Access for All: Zugänge zur gebauten Umwelt 9783034603874

A core task of every design, in all its variety Erschließung und auch Barrierefreiheit sind zentrale Themen in der Arc

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German Pages 184 Year 2009

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Access for All: Zugänge zur gebauten Umwelt
 9783034603874

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Elevation – Eine Kulturgeschichte von Aufzug und Lift
Megamobilität – Technologie für das Individuum in der urbanisierten Welt
Kooperation – Stadtentwicklung ist eine Gemeinschaftsleistung
Vielfalt – Das Modell der Tübinger Südstadt
Syntax – Urbane Erreichbarkeitsplanung
Bild – Das Imaginäre als Instrument der Stadt- und Regionalplanung
Praxis – Reduktion von Barrieren
Alltag – Normierung ist Ausgrenzung
Nutzen – Carsharing als stadtverträgliche Mobilität
Reflexion – Philosophie für jedermann?
Internet – Digitale Integration mit allen Sinnen
Wettbewerb – Schindler Award und Ausbildungskultur
Appendix
Die Autoren
Bildnachweis

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Access for All

Access for All Zuqanqe zur gebauten Umwelt Wolfgang Christ (Hrsg.)

Mit einem Vorwort von Thomas Sieverts

sirknauser Basel· aoston Berlin

Dieses Buch wurde publiziert mit freundlicher unterstutzung der Aufzugsfirma Schindler sowie der aauhaus-unlversltat Weimar.

Grafische Gestaltung Miriam Bussmann, Berlin Obersetzung der seitrage Megamobilitat, Kooperation und Syntax: Claudia Kotte, Berlin

Dieses Buch ist auch in englischer sprache erschienen (ISBN 978-3-0346-0081-1)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailliertebibliografische Daten sind im Internetuber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 slrkhauser verlagAG

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Gedruckt auf sauretrelem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF 00

Printed in Germany ISBN: 978-3-0346-0080-4 987654321 www.birkhauser.ch

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Inhaltsverzeichnis

Varwart Thomas Sieverts

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Einleitung Wolfgang Christ

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Elevation Eine Kulturgeschichte von Aufzug und Lift J eannot Simmen

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Meqamobilitat Technologie fur das Individuum in der urbanisierten Welt Jonas Hughes

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Kooperation Stadtentwicklung ist eine Gemeinschaftsleistung John Thompson / Andreas von Zadow

44

Vielfalt Das Modell der Tlibinger Sudstadt Cord Soehlke

62

Syntax Urbane Erreichbarkeitsplanung Anna Rose / Tim Stonar

78

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I

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Bild Das Imaqinare als Instrument der Stadt- und Regionalplanung Wolfgang Christ

94

Praxis Reduktion von Barrieren Susanne Edinger

112

Alltag Normierung ist Ausgrenzung Tobias Reinhard

120

NutzenCarsharing als stadtvertraqliche Mobilitat Willi Loose

134

Refiexion Philosophie fur jedermann? Gernot Bohme

144

Internet Digitale Integration mit allen Sinnen Jutta Croll

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Wettbewerb Schindler Award und Ausbildungskultur Thomas Sieverts

170

Appendix Die Autoren 181 Bildnachweis 184

Vorwort Thomas Sieverts

Access for alI- ein umfassendes Gestaltungsprogramm Zu den elementaren Menschenrechten zahlt die Teilhabe von Menschen mit eingeschrankten korperlichen oder geistigen Fahigkeiten am gesellsch aftlichen Leben . Dabei ist der Zugang zur gebauten Umwelt alle s andere als selbstverstandlich, Und erst recht ist Access for all weit entfernt davon, sich als alltagliche Qualitat der Umweltgestaltung zu etablieren, auch wenn der Weg zu dies em Ziel zu erkennen ist. Der Fortschritt setzte vor etwa einem halben Iahrhundert ein : Die bis data generell praktizierte Aussonderu ng von korperlich und geistig Behinderten aus der Gesellschaft wurde mehr und mehr gemildert. Der Weg ging von der Einrichtung von besonderen betreuenden Heimen und von Forderschulen tiber die Installation von technischen Hilfen bei der Oberwindung von Hindernissen im Haus und im StraiSenraum bis zu integrativen MafSnahmen in der SehuIe und in der Arbeit swelt. Trotz dieser Fortsehritte gibt es auch heute immer noeh zahlreiche Schwier igkeiten. Die elementaren Rechte von Menschen mit einge schrankten Fahigkeiten sind noch lange nieht uberall durchgesetzt und es ist in der Praxis noch viel zu tun. Aber in den letzten Iahrzehnten haben sich mit dem Anwach sen eines breiteren Wohlstands und mit den von den verschiedenen Behinder-

tenorganisationen hartnackig und erfolgreich verfolgten Gesetzesreformen die Fronten des Nachdenkens und des Einsatzes fur das Ziel Access verschoben. Der Kampf urn die Verbesserung der physischen Zugangselemente in Form von Rampen und Liften, um die Bereitstellung von Wohnungen und Schulen fur spezielle Behinderungsformen, urn das Ende der Diskrim inierung Behinderter auf dem Woh nungsm arkt hat die Perspektive der Verbesseru ng weit geoffnet und einen sehr viel breiteren Begriff von Lebensqualitat in den Blick genommen: Es geht urn eine neue Kultur der gezielten Gleichstellung aller Menschen - unabhangig von ihren Behinderungen oder ihren Fahigkeiten - nicht nur in der Benutzung, sondern auch im Erleben der gebauten Umwelt. Das Thema .Zugang" ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es hat an gesell sch aftlicher Akzeptanz fur alle gewonnen , weil wir wiss en, da ss mit zunehmender durchseh nitt lieher Lebenserwartung die Wahrscheinliehk eit auch eines "norm al" befahigten Menschen im hoheren Alter einfach oder mehrfach behindert zu werden, stark zugenommen hat, insbesondere auch im Hinblick auf geistige Fahigkeiten mit der Folge einer Einschrankung der Sinne. Wir sind alle aufgefordert, Architektur und Stadtebau, also den gebauten Raum vom Haus bis zur Stadt, als ein GefUge von vielfaltigen Aufenthaltsqualitaten zu gestalten , die

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selbstverstandlich zuganglich sind, ohne einzelnen Individuen oder Gruppen einen abweichenden Sonderstatus zuzuweisen. Wenn wir Architektur konsequent als Medium des Zugangs zu Innen- und Aufsenraumen mit allen Sinnen konzipieren, wird dies zu viel differenzierteren Formen der gebauten Umwelt fuhren, als wir sie heute kennen. Im 90sten]ahr der Bauhausgrundung steht damit auch die klassische Moderne auf dem Prufstand: Das typische Bild der abstrakten weiIsen Architekturkuben mit den schwarzen Schlagschatten war eine verstandliche und weittragende Antwort auf den uberbordenden Ornamentismus und die dunklen Wohninterieurs des 19. ]ahrhunderts. Sie bedeutete gleichzeitig aber auch eine Verarmung an sinnlicher Erlebbarkeit infolge einer extremen raumfunktionalen Arbeitsteilung und radikalen Optimierung einzelner Funktionen. Das umfassende Prinzip Access for all fordert dagegen einen erweiterten Zugang zu einer alle Sinne ansprechenden Umwelt. Die Einbindung von Menschen mit unterschiedlichen Fahigkeiten in eine von allen gemeinsam zu nutzende und zu erlebende gebaute Umwelt fuhrt zur Entwicklung von ungewohnten Gestaltungsansatzen, die fur Menschen aller Altersgruppen unabhangig von ihren Fahigkeiten einladend und anregend wirken konnen. Auf diese Weise kommt das, was fur diese Gruppen bedacht und

gebaut wird, der Oualitat der gebauten Umwelt insgesamt und damit auch dem .Normalburger" in Form anregender Raume zugute. Insbesondere Kinder und ]ugendliche, deren Umwelt mit der totalen Kommerzialisierung der Stadt arm an korperlich-sinnlichen Erfahrungsraumen geworden ist, werden unmittelbar von Access for all profitieren. Es geht aber auch um eine Erweiterung des Begriffs Access, Zuganglichkeit, zum Beispiel in dem Ziel eines barrierefreien Zugangs zum Internet. Der vorliegende Essayband setzt auf dem Wege zur vollstandigen Integration von Menschen mit unterschiedlichen, zum Teil eingeschrankten Fahigkeiten neue Akzente. Es geht um die Entwicklung von Architekturen und Stadtquartieren, die die Korperlichkeit des Menschen und seine Sinne in unmittelbaren Bezug zum Raum setzen, so dass so etwas wie .Resonanz" zwischen Mensch und Umwelt entstehen kann. Die ethischen Normen der Gleichbehandlung finden hier ihren baulich-raumlichen Ausdruck.

Einleitung Wolfgang Christ

Der Zugang zur gebauten Um welt wird seit einem halben Iahrhundert mit Behinderung assoziiert. Barrieren werden identifiziert, deren Dberwi n du n g zum Programm erhoben wird. Aus dem Kampf einer Minderheit urn Hilfe und Anerkennung h at sich eine Burgerrechtsbewegung entwickelt. Spezifische bauliche Normen und Designstandards markieren den Fortschritt und leiten das allmahliche Ende der Diskriminierung auf dem Woh nu ngs- und Arbeitsmarkt, im offentlichen Raum , in Verkeh rsm itteln oder in der Handhabung von Cegenstanden de s Alltagslebens ein. Ein muhsamer Proze ss zeichnet sich ab , der von Begriffen wie Rehabilitation , Chancengleichheit und Lebensqualitat gepragt wird. Als bauliche Losung der Zugangsproblematik gilt Barrierefreiheit - fur Behinderte. Dieses Buch erweitert den Blickwinkel auf die Thematik. Es generiert eine neue Sichtweise und liefert Argumente fur einen Paradigmenwechsel der Architektur: Zugang wird als strukturelle Herausforderung de r urbanisierten Welt de s 21. Jahrhunderts erkannt. Zugang ist h eute ein Problem fur alle , das ebenso facettenreich und widerspruchlich ist wie die Umwelt, in der wir leben. In einem breit angelegten thematischen Spektrum reflektieren die Autorinnen und Autoren vor ihrem jeweiligen professionellen Hintergrund diese Erfahrung. Die existenziellen Formen der Erschliefsung der gebauten Umwelt fur ein mit Einschrankungen verbu nde-

1 AG Angewandte Geographie/EDAD e.V. (Hrsg.): Von Barrierefreiheit zum Design fDrAile - Erfahrungen ausForschung und Praxis, MOnster 2007. 2 www.des ign.ncsu.edu/cud/aboucud/udhistory. htm Center for Universal Design, Collegeof Design, North Carolina State University.

nes Leben liegen nicht nur in de r Chance, sondern vor allem in der Notwendigkeit begrundet, die Fulle der Optionen im urbanen Raum individuell einlosen zu konnen , Die Essa ys lassen den Schluss zu , dass die ka tegorische Forderung nach einem Zugang .fur alle" in sbesondere fUr die zukunftige Rolle der Architektur folgenreich sein durfte, Absehbar ist: Die Architektur wird sich in ihrem Selbstverstandnis grundlegend wandeln mussen. Sie wird sich nicht langer damit begnugen konnen, im be sten Fall .frei von " storenden Zugangselementen zu sein. Architektur wird als Ort, Hulle und Medium im Raum die passive Rolle ablegen und Zugang aktiv unterstutzen mussen . Sie wird dann das Lernfeld des barrierefreien Bauens nutzen , urn sich als eine Architektur des Zugang s fur alle neu zu profilieren. Access for all - Zugiinge zur gebauten Umw elt knupft an den weltweiten Diskurs rund urn Burgerrechte, barrierefreies Bauen, Produkte und Dien stleistungen fur Menschen mit eingesch rankten physischen und geistigen Fahigkeiten an . Stichworte wie Universal Design, Design fur aIle oder Build for alP kennzeichnen den ak tuellen Stand einer Entwicklung, deren Anfange in die 50er Jahre de s 20.Iahrhunderts zuruckreichen. Entscheidende Wegmarken dieses Prozesses im Zeitraffer: Die USA stehen am Ende des 2.Weltkrieges vor der Herausforderung, Tausende behinderter

3 http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/ 2007-4-025.

4 AG Angewandte Geographie/EDADe.V: a.a. O. 5 www.sc hindleraward.com 6 AGAngewandte Geographie/EDAD e.V: a.a. O.

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Soldaten wieder in Beruf und Ausbildung zu in-

von Barcelona verabschiedet, in deren Folge sich

tegrieren. Fur sie werden erstmals technische

die katalanische Hauptstadt einmal mehr als

Hilfsmittel (assistive technology) systematisch erforscht und angewendet. 1961 wird der erste Standard fur barrierefreie Bauten veroffentlicht.

die "Stadt fur alle" zu ihrem verbindlichen Programm erklart, das sie Schritt fur Schritt reali-

Doch es dauert noch 30 Jahre, bis 1991 die Stan-

siert."

dards for Accessible Design als Bundesgesetz

2003 proklamiert der Europarat das Europaische ]ahr der Menschen mit Behinderung und gibt damit den Anstofs zum Access for allStudentenwettbewerb der Schindler Holding Ltd.,

einklagbare Zugangsrechte festsetzen. Bereits 1973 werden erstmals die Burgerrechte der Behinderten in einem Antidiskriminierungs-

europaische Modellstadt qualifiziert, indem sie

gesetz verabschiedet, das endgultig 1977 in Kraft tritt.? In Deutschland gelten die 1970er Jahre als Dekade der Rehabilitation.' Eigene Baunormen fur Schwerbehinderte und Rollstuhl-

der seitdem alle zwei]ahre europaweit durchgefuhrt wird.?

fahrer sowie Planungsrichtlinien fur Behinderte und alte Menschen im offentlichen Raum werden erlassen. 1977 beschliefst der Europarat eine Resolu-

hoch entwickelten Industrienationen immerhin zwei Generationen gedauert hat, urn einer an und fur sich einfachen und selbstverstandlichen Lebensqualitat - wie die physische und

Diese Chronologie des Fortschritts zeigt, dass es selbst in den demokratisch verfassten,

tion uber die Anpassung des Wohnungsbaus

rechtliche Barrierefreiheit - gesellschaftliche

und der damit verbundenen Umgebung an die Bedurfnisse behinderter Personen. 1981 rufen die Vereinten Nationen zum ersten Mal das In-

Anerkennung zu verschaffen und ein entsprechendes Handeln auszulosen, Doch Access for all

ternationale ]ahr der Behinderten aus. Motto:

ist damit noch nicht verbundenl Ausnahmen

sind eher die Regel. Solange Stadte damit werben konnen, barrierefrei zu sein, wie zum det im Museum of Modern Art in New York die Beispiel Illingen im Saarland oder die Stadt Ausstellung Designs for Independent Living statt. Eschsur-Alzette in Luxemburg, die den ersten Damit wird klar, dass Menschen mit einge- "Zuganglichkeitsplan" in Europa aufgestellt hat", schrankten Fahigkeiten ein Marktpotenzial bie- wird das allgemeine Dilemma erst so richtig ten. Die UNO beschliefst 1993, zukunftig jahrlich deutlich. am 3. Dezember den Internationalen Tag der BeZugang besitzt nicht den Status eines gehinderten zu begehen. 1995 wird die Erklarung sellschaftlichen, okonomischen, technischen

Einander verstehen - miteinander leben. 1988 fin-

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wolfgangChrist

und kulturellen Leitbildes, wie es aktuell der Naehhaltigkeit zukommt. So entfaltet Green Building weit mehr als Universal Design unmittelbare und weitreiehende Wirkung auf die Bauund Planungsgesetzgebung, den Bau- und Immobilienmarkt oder die Energie- und Konsum-

Weimar feiert 2009 den 90. Iahrestag der Bauhaus-Crundung. Wir erinnern uns: Die Protagonisten der Moderne um Walter Gropius sind von der Sehnsueht naeh der .absoluten Gestalt" erfull t. Sie bauen auf Forsehung statt auf Konvention. Ihr Aufbrueh in die Arehitektur und die

Stadt .der Masehinen und Fahrzeuge" sowie ihr Ein Erklarungsmuster fur die vergleiehs- .Streben naeh immer kuhneren Gestaltungsmitweise rasante Durehsetzung der Sustainability teln, um die Erdensehwere in Wirkung und Erfor aII, die mit der Agenda-21-Initiative in Rio de seheinung sehwebend zu uberwinden", befluJaneiro 1992 startete und zum Beispiel mit dem gelt weltweit jene, die eine neue, eine bessere US Green Building Council einen weltweit agie- Welt bauen wollen: fur allel renden Markt-Promotor gefunden hat, konnte Das Programm des Bauhauses ubertragt darin liegen, dass es den Akteuren gelungen ist, kongenial die Grundprinzipien der teehnisehen Zivilisation - Arbeitsteilung, Rationalisierung, "grune" Standards systemimmanent sowohl in die okonomische und teehnisehe Kultur der Verwissensehaftliehung, Medialisierung - auf Moderne als aueh in die entspreehenden Le- die Lehre und Praxis der Arehitektur. An dem bensstilmilieus zu integrieren. Denn obwohl Vorsatz, den Dingen auf den Grund zu gehen, sie naehhaltige Entwieklung die uberlebensnot- so zu konstruieren, dass sie endlieh .richtig" wendige Konsequenz des ungehemmten Res- funktionieren, sie .aus ihrer individuellen Besoureenverbrauehs und der Zerstorung der na- schrankung zu befreien und sie zu objektiver Gestaltung ernporzuheben", hat sieh bis heute turlichen Lebensgrundlagen ist, traut man den Wirkkraften, die das Problem verursaeht haben, im Grundsatz niehts geandert, Gleiehwohl gilt: Das Grundungsversprechen der .Jnternationaoffensiehtlieh zu, es aueh erfolgreieh losen zu konnen. len Arehitektur", "die Bauten unserer Umwelt Access for aII kann daraus nur lernen: Eine aus inneren Gesetzen zu gestalten, ohne Lugen und Verspieltheiten", 8 hat es nieht vermoeh t, j eerfolgreiehe Durehsetzungsstrategie wurde sinngernaf alles daran setzen, Zugang in den nen auf instrumenteller Vernunft und dem PriKanon der Moderne als nachste Stufe des Fort- mat des Fortsehritts basierenden .inneren Gesehritts zu implantieren - und ihr damit den setzen" den entseheidenden Access in Form eiStempel aufzudrucken: nes Grundgesetzartikels beizufugen, der allen

guterindustne.'

7 www.usgbc.org 8 Walter Gropius, tnternationa/eArchitektur, Mainz und Berlin 1981.

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Einleitung

Menschen das Recht garantiert, ihre Umwelt und die Bauten darin unabhangig von korperlichen und geistigen Fahigkeiten ganz selbstverstandlich, selbstandig und selbstbestimmt nutzen zu konnen, Auch wenn die Debatte urn den BauhausStil immer noch leidenschaftlich kon trovers gefuhrt wird, ist doch im Gegensatz zu dieser mittlerweile historisch einzuordnenden Asthetik der Moderne deren bau- und raumstrukturelle Kraft ungebrochen wirksam. Und da erweist sich die sozialstaatlich gepragte Industriegesellschaft im Hinblick auf die Frage, welche Zugange sie zur gebauten Umwelt eroffnet, von durchaus ambivalenter Qualitat: Einerseits ermoglicht sie - potenziell fur alle - bis dato ungeahnte Zugangsrechte und Zugangschancen, indem sie der Masse der Bev6lkerung spatestens in der zweiten Halfte des 20. Iahrhunderts zu auskommlicher Arbeit und bescheidenem Wohlstand, zu menschenwurdigern Wohnen, zu Waren in Hulle und Fulle, zu Bildung und Ausbildung, zur Teilhabe an Kultur und Religion, zu Mobilitat und Gesundheitsfursorge oder zu sicherer Energie und sauberem Wasser verhilft. Insofern werden die Hoffnungen auf die Befreiung von Beschrankungen nachhaltig erfullt. Auf der anderen Seite baut die Moderne neue Barrieren auf - und dies ist gerade ihrem uberragenden Erfolg geschuldet. Zum Beispiel erschliefst sie die Landschaft fur das Wohnen

aufserhalb der Stadt. Indem die suburbane Lebensweise mehr und mehr zum allgemeinen Standard wird, wachst die Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten, Wohnen und Einkaufen, Stadtmitte und Suburbia. Landschaft wird verbraucht. Suburbia fur alle heifst in den USA dann: Sprawl. Mobilitat nimmt den Charakter von Arbeit und Zwang an. Von verlorener Lebenszeit ist die Rede, wenn das Pendeln zum Alltag wird. Individualisierung und Wohlstand losen Schritt fur Schritt traditionelle Bindungen an den Ort, an das Quartier, innerhalb der Familie und der sozialen Schicht auf. Der Abstand zwischen Jung und Alt, Arm und Reich, Kindern und Eltern nimmt gerade auch raurnliche Dimensionen an, die immer schwerer beilaufig zu uberwinden sind. Auch das Tempo der Moderne ist nicht fur alle durchzuhalten. Immobile Menschen geraten ins Abseits. Das gilt im ubertragenen Sinne auch fur die Kommunikationswege der digitalen Medien. Hier scheiden sich klar diejenigen, die souveran deren Potenziale in ihren Berufsund Lebensalltag zu integrieren wissen, von jenen, die allein passiv konsumierend am Netz haugen. Den vergleichsweise groiSten Erfolg verzeichnen die modernen Lebensverhaltnisse in der ungeheuren Steigerung der Lebenserwartung. In den USA betragt sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts knapp 50 Jahre. Anfang des 21. Iahrhunderts sind es 76 Jahre. 85 % der heute

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wolfgangChrist

Lebenden werden alter als 65 Jahre. Die Zahl der Hundertjahrigen wird von 60000 im Iahr 2007 voraussichtlich auf 214000 im Iahr 2020 ansteigen.? Nun lernt eine alternde Gesellschaft Behinderung als Normalfall zu akzeptieren und nimmt dabei Barrieren wahr, die sie selbst direkt und indirekt aufgerichtet hat. Walter Gropius spricht im Vorwort zur 2. Auflage der Internationalen Architektur 1927 vom "Sinn des neuen Bauens: [als] Gestaltung von Lebensvorgangen". Dies kann fur das Bauhaus-Zeitalter nur in der radikalen Auflosung von Komplexi ta t munden, ,,[ ... ] in der Gliederung aller Baueinheiten nach den Funktionen der Baukorper, der Strafsen, der Verkehrsmittel." Die Logik der funktionalistischen Moderne, ihr Insistieren auf eine .objektive Gestaltung" muss heute zu einer diametral entgegengesetzten Schlussfolgerung fuhren: Klimawandel, demografischer Wandel, Urbanisierung und Wissensokonomie als neue Paradigmen im Rahmen einer im Vergleich zum ]ahrzehnt der BauhausCrundung weltweit dreimal hoheren Bevolkerungszahl von nahezu 7 Milliarden Menschen, die bis 2050 auf 9 Milliarden ansteigen durfte, binden eine nachhaltige Entwicklung an die raumliche Kompaktheit komplexer Funktionsmischung an. Die Erfolgsgeschichte der Moderne basiert auf der Abwendung von der Stadt traditionellen Typs, die der deutsche Stadtebauer und Urba-

nist Klaus Humpert als .Behalterstadt"" charakterisiert. Komplexitat ist im Industriezeitalter nicht kompakt beherrschbar. Vielfalt auf engem Raum - Grundbedingung von Urbanitat im europaischen Sinne - muss kontextorientiert gestaltet werden, sollen Synergien und nicht Konflikte das Miteinander pragen. Daher gehen Architektur und Access eine immer engere Verbindung ein, je urbaner die Lebensverhaltnisse werden. Die Autorinnen und Autoren zeigen Access for all an aktuellen und prototypischen Fallbeispielen. Sie machen anschaulich, welche Zugange zum gebauten Raum heute schon existieren, welche Strategien sich bewahren und welche Mafsnahmen greifen. Wir erfahren, dass Zugang fur alle mehr und mehr Zugang fur Individuen mit spezifischen Bedurfnissen und Erwartungen bedeutet - etwa wenn es gilt, in der Megacity sein Ziel ohne Umwege zu erreichen; das Stadtquartier mit zu gestalten, in dem man lebt oder dem man sich zugehorig fuhlt: mit dem Auto mobil zu sein, das man mit anderen teilt; mit den grofsen Denkern das Gluck des Daseins zu entdecken; in kleinen Schritten den Alltag komfortabler zu gestalten oder im virtuellen Raum mit den Augen zu horen und den Ohren zu sehen. Die Reihe der Themen und Orte, an denen sich avancierte Zugangsszenarien studieren lassen, ist selbstverstandlich nicht vollstandig.

9 www.design.ncsu.edu/cud/about_ud/udhistory.htm Centerfor Universal Design, College of Design, North Carolina State University. 10 Klaus Humpert, Klaus Brenner, Sybille Becker, Fundamental Principles of Urban Growth, wuppertal 2002.

11 Jeremy Rifkin, Access - Das Verschwinden des Eigentums, Frankfurt 2000 (Originalausgabe: The Age of Access, New York 2000).

Einleitung

Wichtige Aspekte konnen nur am Rande oder gar nicht angesprochen werden. Dazu zahlt vor allern die absehbare Tendenz, Zugang zu privilegieren, also kunstlich zu verknappen, urn auf diese Weise Kapital daraus zu schlagen. Jeremy Rifkin hat in Access - Das Verschwinden des Eigentums als Erster auf dieses Phanomen hingewiesen. Eines seiner Beispiele unter dem Stichwort Zugang als Lebensform 11 ist die mittlerweile auch in Europa urn sich greifende Privatisierung von Wohnquartieren in Gestalt der Gated Communities. Sie lassen Zugang fur wenige, die sich in

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ein Lebensstilmilieu einkaufen und dafur bislang elementare Eigentumsrechte aufzugeben bereit sind, zum Konsumprodukt werden. Dies kann nur als Menetekel der Flucht vor der Komplexitat und den Widerspruchen der urbanen Zivilisation gedeutet werden. Dagegen muss sich eine Architektur des Zugangs einer aufklarerischen Maxime verpflichten und den gebauten Raum als ein Instrument begreifen, das fur alle im 21. Iahrhundert Freiheit, Nachhaltigkeit und Schonheit zu erreichbaren Zielen werden lasst,



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Elevation Eine Kulturgeschichte von Aufzug und Lift Jeannot Simmen

Der Traum einer vertikalen Eroberung, die christliche Himmelsleiter, wird in der Moderne technisch realisiert. Der Lift, unsere profane und erdgebundene Himmelfahrt, uberwindet Schwere, erleichtert die korperliche Last. Die Forderung Access for all bleibt gegenuber der Vertikalen problematisch. Wir verrnogen allein mit mechanischen Hilfsmitteln die Lotrechte zu uberwinden , von der Leiter bis zum High-SpeedLift.1 Modeme Bequemlichkeitstechnik uberwindet Errnudung und Ersch6pfung

.Amerika", jenes viel versprech en de, verh eifSungsvolle Wort und der Traum eines neuen Lebens , war Titel ? von Franz Kafkas unvollendetem Roman, in dem dieser das Fremde einer fernen Welt schilderte. Der Protagonist, Karl RofSmann , wurde siebzehnjahrig von seinen armen Eltern .nach Amerika ges chickt", weil .Ihn ein Dienstmadchen verfuhrt und ein Kind von ihm bekommen harte"." Der jugendliche Held bewun dert vor der Ankunft vom Schiff aus die monumentale .Freiheitsgottin ... ,So h och', sagte er sich . Staunend steht er in New York vor den hohen Hausern, wo man vom Balkon mit dem Operngucker auf die StrafSe hinunterschaut", so Franz Kafkas Imagination. Karl Rofsmann findet in New York einen Job als Liftboy in eine m Hotel. "Schon nach der ersten Woch e sah Karl ein, dass

Max Ernst, "Baudelaire rentre tard", 1922, Tuschzeichnung.

er dem Dienst vollst andig gewachsen war. Karl lernte die kurzen tiefen Verbeugungen ... die m an von den Liftjungen verlangte und das Trinkgeld fing erim Fluge ab." Durch den Besuch des entfemten Bekannten Delamarche ist er gezwungen, seine Kabine zu verlassen , und verstofst gegen die ,Dienstordnung der Lifts' ." Vom Ungluck und von de r Polizei verfolgt , fluchtet Rofsmann in die Hochhaus-Wohnung des

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Jeannot Simmen

Bekannten. "Wir sind gleich oben", sagte Dela marche einige Male wa hrend des Treppensteigens , aber seine Vorau ssage wollte sich nicht erfullen, immer wied er fugte sich an eine Trep pe eine neue an , in nur unmerklich verande rt er Rich tung. Einmal blieb Karl sogar stehen, nich t eigen tlich vor Mudigkeit , aber vor Wehrlosigkeit gegenub er der Treppenla nge. "Die Wohnung liegt ja sehr ho ch" , sa gte Delamarche, als sie weitergingen , . aber auch das h at seine Vorteile. Holzkabine Kaufhaus Lord & Taylor, NewYork 1870; dampfbeMan geht sehr selte n aus , den ganzen Tag ist triebeneAufzuganlagevon Otis mit Seilsteuerung. man im Schlafrock, wir h ab en es seh r gemutlich . Na turlich kommen in diese Hohe auch Anforde rungen der Gesellscha ft , ein Hindernis, das es zu eliminieren gilt.:" keine Besu che h erau f." Die amerika nischen Hochhauser wurden Fran z Kafkas Wehrlo sigkeit gegenub er der Treppenlange beschreibt prazise eine ne ue Zi- bis 1930 in Europa .Turmh auser" genannt u nd vilisationskran kheit , die psych ophysisch e Er- werden in der Traditi on der Kirchturme als solischopfung, Keine mechanisch sichtba re Verlet - tare Monumente in der Kathedral-Nachfolge zung war die Ursac he , sondern eine unsichtbare beschrieben: .Der Burot ur m ist hochster kunstErkran kung der Nerven . Die Neurasth enie er- lerisch er Wirkung fah ig, aber er darf nur als weist sich als Sch utz- und Abwehrmechanis- grofse Aus n ahm e, etw a als nur einmal er scheimus de s Korper s gegen ub er den neuen Anforde- nende Beto nung im Gesamtbild der Stadt, als rungen de r Gese llsch aft." Kafkas .A m erika" Rath au s oder als ein ziges zentra les Geschaftsschildert die europa isch e Verunsiche rung dur ch haus zu gelassen werden", so Werner Hegedie damals n euartigen Hoh en , New Yorks Verti - m ann.? In den Metropolen wird der Aufzug das Remedium: Technik wird gegen Hektik und Erkale wird zur traum atisch en Ans trengung des schweren Korpers , Hoh e verheifst - bei feh len - mudungsmanie eingesetzt . Der Fahrstuhl wird dem Aufzug - Errnudung und Ersch opfung als urn 1880 zu einer Einrichtung, die beispielsweise Folge des hektische n Lebens in der modernen in .samtlichen comfortabler eingerichte ten HoIndustriestadt. Die Erm udung erweist sich .a ls tel s der grofseren Stadte sich ein zuburgern an die Schwelle zwischen dem Korper und den gefangen hat"." Es ist ein durchaus la ngwieriger

1 Der moderne Lift erschlieBt das bis vor kurzem welth6chste Haus 101 in Taiwans Hauptstadt raipeh. das 508 Meter rnisst. in 37 sekunden mit 50 km/h! Eine schwindelnde Position: .oer starkeWind ... lasst denTurm hin- und herschwanken. Man Whit sich wie betrunken ..." (Susanne Lenz, Berliner Zeitung 26.10.2007). Seit Marz 2008 ist das Burj Dubai mit 81 8 Meter cas hochste cebaudeder Welt. Die Fertigstellung ist fO r Dezember 2009 geplant.

2 Franz Kafkas publlzlerte 1913 das erste Kapitel .Der Heizer. Ein Fragment". 1927 edierte Max Brod den Text unter dem Tilel . Amerika", Der Titel "Der verschollene" tand sich in einemBrief xatkas an Felice Bauer vom 11 .11 .1 912. 3 Franz Kafka, Der vetscnouene, nrsg. von J. Schillemeit. Frankfurt a.M. 1983, S.7, 289f.

Elevation - Eine Ku lturgeschichte von Aufzugund Lift

Lift-Mechanik kontra Entree/Treppenanlage, Paris um 1910; Einbau ins .tr eppenauge".

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Aufzug in Paris um 1920; Integration der Aufzugsanlage ins Entree: Geometrisch klare LinienfOhrung horizontallvertikal.

Prozess, de r Fahrstuhl ist zunachst umstritten, zug - Lift stellen drei technische Entwicklungsstu fen der mechanischen Vertikalfah rt dar. es heifst, Technik sei hasslich, passe nicht in das Cebaude und koste viel Geld. Habituell als die Alle sin d aber klar definierbar als gefuhrte Last. moderne und normale Komfort-Ausstattung Die Fahrt verlauft langs von Fuhrungsschienen erstklassiger Cebaude wird der umstrittene als .Fahrbahn". Der Terminus "gefUh rte Last" schliefst andere Fordergerate aus, so zum BeiAufzug erst nach ]ahrzehnten. Der Access for all der ermudeten und spiel den Kran , die Laufkatze, die Seilbahn oder auch den Skilift. erschopften Stadtbewohner wird durch den mechanischen Vertikaltransport moglich , verandert aber die Architektur, das Ensemble von Drei Erfindungen zum modernen Lift Entree und Treppenanlage, die Visitenkarte des Cebaudes. Der Einbau von Liftanlagen im groiS- Historisch betrachtet verwandeln drei Erfindungen den Forderkorb oderWarenaufzug zum moburgerlichen Woh ngebiiu de aktualisiert den Konflikt zwischen der "Ecole des Beau x-Arts" dernen Personenlift. Diese drei Erfindungen erund dem Polyte chnikum, also zwisch en Arch i- mogl ichen eine nutzbringende und bequeme tekt und Ingenieur. Die Treppenhausanlage ErschlieiSung des Wolkenkr atzers . Alle starnerhalt Konkurrenz durch ein technisches Cera t , m en au s der zweiten Halfte des 19.]ahrhunderts, da s damals als fremdartig, m echanisch und zwei sind deutsche Errungenschaften, eine hasslich empfunden wurde. Fahrstuhl - Auf- stam m t au s Amerika.

4 im Hotel .der niedrigste und entbehrlichste Angestellte in der ungeheueren Stufenleiter der Dienerschaft dieses Hotels", Kafka, op.cit.. S.213, Zitate S.187f., 225 ff. 5 Jeannot Simmen, Vertigo. Schwindel der Modernen Kunst, MOnchen 1990, S.11-28 ; vgl.: Jeannot Simmen; Uwe Drepper, Der Fahrstuhl. DieGeschichte der vertikalen Eroberung, MOnchen 1984, S.57ff., 136ff., 2201.

6 Anson Ra binbach, .oer Motor Mensch", in: Tilmann Buddensieg; Henning Rogge (Hrsg.),Dieniitzlichen Kiinste, Berlin 1981 , S.129. 7 Werner Hegemann, AmerikanischeArchitektur und Stadtbaukunst, Berlin 1925, S.11 . 8 Ibid.

ieannot Simmen

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1. Die autom atisch- gesicherte Vertikale Elisha Graves Otis

ElishaGraves Otis bel seinem Freifall-Versuch im Crystal pala ce,NewYork, 1854.

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Elisha Graves Otis, (18111861). der Pionier und crunder des Lift-Imperiums.

Elisha Graves Otis war weder Ingenieur noch kapitalstarker Industrieller, sondern ein uramerikan ischer Praktiker und Handwerker. Seine Erfindung verdankt er einem Unfall. E.G. Otis wurde nach ein em Fah rstuhlu nfall beau ftragt, ein sich eres Fahrgera t fur den Vertikalver keh r zu bauen. Seine .b ahnbrechende" Erfindung war die En twicklung eine r besondere n Fallbremse, die beim Abst urz der Kabine keine menschliche Reaktion vorausset zt. Otis' Idee von 1853 best and in der automa tischen Notbremse, ein selbstaus losender Mechani sm us beim Fall , unabh an gig vom mens chlichen Reaktionsvermogen . Die ers t 1861 kurz vor seinem Tod patentierte Erfindung bestand aus einer Klemmautomatik. Diese stop pt sofort und abrupt eine ungesicherte und seillos abwarts sausende Plattform. Personlich fuhrte Otis sein e Sicherhe itserfindung in eine r offentliche n Schaudemonstration im New Yorker Crystal Palace vor. Die Dram aturgi e war von h ohem Effekt, Otis war Hau ptdarsteller un d Stun tman bei dem Experiment. Mit einem Schwert durchschlug ein Mit arbeiter das Tragseil. Ungesichert fiel die schwer beladene Plattform im freien Fall aus etwa 15 Meter Hohe , wurde aber sofort automatisch durch eine gesp annte Feder un d sich verk eilen -

9 Rem koolnaas. DeliriousNewYork, New York 1978, S. 19. 10 DerAufzugsexperte Jan M. Du lmno relativiert: "Diespater und bis heute eingesetzten Fangvorrichtungen basieren in keiner welse. abgesehen von der Automatik, nach dem ot ls-Prlnzipvon 1854. Sie unterscheiden sich in Ausl6se-

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Automatische Fallbremse, Patent 31128, E. G. Otis 1861 .

de Messer ges toppt. Diese spektakulare Demonstration war .der Triumph ein es Nichtereignisses", so Rem Koolha as,? oder auch praziser das verhinderte Ereignis, denn durch da s Zuschnappen der Metallspitzen in die holzerne Flih ru ngsschiene findet der todliche Fall nieh t st att. Diese fruhe Automatik be deutete Sicherh eit und wurde zur Ikone der Aufzugsfahrt sti lisiert. Uberliefert ist als Heur eka -Ruf die Senten z der sicheren Liftfah rt: "All safe, Gentlemen, all safe". E.G.Otis th ronte hoch uber den Kopfen der verw underten Zuschauer auf der geretteten Plattform. Nicht iiberliefert bleibt, wie Otis be freit wurde, denn der verk eilte Las ten -

kriterium(Ubergeschwindigkeit gegenOber Seilbruch) und Bremsmechanik (Reibung/Ke ilwirkung gegenOber Einrasten). vg! auch Andreas Bernard, Die Geschichte desFahrstuhls, Frankfurt a.M. 2006, S.18 ft., S.26.

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Elevation- Eine Kulturgeschichte von Aufzugund Lift

aufzug kann nicht hochgezogen werden, die Rettung erfolgte vermutlich durch eine simple Leiter. Die autom atisch funktionierende Notbremse verwandelte den Lastenaufzug zum sicheren Personenaufzug. Seit 1878 wird das System durch einen Fliehkraftregler perfektioniert, der bei Ceschwindigkeitsub erschreitungen (15-20% der Sollgeschwindigkeit) die Abstoppung einleitet. Fruher war dieser direkt auf die Kabine montiert, heute sitzt er stationar oben im Schacht. Er ist durch ein mitlaufendes Seil mit der Kabine verbunden. Bei erhohter Geschwindigkeit wird das Seil geklemmt und lost die Fangme chanik aus . Heute ersetzt eine sanfte Gleitbremse die harte und abrupte Abstop pung der alten Schnappautomatik. Automatik ist und bleibt aber das Zauberwort. 10 2. Gottliche Elevation dank pro fanelektrischem Antrieb: Siemens & Halske Die zweite grofse Erfindung, die den Weg zum modernen Lift bereitete, ist der Antrieb. Die bisherigen Motoren (Dampfmaschinen , Gasm otoren) beschrankten den Aufzugsbetrieb auf den Fabrikhof, auf Dampfanlagen, die einen Maschinenwarter benotigten, der standig die Druck energien uberwachte. Die Wasser-Hydra ulik bildet e eine weitere Antriebsart. Sie war vor allem in Paris handelsublich, wo der Erfinder Leon

Der erste, elektrisch betriebene Aufzug, ein Kletterlift von Siemens & Halske 1880.

Edoux Hydraulik-GrofSanlagen fur die Weltausstellungen von 1867 und 1889 gebaut hatte und damit in der Offentlichkeit werbekraftig den

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Panoramalift. Staunend bewundern die Passanten den unsichtbaren Antrieb. Karikaturvon 1881 auf denersten etektrtschen Aufzugvon Siemens & Halske,

Einsatz der sanften wie sicheren Senkrechtfah- terlift: Die Fahrbahn verlauft quer durch die rer offentlich demonstrierte. Hydraulische An- Fahrbuhne und besteht aus einer Leiter. Hochlagen waren von Druckwasser abhangig, was geklettert wurde an der Aufsenwand , ein fruher damals dampfenergiebetriebene Pumpmaschi- Panoramaaufzug. Eine zeitgenossische Karikatur zeigt 1881 nen erforderte. den frei stehenden Turm samt Kletterlift. Die Schlagartig loste der elektrische Antrieb alle Probleme, er funktionierte wartungsfrei Bildlegende kommentiert ironisch: .Der Ausund standortunabhangig. Der elektrische Motor sichtsturm mit der Verproviantierungsanstalt war gegenuber den Dampfanlagen klein-dimen- fur die Himmelfahrt" . Interessant sind mehrere sioniert und leicht. Elektrizitat revolutionierte Details . Die Zuschauer stehen verblufft da , guden Umgang mit allen bekannten Energiearten, cken hoch in die Luft, ratseln tiber den Antrieb . obwohl elektrische Kraft kein eigentlicher Ener- Kindlich staunend wird dieser kunstliche Berg gietrager ist wie Holz, Kohle oder Erdol. Elektri- bewundert, der Blick zur verschwindend kleizitat bildet eine Transmissionskraft und wird nen Kabine gerichtet, aus der ein Passagier mit einem Tuch winkt. Einem Burger in luftiger das Medium der Moderne : Die Kraft kommt aus Steckdosen! Elektrizitat markiert einen Paradig- Hohe wird der Zylinder vom Kopf geweht, raue menwechsel: ein Verbrennungsprozess ohne Winde beherrschen die mechanisch uberwunSauerstoff, Warrne ohne Asche.Elektrizitat kann dene wolkige Hohe. Der Kletterlift hatte einige ferngeleitet, in der Natur produziert und in den technische Entwicklungen und Verbesserungen stadten verbraucht werden. im Design umgesetzt, doch die Geschwindigkeit 1880 fuhrte Werner von Siemens mit dem blieb bes chrankt. Die Leiterstange war eine Elektrotechniker Johann Georg Halske auf der nicht ungefahrliche Fahrbahn. Beim Bruch eiPfalzgau-Ausstellung in Mannheim einen neu- nes Leiterzahns ware die Kabine mit Wucht auf artigen Senkrechtfahrer vor. Bei dem Fahrgerat die nachste Sprosse und von da beschleunigt wurde die Plattform aber weder von einem Kol- nach unten gefallen. Mit dem elektrischen Dyben hydraulisch geschoben, noch wurde die Ka- namomotor war das Problem des Antriebes ein bine hochgezogen. Das Fahrgerat kletterte me- fur alle Mal gelost , doch es fehlte noch ein leischanisch, vergleichbar einer ins Lot gekippten tungsfahiges und sicheres TransmissionssysZahnradbahn. Die Plattform bewegte sich auto- tern . Dieses wurde bereits drei Jahre vor dem mobil, der Motor war unter der Aussichtsplatt- ersten elektrischen Aufzug von einem deutform montiert. Das Irritierende an diesem Klet- schen Ingenieur entdeckt.

Elevation - Eine Kultu rgeschichte von Aufzug und Lift

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3. Der Bergbau erfindet in der Tiefe den Lift fur die Hohe. Reibun g als Antrieb Friedrich Koepe Wo nicht himmelwarts hoch-, son dern hollen warts in die Tiefe gefahren wird, dart wurde die vertikal e Transporttechnik revolutionie rt. Seit jeher werden im Bergbau langere Senkrecht strecken bew altigt als im Hoch- und Hausbau. Die Seiltrommeln wuchsen bei wachsender Fordertiefe, erreichten Dimensionen von einigen Metern Durchmesser. Durch das sukzessive Abwickeln des Seiles auf der Trommel entsteht eine ungleiche Beanspru chung von Maschine n wellen un d -lagern, was die Gefahr eines Seilbru ches erhoh t. Urn dieser Problematik zu entkom men, bau te 1877 der Bergbauingenieur Friedrich Koepe (1835-1922) fur einen 234 m tiefen Sch acht (mithin 80 Stockwerke im Hochbau !) eine Trommelm aschine zu einem neua rti gen Antrieb urn . Statt wie bislang eine Kabeltrommel zu nutzen, legte Koepe das Seil lose uber eine Scheibe. In einer schwalbenschwanzar tigen Vertiefung wurde das Kabel dur ch Reibung mitgetrieben. Was simp el un d einfach aussah und sich als wegweisen d erweisen sollte, erfuhr seitens des Arbeitgebers keinerlei besondere Wertschatzun g. Die Firma Friedrich Krupp liefs den Seiltrieb nicht patentieren ,erkannte nicht das Neue. Der Bergbau-Ingenieur Koepe lief sich darau f-

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Das Sei l wird direkt uber ein Rad gelegt (links), es liegt in einer Vertiefung(rechts): Treibscheibenantrieb, Patentschrift 218, Friedrich Koepe, 1877.

hin das Patent auf seinen Nam en erteilen und schied im Unfrieden mit seinem Arbeitgeber. .Reibung als Antrieb", dari n bes tand der kritische Punkt. Die in die Grube fahrenden Kumpel h att en - ganz abgesehen davon, dass die Fallhohe enarm war, damals bis weit uber 2000 Meter - vor drei Dingen Angst, die passieren konnten, wenn das Seil zu schnell rutschte: Die sturzende Kabine demolierte oft die Sch achtUmma ntelung, die der Kabine da raufhin hinter-

Treibscheibenaufzug mit zusatzlichen Radern, um Reibung zu optimieren. Entwurf fOr Zeche Hannover von Friedrich Koepe.

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Jeannot Simmen

Woolworth Building New York, 56Stockwerke, 1911-1916 erbaut, bis 1930 welth6chstes sebeuoe. mit modernsten Treibscheibenaufzugen .

herfiel. Unten in der Sohle, auf dem Schachtboden, sammelte sich das Grubenwasser. Uberlebte der Bergmann den Sturz, so ertrank er im Schlamm. Die dritte Gefahr war das Aufzugsseil. Es fiel mit ungeheurer Wucht und konnte dem Uberlebenden einen stahlharten, finalen Peitschenschlag verpassen. Doch anders als befurchtet, boten die neuen Treibscheiben eine beinahe absolute Sicherheit. Durch die Seillange erhohte sich die Reibung und wurde ein Seilrutschen auch bei groger Lange verhindert. Die Verwendung von Reibung als Antrieb galt im fruhen 19. Iahrhun-

dert als geradezu wahnwitzige Vorstellung. Bezeichnenderweise wurde die erste Lokomotive 1811 vom englischen Ingenieur John Blenkinsop als Zahnradbahn konstruiert, fur die Ebene! Man befurchtete, die Eisenrader wurden auf den Schienen durchrutschen. Friedrich Koepes ebenso geniale wie mutige Erfindung loste schlagartig mehrere Probleme . Die einzelnen Elemente der Konstruktion haben bis heute Bestand: Parallel angeordnete Scheiben mit mehreren Seilen, der so genannte Vielseilbetrieb , erhohen die Sicherheit im Falle eines Seilbruches. Das einzelne Seil kann dunner sein und ist daher flexibler. Das Kabel wird nur einmal umgelenkt, die Seilabnutzung ist entsprechend geringer. Das Seil lauft stets mittig, die Krafte sind einfach zu berechnen. Die Gefahr einer Schlaffseilbildung ist eliminiert. (Beim Trommelantrieb war letzteres eine haufige Unfallursache. Verhakte sich bei einer Abwartsfahrt die PIattform, wurde das Seil dennoch weiter abgerolIt , die Kabine loste sich und fiel ohne jeden Halt.) Cleichmafsige Zugkri3.fte schonen Seil, Trommel und Motor; der Unterschied des Seilgewichtes wird kontinuierlich mit einem losen Unterseil ausgeglichen. Ohne modernen Lift kein Wolkenkratzer Bremsautomatik, elektrischer Antrieb und sichere Transmission durch Reibung, diese drei

Elevation - Eine Kulturgeschi chte von Aufzugund Lift

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Antrieb fO r denAufzug: Luft, wasser/o l. Zahnrad/Leiter, Trammel, Paternoster, Treibscheibe. Schematische Darstellung.

Erfindungen begriinden den Siegeszug des modemen Aufzugs. Sie ermogliche n die vertikale Fortbewegung in Cebauden von zuvor ungeahnter Hohe. Das "Up and Down " mit dem Aufzug wird sicher und bequem. 1889 taucht erstmals das Wort "Skyscraper" auf. Ein grofs er Vorteil der Kombination von elektrischem Antrieb und Treibscheiben-Transmission ist , das s sie als ma schinelles Ensemble wenig Platz braucht und leicht an Gewicht ist . Das von 191 3 bis 191 6 errichtete Woolworth Gebaude in New York verfiigte uber eine solche Anlage ; bis 1930 war es der hochste Skyscraper der Welt mit den modemsten und schnellsten Liftsystemen seiner Zeit. Die Geschw indigkeit der 29 Liftanlagen lag bei 3,5 m/ s; mit einem Schnell-Lift konnten 207 Meter iibe rwunden

werden . Die weitere Entwicklung des Hochhausbaus bestatigt die The se, dass die Cebaudehohe von den Moglichkeiten der Aufzugstechnologie abhangig ist. ]e effizienter die Aufziige funktionieren, desto hohere bewohnbare Cebaude lassen sich bauen. 1m Aufzugfahren vereinen sich archaische und modeme Erlebniswelten. Modem, weil die Liftfahrt (im Gegensatz zur Schiffs- oder Eisenbahnreise) keine eigentliche Orts veranderung im Sinne ein es Seherl ebni sse s bietet. Nicht die Bewegung im Raum , sondem die negativ verlebte Zeit ist der rele vante Parameter. Besonders bei der Fahrt in geschlossener Kabine durch den Betonschacht wird der Liftfahrer mit einem seriell-gleichformigen Zeiterlebnis konfrontiert . Archaisch , denn: Ob einsam in der Kabine oder

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Lift und Utopie: Transparente AufzOge tahren durchdie Architektur von taszlo Moholy-Nagy in dem Film .,Things to Come", Produktion Alexander Ko rda, 1936 nach dem Roman von H.G. Wells.

Elevation- Eine Kulturgeschichte von Aufzug und Lift

in drangvoller Enge mit anderen, der Aufzugsfahrer erfahrt eine ursprungliche Angst. Er bewegt sich unausweichlich in einer vorgegebenen Vertikale, hangt nur an einem Seil und ist in einen engen Raum eingeschlossen, zumeist ohne Ausblick auf die Umgebung. ]e langer die Fahrt dauert, desto hoher steigt der Angstpegel des Senkrechtfahrenden. Die Liftfahrt wird zu einem Erlebnis , das archaische Angste des Ausgeliefertseins, des Verlusts von Orientierung und Kontrolle evoziert. ]eder Mensch trag; in sich eine innere anthropologische Grenze . Was die absolute Lichtgeschwindigkeit fur die moderne Physik ist, das ist die anthropologische Zwei-Minuten-Grenze im taglichen Liftverkehr. Eine Wartezeit von ca . 30 Sekunden im Geschaftsalltag und eine Fahrzeit von etwa 100 Sekunden gelten als ertraglich. Die Toleranz erhoht sich durch mehrere Etagenstopps und ein- und aussteigende weitere Liftfahrer. Sie ist bei Wohnhochhausern hoher als bei Ceschaftshausem: Touristen gelten als die geduldigsten Liftfahrer, die besonders bei Liftattraktionen (Eiffelturm, Fernsehturme) die Zeit nicht als Stillstand und auferzwungene Pause verspuren. Doch in den Wohn- und Buroturmen der Megastadte des 20. und 21. ]ahrhunderts dauern Liftfahrten bis zu zwei Minuten. Neben der Lange der Aufzugsfahrten setzt der Raumbedarf fur Liftanlagen eine weitere Grenze : Der Platz fur Aufzugsschachte steigt

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Marcel Duchamp, "Akt, die Treppe hinuntersteigend", 1912.

disproportional zur gewonnenen Nutzflache, Bei Gebauden mit konventionellen Liftanlagen steigt der prozentuale Anteil von 7% auf bis zu 20% bei Turmen mit 70 bis 100 Etagen . Urn den

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Flachenbedarf fur Liftanlagen niedrig zu halten, bieten sich drei Moglichkeiten an : • Doppelkabinen ermoglichen eine um 30% erhohte Forderkapazitat. Vorbilder finden sich im Bergbau . 1930 wird in New York im Sixty Wall Tower (heute das American International Building) ein Tandem-Fahrgerat installiert. • Der Express/Shuttle-Aufzug gilt als die praktikabelste Losung fur Hauser mit mehr als 80 Stockwerken. Das Gebaude wird in selbststandige Cebaudeabschnitte unterteilt; Express-Aufzuge fahren direkt zu Umsteigestationen (Skylobby) , wo der Transfer zu den einzelnen Zubringeraufzugen fur bestimmte Stockwerksegmente stattfindet. Die Skylobbies sind oft Einkaufs- und Verpflegungsstationen, zuweilen samt Fitnesscenter. Die partielle Anordnung reduziert den Platzbedarf fur Liftanlagen. • Fassadenlifts/Panoramaaufzuge erubrigen den Liftschacht im Cebaudekern, verringern aber die Fensterflache. Panoramaanlagen sind heutzutage oftmals architektonische Prestigeobjekte. Sensationsreif sind solche Fahrgerate als dramatisches Filmmotiv. Sie waren einst ein Stuck Utopie, das zeigt auch der 1936 produzierte Science-fiction-Film "Things to Come" von Alexander Korda und H.G. Wells, des sen futuristische Modellarchi-

11 World Trade Task Force Interview mit dem sarutater MichaelOberam 16.10.2001. NewYork City Fire Department, New York 2005 .

tektur von Laszlo Moholy-Nagy entworfen wurde. Der Film ist ein optimistisches Gegenstuck zu Fritz Langs "Metropolis" (1927), wo die Arbeiter mit Aufzugen in die Unterwelt verfrachtet werden, um dort Sklaven ahnlich den Maschinen zu dienen , die die glanzvolle Oberwelt in Gang halten. Ab 1980 wird die Moderne elektronisch: Sie wird international und global. Unsere habituellen Realitatserfahrungen werden nachhaltig durch Simultanitat. lmmaterialitat, virtuelle Welten verandert. Wir erfahren uns im Feld lokaler Haptik und telematisch im Cyberspace. Dieser gewichtlose, kommunikative Access for all findet jenseits der haptisch erfahrbaren Realitat statt. Der Fall der beiden Turme vom World Trade Center zeigt krass den Einbruch des Realen ins Iahr 2001: DieVertikale wurde von der Hype- zur Hybris-Dimension von Hohenangst und Schrecken vor dem Sturz. Die Liftschachte im World Trade Center bildeten als Kamine die Brandbeschleuniger; das Kerosin entzundete sich gleichzeitig in allen Stockwerken und fuhrte zum konstruktiven Einsturz der Vertikalarchitektur. Einbruch des Realen . .Es war, als ob es Menschen regnete ... Du konntest zuschauen, wie sie vom 90. Stockwerk herabfielen", so der Sanitater Michael Ober. Seine Verzweiflung uber die Vertikale : .Du bist lange ausgebildet worden , um Menschen zu helfen, dann schlagen sie ein-

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Elevation - EineKu lturgeschichte von Aufzug und Lift

setriebsraum

fach auf den Boden auf und das war 's. Da ist absolut nichts, was du fur sie tun kannst."11 Die Vertikale wird zur existenziellen FaIle - jenseits der mechanisch gesicherten Vertikale von Aufzug und Lift. Filmisch dramatisierte dies der mexikanische Regisseur Alejandro Gonzalez Inarritu in ,, 11'09'01" (Frankreich 2002). Aufblit zend zwischen schwarzen Filmsequenzen erscheinen sekundenschnell Springende, die Sturzenden vom World Trade Center - New York, 11.9.2001. Seitdem ist die Vertikale nicht weiter technisch immunisiert. Der Aufzug bildet heute ein technisch ausgereiftes, sicheres Fahrgerat. Elektronische Steuerungen sorgen fur eine hohe Auslastung, Leer- und Einzelfahrten werden vermieden. Das mechanische Ensemble von Antrieb und Transmission verbleibt aber in der bewahrten Kombination von Elektrizitat und Treibscheibe. Die Notbremse funktioniert automatisch auf mechanischer Basis. Der Lift ist das erste mobile Cerat, das ohne Schalten und Gasgeben mit einem Knopfdruck startet und millimetergenau abb remst, selbsttatig die Turen offnet und schliefst.

Skylobby Betriebsraum

Skylobby Betriebsraum

ExpressaufzOge

Betriebsraum

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t okale Aufzuge

ExpressaufzOge

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tokale AufzOge StraBenniveau

Schematische Darstellungder Aufzugsgruppen desWorld Trade Center, New York.

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Meqamobilitat Technologie fur das Individuum in der urbanisierten Welt Jonas Hughes

Gebraueht werden neue Ideen, wie man Wissen anwendet.

Der Weg dorthin: eine umfassende Sieht jenseits der eigenen Ziele.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist die Fortbewegung eine der unangenehmsten Erfahrungen fur Menschen, die in der Stadt leben. Fur Autofahrer ist der morgendliche Weg zur Arbeit zu Stofszeiten normalerweise ein zahes Kriechen aufAutobahnen, die in immer uberfulltere Strafsen fuhren, je naher man dem Stadtzentrum kommt. Wer den Zug nimmt, muss sich durch Waggons kampfen, die ebenfalls immer voller werden , und Busreisende mussen sich daruber argern , im Stadtverkehr im Stau zu stehen. Fufsganger machen die Erfahrung von dicht gedrangten Burgersteigen und Warteschlangen, Luftverschmutzung und Larrn und empfinden

ein allgemeines Unbehagen, zu lange unterwegs zu sein. Und das ist moglicherweise noch nicht alles. Selbst in anspruchsvolleren Bauten mit luftigen Atrien und Glasfassaden fuhrt der Weg yom Erdgeschoss in die oberen Etagen unter Umstanden uber einen uberfullten, fensterlosen Fahrstuhl, der unzahlige Male anhalt. Fur Altere, Kinder oder Menschen mit Behinderungen vergroisem sich diese Probleme womoglich noch durch Hindernisse wie Treppen, verkehrsreiche Strafsen ohne sichere Ubergange oder fehlende Schilder bzw. Ton- und Braillesignale. Ursache ist das mangelnde Bewusstsein fur Zugangsprobleme, mit denen ein erheblicher Teil der Menschen zu kampfen hat. In

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Jonas Hughes

Westeuropa leiden nach Schatzungen etwa 15 % der Erwachsenen unter einer Behinderung, und ihre Zahl nimmt mit der Dberalterung der Gesellschaft weiter zu.! Die Mobilitatsproblerne, mit denen die Stadte der Welt zu kampfen haben, stehen auger Frage. Die Kosten fur Zeit und Energie, die in Staus vergeudet werden, belaufen sich nach Schatzungen auf 10 bis 100 Milliarden Dollar im Iahr fur einzelne Stadte, und die okologischen Folgen von verkehrlichen Immissionsbelastungen konnen nach allgemeiner Einschatzung nicht unbegrenzt toleriert werden. Als Motoren des globalen Wachstums generieren Stadte den Lowenanteil des Wohlstandes derWelt, aber genauso sind sie fur den Crofsteil des Abfalls und der Emissionen verantwortlich, von denen ein erheblicher Anteil von Autos verursacht wird. Die Mobilitatsprobleme in Stadten verschlimmern sich haufig noch durch schlechte (bzw. fehlende) Stadtplanung und zu geringe Investitionen in die Infrastruktur. In vielen schnell wachsenden Stadten der Entwicklungslander sind die Stadtbehorden mit der Massenmigration in stadtische Gegenden uberfordert, Dies fuhrt zu Zersiedelung, Slums, Umweltverschmutzung und Verkehrskollaps. In den Industrienationen sind verstopfte Strafsen, Uberbe-

Stadtgrenzen Regierungen und kommunale Behorden haben auf den Verkehrskollaps unter anderem mit dem Versuch reagiert, den Verkehrsfluss in Stadtgebieten einzudammen, etwa durch eine City-Maut (in Stadten wie London) oder durch eine Begrenzung der ausgestellten Nummernschilder (Shanghai). Derartige Mafsnahmen haben mit gewissem Erfolg innerstadtische Staus entscharft, Doch ihre Wirkung ist notgedrungen begrenzt, denn sie zielen auf eine Verhaltensanderung, ohne dass strukturelle Defizite in der Stadt- und Verkehrsplanung angegangen werden. Aufserdem verlagert etwa eine City-Maut fur Autofahrer, die ins Stadtzentrum fahren, die Last auf den offentlichen Personennahverkehr, ohne dass dabei entsprechend in das Bus- und U-Bahn-System investiert wird. Die Erfahrung in London legt nahe, dass eine City-Maut die Menschen haufig davon abschreckt, zu Freizeitaktivitaten oder zum Einkaufen ins Stadtzentrum zu fahren, was sich fur Laden im Zentrum geschaftsschadigend auswirkt. 2 China hat den Ansatz erprobt, die Entwicklung des stadtischen Umfelds zu steuern, indem die Groge von Stadten und ihrer Bevolkerung

volkerung und No-go-Areale im stadtischen

begrenzt wird. Irn Mittelpunkt dieses .strukturellen" Ansatzes stehen die Definition und das

Kontext inzwischen zur Normalitat geworden.

Durchsetzen von Stadtgrenzen sowie die Be-

1 Eurostat: Disabilityand socialparticipation in Europe, 2001. 2 Industrie- und Handelskammer London, Reaktion auf den Vorschlag, die .staugebuhr" zu erhbhen, 2005. 3 McKinsey Global Institute: Preparing for China's Urban Billion,

5 Deyan sudpc. Direktordes Design Museums in London, zitiert aus:Ricky Burdett;Deyan SUdjic (Hrsg.), The Endless City, Berlin 2007.

2009.

4 Ibid.

Megamobilitat - Technologie fO r das Individuum in derurbanisiertenWelt

DieHerausforderung: Megastadte fOr Individuen erschlieBen.

Mobtlitatstechnologien lenken, integrieren. verbinden.

stimmung neuer stadtischer Gegenden oder wundern die Lichter von der an dere n Seite des ganz neu er Stadte , urn zu verhindern, da ss Flusses aus. Das eh rgeizigere Projekt , eine vollig Sta dte sich uber be steh en de Infrastruk turen neue, .okologische" Stadt auf der nah e gelege hinweg ausdehnen, so dass die Beho rden nicht nen Inse l Chongming zu bau en, ist nach jah rem ehr in der Lage sind, mit diesem Wachs tu m lan gen politische n Streitereien bislan g noch nicht in Gang gekommen . fertigzuwerden . Plane dieser Art sehe n au f dem Papier verUnte rdessen dehnen sich die stadte Chinas fuhrerisch aus , doch sie ubersehen oder unter- - allen voran Shanghai - weiter aus, und der schatzen oft die reale Dynamik der Stadtent- Trend scheint ungebrochen . Bis 2025 werden wicklung sowie gesellschaftlich e, politische und schatzungsweise sechs neue Megastadte (mi t finanzielle Hindern isse. Pudong, da s Vorzeige- mehr als 10 Millione n Einwoh nern ) neben Peviertel Shanghais, da s auf ruck gewonnenem king und Shanghai entstehen, und in ihnen werAckerland gebaut wurde, kann es zum Beispiel den 13 % aller chinesischen Stadtbewoh ner lemit den Skylines von New York und Hongkong ben." aufnehmen. Bei Nacht allerdings sind die StraNach den Erfahrungen Chinas - und der Ben gespenstisch leer, und die Shanghaier be - meisten Entwicklungslander - folgen Stadte ei-

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ner eigenen Dynamik, mogen die Behorden auch noch so bernuht sein. Aufserdern deuten immer mehr Belege daraufhin, dass grofsere Stadte mit hoherer Dichte existenzfahiger sind und es ihnen eher gelingt, die Vor- und Nachteile der Verstadterung auszugleichen. Das liegt daran, dass weniger Zersiedelung auch zu geringerem Energieverbrauch und geringerer Umweltbelastung fuhrt: aufserdem benotigen Stadte mit einer hohen Dichte weniger Investitionen in den offentlichen Personennahverkehr, in Infrastrukturen und Dienstleistungen. Eine 2009 veroffentlichte Studie zur Stadtentwicklung der letzten 20 Jahre in China hat gezeigt, dass grofsere Stadte in allen Messungen besser abschneiden, auch im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf landliche Regionen, insbesondere auf Wasserstrafsen und Ackerland.? Tokio, die mit uber 35 Millionen Einwohnern grofste Stadt der Welt, ist sogar als eine der komplexesten und am sorgfaltigsten organisierten Stadte der WeIt bezeichnet worden, obwohl sie fast doppelt so grog ist wie Mexiko-Stadt, das zweitgrofste Ballungsgebiet der Welt. 5 Angesichts dieser Erkenntnisse sind die Argumente nicht langer uberzeugend, wonach Verkehrskollaps und Mobilitatsproblemen am besten begegnet werden kann, indem die Grage von Stadten moglichst begrenzt wird und Gesetze oder Cebuhren eingefuhrt werden, um die

Zahl der Transporte einzuschranken. Uberzeugender ware es, stattdessen auf ein Modell der Stadtentwicklung zu setzen, das den dynamischen Charakter von Stadten anerkennt und sein Augenmerk darauf richtet, stadtische Zentren integrativ und attraktiv zu machen, um so Bewohner anzuziehen. Grundlage dieses Modells sind Umfelder mit hoher Dichte, die sich durch .m ul tifunktionale Stadtteile" auszeichnen und vertikal organisiert sind - im Gegensatz zu Anhaufungen von Zweckgebauden von geringer Dichte, die in .Wohngebiete" und "Gewerbegebiete" unterteilt sind. Raum als Kontinuum

Die 1874 gegrundete Schindler-Gruppe, ein weltweit tatiger Hersteller von Transportsystemen fur Cebaude, hat die Erfahrung gemacht, dass Stadtplaner, Architekten und Ingenieure uber die notige Fachkompetenz und die Technologien verfugen, urn integrative Modelle der Stadtentwicklung zu entwerfen. Gebraucht werden neue Ideen, wie man dieses Wissen anwendet; auch mussen die betreffenden Akteure in der Lage sein, uber den Tellerrand zu schauen und eine umfassendere Sicht der bestehenden Moglichkeiten jenseits ihrer eigenen Ziele zu erlangen. Besonders wichtig ist, dass alle am Entwurf und am Bau Beteiligten ihr Projekt - sei es ein Gebau-

Megamobilitat - Technologie fO r das Individuum in der urbanisierten Weit

Dieneueurbane Mobilitat vernetzt bffentliche und private Raume.

de, ein Hauserblock, ein Stadtviertel oder eine ganze Stadt - aus der Perspektive der Menschen betrachten, die diesen Raum schliefslich bewohnen werden. Das bedeutet: Die Bedurfnisse aller Bewohner (einschliefslich der Kinder, alterer Menschen und Menschen mit Behinderungen) mussen angemessen berucksichtigt werden. Ebens o mussen die Tatigkeiten der Bewohner Arbeit, Freizeit, Einkaufen, Unter ha ltung usw. bea chtet werden, so dass offentlic he Einr ichtungen leicht zugan glich sind und sich in nicht alIzu weiter Entfernu ng befind en . Historisch gesehen uberschatzt der Prozess des Planens und Entwerfens ublicherweise be stimmte Aspekte des Entwur fs un d unterscha tzt

andere. Beim Entwurf eines Cebaudes liegt zum Beispiel der Schwerpunkt fast immer auf dem Einsatz von Raum - zu gewerblichen Zwecken (durch den Bautrager), aus kunstlerischen Grun den ,au s Grunden derWahrnehmung oder durch die Laune des Architekten.Allerding s ist es nicht sinnvolI, den Raum getrennt von den Mitteln zu betrachten, durch die der Zugang zu ihm moglich wird. Wie der Nutzer eine n Raum wahrnimm t , wird immer vorn Weg in jen en Raum beeinflusst un d umgekehrt. 1st der Weg dorthin schwierig, dann wird der Raum vielleicht als nicht einladend wahrgenommen, an dern falls vielleicht als Ort der Zuflucht empfund en . Ahn lich beeinfl usst die Stimmu ng eines Raumes,

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Anstett ein Gebaude zuentwerfen, muss der Architekt eineStadt schatten.

MegamobilitElt - Technologie fur dasIndividuum in der urbanisierten Welt

wie der Nutzer den vor ihm liegenden Weg wahrnimmt. In Extrernfallen ist der Raum vielleicht zu gewissen Zeiten oder fur bestimmte Menschen wegen Uberfullung oder aufgrund von physischen Barrieren nicht zuganglich. Doch in einem typischen Stadtentwicklungsprojekt werden die Mobilitatsdienstleister - bei einem Cebaude also die Firma, die die Fahrstuhle liefert - normalerweise erst dann ausgewahlt, wenn der Entwurf abgeschlossen ist, da sie in Diskussionen uber Raum als nicht entscheidend betrachtet werden. Das Cebaude oder Projekt wird faktisch unabhangig von seinen Mobilitatssysternen geschaffen. Letztere gelten als Zusatze, die nach der Definition des Gebaudes hinzuzufugen sind. Dies fuhrt zu paradoxen Ergebnissen: Cebaude mit Fahrstuhlen fur Rollstuhlfahrer, die von augen nur uber Stufen zuganglich sind; vornehme Hotels, deren Suiten am Ende einer langen Fahrt in einem uberfullten Fahrstuhlliegen; dicht gedrangte Menschen in Eingangshallen von Krankenhausern, deren Aufzuge zur Halfte leer bleiben fur den Fall, dass sie vom Personal oder von Patienten benotigt werden. Viele dieser Probleme konnen mit Hilfe von Verkehrsmanagement und Technologien zur Zugangsberechtigung gelost werden, die Schindler fur bestehende Gebaude und Neubauten entwickelt hat. Andere typische Entwurfsprobleme wie mit Fahrstuhlen uberfrachtete Ge-

baude - deren Kapazitat entsprechend des Bedarfs zu Stofszeiten geplant wurde - sind leicht zu vermeiden, indem der Mobilitatsdienstleister in einer fruhen Entwurfsphase in die Diskussionen eingebunden wird. Nach den Erfahrungen von Schindler fuhrt die Einbindungvon Ingenieuren in den Entwurfsprozess nicht nur zu einer optimalen Konfiguration von Fahrstuhlen und Fahrtreppen in einem Cebaude, sondern sie bietet auch wahrend der Planungs- und Bauphase merkliche Vorteile. Typische Beispiele sind weniger Schachte fur das gleiche oder ein hoheres Verkehrsaufkommen (in grofsen Gebauden nehmen Fahrstuhlschachte unter Umstanden augerordentlich viel Raum ein) sowie vielfaltigere Entwurfsmoglichkeiten fur Aufzugvorraume. Eventuell ist es auch moglich, Abschnitte der Fahrstuhlschachte fur das Abwasser- und Trinkwassersystem sowie die Elektrizitatsanlagen des Cebaudes zu nutzen. Ein neues Entwurfsparadigma Die entstehenden urbanen Landschaften vieler Stadte bestehen aus Bauprojekten von hoher Dichte, die multiple Funktionen kombinieren. Ublicherweise befinden sich Ceschafte, Restaurants und Freizeitraume (Parks, Sport- und Unterhaltungsmoglichkeiten) auf einem "Podium" oder einer Freiflache im Erdgeschoss. Wohnun-

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gen, Bures und Hotelraumlichkeiten werden in

wohnern und Gewerbemietern in einer verbind-

einer oder mehreren Strukturen daruber ange-

lichen Handelsbeziehung direkt rechenschafts-

siedelt. Unter der Erde befindet sich oft eine

pflichtig ist. Diese Beziehung erstreckt sich auf alle .offentlichen" Dienstleistungen innerhalb eines Cebaudes.

U-Bahn-Station, deren Gleise mit dem Komplex uber Rolltreppenrampen verbunden sind. Rolltreppen sind aufserst wirkungsvolle Mittel, um viele Menschen sehr schnell von einer Ebene zu einer anderen zu befordern. Und da man ihre Aufwarts- und Abwartsbewegungen regulieren kann, konnen sie je nach Richtung des Hauptverkehrs programmiert werden - morgens auf-

Die Implikationen sind genauso wichtig fur Stadtplanung und Stadtebau. Anstatt ein Cebaude zu entwerfen, muss der Architekt eine kleine Stadt schaffen, einschliefslich der Systeme, die je nach Status der betreffenden Person - Bewoh-

warts, abends abwarts.

Besucher - Mobilitat und Zugangskontrolle mit veranderlichen Sicherheitsstufen kombinieren.

Derartige Komplexe, die vielleicht Zehntausende von Menschen unterbringen konnen, stellen eine komplette Abkehr vom vorherrschenden stadtischen Modell von nebeneinander an der Strafse stehenden Zweckgebauden dar. Aus der horizontalen Konfiguration wird eine vertikale, und dabei geht die einst fast unangetastete Unterscheidung zwischen Wohn-, Gewerbe- und Einzelhandelsflachen verloren. Das Verkehrsnetz - das Aquivalent zu Schiene und Strafse - wandert nach innen, wo Zuge, StrafSenbahnen und Autos durch Fahrstuhle und Fahrtreppen ersetzt werden. Die Bedeutung dieses Wandels ist nicht zu unterschatzen. Mit einem Schlag geht das offentliche Verkehrsnetz fur ein .Stadtviertel" mit 20000 Personen in die Verantwortung des Gebaudernanagernents uber, das gegenuber Be-

ner, Buroangestellter, Hotelgast, Lieferbote oder

Der ubliche Ansatz, ein Cebaude zu entwerfen und die essenziellen Systeme zu einem spateren Zeitpunkt .einzufugen", ist unvorstellbar. Die neue stadtische Entwicklung wird verschiedene Mobilitatssysterne einbeziehen - von Hochgeschwindigkeits-Shuttle-Aufzugen mit Fahrstrecken von Hunderten von Metern bis hin zu ortlich begrenzten Strecken, die kleineren Abschnitten des Gebaudes dienen.

Intelligente Mobilitat Um diese Mobilitatssysteme zu steuern, bedarf es Technologien, die in der Lage sind, Strome von Menschen und Waren zu lenken, den Zugang zu allen Raumen zu uberwachen und Mobilitatssysteme an die der ubrigen Stadt an-

Megamobilitat - Technologie fur casIndividuum in derurbanisierten Welt

oas Mobilitatssystem erkenntIndividuen und deren Ziele.

zubinden. AIle Fahrstiihle und Fahrtreppen so- mussen, wenn sie mit den Menschenstromen, wie Zufahrtswege werden durch ein zentrales insbesondere in den sich verstadternden LanVerkehrsmanagement- und Zugangsberechti- dern Asiens, fertigwerden sollen . gungssystem gesteuert, das die Fahrten aller Die Zielrufsteuerung von Schindler erlaubt Reisender im ganzen Komplex plant und die den Nutzern, ihr Ziel zu wahlen, bevor sie den Mobilitatsbedurfnisse jedes Individuums je Fahrstuhl betreten; die Steuerung weist ihnen nach Status (Anwohner, Besucher, Buroange- dann den Fahrstuhl zu, der sie auf dem schnellsstellter usw.) und unter dem Aspekt eventueller ten Wege (mit der geringsten Zahl an Zwischenbesonderer Zugangsbedurfnisse berucksichtigt. stopps) in ihr Stockwerk bringt. Das System akDie Verkehrsmanagementtechnologie hat in Be- tualisiert standig seine zentrale Datenbank mit zug auf Fahrstuhlfahrten einen Paradigmen- den Positionen jedes einzelnen Fahrstuhls und wechsel eingeleitet. Das erste im Handel erhalt- jedes Fahrtwunsches und verwendet ausgekluliche System wurde in den 1990er ]ahren von gelte Algorithmen, urn fur jeden Nutzer die opSchindler entwickelt, als das Unternehmen er- timale Strecke zu berechnen. Nutzer wahlen ihr kannte, dass Fahrstuhle .Intelligenter" werden Zielstockwerk und werden dann uber visuelle

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Jonas Hughes

oder (im Falle von Sehbehinderten) akustische Signale .ihrem" Fahrstuhl zugewiesen. Nutzer mit besonderen Bedurfnissen wie Rollstuhlfahrer drucken einen speziellen Knopf, wenn sie ihr Ziel wahlen: ihnen wird dann ein grofserer Fahrstuhl oder eine leere Aufzugkabine zugewiesen; aufserdern verlangern sich fur sie die Turoffnungszeiten. Indem alle Fahrstuhle eines Cebaudes verbunden sind und alle Fahrten optimiert werden, ermoglicht es das Verkehrsmanagementsystem, die Zahl der Aufzuge (und damit Aufzugsschachte) eines Gebaudes unter Beibehaltung der Aufzugskapazitat zu reduzieren. Es bietet Architekten aufserdern grofsere Gestaltungsfreiheit bei der Platzierung von Fahrstuhlen in verschiedenen Bereichen oder Eingangshallen, da sich nicht alle Aufzuge in Sichtweite der Nutzer befinden mussen, Sicherer Zugang

Wie das Verkehrsmanagement erfordert auch die Mobilitat in multifunktionalen Cebauden Systeme, die den individuellen Zugang kontrollieren und die Bewegung von Individuen innerhalb des Cebaudes uberwachen. Schindler macht dies mit der Schindler ID moglich, die Verkehrsmanagement mit Sicherheit und Zugangstechnologie verbindet. Das System .er-

kennt" Individuen und ermoglicht ihnen schnellen und leichten Zugang zu Bereichen, fur die sie eine Nutzerberechtigung haben. Mit der Schindler ID erhalt jeder Nutzer eines Cebaudes eine Form der Identifizierung: Gaste und Besucher erhalten eine Zugangskarte; Bewohner und Gewerbemieter erhalten einen Chip, der in einer Karte, einem Handy, einer Uhr oder einem anderen Gegenstand installiert werden kann. Der Chip enthalt Informationen uber alle Ziele und Bedurfnisse des individuellen Nutzers. AIle Zutrittsorte und Fahrstuhle im Cebaude sind mit einer Schnittstelle ausgestattet. Wenn die Karte oder Chipeinrichtung mit der Schnittstelle Kontakt hat, zeigt das Display alle Zielorte, zu denen dieses Individuum berechtigten Zugang hat. Nutzer konnen dann das gewunschte Ziel durch Beruhren des Bildschirms wahlen, Falls sie (etwa aus hygienischen Grunden) eine beruhrungslose Alternative vorziehen, warten sie einfach, wahrend das Display durch die Liste ihrer moglichen Zielorte blattert, und entfernen die Chipeinrichtung, sobald das gewunschte Ziel farbig unterlegt erscheint. Da Nutzerinformationen in einer zentralen Datenbank gespeichert werden, ist das System in der Lage, jede einzelne Fahrt auf der Basis von vordefinierten Kriterien zu planen. Bewohner eines Cebaudes konnen so festlegen, immer al-

Megamobilitat - Technologie fOr das Individuum in der urbanisierten Welt

Von der Welt zum Haus: eine integrale Technologie des zugangs.

lein Fahrstuhl zu fahren , wenn sie in ihre Woh nung zuruckkehren - in diesem Fall wird der ihnen zugewiesene Aufzug auf dieser speziellen Fahrt nirgendwo sonst und fur niemanden anders anhalten. Eine sehbehinderte Person mochte wahrscheinlich immer einen Fahrstuhl zugewiesen bekommen, der tiber taktile Hinweise erreich t werden kann. Schindler hat diese Technologie entwickelt und macht es so moglich, Fahrstuhle schnell fur eine einzige private Fahrt aus dem Offen tlichen Verkehr zu ziehen und sie danach sofort wieder der Offentlichkeit zurVerfUgung zu stellen. Eine solch e Technologie hat zahlreiche Anwendungen, nicht zuletzt in Krankenhausern , wo wie

erwahnt Fahrstuhle fur Besucher normalerweise uberfullt und im Dauereinsatz sind, wahrend die fur medizinisches Personal die meiste Zeit stillstehen. Eine weitere Anwendungsmoglichkeit ergibt sich in Burogebauden, wo einige Fahrstuhle in der Vergangenheit Fuhrungskraften vorbeh alten waren. Die Zukunft beginnt heute Die oben beschriebenen Technologien und Moglichkeiten liegen nicht so sehr in der Zukunft als vielmehr in der Gegenwart. Die vorgestellte Mobilit at und die entsprechenden Zugangss ysteme sind mehr oder weniger bereits in Tausen-

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Jonas Hughes

stacte folgen ihrer eigenen Dynamik.

Megsrnobilitat - Technologie fur dasIndividuum in der urbanisierten Welt

den von Cebauden auf der ganzen Welt vorhan- die Schnittstellen genau den Fahrstuhl oder die den. Derzeit sind sie .isoliert" im Einsatz, das Fahrtreppe, die den direktesten Weg zu ihrer heiist, sie mussen noch mit dem breiteren stad- Etage darstellen. Bewohner, die heimkehren, tischen Umfeld wie dem offentlichen Verkehrs- konnen, wenn sie wollen, ihre Haustur automanetz verbunden bzw. in dieses integriert werden. tisch aufschlieiSen lassen, sobald sich der FahrIhre Integration in das Gefuge von Stadten ist stuhl auf ihrer Etage offnet. Die Tur kann auch eine Frage der Zeit, nicht der Moglichkeit. In Zu- so programmiert werden, dass sie sich automakunft wird der Zugang zum offentlichen Perso- tisch zuschliefst, wenn nach einer gewissen Zeit nennahverkehr - vom Flughafen zur Wohnung niemand den Raum betritt. zum Beispiel- durch eine Karte oder einen Chip Stadte haben sich den Kontrollversuchen erleichtert werden. Nutzer mussen diesen nur von Planern immer entzogen. Da sie als Geburtsuber eine Schnittstelle ziehen, wahrend sie von statten der Zivilisation und als Fortschritts- und einer Transportart zu einer anderen wechseln. Wirtschaftswachstumsmotoren derWelt wirken, Nutzer konnen unter Umstanden ihr Ziel schon ware es verwunderlich, wenn man sie muhelos am Abfahrtsort wahlen und werden von da an zahmen und kontrollieren konnte. Ein realistizur Rolltreppe oder zum Fahrsteig gelenkt, der scherer Ansatz ist es, ihre Dynamik zu akzeptiesie zur richtigen U-Bahn oder zum richtigen Bus ren und sich darauf zu konzentrieren, sie mit fuhrt. Anschlussfahrstuhle oder Rolltreppen ihrem Wachstum fur die grofstmogliche Zahl und Zug und Bus werden auf den Schnittstellen von Bewohnern so bewohnbar und angenehm angezeigt, die die Nutzer auf ihrem Weg passie- wie moglich zu gestalten - mit intelligenter, barren. Bei Ankunft an der Zielstation lokalisieren rierefreier Mobilitat,

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Kooperation Stadtentwicklung ist eine Gemeinschaftsleistung John Thompson / Andreas von Zadow

Eine Vision fur das Liberties-Viertel in Dublin .Der gestrige Abend war fur den geschichts trachtigen . altesten Stadtteil von Dublin - die beruhmten Liberties - sehr wichtig", so Anne Graham, die zustandige Leiterin des Gebiets Mitte-Sud in der Stadtverw altung von Dublin . "Am 2. Februar 2009 haben die Stadtrate bei ihrer Versammlung den Entwurf einer stadtebaulichen Rahmen planung fur die Liberties angenomm en ." Dieser Plan ist damit zur Richtschnur des Rates geworden und wird fur die nachsten zehn Jahre die Entwicklung eines 136 Hektar grofsen Gebiets im sudlichen Zentrum von Dublin bestimmen . Er ist das direkte Ergebnis einer 14-monatigen Phase kooperativer Planung mit Hund erten von Menschen, die vor Ort leben, und einer intensiven Burgerbeteiligun g von Beginn an - einen Zugan g fur aIle gewah rleistend. Auftakt war ein Planungswochenende im November 2007, an dem in den Liberties lebende und arbeitende Grupp en teilnahmen: interessierte Burger jeden Alte rs,jeder Lebensgeschichte, Gewerbetreibende, Lehrer, Kunstler, Studenten und Jugendli che safsen neben Plan ern , Archite kten, Investoren und Politikern. DieLiberties - und die Erkenntnis, da ss die Boomjahre des .keltis ch en Tigers" an diesem historischen Stadtteil Dublin s offens ichtlich spurlos vorubergingen - brachten die Menschen an diesem ersten Abend zusammen. Und das war erst der Anfang,

Dubliner Innenstadtbezirk Liberties- das Modell zeigt die Integration zwischen Sanierungsp lanung und historischen Stadtstrukturen.

der Beginn einer gemei ns amen Vision fur einen Stadtte il, einen Lebensraum. Burgerbeteiligun g als kontinu ierliche Kooperati on , offen fur alle, fand hier st at t, burgerschaftliche s Engagement

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John Thompson / Andreas von Zadow

oer Dubliner Bezirk Liberties umfasst verschiedenste

Gebietsgrenzendes integrierten Rahmenplans.

renraume.

ganz anders,jenseits und weit uber die ublichen Burgerberatungen oder Anhorungen hinaus. Bereits in einem sehr fruhe n Planungsstadium war beschlosse n worden , allen Betroffenen Zugan g zum Planun gsprozess zu gewahren . Die Entwurfsplane wurden auf diese Weise im Laufe der offen tlichen Debatten korr igiert, erweitert und verbessert. Vorschlage wur den be sprochen , abgeandert und offentlich uberpruft, urn das bestmogliche Ergebnis in stadtebaulicher Hinsicht zu erhalten und zugleich eine n groistmoglichen Konsens der Anwohner, Projek te ntwickler un d Eigentumer, der Politiker, Planer un d an derer Fachleute zu erzielen . Unter den Teilnehmern waren zahlreiche politische Vertreter des Stadtrates von Dublin , die den Mut h att en , diesen einz igartigen Pla nungsprozess

unter kontinuierlicher Beteiligung der Offentlichkeit du rchzufuhren , Eine erste "Vision fur die Liberties" wurde bei der gemei nsame n Perspektivenwerksta tt im Novem ber 2007 era rbeitet. Von ]anuar bis Dezember 2008 fanden monatlich offentliche Gesprachsfo ren in den Liberties mit reger Burgerbeteiligung statt, erganzend wurden alle zwei Monate Newsletter an jeden Haushalt verteilt , urn die Menschen uber die Fortschritte der hochkomplexen Planungssituation auf dem Laufenden zu ha lten . Die Foren und Workshops mu ndeten im Herbst 2008 in ein forme lles Burgerbeteiligungsve rfah ren mit offentlicher Aus legun g der Plan entwurfe , Ausstellungen und zahlreichen Diskussionsveranstaltungen . Dieser Auslegungsphase folgte die interne Abwa-

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Kooperation - Stadtentwicklung ist eine Gemeinschaftsleistung

gung und schliefslich die politische Beschlussfassung der Rahmenplanung in gut drei Monaten. Das ist ein sensationell enger Zeitplan. Uber Jahre hinweg waren in Vorbereitung auf die Sanierung die baulichen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten des Bezirks untersucht worden. Letztlich war es jedoch die aktive Teilnahme der Biirgerschaft an einem gemeinschaftlichen Planungsprozess, die es ermoglichte , einen ganzheitlichen stadtischen Entwicklungsrahmen zu gestalten. Mit vielen Kopfen und Handen entstand eine Vision fur die Zukunft der Liberties, die nun auf dem Weg in die Umsetzung ist. So ebnete kooperative Planung den Weg fur neue millionenschwere Investitionen des privaten und bffentlichen Sektors in Infra struktur, Kultur und Kommerz, Medien , Technologie und Sozialleistungen, fur Woh nungsbau , Arbeitsplatze, Parks und offentliche Platze , fur mehr Mobilitat in den Liberties und eine bessere Umwelt. Dazu geh ort auch die Guinne ss-Brauerei, die seit iiber 250 Iahren eng mit den Liberties verbunden ist und sich im Sanierungsgebiet befindet. Sie ist eine von Dublins Schliisselindustrien und wird ihre Produktionsanlagen modernisieren sowie ihr Gelande teil weise fur Buro- und Wohngebaude umnutzen. Der Erfolg des Liberties-Projekts setzt neue Magsti:ibe bei der Erstellung eine s Local Area Plan, zumindest fur Irland. Der Partizipationsproze ss war von Beginn an transparent und fur

DieDubliner Uberties - Diagramm zur Erlauterung der Staffelung kunftiger sebaucenohen .

stockwerke (angenommene Geschossnone: 4 MeterErdgeschoss + 3 Meterje Obergeschoss). ....

alle betroffenen Biirger kontinuierlich zuganglich . Dieses Verfahren erspart jahrelange feindselige Debatten. Das Ergebnis ist eine politisch mehrheitsfahige, realistische und ganzheitliche Rahm enplanung fur die Erneuerung, neue Entwicklungen sowie letztendlich guten Stadtebau mit Raumen , Freiraumen und vor allem Leben. Biirgerbeteiligung - Fettnapfchen und Sackgassen Die Neuplanung der Liberties in Dublin kann als ein neu es Format der Biirgerbeteiligung angesehen werden . Ein dringend notwendige s Modell, denn auf den gangigen formalen Wegen der kommunalen Planung reihen sich allzu oft Fettnapfchen an Staus und Stopp schilder oder sie

15 .

....

11-15

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8-'1

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6-8

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4-6

....

3-4

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2-3

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John Thompson / Andreas von Zadow

enden in Sackgassen - ganz sicher nicht nur in statt mit Verbesserungen fur einen Stadtteil. Irland. Immer wieder treffen wir bei unseren Selbstverstandlich ist eine solche Entwicklung Projekten auf Gruppen von Anwohnern oder Be- unhaltbar fur die kommunale Verwaltung und troffenen, deren Vertrauen in das aktuelle Pla- fur Stadtrate, die nach privaten Financiers fur nungssystem erheblich gestort ist. Sie fragen dringend notwendige Sanierungen suchen. sich, ob die Vorschlage, welche ihnen im Rahmen der Burgermitwirkung zur Stellungnahme Kooperation statt Anhorung - der andere Weg vorgelegt werden, uberhaupt zielfuhrend und wunschenswert sind. Seitens der Burger werden Burgerschaftliches Engagement ist ein komplebei Anhorungen vielfaltige Bedenken vorgetra- xes Thema, mit dem Fachleute unterschiedgen, zu speziellen Punkten eines Planes oder licher Disziplinen wie Bauplaner, Architekten, manchmal auch grundsatzliche Einwande, oft Landschaftsarchitekten und Stadtplaner unterungefiltert, emotional, frustriert. So sehen sich schiedlich umgehen. In seinem Handbuch The die Politiker im Planungsausschuss schnell im Community Planning Handbook listet Nick Wates Zwiespalt zwischen den Forderungen ihrer Wah- uber 50 mogliche Verfahren auf, darunter das ofler und Mitburger einerseits sowie den rich tlini- fentlich partizipative Community Planning, MaiSenbasierten Ratschlagen und Anspruchen der nahmenplanung in Form von Hands-on Planning, Planer vor Ort andererseits. Die zu Beratungen bei dem die Vorstellungen der Beteiligten unter eingeladenen Interessengruppen leisten haufig Mithilfe von Experten direkt in zeichnerische nicht die gewunschte konstruktive Mitarbeit, Darstellungen umgesetzt werden, ferner die weil ein GroiSteil des Konzepts Hingst ohne sie Arbeit mittels kommunaler Charrettes als eine erstellt wurde. Die Burgermeinung wird erst Form nicht-offentlicher kooperativer Planwerkspat und oft nur zu Details eingeholt, nicht zu statten fur Fachleute, Entscheidungstrager und prinzipiellen Fragestellungen. Die Diskussionen Interessenvertreter. Diesen Verfahren ist gelaufen dann haufig auf Konfrontation hinaus. meinsam, dass sie Interessenvertretern vor Ort Private Investoren, sogar manche Kommunen, - darunter Anwohnern, Geschaftsleuten, Dienstreduzieren Burgerbeteiligung auf das gesetzlich leistern und Vertretern der Kommunen - fruhvorgeschriebene Minimum, weil diese als blofses zeitig die Gelegenheit geben, sich kooperativ am Forum fur Auseinandersetzungen wahrgenom- Entwicklungsprozess zu beteiligen. men wird: Debattierclubs ohne positiven NutDas Beispiel der Dubliner Liberties veranzen. Nicht wenige Plane enden vor Gericht an- schaulicht dies. Wir gehen davon aus, dass jeder,

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Kooperation- Stadtentwicklung ist eineGemeinschaftsleistung

perspektivenwerkstatt

Initiativen Aktionen Investitionen

Offentlichkeit msntuuonen. Anleger. Wirtschaft. Interessierte

Planungsteam

Steuerungsgruppe

Planungsgrundlage. Rahmenbedingungen. Einladung undPR

Entscheidungen

Stadt.verbance, Politik. EigentOmer

3-6 Monate

vorbereitungundAnalyse

1 Monat

Offentliche veransta ltung

1 Monat

6 Monate - ? Jahre

Ergebnisbericht

umsetzungsphase

Kooperatives Verfahren - die kornplexltat der Planungsbeteiligtenwird auf drei Haupt-spharen reduziert: Entscheider. bffentlichkeit im weitesten Sinne und daszwischen diesen Gruppen operlerence Planer- und Moderationsteam.

der in einer bestimmten Gegend lebt oder arbei - ging es haufig um problematische Gegenden , tet, dazu beitragen kann, die Zukunft dieser Ge- die verwah rlost waren und in baulicher, sozialer gend zu gestalten. Nach unseren Erfahrungen und wirts chaftlicher Hinsicht saniert werden gewinnen Stadten twicklung skonzepte en tschei- mu ssten, so zum Beispiel Teile von Manchester, dend an Qualitat und originalitat, wenn man Newcastle und Belfast , aber auch Berlin-Heldie Betroffenen von Anfang an einbindet. Seit ler sdorf. In den letzten ]ahren sind sich zunehmehr als zehn ]ahren beschaftigen wir uns mit mend private Bautrager der Vorzuge bewusst dem, was in England als Community Planning geworden, die aus den kooperativen Verfahren und im deutschsprachigen Raum als Perspekti- erwachse n konnen, zum Beispiel bessere Plane, venwerkstatt bezeichnet wird. Mehr als 100 Pro- schnellere Umsetzung, grofsere Rtickendeckung. jekte haben wir inzwischen in GrofSbritannien Unsere Heran gehensweise an burgerschaftliund in ganz Europa durchgefiihrt. Unsere Auf- ches Engagement hat sich kontinu ierlich weitrage kamen anfangs vorwiegend aus dem Of- te ren twickelt . In den letzten]ahren arbeiten wir fentlichen Sektor oder von lokalen Interessen- mit einem viers tufigen Ans atz, der weithin zu gruppen, die offentliche Gelder erhielten. Dabei anerkannten Ergebnissen gefiihrt hat. Diese

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John Thompson / And reas von Zadow

Prinzipien und Verfahrensschritte einer .kooperativen Burgerbeteiligung" werden nachfolgend ausfi.ihrlich dargestellt. Die Einfi.ihrungsphase eines Community Planning-Projekts kann ,je nach Art und Umfang, von einigen Wochen uber mehrere Monate dauern. Wir arbeiten Hand in Hand mit dem Gremium, das den Auftrag vergibt, und beginnen im Allgemeinen mit der Einrichtung einer Steuerungsgruppe, in der neben Vertretern des Gemeinde- bzw. Stadtrats auch wichtige Vertreter des Ortes sowie Geschaftsleute zusammenwirken. In diesem Gremium wird der Rahmen des Projekts abgesteckt. In dieser ersten Phase ist es wesentlich, die Projektplanung so auszurichten, dass ein moglichst grofses Spektrum an Menschen die offentlichen Veranstaltungen besucht. Es geht darum, die Menschen vor art zu mobilisieren, ihnen das Ereignis sowie die Wichtigkeit ihres eigenen, personlichen Mitwirkens zu verdeutlichen. Unseren Ansatz haben wir in den letzten Iahren dahingehend weiterentwickelt, dass wir nicht nur auf den ublichen Gebrauch von Postwurfsendungen und Plakaten vertrauen, sondern dass unser Team buchstablich auf die Strafse geht, sich vor art mit unterschiedlichen Burgergruppen, Anwohnerverbanden, Gewerbetreibenden, ortlichen Interessengruppen wie Kunst- und Kulturverbanden, in Iugendclubs , Kirchen und Schulen trifft. Hat sich die Nachricht erst einmal vor art verbreitet, findet

Ch ichester Graylingwell - Visualisierung eines i:iffentlichen Platzes.

eine Auftaktveranstaltung statt. Damit wird die Berichterstattung in den Medien verstarkt. Auf diesem Wege kann explizit erlautert werden, wie eine Mitwirkung der Burger vorgesehen ist und dass diese Form der Beteiligung fur die Planung einen hohen Stellenwert haben wird. Ebenso werden bei dieser Gelegenheit die Chancen der Planung aus Burgersicht ausfuhrlich und nachvollziehbar dargestellt. Da die mediale Reizuberflutung der Burger heute so stark ist, muss diese Mobilisierung so prasent sein wie eine Marketingkampagne und zugleich auf Glaubwurdigkeit durch eine Vielzahl personlicher Cesprache bauen. Die zweite Phase findet meist die grogte Beachtung bei den vorn Projekt betroffenen Gruppen und besteht vor allem aus einer grog angelegten kooperativen Perspektivenwerkstatt.

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Kooperation - Stadtentwicklung ist eine Gemeinschaftsleistung

Chichester Graylingwell - Siedlungsentwicklung auf ehemaligem krankenhausgetanoe.

Vision fO r das neueCo 2-neutrale Stadtviertel.

Menschen verschiedenen Alters , verschiedener Kultur und unterschiedlichen Interessen bekommen hier die Gelegenheit, eina nder zuzuhoren und ihre Vorschl age einzub ringen. Der dort sta tt findende konstruktive Dialog wird durch ein neutrales, multi-disziplinares Team unterstutzt, das uber besondere Fahi gkeiten und Erfahrungen verfUgen muss. Zu den Teammitgliede rn zahlen unter anderem unse re eigenen Stadtp lan er, Architekten , Moderatoren und in der Regel weitere Fach leu te aus den Bereichen Finanzierung, Bau und Verkehr, Hydrolo gie, Crun- und Freiraum , Energieplanung usw. Die Zusammensetzung hangt von den Besonderheiten des Projekts ab. Die Mitglieder des Teams werden zunachst vor allem zuhoren und neue Informationen aufnehmen, bevor sie spa ter ihre berufliche Kompetenz einbringen , urn

die Anregungen der Mensche n vor Ort in eine pra ktikable Vision zu verw andeln . Am Vortag der Offentlichen Worksho ps ma cht sich da s Planu ngsteam mit dem Gelande und der Umgebung vertra ut und erhalt Hintergrundinformation en von wichtigen Akteuren der Kommune, wie Plan ern ,Anwohnern,Wirtschaftsve rbanden, Interessengrup pen und der Verwalt ung . Die Worksho ps finden normalerweise uber zwei Tage statt. Ziel dieser offentlichen Veran sta ltung ist es, den Wissensfundus aller zu nutzen und die beste Losung fur alle zu en twickeln. Wenn es auch anfangs ein spurbares Hierarchiegefalle geben mag, so fallen durch geubte Moderation die konventionellen Grenzen schnell, damit Ideen , positives Denken und kollektive Kreativitat freigese tzt werden. Auf diese Weise werden wichtige Vora ussetzungen zum Errei-

Bestandsgebaude werden integriert.

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John Thompson / Andreas von Zadow

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North Littlehampton

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Land Uses and Densities

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North Littlehampton - Hachennutzungsplanung zur Stadterweiterung.

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= .:::::;" Masterplan fOr ein gernischtes Entwicklungsgebiet auf okologisch sensiblem Gelande.

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che n eines Kons enses geschaffen. Als non-hierarchi sche Kom m unikation sform ate setzen wir vor allem auf th emenzentrierte Workshops und Planungst isch e. Worksh ops spreche n die spezifisch en lokalen Themen an , die sich vorab als relevant he rausgestellt h aben , darun te r etwa Wohnungswese n. Bildung, Gesundheit , Gewerbe, Okologie, Freizeit ,Verkeh r oder Angebote fur die Jugend. Spon tan konnen zu satzliche Themen aufgenommen un d Workshops aus dem Stegreif organisiert werden. Ahnlich wie in Zukunftsworkshops gestalten die Moderatoren jeweils einen dreistufigen Prozess. Dieser beginnt mit der .Problernru nde", die ein e kritische Besta n dsaufna h me der ak tuellen Situa tion ermoglicht, um gleich zu Beginn Raum zu geben fur Bedenken un d kr itische Fragen . Die na chste Rund e steht unter dem Motto .Traum e", in der die Teiln eh m er aufgefordert werden , ihrer Fantasie freien Lau f zu lassen und Wunschvorstellungen zu beschreiben, ob es um okologisch e Verbesser un gen , neue Einrichtun gen . Wohnfo rmen , Pla tze, Stra fsen oder Dienstleist ungsan gebote geh t . Schliefslich kon zen trieren sich die Teiln ehmer auf .Los ungsvorschlage"- wie wurden sie es anstellen , die Ziele zu erreichen ? Welche Schritte sind notig? Wer konnte dies finanzieren? Der Schlussteil des Workshops hat auf die Teilneh m er haufig einen .Aha-Effekt", denn sie wis sen zwar, welche Ziele

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Kooperation - Stadtentwicklung ist eine Gemeinschaftsleistung

North Littlehampton - Handzeichnungen.

Der Charakter des Gebiets wird visualisiert.

sie anstreben, doch nur wenige kennen bzw. verstehen auch die Mechanismen, urn diese ZieIe in die Realitat umzusetzen. An diesem Punkt bringt das Fachteam seine Kompetenz ein und stQfSt Debatten an, indem es Vorschlage fur Forder- und Managementmoglichkeiten einbringt und in Form von Beispielen veranschaulicht, wie bei anderen Projekt en Traume berei ts wahr wurden. Bei diesem Dialog uber prak tische Umsetzungsschritte lern en die Teilnehmer aufgrund der un terschiedlichen Erfahrungshintergrilnde intensiv voneinander. Wahrend dieser drei Phasen schreiben die Teilnehmer ihre Ideen auf Haftn otizen , die dann vorgelesen und anschliefsend in Thernenblocken geordnet werden. Der Moderator kann zusatzliche Informationen anfo rdern oder urn Klarstellun g bitten und eine Diskussion anregen; die Teilnehmer sollen jedoch vor allem merken,

dass das Team zuhort, nach den Gegebenhei ten vor Ort fragt und aIle Gesichtsp unk te gleichrangig und respektvoll behandelt. Der Gebrauch von Haftn otizen ist eine subtile Strategie, urn aIle Teilnehmer einzubinden, jedem die gleiche Stimme zu geben und das Potenzial fur emotiona le Ause inandersetzungen zu kontroversen Them en abzubauen. Es zeigt sich dabe i oft, dass der ilberw iegende Anteil der Argume nte konsensfahig ist , wah rend die strittigen Themen meist nur wenige sind . Dominante Einzelpersonen sind dadurch nicht mehr in der Lage, den Sitzu ngsverlauf zu torpedieren. So wird der Weg sch nell frei fur konstruktive Disku ssionen. 1m Laufe der Jahre hat sich unsere Methode weiteren twickelt . Moderatoren, die sich un ter den Teilnehmern bewegen,versuc he n , den Menschen ihre Befangenheit zu nehmen, zu erklaren , was pass iert, oder Rat zu geben . Sie vermit-

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John Thompson I Andreas von Zadow

Integrativer Planungsprozess I-

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oas Verfahren ist darauf ausgelegt, viele unterschiedlicheGesichtspunkte und Akteure zu integrieren.

teln und sie motivieren auch diejenigen , die sich in der Situation anfangs unwohl oder unsicher fuhlen, ihren Standpunkt zu aufsern . Sie sind speziell hellhorig gegenuber einer Aussage wie .Ich habe meine Brille verge ssen" - manchmal eine beschonigende Umschreibung fur Analphabetismus - und sie finden Wege, um auch diesen Menschen einen sinnvollen Beitrag zu ermoglichen. Am Ende der Worksh oprun de treffen sich alle Themengruppen der einzelnen Workshops im Plenum . Ein oder zwei Teilnehmer aus jeder Gruppe prasentieren per Flip-Chart eine Zusammenfassung der Konsenspunkte, darunter eine Liste derThemen , die sich als besonders wich tig erwiesen haben , und eine Reihe von .Aktionspunkten" , die Ziele m it Umsetzungsmethoden

verknupfen, Diese Berichtsrunden gewahrleisten , dass jeder, der an der Veranstaltung teilnimmt, sich iiber das Spektrum der geaufserten Ideen und Optionen im Bilde ist . Kommentare und Ideen au s dem Plenum erweitern die bereits dargelegten Gedanken . Prasentationen werden ausnahmslos von Workshopteilnehmern durchgefuhrt, um zu betonen, dass auch hier jeder den gleich en Zugang hat, jeder kompetent ist und die Ideen der Menschen vor Ort ungefiltert ausgesprochen werden . So wird wiederum verdeutlicht, dass es sich um gemeinsames Gedankengut, gemeinsame Ergebnisse handelt. Die zweite Form von Worksh ops, die wert volle Ergebni sse liefern, sind die Planungstische, bei der die Teilnehmer mit Stiften und Zetteln direkt auf einem Plan debattieren - eben

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Kooperation - Stadtentwicklung ist eine Gemeinschaftsleistung

Probleme Ttaume lOSllOgsvDfSCt'llage

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