WerteWandel: Prozesse, Strategien und Konflikte in der gebauten Umwelt 9783035623277, 9783035623246

Within the architectural design, planning, and construction processes, new valuations and revaluations are constantly ta

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WerteWandel: Prozesse, Strategien und Konflikte in der gebauten Umwelt
 9783035623277, 9783035623246

Table of contents :
Inhalt
WerteWandel. Eine Einführung
Wertebegriff und Wertentstehung
Lebenswelt und Wert-Urteil Die Verankerung des Wertens von Architektur in Wahrnehmung und Erfahrung
Vom Wandel der Werte und vom Wert des Bewahrens Perspektiven der Denkmalpflege
Wertewandel beim Entwerfen, Bauen und Rezipieren
»Collaborative Marketing« Wertewandel im Forschungsbau
Heinrich Hübsch Ziegelsichtiges Bauen um 1830
Wertekonflikt ohne Wertekonflikt Die Werteverhältnisse des Neuen Museums Berlin
Instrumentalisierung, Vermittlung und Medialisierung von Werten
Die Altstadt als (historische) Konstruktion oder die Konstruktion von Geschichte in der Debatte um die neue Frankfurter Altstadt
The Fortress of Suomenlinna, Helsinki Heritage Values and Participatory Management at a World Heritage Site
Gesellschaftliche Dynamiken und soziale Praktiken der Inwertsetzung
Werte, Wünsche, Utopien Die Inwertsetzung städtebaulicher Planungen seit den 1960er Jahren zwischen Interpretation und Projektion
Scale Matters Political Dynamics of Urban Conservation
As Heritage becomes World Heritage Current Processes of Heritagisation at Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus, Mumbai
Politische Rekontextualisierung und Umwertung von Bauten
Changing Content, Shifting Meaning Ottoman Value Attributions to Hagia Eirene in Istanbul
Shifting Values around the (Non-)Existence of the Historical Artillery Barracks at Taksim-Gezi, Istanbul
Monumentalising the Present The Case of the Atatürk Cultural Centre
Bitte umwerten Zu nationalsozialistischen Monumentalanlagen nach 1945

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WerteWandel Prozesse, Strategien und Konflikte in der gebauten Umwelt

Kulturelle und technische Werte historischer Bauten Hg. von Klaus Rheidt und Werner Lorenz Band 6

Julia Ess, Eva Maria Froschauer, Elke Richter, Clara Jiva Schulte (Hg.)

WerteWandel Prozesse, Strategien und Konflikte in der gebauten Umwelt

Birkhäuser · Basel

Publiziert mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Graduiertenkollegs 1913 »Kulturelle und technische Werte historischer Bauten«, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg; Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung Erkner; Archäologisches Institut der Humboldt Universität zu Berlin.

Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. phil. Christoph Bernhardt, Prof. Dr. phil. Burcu Doğramacı, Dr. phil. Dipl.-Ing. Martin Düchs, Dr.-Ing. Sabine Hansmann, Dr. phil. Nura Ibold, Prof. Dr.-Ing. habil. Hans-Georg Lippert, Dr. phil. Christine Neubert, Dr.-Ing. Katja Piesker, Dr. phil. Britta Rudolff, Dr.-Ing. Joseph Rustom, Prof. Dr. phil. Christiane Salge, Dr. phil. Achim Saupe, Prof. John Schofield PhD, Dr. rer. nat. Annette Voigt, Prof. Dipl.-Ing. M.Arch. (Cornell) Thomas Will, Albrecht Wiesener M.A.

Konzept: Julia Ess, Eva Maria Froschauer, Elke Richter, Clara Jiva Schulte Projektkoordination: Albrecht Wiesener, Sophia Hörmannsdorfer Lektorat: Johannes Althoff, William Hatherell Layout, Satz und Redaktion: Sophia Hörmannsdorfer Covergestaltung: Jörg Denkinger Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Umschlagabbildung: Berlin-Marzahn, Dorf, Neubaugebiet, BArch, Bild 183-1985-0723-003 (Foto: Zimmermann).

Library of Congress Control Number: 2021935904 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dieses Buch ist auch als E-Book (ISBN PDF 978-3-0356-2327-7) erschienen. ISBN 978-3-0356-2324-6

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9 8 7 6 5 4 3 2 1

www.birkhauser.com

Inhalt

WerteWandel. Eine Einführung Julia Ess, Eva Maria Froschauer, Elke Richter, Clara Jiva Schulte

7

Wertebegriff und Wertentstehung Lebenswelt und Wert-Urteil Die Verankerung des Wertens von Architektur in Wahrnehmung und Erfahrung Achim Hahn

19

Vom Wandel der Werte und vom Wert des Bewahrens Perspektiven der Denkmalpflege Hans-Rudolf Meier

27

Wertewandel beim Entwerfen, Bauen und Rezipieren »Collaborative Marketing« Wertewandel im Forschungsbau Marcus van Reimersdahl

45

Heinrich Hübsch Ziegelsichtiges Bauen um 1830 Dorothea Roos

61

Wertekonflikt ohne Wertekonflikt Die Werteverhältnisse des Neuen Museums Berlin Jochen Kibel

79

Instrumentalisierung, Vermittlung und Medialisierung von Werten Die Altstadt als (historische) Konstruktion oder die Konstruktion von Geschichte in der Debatte um die neue Frankfurter Altstadt Moritz Röger The Fortress of Suomenlinna, Helsinki Heritage Values and Participatory Management at a World Heritage Site Oona Simolin

97

109

Gesellschaftliche Dynamiken und soziale Praktiken der Inwertsetzung 123

Werte, Wünsche, Utopien Die Inwertsetzung städtebaulicher Planungen seit den 1960er Jahren zwischen Interpretation und Projektion Stephanie Herold

135

Scale Matters Political Dynamics of Urban Conservation Mesut Dinler

147

As Heritage becomes World Heritage Current Processes of Heritagisation at Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus, Mumbai Shraddha Bhatawadekar

Politische Rekontextualisierung und Umwertung von Bauten 161

Changing Content, Shifting Meaning Ottoman Value Attributions to Hagia Eirene in Istanbul Bilge Ar

175

Shifting Values around the (Non-)Existence of the Historical Artillery Barracks at Taksim-Gezi, Istanbul Turgut Saner, Tuba Üzümkesici

187

Monumentalising the Present The Case of the Atatürk Cultural Center Zeynep Küçük, İmge Yılmaz

201

Bitte umwerten Zu nationalsozialistischen Monumentalanlagen nach 1945 Luisa Beyenbach

WerteWandel. Eine Einführung

Wahrnehmung und Einschätzung der gebauten Umwelt unterliegen hinsichtlich der Feststellung von Wert einem steten Wandel. Dieser Wandel wird sowohl von politischen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen als auch von gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozessen mitbestimmt und beeinflusst. Gleichzeitig erfolgt laufend der individuelle Abgleich mit subjektiven und persönlichen Werten. Ein Beispiel liefert das Buchcover des vorliegenden Bandes. Es zeigt eine Fotografie von Berlin-Marzahn aus dem Jahr 1985. Im Vordergrund ist der mittelalterliche Dorfkern zu sehen, in dessen Mitte die neogotische Dorfkirche Marzahn hervortritt, die um 1870 von Friedrich August Stüler als Ersatz für die baufällig gewordene Feldsteinkirche errichtet wurde. Am vorderen linken Bildrand ist eine Transportable Raumerweiterungshalle (REH) zu erkennen, die für das moderne, modulare Bauen der 1960er Jahre in der DDR, für Nutzungsflexibilität aber auch für Raummangel-Verwaltung steht.1 Den Bildhintergrund durchziehen die in der Höhe zwar modulierten, jedoch massiert und blockhaft erscheinenden Marzahner Großsiedlungsbauten, die ab 1977 errichtet wurden. Allein in diesem begrenzten Bild- wie Realitätsausschnitt ist ein über die Zeitläufe hinweg vollzogener und baulich manifestierter WerteWandel erkennbar. Kontrastierende Lebens- und Wohnkonzepte sind in dieser Fotografie für einen Moment zum Stehen gebracht und sichtbar gemacht. Synchronizität und Diachronie veränderter Wertvorstellungen mit Bezug auf die gebaute Umwelt zeigen sich im Nebeneinander einer ländlichen und städtischen Struktur und zugleich in einem enormen Maßstabswechsel des Gebauten. Hier hatte sich, verbunden mit dem modernen Komfortversprechen, der Übergang von einer Kommune mit Selbstversorgungsstruktur hin zu einer kommunal bewirtschafteten Wohnsiedlung vollzogen. In gewisser Weise übernahm das Wohnkomplexzentrum die Rolle des Dorfangers, wobei die Kirche als Mitte nun räumlich und gesellschaftlich marginalisiert war. Die radikale Transformation dieses Ortes ist das Ergebnis jenes Wandels der eingangs erwähnten Rahmenbedingungen. Eli Rubin hat diese Feststellung in seiner auf Oral History basierten Untersuchung zur Großsiedlung Marzahn unter dem Titel Amnesiopolis (2016) noch zugespitzt: »Das war eine Transformation, mit der die politische Macht das Alltags­leben durchdrang und so die Weltanschauung der Ostdeutschen durch Aufbau, Planung und Umzug umformte.«2 Die Verbindung von sich verändernden Werthaltungen und der gesellschaftlichen Funktion von Architektur ist damit mehr als offenbar.

Wandel von Werten Wenn im vorliegenden Band von WerteWandel gesprochen wird, dann geschieht dies nicht im Sinne der Auslegungen und Deutungen in den Sozialwissenschaften. Denn diese bezogen sich für lange Zeit hauptsächlich auf die gesellschaftlichen Entwicklungen der 1960er und 1970er Jahre.3 Sie leiteten ihre Ergebnisse wesentlich aus Meinungsumfragen ab, die als Instrument und Quellen aufgrund des Subjektivitätsbezugs in der Folge oft kritisiert wurden.4 Die jüngere systematische oder zeithistorische Wertewandelforschung strebt hingegen an, die betrachteten Zeiträume und die angewandten

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Julia Ess, Eva Maria Froschauer, Elke Richter, Clara Jiva Schulte

Methoden deutlich zu erweitern, um den Begriff des Wertewandels an sich sowie das Umbrechen von Werte-Paradigmen in historischen Zusammenhängen allgemeiner in den Blick zu nehmen. Die bewusst mit Binnenmajuskel gewählte Schreibweise des Buchtitels WerteWandel verdeutlicht, dass sich dieser Band – in Abgrenzung zum genannten sozialwissenschaftlichen Verständnis –mit dem ›Wandel von Werten‹ in der gebauten Umwelt beschäftigt. Zunächst soll das Augenmerk auf den zweiten Begriff im Kompositum WerteWandel gerichtet werden: auf den handlungsbasierten Vorgang des Wandelns. Während eines solchen, meist längerfristigen Geschehens werden in einer spezifisch gesellschaftlich-historischen Situation Werte neu priorisiert oder bestehende Wertrelationen umgekehrt.5 Vorstellungen und Ziele, die lange als selbstverständlich und unausgesprochen konsensual wahrgenommen wurden, treten dabei deutlicher zutage, da sie innerhalb der oft entstehenden Kontroversen und Aushandlungsprozesse expliziter formuliert werden.6 Darüber hinaus ist der Vorgang des Wandels historisierbar, dessen Ursachen und Abläufe werden dabei sicht- und erforschbar. Auf den ersten Teil der Wortzusammensetzung näher einzugehen – auf die Werte –, eröffnet die schiere Breite dieses geschichtswissenschaftlichen und -philosophischen Gegenstandes, der seit der Formierung des nichtökonomischen Wertebegriffs in der deutschen Philosophie des 19. Jhs. bis in die Gegenwart mit nach vorne offener Unabgeschlossenheit facettenreich diskutiert und verhandelt wird. Es zeigt sich ein vielbesetztes und vielgestaltiges Begriffsfeld, bestehend aus historischen Wertekonzepten, metaphysischen Wertlehren und modernen Verantwortungs- und Planungsethiken.7 Eine der wichtigen Stimmen des Erforschens der Werte in der Gegenwart gehört dem Sozialphilosophen Hans Joas und seiner breit rezipierten Studie Die Entstehung der Werte (1997).8 Gemäß Joas ist für das gegenwärtige Wertverständnis der Charakter der Normierung, Regulierung und Einschränkung viel weniger von Bedeutung als jene »Vorstellungen darüber, was eigentlich wahrhaftig des Wünschens wert ist«.9 Für den Autor heißt das auch, dass Werte stark emotional besetzt sind, dass die subjektive Bindung an Werte über die emotionale Erfahrung des »Ergriffenseins« entsteht; auch deshalb seien Werte nicht frei wählbar oder willentlich erzeugbar. Sie entstünden im Selbstbildungsprozess eines Subjekts, das sich innerhalb der Welt positioniere.10 Bereits 1951 formulierte der US-amerikanische Kulturanthropologe Clyde Kluckhohn seine – zum Teil kritisch diskutierte – Definition des Wertes ebenfalls als »a conception of the desirable«.11 Bezogen auf die Abläufe des Entwerfens, Planens und Bauens schrieb jüngst Alexandra Starick, dass Werte nicht selbständig be- und entstünden, sondern dass sie an emotionale Subjekt-Objekt-Beziehungen geknüpft seien.12 Diese Relativität der Werte einerseits und andererseits das Wirkungsgefüge aus Werten, Institutionen und sozialen Praktiken sowie die Differenz von Werten zu verschiedenen Zeit(punkt)en13 führen im Kontext der gebauten Umwelt zu vielschichtigen Handlungszusammenhängen, sei es bei Neuplanungen, beim Umbau, bei der Instandsetzung oder bei der Ertüchtigung von Bauwerken.

Wert als Kategorie des Bauens und der Architektur – alles eine Frage der Aushandlung? Der Terminus Wert ist in Bezug auf Bauwerke historisch eng verbunden mit der Disziplin der Denkmalpflege. Alois Riegl etablierte mit seiner 1903 erschienenen Schrift Der Moderne Denkmalkultus. Sein Wesen und seine Entstehung14 einen bis heute diskutierten Denkmalwert-Begriff. Gerade in den letzten Jahren wurden Riegls Denkmalwerte wieder intensiv überprüft, grundsätzlich für noch immer gültig befunden, jedoch deutlich erweitert.15 In diesem Zusammenhang wies Gabi Dolff-Bonekämper bereits 2010 darauf hin, dass Denkmalwerte auch und vor allem Gegenwartswerte seien, da sie immer im Heute durch einen Aushandlungsprozess oder Konsens bestätigt oder bezweifelt würden.16 Dennoch lässt sich fragen, was

WerteWandel. Eine Einführung

beispielsweise genau der »Alterswert« ist, den wir einem Gebäude aufgrund seines hohen Alters, seiner deutlichen Gebrauchsspuren und seiner Anmutung zuschreiben? Was sind dabei die »Vorstellungen darüber, was des Wünschens wert ist«, um auf Hans Joasʼ Formulierung zurückzukommen?17 Ein grundlegendes Paradoxon mag nun darin bestehen, dass, während (existierende) Gebäude materiell sind, die Vorstellungen vom Wünschenswerten zunächst immateriell bleiben. Hieße demnach »Alterswert«, dass das Alter oder die Spuren des Alterns eine wirklich wünschenswerte Vorstellung wären? Oder hieße es vielmehr, dass materielle Relikte die Erfahrbarkeit des Alterns ermöglichen sollten? Die Übertragbarkeit einer solchen Wertevorstellung bleibt schwierig, auch weil die genannten Denkmalwerte vor mehr als 100 Jahren formuliert und innerhalb der eigenständig werdenden Disziplin tradiert und weitergedacht worden sind, ohne direkt an die Wertebegriffsentwicklung und -forschung im 20. Jh. gekoppelt zu sein. So wurde der Begriff Wert bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts eher genutzt, um ein materielles Gut oder eine konkrete Handlung zu beschreiben, seit den 1960er Jahren steht hingegen im Vordergrund, mit Wert einen Maßstab zu beschreiben, der Wertvolles ermessen kann – auch im Sinne eigentlich nicht messbarer Werte.18 Nach vorgängigem Verständnis könnte der Alterswert eines Baus das ablesbare Alter als ein Gut meinen, das ihn besonders auszeichnet. Nach jüngerem Verständnis vom Wert als Maßstab hingegen ließe sich am Haus als Artefakt etwas Wünschenswertes dinglich erfahrbar machen. Mit Joas gesprochen hieße das: Indem das Gebäude eine emotionale Ergriffenheit erzeugt, vermag es eine Wertbildung bei einzelnen Menschen auszulösen. Auch außerhalb der Denkmalpflege sind Werte im Zusammenhang mit dem Bauen essenziell. Als grundlegende Sinnkonstruktionen19 umreißen Werte bereits das Ziel des Handelns, während konkrete Handlungen (noch) undefiniert bleiben.20 Werte helfen die Vielfalt der Möglichkeiten zu reduzieren sowie vergangene wie zukünftige Handlungen vor sich und vor anderen zu rechtfertigen.21 Werte ermöglichen es, die Lücke zwischen Wissen und Handeln zu überbrücken, und bieten vor allem in Situationen von hoher Kontingenz wichtige Entscheidungshilfen. Insbesondere bei sehr langfristigen, politisch schwierig durchsetzbaren oder finanziell ausufernden Bauvorhaben können sich die Werte wandeln, wobei dann die Frage besteht, ob die einmal getroffenen Entscheidungen beibehalten oder an den neuen Prioritäten ausgerichtet werden. Im manchen Fällen wandeln sich Werte zwischenzeitlich so grundlegend, dass völlig neue Planungserfordernisse entstehen. Um beim Eingangsbild zu bleiben: In den 1990er Jahren waren Großwohnbauten vielfach von Abrissoder zumindest Rückbaumaßnahmen betroffen, das Wohnen in der Platte schien kein Zukunftsmodell mehr zu sein. Vor dem Hintergrund des aktuellen Wohnraummangels in deutschen Großstädten erfährt Wohnen in Berlin-Marzahn wieder neue Wertschätzung. Für Bau- und Planungsvorhaben und für die spätere Rezeption der gebauten Umwelt ist es also von hoher Relevanz, immer wieder zu fragen: Durch welche historischen, sozialen, politischen und ökonomischen Einflüsse oder Ereignisse verändern sich auch die gesellschaftlichen Übereinkünfte darüber, was (im Bauen) wertvoll ist? Bestimmte Vorstellungen entstehen – und zwar nicht nur bei Neuplanungen, sondern ebenso bei Instandsetzungs-, Ertüchtigungs- oder Umbaumaßnahmen – aufgrund verinnerlichter Wertesysteme, oder sie folgen später unter Umständen einer mehr oder weniger starken Absetzbewegung, eben einem Wertewandel. In Anbetracht dessen ist nach den Gründen und Motivationen für eine Neubewertung gebauter Objekte zu fragen, und danach, welche Konsequenzen sich daraus für die Gebäude selbst oder für deren Erforschung ergeben. Können umgekehrt auch wissenschaftliche oder technische Erkenntnisse für einen Wertewandel sorgen? Resultieren aus wissenschaftlich-technischen Umbrüchen nicht sogar ›Wertewandel-Schübe‹, die einerseits Zukunftspotential eröffnen und andererseits zu Krisen führen können?

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Julia Ess, Eva Maria Froschauer, Elke Richter, Clara Jiva Schulte

Diesen Fragen widmete sich das DFG-Graduiertenkolleg 1913 Kulturelle und technische Werte historischer Bauten an der BTU Cottbus-Senftenberg im Rahmen des fünften Querschnittskolloquiums vom 25.–27. September 2019. Dabei wurden die namensgebenden Wertebegriffe aus einer neuen Perspektive beleuchtet, um kulturelle respektive technische Vorstellungen des Wünschenswerten der gebauten Umwelt zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten und durch verschiedene Akteursgruppen genauer zu zeigen. Der vorliegende Tagungsband dokumentiert mit seinen Beiträgen Prozesse der Wertaneignung, der Wertverinnerlichung und der (individuellen) Wertentstehung an konkreten Beispielen der Bau- und Planungsgeschichte von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart und aus Sicht von Architekturgeschichte und -theorie, Baugeschichte und Bauforschung, Denkmalpflege/ Heritage Studies, Stadtplanung und raumbezogenen Sozialwissenschaften. Übergeordnete Leitfragen des Kolloquiums orientierten sich an Phänomenen, Prozessen, Strategien und Konflikten des Wertewandels im Bezug zur gebauten Umwelt. Für den Tagungsband wurden die Beiträge innerhalb der im Folgenden kurz vorgestellten fünf unterschiedlichen Themen neu gruppiert. Wertebegriff und Wertentstehung Der erste Themenbereich setzt sich mit dem Wertebegriff und der Wertentstehung auseinander und bildet damit die Grundlage für die Sicht auf bestimmte Wandlungsprozesse. Sich wandelnde Werte müssen zunächst ausgemacht und definiert werden, um anschließend die Bedingungen feststellen zu können, unter denen sich Werte überhaupt verändern können. Achim Hahns architekturphilosophischer Beitrag zum Thema Wertewandel präsentiert eine Architekturtheorie, die »Wertbeziehungen« als etwas sehr Grundsätzliches beim Bauen und Wohnen ansieht. Darin spielt der Begriff der Wertschätzung eine zentrale Rolle, da diese die lebensweltliche Erfahrung und Begegnung mit dem Gebauten auch auf einer »vorwissenschaftlichen« Ebene ermögliche und »sinnliche« von »theoretischen« Werturteilen unterscheide. So plädiert Hahn in seinem Essay dafür, das in historischen oder theoretischen Analysen professionalisierte emotionale ›Auf-Distanz-Halten‹ des Untersuchungsgegenstandes, z. B. eines Bauwerks, zu durchbrechen und eine emotionale Bezogenheit in den Vorgang der Werteinschätzung wieder zu integrieren. Denn Wertungen können für den Autor im Kontext von Architektur und Gebautem nur dort vollzogen werden, wo diese mit der Lebenswelt, also den »natürlichen Lebensverläufen« verbunden sind. Unter dem Eindruck gegenwärtiger Erfahrungen in Zeiten der Pandemie, und damit in besonders dynamisierten (Umwertungs-)Prozessen, nähert sich Hans-Rudolf Meier dem Zusammenhang von Wertewandel und Wertbewahren. Dabei blickt er schwerpunktartig auf unterschiedliche Wertemodelle aus der Denkmalpflegegeschichte, beginnend mit Alois Riegl, der mit seinem »Denkmalwert-System« die Notwendigkeit von Wandlungsfähigkeit und -beweglichkeit erstmals manifest machte. Meier verfolgt darüber hinaus »Werte-Lehre« und »Werte-Begriffe« weiter bis in die 1970er und 1980er Jahre, als, beispielsweise mit Hermann Wirth, Denkmalwerte im Abgleich zu architektonischen und gesellschaftlichen Werten in ein komplexes, weil hierarchisier- und quantifizierbares Wertesystem sortiert wurden. Aktuelle Wertewandelmodelle, so Meier, spiegelten sich in der Erbe-Diskussion beispielsweise in der Einschätzung neuer/alter Altstädte oder den Hinterlassenschaften einer industrialisierten Umwelt. Wertewandel beim Entwerfen, Bauen und Rezipieren Die Beiträge des zweiten Buchabschnitts gehen der Frage nach, inwiefern jeweils Wertewandel in unterschiedlichen Phasen des Entwerfens, Bauens und Rezipierens offenbar und nachvollziehbar wird. So sind es vor allem tradierte Denkmuster und/oder lange verinnerlichte Wertesysteme, die die Entscheidungen

WerteWandel. Eine Einführung

beim Bauen leiten.22 Hier drängen sich insbesondere die Fragen auf, welche Rolle einzelne Akteurinnen und Akteure in Entscheidungsprozessen spielen und durch welche Dynamiken diese beeinflusst werden können. Gerade die Untersuchung von Aushandlungsprozessen – sofern nachvollziehbar – erschließt frühere eingeschriebene Werte wie auch den Wertewandel.23 So stellt Marcus van Reimersdahl in seinem Beitrag zur Evaluierung moderner Forschungsbauvorhaben, ihrer Architekturkonzepte und Designmetaphern und der damit verbundenen (zukunftsfähigen) Wertvorstellungen und Marketingbegriffe zwei Perspektiven vor: einmal die der objektiv analysierenden Architekturwissenschaft, und zum anderen jene der praktischen Tätigkeit des unmittelbar mit dem Thema befassten Baureferenten. Die Leitfrage, welche Werte sich in den jeweiligen Entwürfen zu Forschungsbauten der Gegenwart abbilden, lässt den Autor zunächst auf bestimmte sprachliche Muster blicken, die ein oft gleichlautend »interdisziplinäres«, »kollaboratives«, »kreativitätsförderndes« Arbeiten unter dem Diktum recht unspezifischer digitaler Transformation artikulieren. Auf Basis sog. Bedarfsanmeldungen für Wissenschaftsbauten untersucht der Autor die dafür verwendeten Schlüsselbegriffe, um zu einem hermeneutischen Beispielverstehen aus ähnlichen WerteFormeln und damit zu vergleichbaren Architekturbildern zu kommen. Dorothea Roos beleuchtet anhand von neu ausgewertetem Archivmaterial, wie Heinrich Hübsch seine 1828 theoretisch formulierten Wertvorstellungen beim Bau der Finanzkanzlei am Karlsruher Schlossplatz (1830–33) umsetzen konnte. Zum einen werden hiermit städtebauliche und typologische Aspekte dieses frühen Verwaltungsbaus berührt, der innerhalb der Karlsruher Modellbauordnung entstand. Zum anderen wird vertieft auf die Rolle des Backsteins als Bau- und Fassadenmaterial eingegangen. Denn Hübsch sah nicht nur bei der Finanzkanzlei die Möglichkeit, seine Forderungen nach einer konsistenten Einheit eines Gebäudes in Funktion, Konstruktion und äußerer Erscheinung zu realisieren. Die Autorin zeigt, mit welchen Strategien es Hübsch gelang, seine Auftraggeberschaft zu überzeugen und wie er die dafür notwendigen Materialressourcen sicherte, um seinem Bau eine bestimmte Wertvorstellung einzuschreiben. Aus der Perspektive der Soziologie richtet Jochen Kibel in seinem Beitrag den Blick auf das vielfach in Bezug auf Denkmalwert rezipierte wiederhergestellte Neue Museum in Berlin. Er stellt zunächst fest, dass identische Begriffe von Wert für tatsächlich unterschiedlich Gemeintes vorliegen können, und er arbeitet heraus, wie trotz möglicher Wertekonvergenz Wertekonflikte entstehen. Dabei geht er nicht von Werten an sich, sondern von »Werteverhältnissen« aus, die beispielsweise in unterschiedlichen sozialen Gruppen thematisiert werden und die letztlich konfligieren können. Kibel erhellt diese Aspekte durch einen Rückgriff auf die Geschichte des Neuen Museums und die damit verbundenen, auch politischen Wertevereinnahmungen, die als ein Streit der Geschichtsauffassungen bis in die jüngste Wiederherstellungsphase wirkten. Der Autor gelangt zu dem Schluss, dass die Schaffung anscheinend einvernehmlicher Werte einen bestehenden Wertekonflikt nicht unbedingt auszuräumen vermag, wenn die »Grammatik der Wertverhältnisse« in sich widersprüchlich ist. Instrumentalisierung, Vermittlung und Medialisierung von Werten Werte sind – als Resultat eines Wandlungsprozesses – innerhalb kürzerer oder längerer Zeiträume im Bereich des Bauens durchaus handlungsleitend und nehmen z. B. enormen Einfluss auf die Umwelt­ gestaltung. Um veränderte Wertevorstellungen als Basis von Handlungsvorgängen zu erklären und zu vermitteln, stehen unterschiedliche Kommunikationswege zu Verfügung. Der dritte Abschnitt dieses Bandes beleuchtet insbesondere die bei Umwertungen zum Einsatz kommenden Strategien und Instrumentarien, die von bestimmten Interessens- und Meinungs­gruppen genutzt werden, um den jeweils intendierten Wertewandel voranzutreiben.

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Julia Ess, Eva Maria Froschauer, Elke Richter, Clara Jiva Schulte

In diesem Sinne beleuchtet Moritz Röger in seinem Beitrag die Debatte um die Errichtung der Neuen Frankfurter Altstadt. Anhand der Geschichte des Dom-Römer-Areals im 19. und 20. Jh. sowie einzelner Bauten zeigt er auf, dass das Gebiet und die Idee der Frankfurter Altstadt einem steten Wandel unterworfen waren. Rögers Blick auf diesen besonderen Rekonstruktionsfall und die dazugehörigen Debatten offenbart den Konflikt unterschiedlicher Wertvorstellungen, der sich zwischen dem rechtspopulistischen Bürgerbündnis einerseits, das einen Wiederaufbau nach historischem Vorbild forderte, und den Fachleuten der städtischen Baupolitik andererseits entzündete und im Ringen um die öffentliche Meinung mündete. Der daran anschließende Beitrag von Oona Simolin zeigt auf, wie an Welterbestätten immaterielle Werte mit lokalen Vorstellungen und Begehrlichkeiten, bei denen der »herausragende universelle Wert« (Outstanding Universal Value) zumeist an materielle Hinterlassenschaften gebunden ist, in Widerstreit geraten können. Anhand des Beispiels der finnischen Welterbestätte Festung Suomenlinna stellt die Autorin dar, dass jene »herausragenden universellen Werte« in der Besuchervermittlung zwar die relevanten Kriterien darstellen. Im Gegensatz dazu wurde für das handlungsleitende Instrument des Management-Plans jedoch die Wertbetrachtung aufgeweitet, indem über den partizipativen Einbezug der lokalen Erbe-Gemeinschaft deren Perspektiven herausgearbeitet wurden; für den Management-Plan stehen diese nun im Vordergrund. Gesellschaftliche Dynamiken und soziale Praktiken der Inwertsetzung Im vierten Abschnitt wird überprüft, wie Entscheidungen im Hinblick auf Wertzuschreibungen en détail herbeigeführt werden. Welche Rolle spielen einzelne Akteurinnen und Akteure im Spannungsverhältnis zwischen individuellem und gesellschaftlichem Wertwandel? Denn vor allem die subjektiv empfundene Freiheit und Reflexion darüber sind es ja, die dafür sorgen, dass »ständig neue, geschichts- und gesellschaftsstützende Werte und strukturbewahrende Maßstäbe« gewonnen werden24, die wiederum Inwertsetzungsvorgänge anstoßen können. Solchen Wertbildungs- und Wertwandlungsprozessen wohnt ein divergierendes Verhältnis zwischen top-down- und bottom-up-Verfahren inne. Zunächst zeichnet Stephanie Herold – ausgehend von der zunehmend positiven Rezeption von Großsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre – die Diskurse zu städtebaulichen Leitideen in Deutschland im 20. Jh. nach, wobei vor allem das Wechselverhältnis zwischen dem Gebauten und dessen Rezeption im Vordergrund steht. Über eine Diskursanalyse wird gezeigt, wie stark in den Interpretationen der gebauten Vergangenheit Sinnstiftungen zum Ausdruck kommen, anhand derer aktuelle Bedürfnisse und daraus resultierende Zukunftsvorstellungen zutage treten. Mesut Dinler präsentiert in seinem Beitrag die Geschichte der städtebaulichen Denkmalpflege in der Türkei vor dem Hintergrund politischer, sozialer und ökonomischer Rahmenbedingungen sowie nationaler und internationaler Dynamiken. Er stellt dar, wie in den 1960er und 1970er Jahren, einer von Umbrüchen und Instabilität geprägten Zeit, Expertinnen und Experten internationale KulturerbeDiskussionen aufgriffen und in der Folge die städtebauliche Denkmalpflege in der Türkei entstand und institutionalisiert wurde. Mit der Untersuchung des Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus (CSMT) in Mumbai, eines hochfrequentierten Bahnhofsensembles, dem 2004 der UNESCO-Weltkulturerbe-Status verliehen wurde, beschreibt Shraddha Bhatawadekar, wie sich der Vorgang einer »Heritagisation« vollziehen kann. Die Autorin betrachtet dabei die Begriffe Wert und Erbe kritisch; ihrer Ansicht nach greift die Bewertung des beeindruckenden Infrastrukturkomplexes, die seit der Auszeichnung als Welterbestätte zu einseitig auf Materialität, Monumentalität und Ästhetik fokussiert ist, zu kurz und bezieht Alltags- und

WerteWandel. Eine Einführung

Benutzungswerte kaum mit ein. Der Begriff »Heritagisation« schließt im Falle des CSMT auch die Musealisierung des Bahnhofs selbst mit ein. Begriffe wie Authentizität und Integrität als wichtige Werte dieses Eisenbahnerbes in Gebrauch, das täglich Zehntausende Nutzerinnen und Nutzer aufnimmt, seien, so Bhatawadekar, im einseitig auf das Baudenkmal fokussierten Heritage-Begriff deutlich unterrepräsentiert und harrten einer Neudefinition. Politische Rekontextualisierung und Umwertung von Bauten Innerhalb einer Gesellschaft existieren verschiedene Wertesysteme, die einander entweder sinnvoll ergänzen (Wertepluralismus) oder im Konflikt miteinander stehen. Insbesondere aus sich widersprechenden Systemen können Wertekonflikte mit erheblichem Zerstörungspotential erwachsen. So schließt der fünfte und letzte Abschnitt des Bandes mit der Frage danach ab, wie Aushandlungsprozesse vonstatten gehen, in denen Umwertungsvorgänge angestoßen oder beständig konkurrierende Werte abgewogen werden müssen. Entlang der Geschichte der Kirche Hagia Eirene in Istanbul und ihrem wechselhaften Schicksal skizziert Bilge Ar den Wertewandel eines Bauwerkes vom 6. bis 20. Jh. Der aus byzantinischer Zeit stammende imperiale Kir­chen­bau, unweit der Hagia Sophia gelegen, wurde in osmanischer Zeit in ein Arsenal umgewandelt, in dem u. a. byzantinisches Kriegsgerät und andere Beutewaffen gelagert wurden. Die Autorin zeichnet die folgende Entwicklung der Hagia Eirene zum ersten offiziellen Museum des Osmanischen Reiches nach. Die beiden folgenden Beiträge widmen sich den aktuellen Diskussionen um den Istanbuler TaksimPlatz, der während des 20. Jhs. symbolisch für die Modernisierung und Europäisierung der größten Stadt der Türkischen Republik unter Mustafa Kemal Atatürk stand. Seit den 2010er Jahren ist der Platz ein Fokuspunkt städtebaulicher Neuordnung, die gleichzeitig eine politische Bedeutung transportiert. Turgut Saner und Tuba Üzümkesici präsentieren die Geschichte des Platzes und zeigen damit dessen essenzielle politische Bedeutung auf. Im Zentrum der Darstellung stehen dabei die 1806 errichteten spätosmanischen Artilleriebaracken, deren 1939 erfolgter Abriss die Anlage des Gezi-Parkes überhaupt erst ermöglicht hatte. An dem jüngsten Plan der Errichtung eines Einkaufszentrums, dem eine Rekonstruktion der Fassade ebenjener Baracken vorgeblendet werden sollte, entzündeten sich 2013 die Gezi-Proteste. Die intendierte Re-Osmanisierung des Platzes wird noch unterstrichen durch den Neubau der Taksim-Moschee und die damit einhergehende Sichtbarmachung religiöser Werte. Der zweite Beitrag zum Taksim-Platz von Zeynep Küçük und İmge Yılmaz, der sich dem dortigen Atatürk-Kulturzentrum widmet, steht im Zeichen eines anderen Wertesystems. Die Autorinnen stellen den Abriss und die Rekonstruktion dieses Baus, der in besonderer Weise die moderne, laizistische Republik verkörpert, in den chronopolitischen Kontext der türkischen Geschichte. Sie verdeutlichen, wie stark der politische Islam einerseits und der Kemalismus andererseits nicht nur in der eigenen, sondern auch in der Vergangenheit des jeweils anderen verankert sind, um Zukunftsentwürfe abzuleiten und ihre Identitäten zu formulieren. In Luisa Beyenbachs Beitrag zum Nürnberger Reichsparteitagsgelände geht es um den Umgang mit Monumentalanlagen der NS-Zeit, die als ein zentrales Element des Nationalsozialismus dessen Werte versinnbildlichten und die so in der Nachkriegszeit nicht mehr tragbar waren. Beyenbach beschreibt die teilweise geradezu hilflose Suche nach neuen Wertzuschreibungen, mit der man nach dem Wegfall der ursprünglichen Funktionen auf das nun aufklaffende Wertevakuum reagierte. Sie zeichnet die unterschiedlichen Phasen eines andauernden Prozesses nach, im Zuge dessen zunächst eine Umwandlung des Symbol- und des Gebrauchswerts im Zielpunkt stand, die abgelöst wurde durch eine ökonomische Inwertsetzung, bis schließlich der Dokumentationswert Deutungshoheit erlangte.

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Julia Ess, Eva Maria Froschauer, Elke Richter, Clara Jiva Schulte

Alle Beitragenden bereicherten die Tagung und dieses Buchprojekt durch ihre jeweiligen disziplinären Sichtweisen und besonderen Untersuchungsgegenstände. Dafür gebührt ihnen allen ein herzlicher Dank. Sophia Hörmannsdorfer verantwortete vorausschauend und kompetent Satz, Redaktion und Korrektorat dieses Bandes, das Lektorat lag in den Händen von Johannes Althoff und William Hatherell. Albrecht Wiesener unterstützte die Herausgeberinnen nicht nur bei der Mitorganisation der Tagung, sondern auch in inhaltlichen Fragen und insbesondere in der produktiven Diskussion um die Einführung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglichte durch die langfristige und großzügige Förderung des DFG-Graduiertenkollegs 1913 Kulturelle und technische Werte historischer Bauten an der BTU Cottbus-Senftenberg auch diesen Band der Publikationsreihe.

Cottbus, April 2021 Julia Ess, Eva Maria Froschauer, Elke Richter, Clara Jiva Schulte

WerteWandel. Eine Einführung

1 Häring 2008. 2 Dt. Übersetzung aus Rubin 2016. 3 Zu einer methodischen und inhaltlichen Kritik sowie zur Historisierung der Wertewandel-Forschung vgl. Heine­ mann 2012. 4 Ebd. 5 Hepp 1994, 8. 6 Thome 2003, 25. Für Thome lässt sich der Wertewandel in historischer Perspektive u. a. dadurch charakterisieren, dass die Kombinationen hoher und niedriger Ge­ne­ra­li­sie­ rung in den verschiedenen Dimensionen wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher werden. 7 Einen verdichteten Überblick zu Werten in der Planung gibt bspw. Starick 2015, 17–29; Fragen nach Ethik und Moral in Bau- und Planungsprozessen werfen Berr 2017 und Ammon 2018 auf. 8 Joas 1997/2017. 9 Joas grenzt dabei Werte deutlich sowohl von (begrenzenden, restriktiven) Normen als auch von konkreten Wün­ schen ab, Joas 2006, 3. 10 Joas 2011, 155, zitiert nach Rödder 2014, 29. 11 Kluckhohn et al. 1951, 395. In der dt. Langfassung heißt es: »Ein Wert ist eine Auffassung vom Wünschenswerten, die explizit oder implizit sowie für ein Individuum oder für eine Gruppe kennzeichnend ist und welche die Auswahl der zugänglichen Weisen, Mittel und Ziele des Handelns beeinflußt.« Die deutsche Übersetzung bleibt aufgrund der begrifflichen Doppelung Werte – wünschenswert als zu definierendes und Definierendes schwierig. Vgl. zur Kritik Heinemann 2012.

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Ammon 2018 S. Ammon: Hat das Gebaute eine Moral?, in: S. Ammon et al. (Hg): Architektur im Gebrauch. Gebaute Umwelt als Lebens­ welt (Berlin 2018) 214–328.

monumente-online.de/de/ausgaben/2008/6/feiern-in-derziehharmonika.php (9.3.2021).

Berr 2017 K. Berr: Architektur- und Planungsethik (Wiesbaden 2017). Dolff-Bonekämper 2010 G. Dolff-Bonekämper: Gegenwartswerte. Für eine Erneuerung von Alois Riegls Denkmalwerttheorie, in: H.-R. Meier / I. Scheurmann (Hg.): DENKmalWERTE. Beiträge zur Theorie und Aktualität der Denkmalpflege (Berlin, München 2010) 27–40. Erpenbeck 2018 J. Erpenbeck: Wertungen, Werte. Das Buch der Grundlagen für Bildung und Organisationsentwicklung (Berlin 2018). Häring 2008 B. Häring: Feiern in der Ziehharmonika. Die Transportable Raumerweiterungshalle. Monumente. Magazin für Denkmal­ kultur in Deutschland. Online, Dezember 2018, https://www.

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Starick 2015, 26. Vgl. Rödder 2014, 30. Riegl 1903. Vgl. Dolff-Bonekämper 2010. In Meier et al. 2013 werden folgende Werte als relevant genannt und erläutert: Alterität, Alterswert, Bildwert, Erinnerungswert, Er­zie­he­ ri­scher Wert, Identifikationswert, Kultwert, Kunst­wert, Nachhaltigkeit, Streitwert, Symbolwert, Trans­kul­tu­ra­li­tät, Urkundenwert, Zeugniswert. Vgl. dazu den Beitrag von Hans-Rudolf Meier, 27–42 im vorliegenden Band. Dolff-Bonekämper 2010, 28–30. Joas 2006, 3. Lautmann 1969, 29. Der Autor macht dies etwa am Beispiel einer Geldspende deutlich, wenn hier zwischen tatsächlichem Geldwert und dem Akt des Spendens im Sinne einer guten Tat unterschieden wird. Thome 2003, 6. Daher entstehe nach Joas 2006 durchaus Wahlfreiheit, wie das Wünschenswerte zu erreichen sei, was Werte von restriktiven, beschränkenden Normen deutlich unterscheide. Vgl. Thome 2003, 7 u. 25, der sich hier auf Niklas Luhmanns Vorstellung von Werten als »symbolisch generalisierte Kom­mu­nikationsmedien« stützt. Starick 2015, 12. Heinemann 2012 plädiert für die Ausweitung des Be­trach­ tungs­zeitraums der Wertewandelforschung in den Sozialund Geschichtswissenschaften, eine Forderung, der Ar­chi­ tek­ tur­ geschichte und Bauforschung eigentlich schon längst nachkommen. Erpenbeck 2018, 2.

Heinemann 2012 I. Heinemann: Wertewandel. Docupedia-Zeitgeschichte, 2012, DOI: http://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok.2.261.v1 (9.3.2021). Hepp 1994 G. Hepp: Wertewandel. Politikwissenschaftliche Grundlagen (München 1994). Joas 1997/2017 H. Joas: Die Entstehung der Werte (Frankfurt a. M. 1997, 7. Aufl. 2017). Joas 2006 H. Joas: Wie entstehen Werte? Wertebildung und Werte­ver­ mittlung in pluralistischen Gesellschaften. Transkribiertes Vor­ trags­manuskript (15.9.2006), Tagung Gute Werte. Schlechte Werte. Gesellschaftliche Ethik und die Rolle der Medien, https:// fsf.de/data/hefte/pdf/Veranstaltungen/tv_impuls/2006_Ethik/ Vortrag_Joas_authorisiert_061017.pdf (25.2.2021).

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Joas 2011 H. Joas: Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte (Berlin 2011). Kluckhohn et al. 1951 C. Kluckhohn et al.: Values and Value-Orientations in the Theory of Action. An Exploration in Definition and Classification, in: T. Parsons / E. A. Shils (Hg.): Toward a General Theory of Action (Cambridge, Mass. 1951) 388–433. Lautmann 1969 R. Lautmann: Wert und Norm. Begriffsanalysen für die So­zio­ lo­gie (Köln, Opladen 1969). Meier et al. 2013 H.-R. Meier / I. Scheurmann / W. Sonne (Hg.): Werte. Be­grün­ dungen der Denkmalpflege in Geschichte und Gegen­wart (Berlin 2013). Riegl 1903 A. Riegl: Der Moderne Denkmalkultus. Sein Wesen und seine Entstehung (Wien 1903).

Rödder 2014 A. Rödder: Wertewandel in historischer Perspektive. Ein For­ schungs­konzept, in: Dietz et al. (Hg.): Gab es den Werte­ wandel? Neue Forschungen zum gesellschaftlich-kulturellen Wandel seit den 1960er Jahren. Wertewandel im 20. Jahr­hun­ dert 1 (München 2014) 17–39. Rubin 2016 E. Rubin: Amnesiopolis. Modernity, Space, and Memory in East Germany (Oxford 2016), dt. Übersetzung: Amnesiopolis. Macht, Raum und Plattenbau in Nordost-Berlin, Deutschland Archiv, 7.9.2016, www.bpb.de/233369 (9.3.2021). Starick 2015 A. Starick: Kulturelle Werte von Landschaft als Gegenstand der Landschaftsplanung. Dissertation an der Technischen Universität Dresden, Institut für Landschaftsarchitektur (Dresden 2015). Thome 2003 H. Thome: Soziologische Wertforschung. Ein von Niklas Luhmann inspirierter Vorschlag zur engeren Verknüpfung von Theorie und Empirie, Zeitschrift für Soziologie 32, 2003, H. 1, 4–28.

Wertebegriff und Wertentstehung

Lebenswelt und Wert-Urteil Die Verankerung des Wertens von Architektur in Wahrnehmung und Erfahrung

Achim Hahn

Wie andere Wörter unserer Sprache auch – davon kann sich jeder durch die Lektüre des Artikels Wert1 des Deutschen Wörterbuchs von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm zuverlässig überzeugen – hat auch das Wort ›Wert‹ eine weite umgangs- wie bildungssprachliche Karriere hingelegt. Seine Ver­wen­dungs­ geschichte zeigt, dass der Ausdruck ›Wert‹ sich auf das »Wert-sein« und »Wert-seiende« sowohl von Sachen als auch von Personen beziehen kann. Schon frühzeitig bezeichnete man mit ›Wert‹ den Preis bzw. die Kaufsumme einer Sache. Dasselbe gilt für die Verknüpfung des Worts Wert mit Geltung, Wertschätzung und Bedeutung. Schließlich meint das Wort auch die Qualität und die Güte von etwas. Wir sehen also, dass sich das Wort ›Wert‹ sowohl auf materielle wie geistige Dinge bezieht, wobei wiederum zwischen volkswirtschaftlicher und (moral-)philosophischer Zuschreibung unterschieden werden muss. Dazwischen bewegt sich die Soziologie, die ihren Wert-Begriff in der Regel mit dem der Norm verbindet. Normen sind allgemein verbindlich geltende Regeln des Verhaltens und Handelns, die sich an Wertvorstellungen orientieren, die einer Gesellschaft als erstrebenswert erscheinen und deren Einhaltung sozial kontrolliert wird. Von Normen und Werten handelt auch die Wertethik.

Werte als Erlebnisgefühle Auch bei einer allgemeinen Themenstellung wie »Werte in der Architektur« können grundsätzlich verschiedene wissenschaftliche oder professionell

eingeschliffene Denkstile zum Tragen kommen, wenn wir beispielsweise an die Bauökonomie oder die Denkmalpflege denken. Die Architekturtheorie indes, insofern sie nach dem Sitz der Architektur im Leben der Menschen fragt,2 wird Verhaltensweisen im weiten Sinne identifizieren und beschreiben, in denen Wertbeziehungen und grundlegende Haltungen zum Wohnen und Bauen von Bedeutung sind. Mit dem Ausdruck Lebenswelt sind vorwissenschaftliche und vortheoretische Ori­en­tie­rungs­ verhältnisse angesprochen, die unser intersubjektives alltägliches Leben ausmachen. Die Lebens­welt ist die Welt, in die wir alle in »natürlicher Einstellung« mental und emotional verstrickt sind. Das am naturwissenschaftlichen Denkstil ausgerichtete Handeln allerdings bemüht sich – denn darin besteht sein Verständnis von objektiver Wissenschaft – von diesen lebensweltlichen Orien­tie­rungs­ver­hält­nissen loszukommen, ohne sie freilich völlig abschütteln zu können. Vielmehr hat die Wissenschaft in der Lebenswelt ihren Anfang zu nehmen und ihre Motivation zu suchen. Die Zu- bzw. Abschreibung von Werten, ob nun für Sachen oder Objekte, werden schließlich immer von konkreten Menschen in bestimmten Alltagssituationen vollzogen. Einer anschaulich gegebenen Architektur kann daraufhin ein Wert zugeschrieben werden, insofern z. B. im Gebrauch eine Dienlichkeit und Qualität entdeckt werden. Vielfach bezieht sich das Werten weniger auf die Geltung eines Gebäudes (wie bei der Baugeschichte oder der Architekturkritik) als auf die tatsächliche praktische Güte, Tauglichkeit und Brauchbarkeit (etwa Werthaltigkeit). Unter dem Gesichtspunkt des Gebrauchs ist aber ein

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wesentlicher Unterschied auffällig und für unsere weitere Untersuchung relevant: Architektur ist als »erlebter Wert« ein anderer Gegenstand als z. B. ein Automobil. Denn Autofahren ist eine andere Tätigkeit als Wohnen. Ich muss nicht das Auto selbst steuern (können), um von den Vorzügen einer Autofahrt zu profitieren, sie wertzuschätzen. Aber mein Wohnen kann ich nicht delegieren oder mich darin von Anderen vertreten lassen. Jeder Mensch muss das Wohnen selbst ausführen. Selbstverständlich kann ich auf die Nutzung eines PKWs auch ganz verzichten. Im Wohnen aber vollzieht sich das Leben zum Teil selbst. Architektur, die dem »guten« Aufenthalt des Menschen auf der Erde dient und daraufhin in Gebrauch genommen wird, ist weder Werkzeug noch Kunstwerk im modernen Sinn. Architektur ist Lebensmittel, insofern sie von Menschen hervorgebracht wurde und wird, um die Welt bewohnbar zu machen. Damit ist schon so etwas wie ein anthropologischer Vorgriff auf den Wert von Architektur festgestellt, insofern sie dem menschlichen Hier- und Dasein dient, es überhaupt dauerhaft ermöglicht. Wie alle Artefakte geht Architektur auf gestaltendes Machen zurück, wobei Architektur nicht allein darin, dass sie Mittel für ganz unterschiedliche Situationen des Wohnens ist, ihren Daseinszweck findet. Es tritt (fast immer) ein Gestalt-Überschuss an Anschaulichkeit mit in Erscheinung, der nicht unmittelbar dem Gebrauch zukommen muss. In diesem Bereich des Erlebens und Erfahrens von Architektur hängt dieser Wert ihr nicht als Preisschild äußerlich an. Vielmehr manifestieren sich Werte im Wahrnehmen zunächst als Erlebnisgefühle im Prozess des sinnlich-anschaulichen Umgangs mit Architektur, in welchem sie schließlich als bewusste Werterfahrungen reflektiert und mitgeteilt werden können (»Wert-Urteil«). Wir haben also davon auszugehen, dass Men­ schen in ihrem Leben kontinuierlich bestimmte Wert­schätzungen realisieren, die Wissen­schaft­ lerinnen und Wissenschaftler veranlassen mögen, nach deren ver­meint­licher Systematik zu forschen.

»Werte erleben« oder »wahrnehmend werten« sind Lebensphänomene; sie begleiten uns nicht allein bei reflexiven Bewertungen, denen jene dann »passiv vorweg gehen«, sondern im leiblichen Erleben wird »Wertvolles« oder »Wertloses« aktiv erfahren. Werterwartungen und Werterfahrungen entstehen, da wir bei der sinnlichen Begegnung mit Architektur stets unser leibliches Befinden mit-spüren. Dieser gestimmte architektonische Raum, in welchem sowohl »Gefühltes« als auch die erlebte Gegenstandsqualität (z. B. Geborgenheit) gegenwärtig sind, widerfährt uns absichtslos. Es sind stets unsere Sinne, die uns den Wert, d. h. die Bedeutung einer Sache anfänglich aufschließen und vermitteln. In jedem einzelnen Erleben, in jeder Wahrnehmung sind wir meinend und fühlend auf Bedeutsames, worunter dann auch »Werte« fallen, gerichtet. Edmund Husserl hat in diesem Zusammenhang von Intentionalität gesprochen: Wahrnehmen, Erinnern, Vorstellen, Werten sind bestimmte Verhaltensweisen, die sich auf etwas (z. B. ein Gebäude) richten. Unser Wahrnehmen hängt nicht beziehungslos in der Luft, sondern ist immer auf etwas, z. B. einen Gegenstand oder eine Person, intentional bezogen. Auch im Werten fühle ich mich von etwas angezogen, dessen »Gehalt« mich berührt und etwas angeht. Schauen wir uns diesen Prozess genauer an, so stellen wir fest: Jede einzelne Erfahrung besteht aus einem Bündel von Wahrnehmungen, die in einer kontinuierlichen Reihe von intentionalen Verweisungen einen einheitlichen Zusammenhang bilden. Am Anfang steht die Affektion: Das Ich reagiert darauf intentional.3 Etwas bewegt sich in meine Perspektive und übt einen sinnlichen Reiz aus. Ich sehe z. B. ein Gebäude immer in einseitiger perspektivischer Abschattung und fühle mich bald veranlasst und aufgefordert, näher an es heranzutreten, seine anderen Ansichten auch in den Blick zu nehmen. Ist es tatsächlich das Haus, in welchem ich eine Wohnung besichtigen will? Was wir dabei im Sinn haben, beschränkt sich in der Regel darauf, prüfend und uns orientierend zu verstehen, was es mit dem Begegnenden auf sich hat. In diesem Prozess

Lebenswelt und Wert-Urteil

realisieren wir immer auch einen Wertgehalt, insofern uns eine positive Stimmung und ein lustvolles Gefühl oder deren Gegenteil widerfahren. Im Erleben von Architektur spüre ich Anmutungen, die mit Freude oder Unlust in Verbindung stehen. Primär ist hier die Unterscheidung zwischen angenehm und unangenehm, nämlich die zwischen einem bejahenden und einem ablehnenden Wertgehalt einer Sache.

Wert-antizipierendes Wahrnehmen Wir nehmen Architektur so wahr, dass wir in ihr auch ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der wir leben, mitsehen. Das ist jedenfalls die Meinung der meisten Soziologen, und Wahrnehmung wird ihnen zu einem Erkenntnisakt. Keine Psychologin, kein Soziologe und auch keine Ar­chi­tek­tur­theo­re­ ti­ke­rin könnte allerdings sinnvoll über Werte sprechen, wenn sie nicht schon in ihrem Leben verschiedenen Wertphänomenen begegnet wären. Schon als Kinder achten wir auf bestimmte Dinge sorgsamer als auf andere und sind maßlos enttäuscht, wenn sie mit einem Mal unauffindbar sind. Auf das Verschwinden für uns wertloser Spielsachen reagieren wir dagegen eher teilnahmslos. Was »werten« ist, lernen wir also schon früh an passenden Beispielen und Gegenbeispielen, ebenso das Wertsein von Dingen und Sachverhalten. Uns wertvollen Dingen begegnen wir mit anderen Emotionen als uns wertlosen. Es geht dabei nicht um einen objektiven Wert, den eine Wissenschaft oder eine andere Profession an einer Sache oder einem Ding feststellen, sondern um einen Gefühlswert. Letzterer wird unmittelbar erlebt und erfahren. Objektive Wertzuschreibungen sind Abstraktionen von diesen Affektionen und Gefühlswerten. Damit bin ich dort angekommen, wo jedes wissenschaftliche Urteil über Wert und werten seinen Ausgang zu nehmen hat: im vorwissenschaftlichen oder lebensweltlichen Vollzug. An dieser Stelle möchte ich kurz das Anliegen aufnehmen, das der Soziologe Hans Joas seinem Buch Die

Entstehung der Werte (1997) unterstellt. In seiner Schrift, so Joas, gehe es ihm darum, »nach den Handlungszusammenhängen und Erfahrungstypen Ausschau zu halten, in denen das subjektive Gefühl, daß etwas ein Wert sei, seinen Ursprung hat«.4 Etwas später fragt er nach den Begründungen von Wertentscheidungen und gibt an, nicht davon auszugehen, »daß wir unsere Werte tatsächlich aus Begründungen und Diskussionen gewonnen hätten und sie aufgäben, wenn uns ihre Begründung schwerfällt.« Joas’ Interesse gilt dem Versuch, sich »an diesen Kern menschlicher Erfahrung« anzunähern.5 Er beschäftigte sich dann in seinem lesenswerten Buch vor allem mit dem Pragmatismus und seinen Folgen. Ich werde einen anderen Weg gehen, um der menschlichen Erfahrung, wie Joas es nennt, nachzuspüren. Wie ist der nun schon mehrmals angesprochene Vollzug von Werten bzw. das Werten als intentionaler Wahrnehmungsvollzug zu verstehen? Eine Antwort gibt die philosophische Anthropologie: »Wir Menschen alle sind bedürftig.« Das ist vielleicht der zentrale Satz in Wilhelm Kamlahs Philosophischer Anthropologie von 1972.6 Solche Bedürftigkeit entspricht der Natur des Menschen und ist kulturell nicht zu hintergehen: Wir müssen essen und trinken, uns Kleidung verschaffen und wohnen, d. h. an einem sicheren Ort zur Ruhe kommen und Geborgenheit finden. Wir sind ebenso der mitmenschlichen Gemeinschaft bedürftig. Das Tun und Handeln des Menschen, sein Tätigsein, sind also als die menschliche Existenz überhaupt ermöglichende und sichernde Antwort auf seine leiblich-natürliche Konstitution zu verstehen. Freilich setzen wir »von Anfang an« unser kulturelles Vermögen ein, um auf diese Bedürftigkeit vernünftig und angemessen zu reagieren, etwa indem wir uns klug den Gegebenheiten unserer Umwelt anpassen bzw. diese uns, um ein gutes Leben zu ermöglichen, stimmig umgestalten. Wir sind nicht nur der Mitmenschen bedürftig, sondern auch passender Güter, ohne deren Gebrauch wir nicht überleben könnten. Schon früh lernen wir zu unterscheiden, welche Menschen gut zu uns passen, welche

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Lebensmittel uns helfen und beglücken und welche Menschen bzw. Dinge nicht. Dabei helfen uns andere Menschen mit ihrem Vorbild, und wir lernen durch Fragen, Zusehen, Antworten, Selbermachen, dass wir aufeinander und auf bestimmte Güter angewiesen sind. Unsere Bedürftigkeit nimmt auch im Alter nicht ab. Aber im späteren Leben wissen wir vielleicht besser zu unterscheiden zwischen existenzieller Bedürftigkeit und bloßem Begehren. Vom Begehren können wir uns distanzieren, von unserer Bedürftigkeit nicht. Wir müssen essen und trinken, uns kleiden, irgendwo wohnen. Unser aller Lebenserfahrung legt nahe, dass jeder Mensch diesen Zusammenhang von Bedürftigkeit und intersubjektiver Befriedigung einzusehen vermag. Aus dieser praktischen Grundnorm folgen weitere Handlungsnormen, die schließlich auch den uns heute interessierenden Ausdruck ›Wert‹ plausibel machen. Die Frage nach dem »Wert-sein« von Sachen ist fundamental. Die Sprache kennt allerdings eine Fülle von Möglichkeiten, dieses Wertsein auszudrücken: als Angemessenes, Gelingendes, Schönes, Begehrenswertes, Heiliges usw. Ich spitze an dieser Stelle zu: das Wahrnehmen des Wert-seins ist Teil unserer Wahrnehmung von Dingen. Wir handeln stets in ganzen Situationen. Ich möchte mir meine Hände waschen, weil ich ein Bedürfnis danach habe. Erleichtert nehme ich das Stück Seife zur Kenntnis. Genau danach hatte ich eben noch suchen wollen. Jede Sinneswahrnehmung wird von Gefühlen der Lust oder Unlust begleitet. In der situativen Wahrnehmung dieses Stückes Seife widerfährt mir das Gefühl seines Wert-seins. Das Sehen ist also wertendes Sehen und als solches affektiv oder gestimmt. Kamlah schreibt: Die Affekte der Bedürftigkeit kommen also nicht zu einem an sich unbedürftigen ›Wahrnehmungsvorgang‹ erst hinzu, sondern im Gegenteil: Erst durch Ausschaltung der affektiven Bedürftigkeit wird ein vergleichsweise unbedürftiges Anschauen möglich, welche Reduktion des Sehens dann freilich in der neuen Richtung eine ungeahnte Erweiterung freigibt.7

Das wertende Sehen ist also nie bloß rezeptiv, sondern stets aktiv. Die menschliche Bedürftigkeit lässt

uns aktiv Umschau halten nach dem Passenden, Dienlichen, Nützlichen, Wertvollen. Jeder suchenden Wahrnehmung liegt die Antizipation (»VorAnnahme«) von etwas schon Bekanntem voraus. Schließlich muss ich wissen, wonach ich suchen soll. So antizipiere ich wie selbstverständlich das Wertsein benötigter Lebensgüter. In ihrer, allgemein gesagt: Angemessenheit (»Wohnlichkeit«) liegt die Wertantizipation des Lebensmittels Architektur, aber nur insofern diese Brauchbarkeit von einer Gemeinschaft und ihren Mitgliedern erinnert und erwartet werden kann. Dem wertenden Suchen steht nun das konkrete Phänomen Wohnhaus gegenüber. In seiner Faktizität kommt das Gebäude dem Handeln und Denken des Menschen, der weiß, dass er wohnen muss, immer zuvor. Was ich hier und jetzt bewohnen will, muss irgendwie schon vorhanden (gebaut) sein. In dieser Situation der Haussuche und persönlichen Wohn-Not widerfährt mir das Gebäude. Situationen wiederholen sich im Leben des Einzelnen wie jedes Menschen und sind dennoch für den, der konkret in sie hineingerät, stets aktuell und konkret. Erfahrungen, die dabei gemacht werden, lassen sich nicht von den Gefühlen und Emotionen trennen, die das Widerfahrnis hervorruft. Der Zustand, in welchem der Suchende (Bedürftige) sich dabei findet, widerfährt ihm als eigene Gestimmtheit. Wir können sogar behaupten, dass die Stimmungen tragend sind für das Vermögen der Wahrnehmung. Gestimmtheit richtet mein Wahrnehmen leiblich aus. Ein erstes Resümee ist zu ziehen: Wollen wir die unmittelbare Wirklichkeit, die bei jeder Ar­chi­ tek­ tur­ wahrnehmung aufkommt, nicht verkennen, dann müssen wir die affektive menschliche Bedürftigkeit berücksichtigen. Dem unbefangenen Sehen, von dem eben die Rede war, lässt sich das professionelle Betrachten gegenüberstellen. Ar­chi­tek­tur­historikerinnen und -historiker betrachten untersuchend ein Bauwerk, wenn sie dessen kulturhistorischen Wert auffassen und bemessen wollen. Sie interessiert das Bauwerk nicht in seiner Grundbedeutung als Antwort auf eine konkrete Wohnnot. Als Wissen­schaftlerinnen

Lebenswelt und Wert-Urteil

und Wissenschaftler halten sie das Bauwerk emotional auf Distanz. Aufkommende Affekte und Gefühle würden nur stören und von der eigentlichen Aufgabe des analytischen Bestimmens ablenken. Rein wissenschaftliche bzw. professionelle Interessen leiten den Umgang mit Architektur. Sie sind allein der allgemeinen Geltung ihrer Wertung gegenüber dem wissenschaftlichen bzw. professio­ nellen Betrieb verpflichtet und gehen davon aus, dass ihre Urteile von anderen überprüfbar sein müssen.

Ästhetisches Urteilen bei Kant Ästhetische Werturteile nennen wir die Urteile, die auf unmittelbarer sinnlicher Wahrnehmung beruhen. Wahrnehmung ist die primäre, nicht weiter reduzierbare Form, in der uns ein Phänomen begegnet.8 Ihr Gehalt ist die Erfahrung, die wir mit der sinnlichen Wahrnehmung machen. Etwas uns Begegnendes widerfährt uns, zugleich machen wir mit dem uns Begegnenden eine Erfahrung. Diese Reflexion auf einen Eindruck hat Kant eine »subjektive« genannt.9 Auch die Unterscheidung zwischen objektiv und ästhetisch geht auf Kant zurück. Sie veranlasste ihn, von einer Wissenschaft der Ästhetik ganz abzusehen. Im Folgenden werde ich, aufbauend auf der unmittelbaren gestimmten Wahrnehmung, danach fragen, was es mit entsprechenden Werturteilen auf sich hat. Bereits in einer vorkritischen Schrift von 1767 beschreibt Kant den ästhetischen Sachverhalt: Die verschiedenen Empfindungen des Vergnügens, oder des Verdrusses, beruhen nicht so sehr auf der Beschaffenheit der äußeren Dinge, die sie erregen, als auf das jedem Menschen eigene Gefühl, dadurch mit Lust oder Unlust gerührt zu werden.10

Das private oder subjektive Urteil dient dazu, so zeigt Kant 1790 in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft, diesen ästhetischen Sachverhalt auszudrücken. Es kann keine »Ästhetik des Gefühls als Wissenschaft geben«11, da alle Bestimmungen des Gefühls nur subjektiv bedeutsam sind.

Durch die Benennung eines ästhetischen Urteils über ein Objekt wird also sofort angezeigt, daß eine gegebene Vorstellung zwar auf ein Objekt bezogen, in dem Urteile aber nicht die Bestimmung des Objekts, sondern des Subjekts und seines Gefühls verstanden werde.12

Kant unterscheidet zwischen vorwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Aussagen und entsprechend zwischen einer reflektierenden und einer bestimmenden Urteilskraft. Reflexion ist für das lebensweltliche Urteilen deshalb angesagt, weil das Gefühl erst noch »zum Sprechen gebracht« werden muss.13 Urteile beruhen auf reflektierendem Sprechen. Das Wert-sein des Gebäudes wird z. B. durch sein »Schön-sein« ausgesprochen. Und am Beispiel dieses ästhetischen Werturteils möchte ich mein Verständnis von einem architektonischen WertUrteil entwickeln. Dem Sinnenurteil »Dieses Haus ist schön« liegt kein überprüfbarer ästhetischer Be­ur­tei­lungs­maßstab zugrunde. Die Erfahrung des Schönen oder des Wertvollen oder die von Schönheit bzw. von Wert ist dem unmittelbaren Vermögen der menschlichen Einbildungskraft und einem Gefühl geschuldet. Das verbalisierte Urteil erweckt indes den Anschein, als ob es um die begriffliche Bestimmung eines Gebäudes gehe. Diese ge­gen­stands­bezogene Sprechweise ist um­gangs­ sprachlich üblich. Oftmals lässt sich an all­tags­welt­ lichen spontanen Beschreibungen nicht erkennen, dass sie nur sinnliche Elemente enthalten. Zwar scheint die Verbalisierung »Das Gebäude ist schön« einem Gegenstand eine Eigenschaft zuzuschreiben, da aber der ästhetische Charakter beim Ge­schmacks­urteil im Zentrum steht, haben wir es dennoch nicht mit einer begrifflichen Bestimmung zu tun.14 Das Geschmacksurteil ist vielmehr »an die aktuelle Präsenz eines bestimmten Gefühls gebunden«.15 Es ist selbst ein »zeitgebundenes Ereignis« und insgesamt »authentisch«. Es wäre unsinnig behaupten zu wollen: »Du hast dich darin getäuscht, dieses bestimmte Gefühl von Schön-sein gehabt zu haben!« Wir haben es bei der ästhetischen wie bei jeder Erfahrung mit der Erfüllung oder der Enttäuschung einer ursprünglichen oder Vor-Erfahrung zu tun.

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Wenn wir in unserem Zusammenhang von Erfahrung sprechen, dann geht es uns nicht um die Diskussion der Methodisierung oder Instrumentalisierung von Erfahrung durch die Wissenschaft, sondern um die jeder Methodisierung immer schon vorausgehende Erfahrung in der Lebenswelt. Erfüllte Erwartung und bittere Enttäuschung sind keine wissenschaftlichen Termini, die vor dem Hintergrund einer Hypothesenüberprüfung durch ein Experiment eine Tatsache festhalten wollen16, sondern kennzeichnen eine Erfahrung, die den Erfahrenden persönlich trifft und betroffen macht. Die Erfahrung des Schönen, Unvergleichlichen, Harmonischen oder Wertvollen »machen« wir allein in dem Sinne, dass wir sie je nur selbst machen können. Sie stößt uns mit ihren Folgen zu, die »im Machen« nicht absehbar sind. Das ästhetische Urteil, das eine Erfahrung begleiten kann, ist nicht durch eine wissenschaftliche Untersuchung verursacht. Als die Bestimmung eines besonderen, mir widerfahrenden Gefühls, das sich leiblich regt, versuche ich es zu beschreiben. Die Beschreibung drückt das Erlebnis (genauer: die ästhetische Wirkung) als Erfahrung sprachlich aus: »Das Gebäude ist schön.«17

verschiedenen Veröffentlichungen vom »ästhetischen Wert« gesprochen und darauf hingewiesen, dass das »Bewerten« eines im Wahrnehmen begegnenden Gegenstands sich nicht im theo­ retischen Urteilen vollzieht.18 Für ihn bewegt sich das praktische Werturteil im Grenzbereich von Ästhetik und Ethik. Das Werten ist Teil und Produkt des ästhetischen Erlebens. Erst in der konkreten Begegnung mit Architektur realisieren wir Menschen einen Wert. Der Mensch selbst ist mit dem Geschehen einer Begegnung existenziell, das heißt in diesem Zusammenhang leibhaftig, verbunden. Jede Begegnung setzt Gegenwärtigkeit und Anwesenheit voraus. Ingarden hat vorgeschlagen, zwischen einem ästhetischen Urteil und einem ästhetischen Erlebnis zu unterscheiden. Das Vergegenwärtigen von etwas, das sein Wert-sein berührt, stellt lediglich den Beginn eines Prozesses vor, der im Erlebnis an sein Ziel kommt. Ingarden schreibt:

Die Lebensnähe von Wertgefühlen

Das Bewerten des sinnlich Begegnenden mit gut/ schlecht oder angenehm/unangenehm vollendet sich dabei nicht im Urteil als einer logischen Aussage, »sondern kulminiert nur in ihm, wird in ihm nur begrifflich geprägt und zusammengefaßt«.19 Jedes Bewerten geht nach Ingarden auf ein Wert-erleben zurück. Im (erlebten) Wert liegt dann eine leiblich-emotionale Reaktion vor, die er eine erlebnismäßige Wertantwort nennt. Alltags­ weltlich reicht uns diese Wert-Antwort, weil uns das emotionale »Urteil« in der Regel genüge tut, um eine unterbrochene Tätigkeit nach vollzogener Wertorientierung fortsetzen zu können. Was die Verlässlichkeit eines Gefühls und einer Emotion angeht, sollten wir uns nicht beirren lassen. Wir täuschen uns ja nie darin, tatsächlich etwas gefühlt, also eine emotionale Zuneigung bzw. Ablehnung gespürt zu haben. Zwar kann es

In Anknüpfung an Kants Kritik der Urteilskraft lässt sich das ästhetische Werturteil weiter präzisieren. Dabei erinnern wir an unsere frühere Feststellung, dass Architektur ein Lebensmittel ist, auf dessen Dienlichkeit wir für unser Wohnen und Bleiben angewiesen sind. Wenn wir zu Anfang unseres Textes Prozesse des Wahrnehmens mit wertenden Bekundungen in Beziehung gesetzt haben, dann sind wir von einem praktischen Werturteil ausgegangen. Um aber das professionelle, vom reinen Betrachten ausgehende von einem lebensweltlichen Werten abzugrenzen, muss noch auf die Unterscheidung zwischen einem sinnlichen und einem theoretischen Werturteil hingewiesen werden. Der aus Polen stammende Philosoph Roman Ingarden (1893–1970) hat in

Das ästhetische Erlebnis fängt an, wenn auf dem Hinter­ grund eines wahrgenommenen oder phantasiemäßig vorgestellten realen Gegenstandes eine besondere Qualität (gewöhnlich eine Gestaltqualität) zur Erscheinung gelangt, die den Erlebenden nicht ›kalt läßt‹, sondern ihn in einen eigentümlichen Erregungszustand versetzt.

Lebenswelt und Wert-Urteil

zu Situationen kommen, in denen wir von anderen aufgefordert werden, unser Wert-Gefühl auch durch Worte zum Ausdruck zu bringen. Erst dann stoßen wir vor zum Wert-Urteilen, indem wir dazu übergehen, das Erlebte als Erlebnis zu diskutieren. Innerhalb der diskursiven Auslegung des Erlebten können wir allerdings insofern scheitern, als dass uns die Worte missraten, das wertende Fühlen bzw. den gefühlten Wert adäquat auszudrücken. Auch die ohne Gebrauchsabsicht und in neutraler Einstellung getätigte »ästhetische« Betrachtung von Architektur versucht, dieser einen Wert abzugewinnen. Aber eine solche methodisierte Wertermittlung geht dann nicht als Werterfahrung in den Gebrauch zurück, sondern muss wissenschaftlich begründet werden im Vergleich mit anderen unter ästhetische Betrachtung gestellten Bauwerken dieser oder einer anderen historischen Zeit. Das Ziel hierbei ist das erkenntnismäßige Werturteil, dem irgendein Wertgefühl gar nicht mehr anzumerken ist. Dass wir zwischen dem Guten und dem Schlechten, dem zu uns Passenden und dem uns Unangemessenen unterscheiden können und diese Unterscheidung uns nicht gleichgültig ist, darauf basiert überhaupt die Moralität unserer Werte-Praxis. Wären wir nicht davon überzeugt, ein gutes Leben führen zu wollen, wüssten wir die Zuneigung dem Angenehmen gegenüber und die Abneigung gegen das Unangenehme im Architektonischen überhaupt nicht einzusehen. Der Mensch strebt danach, dass sein Leben und Wohnen gelingen soll. Und im erlebenden Umgang mit Architektur bringen wir dem Gebauten entsprechende Werterwartungen entgegen, die entweder bestätigt oder enttäuscht werden. Architekturtheoretisch ist es nicht einzusehen, das erkenntnismäßige Werturteil dem bloß erlebten, d.h. leibhaftig gespürten, Wertgefühl vorzuziehen. Vielmehr hat dieses den Vorteil, ohne kunsttheoretische Vorannahmen und logische Überhöhungen sich einzustellen. Sucht der theoretische Zugang eine wissenschaftlich schon bekannte Bedeutung an einem Einzelwerk nachzuweisen, also deduktiv

vorzugehen, so konnte uns die Untersuchung des Phänomens des Wertens darauf aufmerksam machen, dass das Empfinden von Bedeutsamkeit schon impliziter Inhalt des menschlichen Affektund Wahr­neh­mungs­vermögens ist. Hans Blumen­ berg zitiert einen im Hinblick auf ein Ansinnen und Begehren sehr lehrreichen Passus aus Georg Simmels Philosophie des Geldes (1907, 2. Aufl.), wo dieser auf den Zusammenhang von Bedeutsamkeit und Wert hinweist: So ist es nicht deshalb schwierig, die Dinge zu erlangen, weil sie wertvoll sind, sondern wir nennen diejenigen wertvoll, die unserer Begehrung, sie zu erlangen, Hemmnisse entgegensetzen. Indem dies Begehren sich gleichsam an ihnen bricht oder zur Stauung kommt, erwächst ihnen eine Bedeutsamkeit, zu deren Anerkennung der ungehemmte Wille sich niemals veranlasst gesehen hätte.20

Mit anderen Worten: Gerade die Schwere und Zumutung, das Begehrte auch wirklich zu erlangen, lassen dieses als ausgezeichnet erscheinen. Dies trifft auf alle begehrten Güter zu. Das subjektive Moment steckt »im ›empfundenen‹ Wert des Begehrens«.21 So ist das leiblich verspürte eigene Verlangen nach bestimmten Dingen der eigentlich relevante Wert, den wir anschließend bloß auf die Dinge »übertragen«. Ist das Begehren erst einmal gestillt, kann der empfundene Wert der Dinge schnell wieder abebben.

Fazit Das Werten ist eingebettet in unsere natürlichen Le­bens­ver­läu­fe. Werten ist kein isolierter Er­kennt­nis­ akt, sondern dient der menschlichen Orientierung. Um mich in meiner Welt zurechtzufinden, sind die mir begegnenden Sachverhalte daraufhin zu verstehen, wie sie ein gegenwärtiges Anliegen unterstützen oder behindern. Das Wert-sein von Menschen und Dingen bezieht sich auf unsere Bedürftigkeit, unser Leben führen zu müssen. Sehen wir beim wissenschaftlichen Werturteil von diesem Leibapriori ab, so verlieren wir die emotionale Seite des Men­ schen aus dem Blick.

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1 DWB 1854–1961, Bd. 29, Sp. 460–471, vgl. http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&m ode=Vernetzung&hitlist=&patternlist=&lemid=GW179 84#XGW17984 (7.4.2020). 2 Vgl. Hahn 2008. 3 Vgl. Brand 1970, 67. 4 Joas 1997, 22. 5 Joas 1997, 22–23. 6 Kamlah 1972, 95. 7 Kamlah 1949, 123 (Kursivierung im Original). 8 Vgl. Picht 1986, 395ff. 9 Kant 2005 [1790], 184f. 10 Kant 2005 [1764], 825. 11 Kant 2005 [1790], 199. 12 Kant 2005 [1790], 200. 13 Vgl. Kulenkampff 1994, S. 67f. 14 Einen davon abweichenden Standpunkt vertritt der Architekturtheoretiker und Philosoph Martin Düchs: »Ich

Blumenberg 1990 H. Blumenberg: Arbeit am Mythos (Frankfurt a. M. ⁵1990). Brand 1970 G. Brand: Husserls Lehre von der Wahrheit, Philosophische Rundschau 17, Nr. 1/12, 1970, 57–99. Düchs 2017 M. Düchs: Zur moralischen Relevanz des Schönen in der Ar­chi­ tektur, in: K. Berr (Hg.): Architektur- und Planungsethik. Zugänge, Perspektiven, Standpunkte (Wiesbaden 2017) 175–193. DWB 1854–1961 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden (Leipzig 1854–1961, Quellenverzeichnis Leipzig 1971) http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/ wbgui_py?sigle=DWB (23.11.2020).

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verstehe Schön-/heit (…) als eine Eigenschaft, die zwar nicht so exakt messbar ist wie eine physikalische Größe, aber eben auch nicht in dem Sinne ›rein subjektiv‹ wäre, dass man über die Schönheit einer Architektur keinerlei sinnvolle Aussagen machen könnte oder bei seinen Bewertungen nicht auf allgemeine Zustimmung hoffen dürfte.« Düchs 2017, 177f. Wieland 2001, 209. Denn sie treffen auf Antizipationen des vorwissenschaftlichen Erfahrungslebens, die jedoch nicht mit hypothetischen Annahmen einer Wissenschaft vergleichbar sind, die jedermann »als Thesen« einem Experiment voraussetzen kann. Vgl. auch König 1978, 256–337. Vgl. Ingarden 1969. Ingarden 1969, 9. Simmel zitiert bei Blumenberg 1990, 86–87. Simmel zitiert bei Blumenberg 1990, 87.

Kant 2005 [1790] I. Kant: Erste Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteils­ kraft [1790], in: W. Weischedel (Hg.): Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden, Bd. V (Darmstadt 2005). Kamlah 1949 W. Kamlah: Der Mensch in der Profanität. Versuch einer Kritik der profanen durch vernehmende Vernunft (Stuttgart 1949). Kamlah 1972 W. Kamlah: Philosophische Anthropologie. Sprachkritische Grund­legung und Ethik (Mannheim 1972). König 1978 J. König: Die Natur der ästhetischen Wirkung, in: G. Patzig (Hg.): Josef König: Vorträge und Aufsätze (Freiburg, München 1978).

Hahn 2008 A. Hahn: Architekturtheorie. Wohnen. Entwerfen. Bauen (Wien 2008).

Kulenkampff 1994 J. Kulenkampff: Kants Logik des ästhetischen Urteils, 2. Aufl. (Frankfurt a. M. 1994).

Ingarden 1969 R. Ingarden: Erlebnis, Kunstwerk und Wert (Tübingen 1969).

Picht 1986 G. Picht: Kunst und Mythos (Stuttgart 1986).

Joas 1997 H. Joas: Die Entstehung der Werte (Frankfurt a. M. 1997).

Simmel 1989 G. Simmel: Philosophie des Geldes, Georg Simmel Gesamt­ ausgabe, Bd. 6 (Frankfurt a. M. 1989).

Kant 2005 [1764] I. Kant: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Er­ha­be­nen, 1764, in: W. Weischedel (Hg.): Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden, Bd. I (Darmstadt 2005).

Wieland 2001 W. Wieland: Urteil und Gefühl. Kants Theorie der Urteilskraft (Göttingen 2001).

Vom Wandel der Werte und vom Wert des Bewahrens Perspektiven der Denkmalpflege

Hans-Rudolf Meier

Wie schnell sich Werte wandeln, erleben wir gegenwärtig in der Corona-Krise in unerwarteter und nachdrücklicher Weise. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist eine Installation des Zürcher Künstlers Marc. B. Bundi mit dem Titel Werte. Für sein Werk, das er vom November 2019 bis Januar 2020 in der Galerie Cularta in Laax (Graubünden/ Schweiz) ausgestellt hat, wollte Bundi ein Material von möglichst geringem Wert verwenden, »um eine Debatte über die Wichtigkeit von materiellen Gegenständen anzustoßen.«1 Er türmte dafür 1.785 Rollen Toilettenpapier zu einer 1,70 m

hohen Pyramide auf (Abb. 1) – nicht ahnend, welche Aktualität seine Schöpfung durch das sich erst nach Ende seiner Ausstellung zur Pandemie entwickelnde Virus erhalten sollte. Das zuvor quasi wertlose Aus­gangs­produkt seiner »Werte«-Installation erfuhr durch die – nur bedingt rational erklärbare – Reaktion weiter Bevölkerungsteile auf die Pandemie eine unerwartete Wertsteigerung und wurde zum gehorteten und zeitweise kaum mehr zu er­wer­ben­den Gegenstand – und Bundis Werk damit zum sinnfälligen und vielbeachteten Signum dieses Wandels.

1  Marc B. Bundi, Werte, Installation in der Galerie Cularta in Laax (Schweiz), November 2019–Januar 2020. Das Werk besteht aus 1.785 Rollen Toilettenpapier, einem (damals) quasi wertlosen Material.

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Hans-Rudolf Meier

Der Wertewandel soll im zweiten Teil dieses Beitrags weiter thematisiert werden. Zuvor sind Begriff und Lehre der Werte kurz zu diskutieren und ist ein Blick auf die Werte-Modelle der Denk­ mal­pflege von Alois Riegl bis zum 2014–17 vom Bundes­forschungs­ministerium geförderten For­ schungs­projekt Denkmal – Werte – Dialog zu werfen. Anschließend wird nochmals der Wandel der Werte in den Fokus genommen und im Kontext von Werte-Konflikten insbesondere am Beispiel des Industrieerbes diskutiert. Zum Schluss geht es um das zum Wandel konträre Beharrungs­vermögen der Dinge und den von der Denkmalpflege hochgehaltenen Wert des Bewahrens.

Begriff und Werte-Lehre Wovon sprechen wir eigentlich, wenn wir Werte bemühen?2 Der Werte-Begriff kommt aus der Ökonomie und wurde im metaphorischen Sinne zuerst in die Ethik übernommen. Immanuel Kant etwa spricht vom »absoluten Werte« des »guten Willens, so wie er schon dem natürlichen gesunden Verstande beiwohnet und nicht so wohl gelehret als vielmehr aufgeklärt zu werden bedarf«. Über alles gehe der Wert »eines an sich guten Willens« jenseits von aller Nützlichkeit.3 Ganz andere – nicht normative – Geltung kommt dem Begriff in der Volkswirtschaftslehre zu. Die grundlegende Beschäftigung mit Werten lieferte dort Karl Marx in seiner Analyse des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Marx hob die Relationalität des Wertes hervor, der nicht als solcher existiere, sondern sich erst im Austausch realisiere. In einem Brief vom Juli 1868 an den befreundeten Arzt Ludwig Kugelmann, der ihm die Rezension des Manchesterliberalen Julius Faucher zum ersten Band des Kapitals (1867) geschickt hatte, führte er aus: »Das Geschwatz über die Notwendigkeit, den Wertbegriff zu beweisen, beruht nur auf vollständigster Unwissenheit, sowohl über die Sache, um die es sich handelt, als die Methode der Wissenschaft.«4 Im Kapital verglich Marx den Wert mit dem

Wechselkurs: Der Wert werde erst im Austausch der Waren konstituiert. In einer Überarbeitung des Abschnitts Allgemeine Werthform legte er dar: Ein Arbeitsprodukt, für sich isoliert betrachtet, ist also nicht Werth, so wenig wie es Ware ist. Es wird nur Werth, in seiner Einheit mit andrem Arbeitsprodukt, oder in dem Verhältniß, worin die verschiedenen Arbeits­produkte, als Krystalle derselben Einheit, der menschlichen Arbeit, einander gleichgesetzt sind.5

Die Marxsche Arbeitswertlehre zeigt, wie der Kapitalismus einer über den Wert vermittelten Gesell­schaft­lichkeit bedarf – und sie ist zugleich eine grundsätzliche Kritik an dieser so disponierten Gesellschaft. Etwa zeitgleich mit Marx wirkte der Philosoph und Mediziner Rudolph Hermann Lotze (1817– 81), der als einer der Begründer der in der Moral­ theologie und Ethik wurzelnden Wert­philosophie gilt.6 Seit dem späten 19. Jh. wird die Wertlehre auch Axiologie genannt, vom altgriechischen ἄξιος (áxios) = Wert. Popularisiert wurde sie um 1900 durch die Debatten um Friedrich Nietzsches Werk und dessen Fundamental­kritik von Moral und Religion. Ausgerechnet bei Nietzsche taucht im Übrigen der heute so viel bemühte Begriff der »christlichen Werte« erstmals auf, der zuvor weder von Theologen noch von Gläubigen benutzt worden war – und den Nietzsche (als »décadenceWerte«) keineswegs als Kompliment verstand.7 Für Nietzsche waren »Werthschätzungen (…) die Folge unserer innersten Bedürfnisse«.8 Ihn interessierten nicht die Normativität und vermeintliche Gültigkeit von Werturteilen, sondern die Zusammenhänge zwischen der Werte-Konstruktion und ihren Entstehungskontexten. Wie er in einem nachgelassenen Text schreibt, gehe durch seine Schriften als wiederkehrendes Thema, daß der Werth der Welt in unserer Interpretation liegt (– daß vielleicht irgendwo noch andere Interpretationen möglich sind als bloß menschliche –), daß die bisherigen Inter­pretationen perspektivische Schätzungen sind, vermöge deren wir uns im Leben, das heißt im Willen zur Macht

verhalten würden.

Vom Wandel der Werte und vom Wert des Bewahrens

Die Welt, die uns etwas angeht, ist falsch d.h. ist kein Thatbestand, sondern eine Ausdichtung und Rundung über einer mageren Summe von Beobachtungen; sie ist ›im Flusse‹ als etwas Werdendes, als eine sich immer neu verschiebende Falschheit, die sich niemals der Wahrheit nähert: denn—es giebt keine ›Wahrheit‹.9

Die Relationalität und Fiktionalität von Werten ist auch Thema neuerer philosophischer Texte, die auf das aktuelle Reden über Werte reagieren. Der Kulturphilosoph und Nietzsche-Forscher Andreas Urs Sommer gab seinem jüngsten Buch den programmatischen Titel Werte. Warum man sie braucht, obwohl es sie nicht gibt.10 Er bezeichnet Werte als »regulative Fiktionen«, die je nach den individuellen und sozialen Bedürfnissen immer wieder umgestaltet würden, um sich »über das Gewollte und Gesollte immer wieder neu [zu] verständigen«. Sommer fährt fort: »In Werten zu denken, bedeutet, Vergleiche anzustellen, Bedeutsamkeit je nach Situation abzuschätzen«. Er veranschaulicht das am Beispiel einer gefüllten Wasserflasche und deren je sehr unterschiedlichem Wert in der Wüste oder an einer sprudelnden Quelle.11

Werte-Modelle der Denkmalpflege Von Nietzsche bzw. der Nietzsche-Rezeption ist es ein kurzer Weg zu den Werte-Modellen der Denk­mal­pflege. Denn nicht zuletzt durch die Nietzsche-Werke befeuert, entfaltete die WerteDebatte um 1900 Breitenwirkung in Wissenschaft und Gesellschaft. Es sind auch jene Jahre, in denen Alois Riegl für die Einleitung zu einem habsburgisch-österreichischen Denk­mal­schutz­gesetz seine grundlegende Denk­mal­wert-Theorie entwickelte, die er 1903 als Modernen Denkmalkultus publizierte.12 Die Koinzidenz dürfte kein Zufall sein, zumal wenn man Renzo Cassetti folgt, der die drei Erin­ ne­ rungs­ werte des Riegl’schen DenkmalwerteModells in Bezug gesetzt hat zu Nietzsches Drei­ teilung von monumentalistischer, antiquarischer und kritischer Art der Geschichtsbetrachtung und

in Riegls Erinnerungswerte-Trilogie eine Beein­flus­ sung durch Nietzsches Schriften erkennt.13 Riegls Denkmalwerte-System muss hier nicht erläutert werden; kurz resümiert unterscheidet er Erinnerungswerte und Gegenwartswerte, letztere differenziert in Gebrauchswert und Kunstwert, erstere in Alterswert, Historischen Wert und Gewollten Erinnerungswert.14 Immer ist es eine Mehrzahl an Werten, die den Denkmalwert bilden. In doppelter Weise ist der Wertewandel eine zentrale Aussage von Riegls System: Zum einen als historischer Wandel, den Riegl in der Entwicklung vom gewollten Er­in­ne­rungs­wert über den historischen Wert als gewordenem Erinnerungswert – und Charakteristikum des 19. Jhs. – schließlich zum Alters­wert als, wie er glaubte, zentralem Wert des eben angebrochenen 20. Jhs. verstand. Zweitens und entscheidender liegt der Wertewandel in der konsequenten Re­zep­ti­ons­perspektive der Riegl’schen Denk­mal­theorie, einem Ansatz, mit dem er seiner Zeit weit voraus war. Demnach konstituiere sich der Denk­mal­wert in der Moderne primär durch das interessierte Subjekt, sei doch für den modernen Denk­mal­kultus das »charakteristische, unablässig gesteigerte Bestreben« entscheidend, alles physische und psychische Erleben nicht in seiner objektiven Wesenheit (…), sondern in seiner subjektiven Erscheinung, das heißt in den Wirkungen, die es auf das (sinnlich wahrnehmende oder sich geistig bewusst werdende) Subjekt ausübt, zu erfassen.15

Seit Riegl basiert damit die Denkmaltheorie auf der fundamentalen Erkenntnis, dass die Individuen und sozialen Gruppen Wertesubjekte, die Gebäude, Orte, Landschaften und Dinge hingegen Werte­ träger sind, also Projektionsobjekte dieser Werte. Wolfgang Kemp hat darauf hingewiesen, dass Riegls Position sich damit diametral von jener John Ruskins unterscheide, der in den Seven Lamps of Architecture (1849) im Kapitel The Lamp of Memory zwar Riegls Überlegungen zum Erinnerungswert antizipiert habe, in seinem Aufsatz von 1862 zu den Grundsätzen der Volkswirtschaft Unto This Last (Four essays on the first principles of political

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Hans-Rudolf Meier

economy) aber einen Lebenswert postulierte, der »unabhängig von Meinungen und Quantitäten« bestehe, intrinsisch, objektiv sei und nicht »Be­wer­ tungen« unterliege.16 Setzte Ruskin damit also einen scheinbar unerschütterlichen Lebenswert ins Zentrum, waren es 40 Jahre später bei Riegl Erlebenswerte. Wie radikal und schnell sich die Denkmalwerte ändern und die Prognose, der Alterswert sei der Denkmalwert des 20. Jhs., falsifiziert wurde, hat der 1905 früh verstorbene Riegl nicht mehr erleben müssen. Der Erste Weltkrieg – die Ur-Katastrophe des letzten Jahrhunderts – bewirkte eine radikale Werte-Umkehr: Postulierte Riegl in der Auseinandersetzung mit Georg Dehio noch, der »Nationalegoismus« müsse einem »Mensch­ heits­egoismus« – einem von Nietzsche geprägten Begriff notabene – Platz machen17, stand dann im Krieg die Nation wieder an erster Stelle; ihr hatten sich andere Werte auch der Denkmalpflege bedingungslos unterzuordnen. Ins Zentrum rückte damit insbesondere wieder der Symbolwert, der, wie Ingrid Scheurmann konstatiert, dem Alterswert insofern ähnlich sei, als »im Unterschied zum

Urkundenwert (…) die Wahrnehmung symbolischer Bedeutungsschichten keine historische Vorbildung voraus[setzt] und (…) insofern vorbehaltlos allen Bevölkerungsschichten zugänglich« sei.18 Aus dem verlorenen Krieg resultierte in Deutsch­land eine gespaltene Gesellschaft: Eine vom Ge­sche­he­nen zutiefst erschütterte Avantgarde, die mit der (unmittelbaren) Vergangenheit brechen und zu neuen Ufern vordringen wollte, stand einem sich auch ästhetisch artikulierenden und zunehmend radikalisierenden national-konservativen Lager gegenüber; die Denk­mal­pfleger:innen gehörten – man ist versucht zu sagen: erwartungsgemäß – nicht zu den Progressiven. Zwar fanden während der Weimarer Republik an den Tagen für Denkmalpflege durchaus auch Diskussionen um die aktuellen Anforderungen der Moderne an die Denkmale statt, in denen sich der Werte-Wandel und Werte-Konflikte artikulierten. So, wenn etwa 1928 in Würzburg als Referenten Theodor Fischer und Ernst May auftraten, um Fragen der Anpassung der Altstadt an die Erfordernisse des Verkehrs bzw. der Stadt an die Bedürfnisse der Moderne zu diskutieren.19

2  Spiegel-Cover mit dem Thema Heimat als Indikatoren der Wiederkehr von Werte-Debatten (1984, 1999, 2016).

Vom Wandel der Werte und vom Wert des Bewahrens

Prägend für den Wertediskurs der Zwischen­kriegs­ zeit blieb aber der Rekurs auf den bereits für das 19. Jh. im Zeichen der Nationaldenkmale zentralen Symbolwert, den nun vor allem Paul Clemen in Abgrenzung zur Theorie der modernen Denk­mal­ pflege der ersten Dekade des 20. Jhs. in verschiedenen Schriften ausformuliert und 1933 im Band Die Deutsche Kunst und die Denkmalpflege zusammengefasst hatte. Das Vorwort setzt ein mit dem Bekenntnis des Verfassers »zu der überzeitlichen Bedeutung und dem Symbolgehalt der Denkmäler der Deutschen Kunst«, richtet einen Appell und eine Warnung »an die sich Verzagenden und an die Herzensträgen unter den Fachgenossen« – und endet mit einem Wort des »Führers«. Denkmale, so Clemen, seien »in höherem Sinn (…) Denkzeichen, Wahrzeichen«, »Gefäß(e) aller starken geistigen und religiösen Kräfte (…) Träger der nationalen Wünsche und Sehnsüchte«.20 Clemen lieferte damit die ideologische Basis, auf der Denkmale alsbald zu »nationalen Weihestätten« umgedeutet wurden, mittels derer die »Feier des Eigenen als des Wahren und der Ausschluss des Anderen als des ›Entarteten‹« betrieben werden sollte, um auf diese Weise »die politische Radikalisierung der Wert- und Gemeinschaftsbegriffe« zu forcieren.21 Entsprechend waren nach 1945 der Symbolwert und die daran anknüpfenden National- und Hei­ mat­werte in der Bundesrepublik zumindest begrifflich längere Zeit diskreditiert. Erst nach Helmut Kohls »politisch-moralischer Wende« und dann erst recht nach 1989 tauchten sie im Zeichen der Re-Semantisierung, Re-Nationalisierung und der Reaktionen auf die Globalisierung erneut in der Debatte auf (Abb. 2). Gegenwärtig erfahren sie im Kontext »Neuer Altstädte« zusammen mit anderen affektiven Werten eine erneute Konjunktur. Hier ist ein bemerkenswerter gesellschaftlicher Werte­wandel zu verfolgen, der die Denkmalpflege nicht unberührt lässt und der einer differenzierten Beschäftigung bedarf. Stefan Trübys »rechte Räume« und die dadurch entfachte Polemik kann nur der Anstoß für eine fällige Debatte sein, an der sich auch die Denkmalpflege beteiligen sollte.22

Vorerst sei aber noch weiter dem Pfad des Wandels der denkmalpflegerischen Wertelehren gefolgt. In der Nachkriegszeit haben sich v. a. in den 1960er Jahren u. a. Walter Frodl, Manfred Wehdorn und Torsten Gebhard, ausgehend von Riegls Konzept, mit der Systematik von Denkmalwerten beschäftigt und sich bemüht, diese den gewandelten Diskussionen und gesellschaftlichen Ansprüchen anzupassen, ohne freilich substanziell Neues beitragen zu können.23 Den umfangreichsten und bisher letzten Versuch einer systematischen Darstellung der Denk­mal­werte in der deutschsprachigen Denk­mal­ theorie unternahm Mitte der 1980er Jahre mein Weimarer Lehrstuhl-Vorgänger Hermann Wirth im Rahmen einer Axiologie der baulich-räumlichen Umwelt, die er in eine gelehrte allgemeine WerteDiskussion bzw. Werte-Theorie einband.24 Wirth griff damit eine Anregung seines Lehrers Hermann Weidhaas auf, der sich in den 1970er Jahren entsprechend betätigt hatte, als die Kybernetik auch auf die Geisteswissenschaften ausstrahlte und man insbesondere vor dem Hin­ter­grund des dialektischmaterialistisch ge­präg­ten marxistischen Ge­sell­ schafts­modells an die Ver­wissen­schaftlichung aller Lebensbereiche glaubte.25 Auch Wirths Ansatz ist davon geprägt. Zwar erläuterte er ausführlich, der Mensch sei das Wertsubjekt und jede soziale Gruppe habe ihre eigene Werthierarchie; er versuchte dann aber doch, ein architektonisches Wertesystem zu entwickeln und auf die Denkmalpflege zu adaptieren, in dem er Denkmalwerte quantifizierte, ordnete und hierarchisierte. (Abb. 3). Als Wirth nach der Wende 1994 seine Axiologie erneut publizierte, war diese – nach Postmoderne und Poststrukturalismus – ihrerseits bereits Zeugnis eines Wertewandels. Hatte er sich noch um die Darstellung eines möglichst kohärenten Systems der Beziehungen der Werte zueinander bemüht, waren 2013 in unserer Schlusspublikation des Forschungsverbunds Denkmal – Werte – Dialog die 14 Begriffe des Werteglossars von »Alterität« bis »Zeugniswert« nurmehr in alphabetischer Folge angeordnet.26

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Hans-Rudolf Meier

DENKMALWERTE

historischer Wert

Anschauungswert

emotionaler Geschichtswert

rationaler Geschichtswert

Dokumentarund Quellenwert

Memorialwert

Symbolwert

Alterswert

ästhetischer Wert

Assoziationswert

Orientierungsund Identitätswert

Seltenheitswert

Kunstwert

Ensemblewert

Unikalitätswert

3  Hermann Wirth, System der Denkmalwerte.

Jenseits der deutschsprachigen Denkmal­theorie ist der Wertebegriff als Outstanding Universal Value (OUV) zentral für das UNESCO-Welt­kultur­ erbe. Dessen Problematik wäre allerdings ein eigenes Thema, das weiter unten nur kurz angesprochen wird. In der international immer wichtiger werdenden, ursprünglich australischen Burra-Charta ist dagegen von »cultural significance«, nicht von »values« die Rede. In der deutschen Version wird »cultural significance« aber mit »Denkmalwert« übersetzt. 27 Tatsächlich heißt es in der die Charta einleitenden Erklärung der Begriffe »the term cultural significance is synonymous with heritage significance and cultural heritage value«. Ergänzend wird programmatisch fortgeführt: »Cultural significance is embodied in the place itself, its fabric, setting, use, associations, meanings, records, related places and related objects. Places may have a range of values for different individuals or groups.«28 Signifikant insgesamt für jüngere (und außereuropäische) Ansätze der Denkmaltheorie ist der enge Zusammenhang vom Ort (place) und der ihn

nutzenden Gemeinschaft (community) gerade für Wert­set­zungs­prozesse und Erhaltungskonzepte. 29 Mitte der 1990er Jahre initiierte das Con­ser­ va­tion Institute der Getty Foundation ein WerteEvaluierungs-Projekt, dem der Value-Begriff in seiner kulturellen und ökonomischen Doppel­ bedeutung zugrunde lag.30 Einen Wandel in der Heritage-Community spiegelt der abschließende Programm­bericht insofern, als – wie auch in der Burra-Charta – die Akteure stärker ins Zentrum rücken, und entsprechend auch andere Disziplinen und Methoden, etwa für die Erfassung sozialer Werte die Anthropologie und Ethnologie. Aber auch Methoden der Umweltforschung werden vermehrt aufgegriffen. Zu den jüngsten Bemühungen der Darstellung von denkmalrelevanten Werten im Ecological Age zählen die Diagramme von Colm Murray, Architecture Officer im Heritage Council of Ireland, der fortschreibend eine Vielzahl unterschiedlicher Werte zu BegriffsGruppen oder -Wolken zusammenfasst, die in variabler Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden (Abb. 4).31

Vom Wandel der Werte und vom Wert des Bewahrens

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Colm Murray, February 2017

Colm Murray, December 2019 4  Colm Murray, Diagramm der Denkmalwerte bezogen auf das industriekulturelle Erbe.

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Hans-Rudolf Meier

Werte-Wandel und Werte-Konflikte Der Wertewandel spiegelt Veränderungen in den gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen, also eigentlich einen gesellschaftlichen Wandel wider. Oft ist dieser konfliktbehaftet; konfligierende Interessen und konfligierende Werte stehen miteinander in Beziehung. Das zeigt sich aktuell vielleicht am deutlichsten in der Klimapolitik, wo einer sich berechtigterweise um die Zukunft sorgenden und sich auf wissenschaftlich abgestützte Prognosen berufenden Jugend die von den Interessen traditioneller Lobbygruppen eher

5  »Monuments for future«: Spendenkampagne der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die aktuelle Nachhaltigkeitspostulate mit historischen Bauwerken verknüpft.

blockierten als getriebenen Regierungen gegenüberstehen: Ideelle Werte wie Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit stehen gegen materielle Werte, Hedonismus, Abstiegsängste und das trotzige Staunen, dass es doch nicht sein könne, dass es so nicht weiterginge. Letzteres zeigte sich überdeutlich in der Ausstiegsdebatte der CoronaKrise nach der ersten Pandemie-Welle, als längerfristige politische Ziele über Bord geworfen wurden zugunsten der vergeblichen Sehnsucht, rasch wieder dorthin zu gelangen, wo man vor dem Lockdown war. Von ähnlichen Wertekonflikten ist auch die Denk­mal­pflege betroffen, die sich einerseits mit ihren Grundsätzen der Langlebigkeit, der Kon­ser­ vie­rung und Reparatur auf Prinzipien der Nach­ haltig­keit avant la lettre berufen kann, wie das die Deutsche Stiftung Denkmalschutz 2019/20 mit Bezug auf die Fridays for future-Bewegung mit ihrer Kampagne Monuments for future offensiv veranschaulicht (Abb. 5).32 Andererseits muss die Denk­ mal­pflege aber auch für viele ihrer Schützlinge auf Sonder­konditionen in Sachen Haus­technik und Energie­verordnungen beharren und sich weiterhin für Objekte der jüngeren Vergangenheit einsetzen, deren Material und Konstruktion keineswegs umweltfreundlich sind. Für eine »Denk­mal­pflege als Zukunfts­prinzip«33 sind die daraus resultierenden Wert-Konflikte aktiv gestaltend anzugehen. Im traditionellen Kernbereich der Denk­mal­ pflege ist der geradezu klassische, immer wiederkehrende Werte-Konflikt jener zwischen dem Substanz- und dem Bildwert eines Denkmals. Dass ein Denkmal sowohl Monument wie Dokument ist, hat zwar schon Georg Dehio in seiner sogenannten Kaiserrede 1905 erläutert, sei das Objekt doch durch »die aus ästhetischen und historischen Merkmalen gemischte Doppelnatur« definiert.34 Darauf baut auch die Charta von Venedig auf, die von einer Restaurierung fordert, »die ästhetischen und historischen Werte des Denkmals zu bewahren und zu erschließen« und alle wesentlichen Zeitschichten eines Denkmals zu erhalten.35 Der Werte-Konflikt ist damit aber eher formuliert

Vom Wandel der Werte und vom Wert des Bewahrens

6  Dresden, Johanneum, 2008, mit (links) Probeachsen zur Fassadenauffrischung.

als gelöst. Er ist als Abwägungsprozess immer wieder von neuem und bei einer Intervention am Denkmal immer auch vielfach im Detail auszutragen. Über die jeweilige Einzelfallentscheidung hinaus lassen sich Entwicklungen und Tendenzen beobachten, die einen Werte-Wandel spiegeln. War noch vor einer oder zwei Generationen das Zeigen von Brüchen und Differenzen hoch angesehen, geht heute der Trend zum »schönen« und intakten Denkmal. Das hat durchaus (auch) mit der – von Wilfried Lipp schon in den 1990er Jahren diskutierten36 – Konkurrenz durch »neue Altstädte« zu tun, die Erwartungshaltungen wecken, denen sich die wirklich alten Stadtkerne anpassen sollen. So war es in Anbetracht der rasch wachsenden Konkurrenz an neuen Barockfassaden am Dresdner Neumarkt nur folgerichtig, dass das einzige erhaltene barock umgebaute Spätrenaissancegebäude am Neumarkt, das Johanneum, 2008 einer Außen­ sanierung zu unterziehen war, um nicht – salopp

formuliert – neben den prächtigen Neu-Altbauten »alt auszusehen« (Abb. 6). Ein unausweichlicher Werte-Konflikt bricht auch immer aus, wenn es um den Umgang mit Kriegsruinen geht. Die Konfliktlinien sind vielschichtig: Ruinen- und Erinnerungswerte stehen ästhetischen, städtebaulichen und kunsthistorischen Werten, aber möglicherweise auch Gegenwarts- und Gebrauchswerten gegenüber. Als 1919 Winston Churchill vorschlug, England solle die Ruinen der Belgischen Stadt Ypern erwerben und sie als Gedenkstätte konservieren, da es angesichts der vielen dort gefallenen britischen Soldaten »auf der ganzen Welt keine heiligere Stätte für die britische Rasse« gebe, stieß er damit verständlicherweise die geflohene Bewohnerschaft, die in ihre Stadt zurückkehren wollte, vor den Kopf.37 Ihr Ziel war es, den Krieg aus ihrer Erinnerung zu bannen und dafür »so zu tun, als hätte es nie einen Krieg gegeben, und

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Hans-Rudolf Meier

die Stadt so wieder aufzubauen, wie sie war«.38 In die Geschichte der Denkmalpflege eingegangen ist der Konflikt um das Frankfurter Goethehaus und damit auch die gegen die schließlich realisierte Rekonstruktion vorgebrachten Argumente. Etwa jene von Walter Dirks, wonach das Haus am Hirschgraben nicht durch einen Bügeleisenbrand oder einen Blitzschlag zerstört worden sei, sondern es Zusammenhänge zwischen dem Geist des Goethehauses und dem Schicksal seiner Vernichtung gegeben habe: »[W]äre das Volk der Dichter und Denker (…) nicht vom Geiste Goethes abgefallen, vom Geist des Maßes und der Menschlichkeit, so hätte es diesen Krieg nicht unternommen und die Zerstörung dieses Hauses nicht provoziert«39, oder der radikale Gegen­ vorschlag zum Wiederaufbau, die Trümmer zu belassen und mit der Inschrift zu versehen »unser Hitler unserem Goethe«.40 Werte-Konflikte artikulieren sich aktuell in vielfacher Weise in der Frage des Umgangs mit dem baulichen Erbe der Spätmoderne. In der öffentlichen Debatte prallen unterschiedliche WertVorstellungen aufeinander. Gerade in der Denk­ mal­pflege fällt es oft nicht allen leicht, das, was einst als (Zer-)Störung bekämpft wurde, heute als Denk­mal zu verteidigen. Da das Thema seit einiger Zeit auf Tagungen, in Projekten und Publikationen überaus lebendig diskutiert wird, soll es hier nicht vertieft werden. Stattdessen ist auf eine in jüngerer Zeit international geführte Werte-Debatte einzugehen: Die Diskussion um das Industrie- bzw. bereits postindustrielle Kulturerbe. Zu Zeiten der in den Zentren der Industriellen Revolution voll funktionierenden Betriebe standen deren materielle Werte im Zentrum. Permanenter Umbau der Baulichkeiten und deren Anpassung an veränderte Anforderungen waren Programm, die Expansion war Motor und Ideologie zugleich. Gegebenenfalls erlangte eine Direktorenvilla oder ein von einem prominenten Architekten entworfenes Gebäude einen Sonderstatus als künstlerisches Denkmal, bisweilen interessierte auch mal eine Anlage aus

technikgeschichtlichen Gründen. Erst mit der massenhaften Deindustrialisierung weiter Teile Europas und Nordamerikas wurde aus den materiellen Hinterlassenschaften der Industrie ein kulturelles Erbe. Die Verlusterfahrung bewirkte – um eine Formulierung von Boris Groys aufzugreifen – eine kulturelle Valorisierung, welche die profanen Gegenstände in kulturelle Werte verwandelte; die Objekte wurden zu Denkmalen und damit zum Bestandteil des kulturellen Archivs.41 Verbunden sind damit überwiegend positive Werte des Fortschritts, der Technikentwicklung und der Ästhetik technischer Schönheit. Als solche sind einige Stätten des industriellen Erbes aufgrund ihres »Outstanding Universal Values« zum UNESCO-Weltkulturerbe geadelt worden. Die Zeche Zollverein wird als »industrial Versailles« bezeichnet – ein Epitheton, das der Zollverein in der Literatur allerdings u. a. mit Eero Saarinens Forschungs-Campus für GM, IBM und AT&T teilen muss.42 Die Frage ist, wofür Industriedenkmale stehen und wessen Erbe sie sind. Was soll mit ihrem Erhalt bewirkt und erzählt werden? Welche und wessen Geschichte? Welche immaterielle Werte werden durch die materiellen repräsentiert, welche Werte generell mit dem Industrieerbe verknüpft? Ist es ein wirtschaftlich-technisches Fortschrittsnarrativ, oder sind die Konflikte und Leiden von einst auch Teil des Denkmals? Diese Debatte hat sich durch die Wahlgewinne rechtspopulistischer Politiker:innen gerade in ehemaligen Industriegebieten, die traditionellerweise Zentren der Linken waren, verstärkt. Das gilt für die USA, wo Donald Trump sich als Kümmerer der Arbeiterklasse gerieren konnte, für das Bassin Minier in Nordfrankreich, in dem das Rassemblement National (ehemals Front National) eine Hochburg hat, für Sachsen mit der AfD u. a. Es gilt abgeschwächt auch für Teile des Ruhrgebiets, wo in der ärmeren Emscherzone die AfD inzwischen auch auf 20 % kommt, während der reichere Süden grün wählt – was dort vielleicht als Indiz für einen einigermaßen gelungenen Strukturwandel interpretiert werden kann.

Vom Wandel der Werte und vom Wert des Bewahrens

Der Werte-Verlust bzw. Werte-Wandel der An­ge­ hö­ri­gen der ehemaligen Arbeiterklasse ist dadurch auch in der mit dem Industrieerbe befassten Fach­ community zum Thema geworden. Kritisch wird konstatiert, Industrieerbe-Initiativen seien fast zwangsläufig mit weiterer De­in­dus­tri­ali­sierung und Gentrifizierung verbunden. Hinzu kommen in jüngerer Zeit im Zusammen­hang mit der Klimadebatte verstärkt ökologische Argumente. Bereits vor mehr als zehn Jahren hat TICCIH, die Weltorganisation der mit Industrie­kultur befassten Fachleute, Ökologie (und Ökonomie) zum Thema ihres Weltkongresses in Freiberg gemacht.43 In jüngster Zeit ist etwa von Colm Murray und Iain Stuart die 2003 verabschiedete TICCIH-Konvention (Nizhny Tagil Charter) als »whiggistisch« (liberalistisch) kritisiert worden, weil sie – aus dem Entstehungs­kontext erklärbar – nur positive Werte des industriellen Erbes aufführe.44 Vergiftete Böden und Gewässer, verschleuderte Ressourcen, Artensterben, Entwaldung, Erosion etc. blieben wie Unterdrückung und Aus­beutung oft unbeachtet – eine Kritik, die sich in Australien bereits 1988 anlässlich der offiziellen 200-Jahr-Feiern als Protest in der »Black Armband«-Bewegung manifestiert hat.45 Dark heritage umfasst weit mehr als das, was Norbert Huse 1997 als »unbequeme Baudenkmale« in die deutsche Denkmal­theorie­diskussion eingeführt hat.46 Gefragt wird nach einer ganz anderen Sicht auf das industrielle oder postindustrielle Erbe, einer Sicht, die den widersprüchlichen und gegensätzlichen Werten, für die diese Hinterlassenschaften stehen, besser gerecht wird.47 Denkt man weiter in diese Richtung gerade im Feld des Erbes der stets im weltweiten Maß­stab agierenden und auch nur mit diesen Verflechtungen verständlichen Industrie, stellt sich die grundlegende Frage, ob das an Superlativen und Fort­ schritts­modellen ausgerichtete World-HeritageKonzept als langfristiges Konzept taugt, um auch das globale Erbe der Industrie in seiner vollen Widersprüchlichkeit der Werte zu repräsentieren. Nachzudenken ist darüber, wie man von einem affirmativ-harmonisierenden Weltkulturerbe zu einem die Werte-Konflikte beinhaltenden Konzept

von Global Heritage kommt. Diese Debatte wird zunehmend aus Ländern des globalen Südens eingefordert, die mit wachsendem Selbstbewusstsein für eine Neukonzeption des Industrieerbes eintreten. Sie soll mit der europäisch-nordamerikanischen Dominanz einer überwiegend positivistischen Bewertung dieses Erbes brechen und dabei insbesondere die globalen Abhängigkeiten und Machtverhältnisse thematisieren. Diese bestimmen eben nicht erst seit der Industriellen Revolution in Europa, sondern bereits seit der europäischen Expansion des 15. und 16. Jhs. die wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den Gebieten des globalen Südens. Die gegenwärtig vor allem in Lateinamerika geführte Diskussion könnte eine fruchtbare Nord-Süd-Debatte über die unterschiedlichen Be-Wertungen industrieller Prozesse, Systeme und Denkweisen anstoßen.48 Darin steckt freilich erhebliches Konfliktpotenzial, nicht zuletzt hinsichtlich der sprachlichen Hürden und der kulturellen und konzeptionellen Unterschiede. Doch noch einmal ist an Riegl zu erinnern, daran, dass der »Na­ti­o­nal­ego­is­mus« einem »Mensch­ heits­ egoismus« Platz machen müsse. Diesem Konsens ist man bezogen auf die Kontro­versen um das In­dus­trie­erbe in ökologischer Sicht inzwischen zumindest in Absichts­erklärungen näher­gekommen, wogegen die Konflikte um die weltweiten Aus­beu­tungs- und Ab­hän­gig­keits­ver­ hält­nisse noch längst nicht ausgetragen sind. Dass in einer demokratischen Gesellschaft dem Konflikt um Denkmale selbst ein Wert zukommt, ist spätestens seit Gabi Dolff-Bonekämper den »Streitwert« formuliert hat, in der deutschsprachigen Denkmaltheorie anerkannt.49 Um das explizierend von der Perspektive globaler Werte-Konflikte wieder auf die deutsche Fachdebatte herunterzubrechen: Man kann als Denkmalpfleger:in das Heidelberger Schloss nicht betrachten, ohne sogleich die Auseinandersetzungen um 1900 mit Dehios Flug- und Kampfschrift Was wird aus dem Heidelberger Schloss werden? und den damit verbundenen und für die Herausbildung der modernen Denkmaltheorie so wichtigen Werte-Streit

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mitzudenken. Und zu Recht hat die WüstenrotStiftung in den Prämissen des von ihr finanzierten Renovierungsprojekts der Dessauer Meisterhäuser hervorgehoben, die Geschichtlichkeit gelte nicht nur für das Denkmal, sondern auch für den Umgang mit ihm; der Konflikt um die Leitvorstellungen der Denkmalpflege, die in den 1990er Jahren die Fachwelt mit dem Werte-Streit zwischen (verkürzt) historischem und ästhetischem Wert bewegte, gehört inzwischen zur Chronik der Revitalisierung dieses Welterbe-Ensembles.50

Wandel der Werte und Stabilität der Dinge Zum Schluss sei der Fokus noch etwas gewendet von den Werten auf die Dinge. Zu fragen ist, ob bzw. wie mit dem Wandel der Werte auch ein Wandel der Objekte einhergeht. Während die Werte sich wandeln und sich nicht fixieren lassen, sollen Denkmale als immer wieder neu zu befragende Objekte bewahrt werden. Die meisten der

bisher genannten Fälle haben aber gezeigt, dass dem Wandel der Werte oft einer der Dinge folgt. Besonders offensichtlich ist das bei solchen Denk­ ma­len, die Objekte eines Werte-Konflikts aufgrund eines Werte-Wandels sind. Davon mag nur ein kleiner Teil der Denkmale betroffen sein, aber es sind jene, die dadurch auch in den Blick der Öffentlichkeit gelangen. Ohne mit Riegl biologistisch vom »Werden und Vergehen« sprechen zu wollen, verändern sich aber auch die scheinbar unbehelligten Objekte allmählich, sei es – in der Regel langsam – durch die Einwirkungen der Zeit, sei es durch die Tätigkeit der Konservator:innen, deren Tun und Umgang mit den Dingen von gewandelten Werten geleitet wird. Diesen Wandel reflektiert der in der Denkmalpflege umstrittene Begriff des Managing Change oder Management of Change, den jüngst Bernd Euler-Rolle in der Systematik der Denkmalwerte diskutiert hat.51 Er zeigt auf, dass sich aus dem Konzept nicht automatisch eine größere »tolerance for change« herleiten lasse, wie das 2009 der damalige ICOMOS-Weltpräsident

7  Die Kapelle Agia Dynami (16. Jh.) in Athen hat aufgrund der ihr zugeschriebenen Werte dem Wandel der Zeit getrotzt.

Vom Wandel der Werte und vom Wert des Bewahrens

Gustavo Araoz im Hinblick auf verstärkt akteurszentrierte Heritage-Ansätze eingefordert hatte.52 Aber gerade in einer Zeit der allumfassenden, alles verwertenden und scheinbar »alternativlosen« Gegenwart ist ein zentraler Wert der Denkmale, dass sie aus einer anderen Zeit stammen und damit auch von anderen Werten und deren Wandel zeugen. Es sind Dinge, die in ihrer Trägheit und Widerständigkeit der Zeit getrotzt haben (Abb. 7). Das hängt auch von ihrer Materialität und Konstruktion ab, viel mehr aber von den ihnen zugeschriebenen Werten. Denn Dauerhaftigkeit ist, wie Michael Thompson bereits 1981 in seiner Rubbish Theory zur »Schaffung und Vernichtung von Werten« ausführt, »nicht eine Folge innerer physischer Eigenschaften, sondern eine Folge des sozialen Systems«.53 Oft würde die Gesellschaft gerade jenen Dingen Dauerhaftigkeit

verleihen, die schwieriger zu erhalten seien als solche von »natürlicher« Robustheit. Tatsächlich ließen sich – um nochmals auf das Eingangsbeispiel zu verweisen – bei entsprechendem Interesse etwa der Kunstwelt und dadurch erfolgter kultureller Valorisierung auch die dann zum kulturellen Archiv gehörenden Klopapierrollen von Bundis Installation konservieren. Denkmale existieren, weil die Gesellschaft sie aus benennbaren Gründen als erhaltenswert erklärt hat. Sie sind dadurch anders als die profanen Dinge des Alltags, und diese Andersheit, ihre Alterität, ist das, was sie verbindet.54 Der »Gegensatz zur Gegenwart« wird zwar nicht im Riegl’schen Sinne als Alterswert rezipiert, aber doch als wahrnehmbarer Wert des Wandels: dafür, dass es früher anders war – und damit auch dafür, dass es wieder anders werden wird.

1 Marc B. Bundi, im Bericht von Strobel 2020, 24. Vgl. auch http://www.marcbundi.ch (29.12.2020). Ich danke Marc B. Bundi herzlich für die Überlassung des Fotos seiner Laaxer Installation. 2 Dazu auch Stollberg-Rilinger 2007, 38–43. 3 Kant 1974, 19, 22, 30; Kant-Lexikon: Wert, http://www. textlog.de/32772.html (29.12.2020). 4 Marx 1974, 552 (aus aktuellem Anlass sei auch noch der Folgesatz zitiert: »Dass jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind.«). 5 Marx 1987 [1872], 31; Hervorhebungen im Original. 6 Baab 2018, 180. 7 Nietzsche 1997, 1334 (Brief an Georg Brandes, 20.11.1888); Sommer 2016a. 8 1885, in einem nachgelassenen Notat: Nietzsche 2001, 138, Z. 10–11. 9 Nietzsche 1974, Pkt. [2] 108, 112; Hervorhebungen im Original. 10 Sommer 2016b. 11 Sommer 2016a. 12 Riegl 1995 [1903]. 13 Casetti 2008. 14 Dazu Bacher 1995, 21–27. 15 Riegl 1995, 156. 16 W. Kemp: Nachwort, in: Riegl 1995 [1903], 219–220.

17 Riegl 1905, 90. 18 Scheurmann 2013, 197; vgl. auch Scheurmann 2018, 38–39. 19 Tag für Denkmalpflege 1929, 71–117: Sektion »Altstadt und Neuzeit« mit Vorträgen von Theodor Fischer (71–79) und Ernst May (79–87). 20 Clemen 1933, VII–VIII. 21 Scheurmann 2013, 197. 22 Trüby 2017; Trüby 2018; vgl. dazu den Beitrag von Moritz Röger in diesem Band, 103–114. 23 Zusammenfassend Meier 2013, 63–65. 24 Wirth 1994. 25 Weidhaas 1978, 576–577. 26 Meier et al. 2013, 14–247. 27 Burra-Charta 1998. 28 Burra Charter 2013. 29 Vgl. neben der Burra-Charta auch die Living HeritageKonzepte, dazu z.B. Arkarapotiwong 2015. 30 Etwa zeitgleich auch der Versuch von Mohr / Schmidt 1998, Denkmalwerte und ökonomische Werte zusammenzubringen. 31 Murray 2017, 119. Ich danke Colm Murray herzlich, dass er mir auch seine jüngsten Versionen zur Verfügung gestellt hat. 32 Wohlleben / Meier 2002; Wohlleben 2006; Will 2020, 460–504.

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33 Meier 2016. 34 Dehio 1914, 264; vgl. die Zusammenstellung bei Wohl­ leben 1999. 35 Venedig 1964, Präambel, Art. 9. 36 Lipp 1993, 373–374; Lipp 1994, 11. 37 Vandeweghe 2015, 192–193. 38 von Schenk 2014 zitiert P. Chielens, den Leiter des Flanders Fields Museum in Ypern. 39 Dirks 1947, 826. 40 Jeßing et al. 1999, 540: »Widmung, bittere«. 41 Groys 1992, 58. 42 Life-Magazin zum GM Tech Center, dazu Knowles / Leslie 2001, 5. 43 Albrecht et al. 2009. 44 Murray 2017, 121–132; Stuart 2019, 28. 45 McKenna 1997.

46 Huse 1997, 34–66; Grundsätzliches zum Begriff bei Warda 2016, 43–45. 47 Zum postindustriellen Erbe beispielhaft Bogner et al. 2018, bes. 176–233 (»Aushandlung (post-)industrieller Identitäten«); Berger / High 2019. 48 U. a. Thema an der im Nov. 2019 in Guatemala durchgeführten kontinentalen Konferenz von TICCIH-Lateinamerika; vgl. den Tagungsbericht Steiner 2020. Für weitere Hinweise und Diskussionen danke ich Marion Steiner. 49 Dolff-Bonekämper 2010, 33–39. 50 P. Kurz: Prämissen, in: Meisterhaus Kandinsky-Klee 2017, 8; dazu auch Meier 2020. 51 Euler-Rolle 2019. 52 Araoz 2013. 53 Thompson 1981, 62. 54 Meier 2009.

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Foto: Marc B. Bundi. Montage: Hans-Rudolf Meier. Wirth 1994, 111, Tab. 4. Murray 2017. Foto: Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Foto: Norbert Kaiser, CC BY-SA 2.5, https://commons. wikimedia.org/w/index.php?curid=5526945 (29.12.2020). 7 Foto: Thomas Will.

Wertewandel beim Entwerfen, Bauen und Rezipieren

»Collaborative Marketing« Wertewandel im Forschungsbau

Marcus van Reimersdahl

Es soll untersucht werden, mit welchen sprachlichen Formulierungen die Wissenschaft ihre baulichen Bedarfe begründet. Am Ende wird sich die These bestätigen, dass es sich bei der Aushandlung der Raumbedarfe der Hochschulen und For­schungs­ einrichtungen um einen Wertediskurs handelt, der nicht offen geführt wird, sondern der sich implizit in den sprachlichen Beschreibungen zu den Zielen der Einrichtungen offenlegt und auf Bereiche der Werbung und des Marketings verweist.

Zeitgeschichtliches Phänomen: Die Angleichung der Anforderungen Seit dem ersten Jahrzehnt des 21. Jhs. zeigt sich eine erstaunliche Veränderung im Bereich des Forschungsbaus. Die Erwartungen, die an die Gebäude gerichtet werden, fokussieren nicht mehr vorrangig auf die funktionalen und technischen Aspekte. Vielmehr wird immer häufiger eine Architektur eingefordert, die explizit auf die Komplexität und Dynamik gesellschaftlicher und technischer Prozesse eingeht. Die Entwicklung hat u. a. ihren Ausgangspunkt in den For­schungs­ gebäuden der IT-Branche in den Weststaaten Amerikas genommen, wo in einer extrem kurzen Zeitspanne Neubauten errichtet wurden, die die Erwartungen einer neuen jungen Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bedienen. International agierende Planungsbüros haben sich auf diesen besonderen Typ des For­ schungs­baus spezialisiert. Das Büro Gensler formuliert in seinen Online-Firmenpräsentationen

selbstbewusst die selbstgesteckten Ziele für diese neuen Bauaufgaben: Es gehe darum, komplexe Informationen zu vereinfachen und zu destillieren, eine universelle Sprache zu entwickeln, konventionelles Denken in Frage zu stellen und Veränderungen zu beherrschen, um letztendlich große Wissenschaft zu entwickeln. (….) Dieser Ansatz eröffnet Möglichkeiten (…) über den Auftrag hinaus, er erschafft Umgebungen, die transformative Wissenschaft ermöglichen.1

Die Forderung nach fachübergreifender Zu­sam­ men­arbeit in speziell dafür vorgesehenen attraktiven Aufenthaltsflächen hat sich mittlerweile im Zusammenhang mit dem durch die Di­gi­ta­li­sie­ rung ausgelösten Entwicklungsschub kanonisiert. Laborgebäude haben sich zu Kom­mu­ni­kations­ zen­tren gewandelt, die Wissen­schaft­le­rin­nen und Wissenschaftlern agieren seit dem ersten Jahrzehnt des 21. Jhs. verstärkt in der Rolle von Kom­mu­ni­ ka­tions­expertinnen und -experten.2 Gereon Uerz aus dem amerikanischen Pla­ nungs­ büro Arup geht dabei auf die rekursive Bezugnahme zwischen Gebäuden und dem Verhalten der Be­woh­ ner­schaft ein: »We shape our buildings and afterward our buildings shape us.« Er identifiziert drei Haupt­zusammenhänge: »People and collaboration«, »Spaces and operations«, »Infrastructure and Place«.3 Diese Aspekte sind in Verbindung mit den digitalen Techniken der Forschung und Informationsaufbereitung zu sehen. Immer größer werdende Datenmengen müssen für die Forschung fortwährend schnell und anschaulich präsentiert werden, was unmittelbare Auswirkungen auf die Innenräume besitzt. Tools zur Visualisierung und zur Analyse der Daten, wie großformatige

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Bildschirme, Touch-Walls und Bereiche für hochwertige Video- und Webkonferenzen, erfordern einen zunehmend größeren Anteil an Geschossfläche im Vergleich zu herkömmlichen Konzeptionen. Der erhöhte Platzbedarf für diese Flächen zur Kommunikation zahlt sich aber aus, da er der Beschleunigung der Analyse und der Förderung der Zusammenarbeit dient.4 Entsprechend spiegelt sich interdisziplinäres Forschen und Lehren in zahlreichen Ausschreibungen, Programmentwürfen und Beschreibungen von Institutionen, die zur digitalen Transformation forschen, etwa beim 2021 an den Start gehenden Center for Advanced Internet Studies (Cais) in Bochum: »Wesentlicher Baustein des Cais ist der ›Forschungsinkubator‹. Er folgt der Idee einer agilen Wissenschaft, die schnell auf die Komplexität und Dynamik einer digitalisierten Welt reagiert, indem sie schnell relevante For­schungs­ themen identifiziert.«5 Das Labor als ein bislang abgeschotteter For­schungs­raum wird nun mit Transparenz und Offen­heit in Verbindung gebracht. Henrike

1  Grundriss des Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) Hamburg, 2013, hammeskrause architekten, Stuttgart.

Rabe analysiert die Bewegungsströme der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gebäude und identifiziert über Sicht­bar­keits­graphen diejenigen Bereiche, die eine herausgehobene visuelle Präsenz besitzen. Dabei wird sie auf »informelle« Begegnungsflächen innerhalb eines Forschungsgebäudes aufmerksam als diejenigen Bereiche, die das Potenzial besitzen, Zufallskontakte und damit Kreativität herbeizuführen.6 Alan Penn hat dazu dargelegt, dass es bei der Analyse von kreativitätsfördernden Innenräumen auf der Grundlage von Wegebeziehungen nicht nur um visuell messbare Aspekte gehen darf, sondern auch um die »inneren Bilder« eines Individuums. Allein auf Grundlage geometrischer An­ord­nungs­ be­zie­hun­gen kann menschliches Verhalten nicht prognostiziert werden. Bei den Untersuchungen der Raum­syntax­forschung findet daher nicht nur der metrische Raum Be­rück­sich­ti­gung, sondern der »kognitive Raum« eines Individuums, der als topologischer oder vor ­to­po­lo­gischer Raum das Verständnis der Konfigurationen unterstützt.7 Ein frühes Beispiel für neue Anordnungsformen im Forschungsbau ist das 2003 fertiggestellte James H. Clarc Center der Stanford University in Kalifornien. Offene Raumstrukturen und großflächige Verglasungen zwischen den Laboren der einzelnen Abteilungen sollen die Kommunikation fördern und den interdisziplinären Wissenstransfer begünstigen. Der Soziologe Thomas F. Gieryn versteht dieses Gebäude als eine Abkehr von allen bislang gültigen Konventionen im Laborbau. In der »Dekontextualisierung« der architektonischen Form sieht er Wertmaßstäbe der Forschung materialisiert, im Sinne einer idealen Form für eine vorurteilsfreie Entfaltung der Wissenschaft. Dennoch kommt er zum Ergebnis, dass das Gebäude letztlich ein Marketinginstrument für die Universität ist, das den Strategien des Spätkapitalismus Rechnung trägt.8 Wie in Stanford besitzt auch das 2013 eröffnete Center for Free-Electron Laser Science in Hamburg eine Auflösung der For­ schungs­bereiche in bandförmig ineinander verschlungene Wegebeziehungen sowie großflächige

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Verglasungen. Erschließungs-, Kommunikationsund Be­spre­chungs­bereiche gehen in einem fließenden Wechsel ineinander über. Bewusst »lange Wege« sollen ungeplante Kontakte zwischen den Wissen­schaft­le­rin­nen und Wissenschaftler provozieren. Der Architekt Markus Hammes betrachtet Raum für Kommunikation als einen notwendigen Bestandteil eines nachhaltigen Ge­bäu­de­konzepts (Abb. 1).9 Eine eher kritische Sicht zum Prinzip der »Zufalls­be­kannt­schaften«, die innerhalb eines For­ schungs­gebäudes zu Innovation führen sollen, nimmt dagegen Marc Bruffet ein. Von der mathematischen Wahrscheinlichkeit her müssten extrem viele »Zufallskontakte« herbeigeführt werden, bis wirklich ein Mehrwert für eine Fragestellung entstehen würde. Dieses gehe zu Lasten der verfügbaren Arbeitszeit, die für andere Aufgaben verloren sei.10 Knorr-Cetina erteilt simplen WennDann-Beziehungen zur Erzeugung eines »kreativen Umfelds« ebenfalls eine Absage. Sie sieht gerade in der Isolation und Abgrenzung der For­schungs­ labore gegenüber ihrer Umwelt die Voraussetzung dafür, dass sich dort neuartiges Wissen herausbilden kann. Auf Grundlage ihrer qualitativen Analysen zu verschiedenen Forschungseinrichtungen gibt sie zu bedenken, dass offensichtlich Laboratorien (…) als relationale Einheiten (…) ihre epistemische Wirksamkeit aus den Differenzen schöpfen, die sie zu ihrer Umwelt implementieren: Differenzen zwischen den rekonfigurierten Ordnungen des Labors und den Konventionen und Arrangements des täglichen Lebens.11

Das Eingehen auf die Forderung der Wissen­schaft, mit Hilfe der Architektur die Kommunikation und Kreativität unter den Forschenden zu fördern, führt zu einer Veränderung der bestehenden Typologie. Moderne Forschungs­gebäude wirken sowohl von außen als auch in der innenräumlichen Gestaltung ausgesprochen hochwertig und ähneln im Ausnahmefall bisweilen exklusiven Hotelfoyers oder Tagungs­zentren. Es entsteht eine neue Form des repräsentativen Industriebaus, bei dem sich bereits eine Angleichung der Architekturlösungen beobachten lässt. Antonio Castro Netro bemerkt:

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Research labs have been globalized or ›uniformed‹ in the same way that shopping centres look exactly alike, no matter where you go.12

Ursache für diese Entwicklung scheint nicht zuletzt die Erfahrung der Forschungseinrichtungen zu sein, dass eine inspirationsfördernde und hoch­ wer ­tige Arbeitsumgebung einen Wett­be­werbs­ vor­teil darstellt: Schönheit motiviert die Mit­ar­bei­ tenden und hilft, die besten Wissen­schaft­lerinnen und Wissenschaftler anzuwerben. Ar­chi­tek­tur­ schaffende, die man bislang eher mit Museums­ bauten in Verbindung gebracht hatte – z. B. Rafael Moneo, Yoshio Taniguchi13 und David Chipperfield – haben seit der Jahrtausendwende eine Reihe von ikonografisch wirkenden For­schungs­gebäuden realisiert (Abb. 2). Die öffentliche Wahrnehmung dieser Bauaufgabe ist seitdem enorm gestiegen.14 Großflächig verglaste Foyers und Showrooms dienen aber nicht nur der vordergründigen Re­prä­ sen­tation. Über eine »offene« Architektur soll die Glaubwürdigkeit einer Einrichtung zum Ausdruck kommen, die Botschaft, dass man sich dem Wohle der Öffentlichkeit verpflichtet sieht und an dieser Stelle einen Mehrwert für die Gesellschaft generiert. Für den Hochschulbau empfiehlt der

2  Novartis Campus Basel, Taniguchi Building. Architektur: Taniguchi and Associates, Tokyo; Bauherr: Novartis Pharma AG.

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Wis­ sen­ schafts­ rat, Flächen im Erdgeschoss für »Öffent­lich­keits­arbeit und Wissen­schafts­kom­mu­ ni­ka­tion« vorzusehen.15 Entsprechend sieht Michael Baumann die Verbindung zwischen Inter­dis­zi­pli­ na­ri­tät und der Einbeziehung der Öffent­lich­keit. Es gehe um einen »offenen Dialog« mit der Zivil­ge­ sell­schaft »im Sinne einer ›third mission‹, bei der in Reallaboren konkrete Probleme und Arbeits­ bedarfe gemeinschaftlich identifiziert und im produktiven Austausch bearbeitet werden«.16 Diese Anforderungen der Industrie für For­ schungs­gebäude fließen zunehmend in den Hoch­ schul­bau hinein. Dieses Phänomen bemerke ich in meiner Tätigkeit im Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, wobei es darum geht, die Bedarfsanmeldungen der Hochschulen für die Neubauten entgegenzunehmen und die dort formulierten Inhalte auf Übereinstimmung mit dem Hoch­schul­ent­wick­lungsplan und den Ziel­ vereinbarungen für die jeweilige Universität zu überprüfen. Mit der Bau­verwaltung und der Hochschule wird im Wege einer Grund­lagen­ermittlung und mit den ersten Schritten einer Vorentwurfsplanung der genaue Raumbedarf ermittelt. Im Gespräch mit den Lehrenden und Forschenden werden möglichst genau die Eigenart der Raumnutzung in Erfahrung gebracht und die »qualitativen Anforderungen an den Raumbedarf« festgelegt.17 Die Bedarfsanforderungen der Universitäten, die dem Ministerium vorgelegt werden, gleichen sich zunehmend auf eine frappierende Weise an. Gemeinsamer Kanon ist die Begründung, man würde auf die »Anforderungen des Digitalen« Bezug nehmen.18 In welcher Form sich diese Bezugnahme aber baulich äußern soll, bleibt in den Bedarfs­ anmeldungen der Hochschulen unkonkret. Es gibt offenbar einen großen Bedarf an neuen räumlichen Konzepten, doch scheint es noch keine passenden sprachlichen Bilder zu geben, die diesem vagen und unscharfen räumlichen Bedarf einen sprachlichen Ausdruck verleihen könnten. Diesem Phänomen möchte ich mich im Folgenden nähern und die Abstimmungen mit den Universitäten als empirisches Datenmaterial heranziehen.

Untersuchungsmethode: Hermeneutisches Beispielverstehen Der wissenschaftstheoretische Hintergrund meiner Untersuchung gründet sich auf den Arbeiten Achim Hahns, der Architekturtheorie auf das »menschliche Erfahrungsleben« bezieht.19 Im Sinne von Hahn sind bei der hier vorliegenden Untersuchung nicht übergeordnete formale Theorien zur Architektur von Interesse, sondern der Blick auf die Praxis und die dort geübten Sichtweisen. Ich greife daher auf meine Beobachtungen in den Gesprächen mit den Vertreterinnen und Vertretern der Universitäten und des Finanzministeriums zurück sowie bei meiner regelmäßigen Tätigkeit als Fachpreisrichter bei Architektenwettbewerben. Ziel ist es, dieses »architektonische Verhalten« der Beteiligten aus den Beispielen heraus möglichst genau zu verstehen, um darin möglicherweise Prinzipien erkennen zu können. Eine so motivierte Beispielhermeneutik be­zieht sich auf die Phänomene, die im Umgang mit Ar­chi­tek­tur sichtbar werden. Dazu schreibt Hahn: Das architektonische Verhalten, als konkretes Zeugnis menschlicher Anwesenheit und Räum­lich­keit, kann nicht abstrakt vorgetragen werden. Vielmehr muss es selbst in seiner Phä­no­me­na­li­tät erfahren werden. Architektur­ theorie ist Er­fah­rungs­wissen­schaft in diesem prägnanten Sinne. 20

Zwei Fallbeispiele: Die Anforderungen des Digitalen Untersucht werden zwei Beispiele aus der Be­an­ tra­gung von Forschungsbauten, einmal der sog. Global Hub der Universität Leipzig für den Profil­ bereich Global Connections and Comparisons und zum anderen das Lehmann-Zentrum der Tech­ni­schen Universität Dresden, Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen (HIH) mit HPC und Cloud Computing, LICOSS Lab (Internet der Dinge, Mensch-Computer-Interaktion

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und Visual Computing), Center for Advanced Modeling and Simulation (CAMS), Autonome Systeme, Robotik und Safety/Security, 5G-Lab Germany, Lab für Industrie 4.0 und CyberPhysikalische Systeme (LIC) und weitere ThemenCluster. Im Zuge eines geplanten Vorhabens erstellen die Universitäten zunächst Bedarfsanmeldungen, mit denen sie gegenüber dem Wissenschaftsund Finanzministerium nachweisen, warum zur Erreichung eines Forschungserfolges eine neue Unterbringung erforderlich ist. Wie in kaum einer anderen Situation wird die Universität dazu verpflichtet, für die beantragten neuen For­schungs­ inhalte die dafür als passend empfundenen baulichen Anforderungen sprachlich zu formulieren. Diese Aufgabe ist sowohl für die Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft als auch für die Hochschulleitung ungewohnt, entsprechend sperrig stellen sich die begründenden Texte oft dar. So lautet es im Entwurf der Bedarfsanmeldung zum Global Hub der Universität Leipzig folgendermaßen: Der Forschungsbau Global Hub soll in [einem] interdisziplinären Profilbereich (…) die Gelegenheit zur Entwicklung innovativer Forschungsformen in Gestalt methodisch ausgerichteter Labs für geistes- und sozial­ wissenschaftliche Forschung (Funktionsbereiche für kollaborative Big Data-Anwendungen und koordiniertes Forschungsdatenmanagement, für Visualisierung der Untersuchungsergebnisse, für weltweite virtuelle Kooperationen und für Wissenstransfer in die Bereiche Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft) geben (…). Um dies leisten zu können, muss der zu konzipierende Neubau nicht nur die (…) definierten funktionalen Vorgaben erfüllen, sondern soll mit seiner Architektur den Forschungsgegenstand selber aufnehmen und für Mitarbeiter sowie Besucher wahrnehmbar in der Gebäudestruktur widerspiegeln. (…) Form und Funktion (…) sind in einer kreativen Architektur und einem innovativen Raumprogramm aufeinander bezogen. (…) Die Architektur ist maßgeblich für die Nutzung der Synergiepotenziale, die in dieser Netzwerkstruktur enthalten sind. Der Global Hub stellt besonders hohe Ansprüche an interne sowie externe Kommunikation, Funktionalität und Sichtbarkeit,

um seiner Mission gerecht zu werden, zahlreiche disziplinäre und geografische Perspektiven auf globale Prozesse miteinander zu verknüpfen und für innovative Forschung und Graduiertenausbildung fruchtbar zu machen. (…) Durch das (…) Raumprogramm und die Platzierung der Arbeitsräume, Verkehrsflächen und vor allem der Kommunikationsinseln wird der häufige und zwanglose Kontakt der Wissenschaftler/innen fachgruppenübergreifend gefördert. Diese ungesteuerten Kontakte machen die Vielfalt an Themen und Kompetenzen im Global Hub bewusst und ermöglichen die Verabredung neuer, interdisziplinärer Kooperationen sowie die Nutzung komplementärer Ressourcen und Kompetenzen der Kollegen/innen. (…) Eine neue Synthese der Globalisierungsforschung (…) und einer Operationalisierung in (…) sechs Themenbereichen erfordert (…) die gemeinsame Nutzung [von] vier Funktionsbereiche[n] (Lab of Transregional Connectivity, Visual Lab, Research Data Lab, Transfer Lab) und die Zentralstellung der Graduate School im Global Hub. (…) Research Data Lab: (…) Hier können in Einzel-Arbeit große Mengen an Daten auf mehreren Großbildschirmen am Platz gesammelt und aufbereitet werden. Ergebnisse können dann auf Leinwänden / Multimediawänden im Raum präsentiert und diskutiert werden. 21

Vergleichbar lautet es im Entwurf der Bedarfs­an­ mel­dung zum Bau des Lehmann-Zentrums der Technischen Universität Dresden: Herzstücke des LICOSS sind das ›Center for Immersive Understanding‹, ›Cobotics Lab‹ und der ›IoT Makerspace‹. Im Center for Immersive Understanding geht es um Themen wie Visual Computing, MenschTechnik-Interaktion, Visualisierung, Datenexploration, Computer Vision und Machine Learning. Die Synergie dieser Fachgebiete erlaubt völlig neuartige Formen der immersiven Visualisierung, Exploration und Analyse von sehr großen und heterogenen Datenmengen und das Gewinnen von neuen Erkenntnissen durch interaktives »Eintauchen« in die Datenmengen. Im Cobotics Lab werden kollaborative Roboter (Cobots) sowohl im Kontext von industriellen Anwendungen, als auch im privaten Bereich (Service Roboter) untersucht. (…) Im Bereich der Cobots spielen neben künstlicher Intelligenz, Software-Engineering und Techniken eingebetteter und verteilter Systeme vor allem die Interaktion und das Interaktionsdesign der Mensch-Roboter-Kommunikation eine entscheidende Rolle. Des Weiteren bieten Roboter die Möglichkeit, die Lehr- und Forschungsinhalte der einzelnen Disziplinen und Fachrichtungen sichtbar und begreifbar zu machen. 22

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Diese Beschreibungen aus den Bedarfs­an­mel­dun­ gen werden in der nachfolgenden Betrachtung als Selbstverständnis der jeweiligen Universität ernst genommen. Denn die Begriffe machen auf die Überzeugungen und Wertmaßstäbe der Akteurinnen und Akteure aufmerksam. Auffällig ist zunächst: Es tauchen in den Prozessen vielfach dieselben Schlüsselwörter auf. »Zwanglosigkeit«, »Offenheit«, »Kreativität«, »Interdisziplinarität«, »Viel­falt«, »Verknüpfung«, »Synthese«, »Kom­mu­ni­ kation«, Daten werden »aufbereitet«, Daten werden »präsentiert«, »Immersion«, »Inter­aktion«, »Ein­tau­ chen« in die Daten, »Neuartigkeit«, »Sicht­bar­keit«.23 Ein Gebäude ist jedoch nicht von sich aus »offen«, es kann keine »Zwang­lo­sig­keit« besitzen, ebenso wenig kann ein Gebäude »kreativ« sein. Diese Begriffe scheinen also vielmehr auf einen Werte­ hinter­grund abzuzielen, der mit diesen Begriffen metaphorisch zum Ausdruck kommen soll.

»Beiläufigkeit« als gesellschaftlicher Wert Was ist unter der wechselseitigen Einflussnahme zwi­schen den Forschenden und den sie umgeben­ den Gebäuden genau zu verstehen? Die als Beispiel heran­gezogenen Bedarfsanmeldungen der Uni­ver­ si­tä­ten Leipzig und Dresden verstehen die Tätig­ keit des Forschens in erster Linie als ein Zu­sam­ men­ führen unterschiedlicher Disziplinen. Das Auf­be­rei­ten von For­schungs-Daten und insbesondere deren bildhafte Präsentation mithilfe modernster Vi­su­ali­sie­rungs­tech­ni­ken würde zu einem kreativen »Über­schlag« führen, aus dem heraus Neues entdeckt würde. Übereinstimmend wird dieser Vor­ gang explizit mit den Begriffen »Zwang­losig­keit«, »Un­plan­barkeit«, »Spontaneität« charakterisiert. Man gewinnt den Eindruck, als erfolge die For­ schungs­tätigkeit gleichsam als ein Neben­produkt der Visualisierung. Fast »beiläufig« vollziehe sich die Forschung, und zwar in dem Augen­blick, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftler Datenmaterial sichten und versuchen, das von ihnen Erkannte in eine eigene Beschreibung zu überführen.

Der kreative Moment der Forschung bestehe damit in einer Art Aneignung des Vorgefundenen in Form einer persönlichen Ausdeutung. Blickt man nun nochmal auf die Schlüssel­ begriffe aus den Bedarfsanmeldungen, so fragt man sich, woher dieses Selbstverständnis stammt, das die Universitäten überraschend übereinstimmend zum Ausdruck bringen. Die Formulierungen, mit denen neue Baumaßnahmen begründet werden, gleichen sich fast aufs Wort, und zwar unabhängig davon, für welche Fakultät gebaut werden soll. Die genannten Schlüsselbegriffe aus den Bedarfs­anmeldungen wirken einem vertraut. Woher stammt diese Vertrautheit? Offenbar tauchen die Begriffe auch in Lebens­bereichen auf, die überhaupt nicht mit For­schungs­bauten in Verbindung stehen, wie der Mode oder des Sports. Auch die Werbung bedient sich ganz ähnlicher Formulierungen: »Provoziere das Unerwartete! / Sei unübertroffen (›exzellent‹)! / Sei unbegrenzt! / Bekämpfe das nicht Originale! / Die Zukunft entlangweilen!«24 Es fällt auf, dass mit ganz ähnlichen Sprach­ formeln die Universitäten ihre Erwartungen zum Ausdruck bringen, wenn sie neue Forschungs­ flächen beantragen. Dabei werden keine klassischen Laborgebäude für spezifische Forschungsbedarfe gefordert, sondern »Ermöglichungsräume«, bei denen der Forschungsgegenstand oftmals noch gar nicht genau feststeht. Eine solche Haltung allerdings läuft den eingespielten staatlichen Grundsätzen im Hochschulbau zuwider, wonach ein Bedarf zunächst möglichst konkret definiert werden soll, ehe er eingefordert werden und in ein Bauvorhaben gegossen werden kann. Worauf beziehen sich diese Formulierungen aus der Werbung? Und auf welche dahinter liegenden Überzeugungen und Werte verweisen sie? Ein 60-Sekunden-Trailer für die Studie E-Legend Concept Car des Automobilkonzerns Peugeot25 klärt uns dazu näher auf (Abb. 3): Peugeot bewirbt das autonom fahrende Auto als Teil des Internets der Dinge. Fahr­assistenz­ systeme und autonomes Fahren sind für das

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Marketing aber eine Dystopie, da man sie schlecht »aktiv« bewerben kann. Warum? Ein autonomes Auto erfordert kein fahrtechnisches Können mehr, gleichzeitig will man aber Käuferinnen und Käufer in ihrer Persönlichkeit wertschätzen und umwerben: »Be unmatched. Sei unvergleichlich«. Also zeigt der Werbe­trailer das Concept Car einerseits als einen Sport­wagen der Zukunft, andererseits auch in einer retrospektiven Karosserie, die an einen Ford Mustang der 1960er Jahre erinnert. »Unboring the future« macht die Bedenken der Industrie sogar explizit, das Produkt Auto sei zu wenig spektakulär. Anstatt das Auto weiter zu zeigen, springen die damit Reisenden plötzlich ins Wasser. Und genau da zeigt sich eine Grat­wan­de­rung: Einerseits werden Dynamik und Jugendlichkeit verkörpert, andererseits ist der wichtigste »Benefit« des digital gesteuerten Autos offenbar das SichEntspannen-Können. Die Liegesitze werden kurz gezeigt, das Lesen im Magazin während der Fahrt taucht kurz auf, und besonders hervorgehoben wird die digitale Kommunikation mit Freunden auf dem Bildschirm. Interessanterweise scheint beim Trailer genau an dieser Stelle die Parole auf, man solle authentisch bleiben. Kommunikation über digitale Tools ist wohl etwas, das unmittelbar mit der Persönlichkeit der Nutzenden zusammenhängt und das als bleibender, zu erhaltender Wert herausgestellt wird. Welches Verständnis von Digitalisierung liegt hier dahinter? Inwieweit lässt sich dieses eventuell auch auf die Erwartungshaltung gegenüber Gebäuden im digitalen Zeitalter beziehen? Im Trailer geht es weniger um sportliches Fahren, sondern um Entspannung, die wiederum spontan umschlagen kann in Vergnügen (Abtauchen). Die eigentliche Tätigkeit, sich fortzubewegen zu einem Ziel, gerät in den Hintergrund und verläuft auf einer »beiläufigen« Ebene. Oberstes Ziel ist die Provokation des Unerwarteten, also des kreativen Moments. Und das gleicht exakt derselben Erwartungshaltung, die die Universitäten an die neuen Gebäudeformen ihrer Forschungsbauten richten.

3  Screenshots Werbetrailer Peugeot E-Legend Concept Car.

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4 Grundriss Merck Innovation Center, HENN.

5 Innenansicht Merck Innovation Center, HENN.

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»Kollaborative Beiläufigkeit« stiftet Kreativität? Die unbedingte Herbeiführung von Kreativität ist offenbar eine Erwartungshaltung, die sowohl im Produktdesign umgesetzt als auch von der Architektur erwartet wird. Es soll ein »beiläufiger« Umgang erfolgen, es soll Kommunikation ermöglicht und damit Unerwartetes hervorgerufen werden. Sowohl im Forschungsbau als auch in der Produktwerbung lassen sich also dieselben Werte als Forderung finden: Beiläufigkeit, Kollaboration, Selbstverwirklichung, Kreativität. Über das Fahren oder die technischen Eigenschaften eines Produktes oder eines Gebäudes wird dabei überhaupt nicht gesprochen. Ein Beispiel sind die Berichterstattungen zu zeitgenössischen Forschungsgebäuden, die fast immer einen besonderen Schwerpunkt auf die Erschließungsbereiche legen, so der Kommentar der Zeitschrift Bauwelt zum Neubau des Merck Innovation Center in Darmstadt von Henn Ar­chi­ tek­ten (Abb. 4): Hier entfaltet sich ein kontinuierlich fließendes Raum­ gefüge. Brückenartige Verbindungen spannen sich zwischen den ovalen Kernen diagonal durch den Raum und verbinden die einzelnen Arbeitsflächen. Treppen, Rampen und Flächen schrauben sich in die Höhe. Die Wege von einer Arbeitsgruppe zur anderen, von einer Ebene zur nächsten werden nahezu unbemerkt und unbeschwert bewältigt. 26

Die Funktionsbereiche des Gebäudes sind in dieser Beschreibung gar nicht von Interesse. In diesem Textausschnitt geht es nur um die Treppen und Rampen, deren wichtigste Eigenschaft sei, dass man sie als Nutzende nicht bemerke (Abb. 5). Darin besteht eine Analogie zu zeitgenössischen Mar­ ke­ting­strategien, die ebenfalls nicht auf Produkt­ eigenschaften fokussieren, sondern viel eher eine »Story« entwickeln, die die Kundschaft unmittelbar in ihrer Lebensführung ansprechen soll. Sie wird ermuntert, kreativ zu werden, und dieser Effekt geschieht unbemerkt: »Beiläufig« sollen Käuferin und Käufer zum Handeln herausgefordert werden.

Dabei ist die beste Werbung diejenige, die von Nutzenden selbst generiert wird, indem sie via digitale Medien über das Produkt sprechen. Es entsteht eine Kollaboration vieler Menschen, die sich in ihrer Überzeugung geeint fühlen, für eine bestimmte Sache einzutreten. Der Medienforscher Kai Plaschke spricht von einer Selbsterzeugung der Werbung durch Konsumierende: User Generated Content (UGC) war geboren, also Inhalte im und für das Marketing, die nicht von den Marken selbst kamen, sondern von den Menschen. Und damit auch das Bestreben der Marken, solchen UGC zu erzeugen. Nun sieht man eigentlich schon im Namen, dass der Content von den Leuten, den Usern erzeugt werden sollte. Aber die Marken suchen seitdem Mittel und Wege, sich eben genau den Content erstellen zu lassen, den sie gerne hätten. 27

Ein bekanntes Beispiel für das sog. Collaborative Marketing ist die Reklame der Firma Levi Strauss & Co aus dem Jahre 201028, bei der die Bevölkerung Pennsylvanias angesprochen wurde, selbst ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und das Land aus der Wirtschaftskrise herauszuführen. »We are all workers« war das Leitmotiv der Werbung, das Produkt, die Jeans, kam nur ganz am Rande vor. Diese Werbekampagne war mehrere Jahre in Amerika allgegenwärtig und für das Unternehmen höchst erfolgreich, da sie offenbar auf eine gesellschaftliche Stimmung passgenau reagierte. Und diese war in diesem Fall das Bedürfnis der Be­völ­ ke­rung, selbst handeln zu können. Die Aufforderung an die Einzelnen, sich selbst für ein anzustrebendes Ziel einzusetzen, greift die Industrie in ihren Selbstbeschreibungen zur Entwicklung der Arbeit in den nächsten Jahrzehnten begierig auf. Insbesondere die Veränderungen, die mit der alle Arbeitsbereiche durchdringenden Digitalisierung einhergehen, würden einen Werte­wandel herbeiführen: Die benötigte Arbeitsleistung in den nächsten Jahrzehnten liege weniger in der Entwicklung oder Herstellung von Gütern, sondern in deren Bewertung und Weiterentwicklung. Aus einem Thesenpapier verschiedener Wissen­schaft­le­ rin­nen und Wissenschaftler aus den Bereichen

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Kognitions- und Medien­psychologie sowie Ver­ tre­te­rin­nen und Vertreter der Industrie zitiert der Verein Deutscher Ingenieure e.V.: [Digitale] Tools (…) werden (…) die menschliche Leistung (…) in immer weitergehender Weise ersetzen, was zu einer Verschiebung der geforderten ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzen führen wird. Verständnis für die Modellierung sowie die Fähigkeit zur Bewertung der Ergebnisse werden eine deutlich höhere Bedeutung erhalten als die eigene Problemlösungskompetenz. Vertreter unterschiedlicher Disziplinen werden sich dennoch – oder gerade deshalb – austauschen müssen, was die Ent­wicklung einer übergreifenden und Missverständnisse vermeidenden Ingenieursprache wichtig erscheinen lässt. 29

Die sprachliche Kollaboration über unterschiedliche Disziplinen hinweg stellt sich dabei als eine künftige Notwendigkeit dar – sei es im Bereich Forschung oder im Bereich des Konsums. Der Kultur­wissen­schaftler Andreas Reckwitz spricht in seinem Buch Die Gesellschaft der Singularitäten – Zum Struktur­wandel der Moderne von einer divergenten Entwicklung. Auf der einen Seite bemerkt er eine Singularisierung des Sozialen, angeregt durch die Möglichkeiten der digitalen Welt. Auf der anderen Seite forciere das Digitale eine Kulturalisierung des Sozialen: Im Zentrum der gesellschaftlich leitenden Technologie befindet sich in der Spätmoderne nicht mehr die Produktion von Maschinen, Energieträgern und funktionalen Gütern, sondern die expansive und den Alltag durchdringende Fabrikation von Kulturformaten mit einer narrativen, ästhetischen, gestalterischen, ludischen, moralisch-ethischen Qualität, also von Texten und Bildern, Videos und Filmen, phatischen Sprechakten und Spielen. Damit wird die moderne Technologie in ihrem Herzen erstmals zur Kulturmaschine. 30

Geht es heutzutage – mit den Worten von Reckwitz gesprochen – selbst im Forschungsbau gar nicht mehr primär um die eigentliche For­schungs­leis­ tung, also um die »Produktion« von neuen Tech­ no­lo­gien und Methoden? Steht stattdessen auch in der Forschung zunehmend etwas ganz anderes an vorderster Stelle, nämlich die Erzeugung neuer »Kulturformate«, mit deren Hilfe man eine ganz neue Form von Forschung entstehen lassen kann?

Liest man vor diesem Hintergrund die Be­schrei­ bungen der Universitäten zu ihren For­schungs­ ge­bäu­den, so kann man genau diesen Eindruck gewinnen: Der Architektur wird es zugetraut, auf die gesellschaftliche Erwartungshaltung zu reagieren, nach der die Digitalisierung zu neuen Formen der Zusammen­arbeit (»People and collaboration«31) und der Kommunikation führt. Mit ihren räumlichen An­ord­nungs­for­men unterstützen die For­schungs­ge­bäu­de die Potentiale der digitalen Techniken und provozieren damit neue kulturelle Formate des menschlichen Zusammenlebens.32

Kreativität als Wertmaßstab der Gesellschaft Die Anforderungen der Universitäten an ihre Forschungsgebäude – ähnlich den Wirk­me­cha­ nis­men aktueller Marketingstrategien – spiegeln offenbar aktuelle gesellschaftliche Wert­vor­stel­ lun­gen. Das Unerwartete hervorzurufen, mithin kreativ zu werden, hat sich nach Überzeugung des oben zitierten Reckwitz als ein wirkmächtiger und unwidersprochener gesellschaftlicher Wert in den letzten Jahren durchgesetzt. Der Autor spricht von Kreativität als einem gesellschaftlichen Dispositiv. Es bestehe geradezu eine Erwartungshaltung der Gesellschaft an den Einzelnen, »kreativ« zu sein: Kreativität ist nicht länger ein privates Modell der Selbst­ entfaltung. Sie ist in den letzten drei Jahr­zehn­ten auch zu einer allgegenwärtigen ökonomischen Anforderung der Arbeits- und Berufswelt geworden. 33

In den Bedarfsanmeldungen fordern die Uni­ver­si­ täten, dass die neuen Gebäude den For­schungs­ gegenstand selbst aufnehmen sollten und in einer »kreativen« Architektur widerzuspiegeln hätten. Wer ist vor diesem Hintergrund das von Reckwitz angesprochene »schöpferische Selbst«? Der Architekt des neuen Gebäudes oder die Wissen­ schaftlerin, die mit dem Gebäude umgeht und es bespielt? Oder das Gebäude selbst, das seine Bewohnerschaft zu einem kreativen Verhalten anregt? Letzteres postuliert der Architekt Gunter Henn, der seinen Forschungsgebäuden eine aktive

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Rolle bei der Herbeiführung von Kreativität beimisst: Ich stelle mir Gebäude und Organisationen wie Gehirne vor. In der Gehirnforschung spricht man vom Bindungs­ problem: Woher weiß eine Zelle, wann sie sich mit welcher anderen Zelle verbinden soll, um etwa eine Wahrnehmung zu verarbeiten? Heute stellen sich im Unternehmen dieselben Fragen: Wie entstehen Bindungen zwischen den einzelnen Disziplinen und Funktionen, analog zu den unterschiedlichen Zentren im Gehirn? Und wie entstehen Bindungen zwischen den einzelnen Menschen, analog zu den Neuronen? Genau da ist die Architektur gefragt: Sie bildet nicht einfach die Struktur der Organisation nach – sie kann ihre Prozesse aktiv steuern.34

Als ein Zwischenfazit lässt sich hier feststellen, dass offenbar die Herbeiführung eines kreativen Ver­hal­tens als ein gesellschaftlicher Wert mittler­weile fest verankert zu sein scheint und sowohl in der Werbung, im Produktdesign und in der Architektur unwidersprochen akzeptiert – mehr noch, gefordert – wird. Weniger gesichert scheint es aber zu sein, welche Wirk­ me­cha­nis­men genau man mit einer – wie auch immer gearteten – Kreativität eigentlich verbindet. Es fallen in diesem Zusammen­hang regelmäßig nur die Schlüssel­wörter »Bei­läu­fig­keit« und »Kommunikation«, oder man äußert dazu kaum erfüllbare Erwartungen wie die »Entwicklung einer übergreifenden und Miss­ver­ständ­nis­se vermeidenden Ingenieur­sprache«, wie sie Hesse et al. in dem oben zitierten The­sen­papier zur Zukunft der In­ge­nieur ­wissen­schaften formulieren.35

Der Sprung in die Ästhetik Mit Reckwitz wird man darauf aufmerksam, dass es bei dem eingeforderten »kreativen« Verhalten um mehr geht, als um die Erzeugung von technisch verwertbaren Innovationen: Das ästhetisch Neue wird mit Lebendigkeit und Ex­pe­ri­ men­tier­freude in Verbindung gebracht, und sein Hervor­ bringer erscheint als ein schöpferisches Selbst, das dem Künstler analog ist. Das Neuartige im Sinne des Kreativen ist dann nicht lediglich vorhanden wie eine technische

Errungen­schaft, es wird vom Betrachter und auch von dem, der es in die Welt setzt, als Selbstzweck sinnlich wahrgenommen, erlebt und genossen. 36

Die in den untersuchten Bedarfsanmeldungen auftauchenden Schlüsselwörter »Unbeschwertheit« und »Beiläufigkeit« lassen sich – dem Gedanken Reckwitz’ folgend – auf eine »Lebendigkeit« der Rezeption beziehen. Der Ansporn für das kreative Tätigwerden liege in einer sinnlichen und affektiven Erregung durch das produzierte Neue. Reckwitz argumentiert an dieser Stelle in der hermeneutischen Tradition Wilhelm Diltheys, der von einer »seelischen Lebendigkeit« spricht, welche die Dinge in uns auslösten. Werte ließen sich nicht ohne ein empfindendes Individuum definieren, das stets darauf gerichtet sei, sein Leben gut – im Sinne von im Einklang mit seinen Werten – zu führen.37 Wie kann man sich dieser »Lebendigkeit« nähern, die offenbar sowohl in der gegenwärtigen Produktwerbung als auch in der Architektur von Forschungsgebäuden eingefordert wird? Bezugspunkt der Überlegungen soll das Individuum sein, das, in Handlungssituationen verstrickt, sein eigenes Erleben wahrnimmt und reflektiert. Dieser methodische Ausgangspunkt steht in der Tradition der Ästhetik im Sinne einer Lehre von der sinnlichen Wahrnehmung, wie sie von Alexander G. Baumgarten begründet wurde. Er definierte »Ästhetik« bzw. »Allgemeine Poetik« im Jahre 1735 als »eine Wissenschaft, wie etwas sensitiv zu erkennen ist.« Es kam Baumgarten darauf an, »das Sinnliche (…) zum Rang des Wissens« emporzuheben, weshalb er dann in der Aesthetika von 1750 »Ästhetik« als »sensitive Erkenntnis« verstand.38 Der »Mehrwert« eines Gegenstands, der darin besteht, »Kreativität zu erzeugen«, lässt sich nicht in propositionalen Verhältnissen ausdrücken. Das ist der Grund, warum sich die Auftraggeberseite von Gebäuden so schwertut, diese Zielvorgaben zu definieren. Diese Sprachlosigkeit gegenüber nichtobjektivierbaren Sachverhalten kommt insbesondere bei Auslobungen im Staatlichen Hochbau zum Ausdruck. In den Ministerien besteht die Auffassung, dass man die praktischen Zwecke

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von Gebäuden erschöpfend bestimmen könne, ohne dass dabei auf die ästhetischen Eigenarten der entsprechenden Werke und damit auf die mit ihnen in Verbindung stehenden Werte Bezug genommen werden müsste. Die Entwürfe der Bedarfsanmeldungen der Universitäten, die als Fallbeispiele herangezogen wurden, stehen beispielhaft für die sich verändernde Typologie dieser Beschreibungen. Erstmalig finden sich nun Formulierungen, die gleichsam metaphorisch zum Ausdruck bringen, wonach die Universitäten auf der Suche sind: [D]er zu konzipierende Neubau [soll] nicht nur die (…) definierten funktionalen Vorgaben erfüllen, sondern soll mit seiner Architektur den Forschungsgegenstand selber aufnehmen und für Mitarbeiter sowie Besucher wahrnehmbar in der Gebäudestruktur widerspiegeln. 39

Es entsteht in der Verwaltung gegenwärtig die Unsicherheit, wie diese Unterlagen angemessen zu bewerten sind. Die bislang praktizierte Methode, die Bedarfe der Hochschulen ausschließlich über funktionale Parameter zu prüfen, stößt dabei an ihre Grenzen, wenn explizit »unscharfe« Bedarfe formuliert werden, die sich erst in einem »kreativen« Umgang mit dem Forschungsthema konkretisieren würden. An diese noch nicht abschließend zu definierenden Bedarfe muss offenbar ein anderer Be­trach­ tungs­maßstab angelegt werden, will man dem Un­ter­su­chungsobjekt in seiner Eigenart gerecht werden. Nimmt man den von den Hochschulen formulierten »kreativen« Aspekt ernst, dann wird deutlich, dass zunächst das Selbstverständnis der For­schungs­ein­rich­tung hinterfragt und erörtert werden muss. Die Kunst ist es, im Gespräch mit der Hoch­schule eine Stimmung dahingehend zu erzeugen, dass die Wissenschaftsgemeinde mögliche Ent­wick­lun­gen und Ziele in Worte fassen kann und dafür auf­merksam wird, welche räumlichen Stimmungen und/oder Arrangements sie damit gedanklich verbindet.40 Ein angemessenes Verständnis des Ästhetischen muss davon ausgehen, dass man die Zwecke, denen die jeweiligen [architektonischen v.R.] Werke dienen, nicht ohne

Rekurs auf die ästhetischen Eigenarten dieser Werke definieren kann,

formuliert der Philosoph und Literatur­wissen­ schaftler Daniel Martin Feige. Er spricht davon, dass architektonische Werke – und auch das Design sowie ›angewandte‹ Künste insgesamt – dem, wozu sie da sind, einen je spezifischen Sinn geben. Werke der Architektur arbeiten an dem mit, wozu sie da sind, und können deshalb als Gegenstände verstanden werden, denen eine welterschließende Kraft zukommt. Sie geben der Welt ein spezifisch menschliches Gesicht und unseren Praktiken eine spezifische Kontur. Zweifelsohne können Gebäudeentwürfe immer auch unter dem Aspekt der Form ihrer Verwirklichung betrachtet werden. Das Charakteristikum der Architektur und des Designs ist allerdings, dass es um die Form der Zwecke selbst geht – und damit um die menschliche Welt in ihrer Gestaltbarkeit.41

Reicht es also aus, in den Besprechungen mit den Vertreterinnen und Vertretern der Universitäten nur gut zuzuhören, und dann dürfte es schon klar werden, welche Art von Gebäude die Nutzenden erwarten? Ganz so einfach ist es nicht. Erst in der zutreffenden Beschreibung wird das Beschriebene dem Gegenüber »ansichtig«. Mit dem Philosophen Josef König gesprochen, teilt sich eine Erfahrung erst in ihrer Beschreibung mit.42 »Erst in der sprachlichen Hinwendung zum Erlebnis, erschließen wir uns den Gehalt, den wir Erfahrung nennen.«43 Die Kompetenz der Architektinnen und Architekten, die in den Ministerien mit den Vertreterinnen und Vertretern der Universitäten diese Gespräche führen, liegt damit zum einen in der Aufmerksamkeit für genau solche Momente, in denen sich Erfahrungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über die mögliche »Form ihrer Zwecke« zum Ausdruck bringen.44 Wie bei einer Pendelbewegung löst man sich als Architektin oder Architekt dann von diesen Vorgaben wieder und bringt sein eigenes Fachwissen ein und »übersetzt« diese sprachlichen Äußerungen in erste baulichräumliche Konzeptionen.45 In welche Richtung kann man blicken, wenn man sich im Hochschulbau passende Impulse geben lassen möchte, jenseits der funktionalen

»Collaborative Marketing«

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6  Valerio Olgiati: Bardill Studio, Scharans, CH, Residental Building, Zug, Schleife, CH.

Kri­te­rien zur Programm­erfüllung? Vielleicht bieten dieje­ni­gen Architekturbüros eine Orientierung, die einen genuin ästhetischen Standpunkt vertreten. Der Schweizer Architekt Valerio Olgiati spricht explizit von der Kreativität der Bewohnenden, die von einem »Wohl­gefallen« am Bauwerk angeregt werde:

Völlig konträr zu den Regelwerken des staatlichen Hochbaus, die ausschließlich auf eine möglichst wirtschaftliche und funktional sinnvolle Erfüllung des Raumprogrammes Wert legen, bezieht Olgiati auch das schwer in Worte zu fassende »sinnlichästhetische« Moment mit ein (Abb. 6):

Eine These muss also etwas Neuartiges in den Vorder­ grund stellen: einen Gedanken, eine Idee. Ohne einen Gedanken oder eine Idee, denen etwas Neues innewohnt, lässt sich nicht viel erreichen. Neuheit erfordert eine Art ›Vorausdenken‹; und tatsächlich werden Menschen zur Kreativität angeregt durch die Konfrontation mit etwas Neuartigem. So gesehen, befördert Neuheit einen positiven Moment, eine Art von Inspiration. Und es ist die geistige Konstitution des Neuen, die es den Betrachtern ermöglicht – nicht nur Architekten, sondern allen –, kreativ zu sein. Diese kreative Inspiration verspürt jeder, der einem solchen Gebäude begegnet.46

Es liegt in der Natur der Dinge, dass der Architekt Ge­bäu­de entwirft, die nicht nur den Anforderungen der Nutzung, sondern auch jenen der Ästhetik Genüge leisten. Als Vitruv schrieb, dass es die Aufgabe der Architektur sei, Schutz zu bieten, meinte er damit nicht nur das zweckdienliche Dach über dem Kopf. Vielmehr überfängt das Dach eines Gebäudes – auch wenn es ein grosses Loch hat, oder gerade weil es ein grosses Loch hat – die Menschen auf meta­physische Weise nach Art eines Himmelszelts. Derartige Gebäude erzeugen einen Widerhall in der Seele und im Bewusstsein der Menschen.47

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Ausblick Wie übersetzt man die Erwartungen der Auftrag­ geberseite in passende bauliche Lösungen? Wie reagiert man auf den veränderten gesellschaftlichen Bedarf nach Kol­la­bo­ra­tion und Kreativität, ohne in stereotype sprachliche Formulierungen sowie architektonische Muster­lösungen zu verfallen? Es fällt auf, dass aktuelle Wett­bewerbs­beiträge gesellschaftlich etablierte Bilder, wie die positiv besetzte Form einer Aufwärts­spirale, als Lösungs­formeln für ihren Entwurf verwenden. In der Bezug­nahme auf solche eingängige »modische« Lösungen zitieren sich in der Folge viele Architektur­lösungen gegenseitig. Insbesondere spektakuläre Entwürfe werden dabei als Referenz herangezogen. Das Konzept einer wellen­förmig ausgebildeten Bodenfläche, wie sie die Bibliothek des Rolex-Learning Center EPFL in Lausanne (CH) von SANAA Architekten besitzt, findet sich in unterschiedlichen Ausprägungen derzeit in vielen Wettbewerbsbeiträgen. Ebenso häufig werden gegenläufige Kreistreppen bzw. kreisför­mi­ge Rampen dargestellt, inspiriert etwa vom Forschungsgebäude des Merck Innovation Centers in Darmstadt von HENN.48 Manche der Umgangs­qualitäten dieser Räume sind aber zweifelhaft. Eine Rampen­spirale, die eine Beobachtung aller Mitarbeitenden ermöglicht, kann man auch kritisch sehen.

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Cratty / Lustgarten 2017. Klonk 2016, 17. Uerz 2019. Lustgarten 2015. Schmitz 2020, 20. Rabe 2016, 139. Penn 2001. Gieryn 2008. german-architects.com 2013. Bruffet 2015. Knorr-Cetina 2002. Neto 2016, 21. reflexion AG 2009. Klonk 2016, 11. Wissenschaftsrat 2020. Schmitz 2020, 20.

Kann es eine »Beiläufigkeit« der Gebäudeform geben, die explizit eine ästhetische Interaktion ihrer Nutzenden provoziert? Eine Beantwortung solcher Fragen und die Erforschung solcher Zu­ sam­ men­ hänge kann nur interdisziplinär zwischen der Wissen­schafts­gemeinde, den Ministerien, Architektur­büros und Vertreterinnen und Vertretern der Öffentlichkeit erfolgen. Dabei handelt sich nicht um einen formalen Architektur­ diskurs, sondern es geht vielmehr um das »Wie es sich anfühlt, im Raum zu sein«, also um Fragen der sinnlichen Wahrnehmung. Bei der Erarbeitung der Bedarfsanmeldungen zusammen mit den Hochschulen könnte die Bereit­schaft dafür geweckt werden, im Gespräch weitaus aufmerksamer für den Gebrauch entsprechender Metaphern – und damit Werte – zu werden, die die Wissenschaft als zutreffende Beschreibung ihres künftigen Handelns im Gebäude versteht. Um dazu eine Bereitschaft zu erzeugen, bedarf es einer Neu­ausrichtung der Gesprächsführung, die Raum für das Sichtbare, aber nur schwer Sagbare gibt. Eine solche Konzeption steht bislang erst ganz am Anfang. Es besteht die Aufgabe, neue Lösungen der sprachlichen und zeichnerischen Darstellung innerhalb der Gesprächsmoderation zu entwickeln, mit denen sich die Beteiligten die sinnlich-ästhetischen Aspekte der Bauaufgabe erst erschließen.

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Freistaat Sachsen 2019. Wannemacher 2016, 92. Hahn 2008, 11. Hahn 2008, 43. Auszug aus dem Entwurf der Bedarfsanmeldung »Global Hub« der Universität Leipzig, Mai 2018 (Hervorhebungen durch den Autor). 22 Auszug aus dem Entwurf der Bedarfsanmeldung »Leh­ mann-Zentrum« der Technischen Universität Dresden, April 2017 (Hervorhebungen durch den Autor). 23 Zitate aus dem Entwurf der Bedarfsanmeldung »Global Hub« der Universität Leipzig, Mai 2018, und aus dem Ent­ wurf der Bedarfsanmeldung »Lehmann-Zentrum« der Technischen Universität Dresden, April 2017. Ent­ spre­chungen finden sich z. B. in der Bedarfs­anmeldung der Technischen Universität Chemnitz für den Neubau

»Collaborative Marketing«

des Zentrums für Materialien und Integration von Nano­ membranen, Oktober 2011, sowie in der Bedarfs­an­mel­ dung der Technischen Universität Berg­akademie Freiberg für ein Zentrum für effiziente Hochtemperatur-Stoff­um­ wand­lung, Juli 2013. 24 »Provoke the unexpected. Be unmatched. Be unlimited. Fight the unoriginal. Unboring the future.«, Peugeot Groupe PSA 2018. 25 Ebd. 26 baunetz 2018 (Hervorhebung durch den Autor). 27 Plaschke 2017, 30. 28 Levi Strauss & Co. 2010. 29 Hesse et al. 2018 (Hervorhebung durch den Autor). 30 Reckwitz 2017, 227 (Hervorhebung im Original). 31 Uerz 2019. 32 Der Wissenschaftsrat hebt in seiner Begutachtung des Leipziger Forschungsgebäudes das Potential der digitalen Kommunikationsbereiche hervor: »Insbesondere die beiden Infrastrukturen des ›Lab for Transregional Cooperation‹ und des ›Digital Lab‹ wirken ebenso wie das damit verbundene Datenmanagementkonzept schlüssig und langfristig tragfähig.« Wissenschaftsrat 2020, 97–98.

baunetz 2018 Innovationsfluss in Kleeblattform. Forschungsgebäude von HENN in Darmstadt. baunetz 9.5.2018 zum Merck Innovation Center, https://www.baunetz-architekten.de/henn/31553/ projekt/5407946 (30.1.2021). Bruffet 2015 M. Bruffet: Chance Encounters: The Winning Ticket to the Inno­ vation-Lottery?, http://www.gensleron.com/work/2015/1/22/ chance-encounters-the-winning-ticket-to-the-innovation-lotte. html (30.1.2021). Cratty / Lustgarten 2017 J. Cratty / E. Lustgarten: How to Design Transformative Scientific Spaces? Put People First, http://www.gensleron. com/work/2017/4/4/how-to-design-transformative-scientific-spaces-put-people-fi.html (30.1.2021). Dilthey 1957 W. Dilthey: Gesammelte Schriften V. Band. Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens. Erste Hälfte. Abhandlungen zur Grundlegung der Geisteswissenschaften (Stuttgart 1957).

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Reckwitz 2014, 9. Henn 2018. Hesse et al. 2018. Reckwitz 2014, 10 (Hervorhebung durch den Autor). Dilthey 1957, 266. Iser 2016, 177 (Kursivsetzung im Original). Auszug aus dem Entwurf der Bedarfsanmeldung »Global Hub« der Universität Leipzig, Mai 2018 (Hervor­hebungen durch den Autor). Vgl. Schwarte 2009, 21–26, sowie Gleiter 2002, 7. Feige 2019, 44–48. König [1957] 1978, 266. Hahn 2008, 212. van Reimersdahl 2019, 352. Vgl. Hahn 2005, 53. Olgiati / Breitschmid 2018, 77. Olgiati / Breitschmid 2018, 112. Vgl. Wettbewerbsergebnisse des Realisierungs­wett­be­ wer­bes Neubau des Lehmann-Zentrums II an der Tech­ ni­schen Universität Dresden, Preisgerichtssitzung am 30.1.2020, online unter: https://www.competitionline. com/de/ergebnisse/351970, z. B. Beitrag STUDIO CORSO Büro für Architektur & Städtebau, München.

darfs­ deckungsmaßnahmen sowie die Bewirtschaftung Be­ schaften des Freistaates Sachsen im Zu­ stän­ von Liegen­ dig­ keits­ bereich der Staatlichen Vermögens- und Hoch­ bau­verwaltung (RLBau Sachsen – Ausgabe 2018) vom 18. Dezember 2018 (SächsABl. SDr. 2019 S. S 2), enthalten in der Verwaltungsvorschrift vom 9. Dezember 2019 (SächsABl. SDr. S. S 352), https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/17995RLBau-Sachsen-Ausgabe-2018#x8 (30.1.2021). german-architects.com 2013 german-architects.com: Profiles of Selected Architects, hammeskrause architekten, Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) (2013), https://www.german-architects.com/de/hammeskrause-architekten-stuttgart/project/center-for-freeelectron-laser-science-cfel (30.1.2021). Gieryn 2008 T. F. Gieryn: Laboratory Design for Post-Fordist Science, Isis 99, 2008, 796–802. Gleiter 2002 J. H. Gleiter: Rückkehr des Verdrängten. Zur kritischen Theorie des Ornaments in der Moderne (Weimar 2002).

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Hahn 2008 A. Hahn: Architekturtheorie. Wohnen, Entwerfen, Bauen (Wien 2008).

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Marcus van Reimersdahl

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Abbildungsnachweis

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© hammeskrause architekten, Stuttgart. © Bild: Johannes Marburg, Genf CH. © Peugeot Groupe PSA. © HENN, München. © Bild: HGEsch Photography, Hennef. © Bild: Sander Lückers, Zürich CH.

Heinrich Hübsch Ziegelsichtiges Bauen um 1830

Dorothea Roos

Die 1830–33 gebaute Finanzkanzlei am Karls­ruher Schlossplatz (Abb. 1) ist das erste Großprojekt, das der damals 34-jährige Architekt Heinrich Hübsch zu Beginn seiner Karriere in der badischen Bau­ direktion realisieren konnte. Als erstes repräsentatives Staatsgebäude mit ziegelsichtigen Fassaden in der Residenzstadt steht dieser Verwaltungsbau in mehrerlei Hinsicht für einen deutlichen Bruch mit dem bis dato vor Ort Üblichen. Städtebaulich, typologisch und vor allem seine Baukonstruktion und Gestaltung betreffend ist es Ausdruck einer tiefgreifend gewandelten Architekturauffassung, die Hübsch in seiner kurz zuvor publizierten und weitverbreiteten Schrift In welchem Style sollen wir

bauen (1828) vorgestellt hat. Mit seinem Aufruf, dauerhaft, ressourcenschonend und »material­ typisch« zu bauen und mit der unverhüllten Konstruktion eine sichtbare Einheit von Funktion, Konstruktion und Form zu erreichen, definiert Hübsch nicht nur neue Werte für den architektonischen Entwurf, sondern plädiert für eine grundlegende Erneuerung des Bauwesens. Er eröffnet damit einen Diskurs, der weit ins 20. Jh. reicht, scheinen mit den dazu assoziierbaren Stichworten wie ›Nach­haltig­keit‹, ›Material­gerechtigkeit‹ oder ›Kon­struk­tions­ehr­lich­keit‹ doch bereits wesentliche Grund­sätze auf, die zu zentralen Positionen der Moderne werden sollten.

1  Das Finanzkanzleigebäude am Schlossplatz Karlsruhe, Heinrich Hübsch 1830–33, Aufnahme vor 1944.

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Das Finanzkanzleigebäude kann als erstmalige praktische Umsetzung von Hübschs Maximen an einem Großprojekt verstanden werden. Es steht damit modellhaft für einen Wertewandel, der auf unterschiedlichen Ebenen vollzogen wird und Ergebnis verschiedener Aushandlungsprozesse und Ver­mitt­lungs­strategien ist, die Hübsch mit dem Bauherrn und Geldgeber auf der einen und mit den Ausführenden auf der Großbaustelle auf der anderen Seite zu meistern hatte. Die Planungsund Ent­ste­hungs­geschichte des Finanz­kanzlei­ gebäudes und die dabei wirksamen Parameter (städtebaulich, typologisch und hinsichtlich der Einführung des Ziegelbaus) sollen daher im ersten Teil dieses Beitrags genauer beleuchtet werden. Im zweiten Teil steht die darauf basierende Entwicklung des ziegelsichtigen Bauens im Fokus.

Modellbauordnung vs. neuer Bautyp Das Gebäude besetzt das östlichste der acht trapezförmigen Grundstücke am Schlossplatz, dem sog. Zirkel, und ist als ca. 65 x 60 m große Vier­ flügel­anlage um einen großen Innenhof organisiert (Abb. 2. 3). Mit dem prominenten Standort an der Südseite des viertelkreisförmigen Schlossplatzes unterlag der Bau der strengen Modell­bauordnung, die für die barocke Stadtanlage Einheitlichkeit und Gleichmaß garantieren sollte.1 Vorgeschrieben war für diesen Standort ein zweigeschossiger Haustyp mit 20 Rundbogen-Arkaden zum Platz hin, hochrechteckigen Fensteröffnungen im Obergeschoss und einem hohen Mansarddach, in dem ein weiteres Nutzgeschoss untergebracht war (Abb. 4a). Die einheitlichen Fassaden fassten dabei immer

2  Finanzkanzlei, Westfassade, Grundrisse EG und 1. OG, Querschnitt durch den Ostflügel.

Heinrich Hübsch

mehrere Parzellen zusammen, die mit Einzelbauten – zu der Zeit zumeist Wohnhäusern – besetzt waren. Die Finanzkanzlei hingegen war ausschließlich für die Verwaltungsarbeit und den damit verbundenen Besuchsverkehr vorgesehen. Jeder Raum sollte zwei Fenster und einen eigenen Zugang von außen bzw. vom Flur besitzen, was durch die Anordnung der Amtsräume zu den Straßenseiten und der Ver­ kehrs­flächen zum Hof erreicht wurde.2 Auch wenn Hübsch auf den Grundrisstyp des RenaissancePalastes zurückgreift, entwickelte er den Grundriss »von innen nach außen« und anhand der Nut­ zungs­an­for­de­rung für ein Ver­wal­tungs­gebäude. Da das Gebäude zu den ersten einheitlich geplanten Verwaltungs- oder Behördengebäuden der Neuzeit in Süddeutschland gehört3, stellt es einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung dieses Bautyps dar.4

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3  Stadtplan von Karlsruhe 1834, Ausschnitt.

4  Fassadenentwürfe für Gebäude am Schlossplatz Karlsruhe, M 1:1000. a: Modellhausfassade Schlossplatz ab 1752. b: Entwurf Fassade Innenministerium/Alte Kanzlei, F. Weinbrenner um 1811. c: Finanzkanzlei erster Fassadenentwurf, H. Hübsch 1830. d: Innenministerium/Alte Kanzlei ausgeführt 1814/16. e: Finanzkanzlei ausgeführt ab 1832. f: Staatsschuldenverwaltung, F. Ostendorf 1912.

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5  Finanzkanzleigebäude von Südwesten 2018, Aufstockung der Eckpartien 1950er-Jahre.

Zudem besetzt die Finanzkanzlei einen gesamten Baublock und führt mit dieser Großform eine neue Maßstäblichkeit ein, die einen deutlich städtischeren Charakter hat (Abb. 5).5 Der Baukörper ist damit nicht mehr ausschließlich zum Schlossplatz hin gedacht, sondern auch in Richtung der Bürgerstadt angelegt und durchkomponiert. Zu den Straßenseiten waren die Trakte an den Ecken und entsprechend der Gestaltungsvorgaben zweigeschossig angelegt, während die Mittelpartien abweichend davon auf einer Breite von neun Achsen dreigeschossig ausgebaut sind. Auch schließt das Gebäude mit flachen Walmdächern und nicht mit den vorgeschriebenen Mansarddächern ab. Die Fenster­öffnungen in den Erdgeschossen der drei nicht an den Schlossplatz angrenzenden Gebäude­flügel sind rundbogig überdeckt, während sie in den oberen Geschossen entsprechend der Modell­bau­ordnung scheitrechte Stürze haben. An der Fassade zum Schlossplatz zeigt sich

am deutlichsten die Abweichung von den Regeln (Abb. 4e). Die Geschoßhöhen und Proportionen sind verändert und statt der vorgeschriebenen 20 Arkaden gibt es nur 19 höhere und weiter gespannte Bogen­öffnungen zwischen schlanken Pfeilern.

Planungsgeschichte Die Gestaltung des Ost-, Süd- und Westflügels hatte Hübsch bereits in der Planeingabe im Januar 1830 so angelegt, während die Fassade zum Schlossplatz zu diesem Zeitpunkt noch der Modellbauordnung entsprechen sollte (Abb. 4c). Erst im Juli 1832 bewirkte er, dass die Schloss­platz­ fassade in der realisierten Form ausgeführt wurde.6 Die Vermeidung des Mansarddachs, das Hübsch gegenüber dem Bauherrn als die »bereits seit einem halben Jahrhundert hässlichste architectonische Form und als die größte Sünde gegen den

Heinrich Hübsch

guten Geschmack« bezeichnete, hatte für ihn aber nicht nur ästhetische Gründe.7 Es ging ihm um Konsequenz im Entwurf. Das dritte Nutzgeschoss nicht mehr im »gebrochenen Dach«, wie er das Mansarddach bezeichnete, zu verstecken, sondern wenigstens teilweise als Vollgeschoss zu zeigen, kann als Ausdruck seiner prinzipiellen Forderung nach einer sichtbaren Einheit von Funktion und Gestalt verstanden werden. Eine komplett konsequente Durchführung war nicht möglich, denn auch über den zweigeschossigen Bereichen wurden die Räume in den Walmdächern genutzt. Die für die Belichtung benötigten Gauben stellt Hübsch im Tafelteil seiner Bau-Werke aus ästhetischen Gründen dann nicht dar (s. Abb. 2).8 Für seinen Vorstoß, mit diesem Entwurf für den Nordflügel das enge Korsett der Modell­bau­ ordnung aufzubrechen, nutzte Hübsch einen günstigen Zeitpunkt nach Fertigstellung der drei anderen Gebäudetrakte. Mit ihnen hatte er »gebaute Tatsachen« geschaffen, an die baukonstruktiv sinnvoll und mit entwurflicher Logik angeschlossen werden musste. Während die Baueingabe noch zur Regierungszeit des als sparsam bekannten Großherzogs Ludwig I. erfolgt war, richtet sich Hübschs Antrag auf Planänderung nun über das Finanzministerium an dessen Nachfolger, den frisch amtierenden Großherzog Leopold, der gegenüber Neuerungen aufgeschlossener und kunstinteressiert war.9 Am bereits fertiggestellten Südflügel des Gebäudes konnte sich der Auftraggeber ein Bild von der gelungenen architektonischen Wirkung machen. Zudem argumentierte Hübsch mit einem Zugewinn an Raum im Gebäude bei gleichzeitiger Kostenersparnis, da die Dachanschlüsse wesentlich einfacher ausgeführt werden konnten, als wenn zwischen den Walmdächern der Ost- und Westflügel und dem projektierten Mansarddach des Nordflügels hätte vermittelt werden müssen. Ganz wesentlich war für Hübsch jedoch der Wert des Innovativen und Wegweisenden, den er nun in die Waagschale warf: Der moderne Entwurf solle »den ganzen Zirkel, welcher jetzt (…) ziemlich monoton aussieht, bedeutend verschönern« und

Vorbildcharakter haben für dessen zukünftigen zeitgemäßen Ausbau.10 Als weitere Argumentationshilfe für die von ihm geplanten Proportionsänderungen11 verwies Hübsch auf ein Gebäude seines Lehrers und Vorgängers in der Baudirektion Friedrich Wein­ brenner, der für den Stadtausbau ab 1801 zuständig war. Auch Weinbrenner hatte die Uniformität der Modellfassaden am Schlossplatz auflockern wollen und um 1811 einen ersten Entwurf der weiter westlich zwischen Lamm- und Rittergasse gelegenen Alten Kanzlei, das Innenministerium, gefertigt, bei dem er, abweichend von den Ge­stal­ tungs­vorgaben, veränderte Geschosshöhen und einen dreigeschossigen Mittelrisalit mit Säulen­ portikus vorgesehen hatte (Abb. 4b).12 Wein­ brenners Fassaden­entwurf war trotz seiner mehrmaligen Vermittlungs­versuche nicht von Ludwigs Vorgänger, Großherzog Karl Ludwig Friedrich, genehmigt worden, da »von der Bauart der übrigen Circel Gebäude so wenig als möglich abgewichen« werden sollte.13 Weil sich die Alte Kanzlei zu diesem Zeitpunkt aber bereits im Bau befand, konnte sie mit Änderungen gegenüber der Modellbauordnung realisiert werden: mit nur 19 statt 20 Arkaden und Fensterachsen, mit einem leicht vortretenden Mittelrisalit und einer minimalen Erweiterung des mittleren Jochs für eine Durchfahrt (Abb. 4d). Auch hinsichtlich der Strategie könnte Hübsch von Weinbrenner gelernt haben: Möglicherweise ließ Hübsch zunächst die drei Gebäudeflügel zur Stadtseite errichten, um in einem günstigen Moment (in diesem Fall der Regenten­wechsel) seinen Entwurf für die Schloss­ platz­fassade durchzusetzen, den er bereits von Beginn an intendiert hatte. Neben dem neuen städtebaulichen und typologischen Ansatz ist aber besonders die bauliche Umsetzung des Finanzkanzleigebäudes bemerkens­ wert. Anstelle der in Karlsruhe bis mindestens in die 1840er Jahren üblichen Fach­ werk­ bau­ weise mit einem Sockelgeschoss aus Bruch­stein­mauer­werk, alles glatt verputzt und angestrichen, wird hier ein in allen Mauern aus

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6  Südfassade 2019.

Back­stein bestehender Massivbau errichtet, dazu noch mit materialsichtigen Fassaden. Diese sind als Ver­blend­mauer ­werk aus hellgelben Backsteinen ausgeführt, kombiniert mit Sandstein im Bereich des Sockels, der Fenster- und Tür­gewände und der Gesimse (Abb. 6). Die Außen­wände sind glatt, die wenigen Ornamente einfach und aus dem Material entwickelt, an den Ar­ka­den­bögen und als Wand­abschluss­fries sind einfache Formsteine verbaut. Vor die Hinter­mauer­steine von geringerer Qualität ist eine Außenschale mit ganz regelmäßig und scharfkantig geformten Steinen gesetzt. Die sehr schmalen Fugen (ca. 4 mm) und die farblich angeglichene Füllung lassen das Fugen­bild optisch wenig in Erscheinung treten, weswegen die Fläche sehr homogen wirkt.

Aus den im Generallandesarchiv Karlsruhe erhaltenen Bauakten lassen sich Hinweise ableiten, wie es zur Entscheidung für diese, wie Hübsch es selbst formuliert, »hier zu Lande ganz unbekannten« Bauweise gekommen ist.14 Dass das Gebäude als Massivbau ausgeführt ist, war zunächst einmal der Feuersicherheit geschuldet.15 Gewölbte Decken über den Archiv- und Kassenräumen und den Fluren und Treppenhäusern sollten mehr Sicherheit bieten.16 Ausschlaggebend für die Wahl des gebrannten Steins als Baumaterial ist Hübschs Angaben nach die Integration modernster Haustechnik. Da in den Innenmauern »Canäle« einer Luftheizung geführt wurden, konnten diese nicht aus Bruchstein gemauert werden, sondern mussten aus Backsteinen

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bestehen.17 Dies führte wiederum zur (pragmatischen) Entscheidung, auch die Außen­mauern aus Backsteinen herzustellen, mit einer Verblendung aus besonders guten, hartgebrannten, klinkerartigen Steinen. Als besonderen Vorteil solch einer Ober­fläche betonte Hübsch ihre Dauerhaftigkeit und War­tungs­freiheit. Anders als bei verputzten Fassaden seien auf Dauer keine Reparaturen oder Neu­anstriche erforderlich. Dies, so Hübsch – und damit führt er für diese Material­wahl klare Ge­stal­tungs­absichten an –, sei dem »Anstand und der Schönheit« geschuldet. Das in Karlsruhe allerorts sichtbare »zersetzte fleckige Gewand der verputzten Gebäude« sei kein angemessener architektonischer Ausdruck für ein öffentliches Gebäude, das ja auch Vorbildcharakter für private Bauvorhaben habe. Eine ziegelsichtige Fassade hingegen wirke edel und eigne sich hervorragend zur Repräsentation (Abb. 7). Als Vorbild hatte Hübsch über Jahrhunderte in Würde gealterte ziegelsichtige Beispiele in Italien vor Augen, die er während seiner Studienreisen und Aufenthalte in Rom gesehen hatte. Besonders beeindruckt hatten ihn die frühchristlichen Bauten mit ihren reduzierten, feinen Ziegelfassaden, die oft mit Marmor kombiniert sind, worin Hübsch eine wechselseitige Veredelung der Materialien erkannte.18 Geografisch näherliegende Inspirationsquellen scheint es nicht gegeben zu haben – in Süd­ deutsch­land gibt es keine Ziegelbautradition, an die Hübsch hätte anknüpfen können, wie das z. B. in Berlin der Fall war, wo Karl Friedrich Schinkel zeitgleich die Friedrichswerdersche Kirche fertigstellte und damit das ziegelsichtige Bauen in der Re­prä­sen­tationsarchitektur in der Stadt einleitete.19 Damit ist deutlich, dass Hübsch den Backstein, abgesehen von seinen »praktischen« Vorzügen, in seiner Materialität und Ästhetik wertschätzte und als hochwertiges Baumaterial betrachtete. Und die Schönheit dieses Materials war für ihn aufs engste verbunden mit der besten Qualität der Steine und der sorgfältigsten Bauausführung. Genau dies

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7  Eingangsportal Westflügel, Aufnahme vor 1944.

war zu diesem Zeitpunkt allerdings ein Problem in Karlsruhe. Backsteine wurden in der Regel nur im Bereich von Feuerstätten verwendet (in seltenen Fällen wie in der Alten Kanzlei auch für Gewölbe), das übliche Baumaterial war neben dem verputzten Fachwerk der Bruch- oder Haustein (ebenfalls verputzt). In der Stadt und im Umland gab es zwar knapp 30 Ziegeleien, aber nur drei Betriebe, welche die hochwertigen gelben sog. Rheinsteine produzierten und sich darauf einließen, die von Hübsch eingeforderte besondere Qualität, d. h. scharfkantige und »bis zur Verglasung« gebrannte Verblendsteine zu liefern.20 Die Produktion solcher »doppelt gebrannter«21 klinkerartiger, widerstandsfähiger Steine war in Baden zu diesem Zeitpunkt nicht üblich.

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8  Detailaufnahmen Mauerwerk, von links oben im Uhrzeigersinn: Finanzkanzlei Karlsruhe, Nazarethkirche, Berlin-Wedding, K.-F. Schinkel 1832–34, Friedrichswerdersche Kirche Berlin, K.-F. Schinkel 1824–30, Orangerie Karlsruhe, H. Hübsch 1855.

Die praktische Umsetzung Die Maurer hatten keine Erfahrung mit dem Material und der Herstellung solcher Fassaden. Bevor das Groß­projekt in Angriff genommen wurde, erprobte Hübsch daher die Bauweise an einem kleineren Gebäude, einem der Stadttore von Karlsruhe, dem Karls­tor (1829–30).22 An diesem »Versuchsbau« konnten die Konstruktion im kleineren Maßstab entwickelt und ihre Wirkung geprüft, geeignete Zie­ge­lei­en ausfindig gemacht, Fragen der Logistik und Qua­li­täts­sicherung für die Produktion von »auf das regelmäßigste zweimal gebrannt, ganz scharfkantigen Backsteinen« geklärt und die Maurer eingelernt werden.

Für die Realisierung der Finanzkanzlei als »Ziegel­ rohbau« war der Aufwand ungleich größer. Der Bauherr ließ sich aber auf das Experiment und die von Hübsch vorab überschlägig ermittelten Mehr­ kosten von ca. 30 % gegenüber der herkömmlichen Bauweise in Bruchsteinmauerwerk mit Verputz und Anstrich ein.23 Die Ziegeleien jedoch gelangten schon im ersten Winter der Bauausführung mit der Produktion der erforderlichen Stückzahlen guter Verblendsteine an ihre Grenzen.24 Wie die Bauakten dokumentieren, konnte Hübsch eine Bau­ zeit­verlängerung von zwei Jahren und deutliche Kostensteigerungen nicht verhindern – trotz seines großen persönlichen Einsatzes in den Ziegeleien mit akribischen Vorgaben zur Verbesserung der

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dortigen Arbeitsabläufe, um qualitätvolle Steine zu erhalten.25 Vergleichbare Probleme und ähnliche An­stren­gun­gen zur Erzielung einer guten Back­ stein­qualität sind von Karl Friedrich Schinkel in den Berliner Ziegeleien überliefert. 26 Vergleicht man die Ergebnisse der Bemühungen der beiden Architekten am Beispiel der zeitgleich mit der Karlsruher Finanzkanzlei gebauten Nazareth­kirche in Berlin-Wedding (1832–34) oder der Johannis­ kirche in Berlin-Moabit (1832–35) oder hinsichtlich der an der Friedrichswerderschen Kirche (1824– 30) verbauten Steine, wird deutlich, dass Hübsch in Karlsruhe einen hohen Perfektionsgrad für das Material erreichen konnte (Abb. 8). Um möglichst regelmäßige und scharfkantige Back­steine zu erhalten, ließ er sie, wie es eigentlich nur bei der Produktion von Dachziegeln/Dachplatten üblich ist, einzeln auf Brettchen trocknen und mit weiten Abständen in den Brennofen setzen.27 Wie der in den Bauakten erhaltenen Aus­ schreibung entnommen werden kann, sollten am Karlstor alle sichtbaren Oberflächen der Back­ steine glatt geschliffen werden.28 Am Gebäude der Finanzkanzlei konnte dieser Aufwand angesichts der großen Stückzahlen jedoch nicht betrieben werden; hier galt es, die Stückwerker zum langsameren, sorgfältigen Streichen der Steine anzuhalten, wofür Hübsch ihre Löhne aufbesserte.29 Bei späteren Projekten setzt Hübsch diese Bemühungen um perfekte Steine fort: Die Ver­ blend­steine der Karlsruher Orangerie (1855) beispielsweise haben so präzise scharfe Kanten, dass sie mit noch schmaleren, offenen Fugen versetzt werden konnten (s. Abb. 8 unten links).

Entwicklung des ziegelsichtigen Bauens Warum der sog. Ziegelrohbau um 1830 an verschieden Orten zum Thema wurde, lässt sich nicht allgemein beantworten. Sicherlich hat Schinkel die Entwicklung mit angestoßen, um mit der »Wie­ der­belebung« der mittelalterlichen Tradition dem

Baustoff Backstein eine neue Wertigkeit zu verleihen.30 Und auch in München wurden in diesen Jahren erste ziegelsichtige Repräsentationsgebäude ausgeführt: durch Leo von Klenze die 1836 eröffnete Pinakothek (Grundsteinlegung 1826), durch Friedrich von Gärtner 1832–42 das Bibliotheks- und Archivgebäude und 1838/39 (1843 bezogen) das ebenfalls an der Ludwigstraße errichtete Gebäude der Bayerischen General­berg­werks- und Sa­li­nen­ administration.31 Wie für Hübsch und Schinkel waren sicherlich auch für Klenze und Gärtner die Eindrücke ihrer Italienreisen prägend, 1835 hatte Gärtner außerdem in Berlin die Bau­akademie und andere ziegelsichtige Gebäude von Schinkel besichtigt.32 Nach seiner oben zitierten frühen textlichen Äußerung zur Materialsichtigkeit von 1828 stand Hübschs praktisches Wirken um 1830 scheinbar nicht in direktem Bezug zu den Entwicklungen in Preußen und Bayern. Hübsch war bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Berlin gewesen (Berlinreise 1842) und auch die Entwicklungen in München verfolgte er persönlich nachweislich erst im Spätjahr 1834 während einer »KunstReise« dorthin, die er so terminierte, dass er vor Ort noch laufende Baustellen besichtigen konnte.33 Mit Sicherheit wurden im Büro der Badischen Baudirektion aber die aktuellen Publikationen zum Thema Backsteinbau verfolgt, darunter gewiss auch Schinkels Sammlung architektonischer Entwürfe mit den Zeichnungen der Friedrichs­ werderschen Kirche samt Erläuterungen zur Backsteinkonstruktion (Heft 13, 1829), und obendrein auch die internationalen Entwicklungen in England, Holland, Frankreich und Ungarn.34 Möglicherweise stand Hübsch in den späten 1820er Jahren eher in Verbindung mit Kollegen, die wie er die konstruktionsbezogene Ausbildung bei Friedrich Weinbrenner an der Karls­ruher Bau­schule absolviert hatten, wie z. B. Alexis de Chateauneuf, der ab 1826 in Hamburg Häuser mit sichtbarem Ziegelmauerwerk baute.35 Über einen direkten Austausch der beiden Architekten zu diesem Thema ist bisher allerdings nichts bekannt. Spätestens ab

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ca. 1840 finden sich in den Bauakten der Badischen Baudirektion dann immer wieder explizite Verweise von Hübsch auf neue Architektur in München und Berlin.36 Während vor der Mitte des 19. Jhs. ziegelsichtige Neubauten eher eine exklusive Aus­nahme im Stadt­bild darstellten und auch in Karlsruhe im Grunde auf Gebäude von Heinrich Hübsch beschränkt bleiben sollten (z. B. das Obergeschoss der Groß­her­zog­lichen Gemäldegalerie 1837–46, der Pavillon der Mu­seums­gesellschaft 1842/43, das Hof­theater 1851–54, die Orangerie und weitere Gebäude im Botanischen Garten um 1855), erlebte die Anwendung des Ver­blend­mauer­werks spätestens seit den 1880er-Jahren einen regelrechten Boom. Äußerlich blieben die Anforderungen die gleichen: Gewünscht waren regelmäßige, perfekte scharfkantige Steine von homogener Farbigkeit. Konstruktiv vollzog sich allerdings eine Entwicklung vom Voll­ziegel-Verblend-Verband zu einem Ver­ blend­mauer­werk mit sog. Riemchen, die in der Regel als Hohl­steine in Halb- und Viertelformaten verbaut wurden und ab den 1860er-Jahren mit den neu entwickelten Strangpressen erstmals in Masse produziert werden konnten. Gleichwohl sollte auch diese Art der Herstellung noch sehr handwerklich erfolgen, und das bis weit ins 20. Jh. hinein. Diese Entwicklung betraf die Arbeit von Hübsch allerdings nicht mehr. Wie bei den Außen­mauern der Finanzkanzlei, die zwei Steinlängen dick und im sog. Flämischen Verband gemauert sind37 (d. h. ein vergleichsweise großer Anteil der Mauer besteht aus qualitätvollen Verblend­steinen), wurden auch bei den späteren ziegelsichtigen Bauten immer volle Steine verbaut. Auch bei den perfekten Steinen der Karlsruher Orangerie (1855) z. B. sind die für Hand­strich­ziegel typischen Spuren, die durch das Eindrücken des Lehms in und das Entfernen aus der Form entstehen, sichtbar (s. Abb. 8 u. li.), allerdings änderte sich die Detaillierung: Die Steine der Außenschale sind im etwas materialsparenderen Läuferverband gesetzt und könnten z. B. wie beim kurz zuvor entstandenen benachbarten Hoftheater mit versteckt eingelegten Eisenblechen oder

-stäben rückverankert sein.38 Noch für die Marien­ kapelle in Badenweiler (1859–62) oder die Kirche Hl. Kreuz in Bietigheim bei Rastatt (1860–63), die letzten Projekte, die er vor seinem Tod noch fertigstellen konnte, dokumentieren die Bau­akten die Handproduktion und Hübschs Zusammen­arbeit mit den gleichen Ziegeleien, die 30 Jahre zuvor die Backsteine für das Karlstor und die Finanz­kanzlei geliefert hatten.39

»Materialgerechtes« Bauen Zu einem letzten Aspekt. Die heute trotz der Be­schä­digung des Gebäudes während des Zweiten Weltkriegs noch sehr gut erhaltenen Fassaden der ehemaligen Finanzkanzlei zeigen eindrücklich die damals erreichte Qualität des Materials und der Konstruktion sowie ihre praktischen Vorteile (Abb. 9).40 Offensichtlich ist auch die Disziplin, die zu ihrer Planung und Ausführung notwendig war. Genau diesem Bild der unverhüllten, »lesbaren« Konstruktion, dem bloßgelegten Modul, galt Hübschs Interesse. Die materialsichtige Fassade ist Hübschs Antwort auf die seiner Meinung nach ver­ bes­se­rungs­würdige örtliche Tradition der glatt verputzten und angestrichenen Fassaden. Sie schließt eine Kritik an der Architekturauffassung seines Lehrers und Vorgängers im Amt, Friedrich Wein­ brenner, mit ein. Dessen formaler Referenz auf griechisch-römische Architektur und den damit verbundenen konstruktiven Lösungen galt Hübschs in seiner Schrift von 1828 formulierte Kritik. Erwähnt sei hier beispielsweise die Ausführung des Säulen­ portikus des Mark­gräf­lichen Palais in Karlsruhe (F. Weinbrenner, 1803–14). Die Architrave sind hier nicht aus langen Steinbalken, wie es ihre äußere Erscheinung vorgibt, sondern als eine mit Back­ steinen ausgemauerte Fach­werk­konstruktion ausgeführt und mit Stuck bedeckt – eine schadensanfällige und wenig dauerhafte Lösung.41 Für Hübsch musste eine zukunftsfähige Architektur aus der Funktionalität des Grundrisses entwickelt und mit dauerhaften, lokal verfügbaren

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9  Finanzkanzleigebäude. Ansicht von Nordwesten, 2018.

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10  V. l. n. r.: Ehem. Finanzkanzlei, Staatsschuldenverwaltung, L-Bank und Landeskreditanstalt 2020.     

Materialen umgesetzt werden. Für das Bauen in Karlsruhe bedeutete das ein Bauen mit eher klein­ formatigen Bausteinen: entweder aus Sand­stein oder mit Backsteinen. Die Gestalt, so Hübschs Auffassung, müsse den konstruktiven Gesetz­ mäßigkeiten des Materials folgen. Für die Über­ deckung von größeren Spannweiten mit diesem Material bedeute dies zwangsläufig die Konstruktion des Bogens.42 Dies im Rahmen der Vorgaben der Ge­stal­tungs­ordnung am Schloss­platz mit einer steinsichtigen Konstruktion quasi konstruktiv sichtbar »vorzuführen«, lag damit nahe (Arkaden, Rund­ bogen­fenster in den Erdgeschossen). Die scheit­ rechten Stürze über den Fenster­öffnungen in den Obergeschossen der Finanz­kanzlei sind den Ge­stal­tungs­vorgaben geschuldet – für ihre lichte Öffnungsweite von knapp 1,20 m sah Hübsch jedoch auch prinzipiell eine Überdeckung mit

einem geraden Sturz aus Sandstein noch als ökonomisch an, allerdings bedürfe es ab Sturzbreiten von 3 Fuß (= 90 cm) eines gemauerten Ent­las­tungs­ bogens darüber, wie er hier auch ausgeführt wurde.

Späte Auswirkungen Hübschs Wunsch, mit der Architektur der Finanz­ kanzlei neue Werte für die Bebauung des Zirkels zu definieren, sollte viele Jahrzehnte unerfüllt bleiben. In der zweiten Hälfte des 19. Jhs. beschränkten sich die Aktivitäten mancher Bauherren zur Individualisierung ihrer Wohnhäuser am Schloss­ platz mal auf eine etwas exklusivere Farb­gestaltung, mal auf Experimente mit vier Voll­geschossen – also auf ein insgesamt sehr verhaltenes Variieren der Modellbauordnung.43 Und es gibt so manchen

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gestalterischen »Rückschlag« zu verzeichnen, z. B. die 1912 errichtete Staatsschuldenverwaltung von Friedrich Ostendorf. Mit ihr wird 80 Jahre nach der Errichtung der Finanzkanzlei auf dem westlichen Nachbargrundstück erstmals wieder ein großes Verwaltungsgebäude am Schlossplatz realisiert. Das von Ostendorf dreigeschossig geplante, jedoch nur mit zwei Geschossen genehmigte Gebäude sieht in seiner von ihm propagierten Formensprache im Stile von »um 1800« der dafür niedergelegten barocken Wohnhauszeile zum Verwechseln ähnlich (s. Abb. 4f).44 Fast 130 Jahre sollte die Finanzkanzlei das einzige ziegelsichtige Gebäude am Schlossplatz bleiben. Einen architektonischen Widerhall und damit auch einen Reflex in einer städtebaulichen Dimension erfuhr es erstmals in den 1950er-Jahren mit dem

Gebäude für die Landeskreditanstalt von Hermann Blomeier (1957), das als sichtbare Stahl­ beton­ skelettkonstruktion mit Ausfachungen aus gelben Klinkern realisiert ist.45 1978–83 entstand östlich davon das ziegelsichtige Gebäude der Landesbank von Heinz Mohl, in, wie der Architekt selbst angibt, direkter Referenz auf das Finanz­kanzlei­gebäude.46 Der von Hübsch intendierte Maßstabswechsel wurde damit am Schlossplatz erst mit diesen nach dem Zweiten Weltkrieg realisierten Projekten vollzogen (Abb. 10). Die Gebäude am Platz sind seit dieser Zeit durchweg dreigeschossig: Die Alte Kanzlei von Weinbrenner und die Staats­schulden­verwaltung von Ostendorf wurden im Zuge des Wieder­aufbaus aufgestockt, die Ecken der im Krieg schwer getroffenen ehemaligen Finanzkanzlei ergänzt – sicherlich ganz in Hübschs Sinne.

1 Valdenaire 1926, 78–80; Hirsch 1932, 255–256; Merkel 1990; Leiber 1996, 101–102, 122–123; Leiber 2002, 140– 146; Im 2012, 40–47; Valdenaire 2014, 98. 2 Außer dem Großherzoglichen Finanzministerium waren die Oberrechnungskammer, die Hof-Domainen-Kammer, die Direktion der Forste und Bergwerke, die Steuer­ direktion, die Armortisations-Casse und die GeneralStaats-Casse im Gebäude untergebracht. Heute ist es einer der Dienst­sitze des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Zum Gebäude allgemein: Hübsch 1838, 9–12; Berkmüller / Durm / Gerwig 1872, 88; Valdenaire 1926, 19–20; Hirsch 1932, 263–265; Brockhoff 1983, 54–55; Klinkott 1983, 144– 145; Walther 2004, 375–380; Kieser 2012, 115–118 und besonders Vilmar 2002, 45–61. 3 Vilmar 2002, 58. Auch in der Alten Kanzlei (F. Weinbrenner, 1814/16) gab es eine funktionale Erschließung der Räu­ me, allerdings zweihüftig durch innenliegende Flure. Ein weiteres Beispiel, das Hübsch vermutlich kannte, ist die 1825/26 von Georg Moller geplante und realisierte Neue Kanzlei in Darmstadt, die ebenfalls zweihüftig mit Mittel­ erschließung angelegt ist, Moller 1832–44, o. S. mit Taf. VII–X. 4 Die Verwaltungen waren bis dahin meist in den Residen­ zen oder, wie im Fall von Karlsruhe, in verschiedenen, in der Stadt angemieteten Lokalen untergebracht. 5 Auch der Neubau der Weinbrennerschen Alten Kanzlei bildet mit den beiden Seitenflügeln entlang der Lamm- und der Rittergasse zusammen mit dem am Hinteren Zirkel

gelegenen Archivbau (Wilhelm Jeremias Müller, 1788–92) eine geschlossene Blockrandbebauung. Die Großform entstand hier allerdings in mehreren Bauabschnitten und nicht als einheitliche Gesamtplanung; es wurde damit aber erstmals ein Zirkelgrundstück als Ganzes mit einem Großbau überbaut, vgl. dazu Hirsch 1932, 259, Abb. 68 (Grundriss); Krimm 2005, 380. GLA Karlsruhe 237/4449, Schreiben von Hübsch an das Finanzministerium vom 5. Juli 1832; der Antrag wird am 10. Juli 1832 genehmigt. Abbildungen der ersten Fassadenentwürfe bei Brockhoff 1983, 66–67 Abb. 27–30. GLA Karlsruhe 237/4449, Schreiben von Hübsch an das Finanzministerium vom 5. Juli 1832. Hübsch 1838, 10: »(…) weil dieselben hier einen weit ungünstigeren Effect machen würden, als in der Wirk­ lich­keit, wo die hohen Mansard-Dächer der nachbarlichen Häuser daneben stehen.« Zu seiner Auffassung vom Verhältnis von »Zweck und Form« s. Hübsch 1828, 2. 28. Großherzog Ludwig I. starb am 30. März 1830 an einem Schlaganfall. GLA Karlsruhe 237/4449, Schreiben von Hübsch an das Finanzministerium vom 5. Juli 1832: »(…) Da die südliche Facade des rubricirten Baues mit dem dreystöckigen Cour de Logis bereits vollendet ist, so zeigt sich um so einleuchtender, wie sehr die nördliche gegen den Schlossplatz gekehrte Facade gewinnen würde, wenn hier ebenfalls der mittlere Theil derselben, welcher das Cours de Logis bildet, dreystöckig aufgeführt werden

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dürfte. Ich halte es um so mehr für meine Pflicht, Hohe Stelle gehorsamst darauf aufmerksam zu machen, als dadurch fünf schöne Zimmer gewonnen und gleichwohl noch 200 f. erspart würden, indem alsdenn die mit Metall zu deckenden flachen Stellen der Dachungen fast ganz wegfielen. Der theilweise Aufbau des dritten Stockes wird erstens gegen die übrigen Zirkelquadrate wenig auffallen, weil die vollkommene Gleichförmigkeit bereits durch die höheren Stockwerke der alten Kanzley sowohl als des rubricirten Baues – was ohne Beeinträchtigung des Zwecks nicht zu umgehen war – einigermaßen aufgehoben werden musste, und weil der First des Daches in keinem Falle höher war als bey den mit Ziegeln gedeckten steilen Dächer der übrigen Quadrate. Zweitens liesse sich sogar durch den fraglichen Aufbau der ganze Zirkel, welcher jetzt nach fig. 1 der beyliegenden Zeichnung ziemlich monoton aussieht, bedeutend verschönern, wenn man einem Theil der betreffenden Hauseigenthümer erlaubte, nach fig. 2 ebenfalls einen dritten Stock mit flachem Dach aufzusetzen. Diese Erlaubnis würde nun den meisten wohlhabenden Bewohnern gewiss zur großen Freude der hiesigen zum Theil brotlosen Bauhandwerker sehr bald benützt werden, u. den Werth der betreffenden Häuser sehr steigern. Drittens könnte alsdann ohne Anstand bey rubricirtem Bau das gebrochene Dach (ohne gerade Dachzimmer zu verlieren) umgangen werden (…).« GLA Karlsruhe 237/4449. Ehrenberg 1909, 101; Valdenaire 1926, 234–235. 244– 245 Abb. 207. 209; Hirsch 1932, 257–260 Abb. 70; Leiber 2002, 9. 141–145, Abb. 97–99; Krimm 2005, 408–410; Valdenaire 2014, 366 Abb. 90 u. 369 Abb. 97. Mit seinem Fassadenentwurf beabsichtigt Weinbrenner, »(…) die gehässige Monotonie des grossen Zirkels zu unterbrechen, und (…) mit edlen Formen guter Baukunst statt den fatalen Mansard-Tächern zu verschönern.« Auszug aus einem Schreiben von Weinbrenner an das Finanzministerium vom 22. Juli 1811, GLA 206/219, hier zitiert nach Leiber 2002, 143. Der Symmetrie am Platz wegen sollte für die Bebauung auf dem Gegengrundstück auf der östlichen Zirkelseite eine identische Gestaltung zur Auflage gemacht werden. GLA Karlsruhe 206/219, zitiert nach Leiber 2002, 145; Hirsch 1932, 257–263. Illustrierend dazu eine Zeichnung von Weinbrenner, die die Ansicht der Schlossplatzbebauung mit Varianten zur Gestaltung des neuen Kanzleigebäudes und einem östlichen Pendant zeigt, in: Weinbrenner 2015, 226–227 Abb. 3.8 (GLA Karlsruhe G Karlsruhe 278). Schirmer 1998, 54 verweist darauf, dass in Karlsruhe bis Anfang der 1820er Jahre ein aktiver Einfluss des Mark­grafen/Groß­her­ zogs auf Gestaltungsfragen nicht zu spüren sei, beschränkende und begrenzende Eingriffe ins Ge­neh­mi­gungs­pro­ ze­dere zielten immer auf Kostenersparnis. Hübsch 1838, 11; GLA Karlsruhe 422/377. GLA Karlsruhe 422/377: »Ein Kanzleigebäude unterliegt eigentlich der tägl. Feuersgefahr durch Verwahrlosen

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des Lichts, mehr als ein privates Mietshaus, welches durch das Interesse der Eigentümer bewacht wird und überdies stehen die Zimmer außer der Kanzleistunden ganz verlassen, so dass ein ausgebrochener Brand weit um sich greifen kann, bis er entdeckt wird. Daher sollen vor allem die neuen Scheidewände nicht aus Holz, sondern ganz aus Stein bestehen und es soll überhaupt die Anwendung des Holzes möglichst gemieden werden. Dem zufolge erhält der fragliche Bau steinerne Treppen, die Gänge und das Archiv werden gewölbt und alle Scheidewände sind massiv angelegt, was ja selbst bei Privathäusern in Gebrauch kommt (…).« Die Flure, die Archivräume und auch der Arkadengang sind mit sog. Böhmischen Kappen überdeckt, die aus Backsteinen ›auf den Schwalbenschwanz‹ zwischen Gurtbögen vermutlich aus der freien Hand gewölbt wurden. Die Amtsräume sind mit Holzbalkendecken gedeckt. Auch in der Alten Kanzlei waren die Räume aus Gründen der Feuersicherheit überwölbt (Kreuzgratgewölbe aus Backsteinen; fotografische Aufnahmen des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebäudes, auf denen diese Konstruktion zu sehen ist, finden sich z. B. im Marburger Bildindex, LDA 10268–10270; Krimm 2005, 380. 416). Moller 1832–44 beschreibt ausführlich die Vorteile überwölbter Treppenhäuser und Flure im Hinblick auf Feuersicherheit. GLA Karlsruhe 422/377 und 422/382; Hübsch 1838, 11. Ziegelsichtige Gebäude, die Hübsch in seinen Schriften mehrfach nennt, sind z. B. S. Vitale in Ravenna, S. Apollinare in Classe, S. Sabina, S. Prassede, S. Balbina in Rom oder die Loggia dei Mercanti in Bologna; letztere zeige, »wie die feineren Backsteinkonstruktionen sich ganz ebenbürtig den Marmorconstructionen vermählen.« (Hübsch 1847, 113). Seine erste Italienreise unternimmt Hübschs 1817–1820, wobei er sich hauptsächlich in Rom aufhält und von dort auch Athen und Konstantinopel besucht, seine zweite Italienreise erfolgt 1822–24, weitere Studienreisen durch das ganze Land folgen 1838, 1847, 1849/50, 1853/54 und 1860. Vor dem Bau der Friedrichswerderschen Kirche hatte Schinkel bereits etwa an den Seitenfassaden der Neuen Wache in Berlin (1816–18) oder bei der Militäranstalt in der Lindenstraße (1817–18) den Backstein offen gezeigt. Zur »unverhüllten Konstruktion« bei Schinkel und seinem Bezug zu den Backsteinbauten des Mittelalters und der Frührenaissance in der Lombardei (bes. Ferrara, Bologna) s. Dolgner 1980, 125; Abri, Raabe 2001, 55. GLA Karlsruhe 422/377, Schreiben der Maurermeister vom 26. August 1830: »(…) weil sie sich nicht in dem Stande fühlen, die Ware so zu liefern, wie sie von dem Herrn Baurath verlangt wird und ihre bisherigen Proben nicht genügten.« Die Steine wurden schließlich von den Ziegeleien Neck (Eggenstein), Bergmann (KarlsruheAugärten) und Schäfer (Daxlanden) hergestellt. Zur Beschleunigung der Fertigstellung des Gebäudes wurden auch noch von der Ziegelei Herbst in Grünwinkel weniger qualitätvolle, »ordinäre« Mauersteine bezogen.

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21 Als »doppelt gebrannt« bezeichnet werden laut einem Schreiben aus der Residenzbauinspektion an Hübsch vom 18. August 1831 »diejenigen Backstein, welche nicht verstoßen, von schöner Farbe sind, und dem Feuer beym brennen mehr ausgesetzt waren, (…)« (GLA Karlsruhe 422/377). 22 GLA Karlsruhe 422/423; 422/424; 424f 29; 424f 31; G Karlsruhe 536; J-B Ansichten; StadtAKA 8/BA Schmeiser; 8/Alben 041. 062. 078. 395; 8/BA Schlesiger 1957; 8/ Bildstelle III; 8/PBS XIVb. Zum Karlstor weiterhin: Valdenaire 1926, 21. 26 und Abb. 3; Mangler 1960, 57; Walther 2004, 371–375, Förster 2004, 30–31; Valdenaire 2014, 420–422, Abb. 208–210. 212. 23 GLA Karlsruhe 422/385, Approximative Vergleichung der Kosten des Backsteinbaues mit jenem des Bruch­stein­ baues in Bezug auf die neu zu erbauende Finanzkanzlei, H. Hübsch, ohne Datum, vermutlich noch 1829. 24 GLA Karlsruhe 422/377, Erklärung der Maurermeister, die Ziegeleien kämen mit der Produktion der Ver­ blend­s teine nicht nach, weshalb der in den Vertrags­ bedingungen festgelegte Zeitplan nicht eingehalten werden könne. 25 Dies liegt u. a. an einer Steigerung der (Brenn-)Holz- und der Fuhrlohnpreise in den Jahren 1830–33, weshalb sich auch die Herstellung und der Bezug von Backsteinen verteuerten, GLA KA 237/4449. 26 Abri 1992, 53–69. 27 Hübsch 1838, 11. 28 GLA Karlsruhe 422/424. 29 GLA Karlsruhe 237/4449. 30 Zur Wiederbelebung des Backsteinbaus durch Schinkel z. B. Abri 1992, 37–51; Dolgner 1980, 125; Raabe 2007 und zuletzt Potgeter 2020, 131–135 und 2021, 176–194 mit um­fang­reichen Literatur- und Quellenverweisen. 31 Zu den Bauten Gärtners: Nerdinger 1992, 15–16. 146– 147; Curran 1992, 186–187. Der aufwändige Her­stel­lungs­ prozess für die Verblendsteine der Salinen­administration, dem ersten repräsentativen Ver­wal­tungs­gebäude in Bayern, wird z. B. in Allgemeine Bauzeitung 1850 beschrieben. Zu den Münchener Bauten sei ebenfalls auf die Dis­ ser­ta­tion von Wilko Potgeter 2021, 155–170 verwiesen, die Buch­publikation ist in Vorbereitung. 32 Curran 1992, 146. 33 GLA Karlsruhe 76/3824: Dienstreiseantrag vom 24. Okt. 1834 zur Besichtigung »vieler höchst bedeutender Neubauten. (…) Da aber – wie ich natürlich vernommen – gerade gegenwärtig noch an zwei mir besonders interessanten Gebäuden gearbeitet wird, so wünsche ich (…) noch in diesem Jahre so bald als möglich die Reise nach München anzutreten.« In einem Brief an Georg Moller in Darmstadt kommentiert Hübsch kurz danach seine Eindrücke: »In München hatten wenige Gebäude meinen Beifall. Es herrscht im Innern eine bis ins Kindische gehende Goldsucht und äußerlich sind meist die Quader aus Mörtel gemacht. Die neue Bildergallerie ist das einzige (wenig auswendig) solide Gebäude: denn am Königsbau besteht nur die Vorder-Façade aus wirklichen Quadern. Dem gan-

zen Treiben fehlt meiner Ansicht nach der Ernst: denn mit den verschiedesten Stylen wird wahrhaft Unzucht getrieben.« (Brief vom 23. Dezember 1834, Merck-Archiv A-35198). Außer den genannten Gebäuden könnte Hübsch auch noch die Baustellen von Gärtners Bibliotheks- und Archivgebäude und dem Blindeninstitut (1833–35, verputzt) besichtigt haben. Curran 1992, 186 verweist auf die Tagebücher von Sulpiz Boisserée, in denen für Anfang November gemeinsame Abende bei Gärtner und damit der persönliche Kontakt zwischen Hübsch und Gärtner dokumentiert sind. Zur möglichen Beziehung zwischen Karlsruhe und Berlin/Preußen Klinkott 1983, 142–145. 34 GLA 422/1217, Schreiben von Hübsch an das Innen­ ministerium vom 21. März 1833, man sei »mit Versuchen über eine in Frankreich und Ungarn in neuster Zeit angewendeten, sehr vortheilhafte Gattung von Steinen beschäftigt.« Nähere Angaben, was genau hiermit gemeint ist, gibt es in den Akten nicht, die Versuche finden im Kontext einer viele Jahrzehnte andauernden Diskussion um eine mögliche Vereinheitlichung der Ziegel- und Backsteinmaße in Baden statt, an der Hübsch qua Amtes beteiligt ist. Die Fachliteraturauswahl zum Thema ist zur Pla­nungs­ zeit der Finanzkanzlei noch vergleichsweise übersichtlich, da die einschlägigen Publikationen erst ab ca. der Mitte der 1830er Jahre in größerer Zahl erscheinen. So empfiehlt Hübsch beispielsweise 1845 den Bezirksbauinspektionen, es könne »(…) nichts schaden, wenn zur Mittheilung an die Ziegler des Bezirks folgende nicht theuren Schriften gegeben würden«. S. Gebhardt 1835; Ainbigel 1842; van Eyken 1843 (GLA Karlsruhe 422/1217). Für die Zeit um 1830 waren sicherlich verschiedene Beiträge zum Ziegelbau in dem ab 1829 erscheinenden Journal für die Baukunst eine interessante aktuelle Quelle für Hübsch, außerdem Wolfram 1821, §160 bis §187 (Ziegeleierzeugnisse) oder Schaller 1828. 35 Zu diesen Gebäuden s. etwa Kazemi 2011, 90–91; zu den Anfängen des Backsteinbaus in Hamburg allgemein z. B. Hipp 1989. 36 Meist dienten Hübsch die Referenzen zur Kon­tex­tu­a­li­ sie­rung seiner eigenen Projekte gegenüber seinen sparsamen staatlichen Auftraggebern, z. B. in einem Recht­ fer­ti­gungsschreiben an das Innenministerium wegen überschrittener Baukosten für die neue Trinkhalle in Baden-Baden (1842–50) vom 12. Dezember 1842: »(…) Überdies ist die ganze Überschreitung verhältnismäßig gering, indem solche nicht viel über 10% der bewilligten Summe beträgt, was bei all der reichen Decorierung und der ganz eigentümlichen Construction um so mehr Höhern Ortes noch bewilligt werden dürfte, als ja ohnehin die sämtlichen (…) Baukosten für einen so großen Bau, dessen Fundamentirung und Trockenlegung überdies so ungewöhnlich viel absorbirt hat und welcher sich (wie ich mir schmeichle) hinsichtlich der exacten Ausführung und opulenten Haltung mit Pracht-Gebäuden zu München und Berlin, die das Drei- u. Vierfache gekostet haben,

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messen darf, gewiß nicht hoch erscheinen möchten.« (GLA Karlsruhe 422/187). 37 Zum Verband allgemein illustrierend z. B. Warth 1903, Abb. 109 (Vollverband wie bei der Finanzkanzlei) und Abb. 105 (typischer Verblender-Verband mit Hohlsteinen in Halbformaten). Die Abmessungen der Backsteine der Finanzkanzlei betragen L 26–27,3 cm, B 13,2–13,4 cm, H 6 cm, hiervon leitet Hübsch 1833 ein Format von 27 x 13,4 x 6 cm bzw. 9 Zoll x 4 Zoll 4 Linien x 2 Zoll ab, das er ab diesem Zeitpunkt für viele seiner Gebäude produzieren lässt und verwendet. 38 GLA Karlsruhe 422/331 (Ausschreibung der Maurer­ arbeiten für das Großherzogliche Hoftheater in Karlsruhe im Februar 1851) und GLA Karlsruhe 422/88 mit Hübschs Beschreibung einer »sehr wohlfeilen – meines Wissens sonst nicht bekannten – Constructionsweise zur An­wen­ dung eines verstärkten Mauerverbandes« vom September 1853. Hübsch empfiehlt darin zur Einsparung von Bin­der­ stei­nen im Mauerverband das Einlegen »ganz dünner und schmaler Binder, die aber unzerreißbar sind, weil sie aus geschmiedetem Flacheisen bestehen.« Zu den Spuren, die der Herstellungsprozess an den Oberflächen der Backsteine hinterlässt s. etwa Perlich 2007, 48–50; Potgeter / Holzer 2017, 55 und ausführlich Potgeter 2020 und 2021.

39 GLA Karlsruhe 422/1487; GLA Karlsruhe 422/440. Für Ba­den­weiler lieferte der Zieglermeister Schäfer in Dax­ landen Steine. 40 Die Schäden betrafen hauptsächlich die Dächer und die Decken bzw. Gewölbe und nur im geringen Maße das Mauerwerk der Außenfassaden. 41 Hübsch 1828, 7. 8. 13–14. 23, Hübsch benutzt in diesem Zusammenhang das Wort »Lügen-Styl«. Zum Mark­gräf­li­ chen Palais: Hirsch 1928, 36–41 mit Abb. 10–13 und ebenfalls zur Thematik Klinkott 1983, 140. 42 Hübsch 1828, 13–14. 45. 50. 43 Hirsch 1932, 265–269, z. B. das Palais Prinz Wilhelm, Schloss­platz 23–24, Karl Philipp Dyckerhoff 1867 (Abb. bei Valdenaire 2014, 370–371 mit Abb. 98–100), die Mo­der­ni­sie­rung des Hauses Schloßplatz Nr. 17 durch Adolf Weinbrenner 1881 (Hirsch 1932, 166 Abb. 73) oder das viergeschossige Haus Homburger am Schlossplatz 10, Heinrich Lang 1884 (Hirsch 1932, 267). 44 Ostendorf 1914, 57–73 Abb. 28–32; Hirsch 1932, 269 Abb. 74; Valdenaire 2014, 367 Abb. 93, fotografische Aufnahme des Vorgängerbaus vor 1911 in Valdenaire 2014, Abb. 92. 45 Zum Blomeier-Gebäude s. Andura / Uka 2015, 498–507. 46 Mohl 1983; Sack 1983.

Abri 1992 M. Abri: Die Friedrich-Werdersche Kirche zu Berlin: Technik und Ästhetik in der Backstein-Architektur K. F. Schinkels (Berlin 1992).

Brockhoff 1983 H. Brockhoff: Profanbauten in Karlsruhe, in: W. Schirmer (Hg.): Heinrich Hübsch, 1795–1863. Der große badische Baumeister der Romantik (Karlsruhe 1983) 52–79.

Abri / Raabe 2001 M. Abri / Ch. Raabe: Die Friedrichswerdersche Kirche, in: B. Maaz (Hg.): Die Friedrichswerdersche Kirche. Schinkels Werk, Wirkung und Welt (Berlin 2001) 43–93.

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Ainbigel 1842 J. M. Ainbigel: Die Ziegelmanipulation in ihrem ganzen Umfange (Wien 1842). Allgemeine Bauzeitung 1850 Ueber Rohbau und dessen Ausbildung in München, Allgemeine Bauzeitung: Österreichische Vierteljahrschrift für den öffentlichen Baudienst, 1850, 9–20. Andura / Uka 2015 J. Andura / B. Uka: Landeskreditanstalt in Karlsruhe 1957, in: A. Schwarting (Hg.): Konstanz und die Moderne. Der Architekt Hermann Blomeier (Konstanz 2015) 498–507. Berkmüller et al. 1870 J. Berkmüller / J. Durm / R. Gerwig (Hg.): Karlsruhe im Jahre 1870. Baugeschichtliche und ingenieurwissenschaftliche Mittheilungen, den Mitgliedern der XXVI. Versammlung Deutscher Architecten und Ingenieure dargebr. vom Badischen Techniker-Verein (Karlsruhe 1872).

Dolgner 1980 D. Dolgner: Zur Bewertung des Backsteinrohbaus in architekturtheoretischen Äußerungen des 19. Jahrhunderts, Wissen­ schaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Gesellschafts- und Sprach­wis­sen­schaft­liche Reihe 29, 1980, H. 2–3, 125–128. Ehrenberg 1909 K. Ehrenberg: Baugeschichte von Karlsruhe 1715–1870. Bauund Bodenpolitik. Eine Studie zur Geschichte des Städte­baus (Karlsruhe 1909). van Eyken 1843 J. van Eyken: Der vollkommene Ziegler, oder gründliche An­wei­ sung zur besten und vortheilhaftesten Fabrikation der gang­ bar­sten Ziegelarten (Dresden 1843) (GLA Karlsruhe 422/1217). Förster 2014 K. Förster: Heinrich Hübsch (Karlsruhe 2014).

Heinrich Hübsch

Gebhardt 1835 Ch. R. Gebhardt: Das Ganze der Ziegelfabrikation, sowie der Kalk- und Gypsbrennerei. Nebst Beschreibung und Abbildung der in neuester Zeit in England und Frankreich erfundenen und verbesserten Maschinen zum Ziegelschlagen, sowie Pressen, um Thon oder Erde in Formen zu drücken (…). Ein nützliches Hand­ buch für jeden Ziegelei-Besitzer, insbesondere für Diejenigen, welche die Fabrikation der Ziegeln im Großen betreiben wollen (Quedlinburg, Leipzig 1835) (2. verbesserte Auflage 1837). Hipp 1989 H. Hipp: Zum Backsteinbau des 19. Jahrhunderts – seine Anfänge in Hamburg und anderen Städten, in: A. Herzig (Hg.): Das Alte Hamburg (1500–1848/49). Vergleiche – Beziehungen (Berlin, Hamburg 1989) 225–269. Hirsch 1928 F. Hirsch: 100 Jahre Bauen und Schauen. Ein Buch für Jeden, der sich mit Architektur aus Liebe beschäftigt, oder weil sein Beruf es so will. Zugleich ein Beitrag zur Kunsttopographie des Grossherzogtums Baden unter besonderer Berücksichtigung der Residenzstadt Karlsruhe Bd. 1 (Karlsruhe 1928). Hirsch 1932 F. Hirsch: 100 Jahre Bauen und Schauen. Ein Buch für Jeden, der sich mit Architektur aus Liebe beschäftigt, oder weil sein Beruf es so will. Zugleich ein Beitrag zur Kunsttopographie des Grossherzogtums Baden unter besonderer Berücksichtigung der Residenzstadt Karlsruhe Bd. 2 (Karlsruhe 1932).

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Moller 1832–44 G. Moller: Beiträge zu der Lehre von den Constructionen (Darmstadt, Leipzig 1832–44).

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Schaller 1828 P. Schaller: Der wohlunterrichtete Ziegler oder ausführliche Anleitung zur Verfertigung aller Arten von Mauer- und Dachziegeln (…) (Ilmenau 1828).

von Weech 1895 F. von Weech: Karlsruhe. Geschichte der Stadt und ihrer Verwaltung, Bd. 1 (1715–1830) (Karlsruhe 1895).

Schirmer 1998 W. Schirmer: Anmerkungen zur Stilfrage in der WeinbrennerNachfolge, in: C. Wenzel (Hg.): Stilstreit und Einheitskunstwerk, Muskauer Schriften 1 (Amsterdam, Dresden 1998) 33–56. Valdenaire 1926 A. Valdenaire: Heinrich Hübsch. Eine Studie zur Baukunst der Romantik (Karlsruhe 1926). Valdenaire 2014 A. Valdenaire: Die Kunstdenkmäler der Stadt Karlsruhe. Der Stadtbau und der Schloßbezirk, aus dem Nachlass herausgegeben von J. Kleinmanns (Petersberg 2014). Vilmar 2002 G. Vilmar: Die ehemalige großherzogliche Finanzkanzlei in Karlsruhe und ihr Erbauer Heinrich Hübsch, Badische Heimat 82, 2002, H. 1, 45–61. Warth 1903 O. Warth: Die Konstruktionen in Stein, in: G. A. Breymann (Hg.): Allgemeine Baukonstruktionslehre mit besonderer Beziehung auf das Bauwesen, Bd. 1 (Leipzig 1903).

Weinbrenner 2015 Friedrich Weinbrenner 1766–1826. Architektur und Städtebau des Klassizismus, Katalog zur Ausstellung von 27. Juni bis 4. Oktober 2015 in der Städtischen Galerie Karlsruhe, Petersberg 2015. Wolfram 1821 L. F. Wolfram: Handbuch für Baumeister, 1. Theil: Bau­material­ lehre, 2. Aufl. (Rudolfstadt 1821).

Abbildungsnachweis 1 GLA KA 498-1 Nr. 67912, Foto Wilhelm Kratt vor 1944. 2 Hübsch 1838, Tafelteil. 3 GLA Karlsruhe H Karlsruhe 109 (Ausschnitt). 4 a, d, e, f  F. Hirsch 1932, 255, 260, 263, 269. 4 b, c  Umzeichnung Erik Hofmann. 5, 6, 8–10  D. Roos. 7 Aufnahme Th. Schuhmann, LDA Karlsruhe 00213.

Wertekonflikt ohne Wertekonflikt Die Werteverhältnisse des Neuen Museums Berlin

Jochen Kibel

Artem non odit nisi ignarus – Diese Inschrift an der Westfassade des Neuen Museums in Berlin besagt, dass nur der Unwissende die Kunst verachtet. Im Streit um die Wiederherstellung des spätklassizistischen Gebäudes, welches nach seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg vier Jahrzehnte der Witterung ausgesetzt war, formierten sich ab den frühen 1990er Jahren zwei Parteien, die gleichermaßen in Anspruch nahmen, Wissende zu sein. Bemerkenswert ist, dass sowohl die Vertre­ ter:innen einer »originalgetreuen« als auch die Befürworter:innen einer »ergänzenden« Wieder­ herstellung den Wert dieses einmaligen baukulturellen Erbes mit identischen Begriffen beschrieben. Neben der historischen und der technikgeschichtlichen Bedeutung des Neuen Museums wurde auch die räumliche Einheit zwischen Ausstellung und Architektur von allen am Streit Beteiligten einhellig als Wert anerkannt. Diese Wertekonvergenz führte jedoch keineswegs zu einem Ende des Konfliktes um die Wiederherstellung des kriegszerstörten Gebäudes. Obwohl sich alle Akteure auf einheitliche Werte einigen konnten, war damit noch nicht gesagt, wie diese Werte eingelöst werden sollten. Die konkurrierenden Ar­gu­men­ta­ tions­muster bildeten somit einen Werte­konflikt ohne Wertekonflikt. Dass nur der jeweils geforderte Umgang mit der Ruine die Identität des Neuen Museums wahren würde, verfestigte sich für alle Diskurs­ parteien zur Gewissheit. Solche impliziten Gewiss­ heiten beschreibt der Soziologe Reiner Keller als »Wissens­verhältnisse.«1 In Anlehnung an den Begriff »Wissensverhältnisse« kann der Streit um die

Wieder­herstellung des Neuen Museums auch als ein Konflikt unterschiedlicher »Werteverhältnisse« bezeichnet werden. Ergänzend zu dem Begriff des Werte­wandels, der diachrone Veränderungen von Werten beschreibt, können mit dem Begriff der Werte­verhältnisse auch synchrone Wertekonflikte zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen erfasst werden. In einem ersten Schritt werde ich den Begriff der Werteverhältnisse einführen, mit dem konflikthafte Deutungen von Bauwerken analysiert werden können. Eine knappe Darstellung der bauzeitlichen Konzeption des Neuen Museums veranschaulicht, wie die Vereinnahmung der Geschichte im 19. Jh. der politischen Identitäts­bildung diente. Auch in der Debatte um die Wieder­herstellung des Museums in den Jahren zwischen 1994 und 2009 gerieten unterschiedliche Geschichts­ auffassungen in Konflikt und wurden mit Fragen der Identität verbunden. Anhand dieser Identitäts­ diskurse werde ich zeigen, dass selbst wenn einheitliche Werte reklamiert werden, daraus noch keine Befriedung des Wertekonflikts folgt. Der Konflikt verlagert sich dann von der semantischbegrifflichen Oberfläche in die Tiefe der jeweiligen Argumentationsmuster und damit in die Grammatik der Werteverhältnisse. Die im Speziellen gewonnenen Erkenntnisse verweisen auf andere identitätspolitische Debatten. Auch diese stellen oft einen Kampf um die inhaltliche Besetzung normativ gehaltvoller Begriffe dar. Auch im Ringen um Werte wie ›Bürger­lichkeit‹ oder ›Demokratie‹ äußert sich möglicherweise ein Werte­konflikt ohne Wertekonflikt.

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Gewissheit Im Sinne einer soziologischen Analyse geht es im Folgenden nicht um das, was das Neue Museum ist, sondern darum, wie es von unterschiedlichen sozialen Gruppen gedeutet wird. Genau genommen geht es also nicht um die Deutung des Museums, sondern um die Deutung seiner unterschiedlichen Deu­tun­gen.2 Diese Beobachtung zweiter Ord­nung fokussiert auf die impliziten Gewissheiten der jeweiligen Dis­kurs­parteien. Für derlei diskursiv ver­fes­tig­ te Ge­wiss­heiten hat der Soziologe Reiner Keller den Begriff ›Wissens­verhältnisse‹ geprägt: Gesellschaftliche Wissensverhältnisse sind die sozial erzeugten und historisch situierten Konfigurationen von Wirklichkeits-, d.h. Faktizitäts- und Normativitäts­ behauptungen, die den lokalen, nationalen, transnationalen, globalen Horizont dessen aufspannen, was als »gesellschaftliche Wirklichkeit« gilt. 3

»Gesellschaftliche Wirklichkeit« bezeichnet demnach nicht, was das Neue Museum wirklich ist, sondern was unterschiedlichen sozialen Gruppen als wirklich erscheint. So sah etwa der damalige Landeskonservator Jörg Haspel die ergänzende Wiederherstellung des Museums in »geistiger Kontinuität« mit dem Entwürfen des Erbauers Friedrich August Stüler aus den 1840er Jahren.4 Für die Gegner:innen dieser Form der Wieder­ herstellung war allerdings ebenso gewiss, dass diese eine »fetischhafte Überhöhung« der »Nach­ kriegs-Ver­wahr­losung« und damit eine völlige Zerstörung des Werks Stülers darstelle.5 Um mit Reiner Keller zu sprechen, wurden also unterschied­ liche »Wirk­lich­keits­be­haup­tun­gen« aufgestellt, wobei beide Parteien von ihren »Wissens­ver­hält­ nis­sen« überzeugt waren. Da die konkurrierenden Wissensverhältnisse in Bezug auf ein und denselben Gegenstand bestanden, gerieten sie in Konflikt. Die unterschiedlichen Wirk­lich­keits­deu­tun­gen waren umkämpft. Um diesen grundsätzlich konflikthaften Charakter zu unter­strei­chen, entwickelt Keller seinen Begriff in An­leh­nung an Karl Marx’ »Produktionsverhältnisse« und Ulrich Becks »Definitionsverhältnisse«.6 Mit

dem Begriff »Definitionsverhältnisse« verdeutlicht Beck, dass etwa die Grenzwertdefinition von Schad­stoff­belastungen weniger eine Frage wissen­schaft­licher Argumente, sondern vielmehr eine Folge politischer Durchsetzung darstellt. Grenz­werte geben demnach nicht an, was giftig ist, sondern definieren lediglich, welcher Grad an Vergiftung noch tolerabel ist und welcher justitiabel wird.7 Produktionsverhältnisse (Marx), De­fi­ni­ tions­verhältnisse (Beck) und Wissens­verhältnisse (Keller) bezeichnen somit Macht­verhältnisse, da sie Durch­set­zungs­chan­cen von Wirk­lich­keits­deu­tun­ gen festlegen. Der leidenschaftliche Ernst, mit dem die Debatte um die Wiederherstellung des Neuen Museums geführt wurde, verdeutlicht zudem, dass auf beiden Seiten »Normativitätsbehauptungen«8 aufgestellt wurden. In den wechselseitigen Be­zich­ ti­gungen Unwissende zu sein, sind zahlreiche normative Aussagen nachweisbar, die nahe legen, dass nicht allein architektonische Vorlieben erörtert wurden. Vielmehr gerieten Vorstellungen von »richtig« und »falsch«, von »Gut« und »Böse« in Konflikt. In einem Wort: es ging um Werte. Für den Sozialphilosophen Hans Joas sind Werte »stark emotional besetzte Vorstellungen darüber, was eigentlich wahrhaftig des Wünschens wert ist.«9 Was diese Definition für die Analyse der Debatte des Neuen Museums anschlussfähig macht, sind zwei Dimensionen, die Joas besonders betont. Erstens: Werte werden nicht aktiv gewählt, sondern wir werden passiv von ihnen erfasst. Joas bezeichnet dies als eine »Erfahrung des Ergriffenseins«.10 Zweitens: Wertebindungen sind identitätsrelevant. »Sie [geben] uns das Gefühl, ganz besonders mit uns identisch zu sein«.11 Die leidenschaftlich geführte Debatte weist in die beiden von Joas beschriebenen Richtungen. Vor allem die emotionale Sprache der Diskutant:innen macht deutlich, dass diese vom hohen Stellenwert, den sie dem baukulturellen Erbe beimaßen, ergriffen waren. Zudem lässt sich zeigen, dass alle Parteien die Wiederherstellung des Gebäudes mit Fragen der Identität verbanden.

Wertekonflikt ohne Wertekonflikt

Dadurch, dass unterschiedliche Wirklichkeits­deu­ tun­gen und normative Gewissheit in Konflikt gerieten, möchte ich im Streit um das Neuen Museum in Anlehnung an den Begriff der Wis­sens­ver­ hält­nis­se von verschiedenen Werte­ver­hält­nis­sen sprechen. Werteverhältnisse können dann grundsätzlich definiert werden als: normative Wirk­lich­ keits­deu­tun­gen, die als Gewissheit wahrgenommen und machtvoll durchgesetzt werden. Dadurch wird es möglich, nicht nur den historisch-diachronen Wandel von Werten zu beschreiben, sondern auch gegenwärtig-synchrone Vergleiche konkurrierender Werte­vorstellungen in Bezug auf ein und denselben Gegenstand zu analysieren. Es geht somit um die Frage, welcher Gruppe welche Werte als Gewissheit erscheinen und wie diese durchgesetzt werden. Als stabil können Werte­ver­hält­nisse gelten, wenn die darin vollzogenen normativen Deutungen anschlussfähig werden und Einfluss auf den Gesamtverlauf von Diskursen nehmen. Je anschlussfähiger und einflussreicher, desto stabiler werden die jeweiligen Werte­ver­hält­nisse. Dies bedeutet allerdings, dass die Frage der machtvollen Durchsetzungen auch jenseits des »üblicherweise verdächtigen Raum[s] des Politischen« gestellt werden kann.12 Denn obwohl sich bei der Wiederherstellung des Neuen Museums letztlich politische Institutionen (etwa das Landes­denk­mal­amt) durchsetzen konnten, können auch die Interventionen von nichtstaatlichen Akteuren (etwa die Gesellschaft Historisches Berlin e.V.) als machtvoll angesehen werden. Indem sie Wirk­lich­keits­be­haup­tun­gen aufstellten, die von einer Vielzahl von Menschen geteilt wurden (etwa eine Petition mit 30.000 Unterschriften), gelang es auch der Gegenseite, stabile Werteverhältnisse zu etablieren.

Identitätsbildung Die Entstehungsgeschichte des Neuen Museums ist geprägt von gewaltigen gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen. Der dreigeschossige

verputzte Backsteinbau wurde unter der Regent­ schaft Friedrich Wilhelms IV. errichtet, seine Ent­ stehung fällt damit in die Zeit des Vormärz und der Revolution von 1848/49. Der Baubeginn im Jahre 1841 bildete den Auftakt zu der Errichtung einer »Frei­stät­te für Kunst und Wissenschaft«13, welche sich der König für den Bereich hinter dem Schinkel­ museum wünschte.14 Die Betonung der Wissenschaft in diesem oft zitierten Passus weist auf einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Alten Museum Karl Friedrich Schinkels und dem Neuen Museum seines Schülers Friedrich August Stüler hin. Stand im Alten Museum eher der kontemplative Kunst­ genuss im Mittelpunkt, so verlor dieser Anspruch zugunsten einer erklärenden Wissens­ ver­ mitt­ lung nach wissenschaftlichen Gesichts­punkten an Boden. Insbesondere die didaktischen Malereien im Inneren des Neuen Museums, in den Räum­lich­ kei­ten der Ägyptischen Abteilung beispiels­weise nach Studien des Ägyptologen Richard Lepsius angefertigt15, sollten ein »intuitives Bil­ dungs­ erlebnis« vermitteln.16 »Schinkels Haus will Kunst ausstellen – Stülers will bilden«17, so lässt sich die Hinwendung zum Ideal der Wissens­vermittlung prägnant zusammenfassen. Trotz der Parallelen zum nunmehr »Alt« genannten Museum Schinkels – v. a. hinsichtlich Bauvolumen, Gliederung und Kubatur – kann das Neue Museum Stülers auch als dessen Gegenpol angesehen werden18 (Abb. 1). Im Unterschied zur Kunstphilosophie Aloys Hirts, in der die klassische Antike zum zeitlosen Ideal verklärt wurde und Kunst im eigentlichen Sinn ahistorisch war, stehen bereits Schinkel und erst recht Stüler im Erfahrungsraum des 19. Jhs., der durch die Umwälzungen der Industrialisierung geprägt ist, die auch in Preußen dazu führen, dass »alles Ständische und Stehende verdampft.«19 Die Zeichen der Zeit standen auf Veränderung, die auch das Kunst- und Geschichtsverständnis erfasste. Da Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr von einem gemeinsamen geschichtlichen Horizont umschlossen werden20, also die Erfahrung des Wandels gemacht wird, entsteht

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nun eine »historistische Kunstauffassung«.21 Unter Bezugnahme auf Reinhart Koselleck stellt Elsa van Wezel fest, dass »die Geschichte der Dauerhaftigkeit abgelöst wurde, von einer der Einmaligkeit«22. Nicht mehr der zeitlose Kanon der griechischrömischen Antike, sondern eine »möglichst klare und ausgedehnte Uebersicht der Kunstübungen verschiedener Völker und Zeiten« wurde mit der Konzeption des Neuen Museums antizipiert.23 Mit der Darstellung der chronologischen Entwicklung der Kunst wurde der Kunstbegriff also historisch. Trotz des historischen Bewusstseins Schinkels ging dieser beim Alten Museum noch davon aus,

dass »die Kunst nicht ausschließlich historisch, sondern zugleich ›überzeitlich‹« war.24 »Nicht die klassischen Kunstwerke an sich waren länger nachstrebenswert, sondern der Geist der Antike diente als Vorbild«.25 An die Stelle eines kanonischen Formen­ repertoires, welches stets wiederholt werden sollte, tritt im 19. Jh. – erst bei Schinkel, dann noch stärker in Stülers Neuem Museum – ein entwicklungsgeschichtliches Fort­schritts­denken. Galt für Schinkel im Alten Museum: »Kunst selbst ist Religion«26, so betonte der Münch­ner Historienmaler Wilhelm von Kaulbach nun: »Geschichte ist die Religion unserer Zeit, Geschichte allein ist zeitgemäß«.27

1  Wandmalereien im Ägyptische Hof und im Gräbersaal um 1862. Zwischen den Säulen am rechten Bildrand ist eine Vedute des TrajanKiosks auf der Insel Philae zu erkennen.

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Die Betrachtung unterschiedlicher Epochen führ­te aber keineswegs zu dem historistischen Relativismus, von dem Nietzsche in seiner Schrift Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben befürchtete, dass er keine Orientierung und Selbst­ver­ge­wis­serung mehr erlaube. 28 Gerade Kaulbachs monumentaler Bilderzyklus im Trep­pen­haus des Neuen Museums stellt die »Wende­punkte der Menschheitsgeschichte« im Sinne eines deutschen »Nationalepos« dar. 29 Ebenso kann Stülers Museumskonzeption auch als Versuch der Identitätsbildung unter dem Eindruck der Temporalisierung gefasst werden. Der fundierende Mythos bestand nicht mehr in der Überhöhung eines zeitlosen Kanons. Nunmehr wurden die unterschiedlichen Epochen der Mensch­heits­geschichte in einen übergeordneten Gesamtplan der Geschichte eingeordnet und der Preußische Staat zum mensch­heits­ge­ schicht­li­chen Telos überhöht. Ein Beispiel dieser geschichtsmetaphysischen Selbst­über­hö­ hungen, für die Karl Popper später den Begriff »Historizismus« geprägt hat30, findet sich noch heute im Griechischen Hof. Der Fries von Hermann Schievelbein zeigt die Bewohner Pompejis, die vor dem Ausbruch des Vesuv fliehen. 31 Indem sie durch den Architekten Stüler und den damaligen Direktor der königlichen Museen Ignatz von Olfers empfangen werden, stellt sich Preußen in Kontinuität mit der römischen Antike und inszeniert sich als legitimen Erben des klassischen Altertums. Trotz seines geschichtswissenschaftlichen An­spruchs war das Neue Museum also auch Aus­ druck nationaler Aspirationen und der Identitäts­ bil­dung im Modus der Geschichte. Wie wir sehen werden, stellen die unterschiedlichen Ge­schichts­ auf­fas­sun­gen eines zeitlosen Kanons, den es zu wie­der­holen gilt, und die Forderung nach einer In­ter­pre­ta­tion im »Geiste« (vermeintlich) »über­zeit­ licher« Ent­wick­lungs­ge­set­ze auch über 140  Jahre später in der Debatte um das neue Neue Museum eine zentrale Span­ nungs­ linie unterschiedlicher Iden­ti­täts­be­haup­tun­gen dar.

Das neue Neue Museum Aufgrund der dynamischen Entwicklung des Wis­ sens und des Anwachsens der Bestände fiel das Neue Museum mit seinen didaktischen Ma­le­rei­ en im Inneren schon bald aus der Zeit. Bereits in den 1880er Jahren kam es zu leichten Ver­än­de­run­ gen, etwa durch den Auszug der Prä­histo­ri­schen Sammlung. Die Ausstellung der Funde aus dem ägyptischen Amarna in den 1920er Jahren führte schließlich dazu, dass weitere Teile der Innen­raum­ gestaltung großflächig übermalt wurden.32 In den schlichten Räumen des »Weißen Museums«33 sollten die Exponate nunmehr für sich sprechen. Trotz kleinerer Umbauten in diesem Zusammenhang blieb das Gebäude bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg weitgehend unverändert. Die Kriegs­schäden konnten in der Folge kaum behoben werden. Die Witterung, der große Teile des zerstörten Gebäudes schutzlos ausgesetzt waren, machte in den folgenden Jahrzehnten weitere Abbrüche erforderlich. Das Museum wandelte sich so allmählich in eine Ruine. Zwar wurde in den späten 1980er Jahren der originalgetreue Wiederaufbau des Neuen Museums beschlossen, jedoch kamen diese Pläne nicht mehr zur Ausführung, da der Lauf der Geschichte schließlich auch die DDR einholte. Anfang der 1990er Jahre wurde deshalb erneut über die Wieder­her­stellung des Neuen Museums debattiert. Den Auftakt dazu bildete das sog. Denkmal­ pflegerische Plädoyer34, mit dem Kunsthistoriker und Denkmalpfleger die ergänzende Wiederherstellung des Neuen Museums forderten. Zentral für dieses Diskurs­dokument waren zunächst widersprüchlich anmutende Anforderungen. Einerseits ging es darum, die Ruine des Neuen Museums mit ihren zahlreichen Schadensformen nicht »durch Erneuerung [zu] verschleiern«. Ander­ seits sollte vermieden werden, die »Biogra­phie des Denkmals durch kontrastierende Ästhetik [zu] übertönen«. Vielmehr sollte die Wieder­herstellung des Gebäudes dessen Geschichte »durch einfühlende Zurückhaltung« verständlich machen.35 Die komplexe Aufgabe bestand darin, die Charakteristika

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der Ruine zu bewahren und gleichzeitig ein Bauwerk des 19. Jhs., das nach seiner Zerstörung über 40 Jahre der Witterung ausgesetzt war, erneut der Nutzung als Museum zugänglich zu machen. Dabei wird schnell ersichtlich, dass dies weder in den engen Grenzen des Dehio’schen Imperativs »nicht restaurieren – wohl aber konservieren«36 noch durch die erneute Ausführung der Pläne des 19. Jhs. zu bewerkstelligen gewesen wäre.

2  Verschiedene Schadensformen und modernes Glasdach im Griechischen Hof. Die Beschädigungen des Hofes werden mit den ebenfalls beschädigten Exponaten sowie dem Fries von Hermann Schievelbein (1817–1867) kontextualisiert.

Die Ergebnisse des Wettbewerbs von 1994 wurden dieser komplexen Anforderung nicht gerecht.37 Nach einem weiteren Gutach­ter:innen­verfahren im Jahr 1997 wurde schließlich das Büro David Chipperfield Architects (DCA) mit dem Wieder­ aufbau des Neuen Museums betraut. Obwohl das »Projekt den Neubau fehlender Gebäude­teile sowie die Sicherung und Restaurierung der noch erhaltenen Teile« vorsah, bestand ein ausdrückliches Ziel darin, die unterschiedlichen Aufgaben in einem ganzheitlichen Entwurfskonzept zu verbinden, und zwar so, dass Alt und Neu sich gegenseitig zur Geltung bringen können, nicht durch den Kontrast, sondern durch eine neu geschaffene Kontinuität. 38

Die vielfältigen Schadensformen wurden sichtbar gelassen, sollten aber nicht offensiv kontrastieren. Gleiches galt für die offensichtliche Inszenierung der historischen Brüche in der Geschichte des Hauses. Auch diese wurden nicht einfach als diskontinuierliche Zäsuren dargestellt, sondern in die behauptete »neu geschaffene Kontinuität« eingebunden. Widerspruch an diesen Plänen artikulierte sich nun v. a. durch die Gesellschaft Historisches Berlin e.V. (GHB). Entgegen dem Anspruch, eine neue Kontinuität herzustellen, sah der Verein die Identität des Gebäudes einzig in einer originalgetreuen Rekonstruktion des Museums des 19. Jhs. gewährleistet. Den vielfältigen Schadensformen der Zerstörung und der Ruinenzeit wurde kein Wert zugesprochen. Dessen ungeachtet konnte das neue Neue Museum nach mehr als 15 Jahren der öffentlichen Auseinandersetzung am 16. Oktober 2009 wiedereröffnet werden (Abb. 2). Die beiden diskursiven Formationen der originalgetreuen und der ergänzenden Wieder­ herstellung sahen in der einzigartigen Geschichte des Gebäudes gleichermaßen einen Wert. Jedoch wurden daraus vollkommen unterschiedliche For­ de­run­gen abgeleitet. Im Folgenden werden ich zeigen, dass sich die Werteverhältnisse nicht an der begrifflich-semantischen Oberfläche, sondern in der Tiefen­struktur und damit in der Grammatik ihrer Artikulation unterschieden.

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Von den Begriffen zur Grammatik Im Wettbewerb von 1994 zur Wiederherstellung des Neuen Museums war der Architekt Axel Schultes der Einzige, der die stadträumliche Ausrichtung und die Architektur des Gebäudes problematisierte. Sein Entwurf sah vor, die Ruine des Neuen Museums mit einem dem Pergamonmuseum vergleichbaren Volumen zu umbauen.39 Entgegen dieser Einschätzung und ungeachtet aller Unterschiede waren sich sowohl die Anhänger:innen einer originalgetreuen als auch die Vertreter:innen einer ergänzenden Wiederherstellung darin einig, dass das Neue Museum ein unbedingt zu schützendes Erbe darstellte. Der Wert der Vergangenheit Wie die Vergangenheit beerbt werden sollte und welchem Teil der Geschichte ein Wert zugesprochen wurde, lässt sich stellvertretend für die Werteverhältnisse der originalgetreuen Wiederherstellung einem Text entnehmen, der auf der Homepage der GHB mit dem Titel Die Perle preußischer Bildungslust, im Wiederaufbau demontiert zum Zeitpunkt der Wiedereröffnung publiziert wurde: Das FEST begann zu einer Zeit, die in Preußen und dem vereinigten Deutschland Heroen zeugte, von deren Leistungen wir noch heute zehren – vielleicht vergleichbar den Heroen der Renaissance in Italien.40

Was hier behauptet wird, ist im Wortsinne eine heroische Vergangenheit. Die Entstehungszeit des Museums wird zu einem goldenen Zeitalter der Kunst und Kultur verklärt. Dieser mythische Ursprung wird zum zeitlosen Ideal erhoben und bleibt auch in der Gegenwart verbindlich (»von deren Leistungen wir noch heute zehren«). Die nicht eindeutig bestimmte Epoche wird zu einem verbindlichen Referenzpunkt. Bei genauerem Hinsehen erweist sich der heroisierte Ursprung jedoch als ein Komposit verschiedener Zeitpunkte. Vergangenheit stellt dabei keinen chronologischen, sondern einen normativen Begriff dar. Das »Alte« umfasst in den Texten der GHB sowohl den

Zustand der 1860er als auch die Entwürfe Alfred Messels für die Gestaltung der Museumsinsel zu Beginn des 20. Jhs. Oft wurde betont, dass die gesamte Insel ein »abgeschlossenes Ensemble« sei, welches nicht verändert werden dürfe.41 Dies bedeutete natürlich nicht, dass die GHB den gegenwärtigen Zeitpunkt erhalten wollte. »Abgeschlossen« bedeutet nicht im chronologischen Sinne »beendet«, sondern vielmehr im normativen Sinne »vollendet«. Die als ursprünglich imaginierten Pläne bildeten so einen zeitlosen Re­fe­renz­punkt, der nicht verändert werden darf. Es herrscht ein Inter­pre­ta­ tions­verbot. Da das »Ursprüngliche« aber in der Gegenwart gerade nicht verfügbar ist, gilt gleichzeitig ein Inter­ven­tions­gebot. Die temporale Struktur dieses Werte­ver­hält­ nisses entspricht also der des Mythos, da alles, was einem idealisierten Ursprung zugesprochen wird, eine positive Einschätzung erhält.42 Komplementär dazu erhalten alle neuen Interventionen und Interpretationen eine negative Einschätzung und werden infantilisiert. Diese Zweiteilung der Zeit entspricht dem, was Jan Assmann in seinen Arbeiten zur »Mythomotorik« einen »kontrapräsentischen Mythos« genannt hat.43 Vergangenheit und Gegenwart werden in scharfem Kontrast zueinander gesetzt. Indem die Gegenwart als eine Zeit des anhaltenden Niedergangs beschrieben wird, erstrahlt die Vergangenheit in umso hellerem Licht. Die Hinwendung zu einem (vermeintlich) goldenen Zeitalter ist allerdings nicht nur ein retrospektiver Blick zurück, sondern verfügt auch über eine prospektive Dimension. Da die Vergangenheit zu einem unerschöpflichen Reservoir an Handlungsanleitungen überhöht wird, weist sie auch in die Zukunft. Dies kommt zum Ausdruck, wenn der Vorsitzende der GHB, Gerhard Hoya, 2009 feststellt, dass die »überlieferte Bausubstanz« der historischen Mitte »kein Ballast« sei, sondern vielmehr »die Geschichtlichkeit dieses Ortes« eine »unverwechselbare Qualität für die künftige Neugestaltung des Berliner Zentrums« biete.44 Die Zukunft der gesamten Museumsinsel liegt dieser Einschätzung

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zufolge in ihrer Vergangenheit, mit der die als mangelhaft empfundene Gegenwart überwunden werden soll (Abb. 3). Die Wirklichkeitsdeutungen der ergänzenden Wiederherstellung weisen indes eine gänzlich andere temporale Struktur auf. Die konflikthaften Werteverhältnisse zwischen den unterschiedlichen Diskursparteien lassen sich anhand der Deutungen des Architekten der Wiederherstellung weiter darstellen. Für David Chipperfield stellt sich der historische Wert des Gebäudes folgendermaßen dar:

3  Flugblatt der GHB. Der Entwurf David Chipperfields (rechts) wird mittels eines Anthropomorphismus (»Beton-Skelett«) als Zerstörung des historischen Erbes gedeutet. Der Vorwurf der Täuschung (»Irreführung«) wendet sich gegen die Denkmalpflege, die dies zugelassen habe.

… [man] sollte die Narben und Zerstörungen, die noch heute das Gebäude prägen, nicht ausradieren. Dieser Zustand […] ist Teil unseres Erbes. Es waren die Zeit­ verläufe, die aus dem Neuen Museum ein bauliches Dokument deutscher Geschichte gemacht haben.45

Der historische Wert des Bauwerks rekurriert nicht auf einen mythisch verklärten Ursprung. Nicht mehr der zeitlose Kanon als festes Referenzsystem ist verbindlich. Zeit verläuft nunmehr (»Zeitverläufe«). Der Strom der Zeit trennt die historischen Spuren, die »Teil unseres Erbes« sind und das Museum zu einem »Dokument deutscher Geschichte« machen. Prinzipiell kann jede Epoche historischen Wert erlangen, weshalb die Beschädigungen aller Zeiten sichtbar gelassen werden sollen. Indem die Ruine des Museums oftmals mit den stimmungsvollen Stichen Giovanni Battista Piranesis verglichen wurde46, wird auch ihr historische Bedeutung zugesprochen. Anstelle eines kontrapräsentischen Mythos und einer anhaltenden Verfallsgeschichte, wird in diesen Werte­verhältnissen eine Geschichte der sorgsamen Konservierung und Veredelung der Ruine erzählt. Die Analyse der temporalen Strukturen der Werteverhältnisse zeigt, dass der Wert der Ver­ gan­genheit gleichermaßen in Anspruch genommen, jedoch grundlegend anders beerbt wurde. Paradoxerweise befinden sich aus dieser Perspektive die Befürwortenden der originalgetreuen Wiederherstellung im Widerstreit mit der historistischen Intention Stülers. In ihrem Appell an eine zum kanonischen Maß aller Dinge verklärten Vergangenheit weisen diese Werteverhältnisse eher eine Nähe zum Kunstverständnis Aloys Hirts auf. Obwohl die Befürwortenden einer ergänzenden Wiederherstellung den historischen Wert in der Bedeutung aller Epochen verorten, behaupteten auch sie eine »neu geschaffene Kontinuität«. Trotz der Akzentuierung unterschiedlicher Zeitschichten, konnte auch in der Erzählung der ergänzenden Wiederherstellung Identität konstruiert werden. Die technikgeschichtliche Bedeutung spielte dabei eine zentrale Rolle, mit der zudem die widersprüchlichen Anforderungen zwischen Erhalt und Weiterentwicklung erfüllt werden konnten.

Wertekonflikt ohne Wertekonflikt

4  Die Gegenüberstellung zeigt den Griechischen Saal im 19. Jh. (links) und den Entwurf zu dessen Neuerrichtung durch David Chipperfield Architects (rechts). Der nordwestliche Flügel des Museums entstand mit aufwendig gefertigten Werk­beton­teilen neu. Im Bericht der GHB werden diese mit Begriffen aus dem semantischen Feld der Industrieproduktion abgewertet.

Der Wert der Modernität … dasjenige Kunstbauwerk nun, welches dem Schinkel’s zunächst anzureihen ist und im allgemeinen die Richtung und den Charakter modernster Berliner Baukunst repräsentiert, ist das Stüler’sche Neue Museum.

Diese Einschätzung aus Romberg’s Zeitschrift für praktische Baukunst stammt aus dem Jahr 1860.47 In der Tat galt das Neue Museum zum Zeitpunkt seiner Eröffnung als überaus modern. Es ist überdies den bauhistorischen Forschungen Werner Lorenz’ zu verdanken, dass die technikgeschichtliche Bedeutung des in dieser Hinsicht lange unterschätzten Gebäudes erkannt wurde.48 Einhellig wurde die Modernität des Stülerbaus auch in der Debatte um die Wiederherstellung als Wert hervorgehoben. Das ursprüngliche Gebäude wurde als »Hightech vom Feinsten«49, als »bemerkens­ wert innovativ«50 und als »Leistungsschau der technischen Möglichkeiten«51 gewürdigt. Wie der historische Wert, der von beiden Diskursparteien anerkannt wurde, war auch der technikgeschichtliche Wert unbestritten. Wichtig ist, dass aus dem Topos der technischen Innovation unterschiedliche Ge­stal­tungs­an­sprüche abgeleitet wurden. Auch

die Befürwortenden einer originalgetreuen Wieder­ herstellung betonten den Wert der Modernität des ursprünglichen Neuen Museums und forderten, dass die Bogen­sehnen­binder im Griechischen Saal, die in ihrer Zeit Meilensteine der preußischen Ingenieurs­kunst waren52, in der erbauungszeitlichen Form wiederhergestellt werden sollten. Für die GHB blieb also die »alte« Modernität des 19. Jhs. und nicht die »neue« Modernität der ergänzenden Wiederherstellung verbindlich. Eine Wiederholung des Bauwerks erschien nicht nur geboten, sondern auch technisch möglich. Für die Vertreter:innen der originalgetreuen Wieder­ herstellung stellten die »historischen Pläne«, die noch bestünden, »authentische Urkunden« dar.53 Nur die genaue Befolgung der ursprünglichen Vorgaben bewahre die Identität des Gebäudes. Jede Ab­weichung davon wurde mit drastischen Worten abgelehnt (s. Abb. 3) und in den Bereich des Regel­verstoßes gestellt. Ein Bericht, in dem die GHB Verstöße gegen die Welterberichtlinien der UNESCO nachzuweisen versuchte, veranschaulicht dies. Indem die Neugestaltung des Griechischen Saals als »Lagerhalle« geschmäht und die Decke

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aus »Beton­dielen« als Industriebau abgewertet und trivialisiert werden54, fand die Kontrastierung der heroischen Vergangenheit mit der problematisierten Gegenwart auch räumlichen Ausdruck (Abb. 4). In der Argumentation der ergänzenden Wie­ der­herstellung hingegen wurden die modernen Eingriffe und Erweiterungen in der Gegenwart mit Verweis auf die Modernität des Stülerbaus in der Vergangenheit legitimiert. Auch die modernen Materialien stünden im Einklang mit den Gebäude­ teilen des 19. Jhs., da auch diese in ihrer Zeit moderne Baustoffe waren. Chipperfield behauptet so eine Kontinuität mit dem ursprünglichen Bau, wenn er betont: »Stülers Modernität übersetzten wir in unsere heutige Modernität, indem wir zum Beispiel Kunst­werk­stein benutzen.«55 So wie Schinkel seinerzeit der Veränderung einen Rest von Dauerhaftigkeit abringen konnte, indem er eine »Läuterung im griechischen Geiste« beschwor56, wird also die »neu geschaffene Kon­ti­nu­ ität«, die erklärtes Ziel der ergänzenden Wie­der­her­ stel­lung war, dadurch hergestellt, dass Modernität als Iden­ ti­ täts­ ressource des Neuen Museums be­haup­tet wird. Galt die Interpretation des Erbes für die GHB als unzulässige Anpassung an den Zeit­ geist, so verlagerte sich der Modus der Iden­ti­täts­ kon­struk­tion nun von der Wiederholung zur Inter­ pretation. Die Interpretation nach vermeintlich »über­zeit­lichen« Prinzipien (Modernität) gewähre Kontinuität mit dem historischen Erbe. Der Landes­ kon­ser­va­tor Jörg Haspel sprach deshalb davon, dass die Wieder­herstellung des Neuen Museums einer »geistigen Kontinuität« folgen würde.57 Die Identität des Gebäudes wurde folglich behauptet, indem sein moderner Geist beschworen wurde. Auch die sehr selbständige Neugestaltung des Griechischen Saals stand – so Chipperfield – im Einklang mit der »modernen Identität« des Neuen Museums.58 Eben dieser Verweis auf die historische Mo­der­ ni­tät war für die Werteverhältnisse der ergänzenden Wiederherstellung wichtig, da so die modernen Ergänzungen historisch legitimiert werden konnten. Besondere Bedeutung erhielt dabei der »tektonische Klassizismus« Karl Boettichers.59

Laut Werner Lorenz hatte es diese Spielart des Klassizismus Stüler seinerzeit erlaubt, die »klassizistische Grundvorstellungen widerspruchsfrei mit den neuen Konstruktionsweisen und Produktions­ bedingungen der »Eisenzeit« zu verbinden«.60 Auch die Vertreter der ergänzenden Wiederherstellung beschworen eine Vergangenheit, mit der die Anpassung der Architektur an die Anforderungen eines modernen Museums­betriebs in Einklang mit der Tradition gebracht werden könnte. Der Wider­ spruch aus Bewahren und Weiterentwickeln wurde dadurch aufgelöst, da das Gebäude schon immer modern gewesen sei. Die Funktionalität dieses Deutungsmusters wird schnell ersichtlich, wenn wir uns die ambivalenten Anforderungen vergegenwärtigen, die an die Wiederherstellung des Neuen Museums gestellt wurden. Auch in den Werteverhältnissen der ergänzenden Wiederherstellung wird Ver­ gan­gen­heit nicht absichtslos »wiedergefunden«. Vielmehr wird sie nach Maßgaben der schwierigen Bau­aufgabe, die es zu lösen galt, selektiv aufgerufen und umgeformt. Werte und die Frage, wie sie eingelöst werden, stehen immer unter dem lebens­weltlichen Horizont gegenwärtiger Heraus­ forderungen. Vor dem Hintergrund der Analyse bedeutet dies vielleicht auch, dass der Zweck die Werte heiligt. Der Wert räumlicher Einheit Schließlich lässt sich eine dritte Konvergenz der Werteverhältnisse ausmachen. Dabei handelt es sich um den Wert räumlicher Einheit. In der Tat war es ein Ziel Stülers, die »größtmögliche Harmonie« zwischen Räumen und Exponaten herzustellen.61 Auch dieser Wert wurde von allen Diskursparteien reklamiert. Ungeachtet dessen, dass die didaktische Einheit bereits im 19. Jh. überholt war, blieb für die GHB erneut nur die Wiederholung der bauzeitlichen Situation verbindlich: Die Einheit von Raumgestaltung und Ausstellungsstücken war das Besondere. […] Außer Originalen bediente man sich auch guter Kopien, damit ein ganzheitlicher Eindruck entstehen konnte.62

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5  Auf den freiliegenden historischen Ziegeln sind die Stempel der Ziegeleien, in denen diese hergestellt wurden, sichtbar. Die Stempel bezeugen den historischen Dokumentenwert und werden mit den gleichermaßen historischen Relieffragmenten inhaltlich verknüpft.

Wie der Wert eines »ganzheitlichen Eindruck[s]« eingelöst werden sollte, verdeutlichte die GHB durch eine Vielzahl von Bildern (s. Abb. 1). Aber auch die Werteverhältnisse der ergänzenden Wieder­ herstellung reklamierten trotz der ästhetischen Disparatheit verschiedener Werkstoffe den Wert der harmonischen Verbindung von Architektur und Exponaten. Zwar wurde das zeitliche Nach­einander der Zeitverläufe in ein räumliches Neben­einander verschiedener Stile, Materialien und Schadens­ formen übersetzt (s. Abb. 2). Trotz der Sukzession der historischen Episoden wurde zeitliche Kontinuität behauptet. Gleiches gilt für die Behauptung räumlicher Kohärenz. Die subtile Homogenisierung resultierte dabei aus der aufwändigen Inszenierung und der diskursiven Deutung der Architektur.

Wurden die modernen Interventionen mit dem Verweis auf die ›moderne Identität‹ des Gebäudes legitimiert, so wurde die räumliche Einheit dadurch hergestellt, dass sowohl die beschädigte Architektur als auch die fragmentarischen Exponate als gleichermaßen historisch thematisiert wurden. Zu diesem Zweck wurden mit hohem Aufwand 1,35 Millionen erbauungszeitliche Ziegel für den Wiederaufbau der vollständig verlorenen Gebäudeteile organisiert. Eine Analyse der Stempel ergab, dass diese ungefähr 50 Ziegeleien des Berliner Umlands entstammen.63 Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind zumindest einige der Produktionsorte der aus dem 19. Jh. stammenden Ziegel mit denen, die ursprünglich die am Neuen Museum verwendeten Ziegel lieferten, identisch (Abb. 5).

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Indem die Handstreichziegel so angeordnet wurden, dass die Stempelabdrücke sichtbar blieben, werden die unverputzten Ziegelwände mit den davor ausgestellten altägyptischen Reliefs kontextualisiert. Die 170 Jahre alten Ziegel sind zwar nicht im quantitativen Sinne mit den 4.500 Jahre alten Reliefs vergleichbar, wohl aber in qualitativer Hinsicht als historische Exponate. Durch die Anordnung der ägyptischen Fragmente vor dem

6  Die Reste der Tempelvedute von der Insel Philae (mittig) an der Ostseite des Ägyptischen Hofes wurden gesichert und Fehlstellen flächig geschlossen. Vor den neuen Ziegelmauern sind Fragmente ägyptischer Reliefs arrangiert. Trotz des Eindrucks einer Raumcollage werden die Raumgestaltung und die Ausstellungsstücke als räumliche Einheit beschrieben.

Mauerwerk aus bauzeitlichen Ziegeln wird deren historische Signifikanz als gemeinsamer Nenner betont. Auch hier wurden also »Raumgestaltung und Ausstellungsstücke« zu einer räumlichen Einheit zusammengefügt. Bei der Rauminversion aus modernen Beton­ elementen im Ägyptischen Hof – angesichts derer die GHB von einem »Raum-Monster« und einer Verkehrung des Werkes Stülers sprach64 – wurden die disparaten Materialien und Schadensformen nun zu einem harmonischen Ganzen synthetisiert. Neben der architektonischen Inszenierung bedurfte diese Schaffung räumlicher Kohärenz der sprachlichen Vermittlung. Auf einer Texttafel im ägyptischen Hof wird erklärt, dass den Überresten der »um 1850 geschaffenen Tempelansichten« an der Ostseite des Raumes »originale altägyptische Tempelreliefs« an dessen Westseite gegenübergestellt sind, die den auf den Veduten gezeigten Tempeln entstammen (Texttafel Nr. 112). Erst mit dem Wissen um diesen Zusammenhang wird der Raum als Einheit nachvollziehbar. Räumliche Einheit wird also nicht durch eine ästhetische Homogenisierung erzielt, sondern im Sinne einer Raumcollage erzeugt. Wie bei einer Collage ist die Zusammenführung unterschiedlicher Elemente zu einem Ganzen jedoch auch hier nichts Zufälliges, sondern folgt einer absichtsvollen Tech­ nik. Durch die homogenisierende Erklärung gelingt es, der ästhetischen Heterogenität zum Trotz, den Wert der räumlichen Einheit einzulösen (Abb. 6).

Ringen um Werte In seiner für die kulturwissenschaftliche Identitäts­ forschung wegweisenden Studie zum kulturellen Gedächtnis unterscheidet Jan Assmann zwei Modi der Identitätsbildung, die er rituelle und textuelle Kohärenz nennt.65 Rituelle Kohärenz bezeichnet eine Form des Erinnerns, die historische Erfahrungen durch Kanonisierung zugunsten zeitloser Konstanz nivelliert. Indem ein mythischer Ursprung beschworen wird, sichert nur dessen

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ritualisierte Wiederholung Identität. Im Modus der textuellen Kohärenz wird hingegen durch Dokumentation und Interpretation Kontinuität hergestellt. Nicht die Wiederholung des (vermeintlich) immer Gleichen, sondern die Variation nach (vermeintlich) zeitlosen Regeln sichert Identität. Die analysierten Werteverhältnisse des Neuen Museums können präzise mit diesen unterschiedlichen Formen der Kohärenzsicherung erfasst werden. Doch was folgt daraus? Voreilige Zuordnungen dieser Werte­ver­hält­ nisse zu politischen Lagern sind gewiss unzulässig. Dennoch weisen die Werteverhältnisse der originalgetreuen Wiederherstellung – zumindest hinsichtlich ihrer temporalen Struktur – Parallelen zu kulturpessimistischen Diskursen auf, die treffend mit der »semantischen Absurdität«66 einer ›konservativen Revolution‹ bezeichnet werden. Im Sinne kontrapräsentischer Mythen wird die revolutionäre Umwälzung gegenwärtiger Verhältnisse durch die Rückbesinnung auf vergangene Größe angestrebt. Die »Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit«67, mit der zukünftige Heilsversprechungen durch die Wiederholung einer verklärten Epoche eingelöst werden, artikulieren sich sowohl in der Maxime »Make America great again!« als auch in den imperialen Aspirationen des »Neo-Osmanismus.«68 Das Ziel der illiberalen Kritik dieser Diskurse bildet oft das Identitätsnarrativ der Europäi­schen Union.69 Vielleicht nicht zufällig weisen die Werte­ ver­hält­nisse der ergänzenden Wieder­herstellung Parallelen zum Credo »In Vielfalt geeint« auf. Auch hier werden Vielfalt und historische Wand­lungs­ fähig­ keit als Identitäts­ ressourcen ausgegeben. Nicht die Wieder­holung der Vergangenheit, sondern die anhaltende Interpretation und Adaption ›über­zeit­licher‹ Werte stehen dabei im Zentrum. Die im Speziellen analysierten Werteverhältnisse weisen

also, zumindest hinsichtlich ihrer Konstruktionslogik, Ähnlichkeiten mit zentralen Spannungslinien konkurrierender Imaginationen kollektiver Identität auf, die sich gleichermaßen auf Geschichte berufen und das Ideal der Einheit unterschiedlich in Anspruch nehmen. In seiner Analyse des aktuellen Rechts­extre­ mis­mus stellt der Soziologe Matthias Quent fest, dass die jeweilige Vereinnahmung von Werten durch geradezu gegensätzliche politische Akteure oft die Austauschbarkeit der Begriffe offenbart.70 Auch die gegenwärtigen Debatten um ›Bürger­ lich­keit‹ oder ›Demokratie‹ verweisen auf die weitgehende Kontingenz dieser Schlagworte. Das Ringen um die inhaltliche Besetzung der Werte greift also zu kurz, sofern lediglich die semantische Oberfläche der Diskurse und nicht deren spezifische Konstruktionslogik betrachtet wird. Die Analyse der Werteverhältnisse erweist sich möglicherweise auch hier als ein hilfreiches Werkzeug. Neben diesen Strukturhomologien besteht aber noch ein zweiter Zusammenhang zwischen allgemeinen gesellschaftlichen Identitätsdiskursen und den speziellen Auseinandersetzungen über konkrete historische Bauwerke und historisierende Neubauten. Denn vor dem Hintergrund der Analyse des Neuen Museums zeigt sich, dass es weniger die Gebäude selbst, sondern eher die unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen sind, die sie zu Projektionsflächen verschiedener Imaginationen von Gesellschaft machen. Dabei wird allerdings deutlich, wie unterschiedlich das baukulturelle Erbe und seine Geschichte gedeutet werden können, selbst wenn identische Werte in Anspruch genommen werden. Auch dies macht es erforderlich, stets zu analysieren, wie die reklamierten Werte eingelöst und welche kollektiven Selbstbilder daraus abgeleitet werden.

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34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70

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Wertekonflikt ohne Wertekonflikt

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Jochen Kibel

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Abbildungsnachweis

1 Eduard Gaertner 1862. Verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Neues_Museum_ Aegyptischer_Hof.jpg (2.10.2020). 2 © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Foto: Kibel 2018. 3 © Gesellschaft Historisches Berlin e.V. 4 © Gesellschaft Historisches Berlin e.V., 2008. Verfügbar unter: https://www.ghb-online.de/images/stories/berichtdokumentation-roteliste.pdf (2.10.2020). 5 © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Foto: Kibel 2018. 6 © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Foto: Kibel 2018.

Instrumentalisierung, Vermittlung und Medialisierung von Werten

Die Altstadt als (historische) Konstruktion oder die Konstruktion von Geschichte in der Debatte um die neue Frankfurter Altstadt Moritz Röger

2018 wurde, nach über zehn Jahren Planungs- und Bauzeit, in Frankfurt am Main zwischen Dom und Römer die neue Altstadt eröffnet. Sie besteht aus 15 ›schöpferischen Nachbauten‹ sowie 20 zeitgenössischen Gebäuden, die weitestgehend auf den Parzellen des historischen Stadtgrundrisses errichtet wurden und sich in unterschiedlichem Maße und unterschiedlicher Ausprägung eines historischen Formenrepertoires bedienen (Abb. 1). Das Projekt

steht in einer Reihe von Rekonstruktionsprojekten, die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland realisiert wurden, bei denen einzelne Gebäude oder ganze städtebauliche Zusammenhänge in einem nicht unerheblichen zeitlichen Abstand zu ihrer Zerstörung wiederaufgebaut werden. Ein neues Phänomen sind Wiederaufbauten und Rekonstruktionen in der Architekturgeschichte jedoch keinesfalls, wie die 2010 von Winfried

1  Frankfurt am Main, Dom-Römer-Areal, Blick vom Dom, 2018.

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Moritz Röger

Ner­ din­ ger in München kuratierte Ausstellung Ge­ schich­ te der Rekonstruktion. Konstruktion der Geschichte anschaulich gezeigt hat.1 Für Nerdinger stellt dabei jede Rekonstruktion einen »Neubau«2 dar, wodurch er nicht nur auf den Bezug zur Vergangenheit eines Ortes aufmerksam macht, der in ihr liegt, sondern gleichzeitig auch auf ihre Verortung in der Gegenwart. Diese Besonderheit eines sich Bewegens zwischen Gegenwart und Vergangenheit ist allen Re­kon­struk­ti­ons­projekten eigen. Geschichte ist daher auch zumeist ein zentrales Motiv in den Debatten, die um dergleichen Vorhaben geführt werden, so auch bei der neuen Altstadt in Frankfurt. Von Anfang an war die Geschichte der historischen Altstadt, ihrer einzelnen Bauten sowie ihrer städtebaulichen Strukturen ein zentrales Motiv in den Diskussionen um das Projekt. Vieles ist bereits über die Debatte, die zum Bau der neuen Altstadt geführt hat, und zu den Ursprüngen des Projektes geschrieben worden. Diskussionen, weit über Fachkreise hinaus, haben dabei vor allen die Artikel von Stephan Trüby ausgelöst, die auf den Ursprung des Projekts, der in einer parlamentarischen Initiative einer rechtspopulistischen Partei liegt, hingewiesen und den architekturtheoretischen Hintergrund der Protagonisten der Rekonstruktionsdebatte detailliert beleuchtet haben.3 Mit seinem Fokus auf die rechten Akteur*innen in der Rekonstruktionsdebatte im Allgemeinen und in Frankfurt im Besonderen nimmt er jedoch eine Verkürzung vor, die der Komplexität des Themas nicht gerecht zu werden scheint. So etwa fand die allmähliche Übernahme des von der ersten Initiative gesetzten Narrativs durch die bürgerlichen Parteien bei ihm kaum Beachtung. Ziel dieses Artikels ist es daher, die Ar­gu­men­ ta­tion aus unterschiedlichen Stadien des Ent­schei­ dungs­prozesses unter die Lupe zu nehmen und sie auf ihren ideologischen Gehalt hin zu untersuchen. Was waren die Motive, was waren die Ar­gu­men­te über Parteigrenzen hinweg für den Bau des DomRömer-Projekts, wie die neue Altstadt offiziell heißt? Auf den ideologischen Gehalt, der in der Aus­ ein­an­dersetzung um die Altstadt liegt, hat bereits

Siegfried Kracauer vor fast 100 Jahren in einem weitsichtigen Kommentar hingewiesen, den er 1925 unter dem Titel Die Nichtexistenz der Altstadt. Eine philosophische Deduktion im Band RömerMasken veröffentlichte, den Benno Elkan für den Bund tätiger Altstadtfreunde herausgegeben hatte.4 »Die Altstadt existiert nicht,« schrieb Kracauer hier, »sie ist vielmehr eine bloße Ideologie […].«5 Seine als Satire formulierte Kritik gilt darin der Arbeit ebenjenes von Fried Lübbecke 1922 gegründeten Bundes mit dem selbsterklärten Ziel einer Förderung der Altstadt unter Berücksichtigung ihrer sozialen, hygienischen und künstlerischen Aspekte. [Die Altstadt hat] eine Metamorphose erlitten, die sie zu einer neuen Wesenheit macht, und daß diese Wesenheit immer noch Altstadt heißt, kann nur damit entschuldigt werden, daß der Auflösungsprozess unbemerkt vor sich gegangen ist.6

In Kracauers Augen besteht aufgrund der vielen Eingriffe und Veränderungsmaßnahmen in der Altstadt eine Inkongruenz zwischen ihrem Begriff und der von ihm beschriebenen Materialität, was sie für ihn zu einem geistigen Konstrukt unabhängig von ihrer gebauten Materialität macht. […] es existiert am Orte der früheren Altstadt ein Gebilde, von dem sich mit Bestimmtheit nur sagen läßt, daß es in keiner Hinsicht dem terminologisch festgelegten Begriff ›Altstadt‹ entspricht.7

Es ist dieser Widerspruch bzw. die fehlende An­er­ ken­nung dieses Widerspruchs, die den ideologischen Gehalt der Auseinandersetzung mit der Alt­ stadt ausmacht. Die Beobachtungen, die Kracauer seinen Leser*innen auf wenigen Seiten präsentiert, werden durch neue detaillierte Studien auf bemerkenswerte Weise gestützt. So weist Gerhard Vinken in seiner Studie Zone Heimat ebenfalls auf den konstruktiven Charakter der Altstadt hin. Dabei mache bereits die Geschichte des Begriffs ›Altstadt‹ deutlich, wie eng die Vorstellungen über sie mit der Moderne verwoben seien. Begriffe wie ›historische Stadt‹ oder ›Altstadt‹ seien erst seit der Wende vom 19. zum 20. Jh. herangezogen worden und

Die Altstadt als (historische) Konstruktion

hätten dabei der »Abgrenzung von den schnell gewachsenen Gründerzeitvierteln« gedient.8 Sie habe somit von Anfang an einen Gegenbegriff zur Neustadt dargestellt und trage den Dualismus zwischen Gewachsenem und Ge­plan­tem von Beginn an in sich. Ursprungsvergewisserung und Authentizitätsbehauptung bilden den Kern des semantischen Feldes durch alle begrifflichen Wandlungen hindurch. Der neuen (modernen, modernisierten) Stadt setzt Altstadt einen Ursprung entgegen, dem Gemachten und Geplanten das Echte und Gewachsene.9

Vinkens historisch-kritische Analyse macht deutlich, dass Altstadt auch immer »etwas Gemachtes« ist.10

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Idealisierte Geschichte Architektonische Ordnungsnarrative in der Debatte um die neue Altstadt Wie entstand nun also jene Situation, in der rund 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und damit auch der Zerstörung der Frankfurter Altstadt eine rechtspopulistische Partei den Wiederaufbau nach historischem Vorbild fordern konnte und damit schließlich Erfolg hatte? War man sich doch gerade in Frankfurt in den Jahren nach Kriegsende der mörderischen Verbrechen der Nationalsozialisten bewusst, die in ihrer Konsequenz auch zur Zerstörung der Frankfurter

2  Luftbild des Stadtkerns, Blick nach Osten mit dem Dom im Zentrum, 1955.

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Moritz Röger

hatte. Nicht nur mit Blick auf Frankfurt kommt er zu dem Schluss: Ich glaube […] nämlich daß wir, wenn wir die Städte in ihrer traditionellen Gestalt wieder aufbauen würden, damit eine Form der Gesellschaft beschwören würden, die eigentlich nicht mehr existiert.14

3  Bartsch, Thürwächter und Weber, Technisches Rathaus, 1970–74, Postkarte von ca. 1978.

Altstadt durch die Alliierten geführt hatten. Bis heute in Erinnerung sind die Worte Walter Dirks, der sich 1947 in die Diskussion um den Wiederaufbau bzw. die Rekonstruktion des Goethehauses mit seinem Beitrag Mut zum Abschied einmischte.11 Dirks schrieb, dass der Verlust des Goethehauses und damit auch der Frankfurter Altstadt einer »bittere[n] Logik« folgte. Es war kein Versehen, das man zu berichtigen hätte, keine Panne, die der Geschichte unterlaufen wäre, es hatte seine Richtigkeit mit diesem Untergang. Deshalb sollte man ihn anerkennen.12

Ebenso sprach sich Theodor W. Adorno 1949, wenige Wochen nach seiner Rückkehr nach Deutschland, dagegen aus, »die Städte wieder so herzustellen, wie sie waren«.13 Am 9. Dezember war er beim Städtebaulichen Kolloquium der Technischen Hochschule Darmstadt eingeladen, einen Vortrag unter dem Titel Städtebau und Gesellschaft zu halten. Hier sprach Adorno über den Schock, den die zerstörten Innenstädte bei den Bewohnern ausgelöst haben müssen, und den damit verbundenen Wunsch der Wieder­her­stel­lung. Gleichzeitig gab er aber auch zu bedenken, dass die historischen Stadtkerne einer Gesellschaft entsprungen waren, die bereits vor dem Krieg nicht mehr bestanden

Sieht man einmal vom Goethehaus ab, das zwischen 1947 und 1951 rekonstruiert wurde, so prägte gerade das Bewusstsein, dass man nach dem Krieg nicht nahtlos an die Vergangenheit anknüpfen konnte, für Jahrzehnte die Frankfurter Wieder­ auf­bau­bestrebungen. Erste Planungen, das zentrale Areal zwischen Dom und Römer mit Wohnzeilen zu bebauen, wurden nur teilweise realisiert, sodass an dieser zentralen Stelle bis in die 1960er Jahre hinein eine städtebauliche Leerstelle blieb (Abb. 2).15 Erst mit dem Bau des Technischen Rathauses nach Plänen der Architekten Bartsch, Thürwächter und Weber zwischen 1970 und 1974 wurde diese Lücke zumindest teilweise geschlossen (Abb. 3). Die finanzielle Lage der Stadt verhinderte, dass die ursprünglichen Planungen vollständig umgesetzt wurden, die neben dem Verwaltungsbau noch ein kulturelles Zentrum vorsahen. Der initiale Entwurf war damals von dem Gedanken getragen worden, dass für den Aufbau der noch jungen Demokratie Orte geschaffen werden müssten, die eine Partizipation aller Bürger*innen am kulturellen Leben ermöglichten. Auch das Gebäude des Historischen Museums (1970–72), das ebenfalls im Zuge der jüngeren Diskussion um die neue Altstadt infrage gestellt und letztendlich durch einen Neubau (2012–17) ersetzt wurde, war Ausdruck dieses Grundverständnisses eines demokratischen Bauens.16 Für das Technische Rathaus sollten nach seiner Fertigstellung keine 30 Jahre vergehen, bis es wieder zum Thema der Stadtpolitik wurde. Erste Pläne für einen Abriss und den Bau eines Fünf-Sterne-Hotels im Jahr 2000 scheiterten an den instabilen politischen Verhältnissen in der Stadt.17 2005 sollte ein städtebaulicher Ideen­wett­be­ werb neue Lösungen für das Areal bringen. Den Wett­bewerb gewann das Architekturbüro KSP

Die Altstadt als (historische) Konstruktion

Engel und Zimmermann. Die Ausschreibung des Wett­bewerbs ging neben dem Nutzungskonzept, das Wohnen, Einzelhandel, Büros mit Platz für ein Hotel, die Stadtbücherei und Gastronomie miteinander verbinden sollte, auch auf die zukünftige Gestaltung des Areals ein. So forderte die Auslobung, dass der Markt, jene Gasse, die vom Dom in Richtung Römer führt und als Krönungs­ weg bekannt ist, auf sein ursprüngliches Niveau abgesenkt würde. Der Siegerentwurf, der aus einem dreigliedrigen Wohngebäude an der Brau­ bach­straße und jeweils einem Gebäude für die Hotel-, die kulturelle sowie Büronutzung bestand, legte vor allem den Punkt der Wegführung etwas freier aus. So wurde der Markt zwar wie gefordert abgesenkt, sein Verlauf wurde dabei jedoch soweit nach Süden verlagert, dass der Domturm nun als point de vue an dessen Ende stand. Neben der Kubatur der Baublöcke sollte sich die Kritik am Entwurf vor allem an diesem Detail aufhängen. Doch noch bevor die Jury nach ihrer Sitzung am 15. September 2005 das Wettbewerbsergebnis verkündet hatte, war in der Diskussion eine neue Entwicklung durch den Antrag des rechtspopulistischen Bürgerbündnisses für Frankfurt (BFF) im Frankfurter Stadtparlament eingetreten. Hier hatte der damalige BFF-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Hübner, als einziger Vertreter seines Bündnisses, am 22. August einen Antrag mit dem Betreff Technisches Rathaus: Den Abriß als Chance nutzen eingebracht.18 Dieser muss zusammen mit dem Ergebnis des städtebaulichen Ideenwettbewerbs als eigentlicher Ausgangspunkt der Debatte um die zukünftige Gestaltung des Areals angesehen werden. Als Hübner den Antrag der BFF-Fraktion zur zukünftigen Gestaltung des Areals einbrachte, war der Gewinnerentwurf des Wettbewerbs folglich noch nicht bekannt. Der Antrag wurde von Hübner in Zusammenarbeit mit seinem damaligen Mitarbeiter Claus Wolfschlag ausgearbeitet, der – wie Stephan Trüby detailliert dargelegt hat – dem Spektrum der Neuen Rechten zugeordnet werden muss.19 Artikel von ihm erscheinen nicht nur in der Jungen Freiheit und der Preußischen

Allgemeinen Zeitung, sondern auch in der von Götz Kubitschek herausgegebenen Zeitschrift Sezession. Noch im Bauhausjahr 2019 veröffentlichte Wolfschlag dort einen Gastbeitrag, in dem er dem Bauhaus eine Mitverantwortung für »viele heutige Probleme in städtebaulicher und architektonischer Hinsicht« zuschreibt. Gleichzeitig fordert er »eine neue Baukultur […], die ein Gegen­model zur universalistischen Moderne bildet« unter stärkerer »Berücksichtigung traditioneller Formen und regionaler Spezifika.« Während die aktuelle Ar­chi­tek­tur­ land­schaft von Anhänger*innen einer universalistischen Moderne dominiert sei, gebe es nur »einzelne Architekten und Bürger­initiativen, [die] seit Jahren einen fast aussichtslosen Kleinkrieg« führten, um »Naturräume oder historische Ensembles [zu] erhalten.«20 Eine solche Bürgerinitiative hat sich auch in Frankfurt im Zuge der Diskussion formiert, die nach Bekannt­werden des Siegerentwurfes von KSP Engel und Zimmermann im Herbst 2005 begann. Aus dieser Initiative ging 2006 der Verein Pro Altstadt hervor, und bis heute weist er Hübner und Wolfschlag als »Väter der Wiederaufbau-Initiative« aus.21 Was genau haben Hübner und Wolfschlag nun also gefordert und wie begründeten sie diese Forderungen? In ihrem Antrag forderten sie, die Neu­ge­stal­ tung des Areals »im Geist der Rückbesinnung« anzugehen und eine Bebauung zu schaffen, die in ihrem »Erscheinungsbild […] der Altstadt vor der Zerstörung im 2. Weltkrieg« entspreche. Dabei solle sich die Straßen- und Gassenführung ebenso wie die zu bebauenden Parzellen »an dem über Jahrhunderte gewachsenen Vorbild orientieren«. Grundsätzlich solle die Architektur »der Vor­ kriegs­be­bau­ung optisch verpflichtet sein«, während gleichzeitig einige »historisch wertvolle Gebäude […] als architektonische Leitbauten rekonstruiert werden« sollten.22 Hier nennt der Antrag neben der Goldenen Waage und dem Roten Haus auch das Haus der Tante Melber, benannt nach Goethes Tante Johanna Melber. Alle drei Gebäude gehören heute zu den 15 Bauwerken, die im Rahmen des DomRömer-Projektes als »schöpferische Nach­bauten«

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Moritz Röger

wiedererrichtet wurden. Auch die Forderung, dass der Archäologische Garten als Keller­geschoss einer zukünftigen Bebauung erhalten bleiben solle, ist heute durch das Stadt­haus am Markt erfüllt. In der Begründung des Antrages heißt es: Die historische Lösung der Neu­ge­stal­tung bietet eine bessere Identifikation der Bürger mit ihrer geschichtlich bedeutenden und traditionsreichen Stadt, also eine nicht zu überschätzende In­te­gra­tions­funk­tion. Diese Lösung bietet auch langfristigen wirtschaftlichen Nutzen durch Stei­gerung der touristischen Anziehungen.

Weiter spricht der Antrag davon, dass die Um­set­ zung der vorgeschlagenen Maßnahmen zu einem »wichtige[n] Stück Stadtheilung« beitragen würde.23 Die Antragsteller gehen davon aus, dass nur die von ihnen vorgeschlagene Lösung, die sich an historischen Vorbildern orientiert, Iden­ti­fi­ka­tions­ potentiale für die Bürger*innen der Stadt biete. Im Umkehrschluss sprechen sie damit zeitgenössischen, an moderner Formensprache orientierten Architekturen eine solche Wirkung ab. Die Architektur der Nachkriegsmoderne ist in ihren Augen unfähig, das von ihnen geforderte Iden­ti­ fi­ka­tions­potential zu entfalten.24

4  Dominik Mangelmann, Digitales Altstadtmodell Frankfurt, 2005.

Die Forderung nach einer an historischen Vor­ bil­dern orientierten Architektur könnte auf den ersten Blick als eine Geschmacksfrage abgetan werden. Betrachtet man jedoch die im Antrag verwendete Sprache und die ihm zugrundeliegende Argumentation noch einmal genauer, so zeigt sich eine tiefer liegende Problematik: die konstruierte Dichotomie zwischen gewachsenen und geplanten Strukturen. Es kommt hierbei zu einer Naturalisierung eines bestimmten städtebaulichen Ordnungsprinzips, dessen Struktur als »über Jahrhunderte gewachsene« charakterisiert wird.25 Die besonderen historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen dieses Phänomens werden dabei jedoch verkannt. Mit dieser Naturalisierung ist neben der Idealisierung einer urbanen Struktur der Altstadt auch die Abwertung moderner städtebaulicher Konzepte verbunden. Obwohl der Antrag immer wieder auf eine vermeintliche Historie Bezug nimmt, ist er in diesem Punkt zutiefst unhistorisch und damit ideologisch. Zwar wurde der Antrag im Stadtparlament mit der Begründung abgelehnt, dass bereits ein Ideenwettbewerb für das Areal des Technischen Rathauses ausgelobt sei und dessen Ergebnis in Kürze feststehe, dennoch platzierte der Antrag des BFF in der öffentlichen Debatte eine Idee, die nach der Bekanntgabe des Wett­be­werbs­ ergebnisses und der Kritik am Sieger­entwurf noch einmal breitere Unterstützung erlangen sollte. Die negative Rezeption des Wett­be­werbs­er­ geb­nisses nutzte das Bündnis der Freien Wähler BFF, um Anfang Oktober 2005 bei einer Po­di­ ums­ diskussion unter dem Titel Eine Altstadt für Frankfurts Seele noch einmal Unter­ stüt­ zer*in­nen für ihre Idee zu mobilisieren. Bei dieser Veranstaltung stellte der junge Bauingenieur Dominik Mangelmann das virtuelle Modell einer Alt­stadt­re­konstruktion vor, womit es nun auch für den Ge­gen­vorschlag ein Bild gab (Abb. 4). Dieses Bild erwies sich im weiteren Verlauf der Debatte als mächtiges Instrument. In den folgenden Monaten fanden zahlreiche Dis­kus­si­ons­veranstaltungen zum Thema statt, die deutlich machten, dass es unter den Bür­ge­r*in­nen eine Gruppe von vehementen

Die Altstadt als (historische) Konstruktion

und öf­fent­lich­keits­wirk­sam auftretenden Be­für­ wor­ter*in­nen für das Wiederaufbauprojekt gab, das sich am Vorkriegszustand des Areals orientierte. Gleichzeitig waren es vor allem die in der Debatte auftretenden Fachleute, die dem Vor­ schlag des BFF ablehnend gegenüberstanden; aus der Bevölkerung wurden kaum aktive Ge­gen­stim­ men laut. Im Vorfeld der anstehenden Kom­mu­nal­ wahlen im März 2006 führte dies zu einer Situation, in der Po­li­ti­ker*innen die Fachleute ignorierten, wie Claus-Jürgen Göpfert berichtet.26 Im Resultat führten die Debatten dazu, dass sich immer mehr Beteiligte aus der Stadtpolitik mit der Idee einer Neubebauung des Areals auf historischem Stadtgrundriss und mit einer noch zu bestimmenden Anzahl von Rekonstruktionen anfreundeten und dafür aktiv Stellung bezogen. Festhalten lässt sich, dass der damalige SPD-Vorsitzende Frankfurts und Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters Franz Frey sich zu der Aussage hinreißen ließ, dass »die Bürger […] ein Anrecht auf Fachwerk« hätten.27 Die damalige Ober­bür­ger­meis­te­rin Petra Roth sagte Ende des Jahres 2005 in einem Interview: Ich möchte dort Frankfurt sein Herz zurückgeben. Der historische Altstadtgrundriß soll die Grundlage für die Bebauung sein – mit Spitzdächern. Vier Häuser könnten rekonstruiert werden. 28

Bei Betrachtung der Begründungen für diesen Sin­ nes­wandel fällt auf, dass hier in weiten Teilen die Argumentation aus dem Antrag des BFF übernommen worden war. Das Narrativ der Rückbesinnung auf die Ge­schich­te des Ortes und die damit verbundene ver­meint­liche Wiedergewinnung von Iden­ti­fi­ka­ tions­potential wurde bis ins Jahr 2007 vor allem von CDU und Grünen fortgeführt. Nachdem man Abstand vom Wettbewerbsergebnis von 2005 genommen hatte, machte man sich im von Christ­ demo­kra­ten und Grünen geführten Magistrat an die Ausarbeitung eines neuen Be­ bau­ ungs­ kon­ zep­tes, das den Wunsch nach einer am Vor­kriegs­ zustand orientierten Architektur aufgriff. Zuvor war eine Studie in Auftrag gegeben worden, welche den Do­ku­men­ta­tions­stand der Gebäude auf dem

Areal zwischen Dom und Römer vor ihrer Zer­stö­ rung im Zweiten Weltkrieg evaluieren sollte und damit die Mög­lich­keit einer Rekonstruktion.29 Am 20. Juni 2007 wurde das neue, vom Stadt­ pla­nungsamt entwickelte Konzept durch den Pla­ nungs­de­zer­nenten Edwin Schwarz als Vortrag M 112 den Mitgliedern der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­ lung vorgestellt. Die neue Richtung in der Planung begründete Petra Roth vor den Stadt­ver­ord­ne­ ten damit, dass »Zukunft Herkunft braucht«.30 Sie bemühte damit den Philosophen Odo Marquard, der zwei Jahre zuvor einen Essay­band unter gleichem Titel veröffentlicht hatte.31 Doch was soll das für eine Zukunft sein, die ihre Herkunft in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg sucht und nicht in den demokratischen Bestrebungen der Nachkriegszeit? Eine Zukunft, die vielmehr darum bemüht ist, die sichtbaren Spuren der Nachkriegszeit aus dem Stadtbild aktiv zu verdrängen. Im neuen Konzept heißt es in ähnlicher Manier wie zuvor im Antrag des BFF, dass ein »lebendiges Quartier« auf dem »historischen Quartiersgrundriss« entstehen soll, das »die Geschichte des Ortes stärker erlebbar« mache.32 Im Sommer 2007 war schließlich die Entscheidung für die neue Altstadt gefallen. Mit ihr sollten nun Werte wie Geschichte, Tradition und Heimat wieder Einfluss auf Architektur und Städtebau nehmen.

Die »gewachsene« Altstadt als Gegenkonzept zur Moderne Befürworter*innen des Dom-Römer-Projektes sehen die Werte von Geschichte, Tradition und Heimat vor allem durch die historische Altstadt verkörpert, mit ihrer Kleinteiligkeit in der Parzellierung, ihren verwinkelten Gassen und überschaubaren Plätzen. Es soll daher an dieser Stelle noch einmal die Frage nach der Altstadt und ihrem Erscheinungsbild vor ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg aufgegriffen werden. Da Frankfurt bis 1806 nur innerhalb seiner Stadtmauern wachsen konnte, waren die Wohnverhältnisse ausgesprochen beengt. Verschärft wurden sie noch

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5  Goldene Waage, erbaut 1618/19, Ansicht vor (l.) und nach (r.) den Sanierungsarbeiten 1899, o. J./ca. 1905.

einmal dadurch, dass die in der Altstadt liegenden Gebäude im Laufe des 19. Jhs. in weiten Teilen zu Mietobjekten wurden, die chronisch überbelegt waren. Während die wohlhabenden Eigentümer*innen in die neu erschlossenen Viertel im Norden und Westen der Stadt zogen, waren es vor allem Arbeiter*innen, die im Stadtkern wohnten. Die rapide wachsende Zahl von Einwohner*innen und die soziale Entmischung des Stadtkerns trugen auf unterschiedliche Weise zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Menschen vor Ort bei. Und so spricht kaum etwas dafür, dass dem historischen Stadtkern am Anfang des 20. Jhs. ein besonderer Wert als Wohnort zuteilwurde. Dies dokumentiert auch das ab 1929 erstellte Altstadtkataster. Im Zuge des vom Hochbauamt, dem Bezirksdenkmalpfleger und dem Bund tätiger Altstadtfreunde bearbeiteten Projektes

wurde[n] nicht nur der kunsthistorische, konservatorische und bautechnische Zustand der Gebäude geprüft, sondern auch die sozialen, kulturellen und gesundheitlichen Verhältnisse ihrer Bewohner ausgewertet. 33

Das aus dieser Erhebung gewonnene Material sollte als Grundlage genutzt werden, um zu entscheiden, wo tiefgreifende Maßnahmen notwendig waren. Zu substanziellen Eingriffen kam es jedoch nur selten, die meisten Maßnahmen sollten an der Oberfläche bleiben und betrafen oft nur die Fassaden der Gebäude. Häufig handelte es sich dabei um neue Fassadenanstriche, die Freilegung von zuvor verputztem Fachwerk und das Anbringen von Blumenkübeln. Beispielhaft für solche Eingriffe steht die Gol­de­ ne Waage. Die Stadt kaufte das Gebäude 1889 und ließ es zehn Jahre später von dem Architekten Franz von Hoven instandsetzen. Fotografien aus der Zeit lassen erkennen, wie dabei das Erschei­nungs­bild

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der Fassade grundlegend verändert wurde (Abb. 5). So wurde das Fachwerk freigelegt und die Verschindelung des zum Markt liegenden Giebels entfernt. Darüber hinaus wurde auch die Durch­fensterung im zweiten Obergeschoss verändert. Dabei scheint die Maßnahme der Entfernung eines Fensters auf die Herstellung von Symmetrie in der Fassade abzuzielen. Heute ist die Goldene Waage die mit Abstand am aufwendigsten gestaltete Rekonstruktion in der neuen Altstadt. Ähnliche Umgestaltungs- und Verschönerungsmaßnahmen wurden bis in die 1930er Jahre an einer Vielzahl von Häusern durchgeführt. Nicht selten finanzierte der Bund tätiger Altstadtfreunde die Maßnahmen. Ein weiteres, etwas anders gelagertes Beispiel ist die Umgestaltung der Römerfassade. Mitte des 19. Jhs. wies die Dreigiebelfassade des Römers noch keinen Bauschmuck auf. Ihr einfaches und nüchternes Erscheinungsbild schien den Vertretern der Stadt nicht den repräsentativen Ansprüchen zu genügen, weshalb sie 1889 einen Wettbewerb für ihre Neugestaltung ausschrieben. Max Meckel

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gewann den Wettbewerb mit einem Entwurf, der eine umfangreiche gotisierende Ausschmückung der Fassade vorschlug. Zwar wurde der Entwurf nur in reduzierter Form ausgeführt, er stellte »aber immer noch eine beträchtliche Überformung« des vorangegangenen Zustands dar.34 Einen tiefgreifenden Eingriff in die Altstadt bildet der Durchbruch der Braubachstraße. Straßen­ durchbrüche waren ab dem späten 19. Jh. nicht nur ein Mittel, um auf die neuen verkehrstechnischen Anforderungen der wachsenden Stadt zu reagieren; man sah in ihnen auch ein Instrument, um den gravierenden hygienischen Missständen entgegenzuwirken, indem alte Bausubstanz abgerissen und gleichzeitig für eine bessere Belüftung der umliegenden Straßenzüge gesorgt wurde. Der bestehenden Stadtstruktur wurde dabei nur wenig Wert beigemessen, wie die beiden konkurrierenden Entwürfe von 1893 für die Braubachstraße zeigen. Eine Fotografie von Carl Friedrich Fay verdeutlicht die massiven Eingriffe in die Altstadt für dieses Infrastrukturprojekt (Abb. 6).

6  Durchbruch der Braubachstraße, Blick von Osten, 1905.

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Diese Beispiele illustrieren, wie stark sich das Er­schei­nungsbild der Altstadt seit Beginn des 20. Jhs. verändert hatte, während sich die Wohn­si­ tu­a­tion für die dort lebenden Menschen nur langsam verbesserte. Besonders interessant erscheint die Tatsache, dass erst mit dem Verfall der Alt­stadt ihre Romantisierung und Idealisierung einsetzte. So fertigte der Frankfurter Künstler Carl Theodor Reiffen­stein zahlreiche Aquarelle von Alt­stadt­ge­ bäu­den an. Häufig waren es gerade jene Gebäude, die aufgrund ihres desolaten Zustands kurz vor ihrem Abriss standen, denen Reifenstein in seinen Bildern noch einmal zu Glanz verhalf. Ob es nun die Romantisierung durch Reiffen­ steins Bilder war oder die idealisierenden Ver­ schö­ne­rungs­maßnamen durch den Bund tätiger Alt­stadt­freunde, die Altstadt wird hier zu etwas jenseits ihrer physischen Existenz Stehendem, zu einem Abbild einer ihr innewohnenden Idee. Wie Carsten Ruhl darstellt, handelt es sich bei dieser Idee um einen konstruierten historischen Raum, in dem Altstadt zu einem »sinnentleerten Status­ symbol des Bürgertums« wurde.35 Spätestens mit dem Bund tätiger Altstadtfreunde war die Altstadt zu einem Gegenstand umfassender Stadtplanungen geworden, die medizinische und soziale Hygiene sowie malerische Effekte über den Erhalt historischer Bau­ substanz stellten. Mit anderen Worten, die Altstadt war das Projekt einer Gruppe einflussreicher Bürger, keinesfalls eine Maßnahme zur Erhaltung des Status quo. Die Altstadt wie sie sein sollte, nicht wie sie sich darstellte, war das eigentliche Thema dieser Initiativen. 36

Die (neue) Altstadt als wirklich gewordenes kleinbürgerliches Ideal So unterlag das Erscheinungsbild der Frankfurter Alt­stadt seit dem späten 19. Jh. durch Abrisse für neue Straßenzüge, Neubauten und veränderten Ge­bäu­de­schmuck einem starken Wandel. Diese grundlegenden Veränderungen und die gleichzeitige Romantisierung des historischen Stadt­ zentrums ver­an­lass­ten Siegfried Kracauer Mitte der 20er Jahre des 20. Jhs. zu der oben bereits

zitierten provokanten Formulierung der Nicht­ existenz der Altstadt. Das Ding, das heute ›Altstadt‹ heißt, ist längst nicht mehr jene Entität, die der Begriff eigentlich meint. Unter der Hand gleichsam hat sie eine Metamorphose erlitten, die sie zu einer neuen Wesenheit macht […]. Man begriffe die Beibehaltung des Namens allenfalls, wenn sich die ›Renovierung‹ etwa auf das Hausinnere beschränkt hätte; aber auch auf den Fassaden jagt eine neue Farbe die andere, […] das Ghetto ist abgewandert, die Brau­bach­ straße bricht für einen Verkehr durch, der nicht ausgebrochen ist […]. 37

Das Bild der Altstadt, das nicht nur Mitglieder des Bundes tätiger Altstadtfreunde zu jener Zeit zeichneten und aktiv formten, ist ein durch das späte 19. und frühe 20. Jh. vermitteltes. Es funktioniert v. a. durch die Abgrenzung und im Kontrast zu den neuen Vierteln der Gründerzeit und der klassischen Moderne. Während die Altstadt mit Adjektiven wie ›gewachsen‹ und ›ursprünglich‹ charakterisiert wird, beschreibt man die neuen Stadt­viertel als geplant. Die »›Erfindung‹ der Altstadt«, wie Gerhard Vinken es nennt, kann dabei als Teil eines Kom­pen­sa­ti­ons­prozesses, eine nostalgische Reaktion auf die sich rapide verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse seit der Gründer­zeit verstanden werden.38 Damit wird die Altstadt jedoch zu einem Projekt der Moderne, in der beide »dialektisch aufeinander bezogen« sind.39 Es ist nun genau jenes Bild, jenes zur Ideologie gewordene Ideal der Altstadt, das den Referenzpunkt für die neue Altstadt in Frankfurt bildet und auf das sich die Befürworter*innen des Projektes beziehen. So offenbaren sich laut Vinken im DomRömer-Projekt »ein revisionistischer Blick auf Architektur und Städtebau mit antimoderner Stoßrichtung« und ein »beunruhigender Blick auf die Geschichte wie auf die Realitäten unserer Gesellschaft.«40 Die neue Altstadt erscheint dabei als eine an der Vergangenheit orientierte Utopie, in der Kategorien wie ›Heimat‹ und ›Tradition‹ einen neuen Platz bekommen sollen. Sie stellt ein auf Hochglanz poliertes Bild einer Geschichte dar, die so nie existierte. Und genau in

Die Altstadt als (historische) Konstruktion

dieser Idealisierung von Vergangenem liegt auch der ideologische Gehalt der jüngsten Debatte. Bei der neuen Altstadt in Frankfurt, ebenso wie bei weiteren Re­kons­truk­tions­bestrebungen der

letzten Jahre, scheint es sich in ähnlicher Weise wie bei der Erfindung der Altstadt vor rund 100 Jahren um einen Kom­pen­sa­tions­prozess in Zeiten von Neo-Liberalismus und Globalisierung zu handeln.

1 Nerdinger 2010. 2 Nerdinger 2010, 10. 3 Vgl. Trüby 2018 und Trüby 2019. 4 Kracauer 1925, 43–44. 5 Kracauer 1925, 43. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Vinken 2010, 7. 9 Vinken 2010, 8. 10 Ebd. 11 Dirks 1947, 819–828. 12 Dirks 1947, 826. 13 Adorno 2019 [1949], 22. 14 Adorno 2019 [1949], 23. 15 Vgl. Sturm 2018, 74–81. 16 Vgl. Hoffmann et al. 1974. 17 Göpfert 2018, 126. 18 BFF 2005. 19 Trüby 2018, 172. 20 Wolfschlag 2019. 21 Pro Altstadt 2020. 22 BFF 2005.

23 Ebd. 24 Bei Betrachtung der vielen Initiativen, die sich in den letzten Jahren für den Erhalt der Nachkriegsmoderne einsetzen, muss diese Ansicht in Zweifel gezogen werden. Beispielhaft sei die Initiative zum Erhalt der Theater­doppel­ anlage von ABB Architekten am Willi-Brand-Platz genannt. 25 BFF 2005. 26 Göpfert 2018, 129. 27 Franz Frey, zitiert nach Göpfert 2018, 129. 28 Köhler / Mick 2005, 65. 29 Dreysse et al. 2006. 30 Stadtverordnetenversammlung 2007, 46. 31 Marquard 2015 [2003]. 32 Magistrat 2007. 33 Quiring 2018, 53. 34 Fischli 2018, 41. 35 Ruhl 2019. 36 Ebd. 37 Kracauer 1925, 43. 38 Vinken 2010, 10. 39 Ebd. 40 Vinken 2010, 165.

Adorno 2019 [1949] T. W. Adorno: Städtebau und Gesellschaft [1949], in: Theodor W. Adorno Archiv (Hg.): Theodor W. Adorno Nachgelassene Schriften. Abteilung V: Band 1, Vorträge 1949–1968 (Berlin 2019) 9–29.

Dreysse et al. 2006 D.-W. Dreysse / V. Hepp / B. Wissenbach / P. Bierling: Do­ku­ men­ta­tion Altstadt. Planung Bereich Dom-Römer (Frankfurt a. M. 2006).

BFF 2005 Freie Wähler Bürgerbündnis Für Frankfurt BFF: Antrag NR 1988, Technisches Rathaus: Den Abriß als Chance nutzen!, eingereicht ins Frankfurter Stadtparlament am 22.8.2005. Cachola Schmal / Sturm 2018 P. Cachola Schmal / P. Sturm (Hg.): Die immer neue Altstadt. Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900 (Frankfurt a. M., Berlin 2018). Dirks 1947 W. Dirks: Mut zum Abschied. Zur Wiederherstellung des Frankfurter Goethehauses, Frankfurter Hefte 8, 1947, 819–828.

Fischli 2018 M. Fischli: Mit der elektrischen Straßenbahn in die Altstadt. Ein neues Rathaus und Fassaden für die Braubachstraße, in: Cachola Schmal / Sturm 2018, 36–49. Göpfert 2018 C.-J. Göpfert: Die Altstadt. Ein politisches Lehrstück, in: Cachola Schmal / Sturm 2018, 124–133. Hoffmann et al. 1974 D. Hoffmann / A. Junker / P. Schirmbeck (Hg.): Geschichte als öffentliches Ärgernis, oder: Ein Museum für die demokratische Gesellschaft (Fernwald-Steinbach, Wißmar 1974).

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Köhler / Mick 2005 M. Köhler / G. Mick: »Ich will Frankfurt sein Herz zurückgeben«, Interview mit Petra Roth, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 305, 31.12.2005, 65.

Sturm 2018 P. Sturm: Der Wettbewerb Altstadtkern, 1950 und der Römer­ berg-Wettbewerb, 1951, in: Cachola Schmal / Sturm 2018, 74–81.

Kracauer 1925 S. Kracauer: Die Nichtexistenz der Altstadt. Eine philosophische Deduktion, in: B. Elkan (Hg.): Römer-Masken. Eine Festschrift phantastischer Satire und satirischer Phantasie (Frankfurt a. M. 1925) 43–44.

Trüby 2018 S. Trüby: Die Einstecktuchisierung verrohter Bürgerlichkeit. Wie Rechte in Frankfurt und anderswo alternative deutsche Geschichte zu rekonstruieren versuchen, in: Cachola Schmal / Sturm 2018, 168–175.

Magistrat 2007 Der Magistrat, Dezernat IV Planen und Wohnen: Vortrag des Magistrats an die Stadtverordnetenversammlung, M 112, Betreff: Neubebauung des Dom-Römer-Areals, eingereicht ins Frankfurter Stadtparlament am 20.6.2007.

Trüby 2019 S. Trüby: Eine ›Neue‹ Rechte gibt es nicht. Zur Architektur­ historiografie und -theorie der Rechten in Deutschland einst und heute, ARCH+ 235, 2019, 12–23.

Marquard 2015 [2003] O. Marquard: Zukunft braucht Herkunft (Stuttgart 2015). Nerdinger 2010 W. Nerdinger: Geschichte der Rekonstruktion. Konstruktion der Geschichte (München u. a. 2010). Pro Altstadt 2020 Pro Altstadt: Wiederherstellung. Unser Beitrag zur neuen Alt­ stadt, online: http://www.pro-altstadt-frankfurt.de/index.php/ wiederherstellung (21.6.2020).

Vinken 2010 G. Vinken: Zone Heimat. Altstadt im Modernen Städtebau (Berlin, München 2010). Vinken 2018 G. Vinken: Geschichte wird gemacht – es geht voran? Die neue Frankfurter Altstadt ist so banal wie fatal, in: Cachola Schmal / Sturm 2018, 160–167. Wolfschlag 2019 C. Wolfschlag: Falsche Fährte Bauhaus, 25.6.2019, online: https:// sezession.de/61323/falsche-faehrte-bauhaus (19.6.2020).

Quiring 2018 C. Quiring: Die totale Gesundung. Vom Umgang mit der Altstadt in Frankfurt am Main und Dresden in den 1920er und 1930er Jahren, in: Cachola Schmal / Sturm 2018, 50–63. Rittweger 2006 F. Rittweger (Hg.): Das alte Frankfurt. Fotos von Carl Friedrich Fay (Petersberg 2006). Ruhl 2019 C. Ruhl: »Die Nichtexistenz der Altstadt.« Zur Konstruktion historischer Räume im Neuen Frankfurt. Unveröffentlichter Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung: (Un)Sichtbare Städte. Vergegenwärtigung der mittelalterlichen Stadt im 20. und 21. Jahrhundert, gehalten am 5.11.2019, Goethe-Universität Frankfurt am Main. Stadtverordnetenversammlung 2007 Stadtverordnetenversammlung der Stadt Frankfurt am Main: Wortprotokoll über die 14. Plenarsitzung der Stadt­ver­ord­ne­ ten­versammlung am Donnerstag, dem 5. Juli 2007.

Abbildungsnachweis 1 Uwe Dettmar. 2 Aero-Lux, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, S7C 1998/6333, Aero-Lux. 3 Verlag Arthur F. Krüger, Hamburg. 4 D. Mangelmann, in: Cachola Schmal / Sturm 2018, 130. 5 li Carl Friedrich Fay, in: Rittweger 2006, 200. 5 re Historisches Museum Frankfurt, Ph 02965. 6 Carl Friedrich Fay, in: Institut für Stadtgeschichte Frank­ furt, S7A 1998/2566.

The Fortress of Suomenlinna, Helsinki Heritage Values and Participatory Management at a World Heritage Site

Oona Simolin

Outstanding Universal Value means cultural and/or natural significance which is so exceptional as to transcend national boundaries and to be of common importance for present and future generations of all humanity. As such, the permanent protection of this heritage is of the highest importance to the international community as a whole. UNESCO World Heritage Committee’s Operational Guidelines (2019, 20).

The Parties undertake to (…) take into consideration the value attached by each heritage community to the cultural heritage with which it identifies. Council of Europe Framework Convention on the Value of Cultural Heritage for Society (2005, article 12).

Shifts in heritage discourses and approaches are formed and reflected in documents and textual practices related to heritage. As the first quotation above demonstrates, the World Heritage initiative’s fundamental concept «Outstanding Universal Value» (OUV) reflects the idea of universal criteria defining sites of common importance. The second quotation is from the Council of Europe’s Framework Convention on the Value of Cultural Heritage for Society, better known as the Faro Convention. It regards heritage values as inherently diverse as each heritage community may valorise the same phenomenon differently. This document defines the heritage community as consisting «of people who value specific aspects of cultural heritage which they wish, within the framework of public action, to sustain and transmit to future generations».1 The contrast between the two quotations illustrates the two key continuums of heritage valorisation: the one between universal and particular objects of valorisation, and the other between the international community

and the local community who are to value the object. This chapter considers these continuums of the universal/international and particular/local through a case study in Helsinki, Finland: the Fortress of Suomenlinna, a UNESCO World Heritage site inscribed on the World Heritage List in 1991. Much of the previous scholarship in the field of heritage has approached the World Heritage initiative and its outcomes as a mode of global cultural production and cultural diplomacy. On the other hand, a body of literature examines the local effects of World Heritage inscription. Several of these studies demonstrate the challenges in fitting together the global heritage system and local realities.2 The disparities in local and global valorisation are a potential source for challenges in management, development, and conservation, emphasising the practical implications of the abstract-sounding term ‹valorisation›. The concept of value has been prevalent in heritage and conservation discourses since the early 20th century, serving as a rational means for diagnosing distinction and therefore justifying decision-making. During the post-war era, the conservation field developed value discourses and terminology by defining concepts such as ‹authenticity› and ‹significance›.3 ICOMOS Australia’s Burra Charter of 1979 is often mentioned as one of the starting points for this value-based paradigm.4 This paradigm rests on the concept of attributes, the qualities that express the value in question. Over the years, the valueled paradigm has also shifted towards societal

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questions of valorisation,5 thus broadening the notion of the attributes. For instance, the 2019 operational guidelines mention spirit and feeling, tradition and language as potential attributes of authenticity, but also remark that «attributes such as spirit and feeling do not lend themselves easily to practical applications».6 Expanding the scope of the attributes reflects how the paradigmatic shift toward societal values touches all strands of heritage and conservation as well as other strands of the social sci­ences and humanities. The Council of Europe’s Faro Convention and its definition of heritage community is an illustrative example of this approach. The convention regards heritage primarily as an intangible and inherently diverse asset rather than as a uniform and measurable phenomenon. The emphasis is put on community participation and engagement in managerial processes and encounters that may even turn heritage into a communicative process.7 Heritage policy researchers Luke James and Tim Winter have highlighted the need to critically examine not just the outcomes of international heritage organisations such as UNESCO, but also the interactional processes that produce the documents, conventions, or statements. In their 2017 article, James and Winter examine World Heritage Committee meetings as a venue for knowledge production. Their approach focuses on the processes and locales where actors create and exchange information and perform their roles in convergence with others.8 Similar modes of inquiry may provide new insights into valorisation processes that depend not only on their object, but also on human interaction. This line of thought also reflects the participatory model and the idea of seeing heritage-making as a communication process. Consequently, this chapter approaches the valorisation and interpretation of values in Suomenlinna by combining insights from the creation of a participatory management plan process and experiences from guided walking tours.

World Heritage and Heritage Values It is clear that values are fundamentally linked to the concept of heritage, as the choice to preserve is itself a value-laden act.9 The literature on the topic is wide and the roots of the value discussions reach far. Unlike values in philosophy or psychology, the values of heritage do not directly refer to ethics but to the qualities and significances of the object – whether they are tangible or intangible. Therefore, the discussion of heritage values has lingered on the question of what is valued as heritage. The attempt to simplify the diversity of valorised objects and to find a theoretical approach gave rise to value typologies at an early stage. Alois Riegl presented one of the earliest classifications in 1903. He divided the values into six categories: age value, historical value, commemorative value, use value, artistic value, and newness value.10 Since then, an array of typologies has strived to describe the diverse reasons for valorisation. One example of a value typology is OUV as used in the context of UNESCO World Heritage. Implementation of the World Heritage initiative’s mission to protect heritage that is «of outstanding interest and therefore need[s] to be preserved as part of the world heritage of mankind as a whole»11 required a concept to serve as a distinction mechanism. The OUV concept has developed much over the years, and the number of criteria against which the inscription is justified has expanded from six to ten. From 1970s onwards, the World Heritage community has debated the outstanding qualities and universality of values. The operational guidelines and other central documents have been modified to reflect the changing understanding of the concepts.12 The changes and refinements of OUV are intertwined with larger changes, where the concept of heritage has expanded to cover an increasingly diverse set of tangible and intangible things.13 For example, the current criterion (vi) is for properties that are «directly or tangibly associated with events or living traditions, with ideas, or with beliefs, with

The Fortress of Suomenlinna, Helsinki

artistic and literary works of outstanding universal significance».14 This criterion demonstrates that intangible heritage has become topical for two reasons. On the one hand, the intangible nature of all valorisation and the concept of heritage are now recognised. On the other hand, as Marta de la Torre – one of the advocates for value-based management approach – has noted, the array of values that are considered significant has expanded.15 The conventions and initiatives are now set to recognise not just aesthetic and historical, but also social and cultural values. In the history of World Heritage, the values became topical shortly after the Convention concerning the Protection of the World Cultural and Natural Heritage was born. An often-mentioned landmark is the Burra Charter adopted by ICOMOS Australia in 1979. This agreement paved the way for the future of value-based management and highlighted the role of local communities and the social significance heritage may have.16 Despite the official documents, it was not until the 21st century that the value-based approach gained momentum among conservationists.17 Several experts and institutions, such as the Getty Conservation Institute, have become advocates for the approach. The basic principle is that communities – or stakeholder groups, as they are called in the context of this model – value different aspects of heritage. The role of the heritage expert is then to identify all possible significances and values, find a balance between them, and ideally make the process of heritage management or conservation more open and democratic. The value-based approach seeks to answer many critical questions that have been posed in academia. For instance, in the context of archaeology, the turn towards communities gave rise to new forms of participation.18 Despite this, the value-based approach has received criticism. The approach recognises that the values of different stakeholder groups may be in conflict, but according to the critiques it does not give sufficient tools to prioritise values.19 Secondly, the

framework assumes there is a strong authority responsible for management and conservation. This kind of organisation may have several roles in value-based management: it can be one of the stakeholders, but also take the final managerial decisions. Thinking from the perspective of the Authorized Heritage Discourse (AHD), the strong presence of the authorities and expert discourses may illustrate the value-led process as something that is done to places rather than a process where the whole significance of a place is negotiated. 20 Consequently, management may focus overtly on preservation and managing only the physical aspects of the site. 21 A further risk may lie in (mis)‌identifying the values. While the different typologies are useful tools for theorisation or comparison between sites, the experts may approach the site from a top-down perspective, trying to find values that meet their existing understanding.22 In summary, the shift of focus to heritage values has proven to be an attractive model, and the turn to intangible qualities has left a tremendous print on heritage regulations and agreements. Moreover, this turn has been intertwined with developments in academia, such as the relatively recent birth of critical heritage studies where the fundamental role of the expert has been exposed and questioned.23 However, there is still a need to examine how the paradigmatic change and implications of theoretical approaches are applied on a local level.

The Fortress of Suomenlinna: Military Landmark, National Symbol, and a Recreational Space The Fortress of Suomenlinna is located on eight islands in front of Finland’s capital Helsinki (fig. 1). The construction of the fortress began in 1748 when the area now known as Finland was part of Sweden. The Swedish Empire had lost several wars to the Russian Empire and started to strengthen

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1  Suomenlinna is located on several islands. The city centre of Helsinki can be seen in the background.

its defence at the eastern border. It is noteworthy that in the 18th century Helsinki was a minor village that did not have political or strategic significance. Therefore, the rationale for the massive project was not to protect Helsinki, but the borders of the empire in general. The fortification system is based on bastions but, unlike in Central Europe, the bastions do not form a uniform star shape. Instead, they are adjusted to the natural environment. These features were also recognised by UNESCO in 1991 when the Fortress of Suomenlinna was inscribed in the World Heritage List. The inscription document claims that the fortress is an outstanding example of military architectural principles, and that it also possesses special characteristics. 24 The fortress continues to be a living heritage site with its 850 residents. The site is managed by the Governing Body of Suomenlinna, an organisation with approximately 80 permanent employees. This

management model is exceptional since the body operates under the Finnish Ministry of Education and Culture, not the City of Helsinki. The four units of the governing body organisation are responsible for renovation, maintenance, tourism management, and other tasks, demonstrating its exceptionally extensive authority in this part of Helsinki.25 What distinguishes the site from many other inhabited WH sites is the fact that most of the estates and apartments are owned and rented by the governing body, which also chooses its tenants, following certain guidelines. Despite its undeniable value as an architectural monument representing a certain phase in military history, the fortress is significant in several other ways. Firstly, the islands form a residential district of Helsinki with public services such as library, daycare centre, and elementary school. Secondly, the site’s value as a recreational area cannot be ignored. The fortress has been branded

The Fortress of Suomenlinna, Helsinki

as a tourist destination for domestic visitors since the early 1920s, although in that time it still served mainly as a military area. 26 This changed when the Finnish Defence Forces moved away from the islands in 1972, after which the recreational use of the fortress increased (fig. 2). Finnish visitors use the fortress for different purposes. Many visit it because of its historic and aesthetic values; the 18th-century bastions and the buildings from the Swedish (until 1808) and the Russian (1808–1918) eras are strikingly different from the empire-style centre of Helsinki City, which dates back only to the 19th century. The architectural values link together with the symbolic value that the fortress possesses as a materialisation of these historical periods. As a result of its historical and national values, the fortress has been examined to a great extent. Since 1970 the Finnish Heritage Agency – a governmental body

responsible for the preservation of Finland’s material history and heritage – has implemented 80 architectural-historical reviews and inventories in Suomenlinna. 27 The history and architecture of the site has been examined comprehensively, but this research has dismissed values that are intangible in nature. For example, the area is also important for offering recreation and opportunities for gatherings. However, the increasing tourism in Finland is reflected in the visitor profile: during 1997–2014, the share of international tourists rose from 17 to 57 %. Simultaneously, the proportion of Helsinki Metropolitan Area residents dropped from 65 to 30 %.28 This change evokes further questions about how this change reflects on public representations of values: that is, which values the managers choose to communicate and reproduce when a growing number of visitors are not familiar with the site.

2  The fortress has always been in military use, and a naval academy still operates in the area. The artillery on the sand walls date back to the Russian era in the 19th century.

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Values in Participatory Management Process The Operational Guidelines for the Implementation of the World Heritage Convention require that each nominated site has a plan or other documented management system that «must specify how the Outstanding Universal Value of a property should be preserved, preferably through participatory means».29 One may find this guidance somewhat inconsistent. The wording does not ask the site managers to reflect on values other than the OUV. Consequently, it does not encourage the managing bodies to evaluate potentially shifting or pluralising values. This contrasts with the fact that the guidelines recommend participatory tools for designing the plan, signalling a shift towards the ideology of value-based management and collaborating with various stakeholders. This conflict behind the seemingly brief wording is by no means surprising, and the friction between expert-defined OUV and the participatory paradigm has to be solved on the local level, in this case in the Fortress of Suomenlinna. The Governing Body of Suomenlinna began to develop a new management plan for the fortress in 2018. The previous management plan was effective from 2014 onwards, and was informed by the results of workshops with stakeholders such as other Finnish World Heritage sites, employees and officers from the governing body, Helsinki City and the Finnish Heritage Agency, representatives from a local university, and other stakeholders. For the scope of this chapter, the most interesting part of the management plan is the framing of values. The values are discussed in the management plan’s chapter that is titled Suomenlinna Fortress, a World Heritage site. The chapter begins with an introduction to the World Heritage initiative, and then moves on to the features and the OUV of the fortress. The plan describes the authenticity and integrity of the site from the World Heritage perspective as well as the management system and the officially defined buffer zone. The penultimate section, titled National Values, addresses briefly

other values than those incorporated in the OUV: those are the national scale historical value, value as a recreational and educational site, natural values, and the sense of community for the residents.30 As a whole, the heavy emphasis on the World Heritage concepts such as OUV, integrity, authenticity, and a detailed introduction of the buffer zone, connects the document closely to the framework of World Heritage. The next management plan process translated the words of the operational guidelines into deeds. The plan for 2020–24 was created in a four-step process that proceeds from mapping the past actions and the current situation to creating future guidelines, preparing the action plan, and finally, to monitoring the impact of the plan.31 Registration for management plan workshops was open to everyone, and the author participated in several workshops in 2018–19 as a member of a Living Suomenlinna research project.32 Other participants were mostly local active residents, entrepreneurs, and officials from organisations such as the Finnish Heritage Agency, Helsinki City, and the Governing Body of Suomenlinna. The whole process included approximately 30 workshops and the number of the participants in each occasion varied between 20 and 40. The topic of the first network meeting in 2018 was values. According to the management plan, the personnel had two further internal discussions about values. As in other workshops, the programme consisted of facilitated work in small groups and a talk held by a changing speaker. During the process, the workshop groups changed, which gave the opportunity to meet different people and hear their perspectives on changing topics. The different group dynamics led to diverse encounters and discussions. Behind the apparent openness of processes lies the fact that each individual arrives with very different motivations and past experiences: experts represent their organisations, which shapes their role in the event. For some, workshopping is a familiar method, and they have a clear message they hope to get through,

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3  The building of the dry dock began in 1750. Today, the facilities are used for repairing wooden boats.

while some may be present for curiosity or to meet friends. Winter and James highlight how the on-theground reality of a World Heritage Committee meeting constructs the expertise and finally shapes World Heritage policy. According to these writers, the participants’ existing networks and their social skills, together with command of institutional procedures, construct the expertise and the practice of governing.33 International cultural diplomacy and heritage governance is by no means fully comparable to local management. However, in a process that is ostensibly open to everyone, finer modes of power become even more important. Bringing together different stakeholders or opening the doors does not guarantee that all voices are present and equally heard. Nor does participation automatically lead into meaningful representation in the outcome.34 Therefore the procedural perspective may highlight the human side of the valorisation. The final outcome, the management plan for 2020–24, presents values in quite a different fashion from its predecessor. World Heritage and the OUV

is introduced in a single page titled The values of Suomenlinna as a World Heritage Site. WH-related content such as authenticity, integrity, and details of the buffer zone are described only later in the document, in the following section entitled Local values of Suomenlinna. Probably the most important distinction between the management plans is that the more recent plan describes local values extensively. It names four categories for local values: strong spirit of place, multilayered-ness and continuity, vibrant and versatile, and harmony and diversity.35 Each of these categories includes values that were mentioned in the workshop meetings. The plan connects the spirit of place to authenticity, whereas multilayered-ness and continuity refer to the historical layers and diverse uses that have partially continued throughout the history.36 The document refers to the residential buildings, but another intriguing example of continuing uses is the dry dock (fig. 3). Its effects to the landscape and soundscape of the fortress are significant for many, and the dock and its worker community is characteristic for many in Suomenlinna.

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The third value, vibrant and versatile, refers to the resident community and the uses that turn the islands into a living part of the city. The illustration of the page features a picture of two children, which associates the value with the ethical duty to preserve heritage for the following generations. The text states that «there is no desire to convert Suomenlinna into an outdoor museum».37 The fourth value pair, harmony and diversity, also links the historical values with social values by describing the fortress as a monument with permanent residents and services. The new uses and functions of the site are said to be considered from the perspective of balance between existing uses and values. Furthermore, the brief description continues: «Any changes implemented must ensure the preservation of cultural, historical, architectural and landscape values».38 The concept of preservation links the value of harmony and diversity back to the conservationist paradigm that emphasises tangible heritage and regards authenticity as a fragile and non-renewable quality.39 In this approach, evaluating the impact of any given action and defining harmony is a task that is left to the managing body. In conclusion, the four values or value pairs that complement the OUV appear vague on first impression. This is understandable as the participatory workshop resulted in tens of different values. The values were also different in nature: many of them referred to the qualities of the site such as the historical layers or the natural environment, whereas others named abstract values that are principles or goals. These included peace and the atmosphere, transparency, and integrating values with activities.40 This points to the general challenge pointed out by environmental psychologists Joseph Reser and Joan Bentrupperbäumer. They regard the current use of values as misleading as different professions and other stakeholders may locate the values in the object or in the human (inter)action.41 In the case of the management plan it seems that the shifting paradigm and shifting practices have led the management to consider the values as categories beyond the tangible.

Guided Tours as Value Dissemination As the analysis of valorisation demonstrated above, the current management plan extensively mapped local values and combined them into categories that are given emphasis in addition to the OUV. However, grasping the valorisation processes is not complete unless the values are not undermined on the level of practice. Outside workshops, expert meetings, and documentation, the values are negotiated and balanced in countless ways. Guided tours constitute one avenue for value dissemination. In Suomenlinna, the Ehrensvärd Society, the organisation responsible for interpretational activities, introduces the history of the fortress for domestic and international visitors. A fact worth mentioning is that the guides licensed by the society are the only ones officially allowed to run tour activities at the fortress. Based on collected materials,42 the guides are not entitled to follow a certain manuscript on their tours, but their routes often follow a similar path that tours around the Susisaari (‹Wolf Island›). This is where the oldest parts of the fortress and most of the bastions are located. This, like any other emphasis of interpretation, can be seen as valueladen: it highlights the historical value that valorises its object based on its age. Secondly, it reproduces the significance of certain places through displaying them. Showing and telling signals that the place or object is worth interpreting. Though the guides were ostensibly free to choose their approach to the place, the interpretation always occurs in relation to other tours and the narratives attached to the site. In the case of Suomenlinna, the emphasis of the observed tours strikingly followed much the historical narrative presented in the ICOMOS Advisory Body Evaluation that justified the inscription.43 It divides the history of the site into three periods – the Swedish, Russian, and Finnish eras – and emphasises the first period. The observed guided tours often mention the Russian era only briefly, and the island with buildings dating back to the Russian era is not included in the

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tour (fig. 4). This emphasis demonstrates the significance of age value in heritage tourism. It is often the oldest history that becomes interpreted the most, although visitors often showed interest in the current residents and services and in the history of Finland. Comparing the participatory management plan process and the observations from guided tours raises a question about the dissemination of values. Identifying values is only a starting point and the value-based paradigm, from which the current World Heritage recommendations also stem, requires a balance between values in all management phases. The observed tours did mention some facts about the residential community, the recreational use of the site, and the national values, but it was definitely the OUV and its attributions that formed the general framework for interpretation. World Heritage status verifies its own social and aesthetic value for the visitor, and verifies this with the authority given by the bodies behind it, namely the States Parties and UNESCO.44 This brings the question back to the tension between the universal and the local. If one or more values become more ‹sticky› through global recognition, and is supported by public representations and cultural diplomacy’s soft power, how can other values find space?

Conclusion Whilst the discussion of values has grown for decades, a growing body of scholars have recognised the potential pitfalls of the value-based paradigm, including the diverse definitions of values and emphasising expert-recognised values as they are seen to be more inherent than the local ones.45 Potential misunderstandings caused by sloppy use of the concept are one thing, but this case study points to another challenge: taking the diversity of values to all levels of management. The Operational Guidelines are an example of a case where the World Heritage initiative seeks

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4  Most of the visitors enter the fortress through the Jetty Barracks, (built in 1868–70), but the guided tours focus mostly on other parts of the fortress.

to simultaneously advocate for a participatory approach and maintain the position of the OUV as a primary value. As the excerpts from the World Heritage Convention and the Faro Convention presented at the beginning of this chapter demonstrate, a similar conflict exists between different agreements. In recent versions, the Operational Guidelines have encouraged the use of participatory strategies for preserving the OUV.46 The relationship between the OUV and other values as well as the methods and extent of stakeholder participation are solved on a local level. Emphasising the OUV may echo the fact that often experts, such as conservationists and archaeologists, are prone to highlight and protect the

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values attached to the tangible aspects of heritage.47 In the context of World Heritage, the values that receive the most recognition have traditionally been those appreciated by the international heritage community and the aesthetic and historical values regarded as nationally significant.48 However, questioning the existing beliefs on these macro-level values could serve several needs. Firstly, the conceptualisation of the tourist may limit what the site managers believe to be of interest.49 Displaying and interpreting a wide array of values would serve as a tool for engaging diverse visitors. Secondly, voicing the observed diversity supports the idea of collaborative management. If a certain aspect is valorised only by a small community, the value remains as a potential value until it is disseminated.50 Lastly, any change within an international initiative is a result of compromises, and the tensions between conflicting ideologies shape the

documents and agreements. The Fortress of Suomenlinna has been one of the pilot sites for Nordic World Heritage sites’ sustainable tourism programme,51 and it is among the first World Heritage sites to create the management plan by participatory means. The Governing Body has recognised the need to address the topic of values even though the official process has ended for now; the implementation programme includes a continued focus on the topic.52 In conclusion, the tension between expert-led valorisation and community-based approaches seems to be inevitable. The managerial processes may adopt new approaches and techniques for mapping values more easily than interpretation, where the OUV has been naturalised as the essential narrative through repetition. Therefore, adding new elements besides these most manifest values may need further implementation programmes.

1 Council of Europe 2005, article 2. 2 On post-inscription management challenges, see e.g. Della Lucia / Franch 2017; Jimura 2011; MacRae 2017. 3 Avrami / Mason 2019, 17. 4 Fredheim / Khalaf 2016, 467. 5 Avrami / Mason 2019, 18–19. 6 UNESCO World Heritage Centre 2019, 27. 7 Lähdesmäki 2019, 44. 8 James / Winter 2017, 37. 9 Lowenthal 2015, 27. 10 Riegl [1908] 1982. 11 UNESCO World Heritage Centre 1972. 12 For more on the development and practical applications of OUV criteria, see Jokilehto 2008. 13 Lowenthal 2015, 27. 14 UNESCO World Heritage Centre n. d. 15 de la Torre 2013, 157. 16 Díaz-Andreu 2017, 3. 17 Fredheim / Khalaf 2016, 467. 18 Díaz-Andreu 2017, 3. 19 Poulios 2010, 172–174. 20 Smith 2006, 93–94. 21 Poulios 2010, 173–175.

22 Kyriakidis 2020. 23 Critical heritage studies is thematically connected to postprocessual and community archaeology, new museology, and similar critical approaches. Probably the most influential work of the field has been Uses of Heritage (2006) by Laurajane Smith, which critically examines how the emergence of heritage and the expert discourses that construct it are interwoven with power and ideology. 24 ICOMOS 1991, 32. 25 Governing Body of Suomenlinna 2020d. 26 Eskelinen 2006, 28. 27 Veijola-Reipas 2008, 7. 28 Governing Body of Suomenlinna 2015, 19. 29 UNESCO World Heritage Centre 2019, 31. 30 Governing Body of Suomenlinna 2014. 31 Governing Body of Suomenlinna 2020a. 32 The Living Suomenlinna project (2017–19) mapped the ongoing changes in the fortress from the viewpoint of cultural heritage and landscape studies. 33 James / Winter 2017. 34 Mason / Avrami 2002, 22. 35 Governing Body of Suomenlinna 2020c. 36 Governing Body of Suomenlinna 2020c, 7–8.

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Governing Body of Suomenlinna 2020c, 9. Governing Body of Suomenlinna 2020c, 10. Poulios 2010, 179. Governing Body of Suomenlinna 2018. Reser / Bentrupperbäumer 2005, 140–141. The field materials for the project consisted of interviews with guides, tour participants and a tour planner and tour observations and recordings in regular English-speaking tours (2018–19). 43 ICOMOS 1991. 44 Gravari-Barbas et al. 2016, 3–4.

45 Reser / Bentrupperbäumer 2005; Bentrupperbäumer et al. 2006; Smith 2006; Poulios 2010; Fredheim / Khalaf 2016; Apaydin 2018. 46 UNESCO World Heritage Center 2019. 47 Bentrupperbäumer et al. 2006; Kyriakidis 2020, 104. 48 de la Torre 2013, 163. 49 Winter 2013, 183–184. 50 Kyriakidis 2020, 40. 51 For more on the project, see Nordic World Heritage Foundation 2014. 52 Governing Body of Suomenlinna 2020b.

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Image Sources 1 Photo: Super Otus / The Governing Body of Suomenlinna. 2 Photo: Riikka Huuskonen. 3, 4 Photo: Oona Simolin.

Gesellschaftliche Dynamiken und soziale Praktiken der Inwertsetzung

Werte, Wünsche, Utopien Die Inwertsetzung städtebaulicher Planungen seit den 1960er Jahren zwischen Interpretation und Projektion Stephanie Herold

Neuperlach ist schön. So lautet der Titel einer Pub­ li­ka­tion von Andreas Hild und Andreas Müsseler von der TU München, die 2018, pünktlich zum sied­ lung, 50. Jubiläum der Münchener Groß­ erschien.1 Obwohl sich der Band teilweise durchaus kritisch mit dem Postulat der Schönheit auseinandersetzt, ist der Grundtenor ein positiver:

Neuperlach, die größte Großsiedlung Deutsch­ lands (Abb. 1) und damit Vertreterin eines umstrittenen und bis vor nicht allzu langer Zeit geradezu verrufenen architektonisch-städtebaulichen Genres, wird nun selbst­be­wusst als gebaute (wenn auch nicht unbedingt in allen Details gelungene) Utopie der Nach­kriegs­zeit gefeiert.2

1  Neuperlach 2004.

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Einem ähnlichen Tenor begegnen wir in der Aus­ stellung Neue Heimat des Münchener Ar­chi­tek­tur­ professors Andreas Lepik und der Kuratorin Hilde Strobel zu den Bauten des Wohnungsbaukonzerns Neue Heimat.3 Die Ausstellung, die im Frühjahr 2019 an der Pinakothek der Moderne in München zu sehen war und anschließend im Museum für Hamburgische Geschichte sowie dem Deutschen Archi­tektur­museum in Frankfurt am Main, dokumentiert Aspekte der Geschichte der Wohnungs­ bau­gesellschaft Neue Heimat und ausgewählte Beispiele von Siedlungen, die unter ihrer Regie entstanden. Ziel ist zum einen eine historische Aufarbeitung, die darüber hinaus (zum anderen) mit einer dezidierten Aufwertung der so entstandenen Bauten und Strukturen verbunden ist. Auch hier werden die Ergebnisse des Bauens von den Ausstellungsmacher*innen als Utopien beschworen – diesmal, wie der Untertitel des begleitenden Aus­stellungs­katalogs hervorhebt, explizit als sozial­demokratische. Es scheint also, als würden wir Zeug*innen eines Wertewandels, in dessen Zusammenhang die (Groß-) Siedlung, in ihrer »uniformierte[n] Monotonie«4 von Alexander Mitscherlich bereits 1965 zum Feindbild erhoben, aktuell einer Revision unterzogen wird.5 Worauf bezieht sich aber dieser Werte­wandel, welche Werte wandeln sich, und woher kommt diese »neuen Liebe zur großen städte­baulichen Form«6, die der Stadtplaner Michael Koch bereits 2012 bemerkte?

Von Werten und Wünschen Bei genauerer Betrachtung lässt sich zunächst feststellen, dass der beschriebene Wertewandel vielerorts noch recht zaghaft und bei weitem nicht abgeschlossen ist und dabei gruppenspezifisch unterschiedliche Dynamiken entfaltet. Während sich im fachlichen Diskurs die Siedlungen und Groß­ strukturen der 1960er und 1970er Jahre eines steigenden Interesses erfreuen und inzwischen auch als potenziell denk­ mal­ würdig anerkannt sind,

zeigen die langen und oft schwerfälligen gesellschaftlichen Diskussionen um den zukünftigen Umgang mit einzelnen dieser Strukturen, dass über diese Wertschätzung keineswegs gesellschaftlicher Konsens herrscht.7 Schließlich ist die gesellschaftliche Konstruktion von Werten bzw. die Vorstellung, was als wertvoll wahrgenommen wird, immer abhängig von historischen und sozialen Kontexten.8 Da Gesellschaften jedoch aus heterogenen Gruppen zusammengesetzt sind, müssen die verschiedenen Wertvorstellungen zwischen diesen Gruppen immer wieder neu verhandelt werden. Die den Objekten zugeschriebenen Werte sind somit nicht als objekt­immanent zu verstehen, sondern als gesellschaftliche Zuschreibungen, die, wie Georg Mörsch es 2011 ausdrückte, »erst bei der Annahme (der ›Rezeption‹) dieses Gegenstandes als zeugnis­hafte materielle Überlieferung aus der Vergangenheit« entstehen.9 Wertungsprozesse beruhen damit aber auch auf Interpretationen der Vergangenheit in einem bestimmten Sinne. In dem Moment, in dem ich etwas als ›zeugnishaft‹ bewerte, nehme ich es als stellvertretend für eine Vergangenheit an, die ich sinnfällig interpretiere. So sind In­wert­set­zungs­pro­zes­se gleichzeitig Sinn­ stif­tungs­pro­zes­se, innerhalb derer eine Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und möglicher Zukunft konstruiert wird. Die Wahrnehmung dessen, was wir als zeugnishaft empfinden, steht in einem engen Zusammenhang mit unserem Blick auf die Gegenwart. Dies äußert sich auch im Rückgriff auf das ›Utopische‹ bei der Beschreibung von Architektur der 1960er und 1970er Jahre. Wie der Philosoph Dieter Thomä formuliert, »erfährt [man] aus ihnen [den Utopien, S.H.] oft mehr über gegenwärtiges Unglück als über zukünftiges Glück«.10 Analog dazu, so die These, sagen auch unsere Wert­vor­stel­lun­gen und -zuschreibungen in ihrer Interpretation der Vergangenheit oft mehr über aktuelle Wünsche und Bedürfnisse aus, als über die unterschiedlichen Vergangenheiten selbst. Die auffälligen Rekurse auf das Utopische der Architektur der 1960er und 1970er Jahre, insbesondere im Zusammenhang mit den hier im Vordergrund

Werte, Wünsche, Utopien

stehenden Groß­siedlungen, nimmt dieser Artikel zum Anlass, die Frage nach den Zusammenhängen zwischen In­wert­set­zungs­pro­zes­sen (also dem Erkennen von Werten in Objekten) und aktuellen gesellschaftlichen Zuständen, wahrgenommenen Defiziten und Wünschen zu stellen, um diese miteinander in Bezug zu setzen.11

Planungen als architektonische und gesellschaftliche Utopien? Architektur und Städtebau der 1960er und 1970er Jahre sind geprägt von einem optimistischen Gefühl, unterstützt, wenn nicht hervorgerufen, durch die lange Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Dies ging einher mit einem Vertrauen auf das technische Fortschreiten der Mensch­heit, das ständig neue Möglichkeiten eröffnet, die sich nicht nur auf das Bauen beschränkten – aber auch dort ihren Niederschlag fanden.12 Gleichzeitig ging es den Protagonisten und Ver­tre­ter*innen neuer architektonischer Stil­rich­tun­gen wie beispielsweise des Brutalismus nicht nur um das Schaffen einer neuen Ästhetik, sondern darüber hinaus um prinzipielle Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, was sich in einer neuen Herangehensweise an Architektur widerspiegeln sollte.13 Gepaart war dies mit einem Glauben an die Planbarkeit – städtebaulich und damit auch gesellschaftlich. Beides zusammen fand par excellence seinen Ausdruck im damaligen Wohnungsbau, wo in diversen Versuchen die Rationalisierung von Technik und Planung als Lösung für die Fragen des Wohnens herangezogen wurde. Der Wunsch nach einer zunehmenden Optimierung von Bauund Planungsprozessen führte so zu neuen architektonischen Konzepten und Maßstäben.14 Die Experimentierweise mit der Rationalisierung von Bauprozessen wurde als Grundlage möglicher Lösungen für das gesellschaftliche Problem des Wohnungsmangels betrachtet und so im Rahmen von De­mons­tra­tiv­bau­vor­haben gezielt politisch und finanziell gefördert. Diese seit den 1950er

2  Die Demonstrativbauvorhaben wurden begleitet von einer Publikationsreihe, die zu einer möglichst weiten Verbreitung der Erkenntnisse auf dem Gebiet der Rationalisierung beitragen sollten.

Jahren existierenden und seitens des Bundes finanzierten Projekte dienten »der praktischen Anwendung und Verbreitung der Erkenntnisse der Forschung auf dem Gebiet der Rationalisierung des Woh­nungs­baues«15 und sollten so einen Beitrag zur Qua­li­täts­steigerung von Bauten bei gleichzeitiger Minimierung der Kosten leisten (Abb. 2). Gleichzeitig sollten in diesem Rahmen innovative und idealtypische Lösungen für zeitgemäßes und sozial verträgliches Wohnen entwickelt werden. Auch die ästhetisch oft weniger bestechenden seriellen Bauten spiegeln so den Geist einer Zeit wider, die von der prinzipiellen Lösbarkeit gesellschaftlicher Probleme im Rahmen eines Prozesses wirtschaftlichen Wachstums und technischen Fortschritts ausging.

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Vorstellung von einem anderen Leben – Utopie als Dystopie und die Aufwertung der gründerzeitlichen Stadt

3  Die Monotonie der gründerzeitlichen Stadt, hier ein Beispiel aus der Blumenstraße in Berlin-Friedrichshain, dargestellt von Werner Hegemann 1929.

Durch ihre Realisierung unterscheiden sie sich natürlich grundsätzlich von Utopien im engeren Sinne.16 Utopien, die sich als meist statisch gedachte gesellschaftliche Gegenentwürfe und explizit als Alternativszenarien zu aktuellen gesellschaftlichen Strukturen generieren, sind in der Praxis nur schwer zu vereinen mit einem Reali­sie­rungs­ anspruch und der Vorstellung einer Gesellschaft, die sich durch sukzessiven Fortschritt stetig verändert. Demnach zeichnet sich die Utopie gerade durch ihre systemische Abgeschlossenheit und Un­zeit­lich­keit aus, die der Vorstellung eines stetigen Fortschreitens entgegensteht.17 Trotz des starken Ord­nungs­moments, das den Planungen innewohnt18, scheint sich der utopische Charakter der Bauten dieser Zeit erst retrospektiv zu generieren. Erst in ihrer Wahrnehmung als Relikte einer abgeschlossenen Zeitepoche werden die baulichen Zeugnisse dieser Zeit u-topisch – als Pro­jek­ tions­flächen aktueller Wünsche.

Zunächst gerieten die Planungen der 1960er und 1970er Jahre hingegen zunehmend in Misskredit. Das hatte verschiedene Ursachen: zum einen ein steigendes Bewusstsein für die »Grenzen des Wachstums«19, zum anderen technische und logistische Mängel, mit denen die Planungen in der Praxis konfrontiert waren. Gerade die großen Bauvorhaben litten stark unter den zähen Realisierungsvorgängen. So war es bei vielen Großsiedlungen problematisch, dass die verkehrliche und die soziale Infrastruktur viel zu spät oder nur teilweise ausgeführt wurden. Viele der Großprojekte waren so von Beginn an mit großen Herausforderungen konfrontiert, die nicht nur die Lebensqualität vor Ort minderten, sondern auch das generelle Misstrauen gegen neue Bauformen bestärkten.20 An ihre Stelle traten neue Vorstellungen und Konzepte, die nicht mehr den Fortschritt in den Vordergrund stellten, sondern sich am bereits Dagewesenen orientierten. So gewannen städtebauliche Strukturen an Wert, die lange Zeit in einer ähnlichen Weise in der Kritik gestanden hatten, wie es nun die Großprojekte taten. Architekturhistorisch steht Jane Jacobs’ 1961 erschienenes Buch The Death and Life of Great American Cities symbolisch für eine Kehrt­wende, die schließlich zu einem städtebaulichen Para­dig­ men­wechsel führte. Auch in der BRD wurde diese Diskussion geführt, die nicht nur den zeitgenössischen Städtebau, sondern auch die mit ihm in Verbindung gebrachten sozialen Verhältnisse prinzipiell in Frage stellte. Stellvertretend ist hier neben dem bereits erwähnten Werk von Mitscherlich der bild­gewaltig und suggestiv arbeitende Bild­band Die gemordete Stadt. Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum von Wolf Jobst Siedler, Elisabeth Nigge­meyer und Gina Angreß zu nennen. Die dort praktizierte polemische Gegenüberstellung von grün­der­zeit­lichen und spätmodernen Stadt­ elementen stellt Siedler im Vorwort selbst­bewusst und zugleich selbstkritisch als Produkt »reaktionären

Werte, Wünsche, Utopien

Frohmuts« und »ironischer Melancholie« dar – ist er sich doch als Kind seiner Zeit der Vorteile modernen Wohnens gegenüber den verschrienen Berliner Souterrainwohnungen durchaus bewusst. Sich gegen eine unreflektierte Idealisierung der gründer­zeitlichen Stadt verwahrend (wenn auch bildlich damit kokettierend), stellt er dennoch scharfsichtig fest, dass es gerade die spät­modernen Siedlungen sind, die eine »neue Sehn­sucht nach dem Häuser­meer geweckt« haben.21 Das Bewusstsein einer Provokation, das bei der Auseinandersetzung der Autor*innen mit gründerzeitlichen Stadt­struk­tu­ren zum Ausdruck kommt, beispielsweise, indem Siedler sich selbst der »Rück­ schritt­lichkeit« bezichtigt, verdeutlicht das Neue und Re­vo­lu­tionäre, das dieser Ansatz zu dieser Zeit mit sich brachte, in der ein Großteil der Pla­ne­r*in­ nen, wie oben gezeigt, Szenarien für die Zukunft entwarf. Selbst in architekturhistorischen Kreisen hatten es die in dem Band besungenen (Stuck-)Putti der Gründer­zeit schwer. So stellte Ernst Heinrich, Professor an der TU Berlin für Bau­geschichte und Bau­auf­nahme, den gründer­zeitlichen Gebieten der Stadt in einem im Jahr 1960 erschienenen Artikel ein eher schlechtes Zeugnis aus. In seinem Aufsatz über Die städte­bauliche Entwicklung Berlins seit dem Ende des 18. Jahr­hun­derts beklagt er die »ermüdende Ein­för­mig­keit« der Straßenräume22 und stellt erfreut fest, dass die Art zu planen, die zu diesen Ergebnissen führte, zum Glück aller Beteiligten inzwischen »als grundfalsch erkannt« worden sei.23 Dabei soll Ernst Heinrich hier explizit nicht in seinem fachlichen Urteil in Frage gestellt werden, sondern lediglich stellvertretend den damaligen – auch wissen­schaftlichen – Diskurs verdeutlichen. Heinrichs Einstellung zur gründer­zeitlichen Stadt scheint ambivalent, stellt er sich doch gleichzeitig gegen die groß­flächigen Entstuckungen der gründerzeitlichen Fassaden, zwar nicht aus prinzipieller Wert­schät­zung dieser Ge­stal­tungs­formen, aber in dem Bewusstsein, dass der Stuck einen wesentlichen Teil zur Proportionierung der Gebäude beitrug, und in der Erkenntnis, dass das, »was dabei heraus kommt, wenn man solche Häuser durch

Ab­schla­gen des Stucks ›modernisiert‹ und ›reinigt‹, […] fürchterlich« sei (Abb. 3).24 Mit seiner in diesem Fall in erster Linie ästhetisch argumentierenden Kritik an der gründerzeitlichen Stadt bzw. ganz konkret am gründerzeitlichen Berlin reiht sich Heinrich in eine lange Tradition ein. Spätestens mit der Festlegung des Plans zur Berliner Stadterweiterung im Jahr 1862 begann die Geschichte der Kritik daran. Die Themen dazu wurden gleich in den Jahren 1869/70 vom Berliner Stadt­ver­ord­neten und Statistiker Ernst Bruch durch eine Reihe von Artikeln in der Deutschen Bauzeitung gesetzt. Bruch kritisiert die mangelnde formelle Abwechslung des Plans, die er als »geistlos«25 abtut, sowie das kapitalistische System der möglichst großen Raumausbeutung, das durch die große Dichte der Bebauung zu hygienischen und sozialen Problemen führe. Diese Aspekte nimmt Werner Hegemann 1930 in seinem Steinernen Berlin auf26, dessen Kritik am Woh­nungs­bau der Gründerzeit stark rezipiert und bis weit in die 1960er Jahre und teilweise darüber hinaus ton­ angebend wurde. Dabei wird nicht nur die Sozial­kritik weitergetragen, sondern diese ist nach wie vor eng verzahnt mit einer ästhetisch basierten gestalterischen Kritik, die sich ebenfalls über die 1960er Jahre hinaus hält.27 Ein früher fachlicher Beitrag zur Aufwertung der Berliner Stadterweiterung des 19. Jhs. erschien hingegen 1965 in der Zeitschrift Bauwelt, verfasst von Jonas Geist (später Professor an der Berliner Akademie der Künste und zusammen mit Klaus Kürvers Verfasser des Grundlagenwerks Das Berliner Miets­haus28) und Dieter Huhn. Dort plädieren die Verfasser polemisch dafür, James Hobrecht als dem Verfasser des Plans ein Denkmal zu setzen, denn: »die Geschlossenheit der Bebauung ist das Signum der Stadt«29, und diese grundlegende und stadtkonstituierende Qualität schreiben sie den Gründer­ zeit­quartieren bzw. ihrer städtebaulichen Form zu. Bei genauer Betrachtung nimmt die gründerzeitliche Stadt in dem Artikel jedoch nur sehr wenig Raum ein. Es geht vielmehr um eine grundlegende Kritik an der damals praktizierten Flächensanierung und den damit verbundenen städtebaulichen

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Leit­bildern. Berlin wird – bezugnehmend auf das städtebauliche Konzept der Stadtlandschaft – in diesem Zusammenhang zu einem »von der Landschaft bedrohten Gebilde«30, verbunden mit einer Reduzierung von Stadt auf den Faktor Dichte und die soziale Ent­flech­tung im zeitgenössischen Städtebau. Erst vor diesem Hintergrund wird das Berliner »Miets­haus­viertel« (man beachte: nicht mehr die »Miets­kaserne«) zum Ort, an dem »der Glanz und das Elend des Jahrhunderts sich ausdrücken konnten«31. Und so, ganz ähnlich wie Siedler es in seinem einige Jahre zuvor erschienenen Band feststellt, gewinnen erst durch die Unzufriedenheit mit zeitgenössischen Gestaltungslösungen der Block und die Block­rand­bebauung an Wert. Die Denkmalpflege profitierte zunächst von diesem Paradigmenwechsel, wobei das Denkmal­ jahr 1975 als ein Höhepunkt dieser Entwicklung betrachtet werden kann. Die hier stattfindende emblematische Gegenüberstellung von Altstadt und Moderne32 diente in erster Linie der Auf­wer­ tung historischer Strukturen. Die damit zwangsläufig einhergehende Abwertung zeitgenössischer Architektur wird heute als Nebeneffekt dieser Auf­ wer­tungs­debatte bedauert, gerade auch in denkmalpflegerischen Kreisen, die nun den inzwischen festgestellten Wert ebendieser Architekturen vermitteln müssen.33 Michael Petzet, der damalige General­kon­ser­ va­tor am Bayerischen Landes­denk­mal­amt, zeichnet in seinem Vorwort zum 1975 erschienenen Aus­stel­ lungs­katalog Eine Zukunft für unsere Vergangenheit das Bild einer bedrohten Denk­mal­land­schaft bzw. der bedrohten historischen Stadt, die er der »lebens­ gefährlichen Utopie« des freien Spiels der schöpferischen Kräfte ausgesetzt sieht.34 Die für Petzet relevanten städtebaulichen und gesellschaftlichen Werte, zu denen er »soziale, […] psychologische und medizinische Aspekte unseres Lebens«35 zählt, werden aus seiner Sicht durch einen anderen Typus vertreten: den der historischen Stadt, die so zu »einem Modell für die Zukunft«36 wird. Der Fortschritt und seine Ausdrucksformen scheinen in dieser Zeit ihren Reiz verloren zu haben. Stattdessen werden

gesellschaftliche Wünsche und Vorstellungen nicht mehr in die Zukunft verlagert, sondern analog zu einer imaginierten Vergangenheit konstruiert. Tatsächlich stellt dies keinen Trend dar, der sich lediglich auf städtebauliche Phänomene reduziert. Vielmehr fügt sich der dargestellte Wandel in der Wertschätzung städtebaulicher Strukturen in die zeitgenössischen Diskurse ein: Beispielsweise bringen Peter L. Berger, Brigitte Berger und Hansfried Kellner 1975 in Das Unbehagen in der Modernität37 die wahrgenommene gesellschaftliche Entfremdung in Verbindung mit den modernen Rationalisierungsprozessen, und Ronald Inglehart setzt sich in The Silent Revolution (1977)38 explizit mit dem Thema des Wertewandels im spätindustriellen Zeitalter auseinander. Passend dazu geriet auch die Idee der Utopie als imaginäre gesellschaftliche Vorstellung seit den 1960er Jahren zunehmend in die Kritik.39 Bereits 1962 hatte der Autor Chad Walsh festgestellt, dass es zwei Gründe für den Niedergang von Utopien gebe: entweder das Scheitern der Utopie oder das Erreichen ihrer Ziele. Er stellt dabei fest, dass viele der Dinge, die lange Zeit als utopisch galten, im 20. Jh. verwirklicht wurden.40 Auch wenn der Kulturwissenschaftler Stephan Meyer dieses Beschwören eines Endes der Utopie entsprechend bis in die 1960er Jahre zurück verfolgt41, gab es doch eine erkennbare Konjunktur dieses Denkens zum Ende des 20. Jhs.. Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 als historische Zäsur trug auf gleich zweierlei Wegen dazu bei, utopische Entwürfe in Frage zu stellen. Einerseits nahm der Historiker Francis Fukuyama in seinem 1992 erschienenen Grundlagenwerk End of History den Zusammenbruch des Kommunismus zum Anlass, den existierenden Liberalismus als »final form of human government«42 darzustellen und so die Möglichkeit zur Imagination einer besseren Welt als der aktuell existierenden prinzipiell in Frage zu stellen. Andererseits rückte die Auseinandersetzung mit dem nun gescheiterten Kommunismus die dunkle, repressive Seite der Utopie stärker ins Bewusstsein, die diese

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als gesellschaftliches Ordnungssystem potenziell immer in sich trägt. Utopisches Denken wird so zur potenziellen Gefahr, ist bestenfalls naive Selbsttäuschung, schlimmstenfalls manipulativ und ideologisch.43 Die Aufwertung der gründerzeitlichen Stadt vom steinernen, monotonen Moloch zum Inbegriff städtischen Lebens, das vor den »lebensbedrohlichen Utopien«44 einer aus dem Ruder gelaufenen Moderne gerettet werden musste, lässt sich also in einem Umfeld ansiedeln, in dem sich aufgrund zeitgenössischer Umbrüche die Vorstellungen einer idealen Zukunft grundsätzlich änderten. Der Fort­schritts­gedanke, der den architektonischen Groß­projekten der 1960er und 1970er Jahre innezuwohnen scheint und der ihnen in der heutigen Rezeption die Zuschreibung des Utopischen einträgt, verschwand mit dem gesellschaftlich proklamierten Ende der Utopien zunehmend, was Einfluss nicht nur auf das zeitgenössische Bauen, sondern auch auf die Rezeption der vorhandenen Strukturen hatte.

Der Wert des Utopischen – Retrotopia und die Sehnsucht nach neuen Utopien Etwa seit Beginn der 2010er Jahre gewinnt die Architektur der 1960er und 1970er Jahre jedoch wieder an Attraktivität, insbesondere die Siedlungen und Groß­strukturen.45 Stellvertretend lässt sich hier auf die beiden Themenhefte von ARCH+ (Planung und Realität. Strategien im Umgang mit den Groß­ siedlungen, 2011)46 und der Bauwelt zur Berliner Gropius­stadt (2013)47 verweisen. Einen vor­läufigen Höhepunkt erreichte die Diskussion um Bauten der 1960er und 1970er Jahre mit der öffentlichkeitswirksamen Ausstellung SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster am Deut­schen Ar­chi­tek­tur­mu­seum in Frankfurt im Jahr 2017.48 Bereits in dem Editorial der Bauwelt zur Gropius­ stadt geht die Autorin Brigitte Schulz der Frage nach, warum sich hauptsächlich junge Menschen (und nicht nur Architekt*innen, wie sie betont)

zunehmend für die Bauten dieser Zeitschicht interessieren.49 Ihre These liegt darin, dass die dort anzutreffenden städtebaulichen Formen »fern der reibungsarmen Harmonie der historischen Stadt neue Reize und Denkanstöße« böten.50 Die spezifische Ästhetik der Strukturen, die sich klar vom scheinbar positiven – jetzt zu positiven – Image der historischen Stadt absetzen, tragen so ihrer Meinung nach einen wichtigen Teil zu ihrer Wertschätzung bei. Oliver Elser bringt diesen Gedanken im Begleit­ katalog zur Ausstellung SOS Brutalismus auf den Punkt, unter der Fragestellung »Just what is it that makes Brutalism today so appealing?«. Den Grund dafür sieht er in der besonderen Rhetorik, also Aus­drucks­stärke der Gebäude als »heroischkünstlerische Architektur«, woraus er gleichzeitig die Definition für sein Verständnis von Brutalismus ableitet.51 2018 erschien Sonja Hnilicas Buch über Groß­ struk­ tu­ ren der 1960er und 1970er Jahre unter dem Titel Vom Glauben an das Große in der Architektur. Auch hier wird, wenn auch mit leichter Verschiebung, das Heroische, das Beeindruckende, Vor­wärts­ge­wand­te wieder aufgenommen, das momentan mit der Rezeption dieser Bauten verbunden wird.52 Dies zeigt sich auch in diversen Artikeln, die dieses Thema wieder aufgreifen und nicht selten lokale Siedlungen nun als (wenn auch gescheiterte) Utopien darstellen (Abb. 4).53 Es scheint, dass hier eine neue Sehnsucht nach dem Utopischen zum Ausdruck kommt, die die Kehrseite einer konstatierten Nostalgiewelle unserer Zeit ist54, unter der man auch die Rückbesinnung auf historische Stadtformen einordnen könnte. Nicht zu Unrecht sah Norbert Huse diesen Trend bereits 1984 in der »moderne[n] Rückprojektion eigener Wünsche« begründet, die die »erfahrene ästhetische Harmonie« alter Stadtstrukturen in Verbindung bringt mit einer angenommenen sozialen Harmonie.55 Zygmund Baumann sieht in diesen nostalgischen Rückprojektionen eine Reaktion auf eine als unzulänglich empfundene Gegenwart, eine »verzweifelte[n] Sehnsucht nach Kontinuität in einer fragmentierten Welt«56, und prägt für dieses Phänomen den Begriff der Retrotopie. Diese

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4  Bereit für das Leben in einer gebauten Utopie? Neue Bewohner in Berlin-Marzahn, 1980.

Retrotopien sind im Gegensatz zu Utopien nicht mehr in die Zukunft orientiert, sondern speisen sich aus einer »untoten Vergangenheit«. Baumann setzt sie implizit in Zusammenhang mit der oben beschriebenen These vom Ende der Utopien, für das er den Zeitpunkt bestimmt, »als die alten Ängste in Vergessenheit geraten waren«57. Auch der Historiker Rutger Bregman siedelt das Ende der Utopien in einer Zeit des sozialen und wirtschaftlichen Wohlstands an und konstatiert (in Anlehnung an Fukuyama), es gäbe »keinen neuen Traum, durch den wir sie [die Welt, S.H.] ersetzen könnten, weil wir uns keine bessere Welt als die vorstellen können, in der wir heute leben«.58 Freilich verbindet er diese Feststellung mit einer grundsätzlichen Kritik an dieser von ihm konstatierten Utopie­losigkeit.59 Es ist ja durchaus nicht so, als gäbe es angesichts aktueller Problem­stellungen – vom Klima­wandel bis zum Wohnungs­mangel – nicht das Bedürfnis nach innovativen und eventuell utopischen Lösungs­ansätzen.

Der Begriff der Utopie, der im aktuellen Archi­tek­ tur­diskurs wiederkehrend bemüht wird, beinhaltet schließlich nicht nur die heroische Form, sondern auch die gesellschaftliche Vision. Maren Harnack brachte bereits 2012 die »Rückkehr der Wohn­maschinen«60 mit Entwicklungen auf dem engen Wohnungsmarkt in London in Verbindung. Tatsächlich scheint die Wertschätzung insbesondere der Großsiedlungen unter anderem mit aktuellen Problemen auf dem Wohnungsmarkt zusammenzuhängen, die den groß angelegten und staatlich geförderten Bau von Sozialwohnungen und Wohnungen im unteren Preissegment rückblickend als geradezu wahnwitzige, bewundernswerte und mutige Utopie erscheinen lassen. Die Wertschätzung dieser Siedlungen – trotz der mitunter erkennbar vorhandenen städtebaulichen und sozialen Problematiken – steht somit in Zusammenhang mit einem Mangel an Vor­stel­ lungs­kraft, wie aktuell sozial verträglicher Woh­ nungs­bau in der Stadt geschaffen werden könnte. So bekommen diese Siedlungen trotz oder gerade wegen ihres Scheiterns einen Modell­charakter als Blaupause für mutige Ideen in schwierigen Zeiten. Entsprechend schließt Oliver Elser seinen Beitrag im Band zu Neuperlach mit einem emphatischen Appell: »Jetzt wäre es an der Zeit, darüber hinaus zu gehen und die Frage zu wagen, ob die großen Wohnstädte wie Neuperlach nicht darauf warten, mutig zu Ende gebaut zu werden. Um zu dem zu werden, wozu sie immer gedacht waren.«61 Die Untersuchung wechselnder Wert­zu­schrei­ bungen an Architektur zeigt, wie sehr unsere Wahr­ nehmung der Gegenwart, Erwartungen an die Zukunft und Interpretationen der Vergangenheit zu­sam­men­hängen. Die Konstruktion von Sinn­haf­ tig­keit bewegt sich somit in einem Span­nungs­ feld zwischen diesen drei Zeitebenen, in dem sich auch scheinbar so widerstreitende Emotionen wie Nostalgie und Zukunfts­euphorie verbinden können. In einem Artikel in der FAZ vom 16. Mai 2020 setzt sich der Feuilletonist Niklas Maak mit dem 2018 erschienen Frankfurter Archi­tektur­führer zu Bauten der 1970er Jahre von Wilhelm Opatz auseinander.62

Werte, Wünsche, Utopien

Das von ihm positiv besprochene Buch siedelt er genau in dem oben beschriebenen Spannungsfeld zwischen nostalgischer Rückwärtsgewandtheit und impliziter Sozial­kritik an: »Liest man die Texte, wirkt dieses bemerkenswerte Buch nicht nur wie ein Nostalgie­album einer untergegangenen architektonischen Zu­kunfts­euphorie, sondern zugleich auch wie ein Schlüssel zu Fragen, die sich angesichts der aktuellen Wohnungsmisere heute fast

genauso aufs Neue stellen.«63 In diesem Sinne könnte man die Wiederentdeckung städtebaulicher Groß­strukturen irgendwo ansiedeln zwischen Zygmund Baumanns resigniertem »Retrotopia« eines post-utopischen Zeitalters, in dem sich die Protagonisten quasi parasitär vergangener Utopien bemächtigen, und einem beherzten »Zurück in die Zukunft« – wobei diese Zukunft immer besser werden soll, als sie jemals war.

1 Hild / Müsseler 2018. 2 Vgl. dazu den Untertitel der Publikation Zum 50. einer gebauten Utopie. 3 Lepik / Strobl 2019. 4 Mitscherlich 1965, 41. 5 Zu Recht weist Klaus Jan Philipp dabei darauf hin, dass Mitscherlich keineswegs prinzipiell gegen Groß­sied­lun­ gen war (war er doch selbst teilweise auch in Projekten beratend tätig), sondern sich lediglich gegen spezifische Formen aussprach. Vgl. Philipp 2011, 43. 6 Koch 2012, 7. 7 Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das lange Ringen um den Erhalt des ICC in Berlin oder auch an aktuelle Bestrebungen zum Erhalt des sog. »Mäusebunkers« (vgl. dazu Klack / Torkar 2020). 8 Vinken 2014, 19. 9 Mörsch 2011, 21. 10 Thomä 2011, 111. 11 Da sich diese Prozesse der Inwertsetzung immer in spezifischen gesellschaftlichen und politischen Kontexten abspielen, fokussiert dieser Text in der Zeit bis zur Wende in erster Linie beispielhaft auf die Situation und den Diskurs in der BRD. Zwar lassen sich aktuell ähnliche Tendenzen auch für Großstrukturen und Siedlungen der DDR-Zeit finden (vgl. Anm. 53), diese beinhalten aber durch ihren Charakter als Zeugnisse eines nicht mehr existierenden Staates meist auch noch andere In­ter­pre­ ta­tions­ebenen. 12 Stellvertretend sei hier auf die Mondlandung 1969 als Höhepunkt und Sinnbild eines Gefühls des »anything goes« verwiesen. 13 Vgl. Banham 1966, 10. 14 Vgl. Langenberg 2006, 5. 15 Achterberg / Richter 1976, 9. 16 So könnte man sie höchstens als utopische Momente im Sinne der Philosophin Ágnes Heller verstehen, also als Versuche, die bestehende Welt aktiv zu verbessern. Vgl. dazu Herold 2018, 125.

17 Zum Unterschied zwischen Utopie und Fortschrittsglaube s. auch Thomä 2011, 109–111. 18 Zu Recht weist Wilfried Lipp 1987 darauf hin, dass es sich bei Utopien immer auch um gesellschaftliche Ordnungskonzepte handelt. Vgl. Lipp 1987, 90. 19 1972 wurde der entsprechend bezeichnete Bericht vom 1968 gegründeten Club of Rome vorgestellt. 20 Gleichwohl sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass die Anwohner ihr Lebensumfeld oft durchaus positiv wahrnahmen und -nehmen, die negative Perspektive, bei allen tatsächlich vorhandenen sozialen Problemen, in ihrer Pauschalität damit also oft auch eine Außenperspektive darstellt. Vgl. dazu beispielsweise die Ergebnisse der qualitativen Sozialforschung in der Großsiedlung Heuchelhof in Würzburg (Würzburg Heuchelhof 2002, 94–105) oder auch Müsseler 2018, 553. 21 Siedler 1978 [1961], 7. 22 Heinrich 1960, 213. 23 Heinrich 1960, 214. 24 Heinrich 1960, 215. 25 Bruch 1870, 151. 26 Hegemann 1988 [1930]. 27 So hebt die Architekturhistorikerin Charlotte Pape noch 1980 den »charakteristischen Eindruck der Monotonie« der geradlinigen Straßenzüge im Prenzlauer Berg als negativ hervor, eine Charakterisierung, die heute wahrscheinlich eher selten anzutreffen ist (Pape 1980, 348). 28 Geist / Kürvers 1984. 29 Geist / Huhn 1965, 704. 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Vgl. dazu die Ausstellung Eine Zukunft für unsere Ver­gan­ genheit und den begleitenden Katalog. 33 S. dazu z. B. Meier 2005, 4–5. 34 Petzet 1975, 7. 35 Ebd. 36 Petzet 1975, 14. 37 Berger et al. 1975.

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38 Inglehart 1977. 39 Die Soziologen Rolf Eickelpasch und Armin Nassehi warnen in diesem Kontext jedoch davor, verkürzend von einem »Ende der Utopie« zu sprechen, mache doch schon »ein flüchtiger Blick auf die Geschichte des Utopie­begriffs […] deutlich, daß es weder einen einheitlichen Utopie­ begriff noch ein utopisches Zeitalter jemals gegeben hat.« (Eickelpasch / Nassehi 1996, 7) Diskurs­analytisch macht die Auseinandersetzung mit Begriffs­konjunkturen hingegen durchaus Sinn. 40 Chad Walsh: From Utopia to nightmare, 1962, zit. nach Meyer 2001, 21. 41 Vgl. Meyer 2001, 21. Darüber hinaus legt Meyer in seiner Arbeit dar, dass die Idee von einem Ende der Utopie eine ähnlich lange Geschichte hat wie die der Utopie selbst. 42 Fukuyama 1992, XI. 43 Der Politologe Johano Strasser spricht hier kritisch von einer »generalisierende[n] Denunzierung der Utopie« (Strasser 2005, 8). 44 Petzet 1975, 7, s.o. 45 Die Architektin und Architekturhistorikerin Maren Harnack beruft sich bei der Überprüfung dieser Zeiten in ihrer Arbeit auf Zeitungs- und Zeitschriftenartikel aus diesem Zeitraum (Harnack 2012, 11). 46 ARCH+ 2011. 47 Bauwelt 2013. 48 Vgl. dazu den dazugehörigen Katalog Elser et al. 2017.

49 Gleichzeitig betont die Autorin jedoch auch, dass ein Großteil der öffentlichen Wahrnehmung insbesondere die Groß­siedlungen der Zeit nach wie vor ablehnt und als lebensfeindlich und unsozial stigmatisiert. Vgl. Schultz 2013, 15. 50 Ebd. 51 Elser 2017, 19. 52 Hnilica 2018. 53 Vgl. dazu beispielsweise den Artikel über Hamburg Steilshoop (Eine Utopie, in Beton gegossen) aus dem Hamburger Abendblatt vom 25.5.2019 (Iken 2019) oder die selbstbewusste Darstellung Marzahns als »Utopie in Beton« auf der Seite Visit Berlin, https://www.visitberlin. de/de/event/utopie-beton (25.5.2020). 54 So stellte die Literaturwissenschaftlerin Swetlana Boym 2001 fest, dass die futuristischen Utopien vom Beginn des 20. Jhs. sich zu dessen Ende in eine nostalgische Rück­ wärts­gewandtheit gewandelt hätten, vgl. Boym 2001, XIV. 55 Huse 1996 [1984], 213. 56 Baumann 2017, 10. 57 Baumann 2017, 13–14. 58 Bregman 2019, 18. 59 Ebd. 60 Harnack 2012, 14. 61 Elser 2018, 569. 62 Opatz 2018. 63 Maak 2020, 13.

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Abbildungsnachweis 1 2 3 4

Wikimedia Commons gemeinfrei. Bild: Stephanie Herold. Hegemann 1929, Nr. 311 und Nr. 316. ddrbildarchiv.de/Manfred Uhlenhut.

Scale Matters Political Dynamics of Urban Conservation

Mesut Dinler

The history of how cultural heritage is defined and managed may seem to present a linear narrative, which usually starts with movable archaeological artefacts and continues chronologically in addressing a larger set of objects, including movable archaeological artefacts, immovable architectural monuments, areas/sites, cities, landscapes, and intangible cultural legacies. According to this narrative, the idea of cultural heritage is rooted in the early-modern interest in antiquities, developed ideologically and politically in the context of the French Revolution, scientifically framed by Violletle-Duc and his European contemporaries, and in the aftermaths of wars, covering a larger cluster of cultural products, including cities and landscapes.1 Such narratives confirm that cultural heritage is a product of modern history. For more than three decades, approximately since David Lowenthal published his important work The Past is a Foreign Country,2 it has been evident that cultural heritage, in addition to this chronological narrative, operates within a complex set of power dynamics at local, regional, national, and international levels. Pierre Nora’s monumental project on France,3 in which all elements of the French national past are deconstructed and analysed in depth through critical scholarly lenses, is one of the major works that investigate this complexity. Lieux de memoire (places of memory), as described and exemplified in Nora’s work, frames crucially important elements in discussing how history differs from memory through space. This scholarly critical understanding reveals that cultural heritage is a product of complex

economic, societal, and political dynamics. In line with such a framework, discussion of the multiple layers of «values» and «value attributions» requires a consideration of the impact of such dynamics. This article aims at contributing to this volume from the point of view of «scale», discussing how historic cities have come to be conceived of as objects that need to be preserved and passed on to succeeding generations.

The «Scale» of Cultural Heritage According to Françoise Choay, the idea of conceiving historic cities as «an object of historical knowledge» developed as a reaction against the traumatic change that the Industrial Revolution provoked in cities.4 Therefore, even though a certain tendency to separate historic cities from the contemporary city has existed ever since Ildefons Cerdà used the word «urbanisation» in his Barcelona plan, «the notion of urban historic heritage took shape in contradistinction to the dominant process of urbanization».5 The notion of «urban heritage» has developed in the last century parallel to and in reaction against the development of urbanisation practices.6 Some key moments in this process are found in John Ruskin’s writings,7 Camillo Sitte’s City Planning According to Artistic Principles (1889), Gustavo Giovanni’s projects and ideas,8 and CIAM’s modern urban planning principles outlined at the 1933 Athens conference. Nevertheless, attempts to generate policies and legislation specifically targeting the conservation of historic cities only

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emerged within the changing socio-political context of the post-war world. Apart from the planned brutal destruction of cities during World War II, the industrialisation-triggered changes in cities (migration flows, road construction, infrastructure investments, etc.) were instrumental in the emergence of such a need to safeguard historic cities.9 As mentioned earlier, since the 1980s, especially in the Anglo-Saxon academic world, a critical understanding reframed cultural heritage as the uses of the past in the present, underlining that cultural heritage consists not only remnants of the past but is also an actor with an impact on contemporary societal dynamics. In terms of urban conservation, these dynamics are embedded within the process of selecting a collection of urban resources within a designed boundary, calling it «urban heritage», and generating tools for the preservation of this heritage. This practice of urban conservation has political underpinnings and operates through a set of complex dynamics. It is the aim of this paper to investigate these dynamics. By presenting a case study from Turkey, the author will argue that defining the scale of what is to be preserved depends on national and international political, sociocultural, and economic dynamics.

The Emergence of Urban Heritage in Turkey In Turkey, the concept of cultural heritage emerged in the 19th-century Ottoman world with the modernisation of the Ottoman state, a process that changed almost all aspects of society from the military to fashion, from urban planning to women’s role in society. Reforms in the field of culture were among these changes, which included the first attempts of the Ottoman archaeological campaigns to collect, preserve, and present antiquities as well as setting the legal framework for these activities. By adapting to European interest in archaeology, the late Ottoman state gradually enlarged its authority over archaeological activities through the establishment of the Imperial Museum (Müze-i

Hümayun) in 1869, accompanied by a set of legislative arrangements (Asar-ı Atika Nizamnameleri) promulgated from 1869 to 1906. These efforts can be evaluated both as a reaction against the threats of European colonialism and as an attempt of the late Ottoman ruling elite to form a national identity linked with Europe by emphasising the archaeological resources of the Ottoman lands.10 After the Ottoman Empire lost World War I and the modern Turkish Republic was founded in 1923 following the Turkish Independence War (1918–1922), cultural heritage was again a vital instrument in transforming the society of a centuries-old Islamic monarchy into a modern, secular state. Gaining a distance from the Ottoman past and delineating Islamic activities in favour of a secular state became possible by establishing new institutions for investigating Turkish history through archaeological research. The main outcome of this research was «Turkish History Theory», which suggested that the roots of the Turkish nation dated back to the Sumerians and Hittites, and that it was the Turks who spread civilisation to Europe and other parts of the world through migration waves.11 As one can easily conclude, while the young republic was eager to forget the Islamic Ottoman past, it was a struggle to manage the material evidence that the empire had left behind. Accordingly, several commissions were formed in this period for the management of Ottoman edifices.12 In a way Ottoman memories were not completely rejected but rather regulated in the minds of individuals. Since «memory attaches itself to sites, whereas history attaches itself to events»,13 the restoration of Ottoman monuments would produce an «event» which would eventually help the republic generate Ottoman «history».14 In other words, cultural heritage was an instrument for the republic to imagine the Turkish nation in the way that Anderson defines the nation as «an imagined political community», created with a feeling of unity to form a powerful product (nation) for which individuals could even sacrifice themselves.15

Scale Matters

As the late Ottoman period and the early republican period consciously shaped attitudes towards cultural heritage and developed the necessary management tools such as expert commissions, inventories, and legislation, the notion of urban heritage continued to be a reaction against deliberate efforts to encourage urbanisation as part of a larger modernisation package. Indeed, discussions about historic sites arose both during the late Ottoman urban operations that replaced organic streets of cul-de-sacs with Haussmann-influenced grid patterns, and in relation to Istanbul’s master plan in the early republican period prepared by Henri Prost in a piecemeal fashion in the 1930s and implemented throughout the 1940s. Nevertheless, a conscious effort to define urban heritage and generate the necessary tools for its management emerged only following the attempts to emulate European heritage developments within the political context of the Cold War. Especially after the 1960 coup d’état, experts, intellectuals, and university professors played an important role in adapting these developments in Turkey. The High Council for Immovable Historic Works and Monuments (HC; Gayrimenkul Eski Eserler ve Anıtlar Yüksek Kurulu) was founded in 1951 with a brief eight-article law declaring the foundation of a scientific committee that would deal with architectural and historic monuments in the country. The first article outlined the function of this new committee: Article 1: the High Council of Monuments is established under the Ministry of Education to determine the principles to be obeyed for the preservation, maintenance, repair, and restoration works and related programs on all the architectural and historic monuments in the country; to follow and supervise implementations, to provide scientific opinion for any historic structure-related issues or conflicts (…) .16

The fifth article stressed the limits of the authority of the council: Article 5: government organizations and institutions, legal entities and individuals are obligated to obey the council decisions.17

According to the law, the authority of the council went beyond that of local and central authorities, yet it was not possible for the council to exercise this power before the 1960 coup. Under the management of this expert council, throughout the 1960s and the 1970s Turkey upheld emerging European standards in historic preservation, and accordingly two years before the Amsterdam Declaration (1975), the term «conservation area» was defined and regulated as a heritage category (known in Turkish as sit) in the first Turkish law on cultural heritage promulgated in 1973.

Heritage Management Led by Experts In post-war Europe a heritage boom emerged from the brutal and traumatic destruction of historic cities during the war. According to Laurajane Smith, an «authorized heritage discourse» developed and helped experts in historic preservation sustain their power.18 International charters, such as the Venice Charter, the Amsterdam Declaration, and the Burra Charter were tools by which the power of experts became recognised and reproduced. In addition, through these charters expert know­ledge became «common sense» or «good sense». An expert understanding of cultural heritage is imposed on the reader of these texts through the competitive use of notions such as «duty», «respect for monuments», «safeguarding», or «future generations». These notions constitute the «authorized heritage discourse». Smith’s analysis applies also to documents in the HC archives. In each decision or letter sent to various state directorates, the HC aimed to educate public officials and make them good fellow practitioners. However, at the same time the HC wanted to sustain its own power by reiterating an authorised discourse. The decisions reinforced the power of the HC, and the HC reproduced its power through decisions. In this process, the power dynamics between the HC and other agencies, including regular citizens, were defined. The argument that experts should be in charge

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of the management of the built environment was consensually advocated not only by the members of the HC, but also by the larger architectural community. The May 1975 issue of the journal Mimarlık (Architecture), one of the oldest and most influential architecture journals in Turkey, was dedicated to historic preservation in line with the impact of the European Architectural Heritage Year declared by the Council of Europe. In this extremely turbulent period dominated by the extremely violent political terror of right-left conflicts, the intellectuals and professors discussed how experts should orient themselves for safeguarding cultural heritage. For instance, Afife Batur, an eminent professor of restoration and architectural history at Istanbul Technical University, suggested that historic preservation should be based on Marxist philosophy with a dialectical methodology and an openness to revolutionary thought. Thus there could be only one single truth produced by the science of preservation, which required rejecting master plans that damaged historic towns for financial interests.19 She also accused the public of being ignorant and supporting those who received huge benefits from master plans. In a way Batur reinforced the authority of the regime of experts in historic preservation from a positivist perspective. Two distinguished preservation experts, Doğan Kuban and Okan Üstünkök, also suggested that experts needed to be in charge of decisions regarding historic environments.20 They argued that Turkey, as a pre-industrial country with limited awareness of its cultural heritage, still needed much more time to generate a deep-rooted comprehensive understanding of cultural heritage with public consciousness. Similarly, influential architects and intellectuals of the period, including Turgut Cansever, Doğan Kuban, and Yucel Gursel, wrote in the same journal that experts should be in charge of decision-making since the Turkish public was not yet conscious of cultural heritage. Either from a revolutionary Marxist perspective or from a scientific point of view, there was a

consensus that experts needed to be in charge. In fact the emergence of the practice of urban conservation, together with its tools and legislative framework, was also a development achieved by the efforts of the very same experts. Interestingly, in Greece, after years of the repressive junta regime, experts were also able to initiate improvements in historic preservation. Their efforts helped to include notions about preservation and planning in the new 1975 constitution.21 However, these achievements required a power zone for experts to operate within. In order to discuss the political dynamics of urban conservation, as this article aims to do, it is necessary to discuss how they came to be in such a position of power before discussing which tools and frameworks they formulated. As will be elaborated below, the 1960 coup in Turkey and its aftermath was one of the main events that redefined the role of experts in the country. This military intervention that reshaped the country, on the other hand, was the result of Turkey’s Cold War experience.

Experts’ Role in Turkey during the Cold War The 1960 coup brought a chaotic decade of Turkish democracy to a close. Throughout the 1950s a new political party governed the country and gradually became more repressive against opposition with the increasing power it gained through winning successive general and local elections. Although the new government seemed to have a promising future at the beginning, towards the late 1950s it started to struggle, particularly in economic management (despite growth, economic policies led to an immense debt crisis) and in maintaining political freedom (the new party repressed the opposition and restricted opposition political activities). Moreover, the secular reforms of the republic were reversed and Islamic education was reintroduced to the school curriculum.22 In this period, the relationship of Turkey with the United States of America also entered into a new stage. Turkey had already received US support

Scale Matters

in the late 1940s as part of the Truman Doctrine. The subsequent Marshall Plan encouraged investments in industrialisation, especially in agricultural production. Turkey’s accession to NATO membership reinforced the US-Turkey alliance. What followed was the Americanisation of daily life. Within this context, the army coup of 1960 launched a complete restructuring of the state. Following the coup, the first job of the junta was to form a council of scholars to generate a road map until the new government was elected. This was a calculated act to gain the support of the intelligentsia, and indeed to a certain extent it changed the general perception surrounding the coup, which started to be called a «revolution». According to Mümtaz Soysal, who himself was a law professor and one of the authors of the 1961 constitution, the coup was not the end of democracy in Turkey, but rather the collapse of one form of democracy and the creation of another form, which he called «balanced democracy», meaning a balance between experts and politicians.23 In a way the new constitution reemphasised the power of an upper class that was threatened by the peasant class who migrated to cities in waves throughout the 1950s. The new constitution generated various control mechanisms to limit the actions of the government in order to prevent the re-emergence of an authoritarian centralised government. Nevertheless, it created a liberal atmosphere where political ideas could flourish, especially on the left. Socialist parties were represented in the parliament. In this period Turkey’s emerging left and conservatives both turned anti-American. International developments also had an influence on Turkey’s leftists; the May 1968 events in France encouraged leftists to be more involved and active in politics. The conservatives, on the other hand, established organisations such as the Association to Fight Communism as early as 1962. The Union of the World of Islam was also established with a similar agenda to fight communism. In the late 1960s, everyday life in Turkey was explosive; within the bipolar global world, the

tension between right- and left-wing sympathisers accelerated and culminated in extreme violence. In 1971 the army re-intervened and established control of the state, demanding the resignation of the government. The best word to describe the aftermath of the 1971 military intervention is «chaos». Fragmented and polarised political movements clashed with each other. Extremist militants also emerged in this era of conflicts, in which waves of violence gradually escalated.24 Following Pierre Bourdieu’s definition of the state («the culmination of a process of concentration of different species of capital: capital of physical force or instruments of coercion (army, police), economic capital, cultural or (better) informational capital, and symbolic capital»),25 it is possible to suggest that the 1960s and the 1970s were two decades in which no power structure was powerful enough to initiate a «process of concentration of different species of capital». It was this lack of central power that generated a power zone for heritage experts. Within this context, the experts in Turkey, who were already up to date with heritage developments in Europe, were able to create a baseline for urban conservation. Nevertheless, the change in cities also necessitated the need for the protection of historic urban environment. Ironically, this change in metropolitan cities was also a result of international politics of the period.

Cold War and Heritage In his seminal work The Rule of Experts, adapting a postcolonial critical approach to modernism, Timothy Mitchell26 shows that the construction of the Aswan Dam along the Nile on the one hand destroyed the mud-brick traditional architecture of the Nubian villages (a community whose heritage and culture was not recognised by the official government), but on the other hand provided the opportunity for Hassan Fathy, the eminent Cairo architect trained in the modernist style, to design a new village of new mud-brick houses

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inspired by traditional Nubian residential architecture. The architectural style of the internationally famous New Gurna village designed by Fathy for the relocation of Gurna people presents a case study on the complexities of the relationship between national identity and cultural heritage. Yet the construction of the Aswan Dam was an internationally significant heritage development because by the mid-1960s an international UNESCO-backed campaign was launched to rescue the 1260 BCE temples of Abu Simbel in Nubia. This international rescue campaign (to relocate the temples to a position with higher altitude) paved the path for the idea of «international cultural property» and it was an outcome of the postwar escalation of international collaboration.27 In general, the construction of the Aswan Dam was linked to the political tensions of the Cold War. On the one hand, there was the sympathy of Nasser’s government for the Soviets and the involvement of the Soviets in the construction of the dam after the withdrawal of the World Bank and the US. On the other hand, Israeli, French, and British troops were located on the Suez Canal, which was geopolitically strategic for both the security of the British Empire and oil shipment. Within this context, the UNESCO campaign was an international effort of post-war peace-making. Lynn Meskell sees this campaign through a critical lens, arguing that it was a turning point for UNESCO in becoming an international technocratic organisation in which the dream of global peace gradually became less emphasised as well as the role of archaeology (and that of archaeologists).28 Considering the US financial support in this immense rescue campaign, it becomes clearer that the authority of experts in heritage management schemes was a by-product of Cold War policies. In fact, as one may imagine, cultural heritage was not at the top of the list of US Cold War policies, which were centred on agricultural and water management interests in Europe and the Middle East. Such policies were served by the Marshall Plan, which was designed for the reconstruction

of post-war Europe, with Greece, Italy, Turkey, and West Germany the main countries selected for more investment. It was these investments that gave birth to the need to save artefacts in rural areas that would be affected by the land use and water management projects. The experimental Tennessee Valley Authority (TVA) development plan was so successful that it served as a model for implementing similar projects in diverse geographies as a part of the Marshall Plan to control the land and to create a rural management system.29 As the development of rural areas with water management projects was a theme dominating the 1950s, it resonated in preservationist communities. The Nubia campaign was the last time that a project on such a scale was undertaken due to the high costs involved. However, the US continued to support preservation projects, but on a much smaller scale; for instance the Sardis archaeological campaign in İzmir, Turkey, and the anastylosis projects in the 1950. Even though the budget was smaller, the Sardis campaign was still one of the most extensive Turkish conservation projects of this period.30 As the preservationist community took the lead in safeguarding cultural heritage, other important consequences of the Marshall Plan were demographic movements and urban changes. Funds from the Marshall Plan were used for industrialisation in agriculture, and as a result manpower was replaced by tractors. A huge unemployed population started to migrate from rural to urban areas.31 Istanbul was the main destination of this migration wave. This demographic change and the alliance with the US started to change the cityscape in Istanbul. On the one hand, as a symbol of Americanisation, the first Hilton Hotel of the Middle East was constructed as a new landmark of the cityscape;32 on the other hand the migrant community who came to Istanbul from rural areas constructed shelters over vacant undeveloped areas of Istanbul.33 The emergence of the heritage movement in the 1960s was in a way a response to these urban problems.

Scale Matters

A Unit of Urban Conservation: Sit The first Turkish law on cultural heritage was promulgated on 25 April 1973. The new law, Law No. 1710, introduced important regulations and innovations as an outcome of the preservation developments throughout the 1960s led by the HC, the central preservation council. In fact, the first steps to prepare the law were taken long before the 1971 military intervention, just after the 1960 military coup. The junta had asked the General Directorate of Old Artefacts and Museums (Eski Eserler ve Müzeler Genel Müdürlüğü, EEMGM) to form a sub-committee to provide a report on heritage management. This report reiterated for many pages the need for a law on old monuments, a draft of which was already prepared.34 However this law was not promulgated due to the lack of a functioning parliament, which resulted from the political instability discussed above. A similar situation emerged in the aftermath of the 1971 memorandum as well. A temporary commission was formed within the parliament to finalise the law on old monuments. The main sections of the law were (i) general provisions; (ii) immovable old artefacts, historic and natural monuments; (iii) movable old artefacts; (iv) trade of the old artefacts; (v) excavations; (vi) treasure hunt excavations; (vii) rewards and penalties; (viii) various statutes; (ix) temporary statutes; and (x) execution and executive statutes.35 In addition to two separate long paragraphs listing movable and immovable heritage, new concepts were also introduced. Following the definitions of monument (anıt) and complex (külliye), sit (the French word site was adapted into Turkish), which would correspond to conservation areas, was defined. Sit was the biggest breakthrough in terms of both its conceptualisation and the implementations that followed. Three different sit categories were defined: historic sit, archaeological sit, and natural sit. This change in the scale of the object to be preserved was a tendency that was simultaneously emerging in the international arena as well.36

One important development in this regard was the European Architectural Heritage Year (EAHY) 1975, which had been effective in generating a European network. The idea to designate EAHY first took shape in 1969, and in 1971 it was formally proposed by a sub-committee on monuments and sites established by the Council of Europe. In addition, a new document – the Amsterdam Declaration – was to be prepared to answer the challenges of preservation in Europe. To produce this document, 50 pilot projects would be evaluated with the goal of exploring new ideas about how to integrate cultural heritage with urban and regional planning. The insights learnt from these pilot projects would be presented and evaluated at the Amsterdam Congress to form the principles of the Amsterdam Declaration, along with a more Europe-specific text, the European Charter of the Architectural Heritage.37 As the 1964 Venice Charter provided an international set of rules for the restoration works, this new tendency acknowledged that international standards and national contexts needed to be brought together. Turkey was one of seventeen countries that participated in the EAHY campaign. A national committee under the Ministry of Culture was formed to raise awareness of architectural heritage and EAHY was promoted in architectural media.38 This was followed by the HC sending a notification to the Ministry of Culture and the Ministry of Tourism in 1978 to distribute a «call for entries» for the prestigious Europa Nostra Awards for the best conservation projects in Europe.39 Two years before the 1975 Amsterdam Declaration, Turkey had already developed the idea of sit,40 bringing with it a change in perception of historic preservation, under which not only buildings, monuments, and their surroundings would be considered as valued objects of conservation, but also towns and villages. In this regard the introduction of the idea of sit as a regulatory scale was not a sudden invention. In fact, the 1960s were an era during which heritage experts improved overall standards in conservation. Theoretical discussions about

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architectural conservation accelerated during this period. Through printed media, experts discussed issues like the use of contemporary materials in restorations, authenticity, and adaptive reuse. The Carta del Restauro was translated into Turkish for the first time, and the Venice Charter was translated almost simultaneously. In addition, the first restoration department was established in 1966 at the Middle East Technical University in Ankara. All these developments paved the path for the emergence of urban conservation practice in the context of a socio-politically explosive society under the concrete impact of Cold War dynamics.

Problems of Sit After the law was promulgated in the Official Gazette, the HC began an immense and enthusiastic programme of sit designations. From 1973 until its dissolution in 1982, the HC designated 417 sits, and registered 6,815 monumental and 3,442 residential structures as «old artefacts».41 These designations were made in regular HC meetings. The council drew boundaries on maps, designated the area as sit, and local authorities were obliged to take subsequent necessary steps. However, in the following years, the results of implementations were far from satisfactory. According to law, following the sit designations, the master plan for the designated area would be overruled and a «Conservation-Aimed Master Plan» (KAİP – Koruma Amaçlı İmar Planı) had to be prepared within two years of designation. KAİP would overrule all existing decisions and master plans for the designated boundary. Even though local authorities had experience and skills for master plans, KAİPs required a new set of knowledge and skills that most municipalities lacked. Thus it was not possible for local authorities to use their knowledge and experience to follow the HC’s sit designations.42 In addition, the lack of an inventory of historic structures was still a problem in the 1970s, and no authorities were willing to undertake the task of

creating it. One interesting case can be seen in a letter sent to the HC by the mayor of Istanbul. The mayor expressed the difficulties that the municipality experienced in attempting to comply with the HC decisions since the lack of an inventory meant that they did not understand what the HC saw as valuable to protect.43 The head of the HC responded to this message, initially by acknowledging the efforts of the municipality to safeguard historic structures. He then proceeded to explain the benefits of preservation through scientific methods and underlined the danger posed by standardisation. He argued that each historic sit needs a distinct approach, and then he asked the municipality to coordinate with the relevant directorate of the Ministry of Culture to create an inventory to be presented to the HC.44 This inventory was never prepared, and in 1978 the HC sent another letter to several directorates45 stating that neglect of scientific planning principles was the main cause for the loss of historic structures and that to prevent this loss, inventory studies needed to be completed, approved by the related ministry, and sent to the council.46 As the new sit designations of the central authority created theoretical and technical confusion for local authorities, this centralisation also caused an extremely long decision-making process. At the beginning of the 1970s, there were more than 600 cases waiting for a decision and it was a burden for both individuals as well as public and private institutions to wait for the HC to make their decision.47 To overcome this problem and expedite decision-making, a building category system was developed. In fact, this system was already developed in 1970 to determine the conservation category of the waterfront mansions of Istanbul based on an interior/exterior separation. Three categories were defined: the first category included buildings in which both the interior and the exterior should be preserved, the second category was for buildings for which only the exterior should be preserved, and the third category was for buildings that could be demolished with

Scale Matters

the HC’s consent.48 In 1978 this scheme was again improved based on an interior-exterior separation with three main categories, but this time a total of twelve sub-categories were defined according to level of intervention.49 Even though the decisions on architectural scale were systemised with such a categorisation scheme, sit designations continued to be a problem. HC-supported questionnaire research conducted with municipalities made it clear that when the HC designated an area as a sit, local authorities would find themselves in a hopeless situation due to lack of expertise, budget, and specialised personnel.50 With increased power, a central decisionmaking mechanism, and a top-down approach to historic preservation, the HC imposed its decisions on local authorities. Yet despite these negative aspects, criticising the HC was a complex issue for the preservation experts of the 1970s. Criticism of the HC would help those who had tremendous financial benefits (contractors, municipalities, companies, etc.) from both implementation of master plans and land speculation caused by master plans. Therefore, the HC was still an office that had to be defended.51

Conclusion In order to question the values of heritage, there is a need to critically evaluate the complex political dynamics in which cultural heritage operates. The main intent of this contribution is to understand the role of scale within these dynamics through an investigation of the emergence of urban conservation practice in Turkey. Yet after the discussions presented above, it is possible to suggest that this

emergence was an outcome of local, national, and international political dynamics. The emergence of urban conservation in Turkey followed a dual political motive dependent on international and national politics. On an international level, within the political tensions of the Cold War, an intergovernmental collaboration movement for the preservation of cultural heritage was already on the rise in the post-war peace-making process. Initiatives taken by UNESCO are the most outstanding examples of this collaboration in which cultural heritage was not only an instrument, but also the main actor in sustaining world peace. However, these initiatives also launched a process in which heritage preservation was conceived as a field of expertise. On the national level, on the other hand, Cold War politics led to a politically and economically unstable Turkey under the shadow of military interventions. As cities were transformed by road construction, rural to urban migration, and changing daily life habits, the preservation of historic quarters was not only an urgent need, but also an arena for heritage experts to practise their power. The decades-long effort of experts to uphold European standards in historic preservation paved the path for the regulation of urban heritage in a systematic manner. In Turkey, even though the notion of cultural heritage has existed as a conscious attitude since the modernisation of the late Ottoman era, the management of cultural heritage through an institutionalised systematic approach was accomplished by the efforts of experts. However, despite the power of experts gained through centralised decision-making, the problems with realworld implementation of sit decisions showed the detachment of experts from local conditions.

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36 In fact, even much before the 1970s, the preservation of historic cities was an important issue, especially in urban planning discussions. For instance, the 1933 Athens Charter of CIAM and Camillo Sitte’s City Planning represent two opposing views in this regard. Cf. Choay 2001, 123. Moreover, in France the 1962 loi Malraux had formulated secteurs sauvegardés and generated a national programme for their rehabilitation. Cf. Glendinning 2013, 304; Choay 2001, 153. In the 1970s, on the other hand, these efforts were internationally accelerated and became institutionalised under UNESCO and conceptualised through international documents (the most notable of these documents is the 1972 Convention Concerning the Protection of the World Cultural and Natural Heritage). See Orbaşlı 2000, 20–21. 37 Glendinning 2013, 405. 38 Özgönül 2015, 333. 39 HC Archives 1978b. This archival document is a letter by the head of HC, Prof. Orhan Alsac, sent to the EEMGM, which was under the Ministry of Culture, and the General Directorate of International Relations (Uluslararasi Iliskiler Genel Müdürlüğü), which was under the Ministry of Tourism and Promotion. The attachment to the letter is the communication from Duncan Sandys, the president of Europa Nostra about the call for entries. 40 Şahin Güçhan / Kurul 2009, 29. 41 Ahunbay 1996, 136. 42 Üstünkök 1989, 119–120. 43 HC Archives 1976. 44 HC Archives 1977. 45 This decision was sent to EEMGM, to the General Directorate of Planning and Development (Devlet Planlama ve Kalkınma Genel Müdürlüğü) under the Ministry of Development, and to the survey bureaus under the Ministry of Culture in various cities. 46 HC Archives 1978c. 47 Çeçener 2003, 47. 48 HC Archives 1970. 49 HC Archives 1978a. 50 Zeren 1982. 51 Çeçener 1982.

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As Heritage becomes World Heritage Current Processes of Heritagisation at Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus, Mumbai

Shraddha Bhatawadekar

Heritagisation is a «process by which objects and places are transformed from functional ‹things› into objects of display and exhibition»,1 thereby changing the value attributions associated with the place. This process is integrally linked with the power structure of society and controlled, in many cases, by official and professional bodies. This chapter looks at how UNESCO World Heritage Site status has triggered the process of heritagisation at Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus (CSMT, fig. 1), located in the city of Mumbai. It critically analyses the dynamics of heritage production at this railway terminus and the role of different agents in this development. It aims to illustrate how the current understanding and presentation of heritage tend to neglect the true essence of heritage and values that go beyond mere architecture. The site also

derives its values from users’ sense of belonging, association, and daily meaning-making at the site, and this everyday significance of heritage is highlighted in this chapter.

How Heritage is Heritagised Heritage is a nuanced term, with its meaning changing with time and context. In its traditional definition, it is closely connected with the idea of inheritance and considered as a legacy from the past, carried forward into the present and to be transmitted to the future. Even though heritage was conventionally perceived to have innate values that afforded it its importance, it can really be seen as the celebrated past, as what gets called «heritage»

1  Main administrative building, the front face of CSMT World Heritage Site.

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Shraddha Bhatawadekar

and what is preserved depend largely on who controls the power within a given society at a particular moment. As David Harvey states, «Heritage itself is not a thing and does not exist by itself»2; rather it is «interwoven within the power dynamics of any society».3 Though the notions of heritage and preservation have existed in some form for a long time, the foundations of heritage as a field were laid in the late 19th century. Through the tenets of historians, artists, architects, and critics such as John Ruskin and William Morris, and with the subsequent adoption of charters for heritage conservation, the field was gradually formalised. But the real momentum in the discussion was seen in the 1970s, with the Convention Concerning the Protection of World Cultural and Natural Heritage ratified by UNESCO in 1972. The European Architectural Heritage Year in 1975 was also an important milestone in the process. Subsequent decades witnessed a «heritage boom»,4 with more and more places being labelled as heritage sites. Along with serving the national interests of representation and prestige, heritage also became a source for economic regeneration, and was linked with tourism development in these countries and regions. Heritage thus became an «industry»,5 commodified to serve the interests of the post-industrial economy and society. This process has led to heritagisation, in which heritage is treated as a mere symbol of «display and exhibition».6 The term «heritagisation» was used by Kevin Walsh in his 1992 book The Representation of the Past, in which he talked about the heritagisation of space, denoting the reduction of real places to tourist space, constructed by the selective quotation of images of many different pasts which more often than not contribute to the destruction of actual places.7

According to Walsh, heritagisation often promotes synchronicity, homogenisation and beautification, and leads to the loss of sense of place, as it «denies the idea of historical processes across time and space».8 In its selectivity, only a specific past is represented at any particular site,

most often adhering to a dominant narrative. Heritagisation as a top-down process has thus been responsible for altering the consideration of values associated with a place, as it is mostly a process controlled by institutions and individuals with the power to act, and is not based on how the larger connected communities associate with the place. This practice, termed «Authorized Heritage Discourse» by Laurajane Smith,9 presents narratives that align with an official agenda, thereby largely overlooking alternative interpretations. With the discursive turn, there is growing awareness among heritage professionals that people who visit or use heritage sites also actively contribute to meaning-making. David Harvey refers to the importance of «small heritages» which are personal and local.10 As Harvey puts it, «As well as being alternative or ‹subaltern› or actively resisting authority, these small heritages can also be everyday and even banal.»11 With the recognition that heritage is «about people, collectivity and individuals»,12 the notions of affect, memory, and belongingness, etc. are gradually being foregrounded in the heritage discussion.13 However, heritage as a hegemonic discourse, still largely dominated by the bodies such as UNESCO, continues to overshadow this daily meaning-making associated with heritage production. Consequently, it is seen that the inscription of natural and cultural sites as World Heritage sites initiated by UNESCO has been a major force in heritagising monuments and sites as seen in the next section.

UNESCO and the Process of Heritagisation UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) was constituted in 1945, with the aim to «build peace through international cooperation in Education, the Sciences and Culture»,14 serving also as an international pressure group in achieving this mission. In the postSecond World War period, the growing loss of heritage raised concerns, and actions were initiated

As Heritage becomes World Heritage

internationally to arrest the damage to and disappearance of heritage. In 1972, UNESCO responded to this situation by signing the Convention Concerning the Protection of the World Cultural and Natural Heritage, with the aim of establishing an effective system of collective protection of the cultural and natural heritage of outstanding universal value, organized on a permanent basis and in accordance with modern scientific methods.15

The Convention categorised monuments, groups of buildings, and sites with «outstanding universal value from the point of view of history, art or science» as the cultural heritage of the world.16 A special committee was constituted to enlist and monitor these World Heritage sites. As the World Heritage List became established and got longer, detailed Operational Guidelines were created, defining the criteria under which cultural heritage qualified to be «World Heritage». Elaborate monitoring cycles were developed to ensure that the enlisted World Heritage property adhered to the criteria of Outstanding Universal Value under which it was inscribed. The maintenance of authenticity and integrity of the property was also added as important benchmarks to assess its exceptional quality. While authenticity was a degree of originality, integrity was measured by the intactness and wholeness of the property. A way to build international pressure was conceived by means of the ability to add a site to the List of World Heritage in Danger17 if World Heritage Managers failed to maintain the required standards for their site. The exercise of inscription into the World Heritage List proved useful in bringing attention to heritage that was largely lying unnoticed, and it was also instrumental in saving many sites from utter destruction. The listing as World Heritage sites was also promoted as a vehicle to boost the economy of the region, as it would bring tourism to these sites and help revive local business and traditional arts and crafts. However, listing has proved to be a polarised process, where values of heritage are assessed

through the western discourse of heritage, which has been criticised by many scholars in recent years.18 An excessive focus on materiality, monumentality and aesthetics has favoured the representation of only the most dominant phase of the past in many cases, erasing the other layers of history associated with the sites. Authenticity as espoused here is a problematic notion as it emphasises representing the good and the positive, showing only the elite aspects of heritage. The overall process of inscription and management of World Heritage has become so complex that it is beyond the scope of the management structures already in use at these sites. It now requires the expertise of heritage professionals to devise management strategies to maintain the attributes of the site’s significance. This includes not only developing the guidelines for the conservation or restoration of the property itself, but also controlling the larger context such as tourism development, planning of the surrounding area, and so on. The idea of heritage is so integrally linked with that of a museum, that «museumising» tendencies are evident at many World Heritage sites, that is, converting these sites or parts of them into museums as a strategy to preserve their important past. Even though the idea of World Heritage has undergone many alterations in response to changing notions of heritage, authenticity and significance, the overall discussion is still largely centred on the material fabric, rather than looking at the multi-layered processes that have contributed to its creation and evolution over time. Attention is focussed on interpretation, presentation, and preservation of the site, but not on the narratives of the associated communities and users, thereby often alienating them from participation. The product of this heritagisation is sanitised heritage, which remains a mere spectacle,19 devoid of its historical, socio-cultural richness and diversity. The inscription of Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus20 as a World Heritage Site has also accelerated the tendency of heritagisation at the site, as discussed below.

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Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus and World Heritage Status CSMT (formerly Victoria Terminus21), located in the southern part of Mumbai, is a well-known landmark of the city. Home to the first railway in India that ran on 16 April 1853, the terminus has been in continuous use up until the present day, and operates suburban as well as long-distance services. The main administrative building (see fig. 1) and the adjoining station with the initial four platforms (fig. 2) were constructed in the 1880s, following the demolition of the old temporary terminus nearby. Originally designed for offices of the Great Indian Peninsula Railway Company (GIPR), which managed the railways in Bombay22 and Central India, the administrative building continues to be in use even in the

post-Independence period as the headquarters of Central Railway, a branch of Indian Railways, while the station caters to tens of thousands of passengers every day through its eighteen platforms (see plan on fig. 3). The main administrative building designed by architect Frederick William Stevens, has been widely praised for its Victorian Neo-Gothic style. The architectural and sculptural details of the building have been described by the author elsewhere.23 It suffices to say here that the opulence of architectural vocabulary, including the octagonal dome, liberal use of sculptures such as the lion and the tiger guarding the entrance, the statues of progress and agriculture, commerce and engineering crowning the structure, and the abundance of material have resulted in a structure that is regarded as «an

2  The suburban station and platforms. The dome of the main administrative building is visible in the background.

As Heritage becomes World Heritage

imperial climax».24 These architectural and aesthetic qualities were seen as instrumental by the authorities and professionals in striving for international heritage recognition for the site. The nomination of CSMT for UNESCO World Heritage status was initiated in 1998 by Indian Railways, but it was deferred by UNESCO, which recommended the involvement of heritage experts to strengthen the nomination.25 The Mumbai Chapter of INTACH (Indian National Trust for Art and Cultural Heritage), along with local conservation architects and urban planners, worked meticulously to prepare the nomination dossier. They were successful in getting CSMT inscribed on the UNESCO World Heritage Sites List on 2 July 2004. This was a proud moment as Mumbai got its second World Heritage Site after Elephanta Caves had been included in the List in 1987. Moreover, the inscription of this site provided visibility to the late 19th-century heritage, hitherto underrepresented on the UNESCO List. The newspapers widely reported the event with headings such as «Grand old dowager books heritage berth»26 and «Train your eyes on the glory of CST buildings».27 It was also highlighted that this was the «‹first administrative and functional building› to have made it to the heritage listing [as] the Central Railway announced with pride».28 The core property, which includes the administrative building as well as the concourse and the original station constructed in the 1880s, was inscribed on the List on the basis of cultural criteria (ii) and (iv). It is important to note these criteria in their entirety to show the attributes on which the building was held to have the Outstanding Universal Value. Criterion (ii) stated, Chhatrapati Shivaji Terminus (formerly Victoria Terminus) exhibits an important interchange of influences from Victorian Italianate Gothic Revival architecture, and from Indian Traditional buildings. It became a symbol for Mumbai as a major mercantile port city on the Indian Subcontinent within the British Commonwealth. 29

Criterion (iv) highlighted its architecture even more, asserting it to be

an outstanding example of railway architecture in the British Commonwealth, characterized by Victorian Gothic Revival and traditional Indian Features, as well as its advanced structural and technical solutions. 30

It is apparent from the above discussion that even though the railway station formed a part of the World Heritage inscription and has been recognised as contributing to the uniqueness of the site, the overall focus has largely been on the administrative building, which manifests the epitome of architecture in the city of Mumbai and has been described as «the finest Victorian Gothic building in India».31 The railway station, the original part of the whole site, though included in the core property, remains a backdrop in the discussion and in the subsequent efforts that have been undertaken at this heritage site.

Developments at CSMT after the World Heritage Inscription In the past fifteen years, a number of developments have taken place at CSMT, which highlight its special heritage status (fig. 3). Following its inscription as a UNESCO World Heritage Site, among the foremost of the developments has been the restoration of the main administrative building, planned in a phase-wise manner. Works in the early phase focussed on the external façade restoration, which included cleaning of the surfaces, and restoration of the stained glass and of some sculptural elements, among others.32 The later extension of a toilet block added to the back of the building was demolished in the advanced stages of the work. The current ongoing phase involves refurbishing the interiors, including restoring the sculptures. Along with the restoration of the administrative building, decluttering of the suburban station has taken place by removing the food stalls and some other incongruent additions on the concourse and platforms. The magnificent booking hall, with a ceiling painted with stars, has been restored and refurbished (fig. 3e). Recently the roof of the concourse

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Viewing Gallery (2017) Renovated subway entrances (2019) World Heritage Plaque Museum & displays, ground floor of main administrative building (2010–12) e Star Chamber heritage gallery, first floor of main administrative building, booking office on ground floor (2016–19) f Digital Museum (2018) g Paintings on platform walls (2019) h Photo exhibition (2019) i Heritage Gulley (2017–19)

East Side Entry & Booking O fficie

a b c d





c

World Heritage Site By Municipal Corporation of Greater Mumbai

NOTE: This plan (drawn in 2019) outlines the efforts to highlight the special heritage status of CSMT. It is likely that further additions or alterations would have been made by the time this plan is published. Despite its possible inaccuracy, this plan reflects the increased heritagising tendencies at CSMT in the last few years.

i

Pl.18

Pl.16–17

Pl.14–15

Pl.10–13

g





Pl.8–9

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an Suburb n Sectio Pl.1–7





ⓔ ve istrati admin g buildin



e Mainlin n Sectio 8 Pl.8–1







ⓓ World Heritage Site By Municipal Corporation of Greater Mumbai

ⓓ N 0 20

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NOTE: This plan (drawn in 2019) outlines the efforts to highlight the special heritage status of CSMT. It is likely that further additions or alterations would have been made by the time this plan is published. Despite its possible inaccuracy, this plan reflects the increased heritagising tendencies at CSMT in the last few years.

3  Highlighting Heritage of Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus (CSMT), World Heritage Site.

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As Heritage becomes World Heritage

b 4  Renovated subway entrance.

was repaired and the columns and roof were painted. Works on the roof of the station shed and the original retaining wall on the west side have also been carried out. The clock with two original dials, which forms a conspicuous feature of the station, has also been restored. Other developments to promote the heritage of the site include the establishment of a museum on the ground floor in the southern wing (fig. 3d), which can be visited during specific hours, and the introduction of guided tours of the building. The museum displays the early history of the GIPR, the construction of the administrative building, and the development of railways, through letters, drawings, maps and a number of objects. A heritage gallery located on the first floor in the northern wing (fig. 3e), highlighting the diverse features of the building, has recently been expanded. Additionally, an open-air gallery (Heritage Gulley) has been developed near the eastern entrance of the terminus, where old engines, bogies, cranes, and other historic railway stock and equipment have been kept (fig. 3i). Central Railway has also undertaken a number of other initiatives such as planning exhibitions, special walking tours, photography competitions, digital screens showing short documentary films, publication of a book, and so on, focussed on the heritage features of the building in particular, and railway

a 5  The Viewing Gallery.

heritage in general. A permanent exhibition of photographs of the terminus and other sites of importance associated with the railways and the tourist and heritage sites of Mumbai and Maharashtra has been opened at the station since 2019 (fig. 3h). In the same year, on the occasion of the heritage month celebrated by Indian Railways, the walls of the platforms were painted with architectural features of the building (fig. 3g) and also with some characteristic professions, scenes and sites associated with the railways and the city of Mumbai. Along with the railway administration, other government institutions have also acted to stimulate the tourism potential of this World Heritage Site. At the instance of the Tourism Department of the State Government of Maharashtra, a project to illuminate the administrative building and the neighbouring headquarters of the Municipal Corporation of Greater Mumbai has been realised. The Municipal Corporation also joined this effort by renovating the subway in front of CSMT, replacing the entrances with glass to ensure that they do not obstruct the view of the building (fig. 3b, fig. 4). A Viewing Gallery was created by altering the subway design further, allowing visitors to stand in the middle of a busy traffic junction to take photographs and enjoy the site (fig. 3a, fig. 5). It is evident from this discussion that in recent years, a lot has changed at CSMT. A number of

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alterations have been undertaken to highlight the heritage of the place and to restore its architectural beauty. The ongoing heritagisation, re-affirming the already established importance of CSMT, while increasing the visibility of material heritage, has rather disregarded the other integral values and qualities that contribute to the uniqueness of the site.

The Shortcomings of Heritagisation at CSMT The heritage discussion in India is still largely focussed on architecture and aestheticisation. A look at the ongoing large-scale conservation programme in Mumbai offers a testimony to this practice. The same approach is evident at CSMT as well. The attention of heritage professionals is focussed on the main administrative building, and on reinstating its glory by taking it back to the original – the time when it was built. This is not to say that restoration and refurbishment should not be done, but this process has failed to recognise that the site itself is essentially characterised by change and continuity. The extensive attempts at beautification and insistence on authenticity are gradually leading to the sanitisation of the past. This is likely to result in the «destruction of diachrony»33 at the site, as the current heritagisation overlooks the dynamism of its evolution. CSMT has always been an active place, and has constantly changed with time. The site has embraced advances in technology and has been altered and expanded to meet the demands of traffic and society. However, the current strategies of heritage management tend to freeze the site, quite contrary to its living nature. Moreover, attempts to uphold the magnanimity of heritage in various media have often resulted in the reinterpretation of the site, threatening the loss of historicity. The effects of the heritagisation process are seen in the increasing forces of musealisation as a way to preserve the heritage of the building. The authenticity of heritage is not to be measured only

in form and fabric, but is also very much rooted in use and function.34 Fortunately, in the case of CSMT, both the administrative building and the railway terminus continue to retain the original purpose for which they were built. This affords uniqueness to the site in comparison with many others on the World Heritage List, where the original function is long lost. This exceptional quality was also highlighted at the time of the inscription of the site, but unfortunately is not reflected in the subsequent conservation strategies. The recent impulsive plan to convert the entire building into a museum by removing the working offices, even though shelved for now,35 is likely to resurface soon. The idea of a museum is integrally connected with the heritage discussion in western discourse, where many places, having lost their function, have seen adaptive reuse in the form of a museum, among other uses. However, converting a functioning place into a museum by archiving the processes still current in the place is an unwise proposition. CSMT always has and still continues to actively contribute to the socio-economic-urban changes that the city has undergone, and it is this unique value – the living nature of the site and continuity – that needs to be fostered through the conservation plans. The true essence of the site lies in its dynamism and diversity, and it is necessary to retain these qualities and avoid turning it into a dead site. By finding the right balance between the different values of the site, such as historical, aesthetic, architectural, and functional, it is possible to ensure that the site continues to thrive.36 For this, it is also necessary to give equal attention to the railway station as heritage. Both the station and the main administrative building have been a part of a single planning process and should be seen together. The building was built to convey the achievements of the GIPR and was deliberately planned as a grand, awe-creating structure. But at the same time, the station was also an important marker of the new modernity, seen in its lavish treatment of spaces, up-to-date facilities and so on. The station, though modified a number of

As Heritage becomes World Heritage

times, still continues to show traces of how the site has developed over the years. As part of the conservation plan, the suburban station has also been refurbished. But what is required is the intensification of research on the station and more recognition to this industrial progress of the past as heritage, by restoring the original elements where possible. Moreover, attention is currently focussed only on a part of the railway property that has been inscribed as a World Heritage Site. However, in order to understand the industrial and technological advancements at the site, which have contributed to its importance, the site needs to be understood as a whole, with all its components and subsequent developments – the mainline building, platforms, other railway structures, the recent additions in the same premises, and also the railway system operating from the terminus. When the World Heritage Site is situated in the larger context, it unfolds the true sense of the place. The railway administration in India actively champions the achievements and milestones of the railway system, and celebrates the trains and other built heritage. Heritage, however, is currently framed as a top-down process, defined and determined by UNESCO or heritage experts or administrators, but what is generally overlooked is how the people who use the place daily associate with it. It is also through these mundane and everyday activities that the heritage of the place is shaped and negotiated. When heritage is seen in its wider perspective, the intangible nature of heritage comes to the fore.

The Everyday Significance of Heritage How do daily commuters associate themselves with CSMT? Even when efforts are in place to elevate the architectural values of heritage at CSMT, for the travellers, the proper functioning of the trains is of utmost importance. People do recognise the architectural prominence of CSMT, but their experiences are associated more with the

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use of the station or the journey than architecture or aesthetics. About 7.5 million people use the suburban railways of Mumbai every day, organised through three lines – Central and Harbour managed by Central Railway and the Western line run by Western Railway, another branch of Indian Railways. Such is the dependence on the railways that the city comes to a standstill if the trains stop working, as seen on a number of occasions. As discussed elsewhere by the author37, the railways play a role of «third place» in the life of Mumbaikars, the people of Mumbai: they have been afforded a sense of mobility, independence, an individual as well as collective shared space, where people can find solace from their daily struggles on the work-and-home front. With the railways as a lifeline, CSMT has become the heart of the system, which is constantly throbbing to ensure that the city continues to live (fig. 6). CSMT thus forms a symbolic manifestation of the presence of the railways and the huge role they play for the city and its people. The ability of the railways to ensure movement, freedom, opportunities, livelihood, and to make dreams come true,38 is reflected in the palatial appearance of the

6  The busy suburban station.

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building. This is also evident in the way the administrative building is portrayed in the Bollywood movies as a symbol of the city of Mumbai – a city that is dynamic, fast, the city that never sleeps, characteristics afforded to it largely by its railways. Thus CSMT, when considered in its context, represents wider emotions and associations, beyond architectural beauty and aesthetics. In this, the material heritage forms a visible link to the layers of history that the site has witnessed, and it is enriched by the intangible associations of collective identity, nostalgia and memories that people have about the site, which are not only fixed in a place, but simultaneously also travel beyond it. This everyday significance of heritage, which is shaped largely through use and experience, remains uncaptured at CSMT. As mentioned earlier, there is growing recognition that these local and personal narratives contribute to meaningmaking and are important for the production of heritage at the site. As Laurajane Smith and Gary

Campbell cite Michael Billig, «the banal and everyday can have deeper and ongoing consequences to issue of nationalism, identity and belonging than the extraordinary».39 At CSMT, it is the social processes and the «multiplicity of mobilities, networks and performances»40 that emerge through it, that have contributed to CSMT being the symbol of Mumbai. To conclude, the conservation plan for this World Heritage Site should also celebrate the everyday significance of heritage by emphasising the strong relations between people and heritage, between the tangible and the intangible. In that, the focus should shift from mere architectural restoration and display to maintaining and managing the function and use of the site «to sustain the whole system as a living entity».41 It is in this balance that the site’s liveliness, continuity and dynamism can be retained, and the true sense of the place and the unique heritage values of the site can be experienced.

1 Harrison 2013, 69. Here he explains the term «heritagisation» used earlier by Kevin Walsh (1992). 2 Harvey 2008, 19. 3 Harvey 2008, 19. 4 The phenomenon of the heritage boom in the late 20th century has been discussed by many. See Walsh 1992; Dicks 2003; Harrison 2013. 5 The term «heritage industry» was coined by Robert Hewison in 1987. Cited in Harrison 2013, 69. 6 Harrison 2013, 69. 7 Walsh 1992, 4. Walsh uses the spelling «heritagization», but in order to retain consistency, «heritagisation» is used here and throughout the text. 8 Walsh 1992, 137. 9 Smith 2006. 10 Harvey 2008, 20. 11 Harvey 2008, 20. 12 Robertson 2012, 1. 13 See Smith 2006; Waterton / Watson 2015. 14 UNESCO n. d. 15 UNESCO World Heritage Centre 1972. 16 UNESCO World Heritage Centre 1972. 17 UNESCO World Heritage Centre n.d.

18 See Byrne 1991; Smith 2006; Harrison 2013. 19 Kevin Walsh talks about an auratic display as a form of spectacle (or the heritage spectacle) «where the ‹beauty› or aesthetic quality of the object is intentionally the predominant characteristic of the display, (…) suppressing the ability to interpret». Walsh 1992, 36. 20 The official name of the site as per the inscription into the World Heritage List is Chhatrapati Shivaji Terminus (formerly Victoria Terminus). However, since the terminus was renamed in 2017 as Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus, the new official name is used throughout the text. 21 The Bombay terminus of the Great Indian Peninsula Railway Company, earlier called Boree Bunder, was named Victoria Terminus (VT) in 1887 on the occasion of the Golden Jubilee of Queen Victoria’s reign. It was renamed in 1996 as Chhatrapati Shivaji Terminus (CST) to commemorate Chhatrapati Shivaji, the sovereign ruler who ruled the region in the 17th century and established the Maratha dynasty. The name was once again changed in 2017 to Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus (CSMT). 22 Bombay was renamed as Mumbai in 1995. For historical references, the old name Bombay is used.

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See Bhatawadekar 2014. Morris 2005, 133. ICOMOS 2004, 64. Times of India 2004. Joseph 2004. Times of India 2004. UNESCO World Heritage Centre 2004. UNESCO World Heritage Centre 2004. Davies 1985, 173. Jaisinghani 2008. Walsh 1992, 68. Walsh talks about how heritagisation of history promotes the loss of a sense of the past. 34 The Nara Document on Authenticity (1994) expanded the concept of authenticity to include form and design, materials and substance, use and function, traditions and techniques, location and setting, spirit and feeling, and other internal and external factors. ICOMOS 1994. 35 Times of India 2018. The idea of converting the entire CSMT main administrative building into a museum

Bhatawadekar 2014 S. Bhatawadekar: Chhatrapati Shivaji Terminus: Values, Significance and Tourism, in: J. Marwah / R. Bhambi (eds.): Heritage Tourism Marketing Legacy (Delhi 2014) 78–93. Bhatawadekar 2021 S. Bhatawadekar: Understanding the Cultural Significance of Living Railway Heritage: Need for New Approaches, in: H. Pereira (ed.).: TST Magazine#44 (Transportation, Services and Telecommunications), Associação Ibérica de História Ferroviária, 2021, 175–194. Bhatawadekar / Adhikari 2019 S. Bhatawadekar / T. Adhikari: Railway Heritage and Identity: Interpreting Railways as ‹Third Places› - a Case of the Railways of Mumbai, in: Interpret Europe (ed.): Conference 2018: Heritage and identity – Proceedings (2nd edition) (Witzenhausen 2019) 61–68, http://www.interpret-europe. net/fileadmin/Documents/publications/iecon18_proceedings.pdf (4 May 2020). Byrne 1991 D. Byrne: Western Hegemony in Archaeological Heritage Management, History and Anthropology 5 (2), 1991, 269– 176, https://doi.org/10.1080/02757206.1991.9960815 (28 April 2020). Davies 1985 P. Davies: Splendours of the Raj. British Architecture in India, 1660 to 1947 (London 1985). Dicks 2003 B. Dicks: Heritage, Governance and Marketization: A CaseStudy from Wales, Museum and Society 1 (1), 2003, 30–44, http://www2.le.ac.uk/departments/museumstudies/museumsociety/documents/volumes/mands3.pdf (28 April 2020).

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surfaced following the visit of the Railway Minister in November 2017, after which it was decided to realise a museum by moving the offices in this building elsewhere. However, after the practicality of a museum was questioned by the Prime Minister, the project was abandoned. This aspect has been elaborated in another paper which focuses on expanding understanding of cultural significance of railways as living heritage and outlines strategies for the management of functioning railway sites. See Bhatawadekar 2021. See Bhatawadekar / Adhikari 2019. Mumbai has earned the title «city of dreams» because of its financial wealth and economic opportunities for which it has become a lucrative place for migrants. The railways have played a significant role in justifying this title. Smith / Campbell 2015, 449. Haldrup / Baerenholdt 2015, 63. Kirshenblatt-Gimblett 2014, 53.

Haldrup / Baerenholdt 2015 M. Haldrup / J. Baerenholdt: Heritage as Performance, in Waterton / Watson 2015, 52–68. Harrison 2013 R. Harrison: Heritage: Critical Approaches (New York 2013). Harvey 2008 D. Harvey: The History of Heritage, in: B. Graham / P. Howard (eds.): Ashgate Research Companion to Heritage and Identity (Cornwall 2008) 19–36, https://doi.org/10.1111/j.1365-2958. 2005.04581.x. (18 April 2020). ICOMOS 1994 ICOMOS: The Nara Document on Authenticity, 1994, https:// www.icomos.org/charters/nara-e.pdf (28 April 2020). ICOMOS 2004 ICOMOS: Chhatrapati Shivaji Terminus (India) No 945 rev Advisory Body Evaluation, 2004, http://whc.unesco.org/document/154660 (9 November 2020). Jaisinghani 2008 B. Jaisinghani: A plastic surgery for CST. The Times of India, 30 March 2008, 5. Joseph 2004 A. Joseph: Train your eyes on the glory of CST buildings. The Times of India, 4 July 2004, 2. Kirshenblatt-Gimblett 2014 B. Kirshenblatt-Gimblett: Intangible Heritage as Metacultural Production, Museum International 66 (1–4), 2014, 163–174, https://doi.org/10.1111/muse.12070 (26 October 2015). Morris 2005 J. Morris: Stones of Empire. The Buildings of the Raj (New York 2005).

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Image Sources

Plan Sources: 2019 Digital Globe (Google Earth), UNESCO Nomination Documents (http://whc.unesco.org/en/list/945/ documents/); Information Sources: Site surveys, online newspaper archives. Drawn by A. Maslekar for S. Bhatawadekar, 2019. Image Credits: S. Bhatawadekar / A. Maslekar; Courtesy: Central Railway.

Politische Rekontextualisierung und Umwertung von Bauten

Changing Content, Shifting Meaning Ottoman Value Attributions to Hagia Eirene in Istanbul

Bilge Ar

Hagia Eirene in Istanbul, a building still preserved in good condition, constitutes one of the most distinguished examples of Byzantine church architecture (fig. 1). It is the second largest surviving Byzantine church in the capital, after Hagia Sophia, and the only example that still retains its atrium.1 The current building replaced its 4th-century predecessor, which burnt down in 532.2 6th-century Hagia Eirene had a basilical plan, probably merging this linear arrangement of the traditional layout with a vertical focus and centrality provided by a dome added to the roofing system of the nave, a

feature shared with a number of other monumental examples of the period.3 The upper structure collapsed and was rebuilt during the iconoclastic centuries after an earthquake in 740, probably keeping the existing domed arrangement with some alterations.4 The architectural integrity of this 8th-century arrangement remained intact throughout the following Byzantine centuries. The building was repurposed and reused throughout its afterlife in the Ottoman centuries, but again without major changes to its basic architectural features.

1  Exterior view of Hagia Eirene in Istanbul.

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Most previous scholarly attention has focused on Hagia Eirene as a «Byzantine monument», overlooking its centuries-long afterlife as an Ottoman imperial monument. Its architectural quality, its significance in the eyes of the local population, and its strategic location at the heart of the city must have presented the building to its new Ottoman rulers as a natural candidate to be such an imperial monument. This study focuses on the values attributed to Hagia Eirene by its Ottoman users through a series of functional changes, starting in the earlier centuries when its religious attributions were replaced by military ones, and continuing until the late-Ottoman centuries when its role in terms of collection and display was systematised, highlighting it as a signifier of Ottoman imperial domination.

Earlier Centuries: First Conversion and Separation from the «Great Church» One of the most prominent buildings shaping the centre of Constantinople during the golden age of the Byzantine Empire was the church of Hagia Eirene. The building held great religious and imperial values during the Byzantine period. As the first cathedral of Constantine’s city, it is often referred to as the «Ancient Church» in Byzantine sources. By the 6th century, it stood as one of the few imperial ceremonial churches, together with the churches of Polyeuktos, Holy Apostles, and Hagia Sophia. In fact, Hagia Sophia and Hagia Eirene constituted a single sanctuary, enclosed in the same courtyard, served by the same clergy,

2  Garden walls of Topkapı Palace separating Hagia Sophia and Hagia Eirene.

Changing Content, Shifting Meaning

and even referred to by the common name of «Μεγάλη Ἐκκλησία» [the Great Church].5 After almost a millennium of this joint function, the two churches were separated after the fall of Constantinople to the Turks, as Hagia Sophia was immediately declared the first Friday Mosque of the new Turco-Islamic capital. In this way Hagia Sophia continued to be the religious centre of the capital, albeit now repurposed for Islamic worship. Adjustments were made for the building’s conversion into a mosque, such as the removal of the Christian furniture; changes in the decoration, such as covering the figurative mosaics with whitewash or paint; and the addition of a mihrab niche in the apse, a minbar, and a minaret for call for prayer. The new function granted the monument imperial, symbolic, and religious values similar to those it held in the Byzantine period, ensuring that Hagia Sophia received all necessary routine maintenance as well as extra investment throughout its Ottoman life.6 Hagia Eirene, on the other hand, kept its function as a church for a short while,7 but immediately after the defeat of the Byzantines, the war machines taken from the Byzantine army were deposited inside the building, which in practice turned it into a warehouse.8 It was stripped of its religious/ sacred values and became a shell for goods. While its doors were originally open to public during religious ceremonies as a church, as an armoury depot its visibility was limited. Considering the introverted character of Byzantine church architecture, this meant the loss of the influence of its decorative values. Its mosaics and frescoes were no longer visible to visitors, along with its presumably colourful walls covered by plaques of precious natural stones, which are no longer present today.9 The outer façades, providing the only available view on the other hand, are rather dull compared to the decorated interiors.10 As a 6th-century imperial Byzantine church, this change can be considered a dramatic loss of its visual and narrative value.11 After the construction of the New Palace, later called «Topkapı», the separation between the two

churches became far more vivid with the erection of the garden walls of the palace (fig. 2). These walls very much resembled city walls, and now Hagia Eirene was situated somewhat intra muros and became part of the palace complex.

The Church Conversions of Mehmed II and Approaches to the Byzantine Building Stock In today’s Istanbul, despite the existence of a few churches that have been fully or partially repurposed as museums, all other surviving Byzantine churches seem to have been converted into mosques. Although these buildings have been altered, holding a religious function kept their religious value intact and they have been well maintained thanks to their continuous sacred function. In fact, such continuation of value prevented them from damage and eventual abandonment. With this picture at hand one could easily accept the widespread belief that there was a systematic conversion of churches into mosques throughout the Ottoman period. However, this was not the case, especially not for the implementations of Mehmed II (r. 1444–46/1451–81), after the conquest in 1453. Only about 30 Byzantine church buildings survive to this day, whereas in late-medieval Istanbul more than 500 churches were reported. The urban transformation of Constantinople during the reign of Mehmed II is a relevant but complex process that cannot be discussed here. However, it should be stated that the existing Byzantine building stock was transformed and reused extensively in this period through many different decisions about use, rather than as a result of systematic conversions. A Byzantine church could certainly be transformed into a mosque, but also into a house, workshop, housing for dervishes, storehouse, or any other function.12 Only six churches, including Hagia Sophia, of the hundreds of documented existing ones were turned into mosques by the state, that is, at the hand of Mehmed II. Others,

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even some of those functioning as mosques today, served whatever urgent functions they were needed for in this early period, such as Nea Ekklesia Church (now lost) serving as a depot for gunpowder, Hagia Theodosia Church (now Gül Mosque) serving as a naval warehouse, or Pantokrator Monastery Church (now Zeyrek Mosque) serving as a madrasa.13

Accumulation of Contents in Hagia Eirene and its Effect on the Perception of the Building in the Following Centuries Given this history of Ottoman repurposing of Byzantine buildings, Hagia Eirene’s new function as an armoury depot appears compatible with the common practices of the period. After its enclosure within the palace walls, its function was officially changed into a military depot with the addition of Ottoman army weapons to the Byzantine spoils. It started to be referred to as «İç Cebehane» or «Enderun Cebehanesi», both meaning «Inner Armoury», a reference to its position inside the walls. Ottoman archive documents dated over several centuries include accounts of an active circulation of contemporary weapons and goods serving the army, shedding light to its practical use, and thus its continuous utilitarian value. Meanwhile, the Christian relics inside the building had not been removed elsewhere. Strangely, in addition to these Christian relics some accounts claim that some Muslim relics were also deposited here after the conquest of Egypt. Also spolia construction material such as fine carved capitals, monolithic columns and pavement blocks should be mentioned among the contents of the building.14 Hagia Eirene was adjacent to a large storehouse of construction materials. Finer architectural material to be reused was kept both inside these buildings and also deposited freely in the first and second courtyards of the palace.15 Reports from the early Ottoman period establish that the military collections included

not only contemporary weapons, but also the military belongings of former glorious sultans. Famous artefacts, such as the sword of Mehmed II, were mentioned in the memoirs of many visitors to the building.16 Just like the spoils from the Byzantines, other military spoils from defeated enemies were taken to Hagia Eirene. Symbolic keys of conquered cities were also added to the collection.17 It is clear that despite its new name, this imperial building never really served as a mere armoury depot. Far more complex values were granted to it through its contents. As a wellprotected military building inside palace premises, Hagia Eirene soon became a box for a menagerie of valuable artefacts. It is useful here to point out that military collections in Islamic states had an important cultural function quite different from that which applied in late-medieval and early-modern European societies. The artefacts used in jihad wars by military leaders had sacred qualities attributed to them. An examination of diplomatic gifts between medieval and early-modern states show that weapons, arms, and armour were only exchanged between Islamic states and were not included in diplomatic gift packages given by an Islamic state to a Christian one.18 There could be gold, valuable clothing, wild exotic animals, but not a sword or a helmet. Equally important were the military spoils of wars, such as war machines, arms, and armour taken from defeated states. Hagia Eirene was the roof used to house these symbols of military power.19 The building, with its grand dimensions and the quality of its construction materials, stood out from the rest of the service buildings and workshops that occupied the first courtyard of the palace. It was the first indication of imperial power as soon as one stepped inside the palace complex. It had masonry walls and a lead-covered roof, unlike the other service buildings surrounding the first courtyard of the palace, which were constructed of cheaper materials and covered with clay tiles.20 The Ottoman state used this aesthetic value acquired

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3  Interior view of Hagia Eirene showing the replacement columns separating the nave and the ailes.

4  Examples of spolia capitals used as bases for the replacement columns inside Hagia Eirene.

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5  Throne room in the atrium of Hagia Eirene.

by scale and quality of materials to exhibit the strength of its military forces. For example, about a month before any organised siege, as the army was getting prepared, one of the seven tuğs21 would be erected in front of the building’s gates to announce publicly the coming war.22 Another very striking application is the exhibition of wild animals during visits of messenger envoys from foreign countries. One account indicates that lions were chained in front of the gates during these visits,23 fortifying the imperial image provided by the monumental building of the army with the image of this animal associated with power.24 The gates of the building were well guarded, and its interior was not visible to the commoner’s eye. Soon the building’s contents started to be the source of legends among the public. Travellers’ accounts show that among the Christian

population of the city there were a lot of rumours about the Christian relics that did not leave the building. Some claimed that a few relics belonging to John the Baptist were housed inside,25 or that the grave of Ioannis Chrisostomos was underneath the building.26 Most of these rumours were false, but surely created excitement and caused imaginary religious values to be given to the building. The more secret and well-guarded the collection was, the bigger the legends grew. There were also occasions when some of the contents were paraded among the people of the city during special celebrations, allowing the imagination to speculate further about what more could be inside. These publicly displayed items could have included Byzantine war machines or soldiers dressed in clothes of earlier centuries carrying weapons from earlier Ottoman history.27 As an imperial building, Hagia Eirene was wellmaintained. It was repaired regularly and the necessary funds were devoted to its maintenance. However, despite everything, all the values related to its contents could not protect the interior of the building, which was now invisible to the common spectator. Together with the architectural construction material housed inside, the building itself was used as a source of spolia. Its ten columns separating the nave from the aisles were replaced by cheaper material to be reused in the Süleymaniye complex in the 16th century. The replacement columns were uneven and unequal in size. Some ancient and medieval column capitals were used as bases to these to overcome the height differences, causing a haphazard visual effect (figs. 3 and 4).

Development as a Venue for Collection and Display In the 18th and 19th centuries, we start to see the value attributions of the collections reflected in changes to the building’s functions. Starting from early 18th century, increasing relations with the West introduced some new ideas and reforms. At

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6  The two inscription plates, 1726 Dar-ül Esliha arrangement and 1744 repairs, over the entrance.

the request of Ahmed III (r. 1703–30), the war spoils of conquests and the ancient or out-of-date weapons in Hagia Eirene were reorganised as a private exhibition for the Sultan under the name Dar-ül Esliha [House of Weapons] in 1726.28 This introduced an official, but private, exhibition function to the military building. This formation resembled the «cabinets of curiosities», a typology that had existed in name since the Renaissance, but which was becoming increasingly common in Europe in this period.29 In its contents, Hagia Eirene was already quite different from the collections of holy relics and treasury quarters of the Topkapı Palace, which might also be interpreted as a «cabinet of curiosities». This was the period just before the era of the colonial empires, and museums would be used as an expression of their power. In addition,

the so-called cabinets provided the basis for the many grand museums that were soon to come. With the introduction of the Dar-ül Esliha arrangement, an inscription depicting the name and architectural changes was put on top of the main gate of the building. A throne room was constructed in the atrium, adjacent to the narthex, where the Sultan could spend time and enjoy his collections (fig. 5). This collection was a private one for the Sultan himself and was only visible to the eyes of his privileged guests. The building pursued its function as a military warehouse during this process. The new name was eliminated during the reign of Ahmed III’s successor, Sultan Mahmud I (r. 1730–54), and a second inscription was added in 1744, referring to the building as an armoury depot again (fig. 6).

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As a building that belonged to the army, Hagia Eirene was directly affected by military reforms and wars. With political distress and wars during the century following Ahmed III’s reign, the military function of the building became more prominent at the expense of the ancient weaponry collection. In 1839 some portion of the ancient weaponry was taken out of Hagia Eirene. This material was sold to a ship that went to Genoa for the price of scrap metal. At the beginning, nobody paid attention to the pieces, which were used by local poor people for daily needs, such as a helmet used as a teapot. Soon after the pieces attracted the attention of collectors in Genoa harbour.30 Pieces later found their way into many military museums around the world – the artefacts can be identified by the arsenal mark inscribed on them in Hagia Eirene. Probably most striking is the sheer amount of medieval European arms and armour housed inside Hagia Eirene.31 Such large collections were unusual in Europe, where metal was valuable and continuously reused. For the Ottomans as an Islamic state, however, these spoils had far greater connotations. So instead of being used for their metal value, they were preserved as treasures until 1839. The material that left the armoury was only a small amount of the total holdings, but it is still referred to as the largest loss the collection has suffered.32 These pieces attracted great interest from collectors as it was a time when military museums were emerging all around the world. The use of the collections changed when Fethi Ahmed Pasha (1801–58) was put in charge of the building. The Pasha previously had diplomatic jobs in important centres in Europe – Moscow, Vienna, Paris, and London. He had seen the importance given to archaeology and museums in Europe.33 In London he must have also seen the newly renovated military museum, the Tower of London, Madame Tussaud’s wax mannequins museum, and the British Museum. On his return in 1846, he persuaded Sultan Abdulmecid (r. 1839–61) to allow him to organise two parallel exhibitions in the atrium – one for

the ancient weapons and the other for archaeological artefacts. He also organised a wax mannequin exhibition of Janissaries on the gallery level of the building.34 The basis for the military collection in the building has already been discussed. For the archaeological collection, the spolia-intended architectural pieces housed here perhaps already provided some basis. After Fethi Ahmed Pasha had rearranged the collections, word was sent around the empire for the collection of antiquities. There were diggers who made it their profession to bring pieces from ancient sites. Ottoman archive documents about the protection of antiquities started to refer to the collection as «the museum in Istanbul».35 However, it is not exactly accurate to call either of these collections a museum yet. They only served the Sultan and his selected guests. They were not open to public, did not have any educative mission, and their material was not classified or assigned any informative labels: all of which are necessary traits for a museum.

Forming the First Imperial Museum: Where Does it Stand? Perhaps the most effective driving force in the opening of an actual museum in Hagia Eirene was the journey of Sultan Abdulaziz (r. 1861–76) to European capitals following an invitation from Napoleon III in 1867.36 Although the main motive of the journey was diplomatic relations and observation of war technology, there is evidence that the itinerary also included archaeological museums in the visited cities. At this point, it is very important to grasp the meaning of the museum for a colonial empire. By the artefacts exhibited in the museums, brought from the furthest lands ruled by the empire, states could show the greatness of their area of sovereignty. Travel notes of the companions of Abdulaziz refer to their distress when they saw many artefacts in these museums with labels indicating they were brought from Asia Minor, Anatolia etc. as if these lands were ruled

Changing Content, Shifting Meaning

7  Pages from the Ottoman archive document dated 1869 including the declaration of Hagia Eirene as the Ottoman Imperial Museum.

by the owners of these museums. There are also a number of documents in the Ottoman archives about legal issues and problems encountered with foreign archaeological missions.37 As a result in 1869, soon after the Sultan’s European expedition, Hagia Eirene was opened as the first official museum of the Ottoman Empire under the name «Müze-i Hümayûn» [Imperial Museum] (fig. 7). The private collections housed inside presented the building as the natural nominee to house the imperial museum. With this official name, the building became an actual museum, open to the public, pursuing educative purposes, and housing a classified collection with informative labels. The word «Hümayûn» referred to its imperial connotations.38

Considering the functions of Hagia Eirene throughout the Ottoman era, it is important to remember a few things. The building housed the spoils of war, Byzantine war machines, and later spoils from defeated armies and keys of conquered cities. These provide direct symbols of the geographies of the vast lands to which the empire extended. How is this different from «the museum» of the age of empires and colonialism? As early as the 16th-century, this imperial monument already presented the colonial approach of the much later museums. Like them, its contents symbolised its spheres of geographical domination. The building and its contents served as a whole to stand for imperial power, similar to the way in which «the museum» will serve the Western European empires

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8  A postcard showing the interior of Hagia Eirene during the years it was functioning as the military museum of the Ottoman Empire.

in accordance with colonial structures of power centuries later.39 Its audience was limited to the «men who matter»: the Sultan and his selected guests. Overall, given the building’s contents and all the things that Hagia Eirene represented for the Ottoman court, it was naturally nominated to be the «Imperial Museum» when the time arrived. The building did not hold this function for long, however, due to the limitations of its storage space and its continuing military storage function. In 1875 the archaeological collection was moved to another building (the Tiled Pavilion) and the building returned to its military function. In the 1910s the military collection housed here started to be organised as a military museum to evoke the nationalistic feelings of Ottomans as World War I approached (fig. 8). Once again, Hagia Eirene took on a function compatible with everything it

represented throughout its Ottoman life. However, this time the building was not overwhelmed with implicit symbolic existence, but contained a very open, articulate narrative in the form of a pretty interactive to-the-definition «museum». There is an obvious intellectual distortion in the ideological development of modern Ottoman museology, but it clearly started contemporaneously with Renaissance Europe, developing perhaps not through conscious steps, but intuitively. Its development must even be considered innovative in the early and classical Ottoman periods compared to the rest of the civilised world. The 19th-century functional changes of Hagia Eirene therefore are not just Western influences in terms of adopting the museum as a foreign typology, but a natural process perhaps given a hand by the so-called Westernisation period.40

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1 The outer corridors of the atrium can be securely dated to the 6th century by the masonry techniques. The inner corridors around the courtyard, including the one adjacent to the narthex, were added during the Ottoman period. 2 Both Hagia Eirene and Hagia Sophia were burnt down, with other public buildings of the city centre, during the fires caused by the «Nika riot» in 532. The event gave Emperor Justinian an opportunity to rebuild the area with monuments dedicated under his name representing the glory of the Byzantine empire and the Christian religion. 3 Two monographs have been published on the Hagia Eirene Church in Istanbul, dealing with it as a Byzantine monument (George 1912; Peschlow 1977). The first of these, by Walter George, includes a historical notice written by Alexander Van Milligen, which provides a thorough historical outline for the building within the Byzantine period. The monograph includes very precise, detailed drawings of the monument, but as the author himself indicates, does not aim to interpret the position of the building in the context of Byzantine architectural history. This is undertaken by the second monograph by Urs Peschlow, which is still considered the main reference book for Hagia Eirene as a Byzantine monument today, with detailed drawings, dating of the finds, and a comparative analysis. 4 For a recent interpretation of this phase, see Feist 2020, 129–145. The decorative programme, especially the wellpreserved mosaic decoration of the apse showing a plain cross raised on a three-stepped platform with a golden background, is especially noteworthy in terms of the artistic attitudes of the iconoclastic period. 5 Millingen 1912, 84–86 as quoted in Socrates 1864, ii, c. 16. 6 For a thorough history of structural changes and meaning attributions to Hagia Sophia related to its life as an Imperial Ottoman monument, see Necipoğlu 1993, 195– 225. 7 Müller-Wiener 1988, 114. 8 For a detailed monograph on the Ottoman life of Hagia Eirene in Istanbul, including function changes, structural interventions, and meaning attributions, see Ar 2014a. 9 Its new function, which did not allow visitors, must also have led to the removal of natural stone plates to be used as spolia elsewhere. 10 Charles Diehl puts this aspect of the early Byzantine church very clearly in his chapter on Byzantine Art: «The impression given by the exterior is, it is true, by no means striking; a 6th century Byzantine building, with its bare walls of brick, always presents a somewhat poor and monotonous aspect from without.» Diehl 1969, 167. 11 Referring to the narrative value of the Byzantine church through its interior decoration including biblical scenes, repetition of crosses, expression of the grandeur of the lands belonging to the empire by the use of natural stones of various origins etc. 12 Ar 2014a, 312–324 gives a list of some major converted buildings and their new functions in the Ottoman period.

13 School for higher-degree education. 14 Barkan 1972, vol. 1, 33–35 presents a notebook from the Topkapı Palace Archives that contains a list of materials, including spolia marbles, taken from Hagia Eirene depot for the construction of the Suleymaniye complex. 15 Ar 2015, 13. 16 For example, in his memoirs from his visit to Hagia Eirene in 1851, Gustave Flaubert describes the historical weapons exhibited inside the building, and mentions that every­ body visiting the building with him (except him) took Mehmed II’s sword in their hands and experienced swinging it around. Flaubert 1948, vol. 2, 331. 17 Flaubert 1948, vol. 2, 331; Gautier 1990, 256–258. Both Gustave Flaubert and Theophile Gautier mention the keys of the conquered cities among the exhibited objects in their descriptions of the contents of Hagia Eirene. 18 For a broad examination of diplomatic gift exchanges and meanings attributed to these, see Behrens-Abouseif 2014. 19 Frédéric Lacroix indicates that Hagia Eirene with its contents looked like a military museum rather than an armoury depot in his Istanbul guidebook published in 1839. He states that the building was officially used as an armoury depot at this date, and no one was allowed to enter. However, the valuable military artefacts were known to him. It is also noteworthy that he states that the Ottomans gave the same value and showed the same respect to these weapons as they did to the holy relics. Lacroix 1839, 28. 20 For a detailed examination of the buildings of the first courtyard of Topkapı Palace, and the architectural history of the palace in general, see Necipoğlu 1991. 21 Tuğ: An aigrette on spear used as an imperial, or a highranking official’s, sign. They are known to be seven in number in 16th century and six in later centuries. Uzunçarşılı 1988, 262–263. 22 Uzunçarşılı 1988, 264. 23 Konyalı (1951, 257) records that the Habsburg messengers observed these animals as they proceeded to the palace in 1530. 24 In fact, the first lion house [Arslanhane] of the palace was located right next to Hagia Eirene until the beginning of 17th century, between the building and the garden walls of the palace. A lion house was a name given to the building type that housed the wild and exotic animal menageries of the Sultan, and there were about at least four to five of them close to the palace. 25 In his memoirs, traveller Jean Claude Flachat complains about not being able to see the relic of John the Baptist, among many other Christian relics, of which he heard many mentions from the local Greek population, indicating that the arm of the saint was preserved in a golden box inside Hagia Eirene. Flachat 1766, 16. 26 Majesca 1984, 227; Kömürciyan 1988, 12, 28–29; İnciciyan 1956, 45. Mentioned in many sources, apparently it was a widespread belief that Ioannis Chrysostomos was buried here.

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27 Clarke 1817, 11. Edward Daniel Clarke, a visitor from the beginning of 19th century, is among the travellers who recorded that some content of Hagia Eirene was paraded for the eyes of the public during celebrations. 28 This process has been presented in detail in Ar 2014b. 29 «Cabinets of curiosities» or «cabinets of wonder», also widely referred to by their German names of «Kunstkammer», «Wunderkammer», «Kunstkabinett». Although these formations already existed in 17th-century England, they started to spread at the beginning of the 18th century. They provided the bases for numerous early museums. Among important examples in Britain, the Ashmolean and Pitt Rivers museums in Oxford and the British Museum in London could be mentioned. The museum in Ambras Castle in Austria has also evolved from the Kunstkabinett of Archduke Ferdinand II. The cabinet in Russia, holding curious objects related to natural history, was opened in 1727, one year after the formation of Dar-ül Esliha. This collection was reorganised and turned into an offical museum only in 1830s. Contextual and historical parallelism is obvious between these formations and the Ottoman Darül Esliha. 30 Hewitt 1859, 116–117 quotes the notes of Robert Curzon, one of the actors of this astonishing story. 31 Ar 2014a, 179–182. 32 Phyrr 1989, 87. 33 Öz 1948, 2–6. 34 Ar 2014a, 193. 35 The Presidential Ottoman Archives document code: BOA, I.MSM, d. 17, g. 387 (15 February 1846) and BOA, A.}MKT, d. 51, g. 75 (9 October 1846) are two examples of these. 36 The effect of the European expedition of Sultan Abdulaziz on the opening of the Ottoman Imperial Museum is discussed in detail in Ar 2014c.

37 Especially the archaeological excavations led by the British architect/engineer John Turtle Wood (1821–1890) caused major conflicts. After working as an engineer for the construction of Izmir-Aydın railway, Wood was funded by the British Museum to run excavations in the ancient site of Ephesus and collect archaeological artefacts for the museum. Ephesus was situated on this same railway that connects the site to Izmir harbour, providing a very easy basis to transfer the artefacts. The excavations continued between 1863 and 1874. The Ottoman authorities of Aydın Province detected that Wood was violating the regulations about antiquities, even though such regulations were already very undemanding and insufficient especially in the earlier years of the excavation. Documents in the Ottoman archives include exchanges between the authorities of Aydın Province and officials in the capital attesting to the distress caused at the Ottoman court. For a detailed discussion of these conflicts and their effect on both the regulations of antiquities and formation of an Ottoman imperial museum, see Ar 2014a, 217–219, 294. 38 On the development of Ottoman museology, see Shaw 2003. 39 In fact, there is active contemporary debate and scholarly attention focussed on how even today museology still continues to be produced in accordance with colonial structures of power in many countries. 40 The Ottoman world began to meet with Western forms in art and architecture in the 18th century, and this process of modernisation went hand in hand with an exponantially spreading «Westernisation» in the 19th century. This led to drastic changes in urban, cultural and administrative contexts. However, not all change is imported, and conclusions about the period should be handled with caution, considering the complex historical background and underlying local contemporary developments with a critical approach.

Ar 2014a B. Ar: Osmanlı Döneminde Aya İrini ve Yakın Çevresi [Hagia Eirene and Its Vicinity in the Ottoman Period], Diss. Istanbul Technical University 2014.

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Shifting Values around the (Non-)Existence of the Historical Artillery Barracks at Taksim-Gezi, Istanbul

Turgut Saner, Tuba Üzümkesici

The story presented here has a beginning, certain chapters are already known, and yet the end so far has not been written. The plot sounds actually quite simple: the demolition of a late-Ottoman artillery barracks as a 1930s urbanism action in Istanbul and the idea of its reconstruction today. The building is located next to Taksim Square, created in early 20th century, and today the most significant public space in the city. Even though the story sounds simple, fierce controversies around the building’s probable reconstruction today keep the topic alive. The discussions, which at times are fuelled with rage or come to a standstill because of conflicting political agendas, have already reached a degree of ideological polarisation. The topic is challenging and attractive for many (among others, politicians, non-governmental organisations, sociologists, and architects); too much has been said and written so far. At the same time, the issue is closely related to the city’s modern history, and further to Turkey’s recent social and political history. Before addressing the heavily laden value matters connected to the artillery barracks, it will be proper to take a glimpse of the background of the creation (or the codes of creation) of Taksim Square, since it stands in an organic relationship with the existence (and non-existence) of the barracks. Actually, there is no «Taksim Square» with a long urban tradition. The square derives its name from waterworks constructed here in the 18th century – «Taksim» meaning «distribution» (of water). Taksim is the highest spot in the immediate neighbourhood, and that is why water was brought here from a long distance to be distributed further to

several residential parts of the city. In other words, the topographical situation of the land was utilised for a specific function. The arrangement of Taksim as a modern urban square is also directly linked to this particular topography. Galata, a medieval Genoese harbour which was a trade colony on the north-eastern side of the Golden Horn, developed especially in the 19th century into a commercial– residential district with European establishments encouraging European social manners. The topo­ graphical/urban development of Galata (or Pera as the area was known in the 19th century, covering in that era an area larger than the original nucleus) took place on a long ridge with slopes on both sides. This natural ridge was designed to carry the major street – known by its Ottoman name «Cadde-i Kebir» or as «Grand Rue de Péra» (today’s İstiklal Street). The development of the Grand Rue towards the north terminated originally (and topographically) at Taksim. And Taksim, at the northern end of the street was only an empty space used in Ottoman times for military training and manoeuvres. The extensive area also included Muslim and Christian cemeteries, as well as recreational spots with special vistas overlooking the Bosporus. The long ridge that starts from the historic Genoese settlement, and runs in the form of a main street, became in the 19th century a vivid urban axis with embassies, churches, luxury shops, theatres, cinemas, tea rooms, and houses for literature. It was considered «the European face» of Istanbul. Thus, the rearrangement of Taksim as an urban square in the early years of the Turkish Republic can be regarded as the integration of the young and

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Turgut Saner, Tuba Üzümkesici

1  Monument of Republic as a spot of attraction in 2019.

modern spirit of the Republic with this already existing Europe-like urban space.1 The major components of the rearrangement include a «Monument of the Republic», a work of the Italian artist Pietro Canonica, and its immediate surroundings. The monument narrating Mustafa Kemal Atatürk’s struggles in founding the Turkish Republic was meant to be visually experienced from all sides on an ex-nihilo created public space designed according to European urban codes (fig. 1). The artillery barracks, the focus of this chapter, were built in 1806 on a large ground at Taksim (fig. 2). The building housed the artillery corps, a product of Ottoman military reforms under Selim III, who was considered a pro-European and «reformist» ruler.

The building had an extensive inner courtyard; the flanks on all four sides were of two floors and the corners emphasised with towers. The entire compound included accommodation, storage space, stables, a mosque, and a sultan’s lodge displaying the basic characteristics of Ottoman military architecture of the time. The main entrance was reshaped later in the same century, with polygonal towers crowned by onion-shaped cupolas. Its façade was decorated in a playful orientalising style, then fashionable but quite alien to Istanbul’s local architectural tradition.2 Since this western entrance façade was photographed frequently, the visual image of the vanished building today is more or less reduced to this particular example of ornamental architecture. Numerous renovations and restorations occurred in the artillery barracks, showing that the building was essential for many basic social needs and functions throughout a long period of time. The building remained for many years as a centre of modern military education, training, and operations. Closely linked to the development of the city in late 19th century, the wider neighbourhood of Pera and Taksim, with a certain amount of residential use, was no longer considered a remote area relative to the central Old City district in the south. Thus, the artillery barracks and Taksim began to host diverse outdoor social activities. Acrobatic spectacles, balloon shows, and horse races were organised here around the turn of the century. Based on this urban transformation in the early 1900s, discussions about a radical functional change for the artillery barracks emerged.3 The selling and even demolition (even back then!) of the building were among the ideas. Great benefits were expected once the barracks and its grounds were sold. In 1909, the so-called Ottoman–English Company planned to open an Ottoman–English exhibition here. In 1911 the area in front of the artillery barracks was reserved as a promenade, and the building itself was about to be converted into a city museum. However, none of these plans were realised. In 1913 the Ministry of Finance

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2  Artillery building and its immediate surroundings (before the creation of Taksim Square).

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3  Gezi Park as it was laid out after the demolition of the artillery (and Taksim Square, partially shown).

transferred the artillery barracks to the National Ottoman Company for Industry and Commerce. However, the undertaking turned out to be ineffective and the building remained abandoned for a number of further years. The building was not in use during the First World War either. It came under the control of the French army during the occupation of Istanbul that started in November 1918. Senegalese soldiers of the French occupying corps were housed in the building, re-named in those times as MacMahon

Barracks after a former French president. Members of the French and British occupying forces organised sporting events, such as football, volleyball, basketball, baseball, riding, boxing, cricket, polo, hunting, and golf in and around this area, activities which attracted public attention. The flux of crowds to Taksim actually paved the way for the artillery barracks to be converted into a football stadium after the occupation years. Taksim Stadium was in use from 1921 until its demolition in 1940. The Talimhane Ground to the west of the front of

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4  Taksim Square with Monument of Republic, 2015 (centre of the image: Atatürk Cultural Center (AKM); right: Gezi Park. The new mosque has not been built yet.).

the building, once reserved for military training, grew into a place where people rode bicycles, children played games, and big circus tents were erected (fig. 2). The area close to the artillery barracks, including Talimhane, was furnished with new housing blocks and gained commercial importance. The arrangement of Taksim as a modern urban square began five years after the foundation of modern Turkish Republic. The Monument of the Republic was erected in 1928, partially on the spot where the stables of the artillery barracks once stood.4 The demolition of the barracks took place quite later, in 1941, as part of what can be considered a further stage in the effort to modernise or «beautify» Taksim (and the city). In the Istanbul Urban Plan of 1936, prepared by French urban planner Henri Prost after many time-consuming inspections, the demolition of the artillery barracks was one of the essential decisions.5 The ground of the artillery barracks was conceived as the starting point of a large and long green belt to proceed northwards. President İsmet İnönü, successor of

Mustafa Kemal Atatürk, and Lütfi Kırdar6, Mayor of Istanbul, both made great efforts to realise Prost’s urban plans for Istanbul. According to the plan, a great «conference valley» with meeting halls would be laid out and new residential and sports complexes would be constructed close to the park (i. e. Gezi Park) area. This park and its extremities were defined as the «Boulogne Woods» of Istanbul in those times. The starting point of the entire green belt was expected to be arranged after the demolition of the artillery barracks (fig. 3). Henri Prost planned the building of a theatre, conference hall, exhibition hall, community and sports halls, as well as clubs and a post office as part of the design of the large green zone. However, the financial stresses of the Second World War period allowed only some of these projects to be realised. For a long time, Gezi Park served as a recreational area (and not necessarily a safe one), including facilities such as the municipality marriage office, a carpark, some teashops, and temporary exhibition stands (fig. 4).

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Voices from the Pro-Demolition Discourse (1940s) Close to the end of February 1940, newspapers reported that the demolition of the Taksim Barracks would be accomplished in four phases. The massive building was to be demolished gradually in order to provide some more time for the building residents and for the football league to finish. The demolition was carried out starting with the eastern wing; it was followed by the northern and southern flanks, and finally by the western wing facing the Talimhane Ground. Demolition started with the termination of the football league on 25 March 1940. The demolition aroused some criticism, with claims that the building could have been used for housing immigrants during the Second World War. Yet as a proposal was submitted to the National Assembly to stop the demolition, it was realised that three flanks of the building had already been demolished. Members of the government and the Istanbul Municipality took decisions so rapidly that criticism seemingly remained in the background. The state and party newspaper Cumhuriyet7 articles of the time celebrated the demolition for the sake of a modern physical and social face for Istanbul: on the area of Taksim Artillery, a great modern building including several clubs, and a complex consisting of a big theatre, a modern people’s hall, and many other beautiful buildings of the same style are going to be established.8

Even if the exact content of the entire spatial organisation was not known yet, expectations were great and confidence in a foreign expert (Prost) was full: on the area of Taksim Artillery, a theatre, city club, press club, and other necessary buildings are going to be constructed. Specialist of urbanism [Henri] Prost suggested in a letter he sent to the municipality that internationally recognised engineer Auguste Perret should be invited for the construction of this kind of buildings.9

The demolition of the artillery barracks was apparently seen as a must, and eagerly expected for the sake of a better (Europeanised) social ambience:

the part of the stadium and the artillery flanks behind the goal area will be completely removed, and the area will be arranged as a garden for promenades. On the wide allées right and left of the garden, outdoor cafés and restaurants will be accommodated just like in the wide streets and squares of Europe.10

The laying out of the park complex started in 1941, immediately after the demolition. The opening ceremony took place in 1942, and public use then began. Newspapers of the time that reported the opening ceremony praised the park as a modern setting: İnönü Esplanade was inaugurated yesterday at 5.30 pm with a great opening ceremony […]. Hasan Ali Yücel, minister of education, reminded that the attraction of Gezi will be enhanced by adding some decorative elements, just like at the esplanades of European cities […] following the stroll in Gezi, the guests, who were received at a rich buffet, left with a deep relief this most beautiful esplanade of the city, where only yesterday the ruin of a barracks raised….11

Not just the future social encounters in the park but also the artistic beauty of the park itself were enthusiastically imagined and described: Gezi is really a very fine artwork, which has been beautifully arranged. In the future, a beautiful pool will be constructed, and various spots of Gezi will be decorated with statues.12

Further, the achievements of the Republic were presented as superior to the splendor of older times: a matchless promenade. A modern one. With the pool and cascades, and the statue of İnönü, at the entrance, and statues at many different spots, it will be a most enviable work compared to [18th-century Ottoman] Tulip Period cascades and to that period’s most poetic promenades.13

Intermission (and the İnönü Factor) The entire story, as it was told in the beginning, takes shape around the demolition of a building in 1940/41 and now, in 2020, the desire to reconstruct it. Yet the significance attributed to this innocent-looking (re)constructional or architectural

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operation gains a meaning within a much larger whirlwind of values. It is not easy to analyse this complex phenomenon within the frame of this chapter. To refer only to certain modalities may be insightful. The artillery barracks was a late-Ottoman building, and certainly not an architectural marvel compared to the worldwide renown of a group of Ottoman buildings in the Old City of Istanbul. However, the demolition of the barracks would not be acceptable according to today’s preservation principles. Considering the conditions of the 1930s and 1940s, the demolition was part of a one-party state’s attempt to strengthen the country’s foundational principles based on a series of radical urban reforms aimed at moving towards modernisation. The Turkey of those years was a teenage republic trying to leave the Ottoman past behind and position itself in the modern world. Being a «secular nation» received immense priority, and the new park was meant to give the women and men of Istanbul a certain sense of being «free republican» citizens, thereby stimulating a contemporary lifestyle. This particular value was obviously different from the religion-based social organisation of the Ottoman Empire where people were subjects of the Sultan. While the Ottoman state functioned as a mechanism to hold different religious groups together while using Islam as an overarching value, the early 20th-century Turkish Republic considered the «secular nation» and «contemporaneity» as primary values. One should remember that the worldwide nationalistic climate of the 1940s also prevailed in Turkey, even if the country did not enter the war. The park area which emerged after the demolition was named İnönü Esplanade14 after the then president of Turkey, and together with Taksim Square it was designed to enable the organisation of sumptuous military parades. At this point, the «President İnönü» factor – İnönü was both the President of the Republic and head of the Republican People’s Party (CHP) – joins the story more intensively. Atatürk was the person who conceived and practised values associated

with «being contemporary» with the foundation of the Republic. His successor İnönü emerged as the «second (most powerful) man» and added – according to the spirit of the time – an authoritarian touch to the narrative by giving his name to the newly established park and by having a monumental statue of himself placed there. Thus, as a subproject, another problematic chapter developed.15 A monumental equestrian statue of President İnönü was prepared, to be erected to the south of İnönü Esplanade. Supposed to be 10 m high, it was meant to face Taksim Square. German sculptor Rudolf Belling, then professor at Istanbul Academy of Fine Arts (he later worked at Istanbul Technical University), was commissioned with the design and realisation of the monument.16

Voices from the Pro-Reconstruction Discourse (2011 onwards) Before the parliamentary elections of July 2011, Recep Tayyip Erdoğan, the then Prime Minister, organised an event to present his party’s (Justice and Development Party – AKP) projects. Among many other projects, he presented the idea of the reconstruction of the artillery barracks. This project led to intense discussions among urban planners and architects, and the Board of Historical Assets17 rejected the project. However, its politically charged importance remained. Five years after his first presentation of the project – in 2016 – the now President Erdoğan, while addressing supporters in Istanbul on 19 July, once again came back to the question, promising the reconstruction with the words: «Taksim Barracks will be reconstructed according to its history, if they like it or not! […] There, we will establish a history museum and a city museum.» The issue is still, in 2021, up in the air. As is well known, the protests by environmentalists against the reconstruction had unexpected results. The cutting of trees in the park, supposedly to make place for the reconstruction of the barracks, was protested by numerous, and politically

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5  Taksim Mosque under construction, 2019.

diverse, groups in 2013. Their agility spread countrywide and led to one of the biggest anti-government protests in the history of Turkish Republic, known as the «Gezi Park Protests».18 It was actually the political climate of the 1940s that Prime Minister Erdoğan played on in 2011 in attacking his rival party, the opposition CHP (still İnönü’s Republican People’s Party). While presenting his party’s projects prior to the elections of 1 June, Erdoğan pointed to the images of the artillery barracks on the screen and addressed his audience: [D]o you know what was at the place of Gezi Park originally? It was Taksim Artillery Barracks […] You see this building; do you know which mentality demolished this building? […] Taksim Artillery was demolished in 1940, that one-party period!, CHP!, Governor and Mayor Lütfi Kırdar’s period, disregarding its architectural and historical value. […] CHP does not ever recognize history and all that stuff. They demolished this. And made this [the park]

out of it. And what happened at this area of demolition? Gezi Park was constructed. Now we are reconstructing it according to its original state. We are constructing Taksim Artillery again. […] This place was used as Taksim Stadium. It was the well-known Taksim Stadium before the construction of Dolmabahçe Stadium. […] Then in great haste, Dolmabahçe Stadium was constructed below [down on the valley].19 And the stadium was transferred to that new place. And this one was annihilated […] CHP is a mentality that destroys history. 20 We are embracing our history. And we are transmitting this history to the future. 21

At the beginning of the 21st century, conservative values were advertised intensively in Turkey.22 And obviously it is supposed that the lost artillery barracks would awaken lost memories of Ottoman times, and reflect these values – at least visually. Actually, only visually, because the Prime Minister’s pragmatic plan for the reconstructed building included a carpark inside a garden (which

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is simply the courtyard) and a shopping mall in the building. Anyway, the construction of the image or the ghost of the artillery at Istanbul’s most symbol-laden public space would indeed be a dominant Ottomanist performance.23 In the meanwhile, the issue of Ottomanism and the attribution of emphasis to the visibility of religion went beyond the possible reconstruction of the barracks, and a monumental mosque has already been built on Taksim Square (fig. 5). Nevertheless, the mosque, which supposedly revives the Ottoman spirit, stylistically owes much to Indian–Islamic architecture. Actually, at this point styles do not play a part. It is not

important any more whether the «new» (fakeOttoman) artillery would be a caricature of the original. Or whether the new mosque does or does not represent the «true» Ottoman tradition, and whether the new cultural centre resembles the demolished modern one (Atatürk Cultural Centre – AKM24, figs. 4 and 6) or not, all surrounding the square. If the artillery barracks is reconstructed, a new trilogy will be created, including the barracks, the mosque, and the new cultural centre. The values that Taksim Square symbolises (or did symbolise until recently) and which were based in the first half of the 20th century will be radically erased and replaced.

6  One of the last images of AKM abandoned for years awaiting demolition.

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Concluding Remarks (for now) In the struggle to discern value, two essential components of modern Turkey’s society emerge: namely «secular-national or republican values» and «religious-conservative values». The Turkish state, during the course of its young history, mostly moved between these two spheres, as did society. However, great masses of people in today’s Turkey tend to maintain both of these ways more or less equally, or at least without bringing them to any degree of extremism. It is most likely that these people constitute the core of the population. After the First World War, it was impossible to completely implement a top-down reshaping of an entire society, including those living in the countryside that had remained isolated for centuries, according to western codes. Yet the modernisation brought by the new Republic apparently served to raise generations loyal to humanistic and rational values. Equally, attempts to establish a solely religion-based daily routine, promoted

in Turkey from roughly the 1980s onwards, seem not to have worked entirely either. The question of whether to reconstruct or not to reconstruct the barracks should therefore be answered based on the amount of these attributed values, rather than singular/radical values represented by political parties. This chapter assumes a minimum amount of familiarity with modern Turkish history over at least the past 150 years. Otherwise, the intricate accounts given here might give the impression that they are merely social media conversations and excerpts with no foundation. The strikingly different social and economic conditions of the 1930s and of the 2010s (in the world and in Turkey) make it additionally difficult to compare old and new valuations attached to the (non-)existence of the artillery barracks. In fact, sociologists and future social historians are/will be the true commentators on the story of «Battlefield Taksim» rather than architects (like ourselves) or urban researchers.

1 The modernisation of the old city part of Istanbul, which bears intense Ottoman memories, is another long chapter with its own particularities. 2 This is to be considered within the frame of Westernisation in Ottoman architecture where many European styles and artistic trends were adapted from the 18th century onward. The orientalising style 19th-century Ottoman architecture was mainly based on Alhambra features introduced via Europe. The main façade of the artillery barracks basically reveals elements of Moorish style combined with local Ottoman features. Saner 1998, 79–81. 3 The history of the artillery barracks, including its demolition, has been studied in a master’s thesis: Tuba Üzümkesici: TaksimTopçu Kışlası ve Yakın Çevresinin Tarihsel Dönüşümü [The Historical Transformation of Taksim Artillery Barracks and its Surroundings], unpublished master’s thesis ITU – History of Architecture Dept., 2010. Various parts of this study have been published by the same author: Üzümkesici 2011. Major information

about the building in the following paragraphs here is based on Üzümkesici’s studies. 4 The erection of the monument was actually one of the immediate and symbolic attempts in Istanbul to make the values of the newly founded Republic visible in public. Otherwise, almost all investment was focused in Ankara, the new capital city. 5 Starting in 1936, architect and urban planner Henri Prost was involved in the development of Istanbul on the basis of modernisation. He prepared plans for Istanbul’s historical and new districts. The demolition of the artillery barracks at Taksim was one of his most controversial interventions. Bilsel 2011, 100–116. 6 Lütfi Kırdar studied medicine in Ottoman Turkey and served at various health institutions in the early years of the Turkish Republic. He was minister of health between 1957 and 1960. However, Kırdar’s most effective years of service were devoted to Istanbul’s modernisation as governor and mayor of Istanbul (1938–49).

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7 Cumhuriyet («Republic») was established in 1924, primarily to support and broadcast the overall modernist foundation principles of the Turkish Republic. 8 Cumhuriyet 1939b. All translations of quotes from Turkish sources by Turgut Saner. 9 Cumhuriyet 1939c. 10 Abidin Daver, journalist and politician, in Daver 1940. 11 Cumhuriyet 1942. 12 Akşam 1942. 13 Said Kesler, journalist, in the newspaper Tan: Kesler 1942. 14 The Turkish name of the park «Gezi» (originally Gezgi) – as we know it today – is simply the translation of Henri Prost’s term «esplanade». 15 Problematic, because of the impression one got in those times (and later too) that İnönü was trying to forward himself and to prove he was not just the «second man» but «the other essential power» equal to Atatürk. 16 Only the base of the statue could be constructed and placed in 1944, whereas the statue itself was kept in storage for a very long time. In the end, it was never placed upon the base in Taksim due to political reasons. The base was transported to a small park near İnönü’s house in Istanbul (Maçka neighbourhood) where the statue was put in 1982. 17 This board is part of the Ministry of Culture and Tourism and responsible for all legal actions concerning the preservation of historical buildings and monuments. 18 More than 2.5 million people actively participated in the street protests, with more active on social media; civilians and police officers died during the events. The social and legal consequences of Gezi Park Protests are still ongoing. 19 The construction history of the new stadium actually covers a long time period. The idea goes back at least to the year 1939, but the realisation of the project took about eight years. «The essential decisions on the city stadium in Dolmabahçe will be taken tomorrow […].– [A]fter the decision, the construction will be given out by contract immediately […]» (Cumhuriyet 1939a). «Şinasi Reşid, one of our architects, will leave for Milan on Friday morning. Plans, articles, and conditions, and inspections will be completed within 1.5 months […] [I]f all the issues are solved, the foundation ceremony will take place on 29 October on the Day of Republic […]. The construction will take a year. The official opening ceremony will be organised on next year’s Day of Republic.» (Cumhuriyet 1939d). The foundation was laid on 19 May 1940, on the Day of Youth and Sports. After six years, it was still incomplete. Once again, on the Day

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of Youth and Sports: «[…] the celebrations took place for the first time in that spectacular İnönü Stadium […]. [T]he stadium commands its honorable name, the beautiful city of Istanbul, and the historical area, where it is situated […] once the construction is finished, it will be more beautiful, more perfect.» (Daver 1947). It was Prost who brought up the idea of the demolition of the artillery barracks, and the CHP approved the decision; and it was Prost who developed a concept to preserve the Ottoman era skyline of old Istanbul, and the same CHP approved the decision. For Prost’s approach to preserving the architectural heritage, or at least the «picturesque qualities», of the old city, see: Bilsel 2011, 111–112. Mr. Erdoğan introduced AKP’s new projects on 1 June 2011 at a meeting in the Haliç Congress Centre [HaliçKongreMerkezi] in Istanbul. To sum up in one phrase: conservative attitudes were almost abandoned in the first 25 years of the Republic. With the transition from one-party regime to parliamentary democracy after the end of the Second World War, the «rediscovery» and re-introduction of conservative values and a kind of ultra-modernism prevailed side by side, both supported by related institutionalisations. The military intervention of 1980 further promoted religious qualities. Finally, the beginning of the 21st century saw the rise of conservatism to political power. While talking of ghosts, it is inevitable to add here a personal share. We (Pattu Architecture and Turgut Saner) conceived a project in 2010, within the frame of «Istanbul – the European Capital of Culture» with the title «Ghost Buildings». In this project, developed at our faculty seminars, we chose twelve vanished buildings in Istanbul (including Taksim Artillery) spanning the Byzantine period to the 20th century. Installations were designed city­wide, an exhibition and a catalogue prepared (Kozar et al. 2011). We included a particular remark in the foreword to the book: «We highly respect the memories of ‹our› buildings today, in a time with a lot of reconstruction works going on. Their presence on plain paper should also remain there; we are not willing to see any of them one day reconstructed and become a zombie instead of being a charming ghost….» This building is another integral part of the Taksim adventure then and now. See Akçan 2019, which is elegantly interwoven with historical-actual information and personal sentiments (thereby including many informative and intellectual aspects on Taksim, which our contribution in this chapter lacks).

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Akçan 2019 E. Akçan: How Does Architecture Heal? The AKM as Palimpsest and Ghost, in: C. Özselçuk / B. Küçük (Hg.): Decline of the Republic. Vicissitudes of the Emerging Regime in Turkey, The South Atlantic Quarterly 118, 2019/1, 81–94. Akşam 1942 Akşam: İnönü Gezisi Parlak Bir Törenle Açıldı [Gezi Park opened with a glamourous ceremony], Cumhuriyet, 5 September 1942, 2. Bilsel 2011 C. Bilsel: «Les transformations d’Istanbul». Henri Prost’s planning of Istanbul (1936–1951), ITU AZ Journal Jg. 8, 2011/1, 100–116. Cumhuriyet 1939a Spor – Umumi müdürün dünkü tetkikleri [Sports – General manager’s investigations from yesterday], Cumhuriyet, 7 April 1939, 6. Cumhuriyet 1939b Taksim kışlası [Taksim barracks], Cumhuriyet, 10 July 1939, 4. Cumhuriyet 1939c Taksim kışlası arsasında yaptırılacak binalar [Buildings to be built on Taksim barracks land], Cumhuriyet, 8 August 1939, 2. Cumhuriyet 1939d Dolmabahçe stadı [Dolmabahçe stadium], Cumhuriyet, 10 August 1939, 6. Cumhuriyet 1942 İnönü Gezisi Açıldı [Gezi Park opened], Cumhuriyet, 5 September 1942, 3.

Daver 1940 A. Daver: İstanbulun alacağı Yeni çehre [The new look that Istanbul will take], Cumhuriyet, 22 February 1940, 3. Daver 1947 A. Daver: Türk gibi kuvvetli! [Strong like a Turk!], Cumhuriyet, 20 May 1947, 2. Kesler 1942 S. Kesler: İnönü Gezisi Açıldı [Gezi Park opened], Tan, 5 Septem­ ber 1942, 3. Kozar et al. 2010 C. Kozar / T. Saner / I. Ünal (Hg:): Ghost Buildings, Istanbul 2010 Saner 1998 T. Saner: 19. Yüzyıl İstanbul Mimarlığında Oryantalizm [Orient­ alism in 19th Century Istanbul Architecture] (Istanbul 1998): Üzümkesici 2011 T. Üzümkesici: Taksim Topçu Kışlası – Taksim Artillery Barracks, in: Kozar et al. 2010, 102–119:

Image Sources

1, 5, 6  T. Saner. 2 Maps of Deutsches Syndikat für städtebauliche Arbeiten (1913). 3 Pervititch Insurance Maps. 4 S. Kolay.

Monumentalising the Present The Case of the Atatürk Cultural Centre

Zeynep Küçük, Iİmge Yılmaz

Built in the 1960s on the eastern side of Taksim Square, the Atatürk Cultural Center (AKM) is distinguished as a noteworthy architectural example of mid-century Turkey (fig. 1). Its iconic façade, upon which the life of Taksim Square was reflected for decades, occupies a special place in collective

memories. After being completely torn down in 2018 (fig. 2), the AKM is now undergoing a rebuilding process, featuring many similarities with the original building. Even though the interior plans are completely differentiated from the previous design and the building footprint has been

1  Site plan of Taksim Square.

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Zeynep Küçük, İmge Yılmaz

dramatically increased,1 it is intended to reconstruct the iconic façade (fig. 3). The reconstruction of the façade constitutes an act of preservation2 that resonates in both political and daily discourses. Therefore, the complex destruction and re-construction process necessitates an overarching reading. The existing literature on postmodern urbanism emphasises a process of «creative destruction»3 that not only transforms the function and

2  The AKM during demolition in 2018.

3  Rendering of the New Atatürk Cultural Centre.

the physical properties of the building, but also reconfigures its representation in the collective memory. Despite the fact that the demolition of the AKM occurred relatively recently (in 2018), its symbolic potential has already attracted scholarly interest from various fields, ranging from architecture to politics.4 As this act of demolition represents a dramatic shift in terms of political discourse and urban image, this academic writing emphasises what has been lost, physically and symbolically, during this process (fig. 4). Akcan rightfully asks the question in her substantial work on the AKM: «How reversible is destruction, especially state-led destruction? Can societies heal by architectural revenge, by demolishing buildings, instantly constructing new ones?»5 In a similar vein, according to Aslan and Yavan this project mirrors a political mindset that tries to mobilise the imperial legacy of İstanbul with a grandiose and exhibitionist ethos, by breaking away from its republican past.6 Akkurt also considers the case of the AKM as an attempt to annihilate an important urban reminder and its significance for collective memory by destroying its representative, political, and ideological meaning.7 Since selecting what is to be remembered and what is to be forgotten reproduces and consolidates collective identities, the case of the AKM is not only an act of transformation but a dialogue between preservation and change that is responsive to shifts in the political and social fabric of present-day Turkey. What does this ongoing demolition and reconstruction of the AKM entail in terms of the tension between remembering the past and making the present? How does this case communicate with the interplay between continuity and change, in terms of both the public image of the building and the accompanying political discourse? In a broader context, can a work in progress be monumentalised despite a break with its historical heritage? All these questions necessitate a theoretical engagement with the temporal dimension of politics articulated in an urban setting.

Monumentalising the Present

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4  Timeline of the AKM: 1956/77, 1977, 2013 Gezi protest, 2017, 2018 during demolition, and a rendering of the future AKM.

The AKM as a Landmark of Turkish Modernisation Today Taksim Square is embedded in a densely layered social context through its surroundings such as the Gezi Park, the Canonica, a recently constructed mosque, two university buildings, and numerous hotels. In the early years of the republic the area around Taksim was developed as a new and modern city centre because other suitable places in the city such as Sultanahmet were heavily laden with Ottoman and Islamic symbols and associations. Instead of overshadowing or demolishing Ottoman remainders, the Kemalist government «decided to relocate the center of the city to a neutral location and inscribe the symbols of the new republic on a clean slate».8 Thus, Taksim Square became the public space of a newly emerging modern republic breaking with, or better distancing itself from, the Ottoman past. In the early years of Turkish Republic, urban planning and architecture were seen as part of the nation-building policies. The secularisation of the religious society gained a physical aspect through the modernisation of urban areas, as the imperial heritage needed to be adapted to the new way of westernised living.9 The need for spaces,

where public life and leisure activities could take place, brought a new social programme to the urban planning that now favoured open spaces, boulevards, recreational areas, parks, sophisticated transportation networks, and places designated for cultural activities. The urban modernisation of Istanbul started in the 1930s when the French urban planner Henri Prost was invited to design the master plan for the city, which was presented in 1937.10 Prost was among the 150 foreign planners commissioned to develop new urban designs for Turkish cities during this period of modernisation. He was seen as an ideal urban planner for Istanbul due to his past experiences in eastern and western cities.11 The historical urban texture of Istanbul was multi-layered and concentric, and the districts were segregated according to the ethnicity of their inhabitants. Therefore, Prost’s plan for Istanbul featured the creation of espaces libres (public spaces) for the social interaction of all members of the society. An opera house was planned as the continuation of the exterior espace libre at Taksim and thought to offer a new kind of homogeneous cultural identity, where people would enjoy a greater degree of connection. In the following decades, Taksim Square, as well as being a tourist

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attraction, became the primary centre for public gatherings in İstanbul such as protests, celebrations, and commemorations. With its monumental character, Taksim Square is also of a great significance for diverse cultural stakeholders and communicates with various – sometimes contending – collective memories as an urban microcosm. Secular publics commemorate the foundation of the Turkish Republic in 1923, left-wing labor groups hold their rallies and celebrations for 1 May, and Armenian minorities have a sense of belonging to the place since it previously hosted an Armenian graveyard,12 controversially incorporated into Prost’s planning.13 Additionally, after the coup attempt in 2016, Islamist publics embraced Taksim Square as a space of ritual where they performed their nights of «Democracy Watch».14 Within this urban surrounding, the construction of an opera house in Taksim Square was

5  Plan of the AKM.

already considered in Prost’s masterplan. The first design of the building was made in the early 1940s by the renowned French architect Auguste Perret, using a neoclassical architectural language and featuring the principles and aesthetics of order, reason and classicism.15 The Turkish architects Feridun Kip and Rükneddin Güney carried the design forward, and the ongoing project was also reviewed and elaborated by the famous German architect Paul Bonatz. Briefly after the construction had started in 1946, the process was interrupted due to complex financial problems. In order to solve these financial difficulties, the construction was transferred from the Istanbul Municipality to the Municipality of Public Works and the architect Hayati Tabanlıoğlu was commissioned.16 The complexity of the construction process necessitated further collaborations between Turkish and German counterparts.17

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6  Section of the AKM.

Although the building was far advanced, Tabanlıoğlu re-conceptualised it without demolishing the existing construction (figs. 5–6). He added a foyer, which was very narrow but extended over the entire width of the building, on the western side as an additional area of transition between the exterior and the interior. This also gave the opportunity to design a completely new western main façade constructed in glass and aluminium that was in contrast to the other now entirely closed façades. On the main façade the glass was held by a grid of vertical and horizonal aluminium fillets. The vertical fillets extended over the full façade height and were positioned at short but equal distances. The horizontal fillets were slim and more distanced at the lower parts, becoming thicker and less distanced in the upper parts. Thus, the façade appeared to be more open and rational near the ground, while at the top it was more closed and irregular. Especially through the glass façade, the building was given a degree of publicness as a «natural» extension of Taksim Square. Inside the building, the foyer with its prominent spiral staircase was followed by the wardrobe area and another u-shaped foyer that framed the auditorium and the multifunctional, adjustable stage. Exploiting the convertibility of the stage, the multi-purpose architectural programme enabled

gatherings of various scale on four different stages and two cinemas.18 The importance of the projects was mirrored in the celebration of the building’s inauguration as the «Istanbul Cultural Palace» on 12 April 1969, which was attended by prominent personalities including the leading figure in Turkish modern theatre, Carl Ebert.19 The modernist motivation is also apparent in Hayati Tabanlıoğlu’s memoirs, where he stresses the significance of a theatre for a society as one of the highest cultural institutions that is also a kind of school.20 He also describes the initial difficulties in encouraging people to come to the centre: At first, most of the people had abstained from this new facility, however after having deliberately set the ticket prices much lower than German and other Turkish counterparts, the cultural centre had reached large masses of people. 21

The following year, on 27 November 1970, a great fire broke out during the play Cadıkazanı (The Crucible by Arthur Miller) and caused huge damage. During the following seven years, the building underwent extensive restoration and was re­opened as the «Atatürk Cultural Center» (AKM) in 1977. The AKM hosted many plays and exhibitions until its viability was brought into question by the Minister of Culture, creating by 2005 a

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7  The AKM during Gezi Park protests.

climate of public opinion in favour of demolishing the building because of its «irrecoverable» state of deterioration.22 The ministry officially halted activities in the building in 2008 in order to begin a restoration project that was planned to take 17 months. Currently, in 2020, the building is neither restored nor in active use. While the advocates of cultural heritage argued for the preservation of the Kemalist modernist inheritance, institutional authorities like the Ministry of Culture advocated solutions that it argued were financially feasible. Even though the building is certified as first degree of cultural heritage by the Heritage Preservation Boards, 23 debates over the future of the AKM did not end here. Each year a new deadline for the completion of the restoration is set, yet

never accomplished. Even in 2010, the year that İstanbul was European Capital of Culture, the AKM was still out of use.

Urban Renewal of Taksim Square In 2013 then, prime minister Erdoğan expressed his aspiration to redesign Taksim Square, including the replacement of the existing AKM with a baroque-style cultural centre. 24 This idea was embedded into an urban renewal project initiated by the ruling government and including construction of a new mosque, the reconstruction of the Ottoman military barracks (Topçu Kışlası) to replace Gezi Park, and the erection of a shopping mall. This substantial grand-scale project

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involves a new underground transportation network and the subsequent urban gentrification of the Tarlabaşı neighbourhood near the square. This kind of commodification of Taksim Square with a neoliberal understanding also jeopardised its multicultural and eclectic character. The «commodification of culture and monopolisation of narratives»25 caused a huge backlash among groups that had diverse emotional attachments to the square. This aggressive urban management project, coupled with authoritarian tendencies of Erdoğan, led to the Gezi protests of 2013,26 when a wave of civil demonstrations began against the authoritarian policies that attempted to replace the Gezi Park by the reconstruction of the Taksim Artillery Barracks. During the protests the façade of the AKM became the face of the revolt against the urban governance of the Taksim Square, as well as general governmental practices in Turkey. A variety of flags, banners and posters were hung on the façade, and the degree of deterioration of the AKM was revealed to the public when protesters entered the building (fig. 7). The building had become a mere flat surface upon which the current events of the time were all presented to bypassers in Taksim Square – be it a movie poster, a board for a public message after the failed coup,27 or a celebration of Labour Day. Nevertheless, through this use of its façade, the AKM has never ceased to be a lively part of Taksim Square (fig. 8).

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Modernisation of Turkey: Cultural Cleavages as the Analytical Core Each and every political, discursive, and performative struggle taking place in the context of the AKM therefore revisited the official narrative of Turkey’s modernisation, which is ahistoricised, decontextualised, self-evident, and authoritative.28 For the analytical purposes of this work, there is an urgent need to situate Turkey’s modernisation in its proper historical context, which involves a complex set of relationships among diverse actors. The transition from the multi-cultural Ottoman Empire to the Turkish Republic as a modern nationstate necessarily had strong connections to social movements, political economy, foreign policies, and hegemonic struggles. Acknowledging the fact that such a rich and multi-directional discussion cannot be performed within the limits of this brief work, this chapter addresses how the top-down modernisation process has been dominantly navigated and contested through cultural cleavages within Turkish society. Firstly, the top-down modernisation agenda led by a small Kemalist bureaucratic elite resulted in a highly contradictory social dichotomy: laic versus Muslim.29 The ideal citizen favoured by the Kemalist «western» camp is fashioned by a persistent bureaucratic taming that had ethno-cultural tendencies.30 This citizen was expected to perform a strong reverence to the symbols of the

8  Various appropriations of the AKM’s façade.

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newly emerging republic with its unified national culture, which was secular and «modern». Yet the residues of the Ottoman Empire did not allow for such a smooth transition. As with any political project that aims to cultivate a unified national identity, Kemalist political elites gave sustained attention to the processes of spatial production in the early years of the republic on all scales, encompassing modern public spaces, districts, and housing programmes. The secularisation of a religious society had gained a physical aspect through the modernisation of urban areas in the early 20th century. Bozdoğan claims that modern urbanism, by definition, was the most powerful visualisation of the desire for creating a modern nation, and in Turkey it corresponds to the replacement of ethnicity-based social tradition with the new conception of public life where «secular bodies» meet.31 However the underlying assumption of Kemalist elites that «once the environment is altered, the behavior of individuals could be easily molded»32 seemed to unravel because Islamic cosmology was deeply ingrained in the formal and informal institutions of the society.33 A large proportion of Turkish inhabitants wished to preserve and sustain their religious practices and the memory of the once-glorious Ottoman Empire. This discrepancy between the desired national culture and the actual reality of the social strata within this period of nation-building has even been described as a contrast between fact and fiction.34 The fictive vision of a modern city – with high-rise buildings, motorised vehicles, parks, and wide boulevards with great vistas where people co-exist regardless of their ethnicity and gender – has inevitably contrasted with the remnants of the Ottoman past and the pious ways of living. This persistent cultural polarisation foreshadowed the political trajectory of Turkey for the past 80 years: an oscillation between recurrent Kemalist military coups d’état and failed attempts of religious parties at political incorporation.35 Secondly, decisive social stimuli behind major socio-political transformations in Turkey have predominantly been cultural cleavages rather than

class divisions because the republic was the successor of a multi-ethnic empire. The relatively late state-building process in Turkey went hand in hand with the birth of a capitalist modern state and its modern classes. In other words, Turkey experienced simultaneous periods of political modernisation and class formation, unlike its European counterparts who had already established their regimes in the 19th century. That is the reason why in Turkey, the secular–pious polarisation has led the political agenda rather than class divisions since the founding of the republic. Already existing cultural cleavages not only exacerbated the highly vulnerable social fabric, but also cre­ated social and institutional bulwarks before class consciousness. Here it is important to note that this is not a withdrawal of class conflicts or market imperatives from political decision-making. Over the past 100 years, however, the relationship between the episodic emergence of religious fundamentalist movements and the epidemic conflict of Kemalism with Islam cannot be explained with the vocabulary of political economy. Indeed Turkey has witnessed multiple controversial cross-class alliances throughout its political trajectory.36 Therefore successful incorporation of Islam within Turkish politics through Erdoğan’s political party – the Justice and Development Party – was not a simple result of a rising Muslim bourgeoisie or a bottom-up «conservative revolution».37 Rather this process displayed similar top-down characteristics with the Kemalist revolution, which heavily depended upon an intellectual elite in key political positions to secure and sustain the secular cultural makeup of the Turkish citizen.38 In short, different political projects of belonging have adopted similar political modi operandi which makes it hard to trace clear-cut boundaries between each of them. That is the reason why inter/intragroup dynamics, as well as Turkey’s official identities, are full of ambiguities and discrepancies. As Niyazi Berkes claims, «Turkey is neither a Western, nor a Muslim nation. […] It is neither Asian, nor European.».39 In a similar vein, Europe

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has been pathologically «the object of desire as well as a source of frustration for Turkish national identity».40 Those multilayered and interrelated tensions such as modern versus traditional, West versus East, rural versus urban, reason versus faith have great analytical value as they reveal the fault lines of Turkey’s social fabric. In that respect it is not surprising that in Turkey there are diverse collective imaginations of cities, districts, and monuments since they are «the products of many solidarities and boundaries».41

A Rotting Modern and a Nostalgic Future The AKM building is listed as a heritage building that is simultaneously deemed obsolete and beyond repair.42 This very definition traces the outlines of the inherent temporal dissonance that the AKM building has born into. On one hand it is considered as a heritage, not as an object of a crystallised remote past but as a constant reminder of being in the present with the company of western civilisations and their contemporary forms of cultural production. In other words, the AKM building has functioned as a medium of temporal contiguity that registers the historically specific Kemalist principles into the everyday urban experience of the inhabitants as an omnipresent reality. But what happens when the building ceases to perform its modernist functions as it is left to rot at the heart of the Taksim Square for years? Physically the residue of the AKM building is still within a hand’s reach for a passerby in İstanbul, but on the other hand the time in which the building has been in decay creates a temporal distance, which is not the immediate anxiety of seeing the ruins of a once familiar building. Rather it is a strange sense of displacement stemming from a shift in the historical reference point of the building, that is, an alternative past, a neo-Ottoman imagination that is already estranged from the temporal universe of a secular bystander. In a way the AKM building is an urban hybrid that fuses so-called spatio-temporal binary oppositions

such as distance and proximity, past and future, transformation and continuity. Therefore a more substantive understanding of time is needed that is receptive to the co-existence of past, present, and future «as a constant interpenetration and articulation in the flux of time«,43 being an impetus for the conceptualisation and legitimisation of political actors, social groups, and ideas. Time needs to be politicised in order to reveal the ways in which it can function as an organising principle of our spatial claims and experiences. Accordingly, this work handles the question of the AKM through the lens of Turkey’s chronopolitics – which describes the relation of time-perspectives to political decisionmaking44 – that is inscribed on an urban setting. Two central reactions to the demolition and reconstruction process of the AKM building will be discussed in this chapter, which are confronting but not mutually exclusive: a modern protectionism and an instrumental nostalgia. Firstly, the AKM is a building that cannot be detached from its modernist agenda nor from its physical environment. Hence there is a need to revisit the prospects and possibilities of preserving a modern urban heritage. In the present moment, the reconstruction of a similar-looking building evokes the question of whether the modern can be really preserved or not. How does «the modern» reserve a place within the chronopolitics of Turkey? Is the preservation of the AKM a victory of secular publics over the authoritarian policies of the existing regime? The urban image of the AKM is largely preserved, featuring the rectangular and transparent glass façade as the most important component that makes the building recognizable when looking from outside. However, the interior plan and its tectonic components are largely revisited. Additionally, the fact that the revised design is deliberately assigned to Murat Tabanlıoğlu – the son of the former architect Hayati Tabanlıoğlu – is an implicit effort to display some sense of continuity, potentially in order to appease possible social disturbances.

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The continuity exhibited in the revised plan finds its correspondence in the political discourse in question, reproducing similar overtones of charisma, and thus monumentalising what was once modern. Considering political Islam and Kemalism as a Janus figure gazing in opposite directions with a single head makes the commonly held temporal distinction between two political narratives eventually irrelevant. It is not intended here to overlook the highly polarised secular and Islamist camps in Turkey. Rather the primary emphasis of this argument is that those two political imageries do not only have an introspective relation to their temporalities, but also penetrate into each other's past and present in order to reproduce their identities. On one hand for secular publics Islam is associated with conservatism and intolerance, which threatens individual freedoms.45 On the other hand political Islam sets its goal as to reassert a mass culture that has long been oppressed under Kemalist tutelage.46 In other words Kemalism and political Islam do not have a relationship of succession, rather they mutually construct each other.47 In this context the demolition and reconstruction of the AKM received highly negative reactions from the secular Kemalist publics on the grounds that this process will disturb the Kemalist narrative of Turkish history by implementing a neo-Ottoman hidden agenda. Political Islam is accused of jeopardizing the reforms of Kemalist revolution with a backward-looking gaze. Although the AKM building has undergone several modifications in the past 50 years, none of those have triggered a major public reaction. The fact that the existing government is trying to refashion the public image and the memory of the AKM is the most salient reason behind the protectionist motivation of the secular publics. In this respect the protectionist secular publics are drawn into the deadlock of a simultaneous pursuit of progress and conservation. The social turmoil concerning the demolition of the AKM in a way becomes a zero–sum game of two contending pasts.

Secondly, without having an immanent emotional attachment to the historical baggage of the AKM, political Islam has already monumentalised a work in progress by borrowing from its historical heritage, rearticulating it into a present discourse, and therefore fusing past and present into the same plane. This interplay between continuity and change gives birth to a new hybrid, in the sense that the AKM is no longer an embodiment of a Kemalist narrative but owes its current monumental character to an instrumental nostalgia cultivated from its past. As already mentioned, the existing regime is accused of promoting a backward-looking gaze, lingering on the «glorious golden ages» of the Ottoman Empire. However, the reductionist approaches to nostalgia, which takes solely its retrospective dimension into account, should be revisited. The concept of nostalgia has a dynamic relation to the past, present, and the future.48 It can describe a diseased feeling of homesickness, a feeling of being out of place. Yet this feeling rarely has a reparative edge in which a person tries to alter their current conditions with a progressive attitude. Its ethos is static when it is considered as a personal feeling, but it gains a reparative edge when it reclaims its public character in which a symbolic resource from the past has the power of triggering a wave of nostalgic feeling in millions of people simultaneously.49 This sort of collective nostalgia is highly different from a personal one as it may consolidate a national identity, express patriotism, or trigger collective remembering and forgetting. In this specific case, Kemalism and Islamism «used a nostalgic representation of the past as a blueprint to transform the present […] by creating alternative representations of an already glorified past».50 In this respect the retrospective gaze of Erdoğan’s establishment is more than a simple melancholia triggered by a recognised gap between the past and the present. It draws past and future into a redemptive relation in which the remembrance of the past has a constructive power of the future.

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Concluding Remarks Time is embedded in politics not only as a justificatory tool for decision-making processes, but also as a determinant of the rhythms, synchronisations, and discontinuities of space that are constitutive of social realities. In this respect the value of the built environment is undoubtedly associated with and negotiated through the intertwined processes of remembering and forgetting. The ongoing project of the AKM therefore not only de-/re-constructs the physical urban material, but also reconfigures our spatio-temporal relationships with the building by articulating a historically laden object into a present discourse. This reconfiguration involves both the power technologies of the state and the resistance of the opposition. On one hand the re-makers of the AKM have merely ornamented a building-to-be with

historical warmth; on the other the challengers aim at diffusing the historically specific context of the building into the everyday urban practices of the inhabitants. The never-ending oscillation of the value attributed to an urban artifact demonstrates itself on the façade of a building. Here the façade is not emphasised as the sole physical object that remains intact in the revised design of AKM. Instead, it is a surface for representation and manifestation of diverse forms of belonging. Although its appropriations have always been varied in line with the existing political atmosphere, its representative identity remained intact. On a broader scale, Taksim Square displays a similar characteristic with the AKM in terms of continuity and change. It has been ceaselessly transformed through mega-projects of spatial design, yet it has endured as a space of resistance and solidarity.

1 The previous design consisted of 52.000m² of usable area. However, the new design is increased in size up to 95.000m² of usable area, as the programme is enlarged to include new facilities such as cinema, exhibition centre, art gallery, museum, and art gallery (Hürriyet Daily News 2019). 2 The term «preservation» is used to describe the purposeful continuance of the public image of the building. Keeping in mind that all architectural elements are either dismantled or torn down, the «preservation of the facade» does not refer to a restoration project. 3 Harvey 2007, 22–44. 4 E.g. Ganiç 2016, 49–93; İnce 2018, 105–125; Tekeli 2006, 30–63; Akcan 2019, 81–89; Derviş / Karakuş 2012; Altındere 2015, 184–189; Hammond 2019, 1039–1054. 5 Akcan 2019, 81. 6 Aslan / Yavan 2018, 309–310. 7 Akkurt 2012, 71. 8 Çınar 2007, 164. 9 Bozdoğan 2002, 71–121. 10 During the early 20th century, there was an urgency with the planning of Anatolian cities and the preservation of the rural demographics. Only later, in the 1920s, were foreign planners invited to contribute to the master plans of the big cities: İzmir’s master planner was

René Dange (1924), Ankara’s Hermann Jansen (1928), Erzurum’s J. Lambert, and finally for İstanbul, Henri Prost (1934). Akpınar 2014, 59–92. He previously worked on Paris, Anvers, Algeria, Morocco, İzmir, and Bursa. Akpınar 2010, 107. Watenpaugh 2013, n. pag. The graveyard had been totally expropriated in 1939 despite the resistance of Armenian minorities. The gravestones were then used as spolia materials for Gezi Park’s pavements and maintenance of Eminönü Square, during urban constructions of Prost’s masterplan. Nalcı / Dağlıoğlu 2013, n. pag. Küçük / Türkmen 2020, 247–263. Aydemir 2008, 104–111. Akcan 2013, 1. Prof. Gerhard Graubner for the structural design, Johannes Dinnebier for the lighting elements. Willi Ehle acted as adviser for the stagecraft due to his position as technical director of Schauspielhaus Düsseldorf. Also, Austrian architect Clemens Holzmeister, who is mainly known for designing several public buildings in Ankara, including the Turkish National Assembly Building, provided his views and opinions about the AKM design. The building comprises the «Grand Stage» with a capacity of 1.317 people, the Concert Hall with a capacity of 530

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seated and 200 standing people, the Chamber Theatre with 296 seats, and the «Aziz Nesin Stage» with 190 seats. Additionally the building housed a cinema hall with 206 seats, the Children’s Cinema, the Art Gallery, and a foyer for multipurpose gatherings. Tabanlıoğlu 1977. Carl Ebert, the renowned German theatre artist, who lived in Turkey for ten years, has a specific significance in Turkish modernisation as the founder of the opera and drama school of the Ankara Conservatory and Turkish State Theaters. Tabanlıoğlu n. d., n. pag. Willi Ehle, Bühnentechnische Rundschau 4/1970, after Tabanlıoğlu n. d., n. pag. There are opposing views about the state of deterioration. See, for instance, the chronology Atatürk Kültür Merkezi at Pürüzsüz 2017. Ministry of Culture, Board of Protection of Natural and Cultural Assets (1999); The Board for the Protection of Cultural Property (2009). Erdoğan 2013 during an interview with Fatih Altaylı broadcast on Habertürk. Alonso 2015, 236. David / Toktamış 2015, 15–26. The coup attempt in 2016 was averted through a huge public demonstration, mainly drawn from Erdoğan’s electoral base. Accordingly, the aforementioned public message is a recontextualisation of Atatürk’s famous aphorism «Sovereignty belongs to the nation». Erdoğan’s administration covered the whole facade of AKM with a visual of this sentence, indicating both the sovereigns of the country and the sovereigns of the square. Altınay 2004, 13–32. In this paper the words «laic» and «secular» are used interchangeably. However, it is important to note that Kemalists took Islam under state control under the name of «The Directorate of Religious Affairs» rather than separating religion from politics. Ahmad 1991, 52–72.

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Bitte umwerten Zu nationalsozialistischen Monumentalanlagen nach 1945

Luisa Beyenbach

Großbauwerke, die in den Jahren 1933 bis 1945 errichtet wurden, erfüllten in Deutschland maßgeblich die Funktion einer Repräsentationsarchitektur des nationalsozialistischen Regimes.1 Dabei ist es zweitrangig, ob es sich um das Seebad Prora, die Wewelsburg oder das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg handelt. Aufgrund ihres zentralen Stellen­ wertes innerhalb der nationalsozialistischen Propaganda ist die Verwobenheit mit der Epoche ihrer Entstehung noch ausgeprägter als bei Bauwerken anderer Zeiten. Die Aufforderung zur Umwertung nationalsozialistischer Mo­ nu­ mental­anlagen, wie sie in der Überschrift dieses Beitrags formuliert ist, soll im Folgenden dezidiert erläutert werden. Zum einen wird dargestellt, welcher Wert diesen Großanlagen zu eigen ist, zum anderen stellt sich die Frage, welche neuen Werte in der Vergangenheit für Gebäude, für deren ursprüngliche Nutzung es keinen Raum in einer demokratischen Gesellschaft gab und gibt, gefunden wurden – und noch dringlicher: welche Werte diese Bauwerke heute und zukünftig für uns haben können. Die Architektur der Monumentalanlagen ist nicht nur aufgrund ihrer Entstehungszeit mit dem Nationalsozialismus verbunden, sondern sie stellte ein zentrales Element der nationalsozialistischen Politik dar.2 Als sog. Worte aus Stein war sie der materielle Ausdruck für diverse Zielsetzungen der nationalsozialistischen Regierung. Sie sollten unübersehbare Symbole der Größe Deutschlands sein, sie sollten ein starkes Volk formen, den Volksgeist heben. Die Architektur wiederum sollte eine Manifestation des neuerschaffenen Volkes

sein und es durch Größe und Erhabenheit innerlich stärken.3 Architektonisch umgesetzt wurde dieser Anspruch vielerorts in Form innerhalb der Städte gelegener Platz- oder Gebäudeanlagen monumentalen Ausmaßes. Diese einzelnen Groß­ projekte dürfen nicht isoliert betrachtet, sondern müssen im Zusammenhang der programmatischen Umwandlung der Städte gesehen werden.4 Im Fokus dieses Textes steht das im Umfang unübertroffene Projekt der nationalsozialistischen Parteiarchitektur: das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, das mit seiner Größe von 16 km² einen bedeutenden Teil des Stadtgebietes umfasste.5 Der Gesamtentwurf des Areals stammt von Albert Speer und Walter Brugmann und wurde 1937 auf der Pariser Weltausstellung präsentiert. Der Entwurf bebaut das traditionelle Naherholungsgebiet um den Dutzendteich mit einem Konglomerat an Auf­ marsch­plätzen, Tribünen und Ver­samm­lungs­bau­ wer­ken, die für die jährlich stattfindenden Partei­ tage vorgesehen waren (Abb. 1).6 Vollendet wurden von diesen nur die Luitpoldarena, das Zeppelin­feld und die Große Straße. Die Türme des Märzfeldes blieben ebenso unvollendet wie der Rundbau der Kongresshalle, die das einzige Bauwerk auf dem Gelände ist, das nicht von Albert Speer, sondern von den Architekten Ludwig und Franz Ruff entworfen wurde.7 Trotz seiner Frag­ment­haf­tig­keit steht das Areal des Reichs­partei­tags­geländes idealtypisch für die propagandistische Re­prä­sen­ta­tions­ architektur und die Inszenierung einer homogenen Volks­ge­mein­schaft. Diese Stellung nimmt es nicht zuletzt auch aufgrund des einfluss­reichen NS-Propagandafilmes Triumph des Willens von Leni

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1  Modell des Reichsparteitagsgeländes, Reproduktion einer Postkarte, 1933–45.

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Riefenstahl ein, der den Parteitag von 1934 in Szene setzte.8 Auf dem Gelände befindet sich, wie bei anderen Groß­anlagen jener Zeit, als zentraler Bestand­ teil eine Kultstätte für mythisch-kultische Feier­ lich­ keiten, die den Ort zusätzlich ideologisch auflud. Ebenso wie beim Gauforum in Weimar, auf dem Königsplatz in München oder dem Berliner Reichssportfeld schuf die Architektur den Rahmen, bot die Bühne für die großen Inszenierungen, in denen die Volksgemeinschaft zugleich Sujet, Akteur und Zuschauer ihrer selbst war.9 Die Bauten sind dabei eindeutig und unflexibel hierarchisiert: Der Platz für Adolf Hitler ist hervorgehoben und genau definiert,10 ebenso jener für die NSDAPFührungsriege und der für die Menschen­menge. Letztere formierte sich entweder auf den Auf­ marsch­plätzen oder war auf Tribünen versammelt. Nicht nur die Architektur, sondern auch ihre Inszenierung mit Licht, sei es mit Fackelzügen oder mit Flakscheinwerfern, spielte eine maßgebliche Rolle, ebenso die ornamentale Regie der Men­schen­ menge, die von den jeweils Teilnehmenden nicht nur einmalig erfahren wurde, sondern auch danach durch Foto- und Film­aufnahmen eine gesteigerte Wirkung des gemeinschaftlichen Erlebens erzeugte.11 Die Architektur bot den Raum, in dem sich der Einzelne in der Menschen­menge wiederfinden und Bestätigung seiner selbst und seiner Überzeugung in der Volks­ ge­ mein­ schaft bekräftigend widergespiegelt finden konnte. Diese »psychologische Aufrüstung«12, wie es der Ar­chi­tek­tur­historiker Win­ fried Nerdinger nannte, war die immer wieder proklamierte Intention dieser Groß­planungen. In dieser Intention, dieser Zweck­bestimmung liegt – neben dem reinen Symbol­wert der Architektur, der für Stärke und Herrschafts­anspruch steht – der Wert der Architektur begründet. Es ist der Wert, der den Monumental- und Großanlagen im Rahmen der nationalsozialistischen Propaganda beigemessen wurde. Man könnte als Synonym für »Wert« in diesem Zusammenhang zum einen den Begriff Stellenwert verwenden, zum anderen ließe er sich auch mit Ziel der intendierten Wirkung beschreiben.

Während die Überlegenheitsbeweise der Deut­schen nach 1945 ebenso überflüssig wurden wie die inszenierten Veranstaltungen und die pseudo­sakralen Räume, blieben die sog. Täter­orte der National­ sozialisten auch nach 1945 bestehen und nahmen häufig riesige Flächen inmitten der Städte ein.13 Inzwischen haben diese Groß­anlagen auf unterschiedliche Art und in unterschiedlicher Intensität Eingang in unsere Erinnerungs­kultur gefunden. Wann und auf welche Weise das geschehen ist, soll im Folgenden am Beispiel des Reichs­partei­tags­ geländes nachgezeichnet werden. Dabei wird dargestellt, in welcher Rolle die Monumentalanlagen sich im demokratischen Deutschland wiederfanden, ob Strategien der Wert­umschreibungen zu beobachten sind und falls ja, welche. Eine Annäherung an diese Fragen kann sowohl über die Nutzungs­ geschichte nach 1945 als auch anhand der erfolgten baulichen Eingriffe und der Erinnerungs­arbeit vor Ort erfolgen.

Politischer Ikonoklasmus (Symbolwert) Als erster Akt einer aktiven Umwertung dieser Groß­anlagen wurde ein politischer Ikonoklasmus durch die Alliierten zelebriert, gleichsam eine bauliche Ent­nazifizierung: Sämtliche nationalsozialistischen Hoheitszeichen und ideologiegeschwängerten Kultorte des Märtyrer-Gedenkens wurden zerstört. Die am 22. April 1945 erfolgte Sprengung des großen goldenen Hakenkreuzes, das in einem Eichblattkranz zentral die Zeppelintribüne überragte, stand bereits im Zeichen der Siegesparade der US-Truppen, die am 24. April 1945 auf dem Zeppelin­ feld stattfand. Die Zerstörung wurde medien­wirksam durchgeführt und die Bilder im In- und Ausland verbreitet, sodass dieser Akt der Zerstörung wiederum selbst zum Symbol für den Sieg der Alliierten über Nazideutschland wurde.14 Es ist kein Zufall, dass das US-Militär das Zeppelinfeld auf dem Reichsparteitagsgelände wählte, um seine Siegesparade abzuhalten. Durch die Zerstörung schien der zentrale Stellenwert, den das Gelände für

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2  Motorradrennen auf dem Zeppelinfeld in den 1950er Jahren.

die nationalsozialistische Propaganda gehabt hatte, die Symbolstärke des Sieges und die Überwindung des Systems gesteigert zu haben.15 Während die Baustrukturen auf dem Nürn­ berger Gelände im ersten Nachkriegsjahrzehnt weitestgehend erhalten blieben, wurden die sog. Ehrentempel auf dem Münchner Königplatz als Kultstätte der Nationalsozialisten 1947 gesprengt. Die Ethnologin Sharon MacDonald erkennt in dieser Symbolhaftigkeit einer Entfernung der baulichen Attribute, die per se eine öffentlichkeitswirksame, aber dennoch oberflächliche Handlung ist, Parallelen zur gesellschaftlichen Entnazifizierung im Zuge der Nürnberger Prozesse. Die Zerstörung und Demontage der Hoheitszeichen können als visualisierte Zäsur verstanden werden, als eine Art »ritual purification«16, als Symbol des Sieges über Nazideutschland.

»Gutnutzen« der Orte (Gebrauchswert) Die Entnazifizierung beschränkte sich nicht nur auf die oberflächliche bauliche Entpolitisierung, sondern auch auf Nutzungen und Veranstaltungen, die auf dem Gelände stattfanden, das seit 1948 wieder weitestgehend in städtischem Besitz war. Nach den symbolträchtigen Entwertungen der Großbauten lässt sich eine relativ nahtlose Weiternutzung beobachten. Teile wurden von der amerikanischen Militärregierung genutzt, andere Bereiche des Geländes durch die Stadt und auch die Öffentlichkeit für Freizeitaktivitäten vereinnahmt. Dabei waren kaum Berührungsängste mit dem ideologisch kontaminierten Gelände zu beobachten. Bei einigen dieser Nutzungen wurde explizit darauf Bezug genommen, den Ort sozusagen gutnutzen zu wollen, den Nationalsozialismus

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3  Blick von der Bühne auf die Zuschauer im Innenfeld und auf der Zeppelintribüne während eines Open-Air-Festivals, 1978.

aus den Gemäuern herausnutzen zu wollen. Dies erfolgte in der Regel ohne eine Durchführung baulicher Änderungen und auch ohne die Ver­ gan­genheit oder gar die Architektur aktiv zu thematisieren. Seit 1947 findet beispielsweise jährlich das Norisring-Rennen um die Zeppelintribüne statt (Abb. 2), welches von den Veranstaltern damals und heute explizit als populäres Freizeitvergnügen deklariert wird, das die nationalsozialistische Vergangenheit überlagern soll.17 1947 fand auch die Erste-Mai-Feier des Deutschen Gewerk­schafts­ bundes auf dem Zeppelinfeld statt. Das appellhafte Motto der Veranstaltung mit dem Titel Frieden und Freiheit wurde an diesem Ort zum symbolhaften Korrektiv der Worte aus Stein, wobei beides nicht als politisches Statement überbewertet werden sollte. Vielmehr verdeutlichen sie eine gewisse

Ignoranz gegenüber der geschichtlichen Relevanz des Geländes. Noch deutlicher tritt diese bei den Veranstaltungen des Sudetendeutschen Tages 1955 und 1956 oder bei den Großveranstaltungen religiöser Gruppierungen zu Tage. Zwar grenzen sich die Veranstaltungen inhaltlich implizit von der nationalsozialistischen Ideologie ab, doch wird bei diesen Massenevents der architektonische Raum des Zeppelinfeldes in ähnlicher Manier wie zur Entstehungszeit weitergenutzt. Anstatt der Hakenkreuze schmücken Wappen der Sudetenstämme die Zeppelintribüne, und bei dem Weltkongress der Zeugen Jehovas 1953 oder dem evangelikalen Massenprediger Billy Graham 1967 nutzten die Sprecher Hitlers Rednerkanzel, um zu der Menschenmenge unten auf dem Feld zu sprechen.18 Deutlicher wird die Abgrenzung zur ursprünglichen Funktion der Architektur auf

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den Musikveranstaltungen, die seit 1978 regelmäßig auf dem Zeppelinfeld stattfanden. Die vielen Zuschauer wandten genau dieser Rednerkanzel den Rücken zu, da die Hauptbühne gegenüber der Zeppelintribüne aufgebaut war, was als bildliches Statement für die Enthauptung der hierarchischen Architektur verstanden werden kann (Abb. 3). Diese rege Nutzung bei sehr zaghaften Auseinandersetzungen mit der geschichtlichen Komponente des Geländes in den ersten 30 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verdeutlichen das zentrale Interesse am Gebrauchswert der Flächen, wobei die Vergangenheit, wenn überhaupt, nur oberflächlich thematisiert wurde.

Unwillen sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen (Ökonomischer Wert) Diese ersten Jahrzehnte nach Kriegsende werden von Aleida Assmann im Hinblick auf die Erinnerung

der Deutschen an den Zweiten Weltkrieg als »Phase der kollektiven Verdrängung«, charakterisiert.19 Deutlich wird diese zum einen angesichts des Umgangs mit den Baulichkeiten, aber auch durch die sehr von Pragmatismus geprägte Nutzung des Geländes, die im vorigen Abschnitt thematisiert wurde. Bis in die 1970er Jahre war ein gewisser Unwille der Stadt und des Bundes zu verzeichnen, sich der baulichen Relikte als Geschichtszeugnisse anzunehmen. 1959 wurde die Luitpoldarena gesprengt und weite Gebiete des Geländes zu einem Sportund Naherholungsgebiet umgestaltet, das den Bereich der Luitpoldarena, den Dutzendteich und die Baugrube des Deutschen Stadions umfasste. 1967 wurden die Pfeilerkolonnaden und 1978 weitere Teile der Zeppelintribüne gesprengt (Abb. 4). Im Unterschied zu den symbolträchtigen Entnazifizierungen durch die Alliierten wirken diese Beseitigungen der baulichen Hinterlassenschaften wie ein expliziter

4  Zeppelintribüne nach Sprengung der westlichen Pfeilerreihe, 1967.

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Unwille, sich mit dem Erbe konstruktiv auseinanderzusetzen. Dieser Unwille fand nicht in einem offen formulierten Programm seinen Niederschlag. Stattdessen wurden meistens bauliche Mängel als Gründe für einen Abriss vorgeschoben. Die Sprengung der Märztürme im Jahr 1966 für den Neubau der Trabantenstadt Langwasser, die auf dem Areal des unvollendeten Märzfeldes errichtet wurde, wäre bei entsprechendem Willen zweifellos zu umgehen gewesen. Der Torso der Kongresshalle war schlichtweg zu groß, um entsorgt zu werden. So erfolgte dessen Umbenennung in »Ausstellungsrundbau«, bevor er ab 1949 unbefangen als Veranstaltungsort der ersten deutschen Bauausstellung genutzt wurde. Außerdem erfolgte eine Nutzung der riesigen Flächen unter anderem als Lagerflächen unterschiedlicher Vereine, Institutionen und Unternehmen. 20 Über den Nutz- oder Gebrauchswert hinaus, den die Flächen des Reichsparteitagsgeländes haben, sei es als Veranstaltungsraum, Bauland, Naherholungsgebiet oder Lagerfläche, bestand auch ein wirtschaftlicher Wert in Form von Miet­ einnahmen für die Stadt. 1969 äußerte sich der CSU-Stadtrat Oscar Schneider folgendermaßen zu möglichen Umnutzungsplänen des Kongresshallen-Torsos: Wir wollen keine historische, ideologische, politische oder sonstwie geartete Grundsatzdiskussion über Wert oder Unwert dieses Reliktes aus unseliger Zeit, sondern wir betrachten heute den Kongresshallen-Torso als einen Teil des städtischen Grundvermögens. 21

Dass dies weitgehend parteiübergreifender Kon­ sens war, macht die Aussage des Stadtrats der SPD deutlich: Ob es ein Überbleibsel aus dem Dritten Reich ist, ist unwichtig. Andere Einrichtungen werden auch genutzt. Nutzen wir die Chance, sorgen wir für anständige Verhältnisse. Ein höheres Mieteinkommen ist uns gewiss. 22

Das ausschlaggebende Argument für bauliche In­stand­setzung der Lagerräume war also der wirtschaftliche Mehrwert, der sich damit erzielen ließ.

Historische Aufarbeitung des Geländes (Dokumentationswert) Aleida Assmann stellt fest, dass die Substanz­ erhaltung der erste notwendige Schritt sei, um authentische Orte zu erhalten, um »diese Erinnerung vor Verallgemeinerung, Delegation an Spezialisten und fortschreitender Entwirklichung zu bewahren«.23 In Nürnberg fügt sich der Beginn der historischen Vermittlungsarbeit des authentischen Ortes in den Erinnerungsprozess, der unter anderem mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Dritten Reiches seit den 1970er Jahren in Wechselwirkung steht. Nach einer Phase der Verdrängung, unter die die Entfernung der Bauten wie auch die unreflektierte banale Nutzung der Ort zu subsumieren ist, folgte die Phase der Auseinandersetzung, Verwissenschaftlichung und Erinnerung. Ein wesentlicher Impuls, diesen Prozess auch mit den baulichen Zeugnissen des Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen, ging von dem bayerischen Denkmalschutzgesetz aus, das 1973 in Kraft trat und es ermöglichte, das Gelände als gebautes zeithistorisches Monument zu erfassen und Maßnahmen zu seiner Erhaltung zu treffen. Die geschichtspädagogische Arbeit auf dem Gelände war zum einen die Folge eines Er­in­ne­ rungs­wandels, den Assmann als Übergang vom kommunikativen Gedächtnis des National­sozialis­ mus zum kulturellen Gedächtnis beschreibt und in den 1990er Jahren einsetzen lässt.24 Das kommunikative Erinnern, die Möglichkeit, mit der Er­fah­ rungs­generation der NS-Zeit zu reden, neigte sich dem Ende zu, so dass die Gedächtnisarbeit, auch hinsichtlich der Wiedervereinigung, eine Bundes­ angelegenheit wurde. Darüber hinaus bestand die Notwendigkeit einer direkten Reaktion auf die auflebende Neonaziszene in Nürnberg und Bayern, allen voran das Wehrsportkommando Hoffmann. So wurde 1979 das Komitee gegen Neo­ nazismus – für Verwirklichung des antifaschistischen Ver­fas­sungs­gedankens gegründet, in dem auch Nürnberger Stadträte vertreten waren.25 Das Komitee bot unter anderem Begehungen des

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Reichsparteitagsgeländes an, um Aufklärungsarbeit zur nationalsozialistischen Geschichte zu leisten. Eine erste langfristige und vor allem dauerhaft vor Ort stattfindende Auseinandersetzung mit dem Gelände stellte die Ausstellung Faszination & Gewalt dar, die 1985 im Inneren der Zeppelintribüne eröffnet wurde. Sie war vom Pädagogischen Institut der Stadt Nürnberg im Auftrag des Kulturreferats organisiert worden und hatte zum Ziel, die Ursachen und Folgen der Macht­ausübung des NS-Staates zu erklären. Die Leitthemen Faszination und Gewalt erklärte das Pädagogische Institut in seinen Konzept-Erläuterungen wie folgt: Faszination und Gewalt wurde als Leitthema der Tonund Bildschau gewählt, um schon im Titel deutlich zu machen, daß die beiden Begriffe im Nationalsozialismus die Kehrseiten ein und derselben Medaille darstellen. Was für die einen, die ›Volksgenossen‹, durchaus faszinierend wirkte, bedeutet für die anderen, die sogenannten ›Gemeinschaftsfremden‹, Verhaftung, Terror und Gewalt. 26

Die finanzielle Unterstützung der Ausstellung war nicht langfristig geklärt und wurde in langwierigen Verhandlungen zwischen der Stadt und dem Bund ausgehandelt, woran sich eine gewisse Reserviertheit der städtischen Verantwortlichen im Hinblick auf eine historische Aufarbeitung im öffentlichen Raum ablesen lässt. Der Geldmangel machte sich in Form von nicht existenten Hinweisschildern zur Ausstellung und knappem Informationsmaterial bemerkbar, weswegen die Ausstellung für Besucher schlecht zu finden war.27 Zudem war sie nur in den Sommermonaten geöffnet, obwohl steigende Besucherzahlen vom großen Interesse einer breiten Öffentlichkeit an der Geschichte des Geländes kündeten. Bis zur Eröffnung des Dokumentationszen­ trums im Jahr 2001 war diese kärgliche Ausstellung, abgesehen von den Rundgängen des Vereins Geschichte für Alle, der 1985 von Geschichts­ studenten gegründet worden war, die einzige Möglichkeit, sich auf dem Gelände über die Bauten und ihre Geschichte zu informieren.28 Das heute im Kopfbau der Kongresshalle befindliche

Do­ku­men­ta­tions­zentrum geht zurück auf die Bemühungen des 1992 gegründeten Vereins Informationszentrum Reichs­partei­tags­gelände; die Realisierung wurde 1994 von städtischer Seite beschlossen.29 1996 stellte Franz Sonnen­ berger, Leiter der städtischen Museen Nürnbergs, der Öffentlichkeit das Projekt für das Do­ku­men­ ta­tions­zentrum Reichs­partei­tags­gelände vor. 30 In den bisher ungenutzten Räumen des ersten Obergeschosses des nördlichen Kopfbaus sollte eine Ausstellungsfläche von 1.500 m² entstehen. Im Mittelpunkt dieses Do­ku­men­ta­tions­zentrums steht die Ausstellung Faszination & Gewalt, welche maßgeblich überarbeitet und ausgeweitet wurde. Außerdem beinhaltet es ein Studien­forum, das inhaltlich vertiefende Studien- und Projekt­ tage sowie Rundgänge über das Gelände anbietet. Um jedoch das gesamte Gelände des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes informativ zu erschließen, war der Impuls der Fuß­ball­welt­meis­ ter­ schaft 2006 notwendig. Ausländische Gäste sollten nicht unkommentiert mit den Ar­chi­tek­tur­ fragmenten konfrontiert werden. Deshalb wurden In­for­ma­tions­stelen errichtet, die Text- und Bild­ material zum jeweiligen Standort zur Verfügung stellten.31 Das Informationssystem umfasst Stelen an 23 Standorten, die in einer Art Rundgang vom Besucher erlaufen werden können und deren Texte um Abbildungen mit historischen Aufnahmen und Plänen erweitert werden. Zusätzlich können im Internet Audio­dateien zu den einzelnen Stationen heruntergeladen werden. Inzwischen sind diese Stelen von der Zeit gezeichnet, sodass zum 20-jährigen Bestehen des Dokumentationszentrums im Jahr 2021 eine erweiterte Einbeziehung des Außenraumes in das Vermittlungskonzept angestrebt wird. Ziel ist es, die seit 1973 unter Denkmalschutz stehenden Bauten im heutigen Zustand auch für nachkommende Generationen als Lernort zu erhalten und die bauliche Sicherung der Anlagen und deren Erschließung für eine zukunftsgerichtete geschichtskulturelle Auseinandersetzung mit dem Ort anzugehen.32 An ausgewählten Stellen sollen

Bitte umwerten

sog. Reflexionspunkte installiert werden. Dabei geht es darum, am historischen Ort die Geschichte auch visuell erlebbar zu machen. Denn trotz der baulichen Zerstörungen kann noch heute die Inszenierung einer homogenen Volksgemeinschaft optisch nachvollzogen werden, allein durch den sichtbaren und erlebbaren Raum.

Während die Aufforderung »Bitte umwerten« einen aktiven Umwertungsprozess erwarten lässt, war durch den Wegfall der ursprünglichen Funktion des Geländes – sprich die fehlenden Inszenierungen, Aufmärsche und Choreografien, und trotz der symbolträchtigen Handlungen der Entnazifizierung durch die Alliierten – ein Wertevakuum entstanden. Der ursprüngliche Wert war vergangen und ein neuer Wert noch nicht gefunden. Die daraus folgenden, aus heutiger Sicht etwas unbeholfenen oder gar unangemessen wirkenden Nutzungen blendeten die bauzeitliche Funktion des Geländes in der Regel aus. Der Gebrauchs- bzw. Nutzwert der Flächen sowie der ökonomische Wert für die Stadt als Eigentümerin standen im Vordergrund. Erst in den 1970er Jahren begann in einem recht zähen Aushandlungsprozess eine neue Wertzuschreibung der baulichen Relikte als zeithistorische Zeugnisse. Dieser Prozess wurde von verschiedenen Seiten angestoßen, war aber maßgeblich nicht von oben angeordnet. Die erste Nachkriegsgeneration stellte Fragen nach der jüngeren Vergangenheit und zeigte

ein wachsendes Geschichtsinteresse. Das fügte sich in den allgemeinen Erinnerungsprozess der BRD an den Nationalsozialismus ein, der zu einer geschichtlichen Auseinandersetzung mit den »unbequemen Denkmälern«33 führte. In den ersten Jahrzehnten dieser historischen Auseinandersetzung kann als Wert unter anderem auch der formuliert werden, dass an einem konkreten, haptischen Beispiel geschichtliche Prozesse und ihre Zusammenhänge erarbeiten werden konnten. Inzwischen ist der Dokumentationswert der Gebäude des Reichsparteitagsgeländes unbestritten. Auch das nationalsozialistische Umbau­pro­ gramm des Königsplatzes in München wird trotz seines teilweisen Rückbaus auf sein klassizistisches Gesamt­bild inzwischen nicht mehr negiert, sondern vor Ort pädagogisch aufgearbeitet, ebenso das Olympia­stadion in Berlin. In der Halle der Volks­ ge­mein­schaft des Gauforums in Weimar, die bis 1945 nur im Rohbau fertiggestellt war und heute ein Einkaufszentrum beherbergt, war 2010 noch zu lesen, dass es sich um ein Bauwerk der DDR handle. 2019 wurde zumindest die Ausstellung zur Bau- und Nutzungs­geschichte des Ortes überarbeitet, die sich seit 1999 im Thüringischen Landesverwaltungsamt befindet. Heute streitet man sich bei den genannten Beispielen im Wesentlichen nicht mehr darüber, ob eine Auseinandersetzung vor Ort erfolgen soll, sondern es geht nunmehr um das Wie. Es wird eine bleibende Aufgabe sein, dieses Wie in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und im öffentlichen Gespräch immer wieder neu auszuarbeiten.

1 Der redundante Begriff der »Repräsentationsarchitektur« wird in diesem Zusammenhang in Bezug auf die Ka­te­ go­ri­sierung der NS-Architektur von Joachim Petsch und Helmut Weihsmann verwendet, die systematisch einen Zusammenhang zwischen der Bauaufgabe und dem angewandten Baustil in der Zeit 1933–45 nachgewiesen und damit den Begriff des »NS-Baustils« entkräftet haben. Vgl. Petsch 1976, Weihsmann 1998.

2 Joseph Goebbels nannte sie »ein erstrangiges Pro­pa­ganda­ instrument«. Zit. nach Nerdinger 2004, 159. Goebbels zentrale Funktion im NS-Staat war die des Reichs­ministers für Volksaufklärung und Propaganda. 3 In einer Rede 1939 in der Kroll-Oper vor Truppen­kom­ man­deuren führte Hitler in Bezug auf den Bau der Reichs­ auto­bahnen folgendes aus: »Nicht aus Groß­mann­sucht, sondern es geschieht aus der kältesten Überlegung, daß

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man nur durch solche gewaltigen Werke einem Volk das Selbstbewußtsein geben kann.« (zit. nach Düffler et al. 1978, 297). Bei anderer Gelegenheit erläuterte er: »Warum immer das Größte? Ich tue es, um dem einzelnen Deutschen wieder das Selbstbewusstsein zurückzugeben. Um […] zu sagen: Wir sind ja gar nicht unterlegen, sondern im Gegenteil, wir sind jedem anderen Volk absolut ebenbürtig.« (zit. nach Speer 1969, 82). Die Umwandlung der Städte sollte nach einem hierarchischen System ablaufen. Während für die fünf Führer­ städte – Berlin (»Welthauptstadt Germania« als Reichs­ haupt­stadt), Nürnberg (Stadt der Reichs­partei­tage), Hamburg (»Tor zur Welt« als größte Hafenstadt), Linz (»Heimat­stadt des Führers«) und München (»Haupt­stadt der Bewegung«) – jeweils ganz spezifische Entwürfe entwickelt wurden, entstand für die ca. 40 Gau­haupt­städte ein Entwurfsplan nach dem Schema: Auf­marsch­straße, Ver­samm­lungs­halle, Appellplatz, Glockenturm, Ver ­wal­ tungs­bauten der Partei. Damit sollten in jeder größeren Stadt stilistisch wie auch städtebaulich ähnliche Bau­ ensembles entstehen, vgl. Dülffer et al. 1978. Nachfolgende Informationen zum Bau des Reichs­partei­ tagsgeländes aus Ogan / Weiß 1992. Eine große Fläche nahmen darüber hinaus Bauten für Infrastruktur und Logistik ein, z. B. Baracken für Unter­ künfte, Bahnhöfe, Lagerhallen. Der Entwurf stammt von Ludwig Ruff. Nach dessen Tod 1934 übernahm sein Sohn Franz Ruff das Bauprojekt, vgl. Dietzfelbinger / Liedtke 2004, 55. Der 1935 uraufgeführte NS-Propagandafilm Triumph des Willens stellt eine inszenierte Dokumentation des sechsten Reichparteitags 1934 dar. Vgl. Bartetzko 1985. Entweder »Führerbalkon«, »Führerkanzel« oder »Führer­ tribüne«. Vgl. Bartetzko 1985. Die Rolle der Menschenmassen ist dargelegt in: Kracauer 1963. Nerdinger 2015. »Täterorte«, im Gegensatz zu den sog. »Opferorten«, heißen Orte und Stätten, die in einer deutlichen Verbindung zum Nationalsozialismus stehen, an denen aber nicht direkt Verbrechen ausgeübt worden sind. Volker Dahm vom Münchner Institut für Zeitgeschichte definiert die Begriffe folgendermaßen: »Opferorte sind durch einen konkreten Opferbezug gekennzeichnet, durch das an den jeweiligen Ort gebundene, teil anonym gebliebene, großenteils aber auch gruppen- und individualbiographisch dokumentierte Leiden und Sterben von Menschen. […] Der Täterort eignet sich umso weniger als Ort des Gedenkens

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und Trauerns, als dieses Trauern und Gedenken, dem der konkrete Leidbezug fehlt, nur eine voluntaristische Aktion mit virtuellem Resultat sein könnte. Der Opferort spricht unser Gefühl an […] und begrenzt auf diese Weise die Möglichkeiten einer kognitiven Auseinandersetzung mit der Geschichte. Der Täterort weckt durch die ihm eigene Authentizität die menschliche Neugier, den Wissensdrang und gibt der verstandesmäßigen Annäherung an das historische Geschehen weit mehr Freiheit als der Opferort.« Dahm 2008, 19–20. Veröffentlichung der Fotos in ausländischen Zeitungen, Video der Sprengung in den Nachrichten. Macdonald 2009, 54. Vgl. Macdonald 2009, 54–57. Macdonald 2009, 56. Schmidt 2017, 247. Schmidt 2017, 250–251. Nach Aleida Assmann läuft das Erinnern an den National­ sozialismus in (West-) Deutschland in Phasen ab, vgl. Assmann 2000. Auch der Historiker August Winkler teilt den Erinnerungsprozess in Westdeutschland in unterschiedliche Phasen ein, vgl. Winkler 2004. Ausführlich zu den Nutzungen und Planungen der Kongresshalle nach 1945 in: Schmidt 2015, 51–53. Zit. nach Ogan / Weiß 1992, 166. Nürnberger Nachrichten, 29.4.1969, zit. nach Ogan / Weiß 1992, 166. Assmann 2000, 13. Assmann 1999. Dietzfelbinger / Liedtke 2004, 120. Dietzfelbinger 1990, 29–30. Dietzfelbinger 1990, 30. Der Verein Geschichte für Alle e.V. wurde 1985 von Ge­schichts­studenten gegründet und ist seit 1989 ein eingetragener Verein. Er hat sich der Vermittlung der Regional­geschichte der Städte Nürnberg, Bamberg, Fürth und Erlangen verschrieben und veranstaltet neben Stadt­führungen Vorträge und Ausstellungen, vgl. www. geschichte-fuer-alle.de (2.6.2020). Dietzfelbinger / Liedtke 2004, 123–124. Christmeier 2009, 72. Finanziert wurde das Projekt durch die Bundes­gedenk­ stätten­ förderung, die Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), den Freistaat Bayern und die Stadt Nürnberg, vgl. NZ 2005. Lehner 2017, 276–288. Den Begriff des »unbequemen Denkmals« für Bauten, die an Krieg und Terror erinnern, prägte der Kunsthistoriker Norbert Huse, vgl. Huse 1997, 34–46.

Bitte umwerten

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Nerdinger 2004 W. Nerdinger: Architektur, Macht, Erinnerung. Stellungnahmen 1984 bis 2004, hg. v. C. Hölz u. R. Prinz (München et al. 2004).

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Abbildungsnachweis

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