Weiblicher Exhibitionismus: Das postmoderne Frauenbild in Kunst und Alltagskultur [1. Aufl.] 9783839413081

Weiblicher Exhibitionismus ist - da kulturell verankert - im Gegensatz zur strafrechtlich verfolgten männlichen Zeigelus

262 128 4MB

German Pages 224 Year 2015

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Weiblicher Exhibitionismus: Das postmoderne Frauenbild in Kunst und Alltagskultur [1. Aufl.]
 9783839413081

Table of contents :
INHALT
Vorwort
Einleitung
Moderne, Avantgarde und Postmoderne
Die Moderne
Die Klassische Moderne
Die Avantgarde
Die Postmoderne
Benjamin und Adorno
Was bedeuten diese Begriffsbestimmungen um die Avantgarde und den Postmodernismus für das Thema dieser Arbeit?
Geschlechtsidentitäten
Weiblichkeitsbilder im Kontext der Diskussion um Dekonstruktion der Geschlechtsidentität und Postfeminismus
Die sozialen Milieus
Der kulturelle Hintergrund Butlers Theorie
Zur Konstitution der Geschlechtsidentität aus psychoanalytischer Sicht
Bürgerliche Geschlechtsrollenklischees
Der Sexualitätsdiskurs am Beispiel der Androgynität und des Hermaphrodismus
Das postmoderne Frauenbild
Exhibitionismus
Exhibitionismus als Strafrechtsbestand nach StGB § 183
Zum Begriff der Perversion bzw. Devianz/Abweichung
Auswege aus der Normierungsfalle
Weiblicher Exhibitionismus
Welche Unterschiede bestehen zwischen weiblichem und männlichem Exhibitionismus?
Das Verhältnis zwischen Exhibitionismus als psychischem Phänomen und der kultursoziologischen Fragestellung nach dem postmodernen Frauenbild
Weiblicher Exhibitionismus in Alltag und Mode
Berufsfelder für Exhibitionist(inn)en
Ein Exkurs zur neueren Tanzgeschichte
Vom klassischen Ballett zum Ausdruckstanz
Varieté, Nackttanz und Striptease
Die Nacktkörperkultur und ihr Verhältnis zum Körper
Orientalischer Tanz und kulturelle Globalisierung
Der Orientalismus im Westen des 19. Jahrhunderts
Der Orientalische Tanz im Westen
Orientalischer Tanz im Kontext der kulturellen Globalisierung
Wann ist Tanz avantgardistisch oder postmodern?
Erotische Macht
Macht und Erotik, Macht und das Geschlechterverhältnis
Progressivität und emanzipatorisches Potential in Kunst und Alltagskultur: kulturelle Ikonen und ihre Bedeutung für das postmoderne Frauenbild in Kunst und Alltagskultur
Die Nackttänzerin Anita Berber in der künstlerischen Avantgarde der 20er Jahre
Mary Wigman als Vertreterin des Ausdruckstanzes
Ausdruckstanz und Nackttanz: zwischen Klassischer Moderne und Avantgarde
Otto Dix: Bildnis der Tänzerin Anita Berber
Die Schauspielerin Marilyn Monroe in der Postmoderne der 50er/60er Jahre
Erotische Ausstrahlung und Macht versus Bürgerliche Moral und Diskriminierung des Sexuellen in der bürgerlichen Gesellschaft
Der Popstar Madonna in der Postmoderne der 80er und 90er Jahre
Videoclips als Spiegel verschiedener Lebensstile am Beispiel des weiblichen Begehrens – Eine Analyse von vier Videoclips verschiedener weiblicher Popstars
Madonna: »Vogue« Performance bei den MTV 1990 Video Music Awards
Lil’ Kim, Mya, Pink, Christina Aguilera: »Lady Marmalade«
Jennifer Lopez: »If you had my love (would you comfort me)«
Maria Carey: »Loverboy«
Ergebnisse aus der Videoanalyse
Fazit
Literatur
Abbildungen

Citation preview

Ulrike Wohler Weiblicher Exhibitionismus

2009-09-22 11-16-07 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02f4221511722750|(S.

1

) T00_01 schmutztitel - 1308.p 221511722758

Ulrike Wohler (Dr. phil.), Soziologin, arbeitet als freiberufliche Dozentin, Trainerin und Beraterin sowie Tänzerin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Tanz, Kultursoziologie, Soziologische Theorie und Queer Theory.

2009-09-22 11-16-07 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02f4221511722750|(S.

2

) T00_02 seite 2 - 1308.p 221511722766

Ulrike Wohler

Weiblicher Exhibitionismus Das postmoderne Frauenbild in Kunst und Alltagskultur

2009-09-22 11-16-07 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02f4221511722750|(S.

3

) T00_03 titel - 1308.p 221511722774

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Zoe Leonard: »Pin-Up # 5« (mit Jennifer Miller) Lektorat & Satz: Ulrike Wohler Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1308-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2009-09-22 11-16-07 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02f4221511722750|(S.

4

) T00_04 impressum - 1308.p 221511722782

I N H AL T

Vorwort Einleitung Moderne, Avantgarde und Postmoderne Die Moderne Die Klassische Moderne Die Avantgarde Die Postmoderne Benjamin und Adorno Was bedeuten diese Begriffsbestimmungen um die Avantgarde und den Postmodernismus für das Thema dieser Arbeit?

11 17 27 28 29 30 31 34

Geschlechtsidentitäten Weiblichkeitsbilder im Kontext der Diskussion um Dekonstruktion der Geschlechtsidentität und Postfeminismus Die sozialen Milieus Der kulturelle Hintergrund Butlers Theorie Zur Konstitution der Geschlechtsidentität aus psychoanalytischer Sicht Bürgerliche Geschlechtsrollenklischees Der Sexualitätsdiskurs am Beispiel der Androgynität und des Hermaphrodismus Das postmoderne Frauenbild

41

Exhibitionismus Exhibitionismus als Strafrechtsbestand nach StGB § 183 Zum Begriff der Perversion bzw. Devianz/Abweichung Auswege aus der Normierungsfalle Weiblicher Exhibitionismus Welche Unterschiede bestehen zwischen weiblichem und männlichem Exhibitionismus?

67 70 76 85 89

38

42 47 49 56 59 62 64

91

Das Verhältnis zwischen Exhibitionismus als psychischem Phänomen und der kultursoziologischen Fragestellung nach dem postmodernen Frauenbild Weiblicher Exhibitionismus in Alltag und Mode Berufsfelder für Exhibitionist(inn)en

94 95 102

Ein Exkurs zur neueren Tanzgeschichte Vom klassischen Ballett zum Ausdruckstanz Varieté, Nackttanz und Striptease Die Nacktkörperkultur und ihr Verhältnis zum Körper Orientalischer Tanz und kulturelle Globalisierung Der Orientalismus im Westen des 19. Jahrhunderts Der Orientalische Tanz im Westen Orientalischer Tanz im Kontext der kulturellen Globalisierung Wann ist Tanz avantgardistisch oder postmodern?

103 105 112 118 120 123 124

Erotische Macht Macht und Erotik, Macht und das Geschlechterverhältnis

139 141

Progressivität und emanzipatorisches Potential in Kunst und Alltagskultur: kulturelle Ikonen und ihre Bedeutung für das postmoderne Frauenbild in Kunst und Alltagskultur Die Nackttänzerin Anita Berber in der künstlerischen Avantgarde der 20er Jahre Mary Wigman als Vertreterin des Ausdruckstanzes Ausdruckstanz und Nackttanz: zwischen Klassischer Moderne und Avantgarde Otto Dix: Bildnis der Tänzerin Anita Berber Die Schauspielerin Marilyn Monroe in der Postmoderne der 50er/60er Jahre Erotische Ausstrahlung und Macht versus Bürgerliche Moral und Diskriminierung des Sexuellen in der bürgerlichen Gesellschaft Der Popstar Madonna in der Postmoderne der 80er und 90er Jahre Videoclips als Spiegel verschiedener Lebensstile am Beispiel des weiblichen Begehrens – Eine Analyse von vier Videoclips verschiedener weiblicher Popstars Madonna: »Vogue« Performance bei den MTV 1990 Video Music Awards

130 136

145 146 150 155 159 160

165 170

176 180

Lil’ Kim, Mya, Pink, Christina Aguilera: »Lady Marmalade« Jennifer Lopez: »If you had my love (would you comfort me)« Maria Carey: »Loverboy« Ergebnisse aus der Videoanalyse

183 186 189 190

Fazit

193

Literatur Abbildungen

203 221

Danksagung

Dies ist meine bei der Philosophischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität im Jahre 2008 eingereichte Dissertation. Zunächst möchte ich mich sehr bei meinen beiden Gutachtern Prof. Dr. Lutz Hieber und Prof. Dr. Stephan Moebius bedanken. Mein besonderer Dank gilt dabei Lutz Hieber, durch dessen Schule ich lange ging, und der mir durch Anregungen und Hinweise, durchaus kontroverse und spannende Debatten, sein Vertrauen in meine Fähigkeiten und seine geduldige Begleitung eine große Unterstützung war. Ich möchte mich darüber hinaus ganz herzlich bei meinen Eltern Adalbert und Gisela Wohler für alles bedanken. Ihnen habe ich zu einem großen Teil zu verdanken, die geworden zu sein, die ich bin. Sie haben es mir ermöglicht zu studieren und ein streitbarer, lebhafter und wacher Geist zu werden. Weiterhin danke ich den TeilnehmerInnen des von Lutz Hieber initiierten und geleiteten Doktorandencolloquiums für spannende Diskussionen; insbesondere Dr. Hans-Jürgen Leist und Manfred Bolte, mit denen ich eine weite Strecke gemeinsam gegangen bin und eine schöne Zeit hatte. Anke Schulze möchte ich besonders für intensive Gespräche und ihre emotionale Unterstützung, vor allem in der letzten Phase vor Abgabe der Dissertation, danken. Last but not least danke ich Angela Bošnjak vornehmlich für ihre Freundschaft, ihre emotionale Unterstützung und Geduld mit mir in stressigen Zeiten, und darüber hinaus für das kritische Korrekturlesen des vorliegenden Buches.

9

VORWORT

»Vielfalt ist ein Ziel an sich – und ein sehr gefeiertes im heutigen Amerika. Es gibt den sehr amerikanischen, sehr modernen Glauben an die Möglichkeit ständiger Selbstverwandlung. [...] Diese Feier der Vielfalt, der Individualität, der Individualität als Stil zersetzt die Autorität der Geschlechterklischees und ist eine unerbittliche Gegenkraft zur Bigotterie geworden, mit der immer noch den Frauen verweigert wird, was über den nominellen Zugang zu vielen Berufen und Erfahrungen hinausgeht. Dass es Frauen im selben Maße wie Männern möglich sein sollte, ihre Individualität voll zu entfalten, ist natürlich eine radikale Vorstellung. In dieser Form immerhin erscheint der traditionelle feministische Ruf der Frauen nach Gerechtigkeit mittlerweile am plausibelsten« (Sontag 1999: 37).

In meiner Arbeit möchte ich den Zusammenhang zwischen Postmoderne, bzw. den postmodernen feministischen Ansätzen, denen es um die Politisierung des ideologisch zum Natürlich Erklärten geht, und der Befreiung von den Geschlechtsrollenklischees am Beispiel des weiblichen Exhibitionismus und seinen kulturellen Formgebungen herausarbeiten. Mein Anliegen besteht darin, das psychische und sexuelle Phänomen Exhibitionismus für meine kultursoziologische Fragestellung – auch im Verhältnis zur Geschlechtsidentität – fruchtbar zu machen. Warum die Beschäftigung mit Sex und Gender im Zusammenhang mit einer sexuellen Abweichung wie dem Exhibitionismus? Wieso überhaupt eine kultursoziologische Arbeit zu einem Thema, das mutmaßlich 11

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

wohl eher in die Sexualwissenschaft, Psychologie oder Gender Studies gehört? Nachdem ich einiges über sexuelle Abweichungen gelesen hatte, bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass die so genannten sexuellen Perversionen in ihrer Plombenfunktion (Morgenthaler) Ergebnis einer rigiden Sexualmoral sind: in der Regel gibt es ein traumatisches Erlebnis in der Kindheit des untersuchten Probanden, welches verhindert, eine »normale« sprich genitale Sexualität zu leben, da diese tabuisiert wird. Ein Fetisch, eine andere Ersatzhandlung, ersetzt auf eine vermeintlich ungefährlichere Art und Weise die genitale Penetration, verhindert, wieder mit dem Trauma, das mit genitaler Sexualität verbunden ist, in Kontakt zu kommen. Doch was bedeutet es, wenn in einer vermeintlich so zivilisierten Gesellschaft wie der bürgerlichen Gesellschaft, sich bestimmte »Abarten« der gelebten Sexualität erst verstärken, da die Sexualmoral keinen schuldfreien Umgang mit Sexualität zulässt? Krafft-Ebing hat seine Abhandlung, die über einen sehr langen Zeitraum das Standardwerk über abweichendes Verhalten gerade mit Bezug auf das geltende Strafrecht war, nicht umsonst im späten 19. Jahrhundert verfasst, es erschien das erste Mal 1886, als medizinische Maßnahmen wie Kauterisierungen und Entfernung der Klitoris1, Angstmachen vor Masturbation etc. verbreitet waren. Doch was hat das Ganze überhaupt mit Geschlechtsidentitäten zu tun? Eine entspannte, glückliche und erfüllte Sexualität gestaltet sich umso schwieriger, je stärker und radikaler die Geschlechterdifferenz betont wird, also definiert wird, was männlich und weiblich sei, je mehr wir von einer Geschlechtersegregation sprechen können, in der die Geschlechter wenig alltäglichen Kontakt zueinander haben, und sich im gegenseitigen Umgang einander eigentlich fremd sind. Das schürt Ängste, Projektionen und Vorurteile. Gleichzeitig lässt sich feststellen, dass die Differenz umso stärker betont wird, je konservativer die Gesellschaft gerade in Bezug auf die Sexualmoral ist. Gegenbeispiele sind die Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, in der die Garçonne mit Hosen und Monokel mit dem männlichen Geschlechtsrollenklischee spielte und der effeminierte Mann mit taillierten Anzügen auftrat, oder auch die 60er 1

12

»Überlegungen zu chirurgischer Entfernung bei schweren Fällen alleiniger Klitoriserregbarkeit wurden auch von Freuds berühmter Schülerin, der Prinzessin Bonaparte, angestellt. Die Entfernung der Klitoris gehörte zu Freuds Zeit zur psychiatrischen Therapie. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm ein Londoner Chirurg Klitorisdektomie an Patientinnen vor, die wegen Hysteria behandelt wurden, um ihre exzessiven sexuellen Wünsche zu reduzieren« (Janssen-Jurreit 1980: 536).

VORWORT

Jahre des 20. Jahrhunderts, in denen Männer enge Samthosen, Ketten um den Hals und lange Haare trugen, so wie ihre weiblichen Begleitungen auch. Es gibt z.B. einen vollnomadischen afrikanischen Stamm, die Wodaabe, bei denen sich die männlichen Krieger regelmäßig rituellen Schönheitswettbewerben untereinander unterziehen (Abbildung 1): sie schminken sich, bewegen sich mit effeminierten Bewegungen, reißen die Augen auf, um deren Schönheit zu betonen, machen klackernde Geräusche mit ihren Zungen. »Die 45.000 Mitglieder der Gemeinschaft legen Wert auf Schönheit und Charme, die die Grundlage eines ungewöhnlichen und einzigartigen Brautwerbungsrituals bilden, das geerewol, bei dem die Männer in einem dreitägigen Tanzwettbewerb um den Titel des Schönsten wetteifern« (www.wikipedia.de: »Wodaabe«, 21.10.2007). Die Frauen begutachten derweil das Geschehen. Kann man sich in solchen Gesellschaften Männer vorstellen, die als Transsexuelle weibliche Hormone nehmen und sich umoperieren lassen wollen? Ich möchte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, als sei ich gegen genannte Maßnahmen. Ich bin nur der Überzeugung, dass die wirklich reale Möglichkeit des Auslebens verschiedenster Anteile (in unserer Gesellschaft, in der wir ganz klare Vor- Abbildung 1 stellungen davon haben, was weiblich oder männlich ist bzw. zu sein hat, muss man sagen, der gegengeschlechtlichen Anteile) und damit die Auflösung rigider Geschlechtergrenzen viel Unglück und Leid, viele medizinische und psychologische Kosten und Eingriffe in Psyche und Körper vermeiden könnte.2 Doch gehe ich noch weiter und behaupte, dass Phänomene wie 2

Foucault führt zum Komplex der Transsexualität aus: »Meistens gehören die, die von ihrer Geschlechtsumwandlung erzählen, einer entschieden bisexuellen Welt an; das Unbehagen an ihrer Identität kommt in dem Verlangen zum Ausdruck, auf die andere Seite zu gelangen – auf die Seite des Geschlechts, das sie haben wollen oder zu dem sie gehören möchten« (Foucault 1998: 15). 13

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Sexismus, Rassismus und Ageism3 reduziert, wenn nicht gar vermieden werden könnten, wenn die Geschlechtergrenzen und die lebensweltliche und damit ideologische Trennung der Geschlechter voneinander, wenn schon nicht völlig aufgehoben, dann doch sehr gemildert werden würden.4 Solange mit dem Begriff des biologischen Geschlechts (sex) das soziale Geschlecht (gender) in einer Weise verknüpft ist, dass bestimmte gute oder schlechte Eigenschaften hineinprojiziert werden, sind Abgrenzungsbestrebungen vorhanden, die auch als Strategien bei Unsicherheit, Minderwertigkeitsgefühlen etc. dazu dienen können, sich über die eigene Geschlechtszugehörigkeit gegenüber anderen Menschen aufzuwerten. In der Menschheitsgeschichte haben sich Menschen sehr viel Leid zugefügt, Männern und besonders Frauen ist aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit sehr viel Gewalt und Ungerechtigkeit widerfahren. So wie die (bürgerliche) Wissenschaft kategorisiert, schieben Menschen auch im alltäglichen Leben Menschen und Dinge gerne in Schubladen, um sich nicht verunsichern lassen zu müssen. Das vermittelt Si-

3

4

14

Judith Butler fragt sich: »Sollte es das Ziel der Bewegung sein, Menschen, die transgendered sind, deren soziales Geschlecht (gender) also nicht ihrem biologischen (sex) entspricht oder die nicht in die herkömmliche Geschlechterordnung passen, das Recht zu sichern, sich ihrem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung gemäß zu entscheiden? Oder sollte es ihr Ziel sein, die Norm der Geschlechtsidentität in Frage zu stellen, die solche Menschen zunächst pathologisiert? Besteht für sie die Möglichkeit beides zu tun? « (Butler 2006: 67f). Torsten, ein Mann-zu-Frau-Transsexueller, bezeichnet sich als Ex-Transe, er wollte ursprünglich die »OP und allem Drum und Dran«, aufgrund seiner HIV-Infektion sei er wegen der gesundheitlichen Risiken, die zu groß wären, abgelehnt worden. Er beschreibt sich von Haus aus bisexuell. Er sagt: »Ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob ich wirklich hundertprozentig transsexuell war« und »Also ich bin, wenn man beide früheren Leben betrachtet mitten drin. Ich hab’ weibliche Seiten, Ansichten, Gefühle genauso wie männliche Seiten. Und ich muss sagen, hätte ich als Transe schon gewusst, dass man mit beiden Gefühlen leben kann, dann hätt’ ich damals schon versucht, damit zu leben« (Bader et al 1995: 72ff). »Ageism« bezeichnet die Diskriminierung aufgrund des Alters. Im Deutschen spricht man auch von Diskriminierung aufgrund des Alters, was ich für sprachlich umständlich und unbeholfen erachte, gibt es nicht die Brisanz wieder wie die Begriffe »Rassismus« oder »Sexismus«. »Xenophobie und Exotismus erhalten erst in der Adoleszenz ihre entscheidende Ausprägung, und zwar durch ihren Stellenwert im Antagonismus zwischen Kultur und Familie« (Erdheim 1994: 261). Beide sind Vermeidungsstrategien: »In der Xenophobie meidet man das Fremde, um das Eigene nicht in Frage stellen zu müssen, im Exotismus zieht es einen in die Fremde, und man muss deshalb zu Hause nichts ändern« (ebd.). Erdheim verweist darauf, dass in der Adoleszenz sich jenseits von beiden eine »Fremdenrepräsentanz« herausbilden kann.

VORWORT

cherheit und Struktur, wird aber dadurch auch vielem nicht gerecht. Je strukturierter und rigider also eine Norm ist, desto mehr Menschen fallen aus ihr heraus. Es fängt beim Geschlecht an, geht weiter über die Hautfarbe und endet in der Debatte um Jung und Alt. In einer Gesellschaft, in der Menschen mit ihrer Geschlechtsidentität spielen können, sich »nach Lust und Laune« »männlich« oder »weiblich« geben können, in der Menschen, die promisk leben, nicht in männliche »Helden« und weibliche »Flittchen« aufgeteilt werden, in der vermeintliche Schwächen nicht gegen die ebenso fragwürdigen Stärken aufgewogen werden, in der Freiheit ein Ziel an sich ist, und Individualität gelebt werden darf, ohne dabei vereinzeln oder vereinsamen zu müssen, Menschen in ihrer Entwicklung unterstützt und nicht vernachlässigt werden, lassen sich auch Kriminalität, Einweisungen in die Psychiatrie, Gewalt und Unglück und vieles darüber hinaus reduzieren. So eine Gesellschaft braucht starke Persönlichkeiten, die es nicht aufgrund einer unterdrückten Entwicklung und erlebten Traumata nötig haben, sich auf anderer Menschen Kosten zu erheben. Man weiß so vieles schon über die Zusammenhänge, aber warum ändert sich dann nichts? Wären wir eine Gesellschaft mit ausgelassenen, entspannten, ihrem Potential entsprechend ausgebildeten, selbstbewussten, individuell lebenden, glücklichen und dabei dennoch zivilisierten Menschen jedweder Couleur, wäre unser sozioökonomisches, wissenschaftliches und kreatives Entwicklungspotential grandios. Das an den Anfang gestellte Zitat von Susan Sontag verweist auf mein Ziel: Pluralität der Lebensstile und Freiheit zur individuellen Entfaltung.

15

EINLEITUNG

In meiner Arbeit behandele ich das postmoderne Frauenbild – rezeptive die postmodernen Geschlechtsidentitäten – in Kunst und Alltagskultur, anhand des weiblichen Exhibitionismus, den ich kultursoziologisch fruchtbar machen möchte. Ich widme mich mit dem Thema »weiblicher Exhibitionismus« einem Phänomen, welches in der bürgerlichen Gesellschaft im Gegensatz zum männlichen Exhibitionismus nicht strafrechtlich verfolgt wird. Die Frage, warum männlicher Exhibitionismus strafrechtlich verfolgt, weiblicher jedoch nicht einmal als solcher wahrgenommen wird, bzw. so selbstverständlich ist, und warum beide sich so unterschiedlich äußern, ist Gegenstand dieser Arbeit. Genauer geht es mir dabei um die Politisierung des weiblichen Geschlechtsrollenklischees bzw. der bürgerlichen Geschlechtsrollenstereotype, um die Problematisierung des sexualwissenschaftlichen und psychologischen Perversionsbegriffs und um sexuelle Varianzen – insbesondere den Exhibitionismus. Transvestismus und, in Abgrenzung dazu, Travestie, bieten beide einer Anzahl von Männern die Möglichkeit, sich erotisch und entlang eines, im Falle der Travestie durchaus überzogen dargestellten – also parodierten – weiblichen Geschlechtsrollenklischees ungestraft zu entblößen, oder anders gesprochen, sich zu exhibieren. Die Thematisierung des Transvestismus und der Travestie ist zentraler Bestandteil der wissenschaftlichen postmodernen Genderdebatte, in der es um die Politisierung des so genannten Natürlichen, genauer also um die Dekonstruktion von Geschlechtsidentität, geht. Im Zentrum meiner Arbeit stehen insbesondere die kulturellen Erscheinungen von weiblichem Exhibitionismus, in welchen sich dieser frei entfalten kann.

17

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Nähert man sich dem Phänomen Exhibitionismus, ist zuerst einmal festzustellen, dass der männliche Exhibitionist seinen Penis, und damit den »Phallus« präsentiert und dabei in der Regel erregt wird, während aus psychoanalytischer Perspektive immer wieder von der »ganzen Frau als Phallus« gesprochen wird. Damit kann die weibliche Exhibitionistin im Gegensatz zum Mann als Ganzkörpererregte einzelne Teile ihres Körpers präsentieren, darunter auch die so genannten sekundären Geschlechtsmerkmale, und somit in der Gesellschaft kulturell verankert und akzeptiert agieren. Gleichzeitig wird ihr Exhibitionismus aber genau dadurch auch gar nicht wahrgenommen. Präsentiert sie sich teilentblößt, wird sie als Sexualobjekt und nicht als Sexualsubjekt betrachtet, sie erntet eher noch Verachtung oder wird als Opfer männlicher Lust bemitleidet, weil sie sich aus dieser Sicht als schnell verfügbar, und damit eher noch als »Flittchen« denn als gefährlich, darstellt. Frauen haben spätestens seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in der bürgerlichen Gesellschaft ästhetisch eine Reihe mehr Ausdrucks- und Selbstinszenierungsmöglichkeiten als Männer. Diese Medaille hat – wie so oft – auch zwei Seiten. Auf der einen Seite sind sich Frauen ihrer selbst stärker und auf sinnlichere Weise bewusst als Männer, andererseits ist das Schön-Sein-Müssen durchaus problematisch und treibt die wildesten Blüten von Diäten bis hin zu Schönheitsoperationen. Ist weiblicher Exhibitionismus gesellschaftlich also integriert, anerkannt und damit quasi unerkannt, weil Frauen gerne angeschaut werden und in ihrer Sexualität nicht gefährlich sind oder eingeschätzt werden, wird der männliche Exhibitionismus stigmatisiert, kriminalisiert und mit Sexualstraftaten wie Nötigung und Vergewaltigung gleichgesetzt. Dieses setzt die »Täter« unter Druck, versteckt oder in »Szenen« zu agieren. So wie Frauen, die spärlich bekleidet sind, gerne angeschaut werden, so wenig scheint dieses bei Männern der Fall zu sein. Doch warum ist das so? Sprechen Frauen über Männer, ist dort durchaus von knackigen Pos, Waschbrettbauch, schmalen Hüften, sehnigen Armen und Beinen, schönen Händen und einem sexy Gang etc. die Rede. Poster mit leicht bekleideten Männern haben durchaus einen Markt, warum ist also der Mann, der Lust am Zeigen hat, jemand, der Angst einflößt? Folgende Aspekte tragen dazu bei, dass die Vorstellung davon, einem Exhibitionisten zu begegnen, Angst einflößt. Erstens gilt das männliche Geschlechtsteil nicht als »schön« (Schidrowitz 1929: 104). Es symbolisiert eher noch die Macht des Mannes über die Frau; es wird so gleichgesetzt mit einer Waffe, mit der Männer immer wieder Genera-

18

EINLEITUNG

tionen von Frauen durchaus viel Gewalt angetan haben5. Zweitens verhindert die Angst vor Übergriff die Lust am Schauen, Frauen bekommen unter anderem Angst, sich im nächsten Moment in der Opferrolle zu befinden. Drittens löst die Art und Weise und der Kontext, in der sich der Mann aufgrund seiner Kriminalisierung entblößen muss, um nicht entdeckt zu werden, das Erschrecken aus und schürt die Angst vor Übergriff noch mehr. Dazu kommen mangelnde Aufklärung und im Gegenzug die kursierenden Mythen und Schauergeschichten über Exhibitionisten, die nicht gerade dazu beitragen, sexualisierte Handlungen zu entkriminalisieren. Viertens fühlen sich Frauen in dieser Situation schlicht belästigt und zum Hinsehen genötigt, weil sie nicht die Wahl haben, ob sie hinschauen möchten oder nicht. Die Frage ist jedoch, ob letzteres so dramatisch ist. Auf der Straße wird man häufig gegen jeden Willen zum Zeugen von Menschen, Dingen, Abläufen etc, die man nicht hätte sehen wollen. Um ein ganz banales Beispiel zu nennen: wenn ein Hund auf der Straße sein »großes Geschäft« erledigt, möchten das viele bestimmt auch nicht gerne sehen, niemand käme aber auf die Idee, sich genötigt zu fühlen, das zu sehen zu müssen, solange der Hund nicht mitten auf den Gehsteig macht, so dass die Gefahr besteht, in sein »Geschäft« hinein zu treten. Man ist vielleicht genervt, keiner spricht hier jedoch von Nötigung, Übergriff oder Straftat. Die unterschiedliche Herangehensweise an weiblichen und männlichen Exhibitionismus ist in den bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees verankert, das reicht bis zur Ideologisierung der weiblichen Sexualität im oder als Gegensatz zur männlichen Sexualität. Die Sexualwissenschaft kennt in der Regel fast ausschließlich männliche Probanden mit Perversionen. Allenfalls beim Masochismus, oder in wenigen Fällen beim Sadismus spielen Frauen noch eine Rolle. Louise J. Kaplan (1991) hat Phänomene wie Kleptomanie und Selbstverstümmelung als Perversionen der Frau ausgemacht. Solange die Inversion noch als Perversion gesehen wurde, spielte weibliche Homosexualität zwar in diese Theorien hinein, thematisiert wurde jedoch fast ausschließlich die männliche Homosexualität. Um zu verstehen, warum männliche und weibliche Geschlechtsrollenklischees und weiter männliche und weibliche Sexualität so konträr aufgefasst werden, möchte ich mich den folgenden Fragen widmen: Welche Eigenschaften und Funktionen werden Männern und Frauen, und damit dem weiblichen und männlichen Körper, im Kontext der bür5

Susan Brownmiller z.B., welche als Mitstreiterin in der Frauenbewegung in den USA in den bürgerlichen Feminismus einzuordnen ist, sieht in der Vergewaltigung eine wichtige Rolle, um Frauen systematisch einzuschüchtern und permanent in Angst zu halten (Brownmiller 1994: 22). 19

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

gerlichen Geschlechtsrollenklischees kulturell zugewiesen? Was erfahren wir hierüber über Subjekt- und Objektstatus von Männern und Frauen? In diesem Zusammenhang ist meine Videoanalyse von vier Videoclips zu sehen, in der ich zeigen werde, dass die Darstellung des weiblichen nackten oder spärlich bekleideten Körpers unproblematisch ist, solange dieser im Kontext der Frau als Sexualobjekt steht. Stellt die Frau sich als sexuell aktiv, selbstbewusst, begehrend, wählend und nehmend dar, geht ein Aufschrei durch die Medien. Diese Tendenz hat sich in den letzten Jahren nicht geändert, obwohl in Videoclips auch weißer Popkünstler immer mehr nackte weibliche Haut zu sehen ist. Der Objektstatus muss erhalten bleiben, um im gesellschaftlichen Kontext keine Probleme mit Zensurbestrebungen zu bekommen. Bürgerliche Feministinnen regen sich in jedem Fall über nackte Haut auf, sind interessanterweise aber erst dann entsetzt, wenn sich Künstlerinnen wie Madonna offen zu einer aktiven begehrenden Sexualität bekennen, und bezichtigen diese des Verrats an feministischen Zielen. Folgende Aspekte möchte ich in dieser Arbeit aufzeigen: Weiblicher Exhibitionismus geht im weiblichen Geschlechtsrollenklischee auf, während er dem männlichen Geschlechtsrollenklischee widerspricht. Dadurch fehlt es Männern an Möglichkeiten, ihre Zeigelust kulturell eingebettet umzusetzen. Durch ihre Kriminalisierung und die Art und Weise in der sie sich exhibieren, gelten sie als »gefährlich« und müssen mit Strafandrohung rechnen. Damit ist die bürgerliche Ideologie, Moral und Körperpolitik nicht nur frauenfeindlich, sondern letztendlich auch männerfeindlich, weil sie sexualfeindlich ist und an der Natürlichkeit der Geschlechtscharaktere festhält.6 Daraus erschließt sich, dass sich ein »ungesunder«, d.h. unfreier Umgang mit der eigenen Sexualität aus einer rigiden Sexualmoral ergibt, dass es also umso mehr »Perversion«

6

20

Kaven führt zur Entwicklung von sozialem Wandel und Macht den Vergleich zwischen Weber, Elias und Foucault durch, er resümiert: »Alle drei Autoren haben ihre methodischen Aussagen und Kategorien im Zuge der Analyse konkreter gesellschaftlicher Verhältnisse gewonnen. Für Max Weber war dies der Prozess der Rationalisierung und Bürokratisierung, für Norbert Elias der Prozess der Zivilisierung und der Staatsgenese und für Michel Foucault die Disziplinierung und Sexualisierung der Körper« (Kaven 2006:26). Alle drei Autoren bieten Modelle an, um die Entwicklung und Struktur der bürgerlichen Gesellschaft zu erklären. Für meinen Ansatz erschließt sich über Webers Machtbegriff der Aspekt der erotischen Macht, über Elias’ Konzept der Selbstzwangapparatur und Foucaults Ansatz der Dekonstruktion die Infragestellung der zu natürlichen erklärten bürgerlichen Kategorien.

EINLEITUNG

gibt, je mehr normiert wird und umso gehemmter und verkrampfter der Umgang mit Sexualität in der Erziehung verläuft. Ich werde zeigen, dass nicht diejenigen kulturellen Produkte Anstoß erregen, in der es um Präsentation des weiblichen Körpers geht, um die Verfügbarkeit von Frauen, die in der Sozialisation der bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees angelegt ist, sondern diejenigen, in denen von Geschlechtsrollenklischees abweichende Frauen selbstbewusst ihre sexuellen Wünsche und ihr sexuelles Begehren äußern, in denen es generell um freie Liebe geht, in denen offen, ohne Doppeldeutigkeiten und die Berücksichtigung bürgerlicher Moral, mit dem Thema Sexualität umgegangen wird. Daraus ergibt sich, dass der Selbstausdruck als Sexualsubjekt emanzipatorischen Charakter hat, was darauf verweist, dass dieser Bestandteil eines postmodernen antibürgerlichen Frauenbildes ist. Zu Beginn werde ich mich mit der Postmodernediskussion im kulturellen Kontext auseinandersetzen und die Begrifflichkeiten »Moderne«, »Klassische Moderne«, »Avantgarde« und »Postmoderne« erörtern. Der progressive Postmodernebegriff, auf den ich mich stütze, beinhaltet die Politisierung bürgerlich ideologisierter Begriffe, die Überwindung der bürgerlichen Kategorien der Aufklärung (Moderne) und die Aufhebung der Trennung von »hoher Kunst« und Massenkultur durch die Enthüllung des Zusammenhangs von Autonomie und Folgenlosigkeit. Der Ursprung liegt in der (dadaistischen) Avantgarde, welche ihre Fortführung im Zusammenhang mit den Protestbewegungen in den USA findet. Der europäische alternative, dabei aber konservative Postmodernebegriff beinhaltet die Aspekte des »anything goes«, der Gleichgültig- und damit Beliebigkeit. Gedankenbilder wie die »neue Unübersichtlichkeit«, Pluralismus und Historizismus prägen diesen Begriff. Die antibürgerlichen postmodernen Zielsetzungen sind emanzipatorisch und dekonstruktivistisch. Bürgerliche Positionen setzen sich dagegen durch allgemeine Forderungen nach Freiheit, Bildung, Professionalisierung, Individualisierung und – im kulturellen Rahmen – das Festhalten am autonomen Kunstwerk ab. Im Anschluss an diese Diskussion werde ich mich mit der GenderDebatte beschäftigen, in der es um Geschlechtsidentitäten, die Infragestellung ihrer Natürlichkeit und damit ihre Politisierung geht. Dies beinhaltet die Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees, die Konstitution der Geschlechtsidentität aus psychoanalytischer Sicht und die Erläuterung des Forschungsstandes zum Thema sex und gender. Bei Letzterem geht es weiter um die Erörterung des Dritten Geschlechts und die Auflösung der Geschlechtergrenzen. Die Thematisierung von Gender geht über die Frage nach dem Subjekt Frau hinaus, da sie generell die Ein- bzw. Ausschließungsmechanismen beinhaltet. 21

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Dieses gilt nicht nur für das weibliche Geschlecht, sondern auch für das männliche und außerdem für alle, die biologisch oder kulturell zwischen den Geschlechtern stehen. Deswegen werde ich auch einen kurzen Einblick in den Sexualitätsdiskurs am Beispiel des Hermaphrodismus geben. Hierbei beziehe ich mich vor allem auf Foucault (1998). Ein für mich wichtiger Bezug ist der zur Butlerschen Theorie sowohl im Zusammenhang mit den Geschlechtsrollenklischees als auch der Kategorie Geschlecht selbst, deren Natürlichkeit auf dem Prüfstand steht. Diese Überprüfung kann einerseits die medizinische Seite als kulturell bedingte und gleichzeitig normierende und eingreifende Instanz betreffen, andererseits die bürgerliche Ideologie und Wissenschaft. Transvestismus und Transsexualität als Kategorie des »Dritten Geschlechts« sind die deutlichsten Zeichen, die für die Infragestellung der Geschlechterdifferenz sprechen, ebenso wie die Homo- und Bisexualität für das Infragestellen der Zwangsheterosexualität. Gleichzeitig verweisen sie auf das Bedürfnis der bürgerlichen Wissenschaft, nicht nur zu kategorisieren, sondern auch zu normieren; in meinem Arbeitszusammenhang geht es dabei gerade auch um die Sexualität, und das, was die Wissenschaft als »normal« oder »abweichend« bzw. gar »pervers« bezeichnet. Auswege aus der Normierungsfalle zeigen – sowohl aus Perspektive der Psychoanalyse wie auch der der Psychiatrie – Morgenthaler (1994), Quinsel (1971) und Ullerstam (1965) auf. Anhand der Wirkung von Photos beschreibt Susan Sontag, dass das, was auf Photos »richtig oder attraktiv« aussehe, die »allgemein als ›naturgegeben‹ empfundene ungleiche Machtverteilung, wie sie Frauen und Männern der Konvention nach zugeschrieben wird« illustriere (Sontag 1999: 36). Kategorien geben Sicherheit, sie vermitteln denen, die sich innerhalb der Normen bewegen, das Gefühl normal und damit integriert zu sein, gleichzeitig machen sie andere zu Außenseitern, zu Ausgeschlossenen, aufgrund ihrer »Andersartigkeit« Benachteiligten, Diskriminierten und Stigmatisierten. Dies gilt nicht nur im Zusammenhang der sexuellen Orientierung, sondern auch gerade in Bezug auf andere Vorlieben und sexuellen Varianten wie der Zeigelust, dem Exhibitionismus, der wie andere sexuelle Abweichungen auch – zumindest was Männer betrifft – als Perversion – oder neutraler formuliert, als deviantes, sprich: abweichendes Verhalten betrachtet wird. An den Ausführungen zur Postmodernediskussion und der GenderDebatte wird ersichtlich, woraus sich der Begriff »postmodernes Frauenbild« speist. Daher werde ich am Ende des Kapitels »Geschlechtsidentitäten« diesen Begriff weiter als emanzipatorisch und antibürgerlich spezifizieren und definieren. Wichtig ist dabei, dass dieser Begriff keine neue Normierung setzt, sondern nur Pluralisierung in einem emanzipato22

EINLEITUNG

rischen Sinn beinhaltet, denn sonst könnte es sich nicht um die Bezeichnung »postmodern« handeln. Nachdem ich das postmoderne Frauenbild durch die Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten, aus denen es sich zusammensetzt, erörtert habe, wende ich mich dem Thema »Exhibitionismus« zu. Ich werde mich mit den bestehenden Definitionen und Erklärungen zum Exhibitionismus auseinandersetzen, den Strafrechtsbestand erörtern und die strafrechtliche Situation kritisch würdigen. Über die Erklärung des Perversions- bzw. Devianzbegriffs komme ich dann zur Unterscheidung von weiblichem und männlichem Exhibitionismus. Nach der Reform des Sexualstrafrechts wird Exhibitionismus zum einen als männlicher Tatbestand und zum anderen als ein wesentlich weniger gravierender Tatbestand im Vergleich zu anderen Sexualdelikten bewertet, allerdings konnte man sich nicht durchringen, den Exhibitionismus zur Ordnungswidrigkeit zu erklären. Gleichzeitig ist das Bemühen in der Sexualwissenschaft und Medizin um Hilfestellungen und Therapie gewachsen. Um einen ersten Einblick darin zu bekommen, warum ich (weiblichen) Exhibitionismus als kultursoziologische Fragestellung behandele, werde ich den weiblichen Exhibitionismus im Alltag erörtern und Berufsfelder für Exhibitionisten vorstellen, in denen sie sich – männlich oder weiblich – straffrei bewegen und ausleben können. So, wie ich im Kapitel über Exhibitionismus einige Alltagsphänomene beleuchte, möchte ich überleitend zur kultursoziologischen Fragestellung als Exkurs einen Einblick in die Tanzgeschichte, ausgehend vom Ballett bis hin zum Ausdruckstanz geben. Daneben werde ich die Aspekte Varieté, Nackttanz und Striptease, auch gerade im Kontrast zur Nacktkörperkultur, erörtern. Am Beispiel des Orientalischen Tanzes wird gezeigt, dass es sich bei der Orientalischen Tänzerin um ein visuelles Subjekt handelt, weil die Interaktion zwischen Tänzerin und RezipientInnen verhindert, dass die Tänzerin zu einem visuellen Objekt bzw. einer visuellen Projektionsfläche werden kann. Findet der Orientalische Tanz nun im Westen statt, verändert sich dort nicht nur das Verhältnis zum Körper, sondern der Orientalische Tanz erfährt eine neue Kontextualisierung, die jenseits von Weiblichkeitsmythen stehen (kann). Die Körpermittezentrierung dieses Tanzes erzielt innovative Wirkungen auf das Körper- und Selbstbewusstsein, und damit auf die Selbstdarstellung oder auch -inszenierung, auch in der Mode. Von der erotischen Selbstinszenierung komme ich zum Thema »Erotische Macht«. Aus feministischer Sicht wird die Frau primär als unterdrücktes Geschlecht aufgefasst. Um hier gerade auch in Bezug auf den emanzipatorischen Charakter des postmodernen Frauenbildes einen anderen Blickwinkel einnehmen zu können, werde ich am Thema Macht 23

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

zeigen, dass diese im Geschlechterverhältnis auch über die Erotik durchzusetzen ist und welche Bedeutung das auch in Bezug auf dieses Verhältnis hat bzw. haben kann. Anhand der Begrifflichkeiten der Klassischen Moderne, Avantgarde und Postmoderne werde ich an den Beispielen Anita Berber im Gegensatz zu Mary Wigman in den 1920er Jahren, Marilyn Monroe in den 1950er und frühen 60er Jahren7 und dem Popstar Madonna in den 80er/90er Jahren meine kultursoziologische Analyse des weiblichen Exhibitionismus entfalten.8 Ich thematisiere Künstlerinnen wie Anita Berber, Marilyn Monroe und Madonna als weibliche Exhibitionistinnen, die mit ihrer Kunst und ihrem – im wahrsten Sinne des Wortes – Körpereinsatz politisch agier(t)en und emanzipatorische Ziele verfolg(t)en, bewusst oder unbewusst. Bei Anita Berber handelt es sich um die Fragestellung der Anerkennung des Nackttanzes als Kunst. Ich werde zeigen, dass Anita Berber in ihrer Kunst als avantgardistisch einzustufen ist, während Mary Wigman zur tänzerischen Klassischen Moderne gehört. Bei Marilyn Monroe ist es die Anerkennung des Sexsymbols als Künstlerin, und die Diskriminierung des Sexuellen in der bürgerlichen Gesellschaft, welche im Mittelpunkt steht. Bei Madonna haben wir es einerseits mit der Selbstdarstellung als Sexualsubjekt zu tun, andererseits ist ein Dreh- und Angelpunkt ihres künstlerischen Schaffens das Aufzeigen der Performativität der Geschlechtsidentitäten und das Parodieren verschiedener Starimages in ihren Musikvideoclips, wie das von Marilyn Monroe. Für die Betrachtung von Madonna verwende ich daher eine Videoclipanalyse, in

7

8

24

Neben Marilyn Monroe wären als Schauspielerinnen mit einem »Sexbomben«-Image noch Brigitte Bardot, Sophia Loren, Jayne Mansfield etc. zu nennen. Mir geht es bei der Untersuchung jedoch nicht um die Vergleiche verschiedener Images von Sexidolen, sondern um das emanzipatorische Potential erotischer (Selbst-)Darstellung. Daher wird es in diesem Zusammenhang keinen Vergleich verschiedener Starimages geben. Neben Madonna lassen sich natürlich noch weitere Popstars als exhibitionistisch kennzeichnen. Dazu gehören beispielsweise auch Rapperinnen wie Lil’ Kim (welche innerhalb der Videoanalyse noch eine Rolle spielt) oder Foxy Brown. Morgan sieht die Erfolgsstrategie beider als problematisch an: »Der Erfolg von Foxy Brown und Lil’ Kim zeigt, wie viel wir unsere jüngeren Sistas über Sex, Feminismus und Macht noch lehren müssen. Feminismus besteht nicht einfach nur darin, das tun zu dürfen, was die Jungs machen – high sein, endlos über ihre Schwänze zu quatschen oder was auch immer. Schließlich bedeutet es, durch richtige Entscheidungen mehr Macht über die eigenen Möglichkeiten zu erlangen« (Morgan 1998: 157). Dazu führt sie als positives Gegenbeispiel Madonna an, die als »weißes, blondes Marketing-Genie« ihre »erotische Kraft« selektiv einsetze (ebd.).

EINLEITUNG

der ich vier Videoclips verschiedener Popstars miteinander ikonographisch und ikonologisch nach Panofsky vergleiche. In meiner Videoanalyse unterscheide ich bei der Darstellung bzw. Selbstinszenierung von Popstars zwischen der als Sexualsubjekt und der als Sexualobjekt. Leichte Bekleidung oder gar Nacktheit implizieren nicht automatisch die Objektseite und müssen sich damit auch nicht der Bezichtigung einer »sexistischen« Darstellung konfrontieren lassen. Gleichzeitig kann man an den heftigen Reaktionen und Zensurbestrebungen in Bezug auf Filme oder Videoclips von bzw. mit den Künstlerinnen Anita Berber und Madonna deutlich erkennen, dass es einen sehr deutlichen Unterschied gibt zwischen gesellschaftskonformen, und damit dem bürgerlichen weiblichen Geschlechtsrollenklischee angepassten, SelbstDarstellungsweisen von leicht bekleideten oder entblößten Frauen als passivem Sexualobjekt, oder provokativen (Selbst)Darstellungsformen entgegen der propagierten Geschlechtsnorm mit emanzipatorischem Potential. Zum Schluss möchte ich noch eine Anmerkung zu meiner Vorgehensweise machen. Ich argumentiere nicht vom Poststrukturalismus, sondern von der Postmoderne aus, obwohl die Denkbewegungen Judith Butlers meine Arbeit stark beeinflussen. Poststrukturalismus und Postmoderne ziehen in verschiedenen Disziplinen am selben Strang. Ist es im Poststrukturalismus die Dekonstruktion von Begriffen und damit Normierungen, dekonstruiert die Postmoderne die bürgerlichen Kategorien im kulturellen Kontext und äußert sich konkret ästhetisch in Protestbewegungen, Kunst und Massenkultur.9 Damit erschließt sich mein Ansatz. Ich argumentiere nicht schwerpunktmäßig von der politischen Philosophie mit Schwerpunkt auf Sprache aus, sondern wende den Ansatz der subversiven Praxis der Poststrukturalisten im kulturellen Kontext an, der wiederum durch die Postmoderne geprägt ist. Im Wesentlichen geht es beim Poststrukturalismus wie bei der Postmoderne um die Politisierung bürgerlich ideologisierter Begriffe, das Aufbrechen dualistischer Denkstrukturen, und insbesondere bei der Postmoderne um die Kunst als Mittel zum Eingriff in die – oder der Veränderung der – gesellschaftlichen Verhältnisse.

9

Jameson konstatiert zum Bereich der Überwindung des Modernismus, dass es zwei Versionen zum »Tod des Subjekts« als bürgerliche Kategorie gebe: »Zum einen die historische Version, dass ein früher, im Zeitalter des klassischen Kapitalismus und der Kleinfamilie existierendes ›zentriertes‹ Subjekt sich heute, im Zeitalter des bürokratischen Apparats, aufgelöst hat; zum anderen die radikalere poststrukturalistische Position, welche die reale Existenz eines solchen Subjekts für jede Epoche abstreitet und darin nur ein ideologisches Trugbild sieht« (Jameson 1986: 59). 25

M O D E R N E , A V A N T G AR D E

UND

POSTMODERNE

Frauenbilder (wie auch Männerbilder) ranken sich um die Geschlechtsrollenklischees und um den Bereich der Geschlechtsidentität. Um sich dem postmodernen Frauenbild anzunähern, bedarf es zunächst der Klärung des Begriffs Postmoderne bzw. postmodern. Da der Begriff der Postmoderne sowohl mit dem Begriff der Moderne als auch mit dem der Avantgarde verknüpft ist, kann die Bestimmung dieses Begriffs nur dann erfolgen, wenn damit gleichzeitig die Klärung der Begrifflichkeiten Avantgarde, Klassische Moderne und Modernismus verbunden ist. Im Kontext des Themenschwerpunktes Tanz ist die Bestimmung dieser Begriffe ebenfalls wichtig, um die Künstlerinnen Anita Berber, die zur Zeit der Avantgarde künstlerisch tätig war, und Marilyn Monroe sowie Madonna zur Zeit der Postmoderne in ihrer künstlerischen Bedeutung korrekt einordnen zu können. Der Begriff Postmoderne bezieht sich im überwindenden Sinn auf die Moderne bzw. auf modern. Die drei Begriffe Moderne bzw. Modernismus, Klassische Moderne und Avantgarde stehen inhaltlich in einem engen Zusammenhang. Die Begriffsbestimmung in der Literatur ist diesbezüglich recht widersprüchlich. Einmal wird Moderne als Epochenbegriff im Sinne des Modernismus, dann wiederum im Sinne der Klassischen Moderne als Kritik am Modernismus in der bürgerlichen Gesellschaft verwendet.10 Im deutschen kunstwissenschaftlichen Diskurs wird Klassische Moderne gleichgesetzt mit Avantgarde (Hieber 2005: 19)11. Gleichzeitig ist sie als künstlerische Epoche innerhalb der Epoche 10 »Die Auseinandersetzung mit dem, was im deutschsprachigen Raum als Postmoderne bezeichnet wird, erscheint in den 80er Jahren wesentlich durch die übermächtige Position Adornos bestimmt. Dessen Kunstbegriff folgend, vertritt Jürgen Habermas die These, die Postmoderne sei eine Antimoderne« (Hieber 1997: 19). 11 Hieber schließt daraus, dass deswegen die grundlegenden Unterschiede, nämlich das Festhalten der Klassischen Moderne am autonomen Kunst27

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

des Modernismus zu verstehen. Um die offensichtlich immer wieder herrschenden Missverständnisse zu beseitigen, möchte ich eine Klärung dieser Begriffe für meinen Arbeitszusammenhang schaffen, auch um Unterschiede in der europäischen zur amerikanischen Begriffsverwendung deutlich zu machen. Für meine Konzeption werde ich alle vier Begriffe: Moderne, Klassische Moderne, Avantgarde und Postmoderne verwenden.

Die Moderne Der Modernismus oder auch die Moderne bezeichnet die bürgerliche Epoche seit der Aufklärung, politisch verbunden mit der französischen Revolution, ökonomisch mit Industrialisierung und Bürokratisierung. Die Moderne zieht sich neben der Postmoderne bis heute durch. Wesentliches Merkmal der Moderne ist, dass sie in Bezug auf die Kunst als bürgerlicher Kultur- und Kunstbegriff definiert ist, mit dem das autonome Kunstwerk und der Geniebegriff bzw. -kult verknüpft ist: »Autonomie der Kunst ist eine Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. [...] Was diese Kategorie jedoch nicht zu erfassen vermag, ist die Tatsache, dass es sich bei dieser Herauslösung der Kunst aus lebenspraktischen Bezügen um einen historischen Prozess handelt, d.h. dass er gesellschaftlich bedingt ist. [...] Die Kategorie Autonomie lässt es nicht zu, ihren Gegenstand als seinen historisch gewordenen zu begreifen. Die relative Abgehobenheit des Kunstwerks von der Lebenspraxis in der bürgerlichen Gesellschaft transformiert sich so in die (falsche) Vorstellung von der totalen Unabhängigkeit des Kunstwerks von der Gesellschaft. Autonomie ist mithin eine im strengen Wortsinne ideologische Kategorie…« (Bürger 1995: 63).12

werk auf der einen Seite und das Ankämpfen der Avantgarde gegen die »Doktrin autonomer Kunst« (ebd.), nicht erkannt werden. Des Weiteren ist daraus zu schließen, dass diese kunstwissenschaftliche Position im Adornoschen Sinne davon ausgeht, dass nur autonome Kunstwerke dazu in der Lage sind, wahre Kritik zu äußern, und daher keine Unterscheidung zwischen Klassischer Moderne und Avantgarde macht. Weil aber diese Unterscheidung nicht gemacht wird, kann der Gedankengang, dass es sich bei der Postmoderne um eine Weiterführung der historischen Avantgarde handelt, auch nicht vollzogen werden. 12 Diese Kategorie, wie viele andere bürgerliche und ontologische Kategorien auch, werden vom Poststrukturalismus hinterfragt und dekonstruiert. 28

MODERNE, AVANTGARDE UND POSTMODERNE

Die Klassische Moderne Die Klassische Moderne ist jener Bereich der modernen Kunst, der einen gesellschaftskritischen Ansatz hat, jedoch die moderne (autonome) Kunstsphäre und damit die bürgerlichen Kunstinstitutionen nicht verlässt. Nicht jede moderne Kunst ist gleichzusetzen mit Kritik an der Moderne. In erster Linie zeichnet die Geschichte der modernen Kunst die Entstehung eines freien Kunstmarktes und von Museen, das autonome Kunstwerk und damit den Geniebegriff aus, bei dem die Kreativität und Individualität des Künstlers hervorgehoben wird, auch der Ästhetizismus und das damit verbundene l’art pour l’art ist eine Entwicklung innerhalb der bürgerlichen Kunstentwicklung. Die Klassische Moderne ist eine Phase, eine künstlerische Epoche, innerhalb der heute immer noch bestehenden Moderne, inmitten der Industrialisierung, der technischen Entwicklung der Photographie und weiteren wissenschaftlich-technischen Entwicklungen, bis hin zur Entdeckung des Atoms, die gesellschaftlich bedeutende Umbrüche und damit auch künstlerisch neue Möglichkeiten, Reaktionen und enorm kreative Phasen hervorriefen. Die künstlerischen Schulen und Zusammenschlüsse wie die Expressionisten, die Neue Sachlichkeit, bereits in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Impressionisten etc., die mit ihren Stilmitteln gesellschaftskritische Inhalte vermitteln wollten – und damit letztlich Erkenntnis – die dafür Ausdrucksmittel gesucht haben, sind unter dem Begriff der Klassischen Moderne zusammenzufassen13. Diese künstlerische Epoche innerhalb der Epoche des Modernismus beginnt mit der Entstehung des Impressionismus und endet mit der Neuen Sachlichkeit und anderen parallelen Stilen mit dem Ende der Weimarer Republik, mit dem auch die kreativen Möglichkeiten schwanden, und viele Künstler, sowohl der Klassischen Moderne als auch der Avantgarde, flüchten mussten. Im Nationalsozialismus wurde die Kunst der Klassischen Moderne als »entartet« aufgefasst. Ich setze den Beginn der Klassischen Moderne mit dem Impressionismus – genauer mit Manet – an, der zuerst Realist, dann impressionistischer Maler war, weil dieser sich mit der Veränderung der Welt und der Sehgewohnheiten durch die Technisierung und Industrialisierung 13 Würde man die Klassische Moderne nur über ihren inhaltlichen Kontext als gesellschaftskritisch innerhalb der Kunstinstitutionen begreifen, könnte man über diese Form der Definition auch einige der gegenwärtigen Kunstwerke in diese Kategorie einbeziehen. Es gibt zwar heute auch stilistische kategorisierende Zusammenfassungen bestimmter Künstler, aber übergreifend ist für gegenwärtige Strömungen noch keine treffende Begriffsbestimmung erfolgt. 29

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

auseinandersetzt, und ein Gegenmodell zur parallel existierenden bildungsbürgerlichen Salonkunst darstellt. »Immer wieder versprach Manet traditionelle Lösungen, und immer wieder täuschte er die Erwartungshaltung. Das Unterscheidende, der Bruch, die Störung wird zum Thema« (Körner 1997: 187). Damit erweist sich der Impressionismus als erster klassisch-moderner Stil.14

D i e Av a n t g a r d e Neben den kritischen künstlerischen Bewegungen der Klassischen Moderne gab es jedoch die radikalere Avantgarde, die man von den Stilen der Klassischen Moderne qualitativ zu unterscheiden hat. Bürger schreibt gar, dass die historischen Avantgardebewegungen keinen Stil entwickelt hätten, dafür der Schock des Rezipienten das oberste Prinzip ihrer künstlerischen Intention gewesen sei (Bürger 1995: 24). Die Avantgarde erkenne ich in Anlehnung an Bürger (1995) als radikalere Ausrichtung, als Vorläufer der Postmoderne, die die Rückführung der Kunst in Lebenspraxis, eine Politisierung der Kunst, Thematisierung politischer und sozialer Missstände, eine Aufhebung der Trennung von Kunst und Massenkultur zum Ziel hat, und die bürgerlichen Kunstinstitutionen kritisiert und verlässt. Am deutlichsten ist dieses an den beiden Ausrichtungen Dadaismus und Surrealismus ersichtlich. Zur Differenz der Avantgarde gegenüber der Klassischen Moderne und anderen Stilrichtungen der autonomen Kunst hebt Bürger deren Umgang mit den Kunstmitteln hervor: »Erst die Avantgarde [...] macht die Kunstmittel in ihrer Allgemeinheit erkennbar, weil sie die Kunstmittel nicht mehr nach einem Stilprinzip auswählt, sondern über sie als Kunstmittel verfügt« (Bürger 1995: 25). Somit ist die Avantgarde auch kein Stil innerhalb der Klassischen Moderne, da die Ziele anders definiert sind. Huyssen argumentiert, dass die Klassische Moderne »es immer verschmäht hatte, sich auf die Straße zu begeben«. Damit büßte sie ihren Ruf als echte Gegenkultur ein (Huyssen 1986: 18). Douglas Crimp verweist darauf, dass Benjamins Ausführungen »den Kerngedanken kritischer Theorien der zeitgenössischen Kultur« bilden würden (Crimp 14 »In den sechziger Jahren konnte man sich, jedenfalls was die bildende Kunst anging, noch halbwegs sicher sein, dass als Beginn der Moderne die Jahrhundertwende mit ihren Umbrüchen, Sezessionen und Avantgarden gemeint war: Matisse und Picasso, Futuristen und Expressionisten, Blauer Reiter oder Bauhaus waren ihre Exponenten; van Gogh, Cézanne, Gauguin oder Munch galten dagegen als ihre Vorbereiter in einem noch gänzlich unmodernen, eben dem 19. Jahrhundert« (Grasskamp 1998: 763). 30

MODERNE, AVANTGARDE UND POSTMODERNE

1993: 256), da auch die individuelle Rezeption von der Avantgarde negiert werde, sie erreicht indes nur die kollektive Rezeption, allerdings immer noch als Reaktionen (Bürger 1995: 71). Die radikale Gesellschaftskritik, politisierte Kunst und das Ziel der Rückführung der Kunst in Lebenspraxis lässt die Avantgarde als Wurzel der Postmoderne erkennen.

Die Postmoderne Die Schwierigkeit den Postmodernebegriff zu fassen, liegt vor allem in seiner Implikation der Überwindung der Moderne. Für diese Interpretation darf jedoch der Modernebegriff nicht mit der Klassischen Moderne oder der Avantgarde assoziiert werden, denn das Projekt letzterer führt die Postmoderne im Prinzip weiter, indem sie ein anderes Licht auf die Moderne bzw. den Modernismus wirft und sich viele der ästhetischen Strategien und Techniken der Avantgarde der 20er Jahre aneignet (Huyssen 1986: 42). In den USA, wo der Postmodernebegriff entstand, ist er ein kunstbezogener politischer Begriff, der im Zusammenhang mit den Protestbewegungen zu denken ist. Das, was die Postmoderne bzw. die Akteure der Protestbewegungen überwinden woll(t)en, ist also nicht die dadaistische Avantgarde der 20er Jahre. Deren Projekt führt die Postmoderne im erweiterten Sinne fort. Bezug ist hier zum einen die unterschiedliche Bewertung der Avantgarde durch Adorno und Benjamin und zum anderen Peter Bürgers Theorie der Unterscheidung der Begriffe der historischen Avantgarde und des Modernismus (Bürger 1995). Der qualitative Unterschied zwischen der historischen Avantgarde und der Postmoderne besteht darin, dass Massenprodukte, bzw. deren Produktionstechniken, zum Beispiel Druckverfahren etc., in der Postmoderne bewusst eingesetzt werden15. Gleichzeitig unterscheidet sie die Form der Politisierung der Kunst von der historischen Avantgarde. Dabei wird die Auflösung der Trennung von hoher Kunst und Massenkultur weiter vorangetrieben. Die Form dieser Auflösung verändert sich durch die Medien, die technischen Reproduktions-Möglichkeiten und die gesellschaftlichen Entwicklungen. Die radikale, progressive Avantgarde löst sich vom bürgerlichen Kultur- und Kunstbegriff, die Postmoderne führt die politische Avantgarde später mit anderen Mitteln fort (Bürger, Crimp, Huyssen, Hieber).

15 Sehr gute Beispiele hierfür sind Robert Rauschenberg und Andy Warhol. 31

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

»Die Praktiken, die ich als postmodernistisch ansah, schienen mir das unvollendete Projekt der Avantgarde fortzusetzen. In der Tat erwies sich die Vorkriegsavantgarde, durch die Linse eines den Modernismus kritisierenden Postmodernismus gesehen, praktisch als Postmodernismus avant-la-lettre« (Crimp 1996: 41).

Die Postmoderne ist aus dieser Perspektive die erweiterte Fortführung der Avantgarde mit anderen Mitteln. In den USA war (Huyssen 1986: 13) und ist der Begriff der Postmoderne kulturell und politisch eng mit den Protestbewegungen der 60er Jahre und später auch mit dem politischen Aktivismus in der Auseinandersetzung mit AIDS verbunden (Hieber 1997 und 2005, Crimp 1996) verbunden. Der US-amerikanische Diskurs geht dabei von anderen Prämissen aus als der deutsche Diskurs, der die Postmoderne eher im Sinne einer konservativen antimodernen Ausrichtung interpretiert (Hieber 2005: 18). Das explizit Neue der Postmoderne ist ihre Vereinnahmung der von Adorno so abfällig beurteilten Reklame16 für ihre Zwecke, vor allem, noch später als der 60er-Jahre-Kunst, in der AIDS-Aktivistenkunst seit Ende der 80er Jahre (Hieber 1997). Huyssen erwähnt in diesem Zusammenhang das sich wandelnde Verhältnis von hoher Kunst und Massenkultur. Weiter führt er aus, die Postmoderne unterscheide im Wesentlichen von Modernismus17 und Avantgarde, »dass sie das Problem der Erhaltung kultureller Traditionen auf grundsätzliche und neue Weise als ästhetisches und politisches Problem stellt« (Huyssen 1986: 41). Moebius wiederum sieht einen weiteren Aspekt der Postmoderne in ihrer Funktion als Verteidigerin der »Alltags-, Pop,-, Trivial- und neue(n) Medienkultur gegenüber dem Anspruch einer Hochkultur in der modernen Kunst und Literatur« (Moebius 2005: 57). In Europa hat sich der moderne Kunstbegriff, auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges, erhalten und durchgesetzt, der Postmodernebegriff wird hier mit Pluralismus, Historismus, Eklektizismus und Zitaten aus 16 »Der Montagecharakter der Kulturindustrie, die synthetische, dirigierte Herstellungsweise ihrer Produkte, fabrikmäßig nicht bloß im Filmstudio sondern virtuell auch bei der Kompilation der billigen Biographien, Reportageromane und Schlager, schickt sich vorweg zur Reklame: indem das Einzelelement ablösbar, fungibel wird, jedem Sinnzusammenhang auch technisch entfremdet, gibt es sich zu Zwecken außerhalb des Werkes her. Effekt, Trick, die isolierte und wiederholbare Einzelleistung sind von je der Ausstellung von Gütern zu Reklamezwecken verschworen gewesen, und heute ist jede Großaufnahme der Filmschauspielerin zur Reklame für ihren Namen geworden, jeder Schlager zum plug seiner Melodie. Technisch so gut wie ökonomisch verschmelzen Reklame und Kulturindustrie« (Adorno; Horkheimer 1991: 172) 17 Huyssen meint die Klassische Moderne als Gegenbewegung. 32

MODERNE, AVANTGARDE UND POSTMODERNE

vergangenen Epochen in Bezug gesetzt, im Gegenzug wurde sogar ein Begriff der reflexiven (Ulrich Beck) oder auch der zweiten Moderne (Heinrich Klotz) entwickelt.18 Diese Begriffsschöpfungen wären unnötig, und sie haben sich auch bisher nicht durchsetzen können, wenn der Postmodernebegriff in der Bundesrepublik Deutschland ein anderer wäre, das heißt im US-amerikanischen Sinne begriffen werden würde. Der Postmodernebegriff, der alles gleich-gültig denkt, der hierfür häufig verwendete Ausdruck ist der des »anything goes«, stützt sich auf einen missverstandenen Modernebegriff.19 Die Postmoderne ist jedoch, wie bereits beschrieben, als Projekt zur Überwindung der Moderne, in dem Sinne, dass sie die bürgerlichen Kategorien der Aufklärung zu überwinden sucht, zu verstehen. »Dass ›postmodern‹ ein Relationsbegriff ist, mit dem das Verhältnis der Gegenwart zur klassischen Moderne sowohl als Bruch wie auch als Kontinuität gefasst werden kann, ist in den USA oft spürbarer als in Deutschland« (Huyssen 1986: 9)20. Zur Entstehung der Postmoderne in den USA schreibt Hieber:

18 »Es könnte sein, dass die Formen der Moderne nicht einen Stil konstituieren, der vom Historismus der Postmoderne abgelöst wurde, sondern dass sie zu einem elementaren Sprachmaterial geworden sind, das sich fortan weiterentwickeln und variieren lässt, so wie die Formen der griechischen Klassik durch Jahrhunderte hindurch unterhalb einer jeden Stildefinition und als deren Basis fortgewirkt haben. Die Moderne wäre also nicht eingeschränkt auf eine ›klassische Moderne‹, die im neuerungssüchtigen Nacheinander der Stile abgelöst wird und vergeht, sondern die Moderne wäre eine Grundlegung – man könnte auch sagen eine Grammatik und Thesaurus von Vokabularien, die durch Stilveränderungen zwar variiert, nicht aber für ungültig erklärt werden. Die neue Abstraktion wäre nicht ein Rückfall, sondern eine weitere Entwicklung und eine durch Subjektivität und Fiktionalität angereicherte Sprache der Moderne, eine ›Zweite Moderne‹ « (Klotz 1996: 15f). Klotz meint tatsächlich, Duchamp sei Moderne. Unter diesen Vorzeichen muss das Postmoderneverständnis in eine andere Richtung laufen. Immerhin sagt er von den Ready-mades, es seien Dekonstruktionen der Aura und des Originals (Klotz 1996: 38). 19 »Keine Institution macht diese konstitutive Paradox der Moderne anschaulicher als das Museum, das Jauß erst späterhin (die Kunstwissenschaft noch später) als entscheidendes Paradigma der Moderne erkannte: Das Kunstmuseum war das eigentliche Organon der Epochengeschichte, das Zentralorgan jener Symbiose aus ästhetischem und historischem Bewusstsein, mit dem sich die Moderne selbst als Epoche hervorbrachte – eine anthropomorphe Architektur im geistigen Sinn« (Grasskamp 1998: 759). 20 »Diese kritische Gegenkultur, in den US-amerikanischen kulturellen Zentren beheimatet, umfasst ein breites Spektrum des Aktivismus: Kampf gegen den Vietnam-Krieg, vehemente Auseinandersetzungen mit dem Rassismus und Sympathie mit den Bürgerrechtsbewegungen, ökologische Kritik an der Vorherrschaft kapitalistischer Rationalität, Offensive gegen die puritanische bürgerliche Sexualmoral – dazu kommen Frauenbewe33

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

»Tatsächlich jedoch ist der US-amerikanische Begriff der ›Postmoderne‹ nur vor einem geschichtlichen Hintergrund angemessen zu verstehen, der bis in die 1930/40er Jahre zurückreicht. Damals nämlich wurde ein erheblicher Teil der künstlerischen Avantgarde durch Faschismus und Zweiten Weltkrieg aus Europa vertrieben. [...] Weil die meisten von ihnen Lehrtätigkeiten aufnahmen, hatten sie dort Schüler. Dadurch lebten die Avantgarde-Ansätze der zwanziger Jahre weiter« (Hieber 1997: 653).

Hieber unterstreicht, sowohl für die AIDS-Aktivistenkunst der 90er sowie für die Pop Art der 60er Jahre als postmoderne und demzufolge politische Kunst, deren Ablehnung des elitären Kunstbegriffs der Moderne (ebd. 660).21

B e n j a m i n u n d Ad o r n o Ein wichtiger Aspekt beim Umgang mit den Begrifflichkeiten der künstlerischen Avantgarde und der Klassischen Moderne, implizit des autonomen Kunstwerks, welches die Dadaisten zu demontieren versuchten, ist die Debatte von Benjamin und Adorno, welche sich an der Kritikfähigkeit von Kunst und deren Bedeutung für die Gesellschaft und Lebenspraxis entzündet. Der Dadaismus ist eine Kritik am autonomen Kunstwerk selbst und am Kunstmarkt schlechthin. Benjamin fasst die Ziele des Dadaismus wie folgt zusammen: »Der Dadaismus versuchte, die Effekte, die das Publikum heute im Film sucht, mit den Mitteln der Malerei (bzw. der Literatur) zu erzeugen. [...] Auf die merkantile Verwertbarkeit ihrer Kunstwerke legten die Dadaisten viel weniger Gewicht als auf ihre Unverwertbarkeit als Gegenstände kontemplativer Versenkung« (Benjamin 1994: 36).

gung sowie Lesben- und Schwulenbewegung (Gay Liberation)« (Hieber 2007: 22). 21 »Wie die Happenings verstanden sich auch die anderen postmodernistischen Kunstpraktiken zum einen als praktizierte Kritik am Galerie- und Museumsbetrieb und zum anderen als Beteiligung an sozialen Bewegungen. Beide Momente verschränken sich in der Attacke, die der Postmodernismus gegen den bürgerlichen Musentempel und seine bildungsbürgerlichen Priester ritt« (Hieber 2007: 23), oder wie Huyssen es formuliert: »Zweitens ist die Postmoderne der sechziger Jahre durch eine ikonoklastische Attacke auf das gekennzeichnet, was Peter Bürger theoretisch als ‹Institution Kunst› zu fassen versucht hat« (Huyssen 1986: 19). 34

MODERNE, AVANTGARDE UND POSTMODERNE

Bürger betont einen anderen Aspekt der kunstkritischen antibürgerlichen Zielsetzung des Dadaismus: neben der Kritik an der Institution Kunst, insbesondere den Zusammenhang von Autonomie und Folgenlosigkeit. Er schreibt: »Der Dadaismus, die radikalste Bewegung innerhalb der europäischen Avantgarde, übt nicht mehr Kritik an den ihm vorausgegangenen Kunstrichtungen, sondern an der Institution Kunst, wie sie sich in der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildet hat. [...] Der avantgardistische Protest, dessen Ziel es ist, Kunst in Lebenspraxis zurückzuführen, enthüllt den Zusammenhang von Autonomie und Folgenlosigkeit« (Bürger 1995: 28f).

Die Autonomie der Kunst identifiziert er als ideologische Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (Bürger 1995: 63) und betont, der Verdienst Benjamins sei die Erkenntnis, dass die Institutionen die Funktionsweise der Kunstwerke bestimmen und dass Rezeptionsweisen sozialgeschichtlich fundiert sind (ebd.: 40). Während Adorno am autonomen Kunstwerk festhält und somit als modernistisch bezeichnet werden kann, sah Benjamin die Aura des Kunstwerks durch seine technische Reproduzierbarkeit verkümmern und darin die Chance der Politisierung der Kunst. Für Adorno ist für kritische Kunst der Erhalt ihrer Autonomie wichtig. Gerade in ihrer Funktionslosigkeit sieht er die Chance einer gesellschaftlichen Funktion: »Soweit von Kunstwerken eine gesellschaftliche Funktion sich prädizieren lässt, ist es ihre Funktionslosigkeit. Sie verkörpern durch ihre Differenz von der verhexten Wirklichkeit negativ einen Stand, in dem, was ist, an die rechte Stelle käme, an seine eigene. Ihr Zauber ist Entzauberung« (Adorno 1972: 336f).

Im Gegensatz zu Benjamin, der dem Publikum bei der kollektiven Rezeption eine zerstreute Examinatorstellung zuschreibt, also keine unausweichliche kollektive Verdummung durch die Kulturindustrie sieht, konstatiert Adorno »Vergnügt sein heißt Einverstanden sein« (Adorno; Horkheimer 1991: 153), und darüber hinaus »das Leiden vergessen, noch wo es gezeigt wird« (ebd.). Interessant ist an dieser Stelle die unterschiedliche Bewertung Charlie Chaplins durch Adorno und Benjamin: während Benjamin ihm eine progressive Wirkung zuschreibt, bezeichnet Adorno diese Unterhal-

35

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

tungsform zum einen als Clownerie22, zum anderen bezweifelt er in einem Brief an Benjamin dessen avantgardistische Wirkung23. Besonders kritisch sieht Adorno die Verschmelzung von Kultur und Reklame: »Reklame wird zur Kunst schlechthin, mit der Goebbels ahnungsvoll sie in eins setzte, l’art pour l’art, Reklame für sich selber, reine Darstellung der gesellschaftlichen Macht« (Adorno; Horkheimer 1991: 172). Damit bleibt er der autonomen Kunst als Garant der freien Meinungsäußerung treu, verkennt jedoch den von Bürger (oben ausgeführten) betonten Aspekt der Folgenlosigkeit der Kunst innerhalb der Kunstinstitutionen, in denen die bildungsbürgerlichen Schichten die Kunst kontemplativ genießen. Kulturindustrielle Produkte und die Star-Images ihrer VertreterInnen, wie z.B. Marilyn Monroe und Madonna, sind durchaus in der Lage, Erkenntnis zu vermitteln, bzw. können für diesen Zweck eingesetzt werden. Natürlich wäre es naiv zu glauben, dass alle kulturindustriellen Produkte ein progressives Potential besitzen, dieses gilt jedoch in gleichem Maße für autonome Kunstwerke. Kitsch und reaktionäres Material gibt es auf allen Ebenen. Mit der Demokratisierung von Kunst geht auch die freie Meinungsäußerung vielerlei Couleur einher. Die wichtige Frage ist hier, wer verwendet was in welcher Art und Weise für welchen Zweck.

22 »Stumpfsinnig ausgeklügelte Überraschung bricht in die Filmhandlung ein. Die Tendenz des Produkts, auf den puren Blödsinn böse zurückzugreifen, an dem die volkstümliche Kunst, Posse und Clownerie bis zu Chaplin und den Marx Brothers legitimen Anteil hatte, tritt am sinnfälligsten in den weniger gepflegten Genres hervor« (Adorno; Horkheimer 1991: 146) 23 »Und dass, um nur noch eine Kleinigkeit herauszugreifen, der Reaktionär durch Sachverständnis vorm Chaplinfilm zum Avantgardisten werde – das scheint mir ebenfalls eine Romantisierung durchaus, denn weder kann ich Kracauers Liebling, auch jetzt nach Modern Times, zur Avantgarde rechnen (warum, wird wohl aus der Jazzarbeit völlig klar hervorgehen), noch glaube ich, dass von den anständigen Elementen daran irgendeines apperzipiert wird« (Adorno 1990: 147). In seiner Ästhetischen Theorie geht Adorno nochmals auf Benjamin am Beispiel der Musik, genauer das Verhältnis von autonomer Kunst am Beispiel von Beethoven zu Jazz als »popular music« ein: »Geist – und wie sehr auch Benjamins eigener – muss in sich gehen, um das in sich negieren zu können. Ästhetisch wäre das zu demonstrieren am Gegensatz von Beethoven und Jazz, gegen den manche Musikerohren bereits taub zu werden beginnen. Beethoven ist, modifiziert doch bestimmbar, die volle Erfahrung des äußeren Lebens, inwendig wiederkehrend, so wie Zeit, das Medium von Musik, der innere Sinn ist; die popular music in all ihren Versionen ist diesseits solcher Sublimierung, somatische Stimulans, und damit, angesichts ästhetischer Autonomie, regressiv« (Adorno 1972: 177). Dabei erschließt sich der konservative Kunstbegriff Adornos nochmals besonders deutlich. 36

MODERNE, AVANTGARDE UND POSTMODERNE

Vor allem kann die technische Reproduktion, sowohl von Kunst also auch von massenkulturellen Produkten, dem Rezipienten entgegenkommen, z.B. als Photographie oder als Schallplatte24 (Benjamin 1994: 13). Damit wird eine Demokratisierung der Kunst erreicht. Es ist also das demokratische Potential der Massenkultur hervorzuheben, da das autonome Kunstwerk unter Ausschluss von Bevölkerungsgruppen nur eine individualisierte, kontemplative und damit bürgerliche Rezeption erlaubt. In Bezug auf Benjamins Kunstwerkaufsatz schreibt Bürger: »Der entscheidende Gedanke von Benjamin ist nun der, dass sich durch die Veränderung der Reproduktionstechniken die Wahrnehmungsweisen verändern« (Bürger 1995: 36) Benjamin selbst weist darauf hin, dass die Kunst durch ihre technische Reproduzierbarkeit für immer den Schein der Autonomie verloren habe (Benjamin 1994: 22). Bei der Fragestellung, ob Photographie Kunst sei, vermisst er die vorausgehende Frage, ob diese nicht den Gesamtcharakter der Kunst verändert habe (ebd.). Mit der Entwicklung der Photographie ist die Kunst erst von ihrer Aufgabe befreit worden, die Natur abzubilden, erst dadurch war es möglich, sich anderen Themen, kritischen Fragestellungen, Gesellschaftskritik zuzuwenden. Zur Wirkung des Films führt er weiter aus, dass der Assoziationsablauf beim Film durch Veränderung – dazu gehören Schnitte, Szenenwechsel, Perspektivwechsel, die durch Montage beim Schnittverfahren erzeugt werden – unterbrochen sei, und somit eine »Chockwirkung« des Films bewirke (ebd. 39). Bürger sieht in der Montage das Grundprinzip avantgardistischer Kunst (Bürger 1995: 97), gleichzeitig verweist er auf die Montage bzw. Aneinanderreihung von Bildern im Film als grundlegendes technisches Verfahren (ebd.: 98f), und weist auf den Kubismus (als Stil der Klassischen Moderne) als Vorläufer der Montage hin (ebd.: 99). Ein Beispiel der Montage sind die Photomontagen von John Heartfield: »Sie sind nicht primär ästhetische Objekte, sondern Lesebilder. Heartfield hat die alte Technik des Emblems aufgegriffen und politisch eingesetzt« (Bürger 1995: 101f).

24 Heute sind die technischen Möglichkeiten, sich Kunst, Kultur, aber natürlich auch Kitsch, in das eigene Wohnzimmer zu holen, immens gestiegen: Internet, CD, DVD, MP3 etc. lassen die globale Welt in Kleinstformaten wie USB-Sticks speichern und archivieren. Hierfür werden allerdings Kulturtechniken jenseits des Lesens, Schreibens und Rechnens erforderlich. Der Umgang mit den neuen Medien will erlernt und geschult sein, Kritikfähigkeit muss auch hier erlernt werden. Die Demokratisierung geht, auch global, immer weiter voran, erfordert jedoch einen neuen Umgang und die pädagogische Unterstützung, damit nicht neue Ausschlussprinzipien überhand nehmen. 37

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Benjamin konstatiert weiter, dass »die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks [...] das Verhältnis der Masse zur Kunst« verändere (Benjamin 1994: 32), und so hebt er die Lust am Schauen und Erleben, den Zusammenfall der kritischen und genießenden Haltung im Kino hervor, während die Malerei nicht imstande sei, eine Kollektivrezeption darzubieten (Benjamin 1994: 33). Es findet eine Veränderung der sozialen Funktion der Kunst statt: »An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual tritt ihre Fundierung auf eine andere Praxis: nämlich ihre Fundierung auf Politik« (Benjamin 1994: 18). Ein weiterer Aspekt, der für Benjamin im Zentrum steht ist die Aufhebung der Trennung von Kunst und Wissenschaft: »Es wird einer der revolutionären Funktionen des Films sein, die künstlerische und die wissenschaftliche Verwertung der Photographie, die vordem meist auseinander fielen, als identisch erkennbar zu machen« (Benjamin 1994: 35).25

Was bedeuten diese Begriffsbestimmungen um d i e Av a n t g a r d e u n d d e n P o s t m o d e r n i s m u s f ü r d a s T h e m a d i e s e r Ar b e i t ? So wie Benjamin die Trennung von Wissenschaft und Kunst aufheben will, und die Trennungen von high and low, Kunst und Pornographie26 aus Perspektive der Avantgarde bzw. Postmoderne aufzuheben sind, sind es im Tanz verschiedene Merkmale, die ebenfalls im Kontext der Rückführung der Kunst in Lebenspraxis und der Aufhebung von high and low und im Verfolgen politischer Ziele stehen, welche ihn als avantgardistisch bzw. postmodernistisch auszeichnen. Das wird im Tanzkapitel im Einzelnen ausgeführt. In Bezug auf das postmoderne 25 Heute ist uns der wissenschaftliche und gleichzeitig künstlerische Umgang mit Photos selbstverständlich: Beispiele hierfür sind Satelliten-Photos, Röntgenbilder und Bilder aus dem Elektronen-Mikroskop. 26 Huyssen führt aus, dass in den 50 Jahren eine junge Künstlergeneration, wie z.B. Rauschenberg, Ginsberg, Cage u.a. gegen »die kanonische Vorherrschaft des abstrakten Expressionismus, der seriellen Musik und der damals schon klassischen literarischen Moderne« rebellierten (Huyssen 1986: 17). Hieber argumentiert darüber hinaus, dass diese gegenkulturellen Strömungen sich darüber hinaus gegen die bürgerliche Moral richteten: »Die sexuelle Revolution setzte nicht erst in den 1960er Jahren aus dem Nichts ein, sie führte vielmehr vorausgegangene gegenkulturelle Strömungen weiter. Die Beats oder Hipsters (Allen Ginsberg, Lenore Kandel, Gary Snyder und andere) hatten bereits im vorangegangenen Jahrzehnt begonnen, einen Grenzzaun der bürgerlichen Moral einzureißen, nämlich den zwischen Kunst und Pornographie« (Hieber 2006: 210). 38

MODERNE, AVANTGARDE UND POSTMODERNE

Frauenbild lässt sich soviel vorausschicken, dass Künstlerinnen (wie Anita Berber in der Zeit der Avantgarde und Marilyn Monroe und Madonna während der Postmoderne) Frauenbilder prägen, indem sie im kulturellen Bereich agieren. Berühmt und berüchtigt, hinterlassen sie performative Spuren, denen sich Frauen (und Männer etc.) anschließen können.

39

G E S C H L E C H T S I D E N T I T ÄT E N

Der Wandel gesellschaftlich produzierter Weiblichkeitsbilder vollzieht sich vor dem Hintergrund sozioökonomischer Entwicklungen und kultureller Umbrüche. Grundsätzlich kann dabei nicht von einem einheitlichen Weiblichkeitsbild in einer Epoche gesprochen werden. In einzelnen Gesellschaftsschichten und Milieus existieren parallel immer verschiedene Vorstellungen über Gesellschaft, Politik, Kultur etc., und damit auch verschiedene Vorstellungen, was idealerweise Weiblichkeit ausmache oder eben gerade nicht. Die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts begünstigten aufgrund der spezifischen gesellschaftlichen Situation die Entstehung sehr progressiver Weiblichkeitsbilder, die, durch Werbung und Massenkultur vermittelt, zwar mehr oder weniger nur Idealfunktion besaßen und nur für wenige real lebbar waren, jedoch auf ihre Weise die Gesellschaft durchdrangen. Der »Neuen Frau« der zwanziger Jahre kommt damit vor allem deswegen eine emanzipatorische Funktion zu, da »Lebensgefühl« und »äußerliche« Freiheiten mit der realen Verbesserung der Lebenssituation und Emanzipation der Frau korrellieren. In den Endzwanziger Jahren der Weimarer Republik werden in einer krisenhaften sozioökonomischen Situation wieder restaurative Frauenbilder aufgegriffen und propagiert. Das faschistische Frauenbild der Mutter und Hausfrau knüpft direkt an das bürgerliche Frauenbild an, welches auch von der bürgerlichen Frauenbewegung mitgetragen wurde. Die Mode, und damit das Erscheinungsbild der Frauen, die äußere Hülle des Lebensgefühls, entwickeln sich dementsprechend von emanzipatorischen zu traditionalisierenden Formen. Eine erneute Aufbruchsphase bilden die 60er Jahre, die aber bereits Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland mit der »geistig-moralischen Wende« zur Zeit der

41

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

»Kohl-Regierung« ihren konservativen Umschlag fand. Die AIDS-Krise tat ihr Übriges.

Weiblichkeitsbilder im Kontext der Diskussion um Dekonstruktion der Geschlechtsidentität und Postfeminismus Ich möchte die philosophische Diskussion um die Geschlechtsidentität auf soziologischer Ebene mit der gesellschaftlichen Realität der Bundesrepublik verknüpfen. Hierbei geht es mir darum, den Ansatz von Judith Butler, die Geschlechtsidentität sei durch Performance zu verschieben27, anhand von Weiblichkeitsbildern in der alltagskulturellen Bilderwelt mit Hilfe kunstsoziologischer Methoden zu untersuchen und mit dem Modell der sozialen Milieus in Beziehung zu setzen. Ich gehe dabei von der empirisch vorzufindenden Vielfalt unterschiedlich ausdifferenzierter Weiblichkeitsbilder aus. Diese verweisen darauf, dass es eine allgemeingültige Auffassung von Geschlechtsidentität nicht gibt bzw. geben kann. Damit gibt es letztlich keine Möglichkeit gemeinsamer Ziele aller Frauen oder gar eines Grundkonsenses unter ihnen. Butler vertritt die Ansicht, dass die »verschiedenen Akte der Geschlechtsidentität überhaupt erst die Idee der Geschlechtsidentität hervor(bringen)« (Butler 1991: 205). Diese als postfeministisch bezeichnete Position birgt durch ihre Loslösung von einem feministischen Subjekt »Frau« mehr emanzipatorisches Potential in sich als die feministischen Positionen der traditionell geprägten bürgerlichen Frauenbewegungen.28 Um diese These zu stützen, soll mit Hilfe des Milieukonzeptes milieuspezifisch Verbindendes und Trennendes herausgearbeitet werden. Ziel ist es, hiermit auf die Notwendigkeit einer ideologiekritischen Auseinandersetzung innerhalb der feministischen Diskussion bezüglich der Auffassung von Geschlechtsidentität vor dem Hintergrund der alltagskulturellen Weiblichkeitsbilder hinzuweisen. Emanzipation muss in erster Linie als Ziel politischer, sozialer und rechtlicher Gleichstellung, und damit als Möglichkeit individueller 27 Butler stützt ihre Verwendung des Begriffs »Performativität« auf J.L. Austins »Zur Theorie der Sprechakte« (1993a: 49). Für meine Fragestellung ist der ästhetische Ausdruck von Performance, die visuelle Selbstinszenierung, wichtig. 28 Die neue bürgerliche Frauenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland setzt die Tradition der alten bürgerlichen Frauenbewegung fort, da sie immer die Frau alleine im Blickwinkel hat. Sie distanziert sich ebenso wie die alte von den Männern, und hat in erster Linie die Ermöglichung von Beruf und Familie für die Frauen im Sinn. 42

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

eigenverantwortlicher Lebensgestaltung, verstanden werden. Zu hinterfragen ist hierbei, inwieweit der Staat per Gesetz im Hinblick auf Rasse, Klasse und Geschlecht diskriminierend in die Lebensplanung der Mitglieder der Gesellschaft eingreift. »Subventioniert« der Staat durch gesetzliche Maßnahmen, gewissermaßen als Spiegel der herrschenden Moral, bestimmte Lebensformen, wie z.B. die Ehe, mischt er sich indirekt und doch konkret in die Lebensplanung der Menschen ein. Werden andererseits über bestimmte Lebensformen Strafen bzw. Sanktionen verhängt, ist das die negative Seite der Beeinflussung durch den Staat. Im Kontext der Geschlechtsidentität heißt Emanzipation Befreiung von den Geschlechtscharakteren bzw. »Geschlechtsrollenklischees«. Emanzipatorische Ansätze gäbe es unter dem Aspekt der Lebensstile der sozialen Milieus demnach dann, wenn eine Pluralisierung der Geschlechtsidentitäten in ihnen vorzufinden ist, da diese die Differenz und folglich verschiedene Lebensformen nebeneinander gleichgestellt anerkennt. Für das Verständnis des Begriffs der Geschlechtscharaktere möchte ich auf dessen Geschichtlichkeit hinweisen. Heidi Rosenbaum beschreibt den Wandel der »Vorstellungen über das Wesen der Geschlechter« (Rosenbaum 1982: 292), welcher durch die sozialen Veränderungen im Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft, vor allem der Trennung von beruflicher und privater Sphäre, hervorgerufen wurde. Die neuen Definitionen seit Ende des 18. Jahrhunderts gaben – zur Zeit der Aufklärung als Beginn des modernen bürgerlichen Zeitalters – »allgemeine, abstrakte Eigenschaften als für Männer und Frauen jeweils typische« aus (ebd.: 293). Die neue Qualität dieser Geschlechtsrollenklischees besteht darin, dass die Eigenschaften der Geschlechter »zu natürlichen erklärt wurden« (ebd.: 294). Umgekehrt kann heute die Befreiung von den Geschlechterrollen in entgegengesetzter Richtung zu einer Veränderung der sozialen Bedingungen der Gesellschaft führen, die kulturelle Emanzipation in einem dialektischen Sinne der politisch-sozialen vorausgehen. Die gegenwärtige feministische Diskussion entzündet sich an der Thematik der Verknüpfung des Begriffs der Geschlechtsrollenklischees mit dem der Geschlechtsidentität. Auf der einen Seite stehen »moderne« Konzepte, die am bürgerlichen Subjektbegriff und der biologischen Konstitution des Geschlechts festhalten. Auf der anderen Seite steht das Prinzip der »Dekonstruktion der Geschlechtsidentität« der »postmodernen« Positionen, welche dem »modernen« Konzept die kulturelle und politische Konstruktion der Kategorie Geschlecht entgegenhalten. Der kulturelle Hintergrund und die Problematik dieser Diskussion erhellen sich durch den von mir im vorherigen Kapitel geklärten Postmodernebe43

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

griff. Im Wesentlichen geht es um die Politisierung bürgerlich ideologisierter Begriffe. Deutlich formuliert ist der postmoderne Ansatz daher bei Butler. Sie beschreibt die Geschlechtsidentität als »eine Art ständiger Nachahmung [...], die als das Reale gilt« (Butler 1991: 8). Diese Sicht ermöglicht es, die Geschlechtsidentität zu entnaturalisieren und somit zu politisieren. Sie betont, dass die Nachahmung sich an einem Ideal ausrichte, das sowieso niemand erreichen könne29. Auf diese Weise hebelt sie die Vorstellung einer Natürlichkeit der Geschlechtsidentität (gender) aufgrund des biologischen Geschlechts (sex) bereits aus. Sie geht aber noch weiter, indem sie auch das biologische Geschlecht als konstruiert begreift: »Der Leib ist selbst eine Konstruktion – wie die unzähligen ›Leiber‹, die das Feld der geschlechtlich bestimmten Subjekte bilden. Man kann nämlich den Körpern keine Existenz zusprechen, die der Markierung ihres Geschlechts vorherginge. So stellt sich die Frage, inwiefern der Körper erst in und durch die Markierung(en) der Geschlechtsidentität ins Leben gerufen wird« (ebd.: 26).

Demzufolge kann das Geschlecht nicht länger als »›innere Wahrheit‹ der Anlagen und der Identität« gelten, sondern ist als performative inszenierte Bedeutung zu sehen. Diese ermöglicht wiederum die »parodistische Vervielfältigung und ein subversives Spiel der kulturell erzeugten Bedeutungen der Geschlechtsidentität (gendered meanings)« (ebd.: 61). Butlers politisches Ziel ist folglich die Vervielfältigung, und somit die Pluralität der Geschlechtsidentität. Die Natürlichkeit der Geschlechtsidentität aufgrund ihrer biologischen Grundlage, der Anatomie, anzunehmen, bewirkt eine Normierung der Verhaltensformen und schließt gleichzeitig alles Abweichende als »verworfen« aus. Der wissenschaftliche Blick auf die Anatomie ist Butler zufolge ebenfalls problematisch, da er selbst kulturell bedingt sei und standardisiere (und so Abweichungen als abnorm ausschließt oder in die zwei Geschlechterkategorien hineinpresst). Ziel vor allem der »modernen« bundesrepublikanischen Theoretikerinnen ist hingegen die Beibehaltung der biologischen Grundlage der Kategorie Geschlecht. Petra T. Musfeld bezieht zugunsten von Barbara 29 In der feministischen Diskussion wird im Allgemeinen mit der Differenzierung zwischen »sex« und »gender« zwar versucht, das anatomische Geschlecht von der kulturell bedingten Geschlechtsidentität zu trennen. Die biologische Grundlage des Geschlechts, die sogenannte Leiblichkeit, bleibt hier jedoch oft unhinterfragt, und wird in einigen Positionen immer noch als identitätsbestimmend angesehen, wohinter sich im strengsten Sinne eine biologische Grundlage für die Geschlechtsidentität verbirgt. 44

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

Duden Stellung, indem sie darauf hinweist, dass Butler »die Naturgrundlage völlig in Diskursivität auflösen« (Musfeld 1996: 23) wolle, und »dass Leiblichkeit und die spezifische sinnliche Erfahrung, die daraus resultiert, in ihrem Ansatz nicht adäquat erfasst« werde (ebd.). Ebenso wie Duden wirft sie ihr »eine Art Entleiblichung«30 vor (ebd.). »Geschlecht, das ist nicht mehr der eigene Körper, Sinnlichkeit, Triebhaftigkeit in ihrer ganzen Vielfalt, sondern mutiert zur bloßen Form patriarchaler Unterdrückung« (ebd.). Musfeld argumentiert mit Foucault, dass Natur immer auch kulturell und gesellschaftlich bestimmt sei, hält jedoch daran fest, dass die biologische Grundlage nicht in der Kultur aufgehe. Sie betont, dass diese die Herausforderung und den Gegenpart zur Kultur bilde: »Neben der Form existiert das zu Formende weiter, es wird nie völlig von ihr erfasst. Das ist die Subversion des Triebhaften, des Sinnlichen, der Natur, wie sie vielleicht nur als widerständiges Moment innerhalb der Kultur erfahren werden kann, als das, was sich reibt, nicht passt, Bewegung erzeugt« (ebd.: 24). Diese Argumentation geht an der Intention Butlers völlig vorbei. Drucilla Cornell schreibt zu dieser Thematik: »Die Dekonstruktion der rigiden Gender-Strukturen entzieht den durch diese Strukturen ›aufgezwungenen sexuellen Entscheidungen‹ die Legitimität, und sie tut es im Namen der Anerkennung des Respektes für Differenz« (Cornell 1993: 83). Gerade die »Wertschätzung der Differenz« (ebd.), die Erweiterung der Lebenskonzepte und der sexuellen Lebensformen, strebt Butler an. Eine Entkörperung kann man Butler aufgrund ihres Verständnisses von »Geschlecht« als politischer Kategorie jedoch nicht vorwerfen. Im Gegenteil verweist sie hierdurch auf die Normierung der real existierenden Körper. Isabell Lorey unterstützt die Blickrichtung Butlers, wenn sie schreibt, dass die Vorstellungen des anatomischen Körpers innerhalb historisch spezifischer gesellschaftlicher Kontexte entstanden seien (Lorey 1993). Sie sieht Butlers Argumentation ebenfalls im Kontext der Infragestellung des als natürlich Behaupteten (ebd.: 10). Wenn das Geschlecht (gender) eine ausschließlich kulturelle Angelegenheit sei, könne »der Körper jeden möglichen Körperstil agieren, ohne dass diese Darstellung eindeutig als Ausdruck eines natürlichen ›sexes‹ zu verstehen wäre« (ebd. 12). Butler stellt die Möglichkeit einer »unstimmigen, entnaturalisierten Performanz« heraus, »die den performativen Status des Natürlichen selbst enthüllt« (Butler 1991: 214), um die standardisierte Inszenierung der Natürlichkeit des Geschlechts in sein Gegenteil zu verkehren. 30 Duden spricht in diesem Zusammenhang »von diesem phantomastischen Produkt neuer Subjektivität als der entkörperten Frau« (Duden 1993: 26). 45

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Im Gegensatz dazu hält Duden an der Leiblichkeit des Geschlechts fest. In ihrem Aufsatz zu Butlers Theorie betont sie, dass sie sich ihre »Leibhaftigkeit« nicht durch die Dekonstruktivisten ausreden lasse (Duden 1993: 28), und entschlossen sei, sich ihren »Umgang mit dem Körpererlebnis der Frau in der Vergangenheit durch die Dekonstruktion der Postmoderne nicht nehmen zu lassen« (ebd.: 29). Dabei halte sie weiter an der »Markierung, Spiegelung und Prägung von ›Draußen‹ und ›Drinnen‹ fest« (ebd.: 25). Butler betont dagegen, dass die Begriffe »Innen« und »Außen« nur dann einen Sinn ergäben, »wenn sie sich auf eine vermittelnde Grenze zurückbeziehen, die um Stabilität bemüht ist. Diese Stabilität, diese Kohärenz werden zum großen Teil durch kulturelle Anordnungen bestimmt, die das Subjekt sanktionieren und seine Differenzierung vom Verworfenen erzwingen. Die Infragestellung dieses Subjekts verschiebt somit auch die Bedeutung und Notwendigkeit dieser Begriffe« (Butler 1991: 197).31

Zwei Positionen, die sich auf diesen Kontext beziehen, sind die von Haas und Lenzhofer. Haas beschreibt Butler als Forscherin mit einem unabhängigen Standpunkt, denn: »Indem die Gender-Performanz diese natürliche Gegebenheit von körperlichen Merkmalen ablehnt und sie spielerisch in Frage stellt, entsteht das Potential für einen Angriff auf gesellschaftliche Normen« (Haas 2006: 20). Lenzhofer wiederum erachtet die Performanz durch camp, »die subversiven Wiederholungen, die mit Drag und Maskerade einhergehen«, als wichtigen Aspekt des Postfeminismus »im Sinne von postmodernistisch geprägtem Feminismus«, als besonders fruchtbar (Lenzhofer 2006: 157). Sie schreibt: »Auch Judith Butler hebt die Bedeutung von Parodie für feministische Politik hervor, um Geschlecht als kulturelles Konstrukt zu entlarven, seine Performativität zu demonstrieren, die imitative Struktur von Weiblichkeit sowie ihre Willkürlichkeit und Zufälligkeit zu enthüllen und im nächsten Schritt Strategien zu entwerfen, um Anknüpfungspunkte zu finden, an denen es zu subversiven Wiederholungen kommen kann, zu Veränderungen in der Ausführung und Wahrnehmung von Geschlecht« (Lenzhofer 2006: 159).

31 Butler setzt sich mit Duden in »Körper von Gewicht« wie folgt auseinander: »Die feministische Geschichte des biologischen Bereichs und der Schlüsselbegriffe des biologischen Diskurses – wie sie beispielsweise die feministische Wissenschaftlerin Barbara Duden durchführt – könnte gar nicht stattfinden, wenn wir ahistorische Kategorien als unsere notwendige Grundlage für selbstverständlich nehmen würden« (Butler 1995: 10). 46

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

Garber betont für den Transvestismus seine Kraft der Aufhebung der Binarität, die mit der Vorstellung von natürlichen Geschlechtsidentitäten verknüpft ist: »Für mich ist deshalb einer der wichtigsten Aspekte des Transvestismus die Weise, in der er die allzu leichtgewichtigen Vorstellungen von Binarität in Zweifel zieht und die Kategorien von ›weiblich‹ und ›männlich‹ in Frage stellt, egal, ob man sie nun als essentielle oder als konstruierte, als biologische oder als soziokulturelle auffasst« (Garber 1993: 22f).

Von der theoretischen Auseinandersetzung bezüglich »Geschlechtsidentität« und »Geschlecht« möchte ich nun zur realen Vielfalt konkreter Weiblichkeitsbilder kommen, um die Theorie Butlers in die Empirie zu überführen.

Die sozialen Milieus Zunächst erscheint die Verbindung zwischen der Sozialstrukturforschung und dem postmodernen Ansatz etwas befremdlich, geht es doch in der postmodernen oder auch poststrukturalistischen Theorie gerade darum, Kategorien zu hinterfragen, während die Sozialstrukturanalyse Kategorien schafft. Ich möchte jedoch zeigen, dass gerade die Ergebnisse der neueren Sozialstrukturforschung den empirischen Beweis erbringen, dass es eine natürliche Geschlechtsidentität nicht geben kann, sondern diese gesellschaftlich bzw. durch die Zugehörigkeit zu einem Milieu geprägt ist. Da auch die Milieulandschaft einem ständigen Wandel unterliegt, unterstützt sie außerdem den postmodernen Anspruch, der Naturalisierung der Geschlechtsidentität eine Politisierung dieser entgegenzusetzen und damit auch die Möglichkeit, diese weiter zu pluralisieren. Das ist gerade in Bezug auf den Butlerschen Ansatz des performativen Nachahmens der Geschlechtsidentität äußerst interessant. Ich stütze mich hierbei auf Untersuchungen des Sinus-Instituts, Heidelberg. Der Kernbegriff der modernen Sozialstrukturforschung ist der der sozialen Milieus.32 Diese spiegeln die unterschiedlichen Lebenswelten, 32 Stefan Hradil unterstreicht, dass die qualitative Sozialforschung, und besonders die Vorgehensweise der unstandardisierten Interviews des SinusInstituts anhand großer Fallzahlen, zur Verortung der »subjektiven« wie »objektiven« Lebensbedingungen der einzelnen Gruppierungen besonders gut geeignet sei (Hradil 1987: 127): »Diese so abgegrenzten ›Milieus‹ erwiesen sich nicht nur in Marketing-Studien für private Auftraggeber [...], sondern auch in großangelegten Untersuchungen im Auftrag öffentlicher Stellen als hilfreiche Modellvorstellung« (ebd.). 47

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

die Grundorientierungen, Wertprioritäten und Lebensstile wider und liefern damit Erkenntnisse über das Alltagsbewusstsein (SpiegelDokumentation 1994). Hradil versteht unter »Milieu« »eine Gruppe von Menschen [...], die solche äußeren Lebensbedingungen und/oder inneren Haltungen aufweisen, aus denen sich gemeinsame Lebensstile herausbilden« (Hradil 1987: 165). Weiter führt er aus: »Was das Lagen- und Milieukonzept von vielen Klassen- und Schichtkonstrukten unterscheidet, ist die ausdrückliche Bezugnahme auf den historischen Ort und Zeitraum, für den es beansprucht, die wesentlichen Strukturen sozialer Ungleichheit wiederzugeben« (ebd.: 175). Die Einbeziehung des Milieukonzepts stellt somit ein wichtiges Instrument dar, um den postmodernen Theorieansatz mit der gesellschaftlichen Realität zu verbinden. In den einzelnen sozialen Milieus herrschen unterschiedliche Vorstellungen zu Geschlechterrollen und Familie vor. Während, ausgehend vom Milieumodell von 1994, vor allem im alternativen und technokratisch-liberalen Milieu emanzipatorische Ansichten zur Gleichberechtigung und zur partnerschaftlichen Rollenteilung vorherrschen, sind es überwiegend die konservativen Milieus, welche von »klassischer Rollenteilung« bis zur Dominanz des Mannes in der Familie, an den traditionellen Rollenklischees festhalten (Spiegel-Dokumentation 1994: 96ff.)33. Die Lebensstile geben eine differenziertere Sicht auf die Bevölkerungsstruktur, ohne die Klassenstruktur aufzuheben. Vielmehr bietet die Darstellung der Milieus im sozialen Raum nach Bourdieu34 eine Differenzierung in zwei Richtungen: als »horizontale« Kräfte, die sich in traditionellen bis modernen Wertorientierungen zeigen, und als »vertikale Kräfte« der Klassenlagen. »Soziale Trennlinien verlaufen nicht ›naturgemäß‹ zwischen oben und unten, sondern auch zwischen rechts und links im sozialen Raum« (Vester 1997: 30). Daher ist zu konstatieren, dass sich über die Stellung der Milieus im sozialen Raum auch ihr emanzipatorisches Potential erkennen lässt. Vester bezeichnet diese Konstellation als »pluralisierte Klassengesellschaft« (ebd.: 29). Entscheidend ist, dass die einzelnen Milieus verschiedene Weiblichkeitsbilder besitzen. Infolgedessen liegt eine Stärke der postmodernen Theorie Butlers genau darin, dass sie milieuspezifisch zu begreifen bzw. durch die Sozialstrukturanalyse empirisch zu stützen und zu belegen ist. Die Alltagsästhetik ist ein entscheidender Faktor für soziale Differenzierungs- und Orientierungsprozesse (Flaig et al: 1993). Soziale Mi-

33 Zum Rollenverständnis der sozialen Milieus vergl. Spiegel-Dokumentation (1994, S. 103-111). 34 Dazu Michael Vester et al (1993) und Bourdieu (1994). 48

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

lieus geben sich erkennen durch Körpersprache, durch alltagsästhetische Episoden und durch gefühlsorientierte Selbstbeschreibungen (ebd.). Strittig ist den Autoren zufolge nur, ob Vester mit seiner Konzeption der pluralisierten Klassengesellschaft Recht hat, in der die Zuordnung zu einem Milieu immer noch in einem großen Maß durch sozioökonomische Lage bestimmt wird, oder ob das Milieu subjektiv wählbar ist.

Der kulturelle Hintergrund Butlers Theorie Anhand von Bildern möchte ich den kulturellen Hintergrund, vor dem Butler ihre Theorie konzipiert hat, verdeutlichen.35 Meine Bildbeispiele stammen aus dem Bereich der US-amerikanischen Avantgarde-Kunst, und damit aus dem kulturellen Kontext der Theorie Butlers. Es handelt sich um Bilder von Nan Goldin (Goldin 1992) und Zoe Leonard (Leonard 1997). Leonard arbeitete in politischen Bewegungen und Künstlerkollektiven (ebd.: 64). Thematisiert wurden in ihren Protesten AIDS, Homosexualität und Feminismus: das »Recht auf Selbstbestimmung und persönliche Wahlfreiheit« (ebd.: 63). Nan Goldin steht mit ihrer Beschäftigung mit Transvestiten und Homosexuellen ebenfalls in jenem kulturellen Kontext, der Butlers Theorie voranging.

Abbildung 2 35 Jede soziologische Analyse von Bildern muss bestimmte Prinzipien berücksichtigen: Die ikonographische Methode, nach der ich hier vorgehe, ist im Kapitel über die Videoanalyse beschrieben. 49

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Leonard hat mit Jennifer Miller, einer bärtigen Frau, Pin-up-Bilder und Aktphotos von Marilyn Monroe nachgestellt: »Jennifer zeigte sich mit ihrem wunderschönen Körper und ihrem Vollbart nackt in ›aufreizenden‹ Posen. [...] Die Bilder sind witzig und stellen zugleich eine Konfrontation dar« (Leonard 1997: 56, Hervorhebungen U.W.). Abbildung 2 zeigt Marilyn Monroe in weißer Bettwäsche. Sie liegt – anscheinend unbekleidet – seitlich auf einem Laken, in ein weiteres Laken unterhalb der Achseln gewickelt, und umfasst ein Kissen, welches sie an sich drückt. Sie schaut mit halb geöffneten Augen und leicht geöffnetem Mund direkt in die Kamera. Abbildung 3 zeigt Jennifer Miller inmitten weißer Bettwäsche, eine Brustseite ist zu sehen. Es könnte ein ganz »normales« Bild einer ausgelassenen und gleichzeitig koketten, nackten Frau sein, und doch verwirrt ein Detail gravierend: ihr Vollbart. Abbildung 4 stammt aus der gleichen Bilderserie von Leonard. Dieses kommt dem Marilyn-Original von der Pose her gesehen wesentlich näher, da jedoch die Brüste komplett verdeckt sind, kommt der Störfaktor, den Leonard in Bezug auf diese Photos beschreibt, nicht so deutlich zur Geltung wie bei Abbildung 3: »Die Fotos sind eine Art Performance, mithilfe derer wir eine vertraute kulturelle Ikone mit einem Störfaktor versehen können. Wir bedienen uns einer provokanten weiblichen Pose, um etwas ganz anderes zu erreichen. wir versu-

Abbildung 3 50

Abbildung 4

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

chen, ins Innere eines Klischees vorzudringen und es zu transformieren, eine Reihe von Fragen zu stellen« (Leonard 1997: 56, Hervorhebungen U.W.).

Zoe Leonards Pin-ups mit Jennifer Miller sind Parodien auf die Tradition des künstlerischen Aktes und den Playboy Kalender mit Pin-up Girl Marilyn Monroe (Mc Donald 2001): »John Berger showed in the 1970s how the two traditions were linked in a negative way of seeing, and in the 1980s Andy Warhol collapsed the two by appopriating Marilyn’s Image into contemporary art. In a startling twist of this postmodern game, Leonard’s photocomposition replaces the late, blonde bombshell of the 1960s with the dark haired, black bearded and generally hirsute Jennifer Miller. Leonard’s choice of a bearded model confuses the usual gender coding of the pin-up as hairless, but highlights the fact that hairiness is more ›natural‹ than the fantasy of hairlessness« (Mc Donald 2001: 47).36

Zoe Leonard hat sich auf verschiedenste Art mit dem Thema »Gender« auseinander gesetzt,

Abbildung 5

36 Whiting geht in Bezug auf Warhols Bilder von Marilyn Monroe und Elisabeth Taylor genauer darauf ein, dass dieser die Star-Images der beiden Schauspielerinnen thematisiert, und nicht deren »wahres Ich«. Warhol vermeidet die Effekthascherei, welche die Medien bezüglich ihres Privatlebens produziert hatten und verwandelt die Wechselwirkung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen in ein ästhetisches Phänomen, dabei verwendet er für alle 20 Bilder von Marilyn dasselbe Photo (Whiting 1997: 159f): »Despite the fact that Warhol’s silk-screens of Monroe and Taylor rely on massed-produced photographs of these stars, the rhetoric of his silk-screens differs radically from that of the popular press: Warhols silk-screens are at odds with the popular mythology according to which a star’s ›true‹ identity lies trapped within a public image. The existence of the public image in the mass media rests on the foundation of this supposed private life, a private life that legitimizes the reality of the public image« (Whiting 1997: 148). Darüber hinaus ist zu bemerken, dass Warhol mit seiner Thematisierung von Images auch Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder als Images thematisiert. 51

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

das zeigt auch ein Photo einer männlichen Modepuppe (Abbildung 5), einer kleinen Drag Queen. Leonard macht daran ihre Gedanken zur eigentümlichen Vorstellung über das soziale Geschlecht fest: »Sie hat das Gesicht eines kleinen Mädchens und einen Körper, der genau dem entspricht, wie der Körper eines kleinen Mädchens nun einmal in Plastikform dargestellt wird – er ist rosa und völlig geschlechtslos. Doch dann hat ihr jemand einen kleinen Schnurrbart angemalt und das Ganze ›Männliche Modepuppe‹ genannt. Das ließ mich daran denken, wie bizarr das Konzept ist, das wir als Gender, soziales Geschlecht, bezeichnen« (Leonard 1997: 73).

Zwei weitere Beispiele verweisen auf den Kontext TravestieTransvestismus-Transsexualität. Als erstes Beispiel habe ich ein weiteres Photo von Zoe Leonard ausgewählt: »Iolo Carew, wearing my slip« (Abbildung 6): Iolo trägt Nahtstrümpfe, wahrscheinlich schwarze, hohe Pumps und ein, wahrscheinlich schwarzes, Unterkleid aus Spitze mit Spaghettiträgern und steht mit einer effeminierten Haltung, die sich durch Stand- und Spielbein, eine S-förmige Silhouette, enge Beinund Armhaltung, und den Blick seitlich nach hinten über die Schulter auszeichnet, an einen Abbildung 6 Türrahmen einer Doppeltür gelehnt. Iolo wirkt dabei ungeschminkt, die Augen könnten jedoch auch durch Augenbrauenstift, Kajal und Wimperntusche betont sein, das lässt sich nicht mit Sicherheit aus dem Bild entnehmen. Das nächste Beispiel weist interessante Ähnlichkeiten dazu auf, es ist von einer weiteren New Yorker Künstlerin: Nan Goldin. Das Bild »Jimmy Paulette und Tabboo! ziehen sich aus, New York 1991« (Abbildung 7), zeigt Jimmy Paulette im Türrahmen stehend. Er ist stark geschminkt, trägt eine abgeschnittene schwarze Jeans und ein enganliegendes Netz-Oberteil. Sein Bauch ist frei und die Brust durch das NetzOberteil zu sehen. Jimmy Paulette lehnt sich mit der linken Hand, in der er ein Papiertaschentuch und ein Döschen für künstliche Wimpern hält, und angewinkeltem Arm gegen den Türrahmen. Im Spiegel, rechts von 52

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

der Tür, ist hockend Tabboo! zu sehen. Tabboo! ist ebenfalls geschminkt. Jimmy Paulette steht, in verdrehter und enger Pose da. Diese Haltung entspricht dem traditionellen Bild von Weiblichkeit. Er/Sie wirkt hierdurch etwas schüchtern und kokett. Ein wichtiges Merkmal dieses Bildes ist die dem Geschlechtsrollenklischee des Mannes entgegengesetzte Haltung. Goldin sagt über die von ihr photografierten »Drag Queens«: »Nie sah ich sie als Männer, die sich als Frauen verkleideten, sondern als das ganz Andere, als ein drittes Ge- Abbildung 7 schlecht, das mehr Sinn zu machen schien als die beiden anderen. Ich nahm sie so, wie sie sich selber sahen, und spürte kein Verlangen, sie mit meiner Kamera zu demaskieren« (Goldin 1992: 5) Die Pluralität der Geschlechtsidentität zeigt sich auch hier deutlich. Goldin schreibt: »Es gab unter ihnen eine weite Palette von geschlechtlichen Identitäten« (ebd.) Hiermit drückt sie aus, dass einige der Drag Queens mit den Geschlechter-Rollen »nur« spielen, während andere sich Hormonbehandlungen oder Geschlechtsumwandlungen unterzogen haben. So kann auch hier nicht von einem einzigen »dritten Geschlecht« die Rede sein. Goldin empfindet die Grenzüberschreitung dieser Menschen als befreiend. Sie schreibt: »Ich verbrachte Jahre damit, die beiden Geschlechter zu fotografieren, sie zu erfahren in all ihren Widersprüchlichkeiten, mit all ihren Erkennungszeichen und Definitionen – und mit all den großen Schwierigkeiten, sich näherzukommen. Es war befreiend, als ich auf Menschen traf, die die Grenzen des eigenen Geschlechts überschritten hatten« (ebd.: 7).

Es lässt sich also zusammenfassen: In einer Gesellschaft, in der die traditionellen Geschlechtsrollenklischees als »natürlich« gelten, fällt eine bärtige Frau wie Jennifer Miller und eine »Drag Queen« wie Jimmy Paulette aus dem Schema. Ausgrenzung bzw. Gleichschaltung sind die Folge. Michael Jackson ist ein Beispiel, an dem sich die Stigmatisierung 53

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

des Anderen durchaus zeigt. Abbildung 8 zeigt Michael Jackson in effeminierter Haltung mit rechter Hand, genauer den Fingerspitzen am Kopf, sein Blick geht seitlich am Betrachter vorbei. Die langen Haare sind durch Luftzug verweht. Auffällig ist sein dezentes, aber dennoch dekoratives Make-up. Bei allem Erfolg, den er als Popstar hatte, war und ist das Verständnis für seine (operativen) Veränderungen, die vor allem in Richtung Feminisierung und weiße Haut gingen – und sein Anders-Sein – recht gering. Die Medizin könnte hier sicher mit Hormonen oder anderen Maßnahmen »Abhilfe« schaffen, und diese »Anderen« so in die »Normalität« zurückholen. Außerhalb der normierten Geschlechtsidentität ist jedoch ein offener, neugieriger und interessierter Umgang Abbildung 8 mit dem »Anderen« denkbar, ohne zu moralisieren. Gleichzeitig stellt das Dritte, bei Garber im Sinne des Transvestismus, die Strukturen, die Normierungen und das binäre Denken in Frage. Es »dekonstruiert die Binärstruktur vom Selbst und Anderen, die für sich allein eine bequeme, weil austauschbare und folglich steuerbare Fiktion von Komplementarität war« (Garber 1993: 24). Garber führt dazu weiter aus: »Der Binarismus männlich/weiblich, ein offenkundiger Grund (für heutige Augen jedenfalls) zur Unterscheidung zwischen ›dies‹ und ›das‹, ›er‹ und ›ich‹, wird im Transvestismus selbst in Frage gestellt oder eine transvestische Mode wird immer als ein Zeichen von Überdetermination fungieren – als Mechanismus der Verschiebung von einer unscharfen Grenze zu einer anderen« (Garber 1993: 31).

Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten für Gesellschaft, Kultur, Politik und Lebensstil. Gleichwohl ist die Ablehnung des Abweichenden in der Gesellschaft nicht überall gleich. Wie ich bereits erörtert habe, 54

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

sind es vor allem die konservativen Milieus, die an den traditionellen Geschlechtsrollenklischees festhalten, die liberalen Milieus gehen mit der »Andersartigkeit« offener und toleranter um. Mit einem Rückgriff auf die bereits erörterte Sozialstrukturforschung möchte ich nun auf das emanzipatorische Potential von einzelnen sozialen Milieus bzgl. der Geschlechtsidentität eingehen. Mit der bundesrepublikanischen Sozialstrukturanalyse betrachtet, ergibt sich für die Bundesrepublik Deutschland folgendes Bild: das »postmoderne Milieu« und Teile des »liberal-intellektuellen Milieus« (als Nachfolgemilieus des oberen Bereiches des »hedonistischen Milieus« und des »technisch-liberalen Milieus«)37 erweisen sich als eher emanzipatorisch, das »kleinbürgerliche Milieu« als deutlich antiemanzipatorisch. Folgende Kriterien bzgl. der Geschlechtsidentität zeichnen sich für das emanzipatorische Potential eines Milieus ab: die mögliche persönliche Entfaltung, die Pluralität der gelebten Geschlechtsidentitäten, das Toleranzpotential und die Ablehnung der traditionellen Geschlechtsrollenklischees. Vester betont, dass durch die »Expansion individualisierter Lebensstile« in den sozialen Milieus (Vester 1997: 38), die folglich auch die Erweiterung der Geschlechtsidentität umfasst, »die Potentiale demokratischer Kompetenz und Reform mehrheitsfähig geworden« (ebd.: 42) seien, und dass die »moderne Avantgarde der Bevölkerung auf der Sonnenseite der Modernisierung [...] nicht in ichbezogene Einzelne zerfallen, sondern sozial und politisch besonders motiviert« (ebd.: 30f) sei. Diese Feststellung unterstützt die Möglichkeit der Verwirklichung der politischen Ziele Butlers, da diese nur durch politisch-avantgardistische Bewegungen erreichbar sind. Nancy Fraser kritisiert Butler gerade dafür, dass »der theoretische Rahmen von Butler das Lokale, das Eigenständi37 Durch Ausdifferenzierungen der privilegierten Mitte ergaben sich 1995 Verschiebungen in der Milieustruktur (Sinus 10/1995). Die allerneueste Entwicklung ist die von 2007: Die sozialen Milieus der alten und neuen Bundesländer sind mittlerweile in ein Modell überführt worden. Dabei lässt sich die oben genannte Aufteilung noch einmal neu benennen – ich wollte jedoch die »alten« Bezeichnungen nicht aus dem Text nehmen, da diese bekannter sind als die neuesten. Außerdem wird an der Bezeichnung des »postmodernen Milieus«, das von der Bezeichnung her sehr schön war, weil es die Vervielfältigung der Lebensstile in sich trug, das emanzipatorische Potential deutlich. Diese Bezeichnung gibt es im neuen Modell leider nicht mehr: Die als eher emanzipatorisch zu bezeichnenden Milieus sind 2007 demnach das Milieu der »Modernen Performer«, das der »Postmateriellen« und zum Teil das der »Etablierten«, als konservativ bzw. antiemanzipatorisch ist das Milieu der »Traditionsverwurzelten« zu nennen (www.sinus-sociovision.de). 55

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

ge und das Spezifische« bevorzuge (Fraser 1993: 153). Ich betrachte das angesichts der milieuspezifischen Auffassungen von Geschlechtsidentität indes als Stärke. Butlers Konzept folgt konsequent der Tatsache, dass sich ein Grundkonsens unter Frauen der verschiedenen Milieus, Rassen und Kulturen nicht einstellen kann, und somit der Versuch, ein umfassendes Emanzipationskonzept von oben per Repräsentationspolitik zu initiieren, fehlschlagen muss.

Zur Konstitution der Geschlechtsidentität aus p s yc h o a n a l yt i s c h e r S i c h t Heigl-Evers und Boothe konstatieren, dass in der Psychoanalyse Geschlechtsidentität als kompromisshaftes psychosoziales Ergebnis der konflikthaften Wechselfälle eines unbewussten kindlichen Spannungsfeldes. erscheint (Heigl-Evers; Boothe 1997: S.81). Freud schreibt in einer seiner Anmerkungen in »Das Unbehagen in der Kultur«: »Die Geschlechtlichkeit ist eine biologische Tatsache, die, obwohl von außerordentlicher Bedeutung für das Seelenleben, psychologisch schwer zu erfassen ist. Wir sind gewohnt zu sagen: jeder Mensch zeige sowohl männliche als weibliche Triebregungen, Bedürfnisse, Eigenschaften, aber den Charakter des Männlichen und Weiblichen kann zwar die Anatomie, aber nicht die Psychologie aufzeigen. Für sie verblasst der geschlechtliche Gegensatz zu dem von Aktivität und Passivität, wobei wir allzu unbedenklich die Aktivität mit der Männlichkeit, die Passivität mit der Weiblichkeit zusammenfallen lassen, was sich in der Tierreihe keineswegs ausnahmslos bestätigt« (Freud 1994: 71).

Die feministische Kritik an der Psychoanalyse ist sehr vielfältig: sie reicht von Ablehnung aufgrund des impliziten »Sexismus« bis hin zum »Einlassen auf die Lehre«, um dort »aufzuräumen«. Rohde-Dachser filtert in ihrem Buch »Expedition in den dunklen Kontinent. Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse« folgende Thesen Freuds zur Weiblichkeit heraus: Mädchen und Jungen sind beide am Anfang männlich, gleichbedeutend mit aktiv, mit der Entdeckung des Geschlechtsunterschiedes beginnt für das Mädchen der schwere Weg in die Weiblichkeit; Die Entdeckung der Penislosigkeit bedeutet für das Mädchen eine große Enttäuschung; der Penisneid bleibt ein Leben lang bestehen; die Sublimierungsfähigkeit der Frau ist gering; sie bleibt ein Leben lang vom Mann abhängig; sie hat auch die schwächere sexuelle Konstitution, da die Libido männlich ist; die Klitoris ist ein verkümmerter Penis, der

56

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

Lustort muss von der Klitoris auf die Vagina verschoben werden; die Frau reagiert, während der Mann handelt; Weiblichkeit ist identisch mit erworbener Passivität, die masochistisch genossen wird (Rohde-Dachser 1992: 56f). Rohde-Dachser verweist darauf, dass Margarete Mitscherlich eine der wenigen Psychoanalytikerinnen ist, die das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern thematisiert (ebd.: 11). Rohde-Dachser sieht Freuds Weiblichkeitstheorie denn auch als »Abwehrphantasie«, »deren Negationen indirekt auf das Abgewehrte verweisen«. Verkehrt man diese Negationen in ihr Positiv: »spiegelbildlich« zum Bild der »kastrierten Frau«, dann wird daraus »eine vom Mann unabhängige Frau mit einem eigenen Genitale und einem autonomen sexuellen Begehren« (Rohde-Dachser 1992: 64). Zweifel werden häufig gegen die Vermutung Freuds vorgebracht, dass der Geschlechtsunterschied erst durch »Penisneid« und »Kastrationsangst« (in der phallischen Phase ab dem 3. Lebensjahr) psychische Bedeutung gewinne (Heigl-Evers; Boothe 1997: 35). Modifikationen seien Ansichten wie der Phallus sei Inbegriff der Macht, erlaubter Sexualität, Erlaubnis zur Aggression und Expansion […], und die dagegengehaltene Gegenkonstruktion eines weiblichen Innenraums (ebd.: S.36). Zum Thema »Penisneid« äußert sich auch Reiche im Vorwort zu Freuds »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« wie folgt: »Das jeweils andere Geschlecht hat etwas, das dem eigenen ermangelt, und aus dieser Differenz ergibt sich eine Spannung, die Geschlechterspannung in ihren vielfältigen historischen, kulturellen, ökonomischen und psychischen Konkretionen« (Reiche 1996: 24). Freud selbst beschreibt die Ursache für Kastrationsangst und Penisneid wie folgt: »Es ist dem männlichen Kinde selbstverständlich, ein Genitale wie das seinige bei allen Personen, die es kennt, vorauszusetzen, und unmöglich, den Mangel eines solchen mit seiner Vorstellung dieser anderen zu vereinen. Diese Überzeugung wird vom Knaben energisch festgehalten, gegen die sich bald ergebenden Widersprüche der Beobachtung hartnäckig verteidigt und erst nach schweren inneren Kämpfen (Kastrationskomplex) aufgegeben. Die Ersatzbildungen dieses verlorengegangenen Penis des Weibes spielen in der Gestaltung mannigfacher Perversionen eine große Rolle. Die Annahme des nämlichen (männlichen) Genitals bei allen Menschen ist die erste der merkwürdigen und folgenschweren infantilen Sexualtheorien. Es nützt dem Kinde wenig, wenn die biologische Wissenschaft seinem Vorurteile recht geben und die weibliche Klitoris als einen richtigen Penisersatz anerkennen muss. Das kleine Mädchen verfällt nicht in ähnliche Abweisungen, wenn es das anders gestaltete Genitale des Knaben erblickt. Es ist sofort bereit, es anzuerkennen, und es unterliegt

57

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

dem Penisneide, der in dem für die Folge wichtigen Wunsch, auch ein Bub zu 38 sein, gipfelt« (Freud 1996: 96f).

Heigl-Evers und Boothe erörtern Freuds Modell von Weiblichkeit und Männlichkeit und stellen heraus, dass die Bedeutung dieser für die Individuen »Ergebnis der infantilen Triebkonflikte, der ›Triebschicksale‹« seien (Heigl-Evers; Boothe 1997: 62f). Erdheim wiederum betont die Schwierigkeiten der Psychoanalyse mit einer »Theorie der Weiblichkeit«. Zusammenhang bilde hier ihre Ambiguität gegenüber der Adoleszenz. Das bedeute zum Beispiel, dass Phänomene wie der Beginn der Menstruation nicht behandelt werden, weil diese nicht in die ersten Lebensjahre fallen (Erdheim 1994: 252). Zusammenfassend ließe sich also sagen, dass Freud sich zwar mit weiblicher psychosexueller Entwicklung auseinandersetzt, jedoch deswegen nicht explizit ein Modell von »weiblicher Geschlechtsidentität« aufbaut. Erdheim wiederum beschäftigt sich mehr als mit der infantilen psychosexuellen Entwicklung mit der Adoleszenz und dem Antagonismus zwischen Kultur und Familie als auch herrschaftsstabilisierenden Verschiebungsmechanismen, unter anderem auch auf das Geschlechterverhältnis. Heigl-Evers und Boothe hingegen gehen, auch wiederum mithilfe des psychosexuellen Entwickungsmodells, davon aus, dass Freud eben doch zu einem psychoanalytischen Begriff von Geschlechtsidentität beigetragen habe, gerade weil die Psychoanalyse immer den Weg vom Leiblichen zum Geistigen vollziehe und nicht umgekehrt (vergl. Heigl-Evers; Boothe 1997: S.11). Kristeva sieht Freud auch jenseits der bürgerlichen Verhaltensnormen: »Freud hat in seiner Praxis sogar verschiedene Elemente des höfischen und auch religiösen Codex übernommern und absorbiert. Diese Ritualisierung ermöglicht es, dem psychischen Leben einen Halt zu geben, die Leidenschaft und den Erotismus ruhigzustellen, und in Sprache, in Denken zu überführen« (Kristeva 1999: 146). 38 Hieran erscheint mir einleuchtend, dass der »Penisneid« Ausdruck der wahrgenommenen Bevorzugung von Jungen gegenüber Mädchen innerhalb der bürgerlichen Familie ist. Der Penis bzw. Phallus könnte so also als Metapher für diese Bevorzugung verstanden werden. An ihm macht sich dann der Neid des Mädchens auf den Jungen fest, weil er ihr als das Versprechen auf bessere Chancen erscheint, genauso kann der Junge seine Bevorzugung auf sein Organ projizieren, und dadurch den »Mangel« beim Mädchen als den Grund seiner Benachteiligung werten. Ich halte jedoch die Ansicht für problematisch, einen Neid auf ein Organ, das heißt auf eine biologische Tatsache, anzunehmen. Hinzu kommt, dass Freud seine Schriften in einer gesellschaftlichen sexualfeindlichen Atmosphäre verfasst hat. 58

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

Bürgerliche Geschlechtsrollenklischees Der Bürgerliche Geist besteht aus Tugenden wie Vertragstreue und Wirtschaftlichkeit im Sinne von Fleiß und Sparsamkeit. »Der Bürgergeist ist rational, zweckbedacht, die Rationalisierung der Wirtschaft tritt in der Rechenhaftigkeit aller Vorgänge auf« (Kulischer 1976: 407). Seit dem 17. Jhd. ändert sich die Geschäftsmoral: »Zu den Tugenden des Fleißes und der Sparsamkeit kommt die Tugend der Wohlanständigkeit, der Treue und Ehrlichkeit. Auch sie ist durch Geschäftsrücksichten bedingt. Die Solidität in der Geschäftsführung ebenso wie die Enthaltung von allen Ausschweifungen ist für den Unternehmer vorteilhaft, sie hebt den Kredit« (Kulischer 1976: 409).

Rückhalt gibt dem neuen bürgerlichen Geist die protestantische Ethik, die Berufsidee des Puritanismus. Mit der sich immer weiter durchsetzenden Monopolisierung der Gewalt durch den Staat befrieden sich auch andere Räume, Elias spricht in diesem Zusammenhang von der Selbstbeherrschung und dem Selbstzwang. »Was sich mit der Monopolisierung der Gewalttat in den befriedeten Räumen herstellt, ist ein anderer Typus von Selbstbeherrschung oder Selbstzwang. Es ist eine leidenschaftslosere Selbstbeherrschung. Der Kontroll- und Überwachungsapparatur in der Gesellschaft entspricht die Kontrollapparatur, die sich im Seelenhaushalt des Individuums herausbildet. Diese wie jene sucht nun das ganze Verhalten, alle Leidenschaften gleichermaßen, einer genaueren Regelung zu unterwerfen. Beide – die eine zum guten Teil durch Vermittlung der anderen – üben einen steten, gleichmäßigen Druck zur Dämpfung der Affektäußerungen aus. Sie drängen zur Abschwächung der extremen Schwankungen im Verhalten und den Affektäußerungen. […] Wozu der Einzelne nun gedrängt wird, ist eine Umformung des ganzen Seelenhaushalts im Sinne einer kontinuierlichen, gleichmäßigen Regelung seines Trieblebens und seines Verhaltens nach allen Seiten hin« (Elias 1989b: 327f).

Die Moderne und damit das Bürgertum zeichnen die Ziele der allgemeingültigen Moral, Verhaltens- und Wertorientierung, Freiheit der Entfaltung, Tüchtigkeit und selbstdiszipliniertes Leben, disziplinierter und leistungsbereiter Körper, Körper- und Sinnenfeindlichkeit, weltfremde und schöngeistige Mußekultur und Bildung (Klavierspielen), Nationalismus und Harmonie aus. Die Kritik daran bezieht sich auf die idealisierende Vorstellung vom Bürger, da es niemals gleichberechtigte bzw. gleichgestellte Bürger in der bürgerlichen Gesellschaft gab, darüber hi-

59

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

naus wird dem Bürgertum Doppelmoral39 vorgeworfen. Kristeva betont, dass es erst im 19. Jahrhundert zur Unterdrückung der Frau, kam, und diese in dieser Form in den libertären Adelskreisen nie stattgefunden habe (Kristeva 1999: 145). Für die Romantiker hatten Veränderungen bezüglich des Geschlechterverhältnisses allerdings nur im Geistigen stattzufinden: »Die rechtliche, soziale, ökonomische und politische Ungleichheit zwischen Männern und Frauen spielte keine Rolle, entscheidend war die durch höchste Anstrengung des Geistes erzielbare Verschmelzung der Charaktere in der symbiotischen Paarbeziehung« (Frevert 1986: 60). Erdheim konstatiert, dass die bürgerliche Gesellschaft versuchte, die Aufteilung der Definitionen »männlich gleich kulturell« »weiblich gleich familiär« dadurch »zu zementieren, dass sie das Kinderhaben der Geschlechtsdefinition der Frau zuschlug – eine Frau, die nicht Mutter ist, gilt nicht als vollständige Frau –, die Vaterfunktion jedoch aus der Definition von Männlichkeit aussparte« (Erdheim 1994: 256). Daraus ergibt sich nach Erdheim folgende Problematik: »Die Halbierung der Welt auf die Familie verunmöglicht der Frau einen kulturellen Umgang mit der Aggression; im magischen Familien-Zirkel, in welchem sie eingesperrt ist, muss sie die Aggressionen masochistisch gegen sich wenden. So kommt es ebenfalls zum Schein eines ›typisch‹ weiblichen Cha-

39 Doppelmoral ist letztlich ein moralischer Begriff. In einer Gesellschaft mit rigider Moral ist einerseits das subversive, wenn auch heimliche, Durchbrechen von moralischen Vorschriften eine Überlebensstrategie, die durchaus emanzipatorische Entwicklungen nach sich ziehen kann. Im geläufigen Sinn wird dieser Begriff aber zumeist für das »Messen mit zweierlei Maß« verwendet, und findet so häufig Gebrauch, wenn es um patriarchale oder bürgerliche Strukturen und Moralvorschriften geht. Das geläufigste Beispiel für Doppelmoral in diesem Sinne ist die Verurteilung promisk lebender Frauen als »Flittchen« im Verhältnis zu der Aussage, dass sich ein Mann »die Hörner abstoßen« müsse, also dieselbe Handlungsweise bei verschiedenen Mitgliedern der Gesellschaft unterschiedlich, wenn nicht gar diametral gegeneinander, bewertet wird. Eine Möglichkeit wäre es, den ersten Aspekt als »doppelte Moral«, den kritischen Aspekt unterschiedlicher Bewertung des Selben als »Doppelmoral« bezeichnen, denn die doppelte Moral stellt eine Handlungsweise dar, die Doppelmoral eine Denkstruktur. Mir ist dieser Aspekt wichtig, weil im Zusammenhang mit der bürgerlichen Normierung und Moral auch immer wieder der Begriff der Doppelmoral verwendet wird. Reiss definiert Doppelmoral wie folgt: »Wir bezeichnen einen sexuellen Standard als ›Doppelmoral‹, wenn an das Verhalten des Mannes und das der Frau unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden, das heißt, völlig identisches Verhalten bei Männern und Frauen unterschiedlich bewertet wird« (Reiss 1970: 67). 60

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

rakterzuges. Während der Mann den Antagonismus vermeiden und seine Geschlechtsidentität doch behalten kann, gerät die Frau in ein unlösbares Dilemma: Wendet sie sich von der Familie ab und der Kultur zu, gilt sie nicht als »richtige« Frau, beschränkt sie sich auf die Familie, merkt sie, dass ihr eine Hälfte des Lebens abgeht. Depressivität ist eine häufige Reaktion auf dieses Dilemma« (Erdheim 1994: 257)

Barta erläutert, dass zum ersten Mal Erziehung und Bildung zusammengekoppelt wurden und Kinder durch abstrakte Ge- und Verbote, allen voran Selbstbeherrschung und Triebverzicht lernten (Barta 1987: 91): »Das bürgerliche Kind wurde entsexualisiert, man gestand ihm keinerlei sexuelle Regungen mehr zu. Diese wurden rücksichtslos – bis zur körperlichen Marter – verfolgt, der Triebverzicht war die notwendige Voraussetzung der bürgerlichen Arbeitsleistung, wie es auch Humboldt beschrieben hatte« (Barta 1987: 93). Mosse beschreibt, wie die bürgerliche Moral jedem seinen Platz in der Gesellschaft zuweist: »Männern wie Frauen, den Normalen wie den Abnormen, dem Einheimischen wie dem Fremden; bei jeglicher Verwirrung dieser Kategorien drohten Chaos und Verlust der Kontrolle. Die klar umrissenen und gegeneinander abgesetzten Rollen, die Männern und Frauen zugewiesen waren, müssen als fundamental angesehen werden« (Mosse 1987: 27).

Ilsebill Barta beschreibt die bürgerliche Moral und deren Einfluss auf das weibliche Geschlechtsrollenklischee: »Der neuen bürgerlichen Moral entsprach es, jegliche sexuelle Handlung nur der Ehe vorzubehalten. Die alte Gesellschaft wird hier gerade als erotische kritisiert und verworfen und der tugendhaften neuen gegenübergestellt [...]. Die Veränderungen der Rolle der Frau ist besonders gut sichtbar: von der aktiven, am Liebesspiel gleichberechtigten Beteiligten, in die blasse, passive Frau [...]« (Barta 1987: 88).

Weiter führt sie aus: »Das passiv-abwartende wie tugendhafte Auftreten der Frau wird in vielen Erziehungsschriften gefordert; es ist die Voraussetzung für die freiwillige Unterwerfung der Frau unter die Autorität des Ehemannes. [...] Rebellierte die Frau dagegen, so handelte sie widernatürlich, gegen ihren Naturcharakter, gegen ihre nun als primäre Geschlechtseigenschaften festgeschriebenen Eigenschaften wie sanft, liebend, sorgend, bescheiden, zärtlich, tugendhaft, duldend, triebverzichtend« (1987: 90f).

61

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Der Sexualitätsdiskurs am Beispiel der An d r o g yn i t ä t u n d d e s H e r m a p h r o d i s m u s Mosse schildert am Beispiel des Hermaphrodismus die Starrheit und Unabdingbarkeit der Geschlechterrollen: »Das Schicksal des Bildes vom Hermaphroditen oder androgynen Wesen (teils Mann also und teils Frau) während des 19. Jahrhunderts illustriert am augenfälligsten die große Bedeutung, die den festgelegten und unveränderlichen Geschlechterrollen als Teil des Gefüges der Gesellschaft und der Nation zukam. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts war das androgyne Wesen noch eine anerkannte Vorstellung eines allgemeinen Symbols menschlicher Einheit. Gegen Ende des Jahrhunderts hatte sich das Bild mit seiner Verwirrung der Geschlechterrollen in ein Ungeheuer verwandelt« (Mosse 1987: 27).

Foucault stellt in die Frage, ob wir wirklich ein wahres Geschlecht bräuchten, und führt aus, dass solche Ansprüche lange Zeit nicht existierten. Er verweist darauf, dass es sehr lange gedauert habe, »bis man einklagte, dass ein Hermaphrodit ein einziges, ein wahres Geschlecht haben sollte« (Foucault 1998: 7f). Erst in der Abbildung 9 zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrieb man die Suche nach Identität und Ordnung von Hermaphrodismus und Perversion (ebd.: 12).40

40 Abbildung 9 ist ein Photo von Oliviero Toscani für eine Werbekampagne der Firma Benetton aus dem Jahr 1995. Toscani ist bekannt für seine provokativen Themen wie AIDS, Rassismus etc. – und in diesem Fall Hermaphrodismus – welche er in der Werbekampagne umgesetzt hat. Die Abbildung zeigt einen schlanken nackten Hermaphroditen, der vor weißer Leinwand seitlich zum Betrachter auf halber Spitze steht, die Arme vor der Brust verschränkt. Während die Silhouette und das Gesicht eher weiblich anmuten, kann man gleichzeitig im Profil auf das männliche Geschlecht, den Penis, blicken. Auf der rechten Seite, im unteren Drittel, bündig mit dem Rand, befindet sich das grüne Logo der Firma Benetton. 62

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

»Medizinische Abhandlungen über den Transvestismus, selbst solche, die vom Establishment der Gender Identity Clinics vorgelegt wurden, stehen oft in einem diametralen Gegensatz zu den politischen Diskursen in den Kreisen der Transvestiten und Transsexuellen. Während nämlich Ärzte es für nötig halten, innerhalb der transvestischen Symptome und speziell zwischen Transvestiten und Transsexuellen zu differenzieren, um ein passendes Behandlungsverfahren festzulegen, widersetzen sich Transvestiten und Transsexuelle oft aus politischen Gründen solch diagnostischen Einschätzungen« (Garber 1993:12).

Garber führt dazu weiter aus, dass sie sich lieber als Cross-Dresser bezeichnen lassen, weil es ihren gewählten Lebensstil zum Ausdruck bringe. Mosse setzt sich mit dem Gedanken Foucaults auseinander, dass das 19. Jahrhundert einen offeneren Diskurs über Sexualität hatte. Er bestätigt Foucault in dem Gedanken, dass das was als abnorm galt »dichter zur Oberfläche der Gesellschaft« vordrang, er kann nur dessen Schlussfolgerung nicht folgen, dass es deswegen keine Besessenheit von der Unterdrückung der Sexualität gegeben habe (Mosse 1987: 33). Foucault geht vom Gewinn des Sprechens aus: »Wenn der Sex unterdrückt wird, wenn der dem Verbot, der Nichtexistenz und dem Schweigen ausgeliefert ist, so hat schon die einfache Tatsache, vom Sex und seiner Unterdrückung zu sprechen, etwas von einer entschlossenen Überschreitung. Wer diese Sprache spricht, entzieht sich bis zu einem gewissen Punkt der Macht, er kehrt das Gesetz um und antizipiert ein kleines Stück der künftigen Freiheit« (Foucault 1997a: 15).

Foucault zufolge bedeutet das nicht, dass es keine Unterdrückung gegeben habe, aber es ginge darum, »das Regime von Macht – Wissen – Lust in seinem Funktionieren und in seinen Gründen zu bestimmen, das unserem Diskurs über die menschliche Sexualität unterliegt« (Foucault 1997a: 21), um den Sex entzündete sich eine »diskursive Explosion« (ebd.: 27). Villa fasst das wie folgt zusammen: »Sexualität gilt im Anschluss an Foucault und seiner deutlichen Kritik an der so genannten ›Repressionshypothese‹ der progressiven sozialen Bewegungen (Foucault 1977: 9-23) als Ort und Modus von Herrschaft par excellence: Sex bildet, so Foucault (1977: 173ff) das ›Scharnier‹ zwischen konkreten Körpern einerseits und den politischen Bevölkerungsregulierungen andererseits; Sex stellt die paradigmatische Verknüpfung von Regulierungen, Normierungen, Subjekten und Praxen in der Moderne dar, ist also durchzogen von Macht bzw. selber eine Art Machtdispositiv. In diesem Sinne ist Sexualität ebenso

63

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

subjektive, intime, persönliche Praxis wie sie Strukturprinzip von Gesellschaften und eine Achse sozialer In- bzw. Exklusion ist« (Villa 2007: 177).

Das postmoderne Frauenbild Betrachtet man die bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees, wird deutlich, dass sich kulturelle Emanzipation tatsächlich nur im antibürgerlichen Kontext vollziehen kann. Denn nur dann kann sich eine Frau aktiv, sexuell frei und selbstbestimmt, autonom und gleichberechtigt verhalten. Im Gegenzug bedeutet die Befreiung des Mannes von den bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees einen anderen Umgang mit Emotion und asketischer Disziplin, damit erschließen sich auch für den Mann neue sinnliche Räume. Das Prinzip der »Dekonstruktion der Geschlechtsidentität« stellt dem »modernen« bürgerlichen Konzept die kulturelle und politische Konstruktion der Kategorie Geschlecht entgegen. Da, wie ich im Kapitel Moderne, Avantgarde, Postmoderne erörtert habe, die Postmoderne als Projekt zur Überwindung der Moderne in dem Sinne zu verstehen ist, dass sie die bürgerlichen Kategorien der Aufklärung zu überwinden sucht, ist das postmoderne Frauenbild primär antibürgerlich. Diese Eigenschaft ist aufgrund der Befreiung von Normierungen und Kategorisierungen zugleich pluralistisch. In einer Gesellschaft, in der die tradierten bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees als natürlich gelten, fallen Schwule, Lesben, bärtige Frauen, »Drag Queens« und »Drag Kings« etc. wie oben bereits beschrieben, aus dem Schema. Außerhalb der normierten Geschlechtsidentität eröffnen sich neue Möglichkeiten für Gesellschaft, Kultur, Politik, Ökonomie und Lebensstil. Das postmoderne, und damit antibürgerliche Genderkonzept hat also die kritische Auseinandersetzung und damit Infragestellung des sozialen Geschlechts (gender identity), in Form individueller Arbeit und Auseinandersetzung und durch politischen Aktivismus, zum Ziel. Es umfasst darüber hinaus Gesichtspunkte wie die Freiheit der Lebensstile und der Lebenskonzepte und damit eine Pluralisierung der Lebensentwürfe, die Überwindung der Doppelmoral und die Aufhebung von Rassismus, Ageism, Sexismus etc. Dieses soll durch Performanz erreicht werden. Das postmoderne Frauenbild zeichnet sich nach diesen Definitionen durch seine Antibürgerlichkeit aus und verkörpert damit gleichzeitig die Kritik am bürgerlichen Frauenbild, am bürgerlichen Geschlechtsrollenklischee und an der sozialen Konstruktion von »gender«. Es zeichnet sich durch Politisierung naturalisierter bürgerlicher Geschlechtskatego64

GESCHLECHTSIDENTITÄTEN

rien, bzw. der Geschlechtsidentität im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext aus. Ein ganz wichtiger Aspekt ist es, sich nicht nur auf den Kunstbegriff zu reduzieren, sondern diese Politisierung des Natürlichen auf alle Kategorien anzuwenden. Das postmoderne Frauenbild orientiert sich an der sexuellen Befreiung und der Möglichkeit der Auslebung verschiedener Geschlechtsidentitäten, also auch an einem politisierten Pluralismusbegriff. Offenheit und Freiheit, die Beseitigung regressiver (Sexual-)Moral und rigider Strukturen sind hierbei wichtige Gesichtspunkte. Dadurch können freiere Lebensformen durch die Milieus hindurchsickern.41 Pluralität ist dementsprechend zu begreifen als Befreiung von rigiden Strukturen, diese setzt sich in einigen Milieus durch, diffundiert nach und nach weiter und wird in abgeschwächter Form in konservative Milieus getragen. Das postmoderne Frauenbild ist dabei so offen, dass es keine neuen Normierungen schafft. Das heißt, es muss sich immer wieder im Namen der Freiheit neu erfinden und erschaffen, damit Rigidität und neue hegemoniale Strukturen ausgeschlossen bleiben. Das postmoderne Frauenbild manifestiert sich in Kunst, Kultur, im Arbeitsleben, im weiteren Sinne der ökonomischen und politischen Sphäre, in der Wahl der individuellen Lebensform, und letztlich im Recht. Judith Butler betont jedoch, dass die juristische Möglichkeit der Einforderung von Rechten nicht immer sinnvoll sei, da neue hegemoniale Strukturen aufgebaut werden, Freiheit setzt mehr Bürgerbewusstsein und Subversion, weniger den Schrei nach dem Staat voraus (Butler 1998). Daher ist zu schließen, dass Subversion durch Habitus, Mode, Kunst und Alltagskultur, außerparlamentarische Protestbewegungen etc. der wirksamste Weg ist, sich diese Freiheit zu sichern.

41 Elias hat das in seinem Prozess der Zivilisation deutlich gemacht, wie die Verfeinerung der Sitten von oben nach unten langsam hindurchdiffundieren. 65

EXHIBITIONISMUS

Bei der kultursoziologischen Untersuchung des Exhibitionismus handelt es sich nicht nur um das – gesellschaftlich und kulturell geprägte – Sexualverhalten, um sexualwissenschaftliche und psychologische Erklärungen von Exhibitionismus oder strafrechtliche Erwägungen. Sie erfasst darüber hinaus alltagskulturelle Aspekte wie z.B. Mode und gesellschaftliche und wissenschaftliche Normen bzw. Normierungen. Per Definition ist Exhibitionismus die Neigung zur Zurschaustellung der primären Geschlechtsmerkmale des Mannes – Penis und Hoden – mit dem Ziel, sexuelle Erregung bzw. Befriedigung zu erreichen. Man geht bei Exhibitionismus in der Regel von einer Perversion bzw. einer Devianz aus, die strafrechtlich verfolgt wird. Dass Exhibitionismus ein Strafrechtsbestand ist, sagt viel darüber aus, wie weit die bürgerliche Gesellschaft zur Durchsetzung ihrer Sexualmoral in die Sexualität mittels juristischer Mittel eingreift. Die Normierung menschlicher Sexualität und das Bestreben »natürliches« von »unnatürlichem« oder anders formuliert »normales« von »abnormen« Sexualverhalten abzugrenzen, ist ein Merkmal der bürgerlichen Sexualwissenschaft, Medizin und Psychologie. Schenk konstatiert zur Entstehung des sexuellen Diskurses im späten 19. Jahrhundert: »Nun wurde die Sexualwissenschaft, zum Teil unfreiwillig, zur normierenden Instanz. Auch die neu entstehende Psychoanalyse wirkte in dieselbe Richtung, indem sie ein bestimmtes Modell einer ›gesunden‹ Sexualität von »pathologischen« Varianten absetzt« (Schenk 1995: 181). Sie führt in diesem Zusammenhang weiter aus, dass sich erst in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Sexualwissenschaft und »Zweige der Psychoanalyse und Psychotherapie ausdrücklich auch als Anwälte sexueller Minderheiten« verstanden (ebd.). 67

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Richard von Krafft-Ebing war der erste, der diese Normierung in einer umfassenden Systematik mit seiner »Psychopathia sexualis« einführte. In diesem kategorisiert er sexuelle Abweichungen als Perversionen und schafft dafür die Begrifflichkeiten. Die Tragbarkeit des Begriffs der Perversion, wofür er tatsächlich verwendet werden müsste, und wo man einfach von einer Varianz im sexuellen Verhalten von Menschen sprechen müsste, werde ich weiter später näher beleuchten. Foucault erkennt ebenfalls an, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die »Medizin der Perversionen« und die »Programme der Eugenik« innerhalb der »Technologie des Sexes« die beiden großen Neuerungen waren (Foucault 1997a: 142). Heute wird in der Sexualwissenschaft in der Regel von Devianz, also abweichendem Verhalten, und nicht mehr von Perversion gesprochen. Morgenthaler (1994) macht den Perversionsbegriff daran fest, ob Befriedigung nur durch ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Praktik oder einen bestimmten Gegenstand erreicht werden kann, oder ob es einfach eine zusätzliche Variante im Sexualverhalten ist, die die »normalen« Praktiken ergänzt. Beide Begriffe, Devianz wie Perversion, klassifizieren und normieren, indem sie das »Normale« vom »NichtNormalen« trennen. Viele Untersuchungen haben ergeben, dass sogenannte abweichende Sexualpraktiken durchaus bei vielen Menschen ein Bestandteil ihrer Sexualität sind, auch wenn dieser nicht notwendig ist, um zur Befriedigung zu kommen, aber offensichtlich reizt, und das Liebesleben erweitert. Als krankhaft wird in der Wissenschaft oft eingestuft, was als zwanghafte Handlung durchgeführt wird, während der spielerische Umgang mit verschiedenen Praktiken mittlerweile toleriert wird. Wenn wir uns den Bereich des Exhibitionismus ansehen, wird die Fragwürdigkeit von Kategorien besonders deutlich, wenn man den Bereich Kunst und Kultur und den des Alltags- bzw. Sexualverhaltens parallel betrachtet oder gegeneinander stellt. Bühnenkünstler bezeichnen sich oft selbst als »Rampensau«. Diese Selbstbezichtigung bezieht sich auf die Lust daran, im Rampenlicht zu stehen und sich ansehen zu lassen. Oft wird das einfach mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur in Verbindung gebracht. Das ist nicht falsch, aber es unterschlägt den Lustaspekt, der im Angesehenwerden durchaus eine Rolle spielen kann. Es hat also durchaus etwas mit Exhibitionismus zu tun, es ist die Lust am Sich-Selbst-Ausstellen. Wenn wir uns das Ganze einmal etymologisch ansehen, wird es deutlicher: das englische Wort »Exhibition« bezeichnet begrifflich nichts anderes als Ausstellung, ob es nun eine Gemäldeausstellung oder die des eigenen Körpers oder der eigenen Person im Ganzen bezeichnet. Das Fremdwörterbuch des Dudens als auch das 68

EXHIBITIONISMUS

Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache verdeutlichen, dass die deutsche Definition von »Exhibition« im Gegensatz dazu auf die Zurschaustellung (insbesondere) der Geschlechtsorgane in der Öffentlichkeit beschränkt ist. Ernest Borneman wiederum erörtert, dass es zwei Formen der Entblößung der Genitalien gäbe: die perverse und die kultisch-rituelle (Bornemann 1968a: 301). Damit ist umrissen, wo sich mein Exhibitionismusbegriff vom klassischen Perversions- oder Devianzbegriff unterscheidet, bzw. wie er erweitert wird: Es handelt sich hierbei um eine kulturelle Konstante, deren sexuelle oder lustvolle Konnotation dadurch natürlich nicht verliert, aber um den gesellschaftlichkulturellen Aspekt erweitert wird. Sigusch hält unsere gesamte Gesellschaft für exhibitionistisch, weil in den Medien, besonders im Fernsehen, so viel Haut und Selbstdarstellung gezeigt wird. In gewisser Weise ist das richtig, allerdings macht es die Angelegenheit nicht weniger brisant. Wäre es kein Thema mehr, könnte man ja den ganzen § 183 StGB einfach streichen, das passiert jedoch nicht. Soziologisch ist es durchaus relevant, sich damit auseinander zu setzen, warum nur Männer aufgrund von exhibitionistischen Handlungen strafrechtlich verfolgt werden können, Frauen aber nur wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Warum, lautet hier die Frage, ist männlicher Exhibitionismus bedrohlich(er)? Wird weiblicher Exhibitionismus überhaupt als bedrohlich empfunden? Wie äußert sich weiblicher Exhibitionismus im Vergleich zum männlichen Exhibitionismus? Weiter lässt sich hier die Frage nach dem Körper als Bedeutungslandschaft stellen: Beispielsweise wird in einigen Kulturen dem Kopfhaar eine erotische Bedeutung zugesprochen, daher soll die Frau es im islamischen Kulturkreis verdecken, um diesen erotischen Reiz zu verbergen. Es ist also auch wichtig, sich die Bedeutung von Körperteilen, primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen wie Vagina, Penis, Brüsten, Beinen oder Po etc. für die gängige Körperpolitik und Sexualmoral zu verdeutlichen. Warum ist diese Frage wichtig? Wenn wir uns anschauen, was als exhibitionistisch gilt, muss klar sein, dass die wechselnde Mode, nicht nur heute, sondern auch in früheren Epochen, auch viel mit Verdecken und Zeigen von Körperpartien zu tun hat und hatte, und dass diese immer auch ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse, konservativ oder progressiv, war und ist. Letztlich spielt die gesellschaftliche Akzeptanz einer möglichen Zurschaustellung des weiblichen Körpers durch Mode und Konventionen, beispielsweise bei bestimmten Anlässen, im Verhältnis zu der des männlichen Körpers eine entscheidende Rolle. Wie wird der männliche Körper im Vergleich zum weiblichen Körper 69

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

gesellschaftlich angesehen? Welche Funktionen werden dem weiblichen und männlichen Körper aus bestimmten Bereichen zugewiesen?

Exhibitionismus als Strafrechtsbestand nach StGB § 183 Ausschließlich männlicher Exhibitionismus wird als sexuelle Perversion beschrieben und ist nach § 183 StGB strafbar, während weiblicher Exhibitionismus zwar benannt wird, es ihn darüber hinaus aber gar nicht zu geben scheint. Der Auszug aus dem Strafgesetzbuch macht dieses deutlich: § 183 Exhibitionistische Handlungen (1) Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. (3) Das Gericht kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe auch dann zur Bewährung aussetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird. (4) Absatz 3 gilt auch, wenn ein Mann oder eine Frau wegen einer exhibitionistischen Handlung 1. nach einer anderen Vorschrift, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder 2. nach § 174 Abs. 2 Nr. 1 oder § 176 Abs. 3 Nr. 1 bestraft wird. § 183 a Erregung öffentlichen Ärgernisses Wer öffentlich sexuelle Handlungen vornimmt und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in §183 mit Strafe bedroht ist.

Benz führt dazu aus: »Unter Hinweis auf soziale Bedeutungslosigkeit und fehlendes strafrechtliches Interesse für weibliche Betätigung kann Täter einer exhibitionistischen Handlung nach § 183 Abs. I StGB nur ein Mann sein, wobei das Alter jedoch keine Rolle spielt. Weiblicher Exhibitionismus gewinnt allenfalls – etwas über die

70

EXHIBITIONISMUS

§§ 174 Abs. II, 16 Abs. V StGB – in den Rechtsfolgen an Bedeutung« (Benz 42 1982: 61) .

Zur Erfüllung des Tatbestands wird meist nur das überraschende Vorzeigen des entblößten Penis’ angesehen, masturbatorische Zusatzhandlungen sowie die Erektion werden zumeist nicht vorausgesetzt (Benz 1982: 62). Exhibitionistische Handlungen sind mit Freiheitsstrafe mit einem Höchstmaß von einem Jahr oder Geldstrafe bedroht, Geldstrafe ist der Regelfall (ebd.: 68). Benz kennzeichnet »die relative Passivität im Verhältnis zum Objekt« (ebd.: 97). Abbildung 10 zeigt einen Exhibitionisten. Die nebeneinander stehenden Bilder sollen dokumentieren, wie der Exhibitionist unter seinem Mantel gekleidet ist, um die exhibitionistische Handlung auszuführen. Das Bild stammt aus dem Archiv des Instituts für Sexualwissenschaft, Dr. Magnus Hirschfeld-Stiftung, Berlin. Abgedruckt ist es im Ergänzungswerk zur »Sittengeschichte des Lasters«, welches als Illustrationskommentar für Studienbibliotheken, Wissenschaftler, Mediziner und Abbildung 10 Juristen zu den Textabhandlungen des Hauptbandes diente. Der Exhibitionist verhält sich ruhig und verhalten und wahrt eine gewisse Distanz, beschränkt sein Tun auf die »phallische Darbietung«, wobei häufig onaniert werde (ebd.: 97f). Benz weist darauf hin, dass es bemerkenswert sei, dass »im Gegensatz zu sexuellen Gewaltdelikten kein einziger Fall feststellbar war, in dem der Täter Schusswaffen, Messer oder sonstige gefährliche Gegenstände bei sich führte« (Benz 1982:

42 Dabei handelt es sich um den Strafbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. 71

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

98). Nach der Tat verlässt der Exhibitionist fluchtartig den Ort des Geschehens. Für Benz ist die zurückweisende Haltung der Täter bei Ergreifung von kriminologischem Interesse: diese würden den Vorwurf entrüstet »unter Hinweis auf normale Geschlechtsbeziehungen zu Ehefrau oder Freundin« zurückweisen (ebd.: 98f).43 Die Anzahl der weiblichen Opfer wird von Benz mit 82,2 % angegeben (ebd.: 100). Bezüglich des Opferverhaltens lässt sich nach Benz folgendes zusammenfassen: Bei Kindern unter 10 Jahren überdauert die »naive Neugier« oft das gesamte Geschehen, ablehnende Impulsreaktionen sind hier selten, erst im Alter zwischen 11 – 14 Jahren gibt es regelmäßig ablehnendes Verhalten, jugendliche Mädchen verlassen fluchtartig den Ort des Geschehens, bei erwachsenen Frauen ist die Reaktion durchweg durch Ablehnung gekennzeichnet, viele bemühen sich, sich schnell zu entfernen oder den Täter demonstrativ zu ignorieren, Gegenwehr beschränkt sich in der Regel auf verbale Entrüstung oder die Drohung die Polizei zu verständigen (Benz 1982: 103f). Kentler und Schorsch erörtern die Sexualstrafrechtsreform vom 23.01.1973, nach der exhibitionistische Handlungen mit einer besonderen Vorschrift erfasst werden. Die Tat wird erst auf Antrag verfolgt, bei besonderem öffentlichem Interesse kann aber auch die Strafverfolgungsbehörde einschreiten (Kentler; Schorsch 1987: 105). Es wird im neuen Sexualstrafrecht von »der geringen Schwere der Rechtsgutverletzung« gesprochen, was Kentler und Schorsch dazu bewegt, sich zu wundern, warum exhibitionistische Handlungen überhaupt noch in das Strafrecht aufgenommen wurden (ebd. 106). Die Begründung für die strafrechtliche Regelung liegt 1. in der Tabuierung, was sich auf das Schamgefühl der Allgemeinheit bezieht, 2. in der schwierigen Einschätzbarkeit der Handlung für die »Opfer«, also ob es bei der exhibitionistischen Handlung bleiben wird oder ob sie nur den Anfang einer schwereren Tat markiert, 3. soll damit der Schutz vor Belästigung durch sexuelle Handlungen erwirkt werden, 4. würde die Allgemeinheit kein Verständnis dafür aufbringen, dass diese Belästigung zugemutet werden würde, 5. kann es sich möglicherweise um ein Symptom für schwere Delikte handeln, 6. wird auf ausländisches Recht verwiesen, in dem allein das Schamgefühl einen Strafgrund darstelle und 7. soll ein zusätzlicher Druck zur Motivierung zur Behandlungsbereitschaft hergestellt werden (vergl. Kentler; Schorsch 1987 106f). Beide Autoren empfinden 43 Benz führt zum Intelligenzniveau der »als geistig normal« bezeichneten Täter aus, dass 29,3 % ein unterdurchschnittliches, 64,7 % ein durchschnittliches und 6,0 % ein überdurchschnittliches Intelligenzniveau hätten (Benz 1982: 129). Auf beruflicher Ebene enthält die Statistik ebenfalls keine besonderen Auffälligkeiten (ebd.: 133). 72

EXHIBITIONISMUS

diese Auffassung als »eigenartig gespalten«, weil einerseits Verständnis für die Persönlichkeitsprobleme aufgebracht werde, aber gleichzeitig nicht auf das Strafrecht verzichtet werden könne (ebd.). Schorsch und Kentler verweisen darauf, dass sich in drei, von den Autoren aufgrund der größten Stichprobe ausgewählten, Untersuchungen (Weihrauch, Hoss und Beck) kein einziger Fall von Gewaltanwendung findet. »Kein einziges ›Opfer‹ suchte einen Arzt auf, von Dauerfolgen ist nirgends die Rede. […] Reaktionen, die auf psychische Beeinträchtigungen schließen lassen, wurden in keinem Fall gefunden« (Kentler; Schorsch 1987: 109). Sie resümieren, dass »rationale, wissenschaftlich begründbare Argumente für die Bestrafung des Exhibitionismus, der ein Prototyp einer ›Straftat ohne Opfer‹ im Sinne von Lautmann (36) ist, nicht zu finden sind« (ebd.: 112). Zur Persönlichkeit des Exhibitionisten erklärt Schorsch, dass diese im Vergleich zu allen anderen sexuellen Straftätern am wenigsten auffallend und am seltensten mit psychopathologischen Kategorien zu beschreiben sei (Schorsch 1971: 116). Zur Motivationslage für die exhibitionistische Handlung lassen sich folgende Aspekte aufzeigen: Wirtschaftliche Motive sind bei exhibitionistischen Handlungen ohne praktische Bedeutung, es handelt sich eindeutig um Ich-bezogene Motive wie subjektive Not und egozentrische Motive, wobei nach Benz die subjektive Not wie seelische Labilität und mangelndes Durchsetzungs- oder Kontrollvermögen 2/3 aller Taten ausmacht (Benz 1982: 135). Nach Benz sieht einen Großteil der Taten »im Zusammenhang mit einem normwidrigen Geschlechtsverständnis«, welches »regelmäßig aus Erziehungsfehlern« resultiere (ebd.: 136): »Durch Schüchternheit, Sexualpassivität, sogar vereinzelt als sündhaft zu verbannendes Unrecht bewerten Täter einerseits ihr Geschlechtsverlangen als anormal, andererseits überlagert das Triebverlangen die Selbstkontrolle bei Konfrontation mit stimulierenden Sexualobjekten« (Benz 1982: 136). Ein weitere subjektive Not liegt seiner Ansicht nach auch bei Tätern vor, die einen dominanten Sexualpartner haben, das erklärt seiner Ansicht nach auch den hohen Anteil verheirateter Exhibitionisten (ebd.: 136). Egozentrische Motive sind Geltungsdrang und Begegnung gegenüber den herrschenden Normen durch Sexualbelästigung, diese sind mit 18% jedoch recht selten (ebd.: 137). Besonders junge Täter glauben sich häufig einen Spaß machen zu können. Die Bedeutung pathologischer Motive ist nach Benz mit 10% gering. Seiner Ansicht nach korrespondiert das einerseits mit der Anzahl »geistig defekter« Täter, z.B. auch bei seniler Demenz, andererseits gibt es noch den Zusammenhang mit sexuellen Perversionen: »So handelt etwa der masochistische Exhibitionist, 73

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

weil er allein durch Selbstdemütigung vor Dritten sexuelle Befriedigung erlangen kann, ebenso wie umgekehrt der sadistische Exhibitionist die Demütigung Dritter braucht« (Benz 1982: 139). Die »eigentlichen Durchschnittstäter« (55 – 70%) sind nach Aussage Benz’ einmalig straffällig geworden, ohne dass sie in irgendeiner Art persönlichkeitssymptomatisch auffällig wären. »Es handelt sich typischerweise um Verfehlungen, bei denen die mehr oder minder zufälligen Umstände lediglich zur Selbstvergessenheit verleiten«. Und weiter: »Als typisches Symptom kann man bei der Mehrzahl der Fälle Zusammenhänge mit Alkoholkonsum feststellen, die sexuelle Entgleisung verkörpert also nicht notwendig eine gesellschaftswidrige Grundeinstellung. Letzteres verlangt genaue Prüfung im Einzelfall, da es sich insgesamt immerhin um etwa ¼ aller sexuellen Anstößigkeiten handelt« (Benz 1982: 152f).

Auf der Website www.zeigen-verboten.de/home.htm, eine Website, die Selbsthilfegruppenbeiträge, Gesprächskreise, Foren, Vorträge im Themenkreis Exhibitionismus enthält, wird Exhibitionismus wie folgt definiert: »Vorzeigen der Geschlechtsteile (Penis, Vagina, Brüste, Gesäß) mit dem Ziel, sexuelle Erregung zu erreichen, während ein Zuschauer an diesem Schauspiel Interesse zeigt. Das Besondere dieses Verhaltens liegt darin, daß es sich erstens um einen sexuellen Kontakt auf Distanz handelt, wobei in den meisten Fällen der Passant diese Konfrontation nicht erwartet, und zweitens werden unbekannte Zuschauer (Männer sowie Frauen) bevorzugt. Exhibitionisten können sowohl Männer als auch Frauen sein. Darunter befinden sich auch homosexuelle oder lesbische Exhibitionist/Innen. Gleichgeschlechtliche Neigungen schließen die Lust am Zeigen nicht aus. Exh. Handlungen im Sinne des § 183 StGB (Strafgesetzbuch) gelten als krankhaft und als Sucht (es ist weder das eine noch das andere), weil sie von der Gesellschaft als abnorm empfunden, kriminalisiert und geächtet werden. Zudem werden Statistiken verbreitet, nach denen der E. zu sexuellen Übergriffen neigt, also zu gewalttätigen Sexualstraftaten. Dies mag in Einzelfällen zutreffen, dann aber nicht im direkten Zusammenhang mit dem Verlangen, sich zeigen zu müssen. Hier muss unbedingt differenziert werden. ExhibitionistInnen sind oft durchaus in der Lage, normalen Geschlechtsverkehr auszuüben und befinden sich mitunter im ehelichen Status. Die weitverbreitete Ansicht, Exhibitionisten würden ihre sexuelle Lust aus dem Erschrecken ihrer Betrachter/Innen gewinnen, Angst oder Panik könne die Erregung steigern, ist nicht richtig. Ängste oder Schrecksituationen entstehen oft, weil sich der Exhibitionist aus Angst vor juristischen Folgen verstecken muss und somit seine Zurschaustellung ›aus heiterem Himmel« vornimmt. Viele vermuten bei der Frage nach der Ursache für die Zeigelust eine sehr strenge und lieb74

EXHIBITIONISMUS

lose Erziehung im Kindesalter sowie Schüchternheit und Kontaktarmut. All diese Faktoren sind unzutreffend, wie sich immer wieder in Gesprächen mit Betroffenen zeigt. Exhibitionismus ist nichts anderes als eine sexuelle Präferenz, wie wir sie aus vielen anderen Ausrichtungen her kennen« (www.zeigenverboten.de/home.htm).

Ich habe diese Definition in ihrer ganzen Länge übernommen, um den Argumentationsstrang dieser Selbsthilfeorganisation deutlich zu machen. Heimann – ein Polizeihauptkommissar – sieht die Aussagen anderer Studien über Exhibitionismus, eine Ausweitung auf andere kriminelle Handlungen sei selten, er sei relativ harmlos, die Auswirkungen auf Kinder würden oft überschätzt werden und Exhibitionisten seien monotrophe Sexualstrafttäter, kritisch, da sie wenig konkret seien (Heimann 2001: 90). Gleichzeitig verneint er selbst die Kernfrage, ob sich die Täter »im Laufe der Zeit vom ›harmlosen‹ Exhibitionisten zum ›brutalen« Vergewaltiger« wandelten (ebd. 92). Sein Fazit: »Exhibitionisten sind keine monotropen Täter. Jeder vierte tritt wegen schwererer Delikte sexualisierter Gewalt in Erscheinung. Sie steigern sich in aller Regel nicht im Laufe ihrer kriminellen Karriere. Die Schwere der Fälle reduziert sich. Massivere Übergriffe stehen am Anfang« (ebd.). Interessant ist hierbei die Tatsache, dass er selbst beschreibt, dass sich die Schwere der Delikte abschwächt und nicht steigert. Darüber hinaus wird nicht deutlich, dass die schwereren Delikte im direkten Zusammenhang mit dem Exhibitionismus stehen. Wie weit die Fehleinschätzungen gehen, lässt sich z.B. an Aushängen in der Leibniz Universität Hannover im Contihochhaus ablesen, die 2002 aushingen, und in denen vor einem Exhibitionisten gewarnt wurde, der Frauen in den Toiletten auflauere, und in denen die Studentinnen auf den »Schock« und die »psychischen Schäden« aufmerksam gemacht wurden, die ein solches Zusammentreffen mit einem Exhibitionisten verursachen könne. Dieser Aushang entstand in Zusammenarbeit zwischen dem Fachbereich Literatur und Sprache und dem Frauenbüro der Leibniz Universität Hannover. Was aber ist eigentlich so schockierend am Anblick eines männlichen Geschlechtsorgans, erregiert oder nicht? In jeder Sauna sehen wir das. Der Penis als Waffe? Vermutlich ist diese Angst die vor einem Übergriff in Form einer Vergewaltigung. Wie bereits oben erwähnt, gibt es den Zusammenhang zwischen Exhibitionismus und sexuellem Übergriff sicher in wenigen seltenen Einzelfällen, in der Regel bleibt er eine Zurschaustellung auf Distanz, der Übergriff ist somit nicht ein Aspekt

75

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

des Exhibitionismus, sondern es kommt in einem solchen Fall ein weiterer Gesichtspunkt hinzu: dieser würde dann unter Nötigung etc. fallen. Um dem Phänomen des Exhibitionismus, allgemein wie auch speziell als weibliche Form, näher zu kommen, muss man sich zunächst mit dem Perversionsbegriff im Verhältnis auch zur sexuellen Variante auseinandersetzen, um sich dann den Geschlechtsrollenklischees und letztendlich den kulturellen Ausformungen weiblichen Exhibitionismus’ zu widmen.

Z u m B e g r i f f d e r P e r ve r s i o n b z w . D e v i a n z / Ab w e i c h u n g Wenn man vom strafrechtlichen Aspekt des Exhibitionismus ausgeht, muss man sich erst einmal die Frage stellen, warum bestimmte Verhaltensweisen als abweichend oder pervers angesehen werden, und warum man sie unter Strafe stellen muss. Die entscheidende Frage, die sich beim Themenkomplex sexueller Devianz bzw. Perversion daran anschließt, ist, ob sexuell abweichendes Verhalten generell pervers bzw. krankhaft ist oder ob die Kategorisierung dessen, was natürliches bzw. normales Sexualverhalten sei, diese Unterscheidung erst produziert. Vorweg möchte ich ein Zitat von Freud zur kindlichen Zeigelust anführen: »Indes müssen wir zugestehen, dass auch das kindliche Sexualleben, bei allem Überwiegen der Herrschaft erogener Zonen, Komponenten zeigt, für welche andere Personen als Sexualobjekte von Anfang an in Betracht kommen. Solcher Art sind die in gewisser Unabhängigkeit von erogenen Zonen auftretenden Triebe der Schau- und Zeigelust und der Grausamkeit, die in ihre innigen Beziehungen zum Genitalleben erst später eintreten, aber schon in den Kinderjahren als zunächst von der erogenen Sexualtätigkeit gesonderte, selbständige Strebungen bemerkbar werden. Das kleine Kind ist vor allem schamlos und zeigt in gewissen frühen Jahren ein unzweideutiges Vergnügen an der Entblößung seines Körpers mit besonderer Hervorhebung der Geschlechtsteile« (Freud 1996: 93).

Schmidt und Sigusch stellen fest, dass die soziale Bewertung von exhibitionistischen Akten in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich ist (Schmidt; Sigusch 1967: 3). Pawlik sieht die Tatsache, dass die meisten Sexualforscher Ärzte waren und sind, als problematisch an, weil von dieser Tatsache abzuleiten ist, dass »hier vermutlich auch die Auffassung von der sexuellen Abweichung als einer zu behandelnden Krankheit ihren Ansatzpunkt hat«. 76

EXHIBITIONISMUS

Angesichts der empirischen Datenlagen stellt Pawlik in Frage, »was man überhaupt als sexuelle Abweichung auffassen will. Immerhin sind es nur 6 Prozent, die keine von den im Tabellenteil dokumentierten Spielarten der Sexualität zumindest gelegentlich praktizieren« (Pawlic 1993: 52). Zu den Spielarten, die in den genannten Tabellen aufgeführt sind, gehören u.a. Homosexualität, Oralverkehr, Analverkehr, harter und weicher Sado/Maso, Flagellantismus, Urophilie, Fetischismus, Verkehr während der Menstruation, Koprophilie, Sex zu dritt, Partnertausch, Striptease, »Quickie im Fahrstuhl« etc. (Pawlik 1993).44 Wie ich bereits in einleitend erläutert habe, wird heute in der Sexualwissenschaft in der Regel von Devianz, also abweichendem Verhalten, gesprochen. Das ist allerdings noch nicht allzu lange der Fall. Mit dieser neuen Begrifflichkeit soll eine Vorverurteilung reduziert werden. Indes klassifizieren und normieren allerdings beide Begriffe – Devianz wie Perversion – indem sie das »Normale« vom »Nicht-Normalen« trennen. Schorsch et al würdigen den Aspekt der »passiven Anpassung an Normen« als Gefahr, die jeder Psychotherapie innewohnt (Schorsch et al 1985: 6): »Jede Therapie von Normverletzungen impliziert, ob ausgesprochen oder nicht, immer auch die Intention oder zumindest die Hoffnung, dass am Ende Normen nicht mehr verletzt werden« (ebd.: 6). Schorsch et al unterscheiden zwischen Devianz und Perversion, da sie davon ausgehen, dass nicht jede deviante Handlung eine perverse Symptombildung ist (Schorsch et al 1985: 7). »Dass der perverse Akt momentan mit einem intensiven Erleben von Potenz, Männlichkeit, Mächtigkeit einhergeht, ist ein zentrales Charakteristikum der meisten perversen Rituale. Dies weist darauf hin, dass eine Schwäche der männlichen Identität, eine Verletzbarkeit des männlichen Selbstgefühls, ein fast ubiquitäres Grundthema bei diesen Patienten ist. […] Nur ist die Perversion nicht generell auf eine umschriebene Männlichkeitsproblematik zurückzuführen. Sehr viel häufiger sind es frühere und basalere Störungen, die die

44 Es gibt viel Literatur zum Thema Perversion, hier sei noch auf die Aufsatzsammlung von Hans Giese (1967) verwiesen, die sich aber leider auch wieder auf die psychiatrische Sichtweise beschränkt. Bezüglich Gieses Ansicht, dass dem männlichen Penis nicht die Vulva sondern die Mamma entsprechen würde, merkt Keupp kritisch an: »Dieses »Entsprechen« scheint vielmehr ein ausschließlich kulturspezifisch bedingtes soziales zu sein in dem Sinne, dass eben das Entblößen des Busens für die Frau dieselbe exhibitionistische Funktion erfüllt – auch hinsichtlich der sexuellen Auslöserwirkung wiederum spezifisch für unseren Kulturkreis – wie die genitale Exhibition, ohne aber gleichzeitig wie diese mit einem Tabu belegt zu sein« (Keupp 1971: 212). 77

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

strukturelle Entwicklung vielfältig beeinträchtigen können; eine Schwäche der männlichen Identität ist dann nur ein Aspekt unter vielen anderen« (Schorsch et al 1985: 38f).

Schorsch macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass die Beschäftigung mit sexuellen Perversionen dazu verleite, sich in klinische und therapeutische Detailfragen zu verlieren (Schorsch 1993: 33). Er weist auf den Umstand hin, dass »sexuelle Perversionen in einer Gesellschaft durch die Art und Begrenzung der geltenden Moral als Phänomen und als Problem geschaffen« werden (ebd.: 33). Darüber hinaus erörtert Schorsch die Funktion des Sexualstraftäters, als dass »die Taten des Sexualstraftäters verbotene sexuelle Wünsche in uns wecken, deren Existenz wir uns bewusst nicht eingestehen mögen« (ebd.: 33) und schließt daraus, dass die Perversionen etwas Wichtiges beinhalten, wenn man sich mit der Frage nach einer freieren Sexualität auseinandersetzt. Er stellt dazu folgende Thesen auf: Die Psychopathologie der Sexualität wertet Perversionen als Krankheit, dadurch wird perverses Verhalten aus dem Bereich des Normal-Menschlichen ausgegrenzt und abgewehrt bzw. abgewertet; damit bekommt die Psychopathologie die Aufgabe die Verfehlungen und Versäumnisse der Gesellschaft zu verwalten; darüber hinaus enthüllen die Perversionen die Enge »einer nur genitalen, partnerschaftlichen Heterosexualität«; damit weisen sie auf die Grenzen und Beschränkungen des Erlaubten hin und transzendieren diese45; die Perversionen machen die Utopie sexueller Freiheit und unbeschnittenen Lust sichtbar; Perversionen sind Reaktionen und Rebellionen gegen die Kümmerformen der Sexualität und stellen damit letztlich die Selbstverständlichkeit einer »normalen« Sexualität in Frage, deswegen werden sie als Bedrohung wahrgenommen, und müssen wie auch die Sexualität im Ganzen durch ihre Abqualifizierung als unreifer Ausdruck verharmlost und entschärft werden; der gesellschaftliche Liberalisierungsprozess ist durch repressive Entsubliminierung (Herbert Marcuse) gekennzeichnet, das bedeutet, dass die quantitative Ausweitung die qualitative Intensivie-

45 Schorsch nennt hier bei Exhibitionismus und Voyeurismus, dass diese die Beschränkung der Sexualität durch ihre Intimisierung durch die Schamschranke aufzeigen. Er führt hier mehrere Beispiele an, ich nenne allerdings nur noch eines zusätzlich, weil dieses auf den Aspekt von Schönheitsidealen hinweist: Demnach verweist Gerontophilie, die Vorliebe für das Greisenalter auf die engen Grenzen des Ästhetischen um die Sexualität, »die extreme Einengung auf ein geltendes erotisches Schönheitsideal in Gestalt des jungen schlanken Mädchens. Hier wurzelt ein großer Teil des sexuellen Elends, z.B. die erotische Verarmung des hässlichen und älteren Menschen« (Schorsch 1993: 34). 78

EXHIBITIONISMUS

rung verhindert46; Ziel muss die Bewusstmachung der Sprengkraft und politischen Dynamik sein, die der Sexualität innewohnt und die verleugnet und vergessen wird (Schorsch 1993). Stoller bezeichnet die Perversion als »erotische Form von Hass«, das bedeutet, dass der spezifische und essentielle Kern des perversen Symptoms aus einer Art Wut und Hass besteht: »Die in der Perversion liegende Feindseligkeit nimmt die Gestalt einer Rachephantasie an, die sich in den Handlungen, welche die Perversion ausmachen, verbirgt und dazu dient, ein Kindheitstrauma in den Triumph des Erwachsenen zu verwandeln« (Stoller 26). Darüber hinaus stellt Stoller die Perversion in den Zusammenhang mit der Geschlechtsidentität, dazu führt er aus: »Ich bin aber vor kurzem zu der Auffassung gelangt, dass Perversion aus dem Versuch entsteht, Bedrohungen der eigenen Geschlechtsidentität, das heißt, des Bewusstwerdens von Männlichkeit und Weiblichkeit, zu bewältigen, denn das ist der Fall bei den Patienten, die ich behandle« (Stoller :14). Stoller verteidigt den psychoanalytischen Zugang gegen Untersuchungen, die versuchen, die psychische Motivation durch Evolution, Vererbung und Neurophysiologie zu ersetzen, und die – wie z.B. Ullerstam – als Argument anführen, dass sexuelle Praktiken, die in unserer Kultur als pervers gelten, in anderen Kulturen nicht als pervers angesehen werden. Als Argument führt er an, dass das Verhalten eines Menschen etwas ist, was er über sich selbst aussagt (Stoller 18f). 46 Marcuse führt dazu aus: »Das Lustprinzip absorbiert das Realitätsprinzip; die Sexualität wird in gesellschaftlich aufbauenden Formen befreit (oder vielmehr liberalisiert). Dieser Gedanke schließt ein, dass es repressive Weisen von Entsublimierung gibt, im Vergleich zu denen die sublimierten Triebe und Ziele mehr Abweichung, mehr Freiheit und mehr Weigerung enthalten, die gesellschaftlichen Tabus zu beachten« (Marcuse 1994: 92). Zur repressionsfreien Sublimierung vergl. Herbert Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft, X. Kapitel »Die Verwandlung der Sexualität in den Eros« (Marcuse 1969 : S.195 – 218). Marcuse schreibt zu Freud: »Freud wirft die Frage auf, warum das Tabu auf die Perversionen mit solch außerordentlicher Strenge aufrechterhalten wird. Er kommt zu dem Schluss, dass »niemand vergessen könnte, dass sie nicht nur etwas Abscheuliches, sondern auch etwas Ungeheuerliches, Gefährliches sind, als ob man sie für verführerisch hielte und im Grunde einen geheimen Neid gegen die sie Genießenden niederzukämpfen hätte«. Die Perversionen scheinen ein promesse de bonheur zu bieten, das größer ist als die »normale Sexualität«. Was ist die Quelle ihres Versprechens? Freud betont den ›exklusiven‹ Charakter der Abweichungen von der Norm, ihre Ablehnung des auf die Fortpflanzung gerichteten Sexualaktes. Die Perversionen drücken somit eine Auflehnung gegen die Unterwerfung der Sexualität unter den Befehl der Fortpflanzung aus und gegen die Institutionen, die diesen Befehl garantieren« (Marcuse 1969: 53). 79

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Wie oben schon angedeutet, stellt sich die Frage, inwieweit der Begriff der Perversion tragbar ist, wofür er tatsächlich verwendet werden müsste, und wo man einfach von einer Varianz, die deutlich von Devianz zu unterscheiden ist, im sexuellen Verhalten von Menschen sprechen müsste. Das Bedürfnis, menschliche Sexualität zu normieren und »natürliches« von »unnatürlichem« Sexualverhalten abzugrenzen, ist eine Eigenheit der bürgerlichen Sexualwissenschaft, Medizin und Psychologie. Bei extremen Einzelfällen, wie Kannibalismus oder Nekrophilie, ist es sicher interessant, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es sich hierbei noch um Varianten handeln kann oder nur noch in andere Kategorien eingeordnet werden kann, bei weiter verbreiteten Varianten, von denen keine Gefährdung anderer Personen ausgeht, ist diese Herangehensweise zu hinterfragen. Die Klassifizierung begann – wie bereits in der Diskussion um die Geschlechtsidentität und der Einführung in die Thematik des Exhibitionismus’ ausgeführt – mit der »Psychopathia sexualis« Richard von Krafft-Ebings, der mit seiner medizinisch-gerichtlichen Studie das erste Standardwerk zum abweichenden Sexualverhalten schuf. Von Bredow verweist in diesem Zusammenhang auf den Machtaspekt innerhalb der Medizin: »Mit der Psychopathologisierung erst der abweichenden und – seit Freud – aller sexuellen Ausdrucksformen, treten Religion und Philosophie als Orte der vorsichtigen Bearbeitung des Sex in den Hintergrund. Richard von KrafftEbings Psychopathia sexualis – eine medizinisch-gerichtliche Studie für Ärzte und Juristen (1886) markiert die Machtübernahme der Medizin im Reich der Perversionen« (von Bredow 1990: 191).

Von Bredow würdigt diese Tatsache kritisch: »Mit der Klassifizierung kann im Chaos der Homosexuellen, Sadisten, Masochisten, Frotteure, Fetischisten, Nekrophilen, Sodomisten usw. Ordnung geschaffen werden. Auf die Differenz kommt es an – und in der Differenz beweist und verliert sich der ärztliche Blick. [...] Die Sicherung der Gesellschaft gegen die Abartigen ist auf das Aussieben der Auffälligen beschränkt« (von Bredow 1990: 195f).

Bräutigam erörtert, dass in der Sexualwissenschaft die Begriffe der »sexuellen Devianz« bzw. »sexuellen Abweichung« geprägt wurden, weil die Grenzen zwischen »normaler« und »abweichender« Sexualität schwer zu ziehen seien (Bräutigam 1989: 137). Da es sich bei vielen Abweichungen um strafrechtlich relevante Verhaltensweisen handelt, erörtert er, dass mit dem Begriff der Devianz auch der Anspruch auf Be80

EXHIBITIONISMUS

handlung im Verhältnis zur Option der Bestrafung eine wichtige Rolle bekommt: »Der verwendete Begriff muss auch im Zusammenhang mit der forensischen Perspektive gesehen werden. Die Beschreibung sexueller Devianz oder Perversion impliziert ja auch einen Anspruch auf Behandlung und gegebenenfalls die relative Entlastung vor eigener Verantwortung im Sinne einer absoluten oder relativen Schuldunfähigkeit vor Gericht« (Bräutigam 1989: 138).

Die Definition, die Bräutigam letztendlich hier vorschlägt, lautet: »Wenn wir im Folgenden von Perversion sprechen, so meinen wir damit eine Symptombildung, deren innere Dynamik sich aus der individuellen Biographie verstehen lässt. Sie ist also primär das Ergebnis einer inneren Konfliktlage, nicht das einer äußeren Zuschreibung. Ein so gefasster Perversionsbegriff bezieht sich auf Motive und Handlungen, nicht auf Personen. So wird nicht nur Perverses verstehbar, sondern auch das jeweils ›Normale‹ der Analyse zugänglich [...]« (Bräutigam 1989: 139)

Walter resümiert, dass sexuelle Perversionen verschiedene Funktionen haben, die nicht nur aus der psychosexuellen Entwicklung her zu begreifen sind. »Sie dienen der Bewältigung archaischer Trennungs- und Verschmelzungsängste (Bak, Greenacre, Socarides, Stoller), der Festigung eines fragilen Körperbildes (Greenacre, Socarides), dem Schutz vor Verlust der Ich-Grenzen, ja dem ›Überleben des Ichs‹ (Socarides, Morgenthaler), der Umwandlung von Kindheitstraumen in Triumph und Orgasmus des Erwachsenen in einer bewussten oder unbewussten Rachephantasie (Stoller), der Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls, von Objektbeziehungen und sozialer Integration (Morgenthaler) sowie dem defensiven Überdecken von strukturellen Mängeln im ›Selbst‹ (Kohut)« (Walter 1985: 161).

Interessant ist Morgenthalers Ansatz, der den Perversionsbegriff daran festmacht, ob sexuelle Befriedigung nur durch ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Praktik oder einen bestimmten Gegenstand erreicht werden kann, oder ob es einfach eine zusätzliche Variante im Sexualverhalten ist, die die »normalen« Praktiken ergänzt. Janine ChasseguetSmirgel, die in der psychoanalytischen Tradition, und damit über den männlichen Perversen schreibt, definiert ihre Haltung wie folgt: »Ich betrachte Perversionen nicht ausschließlich als Abweichungen von der natürlichen Sexualität, die nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Menschen 81

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

betreffen, obwohl ihre Rolle und Bedeutung im soziokulturellen Bereich nicht überschätzt werden können. Ich betrachte Perversionen in einem weiteren Sinne als Dimension der menschlichen Psyche im Allgemeinen, als Versuchung des Geistes, die jedem von uns widerfährt« (Chasseguet-Smirgel 1986: 7).

Weiter führt sie aus, dass in jedem von uns latent ein perverser Kern stecke (ebd.). Vor allem in und vor Zeiten sozialer und politischer Umwälzungen träten Perversionen bzw. perverses Verhalten besonders auf (Chasseguet-Smirgel 1986: 7f). Beispiele hierfür bieten die französische Revolution und die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. ChasseguetSmirgel stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob historische Umstürze in Beziehung gebracht werden können »mit der Unordnung zwischen den Geschlechtern und Generationen, die der Perversion eigen ist, so dass die Hoffnung auf eine neue soziale und politische Wirklichkeit Hand in Hand ginge mit dem Versuch, die sexuelle Wirklichkeit und Wahrheit zu zerstören« (Chasseguet-Smirgel 1986: 8). Weiter zieht sie die Möglichkeit in Betracht, dass es »zu den Wurzeln des universellen Inzesttabus gehören (könnte), dass das NichtDürfen das kindliche Nicht-Können« – des, wie ich einschränkend ergänze, männlichen Kindes – »ersetzt« (Chasseguet-Smirgel 1986: 8f). Chasseguet-Smirgel verbindet mit ihrer Arbeit die Absicht, Perversionen in einen allgemeineren Kontext zu stellen als üblich, nämlich »als Versuch des Menschen, seiner Natur zu entkommen« (Chasseguet-Smirgel 1986: 23). Das psychoanalytische Konstrukt nimmt die Perversion letztendlich als Leiden, mit Schuldgefühlen behaftete Sexualität und den prägenitalen Trieben verhaftete, und damit als nicht vollzogene, ich nenne es hier »Reifung« in die erwachsene entwickelte, und damit eben gereifte, Sexualität, an. Louise J. Kaplan bricht immerhin schon mit der Vorstellung, dass die meisten Perversionen männliche seien, indem sie nach anderen bei Frauen sucht, hierbei handelt es sich allerdings um Phänomene wie Kleptomanie, Selbstverstümmelung etc. und nicht um »klassische« Symptome, die aus der sexualwissenschaftlichen Literatur bekannt sind. Sophinette Becker (2003) kritisiert Louise J. Kaplans »Weibliche Perversionen« aufgrund der fehlenden Fälle weiblicher Perversionen und der Verhaftung an der männlichen Perversion und hebt bezüglich des Buches »Perversionen der Frau« von Welldon (2003) hervor, dass es die »Bedeutung der subjektiven Erfahrungen des Körpers für die psychische Entwicklung der Frau« sei, auf der das Konzept weiblicher Perversion

82

EXHIBITIONISMUS

basiere (Becker 2003: V).47 Sigusch wiederum argumentiert, dass wenn Kaplan Perversionen als »Pathologien der Herausbildung von Geschlechtsstereotypen« auffasse, die »klassische, bisherige Liebe und Normalität, auf die die konservative Psychoanalyse nach wie vor schwört, […] die eigentliche Perversion der Frau« sei (Sigusch 2005: 130f). »Wenn die bürgerliche Familie verschwinden würde, könnten die Ungeheuerlichkeiten geschlechtlicher Ambiguität, die von den starren Geschlechtsstereotypen so gut in Schach gehalten worden waren, in die Sozialordnung eindringen und damit alles, was heilig gewesen war, entweihen und alles umstürzen, was für die Aufrechterhaltung der Strukturen einer zivilisierten Gesellschaft wesentlich war. Wenn das abweichende sexuelle Verhalten, von dem die Zivilisation bedroht wurde, jedoch in Kategorien eingeordnet werden könnte, könnten die bürgerliche Familie und die Sozialordnung, die sie repräsentierte, gerettet werden. Die besessene Forschung der Perversion und die wachsende Bedeutung der sexologischen Forschung im zwanzigsten Jahrhundert stellten eine Reaktion auf den Verfall der bürgerlichen Familie im neunzehnten Jahrhundert dar. Die letzten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts liefern ausreichend Beweise dafür, dass die Beschäftigung mit sexueller Normalität und Geschlechtskonformität zu einer Brutstätte für Perversionen wurde, doch mittlerweile gab es bessere Lügen, um das zu verbergen« (Kaplan 1991: 14).

Freud definiert Perversion in den »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« wie folgt: »Die Perversionen sind entweder a) anatomische Überschreitungen der für die geschlechtliche Vereinigung bestimmten Körpergebiete oder b) Verweilungen bei den intermediären Relationen zum Sexualobjekt, die normalerweise auf dem Wege zum endgültigen Sexualziel rasch durchschritten werden sollen« (Freud 1996: 53). Weiter

47 Interessant ist diesem Zusammenhang auch das Buch »Das Weib als Sexualverbrecherin« von Wulffen, er schreibt: »Die Auffassung des Weibes als einer Sexualverbrecherin, wie sie dem vorliegenden Buche zugrunde liegt, ist dieselbe im weiteren Sinne, wie ich im fünften Kapitel vom ›Sexualverbrecher‹ (Ziff. 8 und 9) diesen als Typus und das Weib als geborene Sexualverbrecherin im Sinne dieses Typus in der Literatur unwidersprochen gekennzeichnet habe, weil bei dem Weibe die meisten kriminellen Auswirkungen aus nahe liegenden psycho-physiologischen Gründen in irgendeinem näheren oder entfernteren Zusammenhange mit seinem Geschlechtsleben stehen. Also auch die Diebin und Betrügerin, die Erpresserin und Brandstifterin, die Raubmörderin und Verwandtenmörderin kann in solchem Sinne eine Sexualverbrecherin sein. Diese Unterstellung ist so einleuchtend und leichtverständlich, dass ihre Terminologie Gemeingut zu werden verspricht« (Wulffen 1923: 4). 83

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

führt Freud aus, dass bei keinem »Gesunden« irgendetwas als pervers zu Bezeichnendes zum »normalen Sexualziel« fehlen dürfte, und dass das allein genüge, »um die Unzweckmäßigkeit einer vorwurfsvollen Verwendung des Namens Perversion darzutun« (Freud 1996: 63). Freud resümiert, dass es sich beim Symptombild der Neurose um das Negativ dessen der Perversion handelt. In »Das Unbehagen in der Kultur« führt er aus, dass Symptome von Neurosen wesentlich Ersatzbefriedigung für unerfüllte sexuelle Wünsche seien (Freud 1994: 101). Letztendlich bestimmt das Denken Freuds in Bezug auf die Perversionen, »dass die Anlage zu den Perversionen die ursprüngliche allgemeine Anlage des menschlichen Geschlechtstriebes sei, aus welcher das normale Sexualverhalten infolge organischer Veränderungen und psychischer Hemmung im Laufe der Reifung entwickelt werde. [...] unter den die Richtung des Sexualtriebes einschränkenden Mächten hoben wir Scham, Ekel, Mitleid und die sozialen Konstruktionen der Moral und Autorität hervor« (Freud 1996: 130).

In jeder fixierten Abirrung vom »normalen« Sexualleben sei ein Maß an Entwicklungshemmung und Infantilismus zu entdecken (ebd.). In der Einleitung zu den »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« von Freud schreibt Reimut Reiche: »Wenn Neurose und Perversion der unterschiedliche Ausdruck einer gemeinsamen Psychodynamik sind, dann haben sie auch eine gemeinsame Wurzel – die infantile Sexualität« (Reiche 1996: 11). Den »dritten Ausgang« neben Neurose und Perversion sieht Freud im Prozess der Sublimierung (Freud 1996: 137). Von Bredow/Noetzel wiederum argumentieren, dass auch Freud die Perversion als »eine Art Degeneration« sah, allerdings in sozial-psychologischer, und nicht in physischer Hinsicht (von Bredow 1990: 197). Reiche erkennt ebenfalls, dass auch die Psychoanalyse »den Fallstricken der Normalität nie ganz entkommen« (Reiche 1996: 12) kann. Zum psychoanalytischen Blick auf die Perversion schreibt er: »Viele Psychoanalytiker, die sich intensiv mit den Perversionen beschäftigt haben, weisen auf den adaptiven und sogar kreativen Charakter der perversen Bildungen hin und betonen deren Plombenfunktion: Etwas, was sonst psychisch zerfallen würde, wird durch sie zusammengehalten. Phyllis Greenacre sprach in diesem Sinn vom ›security prop‹, Sicherheitspfropf, Masud Khan vom ›montierten inneren Objekt‹ und Fritz Morgenthaler von der ›perversen Plombe, die die narzisstische Lücke im Selbst füllt‹. Auch wenn wir klar erkennen müssen, dass alle schweren Perversionen am Rande von Zerstörung und Selbstzerstörung operieren, dürfen wir doch nicht gleichzeitig aus dem

84

EXHIBITIONISMUS

Auge verlieren, dass sie in erster Linie Versuche sind, innere Destruktivität zu binden« (Reiche 1996: 26f).

Reiche selbst nennt fünf Kriterien, an denen sich Perversion festmachen lässt: Das des obligaten Fetischs, das der perversen Szene, das des Orgasmus, das der süchtigen Unaufschiebbarkeit und das der Puppe-in-derPuppe. Zu letzterem führt er aus, das Perversionen aufgebaut seien, wie russische Puppen: »In jeder manifesten Perversion ist eine weitere, abgewehrte Perversion enthalten. Die Räume zwischen den glänzend lackierten Puppen bestehen aus unerträglicher Leere und schwarzem Grauen« (Reiche 2005: 145) Masud Khan beschreibt die Situation »des Perversen« wie folgt: »Der Perverse selbst kann sich dem Erleben nicht hingeben; er hält seine abgespaltene, dissoziierte manipulative Ich-Kontrolle der Situation aufrecht. Das ist seine Leistung und zugleich sein Versagen in der intimen Situation. Gerade dieses Versagen zwingt ihn zur ständigen Wiederholung dieses Prozesses (…) Die subjektive Erfahrung, die der Perverse aus der Technik der Intimität und deren Erfolgen bezieht, kann man als das Gefühl der Überschätzung des Selbst und des Objekts, als Unersättlichkeit, einsames Spiel und Neid bezeichnen« (Khan 1983: 26).

Au s w e g e a u s d e r N o r m i e r u n g s f a l l e Interessanterweise sind es zwei Praktiker, ein Psychiater aus Schweden, Lars Ullerstam (1965), und ein Psychoanalytiker aus den USA, Reinhard Quinsel, die in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts sehr liberal mit sexuellen Abweichungen umgehen. Lars Ullerstam unternimmt den Versuch der Verteidigung der sexuellen Minderheiten und wendet sich gegen Ansichten wie die, dass Personen mit sexuellen Abweichungen mindere menschliche Qualitäten als andere besitzen, dass sexuelle Abweichungen psychopathologische Erscheinungen sind – er zweifelt vor allem eine wissenschaftliche Einstellung der Psychiatrie dazu an – , dass sexuell Abweichenden nicht zu geschlechtlichem Genuss verholfen werden soll. »Dass wir uns weigern, den Abweichenden zur Befriedigung ihres Geschlechtstriebs zu verhelfen, beruht auf unseren gesellschaftlichen Konventionen und nicht auf unserer Sorge um ihr Bestes« (Ullerstam 1965: 15f). Um seine Verteidigungsstrategie auszuarbeiten, gibt er weiter vier Argumente sexualwissenschaftlicher Arbeiten an, die für Perversionen als Krankheitserscheinungen sprechen sollen: danach ist es krankhaft, in

85

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

einer Weise zu handeln oder Wünsche zu hegen, die mit den sozialen Konventionen der Umwelt unvereinbar sind. Weiter müssen die »Perversen« a priori krank sein, denn sie verhalten sich abnorm. Darüber hinaus schafft man – wie die Psychoanalytiker es auch tun – ein System von Dogmen und Grundsätzen, aus denen logisch zu folgern ist, dass die Perversen krank sind, mehr neurotische Symptome aufweisen oder an somatischen Krankheiten leiden. Des Weiteren wird versucht diese Annahmen bzw. Argumente mit empirischen Methoden zu untermauern (Ullerstam 1965: 47). Ullerstam orientiert sich an den Untersuchungen Kinseys und teilt dessen Einschätzung, »dass ›Perversitäten‹ normalbiologische Phänomene sind« (Ullerstam: 49). Er argumentiert gegen die gängigen Ansichten, die Intelligenz des Menschen prädestiniere ihn für »Perversitäten«: »Die Moralisten, die den Geschlechtstrieb auf bestimmte Anregungsmittel fixieren wollen, streben in Wahrheit danach, uns in sexueller Hinsicht primitiver und tierischer zu machen. Es ist zugegebenermaßen möglich, dass die angewöhnten und angelernten Verhaltensweisen, die hinter den ›Perversitäten‹ stehen, bei Personen mit emotionellen Schäden (oder einer bestimmten Konstitution) leichter zustande kommen, aber darüber wissen wir nichts. Streng genommen wissen wir beinahe nichts über die geschlechtlichen Verirrungen. ›Qualifizierte‹ Kenntnisse sind bislang immer an Hypothesen geknüpft gewesen« (Ullerstam 50).

Weiblichen Exhibitionismus hält Ullerstam für ein allgemeines Phänomen, was sich von dem ausgeprägten Trieb zum Exhihitionieren unterscheidet: »Ein prononcierter Trieb, sich zu exponieren, liegt sicher nur bei einer Minderheit vor. Entgegen häufigen Behauptungen ist die Lust, sich zu entblößen, bei allen Frauen recht allgemein« (Ullerstam 1965: 61). Ullerstam bezieht sich hierbei auch auf W.S. Schlegel und fasst dessen Ansichten wie folgt zusammen: »Zu den Sexualinstinkten gehört der Exhibitionsinstinkt, d. h. der Trieb, seine körperlichen Reize einem oder auch zahlreichen erhofften oder möglichen Geschlechtspartnern zur Schau zu stellen. Dieser natürliche Trieb ist konstitutionsgebunden, jedoch nicht geschlechtsgebunden. Er ist zwar bei fast allen Frauen, aber auch bei einer geringeren Zahl von Männern vorhanden. Wie jeder Instinkt, verleiht auch der Exhibitionsinstinkt bei seiner Betätigung eine gewisse, vom eigentlichen Sexualakt unabhängige Instinktbefriedigung. Das Exhibieren der Frau gegenüber Männern und das Exhibieren des homosexuellen Mannes gegenüber gleichartig empfindenden Männern sind sinnvolle Handlungen, die vielfach zu einem Sexualakt hinleiten. Das Exhibieren des Mannes gegenüber Frauen und Kindern hat diese Wirkung in der Regel nicht. 86

EXHIBITIONISMUS

Es wird von den betroffenen Exhibitionisten meist als sinnlos empfunden. Nach den neuesten Auffassungen der menschlichen Verhaltensforschung handelt es sich bei diesem Exhibitionismus des Mannes um eine instinktmechani48 sche Übersprungshandlung« (Ullerstam 1965: 61) .

Ullerstam weist zum einen darauf hin, dass der weibliche Entblößungstrieb auf legitimem Weg durch Theater und Varieté befriedigt werden könne, und zum anderen darauf, dass er nicht den »gleichen, streng genitalen Charakter« habe wie beim Mann (Ullerstam 1965: 62). Er erläutert, dass das Zeigen des eigenen Geschlechtsorgans bei Affen genauso wie bei Kindern zu verzeichnen ist, und untermauert – auch mit dem Hinweis auf andere Kulturen – damit seine Ansicht, dass es sich beim Exhibitionismus um eine »normalbiologische Variante« (Hervorhebungen U.W.) handelt. 49 Er wirft den Psychiatern vor, dass sie die bereits bestehende Abwertung nur bestätigen (Ullerstam 1965: 62). »Wenn man sich die von den sexualwissenschaftlichen Verfassern vorgelegte Kasuistik unter die Lupe nimmt und sich dabei strikt an die Tatsachenfeststellung hält (und Wertungen sowie abwertende Diagnosen beiseite lässt), bekommt man den Eindruck, dass es sich überwiegend um völlig gesunde Menschen handelt« (Ullerstam 1965: 63f).

Ullerstam schließt bei seiner Argumentation dennoch nicht aus, dass es sich beim Exhibitionismus auch um eine Zwangshandlung handeln kann, »wie der Zwang, auf die Fugen zwischen Bürgersteigplatten zu treten« (Ullerstam 1965: 68). Verdienst seiner Analyse ist das »dekonstruktivistische Moment« seiner Argumentation, in gewisser Weise denkt er postmodernistisch, indem er die Kategorien hinterfragt und somit dekonstruiert. Theoretisch hat er nicht viel entgegenzusetzen, eine Neukonstruktion des Verständnisses der menschlichen Sexualität, der Kulturleistung derselben und der immanenten Abweichungen steht hier aus. Er gibt sich allerdings als Anwalt dieser Menschen, indem er das Verderbliche und Bestialische, was ihnen durch Moral, Justiz und Wissenschaft angedichtet wird, negiert, ohne zu leugnen, dass es kriminelle und krankhafte Fälle gibt, jedoch das kausale Zusammengehen von Krankheit, Kriminalität und Perversion zurückweist. In diesem Zusammenhang gibt es sicher viele ne48 Bei diesen Ausführungen sind jedoch die verschiedenen Bedeutungsebenen der Begrifflichkeiten »Trieb« und »Instinkt« nicht außer Acht zu lassen. Ullerstam verweist auf einen Artikel von W.S. Schlegel: Der Exhibitionismus des Mannes – eine instinktmechanische Übersprungshandlung, Nervenarzt 34, 1963, S. 365–368. 49 Das ist die Argumentationsweise, gegen die Stoller opponiert. 87

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

gative Beispiele aus Psychiatrie und Justiz. Ich habe hier ein Beispiel herangezogen, das Volkmar Sigusch in seinem Band »Anti-Moralia. Sexualpolitische Kommentare« mit »Gesinnungsjustiz« (Sigusch 1990: S.10) in einem Fall von Pädophilie bezeichnet: »Sein Verbrechen? Er liebte minderjährige Jungen und wurde von ihnen geliebt, aktenmäßig zuletzt 1973. Aber noch grauenhafter: Er bekannte sich dazu. Das hat offensichtlich die gemeinsten, zuunterst liegenden Regungen der Juristen in Wallung versetzt. Sie haben ihre Richtschnur ›Straftat‹ zerschnitten und nur noch das Bekenntnis, die Gesinnung abgeurteilt, sozusagen die Pädophilie an sich« (Sigusch 1990: 9f).

Morgenthaler wiederum definiert Perversionen als Funktion: »Das perverse Syndrom ist [...]ein fester Bestandteil der Gesamtperson. Die Plombenfunktion der Perversion ist dauerhaft und fest gefügt« (Morgenthaler 1994: 30). Im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern hat Morgenthaler nicht das Ziel, den Perversen von seiner Perversion zu »heilen«: »Der Heilungsprozess besteht nicht darin, dass da irgend etwas verschwindet. Er besteht vielmehr darin, dass jetzt eine echte Liebesbeziehung konfliktfrei und lustvoll im Gewande der perversen Struktur entsteht« (ebd. 44). Morgenthaler führt aus, dass es beeindruckend sei zu erleben, »wie die Perversion zum Liebesspiel« gesunde (ebd.). So wie Judith Butler in »Das Unbehagen der Geschlechter« von der Zwangsheterosexualität spricht, spricht Morgenthaler von der Unterdrückung des polymorph-perversen Charakters des menschlichen Sexuallebens: »Perversionen sind sexuelle Erlebniswelten, die besonders befremdend und uneinfühlbar erscheinen, [...] weil die psychische Entwicklung vom Kleinkind zum Erwachsenen in den kulturellen und sozialen Bereichen bestimmter Gesellschaften den polymorph-perversen Charakter des menschlichen Sexuallebens unterdrückt und Heterosexualität ein ideologisches Monopol der Gesellschaftsmoral darstellt. Das meiste, was über Perversionen gesagt wird, ist verlogen. Was man pervers nennt, ist ein Mythos. [...] Jede Gesellschaft produziert Perversionen und die Perversen, die sie braucht« (Morgenthaler 1994: 170).

Interessanterweise betrachtet der Psychoanalytiker Morgenthaler die Perversion von einer ganz anderen Warte als der des Leidens und der des Schuldgefühls, nämlich der der Sinnlichkeit: »Perverses Erleben stellt eine quantitative Überhöhung und sexuelle Färbung der Grandiosität dar. Der Perverse hat einen viel direkteren Zugang zur Sinn88

EXHIBITIONISMUS

lichkeit. Das führt allerdings zu einem qualitativ veränderten, der Realität nicht mehr angepassten Verkehr mit der Sinnlichkeit. Kinder haben im Allgemeinen einen viel direkteren Zugang zum Perversen als Erwachsene« (ebd. 171).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der größte Teil der sexualwissenschaftlichen Schriften und Theorien neben der Kategorisierung auch die Tendenz zur Klassifizierung und damit Normierung enthält. Auch die Psychoanalyse kann sich hiervon nicht freimachen. Quinsel schreibt: »Wahrscheinlich ist der Exhibitionismus in seinen schwächeren und weniger ausgeprägten Formen die verbreitetste Form der einfachen Abartigkeit im Geschlechtsleben des Erwachsenen« (Quinsel 1971: 14). Mit dieser Formulierung entdramatisiert er den Perversionsbegriff. Durch Begrifflichkeiten wie des »Abnormen« innerhalb der sexuellen Vorlieben bewegt er sich begrifflich weiterhin auf bürgerlichem Terrain, insofern, als er sich von der Kategorie des »Normalen« nicht löst.

Weiblicher Exhibitionismus Generell wurde und wird Exhibitionismus als männliche Perversion angesehen: »Einige jüngere Untersuchungen der Psychopathie scheinen den Eindruck zu verfestigen, dass Freud die Geneigtheit der Frau unterschätzte, ihre Sexualität in exhibitionistischen Handlungen zu projizieren (Quinsel 1971: 15). Quinsel macht deutlich, dass der Exhibitionismus von Frauen in der Fachliteratur oft nicht als »echter« Exhibitionismus angesehen wird (Quinsel 1971: 98). Während der männliche Exhibitionismus Gegenstand vieler strafrechtlicher, medizinischer wie psychoanalytischer Untersuchungen ist, spielt weiblicher Exhibitionismus hier keine bzw. eine untergeordnete Rolle. Es hat gar den Anschein, dass die Tatsache, dass Frauen exhibitionistisch veranlagt sind, so selbstverständlich ist, oder wie oben deutlich wurde, nicht als »echter«, d.h. als pathologischer Exhibitionismus gewertet wird, dass es keiner näheren Erörterung bedarf, außer es beiläufig in eine Aussage mit einfließen zu lassen. Daraus schließe ich, wie auch aus den bereits genannten Quellen und Zitaten, dass weiblicher Exhibitionismus kulturell im Gegensatz zum männlichen Exhibitionismus von der hegemonialen Kultur unterstützt wird. Osborn betont ferner die gesellschaftliche Akzeptanz des weiblichen Exhibitionismus’, vor allem durch Magazin-Photos, Striptease-Vorführungen etc. Osborn führt aus, dass sich die Männer zur Empirezeit in so knappen Hosen zeigen durften, »dass ihre Genitalien kaum zu übersehen 89

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

gewesen sein dürften« (Osborn 1966: 110). Seiner Ansicht nach ist der Maßstab der Perversion »nicht das Natürliche, sondern die Sitte« (ebd.), oder wie es Oliver König ausdrückt: »folgt man der Vorstellung der Angstlust des Exhibitionisten, so wird nochmals deutlich, wie sehr öffentliche Moral und subjektive ›Pathologie‹ aufeinander angewiesen sind« (König 1990: 267). Das erklärt sich aus der von mir anfangs formulierten These, dass weiblicher Exhibitionismus im weiblichen bürgerlichen Geschlechtsrollenklischee enthalten ist, männlicher dagegen dem männlichen bürgerlichen Geschlechtsrollenklischee widerspricht. Susan Sontag beschreibt in ihrem Essay zum Photoband »Women« von Annie Leibowitz (1999) Frauen als Projektionsfläche. Sie beschreibt die Erwartungshaltung an Frauen, und sieht sicher richtig, dass diese auf einer anderen Ebene stattfindet als bei Männern. Der Seinsdruck der Männer, der in Kontrast zum Druck des Scheines bei Frauen steht, bleibt hier aber unberührt. Misswahlen, Mannequins auf dem Laufsteg, die oft körperbetonte Mode und das weibliche Geschlechtsrollenklischee, machen weiblichen Exhibitionismus unsichtbar, da es zur Frauenrolle gehört, nackte Haut zu Markte zu tragen und begutachtet zu werden. Damit erklärt sich auch der oft kritisierte Objektcharakter, der Frauen zugeschrieben wird. Sontag beschreibt den konstitutiven Charakter der Schönheit bzw. Attraktivität für Frauen, sie zieht das Fazit: »Ein Mann ist immer zu sehen. Frauen werden angeschaut« (Sontag 1999: 23). Darüber beschreibt sie die Eigenschaft der Schönheit als etwas Totales bei einer Frau, was es ihr – meiner Ansicht nach – genau durch die beschriebene Inszenierung ihres Äußeren, erlaubt ihren Exhibitionismus unerkannt und ungestraft auszuleben. »Bei einer Frau ist Schönheit etwas Totales. Es ist das, was bei einer Frau für den Charakter steht. Es ist selbstverständlich auch eine Inszenierung, etwas Gewolltes, Geplantes, Erzieltes« (Sontag 1999: 30). Weiblicher Exhibitionismus als »Massenphänomen« ist erkennbar am Zeigen von Beinen, Dekolleté, Pumps etc., da hierdurch sekundäre Geschlechtsmerkmale betont werden, und der Blick auf den Körper gelenkt wird. »Reiner« Exhibitionismus zeigt sich durch das bewusste Ausziehen bei offenem Fenster, in dem Wissen beobachtet zu werden und in der Ausübung von Berufen wie Stripteasetänzerin, Schauspielerinnen, Model etc. Quinsel beschreibt die Berufswahl von Exhibitionistinnen als »Sublimierung« ihrer Empfindungen: »Wieder andere, [...] fühlen sich so ungestüm gepeinigt von dem Drang sich zu enthüllen und zu verschleiern, den Mann aufzufordern und ihn abzuweisen, dass sie Striptease-Tänzerinnen werden« (Quinsel: 109). Und weiter: »Es gibt Frauen, die geborene Künstlerinnen des Striptease sind, die nichts lieber tun, als sich auszuziehen, während Männer ihnen zusehen. Die Gelegen90

EXHIBITIONISMUS

heit, das zu tun, verschafft ihnen eine beträchtliche sexuelle Erregung und eine persönliche Befriedigung« (ebd.). Quinsel argumentiert, dass »für einen gewissen Typ von Frau das Striptease die höchste Form des sexuellen Lustgewinns ist« (Quinsel: 131), sieht die »eigentliche exhibitionistische Aktion« aber durchaus auch als Kritik der Exhibitionistin an ihrer Umwelt: »Sie entkleiden sich aus Rebellion gegen Väter, Ehemänner und unzureichende Liebhaber, gegen diesen oder jenen Archetyp einer von Männern beherrschten Welt, in der sie in unangemessener Weise behandelt werden« (Quinsel: 122). In Kunst und Alltagskultur wie Mode, Werbung, Striptease und GoGo-Dancing, Videoclips etc. äußert sich der weibliche Exhibitionismus auf kulturelle Weise. Beispiele avantgardistischer Tänzerinnen, Schauspielerinnen oder Popstars mit offensichtlich exhibitionistischen Neigungen sind die Nackt-Tänzerin Anita Berber in den 20er Jahren für die Zeit der Avantgarde, und die Schauspielerin Marilyn Monroe und der Popstar Madonna für die Postmoderne, bei letzterer zeigt sich der Exhibitionismus besonders deutlich in Videos wie »Justify my love« oder ihrem Buch »Sex«. Männlicher Exhibitionismus äußert sich quer zur gesellschaftlichen Rolle des Mannes, da das männliche Geschlechtsrollenklischee sich nicht auf Gefallen, sondern auf Leistung stützt, der Mann auch auf der begutachtenden, und damit Subjekt-Seite zu stehen hat. Männlichkeit scheint das Gegenteil davon zu sein, nackte Haut zu zeigen, da das männliche Geschlecht als nicht »schön«, eher noch als attraktiv gilt.

Welche Unterschiede bestehen zwischen weiblichem und männlichem Exhibitionismus? Quinsel unterstreicht durchweg für den Exhibitionismus von Männern und Frauen narzisstische und autoerotische Motive. Der psychoanalytischen Sichtweise nach hat weiblicher Exhibitionismus den Körper an sich zum Thema, während der männliche Exhibitionismus den Penis ins Zentrum setzt. »Es ist sehr richtig beobachtet worden, dass für eine Frau, die zwanghaft exhibitionistisch handelt, ihr ganzer Körper ihr Penis ist. [...] Der Mann möchte seine Genitalien entblößen; die Frau kann einen entsprechenden Grad an Befriedigung durch die Entblößung ihrer Beine, ihrer Schultern, ihrer Brüste, ihrer Schenkel erreichen« (Quinsel 1971: 98).

91

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Dadurch, dass die Frau nicht auf die Entblößung allein ihrer Vagina angewiesen ist, sondern alle sekundären Geschlechtsmerkmale einzeln bloßlegen kann, ist es ihr auf gesellschaftlich ungefährlichere Weise möglich, sich zu zeigen. Ihr Entblößen hat etwas von »Hochziehen, und wieder fallen lassen«, nach dem Motto »Sieh’ mal her, was ich alles habe. Das macht dich an, oder? Aber anfassen darfst du nicht! «. Es ist eine andere Form der Machtdemonstration, die im Verweigern des Angepriesenen besteht, als beim Mann, der mit seinem Penis dem Gegenüber sein »Können« beweisen will. So kann sie zwar in ein »schlechtes Licht« geraten, ist aber davor gefeit, in ihrer exhibitionistischen Handlung kriminalisiert zu werden. Der Mann steht mit seiner Demonstration von genitaler Potenz in dem Verdacht des sexuellen Übergriffs auf sein Gegenüber, welchem er sich »offenbart«. Darüber hinaus ist allein die anatomische Tatsache, dass die Vagina z. B. im Stehen nicht ohne Anstrengung bzw. Verrenkung direkt anzusehen ist, etwas, was in diesem Kontext nicht übersehen werden sollte. Die Existenz weiblichen Exhibitionismus zeigt die Bürgerlichkeit gewisser feministischer Positionen an und stellt sie in Frage: Diese beinhalten, dass Striptease, Pornografie und Werbung à la »Sex sells« die »Frau an sich« entwürdige und auf ein Sexualobjekt reduziere. Der EMMA-Feminismus beispielsweise, der die Frauen dazu ermuntert, gegen Werbung mit erotischem Gehalt und der Zurschaustellung weiblicher Geschlechtsmerkmale, beim Werberat Beschwerde einzulegen, wird mit dieser Argumentation ausgehebelt, da viele Frauen sich von dieser Art Feminismus nicht angesprochen fühlen können, auch, weil sie – vielleicht aufgrund ihres eigenen latenten Exhibitionismus? – darin nichts frauenfeindliches sehen können. »Die Bewegungen beim Strip-tease sind mit Vorliebe orientalischen Tänzen, vor allem dem arabischen Bauchtanz entnommen, wobei die Lenden ruckartig vorgestoßen werden (amerik. ›pump‹) und Hüften und Becken rhythmisch wogend bewegt werden (grind, moudre). Der Strip-tease will das erotische Begehren des Mannes im Rahmen einer visuellen Darbietung wecken. Die Entkleidung ist Ausdruck der ›Sehlust‹, die sie befriedigen soll. […] Aber es würde eine Verkennung des im weiblichen Wesen existenten Narzissmus und Exhibitionismus bedeuten, wenn man glaubt, nur das erotische Empfinden des Mannes werde durch den Strip-tease angesprochen« (Striptease, zitiert nach Böckmann 1964: 137).

Böckmann zitiert die »Moderne Enzyklopädie der Erotik« darüber hinaus in Bezug auf die Verbindungssuche zwischen dem Orientalischen Tanz und dem Striptease: »Versuche, eine Verwandtschaft zwischen den

92

EXHIBITIONISMUS

in Oberägypten bei der Einweihung in den Isis-Kult aufgeführten Tänzen und dem Strip-tease herzustellen, haben sich vom Augenschein leiten lassen« (Striptease, zitiert nach Böckmann 1964: 137). Im gleichen Band befindet sich im Anschluss (ebd.:139ff) ein Kommentar zum Striptease, der aus der Dokumentation »Strip-tease« von François de Aulnoyes stammt. Nicht nur Zeitschriften wie Playboy, Penthouse, Hustler und die vielen anderen Pin-Up-Blätter, auch zahlreiche Bücher mit Photographien knapp oder gar nicht bekleideter, teilweise mit dem Schwerpunkt »exotischer« Frauen, bezeugen, dass die Zurschaustellung von halbnackten und nackten Frauen in den Printmedien ein lukratives Geschäft ist und war. Zum Teil gaben sich diese Bücher einen wissenschaftlichen und/oder künstlerischen Touch, indem sie ihren Aufklärungscharakter betonen, und gleichzeitig auf eine geschmackvolle Auswahl Wert legen wie der Photograf Peter Basch für »Exotische Schönheit« (1965). Das Buch »StripVoyeur« (1970) zum Beispiel kombiniert Photos von Striptänzerinnen mit Kupferstichen, Zeichnungen, Radierungen etc. Solche Bücher sind im Verlag der Europäischen Bücherei H.M: Hieronimi, Bonn in der Reihe »Hieronimi Bild-Paperbacks« erschienen, die das Ziel verfolgte »ungekürzte, großformatige und preiswerte Ausgaben bedeutsamer und erotischer Foto- und Bildwerke« (Seufert, Reinhard: 1970) zu präsentieren. Ein weiterer Band dieser Reihe ist »Strip-tease« (de Alnoyes et al: 1970). Eine Dokumentation dieser Art ist die von André Bélorgey (1986), die mit immerhin 1500 Photos Stripperinnen aus dem Paris der 50er und 60er Jahre vereint, wie der Text auf der Rückseite dieses Buches verrät: »Ein Stück Sitten- und Kulturgeschichte in vergangenen Dekors. Striptease in seiner schamlosen Nacktheit eingefangen, bevor es zur Pornografie verkam« (Bélorgey 1970). Auch Anleitungen zum Striptease für den Hausgebrauch wie die von der Profi-Stripperin Libby Jones, welche unter dem Titel »Striptease daheim« (1969) veröffentlicht wurde, wurden in mehreren Auflagen gedruckt.50

50 In Großbritannien wird 1976 »A Pictorial History of Striptease« von Richard Wortley veröffentlicht, in den USA 1956 »A Pictorial History of Burlesque« von Bernard Sobel. 93

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Das Verhältnis zwischen Exhibitionismus als p s yc h i s c h e m P h ä n o m e n u n d d e r k u l t u r soziologischen Fragestellung nach dem postmodernen Frauenbild Quinsel beschreibt den Exhibitionisten als einen Nonkonformisten: »Der Exhibitionist ist [...], ein Spezialist im Verletzen der Normen« (Quinsel 1971: 158f). Ausgiebiger beschreibt er wie folgt: »Einerseits haben sie (Exhibitionisten) eine Vorliebe für das Exotische, Phantasiereiche, Dandyhafte, Überladene; andererseits verfallen sie in Stimmungen, in denen sie Kleidung ablehnen, weil diese sie verdecke; in solcher Stimmung sucht der Exhibitionist durch das Ablegen der Kleidung zu schockieren – indem er nackt auftritt oder wenigstens die Genitalien entblößt oder indem er durch Abweichung von der herrschenden Mode die Aufmerksamkeit auf seinen Körper lenkt. [...] Beide Wünsche sind ein Ausdruck des Missbehagens am Diktat der Sittsamkeit und Konvention« (ebd.: 164f).

Er sieht »die vielleicht bedeutsamste Ursache für das Auswachsen des Exhibitionismus« in der Erfindung der raffinierten Unterwäsche, welche »die Aufmerksamkeit auf die Genitalzone lenkte, indem sie sie dermaßen ausgiebig verhüllte« (ebd.: 165). Emanzipatorischen Gehalt spricht er dem Exhibitionismus ebenfalls zu, weil dieser Widerstand leistet gegen die Beschneidung von Freiheit »im Namen der gesellschaftlichen Stabilität« und »gegen alles, was den sexuellen Impuls verbergen oder zähmen möchte« (ebd.: 174 und 171). Sich aus der psychoanalytischen Sichtweise hervorwagend, äußert er sich auch über Modeentwicklungen, Zivilisation und Demokratie, hierbei allerdings etwas undifferenziert. Der Ansatz ist jedoch erörterungswert, gerade weil er aus dem medizinisch-sexualwissenschaftlichen Wissenschaftsbereich stammt. Die Ansichten Quinsels, Ullerstams, Morgenthalers und auch Schorschs, markieren einen Paradigmenwechsel gerade aus der Normierungsfalle heraus: »Unser Zeitalter ist exhibitionistisch: Der Rocksaum rutschte immer höher. Zugegeben, seit den zwanziger Jahren hat es ständig auch rückläufige Tendenzen gegeben – und wir erleben gerade eine solche -, aber im allgemeinen dürfte von der weiblichen Figur in den letzten fünfzig Jahren innerhalb der moralischen Grenzen unserer Zivilisation mehr sichtbar geworden sein als jemals zuvor« (Quinsel: 171).

Und weiter:

94

EXHIBITIONISMUS

»Ist es ein Zufall, dass nur in demokratischen Ländern der Rocksaum sich zu unvorhergesehenen Höhen erhoben hat und der Bikini auf die Größe zweier Briefmarken geschrumpft ist? Die Frage zielt tiefer, als es zunächst den Anschein hat. Nur in jenen Kulturen, die aktiv die Freiheit in Form einer Überfülle an Wahlmöglichkeiten fördern, haben die Frauen das Recht und die Möglichkeit, ihre Schönheit anzupreisen, falls sie es wünschen, und die Männer ihren Kurswert an Männlichkeit« (Quinsel: 172).

Meyer-Büser zitiert im Zusammenhang mit den Schönheitswettbewerben, die in den 20er Jahren vermehrt stattfanden, einen Autor des »Kunstwarts«, der in den 20er Jahren bemerkte: »Kein Seebad, kein Rummelplatz, keine Modenschau, kein Maskenball, kein Volksfest ohne die Wandelschlange der Exhibitionistinnen« (Eberlein, zitiert nach Meyer-Büser 1994: 63). Der folgenden Aussage Quinsels ist der emanzipatorische Gehalt, vor allem vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung, anzumerken. Gender ist noch kein Thema, aber sexuelle Befreiung das Ziel: »Ist der Exhibitionismus der pathologischen Züge entkleidet, die ihm als dem Sektor psychologischer Außenseiter anhaften, könnte er in einer gemäßigteren Form ein Mittel legitimer sexueller Werbung sein. [...] Wir sprechen somit von der Freiheit, zu lieben, und von der Freiheit, zu wählen – die Freiheit, den rechten Partner zur rechten Zeit zu finden« (Quinsel 1971: 172).

W e i b l i c h e r E x h i b i t i o n i s m u s i n Al l t a g u n d M o d e Exhibitionistinnen sind extrovertiert. Sie zeigen sich gerne und lassen sich gerne ansehen. Das lässt sich in der Regel schon durch einige kleine Kniffe erzielen: Tiefe Dekolletés, kurze Röcke, interessant gemusterte Strumpfhosen oder Strümpfe, halterlos oder mit Strumpfhaltern, Pumps, etwas auffälligeres Make Up, auffällige Farben und Stoffe. Diese Aspekte sichern vielen Frauen schon ein Mehr an Aufmerksamkeit. Valerie Steele betrachtet »Mode als symbolisches System, das sich mit den Formen der Sexualität verbindet – sowohl mit der sozialen Geschlechtsidentität (gender) als auch mit dem sexuellen Verhalten (und der erotischen Anziehung)« (Steele 1998: 9). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Fetisch alles, was »irrational verehrt wurde«, dann kam die marxistische Interpretation des »Fetischcharakters der Warenwelt« und der erotische Fetischismus dann in Untersuchungen zu sexuellen Abweichungen wie bei Krafft-Ebing zum Zug (ebd. 11). Die Mode verwischt die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz, und ist insofern postmodern. Gleichzeitig ist die Mode ein Ausdruck von 95

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Lebensziel und Lebensstil und trägt damit ganz entscheidend zur Selbstinszenierung bei, oder wie Christine Waidenschlager es formuliert: »Kleidung ist immer Ausdruck des Lebensgefühls, der Lebensqualität der jeweiligen Besitzer und somit Seismograph für gesellschaftliche Veränderungen« (Waidenschlager 1991a: 9). Walter Benjamin hat die gesellschaftliche Bedeutung der Mode wie folgt zusammengefasst: »Das brennendste Interesse der Mode liegt für den Philosophen in ihren außerordentlichen Antizipationen. (…) Jede Saison bringt in ihren neuesten Kreationen irgendwelche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge. Wer sie zu lesen verstünde, der wüsste im voraus nicht nur um neue Strömungen der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen. – Zweifellos liegt hierin der größte Reiz der Mode, aber auch die Schwierigkeit, ihn fruchtbar zu machen« (Benjamin 1983: S.112).

Durch Entwicklungen wie die Erfindung der Kunstseide und der Nähmaschine und die Entstehung der Textilindustrie und damit der Konfektion wird Mode ein Massenphänomen, das sich auch Frauen unterer Einkommensgruppen leisten können, die Mode wird damit demokratisiert, es erfolgt mit der Angleichung der Modestile auch eine optische verschiedener Gesellschaftsschichten (vergl. auch Thiel 1987: 341). Zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts gelten als besonders progressiv und befreiend. Das sind zum einen die 20er Jahre und zum anderen die 60er Jahre. In den 20er Jahren scheiden sich am Begriff der »Neuen Frau« sämtliche emanzipatorischen wie antiemanzipatorischen Strömungen, weil er das deutlichste Symbol für den kulturellen und Geschlechterrollenwandel ist. Die »Neue Frau« ist ein Kunstprodukt der Medien (Loreck 1991: 12). Diesem kam eine Vorbildfunktion zu, wobei die Masse der Frauen dieses Ideal nicht zu erreichen vermochte bzw. nur eingeschränkt leben konnte. »Die 20er Jahre waren für die Entwicklung der sozialen Stellung der Frau ein prägendes Jahrzehnt. Die moralischen und ökonomischen Veränderungen, die der Erste Weltkrieg ausgelöst hatte, drängten die Frauen in die Öffentlichkeit und in das Berufsleben und brachten eine Vielfalt realer und imaginierter Frauentypen hervor« (Meyer-Büser 1994: 13).

Lebensgefühl und »äußerliche« Freiheiten korrelieren mit der realen Verbesserung der Lebenssituation und Emanzipation der Frau. Als Ideal markiert die »Neue Frau« jedoch emanzipatorische Tendenzen und den sozialen und kulturellen Wandel. Das wird besonders an den starken Reaktionen restaurativer Strömungen deutlich, die sich nicht nur an der 96

EXHIBITIONISMUS

Demokratie, sondern gerade auch am neuen Frauenbild stießen. In konservativen Gesellschaftsschichten galt die Frau weiter der bürgerlichen Geschlechtsrollenklischeeauffassung entsprechend als emotional, passiv und naturnah. »In der Mode zeigen sich emanzipatorische wie antiemanzipatorische Momente in einer öffentlichen und visualisierten Form. Sie ist damit neben der Kunst und der Werbung ein Medium, über das gesellschaftliche Tendenzen und Entwicklungen eingesehen werden können« (Wohler 1996: 5). Es findet die optische Angleichung der Garçonne, dem strengsten Ausformung der »Neuen Frau« und ihres männlichen Begleiters statt. Der neue androgyne51 Idealtyp hat schmale Hüften, ist sportlich-schlank flachbrüstig. »Gerade am provozierenden Bild der ›Neuen Frau‹, besonders in ihrer strengsten Erscheinungsform, der ›Garçonne‹, enthüllt sich meines Erachtens die ästhetische Provokation als Teil der weiblichen Emanzipation« (Wohler 1996: 7). Der Mann legt sich einen etwas feminineren Look zu. Das Deckhaar wird etwas länger und mit Pomade geglättet getragen, der Anzug ist salopp und im Gegenzug zur weiblichen Mode tailliert. Er bildet dem dunklen Fond für die funkelnden Moden der Frau. Der Tagesanzug ist hochtailliert mit glockigen Schößen (Mundt 1989: S. 123f). Die Frau trägt einen kniekurzen, gerade und eng geschnittenen Rock (Eichstedt 1988: 12), Krawatte, Monokel und Zigarettenspitze, ihr Haarschnitt entlehnt sich dagegen einem Jungenhaarschnitt. »Die Frauen schnitten ihr langes Haar ab, das seit jeher das Symbol der verheirateten und dem Manne untertänigen Frau gewesen war. Sie übernahmen den kurzen Haarschnitt der Männer und demonstrierten mit ihren ›Bubiköpfen‹, dass sie sich im privaten und öffentlichen Leben gleichberechtigt fühlten« (Thiel 1987: 402). 51 Ich verstehe unter Androgynität nicht die optische Leugnung von Geschlechtlichkeit, wie das bei unisex oft der Fall ist. Loschek (1991) differenziert nicht zwischen Androgynität und unisex, sondern spricht davon, dass androgyne Mode die Verschmelzung geschlechtsspezifischer Äußerlichkeiten darstellt (Loschek 1991: 206). Androgynität spielt, wie der Begriff, der beides umschließt, mit den Geschlechterrollen bzw. –grenzen, bedeutet meines Erachtens nicht die optische Angleichung, aber doch optische Annäherung der Geschlechter. Das bedeutet z.B. eine Feminisierung des Mannes durch lange Haare, sinnliche Stoffe wie Samt, körperbetonende Schnitte. Bei der Frau war der Durchbruch der zwanziger Jahre der Bubikopf, ein weich geschnittener Kurzhaarschnitt. Die zwanziger Jahre brachten in gewisser Weise, ohne zu entsinnlichen, eine gewisse Maskulinisierung der Frau – die Ende der 20er Jahre durch Dekolletee und Puffärmel rückgängig gemacht wurde – und die sechziger Jahre die Feminisierung des Mannes, demnach ist meiner Definition nach das Spiel mit Geschlechtergrenzen androgyn, die Leugnung von körperlichen oder gar sexuellen Reizen wird deutlich an unisex-Mode, wie z.B. dem Parka. 97

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Attribute der »Neuen Frau« sind Selbstbewusstsein, materielle Unabhängigkeit durch Berufstätigkeit, gepflegte und sportliche Erscheinung, Jugendlichkeit und Gesundheit als Anzeichen für unbeschränkte Leistungsfähigkeit und belastbare Tüchtigkeit (Historisches Museum Frankfurt a. M. 1981: S. 60). Gleichzeitig wird die »sexuell befreite« Frau in Feuilletons verkündet (Frevert 1988: 25). Die »Neue Frau« steht für moderne Fortschrittlichkeit, Sachlichkeit, Urbanität und Technikbegeisterung (Loreck 1991: 13; Frevert 1988: 25), rauchend, Auto fahrend und gar fliegend dargestellt, werden alte Rollenklischees und das Geschlechterverhältnis – mindestens als Utopie – aufgebrochen. »Mit den alten Rollenklischees versucht kaum einer, sein Produkt an den Mann oder die Frau zu bringen« (Historisches Museum Frankfurt a. M. 1981: 51). Die unbekleidete, tadellose Figur eines Revuegirls wird als Werbeträger zur Schnittstelle zwischen Freizeit und Beruf: »Denn, so die Werbung damals wie heute, körperliche Attraktivität und ›gepflegtes Aussehen‹ können im Konkurrenzkampf unter den Arbeitssuchenden zum ausschlaggebenden Faktor für eine Anstellung werden« (Loreck 1991: 17) Anstelle des Korsetts, das eine S-förmige Linie hergestellt hatte, werden jetzt Schlankheitspillen, Hungerkuren, chirurgische Eingriffe und gummierte Bandagen zum Flachdrücken weiblicher Formen genutzt. Das äußere Korsett wird zum Teil gewissermaßen durch das innere, d.h. durch Selbstdisziplin, ersetzt. Siegfried Kracauer analysiert den Jugendkult und das gepflegte Aussehen als Mittel im Kampf um den zu erhaltenen Arbeitsplatz: »Der Andrang zu den vielen Schönheitssalons entspringt auch Existenzsorgen, der Gebrauch kosmetischer Erzeugnisse ist nicht immer ein Luxus. Aus Angst, als Altware aus dem Gebrauch zurückgezogen zu werden, färben sich die Damen und Herren die Haare, und Vierziger treiben Sport, um sich schlank zu erhalten« (Kracauer 1971: 25). Während in der Werbung ebenbürtige Paare zu sehen sind, sind die alten Rollenklischees im Selbstverständnis von vielen Frauen und Männern noch vorhanden (vergl. Historisches Museum Frankfurt a. M. 1981: 51). »Der Vamp, ein Frauenbild, welches sich durch Morbidität, Laszivität und eine Androgynität auszeichnet, die sich sexuell zweideutig gibt, so kann das Begehren des Vamps auch auf das eigene Geschlecht gerichtet sein -, gibt sich den Mythos eines emanzipierten Sexus. Bekannte Stars, die diesen Typus verkörperten, waren Marlene Dietrich, Greta Garbo und Mae West. Geschichts-

98

EXHIBITIONISMUS

und ortlos erschienen sie als die Verführung schlechthin. Doch gerade dadurch 52 waren sie jeglicher Realität enthoben« (Henschel/Schlottau 1989: 29).

Die Unterwäsche vervollständigt die äußere Erscheinung. Avantgardistisch erscheint die Entwicklung der Unterwäsche vom Korsett und pfundschwerer Wäsche zu einem Hemdhöschen mit knöpfbarem Steg aus zartem Stoff ohne Rüschen, damit es unter der Kleidung nicht aufträgt. Hemdhöschen aus Seide sind in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre oft das einzige, was unter Kleidern getragen wird (Historisches Museum Frankfurt a. M. 1981: 57). In den 20er Jahren setzt sich das dekorative Schminken bei modebewussten, emanzipierten Frauen durch: Grelle Farbgebung und kräftige Schminktöne konturieren das Gesicht dabei sehr stark (Koch 1988: 19). »Das Make-up der zwanziger Jahre wollte demonstrieren, dass sich seine Trägerin über die herrschenden bürgerlichen Moralvorschriften hinwegsetzte und das Recht auf die freie Liebe, das jahrtausendelang zu den Privilegien des Mannes gehörte, für sich in Anspruch nahm. Die Augen wurden schwarz umrandet die Augenbrauen ausrasiert und Lippen und Fingernägel rot angemalt« (Thiel 1987: 399).

In den 20ern trägt die Frau sehr spitze Schnürhalbschuhe mit ganz flachen Absätzen, hochhackige Abendschuhe, flache Sportschuhe und halbhohe Trotteurs und dazu »fleischfarbene Strümpfe, die das Bein nackt erscheinen lassen« (Thiel 1987: 403). Die Stoffe der Abendkleider sind weich und fließend, dadurch kann sich die schlanke, sportlich trainierte Figur in der Bewegung gut abzeichnen (Koch 1988: 19). »Der Gipfel ihres demonstrativen Aufbruches aus der bisherigen optischen Konformität, den die neue Frau in den Zwanzigern unternahm, war das Rauchen, das sie sich in aller Öffentlichkeit leistete. Lange mondäne Zigarettenspitzen in der Hand, die Lippen dunkelrot gezeichnet, ein kurzes rotes Charlestonkleid mit wippenden Fransensäumen am Leib – eigentlich ein ›Hauch von Nichts‹ – so saß sie in oft fragwürdigen Lokalen und amüsierte sich« (Koch 1988: 19).

In den 20er Jahren wurde die Mode auch durch Funktionalismus und Kubismus beeinflusst: Leuchtende Farben, Glas- und Metallapplikationen und Pailletten, Strasssteine und große Juwelengürtel, Kleider-

52 Auch an diesem Zitat zeigt sich, dass Androgynität etwas mit sexueller Zweideutigkeit, nicht aber mit Asexualität zu tun hat, aber das ist letztlich eine Frage der Definition oder Begriffsklärung. 99

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

schmuck. Abendmäntel aus Samt, Brokat und Lamé. Ketten, Armbänder und Ohrringe, zumeist Modeschmuck, kamen auf. »Entstehen gerade nach der Inflationskrise 1923 sehr moderne, dem neuen Frauenbild entsprechende Momente, wie z.B. der kurze Rock bzw. das kurze (Tanz-)kleid mit der ihnen entsprechenden Erotisierung der schlanken Beine, so kann man von einer traditionalisierenden Tendenz der Mode am Ende der zwanziger Jahre hin zu alten Weiblichkeitsvorstellungen mittels tiefem Dekolleté, verhüllten Beinen und erneuter Betonung der weiblichen Formen 53 sprechen« (Wohler 1996: 5).

Nach 1947 kamen weite Röcke auf, wurde die Taille immer enger und der Busen stärker betont (Thiel 1987: 413). Darüber hinaus gab es einen verstärkten Büstenhalter und rüschenbesetzte Petticoats (ebd.). In den 50ern kam auch eine eigene Jugendmode auf: die Teenager suchten jetzt ihre Vorbilder bei Schauspielerinnen wie Brigitte Bardot, Marilyn Monroe und Jayne Mansfield (Thiel 1987: 424). Zur Männermode führt Thiel aus, dass sie dem Mann, in Anlehnung an das Vorbild Elvis Presley Sex-Appeal verlieh, »den die bürgerliche Mode aus der Männerkleidung verbannt hatte« (Thiel 1987: 425). Typische Erscheinung der Mode der sechziger Jahre ist der Minirock, der schon Ende der fünfziger Jahre von Mary Quant kreiert wurde (Thiel 1987: 426, Loschek 1994: 92). Bunte Lidschatten und roter Lippenstift wurden modern, die Feinstrumpfhose wurde als nützliche Ergänzung zum Minirock erfunden und verdrängte den Strumpf fast völlig (Thiel 1987: 434). Loschek konstatiert, dass die Mode in den 60ern nicht von der »allgemeinen Sexwelle« verschont bleibt: »Die Haute Couture schlug durchsichtige Blusen vor, die ohne Dessous getragen wurden« (Loschek 1990: 264). Die jungen Männer trugen farbige Stoffe mit bunten Mustern, Samthosen, Halsketten und Armbänder und lange Haare. Die Haute Couture, auf die ich gerade in Bezug auf die Mode der 60er Jahre verwies, ist nach Vinken wiederum »in ihren Anfängen eine Adaptierung der Dandymode für die Frauen, die ihnen zu einer neuen Weiblichkeit verhalf, und der Dandy strebte die Subversion des politischen Körpers an« (Vinken 1993: 28f). Interessant ist darüber hinaus der Hinweis Königs, der ausführt, dass die Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts nicht von sich aus modeschöpferisch sein kann, weil es dem Kanon der Wohlanständigkeit wider53 Benjamin verweist auf Fuchs, der schreibt: »Der Kultus des bekleideten Fußes und Beines spiegelt die Herrschaft des Weibes über den Mann; der Busenkultus spiegelt die Stellung des Weibes als Objekt der Lust des Mannes« (Eduard Fuchs, zitiert nach Benjamin 1994: 101). 100

EXHIBITIONISMUS

spricht: »man muss sich anpassen, unauffällig sein und, wenn irgend möglich, nach der allgemeinen Regel leben« (König 1985: 218f). Vorbild für die Mode wird, so König, der Dandy, also der Vertreter einer Personengruppe, die sich nicht scheut aufzufallen. Wie ich bereits zeigen konnte, ist der Exhibitionist dem Dandyhaften zugeneigt, insofern ist natürlich bemerkenswert, dass die Personengruppen, die pathologisiert werden und gegen die gesellschaftliche Sexualnorm rebellieren, diejenigen sind, die in der Mode eine Vorbildfunktion erhalten. Doch zurück zu den 60er Jahren. Matter weist ebenfalls auf die Bedeutung der Verbindung der Loslösung von den bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees mit der Veränderung der äußerlichen Erscheinung und dem veränderten Umgang mit dem eigenen Körper hin: »Die zunehmend freiere Einstellung zu Körper und Sexualität führte in den 60er Jahren auch dazu, dass mehr körperbetonte Kleidungsstücke bevorzugt wurden. Neben einem freizügigeren Umgang mit Körper und Sexualität, insbesondere bei Frauen, spielte auch die Loslösung von dem tradierten Rollenschema für Mann und Frau eine wichtige Rolle für die Veränderung des eigenen Äußeren. Der Versuch und das Ziel, diese herkömmlichen Geschlechtsrollen zugunsten einer Gleichstellung beider Geschlechter zu erreichen, wurden auch mit Kleidung signalisiert« (Matter 1996: 27).

Steele verweist mit Blick auf Modedesigner wie Vivienne Westwood und Jean-Paul Gaultier auf den Aspekt der Fetischmode oder wie sie auch schreibt, den der »perversen« Stile. Heute sind Korsetts, bizarre Schuhe und Stiefel, Leder und Gummi sowie Unterwäsche, die als Oberbekleidung getragen wird, auf dem Laufsteg alltäglich geworden (Steele 1998: 10). Steele bemerkt, dass mit den sich ändernden Haltungen gegenüber »abweichenden« Formen der Sexualität auch das Verständnis für »perverse« Stile gewachsen sei (Steele 1998:13). König konstatiert für den Mann, dass dieser auch heute noch in Gesellschaftskleidung sehr viel stärker angezogen sei als die ihn begleitende Frau: »In Gesellschaftskleidung sind die Männer meist viel ›angezogener‹ als die Frauen, aber auch in der Alltagskleidung zeigen Frauen mit schulterfreien Kleidern und mit nackten oder bestrumpften Beinen mehr von ihrem Körper als die Männer« (König 1995: 63). Gesellschaftliche Anlässe dienen Frauen zur Ausstellung ihrer Schönheit und körperlichen Reize. Um Aufmerksamkeit wird mit tiefen Dekolletees und langen Beinschlitzen geworben. Dort können und konnten sie ihre exhibitionistischen Neigungen gesellschaftskonform ausleben. Meines Erachtens zeigt aber auch die Mode des Mannes, dass er

101

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

noch einen viel weiteren Weg bezüglich der optischen Selbstdarstellung vor sich hat als die Frau.

Berufsfelder für Exhibitionist(inn)en Um deutlich zu machen, wie weit verbreitet der Exhibitionismus respektive die Zeigelust in Wahrheit ist, wenn wir diese nicht darauf reduzieren, die primären Geschlechtsmerkmale zu zeigen, möchte ich klassische Berufe aufzeigen, in denen Exhibitionisten – weiblichen oder männlichen Geschlechts – sich ungestraft derart betätigen können. Sigusch weist in seinen neueren Werken darauf hin, dass der Exhibitionismus seine Brisanz verloren habe, da die gesamte Gesellschaft, und vor allem die Medien durchsexualisiert seien. Weiter meint er, dass Sexualität generell seine Brisanz verloren habe, und Spannung und Risiko in die Gewalt verlagert seien. Ich sehe vor allem in den künstlerischen, kulturindustriellen und alltagskulturellen Berufszweigen einen guten »Unterschlupf« für »sexuell deviante« Menschen. Tänzer, vom Ballett bis zum Striptease oder Tabledance, (Film-)Schauspieler, Travestiekünstler, Pornodarsteller, Models auf dem Laufsteg und vor der Photo-Kamera, Popstar, Modedesigner, etc. sind ideale Berufe für Exhibitionisten, wenngleich ich hier nicht behaupten möchte, dass alle, die sich in diesen Berufen betätigen, unbedingt exhibitionistisch veranlagt sind oder sein müssen. Vor allem Männer sind gut beraten, sich als Travestiekünstler, Schauspieler, Tänzer oder Model zu zeigen. Es ist eine sublimierte Form, sich und seine Lust auszuleben. Ebenso ist die Werbung ein interessantes Berufsfeld für extrovertierte Menschen. Welche Charakterstrukturen für welche Berufe günstig sind, sind mittlerweile Allgemeinplätze, ich möchte hierbei allerdings auf Karl König hinweisen, der sich mit Persönlichkeit, Charakterstrukturen und Arbeitsstörungen befasst hat (König 1995; 1998; 1999): viele Menschen in den genannten Berufen sind einfach mit einer narzisstischen oder hysterischen Charakterstruktur ausgestattet. Des Weiteren sind Schauspieler, Sänger, Models etc. auch in durchaus konservativen Segmenten der Kulturindustrie und Modewelt zu finden, denn SchauspielerInnen bilden Images ab, die mit der Alltagsrealität korrelieren, so haben verschiedene soziale Milieus auch unterschiedliche Vorbilder und Idole in Kunst und Alltagskultur.

102

EIN EXKURS

ZUR NEUEREN

T AN Z G E S C H I C H T E

Die ersten Tänze der Menschheit hatten kultische, aber auch gleichzeitig gesellige Bedeutung. Das Wort Tanz stammt von dem Sanskrit-Wort tanha ab, gleichbedeutend mit Lebensfreude. Das menschliche Selbstbewusstsein und das Körperbewusstsein hängen miteinander zusammen. Insofern ist der Tanz als Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse, aber auch des Körperbewusstseins einer bestimmten Epoche zu begreifen. Bertolaso konstatiert dazu: »Bewegung und Tanz […] sind die ursprünglichsten Sprachen des Menschen. Bewegung und Tanz repräsentieren seit Urzeiten Selbstverständnis, Zusammenhalt, Kommunikation, rituelles, spirituelles Bewusstsein« (Bertolaso 2001: 74). Beim Tanz muss man zwischen verschiedenen Sparten bzw. Stilen, aber auch zwischen verschiedenen Kategorien differenzieren: Zunächst kann man unterscheiden zwischen künstlerischem Tanz und Gesellschaftstänzen. Ersterer teilt sich nochmals auf in hochkulturelle Tanzsparten und die der Massenkultur, der Kulturindustrie. Gesellschaftstanz umfasst erst mal alles, was Menschen zu ihrem Vergnügen tanzen, wenn sie ausgehen, bei Anlässen wie Hochzeiten und in Diskotheken und anderen Tanzetablissements. Gesellschaftstänze sind immer wieder neuen Moden unterworfen. Auch landeseigene Folkloretänze gehören zum Gesellschaftstanz. Hörmann definiert Tanzstil wie folgt: »Tanzstil bezieht sich auf die Art, wie Kraft (energy) und Rhythmik arrangiert sind wie auch auf die spezielle Verwendung von Linie und Form« (Hörmann 2005: 20). In der künstlerischen Kategorie gelten Ballett, Ausdruckstanz und Modern Dance bzw. Contemporary Dance als hochkulturell, dazu zählen auch Tanztheater etc. Massenkulturelle und auch kulturindustrielle künstlerische Tanzphänomene sind Jazzdance, Musical, Step, Standard/ 103

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Latein. Striptease, Gogo-, und Tabledance sind Sparten, die als erotisch gelten, und somit mit ihren Bühnen, auf denen sie stattfinden, dem sogenannten »Milieu« zugeordnet werden. Orientalischer Tanz, volkstümlich Bauchtanz genannt, indischer Tanz, Flamenco, Salsa etc. sind ethnische Tänze und gelten in der Regel als Kleinkunst. Bestimmten Tänzen kommen auch Doppelfunktionen zu: Standard/Latein und Salsa bspw. sind beides Gesellschaftstänze, werden in Turnieren getanzt, d.h. es gibt Wettbewerbe, und dienen auch unter anderem als Showtanz auf Galas, in Fernsehshows etc. Tanz gilt als auch als Kunstform in der Gestalt der Performance im Kunst-Medium Video (massenkulturell/kulturindustriell allerdings im Musikvideoclip) und im Happening. Für die kulturelle Bedeutung des Tanzes bezüglich des Themas »Weiblicher Exhibitionismus« kann folgendes gesagt werden. Im ShowTanz und im künstlerischen Tanz ist die narzisstische Selbstinszenierung und zumindest ein wenig exhibitionistische Neigung ein wichtiger Aspekt. In besonderem Maße gilt dieses für Gogo, Striptease und Tabledance. Aber auch auf der klassischen Tanzbühne des Balletts, der bürgerlichen Kunst des Tanzes, sind die Tänzerinnen nicht gerade üppig bekleidet, und bedienen die voyeuristischen Bedürfnisse des Publikums. Zur Erläuterung hier vorab einige Informationen zu den Begrifflichkeiten: Ausdruckstanz wurde in den 1920er Jahren durchaus auch nackt getanzt, er verkörpert die »reine«, »künstlerisch wertvolle« und damit bürgerliche und rigide, d.h. strenge Variante, bei der der Körper durch die Natürlichkeitsideologie asexualisiert wird (Freier Tanz, Freikörperkultur). Nackttanz stellt im Verhältnis zum Ausdruckstanz die »verrufene« exzessive Variante dar, die durchaus auch expressive Tanzelemente erhält, den Körper aber nicht entsexualisiert oder entsinnlicht. Das berühmteste Beispiel hierfür ist die Tänzerin Anita Berber, die in Varietés in Berlin auftrat und auch Auslandstourneen unternahm. Striptease ist die Kunst des erotischen und tänzerischen Entkleidens. Die Lust am Angesehenwerden oder die Macht über die voyeuristische Lust des Schauenden sowie Projektionen spielen hierbei die entscheidende Rolle. Orientalischer Tanz ist durch seine Körpermitte-Zentrierung gekennzeichnet und verschafft so einen neuen Typus des Körpergefühls jenseits der Körperdisziplinierung, er gilt als Vorläufer des Striptease. Meine Betrachtung des Tanzes seit der Tanzmoderne muss vor dem Hintergrund der bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees geschehen: Diese normieren die Lebensentwürfe, führen zu einer Entsinnlichung, kriminalisieren abweichendes Verhalten und entwerten bzw. verwerfen Sexualität und Erotik als niedrige Instinkte.

104

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

V o m k l a s s i s c h e n B a l l e t t z u m Au s d r u c k s t a n z Die Ursprünge des klassischen Balletts werden der italienischen Renaissance zugeschrieben, in der allegorische Darbietungen wie Maskentänze in Anlehnung an die mittelalterlichen Turnierspiele, an Prozessionen und Aufzüge und an die Gesellschaftstänze vorgeführt wurden. »Die Anfänge von Tanztheorien, Tanztabulatoren und Tanzlehrbüchern reichen zurück in das frühe 15. Jahrhundert« (Liechtenhan 1993: 24). 1581 wurde in Paris das erste als Gesamtkunstwerk konzipierte Ballett aufgeführt, das »Ballet comique de la Reine« (ebd.: 31). „Wie auch bei späteren Hofballetten handelte es sich bei dem »Ballet comique de la Reine« um eine typisch barocke Mischung aus Instrumentalmusik, Gesang, Rezitation und Tanz“ (ebd.: 32). Die Blütezeit des Balletts begann unter Ludwig XIV. in Frankreich, 1661 wurde die »Académie Royale de Danse« gegründet (ebd.: 44). Seit Mitte des 18. Jh. wurden in Paris die ersten Handlungsballette aufgeführt. Seine endgültige Gestalt nahm das Ballett aber erst in der Romantik mit der Durchsetzung des Spitzentanzes an. Danach folgten weitere Höhepunkte wie die spätromantischen Ballette von Tschaikowski. In der neueren Zeit sind nach Liechtenhan folgende Balletttypen wichtig: das Handlungsballett (J. Neumeier), die Ballettoper (F. Ashton, L. Massine), das durchchoreographierte Musical (J. Robbins), das Balletttheater (M. Béjart), das konzertante Ballett (G. Balanchine, H. van Manen) und das Bewegungs- bzw. Tanztheater, als deren bedeutendste Vertreterin im späten 20. Jahrhundert die Choreografin Pina Bausch (Wuppertal) gilt. Da Das Tanztheater auf den Ausdruckstanz und nicht auf das Ballett zurückgeht, wie Liechtenhan selbst bemerkt, ist die Bezeichnung Balletttyp für das Tanztheater Pina Bauschs allerdings nicht stimmig. »In Deutschland spielt das auf den Ausdruckstanz zurückgehende Tanztheater eine bedeutende Rolle. Dessen profilierteste Vertreterin ist zweifellos Pina Bausch in Wuppertal. Sie ging aus der einst dem deutschen Choreographen Kurt Jooss nahe stehenden Folkwangschule in Essen hervor. Der Hang, persönlich anmutende Probleme auf die Bühne zu bringen, stößt sowohl auf Zustimmung als auch auf heftige Ablehnung. Sie und andere Choreographinnen ihrer Richtung, wie etwa Susanne Linke, pflegen einen Stil, der oft eher den Namen Bewegungstheater statt Tanztheater verdienen würde« (Liechtenhan 1993: 144).

105

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Allen europäischen Tänzen ist gemein, dass sie Beintänze sind.54 Ein wichtiger Unterschied zwischen Folklore- und Gesellschaftstänzen im Verhältnis zum Ballett besteht jedoch darin, dass erstere zu bestimmten Anlässen als tänzerische Darbietungen vorgeführt werden, die am gesellschaftlichen Leben teilhaben oder sich daran anlehnen – noch im Spätabsolutismus ist das Ballett eingebunden in gesellschaftliche Anlässe – oder ob sich eine eigene Tanzgattung ihren Platz in den Opernhäusern als Teil der hochkulturellen Entwicklung erobert. Das Ballett, das seine Blütezeit in der bürgerlichen Romantik hat, kann ab diesem Zeitpunkt als Metapher für die Leistungsfähigkeit, den Leistungswillen und die Disziplinierung des menschlichen Körpers im Kapitalismus angesehen werden. Es überwindet optisch für den Zuschauer die Schwerelosigkeit, suggeriert die Leichtigkeit der Körper und der Bewegung auf Kosten des Körpers selbst. »Eine Loslösung von der Erdverbundenheit ihres Körpers zu höchster Vollkommenheit zu gestalten, setzte hartes Training tanztechnischer Fähigkeiten voraus« (Klein 1994: 125f). Die größten Kraftakte erscheinen dem Betrachter als federleicht, somit ist das klassische Ballett ein ästhetischer Ausdruck der Entsinnlichung der bürgerlichen Gesellschaft. Der Körper wird im Ballett enterotisiert, Sexualität wird zu romantischer Liebe verklärt. »Unschuld und Scham, Keuschheit und Reinheit waren hingegen die der Ballerina zugewiesenen Charakteristika. […] Die auf dem Hintergrund dieser Idealbilder mit den Attributen einer ›sauberen Weiblichkeit‹ ausgestattete Ballerina erschien als entsexualisierte Jungfrau Maria, wobei ihr schmaler, gerader, kindlich erscheinender, aber doch zäher, durchtrainierter Körper gleichzeitig an den androgynen fragilen Narziß erinnerte, jenen griechischen Jüngling, der sich in Abwehr des Begehrens der Nymphe Echo in sein eigenes Spiegelbild verliebte. […] Attribute wie Geist, Durchsichtigkeit, Seligkeit, Anmut und Schwerelosigkeit verbanden hier das Bild von der unbefleckten Maria mit dem der Tänzerin, beide waren entkörperlicht, entsexualisiert« (Klein 1994: 121f).

Der Zuschauer genießt die Darbietung kontemplativ und durch die Handlung des Stücks emotional ergriffen. Neuere Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nehmen Aspekte des Ausdruckstanzes der 20er Jahre auf, sie bleiben jedoch der Hochkultur, und damit dem bildungsbürgerlichen Publikum, verpflichtet.

54 Das bedeutet, dass binnenkörperliche Bewegungen, vor allem der Körpermitte, wie man sie beispielsweise im Orientalischen Tanz findet, ausgespart bleiben. Die Arme dienen der Unterstützung des optischen Eindrucks. 106

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

Von der Ballettgeschichte wird insbesondere die Bedeutung Isadora Duncans für die Revolution gegen die Klassik des Balletts hervorgehoben, die die Entstehung der tänzerischen Moderne entscheidend mitgeprägt hat (vergl. Liechtenhan 1993: 106f), und damit den Ausdruckstanz vorbereitet hat. Einige der Vorreiter des Ausdruckstanzes waren dem Orientalismus verfallen wie Ruth St. Denis (Huschka 2002: 116),55 oder aber versuchten zurück zu antiken Formen zu finden wie Isadora Duncan. Der Ausdruckstanz entstand als Gegenbewegung zum klassischen Ballett mit dem beginnenden 20. Jahrhundert. Weitverbreitetes Ziel der Vorreiter des Ausdruckstanzes, wie z.B. Isadora Duncan, war es zurück zum natürlichen Ursprung der Bewegung zu finden (Huschka 2002: 96), nachdem das Ballett als zu erstarrt wahrgenommen wurde. Duncan vertrat auch die Idee einen antiken naturschönen Tanz zu erfinden. »Der Einklang mit der Natur, ihren Gesetzen und Wirkungsweisen markiert das Ziel der verschiedenen Bewegungsschulen, die eine dynamische Aktivierung des Körpers mit seinem ›rechten‹ Gebrauch zu verbinden suchen« (Huschka 2002: 87). Nach dem 1. Weltkrieg entwickelte sich ein expressiver Tanzstil. Im Zentrum standen Individualität, Improvisation, Solotanz. Die Entwicklung des deutschen Ausdruckstanzes oder auch Freien Tanzes war anfangs besonders stark vom Individualismus und durch »systematisierende Zugänge zur Gestaltung qualitativ neuer Tanzbewegungen« (Huschka 2002: 154) geprägt. Den Ausdruckstanz als Bühnentanz zeichnet aus, dass er eine Vielzahl von unterschiedlichsten Stilen, Tänzern und Choreographen unter sich vereinigte. In dieser Vielfalt war er in den 20er Jahren bemerkenswert erfolgreich (dazu auch Huschka 2002: 155). Zwischen Begeisterung für das Großstadtleben, mystischer Verklärung der Existenz, alternativ-ideologischer Kulturkritik, konformistisch-unbeschwerten Haltungen bis hin zum linksliberalen Agitprop und Sozialkritik war alles zu finden (Huschka 2002: 158). »Während die Lebensumstände der Moderne mit den von ihr ausgelösten Ängsten von Entwurzelung, Orientierungslosigkeit und Identitätsverlust längst gesellschaftliche Realität sind, Lebenszusammenhänge notwendigerweise mobiler und komplexer werden, wird der Tanz – dynamisch im Topos – zur viel versprechenden kulturellen Ikone einer unmittelbaren Verständigung und stellt dabei als gemeinschaftsstiftende, energetische Quelle der Moderne einen kulturell harmonisierenden und utopischen Wert da« (Huschka 2002: 157).

55 Nähere Beschreibungen zum Orientalismus finden sich im Abschnitt über den Orientalischen Tanz. 107

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Emile-Jaques Dalcrozes Methode leistet einen wichtigen Beitrag auf dem Weg »aus dem erstarrten Umgang mit der Tanz- und Theaterkunst. Doch Kritik daran als ›Disziplinierung des Körpers‹ entsteht schon zu Dalcrozes Zeiten, mehr noch in späteren Jahren« (Fritsch-Vivié 1999: 24). Zur gleichen Zeit agieren Isadora Duncan und Loïe Fuller, angeregt durch den Jugendstil (Fritsch-Vivié 1999: 29). Fritsch-Viviés Ansicht nach hat der posierende Tanzstil von Isadora Duncan wesentlich zu einem freieren und emanzipierteren Frauenbild auf der Bühne beigetragen (ebd.). Klein wiederum betont, dass die Forderung nach Frauenemanzipation die Konservierung alter Werte wie weibliche Sittlichkeit und Tugendhaftigkeit nicht ausschließe,56 und führt weiter aus, dass Duncan den Vorstellungen anderer Reformtheoretiker entsprach, die ebenfalls die Abbildung 11 Befreiung der Frau bei gleichzeitiger Bewahrung der sozialen Bestimmung des weiblichen Körpers wollten (Klein 1994: 142). Ihren Tanzstil zeichnen weiche und fließende Bewegungen wie im Ballett aus, ohne die Starrheit und Anspannung der ballettösen Posen im Körper, es wird maximal auf halber Spitze (Ballen) getanzt. Neben die Entwicklungen in der Tanzhochkultur traten in den zwanziger Jahren die Revuen, und wurden zu Zuschauermagneten. Die Tanzformationen der Girls in den Revuen sind zum einen als Fortsetzung der Ballettensembles und CanCans zu begreifen, zum anderen in den Kontext der fließbandähnlichen, geometrisierten, standardisierten und ratio56 Abbildung 11 zeigt Mary Wigman mit ihrem »Mütterlichen Tanz«. Der tänzerische Gestus bei Mary Wigman ist in diesem Tanz entspricht ganz dem bürgerlichen Geschlechtsrollenklischee der emotionalen und umsorgenden Frau. Geradezu marienhaft in asketischer Manier, starke Emotionen und Hingabe ausdrückend, von unten nach oben, geradezu unterwürfig hinaufblickend widerspricht ihr Ausdruck einer selbstbewussten emanzipierten Stellung von Frauen. 108

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

nalisierten Ästhetisierung der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung zu stellen. Je nachdem, welche Bedeutung man betont, sind sie als Erbinnen des Balletts zu begreifen, weil sie ebenso wie »die Pikanterie des Balletts« von der Eduard Fuchs schreibt, so sehr vom Publikum begehrt wurden, dass »das Ballett als Massen- oder Einzeltanz jeder Oper eingefügt wurde« (Fuchs 1985: 163). Siegfried Kracauer sieht in den Girlreihen der Revuen nur noch die Kennzeichnung des »Ortes des Erotischen«: »Das Ornament ist sich Selbstzweck. Auch das frühere Ballett ergab Ornamente, die kaleidoskopartig sich regten. Aber sie waren nach der Abstreifung ihres rituellen Sinnes immer noch die plastische Gestaltung des erotischen Lebens, das sie aus sich hervortrieb und ihre Züge bestimmte. Die Massenbewegung der Girls dagegen steht im Leeren, ein Liniensystem, das nichts Erotisches mehr meint, sondern allenfalls den Ort des Erotischen bezeichnet« (Kracauer 1991: 52).

Ab den 1920ern gab es zunehmend »Chorische Tanzaufführungen«, die eine entgegenlaufende Richtung repräsentierten. Rudolf von Labans Bewegungschöre bringen ganze Massen zusammen, und Mary Wigman, Schülerin von Laban »choreographiert mit einer durchaus vergleichbaren Faszination für Massenphänomene und Führerschaft« (Huschka 2002: 154). Laban wird oft als Gegner und Verfolgter des nationalsozialistischen Regimes angesehen, weil er 1937 emigrierte: »Tatsächlich sympathisiert Laban, der von 1930 bis 1934 Ballettmeister an der Staatsoper Berlin war und dessen Arbeit – vom Reichsministerium protegiert – kontinuierlich gefördert und mit erweiterten Kompetenzen ausgestattet wurde, stark mit den faschistischen Machthabern, bis sein Beitrag für die Olympischen Spiele 1936 nach der Generalprobe von Goebbels abgesetzt wurde und er 1937 schließlich emigrieren musste« (Huschka 2002: 158).

Laban lebte später in England. Seine Schülerin Lola Rogge übernahm 1934 in Hamburg die Labanschule, die bis ins 21. Jahrhundert unter ihrem Namen dort existiert. Rudolf von Laban hat in der Weimarer Zeit und auch in den Anfängen des Nationalsozialismus eine bedeutende Rolle im Ausdruckstanz gespielt. Er experimentierte mit mobilisierenden Bewegungsformen mit dem Ziel der Befreiung des Körpers und entwickelte für die Bewegungen im Ausdruckstanz eine Tanznotation und ein Bewegungsanalysesystem:57 57 Das Bewegungsanalysesystem von Rudolf von Laban umfasst folgende Aspekte (nach Hörmann 2005: 35): Körper (Muskelspannung): Gestik, 109

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

»Hatten seit Ende des 19. Jahrhunderts Serienmomentphotographie und Film diesen Raum des optisch Unbewussten (Walter Benjamin) erobert, so wurde die solchermaßen photo- bzw. kinematographisch greifbar gewordene Bewegung in Labans Kinotographie als abstrakte Form ganz von der Körpergestalt ablösbar« (von Hermann: 135).

Der Solotanz wurde durch epische Massentanzszenen verdrängt, die Laban in Bayreuth inszenierte (Jarrett 1999: 97). »Einen unschätzbaren Einblick in das Wesen der deutschen Bühnenkunst taten wir gelegentlich unserer Mitwirkung bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth. Immer und immer muss ich wiederholen, dass der größte Meister deutscher Bühnenkunst auch uns Tänzern gezeigt hat, was wir zu erfüllen haben. Natürlich ist dazu die genaue Kenntnis der Wagnerischen Regietradition notwendig. Als mich Siegfried Wagner das erste Mal nach Bayreuth berief, gingen mir bei seiner freundschaftlichen Beratung die Augen dafür auf, dass wir hier an der Quelle deutschen theatralischen Kunstschaffens auch viel für den Geist und das Handwerk der Tanzbühne lernen können. Am meisten freute mich, dass Siegfried Wagner selbst in der neuen deutschen Tanzkunst eine Fortsetzung des Meisters erblickte und das Entstehen einer deutschen Tanzbühne mit uns erhoffte« (Laban 1936: 5f).

Wie Huschka und Hedwig Müller richtig sehen, gab es neben dem Ausdruckstanz, den ich hier umzeichnet habe, viele Strömungen, wie den Agitprop, Grotesktanz, den abstrakten Tanz von Vertretern wie Valeska Gert, Oskar Schlemmer (Bauhaus) etc. Diese sind so wie Anita Berber der Avantgarde zuzurechnen, weil sie nicht zum Ziel der Bühnenkarriere in einem bürgerlichen Opernhaus agierten, sondern politische Ziele verfolgten, Sozialklischees karikierten, experimentell mit Bühnenwerkstatt arbeiteten. Valeska Gert blieb »die Bewegungsform des Ausdruckstanzes« fremd (Müller 1993: 49), durch die grellen Überzeichnungen von Alltagstypen »meist von der Schattenseite der bürgerlichen Gesellschaft Haltung, Bewegungsansatz und –folge, Raum: Lokalität (Umgebung): Gruppenbezug und persönliche Peripherie (Kinesphäre), Ebenen und Richtungen etc. und Dynamik der Bewegungen: Die Antriebsfaktoren (efforts), Fokus, Raum, Druck, Kraft, Gewicht, Zeit, Tempo und Bewegungsfluss. Letztendlich gibt es nach Laban 8 Bewegungsfaktoren: Raum/Fokus: direkt (nah, linear, gerichtet etc.) und indirekt (flexibel, ungerichtet, mehrdimensional etc.), Kraft/Druck: stark (fest, kräftig, energisch, lebhaft) und leicht (zart, fein, luftig, schwerelos, kraftlos), Zeit/Tempo/Geschwindigkeit: plötzlich (schnell, rasch, eilig, beschleunigend etc.) und allmählich (langsam, legato, gemächlich, zögernd), Fluss: frei (gelöst, unkontrolliert, ungebunden, zügellos etc.) und gebunden (kontrolliert, gespannt, gehemmt, stockend, pausierend etc.). 110

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

– wollte sie die spießige Selbstzufriedenheit, Ignoranz und Behäbigkeit denunzieren« (ebd.). Oskar Schlemmer wiederum wollte den technischen Riesenapparat, der sich hinter den meisten Bühnen verbirgt, dem Zuschauer nahezubringen, als Selbstzweck, in seiner eigentümlichen neuartigen Schönheit (bauhaus 3/1927; nach Stöckemann 1993: 71). Ballette, Pantomimen, Form-, Farb- und Lichtspiele sollten auf der Bauhausbühne, aber auch außerhalb vorgeführt werden (Dokumente vom ersten internationalen Tänzerkongress in Magdeburg, abgedruckt in Müller/Stöckemann 1993: 68). »Professor Oskar Schlemmer vom Dessauer Bauhaus sprach dann über die Abstraktion im Tanz und Kostüm. In einer Zeit des Überganges, wo das Chaos der Gefühle herrsche, sei es ratsam, sich auf die Werte zu besinnen, die in Maß, Zahl und Gesetz beschlossen seien. Die Schöpfungen der Tanzkunst der Tanzkunst erwüchsen aus dem Raumgefühl und seinen vom Standpunkt des Raumes, der Form und der Farbe zu betrachten« (Ein Bericht vom ersten internationalen Tänzerkongress in Magdeburg, abgedruckt in Müller/ Stöckemann 1993: 66). 58

Mary Wigman war »von der Idee des Tanzes als heilige und religiöse Kunst besessen« (Huschka 2002: 179), der Körper wurde als spirituelles Medium geläutert, entindividualisiert (ebd. 190). Sie gründete ihre Tanzschule 1920 in Dresden. Gret Palucca trennte sich von Wigmans Tanztruppe 1923, gründete 1924 ihre eigene Tanzschule. Sie wurde durch Bauhaus-Künstler wie Wassily Kandinsky, Lázló Moholy-Nagy und Oskar Schlemmer unterstützt (Huschka 2002: 180). Nach 1933 emigrierten viele Tänzerinnen und Tänzer aus Deutschland. Wie in anderen Bereichen auch, arrangierten sich manche auf unterschiedliche Art mit den Nazis. Mary Wigman z.B. eröffnete die Olympiade 1936 in Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Ära des reinen Ausdruckstanzes vorüber. Heute gibt es die verschiedensten Formen von Ausdruckstanz, Tanztheater etc., und daneben weiterhin das Ballett.

58 Oskar Schlemmers Triadisches Ballett und die Bauhausbühne hatten durchaus viel Einfluss auf die weitere Tanz- und Theaterentwicklung, vor allem in den USA (Pawelke 2005, Scheper 1988). 111

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Varieté, Nackttanz und Striptease Auf dem Weg vom Ballett zum Ausdruckstanz geht es um die Entwicklung im hochkulturellen Bereich. Wendet man sich dem Varieté-Tanz und dem Nackttanz, aus denen sich die Revuen in den 20er Jahren entwickelt haben, und dem Striptease zu, hat man es mit Unterhaltungsund damit letztlich Massenkultur zu tun, die zum Teil auch in der Demi Monde angesiedelt war. Balk verweist in ihrem Beitrag zum Ausstellungsband »VarietéTänzerinnen um 1900. Vom Sinnenrausch zur Tanzmoderne« darauf, dass die Loslösung des Varieté-Tanzes von der »schematischen Körperlichkeit und dem Bewegungskanon romantischer Balletttradition ein Pionierakt« (Balk 1998: 48) war. Zu den Varietétänzerinnen gehören Namen wie Isadora Duncan, Ruth St. Denis, La Goulue, Loïe Fuller, Maud Allan, Mata Hari, in den 20er Jahren dann Anita Berber und Josephine Baker u.v.a. Balk hebt hervor, dass die berühmten Ballerinen die ersten Stars der Theatergeschichte waren, betont allerdings, dass die »anämischen, nicht lebendigen und unwirklichen Geschöpfe der Ballettromantik« Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr gefragt waren (Balk 1998: 35). »Dem Leben zugewandte weibliche Geschöpfe wollte das Publikum sehen, voller Sinnlichkeit und Leidenschaft. Die Ballettbühne lieferte sie nicht. Genau diese Lücke entdeckten die Varieté-Tänzerinnen und füllten sie auf ihre unterschiedliche Weise aus« (ebd.). Die Varieté-Tänzerinnen choreographierten ihre Tänze selbst – das war zu dieser Zeit nicht selbstverständlich – im Ballett gab es in der Regel einen männlichen Choreographen, dessen Entwürfe die Ballerinen umsetzten (vergl. Balk 1998: 48). Ebenso tanzten sie mit auffälligen Kostümen bzw. nackt oder halbnackt und auffallend geschmückt. In der Regel gab es keine aufwändigen Bühnenbilder in den Varietés, so mussten die Tänzerinnen für starke optische Reize sorgen (Balk 1998: 25f). »Von den Fesseln des erstarrten Balletts gelöst, kreierten sie Darbietungen, mit denen sie die Entwicklung des modernen Tanzes vorbereiteten. Doch in den einschlägigen Tanzlexika wird man vergeblich einst so klangvolle Namen wie La Belle Otéro, Cléo de Mérode, Saharet, Olga Desmond oder Anita Berber suchen. Die frivole Muse des modernen Tanzes ist nicht mehr präsent – vielleicht gar absichtsvoll vergessen aufgrund der ihr anhaftenden Unseriösität« (Balk 1998: 7).

Balk betont, dass die These, dass die Varieté-Tänzerinnen die Tanzmoderne vorbereitet hätten nicht neu sei, aber nur als Marginalie behandelt 112

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

worden sei. Sie bezieht sich dabei auf verschiedene zeitgenössische Kritiker (Balk 1998: 8). Den Vertreterinnen blieben die bürgerlichen Opernbühnen versperrt: »Der neue Tanz hatte sich an anderen Orten durchzusetzen als den großen Ballettbühnen etablierter Opernhäuser« (Balk 1998: 50). Eine Darbietung im Varieté musste folgende Anforderungen erfüllen: kurz, prägnant und damit unverwechselbar und sich scharf gegen andere Darbietungen abgrenzend und optisch einprägsam (Balk 1998: 11). Mit diesen Einschränkungen bot das Varieté die Möglichkeit für freien, kreativen neuen und entfesselten Tanz, was von den bürgerlichen Institutionen nicht gewollt war (Balk 1998: 55). Gleichzeitig war der Tanz hier von der Übermittlung von narrativen Gehalten enthoben. »Das Ziel, das mit dieser Form populärer Unterhaltung erreicht werden sollte, war die Zerstreuung« (Ochaim 1998: 71). Während Ochaim hervorhebt, dass mit der fehlenden Bedeutungsvermittlung und der Anwendung des Montageprinzips der Eintritt in die Moderne vollzogen wurde (Ochaim 1998: 71), wagt Balk die These, dass die Varieté-Tänzerinnen und die Bildenden Künstler, die häufig Varieté-Tänzerinnen abbildeten, miteinander eine »Verwandtschaft der Künstlerseelen« teilten: »Sie waren erfüllt vom Revoltieren gegen das traditionelle Erstarren des Balletts wie der akademischen Kunst« (Balk 1998: 43). Beispiele hierfür sind Toulouse-Lautrec und Dix, der bekanntlich Anita Berber malte. Die Tänzerinnen trennten nicht mehr zwischen körperlicher Darstellung und persönlichem Empfinden wie Isadora Duncan oder tanzten abstrakt wie Loïe Fuller (ebd.). »Sie stellten den Tanz selbst ins Zentrum und gaben damit ihrem eigenen Körper einen höheren künstlerischen Stellenwert. Er stand in direkter Verbindung mit ihrem künstlerischen Tun, er war nicht mehr Mittler einer Metaebene, die es darzustellen galt« (Balk 1998: 55). Improvisation war in diesen Tanz integriert (ebd.). Zügellos und entfesselt, in Trance, Extase und Rausch, so konnte nur im Varieté getanzt werden: »Als in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts bereits zahlreiche Tabus bis zur Nichtigkeit an Wirkung verloren hatten, war in Anita Berbers und Sebastian Drostes Programm Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase ihre SoloTanzdarstellung eines Rauschzustandes durch das titelgebende Cocain noch immer die skandalträchtigste Darbietung« (Balk 1998: 59).

Der Nackttanz fand nach dem Ersten Weltkrieg überall in Europa und Amerika Verbreitung. (Jarrett 1999: 10). Neben Anita Berber sind die Folie Bergère zu erwähnen, ihnen folgten die Revuegirls. Sehr deutlich formuliert Jarrett den künstlerischen Anspruch Anita Berbers, die nie 113

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

den Versuch unternommen hatte, in die bürgerlichen Theater zu gelangen: »In den zwanziger Jahren trat die Ausdruckstänzerin Anita Berber in Berliner Kabaretts und Nachtclubs auf, erwartete aber von ihrem Publikum, dass es ihre Darbietungen würdigte wie eine Opernaufführung« (Jarrett 1999: 9). Und darüber hinaus: »Anita verlangte, dass man ihre künstlerische Botschaft wahrnahm, sie wollte, dass man ihre ausdrucksvolle Sexualität als Kunst anerkannte und sie als erotische Künstlerin akzeptierte« (Jarrett 1999: 93f).

Der später aufkommende Striptease, die Kunst der erotischen Entkleidung, enthält gekonnte Andeutungen und raffinierte Verzögerungen während des verführerischen Tanzes. Oft werden dabei auf der Bühne Geschichten inszeniert. Entscheidend sind Erotik, Sexappeal, Ausstrahlung und Phantasie. Zum Teil identifiziert sich der Zuschauer während des Strips mit der Darstellerin und projiziert in sie seine erotischen und exhibitionistischen Wünsche. Oben zitierte ich bereits Quinsel, der davon ausgeht, dass der Exhibitionismus in seinen schwächeren Formen »die verbreitetste Form der einfachen Abartigkeit im Geschlechtsleben« sei (Quinsel 1971: 14). Damit, und mit dem Gegenstück, dem Voyeurismus, der Schaulust, ließe sich zum Teil auch der Erfolg von erotischen Darstellungen und Tanzdarbietungen erklären. Der Striptease gibt also ein großes sinnliches Versprechen, das durch den nackten Körper niemals eingelöst werden kann, denn der Zuschauer verharrt beim klassischen Striptease in der Rolle des Zuschauers. Vorläufer bilden Lydia Thompson und die British Blondes, die 1868 die ersten waren, die nicht in langen Röcken, sondern in hautengen aber blickdichten Strumpfhosen und »Skirts« (knielange Hemdkleider) auftraten und das weibliche Bein zeigten. Der Cancan aus Paris war ebenfalls eine Sensation, die dem Nackttanz und dem Striptease vorausging. Exzentrik und Individualität waren beim CanCan Programm (Ochaim 1998: 79). »Beim erotischen Tanz und beim Striptease entsteht eine gewisse Intimität zwischen Darstellerin und Publikum: Jeder Zuschauer soll das Gefühl haben, dass der Auftritt nur für ihn allein bestimmt ist und dass die Darstellerin seine Phantasien auslebt. Die Konventionen des klassischen Bühnentanzes hingegen – Tanztechniken, Bühnenausstattung und aufwändige Bühnenbilder – erzeugen eine Distanz zwischen Publikum und Künstlerin. Die Stripteasedarstellerin setzt nur ihr raffiniertes Bühnenkostüm ein, das mit ihrer Persönlichkeit in Einklang steht und die Phantasie der Zuschauer anregt. In ihrer Darbietung verbinden sich die Phantasien der Tänzerin mit denen des Publikums. Die starren Konventionen der klassischen Tanzkunst haben es dem erotischen Tanz 114

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

erschwert, sich an bürgerlich-etablierten Theatern durchzusetzen, und die Erotik- und Stripteasetänzerinnen wurden von ihren Kolleginnen an klassischen Bühnen nie anerkannt. Immer wieder mussten sie die Beschneidung ihrer künstlerischen Freiheit durch die Zensurbehörden hinnehmen und lösten mit ihren Darbietungen regelmäßig Proteststürme und heftige öffentliche Debatten aus« (Jarrett 1999: 8).

Damit kommen wir zum Kunstbegriff, den sie anhand des erotischen Tanzes erörtert: »Die Aufspaltung in ›seriöse‹ und ›unseriöse‹, in klassische und Unterhaltungskunst hat dazu geführt, dass man im 20. Jahrhundert Kunst und Pornografie als Gegensätze definiert. […] Trotz der Faszination, die die Stripteasekünstlerinnen und ihre erotische Ausdruckskraft auf das Publikum ausüben, verweigert man ihnen die Anerkennung als Künstlerinnen. Nur in sozialen oder politischen Krisenzeiten, wenn die Zensurinstanzen ins Wanken geraten und die Maßstäbe für Kunst und Pornografie radikal in Frage gestellt werden, erfährt auch der erotische Tanz eine gesellschaftliche Aufwertung« (Jarrett 1999: 9).

Dieser Aspekt ist wichtig, wenn man sich klarmacht, dass der avantgardistische und postmodernistische Ansatz die Gegensätze von high and low, Kunst und Pornographie etc. aufheben will. Nicht erst im 20. Jahrhundert wird diese Trennung vollzogen. Jarrett beschreibt die Tatsache, dass Tänzerinnen des erotischen Genres keine Anerkennung erfahren, dass die Auflösung der Differenz von Kunst und Pornographie nur in sozialen oder politischen Umbruchzeiten stattfindet. Sie übersieht hierbei, dass es in Bezug auf kulturelle Bereiche, wie auch in anderen Bereichen, Distinktionsmechanismen der oberen Klassen gab, dass mit der bürgerlichen Gesellschaft diese Trennung manifestiert wurde, dass die Auflösung dieser Grenzen über gesellschaftliche und künstlerische Bewegungen möglich ist, und dazu bürgerliche hegemoniale Strukturen, Normen und Begriffe, der bürgerliche Kunstbegriff, und damit die bürgerlich-etablierten Kunstinstitutionen, in Frage gestellt werden müssen. Zum Aspekt der Sicht auf Tänzerinnen, die immer einen schlechten Ruf genossen, egal ob Ballerinen, die so schlecht bezahlt waren, dass sie nicht einmal ihre handgefertigten seidenen Ballettschuhe damit bezahlen konnten (Balk 1998: 30), sich prostituieren mussten und ihren Körper in jeder Beziehung verkaufen mussten (Klein 1994: 118), um zu überleben, aber auf der Opernbühne bestaunt und in den Künstlerhimmel gehoben wurden, oder ob es Varieté-Tänzerinnen, Nackttänzerinnen oder Stripperinnen waren, schreibt Jarrett: »Erotik und ihr Verhältnis zu Kunst und Pornographie werden immer wieder neu definiert. Doch während sich 115

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

die Maßstäbe für Kunst und Pornographie verändern, ist unsere Sicht der Erotiktänzerinnen gleich geblieben« (Jarrett 1999: 9). Verbinden lässt sich diese Sicht mit der Hartnäckigkeit der Haltbarkeit bürgerlicher Geschlechtsrollenklischees. »Ende der sechziger Jahre empörten sich viele Stripperinnen nicht nur darüber, dass man sie außerhalb des Gesetzes stellte, sondern auch, weil ihnen von feministischer Seite ein merkwürdiges Mitgefühl entgegengebracht wurde. Viele Feministinnen konnten sich nicht vorstellen, dass Stripperinnen möglicherweise Mitstreiterinnen im Kampf gegen die männliche Unterdrückung wären, und sahen in ihnen nur bemitleidenswerte Opfer« (Jarrett 1999: 13).

Im Gegensatz zu Jarrett, die über erotische Tänzerinnen schreibt: »Sie sind Göttinnen des Sex und zugleich sexuelle Objekte« (Jarrett 1999: 11), vertrete ich in Anlehnung an ihre Ausführungen zur Orientalischen Tänzerin als visuelles Subjekt, die Meinung, dass für erotische Tänzerinnen jedweder Couleur, die in Interaktion mit ihrem Publikum stehen, gilt, dass sie visuelle Subjekte und damit auch Sexualsubjekte sind. Darauf werde ich im Abschnitt über den Orientalischen Tanz weiter eingehen. Oliver König wiederum geht davon aus, dass nicht die Angeschauten die Macht haben, sondern dass die Inszenierung als solche die »Bemächtigung« der Frauen durch die schauenden Männer verhindert (König 1990: 269). Das folgende Zitat schließt folgerichtig den Kreis zum Stichpunkt »Exhibitionisten sind Nonkonformisten«: »Stripperinnen sind starke Frauen, die auf ihre sexuelle Ausdruckskraft stolz sind, eine Ausdruckskraft, für die die Formalismen des klassischen Tanzes kaum Raum lassen« (Jarrett 1999: 9). Zur Entstehung des Striptease muss man die Geschichte der Burlesque, deren gefeierter Star Lydia Thompson war, mit einbeziehen. Jarrett erörtert, dass Lydia Thompson mit der Einführung von Strumpfhosen und dem Wasserstoffperoxydblond »das Idealbild des Revuegirls als langbeinige blonde Schönheit« schuf und gleichzeitig »mit ihrer Form der ›Burlesque‹ « den Grundstein für den Striptease legte (Jarrett 1999: 14). »In England versteht man unter der Burleske immer noch die Farce des 19. Jahrhunderts, eine Mischung aus Gesang, Tanz, Parodie und deftiger Satire. Diese Form des Theaters bediente sich der Pantomime und des Geschlechtertauschs, was es den Frauen ermöglichte, zum ersten Mal in Strumpfhosen aufzutreten und ihre Beine zu zeigen. Lydia Thompson bot dem amerikanischen Publikum etwas Neues: eine rein weibliche Truppe schöner Blondinen« (Jarrett 1999: 14).

116

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

Im 20. Jahrhundert wurde die Burlesque in den USA immer mehr zum Synonym für Striptease. Nach 1945 gab es Nachtclubs, in denen der »Schönheitstanz«, wie der Striptease noch in den 50er Jahren bezeichnet wurde, gezeigt wurde. Zur Zeit verkommt der Striptease zu einer banalen, einfallslosen Darbietung. Eine Sonderform des erotischen Tanzes ist die sich aus der Burlesque ableitende New Burlesque. Die New Burlesque ist eine neuere in den USA in Mode gekommene Sonderform des humorvoll-erotischen Tanzes, bei dem typischerweise nicht nur Frauen auftreten, die dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechen. Die New Burlesque leitet sich aus der tänzerischen Burleske des 19. Jahrhunderts ab – erotischen Tänzen, die mit frechen Sprüchen kombiniert wurden. Charakteristisch für die tänzerischen Aufführungen der New Burlesque, ist, dass nicht nur Tänzerinnen mit einheitlichen Traum-Maßen auftreten, sondern auch vollschlankere Frauen mit weniger attraktiven Figuren. Sie tragen glitzernde, oft extrem pompöse Bühnen-Outfits, ihre Münder sind meist sehr schrill geschminkt, ihre Haut sehr weiß und ihre lockige Haarpracht extrem blondiert. Die Tänze sind weniger perfekt einstudiert als beim Striptease und nehmen sich nicht so ernst. Die Frauen stellen übertrieben ausstaffierte Zimmermädchen, Krankenschwestern etc. dar. Die letzten Hüllen fallen nicht. Die Nippel bleiben bedeckt, die Höschen werden nicht ausgezogen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Nackttanz, Striptease, New Burlesque, Cancan etc. Tanzformen sind, die nicht zum bildungsbürgerlichen Kanon gehören. Daher wird ihnen die Anerkennung als Kunst(form) verwehrt. In der bürgerlichen Gesellschaft muss der Körper erst von Sexualität, Trieb, Erotik bzw. erotischer Ausstrahlung »gereinigt« werden, und kann dann als leeres Gefäß für kontemplative Ergüsse und sozialdarwinistische und andere Ideologien dienen. Dass dieser Umgang mit dem menschlichen Körper und der Sexualität/Erotik nicht folgenlos bleibt, ist unserer Geschichte ablesbar: Das Beispiel Mary Wigman ist das tänzerische Gegenstück zu der bürgerlichen »Frauenrechtlerin« Gertrud Bäumer, die der faschistischen Ideologie ebenfalls erlag (Wohler 1996). Nacktheit war zur Jahrhundertwende und in den 20er Jahren ein großes Thema. Um jedoch den Nackttanz richtig einschätzen zu können, bedarf es der Betrachtung der entgegengesetzten kulturellen Bewegung, der Nacktkörperkultur.

117

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Die Nacktkörperkultur und ihr Verhältnis zum Körper In den verschiedenen Ausprägungen der neuen Körperkulturbewegung, wie der Lebensreformbewegung, ging es um ein neues Verhältnis der Menschen zu ihrem Körper. Die Freikörperkultur war aber asexuell, und keine sexuelle Revolution: »Die Körper- und Nacktkulturbewegung hatte sich in Abgrenzung zu dem erotomanischen Kult des fin de siècle entwickelt« (Klein 1994: 138). Innerhalb der Körperkulturbewegung bekommen in den 1920er Jahren die Bewegungsanleitungen »einen reglementierenden Kodex von nicht selten totalitärem Charakter. […] Besetzt mit völkisch-nationalen Idealen von Tüchtigkeit, Zucht und Ordnung propagiert die Körperkultur der 1930er Jahre schließlich eine entsexualisierte Nacktheit und ›Natürlichkeit‹. Die vormals beschrittenen ›Wege zu Kraft und Schönheit‹ der Körperkulturbewegung reinigt der Nationalsozialismus von ihrer lebensideologischen Richtung und formt eine radikal-stählende Leibeszucht« (Huschka 2002: 93f).

Huschka ergänzt hierzu, dass im Vorfeld der 1920er Jahre der vernünftige Körpergebrauch innerhalb der Körperkulturbewegung zusehends an Bedeutung gewann und Bewegungsanleitungen einen reglementierenden Kodex von nicht selten totalitärem Charakter erhielten (Huschka 2002:: 93). Die Ausführungen zur Nacktkultur des schwedischen Psychiaters Ullerstam, der sich, wie man an den folgenden Ausführungen sehen kann, nicht nur mit den sexuellen Minderheiten auseinandersetzt und gegen die Normierung von sexuellem Verhalten arbeitet, sondern auch mit dem Puritanismus abrechnet, wirken fast polemisch: »Eine bizarre Form des Neo-Puritanismus ist der Nudismus (oder Naturismus, was eine seriösere Bezeichnung sein soll). Diese Bewegung will dadurch, dass sie die Nacktheit alltäglich macht, den Menschen von der verabscheuungswürdigen Last befreien, die darin besteht, dass man den Anblick eines nackten Körpers genießt. Sie scheint auch Erfolg zu haben, denn in ihren Publikationen findet man niemals erregte männliche Glieder« (Ullerstam 1965: 40).

Linse fällt die starke ideologische Überhöhung des neuen naturalistischen Körper- und Schönheitsgefühls auf. Er konstatiert darüber hinaus, dass die Nacktkulturbewegung nichts vehementer geleugnet habe als ihre sexuellen Aspekte (Linse 1989: 19). Die Ästhetik der Freiluft- und Nacktkulturbewegung sollte Nacktheit als »natürlich«, »rein« und »unschuldig« inszenieren. Meyer zeigt auf, dass die frühe Freikörperkultur

118

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

die Nacktheit vor allem mit hygienischen Argumenten legitimierte (Meyer 1994: 45) Guggenberger wiederum weist darauf hin, dass es eine »natürliche« Nacktheit in zivilisierten Gesellschaften nicht geben kann: »Natürliche Nacktheit ist nicht wiederholbar. Zwischen Naturnacktheit und Kulturnacktheit gibt es, aller naturseligen Nackttümelei zum Trotz, keine Brücke. […] Die ›natürliche Nacktheit‹ in der Kultur gibt es nicht!« (Guggenberger 1989: 165). Interessant ist die Tatsache, dass innerhalb der Nacktkulturbewegung aufgrund der asexuellen Haltung Männer nackt dargestellt werden sollten: »Die Ideologie der ›sauberen Natürlichkeit‹ der Nacktheit erlaubte, ja forderte geradezu die Einbeziehung des männlichen Aktes und die bisher weitgehende tabuisierte Darstellung von nackten Paaren und Gruppen« (Schmidt-Linsenhoff 1989: 127). Leibeszucht und Körperdisziplinierung dienten der Triebbeherrschung. Ziegler wiederum zeigt die Argumentationsschleifen der Nacktkörperkulturvertreter auf: »Da verbindet sich also ein fundamentaler Dissens (alle leben falsch) mit einer sophistischen Kritik (wer sich kleidet, ist eigentlich lüstern), die ein pädagogisches Konzept hervorbringt (alle sollen nackt sein etc.), das ein Heilsversprechen mit sich trägt (ein Leben in Aussöhnung mit der Natur). Der Dissens war Zeitgeist: die Menschen fühlten sich durch die Beschleunigungsprozesse von Industrie und Kapital bedroht. Die Kritik, der Vorwurf doppelter Moral, war die rhetorische Waffe beim späteren Aufbau der Organisationen, gegen Kirche und Justiz« (Ziegler 1990: 9).

Ziegler erörtert weiter, dass sich die Nacktkulturbewegung nach 1933 trotz des Zusammenhangs von völkischer Position – vertreten durch Heinrich Pudor und Richard Ungewitter – und Nacktkultur nicht in das Dritte Reich integrieren ließ, weil der »Schönheits- und Sonnenkult« ideologisch nicht anschlussfähig gewesen sei (Ziegler 1990: 15). Ziegler betont weiter den Einfluss Fidus’ auf die Nacktkultur. Fidus liefert der Zeitschrift »Schönheit« Federzeichnungen. Richard Ungewitter übernimmt dessen Illustrationen in seine Bücher (Ziegler 1990: 19). »In Werk und Leben des Malers Fidus kreuzen sich die vielfältigen, oft widersprüchlichen Linien der verschiedenen Reform- und Aufbruchsbewegungen der Jahrhundertwende – vom Jugendstil über die Freikörperkultur, den ethischen Vegetarismus bis hin zur völkischen Rassenlehre eines vor allem leiblich überlegenen arisch-nordischen Menschen. Fidus, der mit seinem ›Lichtgebet‹ die prägende Bildmetapher für die Erlösungssehnsucht all dieser Gruppen geschaffen hatte, war ein Schüler des Malers und entschiedenen Lebensreformers Karl Diefenbach, der streng vegetarisch in einem Steinbruch bei Mün119

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

chen lebte, angetan mit härener Tunika, Sandalen und wallendem Bart« (Andritzky 1989: 7).

Andritzky erörtert die fließenden Grenzen vom freien Spiel zur »Diktatur des Körpers« und verweist in diesem Zusammenhang auf die offen rassistischen und antisemitischen Propagandisten der Nacktkultur wie z.B. Richard Ungewitter (Andritzky 1989: 7). Linse wiederum unterstreicht die »Kombination von Erotik und Esoterik, Prüderie und Paradiesunschuld, von Kitsch und gekünstelter Keuschheit« bei Fidus (Linse 1989: 24). Es geht der Nacktkultur um keusche Nacktheit, asexualisiert und natürlich. Schön gilt ihr was natürlich ist. Beispiele für Titel von Zeitschriften dieser Kultur sind »Kraft und Schönheit. Zeitschrift für vernünftige Leibeszucht«, »Die Schönheit«, »Deutsch Hellas«, »Nacktsport. Illustrierte Zeitschrift für Theorie und Praxis des gesundheitsfördernden Nacktsportes«, »Lachendes Leben«, »Die Freude«, »Sonniges Land «, »Die neue Zeit«, »Licht-Land«. »Die Schönheit« hatte anfangs Probleme adäquates Bildmaterial zu finden, deswegen schrieb sie einen Photowettbewerb aus, der an Nudisten adressiert war, wichtig war den Herausgebern, dass es sich um »normal gewachsene« und nicht durch Korsetts entstellte Frauen handelte (Ziegler 1990: 11). »Die Schönheit« gab 1926 ein Laban-Heft heraus (Andritzky 1989: 82). 59

»Die Freikörperkulturbewegung und ihre Vertreter des Nackttanzes sahen die schlanken Leiber auf der Wiese, im Wald oder am Meer als reine Kunst an, die als ›Gliederspiel ungehemmt aus dem bewegten Inneren kommt‹. Der inszenierten Bühnen-Nacktheit standen sie mit Skepsis gegenüber, sie war für sie etwas Unechtes, das nur unter den begeisterten Blicken der Großstadtmenschen nachts im Fieber vor dem heißen Rampenlicht wirke. Anita Berber wurde zu jenen exotischen Treibhauspflanzen gezählt, die zwar durch ihr Wesen faszinierten, doch letztlich künstliche Produkte blieben« (Fischer 1989: 114).

Orientalischer Tanz und kulturelle Globalisierung Der Orientalische Tanz ist für mein Thema in mehrfacher Hinsicht interessant. Auf der einen Seite haben sich die Tänzerinnen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und auch in der Blütezeit des Ausdruckstanzes an 59 Diese Form des nackten Tanzens hatte nichts mit dem Nackttanz auf der Bühne zu tun. Es ging hierbei um das gymnastische Bewegen in der freien Natur. 120

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

orientalischen Phantasietänzen versucht, Beispiele habe ich im Varietéabschnitt bereits benannt, auf der anderen Seite gilt der Orientalische Tanz als Ursprung des Striptease60, und verkörpert damit auch den exhibitionistischen Aspekt von Tanz. Gleichzeitig möchte ich am Beispiel des Orientalischen Tanzes zeigen, dass kulturelle Globalisierung ein dynamischer Prozess ist und keine Einbahnstraße aus der westlichen Welt heraus darstellt, die einseitig der Verbreitung der westlichen Kultur dient. Gleichzeitig möchte ich an diesem Beispiel deutlich machen, dass diesem Prozess emanzipatorische Chancen und eine Bereicherung für beide Seiten innewohnen. Der Orientalische Tanz umfasst Folklore aus der Türkei, Ägypten, etc. den klassischen orientalischen Tanz »Raks Sharki«, im ägyptischen, aber auch im türkischen Stil und neuerdings auch Cross-Over-Stile, die Elemente aus verschiedenen Modetänzen, aus Jazzdance, Ausdruckstanz, Lateinamerikanischen Tänzen etc. enthalten. Den meisten Stilrichtungen ist jedoch gemein, dass die Körpermitte – das Becken und die Hüften – im Zentrum des Bewegungsspektrums steht. Es gibt zwar eine Reihe von Schritten, letztendlich liegt der Schwerpunkt aber auf den binnenkörperlichen Bewegungen und Akzenten, wobei die Arme die Bewegungen unterstreichen und den Körper umrahmen. Europäische Tänze sind im Gegensatz dazu raumgreifende Beintänze, bei denen die binnenkörperliche Bewegung – besonders der Körpermitte – ausgespart bleibt. Dietlinde Karkutli, eine der ersten deutschen Tänzerinnen, und womöglich die größte Vorreiterin in Deutschland, beschreibt den orientalischen Tanz wie folgt: »Dieser Tanz betont durch reiche, harmonische Linienführung weibliche Anmut und Schönheit. Hier wird [...] das Hauptaugenmerk auf die Körpermitte mit ihren binnenkörperlichen Bewegungen gelenkt« (Karkutli 1989: 34). Einflüsse des klassischen europäischen Balletts, wie die Arabeske, haben das Erdige und das Ursprüngliche des orientalischen Tanzes im Zuge seiner Entwicklung zum Showtanz zugunsten einer größeren Weite, Leichtigkeit und Eleganz verändert. Dies hat einerseits mehr Ausdrucksmöglichkeiten in den Tanz gebracht – und ist sicher auch als erste Cross-Over-Entwicklung zu be-

60 Von Seiten der Tänzerinnenschaft des Orientalischen Tanzes wird vehement bestritten, dass der Striptease aus dem Orientalischen Tanz entstanden sei. Jedoch kann man es einerseits einer Tanzgattung nicht zum Vorwurf machen, sollte aus ihrem Bewegungsrepertoire etwas Neues entstanden sein, sei es nun angenehm oder auch nicht, andererseits bietet sich aber genau das Bewegungsspektrum des Orientalischen Tanzes dazu an, zu einer Performance der erotischen Entkleidung genutzt zu werden, da der Orientalische Tanz ein sehr körpermitte-zentrierter Tanz ist und die Bewegungen durchaus lasziv getanzt werden können. 121

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

trachten – beraubt ihn zum Teil aber auch seiner elementar erotischen Ausstrahlung. Beim Orientalischen Tanz handelt es sich in seinen Ursprüngen verbreiteter Ansicht nach um einen Fruchtbarkeitstanz: »Es wurden Mumien von zwei jungen ägyptischen Tänzerinnen aus der elften Dynastie gefunden, die an Armen, Beinen, Füßen und auf dem unteren Bauch tätowiert waren. Eine Linie läuft ganz über den unteren Bauch und rund um die Hüften und endet in einem blattförmigen Brandmal auf jeder Gesäßhälfte. Diese kunstvolle Tätowierung von Sklaven ist ein Hinweis darauf, dass ihre Körper dazu bestimmt waren, enthüllt zu werden, und man kann vermuten, dass eine solche Dekoration des Bauches dessen Bedeutung beim Tanz nahe legt« (Buonaventura 1984: 51).

Buonaventura vermutet, dass Bauchtanz bei den verschiedenen »Zigeunern« bzw. Roma lebendig gehalten wurde, da diese weniger durch die Kontrolle der (monotheistischen) Religionen geprägt waren: »Manche Zigeunerforscher nehmen an, das Wort ›Rom‹ oder ›Romany‹ (engl.: Zigeuner) komme von dem Sanskritwort ›Dom‹, einer Kaste, die ihren Lebensunterhalt mit Singen und Tanzen verdiente« (ebd. 13). Besondere Erwähnung finden bei ihr die weiblichen Ghawazi aus Ägypten und die türkischen Çengi. »In der Tat leitet sich das alte türkische Wort für Tänzerin nach Meinung einiger Sachverständiger von ihrem Wort für Zigeuner, Çingene, ab« (Buonaventura 1984: 14). Das Wort Tanz stammt von dem Sanskrit-Wort tanha ab, gleichbedeutend mit Lebensfreude. »In ähnlicher Weise kommt das arabische raks vom assyrischen rakadu, was ebenfalls ›sich freuen‹ bedeutet« (ebd.: 21). Heute hat der Bauchtanz seinen Platz in der Volkskultur, auf Bühnen und in Nachtklubs: »Bis auf den heutigen Tag gibt es den Beruf der Solo-Bauchtänzerin in Ägypten. Diese ›öffentlichen Tänzerinnen‹, so genannt, weil sie früher unverschleiert auf öffentlichen Straßen und Plätzen auftraten, zeigten ihre Künste vorwiegend bei Hochzeits- und Beschneidungsfeiern – genau wie es heute noch, übrigens auch in der Türkei, üblich ist« (Karkutli 1989: 35).

Karkutli schreibt, dass der Orientalische Tanz erst mit dem Osmanischen Reich in die türkische Tradition aufgenommen wurde: »Die Osmanen hatten … den Bauchtanz im Zuge ihrer Auseinandersetzungen mit Ägypten – spätestens jedoch 1517 – kennengelernt, als die Macht des Islam vom Nil an den Bosporus wechselte. Der Tanz fand Eingang in den türki-

122

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

schen Harem als ein Mittel, die Gunst des Herrn und Gebieters auf sich zu ziehen, und verstärkte so seinen schlechten Ruf« (Karkutli 1989: 35).

Die Frage ist, ob mit den Çengi diese Tradition nicht schon vorher in der Türkei Bedeutung hatte. Sicher ist jedenfalls, dass der Orientalische Tanz sich im Harem zu voller Blüte entfaltete (Buonaventura 1984: 61), der berühmteste von ihnen war der des Topkapi-Palastes, Sitz der türkischen Sultane.

Der Orientalismus im Westen des 19. Jahrhunderts In Europa, vor allem aber in Frankreich, erlebte um 1850 der Orientalismus seinen Höhepunkt. In diesem Jahr reiste Flaubert nach Ägypten und in die Türkei, und Maler wie Delacroix, Gérôme und Ingres unternahmen ebenfalls Reisen in den Orient. »Indien und China waren besonders ferne Märchenlandprojektionen schon im Rokoko, als Louis Dupré und Jean-Georges Noverre die beiden Balettopern (»Les Indes galantes« und »Les Fêtes chinoises«, Anm. U.W.) 1735 und 1754 choreographierten. Eine weitere Welle der Orientbegeisterung setzte im Westen im 19. Jahrhundert ein. Nach Eroberung Algiers durch die Franzosen um 1830 begann ein bürgerlich geprägter Orientalismus als romantisches Fluchtziel« (Ploebst 2003: 33).

Der Orient wurde idealisiert als Versprechen sinnlicher Wonnen mit schweren Düften, Pracht und Leidenschaften (Buonaventura 1984: 50). Man kann also mit Fug und Recht von einer Romantisierung des Orients durch den künstlerischen Orientalismus sprechen, die nicht zufällig zur Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert als »naturnäherer« Gegenentwurf des Lebens entflammte. Edward W. Said äußert sich außerordentlich kritisch gegenüber dem Orientalismus als Ausdruck des europäischen Kolonialismus, dahingehend, dass der Westen den Orient ausgebeutet und selbst produziert habe: »Kurz, der Orientalismus ist ein westlicher Stil der Herrschaft, Umstrukturierung und des Autoritätsbesitzes über den Orient. [...] Es ist für mich entscheidend, dass man, ohne den Orientalismus als einen Diskurs zu überprüfen, unmöglich verstehen kann, durch welche enorme systematische Disziplin die europäische Kultur fähig war, den Orient politisch, soziologisch, militärisch, ideologisch, wissenschaftlich und imaginativ während der Zeit nach der Aufklärung zu leiten – und selbst zu produzieren« (Said 1981: 10)

123

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Buonaventura betont in Abgrenzung zu Said die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Europa und der arabisch-islamischen Welt, die schon vor dem Kolonialismus bestanden (Buonaventura 1991: 53). Es ist wichtig, sich mit dem Kolonialismus kritisch auseinanderzusetzen, für meine Fragestellung im Kontext der kulturellen Globalisierung als dynamischer Prozess ist es jedoch viel spannender, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Westen eine kulturelle Projektionsfläche brauchte, um mit seinen eigenen gesellschaftlichen Veränderungen fertig zu werden.

Der Orientalische Tanz im Westen Der Orientalische Tanz, von dem die reisenden Literaten so enthusiastisch geschrieben hatten, traf etwas später in der westlichen Welt selbst ein: 1893 traten »Little Egypt« (gebürtige Syrerin) und ihre Tänzerinnen auf der Columbischen Weltausstellung in Chicago auf (Karkutli 1989: 46f). Maud Allan interpretierte 1908 die Salome-Legende. Buonaventura konstatiert: »Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Kurtisanen trugen alle dazu bei, den Bauchtanz als vamphafte Versuchung darzustellen, und das daraus resultierende Klischee hat sich bis heute erhalten« (Buonaventura 1984: 92). Im Film hatte der Orientalische Tanz seinen festen Platz in den biblischen Epen der 1930er und 40er Jahre, Mae West führte den Shimmy ein und Mata Hari verkörperte eine moderne Salome, die aufgrund ihrer Spionagetätigkeit erschossen wurde (ebd: 97). Zu beachten ist hierbei jedoch, dass die westlichen Tänzerinnen zu dieser Zeit »orientalisch« tanzten, so wie sie sich Orientalischen Tanz vorstellten, nicht wie er wirklich war: »So entstand der verwestlichte orientalische Tanz, eine Kombination von Bewegungen des Oberkörpers, dramatischen Posen und ritueller Mimik« (Buonaventura 1991: 116). Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts eröffneten in Kalifornien die ersten Belly-Dance-Studios. In den 1980ern gab es in New York City 44 Bauchtanz-Schulen (Karkutli 1989: 60). Nach Deutschland schwappte die Bauchtanzwelle unter anderem über deutsche Frauen aus den USA, als Teil der westdeutschen Frauenbewegung, über. Es ist sicher kein Zufall, dass der Orientalische Tanz Europa als breites Phänomen erreichte, als die neue Frauenbewegung erstarkte. Karkutli fragt: »Wie konnte ein Tanz, dem das Image eines orientalischen Striptease anhaftete, dessen Name allein schon schlüpfrige Unanständigkeit auszudrücken schien und der nach der gängigen Meinung ein ›Anmach-Tanz‹ mit eindeutig 124

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

sexuellem Aufforderungscharakter ist, gerade bei jungen selbstbewussten Frauen, die sich wahrlich nicht als Lustobjekte für Männer verstanden, einen solchen Erfolg haben?« (Karkutli 1989: 61)

Sie beantwortet die Frage aus dem Blickwinkel der Selbsterfahrung: viele der Tänzerinnen hatten schon Ballett, Jazzdance oder westliche Volkstänze probiert, diese Tänze sind ihrer Ansicht nach aber nicht »in der Lage, tiefer liegenden, verkrusteten Gefühlen zum Ausdruck zu verhelfen. Besonders deutlich wird dies beim klassischen Ballett mit seinem streng vorgeschriebenen, manchmal fast militärisch anmutenden Schritt- und Bewegungsschema, das von außen angeordnet ist. Im Gegensatz dazu ist der Bauchtanz ein Improvisationstanz, der uns öffnet zu einer Spontaneität von innen heraus« (Karkutli 1989: 62).

Das heißt, dass durch diesen Tanz einem neuen Körpergefühl Raum verschafft wird, welches der bürgerlichen Körperdisziplinierung und dem Wettbewerb widerspricht. Bauchtanz ermöglichte also in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts einen neuen Zugang zum eigenen Körper, der durch die bürgerliche Sexualmoral, Puritanismus und Körperfeindlichkeit verbaut war. In den Anfangszeiten des Orientalischen Tanzes in Deutschland war es üblich, nicht nur den Tanz zu erlernen, sondern auch mit Entspannung und mit Massagen ein ganzheitliches Wohlfühlprogramm zu gestalten. »Für viele Frauen wurde die Auseinandersetzung mit sich selbst über den Orientalischen Tanz zu einem Selbstfindungsprozess, der oft zu einer entscheidenden Wende und zu einer neuen Standortbeschreibung wurde. Dass wirkliche Emanzipation nicht darin besteht, in der männer-orientierten Welt Erfolg zu haben, sondern im Bewusstwerden und Leben der eigenen weiblichen Stärken, dies wurde immer mehr zu einem Thema unter bauchtanzenden Frauen« (Karkutli 1989a: 42).

Damit skizziert sie gleichzeitig die Ziele der 80er-Jahre-Frauenbewegung. Empirisch gesehen gibt es aber nicht »die« Frauen, die Orientalischen Tanz als Selbsterfahrung und das Erlernen und Tanzen dieses Tanzes im Genuss der Frauengruppe sehen. Der erste Boom des Orientalischen Tanzes ging mit dem Trend der neuen bürgerlichen Frauenbewegung der 1980er Jahre konform. Eluan Ghazal unterstreicht den Aspekt, dass eine erotische Kultur geschaffen werden müsse und dass die emanzipatorischen Strömungen der 60er und 70er Jahre diese nicht geschaffen hätten, sieht aber immerhin, dass diese einen befreienden

125

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Aspekt hatten, indem sie bestimmte Entwicklungen erst möglich machten. Sie schreibt: »Die sexuelle Revolution der sechziger und siebziger Jahre hat dies nicht geschafft. Sie hat zwar Tabus gelockert und dadurch überhaupt erst den Boden für eine ›Bauchtanzwelle‹ vorbereitet, aber andererseits hat sie auch zu einer manchmal gefühllosen Beliebigkeit und oberflächlichen Vermarktung der (weiblichen) Sexualität geführt« (Ghazal 1993: 188).

Mit der langjährigen Etablierung des Tanzes in Deutschland und der damit einhergehenden Horizonterweiterung kristallisierten sich jedoch unterschiedliche Interessen innerhalb der Ausübenden heraus. Zu unterscheiden sind heute diejenigen, die den Orientalischen Tanz als Kunst neben anderen Tanzgattungen zu etablieren versuchen, professionell auftreten, unterrichten und sich damit eine künstlerische Selbständigkeit aufbauen, von jenen, die den Tanz aus unterschiedlichsten Gründen als Hobby betreiben. Es gibt Frauen, die möglichst »authentisch« orientalisch tanzen wollen, obgleich »Authentizität« ein Begriff ist, der keinen Sinn macht. Kulturen bestehen nie unberührt von äußeren Einflüssen. Andere Tänzerinnen wollen den Tanz weiterentwickeln und erarbeiten Cross-Over-Stile, die sie etablieren möchten. Dabei fällt auf, dass unter den Hobbytänzerinnen viele das »rein Orientalische« bevorzugen, während orientalische Frauen auf Festen auch gerne moderne Mischformen sehen. Heute kommen viele Frauen in orientalische Tanzkurse, weil sie etwas für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden tun möchten. Orientalischer Tanz eignet sich sehr gut als Alternative zur Wirbelsäulengymnastik, weil er andere Möglichkeiten zur Mobilisierung und Stabilisierung besitzt und zudem als Tanz mehr Spaß macht als Gymnastik ohne Musik. Verallgemeinernd lässt sich also sagen, dass es nicht das eine Ziel gibt, welches deutsche bzw. westliche Frauen im Orientalischen Tanz verbindet, und so, wie es nicht das eine feministische Subjekt »Frau« gibt (Butler 1991), gibt es auch nicht »die« orientalisch tanzende Frau. Verbindend bleibt die Freude an der Bewegung und die Erweiterung des Bewegungsrepertoires gerade in der Körpermitte, welches ein neues Körper- und Selbstwertgefühl, einen neuen Zugang zur – auch erotischen – Selbstdarstellung bewirkt.61 61 Der Orientalische Tanz bietet so den unterschiedlichsten Frauen eine Möglichkeit sich auszudrücken. Dadurch, dass vom »Bauchtanz« immer wieder als dem »weiblichsten aller Tänze« gesprochen wird, liegt einerseits nahe, dass er sich innerhalb der klassischen Geschlechtsrollenklischees bewegt, andererseits kann genau das auch eine Chance für Subversion durch Parodie bedeuten. Beispiele hierfür sind Travestie-Nummern, männliche Tänzer etc., die diese Natürlichkeit optisch und performativ 126

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

In Europa und den USA gewinnt der Orientalische Tanz an Bedeutung – die Tänzerinnen arbeiten intensiv daran, ihm den ihm anhängenden halbseidenen Ruf durch große Shows, inhaltliche Aufklärung und die Einführung von technischen Qualitätsstandards zu nehmen und ihn dadurch anderen Tanzstilen als ebenbürtige Kunst gleichzusetzen. In Kairo bekommen einzelne Startänzerinnen wie Fifi Abdou und Dinah sehr hohe Gagen und sind nicht nur in Kairo, sondern auch in den Emiraten und den USA tätig. »Fifi Abdou ist eine reiche Frau: Sie besitzt bedeutende Kapitalanlagen bei ausländischen Banken in der Schweiz, und ihre Gage reicht aus, um davon ein Orchester von 52 Musikern zu finanzieren« (Jarrett 1999: 164). Dennoch haftet einer Tänzerin ein gesellschaftlicher Makel an, wenn sie in einem Nachtklub tanzt, tanzt sie auch noch so gut. Gleichwohl kann davon gesprochen werden, dass der Orientalische Tanz in der arabischen Kultur eine einmalige Position besitzt und als Kunst wertgeschätzt wird. Die ägyptischen Spielfilme sind ein Indiz für die Beliebtheit des Bauchtanzes. »In der westlichen Kultur gelten Pornographie und Kunst als unvereinbar. Anita Berber erhielt mit ihrem Tanz nie die künstlerische Anerkennung, nach der sie strebte. Maud Allan war entsetzt über den Skandal, den sie mit ihrer Salome-Darbietung auslöste. In Kairo ist der Bauchtanz sowohl ein sinnlicher Reiz als auch eine erotische Kunst. Bauchtänzerinnen, mit denen ich mich unterhielt, sprachen oft von der Sinnlichkeit der arabischen Kultur, die ein Klima schaffe, in dem ihre Kunst gedeihen könne. Verschärfte Zensurbestimmungen als Ergebnis einer zunehmend fundamentalistischen Politik bedrohen jedoch diesen einzigartigen Status der Bauchtänzerinnen« (Jarrett 1999: 165).

Wie ich bereits im Postmoderne-Kapitel erörtert habe, geht es bei der Postmoderne nicht nur um die Auflösung der Trennung von Kunst und Alltagskultur, sondern auch um die von Kunst und Pornographie, womit auch eine neue Denkweise Einzug hält, nämlich wenn, dann nur nach Qualität zu unterscheiden (Fiedler 1968). Deswegen finde ich den Aspekt, den Jarrett hier thematisiert, einerseits wichtig, andererseits ist er problematisch, weil sie damit gerade mit der Normierung, Kategorisierung und Trennung operiert. Lässt man sich auf die von ihr gewählten Begrifflichkeiten ein, ist die Verwendung des Begriffs Pornographie im Zusammenhang mit Orientalischem Tanz allerdings äußerst heikel, da eine Kunstform, die erotische Anteile bzw. eine sinnliche Ausstrahlung besitzt, auch im bürgerlichen Kulturverständnis nicht automatisch als hinterfragen. Darüber hinaus kann schon die Schaffung eines neuen Körperbewusstseins, das die Körpermitte betont, in körper- und sexualfeindlichen Bezügen subversiv und emanzipatorisch gelten. 127

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Pornographie gilt. Orientalischer Tanz ist weder die tänzerischkünstlerische Umsetzung sexueller Penetration, noch sind orientalische Tänzerinnen dermaßen spärlich bekleidet, dass man ihre Genitalien erblicken könnte. Die tänzerische Darbietung zielt auch nicht direkt auf sexuelle Erregung. Dass die westliche bürgerliche Kultur ein Problem mit erotischen Darstellungen hat, beobachtet sie allerdings richtig. Die Bedeutung des Begriffs Pornographie hat sich mit dem bürgerlichen Zeitalter von der politischen erotischen Satire zum Produkt zur sexuellen Erregung verschoben (Hunt 1994). Im Ancien Régime diente beispielsweise erotische Literatur durchaus der Herrschafts- und Gesellschaftskritik. Je größer die Verbreitungsmöglichkeiten solcher Schriften wurden, desto mehr standen die Ordnungshüter auf dem Plan, und umso gefährlicher wurden diese Produkte eingestuft. Nichtsdestotrotz muss man mit dieser Begrifflichkeit vorsichtig sein, denn Sinnlichkeit und erotische Ausstrahlung im Tanz sind nicht gleichbedeutend mit der pornographischen Darstellung sexueller Akte. Orientalischer Tanz unterscheidet sich im Verhältnis zu westlichen Tänzen nicht nur hinsichtlich seiner Körpermitte-Zentrierung. Gleichzeitig gibt es eine andere Form des Agierens, was einen entscheidenden Einfluss auf das Verhältnis von Tänzerin und Publikum als Rezipienten hat. Tänzerin und Publikum kommunizieren miteinander, das verleiht der Tänzerin einen Status als visuelles Subjekt. Jarrett hebt den SubjektObjekt-Charakter des westlichen Bühnentanzes hervor: »Die Phantasiewelten des Balletts beispielsweise verwandeln die Künstlerin in ein visuelles Objekt. Der Zuschauer wird zum reinen Betrachter; Tänzerin und Zuschauer teilen kein gemeinsames Erlebnis« (Jarrett 1999: 169). Die Tanzkunst in der Oper wird kontemplativ genossen. Im Gegensatz dazu hat der Orientalische Tanz einen interaktiven Charakter und wird im westlichen Kontext gerade deswegen als anrüchig angesehen. Die lateinamerikanischen Tänze, die mit oft wesentlich mehr gezeigter Haut vorgeführt werden, sind dagegen nicht dem zweifelhaften Ruf des Orientalischen Tanzes ausgesetzt. Ein Grund hierfür könnte die Partnerorientierung der Tänzer und Tänzerinnen sein, die sie beim Betrachter in den visuellen Objektstatus befördert. Die brasilianische Samba wiederum wird zwar einzeln getanzt, ist allerdings in den Karneval eingebunden, und auch wenn sie als Showtanz vorgeführt wird, bleibt dieser Kontext erhalten. Wie auch beim Ballett, bleibt die Interaktion zwischen Tänzern und Publikum hier aus. Jarrett beschreibt die Problematik fehlender Interaktion, vor allen in Zeiten verstärkter sexueller Repression: »Wenn Bauchtänzerinnen zu ihrem eigenen Vergnügen auftreten, dann ist ihnen allen eine intime sexuelle Sprache gemein, eine Sprache, die sie auf der 128

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

Bühne verwundbar macht. Die arabische Tradition der Interaktion und der Einbeziehung der Zuschauer schafft eine Atmosphäre, in der die Tänzerin ihre ›intime Sprache‹ zum Ausdruck bringen kann. Ist dieser Rahmen nicht gegeben, entsteht zwischen Darstellerin und Publikum eine Distanz, die sexuelle Begierden weckt und pornographische Phantasien nährt« (Jarrett 1999: 169).

In der interaktiven Kommunikation zwischen Tänzerin und Publikum erhält die Tänzerin einen Subjektstatus, während sich in der Distanz Phantasien des Publikums ungebrochen entfalten können. In die Tänzerin werden Phantasien projiziert, die sie in der Interaktion beeinflussen und lenken kann. Das bedeutet nicht, dass in der Interaktion keine erotische Spannung entsteht, nur die Tänzerin bleibt nicht im Objektstatus stehen, sondern ist aktiv und steht in einem Dialog mit Zuschauern und Musikern. Gerade das wird im westlichen Kontext als bedrohlich empfunden und verschafft der Tänzerin und ihrer Kunst einen schlechten Beigeschmack. Jarretts Ansicht nach wird die orientalische Tänzerin dadurch auf der Bühne verwundbar, dass sie nicht mit dem Publikum kommunizieren kann. Sie würde sich damit aber nur in die Rolle von Tänzern anderer Tanzgattungen einreihen, wenn Jarrett damit Recht hätte. Allerdings kommuniziert und »spielt« die orientalische Tänzerin selbst von der Bühne aus noch mit dem Publikum. Die Bedeutung des Orientalischen Tanzes zeigt sich also schon daran, dass die Tänzerin ein visuelles Subjekt ist. Interessant ist daneben Jarretts Einschätzung, dass der Orientalische Tanz in der westlichen Welt eine starke Veränderung erlebt, die ihn entsexualisiert: »Eine andere Art von Distanz entsteht, wo der Bauchtanz als Fertigkeit angesehen wird, die es zu erlernen und zu meistern gilt. In den USA zum Beispiel, wo der Bauchtanz zur Zeit eine Renaissance erlebt, wird der Technik weit mehr Wert beigemessen als der Persönlichkeit der Tänzerin, was dazu führt, dass der Tanz beinahe asexuell geworden ist« (Jarrett 1999: 169).

Das trifft jedoch nicht zu, vor allem, da sie die Zusammenhänge sehr vereinfacht. Tänzerinnen europäischen Ursprungs machen immer wieder die Erfahrung, dass ihnen gesagt wird: »Für eine Europäerin (oder Deutsche) tanzt du aber sehr gut!«. Die allgemeine Auffassung, dass jede orientalische Frau den Orientalischen Tanz per se mit der Muttermilch aufgesogen hat, ist jedoch falsch. Korrekt ist, dass er in ihre Kultur eingebettet ist. Wie jeder andere Tanz, muss der Orientalische Tanz – nicht zum Alltagsgebrauch zum eigenen Vergnügen, aber als Bühnen- und Showtanz – erlernt werden. Dazu gehören Schrittkombinationen, ausdifferenzierte Bewegungen und Akzentsetzungen, die der Interpretation der

129

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Musik – Rhythmen und Melodien – dienen. Natürlich ist daneben auch Improvisation und (persönlicher) Ausdruck gefragt. Auch in Ägypten oder der Türkei sind ausgezeichnete von mittelmäßigen oder gar schlechten professionellen Tänzerinnen zu unterscheiden, und die professionellen Tänzerinnen von Frauen, die zum Vergnügen auf Familienfesten »ihre Hüften schwingen«. Ohne diese Unterscheidung versagt man diesem Tanz und seinen Varianten die Anerkennung als Kunst. Der teilweise berechtigte Vorwurf an westliche Frauen ist die tatsächliche Mechanisierung des Tanzes durch festgelegte Choreographien und Schrittabfolgen, nach denen die Musik nur abgetanzt wird. Von einer Entsexualisierung des Orientalischen Tanzes in der westlichen Welt kann allerdings nicht generell gesprochen werden, da dieser in einen anderen kulturellen Kontext eingebunden wird. Den europäischen Frauen dient er als neugewonnene Möglichkeit erotischer Ausstrahlung. Karkutli weist darauf hin, dass der Orientalische Tanz außerhalb seiner geographischen Ursprungsgrenzen – und wie ich ergänzen möchte, nicht nur außerhalb dieser – fremden Einflüssen von außen ausgesetzt ist (Karkutli 1989a: 43). Ablesen lässt sich das an der bereits gezeigten Entwicklung von Cross-Over-Stilen und dem Aspekt der Choreographisierung des Tanzes, übrigens auch in Kairo. Ein Beispiel hierfür ist der Choreograph Hassan Afifi. Gerade beim Trend zu Cross-Over-Stilen, welche Elemente westlicher Tanzformen mit dem Bewegungsrepertoire des Orientalischen Tanzes verbinden, handelt es sich um das Bedürfnis (eigene) kulturelle Elemente zu westlicher wie orientalischer Pop-Musik einfließen zu lassen, so dass etwas Neues daraus entsteht.

Orientalischer Tanz im Kontext der kulturellen Globalisierung Wagner fasst die Problematik um die Begriffe »Globalisierung« und »kulturelle Globalisierung« wie folgt zusammen: »Weder ›Globalisierung‹ noch ›kulturelle Globalisierung‹ sind wissenschaftliche oder auch nur politische Begriffe, mit denen konkrete Aussagen verbunden sind, die darüber hinausgehen, dass Ökonomie, Technik, Politik, Kultur und die Menschen heutzutage weltweit in so engen Austausch- und Kommunikationsbeziehungen stehen wie noch nie bisher in der Geschichte« (Wagner 2001: 9).

Er bezeichnet »Globalisierung« als »gegenwärtig meist benutzte Bezeichnung in sozialwissenschaftlichen und politischen Diskussionen« 130

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

(Wagner 2001: 10). Diese habe die der »Postmoderne« abgelöst. Er betont jedoch, dass »im Übergang von der ›Postmoderne‹ zur ›Globalisierung‹ allerdings vielfach der kritische Impuls, der in der postmodernen Kritik an der Moderne enthalten war, verloren gegangen« (ebd.) sei. »›Globalisierung‹ steht für die ›Moderne‹ mit ihren problematischen Seiten, gilt als ihr Ausdruck oder als ihre konsequente Fortschreibung« (Wagner 2001: 10). Weiter führt er aus, dass auch »die kulturelle Globalisierung ein Prozess mit sehr widersprüchlichen Formen, Reichweiten und Ausdrucksweisen (ist), der sich einer eindeutigen Kennzeichnung entzieht« (ebd.). Gerade weil sie sich durch eine wachsende Vielfalt auszeichne, sei es schwer, »sie auf einen Begriff zu bringen« (Wagner 2001: 11).

Die Gegner der kulturellen Globalisierung befürchten eine Ökonomisierung der Kultur. Beispiele wie die weltweite Verbreitung von US-amerikanischen Schönheitsidealen, Seifenopern, McDonalds, Coca Cola und Marlboro werden in vielen Artikeln immer wieder gerne herangezogen, um die Amerikanisierung der Weltkultur, als Synonym für die Ausbreitung westlicher Konsum- und Kulturwaren, anzuprangern. Symptomatisch hierfür sind die Bücher von Samuel Huntington (1997) und Benjamin Barber (1996). Problematisch ist es jedoch davon auszugehen, dass sich als andere Seite der kulturellen Internationalisierung eine kulturelle Identitätssuche in lokalen, regionalen und nationalen Bezügen zur Selbstvergewisserung herausbildet (Wagner 2001: 15). Kulturelle Selbstvergewisserung ist ein ethnologischer Begriff, und es ist reaktionär, sich kulturellen Entwicklungen, die auch große Chancen in sich bergen, unkritisch entgegenzustellen. In Deutschland kennen wir die Identitätssuche im Regionalen und Nationalen aus der Geschichte allzu gut. In den 1920er Jahren gab es in Deutschland eine starke konservative deutschnationale Gegnerschaft der Amerikanisierung der Kultur durch Film, Revue und Jazz. Das Heil wurde in deutscher Identität, Folklore und Kunst gesucht: ein symptomatischer Höhepunkt dieser Haltung war die Ausstellung »Entartete Kunst« im Münchner Haus der Kunst 1937 (Meyer-Büser 1994: 90ff und 101).62

62 Bloch schreibt in »Gauklerfest unterm Galgen« in »Erbschaft dieser Zeit«: »Unter jedem Bild der wirklichen deutschen Kunst klebt ein Plakat mit der Aufschrift: ›Bezahlt vom Steuergroschen des arbeitenden Volkes‹. Der Tempel des Kitschs aber hat allein neun Millionen Mark gekostet, die Schlacht Defregger contra Cézanne ist mit Einsatz großer Mittel gewonnen« (Bloch 1992: 83). 131

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Roland Robertson hat den Begriff der »Glokalisierung« (1998) entworfen – gemeint ist damit das Ineinanderblenden von global und lokal. Wagner erläutert, dass dieses Verständnis über »die Betonung des Lokalen und Einheimischen gegenüber dem Anderen, Fremden hinaus« gehe und »auf die Verankerung des Globalen im Lokalen wie des Lokalen im Globalen« ziele (Wagner 2001: 15f). An multinationalen Konzernen zeigt sich, wie wichtig die Berücksichtigung des Ortsspezifischen ist. Diese müssen in Bezug auf Werbestrategien, Produktnamen, Design und Verkaufsformen die auf die regionalen Besonderheiten Rücksicht nehmen, um erfolgreich zu sein. Ein Beispiel für den kulturindustriellen Bereich ist der Musiksender MTV mit 28 regionalspezifischen Sendern. Interessant ist also darauf zu schauen, wie kulturelle Internationalisierungstendenzen in die regional vorhandene Kultur integriert werden, und wie sich im Gegenzug die Internationalisierung der Kultur dadurch verändert, anstatt die Regionalisierung zu betonen. Wagner stellt dar, dass im Zuge der Globalisierungstendenzen die lokalen Kulturen ihre Fixierung auf einen konkreten Ort aufgeben und zu Bestandteilen der globalen Kulturangebote werden. Die Gegenüberstellung von lokal und global macht also keinen Sinn. Dagegen ist das Hauptkennzeichen der kulturellen Globalisierung die Hybridisierung (Vermischung verschiedener kultureller Stile, Formen und Traditionen aus der etwas Neues entsteht) oder Kreolisierung (Vermischung und Verbindung verschiedener kultureller Stile, »CrossOver«) der Kulturen (ebd. 17). Beispiele hierfür sind Ethno-Pop und die Einflüsse der Black Music, wie z.B. die Entstehung türkischer RapGruppen in Deutschland. Man kann also auch von einem Dialog in der Dynamik der interkulturellen Begegnungen sprechen, einem Wechselverhältnis zwischen regionalen Traditionen und interkulturellen Stilen, und weiter von einer Entwicklung zu einem Kulturbegriff, der transkulturell ist und ohne Territorium besteht. Wenn man diese Aspekte wiederum auf das Beispiel des Orientalischen Tanzes anwendet, fallen folgende Entwicklungen ins Auge: Die Orientalisierung der Popmusik verläuft zeitlich fast parallel zu dem Bedürfnis westlicher Frauen, den Orientalischen Tanz mit Stilmitteln aus Jazz- und Modern Dance zu erweitern und damit westliche Musik zu interpretieren. Bekannte Künstler in diesem Bereich sind beispielsweise Shakira, die arabische Rhythmen in ihre Musik und Aspekte des Orientalischen Tanzes in ihre Videos integriert, und Sting mit »Desert Rose«. Der türkische Sänger Tarkan ist international bekannt geworden durch seine Stücke »Hepsi Senin Mi« und »Simarik«. Letzteres ist wiederum durch die australische Sängerin Holly Valance mit »Kiss Kiss« neu interpretiert worden. Unter deutschen Bauchtänzerinnen ebenfalls sehr 132

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

beliebt ist Sezen Aksu mit »Hadi Bakalim«. Beim »Grand Prix d’Eurovision de la Chanson« hat Sertab Erener mit »Everyway that I can« für die Türkei mit orientalischen Klängen und in englischer Sprache gewonnen, und in der Türkei selbst hat 2002 »Tanze Samba mit mir«, ein deutscher Schlager aus den 70er Jahren, eine türkische Adaption durch die Sängerin Nel mit dem Titel »Sakin Ha« erfahren. »Literatur, Film, Musik, Malerei, Theater, Kabarett – in nahezu allen Kunstsparten und Kulturformen haben sich durch die kulturellen Aktivitäten und Einflüsse von Migranten auch in der Bundesrepublik neue Stile, Richtungen und Kulturen herausgebildet« (Wagner 2001: 19). Heute sind türkische, karibische, indische, arabische, afrikanische und lateinamerikanische Klänge und HipHop-Einflüsse aus der internationalen Popmusik selbstverständlich geworden. »Die neuen Vertriebswege über das Internet (Music-on-Demand) erhöhen die Verbreitungsmöglichkeiten auch lokal orientierter Gruppen beträchtlich. […] In der Musik selbst vermischen sich zunehmend verschiedene regionale Musikstile – nicht nur die Sparte ›World Music‹ lässt sich unter Stichworten wie Fusion, Crossover usw. zuordnen« (Hippe 2001: 46).

So verändern sie die westeuropäisch-nordamerikanische Kultur unwiederbringlich. Auch wenn in vielen Kontexten immer wieder nach Authentizität gefragt wird, macht dieses keinen Sinn, da sich Kulturen schon immer gegenseitig beeinflusst haben: »Authentische Kulturen, die ohne prägende Einflüsse von Außen ihre Ursprünglichkeit bewahren, sind eine Fiktion, da Kulturen nie in ›Reinform‹ existieren, nicht statisch und homogen sind und immer aus der Begegnung und dem Austausch mit anderen Kulturen, dem gegenseitigen Aufnehmen und Abgrenzen entstehen. Kulturen sind Produkt von Beziehungen und Durchquerungen und entwickeln sich erst im Kontakt mit Fremdem, Anderem. (…) Kulturen sind nie rein, homogen und vereinzelt, sondern hybrid, heterogen und ›multikulturell‹« (Wagner 2001: 22f).

Diesen Prozessen sind Überschneidungen, Ungleichzeitigkeiten und Brüche und Pluralisierung immanent, wobei es auf die »Kontextualisierung« ankommt. Bei der kulturellen Globalisierung muss zwischen Ebenen wie Infrastruktur, ökonomischer Macht, Produktion und Rezeption unterschieden werden. »Ein produktives Spannungsverhältnis von globaler Verbreitung und lokaler Aneignung ist dann möglich, wenn in der Kultur Anknüpfungspunkte für eigene Erfahrungen aufgegriffen werden können und es darüber zu einem translokalen, internationalen wie innergesellschaftlichen 133

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Kulturaustausch kommt« (Wagner 2001: 35). Mit diesem Satz widerlegt Wagner seine These von der kulturelle Identitätssuche in lokalen, regionalen und nationalen Bezügen als Selbstvergewisserung als andere Seite der kulturellen Internationalisierung selbst, da die kulturelle Globalisierung keine Einbahnstraße bzw. eine Amerikanisierung der Kulturen ist, sondern auf Kulturaustausch in beiden Richtungen beruht. »Globalisierung der Medienkommunikation heißt, dass, vermittelt durch die verschiedenen elektronischen Medien, die weltweiten kommunikativen Beziehungen zwischen verschiedenen Kulturen und Lokalitäten zugenommen haben« (Hepp 2001: 244) Hepp führt dazu weiter aus: »Damit sind sowohl Nationalkulturen als auch lokale Sinnwelten einem Wandlungsprozess unterzogen« (ebd.). Das bedeutet, je besser die Zugangsmöglichkeiten zu technischen Vermittlungs- bzw. Kommunikationsmedien wie Internet, CD, DVD etc. auch außerhalb der westlichen Welt werden, desto mehr kann von einem gleichberechtigten Kulturaustausch, einer Demokratisierung und Emanzipation auf beiden Seiten gesprochen werden. Knodt betont die Schwierigkeit z.B. »Bauchtanz« und auch andere Kunst im Fernsehen als technischem Medium adäquat zu vermitteln, da ihm – übersetzt – seine Aura dabei verloren ginge: »Der Bauchtanz findet also nicht statt. – Zunächst, weil es keine ›Bilder‹ für ihn gibt, d.h. keine Tradition der Erzeugung ästhetischen Dabeiseins für einen primären ästhetischen Vorgang in einem Reportagemedium. [...] Zum andern aber findet der Bauchtanz nicht statt, weil ein bestimmter Brückenschlag nicht geschafft wird [...]. Es ist der Brückenschlag zwischen der Möglichkeit einer ästhetischen Korrespondenz mit den Dingen als sinnlich sublimem Dabeisein, dessen anschaulichstes Bild der Bauchtanz als Sinnenfest alter orientalischer Kultur ist, und auf der anderen Seite dem tagtäglichen Versprechen der technischen Informations- und Unterhaltungsmedien, die Welt sei doch schon längst eine einzige Form festlichen Dabeiseins für jedermann« (Knodt 1994: 164).

Weiter hält er es für erforderlich, dass eine spezifische, ästhetische Reflexion stattfindet, damit dieser Brückenschlag geschehen kann, es geht also vor allem um das »wie« in der medialen Vermittlung. Für eine adäquate Darstellung von Kunst im Fernsehen bedarf es einer Kameraführung und Schnitttechnik, die das Fernsehen benutzt – die durch dieses spricht – anstatt vom Fernsehen nur gezeigt zu werden. Eine Kunstform, die sich des Mediums Fernsehen und mittlerweile auch des Internets bedient, hat dieses und den von Knodt geforderten Brückenschlag mindestens zur Tanzkunst bereits vor Knodts Aufsatz geschafft: der Videoclip und der in ihm gezeigte Videotanz.

134

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

Wie ich am Beispiel der Populärmusik zeigen konnte, dringt nicht nur der westliche Pop in die Länder außerhalb des europäischnordamerikanischen Kulturkreises, sondern dieser wird von diesen Kulturen aufgegriffen und verändert, und beeinflusst so die Musikkultur des Westens. Anhand der Globalisierungstendenzen der Popmusik konnte ich den orientalischen Einfluss deutlich machen. Das lässt sich nicht auf einen kurzfristigen Modetrend reduzieren (wie sich auch am Einfluss der schwarzen Musik bei der Entstehung des Rock-n Roll zeigen lässt). Der Kreis schließt sich, wenn wir zur Musik die dazugehörigen Videoclips mit einbeziehen, in denen nicht nur Handlung, sondern auch gerade der Tanz eine ganz beträchtliche Rolle spielt. Am Videotanz lassen sich seit längerer Zeit die Einflüsse der schwarzamerikanischen HipHop-Kultur ablesen. Seit Neuestem sind aber auch verstärkt Shimmies (Schütteln des Beckens oder auch der Schultern), Becken- und Oberkörperkreise in allen Varianten zu sehen. Diese haben durch ihren veränderten Kontext und die Mischung verschiedener Tanzstile eine andere Wirkung als im klassischen Orientalischen Tanz, nichtsdestotrotz nehmen Tanzstile wie der Orientalische Tanz und der indische Tempeltanz immer mehr Platz bei R’n’B-Sängerinnen wie Beyoncé und weißen Popdiven ein. Welche Bedeutung hat das aber für die westliche Kultur? Wie ich oben bereits gezeigt habe, sind die westlichen Tänze raumgreifende Beintänze, welche die Körpermitte als Fruchtbarkeitssymbol und Zeichen für Erotik ausklammern. Finden nun beckenzentrierte Tänze zum einen durch die Videoclips, zum anderen durch westliche orientalische Tänzerinnen Eingang in die westliche Tanzkultur, werden westliche Tänze stärker körpermittebetont, gleichzeitig erfährt der Orientalische Tanz eine neue Kontextualisierung. Gleichzeitig – und das ist wichtig – verändert sich mit ihr auch das Verhältnis zum Körper. Dies zeigt sich auch in der Mode. Durch die Orientalisierung der Popkultur sind Hüfttücher mit Pailletten und Fransen, bauchfreie Tops, Hüfthosen, die den Blick auf Slips freilegen, en vogue und betonen die Körpermitte. Damit verändern sich auf subversive Weise auch auf diesem Gebiet Körpergefühl und (erotische) Selbstdarstellung vor allem junger Frauen in Alltag und Mode. Emanzipatorisch ist eine Veränderung des Körperbewusstseins aber nicht nur für Frauen in westlichen Ländern, denn es handelt sich um einen subversiven und demokratisierenden, immer wechselseitigen, Prozess, der, vermittelt durch die technischen kommunikativen Medien, die Möglichkeit eines neuen Bewusstseins und der Veränderung, über kulturelle Grenzen hinaus, in sich trägt.

135

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

W a n n i s t T a n z a va n t g a r d i s t i s c h o d e r postmodern? Avantgardistisch ist künstlerischer Tanz dann, wenn er bestehende gesellschaftliche Verhältnisse kritisiert, wenn er aus den hochkulturellen Bühneninstitutionen zumindest partiell ausbricht, wenn er Körperlichkeit, Körperbilder und Bewegung – wie im Film – durch Brüche und Schnitte neu darstellt und hinterfragt, und wenn er – wie im Falle von Anita Berber – bürgerliche Kategorien wie die Geschlechtsrollenklischees oder die bestehende Sexualmoral offenbart und dem Publikum mit nicht(!)-asexueller Nacktheit einen Spiegel vorhält, während im Ausdruckstanz, wie in der Freikörperkultur etc. Nacktheit in asexueller (künstlerischer) Reinheit dargestellt wird. Der Ausdruckstanz ist nicht als avantgardistisch einzustufen, auch wenn er dem erstarrten Ballett neue Bewegungsmuster entgegengesetzt hat: »Die thematische Beschränkung auf die ›unterirdische Geschichte‹ des menschlichen Daseins raubte dem expressionistischen Tanz aber zunehmend sein ursprünglich kritisches Potential« (Klein 1994: 195). Gleichzeitig muss man gerade in Bezug auf das Weiblichkeitsbild im Ausdruckstanz sehen, dass dieses keineswegs befreiend war. Klein fasst das wie folgt zusammen: »Im Ausdruckstanz erschienen Erotik und Sexualität der Tänzerinnen in gereinigter Form; die scheinbare ›Befreiung des Körpers‹ erwies sich als ein Übergang von alten Abhängigkeiten in neue. Die neuen Ideale des Ausdruckstanzes verblieben zudem innerhalb des bürgerlichen Diskurses über die ›natürliche‹ Sittlichkeit des Weiblichen, dies nicht nur seitens männlicher Kritiker« (Klein 1994: 208).

Tanz ist demnach dann postmodern63, wenn er den Ansatz der Avantgarde fortführt und antibürgerlich ist, sich innerhalb von Protestbewegungen, z.B. in Form von Happenings, einbringt und die Medien und das Prinzip der Montage und Fragmentierung nutzt (das Musikvideo und der damit verbundene Videotanz ist ein solches Beispiel). Dagegen könnte man den so genannten »postmodernen« Tanz auf den Bühnen 63 Liechtenhan gibt folgende Definition für postmodernen Tanz: »Der Post Modern Dance ist die letzte Errungenschaft des amerikanischen Tanzes und stellt in gewissem Sinn eine Erweiterung des Modern Dance dar. Nie wird die Bewegung wegen ihrer Eleganz oder Harmonie gesucht und ausgeführt. Es gibt weder Thema noch Stimmung, es wird kein Gefühl ausgedrückt, die Geste wird zum Selbstzweck. Diese wird einzig durch die geistige Haltung des Tänzers bestimmt. Er ist zugleich Nehmender und Gebender. Die Geste steht so der sogenannten ›Minimal Art‹ nahe« (Liechtenhan 1993: 208). 136

EIN EXKURS ZUR NEUEREN TANZGESCHICHTE

eher als klassisch modern64 auffassen, insofern, als dass er oft mit durchaus neuen Ausdrucks-Mitteln gesellschaftskritisch ist, jedoch dem bürgerlichen Kunstbegriff verpflichtet bleibt. Es geht bei der Postmoderne dagegen um die Auflösung von high and low, Kunst und Pornographie, Kunst und Wissenschaft und die Rückführung der Kunst in Lebenspraxis, und nicht um die kontemplative Rezeption des künstlerischen Tanzes durch eine bildungsbürgerliche Schicht in einer bürgerlichen Kunst-Institution. Daher sind Popkonzerte verschiedener Stars, die künstlerischen Tanz in umfangreichem Maß integrieren, durchaus nach ihrem postmodernen Potential zu untersuchen. Die Konzerte von Madonna sind in diese Kategorie einzuordnen. Madonna dekonstruiert in ihren facettenreichen Darstellungen die Geschlechtsidentität, spricht politische Themen an, und spricht nicht zu, sondern durch die Medien, so wie politische Bewegungen, wie die AIDS-Bewegung um ACT UP in den USA, auch (Hieber 1997). Eine Problematik, die darstellende Künste im Allgemeinen, den Tanz aber im besonderen Maße trifft, ist seine Flüchtigkeit bzw. Vergänglichkeit. Er kann zwar technisch medial eingefangen werden, und es gibt neue postmoderne Tanzformen, die von Beginn an die technische Umsetzung und Verwertung mit einbeziehen, so dass bei der Reproduktion alles mittransportiert wird, wo es aber um Interaktion zwischen Tänzer(n) und Publikum geht, wie zum Beispiel beim Happening, kann Film nur dokumentieren, nicht jedoch die Rezeption im Publikum im Hier und Jetzt »eins zu eins« nachvollziehen. Diese Besonderheit ist gegenüber der Bildenden Kunst, hoch- oder massenkulturell, zu berücksichtigen.

64 Ich hatte schon bei der Definition der Klassischen Moderne erwähnt, dass aktuelle Kunst unter diesen Begriff fallen könnte, wenn diese nicht durch den Epochenbegriff eingeschränkt wäre. 137

E R O T I S C H E M AC H T

Einleitend ist zu bemerken, dass Macht und Herrschaft zentrale Kategorien der Sozialwissenschaften sind. Gleichzeitig zeichnet sie die Schwierigkeit, aus eine Vieldeutigkeit zu besitzen, oft ohne genau definiert zu werden. Unter Macht und Herrschaft subsumieren sich Begriffe wie Autorität, Einfluss, Zwang, Gewalt etc. Die bekannteste Machtdefinition stammt von Max Weber. Er bestimmt Macht wie folgt: »Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht« (Weber 1984: 89). Barbara Schaeffer-Hegel kritisiert an diesem Machtbegriff dessen aktive, »ausgesprochen kämpferische« Konnotation: »Bei aller Offenheit für definitorische Präzision verweist der Webersche Begriffsrahmen mit ›Durchsetzung gegen Widerstreben‹ immer auf ausgesprochen kämpferische, unserer kulturellen Wertung nach also männliche Verhaltensaspekte. Für die Betrachtung geschlechtsspezifischer Unterschiede im Umgang mit Macht erscheint er mir daher zumindest nicht ausreichend« (Schaeffer-Hegel 1996: 142).

Schaeffer-Hegel macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass sich die meisten wissenschaftlichen Positionen darin einig seien, dass Macht keine Eigenschaft noch etwas sei, was besessen wird, dass sie nicht nur ideologische Wirkung entfalte und dass »weder auf der einen noch auf der anderen Seite einer Machtbeziehung fertige Willensentschlüsse vorauszusetzen seien« (ebd.: 143). Peter Imbusch gibt eine sehr umfassende Erklärung dessen, was Macht ausmacht. Machtgrundlagen sind vor allem physische oder psychische Überlegenheit, Wissensvorsprung, höhere Informiertheit, überlegene Organisationsfähigkeit, Charismaglaube und Angst der Betroffenen. Neben den politischen Machtstrukturen in 139

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Staat, Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen vielfältige Machtstrukturen die Handlungen der Menschen und die zwischenmenschlichen Beziehungen in allen Lebensbereichen. Peter Imbusch betont wiederum, dass unterschiedliche Dimensionen in der Ausübung von Macht differenziert werden müssen: »Die erste Ebene wird von der klassischen Weberschen Definition eingefangen. […] Eine zweite Ebene ist mit dem Begriff der ›Kontroll-Macht‹ und den berühmten non decisions umrissen. […] Die dritte Ebene der Machtausübung zielt im Allgemeinen auf die Kontrolle des größeren gesellschaftlichen Kontextes und der Rahmenbedingungen, in denen die Handlungen anderer Personen stattfinden, im Besonderen auf die Öffnung oder Schließung bestimmter Optionen und Handlungskorridore ab« (Imbusch 1998: 11).

Imbusch führt weiter aus, dass sich die meisten Formen der Machtausübung unter vier Kategorien rubrizieren lassen: »Zwang, Einfluss, Autorität und Attraktion (vgl. Olsen/Marger 1993: 3f)« (Imbusch 1998: 11, Hervorhebungen U.W.). Hülst konstatiert, dass Horkheimer und Adorno mit ihrem Begriff der Autorität einen eigenen Schwerpunkt setzen, anstatt mit Macht und Herrschaft zu operieren (Hülst 1998: 126). Foucault beschreibt Machtbeziehung als nicht-subjektiv und zugleich intentional. Keine Macht entfalte sich ohne eine Anzahl von Absichten und Zielsetzungen. Gleichzeitig resultiere sie nicht aus der Wahl oder Entscheidung eines individuellen Subjekts (vgl. Foucault 1997a: 116). Er schreibt: »Die Rationalität der Macht ist die Rationalität von Techniken, […] die sich miteinander verketten, einander gegenseitig hervorrufen und ausbreiten, anderswo ihre Stütze und Bedingung finden und schließlich zu Gesamtdispositiven führen« (ebd.) Darüber hinaus konstatiert er, dass wo es Macht gibt, es auch Widerstand gibt, gerade deswegen aber liege der Widerstand nicht außerhalb der Macht (ebd.). Fiske wiederum sieht Widerstand in einer Gesellschaft mit ungleicher Machtverteilung als »zentrales Konzept« (Fiske 2001: 121). »Diese Widerstände bilden nicht nur Oppositionen gegen Macht, sondern sind selbst Quellen von Macht; sie sind jene sozialen Punkte, an denen sich die Mächte der Untergeordneten am deutlichsten zeigen« (ebd.: 122). Fiske argumentiert, dass die Kontrolle des Machtblocks über die soziale Differenz ein strategisches Ziel eben dieses Machtblocks sei, da es ohne soziale Differenz keinen sozialen Wandel geben könne. Rainer Winter beschreibt in seinem Vorwort zu Fiske: »In der kritischen Perspektive der Cultural Studies steht die Populärkultur in einer konstanten Spannung zur dominanten Kultur. Kulturelle Formen und Praktiken be140

EROTISCHE MACHT

finden sich in einem sich ständig ändernden Feld, in dem die Beziehungen zwischen Macht und Widerstand immer wieder neu artikuliert werden« (Winter 2001: 7). Fiske sieht in der Vielfalt der sozialen Gruppen und ihrer Interessen ein Potential an Widerstand gegen die Homogenisierung (Fiske 2001: 123) und betrachtet in diesem Zusammenhang die Theorie des Habitus von Bourdieu als besonders nützlich. Wayand fasst den sozialen Raum als Kampfplatz um Machtposition in den verschiedenen Feldern zusammen: »Der soziale Raum ist bei Bourdieu wesentlich durch Kämpfe um Machtpositionen in den verschiedenen Feldern (ökonomisches, politisches, wissenschaftliches, künstlerisches Feld etc.) gekennzeichnet, und zwar sowohl auf der Ebene der individuellen Konkurrenzkämpfe als auch der sozialen Kämpfe von Klassen und/oder Gruppen« (Wayand 1998: 221).

Macht und Erotik, Macht und das Geschlechterverhältnis Weber unterscheidet charismatische, traditionale und legale Herrschaft. Er entwickelt den Begriff »Charisma« in »Wirtschaft und Gesellschaft«. Die charismatische Herrschaft stützt sich auf die personalen Eigenschaften eines Führers. Charisma ist nach gängiger Auslegung die »besondere Ausstrahlungskraft eines Menschen«. Sex-Appeal wiederum verweist auf »starke erotische Anziehungskraft«. Eine personale Eigenschaft kann also auch Sex-Appeal sein. Borneman beschreibt, dass Sex-Appeal auf dem Eindruck beruhe, »dass die Person, die eine solche Anziehungskraft ausstrahlt, in ungewöhnlich hohem Maße am Geschlechtsleben interessiert ist, es besonders genießt und fähig ist, ihren Liebhabern besonderen Genuss zu vermitteln« (Borneman 1968b: 367). In Ergänzung zu Webers Machtbegriff, der sich gerade auf das Potential der Macht stützt, den eigenen Willen gegen andere durchzusetzen ist also zum einen hinzuzufügen, dass für Machtprozesse »fertige Willensentschlüsse« nicht Voraussetzung sind, und zum anderen, dass es auch den Aspekt der freiwilligen Unterwerfung anderer unter den Willen dessen gibt, der z.B. erotische Macht durch Sex-Appeal, welches auch ein Ausdruck von Charisma sein kann, besitzt. Das bedeutet, dass es nicht nur um Durchsetzungsvermögen, sondern auch und gerade um Einfluss, welcher auf subtilere Weise wirkt, geht. In Kunst und Alltagskultur wird uns erotische Macht immer wieder – vor allem als Attribut von Frauen, den Femmes fatales oder den 141

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Vamps – vorgeführt. Sexualität und Erotik werden zumeist im Zusammenhang mit Geschlechterverhältnis, Aufklärung, Moral, Jugendschutz, Gesundheit etc. thematisiert. Macht spielt im Zusammenhang mit dem Geschlechterverhältnis vorwiegend in Bereichen wie ehelicher Gewalt, Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch etc. eine Rolle, letztendlich also hauptsächlich im negativen Kontext, vielleicht noch als sexuelle Spielart wie dem Sadomasochismus, weniger jedoch in seinen durchaus auch positiven Möglichkeiten, wie z.B. emanzipatorischen Aspekten. So wie die – bürgerliche – Sexualwissenschaft, ob sie es Perversion nennt oder nicht, abweichendes Verhalten definiert und einem normalen Sexualverhalten gegenüberstellt, so unterschlägt die bürgerliche Frauenbewegung die Macht der Erotik, wenn sie Sexworker65, und davon ist der Großteil Frauen, ausgrenzt und als Verräterinnen an der Emanzipation und der Frauenbewegung – wie sie sie verstehen – deklarieren. (vergl. Jill Nagle 1997). Beim Striptease, auch als Ausdruck weiblichen Exhibitionismus, kann z.B. nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass der Betrachter die Machtposition innehat, der Begriff der »Reduzierung auf ein Sexualobjekt«, welche von Feministinnen kritisiert wird, also nicht greift. Eine Stripperin zieht sich auf der Bühne langsam und lasziv in künstlerischer Weise aus. Dabei kokettiert sie, provoziert den einen oder anderen Betrachter, bleibt aber unberührbar. Sie produziert Phantasien und Träume, ist real jedoch den Betrachtern entzogen. Ist die Stripperin zudem noch exhibitionistisch veranlagt, konstituiert sich die Stripperin spätestens dann als Sexualsubjekt. Sexuelle Anziehungskraft bringt Einflussnahme mit sich, da der sich Angezogene durch die erotische Ausstrahlung, durchaus freiwillig, beeinflussen lässt. Viele Nachtclubgäste oder auch Freier verlieben sich immerhin in Stripperinnen oder Prostituierte. Ich habe oben die vier von Imbusch angeführten Formen von Machtausübung dargestellt. Zur Attraktion, die in den Bereich der erotischen Macht fällt, schreibt er, dass sie im Gegenzug zur Autorität einen flüchtigen Charakter habe, also nicht von Dauer sei, sie aber auf der Freiwilligkeit der Gefolgschaft aufbaue: »Attraktion zielt dagegen auf diffuse Anziehung, die eine Person (oder Organisation) für andere hat, um sie entsprechend beeinflussen zu können. Die Folgschaft ist dabei freiwillig und kann entweder auf kognitiver Identifikation mit Personen/Institutionen, positiven Einstellungen und Gefühlen gegenüber Personen/Institutionen oder der Attribution von Charisma zu Personen erfolgen. Während Autorität eine relativ stabile und dauerhafte Form der Macht65 Zu Sexworkern zählen nicht nur Prostituierte, sondern auch StripperInnen, PornodarstellerInnen und –produzentInnen, Dominas etc. 142

EROTISCHE MACHT

ausübung garantiert, sticht im Falle der Attraktion der transitorische, flüchtige Charakter der Macht hervor« (Imbusch 1998: 12).

Ein Ausstellungsband heißt »Frauenmacht und Männerherrschaft«. Dieser Titel geht auf Peggy Sandays Buch: »Female Power und Male Dominance. On the Origins of Sexual Inequality« (1981) zurück (Völger 1997: 17). Ich finde den Titel sehr aufschlussreich: impliziert er doch innerhalb des Patriarchats existierende Machträume und Widerstandspotential von Frauen. Maltry stellt außerdem treffend fest, dass Frauen »nicht nur Opfer männlicher Machtausübung« sind, sondern selbst Macht ausüben (Maltry 1998: 301). Diese Aspekte wurden in der bürgerlichen feministischen Theorie oft nicht berücksichtigt, denn es geht unter anderem um, auch affektive, Interdependenzen im Verhältnis der Geschlechter zueinander. Maltry erörtert: »Die dekonstruktivistische Perspektive eröffnet die Möglichkeit, das Subjekt nicht nur in seiner Geschlechtsidentität zu erfassen, sondern als ›Knotenpunkt‹ von Geschlecht, Sexualität, Ethnizität und Klasse« (Maltry 1998: 312f). Interessant ist Liebigs Ansatz, dass die sexuelle Belästigung, deren Funktion sie als »Sicherung patriarchaler Geschlechterverhältnisse am Arbeitsplatz« und (darüber hinaus noch in der Gesellschaft allgemein) bezeichnet, ein »Ausdruck der historischen Verdrängung des Sexuellen aus der Sphäre des Beruflich-öffentlichen« und der »Ausgrenzung von Erotik und Emotionalität« ist, und dass die anzüglichen Handlungen als »verzerrter Niederschlag« dieser ausgegrenzten Erotik zu verstehen sind (Liebig 1996: 8f.). Regula Julia Leemann vertritt bezüglich der Dialektik der Unterwerfung zwischen den Geschlechtern die These, »dass das Geschlechterverhältnis nicht ausschließlich als polarisiertes und hierarchisiertes zu verstehen ist und dessen Reproduktion nur durch das Faktum der gegenseitigen Relation und Interdependenz erfasst werden kann« (Leemann 1996: 48). Hinsichtlich der Machtfrage auch gerade in Bezug auf das Geschlechterverhältnis als auch auf die Konstitution der bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees, die Aktivität für den Mann, Passivität für die Frau vorsehen, führt sie aus: »Männer üben nicht einfach nur Macht aus, weil sie Macht haben und beibehalten wollen, sondern weil sie in diesem System Macht darstellen müssen. Frauen sind nicht einfach nur machtlos, sondern müssen als Machtlose erscheinen« (ebd. 49f). Schaeffer-Hegel erörtert, und damit ist ebenfalls der Aspekt der bürgerlichen Geschlechtsstereotype angesprochen, dass – zumindest dem Anspruch nach – Machtauseinandersetzungen unter Männern frei von persönlichen Gefühlen dem Gegner gegenüber, wie von allen privaten und persönlichen vorbehaltenen Gefühlen getrennt gehalten werde, das 143

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Machtverhalten von Frauen indessen durch den Einsatz ausgesprochen persönlicher und emotionaler Möglichkeiten/Fähigkeiten geprägt werde (Schaeffer-Hegel 1996: 149). Sie beschreibt das Machtverhalten von Frauen als indirekt, es geschieht beispielsweise »in Form von Zuwendung und Erpressung, Verlocken und Versagen, durch Fürsorge und Liebesentzug, Einfühlnahme und Opferhaltung – kurz durch erotische Reize, soziale Empathie, Tratsch, Intrige und Beziehungsmacht« (Schaeffer-Hegel 1996: 151) Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Macht durchaus subversiv sein kann, dass es nicht nur den Machtblock, sondern auch Widerstand gibt, dass es indirekte Formen der Machtausübung gibt, die nicht nur über rationale Auseinandersetzungen verlaufen, sondern gerade den emotionalen – und erotischen Kern treffen. Die Macht der Schwachen, wie sie Nietzsche am Beispiel des Mitleids entfaltet, hat durchaus subversive Momente.66 Ebenso verhält es sich mit der sozialen Macht der Frauen (vergl. Schaeffer-Hegel 1996) und der erotischen Macht. Erotische Macht konstituiert sich dabei auch über Attribute wie Attraktivität und Sex-Appeal, über eine erotische Selbstinszenierung.

66 »Vielmehr beobachte man Kinder, welche weinen und schreien, damit sie bemitleidet werden, und deshalb den Augenblick abwarten, wo ihr Zustand ins Auge fallen kann; man lebe im Verkehr mit Kranken und geistig Gedrückten, und frage sich, ob nicht das beredte Klagen und Wimmern, das Zur-Schau-Tragen des Unglücks im Grunde das Ziel verfolgt, den Anwesenden wehzutun: das Mitleiden, welches jene dann äußern, ist insofern eine Tröstung für die Schwachen und Leidenden, als sie daran erkennen, doch wenigstens noch Eine Macht zu haben, trotz aller Schwäche: die Macht, wehzutun. Der Unglückliche gewinnt eine Art Lust in diesem Gefühl der Überlegenheit, welches das Bezeugen des Mitleids ihm zum Bewusstsein bringt; seine Einbildung erhebt sich, er ist immer noch wichtig genug, um der Welt Schmerzen zu machen« (Nietzsche 1984: Aphorismus 50, S. 486) »Lukas 18,14 verbessert. – Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden« (Nietzsche 1984: Aphorismus 87, S. 500) 144

P R O G R E S S I V I T ÄT U N D E M AN Z I P AT O R I S C H E S P O T E N T I AL I N K U N S T U N D A L L T AG S K U L T U R : KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR D AS P O S T M O D E R N E F R AU E N B I L D I N K U N S T U N D A L L T AG S K U L T U R

Am Beispiel von Anita Berber als Vertreterin der künstlerischen Avantgarde und Marilyn Monroe und Madonna als Vertreterinnen der Postmoderne lassen sich erotische Entgleisungen, Kreativität und Kulturleistungen im Zusammenhang meines Schwerpunktes »weiblicher Exhibitionismus« sehr gut zeigen. Aspekte wie Kreativität und Erotik, Befreiung von Normen und Geschlechtsrollenklischees bilden hierbei die Klammer. Anita Berber ist ein Beispiel avantgardistischer Darstellung weiblichen Exhibitionismus’. Sie steht für Nacktheit als Skandal im Gegensatz zur Nacktheit als enterotisierte und entsexualisierte Reinheit und Leibeszucht. Ich werde sie mit der Ausdruckstänzerin Mary Wigman vergleichen, um ihren Avantgardecharakter zu verdeutlichen. Marilyn Monroe gilt noch heute als »das Sexsymbol«“. Joan Smith sagt über Marilyn Monroe: »Keine gegenwärtige Schauspielerin besitzt die Starqualität der Monroe, nicht einmal Spitzenverdienerinnen wie Sharon Stone oder Demi Moore, deren Karrieren von den Besucherzahlen ihrer jeweils letzten Filme abhängen – was bei Marilyn Monroe nie der Fall war« (Smith 1998: 7). Madonna ist eine postmoderne Performancekünstlerin und Popstar, die sowohl exhibitionistische als auch parodistische Genderperformance in ihren Videos und in ihrem von ihr selbst herausgegebenen Bildband »sex« betreibt. Ich werde ihre Performance-Version zu ihrem Video

145

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

»Vogue« mit anderen Videoclips vergleichen, um den Unterschied zwischen Sexualobjekt und Sexualsubjekt aufzuzeigen.

D i e N a c k t t ä n z er i n An i t a B e r b e r i n d e r k ü n s t l e r i s c h e n Av a n t g a r d e d e r 2 0 e r J a h r e Anita Berber wurde am 10. Juni 1899 als Tochter des Ersten Geigers Prof. Felix Berber und Lucie Thiem, die sich nur aufgrund der Schwangerschaft trauen ließen und sich kurz nach der Geburt wieder trennten, geboren. Lucie Thiem war Kabarettsängerin in Berlin (Fischer 1996: 9). Anita Berber wuchs im mütterlichen Familienkreis auf und zog nach einem kurzen Aufenthalt in einem Weimarer Mädchenpensionat 1915 zur Mutter (Fischer 1996: 10). Sie besuchte nach 1912 das Tanzinstitut von Emile Jaques Dalcroze (Fischer 2006: 16). Aus seinen Schilderungen geht jedoch nicht hervor, ob sich Mary Wigman, die zum ersten Jahrgang zählte und erfolgreich abschloss, und das junge Mädchen Anita Berber dort – oder auch später – begegnet sind, während Anita Berber in der Wigman-Biographie von Fritsch-Vivié erst gar nicht erwähnt wird. Mit 16 Jahren nahm sie Tanzunterricht bei Rita Sacchetto. »Anita war sehr spontan und hemmungslos« (Dinah Nelken im Gespräch mit Fischer 1996: 12). Die erste Aufführung der Tanzschule Sacchetto lief erfolgreich, wenngleich keines der jungen Mädchen tatsächlich tanzen konnte. Gegen die Vorführung gingen eine ganze Anzahl von Anzeigen wegen Unsittlichkeit ein (Dinah Nelken im Gespräch mit Fischer 1996: 13). »Das Merkwürdige war, dass sie unter so vielen recht hübschen Mädchen noch irgendwie auffiel. Sie hatte eine starke Ausstrahlung, die aber nicht daher rührte, dass sie besonders gut tanzen konnte. Es ging ihr auch gar nicht in erster Linie um das tänzerische Können, sondern vor allem darum, beachtet zu werden und beim Publikum anzukommen. Sie war glücklich, wenn ihre Anhänger nicht nur applaudierten, sondern laut: ›Anita, Anita!‹ riefen« (Dinah Nelken, im Gespräch mit Fischer 1996: 13).

Noch vor Ende des 1. Weltkrieges trennen sich die Wege von Anita Berber und Rita Sacchetto, die parallel auch Valeska Gert unterrichtet hatte (Fischer 1996. Ochaim 1998). Anita Berber war Nackttänzerin, Photomodell und Filmschauspielerin in Berlin und wurde durch ihre nackt dargebotenen Tänze, wie »Kokain« und »Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase« bekannt, in diesen Tänzen »lag eine Provokation, mit der sie gegen Tradition und 146

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

bürgerliche Moral rebellierte« (Ochaim 1998: 105). Klein schreibt wiederum, dass Anita Berber mit ihren entblößten Körper die Prüderie des Wilhelminismus anklagte (Klein 1994: 172). Weiter demontierte sie das Idealbild weiblicher Schönheit (vergl. Ochaim ebd.). Ochaim schreibt: »Anita Berber lässt sich nur schwer einordnen. Sie fühlte sich vor allem auf den Varietébühnen, in Kabaretts und Nachtclubs zuhause« (Ochaim 1998: 195). In den Annalen der Tanzgeschichte findet sie in der Regel nur unter Stichworten wie Varieté oder Nackttanz ihren Platz. Sie selbst hatte einen hohen künstlerischen Anspruch. Sie war allerdings auch skandalumwittert, bisexuell, drogenabhängig, trug Smoking und Monokel. »Anita Berber war die Königin der Berliner Boheme. Dank ihrer einzigartigen erotischen Ausstrahlung gelang es ihr, die ›seriöse‹ mit der ›unseriösen‹ Kunst zu verschmelzen« (Jarrett 1999: Abbildung 12 88). Abbildung 12 zeigt Anita Berber nackt erhöht in tänzerischer Pose kniend, die Arme nach unten ausgestreckt, die linke Hand aufgestützt. Der Kopf ist seitlich zur rechten Schulter geneigt. In Berlin gab es eine sexuelle Revolution. Die Stadt wurde zur homosexuellen Hochburg (ebd. 90). »Zu Beginn der zwanziger Jahre wurde Anita Berber gefeiert, bewundert und idealisiert. Sie war Berlins Madonna und Hure, Revuegirl und Stripperin. […] Ihr stark geschminktes Gesicht ließ sie wie eine Marionette aussehen, die von ihrer Maske dominiert wurde. […] Anita Berber war die erste, die sich offen zu nackten Soloauftritten bekannte« (Jarrett 1999: 91)

Sie versuchte eine neue erotische Kunst zu kreieren, und wollte, dass ihr Tanz als Kunst anerkannt wurde. Sie tanzte – unter anderem gemeinsam mit Sebastian Droste – zu Themen wie Drogensucht, Rausch, Wahn und Hoffnungslosigkeit, Syphilis, Suizid etc. 147

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Abbildung 13 zeigt Sebastian Droste und Anita Berber in Tanzpose. Sebastian Droste steht mit gezierter und verschränkter Haltung. Er trägt ein weißes Tuch um die Lenden. Anita Berber ist nackt. Sie kniet seitlich vor ihm. Ihr Oberkörper ist stark nach hinten gebeugt, den linken Arm am Körper Sebastian Drostes entlanggestreckt.

Abbildung 13

»Anita Berbers Erfolg zeigt, wie erotische Kunst in einem kulturellen Klima gedeihen kann, in dem die Trennung Kunst und Pornographie, zwischen Seriosität und Vulgarität aufgehoben ist. […] Anita Berber wählte als Themen Ekstase und Verzweiflung, Syphilis und Drogensucht. […] Aber obwohl Tanzkritiker durchaus ihr tänzerisches Talent würdigten, konnten sie nicht umhin, in ihrem Werk das Element der Verführung hervorzuheben« (Jarrett 1999: 92f).

Sie wurde letzten Endes nie als ernstzunehmende Künstlerin geschätzt. Auch der Nackttanz wurde umso mehr verpönt, je näher das Regime des Nationalsozialismus rückte. In den Nachkriegsjahren des Ersten Weltkrieges wurden sehr viele Bücher über den Tanz veröffentlicht.67 Paul Nikolaus (Tänzerinnen, München 1919) versuchte Anita Berber in die Kategorie des expressionistischen Tanzes einzuordnen. Fischer betont jedoch, dass die Versuche, sie dem expressionistischen Tanztheater zuzuordnen, nicht überzeugen (Fischer 1996: 19). Ein weiterer sehr interessanter Aspekt ist vor dem Hintergrund der Labanschen Tanznotation, dass auch Anita Berber in Zusammenarbeit mit Helene Grimm-Reiter eine Tanzschrift entwi-

67 Die meisten von ihnen zeigen nicht nur die aktuellen Entwicklungen auf oder stellen Tänzerinnen, auch anhand von Photos vor, die meisten propagieren den Ausdruckstanz als besonders wertvoll für die Entwicklung der Frau, häufig auch im Sinne der modernen Frau als Partnerin an der Seite des Mannes. Dabei bleiben ihre Empfehlungen in der Regel den bürgerlichen weiblichen Geschlechtsrollenklischees treu (Suhr 1922; Aubel 1928; Lämmel o.J.; Giese 1925; von Delius 1924 und 1926; Koebner 1921, Fischer 1928; u.a.). Fischer spricht z.B. davon, dass die sportliche Körperkultur den Mann auf die Höhe der Kraftschönheit, die tänzerische Frau auf den Gipfel der Ausdrucksschönheit führe (Fischer 1928: 179). 148

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

ckelt hat (Fischer 2006: 31). Weiter ist die Bekanntschaft zu Leni Riefenstahl, die Anita Berber offensichtlich bewunderte, interessant (ebd.: 30f). Anita Berber tanzte in fast allen bekannten Vergnügungsetablissements Berlins. »Um aufzufallen, ersann sie immer neue Extravaganzen, sei es das goldene Kettchen über dem Fußgelenk oder ein rotgeschminkter Nabel« (Fischer 1996: 63). Anita Berber schminkte sich bei ihren Nackttänzen auch ihre Nippel (Fischer 2006: 164). Sie war aufgrund ihrer Nackttänze außerdem von der Androhung des Auftrittsverbotes nach dem Preußischen Landrecht bedroht (ebd.: 156). Ab 1918 stand sie auch vor der Filmkamera bei Richard Oswald, der unter anderem Sittenbilder und Aufklärungsfilme wie »Die Prostitution«68 schuf (Fischer 1996: 34). Mit ihrem aufklärerischen Charakter wandten sie sich aus dem Deutschen Kaiserreich überkommenen Formen der Sexual- und Körperpolitik. Abbildung 14 ist ein Filmstill aus »Anders als die Anderen«. Anita Berber steht links im Bild.

Abbildung 14 »So entstand unter Mitarbeit des Sexualforschers Dr. Magnus Hirschfeld ›Anders als die Andern‹, damit stand er letztlich in Kontakt mit der Sexualreformbewegung. Der Film schildert das Schicksal eines Violinvirtuosen, der durch seine Neigungen in die Hände eines Erpressers fällt. Um sich der Gerichtsstrafe zu entziehen, wählt der Geiger den Tod. Zum Schluss erscheint das Strafgesetzbuch selbst, in dem ein dicker Pinsel den sich gegen die Homosexualität richtenden Paragraphen 175 durchstreicht« (Fischer 1996: 36).

Da die Filme Oswalds aufklärerischen Charakter hatten, sind sie auch als politisch einzustufen. »Immer wieder hatten Oswalds Streifen 68 In diesem Film spielte Anita Berber die Prostituierte Lona, die von einem Freier umgebracht wird. Oswald erhielt eine Anzeige wegen »Verbreitung unzüchtiger Schriften« (Scheub 2000: 85). 149

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Schwierigkeiten mit der Zensur, die vom totalen Verbot über teilweises Verbot bis hin zum Jugendverbot reichten« (ebd.: 37). Am 10. November 1928 stirbt Anita Berber im Alter von 29 Jahren an Tbc. Leo Lania (1929) schreibt einen biographischen Roman über sie. Jarrett beschreibt Anita Berbers Geschichte als eine »Tragödie einer Frau, die versuchte, ihre Sexualität frei auszuleben, und die in ihrem Leben die Grenzen zwischen sexueller Phantasie und Realität erstmalig sprengen wollte« (Jarrett 1999: 97). Scheub vergleicht Anita Berber mit Marlene Dietrich, da sie beide als »androgyne Göttinnen der Leidenschaft« angesehen wurden, beide Männer und Frauen liebten, und beide als Verkörperung der »Neuen Frau« angesehen wurden (Scheub 2000: 13). In »Tänzerinnen der Gegenwart« (Schaeffner 1931) sind 56 Photos von zeitgenössischen Tänzerinnen der damaligen Zeit enthalten. Fred Hildenbrandt gibt im Vorspann zu jeder Tänzerin Erläuterungen ab. Es befinden sich in diesem Band diverse Tänzerinnen, die nicht den Bekanntheitsgrad einer Mary Wigman und ihrem Lehrmeister Rudolf von Laban, einer Josephine Baker, einer Anna Pawlowa, oder einer Gret Palucca – die alle ebenfalls abgebildet sind – haben. Valeska Gert ist abgebildet, Anita Berber spielt jedoch keine Rolle. 1931, zur Veröffentlichung des Buches, ist sie bereits gestorben, es wird jedoch nicht deutlich, ob sie nicht zum würdigungsfähigen Kanon der dargestellten Tänzerinnen gehört, oder ob sie aufgrund ihres Todes 1929 bereits »nicht mehr Gegenwart« ist. Die Vermutung liegt bei der Auswahl der Tänzerinnen jedoch nahe, dass sie als nicht würdigungsfähig eingestuft wird, da der wichtige Einfluss einer Person, in diesem Fall einer Tänzerin, in einem bestimmten Zeitraum auch noch post mortem dokumentierbar ist, zum Beispiel mit einem † gekennzeichnet. Um Anita Berbers Bedeutung als avantgardistische Künstlerin deutlich machen zu können, vergleiche ich sie nun mit der Ausdruckstänzerin Mary Wigman.

Mary Wigman als Vertreterin des Ausdruckstanzes Mary Wigman, mit bürgerlichem Namen Karoline Sofie Marie Wiegmann, wird am 16. November 1886 in Linden/Hannover geboren. »Das wilhelminische Bürgertum am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dem Mary Wigman entstammt, ist bis ins Innerste konservativ und antiliberal« (Fritsch-Vivié 1999: 16). Mary Wigman besucht die Höhere Töchterschule in Hannover, sie bekommt Gesangs- und Klavierunterricht, Unterricht in Literatur und Kunstgeschichte, mit 14 wird sie 150

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

aus der Schule entlassen, sie darf Sprachen lernen, aber nicht studieren (Fritsch-Vivié 1999: 21). Sie absolviert zwei Jahre die Ausbildung bei Emile Jaques-Dalcroze – im ersten Lehrgang nach der Eröffnung 1910 – in Hellerau bei Dresden mit Abschluss als »Rhythmiklehrerin«, gegen den Willen ihrer Familie (ebd.: 22). »Die Atmosphäre in Hellerau ist aufgeladen mit reformerischen und künstlerischen Ideen, in der kurzen Zeit seines Bestehens werden die Schulfeste und Aufführungen zur Sensation. […] Viele bedeutende Persönlichkeiten wie Kafka, Werfel, Rilke, Shaw, Stanislawski oder Max Reinhardt sind Gäste dort. […] Durch Emile Jaques-Dalcrozes Methode soll der Mensch seine körperlich-seelische Harmonie wieder finden, die als im kollektiven Zivilisationsprozeß verlorengegangen empfunden wird – ein generelles Anliegen der Reformbewegung« (ebd.: 23f).

Jaques-Dalcroze sagt Wigman eine Aufgabe als Rhythmiklehrerin in Köln im Rahmen der Werkbund-Ausstellung zu (Fritsch-Vivié 1999: 10). Mary Wigman weiß von Emil Nolde von dem Tanzstil Labans (Fritsch-Vivié 1999: 26), sie entscheidet sich gegen das Angebot, dass ihr Jaques-Dalcroze gemacht hat, und geht im Sommer 1913 zu Laban nach Monte Verità. Suzanne Perottet wechselt noch vor Mary Wigman zu Rudolf von Laban. In dieser Zeit entwickeln sich neben der Körperkultur auch die Jugend- und Wandervogelbewegungen. Die gymnastischen Ziele sollen den ganzen Mensch erfassen. Mary Wigmans Tanzstil ist expressiv und voller Pathos. »… vier Attribute, Kraft und Größe, Jubel und Staunen, Ergriffenheit und Stille vor Erhabenheit und Leid könnte man als Schlüsselbegriffe ihres Schaffens bezeichnen« (Fritsch-Vivié 1999: 11). Mary Wigman ist die erste innerhalb der europäischen Tanzkunst, die Tänze ohne Musik oder nur mit Rhythmusgeräuschen entwickelt (ebd.: 14). Fritsch-Vivié widerspricht sich allerdings selbst, wenn sie beschreibt, wie Labans Arbeiten »nahezu ohne Musik« nahezu die Intention Mary Wigmans treffe (ebd.: 41), möglich ist es allerdings, dass sie die erste ist, die dieses auf der Bühne einsetzt, das wird jedoch aus diesem Text nicht deutlich. Mary Wigman begreift ihren Körper als Instrument (ebd.: 39). Sie schreibt in ihrem Buch »Deutsche Tanzkunst«: »Die künstlerische Begabung ist ein Naturgeschenk! Sie ist nicht abhängig von Wahl und Neigung des Menschen. (…) Sie ist Bestimmung und schicksalhaft gegeben. Die Auszeichnung, die der durch dieses Naturgeschenk begnadete Mensch vor anderen Menschen erfährt, legt ihm aber auch eine Pflicht auf. Sie verpflichtet ihn nicht nur zur Bewahrung und Heilighaltung des Begabungsgutes, sie verpflichtet darüber hinaus auch zu Tat und Leistung. Im 151

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Kunstwerk hat der schöpferisch begabte Mensch, der Künstler, den Beweis zu erbringen, dass er des Naturgeschenkes seiner Begabung würdig ist« (Wigman 1935: 28).

Zur Tanzkomposition führt sie aus: »Alle Zufälligkeiten der Augenblickseingebung müssen schwinden, damit das Wesentliche sich behaupten kann, damit der Einfall, geklärt, von allen Schlacken befreit und geläutert, sich zum tänzerischen Motiv, zum Thema des Tanzes verdichtet« (ebd.: 38). Im Winter 1913/14 übernimmt sie für Laban, der erkrankt ist, in seiner Tanzschule in München den Unterricht. Laban zieht in die Nähe von Zürich, er hat Kontakt zu Hans Arp, laut Fritsch-Vivié ist er begeistert von den Dadaisten69, während Wigman wenig Zugang zur DadaÄsthetik habe70 (Fritsch-Vivié 1999: 48). Mary Wigman tritt das erste Mal 1919 in Dresden auf, sie bleibt dort 23 Jahre. Gret Palucca ist eine ihrer Meisterschülerinnen. Wigman pflegt Kontakte zu Emil Nolde und Ernst Ludwig Kirchner, korrespondiert mit Oskar Schlemmer (ebd.: 66).

69 Laban war in Zürich offensichtlich häufiger im Cabaret Voltaire. Sophie Taeuber, eine Schülerin von Laban, trat auch für »Dada Zürich« auf (Meyer 1985: 34). In der frühen Phase von Dada Zürich versammelte sich eine starke Vielfalt von Persönlichkeiten; es war zu Beginn auch ein Sammelbecken für alle, die in irgendeiner Form innovativ waren, darunter auch einige, die sich eher klassisch-modern als avantgardistisch in ihrer Kunstauffassung entwickelt haben, wie z.B. Hans Arp. Politisch wurde Dada erst in Berlin, wo das Züricher Dada weiterentwickelt wurde, in Zürich war es eher noch Programm, keines zu haben. »Huelsenbeck wischte 1920 in Berlin alle Zweifel vom Tisch: die Kunst müsse zerstört werden, da sie ein «moralisches Sicherheitsventil» sei, ein Mechanismus für die unbegrenzten Fähigkeit des menschlichen Geistes, seine schlimmsten Phantasien in echte Grausamkeiten zu verwandeln, um anschließend diese schlimmsten Grausamkeiten in hübsche Bilder zu verwandeln« (Marcus 1996: 205). 70 Hedwig Müller schreibt über das Verhältnis Mary Wigmans zum Dadaismus, dass sie eher ein persönliches, denn ein ideelles Verhältnis zum Dadaismus gehabt habe. »Nur sehr bedingt kann sie den ästhetischen Anschauungen der Dadaisten folgen. […] Zwar versteht sie sich mit den Dadaisten da gut, wo es um die Erkundung und rücksichtslose Erprobung von Unbekanntem geht, aber schon bei der Zerstörung hierarchischer Ordnungen in einer künstlerischen Komposition hört es für sie auf« (Müller 1986: 57). Hedwig Müller fasst die künstlerische Idee Mary Wigmans wie folgt zusammen: »Für Mary Wigman gibt es keine Zerstörung des Sinnzusammenhangs im Kunstwerk, sie will ihn ja gerade schaffen, dem Tanz ein Zentrum geben, um das alles andere kreist. Dieses Zentrum ist der ›Ausdruck‹ und der wiederum ist allein ihr persönliches Erleben der Welt« (ebd.: 57). 152

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

In den späten 20er Jahren wird neben der Euphorie »bereits der Vorwurf eines zu großen Pathos und einer eher ekstatisch-kultischen als tänzerischen Pose laut, es gibt negative Kritiken. […] dem Pathos, der feierlichen Haltung und dem mystifizierend-weihevollen Ausdruck stehen inzwischen eine neue Sachlichkeit und eine Sozialkritik gegenüber […]« (Fritsch-Vivié 1999: 84). Vor allem das konservative bildungsbürgerliche Publikum hält ihr jedoch die Treue. Wigman spricht vor allem die bürgerliche Mittelschicht mit »völkisch deutsch-nationaler Couleur« an (ebd. 182). Huschka formuliert das wie folgt: »Wigmans Geniekult eines deutsch-völkischen Tanzes mit Sinn für die Bildung einer einheitlichen Gemeinschaft verdichtet sich in den 1930er Jahren zu einer deutlichen Begeisterung für nationalsozialistische Ideen« (Huschka 2002: 182). Ihre Biographin Fritsch-Vivié formuliert das etwas vorsichtiger, und diese Vorsicht durchzieht eigentlich mehr die Tanzgeschichte als die Deutlichkeit Huschkas: »… Mary Wigman hat in ihrem völlig unpolitischen Denken und in ihrem egozentrischen Weltbild keine kritische Meinung: das politische Programm der neuen Machthaber interessiert sie nicht, allerdings erliegt sie der konservativ verbrämten Agitation Hitlers, den Phrasen vom ›deutschen Wesen‹, der ›nationalen Ehre‹ und von der ›Erneuerung Deutschlands‹ […]. Hitlers Reden, die Willensstärke und Durchsetzungsvermögen signalisieren, machen Eindruck auf sie« (Fritsch-Vivié 1999: 97).

Weiter führt Fritsch-Vivié aus: »Zweifellos hat Mary Wigman keinen Widerstand geleistet, mehr noch, sie hat durch ihr Verhalten dazu beigetragen, dass die Ideologie und damit die menschenverachtende Macht der Nationalsozialisten mit all ihren furchtbaren Folgen sich etablieren und festigen konnte. Ein politisches, gar für Tagespolitik sensibles Bewusstsein besaß sie nicht, auch keine ›deutschnationale Gesinnung‹ und schon gar keine den Nazis nahe Weltanschauung; sie sah sich weder in geschichtlichen noch sozialen Zusammenhängen. Als ein Kind des späten 19. Jahrhunderts und des Kaiserreichs blieb sie in ihrem konservativbürgerlich geprägten Weltbild die individuelle Künstlerin außerhalb der Gesellschaft. Sie empfand sich nur sich selbst gegenüber verantwortlich, alle äußeren Gegebenheiten hat sie von jeher angenommen als Bedingungen, die es zu meistern galt im Sinne einer individuellen Lebensaufgabe« (ebd.: 101f).

Ein sehr gutes Beispiel, an der sich die konservative Haltung der – sich selbst als unpolitisch bezeichnenden – Mary Wigman ablesen lässt, ist ihr Beitrag zur Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Mir scheint es kein Zufall zu sein, dass Leni Riefenstahl – die 153

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

sich selbst ebenfalls stets als unpolitisch bezeichnete – und Mary Wigman im Rahmen dieser Olympischen Spiele ihre Aufgaben sehr professionell und ideologiekonform ausübten, und das Pathos dieser Veranstaltung, jede auf ihre Weise, hochhielten. Diese Olympischen Spiele können nicht neutral betrachtet werden. Auf der einen Seite wollte sich das nationalsozialistische Regime in der weltweiten Öffentlichkeit vorteilhaft präsentieren, andererseits ließ sich die Ideologie gut verpackt mittransportieren. Mary Wigman beschreibt ihren Auftrag zur Gestaltung der »Totenklage« (Abbildung 15) als eine »feierliche Totenehrung«, »ein Gedanke, der unserer Jugend durchaus nicht fremd ist, dem sie vielmehr in erzieherisch bewusster Ehrfurcht durch nationale Gedenktage, durch Mahnund Ehrenmale zugeführt wird« (Wigman 1936a: 41). Das klingt sehr nach Helden- und Totenverehrung im Sinne des nationalsozialistischen Regimes, kann man aber auch anders interpretieren, in dem Sinne, dass sie die Ehrentage in Bezug auf den 1. Weltkrieg meint. Hedwig und Stöckemann sehen in der Totenklage allerdings schon den verherrlichten Opfertod der Nationalsozialistischen Ideologie, und man kann sich dieses Eindrucks auch nur schwer entziehen.

Abbildung 15 Im Ausstellungskatalog »… jeder Mensch ist ein Tänzer. Ausdruckstanz in Deutschland zwischen 1900 und 1945« wird deutlich, dass die Festspiele durchaus noch dem olympischen Gedanken Coubertins Rechnung trugen, dennoch im Zusammenhang mit der alltäglichen nationalsozialistischen Propaganda gesehen werden müssen (Müller, Stöckemann 1993: 175f). »Die für das NS-Regime bezeichnende geschlechtsspezifische Zuweisung von weiblicher ›Anmut‹ und ›Ordnung‹ sowie männlicher ›Tatkraft‹ und ›Willensstärke‹ fanden im zweiten und dritten Bild eine idealtypische Umsetzung. Und 154

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

das vierte Bild, ›Heldenkampf und Totenklage‹, in dem für Diem der Sinn des Festspiels lag, verherrlichte den ›Opfertod‹, so wie ihn die Nationalsozialisten im Dienste der ›Volksgemeinschaft‹ forderten. Die von Wigman konzipierte ›Totenklage‹ zeigte nicht mehr die persönliche Emotion auf den Tod der beiden ›Helden‹, die für das ›Vaterland‹ gestorben sind, sondern ein Ritual, wie es der Hitlerstaat zur Feier von Heldenverehrungen im kultischen Gestus voll71 führte« (Müller, Stöckemann 1993: 176).

Auch wenn immer wieder betont wird, dass Mary Wigman durch die nationalsozialistischen Machthaber kritisch beäugt wurde und ihr Unterstützung versagt wurde, lassen sich ihre tänzerischen wie schriftlichen Aussagen durchaus als ideologiekonform bezeichnen. »Der oft geschändete Begriff der Gemeinschaft ist kein Wahn. Wir täuschen uns nicht, wenn wir unserer Zeit gemeinschaftsbildende Kräfte zusprechen. Sie sind da und sind überall auffindbar. Der Gemeinschaft im produktiven Sinne liegt stets eine von allen Beteiligten anerkannte Idee zugrunde. Die Gemeinschaft setzt Führerschaft und Anerkennung der Führerschaft voraus. Die Masse, die sich selber meint, ist niemals Gemeinschaft. Arbeit an und in der Gemeinschaft ist Dienst am Werk, Dienst an der Idee« (Wigman 1935: 64).

Wigmans Kunstbegriff wird deutlich, wenn sie die Funktion des Theaters beschreibt: »Wir suchen das Theater als einen Ort des festlichen Begehens. Wir wollen miterleben und miterleiden, vollem mit- und hingerissen sein. Sehnen uns nicht nach Nervenreiz und Sensation, sondern nach der Erschütterung unseres Wesens. Wollen in der Steigerung unseres Lebensgefühls, die das Theater uns vermittelt, den Alltag nicht vergessen, sondern überwinden« (Wigman 1935: 70).

Ausdruckstanz und Nackttanz: zwischen Klassischer Moderne und Avantgarde Der Ausdruckstanzes ist modern, entspricht einer bürgerlichen Kunstauffassung und ist der Klassischen Moderne zuzuordnen, da er zwar die bestehenden tänzerischen Kategorien, das eherne Ballett, durchbricht, jedoch der Hochkultur, und bei einigen Vertretern auch dem Geniekult, verpflichtet bleibt. Es war vor allem das bildungsbürgerliche Publikum,

71 Das Festspiel »Olympische Jugend« war von Carl Diem. Hanns Niedecken-Gebhard zeichnete für die Gesamtgestaltung verantwortlich. 155

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

welches der Ausdruckstanz oder auch der »freie Tanz« ansprach, sein Ziel die Ballettbühne der bürgerlichen Theaterinstitutionen. Das primäre Ziel des Ausdruckstanzes war die Befreiung des Körpers und der Bewegungs- und Ausdrucksformen. Die große Leistung des Ausdruckstanzes war das Aufbrechen der Bewegungsmuster des klassischen Balletts. In dieser Hinsicht kann man ihn durchaus als progressiv und fortschrittlich bezeichnen. Da er jedoch in der Hauptsache weniger politische als mystisch-verklärende Tendenzen hatte – Laban wie Wigman begriffen den tänzerischen Raum als mit dem Kosmos verbunden (Klein 1993: 188), Themen wie Tod, Leiden etc. waren oft metaphysisch untermauert – und sich dem Ziel der Präsenz auf den Bühnen der bürgerlichen Kunstinstitutionen verschrieben hatte, kann er der Klassischen Moderne zugerechnet werden. Zudem lässt sich im Ausdruckstanz und Freien Tanz, auch »German Dance« genannt, mit der Entwicklung vom Individualismus zum chorischen Tanzen eine stark konservative Tendenz erkennen, die das Individuum hinter die Ziele der Gesellschaft zurücktreten lässt, und die vom Nationalsozialismus aufgegriffen und in veränderter Form fortgeführt werden konnte. Mary Wigman wird in der Literatur immer wieder als »die« Ausdruckstänzerin hervorgehoben. Gleichzeitig wird Tänzerinnen wie Anita Berber die Anerkennung versagt. Viele sind gar vergessen, da sie zum großen Teil in Varietés tätig waren. Diesen haben jedoch Ochaim und Balk (1998) wieder zu Geltung verholfen. Interessant ist die Tatsache, dass in der Tanzgeschichte Laban und Wigman eine sehr große Bedeutung und Rolle zugeschrieben wird, viele andere aber nur erwähnt werden, aber nicht die Resonanz erfahren, obwohl sie progressivere Ideen hatten. Ähnlich verhält es sich für den anglo-amerikanischen Raum mit Isadora Duncan und Ruth St. Denis. Labans große und nicht zu unterschätzende Leistung ist dessen ungeachtet die systematische Tanznotation, die die Komponenten Kraft, Zeit, Raum und Fluss enthält, und die auch heute noch einzigartig genau ist. Anita Berber, die skandalumwitterte Varieté-Nackttänzerin, gehört zur tänzerischen und künstlerischen Avantgarde der 20er Jahre, während Mary Wigman der tänzerischen Klassischen Moderne zuzuordnen ist. Abbildung 16 zeigt Anita Berber in Tanzpose im Tanz „Kokain“. Sie ist in lässiger Pose auf einem dreibeinigen Podest mit Pfahl zu sehen. Sie trägt eine brustfreie Korsage mit Schnürung, die die Haut auf dem Bauch sehen lässt und einen Rock, der bis zum Schritt geschlitzt ist. Ihre Beine sind freigelegt. Es scheint, als hätte sie einen Schal so in die Korsage gesteckt, dass die Brüste verdeckt sind, ganz deutlich ist dieses jedoch nicht. Es liegt jedoch nahe, wenn man diese Abbildung mit Abbil-

156

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

Abbildung 16 dung 17 vergleicht. Es ist nicht deutlich erkennbar, ob die Scham freiliegt, oder ob Anita Berber unter dem Rock doch noch etwas trägt. Von Anita Berber gibt es nur sehr wenig erhaltenes Filmmaterial, aus dem man ihr tänzerisches Tun, wie z.B. aus dem Film „Dr Mabuse, der Spieler“, ableiten könnte. Deswegen ist man zum großen Teil auf Photographien und Aussagen von Zeitzeugen angewiesen, wie beispielsweise auf das Interview von Fischer mit Dinah Nelken (Fischer 1996: 12). Während die Klassifizierung von Mary Wigman als expressionistische Tänzerin auf ihre Zielsetzung des Ausdrucks innerer Zustände hinweist, ist dieselbe Klassifizierung für Anita Berber, die sich in der Literatur immer wieder findet, z.B. auch bei Jarrett (Jarrett 1999: S. 88), die von Anita Berber als einer expressionistischen Nackttänzerin schreibt und im Übrigen auch Dix als Expressionisten beschreibt, nicht zutreffend. Damit ziele ich nicht unbedingt auf den tänzerischen Ausdruck, die Art des Tanzes selbst ab, sondern auf Themenauswahl, Auftrittsorte und Inszenierung. »Anita Berber versuchte, das Erlaubte mit dem Verbotenen zu verbinden und eine erotische Kunst zu kreieren, die in Europa neu war. Sie zog sich auf der Bühne aus und wollte ihr Publikum zwingen, ihren Tanz als Kunst anzuerkennen. Im Berlin der Nachkriegszeit gingen Kunst und Pornographie Hand in Hand, während man zur gleichen Zeit in Amerika und England klarer denn je zwischen beiden unterschied. In Berlin machte man keinen Unterschied zwischen Striptease- und Ausdruckstänzerinnen. […] Tanzhistoriker mühten sich um Definitionen von moralischer und unmoralischer Nacktheit« (Jarrett 1999: 92).

Schlussendlich zieht Anita Berber am selben Strang wie die künstlerische Avantgarde der 20er Jahre, weil sie über Genregrenzen hinweg157

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

ging, und in sexualaufklärerischen Filmen mitwirkte, nicht in bürgerlichen Kunstinstitutionen ausschließlich für ein bildungsbürgerliches Publikum tanzte und die bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees, Prüderie und Sexualfeindlichkeit anprangerte. Mel Gordon schreibt über Anita Berber: »Weimar Berlin’s notorious star, a ›phallic woman‹, the reincarnation of the cultgoddess Astarte, the avatar of female desire and perversity, had finally succumbed to the stimulants and addictions that made her the single most decadent personality in a world without moral boundaries or legal restriction. But beyond her reigning status as the signifier of German bad-girl behaviour – a ›priestress of depravity‹ – who was this Anita Berber?« (Gordon 2006: iif).

Abbildung 17

Gordon hebt ihre verschiedenen Professionen als Tänzerin, Poetin, Modell, Nackttänzerin und Schauspielerin hervor. Bei Gordon wird auch ersichtlich, dass Anita Berber eine eigene Truppe hatte (Gordon 2006: 142f) und im Berliner Wintergarten tanzte (ebd. 17). Abb. 17 zeigt Anita Berber noch einmal in ihrer brustfreien geschnürten Korsage (vergl. Abb. 16), die in der Schnürung die Haut blitzen lässt. Sie wird zum Teil von einem vor ihr hängenden dunklen Vorhang verhüllt, rechts im Bild ist ein weiterer Vorhang zu sehen. Sie trägt einen Rock aus dem gleichen Stoff wie die Korsage. Sie ist stark und dunkel geschminkt. Ihre Körperhaltung ist lasziv, die Arme oben hinter dem Kopf verschränkt. »Whether decked out in male attire or stripped naked, Anita revealed yet another side of her fugitive persona and her dedication to genuine grief and exaltation, to body madness, to unadultered eroticism. Her dances were the dark manifestations of a shape-shifting desperado« (ebd.: iii).

158

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

Otto Dix: Bildnis der Tänzerin Anita Berber Otto Dix schuf »in vielen Einzelbildnissen das Porträt der Großstadtgesellschaft der zwanziger Jahre« (Michalski 1994: 53). Er suchte sich seine Modelle selbst. Seine besondere Aufmerksamkeit lag auf Charakteristika und Details, die er oft stark überzeichnete, so dass »Individuen zu Typen« wurden (Michalski 1994: 53). Michalski betont an gleicher Stelle, dass an Dix’ Werk die Betonung der hässlichen Seiten der Menschen auffällig sei. 1925 malt Otto Dix Anita Berber in seinem Atelier (Abbildung 18). Das Bild ist mit Tempera auf Sperrholz gemalt und 120 x 65 cm groß, es befindet sich im Kunstmuseum Stuttgart. Anita Berber trägt ein langärmeliges enges geschlossenes seidig-glänzendes rotes Kleid, das viele Falten wirft und ihre Körperkonturen, den Busen und den Bauch, deutlich hervorscheinen lässt, Karcher bemerkt, dass durch den Faltenwurf und die vielen kleinen Falten »die aufreizende Beweglichkeit des Körpers noch stärker« hervortrete (Karcher 1992: 104). »Im Porträt Anita Berbers konzentrierte sich Dix ausschließlich auf die Wiedergabe ihres Körpers und dessen Einbindung in die vielfältig Abbildung 18 differenzierte Rotfarbigkeit des Hintergrunds« (Karcher 1992: 104) Für Karcher ist die Modellierung des Körpers von Anita Berber durch verschiedene Rottöne entscheidend (ebd.: 104); zusammen mit dem roten »Bildhintergrund als Fortsetzung und Steigerung dieser Körper- und damit auch Wesensausstrahlung Rot« (ebd.: 105). Weiter ist für sie ist die Affinität zwischen Rot und Blut offensichtlich: Die Aura, die Anita Berber umgab, war die von »Laster und Dekadenz, von Eros und Tod« (ebd.). Dix verwendet sowohl warme als auch kalte Rottöne. Diese Polarisierung ist für Karcher ausschlaggebend für den »hohen Spannungsgrad im Bild« (ebd.: 108). Anita Berbers bläulich-fahler Teint, das ausgezehrtes Gesicht, die eingefallenen Wangen, die tiefliegenden Augen, der schmallippige »à la mode« übermalte Mund, die starke Schminke: alle diese Merkmale verweisen laut Karcher auf die »Morbidität der Ausstrahlung dieser Frau«

159

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

(ebd.: 109). Im Bild drückt sich eine »schlangenhafte Biegsamkeit« aus, Körper wirkt jedoch verschlossen und abweisend (ebd.). »Dix charakterisiert Anita Berber in der Wiedergabe der Dehnungsfähigkeit ihres Körpers als Tänzerin, als jemanden, der sich zu bewegen und zu posieren gelernt hat. Die Art, in der sich dieser Körper inszeniert, setzt eine gewisse Kultivierung in Form einer tänzerischen Ausbildung voraus. Das Fehlen jeglicher Attribute trägt zusätzlich zur Kennzeichnung eines extrem körperbetonten Moments bei, wie es im Tanz enthalten ist. Die völlige ›Attributlosigkeit‹ zusammen mit der auffallenden kapriziösen Schlichtheit des Kleides vermittelt eine schillernde ambivalente Ausstrahlung der Person Anita Berbers, verleihen ihr eine gewisse Entrücktheit. Anita Berber ist gewissermaßen allein bestimmbar durch ihren Körper, dessen zentrale Präsenz ein offensichtlich für den Betrachter beunruhigendes Moment enthält, das sich als Anitas Ruf der ›Verruchtheit‹ ausdrückte« (Karcher 1992: 109f).

Anita Berber war eine Künstlerin, die ebenso wie Marilyn Monroe an der Gesellschaft, in der sie lebte, scheiterte. Dinah Nelken erinnert sich in einem Gespräch mit Lothar Fischer: »Anita erinnert mich im Nachhinein sehr stark an Marilyn Monroe, obwohl sie äußerlich ganz anders aussah« (Dinah Nelken, Interview mit Lothar Fischer, in: Fischer 1996: 12, Hervorhebungen U.W.).

D i e S c h a u s p i e l e r i n M a r i l yn M o n r o e i n d e r Postmoderne der 50er/60er Jahre

Abbildung 19 160

Marilyn Monroe, bürgerlich Norma Jeane Baker, wird am 01. Juni 1926 in Los Angeles geboren und stirbt am 05. August 1962 ebenfalls dort. Sie jobbt als junge Frau in einer Munitionsfabrik. 1945 wird sie als Photomodell entdeckt und erhält 1946 von der 20th Century Fox ihren ersten Filmvertrag als Nachwuchsschauspielerin. Ab 1948 darf sie kleinere Filmrollen spielen. Ab 1952 folgen Hauptrollen – hauptsächlich als »naive, platinblonde Schönheit« in Komödien

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

und Musikfilmen. Marilyn Monroe hat komödiantisches Talent, spielt viele ihrer Rollen mit unterschwellig ironischen Untertönen. Ein Aktphoto aus dem Jahre 1949 provoziert einen weltweiten Skandal. Bernard sieht ihre Entscheidung, Aktphotos zu machen in ihrem »latenten Exhibitionismus«: »Die wahren Beweggründe für Marilyns damalige Entscheidung sind sicher in ihrem latenten Exhibitionismus zu suchen, der sie in den verschiedenen Stadien ihrer Karriere zu Schockwirkungen auf ihre Umgebung animierte« (Bernard 1981: 30). Norman Mailer nach gibt sie die folgende Antwort auf die Frage eines Abbildung 20 Reporters, ob sie etwas angehabt habe: »Aber ja, das Radio« (zitiert nach Mailer 1973: 47).72 72 Wie interessant Marilyn Monroe für KünstlerInnen in der Postmoderne ist, und inwieweit die Parodie als subversives Moment, gerade auch in Bezug auf die Geschlechtsidentität, Thema von Künstlern ist, lässt sich unter anderem an den Photos von Yasumasa Morimura (Abb. 19), welches ein Selbstportrait ist, und einem weiteren Pin-Up (# 1) von Zoe Leonard mit Jennifer Miller (Abb. 20), ablesen. Beide parodieren ein Pin-Up von Tom Kelley, auch »Golden Dreams« genannt (Abb. 17), auf dem die rotblonde Marilyn vor rotem Samt nackt mit stark angewinkelten Beinen und überstreckten Füßen sitzt, die rechte Hand stützt sich vor dem Körper auf den Samt, die Hand ist gespreizt, die Fingernägel rot lackiert, den linken Arm hat sie angewinkelt hochgestreckt, so dass der Unterarm nicht zu sehen ist. Marilyn lehnt ihren Kopf so an den Arm, dass ihr linkes Auge verdeckt bleibt, der rot geschminkte Mund ist zu einem leichten Lächeln geöffnet. Während das Pin-Up von Zoe Leonard die bärtige Jennifer Miller die gleiche Pose liegend darstellen lässt, die Füße sind dabei entspannt und auch das zweite Auge ist sichtbar, bleibt Morimura dem Original in der sitzenden Pose treu, die Stufen sind im Samt jedoch wesentlich stärker zu sehen als im Original, die Füße befinden sich ebenfalls in sehr gezierter Haltung; der Bruch findet hier nicht durch die Bärtigkeit einer Frau statt, sondern durch die Darstellung eines asiatischen Mannes mit vorgeschnallten künstlichen Plastikbrüsten und brünetter lockiger Langhaarperücke. Matt schreibt: »Morimuras Arbeiten sind jedoch nicht nur ein lustvolles Bekenntnis zum spielerischen Wechsel der Identitäten, wo Identität sich aus der kulturellen Positionierung und dem kulturellen Kontext ergibt, und nicht etwas statisch Einzigartiges und einmalig Festgelegtes ist. Seine ostwestlichen Travestien, sein persönliches Eintreten in die westliche Kunst161

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Die Filmkritik und die biographische Literatur zu Marilyn Monroe sind sich relativ einig, dass Marilyn Monroe exhibitionistisch veranlagt war. Gleichzeitig wird immer wieder betont, wie wichtig es ihr war, als ernstzunehmende Schauspielerin wahrgenommen zu werden, und nicht als »blondes Dummchen« zu gelten. Das steht jedoch in keinem Widerspruch. Baur schreibt über Marilyns Zeigelust: »Marilyn war exhibitionistisch und unschuldig, gerissen und rührend naiv. Sie beherrschte jede Menge Tricks, mit denen sie imponieren und betören wollte, aber sie verführte gerade deswegen, weil diese Tricks durchschaubar waren. So wie Venus, die Göttin der Schönheit, der Liebe und der Fruchtbarkeit, trotz aller Betrügereien und Lügen angebetet wurde. Zeigt das doch, dass die Göttliche schwach werden kann, dass die Verführerin verführbar ist« (Baur 2001: 17).

Abbildung 21

Seeßlen und Weil beschreiben, dass die späteren Filme Marilyn Monroes sie zwar noch als PinUp, jetzt aber nicht mehr passiv, sondern auf der Jagd nach Männern, zeigen (Seeßlen, Weil 1978: 194). Die Rückseite des Buches »Das Sexleben der Hollywoodgöttinnen. Die Skandalchronik der Traumfabrik« von Nigel Cawthorne (1999) zitiert Marilyn Monroe mit der Aussage: »Ich fühle mich nur wohl, wenn ich nackt bin«. Cawthorne schildert, dass Marilyn Monroe sich gerne hüllenlos zeigte (Cawthorne 1999: 278).

»Sie setzte ihren nackten Körper oft genug ein, etwa um Freunden ein Vergnügen zu bereiten. Will Fowler, ein Freund von Bob Slatzer, erinnerte sich an einen Abend in ihrer Wohnung, als sie reichlich Alkohol getrunken hatten. ›Plötzlich legte sie einfach alle Kleider ab. Sie zeigte Männern gerne ihren Körper. Sie war zu allem, worum Männer sie baten, bereit, nur um ihnen einen

und Kulturgeschichte konfrontieren uns nicht zuletzt mit einem ironischen Bruch unserer eigenen kulturellen Stereotypen, den westlichen Klischees von Japan und der japanischen Kultur« (Matt 1997: 7). 162

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

Gefallen zu tun. Es ging von ihr genauso aus wie von uns, und es war überhaupt nichts Sexuelles, zumindest nicht an jenem Abend‹ « (ebd.: 279).

Neben dem Schauspiel ist der Gesang ein wichtiges Ausdrucksmittel Marilyn Monroes: »Diamonds are a girls best friend«, »I wanna be loved by you« und »River of no return« sind nur drei Beispiele ihrer berühmten Songs. In der gesamten Zeit ab 1947 nimmt sie immer wieder Schauspielunterricht und darüber hinaus Unterricht bei Stimmbildnern, Gesangslehrern und Choreographen (Victor 2000: 4). Daneben arbeitet sie auch weiter als Photomodell mit bedeutenden Photographen wie Richard Avedon, Milton Greene, etc. Sie genießt es, sich photographieren zu lassen und besitzt ein Talent, vor der Kamera zu posieren, mit ihr zu flirten und sich in Szene zu setzen. Sie ist Mitte der 50er Jahre das populärste Pin-Up-Girl und nationales Sexsymbol Amerikas. 1955 geht Marilyn Monroe nach New York, und beginnt ihren Schauspielunterricht bei Lee Strassberg, der nach der Methode von Konstantin Stanislawski73 unterrichtet, gründet mit Milton Greene eine eigene Produktionsfirma: die Marilyn Monroe Production Inc. und setzt größere Mitspracherechte bei den Drehbüchern der nachfolgenden Filme durch. Deutlich ist der Unterschied zwischen der jungen Schauspielerin und dem vollendeten Sexsymbol Ende der 50er Jahre. Ihr Image, zu dem Mimik, Stimme und Gang einen nicht zu unterschätzenden Teil beitragen, trainiert sie im Verlauf ihrer Karriere bis zur Perfektion. Marilyn Monroe spielt in insgesamt 32 Filmen.74 Sie lässt sich ihre Zähne korrigieren, blondiert und glättet sich die Haare. Ihr tiefer Haaransatz auf der Stirn wird zeitweilig mit einem Elektrolyseverfahren entfernt. Die »Schwachpunkte« ihres Aussehens, wie wohl Nase und Ohren, werden mit Make-up kaschiert. Der Makeup-Künstler Allan Whitey Snyder ist in den meisten ihrer Filme für ihr Make-up zuständig und sorgt dafür, dass sie ihrem Image treu bleibt. Berühmt-berüchtigt ist unter anderem auch ihr Auftritt auf einer Geburtstagsfeier von US-Präsident John F. Kennedy, als sie »Happy Birthday, Mr. President« singt. 73 Stanislawski hatte einen großen Einfluss auf das Theater in den USA. Nach Strassberg lag Stanislawkis Leistung in der »bewussten Stimulierung jener kreativen Prozesse, die sich normalerweise nur im Unbewussten abspielen« (zitiert nach Victor 2000: 288). 74 Einige seien hier kurz genannt: 1950 All About Eve, 1953 Niagara, 1953 Gentlemen Prefer Blondes, 1953 How to Marry a Millionaire, 1954 River of No Return, 1955 The seven year itch, 1956 Bus Stop, 1957 The Prince and the Showgirl, 1959 Some like it hot, 1960 Let's Make Love, 1961 Misfits – Nicht gesellschaftsfähig, 1962 Something's Got to Give; unvollendet. 163

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

»Marilyn hauchte ihr Happy Birthday, Mr. President so erotisch ins Mikrophon, dass mancher hellhörig wurde, welche Beziehung den Gefeierten und die Gratulantin wohl verbinde. Der gesamte Gala-Abend, bei dem sie anschließend noch zu einem Festessen mit ihrem ehemaligen Schwiegervater Isadore Miller eingeladen wurde, den sie dem Präsidenten vorstellte, war ein wichtiger Höhepunkt im Leben der Marilyn Monroe. Sie wurde auf höchster gesellschaftlicher Ebene akzeptiert, und in gewisser Weise ging auch ihr Kindheitstraum in Erfüllung: die Nacktheit, die exhibitionistisch und ohne Scham triumphierte, aber niemanden verletzte« (Geiger 1995: 109).

Kennedy und Monroe wird bis heute eine Affäre nachgesagt. Die Literatur ist sich in diesem Punkt nicht einig: während Cawthorne (1999) davon überzeugt berichtet, und auch Smith (1998) davon überzeugt ist, äußern sich andere Autoren diesbezüglich durchaus vorsichtiger. Marilyn Monroe stirbt mit 36 Jahren an einer Überdosis Schlafmittel. Als offizielle Todesursache gilt in den Medien allgemein Selbsttötung. Die nach Aussage mehrerer Quellen wahrscheinlichste Theorie, ist die von Donald Spoto in seiner Biographie (Spoto 1993: 566f). Wie Geiger (1995: 121) ausführt, hat Spoto am gründlichsten von allen Autoren und vor allem unparteilich recherchiert75. Spoto führt ihren Tod auf einen groben ärztlichen Kunstfehler zurück76.

75 Norman Mailers sehr bekannte Biographie Marilyn Monroes ist laut eigener Aussage eine »unvollständige Geschichte, in der Wirklichkeit, Vermutung, Spekulation und Ungenauigkeit dicht beieinander lagen« (dieses Zitat habe ich Bernard 1981:58 entnommen, da mir nur die Originalausgabe Mailers Biographie vorliegt). Ich halte es jedoch für wichtig, die Kritik an Mailer, er habe schlampig recherchiert, nicht unerwähnt zu lassen, ohne dabei die Schönheit dieses Buches in den Hintergrund treten lassen zu wollen. 76 Schon Jahre vorher ist Marilyns Konsum von Tabletten und Alkohol ein Problem: »Mittlerweile war die Kombination von Tabletten und alkoholischen Getränken ein gefährliches Gift für Marilyn Monroe. Es machte sie launisch und aggressiv am nächsten Tag. Aber ihre behandelnden Ärzte merkten nichts davon oder wollten nichts wissen. Ihr Hausarzt Dr. Shapiro gab ihr Spritzen und Medikamente, wenn sie danach verlangte. Und ihre Psychoanalytikerin Dr. Hohenberg kümmerte sich nicht um die Medikamentensucht ihrer Patientin« (Geiger 1995: 80). Während der Dreharbeiten zu »The Misfits« bekam sie stark überhöhte Dosen des Schlafmittels Nembutal (ebd.: 99). 164

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

Erotische Ausstrahlung und Macht versus Bürgerliche Moral und Diskriminierung des Sexuellen in der bürgerlichen Gesellschaft Interessant ist die Tatsache, dass immer wieder davon die Rede ist, dass Marilyn Monroe sich nicht vom »Image der naiven Blondine« bzw. dem der »blonden Sexbombe« befreien konnte. Es wird auch immer wieder darüber geschrieben, dass ihre künstlerische Arbeit erst nach ihrem Tod anerkannt und gewürdigt wurde und wird. Heute wird sie als eine der besten Komödiantinnen des Kinos der 50er Jahre angesehen. Bovenschen schreibt 1976 aus feministischer Sicht über Marilyn Monroe: »Schwierig wird es dort, wo die Idee es Schönen an eine empirische Frau gebunden wird: Marilyn Monroe – Kunstprodukt, Weiblichkeitsmythos und Opfer einer unmenschlichen Kulturindustrie in einem – lässt sich nicht nachträglich in eine natürliche und eine künstliche Frau aufteilen, nach dem Muster: den einen Teil überlassen wir Norman Mailer und den anderen stecken wir in Jeans und machen ihn zur Gallionsfigur von Womens Lib. Die ganze Frau gehört auf unsere Seite« (Bovenschen 1976: 67).

Dass Marilyn Monroe darunter litt, künstlerisch nicht ernst genommen zu werden, ist unbestritten, doch erscheint mir die Aussage, dass dies ausschließlich etwas mit dem Image des Sexsymbols Marilyn Monroe zu tun habe, zu plakativ und vereinfacht. Bernard zitiert Marilyn Monroe aus einem Interview mit dem Life-Korrespondenten Richard Meryman: »Ich verstehe nicht ganz diese Sache mit dem Sexsymbol […] das Schlimme ist, dass ein Sexsymbol zur Sache wird. Ich will aber keine Sache sein« und weiter »Doch wenn ich schon ein Symbol von etwas sein soll, dann am liebsten vom Sex« (Marilyn Monroe, zitiert nach Bernard 1981: 61). Bernard sieht die Doppelmoral in den USA als Hauptursache für die Konflikte Marilyn Monroes, er schreibt: »Die Doppelmoral im öffentlichen und privaten Leben in den Vereinigten Staaten, zusammen mit dem unlösbaren Widerspruch ihres Schauspielerehrgeizes und dem ihr aufgesetzten Sexbombenklischee, schufen ihr Konflikte, mit denen sie bis an ihr Lebensende nicht fertig wurde. Dabei mussten die komischsten Eiertänze aufgeführt werden« (Bernard 1981: 31).

Ein Sexsymbol zu sein, bedeutet auch, erotische Ausstrahlung und Macht zu besitzen. Diese Form der Macht, wie im vorangegangenen Kapitel dargelegt, wird unterschätzt. Warum streben so viele junge 165

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Mädchen danach, sexy und anziehend zu sein? Nach bürgerlich feministischer Ansicht nach nur deswegen, um sich besser verkaufen und vermarkten zu können, und damit den patriarchalen Strukturen Folge zu leisten. Doch das ist eine monokausale und moralisierende Sicht auf die Dinge. Mode, Schönheit und erotische Anziehungskraft können als Macht- und Distinktionsmittel genutzt werden, und werden es auch. Marilyn Monroe war sich dessen sehr bewusst, und sie »arbeitete hart daran, aus ihren naturgegebenen Vorzügen das Beste zu machen« (Victor 2000: 37). Make-up zu tragen, und damit seinen eigenen Stil und seine eigene Optik zu gestalten, und nicht nur dezent seine Vorzüge hervorzuheben und die »Makel« zu kaschieren, war schon in den 20er Jahren für Frauen eine durchaus befreiende Möglichkeit des Selbstausdrucks, welche zuvor nur Prostituierten vorbehalten war. Ebenso ist es durchaus als Freiheit zu sehen, keine Unterwäsche zu tragen (Mailer, Bernard, Victor), halbnackt, nur im Negligé durch die Studioflure zu laufen, dekolletierte und eng anliegende Kleidung zu tragen, die die Körperformen möglichst vorteilhaft modelliert. Ein Sexsymbol in den prüden 50er Jahren zu sein – die sexuelle Revolution hatte noch nicht stattgefunden, und die McCarthy-Ära77 vergiftete die kulturelle Sphäre78 – bedeutete auch, Freiheiten und (sexuelle) Neigungen ausleben zu können, welche die Masse der Frauen in einer von Doppelmoral durchtränkten Gesellschaft nicht hatte. Doch was sagt uns das über die Neigungen einer Marilyn Monroe? Victor zitiert Marilyn Monroe, die als kleines Mädchen einen Traum hatte, der sich in einer Kirche abspielte: »Kaum saß ich in der Kirchenbank, die Orgel spielte und alle sangen einen Choral, überkam mich der 77 Der Kalte Krieg hinterließ seine Spuren in der amerikanischen Gesellschaft. Sautter beschreibt, dass sich der republikanische Senator McCarthy als eigentlicher Protagonist des Feldzugs gegen subversive Elemente profilierte (Sautter 1994: 446). 78 Ruth-Esther Geiger beschreibt, dass es auch eine Akte über Marilyn Monroe beim FBI gab: »Sie hatte sich zu einer Reise in die Sowjetunion von der National Arts Foundation inspirieren lassen, aufgrund ihrer Liebe zur russischen Kunst. Diese Reise zerschlug sich zwar, aber sie hatte ein Visum beantragt. Und nun war sie auch noch mit Arthur Miller liiert, der von FBI und CIA überwacht wurde. Ihre Arbeit im Actors Studio, die Freundschaft mit den Greenes wurden genau observiert; und J. Edgar Hoover selbst hatte Anweisung gegeben, dass jeder Versuch der Künstlerin, Amerika zu verlassen, gemeldet werden müsse« (Geiger 1995: 85). Darüber hinaus wurde sie verunglimpft, weil sie mit einem »Amerika-Feind« zusammen sei (Geiger 1995: 86). Arthur Miller stand am 21. Juni 1956 in Washington vor dem Ausschuss für »Unamerikanische Umtriebe«, obwohl das FBI nichts gegen ihn in der Hand hatte (ebd.: 89). 166

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

Drang mich auszuziehen. Ich wünschte mir verzweifelt, nackt vor Gott und allen anderen zu stehen. Ich musste die Zähne zusammenbeißen und auf den Händen sitzen, damit ich mich nicht auszog« (zitiert nach Victor 2000: 218). Victor verweist darauf, dass Marilyn Monroe kein Schamgefühl kannte, was ihren Körper betraf (ebd.: 218). »So provokativ Marilyn sein konnte, lavierten ihre Regisseure und Filmstudios doch immer erfolgreich an der Grenze des Erlaubten. So war das fleischfarbene Kleid für ihre ›Heat-Wave‹-Nummer in There’s no business like show business (1954) formaljuristisch eine Bekleidung, auch wenn es in Wirklichkeit nichts der Fantasie überließ (1959)« (ebd.: 51).

Victor beschreibt weiter, dass Marilyn Monroe zeitlebens zu Hause und auch in ihrem Bungalow am Set nackt herumlief: »Sie gab sogar Interviews, während sie nackt im Bett lag oder sehr offenherzige Kleidung Abbildung 22 trug« (ebd.: 218). Marilyn ist aufgrund dieser Tatsachen durchaus als exhibitionistische Künstlerin zu bezeichnen. Die berühmte Szene, in der ihr Kleid durch den Lüftungsschacht hoch weht – wie auf Abbildung 22 zu sehen ist – zeigt durchaus den Spaß, den Marilyn daran hatte, dass ihr viele Passanten bei vielfacher Wiederholung der Szene unter den Rock schauten, wo unter dem Höschen scheinbar deutlich auch ihre dunkle Schambehaarung zu sehen gewesen sein muss: »Das seidene Höschen, das sie unter ihrem langweißen Sommerkleid trug, war so durchsichtig, dass auch der letzte erkennen konnte, dass Marilyn nicht überall blond war« (Bernard 1981: 34). Victor verweist wiederum darauf, dass sie in ihren Filmen austestete, wie weit sie gehen konnte (Victor 2000: 222). All diese Tatsachen lassen erkennen, dass nicht das Sexsymbol-Image das Problem von Marilyn Monroe war. Aus diesen zahlreichen Argumenten schließe ich, dass sich Marilyn Monroe nicht als Sexsymbol an sich missverstanden und unanerkannt gefühlt hat (denn das hat sie durchaus genossen), sondern unter dem Widerspruch in der bürgerlichen Gesellschaft, für sexuell attraktiv 167

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

und gleichzeitig intelligent gehalten zu werden, gelitten hat. Die Resultate waren – neben den dem Selbstbewusstsein förderlichen Aspekten des Ruhms – auch die negativen Seiten, nämlich die Unterschätzung der Persönlichkeit und Intelligenz Marilyns durch die bürgerliche „Schere im Kopf«, welches sich in ihrem Rollenklischee der frühen Filme widerspiegelte. Selbst in ihrer ersten Produktion nach Gründung ihrer eigenen ProduktionsAbbildung 23 firma weicht sie allerdings sehr wenig von diesem Rollenklischee ab (Bernard 1981: 45). Das Fehlen des Respekts als Persönlichkeit und Künstlerin wahrgenommen zu werden, ist der Aspekt, unter dem sie litt, wie auch schon Anita Berber, die in ihrer erotisch-sinnlichen Kunst des Nackttanzes ernst genommen werden wollte. Ein Beispiel eines Zitats aus der Marilyn Monroe Enzyklopädie zeigt, in welche Richtung die herrschenden Vorurteile gehen, unter anderem nämlich in die des Ageism: Eve Arnold, eine Photographin, äußerte sich über Marilyns Nacktauftritte in den letzten Jahren ihres Lebens recht kritisch: »Sie hatte inzwischen nicht mehr die Figur einer jungen Frau, aber sie weigerte sich, zur Kenntnis zu nehmen, dass sie reifere Formen angenommen hatte. Sie bestand darauf, sie könnte es noch immer mit den Akten oder Halbakten, wie sie im Playboy und ähnlichen Magazinen abgebildet wurden, aufnehmen. Ihre Blindheit gegenüber den physischen Veränderungen war fast schon tragisch« (zitiert nach Victor 2000: 218).

Ein Sexsymbol kann nach Aussage der Photografin offensichtlich nur sehr nur jung funktionieren. Marilyn Monroe war mit gerade einmal 36 Jahren jung, als sie starb. Geiger beschreibt die Photos, die Bert Stern noch kurz vor ihrem Tod gemacht hatte – ein Beispiel ist Abbildung 23 – im Gegensatz zu Arnold positiv. Das Photo zeigt Marilyn als stehen168

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

den Halbakt mit einem transparenten breit gestreiften Tuch, welches sie sich mit angewinkelten Armen vor die Brust hält, dabei steht sie in klassischer S-Form und schaut selbstbewusst lächelnd in die Kamera. Geiger beschreibt Marilyn als widersprüchlich und gereift, sehr attraktiv und geheimnisvoll, selbst die Narbe von ihrer Gallenoperation täte der sinnlichen Ausstrahlung keinen Abbruch (Geiger 1995: 113f). Dies belegen auch Photos aus dem nicht vollendeten Film »Something's got to give«. Abbildung 24 zeigt Marilyn nackt und nass im Wasser sitzend in Rückenansicht. Sie schaut über ihre rechte Schulter, dabei ist ihr Mund leicht geöffnet. Abbildung 25 zeigt Marilyn lächelnd in Standund-Spielbein-Position stehend. Ihre Jacke ist über die Schultern hinuntergezogen. Darunter trägt sie nur einen Bikini. Ihre Füße stecken in hochhackigen Pantoletten. Beide Photos strahlen Bewusstsein über Abbildung 24 die eigene erotische Ausstrahlung aus, Marilyn wirkt nicht alt und verbraucht, sondern sexy und attraktiv. Marilyn selbst hatte kein Problem mit ihrem Alter: »Das Alter macht mir nichts aus. Ich mag es, wie ich die Dinge jetzt sehe. Die Zukunft gehört mir, und ich muss daraus das Beste machen – wie jede Frau« (Marilyn Monroe in einem späten Interview, zitiert nach Spoto 1993: 523).

Nicht an der Erotik oder am Status eines Sexsymbols macht sich die Problematik fehlender Wertschätzung Marilyn Monroes, u.a. als ernstzunehmende Schauspielerin, fest. Es ist vielmehr die Körperfeindlichkeit, die Diskriminierung von Sinnlichkeit und Sexualität, und die Fixierung auf idealtypische junge, und damit unberührt erscheinende, Körper, die in der bürgerlichen Gesellschaft durch die Medien und Regisseure weitervermittelt werden. Reife Körper sprechen von Lebenserfahrung, auch im Sexuellen. Ein reifer Körper zeigt Lebensspuren, verweist auch auf die Vergänglichkeit, und damit auf das Existenzielle, das Leben 169

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

selbst. Bei der Darstellung Marilyn Monroes als Kultfigur handelt es sich um eine Darstellung als sinnlicher Vamp, der zugleich aber auch den Eindruck eines kleinen unschuldigen Mädchens durchschimmern lässt. Das lässt sich der Ansicht der oben zitierten Photographin Arnold nach, so meine Interpretation, nicht mit einem reiferen und damit Erfahrung ausstrahlenden Körper vereinbaren. Marilyn Monroe gilt bis heute als Schauspielerin mit dem größten Sexappeal. Sie wurde und wird unzählige Male kopiert (vergl. u.a. Viktor 2000: 267). Auch Künstler wie Andy Warhol, Zoe Leonard und Yasumasa Morimura inspirierte sie auf vielfältige Weise. In der bürgerlichen Gesellschaft wird Abbildung 25 zwischen körperlicher und geistiger Arbeit geschieden. Damit entsteht auch der Effekt, dass mit der Abwertung körperlicher Arbeit, auch im künstlerischen Bereich, das Vorurteil verbunden ist, dass jemand, der seinen Körper – in welcher Hinsicht auch immer – einsetzt oder verkauft, keine anderen, vor allem intellektuellen, Qualitäten vorweisen kann. Es geht in der bürgerlichen Gesellschaft demnach unter emanzipatorischen Fragestellungen nicht nur darum, Kritik zu üben an sexueller Diskriminierung – und damit im Sinne der bürgerlichen Frauenbewegung – an der Ausbeutung weiblicher Körper, sondern auch umgekehrt und besonders um die Kritik an der Diskriminierung des Erotischen und Sexuellen selbst.

D e r P o p s t a r M ad o n n a i n d e r P o s t m o d e r n e d e r 80er und 90er Jahre »MTV begann am Höhepunkt von New Wave, dem verdaulicheren Abkömmling von Punk. […] Dann kam Madonna. Der Name allein machte klar, dass sie eine Ketzerin ist. Ihre Karriere verlief parallel zu der von MTV, und keine Frau dieser Generation hat mehr für die Abschaffung von Stereotypen weiblichen Verhaltens getan als sie. […] Beginnend mit ›Like A Virgin‹ (1984) erfand sich Madonna mit jedem ihrer Videos neu: Spielzeug für Jungs, geldgeil, sanfte Liebhaberin, Abtreibungsaktivistin, verschmähte Nutte, Kontrollfreak, Domina, erotische Abenteurerin. […] Ihre ständig neuen Outfits – abwechselnd girlie, männlich oder androgyn – zeigten den Girls buchstäblich, wie sie 170

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

verschiedene Teile ihrer Persönlichkeit erproben konnte[n], und die direkte Erotik des Material-Girls pries die Anziehungskraft weiblicher Sexualität als Macht und nicht als Schwäche« (Zellers 1998: 128f).

Madonna wurde am 16. August 1958 in Bay City als Madonna Louise Veronica Ciccone geboren. Sie wurde sehr streng katholisch erzogen. Nach der High School begann sie eine Tanzausbildung an der University of Michigan, die sie allerdings abbrach. Sie ging nach New York, kolportiert wird »mit ein paar Dollars in der Tasche« und war von da an nicht mehr zu stoppen. Madonna ist ein Phänomen, welchem sich im Laufe ihrer Karriere so einige Biographen gewidmet haben79. Andersen zitiert Madonna in seiner Biographie: »Vielleicht bin ich ein Sex-Symbol, aber das heißt nicht, dass ich ein Opfer sein muss« (Andersen 1992: 174). Madonna ist postmoderner Popstar und Performancekünstlerin: Zum einen durch die Vervielfältigung der in ihren Videos dargestellten (Geschlechts) Identitäten, zum anderen aufgrund ihrer politischen Ambitionen: Gender, Queer, Drag, Politisierung des Erotischen und Verfechtung freier Liebe. Madonna stellt den Prototyp weiblichen Exhibitionismus’ dar. Auf einer AIDS-Benefizveranstaltung in Los Angeles am 25.09.1992 zeigt sie bei einer Modenschau Jean-Paul Gaultiers busenfreie Kreation, Abbildung 26 zeigt beide auf dem Laufsteg dieser Veranstaltung. Im gleichen Jahr bringt sie den erotischen Bildband »Sex« he- Abbildung 26

79 Hierzu zählen z.B. »Madonna. Her Story« von Michael McKenzie (1985), »Madonna unverhüllt. Die Biographie« von Christopher P. Andersen (1992), »Madonna. Who’s that girl?« von Mark Bego (2003) und andere mehr. Darüber hinaus sind einige Photobände erschienen, wie »Madonna Nudes 1979«, herausgegeben von Hugo Maximilian Schreiber (1990), »Madonna Superstar. Photographien« (Schirmer/Mosel 1988) und »Madonna Megastar: Photographien 1988 – 1993« (Schirmer/Mosel (1994). 171

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

raus, der die exhibitionistische Ader Madonnas ebenfalls offensichtlich erkennen lässt (vergl. Abb.: 27, 28 und 29). Das Sujet von Abbildung 27 ist (höchstwahrscheinlich) eine Pizzeria, an deren Theke Madonna stehend, nackt, nur mit Sandaletten bekleidet, genüsslich Pizza isst, während eine andere Gästegruppe im Hintergrund sitzt, von denen ein Mann sie ansieht. Abbildung 28 zeigt Madonna von seitlich hinten, breitbeinig mit leicht angewinkelten Beinen auf einer Heizung stehend und sich am Fenster abstützend, mit der anderen Hand an der Pobacke, nach draußen sehend. Sie trägt ein hochgezogenes Männerunterhemd und Bikerstiefel. Das Sujet vermittelt, dass sich die Protagonistin von vorbeigehenden Passanten durchaus anschauen lassen möchte. Abbildung 29 zeigt Madonna nackt in S-förmiger Haltung am Straßenrand stehend, mit schwarzer Handtasche in der linken Hand, Zigarette im Mund und hohen offenen Sandaletten, die rechte Hand in Anhalterpose ausgestreckt. Madonna ist hierbei kein Sexobjekt im konventionellen Sinne. Sie hat alles Abbildung 27 unter Kontrolle und bestimmt – als Sexualsubjekt –, was sie möchte, und was durchaus auch eine bewusste Entscheidung für den Objektstatus beinhalten kann, um damit zu spielen. Die Sujets dieser Abbildungen sind als eindeutig exhibitionistisch einzustufen. Madonna selbst sagt, dass es keinen Performer gibt, der kein Exhibitionist wäre: »Wer kein Exhibitionist ist, hat in dieser Sparte nichts verloren. Man kann übrigens Exhibitionist und trotzdem sehr scheu sein« (Madonna, zitiert nach St. Michael 2001: 116).80 Madonna war schon immer ein unbequemer Popstar mit politischem Anspruch. Sie ist dafür bekannt, sich immer wieder neu zu erfinden und neue Trends in Gang zu setzen. Themen wie freie Sexualität (Human

80 St. Michael (2001) hat eine Sammlung von Madonna-Zitaten herausgebracht, leider wird dabei oft nicht deutlich in welchem Kontext sie standen, da die Quellen an vielen Stellen nicht angegeben sind. 172

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

Nature, Justify my love, Erotica etc.), Rassismus und die Auseinandersetzung mit christlicher Moral (Like a Prayer), durchziehen ihre Karriere. Immer wieder wurde sie totgesagt, da erschien sie wieder mit einem neuen Projekt. Zugleich Ikone der Homosexuellen- und Transvestitenszene, ist sie immer wieder für Skandale gut, die die konservativen Gemüter und die Zensurinstanzen bewegen. Selbst bei ihrer Tournee im Jahr 2006, der »Confessions«-Tour, sorgte sie in vie- Abbildung 28 len Ländern für Tumult: sie verletze angeblich die religiösen Gefühle, da sie am Kreuz stand. Dabei war diese Szene eine Anklage an alle politischen und religiösen Pharisäer: Der Song »Live to tell«, den sie mit Pat Leonard für das Album »True Blue« (1986) schrieb und den sie am Kreuz sang, enthält folgenden Text: »A man can tell a thousand lies, I learned my lesson well…« Politische Themen wie der Israel-Palästina Konflikt, der Irak-Krieg, die Außenpolitik der USA unter George W. Bush Junior waren Bestandteil dieses Konzerts. In früheren Konzerten, wie der »Girlie Show« oder der »Ciao Italia Tour«, waren Darstellungen, die Masturbation bzw. Gruppensex andeuteten bzw. darstellten, Auslöser für Skandale. Die Feministin Camille Paglia äußert wie folgt über Madonna: »Madonna ist die wahre Feministin. Sie stellt den Puritanismus und die erstickende Borniertheit des amerikanischen Feminismus bloß [...]. Madonna hat den jungen Frauen beigebracht, wie man durch und durch weiblich und sexuell sein kann, ohne doch die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren« (Paglia 1993: 15). Jenen Feminismus, der von den »Frauen als degradierten weiblichen Opfern« und »männlichen Unterdrückern« spricht, sieht sie dagegen äußerst kritisch, und stellt fest, dass er sich von der Geschichte abgeschnitten habe (ebd.: 21). Madonna ist immer wieder zur Zielscheibe bürgerlicher Kritik geworden, weil sie weibliches Begehren dargestellt hat. Verbunden war damit häufig der Vorwurf der Selbstdarstellung als Sexualobjekt, gerade von feministischer Seite. Doch gerade das Brechen mit dem bürgerli173

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

chen Geschlechtsrollenklischee – und letztlich dem damit verbundenen Bild der Frau als Sexualobjekt – wird der wahre Grund für die Kritik sein. Ramona Curry gibt als Feministin wiederum ihre Ambivalenz einzelnen Darstellungen Madonnas gegenüber zu, da sie das »fetischisierte Frauenbild und die durchgehende Anrede an einen außertextuellen männlichen Zuschauer« in vielen Videoclips problematisch findet (Curry 1999: 178). Andererseits weist sie darauf Abbildung 29 hin, dass Madonnas Starimage die »Rezeption einzelner Madonna-Videoclips als feministische Parodien weitgehend ermöglicht« (Curry 1999: 179). Curry erörtert weiter, dass das kritische Potential des Zeichens Madonna als Effekt seiner Konstruktion – wie bei anderen postmodernen Kunstwerken auch – entstehe (Curry 1999: 199). Curry sieht gerade in Madonnas Aneignung von Images populärer Stars das Pendant zur photografischen Arbeit von Cindy Sherman (ebd.). Interessanterweise sind es bei Madonna immer wieder die variierenden Geschlechtsrollen, welche die Gemüter erhitzen, und ihr eine große Fangemeinde in der Queer-Bewegung eingebracht haben. »Es ist der narzisstische Exhibitionismus in Madonnas Performance bei diesem Videoclip [»Open Your Heart«, Anmerkung. U.W.] wie auch in anderen Inszenierungen, der ihre starke sexuelle Anziehungskraft über andere behauptet. Als Darstellerin gibt Madonna aber gleichzeitig eine eigene starke sexuelle Sehnsucht zu erkennen, die offensichtlich wiederholt beantwortet und befriedigt wird. In der Phantasievorstellung genießt der Star also die volle Entscheidungsmacht darüber, für wen sie Objekt der sexuellen Sehnsucht sei, wen sie selbst zum Objekt machen will« (Curry 1999: 187).

Bühler gibt Ramona Curry Recht, dass »die Trennung zwischen Parodie und Pastiche in der Praxis für postmoderne Phänomene in den Medien« keinen Sinn mache, da sie »weder eindeutig durchführbar noch effektiv« 174

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

seien (Bühler 2002: 306).81 Er betont die enge Verbindung der Eigenschaft der Intertextualität der Postmoderne in den Medien mit dem Überschreiten von Genre-, Gattungs- und Systemgrenzen und dem Vermischen bis dahin getrennter Sphären (Bühler 2002: 16). In Bezug auf die Thematik der Geschlechtsidentität bei Madonna formuliert das Curry so: »Das auffallende und anhaltende Interesse an Madonna [...] entsteht, glaube ich, in erster Linie dadurch, dass Madonna eine widersprüchliche Komplexität von herkömmlichen und ikonoklastischen Geschlechtsrollen und Geschlechtsverhältnissen darstellt« (Curry 1999:180f). Deutlich wird der parodistische, und damit performative Effekt Madonnas Darstellungen auch an ihrer Art und Weise. Auch Lenzhofer sieht Madonnas postmoderne Bildhaftigkeit als Infragestellung eines monolithischen Weiblichkeitskonzepts, vor allem dadurch, dass sie sich eine Maskerade nach der anderen zulege (Lenzhofer 2006: 162f), und wie Curry betont, eine oft ironische Einstellung durchblicken lässt: »Wie alle populären Texte produzieren auch Madonnas Videoclips verschiedene, manchmal widersprüchliche Effekte. Madonnas Körperbewegungen und Mimik deuten oft eine ironische Einstellung ihrer eigenen Bühnendarstellung gegenüber an« (Curry 1999:182). John Fiske hat sich intensiv mit Madonnas Wirkung innerhalb der Populärkultur beschäftigt. Gerade die Bedeutung, die Madonna für die Rezipienten hat, steht bei ihm im Mittelpunkt. Den emanzipatorischen Aspekt Madonnas sieht er wie folgt: »Der Sinn der Ermächtigung, den Madonna anbietet, ist unentwirrbar mit der Lust verbunden, etwas Kontrolle über die Bedeutungen des Selbst, der Sexualität und der eigenen sozialen Beziehungen auszuüben« (Fiske 2000: 120) Weiter argumentiert er, dass Madonna ständig konventionelle Repräsentationen von Frauen parodiere, und bemerkt, dass Parodie ein wirksames Mittel zur Hinterfragung der herrschenden Ideologie sein könne: »Sie parodiert nicht allein die Stereotypen, sondern die Art, wie diese erzeugt werden. Sie stellt sich selbst als jemand dar, der Kontrolle über das eigene Image und über den Prozess seiner Konstruktion hat« (Fiske 2000: 123). Insofern unterstützt Fiske indirekt auch den Ansatz von Judith Butler in »Das Unbehagen der Geschlechter«, die Geschlechtsidentität sei durch Performance zu verschieben, und ihre Ansicht, dass die »ver81 Jameson dagegen meint, die Parodie habe sich überlebt und der Pastiche den Platz überlassen. Dabei sieht er die Pastiche als »neutrale Praxis dieser Mimikry ohne die an ein Original gebundenen tieferliegenden Beweggründe der Parodie, ohne satirischen Impuls, ohne Gelächter und ohne Überzeugung, dass außerhalb der vorübergehend angenommenen missgestalteten Rede noch so etwas wie eine gesunde linguistische Normalität existiert« (Jameson 1986: 62). 175

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

schiedenen Akte der Geschlechtsidentität überhaupt erst die Idee der Geschlechtsidentität hervor[bringen]: Ohne diese Akte gäbe es keine Geschlechtsidentität. Die Geschlechtsidentität erweist sich somit als Konstruktion, die regelmäßig ihre Genese verschleiert« (Butler 1991: 205).

Videoclips als Spiegel verschiedener Lebensstile am Beispiel des weiblichen Begehrens – Eine Analyse von vier Videoclips verschiedener weiblicher Popstars Ich möchte durch die Analyse der Videoclips zeigen, dass das Zeigen und die Vermarktung nackter (weiblicher) Haut nicht zwangsläufig einhergeht mit Misogynie oder Sexismus, obwohl dieses u. a. von feministischer Seite immer wieder suggeriert wird. Interessanterweise geht es dort, also in der begrifflichen Fassung, oft um die Darstellung als Sexualobjekt. Bevor ich zur Analyse der Videos komme, möchte ich einige Definitionen voranstellen. Mit dem Begriff »Sexismus« wird recht inflationär umgegangen. Sexismus ist die Haltung, die darin besteht einen Menschen aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit zu benachteiligen oder zu diskriminieren. Mit dieser Thematik sollte dialektisch und damit differenziert umgegangen werden. Der Unterschied zwischen einem Sexualobjekt und einem Sexualsubjekt macht sich am Begehren fest. Das Sexualobjekt wird begehrt und inszeniert sich verführerisch. Sexualsubjekt sein impliziert aktives Handeln und Begehren, was dem bürgerlichen Geschlechtsrollenstereotyp des Männlichen entspricht. Dazu gehört Selbstbewusstsein, und somit muss sich das Sexualsubjekt – egal ob weiblich oder männlich – nicht gefallend inszenieren. Sontag unterscheidet den Objektstatus von Männern und Frauen wie folgt: »Wenn Männer als Sexualobjekte betrachtet werden, betrifft das nicht ihre primäre Identität« (Sontag 1999: 20f). Meine These, die anhand der Videoanalyse verifiziert werden soll, lautet: Nicht diejenigen Videos erregen Anstoß, in denen es um die Präsentation des weiblichen Körpers geht, um die Verfügbarkeit von Frauen, die in der Sozialisation gemäß den bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees angelegt ist, sondern diejenigen, in denen von Geschlechtsrollencharakteren abweichende Frauen selbstbewusst ihre sexuellen Wünsche und ihr sexuelles Begehren äußern, in denen es generell um freie Liebe geht, in denen offen, ohne Doppeldeutigkeiten und die Berücksichtigung bürgerlicher Moral, mit dem Thema Sexualität umgegangen wird.

176

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

Im Zentrum dieses Kapitels stehen vier Videoclips, die ich aus kultursoziologischem wie feministischem Blickwinkel analysiere. Videoclips sind zunächst einmal Werbespots für Musik-Ware (vergl. Bühler 2002: 157) und gewinnen als populärkulturelle Produkte immer mehr an Bedeutung. Im Musikvideo werden künstlerische Strömungen der Klassischen Moderne und Avantgarde bis hin zur Videokunst verarbeitet. »Es unterliegt aber ebenso Einflüssen des Theaters, einschließlich des Tanzes und der Choreographie« (vergl. Bühler 2002: 159). Heutzutage werden teilweise mehrere Millionen US Dollar in die Produktion von ca. 3½-minütigen Videoclips investiert. Meine Video-Beispiele sind: Madonnas Performance des Songs »Vogue« auf den 1990 MTV Music Video Awards, eine Adaption ihres Videoclips, und die Videos Jennifer Lopez’ »If you had my love...«, »Lady Marmalade« von Pink, Lil’ Kim, Mya und Christina Aquilera und Mariah Careys »Loverboy«. Zunächst möchte ich erklären, warum ich Madonnas Performance des Songs »Vogue« bei den 1990 MTV Music Video Awards ausgewählt habe, und nicht das Video selbst. Zum einen ist die Performance als einzelner Clip auf der Videocassette/DVD von Madonna »Immaculate Collection« enthalten, damit kann er ebenso wie das Originalvideo als Videoclip gelten.82 Zum anderen macht unter anderem Bühler darauf aufmerksam, dass »in unserer heutigen Zeit die Leitlinien neuer ästhetischer Tendenzen und Innovationen weniger in den anerkannten Institutionen und Zentren der Kunst, den Akademien, Museen, Messen oder großen Ausstellungen entworfen werden, sondern diese Impulse in schnell wachsendem Umfang von den technischen Medien der audiovisuellen Kommunikation ausgehen, die inzwischen rund um die Uhr empfangbar und allgegenwärtig, eine immer größere Präsenz im Leben der Menschen einnehmen. So scheint es nicht übertrieben zu behaupten: Neuerungen im Bereich der Bildsprache besitzen heute in aller Regel ihre Ausgangspunkt in den audiovisuellen Medien« (Bühler 2002: 11). Darüber hinaus erbrachte die »sog. ‹Clipästhetik‹ … neue Erscheinungsformen in der Präsentation von Fernsehen, mit einem besonderen Schwerpunkt auf den Faktoren der Verbindung von Ton und Bild in einer rhythmischen Montage, einer vielgestaltigen Bewegungsdynamik und einer Strategie der assoziativen Semantik« (Bühler 2002: 11). Insofern haben die von Videoclips ausgehenden ästhetischen Tendenzen auch die Fernsehshows und damit auch die Live-Performances beeinflusst, so dass eine Vergleichbarkeit auch gegeben ist, wenn es sich nicht 82 Die ersten Videoclips waren Promotionfilme von Liveauftritten von Popstars, die bei Fernsehsendungen nicht dabei sein konnten. 177

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

um das gleiche Format handelt. Überdies nehme ich keinen Vergleich von technischen Aspekten wie Schnittfolgen und Längen, Sequenzanalysen etc. vor, sondern untersuche anhand der Sujets und der Darstellungsweise von Frauen, in diesem Fall in der (Selbst)Inszenierung von weiblichen Popstars, inhaltliche Aspekte wie weiblichen Exhibitionismus, Sexualobjekt versus Sexualsubjekt, Verhaftung im bürgerlichen weiblichen Geschlechtsrollenklischee oder emanzipatorischen Ausbruch aus eben diesem. Für meine Analyse habe ich weibliche Popstars ausgewählt, um die Selbstinszenierung der Frauen darzustellen. Dabei ist zu bedenken, dass die InterpretInnen nicht grundsätzlich die gleiche Möglichkeit und Auswahl haben sich darzustellen wie Madonna. Bei der Inszenierung der Videoclips wird darauf geachtet, welches Marktsegment, welche Zielgruppe angesprochen werden soll, daher hat die Darstellung eines Popstars weniger mit Selbstdarstellung als mit der Präsentation eines Images zu tun. Frauendarstellungen in Videos männlicher Kollegen stehen eher in Verdacht frauenfeindlich zu sein. Da es mir aber gerade darum geht, nicht den männlichen Blick auf Frauen darzulegen, sondern die Frage nach den bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees und nach dem emanzipatorischen Potential in der Darstellung weiblichen Begehrens ins Zentrum zu rücken, ist die Auswahl auf weibliche Popstars gefallen. Interessant ist darüber hinaus, welche Form der Darstellung von Nacktheit bzw. Erotik die Öffentlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft provoziert, und ihre Kontrollinstanzen zur Zensur verleitet. Ich werde die Videos gemäß dem ikonologischen Verfahren nach Panofsky analysieren. Dabei geht es über die Beschreibung der Videoinhalte, über die Analyse des konventionellen Sujets, die (Selbst-)Darstellung der weiblichen Popstars im Video bis zur Deutung dieser Darstellung in Bezug auf die Fragestellung, wann es sich bei der Darstellung leicht bekleideter Frauen, in diesem Falle Popstars, um emanzipatorische Weiblichkeitsbilder oder auch konservative bzw. antiemanzipatorische, was heißen würde, dem bürgerlichen Rollenklischee verhaftete Frauenbilder, handelt, und warum das so ist. Hickethier erörtert zwei Methoden zur Filmanalyse. Zum einen das empirisch-sozialwissenschaftliche Verfahren, zum anderen das hermeneutische Verfahren. Er schreibt: »Orientiert an der Theorie und Praxis der Textauslegung (z.B. religiöser und juristischer Texte) setzte sich die literarische Hermeneutik mit dem Sinnverstehen künstlerischer Texte auseinander« (Hickethier 1996: 32). Sie geht laut Hickethier von der »Mehrdeutigkeit filmischer und televisueller Werke« aus und will diese sichtbar machen (ebd.: 33). Hickethier verweist dabei aber auch auf den Diskussionszusammenhang mit der Postmoderne-Debatte, die, in diesem 178

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

Fall vertreten von Harro Müller, auf die Gefahr hinweise, dass »disperate Elemente« harmonisiert werden könnten (vergl. Hickethier 1996: 33). Der hermeneutische Zugang ähnelt in gewisser Weise dem ikonologischen Verfahren bei Panofsky. Für Filme sind vier Schritte zu beachten: Notierung des filmischen Sachverhalts aus der Betrachtung, Erläuterung, Kommentar und Interpretation (Hickethier 1996: 35). »Nicht erst die Bewegung macht die sozialen Beziehungen deutlich, sondern bereits das Gefüge der Figuren und Gegenstände zueinander. Das Präsentieren setzt bereits voraus, dass wir die Bedeutung des Präsentierten auch erkennen werden. Hierarchien zwischen den Figuren und ihre im Blick geübte Überwindung, soziale Distanz und Nähe, Konfliktkonstellationen, aber auch soziale Einordnung und historische Zuordnung durch Kleidung, Dekor, durch Physiognomie, Haltung des Körpers und Gestus« (Hickethier 1996: 53).

Panofsky unterscheidet drei Bedeutungsebenen und Verfahren: das natürliche Sujet, das konventionelle Sujet und die eigentliche Bedeutung. Das natürliche Sujet beinhaltet die Gleichsetzung von reiner Form mit Tatsachen. Panofsky bezeichnet diese Ebene als vorikonographische Beschreibung des Tatsachenhaften und Ausdruckhaften des künstlerischen Motives. Korrektiv wirken die Erkenntnisse über die Form bestimmter Gegenstände unter wechselnden historischen, also kulturellen, sozioökonomischen und politischen Bedingungen. Das konventionelle Sujet ist die Identifikation von Motiven mit Konzepten oder Themen. Dieses ist die ikonographische Analyse des Konventionellen, das in Bildern, Anekdoten, und Allegorien ausgedrückt wird. Die ikonographische Analyse erfordert bereits Hintergrundwissen, wie die Kenntnis literarischer Quellen und die Vertrautheit mit bestimmten Themen und Vorstellungen. Hier führt Panofsky die Typen-Geschichte als Korrektivprinzip an. Die eigentliche Bedeutung als Interpretation von symbolischen Werten ist die ikonologische Interpretation. Hierfür ist die Vertrautheit mit »den wesentlichen Tendenzen des menschlichen Geistes«, auch als »synthetische Intuition« beschrieben, notwendig. Korrektives Moment stellt hier das Wissen dar, wie unter sich verändernden »Bedingungen wesentliche Tendenzen des menschlichen Geistes durch bestimmte Themen und Vorstellungen ausgedrückt wurden«(Panofsky: 50). Es ergibt sich also die logische Folge: Bedeutung von symbolischen Werten, Ausdruck der Haltung durch Themen – Darstellung von Themen und Vorstellungen durch bestimmte Motive – die Form bestimmter Motive unter wechselnden Bedingungen. Die Ikonographie hat damit nach Panofsky die Aufgabe zu sammeln und zu klassifizieren. Die eigentliche Bedeutung ist bereits Gegenstand einer ins Interpretatorische gewandte Ikonographie, 179

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

der Ikonologie. Das Prinzip, nach der die Ikonologie verfährt, ist im Gegensatz zur Ikonographie synthetisch. Die verschiedenen geisteswissenschafltichen Disziplinen treffen bei der Interpretation zusammen, da jedes Werk ein Dokument darstellt, das »Zeugnis [...] über die politischen, poetischen, religiösen, philosophischen und gesellschaftlichen Tendenzen der Person, der Epoche oder des Landes, die zur Debatte stehen« (Panofsky 49), ablegt. In der folgenden Analyse der Videos und Performance werden die Inhaltsangaben kursiv gesetzt.

Madonna: »Vogue« Performance bei den MTV 1990 Video Music Awards Die Performance ist eine Adaption des Videoclips »Vogue« für die Bühne (Länge insg. mit Abgang 6.26 Min., Regisseur des Videoclips: David Fincer).83 Es handelt sich um eine Rokokoszenerie, hinten in der Mitte ein großer Vorhang, rechts und links jeweils Spiegel und eine Récarmière, links zusätzlich eine große Vase, in der Teile der Choreographie aus dem Video in an die Szenerie angepasster Weise übernommen wurden. Die Performance ist in höfischen Tanz-Stil, Gesten und Verhaltensweisen gehalten. (Alle Positionen innerhalb des Bühnenbilds werden aus der Sicht des Betrachters beschrieben.) Abbildung 30

Zuerst sind sieben männliche Tänzer im Höflingsoutfit auf der Bühne, machen Posen, stecken Köpfe zusammen, drei der Höflinge tragen Hot

83 Abbildung 28 zeigt Madonna im Original-Videoclip, in welchem sie Starimages aufgreift. Sie trägt ein transparentes Shirt, bei denen die Brüste inkl. Nippel zu sehen sind. 180

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

Pants und blanke Beine. Danach tritt immer ein Tänzer in den Vordergrund und führt eine Tätigkeit aus oder führt ein Accessoire nacheinander vor: Tanzpose, Verbeugung, Schnupftabak, Spiegel und Bürste, Parfum, Opernglas, Staub vom Ärmel wischen. Danach bilden sie ein Spalier, Madonna und nachfolgend zwei Tänzerinnen treten auf. Madonna trägt ein cremefarbenes Rokokokostüm, wie auf Abbildung 31 zu sehen ist, die beiden anderen Tänzerinnen jeweils ein etwas schlichteres lachsfarbenes, alle drei haben einen Fächer. Madonna ist porzellanfarben geschminkt, trägt einen Schönheitsfleck unter dem linken Auge, Rouge und einen karminroten Lippenstift. Die Höflinge tragen alle creme jeweils in Kombination mit Schilf, Gold, Graubraun und Sand. Die Frauen tanzen zu dritt in der Mitte der Bühne, während sich die Tänzer zur Linken und Rechten aufteilen. Die Frauen tanzen nach rechts, dort wird Madonna von den Höflingen wie in der Morgentoilette von allen Seiten mit Aufmerksamkeit überschüttet, einer krabbelt ihr unter den Rock. Dann wird die adaptierte Refrain-Choreographie getanzt. Links greift ein Höfling Madonna von hinten an die Brust. Die nächste Position ist eine Diagonale, in der die Frauen alle ihre Reifröcke heben, die Unterwäsche zeigen und sich dazu breitbeinig auf der Stelle bewegen, während die Höflinge eine Präsentationspose einnehmen. Madonna geht danach breitbeinig nach links, fächert ihrem Unterleib Luft zu, als müsse sie sich diesen kühlen. Links pudert ihr von links ein Höfling die Nase, von rechts wird sie von einem zweiten parfümiert, der linke drückt ihr einen Kuss auf den Mund, beide zieht sie an ihre Brust, und stößt sie wieder weg. In der Mitte der Bühne tanzt sie mit einem der Tänzer für ein paar Takte einen Paartanz, der an höfische Gesellschaftstänze angelehnt ist. Ganz rechts befindet sich ein Breakdance tanzender Höfling, sie geht zu ihm, die anderen hat sie bildlich mit ihrem Fächer »eingefroren«, hebt ihre Krinoline, lässt ihn drunter und verharrt in einer genießenden Pose, bei der sie die Augen schließt, den Kopf nach hinten streckt und den Mund öffnet, danach macht sie eine Pose, in der sie mit großen Augen nach vorn schaut, und Abbildung 31 181

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

die Hand vor den Mund hält, nach dem Motto »Upps!«. Sie läuft nach links, in Minischritten tanzen alle Tänzer im enggestellten Dreieck nach rechts, leichtes Auflösen, Madonna geht ein paar Schritte, hält eine Pose, noch einmal die Minischritte nach rechts. In der Wirkung sieht es aus, als wenn die Frauen gleiten würden, da man die Füße nicht sieht. Madonna geht wieder nach rechts zu einem Höfling, der ihr nach ein paar Takten Interaktion von hinten zweimal im Takt ihre Brüste drückt, ein anderer Höfling tanzt vorne, begibt sich in eine kerzenähnliche Position mit gespreizten Beinen. Madonna fächelt sich aus Richtung seiner Körpermitte Luft zu. Danach wird wieder die Refrain-Choreographie getanzt. Madonna steht in der Mitte umrahmt von ihren Hofdamen. Zwei Höflinge holen aus dem hinteren rechten Teil die Récarmière, Schlusspose. Auffällig ist hier das Fehlen des verführerischen Blickes. Im Gegenzug ist das aktive Verhalten von Madonna, wie das Köpfe zweier Höflinge an die Brust ziehen, den Rock heben, um den Mann »ranzulassen«, etc. auffällig. Die Geschlechter gehen körperlich miteinander um, ohne die bürgerliche sich geziemende Distanz und den dazugehörigen Respekt zu wahren.84 Die Blicke sind selbstbewusst, kess, drücken aktives Begehren und Genießen des erotischen Moments aus, das Kokettieren der Frau bekommt hier eine andere Bedeutung, weil es ausdrückt »Upps, ich bin wohl ein böses Mädchen, aber es macht Spaß«. Sie ist sich ihrer Attraktivität bewusst und muss nicht versuchen, diese durch ein bestimmtes, von ihr erwartetes Verhalten herzustellen. »In der höfisch-aristokratischen Phase wird die Zurückhaltung, die man den Neigungen und Affekten auferlegt, vorwiegend mit der Rücksicht und dem Respekt begründet, den man anderen und vor allem den sozial Höherstehenden schuldet. In der folgenden Phase wird das, was zu Triebverzicht, Triebregelung und Zurückhaltung zwingt, weit weniger durch bestimmte Personen re-

84 Ilsebill Barta zeigt für die bürgerliche Körpersprache auf, dass sie sich in Abgrenzung zu der der Adels herausbildete: »Für die bürgerliche Logik schien die adlige Körpersprache übertrieben, da der Bürger nicht in deren zeremonielles Beziehungsgeflecht eingebunden war. Die bürgerliche Körpersprache wurde einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterzogen« (Barta 1987: 86f). Dem Bürger war eine Abgrenzung sowohl zum Adel als auch der unteren Stände wichtig. Ilsebill Barta führt dazu aus: »Der Bürger gewann zwei Identitäten: eine innere, personale Identität und eine soziale, durch den Körper vermittelte. Diese beiden Identitäten versuchte der Bürger im privaten Bereich zusammenzubringen, während im beruflichen Umgang der soziale Körper verschiedene Rollen spielen sollte« (ebd.: 86). 182

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

präsentiert; es sind, provisorisch und undifferenziert gesagt, unmittelbarer als zuvor die weniger sichtbaren und unpersönlicheren Zwänge der gesellschaftlichen Verflechtung, der Arbeitsteilung, des Marktes und der Konkurrenz, die zur Zurückhaltung und Regelung der Affekte und der Triebe zwingen. Sie sind es, denen die oben erwähnte Begründungs- und Konditionierungsart entspricht, bei der die ›Modellierung‹ darauf abgestellt ist, das gesellschaftlich geforderte Verhalten als vom Einzelnen selbst aus eigenem, inneren Antrieb so gewolltes Verhalten in Erscheinung treten zu lassen. Das gilt für die Triebregelung und – zurückhaltung, die zur ›Arbeit‹ notwendig ist; das gilt für das gesamte Schema der Triebmodellierung in der bürgerlich-industriellen Gesellschaft« (Elias 1989a: 206f).

Lil’ Kim, Mya, Pink, Christina Aguilera: »Lady Marmalade« Das Video »Lady Marmalade« (Regisseur: Paul Hunter, Produzent Mars Media, Song-Produzentin: Missy Elliott, Länge 4.36 Min.) ist die Neuauflage dieses Songs mit den genannten Interpretinnen, der Song wurde bereits von Patti Labelle aufgenommen und mehrmals gecovert: diese Interpretation ist ein Stück aus dem Soundtrack des Films »Moulin Rouge«. Es beginnt mit dem Auftritt von Missy Elliott als Conférencier: »Ladies and Gentlemen, welcome to the Moulin Rouge«: Der Vorhang geht auf, dahinter befindet sich die Moulin Rouge Bühne mit Schriftzug, Treppenaufgang, herzförmigem Durchgang nach hinten in mehreren Ebenen, dessen Ende rot gepolstert ist. Das ganze Bühnenbild ist von der Farbe Rot in Kombination mit Gold dominiert. Im herzförmigen Gang wird immer wieder ein Peepshow-Effekt hervorgerufen. Die Strophen werden nacheinander von Mya, Pink, Lil’ Kim, Christina Aguilera in verschiedenen ihnen typischen Stilen interpretiert, der Refrain immer gemeinsam gesungen. Jede von ihnen tritt einzeln auf der Bühne und zusätzlich entweder im Boudoir (Lil’ Kim), Schlafzimmer (Pink) oder in der Garderobe (Mya und Christina Aguilera) jeweils mit verschiedenen Outfits auf. Die Szenen folgen einander in nachstehender Reihenfolge: • Missy Eliott am Anfang und zur Vorstellung der Sängerinnen am Schluss als Conférencier • Mya auf der Bühne (Accessoire: Peitsche) • Mya in der Garderobe • Pink auf der Bühne (Accessoire: Hocker und schwarzes Tuch) • Pink im Schlafzimmer • Lil’ Kim auf der Bühne • Lil’ Kim im Boudoir 183

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

• Christina Aguilera auf der Bühne (zieht sich auf der Bühne Handschuh aus) • Christina Aguilera in der Garderobe • Alle gemeinsam auf der Bühne Der Refrain wird anfangs einzeln getanzt, ab »Voulez-vous couchez avec moi c’est soir« sind die anderen Sängerinnen dazwischen geschnitten, ohne Tanz. Am Schluss wird die Anfangssequenz des Refrains von allen gemeinsam getanzt. Es ist immer die gleiche Choreographiesequenz: Griff an die Brüste rechts/links, Griff an die Scham rechts/links, nach unten in die Knie mit seitlicher Hüftbewegungen, Beine geschlossen, werden geöffnet, wieder geschlossen, Aufrichtung durch nach oben Drücken des Pos, dabei Durchdrücken der Beine und Hohlkreuz im Rücken in einer wellenartigen Bewegung. Danach streicht die rechte Hand über den linken Arm von der Hand zum Körper hin. Der Körper dreht sich zur Seite, die rechte Hüfte vollzieht einen vertikalen Kreis nach hinten. Insgesamt wird beim Tanzen durchweg die Körpermitte betont, die Hände streichen über den Körper. Die Kameraführung betont an einigen Stellen durch ihre Position (Schräg von unten) die Schenkel und Hintern der Sängerinnen/Tänzerinnen. Die Outfits und Inhalt der Szenen: Alle vier Interpretinnen tragen viel Schmuck passend zum Outfit, darunter sehr viel Strass. Alle sind sehr stark und auffällig geschminkt. Die Augen sind sehr stark durch dunkle Farben betont, alle tragen künstliche Wimpern und einen Lidstrich. Der Lippenstift ist sehr auffällig, nicht in allen Fällen knallig. Am stärksten fällt hierbei das Augen-MakeUp von Christina Aquilera auf, da es in Pink bis zu den Wangenknochen reicht, und die künstlichen Wimpern glitzernde Spitzen besitzen. Mya trägt als Bühnenoutfit ein rot-schwarz gestreiftes Korsett, schwarzen Halsschmuck, rote Hot Pants aus Satin, einen Strassgürtel mit ornamentaler Strassschnalle, ein Haarnetz und rote Federn, weiter eine schwarze Strumpfhose, darüber schwarze Strümpfe und Strumpfbänder mit Schleife hinten, schwarze Spitzenhandschuhe bis zum Ellenbogen, schwarze Pumps mit Strasselementen auf dem Spann. Sie tanzt mit einer Peitsche, die sie wirbelt, und an der sie die Hand entlang gleiten lässt. In der Garderobe, in der sie von zwei Frauen geschnürt wird, trägt sie ein blaues Korsett mit Büste und Schößchen, welches vorne bestickt ist, schwarze Hot Pants, der vordere Teil der Haare ist hochgesteckt, hinten fallen wellige Haare frei. In dieser Szene dreht sie sich auf einmal abrupt um und funkelt mit den Augen, als wenn sie empört wäre.

184

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

Pink trägt auf der Bühne eine pinkfarbene Langhaarperücke, einen schwarzen Zylinder mit einem P aus Strass, ein schwarzes Halsband mit Strass, einen pinkfarbenen Glitzerring am linken Mittelfinger, einen schwarzen BH mit Glitzerkörbchen, eine schwarze Strumpfhose, Strapse, gestreifte Strümpfe (blickdicht, durchscheinend) in schwarz, schwarze Hot Pants mit strassbesetzten Streifen an der Seite und Troddeln am Hintern, schwarze Plateau-Schnür-Lackstiefel, schwarz lackierte Fingernägel, Nylonstulpen bis zum Oberarm. Sie tanzt mit einem mit Stoff zugehängten Hocker, das Tuch verzwirbelt sie und wirft es weg. Im pinkfarbenen Schlafzimmer trägt sie ebenfalls eine Langhaarperücke, locker nach hinten zusammengesteckt, hinten offen, einen pinkfarbenen schlichten BH, einen schwarzen Nylon-Bolero (durchsichtig) darüber, Strassschmuck, eine nougatfarbenes Unterbrustkorsett, das gleiche Beinoutfit wie auf der Bühne. Sie winkt den Betrachter zu sich, geht aufs Bett und macht dort laszive Bewegungen. Lil’ Kim trägt auf der Bühne eine blonde wellige kinnlange Perücke, weiße Hot Pants mit Goldketten und langen Federn hinten, goldene Handschuhe, einen cremefarbenen BH mit viel Perlen in Gold bestickt, weiße Strümpfe, ein goldenes Strumpfband, in dem etwas Viereckiges steckt, wahrscheinlich ein Geldschein, Strassschmuck und goldene Stiefel. Sie tanzt mit vielen Hüftbewegungen, z.T. breitbeinig auf den Zuschauer zu. Im roten Boudoir trägt sie eine tizianrote Langhaarperücke, ein beigegoldenes Schnürkorsett mit halben Körbchen und Rüschen als Abschluss, darunter auf den Nippeln goldene Applikationen, Fächer mit Marabu-Federn, helle Strümpfe mit Strapsen, Oberarmspange, Goldschmuck, Pantöffelchen. Sie liegt auf einer roten Récarmière, die Kulisse ist sehr rot, orientalisch und schwülstig gehalten, ihr werden Blumen gereicht, die sie nach hinten wirft, danach erhält sie Parfum, dass sie sich aufs Bein streicht, dann bekommt sie ein Glas mit Wein oder Champagner, ein Schmuckkästchen wird ihr gereicht, das stößt sie zuerst weg, greift dann aber doch zu. Christina Aguilera trägt auf der Bühne ein Haarteil mit einer Unmenge an blonden langen Haaren und mit einigen fliederfarbenen Strähnchen, auf der Bühne mit Strass auf der Stirn, in der Garderobe mit einem Netz auf dem ersten Viertel des Haares, eine rote Korsage mit Körbchen, die über den Oberschenkeln und an der oberen Kante mit Strass bestickt ist und an der unteren Kante mit schwarzen Fransen bestückt ist, rote Handschuhe bis zum Oberarm, Strassschmuck, einen schwarzen Slip mit Straps, schwarze Strümpfe, rote Plateau-Schnür-Stiefel. Christina Aguilera nutzt die ganze Länge des Ganges und der Bühne und geht mit wie-

185

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

genden Schritten auf den Zuschauer zu, danach weiche Hüftbewegungen, Ausziehen der Handschuhe, Wirbeln und vor den Augen spannen. In der Garderobe trägt sie eine violette Korsage mit Büste, schwarze Hot Pants, eine gemusterte Strumpfhose, fliederfarbene Handschuhe. Sie lässt sich in der Garderobe vor einem Spiegel frisieren und bedienen, mit einem Schwung schiebt sie alles vom Kosmetiktisch, verhält sich also in einer zickigen Art. Generell und durchgängig ist der offensive, selbstbewusste, klare, teilweise fordernde und kesse Blick der Interpretinnen auffällig. Den verführerischen Blick unterwürfig von schräg unten findet man hier nicht. Genießende Blicke sind nicht indirekt dem Betrachter zugewandt, dessen Billigung oder Gefallen zu erlangen, ist nicht von Belang. Das käme ihnen nicht in den Sinn. Der Tanz ist eindeutig erotisch und körperorientiert konnotiert, die Hände befinden sich häufig an den sekundären Geschlechtsmerkmalen oder den Genitalien, streichen den ganzen Rumpf entlang. Die Körpermitte wird damit durchweg betont. Dabei wird trotzdem nicht der Eindruck erzeugt, dass die Performerinnen verfügbar sind. Es wird eher mit der erotischen Macht kokettiert, die sie ausstrahlen.

Jennifer Lopez: »If you had my love (would you comfort me)« Das Video »If you had my love (would you comfort me)« (Regisseur Paul Hunter, Produzent Skot Bradford, Länge: 5:32 Min.) ist durchgängig in kühlen Farben, wie weiß, grau, taubengrau gehalten, eine erotische Atmosphäre entsteht nicht. Ein junger Mann sitzt am PC und gibt als Suchwort »Jennifer Lopez« ein, eine Datenübertragung durch das Netz wird simuliert, und er befindet sich auf der Website von Jennifer Lopez: »Welcome to Jennifer Lopez Online«. In der »Wohnung« von Jennifer Lopez sind allerseits Webcams angebracht. Jennifer Lopez schlendert durch den Flur, winkt der Webcam zu. Der Typ sieht gespannt auf den Bildschirm. Jennifer Lopez trägt ein weißes Langarmshirt und eine lockere, weite, weiße Hose mit Bänderzug, Creolen-Ohrringe und mehrere schmale Silberarmreife, offene Haaren mit Mittelscheitel, danach trägt sie anstelle des Shirts ein weißes Bikinioberteil und eine dezente T-Kette. Das Make-up ist das ganze Video über dezent, die Augen sind durch stark getuschte Wimpern, einen dezenten Lidstrich und hellen Lidschatten betont, der Teint bleibt natürlich, weiter trägt sie etwas dezentes Rouge und einen zarten Lippenstift. Zwischendurch sind andere Gesichter mit Headset am PC zu 186

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

sehen. Ein molliges Mädchen schaut zuerst über das »Internet-TV« zu, steht dann vor dem Fernseher und macht die Bewegungen von Jennifer Lopez nach. Es folgt eine Einblendung des Auswahlmenüs der Website. Ein rotes Licht an der Webcam erscheint jeweils für die Aktivität der jeweiligen Webcam. Jennifer Lopez steht im Bad vor dem Spiegel. Hier trägt sie ein Chiffontuch über einer engen weißen Hose. Der junge Mann genießt den Anblick. An dieser Stelle wird eine Werkstatt mit zwei Mechanikern eingeblendet, die auf einen hoch angebrachten Bildschirm schauen. Zwischendurch sind Discoszenen und zwei junge Frauen vor einem Bildschirm, die kritisch zu sein scheinen, zu sehen. Jennifer Lopez macht immer wieder hingebende Gesten. Die nächste Auswahl heißt »Lopez Dance«, wieder wird die Reise durchs Web simuliert, dann kann man Jennifer Lopez tanzen sehen: Salsa-, Hip Hop- und Jazzbewegungen, diese erscheint mit der Discoszene im Wechsel. Während der Tanzsequenz trägt sie einmal eine enge weiße Hose mit leichtem Schlag, ein armlanges Shirt, welches unter den Achseln endet, ein silberfarbenes Top von Brust bis Taille, dann eine taubengraue, weite Hose, schwarze Sneaker und ein schwarzes Trägershirt, mit silberner Bandage um die Taille, als letztes trägt sie ein weißes trägerloses, glitzerndes Minikleid mit Stickereien und Sandaletten mit hohem Absatz. Es folgt wieder die Discoszene. Jennifer Lopez trägt das weiße Outfit. Das Mädchen vor dem Fernseher macht ihre Tanz-Bewegungen nach. Es ist wieder das Wahlmenü der Website zu sehen. In der neuen Auswahl steht Jennifer Lopez unter der Dusche, es sind nur Kopf und Hände, teilweise noch die Schultern, zu sehen, sie genießt, sich hingebend und entspannend, die Dusche. In einer Autowerkstatt sehen zwei Mechaniker ihr beim Duschen zu, das Auto im Hintergrund fängt an zu brennen, den beiden wird heiß, sie schauen zum Auto, dann wieder auf den Bildschirm, bleiben darauf fixiert und machen Jennifer Lopez’ Bewegungen nach. Der junge Mann vor dem PC tut es ihnen gleich. Assoziiert werden soll damit, dass den männlichen Zuschauern im doppelten Sinne heiß wird. Eine Tastatur mit Bildschirm fällt ins Wasser, ein Taucher surft. Es sind Breakdancer in der Disco zu sehen, der junge Mann vor dem PC. Derweil kühlt sich Jennifer Lopez zwischendurch im tiefdekolletierten grauen gemusterten Kleid vor einem Gebläse, geht auf den Zuschauer zu, dann wird ausgeblendet. Jennifer Lopez’ Gesten und Mimik zeichnet eine zurückhaltende, natürliche, junge und weibliche Ausstrahlung aus. Sie schlendert, winkt in die Webcam, sieht zur Webcam, teilweise mit schüchternen, mädchenhaften, teils verführerischen Blicken. Sie präsentiert sich als hingebungsvoll, sensibel, emotional, verbiegt sich in formenbetonender S-Form und 187

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

mädchenhaften Posen. Interessant ist die kritische Haltung zweier junger Frauen vor dem Bildschirm, während sie im Bad ist. Während der Tanzszene kommt ein junger Mann dazu, und es gibt ein Gerangel vor dem Fernseher, als wenn sie ihn davon abhalten wollten, zuzusehen. Die Frauen sehen Jennifer Lopez offensichtlich als Konkurrenz, kritisieren deswegen an ihr herum. Gleichzeitig ist sie ein ungefährliches bewundernswertes Vorbild für ein molliges pubertierendes Mädchen. Sie verbleibt im klassischen bürgerlichen weiblichen Geschlechtsrollenklischee und spricht gleichzeitig von wahrer Liebe, von der auch das Mädchen vor dem Fernseher träumen mag. Der Tanzstil ist sportlich, teils Latin, R’n’B und Jazz, durchaus hüftbetont, ein erotischer Touch ist allerdings nur in der Selbstdarstellung u.a. als Verführerin zu sehen. Eine Tanzsequenz, die in Lady Marmelade ebenfalls vorkommt, ist die, in der in die Knie gegangen wird, die Knie kurz auseinander gehen, zusammengeführt werden, und mit Hohlkreuz und nach hinten oben gestrecktem Hintern sich wieder aufgerichtet wird. Interessanterweise ist hier die Wirkung eine ganz andere. Die Beine werden nicht so weit gespreizt. Darüber hinaus wird alles sehr schnell getanzt und ist in eine sportlich orientierte Choreographie eingebettet. Die Duschszene offenbart wiederum die genießende, hingebungsvolle und verführerische Frau, und gleichzeitig ihre Verfügbarkeit, da sie den Betrachtern ausgeliefert ist. Mehrmals greift sich Jennifer Lopez in die Haare, auch ein indirektes erotisches Signal, welches metaphernhaft bleibt. Sowohl der Text als auch das Verhalten der Interpretin verströmen Passivität, Emotionalität und Sorge, es geht um Gefühle »I need to feel true love or it’s got to end«, um Vertrauen, gepaart mit einem Schuss versteckter, angedeuteter, kokettierender und damit bürgerlicher Erotik. Es ist kein emanzipatorischer Ausbruch aus dem bürgerlichen weiblichen Geschlechtsrollenklischee erkennbar, da sie während des gesamten Videos, in verschiedenen Rollen, nämlich als durch die Räume schlendernd, tanzend und duschend, jederzeit verfügbar ist. Die Betrachter, die sie von ihren Bildschirmen aus betrachten, haben die Kontrolle über das, was sie sehen wollen, haben sie genug, schalten sie aus. Jennifer Lopez verhält sich gefällig, emotional, inszeniert sich nicht zu aufdringlich verführerisch und hat daher auch etwas vom »netten Mädchen nebenan«.

188

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

Mariah Carey: »Loverboy« In dem Video »Loverboy«, (Regisseur: David LaChapelle, Länge 3:42 Minuten) steht Mariah Carey die gesamte Zeit im Zentrum des Geschehens, und damit in der Mitte der Leinwand/ des Bildschirms. Inhaltlich geht es um ein Autorennen. Mariah Carey hat dabei verschiedene Funktionen. Sie fungiert in gewisser Weise als »Kühlerfigur«, repräsentative und sexy Beifahrerin, als Fan oder gar Groupie. Sie erinnert mit ihrem Habitus und Aussehen an Cheerleader beim American Football. Die einzelnen Einstellungen bzw. Szenen unterscheiden sich im Wesentlichen durch die unterschiedlichen Outfits von Mariah Carey, inhaltlich findet außer dem Wechsel der verschiedenen Funktionen nicht viel statt. Mariah Carey ist während aller Einstellungen leicht und körperbetont bekleidet: BH und Hot Pants, hochhackige Stiefel oder hochhackige Sandaletten, je nach Einstellung und Position in verschiedenen Ausführungen: An der Rennbahn trägt sie Nickytücher zum BH gebunden und erkennbar ist der erste obere Teil einer Jeans, ob lang oder Shorts, lässt sich nicht feststellen. In einer Einstellung, kaleidoskopähnlich, trägt sie einen Pailletten-BH, im Muster an die amerikanische Flagge angelehnt, die Sterne wirken dabei mehr wie Blumen und sind im Verhältnis zu groß. Auf dem hinteren Teil eines Autos sitzend, trägt sie einen pinkfarbenen einteiligen Stretch-Anzug mit langen Ärmeln, ohne Bein, mit tief geöffnetem Reißverschluss und Stiefeln in schwarz, weiß, blau. Auf dem Asphalt mit zwei Tänzern im Rennfahreroutfit, trägt sie pinkfarbene Hot Pants, ein weißes Top und hohe Sandalen. In einer anderen Szene, in der sie Fähnchen schwingt, trägt sie einen Schachbrettmuster-BH, der auf die Flaggen beim Rennen verweist, und blaue Hot Pants. Sie ist gebräunt, sehr dezent geschminkt und trägt offene lange Haare, die im Wind wehen. In der Auto-Schau-Szene trägt sie zwei Outfits: einmal ein blaues bauchfreies Top mit weißem, nicht zu erkennenden Schriftzug mit passenden Hot Pants und hohen Sandaletten, und dann goldene Hot Pants aus Paillettenstoff und ein rot-weiß meliertes, an den unteren Kanten ausgefranstes, ebenfalls bauchfreies Träger-Shirt. Mariah Careys Gestik und Mimik zeichnet sich während des ganzen Videos durch das Kokettieren mit gespielter Abweisung, die sie offensicht189

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

lich nicht ernst meint, aus. Sie verhält sich anhimmelnd, aufgedreht, anfeuernd und präsentiert ihren Körper mit allen möglichen Windungen und sexy Bewegungen. Verschwenderisch wird hierbei der verführerische Blick von schräg unten mit Augenaufschlag und Halbprofil eingesetzt. Bei diesem Video handelt sich um die Präsentation der Interpretin im Objekt-Status. Während viele Videos auf emotionale, teilweise sogar asexuelle Weise Frauen innerhalb der bürgerlichen Ideologie darstellen, ist dieses Video komplett darauf ausgerichtet, Mariah Carey als Sexualobjekt darzustellen. Sie verhält sich gefallend, inszeniert ihren Körper in allen möglichen Posen, um auf sich aufmerksam zu machen, ist körpernah, knapp und sexy bekleidet. Im Zusammenhang mit dem Thema Rennen, Rennfahrern und Rennwagen bekommt sie, zwar im Zentrum des Videos stehend, dennoch die Rolle eines schmückenden Beiwerks zu einem Schauspiel, in dem eigentlich die Rennfahrer die Stars, und damit die Inhaber der Hauptrolle, sind. Den Objektstatus macht hierbei nicht ihr sexy Outfit aus, sondern ihr Habitus, ihre Rolle als Schmuck und verführerische Frau, die sich allerdings nicht selbst nimmt, was sie will, sondern über ihre Selbstinszenierung dazu auffordert, genommen zu werden, sofern sie gesehen wird.

Ergebnisse aus der Videoanalyse In meiner Videoanalyse ging es im Zusammenhang der Unterscheidung von Sexualsubjekt und Sexualobjekt darum, zu zeigen, welche Darstellungsmerkmale Frauen zu Sexualobjekten machen, welche sie als Sexualsubjekte kennzeichnen. Mir war daran gelegen, damit zu untermauern, dass die These, dass Frauen zu Sexualobjekten degradiert werden, sobald sie wenig oder gar nicht bekleidet sind, falsch ist. Mir ging es bei der Untersuchung nicht um die Analyse der Verbindung von Bild und Musik und narrativem Inhalt, sondern einzig um die Inszenierung der Popstars in ihren eigenen Musikvideos. Die Beispiele habe ich nach dem Kriterium »weibliches Begehren« ausgewählt. Wie ich oben bereits erläutert habe, kennzeichnet das weibliche bürgerliche Geschlechtsrollenklischee Emotionalität, Passivität, im Kontext der Partnerwahl zeichnet es sich durch den verführerischen Blick von schräg unten nach oben aus, die Frau hat innerhalb dieser Konvention die Möglichkeit, den Mann dazu zu bewegen, sie zu begehren, und aktiv auf sie zuzugehen, sie wird jedoch nicht den aktiven Part der Ansprache übernehmen. Das postmoderne Frauenbild zeichnet sich zwar durch die Pluralität der Ausdrucksmöglichkeiten aus, ist jedoch in 190

KULTURELLE IKONEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DAS POSTMODERNE FRAUENBILD

seinem Impetus primär antibürgerlich ausgerichtet. Das bedeutet vor allem das aktive und selbstbewusste Auftreten von Frauen, die wissen was sie wollen. Der Blick ist gerade und direkt auf das Gegenüber ausgerichtet, die Körpersprache offensiv. Aktivität ist hier das entscheidende Stichwort. Die Frau agiert, sie ist nicht mehr auf das Reagieren angewiesen. Das Ergebnis der Analyse ist, einerseits, dass es nicht die Darstellung von weiblichen Körpern gibt, die Frauen automatisch zu optischen Sexualobjekten macht. Es muss darauf geachtet werden, wie die Inszenierung aussieht, welche ikonographischen Merkmale sie aufweist. Durch die Auswertung der Videos, und darüber hinaus an der Debatte über Madonna, zeigt sich vielmehr, dass die bürgerliche Gesellschaft und auch die bürgerliche Frauenbewegung bzw. der bürgerliche Feminismus nicht so sehr mit der nackten Haut an sich Probleme hat, sondern sich vielmehr an der Darstellung aktiven weiblichen Begehrens aufreibt. Meine These dazu aufgreifend, dass nicht diejenigen Videos Anstoß erregen, in der es um Präsentation des weiblichen Körpers geht, sondern diejenigen, in denen von Geschlechtsrollenklischees abweichende Frauen selbstbewusst ihre sexuellen Wünsche und ihr sexuelles Begehren äußern, wird dadurch belegt, dass ein Video wie »Loverboy«, in dem die Protagonistin als verführerisches Beiwerk und Groupie von Rennfahrern inszeniert wird, überhaupt keine Beachtung findet, Madonnas Videos, die mit aller Regelmäßigkeit auf das sexuelle Begehren der Frau rekurrieren, jedoch immer wieder kritikwürdig sind.

191

F AZ I T

Ziel meiner Arbeit war es, am Beispiel des weiblichen Exhibitionismus das postmoderne Frauenbild in seiner antibürgerlichen und emanzipatorischen Eigenschaft zu verdeutlichen. Dazu habe ich den Zusammenhang zwischen der Postmoderne und den postfeministischen bzw. postmodernen feministischen Ansätzen und der Befreiung von den bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees herausgearbeitet. Den Exhibitionismus als psychisches und sexuelles Phänomen habe ich kultursoziologisch fruchtbar gemacht. Im Kapitel zur Geschlechtsidentität habe ich den Aspekt der kulturellen Emanzipation im dialektischen Verhältnis zur politisch-sozialen beschrieben. In »Hass spricht. Zur Politik des Performativen« beschreibt Judith Butler die Risiken, die mit der rechtlichen Emanzipation nach Geschlecht, Rasse, Klasse und sexueller Orientierung verbunden sind. Das folgende Zitat von Butler verdeutlicht die Funktionsweise, in der sich juristische Gewinne wieder gegen die sozialen Bewegungen richten können, wenn man die Gleichberechtigungsforderungen an den Staat abgibt. Meines Erachtens unterstützt dieses die These von der Notwendigkeit der kulturellen Emanzipation: »Auf der Kluft zwischen Sprechen und Verhalten zu bestehen, bedeutet [...], die Rolle der nicht-juridischen Oppositionsformen zu stärken, die das Sprechen in anderen Kontexten, die die gerichtlich festgestellten überschreiten, reinszenieren und resignifizieren. Die rechtlichen Strategien, wie sie fortschrittliche rechtliche und soziale Bewegungen propagieren, bergen nämlich die Gefahr, dass sie genau gegen diese Bewegungen gewendet werden können, weil sie die Staatsmacht, insbesondere die gesetzliche, in bezug auf die dargestellte Problematik ausweiten. [...] tendenziell fördern diese Strategien sämtlich den staatlichen Eingriff zur Regelung dieser Fragen, womit sie potentiell dem Staat 193

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

die Macht verleihen, sich später auf Präzedenzfälle zu berufen, um sie gegen soziale Bewegungen einzusetzen, die eins auf deren Anerkennung als gültige Rechtsauffassung drängten« (Butler 1998: 40f).

Butler gibt als Beispiel für kontraproduktiven Effekt einer juristischen Gleichberechtigungsregelung das Beispiel an, dass bei verschiedenen Themen wie z.B. Rassismus oder Sexualität, mit unterschiedlichen Ansätzen – nämlich dem Ansatz, dass Sprechen gleich Handeln sei – oder gerade nicht – vorgegangen wird, und damit emanzipatorische Ziele untergraben werden können: »Meiner Ansicht nach greifen die konservativen Gerichtshöfe die theoretischen Ansätze, die Sprechen als Verhalten begreifen möchten, nur deshalb auf, weil sie die Ansicht stützen, dass sexuelles Sprechen zugleich sexuelles Handeln ist. Sobald es um die rassistische Sprache geht, versuchen die Gerichte dagegen, die Verschmelzung von Sprechen und Verhalten zu bestreiten« (Butler 1998: 62f).

Das verdeutlicht, wie wichtig die kulturelle Emanzipation, die auch von Stars wie Madonna als Multiplikatorin, Parodistin und PerformanceKünstlerin getragen wird, ist, um Ziele wie sexuelle Befreiung etc. durchzusetzen. Das zu folgernde Ergebnis meiner Untersuchung ist, dass sich kulturelle Emanzipation tatsächlich nur im antibürgerlichen Kontext vollziehen kann. Gleichzeitig muss ein umfassendes Emanzipationskonzept von oben per Repräsentanzpolitik fehlschlagen. Diese Aspekte möchte ich in einer Zusammenschau meiner Argumentationsstränge noch einmal erörtern. Der bürgerliche Geist besteht aus Tugenden wie Vertragstreue, Sparsamkeit, Fleiß, von der protestantischen Ethik ausgehender Puritanismus, Selbstbeherrschung, Disziplin, Leistungsbereitschaft, Triebverzicht, Selbstzwang, Körper- und Sinnenfeindlichkeit. Die bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees, die durch die Zementierung und Naturalisierung der Geschlechtsidentitäts-Definitionen Menschen in aktive kulturelle Männer und passive familiäre und emotionale als auch tugendhafte Frauen aufteilen, und damit das Verhalten auf rigide Weise beeinflussen, dieses vor allem als naturgegeben betrachten, bieten keinen Spielraum für emanzipatorische Ziele wie sexuelle Befreiung. Um ein Ziel wie sexuelle Befreiung zu erzielen, muss die Möglichkeit bestehen, sich über diese Identitäts-Definitionen hinwegzusetzen. Ich konnte in meinen Ausführungen zum Exhibitionismus, Devianz und Perversion, in denen die normierende Funktion von Sexualwissen194

FAZIT

schaft, Psychiatrie, aber auch Psychoanalyse, sowohl in Bezug auf die Sexualität als auch bezüglich der Geschlechtsidentität, deutlich wurden, zeigen, wie die Normierung der Sexualität, aber auch die Umsetzung einer rigiden Sexualmoral zu einer unfreien Sexualität führt, und damit »perverse« Strategien fördert. Daraus folgt, dass es umso mehr »Perversion« bzw. Devianz gibt, je stärker normiert wird. Vor allem Morgenthaler, Ullerstam und Quinsel, und einzelne Zweige der genannten Wissenschaften, die sich als Anwälte sexueller Minderheiten verstanden bzw. verstehen, haben Wege aus der Normierungsfalle aufgezeigt, indem sie sexuell Abweichenden ein Recht auf geschlechtlichen Genuss zugestehen. Ein wichtiger Schritt, um Minderheiten nicht aus bürgerlicher Moral heraus zu bewerten. So genanntes »sexuell abweichendes« Verhalten ist nach empirischen Studien – vor dem Hintergrund, dass die meisten Sexualforscher Ärzte sind, die aufgrund ihrer Profession schon zur Unterscheidung zwischen krank und gesund neigen – zu hinterfragen. Der Begriff der Devianz soll Vorverurteilungen mindern, weil nicht jedes deviante Verhalten eine perverse Symptombildung ist. In jeder Psychotherapie wiederum steckt der Aspekt der Anpassung an Normen, so Schorsch, der in Perversionen einen wichtigen Hinweis sieht, wenn man sich mit der Frage nach einer freieren Sexualität auseinandersetzt, da sie in Frage stellen. Nach Freud stellen Neurosen Symptombilder entgegengesetzt den Perversionen dar. Sie sind Ersatzbefriedigung für unerfüllte sexuelle Wünsche, während die Anlage zu Perversionen die ursprüngliche Anlage des menschlichen Geschlechtstriebes darstellt. Den dritten Ausgang sieht Freud im Prozess der Sublimierung. Psychoanalytiker wie Reiche und von Bredow/Noetzel erkennen, dass auch die Psychoanalyse nie den Fallstricken der Normalität ganz entkommen kann. Der Exhibitionismus von Frauen wird entweder als selbstverständlich genommen oder nicht als »echter Exhibitionismus« im pathologischen Sinne angesehen. Daraus ist zu schließen, dass der weibliche Exhibitionismus im Gegensatz zum männlichen kulturell unterstützt wird. Das weibliche Geschlechtsrollenklischee, die oft körperbetonte Mode, Misswahlen, Mannequins auf dem Laufsteg, Werbung, Striptease und GoGo-Dancing sowie Videoclips machen weiblichen Exhibitionismus unsichtbar, weil er sich in ihnen auf kulturelle Weise ausdrückt. Damit erklärt sich auch der oft kritisierte Objektcharakter, der Frauen zugeschrieben wird. Das männliche Geschlechtsrollenklischee stützt sich nicht auf Gefallen, sondern auf Leistung, damit steht der Mann auf der Subjektseite. Der Druck des Scheins bei Frauen steht im Kontrast zum Seinsdruck der Männer.

195

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Exhibitionismus bzw. Zeigelust geht also im bürgerlichen weiblichen Geschlechtsrollenklischee auf, während er bzw. sie dem bürgerlichen männlichen Geschlechtsrollenklischee widerspricht. Dadurch fehlt es Männern an Möglichkeiten, ihre Zeigelust kulturell eingebettet umzusetzen, während Frauen sich ungestraft entblößen können. Der Mann dagegen steht mit der Demonstration von genitaler Potenz im Verdacht des sexuellen Übergriffs. Männliche Exhibitionisten haben nur die Chance ihre Zeigelust subversiv und nonkonformistisch, aber straffrei, in künstlerischen, kulturindustriellen und alltagskulturellen Berufszweigen auszuleben. Gleichzeitig ist an der Tatsche, dass sich Frauen innerhalb gesellschaftlicher Konventionen im öffentlichen Raum entkleiden oder auch sehr spärlich kleiden können, so wie Abbildung 32 auch deutlich zeigt,85 Männer sich solche Handlungen aber nicht leisten könnten, auch ablesbar, dass es innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft Bereiche gibt, in denen Männer, sprich: ihr Habitus, ihre Selbstinszenierungsmöglichkeiten, ihr Kleidungsstil und ihre Emotionalität enorm eingeschränkt sind. Damit zeigt sich auch, dass die bürgerliche Ideologie, Moral und Körperpolitik nicht Abbildung 32 nur frauenfeindlich, sondern letztendlich auch männerfeindlich ist, weil sie sexualfeindlich ist und an der Natürlichkeit der Geschlechtscharaktere festhält. Die Normierung der Geschlechtsrollencharaktere – und damit die Sexualmoral – betrifft also alle Geschlechter. Daher wirkt sich eine sexualfeindliche Grundeinstellung und Moral der Gesellschaft ebenfalls nicht nur auf die Frauen aus, denn es beeinflusst das Verhalten zwischen den Geschlechtern, zwischen den sich Begehrenden, da Sexualität immer auch kulturell geformt ist.

85 Madonna lieferte einen Gratisstrip kurz vor der mitternächtlichen Aufführung von »In Bed with Madonna« in Cannes. 196

FAZIT

Anhand der Mode lässt sich zeigen, dass Frauen sich umso mehr zeigen können, je progressiver die Gesellschaft gerade ist. Kleidung ist immer auch Ausdruck von Lebensstil und Lebensgefühl, und damit ein »Seismograph für gesellschaftliche Veränderungen« (Waidenschlager 1991a: 9). In der Mode zeigen sich emanzipatorische wie antiemanzipatorische Momente. Die ästhetische Provokation ist also ein Teil der weiblichen Emanzipation, wobei gutes Aussehen durchaus auch einen existenzsichernden Aspekt bekommt. Auffälliges Make-up ist ein weiteres Zeichen für das Sichhinwegsetzen über die bürgerliche Moral. Im zwanzigsten Jahrhundert sind die 20er und die 60er Jahre als besonders emanzipatorisch einzuschätzen: in den 20ern waren kurze Charlestonkleider aus fließenden Stoffen, die den Körper abzeichneten, Zigarettenspitze und dunkelrote Lippen, in den 60ern Minirock und durchsichtige Blusen, die ohne Dessous getragen wurden, ideale Accessoires für zeigefreudige Frauen. In diesen Zeiten näherten sich die Moden der Geschlechter aneinander an, sexuell zweideutig androgyn, nicht aber Unisex. Ein weiterer Aspekt ist die kulturelle Bedeutung des Tanzes für mein Thema. Neben der Erörterung der hochkulturellen als auch der alltagskulturellen Tanzgeschichte, habe ich mich hierbei schwerpunktmäßig auf den Ausdruckstanz Mary Wigmans im Verhältnis zum Nackttanz Anita Berbers bezogen. Der Ausdruckstanz entstand als Gegenbewegung zum klassischen Ballett, und war in seinen Anfängen äußerst heterogen. Nach und nach verdrängten Massentanzszenen den Solotanz. Neben dem Ausdruckstanz, der eine Bühnenkarriere anstrebte, gab es die tänzerische Avantgarde, die politische Ziele verfolgten, Sozialklischees karikierten, experimentell mit Bühnenwerkstatt wie Oskar Schlemmer arbeiteten oder wie Anita Berber in Varietés auftraten. Mary Wigman war dagegen vom Tanz als heilige und religiöse und damit hochkulturelle Kunst besessen. Der Ausdruckstanz bleibt so dem bürgerlichen Kunstbegriff, aber auch den bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees verhaftet. Man kann davon ausgehen, dass der Varieté-Tanz die Tanzmoderne erst vorbereitete, auch wenn dieses in den Tanzlexika nicht zu finden ist, weil dieser, so wie Nackttanz, Striptease, Cancan etc. auch, nicht zum bildungsbürgerlichen Kanon gehört. Der Nackttanz, wie ihn Anita Berber tanzte, muss jedoch abgegrenzt werden von der Nacktkulturbewegung, die durch Puritanismus, Körperdisziplinierung, Hygieneargumente, Keuschheit, Natürlichkeit und Reinheit geprägt war. Der nackte Tanz der Nudisten war, im Gegensatz zum Nackttanz des Varietés, gymnastisches Bewegen in der freien Natur. Am Beispiel des Orientalischen Tanzes wiederum konnte ich zum einen mit Bezug auf Jarrett zeigen, dass es sich bei der Orientalischen 197

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Tänzerin, wie auch beim Striptease, im Gegensatz z.B. zur Balletttänzerin um ein visuelles Subjekt handelt, weil die Interaktion zwischen Tänzerin und RezipientInnen verhindert, dass die Tänzerin zu einem visuellen Objekt bzw. einer visuellen Projektionsfläche werden kann. Zum anderen konnte ich zeigen, dass die Körpermitte-Zentrierung ein neues Körperbewusstsein über kulturelle Grenzen hinweg schafft. Avantgardistisch ist Tanz dann, wenn er bestehende gesellschaftliche Verhältnisse kritisiert, wenn er aus den hochkulturellen Bühneninstitutionen zumindest partiell ausbricht, wenn er Körperlichkeit, Körperbilder und Bewegung durch Brüche und Schnitte neu darstellt und hinterfragt und bestehende Geschlechtsrollenklischees und bestehende Sexualmoral mit nicht-asexueller Nacktheit aufzeigt. Der Ausdruckstanz ist daher nicht als avantgardistisch einzustufen. Postmodern ist Tanz, wenn er die Kriterien der Avantgarde erfüllt, sich innerhalb von Protestbewegungen einbringt, durch die Medien spricht und das Prinzip der Montage und Fragmentierung wie beispielsweise im Musikvideo nutzt. Wie ich zeigen konnte, blieb der Ausdruckstanz dem bürgerlichen Kunstbegriff, aber auch den bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees verhaftet. So wie der nicht-asexuelle Nackttanz von Anita Berber emanzipatorisches Potential durch die Infragestellung der Normen beeinhaltete und am bürgerlichen Frauenklischee rüttelte, so ist der Tanz, die Performanz Madonnas ebenfalls mit emanzipatorischen Effekten durchtränkt. Fiske formuliert das in Bezug auf Madonna so: »Die tanzende Frau kontrolliert nicht allein die physische Sexualität ihres eigenen Körpers, sondern auch seine Bedeutungen für sie selbst und andere. Tanz als Spektakel, Tanz als Lust für das Selbst, Tanz als soziale Phantasie wird zu einem Mittel der Repräsentation und damit der Kontrolle jenes behindernden Widerspruchs, der so klar von Williamson (1986b) beschrieben wurde: ›denn [Madonna] bewahrt sich all das Draufgängertum und all den Exhibitionismus, mit denen die meisten Mädchen beginnen, bis das Einsetzen des ›Frauseins‹ sie ihnen austreibt‹ (ebd.47)« (Fiske 2000: 148).

Zu Beginn meiner Arbeit habe ich die Begrifflichkeiten Modernismus, Klassische Moderne, Avantgarde und Postmoderne geklärt. Der progressive Postmodernebegriff beinhaltet die Politisierung bürgerlich ideologisierter Begriffe, die Überwindung der bürgerlichen Kategorien der Aufklärung (Moderne) und die Aufhebung der Trennung von »high and low« sowie Kunst und Pornographie durch die Enthüllung des Zusammenhangs von Autonomie und Folgenlosigkeit. Die antibürgerlichen postmodernen Zielsetzungen sind emanzipatorisch und dekonstruktivistisch. Bürgerliche Positionen setzen sich dagegen durch allgemeine For198

FAZIT

derungen nach Freiheit, Bildung, Professionalisierung, Individualisierung und – im kulturellen Rahmen – das Festhalten am autonomen Kunstwerk ab. Poststrukturalismus und Postmoderne ziehen in verschiedenen Disziplinen am selben Strang. Ist es im Poststrukturalismus die Dekonstruktion von Begriffen und damit Normierungen, dekonstruiert die Postmoderne die bürgerlichen Kategorien im kulturellen Kontext und äußert sich konkret ästhetisch in Protestbewegungen, Kunst und Massenkultur. Im Wesentlichen geht es beim Poststrukturalismus wie bei der Postmoderne um die Politisierung bürgerlich ideologisierter Begriffe, das Aufbrechen dualistischer Denkstrukturen, und insbesondere bei der Postmoderne um die Kunst als Mittel zum Eingriff in die – oder der Veränderung der – gesellschaftlichen Verhältnisse. Wie ich in meiner Videoanalyse zeigen konnte, erregen nicht diejenigen kulturellen Produkte Anstoß, in der es um Präsentation des weiblichen Körpers geht, um die Verfügbarkeit von Frauen, die in der Sozialisation der bürgerlichen Geschlechtsrollenklischees angelegt ist, sondern diejenigen, in denen von Geschlechtsrollenklischees abweichende Frauen selbstbewusst ihre sexuellen Wünsche und ihr sexuelles Begehren äußern, in denen offen, ohne die Berücksichtigung bürgerlicher Moral, mit dem Thema Sexualität umgegangen wird. Die negatives Aufsehen erregende Wirkung von Kunst- und Kulturindustrieprodukten, die weibliche Körper als Sexualsubjekte inszenieren, macht deutlich, wie sehr an den Geschlechtsstereotypen – von konservativer Seite her – festgehalten wird. Die Zurschaustellung oder auch »Exhibition« des weiblichen Körpers kann also – je nach Kontext – durchaus Ausdruck erotischer Macht, und damit Ausdruck eines Sexualsubjektes sein. Erotische Macht konstituiert sich über Attraktivität und Sex-Appeal, über eine erotische Selbstdarstellung. Damit hat diese emanzipatorischen Charakter und ist Bestandteil eines avantgardistischen bzw. postmodernen antibürgerlichen Frauenbildes. Dies konnte ich an den Beispielen der Künstlerinnen wie Anita Berber, Marilyn Monroe und Madonna verdeutlichen. Durch ihre antibürgerlichen Lebensläufe und ihre Starimages als Sexsymbole verschiedener Couleur besitzen bzw. besaßen sie emanzipatorisches Potential in Bezug auf die Geschlechtsidentität, die Infragestellung bürgerlicher Geschlechtsrollenstereotype, als auch darüber hinaus für die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Sexualmoral, eben weil sie sich als Sexualsubjekte ausdrücken und auch inszenieren.

199

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Frauen haben ebenso wie Männer Lust am Anschauen wie am Angesehen werden. Die Gleichsetzung von Zurschaustellung von nackter Haut und Sexismus ist ein Ausdruck konservativer gesellschaftlicher Entwicklung. Das bedeutet nicht, dass es die Degradierung der Frau zum Sexualobjekt nicht gibt. Der emanzipatorische Aspekt von Körperlichkeit äußert sich in Form von durchaus erotischer, vor allem aber selbstbewusster Selbstdarstellung und freier Sexualität als Sexualsubjekt.86 Dementsprechend kann vom postmodernen und damit antibürgerlichen Ansatz her mit der Dekonstruktion der bürgerlichen Kategorien in Kunst, Theorie und Alltagskultur emanzipatorisch agiert werden. Zum Abschluss: Meine Arbeit ist letztlich durch und durch queer, wenngleich ich die Theorie – die letztlich mit den gleichen Argumenten

Abbildung 33 operiert wie die Gender-Debatte – dazu nicht explizit ausgeführt habe. Ich habe für meine kultursoziologische Fragestellung queere Positionen und die queer theory fruchtbar gemacht, ohne sie ausdrücklich zu kenn-

86 Abbildung 31, welche Madonna mit gespreizten Beinen – nur mit einem schwarzen halbtransparenten BH, einer schwarzen transparenten Strumpfhose und schwarzen Pumps bekleidet – auf einem Hocker sitzend zeigt, während sie die Körpermitte bzw. Scham mit ihren gekreuzten Händen verdeckt – in der Mitte oberhalb der Hände ist noch ein Hauch von Schambehaarung erahnbar – verdeutlicht dieses noch einmal: Madonna sitzt sehr aufrecht dem Betrachter gegenüber und blickt sehr selbstbewusst, provokativ und auch ein wenig amüsiert in die Kamera. 200

FAZIT

zeichnen (also das Aushängeschild queer voranzustellen). Dies gilt insbesondere für den theoretischen Teil bezüglich der Geschlechtsidentitäten im Kontext des Poststrukturalismus und des Postfeminismus, und damit der Dekonstruktion der Geschlechtsidentität. Bei queer geht es um randständige Positionen im Verhältnis zur Identitätspolitik, damit ist es ein Begriff, der offen ist bzw. sein sollte. Es ist ein für die Bewegung queer movement gewähltes Schimpfwort, welches die Unangepasstheit an die Moral der Mehrheit ausdrückt. Den theoretischen Hintergrund bildet das poststrukturalistische Denken, vor allem auch das Judith Butlers und Michel Foucaults. Alles, was ich bisher im Zusammenhang von queer lesen konnte, waren Ausführungen zu AIDS, Zwangsheterosexualität, Homosexualität, Bisexualität, Gender, Transgender, Transvestismus, Travestie, Transsexualität, Intersexualität, Promiskuität, Pornographie und eingeschränkt auch noch Sadomasochismus. Um die Ausschlusskriterien der Identitätspolitik zu charakterisieren, werden Zugehörigkeiten zu Ethnien, Religionen, Klasse etc. herangezogen. Interessanterweise lässt sich jenseits der Praktiken des Sadomasochismus – vor allem im homosexuellen Kontext – nicht viel über sexuell abweichendes Verhalten finden. Wenn es jedoch um geschlechtliche und sexuelle Identitätsfragen geht, muss der queer-Begriff um dieses (sexuell abweichende Verhalten) erweitert werden, denn wenn es um randständige Positionen geht, wenn es um Außenseiter in Sachen sex und gender geht, gehören der bürgerlichen Norm entsprechend »pervers« oder »abweichend« Genannte auf jeden Fall in diese Theoriebildung hinein. Da dieses bisher jedoch nicht passiert ist, muss man dieses als weißen Fleck – oder gar blinden Fleck – auf der Landkarte der emanzipatorischen Bestrebungen bzgl. der Aspekte sex, gender, und desire betrachten. Eine Auseinandersetzung mit sexuell abweichendem Verhalten zieht ja nicht nur die Beschäftigung mit Themen wie Exhibitionismus nach sich, sondern auch die mit Pädophilie, Nekrophilie, Inzest etc. Diese für Sexualwissenschaftler, Psychiater und Psychoanalytiker selbstverständlichen Forschungsschwerpunkte werden bisher aus der queer theory ausgeblendet. An diesem Punkt kann die Theoriebildung der queer theory meines Erachtens jedoch nicht stehen bleiben.

201

L I T E R AT U R

Adorno, Theodor W. (1972): Gesammelte Schriften [Hrsg. von Rolf Tiedemann] Band 7: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp Adorno, Theodor W. (1990): Über Walter Benjamin, Frankfurt am Main: Suhrkamp Adorno, Theodor W., Max Horkheimer (1991 [1969]): Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main: Fischer Altrogge, Michael (2000a): Tönende Bilder: interdisziplinäre Studie zu Musik und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung für Jugendliche: Bd. 1: Das Feld und die Theorie, Berlin: VISTAS Altrogge, Michael (2000b): Tönende Bilder: interdisziplinäre Studie zu Musik und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung für Jugendliche: Bd. 2: Das Material: Die Musikvideos, Berlin: VISTAS Altrogge, Michael (2000c): Tönende Bilder: interdisziplinäre Studie zu Musik und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung für Jugendliche: Bd. 3: Die Rezeption: Strukturen der Wahrnehmung, Berlin: VISTAS Andersen, Christopher P. (1992): Madonna unverhüllt. Die Biographie, München: Goldmann Andritzky, Michael (1989): Einleitung (S. 4-9); Berlin – Urheimat der Nackten. Die FKK-Bewegung in den 20er Jahren (S. 50-105), in: Andritzky, Michael, Rautenberg, Thomas (1989): »Wir sind nackt und nennen uns Du«. Von Lichtfreunden und Sonnenkämpfern. Eine Geschichte der Freikörperkultur, Giessen: Anabas Aubel, Hermann und Marianne (1928): Der künstlerische Tanz unserer Zeit, Königstein im Taunus, Leipzig: Karl Robert Langewiesche Austin, John L. (19982 [1962,1975]): Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart: Reclam 203

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Bader, Birgit; Behnke, Ben; Back, Christin-Susan (1995): Das dritte Geschlecht: Transsexuelle, Transvestiten und Androgyne, Hamburg: Rasch und Röhring Balk, Claudia (1998): Vom Sinnenrausch zur Tanzmoderne, in: Ochaim, Brygida u. Balk, Claudia (1998): Varieté-Tänzerinnen um 1900: Vom Sinnenrausch zur Tanzmoderne. (Anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Deutschen Theatermuseum München 23.10.1998 – 17.01.1999), Frankfurt am Main, Basel: Stroemfeld Verlag, S. 7-68 Barber, Benjamin (1996): Coca Cola und heiliger Krieg. Wie Kapitalismus und Fundamentalismus Demokratie und Freiheit abschaffen, Bern, München, Wien: Scherz Barta, Ilsebill (1987): Der disziplinierte Körper. Bürgerliche Körpersprache und ihre geschlechtsspezifische Differenzierung am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Ilsebill Barta et al. (1987): Frauen Bilder Männer Mythen, Berlin: Dietrich Reimer, S. 84-106 Basch, Peter (1965): Exotische Schönheit, Bonn: Verlag der Europäischen Bücherei H.M: Hieronimi Baur, Eva Gesine (2001): Göttinnen des Jahrhunderts. 26 Porträts, München: Ullstein Beck, Ulrich (Hg.) (1998): Perspektiven der Weltgesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp Becker, Michael (1998): Die Eigensinnigkeit des Politischen. Hannah Arendt über Macht und Herrschaft, in: Peter Imbusch (Hg.): Macht und Herrschaft. Sozialwissenschaftliche Konzeptionen und Theorien, Opladen: Leske + Budrich, S. 167-181 Becker, Sophinette (2003): Vorwort, in: Welldon, Estela V. (2003): Perversionen der Frau, Giessen: Psychosozial-Verlag Bego, Mark (1992): Madonna. Who’s that girl? Die Madonna-Story, Andrä-Wördern: Hannibal Verlag Bélorgey, André (1986): Striptease der 50’er und 60’er Jahre. Eine kulturgeschichtliche Dokumentation in künstlerischen Fotos von André Bélorgey, Paris: Pink Star Editions Benhabib, Seyla (1993): Feminismus und Postmoderne. Ein prekäres Bündnis, in: Benhabib, Seyla et al (1993): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, S. 9-30 Benjamin, Walter (1983): Das Passagen-Werk, Frankfurt am Main: Suhrkamp Benjamin, Walter (1994): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp Benz, Werner (1982): Sexuell anstößiges Verhalten. Ein kriminologischer Beitrag zum Exhibitionismus (§ 183 StGB) und zur Erregung 204

LITERATUR UND ABBILDUNGEN

öffentlichen Ärgernisses (§ 183a StGB) sowie zu deren strafrechtlicher Problematik – mit einem rechtshistorischen und einem rechtsvergleichenden Überblick, Lübeck: Max Schmidt-Römhild Bernard, Bruno (1981): Schönheit war ihr Schicksal. Glanz und Elend der Covergirls, München: Universitas Bertolaso, Yolanda (2001): Ethnische Tänze in der Tanztherapie – Durch Stärkung von Vertikalität und Kommunikationskompetenz zu Selbstbewusstsein und Toleranz. Die Sprache der 1000 Sprachen – Tanztherapie als Bewegungsdolmetschen, in: Bertolaso, Yolanda (Hg.) (2001): Musik-, Kunst- und Tanztherapie. Qualitätsanforderungen in den künstlerischen Therapien, Münster: Paroli, S. 74-93 Binas, Susanne (2001): Populäre Musik als Prototyp globalisierter Kultur?, in: Wagner, Bernd (Hg.): Kulturelle Globalisierung. Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung, Essen: Klartext, S. 93105 Bloch Ernst (1992): Erbschaft dieser Zeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp Böckmann, Walter (1964): littera 5/Dokumente, Berichte, Kommentare: Film – Fernsehen Striptease. Wahn und Wirklichkeit einer Moral, Frankfurt am Main:E.W. Hirsch + Co Borneman, Ernest (1968a): Lexikon der Liebe A - K, München: List Borneman, Ernest (1968b): Lexikon der Liebe L – Z, München: List Bourdieu, Pierre (1994): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main: Suhrkamp Bovenschen, Silvia (1976): Über die Frage: Gibt es eine ‚weibliche’ Ästhetik? in: Institut für Kultur und Ästhetik (Hg.) (1976): Ästhetik und Kommunikation. Beiträge zur politischen Erziehung, Heft 25, September 1976, Jahrgang 7, Kronberg: Scriptor, S. 60-75 Bräutigam, Walter, Ulrich Clement (1989): Sexualmedizin im Grundriss. Eine Einführung in Klinik, Theorie und Therapie der sexuellen Konflikte und Störungen, Stuttgart, New York: Thieme Bredow, Wilfried von; Thomas Noetzel (1990): Befreite Sexualität? Streifzüge durch die Sittengeschichte seit der Aufklärung, Hamburg: Junius Brownmiller, Susan (1994): Gegen unseren Willen. Vergewaltigung und Männerherrschaft, Frankfurt am Main: Fischer Bühler, Gerhard (2002): Postmoderne auf dem Bildschirm auf der Leinwand. Musikvideos, Werbespots und David Lynchs Wild at Heart, Sankt Augustin: Gardez! Buonaventura, Wendy (1984): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, München: Frauenbuchverlag

205

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Buonaventura, Wendy (1991): Die Schlange vom Nil. Frauen und Tanz im Orient, Hamburg: Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins Bürger, Peter (1995): Theorie der Avantgarde, Frankfurt am Main: Suhrkamp Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp Butler, Judith (1993a): Kontingente Grundlagen: Der Feminismus und die Frage der »Postmoderne«, in: Benhabib, Seyla et al (1993): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt am Main: Fischer, S. 31-58 Butler, Judith (1993b): Für ein sorgfältiges Lesen, in: Benhabib, Seyla et al (1993): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt am Main: Fischer, S. 122-132 Butler, Judith (1995): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin: Berlin Verlag Butler, Judith (1998): Hass spricht. Zur Politik des Performativen, Berlin: Berlin Verlag Butler, Judith (2006): in: Wagner, Frank et al (Hg.) (2006): Ausstellungskatalog: Das achte Feld. Geschlechter, Leben und Begehren in der Kunst seit 1960, Köln: Hatje Cantz Cawthorne, Nigel (1999): Das Sexleben der Hollywood-Göttinnen. Die Skandalchronik der Traumfabrik, Köln: Benedikt Taschen Chasseguet-Smirgel, Janine (1986): Kreativität und Perversion:, Frankfurt am Main: Nexus Cornell, Drucilla (1993): Gender, Geschlecht und gleichwertige Rechte, in: Benhabib, Seyla et al (1993): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt am Main: Fischer, S. 80-104 Crimp, Douglas (1996): Über die Ruinen des Museums, Dresden, Basel: Verlag der Kunst Curry, Ramona (1999): Madonna von Marilyn zu Marlene: Pastiche oder Parodie?, in: Klaus Neumann-Braun (Hg.) (1999): VIVA MTV! Popmusik im Fernsehen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 175-204 de Aulnoyes, François; de Cordon, Paul ; Carré, Roland (1970): Striptease. Kritische Dokumentation zu einem weltweiten Phänomen, Bonn: Verlag der Europäischen Bücherei H.M: Hieronimi Delius, Rudolf von (1924): Das Erwachen der Frauen. Neue Ausblicke ins Geschlechtliche, Dresden: Carl Reißner Delius, Rudolf von (1926): Tanz und Erotik. Gedanken zur Persönlichkeitsgestaltung der Frau, München: Delphin

206

LITERATUR UND ABBILDUNGEN

Diem, Carl (1936) (Hg.): Olympische Jugend. Festspiel, XI. Olympische Spiele Berlin 1936, Berlin: Reichssportverlag Duden Fremdwörterbuch (1982): 4. neu überarbeitete und erweiterte Ausgabe, Duden Band 5, Mannheim/Wien/Zürich: Dudenverlag Duden, Barbara (1993): Die Frau ohne Unterleib: Zu Judith Butlers Entkörperung. Ein Zeitdokument, Feministische Studien 2/1993, S. 2433 Eichstedt, Astrid (1988): Irgendeinen trifft die Wahl, in: von Soden, Kristine; Schmidt, Maruta (Hg.) (1988): Neue Frauen. Die zwanziger Jahre, Berlin: Elefanten Press, S. 9-15 Elias, Norbert (1989a): Über den Prozess der Zivilisation: soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Band 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, Frankfurt am Main: Suhrkamp Elias, Norbert (1989b): Über den Prozess der Zivilisation: soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Band 2: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, Frankfurt am Main: Suhrkamp Erdheim, Mario (1994): Psychoanalyse und Unbewusstheit in der Kultur, Aufsätze 1980-1987, Frankfurt am Main: Suhrkamp Fischer, Hans W. (1928): Körperschönheit und Körperkultur. Sport. Gymnastik. Tanz, Berlin: Deutsche Buchgemeinschaft Fischer, Lothar (1989): Getanzte Körperbefreiung, in: Andritzky, Michael, Rautenberg, Thomas (1989): »Wir sind nackt und nennen uns Du«. Von Lichtfreunden und Sonnenkämpfern. Eine Geschichte der Freikörperkultur, Giessen: Anabas, S. 106-123 Fischer, Lothar (1996): Tanz zwischen Rausch und Tod. Anita Berber 1918-1928 in Berlin, Berlin: Haude & Spener, 3. Auflage Fischer, Lothar (2006): Anita Berber. Göttin der Nacht, Berlin: edition ebersbach Fiske, John (2000): Lesarten des Populären. Cultural Studies Bd. 1, Wien: Turia + Kant Flaig, Berthold Bodo; Meyer, Thomas; Ueltzhöffer (1993): Alltagsästhetik und politische Kultur: zur ästhetischen Dimension politischer Bildung und politischer Kommunikation, Bonn: Dietz Foucault, Michel (1997a): Sexualität und Wahrheit 1: Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main: Suhrkamp Foucault, Michel (1997b): Sexualität und Wahrheit 2: Der Gebrauch der Lüste, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 5. Auflage Foucault, Michel (1998): Herculine Barbin. Foucault über Hermaphrodismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp

207

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Fraser, Nancy (1993) Pragmatismus, Feminismus und die linguistische Wende, in: Benhabib, Seyla et al (1993): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt am Main: Fischer, S. 145-160 Freud, Sigmund (1994): Das Unbehagen in der Kultur, Frankfurt am Main: Fischer Freud, Sigmund (1996): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Einleitung von Reimut Reiche, Frankfurt am Main: Fischer Frevert, Ute (1987): Frauen-Geschichte zwischen bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp Frevert, Ute (1988): Kunstseidener Glanz: Weibliche Angestellte, in: Kristine von Soden, Maruta Schmidt (Hg.): Neue Frauen. Die zwanziger Jahre, Berlin: Elefanten Press, S. 25-31 Fritsch-Vivié, Gabriele (1999): Mary Wigman, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Garber, Marjorie (1993): Verhüllte Interessen: Transvestismus und kulturelle Angst, Frankfurt am Main: Fischer Geiger, Ruth-Esther (1995): Marilyn Monroe, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Geiling, Heiko (Hg.) (1997): Integration und Ausgrenzung. Hannoversche Forschungen zum gesellschaftlichen Strukturwandel, Hannover: Offizin Ghazal, Eluan (1993): Der heilige Tanz. Orientalischer Tanz und sakrale Erotik, München: Wilhelm Heyne Giese, Fritz (1925): Girlkultur. Vergleiche zwischen amerikanischem und europäischem Rhythmus und Lebensgefühl, München: Delphin Giese, Hans (1967): Die sexuelle Perversion, Frankfurt am Main: Akademische Verlagsgesellschaft Goldin, Nan (1992): Die andere Seite. 1972-1992, Zürich, Berlin, New York: Scalo Verlag Gordon, Mel (2006): The Seven Addictions and Five Professions of Anita Berber. Weimar Berlin’s Priestess of Depravity, Los Angeles: feral house Göttlich, Udo et al (Hg.) (2001): Die Werkzeugkiste der Cultural Studies. Perspektiven, Anschlüsse und Interventionen, Bielefeld: transcript Grasskamp, Walter (1998): Ist die Moderne eine Epoche? in: Merkur, Sept./Okt. 1998 (594/595), Stuttgart: Verlag Klett-Cotta Gröll, Johannes (1991): Das moralische bürgerliche Subjekt, Münster: Westfälisches Dampfboot Guggenberger, Bernd (1989): Die nackte Wahrheit ist nicht immer das Wahre, in: Andritzky, Michael, Rautenberg, Thomas (1989): »Wir 208

LITERATUR UND ABBILDUNGEN

sind nackt und nennen uns Du«. Von Lichtfreunden und Sonnenkämpfern. Eine Geschichte der Freikörperkultur, Giessen: Anabas Verlag, S. 163-170 Haas, Birgit (2006): Der postfeministische Diskurs: Positionen und Aspekte, in: Haas, Birgit (Hg.) (2006): Der postfeministischer Diskurs, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 7-61 Heigl-Evers Annelise; Brigitte Boothe (1997): Der Körper als Bedeutungslandschaft. Die unbewusste Organisation der weiblichen Geschlechtsidentität, Bern/ Göttingen/ Toronto/ Seattle: Huber Heimann, Rudolf (2001): Exhibitionismus. Ist der »Exi« wirklich harmlos? in: Kriminalistik, 2/2001 Henschel, Angelika, Schlottau, Heike (Hg.) (1989): Schaulust. Frauen betrachten Frauenbilder im Film, Bad Segeberg: D.H. Wäser Hepp, Andreas (2001): Medienkultur als »Nationalkultur« im Wandel: Cultural Studies und die Perspektive einer transkulturellen Medienforschung im deutschsprachigen Raum, in: Göttlich, Udo et al (Hg.) (2001): Die Werkzeugkiste der Cultural Studies. Perspektiven, Anschlüsse und Interventionen, Bielefeld: transcript, S. 243-282 Hermann, Hans-Christian von (2002): Bewegungsschriften. Zum wissenschafts- und medienhistorischen Kontext der Kinetographie Rudolf von Labans um 1930, in: Dinkla, Söke; Leeker, Martina (2002): Tanz und Technologie. Auf dem Weg zu medialen Inszenierungen, Berlin: Alexander Hickethier, Knut (1996): Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart, Weimar: J.B. Metzler Hieber, Lutz (1997): Politisierung der Kunst: Aids-Aktivismus in den USA, Prokla, Heft 109, S. 649-680 Hieber, Lutz (2005): Die US-amerikanische Postmoderne und die deutschen Museen, in: Hieber, Lutz; Moebius, Stephan; Rehberg KarlSiegbert Rehberg (Hg.) (2005): Kunst im Kulturkampf. Zur Kritik der deutschen Museumskultur, Bielefeld: transcript, S. 17-32 Hieber, Lutz (2006): Appropriation und politischer Aktivismus in den USA, in: Lamla, Jörn; Neckel, Sighard (2006): Politisierter Konsum, konsumierte Politik, Wiesbaden: VS, S. 207-232 Hieber, Lutz; Villa, Paula-Irene (2007): Images von Gewicht. Soziale Bewegungen, Queer Theory und Kunst in den USA, Bielefeld: transcript Hippe, Wolfgang (2001): Wie die Geschichte von Hase und Igel. Kultur und Globalisierung, in: Wagner, Bernd (Hg.): Kulturelle Globalisierung. Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung, Essen: Klartext, S. 39-49

209

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Historisches Museum Frankfurt a. M. (1981): Katalog. Frauenalltag und Frauenbewegung 1890 – 1980, Historisches Museum Frankfurt am Main, Basel, Frankfurt am Main: Stroemfeld/Neuer Stern Hörmann, Karl (2005): Tanzpsychologie und Bewegungsgestaltung, Münster, Paroli Hornbostel, Wilhelm; Jockel, Nils (2002): Nackt. Die Ästhetik der Blöße, München, London, New York: Prestel Verlag Hradil, Stefan (1987): Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft. Von Klassen und Schichten zu Lagen und Milieus, Opladen: Leske + Budrich Hülst, Dirk (1998): ‚Nicht bei sich selber zu Hause sein’ Horkheimer und Adorno über Macht und Herrschaft, in: Peter Imbusch (Hg.): Macht und Herrschaft. Sozialwissenschaftliche Konzeptionen und Theorien, Opladen: Leske + Budrich, S. 109-129 Hunt, Lynn (Hg.) (1994): Die Erfindung der Pornographie. Obszönität und die Ursprünge der Moderne, Frankfurt am Main: Fischer Huntington, Samuel (1997): Der Kampf der Kulturen – The Clash of Civilisations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München, Wien: Europa Huschka, Sabine (2002): Moderner Tanz. Konzepte – Stile – Utopien, Reinbek: Rowohlt Huyssen, Andreas (1986): Postmoderne – eine amerikanische Internationale?, in: Huyssen, Andreas, Scherpe, Klaus R. (Hg.) (1986): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek: Rowohlt Imbusch, Peter (1998a): Macht und Herrschaft in der Diskussion, in: Peter Imbusch (Hg.): Macht und Herrschaft. Sozialwissenschaftliche Konzeptionen und Theorien, Opladen: Leske + Budrich, S. 9-26 Imbusch, Peter (1998b): Von Klassen zu sozialen Lagen, Milieus und Lebensstilen – Von der Machtversessenheit zur Machtvergessenheit?, in: Peter Imbusch (Hg.): Macht und Herrschaft. Sozialwissenschaftliche Konzeptionen und Theorien, Opladen: Leske + Budrich, S. 275-297 Jackson, Michael (1996): King of Pop Michael Jackson; History World Tour, Tour Book, o.O.: Trumph International Inc Jagose, Annamarie (2001): Queer Theory. Eine Einführung, Berlin: Quer Verlag Jähnke, Burkhard; Laufhütte, Heinrich Wilhelm; Odersky Walter (Hg.) (1995): StGB Leipziger Kommentar. Großkommentar, 19. Lieferung §§ 174-184c, Berlin, New York: de Gruyter Jameson, Frederic (1986): Postmoderne – zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus, in: Huyssen, Andreas, Scherpe, Klaus R. (Hg.) (1986):

210

LITERATUR UND ABBILDUNGEN

Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek: Rowohlt S. 45-102 Janssen-Jurreit; Marielouise (1980): Sexismus. Über die Abtreibung der Frauenfrage, Frankfurt am Main: Fischer Jarrett, Lucinda (1999): Striptease. Die Geschichte der erotischen Entkleidung, Berlin: Rütten & Loening Jones, Libby (1969): Striptease daheim, dazu Verse von Herrmann Mostar, Hamburg: Hoffmann und Campe Kambas, Chryssoula (2000): Kunstwerk, in: Michael Opitz, Erdmut Wizisla (Hg.): Benjamins Begriffe, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 524-551 Kaplan, Louise J. (1991): Weibliche Perversionen. Von befleckter Unschuld und verweigerter Unterwerfung, Hamburg: Hoffmann und Campe Karcher, Eva (1992): Otto Dix. 1891 – 1969. »Entweder ich werde berühmt – oder berüchtigt«, Köln: Benedikt Taschen Karkutli, Dietlinde (1989): Das Bauchtanzbuch, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Karkutli, Dietlinde Bedauia (1989a): Bauchtanz. Rhythmus. Erotik. Lebensfreude, München: Mosaik Kaven, Carsten (2006): Sozialer Wandel und Macht. Die theoretischen Ansätze von Max Weber, Norbert Elias und Michel Foucault im Vergleich, Marburg: Metropolis Kentler, Helmut; Schorsch, Eberhard (1987): Kein Strafrecht gegen exhibitionistische Handlungen, in: Jäger, Herbert; Schorsch, Eberhard (Hg.) (1987): Sexualwissenschaft und Strafrecht, Stuttgart: Ferdinand Enke Keupp, Lutz (1971): Aggressivität und Sexualität, München: Wilhelm Goldmann Khan, M. Masud R. (1983): Entfremdung bei Perversionen, Frankfurt am Main: Suhrkamp Klein, Gabriele (1994): FrauenKörperTanz. Eine Zivilisationsgeschichte des Tanzes, München: Wilhelm Heyne Klotz, Heinrich (1996): Zweite Moderne, in: Klotz, Heinrich (Hg.) (1996): Die Zweite Moderne. Eine Diagnose der Kunst der Gegenwart, München: Verlag C.H. Beck, S. 9 – 22 Kluge, Friedrich (1999): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin, New York: de Gruyter Knapp, Gudrun Axeli (Hg.) (1998): Kurskorrekturen. Feminismus zwischen kritischer Theorie und Postmoderne, Frankfurt am Main, New York: Campus

211

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Kneer, Georg (1998): Die Analytik der Macht bei Michel Foucault, in: Peter Imbusch (Hg.): Macht und Herrschaft. Sozialwissenschaftliche Konzeptionen und Theorien, Opladen: Leske + Budrich, S. 239-254 Knodt, Reinhard (1994): Television oder: der Bauchtanz findet nicht statt. Über technische Medien, Eurovision und Anästhesie, in: Knodt, Reinhard (1994): Ästhetische Korrespondenzen. Denken im technischen Raum, Stuttgart: Philipp Reclam jun. Knoell, Dieter Rudolf (1993): Zur gesellschaftlichen Stellung der Kunst zwischen Natur und Technik. Untersuchungen zum Verhältnis von Ästhetik und Politik in den Kunstkonzeptionen der Kritischen Theorie und des Neopositivismus, Bd. 1 Kritische Gesellschaftstheorie zwischen Massenkultur und Kunsteliten, Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms Koch, Christiane (1988): Sachlich, sportlich, sinnlich. Frauenkleidung in den zwanziger Jahren; in: von Soden, Kristine; Schmidt, Maruta (Hg.) (1988): Neue Frauen. Die zwanziger Jahre, Berlin, Elefanten Press, S. 16-19 Koebner, F.W. (1921): Jazz und Shimmy. Brevier der neuesten Tänze, Berlin: Dr. Eysler & Co. König, Karl (1995): Charakter und Verhalten im Alltag. Hinweise und Hilfen, Göttingen, Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht König, Karl (1998): Arbeitsstörungen und Persönlichkeit, Bonn: Psychiatrie-Verlag König, Karl (1999): Kleine psychoanalytische Charakterkunde, Göttingen, Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht König, Oliver (1990): Nacktheit. Soziale Normierung und Moral, Opladen: Westdeutscher Verlag König, René (1985): Menschheit auf dem Laufsteg. Die Mode im Zivilisationsprozess, München, Wien: Carl Hanser Körner, Hans (1997): Anstößige Nacktheit. »Das Frühstück im Freien« und die »Olympia« von Edouard Manet, in: Karl Möseneder (Hg.) (1997): Streit um Bilder. Von Byzanz bis Duchamp, Berlin: Dietrich Reimer, S. 181-199 Kracauer, Siegfried (1971): Die Angestellten, Frankfurt am Main: Suhrkamp, Kracauer, Siegfried (1991): Das Ornament der Masse. Essays, Frankfurt am Main: Suhrkamp Krafft-Ebing, Richard von(1907): Psychopathia Sexualis, Stuttgart: Ferdinand Enke Kristeva, Julia (1999): Höflichkeit als Haltung. Über den zivilisierten Umgang miteinander, in: Stäblein, Ruthard (Hg.) (1999): Glück und

212

LITERATUR UND ABBILDUNGEN

Gerechtigkeit. Moral am Ende des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main, Leipzig: Insel, S. 143-146 Kulischer, Joseph (1976): Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Bd. II, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Laban, Rudolf von (1936): Die deutsche Tanzbühne (Vorgeschichte und Ausblick, in: von Laban, Rudolf, et al (1936): Die tänzerische Situation unserer Zeit. Ein Querschnitt, Dresden: Carl Reißner, S. 3-7 Lämmel, Rudolf (o.J., [1927]): Der moderne Tanz. Eine allgemeinverständliche Einführung in das Gebiet der Rhythmischen Gymnastik und des Neuen Tanzes, Berlin-Schöneberg: Peter J. Oestergaard Lania, Leo (1929): Der Tanz ins Dunkel. Anita Berber. Ein biographischer Roman, Berlin: Adalbert Schultz Leemann, Regula Julia (1996): Die Dialektik der Unterwerfung, in: Komitee Feministische Soziologie (Hg.) (1996): Sexualität Macht Organisationen. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und an der Hochschule, Zürich: Rüegger, S. 47-65 Leibovitz, Annie (1999): Women, München: Schirmer & Mosel Lenzhofer, Karin (2006): Postfeministische Camperinnen, in: Haas, Birgit (Hg.) (2006): Der postfeministischer Diskurs, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 157-178 Leonard, Zoe (1997): Katalog zur Ausstellung „Zoe Leonard“ in der Secession Wien, 23.07.-14.09.1997 Leonard, Zoe (1998): 1998 Bearded Lady Calendar starring Jennifer Miller, Kunsthaus Glarus Liebig, Brigitte (1996): Einleitung: Sexualität – Macht – Organisationen, in: Komitee Feministische Soziologie (Hg.) (1996): Sexualität Macht Organisationen. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und an der Hochschule, Zürich: Rüegger, S. 7-13 Liechtenhan, Rudolf (1993): Vom Tanz zum Ballett. Geschichte und Grundbegriffe des Bühnentanzes, Stuttgart, Zürich: Belser, 2. erweiterte Auflage Linse, Ulrich (1989): Zeitbild Jahrhundertwende, in: Andritzky, Michael, Rautenberg, Thomas (1989): »Wir sind nackt und nennen uns Du«. Von Lichtfreunden und Sonnenkämpfern. Eine Geschichte der Freikörperkultur, Giessen: Anabas, S. 10-50 Loreck, Hanne (1991): Das Kunstprodukt »Neue Frau« in den zwanziger Jahren, in: Berlin Museum (Hg.): Mode der zwanziger Jahre, Ausstellungskatalog, Berlin, S. 12-19 Lorey, Isabell (1993): Der Körper als Text und das aktuelle Selbst: Butler und Foucault, in: Feministische Studien 2/1993, Weinheim: J. Beltz, S. 10-23 213

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Loschek, Ingrid (1990): Mode im 20. Jahrhundert. Eine Kulturgeschichte unserer Zeit, München: Bruckmann Loschek, Ingrid (1991): Mode. Verführung und Notwendigkeit. Struktur und Strategie der Aussehensveränderung, München: Bruckmann Loschek, Ingrid (1994): Reclams Mode- und Kostümlexikon, Stuttgart: Reclam Madonna (1992): Sex, München: Wilhelm Heyne Mailer, Norman (1973): Marilyn Monroe. Eine Biographie von Norman Mailer, München, Zürich: Droemer Knaur Mailer, Norman (1984): Ich, Marilyn M. Meine Autobiographie, aufgezeichnet von Norman Mailer, München: Goldmann Maltry, Karola (1998): Machtdiskurs und Herrschaftskritik im Feminismus, in: Peter Imbusch (Hg.): Macht und Herrschaft. Sozialwissenschaftliche Konzeptionen und Theorien, Opladen: Leske + Budrich, S. 299-316 Marcus, Greil (1996): Lipstick Traces. Von Dada bis Punk. Eine geheime Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Marcuse, Herbert (1969): Triebstruktur und Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp Marcuse, Herbert (1994): Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, München: DTV Matt, Gerald (1997): Vorwort, in: Weiermair, Peter; Matt, Gerald (Hg.) (1997): Japanische Photographie. Lust und Leere, Kilchberg/Zürich: Edition Stemmle, S. 6-9 Matter, Max (1996): Blicke auf den Körper, in: Matter, Max (Hg. für die Hessische Vereinigung für Volkskunde) (1996): Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, Band 31: Körper – Verständnis – Erfahrung, Marburg: Jonas Verlag, S. 23-33 Mc Donald, Helen (2001): Erotic Ambiguities. The female nude in art, London, New York: Routledge Mc Kenzie, Michael (1985): Madonna. Her Story, London, New York, Sydney, Cologne: Bobcat Books Meyer, Heinz (1994): Sexualität und Bindung, Weinheim: Beltz Meyer, Raimund (1985): »Dada ist groß Dada ist schön«. Zur Geschichte von »Dada Zürich«, in: Bolliger, Hans; Magnaguagno, Guido; Meyer, Raimund (1985): Dada in Zürich, Zürich: Arche Meyer, Ursula I. (1997): Einführung in die feministische Philosophie, München: Marcuse, Herbert (1994): Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, München: DTV 214

LITERATUR UND ABBILDUNGEN

Meyer-Büser, Susanne (1994): Das schönste deutsche Frauenporträt. Tendenzen der Bildnismalerei in der Weimarer Republik, Berlin: Dietrich Reimer Michalski, Sergiusz (1994): Neue Sachlichkeit. Malerei, Graphik und Photographie in Deutschland 1919 – 1933, Köln: Benedikt Taschen Moebius, Stephan (2005): Die Aufhebung der Kunst in Lebenspraxis. Die historische Avantgardebewegung und die Postmoderne, in: Hieber, Lutz; Moebius, Stephan; Rehberg Karl-Siegbert Rehberg (Hg.) (2005): Kunst im Kulturkampf. Zur Kritik der deutschen Museumskultur, Bielefeld: transcript, S. 49-63 Monroe, Marilyn (1980): Meine Story, Frankfurt am Main: Fischer Morgan, Joan (1998): Bad Girls im Hip Hop, in: Baldauf, Anette; Weingartner Katharina (Hg.) (1998): Lips Tits Hits Power? Popkultur und Feminismus, Wien, Bozen: Folio, S. 154-157 Morgenthaler, Fritz (1994): Homosexualität, Heterosexualität, Perversion, Frankfurt am Main, New York: Campus Mosse, George L. (1987): Nationalismus und Sexualität. Bürgerliche Moral und sexuelle Normen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Müller, Hedwig (1986): Mary Wigman: Leben und Werk der großen Tänzerin, Weinheim, Berlin: Quadriga Müller, Hedwig; Stöckemann, Patricia (1993): »… jeder Mensch ist ein Tänzer«. Ausdruckstanz in Deutschland zwischen 1900 und 1945, Begleitbuch zur Ausstellung »Weltenfriede – Jugendglück, vom Ausdruckstanz zum Olympischen Festspiel«, 2. Mai bis 13. Juni 1993, Giessen: Anabas Mundt, Barbara (1989): Metropolen machen Mode: Haute Couture der 20er Jahre; Bestandskatalog von Mode der 20er Jahre im Kunstgewerbemuseum Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, 2. veränderte Auflage, Berlin: Dietrich Reimer Musfeld, Petra Tamara (1996): Im Schatten der Weiblichkeit. Feministische Weiblichkeitskonzepte und weibliche Entwicklung: Autonomieentwicklung und unbewusste aggressive Phantasien, Dissertation Neuenhaus, Petra (1998): Max Weber: Amorphe Macht und Herrschaftsgehäuse, in: Peter Imbusch (Hg.): Macht und Herrschaft. Sozialwissenschaftliche Konzeptionen und Theorien, Opladen, Leske + Budrich, S.77-93 Niedecken-Gebhard, Hanns (1936): Die Gesamtgestaltung des Festspiels »Olympische Jugend«, in: Diem, Carl (1936) (Hg.): Olympische Jugend. Festspiel, XI. Olympische Spiele Berlin 1936, Berlin: Reichssportverlag S. 31-32

215

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Nietzsche, Friedrich (1984): Menschliches, Allzumenschliches, in: Schlechta, Karl (Hg.): Friedrich Nietzsche. Werke I, Frankfurt am Main, Berlin, Wien: Ullstein-Materialien Nikolaus, Paul (1919): Tänzerinnen, München Ochaim Brygida, Balk Claudia (1998): Varieté-Tänzerinnen um 1900. Vom Sinnenrausch der Tanzmoderne, anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Deutschen Theatermuseum München 23.10.1998 17.01.1999, Frankfurt am Main, Basel: Stroemfeld Verlag Osborn, Robert W. (1966): Sex in den USA. Zwischen Prüderie und Perversion. Hamburg: Hans W. Lassen Paglia, Camille (1993): Der Krieg der Geschlechter. Sex. Kunst und Medienkultur, Berlin: Byblos Panofsky, Erwin (1978 [1955]): Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln: DuMont Pawelke, Sigrid (2005): Einflüsse der Bauhausbühne in den USA, Regensburg: Roderer Pawlic, Jürgen (1993): Sexuelle Abweichungen, Hamburg, Lemgo, Rinteln: GEWIS Ploebst, Helmut (2003): Der Orient ist eine Täuschung. Das Ballett log sich den Orient so zurecht, wie es den Produzenten gefiel – und das gefiel auch den Orientalen, in: Ballettanz. Europe’s leading Dance Magazine, Oktober 2003, Verlag?, S. 33 Quinsel, Reinhart (1971): Exhibitionismus, München: Lichtenberg Reiche, Reimut (1996): Einleitung, in: Freud, Siegmund (1996): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Frankfurt am Main: Fischer Reiche, Reimut (2005): Das Rätsel der Sexualisierung, in: Quindeau, Ilka, Sigusch, Volkmar (Hg. ) (2005): Freud und das Sexuelle, Neue psychoanalytische und sexualwissenschaftliche Perspektiven, Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 135-152 Reiss, Ira L. (1970): Freizügigkeit, Doppelmoral, Enthaltsamkeit. Verhaltensmuster der Sexualität, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Robertson, Roland (1998): Glokalisierung: Homogenität in Raum und Zeit, in: Beck, Ulrich (Hg.) (1998): Perspektiven der Weltgesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 192-220 Rohde-Dachser, Ch. (1992): Expedition in den dunklen Kontinent. Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse, Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona, Budapest: Springer Verlag Rosenbaum, Heidi (1990): Formen der Familie: Untersuchungen zum Zusammenhang von Familienverhältnissen, Sozialstruktur und sozialem Wandel in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main: Suhrkamp 216

LITERATUR UND ABBILDUNGEN

Said, Edward W. (1981): Orientalismus, Frankfurt am Main: Ullstein Sautter, Udo (1994): Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, Stuttgart: Alfred Kröner Schaeffer, Emil (Hg.) (1931): Tänzerinnen der Gegenwart. Schaubücher 18, Erläuterungen zu den Bildern von Fred Hildenbrandt, Zürich Leipzig: Orell Füssli Verlag Schaeffer-Hegel, Barbara (1996): Säulen des Patriarchats. Zur Kritik patriarchaler Konzepte von Wissenschaft-Weiblichkeit-Sexualität und Macht, Pfaffenweiler: Centaurus Schenk, Herrad (1995): Die Sehnsucht nach dem privaten Glück. Von der Schwierigkeit, im Zeitalter der lauten Sexualität Intimität zu leben, in: Göpel, Eberhard; Schneider-Wohlfart, Ursula (Hg.) (1995): Provokationen zur Gesundheit. Beiträge zu einem Verständnis von Gesundheit und Krankheit, Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag Scheper, Dirk (1988): Das Triadische Ballett und die Bauhausbühne, Berlin: Akademie der Künste Scheub, Ute (2000): Verrückt nach Leben. Berliner Szenen in den zwanziger Jahren, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Schidrowitz (Hg.) (1927): Sittengeschichte des Lasters inkl. Ergänzungswerk, Leipzig, Wien, Berlin, Verlag für Kulturforschung Schirmer/Mosel Verlag(1988): Madonna Superstar: Photographien. Mit einem Text von Karl Lagerfeld, München, Paris, London: Schirmer/Mosel Schirmer/Mosel Verlag (1994): Madonna Megastar: Photographien 1988 – 1993. Mit einem Essay von Camille Paglia, München, Paris, London: Schirmer/Mosel Schmidt, Gunter; Sigusch, Volkmar (1967): Zur Frage des Vorurteils gegenüber sexuell devianten Gruppen, Stuttgart: Ferdinand Enke Schmidt-Linsenhoff, Viktoria (1989): »Körperseele«, Freilichtakt und Neue Sinnlichkeit, in: Andritzky, Michael, Rautenberg, Thomas (1989): »Wir sind nackt und nennen uns Du«. Von Lichtfreunden und Sonnenkämpfern. Eine Geschichte der Freikörperkultur, Giessen: Anabas, S. 124-129 Schorsch, Eberhard (1971). Sexualstraftäter, Stuttgart: Ferdinand Enke Schorsch, Eberhard (1993): Perversion, Liebe, Gewalt, in: Schmidt, Gunter; Sigusch, Volkmar (Hg.) (1993): Aufsätze zur Psychopathologie und Sozialpsychologie der Sexualität 1967-1991, Stuttgart: Ferdinand Enke Schorsch, Eberhard et al (Hg.) (1985): Perversion als Straftat. Dynamik und Psychotherapie, Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo: Springer Schreiber, Hugo Maximilian (Hg.) (1990): Madonna Nudes 1979, Berlin: Benedikt Taschen 217

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Seeßlen, Georg; Weil, Claudius (1978): Ästhetik des erotischen Kinos. Eine Einführung in die Mythologie, Geschichte und Theorie des erotischen Films, München: Roloff und Seeßlen Seufert, Reinhard (1970): Strip Voyeur, Bonn: Verlag der Europäischen Bücherei H.M: Hieronimi Sigusch, Volkmar (1984): Vom Trieb und von der Liebe, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag Sigusch, Volkmar (1989): Kritik der disziplinierten Sexualität. Aufsätze 1986-1989, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag Sigusch, Volkmar (1990): Anti-Moralia. Sexualpolitische Kommentare, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag Sigusch, Volkmar (2005a): Neosexualitäten. Über den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag Sigusch, Volkmar (2005b): Sexuelle Welten. Zwischenrufe eines Sexualforschers, Giessen: Psychosozial-Verlag Sinus (10/1995): Die Sozialen Milieus 1995. Strategische Marketing Planung. Optimierung der Werbewirkung. Eine Kurzinformation zum Sinus-Ansatz und seine Anwendung, Heidelberg: Eigendruck Smith, Joan (1998): Femmes Totales. Wie Bilder von Frauen entstehen, Berlin: Rütten & Loening Sobel, Bernard (1956): A Pictorial History of Burlesque, New York: Bonanza Books Soden, Kristine von; Schmidt, Maruta (Hg.) (1988): Neue Frauen. Die zwanziger Jahre, Berlin: Elefanten Press Sontag, Susan (1999): »Ein Photo ist keine Meinung. Oder doch?«, in: Annie Leibovitz (1999): Women, München: Schirmer & Mosel Spiegel-Dokumentation (1994): Outfit 3, Hamburg Spoto, Donald (1993): Marilyn Monroe. Die Biographie, München: Wilhelm Heyne St. Michael, Mick (2001): Madonna – in eigenen Worten, Heidelberg: Palmyra Stäblein, Ruthard (Hg.) (1999): Glück und Gerechtigkeit. Moral am Ende des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main: Insel Steele, Valerie (1998): Fetisch. Mode, Sex und Macht, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Stoller, Robert J. (1979): Perversion. Die erotische Form von Hass, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Suhr, Werner (1922): Der künstlerische Tanz, Leipzig: C.F.W. Siegels Musikalienhandel

218

LITERATUR UND ABBILDUNGEN

Thiel, Erika (1987): Geschichte des Kostüms. Die europäische Mode von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wilhelmshaven: Heinrichshofen Ullerstam, Lars (1965): Die sexuellen Minderheiten, Hamburg: Kala Van Ussel, Jos (1977): Sexualunterdrückung. Geschichte der Sexualfeindschaft, Giessen: Focus Vester, Michael (1997): Individualisierung und soziale (Des)Integration. Mentalitäten, soziale Milieus und Konfliktlinien in Deutschland, in: Geiling, Heiko (Hg.) (1997): Integration und Ausgrenzung. Hannoversche Forschungen zum gesellschaftlichen Strukturwandel, Hannover: Offizin Verlag, S. 17-44 Vester, Michael et al (1993): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung, Köln: Bund Victor, Adam (2000): Marilyn Monroe Enzyklopädie, Köln: Könemann Villa, Paula-Irene (2006): Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper, Wiesbaden: VS Vinken, Barbara (1993): Mode nach der Mode. Geist und Kleid am Ende des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main: Fischer Völger, Gisela (Hg.) (1997): Sie und Er. Frauenmacht und Männerherrschaft im Kulturvergleich, Köln: Rautenstrauch-Joest-Museum Wagner, Bernd (2001): Kulturelle Globalisierung: Weltkultur, Glokalität und Hybridisierung. Einleitung, in: Wagner, Bernd (Hg.): Kulturelle Globalisierung. Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung, Essen: Klartext, S. 9-38 Waidenschlager, Christine (1991a): Einleitung, in: Berlin Museum (Hg.): Mode der zwanziger Jahre, Ausstellungskatalog, Berlin 1991, S. 8-10 Waidenschlager, Christine (1991b): Berliner Mode der zwanziger Jahre zwischen Couture und Konfektion, in: Berlin Museum (Hg.): Mode der zwanziger Jahre, Ausstellungskatalog, Berlin 1991, S. 20-31 Walter, Hubert (1985): Zur Theorie de sexuellen Perversion. Genese, Psychodynamik und funktionale Bedeutung in der Sicht der Psychoanalyse, Berlin: Inaugural-Dissertation Wayand, Gerhard (1998): Pierre Bourdieu: Das Schweigen der Doxa aufbrechen, in: Peter Imbusch (Hg.) (1998): Macht und Herrschaft. Sozialwissenschaftliche Konzeptionen und Theorien, Opladen: Leske + Budrich, S.221-237 Weber, Max (1976): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen: Mohr Siebeck Weiermair, Peter; Matt, Gerald (Hg.) (1997): Japanische Photographie. Lust und Leere, Kilchberg/Zürich: Edition Stemmle 219

WEIBLICHER EXHIBITIONISMUS

Welldon, Estela V. (2003): Perversionen der Frau, Giessen: Psychosozial-Verlag Whiting, Cécile (1997): A Taste for Pop. Pop Art, Gender, and Consumer Culture, Cambridge, New York, Melbourne: Cambridge University Press Wigman, Mary (1935): Deutsche Tanzkunst, Dresden: Carl Reißner Wigman, Mary (1936): Vom Wesen des neuen künstlerischen Tanzes, in: Laban, Rudolf von, et al (1936): Die tänzerische Situation unserer Zeit. Ein Querschnitt, Dresden: Carl Reißner, S. 8-10 Wigman, Mary (1936a): »Totenklage« im Festspiel »Olympische Jugend«, in: Diem, Carl (1936) (Hg.): Olympische Jugend. Festspiel, XI. Olympische Spiele Berlin 1936, Berlin: Reichssportverlag, S. 41-42 Wohler, Ulrike (1996): Die »Neue Frau« und ihre WidersacherInnen. Weiblichkeitsbilder vor dem Hintergrund sozioökonomischer Entwicklung der Weimarer Zeit, unveröffentlichte Magisterarbeit Wortley, Richard (1976): A Pictorial History of Striptease, London: Octopus Books Wulffen, Erich (1923): Das Weib als Sexualverbrecherin. Ein Handbuch für Juristen, Verwaltungsbeamte und Ärzte, Berlin: Dr. P. Langenscheidt Zellers, Marcia (1998): Die Verwegenen und die Schönen. MTV lässt Frauen alles zeigen, in: Baldauf, Anette; Weingartner Katharina (Hg.) (1998): Lips Tits Hits Power? Popkultur und Feminismus, Wien, Bozen: Folio, S. 126-135 Ziegler, Ulf Erdmann (1990): Nackt unter Nackten. Utopien der Nacktkultur 1906 – 1942. Fotografien aus der Sammlung Scheid, Berlin: Dirk Nishen

Internetquellen www.wikipedia.de: »Wodaabe«: 21.10.2007 www.mvdbase.com: 19.10.2007 www.zeigen-verboten.de/home.htm: 28.02.2007 www.sinus-sociovision.de: 20.10.2007

220

LITERATUR UND ABBILDUNGEN

Ab b i l d u n g e n Abb. 1: Loschek (1991: 68). – Abb. 2: Photo Douglas Kirkland 1962, in: Mailer (1973: 88). – Abb. 3: Pin-Up # 5, im Besitz der Verfasserin – Abb. 4: Leonard (1998) – Abb. 5: »Male Fashion Doll # 2« 1995, in: Leonard (1997: 42) – Abb. 6: »Iolo Carew, wearing my slip« 1981/1991, im Besitz der Verfasserin – Abb. 7: »Jimmy Paulette und Tabboo! ziehen sich aus« 1991, in: Goldin (1992: 80) – Abb. 8: Jackson, Michael (1996: o.S.) – Abb. 9: Photo Oliviero Toscani 1995, in: Hornbostel; Jockel (2002: 66) – Abb. 10: Schidrowitz (1927: o. S.) – Abb. 11: Photo Ch. Rudolph, »Mütterlicher Tanz« in: Wigman (1935: 9) – Abb. 12: Photo József Pécsi: »Salomé« in: Gordon (2006: 158) – Abb. 13: Photo Atelier Dora Kallmus, in: Fischer (2006: 98) – Abb. 14: Fischer (2006: 60) – Abb. 15: Photo Ch. Rudolph: »Studien zur Totenklage«, in: Wigman (1935: 26) – Abb. 16: »Kokain«, aus »Moderne Tänze 1923« in: Fischer (2006: 86) – Abb. 17: 1922, Photo Atelier Dora Kallmus »Tanz Kokain«, aus: Fischer, Lothar (2006: 133) – Abb. 18: Karcher (1992: 131) – Abb. 19: Photo Tom Kelley 1949, (veröffentlicht im Golden Dreams Calendar 1952) – Abb. 20: Yasumasa Morimura: SelfPortrait (Actress)/Red Marilyn, 1996, in: Weiermair; Matt (1997: 91) – Abb. 21: Pin-Up # 1, in: Leonard (1998) – Abb. 22: Szenenphoto aus »Das verflixte 7. Jahr«, in: Victor (2000: 325) – Abb. 23: Photo Bert Stern 1962, in: Mailer (1973: 228) – Abb. 24: Photo Lawrence Schiller/ William Read Woodfield 1962, in: Mailer (1973: 220) – Abb. 25: Filmszene aus dem unvollendeten Film »Something’s got to give«, in: Victor (2000: 284) – Abb. 26: Photo Sam Mircovich 1992, in: Schirmer/Mosel Verlag (1994: 95) – Abb. 27: Madonna (1992: o.S.) – Abb. 28: Madonna (1992: o.S.) – Abb. 29: Madonna (1992: o.S.) – Abb. 30: Schirmer/Mosel Verlag (1994: 35) – Abb. 31: Photo Frank Micelotta 1990, in: Schirmer/Mosel Verlag (1994: 36) – Abb. 32: Photo Steven Meisel, in: Schirmer/Mosel Verlag (1994: 85) – Abb. 33: Schirmer/Mosel Verlag (1994: 75)

221

Gender Studies Rita Casale, Barbara Rendtorff (Hg.) Was kommt nach der Genderforschung? Zur Zukunft der feministischen Theoriebildung 2008, 266 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-748-6

Cordula Dittmer Gender Trouble in der Bundeswehr Eine Studie zu Identitätskonstruktionen und Geschlechterordnungen unter besonderer Berücksichtigung von Auslandseinsätzen September 2009, 286 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1298-1

Sabine Flick, Annabelle Hornung (Hg.) Emotionen in Geschlechterverhältnissen Affektregulierung und Gefühlsinszenierung im historischen Wandel Oktober 2009, 184 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-8376-1210-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

2009-09-21 10-29-23 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02b6221422517694|(S.

1-

3) ANZ1308.p 221422517702

Gender Studies Dorett Funcke, Petra Thorn (Hg.) Die gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern Interdisziplinäre Beiträge zu einer neuen Lebensform Juni 2010, ca. 350 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1073-4

Lutz Hieber, Paula-Irene Villa Images von Gewicht Soziale Bewegungen, Queer Theory und Kunst in den USA 2007, 262 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-504-8

Doris Leibetseder Queere Tracks Subversive Strategien in der Rockund Popmusik November 2009, 342 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1193-9

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

2009-09-21 10-29-23 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02b6221422517694|(S.

1-

3) ANZ1308.p 221422517702

Gender Studies Isolde Albrecht Sprache, Arbeit und geschlechtliche Identität Wie moderne Arbeitsbegriffe alte Geschlechtslogiken transportieren. Eine sprachgeschichtliche und psychologische Studie

Ute Luise Fischer Anerkennung, Integration und Geschlecht Zur Sinnstiftung des modernen Subjekts

2008, 390 Seiten, kart., 26,00 €, ISBN 978-3-89942-941-1

Ingrid Hotz-Davies, Schamma Schahadat (Hg.) Ins Wort gesetzt, ins Bild gesetzt Gender in Wissenschaft, Kunst und Literatur

Marie-Luise Angerer, Christiane König (Hg.) Gender goes Life Die Lebenswissenschaften als Herausforderung für die Gender Studies 2008, 264 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-832-2

Cordula Bachmann Kleidung und Geschlecht Ethnographische Erkundungen einer Alltagspraxis 2008, 156 Seiten, kart., zahlr. Abb., 17,80 €, ISBN 978-3-89942-920-6

Ingrid Biermann Von Differenz zu Gleichheit Frauenbewegung und Inklusionspolitiken im 19. und 20. Jahrhundert Mai 2009, 208 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1224-0

Uta Fenske Mannsbilder Eine geschlechterhistorische Betrachtung von Hollywoodfilmen 1946-1960

Juni 2009, 340 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1207-3

2007, 310 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-595-6

Carmen Leicht-Scholten (Hg.) »Gender and Science« Perspektiven in den Naturund Ingenieurwissenschaften 2007, 188 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN 978-3-89942-674-8

Ursula Mıhçıyazgan Der Irrtum im Geschlecht Eine Studie zu Subjektpositionen im westlichen und im muslimischen Diskurs 2008, 290 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-815-5

Rebecca Pates, Daniel Schmidt Die Verwaltung der Prostitution Eine vergleichende Studie am Beispiel deutscher,polnischer und tschechischer Kommunen Februar 2009, 234 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1117-5

2008, 350 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-849-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

2009-09-21 10-29-23 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02b6221422517694|(S.

1-

3) ANZ1308.p 221422517702