4

5 6

GGA 1745, Seite vor dem Titelblatt, Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München, URL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10538794-8, Scan 3 [zuletzt: 07.01.2019]. Der anonyme Schreiber stützt sich auch auf Albrecht von Haller: Tagebuch seiner Beobachtungen über Schriftsteller und über sich selbst. Bd. 1–2. Hg. von Johann Georg Heinzmann. Bern: Haller 1787, S. IV f. Heinzmann war seit 1778 Buchhändler in Bern. Das Tagebuch, das er anscheinend ohne Wissen von Hallers Familie veröffentlicht hatte, erregte aufgrund der in der Vorrede enthaltenen Schmähungen gegen Johann Georg Zimmermann das Missfallen von Hallers Frau und Tochter. Heinzmanns Absicht, dem Publikum Auszüge »nach den in die Göttinger Anzeigen eingerückten Aufsätzen« vorzulegen, fand jedoch Unterstützung durch Christian Gottlob Heyne (s. Anm. S. IV). Heyne, seit 1770 Direktor der GGA und bis 1777 in engem redaktionellem Kontakt mit Haller, besprach selbst in den GGA (1787, St. 82, 24. Mai, S. 818–823) das von Heinzmann herausgegebene Tagebuch. Die Zahl der Rezensionen übernahm er ohne Weiteres. Lediglich die Rezensionen literarischer Werke in den GGA wurden eingehend verzeichnet und untersucht. Siehe dazu Guthke: Haller und die Literatur (wie Anm. 1), und Claudia Profos Frick: Gelehrte Kritik. Albrecht von Hallers literarisch-wissenschaftliche Rezensionen in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen. Basel: Schwabe 2009 (Studia Halleriana, X). In der Bibliographia Halleriana (wie Anm. 1) sind die Rezensionen außerhalb den GGA einzeln aufgeführt S. 196–208. Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen (1744–1752): 451 Treffer; Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1760–1781): 183 Treffer. Angaben vom 9. Januar 2019. Es besteht eine bedauernswerte Lücke zwischen 1753 und 1759. Im Jahr 2018 wurde an der Universität Bern (Historisches Institut, Institut für Medizingeschichte, Germanistisches Institut) das SNF-Projekt Online-Edition der Rezensionen und Briefe Albrecht von

Der Großrezensent Albrecht von Haller

47

Eine Spur, die ich in Zusammenarbeit mit Fabian Krämer weiterverfolgen werde, liegt in dem möglichen Zusammenhang zwischen wissenschaftlichem Lesen und Rezensieren. Denn Exzerpieren hieß in der damaligen Sprache, »Auszüge« oder »Extracte«, auf Französisch »Extraits«, zu erstellen. Dem Zedler-Lexikon nach musste sich der Leser den »Eingang, Schluß und Unterschrifft des Documents, woraus der Extract genommen« notieren.7 Die Nähe zwischen Exzerpten und Journalen wird von etlichen Journaltiteln angedeutet, wie der Monatliche Auszug aus allerhand neu herausgegebenen nützlichen und artigen Büchern, oder die Hamburgischen Auszüge aus neuen Büchern und Nachrichten von allerhand zur Gelahrtheit gehörigen Sachen. Wie ging aber Haller mit dem Exzerpieren und Rezensieren um? Als Haller 1747 die Leitung der GGA übernahm, definierte er in der Vorrede die Rezensionskunst wie folgt: Ein Verfasser muß die Geschichte seiner Kunst inne haben, er muß wissen was alt, gemein, neu, wahrscheinlich, wahr, unglaubwürdig ist; denn alle diese Eigenschaften eines Buches, und die Stuffen derselben, müssen unumgänglich den Hauptstoff seiner Beurtheilungen ausmachen. Er muß in seinen Wissenschaften so gründlich sein, daß er ein gültiges Urtheil über den Wehrt der Dinge fällen kan. Seine Aufmerksamkeit bey Durchlesung der Bücher, von denen er Auszüge macht, muß ihm das wahre, neue, und vorzügliche, derselben entdeken, er muß einsehen, wodurch sie sich von andern unterscheidet, und entweder weiter gehen, oder zurük bleiben. Sein Auszug muß so viel als möglich kurz sein, auf wesentliche Dinge gehen, und eben so wenig Kleinigkeiten wählen, als wichtigere Materien auslassen.8

Haller notierte sich seit 1728 rund 5000 handschriftliche Exzerpte in seinen Iudicia librorum 9 Der Titel Iudicia librorum weist bereits auf eine wissenschaftliche, grundsätzlich kritische, das heißt mit Wertung versehene Lektüre hin. Haller benutzte, so hier die Arbeitshypothese, seine Exzerpte als unmittelbare Grundlage für seine Rezensionen und eigenen Werke, insbesondere seine Bibliothecae (1771–1788). Eine Besprechung ist jedoch nicht nur der verlängerte Arm eines Exzerpts. Sie ist auch für die Öffentlichkeit oder zumindest für gewisse Leserkreise bestimmt und nimmt implizit oder explizit Stellung zu anderen Gelehrten, wissenschaftlichen Feldern oder Journalen.

7 8 9

Hallers Expertise und Kommunikation in der entstehenden Scientific community gestartet. In diesem Rahmen werden die rund 9 000 GGA-Rezensionen auf der Editions- und Forschungsplattform hallerNet ediert. Extract oder Auszug eines Dinges. In: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste. Bd. 8. Halle und Leipzig: Johann Heinrich Zedler 1734, Sp. 2360. Vorrede GGA 1747, )(4b. Burgerbibliothek Bern: Catalogus Bibliothecae, AvH 62 bis 87. Ich werde mich im Folgenden ausschließlich auf die Bände AdH 68 bis 70 stützen. Sie beinhalten auch viele Exzerpte älterer Werke. Den Band 25 von Hallers Exzerpten konnte ich leider nicht sichten. Ich danke Hubert Steinke und Martin Stuber (beide Universität Bern) recht herzlich für ihre großzügige Hilfe bei der Materialbeschaffung.

48

Claire Gantet

Kann man aber das private Exzerpieren dem öffentlichen Rezensieren gegenüberstellen? Welcher Zusammenhang bestand eigentlich zwischen Exzerpten und Rezensionen? Dieser Aufsatz stützt sich auf die drei Bände der Iudicia librorum für die Jahre 1745 bis 1747, auf deren jeweils letzten Seiten Haller ein Verzeichnis seiner eigenen Rezensionen notiert hat. Es handelt sich dabei um die drei ersten Jahre seiner Rezensionstätigkeit bei den GGA, die bisher kaum erforscht wurden.10 Ursprünglich gelegentlich Mitarbeiter, dann Mitherausgeber, als die GGA noch vom (Haupt-)Herausgeber größtenteils verfasst wurden, sicherte sich Haller im Mai 1747 bei der Übernahme der alleinigen Leitung der Zeitschrift vertraglich die Hälfte der Besprechungsarbeit; bei einer Abwesenheit aus Göttingen garantierte er, seine Beiträge würden sich in Zukunft auf mindestens zwölf Bogen jährlich belaufen.11 Bis 1777 lieferte er Monat für Monat Artikel an die GGA. Nach bescheidenen Anfängen im Jahr 1745 (62 aufgelistete Rezensionen, davon 53 für die GGA und neun für die BR) verzeichnete er für das Jahr 1746 303 eigene Rezensionen für die GGA (41,8 Prozent der Rezensionen des jeweiligen Bandes) sowie elf für die BR und für das Jahr 1747 295 eigene Rezensionen für die GGA (37,5 Prozent des jeweiligen Bandes), neun für die BR sowie eine für die Bibliothèque germanique. Der Gesamtbetrag von 681 eigenen Rezensionen für diese drei ersten Jahre erreicht mit einer Rezension alle 1,6 Tage schon ungefähr den oben genannten Durchschnitt. Hallers Rezensionen in den GGA 1745–1747 Hallers Verzeichnis seiner eigenen Rezensionen lüftet nicht nur die Anonymität der Beiträge, den blinden Fleck der Journalforschung. Es wirft vor allem einen Blick auf Hallers wissenschaftliche Arbeit und auf die Rolle der Korrespondenz bei der In-

10

11

Die Forschung hat sich bisher vornehmlich auf die Zeit nach 1760 konzentriert. Siehe Wolfgang Schimpf: Die Rezensenten der Göttingischen gelehrten Anzeigen 1760–1768. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1982; Oscar Fambach: Die Mitarbeiter der Göttingischen Gelehrten Anzeigen 1769–1836. Tübingen: Universitätsbibliothek 1976. Dies galt bis Dezember 1752, als die GGA nun von der neugegründeten Akademie der Wissenschaften herausgegeben wurden: von Juli 1744 bis Januar 1745 vom jungen Naturwissenschaftler Johann Ludwig Oeder, dann vom Theologen Christian Ernst Simonetti (mit Hilfe von drei Professoren, darunter Haller). Siehe Guthke: Haller und die Literatur (wie Anm. 1), S. 37 f.; Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts. Bremen: edition lumière 2007 (Presse und Geschichte, Neue Beiträge 17), S. 392 f. Die Rezensionen wurden bezahlt, sodass Haller einen halben Lohn zusätzlich verdiente. Siehe Anne Saada: La contribution de Haller aux Göttingische gelehrte Anzeigen. Les archives comptables. In: Archives internationales d’histoire des sciences 63/170–171 (2013), S. 61–77; ähnlich dies: Albrecht von Haller’s Contribution to the Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen: The Accounting Records. In: Holenstein, Steinke, Stuber (Hg.): Scholars (wie Anm. 1), S. 319–337.

49

Der Großrezensent Albrecht von Haller

formationsbeschaffung.12 Im Gegensatz zum landläufigen Urteil der Historiker hatte Haller kein Monopol auf die Rezension französischsprachiger Bücher.13 Trotz seiner patriotischen Gesinnung und der intensiven Verflechtung der Schweizer Gelehrten bildete die Schweiz zudem keinen Schwerpunkt. Im Jahre 1745 war sein Netzwerk bereits international. Bemerkenswert ist, dass seine Rezensionsgeographie mit Städten wie Northampton, Dublin, Middelburg oder Modena (1746) oder Leeuwarden, Lincoln, Palermo oder Madrid (1747) weit über europäische Hauptstädte wie Paris und London hinausreichte und auch überseeische Druckorte einschloss: New York im Jahre 1746, Boston und Philadelphia im Jahre 1747. Oftmals erscheinen Hallers Besprechungen in den GGA hierarchisiert: Einer ersten Rezension unter dem Titel Göttingen (dem Gelehrtenkreis) folgt eine zweite mit der Überschrift London (aus nachvollziehbaren dynastischen Gründen) und eine dritte unter dem Namen Paris, Amsterdam o. Ä. Hallers Besprechungen: die häufigsten Rezensionstitel Rezensionstitel

Rezensionen (insgesamt)

davon Rezensionen Hallers

Jahrgang

London.

47 79 71

2 (4,3 %) 75 (95 %) 59 (83 %)

1745 1746 1747

Paris.

30 50 37

6 (20 %) 35 (70 %) 24 (65 %)

1745 1746 1747

Göttingen.

65 81 105

2 (3 %) 20 (25 %) 44 (42 %)

1745 1746 1747

Halle.

21 24 26

5 (24 %) 15 (62,5 %) 11 (42 %)

1745 1746 1747

Venedig.

28 20 26

0 (0 %) 12 (60 %) 10 (38 %)

1745 1746 1747

Leiden.

17 14 8

4 (24 %) 11 (79 %) 7 (87,5 %)

1745 1746 1747

12

13

Dazu siehe Martin Stuber: Journal and Letter. The Interaction between two Communication Media in the Correspondence of Albrecht von Haller. In: Hans-Jürgen Lüsebrink, Jeremy Popkin (Hg.): Enlightenment, Revolution and the Periodical Press. Oxford: Voltaire Foundation 2004 (Studies on Voltaire and the Eighteenth Century), S. 114–141. Dazu siehe Peter-Eckhard Knabe: Die Rezeption der französischen Aufklärung in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen (1739–1779). Frankfurt am Main: Klostermann 1978.

50

Claire Gantet

Rezensionstitel

Rezensionen (insgesamt)

davon Rezensionen Hallers

Jahrgang

Den Haag.

9 19 13

0 (0 %) 11 (58 %) 6 (46 %)

1745 1746 1747

Stockholm.

4 7 19

0 (0 %) 4 (57 %) 11 (58 %)

1745 1746 1747

Uppsala.

4 6 7

3 (75 %) 3 (50 %) 3 (43 %)

1745 1746 1747

Hallers Rezensionsprofil ist dezidiert internationaler als die Zeitschrift selbst und sogar als seine eigene Korrespondenz.14 Es ist gleichzeitig geographisch weit gefächert und konzentriert sich auf einige Hauptstädte. London ist mit Abstand der häufigste Rezensionstitel. 1745 brach ein großer Jakobitenaufstand katholischer Schotten und Stuart-Anhänger gegen den hannoverischen englischen König aus. Die GGA-Journalisten rezensierten sofort knapp und sachlich die edierten Flugschriften für oder gegen den englischen König, der auch ihr Kurfürst war. Im Jahr 1746 übernahm Haller die Chronik des Aufstandes (und der schottischen Niederlage). Dabei agierte er als Diener des Staates. Neben den zahlreichen Rezensionen jakobitischer oder königstreuer Schriften besprach er vielfältige Werke, die von einer Klassikeredition über eine Gemäldesammlung bis hin zu physikalischen Experimenten oder der Seuchenbekämpfung reichten. Regelmäßige und längere Rezensionen sowohl auf Deutsch in den GGA als auch auf Französisch in der BR widmete er bevorzugt den Philosophical Transactions. Die Rezensionen aus »Paris« belegen den gleichen eklektischen Charakter. Gleichzeitig bezeugen sie die vagen Umrisse des »französischen« Buches im 18. Jahrhundert: Viele Rezensionen aus »Den Haag« beispielsweise beziehen sich auf französischsprachige Bücher.15 »Leiden« ragt hervor aufgrund der medizinischen Tradition in den Fußstapfen von Herman Boerhaave, dessen exklusives medizinisches bzw. geistiges 14

15

Siehe die Karten in: Martin Stuber, Stefan Hächler, Luc Lienhard (Hg.): Hallers Netz. Ein europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung. Basel: Schwabe 2005 (Studia Halleriana, 9); Hallers Korrespondenznetz während seiner Zeit in Göttingen (1736–1753), http://ieg-ego.eu/ de/mediainfo/hallers-korrespondenznetz-waehrend-seiner-zeit-in-goettingen-173620131753. In: Hubert Steinke: Gelehrtenkorrespondenznetzwerke des 18. Jahrhunderts am Beispiel von Albrecht von Haller, 03.12.2010, EGO Europäische Geschichte online, http://ieg-ego.eu/de/threads/ europaeische-netzwerke/intellektuelle-und-wissenschaftliche-netzwerke/europaeische-korre spondenznetzwerke/hubert-steinke-gelehrtenkorrespondenznetzwerke-im-18-jahrhundertalbrecht-von-haller [zuletzt: 10.01.2019]. Kartographie: Richard Stuber, Bildquelle: Haller-Datenbank, Universität Bern. Französischsprachige Bücher wurden aufgrund der Pariser Zensur oft außerhalb Frankreichs gedruckt, nicht selten auch von Nichtfranzosen geschrieben und von Nichtfranzosen gelesen. Eine Verabsolutierung der Grenzen wäre deshalb irreführend.

Der Großrezensent Albrecht von Haller

51

Erbe Haller zeit seines Lebens beanspruchte. In der Skala von Hallers meistgenannten Orten kommen anschließend »Göttingen« – hier zeigen sich die GGA als ein internes Blatt der Universität Göttingen, besonders in der Zeit von Hallers Prorektorat (1. Januar bis 30. Juni 1747) – und »Halle«, die damalige Hauptkonkurrentin der neuen Universität an der Leine. Dass »Venedig« an fünfter Stelle steht, unterstreicht die Stellung der Stadt an der Lagune in der Grand Tour und folglich als Nachrichtendrehscheibe noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Die weiteren Ortsangaben verweisen auf Hallers Mitgliedschaften in gelehrten Gesellschaften, insbesondere in der Gesellschaft der Wissenschaften in Uppsala (seit 1733) und in der Stockholmer Königlichen Akademie der Wissenschaften ab 1747. Das Journal erfüllt daher bei Haller divergierende, jedoch komplementäre Aufgaben: die dynastisch-englische offizielle Prägung, die prestigeträchtige transnationale Information über allerarten Wissensbestände, die eigene intellektuelle Position, die Förderung und Reputation der eigenen Universität, ihre Positionierung im deutschen Wissenschaftsbetrieb, schließlich die persönliche Einbindung in korporative gelehrte Mitgliedschaften. Beurteilend lesen und rezensieren In seinem Roman Usong (1771) ließ Haller Oel-fu sagen: Man gab mir das Amt eines Richters der Bücher: ich mußte sie lesen, in einen Auszug bringen, und mit einem Zeichen unterscheiden, ob ich die Schriften guthieß. Ich zog einen blauen Kreiß um den Namen des Verfassers, wenn sein Werk mir misfiel, und die Billigung drückte ich mit einem rothen Kreise aus. Ich tat nach meiner besten Einsicht, ich sparte dennoch aus Menschenfreundschaft meinen blauen Pinsel […].16

Wie Claudia Profos es am Beispiel seiner Rezensionen literarischer Werke gezeigt hat, verfolgte Haller eine doppelbödige Strategie. Einerseits agierte er als philanthropisch gesinnter Kritiker, als sachlicher Verfechter einer »gegründeten Critik«,17 andererseits aber ging es in den deutschsprachigen GGA um die Beförderung der deutschen Literatur. Ähnlich verhielt es sich in der Wissenschaft.18 16

17 18

Albrecht von Haller: Usong. Eine Morgenländische Geschichte, in vier Büchern. Durch den Verfasser des Versuches Schweizerischer Gedichte. 3. Aufl. Bern: Neue Buchhandlung 1772, S. 228 f. Siehe auch: Johann J. Römer, Paul Usteri: Des Herrn von Hallers Tagebuch der medicinischen Litteratur der Jahre 1745 bis 1774. 2 Bde. Bern 1789–1791, Bd. 1, T. 2, Vorrede, S. VIII f. Claudia Profos Frick: »Gegründete Critik – ein unentbehrliches Amt in der gelehrten Welt«. Albrecht von Hallers literarisch-wissenschaftliche Kritik in den Göttingischen gelehrten Anzeigen. Dissertation Universität Bern 2005. Haller wollte in den GGA die deutsche Sprache als wissenschaftliche Sprache etablieren helfen. Ebenfalls förderte er die deutsche Wissenschaft in der BR: Er schrieb in dieser Zeitschrift 50 Pro-

52

Claire Gantet

In seinen Iudicia librorum verwendete dennoch Haller nicht die im Usong angesprochenen Farben und Kreise. Bereits Karl S. Guthke stellte fest, dass Haller seine Exzerpte zunächst nach Fachgebieten sammelte, in denen er sie chronologisch einordnete. Die Sorgfalt der Klassifikation und die Genauigkeit der bibliographischen Angaben zeugen, wie in Hallers Augen das Exzerpieren eine wissenschaftliche Tätigkeit bildete.19 Von äußerst seltenen Ausnahmen abgesehen schrieb er seine meist knappen Exzerpte auf Latein. Offenbar dienten sie als Gedächtnisstütze, als eine Art gelehrte ars memoriae (eine neuartige Gedächtniskunst ohne große Affekte, sondern nach der Wissensordnung der Historia literaria aufgebaut),20 gar eine Disziplinierung des Gedächtnisses und des Lebens. Bei Haller priesen seine Kollegen in der Tat seine »unermeßliche Gelehrsamkeit verbunden mit einer fast beyspiellosen Stärke des Gedächtnisses«.21 Er selbst schrieb in einem Brief an Charles Bonnet vom 4. November 1757: Hinsichtlich der Exzerpte stimme ich Ihnen zu. Ich bin daran interessiert, da ich eine kaum glaubliche Anzahl von denen gemacht habe. Denn bereits ab 1725 habe ich welche aus allen den Büchern erstellt, die in meine Hände gefallen sind, und ich habe sie alle aufbewahrt. Es sind rund 2500 in den Göttingischen gelehrten Anzeigen seit 1745 zu finden. Ich sehe darin einen Nutzen für mich: Man muss gut lesen, um ein Exzerpt erstellen zu können, und diese Arbeit hält etwas das allzu flüchtige Lesen fest, das ziemlich die Schwäche eines jeden bildet, der viel lesen will.22

Exzerpieren sollte die aufgewendete Lektürezeit optimieren und die Gelehrsamkeit vermehren: Es trug zur Ökonomie der wissenschaftlichen Arbeit bei. Mit Ausnahme seiner Rezensionen der Philosophical Transactions, einiger Gelehrtenstreitigkeiten und Sammelrezensionen zum Thema Elektrizität sowie der Besprechungen seiner eigenen Werke sind Hallers Beiträge in den GGA ebenfalls eher knapp – dabei schärfte er die seit der Frühaufklärung geführte Debatte um die adäqua-

19 20 21 22

zent der Rezensionen von deutschsprachigen Büchern. Siehe Lagarrigue: Temple (wie Anm. 2), S. 204. Guthke: Haller und die Literatur (wie Anm. 1), S. 34. Ich konnte in den gesichteten Bänden AvH 68 bis 70 keine genaue Exzerpiermethode versehen mit Stichworten und Indices nachweisen. Vgl. Helmut Zedelmaier: Lesetechniken. Die Praktiken der Lektüre in der Neuzeit. In: Helmut Zedelmaier, Martin Mulsow (Hg.): Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit. Tübingen: Niemeyer 2001, S. 11–30. Johann Friedrich Blumenbach, zitiert nach: Römer, Usteri: Des Herrn von Hallers Tagebuch (wie Anm. 16), Bd. 1, T. 2, Vorrede, S. VII. »Je conviens avec vous de l’utilité des Extraits; j’y suis interessé, en ayant fait un nombre qui n’est guère croyable. C’est que des 1725 [sic] j’en ai fait de tous les Livres qui me sont tombés sous la main, et que je les ai conservés tous. Il y en a 2500 environ dans les Goettingische Anzeigen von gelehrten Sachen, depuis 1745. J’y ai trouvé de l’utilité pour moi: il faut bien lire pour savoir faire un Extrait, et ce travail fixe un peu le trop de volatilité de la lecture qui fait assez le défaut de quiconque veut beaucoup lire.« Bibliothèque publique et universitaire, Genf. Ms. Bonnet, 53, Blatt 107. Abschrift in der Burgerbibliothek Bern (Mss. Haller 91.1). Zitiert nach: Karl S. Guthke (Hg.): Hallers Literaturkritik. Tübingen: Max Niemeyer 1970, S. 4 f. Deutsche Übersetzung von Claire Gantet.

Der Großrezensent Albrecht von Haller

53

te Buchkritik,23 indem er für die GGA die Gedrängtheit und Aktualität priorisierte. Viele, insbesondere die wohlwollenden Exzerpte dienten somit als direkte Grundlage für die Rezensionen. So leitete Haller sein Exzerpt der 4. Auflage von Linnés Systema naturae ein: »Utiq. aucta in avibus, piscib. insectis plantis, vix in fundamentis«.24 Die Rezension entfaltet das Urteil in mehreren Sätzen: Wir haben diese Auflage mit der dritten zusammen gehalten, und solche allerdings sehr verändert, und stark vermehret gefunden. Unter der Insecten sind ganze Classen neu hinzugekommen. Vieles ist verbessert. Bey den Vögeln sind viele neue Arten aufgerichtet, und die Gattungen, die unter die Arten der Fische gehörig sind, angegeben. In dem Pflanzenreiche hat der Verfasser gleichfalls neue Arten bestimmt […]. Am Ende sind die Fundamenta botanica auf sechs und zwanzig Seiten, aber ganz unverändert neu abgedrukt.25

Dabei scheint Haller dem Rezensionsethos »gegründeter Critick« gefolgt zu sein. Nicht selten verwendete er tatsächlich schärfere Worte in seinen Exzerpten als in seinen Rezensionen. So kennzeichnete er in seinem Exzerpt die Ausgabe von Theodor Zwingers Theatrum botanicum durch seinen Sohn Friedrich Zwinger als »ridiculam«, seinen Gebrauch der Botanik Herman Boerhaaves (Hallers Mentor!) als »temerarius« und bedauerte, er habe die Fehler seines Vaters nicht korrigiert.26 Die Rezension schwächte mit einem Geflecht von verschachtelten Nebensätzen den Vorwurf ab: Eines wäre zu wünschen gewesen, daß nemlich der Herr Herausgeber hätte belieben mögen, die vielen Wiederholungen, oder irrige Nahmen der Pflanzen auszubessern, wozu er die beste Gelegenheit gehabt, da dieselben guten theils neulich angemerkt, und in die Richtigkeit gebracht worden […].27

Exzerpte wurden auch oft mit einem Satz zum Verfasser eingeleitet. Somit dienten sie auch als Bausteine zur Herausbildung der Historia literaria, das heißt zur kommentierten Geschichte der Gelehrten und ihrer Werke.28 Die Autorität des Verfassers, die ge23 24 25 26 27

28

Siehe Herbert Jaumann: Critica. Untersuchungen zur Geschichte der Literaturkritik zwischen Quintilian und Thomasius. Leiden, New York: Brill 1995 (Brill’s studies in intellectual history, 62). AvH 69, Fol. 54r. Paris. In: GGA 1745, St. 43, 31. Mai, S. 348. Ähnliches Verfahren: Condamine 1745 AdH 69, Fol. 80r, Rezension: Paris. In: GGA 1746, St. 50, 23. Juni, S. 399 f. Dell’ anatomia discorso d’Antonio Cocchi Mugellano, Firenze Zannini 1745: AdH 69, Fol. 125r, Rezension in: GGA 1745, S. 516. AdH 68, Fol. 10r. Es handelt sich um: Theodor Zwinger: Theatrum botanicum: Das ist: Vollkommenes Kräuter-Buch. Hg. von Friedrich Zwinger. Basel: Bischoff 1744. Basel. In: GGA 1745, St. 67, 23. August, S. 556 f., hier S. 557. Ein solches Verfahren wird auch in dem Exzerpt über Franz Widemanns Colloquium chirurgicum über die Bandagen (3. Aufl. Augsburg: Lotter 1745) in: AdH 69, Fol. 281r°, und in seiner Rezension in den GGA: Augspurg. In: GGA 1745, St. 89, 8. November, S. 740 angewendet. Dazu siehe Martin Gierl: Compilation and the Production of Knowledge in the Early German Enlightenment. In: Hans-Erich Bödeker, Peter Hanns Reill, Jürgen Schlumbohm (Hg.): Wissenschaft als kulturelle Praxis, 1750–1900. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, S. 69–104, bes. S. 80–91.

54

Claire Gantet

pflegte Freundschaft oder gar Patronage im Gelehrtenkreis29 und seine Mitgliedschaft in gelehrten Institutionen konnten aber auch eine nicht unerhebliche Rolle bei der Wertung der Werke spielen. Hallers Exzerpt der 2. Auflage von Paul Gottlieb Werlhofs Observationes de febribus praecipue intermittentibus (Hannover: Förster 1745) begann mit folgenden Worten: »Amici nostri primarium opus«. Wenn die sehr positive Rezension jede Freundschaftsäußerung vermeidet, entschuldigt sie jedoch einen potentiellen Vorwurf aufgrund der persönlichen Kenntnis der vielen Tätigkeiten des Arztes und verwendet die Wir-Person, als ob das Buch nicht von einem einzelnen, ggf. voreingenommenen Wissenschaftler, sondern von einer gesamten Gelehrtengemeinschaft beurteilt wäre. In den GGA versuchte Haller, seine Meinung durchzusetzen, indem er in der Form eines universitären Gerichts schrieb (obwohl die GGA nicht die Zeitschrift der Göttinger Universität als solche waren): In diesem vortreflichen Buche sind ins besondre die gefährlichen und einen tödlichen Schlagfluß nach sich ziehenden kalten Fieber alter Personen zum ersten mahle in ihr wahres Licht gesezt, und eine Menge höchstnüzlicher Anmerkungen angeführet worden, deren Einfluß sich nicht nur auf den heilenden Theil der Arzneykunst, sondern auch auf die Physiologie erstreket. Die gleiche Erfahrenheit und Besuchung der Kranken, deren dieses Werk seine ausnehmende Vorzüge schuldig ist, hat zwar den Verfasser verhindert, nach seinem vormahligen Vorhaben die höchstwichtige Abhandlung von den Fieber weitläufiger auszuführen. Aber wir erfreuen uns dennoch, ein so gemeinnüziges Buch wieder aufgelegt zu sehen, und es sind in demselben die Einwendungen einiger eingenommenen Aerzte wieder die wahre Cur der Fieber solcher gestalt gehoben worden, daß es neue Kräfte weniger von nöthen hat.30

Auf die Empfehlung Werlhofs war nämlich Haller 1736 an die Universität Göttingen berufen worden; eine dauerhafte Korrespondenz und Freundschaft hatte sich daraus entfaltet.31 Die Rezension, die – erst zwei Jahre später – in den Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen erschien, war jedoch kritischer: Der anonymer Rezensent hob Werlhofs Streit mit dem Frankfurter Arzt Andreas Ottomar Goelicke und vor allem den unveränderten Text trotz des Prädikats »auctior et emendatior« dieser zweiten Auflage hervor.32 Haller konnte die gelehrte Meinung nicht lenken.

29

30 31

32

Dazu siehe Hubert Steinke: Der Patron im Netz Die Rolle des Briefwechsels in wissenschaftlichen Kontroversen. In: Martin Stuber, Stefan Hächler, Luc Lienhard (Hg.): Hallers Netz. Ein Gelehrtenbriefwechsel im Zeitalter der Aufklärung. Basel: Schwabe 2005 (Studia Halleriana, 9), S. 441–462. Hannover. In: GGA 1745, S. 799. Siehe Urs Boschung, Barbara Braun-Bucher, Stefan Hächler, Anne Kathrin Ott, Hubert Steinke, Martin Stuber (Hg.): Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz, 1724–1777, Bd. 2. Basel: Schwabe 2002 (Studia Halleriana VII/2), S. 10, Nr. 1148: Ihre Korrespondenz erstreckte sich von 1736 bis zu Werlhofs Tod im Jahre 1767. Hannover. In: Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen 1747, Bd. 33, S. 189 f.

Der Großrezensent Albrecht von Haller

55

Manchmal setzten Exzerpte und Rezensionen unterschiedliche Schwerpunkte. Nach einer pauschalen abwertenden Bemerkung über die Erfindungen der Franzosen formulierte das knappe Exzerpt über Justus Gottfried Günz’ De herniis libellus (Leipzig: Langenheim 1744) einige inhaltliche Kritiken.33 Die Rezension konzentrierte sich auf eine personelle Richtigstellung: Günz nenne sich fälschlicherweise Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften, obwohl diese nur acht Ausländer aufgenommen habe; er sei vielmehr bloß ein Korrespondent der ehrwürdigen Gesellschaft.34 Doch der Leipziger Chirurg war 1744 zu deren Korrespondenten und bald danach, nach dem Tod eines Mitgliedes, zum ordentlichen Mitglied gewählt worden. Haller, der lediglich 1743 in Kontakt mit ihm stand, agierte hier entweder aus Unkenntnis oder Neid (er wurde selbst erst 1754 zum Mitglied als »associé étranger«), sicherlich auch aufgrund einer persönlichen Rivalität.35 Wenige Exzerpte enthielten eine lange Kritik, versehen mit ausführlichen Seitennachweisen. Darunter ragen diejenigen über Julien Offray de La Mettrie hervor, der besonders intensiv exzerpiert und rezensiert wurde. Nach dem wütenden Vermerk »Plagiarius impudens, fatetur equidem se meis obss. et commentariis uti in praefatione. – Sed in opere passim eas addit nullo meo nomine expresso […]«36 in seinem ersten Exzerpt von La Mettries französischer Edition von Boerhaaves Institutiones medicae verzeichnete Haller in drei Exzerpten eine Menge von falschen Zuweisungen, irrigen Übersetzungen und kränkenden Behauptungen. La Mettrie hatte tatsächlich Boerhaaves Vorlesung zu diesem Werk nicht besucht, sondern Hallers Edition der Institutiones medicae frei übersetzt (sodass Hallers Fußnoten und Kommentare nicht mehr erkennbar waren) und zwischendurch einige seiner materialistischen Meinungen behutsam verbreitet.37 Haller fasste die drei Exzerpte in einer Rezension zusammen, in der er seitengenau La Mettries Werk als eine Beleidigung gegenüber der gesamten Göttinger Universität (implizit auch gegen ihre Gönner und Stifter) darstellte: 33

34 35

36 37

»Fastuose est omnia Novissima inventa galloru[m] novasque species Herniarum tradit […]«, AdH 69, Fol. 260r. Zu Günz siehe das Lemma »Justus Gottfried Günz«. In: Friedrich Börner: Nachrichten von den vornehmsten Lebensumständen und Schriften jetztlebender berühmter Aerzte und Naturforscher in und um Deutschland. Wolfenbüttel: Meißner 1749–1756, Bd. 1, S. 621– 633. Leipzig. In: GGA 1745, St. 13, 15. Februar, S. 108 f. Zum Briefwechsel: Boschung u. a. (Hg.): Repertorium (wie Anm. 31), S. 4, Nr. 405. Günz hatte sich zudem »Doktor« der Universität Leipzig vor der offiziellen Doktorverleihung genannt. Siehe Justus Gottfried Günz. In: Börner: Nachrichten (wie Anm. 33), S. 626. Er führte ähnliche Sektionen wie Haller durch. AdH 68, Fol. 130r. Dazu siehe stellvertretend Knabe: Rezeption (wie Anm. 13), S. 121–149; Ann Thomson: La Mettrie lecteur et traducteur de Boerhaave. In: Dix-Huitième siècle 23 (1991), S. 23–29, sowie Cécile Lambert: De la presse savante au roman des Lumières tardives. Les réceptions contrastées de La Mettrie en Allemagne entre 1750 et 1790. In: Claire Gantet, Markus Meumann (Hg.): Transferts, circulations et réseaux savants franco-allemands au XVIIIe siècle. Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2019, S. 241–254.

56

Claire Gantet

Wir haben aber Uhrsache dieses Werkes zu gedenken, weil es mit dem auf unsrer hohen Schule herausgekommenen Hallerischen Werke eine besondre Verknüpfung hat. M de la Mettrie gesteht zwar in der Vorrede, daß er unsers Hrn. Hofrahts Hallers Anmerkungen in sein Werk eingerükt habe, nur sagt er, habe er sie von den alzuhäuffigen aus andern Verfassern angeführten Stellen befreiet. […] Aus allen diesen, und vielen andern Beweißthümern erhellet, daß M de la Mettrie sich eines fremden Werks bedienet, und dabei weder die Aufrichtigkeit, noch die Einsicht gebraucht, die man von ihm verlangen können.38

La Mettrie hatte gleichzeitig ein Plagiat und eine Satire Hallers veröffentlicht. Haller konterte dramatisierend mit dem »Wir« seiner korporativen Institution: Er sprach gleichsam im Namen der Göttinger gelehrten Gesellschaft, deren Reputation La Mettrie beschädigt habe.39 Dadurch machte er aus La Mettries Werk einen Skandal: Weit über das einzelne Werk hinaus ging es nämlich um eine Autoritätsanmaßung und um die Beherrschung der Öffentlichkeit – ein risikoreiches Unterfangen.40 Genauso wenig wie seine Rezensionen bilden Hallers Exzerpte einen Block. Je nach Fachkompetenz und Konkurrenzsituation sind seine Rezensionen reine Inhaltsangaben, Vorredezusammenfassungen oder redigierte Exzerpte im Dienst unterschiedlicher Zwecke. Haller verfasste seine Rezensionen nicht nur als Lesehilfe, sondern auch mit Rücksicht auf die Verfasser, auf ihre korporativen Mitgliedschaften sowie auch auf das Lesepublikum. Ständig jedoch erscheinen Exzerpte und Rezensionen als gleichrangig und unentbehrlich für die Wissenschaft. Haller baute dadurch sein dauernd erweitertes Wissen fortlaufend aus. Rezensieren ohne Exzerpt: die Selbstrezensionen der Icones anatomicae In seinen ersten Jahren als Professor der Anatomie, Chirurgie und Botanik in Göttingen (1736–1753) verfasste Haller wenige Arbeiten, welche zudem kaum illustriert wurden. Sein erstes großes Opus war die in Faszikeln erscheinenden Icones anatomicae (1743–1756), ein anatomisches Tafelwerk. In den Jahren 1745 bis 1747 schrieb Haller nicht weniger als zehn Selbstrezensionen. Ein solches Verfahren war trotz wiederkehrender anderslautender Behauptungen und Zusicherungen eine gängige Praxis, nicht 38 39

40

Paris. In: GGA 1745, St. 46, 10. Juni, S. 377 f. Die GGA waren, wie bereits angesprochen, keine offizielle Zeitschrift der Göttinger Universität, sondern wurden von einigen Professoren und Privatdozenten der Universität Göttingen herausgegeben. Zu solchen dramatisierenden Strategien siehe Martin Gierl: The Gelehrte Zeitung: The presentation of knowledge, the representation of Göttingen University, and the praxis of self-reviews in the Göttingische gelehrte Anzeigen. In: Archives internationales d’histoire des sciences 63/170–171 (2013), S. 321–341. Zu solchen Risiken siehe Martin Mulsow: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Stuttgart: Metzler 2007.

Der Großrezensent Albrecht von Haller

57

zuletzt in Göttingen. Der Fall der Icones anatomicae ist insofern interessant, als Haller sie systematisch nicht nur auf Deutsch in den GGA, sondern auch auf Französisch in der BR und der BG besprach. Da es sich um Selbstrezensionen handelt, hat er kein eigenes Exzerpt als Grundlage benutzt. Die zwei knappen Rezensionen in den GGA in den Jahren 1745 und 1747 beschreiben sachlich die Tafeln. Sie erwähnen kryptisch einen Gelehrtenstreit um die »arteria maxillaris interna« und beiläufig die neuen Entdeckungen, ohne sie zu loben. Dabei handelt es sich erneut um Justus Gottfried Günz, der 1743 eine Abhandlung De arteria maxillari interna in Leipzig veröffentlicht hatte, in der er die Entdeckung der Arterie für sich reklamierte. In keiner seiner Selbstrezensionen nennt Haller Günz: Er wollte ihm eine solche Ehre (und Werbung) nicht gewähren.41 Die französischsprachigen Selbstrezensionen erschienen in zwei Periodika des hugenottischen Refuge der zweiten Generation, die nur zwei- bis dreimal jährlich erschienen. Da das Aktualitätserfordernis hinfällig war, sind die Besprechungen deutlich länger. In der Forschung wurde wiederholt behauptet, dass die Historia literaria eine rein deutsche Beschäftigung bildete.42 Doch die (Neue) Bibliothèque germanique trug den Nebentitel Histoire littéraire de l’Allemagne, de la Suisse et des pays du Nord. Haller fühlte sich daher auf bekanntem Terrain, als er sein Werk in diesem bewährten Rahmen vorstellen durfte: Der Artikel beginnt mit der Geschichte der Anatomie seit den vielen von Vesalius inspirierten Kompilationen über fehlerhafte Fragmente im 17. Jahrhundert bis hin zum Werk des Leidener Anatomen Bernhard Siegfried Albinus. Aus diesen beurteilenden Lektüren habe Haller den Schluss gezogen, dass die Myologie und die Osteologie – außer den Nasenknochen – im Gegensatz zur Angiologie bereits gut erforscht worden sei. Auf dieser Feststellung aufbauend habe Haller ein neues Werk fortlaufend konzipiert.43 Wenn die Lektüren den ersten Schritt bildeten, führte Haller auch unter günstigen Bedingungen gezielte Sektionen selbst durch oder betreute solche in seinem Unterricht. Der Rest der Besprechung verglich (natürlich im positiven Sinne aber elegant und ohne Nachdruck) Hallers Entdeckungen mit den Errungenschaften französischsprachiger Anatomen, allen voran Jacob (bzw. Jacques-Bénigne) Winslows. Die Tafeln selbst seien mit längeren historiographischen

41 42 43

Göttingen. In: GGA 1745, St. 48, 17. Juni, S. 407 f. Haller edierte übrigens im Jahre 1755 zwei seiner Dissertationen. Die weitere Rezension ist eine ausführlichere Zusammenfassung ohne Polemik: Göttingen. In: GGA 1747, St. 46, 8. Juni, S. 361–363. Anhand dieser Behauptung versucht Anne Saada, die unterschiedliche Rezeption Diderots in Frankreich und in Deutschland zu erklären. Siehe Anne Saada: Inventer Diderot. Les constructions d’un auteur dans l’Allemagne des Lumières. Paris: CNRS Éditions 2003. BG, Avril-Décembre 1747, t. III, 2e partie, S. 262–271. Zu dieser Zeitschrift, deren Hauptmitarbeiter Jacques Pérard und Samuel Formey waren, siehe die Notiz von Jürgen Kämmerer in: Jean Sgard (Hg.): Dictionnaire des journaux, http://dictionnaire-journaux.gazettes18e.fr/journal/0163-biblio theque-germanique [zuletzt: 10.01.2019].

58

Claire Gantet

Kommentaren versehen. Im gesamten wissensgenerierenden Prozess erscheint daher die beurteilende (bzw. exzerpierende) Lektüre unabdingbar in dieser Besprechung.44 Die Rezension in der BR verankerte nicht nur gleichermaßen die Rezension in der französischen Debatte (mit u. a. einem einleitenden Absatz über Fontenelle) und in der Geschichte der Anatomie, sondern erklärte die Darstellungsprinzipien: Um die Gefäße besser sichtbar und erklärbar zu machen, wurde die Zeichnung stärker schattiert als in der Natur, entgegen dem landläufigen Geschmack. Der Anatom sei nämlich kein Maler: »Il s’agit d’exprimer, avec distinction, les parties que l’Anatomiste veut faire connoitre, sans s’attacher à une trop grande élégance pour tout le reste.«45 Haller war vor allem bestrebt, einen potentiellen wesentlichen Vorwurf auszuräumen: Lediglich Fragmente zu geben, ist daher vorsichtig. […] Er [Haller] wollte nicht abwarten, dass seine Angiologie vollständig wird. Zu viele wechselvolle Ereignisse durchkreuzen allzu umfangreiche Projekte und lassen Materialien untergehen, die ihren Nutzen weiterhin haben, auch wenn sie einen gesamten Teil der Anatomie nicht abschließen. Die Naturforschung braucht Materialien. Die Zeit, davon Gebäude zu errichten, ist noch nicht gekommen.46

Das Werk, das zu seinem ersten anatomischen Opus wurde, war tatsächlich fortlaufend in loser Folge erschienen. Dank der Unterstützung eines talentierten Zeichners unter seinen Studenten, Christian Jeremias Rollin, sowie der Kupferstecher Georg Daniel Heumann und Christian Friedrich Fritzsch und eines interessierten Buchhändlers, hatte Haller anatomische Tafeln fertigen lassen, die sukzessive als Tafelwerk – über das Bauchnetz, den Brustmilchgang, das Zwerchfell und vor allem über die Venen und Arterien – ediert wurden.47 Die präzise Spezialforschung zog er hier den allgemein üblichen nichtillustrierten Abrissen vor. Seiner Lese- und Exzerpiertechnik geschuldet lieferte Haller keine einheitliche, umfassende Synthese der Anatomie (oder Physiolo44 45

46

47

Zu diesem Themenfeld siehe Fabian Krämer: Ein Zentaur in London. Lektüre und Beobachtung in der frühneuzeitlichen Naturforschung. Affalterbach: Didymos Verlag 2014. Article II. In: BR, t. 36 (1746), partie 1, S. 23–32, hier S. 26 f. Haller gibt den lateinischen Originaltitel seines Werkes und eine französische Übersetzung an. Zur Rolle der visuellen Darstellung bei der wissenschaftlichen Beweisführung und als Indiz für die zeitgenössischen epistemischen Werte und Praktiken, insbesondere zu Hallers Schwierigkeiten bei der Darstellung der vielen Arterien siehe Lorraine Daston, Peter Galison: Objectivity. New York: Zone books 2007, S. 81. »Il y a donc de la prudence à ne donner que des fragmens. […] Il [Haller, CG] n’a pas voulu attendre, que son Angiologie fût complète, trop d’accidens viennent traverser des projets trop vastes, & font périr des matériaux, qui ne laissent pas que d’avoir leur usage, quand même ils ne finissent pas une partie entière de l’Anatomie. La Physique a besoin de matériaux, le tems d’en élever des Bâtimens n’est pas encore venu.« Article II (wie Anm. 45), S. 27, 32. Deutsche Übersetzung von Claire Gantet. Siehe Rüdiger Schultka, Josef N. Neumann (Hg.): Anatomie und anatomische Sammlungen im 18. Jahrhundert. Anlässlich des 250. Wiederkehr des Geburtstages von Philipp Friedrich Theodor Meckel (1755–1803). Berlin: LIT 2007, S. 114 f.

Der Großrezensent Albrecht von Haller

59

gie), sondern eine aus unzähligen Lektüren und Informationen abwägende Beschreibung einzelner Elemente. Wenngleich er sich auf kein unmittelbares eigenes Exzerpt in seinen Selbstrezensionen stützte, beruhten also sein Wissen und sein wissenschaftlicher Stil wesentlich auf seiner Exzerpierkunst. Haller betrachtete Exzerpte und Rezensionen als gleichermaßen unabdingbar für eine fortschrittsorientierte wissenschaftliche Forschung. Wie ein Schmetterling – sein Emblem – Nektar eintrug und sich dabei wandelte, sollten immer wachsende Exzerpte und Rezensionen zur Wissenserweiterung beitragen. Exzerpieren und Rezensieren bildeten indes komplementäre Sprachebenen. Da Exzerpte und Rezensionen für Haller wissenschaftlich prinzipiell gleichrangig waren, erscheint es nicht sinnvoll, das »private« Exzerpieren dem »öffentlichen« Rezensieren gegenüberzustellen. Sie beeinflussten zudem maßgeblich Hallers wissenschaftlichen Stil und seine Abneigung gegen die Systeme – für diese Aversion warb er übrigens in denselben Journalen.48 Über die bloße Informationsbeschaffung hinaus sollte das beurteilende Lesen und Besprechen zur Disziplinierung des Gelehrtenlebens beitragen. Gleichzeitig machte es sie prekär, da eine Rezension stets die Kritik anderer Gelehrter oder des Rezensierten erregen konnte: Der gelehrte Diskurs war dadurch geprägt von einem gewissen Legitimationsdefizit.49 Ebenso Zielscheibe wie Schutz vor potentiellen gelehrten Gefechten war die Anonymität. Als ein Rezensent Hallers Selbstrezensionen in der BR – es handelt sich dabei um Hallers Edition von Boerhaave – in der Bibliothèque britannique monierte, suchte Haller mit allen Kräften seine Identität aufzudecken und gab sie in zwei Artikel der BR preis: Willem van Noortwyck.50 Dieser Leidener Mediziner, Autor der Abhandlung Uteri humani gravidi anatome et historia (Leiden: Verbeek 1743), war der Schwager des Wiener Boerhaave-Schülers Gerard van Swieten: Es ging um die Gegnerschaft von Gelehrtenkreisen und nicht zuletzt um Verwandtschaft. Deshalb konnte Haller in seiner anonymen Replik kontern, es gehe Noortwyck viel mehr um van Swietens Repu-

48 49

50

Zu Hallers Verurteilung der Systeme siehe auch seine Rezensionen von Antonio Lazzaro Moros De Crostacei und von Charles Bonnets Traité d’insectologie. In: BR 36 (1746), I, Janvier-mars, S. 3–23, hier S. 3–5, und BR 36 (1746), Art. X, Première Partie, S. 179–192, hier S. 179–183. Hier als Beispiel im Band 43 der BR: Haller beurteilte eher schroff Sénacs Traité de la structure du cœur (2 Bde., Paris: Jacques Vincent 1749). Er erfuhr in dessen holländischem Raubdruck von einer Replik im Journal des Sçavans (T. 154, S. 129), so dass er in der BR eine erläuternde Erklärung drucken ließ, in der er sein Urteil bestätigte. Es ging um eine Einschätzung von Boerhaaves Physiologie. Siehe BR 43 (1749), parti 2, S. 323–343, insbes. S. 334, 343 [BH 1333], und t. 45 (1750), partie 2, Octobre – Décembre, S. 457–465. Der Rezensent veröffentlichte eine zweite Widerlegung von Haller in den Mémoires de Trévoux, in denen er Hallers Rezension vorwarf, Sénac fälschlicherweise des Plagiats zu bezichtigen: Mémoires pour l’histoire des Sciences et des beaux-arts, Paris, 1750, Novembre, S. 2554–2568. Article II. In: BR 33 (1744), Juillet–Septembre, S. 33–50. Hallers Verfahren wurde kritisiert in: Bibliothèque britannique 23 (1746), Juillet–Septembre, S. 326–367. Haller ließ zwei Briefe gegen diesen Artikel drucken in der BR 40 (1748), I, S. 205–226 und 454–468.

60

Claire Gantet

tation als um Boerhaaves Ruhm. Haller hatte die Anonymität seiner Rivalen mittels seines breiten Kontaktnetzes, insbesondere von Briefpartnern in Leiden und St. Petersburg, aufgehoben.51 Neben zahlreichen Exzerpten und Rezensionen bildete eine weitgespannte Korrespondenz mit zuverlässigen Informanten und Gewährsleuten das Tertium comparationis der Ökonomie des Gelehrtenlebens.

51

Dazu Hubert Steinke: Gelehrtenkorrespondenznetzwerke (wie Anm. 14); Stuber, Hächler, Lienhard (Hg.): Hallers Netz (wie Anm. 14).

Autoren, Verleger, Käufer: Gelehrte Journale und der Buchhandel

Der Diskurs über den Büchernachdruck in den Gelehrten Journalen und Zeitungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Simon Portmann Es giebt immer eine Anzahl von Modestreitigkeiten, die mehr oder minder wichtig sind, nachdem es ihr Gegenstand ist. Einer der vorzüglichsten ist der Streit über die Rechtmässigkeit des Büchernachdrucks; denn was könnte wohl mehr interessieren, als Eigenthum, Recht, Billigkeit?1

Die Diskussion über den unrechtmäßigen Büchernachdruck, also den Druck bereits erschienener Originalwerke, der zumeist zu einem weitaus günstigeren Preis verkauft werden konnte, gewann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an Virulenz.2 Die Gründe für die Zunahme des unrechtmäßigen Nachdrucks fußen dabei auf den strukturellen Veränderungen des Buchhandels, die sich bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts vollzogen und laut Johann Goldfriedrich eine »bibliopolische Zweiteilung Deutschlands« verursacht haben, also einer Diskrepanz zwischen südwestdeutschem und nordostdeutschem Buchhandel.3 Eine gesonderte Stellung hatten dabei die habsburgi1 2

3

Friedrich August Regius: Reliquien. Ueber Bücherverlag und Nachdruck. In: Deutsches Museum 1783, Bd. 1, S. 197–207. Der Verfasser arbeitet an einer Dissertation, in der er anhand der Nachdrucker in Karlsruhe, Tübingen und Reutlingen die Praxis des Büchernachdrucks untersucht und den Diskurs über den Büchernachdruck in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts analysiert. Neben einigen Untersuchungen zu einzelnen Nachdruckern (vgl. bspw. Bernd Breitenbruch: Der Karlsruher Buchhändler Christian Gottlieb Schmieder und der Nachdruck in Südwestdeutschland im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 9 [1969], S. 643–732) erschien 2018 eine rechtshistorische Arbeit, die sich mit der Genese des geistigen Eigentums beschäftigt (vgl. Ulrike Andersch: Die Diskussion über den Büchernachdruck in Deutschland um 1700 bis 1815. Dissertation [= Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht, Bd. 138], Tübingen: Mohr 2018). Im Gegensatz dazu möchte der Verfasser erörtern, welche sozial-kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen der Nachdruck am Ende des 18. Jahrhunderts hatte, und somit sowohl die pragmatische als auch die diskursive Dimension des Büchernachdrucks beleuchten. Johann Goldfriedrich: Geschichte des deutschen Buchhandels. Bd. 2: Vom Westfälischen Frieden bis zum Beginn der klassischen Literaturperiode (1648–1740). Leipzig 1908, S. 338.

64

Simon Portmann

schen Erblande inne, da sich der Buchmarkt in der Mitte des 18. Jahrhunderts in einem desolaten Zustand befand und Maria Theresia und Joseph II. gezielte protektionistische Maßnahmen ergriffen. Dazu gehörte beispielsweise die systematische Förderung des Nachdrucks durch Johann Thomas von Trattner, der in den Erblanden ein Netzwerk aus Firmenniederlassungen etablierte.4 Spiegelbild dieser Entwicklung war die Verlagerung der Buchmesse von Frankfurt am Main nach Leipzig. Während Leipzig zum buchwirtschaftlichen und kulturellen Zentrum im Alten Reich geworden war,5 hielt man im Reichsbuchhandel6 am Tauschhandel fest, also dem mehr oder weniger gleichwertigen Tausch von Bogen zu Bogen, Buch zu Buch. Die sächsischen Verleger gingen dazu über, den Nettohandel einzuführen. Der Nettohandel bedeutete, dass das Tauschgeschäft abgelehnt und Barzahlung ausdrücklich verlangt, Rückgaberechte vermindert oder verwehrt, geringere Rabatte gewährt und erhöhte Preise verlangt wurden.7 Der Hauptakteur dieser Entwicklung war Philipp Erasmus Reich.8 Der Leipziger Verleger, der als Magnat der Leipziger und Frankfurter Buchmesse auftrat, setzte sein Reformprogramm des Buchmarktes Anfang der 1760er Jahre durch. Mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges 1763, der eindeutig als hemmender Faktor im Buchgewerbe angesehen werden kann, begann Reich ostentativ mit den Reformen, die gleichzeitig den Bruch mit dem Reichsbuchhandel bedeuteten und die Diskrepanz zwischen nordost- und südwestdeutschem Buchhandel weiter verstärkten. Im Jahr 1764 besuchte Reich zum letzten Mal die Frankfurter Buchmesse und löste noch während der Messe sein Lager auf, »erhöhte die Bücherpreise [um] bis zu 50 Prozent, bestand gegenüber dem süddeutschen Buchhandel auf Barzahlung und begann in Zirkularen den Kampf gegen den Nachdruck, noch bevor dieser überhaupt im Süden in nennenswertem Maße eingesetzt hatte«.9 Mit diesem

4

5 6

7 8 9

Vgl. Ursula Giese: Johann Thomas Edler von Trattner. Seine Bedeutung als Buchdrucker, Buchhändler und Herausgeber. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 3 (1961), S. 1013–1454, und Mark Lehmstedt: »Ein Strohm, der alles überschwemmt …«. Dokumente zum Verhältnis von Philipp Erasmus Reich und Johann Thomas von Trattner. Ein Beitrag zur Geschichte des Nachdrucks in Deutschland im 18. Jahrhundert. In: Bibliothek und Wissenschaft 25 (1991), S. 176–267. Zu den Entwicklungen vgl. Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels. München: Beck 21999, S. 121–146. »Unter ›Reichsbuchhandel‹ sind die Firmen in den österreichischen Erblanden, der Schweiz und im bayrischen, schwäbischen, fränkischen, ober- und niederrheinischen Kreis zu verstehen – insgesamt um die Mitte des 18. Jahrhunderts wohl nicht mehr als 70 bis 80 Buchhandlungen.« – Reinhard Wittmann: Der gerechtfertigte Nachdrucker? Nachdruck und literarisches Leben im achtzehnten Jahrhundert. In: Reinhard Wittmann (Hg.): Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 6). Berlin: De Gruyter 1982, S. 69–92, hier S. 72. Ebd., S. 73. Vgl. Mark Lehmstedt: Philipp Erasmus Reich (1717–1787). Verleger der Aufklärung und Reformer des deutschen Buchhandels, Leipzig: Diss. masch. 1989. Ebd., S. 74.

Der Diskurs über den Büchernachdruck in den Gelehrten Journalen und Zeitungen

65

Schritt verlagerte sich das Buchhandelszentrum endgültig nach Leipzig, sodass es für den süddeutschen Buchhandel deutlich schwieriger war, Absatz zu generieren. Ein Ausweg aus der Situation stellte für einige Buchdrucker der Nachdruck dar, indem sie die begehrte Literatur für ihr eigenes Territorium nachdruckten und verkauften. Reinhard Wittmann konnte für die Zeit zwischen 1750 und 1800 mehr als siebzig solcher Nachdrucker für das Alte Reich, Österreich, Elsass und die Schweiz zusammentragen, wobei die meisten, wie schon angedeutet, im Reichsbuchhandel tätig waren.10 Neben Trattner in Wien waren es besonders Tobias Göbhardt in Bamberg,11 Ludwig Bernhard Friedrich Gegel in Frankenthal,12 Christian Gottlieb Schmieder in Karlsruhe,13 Christian Gottlieb Franck und Wilhelm Heinrich Schramm in Tübingen14 sowie Johann Georg Fleischhauer in Reutlingen,15 die zu den bekanntesten und produktivsten Nachdruckern dieser Zeit gehörten. Mit dem Nachdruck verband sich nicht nur das Profitstreben der Nachdrucker, sondern auch das wirtschaftliche Kalkül der Landesherren, in deren Territorien gedruckt wurde, denn durch den Gebrauch der Papiermühlen, durch die Setzer und Drucker konnten viele Menschen in Lohn und Brot gesetzt und die eigene Wirtschaft gefördert werden.16 Die Auswirkungen der kostengünstigen Nachdrucke spürte besonders das lesende Publikum. Unberührt von den Auseinandersetzungen um den Nachdruck, konsumierten die Leser mehr Bücher als in den Jahrhunderten zuvor, die zeitgenössischen Begriffe ›Lesesucht‹ und ›Bücherhunger‹ zeugen von dieser Entwicklung.17 Durch die breite und zumeist gut zusammengestellte Auswahl an Literatur und die attraktiven Preise boten Nachdrucker für viele Teile der Bevölkerung überhaupt die einzige Möglichkeit, an populäre Literatur der Zeit zu kommen. Eine weitere Organisationsform, um an Literatur zu gelangen, waren die Lesegesellschaften und Leihbibliotheken, die

10 11 12 13 14 15 16

17

Die Auflistung ist, wie Wittmann selber ausführt, ein erster Versuch, die Nachdrucker zu lokalisieren und quantifizieren, vgl. Wittmann: Nachdrucker (wie Anm. 6), Anhang, S. 91–92. Vgl. Karl Klaus Walther: »Eine kleine Druckerei, in welcher manche Sünde geboren wird«. Bambergs erster Universitätsbuchhändler: die Geschichte der Firma Göbhardt (= Bamberger Studien und Quellen zur Kulturgeschichte, Bd. 1). Bamberg: Universitätsverlag 1999. Vgl. Klaus Behrens: Der Buchdrucker Ludwig Bernhard Friederich Gegel und der Nachdruck in Südwestdeutschland Ende des 18. Jahrhunderts. Speyer: Pfälzische Landesbibliothek 1989. Vgl. Breitenbruch: Schmieder (wie Anm. 2). Vgl. Hans Widmann: Tübingen als Verlagsstadt (= Contubernium, Bd. 1). Sigmaringen: Thorbecke 1971. Vgl. Hans Widmann: Vom Buchwesen der alten Reichsstadt Reutlingen. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 9 (1969), S. 450–562. Zur Wirtschaftspolitik besonders kleinerer Staaten vgl. Victor-L. Siemers: Die Förderung der Papiermühlen durch Herzog Karl I. (1735–1780) von Braunschweig. Ein Beispiel für merkantilistische Wirtschaftspolitik in einem deutschen Kleinstaat des 18. Jahrhunderts. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 4 (1994), S. 79–112. Vgl. Reinhard Wittmann: Gibt es eine Leserevolution am Ende des 18. Jahrhunderts? In: Roger Chartier, Guglielmo Cavallo (Hg.): Die Welt des Lesens. Von der Schriftrolle zum Bildschirm. Frankfurt a. M.: Campus 1999, S. 419–454.

66

Simon Portmann

ihren Ursprung im Untersuchungszeitraum hatten.18 An diesen Orten konnten Bücher nicht nur entliehen, sondern gleichfalls diskutiert werden. Dabei spielten Nachdrucke auch für die Leihbibliotheken und Lesegesellschaften eine immens wichtige Rolle, denn da ihnen zumeist nur ein begrenztes Budget zur Verfügung stand, griffen sie oft auf die kostengünstigen Nachdrucke zurück, um möglichst viele Werke der neueren nachgefragten Literatur anbieten zu können. Mithilfe dieser Vermittlungskanäle potenzierte sich die Zirkulation von aufklärerischen Ideen und aufklärerischem Wissen. Die Gegner des Nachdrucks, vor allem die sächsischen Verleger, gingen nicht nur juristisch gegen den Nachdruck vor, sondern griffen verstärkt ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Feder. Dabei wurden verschiedene Gattungsformen benutzt, um die Nachdrucker zu diskreditieren.19 Das Hauptargument war die ›Unrechtmäßigkeit des Nachdrucks‹, hergeleitet aus rechtlichen Begründungen, die das Verlegereigentum betonten.20 Neben dem vielfach rezipierten und breit diskutierten Aufsatz von Johann Stephan Pütter Der Büchernachdruck nach ächten Grundsätzen des Rechts geprüft beteiligten sich weitere Rechtsgelehrte, Verleger, Autoren, Philosophen und sogar die Nachdrucker wie Christian Gottlieb Schmieder selbst an der Debatte.21 Um auf das Ausgangszitat von Friedrich August Regius zurückzukommen: Es verwundert daher nicht, dass bei all diesen Faktoren, die den Nachdruck ausmachten, eine rege und intensiv geführte Debatte entstanden ist, die neben den Aspekten Eigentum, Recht und Billigkeit auch andere Gesichtspunkte beinhaltete, die in Form von Rezensionen oder Buchankündigungen in den Gelehrten Journalen und Zeitschriften thematisiert wurden.

18 19

20 21

Vgl. Marlies Prüsener: Lesegesellschaften im achtzehnten Jahrhundert. Ein Beitrag zur Lesergeschichte. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 13 (1972), S. 369–594. Wie etwa literarische Verarbeitungen oder die Satire von Christoph Martin Wieland (1733–1813), der unter anonymer Verfasserschaft das »Schreiben eines Nachdruckers an den Herausgeber des Teutschen Merkur« veröffentlichte. In diesem Schreiben bezieht er die Position eines Nachdruckers, um in satirischer Weise die Unrechtmäßigkeit des Nachdrucks aufzudecken, vgl. hierzu Wolfgang von Ungern-Sternberg: Christoph Martin Wieland: Schreiben eines Nachdruckers. An den Herausgeber des Teutschen Merkur. Ein Beitrag zur Geschichte der Spätaufklärung. In: Wolfgang Frühwald, Alberto Martino (Hg.): Zwischen Aufklärung und Restauration. Sozialer Wandel in der deutschen Literatur (1700–1848). Festschrift für Wolfgang Martens zum 65. Geburtstag (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 24). Tübingen: Niemeyer 1989, S. 177–210. Vgl. Andersch: Diskussion (wie Anm. 2). Vgl. die unvollständige Bibliographie von Hellmuth Rosenfeld: Zur Geschichte von Nachdruck und Plagiat. Mit einer chronologischen Bibliographie zum Nachdruck von 1733–1824. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 11 (1971), Sp. 337–372. Christian Gottlieb Schmieder verfasste die Schrift: Wider und für den Büchernachdruck aus den Papieren des blauen Mannes: bei Gelegenheit der zukünftigen Wahlkapitulazion, Gedruckt im Reich und Für das Reich 1790.

Der Diskurs über den Büchernachdruck in den Gelehrten Journalen und Zeitungen

67

Der Büchernachdruck in den Gelehrten Journalen und Zeitungen von 1750 bis 1800 Die Forschungsdatenbank Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung22 bietet eine neuartige Möglichkeit, um zum Thema Nachdruck in den deutschsprachigen Gelehrten Periodika des 18. Jahrhunderts zu recherchieren, was bislang aufgrund der erschwerten Zugänglichkeit in dem Umfang nicht möglich war. Dank dieser erweiterten Quellengrundlage können nun Aussagen zum Nachdruck-Diskurs überregional und über einen langen Zeitraum nachvollziehbar getroffen werden, auch wenn mithilfe der Datenbank nur bedingt verlässliche statistische Aussagen möglich sind.23 Durch den Erschließungszeitraum der drei Teilprojekte Index deutschsprachiger Zeitschriften (IdZ 18), Systematischer Index zu deutschsprachigen Rezensionszeitschriften des 18 Jahrhunderts (IdRZ 18) und Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung (GJZ 18), insgesamt von 1688–1815, ist die Früh-, Kern- und Spätphase des Nachdrucks abgedeckt. Für die Suche in der Forschungsdatenbank wurde, in Rückgriff auf den Untersuchungszeitraum, die Zeit von 1750 bis 1800 analysiert, die die Kernphase der Diskussion über den Nachdruck im 18. Jahrhundert darstellt. Ein erstes Problem ist, dass die Zeitschriften in den älteren Projekten nur selektiv erschlossen und zudem nicht durchgehend Schlagwörter vergeben wurden, sodass nicht von einer vollständigen Erfassung des Nachdruck-Phänomens auszugehen ist. Ein zweites Problem ergibt sich bei den Suchbegriffen ›Nachdruck‹ versus ›Raubdruck‹ als Sachschlagworten. Die Unterscheidung der komplexen Begriffe Nachdruck versus Raubdruck ist für das 18. Jahrhundert nur schwer zu treffen, da sie synonym auftreten. Neben legalen Nachdrucken durch den eigenen Verleger etc. gab es legale Nachdrucke beispielsweise bei Büchern ohne Privilegierung, während der Begriff Raubdruck als solcher in den Quellen kaum zu finden ist. Dort wird mit dem Begriff Nachdruck operiert, ganz gleich, um welche Art es sich handelt. Die Nachdrucker allerdings werden durchaus als Räuber, Diebe, Schleichdrucker oder ähnlich bezeichnet.24 In der Datenbank sind beide Begriffe gleichwertig verzeichnet, wobei mittlerweile dazu übergegangen worden ist, den Begriff »Raubdruck« zu etablieren. Diese Inhomogenität ist auch den drei unterschiedlichen Teilprojekten geschuldet, wobei beim derzeitigen Arbeits22 23 24

Vgl. Stefan Dietzel, Maja Eilhammer: Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung. Ein Langzeitprojekt der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (2011–2025). In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 17 (2015), S. 167–193. Vgl. dazu Einleitung, S. 20–22. Für das Phänomen des Nachdruckens wäre der neutrale Begriff Nachdruck empfehlenswert, hierfür Andersch: Diskussion (wie Anm. 2), S. 1, Anm. 3. Zur Begrifflichkeit Buchdruck, Nachdruck, Raubdruck vgl. Martin Boghardt: »Meiner Freundin gewidmet«. Buchdruck, Raubdruck, Nachdruck, dargestellt am Beispiel von Klopstocks Messias. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 2 (1992), S. 43–53.

68

Simon Portmann

stand beide Begriffe noch hohe Trefferzahlen generieren. Für den Benutzer stellt dies allerdings eine Schwierigkeit dar, da nicht alle gewünschten Ergebnisse angezeigt werden und man wissen muss, dass beide Begriffe parallel existieren. Im Folgenden wird mit beiden Begriffen Nach- und Raubdruck in der Datenbank operiert. Für das Schlagwort ›Nachdruck‹ erhielt man im September 2018 im Zeitraum von 1750–1800 insgesamt 38 Treffer, wobei die Verteilung GJZ 18: 37 zu IdRZ 18: 1 beträgt. Beim Schlagwort ›Raubdruck‹ werden 84 Treffer angezeigt, mit der Verteilung: GJZ 18: 59, IdRZ 18: 2 und IdRZ 18: 23, was den oben genannten Prozess der geänderten Verschlagwortung verdeutlicht.25 Der Begriff ›Büchernachdruck‹ erzeugt 75 Treffer im obigen genannten Zeitraum, mit einer Verteilung GJZ 18: 5, IdRZ 18: 8 und IdZ 18: 62, was deutlich zeigt, dass im Index deutschsprachiger Zeitschriften mit dem Begriff ›Büchernachdruck‹ operiert wurde, während die anderen Teilprojekte die Begriffe ›Nachdruck‹ und ›Raubdruck‹ systematisierten.26 Die Filteroptionen dienen als Werkzeug, die Suche zu präzisieren oder einzuschränken. Neben dem Zeitschriftenkorpus sind es besonders das interaktive Histogramm in Form eines Balkendiagramms und die Systemstellen nach Johann Samuel Erschs Allgemeinem Repertorium der Literatur, die die Suche vereinfachen. Wirft man einen Blick auf die Jahresdiagramme für die Begriffe Raubdruck und Nachdruck, so lassen sich ähnliche Ergebnisse beobachten: Über den gesamten Zeitraum von 1740 bis 1800 finden sich hohe Trefferquoten in der Zeit ab 1770, wobei 1773 und 1774 die höchsten Trefferquoten aufweisen:27 für den Nachdruck für die beiden Jahre sechs, für den Raubdruck 13 Treffer. Wie lassen sich diese Tendenzen approximativ einordnen? Ulrike Andersch hat herausgestellt, dass zwischen 1745 und 1770 eine »Unterbrechung der Nachdruckerdiskussion« stattgefunden hat.28 Die Gründe hierfür sieht sie einerseits in den Kriegen zwischen 1740 und 1763, wobei »das für den Buchhandel so wichtige Kursachsen von den drei Schlesischen Kriegen betroffen« war, andererseits in den strukturellen Veränderungen des Buchmarktes, die noch im vollen Gange waren.29 Hinzu kommt, dass für diese Phase von 1740 bis circa 1765 einige Nachdrucker anonym druckten, also fingierte Druckorte und Namen verwendeten und sich nicht öffentlich zu ihren 25

26 27 28 29

Für eine weitergehende Analyse des Nachdrucks müssen neben den beiden Begriffen Raub- und Nachdruck weitere Personen, Institutionen und Sachbegriffe abgerufen werden, wie etwa die Namen der Nachdrucker, Institutionen wie der Reichshofrat und die kaiserlichen Druckprivilegien oder Sachbegriffe, die mit dem Nachdruck in Verbindung stehen, wie das Kursächsische Mandat von 1773. Für die weitere Analyse wurde der Begriff Büchernachdruck nicht ausgeführt, da die meisten Treffer aus der Datenbank IdZ 18 stammen und diese nicht in die Systemstellen implementiert wurden. Auch in den 1740er und 1750er Jahren finden sich teilweise bis zu sechs Treffern, doch ist es auffällig, dass besonders ab 1770 die Trefferquote erhöht ist, wobei dies, aufgrund der Gesamttrefferquote, beim Schlagwort Raubdruck deutlicher zu erkennen ist als beim Nachdruck. Andersch: Diskussion (wie Anm. 2), S. 128. Ebd.

Der Diskurs über den Büchernachdruck in den Gelehrten Journalen und Zeitungen

69

Nachdrucken bekannten, anders als dies im letzten Jahrhundertdrittel der Fall war.30 Viele der Bücher wurden entweder mit Druckorten im In- und Ausland wie Hamburg, Altona, Amsterdam, London, Philadelphia oder Venedig versehen, teils weil es Nachdrucke waren, teils um die Zensur zu umgehen.31 Für den Diskurs über den Nachdruck hatte dies scheinbar kaum Relevanz, zumindest sind nur wenige Klagen darüber in den Schriften zu vernehmen: Unsere Litteratur fängt ja erst von 1740 an, und die Klagen über den Nachdruck wurden erst ums Jahr 1760 häufig, da ein Schweizer Buchdrucker alle gute deutsche Schriftsteller nachzudrucken begann.32

In das sogenannte »Nachdruckzeitalter«, welches Reinhard Wittmann im Zeitraum von 1765 bis 1785 ansiedelt, fallen die meisten Ergebnisse in der Forschungsdatenbank der Gelehrten Journale.33 Für die Jahre 1773 und 1774 sind insgesamt 19 Treffer zählbar. Ein Deutungsansatz für dieses hohe Ergebnis könnten sowohl das Kursächsische Mandat von 177334 als auch Friedrich Gottlieb Klopstocks viel diskutierte Utopie Die deutsche Gelehrtenrepublik bilden.35 Das Kursächsische Mandat als Schutzinstrument gegen Nachdruck auf der Leipziger Messe und die Deutsche Gelehrtenrepublik, in der Klopstock das Verhältnis zwischen Autor und Verleger thematisierte und damit nicht zuletzt eine Reaktion Philipp Erasmus Reichs hervorrief,36 können somit als Indiz für eine gesteigerte Diskussion über den Buchhandel und den Nachdruck angesehen werden, die sich in den Periodika niederschlug. Anfang der 1770er Jahre begannen die Nachdrucker konsequent damit, die sächsischen Verlagstitel nach ihrem Erscheinen zu kopieren. Ab 1773/1774 setzte beispielsweise Christian Gottlieb Schmieders Nachdruckertätigkeit ein, nachdem er 1774 ein kaiserliches Druckprivileg für seine Sammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und Dichter erhalten hatte. 30 31 32 33 34 35 36

Vgl. Wittmann: Nachdrucker (wie Anm. 6), S. 73, und für den Aspekt der fingierten Druckorte Karl Klaus Walther: Zur Typologie fingierter Druck- und Verlagsorte des 17.–19. Jahrhunderts. In: Zentralblatt für Bibiothekswesen 91 (1977), S. 101–107. Vgl. Emil Weller: Die falschen und fingierten Druckorte: Repertorium der seit Erfindung der Buchdruckerkunst unter falscher Firma erschienenen deutschen, lateinischen und französischen Schriften. Leipzig: Engelmann 1864, S. 81 ff. Christian Gottfried Dyck: Ueber Bücher-Privilegium und Bücher-Nachdruck. In: Litteratur und Völkerkunde, St. 4, 1784, S. 273–286, hier S. 275. Wittmann: Nachdrucker (wie Anm. 6), S. 74 ff. Ludwig Gieseke: Vom Privileg zum Urheberrecht. Die Entwicklung des Urheberrechts in Deutschland bis 1845. Göttingen: Schwartz 1995, S. 158. Friedrich Gottlieb Klopstock: Die deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg 1774. [Philipp Erasmus Reich]: Zufällige Gedanken eines Buchhändlers über Herrn Klopstocks Anzeige einer gelehrten Republik. [Leipzig] 1773. Die anonym erschienene Schrift setzte sich für die Arbeit der Verleger ein und konterkarierte damit Klopstocks Vorstellung der Stärkung der Autorenrechte. Um Klopstocks Projekt zu schädigen, schlug er sogar einen Nachdruck vor, den er stets bekämpfte, vgl. ebd., S. 15.

70

Simon Portmann

Bis circa 1795 bleibt die Ergebnisquote hoch, ehe die Kurve schlagartig abfällt. Für die Zeit von 1795 bis 1815 sind insgesamt nur vier Treffer verzeichnet. Auch hier decken sich die Ergebnisse mit der Forschungsmeinung: Mit dem Tod Josephs II. im Februar 1790, einem Förderer des Nachdrucks, stiegen die Hoffnungen der Buchhändler auf ein Reichsgesetz gegen den Nachdruck in der Wahlkapitulation Leopolds II.37 Diese Hoffnungen wurden zerschlagen; es kam anläßlich der Wahlkapitulation Leopolds II. im Jahre 1790 zu dem Versprechen, daß ein Reichsgutachten zur völligen Unterdrückung des Nachdrucks erstattet werden sollte. Obwohl dieses Versprechen zwei Jahre später in der Wahlkapitulation Franz’ II. wiederholt wurde, kam es noch nicht einmal mehr zu Vorbereitungen, um dieses Versprechen einzulösen.38

Mit der fehlenden Durchsetzung des Reichsgesetzes verstummte die Diskussion über den Nachdruck abrupt, da damit die Aussicht auf ein baldiges Nachdruckverbot in weite Ferne rückte. Darüber hinaus sind die politischen Umstände zu betrachten: Die Französische Revolution und deren Folgen führten zur verschärften Zensur in den Territorien des Alten Reiches, die Koalitionskriege und die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches ließen die Diskussion über den Büchernachdruck in den Hintergrund treten.39 Erst mit der Neuordnung Europas im Zuge des Wiener Kongresses 1814/1815 wurden die Hoffnungen auf ein Gesetz gegen den Nachdruck genährt, so sahen »die deutschen Buchhändler erneut die Chance einer gesamtdeutschen Regelung eines Nachdruckverbots gekommen. Die nun einsetzenden Geschehnisse der Jahre 1814/15 weisen deutliche Parallelen zu den Bemühungen um ein reichsweites Nachdruckverbot im Jahr 1790 auf«.40 So sind für die Jahre 1814–1815 fünf Treffer in der Datenbank zu finden, mehr als im Zeitraum 1795–1813.41 Die hier angeführten Zahlen können kein Abbild der gesamten buchhändlerischen Situation um den Nachdruck darstellen. Die Tendenzen, die erkennbar werden, de-

37 38 39 40 41

Vgl. Steffen-Werner Meyer: Bemühungen um ein Reichsgesetz gegen den Büchernachdruck. Anläßlich der Wahlkapitulation Leopolds II. aus dem Jahre 1790 (= Rechtshistorische Reihe, Bd. 291). Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2004. Ebd., S. 137. Vgl. Martin Vogel: Deutsche Urheber- und Verlagsrechtsgeschichte zwischen 1450–1850. Sozialund methodengeschichtliche Entwicklungsstufen der Rechte von Schriftsteller und Verleger. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 19 (1978), Sp. 113–120. Andersch: Diskussion (wie Anm. 2), S. 497 f. Die Ergebnisse für das Jahr stammen allerdings alle aus der Zeitschrift Nemesis mit dem Titel Offene Nachdrucker-Fehde Sieben letzte oder Nachworte gegen den Nachdruck von Jean Paul (1763–1825). Die Tendenz lässt sich dennoch erkennen, wenn man bedenkt, dass die Buchhändler alle Mittel einsetzten, um ein deutsches Reichsgesetz gegen den Nachdruck zu erwirken, vgl. ebd., S. 499.

Der Diskurs über den Büchernachdruck in den Gelehrten Journalen und Zeitungen

71

cken sich jedoch mit den Forschungsergebnissen und dem Quellenbestand zum Zeitraum von circa 1750 bis 1800.42 In einem letzten Schritt sollen nun noch einige inhaltliche Aspekte der Gelehrten Journale und Zeitungen in Bezug auf den Nachdruck konturiert werden. Kund und zu wissen sey hiermit, daß zu Homburg vor der Höhe, ein gewisser G. C. Göllner wohnt, der sich noch nicht einmal bey einer Buchdruckergesellschaft als Geselle legitimirt hat, und eben deswegen die Unverschämtheit so weit treibt, daß er gewissen Buchhändlern seinen Namen hergiebt, ihre Rauberey hinter ihm ungeahndet treiben zu können. […] Obengedachter Pursche schleicht sogar hier in Frankfurt in den Häusern herum, um seinen doppelten Raub an den Mann zu bringen. So erschien er noch in voriger Woche in einem Hause, und bote, statt baaren Geldes, das er schuldig war, Clapproths Unterricht für Vormünder, und Baumanns kurzen Entwurf der Geographie für Anfänger, an. Dieses diene denen zur Nachricht, die die ganze Auflage seiner geraubten Nachdrücke glauben erstanden und bezahlt zu haben.43

Dies ist ein Beispiel einer Verlagsanzeige, die vor dem Nachdruck warnte, ausgegeben vom Verlag der Frankfurter Gelehrten Anzeigen, den Eichenbergischen Erben.44 Diese Insertion erfüllt mehrere Funktionen: Vordergründig wird hier vor dem Nachdrucker Göllner gewarnt, der nicht nur seinen Namen für andere Raubdrucke hergibt, sondern gleichermaßen als Schleichbuchhändler auftritt, um nebenher Nachdrucke zu verkaufen.45 Darüber hinaus wird der Name des Übeltäters genannt, um anzuzeigen, dass unter diesem Namen nicht nur Nachdrucke vertrieben würden, sondern Göllner gleichzeitig seine Nachdrucke verkaufe.46 Mit der Aufdeckung der Nachdrucker und ihrer Strukturen versuchten die ›redlichen‹ Buchdrucker und -händler ebenjene zu diskreditieren und sich von ihnen abzugrenzen. Des Weiteren konstituierten sich über solche Nachrichten Kommunikationsplattformen, die die Buchhändler, wie dieser

42

43 44 45

46

Die Suche mithilfe der Systemstellen, die an die historische Fächersystematik von Johann Samuel Ersch angelehnt sind, erweist sich bei der Problematik des Nachdrucks als unergiebig. Die meisten Treffer entfallen erwartungsgemäß auf die Kategorien Literar-/Gelehrtengeschichte – Bücherwesen – Buchhandel (5.1.2.). Zuordnungen zu anderen Fachgebieten erscheinen nicht immer nachvollziehbar. Aus: Frankfurter Gelehrte Anzeigen 1773, Bd. 2, St. 40, S. 328. Zum Verlag vgl. Gerhard Schwinge: Jung-Stilling und seine Verleger. Von Deinet in Frankfurt bis Raw in Nürnberg. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 56 (2002), S. 109–124, hier S. 111. Zu diesem Aspekt: »Wird erst der Nachdruk aufgehoben, so verschwinden auch […] die vielen Schleich-Buchhändler aus Klassen der Professoren, Präceptoren, Buchdruker, Buchbinder, Schulmeister &c. welche neben her auch manche Schriften verkaufen«, aus: N. N.: Teutsche Stats-Literatur. Des Kaisers und der Reichs-Stände Stellvertretern 1790, S. 498. Parallelen zu den Hausierern und Kolporteuren sind zu erkennen. So ist Justus Claproths Unterricht vor Vormünder 1773 bei Göllner erschienen, obwohl dieser bei Vandenhoeck in Göttingen drucken ließ. Baumanns Kurzer Entwurf der Geographie für Anfänger war schon seit 1768 in Brandenburg erschienen.

72

Simon Portmann

Fall zeigt, vor Nachdrucken und Nachdruckern warnt, wohinter jedoch auch verkaufsstrategische Aspekte stecken können: Der Hofbuchhändler, Jak. Christ. Posch zu Anspach, macht dem gelehrten Publico hiermit bekannt, wie seine ächte und um die Hälfte vermehrte Auflage, der algemein beliebten Lyrischen und andern Gedicht hinführo bey Ihm und in andern Buchläden das Stück für 37 und einen halb. Kr. oder 10 gute Groschen, das bishero 16 ggr. gekostet zu haben; nachdem sich ein Gewinnsichtiger Greifswalder, zu einem schändlichen Nachdruck soll haben verleiten lassen; und warnet zugleich alle Hrn Käufer, besonders aber seine sämtlichen Hrn HandlungsAnverwandte für dieser stinkenden Mißgeburt.47

Im Gegensatz zur Annonce von den Eichenbergischen Erben war es entweder nicht klar, wer der Greifswalder Nachdrucker war, oder aber der Buchhändler nennt den Namen nicht. Für den Hofbuchhändler Posch war der Nachdruck Anlass genug, den Preis seines Buches zu senken. Der Preis war in den Diskussionen um den Nachdruck einer der gewichtigsten Streitpunkte. Die Kosten für die Originalwerke wurden als schlicht zu hoch angesehen, und besonders den sächsischen Verlegern machte man zum Vorwurf, nur für den eigenen Geldbeutel zu wirtschaften.48 Wenn ein günstigerer Nachdruck auf dem Markt zu haben war, stellte die Preissenkung ein Mittel dar, die verbliebenen Werke zu vertreiben, da sonst die Gefahr bestand, dass der Buchhändler seine Bücher gar nicht mehr absetzen konnte. Interessant ist die geographische Reichweite dieser Anzeige: Jakob Christoph Posch aus Ansbach in Mittelfranken inserierte in den Jenaischen Gelehrten Zeitungen, um vor einem Greifswalder Nachdrucker zu warnen.49 Dies zeigt, wie weit sich sein Vertriebsnetzwerk erstreckte und welche finanziellen Einbußen ihm durch den Nachdruck drohten. Diese kleinen Ausschnitte aus den Gelehrten Zeitungen geben einen Einblick in den Umgang der Buchhändler in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit dem Nachdruck. Doch nicht nur die Handelspraxis wurde in den Gelehrten Journalen und Zeitungen thematisiert, auch Rezensionen von Aufsätzen und Werken über die Thematik des Buchhandels und des Büchernachdrucks fanden Einzug. Diese Allgemeine Zerrüttung, welche der deutsche Buchhandel und die Litteratur von einer so uneingeschränkte Nachdrucksfreyheit zu befahren hat, erregt die Aufmerksamkeit des patriotisch denkenden Publikums. Ein Gegenstand von so wichtigen Folgen verdient also eine umständliche Untersuchung. Der Herr geheime Justizrath Pütter nahm daher die Veranlassung zu gegenwärtiger Abhandlung, welche in zwey Theilen die historischen und 47 48 49

Jenaische gelehrte Zeitungen 1756, St. 7, S. 56. Jörn Görres (Hg.): Lesewuth, Raubdruck und Bücherluxus: das Buch in der Goethe-Zeit. Eine Ausstellung des Goethe-Museums Düsseldorf, 26. Mai bis 2. Oktober 1977. Düsseldorf 1977. Greifswald gehörte von 1631 bis 1815 zu Schwedisch-Pommern, daher gestaltete sich eine Einflussnahme gegen den Nachdruck äußerst schwierig, vgl. Dirk Alvermann, Nils Jörn, Jens E. Olesen: Die Universität Greifswald in der Bildungslandschaft des Ostseeraums. Berlin: Lit 2007.

Der Diskurs über den Büchernachdruck in den Gelehrten Journalen und Zeitungen

73

juristischen Kenntnisse, die zu Entscheidung dieser merkwürdigen Streitigkeit erfordert werden, enthalten, und ihre Anwendung zeigen.50

Dieser Ausschnitt der fünfseitigen Rezension in den Gothaischen gelehrten Zeitungen befasst sich mit dem bereits erwähnten Werk Johann Stephan Pütters Der Büchernachdruck nach ächten Grundsätzen des Rechts geprüft 51 Es ist eine von insgesamt fünf Rezensionen, die in der Datenbank unter dem Titel zu finden sind, wobei drei aus den Jahren 1774 und zwei aus dem Jahr 1775 stammen.52 Zwei der Rezensionen loben besonders die Fähigkeit Pütters, die Komplexität des deutschen Buchhandels zu erklären: Dem berühmten Hrn. G. J. R. Pütter war es vorbehalten, diese verwirrten Grundsätze aufs richtigste auseinander zu setzen. Er untersucht den Nachdruck sowohl nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, als auch besonders nach der besondern Verfassung des deutschen Reichs, und nach der besondern Verfassung des deutschen Buchhandels.53

Der Rezensent der Frankfurter gelehrten Anzeigen jedoch konstatierte in Bezug auf die kaiserlichen Privilegien: Ueberhaupt sind in diesem Kap. In Ansehung des Gebrauchs und der Nutzbarkeit der kayerl. Allerhöchsten Privilegien […] verschiedene Sätze mit eingeflossen, die wir hier anzuführen Anstand nehmen, und die wohl bey einem andern Schriftsteller an einem andern Orte nicht ungeahndet bleiben würden.54

Die Kritik des Rezensenten beschränkt sich dabei nicht nur auf die Privilegien, sondern auch auf andere unklare Argumentationen von Rechtsbegriffen wie der Verweis auf das furtum usus, also den ›Diebstahl des Gebrauchs‹.55 Nichtsdestoweniger bekennt sich der Rezensent als Kritiker des Nachdrucks und lobt den Verfasser für seine »sehr gute« Beweisführung, dass der Nachdruck ein »schändlichen Neid und Gewinnsucht veranlassendes Gewerbe« sei.56 Eine häufige Kritik an den Nachdruckern war, dass sie den Buchhandel zerstörten und dabei nur auf den eigenen Gewinn bedacht seien. Unter den Rezensenten findet sich kein Befürworter des Nachdrucks beziehungsweise niemand, der Pütter widerspricht. Die Kritik beschränkt sich lediglich 50 51 52

53 54 55 56

Gothaische gelehrte Zeitungen, 1774, 94. Stück, S. 745. Thomas Gergen: Johann Stephan Pütter (1725–1807) und der Büchernachdruck. In: Archiv für Urheber-Film-Funk- und Theaterrecht 3/2009, S. 715–744. Insgesamt sind acht Rezensionen zu dem Titel erschienen. Die in der Datenbank nicht verzeichneten Rezensionen erschienen in der Jenaischen Gelehrten Zeitung 1774, S. 786–787; im Neuen gelehrten Mercurius 1774, St. 30, S. 236–238 und in der Unpartheyischen Critik über die neuesten juristischen Schriften 1775, 6. Bd., S. 697–703. Allgemeine Deutsche Bibliothek 1775, Bd. 26, St. 1, S. 427–428, hier S. 428, vgl. bspw. dazu auch die Rezension in den Wöchentlichen Nachrichten von gelehrten Sachen auf das Jahr 1775, St. 1, S. 60. Frankfurter gelehrte Anzeigen 1774, Bd. 3, S. 409–416, hier S. 416. Ebd., S. 415. Ebd., S. 411.

74

Simon Portmann

auf inhaltliche Unklarheiten wie juristische Definitionen. Dies verwundert, da Pütter seine Ideen auf der Grundlage verschiedener Vorarbeiten wie Johann Abraham Birnbaums Schrift Eines aufrichtigen Patrioten unpartheyische Gedanken über einige Quellen und Anmerkungen des Verfalls der jetzigen Buchhandlung von 1733 ausführt, wie Jänisch57 konstatiert, und dabei nicht die »begriffliche Schärfe Birnbaums« erreicht, was sich ebenfalls in den Kritiken spiegelt.58 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Forschungsdatenbank Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung eine sehr gute Möglichkeit bietet, speziell nach Rezensionen, Ankündigungen, Nachrichten oder Werkverzeichnissen zu suchen. Mithilfe der Datenbank lassen sich nicht nur die Reaktionen auf Werke beispielsweise für oder gegen den Nachdruck analysieren, sie bietet ein weitaus größeres Potenzial, nämlich die Untersuchung von Kommunikationsplattformen, in denen Buchhändler, Verleger, Rezipienten, Philosophen etc. interagieren konnten. Zudem ermöglichen die Gelehrten Journale, über Buchankündigungen und Buchanzeigen Nachdrucke überhaupt erst ausfindig zu machen. Beispielhaft illustrieren lässt sich dies am Buchhändler G. C. Göllner aus Homburg vor der Höhe. In Wittmanns Nachdruckerliste wird für Hessen-Homburg ein Nachdrucker vermutet, den man nun zumindest mit Göllner in Verbindung bringen kann.59 Ob sich dahinter ein Netzwerk an Buchhändlern verbirgt, lässt sich nicht eindeutig sagen, dennoch kann man Göllner zweifelsfrei als Akteur in diesem Fall identifizieren.60 Auch im Rezensionswesen können mithilfe der Datenbank erstmalig periodische und überregionale Untersuchungen über Themen, die den Nachdruck betreffen, wie etwa das Privilegienwesen, gemacht werden. Die Schrift Pütters ist dabei ein prominentes Beispiel von vielen, da die Zahl der Schriften über den Nachdruck in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts enorm anstieg und diese häufig und breit rezipiert und diskutiert wurden. Für die Nachdruckergeschichte stellen die Gelehrten Journale somit einen wichtigen Baustein dar, der die Bücheranzeigen, die Verbreitung und Rezeption von Nachdrucken und den Diskurs über den Zeitraum des 18. Jahrhunderts hinaus abbildet und für Untersuchungen in einem bisher nicht bekannten Maße verfügbar macht.

57 58 59 60

Volker Jänisch: Geistiges Eigentum: eine Komplementärerscheinung zum Sacheigentum? Tübingen: Mohr Siebeck 2002, S. 39 f. Gergen: Pütter (wie Anm. 51), S. 740. Wittmann führt Göllner unter der Reichsstadt Frankfurt a. M. auf, doch zeigt die Anzeige der Eichenbergischen Erben, dass Göllner in Homburg vor der Höhe wohnte, vgl. Frankfurter Gelehrte Anzeigen 1773, Bd. 2, St. 40, S. 328. Wittmann: Nachdrucker (wie Anm. 6), S. 92.

Bücher in Bewegung Bibliotheken und Auktionen in den Gelehrten Journalen des 18 Jahrhunderts Flemming Schock Seit ihrer Entstehung im 17. Jahrhundert waren die Gelehrten Zeitschriften mit den Inhalten und Strukturen des Buchmarktes eng verwoben: In Ankündigungen, Anzeigen und Rezensionen orientierten die Periodika über Neuerscheinungen und fungierten als ›Gatekeeper‹ in einem zunehmend ausufernden Druckgeschehen. Was die Biographien der Objekte betrifft, lässt sich in den Journalen aber nicht nur die Entstehung und Rezeption einzelner Werke verfolgen, sondern auch deren ›Nachleben‹, sobald Bücher als Teil aufzulösender (Privat-)Sammlungen und Bibliotheken veräußert wurden. Angesichts der Blüte von Bücherauktionen im 18. Jahrhundert wundert es nicht,1 dass Mitteilungen über den Auktionsbuchhandel auch fest zur Informationsarchitektur der Gelehrten Journale gehörten. Lange vor der Etablierung regelmäßiger Auktionen in spezialisierten Auktionsfirmen am Ende des Jahrhunderts sicherten die Zeitschriften – ergänzend zur Tagespresse2 – bereits die überregionale Publizität geographisch weit verstreuter Buchverkäufe.3 Johann August Gottlob Weigel gründete

1

2 3

»Bücherauktionen als Veräußerungsform und als Erwerbsmöglichkeit für Bibliotheken, aber auch private Sammler, erreichen in Deutschland ihre Blüte zweifelsfrei während des 18. Jahrhunderts«; Annette Pozzo: Bücherauktionen im 18. Jahrhundert. Ihre Funktion beim Aufbau und bei der Erweiterung öffentlicher und gelehrter Bibliotheken. In: Petra Hauke, Andrea Kaufmann, Vivien Petras (Hg.): Bibliothek. Forschung für die Praxis (Festschrift für Konrad Umlauf zum 65. Geburtstag). Berlin: De Gruyter 2017, S. 579–588, hier S. 579. Schon für das 17. Jahrhundert konnte Hans Dieter Gebauer eine Vielzahl von Zeitungsmeldungen über das Auktionsgeschehen nachweisen: Bücherauktionen in Deutschland im 17. Jahrhundert (= Bonner Beiträge zur Bibliotheks- und Bücherkunde, Bd. 28). Bonn 1981. Vgl. Artikel »Auktion«. In: Lexikon des gesamten Buchwesens. Bd. 1 (1987). 2. Aufl., S. 178–179, hier S. 179. Die publizistischen Kanäle der Informationsbeschaffung wurden weiterhin ergänzt durch den klassischen Briefverkehr: Prominente Gelehrte wie etwa Albrecht von Haller (1708– 1777) waren weit vernetzt und ließen sich über aktuelle Auktionstermine durch ihre Korrespondenzpartner kontinuierlich informieren; vgl. Urs Boschung: Der Leipziger Medizinprofessor Chris-

76

Flemming Schock

dann 1797 in Leipzig die erste Antiquariatsbuchhandlung, in der zugleich Auktionen durchgeführt wurden.4 Trotz der Bedeutung des Auktionsgeschäftes für die Geschichte frühneuzeitlicher Bibliotheken ist es bislang nur wenig erforscht und die Masse der gedruckten Auktionskataloge als hervorragende Quelle nicht systematisch ausgewertet worden.5 Die folgenden Ausführungen verstehen sich als Baustein auf diesem Gebiet, indem sie den spezifischen Wert der Quellengattung Zeitschrift betonen, aber auch ihre Grenzen. Denn anders als die Auktionskataloge geben die Auktionsnachrichten in den Journalen nur in kondensierter Form Auskunft über Bestand und Aufbau privater Büchersammlungen. Die über viele Jahre und Zeitschriften verstreuten Artikel eignen sich – gerade im Leistungsrahmen einer Datenbank – daher weniger zur Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte und Nutzung einzelner Bibliotheken als vielmehr zur Beschreibung quantitativer Dimensionen innerhalb eines langen Zeitraums. Darum geht es hier überblickshaft in einem ersten Schritt. Die weiteren Punkte systematisieren die Fundstellen zum Thema entlang wesentlicher inhaltlicher Charakteristika und Aspekte: der stereotype Aufbau von Auktionsmeldungen, die zu identifizierenden Motivlagen des Bücherverkaufs, Inhalt und Form verkaufter Bibliotheken und Einblicke in den Ablauf (und Abschluss) der eigentlichen Auktionen. Zu ergänzen ist, dass die Zeitschriften im Sinne einer erweiterten Auktions- und Sammlungsgeschichte des 18. Jahrhunderts selbstverständlich auch andere Dinge des Wissens ›in Bewegung‹ setzten: Neben Bibliotheken wurden viele Gemälde- und Kupferstichsammlungen zum Verkauf angeboten, ebenso Münz- und Naturalienkabinette – dem damaligen Anspruch zufolge ohnehin meist obligatorischer Bestandteil einer wirklich vollständigen Sammlung.

Nachricht aus Den Haag, dem international wichtigsten Auktionsort (Neue Zeitungen von gelehrten Sachen, 17. April 1741)

4 5

tian Gottlieb Ludwig in seinen Briefen an Albrecht von Haller. In: Detlef Döring, Hanspeter Marti (Hg.): Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld, Basel: Schwabe 2004, S. 409–445, hier S. 437. Vgl. Karsten Hommel: Die Familie Weigel. Buch- und Kunsthändler sowie Verleger und Sammler in Leipzig. In: Leipziger Stadtgeschichte. Jahrbuch 2018. Hg. im Auftrag des Leipziger Geschichtsvereins von Markus Cottin, Beate Kusche und Katrin Löffler. Markkleeberg: Sax 2019, S. 67–127. Als unverzichtbare Grundlagenarbeit vgl. die umfassende Bibliographie von Gerhard Loh: Verzeichnis der Kataloge von Buchauktionen und Privatbibliotheken aus dem deutschsprachigen Raum, bisher 7 Bde., Leipzig 1995–2014.

Bücher in Bewegung

77

Buchauktionen in der GJZ 18-Datenbank: Quantitäten und geographische Verteilung Bislang6 weist die Datenbank 503 Treffer zum Thema Buchauktionen im Zeitraum von 1715 und 1780 aus, mit einer klaren Verdichtung zwischen 1730 und 1750.7 Vergleiche zur Medienpräsenz von Auktionen im vorigen Jahrhundert sind nur eingeschränkt möglich: So basierten die von Hans-Dieter Gebauer ermittelten 180 Auktionsmeldungen für das 17. Jahrhundert lediglich auf der Recherche im weit älteren Zeitungsmedium8 – erste wissenschaftliche Zeitschriften entstanden erst in den 1660er Jahren. Dennoch legt das Datenbankergebnis einen klaren Anstieg der Auktionen im 18. Jahrhundert nahe, zumal die Masse der Auktionstermine weiterhin auch in der Tagespresse veröffentlicht wurde.9 Eine Auswertung des gesamten periodischen Medienspektrums würde damit noch eine ungleich höhere Gesamtzahl für Buchauktionen im gesamten Jahrhundertverlauf erbringen. Zu betonen ist aber auch, dass die Treffermenge in Relation zu anderen Journalthemen nicht besonders gewichtig ist. So finden sich etwa zum medizinischen Problem der Pocken bereits über 1000 Treffer, zum juristischen Spezialgebiet des Lehnrechts sogar 3000.10 Wenn Auktionsmeldungen dennoch eine konstante Größe waren, dann gilt das proportional nicht für alle im GJZ 18-Projekt erschlossenen Zeitschriften, sondern vor allem für jene, die besonders langlebig waren – wie die einflussreichen Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen, erschienen von 1715 bis 1784 – und/oder deren inhaltliches Profil überhaupt den Anspruch erhob, neben Buchbesprechungen die ganze Bandbreite allgemeiner Nachrichten aus der gelehrten Welt zu drucken. Dafür hielt ein weit verzweigtes Korrespondentennetzwerk die Leipziger Neuen Zeitungen oder die Hamburgischen Berichte von neuen Gelehrten Sachen (1732 bis 1758) auf dem Laufenden. Das Gros der Datenbanktreffer entfällt auf diese beiden Journale (Neue Zeitungen: 278; Hamburgische Berichte: 155),11 nicht zuletzt, weil Hamburg und Leipzig selbst als 6

7 8 9

10 11

Abrufzeitpunkt: 05.02.2019, Schlagwörter »Buchhandel« und »Auktion«, www.gelehrte-journale. de. Es ist zu betonen, dass die genannten Quantitäten nur eine Momentaufnahme aus einem noch unabgeschlossenen Langzeitprojekt (Laufzeit 2011–2025) darstellen. Die Zahlen sind damit nur vorläufig, allerdings machen sie eindeutige Trends bereits lesbar. Als ›Peaks‹ in der Datenbankabfrage ragen die Jahre 1732 und 1751 mit jeweils 27 Auktionsmeldungen hervor. Abrufzeitpunkt: 05.02.2019. Gebauer: Bücherauktionen (wie Anm. 2), S. 84. Gelehrte Periodika und die – aktuellere – Tagespresse ergänzten sich in den Meldungen partiell gegenseitig. So schlossen die Hamburgischen Berichte von neuen Gelehrten Sachen 1748 die Auktionsankündigung der Bibliothek des Theologen Johann Christoph Krüsike wie folgt: »Der eigentliche Verkaufstermin sol innerhalb drei Monaten in den öffentlichen Zeitungen kund gemacht werden«; Hamburgische Berichte von neuen Gelehrten Sachen, 19. Januar 1748, S. 45. Abrufzeitpunkt: 23.01.2019. Abrufzeitpunkt: 06.02.2019. An dritter Stelle rangieren die in Regensburg erscheinenden Wöchentlichen Nachrichten von gelehrten Sachen mit 33 Auktionsmeldungen. Die nächstplatzierten Journale folgen mit weniger als einem Dutzend Treffer erst im größeren Abstand.

78

Flemming Schock

Metropolen von Presse und Buchhandel im 18. Jahrhundert eine hohe Auktionsdichte aufwiesen.12 Ein Großteil der Meldungen bezog sich dementsprechend auf regionale Buchauktionen, an denen Kaufinteressenten auch kurzfristig teilnehmen konnten. In der Geographie der Auktionsorte belegt Leipzig mit über 70 Terminen die klare Spitzenposition, gefolgt von Hamburg und Altona mit mehr als 40 Auktionen. Für den deutschen Raum ist beachtlich, dass auch in ›kleineren‹ Buchstädten Auktionen von Privatbibliotheken gängig waren, so etwa in Hannover, Lüneburg oder Berlin. Damit lagen die geographischen Schwerpunkte des Auktionswesens weiter in Nord- und Mitteldeutschland, allerdings mit einer erheblichen Verschiebung: Hatte Hamburg im 17. Jahrhundert bezogen auf die Auktionsdichte noch klar vor Leipzig rangiert,13 so kehrte sich das Verhältnis im 18. Jahrhundert um.14 Unverändert blieb dagegen, dass Buchauktionen im süddeutschen Raum fast gar nicht zu beobachten waren.15 Allein im mittelfränkischen Gebiet um Nürnberg lassen sich um die Jahrhundertmitte einige Auktionstermine ermitteln.16 International war Den Haag der prominenteste Auktionsort, ein kaum überraschender Befund, bedenkt man die Bedeutung der niederländischen Republik für den Umschlag von Waren, Informationen und Büchern.17 Aufschlussreich ist noch die Unterteilung der Treffer nach Artikeltypen: 473 Treffer entfallen auf reine Auktionsnachrichten und lediglich 30 auf Rezensionen. Dabei handelt es sich um die Besprechung von Bibliotheks- und Auktionskatalogen. Eigens besprochen wurden Kataloge zum einen nur dann, wenn sie in ›literärgeschichtlicher‹ Sicht bereichernd erschienen, wenn sie etwa »mit vielen, in die Büchergeschichte hineinlaufenden gelehrten, und brauchbaren Anmerkungen«18 versehen waren; zum anderen waren die Bibliotheksgröße und Prominenz ihres Besitzers schlicht Anlass genug, den Katalog eingehender zu würdigen, wie im Fall des Leipziger Bibliotheksdirektors Christian Gottlieb Jöcher.19 Jöchers Sammlung gehörte quantitativ wie quali-

12 13 14

15 16 17 18 19

Zur Bedeutung Leipzigs im Buchhandel vgl. auch den Beitrag von Simon Portmann in diesem Band. Gebauer: Bücherauktionen (wie Anm. 2), S. 54–61. Hamburg positionierte sich dagegen auf dem Feld der Gemäldeauktionen im 18. Jahrhundert als zunehmend wichtiger Standort; Thomas Ketelsen: Barthold Heinrich Brockes »irdisches Vergnügen« in Gemälden und Zeichnungen. Ein Beitrag zum Sammlungs- und Auktionswesen im frühen 18. Jahrhunderts. In: Das Achtzehnte Jahrhundert, 1997, S. 153–175, hier S. 167. »Auktion« (wie Anm. 3), S. 178. Zumindest für Augsburg lässt sich 1730 anhand der Journale die öffentliche Veräußerung einer Kupferstichsammlung über den Modus der Lotterie nachweisen; Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 27. April 1730, S. 297. Die südlichste Grenze markiert – soweit zu sehen – Ansbach, wo 1759 die Bibliothek von Karl Friedrich von Zocha verauktioniert wurde; Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 22. Mai 1759, S. 172. Dazu etwa: Christiane Berkvens-Stevelinck (Hg.): Le magasin de l’univers. The Dutch Republic as the Centre of the European Book Trade (= Brill’s Studies in Intellectual History, Bd. 31). Leiden: Brill 1992. Hamburgische Berichte von neuen Gelehrten Sachen, 3. April 1753, S. 210. Catalogus Bibliothecae D. Christiani Gottlieb Ioecheri Academiae Lipsiensis olim Historiarum Professoris Pub. Ord. et Bibliothecarii. 2 Teile. Leipzig: Saalbach 1759.

79

Bücher in Bewegung

tativ in die Oberliga verauktionierter Bibliotheken der Zeit. Auch dazu einige Zahlen: Die Größe verkaufter Bibliotheken wird in den Auktionsberichten grundsätzlich nur selten beziffert – allein in zwei Dutzend Fällen finden sich die exakten Sammlungsumfänge. Hier stechen erwartungsgemäß jene hervor, deren spektakuläre, allumfassende Dimensionen eine eigene Nachricht wert waren und das Prestige ihres Besitzers mehrten. Das waren die Sammlungen des Hochadels, der politischen und schulischen Elite sowie der Geistlichkeit, darunter Minister, Herzöge, Professoren und Bürgermeister.20 Die mit Abstand größte Auktion einer Privatbibliothek war demnach die des Den Haager Bürgermeisters Samuel van Huls. Versteigert noch zu Huls’ Lebzeiten, enthielt sie die »erstaunende Menge [von] über hundert tausend Bände schöner Bücher von allen Facultäten und Sprachen […]«.21 Sammler aus dem Alten Reich folgen abgeschlagen, aber immerhin mit noch rund 50 000 Bänden, so der Hamburger Domprobst Friedrich Christian von Kielmansegg (1718)22 und der Dresdner Theologe Valentin Ernst Löscher (Auktion 1750).23 Spitzenreiter unter den Auktionsmeldungen Samuel van Huls (Den Haag, Bürgermeister) Friedrich Christian Kielman von Kielmansegg (Hamburg, Diplomat)

100 000 Bände 50 000 Bände

Valentin Ernst Löscher (Superintendent, Dresden)

50 000 Bände

Robert Harley, 1. Earl of Oxford and Earl Mortimer (Oxford)

40 000 Bände

20

21 22 23

Eine typologische Differenzierung der Bibliotheken ist dabei allenfalls nach den funktionalen Aspekten von Repräsentation und Gelehrsamkeit möglich, denn die Auktionsmeldungen beziehen sich fast ausnahmslos auf Privatbibliotheken, die gleichwohl einen ganz unterschiedlichen Grad an Öffentlichkeit aufweisen konnten. Dazu grundlegend: Wolfgang Adam: Privatbibliotheken im 17. und 18. Jahrhundert. Forschungsbericht 1975–1988. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 15,1 (1990), S. 123–173. In seltenen Fällen wurden in den Journalen auch die Auktionen von Bibliotheken anderen Zuschnitts annonciert und entsprechend kommentiert. Über die Versteigerung der Bibliothek des Leipziger Buchhändlers Moritz Georg Weidmann heißt es etwa: »Wie aber sein Absehen hierbey [beim Sammeln der Bücher] jederzeit auf den Buchhandel, keineswegs aber auf die Gelehrsamkeit, gerichtet war; so sind auch die von ihm hinterlassenen Bücher nicht als eine nach Art der Gelehrten eingerichtete Bibliothek […]«; Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 12. November 1744, S. 820. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 4. Januar 1730, S. 315. Ebd., 29. Januar 1718, S. 65. Bemerkungen zu Umfang und Qualität der Sammlungen – und hier besonders des Kriteriums der Rarität einzelner Werke – gingen dabei Hand in Hand: »Dem Publico wird hiermit zur Nachricht gemeldet, daß man mit dem Anfange des künftigen Jahres zu dem öffentlich Verkauf der berühmten löscherischen Bibliothek alhier in Dresden schreiten werde. Die Anzahl der Bücher, in allen Theilen der Gelehrsamkeit, beleuft sich auf ungefehr funfzig tausend Stück von allerhand grossen und kleinen Werken, worunter sehr viele ihrer Seltenheit wegen, höchstschätzbar sind«; Hamburgische Berichte von neuen Gelehrten Sachen, 9. September 1749, S. 560.

80

Flemming Schock

Vicente Bacallar y Sanna de San Felipe (Madrid, Botschafter, Historiker)

40 000 Bände

Barthold Günter Hintze (Hamburg, Jurist)

30 000 Bände

Guillaume Dubois (Cambrai, Kardinal, Minister)

30 000 Bände

Victor Marie d’Estrées (Paris, Minister)

20 000 Bände

Christian Friedrich Schmid (Lüneburg, Rektor)

15 000 Bände

Karl Friedrich von Zocha (Ansbach, Minister)

14 000 Bände

Johann Peter von Ludewig (Halle, Jurist, Professor)

13 000 Bände

Christian Weise (Leipzig, Theologe, Professor)

10 617 Bände und 7261 Disputationsschriften

Nicolaus Hieronymus Gundling (Halle, Jurist, Professor)

10 000 Bände

Gerhard von Mastricht (Bremen, Rechtsgelehrter)

8000 bis 9000 Bände

Heinrich Johann Bytemeister (Helmstedt, Theologe)

7300 Bände und 3559 Disputationsschriften

Im Ganzen schwankten die größten veräußerten Gelehrtenbibliotheken zwischen 10 000 und 40 000 Bänden, kleinere beliefen sich auf etwa 1 000 bis 2 000 Titel. So schnell sie durch Versteigerung schließlich zerstreut wurden, so sehr war ihr Wachstum zuvor eine Anstrengung gewesen, die Generationen verbunden hatte. Über die Bibliothek von Kielmansegg heißt es 1718 in den Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen etwa, dass sie Vater und Sohn gemeinsam zusammengetragen hätten.24 Und noch deutlicher ein Jahr später in der Auktionsmeldung der Bibliothek von Johann Heinrich Bünting: »Es haben sie [die Bibliothek] vier berühmte Braunschweig-Lüneburgische Hof-Räthe innerhalb etliche 70 Jahre mit grossem Fleiß, als Kenner guter Bücher, angeschafft, und dadurch einen auserlesenen Schatz zusammen gebracht«.25 Auktionsmeldungen: Merkmale, Aufbau, Ablauf Die Masse der Auktionsmeldungen war kurz und schematisch. Oft schon ein halbes Jahr nach dem Tod des Besitzers erfolgte in den Journalen die Ankündigung des Buchverkaufs. Der Informationsgehalt der Meldungen konzentrierte sich überwiegend auf das Was, Wann und Wo der Auktionen. Bezüglich der Ortsangabe der Auktionen ist bemerkenswert, dass dieser häufig gar nicht spezifiziert wird. Wird der Ort doch exakt benannt, zeigt sich, dass es lange Zeit vor der Gründung spezialisierter Auktionshäuser üblich war, den Verkauf direkt am ursprünglichen Standort – den privaten Wohnräu-

24 25

Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 29. Januar 1718, S. 67. Ebd., 20. Dezember 1719, S. 806.

Bücher in Bewegung

81

men »im Sterbehause«26 – öffentlich abzuwickeln. Eine typische Kurzmeldung mit den genannten Bestandteilen liest sich wie folgt: »Oldenburg, vom 17 May [1733]. Der von unserm sel. Hn. General-Superintendenten und Consitorial-Rath, Caspar Bußing, hinterlassene ansehnliche Bücher-Vorrath wird künftigen 24 August hieselbst in der Behausung der Fr. Wittwen öffentlich verkauffet werden«.27 Nur vereinzelt wurden Auktionen dagegen in Buchläden abgehalten.28 Dort lagen zwar regulär die Auktionskataloge aus, aber ausgelagerte Auktionen in Buchläden waren noch ebenso selten wie in Rathäusern29 oder in den Räumlichkeiten eines bereits berufsmäßigen Auktionators. Eine Schlüsselfigur in Leipzig war hier der Buchhändler Michael Keck. Er war universitär bestellter »Auctions-Proclamator«30 und wickelte die Bibliotheksverkäufe in einem Gebäude der Universität ab, dem »Rothen Collegio«.31 Mit kurzem Vorlauf zur Auktion wurde der Bibliothekskatalog gedruckt, in Buchläden ausgegeben und durch Boten innerstädtisch zügig verteilt.32 Ergänzend wurden die Journale gezielt als überregionaler Vertriebskanal genutzt. Wiederholt berichten Zeitschriftenherausgeber, dass man ihnen »einen Vorrath von Exemplarien«33 zugesandt habe: »Der Catalogus, der zwar auch an den mehresten Orten Teutschlandes in den Buchläden ausgegeben wird, ist uns zu dem Ende zugesandt, damit wir solchen den hiesigen Hn. Gelehrten zur Durchsicht communicirten«,34 heißt es etwa 1737 in den Hamburgischen Berichten. Um eine möglichst breite potentielle Käuferschaft zu erreichen, wurden die Kataloge häufig gegen einen nur geringen Preis oder – über die

26 27 28 29 30 31 32

33 34

Hamburgische Berichte von neuen Gelehrten Sachen, 15. Juli 1746, S. 426. Ebd., 29. Mai 1733, S. 359. In einer Meldung aus Den Haag vom Oktober 1717: »Den 7 soll die schöne Bibliothek des verstorbenen Herrn Peter Simons […] in Johann von Durens Buchladen allhier verauctioniret werden«; Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 16. Oktober 1717, S. 671. Eine Ausnahme in einer Meldung aus Weißenfels von 1731: »Allhier wird eines vornehmen Herren Bibliothek […] auf dem hiesigen Rath-Hause verauctioniret werden«; Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 23. April 1731, S. 296. Conspectus oder kurtze und deutliche Anzeige des ietzt lebenden und florirenden Leipzig. Leipzig 1747, S. 30. Vgl. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 8. September 1740, S. 648. In der Auktionsankündigung zur Bibliothek des Schulrektors Johann Paul Künsche: »Es wird den 25 Julii dieses Jahrs des wolseligen Hn. Subconrectors hiesiger Johannisschule, M. Joh. Paul Künsche, nachgelassener Büchervorraht, im Sterbehause im Kremohn öffentlich verkaufet werden, und da bereits eine ziemliche Anzahl der Catalogorum durch den Pedellen herumgebracht, sind nur noch einige wenige übrige gegen Erlegung 2 [Gulden] für die Armen […] in der Frau Witwe Stellings Hause auf dem neuen Walle zu bekommen […].« Hamburgische Berichte von neuen Gelehrten Sachen, 15. Juli 1746, S. 426. Ebd., 4. März 1740, S. 159. Ebd., 31. Januar 1737, S. 77.

82

Flemming Schock

örtliche Journalredaktion – sogar ganz umsonst ausgegeben.35 In seltenen Fällen scheinen die Katalogerlöse auch in die städtische Armenfürsorge geflossen zu sein.36 Die Kataloge verknüpften Sammler und Sammlungen insofern, als dem jeweiligen Bücherverzeichnis häufig eine Biographie des Besitzers samt Kupferporträt vorangestellt war. Als Werbemittel hatte der Katalog vor allem die Funktion, eine weitere, überregionale Öffentlichkeit für die Auktion herzustellen und – nach der Lancierung der Daten in der Presse – noch einmal den Auktionsort und -termin zu benennen. Auswärtige Bieter konnten sich anhand des Katalogs detailliert über die Bibliotheken informieren und ohne persönliche Präsenz an der Auktion teilnehmen, indem sie »Commissionäre« vor Ort bevollmächtigten, als Vertreter zu agieren. Für diesen Ablauf waren die Journale ein wichtiges Instrument, da die Nennung der lokalen Mandate in jedem Fall obligatorisch war. Bei diesen Auktionskommissionären waren auch die Kataloge zu erhalten, wie in einer Ankündigung aus dem Jahr 1742 zu lesen: Hannover. Den nechst instehenden 5. Merz dieses Jahrs wird hieselbst in der Burgstrasse, die von dem gelehrten Statsminister, dem seligen Herrn Baron von Erffa nachgelassene, aus lauter ausgesuchten, französischen, lateinischen und teutschen Büchern […] öffentlich verkaufet werden, wovon der Catalogus bey dem hiesigen Herrn Advocat Krebs, der auch auswärtige Volmachten versiehet, zu haben ist.37

Nur ein Jahr später publizierten die Hamburgischen Berichte eine weitere Zuschrift von »Advocat Krebs«; sie zeigt exemplarisch, wie einzelne Kommissionäre ihr überregionales Vermittlungsgeschäft aktiv auszubauen versuchten und dabei auf eine händische Zirkulation der Auktionskataloge setzten: Hannover. Von daher übersendet uns der dasige Advocat und Notarius, Hr. Krebs, (welcher wie auch sonst, die auswertigen Commißions mit aller Sorgfalt besorget) einen Catalogum […]. Weil nicht viele Exemplaria von dem Catalogo gedrukt sind, als wird ein ieder Liebhaber in der vorgedruckten Nachricht gebeten, sein Exemplar an andere gute Freunde zu communiciren«.38

Dabei wurde die lokale und überregionale Weitergabe der Kataloge auch von den Zeitschriften selbst beworben. Über eine in Celle stattfindende Auktion meldet die gleiche Zeitschrift Anfang 1753: Der Catalogus […] wird in den vornehmsten Städten von Niedersachsen, und einigen auswertigen Orten, von erbetenen Gönnern und Freunden den Kennern guter und be35 36 37 38

In der Auktionsankündigung zur Bibliothek des Ratzeburger Superintendenten Johannes Elers: »Von dem Catalogo [sind] bei den Verfassern dieser Berichte noch einige eingebundene Exemplaria umsonst zu haben […].« Ebd., 25. März 1738, S. 208. Vgl. Anm. 33. Hamburgische Berichte von neuen Gelehrten Sachen, 23. Januar 1742, S. 56. Ebd., 5. März 1743, S. 151 f.

Bücher in Bewegung

83

sonderer Bücher bekant gemacht werden, die man hiemit geziemend ersucht, das empfangene Verzeichnis auch anderen gütigst mitzutheilen, welch an etliche Oerter nur wenige Exemplare versandt werden können.39

Einblicke in den praktischen Ablauf von Buchauktionen gewähren die Zeitschriften in der Regel nicht. Prinzipiell wurde nicht einmal trennscharf zwischen einfachem Verkauf und »gewöhnlicher Auction«40 unterschieden. Unklar bleibt auch, ob alle Verkäufe uneingeschränkt öffentlichen Charakter hatten, was jedoch als gesichert gelten darf – Exklusivität hätte dem Geschäft geschadet. Wiederholt nennen die Journale im Vorlauf zu den Auktionen auch Zeitfenster für eine mögliche Vorbesichtigung der Auktionsmasse. In der Auktionsankündigung zur Bibliothek des Helmstedter Professors Johann Wolfgang Kipping heißt es etwa, dass es »den anwesenden […] erlaubt [ist], vier Wochen vor der Auction, Mittwochs und Sonnabends von 2 bis 3 Uhr, die Bücher zu besehen«.41 Neben sukzessivem Abverkauf und terminierter Versteigerung gab es noch einen dritten Verkaufsmodus. Hier schalteten sich Auswärtige nicht über die Commission in einen Bieter-Wettwerb ein, sondern hatten auf Basis des Katalogs die Option auf direkte ›Buchbestellung‹. Über den Bibliotheksverkauf des Wittenberger Juristen Christian Hoffmann liest man 1740 dazu Folgendes: Die Hoffmannischen Erben thun den gelehrten Bücherliebhabern zu wissen, daß sie […] gesonnen sind, die verhandenen Bücher […] um sehr billige Preise einem ieden zu überlassen […]. Wer demnach von nun an etwas ihm zu seinen Absichten und Zweck anständiges daraus verlanget, darf sich nur die Mühe geben, das Verzeichnis der verlangten Bücher, nebst seinem Namen, den Erben in Wittenberg zuzufertigen, worauf sie alsobald die nechsten Preise melden, und sodan gegen Uebermachung des Geldes die bezahlten Bücher wol und sicher einzusenden versprechen.42

Noch expliziter wurde dieser »unter der Hand« gepflegte Verkauf anlässlich der Bibliotheksveräußerung des umstrittenen Theologen Georg Jakob Schwindel. Nach dem Vorbild des Frankfurter Ratsherrn Zacharias Konrad von Uffenbach heißt es hier: Gleichwie übrigens der sel. Hr. Burgermeister von Uffenbach zu Frankfurt am Main, und andere, ihre Bücher nicht öffentlich, sondern unter der Hand vermittelst eines an den

39 40

41 42

Ebd., 9. März 1753, S. 160. »Leipzig. In dem Teubnerischen Buchladen zu finden Verzeichniß von des weil. Hochehrw. und Hochgel. Herrn M. Ernst Christ. Philippi, Hochfürstl. Merseb. Hofpredigers […], nachgelassenen auserlesenen theologischen Bibliothek, welche vermittelst gewöhnlicher Auction […] allhier im rothen Collegio verkaufet werden soll«; Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 16. Mai 1737, S. 342. Ebd., 21. September 1747, S. 678. Hamburgische Berichte von neuen Gelehrten Sachen, 28. November 1740, S. 823 f.

84

Flemming Schock

Rand eines ieden Buches gesetzten wehrtseyenden Preises den Liebhabern angeboten und verkauffet haben: also geschiehet der Verkauf der gegenwertigen schwidelischen Büchersammlung auf gleiche Art: zu welchem Ende dem von dem Hr. Besorger und Herausgeber des Bücherverzeichnisses ein iedes Buch, nach Gutbefinden, mit einem nicht unbilligen Preise versehen worden ist. Wer demnach ein oder ander Buch um den angesetzten Preis zu haben verlanget, hat sich desfals an Hrn. Joh. Siegmund Schwindel, verpflichteten Schreiberei-Verwandten, und Complimentarium in Nürnberg, zu wenden, iedoch müssen die Liebhaber für das Porto selbst Sorge tragen.43

Im Zuge der Verkaufsmodalitäten kam noch ein überraschendes Dilemma zur Sprache: Obwohl sie durch die Auktions- und Verkaufsnachrichten selbst dazu beitrugen, sahen die Zeitschriften die »Zergliederung« der Bibliotheken teilweise durchaus kritisch. Was in jahrzehntelanger Sammelleidenschaft zusammengebracht wurde, sollte wenigstens auch im Ganzen verkauft werden – so wiederholt der Tenor. Es sei zu wünschen, vermerken die Wöchentlichen Nachrichten von gelehrten Sachen etwa 1750 über die Bibliothek eines Weimarer Kammerrates, »es möchte sich ein Liebhaber finden, der die gantze Bibliothek durch ein nicht unbilliges Gebot von dem Schicksale der Zergliederung befreyete«.44 Und noch grundsätzlicher in den Leipziger Neuen Zeitungen im Rahmen des Verkaufs der Bibliothek des bedeutenden Hallenser Professors Nicolaus Hieronymus Gundling: Das Schicksahl, welchem die mehresten privat-Bibliothecen unterworffen sind, daß, nachdem dieselbe mit vieler Mühe und grossen Kosten gesammlet, sie nach Absterben ihrer Besitzer wiederum aus einander gehen und zerstreuet werden, betrifft gegenwärtig auch die vortrefliche Bibliothec des […] Herrn Nicol. Hieronym. Gundlings, als welche in dem bevorstehenden Sommer durch öffentliche Auction allhier verkaufft werden wird.45

Auktionsmotive Die Motive des Verkaufs sind im Kontext der unterschiedlichen Bibliothekstypen zu sehen: Das Gros der Auktionsmeldungen betraf private Gelehrtenbibliotheken. In einigen Fällen setzten aber auch Buchhändler gezielt auf Auktionen, um die (überfüllten) Lager ihrer Verlagsbibliotheken zu leeren. So kündigte der Leipziger Buchhändler Johann Christian Martini im Jahr 1735 an, sich »aller in seinem Buchladen vorhandenen fremden Verlagsbücher zu entschlagen, und nur das zu behalten, was er selbst

43 44 45

Ebd., 30. Oktober 1753, S. 674 f. Wöchentliche Nachrichten von gelehrten Sachen auf das Jahr 1751, St. 10, S. 68. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 26. März 1731, S. 221.

Bücher in Bewegung

85

verleget hat«.46 Es handelte sich um ganze »6000 Stück Bücher«.47 Solche ›Ladenverkäufe‹ waren in den Zeitschriften aber eher die Ausnahme. Einfacher Anlass der Verauktionierung privater Bibliotheken war fast immer der Tod von Sammler und Besitzer. Das profane Hauptmotiv der Erben lag auf der Hand: Es galt, den Büchernachlass möglichst schnell zu monetarisieren. Es gibt jedoch originelle Ausnahmen. Ein erster Fall legt nahe, dass es Sammler in der Tat schmerzte, wenn aus ihren Schätzen eine ›zergliederte‹ Verkaufsmasse würde. Und das betraf nicht nur Bücher. Zusammen mit seiner Bibliothek wollte der Leidener Buchhändler Pieter van der Aa 1729 auch seine Gemäldesammlung verauktionieren – »von den gelehrtesten Leute alle in einer Grösse, welche über der Bibliotheck gestanden, und die der Besitzer gern mit einander an einen Mann um einen billigen Preiß bringen möchte«.48 Daneben gab es posthume Verkäufe, die die Besitzer noch zu Lebzeiten mit wohltätigen Motiven zu beeinflussen suchten. So verordnete der Magdeburger Theologe Joachim Justus Breithaupt testamentarisch, »daß seine Bücher verauctioniret, und aus dem Gelde ein Stipendium vor arme Studiosos ausgerichtet würde«.49 In Ausnahmen legten sich auch die Erben edlere Motive auf – etwa dann, wenn sie hofften, dass über einen Verkauf die Bibliothek – oder einzelne Werke in ihr – ›fortgeschrieben‹ werden könnten. Als 1744 die Bibelsammlung des Hamburger Theologen Johann Georg Palm verkauft wurde, kam der Entwurf von dessen Geschichte der lutherischen Bibelübersetzung mit unter den Hammer – ein Entschluss, wie die Neuen Zeitungen vermerken, der »besonders zu loben ist, weil man auf solche Art Hoffnung hat, daß derjenige, so solchen Vorrath an sich handelt, auf Fortsetzung und Vollendung der von Herrn Palmen angefangenen Arbeit bedacht seyn werde«.50 Daneben gab es auch praktische Motive. Im Rahmen einer Dresdner Versteigerung von 1746 kommentieren die Neuen Zeitungen den begleitenden Katalog zum Beispiel wie folgt: Der Besitzer sagt in der Vorrede, daß, da ihm sein gegenwärtiges Amt nicht verstatte, diese Bücher, so, wie er wünsche, zu gebrauchen, er solche mit Vergnügen in den Händen anderer Gelehrten sehen wolle, die solche besser nutzen könnten; welcher Entschluss allerdings lobenswürdig ist, da so häufige Exempel heutiges Tages uns lehren können, daß die schönsten und brauchbarsten Wercke nur als ein Aufputz einiger Zimmer angesehen werden, von dem man besorget, daß er verderbt werden möchte, wenn man solchen zu einem allgemeinen Gebrauche verstatte.51

46 47 48 49 50 51

Ebd., 9. Mai 1735, S. 328. Ebenda. Ebd., 11. August 1729, S. 588. Ebd., 11. September 1732, S. 646. Ebd., 20. April 1744, S. 285. Ebd., 17. November 1746, S. 854.

86

Flemming Schock

Die Auktionsankündigung wird hier zu einer Spitze gegen jenen Teil der Käuferschaft, der vielleicht bibliophil, aber wenig belesen war. Und schließlich bildete auch schlicht Altersschwäche ein wiederholtes Auktionsmotiv. 1720 entschied sich zum Beispiel ein Leidener Sammler, seine auf Reisen gesammelten Bücher zu veräußern, weil er »nun in seinem ein und achtzigsten Jahre seines Gesichtes völlig beraubt worden«.52 Letztlich sind jedoch jene Fälle am häufigsten, in denen Gelehrte ihre Bibliotheken – erst meist wenige Jahre vor ihrem Tod – ohne die Angabe von Gründen verauktionierten. Dazu zählten Johann Burckhard Mencke,53 der berühmte Leipziger Gelehrte, und ebenso der Den Haager Bürgermeister Samuel van Huls mit der – wie erwähnt – vielleicht größten Privatbibliothek seiner Zeit. Innen und Außen: Der ›Körper‹ der Bibliothek Auskünfte über die Anatomie der Bibliotheken geben die Journale auf Basis der gedruckten Auktionskataloge. Nach diversen Ordnungsmustern verfasst,54 ermöglichten sie einen handlichen Überblick zum jeweiligen Bestand. Längere Auktionsankündigungen geben häufig synoptische Auszüge aus den Katalogen und ersetzten so zumindest partiell den Erwerb eines eigenen Katalogs. Die Zeitschriften informierten aber nicht nur über Sammlungsschwerpunkte. Vielmehr wurden die Kataloge auch für pauschale Werturteile herangezogen. So kommentieren die Hamburgischen Berichte 1733 eine Lüneburger Auktion wie folgt: Viele Compendia, Systemata, und andere meistentheils überflüßige Bücher wird der Leser hier nicht antreffen, wol aber eine Menge von andern theils geschrieben, theils gedruckten seltenen, nöthigen, kostbaren und nutzbaren Büchern, unter andern solche, die kurtz nach erfundener Buchdrucker-Kunst gedruckt worden.55

Solche Qualitätsurteile dürften häufig den vormaligen Besitzern gefolgt sein. Diese wussten um die Macht der Kataloge, in der sich die Biographie der Sammlung mit jener des Sammlers verwob. Viele Gelehrten erarbeiteten daher noch selbst einen syste-

52 53 54

55

Ebd., 20. November 1721, S. 737. Auktionsankündigung: Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 19. Januar 1728, S. 63. Neben der inhaltlichen Organisation nach »Klassen« oder formalen nach Druckformat bildete die ausgewiesene »Rarität« der Bücher ein wesentliches (antiquarisches) Ordnungskriterium der Kataloge. Beispielhaft aus dem Katalog des Husumer Pfarrers Johann Melchior Kraft: »Bis zur 248 S. [des Katalogs] erstrekken sich die nicht unter die raren gezehlten Bücher, aus allen Klassen: darauf folget […] ein Anh. von lauter, grösten Theils sehr wichtigen u. kostbaren Manuscripten; sodan zeiget sich von p. 302 bis 335 ein schöner Vorrat von seltenen Büchern, die entweder das Alterthum, oder andere Umstände vorzüglich und schätzbar machen«; Hamburgische Berichte von Neuen Gelehrten Sachen, 3. April 1753, S. 211. Ebd., 31. März 1733, S. 215.

Bücher in Bewegung

87

matischen Katalog ihrer Bibliothek und weckten über Kommentare und Marginalien bereits Begehrlichkeiten auf einzelne Werke. Exemplarisch dafür ist eine Bemerkung der Neuen Zeitungen von 1719: Der Verstorbene [Gerhard von Mastricht, Bremer Bürgermeister] hat den Catalogum noch bey seinem Leben selbst verfertiget, und meist bei den Bücher erinnert, ob der Autor accurat, gelehrt, nützlich, merckwürdig, von vieler Belesenheit, der eintzige von selbiger Materie, ein guter Stylist, partheyisch verdächtig […] wenn die Edition die erste, die beste, eine von den ältesten, oder rar ist.56

Durchgehend eigens betont wurde die Qualität des Ungedruckten: von Manuskriptkonvoluten, die obligatorischer Bestandteil vieler Gelehrtenbibliotheken waren. In der Versteigerung der Bibliothek des Wolfenbütteler Advokaten Rudolf August Nolte heißt es etwa: Am Ende [des Katalogs] siehet man nebst verschiedenen Geographicis, ein Verzeichnis von 39 Manuscripten, die mehrentheils von dem sel. Hrn. Rud. Aug. Noltenio eigenhändig geschrieben sind […]. Der Wolselige hatte Gelegenheit verschiedene Klöster und Archive in Teutschland durchzusehen, dabei war er im Abschreiben unermüdet […]. Man kan sich also leicht die Rechnung machen, daß unter diesem Vorrat von nachgelassenen Handschriften manch wichtiges Ungedrucktes, und manch schöne Urkunde vorhanden sey.57

Hand in Hand mit der Bestandsbeschreibung und -bewertung ging die Betonung des äußerlichen Zustandes der Bibliotheken. Das Gewicht ästhetischer Ansprüche zeigt sich in den Auktionsankündigungen auf zwei Ebenen: Eine erste betrifft die Praxis des 18. Jahrhunderts, ›Bücher‹ als ungebundene Konvolute zu verkaufen. Regelmäßig wurde daher hervorgehoben, dass die Bestände »gantz vollständig und sauber gebunden«58 seien. Und umgekehrt wurde der Wert jener Bibliotheken geschmälert, die diesbezüglich enttäuschten. In einer Auktionsankündigung von 1732 wird etwa die Menge »schlecht gebundene[r], oder nur gar gehefftete[r] Bücher«59 bemängelt. Auch unterschiedliche Bindungstechniken und Papierqualitäten wurden wiederholt betont. Hier stach die 1747 in Celle verauktionierte Bibliothek des Juristen Daniel Heinrich von Avemann besonders hervor: Der innerliche Werth dieser Bücher wird durch die äusserliche Zierde derselben noch mehr erhöhet, indem die mehresten derselben entweder in saubern weissen Pergament, mit rothem Titel, oder in Franz- und Englischem Bande, gebunden sind.60

56 57 58 59 60

Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 13. September 1719, S. 582. Hamburgische Berichte von Neuen Gelehrten Sachen, 6. März 1753, S. 149. Ebd., 11. August 1729, S. 588. Ebd., 31. März 1732, S. 236. Ebd., 17. September 1747, S. 669.

88

Flemming Schock

Ähnlich erlesen wurde es in einer Leipziger Auktion, bei der »die meisten Bände […] in Franzband [und] rothen Saffian vergoldet«61 waren. Diese zweite Ebene macht klar, dass Werke, die ohnehin schon als Raritäten gehandelt wurden, durch teure Einbände in den Auktionen nochmals an Wert gewannen. Auktionspraxis: Käufer und Verkäufer Wie angedeutet, ist der der Quellenwert der Journale für dieses Kapitel eher gering. Aber es gibt Ausnahmen, die dann doch Einblicke in Auktionsabläufe und das Kaufund Verkaufsverhalten zulassen. Bereits angezeigte Auktionen greifen die Journale etwa dann wieder auf, wenn einzelne Bücher spektakuläre Höchstgebote aufriefen, Gebote, die auch solventen Sammlern einen Namen gaben. So melden die Neuen Zeitungen 1720 aus Den Haag, dass besonders »merkwürdig sei«, dass für das Illustrationswerk Heures perdues de Francois I von einem »Herrn von Duren vor 2075 Holländische Gulden bezahlt worden«62 seien. Auch einzelne Inkunabelauktionen ragen aus Masse heraus. So melden die Hamburgischen Berichte 1740, dass der »Hr. Graf von Teßin« eine Mainzer Cicero-Ausgabe aus dem Jahr 1466 »für 60 Rthlr. Kupfermünze«63 an sich gehandelt habe. Ähnlich wie bei der schlechten Bindung kam aber auch hier die Kehrseite zur Sprache, wenn etwa Absatzprobleme auftraten. Weniger begehrt waren offenbar Manuskripte, die in gelehrten Sammlungen ebenso gängig waren wie Landkarten oder Kupferstiche. Als Nachtrag zur Bibliotheksauktion des Hallenser Professors Johann Peter von Ludewig räumen die Hamburgischen Berichte von 1747 ein, dass »der schöne und beträchtliche Vorrath der codicum manuscriptorum annoch zurück geblieben«64 sei. Aber auch Bücher konnten zu Ladenhütern werden: So verkaufte sich die riesige Bibliothek des Ratsherrn Zacharias Konrad von Uffenbach offenbar nur schleppend. Um den Absatz anzukurbeln, stellte Uffenbach, der den Verkauf seiner Bibliothek noch kurz vor seinem Tod 1734 selbst initiiert hatte, den »Liebhabern« etliche Taler Preisnachlass in Aussicht.65 Tatsächlich waren Gelddinge auch auf anderer Ebene ein notorischer Punkt, wenn wiederholt Zahlungsmoral und -modalitäten in Zweifel gezogen wurden. Hier ist spannend, dass zahlungssäumige Käufer nach Auktionsabschluss offenbar gängig waren, minderwertige Währung vorgelegt oder erworbene Bücher de facto erst gar nicht ›eingelöst‹ wurden, wie es zeitgenössisch hieß. In der Auktionsankündigung der Bib61 62 63 64 65

Ebd., 15. August 1737, S. 576. Ebd., 19. April 1720, S. 247. Hamburgische Berichte von Neuen Gelehrten Sachen, 30. September 1740, S. 679. Ebd., 21. März 1747, S. 178. Ebd., 22. November 1734, S. 829.

Bücher in Bewegung

89

liothek eines Hanauer Theologieprofessors wurde 1732 etwa Folgendes angemahnt: »Der Verkauf geschiehet für baar Geld. Fals nun die Bücher innerhalb 7 Wochen nicht eingelöset werden, wird man sie sodann aufs neu verkauffen. […] Man nimmt keine Bezahlung, als an couranten Silber-Müntze an«.66 Noch verbindlicher der Ton in der Auktionsnachricht zur Bibliothek des Leipziger Juristen Johann Jacob von Ryssel 1733. Dort wurde angedacht, die Eintreibung der […] zu lösenden Gelder zu beschleunigen […], als wird […] demjenigen, so in dieser Auction etwas zu erstehen gesonnen ist, […] eröffnet, daß die Zahlung […] entweder so gleich oder wenigstens binnen 8 Tagen nach geschehener Proclamation, von den auswärtigen Committenten aber längstens binnen vier Wochen, in unveruffenen Müntz-Sorten erfolgen müsse.67

Aber nicht nur das Käuferverhalten geriet in die Kritik, sondern auch die ›schädlichen‹ Praktiken der Auktionatoren. Anschaulich dafür ist etwa die Auktionsankündigung der Bibliothek des Merseburger Hofpredigers Ernst Christian Philippi. Dessen Sohn verfasste die Vorrede zum Auktionskatalog, wozu die Hamburgischen Berichte Folgendes vermerken: Von der Art der Verkaufung gibt der Hr. Verfasser ganz ausführlichen Bericht, und thut zugleich einige neue Vorschläge die Auctiones besser einzurichten, die den Auctionariis nicht gar zu wol gefallen dürften, indem er es für billig hält, daß diese Leute den Schaden ersetzen, fals ein Buch gar zu wolfeil, und öfters unter die Helfte des Preises weggeschlagen wird.68

Und nicht zuletzt kamen logistische Probleme auf den Plan. Beklagt wurden auch Adressierungsprobleme der verauktionierten Ware, so im Nachgang zur Versteigerung der Bibliothek von Jacob Friedrich Reimmann: Da denn die erstandenen Bücher, wie gewöhnlich, allemal gegen bares Geld können abgefordert werden, und bitten die angesetzten Herren Commissarii, daß die wehrten Herren Committenten so gütig seyn mögen, sich gegen sie etwas deutlich zu entdecken und zu melden, an welchen Ort die erstandenen Bücher nach bahrer Bezahlung, sollen adreßiret werden, damit allen Weitleuftigkeiten vorgebeuget werde.69

66 67 68 69

Ebd., 19. April 1732, S. 275 f. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 18. Mai 1733, S. 356. Hamburgische Berichte von Neuen Gelehrten Sachen, 21. Juni 1737, S. 406. Hamburgische Berichte von neuen Gelehrten Sachen, 22. November 1743, S. 749.

90

Flemming Schock

Fazit Im Ganzen lässt sich sagen, dass die Journale die Bedeutung und Bewegung von Privatbibliotheken im gelehrten Leben des 18. Jahrhunderts eindrücklich belegen. Für die Realität der Buchauktionen sind sie eine wichtige Quelle, die von allen Akteuren genutzt wurde. Zu erinnern ist aber auch an die Grenzen der Zeitschriften: Auktionspraktiken und -abläufe bleiben weitgehend im Dunkeln. Auch berichten die Journale ausschließlich über die Auktion größerer und separat verkaufter Gelehrtensammlungen. Kleinere Nachlassbibliotheken wurden häufig zusammen mit Immobilien versetzt – und auch darüber erfährt man nichts. Der methodisch sinnvollste Weg für eine umfassende Buchauktionsgeschichte des 18. Jahrhunderts führt daher nur über den Rückgriff auf das gesamte relevante Medienspektrum, und hier müssten die Zeitschriften durch andere Periodika flankiert werden, konkret durch politische Zeitungen und die aufkommenden Intelligenzblätter. Vor allem ist aber noch einmal an den großen Wert der Auktionskataloge zu erinnern:70 Sie sind hervorragende buchgeschichtliche Quellen, die nicht nur Auskünfte über Umfang, Ordnung und individuellen Buchgebrauch enthalten, sondern oft auch genauere Regelungen zur Auktion selbst und deren Ablauf.

70

Grundlegend dazu: Bernhard Wendt: Der Versteigerungs- und Antiquariats-Katalog im Wandel von vier Jahrhunderten. Sonderdruck aus: Archiv für Geschichte des Buchwesens 9 (1967), Sp. 1–88; Gebauer: Bücherauktionen; Bert van Selm: Die frühesten holländischen Auktionskataloge. In: Reinhard Wittmann (Hg.): Bücherkataloge als buchgeschichtliche Quellen in der frühen Neuzeit (= Referate des 6. Jahrestreffens des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Geschichte und Buchwesen), Wiesbaden 1985, S. 67–78; weitere Literatur bei Anette Pozzo: Membra disiecta. Inhalt und Wirkung der Bibliothek des Göttinger Professors Lüder Kulenkamp (= Berliner Arbeiten zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft, Bd. 25). Berlin 2014, S. 20 f.

Manuskripte in der Schublade Autor sucht Verleger Katrin Löffler Am 1. November 1746 vermittelten die Hamburgischen Berichte von gelehrten Sachen folgende Nachricht aus Magdeburg: Herr Bernd, Conrektor an dem hiesigen altstädtischen Gymnasio, hat seit einigen Jahren mit Fleis an einer lateinischen Uebersetzung des Hiobs, die aus dem Hebreischen und Arabischen gestellet worden, und wobey er sich die gelehrten Schriften der Neueren über dieses schwere Buch gehörig bedienet hat, gearbeitet, und ist damit beinahe fertig. Er sucht hierzu einen billigen Verleger; welchen wir ihm mit dem ehesten wünschen, weil wir der Einsicht und Geschicklichkeit dieses Mannes viel zutrauen können.1

Neun Zeilen, die uns wissen lassen, dass ein gelehrter Mann in seiner Studierstube in den Nebenstunden, die ihm der Schuldienst ließ, ein Manuskript verfertigt hat, für das er nun einen Verlag sucht. Neben Subskriptionsangeboten, Kritik an Titelausgaben oder Informationen über Raubdrucke stößt man damit in den Gelehrten Journalen auf ein weiteres buchhandelsgeschichtliches Thema, für das diese Periodika eine bislang kaum erschlossene Quelle sind. Eine Meldung wie die oben zitierte lenkt zunächst den Blick auf die Frage, welche Möglichkeiten es im 18. Jahrhundert gab, die Drucklegung eines Manuskripts anzubahnen. In buchhandelsgeschichtlichen Studien findet man vor allem Informationen zu den Aktivitäten bekannter Verleger, die ihr Verlagsprogramm konkurrenzfähig gestalten wollten und gezielt Autorenakquise betrieben. Wie aber fanden umgekehrt Autoren zu Verlegern, wie fanden Manuskripte den Weg unter die Druckpresse? Bevor die Meldungen über verlagssuchende Autoren in den Gelehrten Journalen näher untersucht werden, sei zunächst ein Blick auf die drei vorhandenen Optionen geworfen.

1

Hamburgische Berichte von gelehrten Sachen, 1. November 1746, S. 679 f.

92

Katrin Löffler

Möglichkeiten der Manuskriptvermittlung 1) direkte Kontaktanbahnung zwischen Autor und Verleger: Im günstigsten Fall kannte der Textproduzent einen Verleger, am besten vor Ort. Dann waren die Kommunikationswege kurz, und das Geschäft ließ sich im Gespräch anbahnen, was nicht heißt, dass es unkompliziert war. Schon in der 1666 erschienenen Schrift Gepriesener Büchermacher oder von Büchern, und Bücher machen ein zwar kleines, jedoch lustiges und erbauliches Büchlein beschreibt der Hanauer Prediger Aegidius Hennnig die Nöte des Klinkenputzens nach getaner Schreibarbeit: Der Autor, der sein geist- und sinnreiches Werk gern gedruckt sehen möchte, begibt sich »ungeseumbt zu den Herren Buchführern und Druckeren / zeiget seine Arbeit und Werck / rühmet die Materi / bezeuget über alles seinen angewanten sonderbaren Fleiß«2 – und stößt auf mancherlei Schwierigkeiten.

Das Titelkupfer von Aegidius Hennigs Gepriesenem Büchermacher (1666) setzt die Machtverhältnisse ins Bild: Übermächtig thront der Verleger, sodass der Autor oder der das Manuskript überbringende Postbote ganz klein wird. 2

Aegidius Hennig: Gepriesener Büchermacher oder von Büchern, und Bücher machen ein zwar kleines, jedoch lustiges und erbauliches Büchlein. Frankfurt: Johann David Zunner 1666, S. 112 f.

Manuskripte in der Schublade

93

Da innerhalb eines Ortes der mündliche Kontakt der Normalfall war, ist ein solcher meist gar nicht oder nur indirekt dokumentiert. So finden sich in der umfangreichen Korrespondenz von Christian Fürchtegott Gellert nur sechs Briefe, die er mit dem Leipziger Verleger Philipp Erasmus Reich gewechselt hat, obwohl die zahlreichen Erwähnungen Reichs in seinen Schreiben an andere Briefpartner für einen engen Kontakt sprechen.3 Die Möglichkeit zum direkten Gespräch gab es vor allem in Universitätsstädten, wo oft mehrere Verlage ihren Sitz hatten. Ein prominentes Beispiel für die Wichtigkeit der räumlichen Nähe zwischen potentiellen Buchautoren und Verlegern ist die Universität Göttingen, deren Gründer Gerlach Adolph Freiherr von Münchhausen sich neben der Ausstattung und Finanzierung der Alma mater auch um die Ansiedlung von Buchdruck und Buchhandel bemühte, damit sich Professoren und Studenten mit Literatur versorgen und ihre Schriften drucken lassen konnten. 1735 holte er Abraham Vandenhoeck, der in Hamburg eine Druckerei und Buchhandlung betrieb, nach Göttingen und stattete ihn mit Privilegien aus. Vandenhoeck blieb nicht der einzige Verleger in der Universitätsstadt, aber er entwickelte sich zum bedeutendsten. Selbstverständlich veröffentlichten nicht alle Göttinger Gelehrten ihre Schriften bei ihm, so wie er auch von Beginn an auswärtige Autoren unter Vertrag hatte.4 Nach seinem Tod gelang es seiner Witwe Anna Vandenhoeck gemeinsam mit Carl Friedrich Günther Ruprecht, für das Verlagsprogramm ihre wichtigsten Autoren aus den Reihen der namhaften Göttinger Professoren zu gewinnen.5 Aufgrund der beruflichen Verflechtung entwickelten sich unter Umständen sehr enge und dauerhafte Autor-Verleger-Verbindungen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Johann Christoph Gottsched, der viele seiner Schriften und Periodika bei Bernhard Christoph Breitkopf herausbrachte und in dessen Haus auf dem Leipziger Alten Neumarkt, im Goldenen Bären, wohnte. Mitunter begab sich ein publikationswilliger Autor auch auf Reisen in eine Verlagsstadt, um sein Manuskript den dortigen Verlegern anzubieten. Das beabsichtigte zum Beispiel Johann Moller, Rektor in Flensburg, der ein umfängliches Schriftstellerlexikon von Schleswig-Holstein unter dem Titel Cimbria literata verfasst hatte, ein Lebenswerk, an dem er vierzig Jahre »mit ganz ungemeinem Fleiß« gearbeitet hatte.

3

4 5

Vgl. Thomas Bremer: »Reich brachte mir Ihren Brief eben«. Philipp Erasmus Reich und Christian Fürchtegott Gellert vor dem Hintergrund des Wandels im deutschen Buchhandel im 18. Jahrhundert. In: Thomas Bremer, Christine Haug (Hg.): Verlegerische Geschäftskorrespondenz im 18. Jahrhundert. Das Kommunikationsfeld zwischen Autor, Herausgeber und Verleger in der deutschsprachigen Aufklärung. Wiesbaden: Harrassowitz 2018, S. 149–157. Vgl. Rudolf Vierhaus: Einleitung. In: ders. (Hg.): Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung. Aus Anlaß des 250jährigen Bestehens des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1985, S. 7–17, hier S. 9. Vgl. Barbara Lösel: Die Frau als Persönlichkeit im Buchwesen. Dargestellt am Beispiel der Göttinger Verlegerin Anna Vandenhoeck (1709–1787). Wiesbaden: Harrassowitz 1991.

94

Katrin Löffler

Er wollte nach Hamburg fahren, um »einen Verleger auszumachen«, woran ihn aber seine »sich täglich mindernde[n] Leibeskräffte« hinderten,6 sodass die Veröffentlichung des Manuskripts zur Aufgabe seiner Erben wurde. Auch die Leipziger Messe avancierte zum Marktplatz für Manuskripte; zeitgenössische Äußerungen zeichneten im späten 18. Jahrhundert das Bild von geschäftig umhereilenden Autoren, die eigene Texte oder Übersetzungen anzubringen suchten und die Verleger mit ihrer Zudringlichkeit plagten.7 Die direkte Kontaktanbahnung konnte auch brieflich erfolgen, indem der Autor einen Verleger anschrieb. So offerierten beispielsweise der Göttinger Philosophieprofessor Christoph Meiners und der Weimarer Bibliothekar Christian Joseph Jagemann dem Leipziger Verleger Philipp Erasmus Reich brieflich ihre Manuskripte und bahnten so die Beziehung zum Verleger an.8 In den Erlangischen gelehrten Anmerkungen und Nachrichten erhellen Nebenbemerkungen, wie mühsam und langwierig die Suche nach einem Verleger selbst für einen namhaften Gelehrten sein konnte. Als eine deutsche Übersetzung der Reden des Thukydides von Johann Jacob Reiske rezensiert wird, erfährt der Leser, dass Reiske, Rektor der Leipziger Nikolaischule und angesehener Philologe, seine Übersetzung verschiedenen Verlagen angeboten hatte, aber immer mit der Antwort abgewiesen worden war, man wolle erst die angekündigte Übersetzung von Johann David Heilmann abwarten. So ging sein Manuskript, wie es heißt, »auf der Schaue herum«.9 2) indirekte Kontaktanbahnung über einen Vermittler: Man ersuchte einen etablierten Autor resp. Gelehrten um Vermittlung. Die Rolle von Autoren als »Agenten und Vermittler« war von »kaum zu unterschätzender Bedeutung«, ihre Dienstleistungen wurden sowohl von anderen Autoren als auch von Verlegern gern in Anspruch genommen.10 Dafür bietet beispielsweise die Korrespondenz von Gelehrten wie Johann Christoph Gottsched einiges Material,11 das umso wichtiger ist, da viele Verlagsarchive

6 7 8 9 10 11

Hamburgische Berichte von gelehrten Sachen, 10. August 1734, S. 538 f. Vgl. Johann Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels vom Beginn der klassischen Litteraturperiode bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1740–1804). Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler 1909, S. 292 f. Hazel Rosenstrauch: Die Reformen des Buchhändlers und Verlegers Ph. E. Reich (1717–1787). Sozialgeschichtliche Studie zur Entwicklung des literarischen Marktes. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 26. Frankfurt 1986, S. 1–129, hier S. 100 f. Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 2. Juni 1761, S. 182. Die Übersetzung erschien 1761 bei Gotthelf Albrecht Friedrich Löper in Leipzig. Christine Haug: Einführung: Autor-Verleger-Korrespondenzen als eine Quelle der Buchhandelsund Verlagsgeschichtsschreibung. In: Bremer, Haug (Hg.): Verlegerische Geschäftskorrespondenz (wie Anm. 3), S. 1–17, hier S. 12. Johann Christoph Gottsched: Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe unter Einschluß des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Hg. und bearb. von Detlef Döring u. a. Berlin: de Gruyter 2007 ff.

Manuskripte in der Schublade

95

nicht überliefert sind. Gerade in der Verlagsmetropole Leipzig waren ortsansässige Gelehrte wichtige Kontaktpersonen zu Verlegern.12 Auch Albrecht von Haller, Naturwissenschaftler und Dichter, der zudem 1747 die Leitung der Göttingischen Zeitungen von gelehrten Sachen übernommen hatte, bekam Manuskripte zugesandt »in der Hoffnung, einen Patron für die Drucklegung zu finden«.13 Für Schweizer Schriftsteller war der Philosoph Johann Georg Sulzer eine zentrale Vermittlerfigur; er stellte u. a. die Verbindung von Johann Jacob Bodmer und Johann Caspar Lavater zu Philipp Erasmus Reich her.14 Im Verlagsarchiv Gebauer und Schwetschke in Halle befinden sich ebenfalls einschlägige Informationen. So berief sich der Danziger Theologe Ernst August Bertling, der 1767 eine Evangelienharmonie bei Gebauer veröffentlichte, bei der Zusendung des Manuskripts auf den Hallenser Rektor Johann Peter Miller als Gewährsmann,15 und die Übersetzung der Apostelbriefe des Rigaer Theologen Gottlieb Schlegel vermittelte der Jenaer Philosoph Justus Christian Hennigs.16 Der Hallenser Philosoph Georg Friedrich Meier betätigte sich mehrfach als Vermittler von Manuskripten an den Verleger Carl Hemmerde vor Ort, darunter Christoph Martin Wielands Erstling, das Lehrgedicht Die Natur der Dinge (1752), und (vermutlich) Johanna Charlotte Unzers Grundriß einer Weltweißheit für das Frauenzimmer (1751).17 Die Publikationen des jungen Gotthold Ephraim Lessing im Metzler-Verlag warfen die Frage auf, wie der aufstrebende Schriftsteller ausgerechnet zu einem Verleger im »literarisch öden, pietistisch beschränkten Stuttgart kam« – es »muß einen Mittelsmann gegeben haben«,18 ebenso wie für die »Borussica«, die in den 1750er Jahren bei Metzler erschienen. Solche Vermittlerfiguren waren vor allem dann wichtig, wenn sich ein Verleger stark auf Berater stützte. Ein herausragendes Beispiel ist Philipp Erasmus Reich, der weder Manuskripte in Auftrag gab noch eingesandte Texte zu lesen pflegte, sondern in der

12 13 14 15

16 17 18

Detlef Döring: Gelehrtenkorrespondenz. In: Ulrich Rasche (Hg.): Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven. Wiesbaden: Harrassowitz 2011, S. 315–340, hier S. 326. Martin Stuber, Stefan Hächler, Hubert Steinke: Albrecht von Hallers Korrespondenznetz. Eine Gesamtanalyse. In: Martin Stuber, Stefan Hächler, Luc Lienhard (Hg.): Hallers Netz. Ein europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung. Basel: Schwabe 2005, S. 3–216, hier S. 180. Vgl. Jana Kittelmann: Epistolare Szenen einer Freundschaft. Johann Georg Sulzers Korrespondenz mit Philipp Erasmus Reich. In: Bremer, Haug: Verlegerische Geschäftskorrespondenz (wie Anm. 3), S. 125–147. Vgl. Marcus Conrad: Gebauers Geschäftsverbindungen im südlichen Ostseeraum zwischen Stettin und St. Petersburg. In: Daniel Fulda, Christine Haug (Hg.): Merkur und Minerva. Der Hallesche Verlag Gebauer im Europa der Aufklärung. Wiesbaden: Harrassowitz 2014, S. 165–192, hier S. 177. Ebd., S. 186. Hans-Joachim Kertscher: Die Verleger Carl Hermann Hemmerde und Carl August Schwetschke. Halle: Hallescher Verlag 2004, S. 28 f. Reinhard Wittmann: Ein Verlag und eine Geschichte. Dreihundert Jahre J. B. Metzler Stuttgart. Stuttgart: Metzler 1982, S. 213 f.

96

Katrin Löffler

Regel den Empfehlungen Dritter folgte. Sein Erfolgsgeheimnis bestand darin, »andere für sich arbeiten zu lassen«,19 Kapital bereitzustellen, sein Kommunikationsnetz auszubauen und optimal zu nutzen. Zu seinem Freundeskreis gehörten Schriftsteller, Gelehrte, Künstler, Übersetzer, Zeitschriftenherausgeber etc., die quasi für ihn als Lektoren arbeiteten, ihm Zutritt zu ihren Kommunikationszirkeln ermöglichten und das Verlagsprofil mitprägten – zu aller Seiten Nutzen.20 Praktischerweise waren Reichs Berater häufig zugleich als Rezensenten der Verlagsprodukte aktiv.21 Johann Justinus Gebauer suchte ebenfalls in geselligen Runden das Gespräch mit Gelehrten und holte ihren Rat für seine Vorhaben ein; unter ihnen nahm der Philosoph Siegmund Gottlieb Baumgarten eine bevorzugte Stelle ein.22 Gerade Autoren, die sich noch keinen Namen gemacht hatten, nutzten für die Realisierung einer Publikation die Unterstützung von Mittelsmännern – das war »beinahe ein Gesetz des literarischen Marktes«.23 Natürlich ließen sich direkte und indirekte Kontaktanbahnung auch kombinieren. So schrieb Johann Friedrich Kopp im Juli 1746 an Gottsched, dass er wegen seiner bereits fertiggestellten Übersetzung von Jean-Baptiste Dubos’ Reflexions critiques sur la poesie et sur la peinture (1719) an den jungen Breitkopf24 geschrieben habe, zugleich aber Gottsched um dessen »vielvermögenden Fürspruche« bitte.25 3) Identität von Autor und Verleger, das heißt die Umgehung eines gewerblichen Verlegers durch die Publikation im Selbstverlag, sei es für ein einzelnes Buchprojekt, seien es kollektive, auf Dauer angelegte Unterfangen, von denen es etliche im 18. Jahrhundert gab und deren Höhepunkt die 1781 gegründete Dessauer Buchhandlung der Gelehrten war.26 Die wichtigsten Motivationen bei diesen Unternehmungen waren das Bestreben der Autoren nach einer angemessenen Honorierung ihrer Werke und einer verbesserten rechtlichen Stellung. Alle diese Versuche waren jedoch aus diversen Gründen nicht von Bestand, Finanzierung und Distribution der Bücher erwiesen sich als mühsam, und der finanzielle Gewinn blieb unter den Erwartungen.27 Zudem ergab sich aus dem Konzept des Autorenverlags wie bei der Dessauer Gelehrtenbuchhandlung ein

19 20 21 22 23 24 25 26 27

Mark Lehmstedt: Struktur und Arbeitsweise eines Verlages der deutschen Aufklärung. Die Weidmannsche Buchhandlung in Leipzig unter Leitung von Philipp Erasmus Reich zwischen 1745 und 1787. Leipzig: Diss. masch. 1990, S. 90. Vgl. dazu ebd., S. 86–139. Ebd., S. 134–136. Vgl. Hans-Joachim Kertscher: Der Verleger Johann Justinus Gebauer. Halle: Hallescher Verlag 1998, S. 22 f. Lehmstedt: Struktur (wie Anm. 19), S. 101. Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. Johann Christoph Gottsched: Briefwechsel (wie Anm. 11), Bd. 11 (2017), S. 488. Vgl. Stephanie Rahmede: Die Buchhandlung der Gelehrten zu Dessau. Ein Beitrag zur Schriftstelleremanzipation um 1800 (= Mainzer Studien zur Buchwissenschaft, Bd. 16). Wiesbaden: Harrassowitz 2008. Vgl. Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels. München: Beck 1991, S. 161–173.

Manuskripte in der Schublade

97

nicht vorhergesehenes Problem, denn aufgrund der fehlenden Selektion wurden nicht nur herausragende Schriftsteller mit nachgefragten Titeln angezogen, sondern auch »die mittelmäßigen Autoren«, unter deren Werken sich »zahlreiche schwer verkäufliche und zudem veraltete Arbeiten« fanden.28 Eine besondere, vom Selbstverlag zu unterscheidende Konstellation war es, wenn Verleger zugleich als Autoren aktiv waren, wie etwa im Fall von Orell, Gessner & Füssli in Zürich, deren Teilhaber Salomon Gessner, Johann Heinrich Füssli und Johann Heinrich Heidegger selbst »Verleger, Schriftsteller und Künstler in einer Person waren«.29 Weitere Beispiele sind der Leipziger Verleger Johann Gottfried Dyck und der Berliner Verleger Friedrich Nicolai, die neben fremden auch eigene Werke im Programm führten. Zeitschriftenartikel wie der eingangs zitierte zeigen nun, dass auch die Gelehrten Journale genutzt wurden, um auf ein ungedrucktes Manuskript aufmerksam zu machen. Hinzufügen lässt sich somit als weitere Option die 4) mediale Kontaktanbahnung: Verfasser von Texten suchten über die Öffentlichkeit, die die Gelehrten Journale herstellten, nach einem geeigneten Verleger. Im September 2018 erzielte man über die Suche mit dem Sachschlagwort Autor/ Verlagssuche in der Datenbank 109 Treffer. Mit Sicherheit gibt es deutlich mehr Fälle, als erfasst worden sind. Das ist vor allem durch die Geschichte des Projekts bedingt, das auf zwei Vorgängerprojekten – dem Index zu deutschsprachigen Rezensionszeitschriften des 18 Jahrhunderts (IdRZ 18)30 und dem Index deutschsprachiger Zeitschriften (IdZ 18)31 aufbaut, die ins vordigitale Zeitalter zurückreichen. Die Erschließungstiefe dieser beiden Projekte war geringer als beim Projekt GJZ 18, was bedeutet, dass zum Teil keine Schlagwörter und Systemstellen vergeben und die Zeitschriften nicht in ihrem ganzen Umfang, sondern selektiv erschlossen worden sind.32 Ein weiterer Aspekt ist, dass man sich für eine offene Schlagwortvergabe entschied, um den vielfältigen Inhalten der Gelehrten Journale gerecht zu werden. Erst mit einer gewissen Verzögerung wurde ein kontrolliertes Vokabular für bestimmte buchgeschichtliche Phänomene eingeführt, das die systematische Suche durch eine einheitliche Verschlagwortung erleichtert.

28 29 30 31 32

Rahmede: Die Buchhandlung der Gelehrten (wie Anm. 26), S. 148. Tristan Coignard: Eine Zürcher Verlagsbuchhandlung in Konfliktsituationen. Orell, Gessner, Füssli und Comp. und der briefliche Umgang mit Autoren im späten 18. Jahrhundert. In: Bremer, Haug (Hg.): Verlegerische Geschäftskorrespondenz (wie Anm. 3), S. 71–81, hier S. 72. Projektlaufzeit 1987–2007. Projektlaufzeit 1975–1986. Vgl. Einleitung.

98

Katrin Löffler

Die Artikel über verlagssuchende Autoren Die Treffer zu verlagssuchenden Autoren stammen allesamt aus dem Projekt GJZ 18. Trotz der durch die Projektgenese bedingten Unschärfe lassen die Nachrichten über Autoren, die in den Gelehrten Journalen nach Verlegern für ihre Manuskripte oder Buchideen suchten, Trends erkennen, und sie ermöglichen Rückschlüsse auf die Situation und Motivation von gelehrten Textproduzenten im 18. Jahrhundert. Verteilung auf die Zeitschriften Die Filtermöglichkeiten der Trefferliste erlauben zunächst, die Verteilung auf die einzelnen Zeitschriften zu betrachten. An der Spitze stehen mit großem Abstand die Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen mit 82 Treffern, was angesichts des langen Erscheinungszeitraums (1715–1784), der inhaltlichen Physiognomie (nicht nur Rezensionen, auch Buchankündigungen, Nachrichten etc.) und der überregionalen Bedeutung nicht überrascht. An zweiter Stelle folgen mit 18 Treffern die Hamburgischen Berichte von neuen (bzw neuesten) gelehrten Sachen, die von 1732 bis 1758 erschienen und ähnlich wie die Leipziger Neuen Zeitungen gelehrte Nachrichten aller Art veröffentlichten. Verteilung auf Disziplinen Der Filter »Systemstellen«, angelehnt an die historische Fächersystematik von Johann Samuel Erschs Allgemeinem Repertorium der Literatur ( Jena, Weimar 1793–1807), gibt Auskunft über die Verteilung auf die einzelnen Fachgebiete. Präzise Aussagen dazu erlauben die Systemstellen nicht, aber sie zeigen zumindest Tendenzen an. Lässt man die unspezifischen Systemstellen beiseite,33 dann stehen obenan die theologischen Schriften mit 27 Treffern, also rund einem Viertel der Gesamtzahl. Darunter sind wiederum die protestantischen Erbauungsschriften und Predigtsammlungen am zahlreichsten vertreten. Dieser Befund entspricht der starken Präsenz theologischer und erbaulicher Publikationen im Buchhandel des 18. Jahrhunderts. Es folgen Geschichte (14), Jurisprudenz (11), Philologie (6), Künste (5), Naturkunde (5) und Geographie (3).

33

Sie machen fast ein Viertel der Gesamttreffer aus. Unspezifische Systemstellen werden bei Schriften vermischten Inhalts oder bei der Anzeige mehrerer Schriften aus verschiedenen Disziplinen vergeben.

Manuskripte in der Schublade

99

Artikelstruktur Fragt man nach der Struktur oder Typologie der Artikel, die die Verlagssuche betreffen, so lassen sich, mit fließenden Übergängen, im Wesentlichen zwei Typen erkennen: die Kurznachricht und die ausführliche Offerte. Der eingangs zitierte Artikel entspricht dem am häufigsten vorkommenden Typus, der Kurznachricht, denn der Umfang der meisten Artikel beträgt weniger als eine Seite, der knappste kommt mit reichlich vier Zeilen aus.34 Oftmals werden nicht nur einzelne, sondern mehrere Manuskripte angeboten bis hin zum Extremfall von 26 Titeln vorzugsweise theologischen und historischen Inhalts, die Pastor Paul Schaudig »zum Druck ganz fertig liegen« und schon durch die Zensur gebracht hatte.35 Die wichtigsten inhaltlichen Elemente solcher Kurznachrichten sind Autor, Titel des Werks bzw. Nennung des Gegenstands, ungefähre Angabe des Umfangs sowie die Information, dass ein Verleger gesucht wird. Seltener sind die ausführlichen Offerten, die sich durch umfängliche Angaben zum Manuskript und zusätzliche werbestrategische Informationen auszeichnen. Dazu zählen vor allem Argumente, die für den Druck sprechen: a) Mangel an einem solchen Buch: Beispielsweise meinte Gottlieb Budaeus, der seine »Einleitung zu gründlicher Erkenntniß der Metalle« anbot, dass bislang keine solche Beschreibung der Metalle vorhanden sei.36 b) Ermutigung durch angesehene Persönlichkeiten: Elias Martin Eyring, der 1704 eine lateinische Biographie von Ernst I. von Sachsen-Gotha-Altenburg veröffentlicht hatte, wollte dreißig Jahre später eine deutsche Fassung dieses Werks auf »Verlangen vieler fürnehmer Liebhaber der Geschichte« zum Druck bringen,37 und den Druck des Lexicon Harmonico-Etymologicum Slavicum von Abraham Frentzel hatten sich angeblich »viele Gelehrte gewünscht«.38 c) Verweis auf erfolgreiche Vorbilder und somit das Suggerieren eines ähnlichen Erfolgs: Ein Anonymus gab für seinen Text mit dem Titel Der wohlgeplagte Schulmann als Vorbild Misanders [d. i. Johann Samuel Adami] Schrift Der wohlgeplagte Priester (zuerst 1689) an.39 Auf den Zuspruch zu physikotheologischen Schriften setzte Friedrich Christian Lesser, Pastor in Nordhausen, als er 1733 anzeigte, dass er nach dem Vorbild der Hydro-Theologie und Pyro-Theologie von Johann Albert

34 35 36 37 38 39

Am 19. Juli 1728, S. 567 f., wird in den Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen aus St. Petersburg vermeldet, dass für eine deutsche Übersetzung von Antoine Godeaus Les tableaux de penitence ein Verleger gesucht wird. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 23. Mai 1737, S. 357 f. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 27. Januar 1727, S. 87 f. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 28. Oktober 1734, S. 766. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 5. April 1759, S. 256. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 10. Juli 1730, S. 480.

100

Katrin Löffler

Fabricius eine Litho-Theologie verfasst habe und das Manuskript weitgehend fertiggestellt sei.40 d) Argumente, die für den Autor und die besondere Qualität des Manuskripts sprechen, besonders Hinweise auf seine Kompetenz, seinen Fleiß, vorhandene Publikationen und die Unterstützung durch fachlich kompetente Gelehrte. Letzteres betonte Johann G. Friedrich Scholl, Magister in Tübingen, der versprach, unter der Aufsicht des ehemaligen Rabbiners und jetzigen Lektors Christoph David Bernhard das Buch Ikkarim des spätmittelalterlichen spanisch-jüdischen Religionsphilosophen Joseph Albo ins Lateinische zu übersetzen.41 Der Kurfürstlich-Brandenburgische Rat Christoph Philipp Sinold von Schütz ließ im August 1750 die gelehrte Öffentlichkeit wissen, dass er ein Corpus historiae brandenburgicae diplomaticum unter den Händen habe, für dessen Qualität er seine 34jährige Amtszeit in brandenburgischen Diensten und den bewilligten Zugang zu den Archiven anführte.42 Motive Was kann man den Artikeln in den Gelehrten Journalen über die Motive der medialen Suche nach einem Verleger entnehmen? Das nächstliegende Motiv, dass der Textverfasser in einem kleinen Ort ohne Verlag lebte und keine Möglichkeit der direkten oder indirekten Kontaktaufnahme sah, wird nirgendwo expliziert. Ein weiteres naheliegendes Motiv, nämlich dass andere Optionen erfolglos geblieben waren, wird erwartungsgemäß selten ausgesprochen, denn das hätte zum Nachteil des Manuskripts gedeutet werden können. In den Hamburgischen Berichten findet sich 1737 die anonyme Mitteilung, dass »zwar verschiedene [Personen] ihr Verlangen« nach den Gedichten des Dr. Petersen bezeugt hätten, sich aber nicht zum Vorschuss hätten »verstehen wollen«.43 Das deutet darauf hin, dass der potentielle Herausgeber bereits versucht hatte, die Gedichte des radikalen Pietisten Johann Wilhelm Petersen auf dem Weg der Subskription zu veröffentlichen.44 Ein weiteres Motiv konnte sein, überhaupt erst einmal das Interesse am Publikationsvorhaben auszuloten. So erbot sich ein anonymer Autor, eine naturkundliche

40 41 42 43 44

Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 9. März 1733, S. 173 f. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 20. Oktober 1732, S. 740 f. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 3. August 1750, S. 541–545. Hamburgische Berichte von gelehrten Sachen, 31. Januar 1737, S. 76. Vermutlich stammt die kurze Mitteilung von Georg Venzky, von dem bekannt ist, dass er die lateinischen Gedichte Petersens veröffentlichen wollte. Vgl. Daniel Jacoby: Petersen, Johann Wilhelm. In: ADB Bd. 25 (1887), S. 508–515, hier S. 514.

Manuskripte in der Schublade

101

Abhandlung über die Bienen45 aus dem Französischen zu übersetzen, und versprach, diese Übersetzung von einem Fachmann prüfen zu lassen und das Buch durch dessen Erfahrungen zu vervollkommnen. »Auf Verlangen«,46 heißt es in den wenigen Zeilen, und somit wird klar, dass die Übersetzung nicht, wie in den meisten Fällen, bereits ganz oder weitgehend gediehen war. Ein anderer Autor erhoffte sich offenkundig das Interesse eines Verlegers als Ansporn, um sein Werk zu Ende zu führen: Johann Gottfried Hauptmann, Rektor des Gymnasiums in Gera, der sich durch einen Gelehrten ermuntert sah, »die Alterthümer in einen kurzen Begrif« zu bringen, gab bekannt, dass er, sobald er einen billigen Verleger gefunden habe, »desto unermüdeter zum Zwecke eilen« werde.47 Für das Selbstbewusstsein des Autors bzw. Übersetzers spricht ein Versuch, potentielle Verleger gar in den Wettbewerb zu schicken: Johann Ernst Philippi, Rhetorikprofessor in Halle, ließ wissen, dass er »von einer geschickten Hand«, vermutlich seiner eigenen, einige Übersetzungen – Molières Tartuffe, Cid (gemeint ist wohl Pierre Corneilles Tragödie Le Cid), ferner eine Tragödie von Corneille und die Satiren des Persius – in zierlichen deutschen Versen erhalten habe, daher »derjenige Verleger, so die besten Vorschläge thun wird, sich dießfalls bey ihm ehestens melden kan, weil es sonst auswärtig soll gedruckt werden«.48 Konditionen Wie äußern sich die verlagssuchenden Textproduzenten über die Konditionen des gewünschten Geschäfts? Zu den weitgehend selbstverständlichen, nicht eigens erwähnten Erwartungen gehörte offenkundig ein gewisses Bogenhonorar, das Verhandlungssache war und erst im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts zur Selbstverständlichkeit wurde.49 Das Gros der Nachrichten begnügt sich mit einer Standardformulierung wie: »billiger« oder »dankbarer« Verleger gesucht. Ein Autor lässt wissen, dass er kein Honorar erwarte, sondern Belegexemplare. Dabei handelte es sich um einen Theologen, den Nürnberger Diakon Veit Hieronymus Regenfus, der 1738 einen Erbauungstext unter dem Titel Wochentägliche Bußübungen über die sieben Bußpsalmen antrug.50

45 46 47 48 49 50

Es handelte sich um die Übersetzung von Gilles Augustin Bazin: Histoire naturelle des abeilles (Paris 1744). Hamburgische Berichte von gelehrten Sachen, 15. September 1747, S. 571. Hamburgische Berichte von gelehrten Sachen, 17. Mai 1746, S. 302 f. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 9. Oktober 1732, S. 721. Vgl. Harald Steiner: Das Autorenhonorar – seine Entwicklungsgeschichte vom 17. bis 19. Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz 1998, S. 111. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 18. September 1738, S. 671. Regenfus verlangte 30 Exemplare des Werks auf Druckpapier und 20 auf Schreibpapier.

102

Katrin Löffler

Stephan Veit, Professor in Kassel51 und ebenfalls Theologe, bot seine Verteidigung der reformierten Abendmahlslehre einem Verleger »entweder gegen freywillige Erkänntlichkeit, oder aus Liebe zur Wahrheit und Kirchen-Frieden auch wohl ohne Entgeld zum Verlag und Druck öffentlich an«.52 Und gar ein Gewissen daraus, »sündlichen Profit zu ziehen«,53 machte sich der Prorektor des Karlsruher Gymnasiums Johann Caspar Malsch, der für drei theologische Manuskripte auf Verlagssuche war oder alternativ eine kostendeckende Subskriptionslösung anstrebte. Einmal wird ausdrücklich erwähnt, dass man eine Übersetzung der Schrift eines französischen Orientalisten billig abgebe, aber Bargeld erwarte,54 und nur ein einziges Mal wird der Preis beziffert, als ein Ungenannter das erwähnte hinterlassene Manuskript des Slawisten Abraham Frentzel unter dem Titel Lexicon Harmonico-Etymologicum Slavicum einem »anständigen Verleger« zum Kauf anbietet und dafür 500 Reichstaler verlangt. Dieser Fall ist noch in einer anderen Hinsicht bemerkenswert, denn die Nachricht findet sich im April 1759 mit nahezu identischem Text sowohl in den Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen als auch in den Freyen Urtheilen und Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und Historie überhaupt, die in Erlangen erschienen.55 Es gibt auch den Fall, dass die Erben eines Manuskripts recht restriktive Bedingungen für die Veröffentlichung formulierten. Dabei handelt es sich um die Söhne des bereits genannten Flensburger Rektors Johann Moller, die das Manuskript mit dem Titel Cimbria literata 1734 öffentlich zum Verlag anboten.56 Der Verleger sollte in Flensburg Bürgen stellen, die den unveränderten Abdruck garantierten, zudem wurde er bei Auflage einer Geldbuße verpflichtet, das Manuskript innerhalb einer gewissen Frist zu publizieren und den Erben eine bestimmte Summe zu zahlen. Darauf wollte sich offenkundig niemand einlassen, das Werk wurde jedenfalls erst zehn Jahre später in der Druckerei des Waisenhauses von Kopenhagen gedruckt. In etwa einem Fünftel der Fälle wird im Artikel eine Kontaktperson genannt, bei der weitere Informationen zu erhalten waren. Das konnte der Verfasser des Manuskripts selbst sein, aber auch Verleger, Drucker oder andere respektable Persönlichkeiten kamen dafür in Frage. Auch der Messplatz Leipzig wurde für die direkte Begegnung ins Spiel gebracht: Ein Autor, der seine fast vollendete lateinische Übersetzung einer italienischsprachigen Geschichte der Diplomatik an die Leser bringen wollte, schlug den 51 52 53 54 55 56

Stephan Veit war Rektor des Pädagogiums und Theologieprofessor am Collegium Carolinum. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 22. Juni 1733, S. 443. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 1. September 1727, S. 709. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 24. November 1738, S. 838–840. Es geht um die Bibliothèque orientale (1697) von Barthélemy d’Herbelot de Molainville. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen 1759, 5. April 1759, S. 256; Freye Urtheile und Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und Historie überhaupt, 13. April 1759, S. 232. Hamburgische Berichte, 10. August 1734, S. 535–539; und Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 16. September 1734, S. 659–662.

Manuskripte in der Schublade

103

»Herren Buchhändlern«, die Lust dazu hätten, vor, »mit ihm deßwegen in bevorstehender Oster-Messe allhier mündlich [zu] sprechen«.57 Da das Wichtigste war, überhaupt erst einmal einen Verleger für das Manuskript oder Vorhaben zu interessieren, blieben die Konditionen des Geschäfts – Bogenhonorar, Auflagenhöhe, Ausstattung, Freiexemplare – als zweiter Schritt plausiblerweise eine Angelegenheit späterer Aushandlung, aber die Textproduzenten nutzten die Gelehrten Journale in der Regel zumindest, um zu signalisieren, dass sie eine Vergütung erwarteten. Autoren Man könnte annehmen, dass ein Großteil der Zuschriften an die Gelehrten Journale von Textverfassern stammt, die unbekannt waren oder wenig Publikationserfahrung besaßen, in kleinen, verlagslosen oder verlagsarmen Orten lebten und folglich keine Gelegenheit zur direkten Kontaktanbahnung hatten. In der Tat kommen solche Fälle vor, überwiegend sind es Pastoren aus Dörfern oder Kleinstädten, die fast ein Zehntel der Suchenden ausmachen. Ein Beispiel ist der bereits erwähnte Pastor Schaudig, der als 73jähriger wohlverdienter Prediger vorgestellt wird, der seit 50 Jahren in Tarnbach bei Wassertrüdingen (eine Kleinstadt bei Ansbach) sein Amt versehe.58 Auch Pädagogen gehören dazu, wie der Schulinspektor Johann Thomas Haupt aus Templin in der Uckermark, der einen Verleger zu seiner Schrift Vernünftige Gedanken von der Nothwendigkeit und dem nützlichen Gebrauche, wie auch von dem Mißbrauche der mathematischen Wissenschaften in der Gottesgelahrtheit suchte.59 Die weitaus größte Zahl der verlagssuchenden Autoren meldete sich jedoch aus bekannten Verlags- und oft Universitätsstandorten zu Wort, beispielsweise aus Halle, Greifswald, Tübingen, Hamburg, Stuttgart, Nürnberg, Wittenberg, Jena, Rostock, Wien und auch Leipzig. Meistens waren es Personen, die außerhalb bzw. im Umfeld der Universitäten arbeiteten: Schulmänner, Juristen, Sprachlehrer, Mediziner etc. Um zwei Beispiele zu nennen: Franz Ernst Brückmann, Arzt in Braunschweig, dann Wolfenbüttel, der mehrfach über die Gelehrten Journale nach Verlegern für die Ergebnisse seiner äußerst produktiven schriftstellerischen Tätigkeit suchte,60 und Johann Jacob Moser, der schreibfreudigste Jurist des 18. Jahrhunderts, der nur zeitweilig an Universi57 58 59 60

Johann Georg Lotter, der Scipione Maffeis Istoria diplomatica che serve d’introduzione all’arte critica ins Lateinische übersetzen wollte; Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 1. Mai 1732, S. 316. Die anderen Anfragen stammen aus Göda bei Bautzen, Calbe an der Saale, Groß Stöckheim bei Braunschweig, Niemeck bei Bitterfeld, Lauf bei Nürnberg, Neustadt bei Schneeberg, Jüterbog, Jägersdorf bei Kahla, Haseldorst in Holstein. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 29. März 1742, S. 229–232. 1734 bot Franz Ernst Brückmann gleich zwanzig Manuskripte zum Verlag an; Hamburgische Berichte von neuen gelehrten Sachen, 23. April 1734, S. 280–283.

104

Katrin Löffler

täten lehrte. Es finden sich auch Personen, die zum akademischen Personal gehörten, aber häufig noch keine gesicherte Stellung innehatten, beispielsweise Martin Schmeitzel, der außerordentlicher Professor in Jena war, als er zwei Manuskripte drucken lassen wollte;61 Johann Gottfried Lakemacher, der 1723 eine lateinische Koranübersetzung anbot und im Jahr darauf Professor der griechischen Sprache, später der orientalischen Sprachen in Helmstedt wurde; und Johann Ehrenfried von Zschackwitz, der 1732 als außerordentlicher Professor in Halle mehrere Manuskripte zu Staatsrecht, Reichsgeschichte und Universalhistorie unterbringen wollte. Bei diesem Personenkreis stellt sich die Frage nach einem weiteren, diskreten Motiv für die mediale Suche nach einem Verleger: Da die Autoren in der Regel Publikationserfahrung und somit Verlegerkontakte besaßen, könnten sie bereits erfolglos bei einem Verleger vorgesprochen haben, sodass der mediale Weg der Versuch war, herauszufinden, ob überhaupt Interesse an ihrem Manuskript bestand. Erfolgsaussichten Nur ausnahmsweise erfährt man unmittelbar, dass die mediale Suche ohne Resonanz blieb. So heißt es in einer Nachricht aus Merseburg vom Juli 1733, dass der dortige Musikdirektor Georg Friedrich Kauffmann eine Abhandlung unter dem Titel Introduzione alla musica antica et moderna veröffentlichen wollte und dies über Johann Matthesons Critica musica (1722–1725) und Holsteinische Gazetten bekannt gemacht habe, er aber inzwischen, »weil sich biß dato kein anständiger Verleger finden wollen«,62 einige Präludien über bekannte Choräle habe drucken lassen. Führte die mediale Suche überhaupt gelegentlich zum Erfolg? Das lässt sich nur vermuten. Der Dresdner Mediziner Martin Schurig bot 1722 medizinische Manuskripte öffentlich an, zwei davon erschienen bald darauf, sodass der Zusammenhang naheliegt.63 Friedrich Christian Lessers Litho-Theologie kam 1735 bei Christian Wilhelm Brandt in Hamburg heraus, sodass hier ebenfalls eine erfolgreiche Kontaktanbahnung über die Gelehrten Journale erfolgt sein könnte. Es gibt andere Fälle, wo zwischen dem Artikel in den Gelehrten Journalen und der Veröffentlichung des Textes mehrere Jahre liegen und der Zusammenhang zwischen beidem nicht mehr ohne Weiteres anzunehmen ist. So offerierte der in Ansbach lebende Magister Georg Ludwig Oeder 1733 eine kontroverstheologische Schrift über den sogenannten Rakauer Katechis-

61 62 63

Notitia Bibliothecae Budensis und Bibliotheca scriptorum hungaricorum; Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 19. Juli 1723, S. 552. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 30. Juli 1733, S. 533. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 2. März 1722, S. 190 f. Es erschienen Sialologia historicomedica (1723) und Chylologia historico-medica (1725), allerdings beide in Dresdner Verlagen, sodass die Veröffentlichung auch auf den unvermittelten persönlichen Kontakt zurückgehen könnte.

Manuskripte in der Schublade

105

mus,64 die aber erst 1739 in Nürnberg erschien. Es kommt auch vor, dass der Titel des gedruckten Buches vom Manuskripttitel abweicht, aber doch so viel Ähnlichkeit aufweist, dass man die Identität vermuten kann, so bei den Wochentäglichen Bußübungen über die sieben Bußpsalmen, 1738 vom oben erwähnten Nürnberger Diakon Veit Hieronymus Regenfus als Manuskript angeboten, die vermutlich als Dreyhundert und Zwölff Heilige Buß-Übungen, auf alle Wochen-Täge des ganzen Jahrs die Sieben Buß-Psalmen Davids 1741 bei Johann Jacob Enderes in Schwabach erschienen. Beispiel dafür, dass ein Autor nach der Erfolglosigkeit der öffentlichen Verlagssuche seine Schriften im Selbstverlag publizierte, ist der schwedische Offizier Philipp Johann von Strahlenberg, der im Großen Nordischen Krieg in eine langjährige russische Kriegsgefangenschaft geraten war und während dieser Zeit eine Reise durch Sibirien und die Große Tatarei (Zentral- und Nordasien) unternehmen konnte. Die landeskundlichen Kenntnisse und Erfahrungen, die er dabei machte, verarbeitete er zu einem Text, für den er 1727 einen Verleger gewinnen wollte. In den Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen war 1727 zu lesen: Allhier hat der Herr Obriste Philipp. Joh. von Strahlenberg einen Vorbericht seines zum Abdruck fertigen Werckes, von der grossen Tartarey und dem Königreiche Siberien, mit einem Anhange von Groß-Rußland drucken lassen, und erwartet dazu einen Verleger.65

Auf die dürre Fünf-Zeilen-Meldung scheint jedoch niemand angesprungen zu sein, und so versuchte es Strahlenberg zwei Jahre später auf dem Weg der Subskription, über die ebenfalls in den Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen berichtet wurde, diesmal ausführlicher und mit Erfolg, denn 1730 erschien Das nord- und ostliche Theil von Europa und Asia im Selbstverlag. Ein weiteres Beispiel ist Walter van Bashuysen, der sein 1723 in den Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen angezeigtes Manuskript 1726 unter dem Titel De usu philologiae in omnibus disciplinis im Selbstverlag veröffentlichte. Es ist schwer vorstellbar, dass der karge Typus der Mitteilung, der kaum über den Manuskripttitel hinausreichende Informationen enthält, Verleger dazu animierte, sich die Mühe zu machen, detaillierte Auskünfte einzuholen. Die ausführliche Vorstellung eines einzelnen Buchprojekts war indes auch kein Erfolgsrezept, denn es finden sich durchaus etliche Publikationsvorhaben, für die sich damals gute Chancen auf dem Buchmarkt ausrechnen ließen. Dazu gehört beispielsweise die Historische Nachricht von den Gebräuchen der Nordischen Völker, die der junge Greifswalder Juraprofessor Christian von Nettelbladt 1727 zum Verlag anbot.66 Dabei geht es um die Beschreibung eines archäologischen Fundes in Weitenhagen bei Greifswald, wo man kurze Zeit zuvor ein Urnenfeld entdeckt und unter der Aufsicht des Pfarrers ausgegraben hatte. Nettelbladt hatte sogar auf eigene Faust zwei benachbarte Hügel untersucht, bis die 64 65 66

Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 18. Mai 1733, S. 358 f. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 27. Januar 1727, S. 87. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 17. November 1727, S. 907–909.

106

Katrin Löffler

Universitätsleitung seine archäologischen Aktivitäten unterband. Das Interesse an den einheimischen »Altertümern« lag im Trend, aber dennoch hieß es zwei Jahre später, er habe »noch keinen Verleger finden können«.67 Ein anderes Beispiel ist eine lateinische Geschichte des Türkenkriegs von 1714 bis 1718, die der ungarische Edelmann Gábor Kolinovics verfasst hatte.68 Über zwei Seiten wird nicht nur der Inhalt beschrieben, sondern auch mit der Information geworben, dass das Manuskript bereits die Zensur in Tyrnau passiert habe und das Werk für die ungarische Geschichtsschreibung unentbehrlich sein werde. Bemerkenswert bleibt die Tatsache, dass Verfasser von Abhandlungen, Übersetzungen etc. das Medium der Gelehrten Journale als zusätzliche Option zu den herkömmlichen Wegen begriffen, eine Publikationsmöglichkeit und damit Zugang zum Buchmarkt und zum Diskurs der Gelehrten zu bekommen. Als Fazit ist jedoch zu konstatieren, dass die mediale Suche in den allermeisten Fällen wohl nicht erfolgreich war; die Manuskripte blieben ungedruckt und gingen in der Regel verloren.69 Insofern gibt die öffentliche Suche nach einem Verleger über die Gelehrten Journale vor allem einen kleinen Einblick in das große, weithin unbekannte Gebiet der nichtgedruckten Manuskripte.

67 68 69

Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 28. November 1729, S. 860. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 11. September 1727, S. 737 f. Eine Ausnahme ist die eben erwähnte Geschichte des Türkenkriegs von Gábor Kolinovics. Das Manuskript befindet sich in der Österreichischen Nationalbibliothek unter dem leicht veränderten Titel Historia de bello Turcico sub Carolo VI Caesare; es wurde 1834 antiquarisch erworben; vgl. http://data.onb.ac.at/rec/AC14001766 [19.04.2019].

Diskurse und Debatten: Gelehrte Journale und die Topographie des Wissens

Rezensionen des allgemeinen Wissens Frühneuzeitliche Lexika im Blickfeld zeitgenössischer Rezensenten Andreas Müller Einleitung Das 18. Jahrhundert wurde wiederholt als ein »Zeitalter des Buches« charakterisiert, das von einem Wachstum des literarischen Marktes und einer Entgrenzung des gelehrten Lesepublikums gekennzeichnet ist.1 Es war jedoch nicht nur ein Zeitalter der Bücher, sondern auch der gedruckten wie ungedruckten Schriftlichkeit im Allgemeinen. Neben dem expandierenden Buchmarkt war es auch ein Zeitalter der Journale und Wochenschriften, der Tagebücher und Briefkorrespondenzen und somit in seiner Doppelbedeutung eine »république des lettres«, also eine Zeit sowohl der Briefe als auch des Gedruckten.2 Eines der zahlreichen neuen Phänomene am Buchmarkt dieser Zeit sind die im Umfang wie auch an Zahl anwachsenden teils mehrbändigen Wissensinventare, die Lexika und Enzyklopädien.3 Als regelrechte »literarische Allesfresser« erfassen sie die ganze Bandbreite des gedruckten Buchmarktes und ordnen, kommentieren und kompilieren diese zu umfangreichen Wissensspeichern.4 Fern davon, genuin neues Wissen zu erzeugen oder auch nur Neuformulierungen bestehenden Buchwissens anzustre-

1 2 3

4

Michael Maurer: Die Biographie des Bürgers. Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (1680–1815). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996, S. 65. Robert Charlier: Von der Encyclopédie zu Wikipedia. Zur epistemischen Erfolgsgeschichte der europäischen Aufklärung. In: Robert Charlier (Hg.): Wissenswelten. Historische Lexikografie und europäische Aufklärung. Bd. 21, Hannover: Wehrhahn 2010, S. 13–40, hier S. 24. Der Begriff »Enzyklopädie« für enzyklopädische Lexika etabliert sich erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts und bezeichnete zuvor überwiegend Wissenssystematiken. Siehe Ulrich Dierse: Encyclopédie. In: Heinz Thoma (Hg.): Handbuch Europäische Aufklärung. Begriffe – Konzepte – Wirkung. Stuttgart: Metzler 2015, S. 139–149, hier S. 139. Ulrich Johannes Schneider: Die Erfindung des allgemeinen Wissens. Enzyklopädisches Schreiben im Zeitalter der Aufklärung. Berlin: Akademie-Verlag 2013, S. 21–31.

110

Andreas Müller

ben, waren sie vor allem von Praktiken des Aus-, Ab- und Umschreibens geprägt, vom Zusammentragen einer bibliographischen »Blütenlese« aus den besten verfügbaren Schriften.5 Wenn auch die Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers wohl der bekannteste Vertreter der Gattung ist und sowohl begriffsprägend als auch typenbildend wirkte,6 so war der deutsche wie auch internationale Buchmarkt bereits vor diesem Großprojekt der französischen Aufklärung durch zahlreiche Lexika und Wörterbücher gut erschlossen. Mit dem Aufstieg der Messestadt Leipzig zum neuen Zentrum des deutschen Buchhandels ging auch viel der enzyklopädischen Strahlkraft von dieser Stadt aus.7 So hatte beispielsweise mit dem Universal-Lexicon, initiiert durch den Verleger Johann Heinrich Zedler, bereits 1750 ein enzyklopädisches Monumentalprojekt durch das Erscheinen des 64. Bandes »Zum–Zz« seine alphabetische Vollständigkeit erreicht, noch bevor dessen berühmtes französisches Pendant den ersten Band veröffentlichen konnte.8 Daneben existierte eine breite und wachsende Fülle an ein- und mehrbändigen enzyklopädischen Lexika, die sich die Ordnung und Systematisierung des gesamten Menschheitswissens oder auch des Wissens einzelner Fachrichtungen zum Ziel setzten.9 Für HistorikerInnen sind diese Wissensrepositorien heute noch wichtige, vielgenutzte, aber auch problematische Quellen. Durch umfangreiche Digitalisierungsprojekte in den letzten Jahren ist der Zugriff auf das enzyklopädische Wissen des 18. Jahrhunderts immens erleichtert worden. Verführerisch nahe steht damit ein scheinbar unmittelbarer Zugriff auf den Wissensstand des 18. Jahrhunderts.10 Um die Kontexte dieser oft entwurzelten »literarischen Versatzstücke« zu beleuchten und enzyklopädische Wissenshorizonte besser zu verstehen, wurde die Entstehungsgeschichte ein-

5

6 7 8 9 10

Nico Dorn, Lena Oetjens, Ulrich Johannes Schneider: Die sachliche Erschließung von Zedlers »Universal-Lexicon«. Einblicke in die Lexikographie des 18. Jahrhunderts. In: Das achtzehnte Jahrhundert 32 (2008), S. 96–125, hier S. 110; Alberto Cevolini: Lob und Tadel der gelehrten Räuberei. Exzerpieren, Plagiieren und Zitieren in der frühneuzeitlichen Schriftkultur. In: Elisabeth Décultot, Helmut Zedelmaier (Hg.): Exzerpt, Plagiat, Archiv. Untersuchungen zur neuzeitlichen Schriftkultur. Bd. 8, Halle: MDV 2017, S. 16–38, hier S. 19–21; Ines Prodöhl: »Aus denen besten Scribenten.« Zedlers »Universal Lexicon« im Spannungsfeld zeitgenössischer Lexikonproduktion. In: Das achtzehnte Jahrhundert 29 (2005), S. 82–94, hier S. 92–93. Denis Diderot, Jean Rond Le D’Alembert: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. 1. Aufl. Paris 1751–1780. Christine Haug: Zur Einführung. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 16 (2007), S. 197–203, hier S. 201. Johann Heinrich Zedler (Hg.): Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste […]. 68 Bde., Halle, Leipzig 1731–1754. Ulrich Dierse: Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftstheoretischen Begriffs. Bonn: Bouvier 1977, S. 73. Eine inhaltliche Erschließung bieten beispielsweise auch die Webauftritte des Universal-Lexicons und der Oekonomischen Encyklopädie: www.Zedler-Lexikon.de [zuletzt: 24.11.2018], http:// www.kruenitz1.uni-trier.de [zuletzt: 24.11.2018].

Rezensionen des allgemeinen Wissens

111

zelner Verlagsprojekte oder auch der Gattung im Allgemeinen untersucht.11 Dennoch verbleiben allein durch die unglaubliche Textfülle viele hunderttausend Seiten an lexikographischer Literatur weitgehend ungelesen und unerforscht.12 Nicht minder schwierig als die Frage nach den Produktionsbedingungen und inhaltlichen Dimensionen erscheint die Frage nach der Rezeption dieser Druckwerke. Lassen sich auch teilweise durch Subskribentenlisten einzelne Käufer, wenn auch nicht zwangsläufig die ausschließlichen Nutzer dieser Werke ermitteln, so sind die Kaufintentionen, die Erwartungshaltung an Lexika und die vom Lesepublikum an sie gestellten Anforderungen weitgehend unbestimmt.13 Warum erwarb man als Individuum, Institution oder Lesegesellschaft ein teilweise mehrbändiges Lexikon oder bezog es über Jahre hinweg per Subskription? Welche Qualitätskriterien wurden an Lexika gerichtet? Was machte für die Zeitgenossen den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Lexikon aus? Wie wurde diese »neue« Textgattung, nicht nur in den Vorworten der Redakteure, sondern vor allem auch vom Lesepublikum, bewertet und aufgefasst?14 Einen ersten Schritt zur Beantwortung dieser umfangreichen Fragen unternimmt der vorliegende Beitrag. Anhand einer beschränkten Auswahl von 32 Rezensionsschriften wird eine »Probebohrung« in gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts vorgenommen, die das dahingehende analytische Potenzial dieser Quellen auslotet.15 Das verwendete Quellenkorpus stammt hierbei von dem in Entstehung befindlichen Portal Gelehrte-Journale de und speist sich überwiegend aus den Neuen Zeitungen von

11

12 13 14 15

Beispielsweise zum Universal-Lexicon: Katrin Löffler: Wer schrieb den Zedler? Eine Spurensuche. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 16 (2007), S. 265–284; Christine Haug: Das »Universal-Lexicon« des Leipziger Verlegers Johann Heinrich Zedler im politischen Konfliktfeld zwischen Sachsen und Preußen. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 16 (2007), S. 301–331; Nicola Kaminski: Die Musen als Lexikographen. Zedlers »Großes vollständiges Universal-Lexicon« im Schnittpunkt von poetischem, wissenschaftlichem, juristischem und ökonomischem Diskurs. In: Daphnis 29 (2000), S. 649–693; Dorn, Oetjens, Schneider: Erschließung (wie Anm. 5). Zur Enzyklopädistik im Allgemeinen siehe beispielsweise Schneider: Erfindung (wie Anm. 4). Kai Lohsträter, Flemming Schock: Die gesammelte Welt. Studien zu Zedlers »Universal-Lexicon«: Einführung. In: Kai Lohsträter, Flemming Schock (Hg.): Die gesammelte Welt. Studien zu Zedlers »Universal-Lexicon«. Wiesbaden: Harrassowitz 2013, S. 1–18, hier S. 6. Schneider: Erfindung (wie Anm. 4), S. 18, 122, betont beispielsweise die »fokussierte, atomisierte, unkoordinierte Lektüre« der Lexika sowie die Lektüre zum »Zeitvertreib«. Als »Experiment« auf dem Weg zur Verschriftlichung von Sachwissen bezeichnet beispielsweise Schneider das Zedlersche Universal-Lexicon, ebd., S. 110. Hierfür wurde die Onlinedatenbank des Projekts GJZ 18 genutzt, indem die Systemstelle »Wiss 1.1.« (Enzyklopädien und Universal-Bibliographien) abgerufen wurde. Es erfolgte eine Einschränkung auf den Artikeltyp der Rezension und die Projektdatenbank GJZ 18, was zu diesem Zeitpunkt [05.11.2018] gesamt 94 Treffer ergab, von diesen wurden 32 nach eigenen Forschungsinteressen ausgewählt. Diesem Kontext entsprechend beschränkt sich die Auswahl der verwendeten Quellen ausschließlich auf Rezensionszeitschriften, die in der laufend anwachsenden Datenbank des Projekts GJZ 18 zur Verfügung stehen. Diese Erhebung stellt damit keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentativität.

112

Andreas Müller

Gelehrten Sachen (NZGS) mit zwölf Artikeln, der Physikalisch-Ökonomischen Bibliothek (PÖB) mit neun Artikeln sowie der Auserlesenen Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur (AB) und der Neuen Bibliothec Oder Nachricht und Urtheile von neuen Büchern (NB) mit jeweils drei Artikeln.16 Der Fokus liegt dabei überwiegend auf deutschsprachigen ökonomischen Enzyklopädien, bezieht jedoch auch einige Universallexika sowie internationale Werke mit ein. Für das eingangs erwähnte Universal-Lexicon ergab sich im Zuge dieser Recherchen der erstaunliche Befund, dass zu diesem in der umfangreichen Datenbank GJZ 18 keine einzige Rezension existiert. Offenbar griff weder der Verleger Zedler auf diese Werbemöglichkeit zurück, noch nutzten seine Gegner im »Verlegerstreit« diese Möglichkeit, um polemisch Stimmung gegen das Werk zu machen. Ebenso scheinen die Rezensenten es nicht von sich aus für nötig oder möglich erachtet zu haben, dieses umfassende Verlagsprojekt zu besprechen. Dass das Universal-Lexicon denselben bekannt war, belegt eine Rezension zur Encyclopédie d’Yverdon. Rund zwanzig Jahre nach Fertigstellung des Universal-Lexicons zieht dort der Rezensent den »Zedler« als Vergleich heran und lobt dieses Werk trotz seines Alters und seiner Fehler.17 Weshalb das Universal-Lexicon also in seiner immerhin 24-jährigen Druckgeschichte unbesprochen blieb, erscheint mehr als fraglich. Wurde dieses Werk von der Gelehrtenrepublik abgelehnt und totgeschwiegen? War es zu umfangreich oder zu alltäglich? Oder kam das Universal-Lexicon schlicht zu früh? Am relevantesten erscheint hier Letzteres, denn wie zahlreiche Rezensionen zur Oekonomischen Enzyklopädie von Krünitz und zur Deutschen Encyclopädie von Höpfner belegen, wurden Universalwerke mit Dutzenden von Bänden zwar durchaus besprochen, dies erfolgte jedoch in den 1770er und 1780er Jahren. Die hier untersuchten Rezensionen der ersten Jahrhunderthälfte befassen sich fast ausschließlich mit den zu dieser Zeit dominanten ein- bis zweibändigen Werken. Demnach erschien es im Kontext der noch jungen Rezensionspraxis der 1730er Jahre wohl weder für Verleger, Kontrahenten noch Rezensenten opportun, solch ein umfangreiches Werk zu besprechen oder besprechen zu lassen. Als dies in den 1750er Jahren zunehmend plausibel wurde, war der »Zedler« bereits beinahe abgeschlossen und schon zu alltäglich, um die kritische Besprechung als »Neuigkeit« zu rechtfertigen. Dieses Ineinandergreifen von Veränderungen in der Rezensionspraktik und der lexikographischen Textproduktion verdeutlicht umso mehr, dass das dynamische Verhältnis dieser beiden Textgattungen eine nähere Untersuchung erfordert.

16 17

Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung, http://www.gelehrte-journale.de/ [zuletzt: 24.11.2018.] Physikalisch-ökonomische Bibliothek 1771, Bd. 2, Lieferung 4, S. 481–495, hier S. 482.

Rezensionen des allgemeinen Wissens

113

Lexika als Gegenstand der Rezension War die Rezension ohnehin eine Textgattung, die sich im späten 17. und im 18. Jahrhundert erst formierte, so stellte die Rezension enzyklopädischer Werke umso mehr eine spezifische Herausforderung dar.18 Während in anderen Fällen angenommen wird, dass ein Rezensent das besprochene Werk im Ganzen, oder zumindest in wesentlichen Teilen gelesen hat, so steigert sich diese Aufgabe insbesondere bei mehrbändigen Enzyklopädien zu einem unhaltbaren Anspruch. Nicht nur der teils enorme Umfang erschwert diesen Vorgang, auch eine prinzipiell andere Lesepraxis – stichpunktartige Konsultation anstatt sequenzieller Lektüre19 – lassen die vollständige Lektüre als unangebracht erscheinen. Hinzu kommt der Umstand, dass bei universal angelegten Werken selbst ein Universalgelehrter des 18. Jahrhunderts kaum umfangreiche Kompetenzen zu allen behandelten Sachgebieten aufweisen konnte. Ein Lexikon übersteigt damit als Abbild von Universalwissen beinahe zwangsläufig sowohl die Lesekompetenz als auch die fachliche Kompetenz eines einzelnen Menschen. Entsprechend dieser Annahme wird dies auch in einer Rezension zu Höpfners Deutscher Encyclopädie in der Auserlesenen Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur thematisiert: Die Herrn Professoren Höpfner, Köster und andre zu Giessen haben die letzte Durchsicht und Verbindung der einzelnen Artikel vor dem Abdruk übernommen; sie erklären sich in den Vorreden sehr billig über ihre Arbeit, über das, was man von derselben zu fodern berechtigt sei, und über die Grundsätze, nach denen man sie beurtheilen solle. Ihre Foderung, daß jeder ihrer Recensenten nur von einzelnen Fächern, die er kent, reden möge, ist sehr gegründet.20

Hier wird nicht nur die Rolle von Rezensent und Enzyklopädist klar ausgesprochen, sondern auch eine Wahrnehmung der gelehrten Rezensionspraxis durch die Herausgeber des Lexikons deutlich. Auch schon rund vierzig Jahre zuvor erschien es einem Rezensenten von Georg Heinrich Zinckes erstem Teil des Teutschen Real- Manufacturund Handwercks-Lexicons (1745) in den Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen ähnlich unmöglich, den gesamten Inhalt eines Lexikons zu bewerten oder auch nur wiederzugeben:

18

19 20

Siehe zur Novität und Entwicklung der Rezensionspraxis im 18. Jahrhundert Ute Schneider: Literaturkritische Zeitschriften. In: Ernst Fischer, Wilhelm Haefs, York-Gothart Mix (Hg.): Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700–1800. München: Beck 1999, S. 191–207, hier S. 195–199; Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts. Bremen: edition lumière 2007, S. 46–53. Vgl. Schneider: Erfindung (wie Anm. 4), S. 23. Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur 1780, Bd. 17, S. 669–676, hier S. 671.

114

Andreas Müller

Der Leser wird übrigens von selbsten erkennen, daß es schwehrlich in unsern Blättern angehe, von diesem nöthigen und nützlichen Werke eine vollkommene Vorstellung zu machen, da solches von den Lexicis überhaupt nicht wohl möglich ist. Wir sind dannenhero genöthiget, nur etwas weniges von seiner innerlichen und äusserlichen Gestalt überhaupt anzuführen.21

Diese Diskrepanz aus unvollständiger Lektüre und Fachkenntnis verschärft sich noch weiter bei Neuauflagen eines Werkes oder bei der Übersetzung ausländischer Lexika, die dem Anspruch nach Kenntnis und Zugang zu Erstauflage und Neuauflage, zu Original und Übersetzung impliziert, die in der Praxis noch schwieriger zu erfüllen war. Ähnlich verhält es sich bei Sammelrezensionen gleich mehrerer Lexikonbände, wie in einer Rezension zu Band 16 bis 19 der Oekonomischen Enzyklopädie von Johann Georg Krünitz. Hier wurden auf zwei Journal-Seiten mehrere tausend Seiten enzyklopädischer Literatur zusammengepresst, wobei aus jedem Band drei bis vier Artikel pars pro toto angeführt wurden. Dass in den meisten der vorliegenden Fälle folglich nicht von einer vollständigen Lektüre oder umfassenden Behandlung des Inhalts ausgegangen werden kann, liegt nahe. Die Rezension eines Lexikons – sei es nun Erstausgabe, Sammelrezension, überarbeitete Fassung oder Übersetzung – bleibt damit zwangsläufig oberflächlich und kursorisch. Nichtsdestotrotz erscheint gerade die Rezension von Lexika als ein nicht unwesentliches Unterfangen. Da diese im Falle mehrbändiger Werke meist über Subskription bezogen wurden, stellten sie eine langfristige und kontinuierliche Investition in ein Verlagsprojekt dar. Ein Verleger gab dabei die Herausgabe eines Lexikons bekannt und warb Subskribenten, die über Vorabzahlung sogenannter Pränumerationsgelder die Bände Stück für Stück im Voraus finanzierten. Insbesondere bei diesen vielbändigen Werken, die schnell über den ursprünglich verlautbarten Umfang hinauswuchsen, war die finanzielle Investition in ein solches verlegerisches Großunternehmen keineswegs unerheblich.22 So wurde das Zedlersche Universal-Lexicon am 29. Oktober 1731 noch mit 12 Bänden angekündigt und erreichte 1754 inklusive Supplementen stolze 68 Bände.23 Ein schlimmeres Schicksal ereilte jedoch viele andere Lexika und deren Subskribenten. So blieben beide oben erwähnten Werke, die Deutsche Enzyklopädie und Zinckes Manufactur-Lexicon, alphabetisch unvollendet. Gerade die Deutsche Enzyklopädie entbehrt dabei nicht einer gewissen Tragik. Als besonders 21 22 23

Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen auf das Jahr 1745, St. 31, S. 877–880, hier S. 877–878. Haug: Universal-Lexicon (wie Anm. 11), S. 303–304. Schneider gibt für das Universal-Lexicon (68 Bände) einen Gesamtpreis von etwa 140 Reichstalern an; Schneider: Erfindung (wie Anm. 4), S. 107. Ankündigung des Universal-Lexicons in den Hallischen Anzeigen Faksimile abgedruckt bei Gerd Quedenbaum: Der Verleger und Buchhändler Johann Heinrich Zedler 1706–1751. Ein Buchunternehmer in den Zwängen seiner Zeit; ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Buchhandels im 18. Jahrhundert. Hildesheim: Olms 1977, S. 99.

Rezensionen des allgemeinen Wissens

115

qualitativ hochwertig gepriesen, erschien sie von 1778 bis 1807 und erreichte mit dem 23. Band doch nur den Buchstaben »K«.24 Der Bedarf an gelehrten Einschätzungen zu lexikographischen Projekten war damit durchaus gegeben. Zudem standen die Käufer vor einem ähnlichen Problem wie die Rezensenten: Wie sollte man sich zeitnah eine Meinung über ein am Buchmarkt angebotenes Lexikon bilden?25 Rezensionstechniken Wie bewältigten nun aber die Rezensenten diese schwierige Aufgabe? In den hier untersuchten Texten lassen sich verschiedene Rezensionsstrategien typologisch erfassen. Die Wiedergabe des Inhalts folgt dabei drei verschiedenen Ausprägungen: die Inhaltsbeschreibung, die direkte Wiedergabe bzw. Leseprobe und schließlich die summarische Wiedergabe von Artikeln. Die Inhaltsbeschreibung stellt die einfachste Variante dar und ist in dieser Form auch in den Rezensionen anderer Textgattungen zu finden. Hier werden deskriptiv die allgemeinen Inhalte des Werkes wiedergegeben. Es wird dabei meist die thematische Ausrichtung eines Lexikons genannt, dessen inhaltlicher Aufbau angeführt (sofern nicht alphabethisch) sowie gegebenenfalls der wesentliche Inhalt einzelner Kapitel oder spezialisierter Bände genannt. Dabei erfolgt die Wiedergabe meist auf einem hohen Abstraktionsniveau ähnlich den Ankündigungen der Verleger auf dem Titelblatt oder im Vorwort. Vereinzelt bleibt die Inhaltsbeschreibung auch ganz aus, weil man wohl entweder den Titel für ausreichend erachtete oder der Inhalt von Universalwerken so umfangreich war, dass man ihn kaum spezifizieren konnte. Die direkte Wiedergabe oder Leseprobe besteht hingegen aus einem Zitat und referiert auszugsweise aus einzelnen Abschnitten, Artikeln oder auch dem Vorwort. Dieser Auszug kann beinahe unkenntlich in den Rezensionstext verwoben sein oder explizit hervorgehoben werden. Auf die Masse der hier behandelten Rezensionen bezogen sind diese »Zitate« jedoch stark in der Minderheit. Die dritte Form der Inhaltswiedergabe, die summarische Wiedergabe von Artikeln, stellt eine spezifische Antwort auf die Textgattung der Lexika dar. Hier erfolgt die Auswahl einzelner Artikel, teils unter thematischen Gesichtspunkten, meist jedoch scheinbar beliebig, häufig in einer engen Verknüpfung von Inhaltswiedergabe und Be-

24 25

Ludwig Julius Friedrich Höpfner; Heinrich Martin Gottfried Köster; Johann Friedrich Roos: Deutsche Encyclopädie oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften. Frankfurt am Main: Varrentrapp und Wenner 1804, S. 1778–1807. Schneider: Literaturkritische Zeitschriften (wie Anm. 18), S. 204, betont die Relevanz von Rezensionen für Lesegesellschaften.

116

Andreas Müller

wertung. Pars pro toto ist dies am Beispiel einer Rezension zu Krünitz’ Oeconomischer Encyklopädie in der Physikalisch-Ökonomischen Bibliothek ersichtlich: Einige Artikel, die uns eben jetzt besonders in die Augen fallen, wollen wir hier angeben: Abformen, wozu sehr verschiedene Mittel angegeben worden. Abies, ein weitläufiger Artikel, so wie alle, die Baumarten betreffen, und diese sind nach den lateinischen Namen, bald nach den linneischen, bald nach andern, geordnet. Acacia ; Acanthus, aber das Graßmann=Kälberkrop ist nicht das Heracleum (Bibl. 4. S. 83.) Acer; Acker enthält das französisch Maas der Aecker. Ackerbau, Acker=Messer des Del Borro. Aconitum. Aderlassen, wo nöthige Regeln zum Aderlassen der Pferde und anderer Thiere gegeben sind. Alle. Allium. Alnus, Aloe, Amarantus. Ameise, ein sehr weitläuftiger Artikel.26

Diese Form der Wiedergabe zeugt vom Versuch, einen allgemeinen Eindruck des Werkes zu vermitteln. Dennoch bleibt sie trotz der alphabetischen Aufzählung der Lemmata im Anbetracht des großen Umfangs dieser Werke (so erreichte die Oekonomische Encyklopädie 1858 stolze 242 Bände) zwangsläufig nur eine Ansammlung sehr selektiver Schlaglichter. Im Hinblick auf die gewählte Rezensionsstrategie war das Vorgehen der einzelnen Journale uneinheitlich (siehe Tab. 1). Tabelle 1 Rezensionstechniken der Journale. Neue Bibliothec (NB), Auserlesene Bibliothek (AB), Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen (NZGS), Physikalisch-Ökonomische Bibliothek (PÖB).

In der Tabelle 1 werden vier Zeitschriften mit den darin verwendeten Rezensionstechniken in Bezug gesetzt. Jede Rezensionsschrift wurde dabei nur einmal gezählt (unabhängig davon, ob zum Beispiel mehrere direkte Zitate darin vorkommen), ein einzelner Artikel konnte jedoch mehrere Techniken in Kombination verwenden (also sowohl Stichprobe als auch Beschreibung). Hier zeigt sich, dass die Neue Bibliothec (NB) und die Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen (NZGS) vor allem auf allgemeine Beschreibungen beschränkt blieben und die stichprobenartige Untersuchung mehrerer Artikel zur großen Ausnahme gehörte. In der Auserlesenen Bibliothek (AB) und der Physikalisch-Ökonomischen Bibliothek (PÖB) wurde hingegen häufig auf die kursorische Untersuchung einzelner Artikel zurückgegriffen. Die Anordnung der Zeitschrif26

Physikalisch-ökonomische Bibliothek 1773, Bd. 4, Lieferung 2, S. 214–218, hier S. 217.

Rezensionen des allgemeinen Wissens

117

ten folgt hier auch der Chronologie. Die Rezensionen der NB und der NZGS erschienen also in den 1710er bis 1750er Jahren, die AB und die PÖB hingegen in den 1770er und 1780er Jahren. Es könnte sich dabei durchaus um eine zeitliche Verschiebung handeln, in der sich Rezensionstechniken und der Umgang mit enzyklopädischer Literatur erheblich verändert hatte. Bewertung der Lexika Im Hinblick auf Kritik und Evaluierung der besprochenen Werke zeigt sich häufig eine überwiegend positive, wenn nicht gar enthusiastische Haltung der Rezensenten zum Gegenstand ihrer Rezension. Hier tritt die Neue Zeitung von Gelehrten Sachen (NZGS) als besonders positiv gestimmtes Blatt hervor (siehe Tab. 2).27 Tabelle 2 Evaluation der Werke nach Zeitschriften. Neue Bibliothec (NB), Auserlesene Bibliothek (AB), Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen (NZGS), Physikalisch-Ökonomische Bibliothek (PÖB).

Auch hier zeigt sich eine Tendenz zu einer kritischeren Betrachtung in den späteren Journalen, was aber vor allem auf die sehr positiven Rezensionen der NZGS zurückgeht. Aufgrund eines Sampels von insgesamt 32 Rezensionsschriften (davon 27 aus den hier betrachteten vier Journalen) wird hierbei keinerlei Repräsentativität beansprucht. Deutlich wird jedoch, dass zumindest bei den untersuchten Schriften eine eher allgemeine positive Inhaltsbeschreibung in der ersten Jahrhunderthälfte gegenüber einer kritischen Evaluation einzelner Beispielartikel in der zweiten Jahrhunderthälfte vorherrscht. Eine Einschätzung, die nicht nur durch die obigen Zahlen gestützt wird, sondern vielmehr durch die Intensität und Ausschließlichkeit der positiven Wertung in den frühen Journalen.

27

Dass die Rezensionen im 18. Jahrhundert vielerorts als Nachrichten über Ereignisse und Neuerscheinungen aus der gelehrten Welt aufgefasst wurden, zeigt Schneider: Literaturkritische Zeitschriften (wie Anm. 18), S. 167. Die Zählung in der Abbildung erfolgt, wie zu Tabelle 1 erläutert, binarisiert.

118

Andreas Müller

Qualitätskriterien Obwohl innerhalb des positiven Grundtenors häufig sehr allgemeine Bewertungskriterien bedient werden, wie die Preisung von »Fleiß«, »Gelehrsamkeit«, »fließende« Schreibart und Sorgfalt des Verfassers sowie ein Lob von Brauchbarkeit, Papier- und Druckqualität des Werkes, zeichnen sich doch einige spezifisch lexikographische Kriterien klar ab. Als wesentliches Kriterium dieser Inventare des Allgemeinwissens wird immer wieder der Anspruch auf Vollständigkeit thematisiert. Dass dieses Ideal lexikographischen Schreibens in der Praxis uneinlösbar ist, zeigt sich deutlich, denn »bei der grösten Genauigkeit behält doch wohl so ein Werk immer seine Lücken«.28 Wird daher Vollständigkeit gelobt, so sagt dies meist wenig über das einzelne Werk aus, verdeutlicht jedoch das Ziel eines allumfassenden Wissensinventars. Dem gegenüber steht in einer bipolaren Spannung der Vorwurf des »Überflüssigen«. Dies liest sich in einer Rezension aus der Physikalisch-ökonomischen Bibliothek aus dem Jahre 1771 wie folgt: Viele Artikel sind so beschaffen, daß es wohl niemals jemanden einfallen wird, sie im Wörterbuche zu vermuthen oder aufzusuchen; ein Fehler, den man bey allen encyclopädischen Wörterbüchern bemerket. […] Falls solche Artikel würklich in ein Wörterbuch gehören, so sind viele Dutzende derselben ausgelassen worden.29

Noch strenger geht am Beginn des Jahrhunderts ein Rezensent mit dem Frauenzimmer-Lexicon ins Gericht: Ob man dem Frauenzimmer ein Genüge damit geleistet / darvon mag ein Frauenzimmer selbst urtheilen. So viel ich darvon verstehe / so düncket mich / es seye manches überflüßiges / und manches mangele. […] Hernach was ist es nöthig / daß man erkläre / was Bier / Brod / Fisch / Hüner / Fingerhut / Leuchter / Schachtel / Stecknadel / Karten; was begiessen / befuhlen /singen / rupffen / berechnen / anmelden / den Dienst aufsagen; was eine Churfürstin / eine Briefträgerin / eine Bettelfrau / eine Hure / it. ein Floh / eine Katze / u. d. g. seye / weil ja alle diese Sachen einem Kinde von fünff Jahren / so nur teutsch reden gelernet / bekandt sind / und keiner Definition erst bedörffen.30

Hier wächst sich die Kritik beinahe zu einer grundsätzlichen Infragestellung der enzyklopädischen Nachschlagewerke aus und sagt damit zwar wenig über das einzelne Werk, viel aber über die Haltung des Autors zur Gattung im Allgemeinen aus.

28 29 30

Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur 1775, Bd. 7, S. 87–89, hier S. 89. Physikalisch-ökonomische Bibliothek 1771, Bd. 2, Lieferung 4, S. 481–495, hier S. 493–494. Neue Bibliothec Oder Nachricht und Urtheile von neuen Büchern Und allerhand zur Gelehrsamkeit dienenden Sachen 1715, Lieferung 42, S. 139–142, hier S. 140–141.

Rezensionen des allgemeinen Wissens

119

Ein weiteres wichtiges gattungsspezifisches Evaluationskriterium ist die Frage nach den verwendeten Quellen. Gute Quellen verbürgen als inhaltliches Qualitätskriterium die Richtigkeit des Gesagten und reflektieren den Anspruch, das jeweilige Werk aus den »besten Scribenten« zusammengetragen zu haben. Die explizite Nennung der verwendeten Quellen war dabei jedoch nur von sekundärer Bedeutung. So verwehren sich die Verfasser der Deutschen Encyclopädie in ihrem Vorwort der Nennung der Quellen mit der Bemerkung: »Schriften haben wir nur selten angeführt, weil das Buch kein Literaturlexicon seyn soll.«31 Tatsächlich wird ebendies auch in einer Rezension zu dem Werk wieder aufgegriffen: Man hat alle Citaten weggelassen, und dies scheint auch aus dem Grunde gut, weil manche Mitarbeiter von der Erlaubnis zu citiren villeicht einen Misbrauch machen, und das Werk dadurch sehr unnütz vergrößern möchten. Indes würde es doch gewis seinen guten Nutzen haben, wenn zwar nicht zur Begründung einzelner Sätze citirt, aber doch bei jedem erheblichen Artikel, die Schriften und Abhandlungen angeführt würden, welche sie am besten und classisch behandelt haben.32

Ähnliches wird auch in einer Rezension zu einem französischen Lexikon mit vorsichtiger Wortwahl gefordert: Diese Recepte und Kunststücke sind aus periodischen Schriften und grossen Werken, nicht ohne Wahl, zusammen getragen, und nach dem Alphabet geordnet. Die Verfasser, Erfinder und Quellen sind selten angezeigt, und das würde doch nicht überflüssig gewesen seyn, zumal wo sie nicht ganz abgeschrieben sind, und wo man gern einen Bürgen für die Richtigkeit des gegebenen Raths haben möchte.33

Die Quellen sind also »Bürgen für die Richtigkeit des gegebenen Raths«. Viel wichtiger als deren explizite Angabe ist ihre Richtigkeit und Aktualität. Gerade als Vermittler des allgemeinen und damit auch des universal anerkannten Wissens steht »unrichtiges Allgemeinwissen« im starken Widerspruch zum aufklärerischen Impetus vieler Werke, die oft gegen den »Aberglauben« oder falsche Vorstellung jeder Art gerichtet waren. Nutzen und Zielgruppe Zum Abschluss der Analyse ist noch der anfangs gestellten Frage nach den Intentionen möglicher Käufer, also der Zielgruppe der Lexika und dem von ihnen erwarteten Nut31 32 33

Höpfner, Köster, Roos: Deutsche Encyclopädie (wie Anm. 24). Bd. 1 [unpag., Bl. 11]; online als Volltext verfügbar unter https://www.enzyklothek.de/ [zuletzt: 05.12.2018]. Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur 1780, Bd. 17, S. 669–676, hier S. 675–676. Physikalisch-ökonomische Bibliothek 1770, Bd. 1, Lieferung 4, S. 631–633, hier S. 632.

120

Andreas Müller

zen nachzugehen. Als Zielgruppen werden meist Gelehrte, aber auch gebildete Laien genannt. Die Lexika treten damit als Literaturgruppe scheinbar für »jedermann« an, ein Anspruch, der sich mit den lebensweltlichen Möglichkeiten nur unzureichend decken konnte. Sie waren zweifelsohne an die literarische Welt, also an gebildete – wenn auch nicht zwangsläufig gelehrte – Personen gerichtet.34 Als Nachschlagewerke erwartete man sich von den Lexika zumeist nicht, dass sie eine umfassende Spezialbildung oder gar Ausbildung ermöglichen sollten; im Gegenteil, der Gelehrte, dessen Wissen nur auf Lexika basiert, wurde mit dem Schlagwort der »Dictionnair-Gelehrsamkeit«35 zum Ziel von Spott. Ähnlich allgemein wie die Ausrichtung der Werke selbst bleibt der ihnen zwar vielerorts zugesprochene hohe, aber zumeist völlig unspezifizierte Nutzen. Als »Bücher über Bücher« wird ihnen attestiert, »daß man eine ganze Bibliothek entbehren kann, wenn man dieses Buch besitzt«.36 Immer wieder werden auch vereinzelte Artikel für ihre praktische Bedeutung gelobt, wie Anleitungen zur Bienenzucht oder zum Anlegen von Teichen. Man erhofft sich dabei durchaus, »daß überhaupt diese Werke die mannichfaltigen menschlichen Kentnisse mehr in Umlauf bringen, und zwar keine Gelehrte von Profession, aber Menschen von Einsicht und Kentnissen bilden, an deren vermehrter Zahl der Geselschaft und dem Glük der Einzelnen meistens mehr gelegen ist als an dem ersten«.37 Neben diesen sehr allgemeinen Absichtserklärungen und Nutzenzuschreibungen werden nur selten Einsichten in konkrete Anwendungsfälle gegeben. So wird beispielsweise in der Physikalisch-Ökonomischen Bibliothek die gute Wahl der Lemmata gelobt und ein spezifischer Vorteil derselben verdeutlicht: Auch die französischen Kunstwörter hat der Uebersetzer in Parenthesen beybehalten, und solche, welche nur durch Umschreibungen deutlich gegeben werden konten, sind nach dem Alphabete mit eingeschaltet worden; so daß man dieses Wörterbuch sogar bey Lesung französischer Werke sehr bequem brauchen kann.38

Hier wird also eine mehrbändige ökonomische Enzyklopädie auch als Fremdwörterbuch angepriesen, das bei der Lektüre französischer Texte eine pragmatische Funktion erfüllen kann. Als Basis für diese Zugangsweise ist die kluge Wahl der Lemmata entscheidend, die gerade im multilingualen 18. Jahrhundert zwischen deutschen, französischen, lateinischen, griechischen und teilweise auch hebräischen Schlagwörtern eine 34

35 36 37 38

Ein städtisch-bürgerliches Lesepublikum als Adressaten der Enzyklopädien attestiert auch Ulrich Johannes Schneider: Das »Universal-Lexicon« von Johann Heinrich Zedler oder Die »Wikipedia« des 18. Jahrhunderts. In: Günter Stock (Hg.): Wissen schafft Publikum. Berlin: Akademie-Verlag 2008, S. 58–61, hier S. 58. Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur, 1780, Bd. 17, S. 669–676, hier S. 670. Jenaische gelehrte Zeitung, 2. August 1782, S. 481–482, hier S. 482. Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur 1780, Bd. 17, S. 669–676, hier S. 670–671. Physikalisch-ökonomische Bibliothek 1773, Bd. 4, Lieferung 2, S. 214–218, hier S. 215–216.

Rezensionen des allgemeinen Wissens

121

erhebliche Herausforderung darstellen konnte. Leider stellen solch konkrete Äußerungen, wie der Gebrauch als Fremdwörterbuch, die große Ausnahme dar, stattdessen hüllen sich die Rezensenten über den praktischen Nutzen der Lexika zumeist in beharrliches Schweigen. Dieses Schweigen als ein Mangeln an pragmatischem Nutzen zu interpretieren, würde folgender Kommentar eines Rezensenten nahelegen: »Deswegen dienen solche Wörterbücher, die nothwendig sehr kostbar seyn müssen, mehr zur Vergrösserung und Verschönerung öffentlicher oder grosser Bibliotheken, als zum würklichen Gebrauch.«39 Dass es sich nun aber bei den abertausenden Seiten enzyklopädischer Literatur ausschließlich um Objekte bibliophiler Eitelkeit gehandelt habe, erscheint dann doch als ein wesentlich zu kurz gegriffenes Urteil. Ausblick Aus dieser »Probebohrung« wurde ersichtlich, dass die Textgattungen der Rezension und der Enzyklopädie einiges übereinander zu sagen haben. Die Lexika stellten eine spezifische Anforderung an das Rezensionswesen – übermäßiger Umfang und allumfassende Fachkompetenz –, und die Rezensenten stellten wiederum klare Forderungen an die Enzyklopädien: Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität. Das beinahe ironisch anmutende Resultat daraus lautet, dass weder Enzyklopädist noch Rezensent die Anforderung des jeweils anderen auch nur im Ansatz erfüllen konnten. Der Befund der Rezensionen zeigt, dass Lektüre und Bewertung der Lexika mit erheblichen strukturellen Schwierigkeiten verknüpft waren und vor allem durch die Technik der summarischen Wiedergabe mehrerer Artikel bewältigt wurden. Hier zeigten sich Unterscheide, zumindest innerhalb der hier untersuchten Rezensionen, zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Der positiven allgemeinen Beschreibung in der NB und der NZGS in den 1710er bis 1750er Jahren steht eine Reihe kritischer Analysen einzelner Artikel in der AB und der PÖB während der 1770er und 1780er Jahre gegenüber. Diese zeitliche Dimension sowie die Verschränkung von Rezensionen und Enzyklopädien würde dabei noch eine wesentlich ausführlichere Untersuchung rechtfertigen, als dies im Rahmen einer »Probebohrung« geschehen konnte. Mit Blick auf die Enzyklopädistik bleiben die hier untersuchten Rezensionen damit vorläufig nur Schlaglichter. Sie verdeutlichen das zeitgenössische Bewusstsein über die kompilative Natur dieser Textgattung. Nicht nur die Enzyklopädisten selbst, sondern auch die Rezensenten als Mittler zum Lesepublikum verfügten über ein klares und meist kaum hinterfragtes Bewusstsein über die konstruktive Natur dieser beinahe 39

Physikalisch-ökonomische Bibliothek 1781, Bd. 11, Lieferung 3, S. 375–381, hier S. 376.

122

Andreas Müller

»kannibalistischen« Textgattung. Ähnlich wie beispielsweise Zeitungen partizipierten Enzyklopädien damit an einer heute kaum mehr bewussten »Kulturtechnik des Ausschreibens«. Die Übernahme und Kompilation von als Allgemeingut betrachtetem Wissen war demnach eine anerkannte gelehrte Praktik, die nicht zwangsläufig den Beigeschmack des Plagiats trug.40 Im Hinblick auf die an sie herangetragenen Qualitätskriterien bleiben die Lexika schließlich notwendig hinter ihren Zielen zurück. Sie sind gefangen zwischen einem Ideal der Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität und einer realen Bedrohung aus überflüssigem, unrichtigem und veraltetem Wissen.41 Die Zeit der Enzyklopädien und Lexika ist auch im 21. Jahrhundert noch keineswegs abgelaufen, auch wenn solche Werke vielerorts aus den Regalen verschwunden sind. Auf der einen Seite ist die von einer meist anonymen »Schwarmintelligenz« betreute Wikipedia mehr denn je das zentrale (online) Inventar des allgemeinen Wissens, auf der anderen Seite leben spezifische Fachlexika mit hohem inhaltlichen Anspruch und expliziter Autorenschaft im wissenschaftlichen Betrieb ungebrochen fort.42 Wer nur danach sucht, findet auch noch Rezensenten solcher Werke, die vor einem ähnlichen Dilemma wie die Gelehrten des 18. Jahrhunderts stehen. So erschien erst kürzlich auf der Plattform H-Soz-Kult eine Rezension zum Supplementband »Das 18. Jahrhundert« des Der Neue Pauly (DNP).43 Auch in dieser kann die Besprechung eines lexikographischen Werkes den hier vorgestellten strukturellen Bedingungen und Konventionen nicht vollständig entkommen. Mit summarischen Wiedergaben der Artikel und Bezüge auf das Vorwort der Verfasser steht der Geisteswissenschaftler der Gegenwart durchaus ähnlichen Herausforderungen gegenüber wie der Rezensent des 18. Jahrhunderts.

40 41 42 43

Zum »medialen Pakt« zwischen Zeitungen und Lexika sowie der »Kulturtechnik des Ausschreibens« siehe Haug: Universal-Lexicon (wie Anm. 11), S. 329–331. Zum Druck der größtmöglichen Vollständigkeit siehe Hanco Jürgens, Hans-Jürgen Lüsebrink: Enzyklopädismus und Ökonomie im Aufklärungszeitalter. Zur Einführung. In: Das achtzehnte Jahrhundert 41 (2017), S. 197–202, hier S. 198. Schneider: Erfindung (wie Anm. 4), S. 85–87. Matthias Wiling, Rezension zu: Joachim Jacob, Johannes Süßmann (Hg.): Das 18. Jahrhundert. Lexikon zur Antikerezeption in Aufklärung und Klassizismus. Stuttgart: Metzler 2018. In: H-SozKult 19.11.2018.

Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert Kristina Küntzel-Witt Im 18. Jahrhundert rückte Sibirien vermehrt in den Fokus der westeuropäischen Berichterstattung dank der russischen Forschungsreisen nach Sibirien und der Teilnahme mehrerer deutschstämmiger Gelehrter an den Expeditionen. Vor allem die sogenannte Zweite Kamtschatkaexpedition von 1733–1743 wurde zu einem regelrechten Medienereignis. Bereits während der Expedition wurden erste Berichte darüber in Westeuropa veröffentlicht.1 In den 1750er Jahren begann anschließend eine lebhafte Kontroverse über die Ergebnisse dieser Expedition, die hauptsächlich in den Gelehrten Journalen ausgetragen wurde. Die Debatte zeigt anschaulich die große Bedeutung der Ephemeriden bei der Wissensvermittlung und Durchsetzung neuer Erkenntnisse im Zeitalter der Aufklärung.2 Thomas Habel hat die Bedeutung der wissenschaftlichen Zeitschriften für das 18. Jahrhundert treffend charakterisiert: Durch die Gelehrten Journale eröffnete sich den Mitgliedern der Respublica Litteraria erstmalig die Möglichkeit, sich sozusagen aus einer Hand zeitnah und umfassend über so gut wie alle Neuigkeiten aus der Welt der Gelehrsamkeit informieren zu können. Von Anfang an waren die Ephemeriden, die sich selbst als ›Tagebücher der Gelehrten Welt‹ verstanden, Speicher und Multiplikatoren des gelehrten und popularisierten Wissens. Mit ihrer

1

2

So berichteten die Leipziger Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen bereits am 2. November 1733 (S. 777–781) über den Aufbruch der Expedition und seine einzelnen Teilnehmer. Auf diesen Bericht wird auch in der Quellenangabe des deutschsprachigen Wikipedia-Artikels zur Zweiten Kamtschatkaexpedition hingewiesen: wikipedia.org/wiki/Zweite.Kamtschatkaexpedition [zuletzt 03.11.2018]. Der Artikel bietet eine gute Übersicht über den Verlauf der Expedition. Michael Schippan: Die Aufklärung in Russland im 18. Jahrhundert (= Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 131). Wiesbaden: Harrasowitz 2012; vgl. auch Gabriela Lehmann-Carli: Aufklärungsrezeption, ›prosveščenie‹ und ›Europäisierung‹: Die Spezifik der Aufklärung in Rußland (II). In: Zeitschrift für Slawistik 39 (1994) 3 (Russische Aufklärung und Aufklärungsrezeption, hg. v. G. Lehmann-Carli), S. 358–382. Zum gesamteuropäischen Kontext vgl. Siegfried Jüttner, Jochen Schlobach (Hg.): Europäische Aufklärung(en): Einheit und nationale Vielfalt (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert, 14). Hamburg: Meiner 1992.

124

Kristina Küntzel-Witt

Hilfe wurde ein allgemeiner und regelmäßiger Informationsaustausch ermöglicht, an dem jeder Interessierte – als passiv Lesender wie als aktiv Beitragender – teilhaben konnte. Erst durch diese Offenheit des jungen Mediums wurde der traditionellerweise abgegrenzte Gelehrten-Diskurs zu einem allgemeinen, öffentlichen ›Gespräch‹, an dem zunehmend auch weitere Bildungsschichten beteiligt wurden.3

Am Beispiel der Berichterstattung über Sibirien nach den Kamtschatkaexpeditionen wird der Wissenstransfer, den die Gelehrten Zeitschriften im 18. Jahrhundert leisteten, in diesem Artikel thematisiert. Die auf der Expedition gewonnenen Einsichten vor allem in Bezug auf die geographische Beschaffenheit Sibiriens und des Nordpazifiks standen in großem Widerspruch zu den vorherigen Ansichten antiker und frühneuzeitlicher Geographen. Deshalb erregten die russischen Publikationen nach der Zweiten Kamtschatkaexpedition großes Aufsehen und wurden von westeuropäischen Geographen heftig kritisiert. Diese Diskussion in den Gelehrten Journalen soll hier dargestellt und untersucht werden, welche Rolle die Gelehrten Zeitschriften bei der Wissensvermittlung spielten und wie diese Debatte quer durch ganz Europa geführt wurde.4 Zunächst sei kurz der Verlauf der Zweiten Kamtschatkaexpedition vorgestellt, ebenso die deutschstämmigen Expeditionsteilnehmer. Sie standen in russischen Diensten und leisteten einen großen Beitrag zur Erforschung Sibiriens, gleichzeitig waren sie wichtige Wissensvermittler zwischen dem Russländischen Reich und Westeuropa.5 Die Zweite Kamtschatkaexpedition von 1733 bis 1743 Die Erforschung Sibiriens hatte nicht zuletzt Gottfried Wilhelm Leibniz in Gesprächen mit Zar Peter I. angeregt, weil sich der deutsche Frühaufklärer sehr für die Frage nach einer möglichen Landverbindung zwischen Asien und Amerika interessierte. Bei

3

4

5

Thomas Habel: Das Neueste aus der Respublica Litteraria: Zur Genese der deutschen ›Gelehrten Blätter‹ im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert. In: Volker Bauer, Holger Böning (Hg.): Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert: Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit (= Presse und Geschichte – Neue Beiträge, Bd. 54). Bremen: edition lumière 2011, S. 303–340, hier S. 303. Vgl. Kristina Küntzel-Witt: Wie groß ist Sibirien? Die russischen Entdeckungen im Pazifik und die Kontroverse zwischen Joseph Nicolas Delisle, Samuel Engel und Gerhard Friedrich Müller im 18. Jahrhundert. In: Jörn Happel, Christophe von Werdt (Hg.): Osteuropa kartiert – Mapping Eastern Europe. Unter Mitarbeit von Mira Jovanović. Berlin, Zürich: Chronos 2010, S. 155–172. Vgl. Kristina Küntzel-Witt: Georg Wilhelm Steller and Carl Heinrich Merck: German scientists in Russian Service as Explorers in the North Pacific in the Eighteenth Century. In: Hartmut Berghoff, Frank Biess, Ulrike Strasser (Hg.): Explorations and Entanglements. Germans in Pacific Worlds from the Early Modern Period to World War I. (= Studies in German History publ. by the German Historical Institute, Washington D. C.). New York, Oxford: Berghahn 2019, S. 103–126.

Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert

125

seinem letzten Zusammentreffen 1716 in Bad Pyrmont mit dem Zaren diskutierten sie über die Möglichkeit einer Landbrücke zwischen den beiden Kontinenten.6 Ein Jahr später traf Peter der Große in Paris an der dortigen Akademie der Wissenschaften den französischen Geographen Guillaume Delisle und diskutierte mit ihm über die Beschaffenheit des nordasiatischen Kontinents und die geographische Lage Kamtschatkas.7 Zurück in Russland initiierte der Zar mehrere kleinere Expeditionen, um Sibirien und Kamtschatka näher zu erforschen. Außerdem schickte er den Danziger Arzt und Naturwissenschaftler Daniel Gottlieb Messerschmidt auf eine ausgedehnte Forschungsreise nach Sibirien.8 Messerschmidt wurde dabei einige Jahre von Philipp Johann Tabbert von Strahlenberg begleitet, einem schwedischen Kriegsgefangenen, der aus Pommern stammte und nach Tobol’sk verschickt worden war. Strahlenberg veröffentlichte 1730 ein Buch über Sibirien, während Messerschmidt die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse von der russischen Regierung nach dem Tode Peters I. im Januar 1725 untersagt wurde.9 Die wichtigste Maßnahme des Zaren zur Erforschung Sibiriens aber war die Vorbereitung der Ersten Kamtschatkaexpedition, die unter der Leitung des aus Dänemark stammenden Kapitäns Vitus Bering nach einer Landverbindung zwischen Asien und Amerika suchen sollte. Zar Peter I. starb, kurz bevor 1725 Bering und seine Mannschaf6

7

8

9

Michael Schippan: Der »Solon Russlands« und der Zar. Gottfried Wilhelm Leibniz, Peter der Große und die europäischen Wissenschaftsbeziehungen. In: Berthold Heinecke, Ingrid Kästner (Hg.): Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) und die gelehrte Welt Europas um 1700 (= Europäische Wissenschaftsbeziehungen, Bd. 6). Aachen: Shaker 2013, S. 133–154, hier S. 150. Vgl. auch Christine Roll: Barbaren? »Tabula rasa«? Wie Leibniz sein neues Wissen über Russland auf den Begriff brachte. Eine Studie über die Bedeutung der Vernetzung gelehrter Korrespondenzen für die Ermöglichung aufgeklärter Diskurse. In: Friedrich Beiderbeck, Irene Dingel, Wenchao Li (Hg.): Umwelt und Weltgestaltung: Leibniz’ politisches Denken in seiner Zeit (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 105). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, S. 307–358; vgl. Kristina Kuentzel-Witt: Peter the Great’s Intermezzo with G. W. Leibniz and G. Delisle: the Development of Geographical Knowledge in Russia. In: Quaestio Rossica. Vol. 6. 2018. No 1. S. 63–78. [DOI 10.15826/qr.2018.1.282.] Marie-Anne Chabin: Les Français et la Russie dans la première moitié du XVIIIe siècle: La famille Delisle et les milieux savants (Mémoire ou thèse de l’École nationale des chartes, unveröffentlichtes Manuskript). Paris 1983, S. 174; vgl. Kuentzel-Witt: Peter the Greats intermezzo with G. W. Leibniz and G. Delisle (wie Anm. 6), S. 67 f. Eduard Winter, Nikolaj A. Figurovskij (Hg.): D. G. Messerschmidt – Forschungsreise durch Sibirien 1720–1727. 5 Bde. Berlin (Ost): Akademie 1962–1977; vgl. Günther Jarosch: Tabbert-Strahlenberg als Reisegefährte Messerschmidts. In: Wolfgang Steinitz (Hg.): Ost und West in der Geschichte des Denkens und der kulturellen Beziehungen. Festschrift für Eduard Winter zum 70. Geburtstag (= Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas, Bd. 15). Berlin (Ost): Akademie 1966, S. 215–220. Philipp Johann Tabbert von Strahlenberg: Das nord- und östliche Teil von Europa und Asia, In so weit solches Das gantze Rußische Reich mit Siberien und der grossen Tatarey in sich begreiffet, In einer Historisch=Geographischen Beschreibung der alten und neuern Zeiten, und vielen andern unbekannten Nachrichten vorgestellet […] Bey Gelegenheit der Schwedischen Kriegs=Gefangenschafft in Russland, aus eigener sorgfältigen Erkundigung, auf denen verstatteten weiten Reisen zusammen gebracht und ausgefertiget. Stockholm (Selbstverlag) 1730.

126

Kristina Küntzel-Witt

ten um Aleksej Čirikov und Martin Spanberg aufbrachen, aber er hatte zuvor noch die entscheidenden Instruktionen verfasst.10 Auf dieser ersten großen Expedition segelten Bering und Čirikov, nachdem sie in Ochotsk und auf Kamtschatka Schiffe bauen ließen, auf zwei Schiffen die Pazifikküste Kamtschatkas hoch bis zum Nordöstlichen Kap Sibiriens. Auf ihrer Entdeckungsfahrt fanden sie keine Landverbindung. Da sie wegen schlechter Sicht die amerikanische Seite nicht endeckten, konnten sie allerdings nicht zweifelsfrei beweisen, dass es eine Meerenge zwischen den beiden Kontinenten gab, die eine Nordostpassage ermöglichte.11 Sie kehrten 1730 nach Petersburg zurück, wo sich Bering umgehend bei der neuen Zarin Anna Ivanovna für eine zweite Expedition einsetzte, um eine Passage nach Amerika zu finden. Die aus Kurland stammende Anna Ivanovna regierte von 1730 bis 1740, ihre Regentschaft gilt als stark beeinflusst durch deutschstämmige Berater, insbesondere durch ihren Günstling Baron von Bühren (Biron). Die Zarin und die Admiralität ließen sich von Bering überzeugen. Das Projekt wurde jedoch entscheidend erweitert, indem die 1725 gegründete Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg an der Expedition beteiligt wurde. Es sollte nicht nur der Weg nach Amerika gefunden, sondern dazu noch Sibirien erforscht und erschlossen werden. Der Naturwissenschaftler Johann Georg Gmelin, der Historiker Gerhard Friedrich Müller und der Geograph und Astronom Louis Delisle de la Croyère sollten die Expedition begleiten. Auf ihrem Weg quer durch Sibirien erforschten und vermaßen sie die von ihnen bereisten Territorien. Ihre Arbeit erstreckte sich von der Suche nach Rohstoffvorkommen bis hin zur ethnologischen Erfassung der indigenen Bevölkerung.12 Es war eine Mammutaufgabe und sie dauerte über zehn Jahre, von 1733 bis 1743. Zu ihrer Unterstützung wurden einige Jahre später der Adjunkt der Akademie Georg Wilhelm Steller, ein Arzt und Naturwissenschaftler, und der Historiker Johann Eberhard Fischer hinterhergeschickt. Die Expedition wurde zur größten und teuersten des Russländischen Reiches im 18. Jahrhundert. Womöglich ist sie mittlerweile auch die

10 11

12

Dittmar Dahlmann: Sibirien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn u. a.: Schöningh 2009, S. 116. Glynn Barratt: Russia in Pacific Waters 1715–1825. A Survey of the Origins of Russia’s Naval Presence in the North and South Pacific (= University of British Columbia Press Pacific Maritime Studies, vol. 1). Vancouver and London: British Columbia Univ. Press 1981, S. 22. Über die Zielsetzung der Expeditionsfahrt, ob auch ökonomische Motive eine Rolle spielten, entbrannte eine lebhafte Diskussion; vgl. Carol Urness: The First Kamchatka Expedition in Focus. In: Peter Ulf Møller, Natasha Okhotina Lind (Ed.): Under Vitus Bering’s Command. New Perspectives on the Russian Kamchatka Expeditions. Aarhus: University Press 2003, S. 17–33, hier S. 17 f. Vgl. Doris Posselt (Hg.): Die Große Nordische Expedition von 1733 bis 1743. Aus Berichten der Forschungsreisenden Johann Georg Gmelin und Georg Wilhelm Steller. München: Beck 1990; Wieland Hintzsche, Thomas Nickol (Hg.): Die Große Nordische Expedition: Georg Wilhelm Steller (1707–1746) – ein Lutheraner erforscht Sibirien und Alaska. Ausstellungskatalog. Gotha: Perthes 1996.

Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert

127

am besten dokumentierte russische Expedition dank einer Editionsreihe der Expeditionsdokumente, die von den Frankeschen Stiftungen in Halle unter der Leitung von Wieland Hintzsche herausgegeben wird.13 Die Zweite Kamtschatkaexpedition weckte von Anfang an in Westeuropa großes Interesse, weil die bisherigen Kenntnisse über Sibirien äußerst spärlich waren und über die geographische Lage der Kontinente im Nordpazifik zu der Zeit so gut wie nichts bekannt war. Außerdem war es ein Novum, dass so viele Gelehrte an einer Expedition teilnahmen. Später sollte sich die Mitnahme von Wissenschaftlern auf den großen Entdeckungsreisen eines Cook und Bougainville etablieren, aber das erfolgte erst knapp vierzig Jahre später. Die Zweite Kamtschatkaexpedition mutet von daher wie ein Projekt der Aufklärung par excellence an, was aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass mit der Expedition auch eindeutig imperialistische Ziele verfolgt wurden.14 Das asiatische Hinterland Russlands sollte kartographiert, erschlossen und stärker in das Reich einbezogen werden. Umstritten ist, wie expansionistisch die Ziele der Expedition in Hinblick auf das weitere Vordringen in den nordpazifischen Raum waren. In Berings Instruktionen ist nicht die Rede davon, neu entdeckte Gebiete in Besitz zu nehmen.15 Aber warum wagte man dann die gefährliche und teure Überfahrt nach Amerika? Tatsächlich nur um eine Schiffspassage zu finden? Oder war die Expedition als erster Schritt, sozusagen als Wegbereiter gedacht? Bereits Peter Simon Pallas, der später an der Akademie lehrte und Sibirien bereiste, wunderte sich darüber, dass Bering keinen Versuch unternahm, Alaska in Besitz zu nehmen.16 Da es noch während der Expedition 1740 zu einem Machtwechsel in Petersburg kam, ist die Frage nach den Intentionen von Anna Ivanovna schwierig zu klären, denn ihre Nachfolgerin Elisabeth verfolgte eine ganz andere Politik und zeigte deutlich weniger Interesse an der Erforschung ihres Riesenreiches und des Nordpazifiks. Doch zunächst wurde die Expedition ungeachtet des Regierungswechsels fortgesetzt. 13

14 15 16

Vgl. Quellen zur Geschichte Sibiriens und Alaskas aus russischen Archiven. Hg. von Wieland Hintzsche und den Franckeschen Stiftungen, die seit 1998 geführt wird und mittlerweile acht Bände umfasst, vgl. Wieland Hintzsche (Hg.): Georg Wilhelm Steller – Stepan Krašeninnikov – Johann Eberhard Fischer – Reisetagebücher 1735 bis 1743. Bearbeitet von Wieland Hintzsche unter Mitarbeit von Thomas Nickol, Ol’ga V. Novochatko, Dietmar Schulze. Bd. 2. Halle: Franckesche Stiftungen 2000. Die Reihe erscheint auch auf Russisch. Angeschlossen an die Hallenser Edition gibt es eine dänische Arbeitsgruppe um Peter Ulf Møller und Natasha Ochotina-Lind, die alle Materialien, die Vitus Bering und seine Marinegruppe betreffen, publizieren, vgl.: Natal’ja Ochotina-Lind, Peter Ul’f Mëller (Hg.): Vtoraja Kamčatskaja ėkspedicija. Dokumenty 1730–1733. Čast’ 1. Morskie otrjady (= Istočniki po istorii Sibiri i Aljaski iz rossijskich archivov, t. IV, 1). Moskva: Pamjatniki 2001. Bislang sind in dieser Reihe drei weitere Bände erschienen. Andreas Renner: Peter der Große und Russlands Fenster nach Asien. In: Historische Zeitschrift. Bd. 306 (2018), S. 71–96, hier S. 90. Ochotina-Lind, Mëller (Hg.): Vtoraja Kamčatskaja ėkspedicija. Dokumenty 1730–1733 (wie Anm. 13), S. 165–167, hier Punkt 2, S. 166. Vgl. Orcutt W. Frost, Margritt A. Engel (Ed.): Georg Wilhelm Steller: Journal of a Voyage with Bering 1741–1742. Stanford: Stanford University Press 1988, S. 192, Anm. 10.

128

Kristina Küntzel-Witt

1741 unternahmen Vitus Bering und Aleksej Čirikov ihre legendäre Überfahrt nach Alaska. Bering wurde auf seinem Schiff, der St. Peter, dabei von Georg Wilhelm Steller begleitet, während Louis Delisle de la Croyère bei Čirikov mitfuhr. Durch einen Sturm wurden die beiden Schiffe getrennt, ohne Kontakt zueinander erreichten sie die Küste Alaskas und entdeckten die Inselkette der Alëuten.17 Bering musste auf der Rückfahrt auf der – später nach ihm benannten – Kommandeursinsel vor Kamtschatka aus Not anlanden, weil die Mannschaft dermaßen von Skorbut geschwächt war, dass das Schiff manövrierunfähig geworden war. Im Dezember 1741 verstarb Vitus Bering, geschwächt von der Krankheit, auf der Insel. Steller und der Rest der Mannschaft überwinterten auf der unbewohnten Insel und bauten sich im darauf folgenden Jahr ein Boot, mit dem sie nach Kamtschatka übersetzten. In den Gewässern rund um die Insel entdeckte Steller die nach ihm benannte Seekuh (sog. ›Rhytina stelleri‹ – ›Stellersche Seekuh‹).18 Die Seekuh wurde wenige Jahrzehnte später von russischen Pelztierjägern ausgerottet, weil sie ein vorzüglicher Fleischlieferant war. Steller blieb weitere vier Jahre auf Kamtschatka, um die Halbinsel zu erforschen. Er starb 1746 auf der Rückreise in Tjumen’ an einem Fieber. Čirikov hatte mehr Glück mit seiner Heimkehr, auf seinem Schiff, der St. Pavel, brach zwar ebenfalls Skorbut aus, aber es gelang ihm, noch im Oktober 1741 nach Kamtschatka zurückzukehren. Bei der Ankunft in der Bucht von Avacha starb Louis Delisle de la Croyère an den Folgen der Mangelernährung.19 Seine Aufzeichnungen von der Überfahrt erhielt sein Bruder Joseph-Nicolas Delisle, der als Astronom und Geograph an der Akademie in Petersburg lehrte und das erste russische Observatorium in der Hauptstadt aufgebaut hatte. Nach der Expedition wurde in den 1750er Jahren eine ganze Reihe wichtiger Publikationen über die Forschungsreise herausgegeben, die auch auf Deutsch erschienen. Die Rezeption der Expedition in den deutschsprachigen Gelehrten Zeitschriften Nach Beendigung der Expedition erschien zunächst die Beschreibung der sibirischen Botanik von Johann Georg Gmelin in lateinischer Sprache unter dem Titel Flora sibiri-

17 18

19

Dahlmann: Sibirien (wie Anm. 10), S. 125; Barratt: Russia in Pacific Waters (wie Anm. 11), S. 38; Terence Armstrong: Bering’s expeditions. In: James H. Bater, Richard A. French (Ed.): Studies in Russian Historical Geography. London et al.: Academic Press 1983, vol. 1, S. 175–196, hier S. 190. Dahlmann: Sibirien (wie Anm. 10), S. 129; Wieland Hintzsche (Hg.): Terra incognita Sibirien. Die Anfänge der wissenschaftlichen Erforschung Sibiriens unter Mitwirkung deutscher Wissenschaftler im 18. Jahrhundert. Eine Ausstellung der Franckeschen Stiftungen zu Halle. Halle: Franckesche Stiftungen 1999, S. 39. Armstrong: Bering’s Expeditions (wie Anm. 17), S. 191.

Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert

129

ca.20 Sie wurde bereits kurz nach ihrem Erscheinen in den Göttingischen Zeitungen von Gelehrten Sachen vorgestellt.21 Ein Jahr später berichteten die Leipziger Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen über Gmelins Werk,22 und kurz darauf veröffentlichten auch die Freymüthigen Nachrichten von Neuen Büchern eine Rezension des Buches.23 Wesentlich mehr Aufmerksamkeit erregte dann Gmelins Reisebericht von der Expedition, den er nach seiner Rückkehr 1747 aus Russland nach Tübingen von 1750 bis 1755 in Göttingen veröffentlichte.24 Diese Veröffentlichung war nicht von der Petersburger Akademie der Wissenschaften genehmigt worden, und die russische Regierung sowie die Akademie reagierten äußerst verstimmt auf die Publikation. Es kam deswegen zu einer regelrechten diplomatischen Krise.25 Das tat der allgemeinen Aufmerksamkeit für Gmelins Bericht keinen Abbruch, vielmehr erschienen mehrere Rezensionen der einzelnen Bände sowohl in den Göttingischen Anzeigen als auch in den Tübingischen Berichten von gelehrten Sachen, die die meisten Rezensionen zu dem Reisebericht veröffentlichten.26 Aber auch in anderen Städten wie in Jena und Hamburg wurde über Gmelins Publikation berichtet.27 Auffällig ist das schnelle Erscheinen der Rezensionen nach der Veröffentlichung: Alle Besprechungen datieren auf die Jahre 1750 bis 1755. Die nächste Publikation, die aus der Zweiten Kamtschatkaexpedition hervorging und eine ähnlich große Resonanz im deutschsprachigen Raum erreichte, war die Geschichte Sibiriens und die Nachrichten von Seereisen in der Sammlung Rußischer Geschichte (kurz SRG) von Gerhard Friedrich Müller. Die Nachrichten von Seereisen enthielten dabei die erste ausführliche Darstellung von Berings Überfahrt nach Alaska und wurden im dritten Band der SRG veröffentlicht. Wieder waren es die Göttingischen Anzeigen, die als erste Zeitschrift Müllers Nachrichten von Seereisen einem größeren

20 21 22 23 24

25 26 27

Johann Georg Gmelin: Flora Sibirica sive Historia plantarum Sibiriae. Bd. 1. Petropoli: Typografia Academiae Scientarium 1747. Göttingische Zeitungen von Gelehrten Sachen 1747, S. 778–782. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen 1748, S. 762–763. Freymüthige Nachrichten von Neuen Büchern und Andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen 1749, S. 366–367. Johann Georg Gmelin: Reise durch Sibirien, von dem Jahr 1733. bis 1743. In vier Theilen. Göttingen 1751 bis 1755. Vgl. auch die neue Ausgabe von Gmelins Bericht: Expedition ins unbekannte Sibirien. Hg. von Dittmar Dahlmann (= Fremde Kulturen in alten Berichten, Bd. 7). Sigmaringen: Thorbeke 1999. Vgl. Lothar Maier: Die Krise der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften nach der Thronbesteigung Elisabeth Petrovnas und die »Affäre Gmelin«. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 27 (1979), S. 353–373. Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen 1751, S. 1009–1013; 1752, S. 341–346; 1037–1042. Tübingische Berichte von gelehrten Sachen 1752, S. 28–32; 454–456; 473–479; 492–496; 502–506; 545–551; 572–576, 584–590; 673–678. Jenaische gelehrte Zeitungen 1753, S. 515–517; Hamburgisches Magazin, oder gesammlete Schriften zum Unterricht und Vergnügen 1750, S. 225–246; Freymüthige Nachrichten von Neuen Büchern und Andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen 1752, S. 206–208; Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit 1751, S. 411.

130

Kristina Küntzel-Witt

Publikum vorstellten.28 Der Verfasser der Rezension war Anton Friedrich Büsching, der eine Zeit lang in Petersburg gelebt hatte und sich dort mit Gerhard Friedrich Müller angefreundet hatte. Nach seiner Rückkehr nach Göttingen blieb er in Kontakt mit Müller, und beide versorgten sich gegenseitig mit den neuesten deutschen bzw. russischen Publikationen zu Geographie und Geschichte. Auch die später folgenden Bände der SRG wurden umgehend von Büsching in den Göttingischen Anzeigen besprochen.29 Nachdem Büsching 1766 in Berlin die Leitung des Gymnasiums zum Grauen Kloster übernommen hatte, gründete er dort seine eigene Rezensionszeitschrift, die Wöchentlichen Nachrichten von neuen Landcharten, in denen er regelmäßig über Russland und Sibirien berichtete. Er wurde damit zu einem der wichtigsten Wissensvermittler zwischen Petersburg und dem deutschsprachigen Raum.30 Daneben etablierte sich auch die Russische Bibliothek: Zur Kenntnis des gegenwärtigen Zustands der Literatur in Russland, herausgegeben von 1772 bis 1789 von Hartwig Ludwig Christian Bacmeister als eine Zeitschrift, die sich sogar ausschließlich darauf konzentrierte, deutschsprachige Leser über die neuesten russischen Publikationen zu informieren.31 Dort erschien beispielsweise eine Rezension von Peter Simon Pallas’ Reise durch verschiedene Provinzen des rußischen Reiches Pallas hatte u. a. Westsibirien bereist.32 Pallas’ achtbändige Publikationsreihe Neue Nordische Beyträge war neben den Zeitschriften von Bacmeister und Büsching ein weiterer wichtiger Brückenkopf der Wissensvermittlung zwischen dem Russländischen Reich und den deutschsprachigen Territorien am Ende des 18. Jahrhunderts. Die Neuen Nordisch(en) Beyträge enthielten viele Nachrichten über die weitere Erforschung Sibiriens nach der Zweiten Kamtschatkaexpedition, die wiederum umgehend in Büschings Wöchentlichen Nachrichten und der Russischen Bibliothek besprochen wurden. Pallas stand jahrzehntelang in engem Kontakt mit Büsching und Bacmeister. Zusammen mit Johann Beckmann, der die Physikalisch-Ökonomische Bibliothek herausgab, waren diese vier Gelehrten die wichtigsten Wissensvermittler zwischen dem Russländischen Reich und den deutschsprachigen Territorien. Ihr herausragendes Medium waren dabei ihre Zeitschriften.33

28 29 30

31 32 33

Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen 1759, S. 1130–1136; 1369–1373. Ebd. 1762, S. 346–349; 474–477; 1763, S. 916–919. Vgl. Peter Hoffmann: Anton Friedrich Büsching und Russland. In: Dittmar Dahlmann (Hg.): Die Kenntnis Rußlands im deutschsprachigen Raum im 18. Jahrhundert. Wissenschaft und Publizistik über das Russische Reich (= Internationale Beziehungen. Theorie und Geschichte, Bd. 2). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, S. 69–84; außerdem hat Peter Hoffmann eine Biographie Büschings veröffentlicht: Anton Friedrich Büsching (1724–1793). Ein Leben im Zeitalter der Aufklärung. Berlin: Spitz 2000. In der Datenbank der Gelehrten Journale und Zeitungen (IdRZ) sind die Jahrgänge 1772/73 bis 1784 erfasst worden. Russische Bibliothek, zur Kenntniß des gegenwärtigen Zustandes der Literatur in Rußland. Bd. 1 (1772), S. 384–397. Die Physikalisch-Ökonomische Bibliothek berichtete in mindestens elf Beiträgen über Sibirien, sieben Beiträge bezogen sich auf Kamtschatka.

Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert

131

Außerdem wurden Monographien wie die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Stepan Krašeninnikovs Beschreibung des Landes Kamtschatka34 in mehreren Zeitschriften rezensiert, genauso wie die später erschienene Beschreibung von dem Lande Kamtschatka, die auf den Aufzeichnungen von Georg Wilhelm Steller basierte.35 Selbstverständlich wurde auch August Ludwig Schlözers Nordische Geschichte umgehend besprochen.36 Insgesamt werden in der Datenbank der Gelehrten Journale 210 Beiträge zum Stichwort Sibirien aufgelistet. Zum Schlagwort Kamtschatka werden immerhin insgesamt 70 Beiträge aufgeführt. Zum Vergleich sei angeführt: Zum Stichwort Australien lassen sich nur 37 Beiträge finden, zum Stichwort Pazifik nur 38, und immerhin elf Einträge erscheinen bei dem Stichwort Alaska. Zu ›Japan‹ ergibt die Abfrage der Datenbank 137 Nennungen.37 Man kann aus diesem Vergleich ersehen, dass über Sibirien und Kamtschatka überraschend häufig berichtet wurde, was vermutlich auch an der heftig umstrittenen geographischen Lage der Halbinsel lag. Die Diskussion über die Lage Kamtschatkas wurde vor allem durch Joseph-Nicolas Delisles ausgelöst. Joseph-Nicolas Delisle als Auslöser der geographischen Debatte über Berings Fahrt nach Amerika Joseph-Nicolas Delisle entstammte einer Gelehrtenfamilie aus Paris. Sein Vater Claude Delisle war Historiker, beschäftigte sich daneben auch viel mit Geographie. Sein ältester Sohn Guillaume Delisle studierte bei dem bekanntesten Geographen seiner Generation, Jean-Dominique Cassini, und wurde selbst 1718 zum Ersten Königlichen Geographen ernannt. Auch sein jüngerer Bruder Joseph-Nicolas studierte bei Cassini, beide genossen also eine hervorragende Ausbildung. Ihr Bruder Louis dagegen beendete seine Ausbildung wegen eines Duells nicht und diente siebzehn Jahre lang als Soldat in Kanada, bevor er Joseph-Nicolas 1726 nach St. Petersburg begleitete. Dort

34 35 36

37

Stepan Petrovič Krašeninnikov: Beschreibung des Landes Kamtschatka. Lemgo: Meyer 1766. [Georg Wilhelm Steller:]: Beschreibung von dem Lande Kamtschatka, dessen Einwohnern, deren Sitten, Nahmen, Lebensart und verschiedenen Gewohnheiten. Hg. von Johann B. Scherer. Frankfurt, Leipzig: Fleischer 1774. August Ludwig Schlözer: Allgemeine Nordische Geschichte. Aus den neuesten und besten Nordischen Schriftstellern und nach eigenen Untersuchungen beschrieben, und als eine Geographische und Historische Einleitung zur richtigern Kenntniß aller Skandinavischen, Finnischen, Slavischen, Lettischen, und Sibirischen Völker, besonders in alten und mittleren Zeiten, herausgegeben von August Ludwig Schlözer. Halle: Johann Justinus Gebauer 1771; vgl. Frankfurter gelehrte Anzeigen 1772, S. 121–128; Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur 1772, S. 487–498. Letzter Abruf 01.02.2019; Suchbegriffe: Sibirien, Kamtschatka, Alaska, Australien, Pazifik, Japan. Bedenken muss man bei diesem Vergleich, dass noch nicht alle Zeitschriften vollständig ausgewertet werden konnten wie zum Beispiel Beckmanns Physikalisch-Ökonomische Bibliothek oder Bacmeisters Russische Bibliothek (vgl. Anm. 31 und 33). Zweifellos lässt sich aber die Tendenz erkennen, dass über Kamtschatka und Sibirien überdurchschnittlich viel berichtet wurde.

132

Kristina Küntzel-Witt

wurde Louis in Astronomie und Geographie von seinem Bruder unterrichtet, bevor er ebenfalls von der Akademie der Wissenschaften angestellt wurde und später die Expedition begleiten durfte.38 Joseph-Nicolas Delisle war indirekt auch an der Expedition beteiligt, weil er Bering eine Karte des Nordpazifiks mitgab, nach der dieser einen südlichen Kurs einschlug, um die Inseln Jeso, Compagnie- und Da-Gama-Land anzusteuern, die auf Delisles Karte eingezeichnet waren. Delisle war von der Existenz dieser drei Inseln überzeugt, aber weder Bering noch Čirikov hatten auf ihrer Fahrt diese Inseln entdecken können.39 Seit dem 16. Jahrhundert tauchte ›Jeso‹ immer wieder auf europäischen Karten auf.40 Durch die Suche nach diesen drei legendären Inseln, bei denen es sich de facto um die japanische Insel Hokkaido und zwei Inseln der Kurilen handelte, hatte Bering zu viel Zeit verloren. Sein erster Offizier Sven Waxell, der die Fahrt überlebt hatte, meinte, deswegen sei das Schiff in die desolate Lage geraten, und beschuldigte Joseph-Nicolas Delisle, an Berings Unglück schuld zu sein. In seinen Aufzeichnungen von der Reise mit Bering zog Waxell das Resümee: Daraus geht deutlich hervor, daß die erwähnte Karte falsch gewesen sein muß. Wir müssen ja das sogenannte Land Juan de Gamas übersprungen haben; der Bericht von diesem Land scheint mir ebenso wahr wie der von dem angeblichen Land Jesso […]. Es dürfte sich wohl empfehlen, solche unbekannten Länder erst in Augenschein zu nehmen, bevor

38

39

40

Anne Mézin, Vladislav Rjéoutski (Hg.): Les Français en Russie au siècle des Lumières. Dictionnaire des Français, Suisses, Wallons et autres francophones en Russie de Pierre le Grand à Paul Ier (Centre International d’Étude du XVIIIe siècle). Ferney Voltaire: Centre International 2011, S. 245. Louis hatte den Nachnamen der Mutter wegen einer Erbschaft angenommen. Der veränderte Nachname hat dazu geführt, dass er lange Zeit irrtümlich als Halbbruder galt. Eine Kopie der ausgesprochen seltenen Karte befindet sich im Anhang von: Wieland Hintzsche (Hg.): Dokumente zur 2. Kamčatkaexpedition 1730–1733. Akademiegruppe. Bearbeitet von Wieland Hintzsche in Zusammenarbeit mit Natasha Ochotina-Lind, Peter Ulf Moeller unter Mitarbeit von Heike Heklau, Kristina Küntzel, Bert Meister (= Quellen zur Geschichte Sibiriens und Alaskas aus russischen Archiven, Bd. IV,2). Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen 2004. Außerdem befindet sich ebenda eine Denkschrift Delisles mit Erläuterungen zu seiner Karte, S. 46–66. Erstmals war Jeso auf einer Karte des portugiesischen Kartographen João Teixeira Albernaz (ca. 1595–1662) von 1649 »Carte nautique sur vélin de la Mer du Sud du détroit d’Anian à la Nouvelle-Guinée« eingezeichnet. Dort tauchte außerdem erstmals eine Insel ›Terre de Gama‹ auf dem 46. Breitengrad auf, die angeblich von Don João de Gama entdeckt worden sein soll, dessen Name ansonsten allerdings unbekannt war. Neben der ›Terre de Ieso‹ auf Teixeiras Karte war auch die ›Ile de Etats oder Ile de la Compagnie‹, die von dem Holländer Martin Vries (Fries) nördlich von Japan entdeckt worden war, eingezeichnet. Vries Entdeckungsfahrt fand 1640 statt und wurde 1643 im Nouvel Atlas de Jansson veröffentlicht. Zur Diskussion über Jeso vgl. Frank A. Golder: Russian Expansion on the Pacific 1641–1850. An Account of the Earliest and Later Expeditions Made by the Russians Along the Pacific Coast of Asia and North America; Including Some Related Expeditions to the Arctic Regions. Cleveland: Clarke 1914, S. 117–131. Vgl. auch Alexey Postnikov, Marvin Falk: Exploring and Mapping Alaska: The Russian America Era, 1741–1867. Translated by Lydia Black (= Historical Translation Series, vol. 17). Fairbanks: University of Alaska Press 2015, S. 47.

Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert

133

man sie als jessoische und gamaische Küsten ausposaunt. Denn tut man das nicht, werden viele brave Seeleute unverantwortlich betrogen.41

Doch Waxells Bericht wurde erst im 20. Jahrhundert veröffentlicht, und JosephNicolas Delisle war sich keiner Schuld bewusst, vielmehr glaubte er weiterhin fest an die Existenz von Jeso. Nachdem er 1747 Petersburg verlassen durfte, war er es, der eine lebhafte Debatte über die russischen Entdeckungsfahrten im Pazifik auslöste. Nach seiner Rückkehr nach Paris plante er, ein Buch über Russland zu veröffentlichen. Seine Pläne gelangten nie zur Ausführung, dabei hätte Delisle ein zusätzliches Einkommen gut gebrauchen können.42 Denn durch seine illegale Mitnahme von russischen Karten nach Paris verlor er den Anspruch auf eine Pension aus St. Petersburg, ein für ihn schmerzhafter finanzieller Verlust.43 Verstimmt reagierte Petersburg vor allem auf eine Karte von Delisle und Philippe Buache, dem Schwiegersohn von Guillaume Delisle, die 1752 erschien und die Delisle 1750 der französischen Akademie der Wissenschaften vorgestellt hatte.44 Buache hatte die Karte nach den Materialien und Erläuterungen Delisles gezeichnet. Sie erschien unter dem Titel Carte des Nouvelles Découvertes au Nord de la Mer du Sud. Mit einigen kleinen Änderungen versehen, wurde sie im November desselben Jahres unter dem Titel Carte generale de Découvertes de L’Amiral de Fonte noch einmal veröffentlicht.45 Mit dieser Veröffentlichung begann die Diskussion um Berings Entdeckungsreisen in Westeuropa. Von russischer Seite aus wurde Delisles Festhalten an der Existenz der drei Inseln Jeso, Compagnieland und da-Gama-Land heftig kritisiert. Außerdem war auf der amerikanischen Seite ein ›Mer d’Ouest‹ in Kalifornien eingezeichnet. Dieses sogenannte ›Westmeer‹ ging auf den apokryphen Reisebericht eines spanischen Admirals de Fonte zurück und sorgte per se für viel Diskussionsstoff.46 Vor allem ging aus Delisles Erläuterungen hervor, dass er sich nur auf das Reisejournal seines Bruders Louis Delisle de la Croyère bezog und dessen Überfahrt mit Čirikov. Über Berings 41

42 43 44 45 46

Sven Waxell: Die Brücke nach Amerika. Abenteuerliche Entdeckungsfahrt des Vitus Bering 1733– 1743. Reisebericht seines ersten Offiziers und Stellvertreters Sven Waxell ergänzt durch Beschreibungen des mitreisenden Naturforschers G. W. Steller. Hg., übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Anni Carlsson. Olten: Walter 1968, S. 68 f. Marie-Anne Chabin: La curiosité des savants français pour la Russie dans la première moitié du XVIIIe siècle. In: Revue des Études Slaves. Bd. 57 (1985), S. 565–589, hier S. 571. Giulia Cecere: Russia and It’s »Orient«: Ethnographic Exploration of the Russian Empire in the Age of Enlightenment. In: Larry Wolff, Marco Cipolloni (Ed.): The Anthropology of the Enlightenment. Stanford: Stanford Univ. Press 2007, S. 185–208, hier S. 197. Joseph-Nicolas Delisle: Histoire Abregée Des Nouvelles Découvertes Au Nord De La Mer Du Sud, Lûe dans l’Assemblée publique de l’Académie Royale des Sciences le 8 Avril 1750 par M. De L’Isle de la même Académie. Henry R. Wagner: Cartography of the Northwest Coast of America to the year 1800, vol. 1, Berkeley: Univ. of California Press 1937, S. 159. Küntzel-Witt: Wie groß ist Sibirien (wie Anm. 4), S. 165– 166. Vgl. Küntzel-Witt: Wie groß ist Sibirien (wie Anm. 4), S. 172.

134

Kristina Küntzel-Witt

Schicksal wusste er dagegen nur wenig. Er glaubte, Bering habe Amerika überhaupt nicht erreicht und bereits auf dem Hinweg auf der Kommandeurinsel anlanden müssen. In der englischen Übersetzung seines Berichts vor der Versammlung der Akademie der Wissenschaften von 1750 heißt es: He [Bering] set out in 1741, but did not go far; for meeting with a terrible storm in very dark weather, he was unable to keep the sea, and struck upon a desert island in the latitude of 54, at a small distance from Avatcha harbour, from which he had sailed. This was the period of the life and voyages of Capt. Beerings, he dying there through distress and vexation, together with most of his people.47

Diese Unkenntnis über Berings Schicksal und Delisles offensichtliches Bemühen, die Erfolge der Überfahrt seinem Bruder Louis zuzuschreiben, sorgten in Petersburg für großen Unmut. Daraufhin wurde Gerhard Friedrich Müller damit beauftragt, eine Gegenschrift zu veröffentlichen.48 Aufgrund seiner Teilnahme an der Expedition war er geradezu prädestiniert für diese Aufgabe, außerdem kannte er Delisles Karte gut. Wenige Wochen später hatte er seine Antwort formuliert, die mit Vermittlung Leonhard Eulers sowohl in französischer als auch deutscher Sprache veröffentlicht wurde und als Aufsatz in der Nouvelle Bibliothèque Germanique 1753 unter dem Titel Schreiben eines russischen Officiers von der Flotte erschien.49 Die Nouvelle Bibliothèque Germanique (NBG) war eine Zeitschrift, die sich auf Neuigkeiten aus Russland, Polen und Skandinavien konzentrierte. Der berühmte Mathematiker Leonhard Euler, der an der Petersburger Akademie lehrte, versorgte sie häufig mit Nachrichten aus Russland. Sie erschien von 1746 bis 1759 in Amsterdam und wurde von Johann Heinrich Samuel Formey herausgegeben, mit dem Euler gut bekannt war.50 Müller beschrieb Berings Überfahrt nach Alaska und zählte die wichtigsten Ergebnisse der Expedition auf, wie zum Beispiel dass man weder Jeso noch die beiden anderen Inseln ›da-Gama-Land‹ und ›Compagnieland‹ gefunden hatte. Er ließ diese Gegenschrift anonym veröffentlichen, was in Westeuropa vielfach zu Zweifeln am

47

48 49

50

Joseph-Nicolas Delisle: New discoveries northward of the South-sea, read at the Royal Academy of Sciences, on the 8th of April, 1750, by Mr. de l’Isle member of that Academy, S. 60–71, hier S. 64. In: British Library, Tracts 1745–54, Sig. 700g 11. Vgl. Französisches Original: Des Nouvelles Découvertes Au Nord De La Mer Du Sud, Lûe dans l’Assemblée publique de l’Académie Royale des Sciences le 8 Avril 1750 par M. De L’Isle de la même Académie, S. 7 (Hervorhebung im Original). Peter Hoffmann: Gerhard Friedrich Müller (1705–1783). Historiker, Geograph, Archivar im Dienste Russlands (= Herforder Forschungen, Bd. 19). Frankfurt am Main: Peter Lang 2005, S. 227. Ebd., S. 228; [Müller, Gerhard Friedrich]: Lettre d’un Officier de la Marine Russienne à un Seigneur de la Cour concernant la Carte des nouvelles Découvertes au Nord de la Mer du Sud, & le Mémoire qui y sert d’explication publié par Mr. De l’Isle. A Paris en 1752. Traduit de l’Original Russe. In: Nouvelle Bibliothèque Germanique, Bd. 13, 1753, S. 46–87. Der volle Titel der Zeitschrift lautete: Nouvelle Bibliothèque Germanique ou Histoire littéraire d’Allemagne de la Suisse & des pays du Nord. Eine Beschreibung der Zeitschrift findet man u. a. im Katalog der französischen Nationalbibliothek: https://catalogue.bnf.fr.ark:12148/cb328260497.

Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert

135

Wahrheitsgehalt seiner Ausführungen führte. Buache reagierte mit einer Schrift Considerations Géographiques,51 die sowohl im Journal des Sçavans als auch in der jesuitischen Zeitschrift Mémoires de Trevoux besprochen wurde.52 Neben Müller übten auch mehrere bekannte französische Geographen wie Didier Robert de Vaugondy scharfe Kritik an der Karte und den Ausführungen von Delisle und Buache, zum Beispiel wurde eine Rechtfertigung von Buache zusammen mit den kritischen Kommentaren von Robert de Vaugondy veröffentlicht.53 Die Fortsetzung der Diskussion über die Ausdehnung Asiens Nachdem zunächst die Frage nach den Ergebnissen von Berings Überfahrt und der Authentizität der von Delisle und Buache benutzten Reiseberichte im Vordergrund der geographischen Debatte stand, weitete sich diese unter Geographen rasch zu der übergeordneten Fragestellung nach der Möglichkeit einer Nordostpassage und der Ausdehnung Sibiriens aus. Vor allem wurde dieser Teil der Debatte zunehmend im deutschsprachigen Raum geführt, was nicht zuletzt an dem führenden Diskussionsteilnehmer Samuel Engel lag. Der Berner Geograph und Landvogt Samuel Engel baute als Stadtbibliothekar in Bern ab 1736 eine bedeutende Sammlung zur Kartographie, Geographie und Reiseliteratur auf54 und wurde später in den Rat der Stadt Bern gewählt.55 Engel war ein Vetter des berühmten Schweizer Botanikers, Mathematikers und Mediziners Albrecht von Haller und über diesen eng verflochten mit der gelehrten Welt, der ›République des lettres‹ des 18. Jahrhunderts.56 Engel pflegte sowohl Kontakte nach 51 52 53 54

55 56

Philippe Buache: Considérations Géographiques Sur Les Nouvelles Découvertes Au Nord De La Grande Mer, Appelle’e Vulgairement La Mer Du Sud; Avec des Cartes qui y sont relatives. Par SA Paris: Academie de Sciences 1753. Journal des Sçavans, Décembre 1753. Augmenté de divers Articles que ne se trouvent point dans l’Edition de Paris. A Amsterdam, chez Marc Michel Rey, S. 151–177; Mémoires de Trévoux, Paris, Mai 1754, S. 185–195. Lettre de M. Buache, Premier Géographe du Roi, & de l’Académie des Sciences, Sur Les Nouvelles Decouvertes, &c. Résponse de M. Robert de Vaugondy, Géographe ordinaire du Roi. Réplique de M. Buache. Paris 1754. René Naville: Samuel Engel: Premier Américaniste Suisse. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, Jg. 14, H. 3, Bern 1952, S. 145–150, hier S. 145; Torsten Sander: Samuel Engels’s Bibliotheca selectissima (1743). »Rarity« as a Criterion of Knowledge and Its Classification. In: André Holenstein, Hubert Steinke, Martin Stuber (Hg.): Scholars in Action: The Practice of Knowledge and the Figure of the Savant in the 18th Century. Leiden: Brill 2013, S. 339–360. Hans Bloesch: Samuel Engel. Ein Berner Bibliophile des 18. Jahrhunderts. In: Bibliothek des Schweizer Bibliophilen. Hg. von der Schweizer Bibliophilen Gesellschaft. Serie II. Bd. 1. Bern 1925, S. 9. Diese Briefe sind bislang nicht ediert worden, aber im Repertorium befindet sich eine Aufstellung aller 587 Briefe von Engel an Haller aus der Zeit von 1737–1777, die erhalten geblieben sind, siehe Urs Boschung et al. (Hg.): Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz 1724–1777 (= Studia Halleriana VII). Basel: Schwabe 2002, S. 131–139. In der Zusammenfassung der Korres-

136

Kristina Küntzel-Witt

Paris als auch zur Royal Society in London.57 Vor allem machte er sich einen Namen als Geograph, insbesondere mit seinen Schriften zur ›Nördlichen Durchfahrt‹, die er sowohl in deutscher als auch in französischer Sprache veröffentlichte. Seine Zweisprachigkeit ermöglichte es ihm, in beiden Ländern wichtige Kontakte zu pflegen und Gehör zu finden, auch ohne eine hohe akademische Position zu bekleiden. Zunächst wurde Engels Interesse am nordpazifischen Raum durch Berichte von Berings erster Expedition geweckt, die nahelegten, dass es keine Landverbindung zwischen Asien und Amerika gab. Er teilte diese Ansicht, ging aber davon aus, dass die Meerenge zwischen Kamtschatka und Nordamerika relativ schmal sein müsste. Er verstrickte sich 1735 in eine im Mercure Suisse ausgetragene Debatte mit dem Neuenburger Professor und Geographen Louis Bourguet über die Besiedlung Amerikas. Bourguet war davon überzeugt, dass Amerika über eine Landverbindung mit Asien besiedelt worden sei.58 Engel widersprach Bourguets These von einer existierenden Landbrücke. Um seine Annahme zu bestätigen, wartete er gespannt auf die Ergebnisse der zweiten Kamtschatkaexpedition. Mittlerweile hatte sich sein Interessensgebiet ausgeweitet, und er beschäftigte sich mit großer Leidenschaft vor allem mit der Frage nach der Schiffbarkeit der Nordostpassage, um einen Seeweg durch das russische Polarmeer nach China zu finden. Über seinen Vetter Haller blieb er auf dem Laufenden. Albrecht von Haller stand in engem Kontakt zu Johann Georg Gmelin, während sich dieser in Sibirien befand. Gmelin versorgte Haller mit vielen Nachrichten von der Expedition, betonte aber gleichzeitig, dass es ihm nicht möglich sei, von den geographischen Entdeckungen zu berichten.59 Darüber unterrichtete Haller wiederum Engel. Nachdem Gmelin seinen Reisebericht später in Göttingen ohne Erlaubnis der Petersburger Akademie der Wissenschaften veröffentlichte60 und in einen ernsthaften Konflikt mit der russischen Regierung geriet,61 begann Engel zu glauben, dass die russische Seite Informationen über die Nordostpassage bewusst zurückhielt.62 Als Jo-

57 58 59

60 61 62

pondenz heißt es, dass Engel Haller immer wieder um Informationen zur Nordischen Expedition bat, S. 131. Paul Pulver: Samuel Engel. Ein Berner Patrizier aus dem Zeitalter der Aufklärung 1702–1784. Bern, Leipzig: Haupt 1937, S. 259, 261. Ebd., S. 223–225. Martin Stuber: Forschungsreisen im Studierzimmer. Zur Rezeption der Grossen Nordischen Expedition bei Albrecht von Haller und Samuel Engel. In: Erich Donnert (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. Bd. 6, Mittel-, Nord-und Osteuropa. Weimar, Köln, Wien: Böhlau 2002, S. 983–992, hier S. 988 f. Johann Georg Gmelin: Vorrede zur Reise durch Sibirien, von dem Jahr 1733 bis 1743. T. 1 (= Sammlung neuer und merkwürdiger Reisen zu Wasser und zu Lande, Bd. IV). Göttingen: Vandenhoeck 1751. Maier: Die Krise der St. Petersburger Akademie (wie Anm. 25), S. 353–373. Larissa P. Belkovets: Discussion of the Russian discoveries in Siberia and the Pacific Ocean in West European Literature in the Eighteenth Century. In: Polar Geography and Geology, vol. 17, No. 2, 1993, S. 138–153, hier vor allem S. 139 f.

Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert

137

seph-Nicolas Delisle und Philippe Buache ihre Karte Nouvelles Cartes des Découvertes samt Erläuterungen veröffentlichten, war Engels Interesse sofort geweckt. In einer Artikelserie in der NBG setzte er sich mit der Debatte auseinander.63 Im ersten Teil der Artikelserie beschäftigte er sich insbesondere mit der Lage von Jeso und kam zu dem Schluss, dass es sich bei Jeso um Kamtschatka handeln müsse. Dabei bezog er sich auf Angaben der Jesuiten aus Peking, Jean Baptiste du Haldes Geschichte Chinas von 1735 und auf Strahlenbergs Werk.64 Engel hatte offensichtlich eine ältere Diskussion in den Mémoires de Trévoux zwischen den französischen Geographen Jacques Nicolas Bellin, Jean Baptiste Bourguignon d’Anville und dem jesuitischen Pater Castel über die Lage von Jeso und Kamtschatka nicht mitverfolgt, sonst wäre ihm dieser Fehler nicht unterlaufen.65 Er hat seinen Irrtum der Gleichsetzung Kamtschatkas mit Jeso in seinen späteren Schriften nie wiederholt, sondern ihn stillschweigend korrigiert. Beim Vergleich mit den älteren Karten von Asien errechnete er außerdem einen Unterschied von 30 Längengraden für die Lage Kamtschatkas.66 Diese erste Abhandlung von Engel erzielte im Vergleich zu seinen späteren Werken wenig Wirkung. Müller hat sie in seinen kurz darauf veröffentlichten Nachrichten von Seereisen nicht erwähnt.67 Seine Abhandlung belebte, zusammen mit Stepan Krašeninnikovs Beschreibung vom Lande Kamtschatka, die weitere Diskussion über die russischen Expeditionen in Ostsibirien und im Nordpazifik. Engel verfolgte diese Schriften sehr aufmerksam und veröffentlichte 1765/1766 eine erste Monographie zu diesem Thema auf Französisch, die 1772 auch auf Deutsch erschien.68 Dass es nicht früher zu einer Publikation kam, lag am Siebenjährigen Krieg (1756–1763), der sich auf die europäischen wissenschaftlichen Kommunikationswege negativ auswirkte und zu einer verzögerten publizistischen Produktion geführt hatte.69 Die französische Ausgabe wurde sofort im Journal des Sçavans besprochen, aber nicht die Publikationen,

63 64 65

66 67 68

69

Samuel Engel: Remarques Sur les Découvertes Russiennes concernant le passage au Nord, &c. In: NBG Bd. 16 (1755), S. 161–188; S. 366–401; Bd. 17: S. 44–109, S. 364–418. Ebd., Bd. 16, S. 368 f. Vgl. Jean Baptiste Du Halde : Description Geographique, Historique, Chronologique, Politique Et Physique de l’Empire de la Chine et de la Tartarie Chinoise. Paris: Le Mercier 1735. Zu dieser Diskussion vgl. Nicolas Verdier: Des Cartes en situation d’intercertitude: La controverse sur le Kamtchatka entre 1737 et 1738 comme révélateur d’une crise de la cartographie française. In: Vek Prosveščenija. Vyp. 5: Geografija ėpochi Prosveščenija: meždu voobraženiem i real’nost’ju. Ot red. S. Ja. Karp, E. E. Ryčalovskij i J.–Y. Sarazin. Moskva: Nauka 2015, S. 100–120, hier S. 112 f. Samuel Engel: Remarques Sur les Découvertes Russiennes. In: NBG Bd. 16, S. 397 f. Gerhard Friedrich Müller: Nachrichten von Seereisen. In: SRG 1758, St. 1–3, S. 1–305. Samuel Engel: Mémoires et observations géographiques et critiques sur la situation des pays septentrionaux de l’Asie et de l’Amerique, d’après les relations les plus récentes. Auquelles on a joint un essai sur la route aux Indes par le nord et sur un commerce très vaste et très riche à établir dans la mer du Sud. Avec deux nouvelles cartes dressées conformement à ces systême par Mr. ***. Lausanne: Chapuis 1765. Peter Hoffmann: Ostsibirien und Nordpazifik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Diskussion um die Ausdehnung Asiens. Frankfurt am Main: Peter Lang 2013, S. 108.

138

Kristina Küntzel-Witt

die auf Deutsch erschienen.70 An sich ist es allerdings signifikant für die Debatte, die in Frankreich bzw. der französischsprachigen Nouvelle Bibliothèque Germanique begann, wie schnell diese auf die deutschsprachigen Zeitschriften übergriff. Allen voran berichteten die Wöchentlichen Nachrichten darüber, nicht zuletzt, weil sich Büsching aktiv in die Diskussion einmischte. In seiner Schrift reibt sich Engel vor allem an den Längenangaben zur Ausdehnung Sibiriens. Er beruft sich dabei auf die erste Generalkarte Russlands von Ivan Kirilov, der nach Engel die Länge Russlands auf insgesamt 130 Längengrade, ausgehend von den estnischen Inseln Dago und Ösel, beziffert hatte: Man wird in der That aus diesem Werke sehen, daß ihr Herr Kirilow, der das russische Reich vollkommen kennen mußte, nur 130˚ der Länge, von den Inseln Dago und Oesel unter 40˚ der Länge angerechnet, zueignet. Gegen Osten setzet man die äußerste Ecke Asiens unter 205 oder 208˚, und die östlichen Küsten des eigentlich so genannten Kamtschatka unter 180˚. Wie sehr müßte man diese funfzehnhundert Meilen nicht verringern, wenn man die ganze Länge des russischen Reiches, auf die vom Hrn. Kirilow angegebenen 130˚ zurück setzten wollte; die doch nach den Karten 168˚ beträgt, und wenn man nach diesem Verhältnisse auch die Länge bis an die östlichen Küsten von Kamtschatka verringerte?71

Johannes Dörflinger hat darauf hingewiesen, dass Kirilov im lateinischen Originaltext davon spricht, dass es »ultra CXXX gradus« seien – das Russländische Reich also mehr als 130 Längengrade umfasst –, und diese erste Generalkarte nur bis Kamtschatka reicht. Diese Erläuterung von Kirilov kann Engel eigentlich nicht entgangen sein, und sie verkörpert einen wichtigen Widerspruch zu seinen Ausführungen.72 Außerdem hatte Kirilov die Karte vor der Zweiten Kamtschatkaexpedition verfasst, auf der regel-

70

71

72

Rezension zu: Mémoires et observations géographiques et critiques sur la situation des pays septentrionaux de l’Asie et de l’Amerique […] par M. Engel. In: Journal des Sçavans, Octobre 1766, S. 473–491. Der ungenannte Rezensent äußert einige Kritikpunkte an Engels Ausführungen, aber vor allem fällt auf, dass er sich sehr stark auf die Aussagen zur Beschaffenheit des amerikanischen Kontinents konzentriert, während er Engels Hauptanliegen, nämlich die Nordostpassage, vergleichsweise wenig thematisiert. Samuel Engel: Geographische und Kritische Nachrichten und Anmerkungen über die Lage der nördlichen Gegenden von Asien und Amerika, nach den allerneuesten Reisebeschreibungen; welchen noch ein Versuch über einen Weg durch Norden nach Indien, und über die Errichtung eines sehr ausgebreiteten und einträglichen Handels in die Südsee beygefüget ist; Nebst zwo neuen nach diesem Systeme entworfenen Karten. Aus dem Französischen übersetzet, von dem Herrn Verfasser selbst sorgfältig und genau durchgesehen, verbessert und mit vielen neuen Zusätzen bereichert, die sich in dem Originale nicht befinden. Mietau: Hasenpoth, Leipzig: Jacob Friedrich Hinz 1772, Vorerinnerung, S. VIII. Johannes Dörflinger: Die Diskussion über die Längenausdehnung Asiens im 18. Jahrhundert. In: Friedrich Engel-Janosi, Grete Klingenstein, Heinrich Lutz (Hg.): Formen der europäischen Aufklärung. Untersuchungen zur Situation von Christentum, Bildung und Wissenschaft im 18. Jahrhundert (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 3). Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1976, S. 158–189, hier S. 175.

Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert

139

mäßig astronomische Ortsbestimmungen von Louis Delisle de la Croyère und seinem Studenten Andrej Krasil’nikov vorgenommen wurden. Mit anderen Worten: Kirilovs Karte war veraltet. Engel fand dennoch für seine These einen prominenten Mitstreiter, der französische Geograph Didier Robert de Vaugondy schloss sich seinen Darlegungen an.73 Er kam seinerseits ebenfalls zu dem Schluss, dass der asiatische Teil Russlands zu lang dargestellt sein müsse. Anders als Engel glaubte Vaugondy nicht an eine absichtlich falsche Darstellung von russischer Seite, sondern vielmehr an ein Versehen, das sich aus unterschiedlichen Distanzangaben und verstellten Instrumenten ergeben habe.74 Eine klare Position bezog Gerhard Friedrich Müller. Er wehrte sich gegen die Einwände Engels in einem Brief an seinen Freund Büsching, den dieser in seinen Wöchentlichen Nachrichten vom 13. Dezember 1773 abdrucken ließ. Darin widerspricht Müller Engel energisch: Bin ich vielleicht der erste gewesen, der die äußersten Küsten der Tschuktschi unter 205 Grad Länge angeleget hat? Ist nicht schon die ganze Länge von Sibirien durch die erste Reise und Schiffarth des Capitain Berings, wovon Mr. d’Anville die Charte in seinem chinesischen Atlas herausgegeben hat, bestimmet worden?75

Alle Zweifel an der Exaktheit der russischen Observationen und Bestimmung der Längengrade auf der Zweiten Kamtschatkaexpedition wischt er mit den energischen Worten zur Seite: »Eine solche willkürliche Behandlung würde man dem Hrn. Engel in der Mitte von Afrika zu gute halten, aber nicht in Sibirien, wo wir jetzt so klar sehen, als in einem Theil von Europa.«76 Ein Statement, das zeigt, wie Müllers Selbsteinschätzung der bisherigen Publikationen über Sibirien aussah – und tatsächlich hatte sich der Wissensstand über Sibirien in wenigen Jahrzehnten gewaltig verändert. Von einer ›terra incognita‹ konnte 1773 nicht mehr die Rede sein. Detailliertes Wissen über Geschichte und Geographie Sibiriens war in Westeuropa mittlerweile verbreitet worden, nicht zuletzt durch Müllers eigene Publikationen in der SRG sowie Gmelins Reisebericht und deren Besprechungen in den Gelehrten Zeitschriften. Außerdem äußert sich in dem Streit zwischen den beiden Gelehrten auch der generelle Konflikt zwischen

73

74 75 76

Bereits 1768 hatte sich Didier Robert de Vaugondy positiv über Engels Schriften geäußert, in seinem Lettre De M Robert De Vaugondy A M *** Au sujet d’une Carte Systèmatique des pays Septentrionaux de l’Asie & de l’Amérique (à Paris). Weit ausführlicher äußerte er sich dann in seinem Mémoire Sur Les Pays De L’Asie Et De L’Amérique, situés au nord de la Mer du Sud. Paris: Auteur 1774. Zur Bedeutung von Didier Robert de Vaugondy vgl. Mary Pedley-Sponberg: Bel Et Utile. The Work Of The Robert De Vaugondy Family Of Mapmakers. Exeter: Map Collector Publ. 1992. Robert de Vaugondy: Mémoire Sur Les Pays De L’Asie (wie Anm. 72), S. 5, 11. Vgl. auch Dörflinger: Die Diskussion über die Längenausdehnung Asiens (wie Anm. 71), S. 179, 181. Brief von Gerhard Friedrich Müller in den Wöchentlichen Nachrichten, 1. Jg., St. 50, Dezember 1773, S. 403. Ebd., S. 404.

140

Kristina Küntzel-Witt

einem Feldforscher, dem ›active scholar‹, der empirisch gearbeitet hatte, und einem Wissenschaftler, der nie vor Ort forschen konnte, sondern als ›armchair scholar‹ seine Thesen an seinem Schreibtisch in den Schweizer Bergen entwickelt hatte.77 Die Gelehrten Zeitschriften als Multiplikator über ›Sibirica‹ In den folgenden Jahren wurde die Debatte über die Ausdehnung Sibiriens und die Suche nach der Nordostpassage vor allem zwischen Büsching und Engel in den Wöchentlichen Nachrichten ausgetragen. Später beteiligte sich auch Pallas mit mehreren Berichten in seinen Neuen Nordischen Beyträgen zu den weiteren russischen Entdeckungsfahrten im Polarmeer von 1764 bis 1766 unter Vasilij Čičagov sowie im Nord-

»Carte der Entdeckungen zwischen Sibirien und America bis auf das Jahr 1780« von Peter Simon Pallas (Neue Nordische Beyträge zur physikalischen und geographischen Erd- und Völkerbeschreibung, Naturgeschichte und Oekonomie. Bd. 1, 1781). Pallas bezeichnet die Meerenge zwischen Amerika und Asien als Cook-Straße.

77

Vgl. Stuber: Forschungsreisen im Studierzimmer (wie Anm. 59); vgl. auch Holenstein, Steinke, Stuber (Hg.): Scholars in Action, Einleitung (wie Anm. 54), S. 1–44, hier S. 3.

Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert

141

pazifik von 1764–1771 unter der Leitung von Petr Krenicyn und Michail Levašov78 an der Diskussion.79 Am Ende berichteten Pallas und Büsching auch über die letzte Entdeckungsfahrt von James Cook, der 1778 die Küste Alaskas kartographierte und nach einer Nordwestpassage suchte und dabei sowohl das Kap an der Spitze Amerikas als auch Asiens befuhr. Cook besuchte zudem die russische Siedlung auf Unalaska, und sein Stellvertreter Clerke, der die Expeditionsleitung von Cook nach dessen Tod übernahm, steuerte im darauf folgenden Jahr Kamtschatka an, um die russischen Längengradbestimmungen zu überprüfen.80 Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die russischen Angaben zutrafen, Sibirien sich sogar noch ein wenig weiter ausdehnte, als Müller angegeben hatte. Damit endete die Diskussion schließlich, wobei Engel auch noch an diesen Nachrichten zweifelte. Aber für alle anderen Geographen war die Frage nach der Ausdehnung Nordasiens geklärt.81 Die detailliertesten Artikel über Sibirien erschienen zweifellos in den Wöchentlichen Nachrichten. Interessant ist die Frage, wie groß die Auflage der Wöchentlichen Nachrichten war.82 Bis heute findet man Büschings Journal in fast jeder deutschsprachigen Bibliothek. Dieser Umstand spricht dafür, dass die Zeitschrift relativ weit verbreitet war und auf jeden Fall in den gelehrten Kreisen stark rezipiert wurde. Aber leider lassen sich weder für Büschings Zeitschriften noch für die SRG konkrete Auflagenzahlen finden. Auch Peter Hoffmann, Büschings Biograph, ist es nicht gelungen, darüber nähere Angaben in Büschings Nachlass zu entdecken.83 Etwas Aufschluss über die ungefähre 78

79 80

81

82 83

Vgl. Diana Ordubadi: Die Billings-Saryčev-Expedition 1785–1795. Eine Forschungsreise im Kontext der wissenschaftlichen Erschließung Sibiriens und des Fernen Ostens. Mit einer Übersichtskarte (= Kultur- und Sozialgeschichte Osteuropas/Cultural and Social History of Eastern Europe, Bd. 4). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016, S. 43–54. So zum Beispiel mit der Abhandlung: Gerhard Friedrich Müllers »Nachrichten von den neuesten Schiffahrten im Eißmeer und in der Kamtschatkischen See, seit dem Jahr 1742; da die zweyte Kamtschatkische Expedition aufgehört hat“. In: Neue Nordische Beyträge, Bd. 5, 1793, S. 3–104. Brian W. Richardson: Longitude and Empire. How Captain Cook’s Voyages Changed the World. Vancouver, Toronto: Univ. of British Columbia Press 2005, S. 6, vgl. J. C. Beaglehole: Cook and the Russians. An addendum to the Hakluyt Society’s edition of The voyage of the Resolution and Discovery, 1776–1780. London: Hakluyt Society 1973; Yakov M. Svet, Svetlana G. Fedorova: Captain Cook and the Russians. In: Pacific Studies, vol. II. No. 1, Fall 1978, S. 1–19. Vgl. Wöchentliche Nachrichten, Jg. 8., St. 3, 17. Januar 1780, S. 33–35: »Des Herrn Doctors und Professors Pallas umständlicherer Bericht von des Cap. Cook’s Entdeckungen und Tode.« Büsching berichtet über einen Kommentar von Engel: »Herr Pallas beschloß seine erste Nachricht, mit den Worten: »was wird nun Herr Engel zu der für die Meerenge zwischen Asia und Amerika angegebene Lage, sagen? wird er auch die Engländer Lügen strafen?« [Das war in St. 2, 10. Januar 1780, S. 12.] Herr Engel will nicht glauben, daß Herr P. dieses geschrieben habe, sondern nimmt für gewiß an, daß es ein Zusatz von mir sey; ja er geht so weit, daß er sagt, ich bediene mich in der französischen Leidner Zeitung des Worts imposture, für Lügen, gleich als ob ich diese Uebersetzung gemacht hätte.« In: Wöchentliche Nachrichten, Jg. 8., St. 43, 23. Oktober 1780, S. 339. Büsching veröffentlichte noch eine weitere Zeitschrift, genannt Magazin für die neue Historie und Geographie, aber darin findet man nur sehr wenige Beiträge über Sibirien. Vgl. Hoffmann: Anton Friedrich Büsching (1724–1793) (wie Anm. 30), S. 243.

142

Kristina Küntzel-Witt

Auflagenhöhe vermittelt ein Brief Büschings an Müller, wo er diesen auffordert, ihm 500 Exemplare einer seiner Schriften auf Russisch und 800 auf Deutsch zu schicken. Es handelt sich dabei zwar nicht um einen Band der SRG, aber wenigstens erhält man hier eine ungefähre Vorstellung von der Höhe des Interessentenkreises für russische Publikationen.84 Bei Thomas Habel findet man eine Liste mit den Auflagenzahlen mehrerer Gelehrter Zeitschriften aus dem 18. Jahrhundert, die zwischen Auflagen von 460 (Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, Jg. 1753) bis zu 2500 (Allgemeine Deutsche Bibliothek, Jg. 1768) schwanken und einen Eindruck der Auflagenstärken vermitteln. Habel führt zum Beispiel für die Russische Bibliothek von Bacmeister Auflagenzahlen von 1500 (1772) und von 500 (1784) Stück an.85 Damit kann man davon ausgehen, dass für Büschings Periodika Auflagenzahlen von mehr als 1000 Stück realistisch sein dürften. Denn die Russische Bibliothek sprach zwar ein ähnliches Publikum an, sie konzentrierte sich aber ganz auf neueste russische Publikationen, um diese in Westeuropa bekannt zu machen. Büsching veröffentlichte im Gegensatz dazu auch Nachrichten aus anderen Ländern, das heißt er sprach einen größeren Kreis von Interessenten an. Dadurch dürfte die Auflage der Wöchentlichen Nachrichten höher als die der Russischen Bibliothek gewesen sein. Folkwart Wendland berichtet von beständigen Problemen Bacmeisters, die Reihe herauszugeben. Bacmeister war zu der Zeit als Inspektor am Akademischen Gymnasium der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg tätig und konnte seine Zeitschrift nur »unter großen persönlichen Opfern und Schwierigkeiten« herausbringen.86 Büsching scheint dagegen keinerlei Komplikationen bei der Finanzierung seiner Zeitschriften gehabt zu haben, in seinen Briefen an Müller beklagt er sich nicht einmal.87 Um den Einfluss der Publikationen einschätzen zu können, kommt noch erschwerend hinzu, dass Nachrichten aus den Journalen gerne in der Tagespresse und in anderen Periodika abgedruckt wurden, häufig auch ohne Verweis auf die ursprüngliche Publikation. Büsching beschwert sich darüber, dass viele Tageszeitungen Nachrichten aus seinen Wöchentlichen Nachrichten übernehmen würden, ohne ihn als Verfasser zu 84

85 86 87

Vgl. Peter Hoffmann (Hg.): Geographie, Geschichte und Bildungswesen in Russland und Deutschland im 18. Jahrhundert. Briefwechsel Anton Friedrich Büsching – Gerhard Friedrich Müller 1751– 1783. Hg. von Peter Hoffmann in Zusammenarbeit mit Valerij Ivanovič Osipov (= Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas, Neue Folge, Bd. 33), Berlin: Akademie 1995, Brief 170 von Büsching an Müller vom Dezember 1764, S. 252. Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts. (= Presse und Geschichte – Neue Beiträge, Bd. 17). Bremen: edition lumière 2007, S. 109. Folkwart Wendland: Peter Simon Pallas (1741–1811). Materialien einer Biographie (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin. Bd. 80/1–2). Berlin et al.: De Gruyter 1992, Bd. 1, S. 718. Vgl. Hoffmann: Briefwechsel Anton Friedrich Büsching (wie Anm. 84).

Sibirien als Topos der Gelehrten Journale im 18. Jahrhundert

143

nennen oder die Nachrichten zu erwähnen.88 Belegt sind zum Beispiel Übernahmen des 1. Jahrgangs der Wöchentlichen Nachrichten durch Meusels historische Journale bzw. die Betrachtungen über die neuesten historischen Schriften, wie Johann Georg Meusels Reihe offiziell hieß, die von 1767 bis 1773 erschien. In ihrem letzten Jahrgang wurden mehrfach Nachrichten aus Büschings Zeitschrift abgedruckt, aber die kopierten Texte wurden immerhin kenntlich gemacht.89 Insgesamt gesehen, kann man davon ausgehen, dass eine Verbreitung des Wissens über Sibirien dank Büsching, Müller, Bacmeister und Pallas unter der deutschen Leserschaft in entscheidender Weise durch das Medium der Gelehrten Zeitschriften stattgefunden hat. Denn diese waren im 18. Jahrhundert sehr populär: Thomas Habel hat eine Aufstellung von August Pierer und Julius Löbe von 1836, ergänzt mit neueren Daten, übernommen, die insgesamt von ca. 1600 Zeitschriften mit wissenschaftlichem Anspruch in den deutschen Ländern im 18. Jahrhundert ausgeht. Davon hatten ca. 500 einen thematischen Schwerpunkt in Geschichte und Politik bzw. in Geschichte und Geographie.90 Das sind überraschend hohe Zahlen. Die deutschsprachigen Gebiete inklusive Preußen waren lange vor der Einführung der allgemeinen Schulpflicht zu einem Land der Leser geworden, und gerade Zeitschriften waren äußerst beliebt. Wie Astrid Blome überzeugend ausführt, wird die Bedeutung des Zeitschriftenwesens für das 18. Jahrhundert bis heute unterschätzt. Sie meint: Das publizistische Räsonnement, die Verbreitung von Hintergrundinformationen, die Einordnung, Diskussion und Bewertung des Geschehens blieb den Zeitschriften des 18. Jahrhunderts vorbehalten. Sie waren ein erheblich anspruchsvollerer, teurer und damit insgesamt exklusiverer Lesestoff [als die Tageszeitungen].91

Für diese Untersuchung ist noch ein weiterer Punkt entscheidend, den Astrid Blome anspricht: der unmittelbare Zusammenhang zwischen den gelehrten Ephemeriden und der Geschichtswissenschaft. Blome zieht das Fazit: Der rationalistische Umgang mit aktueller Politik in all ihren Facetten ist ein Charakteristikum der Presse des 17. und 18. Jahrhunderts. Der gleiche Rationalismus in der Informationsverarbeitung kennzeichnete die Historiographie, die sich inhaltlich wie methodisch

88 89 90 91

Wöchentliche Nachrichten, 2. Jg. 1774, Vorrede unpag. Vgl. dazu auch Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen (wie Anm. 84), S. 429, wo er Büsching zitiert und darauf verweist, dass vor allem Hamburger und Altonaer Zeitungen Nachrichten aus den Wöchentlichen Nachrichten übernahmen. Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen (wie Anm. 85), S. 373. Ebd., S. 70 f. Astrid Blome: Tagespublizistik und Geschichtsschreibung (nicht nur) im 17. und 18. Jahrhundert. In: Deutsche Presseforschung. Geschichte und Forschungsprojekte des ältesten historischen Instituts der Universität Bremen. Mit einleitenden Beiträgen zur Bedeutung der historischen Presseforschung. Hg. von Holger Böning, Aïssatou Bouba, Esther-Beate Körber, Michael Nagel und Stephanie Seul (= Presse und Geschichte – Neue Beiträge, Bd. 76). Bremen: edition lumière 2013, S. 43–53, hier S. 45.

144

Kristina Küntzel-Witt

in eine direkte Abhängigkeit von der Presseberichterstattung begab. Dadurch gewinnt die historische Presse gerade aus den ersten beiden Jahrhunderten ihres Bestehens einen bisher noch nicht annähernd gewürdigten Quellenwert für die moderne Geschichtsschreibung. […] Indem jedoch die Zeitgenossen des 17. und 18. Jahrhunderts die periodische Publizistik als Grundlage und erste Stufe der Historiographie begriffen haben, gewinnt die historische Presse einen in vielfacher Hinsicht unschätzbaren Quellenwert für die moderne Geschichtswissenschaft.92

Genau davon ist bei Büschings Wöchentlichen Nachrichten und der Russischen Bibliothek auszugehen: Sie wurden nicht nur von anderen Wissenschaftlern gelesen und diskutiert, sondern auch von einem breiteren Publikum rezipiert und prägten damit die Vorstellungen von Sibirien, seiner Geschichte, seinen Küsten, seinem Klima und der (Un)möglichkeit der Nordostpassage, die sich die gelehrten und gebildeten Kreise in den deutschsprachigen Ländern machten, ganz erheblich. Die Wirkung auf die gelehrte Welt ist relativ leicht nachzuweisen, weil die vermittelten Kenntnisse in den Kanon der wissenschaftlichen Literatur in Europa aufgenommen wurden, zum Beispiel zunächst in die Enzyklopädien, die damals so populär waren. Die Wissensvermittlung entfaltete sich auch über die Grenzen der gelehrten Welt hinaus, wobei nationale Grenzen bei diesem Prozess des Wissenstransfers keine nennenswerte Rolle spielten, wie diese Studie in aller Deutlichkeit zeigt. Die Vernetzung, das ›entanglement‹, der Gelehrten war weit entwickelt.93 Das Russländische Reich war durch die Akademie der Wissenschaften und deren Wissenschaftler zu einem Teil dieser gelehrten Gemeinschaft geworden, und dank der Ephemeriden, die bemerkenswert schnell die neuesten Nachrichten und Werke publizierten bzw. rezensierten, profitierte auch eine größere Öffentlichkeit von diesem Wissensaustausch.94

92 93 94

Ebd., S. 52. Vgl. Holenstein, Steinke, Stuber (Hg.): Scholars in Action, Einleitung (wie Anm. 54), S. 11. Gert Robel: Der Wandel des deutschen Sibirienbildes im 18. Jahrhundert. In: Canadian-American Slavic Studies, 14, No. 3 (Fall 1980), S. 406–426, hier S. 425; vgl. dazu auch Ulrich Johannes Schneider: »Rußland« in Zedlers »Universal-Lexicon«: In: Dittmar Dahlmann (Hg.): Die Kenntnis Rußlands im deutschsprachigen Raum (wie Anm. 30), S. 247–270, wo in einer Tabelle alle Artikel zu einzelnen Beiträgen über Russland aufgeführt werden, darunter auch etliche mit Bezug auf Sibirien, S. 254–257.

Die Debatte um die Taufe in den Gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts Thea Sumalvico Einleitung Wenn wir es uns angelegen seyn lassen, auch von den äußern religiösen Handlungen vernünftige Begriffe und bestimmte reelle Zwekke aufzusuchen, und diese den Bedürfnissen unsrer Zeit möglichst anzupassen; so werden wir den Zweiflern und Verächtern der Religion nicht so viel Veranlassung zum Spott geben […] 1

So schrieb ein anonym bleibender Autor 1795 im Allgemeinen Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unserer Zeit Wie das geht, einer religiösen Handlung »vernünftige Begriffe« beizulegen und sie den »Bedürfnissen der Zeit« anzupassen, ist allerdings alles andere als eindeutig. Eine religiöse Handlung, die im 18. Jahrhundert starken Transformationen unterlag und kontrovers diskutiert wurde, war die Taufe. Es kam zu Streitigkeiten darüber, was sie bedeutete und wie sie ausgestaltet werden sollte. Dabei ging es um die Säuglingstaufe im Besonderen sowie um die Bedeutung der Taufe im Allgemeinen. Die Diskussion stand in engem Zusammenhang zu anderen philosophischen und theologischen Debatten der Zeit. So wurden übernatürliche Wirkungen zunehmend in Frage gestellt; damit veränderte sich auch das Verständnis von Wundern sowie die Auffassung vom Teufel. Beides hatte wiederum Auswirkungen auf das Taufverständnis. Ebenso spiegelten sich Veränderungen in der Anthropologie, die sich nun stark auf die Eigenverantwortung und Freiheit des Menschen fokussierte, im sich wandelnden Verständnis der Rechtfertigungslehre, die sich auch auf das Taufverständnis auswirkte. Zunehmend stand das, was über die Taufe gedacht und geschrieben wurde, im Widerspruch zur Lehre von Luthers Katechismus, in dem es heißt, die Taufe wirke Vergebung der Sünde, erlöse von Tod und Teufel und gebe die ewige Seligkeit. Die

1

Ueber die Kindertaufe. In: Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unserer Zeit. Hg. von Johann Gottlieb Rudolph Beyer. Bd. 11, St. 2 (1795), S. 64–77, hier S. 77.

146

Thea Sumalvico

Taufe wurde dabei, zumindest bei einigen Theologen, von einem Mittel, wodurch dem einzelnen Gottes Gnade zugeeignet wird, zu einem Bekenntnisakt und Aufnahmeritus in die christliche Kirche. Damit wurde ihre absolute Heilsrelevanz zunehmend – explizit oder implizit – in Frage gestellt. Diese Transformation geschah dabei keineswegs unwidersprochen und verlief nicht geradlinig, sondern diskursiv und strittig. Exemplarisch und wegweisend war die Debatte um Johann Bernhard Basedow in Hamburg und Altona in den 1760er Jahren. Die Position des Pädagogen und Theologen kann als exemplarisch für die Zeit gelten, da er die heilswirksame »Effektivität« der Taufe leugnete und sie als Bekenntnisakt und Mittel zur Erinnerung an das Christusgeschehen bezeichnete. Die Position seiner Gegner, besonders des Lehrers Johann Martin Müller, ist ebenfalls exemplarisch, da sie sich auf die Verteidigung der tatsächlichen Wirksamkeit der Taufe konzentrierte. Für die Debatte um die theologische Neubestimmung der Taufe und die Änderung der Taufpraxis waren die Gelehrten Journale ein wichtiges Medium, zum einen durch Beiträge und zum anderen durch Anzeigen und Rezensionen von Streitschriften. Auch das ist an der Debatte um Basedow gut zu sehen, da diese durch Rezensionen über Hamburg und Altona hinaus bekannt und so weitergeführt wurde. Ein wichtiger Bestandteil der in den Zeitschriften breit geführten Diskussion um die Taufe war der Taufexorzismus. Er stand in engem Zusammenhang mit den Debatten um das Böse und den Teufel, die gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr virulent waren. Und drittens wurden in den Zeitschriften auch Fragen der Taufpraxis verhandelt. Im Folgenden werde ich diesen drei Aspekten sowohl am Beispiel spezifisch theologischer als auch universal ausgerichteter Zeitschriften nachgehen und zeigen, welche Bedeutung der publizistischen Öffentlichkeit für die Kontroverse zukam. Rezensionen in der Taufdebatte: Das Beispiel Basedow Dass Zeitschriften als Plattform für den wissenschaftlichen Diskurs dienten und für dessen überregionale Ausbreitung sorgten, zeigt sich beispielhaft an der Debatte um Johann Bernhard Basedow. Basedow war in den 1760er Jahren Lehrer in Altona und sorgte zunächst dort wie im nahen Hamburg mit seinen philosophischen, theologischen und pädagogischen Schriften für Aufsehen,2 so mit seiner zweibändigen Philalethie (1764), in der er sich mit Anthropologie und Theologie beschäftigte. Er drückte in dieser Schrift vorsichtiges Verständnis für Gruppierungen aus, die die Kindertaufe

2

Zu Basedows Tätigkeit in Altona und den dortigen Auseinandersetzungen um seine Person vgl. Jürgen Overhoff: Die Frühgeschichte des Philanthropismus (1715–1771). Konstitutionsbedingungen, Praxisfelder und Wirkung eines pädagogischen Reformprogramms im Zeitalter der Aufklärung. Tübingen: Niemeyer 2004, S. 158–167.

Die Debatte um die Taufe in den Gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts

147

ablehnten3 – was ihm den Vorwurf einbrachte, selbst ein Gegner der Kindertaufe zu sein.4 Auch äußerte er sich kritisch bezüglich der Tauflehre in Luthers Kleinem Katechismus und bestritt, dass die Taufe notwendig und hinreichend zur Erlangung des Heils sei.5 Er bezweifelte, dass Kinder bereits vor Gebrauch von Vernunft und Sprache Glauben haben oder diesen durch die Taufe erhalten. Für ihn ist Glaube etwas, was erlernt werden muss.6 Hier zeigt sich der Zusammenhang der Debatte um die Taufe mit der sich in dieser Zeit immer mehr ausdifferenzierenden Pädagogik: Besonders die Position zu Kindertaufe und -glaube ist offenkundig eng mit Basedows philanthropischem Konzept und seiner Pädagogik insgesamt verbunden. Pädagogische Entwürfe verfasste Basedow bereits zur Zeit der Debatte, und einige Jahre später gründete er das Philanthropin in Dessau.7 Vernunft ist für Basedow etwas, das dem Wachsen des Glaubens hilfreich ist; ein Kind soll lernen, ein selbstständiger Mensch und Glaubender zu werden. Die Fokussierung auf das Erlernen des Glaubens lässt dann natürlich die Kindertaufe weniger wichtig werden, auch wenn sie von Basedow nicht negiert wird. Als Basedows Gegner positionierten sich der später im Fragmentenstreit mit Lessing bekannt gewordene Hamburger Pfarrer Johann Melchior Goeze8 und der Hamburger Lehrer Johann Martin Müller.9 Zu deren Streitschriften erschienen Rezensionen in verschiedenen Zeitschriften; so finden sich äußerst kritische Rezensionen zu Basedows Texten im Altonaischen Gelehrten Mercurius und in den Hamburgischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit Die Debatte wurde durch Rezensionen auch über die Grenzen Hamburgs und Altonas bekannt; Zeitschriften fungierten hier als Multiplikatoren. Johann August Ernesti, aufklärerischer Theologe und Rektor der Leipziger Thomasschule, rezensierte Basedows umstrittene Philalethie in seiner Neuen theologischen

3 4 5 6 7 8

9

Vgl. Johann Bernhard Basedow: Philalethie. Neue Aussichten in die Wahrheiten und Religion der Vernunft bis in die Gränzen der glaubwürdigen Offenbarung, dem denkenden Publico eröffnet. Altona: Iversen 1764, Bd. 1, S. 646. Vgl. Johann Martin Müller: Bescheidene Prüfung des Basedowischen Lehrbegriff von der Taufe und dem Glauben der Kinder. Hamburg: Dresen 1764. Vgl. Johann Bernhard Basedow: Methodischer Unterricht in der überzeugenden Erkenntniß der biblischen Religion zur fortgesetzten Ausführung des in der Philalethie angegebenen Plans. Altona: Iversen 1764, S. 127–131. Vgl. zum Beispiel Johann Bernhard Basedow: Methodischer Unterricht der Jugend in der Religion und Sittenlehre der Vernunft nach dem in der Philalethie angegebenen Plane. Altona: Iversen 1764, S. XI. Vgl. Overhoff: Die Frühgeschichte (wie Anm. 2), S. 210. Vgl. Johann Melchior Goeze: Predigt von dem Gebete der Unmündigen und der Kinder, welche derselbe am Sontage Palmarum dieses Jahrs gehalten, um seine theuer-geachtete und herzlichgeliebte Gemeine vor den, von dem Altonaischen Professor, Herrn Basedow, in seinen Schriften ausgestreueten verderblichen Vorschlägen zu einer, dem Willen Gottes entgegen laufenden Kinderzucht, und andern grundstürzenden Irthümern, pflichtmäßig und gewissenhaft zu verwaren. Hamburg: Barmson 1764. Vgl. Müller: Bescheidende Prüfung (wie Anm. 4).

148

Thea Sumalvico

Bibliothek. Das Werk schneidet bei Ernesti insgesamt gut ab, doch weist er auf einige seiner Auffassung nach unrichtige Meinungen Basedows hin, unter anderem auch zur Frage der Kindertaufe. Kritik an Bekenntnistexten und Dogmen seien zwar grundsätzlich in Ordnung und zuweilen auch angebracht, Basedow gehe aber häufig zu weit.10 Die Rezensionszeitschriften sorgten auch dafür, dass Debatten, die bereits abgeflaut schienen, erneut befeuert wurden. So griff der ehemalige11 Berliner Pfarrer Carl Christoph Reiche 1774 in seiner anonym publizierten Schrift Die Taufe der Christen, ein ehrwürdiger Gebrauch und kein Gesetz Christi12 auf eine Rezension in den Danziger Theologischen Berichten von neuen Büchern und Schriften von 1765 zurück. In dieser Rezension wird die Schrift Bescheidene Prüfung des Basedowischen Lehrbegriffs von der Taufe und dem Glauben der Kinder von Basedows Gegner Müller besprochen; dessen Verteidigung der Kindertaufe wird in Grundzügen wiederholt und ergänzt.13 Für Reiche bildete die Rezension den Ausgangspunkt, um sich mit den von Müller sowie vom Rezensenten vorgelegten Argumenten für die Kindertaufe auseinanderzusetzen und diesen zu widersprechen. Er bestritt vor allem die Annahme, das Kind werde durch die Taufe dem Teufel entrissen, und den daraus folgenden Schluss der Verdammnis ungetauft Verstorbener. Auch negierte er die göttliche Einsetzung der Taufe und hielt sie für einen nützlichen, aber eben bloß menschlichen Brauch.14 Mit seinem Text initiierte Reiche eine neue Diskussion um die Taufe. Der Berliner Pfarrer Jakob Elias Troschel trat als sein Hauptkontrahent auf,15 die Debatte wurde durch Rezensionen weit über Berlin hinaus bekannt und löste weitere Reaktionen aus. So erfuhr ein schlesischer Pfarrer mit Namen Daniel Gottfried Hensel aus den Breslauer Gelehrten Blätgens von der Kontroverse und verfasste selbst eine Schrift gegen Reiche.16 Rezensiert wurden die Texte unter anderem in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek von Joachim Heinrich Campe, dem Schriftsteller und Pädagogen, der später an Basedows Philanthropin in Dessau tätig war. Er stellte sich eher auf Reiches Seite, 10 11

12 13 14 15 16

Vgl. Johann August Ernesti: Renzension: Philalethie oder neue Aussichten in die Wahrheiten und Religion der Vernunft bis in die Gränzen der glaubwürdigen Offenbarung, dem denkenden Publico eröfnet von Joh. Bernhard Basedow. In: Neue theologische Bibliothek 5 (1764), S. 56–87, S. 78. Reiche hatte seine Pfarrstelle in Brandenburg aus ungeklärten Gründen verloren und war nach Berlin gegangen, wo er versuchte, sich als Schriftsteller seinen Lebensunterhalt zu verdienen, bevor er 1781 an dem von Basedow gegründeten Philanthropin in Dessau tätig wurde. Vgl. Johann Georg Meusel: Art. Reiche. In: ders.: Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, Bd. 11. Leipzig: Fischer 1811, S. 111 f. Vgl. [Carl Christoph Reiche:] Die Taufe der Christen, ein ehrwürdiger Gebrauch und kein Gesetz Christi. Berlin, Leipzig: Decker 1774, S. 92–124. Vgl. Rezension von Müller: Bescheidene Prüfung. In: Theologische Berichte von neuen Büchern und Schriften 18 (1765), S. 570–582. Vgl. ebd., S. 36–53. Vgl. Jakob Elias Troschel: Die Wassertaufe der Christen, ein Gesetz Christi und kein willkuhrlicher Gebrauch. Berlin: Verlag der Buchhandlung der Realschule 1774. Vgl. [Daniel Gottfried Hensel:] Die Taufe der Christen, doch ein Gesetz oder Verordnung Christi und kein blos ehrwürdiger Gebrauch. Frankfurt und Leipzig [Breslau] 1775.

Die Debatte um die Taufe in den Gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts

149

fragte aber auch nach dem Nutzen von Abhandlungen über die Taufe: Schließlich halte ja auch Reiche die Taufe für ehrwürdig und wolle sie nicht abschaffen – ob sie nun als göttliches Gebot angesehen werde oder nicht, sei zweitrangig. Zunächst müsse Grundsätzliches geklärt werden, bevor man sich Einzelfragen wie der Taufe zuwenden könne: Möchten doch alle die wirklichen und angeblichen Verbesserer unsers theologischen Systems erst überhaupt begreifen wollen, daß der Anfang dieser in unsern Zeiten so unumgänglich nöthigen Berichtigung nothwendig damit gemacht werden müsse, die Menschen aus richtigen und unbezweifelten Begriffen von Gott zu überzeugen, daß von unserer Seite nichts als Tugend und Rechtschaffenheit uns in den Augen dieses allerheiligsten Gottes wohlgefällig machen […] 17

Campe wirft Reiches Gegner Troschel Unsachlichkeit vor, da er Reiche unter anderem durch Anspielungen auf dessen Charakter persönlich angreife. Mit seiner Berufung auf kirchliche Tradition wolle er jedem Widerwort und jedem Fortschritt einen Riegel vorschieben. Von Reiches Antwortschreiben auf Troschel erhofft sich Campe, es möge das letzte in dieser Debatte sein, da diese bisher weder dem »Wachsthum theologischer Erkenntniß« noch der »Erbauung untheologischer Christen« einträglich gewesen sei.18 Der Aufsatz des schlesischen Pfarrers Hensel wird nur knapp und zusammen mit einem weiteren kommentiert, die beiden Publikationen seien »elende Widerlegungen einer elenden Schrift«.19 Johann Georg Hamann, der zunächst aufklärerischer Schriftsteller in Königsberg gewesen war und sich nach einer Art Bekehrungserlebnis von einigen aufklärerischen Positionen distanziert hatte, meldete sich mit einer Rezension in den Königsbergschen Gelehrten und politischen Zeitungen ebenfalls zu Wort. Hamann ließ sich nicht auf eine Diskussion mit Reiche ein, weite Strecken der Rezension bestehen aus Zitaten Reiches, die nur knapp ironisch kommentiert werden. Offenbar ging er davon aus, dass Reiches »Anmaßungen« für sich selbst sprechen.20 Er stellte fest, dass Reiche mit seinen beiden Thesen entscheidende Aussagen lutherischer Tauflehre bestreite, und warf ihm vor, die Taufe respektlos und unwissend lächerlich machen zu wollen. Trotzdem

17 18 19 20

Joachim Heinrich Campe, Rezension von [Reiche:] Die Taufe der Christen. In: Allgemeine deutsche Bibliothek 25.1 (1775), S. 186–189, hier S. 188 Joachim Heinrich Campe: Rezension von [Reiche:] Ueber die Taufe der Christen, eine nähere Erklärung und eine Zurechtweisung für den S. T. Herrn J. E. Troschel. In: Allgemeine Deutsche Bibliothek 25.1 (1775), S. 191. Joachim Heinrich Campe: Rezension von [Hensel:] Die Taufe der Christen. In: Allgemeine Deutsche Bibliothek 25.1 (1775), S. 191. Vgl. Wolfgang-Dieter Baur: Johann Georg Hamann als Publizist. Berlin, New York: De Gruyter 1991, S. 182.

150

Thea Sumalvico

zeigte er sich überzeugt, dass derartige Texte der »Weisheit unserer Glaubensgeheimnisse« nichts anhaben können.21 Auch die im kurländischen Mitau erscheinende Allgemeine Theologische Bibliothek veröffentlichte Rezensionen der Schriften Reiches und seiner Kontrahenten. Alle Texte werden hier mit großer Skepsis betrachtet, und der Rezensent stellt fest: »[…] am Ende kommt doch nichts dabey heraus, als daß der gemeine Mann irre gemacht wird, ohne daß die Erkenntnisse der Menschen in der Religion einen wahren Zuwachs erhalten.«22 Nur Reiches Text wird differenziert betrachtet. Der Rezensent stimmt Reiche zu, dass der Taufe oft zu viel Wirkung beigemessen werde, betont aber gleichzeitig deren göttliche Einsetzung und große Bedeutung.23 Gegen die anderen Texte wird ausschließlich polemisiert – nur bestimmte Argumente finden in der Rezension also Gehör, andere werden bewusst verschwiegen oder durch Polemik verschleiert. Durch diese gezielten Auslassungen und Diskreditierungen der Gegenpositionen wird Reiches Sicht im Diskurs privilegiert. Dadurch, dass die Rezensenten die Diskussion immer wieder als »unnütz« markieren, versuchen sie, den Streit zu unterminieren. Die Stellungnahmen der Rezensenten variieren selbstverständlich stark, auffallend aber ist eine Abgrenzung gegenüber zwei Positionen: Einerseits wird einer Abwertung der Taufe oder einer Ablehnung der Kindertaufe vehement widersprochen und zum Beispiel Basedows und Reiches Ansichten mit gewisser Distanz begegnet, da sie in diese Richtung zu tendieren scheinen. Auf der anderen Seite werden aber auch Meinungen, die eine sehr »konservative« Tauftheologie vertreten, abgelehnt, also solche, die die als übernatürlich behaupteten Wirkungen der Taufe vehement verteidigen und sie als notwendig für die »Abwaschung« der Erbsünde oder für die Austreibung des Teufels halten. Diese Anschauungen werden häufig polemisch betrachtet, marginalisiert und »abgetan«. Die Autoren in den Zeitschriften tragen so mit zu einer Meinungsbildung bei, die tendenziell radikale Positionen ausschließt. Zeitschriften geben daher Debatten nicht nur wieder und breiten sie aus, sondern steuern den Diskurs in eine gewisse Richtung. Debatte um den Taufexorzismus Wie eingangs erwähnt, war der Taufexorzismus ein besonderer Aspekt der Debatte, der in den Zeitschriften intensiv diskutiert wurde. Bis ins 18. Jahrhundert hinein und vermutlich noch darüber hinaus wurde in lutherischen Gemeinden ein Exorzismus 21 22 23

Johann Georg Hamann: Rezension von [Reiche:] Die Taufe der Christen. In: Königsbergsche Gelehrte und politische Zeitungen, St. 8, 27. Januar 1774. In: ders.: Sämtliche Werke. Hg. von Josef Nadler. Bd. 4. Wien: Willi 1952, S. 383 f. Rezensionen XLIV–XLVIII. In: Allgemeine Theologische Bibliothek 4 (1775), S. 129–138, hier S. 137. Vgl. ebd., S. 136.

Die Debatte um die Taufe in den Gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts

151

bei der Taufe praktiziert. Er diente häufig auch als Abgrenzungsmerkmal gegenüber den Reformierten, die den Exorzismus schon im Laufe der Reformation abgeschafft hatten. Demgegenüber wurde der Exorzismus in mehreren lutherischen Territorien im Laufe des 18. Jahrhunderts aufgegeben.24 Die Abschaffung stand im Kontext anderer Streitigkeiten wie dem sogenannten »Teufelsstreit«, bei dem es um die Frage ging, ob Teufel und Dämonen auf die Körper der Menschen wirken können.25 Hier spiegeln sich also grundlegende Veränderungen in der Auffassung des Bösen und seiner Wirkung. Die obrigkeitlich verfügte Abschaffung oder Abwandlung des Taufexorzismus in einigen Territorien des Römisch-Deutschen Reiches führte zu Reaktionen in den Zeitschriften. Einige Beispiele seien hier herausgegriffen. Diskutiert wurde der Taufexorzismus beispielsweise in den Schlesischen Provinzialblättern, einer monatlich erscheinenden Zeitschrift, die das wichtigste Nachrichtenmagazin Schlesiens war. Die Reaktionen auf die Abschaffung des Taufexorzismus waren zumeist positiv; es wurde suggeriert, dass die obrigkeitliche Anordnung nur einen Prozess vollende, der ohnehin schon in Gang gewesen sei. So heißt es zur Abschaffung des Taufexorzismus in Landeshut: Schon vor geraumer Zeit fiengen die Prediger zu Landeshut an, bey der Taufhandlung den Teufel nicht mehr auszutreiben, und das aus der sehr begreiflichen Ursache, weil kein Teufel in den Kindern war, und sie nicht glauben konnten, daß es mit zu ihrem geistlichen Amte gehöre, Macht über die bösen Geister zu besitzen.26

Im zu Preußen gehörenden Fürstentum Oels in Niederschlesien wurde der Taufexorzismus im Dezember 1786 auf Befehl des Herzogs abgeschafft. Das entsprechende Zirkularschreiben wurde in den Schlesischen Provinzialblättern abgedruckt und kommentiert. Der Kommentator begrüßt die Aufhebung des Exorzismus und behauptet, dass 24

25

26

Zum Beispiel in Braunschweig-Lüneburg 1709 und in Nürnberg 1784, vgl. Bruno Jordahn: Der Taufgottesdienst im Mittelalter bis zur Gegenwart. In: Walter Blankenburg, Karl Ferdinand Müller (Hg.): Leiturgia. Handbuch des Evangelischen Gottesdienstes. Bd. 5: Der Taufgottesdienst. Kassel: Stauda 1970, S. 515–566. Eine erste Welle des »Teufelsstreits« gab es schon in den 1760er Jahren, Auslöser war Gottlieb Müllers Bericht von einer Besessenen. Eine zweite Diskussionswelle fand in den 1770er Jahren um die Wunderkuren Johann Joseph Gaßners und die Geisterbeschwörungen Johann Georg Schrepfers statt. Wichtige Protagonisten des Streits waren unter anderem Johann Salomo Semler, Johann Caspar Lavater, Heinrich Martin Gottfried Köster und Christian Wilhelm Kindleben. Dass es dabei um die Bestreitung der Wirksamkeit des Teufels ging, wird bei unterschiedlichen Autoren sichtbar, vgl. zum Beispiel bei Johann Salomo Semler: Umständliche Untersuchung der dämonischen Leute oder so genanten Besessenen nebst Beantwortung einiger Angriffe. Halle: Gebauer 1762; vgl. auch Dirk Fleischer: Von Betrügereien und Bessenheitsglauben. Zum Plausibilitätsverlust des Exorzismus im Zeitalter der Aufklärung. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 10 (2013), S. 789–806, hier S. 791 f. Erste liturgische Rhapsodie eines Layen. In: Schlesische Provinzialblätter. Bd. 5, St. 6. (1787), S. 485–491, hier S. 485.

152

Thea Sumalvico

sie den »aufgeklärt Denkenden« sehr willkommen sei. Aufgeklärt Denkende sind für ihn dabei offenbar alle, die nicht an die Wirkungen des Teufels glauben. Dem »gemeinen Manne« dagegen werde die Veränderung gleichgültig sein und von ihm kaum bemerkt werden, könne ihm sogar, durch richtige Belehrung, angenehm gemacht werden. Nur durch »irrige Vorspiegelungen« von Geistlichen werde er damit unzufrieden sein.27 Der Autor weist aber auch darauf hin, dass unter der Geistlichkeit die Meinungen über diese Veränderung sehr unterschiedlich ausfallen, und zitiert zwei verschiedene Reaktionen auf das Zirkularschreiben: Ein Pfarrer meint, es wäre besser gewesen, diese Änderung vorher in der Gemeinde bekanntzugeben, um sich mit den Gegnern auseinandersetzen zu können. Ein anderer Pfarrer begrüßt die Abschaffung und unterstreicht, dass die Würde heiliger Religionshandlungen bewahrt werde, wenn anstößige menschliche Zusätze entfernt würden. Niemand würde den Exorzismus zum Wesen der Taufe rechnen oder für göttlich angeordnet halten.28 Durch diese »Feststellung« wird implizit jeder, der anderer Auffassung ist, als unaufgeklärt markiert und aus dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeschlossen. Etwas differenzierter wird die Abschaffung des Taufexorzismus in Oels in einem späteren Kommentar in den Schlesischen Provinzialblättern beurteilt. Hinsichtlich der Ehre des Christentums und der Vernunft sei die Abschaffung des Exorzismus bei der Taufe gut gewesen, an manchen Orten sei er ohnehin schon zuvor nicht mehr gebraucht worden. Kinder kämen teufelsfrei zur Welt, eine Austreibung des Teufels wäre also eher an Erwachsenen sinnvoll. Für die Ruhe und Ehre der Prediger, die den Exorzismus bisher praktiziert hätten, sei diese erzwungene Veränderung aber nicht förderlich und geschehe zu plötzlich.29 Auch im Journal von und für Deutschland wurde der Taufexorzismus diskutiert. Der Abschaffung des Exorzismus an verschiedenen Orten, zum Beispiel in Nürnberg (1784), wird »als eines Beweises unsers, auch im theologischen Fache besser denkenden und aufgeklärtern Zeitalters gedacht« 30 Allerdings, so die Kritik eines Autors, werde mit der Abschaffung des Exorzismus nicht viel erreicht, wenn er einfach durch ein Gebet ersetzt werde oder das damit verbundene Gedankengut an anderer Stelle vorkomme. So sei es zum Beispiel in Ansbach, wo der Exorzismus zwar auf obrigkeitlichen Befehl hin abgeschafft worden sei, aber doch immer noch eine Vermahnung verlesen werde, in der Erwähnung finde, dass die Taufe das Kind vom Teufel befreit. Dadurch bleibe beim einfachen Laien das Vorurteil bestehen, das Kind sei vor der Taufe

27 28 29 30

Vgl. Johann Gottlieb Schummel: Historische Chronik. In: Schlesische Provinzialblätter. Bd. 5, St. 1 (1787), S. 56–100, hier S. 98. Vgl. ebd., S. 98 f. Vgl. Ueber den Exorcismus bey der Taufe zu S. 97 des Mon. Januar der Provinzialblätter. In: Schlesische Provinzialblätter. Bd. 6, St. 10 (1787), S. 308–313. Etwas über den Exorcismus bey der Taufe. In: Journal von und für Deutschland. Jg. 3, St. 1 (1786), S. 224–226, hier S. 224.

Die Debatte um die Taufe in den Gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts

153

wirklich vom Teufel besessen oder er habe uneingeschränkte Gewalt darüber. Der Autor tadelt diese Inkonsequenz: So lange also jene Worte noch vorgelesen und von dem Volke geglaubet werden sollen, so lange lasse man in Gottes Namen den Teufel ausfahren, und dem H. Geiste Platz machen! So ist doch das Kind gegen die Gewalt des Teufels in mehrere Sicherheit gesitzet und der arme Laye wähnet desto mehr, daß er dem taufenden Priester sein Geld nicht umsonst bezahlet habe, wenn er so auf Gaßnerische Art den Teufel ein bischen exorciret, und endlich Marsch! commandiret.31

Dieser Hinweis auf den katholischen Priester, Exorzisten und Wunderheiler Johann Joseph Gaßner zeigt, dass die Debatten um den Taufexorzismus in engem Zusammenhang mit allgemeinen Debatten um Besessenheit und Exorzismus stehen, wie sie gerade infolge der Gaßnerischen Wunderkuren im gesamten deutschen Sprachraum geführt wurden.32 Dass die Debatte um den Taufexorzismus nicht nur Gelehrte und Theologen beschäftigte, geht aus einer Bittschrift hervor, die im Journal von und für Deutschland 1788 abgedruckt wurde. Ein Gärtner namens Poppe wandte sich an das evangelische Ministerium zu Erfurt, um die Abschaffung des Exorzismus bei der Kindertaufe bzw. um Dispensation von diesem Brauch zu erbitten. Konkret erwartet Poppe, dass bei einer Taufe, bei der er und seine Frau Taufzeugen werden sollen, der Exorzismus weggelassen werde. Bey dieser Taufhandlung werde ich es nun und nimmermehr geschehen lassen, daß man mich, oder meine Frau mit einer solchen unnöthigen, ungegründeten, und wider alle Vernunft streitenden Ceremonie werde beschweren. Ich verbitte also dieselbe ganz. Ich will nicht hoffen, daß ein hochehrwürdiges Ministerium so herrschsüchtig über mein Gewissen seyn wird, und mir die Dispensation versagen, da man doch in andern Stücken, freylich für Geld, Dispensation ertheilt.33

Sollte er nicht dispensiert werden, würde er das Kind von einer anderen Person in seinem Namen zur Taufe bringen lassen. Sehr selbstbewusst beruft sich Poppe hier also auf seine Gewissensfreiheit und sein Recht auf eine eigene theologische Position. Dass er als Laie nichts zu sagen habe, wehrt er ab: »Ihro Hochwürden, der Hr. Senior 31 32

33

Ebd., S. 226. Vgl. zu Gaßner zum Beispiel Hans Christian Erik Midelfort: Exorcism and Enlightenment. Johann Joseph Gassner and the Demons of Eighteenth-Century Germany. Yale University Press 2005; sowie Karl Baier: Mesmer versus Gaßner. Eine Kontroverse der 1770er Jahre und ihre Interpretation. In: Maren Szide, Helmut Zander (Hg.): Von der Dämonologie zum Unbewussten. Die Transformation der Anthropologie um 1800. Berlin u. a.: De Gruyter 2015, S. 47–84. Bittschrift des Gärtner Poppe sen. An das hochwohlehrwürdige evangel. Ministerium zu Erfurt wegen Abschaffung des Exorcismus bey der Kindertaufe. In: Journal von und für Deutschland. Jg. 5, St. 7 (1788), S. 40–42, hier S. 41.

154

Thea Sumalvico

als ein guter Historicus müssen ja wissen, daß auch öfters gemeine Leute guten Rath ertheilt haben.«34 Für Poppe ist der Taufexorzismus ein Überbleibsel aus dem »Pabstthum« und ursprünglich aus »jüdischen Traditionen von Geistererscheinungen und Teufelsbannerey« abgeleitet. Auch sei er mit seiner Position keineswegs alleine, schreibt er, sondern viele andere »aufgeklärte Mitbürger« wollten den Exorzismus ebenfalls abgeschafft sehen.35 Implizit ist damit auch gesagt: Wer eine andere Position vertritt, ist »unaufgeklärt«, und das bedeutet dann auch »jüdisch« oder »katholisch«.36 Unabhängig davon, ob es den Gärtner Poppe wirklich gegeben hat oder er nur eine Maske ist, wird hier die Autorität des »gemeinen Mannes« herangezogen, um eine bestimmte Position zu stützen. Das ist auch deswegen interessant, da, wie eben gezeigt, immer wieder behauptet wurde, die Debatten um Taufe und Exorzismus nützten dem gemeinen Mann nichts und verwirrten ihn nur oder seien ihm völlig gleichgültig. Hier spricht nun der sonst stumme »gemeine Mann« selbst – als jemand, der zwar die physische Wirksamkeit des Teufels als »unaufgeklärt«, »jüdisch« und »katholisch« ablehnt, aber dennoch an der Institution Taufe als solcher, nur ohne Exorzismus, festhält und sich somit in einer ganz spezifischen Position im Gelehrtendiskurs verortet. Verbesserungsvorschläge für die Taufpraxis In Zeitschriften, die speziell für Pfarrer bestimmt waren, wurden auch praktische Fragen der Taufe thematisiert und neue Taufagenden, das heißt Ordnungen zum Taufgottesdienst, vorgeschlagen. Ein Beispiel für eine solche Zeitschrift ist das Allgemeine Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unserer Zeit Darin finden sich in Aufsätzen und Agendenentwürfen Gedanken zur Taufe; so wird ebenfalls die Abschaffung des Taufexorzismus besprochen und begrüßt. Relativ breit diskutiert wird beispielsweise die Frage der Haustaufe. Diese wird tendenziell abgelehnt, die meisten Autoren sprechen sich für eine Taufe unter Anwesenheit der Gemeinde aus.37 Hier zeigt sich, dass die Kirche als Institution bei der Taufe eine immer größere Rolle spielt: Stärker als um das Gottesverhältnis des einzelnen, das sich durch die Taufe verändert, geht es um die Aufnahme in die Gemeinde – die Taufe scheint mehr und mehr zum Initiationsritus zu werden. Diese Tendenz zeigt sich auch in den Agendenentwürfen, wo in den Vorschlägen für Taufansprachen dieser Aspekt immer wieder eine große Rolle 34 35 36 37

Ebd., S. 42. Vgl. ebd., S. 40. Dazu ist auch zu beachten, dass das lutherische Erfurt unter der Herrschaft des katholischen Kurfürsten, des Erzbischofs von Mainz, stand, vgl. Wilibald Gutsche (Hg.): Geschichte der Stadt Erfurt. Weimar: Böhlau 21989, S. 144 f. Vgl. zum Beispiel Nachrichten. In: Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unsrer Zeit. Bd. 1, St. 4 (1789), S. 98–103, hier S. 101.

Die Debatte um die Taufe in den Gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts

155

spielt. Die Taufe ist in erster Linie ein Bekenntnisakt; folgerichtig wird auch die Pflicht stark betont, die mit der Taufe einhergeht. »Der Christ legt also bey der Taufe das feyerliche Gelübde ab, an der Reinigung und Besserung seines Herzens und Wandels unverdrossen zu arbeiten.«38 Bei einer optimistischen Anthropologie, bei der die Erbsünde kaum noch eine Rolle spielt, geht es um die Selbstverantwortung des Getauften: Die Taufe ist somit keine Reinigung von der (Erb-)Sünde, sondern steht für eine moralische Reinigung, die der einzelne mit Hilfe der Religion noch vollziehen soll. Damit übereinstimmend wird abgelehnt, dass Paten stellvertretend für den Täufling Fragen nach dem Glauben beantworten.39 Trotz dieser Betonung der Selbstverantwortung wird die Kindertaufe im Allgemeinen Magazin für Prediger nirgendwo abgelehnt, sondern im Gegenteil mehrmals verteidigt.40 Dass das in einer Zeit geschah, in der die vollen Bürgerrechte meistens an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession gebunden waren und damit die Taufe auch eine politische und soziale Dimension besaß, kann hier nur angedeutet werden. Initiation bedeutet immer auch (politische) Abgrenzung nach außen. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass die Taufe nicht als absolutes Heilskriterium gilt und ungetauft verstorbene Kinder daher nicht als verdammt angesehen werden. Entsprechend der Tendenz, die kirchliche Dimension der Taufe zu stärken, betrifft der Taufakt nicht nur den Täufling, sondern auch die Gemeinde: Die Rührung derer, die der Taufe beiwohnen, wird immer wieder als eines der Ziele einer Taufe angeführt.41 In den Agendenentwürfen ist die Taufhandlung meist stark reduziert; Exorzismus, Absage an den Teufel, Bekreuzigung etc. werden gestrichen. In einigen sehr verknappten Entwürfen sind sogar biblische Lesungen, Glaubensbekenntnis und Vaterunser nicht mehr vorgesehen, dafür nehmen die Taufansprachen jeweils großen Raum ein.42 Ähnliche Vorschläge zur Taufe finden sich nicht nur im Allgemeinen Magazin für Prediger, sondern auch in anderen, vergleichbaren Zeitschriften wie den Beyträgen zur Verbesserung des öffentlichen Gottesdienstes der Christen oder Wilhelm Abraham Tellers Neuem Magazin für Prediger.

38 39 40 41 42

Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis. In: Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unserer Zeit. Bd. 4, St. 3 (1791), S. 243–247, hier S. 246. Beschluss der Briefe über unsre protestantische Liturgie und ihre Verbesserung. In: Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unserer Zeit. Bd. 2, St. 5 (1790), S. 89–98, hier S. 93. Vgl. Ueber die Kindertaufe nebst einem Taufformular. In: Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unserer Zeit. Bd. 5, St. 4 (1791), S. 407–420. Vgl. Ueber die Kindertaufe. In: Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unserer Zeit. Bd. 11, St. 2 (1795), S. 64–77, hier S. 76. Vgl. Wilhelm Köster: Verschiedene liturgische Versuche. In: Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unserer Zeit. Bd. 9, St. 1 (1794), S. 44–68, hier S. 59 f.

156

Thea Sumalvico

Fazit Die Debatten um die Taufe schlagen Wellen und werden in ganz unterschiedlichen geographischen und theologischen Kontexten rezipiert. Sie sind mit anderen Debatten verzahnt und machen, gemeinsam mit anderen theologischen Themen, einen zentralen Teil des Gelehrtendiskurses aus. Rezensionen spielen dabei eine sehr wichtige Rolle. Die Zeitschriften bieten ein Forum für Diskussionen, da Gelehrte in Rezensionen direkt aufeinander Bezug nehmen können. Durch Rezensionen werden Debatten überregional verbreitet und einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Dies gilt besonders deswegen, weil Bücher für viele Menschen unerschwinglich waren und ihr Besitz einer kleinen, wohlhabenden Gruppe vorbehalten war.43 So dienten Rezensionen häufig als »Ersatz«, um sich dennoch über den Inhalt von Büchern informieren zu können. Dabei reagierten Zeitschriften nicht nur auf bereits virulente Diskussionen, sondern stießen diese zum Teil selbst an. Die Haltung der Rezensenten oder Autoren divergierte je nach Zeitschrift stark, sodass die unterschiedlichen Zeitschriften und Autoren auch das breite Spektrum des Diskurses widerspiegeln. Sehr »radikale« Positionen wie die Ablehnung der Kindertaufe, aber auch das Festhalten an der klassischen lutherischen Tauftheologie wurden allerdings marginalisiert, sodass Zeitschriften Debatten auch in eine bestimmte, meist ausgleichende Richtung formten. Darüber hinaus dienten die Periodika in eingeschränktem Maße auch dem Austausch zwischen (theologischer) Theorie und (pfarramtlicher) Praxis.

43

Vgl. Richard van Dülmen: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung. München: Beck 21999.

Die Kometenerscheinung von 1743/44 in Gelehrten Journalen Eine Annäherung Doris Gruber Seit Jahrtausenden faszinieren Kometen die Menschen.1 Bereits im Altertum existierten zahlreiche Theorien zu ihrem Ursprung, ihrer Natur und Bedeutung, die in den nachfolgenden Jahrhunderten tradiert, modifiziert und ergänzt wurden. Dadurch änderte sich das, was Menschen von Kometen für wahr hielten und als Wissen akzeptierten – ein bis heute nicht abgeschlossener Prozess. Der einschneidendste Wissenswandel vollzog sich jedoch in der Frühen Neuzeit, was mit intensiven Kommunikationsprozessen einherging. Im späten 16. Jahrhundert wurde überwiegend angenommen, Kometen kündeten Unglück an, wie Dürre, Krankheiten und Tod. Diese Deutungen stützten sich auf Wissensbestände, die zum Teil seit Jahrhunderten und mitunter Jahrtausenden verbreitet waren. Man ging mehrheitlich davon aus, Kometen seien gottgesandte Wunderzeichen, die die Menschen vor göttlichen Strafen warnen und zur Buße ermahnen. Häufig deutete man Kometen auch astrologisch, und einige physikalische Theorien schienen negative Auswirkungen von Kometen ebenfalls zu untermauern. Zudem wurde immer wieder auf historische Exempel von Kometenerscheinungen verwiesen, in denen vermeintliche Belege für die (negativen) Bedeutungen von Kometen erkannt wurden. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts gingen all diese Deutungen stark zurück, und Kometen wurden zunehmend als natürliche Himmelskörper betrachtet, deren Bahnen berechenbar sind und mit denen keine, oder nur in Ausnahmefällen, schädliche Auswirkungen einhergehen.2 Gleichzeitig mit diesem 1

2

Der vorliegende Artikel basiert auf Ergebnissen eines Promotionsprojekts, geht jedoch darüber hinaus. Die Dissertation mit dem Titel Frühneuzeitlicher Wissenswandel Die Kometenerscheinungen von 1577/78, 1680/81 und 1743/44 in der Druckpublizistik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation entstand, gefördert von der Gerda Henkel Stiftung, an der Universität Graz. Die Publikation erscheint voraussichtlich in der Reihe Presse und Geschichte – Neue Beiträge im Verlag edition lumière. Frühneuzeitliche Kometenerscheinungen wurden von der Forschung bereits vielfach untersucht. Eine Nennung aller einschlägigen Titel würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen. Eine um-

158

Doris Gruber

Wissenswandel fand ein tiefgreifender Medienwandel statt, der sich insbesondere im Aufkommen der Periodika manifestierte. Dies ist kein Zufall, denn neuere Forschungen zeigen, dass Wissen sozial determiniert ist und notwendigerweise Medien3 bedarf, um zirkulieren und sich wandeln zu können.4 Deshalb geht der vorliegende Aufsatz am Beispiel der Druckpublizistik zur Kometenerscheinung von 1743/1744 der Frage nach, welche kommunikative Rolle Zeitschriften und insbesondere Rezensionen um die Mitte des 18. Jahrhunderts spielten. Und dies geschieht ausgehend von den Rezensionen zu Eberhard Christian Kindermanns Vollständiger Astronomie (1744). Vorab ist festzuhalten, dass Kometen in der Literatur zum frühneuzeitlichen Zeitschriftenwesen bisher wenig beachtet wurden.5 In Forschungen zu frühneuzeitlichen Kometenerscheinungen ging man dennoch meist davon aus, Kometenwissen sei in der Mitte des 18. Jahrhunderts vorwiegend in Zeit-

3 4

5

fangreiche Bibliographie bis zum Jahr 2000 verfasste Volker Fritz Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur. Stuttgart: Hiersemann 2000. Weiterführend: Marion Gindhart: Das Kometenjahr 1618. Antikes und zeitgenössisches Wissen in der frühneuzeitlichen Kometenliteratur des deutschsprachigen Raumes. Wiesbaden: Reichert 2006; Doris Gruber: Der Komet von 1680 und die Kalenderpublizistik im Alten Reich. Eine exemplarische Annäherung. In: Klaus-Dieter Herbst, Werner Greiling (Hg.): Schreibkalender und ihre Autoren in Mittel-, Ost- und Ostmitteleuropa (1540–1850). Bremen: edition lumière 2018, S. 77–96; Christoph Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde. Kometen in der frühen Neuzeit. Regensburg: Universitätsverlag Regensburg 2009; Adam Mosley: The History and Historiography of Early Modern Comets. In: Miguel Angel Granada u. a. (Hg.): Christoph Rothmann’s Discourse on the Comet of 1585. An Edition and Translation with Accompanying Essays. Boston, Leiden: Brill 2014, S. 282–325; Sara SchechnerGenuth: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology. Princeton: Princeton University Press 1997; Michael Weichenhan: »Ergo perit coelum …«. Die Supernova des Jahres 1572 und die Überwindung der aristotelischen Kosmologie. Stuttgart: Steiner 2004. Ein weiteres, mit Spannung erwartetes Promotionsprojekt bearbeitet Anna Jerratsch am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Ereignisorientierter Medienbegriff nach Julia Genz, Paul Gévaudan: Medialität, Materialität, Kodierung: Grundzüge einer allgemeinen Theorie der Medien. Bielefeld: transcript 2016, bes. S. 201– 209. Einführend zur Wissensgeschichte: Frank Grunert, Anette Syndikus (Hg.): Wissensspeicher der Frühen Neuzeit. Formen und Funktionen. Berlin: Akademie Verlag 2015; David Gugerli, Daniel Speich Chassé: Wissensgeschichte. Eine Standortbestimmung. In: Traverse. Zeitschrift für Geschichte 1 (2012), S. 85–100; Philipp Sarasin: Was ist Wissensgeschichte? In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur (IASL) 36, Nr. 1 (2011), S. 159–172. Einführend zur Medientheorie: Ludwig Jäger (Hg.): Medialität und Mentalität: Theoretische und empirische Studien zum Verhältnis von Sprache, Subjektivität und Kognition. Paderborn, München: Fink 2004; Michael Kiening: Medialität in mediävistischer Perspektive. In: Poetica. Zeitschrift für Sprachund Literaturwissenschaft 39 (1/2) (2007), S. 285–352. Die wenigen Ausnahmen sind Studien zur Zeitschrift Relationes Curiosae von Eberhard Werner Happel: Uta Egenhoff: Berufsschriftstellertum und Journalismus in der Frühen Neuzeit. Eberhard Werner Happels Relationes curiosae im Medienverbund des 17. Jahrhunderts. Bremen: edition lumière 2008; Flemming Schock: Zur Kommunikation von Wunderzeichen in der ersten populärwissenschaftlichen Zeitschrift Deutschlands (›Relationes Curiosae‹, 1681–1691). In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 9 (2007), S. 76–100; ders.: Die Text-Kunstkammer. Populäre Wissenssammlungen des Barock am Beispiel der Relationes Curiosae von E. W. Happel. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2011.

Die Kometenerscheinung von 1743/44 in Gelehrten Journalen

159

schriften verhandelt worden – und eben nicht in der nichtperiodischen Publizistik, insbesondere in Flugblättern, Flugschriften und Büchern.6 Diese These wurde bisher aber noch nicht im Detail überprüft. Um diesem Desiderat abzuhelfen, bietet sich eine genauere Analyse der Publizistik zum Kometen C/1743 X17 an. Dieser wurde von Ende November 1743 bis in den März 1744 rund um die Welt beobachtet, war teilweise mit freiem Auge und bei Tage sichtbar. Seine genaue Umlaufbahn ist bis heute unbekannt, beträgt jedoch vermutlich mehrere zehn- oder hunderttausend Jahre.8 Er zählt zu den sogenannten ›Großen Kometen‹, mit denen traditionell ein ausgesprochen hoher medialer Output einherging. Bisherigen Erkenntnissen zufolge erschienen zu diesem Kometen mehr Drucke als zu jeder anderen Kometenerscheinung des 18. Jahrhunderts.9 Deswegen ist davon auszugehen, dass sich in der zeitgenössischen Publizistik der gleichzeitig stattfindende Wissenswandel verdichtet präsentiert. Die folgenden Ausführungen bauen auf Erhebungen des Promotionsprojekts der Autorin auf, im Rahmen dessen zur Kometenerscheinung von 1743/44 insgesamt 163 Druckwerke des Heiligen Römischen Reiches der Zeit 1743 bis 1749 systematisch gesammelt und analysiert wurden. Es handelt sich um selbstständige Publikationen (Flugblätter, Flugschriften, Bücher) sowie Periodika (Kalenderpublizistik (Schreibkalender/Praktika), Messrelationen und Zeitschriftenartikel).10 Von den 86 Zeitschriftenartikeln sind 74 Rezensionen in Gelehrten Journalen.11 Im Übrigen konnten 69 der 6 7 8

9 10 11

Beispielhaft: James Howard Robinson: The Great Comet of 1680. A Study in the History of Rationalism. Northfield: Northfield News 1916, S. 81 f., 86 f.; Schechner-Genuth: Comets (wie Anm. 2), S. 222–224. Offizielle Bezeichnung durch die Internationale Astronomische Union (IAU), URL: https://minor planetcenter.net//iau/lists/CometResolution.html [zuletzt: 07.06.2019]. Weiterführend zur Entdeckungs- und Beobachtungsgeschichte des Kometen: Gary W. Kronk: Cometography. A Catalog of Comets. Bd. 1. Ancient – 1799. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 1999, S. 408–411; David Seargent: The Greatest Comets in History. Broom Stars and Celestial Scimitars. New York u. a.: Springer 2009, S. 116; Ronald Stoyan: Atlas der großen Kometen. Die 30 größten Kometen in Wissenschaft, Kultur und Kunst. Erlangen: Oculum 2013, S. 96–98. Die Druckproduktion aller frühneuzeitlichen Kometenerscheinungen analysierte Christoph Meinel: Grenzgänger (wie Anm. 2), S. 122 f., basierend auf der Bibliographie von Volker Fritz Brüning (wie Anm. 2). Es handelt sich um 3 Flugblätter, 46 Flugschriften, 16 Bücher, 11 Kalenderpublikationen, 1 Messrelation und 86 Zeitschriftenartikel. Die Erhebungsmodalitäten variierten je nach Publikationsform und werden in der Dissertation der Autorin, die eine Gesamtbibliographie enthält, offengelegt; vgl. Gruber: Wissenswandel (wie Anm. 1). Die Erhebungen zu den Zeitschriftenartikeln beruhten auf einschlägigen Bibliographien und Datenbanken, die durch Hinweise in der Sekundärliteratur zur Kometenerscheinung ergänzt wurden. Bibliographien: Holger Böning (Hg.): Deutsche Presse. Biobibliographische Handbücher zur Geschichte der deutschsprachigen periodischen Presse von den Anfängen bis 1815. 7 Bde. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1996–2003; Joachim Kirchner: Die Zeitschriften des deutschen Sprachgebietes von den Anfängen bis 1830. Stuttgart: Hiersemann 1969; David Abraham Kronick: Scientific and Technical Periodicals of the Seventeenth and Eighteenth Centuries. A Guide. Metuchen (N. J.). London: The Scarecrow Press 1991; Wolfgang Martens: Die Botschaft

160

Doris Gruber

86 Artikel in der (noch im Aufbau begriffenen) Datenbank GJZ 18 nachgewiesen werden, also etwas mehr als drei Viertel. Rezensionen im Kontext der zeitgenössischen Publizistik: Eine exemplarische Annäherung Eberhard Christian Kindermann ist eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Person unter den Autoren und Autorinnen der Kometenpublizistik um 1743/44. Über sein Leben weiß man allerdings wenig: Geboren um 1715, wuchs er in Weißenfels (Kursachsen) auf und besuchte dort ab 1733 das Gymnasium. Nach dem Schulabschluss ging er nach Leipzig. Ohne jemals ein Universitätsstudium absolviert zu haben, soll er Mitte der 1740er Jahre in Dresden als Ingenieurshauptmann und Hofastronom tätig gewesen sein. Später lebte er in Moskau, wo er Deutsch unterrichtete.12 Die Forschung interessierte sich vor allem deshalb für Kindermann, weil er den ersten bekannten deutschsprachigen Science-Fiction-Text verfasste, Die Geschwinde Reise auf dem Lufft=Schiff nach der obern Welt (1744). Darin wird die Reise einer Gruppe von Männern mit einem »Lufft=Schiff« beschrieben, die sie zu einem Marsmond führt, wo sie »vernünfftigen Creaturen« begegnen und auf der Rückreise einen Kometen beobachten.13 Dieser Text, der kurz nach der Kometenerscheinung von 1743/44 erschien, ist nicht der einzige mit Bezug zu Kometen, den Kindermann veröffentlichte:

12

13

der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften. Stuttgart: Metzler 1968. Datenbanken: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung (GJZ 18), URL: www.gelehrtejournale.de [zuletzt: 20.05.2019]; Index deutschsprachiger Zeitschriften des 18. Jahrhunderts (IdZ 18) und Systematischer Index zu deutschsprachigen Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts (IdRZ 18), URL: http://adw.sub.uni-goettingen.de/pages/Main.jsf [mittlerweile eingestellt, zuletzt: 06.10.2017]; AustriaN Newspapers Online (ANNO), URL: http://anno.onb.ac.at/ [zuletzt: 20.05.2019]; Schweizer Zeitschriften online, URL: http://www.e-periodica.ch [zuletzt: 20.05.2019]; Retrospektive Digitalisierung wissenschaftlicher Rezensionsorgane und Literaturzeitschriften des 18. und 19. Jahrhunderts aus dem deutschen Sprachraum, URL: http://www. ub.uni-bielefeld.de/diglib/aufklaerung/index.htm [zuletzt: 20.05.2019]. Weiterführende Hinweise in: Eberhard Christian Kindermann: Die Geschwinde Reise auf dem Lufft=Schiff nach der obern Welt. Hg. von Hania Siebenpfeiffer. Hannover: Wehrhahn 2010, S. 71–85; Martin Mulsow: Das Planetensystem als Civitas Dei. Jenseitige Lohn- und Strafinstanzen im Wolffianismus. In: Lucian Hölscher (Hg.): Das Jenseits. Facetten eines religiösen Begriffs in der Neuzeit. Göttingen: Wallstein 2007, S. 40–62, S. 47–50; Martin Mulsow: Freigeister im Gottsched-Kreis. Wolffianismus, studentische Aktivität und Religionskritik in Leipzig 1740–1745. Göttingen: Wallstein 2007, S. 100–103. [Eberhard Christian Kindermann]: Die Geschwinde Reise auf dem Lufft=Schiff nach der obern Welt […]. [o. O]: [o. V.] 1744, VD18 11736062. Weiterführend zu diesem ›Roman‹: Ulrich Klein: Die deutschsprachige Reisesatire des 18. Jahrhunderts. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 1997, S. 87–90; Hania Siebenpfeiffer: Die literarische Eroberung des Alls – Eberhard Christian Kindermanns ›Die Geschwinde Reise mit dem Lufft=Schiff nach der Obern Welt‹. In: Christian Heitzmann: Die Sterne lügen nicht. Astrologie und Astronomie im Mittelalter und in der Frühen

Die Kometenerscheinung von 1743/44 in Gelehrten Journalen

161

Frontispiz von: [Eberhard Christian Kindermann]: Die Geschwinde Reise auf dem Lufft=Schiff nach der obern Welt […]. [o. O.]: [o. V.] 1744 (Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin [an: Yv 1551]).

Drei wurden von ihm signiert,14 und zumindest drei weitere sind ihm zuzuschreiben.15 Kindermann nutzte also verschiedene Publikationsformen, insbesondere Bücher und Flugschriften, um seine Vorstellungen von Kometen zu äußern. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich jedoch auf die Vollständige Astronomie, ein Buch, das der

14

15

Neuzeit. Ausstellung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Wiesbaden: Harrassowitz 2008, S. 234–250. Eberhard Christian Kindermann: Vollständige Astronomie, Oder: Sonderbare Betrachtungen derer vornehmsten an dem Firmament befindlichen Planeten und Sternen […]. Rudolstadt: Wolfgang Deer 1744, VD18 14564084. Eberhard Christian Kindermann: Wahre Betrachtungen über den, in diesem Jahre, erschienenen Cometen […]. Rudolstadt: [o. V.] 1744, VD18 14564092. Eberhard Christian Kindermann: Entdeckter COMET, Oder Astronomische NOTIFICATION An alle Observatoria und Gelehrte der Stern=Wissenschaft […]. [o. O.]: [o. V.] 1748, VD18 10068678. [Eberhard Christian Kindermann]: Reise in Gedancken durch die eröffneten allgemeinen Himmels=Kugeln, Auf welcher Alle von Gott erschaffene Welt=Cörper […] als auch, Wie alle diese Cörper in Cometen, und endlich in ein Nichts verwandelt werten […]. Rudolstadt: Deerischer Buchladen 1739, VD18 10373969; [Eberhard Christian Kindermann]: Die Wunder GOttes in der

162

Doris Gruber

gesamten Kosmologie gewidmet ist und Kometen in einem Unterkapitel behandelt.16 Dieses Buch wurde ausgewählt, da dazu besonders viele und ungewöhnlich stark wertende Rezensionen nachweisbar sind. In der Vollständigen Astronomie vertrat Kindermann zudem außergewöhnliche Positionen, sowohl hinsichtlich der physikalischen Beschaffenheit und möglichen Wirkungen von Kometen als auch bezüglich der Annahmen zu den ihnen innewohnenden Bedeutungen.

Titelblatt von: Eberhard Christian Kindermann: Vollständige Astronomie, Oder: Sonderbare Betrachtungen derer vornehmsten an dem Firmament befindlichen Planeten und Sternen […]. Rudolstadt: Wolfgang Deer 1744 (Quelle: Bayerische Staatsbibliothek München [Res/4 Astr.u. 84-1], urn:nbn:de:bvb:12-bsb00075829-8).

16

Natur, bey Erscheinung der Cometen, Oder besondere Anmerckung der vornehmsten Cometen, oder Strobel=Sterne, Welche sich sowohl vor als nach Christi Geburt am Firmament des Himmels haben sehen lassen, nebst denen darauf erfolgten Begebenheiten […]. Frankfurt am Main, Leipzig: [o. V.] 1744, VD18 11643846. [Eberhard Christian Kindermann]: Kurtzer Entwurff und Beschreibung des Cometen itztlauffenden 1744sten Jahres. [o. O.]: [o. V.] 1744, nicht im VD 18 nachweisbar, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg [HB13699, Kapsel 1205]. Vgl. [George Rothe (?)]: Gesammlete Cometen=Bibliothec Oder vertraute Unterredungen über den im Jahr 1744. erschienenen Cometen […]. Görlitz, Leipzig: Marchesche Buchhandlung 1746, VD18 15297012, S. 25 f. Kindermann: Vollständige Astronomie (wie Anm. 14), S. 314–342.

Die Kometenerscheinung von 1743/44 in Gelehrten Journalen

163

Obwohl um 1743/44 verschiedene physikalische Theorien zu Kometen verbreitet waren, wurde im größten Teil der einschlägigen Publikationen davon ausgegangen, Kometen seien (wie Planeten) feste Körper, die am Anfang der Welt im Rahmen der Schöpfung geschaffen wurden, nicht selbst leuchten, sondern von der Sonne bestrahlt werden und berechenbaren Bahnen folgen. Ihre Schweife, so glaubte man, würden aus Dünsten gebildet, die durch die Sonneneinstrahlung entstehen.17 Kindermann propagierte hingegen gänzlich andere Auffassungen: In seiner Vollständigen Astronomie schlussfolgerte er aus eigenen Beobachtungen, es handle sich bei dem Kometen von 1743/44 eigentlich um den mittleren Stern aus dem »sogenannten Wagen des Himmels«, der aus seinem Zentrum gerückt und aus dem Äther zu einem Kometen – einer »brennenden Welt« – geworden sei.18 Kometen seien folglich verbrennende und somit selbstleuchtende Sterne (Sonnen), die gerade ihren Jüngsten Tag erlebten. Die Kometenschweife bestünden aus Staub und Exkrementen, die für die Erde schädlich seien.19 Außerdem waren für ihn Kometen zwar ursprünglich bewohnt, mittlerweile hätten sie ihre lebendigen Wesen aber verloren.20 Bezüglich der Bedeutungen von Kometen dominierte um diese Zeit die Auffassung, Kometen seien zwar göttliche (Wunder-)Zeichen, mit ihnen gingen aber keine besonderen Bedeutungen oder Wirkungen einher, außer dass sie die Größe und Allmacht Gottes verherrlichten. Kindermann betrachtete Kometen hingegen auch als »würckende Ursache« göttlicher Strafen, was er mit einer Metapher untermauerte: Gleichwie ein Vater mit seiner Rute nicht immer zuschlage, sondern Strafen des Öfteren nur andeute, so bewirkten Kometen auch nicht immer den Weltuntergang, seien aber dazu fähig.21 Außerdem deutete Kindermann Kometen astrologisch, was zu dieser Zeit ebenfalls nur (mehr) selten geschah.22 In der Vollständigen Astronomie beschrieb er verschiedene Typen von Kometen, denen je nach Form (zum Beispiel Fackeln oder Spieße) bestimmte Eigenschaften innewohnten. Aus dem Lauf der Erscheinung von 1743/44 sei ersichtlich, dieser Komet könne in Europa, Asien und Afrika keinen Scha17 18 19 20 21 22

Beispielhaft: Vernünftige und Schriftmäßige Gedanken von Cometen, Bei Gelegenheit des gegenwärtigen in diesem 1744. Jahr sichtbaren Cometens […] Nürnberg: Friedrich Wilhelm Geyer 1744, VD18 12218588, S. 4, 11 f. Kindermann: Vollständige Astronomie (wie Anm. 14), S. 319–321. Vgl. Kindermann: Wahre Betrachtungen (wie Anm. 14), S. 9 f.; Kindermann: Wunder Gottes (wie Anm. 15), S. 17–37. Kindermann: Vollständige Astronomie (wie Anm. 14), S. 321, 322–333; Kindermann: Wahre Betrachtungen (wie Anm. 14), S. 12–14. Kindermann: Vollständige Astronomie (wie Anm. 14), S. 319–322. Ebd., S. 321, 328. Während bei früheren Kometenerscheinungen astrologische Deutungen häufiger nachzuweisen waren, betraf dies bei jener von 1743/44 nur neun Publikationen. Beispielhaft: Simon Gebel: Lucæ Cap. 9. V. 29. Neu=auffgehender / hell=erglantzender / höchst=erfreulich / schönst=erschimmerender / Himmlisch=erscheinender Glück=Stern / so Uber / und in dem Marianischen Gnaden=Tempel deren HH. PP. Prædicatorum zu Rottweil erstmahlen stehend / […] ersehen worden in dem Jahr nach Christi Geburt 1743 […]. Rottweil: Johann Thaddäus Feyrer 1744, VD18 14014076, S. 23–38.

164

Doris Gruber

den mehr anrichten, wohl aber in Amerika, wovon die Zeitungen vermutlich in spätestens einem halben Jahr berichten würden.23 Kindermanns Publikation wurde seinerzeit stark beachtet. Gleich fünf Rezensionen konnten in Zeitschriften nachgewiesen werden.24 Diese Zahl ist vergleichsweise hoch, in oben vorgestelltem Korpus wurden lediglich eine Publikation häufiger25 und drei weitere Veröffentlichungen gleich oft besprochen.26 Die hohe Zahl an Rezensionen gründet sicherlich in den außergewöhnlichen Theorien, die Kindermann vorlegte, denn nahezu alle Reaktionen darauf waren negativ. In den in Hamburg erscheinenden Freyen Urtheilen reagierte man mit einer Satire. Hier gab man an, der letzte Komet habe die erstaunliche Wirkung mit sich gebracht, »die ganze Welt mathematisch« zu machen, da sich unzählige Leute mit der Erscheinung auseinandersetzten. Das sonderbarste Zeugnis habe aber Herr Kindermann geliefert, wobei er »etwas höher hinaufgestiegen, und weiter als alle Cometenbeschreiber gegangen« sei und sich dadurch bei der Nachwelt »einen unsterblichen Ruhm« gesichert habe. Man witzelte: Es ist nicht unwahrscheinlich zu muthmaßen, daß er [Kindermann] mit dem neulich erschienenen Cometen wohl gar eine Zusammenkunft gehalten, und vielleicht durch den Schwanz desselbigen spatzieret seyn muß. Dessen Nachrichten und Prophezeihungen, so er uns von daher mitbringet, die aber vor unsere arme Erdbürger leider betrübt klingen, legen uns ein sattsames Zeugniß hievon an den Tag, und geben uns zu einiger Wahrscheinlichkeit zu glauben Anlaß, daß würklich was mit ihm und dem Cometen muß vorgegangen seyn, und er in demselben eine genaue Besichtigung angestellet haben. Er beschreibt uns alle Merkwürdigkeiten zum Ueberfluß. […] so bleibt uns die Vermuthung übrig, daß er etwas von den Dünsten des Schwanzes kann davon getragen haben, welches ebenfalls mathematischer Art gewesen, dadurch ihm also ein helles Licht in Erkenntniß mathematischer Wissenschaften auf einmahl aufgegangen […]. Und was brauchen wir viel Beweis, da das, was zu vermuthen, sich schon äussert? Denn da kaum der Comet verschwunden,

23 24

25 26

Kindermann: Vollständige Astronomie (wie Anm. 14), S. 319 f., 333–341. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 3. September 1744, S. 639 f.; Freye Urtheile und Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und Historie überhaupt, 31. Juli 1744, S. 482–487; Göttingische Zeitungen von Gelehrten Sachen, 28. Dezember 1744, S. 894–896; Philosophische Untersuchungen und Nachrichten von einigen Liebhabern der Weisheit, 2. Stück [o. D.] 1744, S. 137–148; Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 3. August 1747, S. 552–555. Sechs Rezensionen waren nachweisbar zu Johann Bernhard Wiedeburg: Astronomisches Bedenken […]. Jena: Johann Adam Melchior 1744, in drei Auflagen (erste Auflage nicht im VD18 nachweisbar [British Library London {8561.aaaa.16.(2.)], VD18 11841886; VD 18 11961554). Leonhard Euler: Theoria motuum planetarum et cometarum […]. Berlin: Ambrosius Haude 1744, VD18 10755063; Christian Gottlieb Guttmann: Vernünftige Gedancken über die neue Cometenlehre des S. T. Herrn Rector Johann Heyns zu Altbrandenburg. Leipzig: Bernhard Christoph Breitkopf 1744, VD18 11508167; Johann Heyn: Gesamlete Briefe von den Cometen, der Sündflut, und dem Vorspiel des jüngsten Gerichts, etc. Berlin, Leipzig: Ambrosius Haude 1745, VD18 10945385.

Die Kometenerscheinung von 1743/44 in Gelehrten Journalen

165

und unser Herr Kindermann sein schweres cometisches Gebäude zu Ende gebracht, […] so lassen ihm die cometischen Dünste nicht ruhen.27

Kurz zusammengefasst: Kindermann müsse mit dem Kometen eine »Zusammenkunft« gehalten haben, schließlich liefere er keine Beweise für seine Theorien und habe sein Buch ungewöhnlich rasch nach der Erscheinung veröffentlicht. Eine ähnliche Satire findet sich in den Philosophischen Untersuchungen und Nachrichten aus Leipzig. Hier machte man sich besonders darüber lustig, dass Kindermann bisherige Erkenntnisse der Astronomie ignorierte, wie jene von Nikolaus Kopernikus, Tycho de Brahe oder Isaac Newton.28 Ähnlich hart urteilte man in den meisten übrigen Rezensionen. In den Göttingischen Zeitungen von Gelehrten Sachen gab man an, Kindermann verstehe weder die mathematischen noch optischen »Anfangsgründe« der astronomischen Wissenschaft. Und den Himmel habe er mit seinem »Seherohr« nur zu solchen Zeiten durchwandert, als es entweder sehr neblig in seinem Gehirn oder sein Tubus nicht ausreichend ausgezogen gewesen sei.29 In den Leipziger Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen wurde noch festgehalten, Kindermann widerlege hier Argumente, die er in früheren Traktaten bereits dargebracht habe, künftig benötige er »gründliche und bescheidene Censur, oder Unterricht […], weil er noch täglich zu lernen Lust habe«.30 Die einzige positive Stimme findet sich im Übrigen ebenfalls in den Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen. Diese Rezension wurde allerdings drei Jahre später, 1747, veröffentlicht, als man eigentlich Kindermanns Fortsetzung der Vollständigen Astronomie besprach.31 Hier meinte man etwa, die Lehre der Kometen werde »umständlich und gründlich beantwortet«, und das Werk als solches sei generell gut geschrieben.32 Dies war allerdings die große Ausnahme. Denn die Vollständige Astronomie wurde auch in anderen Publikationsformen rezensiert. In einem Schreibkalender gab man an, Kindermann widerspreche dem »Augenschein«, und seine Darstellungen seien reine Behauptungen, vor denen man sich nicht zu fürchten habe.33 In einem selbstständig erschienenen ›Kometengespräch‹ wurden Kindermanns Theorien noch als »Träume« bezeichnet, die nicht fundiert seien, deren schlechte Qualität bereits an 27 28 29 30 31 32 33

Freye Urtheile und Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und Historie überhaupt, 31. Juli 1744, S. 483 f. Philosophische Untersuchungen und Nachrichten von einigen Liebhabern der Weisheit, 2. Stück [o. D.] 1744, S. 137–148. Göttingische Zeitungen von Gelehrten Sachen, 28. Dezember 1744, S. 894–896. Neue Zeitungen von gelehrten Sachen, 3. September 1744, S. 639–640. Eberhard Christian Kindermann: […] Collegium Astronomicum, Als der Andere Theil, Oder Erklärung seiner Teutschen Astronomie […]. Dresden, Leipzig: [o. V.] 1747, VD18 12151955. Neue Zeitungen von gelehrten Sachen, 3. August 1744, S. 552–554. Michael Erdmann: Verbesserter Schreib= Hauß= Historien= und Berg=Calender, Auf das 1745. Jahr CHristi. Clausthal: Detl. Christoph Wilcke [1744], nicht im VD18 nachweisbar, Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel [G 140], FIIv.

166

Doris Gruber

den misslungenen Kupferstichen ersichtlich sei,34 und man mokierte sich darüber, dass Kindermann nie ein Universitätsstudium absolviert hatte.35 Überdies wurde hier die Reichweite und Wirkung von Kritik in Form von Rezensionen betont. Denn Kindermann habe in den Hamburger Freyen Urtheilen und Nachrichten eine wichtige Lektion bekommen, an der er »genug zu studiren« habe.36 Hier handelte es sich um die oben angesprochene satirische Darstellung, in der ja tatsächlich relativ hart über Kindermann geurteilt wurde. Außerdem wurden andere Publikationen von Kindermann ebenfalls äußerst schlecht bewertet. Bei einer von ihm 1739 vorgelegten Schrift zur Astronomie, in der er auch Kometen behandelte,37 bemängelte man in den Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen etwa, dass »unter viel gute und bewiesne Dinge viel falsches und fabelhaftes gemischet« worden sei.38 Und in den Hamburgischen Berichten von den neuesten Gelehrten Sachen beschwerte man sich unter anderem über Kindermanns »schwache Beurtheilungskraft«, »seine elende Schreibart«, »Leichtglaubigkeit« und zählte ihn zu den »kurzweiligen Scribenten und kleinen Geister[n] unserer Zeiten«.39 Die deutlichsten Worte finden sich aber in Bezug auf seine Publikation zu einer Kometenerscheinung von 1748,40 deren Rezension in den Freyen Urtheilen mit folgenden Worten beginnt: »Der Himmel hat die Welt abermals mit einer kindermannischen Mißgeburt gestraft.« Kindermann sei weiter der »Gegensatz der menschlichen Vernunft« und die »Geissel elender Scribenten«. Gleichzeitig wurde angegeben, man rezensiere ihn hier bloß um des »unschuldigen Theils unser Leser willen«, denn diesen wollte man »vor dergleichen hyperphantastischen astronomischen Harlekinaden […] warnen«. Um Kindermann selbst zu »bessern«, sei hingegen jede Hoffnung verloren, und man fügte am Ende noch an: Der Himmel bewahre einen jeden vor dem Kindermannischen Schwindel, und schaffe, daß bald in dem von Swiften gestiffteten Tollhause eine mit starken eisernen Ketten und Gittern versehene Zelle für ihn ledig werde!41

Es wird also sehr deutlich, dass jegliche (Kometen-)Theorien von Kindermann in den Gelehrten Journalen auf heftige Kritik stießen. Derart harte Urteile – ob in Form von Rezensionen in Zeitschriften oder anderen Publikationsformen – stellten bezüglich

34 35 36 37 38 39 40 41

Rothe: Cometen=Bibliothec (wie Anm. 15), S. 23–26, 104–108. Rothe: Cometen=Bibliothec (wie Anm. 15), S. 23–26, 51 f., 104–108, 160 f. Vgl. Kindermann: Vollständige Astronomie (wie Anm. 14), Vorbericht des Autors. Rothe: Cometen=Bibliothec (wie Anm. 15), S. 160 f. Vgl. Freye Urtheile (wie Anm. 24). Kindermann: Reise in Gedancken (wie Anm. 15). Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 6. Juli 1739, S. 489 f. Hamburgische Berichte von den neuesten Gelehrten Sachen, 4. August 1741, S. 499–501. Kindermann: Entdeckter COMET (wie Anm. 14). Freye Urtheile und Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und Historie überhaupt, 25. Oktober 1748, S. 670–672.

Die Kometenerscheinung von 1743/44 in Gelehrten Journalen

167

der Veröffentlichungen zur Kometenerscheinung von 1743/44 jedoch Ausnahmen dar. Dies untermauern die 74 ausgewerteten Rezensionen, die vor allem Bücher und Flugschriften und in einem Ausnahmefall einen Schreibkalender behandeln:42 Zum größten Teil sind sie nicht wertende Exzerpte (30 Stück), und sofern Wertungen enthalten sind, fielen diese meist ausschließlich positiv aus (25 Stück), oder es wurden positive und negative Punkte hervorgehoben (8 Stück). Lediglich elf Rezensionen umfassen ausschließlich negative Urteile, fünf davon betreffen Kindermann.43 Daher stellt sich die Frage, warum gerade Kindermanns Publikationen derart scharf kritisiert wurden. Die Antwort liefern die Rezensionen selbst, denn die dortigen Kritikpunkte erlauben Rückschlüsse darauf, was (einige) Gelehrte der Zeit eben nicht als wahr und Wissen akzeptierten und welche epistemischen Voraussetzungen für sie galten. Zusammenfassend monierte man vor allem, dass Kindermann Erkenntnisse von (anerkannten) Autoritäten des Faches ignorierte, seine Argumente zu wenig oder unzureichend begründete, (zu viele) phantastische Elemente in seine Ausführungen integrierte und nie ein Universitätsstudium absolvierte. Die ersten beiden Kritikpunkte zeugen von einer aktiv im gegenseitigen Austausch stehenden Gelehrtenkultur, in der man sich auf bestimmte Argumentationsmuster und grundlegende Referenzpunkte geeinigt hatte. Dies mag darauf hindeuten, man wäre sich um 1744 auch einig gewesen, was über Kometen als wahr und Wissen zu betrachten ist. Dem war jedoch keineswegs so. Die Grenze zwischen Fiktionalität und Faktionalität war fließend, und aus heutiger Sicht phantastische Elemente finden sich in nahezu jeder Kometenpublikation der Zeit, nicht zuletzt weil man vielerlei Aspekte noch nicht (eindeutig) rational erklären oder beweisen konnte. So hielt etwa der Mathematiker Leonhard Euler es für höchstwahrscheinlich, dass Kometen bewohnt seien;44 und allein bei der Frage, aus welcher Materie Kometen gebildet werden, schieden sich die Geister: Manche gingen etwa davon aus, Kometen bestünden aus lockeren Materien, ähnlich wie Dämpfe oder Wolken, für andere waren Kometen hingegen durchsichtige oder brennende Körper. Auch die Periodizität von (manchen) Kometen wurde keineswegs von allen akzeptiert.45 Dennoch wurden die Theorien von Kindermann mit größerer Härte zurückgewiesen als von anderen seiner Zeitgenossen. Hilfreich zur Legitimation seiner Thesen war

42

43 44 45

Beispielhaft die Rezension zu Christian Gottlieb Guttmann: Vernünftige Gedanken über die Cometenlehre. In: Göttingische Zeitungen von Gelehrten Sachen, 27. April 1744, S. 299–301; ebenso in: [ Johann Carl Conrad Oelrichs (Hg.)]: Berlinische Bibliothek, worinnen von neu heraus gekommenen Schriften und andern zur Gelahrtheit gehörigen Sachen kurze Aufsätze und Nachrichten mitgetheilet werden, St. 3. [o. D.] 1748, S. 377–383. Die beiden oben angesprochenen Rezensionen zu Kindermanns Reise in Gedancken (wie Anm. 15) wurden hier nicht gezählt, da diese nicht die Kometenerscheinung von 1743/44 betreffen. [Leonhard Euler]: Beantwortung verschiedener Fragen über die Beschaffenheit, Bewegung und Würckung der Cometen. Berlin: Ambrosius Haude 1744, VD18 10770143, S. 10, 15 f. Gruber: Wissenswandel (wie Anm. 1), Kap. C.3.2.

168

Doris Gruber

freilich nicht, dass er kein Universitätsstudium absolvierte. Von 54 nachweisbaren Autoren und Autorinnen von Drucken zur Kometerscheinung von 1743/44 war Kindermann, gemeinsam mit der einzigen zweifelsfrei identifizierbaren Autorin, Maria (?) Margaretha Kirch,46 der Einzige, der nachweislich nie studierte. Allerdings führte der Mangel eines Universitätsstudiums nicht zwangsweise zum Ausschluss aus dem gelehrten (Kometen-)Diskurs, was etwa die Rezeption der Schriften des Bauernastronomen Johann Georg Palitzsch bezeugt, der 1758 die Wiederkehr des Halleyschen Kometen beobachtete.47 Der Hauptgrund für die massive Kritik an Kindermann liegt wohl darin, dass Kindermanns Publikationen deutlich mehr und ungewöhnlichere phantastische Elemente enthielten als die übrigen Kometenpublikationen der Zeit und insbesondere darin, dass er diese Thesen eben nicht mit Verweisen auf die weitgehend anerkannten frühneuzeitlichen und antiken Autoritäten untermauerte – er war also zu weit gegangen, und seine Argumentationen entsprachen nicht den epistemischen Voraussetzungen der Zeit. Resümee All diese Befunde deuten darauf hin, dass Zeitschriften und insbesondere Gelehrte Journale nicht die Publikationsform darstellten, in der neue Erkenntnisse oder Theorien zu Kometen in der Zeit um 1743/44 bevorzugt verhandelt wurden, was weiterhin am intensivsten in selbstständigen Publikationen, insbesondere Flugschriften und Büchern geschah. Dies belegt allein die geringe Zahl an nachzuweisenden Zeitschriftenartikeln (12), die keine Rezensionen darstellen. Und dies betrifft sowohl Gelehrte Journale als auch andere Zeitschriftenformen. Dieser Befund ist für Forschungen zu frühneuzeitlichen Kometenerscheinungen relevant,48 überrascht jedoch wenig, da die aufgefundenen Artikel mehrheitlich aus Gelehrten Journalen stammen, deren Hauptgeschäft bekanntlich eben gerade Rezensionen waren, und die, zumindest um die Mitte des 18. Jahrhunderts, nur selten eigenständige Beiträge enthielten.49 Zeitschriften fungierten bei dem hier behandelten Quellenkorpus folglich vor allem als Multiplikatoren der in den selbstständigen Publikationen dargebrachten Wis-

46 47 48 49

[Maria (?) Margaretha Kirch:] Anhang. In: Leonhard Euler: Fortgesetzte Beantwortung der Fragen über die Beschaffenheit, Bewegung und Würckung der Cometen. Berlin: Ambrosius Haude 1744, VD18 11685042. [?] Günther: Palitzsch, Johann Georg. In: Allgemeine Deutsche Biographie 25 (1887), S. 80–81. Vgl. Jürgen Helfricht: Hexenmeister und Bauernastronomen in Sachsen. Taucha: Tauchaer Verlag 1999. Vgl. die Hinweise in Anm. 2 und 6. Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts. Bremen: edition lumière 2007. Vgl. auch die Einleitung zum vorliegenden Band.

Die Kometenerscheinung von 1743/44 in Gelehrten Journalen

169

sensbestände, insbesondere durch die Besprechung bestimmter Titel in Form von Rezensionen, die vielfach nicht wertende Exzerpte darstellten. Wenngleich Zeitschriften nicht der einzige Ort waren, an dem Kritik an Neuerscheinungen geäußert wurde, regulierten die Rezensionen dergestalt die Wissensbestände, da man hier eine Vorauswahl der relevanten Publikationen traf und sich für die Annahme oder Zurückweisung bestimmter Argumentationen aussprach. Diese Funktion als Filter neuer Thesen trug – zumindest im Falle von Kometen – sicherlich zur Beschleunigung des Wissenswandels bei. Am Beispiel der Rezensionen zu Eberhard Christian Kindermanns Kometenpublikationen wurde diese Filterfunktion deutlich, denn seine außergewöhnlichen und aus heutiger Sicht phantastisch anmutenden Thesen wurden zurückgewiesen, wohl vor allem, weil sie den epistemischen Gesetzen der Gelehrtenkultur der Zeit nicht gehorchten.

Informieren, Kritisieren, Räsonieren: Strukturen und Praktiken Gelehrter Journale

Johann Christoph Gottscheds Ruhmgeschichte im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik Anett Lütteken Rezensionen als Resonanzraum Der Nachruhm berühmter Persönlichkeiten unterliegt bekanntlich Konjunkturen. Das gilt auch und gerade für Johann Christoph Gottsched (1700–1766): Der bereits von der eigenen Aufklärer-Generation und mehr noch von der nachfolgenden diffamierte Leipziger Professor hatte nach steilem Aufstieg einen gravierenden Renommee-Schwund zu ertragen, der ex negativo seine herausragende Relevanz in der damaligen Gelehrtenrepublik bezeugt. Diese Bedeutung Gottscheds als fixe Bezugsgröße scheint im legendären Literaturstreit zwischen Zürich und Leipzig1 ebenso durch wie in Lessings maliziösen Worten: »Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte.«2 Goethe trieb die Polemik mit seiner ebenfalls durchaus bösartigen Beschreibung in Dichtung und Wahrheit auf die Spitze, indem er Gottsched zu einem cholerischen Geisteswicht eines längst überwundenen Zeitalters stilisierte. Die ältere akademische Germanistik mit ihrer Goethe-Fixierung und der Skepsis gegenüber dem vermeintlich ›verzopften‹ achtzehnten Jahrhundert tat dann ein Übriges, um Gottscheds Verdienste weiter zu relativieren.3 Und obwohl Steffen Martus in 1

2 3

Grundsätzlich zur Thematik: Detlef Döring: Der Literaturstreit zwischen Leipzig und Zürich in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Neue Untersuchungen zu einem alten Thema. In: Anett Lütteken, Barbara Mahlmann-Bauer (Hg.): Bodmer und Breitinger im Netzwerk der europäischen Aufklärung. Göttingen: Wallstein 2009, S. 60–104. Briefe die neueste Litteratur betreffend [17. Brief, 16. Februar 1759]. Hg. von Gotthold Ephraim Lessing; Moses Mendelssohn. Berlin: Nicolai 1759. Vgl. die Einleitung sowie die ersten Ansätze zu seiner Rehabilitation in: Gottsched und seine Zeit. Auszüge aus seinem Briefwechsel. Zusammengestellt und erläutert von Th[eodor] W[ilhelm] Danzel […]. Leipzig: Dyk’sche Buchhandlung 1848, S. 1: »Bis vor wenigen Jahren hätte kaum irgend etwas weniger auf günstige Aufnahme Anspruch machen können als eine Schrift über Gottsched, die nicht darauf ausgegangen wäre, zu erörtern, wie dieser, was freilich Jedermann schon zu wissen glaubte, ein eitler Narr und ein leerer Kopf gewesen […].«

174

Anett Lütteken

seinem vor nicht allzu langer Zeit erschienenen wuchtigen Aufklärungskompendium zutreffend in der Vergangenheitsform feststellt: »Gottsched litt lange unter einem schlechten Ruf«, kann selbst er sich noch immer nicht vom Reflex freimachen, mit Goethes Augen auf den Gelehrten Gottsched zu schauen, indem er ersteren ausführlich zitiert, weil die Szene »einfach zu schön [ge]schildert« sei.4 Mit anderen Worten: Tradierte Vorurteile, Pauschalisierungen und Projektionen mitsamt der ausgeprägten Neigung zur Marginalisierung der Lebensleistung Gottscheds aus Unkenntnis seines Gesamtwerks – alle diese Rezeptionshürden sind nicht so leicht aus dem Weg zu räumen. Dies auch, weil man sich in der Forschung noch immer schwer damit tut, komplexitätsreduzierende Epochen- und Konstellationsmodelle zu hinterfragen, und obwohl in den vergangenen Jahren durch das von der Leipziger Gottsched-Arbeitsstelle vorangetriebene, überaus respektgebietende Briefeditionsprojekt inzwischen zahlreiche Sachverhalte erstmals ins Licht bzw. erstmals überhaupt ins rechte Licht gerückt werden konnten. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass es im Folgenden nicht um die Rehabilitierung Gottscheds gehen soll und auch nicht um eine Revision der Literaturgeschichtsschreibung. Gegenstand der Überlegungen ist vielmehr eine sehr vorläufige Taxierung dessen, was noch zu tun bleibt, um das heute erreichbare Wissen über Sachverhalte und deren Kontexte ein klein wenig zu justieren und, wo nötig, zu korrigieren. Dass hierbei das durch das Projekt Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung systematisch zugänglich gemachte gelehrte Rezensionswesen eine herausragende Rolle zu spielen hat, steht außer Frage, weil dieses eben das zentrale Medium zur Meinungs- wie zur (mehr oder minder sachbezogenen) Werturteilsbildung gewesen ist. Einer Analyse der Ruhmgeschichte Gottscheds aus dieser bewusst eingegrenzten Perspektive sind gleichwohl einige übergeordnete Aspekte voranzusetzen: Kanonisierungsprozesse des 18. Jahrhunderts sind bisher längst nicht so detailliert erforscht worden wie diejenigen des 19. und 20. Jahrhunderts.5 Sofern diese überhaupt thematisiert worden sind, geschah es jeweils kaum je mit dem Anspruch, den charakteristischen und zeitaltererhellenden Verlauf von verschiedenen synchronen Kanonisierungspro4 5

Vgl. Steffen Martus: Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert – ein Epochenbild. Berlin: Rowohlt 2015, S. 294 f. Vgl. etwa: Sascha Ferber: Die Geschichte der Vorurteile: Wieland-Rezeption im 19. Jahrhundert. Wieland in der Literaturgeschichtsschreibung von 1838 bis 1911. Frankfurt: Lang 2013. Lessing, Klopstock und Gellert betreffend gibt es verdienstvolle, aber eher punktuell ansetzende Studien; vgl. etwa: Uwe Hentschel: »Was will die Poesie Gellerts im neunzehnten Jahrhundert?«. Ein Dichter und sein Platz in der deutschen Literaturgeschichte. In: Sibylle Schönborn, Vera Viehöver (Hg.): Gellert und die empfindsame Aufklärung. Vermittlungs-, Austausch- und Rezeptionsprozesse in Wissenschaft, Kunst und Kultur. Berlin: Schmidt 2009, S. 273–283; Kevin Hilliard: Klopstocks Tempel des Ruhms. In: Kevin Hilliard, Katrin Kohl (Hg.): Klopstock an der Grenze der Epochen. Berlin, New York: de Gruyter 1995, S. 221–239, und das »Nachwort« von Jürgen Stenzel in: Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz: Gedichte. Hg. von Jürgen Stenzel. Tübingen: Niemeyer 1982, S. 563–569 sowie S. 535–562.

Johann Christoph Gottscheds Ruhmgeschichte im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik

175

zessen zu beschreiben und miteinander zu vergleichen. Dass die Laufbahn eines zur Poesie geneigten Gelehrten wie Gottsched ohnehin mit anderen Maßstäben zu messen wäre als diejenige eines Dichters im emphatischen Sinne, versteht sich. Zudem liegt es nahe, die Gesetzmäßigkeiten der Genese von Ruhmgeschichten von Gelehrten als ein eigenes Subgenre der Biographik zu betrachten, als Narrative also, für die charakteristische Anekdoten ebenso konstitutiv sind wie der Nachweis früher Hochbegabung oder anderweitig herausragender und normensprengender Talente. Gottsched kann in vielfacher Hinsicht als repräsentativ für die erste Aufklärergeneration gelten: als Autor, als Kritiker, als Literaturtheoretiker und -historiker sowie als typischer Vertreter deutscher Gelehrsamkeit, dazu als eine Persönlichkeit, die die Journal-Landschaft seines Zeitalters als Herausgeber und damit zugleich die wissenschaftliche Kommunikation und somit auch die akademische Streitkultur maßgeblich geprägt hat. Daher scheint es besonders reizvoll, einige der Stationen seiner Laufbahn mittels der in der Datenbank Gelehrte Journale gegebenen Hilfestellungen – als Wirkungsgeschichte en miniature gleichsam – zu betrachten. Um diese nun skizzieren zu können, ist 1. eine gewisse Objektivierung anzustreben und damit ein punktuelles Relativieren von verbreiteten Bewertungsmustern; 2. gilt es, den Dokument-Horizont als Basis für adäquatere Werturteile zu erweitern, ohne freilich 3. angesichts der enormen Vielfalt von erreichbaren Dokumenten ins rein Positivistische zu verfallen bzw. ein Opfer von ›digitaler Verzettelung‹ zu werden. Allein schon wegen des historischen Abstandes ist es zudem besonders herausfordernd, über Wertigkeiten und die Semantik von Werturteilen, die zugehörige Sprache der Kritik und den Status von Urteilenden zu befinden und hierbei angemessen zu priorisieren. Dabei scheint schon auf den ersten Blick alles ausgesprochen klar zu sein. Die Datenbank weist beim Namenseintrag »Gottsched« derzeit 276 Treffer aus.6 Diese vergleichsweise hohe Zahl erstaunt kaum. Und auch die Erkenntnis, dass sich auf ihn bezogene Texte einschlägigen »Systemstellen« (etwa der Literatur- oder Philosophiegeschichte) zuordnen lassen, überrascht wenig. Wollte man, und das wäre durchaus das Fernziel der hier angestellten Überlegungen, eine ausführlichere Studie zur Wirkung Gottscheds in seiner Zeit erarbeiten, bliebe gleichwohl enorm viel Arbeit, denn die Vielzahl der Erwähnungen in den Gelehrten Journalen ist ja lediglich so etwas wie die Spitze des Eisbergs: Sie rekurrieren als Anzeige, Ankündigung, Rezension oder Entgegnung auf (gedruckte) und zur Diskussion gestellte Texte, und diese wie jene werden in unterschiedlichsten Schattierungen ihrerseits dann zum Gegenstand weiterführender Überlegungen in anderen Textsorten wie zum Beispiel in Korresponden6

Ergebnis in der erweiterten Suche unter Personenschlagwort [zuletzt 21.03.2019]. Aus naheliegenden Gründen kann der auf das Jahr 1701 bezügliche Eintrag vernachlässigt werden. Mit der allgemeinen Suche erzielt man nahezu 2200 Treffer, da dann auch alle Rezensionen von Gottschedschen Schriften und Beiträge aus Zeitschriften erfasst werden, die Gottsched herausgegeben hat – nicht zuletzt ein Zeugnis für die enorme Präsenz Gottscheds in der Herausgeberrolle.

176

Anett Lütteken

zen oder Parodien. Solche kontextualisierenden Dokumente sollen hier weitgehend ausgeblendet werden, um das in den Rezensionsorganen des Zeitalters schlummernde Erkenntnispotential deutlicher herausarbeiten zu können. Es bleiben noch einige Facetten der Ruhmgeschichte Gottscheds hervorzuheben, um die komplexe Ausgangslage zu illustrieren. Von übergeordnetem Interesse müssen dabei die Dokumentationsmöglichkeiten von ›Aufstieg‹ und ›Fall‹ Gottscheds sein, von markanten Karrierestationen also und auch vom immer wieder postulierten ›Karriereknick‹ ab den 1740er Jahren: Gibt diese in der Germanistik tradierte Wahrnehmung lediglich die Sicht der jüngeren Aufklärergeneration und abtrünnigen Gottsched-Schüler wieder? Oder lässt sie sich anhand der Resonanz in zeitgenössischen Rezensionsorganen objektivieren? Parallel dazu bleibt zu taxieren, mit welchen publizistischen Mitteln Gottsched sich selbst und später seinen Kreis in der Gelehrtenrepublik positionierte und mit welcher Nachhaltigkeit ihm dies gelang. Nicht zuletzt sind auch Gottscheds eigene Fertigkeiten als Literaturkritiker zu betrachten, seine Sprache der Kritik ebenso wie sein Vermögen zur Polemik. Alle nun folgenden Beispiele sind eine extrem kleine Auswahl aus einem tatsächlich extrem umfangreichen Textbestand, der zur weiteren Erkundung einlädt. Gar nicht so bescheiden: Gottscheds Anfänge Die ›große‹ akademische Welt betrat Magister Gottsched offiziell im Jahr 1724, als er, selbstverständlich in lateinischer Sprache, die Venia Legendi mittels einer Schrift zum Sündenfall erwarb.7 Darin setzte er sich nicht mehr länger aus theologischer, sondern aus seiner durch Leibniz- und Wolff-Lektüren zur Philosophie hin verschobenen Perspektive mit der Thematik auseinander, wobei er u. a. über die Freiheit, sich für das Gute oder das Böse zu entscheiden, nachsann. Das Laster beschrieb er hier »als Folge eines geschwächten Intellekts«, weshalb alles daran zu setzen sei, den Geist durch umfassendes Wissen zu stärken.8 Doch das war nur die eine Seite: Längst schon war Gottsched im Begriff, sich vor allem auf dem Gebiet der Literatur (etwa als Herausgeber der Wochenschriften Die

7 8

Johann Christoph Gottsched: Hamartigenia sive de Fonte Vitiorum Humanorum quaestio philosophice soluta. Leipzig: Rothe [1724]. Hierzu ausführlich: Andres Straßberger: Johann Christoph Gottsched und die »philosophische« Predigt. Studien zur aufklärerischen Transformation der protestantischen Homiletik im Spannungsfeld von Theologie, Philosophie, Rhetorik und Politik. Tübingen: Mohr Siebeck 2010 (Beiträge zur historischen Theologie, 151), S. 63–77, Zitat S. 69; vgl. Mark-Georg Dehrmann: Das »Orakel der Deisten«. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung. Göttingen: Wallstein 2008, S. 183, Anm. 76; Stefan Lorenz: De mundo optimo. Studien zu Leibniz’ Theodizee und ihrer Rezeption in Deutschland (1710–1791). Stuttgart: Steiner 1997 (Studie Leibnitiana; 31), S. 42 f.

Johann Christoph Gottscheds Ruhmgeschichte im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik

177

vernünftigen Tadlerinnen [1725/26]9 und Der Biedermann [1727/29]10) in der gelehrten Öffentlichkeit zu profilieren, wobei ihm bekanntlich auch Johann Burckhard Mencke (1674–1732) Einstiegshilfen bot,11 etwa durch die Verankerung in der Deutschübenden poetischen Gesellschaft und der von ihm direkt oder mittelbar gesteuerten Publizistik.12 Doch welchen Niederschlag fanden diese breitgefächerten Aktivitäten des Mittzwanzigers tatsächlich in den zeitgenössischen Rezensionsorganen? Die seit 1715 bestehenden und vom Gottsched zugewandten Mencke initiierten Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen brachten am 29. März 1725 folgende Kurznachricht über einen vergleichsweise aufwendig gestalteten Druck:13 Herr M. Johann Christoph Gottsched, ein Preusse, hat allhier eine Lob und Klage-Ode von 3 Bogen auf das Absterben des Czaaren Petrio Alexowitz [Peter der Große, 1672–1725] drucken lassen, welche mit Nachdruck und Munterkeit geschrieben ist und den Ruhm einer reinen und männlichen Poesie behaupten kann.

Man mag über den Aspekt der »reinen und männlichen Poesie« geteilter Meinung sein können. Der junge ›poeta doctus‹ Gottsched jedenfalls hatte mit Emphase formuliert: Ihr Völker klagt, denn Moscau weinet Europa, komm, verhülle dich, Ihr Länder, denen itzt fast keine Sonne scheinet, Seht, euer Glantz verfinstert sich […].

9 10 11

12 13

Die vernünftigen Tadlerinnen. Hg. von Johann Christoph Gottsched. Frankfurt; Leipzig: Braun 1.1725–2.1726. Zugehörige Ankündigungen bzw. Rezensionen zum Beispiel in: Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 30. Juni 1738, S. 468–469. Vgl. Der Biedermann. Hg. von Johann Christoph Gottsched. 2 Bde. Leipzig: Breitkopf 1727–1729. Zur Wochenschrift Die vernünftigen Tadlerinnen vgl. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 19. Mai 1727, (S. 407 f.).; zu Gottscheds Sterbendem Cato: Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 25. August 1721, S. 608 f. [20.02.2019]; Niedersächsische Nachrichten von gelehrten neuen Sachen (1732), S. 675–678; ebd. S. 802–804; dazu auch: Johann Jacob Bodmer: Von der innerlichen Beschaffenheit des mechanischen Original-Stückes von dem deutschen Cato. In: Critische Betrachtungen und freye Untersuchungen zum Aufnehmen und zur Verbesserung der deutschen SchauBühne. Bern: Orell & Co. 1743, S. 59–92, die zugehörige handschriftliche Vorstudie https://www. e-manuscripta.ch/zuz/content/titleinfo/10310 [20.02.2019] sowie: Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit (1757), S. 288–294. Vgl. Holger Zaunstöck: Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer 1999 (Hallesche Beiträge zur europäischen Aufklärung; 9), S. 43 ff. und passim. Johann Christoph Gottsched: Lob- und Klage-Ode, Womit der nunmehro Unsterbliche Held Petrus Alexowitz […] Verehret und bedauret worden von Johann Christoph Gottsched, A. M. aus Preussen. Leipzig: Tietzen 1725; Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 29. März 1725, S. 256.

178

Anett Lütteken

Aus heutiger Sicht wäre vielleicht noch hinzufügen, dass der Schlussteil der Ode in der Tat recht munter, aber auch ›männlich‹ daherkommt, in der Passage nämlich über Katharina I.: In Rußland herrscht die Kayserin? Ja! herrsche wohl Du Preiß der Frauen! Da Petrus Dich so hoch geschätzt, Und Dich auf seinen Thron gesetzt.

Die beiden schlichten Wertungswörter »rein« und »männlich« in der ultraknappen Ankündigung verweisen freilich bereits auf die Schwierigkeit, die Semantik historischer Sprachstufen adäquat auszuloten und zu klären, welche Facetten des antiken ›virtus‹-Begriffs beim Wort »männlich« seinerzeit mitgedacht wurden. Offen bleibt zudem, ob beim Begriff der »reinen« Poesie mehr als nur die rhetorische Kategorie der ›puritas‹ mitschwang, die, wie die »Deutlichkeit, der Schmuck und die Angemessenheit«, die Ausgangsbasis zur Beurteilung der Qualität von Poesie bilden sollten,14 und ob die Zwillingsformel »rein und männlich« von Gottsched selbst oder tatsächlich von einem (zugewandten) Kritiker stammt. Gottscheds frühe Aktivitäten wurden in den Neuen Zeitungen und auch sonst dokumentiert.15 Wie er sich für andere und – dabei doch vor allem – für sich selbst einsetzte, lässt sich derart vergleichsweise plastisch rekonstruieren, etwa in Bezug auf die Sammlung der Gedichte seines Lehrers Johann Valentin Pietsch:16 Wenn man das Zeugniß, welches ihm Herr M. Gottsched in der Vorrede giebt, gegen die Gedichte selbst hält, sieht man, daß er keineswegs zu viel gesagt, indem die meisten unter denselben diesen Ruhm allerdings verdienen. Am Ende hat Herr M. Gottsched drey Gedichte von seiner eignen Arbeit beygefügt, davon das erste bereits anderweit gerühmet worden,17 der andern beyden aber der Herr Verfasser sich gleichfalls nicht zu schämen hat.

Die Annahme liegt nahe, dass es sich hier jeweils vor allem um gesteuerte, womöglich sogar von Gottsched selbst formulierte Werbung in eigener Sache, nicht aber um einen im engeren Sinne kritischen Zugang zum angezeigten Werk handelt. Gelobt wurde im selben Organ in vergleichbar unspezifischer und doch zugleich mehr oder minder dezent selbstanpreisender Weise in den Jahren vor dem Antritt der Professur für 14 15 16 17

Grundsätzlich hierzu: Gerhard Härle: Reinheit der Sprache, des Herzens und des Leibes. Zur Wirkungsgeschichte des rhetorischen Begriffs puritas in Deutschland von der Reformation bis zur Aufklärung. Tübingen: Niemeyer 1996 (Rhetorik-Forschungen; 11). Vgl. Hamburgische Berichte von Gelehrten Sachen, 26. Februar 1734, S. 143 f., zur Amtseinsetzung und Antrittsrede. Herrn D. Johann Valentin Pietschen […] Gesamlete Poetische Schrifften. […]. Hg. von Johann Christoph Gottsched. Leipzig: Gross 1725; Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 22. November 1725, S. 895–902, hier S. 902. Vgl. Anm. 13.

Johann Christoph Gottscheds Ruhmgeschichte im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik

179

Poesie (1730) zum Beispiel auch die Fontenelle-Ausgabe (Gespräche von mehr als einer Welt) von 1726.18 Solche minimalistischen Texte, die kaum mehr als Ankündigungen sind (und sein wollten), belegen zum einen, dass es zu Beginn von Gottscheds Laufbahn in den 1720er Jahren nicht allein an deutschsprachigen Texten mangelte, die sich mit Gewinn hätten rezensieren lassen, und zum anderen, dass die (deutschsprachige) ›Literaturkritik‹ im Wortsinn in dieser Zeit mangels Kriterienapparat und geeigneter Kritiksprache noch kaum dazu taugte, differenzierte Urteile zu übermitteln: Beschreibungen, Paraphrasen und Redundanzen aller Art überwölben derart die Aussage – das ist freilich selbst noch Jahrzehnte später in Nicolais Allgemeiner deutscher Bibliothek ein Problem gewesen.19 Am in den folgenden Jahrzehnten exponentiell qualitativ wie quantitativ wachsenden Umgang der Kritik mit Gottscheds Texten und Sammlungen lässt sich der enorme Zugewinn an kritischen Kompetenzen und zugehörigen rhetorischen Techniken, an der Form wie der Prägnanz der Aussage nachzeichnen. Dass es sich hierbei um eine noch zu Lebzeiten Gottscheds, in den 1750er Jahren geradezu florierende Kulturtechnik handelte, zeigte der schonungslose Kritiker Lessing (im berühmten 17. der Briefe, die Neueste Litteratur betreffend aus dem Jahr 1759, die ihrerseits schon die damals gängigen Rezensionsorgane reformieren helfen sollten), als er seine profunde Geringschätzung der Themen Gottscheds bis ins kleinste Detail durchbuchstabierte und mittels parataktischer Konstruktion die vermeintliche Mechanik von dessen Schreib- und Denkart karikierte, um so zugleich den Menschen zu diskreditieren:20 Er [Gottsched] verstand ein wenig Französisch und fieng an zu übersetzen; er verfertigte, wie ein schweizerischer Kunstrichter sagt, mit Kleister und Scheere seinen Cato; er ließ den Darius und die Austern, die Elise und den Bock im Processe, den Aurelius und den Witzling, die Banise und den Hypochondristen, ohne Kleister und Scheere machen; er legte seinen Fluch auf das extemporieren; er ließ den Harlequin feyerlich vom Theater vertreiben, welches selbst die größte Harlequinade war, die jemals gespielt worden; kurz, er wollte nicht sowohl unser altes Theater verbessern, als der Schöpfer eines ganz neuen

18

19

20

Vgl. Herrn Bernhards von Fontenelle Gespräche von Mehr als einer Welt zwischen einem Frauenzimmer und einem Gelehrten. Nach der neuesten Frantzösischen Auflage übersetzt, auch mit Figuren und Anmerkungen erläutert von Joh. Chr. Gottscheden […]. Leipzig: B. Ch. Breitkopf 1726; Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 23. Mai 1726, S. 408: »Es hat also diese neue Ubersetzung und Auflage viele Vorzüge vor der ersten, und das beygefügte sehr nette Schäffergedichte wird derselben einen besondern Werth beysetzen; allen Liebhabern einer reinen Deutschen Schreibarth aber wird es lieb zu vernehmen seyn, daß Hr. Gottsched zu einer Ubersetzung aller Wercke des Herrn von Fontenelle Hoffnung macht.« Allgemeine Deutsche Bibliothek. Hg. von Friedrich Nicolai. Kiel: Bohn; Berlin, Stettin: Nicolai, 1.1765–117.1794; vgl. Ute Schneider: Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik. Wiesbaden: Harrassowitz 1995 (Mainzer Studien zur Buchwissenschaft; 1). Vgl. Anm. 2.

180

Anett Lütteken

seyn. Und was für eines neuen? Eines Französisierenden; ohne zu untersuchen, ob dieses französisierende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sey, oder nicht.

Diese Verdammung der Lebensleistung Gottscheds lässt sich natürlich nicht zuletzt auch als eine Kritik auf Metaebene verstehen, da in und mit ihr der Konnex von Form und Gehalt, von Sachbezogenheit und Polemik sowie die Möglichkeit, sich selbst auf Kosten anderer zu positionieren, reflektiert wird. Lessings reichlich scharfes Urteil sollte indes nicht vergessen lassen, dass Gottsched viele Jahre lang, seit Beginn der 1730er Jahre nämlich, als bedeutender Gelehrter galt, nicht zuletzt auch als Impulsgeber, der in allen Bereichen der Bildung und Kultur Desiderate und neue Betätigungsfelder ausmachte und sich anschickte, diese mittels passender Kompendien systematisch zu beackern und so die erforderlichen Grundlagen bereitzustellen. Epoche aber machte er bekanntermaßen vor allem mit dem zunächst freundlich aufgenommenen, rationalistisch gegründeten Versuch einer critischen Dichtkunst,21 der eine Reihe von Reaktionen hervorrief.22 Die einflussreichen Deutschen Acta Eruditorum Christian Gottlieb Jöchers widmeten dem Band gar eine zwanzigseitige Kritik.23 Vorgelegt werde hier ein Kompendium, in dem die »philosophischen Gründe der Poesie« betrachtet werden. »Es ist also etwas Neues, was der Herr Verfasser in Absicht auf die deutsche Sprache unternommen hat«.24 Genau das also, was man Gottsched in späteren Jahrzehnten so entschlossen absprach, die Innovationskraft sowie die Fähigkeit zur Systemschau, wurde ihm hier attestiert. Was »wahre critic« sei, nämlich eine »Philosophie von den freyen Künsten«, habe Gottsched definitorisch auf den Punkt gebracht:25 Ein Criticus ist […] ein Gelehrter, der die Regeln der freyen Künste philosophisch eingesehen hat, und also im Stande ist, die Schönheiten und Fehler aller vorkommenden Meister-Stücke vernünfftig zu prüfen und richtig zu beurtheilen.

Dass in solchen dogmatischen Festlegungen wie diesen ein grundsätzliches Problem gelegen ist, ist vielfach diskutiert worden und soll hier nur der Vollständigkeit halber

21 22

23 24 25

Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen […]. Leipzig: B. Ch. Breitkopf 1730. Vgl. die Ankündigung in: Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 28. April 1729, S. 320; ebd., S. 936, die anonyme lobende Kurzbesprechung: »Es ist leicht zu erachten, daß man von einem autore, der sich in unserer Muttersprache in beyderley Schreibart durch seine geschickte Feder so berühmt gemacht, nichts mittelmäßiges in diesem Stück zu erwarten gehabt […]«; weitere Reaktionen zum Beispiel in: Niedersächsische Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen (1730), S. 798–799. Vgl. Deutsche Acta eruditorum oder Geschichte der Gelehrten, welche den gegenwärtigen Zustand der Literatur in Europa begreiffen (1730), S. 331–351. Ebd., S. 331. Ebd., S. 332.

Johann Christoph Gottscheds Ruhmgeschichte im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik

181

erwähnt werden. Mit der Critischen Dichtkunst wurde der Weg zu einer breiten wissenschaftlichen Rezeption der Arbeiten Gottscheds geebnet, wovon die Neuauflagen des Jahres 173726 und 174227 ebenso zeugen wie Vielzahl von Erwähnungen und zunächst durchaus sachbezogenen Kritiken. Parallel dazu entwickelte sich auch die akademische Karriere Gottscheds. 1734 war dementsprechend in den Hamburgischen Berichten zu lesen: »Heut über acht Tage wird der zu Leipzig, in die Stelle des ohnlängst verstorbenen Herrn P. Crellii, als Lehrer der Vernunftlehre erwehlte Hr. Prof. Gottscheed seine Antrittsrede halten […].«, und wenig später: »Den 18 Febr. hielte Hr. Prof. Joh. Christ. Gotscheed […] seine Antrittsrede als Professor Logicae & Metaphysicae ordinarius […]«.28 Das Spektrum der bekannntlich ab einem gewissen Punkt ausgesprochen kontroversen Meinungen über Gottscheds Critische Dichtkunst dokumentieren die überlieferten Rezensionen ebenso wie die anhaltende Relevanz des zum Standardwerk avancierten Bandes innerhalb der deutschsprachigen Diskussion. Die streitlustigen Zürcher Kommentare späterer Jahre (etwa zu Gottscheds Seltsame[r] Vorrede zu seinem eigenen Drey mahl wiederholten Versuche einer Critisch Dichtkunst für die Deutschen29) oder Georg Friedrich Meiers sechsteilige Beurtheilung der Gottschedischen Dichtkunst, in der eingangs von den die Aufklärer (eigentlich) einigenden Prinzipien und Prämissen die Rede war, spiegeln dabei durchweg auch die Fortschritte einer aus aufklärerischer Perspektive als Kultur- und Kultivierungstechnik verstandenen Kritik.30 Zwar stehe es, so Meier, »in der Republick der Gelehrten iederman frey, sein Urtheil von andern Gelehrten und ihren Arbeiten mit Bescheidenheit zu fällen«, dennoch rechtfertige dies nicht jede Art von Kritikgebaren. Die Critische Dichtkunst habe die wissenschaftliche Öffentlichkeit gespalten: »Diejenigen also, welche es mit dem Herrn Professor Gottsched halten, und diese meine Schrift lesen werden, die werden aller

26

27

28 29

30

Zur 2. Aufl. vgl. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 29. August 1737, S. 615–616, hier S. 616: »Man darf nicht bloß aus dem gänzlichen Abgange der ersten Auflage von dem Werthe des Buches urtheilen; sondern man siehet es zum Theile aus der Erfahrung daß des Herrn Prof. Dichtkunst Nutzen geschaffet habe.« Zur 3. Auflage vgl. die ausführliche Kritik in: Critischer Versuch zur Aufnahme der Deutschen Sprache (1742), Bd. 1, S. 413–456, aber auch: Göttingische Zeitungen von Gelehrten Sachen (1742), S. 326–327, hier S. 326: »Das Buch ist zu bekannt, daß wir dessen Inhalt zu beschreiben nöthig hätten.«; vgl. ebd. (1744), Bd. 2, S. 403–423. Vgl. Hamburgische Berichte von neuen Gelehrten Sachen, 26. Februar 1734, S. 143–144. Vgl. hierzu: Sammlung critischer, poetischer, und andrer geistvollen Schriften, zur Verbesserung des Urtheils und des Wizes in den Wercken der Wolredenheit und Poesie; dort auch die »Genaue Prüfung der Gottschedischen Uebersetzung Horazens von der Dichtkunst« (St. 9, S. 75–105, hier S. 77: Die Rede ist u. a. von der »eckelhafte[n] und verdrüßliche[n] Arbeit, in einer übersezten Kunstschrift, die nichts anders ist, als ein Gemische von Fehlern« Korrekturen anzubringen und damit »zu Aufräumung dieses Chaotischen Schuttes« beizutragen); vgl. ebd. (St. 8, S. 53: »Die verkleidete Aeneis. Ein Heldengedicht. Für die Gottschedianer«). Georg Friedrich Meier: Beurtheilung der Gottschedischen Dichtkunst. Halle: Hemmerde 1747/1748, hier: § 1, S. 2; hierzu: Göttingische Zeitungen von Gelehrten Sachen (1748), S. 117–118.

182

Anett Lütteken

Warscheinlichkeit nach nicht unterlassen, mein Unternehmen auf das schwärzeste vorzustellen. Sie werden es vielleicht eine Zunötigung nennen, ein Mengen in fremde Händel u. s. w.«.31 Polarisierend wirkte Gottscheds Auftreten allerdings nicht erst seit dem legendären Literaturstreit zwischen Leipzig und Zürich, wie ein typischer Vorgang aus den 1730er Jahren anzunehmen nahelegt. Ein Bericht »Aus Göttingen« aus dem Jahr 1734 Kaum war Gottsched solchermaßen in das Wissenschaftsestablishment seiner Zeit eingerückt, trat bereits »des Helden Widersacher« auf den Plan, einer von bekanntlich sehr vielen in der namentlich seit den 1740er Jahren konfliktstarrenden Laufbahn des Leipziger Professors. Die Rede ist von Christoph August Heumann (1681–1764), einem bekannten protestantischen Theologen mit polyhistorischen Interessenlagen. Die Art und Weise, wie Heumann seinen Widerspruch gegenüber Positionen Gottscheds und seines Kreises mitteilte, lohnt ein genaueres Hinsehen, weil sie ausgesprochen typisch ist für bestimmte – uns heute tendenziell eher etwas befremdende – Formen des Gelehrtenstreits, in die das jeweilige akademische Umfeld, der zugewandte Kreis oder auch das ›Zitierkartell‹ quasiautomatisch einbezogen wurde. Christoph August Heumann jedenfalls sah sich in den Hamburgischen Berichten von neuen Gelehrten Sachen des Jahres 1734 genötigt mitzuteilen, was ihm in Gottscheds Beyträgen zur Critischen Historie widerfahren war.32 Sieht man einmal davon ab, dass in dieser Zeit fast topisch davon die Rede ist, dass Gelehrte insuffizient übersetzen, repräsentiert Heumanns ausgesprochen ernsthaft vorgetragene Rüge an Gottscheds Adresse in erster Linie die recht verbreitete Philologenneigung zur Redundanz wie zur Beckmesserei.33 Wie andere auch gab Heumann vor, dezidiert ›vernünftig‹ und damit ›aufgeklärt‹ zu agieren, indem er widersprach und sich so auf eine vemeintlich durch und durch ehrenwerte Wahrheitssuche machte. Heumann teilte hier nun einigermaßen verschnupft Folgendes mit: Ich war neulich in meinen Rhetorischen Lectionen Hrn. Prof. Gottscheds Teutsche Rhetorick durchgegangen, und hatte gezeiget, was für gute und den Schülern der Beredsamkeit nützliche Erinnerungen in demselben Werkgen anzutreffen. Hierbei hatte ich unpartheyisch (denn Hr. Gottsched hatte mir niemals das geringste zu leide gethan) und nach meiner gewöhnlichen, auch jedem Lehrer zukommenden, Aufrichtigkeit meine unter31 32 33

Meier, ebd. Vgl. »Herrn C. A. H. Verbesserung der Hofmannischen Ubersetzung des 20. Capitels Cicerons von den Pflichten.« In: Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit […]. Leipzig: B. Ch. Breitkopf 1733, St. 7, S. 117–129. »Aus Göttingen …«. In: Hamburgische Berichte von neuen Gelehrten Sachen auf das Jahr 1734, 9. April 1734, S. 241–244.

Johann Christoph Gottscheds Ruhmgeschichte im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik

183

gebene belehret, daß die demselben Buche beigefügten Ubersetzungen des Quintilianischen Gesprächs […] sehr unglüklich gerathen, und daß daraus erhelle, daß, so stark der Verfasser derselben in der teutschen Sprache sey […], so übel hingegen es ihm gelungen in diesen Verteutschungen: indem in denselben nicht nur der Rednerische Geist fehle, sondern auch sehr offt nicht einmahl der Wort-Verstand getroffen sey.34

Man müsse konstatieren, dass Gottscheds Übersetzung »noch einmal so gut gerathen« wäre, »wenn derselbe der Lateinischen Sprache eben so mächtig gewesen wäre, als er ein Teutschmeister genennet zu werden verdienet«. Heumann gibt sich im Folgenden ratlos: »Hätte ich wohl denken sollen, daß ich dadurch den Hrn. Prof. Gottsched in ein so grosses Feuer setzen, und ihn zu Einrückung einer ungemein herben Censur in die Beyträge bewegen würde?«35 Damit bezog er sich auf eine Besprechung Wolf Balthasar Adolf von Steinwehrs, eines Göttinger Philosophieprofessors, der sich in den von Gottsched herausgegebenen und programmatisch mit breitem Themenspektrum ansetzenden Beyträgen36 gleichsam als langer Arm des Herausgebers betätigt hatte.37 Die spezifische Rhetorik solcher Kritiken belegt die Freude an der Gratwanderung zwischen sachlicher Argumentation und persönlicher Diffamierung und damit zugleich aber auch eine gewisse Lust zu verletzen und nachhaltige Irritationen auf der Beziehungsebene zu erzeugen. Bei der zeitalterspezifischen Gleichsetzung von Personen und Inhalten ist freilich nicht immer sofort erkennbar, wo das Argument endet und wo die Beleidigung beginnt. Steinwehr bediente dieses ambigue Genre in seiner Heumann geltenden und nur an der Oberfläche sachlichen Kritik in geradezu idealtypischer Weise: In allgemeinen Bemerkungen zur Qualität der Reden Ciceros brachte er die Rede auf die evidenten Grenzen der Übersetzbarkeit fremdsprachiger Texte. Gottsched und Christian Tobias Damm hätten bereits bewiesen, dass man dergleichen »männlich und zierlich« übersetzen könne.38 Und auch Heumanns Bestrebungen seien grundsätzlich zu loben. Dann freilich verschob Steinwehr die Argumentation ins Polemische. Zu seinem »eignen Misvergnügen« habe er erkennen müssen, bei Heumanns Übersetzungen »alle die Fehler« anzutreffen »welche nach meiner Einsicht

34 35 36 37

38

Ebd., S. 242. Ebd., S. 243. Vgl. Beyträge (wie Anm. 32), Stück 1 (1732), [Vorrede]; Gottsched ging es u. a. um »die Läuterung« bzw. »die Verbesserung des Geschmackes«, die »Vertilgung der alten Barbarey« sowie darum, »die Ueberbleibsel des altfränkischen Geschmacks gänzlich und auf einmal aus[zu]rotten«. Vgl. [Wolf Balthasar Adolf von Steinwehr]: M. T. Ciceronis Rede vor den T. Ann. Milo, aus dem Lateinischen übersetzet von D. C. A. Heumann, Hamburg u. Leipzig 1733. In: Beyträge (wie Anm. 31) (1734), S. 530–538; vgl. M. Tullii Ciceronis Oratio pro T. Annio Milone emendata et illustrata a Christophoro Augusto Heumanno. Leipzig, Hamburg: Langenhemius 1733; die Übersetzung der Rede findet sich im Anhang. Steinwehr (wie Anm. 37), S. 531.

184

Anett Lütteken

vermieden werden müssen, wenn man der Jugend mit Ubersetzungen Nutzen schaffen will«.39 Fortan bezeichnete Steinwehr Heumann nur noch als »Herr Doctor« (ähnlich also wie Lessing, der in der erwähnten Kritik später von Gottsched nur noch als »er« gesprochen hatte). Und es hagelte heftige Vorwürfe, deren im- und explizite Frechheiten freilich durchweg als sachbezogene Hinweise deklariert wurden: Die Verwendung von »ausländische[n] Worte[n]« »ohne Noth« wird ebenso getadelt wie »undeutsche[]« und »dunkle« »Wortfügungen«.40 Über vieles, was der »Herr Doctor« schreibe, sollte man sowieso besser ganz schweigen. Mitzuteilen sei aber doch, dass er »weder in Worten noch Gedanken« verstanden habe, worauf es bei Cicero ankomme, und dass er »die ganze Schönheit« des Urtextes durch sein Unvermögen verderbe. Das provozierend ironische Fazit lautete: »Kein Deutscher« habe »jemals vor ihm so geschrieben, der den Vorsatz gehabt hat, gelesen und verstanden zu werden. Er hat also in dieser gewiß schweren Schreibart das Eis gebrochen.«41 Kein Wunder also, dass sich Heumann, wie eingangs geschildert, angesichts der Wucht der Kritik pikiert bezeigt hatte. Dieses ausgesprochen repräsentative Beispiel belegt mehr als nur andeutungsweise: Gottsched goss gern und viel Öl ins Feuer oder überließ es den ihm zugewandten Kreisen, dies in seinen Zeitschriften gleichfalls zu tun. Derselbe Gottsched störte sich aber durchaus auch an Zeitgenossen,42 die Autoren »öffentlich zur Staupe hauen«, und konstatierte, dass »in neuerlicher Zeit, dergleichen schändliche Gewohnheit einreißen wollen«. Um gegen solche »ungebührlichen Urtheilssprecher« vorgehen zu können, suchte Gottsched den Schulterschluss mit den »Beleidigten« selbst, die er einlud, künftig zu seinem Rezensionsorgan Neuer Büchersaal beizutragen.43 In der Vorrede zum 1751 lancierten Nachfolgeprojekt Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit schließlich, bei dem Gottsched den Fokus vom gelehrten zum allgemeinen Büchermarkt verschob, änderte er die Vorgehensweise, indem er deutlich weniger polemisch ansetzte, fast so, als sei er der Querelen leid: Bestimmte Werke, über die eigentlich zwar zu sprechen, von denen aber nichts Gutes zu sagen wäre, plane er, künftig von vornherein mit »Stillschweigen« zu übergehen.44 Dass sich die insistierende Polemik zwischen Leipzig und Zürich alsbald gegen ihre Urheber gewendet hatte, ist hinlänglich bekannt. Der Hinweis auf die in diesem Zusammenhang entstandenen und heute eher schwer genießbaren Texte kann daher hier sehr kurz ausfallen. 39 40 41 42 43 44

Ebd., S. 532. Ebd., S. 533 und passim. Ebd., S. 536. Johann Christoph Gottsched: Vorrede. In: Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und der freyen Künste. Leipzig: B. Ch. Breitkopf 1745, S. 1–10, hier S. 6. Gottsched (wie Anm. 42), S. 7. Johann Christoph Gottsched: Vorrede. In: Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit. Leipzig: Breitkopf 1751, S. 3–6, hier S. 6.

Johann Christoph Gottscheds Ruhmgeschichte im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik

185

Unbenommen davon stimmt es nachdenklich, dass sie als Eskalationsstufe der in der Gelehrtenrepublik zeitweilig offenbar tolerierten öffentlichen Umgangsformen überhaupt je konsensfähig waren.45 Wie nachhaltig vergiftet die Atmosphäre durch diese Streitereien war, zeigt ein Seitenblick auf Luise Adelgunde Gottsched. Als des »Helden Gefährtin« war sie Anfeindungen ausgesetzt, die einer Sippenhaft gleichkamen. So polemisierte die Auserlesene Bibliothek beispielsweise, als 1771/72 die Runckelsche Briefausgabe erschien:46 Die selige Gotsched war eine brave und verständige Frau; das sieht man aus ihren Briefen. Aber das ist es denn auch alles, was man daraus sieht, denn übrigens sind sie so unbedeutend, als man sichs denken kan.

Vergessene Verdienste – Beobachtungen zur Schwundstufe einer akademischen Karriere Während Gottsched auf dem Gebiet der Ästhetik schon zu Lebzeiten als überholt galt und er selbst sich gegen Ende seines Lebens mit eher vor Ort wirksamen hagiographischen Texten und Gelegenheitspoesien befasste,47 war er in einem anderen Wissensbereich signifikant länger präsent. Die anhaltende Resonanz auf seine Kompendien und Sammlungen in pädagogischen Rezensionsorganen belegt, dass seine didaktischen Handreichungen (allen voran die Ausführliche Redekunst und die Deutsche Sprachkunst) Standardlehrbücher waren und dies auch bis zum Jahrhundertende blieben.48 Ansonsten ist es kaum übertrieben festzustellen, dass Gottscheds Ruf bereits bei seinem Tod 1766 vollständig ruiniert war; er wurde mit entschieden hässlichen Kommentaren und Nachrufen in die Geschichte entlassen. Als typisch für die verbreitete

45 46 47

48

Vgl. auch die Besprechung in: Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften (1771), Bd. 6, Lfg. 23, S. 426–433, hier S. 426, in der wiederum das verbreitete Urteil »sie hatte mehr Verstand, als ihr Mann!« kolportiert wurde. Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur. Bd. 3. Lemgo: Meyer 1773, S. 205–206, hier S. 205. Vgl. Johann Christoph Gottsched: Ode auf den berühmten Lauchstädter Gesundbrunn, an Ihro Königl. Hoheit, die Durchlauchtigste Churprinzessinn zu Sachsen, an Dero Hohem Jahrfeste 1763 den 18. des Heumondes, bey dem Gebrauche dieses Bades unterthänigst gerichtet, nebst einem Singgedicht auf eben dasselbe von Ihrer Königl. Hoheit unterthänigstem Diener Joh. Christoph Gottscheden. Leipzig: Breitkopf 1763. Vgl. etwa zur 5. Auflage der Ausführlichen Redekunst. Leipzig: Breitkopf 1759: Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 27. November 1759, S. 428–430; zur Grundlegung einer deutschen Sprachkunst. Leipzig: Breitkopf 1748: Zuverlässige Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande, Veränderung und Wachsthum der Wissenschaften (1749), Lfg. 112, S. 258–286; vgl. auch den 65. Brief der Briefe, die neueste Litteratur betreffend (1759), Lfg. 4, S. 269–284.

186

Anett Lütteken

Tendenz zu pauschalisierten Verdikten kann das Kritikerurteil anlässlich der Neuübersetzung von Bielfelds Lehrbegriff der Staatskunst von 1773 gelten:49 Die ehmalige teutsche Uebersetzung […] rührte von Gottsched her, und hiermit ist sogleich der Werth derselben bestimmt. Daß sie platt, niedrig, weitschweifig, schielend, wäßricht seyn müsse, wird jedem einfallen, der den Namen Gottsched hört. […] man kann über die Unwissenheit und Sorglosigkeit des ehemaligen Sprechers der teutschen Kunstrichter nicht gnug erstaunen.

Bemerkenswert wenige Kommentatoren bemühten sich im Falle Gottscheds um Ausgewogenheit. Eine Ausnahme bildete Abraham Gotthelf Kästner, dessen Fazit anlässlich der bei der Deutschen Gesellschaft am 12. September 1767 vorgetragenen Betrachtungen über Gottscheds Charakter gleichwohl recht lakonisch ausfiel:50 »Gottscheds Name ist in der neuen deutschen Literatur einer der bekanntesten; bekannt mag nun berühmt oder berüchtigt heißen.« Die Vielzahl der selbst noch postum gegen die Person Gottsched gerichteten Schmähungen, die nicht selten in gelehrten Organen abgedruckt wurden und derart dazu beitrugen, unwürdige Geschmacklosigkeiten medial zu verbreiten, hinterlässt einen schalen Eindruck beim heutigen Betrachter: Die Lust am irrationalen, Argumente bewusst marginalisierenden Schlagabtausch überwog offenbar schon damals die Fähigkeit, in Sachfragen sachlich zu bleiben. Es mag sein, dass Gottsched aktiv und viel zu seinem negativen Ansehen beigetragen hatte. An seinem Beispiel aber lässt sich zugleich studieren, wie wenig es braucht, um die Firnis vernunftgeleiteter Wahrheitssuche wie des zivilisierten Verhaltens selbst bei ziemlich kultivierten Leuten abzukratzen.

49 50

Vgl. Anonym: Frankfurter gelehrte Anzeigen, 3. Juni / 6. Juni 1777, S. 357–358. Abraham Gotthelf Kästner: Betrachtungen über Gottscheds Charakter. In: ders.: Vermischte Schriften. Teil 2. Altenburg: Richter 1773, S. 76–86.

Gottsched und der Parnassus Boicus Gelehrte Rezensionspraxis zwischen Leipzig und München Markus Christopher Müller Als am 28. März des Jahres 1759 in München die kurbayerische Akademie der Wissenschaften ins Leben gerufen wurde,1 konnten ihre Gründungsmitglieder zumindest ideell an ein Vorläuferprojekt anknüpfen. Es hatte den antikisierenden Namen Parnassus Boicus getragen.2 In der Präambel der Gründungssatzung der neuen Akademie heißt es im ersten Artikel entsprechend: »Die vom Parnasso Boico fest gestellete Absichten alle nützlichen Wissenschaften und freye Künste in Bayern auszubreiten, sollen ausgeführet hie von aber Glaubenssachen und juristische Ausführungen besonderer Streitigkeiten ausgeschlossen werden.«3 Mit diesem Rekurs allerdings hatten sich die Vorkämpfer der Akademiebewegung in Bayern offenbar keinen Gefallen getan. Der Jurist und Münchner Hofrat Johann Georg von Lori, der 1759 zu den maßgeblichen Gründungsfiguren der kurbayerischen Akademie der Wissenschaften gehörte, als deren Sekretär er auch bis 1761 fungierte,4

1

2

3 4

Vgl. zur kurbayrischen Akademie der Wissenschaften Ludwig Hammermayer: Geschichte der bayerischen Akademie der Wissenschaften 1759–1807. Bd. 1: Gründungs- und Frühgeschichte 1759–1769. München: Beck 1983; sowie Harald Dickerhof: Gelehrte Gesellschaften, Akademien, Ordensstudien und Universitäten. Ursprünge. Zur sogenannten »Akademiebewegung« vornehmlich im bayerischen Raum. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte (= ZBLG) 45 (1982), S. 37–66; sowie Elisabeth Müller-Luckner: Die publizistische Wegbereitung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München: Magisterarbeit masch. 1975. Zum Parnassus Boicus (im Folgenden PB) vgl. Hans Pörnbacher: Vernunft und Unvernunft. Zur Literatur der Aufklärung in Altbayern. In: ZBLG 54 (1991), S. 27–38, hier S. 28–29; sowie Paulus Huber: Der Parnassus Boicus. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Baierns während der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts (Programm des Königlichen Ludwigs-Gymnasiums zum Schluss des Studienjahres 1867/68). München: Straub 1868. Zur Vorgeschichte vgl. Dieter Breuer: Oberdeutsche Literatur 1565–1650. Deutsche Literaturgeschichte und Territorialgeschichte in frühabsolutistischer Zeit (ZBLG Beiheft, Reihe B, 11). München: Beck 1979. Abgedruckt bei Hammermayer: Geschichte (wie Anm. 1), S. 354. Zum Verhältnis von Akademie und Parnassus Boicus vgl. ebd., S. 40–44. Biographische Überblicke finden sich bei Johann Pörnbacher: Johann Georg von Lori – im Spannungsfeld von Kirche und Staat. In: ZBLG 80, Heft 1 (2017), S. 161–178; Dietmar Willoweit: Johann

188

Markus Christopher Müller

berichtete in einem Brief an Johann Christoph Gottsched5 in Leipzig euphorisch über die Gründung der Akademie und sandte diesem deren Statuten zu. Gottsched jedoch konnte seinen Spott im Antwortschreiben kaum zurückhalten: Daß aber der Parnassus Boicus zum Gewährsmann dieser vortrefflichen Anstalt, oder doch zu ihrem Vorläufer erkläret worden, hätte mir fast ein lautes Gelächter abgedrungen. Um Gotteswillen! gedenken doch E[uer] Hochedlg[eboren] dieses Parnassus in den Schriften der Gesellschaft nicht mehr, wenn Sie nicht alle Ihre Bemühungen bey dem größten Theile von Deutschland lächerlich machen wollen. In den Kritischen Beyträgen, die hier zwischen 30 und 40 herausgekommen, ist das Urtheil zu sehen, welches eine so unzeitige Geburt damals bey der Morgenröthe unserer Litteratur und Kritik verdient hat. Was würde nicht itzo am hellen Mittage des guten Geschmackes für eines erschallen?6

Gottsched hatte den Parnassus Boicus im Jahr 1736 – so merkt er selbst an – bereits einmal rezensiert, worauf noch zurückzukommen sein wird. Lori jedenfalls antwortete ihm, indem er ihm in seiner Einschätzung recht gab, jedoch gleichzeitig das Grundanliegen des Parnassus Boicus verteidigte: So schlecht auch die Bemühungen der Mitarbeiter an dem Parnasso Boico immer ausgefallen seyn mögen; so werden doch die Absichten der ehrlichen Patrioten allzeit lobenswürdig bleiben. Mitten in der herrschenden Unwissenheit, ohne Schuz des Hofes und Beystand der Fremden haben ein Paar Köpfe weder sich noch andere aus der Barbarey auswickeln können. Solle denn die alte Wahrheit bey uns nicht gelten: In magis voluisse sat est?7

5 6

7

Georg von Lori (1723–1787). Aufbruch in die Welt des Wissens: die Anfänge der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. In: ders. (Hg.): Denker, Forscher und Entdecker. Eine Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in historischen Portraits. München: Beck 2009, S. 1–17; Andreas Kraus: Johann Georg Lori. In: Der Welf. Jahrbuch des Historischen Vereins Schongau – Stadt und Land: Das ehemalige Prämonstratenserstift Steingaden. Beiträge zur 850-Jahr-Feier (1996/97), S. 182–207; Ludwig Hammermayer: Art. Lori, Johann Georg. In: NDB 15 (1987), S. 180–183; sowie Winfried Müller: Lori, Johann Georg von. In: Karl Bosl (Hg.): Bosls bayerische Biographie. Regensburg: Pustet 1983, S. 490–491. Eine Bibliographie zur umfangreichen Forschungsliteratur zu Gottsched bietet der Sammelband von Erich Achermann (Hg.): Johann Christoph Gottsched (1700–1766). Berlin: Akademie Verlag 2014, besonders S. 407–461. Gottsched an Lori, Leipzig am 23. August 1759, abgedruckt in: Max Spindler (Hg.): Electoralis Academiae Scientiarum Boicae Primordia. Briefe aus der Gründungszeit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München: Beck 1959, S. 137–139, hier S. 138. Zu Gottscheds Korrespondenz vgl. Detlef Döring: Der Briefwechsel von Johann Christoph Gottsched. Die Geschichte seiner Erschließung und seine Stellung in der Entwicklung der Korrespondenz. In: Hans-Gert Roloff (Hg.): Editionsdesiderate der Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission für die Edition von Texten der Frühen Neuzeit. Teil 1. Amsterdam/Atlanta: Rodopi 1997, S. 297–318. Zitiert nach Spindler: Primordia (wie Anm. 6), S. 216 f.

Gottsched und der Parnassus Boicus

189

Wie aber kam Gottsched, der freilich trotzdem die Mitgliedschaft der neugegründeten Akademie nicht zurückwies,8 zu seinem harten Urteil? Hatte sich der erstmals im Jahr 1722 erschienene Parnassus Boicus wirklich als ein antiaufklärerisches Kampfblatt profiliert oder gar als rückständige Provinzpostille disqualifiziert, wie man nun meinen könnte? Daraus ergibt sich weiterführend die Frage nach der wechselseitigen Rezeption und Würdigung aufgeklärter Journale zwischen Süddeutschland und Mitteldeutschland, konkret am Beispiel Gottscheds und des Parnassus Boicus zwischen Leipzig auf der einen und München auf der anderen Seite. Im Folgenden wird deshalb einerseits ein Rekonstruktionsversuch unternommen, inwieweit mittel- und norddeutsche Veröffentlichungen in der zeitgenössisch maßgeblichen gelehrten Zeitschrift Bayerns rezipiert wurden. Dieser Versuch steht im weiteren Kontext der Erschließung einer Wissenstopographie der Aufklärung in einem Territorium, das weitab von den Schauplätzen lag und liegt, mit denen sich die Aufklärungsforschung zumeist beschäftigt. Andererseits wird in einem zweiten Schritt dieser Befund abgeglichen mit der gerade genannten Rezension Gottscheds, dessen »tragende Rolle«9 in der Öffentlichkeit als Repräsentant der mitteldeutschen Aufklärung erlaubt, seinem Urteil eine gewisse Aussagekraft zuzubilligen.10 Der Parnassus Boicus konnte auf ein Vorgängerprojekt Bezug nehmen. Im Jahr 1702 war in München eine erste Gelehrtengesellschaft unter dem Namen »Nutz- und Lusterweckende Gesellschaft der vertrauten Nachbarn am Isarstrom« gegründet worden, die sich in barockem Stil vor allem der bayerischen Historiographie widmen wollte. Es gelang zwar, fünf Zeitschriftenbände zu publizieren – die ersten deutschsprachigen in München wohlgemerkt –, doch scheiterte das Projekt bereits zwei Jahre später.11

8 9 10

11

Lori an Gottsched, München am 4. Dezember 1759, abgedruckt in Spindler: Primordia (wie Anm. 6), S. 228–229. Seinen Dank für die Aufnahme als Mitglied übermittelte Gottsched an Lori, Leipzig am 6. März 1760, abgedruckt in Spindler: Primordia (wie Anm. 6), S. 268–270. Gabriele Ball: Moralische Küsse. Gottsched als Zeitschriftenherausgeber und literarischer Vermittler. Göttingen: Wallstein 2000, S. 12. Vgl. zur Bedeutung Leipzigs für die deutschsprachige Aufklärung Rudolf Große: Die Bedeutung des Leipziger Gelehrten des 18. Jahrhunderts für die Entwicklung der deutschen Literatursprache. In: Karl Czok (Hg.): Wissenschafts- und Universitätsgeschichte in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert. Nationale und internationale Wechselwirkung und Ausstrahlung. Beiträge des internationalen Kolloquiums zum 575. Jahr der Universitätsgründung am 26. und 27. November 1984 in Leipzig (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologischhistorische Klasse 71, H. 3). Berlin: Akademie Verlag 1987, S. 51–60. Vgl. dazu Uwe Puschner: Der Beginn des Zeitschriftenwesens in Kurbayern. »Nutz- und Lusterweckende Gesellschafft Der Vertrauten Nachbarn am Isarstrom« (1702–1704). In: ZBLG 46 (1983), S. 559–592; sowie Karl von Reinhardstöttner: Die Nutz- und Lust erweckende Gesellschaft der vertrauten Nachbarn am Isar-Strom. In: Forschungen zur Geschichte Bayerns 8 (1900), S. 253– 291.

190

Markus Christopher Müller

Erst im Jahr 1720 griffen der Augustiner-Chorherr Eusebius Amort12 und die beiden Augustiner-Eremiten Agnellus Kandler13 und Gelasius Hieber14 den Gedanken wieder auf und gründeten eine neue Gesellschaft von Gelehrten. Sie sollte den Namen Academia Carolo-Albertina tragen.15 Jedoch scheiterte auch dieses nach dem bayerischen Kurprinzen Karl Albrecht benannte Projekt. Die drei motivierten Kleriker wollten ihre Idee jedoch nicht gänzlich fallen lassen und beschlossen, sie wenigstens in Form einer Gelehrten Zeitschrift zu realisieren. Vom Tal der Gelehrten an der Isar ging es deshalb im Jahr 1722 hinauf auf den olympischen Berg der Musen. Die neue Zeitschrift trug den lateinischen Obertitel Parnassus Boicus, führte aber bereits einen deutschsprachigen Untertitel: »Neu-eröffneter Musen-Berg / Worauff verschiedene Denckund Les-würdigkeiten auß der gelehrten Welt / zumahlen aber aus denen Landen zu Bayrn / abgehandelt werden«. Der Name lässt sich als eine Adaption aus den Metamorphosen Ovids verstehen, wie er sich etwa als Definitionsversuch im Nachlass des Münchener Hofbibliothekars Andreas Felix von Oefele16 findet: »Parnassus. Mons 12

13

14

15 16

Eusebius Amort, Dekan des Augustiner-Chorherren-Stifts Polling, wurde bei der Gründung der kurbayerischen Akademie der Wissenschaften 1759 zu deren Senior ernannt, ohne jedoch direkt in die Geschäfte involviert worden zu sein. Vgl. Karin Precht-Nußbaum: Zwischen Augsburg und Rom. Der Pollinger Augustiner-Chorherr Eusebius Amort (1692–1775). Ein bedeutender Repräsentant katholischer Aufklärung in Bayern (Publikationen der Akademie der Augustiner Chorherren von Windesheim 7). Paring: Augustiner-Chorherren-Verlag 2007. Eine biographische Übersicht bietet zudem dies.: Eusebius Amort (1692–1775) – Augustiner-Chorherr in Polling. Ein bayerischer Theologe zwischen Barock und Aufklärung. In: Gert Melville, Alois Schmid (Hg.): Studien zum Bildungswesen der bayerischen Augustiner-Chorherren in Mittelalter und früher Neuzeit. Paring: Augustiner-Chorherren-Verlag 2008, S. 193–242. Zur Korrespondenz mit dem Augsburger Kanoniker Giovanni Battista Bassi vgl. Markus Christopher Müller: »Aufgeklärtes Aggiornamento« in Augsburg? Die Korrespondenz (1743–1768) Giovanni Battista Bassis mit Eusebius Amort. In: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 51 (2017), S. 467–534. Agnellus Kandler, der 1707 ins Münchener Kloster der Augustinereremiten eintrat, nach dem Studium der Philosophie und Theologie im Kloster lehrte und dessen Bibliothekar war, ging 1739 als Nonnenbeichtvater nach Viehbach. Vgl. Clemens Alois Baader: Das gelehrte Baiern oder Lexikon aller Schriftsteller welche Baiern im 18. Jahrhunderte erzeugte oder ernährte. Nürnberg, Sulzbach: Seidel 1804, Sp. 180–181. Gelasius Hieber trat 1691 in das Münchener Kloster der Augustinereremiten ein, studierte in Ingolstadt und wirkte danach als Prediger in Regensburg. Ab 1706 predigte er in der Münchener Augustinerkirche und trat als wortgewandter Fürsprecher einer katholisch geprägten oberdeutschen Gelehrtensprache auf. Vgl. Max Dreher: Die Augustiner-Eremiten in München im Zeitalter der Reformation und des Barock (16. bis Mitte 18. Jahrhunderts) (Studien zur Kirchengeschichte, Bd. 1). Hamburg: Kovač 2003, bes. S. 317–346; sowie Ludwig Hammermayer: Art. Hieber, Gelasius. In: NDB 9 (1972), S. 106. Zur Academia Carolo-Albertina vgl. Walter Taubert: Mundart und Schriftsprache in Bayern (1450– 1800). Untersuchungen zur Sprachnorm und Sprachnormierung im Frühneuhochdeutschen (Studia Linguistica Germanica, 32). Berlin, New York: de Gruyter 1993, S. 226. Andreas Felix von Oefele studierte an den Universitäten Ingolstadt und Löwen Jurisprudenz, Geschichte und Theologie, wurde nach seiner Rückkehr nach Bayern Prinzenerzieher und 1746 Leiter der kurfürstlichen Hofbibliothek. Vgl. Ludwig Hammermayer: Art. Oefele, Andreas Felix von. In: NDB 19 (1999), S. 426–428; Karl Bosl: Art. Oefele, Felix Andreas. In: ders. (Hg.): Bayerische Biographie. 8000 Persönlichkeiten aus 15 Jahrhunderten. Regensburg: Pustet 1983, Sp. 558–559; sowie

Gottsched und der Parnassus Boicus

191

ibi verticibus petit arduus astra duobus Nomine Parnassus, superatque Cacumine nubes.«17 Der Parnassus Boicus stellte somit in der Tat ein Novum dar, freilich kein absolutes. Er gehörte nämlich zu den ersten deutschsprachigen Zeitschriften im süddeutschen Raum und konnte sich am Pariser Journal des Sçavans und den Leipziger Acta Eruditorum orientieren.18 Nach der Zeitschrift der Isargesellschaft war es insgesamt der zweite Versuch, in Bayern ein deutschsprachiges Periodikum zu etablieren.19 Ganz bewusst »in unserer Mutter-Sprach«,20 wie die Herausgeber mehrfach betonen.21 Zu Beginn einer jeden Lieferung der Zeitschrift wird szenisch eine redaktionelle Zusammenkunft der Herausgeber geschildert, die deshalb den Titel »Unterredung« trägt. Einzelne Artikel führen die Bezeichnung »Bericht« und stammen großenteils unter anonymer Verfasserschaft von den drei Herausgebern, lassen sich aber nicht immer klar zuordnen.22 Aber wie kam nun Gottsched, um die eingangs gestellte Frage noch einmal aufzugreifen, zu seiner so negativen Einschätzung? Blicken wir dazu in die Einleitung des ersten Bandes, wo die drei Ziele des neuen Periodikums genannt werden: Es wurde erstens festgelegt, »denen Gelehrten unsers Vatterlands Bericht zuerstatten / was sonderlich neues passire / und vorkomme in der gelehrten Welt«; zweitens erstrebte man die Veröffentlichung von Manuskripten und Urkunden, insbesondere zur bayerischen Geschichte; drittens wollten die Herausgeber ein fächerübergreifendes Konzert der Wissenschaften erklingen lassen mit Beiträgen aus Theologie, Medizin, Jurisprudenz, Mathematik, Poesie und anderen Disziplinen.

17

18 19

20 21

22

Wolfgang Burgmair: Die zentralen Regierungsstellen des Kurfürsten Max III. Joseph (1745–1777). München: Diss. masch. 1992, Anhang, S. 321–325. Die Publikation einer Dissertation auf Basis von Oefeles Tagebüchern bereitet der Autor des vorliegenden Aufsatzes vor. Bayrische Staatsbibliothek (BSB), Oefeleana 439: »Parnass. Der Berg, wo auf den Gipfeln der Harte nach den Sternen strebt, beide mit dem Namen Parnassus, und auf dem Gipfel die Wolken übersteigt.« Es handelt sich um ein Zitat aus Ovids Metamorphosen I. 316 f., das Oefeles Sohn Felix Adam auf einem Übungszettel notierte. Dieser wiederum besuchte das Gymnasium des Stifts Polling, in dem mit Eusebius Amort einer der Herausgeber des Parnassus Boicus wirkte. Vgl. zur Bedeutung des Journal des Sçavans und der Acta Eruditorum für den Parnassus Boicus Huber: Parnassus Boicus (wie Anm. 2), S. 3–20; sowie Hammermayer: Geschichte (wie Anm. 1), S. 41. Vgl. Joachim Kirchner: Die Grundlagen des deutschen Zeitschriftenwesens. Mit einer Gesamtbibliographie der deutschen Zeitschriften bis zum Jahre 1790. Zweiter Teil. Die Bibliographie der deutschen Zeitschriften bis zur französischen Revolution. Statistische Ergebnisse. Leipzig: Hiersemann 1931, der für die Zeit vor 1700 keine Erscheinungen in München aufführt (S. 4). Darauf folgen die Isarstromgesellschaft (S. 10) und der Parnassus Boicus (S. 26). [Anonym]: Nothwendiger Vorbericht. In: PB I (1722), S. 5–7, hier S. 7. Vgl. zur Sprache des Parnassus Boicus Hans Birlo: Die Sprache des Parnassus Boicus. InauguralDissertation LMU München. Augsburg: Reichel 1908; sowie Franz Bay: Der Lautstand des Parnassus Boicus (Programm des K. Humanistischen Gymnasiums zu Kempten für das Schuljahr 1909/10). Kempten: Kösel 1910. Vgl. den Hinweis bei Precht-Nußbaum: Zwischen Augsburg und Rom (wie Anm. 12), S. 204, Anm. 63.

192

Markus Christopher Müller

Die Rezension gelehrter Publikationen fällt sicherlich unter die erste Zielvorgabe; deshalb sei ein systematischer Blick auf die ersten vier von insgesamt sechs Bänden im Oktavformat geworfen. Der erste erschien im Jahr 1722, der vierte dann im Jahr 1727.23 Diese vier Bände waren es auch, die Gottsched bei seiner Rezension von 1736 vorlagen. Die Datenbank Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung (GJZ 18) ermöglicht hierbei eine eindeutige Zuordnung der rezensierten Werke. In jedem der Bände finden sich Buchbesprechungen, jedoch zeigen sich rasch Unterschiede zwischen den ersten beiden Bänden und den weiteren beiden. Die insgesamt zwölf Unterredungen der Bände eins und zwei enthalten kaum ein Dutzend Rezensionen, alle stammen von Autoren, die den Herausgebern bekannt waren, wurden in klassischen Verlagsorten publiziert – Paris, Rom, Madrid, Wien – und behandeln fast ausnahmslos historische und theologische Themen.24 Der sechste Bericht etwa stellte das in München erschienene Werk De la vie & des Miracles de S Nicolas de Tolentin, Religieux de l’Ordre des Eremites de S Augustin, Avec des Reflexions morales tirèes de l’Ecriture, & des Saints Peres, fut les principales circonstantes de la vie de ce grand Saint25 des Augustinereremiten Petrus de Bretagne vor.26 Dazu schreibt Eusebius Amort als mutmaßlicher Rezensent: Mercurius versicherte / das was auß letzter Preß zu München gantz neuerlich heraußkommen / seye das Leben deß Welt-berühmten heiligen Nicolaus von Tolentin auß dem Eremiten-Orden deß heiligen Augustini, worauff dann befohlen worden den Titel dieser Lebens-Beschreibung abzulesen.27

Das anfangs gesetzte Ziel der umfassenden Buchbesprechungen für die Gelehrten in Bayern lösten die Autoren bis dato nicht ein. Wohl im Wissen darum, dass man den eigenen Ansprüchen in keiner Weise gerecht geworden war, schließt der zweite Band mit einem Ausblick auf die zukünftigen Unterredungen. Neben der erneuten Bekräftigung der bereits genannten Vorsätze ergänzen die Herausgeber den dritten Punkt mit dem Plan, der Leserschaft »einige neue Bücher zusambt ihren Anmerckungen darüber«28 bekannt zu machen. Offenbar nahmen sich die Herausgeber ihren Vorsatz zu Herzen. Im Vergleich zu den zuvor erschienen Unterredungen steigt die Zahl der 23 24 25 26 27 28

Parnassus Boicus: Bd. I: 1722/1723 (Unterredung 1–6, Bericht 1–46); Bd. II: 1723/1725 (Unterredung 7–12, Bericht 47–90); Bd. III: 1725/1726 (Unterredung 13–18, Bericht 91–132); Bd. IV: 1726/1727 (Unterredung 19–24, Bericht 133–168). [Eusebius Amort]: Von neuen Bücheren und andere Merckwürdigkeiten auß verschiedenen Orten. In: PB III, 98. Bericht (1725), S. 65–73 mit insgesamt 16 Rezensionen. Pierre de Bretagne: Abbregé De La Vie Et Des Miracles De S. Nicolas De Tolentin, Religieux de l’Ordre des Ermites de St. Augustin. München: Mathias Riedl 1722. [Eusebius Amort]: Von Neu-heraußgegebenen Büchern an verschidenen Orthen. In: PB I, 6. Bericht (1722), S. 65–71. Ebd., S. 65 f. [Anonym]: Vor-Bericht von denen künfftigen Unterredungen deß Parnassi Boici. In: PB II (1725), S. 549–551, hier S. 550.

Gottsched und der Parnassus Boicus

193

Buchpräsentationen rapide an. Das Panorama der Erscheinungsorte der rezensierten Bücher spannt sich dabei von Paris bis Riga, von Rom bis Antwerpen auf. Was auf der imaginären Karte fehlt, sind die mittel- und norddeutschen Verlagsorte. Im dritten Band sorgten die Herausgeber dann für eine Überraschung: Dort erschien ein Bericht »Von neuen Bücheren und anderen Merckwürdigkeiten aus verschidenen Orthen«.29 Im Anschluss an Informationen zu den Preisausschreibungen der Pariser Akademie der Wissenschaften und Buchneuerscheinungen aus Amsterdam, München, Augsburg und Riga folgt eine überraschende Neuerung, nämlich der »Bücher-Katalog des Johann Friedrich Gleditsch« aus Leipzig. Amort als mutmaßlicher Verfasser stellt eine sieben Werke umfassende Liste von Publikationen dieses Verlages vor.30 Die aufgeführten Veröffentlichungen stammen dabei aus allen wissenschaftlichen Fachgebieten. Im direkt darauffolgenden Bericht nehmen die Herausgeber Bezug auf den mitteldeutschen Buchmarkt mit Auszügen aus den Acta Eruditorum, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls von Eusebius Amort stammen.31 Nachdem dieser kurz referiert hat, um was es sich bei den Acta handelt, beginnt er seine Ausführungen »Nun zur Sach!« Danach referiert er: »In denen Lateinischen Actis auf den Monat Jenner deß lauffenden Jahres 1725 werden nachkommende Bücher angeführet.«32 Die Autoren des Parnassus Boicus listen dann insgesamt 30 Titel auf, alle entnommen aus den Buchbesprechungen der Acta Eruditorum des Jahres 1725. Darunter liest man beispielsweise Jacob Hodgsons Systema der Mathematic auf die Schiffahrt eingerichtet (London 1723). Auch ein italienisches Werk findet sich mit Hyacinth Gimmas Idea della Storia dell’Italia letterata, oder: Entwurff der gelehrten Histori von Welschland nach Chronologischer Ordnung von deren Anbeginn biß auf das sibenzehende Jahrhundert, erschienen in zwei Bänden in Neapel ebenfalls im Jahr 1723. Auch protestantische Publikationen sind dabei, beispielsweise der Codex Augusteus, oder: Neuvermehrtes Corpus Juris Saxonici, ans Liecht gegeben und in Ordnung gestellt von Johann Christian Lunig (Leipzig 1724) oder Leben und Schrifften Eliae Esinger, Lutherischen Schul-Rectoris und Bibliothecarii zu Augspurg / durch Jacob Brucker verfertiget. Letztgenanntes war im Jahr 1724 in Augsburg erschienen und stammte aus der Feder des lutherischen Philosophen Johann Jakob Brucker, der dem Parnassus Boicus von Anfang an sehr positiv gegenübergestanden hatte.33

29 30 31 32 33

[Eusebius Amort]: Von neuen Bücheren und andere Merckwürdigkeiten auß verschidenen Orthen. In: PB III, 98. Bericht (1725), S. 65–73. Vgl. Amort: Von neuen Bücheren (wie Anm. 29), S. 72 f. Der Verlag wurde zu dieser Zeit vom Sohn des Gründers, Johann Gottlieb Gleditsch, geführt. [Eusebius Amort]: Kurtzer Außzug aus denen Lateinisch- und Teutschen Actis Eruditorum. In: PB III, 99. Bericht (1725), S. 73–80. Ebd., S. 74. Johann Jakob Brucker studierte in Jena Theologie und kehrte nach Zwischenstation in Kaufbeuren 1744 als Pastor nach Augsburg zurück. Literarisch wirkte er besonders als Philosophiehistoriker. Vgl. Christine Lüdke: »Ich bitte mir Euer Hochedelgebohren Gedancken aus!«. Beiträge

194

Markus Christopher Müller

Die meisten Werke werden dabei einfach genannt, nur wenige kommentiert. Einige Titel erfahren eine sachliche Ergänzung wie des Justi Fontanini de Antiquitatibus Hortae, das ist: Von Alterthumben und verschidenen Sehenswürdigkeiten Horta einer PflanzStadt der Etruscier, in drei Bänden erschienen in Rom im Jahr 1723. Hier ergänzt der Autor die Information: »Dieses Weck ist schon vor ungefähr 18. Jahren in Druck gekommen / nunmehr aber mit dem dritten Buch vermehret worden.« Bei anderen Titeln allerdings konnte sich Amort als mutmaßlicher Rezensent nicht zurückhalten. Die Singularia Plessiaca / Sonderliche Merckwürdigkeiten von dem Leben und Tode Philippi Mornaei de Plessis, meistenstheils auß Mornaei eignen Schrifften gesehen, erschienen in Hamburg im Jahr 1724 aus der Feder des Magnus Crusius, provozierten die mahnende Ergänzung: Dieser Mornaeus »war das Haupt aller Acatolischen in dem Königreich / also daß man ihn auch den Pabst der Huguenoten nennte«.34 Allgemein lässt sich, wie es auch Andreas Beck betont, für den Parnassus Boicus kein Abweichen von der katholischen Orthodoxie erkennen – der konfessionelle Grundkonsens gehörte zum Programm der bayerischen Zeitschrift.35 Die in den Parnassus Boicus übernommene Leipziger Bücherschau schließt mit einem Vorsatz: Die Musen hätten sich entschlossen, dass »deme vielleicht kunfftighin auch auf anderen diß Gelichters gelehrten Actis und Journaux auf gleichen Fuß ein Außzug folgen sollten«.36 Diese Bücherliste blieb allerdings ein Einzelfall: In den folgenden Unterredungen der Bände drei und vier kehrt der Parnassus Boicus zu seiner ursprünglichen Rezensionspraxis zurück. Einige theologische, juristische und historische Bücher aus Augsburg, Freising, München, Paris und anderen Verlagsorten werden besprochen,37 ebenso mathematische und philosophische Neuerscheinungen vorgestellt.38 Danach folgen noch einige Buchbesprechungen, vermischt mit anderen Meldungen aus der Gelehrtenrepublik. Allesamt stammen sie wohl aus der Feder des Pollinger Augustinerchorherrn Eusebius Amort.39 Gleiches gilt für die Buchbespre-

34 35

36 37 38 39

zur Erschließung und Analyse von Jakob Bruckers Korrespondenz. Augsburg: Diss. 2006; sowie Wilhelm Schmidt-Biggemann, Theo Stammen (Hg.): Jakob Brucker (1696–1770). Philosoph und Historiker der europäischen Aufklärung (Colloquia Augustana, 7). Berlin: Akademie 1998. Amort: Kurtzer Außzug (wie Anm. 31), S. 76. Vgl. den Hinweis bei Andreas Beck: Episteme in Beharrung. Konventionelle Artistik und orthodoxes religiöses Wissen in der ›Lyrik‹ des ›Parnassus Boicus‹. In: Peter-André Alt, Volkhard Wels (Hg.): Religiöses Wissen in der Lyrik der Frühen Neuzeit (Episteme in Bewegung. Beiträge zu einer transdisziplinären Wissensgeschichte, 3). Wiesbaden: Harrassowitz 2015, S. 163–177, hier S. 164. Amort: Kurtzer Außzug (wie Anm. 31), S. 76. Vgl. [Eusebius Amort]: Von neu-heraußgegebenen Bücheren In: PB III, 105. Bericht (1725), S. 158– 160, mit sieben Rezensionen; sowie [Eusebius Amort]: Von neu-heraußgegebenen Bücheren. In: PB III, 113. Bericht (1725), S. 234–240, mit 18 Rezensionen. [Eusebius Amort]: Von neuen Bücheren. In: PB III, 120. Bericht (1725), S. 314–320, mit drei Buchbesprechungen. So nämlich [Eusebius Amort]: Einige gelehrte Neuigkeiten. In: PB III, 119. Bericht (1725), S. 308– 314, mit sechs Vermeldungen; [ders.]: Neuigkeiten von gelehrten Sachen. In: PB III, 126. Bericht

Gottsched und der Parnassus Boicus

195

chungen im vierten Band des bayerischen Periodikums, die allerdings quantitativ wieder weit hinten denen des dritten Bandes zurückliegen und zumeist Werke aus dem oberdeutschen Raum betreffen.40 Protestantische Publikationen finden wiederum keinerlei Erwähnung mehr. Nach dem Jahr 1727 erfuhr das bayerische Periodikum vorerst keine Fortsetzung. So viel zur Münchener Seite. Wieder zurück zu Gottsched: Die eingangs zitierte Passage aus dem Brief an Lori deutete bereits an, dass dieser im Jahr 1759 nicht zum ersten Mal sein Urteil über den Parnassus Boicus fällte. Schon im Jahr 1736 hatte der Leipziger Professor die bayerische Zeitschrift in den Beyträgen zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit41 einer teils sachlichen, teils aber auch überzogen spöttischen Kritik unterzogen. Er schrieb dort: Die Bayerischen Gelehrten haben ihre Bemühungen in der Gelehrsamkeit, und besonders in den so genannten schönen Wissenschaften bisher so heimlich gehalten, daß man sie mit allem Rechte unter die lebendigtodten Bürger der gelehrten Welt hat zählen können.42

Gottsched war allerdings nicht selbst auf den Musenberg gekommen. Der Memminger Theologe und Historiker Johann Georg Schelhorn hatte ihm wohl die ersten vier Bände zukommen lassen.43 Dies führt zur eigentlich interessanten Frage mit Blick auf die Rezensionspraxis. Eines lässt sich nämlich sogleich festhalten: Ein Hauptteil der Rezension Gottscheds konzentrierte sich auf die sprachpolitischen Fragen, die andernorts in der germanistischen Forschung schon sehr ausführlich dargestellt wurden.44 Im

40

41

42

43

44

(1725), S. 190–198, mit sieben Berichten; [ders.]: Neue Bücher. In: PB III, 127. Bericht (1725), S. 397–400, mit fünf Buchbesprechungen. [Eusebius Amort]: Neue Bücher. In: PB IV, 139. Bericht (1726), S. 68–71, mit fünf naturkundlichphilosophischen Besprechungen; [ders.]: Neue Zeitungen, die gelehrte Welt betreffend. In: PB IV, 146. Bericht (1726), S. 154–160, mit neun Berichten; [ders.]: Von neuen Büchern und gelehrten Zeitungen. In: PB IV, 152. Bericht (1726), S. 231–240, mit sieben Rezensionen; sowie [ders.]: Einige Neuigkeiten auß der gelehrten und Kunstreichen Welt. In: PB IV, 167. Bericht (1727), S. 440–447, mit sieben Rezensionen. Zu den Beyträgen, die Gottsched zusammen mit Johann Georg Lotter ab 1732 insgesamt zwölf Jahre lang herausgab, vgl. Fritz Struth: Gottscheds ›Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit‹. 1732–44. Ein Beitrag zur Würdigung seiner Verdienste um die Geschichte der deutschen Philologie. Marburg: Diss. masch. 1947, der (S. 11) Gottsched als den Initiator des Zeitschriftenprojektes betrachtet. Vgl. ebenso Ball: Küsse (wie Anm. 9), S. 100–122. Johann Christoph Gottsched: Rezension zu Parnassus Boicus. Oder Neu-Eröffneter Musenberg, worauf verschidene Denk- und Leßwürdigkeiten auß der Gelehrten Welt, zumalen aber auß denen Landen zu Bayrn abgehandelt werden. Vierundzweynzig Unterredungen. Mit Erlaubnuß der Oberen. Getruckt zu München bey Joh. Luc. Straub, 1722–1727. 8. 4 Bände. In: Beyträge zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. Bd. 4 (1736), S. 264–292. »Insonderheit, da dieses Werk, welches uns durch unsers wehrten Mitgliedes, Herrn Schelhorns, Gütigkeit zu Handen gekommen, in unsern, ja so gar in denen Gegend, wo es an das Licht getreten, sehr unbekannt, und schwer aufzutreiben ist.« Gottsched: Rezension zu Parnassus Boicus (wie Anm. 42), S. 265. Vgl. zur Sprachdebatte Dieter Breuer: Regionale Vielfalt und nationale Einheit. Zu einer Kontroverse des Barockzeitalters. In: Roswitha Jacobsen (Hg.): Weißenfels als Ort literarischer und künst-

196

Markus Christopher Müller

Streit um eine einheitliche deutsche Schriftsprache stand Gottsched in Konfrontation zu den oberdeutschen Autoren.45 Der Leipziger kommentierte in einer Fußnote die sprachhistorischen Ausführungen des Parnassus Boicus, die wohl vom Herausgeber Gelasius Hieber stammten: Wer das weis, daß die Leute von des Verfassers Art ihre Unwissenheit, die sie nicht läugnen können, gern auf alle Weise bemänteln wollen, den wird diese seichte Ursache nicht befremden, welche überdieses zur Entschuldigung der Unwissenheit und Nachläßigkeit nichts beyträget.46

Leider beschränkte sich der Leipziger Kritiker bei seiner Zeitschriftenbesprechung der ersten vier Bände des Parnassus Boicus auf die sprachpolitischen Beiträge, die er gezielt herausgriff, ohne die anderen Aufsätze in irgendeiner Weise zu würdigen.47 Jedoch lässt sich auch dies leicht erklären: Gottsched hatte die ihm zugespielten vier bayerischen Zeitschriftenbände nicht grundlos gelesen oder wohl eher überflogen. Besonders im zweiten Band hatte sich einer der Herausgeber, der Münchener Augustiner Gelasius Hieber, in die im deutschsprachigen Raum brodelnde Diskussion um ein einheitliches Hochdeutsch eingemischt.48 Hieber vertrat die Position, man müsse ein einheitliches Gelehrtendeutsch finden, das keinem der regionalen Dialekte entspreche. Seine Argumentation richtete sich damit direkt gegen das Bemühen, das im Raum

45

46 47

48

lerischer Kultur im Barockzeitalter. Vorträge eines interdisziplinären Kolloquiums vom 8.–10. Oktober 1992 in Weißenfels, Sachsen/Anhalt (Chloe. Beihefte zum Daphnis, 18). Amsterdam/Atlanta: Rodopi 1994, S. 7–22, besonders S. 14 f., der die Niederlage des oberdeutsch-katholischen Lagers um die Sprachhoheit auf die Mitte des 18. Jahrhunderts datiert. Vgl. ebenso Ingo Reiffenstein: Der »Parnassus Boicus« und das Hochdeutsche. Zum Ausklang des Frühneuhochdeutschen im 18. Jahrhundert. In: Peter Wiesinger (Hg.): Studien zum Frühneuhochdeutschen. Festschrift Emil Skála (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 476). Göppingen: Kümmerle 1988, S. 27–45. Vgl. zu Gottscheds Sprachpolitik etwa Steffen Krogh: Gottsched als Sprachreformer. Eine systematische Übersicht. In: AUGIAS 35 (1989), S. 3–41. Vgl. auch Dieter Breuer: Die protestantische Normierung des deutschen Literaturkanons in der frühen Neuzeit. In: Heinz-Gerhard Haupt, Dieter Langewiesche (Hg.): Nation und Religion in der deutschen Geschichte. Frankfurt a. M.: Campus 2001, S. 84–104, der gegen eine irenische Sicht auf die sprachpolitischen Anliegen des Parnassus Boicus argumentiert. Gottsched: Rezension zu Parnassus Boicus (wie Anm. 42), S. 291. Vgl. dazu ausführlich Ingo Reiffenstein: Gottsched und die Bayern. Der Panassus Boicus, die Bayerische Akademie der Wissenschaften und die Pflege der deutschen Sprache im 18. Jahrhundert. In: Sabine Heimann, Sabine Seelbach (Hg.): Soziokulturelle Kontexte der Sprach- und Literaturentwicklung. Festschrift Rudolf Große (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik, 231). Stuttgart: Heinz 1989, S. 177–184. Vgl. zur Sprachpolitik des Parnassus Boicus Beck: Episteme (wie Anm. 35); sowie Andreas Beck: Katholisch-bayerische Prosapropaganda in opitzianisch-poetologischer Tradition. Gelasius Hiebers Sprach-Lehr und Von der Teutschen Poeterey (1723–25) im Parnassus Boicus. In: Thomas Althaus, Nicola Kaminski (Hg.): Spielregeln barocker Prosa. Historische Konzepte und theoriefähige Texturen ›ungebundener Rede‹ in der Literatur des 17. Jahrhunderts (Beihefte zur Simpliciana, 7). Bern u. a.: Peter Lang 2012, S. 309–332.

Gottsched und der Parnassus Boicus

197

Sachsens gesprochene Deutsch als ein idealtypisches Hochdeutsch zu etablieren. Das »Lutherdeutsch«, wie Hieber es mit Blick auf die sprachprägende Bibelübersetzung des Reformators nannte, sei als übernationale hochdeutsche Gelehrtensprache wegen seiner konfessionellen Färbung von vornherein nicht geeignet.49 Daraufhin hatte Gottsched sehr polemisch Stellung gegenüber Hieber bezogen. Die Polemik lässt sich dadurch erklären, dass Hieber das Falschzitat in den Mund gelegen worden war, »daß niemals ein ärgerer Sprachverderber in Deutschland aufgestanden sey, als eben Doctor Luther«. Jedoch findet sich der Ausdruck »Sprachverderber« in keinem von Hiebers Beiträgen im Parnassus Boicus. Die wohl polemischste Formulierung aus seiner Feder lautet stattdessen im Original: […] an welchem Unformb es dem Luthero / dem Lehr- und Sprach-Meister der Protestanten niemand bevor gethan / als welcher in seiner Teuschen Affter-Bibl / wie leichtlich abzumercken / keine andere Absicht gehabt / als seiner Ober-Sächsischen Teutschen Sprach die universal Monarchi in dem Hoch-Teutschen einzuraumen / wie danne ihme seine Lands-Leuthe in solcher Meynung noch heut zu Tag nachahmen […].50

Zwar mag auch die Bezeichnung »Affter-Bibl« nicht unbedingt durch sprachliche Eleganz und ökumenische Zurückhaltung glänzen, der Titel eines »Sprachverderbers« fiel allerdings eben nicht. Es dauerte fast zehn Jahre, bis das falsche Zitat auch Gottsched in Leipzig erreicht hatte. In einer Fußnote eines Aufsatzes in seinen Beyträgen zur Critischen Historie merkte dieser an: […] ein werthes Mitglied unserer Gesellschaft [der Deutschen Gesellschaft in Leipzig], der Herr Schelhorn zu Memmingen, hat unlängst versprochen uns ein Werk zuzusenden, welche unter dem Titel Parnassus Boicus eine Anweisung und einige Exempel der Bayerischdeutschen Schreibart begreifet, und vor einiger Zeit in München heraus gekommen seyn soll. In demselben wird unter andern behauptet: Daß niemals ein ärgerer Sprachverderber in Deutschland aufgestanden sey, als eben Doctor Luther. Wir werden nicht ermangeln, von diesem, allem Ansehen nach sauberen Werke unserer Leser in diesen Beyträgen hinlänglich zu unterrichten; so bald wir es nur einmal in Händen haben.51

Zwei Jahre später hatte Gottsched den Parnassus Boicus noch immer nicht in Händen gehalten, verfasste aber nun einen ganzen Beitrag unter dem Titel »Lutherus sey kein

49

50 51

Vgl. Andreas Beck: Die Straßburger Eide in der Frühen Neuzeit. Modellstudie zu vor- und frühgermanistischen Diskursstrategien (Gratia. Tübinger Schriften zur Renaissanceforschung und Kulturwissenschaft, 52). Wiesbaden: Harrassowitz 2014, besonders S. 125–311 mit Schwerpunkt auf Gelasius Hiebers Ausführungen gegen das Lutherdeutsch. Das originale Zitat in [Gelasius Hieber]: Ferner-weite Fortsetzung von der Hoch-Teutschen Sprach, wie selbe in gegnwärtig-achtzehenden Saeculo in ihrer Zierde und Reinigkeit ab- als zugenommen. In: PB II, 65. Bericht (1724), S. 192–209, hier 204–205. Johann Christoph Gottsched. In: Beyträge zur Critischen Historie 2 (1733), S. 445–446.

198

Markus Christopher Müller

Sprachverderber«, worin er, sich allein an dem Falschzitat aufhängend, eine Rechtfertigung aufstellt, warum das von ihm gesprochene und geschriebene Deutsch als ideales Hochdeutsch zu gelten habe. Noch ein Jahr verging, und erst dann erhielt Gottsched die ersten vier Bände des Parnassus Boicus. Er hatte seine ersten beiden Erwiderungen also verfasst, ohne den bayerischen Musenberg je gelesen zu haben. So können wir davon ausgehen, dass sein Ansinnen, eine Rezension des Parnassus Boicus zu verfassen, von vornherein wenig damit zu tun hatte, seiner Leserschaft ein Periodikum einer anderen deutschsprachigen Region und dessen Inhalte sine ira et studio vorzustellen. Dabei lässt sich festhalten, dass er seine ausführliche Rezension bewusst auf die sprachwissenschaftlichen Beiträge des Parnassus Boicus fokussiert und die anderen behandelten Themen völlig ausklammert; allerdings fehlt auch die Gehässigkeit der beiden früheren Aussagen. Er stellt dem Leser die Argumentation des bayerischen Musenberges durch eine sehr zitatreiche Besprechung vor Augen. Seine Ablehnung der oberdeutschen Position klingt klar an, mit Polemik hielt er sich allerdings sehr zurück. Eine systematische Abhandlung in Auseinandersetzung mit dem Parnassus Boicus aus Gottscheds Feder fehlt allerdings. Der von Lori später erwähnte Beitrag des Leipziger Professors über die Leistungen bayerischer Gelehrte auf dem Gebiet der deutschen Sprache kam nicht zustande, er hätte womöglich tiefere Einblicke in Gottscheds Kritik gegeben. Gegenüber Lori hatte dieser angekündigt: Sodann war ich entschlossen an diese Hochansehnliche Churfürstl. Akademie ein feyerliches Danksagungsschreiben abzulassen, doch so, daß ich nicht mit leeren Händen erschiene. Ich wollte die mir stillschweigend aufgegebene Materie von den Verdiensten gelehrter Bayern auch um die deutsche Sprache und Literatur abhandeln, und wenigstens einen Versuch davon liefern; da in diesen Gegenden solches nicht auf einmal zur Vollkommenheit zu bringen ist.52

Das Ausbleiben des angekündigten Aufsatzes bedauerte Lori sehr: Dero Abhandlung von den Verdiensten meiner Bayern um die Deutsche Sprache, und Litteratur wird Euer p. Ruhm vermehren, und in diesen Gegenden zur Aufmunterung dienen. Es wird nicht schwer seyn, zu beweisen, daß unsere Voreltern nicht nur ihre Nachkömmlinge in der Deutschen Gelehrsamkeit übertroffen, sonderen auch anderen jetzt noch so berühmten Völckeren, nicht viel zum voraus gelassen haben. Ich wünsche ruhige Stunden zu Ausführung dieses, vielen Deutschen Kunstrichteren vielleicht unbekannten Gegenstandes, welchen Euer p. von allen anderen gewachsen seyn.53

52 53

Gottsched an Lori, Leipzig am 6. März 1760; zitiert nach Spindler: Primordia (wie Anm. 6), S. 268– 270, hier S. 269. Lori an Gottsched, München am 29. August 1760; zitiert nach Spinder: Primordia (wie Anm. 6), S. 301–302, hier S. 302.

Gottsched und der Parnassus Boicus

199

Möglicherweise hätte eine Abhandlung aus Gottscheds Feder zu einem versöhnlicheren Blick von Leipzig auf München beigetragen, dazu kam es allerdings nie – die öffentliche Kritik am Parnassus Boicus stand unwidersprochen im Raum. Dem Parnassus Boicus spricht Hans Graßl innerhalb der bayerischen Geistesgeschichte eine Scharnierfunktion zwischen Barock und Aufklärung zu.54 Eine ähnliche Mittelstellung attestiert Wilhelm Kühlmann auch Gottsched.55 In ihrer selektiven Rezensionspraxis jedenfalls ähnelten sich der Leipziger Aufklärer und die bayerischen Zeitschriftenherausgeber sehr, was uns zum abschließenden Ausblick in vier Thesen führt: 1. Der Parnassus Boicus wird in den Critischen Beyträgen Gottscheds fünf Jahre nach Erscheinen des vierten und vorerst letzten Bandes erwähnt, dabei aber mit einem Falschzitat. Es benötigte drei weitere Jahre, bis Gottsched das bayerische Periodikum rezensierte, ohne die falsche Zitation zu revidieren und seine völlige Fokussierung auf den polemisch geführten Sprachstreit aufzugeben. Ohne die jahrelangen Auseinandersetzungen wäre es wohl nicht einmal zu einer Rezension gekommen. 2. Den Herausgebern des Parnassus Boicus dagegen waren die Leipziger Periodika, allen voran die von Gottscheds Förderer Johann Burckhard Mencke herausgegebenen Acta Eruditorum durchaus bekannt. Trotzdem scheiterten Amort, Hieber und Kandler an ihrem Vorsatz, die neuerschienenen Bücher auch des gelehrten Mitteldeutschlands in ihrem Heimatlande regelmäßig zu präsentieren. Der einmalige Versuch einer Kopie des Leipziger Buchkatalogs konnte dafür nicht genügen. Diese Beobachtung führt zur weiterführenden Frage nach den Spezifika einer bayerischen Aufklärung. 3. Im vorliegenden Fall kann die Rezensionspraxis beider Seiten weder Gottscheds noch des Parnassus Boicus in irgendeiner Weise als systematisch bezeichnet werden. Teils mit großem zeitlichen Abstand wurden Rezensionen verfasst, wobei davon auszugehen ist, dass Gottsched den Parnassus Boicus nicht gelesen hatte und die Rezensenten des Musenbergs nur die Leipziger Bücherschau übernahmen, ohne selbst die dort aufgeführten Publikationen je in Händen gehalten zu haben. 4. Es lohnte sich deshalb definitiv, einen großangelegten Vergleich der Rezeptionsbewegungen zwischen Süd- und Mitteldeutschland zu wagen, um zu zeigen, ob die Rezeptionsbarrieren entlang regionaler Grenzen oder konfessioneller, wie oft behauptet wird, oder eben doch auch kulturell-sprachlicher Grenzen verliefen. 54 55

Hans Graßl: Aufbruch zur Romantik. Bayerns Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte 1765–1785. München: Beck 1968, S. 21–29. Vgl. Wilhelm Kühlmann: Frühaufklärung und Barock. Traditionsbruch – Rückgriff – Kontinuität. In: Klaus Garber (Hg.): Europäische Barock-Rezeption. Teil 1. Wiesbaden: Harrassowitz 1991, S. 187.

200

Markus Christopher Müller

Interessant scheint auch das wissenstopographische Ungleichgewicht zu sein: In Leipzig kannte man den Parnassus Boicus nicht einmal. Auch dessen Ursachen bedürfen einer weiteren Erforschung. Gerade eine Online-Datenbank wie die GJZ 18-Datenbank kann hier Hilfestellungen bieten, die einen großangelegten Vergleich erlauben.

Von »gelehrten Sachen« in den Gelehrten Nachrichten und Gelehrten Beyträgen im Wien(n)erischen Diarium 1766–1769 Nora Fischer Ende März 1766 überraschten die Verleger des Wien(n)erischen Diarii, die Ghelenschen Erben, mit einer besonderen Nachricht ihre Leser:1 Mit Beginn des nachfolgenden Monats würden die »gelehrten Neuigkeiten« wöchentlich in einem eigenen Anhang erscheinen. Man habe die aufrichtige Begierde, den Lesern die Wissenschaften, und die Werke unserer Gelehrten von der vortheilhaften Seite zu zeigen; den guten Geschmack einigermaßen ausbreiten zu helfen, und diejenigen, die in dem Felde der Wissenschaften überhaupt, zum Ruhme unsers Vaterlandes arbeiten, unter uns bekannter zu machen.2

Dies ist aus zweierlei Gründen bemerkenswert: Zum einen gab es in Wien als Zentrum der habsburgischen Erblande bislang keine einzige Gelehrte Zeitschrift; zum anderen konnte man bis zu diesem Zeitpunkt im Wien(n)erischen Diarium, wo man von 1

2

Der vorliegende Aufsatz basiert auf den Forschungen für das Forschungsprojekt »Das Wien[n]erische Diarium als Medium habsburgischer Repräsentationsstrategien« an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen, Abteilung Kunstgeschichte, gefördert durch die Magistratsabteilung 7 – Kultur, Wissenschafts- und Forschungsförderung der Stadt Wien. Dieses Projekt ist Teil des Gesamtprojekts »Das Wien[n]erische Diarium: Digitaler Datenschatz für die geisteswissenschaftlichen Disziplinen« am Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; https://www.oeaw.ac.at/de/acdh/projects/wiennerisches-diarium-digital/. Zur Geschichte und Entwicklung des Wien(n)erischen Diarii allgemein: Andrea Reisner und Alfred Schiemer: Das Wien(n)erische Diarium und die Entstehung der periodischen Presse. In: Matthias Karmasin, Christian Oggolder (Hg.): Österreichische Mediengeschichte. Band 1: Von den frühen Drucken zur Ausdifferenzierung des Mediensystems (1500 bis 1918). Wiesbaden: Springer Fachmedien 2016, S. 87–112; Andrea Seidler: Zur Entwicklung des Wiener Zeitschriftenwesens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: ebd., S. 139–166. Wien(n)erisches Diarium Nr. 25 (26. März 1766) pag. 9. Das Wien(n)erische Diarium ist nicht paginiert. Die hier genannten Seiten entsprechen der Paginierung auf der Plattform AustriaN Newspapers Online (ANNO), http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz.

202

Nora Fischer

Gedanken, die über eine reine (Hof-)Berichterstattung hinausgingen, eher Abstand hielt, kaum umfangreichere Beiträge über Wissenschaft und Kunst bemerken. Internationale Tendenzen wurden zwar verfolgt und Gelehrte Zeitschriften aus dem Ausland gelesen, doch war man von einer substanziellen inhaltlichen Auseinandersetzung in wissenschaftlichen oder künstlerischen Bereichen, wie sie sich im Zeitungswesen in Frankreich, Italien, England oder ›Deutschland‹ etabliert hatten, noch weit entfernt. Die Verleger des Wien(n)erischen Diarii waren sich offenbar auch des Interesses der Öffentlichkeit an den »gelehrten Neuigkeiten« und der Akzeptanz beim heimischen Publikum nicht sicher, denn der vielversprechenden Ankündigung folgte umgehend die Versicherung an jene »Leser, deren Beruf es nicht ist, sich mit den Wissenschaften abzugeben«, sie könnten »den Artikel von gelehrten Sachen überschlagen«.3 Dennoch verfehlte der Aufruf an die Leser, Beiträge für die Gelehrten Nachrichten einzusenden, seine Wirkung nicht – nur zunächst anders als gedacht. Eine der ersten Einsendungen, ein »Entwurf gegen mißgünstige Stutzer der bisherigen wienerischen Schaubühne«, wurde mit dem Argument, der unbekannte Autor würde »sich mit den Verfechtern des guten Geschmackes reiben«,4 empört zurückgewiesen. Soweit sich die Auseinandersetzung aus dem nachträglichen Kommentar im Wien(n)erischen Diarium rekonstruieren lässt, bestand der eigentliche Skandal – oder was man dafür hielt – darin, dass sich der Verfasser der Zuschrift gegen jegliche Form von Regeln in Lustspielen und für »nichts als Natur, rohe ungebildete Natur«5 aussprach. Es ging also um Differenzen in ästhetischen Betrachtungsweisen und in Fragen des Anstands – oder, wie es hieß, um den »guten Geschmack«. Umgehend und unmissverständlich wurde etwaigen Autoren klar gemacht, dass nur jene Beiträge in den Gelehrten Nachrichten publiziert werden würden, »die unsere Absichten billigen, und mit uns in ein Gleis schlagen«.6 Diese kurze Vorgeschichte zu den Gelehrten Nachrichten, die später in Gelehrte Beyträge umbenannt wurden,7 gibt einige Hinweise darauf, mit welchen Fragen man konfrontiert ist: Um welche Art von Publikation handelt es sich bei den Gelehrten Nachrichten? Rein formal gesehen, sind sie eine Beilage des Wien(n)erischen Diarii, die sich zwischen den beiden Hauptbestandteilen (In- und Auslandsnachrichten) und den diversen Anhängen sowie Inseraten einfügt. Handelt es sich somit einfach um ein weiteres Supplement zum Wien(n)erischen Diarium, oder können sie eher als eigenes Rezensionsorgan gewertet werden? In der Forschung werden die Gelehrten Nachrichten immer wieder mit dem »Beginn des Feuilletons«8 in den habsburgischen Ländern 3 4 5 6 7 8

Ebd., pag. 9. Wien(n)erisches Diarium Nr. 27 (2. April 1766), pag. 11 f. Ebd. Ebd., pag. 12. Für den besseren Lesefluss wird hier im Allgemeinen nur von den Gelehrten Nachrichten gesprochen. Vgl. Wilhelm Böhm: Geschichte der Wiener Zeitung. In: 250 Jahre Wiener Zeitung. Eine Festschrift. Wien: Österreichische Staatsdruckerei 1953, S. 8.

Von »gelehrten Sachen« in den Gelehrten Nachrichten und Gelehrten Beyträgen

203

in Zusammenhang gebracht. In welcher Weise wurde über das gelehrte und popularisierte Wissen, über Kunst und Kultur berichtet? Auffallend ist der manchmal kritische, beinahe progressive Ton der Gelehrten Nachrichten in einer Zeitung, die sonst stark retardierende Züge trägt. Hierbei ist auch die Bedeutung des Wiener Hofes für das Wien(n)erische Diarium und vice versa zu diskutieren. Die zunehmend aufgeklärte Haltung des Hofes mit dem allmählichen Abrücken von traditionellen Repräsentationsformen löste Prozesse aus, die auch in der intellektuellen Beilage ihren Niederschlag fanden. Welche Persönlichkeiten – auch abseits des Hofes – waren involviert? Konkrete Einflussnahmen auf das Wien(n)erische Diarium blieben bislang weitgehend ungeklärt. Nicht zuletzt: Welche Resonanz erfuhren die Gelehrten Nachrichten in einer breiteren Öffentlichkeit? Welche Rolle für die inhaltliche Ausrichtung spielte – vor dem Hintergrund der Aufklärung – ein sich veränderndes Kulturverständnis und gesteigertes Kunstinteresse des Publikums? Warum wurden die Gelehrten Nachrichten nach nur drei Jahren eingestellt? Der Mangel an einer kritischen Leserschaft mag – wie in der Forschung angenommen – für ihre kurze Laufzeit verantwortlich sein, aber auch die zunehmende Konkurrenz an gelehrten Journalen, vor allem im deutschsprachigen Raum, könnte sich hinter dem Aus verbergen. Von den Gelehrten Nachrichten zu den Gelehrten Beiträgen Die Gelehrten Nachrichten sind – wie bereits gesagt – Teil des seit 1703 laufenden Wien(n)erischen Diarii und als solche nicht als eigenständige Zeitschrift zu betrachten. Dennoch heben sie sich in formaler, struktureller und thematischer Hinsicht deutlich von den anderen Nachrichtenteilen ab. Sowohl die Gelehrten Nachrichten als auch die Gelehrten Beyträge ziert am Titelkopf eine figurale Vignette, die den Wissenschaftsteil im Wien(n)erischen Diarium, das sonst kaum Illustrationen enthält, herausnimmt. Die Gelehrten Nachrichten beinhalten Rezensionen, wissenschaftliche Berichte und Essays – allesamt literarische Gattungen, die sich von den übrigen Textsorten der Zeitung – Nachrichten, Inserate und amtliche Anhänge – unterscheiden. Schließlich lassen sich auch inhaltlich Diskurse zu wissenschaftlichen, philosophischen und kulturellen Fragen ausmachen, die über das sonst im Wien(n)erischen Diarium enthaltene Themenspektrum hinausgehen. Aufgrund dieser buchstäblichen Eigenart der Gelehrten Nachrichten innerhalb des Wien(n)erischen Diarii erscheint es legitim, sie mit den periodisch erscheinenden wissenschaftlichen Zeitschriften, die im 18. Jahrhundert eine besondere Konjunktur erfahren haben, in Vergleich zu bringen. Schon zu den ersten gelehrten Journalen, Journal des Sçavans, Philosophical Transactions, Giornale de’ Litterati und Acta Eruditorum, die sich ein Jahrhundert zuvor in Frankreich, England, Italien und Deutschland

204

Nora Fischer

etabliert hatten,9 lassen sich Anknüpfungspunkte finden. Charakteristisch für diese Periodika – und wegweisend für die Gelehrten Nachrichten – ist, dass sie neben wissenschaftlichen Berichten aus Naturwissenschaft und Kunst auch die sogenannte »critique«, das heißt Buchbesprechungen enthielten.10 Richteten sich diese ersten, teils in lateinischer Sprache abgefassten Zeitschriften noch dezidiert an ein Gelehrtenpublikum, kamen später solche hinzu, die sich – in der Landessprache gehalten, moderater im Ton und leicht handhabbares Wissen vermittelnd – an eine breitere Öffentlichkeit wandten. Überblickt man die beinahe unüberschaubare Flut an Gelehrten Journalen nach der Jahrhundertmitte des 18. Jahrhunderts, lassen sich mehr oder weniger drei einander kreuzende, sich überlagernde Ausrichtungen differenzieren, die sich auch mit den Gelehrten Nachrichten/Beyträgen überschneiden: Rezensionszeitschriften, die vorwiegend Buchbesprechungen enthielten, Fachjournale, die sich einem speziellen Wissenschaftsbereich widmeten, und sogenannte »Vermischte Zeitschriften« oder »Real-Zeitschriften«, die in erster Linie Essays oder wissenschaftliche Abhandlungen brachten, Buchbesprechungen dagegen weniger Raum gaben.11 Fraglich ist, wie sich die Gelehrten Nachrichten/Beyträge angesichts dieser Ausrichtungen einschätzen lassen. Über ihren nur kurzen Publikationszeitraum betrachtet, kann man leichte Veränderungen in Bezug auf Form und Inhalt erkennen. Vom 5. April 1766 bis zum 29. April 1767 erschienen sie unter dem Titel Gelehrte Nachrichten, setzten nach kurzer Pause vom 13. Juni 1767 bis zum 15. August 1767 ohne ausdrücklicher Überschrift im Sonnabendsanhang fort und wurden am 5. September 1767 unter der neuen Bezeichnung Gelehrte Beyträge zu dem Wien(n)erischen Diarium, oder Auszüge aus verschiedenen ausländischen Monats= und Wochenschriften veröffentlicht, bis das letzte Stück am 25. Februar 1769 den endgültigen Abschluss bildete. Der Titeländerung entspricht auch eine inhaltliche Verschiebung: Wurde in den Gelehrten Nachrichten noch eine Mixtur aus mehrheitlich Rezensionen, aber auch Essays und wissenschaftlichen Berichten aus »unsern Ländern«12 veröffentlicht, versprach man im Sonnabendsanhang, der Zeitung »verschiedene lesenswürdige Abhandlungen, und Auszüge aus den besten ausländischen Wochen= und Monathsschriften einzuverleiben«13 – eine inhaltliche Erweiterung, die formal erst im Layout der letzten Runde mit dem Titelkopf Gelehrte Beyträge zu dem Wien(n)erischen Diarium, oder Auszüge aus verschiedenen ausländischen Monats= und Wochenschriften ihre Entsprechung fand. Der thematischen Entwicklung hin zu mehr wissenschaftlichen Abhandlungen bzw. we-

9 10 11 12 13

Vgl. Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts (= Presse und Geschichte – Neue Beiträge; Bd. 17). Bremen: edition lumière 2007, S. 42–51. Ebd. Ebd. Wien(n)erisches Diarium Nr. 25 (26. März 1766), pag. 9. Wien(n)erisches Diarium Nr. 47 (13. Juni 1767), pag. 9.

Von »gelehrten Sachen« in den Gelehrten Nachrichten und Gelehrten Beyträgen

205

niger Rezensionen sowie der Öffnung für ausländische Artikel entsprach auch, dass vermehrt umfangreiche Beiträge in Fortsetzung über mehrere Nummern hinweg weitergeführt wurden. Diese inhaltliche und faktische Erweiterung band nicht nur die Leserschaft enger an die Gelehrten Beyträge, sondern eröffnete auch einen größeren Spielraum für wissenschaftliche Erörterungen. Im Überblick der Gelehrten Nachrichten treten somit Indizien zutage, die – bezogen auf ihre inhaltlichen Schwerpunkte – weder eine eindeutige Nähe zu den »Vermischten Zeitschriften« mit dem Fokus auf wissenschaftliche Abhandlungen noch zu den Rezensionszeitschriften mit der »critique« erlauben. Sie scheinen an der Schnittstelle beider Formate situiert gewesen zu sein. Nicht nur aufgrund ihrer Inhalte, sondern auch strukturell entspricht eine Beschreibung der Gelehrten Nachrichten wie jene Wilhelm Böhms als »Beginn des Feuilletons«14 wohl am ehesten. Von »Gelehrten« Nachrichten Den Auftakt der Gelehrten Nachrichten machten am 5. April 1766 als »Istes [Erstes] Stück« zwei Rezensionen zu medizinischen Büchern,15 zum einen ein Werk von Karl von Krapf über einige »Versuche mit einigen Gattungen des Hahnenfuß Ranunculus«,16 zum anderen eine Abhandlung über die »Wirksamkeit des ätzenden sublimirten Quecksilbers, und des Schierlings, wider den Herrn L. E. Hirschel«.17 Dem folgten in den weiteren Nummern eine bunte Mischung aus naturwissenschaftlichen, philosophischen und kulturellen Beiträgen sowie Rezensionen. Das Themenspektrum reicht von Medizin, Naturwissenschaften, Jurisprudenz und Theologie über Geschichte und Archäologie bis hin zu den Künsten. In dieser Mixtur aus mehr oder weniger aktuellen Themen unterschiedlichster Disziplinen lässt sich keine wirklich stringente inhaltliche Linie erkennen; man gewinnt eher den Eindruck, dass vielfach publiziert wurde, was greifbar war. Auffallend ist, dass neben den sogenannten Fakultätswissenschaften auch jene Bereiche, die im weiteren Sinn zu den sogenannten »Schönen Wissenschaften« zählen, zu den Gelehrten Nachrichten gehörten. Zu Krapfs Versuchen mit Ranunkeln, die er an sich selbst und an einem Hund ausprobierte, bemerkt der Rezensent kritisch:

14 15 16 17

Böhm: Geschichte der Wiener Zeitung (wie Anm. 8), S. 8. Wien(n)erisches Diarium Nr. 28 (5. April 1766), pag. 9–12. Karl von Krapf: De nonnullorum Ranunculorum ve nenata qualitatae, horum externo, & interno usu. Wien: Kraus 1766. Joseph Jakob Plenck: Schreiben an Herrn Georg Ludwig Rumpelt, Churfürstlich sächsischen Hof-Wundarzt; worinnen die Wirksamkeit des ätzenden sublimirten Quecksilbers und des Schierlings, wider den Herrn L. E. Hirschel […] dargethan wird. Wien: Kraus 1766.

206

Nora Fischer

Nun erzehlt uns der Herr Verfasser durch 33. Seiten alle die Pflanzen, mit welchen Versuche er gemacht hat, ob deren einige sein Gift dämpfen könnten, oder nicht, und durch die 33. Seiten sagt er uns doch nicht mehr als was er uns am Ende mit wenigen Worten sagt […].18

Der ironische Ton, der hier angeschlagen wurde, unterscheidet sich deutlich von der ansonsten eher pragmatischen Berichterstattung über den Wiener Hof sowie innenund außenpolitische Geschehnisse im Wien(n)erischen Diarium, in der man sich jeglicher Kritik, Meinung oder eines Kommentars eher enthalten hat. Nicht umsonst war am 19. Oktober 1751 ein »Ruf« Kaiserin Maria Theresias im Wien(n)erischen Diarium ausgegangen, um »alle dergleichen Zeitungs=Schreiber ernstlich zu ermahnen, und zu warnen, daß sie von Anführung aller unwahrhaften, und nur im mindesten bedenklichen Nachrichten, sich also gewiß enthalten sollen«.19 Dennoch scheint sich Mitte der 1760er Jahre das intellektuelle Klima in Österreich soweit gewandelt zu haben, dass auch im – als Hofzeitung gehandelten – Wien(n)erischen Diarium eine wissenschaftliche Beilage opportun erschien. Den Veränderungen des Zeitungswesens sowie der Wissens- und Kunstvermittlung, die in Frankreich, England und Italien zu beobachten waren, konnte man sich auch in Österreich nicht mehr verschließen. Die Bereitschaft zur Akzeptanz von Veränderungen scheint aber maßgeblich durch einige wichtige, mit dem Wiener Hof verbundene Persönlichkeiten befördert worden zu sein, die – direkt oder indirekt – Einfluss auf das Wien(n)erische Diarium und die Gelehrten Nachrichten genommen haben. Mann ohne Vorurteil Da es in den Gelehrten Nachrichten nicht üblich war, die Artikel namentlich zu zeichnen, obwohl ursprünglich anderes beteuert wurde,20 sind konkrete Einflussnahmen nur vereinzelt nachvollziehbar. Zwei zentrale Figuren der österreichischen Aufklärung lassen sich tatsächlich identifizieren: Gerard van Swieten und Joseph von Sonnenfels, beide wichtige Ratgeber des Wiener Hofes. Gerard van Swieten, Protomedicus Maria Theresias, Direktor der Medizinischen Fakultät der Universität Wien und Präsident der Studienhofkommission, wird nur selten in den Gelehrten Nachrichten erwähnt, wird aber bei Bedarf als letzte Instanz in medizinischen Fragen herangezogen.21

18 19 20 21

Wien(n)erisches Diarium Nr. 28 (5. April 1766), pag. 10 f. Wien(n)erisches Diarium Nr. 84 (20. Oktober 1751), pag. 7 f. Wien(n)erisches Diarium Nr. 27 (2. April 1766), pag. 11: »Man wird um sichere Korrespondenten bemüht sein, und sie den Lesern in Hinkunft so bald es immer möglich ist, mittheilen.« Schon im ersten Stück der Gelehrten Nachrichten, vgl. Wien(n)erisches Diarium Nr. 28 (5. April 1766), pag. 12.

Von »gelehrten Sachen« in den Gelehrten Nachrichten und Gelehrten Beyträgen

207

Wesentlich öfter und prominenter wird dem Staatsmann und Schriftsteller Joseph von Sonnenfels Platz eingeräumt, was wohl als Beleg seiner Bedeutung für das Wien(n)erische Diarium gedeutet werden kann. Mit Sonnenfels scheint auch der richtige Mann für die Gelehrten Nachrichten gefunden worden zu sein, denn seine publizistische Aktivität zeugt von einer enormen Bandbreite der Interessensgebiete. Er, der sich 1762 erfolglos um eine Professur für »Eloquenz«, wie der Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur genannt wurde, beworben hatte und eigentlich deutsche Rhetorik lehren wollte, hatte ab 1763 die Lehrkanzel an der Wiener Universität für Polizei- und Kameralwissenschaften inne. Etwa zeitgleich mit den Gelehrten Nachrichten verfasste er die Moralische Wochenschrift Mann ohne Vorurtheil (1765–1767), auf die immer wieder verwiesen wurde und aus der Artikel übernommen wurden, und trug mit seiner Schrift Briefe über die wienerische Schaubühne (Wien 1768) wesentlich zu einer Reform der Wiener Theater bei. Schon dem Verfasser der eingangs erwähnten »Schmatterschrift […] wider das Regelmäßige in den Lustspielen«22, die nach der Ankündigung der Gelehrten Nachrichten eingegangen war, wird angeraten, er solle sich in Bezug auf die Regeln der dramatischen Dichtkunst mit den Beiträgen von Sonnenfels auseinandersetzen. Neben solchen, sich oft wiederholenden Querverweisen zu und Würdigungen auf Sonnenfels deuten auch die zahlreichen Rezensionen seiner Werke oder seine originalen Beiträge in den Gelehrten Nachrichten/Beyträgen darauf hin, dass sich seine – bei den Zeitgenossen oft kritisierten – Standpunkte durchgesetzt haben. Sonnenfels ist in den Gelehrten Nachrichten zunächst mit literarischen Themen vertreten.23 Der ausführlichste Beitrag zu seinem Werk widmet sich jedoch dem Lehrbuch Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanzwissenschaft Zum Leitfaden der akademischen Vorlesungen – eine Rezension, die sich über drei Nummern der Gelehrten Nachrichten zieht.24 Das Buch, das 1765 publiziert wurde und zahlreiche Neuauflagen und Überarbeitungen erfuhr, stand noch im 19. Jahrhundert als Standardlektüre auf dem Lehrplan zukünftiger Verwaltungsbeamter. Sonnenfels vermittelte darin angehenden Beamten das notwendige Basiswissen und gilt damit – er hielt seine Vorlesungen in deutscher statt lateinischer Sprache – auch als Schöpfer der österreichischen Amtssprache.25

22 23

24 25

Wien(n)erisches Diarium Nr. 25 (26. März 1766), pag. 9. Wien(n)erisches Diarium Nr. 32 (19. April 1766), pag. 9–10: Rezension zu »Das Gesicht des Sohnes Sela Haschemesch, das er gesehen hat über Franzen den ersten römischen Kaiser gesegneten Gedächtnisses« und Wien(n)erisches Diarium Nr. 44 (31. Mai 1766), pag. 9–10: Gedicht auf den Tod des Feldmarschall Leopold Grafen von Daun. Wien(n)erisches Diarium Nr. 94 (22. November 1766), pag. 9–12, Nr. 98 (6. Dezember 1766), pag. 9–12, Nr. 102 (20. Dezember 1766), pag. 9–12. Vgl. Helmut Reinalter: Joseph von Sonnenfels – Leben und Werk in Grundzügen. In: Österreichische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte

208

Nora Fischer

Von den Materien der Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanzwissenschaft wird in der Rezension nur auf den ersten Teil der Polizeiwissenschaft eingegangen, wobei hier im Zusammenhang mit der Zensur noch einmal das Thema der Wiener Schaubühne aufgegriffen wird: Es ist also, spricht der Hr. Verf. [Sonnenfels] eine Theatralcensur unumgänglich notwendig. Allein es ist in Ansehung der Sitten nicht genug, daß diese Censur die ganz entworfenen und sogenannten studirten Stücke übersehe; sondern es sind einem solchen Endzwecke gemäß keine andern als censurirte Stücke aufzuführen. Die ungezwungenste Folge also hieraus ist, die extemporirten Stücke ganz abzuschaffen.26

Den Hintergrund der ganzen Diskussion bildete der sogenannte »Hanswurst-Streit«, der Mitte der 1760er Jahre hauptsächlich im Mann ohne Vorurtheil und anderen Moralischen Wochenschriften ausgetragen wurde und deren Angelpunkt im Wesentlichen eine Reform der Wiener Volksschauspiel- und Stegreifbühnen zu einer geregelten »Schule der Sitten«27 in deutscher Hochsprache war.28 Das Fehlen einer eingehenderen Betrachtung der anderen Teile, »Handlungs- und Finanzwissenschaft«, könnte darin begründet sein, dass ökonomische Kompetenz nach wie vor eher als wichtiges Herrschaftswissen galt, das nicht für die breitere Öffentlichkeit bestimmt war, oder auch darin, dass Sonnenfels sein Lehrbuch lediglich kompilatorisch aus sehr wenigen, ihm bekannten Schriften zusammengestellt hat, etwa jene von Johann Heinrich Gottlob Justi oder Georg Heinrich Zincke.29 In der Forschung wird die eigentliche ökonomische Kompetenz in Wien nicht dem Professor für Polizei- und Kameralwissenschaften Sonnenfels, sondern den Beamten der Hofrechenkammer, den Brüdern Ludwig und Karl Zinzendorf, zugeschrieben, die mit den fortschrittlichsten theoretischen Schriften vertraut waren und mit den wichtigsten Ökonomen des Auslands in Verbindung standen.30

26 27 28 29 30

Österreichs. Hg. von Adam Wandruska und Anna M. Drabek. Bd. 13. Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften 1988, S. 5. Wien(n)erisches Diarium Nr. 27 (20. Dezember 1766), pag. 10. Ebd. Vgl. Kai Kauffmann: »Es ist nur ein Wien«. Stadtbeschreibungen von Wien 1700 bis 1873. Geschichte eines literarischen Genres der Wiener Publizistik (= Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur, 29). Wien: Böhlau 1994, S. 153 f. Vgl. Elfie Miklautz: Geschenkt. Tausch gegen Gabe – Eine Kritik der symbolischen Ökonomie. München: Wilhelm Fink Verlag 2010, S. 132. Vgl. ebd. sowie Grete Klingenstein: Between Mercantilism and Physiocracy. Stages, Modes, and Functions of Economic Theory in the Habsburg Monarchy. In: Charles W. Ingrao (Hg.): State and Society in Early Modern Austria. West Lafayette, Indiana: Purdue University Press 1994, S. 181– 214; zu den internationalen Kontakten von Ludwig und Karl Zinsendorf vgl. Christine Lebeau: Finanzwissenschaft und diplomatische Missionen: Machtstrategien und Ausbildung der Staatswissenschaften in Frankreich und der österreichischen Monarchie (1750–1820). In: Hillard von Thiesen, Christian Windler (Hg.): Akteure der Außenbeziehungen: Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2010, S. 164–168.

Von »gelehrten Sachen« in den Gelehrten Nachrichten und Gelehrten Beyträgen

209

Von »Schönen Wissenschaften« und »Schönen Künsten« Ein Verdienst muss man Sonnenfels jedoch anrechnen: Er brachte mit den bildenden Künsten ein Thema in die Gelehrten Nachrichten ein, zu dem es sonst in Österreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kaum eine theoretische Auseinandersetzung gab. Seine Rede »Ermunterung zur Lektur an junge Künstler«, die er anlässlich der feierlichen Preisverteilung in der kaiserlich königlichen Kupferstecherakademie hielt, wurde in einem Auszug am 27. Februar 1768 in den Gelehrten Beyträgen publiziert.31 Sonnenfels rät darin zu einer Kunstausbildung, die nicht nur auf praktischer Ausübung, sondern auch auf theoretischem Wissen oder – besser gesagt – auf Kenntnissen antiker und moderner Literatur beruhen sollte. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass er sich in dieser Rede als »Stimme« der »schönen Wissenschaften« versteht und als solche eine enge Verbindung der Künste mit den Wissenschaften und vice versa fordert, weil »die Wissenschaft von ihren Künsten eben so vielen Beystand zu erwarten haben, als sie ihrer Seite denselben immer zu leisten fähig sind«.32 Mit »Schöne Wissenschaften« führt Sonnenfels einen wichtigen, wenn auch diffusen Begriff der Aufklärung ein, der Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen war und im Mittelpunkt des theoretischen Diskurses des 18. Jahrhunderts stand.33 Die Unschärfe in der Terminologie hat schon Johann Gottfried Herder treffend auf den Punkt gebracht: »Vielleicht sind wenige Worte in der Sprache so unbestimmt als die Namen ›schöne Wissenschaften und Künste‹. Bei dem verworrenen Begriff, den man mit ihnen verbindet, weiß man oft nicht, was sie bedeuten«.34 Wie in den Gelehrten Nachrichten war weder klar, welche Disziplinen die »Schönen Wissenschaften« umfassten, noch was sie überhaupt charakterisiert. Einmal bezog man sich mit den »Schönen Wissenschaften« auf die Poesie, die visuellen Künste und die Musik, dann wiederum nur auf die Dichtkunst oder erweiterte die Scala um die humanistischen Studien Geschichte und Archäologie. Gemeinsam war den Auslegungen lediglich die Abgrenzung zu den sogenannten Fakultätswissenschaften Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Der Terminus »Schöne Wissenschaften« konnte im Sinn der »Schönen Künste« als Synonym für die Gesamtheit einzelner oder für mehrere ästhetische Disziplinen 31

32 33 34

Wien(n)erisches Diarium Nr. 17 (27. Februar 1768), pag. 9–12: »Auszug einer Rede, welche bey der ersten feyerlichen Austheilung der Preise in der neuerrichteten kais. kön. Kupferstecherakademie von Hrn. Prof. von Sonnenfels gelesen, und nun unter dem Titel: Ermunterung zur Lektur an junge Künstler, bey Hrn. Kurzböck gedruckt zu haben ist. Wir liefern diesen Auszug nicht, um dem Verleger Eintrag zu thun, dann diese Rede verdienet ganz gelesen zu werden, sondern um das Wesentliche, so den Mechanismus betrift, für jene heraus zu schneiden, welche behauptet haben, es wäre lauter Satyre.« Wien(n)erisches Diarium Nr. 17 (27. Februar 1768), pag. 9–10. Zur Begriffsgeschichte vgl. Werner Strube: Die Geschichte des Begriffs »Schöne Wissenschaften«. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Bd. 33 (1990), S. 136–216. Johann Gottfried Herder: Kalligone. Stuttgart, Tübingen: J. G. Cotta’sche Buchhandlung 1830, S. 169.

210

Nora Fischer

stehen, wenn etwa die Dichtkunst einfach »Schöne Wissenschaften« heißt; es konnte damit auch – in Auswechslung der Worte – die Wissenschaft vom Schönen gemeint sein: In der That ist es eine Vermengung, die Ästhetik eine ars – und gewisse Künste »schöne Wissenschaften« – zu nennen: sie soll doch über das Schöne denken, nicht schön denken! Der allgemeine Denkfehler, der hier unterliegt, ist eine Art Verwechslung von Inhalt und Form.35

Sonnenfels jedenfalls versteht die »Schönen Wissenschaften« als Modus Operandi, als das Wissen, wie und vor allem welche Regeln angewandt werden sollten, um die Künste zu »untadelhaftem, edlen Geschmacke« und »Vollkommenheit« zu führen.36 Dass der bildenden Kunst größere Aufmerksamkeit gewidmet war, zeigt auch der »Versuch über die Kenntniß der Zeichnungen, Gemälde, Kupferstiche, Bildhauer= und Baukunst«, eine ausgedehnte Abhandlung, die über elf Nummern der Gelehrten Beyträgen geführt wurde.37 Konkret handelt es sich – jedoch nur bei dem ersten Teil über die Zeichnungen und Gemälde – um eine Übersetzung eines Kapitels aus dem berühmten Werk Abregé de la vie des plus fameux peintres von Antoine-Joseph Dezallier d’Argenville, das 1745–1752 erstmals und 1764 in einer Überarbeitung herausgegeben wurde.38 Bekannterweise ist diese programmatische Arbeit d’Argenvilles auch von Johann Jacob Volkmann 1767 vollständig ins Deutsche übertragen worden,39 doch stimmt die Übersetzung in den Gelehrten Beyträgen mit jener von Volkmann nur in groben Zügen überein. Einen weiteren Hinweis darauf, dass es sich beim Übersetzer des Abregé nicht um einen Beitrag Volkmanns, sondern um einen heimischen Autor gehandelt haben dürfte, gibt eine Bemerkung im Teil der Bildhauerei zu Georg Raphael Donner, in der der österreichische Bildhauer als »unser Donner«40 bezeichnet wird. Wie auch immer die Editionsgeschichte von dem Abregé zu den Gelehrten Beyträ35 36 37

38

39 40

Max Dessoir: Geschichte der neueren deutschen Psychologie. Berlin: Carl Duncker 21902, S. 559. Vgl. Strube: Geschichte des Begriffs »Schöne Wissenschaften« (wie Anm. 33), S. 161. Wien(n)erisches Diarium Nr. 17 (27. Februar 1768), pag. 9–10. Wien(n)erisches Diarium Nr. 83 (15. Oktober 1768), pag. 9–11, Nr. 85 (22. Oktober 1768), pag. 9–11, Nr. 87 (29. Oktober 1768) pag. 9–11; Nr. 89 (5. November 1768), pag. 9–11, Nr. 91 (12. November 1768), pag. 9–11, Nr. 93 (19. November 1768) pag. 9–11, Nr. 95 (26. November 1768), pag. 9–11, Nr. 97 (3. Dezember 1768), pag. 9–11, Nr. 99 (10. Dezember 1768), pag. 9–11, Nr. 101 (17. Dezember 1768,) pag. 9–11, Nr. 103 (24. Dezember 1768), pag. 9–11. Antoine-Joseph Dezallier d’Argenville: Abregé de la vie des plus fameux peintres, avec leurs portraits gravés en taille-douce, les indications de leurs principaux ouvrages, quelques réflexions sur leurs caractères, et la maniere de connoître les desseins des grands maîtres. 3 Bde. Paris: De Bure 1745–1752. Nouvelle edition, revue, corrigée & augmentée de la Vie de plusieurs peintres. 4 Bde. Paris: De Bure 1762. Antoine-Joseph Dezallier d’Argenville: Leben der berühmtesten Maler, nebst einigen Anmerkungen über ihren Character, der Anzeige ihrer vornehmsten Werke und einer Anleitung die Zeichnungen und Gemälde großer Meister zu kennen. Leipzig: Dyckische Buchhandlung 1768. Wien(n)erisches Diarium Nr. 99 (10. Dezember 1768), pag. 10.

Von »gelehrten Sachen« in den Gelehrten Nachrichten und Gelehrten Beyträgen

211

gen verlaufen ist, zeugt doch die Wiedergabe eines der wichtigsten kunsttheoretischen Werke aus der Mitte des 18. Jahrhunderts von einer neuen Qualität in der Auseinandersetzung mit bildender Kunst in Österreich. Zum Schluss Die Gelehrten Nachrichten bzw. Gelehrten Beyträge brechen am 25. Februar 1769 recht unvermittelt ab. Die Frage, warum sie nur eine so kurze Laufzeit erfahren haben, wird in der Forschung immer wieder mit dem Mangel an einer kritischen Leserschaft in Österreich beantwortet. In den Gelehrten Nachrichten selbst findet man keinen Hinweis darauf, sondern im Gegenteil – aus den wiederholten Reaktionen auf das Publikum kann man auf eine intensive Lektüre der Gelehrten Nachrichten schließen. Auch die vermehrte Tendenz im Verlauf der Nachrichten, sich mit tagesaktuellen Ereignissen auseinanderzusetzen und diesen gleichsam ein intellektuelles Spiegelbild entgegen zu halten, dürfte für die zeitgenössische Leserschaft – und nicht nur für diese – besonders interessant gewesen sein.41 Der oft genannte Grund, dass die zunehmende Konkurrenz Gelehrter Journale das Aus für die Gelehrten Nachrichten gebracht hätte, kann dafür ebenfalls nur eingeschränkt verantwortlich gemacht werden, da die Gelehrten Nachrichten bzw. Gelehrten Beyträge Teil des Wien(n)erischen Diarii waren, das in großer Kontinuität weiter publiziert wurde. Was bleibt: Wahrscheinlich müssen die Hintergründe – wie so oft in Wien – in der spezifischen personellen Konstellation der an den Gelehrten Nachrichten Beteiligten gesucht werden, die jedoch – bis auf die Ausnahmeerscheinung Joseph von Sonnenfels – noch im Dunkeln bleiben.

41

Z. Bsp.: Wien(n)erisches Diarium Nr. 18 (2. März 1768), pag. 9–12: »Vermuthlich dürfte es manchem Leser nicht unangenehm seyn, über das jüngste Erdbeben, womit die ganze Stadt, und alle herumliegende Gegenden, in große Gefahr und Schrecken versetzet worden, in diesen Blättern ein wahrhaft rührendes geistliches Schreiben, so aus reinen christlichen Ansichten hergeflossen, zu lesen […]«; oder Wien(n)erisches Diarium Nr. 51 (25. Juni 1768), pag. 10: »Da wir neulich bey Gelegenheit, als wir die vom Hrn. Doktor Locher in dem hiesigen Waisenhause kürzlich unternommene Einimpfung der Blattern ankündigten, versprochen, in einem gelehrten Beytrage umständlicher davon zu reden, so geben wir folgende Abhandlung von der Blatternimpfung«.

Auserlesenheit als Alleinstellungsmerkmal Die Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur (1772–1781) als Rezensionsorgan der Aufklärung* Arne Klawitter Das Lemgoer Verlagshaus und sein »gelehrte[s] Tagebuch« Aus der Vielzahl der gelehrten Journale und Rezensionszeitschriften, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zur damals lange Zeit unangefochten dominierenden Allgemeinen deutschen Bibliothek in Konkurrenz traten, sticht aufgrund ihrer Konzeption und der Qualität ihrer Beiträge vor allem eine Zeitschrift hervor: die in Lemgo von Christian Friedrich Helwing verlegte Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur. Die Zeitschrift, wegen ihres Druckorts auch als »Lemgoer Bibliothek« bezeichnet, wurde redaktionell zunächst von Karl Renatus Hausen und Jakob Mauvillon geleitet und erschien ab dem Frühjahr 1772 halbjährlich jeweils zur Oster- und zur Michaelismesse. Bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1781 waren es exakt zwanzig Bände, alle etwa 700 Seiten stark. Mit der Meyerschen Buchhandlung in Lemgo war, was heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einer der bedeutendsten deutschen Verlage verbunden, bekannt dafür, neben einschlägigen und gängigen Titeln auch außergewöhnliche und schwergängige Werke zu drucken, wie zum Beispiel Engelbert Kaempfers Geschichte und Beschreibung von Japan (1777). Christian Friedrich Helwing wurde durch seine Heirat mit der Verlegertochter Margaretha Elisabeth Meyer Inhaber der Buchhandlung. Als Johann Heinrich Meyer 1754 starb, leitete zu*

Der Text stellt ein Forschungsvorhaben vor, dessen erste Ergebnisse in meiner Antrittsvorlesung an der Waseda Universität, Tokyo, gehalten am 21. September 2013, präsentiert wurden; abgedruckt in: Waseda Blätter 21 (2014), S. 7–27. Weitere Recherchen wurden im Sommer 2014 und 2015 am IZEA in Halle und im Rahmen eines von der Japanese Society for the Promotion of Science ( JSPS) geförderten Forschungsprojekts durchgeführt.

214

Arne Klawitter

nächst seine Witwe Anna Henriette Meyer für drei Jahre das Unternehmen, während sich ihr Schwiegersohn in das Metier einarbeitete, um 1757 schließlich auch den Verlag ganz zu übernehmen, wozu er sein Amt als Rektor des Lemgoer Gymnasiums aufgab.1 Seitdem betreute Helwing nicht nur das Lektorat und leitete die Druckerei in Lemgo; seit 1765 war er auch Deputierter der Buchhandelsgesellschaft mit Sitz in Leipzig, was ihn nicht nur zur Messe in diese Stadt führte. Dass er über sehr gute Kontakte verfügte, verdeutlicht der Umstand, dass er während der Messezeit stets beim seinerzeit hoch renommierten Verleger Breitkopf logierte. Was das Verlagsprogramm unter Helwings Leitung betrifft, so waren theologische Werke am stärksten vertreten,2 gefolgt von Büchern aus den Gebieten der Klassischen Philologie, Geschichte und Geographie, Jurisprudenz, Pädagogik sowie den Schönen Wissenschaften und Künsten (mit jeweils etwa 50 Publikationen). Eine besondere Rolle spielte für den Verlag die Sparte der Hilfswissenschaften, wozu in erster Linie das von Georg Christoph Hamberger begonnene und von Johann Georg Meusel fortgesetzte Nachschlagewerk Das gelehrte Teutschland, oder Lexicon der jetztlebenden teutschen Schriftsteller gehörte (1. Auflage 1767–1770, die vielzitierte 5. Auflage erschien 1796–1834 in 24 Bänden). Ein weiterer Schwerpunkt lag auf den allgemeinen und gelehrten Journalen. Insgesamt verlegte die Meyersche Hofbuchhandlung zwischen 1755 und 1800 thematisch ganz unterschiedlich ausgerichtete Periodika, darunter die von Justus Friedrich Froriep herausgegebene Bibliothek der theologischen Wissenschaften (1771–1787) und die von Johann Christian Polykarp Erxleben betreute Physikalische Bibliothek (1774–1779), außerdem das von Lorenz von Crell herausgegebene Chemische Journal für die Freunde der Naturlehre, Arzneygelahrtheit, Haushaltungskunst und Manufakturen (1778–1781), die von Christian Wilhelm von Dohm zusammengetragenen Materialien zur Statistik und neuesten Staatsgeschichte (1777–1785) und schließlich das von Michael Hißmann herausgegebene Magazin für die Philosophie (1778–1779), um nur einige der wichtigsten Publikationen zu nennen. Bemerkenswert ist, dass es sich dabei vorrangig um Zeitschriften handelt, die einen maßgeblichen Anteil an der Etablierung der modernen Naturwissenschaften hatten, und dass ihre Herausgeber zum großen Teil auch Mitarbeiter der Auserlesenen Bibliothek waren. Helwing hegte seit 1771 den Plan, ein »gelehrte[s] Tagebuch«3 ins Leben zu rufen, weshalb er im September desselben Jahres eine entsprechende Ankündigung ver1 2 3

Zur Geschichte des Verlags s. Anna-Margarete Brenker: Die Meyersche Hofbuchhandlung in Lemgo in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Bielefeld: Westfalen-Verlag 1996, insbes. S. 35. Zwischen 1755 und 1800 wurden insgesamt 664 Titel verlegt, davon waren 146 theologischen Inhalts, was 22 Prozent der Gesamtproduktion entsprach, vgl. Brenker: Die Meyersche Hofbuchhandlung (wie Anm. 1), S. 54–61. Das einzige mir bekannte Exemplar der Ankündigung befindet sich im Archiv der Universitätsbibliothek Kassel (Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel) unter der Signatur 4° Ms. hist. litt. 2|Helwing 9. Die Bezeichnung »gelehrtes Tagebuch« ist allerdings etwas

Auserlesenheit als Alleinstellungsmerkmal

215

schickte und gleichzeitig um Mitarbeiter warb. Obwohl Hausen als redaktioneller Begründer der Zeitschrift betrachtet werden kann, war Mauvillon offenbar die treibende Kraft hinter dem Projekt: Er verfasste nicht nur mit Abstand die meisten Rezensionen, sondern war darüber hinaus wohl auch verantwortlich für eine Reihe anderer Texte wie zum Beispiel das Vorwort und Teile des ersten Anhangs. Dafür spricht besonders der Umstand, dass, nachdem er und Hausen die Redaktion der Zeitschrift verlassen hatten, die ausführlichen Vorworte wegfielen bzw. eine nur noch informative Form annahmen – eine Ausnahme bildet lediglich das Vorwort des letzten Bandes, in dem das ganze Unternehmen noch einmal rückblickend betrachtet und bewertet wird. Als Autor war Jakob Mauvillon dem Verleger Helwing bereits durch die gemeinsam mit Ludwig August Unzer (1748–1774) verfasste Streitschrift Ueber den Werth einiger Deutschen Dichter und über andere Gegenstände den Geschmack und die schöne Litteratur betreffend bekannt, deren erstes Stück 1771 erschienen war und dem im darauffolgenden Jahr ein zweites folgte.4 Die nach dem Vorbild von Lessings Litteraturbriefen als fiktiver Briefwechsel angelegte Schrift wirbelte gehörig Staub auf und wurde in mehreren wichtigen Zeitschriften besprochen, u. a. in den Frankfurter gelehrten Anzeigen von 1772 von Goethe. »Es ist eine undankbare Arbeit«, heißt es dort, »wenn man Ketzer retten soll, wie es diese Verf. in Ansehung der allgemeinen Orthodoxie des Geschmacks sind, gegen die sie sich auflehnen.«5 Aufsehen erregt hatten die sogenannten »Dichterbriefe« – wie sie von ihren Verfassern selbst bezeichnet wurden – vor allem wegen ihrer scharfen Kritik am damaligen Publikumsliebling Gellert, der als Romanautor, als geistlicher Liederdichter sowie hinsichtlich seiner Fabeln, Lehrgedichte und moralischen Erzählungen schonungslos abgeurteilt wird. Die Verfasser etikettierten ihn als einen »mittelmäßigen Schriftsteller« und einen »Dichter ohne einen Funken von Genie«,6 dessen Werk im Ganzen für sie fast ausnahmslos »matt, schaal, wässerig«7 ist. Zwar heißt es in der Forschung, dass Mauvillon den fiktiven Briefwechsel angeregt habe und der »Hauptverfasser« gewesen sei,8 doch die uns überlieferte Korrespondenz zwischen den beiden Freunden belegt, dass Unzer für die Redaktion ver-

4

5 6 7 8

irreführend. Ein solches Tagebuch als Chronik der gelehrten Welt im eigentlichen Sinne erscheint erstmals für die Stadt Leipzig 1780 beim dortigen Verleger Breitkopf, nämlich das Leipziger gelehrte Tagebuch auf das Jahr 1780. Bd. 1, Leipzig: Breitkopf 1780. [ Jakob Mauvillon, Ludwig August Unzer:] Ueber den Werth einiger Deutschen Dichter und über andere Gegenstände den Geschmack und die schöne Litteratur betreffend. Ein Briefwechsel. Frankfurt und Leipzig [d. i. Lemgo: Meyer]. 2 Stücke, 1771/72. Im 13. Brief bezeichnen sich die Verfasser selbst als »Bilderstürmer« und ahnen bereits voraus, dass sie von der Kritik wohl als »Ketzer« in Sachen des Geschmacks apostrophiert werden würden; ebd., I, S. 290. Frankfurter gelehrte Anzeigen. 19 Bde. Frankfurt am Main: Eichenberg 1772–1790, hier: Nr. XV vom 21. Februar 1772, S. 117. Mauvillon, Unzer (1771), I, S. 82 (wie Anm. 4). Mauvillon, Unzer (1771), I, S. 43 (wie Anm. 4). Vgl. Brenker (1996), S. 79 (wie Anm. 1).

216

Arne Klawitter

antwortlich zeichnete und diesbezüglich mit dem Verleger Helwing in Verbindung stand.9 Mauvillon hatte seinerseits anfangs ebenfalls einen offenbar engen Kontakt zu Helwing und setzte sich, wie dem Briefwechsel zu entnehmen ist, dafür ein, seinen Ko-Autor Unzer als Mitarbeiter für die Auserlesene Bibliothek zu gewinnen, an der er dann auch nachweislich seit dem zweiten Band beteiligt war.10 Umfang und Konzeption der Auserlesenen Bibliothek Der Veröffentlichung des ersten Bandes der Auserlesenen Bibliothek ging, wie schon kurz erwähnt, eine »Nachricht an das deutsche Publikum« voraus, die Helwing gesondert drucken ließ und in Umlauf brachte, um sein Journal anzukündigen. Dass den Herausgebern der Zeitschrift sehr viel an der konzeptionellen Profilierung lag, verdeutlicht der Umstand, dass ein großer Teil dieser Nachricht im »Vorbericht« des ersten Bandes nochmals abgedruckt wurde. Sie beginnt mit einer allgemeinen Zustandsbeschreibung der deutschen Literaturkritik: Journale und andere periodische Schriften, in welchen die neuesten Werke, bald von dieser, bald von jener Wissenschaft, bisweilen von allen sind beurtheilet worden, haben bisher das Modestudium unserer Landsleute ausgemacht. Schriftsteller, die etwa auf diesem oder jenem Wege einiges Ansehen erlanget hatten, warfen sich, um immer in dem Besitz dieses Ansehens zu bleiben, und eine Menge kleiner und großer Freunde zu erhalten, zu Kunstrichtern auf; und alle hatten ihre Leser. Denn die Mode verlangte seit einigen Jahren, daß man nicht eher ein etwas bedeutender Man genennet werden konte, als bis man eine gelehrte Mine aus den Journalen annahm: die Mode brachte es mit sich, daß der Freund eines Kunstrichters mit einer tiefen Verbeugung aufgenommen wurde.11

Der Grund für diese Entwicklung wird vor allem in der Vorbildwirkung und dem enormen Einfluss der Allgemeinen deutschen Bibliothek gesehen, was aber keineswegs nur positiv bewertet wird: Der algemeinen Berliner Bibliothek folgten daher nicht allein Bibliotheken fast von allen Wissenschaften nach; sondern das Wort: algemein, wurde auch der beliebte, der herschende Titel. Man schrieb alles algemein: algemeine Biographie u. s. w. Nach

9 10 11

Mauvillons Briefwechsel oder Briefe von verschiedenen Gelehrten an den in Herzogl. Braunschweigschen Diensten verstorbenen Obristlieutenant Mauvillon, gesammelt und herausgegeben von seinem Sohn F. Mauvillon. Deutschland [d. i. Braunschweig: Reichhardt] 1801, S. 22–23. Mauvillons Briefwechsel (1801), S. 56–57 (wie Anm. 9). Unzer unterzeichnete seine Beiträge zunächst mit ** und ab dem 5. Band mit der Zahl 24. Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur. 20 Bde. Lemgo: Meyer 1772–1781, hier: Bd. 1 (1772), S. V.

Auserlesenheit als Alleinstellungsmerkmal

217

dieser Menge der Kunstrichter und ihrer Schriften zu urtheilen, solte man glauben, daß es nicht schwer seyn würde, die ganze deutsche Litteratur, so wie dieselbe sich seit einigen Jahren verändert und ausgebreitet hat, zu übersetzen und zu beurtheilen.12

In der Gesamtdarstellung des literarischen Betriebs erkennt der Verfasser dieser Nachricht durchaus einen großen Nutzen für denjenigen Leser, der sich ein Gesamtbild von einer Sparte der Wissenschaften machen will, doch setze diese Art der Rezeption ein blindes Vertrauen in Autoritäten voraus, was der Idee der Aufklärung grundsätzlich widerspreche: Denn, ohne ein Buch weder gesehen, gelesen und geprüft zu haben, sich dem Kunstrichter ganz anzuvertrauen, und nach seinem Urtheil das eine Buch zu erheben, und das andere zu tadeln, den Nutzen oder Schaden desselben zu bestimmen; dieses würde nicht allein eine große Schwäche des Geistes verrathen, sondern in der That eben so viel heißen, als, um einem andern zu gefallen, seine eigne Vernunft und Beurtheilungskraft auf das Spiel zu setzen.13

Viele der Neuerscheinungen, so heißt es weiter, würden sich bei näherem Hinsehen als völlig obsolet erweisen, während andere, die überaus nützlich und lehrreich seien, weit weniger Beachtung fänden, als sie in Wahrheit verdienten. Aus diesem Grunde müsse eine begründete Auswahl getroffen werden. Außerdem sei die Allgemeine deutsche Bibliothek gar nicht so allgemein, wie sie behaupte: »Die Unvolkommenheiten der Berliner Bibliothek« in bestimmten Teilen der Literatur, »vorzüglich in der Juristischen«,14 seien wohl bekannt. Man müsse also gewissermaßen gleichzeitig sowohl allgemein als auch auserlesen sein, und, was die kritische Haltung betrifft, ebenso freimütig wie unparteiisch. Nach diesen einführenden Worten wird dann die neue periodische Schrift unter inhaltlichen Gesichtspunkten näher vorgestellt, wobei besonders hervorgehoben wird, dass und inwieweit sich die Auserlesene Bibliothek von anderen vergleichbaren Publikationen konzeptionell unterscheidet. Eingeteilt ist die neue Zeitschrift in drei Kategorien. Während sich die beiden ersten an bereits bestehenden Vorbildern orientieren, ist die dritte ein völliges Novum im Bereich der gelehrten Zeitschriften:15

12 13 14 15

Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772), S. V–VI (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772), S. VI (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772), S. VIII. (wie Anm. 11). Bereits in den Vergnügte[n] Abendstunden, in stillen Betrachtungen über die Vorfälle in dem Reiche der Natur, Künste und Wissenschaften zugebracht (3 Bde., Erfurt 1748–1750) gab es eine Rubrik »Gelehrte Nachrichten« bzw. »Neuigkeiten« mit zum Teil umfangreichen Meldungen aus der gelehrten Welt, die Helwing wahrscheinlich als Vorlage dienten, zumal er selbst dort mehrfach erwähnt wird (vgl. 3. Bd., 1750, S. 13, 40 und 232). In der Allgemeinen deutschen Bibliothek sind ab dem 2. Stück des 1. Bandes (1765) auch Todesanzeigen und Verlagsankündigungen zu finden, aber erst

218

Arne Klawitter

1)

Beur theilungen der neuesten Schriften von jedem halben Jahre, aus allen diesen Wissenschaften, die wir vorher nach dem Begriffe der Litteratur angezeiget.16 Da aber nur die deutsche Litteratur der Gegenstand dieser Schrift ist, so fallen von selbst die Uebersetzungen und ausländische Schriften weg, wenn sie nicht in Rücksicht auf die deutsche Sprache einen Platz in derselben erhalten. 2) Jahrbücher der Gelehrten in Deutschland, von halben Jahren zu halben Jahren. Darunter verstehen wir alle diejenigen w ichtigen Veränder ungen, die sich mit den Gelehrten in den Provinzen Deutschlands […] zugetragen haben. 3) Die Geschichte einer jeden Wissenschaft; d. i. in wie ferne diese oder jene Wissenschaft durch die Bemühungen der deutschen Gelehrten in jedem halben Jahre eine andere Gestalt erhalten hat, oder aber, der vielen herausgekommenen Bücher ohnerachtet, unverändert geblieben ist.17

Der erste Band der Auserlesenen Bibliothek umfasst 127 Rezensionen zu unterschiedlichen Themenbereichen, die nach zwölf Sachgebieten geordnet sind: 1. Philologie, Critik und Althertümer, 2. Schöne Wissenschaften und Künste, 3. Weltweisheit, 4. Mathematik, 5. Rechtsgelehrsamkeit, 6. Arzneigelehrsamkeit, 7. Naturlehre, Chymie, Naturgeschichte und Mineralogie, 8. Oeconomie, 9. Geschichte, Geographie, Reisen, Numismatic, Diplomatic, Chronologie und Genealogie, 10. Gelehrte Geschichte, 11. Romanen, 12. Neueste Jahrbücher der Gelehrten, nebst der neuesten Geschichte der Wissenschaften.18 Auffällig ist, dass die Theologie bzw. Gottesgelehrsamkeit hier zunächst nicht als eigenständiges Fachgebiet auftritt und erst im zweiten Band an vierter Stelle ihren Platz findet, während schon im zweiten Band Philologie und Schöne Wissenschaften zu einem Sachgebiet zusammengezogen werden. Im »Vorbericht« zum ersten Band heißt es als Begründung dazu: »Wir haben die Gottesgelehrsamkeit nur dieserwegen aus diesem Plan ausgelassen; weil von diesem Theile der Gelehrsamkeit mehr als eine periodische Schrift herauskömt, zum Beispiel die vielen Artikel der Berliner Bibliothek, die Ernestische und Froriepische theologische Bibliothek.«19 Erst im vierten Band rückt die Theologie an die erste Stelle, die sie dann bis zum letzten Band behaupten sollte, was bedeutet, dass ihr seitdem eine gewisse Vorrangstellung zugebilligt wurde, wie es auch in der Allgemeinen deutschen Bibliothek der Fall war.

16

17 18 19

mit dem 2. Stück des 18. Bandes (1773) führt Nicolai die Rubrik »Verschiedene vermischte Nachrichten« mit Neuigkeiten aus der gelehrten Welt ein (ebd., S. 648–651). Dazu gehören die Rechtsgelehrsamkeit, die Arzneigelehrsamkeit, die mathematischen, philosophischen und historischen Wissenschaften, die Ökonomie, die Philologie und die Kritik, die Schönen Wissenschaften und Künste sowie die Theologie; vgl. Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772), S. X (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772), S. XI–XII (wie Anm. 11). Vgl. Register nach den verschiedenen Wissenschaften. In: Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772), unpaginiert (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772), S. X–XI (wie Anm. 11).

Auserlesenheit als Alleinstellungsmerkmal

219

Den Besprechungen der neuesten Literatur folgen regelmäßig zwei »Anhänge«: der erste umfasst die bereits erwähnten »Jahrbücher der Gelehrten in Deutschland«, im zweiten berichten die Mitarbeiter jeweils über den Zustand derjenigen Wissenschaften, für die sie sich besonders kompetent fühlten. Im ersten Band erscheint an dieser Stelle zunächst nur eine relativ kurze Nachricht über die »Geschichte der Wissenschaften«, der folgende Fußnote beigefügt ist: Von dem glüklichen Fortgange in den critischen Bemühungen einiger Gelehrten, insonderheit des Kennikots zur weitern Ausbreitung der orientalischen Litteratur etc. hat uns einer unserer Herren Mitarbeiter obige Nachricht mitgetheilet; und wir machen die wiederholte Hofnung, daß die übrigen Herren Mitarbeiter, ein jeder in dem Fache seines Lieblingsstudiums, unsere Leser von dem Zustande aller übrigen Wissenschaften in den folgenden Theilen dieser periodischen Schrift auf eine ähnliche Art gründlich zu unterrichten fortfahren werden; ob es sich gleich von selbst verstehet, daß man diejenigen Theile der Gelehrsamkeit, in welchen keine vorzüglich merkwürdige Phänomene zum Vorschein gekommen sind, mit Stilschweigen übergehen müsse.20

In einem Brief an Mauvillon meldet Unzer Kritik an der Qualität dieses ersten wissenschaftlichen Anhangs an und schlägt als neuer Mitarbeiter zugleich eine substantielle Erweiterung vor: Besonders müßte jeder Band in Absicht des 2ten Anhangs reichlicher versorgt sein, und der aktuelle Zustand jeder Wissenschaft aufs gewissenhafteste dargestellt werden. In Absicht des Geschmacks habe ich einen Versuch gemacht, von welchem ich mir wol Ihr Urtheil ausbitten wollte.21

Mit seinen Vorschlägen stieß Unzer offenbar nicht auf taube Ohren, denn tatsächlich findet sich schon im zweiten Band der Lemgoer Bibliothek ein von ihm verfasster Beitrag von fast 20 Seiten Länge mit dem Titel »Vom Zustande des Geschmacks beim deutschen Publikum«, der in den nächsten beiden Bänden fortgesetzt wird. In den nachfolgenden Bänden finden sich dann Abhandlungen über den Zustand der Rechte in Deutschland und über die deutsche Philosophie (Band 5 und 6), über den gegenwärtigen Zustand der morgenländischen Literatur (Band 7 und 8), über die historische Literatur in Deutschland (Band 7, 10) sowie über den Zustand der Mineralogie (Band 9). In ihrer Besprechung des ersten Bandes der Auserlesenen Bibliothek vermerkten die Erlangischen gelehrten Anmerkungen und Nachrichten es bereits als äußerst positiv, dass jener zweite Anhang, in dem vom »Wachstum dieser, oder jener Wissen-

20 21

Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772), S. 674 (wie Anm. 11). Mauvillons Briefwechsel (1801), S. 56–57 (wie Anm. 9).

220

Arne Klawitter

schaft« die Rede ist, »sonderlich etwas herrliches [sei], wodurch sich diese schöne Anstalt von allen andern ihres gleichen unterscheid[e]«.22 Das titelgebende Adjektiv ›auserlesen‹ bildet, wie aus dem »Vorbericht« zum ersten Band deutlich wird, einen ganz bewussten, programmatisch verstandenen Kontrapunkt zum alles umfassenden ›Allgemeinen‹ der Nicolaischen Bibliothek: Qualität wird damit gegen Quantität gestellt und das Auserlesene zum Unterscheidungs- und zugleich Alleinstellungsmerkmal gemacht. Die Art und Weise der Auslese erklärt der Verfasser der »Nachricht an das deutsche Publikum« dann folgendermaßen: Gute und kostbare Werke müssen weitläuftig und unter Mittheilung neuer Aussichten angezeiget und beurtheilet werden. Gute kleinere Schriften, die sich außerdem beinahe jeder kauft, sollen eine kürzere Anzeige erhalten: aber man wird den Leser auf die neuen Beobachtungen der Scribenten aufmerksam machen: mittelmäßige weitläuftige oder kleinere Schriften verdienen nur eine kurze Anzeige; allein zugleich wird man dem Leser zeigen, aus welchen Quellen die Weisheit des Scribenten genommen sey, und wem der Schmuck zugehöre, mit welchem er sich brüstet. Elende weitläuftige Werke und eben also kleinere Schriften, von welchen bekant ist, daß sie elend und seichte abgefasset sind, sollen nur dem Titel nach, ohne alles Urtheil, bekant gemacht werden. […] Weitläuftige elende Werke, die viele Käufer haben, und wo ein großer Theil des Publicums durch die Posaune der Zeitungen betrogen und verblendet wird, sollen mit sorgfältiger Bemerkung aller Fehler angezeiget werden.23

Da der ursprüngliche Plan dennoch Missverständnisse über die Idee des Auserlesenen hervorrief, sahen sich die Herausgeber veranlasst, in der Vorrede des zweiten Bandes auf die Kritiken einzugehen und weiterführende Erläuterungen hinzuzufügen. Der Rezensent der Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen hatte den Begriff ›auserlesen‹ damit assoziiert, dass dieses Journal nur gute Bücher auswähle, um sie zu besprechen,24 wozu die Herausgeber erklären:

22 23 24

Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten. Erlangen: Tetzschner 1770–1782, St. 31, 1771, S. 309–310. Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772), S. XIII–XV (wie Anm. 11). Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, St. 89, 25. Juli 1772, S. 755–758. Dort heißt es gleich zu Anfang: »Von einer algemeinen deutschen Bibliothek sucht man uns nunmehr auf eine auserlesene einzuschränken […]. Indessen führt die Bestimmung des Auserlesenen auch einige Schwierigkeiten mit sich […]. Ob ihnen hingegen die Lage, in welche sie der Herold ihres Unternehmens durch die Ankündigung, die vor einiger Zeit erschien, gesetzt hat, nicht schon jetzt empfindlich geworden ist, dürfte eine andere Frage seyn. Wenigstens sieht man nicht wol ab, wenn einer von den Herrn Mitbrüdern aus der Journalisten- und Bibliothecarienzunft, die jener alle vor sich hertrieb und wie Staub unter die Füße trat, zwischen jenem Plane und der jetzigen Ausführung den Vergleich mit einiger Strenge anstellen solte, wie sich die Verfasser aus der Verlegenheit retten dürften.«

Auserlesenheit als Alleinstellungsmerkmal

221

Auserlesene Bibliothek darf nichts bedeuten, und hat nichts bedeuten sollen, als daß man solche Bücher wählen wolte, die das Publikum interessiren könten. Ein Buch kan aber aus sehr verschiedenen Gründen interessant seyn: zum Beispiel der Materie wegen; durch die Art sie zu behandeln; wegen des Namens des Verfassers u. a. d. Dingen. Ja, in einigen Fällen kan man durch Umstände gezwungen seyn, ein schlechtes Buch weitläuftig zu recensiren; also daß dieses, den Titel solcher Bücher allein drucken zu lassen, auch cum grano salis angebracht werden mus.25

Mehrfach wird in den Vorreden der ersten beiden Bände auf den unumstößlichen Grundsatz der Mitarbeiter hingewiesen, ihre Beiträge durch »gröste Unpartheilichkeit, wie auch eine wahre Freimüthigkeit und Unabhängigkeit im Urtheilen«26 auszuzeichnen. Bereits im ersten Band heißt es dazu: »Es ist eines der heiligsten Gesetze aller Recensenten, erkaufte oder übertriebene Lobsprüche eben so wenig abdrucken zu lassen, als Grobheiten, Afterwitz, so genante Laune, die immer nicht weit her ist, und Personalitäten.«27 Dieses Credo der Auserlesenen Bibliothek fand durchaus Zustimmung. So urteilten die Jenaischen Zeitungen von gelehrten Sachen über den vierten Band: »Bey sehr vielen [Beiträgen] hat uns die Freymüthigkeit im Urtheilen gefallen, auch da, wo der Recensent ein ganz anderes Urtheil gefällt haben würde.«28 Ganz ähnlich hatten sich zuvor schon die Erlangischen Gelehrten Anmerkungen über den ersten Band der Lemgoer Bibliothek geäußert.29 Dass trotz der positiven Resonanz auf das vorgelegte Konzept und trotz der insgesamt überdurchschnittlichen Qualität der Rezensionen in allen betroffenen Fachgebieten die Auserlesene Bibliothek in der Forschung bislang so gut wie keine Beachtung gefunden hat, erstaunt. Jürgen Wilke erwähnt sie in seinem Standardwerk Literarische Zeitschriften des 18 Jahrhunderts von 1978 beiläufig an nur einer Stelle,30 und Dominic Berlemanns sozialgeschichtliche Untersuchung zur »Reputation im Literaturbetrieb«31 beschränkt sich, wie viele andere Studien auch, auf die Allgemeine deutsche Bibliothek, den Teutschen Merkur, das Schlegelsche Athenäum und auf die von ihm sozusagen als Vorläufer proklamierten Monats-Gespräche von Christian Thomasius. Lediglich Thomas Habel erwähnt die Lemgoer Bibliothek in seinem umfassenden Übersichtswerk über die Gelehrten Journale und Zeitungen der Aufklärung als eine von insgesamt 85 deutschsprachigen Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts, ohne

25 26 27 28 29 30 31

Auserlesene Bibliothek, Bd. 2 (1772), S. V–VI (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 2 (1772), S. XVII (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772) S. XVI (wie Anm. 11). Jenaische Zeitungen von gelehrten Sachen. Jena: Cröcker u. a. 1765–1781, St. 23, 1774, S. 228. Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, St. 31, 1771, S. 309 (wie Anm. 22). Jürgen Wilke: Literarische Zeitschriften des 18. Jahrhunderts. Bd. 2. Stuttgart: Metzler 1978, S. 91. Vgl. Dominic Berlemann: Wertvolle Werke. Reputation im Literaturbetrieb. Bielefeld: Transkript 2011.

222

Arne Klawitter

dabei jedoch näher auf ihre Mitarbeiter oder auf Inhaltliches einzugehen32 – ein Grund mehr, sich dieser Sache anzunehmen. Die anonymen Mitarbeiter An Rezensenten scheint es den Initiatoren der Lemgoer Bibliothek von Anfang an nicht gefehlt zu haben, zumal der Verleger Helwing einerseits rege bemüht war, Fachexperten anzuwerben, und andererseits eine Reihe von Hausautoren mit dem recht respektablen Honorar von drei Talern pro Druckbogen zur Mitarbeit überzeugen konnte,33 denn bereits im »Vorbericht« des ersten Bandes wird erklärt, dass das Journal keiner Zusendung weiterer Beiträge mehr bedürfe: »Da der Verleger viele der gelehrtesten und angesehensten Männer in Deutschland zu Mitarbeitern dieser Schrift erhalten hat, von welchen jeder sein eignes Fach gehörig besorget, so verbittet er alle Einsendungen von Recensionen und Anzeigen.« Weiter heißt es, dass diese »berühmten Männer« es »zwar gegenwärtig nicht für gut [befänden,] sich zu nennen«, was aber »alle Augenblicke geschehen [könne], wenn der Nutzen des Publikums hierbey gewin[ne]«. Andererseits würden sich die gelehrten Mitarbeiter untereinander ebenfalls nicht kennen, »denn auch diese Kentnis würde weiter keinen Nutzen haben«.34 Bis zum Schluss, das heißt bis zum letzten Band der Zeitschrift war der Verleger bestrebt, die Namen seiner Mitarbeiter geheim zu halten. Lediglich in den Todesanzeigen wird mitunter auf die Mitwirkung der Verstorbenen an der Lemgoer Bibliothek verwiesen, so beispielsweise bei den Theologen Johann Gottlieb Töllner und Christian Günther Rautenberg,35 ebenso bei dem Rechtsgelehrten Johann Heinrich Eberhard36 sowie bei den beiden Naturhistorikern Johann Christian Polykarp Erxleben37 und Johann Ernst Immanuel Walch.38 Im »Vorbericht« des zwanzigsten und letzten Bandes werden nochmals die Leistungen vor allem der verstorbenen Theologen Töllner und

32 33 34 35

36 37 38

Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts. Bremen: edition lumière 2007, S. 436. Vgl. Ute Schneider: Für Kenner und Liebhaber. Zur Idee und Konzeption der Zeitschrift »Der Naturforscher« (1774–1804). In: Tanja Horn, Alexander Košenina (Hg.): Naturkunde im Wochentakt. Bern u. a.: Peter Lang 2014, S. 137–156, hier S. 145, Anm. 30. Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772) S. XV–XVI (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 5 (1774) S. 623 und Bd. 9 (1776) S. 675 (wie Anm. 11). Töllner unterzeichnete seine Beiträge mit der Zahl 29, Rautenberg mit der 23. Vgl. dazu meinen Aufsatz »Das ›abgeschmackte‹ deutsche Publikum und seine ›Gellertomanie‹. Ludwig August Unzers und Jakob Mauvillons ›Dichterbriefe‹ und deren Verteidigung durch Christian Rautenberg. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft. Bd. 60 (2016), S. 3–38. Auserlesene Bibliothek, Bd. 2 (1772) S. 655 (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 12 (1777), S. 685 (wie Anm. 11). Erxleben unterzeichnete mit der Zahl 43. Auserlesene Bibliothek, Bd. 15 (1779), S. 702 (wie Anm. 11). Walch hatte die Zahl 15.

Auserlesenheit als Alleinstellungsmerkmal

223

Rautenberg gewürdigt, doch bleiben die »übrigen Gelehrten, denen dies Journal einen guten Theil seiner Aufnahme zu verdanken hat«, ungenannt. Der Verfasser fügt lediglich hinzu: Es thut dem Herausgeber leid, daß er die Namen der Leztern nicht auch nennen darf. Er könte große Namen nennen, denen man gewis den Vorwurf – »die Verfasser, nicht die Bücher beurtheilt zu haben« – nicht wird machen können, wenn sie gleich bisweilen den Nimbus von Weisheit zertheilen musten, in welchen sich Dumheit und Ignoranz nur gar zu oft einzuhüllen pflegen.39

Die Beiträger wurden einerseits aus dem Mitarbeiterkreis der Klotzschen Bibliothek der schönen Wissenschaften rekrutiert, zum größeren Teil jedoch neu angeworben, wobei nicht wenige von ihnen eine Professur an der Göttinger Universität innehatten (zu nennen wären hier Ernst Gottfried Baldinger, Johann Beckmann, Johann Christian Polycarp Erxleben und August Ludwig von Schlözer). In zeitgenössischen Referenzwerken wie dem bereits erwähnten Gelehrten Teutschland von Hamberger und Meusel finden sich Nachweise für die Mitarbeit des Historikers Johann Paul Reinhard aus Erlangen und seines Fachkollegen Christoph von Schmidt-Phiseldeck,40 der gleichzeitig für die Allgemeine deutsche Bibliothek41 und später für die Allgemeine Literaturzeitung tätig war. Bei Meusel werden als Rezensenten genannt: der Ökonom Johann Beckmann, der Philosoph Michael Hißmann, die Theologen Christoph Georg Ludwig Meister und Lorenz Philipp Gottfried Happach, der Philologe Karl Friedrich Sinapius, der Altphilologe Martin Friedrich Sörgel sowie die Mediziner Georg Heinrich Weber und Friedrich August Weiz. Heinrich Wolfgang Behrisch wiederum bestätigt in seinem Allgemeinen Autor- und Litteraturlexikon, dass bis einschließlich 1778 der Arzt Ernst Gottfried Baldinger, der Theologe Johann Matthäus Hassenkamp, der bereits erwähnte Jakob Mauvillon, ferner der Philologe und Polyhistor Abraham Jacob Penzel und der Jurist Christian Rau an der Lemgoer Bibliothek mitgearbeitet hätten.42

39 40 41

42

Auserlesene Bibliothek, Bd. 20 (1781), S. VII (wie Anm. 11). Vgl. zum Beispiel Johann Georg Meusel: Nachtrag zu der dritten Ausgabe des Gelehrten Teutschlands Lemgo: Meyer 1778, S. 397 und 441–442. Reinhard unterzeichnete mit der Zahl 3, SchmidtPhiseldeck mit der 27. Vgl. Gustav Friedrich Constantin Parthey: Die Mitarbeiter an Friedrich Nicolai’s Allgemeiner deutscher Bibliothek nach ihren Namen und Zeichen in zwei Registern geordnet. Ein Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte. Berlin: Nicolaische Buchhandlung 1842 (Nachdruck Hildesheim 1973), S. 41 und 44. Heinrich Wolfgang Behrisch: Allgemeines Autor- und Litteraturlexikon in alphabetischer und chronischer Ordnung bis 1778. Hannover: Gebrüder Helwing 1778, S. 100. Dass Behrisch über die Mitarbeiter so gut informiert war, lag zweifellos daran, dass sein Allgemeines Autor- und Litteraturlexikon bei demselben Verleger, allerdings in der Helwingschen Hofbuchhandlung Hannover und nicht in der Meyerschen Buchhandlung in Lemgo, erschienen war. Die Namen weiterer Rezensen-

224

Arne Klawitter

Die Personalia im »Ersten Anhang« Über die Beurteilung ausgewählter Literatur hinaus kommt der Auserlesenen Bibliothek noch eine ganz andere essentielle Funktion zu, nämlich im »Ersten Anhang« ihre Leser von Messe zu Messe über Todesfälle, Beförderungen, Veränderungen und Projekte in der gelehrten Welt zu unterrichten, womit sie in ihrer Zeit zu einem wichtigen Funktionsgedächtnis und Medium gelehrter Kommunikation wurde.43 »Die Jahrbücher abzufassen, oder wie sie jener witzige Recensent nannte, die Todesfälle, erfordert freilich so wenig Genie, als manches Buch, das in Göttingen zusammengetragen wird, sondern nur Fleis und Mühe«, verteidigen sich die Herausgeber gegen die in anderen Zeitschriften erhobenen Vorwürfe und Einwände in der Vorrede zum dritten Band, »inzwischen ist einer solchen Bemühung der Nutzen nicht abzusprechen«. Aus diesem Grund erneuerten die Herausgeber ihre Bitte an alle Gelehrten, »alle ihnen bekant gewordne Veränderungen dem Herrn Verleger auf seine Kosten zu übersenden«.44 Dieser erste Anhang mit seiner Fülle von Informationen bildet einen konstitutiven Bestandteil der Auserlesenen Bibliothek und ist, wie sich dann auch gezeigt hat, eine wesentliche Hilfe für die Zuweisung der bislang anonymen Rezensionen an konkrete Mitarbeiter geworden. Aber nicht nur in Bezug auf die Beteiligung an der Lemgoer Bibliothek liefern die Personalnachrichten wichtige Daten und Fakten. Ein Beispiel dafür ist der Nachruf auf Gottlieb David Hartmann im neunten Band (1776), in dem auf dessen Mitarbeit an der Erfurter gelehrten Zeitung, an der Mitauer Allgemeinen theologischen Bibliothek und an Wielands Teutschem Merkur hingewiesen wird.45 Besonders wichtig sind in diesem Kontext die Auskünfte über die Mitarbeiter der Zeitschrift und deren akademisches Umfeld. So heißt es zum Beispiel über Mauvillon, dass der Autor der Paradoxes moreaux, die »mit vielem Beifal sind aufgenommen worden, zum ordentlichen Lehrer der Kriegsbaukunst«46 ernannt worden sei, und über Hausen erfährt man, dass er 1773 das »Directorat« einer neuen Gelehrten Zeitung übernehmen werde, deren Plan er bereits »in einer besondern Nachricht« angekündigt habe.47 Ähnlich verhält es sich mit den Kurznachrichten zu Martin Friedrich Sör-

43

44 45 46 47

ten entschlüsselt dann meine kurz vor dem Abschluss stehende Monographie über die Lemgoer Auserlesene Bibliothek und ihre Mitarbeiter. Vgl. dazu Stefan Dietzel, Maja Eilhammer: Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung. Ein Langzeitprojekt der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (2011–2025). In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 17 (2015). Stuttgart: Steiner 2016, S. 167–193, hier S. 177–180. Auserlesene Bibliothek, Bd. 3 (1773), Vorrede, unpaginiert (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 9 (1778), S. 688 (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 1 (1772), S. 651 (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 2 (1772), S. 646 (wie Anm. 11). Gemeint sind die Neuen Frankfurter Gelehrten Anzeigen vom Jahr 1773. Frankfurt an der Oder: Strauß 1773.

Auserlesenheit als Alleinstellungsmerkmal

225

gel im ersten Band oder jenen zu David Christoph Seybold, über den es im neunten Band mit der Ortsangabe »Speyer« heißt: »Herr Professor Seybold ist von da nach Grünstadt in der Grafschaft Leiningen als Rektor und Professor des Gymnasiums, mit einer Vermehrung des bisher schon ansehnlichen Gehalts, berufen worden, und wird zu Ostern dahin abgehen.«48 Dass in den Personalnachrichten der Auserlesenen Bibliothek auch viele Mitteilungen aus der so genannten Provinz zu finden sind, hat in erster Linie mit den Wirkungsstätten der Mitarbeiter zu tun, die dadurch über die dortigen Veränderungen und Projekte Informationen aus erster Hand liefern konnten, wie zum Beispiel Hausen über Frankfurt an der Oder oder Mauvillon über Kassel. Den Verlust eines ihrer ersten Mitarbeiter hatte die Lemgoer Bibliothek bereits im zweiten Band zu vermelden. Im August 1772 verstarb in Zerbst Johann Heinrich Eberhard, Anhalt-Cöthenscher Hofrat und Professor für Jurisprudenz: Unsere Bibliothek betrauret insonderheit den frühen und allerersten Verlust eines Mitarbeiters, von welchem die meisten in das Lehnrecht einschlagende Recensionen, wovon auch einige noch im dritten Bande erscheinen werden, herrühren. Er war Willens, ein ausführliches Lehnrecht herauszugeben, und, nachdem er mit dem mühsamsten Fleis dazu, mehrere Jahre hindurch, gesamlet hatte, damit bevorstehenden Winter den Anfang zu machen; aber leider ist er während dieser unvollendeten Arbeit aus dieser Welt in die Ewigkeit zu früh übergegangen.49

Abschließend heißt es, dass man die Absicht habe, »in dem dritten Bande dieser Bibliothek von seinen Lebensumständen, so viel [man] davon entdecken könn[e], ein mehreres anzuführen, wozu [man] in einem Werke, daran der Verstorbene bisher Antheil gehabt, den bequemsten Ort zu finden glaub[e]«.50 Es blieb dann aber doch nur bei einer kurzen Erwähnung.51 Die Nachrufe in der Auserlesenen Bibliothek dienten ferner dazu, die Lebensleistung des Verstorbenen entsprechend zu würdigen und gegebenenfalls seine akademischen Verdienste anzuführen. Nicht selten wurde eine vollständige Liste der Veröffentlichungen zu Lebzeiten beigefügt. Besonders hervorzuheben ist dabei die Reaktion auf den Tod Ludwig August Unzers, weshalb der Nachruf auf ihn im Folgenden vollständig zitiert wird. Das hier vermerkte Geburts- und Todesdatum sollte fortan vielen späteren Gelehrten- und Dichterlexika als Referenz dienen, denn über die Lebensdaten einzelner Dichter oder Gelehrter außerhalb der kulturellen Zentren gab es zu dieser Zeit kaum zuverlässige Informationen.52 Die Nachricht im fünften Band (1774) lautet: 48 49 50 51 52

Auserlesene Bibliothek, Bd. 9 (1776), S. 689 (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 2 (1772), S. 655 (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 2 (1772), S. 655 (wie Anm. 11). Auserlesene Bibliothek, Bd. 3 (1773), S. 113 (wie Anm. 11). So finden sich falsche Angaben zu Unzers Todesjahr bei Karl Heinrich Jördens (Hg.): Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten. 5. Bd.: T–Z, Leipzig: Weidmann 1810, S. 128 und bei Christian Friedrich Kesslin: Nachrichten von Schriftstellern und Künstlern der Grafschaft Wernigerode

226

Arne Klawitter

Am 13 Januar starb Hr. Ludwig August Unzer. Im Jahr 1748 am 22 November ward er gebohren. Sein früher Tod zeigt uns nur die Früchte seiner Jugend, um uns seinen Verlust desto tiefer empfinden zu lassen. Er würde beim längern Leben geworden seyn, was man ein ausgebildetes Genie und einen volkommenen Schriftsteller nennet. Wenigstens trift man die glücklichste Anlage dazu in seinen vorhandenen Schriften. Diese sind: 1) Ueber den Werth einiger deutschen Dichter und andere Gegenstände, den Geschmack und die schöne Litteratur betreffend, zwei Stücke. Frankf. und Leipz. 1771 und 1772, woran er Mitverfasser war. 2) Versuche in kleinen Gedichten. Halberstadt 1772. 3) Vou-ti bei Tsin-nas Grabe, eine chinesische Naenie. 1772. 4) Naivetäten und Einfälle. Göttingen 1772 und 1773. 5) Zehn geistliche Gesänge. Leipzig 1773. 6) Abhandlung über die chinesischen Gärten. 1773. 8) Nachrichten von den ältern erotischen Dichtern der Italiäner. Hannov. 1774. Er war Mitarbeiter an unserer Bibliothek. Die Abhandlung vom Zustande des Geschmacks beim deutschen Publikum ist von seiner Hand.53

Das Verzeichnis seiner Schriften und die darüber hinausgehenden Bemerkungen können nur von jemandem stammen, der das Werk Unzers genau kannte sowie die Fähigkeiten und Talente des Dichters aus eigener Erfahrung einzuschätzen vermochte. Bemerkenswert ist vor allem, dass in der Bibliographie bei der chinesischen Nänie Vou-ti die extrem seltene und weithin unbekannte Erstausgabe genannt wird und nicht deren erneuter Abdruck im Göttinger Musenalmanach. Offengelegt wird im Nachruf zwar Unzers Beteiligung an der Streitschrift Ueber den Werth einiger Deutschen Dichter, doch der tatsächliche Druckort Lemgo wird weiterhin verschwiegen. Stattdessen werden nur die auf dem Titelblatt vermerkten, völlige Anonymität garantierenden Messestädte Frankfurt und Leipzig ohne Angabe des Verlegers genannt, was bedeutet, dass nicht mehr Informationen als nötig preisgegeben werden sollten. Die genaue Kenntnis von Unzers Schriften und die abschließende Bemerkung, der Dichter »würde beim längern Leben geworden seyn, was man ein ausgebildetes Genie und einen volkommenen Schriftsteller nennet«, deuten auf Mauvillon als Verfasser des Nachrufs hin, der zuvor schon in seiner Besprechung des Vou-ti auf die Erstausgabe zurückgegriffen hatte, während sich die Rezensenten im Teutschen Merkur, im Magazin der deutschen Critik und in anderen Zeitschriften allesamt auf den Abdruck im Musenalmanach bezogen.54 Besonders aufschlussreich sind die Ankündigungen und Personalnachrichten der Bibliothek in eigener Sache. Auch in diesem Kontext spielt Mauvillon eine wichtige Rolle. Am Ende des zehnten Bandes findet sich als Anhang eine zweiseitige »Nach-

53 54

vom Jahre 1074 bis 1855. Magdeburg: Bänsch 1856, S. 141. Selbst Meusel, der es eigentlich besser hätte wissen müssen, gibt 1775 als Todesjahr an, vgl. Johann Georg Meusel: Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller. Bd. 14. Leipzig: Fleischer 1815, S. 211. Auserlesene Bibliothek, Bd. 5 (1774), S. 627–628 (wie Anm. 11). Die Nr. 7 der Publikationsliste fehlt. Eine weitere Ausnahme ist die Rezension in den Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen auf das Jahr 1772, Nr. 86 vom 26. Oktober 1772, S. 685 f.

Auserlesenheit als Alleinstellungsmerkmal

227

richt an das Publikum. Wegen einer Uebersetzung des wütenden Rolands, die zu Lemgo in der Meyerschen Buchhandlung auf nächstkommende Ostermesse 1777 erscheinen sol«. Nachdem zunächst die Nützlichkeit von Übersetzungen diskutiert und befürwortet wird, kommt der Verfasser auf die immer noch allzu dürftige Kenntnis der italienischen Literatur in Deutschland zu sprechen: Die Zahl der Liebhaber der schönen Litteratur ist in Deutschland gros, die Kentnis der italiänischen Sprache rar, und der wütende Roland des Ariosts als eins der treflichsten Heldengedichte bekant, die irgend eine Nation aufzuweisen hat. In dieser Rüksicht glaubten wir, einem großen Theil des deutschen Publikums einen angenehmen Dienst zu leisten, wenn wir für eine gute Uebersetzung dieses berühmten Gedichts sorgten. Bei diesem Vorhaben erfreute uns die Wilfärigkeit eines Gelehrten, dessen Stärke in der italiänischen Sprache, und dessen Enthusiasmus für den Ariost, den er beständig liest, und unter allen Dichtern in der Welt unmittelbar nach dem Homer sezt, uns bekant war. Er übernahm diese Uebersetzung, nicht sowol, als hielte er sich etwa, wie er sagte, vorzüglich fähig den Deutschen eine gute Uebersetzung eines so vortreflichen Originals zu geben, sondern aus Furcht, es möchte sich jemand darüber hermachen, der den Deutschen seinen götlichen Ariost ganz verhunzte. Wie strenge übrigens dieser Gelehrte in seinen Forderungen wegen Uebersetzung der italiänischen Dichter sey, kan man aus den Beurtheilungen desselben, welche er im 9ten und 10ten Bande dieser Bibliothek über den von Hrn. Heinse in der Iris angekündigten deutschen Tasso liefert, mit Mehreren ersehen; und seine eigene Stärke in der italiänischen Sprache, verbunden mit dem Enthusiasmus für den Ariost, läst uns zum voraus hoffen, daß er den Deutschen eine treue und richtige Uebersetzung des wütenden Rolands, wovon künftige Ostermesse die erste Hälfte zu Lemgo erscheinen sol, liefern, und zugleich jede andre Uebersetzung des Ariosts, welche neben der seinigen herauskommen möchte, nach der Wahrheit ohne Scheu beurtheilen werde.55

Diese Nachricht ist insofern als einzigartig zu bezeichnen, als sie über ihren eigentlichen Zweck hinaus so viele Informationen über einen Rezensenten und seine Beiträge liefert, dass sich sein Name mitsamt der Sigle, mit der er seine Besprechungen unterzeichnet, unmittelbar und problemlos entschlüsseln ließ, tragen doch alle der hier genannten Beurteilungen im neunten und zehnten Band die Chiffre 4. Allerdings fand Mauvillons Prosa-Übersetzung des Ariost keineswegs das erhoffte Wohlwollen der Kunstrichter und war zudem alles andere als ein Publikumserfolg, weshalb sich Helwing nach diesem Misserfolg kurzerhand entschloss, zusätzlich Wilhelm Heinses Übersetzung ins Verlagsprogramm aufzunehmen, was neben der damit verbundenen negativen Bewertung seiner Übersetzung nun auch durch den Verleger wohl letztlich dazu führte, dass Mauvillon 1778 aus der Redaktion der Auserlesenen Bibliothek ausschied. 55

Auserlesene Bibliothek, Bd. 10 (1776), S. 704 (wie Anm. 11).

228

Arne Klawitter

Inhaltliche Auswertung So aufschlussreich die Personalnachrichten auch sein mögen, was das gelehrte Netzwerk der Aufklärung in seiner Struktur und die Beziehungen der Gelehrten untereinander betrifft, den Schwerpunkt des hier vorgestellten Forschungsprojekts bildet in erster Linie die inhaltliche Aufarbeitung der Rezensionen und der Abhandlungen im »Zweiten Anhang«. Für deren fundierte Auswertung aber war die Aufdeckung der Anonyma bzw. die Ermittlung der jeweiligen Verfasser der maßgebliche Schritt und letztlich die conditio sine qua non, denn erst wenn die Namen der Mitarbeiter zweifelsfrei bekannt, das heißt gesichert sind, steht die Forschung auf festem Boden, lassen sich Werkeditionen ergänzen und bislang vorhandene Lücken in der Rezeptionsgeschichte schließen, und das im besonderen Maße in jenen Fällen, in denen die Texte als solche zwar schon lange bekannt waren, aber bisher keinem Autor zugeordnet werden konnten. Das ist zum Beispiel der Fall bei dem im »Zweiten Anhang« erschienenen Aufsatz »Vom Zustande des Geschmacks beim deutschen Publikum« von Ludwig August Unzer sowie den ebenfalls dort veröffentlichten Abhandlungen »Von dem Zustande der Rechte in Deutschland« und »Vom heutigen Zustande der deutschen Philosophie«, die dem Juristen Heinrich Friedrich Diez zugeordnet werden konnten (Ziffer 14).56 Die inhaltliche Auswertung der Zeitschriftenbeiträge soll aber nicht nur in Editionen bislang übersehener oder vernachlässigter Schriften, Abhandlung und Rezensionen einzelner Mitarbeiter der Auserlesenen Bibliothek münden, sondern darüber hinaus eine weitere, völlig anders gelagerte Dimension des Wissens eröffnen: die seiner Wirksamkeit. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Frage, nach welchen Kriterien die rezensierten Bücher ausgewählt und unter welchen Gesichtspunkten sie besprochen wurden, aber auch, wie das Publikum darauf reagierte. Es geht also darum, festzuhalten und zu bestimmen, welche Prinzipien zum jeweiligen Zeitpunkt der Auswahl und Bewertung der besprochenen Werke zugrunde lagen und welche Wirkmacht die Beiträge in der ›Gelehrtenrepublik‹ hatten. Die bisher vorgenommenen Inhaltsanalysen der Rezensionen in der Auserlesenen Bibliothek konzentrierten sich zunächst auf eine statistische Erhebung positiver und negativer Bewertungen der in der Zeitschrift besprochenen Literatur.57 Die von Mauvillon verfassten Beiträge, die sich durch Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit auszeichnen, sind andererseits jedoch ein Beispiel dafür, wie schwierig, ja geradezu unmöglich es ist, eine eindeutige Entscheidung über die allgemeine Tendenz seiner 56 57

Vgl. Heinrich Friedrich Diez: Philosophische Abhandlungen, Rezensionen und unveröffentlichte Briefe (1773–1784). Hg. u. komm. von Arne Klawitter. Würzburg: Königshausen & Neumann 2018, S. 25–37 und 39–55. Vgl. Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung, URL: http://www.gelehrte-journale.de/ zeitschriften/id/001914650/#main/ [zuletzt: 10. 11. 2018].

Auserlesenheit als Alleinstellungsmerkmal

229

Bewertungen zu treffen. Neben einer Vielzahl negativer Beurteilungen, die mit der Ziffer 4 unterzeichnet sind, finden sich durchweg positive Bewertungen so gut wie gar nicht. Weder Mauvillons Besprechung von Lessings Emilia Galotti, die im zweiten Band der Auserlesenen Bibliothek (1772) erschienen war und wegen ihrer grundsätzlichen Kritik eine Entgegnung von Johann Joachim Eschenburg provozierte, noch die Rezensionen zu Werken so bekannter Autoren wie Goethe, Wieland, Klopstock oder Lenz sind trotz aller Lobesworte keineswegs uneingeschränkt gutheißend, getreu der in den »Dichterbriefen« als Maßstab gesetzten Horaz’schen Devise nihil admirari.58 Ein Umstand wie dieser erschwert allgemeine statistische Erhebungen zu den Rezensionen erheblich, zumal die Raster für dergleichen Evaluationen nicht angemessen, das heißt nicht konkret genug bestimmt werden können. Vielmehr ist in diesem Falle eine detaillierte Inhaltsanalyse der Texte notwendig, um der Ambivalenz und der proklamierten Auserlesenheit Rechnung zu tragen. Dies ist in Hinblick auf Mauvillons Rezensionen von mir bereits versucht worden,59 und zwar mit dem erklärten Ziel, die rezeptionsgeschichtliche Relevanz seiner Beiträge herauszustellen und damit im weiteren Sinne die Bedeutung der Zeitschrift als Rezensionsorgan der Aufklärung zu bestimmen, wozu es sich gleichzeitig als unumgänglich erwies, immer wieder kolportierte Vorurteile, wie sie beispielsweise von Georg Gottfried Gervinus und vor allem von Josef Nadler in die Welt gesetzt worden waren,60 ein für alle Mal zu widerlegen.

58 59

60

Vgl. Mauvillon/Unzer (1771), I, S. 29 (wie Anm. 4). Vgl. Arne Klawitter: Rezensionen über Rezensionen. Die Besprechungen von Goethes Theaterstücken in der Lemgoer »Auserlesenen Bibliothek« und im »Magazin der deutschen Critik«. In: Goethe-Jahrbuch 132 (2015), S. 141–150; ders.: »[M]an kan sich in dem Punkt nichts vortreflicheres gedenken«. Jakob Mauvillons Rezensionen zu J. M. R. Lenz im Kontext der zeitgenössischen Kritik. In: Lenz-Jahrbuch (24) 2017, S. 29–54; ders.: Ein Freigeist »in Sachen des Genies«. Jakob Mauvillon als Kritiker von Goethe und Lenz. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 43/2 (2018), S. 255–288. Vgl. Georg Gottfried Gervinus: Geschichte der deutschen Dichtung. Bd. 5, 4. Aufl. Leipzig: Engelmann 1853, S. 242 [EA 1842]; Josef Nadler: Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. Bd. 2. Regensburg: Habbel 1923, S. 532.

»Journale sind es, in die diese Wissenschaften sich ergossen haben« Fachzeitschriften als Diskussionsräume naturwissenschaftlicher Forschungsmethoden um 1800 Alexander Stoeger Journale sind es, in die diese Wissenschaften [Physik, Chemie] sich ergossen haben, und in denen fast allein sie leben. Die Neugierde hat sie erzeugt; denn es ist schön, gewiß zu seyn, alle Monat regelmäßig etwas Neues zu erfahren. Die Eigenliebe hilft sie unterhalten; denn es ist nicht minder schön, zu wissen, was man heute fand, in dreysig Tagen sey es durch die ganze Welt verbreitet, ja – man entdeckt deshalb sogar. – […] die Wahrheit ist: daß, um sich Schritt vor Schritt mit unsern Wissenschaften, ihrem jedesmaligen Zustande nach, in thätiger Verbindung zu erhalten, Rücksicht auf die Journale, welche sie enthalten, zur unentbehrlichen Sache wird.1

So beurteilt der Physiker Johann Wilhelm Ritter 1806 die Rolle der Fachzeitschriften als zentrales Medium der Naturwissenschaften. Durch sie ließen sich die zahlreichen und rasch aufeinanderfolgenden Entdeckungen der Wissenschaftler innerhalb der geographisch zerstreuten wissenschaftlichen Gemeinschaft im deutschen Sprachraum zeitnah verbreiten. Wie Ritters Bemerkung andeutet, waren die Journale um 1800 weit mehr als nur eine Möglichkeit zur Verbreitung von Neuigkeiten. Sie wurden von den Herausgebern als epistemischer Raum wissenschaftlichen Austauschs konzipiert und sollten eine Alternative bieten für die physischen Versammlungsmöglichkeiten, die Wissenschaftler in Paris und London zur Verfügung standen. Die Fachzeitschriften dienten als Informationsquelle sowie zur Repräsentation ihrer Teilgebiete und boten die Gelegenheit zu inhaltlichen wie methodischen Diskussionen. Sie waren damit wichtiger Schauplatz des von Olaf Breidbach und Paul Ziche 1

Johann Wilhelm Ritter: Vorerinnerungen. In: Johann Wilhelm Ritter (Hg.): Physisch-chemische Abhandlungen in chronologischer Folge. Bd. 1. Leipzig: Reclam 1806, S. XIII–XIV. Kursivierung im Original in Sperrdruck.

232

Alexander Stoeger

als »Science in the making« bezeichneten Prozesses der Ausdifferenzierung und Abgrenzung naturwissenschaftlicher Fachdisziplinen und empirischer Forschungsmethoden.2 Herausgeber und Mitarbeiter wirkten aktiv auf die Formung der Teilbereiche und ihre inhaltliche wie methodische Ausprägung durch Selektion, Beurteilung und Diskussionsanregung ein. Leserschaft und Beiträger wurden so zu einer Gemeinschaft, die sich nicht durch soziale oder institutionelle Zugehörigkeit, sondern durch gemeinsame inhaltliche und methodische Prämissen definierte. Dieser Beitrag will einen Überblick über die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften im deutschen Sprachraum bis 1800 verschaffen und anschließend auf ihre Rolle als Medium für die Experimentalwissenschaften am Beispiel der Galvanismusforschung in den Journalen eingehen, um so die Funktion der Fachzeitschriften genauer zu untersuchen. Die Entwicklung naturwissenschaftlicher Fachzeitschriften bis 1800 Die frühen auf naturwissenschaftliche Inhalte fokussierten Periodika erschienen ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Akademieschriften. Sie fungierten als Sprachrohr der sich durch Zugehörigkeit zu den neu gegründeten Akademien definierenden Gelehrten und Naturforscher. Ab Januar 1665 erschien mit dem von der Académie des Sciences in Paris herausgegebenen Journal des Sçavans die erste wissenschaftliche Zeitschrift. Wenige Monate später folgten die bis heute bestehenden Philosophical Transactions der Royal Society in London.3 1670 etablierte die später als Leopoldina bekannte Akademie der Wissenschaften in Schweinfurt ebenfalls eine Zeitschrift, die auf medizinische und damit in Verbindung stehende naturwissenschaftliche Themen spezialisiert war.4 Die zwei- bis dreimal im Jahr erscheinenden Akademieschriften dienten dazu, die in den Sitzungen verlesenen Berichte der Mitglieder Gelehrten außerhalb der Sozietäten zugänglich zu machen, und repräsentierten die Akademien nach außen. Ihre Funktion

2 3 4

Olaf Breidbach, Paul Ziche: Naturwissen und Naturwissenschaften – Zur Wissenschaftskultur in Weimar/Jena. In: Olaf Breidbach, Paul Ziche (Hg.): Naturwissenschaften um 1800. Wissenschaftskultur in Jena-Weimar. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 2001, S. 7–26. Vgl. Ulrich Troitzsch: Naturwissenschaft und Technik in Journalen. In: Ernst Fischer, Wilhelm Haefs, York-Gothart Mix (Hg.): Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700–1800. München: C. H. Beck 1999. S. 248–265, hier S. 250–252. Die Zeitschrift der deutschen Akademie erschien auf Latein, während die Philosophical Transactions und das Journal der Sçavans in den jeweiligen Landessprachen veröffentlicht wurden; vgl. Troitzsch: Naturwissenschaft und Technik in Journalen (wie Anm. 3), S. 250–252.

»Journale sind es, in die diese Wissenschaften sich ergossen haben«

233

bestand nicht in der Veröffentlichung, sondern nur in der Verbreitung wichtiger Erkenntnisse, da Beiträge bereits durch die Verlesung als veröffentlicht galten.5 London und Paris waren die kulturellen und wissenschaftlichen Zentren ihres Landes. Die dort ansässigen Akademien waren wichtiger Bestandteil der zentralisierten Wissenschaftskulturen.6 Anders verhielt es sich im deutschen Sprachraum, der durch die Kleinstaaten geprägt war, in denen zahlreiche Akademien, Gesellschaften und Universitäten beheimatet waren. Keiner dieser vielen Institutionen gelang es, einen ähnlich einflussreichen Status zu erringen, wie sie die Royal Society und die Académie des Sciences für sich beanspruchen konnten. Stattdessen bildeten sich an den um Professoren und Studenten konkurrierenden Universitäten viele kleine Forschungsstandorte aus. Die dezentrale Wissenschaftsstruktur und die großen geographischen Distanzen zwischen den Gelehrten führten dazu, dass Forschungsergebnisse vor allem in schriftlicher Form verbreitet wurden, was die Etablierung von Fachzeitschriften begünstigte.7 Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts erschienen erste naturwissenschaftliche Publikumszeitschriften nach dem Vorbild der Akademieschriften, herausgegeben von unabhängigen Privatpersonen, für die die Journale ein Nebenprojekt zu ihrer hauptberuflichen Tätigkeit als Beamte, Lehrer oder Professoren waren.8 Sie fassten für ihre Leserschaft interessante Beiträge der Akademieschriften und Monographien zusammen und bereiteten die Themen für ein interessiertes Laienpublikum verständlich und mit praktischem Anwendungsbezug auf. Die Herausgeber der als »Bibliotheken«, »Magazine« oder »Archive« bezeichneten Periodika und Rezensionsorgane richteten sich dagegen hauptsächlich an eine Fachleserschaft, der sie einen Überblick über die Vielzahl neuer naturwissenschaftlicher Veröffentlichungen verschafften und als »Ordnungsgeneratoren«9 das vorhandene Wissen zugänglich machten. Anstatt eine große Zahl von Büchern erstehen und lesen zu müssen, boten Zeitschriften wie die von Johann Christian Polykarp Erxleben und Georg Christoph Lichtenberg in Göttingen herausgegebene Physikalische Bibliothek von 1775–1779 dem Leser alle notwendigen und

5 6 7

8 9

Aileen Fyfe, Noah Moxham: Making public ahead of print: Meetings and publications at the Royal Society, 1752–1892. In: Notes and Records 70 (2016), S. 361–379, hier S. 362–363. Vgl. James E. McClellan III: Science Reorganized. Scientific Societies in the Eighteenth Century. New York: Columbia University Press 1985. Anders verhielt es sich in Frankreich und insbesondere in Großbritannien, wo die ersten naturwissenschaftlichen Beitragszeitschriften erst ab 1797 erschienen; vgl. Ian Watts: ›We want no authors‹: William Nicholson and the contested role of the scientific journal in Britain, 1797–1813. In: The British Journal for the History of Science 47 (2014), S. 397–419. Vgl. Troitzsch: Naturwissenschaft und Technik in Journalen (wie Anm. 3), S. 253–254. Gunhild Berg: Generische Wissensordnungen im Medienformat: Magazin-Zeitschriften um 1800. In: Gunhild Berg, Magdalena Gronau und Michael Pilz (Hg.): Zwischen Literatur und Journalistik. Generische Formen in Periodika des 18. bis 21. Jahrhunderts. Heidelberg: Winter 2016, S. 89– 110, hier S. 89.

234

Alexander Stoeger

interessanten Informationen aus den Monographien auf das Wesentliche reduziert in einem regelmäßig erscheinenden Journal.10 Die Zahl naturwissenschaftlicher Fachzeitschriften stieg im 19. Jahrhundert kontinuierlich an. Kirchner zählt bis 1790 107 Journale, die sich mit physikalischen, chemischen, mineralogischen, botanischen, zoologischen und medizinischen Themen befassen.11 Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der Fachdisziplinen, insbesondere der Physik, Chemie und Physiologie, entstanden ab den 1770er Jahren zudem erste von den Akademien unabhängige Beitragszeitschriften.12 Diese wurden zumeist von Universitätsprofessoren herausgegeben und sollten einen themen- und fachspezifischen Diskussionsraum für Forscher und Gelehrte schaffen und damit die zentralisierende Funktion der Akademien und Gesellschaften mit den Vorteilen einer Zeitschrift kombinieren. Im Gegensatz zu den Publikumszeitschriften bestanden die Beiträge dieser Journale großteils aus Einsendungen von Forschern, die ihre Erkenntnisse und Entdeckungen zeitnah publizieren wollten. Die häufig als Brief an den Herausgeber gesandten Abhandlungen verbanden die rege Briefkultur des 18. Jahrhunderts mit dem zunehmenden Bedürfnis nach baldiger Publikation der eigenen Forschungsergebnisse. Die Fachzeitschriften stellten einen intellektuellen Raum wissenschaftlichen Austauschs dar, der wesentlich durchlässiger war als die Akademien und auch Außenstehenden und bislang unbekannten Wissenschaftlern die Partizipation ermöglichte. War die Veröffentlichung in Akademieschriften oftmals mit komplexen und langwierigen Auswahlprozessen verbunden und Mitgliedern oder Assoziierten vorbehalten, bestimmte bei den Beitragszeitschriften nur der Herausgeber über die Aufnahme der Texte, was die Veröffentlichung beschleunigte.13 Außerdem versprach das meist regelmäßigere, wöchentliche oder monatliche Erscheinen den Beiträgern, dass ihre Forschungsergebnisse der Fachgemeinschaft rasch zugänglich wurden. Damit verringerte sich auch die Gefahr, dass andere ihnen mit der Veröffentlichung derselben Entdeckung zuvorkamen. Um dem vorzubeugen, publizierten Forscher oft vorab kürzere Berichte über Entdeckungen in Zeitschriften, ehe sie ihre Erkenntnisse später in Monographien ausführlich darlegten.14 Als empirische Erkenntnismethoden, insbesondere Experimente, im 18. Jahrhundert zunehmend zum Mittelpunkt naturwissenschaftlicher Forschung wurden, bevorzugte man außerdem kurze, deskriptive Zeit-

10 11 12 13 14

Vgl. Joachim Kirchner: Das deutsche Zeitschriftenwesen. Seine Geschichte und seine Probleme. Teil 1: Von den Anfängen bis zum Zeitalter der Romantik. 2. Auflage. Wiesbaden: Harrassowitz 1958, S. 156. Vgl. ebd., S. 157. Vgl. Rudolf Stichweh: Ausdifferenzierung der Wissenschaft – Eine Analyse am deutschen Beispiel. Bielefeld: B. K. Verlag 1981. Vgl. Fyfe, Moxham: Making public ahead of print (wie Anm. 5), S. 361–379. Siehe dazu Anm. 37.

»Journale sind es, in die diese Wissenschaften sich ergossen haben«

235

schriftenbeiträge gegenüber ausführlichen Theoriegebilden in mehrere hundert Seiten umfassenden Monographien.15 Die Zeitschriftenkonzepte der Herausgeber Die Fachzeitschriften dienten nicht nur der Veröffentlichung und Diskussion inhaltlicher Themen. Die Herausgeber verstanden die Journale als Diskussionsraum und Möglichkeit zur Entwicklung ihrer Fachkulturen sowie zur Festigung einer wissenschaftlichen Gemeinschaft. Leserschaft und Beiträger definierten sich nicht über die Mitgliedschaft in einer Akademie oder Gesellschaft, sondern über die aktive oder passive Beteiligung an den Zeitschriften und den darin besprochenen thematischen wie methodischen Inhalten. Die Herausgeber verstanden sich als Moderatoren der in den Journalen diskutierten Forschung und förderten die von ihnen als wichtig betrachteten Themen. Darüber hinaus beteiligten sich viele durch ihre Zeitschrift an der methodischen Entwicklung der Naturwissenschaften zum Ende des 18. Jahrhunderts. Die erste deutsche Beitragszeitschrift, deren Inhalt maßgeblich aus Einsendungen wissenschaftlicher Aufsätze bestand, wurde zwischen 1784 und 1803 von dem Chemiker und Professor Lorenz von Crell in Helmstedt mit dem Titel Chemische Annalen für die Freunde der Naturlehre, Arzneygelahrtheit, Haushaltungskunst und Manufacturen herausgegeben. Crell schuf mit der Zeitschrift ein geistiges Zentrum für die deutschen Chemiker und trug dazu bei, die Chemie, die bisher als Hilfswissenschaft der Medizin betrachtet worden war, als eigenständigen Wissenschaftszweig zu stärken.16 Durch seine Position an der Universität, seine zahlreichen Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Sozietäten und seine Kontakte in Europa versprach er den Lesern interessante, exklusive Beiträge und konnte zugleich angesehene Chemiker für sein Projekt gewinnen.17 Die Chemische Annalen wurden rasch zu einem wichtigen Medium der deutschen Chemiker. Schon zwei Jahre nach Ersterscheinen war die Zahl der Crell zugesandten Beiträge so hoch, dass zwischen 1785 und 1791 jährlich ein Supplementband erschien, zwei weitere umfassen die Jahre 1791 bis 1794 sowie 1795 bis 1799. Für die noch junge und im strukturellen Wandel begriffene Fachdisziplin boten die Chemischen Annalen einen wichtigen Sammlungspunkt und Diskussionsmöglichkeiten. Darüber hinaus war Crells Zeitschrift auch Vorbild für viele sich in den folgenden Jahren etablierenden Beitragszeitschriften, nicht zuletzt für das von dem Chemiker

15 16 17

Vgl. Alexander Stöger: Epistemische Tugenden im deutschen und britischen Galvanismusdiskurs. [Diss.] Jena: 2018, S. 69–74. Zur Entwicklung der Chemie im 18. Jahrhundert siehe Christoph Meinel: Disziplinwandel in der Chemie um 1800. In: Haeckeliana. Abhandlungen zur Wissenschaftsgeschichte 2 (1793), S. 34–45. Vgl. Maurice Crosland: In the shadows of Lavoisier. The Annales de Chemie and the establishment of a new science. Oxford: The Alden Press 1994, S. 65–66.

236

Alexander Stoeger

Friedrich Albrecht Carl Gren in den 1790er Jahren herausgegebene Journal der Physik. Gren studierte ab 1782 bei Crell in Helmstedt, ehe dieser ihn ein Jahr später nach Halle empfahl. Auch nach seinem Fortgang blieb Gren in engem Kontakt mit Crell und war bis 1789 Mitarbeiter der Chemischen Annalen, in denen er erste eigene Beiträge zu seinen chemischen Studien veröffentlichte. Seils spricht von einer »Art der Sozialisation als Chemiker«.18 Im Kontext unserer Betrachtung ließe sich außerdem von einer ›Sozialisation als Herausgeber naturwissenschaftlicher Fachzeitschriften‹ sprechen. Gren adaptierte Crells Modell einer Beitragszeitschrift als Medium fachspezifischer Entwicklung und Festigung einer Forschungsgemeinschaft. 1790 gründete er seine eigene Fachzeitschrift, die nicht nur chemische, sondern auch physikalische, medizinische, mathematische und astronomische Themen beinhaltete.19 Bis 1797, ein Jahr vor Grens Tod, erschien zuerst monatlich, 1795 in der Neuauflage der Zeitschrift mit dem Titel Neues Journal der Physik alle zwei Monate sowie 1796 und 1797 vierteljährlich ein Heft mit Abhandlungen von Forschern aus ganz Europa. Grens Bekanntheit und seine Kontakte ermöglichten ihm, angesehene Beiträger für seine Zeitschrift zu gewinnen.20 So erschien im Falle des Galvanismus, um den es im Folgenden noch gehen soll, nicht nur ein großer Teil der deutschen Forschungsbeiträge in Grens Zeitschrift. Er veröffentlichte dort auch zentrale Texte des Entdeckers Luigi Galvani sowie dessen Widersachers, des angesehenen Physikers Alessandro Volta, der in persönlichem Kontakt mit Gren stand und sich seinerseits durch das Journal der Physik über die Entwicklungen des deutschen Galvanismusdiskurses informierte.21 Gren betrachtete sein Journal als Möglichkeit zum inhaltlichen wie methodischen Austausch der Experimentalwissenschaftler. Im Vorwort der ersten Ausgabe lehnte er populärwissenschaftliche Themen ab, das Journal sei nicht dazu gedacht, »zu unterhalten und eine bloß zeitvertreibende Lectüre abzugeben«.22 Stattdessen strebte er nach der Festigung einer wissenschaftlichen Gemeinschaft, die durch kritisch reflektierte Urteile und empirische Erkenntnismethoden zur Erforschung der Natur beiträgt: Mein Zweck bey der Herausgabe dieses Journals ist, die Entdeckungen der Aus- und Inländer im mathematischen und chemischen Fache der Naturlehre bekannt zu machen, neuere Lehrmeynungen, neuere Erfahrungen, Beschreibungen und Abbildungen dazu ge-

18 19

20 21 22

Markus Seils: Friedrich Albrecht Carl Gren in seiner Zeit 1760–1798. Spekulant oder Selbstdenker? Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 1995, S. 44. ›Physik‹ versteht sich hier nicht im modernen Sinne, sondern wird noch als Überbegriff für Naturforschung als solche verwendet; vgl. Richard Home: Mechanics and experimental physics. In: Roy Porter (Hg.): The Cambridge History of Science. Bd. 4: Eighteenth-Century Science. Cambridge: Cambridge University Press 2003, S. 360–375. Vgl. Seils: Gren in seiner Zeit (wie Anm. 18), S. 148. Vgl. Stöger: Epistemische Tugenden im Galvanismusdiskurs (wie Anm. 15), S. 99. Friedrich Albrecht Carl Gren: Vorrede. In: Journal der Physik 1 (1790), S. 2–7, hier S. 4.

»Journale sind es, in die diese Wissenschaften sich ergossen haben«

237

höriger Werkzeuge […] mitzutheilen, und den Liebhabern der Naturlehre überhaupt die Fortschritte in derselben zu erleichtern.23

Der Herausgeber betrachtete sich als Moderator wissenschaftlichen Austauschs, aber auch als Qualitätssicherer. Er kommentierte immer wieder in Beiträgen die Richtigkeit der beschriebenen Versuchsergebnisse, verwies auf neue Entdeckungen und besorgte Übersetzungen und Zusammenfassungen wichtiger Forschungstexte. Durch seine Position konnte er Einfluss auf die Ansichten der Leserschaft nehmen, was er dazu nutzte, die Wichtigkeit empirischer Forschungsmethoden zu betonen und sich von populärwissenschaftlichen Meinungen abzugrenzen. Diese Prämissen erschienen nicht als die Meinung eines einzelnen Forschers, sondern als das Programm einer Fachzeitschrift und ihrer Beiträger. Gren war nicht der einzige Herausgeber, der es als seine Aufgabe betrachtete, durch seine Position Einfluss auf die methodische Entwicklung der Experimentalwissenschaften zu nehmen. Das in Gotha von August Friedrich Hecker, Johann Heinrich Heinroth und J. H. Hahn (?) herausgegebene Journal der Erfindungen, Theorien und Widersprüche bestand zwar hauptsächlich aus Zusammenfassungen und Besprechungen aktueller Forschungsliteratur. Trotzdem sollte es, so betonten die Herausgeber im Vorwort, die wissenschaftliche Gemeinschaft vor zunehmend spekulativen Ansätzen schützen und sie zu kritischer Reflexion und sorgfältigerer Forschung ermahnen. Die »Freunde der Wahrheit und Freimüthigkeit«, wie sich die Herausgeber auf dem Titelblatt nennen, fungierten so als kritische Kommentatoren wissenschaftlicher Verfehlungen und kontroverser Themen.24 Auch die auf naturwissenschaftliche Abhandlungen spezialisierten Rezensionsorgane, die ähnlich wie die Bibliotheken der Leserschaft die Fülle an Neuerscheinungen durch kurze Zusammenfassungen zugänglicher machen wollten, verstanden sich nicht nur als Informationsträger. So hegte der Herausgeber der wöchentlich erscheinenden Medicinisch-chirurgischen Zeitung Johann Jakob Hartenkeil den Anspruch, die medizinischen Monographien vor allem auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Glaubwürdigkeit bezüglich Forschungsmethoden hin zu besprechen, um praktizierende Ärzte und unerfahrene Leser vor Quacksalberei zu schützen und jene vermeintlichen Wissenschaftler zu entlarven, die spekulative Behauptungen sorgfältig geprüften Versuchsergebnissen vorzogen.25

23 24 25

Ebd., S. 2–3. Hecker, Heinroth & Hahn: Vorwort. In: Journal der Erfindungen, Theorien und Widersprüche 1 (1793), S. 8. Vgl. Alfred Stefan Weiß: Salzburger Medizin um 1800 – Der Arzt Dr. Johann Jakob Hartenkeil (1761–1808), sein Leben und Wirken in der Stadt Salzburg. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 2008, S. 105–146, hier S. 129.

238

Alexander Stoeger

Methodologische Kritik am Beispiel der Galvanismusforschung Um 1800 nahm das Bedürfnis der Herausgeber und Rezensenten zu, empirisch-experimentelle Erkenntnismethoden als Basis naturwissenschaftlicher Forschung zu festigen. Insbesondere in den Fachzeitschriften wurde die Besprechung von Forschungsinhalten immer wieder mit Methodenreflexionen verbunden. Dabei dienten die Inhalte oft als Beispiel für methodische Überlegungen und wurden als unmittelbares Resultat gewertet. Die folgende Betrachtung der Resonanz der Galvanismusdebatten in den Journalen bietet ein Beispiel dafür, wie Rezensenten und Herausgeber durch ihre Positionen und die Fachzeitschriften auf die Naturwissenschaftler einwirkten und die Erforschung des außergewöhnlichen Phänomens zur Basis der von ihnen angestrebten modernen empirischen Naturwissenschaften deklarierten. In den 1780er Jahren entdeckte der italienische Anatom und Experimentalphysiker Luigi Galvani, dass Muskeln und Nerven toter Tiere bei Berührung mit Metallstücken kontrahieren. Nach ausführlichen Versuchsreihen schloss er aus diesen Reizreaktionen auf eine organische Form der Elektrizität, die, gespeichert in den Muskeln, bei lebenden Tieren für die Funktionalität des Bewegungsapparates verantwortlich sei. 1791 publizierte er seine Theorie, die sofort auf ungewöhnlich großes Interesse seitens der Experimentalphysiker und Physiologen stieß und sich binnen weniger Jahre zu einem der verbreitetsten Forschungsthemen der Experimentalwissenschaften entwickelte.26 Basierend auf Experimenten und bestehend aus physikalischen, chemischen und physiologischen Aspekten zugleich, war der Galvanismus ein geeignetes Thema zur Verhandlung empirischer Erkenntnismethoden. Insbesondere im deutschen Sprachraum wurden die zumeist an den Gliedmaßen von Fröschen durchgeführten Versuche Galvanis rasch aufgegriffen und weiterentwickelt. Viele Physiologen und Mediziner erhofften sich von dem neuen Phänomen bahnbrechende Heilmethoden gegen allerlei Leiden bis hin zu Hysterie und Scheintod.27 Andere mahnten zur Zurückhaltung in Bezug auf medizinische Anwendungsmöglichkeiten und lehnten ungeprüfte Spekulationen über Ursache und Wirkung des Phänomens ab. Gren kommentierte die frühen optimistischen Vermutungen deutscher Galvanismusforscher ebenfalls skeptisch: »Was mich betrifft, so gestehe ich freymüthig, daß es mir zu früh dünkt, aus den bis jetzt bekannt gewordenen Thatsachen schon physiologische Erklärungen ziehen zu wollen.«28 Wie viele andere, darunter auch 26 27 28

Zu Galvanis Entdeckung siehe Marco Piccolino und Marco Bresadola: Shocking Frogs. Galvani, Volta, and the electric Origins of Neuroscience. Oxford: University Press 2013. Vgl. Anonym [***S.]: Das Herz ist ohne Nerven. – Galvanis wichtige Versuche zur Entdeckung der Nervenkraft. Frankfurt am Main, 16. September 1792. In: Journal der Erfindungen, Theorien und Widersprüche 1 (1792), S. 121. Anonym: Nachricht von den Versuchen des Hrn. Galvani, über die Wirkung der Electrizität auf die Muskulatur – Bewegungen. In: Journal der Physik 6:3 (1792). S. 371–381, hier S. 408.

»Journale sind es, in die diese Wissenschaften sich ergossen haben«

239

Lichtenberg und der bekannte Anatom Thomas Samuel Soemmerring, forderte er die Galvanismusforscher auf, die neue Erscheinung zuerst experimentell eingehender zu untersuchen.29 Die Wissenschaftler bemühten sich nicht nur darum, Quacksalberei und Spekulation entgegenzuwirken, sondern fürchteten auch, das vielversprechende Phänomen durch voreilige Schlüsse in Verruf zu bringen. Erst zehn Jahre zuvor hatte der Arzt Franz Anton Mesmer in Paris für ähnliches Aufsehen gesorgt, indem er behauptet hatte, mit dem sogenannten Animalischen Magnetismus den Mechanismus für die Steuerung des Bewegungsapparates im tierischen Körper gefunden zu haben. In aufwendigen Schauexperimenten führte er vor, wie er durch Beeinflussung des Magnetfeldes Willen und Bewegungen seiner Versuchspersonen beeinflussen konnte. Seine Behauptung wurde von den Mitgliedern der Académie des Science durch Experimente rasch widerlegt. Dennoch hielt sich der Animalische Magnetismus hartnäckig als spektakuläres Unterhaltungsprogramm in Salons und Gesellschaften.30 In naturwissenschaftlichen Kreisen wurde der sogenannte Mesmerismus dagegen bald zum Sinnbild pseudowissenschaftlicher Scharlatanerie, die, so nahmen es viele wahr, Ende des 18. Jahrhunderts allgemein zunahm. Die Wunderwirkungen, die sich einige Physiologen vom Galvanismus erhofften, sorgten für eine assoziative Nähe zum Mesmerismus, die man vermeiden wollte, um das Phänomen als wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand nicht zu disqualifizieren. Umso entschiedener waren daher die Forderungen nach strikt empirischen Erkenntnismethoden und zurückhaltenden, gut belegten Thesen. Die Galvanismusforscher waren zunehmend bestrebt, sich von pseudowissenschaftlichen Popularisierungen zu distanzieren, die den Galvanismus zum Allheilmittel deklarierten, und legten Wert darauf zu betonen, dass ihre Forschungsergebnisse einzig auf sorgfältig durchgeführten und geprüften Experimenten basierten.31 Sie grenzten sich dabei entschieden von den parallel dazu in allgemeinen Gelehrten Journalen und Tageszeitungen erscheinenden Berichten und Spekulationen über praktische Anwendungserfolge des Galvanismus und sein Potenzial als Heilmethode ab. Denn das Interesse an dem neuen Phänomen war auch abseits der Experimentalforschung groß, wie die zahlreichen Übersichten, Erläuterungen und Erfolgsberichte zeigen, die zwischen 1791 und 1805 in Journalen wie der Berlinischen Monatsschrift oder Eunomia veröffentlicht wurden. Im Laufe der Zeit häuften sich dort Beiträge zur »Wirkung des Galvanismus auf Taubstumme« und zu allgemeinen »Versuche[n] mit dem

29 30 31

Vgl. Stöger: Epistemische Tugenden im Galvanismusdiskurs (wie Anm. 15), S. 129. Vgl. Robert Darnton: Mesmerism and the End of the Enlightenment in France. Cambridge: Harvard University Press 1968. Vgl. Stöger: Epistemische Tugenden im Galvanismusdiskurs (wie Anm. 15), Kap. 2.

240

Alexander Stoeger

Galvanismus in medicinischer Hinsicht«,32 die von vielen Experimentalwissenschaftlern scharf kritisiert wurden. Die Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden war daher ein wichtiger Bestandteil der Galvanismusforschung, die man nicht mehr nur als Spezialdiskurs, sondern als beispielhaft für die empirische Naturforschung betrachtete und zu einem Gegenmodell der spekulativen Quacksalberei ruhmsüchtiger Scharlatane und sensationslustiger Optimisten deklarierte. Die regelmäßig erscheinenden Rezensionen, Kommentare und Übersichten in den naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften fokussierten dabei weniger auf die Versuchsergebnisse und Thesen der Forscher, sondern vor allem auf deren methodisches Vorgehen. Auffällig ist, wie die Galvanismusforschung dabei immer wieder als erfolgreicher Gegenentwurf zu einem mit drastischen Worten beschriebenen Verfall adäquater Forschungsmethoden beschrieben wird. Sie wird zum Retter der Naturwissenschaften vor dem Mißbrauch speculativer Philosophie in der Naturwissenschaft, und insonderheit in der Arzneykunde […] [und der] Indolenz […], mit welcher unser Zeitalter in Deutschland die frechen Anmaßungen erduldet, womit die kopflosen Nachbeter einiger geistvollen Philosophen ihre Armseligkeit für den Reichtum des Zeitalters […], ihre Verschmähung und Vernachlässigung gründlicher Kenntnisse für den Gipfel menschlicher Weisheit auszugeben trachten.33

Der anonyme Autor der Geschichte der Galvanischen Entdeckung (1801), einer Sammlung von Rezensionen der wichtigsten Galvanismusabhandlungen, fürchtet, dass vor dem Hintergrund philosophischer und pseudowissenschaftlicher Einflüsse die Naturwissenschaften in Verruf geraten und die bevorzugten empirischen Erkenntnismethoden aufgegeben werden könnten. Durch die Bemühungen der Galvanismusforscher, das Phänomen einzig durch sorgfältig durchgeführte Experimente zu untersuchen und jede Form voreiliger Schlussfolgerungen zu vermeiden, bot die Galvanismusforschung ein Gegenbeispiel 32

33

Vgl. Georg Wilhelm Pfingsten: Ueber die Wirkungen des Galvanismus auf Taubstumme. In: Eunomia 2 (1803), S. 215–224, sowie F. W. N–f: Einige Versuche mit dem neuen Galvanismus. In: Neues Hannoverisches Magazin 48 (1803), S. 753–776. Einen quantitativen Überblick über die Präsenz des Galvanismus in Gelehrten Journalen um 1800 gibt die Zeitschriftendatenbank Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Die in diesem Aufsatz vorgeblich besprochenen naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften sind dort nicht aufgeführt, dafür aber wichtige allgemeine Journale. Unter den Schlagwörtern »Galvanismus« und »Tierische Elektrizität« finden sich für den Kernzeitraum des Phänomens zwischen 1791 und 1805 insgesamt 21 Artikel in Gelehrtenzeitschriften, die das Thema populärwissenschaftlich aufarbeiten und einem Laienpublikum zugänglich machen wollen (vgl. Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung, URL: http://www.gelehrte-journale. de/startseite/ [zuletzt: 04.02.2019]). Anonym: Geschichte der Galvanischen Entdeckungen. In: Ergänzungsblätter zur Allgemeinen Literatur-Zeitung 119–132 (1801), S. 321–349, hier S. 321.

»Journale sind es, in die diese Wissenschaften sich ergossen haben«

241

und wurde so auch abseits des Untersuchungsgegenstandes zum Grundstein zukünftigen Erkenntnisstrebens deklariert: »Die Galvanische Entdeckung ist von solchem Belang, und berechtigt zu so großen Hoffnungen, daß jeder denkende Mensch Theil an ihr nehmen muß und nimmt.«34 Die Galvanismusforschung avancierte zum Programm der empirischen Naturwissenschaften, die das anstehende 19. Jahrhundert prägen sollten, das über besagte »Indolenz erstaunen wird«. Stand die Galvanismusforschung für die zukunftsträchtigen Experimentalwissenschaften, so wurden die jungen, aufstrebenden Experimentatoren, die sich vor allem mit dem neuen Phänomen beschäftigten, als Vertreter dieser empirischen Forschungsmethoden betrachtet. Herausgeber und Rezensenten förderten ihre Arbeit durch Publikationsmöglichkeiten und positive Rezensionen, die die wissenschaftlichen Qualitäten der jungen Autoren hervorhoben und sie als vorbildhafte Naturwissenschaftler lobten. So gelang es dem jungen Medizinstudenten Christoph Heinrich Pfaff, der 1793 an der Hohen Karlsschule in Stuttgart mit einer Dissertation über den Galvanismus promovierte und anschließend seine Studien dazu in Göttingen bei Lichtenberg vertiefte, mit Grens Unterstützung binnen kurzer Zeit zu einem der angesehensten deutschen Galvanismusforscher zu werden.35 Gren veröffentlichte eine deutsche Übersetzung von Pfaffs Dissertation, bot ihm Zugang zu eingesandten Abhandlungen anderer Wissenschaftler, ehe diese im Journal der Physik erschienen, und gab ihm die Möglichkeit, weitere Versuchsergebnisse zu publizieren.36 Durch die Reichweite der Fachzeitschrift wurden Pfaffs Arbeiten rasch bekannt und mehrfach besprochen, noch ehe er 1795 das Resultat seiner umfangreichen Studien in einer weiteren Monographie ausführlich darlegte.37 Gren sah in dem jungen Forscher einen vielversprechenden Nachwuchswissenschaftler, dessen Methoden »wahre Aufklärung über einen noch so dunklen Gegenstand«38 bieten konnten. In der Förderung Pfaffs stärkte er damit zugleich die von ihm bevorzugten Forschungsmethoden. Pfaff wiederum bemühte sich, diesen Ansprüchen

34 35 36 37

38

Ebd. Vgl. Stöger: Epistemische Tugenden im Galvanismusdiskurs (wie Anm. 15), S. 149–152. Vgl. Kanz: Nachrichten aus Brüssel für Hrn. Hofrath Lichtenberg. Ein Brief des halleschen Chemikers Friedrich Albrecht Carl Gren an Christoph Heinrich Pfaff in Göttingen 1794. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2013, S. 349–352. Wie dringend die zeitnahe Veröffentlichung der Ergebnisse war, zeigt sich daran, dass Pfaff mit seiner Abhandlung seinerseits Alexander von Humboldt zuvorkam, der sich genötigt sah, seine Monographie daraufhin umzuarbeiten, und sie erst zwei Jahre später veröffentlichen konnte; vgl. Alexander von Humboldt: Ueber die gereizte Muskelfaser, aus einem Briefe an Herrn Hofrath Blumenbach vom Herrn Oberbergrath F. A. von Humboldt. In: Neues Journal der Physik 2 (1795), S. 115–129, hier S. 115. Gren: Brief an Pfaff. Halle, 23. Februar 1794. Zitiert nach: Kanz: Nachrichten aus Brüssel (wie Anm. 36), hier S. 350.

242

Alexander Stoeger

auch in seiner Monographie gerecht zu werden.39 Gren gelang es so, seine Ansichten auf die nächste Forschergeneration zu übertragen, die Artikel Pfaffs und anderer Beiträger multiplizierten seine Argumente und festigten sie durch konkrete Anwendung. Auch in den Besprechungen der Galvanismusmonographien sind Methodenkritik und die Reflexion der Entwicklung der Naturwissenschaften ein zentrales Thema. Die Rezensenten betrachteten es nicht nur als ihre Aufgabe, die Leserschaft vor spekulativen Theorien zu schützen. Sie gaben in ihren Besprechungen anhand der rezensierten Werke vor, welche Forschungsmethoden zur Anwendung kommen müssen, um wissenschaftliche Fakten aufstellen zu können, und betonten den Vorbildcharakter der Abhandlungen, die diese Methoden aufweisen. So schrieb der Mediziner Christoph Wilhelm Hufeland über Alexander von Humboldts doppelbändige Abhandlung Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser (1797): »Dieses Meisterwerk eines unsrer ersten Physiker und Naturvertrauten […] gehört unter die klassischen Werke, die Epoque in der Wissenschaft überhaupt machen, und wird gewiß einen großen Einfluß auf den ganzen Gang und die Richtung derselben haben.«40 Der anonyme Rezensent der Medicinisch-chirurgischen Zeitung betrachtete Humboldts Abhandlung als einzig richtige Antwort auf den Verfall wissenschaftlicher Methoden: Wenn Schriften, die höchstens nur durch neue Worte blenden, die […] uns weiter nichts als leere Hypothesen, unbestimmte Vorstellungsarten in weitläufigem Wortgepränge mittheilen, wenn solche Schriften gegenwärtig mit einem beyspiellosen Beyfalle aufgenommen werden, und ihre Verfasser zu einer Celebrität gelangen, die sonst nur die Nahmen der großen Väter der Arzneywissenschaft zu ehren pflegt, so ist es wohl die Pflicht des Recensenten, der vorzüglich die öffentliche Meinung im wissenschaftlichen Reiche mitzuteilen hat, seine Stimme laut bey der Beurtheilung eines Werks zu erheben, das durch den Reichthum von neuen höchst interessanten Erfahrungen und Beobachtungen […] die Grenzen mehrerer Wissenschaften erweitert […] hat. Ein solches Werk sind die vor uns liegenden Versuche Alexander’s v. Humboldt […].41

Humboldts Abhandlung wird dem Kontext der Galvanismusforschung enthoben, die Versuchsergebnisse sind zweitrangig. Der Rezensent nutzt die Besprechung stattdessen, um Kritik am aktuellen Zustand der Naturwissenschaften zu üben und seine Forderung nach Besserung durch Humboldts Werk zu untermauern. Er betrachtet es in seiner Position als anonymer Rezensent nicht nur als seine Aufgabe, die Leser über 39 40

41

Vgl. Stöger: Epistemische Tugenden im Galvanismusdiskurs (wie Anm. 15), insbesondere Kap. 2.1. Christoph Wilhelm Hufeland: [Rez.] Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser, nebst Vermuthungen über den chemischen Prozeß des Lebens in der Thier- und Pflanzenwelt. In: Christoph Wilhelm Hufeland (Hg.): Journal der practischen Arzneykunde und Wundarzneykunde 4:1 (1797), S. 370–371, hier S. 370. Anonym: [Rez.] Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser. In: Medicinisch-chirurgische Zeitung 4 (1797), S. 337–374, hier S. 337–338.

»Journale sind es, in die diese Wissenschaften sich ergossen haben«

243

den Inhalt der Abhandlung und die Qualität der Ergebnisse zu informieren, sondern auch, auf die Entwicklung der Naturwissenschaften im Sinne der wissenschaftlichen Gemeinschaft einzuwirken. Die Förderung junger Wissenschaftler in den Fachzeitschriften ermöglichte die Festigung der eigenen Methodenprämissen sowohl bei der Leserschaft als auch bei der nächsten Generation von Forschern. Pfaff und Humboldt waren für Herausgeber und Beiträger wichtige Vertreter empirischer Erkenntnismethoden. Mit der Rezension und Beurteilung ihrer Werke ging ein allgemeiner Appell an die wissenschaftliche Gemeinschaft einher, an empirischen Erkenntnismethoden als Grundlage der Naturwissenschaften festzuhalten. Im Kontrast zu den drastisch dargestellten Missständen wurden die jungen Autoren zu Vorbildern und zugleich als Beiträger in die wissenschaftliche Gemeinschaft der Fachzeitschriften aufgenommen. Fazit Die naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften waren um 1800 zu einem wichtigen Bestandteil inhaltlicher wie methodischer Auseinandersetzung innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft geworden. Herausgeber und Rezensenten betrachteten sich als Regulatoren und Moderatoren diskursiver Auseinandersetzungen und Wahrer empirisch-experimenteller Erkenntnismethoden. Reichweite und Status der Fachzeitschriften dienten als Multiplikator der methodologischen Prämissen. Die Beurteilungen und Aussagen der Herausgeber und Rezensenten sind Paratext zu den eigentlichen Forschungsbeiträgen und präsentieren sich damit nicht als die Meinung einer Person, sondern als dem vermeintlichen Haupttext zur Seite gestellter Konsens, basierend auf den Ansichten der Herausgeber und Rezensenten, denen die Gemeinschaft der Abonnenten und Beiträger durch Partizipation an der Zeitschrift zustimmt. Die Journale sollten nicht nur auf inhaltlicher Ebene als ›Ersatzbibliothek‹ und Repräsentationsorgan einer Forschungsdisziplin dienen, sondern auch methodisch den Leser mit allen notwendigen und wichtigen Erkenntnissen versorgen. Die Fachzeitschriften waren einerseits Diskussionsraum der im gesamten deutschen Sprachraum verteilten Forscher und Gelehrten, andererseits Ort verdichteter Methodenreflexion und damit ein wichtiger Bestandteil der sich ausdifferenzierenden Naturwissenschaften um 1800.

Namenregister A Aa, Pieter van der (1659–1733) 85 Adami, Johann Samuel (1638–1713) 99 Adelung, Johann Christoph (1732–1806) 14 Alberti, Valentin (1635–1697) 36, 41 Albinus, Bernhard Siegfried (1697–1770) 57 Albo, Joseph (1380–1444) 100 Amort, Eusebius (1692–1777) 190, 194, 199 Anna Ivanovna, Zarin (1693–1740) 126 f. Anville, Jean-Baptiste Bourguignon d’ (1697–1782) 137, 139 Argenville, Antoine-Joseph Dezallier d’ (1680–1765) 210 Ariosto, Ludovico (1474–1533) 227 Avemann, Daniel Heinrich von (†1747) 87 B Bacmeister, Hartwig Ludwig Christian (1730–1806) 130 f., 142 f. Baldinger, Ernst Gottfried (1738–1804) 223 Basedow, Johann Bernhard (1724–1790) 146–148, 150 Bashuysen, Walter van (1704–1756) 105 Baumgarten, Siegmund Gottlieb (1706–1757) 96 Bayle, Pierre (1647–1706) 43 Bazin, Gilles Augustin (1681–1754) 101 Beckmann, Johann (1739–1811) 17, 130 f., 223 Behrisch, Heinrich Wolfgang (1744–1825) 223 Bellin, Jacques-Nicolas (1703–1772) 137 Bering, Vitus (1680–1741) 125–129, 131–134, 136, 139 Bernd, Johann Franz (†1760) 91 Bernhard, Christoph David (1682–1751) 100 Bertling, Ernst August (1721–1769) 95

Bielfeld, Jakob Friedrich von (1717–1770) 186 Birnbaum, Johann Abraham (1702–1748) 74 Biron, Ernst Johann von (1690–1772) 126 Bodmer, Johann Jacob (1698–1783) 95 Boerhaave, Herman (1668–1738) 50, 53, 55, 59 f. Bohn, Johann (1640–1718) 34 f. Bonnet, Charles (1720–1793) 52 Bougainville, Louis–Antoine de (1729–1811) 127 Bourguet, Louis (1678–1742) 136 Brahe, Tycho de (1546–1601) 165 Brandt, Christian Wilhelm (†1761) 104 Breithaupt, Joachim Justus (1658–1732) 85 Breitkopf, Bernhard Christoph (1695–1777) 93 Breitkopf, Johann Gottlob Immanuel (1719–1794) 96, 214 Brucker, Johann Jakob (1696–1770) 193 Brückmann, Franz Ernst (1697–1753) 15, 103 Buache, Philippe (1700–1773) 133, 135, 137 Budaeus, Gottlieb (1664–1734) 99 Bünting, Johann Heinrich (†1715) 80 Büsching, Anton Friedrich (1724–1793) 15, 19, 130, 138–144 Bussing, Caspar (1658–1732) 81 Bytemeister, Heinrich Johann (1698– 1746) 80 C Campe, Joachim Heinrich (1746–1818) 148 f. Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von (1654–1699) 174 Carpzov, Friedrich Benedikt (1649–1699) 36–38 Cassini, Jean-Dominique (1625–1712) 131

246

Namenregister

Castel, Louis-Bertrand (1688–1757) 137 Čičagov, Vasilij (1726–1809) 140 Cicero (Marcus Tullius Cicero, 106 v. Chr. – 43 v. Chr.) 183 f. Čirikov, Aleksej (1703–1748) 126, 128, 132 f. Claproth, Justus (1728–1805) 71 Clerke, Charles (1741–1779) 141 Cook, James (1728–1779) 127, 141 Corneille, Pierre (1606–1684) 101 Crell, Lorenz von (1744–1816) 181, 214, 235 f. Croyère, Louis Delisle de la (1687?–1741) 126, 128, 131–134, 139 Cyprian, Johann (1642–1723) 34–37 D Damm, Christian Tobias (1699–1778) 183 Daum, Christian (1612–1687) 36 Delisle, Claude (1644–1720) 131 Delisle, Guillaume (1675–1726) 125, 131, 133 Delisle, Joseph-Nicolas (1688–1768) 128, 131–137 Dessin (Tessin), Graf 88 Diez, Heinrich Friedrich (1751–1817) 228 Dohm, Christian Wilhelm von (1751–1820) 214 Donner, Georg Raphael (1693–1741) 210 Du Halde, Jean-Baptiste (1674–1743) 137 Dubois, Guillaume (1656–1723) 80 Dubos, Jean-Baptiste (1670–1742) 96 Duren, Jean van (1687–1757) 81 Dyck, Johann Gottfried (1750–1813) 97 E Eberhard, Johann Heinrich (1743–1772) 222, 225 Elers, Johann (†ca. 1737) 82 Elisabeth, Zarin (1709–1761) 127 Enderes, Johann Jacob (Verleger) 105 Engel, Samuel (1702–1784) 135–141 Erffa, Johann Friedrich Kraft von (1688–1741) 82 Ernesti, Johann August (1707–1781) 147 f., 218 Ernst I., Herzog von Sachsen-GothaAltenburg (1601–1675) 99 Ersch, Johann Samuel (1766–1828) 19–21, 68, 71

Erxleben, Johann Christian Polykarp (1744–1777) 214, 222 f., 233 Eschenburg, Johann Joachim (1743–1820) 229 Estrées, Victor-Marie d’ (1660–1737) 80 Ettmüller, Michael (1644–1683) 36, 39 Euler, Leonhard (1707–1783) 134, 167 Eyring, Elias Martin (1673–1739) 99 F Fabricius, Johann Albert (1668–1736) 99 f. Feller, Joachim (1638–1691) 33 f., 36 f., 39 Fischer, Johann Eberhard (1697–1771) 126 Fleischhauer, Johann Georg (1737–1815) 65 Fontenelle, Bernard Le Bovier de (1657–1757) 179 Formey, Johann Heinrich Samuel (1711–1797) 134 Franck, Christian Gottlieb (Verleger) 65 Franckenstein, Christian Friedrich (1621–1779) 34 Frentzel, Abraham (1656–1740) 99, 102 Fritzsch, Christian Friedrich (1719–1774) 58 Froriep, Justus Friedrich (1745–1800) 214, 218 Füssli, Johann Heinrich (1741–1832) 97 G Galvani, Luigi (1737–1798) 236, 238 Gaßner, Johann Joseph (1727–1779) 151, 153 Gebauer, Johann Justinus (1710–1772) 95 f. Gegel, Ludwig Bernhard Friedrich (1731–1788) 65 Gellert, Christian Fürchtegott (1715–1769) 93, 174, 215 Gellius (Aulus Gellius, ca. 125–180) 33, 39, 41 f. Gervinus, Georg Gottfried (1805–1871) 229 Gessner, Salomon (1730–1788) 97 Gleditsch, Johann Friedrich (1653–1716) 193 Gleditsch, Johann Gottlieb (1688–1738) 193 Gmelin, Johann Georg (1709–1755) 126, 128 f., 136, 139 Göbhardt, Tobias (1734–1794) 65 Goelicke, Andreas Ottomar (1671–1744) 54 Goethe, Johann Wolfgang (1749–1832) 173 f., 215, 229 Goeze, Johann Melchior (1717–1786) 147

Namenregister

Göllner, G. C. (Verleger) 71, 74 Gottsched, Johann Christoph (1700–1766) 12, 93 f., 96, 173–189, 191 f., 194–199 Gottsched, Louise Adelgunde Victorie (1713–1762) 185 Gren, Friedrich Albert Carl (1760–1798) 236–238, 241 f. Grew, Nehemiah (1641–1712) 39, 42 Grotius, Hugo (1583–1645) 40 Gundling, Nicolaus Hieronymus (1671–1729) 80, 84 Günz, Justus Gottfried (1714–1754) 55, 57 H Hahn, J. H. (Zeitschriftenherausgeber) 237 Haller, Albrecht von (1708–1777) 12, 26, 45–60, 75, 95, 135 f. Hamann, Johann Georg (1730–1788) 149 Hamberger, Georg Christoph (1726–1773) 214, 223 Happach, Lorenz Philipp Gottfried (1742–1814) 223 Happel, Eberhard Werner (1647–1690) 158 Harley, Robert, 1. Earl of Oxford and Earl Mortimer (1661–1724) 79 Hartenkeil, Johann Jakob (1761–1808) 237 Hartmann, Gottlieb David (1752–1775) 224 Hassenkamp, Johann Matthäus (1743–1797) 223 Haupt, Johann Thomas (†1785) 103 Hauptmann, Johann Gottfried (1712–1782) 101 Hausen, Karl Renatus (1740–1805) 213, 215, 224 f. Hecker, August Friedrich (1763–1811) 237 Heidegger, Johann Heinrich (1738–1823) 97 Heilmann, Johann David (1727–1764) 94 Heinroth, Johann Heinrich (1773–1843) 237 Heinse, Wilhelm (1746–1803) 227 Heinzmann, Johann Georg (1757–1802) 46 Helwing, Christian Friedrich (1725–1800) 213–217, 222 f., 227 Hemmerde, Carl Hermann (1708–1782) 95 Hennigs, Justus Christian (1731–1815) 95 Henning, Aegidius (1632–1686) 92 Hensel, Daniel Gottfried (1726–1780) 148 f.

247

Herbelot de Molainville, Barthélemy d’ (1625–1695) 102 Herder, Johann Gottfried (1744–1803) 209 Herodes Agrippa II. (ca. 27–92/93) 41 Heumann, Christoph August (1681–1764) 182–184 Heumann, Georg Daniel (1691–1759) 58 Heyne, Christian Gottlob (1729–1812) 46 Hieber, Gelasius (1671–1731) 190, 196 f., 199 Hintze, Barthold Günther (†1756) 80 Hißmann, Michael (1752–1784) 214, 223 Hoffmann, Christian (1689–1739) 83 Homer (8./7. Jh. v. Chr.) 227 Höpfner, Ludwig Julius Friedrich (1743–1797) 112 f. Hufeland, Christoph Wilhelm (1762–1836) 242 Huls, Samuel van (1655–1734) 79, 86 Humboldt, Alexander von (1769–1859) 241–243 J Jagemann, Christian Joseph (1735–1804) 94 Jean Paul (1763–1825) 70 Jöcher, Christian Gottlieb (1694–1758) 78, 180 Johann Georg III., Kurfürst von Sachsen (1647–1691) 33 Joseph II., Erzherzog von Österreich (1741–1790) 64, 70 Juncker, Christian (1668–1714) 18, 31 Justi, Johann Heinrich Gottlob (1720–1771) 208 K Kaempfer, Engelbert (1651–1716) 213 Kandler, Agnellus (1692–1745) 190, 199 Karl Albrecht, Herzog und Kurfürst von Bayern (1697–1745) 190 Kästner, Abraham Gotthelf (1719–1809) 186 Katharina I., Zarin (1684–1727) 178 Kauffmann, Georg Friedrich (1679–1735) 104 Keck, Michael (1673–1754) 81 Kielmansegg, Friedrich Christian von (1639–1714) 79 Kindermann, Eberhard Christian (* um 1715) 158, 160–169

248

Namenregister

Kindleben, Christian Wilhelm (1748–1785) 151 Kipping, Johann Wolfgang (1695–1747) 83 Kirch, Maria (?) Margaretha (um 1703 – nach 1748) 168 Kirilov, Ivan (1695–1737) 138 f. Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724–1803) 25, 69, 174, 229 Kohl, Johann Peter (1698–1778) 11 Kolinovics, Gábor (1698–1770) 106 Kopernikus, Nikolaus (1473–1534) 165 Kopp, Johann Friedrich (1716–1755) 96 Köster, Heinrich Martin Gottfried (1734–1802) 113, 151 Kraft, Johann Melchior (1673–1751) 86 Krapf, Karl von (Mediziner) 205 Krašeninnikov, Stepan (1713?–1755) 131, 137 Krasil’nikov, Andrej (1703–1773) 139 Krebs, … (Advokat) 82 Krenicyn, Petr (†1770) 141 Krünitz, Johann Georg (1728–1796) 112, 114, 116 Krüsike, Johann Christoph (1682–1745) 77 Künsche, Johann Paul (1694–1746) 81 L La Mettrie, Julien Offray de (1709–1751) 55 f. Lakemacher, Johann Gottfried (1695–1736) 104 Lavater, Johann Caspar (1741–1801) 95, 151 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) 10, 34, 36, 124, 176 Lenz, Jakob Michael Reinhold (1751–1792) 229 Leopold II., Erzherzog von Österreich (1747–1792) 70 Lesser, Friedrich Christian (1692–1754) 99, 104 Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) 25, 95, 147, 173 f., 179 f., 184, 215, 229 Levašov, Michail (1739 – ca. 1775) 141 Lichtenberg, Georg Christoph (1742–1799) 233 Linné, Carl von (1707–1778) 53 Lori, Johann Georg von (1723–1787) 187–189, 195, 198 Löscher, Valentin Ernst (1673–1749) 16, 79

Lotter, Johann Georg (1699–1737) 103, 195 Ludewig, Johann Peter von (1668–1743) 80, 88 Luther, Martin (1483–1546) 145, 147, 197 M Malsch, Johann Caspar (1674–1742) 102 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich (1717–1780) 64, 206 Martini, Johann Christian (†1752) 84 Martini, Matthias (1572–1630) 41 Martus, Steffen (*1968) 173 Mastricht, Gerhard von (1639–1721) 80, 87 Mattheson, Johann (1681–1764) 104 Mauvillon, Jakob (1743–1794) 213, 215 f., 219, 222–229 Meermann, Gerard (1722–1771) 25 Meier, Georg Friedrich (1718–1777) 95, 181 Meiners, Christoph (1747–1810) 94 Meister, Christoph Georg Ludwig (1813–1811) 223 Mencke, Friedrich Otto (1708–1754) 11 Mencke, Johann Burckhard (1674–1732) 11, 34, 86, 177, 199 Mencke, Otto (1644–1707) 11, 33 f., 36–41 Mesmer, Franz Anton (1734–1815) 239 Messerschmidt, Daniel Gottlieb (1685–1735) 125 Meusel, Johann Georg (1743–1820) 143, 214, 223, 226 Meyer, Anna Henriette (Verlegerin) 214 Meyer, Johann Heinrich (1702–1754) 213 Meyer, Margaretha Elisabeth (Verlegertochter) 213 Michaelis, Johann Gottlieb (1704–1740) 14 Miller, Johann Peter (1705–1781) 95 Molière, Jean-Baptiste (1622–1673) 101 Moller, Johann (1661–1725) 93, 102 Moser, Johann Jacob (1701–1785) 103 Müller, Carl Gotthelf (1717–1760) 24 Müller, Gerhard Friedrich (1705–1783) 126, 129 f., 134 f., 137, 139, 141–143 Müller, Gottlieb (1721–1793) 151 Müller, Johann Martin (1722–1781) 146–148 Münchhausen, Gerlach Adolph Freiherr von (1688–1770) 93

Namenregister

N Nadler, Josef (1884–1963) 229 Nettelbladt, Christian (1696–1775) 105 Newton, Isaac (1643–1727) 165 Nicolai, Friedrich (1733–1811) 11, 19, 97, 179, 218 Nolte, Rudolf August (1703–1752) 87 Noortwyck, Willem van (ca. 1713 – nach 1777) 59 O Oeder, Johann Ludwig (1722–1776) 48 Oeder, Georg Ludwig (1694–1760) 104 Oefele, Andreas Felix von (1706–1780) 190 f. Oefele, Felix Adam von (1740 – ca. 1780) 191 Olearius, Johann (1639–1713) 34 P Palitzsch, Johann Georg (1723–1788) 168 Pallas, Peter Simon (1741– 1811) 127, 130, 140 f., 143 Palm, Johann Georg (1697–1743) 85 Penzel, Abraham Jacob (1749–1819) 223 Persius (34 v. Chr. – 62 n. Ch.) 101 Peter I., Zar (1676–1725) 124 f., 177 f. Petersen, Johann Wilhelm (1649–1727) 100 Pfaff, Christoph Heinrich (1773–1852) 241–243 Pfautz, Christoph (1645–1711) 34–37, 40 Philippi, Ernst Christian (1668–1736) 83, 89 Philippi, Johann Ernst (1700–1758) 101 Pietsch, Johann Valentin (1690–1733) 178 Polack, Johann Friedrich (1700–1772) 14 Poppe, … (Gärtner) 153 f. Posch, Jakob Christoph (†1772) 72 Pufendorf, Esaias (1628–1689) 39 Pütter, Johann Stephan (1725–1807) 66, 72–74 Q Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus, 35–100) 183 R Rappolt, Friedrich (1615–1676) 41 f. Rau, Christian (1744–1818) 223

249

Rautenberg, Christian Günther (1728–1776) 222 f. Rechenberg, Adam (1640–1721) 36 f. Regenfus, Veit Hieronymus (1692–1765) 101, 105 Regius, Friedrich August (Buchautor) 63, 66 Reich, Philipp Erasmus (1717–1787) 64, 69, 93–96 Reiche, Carl Christoph (1740–1790) 148–150 Reimmann, Jacob Friedrich (1668–1743) 89 Reinhard, Johann Paul (1722–1779) 223 Reiske, Johann Jacob (1716–1774) 94 Riccioli, Giovanni Battista (1598–1671) 40 Ritter, Johann Wilhelm (1776–1810) 231 Rollin, Christian Jeremias (1703–1781) 58 Runckel, Dorothee Henriette (1724–1800) 185 Ruprecht, Carl Friedrich Günther (1730–1816) 93 Ryssel, Johann Jacob von (†1732) 89 S San Felipe, Vicente Bacallar y Sanna de (1669–1726) 80 Schaudig, Paul (1665–1738) 99, 103 Schelhorn, Johann Georg (1694–1773) 195, 197 Schlegel, Gottlieb (1739–1810) 95 Schlözer, August Ludwig von (1735–1809) 131, 223 Schmeitzel, Martin (1679–1747) 104 Schmid, Christian Friedrich (1683–1746) 80 Schmidt-Philsedeck, Christoph (1740–1801) 223 Schmieder, Christian Gottlieb (1750–1827) 63, 65 f., 69 Scholl, Johann G. Friedrich (Magister) 100 Schramm, Wilhelm Heinrich (1758–1823) 65 Schrepfer, Johann Georg (1730–1774) 151 Schurig, Martin (1656–1733) 104 Schütz, Christoph Philipp Sinold von (1689–1762) 100 Schütz, Friedrich Wilhelm (1677–1739) 34 Schwindel, Georg Jakob (1674–1753) 83 Schwindel, Johann Siegmund (Schreiber in Nürnberg) 84 Semler, Johann Salomo (1725–1791) 151

250

Namenregister

Seybold, David Christian (1747–1804?) 225 Simon, Peter (Prediger) 81 Simonetti, Christian Ernst (1700–1782) 48 Sinapius, Karl Friedrich (1752–1804) 223 Soemmering, Thomas Samuel (1755–1830) 239 Sonnenfels, Joseph von (1733–1817) 206–211 Sörgel, Martin Friedrich (1732–1787) 223–225 Spanberg, Martin (1696–1761) 126 Steger, Thomas (1628–1674) 41 Steinwehr, Wolf Balthasar Adolf von (1704–1771) 183 f. Steller, Georg Wilhelm (1709–1746) 126, 128, 131 Strahlenberg, Philipp Johann Tabbert von (1677–1747) 105, 125, 137 Strauch, Johann (ca. 1620–1689) 39 Sueton (70–150) 39 Sulzer, Johann Georg (1720–1779) 95 Swieten, Gerard van (1700–1772) 59, 206 T Teller, Abraham Wilhelm (1734–1804) 155 Tentzel, Wilhelm Ernst (1659–1707) 17 Thomasius, Christian (1655–1728) 16, 23, 221 Töllner, Johann Gottlieb (1724–1774) 222 Trattner, Johann Thomas von (1717–1798) 64 f. Troschel, Jakob Elias (1735–1807) 148 f. U Uffenbach, Zacharias Konrad von (1683–1734) 83, 88 Unzer, Johanna Charlotte (1725–1782) 95 Unzer, Ludwig August (1748–1774) 215 f., 219, 225 f., 228 V Vandenhoeck, Abraham (1700–1750) 93 Vandenhoeck, Anna (1709–1787) 93 Vaugondy, Didier Robert de (1723–1786) 135, 139

Veit, Stephan (1687–1736) 102 Venzky, Georg (1704–1757) 100 Volkmann, Johann Jacob (1732–1803) 210 Volta, Alessandro (1745–1822) 236 Vries, Martin (1589–1647) 132 W Walch, Johann Ernst Immanuel (1725–1778) 222 Waxell, Sven (1701–1762) 132 f. Weber, Georg Heinrich (1752–1828) 223 Weidmann, Moritz Georg (1686–1743) 79 Weigel, Johann August Gottlob (1773–1846) 75 Weise, Christian (1703–1743) 80 Weiz, Friedrich August (1739–1815) 223 Werlhof, Paul Gottlieb (1699–1767) 54 Widemann, Franz (†1748) 53 Wiedeburg, Johann Bernhard (1687–1766) 164 Wieland, Christoph Martin (1733–1813) 25, 66, 95, 174, 224, 229 Winslow, Jacques-Bénigne (1669–1760) 57 Wolff, Christian (1679–1754) 176 Z Zarncke, Friedrich (1825–1891) 16 Zedler, Johann Heinrich (1706–1751) 110, 112, 114 Zimmermann, Johann Georg (1728–1795) 46 Zincke, Georg Heinrich (1692–1769) 113 f., 208 Zinzendorf, Karl von (1739–1813) 208 Zinzendorf, Ludwig von (1721–1780) 208 Zocha, Karl Friedrich von (1683–1749) 78, 80 Zschackwitz, Johann Ehrenfried von (1669–1744) 104 Zwinger, Friedrich (1707–1776) 53 Zwinger, Theodor (1658–1724) 53

b e i t r äg e z u r ko m m u n i k at i o n s g e s c h i c h t e

Herausgegeben von Carsten Kretschmann, Bernd Sösemann und Rudolf Stöber. Die Bände 1–8 sind im Verlag Walter de Gruyter (Berlin) erschienen.

Franz Steiner Verlag

ISSN 1617–853x

9.

Bernd Sösemann (Hg.) Fritz Eberhard Rückblicke auf Biographie und Werk 2001. 517 S. mit 17 Abb., geb. ISBN 978-3-515-07881-8 10. Ulrike Oppelt Film und Propaganda im Ersten Weltkrieg Propaganda als Medienrealität im Aktualitäten- und Dokumentarfilm 2002. 408 S. mit 2 Abb. und CD-ROM, geb. ISBN 978-3-515-08029-3 11. Paul Irving Anderson Ehrgeiz und Trauer Fontanes offiziöse Agitation 1859 und ihre Wiederkehr in Unwiederbringlich 2002. 239 S., geb. ISBN 978-3-515-08127-6 12. Bernd Sösemann Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert 2002. 474 S., geb. ISBN 978-3-515-08129-0 13. Bernd Sösemann Öffentliche Kommunikation in Brandenburg-Preußen Eine Spezialbibliographie vom 16. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts 2002. 366 S., kt. ISBN 978-3-515-08172-6 14. Matthias Lau Pressepolitik als Chance Staatliche Öffentlichkeitsarbeit in den Ländern der Weimarer Republik 2003. 441 S., kt. ISBN 978-3-515-08071-2 15. Karl-Heinz Spieß (Hg.) Medien der Kommunikation im Mittelalter 2003. 323 S. mit 57 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08034-7 16. Sonja Schultheiß-Heinz Politik in der europäischen Publizistik

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

Eine historische Inhaltsanalyse von Zeitungen des 17. Jahrhunderts 2004. 357 S. mit 15 Graf., kt. ISBN 978-3-515-08028-6 Adelheid von Saldern Stadt und Kommunikation in bundesrepublikanischen Umbruchszeiten 2006. 393 S. mit 40 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08918-0 Hainer Michalske Die Gutenberg-Reichsausstellung 1940 Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Kulturpolitik 2007. 382 S. mit 30 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08756-8 Stefania Galassi Pressepolitik im Faschismus Das Verhältnis von Herrschaft und Presseordnung in Italien zwischen 1922 und 1940 562 S. mit 6 Farbgraf., kt. ISBN 978-3-515-08066-8 Christian Taaks Federführung für die Nation ohne Vorbehalt? Deutsche Medien in China während der Zeit des Nationalsozialismus 2009. 664 S., geb. ISBN 978-3-515-08739-1 Katja Roeckner Ausgestellte Arbeit Industriemuseen und ihr Umgang mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel 2009. 183 S. mit 6 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09279-1 Margaret Lavinia Anderson Lehrjahre der Demokratie Wahlen und politische Kultur im Deutschen Kaiserreich 2009. 562 S. mit 12 Abb. und 4 Tab., geb. ISBN 978-3-515-09031-5 Patrick Merziger Nationalsozialistische Satire und „Deutscher Humor“

24.

25.

26.

27.

28.

Politische Bedeutung und Öffentlichkeit populärer Unterhaltung 1931–1945 2010. 407 S., kt. ISBN 978-3-515-09355-2 Bernd Sösemann Propaganda Medien und Öffentlichkeit in der NS-Diktatur 2011. 2 Bd., I–CLIV, 1638 S. mit 240 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09635-5 Simone Richter Joseph Goebbels – der Journalist Darstellung seines publizistischen Werdegangs 1923 bis 1933 2010. 564 S. mit 5 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09682-9 Daniel Bellingradt Flugpublizistik und Öffentlichkeit um 1700 Dynamiken, Akteure und Strukturen im urbanen Raum des Alten Reiches 2011. 548 S. mit 17 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09810-6 Franziska Brüning Frankreich und Heinrich Brüning Ein deutscher Kanzler in der französischen Wahrnehmung 2012. 462 S. mit 2 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10096-0 Othmar Plöckinger (Hg.) Quellen und Dokumente zur Geschichte von „Mein Kampf“ 1924–1945 2016. 695 S., geb. ISBN 978-3-515-11164-5

29. Othmar Plöckinger (Hg.) Schlüsseldokumente zur internationalen Rezeption von „Mein Kampf“ 2016. 174 S., geb. ISBN 978-3-515-11501-8 30. Alexandra Schäfer-Griebel Die Medialität der Französischen Religionskriege 2018. 556 S. mit 9 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11501-8 31.1 Daniel Bellingradt / Holger Böning / Patrick Merziger / Rudolf Stöber (Hg.) Kommunikation in der Frühen Neuzeit Beiträge aus 20 Jahren „Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte“ 2019. 340 S. mit 41 Abb. und 10 Tab., kt. ISBN 978-3-515-12313-6 31.2 Daniel Bellingradt / Holger Böning / Patrick Merziger / Rudolf Stöber (Hg.) Kommunikation in der Moderne Beiträge aus 20 Jahren „Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte“ 2019. 401 S. mit 23 Abb. und 4 Tab., kt. ISBN 978-3-515-12314-3 32. Othmar Plöckinger (Hg.) Sprache zwischen Politik, Ideologie und Geschichtsschreibung Analysen historischer und aktueller Übersetzungen von „Mein Kampf“ 2019. 244 S., geb. ISBN 978-3-515-12379-2

Aufklärung ohne Zeitschriften ist undenkbar. Vor allem die Gelehrten Journale stellten eine neue Form von Öffentlichkeit her, die dem allgemeinen Publikum Teilhabe am kritischen Diskurs bot. Mit ihren Rezensionen, Buchankündigungen, Nachrichten und Beiträgen schufen sie Debatten und normierten gelehrte Praktiken, besonders das Rezensionswesen. So bilden diese Periodika den gesamten Wissensaustausch im 18. Jahrhundert ab und eignen sich hervorragend, die Geltung von Autoren und Akteuren des Buchmarkts, die Genese und Zirkulation von Diskursen, Medien und Wissen nachzuzeichnen.

ISBN 978-3-515-12592-5

9 783515 125925

Die Autorinnen und Autoren des Bandes behandeln u. a. die Kontroversen um Kometenerscheinungen, Kamtschatka-Expeditionen, Taufe und Taufexorzismus. Sie untersuchen Buchauktionen und -nachdrucke, die katholische Aufklärung im Journalwesen, die Acta Eruditorum im Kontext der Leipziger gelehrten Sozietäten, Albrecht von Hallers Exzerpier- und Rezensionspraxis und Gottscheds Ruhmgeschichte. Damit erschließen sie das noch wenig genutzte Potential dieser Periodika für die Aufklärungs- und historische Presseforschung.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag