Wege zur Freiheit: Menschliche Selbstbestimmung von Homer bis Origenes 9783161616563, 9783161616570, 3161616561

Im vorliegenden Band spürt Alfons Fürst den Wegen zur Freiheit nach, die im paganen und jüdischen Denken der Antike bis

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Wege zur Freiheit: Menschliche Selbstbestimmung von Homer bis Origenes
 9783161616563, 9783161616570, 3161616561

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhalt
Zum Geleit
Thematische Eingrenzungen
1. Zur Terminologie
a) Zum Willensbegriff
b) Zum Freiheitsbegriff
2. Zum zeitlichen Rahmen
I. Menschliche Selbstbestimmung im Alten Hellas und im Alten Israel
1. Prolog im Epos: Homer
2. Schicksalsbestimmtheit und menschliche Verantwortung: Die griechische Mythologie
3. Göttliche Heilsgeschichte und Eigenverantwortung des Menschen: Die jüdische Bibel
a) Biblischer Kompatibilismus
b) Plädoyer für die Eigenverantwortung des Menschen: Ezechiel
4. Impulse für das Freiheitsdenken
II. Determinismus und Verantwortung: Die griechische Philosophie
1. Sachliche und terminologische Vorklärungen
2. Von der Schicksalsbestimmtheit zur Selbstbestimmung: Der Er-Mythos in Platons Politeia
3. Die überlegte Wahl eines vernünftigen Selbst: Aristoteles
4. Kausaldeterminismus und Eigenverantwortung: Der Kompatibilismus des Stoikers Chrysipp
5. Spontane Selbstbewegung: Epikur und Lukrez
6. Willentliche Selbstbewegung: Karneades
III. Ethik der Freiheit: Die Freiheitsdebatte in der römischen Kaiserzeit
1. Kaiserzeitliche Freiheitsdebatten
2. Freiheit als Einwilligung in das Schicksal: Epiktet
3. Kritik am stoischen Kompatibilismus
a) Postulat der Willensfreiheit: Cicero
b) Undeterminierte Entscheidung: Die platonische Schultradition
c) Wahlfreiheit: Alexander von Aphrodisias
IV. Freiheitspathos: Die frühchristliche Freiheitstheorie
1. Hintergründe im Frühjudentum: Philon von Alexandria
2. Die Anfänge im Christentum: Paulus und das Neue Testament
3. Freiheit der Entscheidung: Justin der Märtyrer
4. Das frühchristliche Freiheitskonzept
a) Grundaspekte des frühchristlichen Freiheitsdenkens
b) Freiheit als Eckpfeiler der christlichen Philosophie
5. Natur und Freiheit: Clemens von Alexandria
V. Die Freiheit der Selbstbestimmung: Das Freiheitsdenken des Origenes
1. Der zentrale Stellenwert der Freiheit
2. Der Freiheitsbegriff des Origenes
3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus
a) Die libertarische Exegese im Freiheitstraktat
b) Der Freiheitsgedanke in der exegetischen Praxis
4. Individuelle Selbstbestimmung und Selbstsorge
VI. Die Welt als freie Bewegung Gottes: Die Freiheitsmetaphysik des Origenes
1. Welt in Bewegung
2. Freiheit und Würde des Menschen
3. Theologie der Freiheit
a) Gott als Freiheit und Bewegung
b) Heilstrinitarismus
c) Gott „alles in allem“
4. Kompatibilistischer Libertarismus
Zum Ausklang
Bibliographie
1. Texte und Übersetzungen
2. Literatur
Register
1. Stellen
2. Namen
3. Begriffe

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Alfons Fürst Wege zur Freiheit

Tria Corda Jenaer Vorlesungen zu Judentum, Antike und Christentum Herausgegeben von Karl-Wilhelm Niebuhr, Matthias Perkams und Meinolf Vielberg

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Alfons Fürst

Wege zur Freiheit Menschliche Selbstbestimmung von Homer bis Origenes

Mohr Siebeck

Alfons Fürst, geboren 1961; 1996 Promotion (Dr. phil.); 1998 Habilitation (Dr. theol. habil.); 1998–2000 Professor für Kirchengeschichte in Bamberg; seit 2000 Professor für Alte Kirchengeschichte, Pa­ trologie und Christliche Archäologie in Münster; 2010–2011 Fellow am Department of Classics in Princeton; 2017–2018 Fellow am Institute for Advanced Studies in Jerusalem.

ISBN 978-3-16-161656-3 / eISBN 978-3-16-161657-0 DOI 10.1628/978-3-16-161657-0 ISSN 1865-5629 / eISSN 2569-4510 (Tria Corda) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

Für Thea Die mir täglich vorlebt, wie bedeutsam für ein glückliches Miteinander die freie Selbstbestimmung und die Verantwortung für sich selbst sind

Vorwort Das vorliegende Buch ist im Zusammenhang der Tria-Corda-Vorlesungen entstanden, die an der Friedrich Schiller-Universität Jena im November 2021 zu halten ich die Ehre hatte. Die Einladung dazu verdanke ich den Organisatoren dieser Vorlesungsreihe, neben Matthias Perkams und Meinolf Vielberg ganz besonders Karl-Wilhelm Niebuhr. Von ihm kam der Vorschlag, mich für Vorträge aus meinem Forschungsschwerpunkt, dem Freiheitsdenken der Antike und des christlichen Philosophen Origenes, anzufragen, und er hat die Aktivitäten in der Woche in Jena so angenehm organisiert und begleitet, dass ich mich rundum wohlgefühlt habe. Außer ihm und seinen Mitherausgebern dieser Reihe danke ich herzlich dem Verlag Mohr Siebeck für die kompetente Begleitung der Drucklegung. Und schließlich hatte ich das Glück, dass einige Mitarbeiter, Kollegen und Freunde die einzelnen Teile des Buches während des Entstehungsprozesses ganz oder in Teilen kritisch gelesen haben: Felix Arens, Monnica Klöckener, Wolfgang Kusch, Karl-Wilhelm Niebuhr und Lisa Rüschenschmidt (die zusammen mit Alexandra Löbker auch bei der Erstellung der Register mitgewirkt hat). Von ihren Rückmeldungen habe ich ebenso profitiert wie von den Diskussionen nach den einzelnen Vorträgen an der Universität Jena. Zu diesen Vorlesungen bin ich nicht zuletzt deswegen gerne nach Jena gekommen, weil Friedrich Schiller, nach dem die dortige Universität benannt ist, einer meiner geistigen Heroen ist. Er hat auch mit dem Thema dieser Vorle-

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Vorwort

sungen über die Freiheit zu tun, und das nicht nur in seinen Dramen wie den frühen Räubern von 1782 und dem späten Wilhelm Tell von 1804, in denen er die heroische Größe der Freiheit ebenso beschrieb wie ihr tragisches Scheitern. In theoretischer Weise hat er sich in seiner Ästhetik über die Freiheit geäußert. Weil ich, sozusagen dem genius loci huldigend, die Vorlesungsreihe in Jena mit einem Ausblick auf seinen ästhetischen Freiheitsbegriff beendet habe, will ich diese Ausführungen kurz auch an dieser Stelle festhalten. Schiller folgte bekanntlich der Freiheitslehre Immanuel Kants, dessen Schriften, insbesondere die Kritik der Urteilskraft von 1790, er wie die meisten seiner gelehrten Zeitgenossen intensiv studierte. In einem Brief an seinen Freund Gottfried Körner vom 25. Januar 1793, der zu den Vorarbeiten für einen geplanten, aber nicht ausgeführten Dialog Kallias oder über die Schönheit gehörte, betrachtete er die Freiheit mit Kant als Thema der praktischen Vernunft und definierte sie als „reine Selbstbestimmung“. „Freie Handlungen“ sind solche, bei denen „ein Vernunftwesen“ „aus reiner Vernunft“ und allein „durch sich selbst bestimmt“ handelt. Ein auf diese Weise freies, durch sich selbst bestimmtes Vernunftwesen ist „schön“. Diesen ethischen Begriff von Schönheit übertrug Schiller in einem Analogieverfahren auf „Naturwesen“, die dann „reine Selbstbe­ stimmung“ zeigen, wenn sie „aus reiner Natur handeln“. Da es sich aber um Naturdinge handelt, kann ihnen die Freiheit nur von Vernunftwesen zugeschrieben werden, und zwar wenn diese entdecken, dass jene „durch sich selbst bestimmt“ sind. Schön ist demnach alles, was sich aufgrund der ihm eigenen inneren Gesetze aus sich heraus in freier Selbstbestimmung entfaltet und als solches wahrgenommen wird. Bei einem Vernunftwesen zeigt sich das „in der Tat“, bei einem Naturwesen „in der Erscheinung“. „Schön-

Vorwort

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heit also ist“, resümierte Schiller mit der dafür berühmt gewordenen Formel, „nichts anderes als Freiheit in der Erscheinung.“ Die Übertragung des Begriffs der Freiheit als freier Selbstbestimmung auf natürliche Gegenstände, zum Beispiel eine Blume, die schön ist, wenn sie sich rein aus ihrer Natur heraus ungehindert entfaltet, ist Schillers Definition von Ästhetik. Dazu werden sich, soweit ich sehe, keine Analogien im antiken Denken finden lassen. Die Elemente des von ihm dafür herangezogenen Freiheitsbegriffs, die er den Schriften Kants entnahm, erinnern allerdings erstaunlich stark an Gedanken zur Freiheit, die schon in der Antike entwickelt wurden und von denen einige in diesem Büchlein vorgestellt werden. Münster, Frühlingsanfang des März 2022

Alfons Fürst

Inhalt Zum Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Thematische Eingrenzungen . . . . . . . . . . . . 7 1. Zur Terminologie . . . . . . . . . . . . . . 7 a) Zum Willensbegriff . . . . . . . . . . . 7 b) Zum Freiheitsbegriff . . . . . . . . . . . 11 2. Zum zeitlichen Rahmen . . . . . . . . . . . 16 I. Menschliche Selbstbestimmung im Alten Hellas und im Alten Israel . . . . . . 19 1. Prolog im Epos: Homer . . . . . . . . . . . 19 2. Schicksalsbestimmtheit und menschliche Verantwortung: Die griechische Mythologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Göttliche Heilsgeschichte und Eigenverantwortung des Menschen: Die jüdische Bibel . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Biblischer Kompatibilismus . . . . . . . 35 b) Plädoyer für die Eigenverantwortung des Menschen: Ezechiel . . . . . . . . . 39 4. Impulse für das Freiheitsdenken . . . . . . 46 II. Determinismus und Verantwortung: Die griechische Philosophie . . . . . . . . . . . 49 1. Sachliche und terminologische Vorklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . 49

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Inhalt

2. Von der Schicksalsbestimmtheit zur Selbstbestimmung: Der Er-Mythos in Platons Politeia . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Die überlegte Wahl eines vernünftigen Selbst: Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . 62 4. Kausaldeterminismus und Eigenverantwortung: Der Kompatibilismus des Stoikers Chrysipp . . . . . . . . . . . . 73 5. Spontane Selbstbewegung: Epikur und Lukrez . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 6. Willentliche Selbstbewegung: Karneades . . 96 III. Ethik der Freiheit: Die Freiheitsdebatte in der römischen Kaiserzeit . . . . . . . . . . . 101 1. Kaiserzeitliche Freiheitsdebatten . . . . . . 101 2. Freiheit als Einwilligung in das Schicksal: Epiktet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Kritik am stoischen Kompatibilismus . . . 119 a) Postulat der Willensfreiheit: Cicero . . . 121 b) Undeterminierte Entscheidung: Die platonische Schultradition . . . . . 126 c) Wahlfreiheit: Alexander von Aphrodisias . . . . . . . . . . . . . . . . 132 IV. Freiheitspathos: Die frühchristliche Freiheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Hintergründe im Frühjudentum: Philon von Alexandria . . . . . . . . . . . 141 2. Die Anfänge im Christentum: Paulus und das Neue Testament . . . . . . 149 3. Freiheit der Entscheidung: Justin der Märtyrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

Inhalt

XIII

4. Das frühchristliche Freiheitskonzept . . . 161 a) Grundaspekte des frühchristlichen Freiheitsdenkens . . . . . . . . . . . . . 162 b) Freiheit als Eckpfeiler der christlichen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5. Natur und Freiheit: Clemens von Alexandria . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 V. Die Freiheit der Selbstbestimmung: Das Freiheitsdenken des Origenes . . . . . . . 187 1. Der zentrale Stellenwert der Freiheit . . . . 187 2. Der Freiheitsbegriff des Origenes . . . . . 195 3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Die libertarische Exegese im Freiheitstraktat . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Der Freiheitsgedanke in der exegetischen Praxis . . . . . . . . . . . . 224 4. Individuelle Selbstbestimmung und Selbstsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 VI. Die Welt als freie Bewegung Gottes: Die Freiheitsmetaphysik des Origenes . . . . . 247 1. Welt in Bewegung . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Freiheit und Würde des Menschen . . . . . 252 3. Theologie der Freiheit . . . . . . . . . . . . 259 a) Gott als Freiheit und Bewegung . . . . . 259 b) Heilstrinitarismus . . . . . . . . . . . . 266 c) Gott „alles in allem“ . . . . . . . . . . . 273 4. Kompatibilistischer Libertarismus . . . . . 282 Zum Ausklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

XIV

Inhalt

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Texte und Übersetzungen . . . . . . . . . . 293 2. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 1. Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 3. Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

Zum Geleit αἰτία ἑλομένου, θεὸς ἀναίτιος Platon, Staat X 617 e 4 f. τὸ γὰρ αὐτεξούσιον ἐλεύθερόν ἐστι Origenes, Jeremiahomilien 18,3

Dieses Buch erzählt in Kurzform die lange, mehr als tau­ send Jahre umfassende Geschichte des Weges zur Freiheit im Sinne freier menschlicher Selbstbestimmung von Ho­ mer bis Origenes. Ihren Höhepunkt fand diese im 8. Jahr­ hundert v.Chr. beginnende Geschichte im 3.  Jahrhundert n.Chr. im ersten Entwurf einer Philosophie, in der Anthro­ pologie und Metaphysik konsequent vom Prinzip der Frei­ heit aus gedacht wurden. Mit dieser Anlage stelle ich die Geschichte des Freiheits­ denkens mit einem anderen Akzent dar, als dies sonst ge­ schieht. In der Regel wird die Freiheit an die Frage nach dem Willen gekoppelt und aus dieser Perspektive unter dem Stichwort der Willensfreiheit erörtert. In dieser Sicht nimmt dann Augustinus eine zentrale Stellung ein, und dies ganz zu Recht, denn er hat mit seiner neuartigen Kon­ zeptualisierung eines Willensbegriffs einen neuen Aspekt in diese Geschichte eingebracht, der bis heute fortwirkt. Davor hat das, was als Wille bezeichnet wird – was auch immer man darunter genau verstehen mag –, im Nachden­ ken über Determinismus und Freiheit allerdings keine oder nur ansatzweise eine Rolle gespielt. Gleichwohl gab es schon vor Augustinus eine entschei­ dende Phase, in der das Nachdenken über die Freiheit des

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Zum Geleit

Menschen – und verbunden damit die Freiheit Gottes – in neue Zusammenhänge gestellt wurde und die ebenfalls von einschneidender Bedeutung war. Diese Phase ist mit den Namen des Origenes und Plotins verbunden. Diese beiden Platoniker, der christliche wie der pagane, haben erstmals die Freiheit als Prinzip des gesamten Seins aufgefasst und auf dieser Basis eine Freiheitsmetaphysik entworfen, in der alle entscheidenden Akteure, Gott, Mensch und Welt, vom Prinzip der Freiheit aus gedacht werden. Ich würde daher so weit gehen, den entscheidenden Einschnitt in der Ge­ schichte des Freiheitsdenkens in das 3. Jahrhundert n. Chr. zu verlegen und ihn am christlichen Freiheitsphilosophen Origenes festzumachen, weil dieser zeitlich noch vor dem Neuplatoniker Plotin der erste Freiheitsdenker der Ge­ schichte war. Ungewohnt? Natürlich ist das ungewohnt, denn mit die­ sem historischen und thematischen Zuschnitt wird das Thema normalerweise nicht dargestellt. Ich kenne keine Darstellung der Philosophiegeschichte, in der, wenn es um das Thema der Freiheit und der Freiheitsmetaphysik geht, Origenes der ihm gebührende Platz eingeräumt wird. Sei es in Überblicksartikeln in Lexika, sei es in Handbüchern oder in Gesamtdarstellungen: Augustinus kommt immer prominent vor, Origenes nur marginal oder gar nicht, und wenn, dann ohne die wahre Bedeutung seines Denkens zu erkennen. Die Ausnahme sind einige Origenesexperten, die sich für diese Sicht der Dinge stark machen. Das vorliegen­ de kleine Büchlein erhebt also den alles andere als kleinen Anspruch, einen neuen Blick auf eine scheinbar längst be­ kannte Geschichte zu werfen. Noch etwas ist ungewohnt. Dieser Schritt in der Geistes­ geschichte fand philosophisch von stoischen Gefilden aus­ gehend, aber auf platonischem Boden statt. Getan wurde er

Zum Geleit

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überraschenderweise von den frühchristlichen Platonikern. Damit habe ich, als ich angefangen habe, mich mit dieser Geschichte zu beschäftigen, selbst nicht gerechnet. Aber die Quellen lassen keinen anderen Schluss zu. Auch dieser Beitrag der christlichen Philosophen zur Philosophiege­ schichte wird kaum einmal gewürdigt, wenn er denn über­ haupt wahrgenommen wird. Ich habe dieses Buch nicht geschrieben, um diese These zu beweisen. Es ist vielmehr entstanden, weil ich mich für die Wege zur Freiheit in der Antike interessiert habe. Ich wollte sie erforschen aus Interesse an den antiken, paganen ebenso wie jüdischen und christlichen Denkwegen, deren Großartigkeit, von Homer und der Bibel angefangen, mich immer wieder aufs Neue begeistern. Und ich wollte wissen, wie es dazu kommen konnte, dass im 3. Jahrhundert n.Chr. ein christlicher Philosoph, Origenes aus Alexandria, so groß und so kühn über die Freiheit des Menschen und die Freiheit Gottes reden konnte, wie das nie zuvor der Fall ge­ wesen war. Ein solches Gedankengut fällt nicht vom Him­ mel – also habe ich nach den Wurzeln geforscht, aus denen ein solcher Stellenwert der Freiheit hervorgehen konnte. Das Ergebnis hat mich, wie gesagt, selbst überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die frühchristlichen Den­ ker einen so entscheidenden Part dabei gespielt haben. Dennoch sollten wir uns davor hüten, die Verdienste in dieser Geschichte – wenn man denn von solchen reden will – einseitig zu verteilen. Ich denke – ohne dass ich in meinem Nachdenken darüber schon an ein Ende gekommen wäre –, dass viele Akteure und Traditionen zu der Konstellation geführt haben, aus der in der römischen Kaiserzeit der Ge­ danke der Freiheit des Menschen in seiner Selbstbestim­ mung geboren wurde. Dazu gehört die lange philosophi­ sche Reflexion über die Frage, was das Entscheiden und

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Zum Geleit

Handeln des Menschen bestimmt, die nach den grundle­ genden Gedanken des Aristoteles hierzu besonders von der Stoa vorangetrieben wurde. Die Theoreme und Begriffe, die in dieser in hellenistischer und römischer Zeit enorm verbreiteten und einflussreichen philosophischen Schule gebildet wurden, prägten diese Debatte, und zwar auch dann noch, als sie längst außerhalb der Stoa geführt wurde. Dazu haben dann wesentlich die Platoniker beigetragen, da sich erst aus ihrer Ansetzung eines Bereichs des Geistes ge­ genüber der materiellen Welt ein konsequenter Begriff von Freiheit entwickeln ließ, wie er im Rahmen des physika­ lisch fundierten stoischen Kausaldeterminismus trotz aller Bemühungen nicht möglich war. Dazu gehören nicht zu­ letzt auch die Impulse, welche die biblischen Geschichten der Befreiung des Menschen aus Zwängen und Fremdbe­ stimmung jeglicher Art, wie sie in der jüdischen und in der christlichen Bibel erzählt werden, ausgeübt haben. Alle diese Traditionen flossen in der zweiten Hälfte des 2.  Jahrhunderts n.Chr. bei den frühchristlichen Philoso­ phen zu einer Mixtur zusammen, die es bis dahin so nicht gegeben hatte (und auch nicht geben konnte). Jetzt erstmals wurde der Gedanke mit höchstem Nachdruck propagiert, dass der Mensch in seiner Selbstbestimmung frei sei. Wa­ rum es zu diesem Freiheitspathos kam, ist mir bislang noch nicht wirklich klar geworden. Vielleicht gibt es auf diese Frage – wie auf so viele Warum-Fragen in der Geschichte – auch keine Antwort.  Jedenfalls sehen wir in den Quellen ganz deutlich, dass es sich so verhalten hat. Gewiss hat die Lebenssituation der frühen Christen nicht wenig dazu bei­ getragen: Da es sich bei ihnen fast durchweg um Menschen handelte, die sich als Erwachsene von ihrer angestammten antiken Religiosität abwandten und zum Christentum be­ kehrten, lag der Gedanke nahe, dass eine solche grundle­

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gende Änderung der Überzeugung und der Lebensweise möglich sein muss – dass dies ständig vorkam, war ja evi­ dent. Von daher auf die Idee zu kommen, dass der Mensch in der Bestimmung über sich und sein Leben frei sei, scheint naheliegend. Auf der Basis dieser Ansicht, die von den christlichen Denkern um das Jahr 200 unisono propagiert wurde, entwarf dann Origenes im 3. Jahrhundert die erste Philosophie der Freiheit, in der er diese zum zentralen Prinzip des Seins machte. Die Geschichte dieser Wege zur Freiheit der menschlichen Selbstbestimmung von Homer bis Origenes möchte ich auf den folgenden Seiten in ihren wesentlichen Etappen darstellen.

Thematische Eingrenzungen 1. Zur Terminologie a) Zum Willensbegriff Worum also soll es in diesem Buch gehen? Um das Thema einzugrenzen, fange ich am Besten damit an, worum es nicht gehen soll. Ich frage nicht nach der Herkunft oder der Entstehung des Willens oder des freien Willens in der Anti­ ke. Das hat weniger damit zu tun, dass es dazu bereits ein­ schlägige Studien gibt,1 sondern vor allem damit, dass die Griechen einen Willen als eigenständige Kraft oder Fähig­ keit im Menschen neben dem Intellekt bzw. Verstand und neben den Affekten bzw. Emotionen nicht kannten.2 Es ist zwar nicht grundsätzlich falsch, diese Thematik unter dem 1  Zu nennen sind insbesondere die aus Vorlesungsreihen in Ber­ keley hervorgegangenen Bücher von Albrecht Dihle über Die Vor­ stellung vom Willen in der Antike von 1985 (in der englischen Origi­ nalfassung von 1982: The Theory of Will in Classical Antiquity) und von Michael Frede über A Free Will und, wie der Untertitel lautet, die Origins of the Notion in Ancient Thought von 2011. 2   Siehe dazu mit zahlreichen Belegen Dihle, Vorstellung vom Wil­ len 31–46. 59–78 (ferner ders., Problem der Entscheidungsfreiheit, bes. 10–13). Im selben Sinne Frede, A Free Will 19: „Neither Plato nor Aristotle has a notion of a will.“ Zu verschiedenen Vorstellungen da­ von, was mit „Wille“ gemeint sei, und möglichen, aber anders genann­ ten Äquivalenten in der Antike, siehe Kahn, Discovering the Will 234–236, der in seinem Aufsatz aber durchweg klar macht, dass es ein Willenskonzept in der Antike vor Augustinus nicht gab (aufgegriffen von Pich, Προαίρεσις und Freiheit 94–100). Auf derselben Linie liegt

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Thematische Eingrenzungen

Begriff des Willens zu erörtern, denn es geht darin um das­ jenige menschliche Vermögen, das im Laufe der zugehöri­ gen Debatten von der Spätantike an in der abendländischen Philosophie und Psychologie als Wille bezeichnet wurde.3 Doch die Versuche, einen solchen Willen oder Äquivalente bzw. Vorstufen dazu in der Antike nachzuweisen – die be­ vorzugten Kandidaten hierfür sind Aristoteles und die Stoiker4 –, können nicht überzeugen. Bei den Griechen do­ minierte der von Sokrates und Platon formulierte und von allen folgenden philosophischen Schulen – natürlich in Va­ riationen – vertretene Intellektualismus, d. h. die Vorstel­ lung, dass sich das Tun des Menschen unmittelbar aus sei­ nem Denken ergebe und eine weitere Instanz für die Umsetzung des Gedachten in Getanes nicht erforderlich sei (Entscheidungsakt und Handlungsmotiv also in eins fal­ len).5 Aus diesem Grund werde ich den Begriff „Willen“ weitestgehend vermeiden und immer nah an den ursprüng­ lichen Bedeutungen derjenigen Begriffe bleiben, die im an­ tiken Diskurs für die Beschreibung menschlichen Entschei­ dens und Handelns verwendet wurden. 6 Das hat den entscheidenden Vorteil, dass dadurch deutlicher werden der Beitrag von Horn, Entstehung des philosophischen Willensbe­ griffs, bes. 114. 3   Sehr erhellend dazu sind die unter dem Oberbegriff des Willens laufenden Ausführungen von Kobusch, Selbstwerdung und Persona­ lität 205–223. 4  Zur L’idée de volonté dans le stoïcisme unternahm einen solchen Versuch André-Jean Voelke 1973 (ebenso Frede, A Free Will 31–48. 76–88, im Wesentlichen übernommen von Karamanolis, Philoso­ phy of Early Christianity 135–140; Kobusch, ebd. 205–208), für Aris­ totle’s Theory of the Will Anthony Kenny 1979, ferner Terence Irwin 1992 bei der Beantwortung der Frage: Who Discovered the Will? 5  Siehe Pohlenz, Stoa I, 124; Dihle, Vorstellung vom Willen 38. 6   Einen guten Überblick über die im antiken Diskurs verwendeten

1. Zur Terminologie

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wird, wovon in den Texten jeweils genau die Rede ist (und wovon nicht). Zu den zentralen antiken Begriffen gehört zunächst die von Aristoteles in die Debatte eingeführte προαίρεσις. Das Wort meint weder eine „freie Wahl“ noch eine „Willens­ wahl“ und ist kein Äquivalent für den „Willen“, sondern bezeichnet die „Überlegung“, mit der man „einem Ding vor einem anderen den Vorzug gibt“.7 Aristoteles definierte sie als „überlegtes Streben nach Dingen, die in unserer Macht stehen (τὰ ἐφ᾽ ἡμῖν), denn nachdem wir uns aufgrund einer Überlegung entschieden haben, streben wir danach ent­ sprechend der Überlegung“. 8 Daneben wurde die Diskussi­ on von einer in diesem Text schon auftauchenden Wendung geprägt, die durch ihre Verwendung in der späteren Stoa9 zum Terminus technicus wurde, nämlich τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν: „das, was an uns liegt“. Die häufig anzutreffende Wiedergabe mit „Wille“ oder „Freiheit“ oder „Willensfreiheit“ ist, wie sich zeigen wird, ausgeprochen irreführend, da es in den zuge­ hörigen Konzepten weder um einen „Willen“ noch um Begriffe in ihrer philosophiegeschichtlichen Entwicklung gibt War­ nach, Art. Freiheit I, 1064–1074. 7   Dirlmeier, Aristoteles: Nikomachische Ethik 327. So schon Aristoteles selbst, eth. Nic. III 4, 1112 a 15–17. 8   Aristoteles, ebd. III 5, 1113 a 10–12 (eigene Übersetzung). Vgl. ebd. VI 2, 1139 b 4 f. in einer ausführlicheren Erörterung des intellek­ tuellen Charakters der προαίρεσις: „Deshalb ist die überlegte Wahl (oder: das Fällen einer Entscheidung) entweder ein vom Streben ge­ steuerter Verstandesakt oder ein vom Denken gesteuertes Streben, und der Ursprung eines derartigen Handelns ist der Mensch.“ Über­ setzung in Anlehnung an Dirlmeier, ebd. 124. 9   Bobzien, Determinism and Freedom 280, weist darauf hin, dass die substantivierte griechische Wendung für die Alte Stoa nicht be­ zeugt ist und allenfalls hinter entsprechenden lateinischen Wendun­ gen wie in nostra potestate oder sita in nobis stehen könnte.

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Thematische Eingrenzungen

„Freiheit“ geht.10 Der substantivische Fachterminus hierzu, τὸ αὐτεξούσιον, „Selbstmächtigkeit“, „Selbstbestimmung“, ist ein noch späterer Begriff, der erstmals im 1. Jahrhundert v.Chr. belegt ist und nur allmählich in die Debatte eindrang, die weiterhin von den älteren Ausdrücken geprägt blieb.11 Bei der Übertragung dieser griechischen Terminologie in das Lateinische lässt sich beobachten, dass offenbar eine Verschiebung von der theoretischen, intellektuellen Ebene des Denkens und Verstehens auf die praktische Ebene des Handelns und der Lebensgestaltung stattgefunden hat.­ So wird εὔνοια, die „gute Gesinnung“, das „gute Denken“ einem anderen gegenüber zur benevolentia, zum „Wohl­ wollen“, zum „guten Wollen“, zu „guten Wünschen“; προαίρεσις, die ein Akt und Produkt des Denkens ist, wird zur voluntas, zum „Willen“, oder vielleicht besser gesagt: zum „Streben“, einem aktiven Vorgang, der nach wie vor der Vernunft entspringt, aber stärker auf das Tun und die Praxis zielt.12 Terminologisch und sachlich wurde damit im lateinischen Sprachraum, und zwar erstmals bei Lukrez und Cicero, der Boden für einen Willen als Begriff zur Be­ 10

  Darauf verweist zu Recht auch Bobzien, ebd. 280 Anm.  95.  Das Wort αὐτεξούσιον ist erstmals bei Diodorus Siculus XIV 105,4 von freigelassenen Kriegsgefangenen bezeugt, die wieder „Macht über sich selbst“ haben, „ihr eigener Herr“, also „frei“ sind, dann bei Josephus Flavius, ant. Iud. IV 146 (vgl. ebd. V 13,5; XV 7,10), im selben politisch-sozialen Sinn. Die weiteren Belege in LSJ 279 s.v. datieren alle vom 1. Jahrhundert n.Chr. an; ein Beleg darin ist allerdings irre­ führend zu Chrysipp verbucht, denn wenn Hippolyt, ref. I 21,2 (GCS Hippol. 3, 25) (= SVF II 975), den Begriff τὸ αὐτεξούσιον benutzt, um Zenon und Chrysipp das Gleichnis vom an den Wagen gebundenen Hund zuzuschreiben (siehe dazu unten S.  9 0 Anm.  115), trägt er diesen Begriff offenbar aufgrund des Sprachgebrauchs seiner Zeit in den Text ein. 12  Siehe Pohlenz, Stoa I, 256. 274. 11

1. Zur Terminologie

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zeichnung einer eigenständigen Kraft im inneren Men­ schen bereitet, d. h. für den Voluntarismus im Gegensatz zum Intellektualismus.13 Um einen Willen geht es mir im Folgenden also nicht, sondern um „das, was an uns liegt“, wenn es um des Men­ schen Entscheiden und Handeln geht, um menschliche „Selbstbestimmung“, wie es im Untertitel des Buches heißt, um seine „Selbstmächtigkeit“, um das Vermögen im Men­ schen zu bezeichnen, das dabei aktiv ist. b) Zum Freiheitsbegriff Geht es um die Freiheit dieses Vermögens? Das schon eher, weshalb der Begriff im Haupttitel des Buches steht. Aber auch hier sind vorweg Kautelen und Differenzierungen an­ zubringen. Wie die Existenz eines „Willens“ wird auch die der „Freiheit“ oder eines „freien Willens“ bei der Betrach­ tung des Menschen aus einer naturalistisch-biologischen und gegenwärtig insbesondere neurowissenschaftlichen Perspektive bestritten.14 Die Untersuchung der physiologi­ schen Funktionsweise des Menschen, soweit sie mittlerwei­ le vorangetrieben worden ist, deutet klar auf Ursache-Wir­ kungs-Zusammenhänge hin, die das menschliche Verhalten und schon das diesem vorausliegende Entscheiden steuern. Mag es sich auch nicht um enge monokausale Mechanismen handeln, ist die Bandbreite dessen, was einem bestimmten Menschen an Optionen zu Verfügung steht, doch von sei­ ner genetisch grundgelegten physiologischen Konstitution bestimmt. Aus dieser Perspektive gibt es keine Freiheit, sondern nur Determination. 13

  Siehe dazu Kahn, Discovering the Will 247–251.   Ich verweise stellvertretend nur auf das Buch des Neurowissen­ schaftlers Sam Harris über Free Will von 2021. 14

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Thematische Eingrenzungen

Wechselt man indes die Perspektive, ist es gleichwohl sinnvoll, ja sogar notwendig, von Freiheit zu reden.15 Als Individuum wie als Teil einer Gemeinschaft kommt kein Mensch umhin, Entscheidungen zu treffen, aus möglichen Handlungsoptionen auszuwählen und entsprechend zu handeln. Und das tut jeder Mensch auch ständig und be­ greift sich dabei selbst als Subjekt seiner Handlungen. Mag die Art und Weise, wie ein bestimmter Mensch in bestimm­ ten Situationen entscheidet, von seiner physiologischen Konstitution, seiner Erziehung und seinem Charakter, sei­ ner kulturellen und sozialen Prägung und anderen äußeren Faktoren bedingt sein: zumindest das subjektive Bewusst­ sein, wählen zu können und entscheiden zu müssen, lässt sich schlechterdings nicht bestreiten. In zentralen Berei­ chen des alltäglichen Lebens setzen wir denn auch voraus, dass der Mensch diese Fähigkeit hat und sie für verschiede­ ne Zwecke und Ziele einsetzen kann. Evident ist das im Be­ reich von Erziehung und Bildung: Ohne die Voraussetzung anzunehmen, dass ein Mensch lernen, und damit, dass er sich kraft eigenen Tuns ändern kann, ist es schlechterdings sinnlos, Menschen zu unterrichten und zu lehren, denn dies geschieht mit der unbewussten Erwartung, dass ein Mensch danach in seinem Denken und Handeln jedenfalls teilweise anders ist, als er es davor war. Auch in den rechtlich nor­ mierten Bereichen des Zusammenlebens ist vorausgesetzt, dass Menschen so oder anders handeln können, denn ohne 15   Aus der neueren Diskussion über diese Thematik verweise ich exemplarisch auf Robert Kanes Contemporary Introduction to Free Will von 2005, auf das in seiner Bedeutung gleichrangige Buch von Geert Keil über Willensfreiheit von 2007 (32017) sowie auf die Be­ weisführung von Christian List darüber, Warum der freie Wille exis­ tiert von 2021 (engl. Original: Why Free Will is Real von 2019). Siehe ferner Rosenberger, Determinismus und Freiheit 224–292.

1. Zur Terminologie

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diese Voraussetzung wird die Annahme beispielsweise im Strafrecht, wir könnten für unser Tun verantwortlich ge­ macht werden, hinfällig. Freiheit ist, mit Immanuel Kant gesagt, ein Postulat, und zwar ein notwendiges, der prakti­ schen Vernunft.16 Im faktischen Lebensvollzug kommt der Mensch nicht umhin, zumindest einen gewissen Spielraum an freier Entscheidung anzunehmen, den er vorreflexiv auch schon immer in Anspruch nimmt. Mit diesen Überlegungen kommen wir nahe an die anti­ ken Zusammenhänge heran, um die es in diesem Buch ge­ hen wird. Das Nachdenken in der antiken Welt des Mittel­ meerraums über die Freiheit menschlicher Entscheidungen und Handlungen setzte im Kontext deterministischer Vor­ stellungen ein und wurde in diesem Rahmen von der Frage nach der Verantwortung des Menschen für sein Tun voran­ getrieben. Im mythischen Denken tauchten mitten in der alles dominierenden Vorstellung einer strikten Bestim­ mung des menschlichen Geschicks durch das Schicksal und die Götter gleichsam Ahnungen eines Handlungsspiel­ raums für den Menschen auf; noch mehr als im Epos wird das in der griechischen Tragödie sichtbar. Die griechische Philosophie gelangte ausgehend von deterministischen Weltbildern zur Verteidigung der Entscheidungsfähigkeit, um die Verantwortung zu sichern, und das nicht nur, wie bekannt, in der Stoa, sondern auch in den anderen philoso­ phischen Schulen. In der hebräischen Bibel begegnet viel­ leicht noch stärker als im griechischen Epos die Vorstellung einer von Gott gelenkten Geschichte; und doch werden da­ rin permanent Entscheidungen vom Menschen eingefor­ 16  Vgl. Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788): KpV A 219–241, über die Postulate der Unsterblichkeit, der Freiheit und des Daseins Gottes.

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Thematische Eingrenzungen

dert und wird die Verantwortung des Menschen für sein Tun betont. Die frühen Christen schließlich dachten – da­ bei Gedanken aus dem frühen Judentum aufgreifend – im Rahmen einer von Gott gelenkten Heilsgeschichte, beton­ ten aber sowohl gegen den antiken Fatalismus und die in der römischen Kaiserzeit weit verbreitete Astrologie als auch gegen den gnostischen Determinismus durchweg die Freiheit. Wichtige Stationen dieser Denkgeschichte werden wir uns auf den folgenden Seiten anschauen. Davor ist aber noch eine wichtige Differenzierung zu machen. Freiheit als notwendige Voraussetzung menschli­ chen Lebens kann hauptsächlich in zweierlei Hinsicht ge­ meint sein: politisch und ethisch, und beides hängt natür­ lich zusammen. Im politischen Sinn meint Freiheit die äußeren Freiheiten der Meinungsäußerung und des priva­ ten wie öffentlichen Handelns. Subjekt dieser Freiheit sind Individuen, aber auch Gemeinschaften, die für ihre Freiheit kämpfen, sie verteidigen (oder verlieren) oder sich ihrer er­ freuen. Um diese Freiheit geht es im Folgenden nicht. Es würde dann nämlich um die politische und soziale Ge­ schichte der „griechischen Freiheit“ oder der römischen li­ bertas rei publicae gehen, was ein anderer Fokus wäre.17 Im vorliegenden Buch geht es vielmehr um Freiheit im ethischen Sinn als notwendige Voraussetzung für das indi­ viduelle wie das soziale menschliche Leben.18 Zwar wurde 17   Für einen Überblick über diese Freiheit verweise ich lediglich auf den Artikel „Freiheit“ von Dieter Nestle im Reallexikon für Antike und Christentum von 1972. 18   Es geht also um diejenige Freiheit, die Krämer, Grundlegung des Freiheitsbegriffs 246–258, in seinem ausgezeichneten Überblick über die Entwicklung des Themas auf paganer Seite als „Handlungs­ freiheit“ und als „Wahlfreiheit“ bezeichnet, im Unterschied zu politi­ scher Freiheit (dazu ebd. 239–245) und zur „Freiheit des Selbstseins“

1. Zur Terminologie

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zwischen der ethischen und der politischen Freiheit ein Zu­ sammenhang mittels des Gedankens hergestellt, dass nur ein innerlich freier Mensch, der seine Gedanken und Triebe beherrscht, auch äußerlich über andere Menschen in freier Weise herrschen kann.19 Doch wurde in der Antike aus der Einsicht, dass jeder Mensch über innere Freiheit verfügt und sie für sein Handeln in Anspruch nimmt, nirgends die Konsequenz gezogen, dass sich die Freiheit auch äußerlich in entsprechenden sozialen, politischen und rechtlichen Strukturen und Institutionen niederschlagen soll oder muss. Das hat erst die Neuzeit getan, seit der Aufklärung und den damit einhergehenden politischen und sozialen Umbrüchen. Die antiken Denker blieben auf den einzelnen Menschen fokussiert und auf die Frage, wie sein Innenleben funktioniert und wie selbstbestimmt und frei er sein Leben führen kann. Worum es mir also im Folgenden geht, ist die Frage, wel­ chen Handlungsspielraum ein individueller Mensch hat. Man kann die Frage auch so formulieren, ob er überhaupt über diese Art von Freiheit verfügt und wie sie sich fassen oder beschreiben lässt. Methodisch frage ich danach, wie in den aus der Antike erhaltenen Texten das Handeln des Menschen im Blick darauf beschrieben und bedacht wird, was daran an ihm liegt, was er tut bzw. tun kann. Stich­ worte, von denen dieser Diskurs geprägt ist, sind Schicksal, Determination, Verantwortung und Selbstbestimmung. ­ Reflexionen darüber finden sich in nahezu sämtlichen Gat­ tungen der antiken Literatur, vorrangig natürlich in phi­ in der „Autarkie“ des Subjekts, „die höchste erreichbare Form von Freiheit“ (ebd. 262), die erst bei Plotin, Enneaden VI 8, in Bezug auf die radikale Freiheit des Einen gedacht wird (ebd. 258–266). 19  Vgl. dafür paradigmatisch Xenophon, mem. IV 5,2–11, dazu Foucault, Der Gebrauch der Lüste 104–123.

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Thematische Eingrenzungen

losophischen Werken, aber nicht nur, denn nicht selten ­begegnen entsprechende, philosophisch grundierte Gedan­ kengänge auch in anderen Textsorten. Das vorliegende Buch ist eng aus den Quellen gearbeitet. Aus der Überfülle an Forschungsliteratur nicht nur zum Thema allgemein, sondern auch und noch ungleich mehr zu den einzelnen Autoren nenne ich jeweils nur wenige wich­ tige Arbeiten – wohl wissend, dass es noch viel mehr gibt. Auch Details im Zusammenhang mit dieser Literatur dis­ kutiere ich nur an einigen zentralen Punkten. Wichtiger als eine solche Forschungsdiskussion war mir für die Zwecke dieser Vorlesungsreihe, das von mir vorgelegte philoso­ phiegeschichtliche Argument stringent zu entwickeln und mich beim Durchgang durch ein Jahrtausend Denkge­ schichte nicht in den zahlreichen Verästelungen der bespro­ chenen Stationen zu verlieren.

2. Zum zeitlichen Rahmen Eine letzte Vorbemerkung noch zum zeitlichen Rahmen „von Homer bis Origenes“. So willkürlich, wie er vielleicht scheinen könnte, ist er nicht.20 Und er hat auch nicht nur rein pragmatisch damit zu tun, dass ich für die Tria-Cor­ da-Vorlesungen zum Freiheitsdenken des Origenes ange­ fragt worden bin. Um den Beitrag des Origenes zu diesem Thema würdigen zu können, ist es unerlässlich, die diesbe­ zügliche Denkgeschichte vor ihm in den Blick zu nehmen. Vor allem aber verfolge ich mit dieser zeitlichen Rahmung eine bestimmte These, für die ich Werbung machen möchte. 20   Ein vergleichbarer Titel ist der Aufsatz von Ernst Heitsch über Wollen und Verwirklichen. Von Homer zu Paulus.

2. Zum zeitlichen Rahmen

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Der christliche Philosoph Origenes hat nach meiner Über­ zeugung den entscheidenden Schritt in dieser Debatte ge­ tan, mit dem er, das vorausgehende Nachdenken über Frei­ heit im Sinne freier Selbstbestimmung aufnehmend, die Freiheit zum Prinzip der gesamten Wirklichkeit machte und von diesem Angelpunkt aus über alle Großthemen des Seins – Gott, Mensch und Welt – nachdachte. Damit hat er den Freiheitsdiskurs auf eine neue Ebene gehoben und in ein neues Koordinatennetz gestellt, in dem fortan über Freiheit diskutiert wurde. Aus diesem Grund könnte diese Entwicklung noch lange und an vielen wichtigen Denkern weiterverfolgt werden, was auf dem begrenzten Raum die­ ses Büchleins aber faktisch nicht möglich ist. Weil diese Leistung des Origenes nach wie vor eher we­ nig bekannt ist, weil sie deswegen in Darstellungen der Ge­ schichte der Philosophie und der Theologie nur wenig und meist gar nicht vorkommt und weil die entsprechende Deu­ tung der Werke des Origenes unter den Fachleuten der Ori­ genesforschung durchaus umstritten ist, habe ich die zeitli­ che Rahmung „von Homer bis Origenes“ bewusst gewählt. Es gab in der Antike, mit Ansätzen in Epos und Tragödie, von der klassischen griechischen Philosophie bis in die rö­ mische Kaiserzeit und parallel dazu in den biblischen Schriften eine intensive Debatte über die Entscheidungsund Handlungsfreiheit des Menschen, die von Origenes umfassend rezipiert, aber in einem entscheidenden Punkt völlig neu konfiguriert wurde, indem er die Freiheit aus ei­ nem Aspekt der ethischen Handlungstheorie zum zentra­ len metaphysischen Prinzip von Gott, Welt und Mensch machte. Doch ich greife vor. Gehen wir zurück in die An­ fänge dieses spannenden Stücks antiker Geistesgeschichte.

I. Menschliche Selbstbestimmung im Alten Hellas und im Alten Israel 1. Prolog im Epos: Homer 1.

Zu Beginn von Homers Ilias wird die spannende Szene, in der Agamemnon und Achilles miteinander in Streit gera­ ten, vom Dichter durch einen für das Thema dieser Vorle­ sungen hochinteressanten Passus unterbrochen.1 Erregt von durchaus berechtigtem Zorn über das rechtswidrige Verhalten Agamemnons – den Raub der Briseïs aus Achills Kriegsbeute –, hat Achilles die Hand am Schwert und über­ legt, ob er es zücken und sich auf Agamemnon stürzen soll. Das tut er am Ende nicht, er beherrscht sich: Er „hemmte die nervige Hand am silbernen Hefte, / Stieß in die Scheide zurück das große Schwert“.2 Die verzweifelte Situation der von der Pest heimgesuchten Griechen vor Troja bessert sich dadurch nicht, aber Agamemnon, den Anführer des Hee­ res, zu erschlagen wäre das Ende der griechischen Expedi­ tion nach Troja gewesen. Achilles hat in dieser Szene zwei Möglichkeiten, zwi­ schen denen er wählen kann, und entscheidet sich für eine. Er folgt dem Impuls seiner Wut nicht. Damit ist ein Aspekt 1   Vgl. Homer, Il. I 188–222. Übersetzung: p.  17 Rupé. Siehe dazu Snell, Entdeckung des Geistes 34–38. Weitere Beispiele für „die Selb­ ständigkeit, die der Mensch aller dichten Verflechtung seiner Welt mit dem Göttlichen zum Trotz bei Homer bewahrt“, bei Lesky, Göttliche und menschliche Motivation 11–17 (das Zitat ebd. 15). 2   Homer, ebd. I 219 f.

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I. Menschliche Selbstbestimmung

des menschlichen Verhaltens angesprochen, der in der Phi­ losophie der Antike erst etliche Generationen nach dem 8. Jahrhundert v.Chr. auf die Agenda der zu behandelnden Fragen gesetzt und von da an intensiv reflektiert wurde. In der Ilias sind wir von diesen später entwickelten Gedanken noch weit entfernt. Bei Homer gilt „der Mensch noch nicht als Urheber seiner eigenen Entscheidung“, ihm wird nicht die Fähigkeit zugeschrieben, von sich aus Empfindungen und Bestrebungen zu haben, über die er nachdenkt und die er in Taten umsetzt (oder nicht).3 Reflexionen auf Entschei­ dungsprozesse und daraus folgende Handlungen, für die der Mensch die Verantwortung übernimmt, nicht die Göt­ ter, werden in den homerischen Epen noch nicht literarisch inszeniert, wie das dann im 5.  Jahrhundert v.Chr. in der Tragödie der Fall sein wird. Es ist aber doch bemerkens­ wert, wie abrupt in dieser Szene die Abfolge der Streitreden im ersten Buch der Ilias unterbrochen wird, um das innere Ringen Achills darzustellen. Das Bild, das der Dichter vor Augen stellt: die Könige der Griechen mit ihren Männern und Agamemnon als Anführer zum Kreis geschart im La­ ger vor Troja, hitzig in Streit geraten, Achilles die Hand am schon halb gezückten Schwert, um sich auf Agamemnon zu stürzen – wie eingefroren steht dieses Bild 35 Verse, eine ganze Seite lang, da, ehe die Handlung in Form von weite­ ren Streitreden weitergeht. Homer markiert auch ganz deutlich, dass er hier vom Äu­ ßeren ins Innere wechselt: „Während“ Achilles „solches bei sich beriet in der Tiefe des Herzens / Und das gewaltige Schwert schon zückte […].“4 Was dann folgt, ist allerdings keine philosophische Reflexion auf innere, geistige oder see­ 3

 So Snell, Entdeckung des Geistes 36.   Homer, Il. I 193 f.

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lische Abläufe, auf Eindrücke, Empfindungen, Nachden­ ken, Regungen und Strebungen, aus denen heraus schließ­ lich eine Tat (oder ein Unterlassen) erfolgt – all das wird erst später Thema der philosophischen Reflexion auf menschli­ ches Handeln sein. Bei Homer befinden wir uns noch in ei­ ner anderen Welt: in der Welt der Mythologie, die mit Men­ schen und Göttern bevölkert ist, die sich – jedenfalls in der literarischen Darstellung – mühelos begegnen und austau­ schen können. So geht es denn im Text der Ilias auch so wei­ ter: „[…] da nahte Athene“5 und überzeugte Achilles, das Schwert nicht zu zücken: „Deinen Zorn zu besänftigen, kam ich“, sprach die Göttin, „lass ruhen den Streit und das Schwert in der Scheide!“6 Und Achilles lenkt ein: „Euer Wort, o Göttin, geziemt es wohl zu bewahren, Welche Wut auch im Herzen sich hebt; denn solches ist besser. Wer dem Gebote der Götter gehorcht, den hören sie wieder.“7

Die Göttinnen und Götter sind’s, die der Menschen Hand­ lungen lenken. Das ist in der alten Mythologie der Griechen die Erklärung für menschliches Tun und Lassen. Der Mensch hat im Grunde keinen Entscheidungs- und Hand­ lungsspielraum, die Götter bzw. das Schicksal geben vor, wie die Dinge laufen. Als am Strand von Troja der Kampf um die Schiffe der Griechen hin- und herwogt, lässt der Dichter im 15. Gesang Zeus einen Ausblick auf die weiteren Ereignisse geben: wie Hektor den Patroklos erschlägt und als Rache dafür Achilles, seinem Zorn endlich entsagend, den Hektor tötet, „bis endlich die Männer Achaias / Ilios’ ragende Burg nach dem Rate Athenes erobern“. 8 Diesem 5

  Ebd. I 194.   Ebd. I 207. 210. 7   Ebd. I 216–218. 8   Ebd. XV 59–71 (das Zitat ebd. 70 f.). Übersetzung: p.  497 Rupé. 6

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I. Menschliche Selbstbestimmung

göttlich vorherbestimmten Geschehen kann der Mensch folgen oder sich dagegen auflehnen (und untergehen), aber beeinflussen oder ändern kann er es nicht. „Künftig erleidet er doch, was alles das Schicksal / Zugesponnen ihm hat bei seiner Geburt mit dem Garne“, heißt es von Achilles im 20. Gesang.9 Im letzten Gesang bekennt Achilles vor Priamos, der zu ihm gekommen war, um den Leichnam seines Soh­ nes Hektor zu erbitten: „Gar nichts richten wir aus mit un­ serem schaurigen Jammer. / So bestimmten die Götter das Los für die kläglichen Menschen.“10 Doch damit scheint mir noch nicht alles gesagt. Mag die Szene auch ganz mythologisch gestaltet sein, lenkt Homer doch mit Nachdruck – und zwar allein durch die Ausführ­ lichkeit, mit der er die Szene gleichsam einfriert – das Au­ genmerk darauf, wie in einem sehr kurzen Augenblick ein Mensch vor der Entscheidung steht, einer Regung, die in ihm aufsteigt, zu folgen oder nicht zu folgen. Der Dichter lässt diesen Konflikt nicht sozusagen im Himmel bei den Göttern beginnen – wie das Vergil im ersten Buch der Ae­ neis gestaltete, wo „von Anfang an“ alles „unter göttlicher Fügung“ geschieht11 –, sondern im Menschen selbst. In sei­

9   Ebd. XX 127 f. Übersetzung: ebd. p.  687. Vgl. ebd. XXIV 209 f. und schon davor ebd. XIX 416 f.: „Allein dein eigenes Schicksal“, sagt Hera durch den Mund seines Pferdes Xanthos zu Achilles, „lässt dich bald einem Gott und Menschen gewaltsam erliegen.“ Übersetzung: ebd. p.  679. Grundsätzlich formuliert ebd. VI 488 f.: „Doch dem Ver­ hängnis entrann wohl nie der Sterblichen einer, / Edel oder gering, nachdem er einmal gezeugt ward.“ Übersetzung: ebd. p.  219. 10   Ebd. XXIV 524 f. Übersetzung: ebd. p.  845. Zum Fatalismus in Homers mythologischer Welt siehe Heitsch, Wollen und Verwirkli­ chen 5 f.; Rosenberger, Determinismus und Freiheit 11–16. 11   Vgl. Vergil, Aen. I 1–296. Das Zitat aus Snell, Entdeckung des Geistes 40.

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nem „Herzen“ (ἦτορ) überlegt Achilles, ob er dem in ihm aufsteigenden Zorn nachgeben soll oder nicht: „[…]; da fasste Grimm den Peliden, und schwankend Unter der zottigen Brust, erwog er im sorgenden Herzen, Ob er, das schneidende Schwert alsbald von der Hüfte sich reißend, Alle verjagen sollte und niederhaun den Atriden, Oder stillen den Groll und die mutige Seele beherrschen.“12

Auch den kurzen Dialog zwischen Achilles und Athene, den in der Szene wie überhaupt die ganze Erscheinung der Göttin nur die beiden erleben,13 könnte man entmythologi­ sierend als inneres Zwiegespräch eines Menschen auffassen, der sich durch eine innere Regung als vor eine Entschei­ dung gestellt erfährt, die er kraft seiner Fähigkeit, darüber nachdenken zu können, zu treffen hat. Eben dies zu können zeichnet ihn als Menschen aus. Derartige theoretische Re­ flexionen bietet Homers Text allerdings mit keinem Wort. Der Dichter verbleibt mit seiner szenischen Darstellung im Rahmen eines mythischen Weltbilds. Aber seine Darstel­ lung enthält gleichsam in nuce die Elemente, die in der anti­ ken Philosophie zum Nachdenken über die Entscheidungsund Handlungsfreiheit des Menschen geführt haben. In einem Detail des Textes klingt diese Freiheit durchaus schon an. Als Athene Achilles anspricht, spricht sie ihm gleich im ersten Satz den Freiraum zu, auf ihre Worte nach seinem Gutdünken zu reagieren: „Vom Himmel“ sei sie ge­ kommen, lässt Homer die Göttin sagen, „deinen Zorn zu besänftigen“ – „ob du wohl hörtest“, oder: „wenn du mir

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  Homer, Il. I 188–193. Übersetzung: p.  17 Rupé.   Vgl. ebd. I 198: „Ihm allein sich enthüllend und keinem anderen sichtbar“. 13

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I. Menschliche Selbstbestimmung

folgen willst“ (αἴ κε πίθηαι).14 Für die Reaktion des Achilles wird dieselbe Vokabel verwendet: Er „befolgte willig“ (οὐδ᾽ ἀπίθησε) Athenes Rat.15 So sehr alle Wendungen des Ge­ schehens in den homerischen Epen von den Göttern gelenkt werden, so dass alle Szenen, in denen es um Entscheidungen geht, immer wieder durch ihr Eingreifen, nicht durch die Initiative der Menschen entschieden werden, so auffällig ist doch, wie „frei“ sich Götter und Menschen in dieser My­ thologie begegnen. Achilles wird nicht von einer über­ mächtigen göttlichen Macht dazu gezwungen, seinen Zorn zu bezähmen, „sondern fast wie zu ihresgleichen sagt Athe­ ne: Folg mir, wenn du magst. Und frei und sicher antwortet Achill: Nun, auch wenn man sehr zornig ist, ist es besser, den Göttern zu folgen.“16 Auch wenn noch nicht von Eigen­ initiative und Selbstbestimmung des Menschen die Rede ist, weil alles göttlicher Regie unterliegt, und auch wenn Achilles dem Rat der Göttin folgt und die gegenteilige Op­ tion nicht einmal andeutungsweise aufscheint, wird die Einbindung des Menschen in ein göttliches Schicksal damit doch durchbrochen. „Der homerische Mensch steht frei vor seinem Gott“, formulierte Bruno Snell vielleicht etwas pa­ thetisch, aber in der Sache zutreffend.17 So sehr im altgrie­ 14   Ebd. I 207 f. Übersetzung: p.  17 Rupé bzw. Snell, Entdeckung des Geistes 36. 15   Homer, ebd. I 220. Übersetzung: p.  17 Rupé. Dieselbe Wendung begegnet in ähnlichen Konstellationen, wenn Poseidon Achilles einen Rat gibt (vgl. ebd. XXI 293) oder Athene dem Telemachos (vgl. Od. I 279); auch unter Menschen wird so geredet, so der Geist des toten Pa­ troklos zu Achilles (vgl. Il. XXIII 82). Siehe Lesky, Göttliche und menschliche Motivation 33. 16   Snell, Entdeckung des Geistes 37. 17   Ebd. 38. Eine Erläuterung diese Szene bei Homer mit Hilfe von Begriffen aus der stoischen Handlungstheorie gab Plutarch, Coriol. 32; siehe dazu Lesky, Göttliche und menschliche Motivation 18–22.

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chischen Epos der Mensch vom Schicksal und von den Göt­ tern bestimmt ist und so eng göttliches und menschliches Handeln in ihrer Motivation miteinander verschränkt sind,18 taucht darin doch zugleich eine Ahnung von mensch­ licher Eigenständigkeit auf. Noch deutlicher wird dies in einer Szene im zweiten gro­ ßen Werk der altgriechischen Epik, der Odyssee. Auch in dieser wird alles, insbesondere das Geschick des Odysseus auf seinen Irrfahrten und seine schlussendliche Heimkehr, vom Schicksal bzw. von den Göttern gelenkt: „Der Schick­ salsfaden der Götter bestimmte ihm, er solle / Heimkehr finden nach Ithaka.“19 Die Götter beschließen die Heim­ kehr des Odysseus, wie „es ihm beschieden ist“.20 Es ist in der Odyssee speziell Zeus der Lenker des Schicksals, 21 und zwar für alle Menschen: „Zeus verteilt ja den Menschen das Glück, der Olympier selber, / Ganz wie er will, einem je­ den, dem Schurken wie auch dem Edlen“, 22 denn „Zeus weiß ja alles, / Gutes und schlechtes Geschick für die sterb­ lichen Menschen“.23 Aus dem, was die Götter bzw. Zeus über einen Menschen verhängen, sei es Glück oder Elend, gibt es kein Entrinnen.24 Im letzten Gesang sagt die Seele des toten Achilles zur Seele des ebenfalls toten Agamem­ non, er sei „viel zu früh in vernichtendes Schicksal geraten“,

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  Siehe dazu Lesky, ebd. 22–32.   Homer, Od. I 17 f. Übersetzung: p.  7 Weiher. 20   Ebd. V 29–42 (das Zitat ebd. V 41; Übersetzung: ebd. p.  131). 21   Siehe dazu Heubeck, Einführung 703. 22   Homer, Od. VI 188 f. Übersetzung: p.  167 Weiher. Vgl. ebd. XV 488 f. 23   Ebd. XX 75 f. Übersetzung: ebd. p.  549. 24   Vgl. ebd. XVIII 130–135. 155. 19

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I. Menschliche Selbstbestimmung

und schließt daran die allgemeine Aussage: „Freilich ent­ rinnt ihm nicht einer, sobald er zu leben begonnen.“25 In diesem götter- und schicksalsbestimmten Rahmen wird nun im ersten Gesang der Odyssee gleichwohl erst­ mals die Frage aufgeworfen, wer „schuld“ bzw. wörtlicher „ursächlich“ (αἴτιος) sei am Geschick der Menschen: die Götter – oder nicht doch die Menschen selbst? Als Tele­ machos, der Sohn des Odysseus, einen Barden am Königs­ hof zu Ithaka, der von der Heimfahrt der Griechen von Troja singt, gegen die Vorwürfe seiner Mutter Penelope verteidigt, die angesichts ihres Grams um den immer noch nicht heimgekehrten Gatten von solchen Liedern nichts hö­ ren will, folgt sein Argument noch ganz dem generellen Schema des Epos: „[…]. Die Sänger Sind doch wahrlich nicht schuld; nein, Zeus ist der Schuldige; er gibt Grad wie er will, einem jeden der rastlos erwerbenden Menschen.“26

Schon vor dieser Szene allerdings, gleich zu Beginn der Odyssee, stellt der Dicher selbst diese Sichtweise in Frage, indem er pikanterweise Zeus höchstpersönlich dagegen protestieren lässt, dass alles immer ihm gleichsam in die Schuhe geschoben wird. Zeus, so schildert Homer den Vor­ gang, dachte an Aigisthos, den Orestes, der Sohn Agamem­ nons, erschlagen hat.27 Darüber kommt „der Vater der Menschen und Götter“28 ins Grübeln: 25   Ebd. XXIV 28 f. Übersetzung: p.  639 Weiher. Der Vers wieder­ holt den Gedanken aus Il. VI 488 f. (siehe oben S. 22 Anm.  9). 26   Od. I 347–349. Übersetzung: ebd. p.  25. 27   Vgl. ebd. I 29 f. 28   Ebd. I 28, ein ständig gebrauchtes Epitheton für Zeus in den ho­ merischen Epen.

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„Was nicht gar! Wie die Menschen uns Götter nun wieder verklagen! Wir seien Spender des Unheils, sagen sie, wo sie doch selber Leiden empfangen durch eigene Torheit und mehr als vom Schicksal!“29

Damit wird nicht in Abrede gestellt, dass Leid die Men­ schen auch schicksalhaft trifft. Aber es wird erstmals der Gedanke formuliert, dass nicht die Götter, sondern die Menschen selbst für ihr Unglück verantwortlich seien. Die Odyssee ging damit einen merklichen Schritt weiter darin, dem Menschen einen eigenständigen Handlungsbereich zuzugestehen, als die Ilias.30 Spätere Denker der menschli­ chen Selbstbestimmung wie Chrysipp rekurrierten – nach dem Zeugnis des Aulus Gellius – auf diese Verse in der Odyssee für ihre Kritik an Menschen, die als Entschuldi­ gung oder Ausflucht für ihre Missetaten auf die Unabän­ derlichkeit des Schicksals verweisen.31 Im Anschluss an diesen Protest erläutert Zeus, inwiefern es durchaus am Menschen liege, welches Schicksal er erlei­ de. Dazu wird Aigisthos als Gegenpart zu Achilles insze­ niert: Während Achilles im ersten Gesang der Ilias auf den Rat der Göttin Athene hörte, nicht das Schwert gegen Aga­ memnon zu ziehen, war Aigisthos – so heißt es jetzt im ers­ ten Gesang der Odyssee – ebenfalls, und zwar von Zeus 29

  Ebd. I 32–34. Übersetzung: p.  9 Weiher.   So die Deutung von Lesky, Göttliche und menschliche Motivati­ on 32–38 (vgl. bes. ebd. 35). 31   Vgl. Aulus Gellius, noct. Att. VII (VI) 2,13 f. (= SVF II 1000). – Die entsprechende Ausflucht schon bei Platon, polit.  X 619 c 4–6, fer­ ner bei Philon von Alexandria, prov. I 78 (Philo Werke VII p.  314); Ale­xander von Aphrodisias, fat. 2 (p.  166.9–13 Bruns). 7 (p.  171.27– 172.1 Bruns); Maximos von Tyros, diss. 13,9 (p.  116 f. Trapp). Ebd. 41,4 (p.  333 Trapp) zitiert Maximos die Verse aus der Odyssee als Ant­ wort auf die Frage, woher die Untaten der Menschen kommen. 30

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I. Menschliche Selbstbestimmung

durch den Götterboten Hermes, davor gewarnt worden, Agamemnon zu ermorden und dessen Frau Klytaimestra zu heiraten, denn Orestes werde diese Untat rächen.32 Ai­ gisthos wusste also um sein Verderben,33 es „war ihm gar nicht bestimmt vom Schicksal“,34 die genannten Taten zu begehen; doch er hörte nicht auf Hermes, „der den Sinn des Aigisthos / Doch nicht stimmte zum Guten“.35 In Ilias wie Odyssee wird an dieser Stelle dasselbe Verbum gebraucht: πείθω/πείθομαι.36 Es geht darum, dass ein Gott einen Men­ schen zu seinem Wohle von etwas „überreden“ oder „über­ zeugen“ will bzw. dieser „sich überreden“ oder „überzeu­ gen lässt“. Dem Rat zu folgen oder nicht ist dem Menschen freigestellt. Achilles folgte dem göttlichen Rat, Aigisthos nicht – „und büßte nun alles zusammen“.37 Aigisthos, heißt es gleich darauf in der Antwort Athenes an Zeus, „verfiel der Vernichtung, wie er’s verdiente“, und das wird generali­ siert zu einer allgemeinen Regel: „Mög’ auch ein andrer, der solches verübt, dem Verderben verfallen.“38 Wie es einem Menschen ergeht, ist nach diesem Text durchaus nicht ein­ fach Schicksal oder von einem Gott bestimmt, sondern Konsequenz seiner Entscheidung. Willy Theiler hat diesen Passus im ersten Gesang der Odyssee ein „Paradestück für die Freiheit der Entschei­ dung“ genannt.39 Das ist etwas zu stark formuliert, zumal 32

  Vgl. Homer, Od. I 37–41.   Vgl. ebd. I 37: „Wusste er doch seine jähe Vernichtung.“ Überset­ zung hier und im Folgenden jeweils p.  9 Weiher. 34   Ebd. I 35. 35   Ebd. I 42 f. 36   Vgl. Il. I 207 und Od. I 43. 37   Od. I 43. 38   Ebd. I 46 f. 39   Theiler, Schicksalslehre 68. 33

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von einer „Freiheit der Entscheidung“ in der Geschichte dieses Themas erst viel später und dann nicht von paganen, sondern vor allem von christlichen Autoren explizit geredet werden wird. Doch in der Tat lässt sich schon in den home­ rischen Epen zeigen, wie in einer Welt, die ganz als vom Schicksal und von den Göttern bzw. von Zeus bestimmt beschrieben wird, der Gedanke auftaucht, dass der Mensch einen Entscheidungsspielraum hat, der ihm im mythischen Denkrahmen von den Göttern eröffnet wird, und dass er die Konsequenzen für seine Entscheidungen zu tragen hat. Die Selbstreflexion des Zeus zu Beginn der Odyssee und der unterbrechende Einschub in eine wilde Szene im ersten Buch der Ilias bringen – vielleicht etwas überraschend – ­nahezu sämtliche Grundfragen des Themas dieser Vorle­ sungsreihe auf den Tisch. Um ein paar Stichworte zu nen­ nen: Selbstbeherrschung, Selbstbestimmung, Impuls­kontrolle, Vernunftsteuerung, Handlungsoptionen, Entschei­ dungskompetenz, Eigenverantwortung. Ich konnte immer gut nachvollziehen, weshalb die Griechen die homerischen Gesänge als Grundlage ihrer Bildung und Kultur aufgefasst haben. In den Texten selbst werden alle diese Fragen, die sich daran anschließen lassen, zwar nicht oder nur in An­ sätzen gestellt. Aber allein durch die dramaturgische Ge­ staltung der Dichtung regen diese Texte dazu an, sich Fra­ gen wie die genannten zu stellen. In der weiteren Ge­schichte des antiken Denkens sind diese Fragen dann auch explizit formuliert und – gelegentlich mit explizitem Rückbezug auf die besprochenen Passagen – reflektiert worden.

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I. Menschliche Selbstbestimmung

2. Schicksalsbestimmtheit und menschliche Verantwortung: Die griechische Mythologie 2.

Die Vorstellung, dass der Mensch für seine Entscheidungen und Handlungen selbst verantwortlich ist, bahnt sich nach den Ansätzen im Epos in der klassischen griechischen Tra­ gödie an. Deren Handlungsabläufe bewegen sich ganz im Bann mythologischer Schicksalsbestimmtheit, der sich ent­ gegenzustellen für den Menschen tragisch endet. Der Mensch wird darin als ein vom Schicksal Getriebener und Gezeichneter dargestellt – von einem Schicksal, aus dem es kein Entrinnen gibt. Und doch meldet sich in den fatalen Zusammenhängen der Tragödie der Anspruch des Men­ schen auf einen Bereich der Selbstbestimmung und der Ver­ antwortung für sein Tun, auch wenn er gegen die Macht seines Geschicks nichts auszurichten vermag.40 Ich beginne noch einmal mit Homer. Bei ihm wird der Mensch nicht als Urheber seiner Entscheidungen und Initi­ ator seiner Handlungen aufgefasst, auch wenn ihm bereits ein gewisser Freiheitsraum zugesprochen wird (Kap.  I   1). Nachdem Achilles von seinem Zorn abgelassen hat41 und Agamemnon sein Unrecht endlich einsieht, weist er die Schuld am Zerwürfnis mit Achilles von sich und schiebt die Ursache für sein Handeln auf das Schicksal und die Götter, besonders auf die Rachegöttin, gegen die er nichts habe aus­ richten können: „[…]; doch ich bin sicher nicht schuldig (αἴτιος), Sondern das Schicksal (Μοῖρα) und Zeus und Erinys, die wandelt im Dunkel, Welche das Herz mir im Rat erfüllten mit arger Betörung, 40

  Siehe dazu Pohlenz, Stoa I, 103 f.   Vgl. Homer, Il. XIX 65–68 (vgl. ebd. XIX 75).

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Jenes Tages, als ich selbst dem Achill entwand seine Gabe. Aber was konnte ich tun? Vollbrachte doch alles die Gottheit.“42

Wichtig ist, dass Agamemnon zwar die Schuld für das Ge­ schehene von sich weist, dennoch aber für die Folgen seiner Tat einsteht. Er konnte, lässt der Dichter ihn sagen, „[…] nie vergessen die Schuld, die erst mich hatte verblendet. Aber nachdem ich gefehlt, des Verstandes beraubt vom Kroniden, Will ich es wieder vergüten mit unermesslicher Buße.“43

Um die Gesinnung Agamemnons geht es nicht, auch nicht um eine persönliche Schuld oder seine Motivation. Es geht rein um das Faktum der Tat, die er begangen hat, ganz un­ abhängig davon, wie sie zustandekam.44 Aus diesem Grund steht auch nur die sachliche Kompensation des Schadens an, den Achilles erlitten hat, nicht eine Bestrafung Agamem­ nons für sein Fehlverhalten. Jedenfalls aber zeigt sich: Nicht einmal in fatalistischen Zusammenhängen ist es notwendi­ gerweise so, dass es keine Verantwortung gäbe. Dies gilt allerdings nur, wenn man diese nicht in ethische Kategorien fasst, sondern nur vom Faktischen her denkt. Sobald ethi­ sche Kategorien zur Beschreibung der Handlungen von Menschen ins Spiel kommen, wird es schwierig, ja unmög­ lich, Fatalismus und Verantwortung zusammenzubringen. 42   Ebd. XIX 86–90. Übersetzung: p.  661 Rupé. Vgl. ebd. XIX 409 f., wo es sogar von Hera, der Gattin des Zeus, heißt: „[…] doch sind wir nicht selber / Schuldig (αἴτιος), sondern der große Gott und das mäch­ tige Schicksal (μοῖρα).“ Übersetzung: ebd. p.  677. Im selben Sinn sagt Priamos zu Helena, ebd. III 164 f.: „Schuldlos bist du gewiss; die Göt­ ter sind es gewesen, / Die mir den Jammer des Kriegs mit dem Volk der Achaier gesendet!“ Übersetzung: ebd. 97. 43   Ebd. XIX 136–138. Übersetzung: ebd. p.  663. 44  Siehe Lesky, Göttliche und menschliche Motivation 38–44; Ro­ senberger, Determinismus und Freiheit 15 f.

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Drei Jahrhunderte und viele Generationen später, als die Orestie des Aischylos im Jahre 458 v.Chr. erstmals aufge­ führt wurde, erscheinen zwar immer noch Fluch und Ver­ geltung durch die Götter als die treibenden Kräfte des menschlichen Geschicks. Es ist, wie Aischylos am Ende des ersten Stücks der Trilogie, im Agamemnon, ausführlich darstellte, der Fluch auf dem Hause der Atriden, der sich durch die Generationen hindurch fortpflanzt.45 Die „Moi­ ra“, das verhängnisvolle Schicksal, sucht sich ständig neue Opfer in der Verkettung von Rache und Vergeltung: „Den Rachestahl zu neuer Untat wetzt und schleift / Auf neuem Wetzstein schon das Schicksal (μοῖρα).“46 Agamemnons Gat­tin Klytaimestra möchte das beenden,47 doch das ge­ lingt nicht, wie Aischylos in den beiden folgenden Tragödi­ en, den Choephoren und den Eumeniden, anhand des tragi­ schen Schicksals des Orestes vor Augen führte. In diesem Schicksalszusammenhang meldet sich nun aber trotz aller Unentrinnbarkeit doch – wie schon im ers­ ten Gesang der Odyssee – der Gedanke, dass der Mensch nicht einfach jede Verantwortung für sein Tun auf die Göt­ ter oder das Schicksal abwälzen kann. Nachdem Klytaime­ stra ihren Gatten Agamemnon ermordet hat, fragt der Chor: „Was ist hiervon nicht Götterschickung?“48 Dahinter 45

  Vgl. Aischylos, Agam. 1577–1611.   Ebd. 1534 f. Übersetzung: p.  311 Werner. Zu ebd. 1562–1566 sie­ he die ausführlichen philologischen Erläuterungen von Hommel, Schicksal und Verantwortung 238–257. 47   Vgl. ebd. 1571–1576: „[…] in Zukunft jedoch, / verlass er (sc. der Rachedämon) dies Haus, und ein andres Geschlecht reib auf er durch Mord in der eigenen Sippe! / Und solang mir auch nur ein geringer Teil bleibt meines Besitztums, / genügt’s mir vollauf, wenn dadurch aus den Hallen des Hauses  /  ich den Wahnsinn ausrotte wechselseitigen Schlachtens.“ Übersetzung: p.  71 Steinmann. 48   Ebd. 1488. Übersetzung: p.  307 Werner. 46

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steht die Annahme, dass der Rachedämon des Hauses der Atriden hinter dem Gattenmord steckt und nichts ohne den Willen des Zeus geschieht.49 Als die Mörderin jedoch gegen den in der Frage des Chores implizierten Vorwurf, „diese Tat sei mein Werk“, die Schuld auf den „alten grimmigen Rachegeist für Atreus“, den „Gastgeber des grausigen ­Mah­les“, abwälzen will,50 weist der Chor diese Rechtfertigung energisch zurück: „Dass du schuldlos seiest an diesem Mord, wer wird es bezeugen?“ „Der Fluchgeist, Atreus’ Ver­bre­ chen entsprungen, kam dir doch wohl nur als Helfer!“51 Der Mensch steckt in schicksalhaften Zwängen, das gilt nach wie vor. Aber die Verantwortung für sein Tun trägt doch hauptsächlich er selbst. Dieses Nebeneinander und Ineinander von dominantem Geschick und sporadisch erwähnter Verantwortlichkeit findet sich auch sonst bei den Tragikern.52 Schon in den 472 v.Chr. aufgeführten Persern des Aischylos wird dem Per­ serkönig Xerxes für seine Unbesonnenheit und Überheb­ lichkeit gegen die Götter die Verantwortung für die Nie­ derlage des persischen Heeres bei Salamis gegen die Griechen im Jahre 480 v.Chr. zugeschrieben,53 wogegen sich aus der Sicht des Xerxes – analog zu Klytaimestras Haltung – ein Dämon seiner bemächtigt habe.54 In den Sie­ ben gegen Theben von 467 v.Chr. hingegen dominiert ganz 49

  Vgl. ebd. 1468–1488.   Ebd. 1497–1504. Übersetzung: ebd. p.  309. 51   Ebd. 1505 f. 1508 f. Übersetzung: p.  69 Steinmann. Siehe dazu Hommel, Schicksal und Verantwortung 236–238. 52   Siehe die Beispiele bei Lesky, Göttliche und menschliche Motiva­ tion 48–52; Hommel, ebd. 234 f.; Rosenberger, Determinismus und Freiheit 16–19. 53   Vgl. Aischylos, Pers. 743–750. 820–828. 54   Vgl. ebd. 909–911. 921. 942 f. 50

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der alte Fatalismus: „Ist’s gottgewollt, kannst du dem Un­ heil nicht entfliehn“;55 „Dämon“, „Moira“ und „Fluchgöt­ tin“ (Erinys) diktieren das Geschehen.56 Bei Sophokles fin­ det sich im ca. 435 v.Chr. aufgeführten König Ödipus derselbe Fatalismus in verdichteter Form: Hinter dem „un­ heilvollen Schicksal“ des Ödipus stecken ein „Unheils­ geist“ und der Gott Apollon;57 Ödipus tut alles, was er tut, eigenhändig – den Vater töten, die Mutter heiraten, sich selbst blenden –, aber er ist dabei nie Herr seiner selbst. In der griechischen Tragödie finden sich verstreute An­ sätze für den Gedanken, dass der Mensch über sein Ent­ scheiden und Handeln selbst bestimmt und deshalb für sich und sein Leben verantwortlich ist. Ansonsten sind die Handlungen dieser Dramen ganz vom fatalistischen Den­ ken geprägt, aus dem sich die Tragik der darin geschilderten Schicksale speist.

3. Göttliche Heilsgeschichte und Eigenverantwortung des Menschen: Die jüdische Bibel 3.

Ehe wir das Nachdenken über Verantwortung und Ent­ scheidungsfähigkeit des Menschen, das sich in der klassi­ schen griechischen Welt aus solchen Anfängen entwickelte, weiterverfolgen, werfen wir einen Blick in die Bibel. Das ist nicht nur dem Konzept der Tria-Corda-Vorlesungen ge­ schuldet, in denen es außer um die Antike und das Chris­ tentum auch um das Judentum geht. Es hat auch nicht nur 55

  Hept. 719; Übersetzung: p.  123 Werner.   Vgl. ebd. 812. 975–977 = 986–988: „Weh, Moira, lastender Müh­ sal Gebe / rin; Ödipus’ hehrer Schatten du; / Fluchgöttin, düstre, wie gewaltig stark du bist!“ Übersetzung: ebd. p.  139. 57   Sophokles, Oid. Tyr. 1300–1302. 1329–1331. 56

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damit zu tun, dass die biblischen Texte für das Freiheits­ denken im Christentum und speziell bei Origenes von be­ sonderer Bedeutung waren. Unabhängig davon ist nämlich die Frage relevant, wie es mit Schicksal und Verantwortung in denjenigen biblischen Texten steht, die in etwa zeitgleich mit den altgriechischen Mythologien vom 8. bis zum 6./5. Jahrhundert v.Chr., aber in einem anderen kulturellen Umfeld entstanden sind und die christlich später als Altes Testament bezeichnet wurden. Wie steht es also mit der Freiheit in den Schriften des Alten Israel? a) Biblischer Kompatibilismus Generell dürfte wohl der Eindruck nicht unberechtigt sein, dass in der hebräischen Bibel vielleicht sogar noch stärker als in den mythologischen Epen und Tragödien der Grie­ chen eine in jedem Detail von Gott gelenkte Geschichte er­ zählt wird. Es gibt darin Passagen, aus denen ein strikter Determinismus hervorgeht, so im Buch Genesis die Er­ wählung Jakobs und die Verwerfung Esaus schon vor ihrer Geburt,58 im Buch Exodus die Verhärtung von Pharaos Herz durch Gott,59 beim Propheten Jesaja die Verstockung des Volkes Israel durch seinen eigenen Gott, 60 oder beim Propheten Jeremia das Bild vom Menschen als Ton in der Hand des Schöpfers, der ihn formt, wie er will. 61 Dazu scheint zu passen, dass in diesen Schriften weder das Wort „Freiheit“ zu finden ist noch diese als Thema reflektiert wird. In der alttestamentlichen exegetischen Literatur kor­ respondiert dem die Beobachtung, dass man das Stichwort 58

  Vgl. Gen. 25,23; Mal. 1,2 f.   Vgl. Ex. 4,21; 7,3. 60   Vgl. Jes. 6,9 f. 61   Vgl. Jer. 18,1–17. 59

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„Freiheit“ in Lexika-Artikeln oder in Arbeiten zu Themen der Bibel kaum einmal findet. 62 Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. In der von Gott gelenkten biblischen Geschichte geht es nämlich von vorne bis hinten um die Befreiung des Menschen aus Unter­ drückung, Ausbeutung und Marginalisierung. Die große Gründungserzählung ist die Befreiung der Israeliten, ihr Exodus, aus Ägypten. 63 Daran angehängt werden zahllose Geschichten von drohender oder realer Knechtschaft und erhoffter oder erwirkter Befreiung erzählt. Freiheit in die­ sem politischen und sozialen Sinn ist ein Großthema der hebräischen Bibel. Dieser Freiheitsbegriff ist ganz und gar religiös und, wenn man so will, theokratisch konfiguriert: Befreiung von Fremdherrschaft geht damit einher, sich dem Gott Israels zu unterstellen; dessen Weisung, die Tora, zu befolgen bedeutet die Gewinnung wahrer Freiheit. 64 Das ist kein Freiheitsbegriff, in dem es um die Selbstbe­ stimmung des Menschen und um die Verantwortung für das eigene Leben geht, wie er sich im griechischen Denken entwickelte (Kap.  II). Aber auch in den biblischen Erzäh­ lungen über die Frühzeit Israels geht es doch immer wieder um Entscheidungen von Menschen, die (von Gott) einge­ fordert werden. Gerade die zahlreichen Gebote und noch zahlreicheren Verbote in der Tora setzen die Annahme vor­ aus, dass sich die angesprochenen Menschen entscheiden können, ihnen Folge zu leisten oder dies zu verweigern. Immer wieder wird der Mensch zu einer Wahl aufgefordert, 62   Immerhin gibt es im von Johannes B. Bauer herausgegebenen Bibeltheologischen Wörterbuch einen Beitrag zum Stichwort „Frei­ heit“ von Wilhelm Pratscher (ebd. 179–183). Siehe auch Kaiser, Art. Freiheit I. Altes Testament 305 f. 63   Vgl. Ex. 1–34; Num. 9–36. 64   So auch Pratscher, Art. Freiheit 180.

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und zwar zu einer ethischen Wahl zwischen Gut und Böse: „Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkom­ men“, heißt es im Buch Deuteronomium in einem Ab­ schnitt, der wohl in der Zeit des babylonischen Exils im 6. Jahrhundert v.Chr. verfasst wurde. 65 Im Buch des Pro­ pheten Micha ist in den hinteren Kapiteln, die aus der Zeit der Perserherrschaft in Israel im 5.  Jahrhundert v.Chr. stammen, zu lesen: „Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet; nichts anderes als dies: Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott.“66 Im Rahmen einer von Gott gelenkten Geschichte, in der wahre Freiheit bedeutet, den Geboten Gottes Folge zu leisten, wird dieser Gehorsam dem Menschen doch nicht aufgedrängt oder gar von ihm erzwungen, sondern ständig an ihn appelliert, sich entspre­ chend zu verhalten. So gesehen, stellen die alttestamentli­ chen Schriften keineswegs den Menschen in den Fängen des Schicksals oder der göttlichen Lenkung dar, sondern sind sie von vorne bis hinten Bücher der Befreiung zur Freiheit. Nicht zu Unrecht hat sich, wie sich zeigen wird (Kap.  V 3), Origenes gerade auf diese Seite der biblischen Texte bezo­ gen und in den biblischen Schriften die „Religion der Frei­ heit par excellence“67 gefunden.

65   Dtn. 30,19 EÜ. Philon, deus immut. 50 (II p.  67 Cohn/Wend­ land), Justin, apol. I 44,1 (SC 507, 242), Clemens von Alexandria, ­protr. 95,2 (SC 23, 163), Tertullian, adv. Marc. II 5,7 (CCSL 1, 480), und Origenes, princ. III 1,6 (GCS Orig. 5, 201), werden den Vers in freien griechischen bzw. lateinischen Varianten als Beleg für die Freiheit der Entscheidung zitieren. 66   Mich. 6,8 EÜ, von Origenes an derselben Stelle zitiert. 67   Schockenhoff, Fest der Freiheit 116.

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Es gibt auch Stellen, an denen die Verantwortung des Menschen für sein Tun nicht nur indirekt in den Texten, besonders in den appellativen, vorausgesetzt, sondern ex­ plizit thematisiert wird. So wird zum Beispiel in den Samu­ elbüchern, die auf vorexilischen Traditionen des 8./7. Jahr­ hunderts beruhen, ihre literarische Endgestalt aber erst in exilisch-nachexilischer Zeit im 6./5. Jahrhundert gefunden haben, ausführlich dargestellt, wie David für seinen Ehe­ bruch mit Batseba, der Frau des Urija, vom Propheten Na­ tan zur Verantwortung gezogen wird. 68 Auch wenn in der Darstellung des Textes das ganze Geschehen mit Ausnah­ me von Davids Fehlverhalten fest in der Regie Gottes ist, 69 wird doch auch dargestellt, wie ein Mensch, David, aus ei­ genem Antrieb agiert und die Konsequenzen dafür zu tra­ gen hat. Das Prinzip, dass ein Mensch generell für seine Taten verantwortlich ist und für seine Vergehen zur Re­ chenschaft gezogen wird, findet sich somit allenthalben in den Schriften aus der Frühzeit Israels.70 In einem determi­ nistischen Zusammenhang tauchen damit Vorstellungen auf, die man mit Selbstbestimmung und Eigenverantwor­ tung des Menschen in Verbindung bringen kann. Wir beob­ achten hier ein ähnliches Miteinander und Ineinander von göttlichem und menschlichem Handeln wie im altgriechi­ schen Epos. 68

  Vgl. 2 Sam. 11,1–12,25.   Bei der Schilderung von Davids Untaten in 2 Sam. 11, dem Ehe­ bruch mit Batseba und dem Mord an Urija, ist kein einziges Mal davon die Rede, dass Gott irgendwie an diesen Geschehnissen beteiligt wäre. Vgl. aber dann 2 Sam. 12,1: Gott schickt Natan zu David, der ihm das Urteil Gottes überbringt (ebd. 12,7.11); Gott lässt das Kind Davids und Batsebas, das ehebrecherisch gezeugt worden war, krank werden (ebd. 12,15) und sterben (ebd. 12,18), während er ihr nächstes Kind, Salomo, liebt und sich um es kümmert (ebd. 12,24 f.). 70   Siehe dazu Lindars, Individual Responsibility 453–456. 69

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b) Plädoyer für die Eigenverantwortung des Menschen: Ezechiel Explizit formuliert wird diese Verantwortung des Men­ schen für sein eigenes Tun im 18. Kapitel des Buches Eze­ chiel, verfasst wohl im 6. Jahrhundert v.Chr., denn alle dar­ in geschilderten Ereignisse spielen sich zwischen den Jahren 593 und 571 ab.71 Den Hintergrund für die Aussagen Eze­ chiels bildet die Kollektivstrafe als gängige Praxis im Alten Israel wie generell im Alten Orient.72 Die bösen Taten eines Ahnherrn wirken sich über mehrere Generationen aus und werden in diesen geahndet, wie es im Dekalog an promi­ nenter Stelle heißt: „Bei denen, die mir feind sind“, spricht Gott, „verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation.“73 In den Klageliedern aus der Exilszeit heißt es: „Unsere Väter haben gesündigt; sie sind nicht mehr. Wir müssen ihre Sünden tragen.“74 Im Buch Ijob aus nachexilischer Zeit liest sich das so: „Das ist des Frevlers Anteil bei Gott, der Gewalttätigen Erbe, das sie vom Allmächtigen empfangen: Werden zahlreich seine Söhne, fürs Schwert sind sie bestimmt; nie werden seine Kinder satt an Brot.“75 In den Samuel- und Königsbüchern gibt es Erzählungen darüber, dass solche Kollektivstrafen auch exekutiert wurden.76 Zur rechten Einschätzung dieser Aussagen sollte man dazusagen, dass die gegenteilige Reak­ 71

 Siehe Greenberg, Ezechiel I, 24–34.   Ein drastisches Beispiel für letzteres aus hethitischen „Vorschrif­ ten für das Tempelpersonal“ zitiert Greenberg, ebd. 377. Für die fol­ genden Zitate siehe ebd. 378. 73   Ex. 20,5 = Dtn. 5,9 EÜ. Vgl. Ex. 34,7; Num. 14,18. 74   Klgl. 5,7 EÜ. 75   Ijob 27,13 f. EÜ. 76   Vgl. 1 Sam. 2,12–36; 22,19; 1 Kön. 14,1–18; 16,1–4; 2 Kön. 10,1–11; 25,7. 72

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tion Gottes im Dekalog ebenfalls genannt wird, und zwar in noch ungleich höherem Maße: „Bei denen, die mich lie­ ben und auf meine Gebote achten, erweise ich tausenden meine Huld.“77 Die „Huld“, die der gnädige Gott Tausen­ den von Generationen erweist, ist demnach unvergleichlich viel größer als die Strafe, die der „eifersüchtige Gott“78 an drei, vier Generationen vollzieht. Doch jetzt geht es mir nicht um solche theologischen Fragen in Bezug auf das Gottesbild, sondern um die im Text gemachte Vorausset­ zung, dass das Tun eines Menschen auch noch an seinen Nachkommen negativ oder positiv vergolten wird. Es ist nämlich genau diese Annahme, die im 18. Kapitel des Buches Ezechiel bestritten wird, und zwar erstmalig und einmalig im Alten Israel.79 Gegen das Sprichwort: „Die Väter essen saure Trauben, und den Söhnen werden die Zähne stumpf“ wandte Ezechiel ein, dass „keiner in Israel mehr dieses Sprichwort gebrauchen soll“, denn, so seine Be­ gründung, „nur wer sündigt, soll sterben“. 80 Diese These erläuterte er dann am Verhalten eines Vaters, Sohnes und Enkels: Der Vater „ist gerecht, und deshalb wird er am Le­ ben bleiben“. Der Sohn „hat Greueltaten verübt, darum muss er sterben. Er ist selbst schuld an seinem Tod.“ Der Enkel hingegen, der wieder gerecht lebt, „wird nicht wegen der Schuld seines Vaters sterben; er wird bestimmt am Le­ 77

  Ex. 20,6 = Dtn. 5,10 EÜ. Vgl. Ex. 34,6 f.; Num. 14,18.   Ex. 20,5 = Dtn. 5,9 EÜ. 79   Für eine ausführliche Kommentierung siehe Greenberg, Eze­ chiel I, 370–394, für hier bes. 372–380. 80   Ez. 18,2–4 EÜ. Ez. 18,4 wörtlicher nach Greenberg, ebd. 370: „Die Seele, die sündigt, wird sterben.“ Zum Verständnis des Sprich­ worts als neutraler Beschreibung des Ist-Zustands und damit der Ein­ stellung, die Ezechiel zurückweist, siehe Schenker, Saure Trauben 456–458. 78

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ben bleiben“. 81 In einem kurzen Disput mit der traditionel­ len Ansicht, „der Sohn trage mit an der Schuld seines Va­ ters“, 82 formuliert Ezechiel daraufhin ausdrücklich den allgemeinen Grundsatz, dass jeder Mensch nur für seine eigenen Taten verantwortlich ist, im guten wie im bösen Sinn: „Ein Sohn soll nicht die Schuld seines Vaters tragen und ein Vater nicht die Schuld seines Sohnes. Die Gerech­ tigkeit kommt nur dem Gerechten zugute, und die Schuld lastet nur auf dem Schuldigen.“83 Damit widersprach Ezechiel gezielt der gängigen An­ sicht, wie sie auch im Dekalog formuliert war. Es ist also nicht verwunderlich, dass er seine Position daraufhin ener­ gisch verteidigte, da sich offenbar Widerspruch regte: „Ihr sagt“, wandte er sich an seine Kritiker: „‚Der Weg des Herrn [sc. wie Ezechiel ihn darstellte] hält sich nicht an die Regel [sc. wie sie bei Mose steht]!‘ Höre, Haus Israel, ist es mein Weg, der sich nicht an die Regel hält? Eure Wege sind es, die sich nicht an die Regel [sc. dass Gott das Verderben des Sün­ ders nicht will] halten!“84 Ein Rabbiner im Palästina des 3. Jahrhunderts n.Chr., Jose bar Chanina, hat klar gesehen, dass Ezechiel sich damit gegen ein Gebot der Tora wandte: „Mose sagte: ‚der heimsucht die Schuld der Väter bei den

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  Ez. 18,9.13.17 EÜ.   Ez. 18,19 EÜ. 83   Ez. 18,20 EÜ. In der wörtlicheren, aber sachidentischen Version von Greenberg, Ezechiel I, 371: „Ein Sohn wird nicht die Schuld sei­ nes Vaters büßen, und ein Vater wird nicht die Schuld seines Sohnes büßen. Die Gerechtigkeit des gerechten Mannes wird auf ihn zurück­ fallen, und der Frevel des Frevlers wird auf ihn zurückfallen.“ 84   Ez. 18,25 nach Greenberg, ebd., weil seine Übersetzung hier griffiger ist und die Schärfe des Konflikts daraus deutlicher hervor­ geht. 82

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Söhnen‘, aber Ezechiel kam und annullierte dies: ,Die Per­ son, die sündigt, muss sterben‘.“85 Es muss heftige Auseinandersetzungen über diese Positi­ on Ezechiels gegeben haben, denn nicht umsonst wieder­ holte Ezechiel sie noch einmal in diesem Kapitel und noch zweimal in einem späteren Kapitel, in dem er darauf zu­ rückkam. 86 Die Schärfe des Konflikts ist nicht verwunder­ lich, wandte sich Ezechiel doch nicht nur gegen eine gängi­ ge Ansicht und Praxis, sondern auch gegen eine Aussage Gottes, die an höchst prominenter Stelle in der Tora im De­ kalog formuliert ist. Allerdings wird ebenfalls schon in der Tora an einer Stelle im Buch Deuteronomium (der einzigen im Alten Testament) die Kollektivstrafe verboten: „Väter sollen nicht für ihre Söhne und Söhne nicht für ihre Väter mit dem Tod bestraft werden. Jeder soll nur für sein eigenes Verbrechen mit dem Tod bestraft werden.“87 Ezechiel ging einen entscheidenden Schritt weiter, indem er grundsätz­ lich „das Prinzip der individuellen Vergeltung“88 formu­ lierte: „Darum will ich euch richten, jeden nach seinem Verhalten, ihr vom Haus Israel – Spruch Gottes, des Herrn.“89 Im Buch Jeremia, das Ereignisse ungefähr dersel­ ben Zeit wie das Buch Ezechiel verarbeitete, seine Endge­ stalt aber in einem langen Prozess zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert v.Chr. fand, ist dieser neue Grundsatz über­ nommen,90 wenn darin das Sprichwort von den sauren 85

  bMakkot 24a, zitiert bei Greenberg, ebd. 379.   Vgl. Ez. 18,29; 33,17.20. 87   Dtn. 24,16 EÜ. 88   Greenberg, Ezechiel I, 373. 379. 89   Ez. 18,30 EÜ. 90   So die gängige Ansicht; siehe Fischer, Jeremia II, 169 f., mit Be­ zug u. a. auf die Untersuchung des Verhältnisses von Ezechiel und Je­ remia von Leene, Unripe fruit and dull teeth, bes. 97 f. Joyce, Indivi­ 86

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Trauben und den stumpfen Zähnen aufgegriffen und im Sinne Ezechiels korrigiert wird: „In jenen Tagen sagt man nicht mehr: Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Söhnen werden die Zähne stumpf. Nein, jeder stirbt nur für seine eigene Schuld; nur dem, der die sauren Trau­ ben isst, werden die Zähne stumpf.“91 Während jedoch Eze­ chiel „die sofortige Aufgabe des Sprichworts“ forderte, ver­ legte Jeremia das neue Prinzip in eine künftige Heilszeit „in jenen Tagen“.92 Für eine genaue Einschätzung von Ezechiels Statement ist der historische Kontext zu beachten. Es war kollektiv an das „Haus Israel“ gerichtet, konkret an die Israeliten in der Verbannung in Babylon, unter denen sich auch Ezechiel be­ fand. Gegen deren fatalistische Hoffnungslosigkeit, für die sie resignierend auf das von Ezechiel kritisierte Sprichwort verwiesen – ‚Es sind die Fehler unserer Väter, die wir ausba­ den müssen‘ –, insistierte Ezechiel erstens darauf, dass sie zwar nicht für das Verhalten ihrer Väter früher, sehr wohl aber für ihr Verhalten jetzt verantwortlich seien, und zwei­ tens, dass sie jederzeit die Möglichkeit zur Umkehr hätten. In diesem Sinn kann man sagen, dass Ezechiel nicht indivi­ duelle, sondern „nationale“ oder kollektive Verantwortung propagierte.93 Das war die Befreiung des Menschen aus ei­ dual Responsibility 189, hingegen liest Ezechiel als unabhängig von Jeremia oder als polemische Reaktion auf sein Statement. – Für die Datierung siehe Fischer, ebd. I, 80–83. 91   Jer. 31,29 f. EÜ. 92   So die Interpretation von Greenberg, Ezechiel I, 378 f. (das Zitat ebd. 379). 93  Für diese Deutung siehe Lindars, Individual Responsibility 462–466; Joyce, Individual Responsiblity; Paska, Individual Res­ ponsibility; Schenker, Saure Trauben 463: „Ezechiel ersetzt hier nicht Verantwortung der Nachfahren für die Schuld der Väter durch eine rein individuelle Verantwortlichkeit.“

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ner generationenübergreifenden Kollektivschuld; Ezechiel propagierte das Prinzip „der moralischen Autonomie zwi­ schen den Generationen“.94 Gleichwohl scheint mir damit noch nicht der ganze Sinn des Textes ausgeschöpft zu sein. Zwar kann man wohl nicht sagen, Ezechiel habe eine Verantwortung für sich selbst im Sinne des modernen Individualitätsbegriffs propagiert. Doch als er sich an das „Haus Israel“ wandte, betonte er im Rahmen dieser Gemeinschaft die Verantwortung jedes ein­ zelnen Mitglieds. Der zentrale Satz in Ez. 18,20 ist, typisch für Rechtsnormen, im generischen Singular formuliert, und in Ez. 18,30 wird der Gottesspruch: „Darum will ich euch richten, ihr vom Haus Israel“ explizit auf jeden Ein­ zelnen bezogen: „jeden nach seinem Verhalten“. Nicht nur implizit, sondern auch explizit wird hier gesagt, dass jeder Mensch individuell für sich verantwortlich ist. Im Rahmen der kollektiven Verantwortung von Generationen ist im Text also durchaus von einer individuellen Verantwortung die Rede. Ezechiel ging noch einen wichtigen Schritt weiter: Der Mensch ist nicht nur nicht an die Schuld seiner Väter ge­ bunden (zwischen den Generationen), sondern auch nicht an seine eigene (in der individuellen Lebensgeschichte). Am Schluss des Kapitels über die sowohl kollektive als auch in­ dividuelle Verantwortlichkeit schärfte Ezechiel ein, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens sein Verhalten ändern könne: Ein rechtschaffener Mensch kann zum Sünder wer­ den und muss dafür sterben; ein sündiger Mensch kann sich vom Unrecht abwenden und muss dann nicht für seine Sün­ den sterben, sondern wenn er „umkehrt, wird er bestimmt

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  Greenberg, Ezechiel I, 373 (vgl. ebd. I, 376; II, 369).

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am Leben bleiben“.95 Damit befreite Ezechiel den Menschen „von der Last seiner eigenen Vergangenheit“.96 Nicht nur kollektiv im Zusammenhang der Generatio­ nen, sondern auch individuell etablierte Ezechiel das Prin­ zip der ständigen Möglichkeit zur Umkehr, die eine reale neue Lebensperspektive eröffnet: „Schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist!“97 Wieder werden die nach Babylon Verbannten kollektiv angeredet, erneut aber be­ trifft die Mahnung jeden Einzelnen. Indem Ezechiel an die­ ser Stelle – und singulär nur hier – dem Menschen eine sol­ che Fähigkeit zuschrieb, wohingegen er sonst sagte, dass es Gott ist, der den Menschen „ein neues Herz und einen neu­ en Geist schenken“ wird, und zwar „ein Herz von Fleisch“ statt eines „von Stein“,98 hob er die Verantwortung des Menschen für sich selbst nachdrücklich hervor. Im Rück­ griff auf diese Aussagen wird in einem späteren Kapitel des Ezechielbuches, in dem die neue Sicht kollektiver wie indi­ vidueller Verantwortlichkeit nochmals propagiert wird,99 diese Möglichkeit der Umkehr erneut eingeschärft, und zwar als Hoffnung für die Verbannten bzw. generell für Menschen, die in ihrer Verzweiflung klagen: „Unsere Ver­ gehen und unsere Sünden lasten auf uns, wir siechen ihret­ wegen dahin.“100 Man wird nicht fehlgehen, in diesen Tex­ ten eine Ressource für das Lebensgefühl der frühen Christen zu sehen, das von einem starken, ja alles entschei­

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  Ez. 18,26–28 EÜ.   Greenberg, Ezechiel I, 380 (vgl. schon ebd. I, 376). 97   Ez. 18,31 EÜ. 98   Vgl. Ez. 11,19; 36,26. 99   Vgl. Ez. 33,10–20. Siehe dazu Greenberg, Ezechiel I, 376 f., so­ wie die ausführliche Auslegung ebd. II, 361–374 (vgl. bes. ebd. 366). 100   Ez. 33,10 f. EÜ. 96

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I. Menschliche Selbstbestimmung

denden Impetus der Umkehr und der Veränderung der Le­ bensperspektive geprägt war.101

4. Impulse für das Freiheitsdenken Im Bewusstsein aller Unterschiede zwischen den kulturel­ len Kontexten und den literarischen Ausdrucksformen kann man diese Beobachtungen in der jüdischen Bibel ne­ ben die oben gemachten Bemerkungen zur Mythologie im altgriechischen Epos und in der Tragödie halten. In etwa zeitgleich sieht man im Alten Griechenland wie im Alten Israel den Menschen eingebunden in einen größeren Zu­ sammenhang, der im kosmologischen Rahmen von Gott, von den Göttern oder vom Schicksal bestimmt ist, in den sich einzuordnen die im Grunde einzige Option für den Menschen ist. Zudem ist er eingebunden in einen generati­ onenübergreifenden Zusammenhang, in dem die Verfeh­ lungen der Väter in den folgenden Generationen fortwir­ ken und die Söhne und Enkel und Urenkel weiter für die Vergehen ihrer Väter büßen. In beiden Kontexten taucht aber sporadisch der Gedanke auf, dass ein Mensch indivi­ duell für sich selbst verantwortlich ist. Klytaimestra kann die Verantwortung für den Gattenmord nicht ohne weite­ res auf das dämonische Schicksal des Geschlechts der Atri­ den schieben, Söhne sollen, mahnt Ezechiel, nicht für die Sünden ihrer Väter sterben. Und in beiden Traditionen wird dem Menschen im Rahmen eines vom Schicksal oder von Gott gelenkten Geschehens doch die Möglichkeit ei­ genständigen Entscheidens und Handelns zugeschrieben, 101   Vgl. Mk. 1,15 EÜ: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Vgl. Mt. 4,17.

4. Impulse für das Freiheitsdenken

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indem er wählt, wie er lebt, und das gegebenenfalls auch ändert. Mehr angedeutet als ausgeführt, bahnt sich hier die Vor­ stellung der Freiheit des Menschen von schicksalhaften Zwängen und der Freiheit zur eigenen Lebensgestaltung an. Bei Ezechiel ist es „die Einsicht in die Autonomie der ethi­ schen Ordnung, die der Bestimmung durch die Vergangen­ heit nicht zwanghaft unterliegt“. Es geht um „nichts ande­ res als die Freiheit, die den Menschen instand setzt, seinem Leben eine Richtung zu geben, den Kurs seiner Fahrt zu bestimmen“.102 Wie im Alten Hellas taucht im Alten Israel in deterministischen Zusammenhängen die Vorstellung auf, dass Menschen für ihr Tun selbst verantwortlich sind. In dieser Eigenverantwortung ist ihre Freiheit begründet, ohne dass dieser Gedanke bereits explizit formuliert wäre. Es scheint mir sehr bedeutsam zu sein, dass die beschrie­ benen ersten Ansätze zum Gedanken der Selbstbestim­ mung des Menschen bereits in den Gründungsurkunden der antiken wie der jüdisch-christlichen Traditionen auf­ tauchen, bei Homer ebenso wie im Alten Testament. Es ver­ hält sich gerade nicht so, dass wir es zunächst ausschließlich mit deterministischen Vorstellungen zu tun hätten und erst danach und in kritischer Auseinandersetzung damit der Mensch aus den Zwängen des Schicksals oder der Götter befreit und als sein Geschick selbst bestimmendes Wesen angesehen wird. Es ist vielmehr so, dass Ansätze dazu be­ reits in den allerersten Dokumenten enthalten sind, die aus diesen Traditionen erhalten sind. Das aber bedeutet, dass solche Ideen diesen Traditionen von Anfang an eingestiftet waren. Ich glaube, dass eben dies einen starken Impuls frei­ gesetzt hat, darüber weiter nachzudenken. Die Epen Ho­ 102

  Schenker, Saure Trauben 467.

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I. Menschliche Selbstbestimmung

mers waren für die antike Kultur ebenso grundlegend wie die Erzählungen der Bibel für die jüdische Tradition und die in der Spätantike entstehende christliche Kultur. Wenn schon in den normativen Texten dieser Traditionen solche Gedanken enthalten waren, dann konnte die spätere Refle­ xion nicht daran vorbeigehen.

II. Determinismus und Verantwortung: Die griechische Philosophie 1. Sachliche und terminologische Vorklärungen Für die folgenden philosophischen Erörterungen der Frage, wovon das Handeln des Menschen bestimmt wird, ist zu klären, worüber dabei genau nachgedacht wurde und wo­ rum es nicht ging. In der klassischen und hellenistischen griechischen Philosophie, namentlich bei Platon, Aristote­ les und den Stoikern, ging es, wenn von der Selbstbestim­ mung des Menschen die Rede war, weder um einen Willen noch um Willensfreiheit.1 Das ist aber noch nicht alles. Wenn diese Philosophen die eigenverantwortliche Ent­ scheidung des Menschen über seine Handlungen und sein Leben propagierten, sei es gegenüber den Göttern oder ei­ ner mythischen Schicksalsmacht, sei es gegenüber einer De­ terminiertheit durch natürliche Prozesse, dachten sie (noch) nicht darüber nach, ob diese Entscheidung frei sei. Bei­ spielsweise war Platons „zentrales Anliegen […] nicht das Problem der Entscheidungsfreiheit“, obwohl seine Reflexi­ onen immer wieder aus dieser Perspektive (und der der Wil­ lensfreiheit) analysiert werden.2 1

  Siehe oben zur Terminologie, S. 7–11.   Zeitler, Entscheidungsfreiheit bei Platon 116 (Zitat modifiziert). Aus seinem Forschungsüberblick, ebd. 3–21, ergibt sich mit aller wün­ schenswerten Deutlichkeit, welch irreführenden Folgen die Anwen­ dung dieser Problemstellungen, insbesondere moderner Konzepte von Willensfreiheit, auf die Interpretation der Texte Platons haben 2

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II. Determinismus und Verantwortung

Auch die Stoiker plädierten nicht, wie das in der Regel dargestellt wird,3 für Freiheit im Rahmen eines determinis­ tischen Weltbilds.4 Vielmehr fragten sie danach, ob es im Rahmen eines physikalischen Zusammenhangs allen Ge­ schehens, zu dem auch die menschlichen Handlungen ge­ hören, etwas gibt, wofür der Mensch verantwortlich ge­ macht werden kann. Chrysipp entwarf dafür ein mental-­ psychologisches Erklärungsmodell, in dem die Zustim­ mung zu Vorstellungen und Impulsen, die der Mensch kraft seiner Vernunft gibt (oder verweigert), ein entspre­ chendes Handeln in Gang setzt, für das der Mensch, der die Zustimmung erteilt hat, verantwortlich ist. Die Frage, ob diese Zustimmung frei erfolgt, stellte er dabei nicht. Auch spätere Stoiker wie Seneca und Epiktet taten dies nicht; die Freiheit, die vor allem Epiktet propagierte, betraf nicht die Entscheidung, sondern deren Ergebnis (Kap.  III 2). Erst in der römischen Kaiserzeit, und zwar von der Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. an, wurde dezidiert die Freiheit der Entscheidung in den Fokus gerückt, dann aber nicht von (vgl. dagegen explizit ebd. 5. 20). Trotz dieser Einsicht denkt Zeitler merkwürdigerweise dann selbst ständig über die Freiheit der Ent­ scheidung, besonders im Er-Mythos der Politeia, nach. Amand, Fata­ lisme et liberté 31–33, schreibt Platon sachlich problematisch einen Determinismus zu und spricht terminologisch unpassend von „la li­ berté de la volonté“, die er gleichwohl verteidige. 3   Paradigmatisch und einflussreich Pohlenz, Stoa I, 104, der von den alten Stoikern behauptet, „dass jetzt zum ersten Male in Grie­ chenland die Frage, ob der Mensch in seiner Entscheidung frei sei, in ihrer ganzen Schwere erfasst wurde“ (vgl. ferner ebd. 105 bzw. 106, wo er vom „Akt der freien Selbstbestimmung“ spricht bzw. davon, dass „diese Entscheidung als freiwillig anzusehen ist“). 4   Damit folge ich der wegweisenden Darstellung von Bobzien, De­ terminism and Freedom, die z. B. ebd. 250 konstatiert: „There is no mention of assent being uncaused, nor of free decision between alter­ natives“ (im selben Sinn ebd. 235. 245 u.ö.).

1. Sachliche und terminologische Vorklärungen

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den Stoikern, sondern von den christlichen Philosophen (Kap.  I V 3 und 4). Mit dieser sachlichen Vorklärung hängt eine terminolo­ gische eng zusammen. Für das Wort, das in allen deutschen Übersetzungen der im Folgenden herangezogenen Quellen und meist auch in der zugehörigen Forschungsliteratur mit „Schuld“ oder „schuldig“ bzw. „unschuldig“ oder „schuld­ los“ wiedergegeben wird, steht an sämtlichen Stellen αἰτία oder αἴτιος bzw. ἀναίτιος. Die Übersetzung „Schuld“ trägt eine moralische und, je nach Kontext, religiöse Färbung in die zitierten Texte ein, die in diesen in keinem Fall enthalten ist. Sie transferiert damit das Thema von der physischen oder psychologischen Ebene in die Ethik. Im Wortsinn und auch in der Sache geht es jedoch um die „Ursache“ für ein Geschehen nicht in dem Sinn, wer moralisch dafür die Ver­ antwortung trägt, sondern in dem neutralen Sinn, wer (oder was) der Ausgangspunkt eines Geschehens ist, wer (oder was) ein Tun verursacht. Der berühmte Satz Platons: „Schuld hat, wer gewählt hat; Gott ist schuldlos (αἰτία ἑλομένου, θεὸς ἀναίτιος)“,5 der in diesem Zusammenhang immer wieder herangezogen wurde, müsste wörtlich so wiedergegeben werden: „Die Ursache liegt bei dem, der ge­ wählt hat; Gott ist nicht ursächlich“, nämlich für die Wahl des Lebensweges. Der „Grund“ – nicht eine moralische „Schuld“ –, weshalb ein Mensch eine bestimmte Entschei­ dung trifft, liegt bei ihm oder in ihm, nicht außerhalb seiner bei einer anderen Instanz (z. B. bei Gott). Diese begrifflichen Konnotationen sind zu beachten, um insbesondere die Debatten in der hellenistischen Philoso­ phie zu verstehen. Diese entwickelten sich aus kosmologi­ schen und naturwissenschaftlichen Theorien, in denen es 5

  Platon, polit.  X 617 e 4 f. Übersetzung: p.  875 Rufener.

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II. Determinismus und Verantwortung

bei der αἰτία um die nicht ethische, sondern physikalische Frage nach der „Ursache“ für Ereignisse ging. Erst durch die Übertragung dieser Zusammenhänge auf die Frage, ob auch der Mensch, der mehr ist als ein bloß physikalischer Mechanismus, „Ursache“ für Ereignisse sein kann, kamen ethische Aspekte ins Spiel, weil beim Menschen dann über seine Verantwortung und gegebenenfalls seine „Schuld“ nachgedacht werden kann.

2. Von der Schicksalsbestimmtheit zur Selbstbestimmung: Der Er-Mythos in Platons Politeia 2.

Im altgriechischen Epos und in der Tragödie finden sich be­ reits Ansätze für den Gedanken, dass der Mensch über sein Entscheiden und Handeln selbst bestimmt und deshalb für sich und sein Leben verantwortlich ist. Ansonsten sind die Handlungen dieser Epen und Dramen noch ganz vom fata­ listischen Denken geprägt, aus dem sich die Tragik der da­ rin geschilderten Schicksale speist (Kap.  I 1 und 2). Das än­ dert sich mit dem Einsetzen einer bewussten Reflexion auf das, was eigentlich den Menschen und sein Leben bestimmt. Der Rhetor Prodikos von Keos, der 431 oder 421 v.Chr. in Athen auftrat, liefert mit seiner Fabel von Herakles am Scheideweg, die Xenophon viele Jahrzehnte später (um 358/57 v.Chr.) in den Erinnerungen an Sokrates wiedergab, 6 ein erstes Beispiel für die Annahme, dass der Mensch, was den Verlauf seines Lebensweges angeht, etwas zu sagen hat. Prodikos griff auf mythologische Traditionen zurück, nämlich Hesiods knappe Beschreibung der zwei Wege, die

6

  Vgl. Xenophon, mem. II 1,21–34.

2. Platons Politeia

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zum Schlechten und zum Guten führen,7 und ein verlore­ nes Drama des Sophokles mit dem Titel Krisis, in dem es um das „Urteil“, die „Entscheidung“ des Paris im Schönheits­ wettbewerb der Göttinnen ging. 8 Prodikos verband diese beiden Motive zu dem neuen Gedanken, dass der Mensch, in der Fabel Herakles, die Wahl zwischen zwei Lebenswe­ gen habe: einem moralisch guten, aber anstrengenden, und einem moralisch schlechten und bequemen Leben.9 Damit ist der Schritt aus schicksalsbestimmten Zusammenhängen heraus getan: Der Mensch ist nicht schicksalhaft auf einen bestimmten Lebensweg festgelegt, sondern er kann zumin­ dest grundsätzlich wählen, welche Richtung er einschlägt: die zum Guten oder die zum Bösen. Eine noch deutlich weiter führende Stelle, mit der das mythologische Denken grundsätzlich verlassen wird, steht bei Platon. Aus seinen Werken wären für diese Thematik eine Reihe von Stellen und Überlegungen anzuführen: aus den frühen Dialogen, besonders dem Gorgias, dann aus der Politeia und dem Phaidros und schließlich aus den Alters­ werken, dem Timaios und den Nomoi.10 Angesichts des be­ grenzten Rahmens dieser Vorlesungen greife ich daraus nur einen Passus heraus, den Er-Mythos am Schluss der Poli­ teia,11 weil darin die oben schon zitierte Formel vom Men­ 7   Vgl. Hesiod, erg. 286–291. Hesiod selbst bewegte sich zu seiner Zeit (um 700 v.Chr.) noch ganz im mythologischen Determinismus: Alles geschieht „nach dem Willen des Zeus“ (ebd. 4), und „es ist un­ möglich, dem Sinn des Zeus zu entrinnen“ (ebd. 105). Übersetzung: p.  83. 91 von Schirnding. 8  Sophokles, frg. 334 (TrGF III 2 p.  209 Nauck), bei Athenaios, deipn. XV 687 c (III p.  520 Kaibel). 9   Siehe dazu Rosenberger, Determinismus und Freiheit 19 f. 10   Verlässliche Deutungen hierzu sind zu finden bei Zeitler, Ent­ scheidungsfreiheit bei Platon 30–161. 11   Vgl. Platon, polit.  X 614 b 2–621 b 7. Siehe dazu Theiler, Schick­

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II. Determinismus und Verantwortung

schen, nicht Gott, als Ursache des menschlichen Geschicks steht, die in der weiteren Denkentwicklung immer wieder aufgegriffen wurde. Auf den in der Sache analogen See­ len-Mythos im Phaidros12 weise ich nur gelegentlich hin. In diesen Mythen wird der Weg der Befreiung aus der Schick­ salsbestimmtheit zu einer neuen Auffassung von der Selbst­ bestimmung des Menschen beschritten. Zugleich wird die Frage in neue Zusammenhänge gestellt, die für die anschlie­ ßenden Debatten in der hellenistischen Philosophie grund­ legend waren. Am Ende des zehnten Buches der Politeia, geschrieben wohl in den frühen 360er Jahren v.Chr., erzählt Sokrates einen Mythos, in dem es um die Wahl der Lebensform und die Gestaltung des Lebens geht. Platon bediente sich dafür alter orphisch-pythagoreischer Jenseitsmythen von mehre­ ren Inkorporationen der Seele in tausendjährigen Zyklen und der Seelenwanderung zwischen Menschen- und Tier­ körpern, die er auch im kurz nach der Politeia verfassten Phaidros schildert.13 Allerdings gestaltete er die mythische Erzählung nach seinen eigenen Vorstellungen dahinge­ hend, dass er den Fatalismus der altgriechischen Mytholo­ gie energisch zurückwies und an dessen Stelle die Auffas­ sung von der Selbstbestimmung des Menschen setzte. Gegen die mythologische Zuweisung der Verantwortung für das menschliche Schicksal an die Götter betonte Platon zweimal nachdrücklich, dass sich jede Seele ihre Lebens­ form selbst wähle und dafür verantwortlich sei: „Nicht wird ein Schicksal euch erlosen“, heißt es in der mythischen salslehre 69–71; Zeitler, ebd. 114–136; Rosenberger, Determinis­ mus und Freiheit 20–26. 12   Vgl. Phaidr. 245 c 3–257 a 2. Siehe dazu Zeitler, ebd. 107–114. 13   Vgl. Platon, ebd. 248 c 2–249 d 3. Siehe dazu die Erläuterungen von Heitsch, Platon: Phaidros 103–105.

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Erzählung, „sondern ihr werdet euch ein Schicksal wäh­ len“;14 und: „Die Ursache liegt bei dem, der gewählt hat; Gott ist nicht ursächlich“ (αἰτία ἑλομένου, θεὸς ἀναίτιος).15 Das bedeutet die Umkehrung des alten mythologischen Musters, auf das Platon selbst im Phaidon noch rekurrierte, wo er die Seele, auch die widerstrebende, als vom Schicksal (von einem Dämon) geführt beschrieb.16 Nach der Darstel­ lung im Er-Mythos der Politeia ist der Mensch selbst für die Art und Weise verantwortlich, in der er sein Leben führt. Er lebt selbstbestimmt. Möglicherweise gestaltete Platon seinen Mythos im Wissen um die oben vorgeführten Sze­ nen in den jeweils ersten Büchern der Ilias und der Odyssee (Kap.  I 1). Er ging aber einen entscheidenden Schritt über diese mythischen Freiheits-Szenen hinaus: Zwar tauchte bereits in der Odyssee der Gedanke auf, dass die Entschei­ dung darüber, einem Rat der Götter zu folgen oder nicht, weitreichende Konsequenzen für das eigene Leben hat. Pla­ ton hingegen verlegte die Entscheidung aus einem punktu­ ellen Moment im Leben heraus in eine grundsätzliche Ent­ scheidung darüber, wie ein Mensch sein Leben überhaupt gestaltet. Das ist der Schritt von der Entscheidung in ein­ 14   Vielleicht steht hinter dieser Aussage der Spruch Heraklits, VS 22 B 119: ἦθος ἀνθρώπῳ δαίμων – „Dem Menschen ist sein Wesen sein Schicksal.“ Übersetzung: p.  156 Capelle. Alexander von Aphrodisi­ as, fat. 6 (p.  170.19 Bruns) hat diesen Spruch Heraklits aufgegriffen: siehe unten S. 208 f. 15   Platon, polit.  X 617 e 1.4 f. Übersetzung: p.  875 Rufener (modifi­ ziert: „Schicksal“ für „Dämon“), das zweite Zitat nach der oben gege­ benen Erklärung. Vgl. Tim. 42 d 3 f.: Gott ist nicht die Ursache (ἀναίτιος) für die spätere Schlechtigkeit der einzelnen Menschen. Vgl. auch nom. X 904 b 8–c 7. Dass der gute Gott nur als Ursache von Gu­ tem, nicht von Schlechtem angesehen werden kann, stellte Platon in den „Richtlinien für die Götterlehre“ in polit.  II 379 a 5–380 c 10 dar. 16   Vgl. Phaid. 107 d 5–108 c 5.

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II. Determinismus und Verantwortung

zelnen Situationen zur Selbstbestimmung über sich selbst – was nicht so tautologisch ist, wie es klingt, denn Subjekt und Objekt dieser Entscheidung sind identisch – und das eigene Leben generell. Diese Befreiung aus den Fängen des Schicksals ist eine Gabe, die dem Menschen in Form einer Wahlmöglichkeit zugelost wird, mehr noch aber eine Aufgabe. In einem Ein­ schub in die mythologische Erzählung17 erläutert Sokrates sozusagen die Moral von der Geschicht’: In der Situation, seine Lebensform selbst wählen zu können und sogar zu müssen, „liegt nun offenbar für den Menschen die größte Gefahr“.18 Die Selbstbestimmung ist riskant. Denn daraus, dass der Mensch selbst für seine Lebensweise verantwort­ lich ist, ergibt sich für ihn eine Aufgabe, um die er „sich sorgen“, „sich kümmern“ muss,19 nämlich „zu erfahren und herauszufinden, wer ihm die Fähigkeit und das Wissen ver­ mittelt, die gute Lebensweise von der schlechten zu unter­ scheiden und nach Möglichkeit stets und überall die bessere zu wählen“.20 Diese Aufgabenstellung impliziert mehrere Aspekte. Die getroffene Wahl hat einen Lernprozess zur Folge, den der Mensch ernst zu nehmen hat. Er muss sein Leben gestalten, weil nicht schicksalhaft feststeht, wie er sich entwickeln wird. Ziel dieses Lernprozesses ist es, eine „Fähigkeit“ und ein „Wissen“ zu erwerben, und zwar ein ethisches Wissen: die Unterscheidung von Gut und Böse. Aus diesem erwor­ benen Wissen ergibt sich schließlich die Aufgabe, sich für 17   Vgl. polit.  X 618 b 6–619 b 1. Der Einschub ist durch eine Anrede an den Gesprächspartner Glaukon markiert: ebd. 618 b 6 f. 18   Ebd. b 7. Übersetzung: p.  877 Rufener. 19   Ebd. c 1. Dieser Sorge um sich selbst (ἐπιμέλεια) wird ein reiches Nachleben beschieden sein. 20   Ebd. c 2–6. Übersetzung: p.  877 Rufener.

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das Gute zu entscheiden.21 Das Endziel des Lernprozesses, der erworbenen Unterscheidungskompetenz, des Wissens und der Fähigkeit, die richtige Wahl zu treffen, ist die Eu­ dämonie, das glückliche Leben: Auf diese Weise „wird der Mensch am glücklichsten“; wer „auf gesunde Art philoso­ phiert“, also im skizzierten Sinne lernt und lebt, „führt ein glückliches Leben“.22 Dieses Lebensziel mündet in die letz­ ten Worte der Politeia: „damit es uns wohl ergeht“, oder: „damit wir ein gutes Leben führen“ (εὖ πράττειν).23 Dieser Passus enthält die entscheidenden Elemente des sokratisch-platonischen Axioms der Tugend als Wissen. Aus der Trias von Lernen – Verstehen/Wissen – Entschei­ den ergibt sich die enge Verknüpfung von Vernunft und Tugend. Die richtige Entscheidung ergibt sich aus dem rich­ tigen Wissen über Gut und Böse, 24 das in einem dazu hin­ führenden Lernprozess erworben wird. „Wer mit Einsicht wählt und sich im Leben dann Mühe gibt, für den liegt­ ein Leben bereit, mit dem er zufrieden sein kann“, heißt das Resümee im Munde des Propheten in der mythischen 21   Im darauffolgenden Text wird dies erläutert und nochmals wie­ derholt, ebd. d 6–e 1: Der Mensch „sollte imstande sein, im Blick auf die Natur der Seele zwischen der besseren und der schlechteren Le­ bensweise zu wählen“. Übersetzung: ebd. p.  879. Zeitler, Entschei­ dungsfreiheit bei Platon 117, sieht hierin mit gutem Grund „die Ab­ sicht der Erzählung des Er: durch Stellung im Werk und Form der Darstellung herausgehobene, nochmalige Aufforderung zum auf Er­ kenntnis gegründeten Leben in Gerechtigkeit.“ 22   Platon, ebd. 619 b 1.8 f. e 3. 23   Ebd. 621 d 2 f. Erste Übersetzung: p.  887 Rufener. Ebd. c 6 f. bestimmt Platon das „Wohlergehen“ als „mit sich selbst und den Göt­ tern im Einklang (wörtlich: befreundet) sein“. Vgl. dazu Tim. 18 c 1 f. Weitere Belege und Erklärungen dazu bei Zeitler, Entscheidungs­ freiheit bei Platon 141–143. 24   Vgl. dazu auch Pohlenz, Die Stoa I, 124 f.

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II. Determinismus und Verantwortung

­ rzählung.25 Wie weit sich jemand „zur Vollkommenheit E (bzw. Tugend: ἀρετή) der Lebensführung“26 entwickelt, liegt an jedem Einzelnen selbst. Die „Tugend hat keinen Herrn“, „ist herrenlos“, wie Platon explizit konstatiert, das heißt, es steht jedem Menschen offen und frei, wieviel er sich davon aneignet: „Je nachdem ein jeder sie ehrt oder ge­ ring achtet, wird er mehr oder weniger von ihr erhalten.“27 Dem ganzen Prozess des Lernens, Verstehens und Ent­ scheidens wohnt somit eine Dynamik inne, die über einen Lebenszyklus hinausreicht. Ein Wechsel zwischen den Le­ bensweisen ist dabei möglich.28 Der Mensch kann sich än­ dern, sowohl in diesem Leben als auch im Laufe seiner künftigen Lebenszyklen. Auch das markiert einen gravie­ renden Unterschied zur schicksalhaften Festschreibung ei­ nes bestimmten Lebensweges. Mittels einer mythologischen Erzählung und einer re­ flektierenden Zwischenbemerkung präsentiert Platon die Idee der Selbstbestimmung über das eigene Leben. Die Wahl der Lebensform ist aber nicht beliebig, sondern an ei­ nem Wissen orientiert, das auf die „Vollkommenheit/Tu­ gend“ der Lebensführung zielt. Ferner spielt die schon ge­ machte Lebenserfahrung für weitere Wahlen eine zentrale Rolle. Zu dieser Fähigkeit gehört ein hohes Maß an Erzie­ hung und Bildung, sie impliziert ethische Maßstäbe, und sie ist durchweg dynamisch, weil der Mensch nicht auf eine einmal getroffene Wahl festgelegt ist. Damit tauchen im Schlussmythos der Politeia nahezu sämtliche Elemente­ auf, die das weitere Nachdenken über die aus den Fängen 25

  Platon, polit.  X 619 b 3 f. Übersetzung nach p.  879 Rufener.   Ebd. 618 c 7. 27   Ebd. 617 e 3 f. Übersetzung nach p.  875 Rufener. 28   Vgl. ebd. 619 d 6 f. 26

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der Schicksalsbestimmtheit gelöste Selbstbestimmung des Men­schen umtreiben sollten. Auch in Platons Darstellung gibt es allerdings, bei aller Betonung der Selbstbestimmtheit, ein Moment des Zufalls und der Notwendigkeit. Die Reihenfolge, in der die Seelen ihre Lebensform wählen, wird ausgelost.29 Für die zuletzt Wählenden reduziert sich damit die Auswahl, auch wenn mehr Lebensformen zur Verfügung stehen, als es Seelen gibt. Die zufällige Reihenfolge des Wählens, die von der Seele nicht bestimmt werden kann, könnte man so überset­ zen, dass ein Mensch nicht bestimmen kann, wann er dran ist, d. h. wann er ins Leben tritt. Nicht alle werden zugleich geboren, und nicht zu jeder Zeit stehen alle Lebensmög­ lichkeiten zur Verfügung. Nur, wie er dann lebt und was er in der gewählten Lebensform aus sich macht, das liegt in seiner Hand. Wie vor, so ist auch nach der Wahl eine Notwendigkeit gegeben: Mit der Lebensform, die eine Seele gewählt hat, „bleibt sie dann notwendig verbunden“.30 Platon spricht so­ gar davon, dass in einer gewählten Lebensform auch „ein Geschick (εἱμαρμένη) enthalten“ ist, dem der Wählende sich nicht entziehen kann;31 das selbstgewählte Schicksal ist un­ abänderlich. Wer zum Beispiel als Lebensform die Tyrannis gewählt hat, lebt dann auch als Tyrann.32 Im mythischen Bild ist vom „Thron der Notwendigkeit“ die Rede, unter den man nach der Wahl tritt.33 Allerdings wird nur ein Le­ bensmuster gewählt, bei dem die Rahmenbedingungen festgelegt sind, nicht die konkrete Art und Weise, wie man 29

  Vgl. ebd. 617 e 6 f.   Ebd. 2 f. Das ist das „Gesetz der Adrasteia“ in Phaidr. 248 c 2. 31   Polit.  X 619 c 1. 32   Vgl. ebd. 620 e 5 f. 33   Ebd. 620 e 6–621 a 1. 30

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II. Determinismus und Verantwortung

das gewählte Muster lebt; auch der Tyrann kann sich so oder so entwickeln.34 Die Möglichkeit der Wahl steht so, wie sie in diesem My­ thos dargestellt wird, durchaus in einem Rahmen von Zu­ fall und Notwendigkeit, doch ist mit der Wahl eines be­ stimmten Lebensmusters noch nicht die moralische Qualität der Lebensführung gegeben.35 Allerdings geht Platon auf „das mehrfach wiederholte Nebeneinander von Los und Wahl, von Vorbestimmung und eigener Entschei­ dung und Leistung“ weder in der Politeia noch im Phaidros ein.36 Deshalb kann man ihn weder zu einem Determinis­ ten noch zu einem Verteidiger der Freiheit machen. Über den Zusammenhang von Determinismus und Selbstbe­ stimmung, der damit anklingt, wird erst die hellenistische Philosophie intensiv nachdenken, dann aber nicht mehr vor dem Hintergrund eines mythologischen Weltbilds, son­ dern im Rahmen von naturphilosophischen Kosmologien. Wie es zur ersten Wahl einer Lebensform durch eine See­ le kommt, erklärte Platon nicht. Für die weiteren Wahlvor­ gänge in den tausendjährigen Rhythmen vermochte er hin­ gegen Motive zu benennen, die die Wahl bestimmen. „Meist erfolge die Wahl“, meinte er, „nach den Gewohnheiten des 34   Auf die Möglichkeit, das eigene Leben „ständig“ (ebd. 619 a 5) besser gestalten zu können, weist Zeitler, Entscheidungsfreiheit bei Platon 117–123, zu Recht hin. 35   Zeitler, ebd. 120 f., mit Verweis auf Platon, ebd. 618 b 2–4: Eine neue Wahl, aus der sich notwendig eine geänderte Lebensform ergibt, impliziert nicht „eine bestimmte Ordnung der Seele“. 36   Heitsch, Platon: Phaidros 105. An der Zuordnung von „Freiheit und Notwendigkeit“, oder besser: von determinierenden Bedingun­ gen und Entscheidungs- bzw. Handlungsspielräumen entzünden sich denn auch konsequenterweise die Interpretationsprobleme des Er-Mythos: Zeitler, ebd. 123–136.

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früheren Lebens.“37 Wer über eine leidvolle Lebenserfah­ rung verfüge, der treffe seine Wahl nicht aufs Geratewohl38 wie die erste Seele in der Erzählung, die „aus Unvernunft und Gier“ „die größte Tyrannis“ wählt, „ohne sich alles recht zu überlegen“,39 und als sie dann ihre schlechte Wahl erkennt, im Sinne des alten Schicksalsglaubens reagiert: „Denn nicht sich selbst habe er die Schuld an dem Unheil zugeschrieben, sondern dem Schicksal und den Dämonen und allem anderen eher als sich selbst.“40 Je nach Gestaltung ihres früheren Lebens erhalten die Seelen im nächsten Le­ ben ein besseres oder schlechteres Los, wie Platon im Phaidros deutlicher sagt, doch dauere auch das nicht ewig, weil nach tausend Jahren eine erneute Lebenswahl anste­ he.41 Auf welcher Grundlage und aus welchen Motiven in­ des die erste Wahl in der Reihe dieser Wahlvorgänge und Lebensformen erfolgt, dazu äußerte sich Platon nicht. Mit diesen Überlegungen hat Platon Aspekte angespro­ chen, die in der Folgezeit die Erörterungen über dieses The­ matik prägten. Allerdings gab es gerade auf diesem Gebiet der praktischen Philosophie entscheidende Weiterentwick­ 37

  Platon, polit.  X 620 a 2 f.   Vgl. ebd. 619 d 3–5. So wählte die frühere Seele Agamemnons – um ein Beispiel aus der spielerisch und wohl etwas ironisch vorgeführ­ ten Seelenwanderung zwischen Tier- und Menschenleibern zu erwäh­ nen – aufgrund ihrer üblen Erfahrungen mit den Menschen die Lebensweise eines Adlers: vgl. ebd. 620 b 3–5. 39   Ebd. 619 b 6–8. 40   Ebd. c 4–6. Siehe dazu oben S. 27 Anm.  31. 41   Phaidr. 248 e 4 f.: „Wer sein Leben gerecht führt, erlangt ein bes­ seres Los, wer ungerecht, ein schlechteres.“ Ebd. 249 b 1–3: Nach Durchlaufen eines Zyklus von tausend Jahren kommen alle „zur Lo­ sung und Wahl des zweiten Lebens, und jede Seele wählt dann ein Le­ ben nach ihrem Belieben“. Übersetzung: Heitsch, Platon: Phaidros 33. 34. 38

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II. Determinismus und Verantwortung

lungen, durch welche die geistigen Nachfahren Platons zu weit mehr wurden als zu bloßen Epigonen oder Entfaltern seiner Gedanken.

3. Die überlegte Wahl eines vernünftigen Selbst: Aristoteles 3.

Weitere Grundgedanken zu diesem Thema, die in den hel­ lenistischen Debatten aufgegriffen und weiterentwickelt wurden, hat der berühmteste Schüler Platons, Aristoteles, beigesteuert. Anders als sein Lehrer entwickelte er die Fra­ ge nach der Selbstbestimmung des Menschen nicht mehr vor einem schicksalhaft bestimmten Hintergrund, sondern entwarf in seinen Ethiken – der Eudemischen Ethik und der Nikomachischen Ethik, die wie alle seine Lehrschriften während seines zweiten Aufenthalts in Athen zwischen 335 und 323 v.Chr. entstanden sein dürften – eine rein ethische Handlungstheorie auf der Basis von zugehörigen Phäno­ menen des menschlichen Lebens.42 Wie Platon ging es auch Aristoteles nicht um die Sicherung der Freiheit gegenüber deterministischen Vorstellungen. Dass der Mensch Ur­ sprung von Handlungen sein kann, galt ihm vielmehr als gegeben.43 Aristoteles begann darüber nachzudenken, wel­ che Faktoren hierbei eine Rolle spielen. 42   Die zentralen Abschnitte hierfür sind Ethica Eudemia II 6–11 und Ethica Nicomachea III 1–8 (auf die entsprechenden Abschnitte in den Magna Moralia I 10–19 gehe ich nicht ein, weil die Mehrheit der Forschung diese für ein nach-aristotelisches Produkt des Peripatos hält). Für einen interpretatorischen Durchgang durch eth. Nic. III 1–7 siehe Rapp, Freiwilligkeit, Entscheidung und Verantwortlichkeit. 43   Vgl. Aristoteles, eth. Eud. II 6, 1222 b 18–20.28 f.; 1223 a 4–9. In eth. Nic. III 5, 1112 a 31–33 zählt er „alles, was durch einen Men­schen geschieht“, zu den „Ursachen“ (αἰτίαι) neben „Natur“ (φύσις), „Notwen-

3. Aristoteles

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Zu diesen Faktoren gehörten nicht Wille und Freiheit. Aristoteles hat weder einen Begriff des Willens noch einen der Freiheit entworfen, und auch keinen eines freien Wil­ lens.44 Dass er damit dennoch immer wieder in Verbindung gebracht wird, hat mit dem methodischen Zugang seiner Handlungstheorie und der dafür verwendeten Begrifflich­ keit zu tun. Wie später üblich bei diesem Thema, fragte Aristoteles nach der Zurechenbarkeit von Handlungen: Für welche Taten kann einem Menschen die Verantwortung zu­ geschrieben werden?45 Seine Überlegungen hierzu zielten darauf, dass solche Handlungen im Menschen ihren Ur­ sprung haben müssen, und zwar in seinem Wesenskern – um vorläufig so offen zu formulieren. Handlungen, deren „Ursprung“ (ἀρχή) oder „Ursache“ (αἰτία) – Aristoteles ge­ brauchte beide Begriffe weitgehend synonym46 – beim digkeit“ (ἀνάγκη), „Zufall“ (τύχη) und „Geist“ (νοῦς). Vgl. ebd. b 31 f.: „Der Mensch ist das bewegende Prinzip (ἀρχή) von Handlungen.“ Übersetzung: Dirlmeier, Aristoteles: Nikomachische Ethik 52. 44   Siehe dazu Frede, A Free Will 19–30, bes. ebd. 27: „Just as there is no notion of a will in Aristotle, there is also no notion of freedom.“ Ferner Amand, Fatalisme et liberté 33–37; Krämer, Grundlegung des Freiheitsbegriffs 246 f.; Dihle, Vorstellung vom Willen 66–72; Horn, Entstehung des philosophischen Willensbegriffs 121–126; Ro­ senberger, Determinismus und Freiheit 26–32. Kahn, Discovering the Will 238–245, demonstriert das Fehlen eines Willensbegriffs bei Aristoteles mittels eines Vergleichs mit Thomas von Aquin. 45   Vgl. hierzu die Beispiele aus dem Privatleben und aus dem Jus­ tizwesen, die Aristoteles, eth. Nic. III 7, 1113 b 21–1114 a 3, als Belege für seine Thesen heranzieht. In der Eudemischen Ethik münden die Überlegungen in die Frage, wonach die Qualität eines Menschen be­ urteilt wird und wofür ihm Lob oder Tadel zuteil wird, nämlich nicht für das faktische Tun, sondern für die Motivation: vgl. eth. Eud. II 11, 1228 a 2–19. 46   Oder genauer, ebd. II 6, 1222 b 30 f.: „Der Ursprung (ἀρχή) ist Ursache (αἰτία) dessen, was durch ihn Sein oder Werden empfängt.“ Übersetzung: Dirlmeier, Aristoteles: Eudemische Ethik 29.

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II. Determinismus und Verantwortung

Menschen liegt, qualifizierte Aristoteles mit einem Begriff, der im Deutschen meist mit dem Adjektiv „freiwillig“ oder „willentlich“ übersetzt wird: ἑκούσιος, ἑκών. Nun ist diese gängige Übersetzung zwar nicht falsch, doch trägt der Be­ griff „Freiwilligkeit“ Konnotationen von „Wille“ und „Freiheit“ in die Überlegungen des Aristoteles ein, die da­ rin nicht enthalten sind. Der Stagirite suchte, um die Zure­ chenbarkeit einer Tat zu eruieren, nach ihrem „Ursprung“: Liegt es beim Menschen, „in ihm“ (ἐν αὐτῷ) oder „an ihm“ (ἐπ᾽ αὐτῷ), etwas zu tun oder nicht zu tun47 – oder stammt die „Ursache“ einer Handlung „von außen“ und beruht sie insofern auf Zwang und Gewalt oder auf Unwissenheit?48 Letzteres bezeichnete er als ἀκούσιος oder ἄκων, ersteres als ἑκούσιος oder ἑκών. Aristoteles meinte damit, ob ein Mensch „aus eigenem Antrieb“ handelt,49 ob er etwas „von sich aus“50 oder „nicht von sich aus“ tut, ob er „intrinsisch“ oder „extrinsisch“ motiviert handelt (wobei er auch Mischfor­ men erörterte, bei denen ein äußerer Anstoß zu einem inne­ ren Antrieb wird). Das ist immer noch die alte Frage nach der „Ursache“ (αἰτία, ἀρχή) für Ereignisse, die schon im Epos und in der Tragödie gestellt wurde. Für Aristoteles war bereits klar, dass es „Ursachen“ gibt, die am oder im 47

  Eth. Nic. III 1, 1110 a 15–18.   Vgl. ebd. III 1, 1109 b 35–1110 a 1; eth. Eud. II 7, 1223 a 30.35; II 7, 1223 b 20 f.; II 8, 1224 a 9–1225 a 36; II 9, 1225 b 6–10. 49  So erklärt Horn, Entstehung des philosophischen Willensbe­ griffs 122, den Ausdruck ἑκούσιος. 50  Bezeichnenderweise übersetzt Dirlmeier, Aristoteles: Niko­ machische Ethik 336, einmal in einer Fußnote zu einem Kontext, in dem ἑκούσιος parallel zu παρ᾿ αὐτόν und δι᾿ αὐτόν steht (eth. Nic. III 7, 1114 b 16–21), das Wort ἑκών bei Homer, Il. III 66, als „von sich aus“ (ohne das weiter zu erläutern). Das scheint mir durchweg die zutref­ fende Bedeutung bei Aristoteles zu sein. In eth. Eud. II 10, 1226 b 31 f. steht δι᾿ αὑτόν parallel zu ἑκών. 48

3. Aristoteles

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Menschen liegen: „Wenn wir das Handeln auf keine ande­ ren Prinzipien (oder Ursprünge: ἀρχαί) zurückführen kön­ nen als auf solche in uns (ἐν ἡμῖν), dann ist das Handeln, dessen Prinzipien (oder Ursprünge) in uns sind, auch selbst in unsere Macht (ἐφ᾿ ἡμῖν) gegeben und geht von uns aus (ἑκούσια).“51 Nur eine Handlung, die ihren „Ursprung“ wirk­lich im Menschen hat, die er „von sich aus“ ausführt, kann ihm zugerechnet werden.52 Eine solche Handlung definierte Aristoteles mit einem Wort, das erst im 4. Jahrhundert v.Chr. auftaucht und vor Aristoteles nur wenig belegt ist: προαίρεσις.53 Dieses Wort wurde zum zentralen Begriff seiner Handlungstheorie. Auch hier sind die Konnotationen von „Wille“ und „Frei­ heit“ wieder fernzuhalten, auch wenn sich die „Wahl“ oder die „Entscheidung“, wie man meist übersetzt,54 damit in Verbindung bringen ließen. Aber eben dies hat Aristoteles nicht getan. Bei ihm meint προαίρεσις weder die „freie Wahl“ noch die „Willenswahl“, sondern die „Überlegung“, mit der man „einem Ding vor einem anderen den Vorzug gibt“.55 So hat Aristoteles selbst den Begriff definiert: „Schon der Name scheint anzudeuten: wofür man sich vor 51   Eth. Nic. III 7, 1113 b 19–21. Übersetzung: Dirlmeier, ebd. 54 (modifiziert im Sinne meiner Worterklärungen). 52   Vgl. auch eth. Eud. II 6, 1223 a 16–19. 53   Es „scheint eine Bildung erst des 4. Jahrhunderts v.Chr. zu sein“: Dirlmeier, Aristoteles: Nikomachische Ethik 327. Bei Platon begeg­ net es nur einmal (vgl. Platon, Parm. 143 c 3) und dabei nicht im hand­ lungstheoretischen Sinn des Aristoteles. Eine treffliche Darstellung der aristotelischen προαίρεσις findet sich bei Kuhn, Begriff der Pro­ hairesis 123–129. 54   Dirlmeier, ebd. 327, bezeichnet seine Übersetzung von προ­ αίρεσις mit „Entscheidung“ als „Notbehelf“, um die Begriffe „Wille“ und „Willenswahl“ „auszuschalten“. 55   Ebd. Siehe dazu bereits oben S.  9.

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II. Determinismus und Verantwortung

anderen Dingen entscheidet (ὡς ὂν πρὸ ἑτέρων αἱρετόν).“56 Der Gegenstand einer solchen Überlegung und der Gegen­ stand einer solchen Entscheidung ist ein und derselbe, weil man bevorzugt das wählt, wofür man sich überlegt ent­ schieden hat.57 Diese „Entscheidung“ oder „Wahl“ gehörte für Aristote­ les zu den Dingen, die offensichtlich vom Menschen ausge­ hen (ἡ προαίρεσις ἑκούσιον φαίνεται), ohne dass umgekehrt alle Ereignisse, die vom Menschen ausgehen, auf „Entschei­ dung“ beruhen.58 Eine Entscheidung zu treffen ist ein ak­ tives Tun des Menschen. So wird verständlich, weshalb er den „eigenen Antrieb“ auch Kindern und Tieren zuschrieb: Es gibt Handlungen, die von ihnen ausgehen. Die „Entschei­ dung“ oder „Wahl“ hingegen schrieb er ihnen nicht zu,59 denn diese ist mit „Überlegung“ (λόγος) und „Denken“ (διάνοια) verbunden, oder wie Franz Dirlmeier übersetzt: „Entscheidung ist mit (richtiger) Planung und mit dem Durchdenken (des Sachverhalts) verbunden.“60 Das hängt damit zusammen, dass es für Aristoteles bei der „Entschei­ 56   Aristoteles, eth. Nic. III 4, 1112 a 16 f. Vgl. im selben Sinn ebd. III 5, 1113 a 10–12; eth. Eud. II 10, 1226 b 6–8. 57   Vgl. eth. Nic. III 5, 1113 a 2–5. 58   Ebd. III 4, 1111 b 6 f. Vgl. ebd. III 4, 1112 a 14 f.; eth. Eud. II 10, 1226 b 34–36. 59   Vgl. eth. Nic. III 4, 1111 b 8 f.: „[…] am Freiwilligen haben auch Kinder und die sonstigen Lebewesen Anteil, an dem Vermögen der Entscheidung dagegen nicht.“ Übersetzung: Dirlmeier, Aristoteles: Nikomachische Ethik 48. 60   Ebd. III 4, 1112 a 15 f. Übersetzung: ebd. 50. Dirlmeier, ebd. 329, verweist für die Übersetzung von λόγος mit „Planung“ auf den platonischen Sprachgebrauch: Es geht bei einer Entscheidung für oder wider eine Handlung um die „Berechnung des Grundes“ (Platon, Men. 98 a 3: αἰτίας λογισμός), um die „Überlegung“, weshalb man etwas für „das Beste“ hält (Phaidr. 238 a 7: λόγος τοῦ ἀρίστου).

3. Aristoteles

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dung“ um die Mittel geht, um ein Ziel zu erreichen, nicht um das Ziel selbst. 61 Zu diesem Zweck muss man überlegen, welche Mittel besser geeignet sind als andere, welchen man also den Vorzug gibt – was προαίρεσις im Wortsinn meint. Es geht um eine „überlegte Wahl“, die Tieren und Kindern mangels Vernunft bzw. mangels voll ausgebildeter Ver­ nunft nicht zugeschrieben werden kann. 62 Eine „überlegte Wahl“ kann sich nur auf etwas beziehen, was der Mensch „durch sich selbst“ (δι᾿ αὑτοῦ) bewirken kann: Ein Mensch „entscheidet sich […] nur für das, wovon er erwarten darf, es werde ihm aus eigener Kraft (δι᾿ αὑτοῦ) gelingen“. 63 „Den Gegenstand der überlegten Wahl kann nur das bilden, was in unserer eigenen Macht (τὰ ἐφ᾿ ἡμῖν) steht.“64 Aus diesem Grund unterscheidet sich die „Wahl“ vom „Wunsch“ (βούλησις), denn wünschen kann man sich viele Dinge, auch solche, die nicht in der Macht des Men­ schen stehen oder überhaupt völlig unmöglich sind. 65 Die von Aristoteles hier verwendeten Begriffe sind bei Platon vorgebildet 66 und werden in der weiteren Debatte, beson­ 61   Vgl. Aristoteles, ebd. III 4, 1111 b 27; III 5, 1112 b 15 f. 18 f.; III 5, 1113 a 13 f.; III 7, 1113 b 3 f.; eth. Eud. II 10, 1226 a 7–17; II 10, 1227 b 38 f. Dihle, Vorstellung vom Willen 68, redet ungenau von „der über­ legten Wahl der Handlungsziele und -mittel“. 62   Vgl. dazu auch eth. Eud. II 8, 1224 a 24–30; II 10, 1225 b 27; II 10, 1226 b 21–23. 63   Eth. Nic. III 4, 1111 b 25 f. Übersetzung: Dirlmeier, Aristoteles: Nikomachische Ethik 49. 64  Ebd. b 29 f. Übersetzung: ebd. (modifiziert: „überlegte Wahl“ statt „Entscheidung“). 65   Vgl. ebd. b 19–30. Vgl. ebenso eth. Eud. II 10, 1225 b 32–35; ferner ebd. II 8, 1223 b 39–1224 a 4: Man kann zwar etwas plötzlich wün­ schen, aber nicht plötzlich eine Entscheidung (durch Überlegung) fäl­ len; ebenso ebd. II 10, 1226 b 3 f. 66   Vgl. Platon, Gorg. 508 c 8: ἐπὶ τῷ βουλομένῳ; polit.  II 357 b 3: ἐπ᾿ ἐμοί; III 398 b 5: ἐφ᾿ ἡμῖν.

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II. Determinismus und Verantwortung

ders die Junktur ἐφ᾿ ἡμῖν bei den Stoikern, eine zentrale ­Rolle spielen (Kap.  II 4); und die Junktur δι᾿ αὑτοῦ werden wir bei Origenes wiederfinden, wenn er die „Bewegung der Vernunftwesen“ als „Bewegung durch sich selbst“ (δι᾿ αὑτῶν) definiert (Kap.  V 2). Im Kontext der Überlegungen des Aristoteles hängen diese Begriffe damit zusammen, dass er danach fragt, welche Bedingungen Handlungen, de­ ren „Ursprung“ im Menschen liegt, erfüllen müssen, damit sie ihm zugeschrieben werden können, und dazu gehört, dass sie tatsächlich von ihm ausgeführt werden können. 67 Den unhintergehbaren Ausgangspunkt, die Erstursache für alles Überlegen, Entscheiden und Handeln des Men­ schen verlegte Aristoteles in das „Selbst“ des Menschen, genauer: in dessen „führenden Teil“: „Denn jeder hört auf zu suchen, wie er handeln soll, sobald er das bewegen­de Prinzip auf sich selbst (εἰς αὑτόν) zurückgeführt hat, und zwar auf den Teil seines Selbst, der die Führung hat (αὑτοῦ εἰς τὸ ἡγούμενον): dieser Teil ist es, der die Entscheidung fällt.“68 „Al­ les aber, was zu tun oder nicht zu tun an ihm selbst liegt (ἐφ᾿ αὑτῷ), dafür ist der Urheber er selbst (αὐτός).“69 67   Vgl. Aristoteles, eth. Eud. II 8, 1225 a 25–27: „Denn der Begriff ‚es steht bei ihm‘ (τὸ ἐφ᾿ αὑτῷ), auf den alles ankommt, bedeutet ‚das, was die Menschennatur zu tragen imstande ist‘. Was sie aber nicht tra­ gen kann und was nicht im Bereiche der naturgegebenen Strebung oder Überlegung des Handelnden ist, das steht nicht bei ihm.“ Über­ setzung: Dirlmeier, Aristoteles: Eudemische Ethik 36. Ferner ebd. II 10, 1225 b 35–37. 68   Eth. Nic. III 5, 1113 a 5–7. Übersetzung: ders., Aristoteles: Niko­ machische Ethik 52. Vgl. eth. Eud. II 10, 1226 b 12 f.: „Wir beraten da alle bei uns so lange, bis wir die das Werden auslösende Ursache auf uns zurückgeführt haben.“ Übersetzung: ders., Aristoteles: Eudemi­ sche Ethik 40, doch insofern modifiziert, als Aristoteles hier nicht davon spricht, dass wir diese Ursache „auf uns selbst“ zurückführen, wie Dirlmeier übersetzt. 69   Ebd. II 6, 1223 a 7 f. Eigene Übersetzung. Dieses αὐτός wird ebd.

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Im Zentrum der „überlegten Wahl“ steht der Mensch selbst. Mit dem „Teil seines Selbst, der die Führung hat“, wie Aris­ toteles im Rückgriff auf platonische Vorprägungen formu­ lierte,70 und das bedeutet: mit seiner Vernunft, mit seinem Intellekt, trifft ein Mensch die Wahl, etwas Bestimmtes zu tun oder nicht. Der „Ursprung“ einer Handlung, die aus­ zuführen ein Mensch „überlegt wählt“, wird somit auf das vernunftbegabte „Selbst“ zurückgeführt, das die „Ent­ scheidung“ trifft. Das ist der Punkt, an dem der Mensch – und nur er – wirklich selbst verantwortlich ist, weshalb ihm eine von ihm selbst ausgehende („freiwillige“) Handlung zugerechnet werden kann. Der vernünftig überlegende Mensch selbst ist es, der entscheidet und handelt. In diesem Konzept vernünftiger Selbstbestimmung, wie man diese Handlungstheorie nennen könnte, steckt „nicht ein weiteres seelisches Vermögen“,71 also nicht so etwas wie ein „Wille“. Vielmehr ist der intellektualistische Grundzug dieses Konzepts durchgehend zu erkennen. Im „führenden Teil des Selbst“, d. h. in der Vernunft, im Intellekt, wird eine Handlung gegenüber einer anderen bevorzugt, und wie die Wahl mit der vernünftigen Überlegung koinzidiert, so auch das mit der Entscheidung einhergehende Streben. Aristote­ les selbst stellte dies abschließend unmissverständlich klar: „Wenn aber der Gegenstand der Entscheidung ein Gegenstand überlegten Strebens ist – und in den Bereich dessen gehört, was in unserer Macht steht –, dann darf auch die Entscheidung bestimmt werden als ein überlegtes Streben nach dem, was in unserer Macht a 12. 14. 18 wiederholt. Kuhn, Begriff der Prohairesis 138 f., ist diese Bedeutung des Selbst in seiner Kritik an der aristotelischen προαίρεσις entgangen. 70   Vgl. Platon, Tim. 70 c 1. 3. 6. Siehe dazu Dirlmeier, Aristoteles: Nikomachische Ethik 331 f. 71   So richtig Dirlmeier, ebd. 332.

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II. Determinismus und Verantwortung

steht, denn nachdem wir etwas hin und her überlegt haben, treffen wir eine Wahl und streben dann entsprechend der Überlegung.“72

Die Wahl und das damit einhergehende Streben ergeben sich ohne weiteres Zwischenglied aus der vernünftigen Überlegung, ja sogar noch enger: Alle drei Akte: das Über­ legen, das Entscheiden und das Streben/Handeln, sind un­ trennbare Aspekte der einen „überlegten Wahl“ (προαίρεσις), die ein mit Intellekt und Vernunft begabtes Selbst trifft: „Der Ursprung des Handelns (πράξεως ἀρχή)“, erklärte Aristote­ les im sechsten Buch der Nikomachischen Ethik, „ist die Entschei­ dung (προαίρεσις), der Ursprung der Entscheidung aber das Stre­ ben (ὄρεξις) und eine Reflexion (λόγος) über den Zweck. […] Daher ist das Fällen einer Entscheidung entweder ein vom Streben ge­ steuerter Verstandesakt (ὀρεκτικὸς νοῦς) oder ein vom Denken ge­ steuertes Streben (ὄρεξις διανοητική), und in solchem Sinne Ur­ sprung ist der Mensch.“73

Das „Selbst“, von dem Aristoteles sprach, bestimmt sich nicht nur in dem Sinne „selbst“, dass es Subjekt seiner Ent­ scheidungen ist. Durch seine Entscheidungen bestimmt es sich vielmehr zugleich „selbst“ als Objekt: Wenn die durch „überlegte Wahl“ erfolgten Handlungen dauerhaft in eine bestimmte Richtung zielen, formt sich dadurch der „Cha­ 72   Aristoteles, eth. Nic. III 5, 1113 a 9–12. Übersetzung: Dirlmei­ er, ebd. 52. 73   Ebd. VI 2, 1139 a 31–33. b 4 f. Übersetzung: Dirlmeier, ebd. 124 (leicht modifiziert). Vgl. mot. anim. 700 b 23: ἡ δὲ προαίρεσις κοινὸν διανοίας καὶ ὀρέξεως; eth. Eud. II 8, 1224 a 7: Das ἑκούσιον bestehe in einem Handeln, dass irgendwie auf einem „Durchdenken“ der Situati­ on beruht; II 10, 1226 b 16 f.: „Die Entscheidung ist ein mit Beratung verbundenes Streben (ὄρεξις βουλευτική) nach Dingen, die in des Men­ schen Macht stehen.“ Im selben Sinn ebd. II 10, 1227 a 4 f. Auch in den pseudo-platonischen Definitiones werden ἑκούσιον und ἀκούσιον mit dem „Denken“ (διάνοια) verbunden: vgl. def. 415 a 1 f.; 416 a 26.

3. Aristoteles

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rakter“ (ἕξις) des Menschen,74 für den dieser daher ebenfalls verantwortlich ist: „Daher steht auch die Tugend in unserer Macht (ἐφ᾿ ἡμῖν), in gleicher Weise aber auch die Schlechtig­ keit.“75 Ein Mensch kann die Verantwortung für seine Ta­ ten deshalb nicht dadurch abwehren, dass er sie auf seinen Charakter oder seine Veranlagung schiebt, denn für deren Formung ist der Mensch „selbst“ zuständig: „Jeder Einzel­ ne ist sich selbst in gewissem Sinn der Urheber (αἴτιος) sei­ ner Grundanlage (ἕξις).“76 „Aber vielleicht“, formulierte Aristoteles den diesbezüglichen Einwand, „ist der Schuldi­ ge eben ein Mensch, dem es nicht gegeben ist, achtsam zu sein“, um z. B. Fahrlässigkeit zu vermeiden. „Gewiss“, hielt er entgegen, „aber dass es soweit gekommen ist, das haben sie selbst verursacht (αὐτοὶ αἴτιοι), und zwar durch ihr unbe­ herrschtes Leben.“77 Trunkenheit bei einer Tat wertete Aristoteles daher nicht als Minderung der Zurechnungsfä­ higkeit, sondern im Gegenteil als strafverschärfend, denn der „Ursprung“ dafür, dass ein Mensch sich betrank, lag „in 74

  Vgl. Aristoteles, eth. Nic. III 7, 1114 a 7. 9 f.   Ebd. III 7, 1113 b 6 f. Eigene Übersetzung. Vgl. eth. Eud. II 6, 1223 a 14 f. 19 f.; II 11, 1228 a 7 f. 76   Eth. Nic. III 7, 1114 b 2. Eigene Übersetzung. Vgl. ebd. b 21–25 in dem diese Überlegungen abschließenden Satz, in dem Aristoteles prä­ zisiert, dass „wir irgendwie Miturheber (συναίτιος) unserer Grundhal­ tung sind“, denn, wie Dirlmeier, Nikomachische Ethik 336, erklärt, „ohne Mithilfe des Gottes kommt nichts zustande“. Hinter dieser Vorstellung steht wohl noch immer der alte mythologische Zusam­ menhang zwischen menschlicher und göttlicher Motivation beim Handeln. Anders die Erklärung von Rapp, Freiwilligkeit, Entschei­ dung und Verantwortlichkeit 102, dass nämlich im Blick auf die Cha­ rakterbildung die Entscheidungen eines Menschen nur „notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen“ sind. 77   Ebd. III 7, 1114 a 3–5. Übersetzung: Dirlmeier, Aristoteles: Ni­ komachische Ethik 55 (modifiziert). Vgl. eth. Eud. II 9, 1225 b 11–16. 75

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II. Determinismus und Verantwortung

ihm“ (ἐν αὐτῷ).78 Für alle anderen Formen schlechten Le­ bens gilt dies entsprechend.79 Es dürfte unschwer zu erkennen sein, inwiefern Aristo­ teles zusammen mit Platon, doch deutlich über diesen hi­ nausgehend, das Fundament für eine Theorie menschlicher Selbstbestimmung gelegt hat, auf dem spätere Generatio­ nen von Philosophen weiterbauen konnten. Er stellte ihnen zentrale Vorstellungen samt einer zugehörigen Termino­ logie zur Verfügung, neben dem Begriff der προαίρεσις die Begriffe von dem, „was an uns liegt“ bzw. „in unserer Macht steht“, 80 und vom „führenden Teil des Selbst“, wie sie insbesondere von den Stoikern aufgegriffen wurden (die al­ lerdings für ἡγούμενον den platonischen Begriff ἡγεμονικόν81 verwendeten). Und wie Aristoteles werden die Stoiker von einer Wahl nicht zwischen zwei verschiedenen Handlungen (A oder B) reden – um diese Form von Wahlfreiheit geht es in allen diesen Debatten nicht, obwohl das in der Forschung nicht selten so dargestellt wird –, sondern zwischen der Zu­ stimmung oder Nicht-Zustimmung zu einer bestimmten Vorstellung und der damit einhergehenden Handlung (A oder Nicht-A). 82 In den hellenistischen Schulen wurde die Debatte jedoch in kosmologische und physikalische Zu­ sammenhänge gestellt, die Aristoteles, der sich konsequent 78

  Eth. Nic. III 7, 1113 b 30–33.   Vgl. ausführlich ebd. III 7, 1114 a 3–31 über selbstverursachte see­ lische und körperliche Gebrechen. 80   Siehe auch Bobzien, Determinism and Freedom 280. 81   Vgl. Platon, Prot. 352 b 4; Phaidr. 252 e 3; Phil. 55 d 10. 82   Vgl. Aristoteles, eth. Eud. II 6, 1223 a 4–9, wo die Handlungsal­ ternative darin besteht, dass etwas Bestimmtes geschieht oder nicht geschieht; eth. Nic. III 1, 1110 a 15–18; III 7, 1113 b 7 f.: „Denn überall, wo es in unserer Macht steht (ἐφ᾿ ἡμῖν) zu handeln, da steht es auch in unserer Macht nicht zu handeln, und wo das Nein, da auch das Ja.“ Übersetzung: Dirlmeier, Aristoteles: Nikomachische Ethik 54. 79

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4. Chrysipp

auf die Ethik beschränkt hatte, aus seinen Erörterungen herausgehalten hatte. Dieser Kontext führte zu neuen Pro­ blemstellungen, für die allen voran die Stoiker mit den nun­ mehr zur Verfügung stehenden begrifflichen Mitteln nach Lösungen suchten.

4. Kausaldeterminismus und Eigenverantwortung: Der Kompatibilismus des Stoikers Chrysipp 4.

Die Frage nach dem Entscheidungsvermögen und dem Handlungsspielraum des Menschen wurde in der hellenis­ tischen Philosophie vom 3. Jahrhundert v.Chr. an zum Ge­ genstand intensiven Nachdenkens. Es waren insbesondere die Stoiker und unter diesen das dritte Schulhaupt Chry­ sipp, die hierzu ausgefeilte Gedanken entwickelten, mit denen sie die Debatte der gesamten hellenistischen Epoche ein halbes Jahrtausend lang bis in die frühe römische Kai­ serzeit in das 2./3. Jahrhundert n.Chr. hinein prägten. Da die Schriften der hellenistischen Philosophen mit ganz we­ nigen Ausnahmen komplett untergegangen sind und sich ihre Ansichten nur aus Zitaten und Bemerkungen bei ­späteren Autoren rekonstruieren lassen, gehe ich im Fol­ genden nicht rein chronologisch vor. Ich beginne mit den Stoikern, vor allem Chrysipp, weil sich um dessen Theo­ rie­bildung die Debatte hauptsächlich drehte, und gehe von da aus auf Epikur (mit Lukrez) und dann auf den Akade­ miker Karneades ein. Die Stoiker erörterten die Frage nach den Ursachen für das, was geschieht, im Rahmen ihrer Physik. Damit stellten sie die Debatte in einen neuen Rahmen. Es ging nicht mehr wie in Epos und Tragödie und auch noch bei Platon darum, gegenüber einer ominösen Kraft namens Schicksal, die auf

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II. Determinismus und Verantwortung

ebenso ominöse Weise auf den Menschen, der sich ihr nicht zu entziehen vermag, einwirkt, die Bestimmung des Men­ schen selbst über sein Geschick zu postulieren. Die Stoiker hingegen dachten naturwissenschaftlich im antiken Sinn, d. h. theoretisch naturphilosophisch, gegründet auf Logik, nicht auf Experimente, über physikalische Ursachen nach, aus denen Wirkungen hervorgehen, die wiederum zu Ursa­ chen weiterer Wirkungen werden. Bei ihnen steht also ein rationaleres Modell der Welterklärung im Hintergrund als im mythischen Weltbild. Damit folgten sie dem Wissen­ schaftskonzept des Aristoteles, entwarfen jedoch anders als dieser nicht eine streng auf ethische Fragen begrenzte Handlungstheorie, sondern taten dies auf der Basis physi­ kalischer Grundannahmen. Eine zweite Verschiebung hängt mit dieser Denkform unmittelbar zusammen. Im Rahmen eines physikalischen Weltbilds entwickelte Chrysipp ein psychologisches Erklä­ rungsmodell für menschliches Entscheiden und Handeln. Der Ansatzpunkt dafür war nicht mehr ein äußeres Schick­ sal, das den Akteur mit einer unerklärlichen Kraft mitreißt, sondern ein Impuls, der zwar von außen kommt, aber eine intramentale Vorstellung auslöst und den Verstand gleich­ sam so manipuliert, dass daraus notwendig eine Handlung entspringt. 83 Chrysipps Einspruch gegen einen derartigen Determinismus ging dahin, dass nicht von äußeren Fakto­ ren notwendig erzwungen werde, dass der Mensch dem aus einer Vorstellung hervorgehenden Antrieb zustimmt und entsprechend handelt, sondern dass dies am Menschen lie­ ge. Diese untechnische Formulierung wurde in der sub­ stantivierten Wendung „Was an uns liegt“ (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν) zur

83

  So dargestellt bei Bobzien, Determinism and Freedom 250.

4. Chrysipp

75

stoischen Formel für die Selbstbestimmung des Menschen über seine Entscheidungen und Handlungen. Der Grund für Chrysipps Einwand gegen einen physika­ lischen und psychologischen Kausaldeterminismus liegt in einem Erfordernis der praktischen Lebensführung, näm­ lich in der Frage nach der Verantwortung des Menschen für seine Handlungen. Diese ist notwendig für die alltägliche Lebensgestaltung, weshalb sie seit Aristoteles der Punkt ist, von dem aus die Frage nach der Selbstmächtigkeit des Menschen über sein Tun und später nach der Freiheit seiner Entscheidungen und Handlungen immer wieder gestellt wurde. Auf theoretischer Ebene verlieren die sittlichen Be­ griffe wie Lob und Tadel, Tugend und Laster ebenso ihren Sinn wie auf praktischer Ebene die zugehörigen Vollzüge wie Mahnen und Erziehen, Belohnen und Bestrafen, wenn die entsprechenden Taten nicht ursächlich dem Menschen zugeschrieben werden können. Nach den Referaten bei Cicero und Gellius haben die Gegner des stoischen Kau­ saldeterminismus in genau dieser Weise argumentiert. 84 Wollte Chrysipp nicht die zentrale Intention des stoischen ­Philosophierens, die Erziehung zu einer moralischen Le­ bens­führung, untergraben, musste er im Rahmen seines deterministischen Weltbilds eine Erklärung dafür finden, inwiefern der Mensch als für seine Entscheidungen und Handlungen zuständig und damit für diese verantwortlich gedacht werden kann. Wir erinnern uns: Auch im mythischen Weltbild wurden die Menschen für ihre Taten haftbar gemacht, auch wenn diese vom Schicksal oder von den Göttern bestimmt waren, denn es ging um das faktische Tun, nicht um die geistige Einstellung (Kap.  I 2). Seit der anthropologischen Wende 84

  Vgl. Cicero, fat. 40; Gellius, noct. Att. VII (VI) 2,4 f.

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II. Determinismus und Verantwortung

der Sokratik wurde das Tun des Menschen aber mit seiner inneren, mentalen Disposition und Motivation verknüpft. Chrysipp musste die inneren Vorgänge der Entscheidungs­ findung also so beschreiben, dass diese nicht mit zwangs­ läufiger Notwendigkeit eine bloße Konsequenz äußerer Einwirkungen waren. In dem Modell, das er dazu ersann, wurde eine Form der Selbstbestimmung des Menschen konzipiert, die mit dem physikalischen Denkrahmen der Stoiker vereinbar war. In diesem Sinne gilt Chrysipp zu Recht als Verteidiger der Selbstbestimmung des Menschen – wohlgemerkt, nicht der Entscheidungsfreiheit im Sinne einer freien Selbstbestimmung, wie das vorschnell meist dargestellt wird, weil das nicht sein Fokus war. Ob er aller­ dings dadurch, dass er mit seinem Konzept im Rahmen des stoischen Kausaldeterminismus verblieb, nicht doch einem Determinismus das Wort geredet hat, wird zu prüfen sein. Chrysipps Konzept der Eigenverantwortung des Men­ schen sieht näherhin so aus:85 Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet die gemein-stoische Ansicht, dass es für jedes Sein und jede Bewegung eine Ursache gebe. Weil diese ihrerseits verursacht sei, gebe es eine lückenlose Ursa­ chenkette zwischen allem Seienden. In dieser „Verknüp­ fung der Ursachen“ (εἱρμὸς αἰτίων, series causarum) gesche­ he nichts aus Zufall, sondern alles folge einer festen Gesetzmäßigkeit, welche die Stoiker mit einer daraus abge­ leiteten falschen Etymologie als εἱμαρμένη bezeichneten. 86 85   Eine konzise Überblicksdarstellung ist zu finden bei Pohlenz, Stoa I, 101–106, und unter Einbeziehung der neueren Literatur bei Forschner, Philosophie der Stoa 122–136, eine eingehende Erörte­ rung aller Details bei Bobzien, Determinism and Freedom 234–329. Siehe auch Kahn, Discovering the Will 245–247. 86   So laut Aëtius, plac. I 28,4 (= SVF II 917); Alexander von Aphro­ disias, fat. 25 (p.  195.19 Bruns); an. mant. 25 (p.  185.5 Bruns) (= SVF II

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In Wirklichkeit hängt dieses Wort mit μοῖρα zusammen, d. h. dem, was von einer höheren Macht jedem Menschen als Schicksal, wörtlich: als „Los“ oder „Anteil“, „zugeteilt“ wird (von μείρομαι, „zuteilen“) und dem man nicht entrin­ nen kann. 87 Die εἱμαρμένη, das „vom Schicksal Zugeteilte“, meint im Zusammenhang mit der Verkettung der Ursachen also die „Schicksalsfügung“. Den Zusammenhang der Ursachen untereinander setz­ ten die Stoiker mit einem physisch konzipierten „Geist“ (πνεῦμα) gleich, dessen Kraft im gesamten Sein wirke. 88 In­ sofern deckt sich die Schicksalsfügung mit der gesamten physischen Natur, die in allen ihren Erscheinungen auf ir­ gendeinem materiellen Substrat beruhe (es gebe innerhalb des Kosmos nichts „Leeres“ und nichts ohne Ursache). Da die Ursachen und Wirkungen, die zwischen allen Teilen dieser bewegten Natur walten, nicht sinnlos aufeinander bezogen seien, sondern einer vernünftigen „Planung“ (λόγος) folgten, ist die Schicksalsfügung auch das Vernunft­ gesetz, nach dem alles in der Welt gestaltet werde. Diese planvolle Ursachenreihe setzten die Stoiker daher auch mit 920); Nemesius, nat. hom. 37 (p.  108.16 Morani) (= SVF II 918); latei­ nisch bei Cicero, divin. I 125: ordo seriesque causarum. Etwas anders bei Pseudo-Plutarch, fat. 4, 570 b; Diogenianus bei Eusebius, praep. ev. VI 8,8 (GCS Eus. 8/1, 323.10 f.) (= SVF II 914); Diogenes Laërtios VII 149 (= SVF II 915), die das Substantiv εἱμαρμένη von dem Partizip εἰρομένη (vom Verbum εἴρω, „reihen“), „verknüpft“, „verkettet“, ablei­ ten. Vgl. auch Gellius, noct. Att. VII (VI) 2 (= SVF II 1000). Weitere Belege und Erläuterungen bei Theiler, Schicksalslehre 54–57. 87   In diesem Sinne verwendete schon Platon, Gorg. 512 e 3; Phaid. 115 a 3, den Begriff εἱμαρμένη; vgl. auch nom. X 904 c 8 f. „für das im­ manente Gesetz, nach dem im Weltlauf gerechte Vergeltung waltet“, und zwar Vergeltung für ein Tun, für das der Mensch selbst die Ursa­ che ist: Pohlenz, Stoa I, 103. 88   Zum „Pneuma“ siehe Forschner, Philosophie der Stoa 117–122.

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der Vorsehung gleich bzw. mit der göttlichen Vernunft, die sie gleichsam pars pro toto als Zeus bezeichneten. 89 Aus die­ sem universalen Zusammenhang von Ursachenverkettung = Geist-Natur = Vernunft = Vorsehung = Gott ergibt sich die Notwendigkeit allen Geschehens, die „Schicksalsfü­ gung“ (εἱμαρμένη). Als Zufall werde nach Ansicht der Stoi­ ker lediglich das bezeichnet, dessen Ursache nicht erkannt werde; das Wort markiere also lediglich ein Defizit des menschlichen Erkenntnisvermögens, dem in der physikali­ schen Realität aber nichts entspreche.90 Dieses Weltbild ist ein strenger Kausaldeterminismus: eine planvolle, vernünf­ tige und notwendige universale Verkettung von Ursachen und Wirkungen. Die Stoiker leiteten für ihre Schicksalsfügung auch aus der Mantik einen Beweis ab, denn solche Zukunftsdeutung, wie sie in der Antike weithin praktiziert wurde, wäre ihrer Ansicht nach nicht möglich, wenn die künftigen Ereignisse nicht mit Notwendigkeit festlägen und daher mittels geeig­ neter Techniken ermittelt werden könnten.91 Aufschluss­ 89   Vgl. z. B. Alexander von Aphrodisias, fat. 22 (p.  192.26 f. Bruns) (= SVF II 945). Für εἱμαρμένη = Zeus vgl. Plutarch, Stoic. repugn. 34, 1050 b (= SVF II 937); Alexander von Aphrodisias, ebd. 31 (p.  203.12 f. Bruns) (= SVF II 928); Diogenes Laërtios VII 135 (= SVF I 102). 90   Vgl. die in SVF II 965–973 gesammelten Belegstellen. Auch die Bemerkung bei Pseudo-Plutarch, fat. 7, 572 b, dass „manche von den Alten den Zufall als unvorhergesehene und dem menschlichen Den­ ken verborgene Ursache beschrieben“, kann sich auf die Stoiker bezie­ hen, obgleich diese Ansicht auch schon bei Aristoteles, phys. II 4, 196 b 5–7, notiert ist, wie schon Simplikios in seinem Kommentar zur Phy­ sik des Aristoteles vermerkte: in Aristot. phys. (p.  333 Diels) (= SVF II 965). 91  Vgl. dazu die Belege in SVF II 939–944 sowie die Stellen aus Cicero, fat. 11–38, in SVF II 952–955; ferner Cicero, divin. I 127 (= SVF II 944); II 19–21. Siehe dazu Pohlenz, Stoa I, 217. 231 f. 233 (für Chrysipp und Poseidonios); Forschner, Philosophie der Stoa 129 f.

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reich für Chrysipps Verteidigung der Selbstbestimmung des Menschen ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass er – im Gefolge des Aristoteles – der Notwendigkeit von Zukunftsvorhersagen mit Hilfe von logischen Argumenten entgegenzutreten versuchte. Auch wenn Cicero diese Be­ mühungen Chrysipps mit dem Hinweis darauf kritisierte, dass aus der logischen Notwendigkeit einer Aussage über die Zukunft nicht die kausale Determination des ausgesag­ ten Ereignisses in der Wirklichkeit folge, weil „logische Aussage und physikalische Realität getrennt zu halten sind“,92 bleibt doch bezeichnend, wie sehr sich Chrysipp auch auf dem Gebiet der Logik und der Dialektik darum bemüht hat, einem reinen Determinismus zu entkommen. Eine Gefahr im stoischen Konzept der Schicksalsfügung für die praktische Lebensführung und die dafür erforderli­ che Verantwortung für das eigene Tun war die sog. „faule Vernunft“ oder der „faule Beweis“ (ἀργὸς λόγος, ignava ra­ tio), wie man meist sagt, besser übersetzt mit „Argument der Untätigkeit“: Wenn alles bereits durch das Schicksal vorherbestimmt sei, werde menschliches Handeln sinn­ los.93 Da Chrysipp eine solche Schicksalsnotwendigkeit an­ nahm, musste er sich mit diesem Argument auseinanderset­ zen, denn trotz seiner Heimarmene-Lehre hielt er daran fest, dass es Dinge gebe, die der Mensch zu tun habe: Über­ legen, Planen, Handeln, auch Pflichten gehören hierher – die ganze stoische Pflichtenlehre würde sinnlos werden, würde man dem „Argument der Untätigkeit“ folgen. Wenn zum Beispiel – um den von Cicero und Origenes referierten 92  So Krämer, Grundlegung des Freiheitsbegriffs 252, mit Verweis auf Aristoteles, int. 9, 18  a–19  b, mit dem Beispiel der Aussage, dass morgen eine Seeschlacht stattfinden werde oder nicht. 93  Siehe dazu Bobzien, Determinism and Freedom 180–233; Schallenberg, Freiheit und Determinismus 196–205.

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Fall aufzugreifen – der Kausalnexus darin mündet, dass je­ mand an einer bestimmten Krankheit sterben werde, dann sei es sinnlos, einen Arzt aufzusuchen; und dasselbe gelte sogar für das Gegenteil, dann auch wenn man nicht sterbe, liege es am Schicksal, nicht an der ärztlichen Kunst.94 Dage­ gen argumentierte Chrysipp damit, dass für das Eintreten mancher Ereignisse mehrere Ursachen zusammenwirken müssen. Das Ergebnis einer solchen Ursachenverknüpfung sei an bestimmte Bedingungen geknüpft, die vorliegen müssten, damit es eintrete, und die ebenfalls schon im Ge­ samtzusammenhang der Schicksalsfügung mitgesetzt seien (συνειμαρμένα oder συγκαθειμαρμένα, was Cicero mit confa­ talia übersetzte).95 Das bedeutet, dass es nicht zwecklos ist, einen Arzt zu holen, weil gemäß der Schicksalsbestimmung die Genesung von der ärztlichen Behandlung abhängt.96 Nach einem analogen Modell der Differenzierung von Ursachen, die zusammen für ein Geschehen erforderlich seien, erläuterte Chrysipp sein Konzept der Selbstbestim­ mung des Menschen im Rahmen der Schicksalsordnung. Im physikalischen Weltbild der Stoa geht es dabei um die Frage, ob sich in der Ursachenkette eine Ursache ausma­ chen lässt, die auf den Menschen zurückgeht. Wenn das ge­ 94   Lateinisch überliefert bei Cicero, fat. 28 f. (= SVF II 956), in grie­ chischer Fassung, die wohl auf Chrysipp zurückgeht, weil sie Ciceros Wortlaut ganz parallel geht, bei Origenes, Cels. II 20 (GCS Orig. 1, 150) (= SVF II 957). 95   Vgl. Cicero, fat. 30 (= SVF II 956). Servius, ad Verg. Aen. IV 696 (= SVF II 958), gab die griechischen Wörter mit condicionalia wieder. Für den griechischen Begriff συνειμαρμένα vgl. Pseudo-Plutarch, fat. 4, 569 f, wo er jedoch umgedeutet wird als Zusammenhang zwischen universaler und individueller Schicksalsfügung. 96   So Origenes, Cels. II 20 (GCS Orig. 2, 151) (= SVF II 957). Vgl. auch Alkinoos, didask. 26,2 (p.  54 Summerell/Zimmer); Alexander von Aphrodisias, fat. 31 (p.  202 f. Bruns).

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lingt, kann diese Ursache dem Menschen zugeschrieben und dieser in moralischem Sinn für die Wirkung verant­ wortlich gemacht werden. Die Sache hat also durchaus Fol­ gen für die Ethik, insofern es um die Basis für moralische Urteile geht. Erörtert wurde sie aber als Detailproblem stoischer Physik. Die grundlegende Argumentationsfigur Chrysipps hier­ zu besteht in einer Analyse des Zusammenhangs eines von einer „Vorstellung“ (φαντασία, visum) ausgelösten „(An-) Triebs“ oder „Strebens“ (ὁρμή, adpetitus), der „Zustimmung“ dazu durch die Vernunft (συγκατάθεσις, adsensio) oder de­ ren Verweigerung und der daraus entspringenden Hand­ lung. Das Argument der Gegner der stoischen Schicksals­ notwendigkeit lautete im Blick auf diese Vorgänge: Wenn alles aufgrund einer endlosen Kette von Ursachen geschehe, dann entstehe auch ein Trieb oder Begehren aufgrund einer Kausalursache in dieser Kausalkette, sei insofern also not­ wendig und liege nicht in der Entscheidungsgewalt eines Menschen; dies gelte dann aber auch für die Zustimmung und die daraus sich ergebende Handlung, die damit eben­ falls determiniert sei.97 Gegen die an sich stoische Vorstel­ lung eines in eine endlose Vergangenheit reichenden Kau­ salnexus, in dem jedes einzelne Geschehen durch eine vorausgehende Ursache und damit ein weit späteres Ereig­ nis über viele dazwischenliegende Ursachen durch ein viel früheres determiniert sei, führte Chrysipp den Begriff ei­ ner „wirksamen Ursache“ (causa efficiens) ein. Die Tatsa­ che, dass vorausgehend etwas geschehen ist – mit einem Beispiel aus dem Mythos: dass auf dem Pelion Bäume gefällt und ein Schiff, die Argo, gebaut wurde –, habe nicht be­ wirkt, dass jetzt etwas Bestimmtes geschieht – im Mythos: 97

  So nach Cicero, fat. 40.

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dass Medea sich in Jason verliebte. Dafür brauche es eine „wirksam vorausgehende Ursache“ (causa efficienter an­ tecedens), nicht einfach nur „vorausgehende Ursachen“ (causae antecedentes), und schon gar nicht „von Ewigkeit her“ (ex aeternitate), sonst wäre in letzter Konsequenz mit der Erstursache von allem alles vorherbestimmt.98 Nur das, wodurch das, wofür es die Ursache ist, notwendig bewirkt wird, sei eine Ursache im eigentlichen Sinne.99 Dieses Argument nutzte Chrysipp für sein Konzept der Selbstbestimmung, indem er eine Unterscheidung der Ur­ sachen einführte, um einerseits an der lückenlosen Kette der Ursachen festhalten zu können, andererseits aber, wenn es um die Zustimmung zu Impulsen zu einer Handlung geht, den Kausalnexus nicht als zwangsläufig ansehen zu müssen. Bei den in der Kausalkette einer Handlung voraus­ gehenden Ursachen handle es sich nicht um „effektive, die Wirkung von sich aus hervorbringende Hauptursachen“ (αἴτια αὐτοτελῆ καὶ κυριώτατα, causae perfectae et principa­ les), sondern um „unterstützende Nebenursachen“ (συναίτια καὶ προσεχῆ αἴτια, causae adiuvantes et proximae), die nur den Anstoß zu der Wirkung geben (προκαταρκτικὰ αἴτια).100 98

  Ebd. 34 f.   Ebd. 36: […] cum quo effici aliquid necesse sit; causa est […] id quod cum accessit id, cuius est causa, efficit necessario. 100  Diese griechische und lateinische Terminologie bei Plutarch, Stoic. repugn. 47, 1055 f. 1056 b–d (= SVF II 994. 997), und Cicero, fat. 41 (= SVF II 974). Vgl. auch Galen, def. med. 154–160 (XIX p.  392 f. Kühn) (= SVF II 354); Clemens von Alexandria, strom. VIII 32,7 (GCS Clem. Al. 32, 101) (= SVF II 351). Siehe dazu Pohlenz, Stoa II, 60. Zum schwierigen Problem der genauen Bedeutung und der exak­ ten Zuordnung der griechischen und lateinischen Begriffe für die ver­ schiedenen Ursachenarten siehe Schallenberg, Freiheit und Deter­ minismus 239–251. 262–290; Forschner, Philosophie der Stoa 126–128. 99

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Bei einem Vernunftwesen wie dem Menschen wirkten Trie­ be und Impulse nur als Anstöße, während es „bei ihm liege“ (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν), ob er ihnen folge oder nicht. Die entscheidende Ursache, welche die Handlung bewirke, sei daher die Zu­ stimmung. Die effektive Ursache der Handlung liege also beim Menschen. In der Darstellung, die Cicero von Chrysipps Argument gab,101 ist sogar davon die Rede, dass schon der Trieb, nicht erst die Zustimmung, „in unserer Macht liege“. Cicero sprach von adpetitus, nicht von adsensio, wie man erwarten würde: Der Trieb regt sich unwillkürlich, doch die Zustim­ mung liegt in unserer Macht. Chrysipp hingegen argumen­ tierte: Was einen Trieb betrifft, könne man nicht sagen, dass er sich nicht in unserer Macht befinde, weil sich seine vor­ ausgehende Ursache nicht in unserer Gewalt befinde; denn seine vorausgehende Ursache sei nicht von der Art, dass sie den Trieb und was auf ihn folge, die Zustimmung und dann die Handlung, notwendig effektiv bewirke. Hinter dieser präzisen Fassung seiner psychologischen Handlungstheo­ rie steht Chrysipps intellektualistische Seelenlehre. Chry­ sipp dachte bei einem Trieb oder Begehren von vornherein an einen durch die Zustimmung gesteuerten Trieb, weil er kein von der Vernunft bzw. vom „Leitprinzip“ der Seele, dem ἡγεμονικόν (dazu gleich), unabhängiges Triebleben der Seele annahm, sondern Letzteres als (unter Umständen fehlgeleiteten) Zustand des Leitprinzips der Seele verstand. Weil der Trieb lediglich von ihn unterstützenden Nebenur­ sachen bedingt sei, bleibe er durch die Kontrolle der Zu­ stimmung, die mit dem Trieb – jedenfalls im bewussten Zustand, der hier vorausgesetzt wird – immer verbunden

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  Vgl. Cicero, fat. 41 (= SVF II 974).

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sei, in der Entscheidungsmacht des Menschen.102 Aus die­ sem Grund richte sich, resümierte Cicero, das Verantwor­ tungsargument aus der praktischen Vernunft zwar gegen die Vertreter eines deterministischen Kausalnexus, nicht aber gegen Chrysipps Nebenursachen, die das Begehren, Entscheiden und Handeln eines Menschen nicht determi­ nieren.103 Chrysipp war die Verteidigung der Selbstbestimmung des Menschen offenbar so wichtig, dass er alle dafür ent­ scheidenden Momente in das Handlungszentrum des Men­ schen verlegte, in das soeben genannte ἡγεμονικόν, das ver­ nünftige „Leitprinzip“ der Seele (wie er in den Bahnen des Aristoteles, aber mit einem platonischen Begriff104 sagte). Selbstbestimmung gibt es nur, wenn wirklich der Mensch selbst entscheidet, und nicht etwas anderes im Menschen. Dieses „Selbst“ sah Chrysipp im Leitprinzip der Seele. Da­ her lehnte er die (platonische) Annahme von Seelenteilen mit unterschiedlichen Funktionen strikt ab. Es seien nicht andere Kräfte im inneren Menschen, die seine Handlungen steuerten, namentlich Triebe oder Affekte, denn dann wäre er nicht im eigentlichen Sinne selbst Herr seiner Handlungen. Vielmehr sei alles dem Leitprinzip unter­ worfen, und das so sehr, dass Chrysipp den reinsten Intel­ 102  Siehe Bayer, Cicero: Über das Schicksal 163, mit der zutreffen­ den Erklärung, doch ohne den Verweis auf die dahinterstehende See­ lenlehre. 103   Cicero, fat. 42: „Deshalb wird jener Schluss gegen diejenigen, welche die Schicksalsfügung so einführen, dass sie sie mit der Zwangs­ läufigkeit (necessitas) verkoppeln, gelten. Gegen die jedoch, welche die vorausgehenden Ursachen nicht als vollkommene Hauptursachen be­ zeichnen, wird er nichts ausrichten.“ Übersetzung: p.  63 Bayer (aller­ dings mit der Übersetzung von fatum als „Schicksalsfügung“ statt „Fatum“). 104   Siehe die Belege oben S. 72 Anm.  81.

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lektualismus vertrat. Triebe, Affekte, Impulse seien (meist falsche) mentale Zustände. Wenn ich richtig denke, werde ich nicht wütend. Das ist das sokratische Erbe von Tugend als Wissen, das für die gesamte Stoa bestimmend geworden ist. Zwar haben die meisten Stoiker dem Triebleben des Menschen mehr Ei­ genständigkeit gegenüber der Vernunft zugestanden als Chrysipp. Die Schulgründer Zenon und Kleanthes verstan­ den die Triebe als Folgeerscheinungen der Zustimmung, Panaitios und Poseidonios gingen sogar von einem selbst­ ständigen irrationalen Triebleben in der Seele aus, auch wenn sie nicht wie Platon – der freilich seinerseits die Ein­ heit der mehrteiligen und vielgestaltigen Seele annahm105 – die Triebe als Teile der Seele auffassten, sondern als „Ver­ mögen“ des Leitprinzips der Seele.106 Damit blieben sie alle auf der intellektualistischen Linie, einzig Chrysipp jedoch bestritt den Trieben konsequent jegliche eigenständige Existenz.107 In diesem Intellektualismus lag auch der An­ satzpunkt für die stoische Pädagogik: Der Mensch muss richtig denken lernen, um die mit Handlungsantrieben ver­ bundenen richtigen Entscheidungen treffen und diese in rechtes Handeln umsetzen zu können, was konkret bedeu­ tet, den richtigen Impulsen (denen zum Guten) zuzustim­ men und die falschen (die zum Schlechten) zu meiden. Mit Entscheidungsfreiheit oder gar Willensfreiheit hat das alles nichts zu tun, wohl aber mit einem starken Konzept von 105

  Siehe dazu Zeitler, Entscheidungsfreiheit bei Platon 140 f.  Siehe Pohlenz, Stoa I, 226 f., sowie die erhellenden Überlegun­ gen zum Unterschied zwischen Chrysipp und Poseidonios bei Frede, A Free Will 53–56. 107  Siehe Bobzien, Determinism and Freedom 286–289, bes. ebd. 289: Die Moralität einer Person ist für Chrysipp nichts anderes als eine Dimension ihrer Rationalität. 106

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Selbstbestimmung: Der Mensch ist es wirklich selbst, in sei­ nem innersten geistigen Zentrum, der über sich bestimmt. Damit hat Chrysipp eine Handlungstheorie konzipiert, die sich nahtlos in den stoischen Kausaldeterminismus ein­ fügt. Die menschliche Selbstbestimmung ist mit der kausa­ len Bestimmtheit allen Geschehens vereinbar, weil es eine Ursache gibt, die Zustimmung, die in der Kette der Ursa­ chen „an uns liegt“, und für diese kann der Mensch verant­ wortlich gemacht werden. Das ist Chrysipps Kompatibilis­ mus. Er meint nicht die Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus, sondern die Kompatibilität der Entschei­ dung eines Menschen, etwas zu tun oder zu lassen, mit dem allgemeinen lückenlosen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. In diesem fungiert die Zustimmung als effektive, eine Wirkung hervorbringende Hauptursache in einer Rei­ he von vorausgehenden unterstützenden Nebenursachen. Aus diesem Grund besteht kein Widerspruch zwischen der Schicksalsfügung und der Zustimmung in dem Sinn, dass eine undeterminierte Entscheidung gegen einen determi­ nierten Ablauf der Ereignisse stünde. Vielmehr ist jede menschliche Entscheidung Teil der Ursachenkette und ge­ hört als solche in den universalen Kausalzusammenhang des Seins. Chrysipp verdeutlichte diesen Zusammenhang an einem aufschlussreichen Vergleich mit einer Walze (bzw. einem Zylinder) und einem Kreisel (bzw. einem Kegel oder Ko­ nus).108 Wenn diese Gegenstände einen Anstoß von außen erhalten, dann rollt die Walze und dreht sich der Kreisel, und zwar aufgrund der ihnen eigenen „Natur“. Der Anstoß 108   Vgl. Cicero, fat. 42 f.; Gellius, noct. Att. VII (VI) 2,11. Siehe dazu Bobzien, ebd. 258–271; Schallenberg, Freiheit und Determinismus 252–261.

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von außen verursacht zwar die Bewegung, aber die spezifi­ sche Bewegung, die durch den Anstoß ausgelöst wird, das Rollen oder das Kreiseln, beruht auf ihrer natürlichen Be­ schaffenheit. Dieses Bild übertrug Chrysipp auf die Seele: Ein Eindruck – im Kontext ist es eine „Vorstellung“ (φαντασία, visum), die sich in der Seele bildet – wirke von außen auf den Menschen, die Zustimmung zu dem damit verbundenen Impuls aber liege beim Menschen, und so re­ agiere er, analog zur Walze und zum Kreisel, „aufgrund der ihm eigenen Kraft und Natur“ (suapte vi et natura),109 näm­ lich kraft seiner vernunftgeleiteten Zustimmungsfähigkeit. Damit führte Chrysipp die Bewegung der Seele auf ihre Eigenbewegung zurück, die ihr von Platon zugeschrieben wurde,110 denn diese sei die Hauptursache für die spezifi­ sche Bewegung, nicht auf eine ihr äußerliche Ursache, die nur eine nicht zwingende Nebenursache sei. Gleichwohl haftet dem Vergleich in seiner Bildhälfte ein deterministischer Zug an: Wenn nämlich die Walze (mit hinreichender Kraft) angestoßen wird, dann rollt sie, un­ ausweichlich; wenn die Seele einen Impuls erhält, dann re­ agiert sie, unausweichlich. Hat das nicht einen Anstrich von Notwendigkeit? Der Vergleichspunkt, auf den es Chrysipp offenbar ankam, ist der, dass das Prinzip der Re­ aktion auf einen Impuls im Reagierenden liegt, in der „Na­ tur“ der Walze (die rollt) oder des Kreisels (der sich dreht) wie in der „Natur“ der Seele (die zustimmt oder nicht). Wie sich der leblose Gegenstand nicht nicht bewegen kann, wenn er einen entsprechenden Impuls erhält, so kann sich auch die Seele in diesem Fall nicht nicht bewegen, und zwar gemäß der ihr eigentümlichen Bewegung. Der Unterschied 109

  Cicero, ebd. 43. Vgl. Gellius, ebd.   Vgl. Platon, Phaidr. 245 c 5–246 a 2.

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zwischen Bild- und Sachhälfte liegt allerdings darin, dass die Seele sich zwar auch bewegen muss, aber anders als eine Walze, die nicht nicht rollen kann, ihre Zustimmung zu ei­ nem Impuls geben oder verweigern kann. Insofern brachte Chrysipp in der Sachhälfte doch einen starken Gedanken von Selbstbestimmung ein: Der Kreisel muss sich drehen, wenn er gedreht wird, aber der Mensch muss nicht essen, wenn ihm ein Teller Suppe vorgesetzt wird, selbst wenn er Hunger hat und sich in ihm aufgrund des vorgesetzten Tel­ lers der Impuls zum Essen bildet. Gerade an dieser ent­ scheidenden Stelle funktioniert der Vergleich also nicht. Der Beigeschmack von Determiniertheit in Chrysipps Konzept wird noch deutlicher, wenn man fragt, woran sich denn die Seele orientiert, wenn sie ihre Zustimmung zu ei­ nem Impuls gibt oder verweigert. Der Kausalnexus aller Dinge zwingt in Chrysipps Konzept den Menschen zwar nicht äußerlich, wirkt jedoch durch den Menschen, und zwar durch seinen Charakter. Es sind die Grundhaltungen und Überzeugungen eines Menschen, die bestimmen, wie er entscheidet. Durch diese sind seine Entscheidungen in­ nerlich bedingt, auch wenn sie nicht äußerlich erzwungen werden. Weil sie in diesem Sinn auf den handelnden Men­ schen zurückgehen, kann dieser sich nicht auf eine Schick­ salsnotwendigkeit berufen, die ihn gleichsam nötige, son­ dern ist die Verantwortung für sein Tun ihm bzw. genauer: seiner mentalen Disposition zuzuschreiben (auch hier griff Chrysipp einen Gedanken des Aristoteles auf).111 In diesem Sinne funktioniert der Vergleich mit einer Walze: Die Wal­ 111   So nach Gellius, noct. Att. VII (VI) 2,7–10. Siehe dazu Bobzien, Determinism and Freedom 250–255. Long, Freedom and Determi­ nism, betont die Bedeutung des Charakters bei den Stoikern neben äußeren Ursachen für das spezifische Handeln eines Menschen. So im Prinzip auch schon Theiler, Schicksalslehre 73–80.

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ze muss rollen, wenn sie angestoßen wird – und ein Mensch wird in einer bestimmten Situation je nach charakterlicher Veranlagung unausweichlich auf eine bestimmte Weise re­ agieren.112 Der handelnde Mensch ist innerlich von seiner mentalen Disposition determiniert und deshalb als effekti­ ve Ursache für seine Entscheidung verantwortlich. Diese Sichtweise führt zu dem stoischen Grundsatz, dass der Weise, d. h. der Mensch, der seine rationale Kapazität vollkommen entwickelt hat und stets richtig denkt, fühlt und handelt, unter denselben Umständen, d. h. wenn alle vorausgehenden Nebenursachen vollkommen identisch sind, immer zu derselben Entscheidung kommen wird, weil er unter vernünftiger Abwägung aller Faktoren nicht an­ ders, als es eben in der entsprechenden Situation richtig ist, entscheiden kann. In der Abfolge von Welten, wie die Stoi­ ker sie in ihrer Physik konzipierten,113 führt dies dazu, dass diese – anders als in Platons Lebenszyklen – völlig identisch sein werden: Sokrates wird in jeder dieser Welten kraft sei­ ner eigenen Entscheidung den Schierlingsbecher trinken statt aus dem Gefängnis entfliehen usw. An diesem Aspekt wird ersichtlich, dass Chrysipp den deterministischen Rahmen seines Denkens nicht verlassen, sondern ein Mo­ dell der Selbstbestimmung des Menschen zu entwerfen ver­ sucht hat, das damit kompatibel ist. Diese deterministische Einbindung der stoischen Hand­ lungstheorie kommt in einem Gebet des Kleanthes, des zweiten Schulgründers, zum Ausdruck, das Epiktet am 112   Vgl. Gellius, ebd. VII (VI) 2,11 f. Bobzien, ebd. 276–290, erläu­ tert detailliert, weshalb bei Chrysipp keine indeterminierte Entschei­ dungsfreiheit vorliegt, bei der es in derselben Situation die Möglich­ keit einer alternativen Entscheidung gäbe. 113   Vgl. für Chrysipp die in SVF II 596–632 gesammelten Belege. Siehe dazu Forschner, Philosophie der Stoa 136–143.

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Ende seines Handbüchleins stoischer Lebensmaximen auf Griechisch und Seneca in den protreptischen Briefen an Lucilius auf Latein zitierte (und das – was ebenfalls auf­ schlussreich ist – auch von dem Astrologen Vettius Valens in der Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. überliefert wird): „Führe mich, Zeus, und du, mein Geschick, wohin ihr einst mir bestimmt habt! Ich werde folgen ohne Zaudern. Wenn ich aber nicht will, bin ich schlecht geworden – und werde gleichwohl folgen.“114

Am universalen Ablauf des Weltgeschehens änderten die Entscheidungen der Menschen nichts, seien diese doch von vornherein mitgesetzt. Ein Mensch, der seine Vernunft vollkommen ausgebildet habe, erkenne diesen allgemeinen Zusammenhang, in den er freudig einstimme, denn ändern könne er ihn, wie er weise einsehe, ja doch nicht.115 Das war nun freilich die Rückwendung in die alte mythische Schick­ salsbestimmtheit, die das philosophische Denken der Grie­ chen spätestens seit Platon eigentlich verlassen hatte. Ange­ sichts dieser Schicksalsergebenheit in der Alten Stoa (jedenfalls bei Kleanthes), die bei Epiktet ein eindrückliches Revival erleben sollte (Kap.  III 2), ist der Nachdruck, mit dem Chrysipp in diesem deterministischen Rahmen, den auch er grundsätzlich nicht verließ, auf der Selbstbestim­

114   Epiktet, ench. 53 (= SVF I 527). Eigene Übersetzung. Vgl. Seneca, epist. 107,11; Vettius Valens, anth. VI 9. 115  Siehe Pohlenz, Stoa I, 106, dazu ebd. II, 61 f.; Krämer, Grund­ legung des Freiheitsbegriffs 248–251. Das Gleichnis vom an einen Wa­ gen (das Schicksal) gebundenen Hund, der notgedrungen mitlaufen muss, das Hippolyt, haer. I 21,2 (GCS Hippol. 3, 25), referiert und das Hans von Arnim Chrysipp zuwies (SVF II 975), stammt nach Bob­ zien, Determinism and Freedom 345–357, erst aus der späteren Stoa.

5. Epikur und Lukrez

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mung des Menschen insistierte, um das ethische Prinzip der Verantwortung zu retten, umso höher einzuschätzen.116

5. Spontane Selbstbewegung: Epikur und Lukrez 5.

Den Hintergrund für Chrysipps Bemühungen, im Rahmen eines lückenlosen Kausaldeterminismus eine Ursache zu bestimmen, die er der Verantwortung des Menschen zu­ schreiben konnte, bildete der Hauptgegner der Alten Stoa: Epikur. Dieser bekämpfte nämlich die Schicksalsnotwen­ digkeit der Stoiker energisch mit dem immer wieder gegen sie vorgebrachten Argument, dass dadurch Lob und Tadel und überhaupt jede Moral sinnlos werden würden.117 Am Schluss des dritten bei Diogenes Laërtios erhaltenen Briefes, adressiert an einen Schüler namens Menoikeus, fragte er: „Wer ist schließlich stärker als jener, der die von einigen als mäch­ tige Herrin über alle Welt empfundene Schicksalsfügung (εἱμ­ αρμένη) auslacht und statt dessen erklärt, dass manches mit Not­ 116   Cicero, fat. 39, hat die schwierige Position Chrysipps zwischen der Intention, das menschliche Begehren, Entscheiden und Handeln dem Zwang der Schicksalsnotwendigkeit zu entwinden, und seinen Denkkategorien, die ihn im Determinismus festhielten, treffsicher er­ kannt: Chrysipp „wollte einen Mittelweg finden“, skizzierte er die hellenistische Debattenlage aus seiner Sicht, „doch schlägt er sich mehr auf die Seite derer, die die Seelenregungen vom Zwang der Not­ wendigkeit (necessitas) befreit (liberatus) wissen wollen. Während er sich aber dazu seiner Terminologie bedient, gleitet er in solche Schwie­ rigkeiten, dass er die Zwangsläufigkeit der Schicksalsfügung (neces­ sitas fati) bestätigt, ohne es zu wollen.“ Übersetzung: p.  59 Bayer (leicht modifiziert). Siehe dazu Schallenberg, Freiheit und Deter­ minismus 221–225. 117   Vgl. Epikur, frg. 378 Usener. Siehe Amand, Fatalisme et liberté 37–39.

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II. Determinismus und Verantwortung

wendigkeit, manches durch Zufall, manches durch unser eigenes Zutun (παρ᾿ ἡμᾶς) geschieht? Denn er sieht, dass wir für das Not­ wendige nicht verantwortlich sind, der Zufall unberechenbar ist und das, was unserem Einfluss unterliegt (τὸ παρ᾿ ἡμᾶς), nicht fremdbestimmt (ἀδέσποτον) ist und deshalb natürlich auch getadelt und gelobt wird.“118

Auch in einem Papyrusfragment seines Buches Über die Natur trat Epikur gegen den stoischen Kausaldeterminis­ mus für „die durch uns selbst bewirkte Ursache“ (δι᾿ ἡμῶν αὐτῶν τὴν αἰτίαν) und für „das, was wir irgendwie aus uns selbst heraus tun“ (τὸ ἐξ ἡμῶν αὐτῶν πῶς πραττόμενον), ein.119 Diogenes von Oinoanda hat sich im 2. Jahrhundert n.Chr. auf seiner Inschrift im selben Sinn geäußert: „Glaubt man an die Schicksalsnotwendigkeit, dann wird jede Ermah­ nung und jeder Tadel hinfällig […].“120 Wie die von ihm kritisierten Stoiker stand Epikur seiner­ seits in einer deterministischen Tradition: Im strengen De­ terminismus der Atomlehre Demokrits regierte die Not­ wendigkeit aller Naturvorgänge. Epikur war daher, erneut wie die Stoiker, gezwungen, eine Erklärung dafür zu fin­ den, wie im Rahmen einer solchen Physik etwas, das „von uns aus“ (παρ᾿ ἡμᾶς) geschieht – das ist offensichtlich das epikureische Pendant zum stoischen ἐφ᾽ ἡμῖν –, möglich sein soll. Neben der natürlichen Schwerkraft und den Bewegun­ 118   Epist. 3, 133. Übersetzung: p.  233 Nickel (der Satzteil, in dem das Wort εἱμαρμένη steht, folgt einer Einfügung in den verderbten Text von Hermann Usener, doch kommt dieses Wort weiter unten im Text erneut vor). Vgl. dazu Cicero, nat. deor. I 55, in der Rede des Epi­ kureers Velleius. Siehe Amand, Fatalisme et liberté 119 f. 119   Zitiert bei Kahn, Discovering the Will 249, aus dem von Gom­ perz, Epikur 30, edierten Papyrus (ebd. Z. 99. 105). 120   Diogenes von Oinoanda, frg. 33 William = frg. 54 Smith, col. III; Übersetzung: Jürss/Müller/Schmidt, Griechische Atomisten 443.

5. Epikur und Lukrez

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gen der Atome, die dadurch entstehen, dass sie aneinander stoßen, nahm er daher eine dritte Art von Bewegung an, nämlich eine minimale Abweichung der Atome von ihrer Bahn, die spontan ohne äußere Einwirkung erfolgte.121 Bei Plutarch wird dieser Gedanke auf den Menschen an­ gewendet und als anti-stoisches Argument präsentiert, des­ sen genaue Herkunft im Text Plutarchs unklar ist, aber möglicherweise auf Epikur zurückgeht.122 Dabei wird ge­ gen den äußeren Zwang ein innerer Impuls gesetzt, der aus der Seele selbst kommt. Aufgrund der Unabhängigkeit die­ ser Selbstbewegung von äußeren Ursachen könne dem han­ delnden Subjekt Verantwortung zugeschrieben werden. Als konkretes Beispiel dienen völlig identische Situationen, in denen der eine Akteur so, der andere anders entscheidet. Der Grund dafür liege nicht in äußeren Ursachen, da diese identisch seien, sondern in der inneren Spontaneität des ent­ scheidenden Subjekts. Chrysipp hielt dagegen, dass die Si­ tuationen nur epistemisch identisch seien, d. h. wir nähmen sie nur so wahr.123 Die unterschiedlichen Wirkungen ver­ wiesen jedoch darauf, dass es doch verborgene Unterschie­ de gegeben haben müsse, die zu ihnen geführt hätten. Eine spontane Selbstbewegung anzusetzen sei dafür nicht nötig. Der Einwand Chrysipps gegen diese Theorie Epikurs beruht also auf der Ablehnung einer spontanen Bewegung, die von ihm als Bewegung ohne Ursache aufgefasst wurde. Weil es in der stoischen Physik lückenloser Kausalzusam­ menhänge keine „ursachenlose Bewegung“ (ἀναίτιος κίνησις, 121   Vgl. Epikur, frg. 281 Usener (siehe dazu Pohlenz, Stoa I, 172); Lukrez, rer. nat. II 80–141; Cicero, fat. 22 f.; nat. deor. I 69; Plutarch, sollert. anim. 7, 964 c; Stoic. repugn. 34, 1050 b–c. 122   Vgl. Plutarch, ebd. 23, 1045 b–d (= SVF II 973). Siehe dazu Bob­ zien, Determinism and Freedom 33–44. 123   Vgl. dazu die oben S. 78 Anm.  9 0 notierten Belege.

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II. Determinismus und Verantwortung

motus sine causa) geben kann,124 war eine solche Formulie­ rung gleichsam ein horribile dictu. Sämtliche Kritiker Epi­ kurs sind den Stoikern in der Annahme gefolgt, dass alles, was in der Welt geschieht, irgendeine Ursache haben muss, weshalb sie diese Idee Epikurs geschlossen ablehnten. Die Gegner Epikurs verkannten allerdings das Potenzial, das seiner Idee innewohnt. In der Fassung, die ihr der Epi­ kureer Lukrez in seinem Lehrgedicht De rerum natura über die epikureische Physik, das Cicero nach dem Tod des Autors (55 v.Chr.) publizierte und so vor dem Untergang rettete, gegeben hat, wird dieses Potenzial erahnbar. Gegen einen durchgehenden Determinismus und mit Rekurs auf Epikurs Idee der spontanen Abweichung mancher Atome von ihrer Bahn formulierte er erstmals, wenn ich recht sehe, einen „den Schicksalsfügungen entwundenen freien Wil­ len“ (libera fatis avolsa voluntas): „Schließlich: Wenn eine jede Bewegung immer verknüpft wird und aus der alten Bewegung entsteht in sicherer Ordnung stets eine neue und nicht durch Beugen (declinando) die Körper den Anfang einer Bewegung machen, der breche das Bündnis des Schicksals (fati foedera), dass seit unendlicher Zeit nicht Ursache folge auf Ursach: Woher besteht auf Erden allem Beseelten der freie (libera), woher stammt, sag ich, der dem Schicksal entwundene Wille (fatis avolsa voluntas), dank dem vorwärts wir schreiten, wohin einen leitet die Freude, abbiegen auch die Bewegungen weder zu sicherem Zeitpunkt noch an sicherer Stelle des Raumes, sondern wo der Gedanke uns hintrug (ubi ipsa tulit mens)? 124   Vgl. die entsprechenden Auskünfte bei Cicero, divin. II 61: nihil enim fieri sine causa potest als Grundsatz Chrysipps; fat. 20 f. (= SVF II 952); Pseudo-Plutarch, fat. 11, 574 d (= SVF II 912); Alexander von Aphrodisias, fat. 22 (p.  192 Bruns) (= SVF II 945).

5. Epikur und Lukrez

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Denn ohne Zweifel bewirkt hierbei der eigene Wille (sua cuique voluntas) jedem den Anfang und daraus ergießt sich Bewegung den Glie­ dern, […] so dass du siehst: Es stammt vom Herzen (cor) die Eingangsbe­ wegung (initum motus) und zuerst geht alles hervor aus dem Willen der Seele (ex animi voluntate), drauf wird es weiter gereicht durch den ganzen Leib und die Glieder.“125

Im weiteren Verlauf der Darstellung wird dieser Gedanke auf die gesamte belebte wie unbelebte Natur ausgeweitet, „die, befreit (libera), der herrischen Zwingherrn entle­ digt, / selber, von sich aus, spontan (ipsa sua per se sponte), ohne Götter alles vollführet“.126 Hier begegnen die Menschen und die ganze Welt befreit von der alles determinierenden Verkettung der Ursachen – was anti-stoisch ist – und, anti-mythisch, vom Einfluss der Götter. „Selber, von sich aus, spontan“ erfolgt alles, was in der Welt geschieht; und was der Mensch tut, hat seinen Ur­ sprung in ihm „selbst“, in seinem „Herzen“, seiner „Seele“, in seinem „Willen“ (voluntas). Dieser Begriff taucht in die­ sem Kontext erstmals explizit auf, und erstmals wird dieser „Wille“ zugleich als „frei“ (libera) bezeichnet, und zwar, wie der Kontext zeigt, als befreit aus der Schicksalsfügung im Sinne einer determinierten Folge von Ursache und Wir­ kung. Bei Lukrez kann man in der Tat von Freiheit im Ge­ gensatz zum Determinismus reden. Die Freiheit besteht in der Spontaneität einer aus sich selbst erfolgenden und we­ 125

  Lukrez, rer. nat. II 251–271. Übersetzung: p.  103–105 Büchner.   Ebd. II 1091 f. Übersetzung: ebd. 163. Vgl. ebd. II 133: prima moventur enim per se („von sich aus“) primordia rerum. 126

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II. Determinismus und Verantwortung

der zeitlich noch räumlich festgelegten Bewegung der Seele bzw. des Geistes. Hier wäre in der antiken Debatte eigentlich der Punkt erreicht gewesen, von dem aus sich ein starker Freiheitsge­ danke hätte entwickeln lassen. Dass dies nicht geschehen ist, lag zum einen wohl an der allgemeinen Ablehnung des Epikureismus durch die anderen Philosophenschulen, zum anderen an einem sogleich zu besprechenden Problem der epikureischen Physik (Kap.  II 6). Zudem wird man auf­ grund der Diskurszusammenhänge bezweifeln dürfen, ob hier wirklich ein (freier) Wille im Sinne einer eigenständi­ gen mental-seelischen Kraft im Menschen vorliegt oder nicht vielmehr das, was Lukrez als „freien Willen“ bezeich­ nete, als sich „ungehindert“ entfaltendes natürliches „Stre­ ben“ im Rahmen einer atomistischen Physik zu verstehen ist. Immerhin: Der Gedanke der Spontaneität war eine In­ novation, die weiterzuverfolgen sich gelohnt hätte.

6. Willentliche Selbstbewegung: Karneades 6.

Nun haftet diesem auf Epikur zurückgehenden Gedanken des Lukrez allerdings das Problem an, dass eine willentli­ che, geistige Selbstbewegung der Seele im Rahmen eines atomistischen Weltbilds nicht denkbar ist. Die spontane Abweichung einzelner Atome von ihrer Bahn, die Epikur sich ausdachte und die Lukrez übernahm, um dem physika­ lischen Determinismus ihrer Physik zu entkommen, war eine „etwas gewaltsame Lösung“.127 Insofern hatten die Kritiker recht, wenn sie im Rahmen der von allen Seiten geteilten Voraussetzung eines lückenlosen Ursache-Wir­ 127

 So Krämer, Grundlegung des Freiheitsbegriffs 252.

6. Karneades

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kungs-Zusammenhangs die Idee einer „ursachenlosen Be­ wegung“ im Bereich des Materiellen ablehnten. Hier scheint der Akademiker Karneades im 2. Jahrhun­ dert v.Chr. eine Unterscheidung eingeführt zu haben, die aus diesem Dilemma herausführen könnte. Karneades lehnte die „ursachenlose Bewegung“, auf die Epikur die Freiheit im Sinne von Spontaneität gründete, wie die Stoi­ ker ab und verteidigte die Selbstbestimmung des Menschen in den Bahnen Chrysipps, warf diesem aber den Fehler vor, die Zustimmung ihrerseits wieder als festes Glied in eine Ursachenkette einzureihen und damit zu determinieren.128 Um aus den Zwängen eines physikalischen Kausaldetermi­ nismus, dem die Stoiker wie die Epikureer gleichermaßen unterlagen, herauszukommen, musste man das Reich des Gegenständlichen vom Reich des Geistigen und Seelischen trennen. In der materiellen, physisch-empirischen Welt gibt es nur Kausalnexus oder Zufall. Die Selbstbestimmung, und erst recht eine freie Selbstbestimmung, steht auf einem anderen Blatt: dem der praktischen Lebensführung und des geistigen, inneren Lebens des Menschen. Es war Platon, der diese beiden Bereiche in seiner Ontologie unterschieden hatte, weshalb – wie im nächsten Kapitel darzustellen sein wird – die Platoniker, nicht die Stoiker und auch nicht die Epikureer der Selbstbestimmung und der Freiheit den Weg aus den physikalischen Zwängen gewiesen haben.129 Folgt man der Darstellung Ciceros, hat möglicherweise der Akademiker Karneades als erster einen solchen Gedan­ 128   Das deckt sich mit der oben S.  91 Anm.  116 zitierten Einschät­ zung Ciceros, fat. 39 (wobei die Zusammenhänge so liegen, dass der Akademiker Cicero darin wohl dem Akademiker Karneades folgte). Siehe Pohlenz, Stoa I, 177, und die Paraphrase ebd. II, 89 f. 129   Siehe dazu die grundsätzlichen Bemerkungen von Steel, Keine Freiheit ohne Platonismus 59–63.

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II. Determinismus und Verantwortung

ken erwogen. Im Anschluss an die Differenzierung der Ur­ sachen durch Chrysipp scheint er eine Bewegung „ohne Ursache“ als Bewegung „ohne äußerlich einwirkende vor­ ausgehende Ursache“ und demgemäß die willentliche Selbstbewegung der Seele als Bewegung, die ihre Ursache „in sich“ hat, verstanden zu haben, „denn für den mensch­ lichen Willen (voluntas) gibt es keine außerhalb seiner selbst liegenden vorausgehenden Ursachen“.130 Das bedeute nicht, dass sich die Seele „überhaupt ohne Ursache“ bewege.131 Wie sich – hier an Epikur anschließend – die Bewegung der Atome aus ihrer „Natur“ ergebe (durch Gewicht und Schwer­k raft), so ergebe sich die Bewegung der Seele aus der ihr eigenen „Natur“, dem „Willen“: „Es sei die Natur des Atoms selbst, sich unter der Einwirkung von Gewicht und Schwerkraft zu bewegen, und genau das sei auch die Ursache, warum es so falle. In ähnlicher Weise braucht man für die willentlichen Seelenvorgänge (animorum motus voluntarii) nicht nach einer außerhalb der Seele liegenden Ursache (externa causa) zu suchen; denn willentliche Bewegung (motus voluntarius) schließt natürlich in sich, dass sie in unserer Verfügungsgewalt (in nostra potestate) liegt und uns gehorcht, und zwar nicht ,ohne Ur­ sache‘; denn die Ursache dafür ist die Natur selbst.“132

Sichtlich im Rückgriff auf stoische und epikureische Be­ griffe und Konzepte, mit denen Karneades sich auseinan­ dersetzte, formulierte er die Selbstbewegung der Seele, die in der Verfügungsgewalt des Menschen liegt (das stoische ἐφ᾽ ἡμῖν), und gab dafür eine Ursache an, die nicht Teil der

130   Karneades bei Cicero, fat. 23: voluntatis enim nostrae non esse causas externas et antecedentis. Man würde zu gerne wissen, welches griechische Wort Karneades für Ciceros voluntas benutzt hat. 131   Ebd. 24. 132   Ebd. 25. Übersetzung: p.  41 Bayer.

6. Karneades

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materiellen Welt ist: den „Willen“.133 Damit wird die Frage nach der Selbstbestimmung des Menschen aus der Physik heraus verlagert in das Gebiet des Geistes. Was dieser „Wil­ le“ freilich ist und wie er funktioniert, ist damit noch nicht gesagt. Bedeutet „willentlich“ hier mehr als „natürlich“, wo doch die „willentliche Bewegung“ als eine Funktion der „Natur“ beschrieben wird (eius rei causa ipsa natura est)? Ist das ein freier Wille – oder wie bei Lukrez doch nur ein natürlicher Antrieb, der sich ungehindert von äußeren Zwängen aus der „Natur“ der Seele ergibt?134 Diese Ausführungen Ciceros waren noch lange nicht das Ende dieser Problemgeschichte. Aber was der Akademiker Karneades dazu gedacht hat, führte einen entscheidenden Schritt in diese hinein.135 Epikureer wie Stoiker – und unter diesen allen voran Chrysipp – haben energische Anstren­ gungen unternommen, die Selbstbestimmung des Men­ schen zu denken, um das ethische Prinzip der Verantwor­ tung zu sichern, stießen dabei aber an die Grenzen ihrer deterministischen physikalischen Weltbilder. In Auseinan­ dersetzung mit beiden Positionen taucht beim Akademiker Karneades im Rahmen der platonischen Weltsicht erstmals 133   Aufgrund dieses Begriffs – sofern er nicht auf Cicero zurück­ geht – dürfte hinter der „Selbstbewegung“ des Karneades nicht die platonische „Selbstbewegung“ der Seele stehen (vgl. Platon, Phaidr. 245 c 5–246 a 2, bes. ebd. 245 e 3.7 f.), wiewohl dies bei einem Akade­ miker grundsätzlich zu erwarten wäre. Die Quelle, Cicero, gibt aber keinen Hinweis in diese Richtung. 134   Für letzteres votiert zu Recht Frede, A Free Will 91–95. 135  Siehe dazu auch Krämer, Grundlegung des Freiheitsbegriffs 253 f.; Rosenberger, Determinismus und Freiheit 34 f.; ferner den Kommentar von Schallenberg, Freiheit und Determinismus 188– 192 sowie ebd. 298–305 die Hervorhebung der Leistung des Karnea­ des (bzw. Ciceros) im Eintreten für einen von der Naturkausalität unabhängigen „freien Willen“.

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die Unterscheidung eines Bereiches des Materiellen, in dem Notwendigkeit und Zufall herrschen, von einem Reich des Geistigen auf, in der die Frage nach einer von physikali­ schen Determinierungen unabhängigen Selbstbestimmung des Menschen und damit nach Freiheit überhaupt erst sinn­ voll gestellt werden kann.

III. Ethik der Freiheit: Die Freiheitsdebatte in der römischen Kaiserzeit 1. Kaiserzeitliche Freiheitsdebatten Nach den intensiven Diskussionen über die Möglichkeit menschlicher Selbstbestimmung im Rahmen deterministi­ scher physikalischer Kausalzusammenhänge in der helle­ nistischen Philosophie scheint das Thema unter den Gebil­ deten der römischen Kaiserzeit omnipräsent geworden zu sein. Möglicherweise ist das auch nur der Eindruck, den der Überlieferungszustand der Quellen vermittelt, denn im Gegensatz zur hellenistischen philosophischen Literatur, die mit geringfügigen Ausnahmen bis auf wenige Fragmen­ te und Notizen bei späteren Autoren komplett untergegan­ gen ist, sind aus der Kaiserzeit bis in das 3.  Jahrhundert n.Chr. hinein zahlreiche Quellen in verschiedenen Gattun­ gen und in allen philosophischen und religiösen Traditio­ nen erhalten, in denen diese Thematik erörtert wird. Offen­ bar tauchte in der Kaiserzeit ein verstärktes Bewusstsein für die innere Freiheit des Menschen von äußeren Zwängen auf. Dieser Eindruck muss nicht in Widerspruch dazu ste­ hen, dass gleichzeitig ein zunehmendes Interesse an Astro­ logie und Schicksalsglauben zu beobachten ist und bei­ spielsweise in den Romanen des Heliodoros und des Achilles Tatius nicht die Menschen die Verantwortung für ihre Taten tragen, sondern ein böses Schicksal, und im rö­ mischen Epos, allen voran in Vergils Aeneis, das „unüber­

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III. Ethik der Freiheit

windliche Schicksal“ die gesamte Handlung steuert.1 Das verbreitete Nachdenken über die Freiheit dürfte vielmehr als Korrelat zu diesen Phänomenen aufzufassen sein. Beide Aspekte lassen sich nicht zuletzt an der Entwick­ lung ablesen, die die Stoa in der römischen Welt nahm.2 Die stoische Philosophie präsentierte sich in dieser nahezu aus­ schließlich als praktische Lebenskunst – was für die antike Philosophie seit Sokrates und besonders für die hellenisti­ sche Philosophie ohnehin zu einem großen Teil der Fall war.3 Die Ethik bildete das Zentrum der philosophischen Disziplinen, und in dieser ging es um die Sorge für sich selbst, die eigene Seele bzw. das eigene Leben und um Selbsterziehung als lebenslange sittliche Aufgabe.4 Diese Arbeit an sich selbst setzte einen Freiraum gegenüber den Zwängen des Schicksals, auch der stoischen Schicksalsfü­ gung, und vor allem innere Freiheit von den äußeren Le­ bensumständen voraus, wie auch immer diese aussehen mochten. In diesem Rahmen haben die führenden Stoiker dieser Zeit, Seneca, Musonius, Epiktet und Mark Aurel, de­ ren soziale Stellung und persönliche Lebenswege außeror­ dentlich verschieden waren, ihre protreptischen und psy­ chagogischen Vorträge gehalten und Schriften verfasst. Besonders unter den von Arrian zusammengestellten und 1   Vgl. Vergil, Aen. VIII 334: ineluctabile fatum. Fatum ist der Leit­ begriff der Aeneis, die ganze Handlung wird von Beginn an von den Entscheidungen der Götter und des Schicksals, das gleich im zweiten Vers eingeführt wird (ebd. I 2: Aeneas ist der fato profugus), gelenkt, und Aeneas ist deswegen pius, weil er sich gleich einem stoischen Wei­ sen ganz dem Schicksal fügt. Siehe Schröder, Art. Fatum (Heimar­ mene) 529. 2   Siehe dazu Pohlenz, Stoa I, 277–299. 354–366. 3   Klassisch hierzu: Hadot, Exercices spirituels; ders., Philosophie als Lebensform. 4   Meisterhaft beschrieben von Foucault, Die Sorge um sich 53–94.

1. Kaiserzeitliche Freiheitsdebatten

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herausgegebenen Lehrvorträgen Epiktets finden sich etli­ che Diatriben über die innere Freiheit des Menschen. Die Ausstrahlung der stoischen Lebenskunst reichte sehr weit. Sie gehörte nicht nur zur allgemeinen Bildung im Rom der Kaiserzeit, sondern wirkte auch über die pagane antike Kultur hinaus. So wurde das Freiheitsdenken der Stoiker im hellenistischen Judentum ebenso rezipiert wie im frühen Christentum. Zugleich aber gab es von allen an­ deren philosophischen Schulen und auch von christlicher Seite Kritik am stoischen Determinismus und speziell an Chrysipps Form des Kompatibilismus. Die kaiserzeitli­ chen Philosophen jeglicher Couleur, paganer wie jüdischer und christlicher, bedienten sich alle der stoischen Termino­ logie und Handlungstheorie, verwendeten sie allerdings in platonischem Sinn gegen den Determinismus der stoischen Schicksalslehre. Wie gängig die verschiedenen Ansichten über die Be­ stimmung des Menschen durch das Schicksal oder durch sich selbst mittlerweile geworden waren, kann man indi­ rekt einem Passus bei dem hellenistischen Juden Josephus Flavius entnehmen. In den in den Jahren 93/94 n.Chr. er­ schienenen Jüdischen Altertümern erklärte er seinem grie­ chisch-römischen Publikum die jüdischen Gruppierungen der Pharisäer, Sadduzäer und Essener in der Weise, dass er sie mit Philosophenschulen verglich, die er anhand ihrer Ansichten über Schicksalsdeterminiertheit und Selbstbe­ stimmung des Menschen voneinander abgrenzte. Demnach „behaupten die Pharisäer, dass manches, aber nicht alles das Werk der Schicksalsfügung (εἱμαρμένη) sei, manches dage­ gen an uns liege (τινὰ ἐφ᾿ ἑαυτοῖς)“, während die Essener alles der Schicksalsfügung zuschrieben, wohingegen die Saddu­ zäer darauf insistierten, dass „alles an uns selbst (ἐφ᾿ ἡμῖν

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III. Ethik der Freiheit

αὐτοῖς) liege“.5 Diese Einteilung der jüdischen religiösen Gruppen in – um moderne Begriffe zu gebrauchen – Deter­ ministen (Essener), Libertaristen (Sadduzäer) und Kompa­ tibilisten (Pharisäer) hat Josephus auch schon im zwischen 75 und 79 verfassten Jüdischen Krieg präsentiert. 6 Hinter diesen Beschreibungen steht offensichtlich der Diskurs über die stoische Schicksalsnotwendigkeit. Das er­ gibt sich nicht nur aus diesem für das Publikum des ­Josephus bewusst anstelle der biblischen Vorsehung gewählten Be­ griff, sondern ganz deutlich aus der Charakterisierung der Pharisäer an einer weiteren Stelle in den Jüdischen ­Altertümern: „Wenn sie behaupten, alles geschehe nach einer bestimmten Schicksalsfügung (εἱμαρμένη), so wollen sie damit dem menschli­ chen Wollen (τὸ βουλόμενον) nicht das Vermögen absprechen, nach dem zu streben, was an ihnen liegt (ἡ ἐπ᾽ αὐτοῖς ὁρμή), sondern ­lehren, es habe Gott gefallen, die Macht der Schicksalsfügung und die menschliche Vernunft zusammenwirken zu lassen, so dass je­ der es nach seinem Belieben mit dem Laster oder der Tugend hal­ ten könne.“7

Hier finden sich sämtliche Begriffe: Schicksalsfügung (εἱμαρμένη), Impuls (ὁρμή), Selbstmächtigkeit (ἐπ᾽ αὐτοῖς ist das stoische ἐφ᾽ ἡμῖν), Vernunft, Tugend und Laster, mit de­ nen diese Thematik von den Stoikern erörtert wurde. Man darf bezweifeln, dass die jüdischen Religionspartei­ en und namentlich die Pharisäer dieses Thema in dieser Form erörtert haben, zumal die jüdischen Züge in der Art, 5  Josephus Flavius, ant. Iud. XIII 5,9 (171–173). Übersetzung: II p.  157 f. Clementz (modifiziert). 6   Vgl. bell. Iud. II 8,14 (163–165). Siehe dazu Theiler, Schicksals­ lehre 50 f. 7   Ant. Iud. XVIII 1,3 (13). Übersetzung: II p.  506 Clementz (mo­ difiziert).

1. Kaiserzeitliche Freiheitsdebatten

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wie Josephus die Schicksalsfügung darstellt, unverkennbar sind. 8 Wenn aber Josephus seinen griechisch-römischen Le­ sern die Pharisäer, von denen er in seiner Autobiographie sagte, dass sie ungefähr der stoischen Schulrichtung ent­ sprächen,9 regelrecht als Kompatibilisten im Sinne Chry­ sipps vorstellte, dann setzte diese Stilisierung voraus, dass speziell eine solche Charakterisierung ihnen etwas sagte. Diese Form von Josephus’ Rekurs auf den Freiheitsdiskurs spiegelt somit die Verbreitung der zugehörigen Denkmus­ ter wider. Um die jüdischen Gruppierungen zu profilieren, konnte Josephus die Frage stellen: Wie hältst du’s mit der Freiheit? Auf denselben Voraussetzungen beruht ein Exkurs in ei­ nem anderen Geschichtswerk, und zwar in den wohl um 116/17 verfassten Annalen des Tacitus, in denen er, ausge­ löst durch den Bericht über die astrologischen Interessen des Kaisers Tiberius, die Theorien darüber, was das Leben der Menschen bestimme, auflistete. Seine Skizze ist theore­ tischer und differenzierter als die schematische Zuordnung bei Josephus zu den jüdischen Religionsparteien, und sie lässt auch in den Details die Debatten der römischen ­Kaiserzeit über dieses Thema erkennen.10 Die von Tacitus mehrmals angesprochene Frage im Hintergrund dieses Ab­ risses über Schicksalstheorien bildet das ebenso notorische wie unlösbare Dauerproblem der Religions- und Geistesge­ schichte aller Kulturen und Epochen: die Leiden der guten und die Freuden der schlechten Menschen, also das Theodi­ 8

  Siehe dazu Maier, Mensch und freier Wille 1–20.   Vgl. Josephus Flavius, vit. 12 (p.  26 f. Siegert/Schreckenberg/ Vogel). 10   Vgl. Tacitus, ann. VI 22,1–3. Übersetzung: p.  413 Heller (leicht modifiziert). Eine detaillierte Erklärung des Textes bei Theiler, Schicksalslehre. 9

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III. Ethik der Freiheit

zeeproblem. Die erste Antwort, die, wie er sagte, „viele“ vertreten, ist die der Epikureer: Weil es keine Vorsehung und keine schicksalhafte Notwendigkeit gebe – die Götter kümmerten sich nicht um die Menschen –, sei die Vertei­ lung von Glück und Unglück Zufall. Die Ansicht „anderer“ gehe dahin, dass das Geschick eines Menschen von der „freien Wahl des Lebensweges“ bestimmt werde, von der dann alles Weitere als „Verkettung natürlicher Ursachen“ abhänge; das ist die stoisch formulierte Position der Plato­ niker im Anschluss an Platons Er-Mythos am Schluss der Politeia (Kap.  II 2) in mittelplatonischer Fassung.11 Der Standpunkt der „meisten Menschen“ sei jedoch der des Fa­ talismus bzw. Determinismus, der sich in Nativitätsstelle­ rei und damit Astrologie manifestiere. Mit dieser Meinung dürfte auch auf die Schicksalslehre der Stoiker angespielt sein, in der die Praxis der Weissagung als Argument für die Schicksalsnotwendigkeit fungierte und auch das Problem betrügerischer Zukunftsdeutung diskutiert wurde. Damit bezeugt Tacitus primär die weite Verbreitung astrologi­ scher Praktiken in der römischen Kaiserzeit – die er selbst entschieden ablehnte12 –, indirekt aber die Bedeutung der stoischen, mit der Astrologie verknüpften deterministi­ schen Schicksalsdeutung, die von den „meisten Menschen“ geteilt werde. Die zum allgemeinen Bildungsgut gewordene stoische Lehre über das Schicksal und die Selbstbestimmung des Menschen lässt sich schließlich in den um das Jahr 160 ver­ 11   Theiler, ebd. 80–103, versucht unter Heranziehung zahlreicher Parallelstellen den Nachweis zu führen, dass die konkrete Fassung dieser Theorie bei Tacitus auf die Schule des (Mittel-)Platonikers Gaios zurückgehe; so auch schon vermutungsweise Pohlenz, Stoa I, 357. 12   Vgl. Tacitus, hist. I 22; II 78.

1. Kaiserzeitliche Freiheitsdebatten

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fassten Attischen Nächten des Aulus Gellius nachlesen. Un­ ter der bunten Menge an Themen aus sämtlichen Bereichen der antiken Bildung, die Gellius darin in lockerer Abfolge erörterte, widmete er zwei Kapitel der Vorsehung bzw. dem Schicksal und der Freiheit, in denen er beides mit Rekurs auf Chrysipps Kompatibilismus verteidigte.13 Gellius para­ phrasierte oder zitierte aus dessen viertem Buch Über die Vorsehung die entscheidenden Aussagen, ohne das Problem eigenständig zu erörtern.14 Neben den entsprechenden Ka­ piteln in Ciceros De fato, auf das Gellius abschließend ver­ wies,15 ist er deshalb unsere wichtigste Quelle für Chry­ sipps Argumente. Bemerkenswert ist der Hinweis auf Homers Odyssee, dessen Verse aus dem ersten Gesang über die Eigenverantwortung der Menschen für ihr Leid (Kap.  I 1)16 Gellius mit der Bemerkung wiedergab, „jener weiseste und älteste aller Dichter“ habe „zuerst diesen wahren Ge­ danken Ausdruck gegeben“.17 Offenbar hatte schon Chry­ sipp so argumentiert und dazu diese Homerstelle herange­ zogen, denn Gellius referierte hier Chrysipps Argument gegen Missetäter, die als Ausflucht für ihre Untaten auf die Unabänderlichkeit des Schicksals verweisen. Aus diesen beiden Kapiteln bei Gellius könnte man so etwas wie ein kanonisches Antwortmuster für römische Gebildete her­ auslesen, wenn es um Schicksal, Verantwortung und Frei­ heit geht: Erstmals stehe dazu etwas bei Homer; Chrysipp habe das Entscheidende gesagt; und bei Cicero könne man nachlesen, wie schwierig das ganze Thema sei. 13

  Vgl. Gellius, noct. Att. VII (VI) 1–2.   Vgl. ebd. VII (VI) 1,2–6 und 7–13; VII (VI) 2,3.7–14. 15   Vgl. ebd. VII (VI) 2,15. 16   Vgl. Homer, Od. I 32–34. 17   Gellius, noct. Att. VII (VI) 2,14. Übersetzung: II p.  377 Weiss. 14

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III. Ethik der Freiheit

2. Freiheit als Einwilligung in das Schicksal: Epiktet 2.

Epiktet ist der erste Stoiker, bei dem die Freiheit im Zen­ trum des Philosophierens steht.18 Das Wort εἱμαρμένη kommt in den Niederschriften seiner um 110/20 gehaltenen Vorträge – ganz anders als nach ihm wieder bei Mark Aurel – bezeichnenderweise nicht vor, wohl aber sehr häufig die griechischen Begriffe ἐλεύθερος und ἐλευθερία für „frei“ bzw. „Freiheit“. Der längste seiner Lehrvorträge, die Dia­ tribe IV 1 Über die Freiheit, ist explizit diesem Thema ge­ widmet, und ἐλεύθερος ist gleich das erste Wort.19 Epiktet erörterte die Frage nach der Freiheit des Men­ schen nicht im Kontext von Determinismus und damit als Thema der Physik, 20 sondern in der Ethik im Zusammen­ hang mit der Frage nach dem guten und richtigen Leben. Es geht, wie er in der Freiheitsdiatribe ausdrücklich sagt, um „das Wissen, wie man lebt“ (ἐπιστήμη τοῦ βίου), und zwar um ein „Wissen vom Leben im Ganzen“ (καθόλου τὴν περὶ βίον ἐπιστήμην).21 Ziel dieses Wissens und eines daran ausge­ richteten Lebens ist es, „unsere Seele frei zu machen“ – so fasste der spätantike Kommentator von Epiktets Hand­ büchlein, der Platoniker Simplikios, die Intention Epiktets treffend zusammen.22 Damit bewegte sich Epiktet auf dem Gebiet der Seelenleitung und Selbstsorge, die für die römi­ 18   Siehe zum Folgenden Bobzien, Determinism and Freedom 330– 357, sowie die ausgezeichnete Darstellung von Forschner, Epiktets Theorie der Freiheit. Ferner Pohlenz, Stoa I, 329–335; Kahn, Disco­ vering the Will 251–255. 19   Vgl. Epiktet, diss. IV 1,1. 20  Dazu Bobzien, Determinism and Freedom 330–338. 21   Epiktet, diss. IV 1,63.118. Übersetzung: Schmeller, SAPERE 22, 41. 53. Vgl. auch diss. I 15,2. 22   Simplikios, in Epict. ench. praef. (p.  193.14 Hadot).

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sche Stoa typisch war, legte aber als erster den Akzent nachdrücklich auf die Freiheit. Epiktet fragte nicht mehr im Blick auf einen physikali­ schen Kausalzusammenhang, ob es etwas gibt, das am Menschen liegt (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν). Da setzte er die Antwort Chry­ sipps, der die vernunftgeleitete Zustimmung zu Vorstellun­ gen und Impulsen als das Vermögen des Menschen, durch das er zur Ursache einer Handlung wird, identifiziert hatte, offenbar voraus und dachte auf ihrer Basis weiter darüber nach, welche Dinge es konkret seien, die auf diese Weise an uns liegen (τὰ ἐφ᾽ ἡμῖν). Konkret interessierte ihn daran hauptsächlich die Frage, wie das, was an uns liegt, beschaf­ fen sein muss, um das Ziel eines guten und glücklichen Le­ bens zu erreichen. Seine Antwort läuft auf eine strikte Ver­ innerlichung dessen, was an uns liegt, hinaus: An uns liege im strengen Sinn nur das, was gänzlich von äußeren Bedin­ gungen unabhängig sei und deshalb unter allen denkbaren Umständen und mit absoluter Sicherheit zu jeder Zeit und dauerhaft in unserer Macht stehe.23 Der Begriff dessen, was an uns liegt, diente bei Epiktet einer praktischen Absicht, nämlich was er dazu beiträgt, ein gutes und „unerschütter­ liches“ Leben zu planen und zu führen.24 Auf diese Weise gelangte Epiktet zu einer im Grunde ganz engen Bestimmung dessen, was an uns liegt: Nur der Akt der Zustimmung oder ihrer Verweigerung als solcher liege am Menschen, sonst nichts. Nur über die Haltung, die ein Mensch gegenüber allem einnimmt, was ihm wider­ fährt, könne er selbst bestimmen. Das sei die ureigenste „Entscheidung“ (προαίρεσις) des Menschen, die ihm nie­ 23   Vgl. Epiktet, diss. I 1,23; I 4,18; II 1,21; III 5,7; III 15,12; IV 1,27 f.; IV 7,9; ench. 29. Vgl. auch schon Seneca, vit. beat. 15,7. Siehe Bobzien, Determinism and Freedom 332. 24   Bobzien, ebd. 338.

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mand abnehmen oder vorschreiben könne. In diesem Sinne sei der Mensch „frei“, nämlich frei von äußeren Gegeben­ heiten und Zwängen: Es gibt etwas im Menschen, wie er betonte, das „von Natur aus frei“ sei, und das sei die unge­ hinderte Zustimmung oder deren Verweigerung.25 Epiktets Freiheitsbegriff ist ein „Rückzug in die innere Burg der Seele“, wie Maximilian Forschner ihn mit Bezug auf Pierre Hadots Buch über Mark Aurel genannt hat, 26 oder mit Su­ sanne Bobzien gesagt, eine „Philosophie der Freiheit durch Selbstbeschränkung“.27 Mit den Begriffen ἐλευθερία und προαίρεσις, mit denen Epiktet diesen Freiheitsbegriff beschrieb, griff er auf alte, in die sokratische und aristotelische Philosophie zurückrei­ chende Konzepte zurück, die er allerdings auf charakteris­ tische Weise modifizierte und denen er dadurch einen neu­ en Inhalt gab. Während der Begriff ἐλευθερία ursprünglich einen politisch-sozialen Sinn hatte und der Gegenbegriff zu Tyrannei und Sklaverei war, verschob Epiktet seine Bedeu­ tung ganz zu einem anthropologisch-ethischen Sinn und damit von äußerer Freiheit in das Innere.28 Der Gegenpol zu dieser Freiheit des inneren Menschen ist die innere Ver­ sklavung des Menschen an seine Triebe und Begierden. Um in diesem Sinn frei zu sein, darf man nicht Sklave seiner Leidenschaften sein. 25  Epiktet, diss. III 22,42 f. Vgl. ench. 1. Siehe dazu Kobusch, Selbstwerdung und Personalität 206–208. 26   Forschner, Epiktets Theorie der Freiheit 106, mit Bezug auf Hadot, Die innere Burg. Vgl. z. B. Mark Aurel VIII 48: „Eine feste Burg (wörtlich: eine Akropolis) ist das von Leidenschaften freie Den­ ken.“ Eigene Übersetzung. 27   Bobzien, Determinism and Freedom 331: „Epictetus’ philoso­ phy of freedom through self-restriction“. 28   Siehe dazu Bobzien, ebd. 338–344.

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Dieser Sprachgebrauch hat insofern einen Anhaltspunkt in der Alten Stoa, als schon in dieser das Adjektiv ἐλεύθερος an die ethische Kategorie des im sittlichen Sinne „Tüchti­ gen“ gebunden wurde, 29 woraus das stoische Paradoxon entstand, dass nur der vollkommen vernünftige und tu­ gendhafte Mensch frei sei: „Nur der Weise ist frei, die Nichtweisen aber Sklaven.“30 Im Sinne des sokratisch-pla­ tonischen Axioms, dass richtiges Handeln auf wahrem Wissen basiere, ist diese Freiheit nur dort gegeben, wo die Vernunft nicht mehr die Dienerin der Leidenschaften ist: „Die Freiheit (ἐλευθερία) nämlich ist“, wird von Chry­sipp überliefert, „die Macht der Selbsttätigkeit (ἐξουσία αὐτοπραγίας), die Sklaverei hingegen die Ohnmacht zur Selbsttätigkeit.“31 In der Sokratik waren die politisch-soziale und die an­ thropologisch-ethische Dimension dieses Freiheitsbegriffs noch miteinander verbunden. In einem Gespräch des So­ krates mit Euthydemos in Xenophons Erinnerungen an So­ krates (um 358/57 v.Chr.) wird über eine „Freiheit“ (ἐλευ­ θερία) nachgedacht, die politisch gemeint ist, aber ethisch als „Besonnenheit“ (σωφροσύνη) im Sinne von „Selbstbe­ herrschung“ (ἐγκράτεια) interpretiert wird.32 Der xenophon­ 29

  Vgl. Zenon bei Diogenes Laërtios VII 33 (= SVF I 222).   Chrysipp bei Diogenes Laërtios VII 121 (= SVF III 355). Vgl. für Zenon: Cicero, parad. Stoic. 5,33; Philon, omn. prob. lib. 97 (VI p.  28 Cohn/Wendland) (= SVF I 218); Plutarch, aud. poet. 12, 33  d (= SVF I 219); für Chrysipp: Philon, ebd. 59 (VI p.  17) (= SVF III 362); post. Cain. 138 (II p.   30 Cohn/Wendland) (= SVF III 364); Dion Chrysostomos, orat. 14,16 (= SVF III 356); Origenes, in Ioh. comm. II 16,112 (GCS Orig. 4, 73) (= SVF III 544); Stobaios, ecl. II 101,14 (= SVF III 593). Siehe Forschner, Epiktets Theorie der Freiheit 99. 31   Chrysipp bei Diogenes Laërtios VII 121 (= SVF III 355). Siehe dazu Frede, A Free Will 66–74. 32   Vgl. Xenophon, mem. IV 5,2–11. 30

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tische Sokrates erörtert die Grundbedingung sozialer und politischer Freiheit, nämlich die individuelle Freiheit des einzelnen Menschen, die darin bestehe, dass der Mensch Herr seiner selbst sei, was er nur sein könne, wenn er seine Triebe und Leidenschaften beherrsche. Nur dann könne er auch Herr über andere sein. Das ist eine individualethische Fundierung der politischen Freiheit.33 Dieser Gedanke war für Platons Staatsidee, in der politi­ sche Gerechtigkeit auf der Gerechtigkeit der Seele beruhte, ebenso leitend wie für Aristoteles. In der Stoa wurde er re­ zipiert, wie sich aus einer Bemerkung bei Cicero ergibt, in der er wohl altstoische Vorstellungen wiedergab: Der Weise sei „als einziger frei, wenn er weder der Herrschaft von ir­ gendjemanden unterworfen noch der Leidenschaft gehor­ sam ist“.34 Bei Epiktet hingegen ging es bei diesem Frei­ heitsbegriff nur noch um die innere Freiheit des Individuums von seinen Leidenschaften und von äußeren Zwängen. Die politische und soziale Seite spielte keine Rolle mehr. In sei­ nen Lehrvorträgen predigte Epiktet daher unablässig die geistige Unabhängigkeit des Menschen von den äußeren Lebensumständen. Das gilt für alle römischen Stoiker: Ob einer Sklave und Freigelassener (wie Epiktet und Cornutus) war oder Kaiser (wie Mark Aurel), ob er reich (wie Seneca) oder weniger reich (wie Musonius) war, aber in die Verban­ nung geschickt wurde (wie Seneca, Musonius und Cornu­ tus) – sie alle flüchteten sich vor den Zwängen ihres Daseins in die innere Freiheit des Geistes. Eine ähnliche Verschiebung lässt sich beim zweiten Kernbegriff der Freiheitstheorie Epiktets beobachten, der 33   Siehe dazu überaus erhellend Foucault, Der Gebrauch der Lüs­ te 104–123. 34   Cicero, fin. III 75: solus liber nec dominationi cuiusquam parens nec oboediens cupiditati.

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προαίρεσις.35 Bei Aristoteles, auf den er zurückgeht, bezog er sich als politischer Begriff auf äußere Dinge, die im Ein­ flussbereich des Menschen liegen. Er gab ihm allerdings auch einen handlungstheoretischen und ethischen Sinn: Durch eine „Entscheidung“ werde der Mensch zur Ursache einer Handlung, und an der Art seiner Entscheidung zeige sich der Charakter eines Menschen (Kap.  II 3). Diese letzte­ re Konnotation des Begriffs wurde von Epiktet aufgegrif­ fen und verstärkt. Da das einzige, worüber der Mensch sei­ ner Ansicht nach wirklich verfüge, die Entscheidung sei, die er trifft, wenn er kraft seiner Vernunft über den Ge­ brauch von Vorstellungen, Impulsen und Begierden ent­ scheidet,36 wurde der Begriff für diese Entscheidung, προ­ αίρεσις, zum Kernbegriff seiner Freiheitstheorie. Epiktet verwendete diesen Begriff in drei Bedeutungen: als Bezeichnung für eine „punktuelle Enscheidung“, für die „Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen“, und für eine „habi­ tualisierte Grundentscheidung für eine Lebensform“.37 Am wichtigsten war die dritte Bedeutung. Unter προαίρεσις ver­ stand Epiktet „eine grundlegende Entscheidung, die Wahl einer Lebensweise, die allen punktuellen Entscheidungen voraufgeht und ihnen Maß und Richtung vorgibt“.38 In die­ sem Sinn bringt die „Vor-Entscheidung“, wie man 35   Siehe dazu Pich, Προαίρεσις und Freiheit 100–112. In der Alten Stoa hat der Begriff keine Bedeutung, und wenn er vorkommt, be­ zeichnet er eine „Wahl vor der Wahl“, „eine erstmalige, vorläufige Ent­ scheidung“: Pohlenz, Stoa I, 332. Vgl. die Belege bei Forschner, Epiktets Theorie der Freiheit 106 f.: Stobaios, ecl. II 2 (= SVF III 567); II 87,14 (= SVF III 173); Galen, plac. Hipp. et Plat. II 8 (p.  246 Müller) für Diogenes von Babylon (= SVF III Diog. 30). 36   Vgl. Epiktet, diss. I 1,4.12.23; I 12,34. 37   Forschner, Epiktets Theorie der Freiheit 108. 38   Ebd. 107.

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προαίρεσις wiedergeben kann,39 aus der heraus alle Einzel­ entscheidungen getroffen werden, den „Charakter“ und die „Persönlichkeit“ eines Menschen zum Ausdruck und steht regelrecht für seine „Personalität“ und „Identität“.40 Epik­ tet deutete damit die aristotelische προαίρεσις um zum Zen­ trum der „Person“ und zum „Selbst“ des Menschen schlechthin (wobei schon Aristoteles die „überlegte Wahl“ in das „Selbst“ des Menschen verlegt hatte, Epiktet hier also einen Anknüpfungspunkt für seine Deutung finden konn­ te). Als „Wille“ ist diese προαίρεσις nicht zu deuten und auch nicht zu übersetzen, denn wiewohl sie konzeptionell auf den Weg führt, eine grundsätzliche Lebenseinstellung als eigenständigen Faktor menschlichen Handelns anzuset­ zen, bleibt auch die Grundentscheidung streng an den Ver­ stand gebunden. Sie ist nicht voluntaristisch, sondern „eine Weiterbildung der sokratischen Grundanschauung“ und von Chrysipps Intellektualismus.41 Die richtige Grundein­ stellung beruht auf der Einsicht in das, was in der Macht des Menschen steht und was nicht, und daraus ergibt sich das richtige Streben und das entsprechende Handeln, das man freilich einüben muss. In einem bestimmten Sinn hat Epiktet als erster in der stoischen Tradition die Entscheidung eines Menschen über seine Grundeinstellung zum Leben als „frei“ bezeichnet, und zwar in der Weise, dass sie in ihrer vollkommenen 39

  Das ist die Übersetzung von Pohlenz, Stoa I, 332 f.   Vgl. Epiktet, diss. III 1,40: „Denn du bist nicht Fleisch noch Haa­ re, sondern Grundhaltung (προαίρεσις); wenn du diese schön hast, dann wirst du schön sein.“ Eigene Übersetzung. 41  Siehe Pohlenz, Stoa I, 333–335 (das Zitat ebd. 334). Der Intellek­ tualismus kommt z. B. darin zum Ausdruck, dass für Epiktet „das Wollen nicht genügt, um schön und gut zu werden, sondern dass man auch etwas lernen muss“: diss. II 14,10. 40

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Form, wenn sie „der Natur gemäß“ erfolge, „erhaben, frei, ungehindert, ungehemmt“ sei und der so entscheidende Mensch selbst „frei“ werde. In diesem Kontext steht das Epitheton ἐλεύθερα neben προαίρεσις in der Reihe der ande­ ren zitierten Adjektive.42 Auch „das, was an uns liegt“, be­ zeichnete Epiktet als „von Natur aus frei, ungehindert, un­ gehemmt“.43 Schon bei Philon von Alexandria findet sich derselbe Sprachgebrauch (Kap.  I V 1), doch wie Philon legte auch Epiktet keinen besonderen Nachdruck auf das Wört­ chen „frei“ und würde der Satz auch ohne dieses Adjektiv ohne Abstriche denselben Sinn ergeben. Das zeigt sich an einer Stelle, an der Epiktet denselben Gedanken formulier­ te, doch ohne das Adjektiv „frei“ zu verwenden.44 Der Ge­ danke, dass die Entscheidung frei sei, ist vorhanden, aller­ dings nur rhetorisch formuliert in dem Sinn, dass sie von äußeren Zwängen ungehindert getroffen wird. Erst die christlichen Platoniker werden diesen Gedanken und die Junktur von der „Freiheit der Entscheidung“ in das Zen­ trum ihrer Freiheitslehre rücken und prononciert hervor­ heben (Kap.  I V 3 und 4).45 Den Rahmen des stoischen Determinismus hat Epiktet trotz aller Betonung der Freiheit allerdings nicht verlassen. Er verstand die Entscheidung nämlich nicht im Sinne der Möglichkeit einer alternativen Wahl.46 Er betrachtete sie nicht als frei in dem Sinne, dass der Mensch sich so oder 42

  Ebd. I 4,18.   Ench. 1. Eigene Übersetzung. Vgl. diss. III 22,42 f. 44   Vgl. ebd. I 17,21.23. 45   Dazu ein Fund am Wegrand der Quellenlektüre: Eusebius, Hie­ rocl. 47 (SC 333, 208), wird den Anfang von Epiktet, ench. 1, weitge­ hend wörtlich zitieren, dabei aber die Freiheit der Entscheidung her­ vorheben. 46   So richtig Bobzien, Determinism and Freedom 334 f. 43

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anders entscheiden könne. Die Entscheidung war in seinem Konzept vielmehr an eine Vernunft gebunden, die nicht nur im Menschen, sondern im ganzen Sein walte. Nach gemein­ stoischer Auffassung, die Epiktet teilte, geschieht nichts­ in der Welt ohne das Walten der Weltvernunft, welche die Stoiker auch Gott nannten. Alles schicksalhafte Weltge­ schehen erfolge gemäß der vernünftigen Planung der göttli­ chen Vorsehung. Angesichts einer solchen Weltdeutung sei es das Ver­ nünftigste, das eigene „Streben Gott anheimzugeben“, sich auf seinem Lebensweg „an Gott anzuschließen“ und „ge­ nau auf den Willen und die Verwaltung Gottes zu schau­ en“.47 In diesem Punkt stimmte Epiktet mit Seneca überein, der in seinem Dialog Über das glückliche Leben schrieb, „Gott zu gehorchen ist Freiheit“.48 Epiktet meinte das ganz konkret, so wenn er sich einer Aussage Chrysipps an­ schloss: „Wüsste ich, dass mir jetzt krank zu sein bestimmt ist, würde ich auch danach streben.“49 Die vernünftigste Einstellung zum Leben, für die man sich vernünftigerweise auch nur entscheiden könne, sei demnach, sich als Teil des großen kosmischen Weltganzen zu begreifen 50 und mit Freude, Verehrung und Dankbarkeit seinen Part zu erfül­ len.51 Mark Aurel sprach im Gefolge Epiktets in seinen um 168/69 begonnenen Aufzeichnungen An sich selbst sogar davon, das von der Schicksalsfügung bzw. von den Göttern 47   Epiktet, diss. IV 1,89.98.100. Siehe dazu Pohlenz, Stoa I, 339; Forschner, Epiktets Theorie der Freiheit 114 f. 48   Seneca, vit. beat. 15,7: deo parere libertas est. Vgl. ebd. 15,5: deum sequere! Letzteres auf Griechisch bei Mark Aurel VII 31,3: ἀκολούθησον θεῷ. Siehe Pohlenz, ebd. 346–349. 49   Epiktet, diss. II 6,10. 50   Vgl. ebd. IV 1,106. 51   Vgl. ebd. III 24,94 f.

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Zugeteilte zu „lieben“.52 „Wollte man sich […] gegen sein Menschenlos und Schicksal auflehnen, würde man sich zum Narren machen.“53 Gott, die Weltvernunft, hat nach Ansicht Epiktets jedem Menschen sein persönliches Schicksal zugedacht. Das oberste Ziel des Menschen müsse es also sein, dass das, was er kraft seiner Entscheidung will, mit dem übereinstimmt, was ihm vom göttlichen Schicksal bestimmt sei.54 In diesem Sinne zitierte er mehrmals Kleanthes’ Gebet an Zeus: „Führe mich, Zeus, und du, mein Geschick, wohin ihr einst mir bestimmt habt! Ich werde folgen ohne Zaudern.“55

Gleichsam als Kommentar dazu notierte Epiktet die Ein­ willigung des Sokrates in sein Todesurteil in Platons Kri­ ton: „Nun, mein Kriton, wenn es den Göttern recht ist, soll es so geschehen“,56 ferner dessen Ausführungen in Platons 52   Vgl. Mark Aurel III 16,3; V 8,12; XII 1,3. Siehe Schröder, Art. Fatum (Heimarmene) 543. 53   Forschner, Epiktets Theorie der Freiheit 115, mit Bezug auf Epiktet, diss. IV 1,101 f. 54  Siehe Forschner, ebd. 116. 55   Epiktet, ench. 53 (= SVF I 527) (zitiert schon oben S.  9 0). Eigene Übersetzung. Die erste Zeile ist zitiert in diss. II 23,42; III 22,95; IV 4,34, die ersten beiden Zeilen ebd. IV 1,131. – Die lateinische Fassung bei Seneca, epist. 107,11, gibt der Schlusszeile gegenüber dem fakti­ schen Folgen bei Epiktet mehr den Akzent des unwillentlichen Fol­ gens, die Seneca durch eine fünfte Zeile, die sich bei Epiktet nicht fin­ det, noch verstärkte: ducunt volentem fata, nolentem trahunt. Vgl. in diesem Sinne auch vit. beat. 15,6, ferner Vergil, Aen. V 709 f.; Philon von Alexandria, prov. I 80 (Philo Werke VII p.  315); Maximos von Ty­ ros, diss. 13,8 (p.  116 Trapp). Hommel, Schicksal und Verantwortung 258–263, argumentiert dafür, dass Seneca damit einen von Epiktet nicht mitzitierten Vers des Kleanthes wiedergab. 56   Platon, Krit. 43 d 7 f., bei Epiktet, ench. 53. Übersetzung: p.  71 Nickel.

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Apologie des Sokrates, die Epiktet in den Satz zusammen­ fasste: „Anytos und Meletos können mich zwar töten, aber schaden können sie mir nicht.“57 Und er griff sogar noch weiter zurück auf einen Vers des Euripides: „Wer sich dem unausweichlichen Schicksal auf rechte Weise fügt, gilt bei uns als weise und kennt das Göttliche.“58 Freiheit nach Epiktet besteht also letztlich darin, in das von Gott bestimmte Schicksal einzuwilligen. Sein Frei­ heitsbegriff beschreibt nicht ein Vermögen, etwa eine Wahlfreiheit, sondern einen Zielzustand, den erreicht, wer seine Fähigkeit der Entscheidung richtig im Sinne der rech­ ten Vernunft anwendet, und das heißt: wer der Weltver­ nunft bzw. dem göttlichen Plan folgt. Epiktets Konzept der von äußeren Zwängen freien Entscheidung und des rechten Gebrauchs der Vorstellungen und Impulse ist problemlos mit Chrysipps Kompatibilismus vereinbar.59 Die Frage, die sich damit aufdrängt, ist allerdings, ob Epiktet nicht mit der Bestimmung von Freiheit als Einwil­ ligung in ein göttlich gelenktes Schicksal die selbstbe­ stimmte Entscheidung des Menschen über seinen Lebens­ weg unterminierte. Läuft nicht bei ihm alles auf die Einsicht hinaus, dass schon längst alles von der göttlichen Vorse­ hung in vernünftigster Weise festgelegt sei und das Beste, ja einzig Vernünftige, das der Mensch tun könne, darin beste­ 57

  Epiktet, ebd., nach Platon, apol. 30 c–d. Übersetzung: ebd.   Epiktet, ebd.: Euripides, frg. 965 (TrGF III 2 p.  672 Nauck). Epik­ tet zitierte den Vers mit leichter Abweichung: Statt „auf rechte Weise“ (καλῶς) – eine für die Geisteshaltung der Stoiker typische Wendung – schrieb Euripides βροτῶν, das zu ὅστις gehört, also: „Wer von den Sterblichen …“ – eine in Epos und Tragödie übliche Junktur. Der Rückgriff auf Euripides ist deshalb naheliegend, weil sich Kleanthes seinerseits schon auf diesen bezogen hatte: Hommel, Schicksal und Verantwortung 259 Anm.  75. 59   So auch Forschner, Epiktets Theorie der Freiheit 117 f. 58

3. Kritik am stoischen Kompatibilismus

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he, in sein Schicksal einzuwilligen? Es mag ja sein, dass ein Mensch in der Tat von allen Affekten und Zwängen, Begier­ den und Ängsten in diesem Leben frei wird, wenn er alles freudig so akzeptiert, wie es ist: „Verlange nicht, dass alles, was geschieht, so geschieht, wie du es willst, sondern wün­ sche dir, dass alles so geschieht, wie es geschieht, und du wirst glücklich sein.“60 Aber ist das wirklich eine selbstbe­ stimmte Entscheidung über das eigene Leben – oder nicht doch eher der Verzicht darauf? Mündet dieser Weg zur Freiheit, den Epiktet nicht müde wurde einzuschärfen, nicht in eine Kehre in die göttliche Schicksalsbestimmtheit (auch wenn Epiktet das Wort εἱμαρμένη vermied)? Wird die innere Freiheit des Geistes, die er so emphatisch als für je­ den Menschen in jeder Lebenssituation möglich verkünde­ te, nicht doch überlagert von einer göttlichen Vorherbe­ stimmung? Es verwundert nicht, dass Epiktet zwar auf viel Resonanz gestoßen ist – er gehörte zu den meistgelesenen Autoren der römischen Kaiserzeit, wie Origenes bezeugt 61 –, der deterministische Aspekt seiner Freiheitstheorie aber auch Kritik auf sich gezogen hat.

3. Kritik am stoischen Kompatibilismus Man kann die stoische Einstellung wohl auch so auffassen, dass die Stoiker ein ausgeprägtes Bewusstsein für die vielfa­ chen Bedingtheiten des Daseins hatten. Die Natur des Menschen wie die Natur des gesamten Seins bestimmen den naturgegebenen Rahmen des menschlichen Lebens. Mit der Frage danach, was „in unserer Macht steht“ (τὸ ἐφ᾽ 60

  Epiktet, ench. 8. Übersetzung: p.  17 Nickel.   Vgl. Origenes, Cels. VI 1 (GCS Orig. 2, 71).

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ἡμῖν), loteten die Stoiker die Möglichkeiten des Menschen aus, unter diesen Bedingungen über sich selbst zu bestim­ men. Die Antwort Chrysipps, diese Möglichkeit in der Fä­ higkeit der Vernunft zu verorten, natürlichen Eindrücken und daran gekoppelten Strebungen die Zustimmung zu ge­ ben oder zu verweigern, wurde von Epiktet daraufhin zu­ gespitzt, den schicksalhaft gegebenen Umständen des eige­ nen Lebens zuzustimmen. Schon Chrysipp schrieb im ersten Buch seiner Schrift Über die Lebensziele: „Denn unsere Naturen (φύσεις) sind Teile der Natur des Ganzen. Darum erweist sich auch das Leben in Übereinstimmung mit der Natur (τὸ ἀκολούθως τῇ φύσει ζῆν) als das Ziel, d. h. das Leben im Einklang mit der eigenen und mit der Natur des Ganzen, wobei man nichts tut, was das gemeinsame Gesetz (ὁ νόμος ὁ κοινός) ver­ bietet, d. h. die richtige Vernunft (ὁ ὀρθὸς λόγος), die alles durch­ dringt und identisch ist mit Zeus, diesem Herrn über die Ordnung aller Dinge.“62

Auch wenn die Stoiker damit dem Menschen einen Ent­ scheidungsspielraum zuschrieben, zielten ihre Überlegun­ gen doch mehr auf die Akzeptanz der Gegebenheiten als auf das Ausloten von Freiheitsräumen. Letztendlich mün­ dete ihre Zielvorstellung in die Übereignung der eigenen Entscheidung an die göttliche Weltvernunft, wie ebenfalls schon Chrysipp an derselben Stelle sagte: „Genau dies aber ist die Vollkommenheit (bzw. Tugend: ἀρετή) des Glücklichen und der gute Fluss des Lebens (εὔροια βίου), wenn al­ les geschieht im Sinne der Übereinstimmung (συμφωνία) des Geis­ tes (δαίμων), der in jedem Einzelnen wohnt, mit dem Willen (βούλησις) dessen, der das Ganze verwaltet.“63

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  Chrysipp, fin. I, bei Diogenes Laërtios VII 87 f. (= SVF III 4).   Ebd. Siehe dazu Nickel, Stoa und Stoiker II, 1001–1004.

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Die Begriffe und Konzepte, die von den Stoikern zur menschlichen Selbstbestimmung entwickelt worden waren, wurden Gemeingut der Bildung und der Philosophie, tru­ gen sie doch Erhellendes zum Verständnis davon bei, wie menschliches Entscheiden und Handeln funktioniert. Die stoische Freiheit in Form einer inneren Unabhängigkeit, die in einen streng deterministischen Rahmen eingebettet blieb, war aber vielen zu wenig und hat daher Kritik von sämtlichen anderen philosophischen Schulen und beson­ ders von den Platonikern auf sich gezogen. 64 a) Postulat der Willensfreiheit: Cicero Als erster Zeuge für diese Kritik, der für uns in den Quellen greifbar wird, kann Cicero angesehen werden. Cicero ver­ stand sich selbst als Anhänger der platonischen Akade­ mie, 65 weshalb seine Einwände gegen das stoische Konzept von Selbstbestimmung aus der Tradition des Platonismus stammten. Sehr wahrscheinlich gingen sie im Kern auf Kar­ neades zurück, der sich im 2. Jahrhundert v.Chr. gegen den physikalischen Kausaldeterminismus der Stoiker wie der Epikureer gewandt hatte, indem er Chrysipps Konzept der Zustimmung die Idee einer Selbstbewegung der Seele auf­ grund einer geistigen Ursache, die er als „Wille“ bestimmte, entgegensetzte. Nicht zufällig wissen wir davon durch Cicero, der diesen entscheidenden Gedanken des Karnea­ des referierte (Kap.  II 6). 66 Vermutlich hat Cicero sich da­ 64   Siehe dazu Frede, A Free Will 89–101, mit einer ähnlichen Ein­ schätzung (ebd. 90 f.). Eine nützliche Übersicht bei Schröder, Art. Fatum (Heimarmene) 546–562. 65   Auf diese Schulzugehörigkeit verwies Cicero oft, z. B. auch in fat. 1. 3. 66   Vgl. ebd. 23–25.

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durch auch zu seiner Kritik an der stoischen Schicksalsfü­ gung und zu seiner eigenen Position anregen lassen. In seiner Schrift Über das Schicksal, die er in den Mona­ ten nach Caesars Ermordung67 von März bis Juni 44 v.Chr. schrieb, wandte sich Cicero in den Spuren des Karneades sowohl gegen die Stoiker als auch gegen die Epikureer. Da­ bei trat er als entschiedener Verteidiger der Willensfreiheit auf, von der er – nach Lukrez (Kap.  II 5) – explizit sprach. Das Ziel seiner Darlegungen war allerdings nicht, die Exis­ tenz eines „freien Willens“ (libera voluntas) zu beweisen, und auch nicht, zu erklären, worin er bestehe oder was man sich darunter vorzustellen habe. Er setzte ihn vielmehr vo­ raus und verwendete ihn als Argument gegen den stoischen wie den epikureischen Determinismus. In der Auseinandersetzung mit dem stoischen Kausalne­ xus, der „Schicksalsfügung“ (εἱμαρμένη, fatum), gestand Cicero zu, dass manche Dinge von „natürlichen Ursachen“ (causae naturales) bedingt seien, unter anderem auch die Veranlagung eines Menschen zu bestimmten charakterli­ chen Eigenschaften. Doch sei ein Mensch dieser Veranla­ gung nicht ausgeliefert, sondern könne sie – Cicero erörter­ te die Variante, dass es sich um negative Eigenschaften handelt – überwinden, und zwar durch „Wille“ (voluntas), „Anstrengung“ (studium) und „Disziplin“ (disciplina). 68 Cicero wollte also den Bereich des Willens von der notwen­ digen Wirkung der natürlichen Ursachen ausnehmen. Das ist der Grundgedanke des Karneades: Der Wille unterliegt nicht den Mechanismen der Naturkräfte und auch nicht

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  Darauf verweist er ebd. 2.   Ebd. 11.

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den Zwängen der Veranlagung, sondern ist davon grundle­ gend verschieden. 69 Dieses Argument Ciceros war allerdings nicht mehr als ein Postulat. Das Ziel von Ciceros Argument, nämlich die Behauptung, dass etwas „in unserer Macht“ stehe (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν), zwar mit dieser stoischen Formel, aber gegen Chry­ sipps Kausaldeterminismus zu beweisen, wird von ihm „als Voraussetzung in den Beweis eingeführt“,70 nicht durch ihn nachgewiesen.71 Cicero setzte die Willensfreiheit voraus, wenn er argumentierte, dass „diejenigen, die einen von Ewigkeit herrührenden Kausalnexus (series causarum) ein­ führen, den Menschengeist (mens hominis) seines freien Willens (voluntas libera) berauben und ihn in die Zwangs­ läufigkeit der Schicksalsfügung (necessitas fati) einschnü­ ren“.72 Auf dieselbe Art und Weise hatte schon Karneades mit der Entscheidungsfähigkeit des Menschen argumen­ tiert.73 Karneades und Cicero sahen die Schicksalsnotwen­ digkeit und die Entscheidungsmacht des Menschen als Ge­ gensatz, wobei sie Chrysipps Versuch, diesem Problem mit Hilfe einer Differenzierung der Ursachen zu begegnen (Kap.  II 4), ignorierten. Was auch immer man von diesem Argument hält: Die Entscheidungsmacht bzw., wie Cicero mit Karneades formulierte, die Willensfreiheit des Men­ schen galt als Axiom, auf dem der Gedankengang aufbaute. Wie wichtig Cicero die Willensfreiheit war, wird aus sei­ nen Einwänden gegen Epikur deutlich. Dieser hatte zwar 69  Das hebt Schallenberg, Freiheit und Determinismus 301 f. 303–305, zu Recht als die Leistung Ciceros im Gefolge des Karneades hervor. 70   So richtig Bayer, Cicero: Über das Schicksal 120. 71   Vgl. Cicero, fat. 9. 72   Ebd. 20. Übersetzung: Bayer, Cicero: Über das Schicksal 35. 73   Vgl. ebd. 31.

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ebenfalls gegen die Stoa die Willensfreiheit verteidigt, zu deren Erklärung allerdings seine Atomtheorie durch die Annahme spontaner Abweichungen der Atome von ihrer geraden Bahn in einer Weise modifiziert, dass diese Modi­ fizierung von allen anderen Philosophen als Einführung einer „ursachenlosen Bewegung“ abgelehnt wurde (Kap.  II 5). Cicero, der das Lehrgedicht des Lukrez nach dessen Tod herausgegeben hatte, muss diese Theorie bestens gekannt haben. Er lehnte sie ebenso entschieden ab wie alle anderen Gegner der Epikureer,74 zeigte sich dabei aber bereit – und das scheint mir angesichts seiner generellen Antipathie ge­ gen Epikur wirklich erstaunlich zu sein –, lieber Epikurs Thesen zu akzeptieren als die stoische Schicksalsfügung, weil diese mit ihrem Determinismus die Willensfreiheit zerstöre: „Wenn mich hier zum ersten Mal die Lust ankäme, es mit Epikur zu halten und zu leugnen, dass jedes Urteil entweder wahr oder falsch sei, dann möchte ich lieber diesen Schlag hinnehmen als zu­ geben, dass alles durch die Schicksalsfügung geschehe: Denn über erstere Meinung kann man noch diskutieren, letztere aber ist ein­ fach untragbar (non est tolerabilis).“75

Im Kontext geht es um das Axiom der Widerspruchsfrei­ heit von logischen Aussagen, denn damit wurde in der ­hellenistischen Debatte für die Notwendigkeit der Schick­ salsfügung argumentiert, um den Zwangscharakter der Schick­salsfügung aufzuzeigen und so Chrysipps Zustim­ mungstheorie zu widerlegen: Wenn jede Aussage nur ent­ weder wahr oder falsch ist, eine Aussage über die Zukunft aber wahr ist, dann muss das Ausgesagte mit logischer Not­ wendigkeit eintreten. Chrysipp hat sich mit diesem Argu­ 74

  Vgl. ebd. 18–20. 22 f. 46–48.   Ebd. 21. Übersetzung: Bayer, Cicero: Über das Schicksal 37.

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ment viel herumgeschlagen (Kap.  II 4), Epikur hatte dem Determinismus, der damit begründet werden sollte, zu ent­ gehen und die Willensfreiheit zu verteidigen versucht, in­ dem er das Axiom an sich in Frage stellte – was aber für die Logik ein Ding der Unmöglichkeit ist. Doch um diese Debatte im engeren Sinn geht es mir hier nicht. Aufschlussreich ist vielmehr die Haltung, die Cicero dazu einnahm. Er zeigte sich lieber bereit, mit Epikur das Axiom der Widerspruchsfreiheit aufzugeben als mit Chry­ sipp die Schicksalsfügung im Sinne einer zwingenden Not­ wendigkeit anzunehmen – letzteres sei „einfach untragbar“, formulierte er rhetorisch stark. Also lieber mit Epikur und mit einem falschen, für die Logik desaströsen Gedanken die Willensfreiheit verteidigen als mit Chrysipp einer The­ orie anhängen, die die Entscheidungsmacht des Menschen zerstört! Natürlich war das im Gedankengang des Textes ein rhetorisches Argument, das Cicero nicht ernsthaft ver­ trat, sondern mit dem er klarmachen wollte, worum es ging. Das aber gelang ihm sehr deutlich: An der Willensfreiheit durfte nicht gerüttelt werden, und das sogar um den Preis, ein fundamentales Axiom der Logik in Frage zu stellen. Cicero muss sehr viel am freien Willen gelegen haben, sonst hätte er nicht so argumentieren können. Im Ergebnis sehen wir bei Cicero, wie er sowohl die Idee Chrysipps, dass etwas in unserer Macht stehe, als auch de­ ren stoische Formulierung aufgriff. Allerdings kritisierte er den damit einhergehenden Determinismus in Form der schicksalhaften Ursachenverkettung. Dafür rekurrierte er auf die Willensfreiheit, die er aber nicht herleitete oder be­ gründete, sondern voraussetzte. Begrifflich und sachlich folgte er damit Epikur und Lukrez, konzeptionell jedoch dem Akademiker Karneades. Was Cicero unter Willens­ freiheit genau verstand, erläuterte er indes nicht. Aus seiner

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Verwendung des Begriffs geht lediglich hervor, dass der „freie Wille“ an den Geist bzw. Intellekt des Menschen ge­ bunden zu sein scheint, wenn Cicero davon sprach, dass die mens ihrer libera voluntas beraubt werde.76 Das scheint ein Willensbegriff in den Bahnen des Intellektualismus zu sein, was zu seiner Herkunft aus akademischen Zusammenhän­ gen passen würde, denn nach sokratisch-platonischer Vor­ stellung ergibt sich das Wollen bzw. Entscheiden und Han­ deln eines Menschen aus seinem Denken. Damit begegnet bei Cicero erstmals im Grundriss das Denkgefüge, das in der Debatte über Determinismus und Freiheit in der Kai­ serzeit vielfach anzutreffen ist. b) Undeterminierte Entscheidung: Die platonische Schultradition Die platonische Schultradition der frühen römischen Kai­ serzeit bewegte sich im Grunde auf der Linie der von Cicero referierten akademischen Kritik am stoischen Kausaldeter­ minismus. Gegen das stoische Axiom, dass alles in der Welt „gemäß der Schicksalsfügung“ (καθ᾿ εἱμαρμένην) geschehe, auch die Selbstbestimmung des Menschen, insistierten die Platoniker darauf, dass nicht alles von der Schicksalsfügung – die sie als solche nicht infrage stellten – bestimmt sei, um die Selbstbestimmung und Entscheidungsfähigkeit des Menschen nicht zu untergraben.77 Darüber waren sich alle einig, die sich dazu äußerten: Plutarch von Chaironeia in seiner Streitschrift Über die Selbstwidersprüche der Stoi­

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  Ebd. 20.   Siehe dazu Amand, Fatalisme et liberté 101–106; Pohlenz, Stoa I, 354–357; de Lacy/Einarson, Plutarch: Moralia VII, 306 f.; Dil­ lon, Alcinous: The Handbook of Platonism 160–162. 77

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ker,78 der unbekannte Autor des pseudo-plutarchischen Traktats Über das Schicksal79 und die Verfasser platonischer Handbücher, Alkinoos im Lehrbuch (Didaskalikos) der Lehren Platons80 und Apuleius in einer Schrift Über Platon und seine Lehren. 81 Die Basis für dieses Argument bildeten die platonischen Seelenmythen in der Politeia und im Phaidros sowie die zugehörigen Passagen in den Nomoi und im Timaios, an die sich die Platoniker anschlossen. 82 Das gilt insbesondere für den von Platon im Er-Mythos formu­ lierten Grundsatz, dass die Ursache und damit die Verant­ wortung für ein bestimmtes Lebensschicksal bei dem liege, der es gewählt hat, nicht bei Gott. 83 Die logische Basis für den Einwand gegen einen lücken­ losen Determinismus lieferte den Platonikern die Annah­ me, dass das Schicksal nach Art einer Hypothese funktio­ niere. Die Schicksalsfügung sei nicht als unausweichlicher Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zu be­ 78

  Vgl. Plutarch, Stoic. repugn. 47, 1056 a–d.   Vgl. Pseudo-Plutarch, fat. 5, 570 b. d–e; 8, 572 f; 11, 574 d. – Die in Plutarchs Werkverzeichnis, dem Lamprias-Katalog, aufgeführten zwei Bücher Über das Schicksal (Nr.  58: XV p.  12 Sandbach), sind nicht erhalten. 80   Vgl. Alkinoos, didask. 26,1 (p.  54 f. Summerell/Zimmer). 81   Vgl. Apuleius, Plat. I 12 (p.  101.16 f. Moreschini). 82   Vgl. Pseudo-Plutarch, fat. 1, 568 c – 2, 568 f; 9, 573 c–f; 9, 574 a; 10, 574 b; Apuleius, ebd. (p.  102.2–15 Moreschini). 83   Apuleius, ebd. (p.  101.15 f. Moreschini), beginnt mit diesem Obersatz allen platonischen Nachdenkens über das Handeln des Men­ schen: […] nec ullius mali causa deo poterit adscribi. Pseudo-Plutarch, ebd. 9, 573 e–f, zitiert dreimal die korrespondierende Aussage in Pla­ ton, Tim. 42 d 3 f. Vgl. auch Maximos von Tyros, diss. 41,5 (p.  335 Trapp). Die Schicksalswahl bei Platon, polit.  X 617 e 2 f., ist aufgegrif­ fen bei Alkinoos, didask. 26,1 (p.  54 f. Summerell/Zimmer): „Wenn eine Seele ein derartiges Leben wählen und bestimmte Dinge tun wird, werden ihr bestimmte Dinge widerfahren.“ 79

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greifen, in dem aus a notwendig b folge, sondern im Sinne eines hypothetischen Zusammenhangs: wenn x, dann y. Im Konditionalsatz steckt sozusagen der Freiraum für die Ent­ scheidung: Diese „wird nicht erzwungen, aber das, was auf die Tätigkeit folgt, wird schicksalsgemäß zu Ende geführt werden“. 84 Als Beispiel diente Paris, der Helena entführte: Dies hätte er nicht tun müssen, doch als er sich dafür ent­ schied, traten unausweichlich die Folgen seiner Entschei­ dung (der Krieg der Griechen gegen Troja) ein: „Paris wird Helena rauben, was in seiner Macht liegt, und die Folge wird sein, dass die Griechen Krieg um Helena führen.“85 Dem entspricht das ebenfalls von Alkinoos angeführte Bei­ spiel der Weissagung an Laios: „Wenn du einen Sohn zeugst, wird der Spross dich töten.“86 Origenes, der diese mittelpla­ tonische Tradition aufgriff, wertete diesen Fall explizit im Sinne der Entscheidungsfreiheit aus: „Hieraus wird nun ersichtlich, dass es für Laios möglich war, ,Kindersaat‘ nicht auszustreuen. Der Orakelspruch hätte ihm nämlich nichts Unmögliches aufgetragen. Möglich war aber auch das Ausstreuen – und keines von beiden war aufgezwungen. Da er sich jedoch nicht davor gehütet hatte, ,Kindersaat‘ auszustreuen, ergab sich für ihn aus der Tatsache, dass er sie ausgestreut hatte, die Konsequenz erdulden zu müssen, was die Tragödie von Ödi­ pus, Iokaste und ihren Söhnen berichtet.“87

84   Alkinoos, ebd. 26,2 (p.  54 f.) in Fortsetzung des in der vorigen Anmerkung zitierten Satzes. 85  Ebd. 86   Ebd. als Zitat aus Euripides, Phoen. 19. Auch Maximos von Ty­ ros, diss. 13,5 (p.  113 Trapp), griff das Beispiel des Laios im platoni­ schen Sinn auf. 87  Origenes, Cels. II 20 (GCS Orig. 2, 150). Übersetzung: Barthold, FC 50/2, 401.

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Pseudo-Plutarch erläuterte diesen Freiraum für die Ent­ scheidung so, dass zwar die universale Schicksalsfügung determiniert sei, nicht aber die individuelle: „Die Schicksalsfügung umfasst nicht alles unmittelbar und aus­ drücklich, sondern nur im universalen Sinn […]. Denn das Be­ stimmte/Determinierte, das für das göttliche Denken eigentüm­ lich ist, erblickt man eher im Bereich des Universalen […], das Unbestimmte/Undeterminierte hingegen im Bereich des Indivi­ duellen.“88

Zu den undeterminierten Ursachen gehörte neben dem Zu­ fall, dem Möglichen und dem Kontingenten auch „das, was in unserer Macht steht“. 89 Diese Formen von Ereignissen und Handlungen seien zwar „in der Schicksalsfügung“ ent­ halten, „geschehen aber nicht notwendig“.90 Ganz ähnlich formulierte Alkinoos: Nach Platons Ansicht „sei alles in der Schicksalsfügung enthalten, doch sei gewiss nicht alles schicksalsgefügt“.91 Als konkrete Form der Ausübung der Entscheidungsfä­ higkeit taucht im pseudo-plutarchischen Traktat in der Darstellung dessen, was in unserer Macht steht, die Mög­ lichkeit der Wahl auf. Der Autor bestimmte diese als Wahl­ möglichkeit zwischen zwei gleichwertigen Alternativen: „Wenn zwei Möglichkeiten gleichwertig sind, stehen sie in unserer Macht. […] Spazieren zu gehen und nicht spazieren zu gehen und ähnliche Dinge, deren Alternativen gleichwertig sind, hängen vom menschlichen Impuls (ὁρμή) ab; dies also, sagt man, steht in unse­ rer Macht und ist Sache unserer Wahl (προαίρεσις).“92 88

  Pseudo-Plutarch, fat. 4, 569 f – 570 a. Eigene Übersetzung.   Ebd. 5, 570 b; 6, 570 e; 11, 574 d. 90   Ebd. 6, 570 e–f. Vgl. ebd. 8, 572 f. 91   Alkinoos, didask. 26,1 (p.  54 f. Summerell/Zimmer). Das Ver­ bum καθείμαρται entspricht καθ᾿ εἱμαρμένην bei Pseudo-Plutarch. 92   Pseudo-Plutarch, fat. 6, 571 c–d. Eigene Übersetzung. 89

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In der Terminologie wie in der Sache kommt darin der Ein­ fluss des Aristoteles zum Ausdruck, der sich in dem Traktat generell feststellen lässt. Die Voraussetzung für eine Ent­ scheidung, nämlich eine Alternative wählen zu können, wird im Traktat nicht weiter ausgeführt, von Alexander von Aphrodisias jedoch ausführlich eingefordert werden (Kap.  III 3c).93 Den kaiserzeitlichen Platonikern war offenbar daran ge­ legen, der Entscheidung wirklich einen Freiraum gegen­ über einem lückenlosen Determinismus zu sichern. Ihr An­ satzpunkt war derselbe wie bei den Stoikern, nämlich eine Grundlage für Ethik und Moral zu haben: Die Schicksals­ fügung determiniert nicht alles, weil sonst „das, was in un­ serer Macht liegt, sowie Lob, Tadel und alles dergleichen verschwinden würden“.94 Über ein Postulat kamen sie da­ bei allerdings wie schon Cicero nicht hinaus. Sie konstatier­ ten jeweils nur, dass dies so sein müsse, damit die Entschei­ dungskompetenz nicht zerstört werde. Apuleius behauptete die Selbstmächtigkeit des Menschen gegen ein allmächtiges Schicksal mit einem Lehrbuchsatz ohne Begründung: „Er (sc. Platon) denkt nicht, dass alles der Macht der Schicksals­ fügung zuzuschreiben ist, sondern dass es etwas gibt, was an uns liegt (esse aliquid in nobis).“95 Plutarch argumentier­ te wie Cicero von der Voraussetzung aus, dass es etwas gibt, „was in unserer Macht steht und an unserem Wollen liegt“,

93   Das Beispiel des Spazierengehens findet sich im selben Sinn bei Alexander von Aphrodisias, fat. 25 (p.  195.6–8 Bruns), und taucht auch bei Origenes, orat. 6,2 (GCS Orig. 2, 312), unter den Handlungen auf, mit denen er die Selbstbestimmung erläuterte. 94   Alkinoos, didask. 26,1 (p.  54 f. Summerell/Zimmer). 95   Apuleius, Plat. I 12 (p.  102.15 f. Moreschini). Eigene Überset­ zung.

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und wandte sich damit gegen Chrysipps Differenzierung von Ursachen, die ihm den Widerspruch zwischen lücken­ losem Kausaldeterminismus und Selbstbestimmung nicht zu lösen schienen.96 Eine Erklärung dafür, wie die Entscheidung zustande­ kommt, oder genauer gesagt: warum eine bestimmte Ent­ scheidung so gefällt wird, wie sie ausfällt, gaben die Platoni­ ker jedoch nicht. Chrysipp hatte dazu im Rahmen einer lückenlosen Verkettung von Ursache und Wirkung ange­ nommen, dass der Charakter oder dem Menschen nicht er­ kennbare Ursachen dafür maßgeblich seien. Die Platoniker gingen in diesem Punkt offenbar – möglicherweise im Ge­ folge des Karneades (Kap.  II 6) – von einer Selbst-Ursäch­ lichkeit des Geistes aus. Am stärksten formulierte dies Al­ kinoos, wenn er meinte, die Seele sei „herrenlos“.97 Der Begriff stammte aus Platons Er-Mythos, wurde dort aber der Tugend zugeschrieben (Kap.  II 2).98 Alkinoos verwen­ dete ihn in dem Sinn, dass die Seele keinen Herrn hat, mit­ hin selbst Herr über sich ist, woraus sich ergibt, dass „das Tun und Lassen in ihrer Macht liegt“.99 Man spürt eher, als dass man es ausführlich liest, mit wel­ chem Nachdruck die Platoniker darauf insistierten, dass die Selbstbestimmung des Menschen, von der sie im Gefol­ ge stoischer Theoreme und Terminologie ausgingen, nicht von der Schicksalsfügung bestimmt sein dürfe. Es ging ih­ nen darum, dass die Entscheidung tatsächlich nicht deter­ miniert ist.

96

  Vgl. Plutarch, Stoic. repugn. 47, 1056 c–d. Eigene Übersetzung.   Alkinoos, didask. 26,2 (p.  54 f. Summerell/Zimmer). 98   Vgl. Platon, polit.  X 617 e 3. 99   Alkinoos, didask. 26,2 (p.  54 f. Summerell/Zimmer). 97

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III. Ethik der Freiheit

c) Wahlfreiheit: Alexander von Aphrodisias Kritik an Chrysipps Kompatibilismus kam nicht nur von den Platonikern, sondern auch aus allen anderen philoso­ phischen Schulen, die es in der Kaiserzeit gab. Durch um­ fangreiche Exzerpte in der Vorbereitung des Evangeliums des Eusebius von Caesarea von 315/20 wissen wir, dass sich der Kyniker Oinomaos von Gadara, der seine letzten Le­ bensjahre zur Zeit des Kaisers Hadrian (117–138) verbrach­ te,100 und der vermutlich in das 2. Jahrhundert gehörende, aber nicht näher datierbare Epikureer Diogenia­nos101 mit dem astrologischen und stoischen Schicksalsglauben ausei­ nandersetzten. Auch in den Schriften des philosophisch in­ teressierten Arztes Galen102 und des pyrrhonischen Skepti­ kers Sextus Empiricus, der an „die unterschied­ lichen Ansichten über das, was an uns liegt, erinnerte“,103 finden sich nicht wenige Spuren dieser Debatte. Einen umfangrei­ chen Traktat Über das Schicksal, der als einzige Schrift zu diesem Thema aus dieser Zeit vollständig erhalten ist, ver­ fasste schließlich der Peripatetiker Alexander von Aphrodi­ sias, der in Athen einen der von Mark Aurel gestif-

100   Vgl. Oinomaos, frg. 1–13 Mullach (FPhG II p.  361–379) = Eu­ sebius, praep. ev. V 19,1–36,5 (GCS Eus. 8/1, 256–290; daraus die bei Luck, Weisheit der Hunde 404–429, übersetzten Texte); frg. 14 Mul­ lach (FPhG II 379–385) = Eusebius, ebd. VI 7,1–44 (GCS Eus. 8/1, 312–320). Siehe dazu Amand, Fatalisme et liberté 127–134. 101   Vgl. Diogenianos, frg. 1–3 Gercke (JCPh.S 14, 748–753) = Euse­ bius, ebd. VI 8,1–39 (GCS Eus. 8/1, 321–328); frg. 4 Gercke (JCPh.S 14, 753–755) = Eusebius, ebd. IV 3,1–13 (GCS Eus. 8/1, 169–172). Siehe dazu Amand, ebd. 120–126. 102   Galen, plac. Hipp. et Plat. IV 4 (p.  351 f. Müller) (p.  351.3–7 = SVF III 464), warf Chrysipp Inkonsistenz vor. 103   Sextus Empiricus, hypot. III 70,2–5.

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teten Lehrstühle, und zwar den für den Aristotelismus, in­ nehatte, in den Jahren zwischen 198 und 209.104 Der Ausgangspunkt für Alexanders Einspruch gegen den stoischen Kompatibilismus war das Standardargument, dass der Determinismus Tadel und Strafe, Lob und Beloh­ nung aufhebe.105 Dies habe verheerende Folgen für die Le­ bensführung, denn „ohne diese Dinge wäre das Leben der Menschen wahrhaftig nicht lebenswert, ja recht eigentlich gar kein menschliches Leben mehr“.106 Weil die Stoiker selbst dieser Konsequenz wehren wollten, hatte Chrysipp sein Modell der Zustimmung entwickelt, in dem der Mensch selbst zur Hauptursache einer Handlung wird, die seiner Verantwortung zuzuschreiben ist (Kap.  II   4). Ale­ xander übernahm im Grunde die stoische Selbstbestim­ mungstheorie, wollte sie aber anders fassen.107 In seiner Kritik folgte Alexander dem in der römischen Kaiserzeit üblichen Einwand: Aus seiner Sicht erreichten die Stoiker ihr Ziel nicht, weil sie die „menschliche Verfü­ gungsgewalt“ (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν) über eine Handlung kraft der Zu­ stimmung oder ihrer Verweigerung dadurch konterkarier­ ten, dass sie diese ihrerseits als Glied einer lückenlosen Kausalkette betrachteten, in der Ursachen und Wirkungen „gemäß der Schicksalsfügung“ (καθ᾿ εἱμαρμένην) „aus Not­ wendigkeit“ aufeinander folgten. In einem derart determi­ 104   Auch aus diesem zitierte Eusebius einige Passagen: praep. ev. VI 9 (GCS Eus. 8/1, 328–334). 105   Vgl. Alexander von Aphrodisias, fat. 16 (p.  187.8–30 Bruns). 18 (p.  188.22–189.4). 19 (p.  189.11–190.19). 20 (p.  190.26–191.2). Siehe dazu Amand, Fatalisme et liberté 143–156. 106   Ebd. 20 (p.  191.1 f. Bruns). Übersetzung: Zierl, Alexander: Über das Schicksal 91. 107   Zu den verschiedenen Konzeptionen dessen, was an uns liegt, siehe Strobel, Konzeptionen von τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν 132–158; Lautner, Ale­ xander of Aphrodisias on Fate 152–159.

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nierten Ursache-Wirkungs-Zusammenhang gebe es aber keinen Freiraum für eine undeterminierte Entscheidung des Menschen:108 Die „Meinung, dass alles aus Notwendig­ keit und dem Schicksal gemäß werde“, „hebt […] auf, dass etwas bei uns (ἐφ᾽ ἡμῖν) steht“.109 Im Anschluss an die Handlungstheorie seines Schul­ gründers Aristoteles vertrat Alexander deshalb gegen die Stoiker die Möglichkeit der Wahl des Gegenteils als Krite­ rium für die Verfügungsgewalt über das eigene Handeln, die er den ganzen Traktat hindurch immer wieder ein­ schärfte,110 bis zum vorletzten Satz, mit dem er seinen Kern­gedanken zusammenfasste: „Allein darüber ist einer Herr, was auch nicht zu tun er selbst die Möglichkeit be­ sitzt.“111 Der Grund für diese Möglichkeit liege in der Ver­ nunft des Menschen, die sich so oder anders entscheiden könne: „Was nun aber vernunftgemäß zustandekommt, scheint darum vernunftgemäß zustandezukommen, weil derjenige, der es bewirkt, die Macht (ἐξουσία) hat, es auch nicht zu bewirken.“112 Alexander erläuterte dies am Beispiel des Künstlers, der sein Kunstwerk „nicht aus Notwendig­ keit“ schaffe, sondern es auch nicht hätte schaffen kön­ nen,113 und übertrug dies auf ethische Zusammenhänge: „Auch worüber die Wahl (προαίρεσις) gebietet, d. h. alles, 108

  Ebd. 1 (p.  164.16–18 Bruns).   Ebd. 7 (p.  171.26 f.; 172.3 Bruns). 110  Vgl. ebd. 2 (p.   166.13 Bruns). 5 (p.   169.6f). 9 (p.   175.3 f.). 11 (p.   180.1  f.). 12 (p.   180.21.26  f.). 13 (p.   181.14). 14 (p.   185.5–8). 16 (p.  186.21 f.). 19 (p.  189.11). 29 (p.  199.25–200.4). 38 (p.  211.34 f.). 111   Ebd. 39 (p.  212.14–16 Bruns). Übersetzung: Zierl, Alexander: Über das Schicksal 147. 112   Ebd. 5 (p.  169.6 f. Bruns). Übersetzung: ebd. 35–37. Zierl, ebd. 158, verweist als Hintergrund auf Aristoteles, met. IX 2, 1046 b 4 ff.; IX 5, 1048 a 8 ff. 113   Alexander, ebd. (p.  169.8–10 Bruns). 109

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was aufgrund von Tugend oder Schlechtigkeit getan wird, auch das scheint in unserer Verfügungsgewalt (ἐφ᾽ ἡμῖν) zu liegen.“114 Voraussetzung dafür, ein Verhalten als ethisch zu qualifizieren, sei die freie Wahl. Wie in der Kunst gelte da­ her auch für die Ethik das Prinzip der Wahlmöglichkeit, etwas zu tun oder nicht zu tun. Damit aber könne die Ursa­ che dafür nicht mehr die Schicksalsfügung (εἱμαρμένη) sein, denn diese sei mit der Natur identisch. Ein natürliches Ge­ schehen erfolge schicksalhaft, eine moralische Handlung könne darunter daher nicht fallen.115 Hier sieht man eine Unterscheidung, die in dieser Zeit zunehmend auftauchte und die weitere Debatte prägen sollte: Der Bereich der Ethik ist von dem der Physik zu unterscheiden, die Frage nach Freiheit und Verantwortung kann nicht im Rahmen physikalischer Vorstellungen behandelt werden. Chrysipp hatte dieses Problem, das er sich dadurch ein­ handelte, dass er diese ethischen Fragen im Rahmen seiner Physik erörterte, dadurch zu umgehen versucht, dass er zwischen verschiedenen Ursachen differenzierte. Die schicksalhaften Bedingungen fungierten nur als „vorausge­ hende Ursachen“, die von sich aus nicht eine bestimmte Handlung bewirkten, während die „wirksame Ursache“ die Zustimmung der Vernunft zu natürlichen Vorstellungen und Impulsen sei (oder deren Verweigerung) (Kap.  II 4). ­Alexander verzeichnete in seiner Kritik permanent diese stoische Position, weil er Chrysipps Unterscheidung von Hilfs- und Wirkursachen ignorierte, die Schicksalsfügung zu den Wirkursachen rechnete116 und den stoischen Kausal­ determinismus daher mit Fatalismus und Notwendigkeit 114   Ebd. (p.  169.13 f. Bruns). Übersetzung: Zierl, Alexander: Über das Schicksal 37. 115   Vgl. ebd. (p.  169.14–21 Bruns). 116   Vgl. ebd. 3 (p.  167.14 Bruns).

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III. Ethik der Freiheit

gleichsetzte. Aus diesem Grund fiel sein Einspruch gegen Chrysipps Selbstbestimmungstheorie nicht wirklich über­ zeugend aus. Die Stärke von Alexanders Position lag indes darin, dabei doch einen Schwachpunkt der stoischen Theorie erkannt zu haben. Die Stoiker gingen davon aus, dass jeder Mensch, der vollkommen der Vernunft folge, in identischen Situati­ onen immer die gleichen Entscheidungen treffen werde. Weil das auf Determinismus hinauslief, verteidigte Alexan­ der die Möglichkeit der alternativen Wahl. Es gebe, postu­ lierte er im Gefolge des Aristoteles (Kap.  II 3), spontane, nicht anders als aus dem „Selbst“ (αὐτός) des Menschen und seiner „Entscheidung“ (προαίρεσις) ableitbare Handlungen, die kontingent seien. Das Kontingente könnte aber auch nicht oder anders geschehen, als es geschieht, was bei dem, was aus Notwendigkeit geschieht, ausgeschlossen sei.117 Stringent war dieses Argument Alexanders allerdings nicht, denn er unterschied nicht zwischen absoluter und be­ dingter Notwendigkeit wie die Stoiker, die ebenfalls Mög­ lichkeiten akzeptieren konnten, beispielsweise die Verän­ derung von Ereignissen, die aber ihrerseits wieder auf bestimmte Ursachen zurückgehen.118 Alexander hatte ein starkes Interesse daran, die Entschei­ dungsfähigkeit des Menschen im Sinne von Wahlfreiheit zu verteidigen. Diesen Aspekt vermisste er bei den Stoikern, weshalb er Chrysipps Zustimmungstheorie kritisierte, ob­ wohl er sich mit den Stoikern darüber einig war, dass der Mensch diese Fähigkeit besitze. Beide Seiten fassten sie aber 117

  Vgl. ebd. 9 (p.  174.29–175.5 Bruns).   Siehe dazu die kritischen Bemerkungen von Sharples, Alexan­ der: On Fate 133 f. Auch Frede, A Free Will 95–101, zeigt sich kritisch gegenüber Alexanders Position, weil die Wahl, bei bester Einsicht das Gute zu tun oder nicht zu tun, keine wirkliche Alternative darstelle. 118

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verschieden auf. Für Alexander ging es bei der Zustimmung um die Abwägung eines Sinneseindrucks oder Impulses ge­ gen andere Wahl- und Handlungsmöglichkeiten, aus der sich eine freie Wahl zwischen Alternativen ergibt. Im stoi­ schen Konzept ging es eher um eine Abwägung darüber, ob eine Vorstellung dem höchsten Gut, der Vernunft, ent­ spricht, und darüber, dem daraus hervorgehenden Hand­ lungsimpuls zuzustimmen oder nicht. Weil es den Stoikern nicht um die Entscheidung über alternative Handlungs­ möglichkeiten ging, sondern nur um die Zustimmung oder Ablehnung einer bestimmten Handlungsoption, sah Ale­ xander in der stoischen Theorie zu wenig Raum für die Freiheit des Menschen.119 Aus diesen unterschiedlichen Perspektiven ergaben sich zwei unterschiedliche Freiheitsbegriffe: „Alexander defi­ niert ihn […] über die Möglichkeit des Menschen, Gegen­ teiliges zu wählen und zu tun, womit eine durchgehende Schicksalsbestimmung – aber vielleicht nicht eine lückenlo­ se Kausalität – unvereinbar sei; seine Gegner behaupten, dass bei uns stehe, was durch uns geschehe.“120 Weil das Ale­xander zu wenig war, bestand er auf der realen Möglich­ keit der Wahlfreiheit und versah deshalb den Begriff der „Verfügungsgewalt“ (αὐτεξούσιον), allerdings gleichsam im Vorbeigehen, ohne besonderen Nachdruck darauf zu legen, mit der Qualifizierung als „frei“ (ἐλεύθερος).121 Weil „der Mensch“ in diesem Sinn „Anfang und Ursache seiner Handlungen ist“, erblickte Alexander „das Wesen des Men­ schen“ darin, „dass er das Prinzip seines Handelns auf diese 119   Vgl. Alexander, fat. 11 (p.  178.17–28 Bruns). Siehe dazu Zierl, Alexander: Über das Schicksal 176 f. 120  Zierl, ebd. 183, mit Bezug auf Alexander, ebd. 13 (p.  181.13 f. ­Bruns). 121   Vgl. ebd. 18 (p.  188.21 Bruns). 19 (p.  189.10).

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III. Ethik der Freiheit

Weise in sich hat“,122 und „wer dies aufhebt“, nämlich „in sich den Anfang zu haben, etwas zu wählen oder nicht zu wählen“, der „hebt den Menschen auf“.123 Das ist offenbar auf der Linie des Stoikers Epiktet gedacht, der die aristote­ lische προαίρεσις bereits im selben Sinne zum Wesenskern des Menschen, seiner „Personalität“, gemacht hatte (Kap.  III 2). Zugleich erinnert es an Entwicklungen, die sich in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts parallel zur pagan-phi­ losophischen Debatte im Christentum abspielten, denn die christlichen Philosophen insistierten in einem bis dahin un­ gekannten Ausmaß auf der Freiheit der Entscheidung und machten diese ebenfalls zum Prinzip des Menschseins (Kap.  I V 3 und 4).

122   Ebd. 15 (p.  185.16–18 Bruns). Vgl. ebd. (p.  186.2 f.): „Denn darin lag das Wesen des Menschen, Anfang und Ursache der durch ihn ge­ schehenden Handlungen zu sein.“ Übersetzung: Zierl, Alexander: Über das Schicksal 79–81. 123   Ebd. 14 (p.  184.18–20 Bruns). Übersetzung: ebd. 77. Siehe auch Amand, Fatalisme et liberté 142 f.

IV. Freiheitspathos: Die frühchristliche Freiheitstheorie Von der Mitte des 2. Jahrhunderts an beteiligten sich auch christliche Denker an der Debatte über Determinismus und Freiheit. Da sie philosophisch fast alle Platoniker wa­ ren – eine Ausnahme war der Stoiker Tertullian –, teilten sie in ihren Wortmeldungen zum Thema die platonische Kritik am stoischen Kompatibilismus. Durch ihre Beiträge, in de­ nen sie die Freiheit der Entscheidung und grundsätzlich die Freiheit des Menschen mit einer Vehemenz betonten, wie das zuvor nicht der Fall gewesen war, wurde die Debatte allerdings um einen entscheidenden Gedanken bereichert: „Das, was an uns liegt“ (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν), und „das, worüber der Mensch selbst Macht hat“ (τὸ αὐτεξούσιον), fassten die christlichen Denker dezidiert als „frei“ (ἐλεύθερος) auf und gebrauchten dafür emphatisch den ursprünglich politischsozialen Begriff „Freiheit“ (ἐλευθερία). Erst damit wurden die vorausgehenden Theorien über das Entscheiden und Handeln des Menschen unter das Stichwort „Freiheit“ ge­ stellt, unter dem sie fortan diskutiert wurden. Die christli­ chen Philosophen waren auch die ersten, die nicht mehr von Freiheit im Sinne von innerer, geistiger Unabhängigkeit als Lebensziel für eine kleine Elite sprachen, sondern Freiheit im Sinne freier Bestimmung über sich selbst jedem Men­ schen als natürliche Ausstattung zusprachen. Dieser weg­ weisende Beitrag der frühen Christen zum Nachdenken über die Selbstbestimmung des Menschen ist im wissen­ schaftlichen Diskurs über die Herkunft und Entwicklung

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

des Freiheitsbegriffs bislang noch nicht gesehen worden, geht aber aus den im Folgenden vorgeführten Quellen klar hervor.1 Außerdem kam es dadurch, dass die Debatte in einem neuen Kontext, nämlich in Auseinandersetzung mit der Gnosis, geführt wurde, 2 zu Verschiebungen in der Prob­ lemkonstellation. Es ging nicht mehr physikalisch-psycho­ logisch um die Frage, was im Rahmen einer Kausaldetermi­ nation im Sinne der stoischen Schicksalsfügung in der Entscheidungsmacht des Menschen liegt, sondern anthro­ pologisch-ethisch im Gegensatz zu einer festgelegten „na­ türlichen“ Bestimmung um die freie Selbstbestimmung des Menschen über sein Lebensschicksal und damit ontolo­ gisch über sein „Wesen“. Dies hatte weitreichende Folgen 1  Siehe Kobusch, Selbstbestimmte Freiheit 48–50. Wenn Rosen­ berger, Determinismus und Freiheit 42, meint, „dass die christliche Philosophie die klassische Debatte zur Willensfreiheit kennt, sich am Rande damit beschäftigt, aber keinerlei Bedürfnis hat, diese in den Kern ihres Überlegens zu stellen. Diese Option bleibt für die nächsten zwei Jahrhunderte nahezu uneingeschränkt wirksam“, gibt er damit die allgemeine Fehleinschätzung wieder. Auch Warnach, Art. Frei­ heit II, 1076–1079, verkennt den innovativen frühchristlichen Beitrag zur Freiheitsdebatte. Richtiger Frede, A Free Will 89. 102 f., der die Verbreitung des Glaubens an einen freien Willen auf den Einfluss des Christentums zurückführt. Karamanolis, Philosophy of Early Christianity 140–151 (leicht überarbeitete Fassung: ders., Early Christian Philosophers on Free Will), diskutiert die im Folgenden ausgewerteten Texte, doch ohne deren christliches Spezifikum zu er­ kennen, desgleichen Dihle, Problem der Entscheidungsfreiheit 15– 20. – Matthias Perkams hat mir nach meinen Vorlesungen in Jena dan­ kenswerterweise einen bislang nicht publizierten Vortrag über The Historical Origins of Our Concept of Freedom zugeschickt, in dem er zu demselben Ergebnis gelangt und diese Erkenntnis an Justin, Irenä­ us, Tertullian und Bardesanes demonstriert. 2   Diesen Kontext hebt Karamanolis, ebd. 130–135. 144 f. 147, her­ vor.

1. Philon von Alexandria

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für die genauere Fassung des von den Christen propagier­ ten Freiheitsbegriffs. Und schließlich kam bei den christli­ chen Philosophen dazu, dass sie sich in ihren Erörterungen nicht nur auf die philosophischen Traditionen bezogen, sondern auch auf die biblischen Schriften, die sich in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts als neues Corpus nor­ mativer Schriften in Form des Alten und des Neuen Testa­ ments etablierten.

1. Hintergründe im Frühjudentum: Philon von Alexandria 1.

Bevor ich auf die Freiheitsdebatte im Frühchristentum ein­ gehe, ist ein Blick auf Philon von Alexandria zu werfen. Philon gehört zwar nicht in das frühe Christentum, son­ dern in das frühe Judentum. Doch seine Ideen sind von den frühchristlichen Autoren bis hin zu Origenes, der sich be­ sonders stark von ihm hat anregen lassen, vielfach aufge­ griffen worden. Generell hat sich das frühe, griechischspra­ chige Christentum aus dem hellenistischen Judentum heraus entwickelt, so dass viele Elemente des frühchristli­ chen Denkens im Frühjudentum wurzeln. Oftmals sind es die um 30/40 n.Chr. entstandenen Schriften des hellenisti­ schen Juden Philon, in denen Hintergründe und Ansatz­ punkte für die frühchristlichen Debatten greifbar werden. Das ist auch beim Thema der Freiheit der Fall. Philon folgte in den Grundzügen dem stoischen Frei­ heitsbegriff, und zwar in der Form, wie er sich in der frühen römischen Kaiserzeit entwickelte. In einem philosophi­ schen Traktat Über die Freiheit des Tüchtigen präsentierte er sowohl im Freiheitskonzept als auch in der zugehörigen Terminologie Gedanken, die sich nach ihm bei Seneca und

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

insbesondere bei Epiktet wiederfinden (Kap.  III  2).3 So be­ stand Freiheit für ihn darin, „alles zu tun und zu leben, wie man will (ζῆν ὡς βούλεται). Wer aber diese Macht besitzt, ist frei (ἐλεύθερος)“.4 Mit dieser Definition griff er offenbar stoische Vorstellungen auf, die sich schon im 1. Jahrhundert v.Chr. entwickelt hatten, wie Cicero bezeugt, der in den Stoischen Paradoxien von 46 v.Chr. dieselbe Bestimmung auf Lateinisch vorlegte: „Was ist denn Freiheit? Die Mög­ lichkeit zu leben, wie man will.“5 Philons griechische Fas­ sung deckt sich nahezu wörtlich mit dem Eingangssatz von Epiktets Freiheitsdiatribe: Ἐλεύθερός ἐστιν ὁ ζῶν ὡς βούλεται – „Frei ist, wer lebt, wie er will.“6 Und wenn Epiktet diese Freiheit dem „schlechten Menschen“ abspricht,7 dann ent­ spricht das dem Ziel von Philons Traktat, nämlich den Nachweis zu führen, dass der im stoischen Sinn „Tüchtige“, also der „weise Mensch“, und nur dieser frei sei. Das an diesen Stellen verwendete Verbum βούλεσθαι, „wollen“, lässt an den Begriff eines „Willens“ denken. In diese Richtung scheinen auch weitere Äußerungen Philons zu deuten. Im Anschluss an Chrysipp definierte er „Frei­ heit“ (ἐλευθερία) als „selbstständiges Handeln“ (αὐτοπραγία), denn „nichts ist miteinander so sehr verwandt wie selbst­ ständiges Handeln und Freiheit“. 8 In diesem Sinne bestand die Freiheit für Philon darin, (1) „sich selbst Befehle zu ge­ 3

  Siehe dazu Niehoff, Philo of Alexandria 81–84.   Philon, omn. prob. lib. 59 (VI p.  17 Cohn/Wendland). Überset­ zung: Bormann, Philo Werke VII, 19. 5   Cicero, parad. Stoic. 5,34. Übersetzung: Nickel, Cicero: Stoische Paradoxien 229. 6   Epiktet, diss. IV 1,1. Übersetzung: Schmeller, SAPERE 22, 29. 7   Ebd.: „Kein schlechter Mensch lebt so, wie er will. Demnach ist er auch nicht frei.“ Übersetzung: ebd. 8   Philon, omn. prob. lib. 21 (VI p.  6 Cohn/Wendland). Überset­ zung: Bormann, Philo Werke VII, 9. Chrysipp habe laut Diogenes 4

1. Philon von Alexandria

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ben“ (αὐτοκέλευστον) und (2) diese „ausführen zu wollen“ (ἐθελουργόν).9 Führte Philon mit dieser doppelten Begriff­ lichkeit eine zweite Instanz neben dem Befehl zum Han­ deln, der sich aus einer Entscheidung ergibt, ein, nämlich den „Willen“, den Befehl auch in die Tat umzusetzen? Ob­ wohl die Bemerkung gewichtig ist – Philon erklärte immer­ hin die spezifische Eigenart der Freiheit –, machte er sie gleichsam im Vorbeigehen, ohne weiter zu erklären, was er sich dabei gedacht hat. Auch wo er einmal von „Worten, Entschlüssen und Taten“ redete,10 also zwischen λόγος und πρᾶξις ein drittes Glied einführte, die βουλή, sagte er nicht, was damit genau gemeint sein soll. An einer dritten Stelle klärt sich der Nebel allerdings auf: Philon sprach davon, dass der „Tüchtige“ nicht dazu gezwungen werden könne „zu tun, was er nicht will“,11 als er die Wendung unmittel­ bar darauf aber aufgriff, verwendete er statt βούλεσθαι das Verbum προαιρεῖσθαι: Niemand könne uns „zwingen zu tun, wozu wir nicht entschlossen sind“.12 Philon kannte demnach noch keinen von der Entscheidung unabhängigen Begriff eines Willens, auch wenn sich manche seiner For­ mulierungen in diese Richtung zu bewegen scheinen. Er folgte vielmehr dem philosophischen Sprachgebrauch, ge­ mäß dem sich Wörter wie βούλεσθαι oder βούλησις „in erster Linie auf die einer Handlung vorausgehende Überlegung Laërtios VII 121 (= SVF III 355) gesagt, „die Freiheit sei die Macht, selbstständig zu handeln“. 9   Philon, ebd. 22 (VI p.  6). 10   Ebd. 68 (VI p.  20). Übersetzung: Bormann, Philo Werke VII, 22. 11   Ebd. 95 (VI p.  27). Übersetzung: ebd. 28. Ebd. 97 (VI p.  28) wird die Aussage Zenon, dem Gründer der Stoa, zugeschrieben (= SVF I 218). 12   Ebd. 96 (VI p.  27 f.). Übersetzung: ebd. 28. Zu Recht übersetzt daher Bormann, ebd. 31, ἑκούσια in ebd. 109 (VI p.  31) als „etwas, für das man sich entschieden hat“.

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

beziehen“.13 Das „Nachdenken“ und der „Entschluss“, das Gedachte auszuführen, waren bei Philon Aspekte der einen menschlichen Fähigkeit, des Intellekts: „das eine ein Be­ standteil des Denkens, das andere der Erfolg des Den­ kens“.14 Wie mit diesem Detail bewegte sich Philon generell in den Bahnen des in der Sokratik grundgelegten und von der Stoa fortentwickelten Freiheitsbegriffs, in dem die poli­ tisch-soziale und die innerseelische Bedeutung von Freiheit miteinander verknüpft waren. Diese Koppelung durchzieht den ganzen Traktat Über die Freiheit des Tüchtigen, doch war Philon, wie er selbst ausdrücklich sagte, vor allem an der inneren, seelischen Freiheit interessiert.15 „Der wahr­ haft Freie“ ist der, „der Herrschaft über sich selbst besitzt“ – im Adjektiv αὐτοκρατής kommt die sokratische ἐγκράτεια zum Ausdruck –, und deshalb „ist der Freie auch der Füh­ rer der andern“.16 Diese Freiheit dachte Philon allerdings nicht autonom, sondern verband sie mit Gott: „Denn in Wirklichkeit ist nur frei, wer Gott allein als Führer hat.“17 In diesem Kernsatz seiner Freiheitslehre koinzidieren bibli­ sches und stoisches Freiheitsdenken: Was Philon mit Blick auf den biblischen Freiheitsbegriff (Kap.  I 3a) sagte, deckt sich vollkommen mit der stoischen Einwilligung in das göttliche Schicksal, in der Seneca und Epiktet die höchste 13

  Dihle, Vorstellung vom Willen 100.   Philon, deus immut. 34 (II p.  63 Cohn/Wendland). Überset­ zung: Leisegang, Philo Werke IV, 79. 15   Vgl. omn. prob. lib. 158 (VI p.  4 4 Cohn/Wendland). 16   Ebd. 19 f. (VI p.  5 f.). Übersetzung: Bormann, Philo Werke VII, 8 f. Vgl. ebd. 30 (VI p.  9). Auch dieser Gedanke findet sich bei Cicero, parad. Stoic. 5,33. 17   Philon, ebd. 20 (VI p.  5). Übersetzung: ebd. 9. Vgl. ebd. 62 (VI p.  18). 14

1. Philon von Alexandria

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Form der Freiheit erblickten (Kap.  III 2). So konnte er ganz in den Bahnen dieses stoischen Freiheitsdenkens und der dahinterstehenden platonischen und aristotelischen Vor­ stellungen sagen: „Wer aber seine eigenen Verhältnisse entsprechend dem augen­ blicklichen Zeitpunkt einrichtet und zugleich freiwillig und ge­ duldig dem, was das Schicksal bringt, standhält und glaubt, dass es nichts Neues in den menschlichen Angelegenheiten gibt, sondern sorgfältig geprüft hat, dass das Göttliche sich durch ewige Ord­ nung und ewiges Glück auszeichnet, während alles Sterbliche in der wogenden Brandung der Ereignisse herumgeschleudert wird und ungleichem Schwanken ausgesetzt ist, und wer edel alles auf sich nimmt, was ihn befällt, der ist ohne weiteres ein Philosoph und ein freier Mann.“18

Man glaubt regelrecht, Epiktet zu hören.19 Damit geht ein­ her, dass Philon die innere Freiheit, auf die es ihm ankam, als Charakterstärke und Mut gegen äußere Zwänge, vor al­ lem in Form von Freimut gegenüber Mächtigeren bis hin zur Todesverachtung auffasste, wofür er zahlreiche Bei­ spiele beibrachte.20 Während Philon in diesem Traktat die Vereinbarkeit des stoischen Freiheitsbegriff mit dem des „Gesetzgebers der Juden“, wie er wiederholt sagte, also Mose, aufzuweisen suchte, formulierte er im Rahmen seines allegorischen Kommentars zum Buch Genesis in der Abhandlung Über die Unveränderlichkeit Gottes Gedanken zur Freiheit, die darüber deutlich hinausgingen und dem frühchristlichen Freiheitsbegriff den Weg bahnten. Die Aussage in Gen. 6,6, dass Gott angesichts der Schlechtigkeit der Menschen dar­ 18

  Ebd. 24 (VI p.  7). Übersetzung: ebd. 10.   Übrigens auch an einer Stelle, an der er προαίρεσις im Sinne von „Gesinnung“ verwendet: ebd. 89 (VI p.  25). Übersetzung: ebd. 27. 20   Vgl. ebd. 92–157 (VI p.  26–44). 19

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

über in’s Grübeln gekommen sei, dass er den Menschen er­ schaffen habe, fasste Philon in dem Sinne auf, dass Gott darüber nachgedacht habe, „wie er ihn erschaffen hatte“.21 Die Leitbegriffe, mit denen Philon das Spezifikum des Menschen beschrieb, das ihn von allen anderen Geschöpfen unterscheide, sind sämtlich Synonyme für „Freiheit“: Als „ungebunden“ (ἄφετον) und „frei“ (ἐλεύθερος) habe Gott den Menschen erschaffen, als ein Wesen, das „von sich aus“, „freiwillig“ (ἑκούσιος) agiere, das „seine Kräfte nach seiner Entscheidung“ (προαιρετικαὶ ἐνεργείαι) gebrauche; auch die Begriffe ἐθελουργός und αὐτοκέλευστος kommen vor: Der Mensch verfügt über „die Gabe freien und sich selbst be­ stimmenden Urteils“.22 Die nachdrückliche Betonung der Freiheit des Menschen kommt prononciert in einer Wen­ dung vor, die bei Philon in dieser Schrift an einer späteren Stelle begegnet, dass nämlich des Menschen „Wahl der Le­ bensführung“ (προαίρεσις) „frei“ (ἐλεύθερα) sei, was er mit den Adjektiven „ungebunden“ (ἄδεσμος) und „fessellos“ (λελυμένος) erklärte.23 An diesen Ausführungen Philons sind mehrere Aspekte innovativ. Die Junktur „freie Entscheidung“ (ἐλεύθερα προαίρεσις) findet sich hier zum ersten Mal. Philon brachte sie nur en passant und eher rhetorisch neben zwei synony­ men Vokabeln ein, ohne darauf einzugehen, was sie bedeu­ te. In derselben Weise begegnet sie bei Epiktet, der die προαίρεσις einmal ebenfalls als ἐλεύθερα in einer Reihe von Adjektiven wie „unbehindert“, „ungehemmt“ bezeichnete, ohne diese Qualifizierung besonders hervorzuheben 21   Deus immut. 49 (II p.  67 Cohn/Wendland). Übersetzung: Lei­ segang, Philo Werke IV, 83. 22   Ebd. 47–49 (II p.  66 f.). Übersetzung: ebd. (teils modifiziert). 23   Ebd. 114 (II p.  80). Übersetzung: ebd. 97.

1. Philon von Alexandria

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(Kap.  III 2).24 Erst die frühchristlichen Philosophen werden den Gedanken, dass die Entscheidung des Menschen über sein Leben frei sei, betonen und breit entfalten. Herausgearbeitet ist bei Philon allerdings der Gedanke, dass „das Prinzip der freien Selbstbestimmung“, das er pla­ tonisch mit dem „Geist“ (νοῦς) identifizierte, den Menschen auszeichne.25 Es ist „die Wahl, die zur Freiheit führt“ (τὸ ἐξαιρούμενον εἰς ἐλευθερίαν), wie er wörtlich sagte. Die „Freiheit“ ist einerseits ein Ziel, das der Mensch anzustre­ ben hat; andererseits aber ist die „Freiheit“ hier zugleich eine „Kraft“, die jedem Menschen eignet. Erstmals wird je­ dem Menschen die Fähigkeit zur freien Selbstbestimmung zugesprochen. Abgeleitet wird dieser universale Freiheits­ gedanke schöpfungstheologisch: Gott hat dem Menschen diese Freiheit verliehen, und das konnte er, weil er selbst der „Vater der Freiheit“ (πατὴρ ἐλευθερίας) ist.26 Eben darin gründet auch die Ähnlichkeit zwischen Schöpfer und Ge­ schöpf: „Des Menschen Seele allein erhielt von Gott die Be­ wegung von sich aus (ἑκούσιος κίνησις), und darin vor allem wurde sie ihm ähnlich.“27 Den ebenso biblischen wie plato­ nischen Gedanken der Ähnlichkeit zwischen Mensch und Gott gründete Philon damit auf die Freiheit. Nicht nur dem Menschen, sondern auch Gott hat Philon als erster Freiheit als bestimmendes Merkmal seines Wesens zugesprochen. Alle diese Gedanken wurden von den frühchristlichen Freiheitsdenkern aufgegriffen, in weit stärkerem Maße, als Philon dies tat, betont und weiter ausgebaut (Kap.  I V 3 und 24

  Vgl. Epiktet, diss. I 4,18.   Philon, deus immut. 47 (II p.  66 Cohn/Wendland). Überset­ zung: Leisegang, Philo Werke IV, 82. Siehe dazu auch Amand, Fata­ lisme et liberté 85–87. 26   Philon, ebd. 27   Ebd. 48 (II p.  67). Übersetzung: ebd. 83 (modifiziert). 25

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

4). Sie folgten dem alexandrinischen jüdischen Philosophen sowohl in der stoischen Grundlegung des Freiheitsbegriffs als auch in den darüber hinausgehenden platonischen Ge­ danken. Auch die Verknüpfung des Freiheitsbegriffs mit der praktischen Philosophie, der Ethik, die den Grund­ tenor dieser ganzen Debatte abgab, findet sich bei Philon wie bei den frühchristlichen Philosophen: „Der Mensch, der die Gabe freien und sich selbst bestimmenden Urteils erhielt und seine Kräfte meist nach freiem Entschluss ge­ braucht, verdiente mit Recht Tadel für vorsätzliche Verge­ hen, Lob aber für freiwillige, rechte Taten.“28 Wie die Christen zitierte Philon dazu die Mahnung in Dtn. 30,15.19: „Siehe, ich habe vor dein Angesicht gegeben das Leben und den Tod, das Gute und das Böse, damit du das Leben wählst.“29 Ich zitiere noch einen letzten Abschnitt, weil er die engste Parallele zu dem Passus darstellt, in dem Orige­ nes seinen Freiheitsbegriff entwickeln wird (Kap.  V 2): „Gott schuf den Menschen als einen Ungebundenen und Freien, der seine freiwilligen und nach freiem Entschluss wirkenden Kräfte zu dem Zweck gebrauchen sollte, dass er in Erkenntnis des Guten und Bösen und dadurch, dass er eine Vorstellung vom Schönen und Hässlichen erhielt und über Gerechtes und Unge­ rechtes sowie überhaupt das von der Tugend und dem Laster Aus­ gehende in Unschuld nachdachte, das Bessere erwähle, das Gegen­ teil aber fliehe.“30

Diese Gedanken Philons kann man als biblisch fundierte Neuformulierung von Platons Wahl der Lebensform durch die Seele auffassen. Bei Philon mündeten die Debatten über die Entscheidungsfähigkeit und Selbstmächtigkeit des 28

  Ebd. 47 (II p.  66 f.). Übersetzung: ebd.   Ebd. 50 (II p.  67). Übersetzung: ebd. Siehe dazu oben S.  37 mit Anm.  65. 30   Ebd. 49 (II p.  67). Übersetzung: ebd. (leicht modifiziert). 29

2. Paulus und das Neue Testament

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Menschen in der hellenistischen Philosophie im Frühjuden­ tum erstmals in den Gedanken der Entscheidungsfreiheit. Auch wenn er diesen nur nebenbei äußerte, ohne ihm Ge­ wicht zu geben, war damit doch der Boden für die Ent­ wicklungen im Frühchristentum bereitet.

2. Die Anfänge im Christentum: Paulus und das Neue Testament 2.

Da die frühchristlichen Philosophen für ihr Freiheitsver­ ständnis neben den philosophischen und frühjüdischen Traditionen auch und vor allem auf die Bibel rekurrierten, ist vorweg auch noch ein Blick auf das Neue Testament zu werfen. Ich beschränke mich auf die Nennung der wich­ tigsten Aspekte. Im Neuen Testament treffen wir analog zum Alten auf einen überaus deterministischen Grundzug, insofern alles Geschehen in der Welt auf das souveräne Handeln Gottes zurückgeführt wird. Die Verfasser der ers­ ten christlichen Schriften wurden nicht müde, die Erfah­ rung, die sie machten, wie nämlich die Verkündigung Jesu von Nazareth über das Volk Israel hinaus in alle Welt getra­ gen wurde, auf Gott und seine entsprechende Lenkung der Geschichte zurückzuführen. Damit einher ging ebenfalls durchweg ein Plädoyer für die Freiheit des Menschen von Fremdbestimmung aller Art. Dies schlug sich nicht in ei­ nem ständigen Gebrauch des Wortes „Freiheit“ nieder – im Gegenteil: Abgesehen von den Briefen des Paulus kommt diese Begrifflichkeit wie im Alten Testament kaum oder gar nicht vor. Und es äußerte sich auch nicht in theoretischem Nachdenken über die Freiheit, sondern manifestierte sich indirekt, aber mit großer Eindringlichkeit in den zahlrei­ chen befreienden Geschichten, die aus der Erinnerung an

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

die Worte und Taten Jesu heraus erzählt und aufgeschrie­ ben wurden und wofür die Autoren auf die Befreiungstra­ ditionen, wie sie im Alten Testament niedergelegt waren, zurückgriffen.31 Wie im Alten Hellas und im Alten Israel und wie in der Philosophiegeschichte bildeten auch in den Anfängen des Christentums deterministische Vorstellungen den Ausgangspunkt der Überlegungen über die Freiheit. Dieser biblische Kompatibilismus lässt sich deutlich bei Paulus feststellen, in dessen um die Mitte des 1. Jahrhun­ derts geschriebenen Briefen mit Abstand am ausführlichs­ ten im Neuen Testament über die Freiheit des Menschen nachgedacht wurde.32 Wenn Paulus von Freiheit sprach, meinte er die Freiheit vom Gesetz, und zwar insofern dieses Sünde und Tod bewirke.33 Damit stand er in der antiken Tradition der Selbstbeherrschung durch Besonnenheit im Sinne des Sich-Enthaltens von bösem Tun (Kap.   III 2). Ebenso führte er antike Debatten weiter, wenn er über den Mangel an Selbstbeherrschung nachdachte, wozu er im um das Jahr 58 verfassten Römerbrief ein höchst innovatives Kapitel über das Akrasie-Problem schrieb, das er gänzlich unsokratisch als böses Handeln wider besseres Wissen be­ schrieb.34 Im Gefolge der alttestamentlich-jüdischen Tradi­ 31  Ich danke Karl-Wilhelm Niebuhr herzlich dafür, dass er mir nach den Vorlesungen in Jena zu diesem Aspekt einen noch nicht pub­ lizierten Vortrag von 2021 über Freiheit in biblisch-theologischer Per­ spektive. Traditionen der Befreiung im Alten Testament, Frühjuden­ tum und Neuen Testament zur Verfügung gestellt hat. 32   Siehe dazu die Überblicke bei Pratscher, Art. Freiheit 181 f., und Vollenweider, Art. Freiheit II. Neues Testament 306–308, fer­ ner Nestle, Art. Freiheit 280–286, und Dihle, Vorstellung vom Wil­ len 79–99, der allerdings einen zu starken Gegensatz zwischen anti­ kem und christlichem Denken konstruiert. 33   Vgl. Röm. 6,18–22; 8,2–4. 34   Vgl. Röm. 7,14–25. Siehe dazu Müller, Willensschwäche 211–242.

2. Paulus und das Neue Testament

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tion lag bei Paulus der Akzent darauf, dass die Freiheit vom Gesetz bzw. von der Sünde eine Gabe Gottes bzw. Christi sei.35 Wieder in antiker Tradition stand Paulus jedoch da­ mit, dass die von Gott geschenkte Freiheit als innere Frei­ heit von äußeren Zwängen den inneren Menschen betraf.36 Die paulinische Freiheitsidee setzt die alttestamentliche Linie fort, die Befreiung von Fremdbestimmung und Sünde sowie die Gewinnung wahrer Freiheit darin zu sehen, den Geboten Gottes Folge zu leisten. Und dem Sprachgebrauch der frühen römischen Kaiserzeit gemäß war „Freiheit“ (ἐλευθερία) bei Paulus kein politisch-sozialer, sondern ein anthropologischer, individualethischer Begriff. In den frühchristlichen Schriften, die nach Paulus an der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert von unbekannten Ver­ fassern geschrieben wurden, kommt der Begriff „Freiheit“ kaum vor.37 Wenn im Jakobusbrief vom „Gesetz der Frei­ heit“ die Rede ist,38 ist im Wesentlichen dasselbe gemeint wie bei Paulus.39 Die Sache ist allerdings omnipräsent. Die Worte und Taten, die in den Evangelien von Jesus überlie­ fert werden, zielen durchweg auf die Befreiung des Men­ schen von allem, was ihn erniedrigt, unterdrückt, margina­ lisiert, seiner Würde beraubt, kurzum: ihn nicht wahrhaft Mensch sein lässt. Die Freiheitstheologie des Paulus kann man als erste Reflexion darüber auffassen, worin diese Frei­ heit besteht und wie sie erreicht wird. Die Schriften des 35   Vgl. Röm. 8,21; Gal. 2,4; 5,1: „Zur Freiheit hat uns Christus be­ freit“; Gal. 5,13; 1 Kor. 7,21 f.; 9,1.19; 2 Kor. 3,17: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ 36   Vgl. 2 Kor. 4,16. Auch 1 Petr. 2,16 ist in diesem Sinn zu verstehen. 37   In den Evangelien das Adjektiv „frei“ nur in Mt. 17,26 und Joh. 8,30–36. 38   Jak. 1,25; 2,12. 39  Siehe Pratscher, Art. Freiheit 182 f.

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

Neuen Testaments stifteten damit einen energischen Im­ puls, die Freiheit des Menschen zur Grundlage christlichen Denkens zu machen.

3. Freiheit der Entscheidung: Justin der Märtyrer 3.

Das Freiheitsdenken des frühen Christentums folgte der Entwicklung der entsprechenden Gedanken in der antiken Welt und in den biblischen Schriften, setzte aber auch mar­ kante eigene Akzente. Wie ihre paganen Kollegen insistier­ ten die christlichen Philosophen des 2. Jahrhunderts darauf, dass der Entscheidungsfähigkeit und Selbstbestimmung des Menschen wirklich ein Freiraum gegenüber der Schick­ salsfügung eingeräumt wird. In den zugehörigen Argu­ mentationsgängen folgten sie nach wie vor den antiken De­ batten, doch anders als sämtliche Philosophen vor ihnen legten sie so viel mehr Wert auf die Freiheit, dass sie unab­ lässig die Freiheit der Entscheidung und der Selbstbestim­ mung hervorhoben. In den zwischen 150 und 155 in Rom verfassten Apologi­ en Justins des Märtyrers sind die Grundzüge der christli­ chen Argumentation für die Freiheit erstmals anzutreffen.40 Justin schätzte die Ethik der Stoiker, weil sie darin die mo­ 40   Vgl. Justin, apol. I 43 f. (SC 507, 240–246) und apol. II 6(7) (SC 507, 334–338). Siehe dazu grundlegend Andresen, Justin 340–345, ferner Amand, Fatalisme et liberté 201–207. Ulrich, Justin: Apologi­ en 363–378. 579–591, gibt in seiner Übersetzung – wie fast alle anderen Übersetzer sämtlicher im Folgenden behandelten Texte – die Begriff­ lichkeit ungenau wieder, weil er immer nur von „Willensfreiheit“ und „Wahlfreiheit“ redet, ohne die genaue Terminologie und ihre Diffe­ renzen zu beachten; in seinem Kommentar bezieht er den philosophie­ geschichtlichen Hintergrund nur unzulänglich ein.

3. Justin der Märtyrer

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ralischen Maßstäbe von Tugend und Laster hochhielten, die auch er teilte,41 und zollte dem hohen moralischen Niveau der Stoiker, die dafür gehasst und getötet wurden – unter anderem nannte er den römischen Stoiker Musonius als Beispiel –, seine Hochachtung.42 Eben deswegen aber kriti­ sierte er sie umso heftiger für ihre Physik, und zwar einer­ seits für ihr materialistisches Gottesbild, da in ihrem Mo­ nismus Gott mit der Natur identisch sei, „so dass Gott nichts sei außer den sich wandelnden und sich verändern­ den und sich stets in sich selbst auflösenden Dingen“ und er dadurch „sowohl in Teilen als auch im Ganzen an jeder Schlechtigkeit teilhat“, andererseits für ihre Schicksals­ fügung, da diese zur Aufhebung der Begriffe von Tugend und Schlechtigkeit führe und damit die Grundlagen ihrer Ethik zerstöre.43 Seine kritische Bewertung der stoischen Ansicht, dass alles „gemäß der Schicksalsfügung“ (καθ᾿ εἱμαρμένην) geschehe,44 spiegelt sich darin, dass er wieder­ holt den „Zwangscharakter der Schicksalsfügung“ unter­ strich (καθ᾿ εἱμαρμένης ἀνάγκην).45 Der christliche Plato­ niker Justin wandelte offensichtlich in den Spuren der platonischen Kritik an Chrysipps Kompatibilismus. Justin kannte die philosophische Fachdiskussion seiner Zeit über dieses Thema und brachte sich entschlossen darin ein, auch wenn er dabei nicht auf höchstem Niveau argu­ 41

  Vgl. Justin, apol. II 6(7),8 (SC 507, 338).   Vgl. ebd. II 7(8),1 (SC 507, 338–340). 43   Justin, apol. II 6(7),8 f. (SC 507, 338). Beides, die Ablehnung des Gottesbegriffs der Stoa und die positive Würdigung ihrer Ethik, ist kennzeichnend für den Mittelplatonismus: Andresen, Justin 321. 336. 44   Diese Junktur bei Justin, ebd. I 43,2 (SC 507, 240); II 6(7),9 (SC 507, 338). 45   Ebd. I 43,1 (SC 507, 240); II 6(7),4 (SC 507, 336). Vgl. ebd. I 44,11 (SC 507, 246): εἱμαρμένης ἀνάγκη. 42

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

mentierte, sondern etwas amateurhaft zu Werke ging. Er kam im Zusammenhang mit prophetischen Zukunftsweis­ sagungen, die wahr waren und daher eintrafen, auf das The­ ma zu sprechen. Das entsprach der diesbezüglichen Argu­ mentation der Stoiker, bei denen die Mantik als Argument für die Schicksalsfügung herangezogen worden war (Kap.  II 4). Justin argumentierte jedoch dahingehend, dass die Tatsache, dass es zutreffende Aussagen über die Zu­ kunft gebe, die Entscheidungsfreiheit nicht aufhebe, „denn wenn alles gemäß der Schicksalsfügung (καθ᾿ εἱμαρμένην) geschieht, dann gibt es auch das, was an uns liegt (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν), überhaupt nicht mehr“.46 Das liegt ganz auf der Linie der platonischen Einwände gegen den stoischen Kausalde­ terminismus und ist genauso ein Postulat, wie es schon bei Cicero und den kaiserzeitlichen Platonikern eines war (Kap.  III 3).47 Im zentralen Argument für diesen Einwand war sich Jus­ tin ebenfalls mit allen anderen Philosophen einig: Indem die stoische Schicksalsfügung mit ihrem Determinismus die Selbstmächtigkeit des Menschen zerstört, wird jede Moral untergraben und verlieren die moralischen Begriffe ihren Sinn.48 Der Christ Justin legte den Akzent in dieser Argumentationsfigur auf die Verantwortung jedes einzel­ nen Menschen im künftigen Gericht Gottes, in dem „Stra­ fen und Züchtigungen und gute Entlohnungen jedem Ein­ zelnen entsprechend seiner Taten zugeteilt werden“.49 Das werden alle christlichen Philosophen im Gefolge der bib­ 46

  Ebd. I 43,2 (SC 507, 240). Ebenso ebd. I 44,11 (SC 507, 246).   Vgl. Cicero, fat. 9; Apuleius, Plat. I 12 (p.  102.15 f. Moreschini); Alkinoos, didask. 26,1 (p.  54 f. Summerell/Zimmer). 48   Vgl. Justin, apol. I 43,2 f.6.8 (SC 507, 240. 242). Vgl. ebd. I 28,4 (SC 507, 204–206); I 44,11 (SC 507, 246). 49   Ebd. I 43,2 (SC 507, 240). 47

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lisch-kirchlichen Verkündigung so sagen, aber der ethische Grundgedanke bleibt derselbe: Ohne die Fähigkeit des Menschen, über sein Tun und Lassen entscheiden zu kön­ nen, ist es sinnlos, von Lob und Tadel oder Lohn und Strafe zu sprechen, in welchem Zusammenhang auch immer, „denn wenn es schicksalhaft verhängt ist, dass der eine gut und der andere schlecht ist, ist weder dieser annehmbar noch jener zu tadeln“.50 Aus diesem Grund schärfte Justin ein, dass „das Men­ schengeschlecht aufgrund freier Entscheidung (προαίρεσις ἐλεύθερα) über die Fähigkeit verfügt, das Hässliche zu mei­ den und das Schöne zu wählen“, denn wenn dem nicht so wäre, „dann wäre es nicht der Urheber (ἀναίτιος) der wie auch immer gearteten Taten“.51 Hinter diesem Satz steht die gesamte Tradition dieser Debatte, in der es von Anfang an um die Frage ging, ob dem Menschen die Urheberschaft für bestimmte Handlungen und damit die Verantwortung zu­ geschrieben werden kann, und diese Fähigkeit ist mit den Begriffen des „Hässlichen“ (αἰσχρός) und des „Schönen“ (καλός) ganz platonisch beschrieben (wie das auch Philon und Origenes taten). Justin brachte allerdings einen neuen Akzent ein, der so bislang noch nicht vorhanden war: Er betonte ausdrücklich, dass diese Entscheidung frei sei. Das war ihm so wichtig, dass er diese Junktur im nächsten Satz gleich noch einmal wiederholte: „Aufgrund freier Ent­ scheidung (ἐλεύθερα προαίρεσις) handelt der Mensch richtig oder irrt sich.“52 Das ist nun in der Tat eine Innovation, de­ 50

 Ebd.   Ebd. I 43,3 (SC 507, 240). 52   Ebd. I 43,4 (SC 507, 240). Ulrich, Justin: Apologien 367, äußert sich hierzu nicht, sondern übersetzt unterschiedslos „freie Wahl“, ob das Adjektiv „frei“ bei προαίρεσις dabeisteht oder nicht; und wo er auf die ἐλεύθερα προαίρεσις zu sprechen kommt, gibt er sie nonchalant mit 51

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ren Bedeutung meines Erachtens nicht stark genug betont werden kann: Zum ersten Mal in dieser Problemgeschichte – bei Philon und Epiktet begegnen lediglich en passant Vor­ stufen zu dieser Junktur – wird ausdrücklich die Freiheit der Entscheidung proklamiert. Anders als die zeitgenössischen Platoniker begnügte sich Justin auch nicht damit, gegen den stoischen Determinis­ mus die Freiheit der Entscheidung zu postulieren, sondern fragte nach einem Nachweis dafür, dass diese tatsächlich frei sei. Als Erweis diente ihm die Beobachtung, dass der­ selbe Mensch nacheinander gegensätzliche Dinge tut.53 Auch dieser Gedanke hing mit der philosophischen Dis­ kussion zusammen. Die Stoiker gingen davon aus, dass ein Mensch, wenn er der rechten Vernunft folgt, in identischen Situationen immer gleich entscheiden werde (Kap.  II 4). Da­ gegen hatten schon andere Philosophen die Möglichkeit ­alternativen Handelns eingefordert, um die Freiheit zu ret­ ten, so vor Justin der platonische Autor des pseudo-plutarchischen Traktats Über das Schicksal54 und nach ihm sehr nachdrücklich der Peripatetiker Alexander von Aphrodisias (Kap.  III 3c). Justin veränderte das Argument dahingehend, dass es nicht um die Möglichkeit einer alter­ nativen Entscheidung in derselben Situation geht, sondern um verschiedene Entscheidungen, die nacheinander gefällt werden. Vielleicht tat er das aus biblischen Impulsen her­ aus, denn in der Bibel geht es immer wieder um die Über­ zeugung, dass Menschen sich ändern können und dies auch tun, was beispielsweise im beständigen Aufruf zur Umkehr zum Ausdruck kommt. Auch Platons Gedanke im Er-My­ „Wahl- und Willensfreiheit“ wieder (ebd. 367). Aus solchen Perspekti­ ven kann Justins Innovation nicht in den Blick kommen. 53   Vgl. Justin, ebd. I 43,5 (SC 507, 240). 54   Vgl. Pseudo-Plutarch, fat. 6, 571 c–d.

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thos, dass die Seele in jeder Epoche ihres Daseins eine neue Wahl ihrer Lebensform treffen könne, könnte im Hinter­ grund stehen. Vor allem aber dürfte es die reale Erfahrung von Bekehrungen zum Christentum gewesen sein, in denen die Fähigkeit des Menschen, andere Entscheidungen als früher zu treffen, evident zu Tage tritt. Doch weshalb auch immer Justin das Argument in dieser Weise vorbrachte: In seiner modifizierten Form funktioniert es nicht, weil darin alles daran hängt, dass dieselben Umstände das Entschei­ den und Handeln nicht determinieren. Doch abgesehen von dieser argumentativen Unsauberkeit wird deutlich, dass es Justin um die Möglichkeit von Alternativen im Sinne von veränderbaren Entscheidungen ging, aus der er die Freiheit der Entscheidung ableitete, denn „wenn es schicksalhaft verhängt wäre, ob einer schlecht oder tüchtig ist, dann wäre er niemals für entgegengesetzte Entscheidungen empfäng­ lich und würde sich nicht sehr viele Male ändern“.55 Mit der Idee, die Freiheit an die Änderbarkeit des Menschen zu knüpfen, hat er der Freiheit gegen deterministische Fest­ schreibungen einen Raum eröffnet, den nach ihm Origenes kräftig ausbauen wird. Mit der Anmerkung, dass es gleichwohl eine „unüber­ windliche“ oder „unentrinnbare Schicksalsfügung“ (εἱμαρμένη ἀπαράβατος) gebe,56 bewegte sich Justin dann erneut im mittelplatonischen Diskurs. Angesichts seiner dezidier­ ten Stellungnahme gegen die stoische Schicksalsfügung mag sie überraschend wirken, doch „ironisch zu verste­ hen“57 ist sie nicht. Die Aussage gehört vielmehr zu dem Gedanken, dass ein Mensch die Folgen seiner Entscheidun­ 55

  Justin, apol. I 43,6 (SC 507, 240).   Ebd. I 43,7 (SC 507, 242). 57  So Ulrich, Justin: Apologien 368. 56

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

gen unausweichlich zu spüren bekommen wird, wie das Alkinoos konstatierte und an den mythischen Beispielen des Paris und des Laios illustrierte (Kap.  III 3b);58 auch Pla­ ton hatte in diesem Sinne von den notwendigen Folgen der Lebenswahl gesprochen (Kap.  II 2). Justin gab dem Gedan­ ken eine eschatologische und ausdrücklich antideterminis­ tische Fassung: „Diejenigen, die das Schöne wählen, erhal­ ten den angemessenen Lohn, und diejenigen, die analog das Gegenteil wählen, die angemessene Strafe.“59 Es liegt an der Entscheidung des Menschen, welches eschatologische Schicksal er erleiden wird; dieses wird dann aber unaus­ weichlich die Folge seiner Entscheidung sein. Im selben ethischen Sinn deutete Justin die stoische Ek­ pyrosis um, d. h. die physikalische Theorie, das sich alles wieder in das Feuer, aus dem es entstanden sei, verwandeln und daraus wieder neu entstehen werde. 60 Justin stellte dem stoischen Weltenbrand sozusagen ein christliches Brand­ konzept entgegen, gemäß dem die Menschen für ihre Sün­ den mit „(ewigem) Feuer“ bestraft werden würden. 61 In diesem erneut eschatologischen Zusammenhang fasste er das „Verbrennen“ nicht als Naturvorgang auf wie in der stoischen Physik, sondern schloss aus dieser Art von geis­ tigem „Feuer“ und „Brennen“, dass das Tun und Erleiden des Menschen nicht „gemäß der Schicksalsfügung“ (καθ᾿ εἱμαρμένην), sondern „gemäß der Entscheidung“ (κατὰ προαίρεσιν) erfolge. 62 Von Freiheit der Entscheidung sprach er an dieser Stelle nicht ausdrücklich, wandte sich aber er­ 58

  Vgl. Alkinoos, didask. 26,2 (p.  54 f. Summerell/Zimmer).   Justin, apol. I 43,7 (SC 507, 242). 60   Vgl. die in SVF I 109 für Zenon und in SVF II 596–632 für Chry­ sipp gesammelten Zeugnisse. 61   Justin, apol. II 6(7),3 (SC 507, 336). 62  Ebd. 59

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neut nachdrücklich gegen den „Zwang der Schicksalsfü­ gung“ (καθ᾿ εἱμαρμένης ἀνάγκην). 63 Im Schlussgedanken seiner Argumentation für die Frei­ heit der Entscheidung brachte Justin noch einen weiteren neuen Akzent in die Debatte ein, der eher angedeutet als ausgeführt ist, aber doch erkennbar wird.  Justin schärfte erneut das ethische Hauptargument ein, dass Lohn und Lob bzw. Strafe nicht angemessen und gerecht wären, wenn der Mensch „nicht von sich aus eine Wahl getroffen hätte“ (ἀφ᾽ ἑαυτοῦ ἑλόμενος), weshalb Gott den Menschen anders als alle anderen Geschöpfe geschaffen habe, „die nichts auf­ grund einer Entscheidung (προαιρέσει) tun können“. 64 „Pflanzen und Tieren“ sprach Justin nicht eine „freie Ent­ scheidung“ ab, 65 sondern überhaupt die Fähigkeit zur „Ent­ scheidung“, denn es geht nicht nur nicht darum, dass diese Entscheidung wie beim Menschen eine freie wäre, sondern um die Entscheidungsfähigkeit überhaupt, die Tiere und Pflanzen nicht haben, weil sie nicht über die Vernunft ver­ fügen, an die die Entscheidungsfähigkeit gekoppelt ist. Jus­ tin drückte sich also sehr präzise aus (und zwar im Gefolge des aristotelischen Konzepts der προαίρεσις: Kap.  II 3). Der Mensch hingegen verfügt über diese Fähigkeit, und zwar im Modus der Freiheit, und weil es sich nicht so verhält, dass er „nichts anderes sein könnte als das, als was er gebo­ ren ist“, sondern weil er „von sich aus ein solcher ist“ (ἀφ᾽ ἑαυτοῦ τοιοῦτος ὤν), wie er ist, ist die Strafe, wenn er ein schlechter Mensch ist, gerecht. 66 In dieser Ausdrucksweise nähert sich die ethische Qualifizierung eines Menschen, 63

  Ebd. II 6(7),4 (SC 507, 336).   Ebd. I 43,8 (SC 507, 242). 65  Wie Ulrich, Justin: Apologien 365, fälschlich übersetzt: „freie Wahl“. 66   Justin, apol. I 43,8 (SC 507, 242). 64

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

nämlich gut oder schlecht zu sein, einer ontischen Qualität an. Das ist eine Weiterentwicklung der aristotelischen Vor­ stellung, dass der Charakter eines Menschen durch seine Entscheidungen geformt wird. Bei Justin geht es um mehr als den Charakter. Die freie Entscheidung bestimmt nicht nur darüber, wie der Mensch ist, nämlich gut oder schlecht, sondern darüber, wer er ist. Mehr als eine Andeutung in diese Richtung enthält Justins Text freilich nicht. Erst Ori­ genes wird seine Freiheitstheorie auf diesen Gedanken gründen (Kap.  V I 2). Damit hat Justin die Freiheit der Entscheidung prokla­ miert und diese sehr kurz theoretisch begründet. Im fol­ genden Abschnitt brachte er Belege dafür aus der Bibel. Diese Organisation des Themas wird sich im Freiheitstrak­ tat des Origenes in seiner Schrift Über die Prinzipien, in dem auf die theoretische Grundlegung des Freiheitsbegriffs eine ausführliche Erörterung von Bibelstellen folgt (Kap.  V 2 und 3a), ebenso wiederfinden wie die beiden Bibelstellen, die Justin in einer freien griechischen Version zitierte, näm­ lich Dtn. 30,15.1967 und Jes. 1,16–20. 68 Die Stelle aus dem Buch Deuteronomium, gemäß der der Mensch aus dem Gu­ ten und Bösen vor seinem Angesicht das Gute wählen soll, hat schon Philon im Kontext der Selbstbestimmung zi­ tiert, 69 und beide Bibelstellen werden sowohl Clemens als

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  Vgl. ebd. I 44,1 (SC 507, 242).   Vgl. ebd. I 44,2–7 (SC 507, 242–244), ferner ebd. I 61,7 (SC 507, 290). 69   Vgl. Philon, deus immut. 50 (II p.  67 Cohn/Wendland). Auch Tertullian, adv. Marc. II 5,7 (FC 63, 222), spielt auf diese Stelle als Be­ gründung für die Entscheidungsfreiheit an (was von den Editoren sei­ ner Werke bislang nicht bemerkt worden ist). 68

4. Das frühchristliche Freiheitskonzept

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auch Origenes im selben Zusammenhang anführen.70 In für seinen Platonismus bezeichnender Weise rekurrierte Justin nach den Bibelstellen allerdings auch noch auf Platon, in­ dem er wörtlich dessen Grundmaxime aus dem Er-Mythos der Politeia zitierte: „Die Ursache liegt beim Wählenden, Gott aber ist nicht ursächlich.“71 Auch hierin sollten sämt­ liche christlichen Platoniker der Spätantike ihm folgen, die alle diesen Grundsatz Platons übernahmen. Aus den kurzen Einschüben Justins in seine beiden Apo­ logien, in denen er auf Determinismus und Freiheit zu spre­ chen kam, geht deutlich hervor, wie er Gedanken aus der zugehörigen zeitgenössischen philosophischen Diskussion aufgriff und weiterentwickelte. In seinen Argumenten ste­ cken Traditionen aus allen philosophischen Schulen: Platon, Aristoteles, Stoiker. Selbst Platoniker, folgte er den Platoni­ kern in ihrer Kritik am stoischen Kausaldeterminismus. In den eigenen Akzenten, die er dabei setzte, propagierte er den entscheidenden neuen Gedanken auf dem Weg zur Frei­ heit: dass die Selbstbestimmung des Menschen frei sei.

4. Das frühchristliche Freiheitskonzept Unter diesem Vorzeichen haben sich nach Justin alle christ­ lichen Apologeten bis in das beginnende 3.  Jahrhundert ­hinein geäußert (und auch später viele altkirchliche Theolo­ gen). Neben den Griechen Justin, Tatian, Theophilus und Irenäus gehören dazu auch der Lateiner Tertullian, der mit der von ihm für diese Debatte verwendeten bzw. geschaffe­ 70   Vgl. Clemens von Alexandria, protr. 95,2 (SC 2, 163); Origenes, princ. III 1,6 (GCS Orig. 5, 201). 71   Justin, apol. I 44,8 (SC 507, 244).

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

nen Terminologie die weitere Entwicklung im lateinischen Westen nachhaltig prägte, sowie der Syrer Bardesanes (syr. Bardais. ān), der das christliche Freiheitsdenken im syri­ schen Christentum heimisch machte. Das frühchristliche Freiheitskonzept sieht in seinen Grundzügen, dessen As­ pekte sich in verschiedenen Ausschnitten bei allen Autoren finden, wie folgt aus. a) Grundaspekte des frühchristlichen Freiheitsdenkens In der Regel gingen die christlichen Philosophen auf dieses Thema im Zusammenhang mit der Erschaffung des Men­ schen ein, zu der Justin betonte, dass „Gott am Anfang das Geschlecht der Engel und der Menschen als ihrer selbst mächtig (αὐτεξούσιον) schuf“.72 Fast wörtlich dasselbe kon­ statierte der Justin-Schüler Tatian in der wohl aus den Jah­ ren um 172 stammenden Schrift An die Griechen, ebenfalls mit Bezug auf Engel und Menschen als den beiden ver­ nunftbegabten Gattungen: „Jede von beiden Gattungen der Schöpfung ist ihrer selbst mächtig (αὐτεξούσιον)“; sie sind nicht von Natur aus gut, denn das trifft, gut platonisch, nur für Gott als das Gute zu, sondern erwerben sich, gut zu sein (oder schlecht), „durch die Freiheit der Entscheidung“ (ἐλευθερία τῆς προαιρέσεως).73 Nach den adjektivischen Wendungen bei Justin ist dies der erste Beleg für diese 72   Justin, apol. II 6(7),5 (SC 507, 336–338). Vgl. ebd. I 28,3 (SC 507, 204). 73   Tatian, Graec. 7,2 (SAPERE 28, 48). Nesselrath, SAPERE 28, 49, übersetzt αὐτεξούσιον einmal mit „frei“, einmal mit „freier Ent­ scheidung“, was aber die genaue Bedeutung der von Tatian verwende­ ten Begriffe αὐτεξούσιον, ἐλευθερία und προαίρεσις in ihrer Unterschie­ denheit voneinander verunklärt. Die Alternative, schlecht zu werden, erwähnt Tatian, ebd. 11,4 (SAPERE 28, 58).

4. Das frühchristliche Freiheitskonzept

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Junktur in der gesamten antiken Literatur.74 Theophilus von Antiochia sekundierte in den um oder kurz nach 180 geschriebenen Büchern An Autolykos: „Als frei (ἐλεύθερον) nämlich und selbstmächtig (αὐτεξούσιον) hat Gott den Men­ schen geschaffen.“75 Und als Irenäus von Lyon in seinen wohl zwischen 180 und 185 in mehreren Anläufen verfass­ ten Büchern Gegen die Häresien, die vollständig nur in ei­ ner spätantiken lateinischen Übersetzung vorliegen, auf die „Freiheit des Menschen“ (libertas hominis) zu sprechen kam, begründete er diese ebenfalls schöpfungstheologisch: „Denn Gott hat ihn als frei (liberum) erschaffen, von An­ fang an ausgestattet mit Selbstmächtigkeit (sua potestas).“76 Dass der Mensch „frei und selbstmächtig“ (liber et suae po­ testatis) ist, ergab sich für Irenäus aus den zahlreichen Ge­ boten und Mahnungen der Bibel,77 und „nicht nur bei den Werken, sondern auch beim Glauben“ ist die „freie und selbstmächtige Entscheidung“ (liber et suae potestatis ar­ bitrium) des Menschen gewahrt, ist er „selbst entschei­ dungsfähig und selbstmächtig“ (sui arbitrii ac suae potesta­

74

  Gesehen von Frede, A Free Will 102.   Theophilus von Antiochia, Autol. II 27,4 (PTS 44, 77). Eigene Übersetzung. Die Übersetzung von Leitl/di Pauli, BKV2 I 14, 57, gibt die Begriffe korrekt wieder: „Denn Gott hat den Menschen mit Freiheit und Selbstbestimmung begabt erschaffen.“ 76   Irenäus von Lyon, adv. haer. IV 37,1 (FC 8/4, 318). Brox, FC 8/4, 319, übersetzt liberum mit „in Freiheit“ und sua potestas als „eigene Kraft“. Ich denke, es handelt sich um die lateinische Wiedergabe von αὐτεξούσιον, weshalb ich „Selbstmächtigkeit“ übersetze. Zu ebd. IV 37,4 (FC 8/4, 324), wo die libertas hominis nochmals vorkommt, ergibt sich aus dem griechischen Fragment bei Johannes von Damaskus, sacr. par. (TU 20/2, 63), dass damit τὸ ἐλεύθερον τοῦ ἀνθρώπου übersetzt ist. Siehe Amand, Fatalisme et liberté 218–223. 77   Irenäus, ebd. IV 37,3 f. (FC 8/4, 322–326). 75

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

tis).78 Auch Tertullian sprach von der „Freiheit des Menschen“ (libertas hominis) in dem Sinn, dass Gott diese „Freiheit dem Menschen einmal zugestanden hat“, die des­ halb jetzt „seine Freiheit“ (libertas sua) ist.79 Und nach Bar­ desanes schuf Gott in seiner Güte den Menschen nicht so, dass er gleichsam sein von ihm bewegtes Werkzeug wäre, sondern so, dass er ihn unter anderem mit der Freiheit des Entscheidens beschenkte. 80 Den Hauptgrund für diese Annahme, von der in den Schöpfungserzählungen zu Beginn des Buches Genesis, auf welche die christlichen Philosophen rekurrierten, nicht die Rede ist, bildeten wie eh und je der alte Zusammenhang zwischen Selbstbestimmung und Verantwortung und der Sinn der moralischen Begriffe und generell jedweder Ethik. In seinem um das Jahr 160 entstandenen Dialog mit Try­ phon fasste Justin dazu das, was er in den Apologien ausge­ führt hatte, 81 bündig zusammen: „Da Gott nämlich wollte, dass sie (gemeint sind erneut Engel und Menschen) in freier Entscheidung (ἐλεύθερα προαίρεσις) und als selbstbestimmte Wesen (αὐτεξούσιοι) alles täten, was tun zu kön­ nen er einen jeden befähigt hatte, verfuhr er so: Entschieden sie sich für das, was ihm wohlgefällig war, würde er sie in Unvergäng­ lichkeit und Straflosigkeit bewahren; täten sie aber Böses, würde er jeden nach seinem Gutdünken bestrafen.“82

78

  Ebd. IV 37,5 (FC 8/4, 326).   Tertullian, adv. Marc. II 6,8 (FC 63, 228); II 7,2 (FC 63, 230). Vgl. ebd. II 6,5 (FC 63, 226). 80   Vgl. Bardesanes, lib. leg. reg. 8 (PS 1/2, 542–545) und 47 (PS 1/2, 608–611). 81   Vgl. für diesen Aspekt bes. Justin, apol. II 6(7),5 f. (SC 507, 336– 338). 82   Dial. c. Tryph. 88,5 (PTS 47, 223). In derselben Weise betonte Justin die Selbstbestimmung (αὐτεξούσιον) ebd. 102,4 (PTS 47, 245). 79

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Aufgrund der „Freiheit der Entscheidung“, schrieb Tatian im Anschluss an Justin, „wird der Schlechte zu Recht be­ straft, da er aus sich selbst heraus (δι᾽ αὑτόν) schlecht gewor­ den ist, der Gerechte aber um seiner wackeren Taten willen in angemessener Weise gelobt“. 83 Irenäus erläuterte aus­ führlich, dass nur unter der Voraussetzung, dass der Mensch „den Ratschluss Gottes“ (sententia Dei) „willentlich“ bzw. „aus eigenem Antrieb“ (voluntarie) vollziehe, Lohn und Strafe, Lob und Tadel sinnvoll und gerecht seien. 84 Tertulli­ an schärfte ein, dass sämtliche Gebote und Verbote unter der Voraussetzung stehen, dass der Mensch sie beachten oder missachten kann. 85 Und Bardesanes argumentierte, dass der Mensch nicht die Verantwortung für seine guten und bösen Taten übernehmen könne, wenn diese nicht von seiner Freiheit abhingen. 86 Aus demselben Grund lehnten die christlichen Philoso­ phen die stoische Schicksalsfügung vehement ab, desglei­ chen mantische Praktiken in der Astrologie. Unter dem Motto: „Wir aber stehen höher als die Schicksalsfügung […] und lassen uns nicht von der Schicksalsfügung dirigieren“87 Vgl. den Rückverweis auf diese beiden Stellen ebd. 140,4 (PTS 47, 312) und die Zusammenfassung ebd. 141,1 (PTS 47, 312). 83   Tatian, Graec. 7,2 (SAPERE 28, 48). Übersetzung: Nesselrath, SAPERE 28, 49. 84   Irenäus von Lyon, adv. haer. IV 37,1 f. (FC 8/4, 318–322). Die For­ mel in nobis sit ebd. IV 37,2 (FC 8/4, 322), erneut ebd. IV 37,4 (FC 8/4, 324), übersetzt ἐφ᾽ ἡμῖν, wie aus dem griechischen Fragment zu dieser Stelle bei Johannes von Damaskus, sacr. par. (TU 20/2, 63), hervor­ geht. 85   Vgl. Tertullian, adv. Marc. II 5,7 (FC 63, 222); II 6,7 (FC 63, 228). 86   Vgl. Bardesanes, lib. leg. reg. 8 (PS 1/2, 545). Siehe dazu Rosen­ berger, Determinismus und Freiheit 43. 87   Tatian, Graec. 9,3 (SAPERE 28, 52). Übersetzung: Nesselrath, SAPERE 28, 53. 55 (leicht modifiziert).

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

übte vor allem Tatian ausführlich Kritik am stoischen Schicksalsdeterminismus und wandte sich insbesondere ge­ gen die Praxis der Nativitätsstellerei, d. h. das Schicksal ei­ nes Menschen an der Konstellation der Gestirne bei seiner Geburt abzulesen. 88 Eine Ausnahme bildete in dieser Hinsicht der Astrologe Bardesanes, der in einem Dialog mit dem Titel Buch der Gesetze der Länder, den sein Schüler Philippos um 200 re­ digierte und herausgab, 89 auf einem recht elaborierten phi­ losophischen Niveau eine eigentümliche Verbindung zwi­ schen astrologischem Fatalismus und menschlicher Freiheit herzustellen versuchte.90 Er bestritt nicht rundweg den Einfluss der Gestirne auf den Menschen, hielt ihn aber aus zwei Bereichen heraus: Die körperliche Konstitution des Menschen und deren Funktionsweisen und Bedürfnisse folgten den Naturgesetzen,91 die menschlichen Handlun­ gen hingegen seiner Entscheidungsfreiheit, denn in der See­ le bzw. im Geist sei der Mensch frei, selbstmächtig und Bild Gottes.92 Lediglich die Rahmenbedingungen und der grundsätzliche Verlauf eines Lebens, ob in Reichtum oder Armut, Gesundheit oder Krankheit, sowie der Todeszeit­ punkt unterlägen dem Einfluss des von den Sternen deter­ 88   Vgl. ebd. 8,1–11,4 (SAPERE 28, 50–58). Siehe dazu Amand, Fa­ talisme et liberté 208–211. 89   Es ist das einzige von Bardesanes vollständig erhaltene Werk und – nach den syrischen Bibelübersetzungen – das älteste Werk der syri­ schen Literatur. Exzerpte in griechischer Übersetzung stehen bei Eu­ sebius, praep. ev. VI 10 (GCS Eus. 8/1, 335–344), der in hist. eccl. IV 30,2 (GCS Eus. 2, 392) auf einen περὶ εἱμαρμένης διάλογος hinweist, was wohl nicht den Titel, sondern den Inhalt angibt. 90   Siehe dazu Amand, Fatalisme et liberté 228–257. 91   Vgl. Bardesanes, lib. leg. reg. 16 (PS 1/2, 560). 92   Vgl. ebd. 16–18 (PS 1/2, 560–567). 24 (PS 1/2, 580).

4. Das frühchristliche Freiheitskonzept

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minierten Schicksals;93 auch die jeweilige konkrete Aus­ übung der Entscheidungsfreiheit sei davon beeinflusst:94 „Wir, die Menschen, wir werden auf gleiche Weise gesteuert vom (physischen) Gesetz, das die Natur beherrscht; wir werden auf un­ terschiedliche Weisen gelenkt von der Bestimmung des Schicksals; schließlich werden wir geleitet von unserer Freiheit in dem, was von ihr abhängt, nach unseren individuellen Wünschen.“95

Bardesanes kam aus der in der römischen Kaiserzeit weit verbreiteten Astrologie. Dass er den astrologischen Deter­ minismus gleichwohl mit einem starken Freiheitsgedanken, den er auf nahezu jeder Seite seines Traktats betonte,96 zu vereinbaren suchte, weist auf seine Weise auf die hohe Be­ deutung der Freiheit für die christlichen Denker hin. Dafür ist nicht so sehr entscheidend, ob seine recht eigenartige Synthese gelungen ist. Entscheidend ist, dass er sie versucht hat. Nicht einmal der Astrologe kam darum herum, der Freiheit einen Platz einzuräumen. Das gehörte zum christ­ lichen Denken in dieser Zeit einfach dazu. Hinter alledem stand der alte Grundsatz Platons, dass nicht Gott, sondern der Mensch für die Wahl seiner Le­ bensform zuständig ist, der manchmal wie von Justin wört­ lich zitiert wurde.97 Viel öfter jedoch wurde in verschiede­ 93

  Vgl. ebd. 19 (PS 1/2, 567–571). 21 (PS 1/2, 575 f.).   Vgl. ebd. 22 (PS 1/2, 576–579). 95   Ebd. 19 (PS 1/2, 576–571). Dt. Übersetzung nach der frz. Wieder­ gabe des syr. Textes bei Amand, Fatalisme et liberté 246. Siehe die alte dt. Übersetzung bei Merx, Bardesanes von Edessa 25–55, und die neue bei Krannich/Stein, Bardesanes von Edessa 211–229. 96  So Amand, ebd. 247. 97   Vgl. Platon, polit.  617 e 4 f., bei Justin, apol. I 44,8 (SC 507, 244), und im Sinne Justins bei Clemens von Alexandria, strom. V 136,4 (GCS Clem. Al. 24, 418), und Hippolyt, ref. I 19,19 (GCS Hippol. 3, 23); ferner im Freiheitstraktat des Eusebius von Caesarea in der wohl um 315/20 verfassten Vorbereitung des Evangeliums: Eusebius, praep. 94

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nen Varianten auf ihn angespielt, um Gott von der Ursache für das Böse zu entlasten.98 Nicht Gott, betonten Justin und Theophilus, sondern der Mensch selbst ist die Ursache (αἴτιος) seiner Sünde bzw. seines Todes.99 Aus diesem Grund stand die Debatte über die freie Selbstbestimmung des Menschen oft im Zusammenhang mit dem Theodizeeprob­ lem. Während Platon seinen Grundsatz umfassend für jede Art von Lebenswahl gemeint hatte, wandten die Christen ihn meist für die Wahl des Schlechten an, also für die Sünde, die nicht an Gott, sondern am Menschen liege.100 „Nichts Schlechtes ist von Gott geschaffen“, fasste Tatian seine Aus­ führungen zu diesem Thema zusammen, „die Schlechtig­ keit haben wir hervorgebracht; die aber, die sie hervor­ gebracht haben, sind in der Lage, sich wieder von ihr abzuwenden.“ Ihre „Selbstmächtigkeit“ sei der Grund da­ für, dass die Menschen „sich zugrundegerichtet haben“, ih­ retwegen seien „die Freien zu Sklaven geworden“.101 Es würde, meinte Tertullian, auf die Zerstörung des ganzen christlichen Lebens und sogar des christlichen Gottesbildes hinauslaufen, wenn man dem „Willen Gottes“ (voluntas ev. VI 6,50 (GCS Eus. 8/1, 308); vgl. auch Hierocl. 47 (SC 333, 210) mit der typischen Frontstellung gegen den „Zwang der Schicksalsfügung“ (εἱμαρμένης ἀνάγκη). 98   Vgl. Tertullian, adv. Marc. II 6,1 (FC 63, 222): „Was dem Men­ schen widerfährt, muss man nicht Gott, sondern ihm selbst zum Vor­ wurf machen.“ Übersetzung: Lukas, FC 63, 223. 99   Vgl. Justin, dial. c. Tryph. 140,4 (PTS 47, 312); 141,2 (PTS 47, 312); Theophilus, Autol. II 27,3 (PTS 44, 77). Auch hier geben Leitl/di Pauli, BKV2 I 14, 57, den Begriff αἴτιος (als Adjektiv wörtlich „ursäch­ lich“) als „Ursache“ (und nicht als „schuldig“) zutreffend wieder. 100   Vgl. Tertullian, adv. Marc. II 10,6 (FC 63, 248): suam, non dei culpam. 101  Tatian, Graec. 11,4 (SAPERE 28, 58). Übersetzung: Nessel­ rath, SAPERE 28, 59 (modifiziert).

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dei) ohne Ausnahme alles so zuschreiben würde, dass nicht „etwas auch an uns selbst liegt“ (esse aliquid et in nobis ip­ sis), da damit jedes Vergehen auf den „Willen Gottes“ zu­ rückgeführt werden könnte.102 Auch Bardesanes begann seinen Dialog über die Schicksalsfügung mit der Theodi­ zeefrage, die er in der Form stellte, weshalb Gott die Men­ schen als Sünder erschaffen habe und nicht vielmehr so, dass sie zur Sünde nicht fähig wären.103 Schöpfung und Sünde, die Entlastung Gottes von der Herkunft des Bösen und die Verantwortung des Menschen für sein Tun und Lassen, für das er sich im kommenden Ge­ richt zu rechtfertigen habe – das sind die Kontexte, in denen die frühchristlichen Denker die Entscheidungsfreiheit des Menschen betonten. Am eindringlichsten sind die Ausfüh­ rungen Tertullians in seinen Büchern Gegen Markion aus­ gefallen, die in mehreren Bearbeitungen sukzessive im Ver­ lauf von etwa zehn Jahren von 203 an entstanden sind. Aufbauend auf dem Grundsatz, dass das Schlechte in der Schöpfung nicht auf den guten Schöpfer zurückgeführt werden könne, sondern nur auf den Menschen, bestimmte er „den von Gott geschaffenen Menschen“ als „frei“ (libe­ rum) und „mit Entscheidungsfähigkeit und Selbstmächtig­ keit“ (sui arbitrii et suae potestatis) ausgestattet.104 In einer enormen Häufigkeit wiederholte er diese Formel immer wieder, des öfteren variiert und in fast allen Fällen so, dass er „die Freiheit der eigenen Entscheidung und die Selbst­ 102

  Tertullian, exhort. cast. 2,2 (CCSL 2, 1016).   Vgl. Bardesanes, lib. leg. reg. 1 (PS 1/2, 536). 104   Tertullian, adv. Marc. II 5,1.5 (FC 63, 218. 220). Lukas, FC 63, 221, übersetzt sui arbitrii mit „Willensfreiheit“, was so nicht dasteht, während seine Übersetzung von suae potestatis als „mit Herrschaft über sein eigenes Tun ausgestattet“ gut trifft, was mit dieser Junktur gemeint ist. 103

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mächtigkeit“ (arbitrii sui libertas et potestas) des Menschen hervorhob.105 Einmal betonte er diese so stark, dass er von der „vollständigen Freiheit der Entscheidung“ (tota libertas arbitrii) sprach sowie von der „eigenen Entscheidung“ (ar­ bitrium suum), die „natürlich frei“ sei (liber scilicet).106 Aus einer solchen Formulierung kann man ersehen, wie selbst­ verständlich es an der Wende zum 3. Jahrhundert in christ­ lichen Kreisen geworden war, die Entscheidungsfähigkeit des Menschen und damit diesen selbst als frei zu betrachten. „Durch die Macht über seine Entscheidungsfähigkeit“ ist er „frei und nicht Sklave.“107 Diese Überzeugung formulierten die christlichen Philo­ sophen mit Hilfe der stoischen Terminologie: αὐτεξούσιον bzw. sua potestas, προαίρεσις bzw. arbitrium, ἐλευθερία bzw. libertas, ἐλεύθερος bzw. liber.108 Sie verwendeten diese Be­ 105   Ebd. II 5,6 (FC 63, 220). Diese libertas arbitrii ebd. II 5,7 (FC 63, 222); II 6,4 (FC 63, 224); II 6,5 (FC 63, 226); II 6,7 (FC 63, 228) (zwei­ mal); II 7,2.3 (FC 63, 230. 232); II 9,9 (FC 63, 242); II 10,6 (FC 63, 248). Vgl. ferner ebd. II 6,1 (FC 63, 222): libera hominis potestas arbitrii sui, „die freie Verfügungsmacht des Menschen über seine Entscheidung“ (nicht „die Macht des menschlichen Willens“, wie Lukas, FC 63, 223, übersetzt); ebd.: libertas et potestas arbitrii; II 6,3 (FC 63, 224): liberi arbitrii et suae potestatis; arbitrii libertas et potestas; liberi et suae po­ testatis; II 6,5 (FC 63, 226): libertas et potestas arbitrii; liber et suae potestatis; II 7,2 (FC 63, 230): arbitrii libertas et potestas; II 7,3.5 (FC 63, 232): liberum arbitrium; II 8,2 (FC 63, 234): liber et suae potestatis; II 8,3 (FC 63, 236): libertas et potestas arbitrii (zweimal); II 9,8 (FC 63, 242); II 10,5 (FC 63, 246): liberum arbitrium; an. 21,6 (CCSL 2, 814): libera arbitrii potestas. Die Junktur sententiae libertas in adv. Marc. II 9,8 (FC 63, 240) meint ebenfalls die „Freiheit der Entscheidung“, und zwar die einer konkret gefällten Entscheidung, nicht die Freiheit der grundsätzlichen Entscheidungsfähigkeit. 106   Ebd. II 6,6 (FC 63, 226. 228). 107   Ebd. II 9,8 (FC 63, 240). 108   Bei Bardesanes dürfte (laut Matthias Perkams) syrisch ḥērūṭā der griechischen ἐλευθερία entsprechen, ἐλεύθερος wohl mit bar ḥērē, „frei­

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griffe jedoch im platonischen Sinn, wenn sie fast ständig ausdrücklich die Freiheit der Entscheidung betonten: ἐλευθερία τῆς προαιρέσεως bzw. libertas arbitrii (die spätere Standardjunktur liberum arbitrium für ἐλεύθερα προαίρεσις ist noch selten). Nur der lateinische Autor Tertullian ge­ brauchte in diesem Zusammenhang im Gefolge des Sprach­ gebrauchs bei Lukrez, Cicero und Seneca den Begriff des „Willens“ (voluntas) und, weitestgehend synonym dazu, den der „Spontaneität“ (sponte),109 deren Bedeutung er ex­ plizit von der gängigen griechisch-stoischen Begrifflichkeit her erläuterte: Das Gute ist „willentlich“ bzw. „aus eigenem Antrieb“ (voluntarie) zu tun, „das heißt aus der Freiheit der Entscheidung heraus“, damit der Mensch „aufgrund seines Willens (ex voluntate) für gut befunden wird“.110 Tertullian erklärte nicht näher, was er unter „Wille“ verstand. Der Kontext seiner Äußerungen lässt jedoch den Schluss zu, dass er ihn – wie es auch bei Lukrez und Cicero der Fall war (Kap.  II 5 und III 3a)111 – noch nicht als eigenständiges Ver­ mögen des Menschen im Sinne des Voluntarismus verwen­ dete, sondern für die überlegte Entscheidung, also im Sinne er Person“, und re ῾yānā bar ḥērē, „freier Geist“, wiedergegeben sein, und αὐτεξούσιον entspricht wahrscheinlich šulṭān nafšhōn (vgl. die griechische Begrifflichkeit bei Amand, Fatalisme et liberté 245). 109   Tertullian, adv. Marc. II 6,5–7 (FC 63, 226–228). Vgl. ebd. II 10,2 (FC 63, 244): Der Teufel sei „von sich aus“ (sponte) verdorben worden. 110  Ebd. II 6,5 (FC 63, 226): ratio bonitatis […] voluntarie exercendae, ex libertate scilicet arbitrii, […] ex voluntate iam bonus inveniretur […]. Vgl. ebd. II 5,7 (FC 63, 222): liber et voluntarius homo. 111   Für Seneca gilt übrigens dasselbe: Was er „wollen“ (velle) und „nicht wollen“ (nolle) nannte, beruht nicht auf einem distinkten Wil­ lensbegriff, sondern ist die Deklaration („Ja“ bzw. „Nein“) der vom Intellekt getroffenen Entscheidung. Siehe Dihle, Vorstellung vom Willen 151 f., und ausführlich Fuhrer, Willenskonzept bei Seneca.

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des Intellektualismus, eine Vokabel aus dem Wortfeld von „Wille“ und „Wollen“ heranzog, mit der ein auf das prakti­ sche Handeln gerichtetes „Streben“ als Konsequenz einer Überlegung bezeichnet wurde. Im selben Zusammenhang finden sich die Begriffe „willentlich“ (voluntarius) und „Wille“ (voluntas) in derselben Bedeutung bei Irenäus,112 doch könnte die lateinische Übersetzung, die hierzu vor­ liegt, schon vom spätantiken Sprachgebrauch beeinflusst sein.113 Erstmals bei Irenäus und vor allem bei Tertullian begeg­ net ein Gedanke, der für die weitere Theologiegeschichte von zentraler Bedeutung werden sollte. Wie „der Mensch“, schrieb Irenäus, „von Anfang an ein Wesen der freien Ent­ scheidung (libera sententia) ist, so ist auch Gott ein Wesen der freien Entscheidung (libera sententia)“, und darin grün­ de die Gottesebenbildlichkeit des Menschen.114 Ebenso meinte Tertullian, dass „das Bild und Gleichnis Gottes mit freier Entscheidungsfähigkeit und Selbstmächtigkeit (liberi arbitrii et suae potestatis) geschaffen werden musste, damit in ihm eben dies, nämlich die Freiheit und Macht über die Entscheidung (arbitrii libertas et potestas), für das Bild und Gleichnis Gottes gehalten wurde“. Den Akt, in dem diese 112   Vgl. Irenäus von Lyon, adv. haer. IV 37,1 (FC 8/4, 318); IV 37,6 (FC 8/4, 328). 113   Ob bei Bardesanes zum ersten Mal explizit von einem Willen die Rede ist, wie Rosenberger, Determinismus und Freiheit 43 f., im Ge­ folge von Dihle, Vorstellung vom Willen 123 (vgl. auch ders., Prob­ lem der Entscheidungsfreiheit 16–18), annimmt, müsste anhand der syrischen Begrifflichkeit im Vergleich mit der exakt wiedergegebenen griechischen geprüft werden. 114   Irenäus von Lyon, adv. haer. IV 37,4 (FC 8/4, 326): liberae senten­ tiae ab initio est homo, et liberae sententiae est deus cuius ad similitu­ dinem factus est […]. Siehe auch Dihle, Problem der Entscheidungs­ freiheit 19.

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Verbindung zwischen Gott und dem Menschen hergestellt wurde, sah Tertullian im Einhauchen des göttlichen Geis­ tes in den Körper Adams: „Zu diesem Zweck wurde dem Menschen diejenige Substanz (substantia) beigegeben, die eine derartige Verfassung aufwies, der Hauch Gottes, der (bezogen auf Gott) doch gewiss frei und selbstmächtig (li­ ber et sua potestas) ist.“ Den Grund dafür, dass Gott die freie Selbstbestimmung, über die er selbst verfügt, dem Menschen durch Einhauchung ebenfalls zukommen ließ, sah Tertullian darin, dass der Mensch von Gott zur Herr­ schaft über die Welt eingesetzt wurde: „Denn wie könnte es auch sonst sein, dass der Mensch, der über die ganze Welt verfügt, nicht vor allem aufgrund der Verfügung über seine Seele herrschte, als Herr über andere, aber Sklave seiner selbst?“115 Die Fundierung der Ebenbildlichkeit in der Frei­ heit Gottes weitete Tertullian potenziell sogar über den Menschen hinaus aus: „Gott hätte nämlich nichts, das ihm sehr nahe war, nicht mit einer derartigen Freiheit (libertas) versehen.“116 Die Nähe zu Gott ist regelrecht dadurch defi­ niert, dass ein Wesen frei ist in dem Sinne, dass es Herr über sich selbst ist und selbstbestimmt entscheidet und lebt. Das Ausmaß an Freiheit bestimmt die Ähnlichkeit mit Gott: Je freier und selbstbestimmter der Mensch ist, desto ähnlicher wird er Gott. Tertullian formulierte diesen Gedankengang in Anleh­ nung an die Schöpfungserzählungen im Buch Genesis: die Erschaffung des Menschen als Bild und Gleichnis Gottes, die Einhauchung des Lebensatems in den aus dem Acker­ boden geformten Menschen und seine Einsetzung zur 115   Tertullian, adv. Marc. II 6,3 (FC 63, 224). Vgl. ebd. II 9,4 (FC 63, 238): Als Bild Gottes ist die Seele „frei und selbstmächtig“ (libera et sui arbitrii). 116   Ebd. II 10,5 (FC 63, 246).

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Herrschaft über die ganze Erde und die anderen Lebewe­ sen.117 Die Entscheidungsfreiheit und die Freiheit der Selbstbestimmung als gleichsam Bindeglied zwischen Gott und Mensch trug er indes aus der philosophischen Frei­ heitstradition in sein Konzept ein. Den Anstoß hierzu gab ihm ebenfalls der Bibeltext, in dem von der Herrschaft des Menschen als des Bildes Gottes über die ganze Schöpfung die Rede ist,118 denn Herrschaft über andere gründet in der Herrschaft über sich selbst und deshalb ist letztere dem Menschen als dem Bild Gottes zuzuschreiben. Dieses Ar­ gument geht erneut auf die philosophische Tradition zu­ rück, näherhin auf den sokratischen Gedanken der Selbst­ beherrschung als Voraussetzung für politische Herrschaft (Kap.  III 2). Tertullians Gedankengang ist ein schönes Bei­ spiel dafür, wie das frühchristliche Freiheitskonzept aus einer Verknüpfung von philosophischen Traditionen und biblischen Impulsen erwachsen ist. Sowohl bei Tertullian als auch bei Irenäus wird die freie Selbstbestimmung Gottes als Eigenschaft beschrieben, die ihm zukommt. Wie die Entscheidungen des Menschen wer­ den auch diejenigen Gottes als frei qualifiziert. Wie in der Anthropologie wird auch in der Theologie, d. h. in der Rede von Gott, erst Origenes den kühnen Schritt machen, Gott und Mensch nicht nur ethisch Freiheit zuzuschreiben, son­ dern beide ontisch als Freiheit zu bestimmen (Kap.  V I). Da Tertullian in der Physik wie die Stoiker materialistisch dachte – was in der Idee durchscheint, dass dem Menschen die Freiheit durch Einhauchung vermittelt wird –, war ein solcher Gedanke, durch den die Metaphysik grundlegend 117

  Vgl. Gen. 1,26 f.; 2,7; 1,26.28.   Gen. 1,26 LXX: „Wir wollen den Menschen machen nach unse­ rem Bild und nach der Ähnlichkeit und sie sollen herrschen […].“ Übersetzung: p.  5 Septuaginta Deutsch. 118

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verändert wird, für ihn nicht denkbar. Aber immerhin ha­ ben er und Irenäus die Vorstellung von einer Freiheit, die Gott und Mensch verbindet, erstmals in die Welt gesetzt. b) Freiheit als Eckpfeiler der christlichen Philosophie Die frühchristlichen Apologeten legten noch keine entfalte­ ten Theorien über Freiheit und Verantwortung vor. Allen­ falls bei Irenäus finden sich Ansätze zu einem Nachdenken darüber, was es mit dieser Freiheit auf sich hat. Ihr Wert liege darin, meinte der Bischof von Lyon, dass man das Gute, dass man durch sie erringen könne, erst wirklich schätze, weil man es erringen muss. Wenn den Menschen das Gute „ohne eigenes Bemühen, ohne Sorgfalt und Eifer ihrerseits“ einfach „von selbst und ohne Zutun“ zufallen würde, dann wäre es nicht „besonders begehrenswert“.119 Denn: „Was man ohne Zutun von selbst bekommt, das liebt man nicht so wie das, was nur mit großer Anstrengung zu bekommen war.“120 Erst wenn der Mensch sich anstrenge und sich mit vollem Einsatz um das Gute bemühe, könne er die Schön­ heit und den Genuss des Guten wirklich schätzen und be­ komme er überhaupt ein Gespür für das Gute: „Andernfalls würde auch das Gute in uns unbemerkt bleiben, wenn es gar nicht eingeübt würde.“121 Irenäus behauptete also nicht nur die Freiheit der Entscheidung für das Gute (und für das Böse), sondern dachte auch über den positiven und uner­ setzlichen Wert dieser Fähigkeit für den Menschen nach. Ansonsten freilich propagierten die frühchristlichen Philosophen die Freiheit der menschlichen Selbstbestim­ 119   Irenäus von Lyon, adv. haer. IV 37,6 (FC 8/4, 328). Übersetzung: Brox, FC 8/4, 329. 120   Ebd. IV 37,7 (FC 8/4, 330). Übersetzung: ebd. 331. 121  Ebd.

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mung eher, als dass sie intensiv darüber nachdachten. Aber gerade solche Rhetorik dürfte ausgesprochen wirksam ge­ wesen sein, nicht zuletzt in einer Welt, in der wie in der ­r­ömischen Kaiserzeit und besonders in der Zweiten Sophis­ tik die Philosophen, die paganen wie die christlichen, auf öffentliche Wirksamkeit bedacht waren. Einen Beleg dafür kann man wohl darin sehen, dass vom Ende des 2. Jahrhun­ derts an „das, was an uns liegt“, auch bei paganen Autoren üblicherweise als frei bezeichnet wurde.122 Auf paganer Sei­ te ist Alexander von Aphrodisias um 200 der erste greifbare Autor, der von „Freiheit und Selbstverfügungsmacht“ (τὸ ἐλεύθερόν τε καὶ αὐτεξούσιον) nebeneinander redete123 und, wenn auch nur im Vorbeigehen, bemerkte, „dass unsere Verfügungsgewalt (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν) frei und selbstverfügt (ἐλεύθερόν τε καὶ αὐτεξούσιον) und Herrin (κύριον) der Wahl und Ausführung von Gegenständen unter denselben Um­ ständen“ sei.124 Philosophisch hat sich damit auf christli­ cher wie auf paganer Seite die von den Christen forcierte Überzeugung etabliert, dass es um die Freiheit geht, wenn man über die Selbstbestimmung des Menschen nachdenkt. Indem sich die christlichen Philosophen kontinuierlich ge­ gen jede Form von Determinismus wandten und unisono die Freiheit des Menschen von jedweder Fremdbe­122

 Siehe Bobzien, Determinism and Freedom 344 f.   Alexander von Aphrodisias, fat. 18 (p.  188.21 Bruns). 124   Ebd. 19 (p.  189.10 f. Bruns). Übersetzung: Zierl, Alexander: Über das Schicksal 87. – Spätere Belege für diesen Einfluss des christ­ lichen Sprachgebrauchs sind z. B. Plotin, enn. VI 8,4–6 (39,25–54), der im Zusammenhang mit der „Verfügungsgewalt“ (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν) nach der „Freiheit“ (τὸ ἐλεύθερον) fragte (die zitierten Begriffe ebd. VI 8,4.6 [39,26]), und Nemesius von Emesa, der die „Freiheit“ (ἐλεύθερον) ne­ ben die „Selbstbestimmung“ (αὐτεξούσιον) stellte und postulierte, dass „das, was an uns liegt, frei sein muss“ (ἐλεύθερον γὰρ εἶναι δεῖ τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν): nat. hom. 2 (p.  36.26–37.1 Morani). 35 (p.  105.24 Morani). 123

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stimmung einschärften, machten sie diese zu einem Eck­ pfeiler des christlichen Denkens. Diese Entwicklung speiste sich aus vielen Wurzeln, aus dem biblischen Freiheitsethos ebenso wie aus der philoso­ phischen Befreiung des Menschen aus schicksalhafter und physikalischer Fremdbestimmung. Die Grundlagen für das Nachdenken darüber haben, neben Platon und Aristoteles, speziell die Stoiker gelegt. Ihre Handlungstheorie und ihre Begriffe prägten die Debatte und wurden auch weiterhin in ihr verwendet. Doch mit der Betonung der Freiheit entwi­ ckelte sich die Diskussion aus dem stoischen Denkgefüge heraus. Ein Detail mag deutlich machen, was sich dadurch änderte: Die Freiheit, um die es fortan ging, besitzt nicht mehr allein der vollkommene Mensch als Produkt seiner rechten Vernunft wie der „weise Mann“ in der Stoa (auch bei Philon ist das noch so); diese Freiheit besitzen vielmehr alle Menschen als Grundausstattung. An der Stelle, an der Justin die „freie Entscheidung“ (προαίρεσις ἐλεύθερα) ein­ führte, bezog er diese auf das ganze „Menschengeschlecht“ (τὸ ἀνθρώπειον γένος).125 Das war nicht mehr das stoische Ideal der Freiheit, wie es allen voran Epiktet proklamierte, sondern ein neuer Freiheitsbegriff, auch wenn er mit der alten Terminologie arbeitete.126

125

  Justin, apol. I 43,3 (SC 507, 240).  Vgl. Bobzien, Determinism and Freedom 345: „In all these pas­ sages ἐλεύθερος no longer has anything to do with the early Stoic or the Epictetan technical philosophical sense of the word. It is a freedom in which all human beings share, not only the wise. This means that des­ pite this later close link between the expressions ἐλεύθερος and ἐφ᾽ ἡμῖν there is even in later ancient philosophy no evidence that the Stoic con­ cept of ἐλευθερία played a role in the debate about the compatibility of fate and the kind of freedom that is required for moral responsibility.“ 126

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Damit propagierten die frühchristlichen Philosophen Ansichten über die Freiheit, die in ein neues Paradigma des Freiheitsdenkens führten. So sehr sie allerdings mit ihrem emphatischen Freiheitsbewusstsein auf dem Weg zu einem Libertarismus waren, mussten sie diesen doch zugleich mit einer biblischen Freiheitsvorstellung verbinden, die stark deterministische Züge aufwies. Die biblische, auch im Neu­ en Testament immer wieder eingeschärfte Forderung, dass es bei der freien Entscheidung zum Guten oder zum Schlechten darum gehe, die Gebote Gottes zu erfüllen, ge­ hört zum frühchristlichen Freiheitskonzept unbedingt dazu. Gott hat den Menschen als Wesen freier Selbstbe­ stimmung geschaffen, und der Mensch tut das Schlechte wie das Gute aus freier Entscheidung, doch zugleich „be­ stimmt Gott alles zur Vollendung des Menschen, zur Wir­ kung und Manifestation der Heilsordnung vorher“, wie Irenäus als Abschluss des Kapitels schrieb, in dem er aus­ führlich die Freiheit des Menschen darlegte.127 Das Ergeb­ nis war eine Art christlicher Kompatibilismus, in dem (a) Theoreme und Terminologie des stoischen Kompatibilis­ mus im Sinne Chrysipps rezipiert wurden, man sich jedoch (b) im Sinne vor allem der Platoniker vom damit einherge­ henden Determinismus, wie er etwa bei Epiktet zum Aus­ druck kam, abgrenzte und (c) mit der christlichen Betonung der Freiheit der Entscheidung einem Libertarismus das Wort redete, zu dem man aber (d) nicht wirklich gelangte, weil die deterministische Seite des biblischen Kompatibilis­ mus zu berücksichtigen war. In diesem konzeptionellen Rahmen bewegten sich sämtliche weitere Freiheitstheorien, die im antiken Christentum entworfen wurden. 127   Irenäus von Lyon, adv. haer. IV 37,7 (FC 8/4, 330). Übersetzung: Brox, FC 8/4, 331.

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Die Bedeutung dieser Entwicklung im frühen Christen­ tum kann kaum hoch genug veranschlagt werden. Erst da­ mit wurde nämlich die Frage nach der Freiheit der Ent­ scheidung wirklich gestellt. Davor ging es altstoisch um die Verantwortung, die dem Menschen zugesprochen werden kann, wenn es Ereignisse in der vom Schicksal verfügten Ursachenkette gibt, die an ihm liegen. Ob er darüber frei entscheidet oder nicht, wurde nicht gefragt; es ging nur da­ rum, dass ihm diese Entscheidung zugeschrieben werden kann, und es ging um eine psychologisch-mentale Erklä­ rung dafür, wie das funktioniert, nämlich über die Zustim­ mung zu Impulsen oder deren Verweigerung. Spätstoisch wurde diese Selbstmächtigkeit dahingehend profiliert, dass die Entscheidung der ureigenste Akt des Menschen ist, der über seine Art zu leben und damit über ihn selbst, seine Persönlichkeit, bestimmt. Das Ergebnis dieser Entschei­ dung – nicht schon der Akt des Entscheidens als solcher – ist, wenn sie richtig, d. h. unter rechter Anwendung der Ver­ nunft, getroffen wird, die Freiheit des Menschen, die mit der Schicksalsfügung koinzidiert. Erst von den christlichen Platonikern der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts wurde, nach Ansätzen hierzu bei Philon und Epiktet, explizit die Frage gestellt, ob denn diese Entscheidung selbst frei sei – und im Sinne der Freiheit jedes Menschen emphatisch be­ jaht. Diese Wege zur Freiheit führten vom Determinismus über den Kompatibilismus in den Libertarismus, wie er von Origenes dann erstmals systematisch konzipiert wurde (Kap.  V und VI).

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5. Natur und Freiheit: Clemens von Alexandria 5.

Die Freiheit der Entscheidung, auf der die frühchristlichen Philosophen so entschieden bestanden, diente ihnen vor al­ lem als Argument in ihrer Kritik am gnostischen Determi­ nismus. In dieser Frontstellung dürfte der hauptsächliche Antrieb dafür zu sehen sein, weshalb die frühchristlichen Apologeten die Freiheit des Menschen derart eindringlich hervorhoben. Gegen die Festlegung des Menschen auf einen bestimmten Charakter, ein bestimmtes Schicksal, eine be­ stimmte moralische oder religiöse Qualität, nämlich zu den Guten oder zu den Bösen, zu den Erlösten oder zu den Ver­ dammten zu gehören, verteidigten sie auf der Linie des pla­ tonischen Axioms, dass die Ursache für das persönliche Geschick nicht bei Gott, sondern beim Menschen zu suchen sei, die freie Bestimmung des Menschen über sich selbst, um so die Möglichkeit der Veränderung zu sichern und die Ver­ antwortung für seine Taten und Untaten zu wahren. In diesem Sinne proklamierte Irenäus die freie Selbstbe­ stimmung gegen die gnostische Vorstellung von festgeleg­ ten „Naturen“ der einzelnen Menschen. Wenn Menschen, meinte er, unausweichlich darauf festgelegt wären, eine be­ stimmte „Natur“ (natura) zu haben, zum Beispiel „irdisch“ (Choiker), „materiell“ (Hyliker) oder „fleischlich“ (Sarki­ ker) zu sein, und deshalb am Ende der Welt aufgrund dieser „Natur“ vernichtet zu werden, „dann stellen auch die guten Menschen nichts Besonderes dar, weil sie mehr von Natur aus (natura) als aus eigenem Willen (voluntas) so sind und das Gute von selbst haben und nicht auf eigene Wahl hin.“128 Gegen diesen starren Naturbegriff der Gnostiker stellte 128   Irenäus von Lyon, adv. haer. IV 37,6 (FC 8/4, 328). Übersetzung: Brox, FC 8/4, 329. Vgl. ebd. I 6,2 (FC 8/1, 164); IV 4,3 (FC 8/4, 36).

5. Clemens von Alexandria

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Irenäus einen dynamischen Freiheitsbegriff, der impliziert, dass Menschen sich ändern und bessern (oder verschlech­ tern) können. Auch Tertullian propagierte gegen die gnos­ tisierenden Denkmuster Markions die Freiheit der Ent­ scheidung. Er hat allerdings so wenig wie Irenäus einen Freiheitsbegriff im Gegensatz zu einer determinierten Na­ tur konzipiert. Es blieb den platonischen Christen Ale­ xandrias vorbehalten, auf der Basis dieses Gegensatzes eine Philosophie der Freiheit zu schaffen. Den Grundstein hierfür legte Clemens von Alexan­ dria.129 In seinen im letzten Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts entstandenen Werken, besonders den Teppichen (Stro­ mateis), finden sich sämtliche Elemente der frühchristli­ chen Freiheitstheorie. Er rezipierte die stoische Handlungs­ theorie und die zugehörige Terminologie, verwendete sie jedoch im platonischen Sinn eines antideterministischen Freiheitsdenkens. Wie üblich ging er von dem Grundsatz Platons aus, dass nicht Gott die Ursache für die Schlechtig­ keit der Menschen sei (ὁ θεὸς ἀναίτιος), sondern dass deren Sünden aus einer entsprechenden Entscheidung (προαίρεσις) und einem Impuls (ὁρμή) stammen.130 Der menschliche ­Verstand „hat die Möglichkeit der freien Wahl (κριτήριον ἐλεύθερον) in sich und kann selbst entscheiden (τὸ αὐτεξούσιον)“, mahnte er in der einzigen von ihm erhaltenen Predigt über die Frage: Welcher Reiche wird gerettet wer­ den? Und weil er wählen kann, ist er die „Ursache“ (αἴτιος) und damit verantwortlich für seine Taten.131 Es „liegt an 129   Siehe dazu Kobusch, Selbstbestimmte Freiheit 50 f. – Amand, Fatalisme et liberté 267–274, unterschätzt die Wichtigkeit des Themas in den Schriften und im Denken des Clemens. 130   Vgl. Clemens von Alexandria, strom. I 84,1 f. (GCS Clem. Al. 24, 54). 131   Div. salv. 14,4 (GCS Clem. Al. 32, 168 f.). Vgl. strom. VI 135,4

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

uns“ (ἐφ᾽ ἡμῖν), führte er am Beispiel des Martyriums aus, sich zu Christus zu bekennen und dafür (staatlicherseits) bestraft zu werden – oder das nicht zu tun.132 Gleicherweise liege es am Menschen, zu glauben oder nicht zu glauben133 und das Schlechte zu wählen oder nicht. Dabei wählt – ge­ treu dem sokratisch-platonischen Grundsatz von der Tu­ gend als Wissen um das Gute – niemand „das Schlechte, insofern es schlecht ist“, sondern weil er es für gut hält; sich diesem falschen Wissen auszuliefern und das Schlechte zu wählen oder diesen irrigen Vorstellungen (φαντασία) die Zustimmung zu verweigern (μὴ συγκατατίθεσται), „liegt in unserer Macht“ (ἐφ᾽ ἡμῖν).134 Weil das Schlechte nicht unge­ wollt geschieht, sondern die Seele die „Verfügungsgewalt“ (ἐξουσία) und den Impuls, es zu tun (ὁρμή), oder den Impuls, es nicht zu tun (ἀφορμή), besitzt, sind Lob und Tadel, Lohn und Strafe gerecht.135 Dieses „Wollen“, zu dessen Beschreibung Clemens Ver­ ben gebraucht (θέλειν, βούλεσθαι),136 ist „das Werk der See­ le“, weswegen die Taten des Menschen an seiner προαίρεσις gemessen werden, seiner „Entscheidung“, die hier die Be­ deutung von „Intention“ annimmt.137 Nicht auf die äußeren Taten, sondern auf die innere Einstellung und Absicht (GCS Clem. Al. 24, 500), wo er dem „Leitprinzip“ die „Kraft der Ent­ scheidung“ zuspricht: τὴν προαιρετικὴν τὸ ἡγεμονικὸν ἔχει δύναμιν. 132   Ebd. IV 83,2 (GCS Clem. Al. 24, 285). Solches ἐφ᾽ ἡμῖν auch ebd. II 26,3 (GCS Clem. Al. 24, 127); IV 124,1 f. (GCS Clem. Al. 24, 303). 133   Vgl. ebd. II 11,1–12,1 (GCS Clem. Al. 24, 118 f.); II 115,1 f. (GCS Clem. Al. 24, 175); IV 153,1 (GCS Clem. Al. 24, 316). Siehe dazu Havr­ da, Grace and Free Will 27 f. 134   Ebd. I 84,4 f. (GCS Clem. Al. 24, 54). 135   Vgl. ebd. I 83,5 (GCS Clem. Al. 24, 54); II 66,1 (GCS Clem. Al. 24, 148). 136   Vgl. ebd. II 77,5 (GCS Clem. Al. 24, 153). 137   Ebd. II 26,4 f. (GCS Clem. Al. 24, 127).

5. Clemens von Alexandria

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kommt es bei der ethischen Bewertung an. Ähnlich wie bei Epiktet werden die „Entscheidung“ (προαίρεσις) und die „Zustimmung“ (συγκατάθεσις) zum entscheidenden Merk­ mal des Menschseins.138 Im Sinne des frühchristlichen Frei­ heitskonzepts ging Clemens von der Freiheit dieser Ent­ scheidung aus, wenn er wie kurz darauf Alexander von Aphrodisias die Möglichkeit der alternativen Wahl in der­ selben Situation proklamierte: Wenn zwei Alternativen gleichwertig sind, „liegt es an uns“ (ἐφ᾽ ἡμῖν), wie wir uns entscheiden; zum Beispiel können wir die Gebote Gottes erfüllen oder nicht, und berechtigterweise gibt es dafür Lob oder Tadel.139 In seinem Protreptikos, einer Aufforde­ rung zum Christwerden, führte Clemens dieselben bibli­ schen Belege für die Freiheit der Entscheidung an wie die anderen frühchristlichen Philosophen.140 In einem Punkt nun ging Clemens über diesen früh­ christlich verbreiteten Denkrahmen hinaus. In seiner Aus­ einandersetzung mit dem Gnostiker Basilides insistierte er darauf, dass der Glaube nicht naturgegeben sei, sondern auf 138   Vgl. ebd. II 55,1 (GCS Clem. Al. 24, 142). Auch die Rede, ebd. VII 16,3 (GCS Clem. Al. 32, 12), von der „göttlichen προαίρεσις“ meint eine „Grundhaltung“, die grundsätzliche Absicht, die Gott verfolgt und die der vollkommene Mensch nachahmt, indem er im Sinne des bibli­ schen Kompatibilismus bei der Erfüllung der Gebote mit Gott „zu­ sammenwirkt“ (συνεργεῖν): ebd. VII 48,4 (GCS Clem. Al. 32, 36). Das Verhältnis zwischen einem Gott freier Selbstbestimmung und einem Menschen freier Selbstbestimmung kann nur als ein Miteinander zweier Freiheiten gedacht werden, bei dem Gott als der Geber dieser Freiheit allerdings den Vorrang hat. Zum Synergismus von Gnade und Freiheit bei Clemens siehe Havrda, Grace and Free Will, bes. 43 f., der Clemens jedoch ein Willenskonzept zuschreibt, das sich bei ihm noch nicht findet. 139   Vgl. Clemens, ebd. IV 153,1 f. (GCS Clem. Al. 24, 316). 140   Vgl. protr. 95,2 (SC 23, 163): Dtn. 30,15.19; Jes. 1,16–20.

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

einer Entscheidung des Menschen beruhe. Dabei formu­ lierte er einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen „Na­ tur“ und „Freiheit“. Für Basilides, sagte er, sei der Glaube „Sein“ bzw. „Wesen“ (οὐσία), „Natur“ (φύσις) und „Sub­ stanz“ (ὑπόστασις), während er doch auf der „Mächtigkeit“ (ἐξουσία) des Menschen, auf der „vernünftigen Zustimmung einer ihrer selbst mächtigen Seele“ (ψυχῆς αὐτεξουσίου λογικὴ συγκατάθεσις) beruhe.141 Der rhetorische Gegensatz zwi­ schen οὐσία und ἐξουσία lässt sich im Deutschen kaum nachahmen. Theo Kobusch versucht es tentativ so: „Frei­ heit ist das ‚Außerwesentliche‘.“142 Freiheit liegt außerhalb oder jenseits des von Natur Gegebenen. „Freiheit wird hier verstanden aus dem Gegensatz zu allem, was eine festum­ rissene Natur hat oder eine dinghafte Subsistenz oder ein festgelegtes Wesen.“143 Clemens ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er dieses ,Außerwesentliche‘ seinerseits ontologisierte: Wenn sich der vollkommene Mensch das Gute bzw. die Tugend durch beständige Einübung so angeeignet habe, dass sie un­ verlierbar sei, „wird seine innere Haltung“, die darauf beru­ he, „seine Natur“ (φυσιοῦται ἡ ἕξις).144 Durch das also, was ein Mensch tut, wird seine „Natur“ geformt; „der Gnosti­ ker (d. h. der vollkommene Christ in der Terminologie des Clemens) bildet und schafft sich selbst.“145 Sein Wissen um 141   Strom. V 3,2 (GCS Clem. Al. 24, 327). Vgl. ebd. II 115,1 f. (GCS Clem. Al. 24, 175). 142   Kobusch, Selbstbestimmte Freiheit 51. 143   Ebd. – Voulet, SC 278, 29, übersetzt ἐξουσία an dieser Stelle daher korrekt mit „liberté“. 144   Clemens von Alexandria, strom. VII 46,9 (GCS Clem. Al. 32, 35). 145   Ebd. VII 13,3 (GCS Clem. Al. 32, 10). Das ist die alexandrinische Vorprägung eines berühmten Satzes des Gregor von Nyssa, vit. Mos. II (GNO VII/1, 34): „Und wir sind gewissermaßen die Väter unserer selbst, indem wir uns selbst als die hervorbringen, die wir sein wollen,

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das Gute, das er beständig in eine entsprechende Praxis um­ setzt, gehört dann gleichsam natürlicherweise so zu ihm wie zu einem Stein das Gewicht, aber nicht ungewollt wie bei unbelebten Dingen, sondern gewollt durch die Kraft der Vernunft (deren Ausfluss dieses Wollen offensichtlich ist). Dahinter steht wohl der Gedanke des Aristoteles, dass der Charakter eines Menschen durch seine Entscheidungen ge­ formt wird, der jetzt jedoch, wohl auf der Linie Epiktets, entscheidend weitertransformiert wird: Ein bewusstes Wollen und Handeln in Freiheit bestimmt die „Natur“, das „Wesen“ des Menschen. Das ist eine Neuerung im Frei­ heitsgedanken, die sich bei den anderen frühchristlichen Philosophen noch nicht findet. Mit diesen Gedanken hat Clemens nicht nur die früh­ christliche, sondern die ganze antike Freiheitsdebatte neu konfiguriert. Es geht nicht mehr gegen eine kausale Deter­ mination im Sinne der stoischen Schicksalsfügung um die Frage, was in deren Rahmen „an uns liegt“, womit bei aller Betonung einer Selbstmächtigkeit des Menschen und seiner Selbstbestimmung der deterministische Rahmen doch nicht verlassen und die Freiheit tendenziell ausgehöhlt wird. Es geht auch nicht mehr nur darum, wie im früh­ christlichen Freiheitspathos antideterministisch die Frei­ heit der Entscheidung zu proklamieren. Clemens hat viel­ mehr einen Gedanken zu der Frage beigesteuert, worin denn diese aus einer deterministischen Natur herausgelöste Freiheit bestehen könnte: Von jetzt an ging es um die Ge­ genüberstellung von natürlicher Konstitution und selbstbe­ stimmter Freiheit in der Formung des eigenen Wesens eines und uns durch unsere Entscheidung (προαίρεσις) nach dem Modell bil­ den, welches wir wollen.“ Vgl. ebd. (GNO VII/1, 56); in Eccl. hom. 6 (GNO V, 380).

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IV. Die frühchristliche Freiheitstheorie

Menschen. Damit war der Weg bereitet, nach den ersten Ansätzen bei Karneades und in der platonischen Tradition endgültig ein „Reich der Freiheit“ gegenüber einem „Reich der Natur“ zu etablieren und diesem überzuordnen. Auf dieser Grundlage, dem „Gegensatz von προαίρεσις und οὐσία bei den griechischen Vätern und von natura und vo­ luntas bei Augustinus“,146 wurde das Thema im spätantiken Christentum weiter erörtert. Als erster tat dies systema­ tisch Origenes auf der Basis des von Clemens Angedachten.

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  Kobusch, Selbstbestimmte Freiheit 51.

V. Die Freiheit der Selbstbestimmung: Das Freiheitsdenken des Origenes 1. Der zentrale Stellenwert der Freiheit „Die Selbstbestimmung ist frei.“1 Mit diesem Grundsatz griff Origenes im 3. Jahrhundert den christlichen Freiheits­ begriff auf, wie er sich seit der Mitte des 2.  Jahrhunderts entwickelt hatte. Er war ein Grundpfeiler seines Denkens. Demgemäß oft wiederholte er ihn in verschiedenen Varian­ ten. Ein paar Beispiele: Zusammen mit dem „Gesetz der Natur“ und dem „vernünftigen Denken“ gehöre „die Frei­ heit der Entscheidung“, wie er im um 245 verfassten Hohe­ liedkommentar betonte, zu den „Gaben“, die jeder Seele gleichsam als „Mitgift“ für ihren Weg zur hochzeitlichen Vereinigung mit dem Bräutigam Christus und letztlich ih­ rem Schöpfer mitgegeben worden seien, 2 so „dass es in jeder Seele die Kraft des Könnens und die Freiheit der Entschei­ dung gibt, mit der sie alles tun kann, was gut ist“.3 „Diese Freiheit der Entscheidung (libertas arbitrii) wird einem Vernunftwesen immer auf Dauer eignen“, heißt es im kurz danach geschriebenen Römerbriefkommentar.4 „Alle Ver­ 1   Origenes, in Hier. hom. 18,3 (GCS Orig. 32, 154): τὸ γὰρ αὐτεξούσιον ἐλεύθερόν ἐστι. Zum Kontext dieses Satzes siehe unten Kap.  V 3b. 2  In Cant. comm. I 1,9 (GCS Orig. 8, 91). Übersetzung: Fürst/ Strutwolf, OWD 9/1, 131. 3   Ebd. III 15(IV 1),20 (GCS Orig. 8, 227). Übersetzung: ebd. 401. Vgl. im selben Sinn ebd. III 17(IV 3),5.21 (GCS Orig. 8, 236. 239). 4   In Rom. comm. V 10,11 (SC 539, 518), wiederholt ebd. V 10,12 (SC

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

nunftwesen haben eine einzige Natur“, nämlich „in glei­ cher Weise mit der Freiheit der eigenen Entscheidung (ar­ bitrii proprii libertas) beschenkt“ zu sein; kraft ihrer „Ent­scheidungsfähigkeit (arbitrii potestas)“ bringen sie „ihnen eigene Bewegungen (proprii motus)“ zum Guten oder zum Schlechten hervor.5 Als Begründung gab er in der Apologie gegen Kelsos und im Matthäuskommentar von 248/49 an, dass die sittlichen Begriffe wie Tugend und Las­ ter, Gut und Böse ihren Gehalt verlieren, wenn sie nicht zusammen mit Freiheit gedacht werden: „Wenn man näm­ lich die Freiwilligkeit (τὸ ἑκούσιον) der Tugend aufhebt, so hebt man auch ihr Wesen auf.“6 Diesen Grundsatz propagierte Origenes dezidiert gegen deterministische Vorstellungen jeglicher Couleur. Weit verbreitet war zu seiner Zeit unter Heiden wie unter Chris­ ten ein astrologischer Schicksalsglaube, den Origenes mit aller Kraft bekämpfte. In der um 230 verfassten systemati­ schen Schrift Über die Prinzipien begründete er sein Ein­ treten für die Freiheit der Entscheidung gleich im Vorwort in diesem Sinn: „Daraus (nämlich aus der Freiheit der Entscheidung) ergibt sich außerdem folgerichtig die Einsicht, dass wir nicht der Notwendig­ keit (necessitas) unterworfen sind, so dass wir unausweichlich, auch wenn wir nicht wollen, Böses oder Gutes zu tun gezwungen wären. Wenn wir nämlich Herren unserer Entscheidung sind (nostri arbitrii sumus), so können uns wohl vielleicht irgendwelche Mächte anfechten und zur Sünde drängen und andere uns zum 539, 518). Vgl. orat. 29,13 (GCS Orig. 2, 387): Die vernunftbegabte See­ le verfügt immer über Selbstmächtigkeit. 5   In Rom. comm. VIII 10,3 f. (SC 543, 550–552). 6   Cels. IV 3 (GCS Orig. 1, 276). Übersetzung: Barthold, FC 50/3, 667. Vgl. ebd. IV 45 (GCS Orig. 1, 318); in Matth. comm. X 11 (GCS Orig. 10, 12).

1. Der zentrale Stellenwert der Freiheit

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Heil unterstützen; doch werden wir nicht mit Notwendigkeit ge­ zwungen, richtig oder böse zu handeln. Dass Letzteres der Fall sei, glauben diejenigen, die den Lauf der Gestirne als Ursache der menschlichen Taten betrachten, nicht nur derer, die außerhalb der Freiheit der Entscheidung (arbitrii libertas) geschehen, sondern auch derer, die in unserer Macht (in nostra potestate) liegen.“7

Im zeitgleich entstandenen Genesiskommentar, der nicht erhalten, aus dessen drittem Buch aber in der 360/70 zu­ sammengestellten Philokalie, einer Anthologie aus seinen Werken, ein größeres griechisches Fragment überliefert ist, wandte er sich explizit gegen die auch unter Christen ver­ breiteten astrologischen Ansichten, weil diese „das, was an uns liegt“, beseitigen und damit auch allen moralischen Be­ wertungen den Boden entziehen: „[…] auch viele, von denen man annimmt, sie seien zum Glauben gekommen, quälen sich mit der Frage, ob vielleicht alle menschli­ chen Angelegenheiten durch Notwendigkeit geschehen und so, dass sie nicht anders geschehen könnten, als es die Sterne in ihren diversen Konstellationen zustandebringen. Für die Vertreter die­ ser Lehre folgt daraus, dass man aus allen Zusammenhängen das, was an uns liegt (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν), tilgen muss, mithin auch Lob und Tadel und wiederum akzeptable und tadelnswerte Taten.“8

Außer gegen den astrologischen Determinismus wandte sich Origenes gegen die stoische Schicksalsfügung (εἱμαρμένη), gegen die er den aus dem Genesiskommentar erhaltenen Passus vor allem schrieb.9 Wie die paganen und christlichen 7   Princ. I praef. 5 (GCS Orig. 5, 12 f.). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 93 (leicht modifiziert). Vgl. in Rom. comm. VI 3,4 (SC 543, 102–104). 8   In Gen. frg. D 7,1 (OWD 1/1, 70–72). Übersetzung: Metzler, OWD 1/1, 71–73 (modifiziert). Zu philoc. 23,1–21 (SC 226, 130–204) = in Gen. frg. D 7 (OWD 1/1, 70–104) siehe die Interpretation von Amand, Fatalisme et liberté 304–325. 9   Origenes, ebd. frg. D 7,1 (OWD 1/1, 70): περὶ τῆς εἱμαρμένης. Die

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

Platoniker des 2.  Jahrhunderts rezipierte er die stoischen Theoreme und Begriffe, kritisierte aber den damit einher­ gehenden Determinismus. Dabei akzeptierte er durchaus den physikalischen Denkrahmen der Stoiker in dem Sinn, dass die Akte der freien Entscheidung eingebettet sind in Zusammenhänge und Ursachen, die vom Menschen nicht zu beeinflussen sind: „Wenn aber jemand anstrebt, dass das, was an uns liegt (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν), losgelöst vom Ganzen sei, so dass wir nicht durch etwas Be­ stimmtes, das uns zustößt, dazu gebracht würden, etwas Be­ stimmtes zu wählen, hat er vergessen, dass er ein Teil der Welt ist und umfangen von der Gemeinschaft der Menschen und der Um­ welt.“10

Die „Ursachen für die vielen Dinge, die an uns liegen, liegen meistens nicht an uns“, d. h. die meisten Vorstellungen und Impulse, die auf einen Menschen einwirken und auf die er kraft seiner Entscheidungsfähigkeit reagiert, ereignen sich ohne Zutun des Menschen, der in dieser Hinsicht Teil der Ursachenkette ist. Das entspricht dem stoischen Konzept der Zustimmung. Gegen die Stoiker bestand Origenes je­ doch darauf, dass es alternative Möglichkeiten dafür gebe, wie ein Mensch auf die einer Entscheidung vorausgehenden Ereignisse reagiere, dass er also anders entscheiden und handeln könne, als er es in einer bestimmten Situation tut: „Dass jedoch die Ursachen von den vielen Dingen, die an uns lie­ gen, meistens zu denen gehören, die nicht an uns liegen, werden auch wir zugestehen. Würden diese Dinge nicht geschehen – ich meine die, die nicht an uns liegen –, würde etwas Bestimmtes von Kompilatoren der Philokalie, Gregor von Nazianz und Basilius von Caesarea, stellten den Auszug gleichfalls unter die Überschrift περὶ εἱμαρμένης: philoc. 23 tit. (SC 226, 130). 10  In Gen. frg. D 7,11 (OWD 1/1, 90). Übersetzung: Metzler, OWD 1/1, 91 (modifiziert).

1. Der zentrale Stellenwert der Freiheit

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dem, was an uns liegt, nicht getan werden. Etwas Bestimmtes von dem, was an uns liegt, wird aber in der Folge bestimmter voraus­ gehender Ereignisse getan, die nicht an uns lagen, wobei aber un­ bedingt die Möglichkeit besteht, dass wir auf die vorausgehenden Ereignisse hin auch etwas anderes tun als das, was wir tun.“11

Damit teilte Origenes den Einwand, den die frühchristli­ chen Philosophen (Kap.  I V 4) und Alexander von Aphrodi­ sias (Kap.  III 3c) gegen den stoischen Kausaldeterminismus erhoben hatten. Wir müssen „einsehen“, betonte er gegen­ über Kelsos, „dass die Natur dessen, was an uns liegt, ver­ schiedene Möglichkeiten zulässt“.12 Schließlich verteidigte Origenes die Entscheidungsfrei­ heit „auch gegen einen theologischen Determinismus“,13 wenn er, erneut mit dem stoischen Begriff der εἱμαρμένη, gegen die christlichen Gnostiker betonte, „dass es unser ei­ genes Werk ist, gut zu leben, und dass Gott dies von uns fordert als etwas, das nicht von ihm ist oder von einem an­ deren kommt oder, wie manche meinen, von der Schicksals­ fügung, sondern als unser eigenes Werk“.14 Die determinis­ tischen Vorstellungen der Gnostiker waren wie bei den frühchristlichen Apologeten die Hauptfront, gegen die Origenes ständig auf der Entscheidungs- und Handlungs­ freiheit des Menschen insistierte, um die Basis für Ethik und Moral zu sichern. Nur wenn der Mensch wirklich aus sich selbst heraus zur Entscheidung für oder wider das Gute imstande ist, können die Folgen in Form von Lohn 11   Ebd. Eigene Übersetzung in Anlehnung an Metzler, ebd., weil sie den stoischen Terminus technicus τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν, „das, was an uns liegt“, der hier durchweg steht, immer mit „freier Wille“ wiedergibt. 12   Cels. V 21 (GCS Orig. 2, 23). 13   Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 20. 14   Origenes, princ. III 1,6 (GCS Orig. 5, 201). Übersetzung: Gör­ gemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 475 (modifiziert).

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

und Strafe, Gelingen oder Misslingen des Lebens seiner Verantwortung zugeschrieben werden. Mit diesem Dauerargument proklamierte Origenes die Entscheidungsfreiheit als konstitutiven Bestandteil der kirchlichen Verkündigung. Im Vorwort zur Prinzipien­ schrift zählte er die Ausstattung „jeder vernunftbegabten Seele mit der Freiheit der Entscheidung und des Willens (li­ beri arbitrii et voluntatis)“ zu den „in der kirchlichen Ver­ kündigung festgelegten Grundsätzen“.15 Zu Beginn des Freiheitstraktats in dieser Schrift erläuterte er dazu näher­ hin, dass die Freiheit der Entscheidung in der kirchlichen Verkündigung zwar nicht explizit definiert, doch notwen­ dig in ihr vorausgesetzt sei, weil andernfalls die biblischen Gebote und Verbote sowie die Erwartung eines künftigen Gerichts, in dem sich die Menschen für ihre Taten werden verantworten müssen, keinen Sinn machen würden: „In der kirchlichen Verkündigung ist nun die Lehre vom gerech­ ten Gericht Gottes enthalten, die denn auch die, die sie hören und an ihre Wahrheit glauben, dazu antreibt, gut zu leben (καλῶς βιοῦν) und auf jede Weise die Sünde zu meiden. Voraussetzung 15   Ebd. I praef. 5 (GCS Orig. 5, 12). Übersetzung: ebd. 91–93 (mo­ difiziert). Das Hendiadyoin arbitrium et voluntas dürfte auf den Übersetzer Rufinus zurückgehen, der solche lateinischen Doppelaus­ drücke liebte, um einen griechischen Begriff wiederzugeben. Der Be­ griff voluntas stammt, wie sich zeigte (Kap.  II 5 und III 3a), aus der lateinischen Tradition dieser Debatte, hatte im Griechischen, in dem Origenes dachte und schrieb, jedoch keine Entsprechung. Er dürfte von Rufinus aus seinen lateinischen Kontexten des späten 4. Jahrhun­ derts herangezogen worden sein, um den an dieser Stelle von Origenes verwendeten Begriff (wohl αὐτεξούσιον oder τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν) wiederzuge­ ben. Rufinus erfasste damit zutreffend den Intellektualismus des Ori­ genes, bei dem das, was später „Wille“ heißt, und die vernunftgeleitete Entscheidung eine Einheit bilden: Hengstermann, Freiheitsmeta­ physik 15 Anm.  8.

1. Der zentrale Stellenwert der Freiheit

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­ afür ist natürlich, dass man dem Satz zustimmt, dass es in unse­ d rer Macht liegt (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν), ob wir Lobens- oder Tadelnswertes tun.“16

Aus diesem Grund hielt Origenes die „Selbstbestimmung“ (αὐτεξούσιον) für „eine Frage von höchster Wichtigkeit“, so dass er es sich zur Aufgabe machte, einen „Begriff (ἔννοια) von ihr zu entwickeln“ (weiter dazu unten in Kap.  V 2).17 Die Freiheit der Entscheidung und der Selbstbestim­ mung war für Origenes ein derart integraler Bestandteil des christlichen Glaubens, dass er sie regelrecht in den Rang eines Glaubensartikels erhob. Im Johanneskommentar, den er in den letzten Jahren in Alexandria begann und an dem er in Caesarea noch etliche Jahre weiterarbeitete, fügte er zu einem Glaubensbekenntnis in Kurzform, in dem trinita­ risch vom einen Gott als Schöpfer, von Jesus Christus als Herrn und wahrem Gott und wahrem Menschen sowie vom Heiligen Geist die Rede ist, als gleichsam vierten Arti­ kel die freie Selbstbestimmung als Voraussetzung für Lohn und Strafe hinzu: „Vor allem glaube, dass Gott einer ist, der das All schuf und ein­ richtete und alles aus dem Nichtsein zum Sein brachte.18 Man 16   Origenes, ebd. III 1,1 (GCS Orig. 5, 195). Übersetzung: ebd. 463. Vgl. auch in Gen. frg. D 7,1 (OWD 1/1, 72): Wenn der astrologische Schicksalsglaube zutrifft, „dann schwindet alles, was vom Gericht Gottes verkündet wird, sowohl alle Drohungen gegen die Sünder, sie würden bestraft, als auch wieder Ehrungen und Seligpreisungen für diejenigen, die sich dem Besseren widmen; denn nichts davon wird mehr mit gutem Grund geschehen.“ Übersetzung: Metzler, OWD 1/1, 73. 17   Princ. III 1,1 (GCS Orig. 5, 195 f.). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 463 (modifiziert, weil sie αὐτεξούσιον mit „freier Wille“ wiedergeben). 18   Dieser Satz ist ein bei Origenes öfter vorkommendes Zitat aus dem Hirt des Hermas, mand. 1,1.

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

muss aber auch an den Herrn Jesus Christus und an alle Wahrheit über ihn gemäß seiner Gottheit und gemäß seiner Menschheit glauben. Weiter muss man an den Heiligen Geist glauben und da­ ran, dass wir als selbstbestimmte Wesen (αὐτεξούσιοι) für das, was wir sündigen, bestraft, für das hingegen, was wir Gutes tun, be­ lohnt werden.“19

Die Freiheit war für Origenes zusammen mit der Trinität das grundlegende Prinzip des christlichen Glaubens. Die freie Selbstbestimmung des Menschen war seiner Ansicht nach nicht zuletzt deshalb von so zentraler Bedeutung, weil sie über Gelingen oder Misslingen des Lebens entscheidet.20 Der christliche Alexandriner Origenes formulierte immer noch dasselbe Lebensziel wie sechs Jahrhunderte zuvor der pagane Athener Platon: Ein „gutes Leben“ (εὖ πράττειν) war das Ziel der an Gerechtigkeit und Einsicht orientierten Wahl, die Platon im Schlussmythos der Politeia beschrie­ ben hatte (Kap.  II 2).21 Dasselbe Ziel führte Origenes am Anfang seines Freiheitstraktats in der frühen Prinzipien­ schrift an: „Gut zu leben“ (καλῶς βιοῦν) sei das Bestreben eines Christen im Angesicht des göttlichen Gerichts.22 All­ gemeiner formulierte er dieses Lebensziel, das Gemeingut der antiken Philosophie war, zu Beginn des Vorworts die­ ses Werkes, als deren Leitthema er angab, „gut und glück­ lich zu leben“ (bene beateque vivere).23 Und am Schluss seiner späten Apologie gegen Kelsos benannte er gegen Ende seines Lebens als Kernthema seiner Auseinandersetzung 19   Origenes, in Ioh. comm. XXXII 16,187–189 (GCS Orig. 4, 451). Übersetzung: p.  374 Gögler (modifiziert). 20   So auch Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 18 Anm.  17. 21   Platon, polit.  X 621 c 5. d 2 f. (als letztes Wort des Dialogs). 22   Origenes, princ. III 1,1 (GCS Orig. 5, 195). 23   Ebd. I praef. 1 (GCS Orig. 5, 7). Die griechische Junktur ebd. III 1,1 übersetzte Rufinus ebenso (man beachte das erneute Hendiady­ oin).

2. Der Freiheitsbegriff des Origenes

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mit Kelsos die Aufgabe, „durch richtige Lehren zum besten Leben (ἄριστος βίος) zu ermuntern“.24 Mit diesem Leitmotiv seines Schaffens teilte Origenes die lebenspraktische Intention der antiken Philosophie, in deren Rahmen gerade in der römischen Kaiserzeit über Determinismus und Freiheit, Fremd- oder Selbstbestim­ mung des Menschen nachgedacht wurde. Von Anfang bis Ende seines Lebens ging es ihm um das „gute Leben“, zu dem schon Platon anleiten wollte und worauf das Grund­ interesse der gesamten hellenistischen Philosophie, nicht zuletzt der Stoiker, gerichtet war. Aus diesem Grund hat er in allen seinen Erörterungen über das Entscheiden und Handeln des Menschen zur Erreichung dieses Zieles ent­ schlossen die Freiheit in einer Ausführlichkeit und Ein­ dringlichkeit in das Zentrum gerückt, wie das nie zuvor der Fall gewesen war.

2. Der Freiheitsbegriff des Origenes Aufgrund der zentralen Bedeutung der Freiheit hat Orige­ nes umfassend über sie nachgedacht und den Freiheitsbe­ griff nach allen Seiten analysiert. Zu diesem Zweck hat er die Freiheit der Entscheidung nicht nur im Gefolge der kai­ serzeitlichen christlichen Platoniker postuliert und prokla­ miert, sondern den Versuch unternommen, einen Begriff von Freiheit im Rahmen einer umfassenden Freiheitslehre zu etablieren. Die grundlegenden Gedanken dazu entwi­ ckelte er in seinen frühen Schriften, die er – der im Jahr 185 geborene Origenes hat erst spät mit dem Schreiben begon­ nen – um 230 in den letzten Jahren in Alexandria und in den 24

  Cels. VIII 76 (GCS Orig. 2, 293).

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

ersten Jahren in Caesarea, wohin er um 232 übersiedelte, verfasste: die systematische Schrift Über die Prinzipien in vier Büchern, die wohl auf Lehrvorträge in seiner christ­ lich-philosophischen Schule zurückging, der Genesiskom­ mentar in 13 Büchern, der Johanneskommentar in 32 Bü­ chern und dazu in Caesarea zwischen 233 und 235 der Traktat Über das Gebet, in dem er die Freiheitstheorie in der Prinzipienschrift wiederholte und um einige neue As­ pekte ergänzte. Auf dieser Grundlage hat er alle seine zahl­ reichen weiteren Schriften, vor allem Kommentare und Predigten über die Bibel, verfasst, bis hin zum Alterswerk der Apologie gegen Kelsos von 248/49, in der er seine diesbe­ züglichen Überzeugungen nochmals vorstellte. Der Grundsatz der Freiheit war für ihn neben der in allem wal­ tenden Vernunft sowie der Vorsehung und der Güte Gottes ein leitendes Prinzip bei allen seinen Erörterungen über die Bibel, über Gott und die Welt und über den Menschen. Die neue Stufe des Freiheitsdenkens, die durch Origenes herbeigeführt wurde, spiegelt sich cum grano salis in einer Änderung der Titel der entsprechenden Traktate. Schrieben die früheren Autoren bis Alexander von Aphrodisias Über das Schicksal (Περὶ εἱμαρμένης/De fato), verfasste Origenes den ersten Freiheitstraktat, der diesen Titel verdient, unter der Überschrift Über die Selbstbestimmung (Περὶ αὐτεξ-­ ουσίου) bzw. in spätantiker lateinischer Fassung Über die Freiheit der Entscheidung (De arbitrii libertate).25 Über die Freiheit (Περὶ ἐλευθερίας) hatte auch schon Epiktet geschrie­ ben, und Philon hatte von der Freiheit des Tüchtigen (Περὶ τοῦ πάντα σπουδαῖον ἐλεύθερον εἶναι) gesprochen, doch ging 25   Der griechische Titel ist überliefert in der Philokalie (p.  5 und 152 Robinson) und im Inhaltsverzeichnis von De principiis bei Photios, bibl. cod. 8 (I p.  9 Henry), der lateinische Titel in der spätantiken Übersetzung des Rufinus aus dem Jahr 398.

2. Der Freiheitsbegriff des Origenes

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es in diesen Schriften nicht um die Freiheit der Entschei­ dung, sondern um die Freiheit, die ein Mensch erreicht, wenn er seine Entscheidungen in rechter Weise an der Ver­ nunft orientiert (Kap.  III 2 und IV 1). Doch von Origenes an ging es explizit um die Freiheit der Entscheidung, wes­ halb entsprechende Abhandlungen, zum Beispiel der Dia­ log Περὶ αὐτεξουσίου des Methodius von Olympus um 300 oder die von 393 bis 395 verfassten drei Bücher De libero arbitrio des frühen Augustinus, einen solchen Titel trugen. Wenn über das Schicksal geschrieben wurde, dann unter dem Motto, dass es jetzt Gegen das Schicksal (Καθ᾿ εἱμαρμένης) ging (so jeweils der Titel eines Traktats Diodors von Tarsus und Gregors von Nyssa). Doch kehren wir nach diesem kleinen literaturgeschichtlichen Exkurs zurück zur Freiheitslehre des Origenes. Origenes hat seine Freiheitstheorie philosophisch fun­ diert und biblisch abgesichert. In ihrer philosophischen Erörterung zu Beginn des Freiheitstraktats in der Prinzi­ pienschrift26 schloss er sich der stoischen Handlungstheo­ rie an, wie sie von Chrysipp bis Epiktet Gestalt angenom­ men hatte. Mir scheint es zudem sehr wahrscheinlich zu sein, dass er von Philon von Alexandria angeregt worden war – wenn er ihn nicht sogar, wie in so vielen anderen Fäl­ len, direkt aufgriff. Zudem wird sich zeigen, dass sowohl Platon als auch Aristoteles im Hintergrund stehen. Indem Origenes alle diese Traditionen eigenständig rezipierte, schuf er einen neuartigen handlungstheoretischen Intellek­ tualismus, in dem Entscheiden und Handeln des Menschen eine Einheit bilden, die ihr Zentrum im Vermögen der Ver­ nunft hat, frei über sich selbst zu bestimmen, und in dem

26

  Vgl. Origenes, princ. III 1,1–5 (GCS Orig. 5, 195–201).

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

Origenes, De principiis III 1,3 Τὸ μέντοι λογικὸν ζῷον καὶ λόγον ἔχει πρὸς τῇ φανταστικῇ φύσει, τὸν κρίνοντα τὰς φαντασίας καί τινας μὲν ἀποδοκιμάζοντα, τινὰς δὲ παραδεχόμενον, ἵνα ἄγηται τὸ ζῷον κατ᾿ αὐτάς. Ὅθεν ἐπεὶ ἐν τῇ φύσει τοῦ λόγου εἰσὶν ἀφορμαὶ τοῦ θεωρῆσαι τὸ καλὸν καὶ τὸ αἰσχρόν, αἷς ἑπόμενοι θεωρήσαντες τὸ καλὸν καὶ τὸ αἰσχρὸν αἱρούμεθα μὲν τὸ καλόν, ἐκκλίνομεν δὲ τὸ αἰσχρόν, ἐπαινετοὶ μέν ἐσμεν ἐπιδόντες ἑαυτοὺς τῇ πράξει τοῦ καλοῦ, ψεκτοὶ δὲ κατὰ τὸ ἐναντίον. […] Τὸ μὲν οὖν ὑποπεσεῖν τόδε τι τῶν ἔξωθεν, φαντασίαν ἡμῖν κινοῦν τοιάνδε ἢ τοιάνδε, ὁμολογουμένως οὐκ ἔστι τῶν ἐφ᾿ ἡμῖν· τὸ δὲ κρῖναι οὑτωσὶ χρήσασθαι τῷ γενομένῳ ἢ ἑτέρως, οὐκ ἄλλου τινὸς ἔργον ἢ τοῦ ἐν ἡμῖν λόγου ἐστίν, ἤτοι παρὰ τὰς ἀφορμὰς ἐνεργοῦντος ἡμᾶς πρὸς τὰς ἐπὶ τὸ καλὸν προκαλουμένας καὶ τὸ καθῆκον ὁρμάς, ἢ ἐπὶ τὸ ἐναντίον ἐκτρέποντος.

diese Fähigkeit zur Selbstbestimmung das Wesensprinzip des Menschen ist.27 Diejenige Fähigkeit, schrieb Origenes im zentralen Pas­ sus des Freiheitstraktats, die den Menschen von allen ande­ ren Lebewesen unterscheide, sei die Vernunft, mit der er die auf ihn einwirkenden Vorstellungen und Impulse beurtei­ len und demgemäß sein Handeln ausrichten könne: „Das vernunftbegabte Lebewesen hat zu der Vorstellungskraft“, die auch Tieren eignet und kraft derer zum Beispiel Spinnen 27   Siehe dazu die eingehende philosophische Analyse von Origenes’ Freiheitstraktat bei Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 13–93, fer­ ner den Überblick bei Fürst, Origenes 110–142. Ältere Darstellun­ gen, z. B. bei Amand, Fatalisme et liberté 297–304, sind dadurch über­ holt. Trotz einiger richtiger Beobachtungen zu Einzelheiten verkennt Frede, A Free Will 102–124, die originelle Leistung des Origenes, weil er dessen Grundgedanken nur streift, ohne seine fundamentale Bedeutung zu erkennen (vgl. ebd. 111), und weil er die Freiheitstheorie des Origenes auf ihre antignostischen Aspekte engführt (vgl. ebd. 115–120). Karamanolis, Philosophy of Early Christianity 151–157, folgt weitgehend Frede’s Darstellung.

2. Der Freiheitsbegriff des Origenes

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Origenes, Über die Prinzipien III 1,3 Das vernunftbegabte Lebewesen hat zu der Vorstellungskraft hinzu noch die Vernunft, die die Vorstellungen beurteilt und die einen verwirft, die anderen annimmt, damit das Lebewesen entsprechend den letzteren gelenkt wird. In der Natur der Ver­ nunft finden sich erste Ansätze zu einer Schau des Schönen und des Hässlichen. Wenn wir diesen Ansätzen folgen und das Schöne und das Hässliche betrachten, wählen wir das Schöne, weichen dem Hässlichen aber aus. Deshalb verdienen wir Lob, wenn wir uns dem Tun des Schönen hingeben, jedoch Tadel, wenn wir das Gegenteil tun. […] Nun liegt das Eintreffen eines bestimmten äußeren Ereignisses, das in uns diese oder jene Vorstellung hervorruft, zugestandenermaßen nicht in unserer Macht. Aber die Entscheidung, mit dem Ereignis so oder an­ ders umzugehen, ist einzig und allein Sache der Vernunft in uns, und diese aktiviert uns gemäß der in ihr liegenden Ansätze entweder zu jenen Antrieben, die uns zum Schönen und Zu­ kommenden aufrufen, oder sie treibt uns zum Gegenteil.

Netze weben und Bienen Waben bauen, 28 „hinzu noch die Vernunft (λόγος), die die Vorstellungen (φαντασίαι) beurteilt und die einen verwirft, die anderen annimmt, damit das Le­ bewesen entsprechend den letzteren gelenkt wird.“29 Dazu sei die Vernunft in der Lage, weil sie nicht ein rein techni­ sches Denkvermögen sei, sondern eine „Klugheit“, die ein „Wissen um“ die moralischen Grundkategorien von „Gut und Böse“30 oder, wie Origenes sich mit der platonisch-stoi­ schen Tradition ausdrückte, des Schönen und des Hässli­ chen in sich habe: „In der Natur der Vernunft finden sich 28

  Vgl. Origenes, princ. III 1,2 (GCS Orig. 5, 197).   Ebd. III 1,3 (GCS Orig. 5, 197). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 467 (leicht modifiziert). 30   In Rom. frg. 1 (p.  127 Scherer; FC 2/6, 72). Übersetzung: Hei­ ther, FC 2/6, 73. 29

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erste Ansätze zu einer Schau des Schönen und des Hässli­ chen.“31 Origenes drückte sich präzise aus: Der Mensch hat zu­ nächst nur „Ansätze“ (ἀφορμαί) zur Erkenntnis des Guten und des Bösen in sich. Ἀφορμή ist in diesem Kontext ein schwieriger Begriff, weil er in der stoischen Handlungsthe­ orie eigentlich als Gegenbegriff zu ὁρμή fungiert, also den Impuls nicht zum Ausführen, sondern zum Unterlassen einer Handlung meint.32 An dieser Stelle verwendete Ori­ genes den Begriff aber offensichtlich in der Bedeutung, in der ihn Philon gebrauchte (wenn auch in einem anderen Kontext).33 Origenes brachte damit zum Ausdruck, dass der Mensch „nicht einfach über eine ihm angeborene Ein­ sicht in die sittlichen Grundkategorien verfügt, sondern lediglich, wie Origenes eigens einschränkt, über ,Ansätze‘ hierzu“. Es bedarf der Erziehung und Bildung, um diese „Ansätze“, „über die er von Geburt an verfügt, zu einem fundierten Wissen“ auszubilden, „das er in einem sittlichen Charakter verinnerlichen muss“34 und an dem er seine Ent­ scheidungen zu orientieren hat. Wenn der Mensch Letzteres tut, ergibt sich daraus die Entscheidung für das Gute und gegen das Böse: „Wenn wir diesen Ansätzen folgen und das Schöne und das Hässliche 31   Princ. III 1,3 (GCS Orig. 5, 197). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 467 (modifiziert mit Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 35). 32  So der Sprachgebrauch der zugehörigen Verben ὁρμᾶν und ἀφορμᾶν bei Epiktet, ench. 2; diss. III 22,43. Vgl. auch Clemens von Alexandria, strom. I 83,5 (GCS Clem. Al. 24, 54). 33   Vgl. Philon, omn. prob. lib. 71. 78 (VI p.  21. 23 Cohn/Wend­ land), wo er von „Fähigkeiten“ spricht, die der Mensch „in sich“ hat, bzw. von „Anlässen“ zu bestimmten Verhaltensweisen. 34   Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 36 (mit den Erläuterun­ gen ebd. Anm.  56).

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betrachten, wählen wir das Schöne, weichen dem Hässli­ chen aber aus.“35 In diesem Satz stecken sowohl der sokra­ tisch-platonische Grundsatz, dass die Tugend auf Wissen basiere, als auch die damit koinzidierende Ansicht insbe­ sondere Chrysipps, dass Handlungsantriebe ein Ausdruck der Vernunft als des Leitprinzips der Seele seien. „Denn gutes Wollen kann nicht einmal gedacht werden“, konsta­ tierte Origenes im Johanneskommentar, „ohne dass dem guten Wollen ein gutes Handeln, das einem solchen Wollen entspricht, hinzugefügt würde.“36 Mit solchen Formulie­ rungen war Origenes auf dem Weg zu einem Willensbe­ griff, doch liegt kein Voluntarismus vor, sondern zeigt sich deutlich der Intellektualismus dieser platonisch-stoischen Konzeption, den Origenes teilte.37 Entscheidungen und Handlungen sind nach Chrysipp Ausdruck eines bestimm­ ten Zustands der Vernunft: Wenn die Vernunft Gut und Böse „betrachtet“, d. h. sich daran orientiert – im Satz davor sprach Origenes von der „Schau“ –, kann daraus vernünfti­ gerweise nur die Wahl des Guten und das Meiden des Bösen resultieren. Erkennen, Wollen und Ausführen des Guten bilden eine Einheit. Das Meiden des Bösen beschrieb Origenes mit einem Be­ griff Chrysipps als „vernunftgemäßes Ausweichen“ (ἔκκλισις) vor dem Bösen.38 Aus einer in der Erkenntnis des Guten und Bösen geschulten Vernunft kann nur die Wahl des Gu­ 35   Origenes, princ. III 1,3 (GCS Orig. 5, 197). Übersetzung: Gör­ gemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 467 (modifiziert). 36  In Ioh. comm. XX 23,196 (GCS Orig. 4, 357). Übersetzung: Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 38 (leicht modifiziert, weil für „Wille“, wie er übersetzt, das Verbum „Wollen“ gebraucht ist). 37   So die richtige Bewertung von Origenes’ Intellektualismus bei Dihle, Vorstellung vom Willen 125 f. 38   Siehe dazu Pohlenz, Stoa I, 152.

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ten, aber nicht die Wahl des Bösen folgen. Nur die sozusa­ gen positive Handlungsrichtung ergibt sich aus der Ver­ nunft, und nur, wer der am Guten bzw. an den Geboten Gottes orientierten Vernunft in sich bewusst folgt und nicht äußeren oder inneren Trieben und Begierden nach­ gibt, besitzt wirklich die „Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln“ (ἐξουσία αὐτοπραγίας), wie Origenes erneut mit einer Formulierung Chrysipps sagte (die auch Philon schon aufgegriffen hatte: Kap.  I V 1).39 Das gegenteilige Handeln passiert gleichsam nur, insofern der Mensch es zulässt, weil er sich widerstandslos den falschen Regungen, die in ihm auftauchen, überlässt, weil er „außer Acht lässt, was zu tun ist, und dem nicht ausweicht, was verboten ist“.40 Für diese Orientierung der Vernunft am Guten ge­ brauchte Origenes im Matthäuskommentar den Begriff προαίρεσις ἑκούσιος,41 eine „gewollte“ oder „freiwillige Grund­ausrichtung“ des Menschen, die im Sinne Epiktets, den Origenes damit aufgriff, den Kern seiner „Personalität“ bildet. Auch in der in etwa zeitgleichen Apologie gegen Kel­ sos verwendete er diesen Begriff in diesem Sinne und be­ scheinigte dabei den Stoikern, die beste Theorie zur Er­ klärung menschlichen Handelns beigebracht zu haben: „Auch die Griechen haben die Natur der guten, der bösen und der indifferenten Handlungen untersucht. Diejenigen, die die beste Lösung gefunden haben, bemessen die guten und die schlechten Handlungen allein an der Grundintention (wie ich προαίρεσις statt ‚Wille‘ oder ‚Willensabsicht‘ lieber übersetzen würde, obgleich der Begriff einem ‚Willen‘ sehr nahe kommt) und bezeichnen als indif­ ferente Handlungen im eigentlichen Sinn alle diejenigen, bei de­ 39

  Origenes, in Ioh. comm. II 16,112 (GCS Orig. 4, 73).   In Rom. frg. 4 (p.  148 Scherer; FC 2/6, 92). Übersetzung: Hei­ ther, FC 2/6, 93. 41   In Matth. comm. X 11 (GCS Orig. 10, 12). 40

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nen man keine Grundintention entdecken kann. Die Grundinten­ tion, die auf pflichtgemäßes Handeln gerichtet ist, ist lobenswert, diejenige hingegen, die das nicht ist, ist tadelnswert.“42

Damit verwendete Origenes den Begriff προαίρεσις in einer Bedeutung, wie sie tendenziell auch schon bei Clemens von Alexandria zu beobachten war (Kap.  I V 5).43 Lob und Tadel bemessen sich ausschließlich an der inneren Gesinnung, an der Motivation und Intention, aus der heraus ein Mensch handelt, nicht an der bloßen Faktizität des Getanen. Eben darin liegt der Grund dafür, dass der entsprechend han­ delnde Mensch gelobt oder getadelt werden kann, wie Ori­ genes in der Prinzipienschrift als Abschluss dieses Gedan­ kengangs sagte: „Deshalb verdienen wir Lob, wenn wir uns dem Tun des Schönen hingeben, jedoch Tadel, wenn wir das Gegenteil tun.“44 Weil der Mensch über ein apriorisches Wissen von Gut und Böse verfügt, dessen angeborenen An­ sätze auszubilden seine Aufgabe ist, kann er sich nicht unter Berufung auf ein eventuelles Unwissen der Verantwortung für seine Taten oder Untaten entziehen. „Ein Entschuldi­ gungsgrund bleibt also keinem Menschen, der die Kenntnis 42   Cels. IV 45 (GCS Orig. 1, 318). Übersetzung: Barthold, FC 50/3, 757–759 (modifiziert). 43   Vgl. Clemens von Alexandria, strom. II 26,4 f. (GCS Clem. Al. 24, 127). 44   Origenes, princ. III 1,3 (GCS Orig. 5, 197 f.). Übersetzung: Gör­ gemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 467–469 (modifiziert). Vgl. die lateinische Fassung dieses Grundsatzes ebd. I 5,2 (GCS Orig. 5, 70). Was Origenes hier platonisch-sokratisch formulierte, hat eine Entsprechung bei Aristoteles, der in der Eudemischen Ethik konsta­ tierte, eth. Eud. II 11, 1228 a 5 f.9 f.: „Es liegt an ihm (sc. dem Men­ schen) selbst (ἐφ᾿ αὑτῷ), das Schöne zu tun, das Hässliche aber nicht zu tun […]. Deshalb gibt es auch für die Schlechtigkeit Tadel und für die Tugend Lob.“ Übersetzung: Dirlmeier, Aristoteles: Eudemische Ethik 44 (modifiziert).

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

des Gesetzes von Natur aus in seinem Herzen hat“, formu­ lierte er diesen Grundsatz mit Hilfe paulinischer Termino­ logie im Römerbriefkommentar.45 Es liegt am Menschen und nur an ihm, wie er entscheidet und handelt, weil der Grund dafür einzig und allein in ihm liegt, in seiner auf das Wissen um Gut und Böse ausgerich­ teten Vernunft bzw. in der damit gegebenen Grundausrich­ tung seiner ganzen Existenz: „Nun liegt das Eintreffen eines bestimmten äußeren Ereignisses, das in uns diese oder jene Vorstellung (φαντασία) hervorruft, zuge­ standenermaßen nicht in unserer Macht (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν). Aber die Ent­ scheidung, mit dem Ereignis so oder anders umzugehen, ist einzig und allein Sache der Vernunft in uns, und diese aktiviert uns ge­ mäß der in ihr liegenden Ansätze (ἀφορμαί) (sc. zur Schau des Schönen und Hässlichen) entweder zu jenen Antrieben (ὁρμαί), die uns zum Schönen und Zukommenden aufrufen, oder sie treibt uns zum Gegenteil.“46

Es gibt vielfache Regungen im Menschen, die durch äußere Vorgänge hervorgerufen werden.47 Als vernunftbegabtes Lebewesen zeichne sich der Mensch jedoch dadurch aus, dass er kraft seiner „Fähigkeit zur freien Entscheidung“ (li­ beri arbitrii facultas) 48 die Möglichkeit der Wahl hat, ihnen nachzugeben oder nicht: „Man muss indessen annehmen, dass all das, was unserem Herzen Gutes und Böses eingeflüstert wird, nichts anderes für uns bedeu­ 45   Origenes, in Rom. frg. 3 (p.  144–146 Scherer; FC 2/6, 90). Über­ setzung: Heither, FC 2/6, 91. 46   Princ. III 1,3 (GCS Orig. 5, 198). Eigene Übersetzung nach Gör­ gemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 469, unter Einbeziehung der Modifizierungen von Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 41. 47   Beispiele dafür gibt Origenes, ebd. III 2,2–4 (GCS Orig. 5, 247– 251). 48   Ebd. III 2,3 (GCS Orig. 5, 250).

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tet als nur einen Anstoß, einen Anreiz, der uns zum Guten oder Bösen aufruft. Es ist uns aber möglich, wenn die böse Macht uns zum Bösen aufzurufen beginnt, die bösen Einflüsterungen von uns zu weisen, den verwerflichen Überredungen zu widerstehen und nichts schuldhaft zu tun. Und umgekehrt ist es möglich, dass wir, wenn die göttliche Macht uns zum Besseren aufruft, keine Folge leisten, denn die Fähigkeit zur freien Entscheidung (liberi arbitrii potestas) bleibt uns in beiden Fällen gewahrt.“49

Origenes konzipierte einen konsequenten handlungstheo­ retischen Monismus im Gefolge Chrysipps und Epiktets, den er unter Aufgreifen von Chrysipps Intellektualismus so darstellte, dass alle Regungen und Anreize im Menschen nicht einfach physiologische Vorgänge sind, sondern mora­ lischen Charakter haben, weil sie von vornherein Ausdruck einer bestimmten geistigen Grundeinstellung sind.50 Auf den Menschen wirken als vorausgehende Ursachen nicht von ihm zu steuernde Einflüsse ein, die in ihm je nach Ver­ anlagung, Charakter, Erziehung und Bildung ganz ver­ schiedene Vorstellungen und Impulse hervorrufen. Im Ver­ nunftwesen Mensch spielen sich diese Vorgänge aber nicht einfach nur physiologisch im Körper ab, sondern sind von vornherein Bestandteil seiner bewussten geistigen Natur, weshalb Origenes schon die äußeren Einflüsse mit einem entsprechenden Vokabular als „Einflüsterungen“ und „Auf-

49   Ebd. III 2,4 (GCS Orig. 5, 251). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 577, teilweise mit den Modifizierungen von Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 40. 50   Siehe die Zusammenfassung der origeneischen Handlungstheo­ rie bei Hengstermann, ebd. 41 f. Die Neudeutung, die er Origenes zuschreibt, ist allerdings schon in Chrysipps Intellektualismus vorge­ prägt. Karamanolis, Philosophy of Early Christianity 154–156, ver­ kennt die mentale Verankerung äußerlicher Vorstellungen und Anrei­ ze.

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rufe“ bezeichnete und auch schon die ersten Reaktionen des Menschen darauf als Bewegungen seines Geistes auffasste. Kraft seiner Vernunft trifft der Mensch sodann eine Ent­ scheidung, welcher Regung bzw. Vorstellung er seine Zu­ stimmung gibt und welcher nicht, und so wird diese Ent­ scheidung, die zu fällen ganz allein Sache seiner freien Vernunft ist, zur geistigen Hauptursache einer sich daraus ergebenden Handlung. Das ist die „Eigenbewegung durch sich selbst“ (ἴδια κίνησις δι᾽ αὑτοῦ), durch die Origenes den Menschen gekennzeichnet sieht.51 Aus präzise diesem Grund kann ihm die Handlung moralisch zugerechnet werden und erntet er für sein Tun Lob oder Tadel oder wird er, gemäß der kirchlichen Verkündigung, im eschatologi­ schen Gericht Gottes gerechterweise belohnt oder bestraft. Origenes war Realist genug, um zu wissen, dass Men­ schen in ihren Handlungen nicht immer der Vernunft fol­ gen, obwohl sie das eigentlich nicht wollen, also „gegen ih­ ren Vorsatz“ (παρὰ πρόθεσιν) handeln.52 „Das Leben“, konstatierte er im Johanneskommentar, „ist voll von dieser Art von Verfehlungen von Menschen, die sich das, was sie für das Beste halten, zum Vorsatz machen, die aber auf­ grund von Unwissenheit das Gegenteil davon tun und sa­ gen.“53 Unwissen war (neben Zwang und Gewalt) bei Aris­ toteles im Gefolge der sokratisch-platonischen Hand­lungs­theorie einer der beiden Hauptgründe für nicht selbstbe­ stimmtes Handeln (Kap.  II 3). In der Prinzipienschrift ging Origenes auf die Ausflüchte ein, die für solches Handeln wider besseres Wissen in der Regel vorgebracht wurden: 51

  Orat. 6,1 (GCS Orig. 2, 312).   Zu solchem vorsatzwidrigem Handeln vgl. auch in Rom. frg. 41 Ramsbotham (FC 2/6, 204). 53   In Ioh. comm. XXXII 5,58 (GCS Orig. 4, 433). 52

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„Wenn aber einer sagt, eben das äußere Ereignis sei so, dass es ihm unmöglich sei, ihm Widerstand zu leisten, eben wegen seiner be­ sonderen Art (als Beispiel führte Origenes einen Asketen an, der den Reizen einer Frau erliegt), so soll er auf seine eigenen Affekte und Regungen Acht geben, ob nicht sein Leitprinzip (ἡγεμονικόν) Wohlgefallen, Zustimmung und Neigung zu dieser Handlung empfindet, und zwar wegen bestimmter Plausibilitäten.“54

Origenes akzeptierte beide Begründungen, die einem De­ terminismus das Wort reden, nicht als Ausreden für fehlge­ leitetes Handeln.55 Man kann nicht äußeren Einflüssen die Schuld geben, denn dann wäre man wie ein Stück Holz oder ein Stein, der von außen angestoßen und bewegt wird, aber nicht ein vernunftbegabter Mensch, an dessen „Selbst­ mächtigkeit“ (αὐτεξούσιον) es liegt, ob er reagiert und wie er reagiert.56 Auch für ein unbeherrschtes Verhalten liegt die Ursache nicht in den „Affekten und Regungen“ als solchen, sondern in einem Fehlurteil, das in einer Mischung aus rati­ onalen und affektiven Elementen des insgeheimen „Wohl­ gefallens“ und der uneingestandenen „Neigung“ dazu führt, einer Handlung, die dem eigenen Vorsatz zuwiderläuft, aufgrund „bestimmter Plausibilitäten“, die man fälschlich für richtig hält, die „Zustimmung“ zu erteilen. Der äußere 54   Princ. III 1,4 (GCS Orig. 5, 198 f.). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 369, modifiziert nach Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 52 und den ebd. 49–54 gegebenen Erklärungen. Zur Möglichkeit eines vorsatzwidrigen Verhaltens aufgrund von Un­ wissen vgl. in Ioh. comm. XXXII 5,56 (GCS Orig. 4, 433) das Beispiel des Petrus, der sich von Jesus nicht die Füße waschen lassen will (Joh. 13,8), weil er die Bedeutung dieser Handlung nicht erkennt. 55   Auch in Rom. comm. VI 3,4 (SC 543, 102–104) lehnte er solche Ausreden strikt ab. 56   Vgl. princ. III 1,5 (GCS Orig. 5, 199 f.). Der Vergleich mit einem Stein geht wohl zurück auf Philon von Alexandria, prov. I 78 (Philo Werke VII p.  314).

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

Anstoß kann daher nicht als „zureichende“, „die Wirkung von sich aus hervorbringende Ursache“ (αὐτοτελὴς αἰτία) an­ gesehen werden, sondern diese liegt in der inneren Einstel­ lung und Entscheidung. Im Blick auf diese hat der Mensch die Aufgabe, an der Origenes auf der pädagogisch-protrep­ tischen Linie der hellenistischen Philosophie und nicht zu­ letzt der kaiserzeitlichen Stoa durchweg festhält, durch „Übung“ (μελέτη) ein im Guten gefestigtes Wissen auszu­ bilden, um sich Reizen, denen er unweigerlich ausgesetzt ist, erwehren zu können, wenn sie der Grundausrichtung seines Lebens widersprechen.57 Aber auch der inneren Veranlagung kann man nicht die Schuld an falschem Verhalten zuschieben. Der Charakter eines Menschen spielt zwar eine wichtige Rolle dafür, wie ein Mensch in einer konkreten Situation agiert, weshalb er in der handlungstheoretischen Debatte immer wieder The­ ma war, bei Aristoteles und den Stoikern ebenso wie bei Alexander von Aphrodisias, der schrieb: „Der Charakter ist nach Heraklit das Schicksal der Menschen, das heißt ihre Natur. Man kann nämlich sehen, dass ihre Handlungen, Lebensweisen und Todesarten meistens der natürlichen Verfassung und Anlage folgen.“58 Wie Alexander59 insistier­ 57   Vgl. Origenes, princ. III 1,4 (GCS Orig. 5, 199), ferner in Gen. frg. D 7,9 (OWD 1/1, 86–88). 58   Alexander von Aphrodisias, fat. 6 (p.  170.19–22 Bruns). Überset­ zung: Zierl, Alexander: Über das Schicksal 39. Für den Spruch Hera­ klits, VS 22 B 119, und die Übersetzung des Wortes δαίμων darin mit „Schicksal“ siehe oben S.  55 Anm.  14. 59   Ebd. (p.  170.14–18 Bruns): Wie der körperliche Zustand durch entsprechende Pflege zu beeinflussen sei, so „könnte man auch bei der Seele finden, dass Wahl, Handlung und Lebensweise jedes Einzelnen von seiner natürlichen Verfassung abweichen“, wie man bei Sokrates sehen könne, der „durch die Übung (ἄσκησις) der Philosophie besser als seine Natur geworden war“ (p.  171.16). Übersetzung: ebd. 39. 41.

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te Origenes gegen die Stoiker, die aus derselben charakterli­ chen Disposition unter denselben Umständen die immer gleichen Entscheidungen ableiteten, darauf, dass Menschen sich ändern können und dies faktisch auch ständig tun, wo­ für er Beispiele von cholerischen und aggressiven Menschen anführte. 60 Das schönste Beispiel ist eine entwicklungspsy­ chologische Beobachtung, die man als Entdeckung der midlife crisis bezeichnen kann: „Und wir sehen, dass andere, die ganz gefestigt und würdevoll wa­ ren, verdorben werden und aus ihrer würdevollen und gefestigten Lebensweise in eine schlechtere geraten, so dass sie sich zur Aus­ schweifung hin wandeln. Diese Ausschweifung beginnt oft im mittleren Alter. Sie verfallen also in Unordnung, nachdem die Un­ ruhe der Jugend, soweit sie in ihrer Natur liegt, vorüber ist.“61

Hier sieht man die wache Beobachtungsgabe des Origenes und sein psychologisches Feingefühl, das auch in anderen Schriften immer wieder aufblitzt und ihn dazu brachte, aus der praktischen Lebenserfahrung heraus tiefsinnige Über­ legungen über die innere Struktur und das sich daraus erge­ bende Tun und Lassen des Menschen anzustellen. Die bösen Taten eines Menschen, die Schwierigkeit der Umsetzung richtiger Einsicht in entsprechendes Handeln und die Ausreden, mit denen Menschen ihre Fehler und ihr Versagen mit Verweis auf die äußeren Umstände und ihren Charakter zu rechtfertigen suchen, ändern nichts daran, dass das Handeln des Menschen in seiner freien Entschei­ dungsmacht liegt: 60  Vgl. Origenes, princ. III 1,5 (GCS Orig. 5, 200). Siehe dazu Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 82–89. 61  Origenes, ebd. (GCS Orig. 5, 200 f.). Übersetzung: Görge­ manns/Karpp, Origenes: Prinzipien 473–475. Vgl. im selben Sinn Cels. III 56 (GCS Orig. 1, 251); III 69 (GCS Orig. 1, 261 f.).

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

„Die vernünftige Überlegung zeigt also, dass die äußeren Um­ stände nicht in unserer Macht liegen (ἐφ᾽ ἡμῖν), dass es aber unsere Sache ist, so oder anders damit umzugehen, wobei wir die Ver­ nunft heranziehen, damit sie entscheide und prüfe, wie man be­ stimmten äußeren Umständen zu begegnen hat.“62

Auf das damit zur Debatte stehende Akrasieproblem, über das Origenes in den Bahnen seines handlungstheoretischen Intellektualismus ausgiebig nachdachte, gehe ich hier nicht weiter ein, weil dies eine umfangreiche eigene Erörterung erfordern würde. 63 Stattdessen bespreche ich noch die wichtigen Ergänzungen, die Origenes in der Gebetsschrift zu der in der Prinzipienschrift dargelegten Freiheitstheorie nachgetragen hat. Aus der „Selbstbewegung“ des Men­ schen erklärte Origenes darin aus der praktischen Perspek­ tive des Subjekts die „Selbstbestimmung“ als die Freiheit eines „Selbst“, das bewusst lebt und handelt. 64 Ausgangspunkt ist wie in der Prinzipienschrift eine Be­ wegungslehre (Kap.  V I 1), aus der sich ergibt, dass sich die Vernunftwesen kraft ihrer Vernunft von allen anderen Din­ gen und Lebewesen unterscheiden, indem sie sich „durch sich selbst bewegen“, das Prinzip ihrer Bewegung also in sich haben, und zwar nicht in ihrem Körper, sondern in ih­ rer Vernunft. Würde man bestreiten, dass der Mensch ein „durch sich selbst“ (δι᾽ αὑτοῦ) handelndes Subjekt ist, und 62   Princ. III 1,5 (GCS Orig. 5, 201). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 475 (modifiziert). 63   Eine solche liegt bereits vor bei Müller, Willensschwäche 242– 284, der jedoch in seiner an sich ausgezeichneten Darstellung dazu tendiert, Origenes einen voluntaristischen Willensbegriff zuzuschrei­ ben, wogegen Perkams, Ethischer Intellektualismus, und Hengs­ termann, Freiheitsmetaphysik 49–70, auf die richtige Einordnung hingewiesen haben. 64   Vgl. Origenes, orat. 6,1f. (GCS Orig. 2, 311 f.). Siehe dazu Hengs­ termann, ebd. 77–82.

2. Der Freiheitsbegriff des Origenes

211

würde man damit seine Freiheit im Sinne einer „Eigenbe­ wegung“ (ἴδια κίνησις), in der er kraft der Fähigkeit zu ver­ nunftbasierter Entscheidung handelt, 65 in Frage stellen, wäre das gleichbedeutend damit, das Selbstverständnis des Menschen als vernunftbegabtes und moralisch handelndes Subjekt, dem seine Taten zugerechnet werden können, auf­ zugeben: „Wer demnach will, dass nichts an uns liegt (ἐφ᾽ ἡμῖν), wird mit Notwendigkeit eine sehr absurde Annahme machen, erstens, dass wir keine Lebewesen sind, zweitens, dass wir auch keine Ver­ nunftwesen sind, sondern dass wir, so könnte man sagen, wie wenn uns jemand von außen in Bewegung setzte, ohne uns selbst irgendwie zu bewegen, infolge jener Einwirkung von außen das täten, was wir nach allgemeiner Annahme tun.“66

Die Annahme, der Mensch bewege sich nicht „durch sich selbst“ (im Sinne einer Wirkursache), wobei er sich dann wie leblose Gegenstände von außen angestoßen bewegen oder wie ein triebgesteuertes Tier instinktiv verhalten wür­ de – worauf die einem Determinismus das Wort redenden Ausreden in der Prinzipienschrift hinauslaufen –, führte Origenes durch Beispiele aus der alltäglichen Lebenspraxis ad absurdum: „Stattdessen sollte man vielmehr auf die eigenen Erfahrungen Acht geben und schauen, ob man ohne Scham sagen kann, man wolle nicht selbst (αὐτός), man esse nicht selbst (αὐτός), man gehe nicht selbst (αὐτός) spazieren, man stimme nicht selbst (αὐτός) ge­ wissen Lehransichten zu und nehme sie an oder missbillige sie 65

  Ebd. 6,1 (GCS Orig. 2, 312).   Ebd. 6,2 (GCS Orig. 2, 312) in der Form des überlieferten Textes ohne die Umstellung von „Vernunftwesen“ und „Lebewesen“, die der Editor Koetschau in den Text nimmt, die aber unnötig ist. Überset­ zung daher mit Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 78 (leicht mo­ difiziert), mit der textkritischen Begründung ebd. Anm.  174. 66

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

Origenes, De oratione 6,2 Οἱ τοίνυν θέλοντες μηδὲν εἶναι ἐφ᾿ ἡμῖν, ἀναγκαίως ἠλιθιώτατόν τι παραδέξονται· πρῶτον μὲν ὅτι οὐκ ἐσμὲν ζῷα, δεύτερον δὲ ὅτι οὐδὲ λογικὰ, ἀλλ᾿ οἷον τινὸς ἔξωθεν κινοῦντος αὐτοὶ οὐδαμῶς κινούμενοι ποιεῖν ὑπ᾿ ἐκείνου λεγοίμεθα ἃ ποιεῖν νομιζόμεθα. Ἄλλως τε καὶ τοῖς ἰδίοις πάθεσιν ἐπιστήσας τις ὁράτω, εἰ μὴ ἀναιδῶς ἐρεῖ μὴ αὐτὸς θέλειν καὶ μὴ αὐτὸς ἐσθίειν καὶ μὴ αὐτὸς περιπατεῖν μηδὲ αὐτὸς συγκατατίθεσθαι ἢ παραδέχεσθαι ὁποῖα δή ποτε τῶν δογμάτων μηδὲ αὐτὸς ἀνανεύειν πρὸς ἕτερα ὡς ψευδῆ. Ὥσπερ οὖν πρός τινα δόγματα ἀμήχανον διατεθῆναι ἄνθρωπον, κἂν μυριάκις τις αὐτὰ κατασκευάζῃ εὑρεσιλογῶν καὶ πιθανοῖς λόγοις χρώμενος, οὕτως ἀδύνατον διατεθεῖσθαί τινα περὶ τῶν ἀνθρωπίνων, ὡς μηδαμῶς τοῦ ἐφ᾿ ἡμῖν σῳζομένου. Τίς γὰρ διά­ κειται περὶ τοῦ μηδὲν εἶναι καταληπτὸν ἢ οὕτως βιοῖ, ὡς ἐπέχων περὶ παντὸς οὑτινοσοῦν; Τίς δὲ οὐκ ἐπιπλήττει, φαντασίαν ἁμαρτήσαντος οἰκέτου λαβὼν, τῷ θεράποντι; Καὶ τίς ἐστιν, ὃς μὴ αἰτιᾶται υἱὸν τὸ πρὸς γονεῖς καθῆκον μὴ ἀποδιδόντα ἢ μὴ μέμφεται καὶ ψέγει ὡς αἰσχρὸν πεποιηκυῖαν τὴν μεμοιχευμένην; Βιάζεται γὰρ ἡ ἀλήθεια καὶ ἀναγκάζει, κἂν μυριάκις τις εὑρεσιλογῇ, ὁρμᾶν καὶ ἐπαινεῖν καὶ ψέγειν, ὡς τηρουμένου τοῦ ἐφ᾿ ἡμῖν, καὶ τούτου ἐπαινετοῦ ἢ ψεκτοῦ γινομένου παρ᾿ ἡμᾶς. selbst (αὐτός) als falsch. Und wie es, wenn das, was an uns liegt (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν), nicht bewahrt bliebe, für einen Menschen unmöglich wäre, irgendwelchen Lehrsätzen zuzustimmen, auch wenn er sie mit unzähligen genialen Argumenten und unter Verwendung überzeugender Gründe aufstellt, so vermöchte er auch in mensch­ lichen Belangen keinen zuzustimmen.“67

Solche Aussagen würden jede Bedeutung verlieren, würde das darin ausgesagte Tun nicht dem eigenen „Selbst“ zuge­ schrieben. Das gilt besonders „für die Grundvollzüge der Freiheit, den Akt des Urteils und der Zustimmung, der al­ 67  Ebd. Übersetzung: Hengstermann, ebd. 79 f. (leicht modifi­ ziert).

2. Der Freiheitsbegriff des Origenes

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Origenes, Über das Gebet 6,2 Wer demnach will, dass nichts an uns liegt, wird mit Notwen­ digkeit eine sehr absurde Annahme machen, erstens, dass wir keine Lebewesen sind, zweitens, dass wir auch keine Vernunft­ wesen sind, sondern dass wir, so könnte man sagen, wie wenn uns jemand von außen in Bewegung setzte, ohne uns selbst ir­ gendwie zu bewegen, infolge jener Einwirkung von außen das täten, was wir nach allgemeiner Annahme tun. Stattdessen soll­ te man vielmehr auf die eigenen Erfahrungen Acht geben und schauen, ob man ohne Scham sagen kann, man wolle nicht selbst, man esse nicht selbst, man gehe nicht selbst spazieren, man stimme nicht selbst gewissen Lehransichten zu und nehme sie an oder missbillige sie selbst als falsch. Und wie es, wenn das, was an uns liegt, nicht bewahrt bliebe, für einen Menschen un­ möglich wäre, irgendwelchen Lehrsätzen zuzustimmen, auch wenn er sie mit unzähligen genialen Argumenten und unter Verwendung überzeugender Gründe aufstellt, so vermöchte er auch in menschlichen Belangen keinen zuzustimmen. Denn wer vertritt die Auffassung, dass nichts geistig erfasst werden könne, oder lebt so, dass er über alles, was es auch sein möge, sein Urteil zurückhält? Wer schilt nicht den Diener, wenn er wahrzunehmen glaubt, dass dieser gefehlt hat? Und wo ist ein Mann, der seinem Sohn keine Vorwürfe macht, wenn dieser seinen Eltern die gebührende Ehre versagt, oder der für die schändliche Tat einer Ehebrecherin nicht schärfsten Tadel hat? Die Wahrheit zwingt und drängt ja dazu, dass wir uns, wenn jemand auch unzählige Male Gegengründe erfindet, doch zum Loben und zum Tadeln anschicken, in der Überzeugung, dass das, was an uns liegt, gewahrt bleibt und dies bei uns zum ‚Lob­ redner oder Tadler‘ wird.

len Handlungen der vernunftbegabten Seele, den indiffe­ renten wie den moralisch guten und schlechten, zugrunde liegt. Im Akt des Urteils und der Zustimmung, in der sie die eine Vorstellung verwirft und die andere als Beweggrund ihres Handelns billigt, erweist sich die Seele selbst als

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

selbstbestimmtes Subjekt, als αὐτός.“68 Damit griff Orige­ nes „die aristotelische Einsicht“ auf (Kap.  II 3), „wonach das zurechnungsfähige Subjekt sich selbst als Ursprung der von ihm verantworteten freiwilligen Tat begreift“. 69 Orige­ nes argumentierte aus der existenziellen Perspektive des Subjekts, um das es in der Debatte über Determinismus und Freiheit im Kern geht. Gerade die Sprechakte, in denen es um Lob und Tadel geht, also die für die Behauptung der Selbstbestimmung des Menschen grundlegenden ethischen Werturteile, bleiben nur sinnvoll, wenn die freie Selbstbestimmung des Subjekts durch sich selbst als notwendige Voraussetzung angenom­ men wird. Auch eine skeptische Enthaltung von solchen Urteilen, die man theoretisch verfechten könnte, ist prak­ tisch nicht möglich, weil die alltägliche Lebensrealität, mit deren Evidenz – er sprach von „Wahrheit“ in dieser Bedeu­ tung – Origenes für die Existenz des Selbst und untrennbar damit verbunden der Freiheit argumentierte, schlicht an­ ders aussieht: „Denn wer vertritt die Auffassung, dass nichts geistig erfasst werden könne, oder lebt so, dass er über alles, was es auch sein möge, sein Urteil zurückhält? Wer schilt nicht den Diener, wenn er wahrzunehmen glaubt, dass dieser gefehlt hat? Und wo ist ein Mann, der seinem Sohn keine Vorwürfe macht, wenn dieser sei­ nen Eltern die gebührende Ehre versagt, oder der für die schänd­ liche Tat einer Ehebrecherin nicht schärfsten Tadel hat? Die Wahrheit zwingt und drängt ja dazu, dass wir uns, wenn jemand auch unzählige Male Gegengründe erfindet, doch zum Loben und zum Tadeln anschicken, in der Überzeugung, dass das, was

68

  Hengstermann, ebd. 80.   Ebd. mit Verweis auf Aristoteles, eth. Nic. III 5, 1113 a 5–7: siehe oben S.  68 f. 69

2. Der Freiheitsbegriff des Origenes

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an uns liegt, gewahrt bleibt und dies bei uns zum ‚Lobredner oder Tadler‘ wird.“70

Origenes erhob nicht den Anspruch, einen theoretischen Beweis für die freie Selbstbestimmung des Menschen vor­ zulegen. Er rekurrierte vielmehr auf alltägliche Handlun­ gen, genauer: Sprechakte des Menschen, und argumentierte mit „der praktischen Notwendigkeit des Urteils“,71 dessen sich kein Mensch enthalten kann. Mit späterer, von Kant entlehnter Terminologie könnte man sagen: Origenes erör­ terte die Frage nach der Freiheit auf der Ebene der Lebenspraxis und bestimmte die Freiheit als notwendiges Postulat der praktischen Vernunft.72 Man kann theoretisch Zweifel an der Existenz der Freiheit haben. Im praktischen Leben hingegen, besonders in moralischen Urteilen von Lob und Tadel, wird die an den ethischen Kategorien von Gut und Böse orientierte freie Entscheidung des Menschen selbst ständig und notwendig vorausgesetzt. Mit seinem Freiheitstraktat in der Prinzipienschrift und den subjektphilosophischen Ergänzungen dazu in der Ge­ betsschrift hat Origenes zum ersten Mal in der Geschichte eine nach allen Seiten reflektierte begriffliche Konzeption von Freiheit vorgelegt, in der die Freiheit als selbstbestimm­ te Eigenbewegung eines bewusst entscheidenden und han­ delnden Subjekts das Grunddatum des Menschseins ist.73 In der zugehörigen intellektualistischen Handlungstheorie rezipierte Origenes die stoischen Theoreme, stellte sie aber 70   Origenes, orat. 6,2 (GCS Orig. 2, 312) (das Zitat am Ende stammt aus Platon, nom. I 639 c 1). Übersetzung: Hengstermann, Freiheits­ metaphysik 81 (leicht modifiziert). 71   Hengstermann, ebd. 72   Siehe dazu oben S.  13 Anm.  16. 73  Siehe dazu ausführlich Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 82–93.

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

in den Rahmen einer platonischen Ontologie. Indem er den materialistischen Geist-Begriff der Stoiker, das „Pneuma“, das alles durchwirkt, durch den „Logos“ ersetzte (wie Phi­ lon durch den „Nus“), der im Gegensatz zur immanenten Weltvernunft der stoischen Physik ein transzendentes geis­ tiges Prinzip war, etablierte er ein Reich des Geistes, in dem eine auf Vernunft basierende freie Selbstbewegung, die nicht wie bei den Stoikern einem natürlichen Kausalzusam­ menhang unterliegt, erst denkbar wird. Damit realisierte Origenes den Grundgedanken, den Karneades, einer seiner frühen Vorgänger in der platonischen Tradition, aufge­ bracht hatte (Kap.  II 6). Anders als die Stoiker erweiterte er dadurch den Raum der Freiheit dahingehend, dass der Mensch bei seinen selbstbestimmten Entscheidungen nicht auf seine natürliche Veranlagung und seinen erworbenen Charakter festgelegt ist, sondern diese aufgrund der Frei­ heit seiner Selbstbestimmung zu ändern vermag. Die freie Entscheidungsfähigkeit des Menschen steht über seiner na­ türlichen Konstitution und seiner inneren Haltung, weil er sich kraft dieser Fähigkeit immer wieder neu am Guten ori­ entieren und sein Handeln danach bestimmen kann. Aus diesem Grund ist der Mensch dazu in der Lage, ein selbst­ bestimmtes und bewusstes Leben zu führen und sich be­ ständig selbst zu formen. Für den Subjektgedanken griff er auf Aristoteles zurück. In der Freiheitslehre des Origenes, in der verschiedene Traditionen zusammenflossen, wurde die Freiheit aus einer Fähigkeit, die der Mensch hat, zum Prinzip des Menschseins: Seine freie Selbstbestimmung im Wortsinn, d. h. als Bestimmung eines bewussten Selbst über sich selbst, bestimmt sein Wesen (weiter dazu unten Kap.  V I 2).

3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus

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3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus Außer in einem philosophischen Konzept von bewusster Selbstbestimmung hat Origenes seinen Freiheitsbegriff auch in der Bibel fundiert. Das ist deshalb von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Origenes, weil dieser selbst sich dezidiert als Christ und „Mann der Kirche“ ver­ standen hat74 und nicht ein Philosoph, sondern ein Exeget sein wollte,75 wie er es denn auch sein Leben lang prakti­ zierte. Das steht – und das ist eine entscheidende Einsicht – nicht im Widerspruch zu seiner ausgesprochen philoso­ phischen Denkhaltung und seinen innovativen philosophi­ schen Gedanken. Zum einen war das Spektrum dessen, was im Frühchris­ tentum als christlich aufgefasst wurde, denkbar breit. Es gab keineswegs nur eine Form des Christentums, die man von heidnischer Lebensart und philosophischer Denkweise eindeutig hätte unterscheiden können. Die meisten gebilde­ ten Christen jener Zeit waren philosophisch Platoniker und hatten keinerlei Probleme, das mit ihrem Christsein zu ver­ einbaren. Für Origenes gilt das in höchstem Maße. Eben wegen dieser Nähe musste er ja betonen, dass er kein Philo­ soph, sondern ein Christ und Bibelausleger war. Zum ande­ ren funktionierte die Exegese, wie sie maßgeblich Origenes etablierte, in ihren hermeneutischen Grundannahmen und methodischen Verfahren ganz in den Bahnen der Interpre­ tation von philosophischen Texten, vor allem denjenigen Platons und des Aristoteles. Auch hier sind die Schnittmen­ 74   Vgl. Origenes, in Lev. hom. 1,1 (GCS Orig. 6, 281); in Luc. hom. 16,6 (GCS Orig. 92, 98). 75   Vgl. in Ps. 74 hom. 6 (GCS Orig. 13, 279).

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

gen sehr groß. Dass Origenes ein Philosoph und ein Christ und Exeget zugleich war, ist ein Profil, das späteren Zeiten seltsam hybrid erscheinen mochte (und in der Origenesfor­ schung bis heute manchmal so aufgefasst wird), in seine Zeit aber offenbar gut passte.76 a) Die libertarische Exegese im Freiheitstraktat Nach der philosophischen Grundlegung des Freiheitsbe­ griffs wandte sich der Exeget Origenes in der Prinzipien­ schrift dem Problem von Determinismus und Freiheit in der Bibel zu.77 In dieser ist im Alten wie im Neuen Testament dasselbe Nebeneinander und Ineinander von deterministi­ schen Vorstellungen einerseits und freier Selbstbestim­ mung des Menschen andererseits zu beobachten wie in der antiken Kultur (Kap.  I 3 und IV 2). Die Bibel war Teil der Alten Welt, und daher wäre es höchst verwunderlich, wenn dem nicht so wäre. Ebenso wenig überraschend ist es, dass Origenes dies klarsichtig erkannte. Im Freiheitstraktat in der Prinzipienschrift sprach er daher beide Seiten dieser Thematik in der Bibel an: einerseits die Stellen, die die Ent­ scheidungsfreiheit voraussetzen, weil sie sonst sinnlos sind, andererseits diejenigen Stellen, die deterministisch klingen. Die biblischen Stellen, „die ganz klar die Selbstmächtig­ keit beweisen“, gehen laut Origenes in die „Tausende“,78 doch zählte er beispielhaft nur einige auf, darunter aus dem Alten Testament die schon von den frühchristlichen Philo­ 76  Näheres dazu bei Fürst, Exegese und Philosophie im frühen ­ lexandria; ders., Origenes und der Ursprung der philosophischen A Bibelauslegung; ders., Origenes 96–109. 77   Vgl. Origenes, princ. III 1,6–24 (GCS Orig. 5, 201–244). 78   Ebd. III 1,6 (GCS Orig. 5, 204). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 481 (modifiziert).

3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus

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sophen herangezogenen Stellen Dtn. 30,19 und Jes. 1,19 f., ferner Micha 6,8 und Ps. 80(81),14 f., und aus dem Neuen Testament Mt. 5,22.28.39; 7,24–26; 25,34 f.41 und Röm. 2,4–10. Von Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung ist an diesen Stellen jeweils nicht explizit die Rede, doch wenn Jesus „ein Gebot gibt“, meinte Origenes, „so spricht er unter der Voraussetzung, dass es in unserer Macht steht (ἐφ᾽ ἡμῖν), das Gebotene zu tun“, und „seine Verheißungen gibt er ihnen ganz klar als solchen, die selbst die Ursache (αἴτιος) dafür sind, dass sie Lob empfangen“ – für das Ge­ genteil gilt dasselbe –, und „auch Paulus spricht mit uns als mit selbstbestimmten Wesen (αὐτεξούσιοι), die selbst die Ur­ sache (αἴτιος) ihres Untergangs und ihrer Rettung sind“.79 Gegen den gnostischen Natur-Determinismus rief er im­ mer wieder das Zeugnis „aller Schriften“ auf, „die die Selbstbestimmung (τὸ αὐτεξούσιον) sichtbar machen und die Sünder beschuldigen, die recht Handelnden aber anerken­ nen“. 80 In den Augen des Origenes widersprach die Bibel nicht seinem Freiheitsbegriff. Er fand in ihr vielmehr die „Religion der Freiheit par excellence“. 81 Deutlich weniger als die zahllosen Bibelstellen, die die Freiheit implizieren, sind zwar „einige Stellen aus dem Al­ ten und dem Neuen Testament“, die „die gegenteilige Auf­ fassung nahelegen, nämlich dass es nicht in unserer Macht liege (τὸ μὴ ἐφ᾽ ἡμῖν), die Gebote zu halten und gerettet zu werden oder sie zu übertreten und verlorenzugehen“. 82 79   Ebd. (GCS Orig. 5, 202. 203). Übersetzung: ebd. 477. 479 (modi­ fiziert). 80   In Matth. comm. X 11 (GCS Orig. 10, 12). Übersetzung: Vogt, BGrL 18, 72 (modifiziert). 81   Schockenhoff, Fest der Freiheit 116. 82   Origenes, princ. III 1,7 (GCS Orig. 5, 204). Übersetzung: Gör­ gemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 481.

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

Doch diesen widmete sich Origenes viel ausführlicher, weil man gestützt auf diese Stellen ein deterministisches Welt­ bild aus der Bibel ableiten konnte, wie das in gnostischen Kreisen der Fall war. Eine der stupenden Stärken seines Freiheitstraktats besteht darin, dass Origenes darin alle wichtigen deterministischen Passagen im Alten wie im Neuen Testament zusammengetragen und sie sich selbst gleichsam als Gegenargumente zu der von ihm vertretenen freiheitstheoretischen Exegese in seinen eigenen Text hin­ eingeschrieben hat. Sein Ziel dabei war, deren deterministi­ sche Deutung zu widerlegen. Aus diesem Grund ist der größte Teil seines Freiheitstraktats der Erklärung dieser Stellen gewidmet. Origenes legte sie durchweg im liberta­ rischen Sinn seines Freiheitskonzepts aus, versuchte also jeweils, ein Verständnis zu finden, das dem Text einen nicht-deterministischen Sinn beilegte. Das war nicht immer einfach, wie Origenes selbst anläss­ lich des Verstockungsbefehls im Buch Jesaja einmal zuge­ stand: Da Gott darin selbst anordnet, dass die Israeliten die Strafandrohung Jesajas nicht verstehen sollen, „damit sie sich nicht dereinst bekehren und ihnen nicht vergeben wer­ de“, 83 die Strafe also entgegen aller sonstigen biblischen und prophetischen Gepflogenheiten ausdrücklich nicht auf den Zweck der Umkehr, sondern auf die Vernichtung des Vol­ kes Gottes gerichtet ist, „ist die Verteidigung schwieri­ ger“. 84 Gegen die gnostische Behauptung, die Stelle sei ein Beleg für „die Grausamkeit des Weltschöpfers“ und „seinen Willen zur Rache und zur Vergeltung“, 85 versuchte es Ori­ 83   Jes. 6,9 f. Origenes rekurrierte auf die Verwendung dieser Stelle in Mk. 4,11 f. und Mt. 13,13–15. 84   Origenes, princ. III 1,16 (GCS Orig. 5, 224). Übersetzung: Gör­ gemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 521 (modifiziert). 85  Ebd. – Entsprechende gnostische Deutungen stehen im Testa­

3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus

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genes trotzdem, und zwar mit der kühnen Erwägung, dass eine zu rasche Heilung die Schwerkranken nicht zur Ein­ sicht und damit zu einer nachhaltigen Änderung ihres Ver­ haltens bringen würde und ihnen daher mit einem Auf­ schub der Einsicht und der Umkehr mehr geholfen sei, die Drohung letztlich also doch auf Heil ziele. 86 Der problematisch erscheinende Gedanke, dass das „Hel­ fen“ Gottes in diesem Fall „im Nicht-Helfen besteht“, 87 er­ klärt sich stringent aus der Freiheitstheorie des Origenes: Entwicklungspsychologisch bringt die Hilfe Gottes nichts, solange Menschen nicht von sich aus zu einer Änderung ih­ res Verhaltens bereit sind, weil ohne ihr Zutun ihr Wesen nicht geformt werden kann; es wäre sogar kontraproduktiv, „denn sie würden dann das Übel als ein leicht heilbares für gering achten, sich ein zweites Mal nicht hüten hineinzu­ geraten und so wieder in dasselbe Übel verfallen“. 88 Der Mensch muss schon selbst lernen, sonst lernt er nichts. Die Erklärung ist ein weiteres Beispiel für das psychologische Feingefühl des Pädagogen Origenes. Vor allem aber ent­ spricht sie dem handlungstheoretischen Intellektualismus, den er im philosophischen Teil des Freiheitstraktats grund­ gelegt hatte. Origenes formulierte den Heilungsprozess konsequent in kognitiven Termini: Es geht um einen Lern­ mentum veritatis: NHC IX,3 (GCS N.F. 12, 707), und im Apocryphon Iohannis: NHC II,1 (GCS N.F. 8, 136). 86   Vgl. Origenes, ebd. III 1,17 (GCS Orig. 5, 225 f.). Ebd. III 1,13 (GCS Orig. 5, 218) erklärte er, dass es Gott wie einem guten Arzt nicht um eine kurzfristige Linderung der Symptome, sondern um eine lang­ fristige Heilung der Seele von ihren Krankheiten gehe. 87   Ebd. III 1,17 (GCS Orig. 5, 226). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 525. 88   Ebd. (GCS Orig. 5, 225). Übersetzung: ebd. 523–525. Weiteres hierzu bei Fürst, Einleitung OWD 10, 65–74.

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

prozess, um Einsicht und Erkenntnis, um daraus die richti­ gen Schlüsse für das Handeln zu ziehen. Die bekannteste Stelle in diesem Zusammenhang, die Verhärtung des Herzens des ägyptischen Pharao durch Gott, 89 erklärte Origenes einerseits im selben Sinn als erzie­ herische Maßnahme, andererseits erneut auf der Linie sei­ ner synergistischen Freiheitstheorie dahingehend, dass Gott eine schon im Herzen des Pharao vorhandene Anlage verstärke und für bestimmte Zwecke benutze.90 Seine Überlegungen dürften sich aus dem Zusammenhang der Determinismusdebatte mit der antiken medizinischen Ur­ sachenlehre erklären. Chrysipp hatte sich für seine Unter­ scheidung verschiedener Arten von Ursachen vermutlich von Medizinern anregen lassen, die „aktive und wirksame Ursachen, die sie συνεκτικάς (den ganzen Verlauf der Krank­ heit bestimmende) nennen“, von „vorausgehenden Ursa­ chen, die die Griechen als προκαταρκτικάς (vorausgehende, einleitende) bezeichnen“, unterschieden.91 Galen beteiligte sich mit zwei (nur lateinisch erhaltenen) Monographien an

89   Vgl. Ex. 4,21; 7,3. In Ex. hom. 4,1 (GCS Orig. 6, 171 f.) sammelte Origenes sorgfältig alle Belege hierzu. 90   Vgl. princ. III 1,8–14 (GCS Orig. 5, 206–221), ferner philoc. 27 (SC 226, 268–314). Diese berühmte Szene und ihre Deutung durch Origenes ist schon oft besprochen worden. Siehe Boyd, Origen on Pharaoh’s Hardened Heart; Calonne, Le libre arbitre 250–257; Per­ rone, Il cuore indurito del Faraone. 91  So laut Pohlenz, Stoa II, 61, die Unterscheidung des Arztes Asklepiades von Prusa zur Zeit Ciceros, lateinisch überliefert bei Cae­ lius Aurelianus, morb. acut. I 112 (CMLat IV/1 p.  84 Bendz): activas atque operantes causas […], quas synecticas vocant und antecedentes, quas Graeci procatarcticas appellant. Die griechischen Begriffe stehen z. B. bei Pseudo-Dioskurides, ther. prooem. (II p.  54 f. Sprengel), und Soranus, gyn. III 4 (CMG IV p.  96.5 f. Ilberg).

3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus

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dieser Debatte92 und berichtete darin, dass der Arzt Erasis­ tratos zur Zeit Chrysipps in einer Monographie Über die Ursachen „den äußeren Anlass nicht als ,Ursache‘ (einer Krankheit) gelten ließ, weil z. B. die Wirkung der Sonnen­ glut von der inneren Disposition des Körpers abhänge“.93 Origenes scheint sich für seine Erklärung der Verhärtung von Pharaos Herz durch Gott solcher Argumente aus der medizinischen und philosophischen Ursachenlehre bedient zu haben. Nach deren Denkmustern wäre das Wirken Got­ tes als vorausgehende, die Wirkung einleitende Ursache zu verstehen, als aktive und wirksame Ursache hingegen, die den ganzen Prozess der Herzensverhärtung bestimmt, die Disposition des Herzens, die in der Hand des Pharaos selbst liegt. Auf dieselbe Weise und ebenfalls unter Zuhilfe­ nahme medizinischer Metaphorik erläuterte Origenes die Ersetzung des „Herzens aus Stein“ durch ein „Herz aus Fleisch“ im Buch Ezechiel94 so, dass der „Arzt der Kran­ ken“ dies bewirke, wenn sich der kranke Mensch der göttli­ chen Erziehung anvertraue.95 Nicht alle diese Auslegungen muss man überzeugend finden. Es wäre angebrachter, meine ich, zuzugeben, dass es nun einmal ausgesprochen deterministische Passagen in der Bibel gibt wie die Aussage des Paulus in Röm. 9,16, „es liege nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen“, die Origenes zusammen mit derjenigen in Phil. 2,13, „das Wollen und das Vollbringen sei von Gott“, erör­

92  Galen, De causis contentivis (CMG Suppl. Or. II, 131–141 Kalb­ fleisch) und De causis procatarcticis (CMG Suppl. II Bardong). 93   Pohlenz, Stoa II, 61, mit Verweis auf Galen, caus. procatarct. 8,102 (CMG Suppl. II p.  24 f. Bardong). 94   Vgl. Ez. 11,19 f. Siehe dazu oben S.  45. 95   Origenes, princ. III 1,15 (GCS Orig. 5, 221–223).

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

terte,96 und in Röm. 9,18–21, wo das Töpfergleichnis in Jer. 18,1–17 aufgegriffen ist (mehr dazu unten).97 Mit einem sol­ chen Zugeständnis ist ja noch nicht ausgemacht, dass man die gesamte Bibel und die gesamte Heilsgeschichte von die­ sen Passagen aus deterministisch deuten muss. Dem Ge­ samtbild angemessener dürfte es vielmehr sein, von einer Art biblischem Kompatibilismus zu reden (Kap.  I 3a): Im Gesamtrahmen der von der göttlichen Vorsehung gesteuer­ ten Heilsgeschichte, der in deterministischen Aussagen manchmal sehr betont zur Sprache kommt, erzählen die biblischen Schriften zugleich unablässig Geschichten von der Befreiung des Menschen aus Fremdbestimmung und verkünden in durch und durch kompatibilistischer Weise eine wahre Freiheit, die darin besteht, sich aus eigener Ent­ scheidung der Führung durch Gott anzuvertrauen. Im Grunde deckte sich das mit dem stoischen Kompatibilis­ mus. Origenes versuchte den Determinismus wegzuerklä­ ren, was sich aus der antignostischen Frontstellung erklärt, aber auch unabhängig von aller Apologetik zeigt, dass er die Bibel aus einer libertarischen Perspektive las. b) Der Freiheitsgedanke in der exegetischen Praxis Der libertarische Horizont der Exegese des Origenes ist in seiner exegetischen Praxis auf Schritt und Tritt zu beobach­ ten.98 Natürlich stand er nicht immer explizit im Vorder­ grund, weil es in seinen Kommentaren und Homilien um 96   Vgl. ebd. III 1,18–20 (GCS Orig. 5, 229–235). Die Bibelzitate sind in der Form wiedergegeben, in der sie im Text des Origenes stehen: ebd. 18 (GCS Orig. 5, 229) und ebd. 20 (GCS Orig. 5, 234). Überset­ zung: Görgemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 531. 541. 97   Vgl. ebd. III 1,21–24 (GCS Orig. 5, 235–244). 98   Ein paar Aspekte dazu bei Junod, Lehre von der Freiheit 32–40.

3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus

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viele verschiedene Themen und Perspektiven ging, die schon im Bibeltext vorkommen und denen er sich bei seinen Erklärungen widmete. Aber an den für die Frage nach De­ terminismus und Freiheit entscheidenden Punkten steuerte er die Erklärung jeweils so, dass sie nicht deterministisch ausfiel, sondern die Freiheit der Selbstbestimmung des Menschen gewahrt blieb. So war er beispielsweise bei der Erklärung des Losver­ fahrens, mit dem im Buch Josua das eroberte Land an die Stämme Israels verteilt wird,99 peinlich darauf bedacht, das Zufällige, das diesem Verfahren anhaftet, wegzuerklären, um nicht dem Zufall und dem blinden Schicksal Entschei­ dungsmacht über die Geschicke der Menschen zuzuspre­ chen.100 Origenes erläuterte dazu, dass es bei diesem Los­ verfahren „nicht aus Zufall und aufs Geratewohl“101 und damit willkürlich zugegangen sei, sondern dass dahinter Entscheidungen Gottes gestanden hätten, die nach durch­ aus nachvollziehbaren, allerdings dem Menschen nicht un­ mittelbar einsehbaren Gesichtspunkten zustandekamen: „Durch die unaussprechliche Vorsehung Gottes und sein Vorherwissen“ werden „durch Josua Lose gezogen und wird die Erbschaft jedem einzelnen Stamm durch göttliche Heilsplanung zuerkannt.“102 Die hinter den Losen stehen­ 99

  Vgl. Jos. 15–19, bes. 18 f.   Vgl. Origenes, in Ios. hom. 23 (GCS Orig. 7, 439–447) und dazu ebd. 25,1 f. (GCS Orig. 7, 451–454), wo er alle Stellen auslegte, an de­ nen vom Losen die Rede ist: Jos. 18,1.4.6.8.10.11.28; 19,1.10.17.24.32.40; 21,1 f.4–7. 101   Origenes, ebd. 23,4 (GCS Orig. 7, 445). Übersetzung: Döhler/ Fürst, OWD 5, 383. 102   Ebd. (GCS Orig. 7, 444). Übersetzung: ebd. 381. Vgl. ebd. 25,2 (GCS Orig. 7, 454): „Dieses Los ist nicht zufällig, sondern es wirkt eine höhere Macht, die es nach der Entscheidung der Vorsehung lenkt.“ Übersetzung: ebd. 401. 100

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

den Entscheidungen Gottes orientieren sich an der „Wür­ digkeit oder Qualität unserer Seele“ beziehungsweise an deren „Verdiensten“.103 Erneut dachte Origenes also an ein Zusammenspiel von menschlichen und göttlichen Ursachen. Von seinem starken Freiheitsbegriff aus insistierte er da­ rauf, dass im Leben der Menschen nicht Zufall und Schick­ sal regieren, sondern es vernünftig nachvollziehbare Grün­ de dafür gibt, wie es ihm ergeht, auch wenn ihm diese nicht immer unmittelbar einsichtig sind.104 Das kommt nur for­ mal mit Chrysipps Grundsatz überein, dass nichts, was ge­ schieht, ohne eine oder mehrere Ursachen geschieht, auch wenn wir diese nicht immer kennen, denn bei Chrysipp sind diese Ursachen Teil der materiellen, determinierten Kausalkette, wohingegen es sich bei Origenes um Ursachen handelt, die aus der Vernunft stammen und daher aus dem freien Reich des Geistes kommen. Dasselbe Verfahren lässt sich bei der Erklärung eines Textes beobachten, den Origenes im Freiheitstraktat in der Form, in der Paulus auf ihn anspielte, unter den determinis­ tischen Passagen aufführte, nämlich das Töpfergleichnis im Buch Jeremia.105 Im Rekurs darauf stellte Paulus im Römer­ brief die Frage: „Hat nicht der Töpfer Macht über den Ton, aus einem Klumpen ein Gefäß zu Ehren zu machen und das andere zu Unehren?“106 In dem Kontext, in dem diese An­

103   Ebd. 23,3 (GCS Orig. 7, 444 bzw. 442). Übersetzung: ebd. 381 bzw. 379. 104   Weiteres dazu bei Fürst, Einleitung OWD 5, 39–41. 105   Vgl. Jer. 18,1–17. Eine detaillierte Auslegung dazu bei Fischer, Jeremia I, 571–591. 106   Röm. 9,21, von Origenes dreimal zitiert in princ. III 1,7.21.24 (GCS Orig. 5, 206. 235. 243). Übersetzung: Görgemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 485. 543. 559.

3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus

227

spielung bei Paulus steht und den Origenes mitzitierte, hört sich dieser Satz ausgesprochen deterministisch an: „Er (sc. Gott) erbarmt sich also, wessen er will, und verstockt, wen er will. Nun wirst du einwenden: Wie kann er dann noch ankla­ gen, wenn niemand seinem Willen zu widerstehen vermag? Wer bist du denn, dass du als Mensch mit Gott rechten willst? Sagt etwa das Werk zu dem, der es geschaffen hat: Warum hast du mich so gemacht? Ist nicht vielmehr der Töpfer Herr über den Ton? Kann er nicht aus derselben Masse ein Gefäß herstellen für Reines, ein anderes für Unreines?“107

Und in den folgenden beiden Versen (die Origenes nicht mitzitierte) ist von „Gefäßen des Zorns“ die Rede, „die zur Vernichtung bestimmt sind“, und von „Gefäßen des Erbar­ mens, die er zur Herrlichkeit vorherbestimmt hat“.108 Ori­ genes rekurrierte auf diesen Passus, weil er, wie er sagte, viele zu der Ansicht bringe, „als habe der Mensch keine Macht über sich selbst, sondern Gott rette und verderbe, wen er wolle“.109 Ich gehe jetzt nicht darauf ein, wie dieser Passus im Römerbrief des Paulus zu verstehen ist, sondern nur auf das Töpfergleichnis im Buch Jeremia und die darauf bezogene Deutung des Origenes. Im Buch Jeremia wird ein Gleichnis erzählt: Ein Töpfer formte Gefäße aus Ton; „missriet ein Gefäß“, „machte er daraus wieder ein anderes Gefäß, ganz wie es ihm gefiel“. Dieses Bild wird auf das Verhältnis zwischen Gott und sei­ nem Volk Israel angewendet: „Kann ich nicht mit euch ver­ fahren wie dieser Töpfer?“, fragt Gott im Text. „Seht, wie der Ton in der Hand des Töpfers, so seid ihr in meiner 107

  Röm. 9,18–21 EÜ.   Ebd. 9,22 f. EÜ. 109   Origenes, princ. III 1,7 (GCS Orig. 5, 206). Übersetzung: Gör­ gemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 485. 108

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

Hand.“110 In diesem Gleichnis erscheint der Mensch als passives Material, ein Klumpen Ton, der ganz nach dem Willen Gottes geformt wird. So gelesen, präsentiert der Text eine streng deterministische Vorstellung, die keinerlei Raum für ein freies Handeln des Menschen lässt. Dieser Eindruck trügt jedoch. Im Anschluss an die zitierten Aus­ sagen wird nämlich verdeutlicht, dass Gott dabei keines­ wegs willkürlich handelt, sondern sein Tun am Handeln der Menschen ausrichtet: Wenn diese von ihren bösen Taten ablassen, bereut Gott das Unheil, das er ihnen zugedacht hat, und umgekehrt bereut er das zugedachte Gute, wenn sie Böses tun.111 Folgerichtig mündet die Gottesrede in ei­ nen Aufruf zur Umkehr, doch weil das Volk Israel das ab­ lehnt und Gott „vergisst“ – „Mein Volk aber hat mich ver­ gessen“, klagt Gott –, wird Gott das Verderben über sie bringen, das er ihnen für diesen Fall angedroht hat.112 Entgegen dem deterministischen Eindruck, den das Bild vom Menschen als formbarer Ton in der Hand Gottes er­ wecken mag, zielt der Text darauf, Gottes Einwirken auf die Menschen als flexible Reaktion auf deren Verhalten zu beschreiben.113 Zwar enthält das Bild von Töpfer und Ton die Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen denen es ein einseitiges und in dieser Hinsicht unumkehr­ bares Abhängigkeitsverhältnis des Menschen von Gott gibt. Doch ob Gott den Menschen Heil bringt oder Unheil, im Bild: ob er dieses oder ein anderes Gefäß aus ihm macht, das hängt vom Verhalten des Menschen ab, und zwar so sehr, dass Gott bereit ist, seine Vorhaben zu revidieren, 110

  Vgl. Jer. 18,1–10 (die Zitate ebd. 18,4.6 EÜ).   Vgl. ebd. 18,7–10. 112   Vgl. ebd. 18,11–17 (das Zitat ebd. 18,15 EÜ). 113   Siehe dazu die Bemerkungen von Fischer, Jeremia I, 578–580, zu den jeweiligen Versen. 111

3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus

229

wenn Menschen sich ändern. Das Unheil steht nicht defini­ tiv fest, sondern kann abgewendet werden, wenn Menschen vom Bösen ablassen – wie die Niniviten, deren Stadt entge­ gen der vom Prophten Jona angekündigten Vernichtung nicht zerstört wird, weil sie sich vom Bösen abkehren114 –, und umgekehrt können sie das Heil verlieren, wenn sie sich vom Guten ab- und dem Bösen zuwenden. Mit dem Aufruf zur Bekehrung zum Guten liegt das Töpfergleichnis Jeremias in Jer. 18 auf derselben Linie wie Ezechiels Mahnrede zur Verantwortung des Einzelnen in Ez. 18.115 Gottes Handeln erfolgt bei beiden im Blick auf das Tun der Menschen. Bei beiden Propheten gilt dies universal, nicht nur für das Volk Israel, und wie Ezechiel nimmt auch Jeremia dafür jeden Einzelnen in die Verantwortung, wenn er Gott mahnen lässt: „Kehrt doch um, ein jeder von seinem bösen Weg, und bessert euer Verhalten und Tun!“116 Weit davon entfernt, ein deterministischer Text zu sein, fordert Jeremia die Verantwortung jedes Einzelnen im Rahmen sei­ ner Gemeinschaft nachdrücklich ein und betont damit im­ plizit, aber ebenso nachdrücklich die Freiheit jedes einzel­ nen Menschen, sein Leben zu gestalten. Er muss sich dabei nur – auch das fordert Jeremia ein – über die Konsequenzen seiner Entscheidung für das Gute oder für das Böse im Kla­ ren sein, und er muss bereit sein, sie auf sich zu nehmen. Im

114

  Vgl. Jona 3.   Fischer, Jeremia I, 579, verweist zutreffend auf Ez. 18 und 33,12–16. 116  Jer. 18,11 EÜ. Der Wechsel vom Plural zur einzelnen Person wird in der Ablehnung des Aufrufs in Jer. 18,12 EÜ aufgenommen: „Wir wollen unseren eigenen Plänen folgen, und jeder von uns will nach dem Trieb seines bösen Herzens handeln.“ Siehe dazu Fischer, ebd. 580 f. 115

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

darauf folgenden Gleichnis vom zerbrochenen Krug117 wer­ den die Folgen bösen Tuns denn auch sogleich drastisch vor Augen geführt: „Ebenso zerbreche ich dieses Volk und die­ se Stadt, wie man Töpfergeschirr zerbricht, so dass es nie wieder heil werden kann.“118 Das entspricht dem philoso­ phischen Gedanken, dass der Mensch zwar über sein Tun und Lassen entscheiden kann, die Folgen seiner Entschei­ dung dann aber unausweichlich eintreten werden. Auf der Linie des Gedankens der Verantwortung des Menschen für sein Handeln und der daran orientierten Re­ aktion Gottes erklärte Origenes das Töpfergleichnis. Das wird weniger aus seinen Ausführungen dazu im Frei­ heitstraktat ersichtlich, denn in diesem bezog er sich auf die Aufnahme des Motivs durch Paulus und erklärte es im Kontext der paulinischen Briefe. Sein Hauptargument ge­ wann er dabei daraus, dass er neben das Bild im Römer­ brief, dass Gott „aus einem einzigen Klumpen“ Ton „ein Gefäß zu Ehren“ oder eines „zu Unehren“ machen kön­ ne,119 die Aussage im Zweiten Timotheusbrief – der für Ori­ genes ein echter Paulusbrief war – stellte, dass es in einem großen Haus verschiedene Gefäße gebe, „etliche zu Ehren, etliche aber zu Unehren“, und dass es daran, dass „sich je­ mand reinige“, liege, ob er „ein geheiligtes Gefäß zu Ehren sein wird“.120 Gemäß dem hermeneutischen Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Schrift, das a fortiori für einen versierten Schriftgelehrten wie Paulus gelte, erläuterte Ori­ genes die beiden Stellen so, dass an jeder jeweils nur ein As­ 117   Vgl. Jer. 19,1–13. Eine detaillierte Auslegung bei Fischer, ebd. 591–604. 118   Jer. 19,11 EÜ. 119   Röm. 9,21. 120   2 Tim. 2,20 f., zitiert bei Origenes, princ. III 1,21 (GCS Orig. 5, 237). Übersetzung: Görgemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 547.

3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus

231

pekt genannt werde, einmal nur das, „was in Gottes Macht liegt“ (τὸ ἐπὶ τῷ θεῷ), einmal nur das, „was in unserer Macht liegt“ (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν), sich aber nur, wenn man beide Aspekte zusammennehme, ein nicht einseitiges, sondern umfassen­ des Verständnis ergebe, das er abschließend so skizzierte: „Weder ist das, was in unserer Macht liegt, ohne das Wissen Got­ tes, noch zwingt uns das Wissen Gottes zum sittlichen Fortschritt, wenn nicht auch wir einen Beitrag zum Guten leisten. Weder be­ wirkt das, was in unserer Macht liegt, ohne das Wissen Gottes und den Gebrauch des Beitrags, der dem, was in unserer Macht liegt, angemessen ist, dass jemand ein Gefäß zur Ehre oder Unehre wird, noch schafft das, was in Gottes Macht liegt, allein jemand als Gefäß zur Ehre oder Unehre, wenn er nicht als Grundlage sozusa­ gen für die unterschiedliche Bestimmung unsere eigene Entschei­ dung (προαίρεσις) hat, die entweder zum Besseren oder zum Schlechteren hinneigt.“121

Abgesehen von dem komplexen Zusammenwirken von menschlicher und göttlicher Freiheit, das Origenes hier skizzierte und das im nächsten Kapitel Thema sein wird, legte Origenes auch hier Wert darauf, dass das Handeln Gottes nicht so aufgefasst wird, als würde es ohne Berück­ sichtigung dessen, was der Mensch tut, erfolgen. Auch im Blick auf die Paulusstellen betonte er den Grundgedanken des Töpfergleichnisses im Buch Jeremia: Dafür, ob jemand ein „Gefäß zu Ehren“ oder „zu Unehren“ wird, „liegt die Ursache keineswegs beim Schöpfer“ (οὐδαμῶς αἴτιος ὁ δημιουργός). Es seien vielmehr „ältere“, „vorausliegende Ursachen“ (πρεσβύτερα αἴτια), an denen der Schöpfer sich orientiert, wenn er aus „einer einzigen allge­ meinen Seelensubstanz als Grundstoff“ wie ein Töpfer „so­ zusagen aus einem einzigen Klumpen von Vernunftwesen“ 121   Ebd. III 1,24 (GCS Orig. 5, 243 f.). Übersetzung: ebd. 559–561 (modifiziert).

232

V. Das Freiheitsdenken des Origenes

die einen „zur Ehre“, die anderen „zur Unehre“ gestaltet.122 Wenn Origenes diese „vorausliegenden Ursachen“ als „Ur­ sachen, die älter sind als dieses Leben“ (πρεσβύτερα τούτου τοῦ βίου αἴτια), also „vor diesem Leben liegen“, qualifizier­ te,123 dann ist für den Zusammenhang hier weniger wichtig, dass er damit die Präexistenz der Seele propagierte, sondern vielmehr, dass er damit Platons Losung im Er-Mythos der Politeia folgte: „Die Ursache liegt bei dem, der gewählt hat; Gott ist nicht ursächlich“ (αἰτία ἑλομένου, θεὸς ἀναίτιος).124 Mit der nachdrücklichen Betonung, dass „die Ursache“ für die Unterschiede zwischen den Menschen „keineswegs beim Schöpfer liegt“ – was eine Variante von Platons θεὸς ἀναίτιος ist –, setzte Origenes den platonischen Einspruch gegen die Determiniertheit des Menschen durch eine göttli­ che (oder schicksalhafte) Macht fort. Bemerkenswerterwei­ se hielt er an dieser Grundüberzeugung auch angesichts ­eines Paulustextes fest, in dem anscheinend gerade das Ge­ genteil gesagt wird. Origenes vermochte diese Diskrepanz zwischen Platon und Paulus an dieser Stelle so zu lösen, dass er mit Hilfe einer gegenläufigen, für ihn ebenfalls pau­ linischen Aussage aus dem Zweiten Timotheusbrief die Aussage im Römerbrief in dem Sinne deutete, dass sie nur die eine Seite eines komplexen Verhältnisses zum Ausdruck bringe, die durch die andere Seite, die im Zweiten Timo­ theusbrief stehe, zu ergänzen sei. Nimmt man aus gegen­ wärtiger exegetischer Sicht den Zweiten Timotheusbrief als nicht- bzw. deutero- oder tritopaulinisches Produkt, ergibt sich die weitreichende Erkenntnis, dass Origenes, wenn es 122

  Ebd. III 1,21 f. (GCS Orig. 5, 238 f.). Übersetzung: ebd. 549. 551.   Ebd. III 1,23 (GCS Orig. 5, 241). Letztere Übersetzung: ebd.

123

555.

124

  Platon, polit.  X 617 e 4 f.

3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus

233

um Determinismus und Freiheit ging, eher Platon und der Bibel als nur Paulus folgte. Von demselben Bemühen, Gott nicht die Ursache dafür zuzuschreiben, dass ein Mensch sich von Gott abwendet, war die Erklärung des Töpfergleichnisses geprägt, die Ori­ genes in den um oder eher nach 245 in Caesarea gehaltenen Jeremiahomilien gab.125 Den Anlass hierfür lieferte ihm die griechische Fassung des Bibeltextes, der ihm vorlag. Wäh­ rend im Hebräischen nur davon die Rede ist, dass „das Ge­ fäß“, an dem der Töpfer arbeitete, „misslang“, ohne dass eine Ursache dafür benannt wird,126 heißt es in der Septua­ ginta, dass „das Gefäß, das er machte, in seinen Händen zerfiel“,127 oder wie Origenes den Text auffasste: „seinen Händen entfiel“.128 Diese Beobachtung nahm er zum An­ lass, nach der Ursache dafür zu fragen, weswegen das Gefäß den Händen Gottes entfiel. Getreu der platonischen antide­ terministischen Freiheitsmaxime kann die Ursache dafür nicht Gott zugeschrieben werden. „Warum“, fragte Orige­ nes, „hat er (sc. Jeremia) nicht präzise gesagt: Er verlor das Gefäß aus seiner Hand, und gab die Schuld nicht dem Töp­ 125   Vgl. Origenes, in Hier. hom. 18,1–6 (GCS Orig. 32, 150–160). In diesem Teil der Predigt besprach Origenes das Gleichnis in Jer. 18,1– 10, während er in Hier. hom. 18,7–10 (GCS Orig. 32, 160–165) deutlich kürzer auf seine Erklärung schon in Jer. 18,11–16 einging (wobei der Schluss der Predigt allerdings fehlt). Siehe zum Folgenden Fürst, Ein­ leitung OWD 11, 64–74, mit weiteren diesbezüglichen Stellen aus den Jeremiahomilien. 126  Siehe Fischer, Jeremia I, 577, zu Jer. 18,4. 127   Jer. 18,4 LXX: διέπεσεν τὸ ἀγγεῖον, ὃ αὐτὸς ἐποίει, ἐν ταῖς χερσὶν αὐτοῦ (II p.  685 Rahlfs). Übersetzung: p.  1307 Septuaginta Deutsch. 128   So der Text bei Origenes, in Hier. hom. 18,3 (GCS Orig. 32, 154), wo er die Aussage im Bibeltext, dass „das Gefäß in seinen Händen zerfiel“, dahingehend abänderte, dass „das Gefäß aus seinen Händen entfiel“ (διέπεσε τὸ σκεῦος ἀπὸ τῶν χειρῶν αὐτοῦ).

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

fer?“ Die Antwort könne nur darin liegen, dass dafür nicht Gott, der Schöpfer, sondern das „Gefäß“, das Geschöpf, verantwortlich sei: „Doch weil von beseelten Gefäßen die Rede ist, die von selbst zerfallen, deshalb wird gesagt: Das Gefäß fiel aus seinen Händen.“129 Nicht Gott also lässt den Menschen seinen Händen ent­ fallen, aber auch nicht irgendeine andere Macht entreißt ihn der Hand Gottes, wie Origenes mit Rekurs auf Joh. 10,28 f. einschärfte: „Keiner entreißt uns aus der Hand des Hirten, aus der Hand Gottes kann uns keiner nehmen.“130 Wer also kann dies bewirken? Die Antwort liegt auf der Hand: nur der Mensch selbst. „Aber wir können aus seinen Händen fallen.“ Nicht Gott verlässt den Menschen, sondern, wie es explizit an zwei anderen Jeremiastellen heißt, die Menschen verlassen Gott.131 Der Grund dafür liege darin, dass der Mensch nicht fremdbestimmt sei, sondern „die Selbstbe­ stimmung frei ist“ (τὸ γὰρ αὐτεξούσιον ἐλεύθερόν ἐστι), wie Origenes mit dem oben zu Beginn dieses Kapitels zitierten programmatischen Satz betonte. Deshalb, erklärte Orige­ nes den Text weiter, „steht nicht geschrieben, dass so, wie keiner etwas entreißt, auch keiner aus seinen Händen fällt“. 129   Ebd. (GCS Orig. 32, 153 f.). Übersetzung: Fürst/Lona, OWD 11, 435. 130  Ebd. (GCS Orig. 32, 154). Übersetzung: ebd. 437. Vgl.  Joh. 10,28 f. EÜ: „[…] niemand wird sie meiner Hand entreißen. […] nie­ mand kann sie der Hand meines Vaters entreißen.“ 131   Jer. 2,13 und 17,13, wo jeweils davon die Rede ist, dass die Men­ schen „die Quelle des Lebens, den Herrn, verlassen haben“. Vgl. dazu die Erklärungen des Origenes, ebd. 17,4 (GCS Orig. 32, 148), sowie, mit Bezug auf Ps. 72(73),27, ebd. 18,9 (GCS Orig. 32, 163): „Doch jene ‚haben die Quelle des Wassers des Lebens verlassen‘ (Jer. 2,13), nicht die Quelle des Wassers des Lebens hat sie verlassen. Denn Gott ent­ fernt sich von niemandem, sondern ,die, die sich von ihm entfernen, werden zugrundegehen‘ (Ps. 72[73],27).“ Übersetzung: ebd. 457.

3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus

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Eben wegen der „freien Selbstbestimmung“ des Menschen gebe es nämlich diese Möglichkeit. Origenes benannte auch einen Grund dafür, dass dies ge­ schieht: „Wir können aus seinen Händen fallen, wenn wir nachlässig sind.“ „Nachlässigkeit“ ist die Hauptursache, die Origenes meistens dafür angab, dass sich eine vernünf­ tige Seele von Gott abwendet.132 Hinter diesem Motiv steht erneut sein handlungstheoretischer Intellektualismus: Eine Vernunft, die sich für ihre Entscheidungen an den Grund­ kategorien von Gut und Böse orientiert, kann vernünfti­ gerweise nicht aktiv das Böse wählen. Das Böse passiert gleichsam nur, wenn die vernünftige Seele nicht sorgsam beständig das Gute im Blick hat, also nicht konsequent auf­ passt, sondern unachtsam ist. Aus diesem Grund richtete Origenes eine eindringliche Mahnung an seine Zuhörerin­ nen und Zuhörer: „Achte also auch du auf dich selbst, dass du nicht, während du dich in den Händen des Töpfers be­ findest und noch gestaltet wirst, von dir aus aus seinen Händen fällst.“133 Noch einmal betonte Origenes, dass dies „von dir aus“ geschieht, die Ursache also beim Menschen und seiner mangelnden Achtsamkeit liegt. Auch wenn Origenes dieser Exegese eine leichte Umfor­ mulierung der Aussage in Ez. 18,4 zugrundelegte – „das Gefäß zerfiel“ nicht „in“, sondern „entfiel aus seinen Hän­ den“ –, hat er mit seiner Auslegung den Duktus des Töpfer­ gleichnisses doch trefflich erfasst. Abgesehen davon, dass seine Deutung auf beide Lesarten anwendbar ist, denn man kann zu beiden die Frage stellen, aus welchem Grund das Gefäß in den Händen des Töpfers zerfällt oder seinen Hän­ 132   Vgl. z. B. princ. II 9,2.6 (GCS Orig. 5, 165. 170); orat. 29,13 (GCS Orig. 2, 388); Cels. VI 44 (GCS Orig. 2, 115). 133   Alle diese Zitate aus Origenes, in Hier. hom. 18,3 (GCS Orig. 32, 154). Übersetzung: Fürst/Lona, OWD 11, 435–437.

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

den entfällt, und dabei zur selben Antwort gelangen, dass es am Gefäß, d. h. am Menschen liegt, „von sich aus“ zu zerfal­ len oder zu entfallen – abgesehen davon sagt auch im Jere­ miatext etwas weiter unten Gott selbst: „Mein Volk hat mich vergessen.“134 Die Ursache für das, was Gott tut, liegt also in einer Abwendung des Volkes von Gott.135 So ver­ stand auch Origenes den Text und nahm gerade das so de­ terministisch klingende Töpfergleichnis zum Anlass, eine Lanze für die „freie Selbstbestimmung“ des Menschen zu brechen. Der Bibeltext bot ihm einen Ansatzpunkt dafür, aber mit seinem massiven Eintreten für die Freiheit ging er deutlich über diesen hinaus. In dieser Exegese spiegelt sich die Entwicklung, die das Nachdenken über Determiniert­ heit und Selbstbestimmung des Menschen in den Jahrhun­ derten, die zwischen diesen biblischen Texten und der Zeit des Origenes lagen, genommen hatte. Als letztes Beispiel sei ein Passus in den wohl ebenfalls nach 245 gehaltenen Ezechielhomilien erwähnt, in denen Origenes eine Kurzfassung des seiner Exegese zugrunde­ liegenden Freiheitsdenkens gab. Er leitete seine Ausfüh­ rungen mit dem seit Platon geltenden Grundsatz ein, dass das Böse nicht auf Gott zurückgeht: „,Gott hat den Tod nicht gemacht‘ und die Bosheit nicht bewirkt.“136 Die Stelle aus dem Buch der Weisheit, mit der er einsetzte,137 zitierte er öfter in Verbindung mit der Entscheidungsfreiheit.138 134

  Jer. 18,15 EÜ (= LXX).   Siehe dazu auch Fischer, Jeremia I, 575. 136   Origenes, in Hiez. hom. 1,3 (GCS Orig. 8, 326). Eigene Überset­ zung (wie auch im Folgenden). 137   Weish. 1,13. 138   So in einer zur vorliegenden Stelle parallelen Aussage in Matth. comm. XIII 23 (GCS Orig. 10, 243): „Wie ‚Gott den Tod nicht gemacht hat‘ (Weish. 1,13), so hat er auch nicht die Ärgernisse geschaffen; viel­ 135

3. Libertarische Deutung des biblischen Determinismus

237

Dann benannte er die nunmehr übliche Ursache für das Böse in christlicher Diktion: „Die freie Entscheidung (libe­ rum arbitrium) hat er sowohl einem Menschen als auch ei­ nem Engel zu allem überlassen. Von daher ist zu verstehen, wie durch die Freiheit der Entscheidung (arbitrii libertas) die einen zum höchsten Punkt des Guten hinaufgestiegen, andere in die Tiefe der Bosheit hinabgestürzt sind.“139 Nach­dem er solchermaßen den Grundgedanken seines Freiheits­ denkens benannt hatte, kam er auf eine Schwierigkeit zu sprechen, die ihm offenbar aufgefallen war: „Du aber, Mensch, warum magst du es nicht, dass du deiner Ent­ scheidung (arbitrium tuum) überlassen bist? Warum erträgst du es widerwillig, dich anzustrengen, dich abzumühen, dich einzuset­ zen und durch gute Werke dir selbst zur Ursache (causa) deines Heils zu werden?140 Oder wirst du mehr Freude daran haben, schlafend und faulenzend in ewiger Bequemlichkeit zu ruhen? mehr hat die Selbstmächtigkeit (τὸ αὐτεξούσιον) in einigen Menschen, die die Mühe zur Erlangung der Tugend nicht auf sich nehmen woll­ ten, das Ärgernis hervorgebracht.“ Übersetzung: Vogt, BGrL 18, 269 (modifiziert). Zum zweiten Teil des Satzes steht dasselbe in Num. hom. 14,2 (GCS Orig. 7, 124). 139   In Hiez. hom. 1,3 (GCS Orig. 8, 326). Eine griechische Parallele hierzu steht in orat. 29,13 (GCS Orig. 2, 387 f.): Die Seele „besitzt im­ mer die Selbstmächtigkeit (τὸ αὐτεξούσιον), und sie ist sich selbst die Ursache dafür (ἰδία αἰτία), ob sie sich entweder beim Aufstieg zur Höhe des Guten in einem besseren Zustand befindet oder ob sie im Unterschied dazu aus Nachlässigkeit zu einer mehr oder weniger tie­ fen Stufe der Schlechtigkeit hinabsteigt.“ Übersetzung: von Stritz­ ky, OWD 21, 255 (modifiziert). 140   Vgl. im selben Sinn princ. II 9,2 (GCS Orig. 5, 165) in der lateini­ schen Terminologie Rufins: „Der Schöpfer gewährte den Vernunftwe­ sen, die er schuf, willensbestimmte, freie Bewegungen (voluntarii et liberi motus), damit in ihnen ein ihnen eigenes Gut entstehe, da sie es mit ihrem eigenen Willen (voluntas propria) bewahrten.“ Überset­ zung: Görgemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 405 (leicht modifi­ ziert).

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

,Mein Vater‘, sagt Jesus, ,ist bis jetzt tätig, und ich bin tätig‘ (Joh. 5,17), und dir missfällt es, tätig zu sein, wo du doch zum Tätigsein geschaffen bist (vgl. Gen. 2,15)? Willst du nicht, dass Gerechtig­ keit, Weisheit und Keuschheit zu deinem Werk werden, willst du nicht, dass Tapferkeit und die anderen Tugenden zu deinem Werk werden?“141

Mit ihrem Hinweis darauf, der eigenen Entscheidung un­ ausweichlich ausgeliefert zu sein, klingen diese Fragen re­ gelrecht existenzialistisch. Der Mensch kann nicht nicht entscheiden. Und er kann die Entscheidung über sich selbst und die Art und Ausrichtung seines Lebens auch nicht de­ legieren. Man versteht, weshalb man in Origenes – wie auch in Gregor von Nyssa – den „Sartre der christlichen Antike“ sehen konnte.142 Jedenfalls hatte Origenes ein waches Ge­ spür nicht nur für die Chancen, sondern auch für die Nöte und Risiken der Freiheit. Das hat ihn allerdings nicht daran gehindert, sie hochzuhalten und seiner Gemeinde – ganz im Sinne Platons – unermüdlich die damit einhergehende Lebensaufgabe einzuschärfen. Es gibt noch zahlreiche weitere Passagen in den Predigten und Kommentaren des Origenes, in denen er die Auslegung am Prinzip der Freiheit orientierte.143 Mit seiner libertari­ schen Exegese demonstrierte er seine Überzeugung, dass 141   In Hiez. hom. 1,3 (GCS Orig. 8, 326 f.). Kobusch, Philosophi­ sche Bedeutung 99, zitiert diese Sätze als programmatisch für die Frei­ heitslehre des Origenes. 142  Siehe Schockenhoff, Die Wirkungsgeschichte des Origenes 55–57. Für Gregor von Nyssa siehe Gaïth, La conception de la liberté 71 f., aufgegriffen von Kobusch, Die Idee der Freiheit 70, mit Bezug auf die oben S.  184 Anm.  145 zitierte Aussage des Gregor von Nyssa, wir seien „gewissermaßen die Väter unserer selbst“. 143   Vgl. z. B. die Überlegungen zur Freiheit der Propheten in der Re­ aktion auf ihre Berufung zur Verkündigung, weshalb sie unterschied­ lich reagierten: in Hiez. hom. 6,1 f. (GCS Orig. 8, 377–379), ferner in

4. Individuelle Selbstbestimmung und Selbstsorge

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die Bibel als Ganze und in allen ihren Teilen nicht als Buch der Determination oder Prädestination zu lesen ist, sondern als Dokument der Freiheit Gottes und des Menschen.

4. Individuelle Selbstbestimmung und Selbstsorge Vor dem Hintergrund dieser libertarischen Deutung deter­ ministisch lesbarer Bibelstellen ist nun natürlich die Frage interessant, was Origenes zu Bibelstellen gesagt hat, an de­ nen von der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung des Menschen die Rede ist. Wie hat er zum Beispiel das 18. Kapitel des Buches Ezechiel aufgefasst? Seine Auslegung dazu, die es sowohl in Form eines Kommentars als auch in Form von Predigten gab, ist leider nicht erhalten, aber die Spuren davon, die es noch gibt, lassen doch erkennen, was sich Origenes zu diesen Aussagen Ezechiels gedacht hat. Wenig ergiebig sind die 19 kurzen Fragmente – oft nur ein Satz – vermutlich aus dem Ezechielkommentar, die in den Katenen zu Ez. 18 Origenes zugeschrieben sind.144 Im­ merhin aber geht aus den ersten beiden Fragmenten hervor, dass Origenes das Sprichwort von den sauren Trauben und den stumpfen Zähnen in Ez. 18,2, das laut Ez. 18,3 in Israel nicht mehr gebraucht werden soll, offenbar so verstanden hat, dass sich Ezechiel damit auf der Linie des Verbots der Kollektivstrafe im Buch Deuteronomium gegen die diesbe­ zügliche Aussage im Dekalog wandte. Origenes zitierte beide Bibelstellen und kommentierte sie im Sinne der Aus­ Is. hom. 6,1 (GCS Orig. 8, 268 f.); 9 (GCS Orig. 8, 288); in Hier. hom. 20(19),5 (GCS Orig. 32, 184 f.). 144   Vgl. in Hiez. frg. 170–188, mit italienischer Übersetzung ediert in Bucchi/Grappone, OO 8, 547–553.

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

sage von Ez. 18,20, dass ein Sohn nicht die Schuld seines Vaters und ein Vater nicht die seines Sohnes tragen soll: „Das Gesetz, das sagte, ,die Sünden der Väter an den Kin­ dern zu vergelten‘ (Ex. 20,5; vgl. Dtn. 5,9), sagte auch, ,dass die Söhne nicht für die Väter sterben sollen‘ (Dtn. 24,16). Denn es soll nicht so sein, dass einer für einen anderen, ein Vater für einen Sohn oder umgekehrt, die Sünden auf sich nimmt.“145 Aufschlussreicher ist seine Deutung der Metapher von den sauren Trauben. Auf der Linie seiner Freiheitslehre er­ klärte er sie so, dass nicht die Nachkommen derer, die saure Trauben essen, an den Folgen leiden, sondern die Trauben­ esser selbst. „Eine saure Traube“, die Origenes als „Sünde gegen das Gesetz“ verstand, „hat ihre Ursprünge (oder An­ sätze: ἀφορμαί) in unserer natürlichen Veranlagung“. Er dachte also an Regungen und Strebungen, die „wie die saure Traube aus dem Weinstock“ aus dem Menschen selbst ent­ springen. „Wenn wir“, heißt es in dem Fragment weiter, „in unserer Jugend den natürlichen Regungen (κινήσεις) gefolgt sind, sind wir Leute, die saure Trauben kauen.“146 Soweit man das auf der Basis dieses kurzen Stück Textes sagen kann, dachte Origenes offenbar gar nicht mehr an einen kollektiven Zusammenhang von Sünde und Strafe über Ge­ nerationen hinweg, wie er im Buch Ezechiel angesprochen ist, sondern deutete den Bibeltext nur noch individual­ ethisch im Blick auf einen einzelnen Menschen. Die zeitli­ che Abfolge, die sich im Sprichwort von einer Generation auf die nächste erstreckt, verlegte er in die Entwicklung ei­ nes Menschen von seiner Jugend an. An den „Sünden“, die jemand „in seiner Jugend“ dadurch beging, dass er seinen 145

  Ebd. frg. 171 (OO 8, 548). Eigene Übersetzung.   Ebd. frg. 170 (OO 8, 548). Eigene Übersetzung.

146

4. Individuelle Selbstbestimmung und Selbstsorge

241

„natürlichen Regungen folgte“, hat er sozusagen später in seinem Leben zu „kauen“. Hinter einem solchen Verständnis des Textes steht ein­ mal mehr die Freiheitsanthropologie des Origenes, in der alles auf den einzelnen Menschen und auf das Gelingen oder Misslingen seines Lebens fokussiert ist. So erklärt sich auch, dass Origenes mit dem ursprünglichen Sinn der Aus­ sage im Dekalog über die Kollektivstrafe, die „an den Söh­ nen bis in die dritte und vierte Generation“ vollzogen wird, offenbar rein gar nichts mehr anfangen konnte. Es „passt“ einfach nicht „zur Gerechtigkeit“, meinte er, „wenn einer für einen anderen Sünder bestraft wird“.147 Im Schlusspas­ sus der achten Exodushomilie, in der er den Anfang des De­ kalogs148 auslegte und der in der lateinischen Übersetzung des Rufinus erhalten ist, suchte er die Erklärung denn auch auf dem Weg, dass er den Bibeltext auf den inneren Men­ schen bezog.149 Als „Vater der Sünde“ fasste er den Teufel auf, der die Menschen zur Sünde anstiftet, die dadurch zu seinen „Söhnen“ werden und für ihre Untaten nicht selten Helfer und Helfershelfer haben – „die dritte und vierte Ge­ neration“. Als Beispiel diente ihm Judas, dem der Teufel ins Herz fährt150 und der sich an die Schriftgelehrten, Pharisäer und Hohepriester mit der Bitte um Unterstützung wen­ det.151 „Der Vater der Sünde ist also der Teufel“, erklärte 147   In Ex. hom. 8,6 (GCS Orig. 6, 230). Übersetzung: Heither, Origenes: Exodus 175. 148   Vgl. Ex. 20,4–6. 149   Vgl. Origenes, in Ex. hom. 8,6 (GCS Orig. 6, 230–234). Die zen­ tralen Aussagen des lateinischen Predigttextes werden gestützt durch ein griechisches Fragment aus dem Exoduskommentar (VIII p.  326 Lommatzsch, abgedruckt in GCS Orig. 6, 230–234). 150   Vgl. Lk. 22,3; Joh. 13,2. 151   Vgl. Mt. 26,14 f.

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

Origenes seiner Gemeinde. „Er hat bei diesem Verbrechen als ersten Sohn den Judas gezeugt, aber allein konnte Judas das Verbrechen nicht ausführen. […] Aus Judas wird also die dritte und vierte Generation der Sünde geboren. Und eine solche Reihenfolge wird man bei allen einzelnen Sün­ den finden.“152 Dass Gott die Sünden der Väter an den Söh­ nen vergilt, sei also so zu verstehen, dass die Väter „der Teu­ fel und seine Engel und die übrigen Fürsten der Welt und Herrscher dieser Finsternis“ seien, „ihre Kinder“ aber die, „die sie zur Sünde überredet haben“, für die sie zu Recht bestraft werden.153 Die Berechtigung dieser Strafe ergibt sich daraus, dass sie, wie Origenes am extremsten Fall, dem des Judas, erläuterte, durch einen verfehlten Gebrauch­ ihres Freiheitsvermögens den anfänglichen Neigungen (προπάθειαι) zu den falschen Dingen – im Falle des Judas seine Geldgier – nachgegeben und dadurch dem Teufel Raum gegeben hätten, in ihrer Seele zu wirken. Die daraus entspringenden vorsätzlichen Sünden haben also, so sehr sie vom Teufel, der sich einer fehlgeleiteten Seele zuneh­ mend bemächtigt, gewirkt werden, ihre Erstursache in ei­ ner falschen Orientierung des Menschen selbst.154 Origenes berief sich für seine individualistische Deutung des Textes nicht auf den Einspruch Ezechiels in Ez. 18 gegen die Kollektivstrafe, aber interessanterweise zitierte er aus dem Abschnitt in Ez. 33, in dem Ezechiel seinerseits diese Thematik nochmals aufgriff, den Hinweis auf die Möglich­ 152   Origenes, in Ex. hom. 8,6 (GCS Orig. 6, 231 f.). Übersetzung: Heither, Origenes: Exodus 177. 153   Ebd. (GCS Orig. 6, 232). Übersetzung: ebd. 179. 154  Vgl. in Ioh. comm. XXXII 19,240–259; 22,280–24,312 (GCS Orig. 4, 458–460. 464–468); in Matth. comm. ser. 117 (GCS Orig. 11, 243–250); princ. III 2,1–4 (GCS Orig. 5, 246–252); III 3,4 (GCS Orig. 5, 260). Siehe dazu Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 70–77.

4. Individuelle Selbstbestimmung und Selbstsorge

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keit zur Umkehr, die jeder Mensch jederzeit hat und auf die Gottes Handeln abzielt: „Denn der Herr will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er umkehrt und lebt.“155 Mit Be­ zug auf diesen Vers gestand Origenes sogar dem Judas, der, vom Teufel zum Verrat an Jesus verführt, die denkbar un­ geheuerlichste Sünde beging, die Möglichkeit der Reue und der Buße zu.156 Die Möglichkeit, dass ein Mensch sich stän­ dig ändern kann, sowohl zum Schlechteren als auch zum Besseren, war ein Kernaspekt im Freiheitsbegriff des Ori­ genes, mit dem er den Raum der Freiheit weit ausgedehnt hat (Kap.  V 2). Auch wenn er mit seiner daran orientierten Exegese in ganz anderen Kontexten stand, folgte er doch der Linie Ezechiels, der gegen das Prinzip der Kollektiv­ strafe den Weg Richtung Eigenverantwortung und Selbst-­ bestimmung des Menschen gewiesen hatte. Noch sehr viel deutlicher wird das in den Ezechielhomi­ lien des Origenes. Unter den vierzehn, die in der lateini­ schen Übersetzung des Hieronymus erhalten sind, befindet sich zwar keine zu Ez. 18. Doch bei der Besprechung von Ez. 14,16 in der vierten Homilie zog er die entscheidenden Aussagen aus Ez. 18 heran.157 Origenes beobachtete richtig – die gegenwärtige Exegese sieht dies genauso –, dass mit der wiederholten Aussage in Ez. 14,14, 14,16 und 14,18, dass im Gericht Gottes Noach, Daniel und Ijob nur ihr Leben allein retten können, nicht aber das ihrer Söhne und Töchter, der in Ez. 18 entfaltete Gedanke vorweggenommen wird.158 In der vierten Ezechielhomilie schärfte Origenes zu diesen 155   So in Ex. hom. 8,6 (GCS Orig. 6, 232) das freie Zitat von Ez. 33,11. 156   Vgl. in Matth. comm. ser. 117 (GCS Orig. 11, 246 f.). 157   Vgl. in Hiez. hom. 4,8 (GCS Orig. 8, 368 f.). 158   Siehe für die jüngere Exegese Greenberg, Ezechiel I, 378. An­ ders Joyce, Ezekiel and Individual Responsibility 319 f., der in Ez. 14

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

Stellen außerordentlich eindringlich die Verantwortung je­ des einzelnen Menschen für sich selbst ein. Den Aufhänger dazu lieferte ihm die in seiner Gemeinde offenbar gängige Ansicht, man könne auch für das Heil eines anderen Men­ schen etwas tun, zum Beispiel beten: „Es wird so sein“, gab er die von ihm als „Dummheit“ (insipientia) scharf kri­ tisierte Ansicht wieder, „dass jeder von uns durch seine ­Gebete jeden, den er will, der Hölle entreißt.“159 Dagegen schärfte er mit Rekurs auf Ez. 18,20 ein, „dass die Gerech­ tigkeit eines Gerechten ihm zugutekommen wird und die Ungerechtigkeit eines Ungerechten auf ihn kommen wird“, mit Ez. 18,24, dass „jeder aufgrund seiner eigenen Sünde sterben wird“, und mit Ez. 18,22, dass „jeder aufgrund sei­ ner eigenen Gerechtigkeit leben wird“.160 Origenes zog also die zentralen Aussagen heran, mit denen sich Ezechiel ge­ gen das Prinzip der Kollektivhaftung gewandt hatte. Diese innerbiblische Bezugnahme mag den meisten sei­ ner Zuhörerinnen und Zuhörer entgangen sein. Die von Origenes beigefügten Beispiele dürften jedoch umso ein­ dringlicher gewirkt haben. In einer der bei ihm seltenen autobiographischen Bemerkungen wies er darauf hin, dass er für sein persönliches Heil nichts davon habe, dass sein Vater Leonides als Märtyrer gestorben ist, wenn er selbst nicht gut lebe: „Nichts bringt mir mein Märtyrer-Vater, wenn ich nicht gut lebe und dem Adel meiner Abstammung Ehre erweise, das heißt seinem Zeugnis und Bekenntnis, durch das er berühmt geworden ist in Christus.“161 Desglei­ so wenig individuelle Verantwortlichkeit zu entdecken vermag wie in Ez. 18. 159   Origenes, in Hiez. hom. 4,8 (GCS Orig. 8, 368). Eigene Überset­ zung. 160  Ebd. 161   Ebd. (GCS Orig. 8, 368 f.).

4. Individuelle Selbstbestimmung und Selbstsorge

245

chen nütze es den Juden nichts, sich auf ihren einzigen Gott (vgl. Joh. 8,41) und auf Abraham als Vater (vgl. Joh. 8,39) zu berufen: „Was auch immer sie sagen, was auch immer sie für sich beanspruchen wollen, wenn sie den Glauben Abra­ hams nicht haben, rühmen sie sich umsonst; denn sie wer­ den nicht deswegen gerettet werden, weil sie Söhne Abra­ hams sind.“162 Diese Beispiele verallgemeinerte er sodann zu der Mahnung, dass niemand seine Hoffnung auf irgend­ einen Menschen setzen soll: „Niemand von uns soll auf ei­ nen gerechten Vater vertrauen, auf eine heilige Mutter, auf keusche Brüder“, auch nicht „auf Heilige“, wogegen er Jer. 17,5, Ps. 145(146),3 und Ps. 117(118),8 f. als Belege dafür zi­ tierte, dass man nicht auf Menschen vertrauen soll, sondern auf den Herrn, Gott.163 Origenes forderte das freie Subjekt im Sinne seines Frei­ heitsbegriffs dazu auf, für sich selbst zu sorgen.164 Selbst offenbar mitgerissen vom rhetorischen Schwung seiner Mahnpredigt, zitierte er sogar Ps. 33(34),9 in diesem Sinn: „Selig der Mann, der seine Hoffnung auf sich selbst (in se­ met ipso) setzt“ – „und auf einen rechten Lebenswandel (in

162

  Ebd. (GCS Orig. 8, 369).  Ebd. In den Jeremiahomilien legte er Jer. 17,5: „Verflucht der Mensch, der seine Hoffnung auf einen Menschen setzt“, im selben Sinn aus; in Hier. hom. 15,6 (GCS Orig. 32, 130 f.): Die Verfluchung in Jer. 17,5 „gilt zugleich auch für die, die ihre Hoffnung auf Einfluss und Ansehen setzen: Ein Freund von mir ist Hauptmann, einer ist Statt­ halter! Ein Freund von mir ist reich und unterstützt mich! […] Wir setzen unsere Hoffnung auf keinen Menschen, auch wenn sie unsere Freunde zu sein scheinen. Denn nicht auf sie setzen wir unsere Hoff­ nung, sondern auf unseren Herrn, der Christus Jesus ist.“ Überset­ zung: Fürst/Lona, OWD 11, 389. 164   Siehe dazu Fürst, Individuality and Self-Agency; ders., Orige­ nes über Individualität, Selbstbestimmung und Selbstsorge. 163

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V. Das Freiheitsdenken des Origenes

vita recta)“, wie er hinzufügte.165 Das allerdings steht so nicht im Text, denn darin heißt es: „Selig der Mann, der auf ihn hofft“,166 nämlich auf Gott. Aus dem Fortgang der Pre­ digt ergibt sich aber, dass Origenes hier keineswegs eine Opposition zwischen Gott und Mensch im Sinn hatte, schärfte er doch am Ende dieses Passus ein, wenn man schon auf jemanden anderen hoffe, dann „auf den Herrn“. Man sieht aber, wie der Gedankengang seines Arguments, sich nicht auf andere Menschen zu verlassen, sondern für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, sogar zur irri­ gen Wiedergabe einer Bibelstelle führte. Aus welchen Perspektiven auch immer Origenes bibli­ sche Aussagen auslegte: Es kam ihm stets darauf an, die freie Selbstbestimmung und Eigenverantwortung des be­ wusst lebenden Menschen hochzuhalten. Er folgte damit den Impulsen, die in der Bibel, etwa im Buch Ezechiel, an­ gelegt waren. Und er folgte damit den allgemeinen Denk­ wegen, die sich vor ihm bereits über viele Jahrhunderte ­dahin bewegt hatten, den Menschen als eigenständig han­deln­des Individuum zu verstehen. In beiden Traditionen, der Bibel wie der Philosophie, entdeckte Origenes die freie Selbstbestimmung, die er gegen alle deterministischen Be­ schränkungen oder Versuchungen hochhielt. Vor allem aber setzte er in seiner libertarischen Exegese die von ihm auf der Basis dieser Traditionen entworfene intellektualisti­ sche Handlungstheorie um, in deren Zentrum der freie Mensch als bewusstes Subjekt seiner Entscheidungen und Handlungen steht.

165

  Origenes, in Hiez. hom. 4,8 (GCS Orig. 8, 369).   Ps. 33,9 LXX. – Ps. 34,9 EÜ: „Wohl dem, der zu ihm sich flüch­ tet!“ 166

VI. Die Welt als freie Bewegung Gottes: Die Freiheitsmetaphysik des Origenes Origenes hat nicht nur die Freiheit der Entscheidung und der Selbstbestimmung des Menschen als Kern des christli­ chen Denkens und Lebens verkündet, nicht nur eine Theo­ rie der Freiheit auf der Basis der stoischen Handlungstheo­ rie entworfen und diesen Freiheitsbegriff auch nicht nur allen seinen exegetischen Erörterungen zugrunde gelegt. Er ist zudem noch einen entscheidenden Schritt weiter gegan­ gen, indem er die Freiheit zum Prinzip der Anthropologie und der Metaphysik, kurzum: der ganzen Wirklichkeit machte. Das war die grundlegende Innovation des Orige­ nes.1 Nie zuvor ist in der Antike mit einem so hohen An­ spruch über die Freiheit gesprochen und ihr ein derart zen­ traler Stellenwert zugewiesen worden. Dem entsprechend hat Origenes über sämtliche Themen des christlichen Glau­ bens und der christlich-philosophischen Deutung des Menschen und der Welt auf der Basis dieses Prinzips nach­ gedacht.

1   Auf diese hat nach einem Aufsatz von Harald Holz Über den Begriff des Willens und der Freiheit bei Origenes von 1970 vor allem Theo Kobusch in einem Aufsatz von 1985 über Die philosophische Bedeutung des Kirchenvaters Origenes hingewiesen. Eine umfassende und grundlegende Studie über Origenes und den Ursprung der Frei­ heitsmetaphysik hat Christian Hengstermann 2016 vorgelegt.

248

VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

1. Welt in Bewegung Sowohl den Freiheitstraktat in der Prinzipienschrift als auch das Freiheitskapitel in der Gebetsschrift leitete Orige­ nes mit einer Bewegungslehre ein, deren Grundstruktur er wohl einem stoischen Handbuch entnahm, 2 hinter der als Quellen aber vor allem die Seelenlehren Platons und des Aristoteles standen 3 und wohl auch Philon, bei dem ein ent­ sprechender Passus über die göttliche Ordnung der Welt steht.4 Dieser Ansatzpunkt mag verwundern. Er erklärt sich aber aus der spezifischen Definition der Freiheit des Menschen, die Origenes mit Platon als „Eigenbewegung“ der Seele und mit Chrysipp als „Fähigkeit zur Selbsttätig­ keit“ bestimmte.5 „Durch sich selbst“ zum genuinen Aus­ gangspunkt einer Handlung, einer „Bewegung“, werden zu können ist das charakteristische Merkmal, das den Men­ schen von allen anderen Dingen und Lebewesen unter­ scheidet. Für das Verständnis der origeneischen Ontologie ent­ scheidend ist, dass sich nicht nur die einem vernunftbegab­ ten Wesen eigene „Selbstbewegung“ von allen anderen For­ men von Bewegung unterscheidet, sondern dass auch alles übrige Sein, die ganze Welt, ständig in Bewegung ist. Ori­ genes beschrieb dazu vier Arten von Bewegung. 6 Grund­ 2

  Zu den Quellen des Origenes siehe Jackson, Sources.   Vgl. Platon, Phaidr. 245 e 2–246 a 2; nom. X 894 b 8–c 8; Aristote­ les, an. III 1–5, 424 b–430 a. 4   Vgl. Philon, deus immut. 33–50 (II p.  63–68 Cohn/Wendland). 5   Vgl. Platon, Phaidr. 245 e 3: „Das durch sich selbst Bewegte“ ist „Wesen und Begriff der Seele“; ebd. 7 f.: „Das, was sich selbst bewegt“, sei „nichts anderes als die Seele“; Chrysipp bei Diogenes Laërtios VII 121 (= SVF III 355). Siehe oben S.  206 und 210 f. 6   Vgl. Origenes, princ. III 1,2 (GCS Orig. 5, 196 f.). Übersetzung: 3

1. Welt in Bewegung

249

sätzlich unterschied er zwischen „Dingen“, die „die Ursa­ che der Bewegung in sich selbst“ haben, und solchen, die „nur von außen bewegt“ werden. Zu letzteren zählte er die „unbelebten Dinge“7 bzw. die „transportablen Dinge, z. B. Holz, Steine und jede Materie, die nur durch ihre Konsis­ tenz (ἕξις) zusammengehalten wird“. Diesen gegenüber ste­ hen die belebten Dinge, die „die Ursache ihrer Bewegung in sich selbst haben“8 bzw. „die von der in ihnen vorhandenen Natur (φύσις) beziehungsweise der Seele (ψυχή) bewegt werden“.9 Zu dieser Gruppe zählte Origenes die Tiere, die Pflanzen „und ganz allgemein alles, was von Wuchs und Seele zusammengehalten wird“, weshalb er erwog, dass auch Metalle, das Feuer und die Quellen hierhergehören.10 Diese Dinge werden, sofern es sich um „unbeseelte“ Dinge handelt, „aus sich heraus“ bewegt. Den „beseelten“ unter ihnen, d. h. den Tieren, schrieb Origenes eine Bewegung „von sich aus“ zu. Zur Gruppe der belebten und beseelten Dinge, die die Ursache ihrer Bewegung in sich selbst haben, gehören schließlich auch die Vernunftwesen wie der Mensch (und im Weltbild des Origenes auch die Engel und Dämonen), die sich jedoch nicht einfach nur „aus sich her­ aus“ wie Pflanzen oder „von sich aus“ wie Tiere bewegen, Görgemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 465–467; orat. 6,1 (GCS Orig. 2, 311 f.). Übersetzung: von Stritzky, OWD 21, 121. Daraus alle folgenden Zitate, die nur eigens angegeben werden, wenn sich eine Aussage nur in einer Quelle findet. Einen philologischen Vergleich beider Stellen bietet Perrone, Preghiera 108–116; siehe auch Benja­ mins, Eingeordnete Freiheit 58–71; speziell zu De oratione siehe van der Eijk, Origenes’ Verteidigung des freien Willens. Für die philoso­ phische Deutung siehe Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 26–34. 7   Orat. 6,1 (GCS Orig. 2, 311). 8   Princ. III 1,2 (GCS Orig. 5, 196). 9   Orat. 6,1 (GCS Orig. 2, 311). 10   Princ. III 1,2 (GCS Orig. 5, 196).

250

VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

sondern „durch sich selbst“, da sie kraft ihrer „Vernunft“ (λόγος) das Prinzip ihrer Bewegung als wirksame Ursache in sich haben.11 „Wenn etwas seiner eigenen Bewegung folgt, muss es notwendig ein Vernunftwesen sein, da dieses nach unserer Definition durch sich selbst bewegt wird.“12 Das Aufschlussreiche an dieser Unterteilung der beweg­ ten Welt sind nicht die doxographischen Details zu den vier Bewegungsarten, die Origenes seiner vermutlich stoischen Quelle (und Philon) entnahm: „von außen“ (ἔξωθεν: unbe­ lebte, materielle Dinge), „aus sich heraus“ (ἐξ αὑτοῦ: Pflan­ zen, Quellen, Metalle, Feuer), „von sich aus“ (ἀφ᾽ αὑτοῦ: Tiere), „durch sich selbst“ (δι᾽ αὑτοῦ: Vernunftwesen, v. a. der Mensch).13 Der entscheidende Punkt ist vielmehr die Dynamik, die Origenes in dieses Schema eintrug. So, wie er es präsentierte – und das dürfte seine Modifikation sein –, sind die verschiedenen Formen von Bewegung nicht scharf voneinander abgegrenzt, was ohnehin nicht in allen Fällen möglich ist, und können ineinander übergehen. In seiner dynamischen Bewegungslehre können einzelne Lebewesen auf verschiedene Seinsstufen geraten: Ein Baum hat im Wachstum ein Bewegungsprinzip „aus sich heraus“ in sich; wird er gefällt, wird er zu toter Materie, die nur noch „von außen“ bewegt werden kann.14 Ein Tier hat sein Bewe­ gungsprinzip „von sich aus“, das sogar in die Nähe der Be­ 11

  Ebd. III 1,3 (GCS Orig. 5, 197).   Orat. 6,1 (GCS Orig. 2, 312). 13  Ich versuche, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Präpositionen in der deutschen Übersetzung etwas zu verstärken. 14   Orat. 6,1 (GCS Orig. 2, 311). Die Frage, ob analog zum Wachs­ tumsprozess auch der Zerfallsprozess eines toten Körpers, sei es einer Pflanze, eines Tieres oder eines Menschen, als Bewegung „aus sich heraus“ betrachtet werden könnte, klammerte Origenes aus der Be­ trachtung aus: princ. III 1,2 (GCS Orig. 5, 196). 12

1. Welt in Bewegung

251

wegung des Menschen kommt, insofern auch beim Tier Vorstellungen einen Trieb auslösen, dem es allerdings in­ stinkthaft automatisch folgt, während der Mensch kraft seiner Vernunft dem mit der Vorstellung gekoppelten Trieb seine Zustimmung geben oder verweigern kann. Als Bei­ spiele für die „Vorstellungskraft“ von Tieren, aus denen in­ stinktiv eine Bewegung „von sich aus“ hervorgeht, führte Origenes Spinnen, die Netze weben, und Bienen, die Wa­ ben bauen, an.15 Er näherte die Bewegungen des Tieres und des Menschen sogar so weit aneinander an, dass er manchen Tieren ein „vernunftähnliches“ Verhalten attestierte, da sie wie zum Beispiel Kriegspferde und Spürhunde lernen und quasi-rational handeln können.16 Diese Art von tierischer Intelligenz kommt laut Origenes also der Vernunft des Menschen nahe, obwohl er dennoch auf dem klaren Unter­ schied bestand, der eben durch die Vernunft und ihren be­ wussten Gebrauch gegeben ist. Wenn ein Tier allerdings stirbt, wird es ein Lebewesen, das sich in seinem natürli­ chen Verwesungsprozess „aus sich heraus“ bewegt, oder gar wie tote Materie, die „von außen“ bewegt werden kann. Dem menschlichen Körper geht es ebenso, wenn er stirbt. Origenes konzipierte also eine große Durchlässigkeit, eine hohe „ontische Mobilität“17 zwischen den als Bewe­ gung bestimmten Seinsstufen. Die Differenz zwischen dem Tier und dem Menschen bzw. zwischen der vernunftlosen und der vernünftigen Natur hat er damit nicht aufgehoben, sondern lediglich die Grenze nicht so scharf gezogen. Kate­ gorial aber blieb ein Unterschied zwischen dem vernünfti­ gen Menschen, der freie Entscheidungen treffen kann, und 15

  Ebd. (GCS Orig. 5, 197).   Ebd. III 1,3 (GCS Orig. 5, 198). 17   Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 31. 16

252

VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

aller anderen Natur. Eine Bewegung „durch sich selbst“ kommt daher nur der Vernunftnatur des Menschen zu. Im Unterschied zur doxographischen Tradition und zu seinen Vorgängern wie Philon oder Clemens18 bestand die bahnbrechende Innovation des Origenes darin, die Bewe­ gung nicht wie Aristoteles als Akzidens anzusehen, son­ dern sie zum „Prinzip der Substanz“19 zu machen. Der On­ tologisierung der Freiheit als Prinzip der vernünftigen Natur entspricht die „Erhebung der Bewegung zum ersten Seinsprinzip“, 20 auf der die ontische Bestimmung der Dinge beruht. Während jedoch alle übrigen Lebewesen ihren von der Natur festgelegten Platz in der Hierarchie des Seins ha­ ben, auch wenn die jeweiligen Stufen der Bewegung durch­ lässig sind, zeichnet sich der vernunfbegabte Mensch da­ durch aus, dass er kraft seiner freien Entscheidung selbst bestimmt, welche Stufe in der Hierarchie des Seins zwi­ schen Tier und Gott er einnimmt.21

2. Freiheit und Würde des Menschen Den revolutionären Grundsatz, dass der Mensch sich in Freiheit seine Natur selbst bestimmt, hat Origenes mehr­ mals explizit formuliert. Ein Mensch ist so, wie er ist, schrieb er im Johanneskommentar, „nicht in seinem Wesen (ὑπόστασις) aufgrund der Konstitution (κατασκευή), in der er geschaffen wurde, sondern weil er dadurch, dass er sich än­ 18   Vgl. Philon, leg. all. II 22 f. (I p.  95 Cohn/Wendland); rer. div. her. 137 (III p.   32 Cohn/Wendland); Clemens von Alexandria, strom. II 110,4–111,1 (GCS Clem. Al. 24, 173) (= SVF II 714). 19   Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 31. 20   Ebd. 31 Anm.  45. 21   Siehe dazu ebd. 78 f. 94–110.

2. Freiheit und Würde des Menschen

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dert (μεταβολή) und selbst entscheidet (ἰδία προαίρεσις), so geworden ist und auf diese Weise das, was er ist – um einen neuen Begriff zu prägen –, seine Natur geworden ist (πεφυσιωμένον)“.22 Mit dieser Begriffsbildung entwickelte Origenes den Gedanken des Clemens weiter, dass „die in­ nere Haltung“ eines vollkommenen Menschen „seine Na­ tur werde“ (Kap.  IV 5).23 „Was ursprünglich an der Ent­ scheidung (arbitrium) lag, ist durch die Wirkung langer Gewohnheit jetzt zur Natur (natura) geworden“, schrieb er zeitgleich in der Prinzipienschrift.24 „Die Natur (natura) je­ des einzelnen Menschen ist durch die Freiheit seiner Ent­ scheidung (arbitrii libertas) bestimmt worden“, lautete die Formel dafür im späten Römerbriefkommentar.25 Für Ori­ genes ist der Mensch nicht ein Wesen, dem als vernünftigem Subjekt Freiheit zuzuschreiben ist, sondern umgekehrt: Seine Freiheit, konkret: seine freie Entscheidung bestimmt sein Wesen und wird gleichsam zu seiner Natur. Den Ge­ gensatz zwischen Natur und Freiheit, der bei seinem ale­ xandrinischen Vorgänger Clemens auftauchte, hat Ori­ genes damit dahingehend weiterentwickelt, dass er das Verhältnis umkehrte: Die Freiheit steht nicht gegen die Na­ tur, sondern über ihr. Die Natur des Menschen wird durch 22   Origenes, in Ioh. comm. XX 21,174 (GCS Orig. 4, 353). Vgl. in Ioh. frg. 42 (GCS Orig. 4, 517 f.). 23   Clemens von Alexandria, strom. VII 46,9 (GCS Clem. Al. 32, 35). 24   Origenes, princ. II 6,5 (GCS Orig. 5, 145). Übersetzung: Görge­ manns/Karpp, Origenes: Prinzipien 369 (modifiziert). Vgl. ebd. I 6,3 (GCS Orig. 5, 84): „Oder sollte eine dauerhafte und eingewurzelte Schlechtigkeit durch Gewohnheit zu einer Art Natur werden?“ Über­ setzung: ebd. p.  227. 25  In Rom. comm. VIII 10,11 (SC 543, 560). Vgl. ferner aus dem Spätwerk in Matth. comm. XVII 21 (GCS Orig. 10, 642); XVII 27 (GCS Orig. 10, 659); Cels. III 69 (GCS Orig. 1, 261).

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

seine Freiheit bestimmt. Der Mensch verfügt nicht nur über Freiheit; er ist Freiheit. Aus der dynamischen Bewegtheit des gesamten Seins und daraus, dass der Mensch nicht auf eine bestimmte Seinsstufe festgelegt ist, ergibt sich, dass jeder Mensch durch den je individuellen Gebrauch seiner Freiheit be­ stimmt, und zwar immer wieder neu bestimmt, welchen Rang in der Hierarchie des Seins er einnimmt. „Denn un­ zählig, könnte man sagen“, schrieb Origenes im Frei­ heitstraktat, „sind unsere Seelen, und unzählig ihre Eigen­ arten; sie haben alle möglichen Bewegungen, Absichten, Impulse und Strebungen.“26 Die möglichen Realisierungen dieser vielfältigen Möglichkeiten bewegen sich zwischen den Polen Tier und Gott. In den Ezechielhomilien erläuter­ te Origenes diese Spannbreite ausgehend von der hebräi­ schen Junktur „Mensch-Mensch“ (’iš ’iš) in Ez. 14,4 (und Lev. 17,8), die auch im griechischen Text der Septuaginta so übersetzt war (ἄνθρωπος ἄνθρωπος), dahingehend, dass es darauf ankomme, Mensch in doppeltem Sinn zu werden, nämlich im äußeren Menschen und im inneren Menschen. „Wir Menschen“ seien „alle als Menschen geboren“, doch aufgrund der Sünde seien „nicht alle Menschen-Menschen (homo homo)“. Ein Mensch ohne Einsicht gleiche den Tie­ ren ohne Verstand, wie er einem Psalm entnahm (Ps. 48[49],13), und sei daher ein „Tier-Mensch“ (homo iumen­ tum). Aus der scharfen Beschimpfung der Pharisäer und Sadduzäer durch Johannes den Täufer als „Schlangenbrut“ in Mt. 3,7 leitete er ab, dass so jemand ein „Schlan­ gen-Mensch“ (serpens homo) sei, und wer so wie die von Jeremia Getadelten geworden sei, nämlich „Hengste, geil 26   Princ. III 1,14 (GCS Orig. 5, 220). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 513.

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auf Stuten“, die „nach der Frau ihres Nächsten wiehern“ (Jer. 5,8), der sei ein „Pferd-Mensch“ (homo equus).27 Diese Rede von der Tierwerdung des Menschen meinte Origenes nicht im Sinne des Platonismus und des Pythago­ reismus als Wanderung der Seele aus Menschen- in Tierkör­ per und umgekehrt. Diese Vorstellung der Seelenwande­ rung als Metempsychose bzw. Metensomatosis lehnte er oft und entschieden ab.28 Bei ihm hatte diese Redeweise viel­ mehr einen ethischen Sinn. Sie beschrieb die moralische Verrohung des Menschen durch ‚bestialisches‘ Verhalten, wodurch er gleichsam zum Tier wird, das vernunft- und bewusstlos seinen Trieben und Begierden folgt. In der Stu­ fenleiter des Seins fällt der Mensch damit auf die Stufe unter diejenige zurück, die den Menschen eigentlich auszeichnet, also wie ein Tier bloß noch „von sich aus“ seinen Vorstel­ lungen und Antrieben zu folgen, statt kraft seiner Vernunft „durch sich selbst“ zu handeln. In seiner körperlichen Kon­ stitution bleibt er jedoch ein Mensch. In die Gegenrichtung 27   In Hiez. hom. 3,8 (GCS Orig. 8, 355 f.). Eigene Übersetzung. Vgl. ferner in Num. hom. 24,2 (GCS Orig. 7, 228); dial. 11–15 (SC 672, 78– 86). Siehe dazu Rahner, Menschenbild des Origenes 218–231. Das Vorbild für diese ethische Ausdeutung der Doppelung des Wortes ,Mensch‘ ist Philon, gig. 33 (II p.  48 Cohn/Wendland). 28   Vgl. in Ioh. comm. VI 11,66 (GCS Orig. 4, 120); in Matth. comm. X 20 (GCS Orig. 10, 27); XI 17 (GCS Orig. 10, 64); XIII 1 (GCS Orig. 10, 172–176); in Rom. comm. V 1,25 (SC 539, 382); VI 8,8 (SC 543, 166–168); Cels. III 75 (GCS Orig. 1, 267); IV 83 (GCS Orig. 1, 354); V 29 (GCS Orig. 2, 31); V 49 (GCS Orig. 2, 53 f.); VI 36 (GCS Orig. 2, 105); VII 32 (GCS Orig. 2, 182); VIII 30 (GCS Orig. 2, 245 f.). Trotz seiner eindeutigen Ablehnung der Seelenwanderungslehre wurde sie ihm schon in der Antike immer wieder unterstellt, so in der Liste der Vorwürfe gegen ihn bei Pamphilus, apol. Orig. 87 (SC 464, 156–158); sogar ein Kenner des Origenes wie Hieronymus hat sie ihm fälschli­ cherweise zugeschrieben: apol. c. Rufin. I 20 (SC 303; 56); III 39 (SC 303, 318).

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

hingegen entwickelt sich der Mensch, „wenn wir gütig und sanftmütig sind“; dann „verdoppeln wir die Bezeichnung Mensch, so dass wir in uns nicht einfach nur einen Men­ schen haben, sondern einen Menschen-Menschen“. Dieser doppelte Mensch im Menschen entsteht, wenn sich der in­ nere Mensch nicht ,tierisch‘ verhält, sondern „dauerhaft dem Bild des Schöpfers entspricht“.29 Auf diese Weise gleicht sich der Mensch also nicht dem Tier an, sondern Gott. Das ist die Spannbreite des menschlichen Freiheits­ raums: zwischen Tier und Gott.30 Das Lebensziel, das Origenes in dieser Predigt nebenbei formulierte, ist die Telosformel der antiken Philosophie, nämlich Gott so weit wie möglich ähnlich zu werden. „Das höchste Gut, zu dem die Vernunftwesen insgesamt stre­ ben“, heißt es in der Prinzipienschrift, „und das auch das Ziel von allem heißt, wird von den Philosophen folgender­ maßen definiert: das höchste Gut sei, Gott ähnlich zu wer­ den, soweit es möglich ist.“31 Das hatte Platon im Theaitetos so formuliert, und schon der Athener hatte darin den Weg zu diesem Ziel ethisch gefasst: „Deshalb muss man auch da­ nach trachten, schnellstmöglich von hier dorthin zu entflie­ hen. Die Flucht aber besteht in der Angleichung an Gott, 29   Origenes, in Hiez. hom. 3,8 (GCS Orig. 8, 356). Eigene Überset­ zung. 30   Auch hierfür lässt sich als Anknüpfungspunkt auf Philon ver­ weisen, für den „der Mensch auf der Grenze steht zwischen der sterb­ lichen und der unsterblichen Natur“: opif. mund. 135 (I p.  47 Cohn/ Wendland); virt. 9 f. (V p.  269 Cohn/Wendland); bzw. „auf der Grenze zwischen Schlechtigkeit und Tugend“: praem. et poen. 62 (V p.  349 f. Cohn/Wendland). Plotin, enn. III 2,8 (47,70), wird später ebenfalls sagen, dass der Mensch sich „in der Mitte zwischen Göttern und Tieren“ befindet. 31   Origenes, princ. III 6,1 (GCS Orig. 5, 280). Übersetzung: Gör­ gemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 643.

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soweit das möglich ist. Die Angleichung aber besteht darin, gerecht und fromm mit Einsicht zu werden.“32 Das konnte Origenes problemlos mit einer ethischen Selbstbewegung des vernunftbegabten Subjekts zum Guten in Verbindung bringen, die den Menschen zu einem „Menschen-Men­ schen“ und dadurch Gott ähnlich macht. Dadurch, dass die christlichen Philosophen und beson­ ders Origenes die Ähnlichkeit mit Gott, von der Platon sprach, mit der Ähnlichkeit zusammenbrachten, von der bei der Erschaffung des Menschen in Gen. 1,26 die Rede ist, gelangten sie zu einer Unterscheidung, die sich im Sinne der frühchristlichen Freiheitslehre auswerten ließ. Im griechi­ schen Bibeltext stehen an dieser Stelle bekanntlich zwei Be­ griffe, „Bild“ (εἰκών) und „Ähnlichkeit“ (ὁμοίωσις), doch da nach dem Entschluss Gottes in Gen. 1,26, den Menschen „nach seinem Bild, ihm ähnlich“, zu schaffen, in Gen. 1,27 bei der Realisierung dieses Entschlusses nur noch von „Bild“, aber nicht mehr von „Ähnlichkeit“ die Rede ist, er­ öffnete dies erneut einen Raum für die Freiheit des Men­ schen. Die Gottesebenbildlichkeit, so Origenes, bekomme der Mensch geschenkt, und darin, dass er „nach dem Bild Gottes“ geschaffen sei, liege seine unverlierbare Würde. Die „Ähnlichkeit“ jedoch „sollte er sich selbst durch eigenen Eifer durch Nachahmung Gottes erwerben; nachdem ihm zu Anfang die Fähigkeit zur Vervollkommnung kraft der Würde des ,Bildes‘ gegeben war, sollte er schließlich am 32   Platon, Theait. 176 a 8–b 3. Eigene Übersetzung. Im später ge­ schriebenen Timaios und im Alterswerk der Nomoi hat die Anglei­ chung an Gott hingegen keinen moralischen Sinn, sondern einen noë­ tischen, insofern sie bedeutet, die Gedanken Gottes, sofern dieser als Weltseele bestimmt wird, zu denken, und das heißt, sich in seinem Leben an der Vernunft zu orientieren: vgl. Tim. 90 d 4–7; nom. IV 716 c 1–d 4. Siehe dazu Bordt, Platons Theologie 184.

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

Ende selber durch eigenes Wirken die vollkommene ,Ähn­ lichkeit‘ vollenden.“33 Diese Differenzierung hat Origenes nicht erfunden; sie ist schon vor ihm bei Clemens von Alexandria bezeugt.34 Die Fassung des Origenes, die außerordentlich wirkmäch­ tig wurde, brachte sein Freiheitsdenken trefflich zum Aus­ druck.35 Gott beschenkt den Menschen mit der „Würde des Bildes“ – eine „Würde“ (dignitas), die erstmals in der Antike nicht an Status und Ansehen hängt, sondern universal je­ dem Menschen als Menschen, unabhängig von allen äuße­ ren und inneren Merkmalen, zugesprochen wird. In den Josuahomilien sprach Origenes einmal von einer „Würde“ (dignitas), die in der Freiheit zur Selbstbestimmung, worin der Mensch „Bild Gottes“ ist,36 gründet.37 Die Gotteseben­ bildlichkeit ist bei Origenes die „hauptsächliche Existenz­ grundlage“ (ἡ προηγουμένη ὑπόστασις) des Menschen.38 Zu­ dem beschenkt Gott den Menschen in diesem Konzept mit der Freiheit, die „Ähnlichkeit“ dieses „Bildes“ mit dem Urbild, Christus, zu realisieren. Gott schenkt dem Men­ schen also die im Bild-Sein gründende Möglichkeit, Gott ähnlich zu werden, belässt ihm aber zugleich die Würde der eigenen Zustimmung, indem er ihm diese Ähnlichkeit nicht gleich mitschenkt, sondern ihm die Freiheit lässt, sie sich 33   Origenes, princ. III 6,1 (GCS Orig. 5, 280). Übersetzung: Gör­ gemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 643–645. Vgl. in Gen. hom. 1,13 (GCS Orig. 6, 15–18); Cels. IV 30 (GCS Orig. 1, 299). 34   Vgl. Clemens von Alexandria, strom. II 131,6 (GCS Clem. Al. 24, 185); V 94,4 f. (GCS Clem. Al. 24, 388). 35   Siehe dazu Kobusch, Bild und Gleichnis Gottes. 36   Origenes, in Ios. hom. 14,1 (GCS Orig. 7, 376). 37  Ebd. 10,3 (GCS Orig. 7, 361). Siehe dazu Fürst, Einleitung OWD 5, 37–39. 38   In Ioh. comm. XX 22,182 (GCS Orig. 4, 355).

3. Theologie der Freiheit

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selbst „durch eigenes Wirken“ zu erwerben. Erst so wird sie zu einer ihm wirklich eignenden Ähnlichkeit und Würde. Gott entlässt den Menschen in die Freiheit, sich zu ihm zu verhalten, und wenn er sie in dem ethischen Sinn ge­ braucht, sich am Guten und damit an Gott zu orientieren, dann wird der Mensch wahrer Mensch (Mensch-Mensch) und Gott ähnlich, ja Gott gleich wie der Gott-Mensch Jesus Christus, nach dessen „Bild“ er geschaffen wurde. Und dies wird vollkommen eintreffen im „Haus der Freiheit“ (domus libertatis), in der „Mutter der Freiheit“ (mater libertatis), im „Paradies der Freiheit“ (paradisum libertatis), wie Ori­ genes das himmlische Jerusalem im Fahrwasser des früh­ christlichen Freiheitspathos nannte.39

3. Theologie der Freiheit a) Gott als Freiheit und Bewegung Der Orientierungspunkt für die Freiheit des Menschen ist bei Origenes ein Gott, den er seinerseits als Freiheit be­ stimmte, und zwar als „ungezeugte Freiheit“ (libertas inge­ nita). Diese hochkarätige Bezeichnung gebrauchte Orige­ nes in den von ihm überlieferten Werken einmal in den Levitikushomilien, ohne sie an dieser Stelle allerdings nä­ her zu erläutern.40 Im Rahmen seiner Bewegungslehre lässt sich aber nachvollziehen, wie sie wohl gemeint war. Wenn der Mensch bestimmt ist durch eine „Eigenbewegung“, in der er den Vorstellungen und Impulsen, die auf ihn einwir­ 39

  In Ex. hom. 8,1 (GCS Orig. 6, 217 f.).   In Lev. hom. 16,6 (GCS Orig. 6, 502). Die libertas ingenita in Ex. hom. 4,1 (GCS Orig. 6, 171) meint eine andere Freiheit, nämlich die „angestammte Freiheit“ des Volkes Israel. 40

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

ken, „durch sich selbst“ seine Zustimmung erteilt oder vor­ enthält und dadurch zum Ursprung einer Handlung wird, dann lässt sich das auf die Freiheit, die Gott ist, so übertra­ gen, dass Gott „ungezeugte“, vollkommen aus sich selbst heraus existierende Eigenbewegung ist, die keinerlei Vor­ stellungen und Impulse von außen braucht, um sich zu be­ wegen, und die sich dafür auch nicht am Guten orientieren muss, weil Gott das Gute selbst ist. Dieses Gute bringt al­ lein aus sich heraus und durch sich selbst beständig das her­ vor, was ihm einzig angemessen ist, nämlich erneut Gutes. Damit realisiert Gott einerseits die Freiheit, die er selbst ist, in freier Schöpfung von Gutem „durch sich selbst“ und ist andererseits als „ungezeugte Freiheit“ der Ermöglichungs­ grund für alle andere, „gezeugte“ oder „geschaffene Frei­ heit“. Der „ungezeugten Freiheit“ ist das Gute substanziell eigen, weil sie das Gute selbst ist, während die geschaffenen Freiheiten, die Vernunftwesen wie der Mensch, das Gute nur akzidentell haben und es daher verlieren, aber auch wieder erwerben können.41 Die „ungezeugte Freiheit“ Gottes ruht gleichsam per de­ finitionem als Eigenbewegung nicht unbewegt in sich selbst und existiert nicht einfach nur für sich selbst. Im Gegenteil: Wenn Freiheit nach der Bewegungslehre und dem Frei­ heitsbegriff des Origenes „Selbstbewegung“ ist, dann ist Gott der Ursprung der gesamten bewegten Welt, „der fremdbewegten Natur wie des eigenbewegten Geistes“.42 Ganz anders als der „unbewegte Beweger“ des Aristoteles ist in der dynamischen Ontologie des Origenes Gott in der Weise der Ursprung aller Bewegung, dass die von ihm ver­ ursachte Bewegung in einem spezifischen Sinn seine eigene 41

  Vgl. princ. II 9,2 (GCS Orig. 5, 165 f.).   Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 284.

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3. Theologie der Freiheit

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Bewegung ist und er selbst in diese Bewegung verwickelt ist. Gottes Bewegung sind die Schöpfung und ihre Ge­ schichte, die er aus der „Freiheit der Liebe“ (libertas carita­ tis) heraus schafft.43 Diesen dynamischen Gottesbegriff entwickelte Orige­ nes anhand der Gottesvision Jesajas in den nach 245 ent­ standenen Jesajahomilien.44 Jesaja „sah den Herrn“, heißt es im Buch Jesaja. „Er saß auf einem hohen und erhabenen Thron“ und „Seraphim standen über ihm“, „jeder“ mit „sechs Flügeln: Mit zwei Flügeln bedeckten sie das Gesicht, mit zwei bedeckten sie die Füße, und mit zwei flogen sie.“ Und „sie riefen einander zu: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere! Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt.“45 Jesaja sieht, wie Origenes präzise bemerkte, nicht direkt Gott, denn das ist im strengen Sinn nicht möglich, sondern er hat eine „Vision“ der „Herrlichkeit Gottes“, und er sieht die Herrschertätigkeit, die Gott im „Wort“ über die Welt ausübt.46 Jesaja schaut Gott keineswegs „von Ange­ sicht zu Angesicht“.47 Einem Menschen zugänglich ist le­ diglich die „Mitte Gottes“ (medium dei), während, wie Origenes den Bibeltext auffasste, die Seraphim mit ihren Flügeln nicht ihre eigenen, sondern Gottes „Antlitz“ und „Füße“ verhüllen, die er als Gottes „Anfang“ bzw. „Ur­ sprung“ (exordium, principium) und sein „Ende“ (novissi­ mum) deutete:48 43

  Origenes, in Gen. hom. 7,4 (GCS Orig. 6, 74).  Siehe dazu Hengstermann, Einleitung OWD 10, 132–140; ders., Freiheitsmetaphysik 143–168. 45   Jes. 6,1–3 EÜ. 46   Origenes, in Is. hom. 1,1 (GCS Orig. 8, 243). 47   Ebd. 1,5 (GCS Orig. 8, 247). In dial. 27 (SC 672, 108) sprach Ori­ genes davon, dass Jesaja einen „Schatten“ sah. 48   In Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 244). 44

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

„Sie bedeckten das Angesicht Gottes, denn der Ursprung Gottes ist unbekannt. Aber auch die Füße, denn was könnte man wohl als das Letzte in unserem Gott verstehen? Einzig die mittleren Dinge kann man sehen; was davor gewesen ist, das weiß ich nicht. Aus dem, was ist, erkenne ich Gott; was danach sein wird, abgesehen davon, dass es sein wird, das weiß ich nicht.“49

In der Auslegung der Vision Jesajas meinte Origenes mit dem Begriff der „Mitte“ die gegenwärtige Wirklichkeit, die der Erkenntnis des Menschen zugänglich ist. „Anfang“ und „Ende“ der Welt hingegen bleiben ihm verborgen; was er einzig zu erfassen vermag, ist die „Mitte“ zwischen diesen beiden Polen, die geschichtliche Entwicklung der Welt. Dieses Verständnis der „Mitte“ geht auf Platons Gesetze zurück, in denen „der Gott (ὁ θεός)“, womit die Weltseele gemeint ist, „Anfang, Ende und Mitte alles Seienden (ἀρχή τε καὶ τελευτὴ καὶ μέσα τῶν ὄντων ἁπάντων) in Händen hat“ und eine unveränderliche, beständige Ordnung garantiert, an der der Mensch sein Leben ausrichten soll.50 Diese Idee einer „Mitte Gottes“, die besonders im Platonismus des 2. Jahrhunderts n.Chr. und schon beim Platoniker Philon eine zentrale Rolle spielte,51 interpretierte Origenes kosmo­ logisch als „Gesamt der Wirklichkeit“: das, „was ist“.52 Die 49   Ebd. (GCS Orig. 8, 245). Übersetzung: Fürst/Hengstermann, OWD 10, 201. Vgl. ebd. 4,1 (GCS Orig. 8, 257 f.); in Hiez. hom. 14,2 (GCS Orig. 8, 452 f.). 50   Platon, nom. IV 715 e 7–716 a 4. Siehe dazu Bordt, Platons Theo­ logie 175–184. 51   Vgl. Philon, De deo 5 (Siegert, WUNT 46, 34); Pseudo-Aristo­ teles, mund. 401 a 29–b 29 (p.  99–103 Lorimer), der Schluss in lateini­ scher Übertragung bei Apuleius, mund. 38 (p.  188.3–9 Moreschini); vgl. auch Plat. II 23 (p.  136.21–24 Moreschini); Alkinoos, didask. 28,3 (p.  58 Summerell/Zimmer); Numenios, frg. 24.61 (p.  64 des Places). 52   Origenes, in Is. hom. 1,2 (GCS Orig. 8, 245).

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„Mitte Gottes“ ist demnach die gesamte Welt in ihrer Ent­ wicklung. Aufgrund dieses dynamischen Elements ver­ knüpfte Origenes den Gedanken der „Mitte“ mit dem einer „Bewegung Gottes“ (motus dei): Der „Ursprung der Bewe­ gung Gottes“ ist dem Menschen so wenig erkennbar wie der „Anfang“ der Welt: „Es ist unmöglich, den Ursprung (principium) Gottes zu finden. Den Ursprung der Bewe­ gung Gottes bekommt man nirgends zu fassen.“53 Unter der „Bewegung Gottes“ verstand Origenes das Wirken Gottes in der Welt. Das „Antlitz Gottes“, das Jesaja nicht sehen kann, weil es von den Flügeln der Seraphim ver­ deckt wird, ist das, „was den Werken Gottes vorausliegt“. Was vor und nach den „Werken Gottes“ liegt, „Anfang“ und „Ende“ der Welt, kann der Mensch nicht erkennen, wohl aber die „Mitte“, die „Bewegung Gottes“, den ge­ schichtlichen Verlauf der Welt. Eine Erkenntnis Gottes, die über seine „Mitte“ und seine „Bewegung“ hinausgeht, ist dem Menschen prinzipiell verwehrt.54 Die Erkenntnis der „Mitte“, die dem Menschen einzig zugänglich ist, wird ihm vermittelt durch den Sohn und den Heiligen Geist, als die Origenes mit einer später viel kritisierten Exegese die Sera­ phim interpretierte, die „Anfang“ und „Ende“ verhüllen, aber die „Mitte“ sichtbar werden lassen. In diesem Sinne fasste Origenes Christus als „Mitte, das heißt Mittler zwi­ schen allen Geschöpfen und Gott“ auf.55 Wie er sich die Vermittlung zwischen Gott und der Welt in Christus vorstellte, erläuterte Origenes grundlegend im Johanneskommentar anhand der Aussage zu Beginn des Jo­ 53   Ebd. 4,1 (GCS Orig. 8, 257). Übersetzung: Fürst/Hengster­ mann, OWD 10, 229. 54   Ebd. (GCS Orig. 8, 258). Übersetzung: ebd. 229. 231. 55   Princ. II 6,1 (GCS Orig. 5, 139). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 357.

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

hannesevangeliums, dass „im Anfang (ἀρχή) das Wort (λόγος) war“ (Joh. 1,1).56 Die Welt ist demnach wie der Mensch nach dem Bild des Wortes Gottes geschaffen. Als „Weisheit“ und als „Wort“ bildet Christus gleichsam die Scharnierstelle zwischen dem „absolut einen und schlecht­ hin einfachen Gott“ und der vielfältigen Wirklichkeit der Schöpfung.57 Von Spr. 8,22 her, wo es heißt, dass „Gott“ die Weisheit „als Anfang seiner Wege zu seinen Werken schuf“, deutete Origenes den „Anfang“ in Joh. 1,1 als „Weisheit“. Die „Weisheit“ ist „die in sich strukturierte Schau des Alls“, das „Wort“ „die Mitteilung des Geschauten an die Ver­ nunftwesen“.58 Als „Weisheit“ verharrt der Sohn in der ewi­ gen Schau des im strengen Sinne einen und transzendenten Vaters. Indem er diesen in seiner Einheit und Gesamtheit ständig und in Fülle vor Augen hat, wird er zugleich in sich der Vielheit dessen gewahr, was er ständig in seiner Ge­ samtheit schaut, und offenbart diese Vielheit als „Wort“ den von Gott geschaffenen Vernunftwesen. Auf diese Weise entsteht die Welt. Die „Weisheit“ enthält die „Pläne der im Wort beschlossenen geistigen Struktu­ ren“, die „Strukturvorgaben für all das, was sein würde“.59 Als Selbstmitteilung der „Weisheit“ bringt das „Wort“, der λόγος, der zugleich die „Vernunft“ ist, „Vernunftwesen“ (λογικά) hervor, denen es aufgrund ihrer Teilhabe am „Wort“ bzw. an der „Vernunft“ möglich ist, Zugang zur „Weisheit“, das heißt zur in sich differenzierten Einheit des vielfältigen Seins, zu finden, dessen absolute und transzen­ dente Einheit in Gott, dem Urgrund allen Seins „jenseits 56

  Vgl. in Ioh. comm. I 19,109–20,124 (GCS Orig. 4, 23–25).   Ebd. I 20,119 (GCS Orig. 4, 24). 58   Ebd. I 19,111 (GCS Orig. 4, 23). 59   Ebd. I 19,113 f. (GCS Orig. 4, 23 f.). Vgl. princ. I 2,2 f. (GCS Orig. 5, 29 f.). 57

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des Seins“, 60 wie Origenes mit Platon formulierte, 61 ihnen jedoch unter den Bedingungen ihrer raumzeitlich kontin­ genten Existenz entzogen bleibt. Den „Ursprung“ bzw. „Anfang“ Gottes kann niemand erkennen; nur die „Mitte“ ist zugänglich, die Welt, bzw. Christus als „Mittler“. Das ist der Kerngedanke der Lehre von den ἐπίνοιαι Christi, den vielfältigen „Aspekten“ bzw. „Perspektiven“, unter denen bzw. aus denen der Mensch den Sohn Gottes wahrnimmt. Da der Logos nicht nur „jedem Menschen ge­ genwärtig ist“, sondern sich auch „über den ganzen Kosmos erstreckt (συμπαρεκτεινόμενος)“, 62 also der ganzen Heilsge­ schichte und der ganzen Wirklichkeit „koextensiv“ ist, bil­ det er die „Mitte“, 63 die der Erkenntnis des Menschen zu­ gänglich ist und über die der Weg zu Gott führt. Dieses Vermittlungsgeschehen konzipierte Origenes als Freiheitsgeschehen. Einerseits gibt es ἐπίνοιαι, die Christus immer zukommen: Er ist immer „Weisheit“, „Wort“, „Le­ ben“, „Wahrheit“ und „Gerechtigkeit“. Andererseits aber gibt es ἐπίνοιαι, die Christus als Erlöser jeweils wird, und zwar abhängig von den Freiheitsentscheidungen der Men­ 60   In Ioh. comm. XIII 21,123 (GCS Orig. 4, 244); XIX 6,37 (GCS Orig. 4, 305); exhort. mart. 47 (GCS Orig. 1, 43); Cels. VI 64 (GCS Orig. 2, 135). 61   Vgl. Platon, polit.  V I 509 b 9; Parm. 141 e 7–9. Die Hinzufügung von „jenseits des Geistes“ bei Origenes, Cels. VII 38 (GCS Orig. 2, 188), zur platonischen Wendung „jenseits des Seins“ geht auf Aristote­ les zurück, frg. 49 Rose = 57 Ross, aus Simplikios, in Aristot. II de caelo 12 (CAG 7, 485). 62   Origenes, in Ioh. comm. VI 30,154 (GCS Orig. 4, 140). Vgl. ebd. VI 39,202 (GCS Orig. 4, 148 f.); princ. II 11,6 (GCS Orig. 5, 190): „Er selbst aber ist überall und durchdringt das ganze All.“ Übersetzung: Görgemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 455. Siehe dazu Lyons, The Cosmic Christ 89–145. 63   In Ioh. comm. I 31,219 (GCS Orig. 4, 39).

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schen. 64 Je nachdem, was die Menschen tun, handelt oder zeigt sich Christus entsprechend, um ihnen Wege zu Gott zu eröffnen. So ist Christus nur deswegen „Licht“, weil die Menschen „in der Finsternis des Bösen eines Lichtes bedür­ fen“; wäre dem nicht so, wäre er „nicht zum Licht der Men­ schen geworden“. 65 Auch die Inkarnation war eine solche Reaktion auf die Irrwege der Menschen: „Nur einmal ange­ nommen, die Frau (Eva) wäre nicht getäuscht worden und Adam wäre nicht gefallen, sondern der Mensch […] hätte an der Unvergänglichkeit festgehalten, so wäre Christus auch weder in den ,Staub des Todes‘ (Ps. 22[23],16) hinabgestie­ gen noch wäre er gestorben, denn dann hätte es die Sünde, für die er aus Menschenliebe sterben musste, gar nicht gege­ ben.“66 Das „Wort“ ist nur deshalb Mensch geworden, weil die Menschen so weit von Gott abgeirrt sind, dass es nötig wurde, ihnen in ihr Menschsein bis in dessen Niederungen hinein zu folgen. Den gesamten Prozess von Schöpfung und Erlösung und koextensiv damit die Abläufe in Natur und Geschichte dachte Origenes in universalen kosmischen Dimensionen als Freiheitsgeschehen zwischen Gott und seinen Geschöpfen. b) Heilstrinitarismus Die enge Verschränkung von Gott und Welt im Sohn Got­ tes – der Weisheit, dem Wort und der Vernunft Gottes – brachte Origenes in einer schöpfungstheologisch und sote­ riologisch explizierten Trinitätslehre zum Ausdruck, die Hans Urs von Balthasar trefflich als „heilsgeschichtlichen 64

  Ebd. I 20,123 f. (GCS Orig. 4, 25).   Ebd. I 20,120 (GCS Orig. 4, 24 f.). 66   Ebd. I 20,121 (GCS Orig. 4, 25). Vgl. ebd. II 11,83 (GCS Orig. 4, 66 f.). 65

3. Theologie der Freiheit

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Trinitarismus“ bezeichnet hat. 67 Ontologie und Ökonomie – wie die griechischen Kirchenväter das Heilswirken Got­ tes nannten (οἰκονομία) –, Transzendenz und Immanenz sind darin in einer höchst komplexen Dialektik unlösbar ineinander verschränkt. Origenes formulierte die innertri­ nitarischen Relationen konsequent in Begriffen der Schöp­ fungs- und Heilsgeschichte (die schon mit der Schöpfung beginnt), und umgekehrt ist diese durchweg ontologisch in seiner trinitarischen Freiheitsmetaphysik verankert. Dabei dachte er einen strikten heilstrinitarischen Aktualismus: Was im ontischen Urbild der trinitarischen Gemeinschaft zeitlose Wirklichkeit ist, ist im ökonomischen Abbild der Heilsgeschichte noch unerfüllte Möglichkeit, die in Frei­ heit zu ihrer Wirklichkeit geführt werden soll. In einem Kapitel zum Abschluss seiner Trinitätslehre in der Prinzipienschrift fasste Origenes in prägnanter Dichte seinen Heilstrinitarismus zusammen. 68 Gott Vater ist der Schöpfer allen Seins: „Gott Vater verleiht allen Geschöpfen das Sein.“ Die Vernunftwesen erhalten ihre Vernunft vom Sohn, und zwar gedacht im platonischen Teilhabegedan­ ken: „Die Teilhabe an Christus aber, insofern er das Wort bzw. die Vernunft (verbum vel ratio als Übersetzung von λόγος) ist, macht sie vernünftig.“ Entsprechend dem Frei­ heitsbegriff des Origenes (Kap.  V 2) ist das die Grundlage dafür, dass die Menschen moralische Wesen sind und für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden können: „Infolgedessen können sie entweder Lob oder Tadel verdie­ 67   Von Balthasar, Origenes: Geist und Feuer 31. Eine innovative Darstellung des origeneischen Trinitätsdenkens ist Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 168–288. 68   Vgl. Origenes, princ. I 3,8 (GCS Orig. 5, 60–62). Übersetzung: Görgemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 179–183 (leicht modifi­ ziert). Daraus alle folgenden Zitate.

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

nen, da sie zur Tugend und zur Schlechtigkeit fähig sind.“ Da die Menschen kraft ihrer Freiheit ihre Vernunft zum Guten oder aus Nachlässigkeit zum Bösen verwenden kön­ nen, braucht es ein drittes Prinzip, das den rechten Ge­ brauch der Vernunft zum Guten bzw., wie Origenes sich ausdrückt, zur „Heiligkeit“ ermöglicht; das ist der Heilige Geist (den Origenes als erster christlicher Theologe syste­ matisch in den Gottesbegriff miteinbezog69): „Daher tritt folgerichtig noch die Gnade des Heiligen Geistes hinzu, um die, die nicht wesenhaft heilig sind, durch Teilhabe an ihm heilig zu machen.“ Ein Fazit beschließt diesen Gedanken­ gang: Die vernunftbegabten Geschöpfe „haben also erstens das Sein von Gott Vater, zweitens das Vernünftig-Sein vom Wort (bzw. von der Vernunft: λόγος), drittens das Hei­ lig-Sein vom Heiligen Geist.“ Nachdem Origenes auf diese Weise die Trinität schöp­ fungstheologisch gleichsam von oben nach unten in konse­ quent heilsgeschichtlicher Zuordnung erklärt hat, geht er „umgekehrt“ (rursum) dasselbe noch einmal, diesmal aber in soteriologischer Perspektive von unten nach oben durch. Der Ausgangspunkt ist jetzt der Heilige Geist, von dem aus und durch den der Weg zu Christus führt: „Und umgekehrt werden sie (die Vernunftwesen) erst nach der Heiligung durch den Heiligen Geist fähig, Christus aufzunehmen, in­ sofern er Gottes Gerechtigkeit ist.“ Erst wenn ein Mensch seine Vernunft in der rechten Weise gebraucht, sich gleich­ sam „heiligt“, ist er in der Lage, Christus nicht nur sozusa­ gen formal als „Vernunft“ aufzunehmen, sondern hinsicht­ lich der ihn substanziell auszeichnenden ethischen Aspekte, 69  Siehe dazu Saake, Tractatus pneumatico-philosophicus; Ziebrit­z ki, Heiliger Geist und Weltseele 192–259; Dünzl, Pneuma 367– 377; Markschies, Der Heilige Geist.

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für die paradigmatisch die Gerechtigkeit steht. In soteriolo­ gisch-ethische Terminologie übersetzt heißt das: Wenn der Mensch seine Vernunft „heiligt“ und wenn er „gerecht“ handelt, wenn er seine auf der Vernunft beruhende Ent­ scheidungsfähigkeit zum Tun des Guten einsetzt, dann hat er teil an Christus, der die Gerechtigkeit ist, der die Wahr­ heit ist und all die anderen ἐπίνοιαι, die ihm immer eignen (Kap.  V I 3a). Auf diesem Weg des moralischen Fortschritts kann er schließlich so weit gelangen, dass er an Christus in seiner höchsten ἐπίνοια, der Weisheit, teilhat, in der der Lo­ gos, die Vernunft, beständig den Vater schaut: „Und wer durch die Heiligung des Heiligen Geistes zu dieser Stufe gelangt ist, erlangt außerdem auch die Gabe der Weisheit durch die Kraft der Wirksamkeit des Geistes Gottes.“ Vom Heiligen Geist aus führt der Weg über Christus zu Gott. Das ist aber noch nicht das Ende der soteriologischen Entwicklung, die Origenes hier beschreibt. Der Prozess der ethischen Heiligung des Menschen hat auch eine Wirkung auf das Wirken Gottes. Dieser hat zwar alles Sein geschaf­ fen und die schöpferischen und erlösenden Prinzipien für diese Bewegung der Welt und der Geschöpfe grundgelegt, nämlich die Vernunft (Christus) und deren rechten Ge­ brauch (Heiliger Geist). Aber damit die Schöpfung so wird, wie der Schöpfer sie gedacht hat, müssen die Geschöpfe die­ se Prinzipien in ihrem Tun verwirklichen. Erst dann wird die Schöpfung in der Vollkommenheit und Reinheit „er­ funden“, in der sie vom Schöpfer gedacht war: „Dadurch wird auch das Wirken des Vaters, das allen das Sein verleiht, strahlender und erhabener erfunden (invenitur), wenn ein jeder durch die Teilhabe an Christus, sofern er die Weisheit, die Erkenntnis und die Heiligung ist, zu höheren Stufen fortschreitet; und wenn man durch die Teilhabe am Heili­ gen Geist geheiligt ist, wird man noch reiner und lauterer

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

und empfängt würdiger die Gnade der Weisheit und der Erkenntnis.“ Hier kommt sehr klar zum Ausdruck, was die Freiheits­ metaphysik des Origenes bedeutet. Die Welt und alle Ge­ schöpfe in ihr, allen voran die Vernunftwesen, sind von Gott geschaffen. Doch so „strahlend“ und „erhaben“, wie Gott die Schöpfung gedacht hat, wird sie erst, wenn die ver­ nunftbegabten Geschöpfe durch ihr Tun von sich aus dazu beitragen. Die Bedingungen der Möglichkeit dafür hat Gott seiner Schöpfung eingestiftet: die Vernunft als grund­ legende Fähigkeit, über Vorstellungen und Impulse nach­ zudenken, sie zu beurteilen und darüber zu entscheiden, welchen der Mensch Folge leisten will und welchen nicht; dazu Ansätze zu einem Wissen um die moralischen Grund­ kategorien von Gut und Böse, die es dem Menschen, wenn er sie ausbildet und einübt, ermöglichen, die richtigen Ent­ scheidungen, also für das Gute, zu treffen. Auch dafür, nämlich für die Erziehung und Ausbildung des Menschen zu einem moralischen Wesen, sind in der Schöpfung alle Mittel vorhanden. Alles das liegt in der Schöpfung als Mög­ lichkeit bereit, aber es wird nur Wirklichkeit, wenn der Mensch es in konkretes Tun umsetzt. Die Vollendung der Schöpfung, auf die Gott von Anfang an zielt, wird nicht ohne Zutun des Menschen eintreten. Diese Freiheitsdynamik der Schöpfungs- und Erlösungs­ ordnung entspricht ganz der Freiheitsdynamik der An­ thropologie. Ziel ist, platonisch ausgedrückt, die „Anglei­ chung an Gott“, biblisch formuliert, die „Ähnlichkeit“ mit dem „Bild“, nach dem der Mensch geschaffen wurde: „Schließlich, wenn man alle Flecken der Unreinheit und der Unwissenheit entfernt und abgewaschen hat, gelangt man zu einem solchen Grad von Lauterkeit und Reinheit, dass das Sein, das man von Gott empfangen hat, so beschaf­

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fen ist, wie es Gottes würdig ist, der ja das Sein in reiner und vollkommener Weise verliehen hat. Dann hat das Seiende die gleiche Würde (dignum) wie der, der es ins Sein rief.“ Wenn dies ohne Abstriche, in vollkommener Weise einge­ treten ist, wird dieser Zustand von Dauer sein: „Denn wer genau so ist, wie sein Schöpfer ihn wollte, wird dann auch von Gott die Gnade erhalten, dass seine Tugend Dauer hat und auf ewig bleibt.“ Das Problem, ob ein Vernunftge­ schöpf nicht gerade deshalb, weil es dauerhaft über die Frei­ heit der Entscheidung verfügt, wie Origenes wiederholt einschärfte (Kap.  V 1), erneut von diesem vollkommenen Zustand abfallen könnte, hat Origenes selbst schon intensiv beschäftigt. In der Prinzipienschrift meinte er dazu, dass dies geschehen könne, aber die Möglichkeit zur raschen Umkehr bestehe.70 Im Römerbriefkommentar, einem Al­ terswerk, fand er dazu die Antwort, dass die Liebe zu Gott dann so stark sein werde, dass ein Wesen dadurch dauerhaft im Guten gehalten werde.71 In der Prinzipienschrift wies Origenes zusätzlich auf die lebenspraktische Seite dieser Soteriologie hin, um die es ihm hauptsächlich zu tun war: „Damit dies eintreffe und damit unaufhörlich und untrennbar mit dem, der da ist (is, qui est; vgl. Ex. 3,14), vereinigt seien, die von ihm geschaffen sind, hat die Weisheit zu diesem Zweck die Aufgabe, die Geschöpfe zu lehren und zu erziehen und zur Vollkom­ 70   Origenes, princ. I 3,8 (GCS Orig. 5, 63): „So kann es zuweilen geschehen, dass jemand nach einem geringen Fall bald die Besinnung wiederfindet und zu sich kommt. Ein solcher Mensch stürzt nicht völ­ lig, sondern kann wieder umkehren, seinen alten Stand zurückgewin­ nen und wiederherstellen, was durch Nachlässigkeit verlorengegangen war.“ Übersetzung: Görgemanns/Karpp, Origenes: Prinzipien 185. 71   Vgl. in Rom. comm. V 10,12–15 (SC 539, 518–522); VI 5,9 (SC 543, 124–126). Siehe dazu Roukema, „Die Liebe kommt nie zu Fall“.

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

menheit zu führen mit der Stärkung und unaufhörlichen Heiligung des Heiligen Geistes, durch die allein sie Gott fassen können.“72 Erneut beschrieb Origenes die Spezifika der trinitarischen Wesenheiten im Blick auf ihr Wirken in der Heilsgeschichte, die eine einzige Erziehungsveranstal­ tung ist. Das verknüpft seinen Heilstrinitarismus mit dem Ziel allen Philosophierens in der Antike, nämlich ein „gutes und glückliches Leben zu führen“ (Kap.  V 1). Für Origenes bedeutete das, ständig zu lernen und moralisch an sich zu arbeiten – ein Erziehungs- und Lernprozess, der sogar noch nach diesem Leben weitergehe, wenn er das Paradies als „Hörsaal“ (auditorium) und „Schule für die Seelen“ (schola animarum) bezeichnete.73 Das Telos eines solchen Lebens ist die Schau Gottes, die er ebenso biblisch wie platonisch beschrieb: „Wenn uns so durch alle Stufen der Vervoll­ kommnung hindurch das beständige Wirken des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes immer wieder zuteil geworden ist, können wir endlich mit Mühe – wenn über­ haupt je – ein heiliges und seliges Leben erschauen.“74 Die schöpferische Bewegung von oben nach unten und die soteriologische Bewegung von unten nach oben, die Origenes in seinem Heilstrinitarismus beschreibt, spielen sich nicht einfach zeitlich nacheinander ab, sondern finden gleichzeitig statt. Der Vater ist immer das schöpferische Prinzip des Seins, der Sohn das Prinzip der Vernunft und der ethischen Wertvorstellungen, die durch das Prinzip der Heiligung, den Heiligen Geist, realisiert werden. Die Ver­ 72

  Princ. I 3,8 (GCS Orig. 5, 62).   Ebd. II 11,6 (GCS Orig. 5, 190). 74   Ebd. I 3,8 (GCS Orig. 5, 62). Zu der Angabe, dass die Schau Got­ tes nur mit Mühe erreicht werde, vgl. Platon, Phaidr. 248 a 4; epist. 7, 343 e 2; 344 b 3. Zur Gottesschau als Ziel vgl. Mt. 5,8; Joh. 3,3.36; 11,40; Apg. 7,56. 73

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schränkung von immanenter und ökonomischer Trinität – die nicht nur im Wörtchen „und umgekehrt“ an die Trini­ tätslehre Karl Rahners erinnert – ist die ständig gegebene dynamische Struktur der Welt, in der alle beschriebenen heilstrinitarischen Prozesse unablässig gleichzeitig ablau­ fen. Es gibt ständig Geschöpfe, die ihre Vernunft richtig oder falsch gebrauchen, sich dadurch von dem Sein, das Gott eigentlich für sie vorgesehen hat, entfernen oder sich ihm annähern, die moralischen Tugenden in gelebte Praxis umsetzen oder daran scheitern. Indem das Handeln der Ge­ schöpfe, insbesondere der Vernunftwesen, die Schöpfung in ihrem vollkommenen Sinn mitkonstituiert, sind diese we­ sentlich am heilstrinitarischen Handeln Gottes beteiligt. c) Gott „alles in allem“ Die heilstrinitarische Freiheitsbeziehung, die Origenes zwischen Gott und Welt entwarf, trägt prozesstheologische Züge, insofern zwischen Gott und Welt ein reziprokes Ver­ hältnis besteht. Gott wirkt nicht nur auf die Welt ein, son­ dern lässt sich umgekehrt auch von dieser betreffen. An ei­ ner kühnen Stelle in den Ezechielhomilien, die Henri de Lubac als eine „seiner schönsten Seiten“ und als „erstaunli­ chen, wunderbaren Text“ gepriesen hat,75 ging Origenes so weit, dass er das Leid der Menschheit, das der Sohn in sei­ ner Passion auf sich nahm, nicht gänzlich vom Vater fern hielt. Ausgangspunkt seiner Überlegung waren die Inkar­ nation und die Passion des Erlösers bzw. genauer, was ihnen vorausgehen musste, damit diese sich ereignen konnten: „Er stieg zur Erde hinab aus Erbarmen mit dem Menschen­ geschlecht, er durchlitt unsere Empfindungen (passiones), 75

  De Lubac, Geist aus der Geschichte 284 f.

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

ehe er das Kreuz erlitt und sich herabließ, unser Fleisch an­ zunehmen; wenn er nämlich nichts empfunden hätte, wäre er nicht in die Lebensweise des menschlichen Lebens ge­ kommen.“76 Der Erlöser „litt“ also bereits an „Empfindun­ gen“, aus denen heraus er erst dazu kommen konnte, Mensch zu werden und wie ein Mensch zu empfinden und zu leiden: „Zuerst empfand er etwas, dann stieg er herab und wurde sichtbar.“ Auf die Frage, woher das „Leiden“, das „Empfinden“, komme, das dem Erlöser zum Auslöser wurde, Mensch zu werden, gab er die Antwort, die schon Clemens von Alexandria im selben Zusammenhang gege­ ben hatte, nämlich dass es seiner Liebe zu den Menschen entstamme: „Was ist das für eine Regung (passio), die er für uns empfand? Es ist die Regung der Liebe (caritatis pas­ sio).“77 So wie Gott aus der „Freiheit der Liebe“ (libertas caritatis) heraus die Welt schuf, so wurde der Erlöser aus der „Regung der Liebe“ heraus Mensch. Die Liebe setzt in Freiheit den Prozess der Schöpfung und aus Mitgefühl den Prozess der Erlösung in Gang. Beide Prozesse sind nun aber eng miteinander ver­ schränkt, wie sich am Heilstrinitarismus deutlich zeigt. Diese Verschränkung führte Origenes konsequenterweise zu der Frage, ob man nicht, wenn der Sohn aus Barmher­ zigkeit mit den Menschen empfinde und leide, das auch vom 76   Origenes, in Hiez. hom. 6,6 (GCS Orig. 8, 384). Eigene Überset­ zung. Daraus alle folgenden Zitate. 77   Vgl. Clemens von Alexandria, paid. I 74,4 (SC 70, 242): „Aber auch die Empfindung des Zorns, wenn man seine Zurechtweisung wirklich Zorn nennen soll, geht aus seiner Liebe zu den Menschen her­ vor, indem Gott bis zu den menschlichen Empfindungen um des Men­ schen willen hinabsteigt, um dessentwillen das Wort Gottes auch Mensch geworden ist.“ Übersetzung: Stählin, BKV2 II 7, 270 (modi­ fiziert).

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barmherzigen Vater sagen müsse: „Auch der Vater selbst, der Gott des Alls, langmütig und reich an Erbarmen und ein Erbarmer – empfindet er nicht auch in gewisser Weise etwas?“ Die Antwort fand Origenes in dem Gedanken, dass Gott, wenn er sich um die menschlichen Dinge zu de­ ren Heil kümmert, in das Empfinden und Erleiden der Menschen verwickelt wird: „Oder weißt du nicht, dass er, wenn er sich um die menschlichen Angelegenheiten im Blick auf das Heil kümmert (dispensare, d. h. Origenes denkt an die göttliche Heilsordnung), empfindet, was die Menschen empfinden?“ „Also nimmt Gott“, führte er den Gedanken, Dtn. 1,31 aufgreifend,78 weiter, „unsere Verhal­ tensweisen auf sich, so wie der Sohn Gottes unsere Leiden trägt“, und kommt zu dem Schluss: Ipse pater non est impas­ sibilis – „Der Vater selbst ist nicht empfindungslos“ oder: „bleibt nicht unberührt vom Leid.“ Der transzendente Gott ist der Welt zugleich so immanent, dass ihn auch das Leid, das nicht von ihm stammt, betrifft: „Wenn er gebeten wird, empfindet er Erbarmen und Mitleid, erleidet er eine Re­ gung aus Liebe (patitur aliquid caritatis) und gerät in Ver­ hältnisse, in denen er im Blick auf die Erhabenheit seines Wesens nicht sein kann, und nimmt unseretwegen mensch­ liche Empfindungen auf sich.“79 78   Dtn. 1,31 in der Übersetzung des Origenes (bzw. der lateinischen Fassung des Hieronymus): „Auf sich genommen hat der Herr, dein Gott, deine Verhaltensweisen, wie ein Mensch seinen Sohn auf sich nimmt.“ In Matth. comm. X 14 (GCS Orig. 10, 16); XVII 6 (GCS Orig. 10, 594) und in Cels. IV 71 (GCS Orig. 1, 340 f.) verwendete Origenes diese Bibelstelle im selben Sinn. In Matth. comm. XVII 17 (GCS Orig. 10, 635) verwies er dazu auf Philon, der ihn zu dem Gedanken, dass Gott einerseits wie ein Mensch, andererseits nicht wie ein Mensch ist, angeregt hat: vgl. deus immut. 53 f. (II p.  68 Cohn/Wendland). 79   Auch in Matth. comm. ser. 75 (GCS Orig. 11, 176) ist davon die

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

Nimmt man das lateinische Verbum pati in dem gram­ matikalischen Sinn, dass es nicht ein aktives Tun bezeich­ net, sondern etwas, was man erleidet, was jemandem wider­ fährt, kann man die passiones, die Origenes hier Gott Sohn und Gott Vater zuschreibt, so verstehen, dass Gott sich be­ treffen lässt vom Leid der Menschen. Damit erscheint er nicht nur als aktives Prinzip, das der schöpferische Urgrund von allem ist, sondern auch als Prinzip, das von dem Ande­ ren, das er geschaffen hat, affiziert wird. In einem dazu er­ haltenen griechischen Fragment steht für non impassibilis das griechische Wort οὐκ ἄσπλαγχνος, „nicht empfindungs­ los“ – oder auch: „nicht herzlos“, „nicht erbarmungslos“ –, das die innere Anteilnahme Gottes am Leiden der Men­ schen plastisch zum Ausdruck bringt. 80 Im Rahmen der Handlungstheorie des Origenes ist das konsequent gedacht: Eine Handlung setzt eine innere Regung, einen aus einer entsprechenden Vorstellung stammenden Impuls voraus. In diesem Sinne bedarf es also einer „Regung“, einer „Empfin­ dung“ (passio), die sich aus Gottes Leitprinzip, seiner Güte und Liebe, aufgrund eines äußeren Eindrucks (pati) bildet – eine passio caritatis, eine „Regung der Liebe“ –, aus der heraus er entsprechend handelt. Diese Auffassung wird von den im Jahr 2012 neugefun­ denen Psalmenhomilien bestätigt, in denen Origenes ex­ plizit konstatierte: „Denn wenn der Gott und Vater des Alls nicht mit der geschaffenen Natur mitleiden würde (συμπάθειν), könnte er dem Menschengeschlecht und der Existenz der anderen Vernunftwesen nicht von Nutzen Rede, dass „Gott“ seinen Sohn „aus Erbarmen (misericordia) mit dem Menschengeschlecht“ dem Tode „ausgeliefert hat“. 80   In Hiez. frg. 126 (OO 8, 524): „Gott empfindet Mitleid, so dass er sich erbarmt; denn Gott ist nicht empfindungslos.“ Eigene Überset­ zung.

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sein.“81 Dazu erläuterte Origenes ausführlich, dass es sich nicht um Leidenschaften im Sinne menschlicher Affekte handle, weil man „Gott in jeder Hinsicht affektfrei (ἀπαθής) denken muss“. 82 Vielmehr gehe es darum, dass „Gott ­für jeden so wird, wie ein jeder sich selbst gestaltet (κατασκευάζειν), soweit es an seiner eigenen Entscheidung (προαίρεσις) liegt“. 83 Die „Empathie“ Gottes, wie man wohl am Besten sagt, besteht also darin, dass er auf das Agieren der Menschen, für das diese sich frei entscheiden, aus seiner freien Liebesempfindung heraus angemessen reagiert und in diesem Sinne ,erleidet‘, was die Menschen ihm ,antun‘. Eine solche Vorstellung eines empathiefähigen Gottes korrespondiert sowohl der engen Verschränkung von Gott und Welt im Heilstrinitarismus des Origenes als auch der Ontologie der Welt als der Bewegung Gottes. Aus diesem Grund besteht auch kein Gegensatz zwischen einem lei­ densunfähigen und leidensfähigen oder einem empfin­ dungslosen und nicht empfindungslosen Gott. Schon in der Prinzipienschrift hatte Origenes es für falsch erklärt, „Gott als völlig empfindungslos (inpassibilis) und frei von allen Affekten zu denken“. 84 In den Jeremiahomilien erläuterte er dazu wie an der oben vorgeführten Stelle in den Ezechiel­ homilien, dass es dabei auf die Perspektive ankommt, aus der heraus man von Gott redet: „Wenn die Schriften theolo­ gisch von Gott an sich reden und nicht seinen Heilsplan mit den menschlichen Angelegenheiten verflechten, sagen sie, dass er nicht wie ein Mensch ist (vgl. Num. 23,19), denn ‚sei­ ne Erhabenheit wird keine Grenze haben‘ (Ps. 144[145],3) 81

  In Ps. 77 hom. 9,1 (GCS Orig. 13, 467). Eigene Übersetzung.   Ebd. (GCS Orig. 13, 469). 83   Ebd. (GCS Orig. 13, 467). 84   Princ. II 4,4 (GCS Orig. 5, 131). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 339 (modifiziert). 82

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

[…]. Wenn aber der göttliche Heilsplan mit den menschli­ chen Angelegenheiten verflochten wird, nimmt Gott die menschliche Denkweise, Verhaltensweise und Ausdrucks­ weise an.“85 In diesem Sinn stehen die im Wortlaut konträ­ ren Aussagen im oben zitierten Fragment aus den Ezechiel­ homilien, dass „Gott nicht empfindungslos ist“, 86 und im unmittelbar vorausgehenden Fragment, in dem es heißt, das „Gott empfindungslos ist“, 87 nicht kontradiktorisch in Ge­ gensatz zueinander. Im letzteren Fall gebrauchte Origenes nämlich – entsprechend dem Sprachgebrauch in den Psal­ menhomilien – das Wort ἀπαθής, im ersteren das Wort οὐκ ἄσπλαγχνος. Mit diesen Vokabeln brachte er die komple­ mentären Aspekte eines bipolaren Gottesbildes zum Aus­ druck, in dem es – erneut entsprechend seinem Freiheitsbe­ griff – im Blick auf seine „Erhabenheit“ keine nicht von Vernunft und Weisheit gesteuerten Affekte und Leiden­ schaften gibt (ἀπαθής), wohl aber im Blick auf seine Ver­ flochtenheit mit der Schöpfung und den Geschöpfen aus der Freiheit der Liebe und Güte entspringende Regungen und Empfindungen (οὐκ ἄσπλαγχνος). 88 85  In Hier. hom. 18,6 (GCS Orig. 32, 158). Übersetzung: Fürst/ Lona, OWD 11, 447. 86   In Hiez. frg. 126 (OO 8, 524), zitiert oben S.  276 Anm.  80. 87   Ebd. 125 (OO 8, 523): „Gott ist empfindungslos und desgleichen unveränderlich und ungeschaffen. Vielfältig aber sind die Akte seiner Vorsehung entsprechend der Vielfalt der Dinge, die seiner Heilspla­ nung unterliegen; denn er ist der Schöpfer aller Dinge. Deshalb glei­ chen manche seiner Heilstaten dem Zorn, andere der Eifersucht; eben­ so aber gibt es für die, die ihm auf geistige Weise dienen, auch Heilstaten voller Gnade, voller Herrlichkeit und voller Freude, alle vom einzigen und unveränderlichen, empfindungslosen und allmäch­ tigen Gott.“ Eigene Übersetzung. 88  Weiteres dazu bei Kobusch, Passibilität Gottes bei Origenes, aufgegriffen von Fernández Eyzaguirre, ‚Passio caritatis‘ 147.

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Der Synergismus, das Zusammenwirken von Gott und Mensch zur Erlösung, durchzieht das gesamte Heilswerk. Ohne die aktive Mitwirkung des Menschen kann die Voll­ endung nicht gelingen. In den Levitikushomilien hat Orige­ nes seiner Gemeinde auf vielen Seiten ausgemalt, dass die Erlösung nicht vollendet werden kann, solange auch nur ein Mensch seine Entscheidungsfreiheit nicht voll und ganz für das Gute gebraucht. 89 Das „Bild“ Gottes, das Christus ist, kann nicht voll und rein ausgeprägt sein, solange eines der Vernunftwesen, die „nach dem Bild“ Gottes geschaffen sind, die „Ähnlichkeit“, zu der sie berufen und aufgerufen sind, noch nicht ausgebildet hat. Deshalb, erklärte Orige­ nes, „trauert mein Erlöser auch jetzt noch“, nach seiner Auf­ erstehung und Himmelfahrt, „über meine Sünden. Mein Erlöser kann sich nicht freuen, solange ich in meiner Unge­ rechtigkeit verharre.“ „Sein Werk ist solange noch unvoll­ kommen, solange ich unvollkommen bleibe.“ Es ist immer wieder derselbe Gedanke: Tun und Sein Gottes, hier des Sohnes, und des Menschen hängen wechselseitig voneinan­ der ab. Das Tun der Menschen hat unmittelbaren Einfluss auf das Tun Gottes, und sogar der Zustand des Menschen beeinflusst den Zustand des göttlichen Erlösers, der sich nicht ohne Einschränkung freuen kann, wenn nicht jeder Mensch beim himmlischen Festmahl dabei ist. Aus diesem Grund warten auch die Apostel und die Heiligen, Abraham, Isaak und Jakob und die Propheten, „um zusammen mit uns die vollkommene Glückseligkeit zu erlangen“, und so wird jeder Mensch auf die anderen warten: „Auch du wirst auf andere warten, so wie auch auf dich gewartet wird.“ 89   Vgl. in Lev. hom. 7,2 (GCS Orig. 6, 374–380). Daraus die folgen­ den Zitate (eigene Übersetzung; siehe jetzt auch Siquans, OWD 3, 233–243). Siehe dazu Schockenhoff, Fest der Freiheit 274–276.

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

Erst, wenn das erreicht ist, wenn der Erlöser „sein Werk vollendet und seine gesamte Schöpfung zum Höchstmaß der Vollkommenheit geführt haben wird“, erst dann „hat er das Werk vollendet, das der Vater ihm aufgetragen hat (Joh. 17,4), so dass Gott alles in allem ist (1 Kor. 15,28)“.90 Der Weg zu diesem Ziel, das Origenes wieder und wieder mit dieser Wendung aus dem Ersten Korintherbrief beschrieb,91 führt über die Freiheit. Die Vollkommenheit der Schöp­ fung, wie der Schöpfer sie vorgesehen hat und wie sie nicht ohne aktives Zutun jedes einzelnen Geschöpfs erreicht wird, wird nicht durch Zwang und Gewalt erreicht. Denn die „Herrschaft“, die Christus am Ende über die gesamte Schöpfung ausüben wird, „ist durch die Weisheit, das heißt durch das Wort und die Vernunft“ (verbum ac ratio, λόγος), durch Überzeugung und freie Entscheidung, „nicht durch Gewalt und Zwang“ (vis ac necessitas) zustandegekom­ men.92 „Gott“, erklärte er in den Jeremiahomilien, eine „he­ bräische Überlieferung“ aufgreifend, „ist kein Tyrann, son­ dern ein König, der nicht durch Gewalt, sondern durch Überzeugung als König herrscht. Er will, dass sich seine Untertanen freiwillig seinem Heilsplan zur Verfügung stel­ len, damit das Gute, das jemand tut, nicht aus Zwang ge­ schieht, sondern aus Freiwilligkeit (τὸ ἑκούσιον αὐτοῦ).“93 90

  Origenes, ebd. (GCS Orig. 6, 377).   Vgl. z. B. princ. I 7,5 (GCS Orig. 5, 94); II 3,5 (GCS Orig. 5, 120); II 3,7 (GCS Orig. 5, 125); III 5,6 f. (GCS Orig. 5, 277 f.); III 6,1 (GCS Orig. 5, 281); III 6,5 f. (GCS Orig. 5, 286–288); III 6,8 (GCS Orig. 5, 289); in Ioh. comm. I 32,234 f. (GCS Orig. 4, 42); I 35,253 (GCS Orig. 4, 45); XX 7,48 (GCS Orig. 4, 334). 92  Princ. I 2,10 (GCS Orig. 5, 44). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 151 (modifiziert). 93   In Hier. hom. 20(19),2 (GCS Orig. 32, 178). Übersetzung: Fürst/ Lona, OWD 11, 493. Vgl. orat. 29,15 (GCS Orig. 2, 390): „Schließlich will Gott nicht, dass jemandem das Gute aus Zwang zuteil wird, son­ 91

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Auf dieser Linie hat Origenes am Ende der Apologie ge­ gen Kelsos – und damit gegen Ende seiner aktiven Tätigkeit als Schriftsteller, denn nach der schweren Folterung in der Christenverfolgung unter Decius im Jahre 250 war er ein gebrochener Mann, der zu wissenschaftlicher Tätigkeit nicht mehr in der Lage war – noch einmal ein nachdrückli­ ches Statement für den Libertarismus gegen den Determi­ nismus abgegeben. Zur Frage nach einer möglichen Einheit des Menschengeschlechts im Blick auf universal gültige ethische Normen wandte er sich gegen die Theorie der Stoi­ ker vom Weltenbrand, in dem sich alles in Feuer verwan­ deln werde.94 „Wenn diese Ansicht stimmt“, stellte er ent­ schieden fest, „dann ist das, was an uns liegt (τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν), beseitigt.“95 Demgegenüber plädierte er dafür, dass eine solche Einheit nicht durch einen deterministischen physi­ kalischen Naturprozess zustandekomme, sondern durch einen entsprechenden Freiheitsgebrauch: „Wir aber sagen, dass irgendwann einmal Christus (bzw. die Vernunft: λόγος) die gesamte vernünftige Natur beherrschen und jede Seele zu der ihm eigenen Vollkommenheit umgestalten wird, wenn jeder Einzelne durch den Gebrauch einfach sei­ ner Freiheit (ἐξουσία) das wählt, was er will, und in den Zu­ stand kommt, den er gewählt hat.“96 Die ἐξουσία, von der hier die Rede ist, ist der Begriff, den Clemens von Alexan­ dria in einer im Deutschen nicht nachahmbaren Weise der dern freiwillig (ἑκουσίως).“ Übersetzung: von Stritzky, OWD 21, 261 (modifiziert). 94   Vgl. princ. II 3,4 (GCS Orig. 5, 119); Cels. IV 67 f. (GCS Orig. 1, 337 f.). 95   Cels. IV 67 (GCS Orig. 1, 337). Übersetzung: Barthold, FC 50/3, 801 (leicht modifiziert). 96   Ebd. VIII 72 (GCS Orig. 2, 288 f.). Übersetzung: ebd. 50/5, 1465– 1467 (leicht modifiziert).

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

οὐσία, dem festgelegten „Wesen“ der Gnostiker, entgegen­ gestellt hatte (Kap.  I V 5). Dieses „über das (physiologische) Wesen Hinausgehende“ meint den Bereich, in dem die Ent­ scheidungsfreiheit des Menschen wirksam ist, weshalb die Übersetzung mit „Freiheit“ am besten passt. Es liegt an der freien Entscheidung des Menschen, wann die Vollkommen­ heit erreicht wird, denn anders wäre es keine Vollkommen­ heit.97 Nur ein Gut, für das sich der Mensch in Freiheit ent­ schieden hat, ist ein Gut, denn ohne solche Freiheit würde – wie die ganze Tradition dieser Freiheitsdebatte unermüd­ lich betonte – ein ethischer Begriff überhaupt keinen Sinn ergeben.98 Origenes dachte einen Gott, der sich so weitgehend auf die Freiheit, deren Ursprung er selbst in seinem Wesen ist und die er seinen Geschöpfen schenkt, verpflichtet, dass die Vollkommenheit seiner Schöpfung erst dann in all ihrer Herrlichkeit erstrahlt, wenn sich alle Geschöpfe aus freier Entscheidung beständig an das Gute halten. Alle Gedan­ kengänge, die Origenes hierzu entfaltete, waren in einem Ausmaß von einem libertarischen Freiheitsbegriff gesteu­ ert, wie das bis dahin nicht der Fall gewesen war.

4. Kompatibilistischer Libertarismus99 Mit der Telosformel, dass Gott „alles in allem“ ist und im Zustand der Vollendung die Freiheit von den Vernunftwe­ 97   Ebd. VIII 15 (GCS Orig. 2, 233) erklärt Origenes, dass Christus (der λόγος) erst dann über die Vernunftwesen herrschen wird, wenn diese sich ihm freiwillig von sich aus (ἑκόντες) fügen. 98   Vgl. ebd. IV 3 (GCS Orig. 1, 276); princ. II 9,2 (GCS Orig. 5, 165). 99   Ich möchte darauf hinweisen, dass ich diese Junktur schon ver­ wendet habe, ehe ich bei Christian List gelesen habe, dass er diese Be­

4. Kompatibilistischer Libertarismus

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sen so wie von Gott nur zum Guten gebraucht wird, taucht das Problem auf, ob nicht auch dieses durch und durch li­ bertarische Konzept am Ende in einen Determinismus mündet.100 Dieser Verdacht wird noch dadurch verstärkt, dass der ganze dynamische Prozess von Welt und Ge­ schichte, der ein sich beständig fortentwickelndes Netz­ werk aus untereinander frei agierenden und sich ständig verändernden Größen bildet, von Gott vorhergewusst und aus diesem Vorherwissen heraus präarrangiert wurde. Das hat Origenes auch genau so gesagt: Die Vorsehung Gottes wusste um alle freien Entscheidungen der Menschen und hat die Ordnung der Welt auf diese abgestimmt: „In allen seinen vorher getroffenen Anordnungen hat Gott ent­ sprechend seiner Vorsehung einer jeden Tat unter den Dingen, die an uns liegen (ἐφ᾽ ἡμῖν), für jede Bewegung der Dinge, die an uns liegen (ἐφ᾽ ἡμῖν), das Verdienst festgesetzt, das er ihr durch seine Vorsehung zuteil werden lässt, aber auch, was ihr durch die Ver­ knüpfung (εἱρμός) der Ereignisse, die in der Zukunft liegen, begeg­ nen wird.“101

Dieser Prozess ist teleologisch auf ein Ziel gerichtet. Erst wenn dieses erreicht ist, ist er nicht einfach nur an sein Ende gekommen, sondern vollendet im Sinne einer von Anfang an intendierten Vollkommenheit. griffsbildung für sich reklamiert: List, Der freie Wille 17. Schallen­ berg, Freiheit und Determinismus 302, sprach im Blick auf Karneades und Cicero mit spiegelbildlicher Begriffsbildung von „libertarischem Kompatibilismus“. 100   Diese Problematik, auf die Geyer, Geschichtsphilosophie bei Origenes 18, hinweist, ist das Thema der Studie von Benjamins, Ein­ geordnete Freiheit, bes. 71–121. Siehe dazu Fürst, Origenes als Theo­ loge der Geschichte 147–149; Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 321–351. 101  Origenes, orat. 6,3 (GCS Orig. 2, 313). Übersetzung: von Stritzky, OWD 21, 123 (modifiziert).

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

Angesichts dieses Problems, über das Origenes ausführ­ lich nachgedacht hat,102 insistierte er darauf, dass Gottes Vorherwissen keine Determinierung der menschlichen Entscheidungen bedeute. Hier taucht der alte Einwand ge­ gen den stoischen Determinismus auf, dass aus wahren Aussagen über die Zukunft – und Gottes Vorherwissen ist als wahr anzunehmen – die Notwendigkeit des als wahr Gewussten folge. Diesem Problem hatte schon Chrysipp durch hohen logischen Aufwand zu entgehen versucht (Kap.  II 4). Origenes argumentierte ebenso, dass nämlich das Vorherwissen Gottes keine Determination des Han­ delns der Menschen impliziere: „Das Vorherwissen Gottes ist nicht die Ursache für alle künftigen und durch das, was an uns liegt (ἐφ᾽ ἡμῖν), gemäß unserem Impuls (ὁρμή) bewirkten Dinge. Denn selbst wenn, hypothetisch ange­ nommen, Gott das Zukünftige nicht kennen würde, würden wir dadurch doch nicht die Fähigkeit zu zukünftigem Tun und Wollen verlieren.“103

Die menschliche Entscheidungsfreiheit ist nicht davon ab­ hängig, ob ein Dritter, und sei es ein allwissender Gott, die aus mehreren Möglichkeiten tatsächlich getroffenen Ent­ scheidungen im Voraus kennt oder nicht. Selbst wenn Gott im Voraus weiß, wie ein Mensch sich in einer bestimmten Situation entscheiden wird, hebt dies für den Menschen nicht die Möglichkeit auf, sich so oder anders entscheiden zu können: „Das, was Gegenstand seines Wissens ist, schließt die Möglichkeit ein, anders zu geschehen, und Gottes Wis­ sen könnte sagen: Es ist ihm möglich, dies zu tun, aber das 102  Vgl. in Gen. frg. D 7,7–11 (OWD 1/1, 82–90); in Rom. frg. 1 Ramsbotham (FC 2/6, 30–42); Cels. II 13–27 (GCS Orig. 1, 141–156); orat. 6,3–5 (GCS Orig. 2, 313–315). 103   Orat. 6,3 (GCS Orig. 2, 313).

4. Kompatibilistischer Libertarismus

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Gegenteil ist gleichfalls möglich. Wenngleich aber beides möglich ist, weiß ich, dass er dies tun wird.“104 Um ein Beispiel aus der Welt der Menschen zu nehmen: Ein Vater, der seinen Sohn sehr gut kennt, kann wissen, was dieser in einer bestimmten Situation tun wird – es liegt aber dennoch am Sohn, die Entscheidung zu treffen, und er hat dabei Entscheidungsfreiheit und Entscheidungsmöglich­ keiten. Nun können sich menschliche Eltern bezüglich der Entscheidungen ihrer Kinder irren, aber deren reale Ent­ scheidungsfreiheit bleibt auch dann gewahrt, wenn der Va­ ter der allwissende Gott ist, der sich nicht irrt. Auch das hebt nicht die Möglichkeit auf, dass die Menschen sich so oder anders entscheiden können. Gott weiß es ,nur‘ schon voraus und stellt die Folgen der freien menschlichen Ent­ scheidungen auf die gewählte Option ein. Aus diesem Grund drehte Origenes die logische Folge um: „Die Tatsa­ che, dass Gott etwas Zukünftiges kennt, ist nicht die Ursa­ che dafür, dass es geschieht, sondern weil etwas in Zukunft geschehen wird, weiß Gott es, bevor es geschieht.“105 Auch hier richtet sich das Tun Gottes, in diesem Fall sein Wissen, nach dem Tun des Menschen, womit Origenes einmal mehr dem grundlegenden Denkmuster seiner Freiheitsmetaphy­ sik folgte. Allerdings handelte er sich in diesem Fall die logische Pa­ radoxie ein, dass dann, wenn sein Argument stimmt, das 104  In Gen. frg. D 7,9 (OWD 1/1, 86). Übersetzung: Hengster­ mann, Freiheitsmetaphysik 329. 105   In Rom. comm. VII 6,5 (SC 543, 318). Übersetzung: Heither, FC 2/4, 99. Dasselbe in einem griechischen Fragment in philoc. 25,2 (SC 226, 218–220) = in Rom. frg. 1 Ramsbotham (FC 2/6, 34), und prägnant in philoc. 23,8 (SC 226, 156) = in Gen. frg. D 7,8 (OWD 1/1, 84): „Denn nicht weil es erkannt ist, geschieht es, sondern weil es ge­ schehen wird, ist es erkannt.“ Übersetzung: Metzler, OWD 1/1, 85.

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

vorausgehende Wissen Gottes von einer erst später eintre­ tenden Handlung des Menschen abhängen würde. Dieser Schwierigkeit suchte Origenes dadurch beizukommen, dass er dieses Wissen Gottes nicht vom Objekt, dem Ge­ wussten, abhängig machte, sondern in das Subjekt, den Wissenden, verlegte. Für den der Zeit enthobenen Schöpfer spiele ein zeitliches Vorher und Nachher keine Rolle, weil ihm in ewiger Gegenwart alles immer zugleich präsent sei. Wenn Gott um die menschlichen Handlungen in diesem Ewigkeitsmodus reiner Gegenwart wisse, dann würden sie nicht von seinem Wissen determiniert, sondern als freie Entscheidungen vorausgewusst.106 Aus einem solchen Wis­ sen heraus ordne er sie in den von ihm zum Wohle des Gan­ zen wie der einzelnen Teile arrangierten Ablauf der Welt ein: „Vielmehr wird durch das Vorherwissen bewirkt, dass das, was an jedem Einzelnen liegt, seinen Platz in der An­ ordnung des Ganzen erhält, die für den Bestand der Welt notwendig ist.“107 Diese Einordnung der auf freier Entscheidung beruhen­ den Handlungen der Menschen in einen übergeordneten Zusammenhang erinnert durch den Begriff εἱρμός, den Origenes dafür gebrauchte, an die stoische „Verknüpfung 106   Damit nahm Origenes die bis in die Neuzeit hinein verbreitete ,Lösung‘ des spätantiken Neuplatonismus und besonders des Boethi­ us vorweg, der zu Beginn des 6. Jahrhunderts das Vorherwissen Got­ tes und die menschliche Entscheidungsfreiheit ebenfalls mittels der Überlegung zu vereinbaren suchte, dass Gott aufgrund der Einheit und Ewigkeit seines Wesens auch kontingente, frei Akte in ewiger, zeitloser Gegenwart als bestimmt und notwendig erfasse, ohne dass diese deswegen notwendig einträten, weil auch deren Gegenteil mög­ lich sei: vgl. cons. philos. V 3,1–6,48 (CCSL 94, 91–105). Siehe dazu Benjamins, Eingeordnete Freiheit 92 f. 94. 107  Origenes, orat. 6,3 (GCS Orig. 2, 313). Übersetzung: von Stritzky, OWD 21, 123 (modifiziert).

4. Kompatibilistischer Libertarismus

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der Ursachen“ in der „Schicksalsfügung“ (εἱμαρμένη). Al­ lerdings verwendete Origenes zwar diesen stoischen Be­ griff, füllte ihn aber mit einer anderen Bedeutung. In sei­ nem Konzept bestehen die „Ereignisse“, die hier „verknüpft“ werden,108 nicht aus physikalischen Vorgängen, die in ei­ nem von Ursache und Wirkung determinierten Zusam­ menhang stehen, sondern aus den freien Entscheidungen und Handlungen der Menschen, die vom darauf abge­ stimmten Heilswirken Gottes in einen größeren Zusam­ menhang eingeordnet werden. Wie beim Freiheitsbegriff, bei dem die christlichen Philosophen mit der stoischen Ter­ minologie operierten, deren Bedeutung aber grundlegend veränderten,109 gaben sie auch der für den Schicksalsbegriff charakteristischen Terminologie einen neuen, freiheitsme­ taphysischen Sinn:110 „Nun gestaltet und lenkt Gott durch die unaussprechliche Kunst seiner Weisheit alles, was wie auch immer entsteht, zu irgendei­ nem Nutzen und zum gemeinsamen Fortschritt des Gesamten, und so bringt er auch die Geschöpfe, die von sich aus durch ihre geistige Verschiedenheit so weit voneinander entfernt waren, zu einer gewissen Einheit des Wirkens und Strebens. Zwar bleiben die geistigen Bewegungen verschieden, aber sie machen zusam­ men die Fülle und Vollkommenheit der einen Welt aus, und gerade die geistige Verschiedenheit führt zu dem einen Ziel der Vollkom­ menheit. Denn eine einzige Kraft ist es, die die ganze Mannigfal­ tigkeit der Welt umfasst und zusammenhält und die verschiedenen Bewegungen auf ein Werk hinlenkt.“111

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  Ebd. Siehe das Zitat oben S.  283.   Siehe oben S.  177 mit Anm.  126. 110  Siehe Hengstermann, Freiheitsmetaphysik 327 f. 111   Princ. II 1,2 (GCS Orig. 5, 107 f.). Übersetzung: Görgemanns/ Karpp, Origenes: Prinzipien 287 (modifiziert). 109

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

Diesen kosmischen Prozess, in dem die einzelnen Bestand­ teile der Welt nach einem göttlichen Plan harmonisch zu einer vollkommenen Einheit werden, gründete Origenes explizit auf die freien Entscheidungen der Vernunftwesen und lehnte es mit Nachdruck ab, die menschliche Freiheit durch göttliches Eingreifen aufzuheben, weil dies nachge­ rade die spezifische Eigenart ihres Wesens, nämlich Wesen freier Selbstbestimmung zu sein, zerstören würde: „Und deshalb meinen wir, dass Gott, der Vater des Alls, zum Heil aller seiner Geschöpfe nach dem unaussprechlichen Plan seines Wortes und seiner Weisheit das Einzelne so angeordnet hat, dass einerseits all die einzelnen Vernunftwesen […] nicht gegen die Freiheit ihrer Entscheidung (arbitrii libertas) mit Gewalt zu etwas anderem gezwungen werden, als wozu ihre geistige Bewegung hindrängt – sonst könnte es scheinen, als würde ihnen dadurch die Fähigkeit der freien Entscheidung (liberi facultas arbitrii) genom­ men, was geradezu ein Eingriff in die Eigenart ihres Wesens (qua­ litas naturae) wäre –, und dass sich andererseits die verschiedenen Bewegungen ihres Strebens (propositum) zur Harmonie einer ein­ zigen Welt in angemessener und nutzbringender Weise zusam­ menfügen.“112

Origenes konzipierte keinen Kausaldeterminismus, in den Handlungen, für die Menschen die Ursache sind, eingereiht werden – das wäre das stoische Modell. Er dachte vielmehr an ein Gewebe von miteinander zusammenhängenden Ent­ scheidungen und Handlungen freier Wesen, die von Gott, einem seinerseits freien Wesen, das die freien Entscheidun­ gen seiner Geschöpfe ermöglicht und achtet, in einen sinn­ vollen Zusammenhang gebracht werden bzw. in seiner zeit­ losen Erfassung des Ganzen von Welt und Geschichte immer schon gebracht worden sind. 112

  Ebd. Übersetzung: ebd. 287–289 (modifiziert).

4. Kompatibilistischer Libertarismus

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Insofern Origenes damit ein Freiheitsdenken im teleolo­ gischen Rahmen einer göttlichen Vorsehung entwarf, sich also auf dem Boden des biblischen Kompatibilismus be­ wegte, ist sein Freiheitskonzept ein Kompatibilismus. Al­ lerdings propagierte er zugleich einen Libertarismus, wie man ihn sich stärker kaum vorstellen kann. Er ging so weit, sogar die Natur der Freiheit unterzuordnen und radikal al­ les vom Prinzip der Freiheit her zu denken. Gott, Mensch und Welt sind in seiner Metaphysik das, wozu sie sich in Freiheit durch sich selbst machen. In dieser Hinsicht war Origenes ein Libertarist, doch ein Libertarist mit kompati­ bilistischen Neigungen. Wofür auch immer man eher votiert, mehr für Liberta­ rismus, mehr für Kompatibilismus, aber sicher nicht für Determinismus, denn ein Determinist – wie seine gnosti­ schen Kontrahenten – wollte Origenes auf gar keinen Fall sein und war er auch nicht: Mit seinem Freiheitsdenken hat Origenes die Debatte über Determinismus und Freiheit in neue Kontexte gestellt, in deren Rahmen sie seitdem ge­ führt wird. Die großen Leitplanken des Libertarismus und des Kompatibilismus sind darin ebenso klar markiert, wie ein Determinismus abgewiesen wird. Vielleicht zeigen sei­ ne Denkanstrengungen, dass man auch bei stärkster Beto­ nung des Libertarismus nicht umhin kommt, determinierte Aspekte der Wirklichkeit anzuerkennen. Das muss ja auch kein Gegensatz sein, im Gegenteil: Vielleicht ist es ja so, dass man Freiheit überhaupt nur denken und leben kann, wenn die freien Entscheidungen im bewussten oder unbe­ wussten Rekurs auf feste Gegebenheiten getroffen werden, deren Verlässlichkeit es erst ermöglicht, eine Entscheidung zu treffen. Weil sich der Mensch auf bestimmte Zusammen­ hänge verlassen kann – er wird sich die Finger verbrennen, wenn er die Hand ins Feuer streckt; er wird krank, wenn er

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VI. Die Freiheitsmetaphysik des Origenes

sich schlecht ernährt; er wird sich, jedenfalls laut der christ­ lichen Überzeugung, für jede seiner Taten verantworten müssen –, ist er überhaupt in der Lage, sich für oder gegen ein bestimmtes Tun zu entscheiden, jedenfalls sofern diese Entscheidung nicht einfach Willkür ist, sondern sich an vernünftig nachvollziehbaren Kriterien orientiert. Das würde bedeuten, dass der Kompatibilismus das trag­ fähigste Konzept ist und es eigentlich nur um die Frage geht, ob Freiheit und Determinismus einander ausschlie­ ßen oder nicht und inwiefern sie vereinbar sind, d. h. wel­ ches Konzept von Kompatibilismus man vertritt. Im stoi­ schen Kompatibilismus ging es lediglich darum, Deter­minismus mit Verantwortung zu vereinbaren, was um den Preis erreicht wurde, Freiheit nicht wirklich denken zu können, sondern im Rahmen des Determinismus zu ver­ bleiben. Origenes hat den Akzent dagegen auf die freie Selbstbestimmung des Menschen gelegt und gefragt, inwie­ fern diese mit dem Vorsehungs- und Heilshandeln eines seinerseits freien Gottes vereinbar ist. Im Blick auf die Ent­ wicklung des antiken Freiheitsdenkens bis Origenes wird man sagen können, dass der christliche Philosoph aus Ale­ xandria die Akzente klar weg vom Determinismus hin zum Libertarismus verschoben und dabei der Freiheit einen on­ tologischen Stellenwert zugesprochen hat, der davor nicht gegeben war, dass aber dieser Libertarismus mit determi­ nierten Aspekten der Wirklichkeit kompatibel blieb.

Zum Ausklang Seit Origenes bewegt sich die Debatte über Determinismus und Freiheit auf einer neuen Ebene. Der lange Weg zur Freiheit ist in dem Sinn zurückgelegt, dass Freiheit als Prin­ zip nicht nur des Handelns, sondern auch des Seins etab­ liert wurde. Vom 3. Jahrhundert n.Chr. an geht die Debatte, die im 3. Jahrhundert v.Chr. mit Macht eingesetzt hatte, auf neuen Wegen weiter. Von jetzt an geht es den Metaphysi­ kern der Freiheit um den Gegensatz zu einer fertigen, fest­ gefügten, nicht veränderbaren Ordnung, in deren Rahmen sich alles abspielt. Letzteres haben die Gnostiker ganz pro­ nonciert so gesehen, aber es galt auch für die Stoiker: Sie fragten nach der Möglichkeit von Verantwortung im Rah­ men einer determinierten und alles determinierenden Ord­ nung und fanden diese in der Zustimmung, die der Mensch kraft seiner Vernunft den Erscheinungen innerhalb dieser Ordnung und seinem eigenen Geschick darin geben oder verweigern kann. Dieses Handlungsmodell übernahmen die christlichen und paganen Platoniker wie Clemens und Origenes (und später Gregor von Nyssa) bzw. Plotin und seine Nachfolger (vor allem Porphyrios und Proklos). Sie gingen aber einen entscheidenden Schritt weiter, den als erste die Christen taten: Sie veränderten das Ordnungsge­ füge, indem sie die Freiheit als Prinzip auffassten und alles Seiende von diesem Prinzip der Freiheit aus betrachteten. Auch den metaphysischen Spitzenbegriff des Seins, Gott, bestimmten sie als Freiheit (so schon ansatzweise Irenäus und Tertullian).

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Zum Ausklang

Damit aber veränderte sich die gesamte Metaphysik. Aus einer statischen Seinslehre wurde eine dynamische Frei­ heitslehre. Es kommt buchstäblich alles in Bewegung. Die natürliche Ordnung wird als gigantisches Netzwerk sich ständig bewegender und interagierender Freiheiten aufge­ fasst – recht nah an Vorstellungen der modernen Prozess­ philosophie und -theologie. Diese Neukonzeptualisierung betrifft auch Gott: Er wird nicht mehr als statisches Wesen angesehen, in seiner Vollkommenheit der Welt ewig ent­ rückt (wenn auch mit ihr kommunizierend), sondern als bewegtes Wesen, das einerseits die Welt transzendiert, sich andererseits aber zugleich so sehr in die Welt verwickelt, dass diese auf ihn zurückwirkt und erst dieses Miteinander die Vollkommenheit seines Wirkens in Schöpfung und Er­ lösung ganz zum Vorschein bringt. Dieses neue, von Orige­ nes inaugurierte Denken stellt alles Nachdenken über Gott, Mensch und Welt, über materielle und geistige Dinge in ei­ nen neuen Rahmen. Es ist der große Einschnitt in der Ge­ schichte des Freiheitsdenkens.

Bibliographie In der Bibliographie sind nicht alle Texte vermerkt, die in den Fuß­ noten erwähnt werden, sondern nur diejenigen, die eingehender untersucht und ausgewertet worden sind. Die Abkürzungen von Zeitschriften, Reihen und Textausgaben folgen dem Verzeichnis bei Siegfried M. Schwertner, Internationales Abkürzungsver­ zeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin 32017.

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300

Bibliographie

Über die Prinzipien (princ.) Origenes Werke 5: De principiis [ΠΕΡΙ ΑΡΧΩΝ], hg. von Paul Koetschau (GCS 22 = Orig. 5), Leipzig 1913. Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien, hg., übersetzt, mit kri­ tischen und erläuternden Anmerkungen versehen von Herwig Görgemanns/Heinrich Karpp (TzF 24), Darmstadt 31992. Philon Quod deus sit immutabilis (deus immut.) Philonis Alexandrini Opera quae supersunt, Vol. II, ed. Leopold Cohn/Paul Wendland, Berlin 1897, 56–94. Philo von Alexandria, Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd.   IV: Über die Unveränderlichkeit Gottes, übersetzt von Hans Leisegang, Berlin 21962, 72–110. Quod omnis probus liber sit (omn. prob. lib.) Philonis Alexandrini Opera quae supersunt, Vol. VI, ed. Leopold Cohn/Siegfried Reiter, Berlin 1915, 1–45. Philo von Alexandria, Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd.  V II: Über die Freiheit des Tüchtigen, übersetzt von Karl Bormann, Berlin 1964, 1–43. Platon Platonis Opera I–V, recognovit brevique adnotatione critica in­ struxit Johannes Burnet, 5 Bde., Oxford 1900–1907 (zahlrei­ che Nachdrucke). Platon, Phaidros, Übersetzung und Kommentar von Ernst Heitsch (Platon Werke III 4), Göttingen 1993. Platon, Der Staat – Politeia, übersetzt von Rüdiger Rufener, Ein­ führung, Erläuterungen, Inhaltsübersicht und Literaturhin­ weise von Thomas A. Szlezák, Düsseldorf/Zürich 2000. Plutarch De Stoicorum repugnantiis (Stoic. repugn.) Plutarch, Moralia, Vol. XIII/2, with an English translation by Ha­ rold Cherniss, Cambridge MA/London 1976, 367–603. Pseudo-Plutarch De fato (fat.)

1. Texte und Übersetzungen

301

Plutarch, Moralia, Vol. VII, with an English translation by Phillip H. de Lacy/Benedict Einarson, Cambridge MA/London 1959, 301–359. Stoiker Stoicorum Veterum Fragmenta, collegit Hans von Arnim, 4 Bde., Leipzig 1903 (Nachdruck München/Leipzig 2004) (SVF). Stoa und Stoiker, 2 Bde., Auswahl der Fragmente und Zeugnisse, Übersetzung und Erläuterungen von Rainer Nickel, Düssel­ dorf 2008. Tacitus Annales (ann.) P. Cornelius Tacitus, Annalen, hg. von Erich Heller, München/ Zürich 1982. Tatian Ad Graecos (Graec.) Gegen falsche Götter und falsche Bildung. Tatian, Rede an die Griechen, hg. von Heinz-Günther Nesselrath (SAPERE 28), Tübingen 2016. Tertullian Adversus Marcionem (adv. Marc.) Tertullian, Adversus Marcionem – Gegen Markion, 4 Bde., einge­ leitet und übersetzt von Volker Lukas (FC 63/1–4), Freiburg/ Basel/Wien 2015–2017. Theophilus von Antiochia Ad Autolycum (Autol.) Theophili Antiocheni ad Autolycum, hg. von Miroslav Marco­ vich (PTS 44), Berlin/New York 1995. Des Theophilus von Antiochien drei Bücher an Autolykus, über­ setzt von Jakob Leitl/Andreas di Pauli (BKV2 I 14), Kemp­ ten/München 1913, 9–106. Xenophon Memorabilia (mem.) Xenophon, Erinnerungen an Sokrates, hg. von Peter Jaerisch, München 31980.

302

Bibliographie

2. Literatur Amand, David, Fatalisme et liberté dans l’antiquité grecque (RThPh 3. Reihe 19), Leuven 1945. Andresen, Carl, Justin und der mittlere Platonismus, in: ZNW 44 (1952/53) 157–195, erneut in: Clemens Zintzen (Hg.), Der Mittelplatonismus (WdF 70), Darmstadt 1981, 319–368. von Balthasar, Hans U., Origenes: Geist und Feuer. Ein Auf­ bau aus seinen Schriften, Salzburg/Leipzig 1938. Benjamins, Hendrik S., Eingeordnete Freiheit. Freiheit und Vor­ sehung bei Origenes (SVigChr 28), Leiden 1994. Bobzien, Susanne, Determinism and Freedom in Stoic Philoso­ phy, Oxford 1998 (22005). Bordt, Michael, Platons Theologie (Symposion 126), Freiburg/ München 2006. Boyd, W. J. P., Origen on Pharaoh’s Hardened Heart. A Study of Justification and Election in St. Paul and Origen, in: Frank L. Cross (Hg.), Studia Patristica VII/1 (TU 92), Berlin 1966, 434– 442. Calonne, Raymonde, Le libre arbitre selon le Traité des principes d’Origène, in: BLE 89 (1988) 243–262. Dihle, Albrecht, Das Problem der Entscheidungsfreiheit in früh­ christlicher Zeit. Die Überwindung des gnostischen Heilsde­ terminismus mit den Mitteln der griechischen Philosophie, in: Fairy von Lilienfeld/Ekkehard Mühlenberg (Hg.), Gna­ denwahl und Entscheidungsfreiheit in der Theologie der Alten Kirche (Oik. 9), Erlangen 1980, 9–31. 90–94. –, Die Vorstellung vom Willen in der Antike, Göttingen 1985. Dünzl, Franz, Pneuma. Funktionen des Begriffs in frühchristli­ cher Literatur (JAC.E 30), Münster 2000. van der Eijk, Philip J., Origenes’ Verteidigung des freien Willens in De oratione 6,1–2, in: VigChr 42 (1988) 339–351. Fernández Eyzaguirre, Samuel, ‚Passio caritatis‘ according to Origen In Ezechielem Homiliae VI in the Light of Dt 1,31, in: VigChr 60 (2006) 135–147. Fischer, Georg, Jeremia 1–25 (I). 26–52 (II) (HThK), Freiburg u. a. 2005.

2. Literatur

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Forschner, Maximilian, Epiktets Theorie der Freiheit im Ver­ hältnis zur klassischen stoischen Lehre (Diss. IV 1), in: Epiktet, Was ist wahre Freiheit? Diatribe IV 1, eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Samuel Vollen­ weider u. a. (SAPERE 22), Tübingen 2013, 97–118. –, Die Philosophie der Stoa. Logik, Physik und Ethik, Darmstadt 2018. Foucault, Michel, Sexualität und Wahrheit. Bd.  2: Der Gebrauch der Lüste, Frankfurt a. M. 1989 (142020). –, Sexualität und Wahrheit. Bd.  3: Die Sorge um sich, Frankfurt a. M. 1986 (142019). Frede, Michael, A Free Will. Origins of the Notion in Ancient Thought, ed. by Anthony A. Long with a Foreword by David Sedley, Berkeley/Los Angeles/London 2011. Fuhrer, Therese, Wollen oder Nicht(-)Wollen. Zum Willenskon­ zept bei Seneca, in: Jörn Müller/Roberto H. Pich (Hg.), Wil­ le und Handlung in der Philosophie der Kaiserzeit und Spätan­ tike (BzA 287), Berlin/New York 2010, 69–94. Fürst, Alfons, Einleitung, in: Origenes, Die Homilien zum Buch Jesaja, eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst/Christian Hengstermann (OWD 10), Berlin u. a. 2009, 1–97. 162–191. –, Origenes – der Schöpfer christlicher Wissenschaft und Kultur. Exegese und Philosophie im frühen Alexandria, in: ders., Von Origenes und Hieronymus zu Augustinus. Studien zur antiken Theologiegeschichte (AKG 115), Berlin/Boston 2011, 81–114. –, Origenes als Theologe der Geschichte. Exegese und Philoso­ phie in der Geschichtstheologie des Origenes, in: ebd. 125–162. –, Origenes. Grieche und Christ in römischer Zeit (Standorte in Antike und Christentum 9), Stuttgart 2017. –, Einleitung, in: Origenes, Die Homilien zum Buch Jeremia, ein­ geleitet und übersetzt von Alfons Fürst/Horacio E. Lona (OWD 11), Berlin/Boston 2018, 1–105. –, Individuality and Self-Agency. The Self in Origen’s Metaphy­ sics of Freedom, in: Maren R. Niehoff/Joshua Levinson (Hg.), Self, Self-Fashioning and Individuality in Late Antiqui­ ty. New Perspectives (Culture, Religion, and Politics in the Greco-Roman World 4), Tübingen 2019, 505–522.

304

Bibliographie

–, Origenes über Individualität, Selbstbestimmung und Selbst­ sorge, in: ders. (Hg.), Freedom as a Key Category in Origen and in Modern Philosophy and Theology (Adamantiana 14), Müns­ ter 2019, 33–47. –, Einleitung, in: Origenes, Die Homilien zum Buch Josua, einge­ leitet und übersetzt von Marietheres Döhler/Alfons Fürst (OWD 5), Berlin/Boston 2020, 1–83. –, Origenes und der Ursprung der philosophischen Bibelausle­ gung, in: Martina Roesner (Hg.), Philosophische Schriftausle­ gung. Geschichte eines ungewöhnlichen Programms (Adaman­ tiana 25), Münster 2022, 15–35. Gaïth, Jérôme, La conception de la liberté chez Grégoire de Nys­ se, Paris 1953. Geyer, Carl-Friedrich, Zu einigen theologischen Voraussetzun­ gen der Geschichtsphilosophie bei Origenes, in: FS 64 (1982) 1–18. Gomperz, Theodor, Die Ueberreste eines Buches von Epikur Περὶ φύσεως, in: WSt 1 (1879) 27–31. Greenberg, Moshe, Ezechiel 1–20 (I). 21–37 (II) (HThK), Frei­ burg u. a. 2001. 2005. Hadot, Pierre, Exercices spirituels et philosophie antique, Paris 1981 (31993). –, Philosophie als Lebensform. Antike und moderne Exerzitien der Weisheit, Berlin 1991 (Frankfurt a. M. 22005). –, Die innere Burg. Anleitung zu einer Lektüre Mark Aurels, Frankfurt a. M. 1997. Harris, Sam, Free Will, New York 2012. Havrda, Matyáš, Grace and Free Will According to Clement of Alexandria, in: JECS 19 (2011) 21–48. Heitsch, Ernst, Wollen und Verwirklichen. Von Homer zu Pau­ lus, in: AAWLM.G 1989/12, Wiesbaden 1989, 3–54, erneut in: ders., Gesammelte Schriften III (BzA 154), München/Leipzig 2003 (Nachdruck Berlin/Boston 2011), 36–86. Hengstermann, Christian, Einleitung, in: Origenes, Die Homi­ lien zum Buch Jesaja, eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst/Christian Hengstermann (OWD 10), Berlin u.  a. 2009, 98–161.

2. Literatur

305

–, Origenes und der Ursprung der Freiheitsmetaphysik (Adaman­ tiana 8), Münster 2016. Heubeck, Alfred, Einführung zu Homers Odyssee, in: Homer, Odyssee, Übertragung von Anton Weiher, Einführung von Alfred Heubeck, München/Zürich 71982, 669–711. Holz, Harald, Über den Begriff des Willens und der Freiheit bei Origenes, in: NZSTh 12 (1970) 63–84. Hommel, Hildebrecht, Schicksal und Verantwortung. Aischylos’ ‚Agamemnon‘ 1562, in: ders. (Hg.), Wege zu Aischylos, Bd.  2 (WdF 465), Darmstadt 1974, 232–263. Horn, Christoph, Augustinus und die Entstehung des philoso­ phischen Willensbegriffs, in: ZPhF 50 (1996) 113–132. Irwin, Terence H., Who Discovered the Will?, in: Philosophical Perspectives 6 (1992) 453–473. Jackson, B. Darrell, Sources of Origen’s Doctrine of Freedom, in: ChH 35 (1966) 13–23. Joyce, Paul M., Individual Responsibility in Ezekiel 18?, in: Eli­ zabeth A. Livingstone (Hg.), Studia Biblica 1978: Sixth Inter­ national Congress on Biblical Studies I. Papers on Old Testa­ ment and Related Themes (JSOTSup 11), Sheffield 1979, 185–196. –, Ezekiel and Individual Responsibility, in: Johan Lust (Hg.), Ezekiel and his Book. Textual and Literary Criticism and their Interrelation (BETL 74), Leuven 1986, 317–321. Junod, Éric, Die Stellung der Lehre von der Freiheit in den homi­ letischen Schriften des Origenes und ihre Bedeutung für die Ethik, in: Fairy von Lilienfeld/Ekkehard Mühlenberg (Hg.), Gnadenwahl und Entscheidungsfreiheit in der Theologie der Alten Kirche (Oik. 9), Erlangen 1980, 32–44. 95–102. Jürss, Fritz/Müller, Reimar/Schmidt, Ernst G., Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike, Leipzig 1977. Kahn, Charles H., Discovering the Will. From Aristotle to Au­ gustine, in: John M. Dillon/Anthony A. Long (Hg.), The Question of „Eclecticism“. Studies in Later Greek Philosophy, Berkeley/Los Angeles/London 1988, 234–259.

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Bibliographie

Kaiser, Otto, Art. Freiheit I. Altes Testament, in: RGG 4 3 (2000) 304–306. Kane, Robert, A Contemporary Introduction to Free Will, New York/Oxford 2005. Karamanolis, George, The Philosophy of Early Christianity, London/New York 2013 (22021). –, Early Christian Philosophers on Free Will, in: René Brouwer/ Emmanuele Vimercati (Hg.), Fate, Providence and Free Will. Philosophy and Religion in Dialogue in the Early Imperial Age (Ancient Philosophy & Religion 4), Leiden/Boston 2020, 211– 230. Keil, Geert, Willensfreiheit, Berlin/Boston 2007 (32017). Kenny, Anthony, Aristotle’s Theory of the Will, London 1979. Kobusch, Theo, Die philosophische Bedeutung des Kirchenva­ ters Origenes. Zur christlichen Kritik an der Einseitigkeit der griechischen Wesensphilosophie, in: ThQ 165 (1985) 94–105. –, Kann Gott leiden? Zu den philosophischen Grundlagen der Lehre von der Passibilität Gottes bei Origenes, in: VigChr 45 (1992) 129–135. –, Bild und Gleichnis Gottes. Elemente menschlicher Freiheit, in: Iñigo Atucha u. a. (Hg.), Mots médiévaux offerts à Ruedi Im­ bach (TEMÂ 57), Porto 2011, 143–151. –, Die Idee der Freiheit. Origenes und der neuzeitliche Freiheits­ gedanke, in: Alfons Fürst/Christian Hengstermann (Hg.), Autonomie und Menschenwürde. Origenes in der Philosophie der Neuzeit (Adamantiana 2), Münster 2012, 67–80. –, Selbstbestimmte Freiheit. Das frühe Christentum im Kontext der antiken Philosophie, in: ZNT 34 (2014) 47–55. –, Selbstwerdung und Personalität. Spätantike Philosophie und ihr Einfluß auf die Moderne (Tria Corda 9), Tübingen 2018. Krämer, Hans, Die Grundlegung des Freiheitsbegriffs in der Antike, in: Josef Simon (Hg.), Freiheit. Theoretische und prak­ tische Aspekte des Problems, Freiburg/München 1977, 239– 270. Krannich, Torsten/Stein, Peter, Das „Buch der Gesetze der Länder“ des Bardesanes von Edessa, in: ZAC 8 (2005) 203–229.

2. Literatur

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Kuhn, Helmut, Der Begriff der Prohairesis in der Nikomachi­ schen Ethik, in: Dieter Henrich/Walter Schulz/Karl-Heinz Volkmann-Schluck (Hg.), Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken. Festschrift für Hans-Georg Gadamer, Tübin­ gen 1960, 123–140. Lautner, Péter, Alexander of Aphrodisias on Fate as a Problem in Epistemology and Moral Psychology, in: René Brouwer/Em­ manuele Vimercati (Hg.), Fate, Providence and Free Will. Phi­ losophy and Religion in Dialogue in the Early Imperial Age (Ancient Philosophy & Religion 4), Leiden/Boston 2020, 152– 173. Leene, H., Unripe fruit and dull teeth (Jer 31,29; Ez 18,2), in: Eep Talstra (Hg.), Narrative and Comment. Contributions to Discourse Grammar and Biblical Hebrew. Festschrift für Wolf­ gang Schneider, Kampen 1995, 82–98. Lesky, Albin, Göttliche und menschliche Motivation im homeri­ schen Epos (SHAW.PH 1961/4), Heidelberg 1961. Lindars, Barnabas, Ezekiel and Individual Responsibility, in: VT 15 (1965) 452–467. List, Christian, Why Free Will Is Real, Cambridge MA 2019; dt.: Warum der freie Wille existiert, Darmstadt 2021. Long, Anthony A., Freedom and Determinism in the Stoic Theo­ ry of Human Action, in: ders. (Hg.), Problems in Stoicism, London/Atlantic Highlands NJ 1971 (Nachdruck 1996), 173– 199. de Lubac, Henri, Histoire et Esprit. L’intelligence de l’Écriture d’après Origène, Paris 1950; dt.: Geist aus der Geschichte. Das Schriftverständnis des Origenes, Einsiedeln 1968. Luck, Georg, Die Weisheit der Hunde. Texte der antiken Kyniker, Stuttgart 1997 (Lizenzausgabe Darmstadt 2002). Lyons, James A., The Cosmic Christ in Origen and Teilhard de Chardin. A Comparative Study, Oxford 1982. Maier, Gerhard, Mensch und freier Wille. Nach den jüdischen Religionsparteien zwischen Ben Sira und Paulus (WUNT 12), Tübingen 1971. Markschies, Christoph, Der Heilige Geist im Johanneskom­ mentar des Origenes. Einige vorläufige Bemerkungen, in: Ema­

308

Bibliographie

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2. Literatur

309

Rahner, Hugo, Das Menschenbild des Origenes, in: ErJb 15 (1947) 197–248. Rapp, Christof, Freiwilligkeit, Entscheidung und Verantwort­ lichkeit (III 1–7), in: Otfried Höffe (Hg.), Aristoteles. Die Ni­ komachische Ethik (Klassiker Auslegen 2), Berlin 1995, 85–103. Rosenberger, Michael, Determinismus und Freiheit. Das Sub­ jekt als Teilnehmer, Darmstadt 2006 (Sonderausgabe 2015). Roukema, Riemer, „Die Liebe kommt nie zu Fall“ (1 Kor 13,8a) als Argument des Origenes gegen einen neuen Abfall der Seelen von Gott, in: Wolfgang A. Bienert/Uwe Kühneweg (Hg.), Origeniana Septima. Origenes in den Auseinandersetzungen des 4. Jahrhunderts (BETL 137), Leuven 1999, 15–23. Saake, Helmut, Der Tractatus pneumatico-philosophicus des Origenes in Πεϱὶ ἀϱχῶν I 3, in: Hermes 101 (1973) 91–114. Schallenberg, Magnus, Freiheit und Determinismus. Ein phi­ losophischer Kommentar zu Ciceros Schrift De fato (QuStPh 75), Berlin/New York 2008. Schenker, Adrian, Saure Trauben ohne stumpfe Zähne. Bedeu­ tung und Tragweite von Ez 18 und 33.10–20 oder ein Kapitel alttestamentlicher Moraltheologie, in: Pierre Casetti/Othmar Keel/Adrian Schenker (Hg.), Mélanges Dominique Barthe­ lemy (OBO 38), Freiburg i.d.Schw./Göttingen 1981, 449–470. Schockenhoff, Eberhard, Zum Fest der Freiheit. Theologie des christlichen Handelns bei Origenes (TTS 33), Mainz 1990. –, Die Wirkungsgeschichte des Origenes, in: Alfons Fürst/ Christian Hengstermann (Hg.), Autonomie und Menschen­ würde. Origenes in der Philosophie der Neuzeit (Adamantiana 2), Münster 2012, 46–66. Schröder, Heinrich O., Art. Fatum (Heimarmene), in: RAC 7 (1969) 524–636. Snell, Bruno, Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entste­ hung des europäischen Denkens bei den Griechen, Göttingen 9 2011. Steel, Carlos, Keine Freiheit ohne Platonismus, in: Jörn Mül­ ler/Christian Rode (Hg.), Freiheit und Geschichte. Fest­ schrift für Theo Kobusch, Münster 2018, 59–77.

310

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Strobel, Benedikt, Konzeptionen von τὸ ἐφ᾽ ἡμῖν bei Alexander von Aphrodisias, in: Jörn Müller/Roberto H. Pich (Hg.), Wille und Handlung in der Philosophie der Kaiserzeit und Spätantike (BzA 287), Berlin/New York 2010, 131–174. Theiler, Willy, Tacitus und die antike Schicksalslehre, in: Phyl­ lobolia für Peter von der Mühll, Basel 1946, 35–90; erneut in: ders., Forschungen zum Neuplatonismus (Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie 10), Berlin 1966, 46–103. Voelke, André-Jean, L’idée de volonté dans le stoïcisme, Paris 1973. Vollenweider, Samuel, Art. Freiheit II. Neues Testament, in: RGG4 3 (2000) 306–308. Warnach, Walter, Art. Freiheit I und II, in: HWPh 2 (1972) 1064– 1083. Zeitler, Wolfgang M., Entscheidungsfreiheit bei Platon (Zet. 78), München 1983. Ziebritzki, Henning, Heiliger Geist und Weltseele. Das Problem der dritten Hypostase bei Origenes, Plotin und ihren Vorläu­ fern (BHTh 84), Tübingen 1994.

Register 1. Stellen Aëtius Placita philosophorum (plac.) I 28,4 76 Aischylos Agamemnon (Agam.) 1468–1488 32 f. 1497–1509 33 1534 f. 1562–1566 32 1571–1611 32 Perser (Pers.) 743–750. 820–828 33 909–911. 921. 942 f. 33 Sieben gegen Theben (hept.) 719. 812 34 975–977. 986–988 34 Alexander von Aphrodisias De anima libri mantissa (an. mant.) 25 76 De fato (fat.) 1 134 2 27, 134 3 135 5 134 f. 6 55, 208 7 27, 134

9 134, 136 11 134, 137 12 134 13 134, 137 14 134, 138 15 138 16 133, 134 18 133, 137, 176 19 133, 134, 137, 176 20 133 22 78, 94 25 76, 130 29 134 31 78, 80 38. 39 134 Alkinoos Didaskalikos (didask.) 26,1 127, 129, 130, 154 26,2 80, 128, 131, 158 28,3 262 Apuleius De mundo (mund.) 38 262

312

Register

De Platone et eius dogmate (Plat.) I 12 127, 130, 154 II 23 262 Aristoteles De anima (an.) III 1–5, 424 b–430 a 248 Ethica Eudemia (eth. Eud.) II 6–11 62–73 II 11, 1228 a 5 f.9 f. 203 Ethica Nicomachea (eth. Nic.) III 1–8 62–73 III 4, 1112 a 15–17 9 III 5, 1113 a 5–7 214 III 5, 1113 a 10–12 9 VI 2, 1139 a 31–33 70 VI 2, 1139 b 4 f. 9, 70 Fragmente frg. 49 Rose = 57 Ross 265 De interpretatione (int.) 9, 18 a–19 b 79 Magna Moralia (m. mor.) I 10–19 62 Metaphysik (met.) IX 2, 1046 b 4 ff. 134 IX 5, 1048 a 8 ff. 134 De motu animalium (mot. anim.) 700 b 23 70 Physica (phys.) II 4, 196 b 5–7 78 Pseudo-Aristoteles De mundo (mund.) 401 a 29–b 29

262

Athenaios Deipnosophistae (deipn.) XV 687 c 53 Bardesanes Liber legum regionum (lib. leg. reg.) 1 169 8 164, 165 16–18 166 19. 21. 22 167 24 166 47 164 Bibel Genesis (Gen.) 1,26 f. 173 f., 257 1,28 173 f. 2,7 173 f. 2,15 238 25,23 35 Exodus (Ex.) 1–34 36 3,14 271 4,21 35, 222 7,3 35, 222 20,4–6 241 20,5 39, 40, 240 20,6 40 34,6 f. 40 34,7 39 Levitikus (Lev.) 17,8 254 Numeri (Num.) 9–36 36 14,18 39, 40 23,19 277 Deuteronomium (Dtn.) 1,31 275 5,9 39, 40, 240

1. Stellen 5,10 40 24,16 42, 240 30,15 148, 160, 183 30,19 37, 148, 160, 183, 219 Josua (Jos.) 15–19 225 21,1 f.4–7 225 Erstes Buch Samuel (1 Sam.) 2,12–36 39 22,19 39 Zweites Buch Samuel (2 Sam.) 11,1–12,25 38 Erstes Buch der Könige (1 Kön.) 14,1–18 39 16,1–4 39 Zweites Buch der Könige (2 Kön.) 10,1–11 39 25,7 39 Ijob (Ijob) 27,13 f. 39 Psalmen (Ps.) 22(23),16 266 33(34),9 245 f. 48(49),13 254 72(73),27 234 80(81),14 f. 219 117(118),8 f. 245 144(145),3 277 145(146),3 245 Sprichwörter (Spr.) 8,22 264 Weisheit (Weish.) 1,13 236 Jesaja (Jes.) 1,16–20 160, 183 1,19 f. 219 6,1–3 261

313

6,9 f. 35, 220 Jeremia (Jer.) 2,13 234 5,8 255 17,5 245 17,13 234 18,1–10 233 18,1–17 35, 224, 226–229 18,4 233–235 18,11–16 233 18,15 236 19,1–13 230 31,29 f. 43 Klagelieder (Klgl.) 5,7 39 Ezechiel (Ez.) 11,19 45 11,19 f. 223 14,4 254 14,14.16.18 243 18 39–46, 229, 239 f., 242, 243 f. 33 242 33,11 243 33,12–16 229 33,17 42 33,20 42 33,10–20 45 36,26 45 Jona (Jona) 3 229 Micha (Micha) 6,8 37, 219 Maleachi (Mal.) 1,2 f. 35 Matthäusevangelium (Mt.) 3,7 254 4,17 46

314 5,8 272 5,22.28.39 219 7,24–26 219 13,13–15 220 17,26 151 25,34 f.41 219 26,14 f. 241 Markusevangelium (Mk.) 1,15 46 4,11 f. 220 Lukasevangelium (Lk.) 22,3 241 Johannesevangelium (Joh.) 1,1 264 3,3.36 272 5,17 238 8,30–36 151 8,39.41 245 10,28 f. 234 11,40 272 13,2 241 17,4 280 Apostelgeschichte (Apg.) 7,56 272 Römerbrief (Röm.) 2,4–10 219 6,18–22 150 7,14–25 150 8,2–4 150 8,21 151 9,16 223 9,18–21 224 9,18–23 227 9,21 226, 230 Erster Korintherbrief (1 Kor.) 7,21 f. 151 9,1.19 151 15,28 280

Register Zweiter Korintherbrief (2 Kor.) 3,17 151 4,16 151 Galaterbrief (Gal.) 2,4 151 5,1.13 151 Philipperbrief (Phil.) 2,13 223 Zweiter Timotheusbrief (2 Tim.) 2,20 f. 230 Jakobusbrief (Jak.) 1,25 151 2,12 151 Erster Petrusbrief (1 Petr.) 2,16 151 Boethius De consolatione philosophiae (cons. philos.) V 3,1–6,48 286 Caelius Aurelianus De morbis acutis (morb. acut.) I 112 222 Cicero De divinatione (divin.) I 125 77 I 127 78 II 19–21 78 II 61 94 De fato (fat.) 1 121 2 122 3 121 9 123, 154 11 122 11–38 78 18–20 124 20 123, 126

315

1. Stellen 20 f. 94 21 124 22 f. 93, 124 23–25 98 f., 121 28 f. 30 80 31 123 34 f. 36 82 39 91, 97 40 75 40–43 81–89 46–48 124 De finibus bonorum et malorum (fin.) III 75 112 De natura deorum (nat. deor.) I 55 92 I 69 93 Paradoxa Stoicorum (parad. Stoic.) 5,33 111, 144 5,34 142 Clemens von Alexandria Quis dives salvetur? (div. salv.) 14,4 181 Paidagogos (paid.) I 74,4 274 Protreptikos (protr.) 95,2 37, 161, 183 Stromateis (strom.) I 83,5 182, 200 I 84,1 f. 181 I 84,4 f. 182 II 11,1–12,1 182 II 26,3 182 II 26,4 f. 182, 203 II 55,1 183 II 66,1 182 II 77,5 182

II 110,4–111,1 II 115,1 f. II 131,6 IV 83,2 IV 124,1 f. IV 153,1 IV 153,1 f. V 3,2 V 94,4 f. V 136,4 VI 135,4 VII 13,3 VII 16,3 VII 46,9 VII 48,4 VIII 32,7

252 182, 184 258 182 182 182 183 184 258 167 181 f. 184 183 184, 253 183 82

Diodorus Siculus XIV 105,4

10

Diogenes Laërtios VII 33 VII 87 f. VII 121 VII 135 VII 149

111 120 111, 142 f., 248 78 77

Diogenes von Oinoanda frg. 33 William = frg. 54 Smith, col. III 92 Diogenianos frg. 1–4 Gercke 132 Dion Chrysostomos Orationes (orat.) 14,16 111

316 Pseudo-Dioskurides Theriaca (ther.) prooem. 222 Epiktet Dissertationes (diss.) I 1,4.12 113 I 1,23 109, 113 I 4,18 109, 115, 147 I 12,34 113 I 15,2 108 I 17,21.23 115 II 1,21 109 II 6,10 116 II 14,10 114 II 23,42 117 III 1,40 114 III 5,7 109 III 15,12 109 III 22,42 f. 110, 115 III 22,43 200 III 22,95 117 III 24,94 f. 116 IV 1,1 108, 142 IV 1,27 f. 109 IV 1,63 108 IV 1,89.98.100 116 IV 1,101 f. 117 IV 1,106 116 IV 1,118 108 IV 1,131 117 IV 4,34 117 IV 7,9 109 Encheiridion (ench.) 1 110, 115 2 200 8 119 29 109 53 90, 117 f.

Register Epikur Epistulae (epist.) 3, 133 92 Fragmenta (frg.) frg. 281 Usener 93 frg. 378 Usener 91 Papyrusfragment p. 30 Z. 99. 105 Gomperz 92 Euripides Fragmenta (frg.) 965 Nauck 2 118 Phoenissae (Phoen.) 19 128 Eusebius Contra Hieroclem (Hierocl.) 47 115, 168 Historia ecclesiastica (hist. eccl.) IV 30,2 166 Praeparatio evangelica (praep. ev.) IV 3,1–13 132 V 19,1–36,5 132 VI 6,50 167 f. VI 7,1–44 132 VI 8,1–39 132 VI 8,8 77 VI 9 133 VI 10 166 Galen De causis procatarcticis (caus. procatarct.) 8,102 223 Definitiones medicae (def. med.) 154–160 82

317

1. Stellen De placitis Hippocratis et Platonis (plac. Hipp. et Plat.) II 8 113 IV 4 132 Gellius Noctes Atticae (noct. Att.) VII (VI) 1–2 106 f. VII (VI) 2 77 VII (VI) 2,4 f. 75 VII (VI) 2,7–12 86–89 VII (VI) 2,13 f. 27 Gregor von Nyssa In Ecclesiasten homiliae (in Eccl. hom.) 6 (GNO V, 380) 185 De vita Moysis (vit. Mos.) II (GNO VII/1, 34) 184 II (GNO VII/1, 56) 185 Heraklit VS 22 B 119

55

Hermas (Hirt des Hermas) mand. 1,1 193 Hesiod Werke und Tage (erg.) 4. 105. 286–291 53 Hieronymus Apologia contra Rufinum (apol. c. Rufin.) I 20 255 III 39 255

Hippolyt Refutatio omnium haeresium (haer.) I 19,19 167 I 21,2 10, 90 Homer Ilias (Il.) I 188–222 I 207 III 66 III 164 f. VI 488 f. XV 59–71 XIX 65–68.75 XIX 86–90 XIX 136–138.409 f. XIX 416 f. XX 127 f. XXI 293 XXIII 82 XXIV 209 f.524 f. Odyssee (Od.) I 17 f. I 28–43 I 32–34 I 46 f. I 279 I 347–349 V 29–42 VI 188 f. XV 488 f. XVIII 130–135.155 XX 75 f. XXIV 28 f.

19–25 28 64 31 22, 26 21 30 30 f. 31 22 22 24 24 22 25 26–28 27, 107 28 24 26 25 25 25 25 25 26

Irenäus von Lyon Adversus haereses (adv. haer.) I 6,2 180 IV 4,3 180

318 IV 37,1–5 IV 37,1 f. IV 37,1 IV 37,4 IV 37,6 IV 37,7

Register 163 f. 165 172 165, 172 172, 175, 180 175, 178

Johannes von Damaskus Sacra parallela (sacr. par.) TU 20/2, 63 163, 165 Josephus Flavius Antiquitates Iudaicae (ant. Iud.) IV 146 10 V 13,5 10 XIII 5,9 103 f. XV 7,10 10 XVIII 1,3 104 f. De bello Iudaico (bell. Iud.) II 8,14 104 Vita (vit.) 12 105 Justin Apologiae (apol.) I 28,3 I 28,4 I 43 f. I 43,3 I 44,1 I 44,8 I 61,7 II 6(7) II 6(7),3 II 6(7),5 II 6(7),5 f. II 7(8),1

162 154 152–161 177 37 167 160 152 f. 158 f. 162 164 153

Dialogus cum Tryphone (dial. c. Tryph.) 88,5 164 102,4 164 140,4 165, 168 141,1 165 141,2 168 Lukrez De rerum natura (rer. nat.) II 80–141 93 II 133 95 II 251–271 94–96 II 1091 f. 95 Mark Aurel III 16,3 V 8,12 VII 31,3 VIII 48 XII 1,3

117 117 116 110 117

Maximos von Tyros Dissertationes (diss.) 13,5 128 13,8 117 13,9 27 41,4 27 41,5 127 Nag Hammadi Codices Apocryphon Iohannis NHC II,1 221 Testamentum veritatis NHC IX,3 220 f. Nemesius von Emesa De natura hominis (nat. hom.) 2. 35 176 37 77

1. Stellen Numenios frg. 24 des Places 262 Oinomaos frg. 1–14 Mullach 132 Origenes Apologia contra Celsum (Cels.) II 13–27 284 II 20 80, 128 III 56 209 III 69 209, 253 III 75 255 IV 3 188, 282 IV 30 258 IV 45 188, 202 f. IV 67 f. 281 IV 71 275 IV 83 255 V 21 191 V 29.49 255 VI 1 119 VI 36 255 VI 44 235 VI 64 265 VII 32 255 VII 38 265 VIII 15 282 VIII 30 255 VIII 72 281 VIII 76 195 Dialogus cum Heracleides (dial.) 11–15 255 27 261 Exhortatio ad martyrium (exhort. mart.) 47 265 Exodushomilien (in Ex. hom.) 4,1 222, 259

319

8,1 259 8,6 241–243 Ezechielhomilien (in Hiez. hom.) 1,3 236–238 3,8 254–256 4,8 243–246 6,1 f. 238 6,6 273–276 14,2 262 Ezechielkommentarfragmente (in Hiez. frg.) frg. 125 278 frg. 126 276, 278 frg. 170–188 239 f. Genesishomilien (in Gen. hom.) 1,13 258 7,4 261 Genesiskommentarfragmente (in Gen. frg.) frg. D 7,1 189, 193 frg. D 7,7–11 284 frg. D 7,8 285 frg. D 7,9 208, 285 frg. D 7,11 190 f. Hoheliedkommentar (in Cant. comm.) I 1,9 187 III 15(IV 1),20 187 III 17(IV 3),5.21 187 Jeremiahomilien (in Hier. hom.) 15,6 245 17,4 234 18,1–6 233–236 18,3 1, 187, 233–236 18,6 277 f. 18,7–10 233 18,9 234 20(19),2 280 20(19),5 239

320

Register

Jesajahomilien (in Is. hom.) 1,1 261 1,2 261 f. 1,5 261 4,1 262, 263 6,1 238 f. 9 239 Johanneskommentar (in Ioh. comm.) I 19,109–20,124 264–266 I 31,219 265 I 32,234 f. 280 I 35,253 280 II 11,83 266 II 16,112 111, 202 VI 11,66 255 VI 30,154 265 VI 39,202 265 XIII 21,123 265 XIX 6,37 265 XX 7,48 280 XX 21,174 253 XX 22,182 258 XX 23,196 201 XXXII 5,56 207 XXXII 5,58 206 XXXII 16,187–189 193 f. XXXII 19,240–259 242 XXXII 22,280–24,312 242 Johanneskommentarfragmente (in Ioh. frg.) frg. 42 253 Josuahomilien (in Ios. hom.) 10,3 258 14,1 258 23 225 23,3 226 23,4 225 25,1 f. 225

Levitikushomilien (in Lev. hom.) 1,1 217 7,2 279 f. 16,6 259 Lukashomilien (in Luc. hom.) 16,6 217 Matthäuskommentar (in Matth. comm.) X 11 188, 202, 219 X 14 275 X 20 255 XI 17 255 XIII 1 255 XIII 23 236 XVII 6.17 275 XVII 21.27 253 Matthäuskommentarreihe (in Matth. comm. ser.) 75 275 117 242, 243 Numerihomilien (in Num. hom.) 14,2 237 24,2 255 De oratione (orat.) 6,1 206, 248–252 6,1 f. 210–215 6,2 130, 211–215 6,3 283–287 6,3–5 284 29,13 188, 235, 237 29,15 280 f. Philokalie (philoc.) 23 tit. 190 23,1–21 189 23,8 285

1. Stellen 25,2 285 27 222 De principiis (princ.) I praef. 1 194 I praef. 5 189, 192 I 2,2 f. 264 I 2,10 280 I 3,8 267–273 I 5,2 203 I 6,3 253 I 7,5 280 II 1,2 287 f. II 3,4 281 II 3,5.7 280 II 4,4 277 II 6,1 263 II 6,5 253 II 9,2 235, 237, 260, 282 II 9,6 235 II 11,6 265, 272 III 1,1–5 197–210 III 1,1 192–194 III 1,2 199, 248–252 III 1,3 198–206, 250, 251 III 1,4 206–208 III 1,5 207, 209 f. III 1,6 37, 161, 191, 218 f. III 1,6–24 218–224 III 1,7 219, 226, 227 III 1,8–14 222 f. III 1,13 221 III 1,14 254 III 1,15 223 III 1,16 f. 220 f. III 1,18–20 223 f.

III 1,21–24

321

224, 230–232 III 1,21.24 226 III 2,1–4 242 III 2,2–4 204 f. III 3,4 242 III 5,6 f. 280 III 6,1 256–258, 280 III 6,5 f.8 280 Psalmenhomilien (in Ps. hom.) 74 hom. 6 217 77 hom. 9,1 276 f. Römerbriefkommentar (in Rom. comm.) V 1,25 255 V 10,11 187 V 10,12 187 f. V 10,12–15 271 VI 3,4 189, 207 VI 5,9 271 VI 8,8 255 VII 6,5 285 VIII 10,3 f. 188 VIII 10,11 253 Römerbriefkommentarfragmente (in Rom. frg.) frg. 1 Ramsbotham 284, 285 frg. 41 Ramsbotham 206 frg. 1 Scherer 199 frg. 3 Scherer 204 frg. 4 Scherer 202 Pamphilus Apologia pro Origene (apol. Orig.) 87 255

322

Register

Philon von Alexandria De deo 5 262 De gigantibus (gig.) 33 255 Legum allegoriae (leg. all.) II 22 f. 252 De opificio mundi (opif. mund.) 135 256 De posteritate Caini (post. Cain.) 138 111 De praemiis et poenis (praem. et poen.) 62 256 De providentia (prov.) I 78 27, 207 I 80 117 Quis rerum divinarum heres sit (rer. div. her.) 137 252 Quod deus sit immutabilis (deus immut.) 33–50 248 34 144 47–49 146–148 50 37, 148, 160 53 f. 275 114 146 Quod omnis probus liber sit (omn. prob. lib.) 19 f. 144 21 142 22 143 24 145 30 144 59 111, 142 62 144 68 143

71. 78 200 89. 92–157 145 95. 96 143 97 111, 143 109 143 158 144 De virtutibus (virt.) 9 f. 256 Photios Bibliothek (bibl. cod.) 8 196 Platon Apologia (apol.) 30 c–d Epistulae (epist.) 7, 343 e 2 7, 344 b 3 Gorgias (Gorg.) 508 c 8 512 e 3 Kriton (Krit.) 43 d 7 f. Menon (Men.) 98 a 3 Nomoi (nom.) I 639 c 1 IV 715 e 7–716 a 4 IV 716 c 1–d 4 X 894 b 8–c 8 X 904 b 8–c 7 X 904 c 8 f. Parmenides (Parm.) 141 e 7–9 143 c 3 Phaidon (Phaid.) 107 d 5–108 c 5 115 a 3

118 272 272 67 77 117 66 215 262 257 248 55 77 265 65 55 77

323

1. Stellen Phaidros (Phaidr.) 238 a 7 245 c 3–257 a 2 245 c 5–246 a 2 245 e 2–246 a 2 245 e 3.7 f. 248 a 4 248 c 2 248 e 4 f. 249 b 1–3 252 e 3 Philebos (Phil.) 55 d 10 Politeia (polit.) II 357 b 3 II 379 a 5–380 c 10 III 398 b 5 VI 509 b 9 X 614 b 2–621 b 7 X 617 e 2 f. X 617 e 3 X 617 e 4 f. X 619 c 4–6 X 621 c 5. d 2 f. Protagoras (Prot.) 352 b 4 Theaitetos (Theait.) 176 a 8–b 3 Timaios (Tim.) 18 c 1 f. 42 d 3 f. 70 c 1. 3. 6 90 d 4–7 Pseudo-Platon Definitiones (def.) 415 a 1 f. 416 a 26

66 54 87, 99 248 248 272 59 61 61 72 72 67 55 67 265 53–62 127 131 1, 51, 55, 167, 232 27 194 72 256 f. 57 55, 127 69 257

70 70

Plotin Enneaden (enn.) III 2,8 (47,70) 256 VI 8,4–6 (39,25–54) 176 Plutarch De audiendis poetis (aud. poet.) 12, 33 d 111 Coriolanus (Coriol.) 32 24 De sollertia animalium (sollert. anim.) 7, 964 c 93 De Stoicorum repugnantiis (Stoic. repugn.) 23, 1045 b–d 93 34, 1050 b 78 34, 1050 b–c 93 47, 1055 f 82 47, 1056 a–d 127 47, 1056 b–d 82 47, 1056 c–d 131 Pseudo-Plutarch De fato (fat.) 1, 568 c – 2, 568 f 4, 569 f 4, 569 f – 570 a 4, 570 b 5, 570 d–e 6, 570 e–f 6, 571 c–d 7, 572 b 8, 572 f 9, 573 c–f 9, 574 a 10, 574 b 11, 574 d

127 80 129 77, 127, 129 127 129 129, 156 78 127, 129 127 127 127 94, 127, 129

324

Register

Seneca Epistulae morales (epist.) 107,11 90, 117 De vita beata (vit. beat.) 15,5 116 15,6 117 15,7 109, 116 Servius Commentarius in Vergilii Aeneida (ad Verg. Aen.) IV 696 80 Sextus Empiricus Hypotyposeis (hypot.) III 70,2–5 132 Simplikios In Aristotelis II de caelo (in Aristot. II de caelo) 12 265 In Aristotelis physicorum libros commentaria (in Aristot. phys.) p. 333 Diels 78 In Epicteti Encheiridion (in Epict. ench.) praef. 108 Sophokles Fragmente (frg.) 334 Nauck 2 53 Oidipos Tyrannos (Oid. Tyr.) 1300–1302. 1329–1331 34 Soranus Gynaecia (gyn.) III 4

222

Stobaios Eclogae physicae et ethicae (ecl.) II 2 113 II 87,14 113 II 101,14 111 Stoiker Stoicorum veterum fragmenta (SVF) I 102 78 I 109 158 I 218 111, 143 I 219.222 111 I 527 90, 117 II 351.354 82 II 596–632 89, 158 II 714 252 II 912 94 II 914.915 77 II 917 76 II 918 77 II 920 76 f. II 928.937 78 II 939–944 78 II 945 78, 94 II 952 94 II 952–955 78 II 956.957.958 80 II 965–973 78 II 973 93 II 974 82, 83 f. II 975 10, 90 II 994.997 82 II 1000 27, 77 III 4 120 III 173 113 III 355 111, 143, 248 III 356.362.364 111 III 464 132

325

1. Stellen III 544 III 567 III 593 III Diog. 30 Tacitus Annales (ann.) VI 22,1–3 Historiae (hist.) I 22 II 78

111 113 111 113

105 f. 106 106

Talmud bMakkot 24a 42 Tatian Ad Graecos (Graec.) 7,2 162, 165 8,1–11,4 166 9,3 165 11,4 162, 168 Tertullian Adversus Marcionem (adv. Marc.) II 5–10 169–171 II 5,7 37, 160, 165 II 6,1 168 II 6,3 173 II 6,5 164

II 6,7 165 II 6,8 164 II 7,2 164 II 9,4 173 II 10,5 173 II 10,6 168 De anima (an.) 21,6 170 De exhortatione castitatis (exhort. cast.) 2,2 169 Theophilus von Antiochia Ad Autolycum (Autol.) II 27,3 168 II 27,4 163 Vergil Aeneis (Aen.) I 1–296 I 2 V 709 f. VIII 334

22 102 117 102

Vettius Valens Anthologiae (anth.) VI 9

90

Xenophon Memorabilia (mem.) II 1,21–34 52 f. IV 5,2–11 15, 111 f.

326

Register

2. Namen Abraham  245, 279 Achilles  19–25, 27 f., 30 f. Achilles Tatius  101 Adam 173 Aeneas 102 Agamemnon  19 f., 25–28, 30–32, 61 Aigisthos 26–28 Aischylos  32 f. Alexander von Aphrodisias  130, 132–138, 156, 176, 183, 191, 196, 208 Alkinoos  127–129, 131, 158 Anytos 118 Apollon 34 Apuleius  127, 130 Aristoteles  4, 7–9, 49, 62–75, 78 f., 112–114, 130, 134, 136, 161, 177, 185, 197, 208, 216 f., 248, 252, 260, 265 Arrian 102 Asklepiades von Prusa  222 Athene  21, 23 f., 27 f. Atreus 33 Augustinus  1 f., 7, 186, 197 Bardesanes  140, 162, 164–167, 169 f., 172 Basilides  183 f. Batseba 38 Boethius 286 Briseïs 19 Caesar 122 Chrysipp  10, 27, 50, 73–91, 97–99, 103, 105, 107, 109, 111, 114, 116, 118, 120 f., 123–125,

131–133, 135 f., 142 f., 153, 178, 197, 201 f., 205, 222 f., 226, 248, 284 Cicero  11, 75, 79 f., 83 f., 94, 97, 99, 107, 112, 121–126, 130, 142, 154, 171, 222 Clemens von Alexandria  160, 180–186, 203, 252 f., 258, 274, 281, 291 Cornutus 112 Daniel 243 David 38 Decius 281 Demokrit 92 Diodor von Tarsus  197 Diogenes Laërtios  91, 142 f. Diogenes von Oinoanda  92 Diogenianos 132 Epiktet  50, 89 f., 102 f., 108–120, 138, 142, 144–146, 156, 177 f., 183, 185, 196 f., 202, 205 Epikur  73, 91–98, 123–125 Erasistratos 223 Erinys  30, 34 Esau 35 Euripides 118 Eusebius von Caesarea  132 Euthydemos 111 Eva 266 Ezechiel  39–47, 229, 239, 242, 244 Galen  132, 222 Gellius  27, 75, 106 f. Gregor von Nyssa  197, 238, 291

2. Namen Hadrian 132 Hektor 21 Helena  31, 128 Heliodoros 101 Hera  22, 31 Herakles  52 f. Heraklit 208 Hermes 28 Hesiod  52 f. Hieronymus  243, 255 Homer  1, 3, 5, 16 f., 19–31, 47 f., 107 Ijob 243 Iokaste 128 Irenäus von Lyon  140, 161, 163, 172, 174, 180 f., 291 Isaak 279 Jakob  35, 279 Jason 82 Jeremia  35, 43, 229, 234, 254 Jesaja  35, 220, 261–263 Jesus (Christus)  149–151, 187, 193, 207, 219, 238, 243, 245, 259, 268 f., 279 f. Johannes der Täufer  254 Jona 229 Jose bar Chanina  41 Josephus Flavius  103–105 Josua 225 Judas 241–243 Justin der Märtyrer  140, 152–162, 164–168, 177 Kant, Immanuel  13, 215 Karneades  73, 96–100, 121–124, 131, 186, 216 Kelsos 195 Kleanthes  85, 89 f., 117

327

Klytaimestra  28, 32 f., 46 Kriton 117 Laios  128, 158 Leonides 244 Lukrez  10, 73, 91–96, 122, 124 f., 171 Mark Aurel  102, 108, 110, 112, 116, 132 Markion 181 Medea 82 Meletos 118 Menoikeus 91 Methodius von Olympus  197 Micha 37 Mose  41, 145 Musonius  102, 112, 153 Natan 38 Nemesius von Emesa  176 Noach 243 Ödipus  34, 128 Odysseus  25 f. Oinomaos von Gadara  132 Orestes  26, 28, 32 Origenes  1–3, 5, 16 f., 35, 37, 68, 79, 119, 128, 141, 148, 155, 157, 160 f., 174 f., 179, 186, 187–292 Panaitios 85 Paris  128, 158 Patroklos  21, 24 Paulus  149–151, 219, 223, 227, 230, 232 f. Penelope 26 Petrus 207 Pharao  35, 222 f.

328

Register

Philon von Alexandria  115, 141–149, 155 f., 177, 196, 200, 202, 248, 250, 252, 262, 275 Platon  7 f., 49–62, 65, 67, 72 f., 85, 87, 97, 106, 112, 117, 127, 129–131, 148, 156, 161, 167 f., 177, 181, 194 f., 197, 217, 232 f., 236, 238, 248, 256 f., 262, 265 Plotin  1, 291 Plutarch  93, 126, 130 Porphyrios 291 Poseidon 24 Poseidonios 85 Priamos  22, 31 Prodikos von Keos  52 f. Proklos 291 Rufinus von Aquileja  192, 194, 196, 237, 241 Salomo 38 Seneca  50, 90, 102, 112, 116 f., 141, 144, 171 Sextus Empiricus  132 Simplikios  78, 108

Sokrates  8, 54, 56, 102, 111 f., 117, 208 Sophokles  34, 53 Tacitus  105 f. Tatian  161, 165 f. Telemachos  24, 26 Tertullian  139 f., 161, 164 f., 168 f., 171–175, 181, 291 Theophilus von Antiochia  161, 163, 168 Thomas von Aquin  63 Tiberius 105 Urija 38 Vergil  22, 101 Vettius Valens  90 Xenophon  52, 111 f. Xerxes 33 Zenon  10, 85 Zeus  21, 25–27, 30 f., 53, 90, 117, 120

3. Begriffe Achtsamkeit  71, 235 Adler 61 adpetitus  81, 83 adsensio  81, 83 Affekt siehe Trieb αἰτία  51, 55, 62–64, 66, 92, 232, 237 – αἰτία αὐτοτελὴς καὶ κυριωτάτη  82, 208 – αἰτία πρεσβύτερα  231 f.

– αἰτία προκαταρκτική  82, 222 – αἰτία προσεχής 82 – αἰτία συνεκτική 222 αἴτιος  26, 30 f., 51, 71, 168, 181, 219, 231 ἀκολούθως τῇ φύσει ζῆν 120 ἀκούσιος  64, 70 Akrasie  150, 210 Akzidens 252 ἄκων 64

3. Begriffe ἀναίτιος  51, 55, 93 f., 155, 181, 231 Anfang  264 f. Angleichung an Gott  256 f., 270 ἀπαθής  277 f. arbitrium  163, 169 f., 188, 237, 253 ἀργὸς λόγος  79 f. ἀρετή  58, 120 Aristotelismus  110, 133, 145, 159 f. Arzt  80, 221, 223 ἀρχή  63, 70, 264 ἄσκησις 208 Astrologie  14, 101, 105 f., 132, 165–167, 188 f., 193 Atomistik  92 f., 94, 98, 124 Aufgabe  56, 200, 203, 208, 238, 271 Autarkie 15 αὐτεξούσιος  10, 137, 139, 162–164, 170 f., 176, 181, 184, 192–194, 207, 219, 234, 237 Autonomie  44, 47, 144 αὐτοπραγία  111, 142, 202 αὐτός  68, 71, 136, 211–214 Axiom der Widerspruchsfreiheit  124 f. ἀφορμή  182, 200, 204, 240 Barmherzigkeit 273–276 Baum 250 Befreiung  36 f., 43, 54, 56, 149–151, 177, 224 Bekehrung  4 f., 43–46, 156 f., 220 f., 228 f., 243, 271 bene vivere 194 Besonnenheit  111, 150 Bewegung  68, 87 f., 92–96, 98 f., 188, 206, 210 f., 237, 248–252,

329

254, 259–261, 269, 272, 283, 287 f. – Bewegung Gottes  260 f., 263, 277, 292 – Bewegung ohne Ursache  93 f., 97 f., 124 – Eigen-/Selbstbewegung 87, 93, 96, 98, 121, 147, 206, 210 f., 215 f., 248, 257, 259 f. Bewusstsein 12 Bibel  4, 13, 17, 34–48, 141, 144, 147–152, 154–156, 160 f., 163, 173 f., 177 f., 183, 192, 196 f., 217–246, 270, 272 Biene  199, 251 Bildung  12, 29, 58, 103, 106 f., 121, 200, 205 böse/das Böse  37, 53, 56 f., 85, 148, 155, 159 f., 162, 164 f., 168, 175, 178, 180–182, 188 f., 199–205, 209, 213, 215, 228– 230, 235–237, 268, 270 βούλησις  67, 120, 143 causa – causa adiuvans et proxima 82 – causa antecedens 82 – causa efficiens  81 f. – causa naturalis 122 – causa perfecta et principialis  82 Charakter  12, 70 f., 88 f., 113 f., 122, 131, 160, 180, 185, 200, 205, 208 f., 216 Christentum  103, 140 f., 150, 152–186, 217 condicionalia 80 confatalia 80

330

Register

Dämon  33 f., 55, 61, 120, 208, 249 Determinismus  passim – Kausaldeterminismus  4, 75 f., 78 f., 86, 91 f., 97, 121, 123, 126, 131, 135, 140, 154, 161, 185, 191, 288 δι᾿ αὑτοῦ  67, 165, 206, 210 f., 248, 250, 252, 260 διάνοια  66, 70 dignitas 258 Disposition  88 f., 209, 223 Dynamik  250 f., 254, 260 f., 263, 270, 273, 283, 292 ἐγκράτεια  111, 144 εἱμαρμένη  59, 76–79, 91 f., 103 f., 108, 119, 122, 126, 129, 133, 135, 153 f., 157 f., 168, 189–191, 287 Einheit  264, 281, 286–288 εἱρμὸς αἰτίων  76 f., 283, 286 f. ἔκκλισις 201 ἑκούσιος  64, 70, 143, 146 f., 188, 202, 280 f. Ekpyrosis  158, 281 ἑκών  64, 282 ἐλευθερία  108, 110–112, 139, 142, 147, 151, 162, 170, 177 – ἐλευθερία τῆς προαιρέσεως  162, 171 ἐλεύθερος  108, 111, 137, 139, 142, 146, 163, 170, 176 f., 181, 234 Emotion siehe Affekt ἔννοια 193 Entscheidung(sfähigkeit)  passim – Entscheidungsfreiheit siehe Freiheit

ἕξις  70 f., 184, 249 ἐξουσία  134, 182, 184, 202, 281 f. Epikureismus/Epikureer  96 f., 99, 106, 121 f., 124 ἐπιμέλεια 56 ἐπίνοια  265 f., 269 Epos  13, 17, 46, 52, 64, 73, 101, 118 Erkenntnis  78, 148, 200 f., 222, 262 f., 264 f., 269 f. Erlösung  266, 274, 279, 292 Erschaffung des Menschen  145–148, 162–164, 169, 173, 178, 257 Erziehung  12, 58, 75, 200, 205, 222 f., 270–272 Eschatologie  154, 158, 169, 180, 192, 206 Essener  103 f. Ethik  51, 58, 62, 73–75, 81, 91, 99, 102, 108, 110, 113, 130, 135, 148, 152–155, 158 f., 164, 174, 191, 214 f., 240, 255–257, 259, 268 f., 272, 281 f. Eudämonie  57, 109, 119 Ewigkeit 286 Exegese 217–246 εὔροια βίου 120 (τὸ) ἐφ᾽ ἡμῖν  9, 65, 71 f., 74 f., 83, 86, 92, 98, 103 f., 109, 115, 119 f., 123, 130 f., 133–135, 139, 154, 165, 176 f., 181–183, 189–193, 204, 210–212, 219, 231, 281, 283 f. – τὰ ἐφ᾽ ἡμῖν  9, 67 f., 109 ἡγεμονικόν  72, 83–85, 182, 207 ἡγούμενον  68, 72

3. Begriffe Fatalismus  14, 31, 34, 54, 106, 135, 166 fatum  102, 122 Feuer  158, 249 f., 281 Fleisch 114 Fluch 32 Fortschritt  231, 269, 287 Freiheit  passim – Freiheit der Entscheidung  37, 50, 76, 114 f., 128, 138, 139, 146 f., 149, 152, 154–160, 162–195, 197, 204 f., 209, 215 f., 218 f., 234–237, 251–253, 265, 271, 277, 279 f., 282–290 – Freiheit der Liebe  261, 274, 278 – Freiheit des Einen  15 – Freiheit Gottes  2 f., 172 f., 239, 259 f., 288, 290–292 – Freiheit vom Gesetz  150 f. – innere Freiheit  15, 101–103, 110, 112, 119, 121, 139, 144 f., 151 – politische Freiheit  14 f., 36, 110–112, 144 – ungezeugte Freiheit  259 f. Freimut 145 Gabe  56, 148, 151, 187, 257, 269 Gebet 244 Gebot  36 f., 40, 151, 163, 165, 178, 183, 192, 202, 219 Geist  4, 45, 96 f., 99, 100, 123, 126, 131, 166, 205 f., 216, 226, 260, 287 f., 292 – Geist (νοῦς/mens)  63, 147, 216 – Geist (πνεῦμα/spiritus) 77, 173, 216 – Heiliger Geist siehe Trinität Gerechtigkeit  41, 57, 112, 159,

331

182, 194, 238, 241, 244, 265, 268 f. Gericht (Gottes)  154, 169, 192–194, 206, 243 Geschichte  13 f., 35–37, 149, 261–263, 266, 283, 288 – Heilsgeschichte  224, 265, 267, 272 Gesetz  120, 150 f., 187, 204, 240 Gewohnheit  60, 253 Glaube(n)  163, 182–184, 189, 193 f., 245, 247 – Glaubensbekenntnis  193 f. Gnade  183, 268, 271, 278 Gnosis/Gnostiker  14, 140, 180 f., 183 f., 191, 219–221, 224, 282, 289 f. Gott  36–40, 45 f., 51, 54 f., 71, 78, 104, 116–118, 127, 144– 149, 151, 153, 159, 161, 162, 167–169, 172–175, 178, 180 f., 183, 191, 193, 196, 223, 227– 236, 245 f., 252, 254, 256, 258–266, 269–288, 292 – Gottesebenbildlichkeit 147, 166, 172–174, 256–258, 270, 279 – Mitte Gottes  261–263, 265 – Passibilität Gottes  273–278 Götter  13, 20–22, 24–27, 29 f., 32, 46 f., 49, 54 f., 57, 75, 95, 102, 106, 116 gut/das Gute  37, 53, 55 f., 85, 137, 148, 155, 160, 162, 165, 171, 175, 178, 180, 182, 184 f., 188, 191, 194, 199–205, 208, 213, 215 f., 228 f., 231, 235, 237, 244, 256 f., 259 f., 268–271, 279 f., 282 f. – Güte Gottes  196, 276, 278

332

Register

Heil  221, 228 f., 244, 275, 288 – Heilsplan(ung)/Heilswirken  225, 267, 275, 277 f., 280 Heiligkeit/Heiligung  268 f., 272 Heimarmene siehe Schicksalsfügung Herrlichkeit  261, 278, 282 Herrschaft  173 f. – Herrschaft Christi  280 Herz  23, 45, 95, 204, 222 f., 229, 241 ḥērūṭā 170 – bar ḥērē  170 f. Hierarchie des Seins  252, 254 Hoffnung  45, 245 Holz  207, 249 Hund  90, 251 impassibilis 275–278 Inkarnation  266, 273 f. innerer Mensch  84, 110, 151, 241, 254, 256 Innerlichkeit  109 f. Intellekt (Verstand)  7, 69 f., 74, 114, 126, 144, 171, 181 – Intellektualismus  8, 11, 69, 83–85, 114, 126, 171 f., 192, 197, 201, 205, 210, 215, 221, 235, 246 Jerusalem (himmlisch)  259 Judentum  14, 103, 141–149, 245 καλῶς βιοῦν  192, 194 f. κατασκευή 252 Kegel 86 Kind  66 f. Klugheit 199 Kompatibilismus  35–38, 86,

103–105, 107, 118, 132 f., 139, 150, 153, 178 f., 183, 224, 289 f. Konstitution (physisch)  11 f., 166, 185, 216, 252, 255 Kontingenz  129, 136 Konus 86 Körper  205, 210, 250 f. Kreisel 86–89 Kreuz 274 Laster  75, 104, 148, 153, 188 Leid  27, 105, 107, 273–276 Leidenschaft siehe Trieb Leitprinzip (Hegemonikon)  201 Lernprozess  56–58, 221 f., 272 libertas 170 – libertas arbitrii  170 f., 187–189, 237, 253, 288 – libertas caritatis  261, 274 – libertas hominis  163 f. – libertas ingenita  259 f. Libertarismus  104, 178 f., 220, 224, 238 f., 246, 281 f., 289 f. liber  163, 169 f. – liberum arbitrium  170 f., 192, 204 f., 237, 288 Liebe  117, 266, 271, 274–277 Lob  63, 75, 91, 130, 133, 148, 155, 159, 165, 182 f., 189, 203, 206, 214 f., 219, 267 Lohn  75, 133, 155, 158 f., 165, 182, 191, 193 f., 206 Logik  74, 79, 124 f., 127 f., 284–286 λογικά 264 λόγος  66, 70, 77, 143, 199, 216, 250, 264, 267 f., 280–282 – ὀρθὸς λόγος 120

3. Begriffe Logos siehe Wort Los  77, 117, 225 f. Mantik  78 f., 106, 154, 165 Materialismus  153, 174, 216 Materie  4, 97, 100, 226, 249–251, 292 Medizin  222 f. μελέτη 208 μεταβολή 253 Metall  249 f. Metaphysik  174 f., 247 – Freiheitsmetaphysik  1 f., 17, 267, 270, 287, 289–291 Mittel 67 Möglichkeit  129, 136 f., 156 f., 190 f., 242 f., 254, 258, 267, 270, 284 f. μοῖρα  30, 32, 77 Monismus  153, 205 Moral siehe Ethik Motivation  25, 31, 63, 71, 76, 182 f., 203 Mühe  237, 272 Nachlässigkeit  235, 237, 268, 271 Natur  62, 77, 86 f., 95, 98 f., 110, 115, 119 f., 122, 135, 153, 162, 166 f., 180 f., 184–186, 187 f., 191, 204 f., 208 f., 216, 219, 249, 251–253, 260, 266, 276, 281, 289 νόμος 120 Notwendigkeit  59 f., 62 f., 76, 78 f., 81, 84, 87 f., 90–92, 100, 106, 123–125, 129, 133–136, 188 f., 284 νοῦς  63, 70

333

Ontologie  97, 160, 174, 184, 216, 248, 252, 260, 267, 277 οἰκονομία 267 ὄρεξις 70 ὁρμή  81, 104, 129, 181 f., 200, 204, 284 οὐσία  184, 186, 282 Pädagogik  85, 208, 221 (τὸ) παρ᾿ ἡμᾶς 92 passio  273 f., 276 – passio caritatis 274–276 Person 114 Pferd  22, 251, 255 Pflanze  159, 249 f. Pflichtenlehre 79 Pharisäer  103–105, 254 Philosophie  passim – Christliche Philosophie/ Philosophen  138 f., 147–149, 152, 154, 162, 164 f., 175 f., 178, 180, 183, 185, 191, 218 f., 247, 257, 287 Physik  50 f., 72–74, 79, 81 f., 89, 92–94, 96, 99 f., 101, 108 f., 135, 140, 153, 158, 174, 190, 216, 281, 287 Platonismus/Platoniker  2 f., 4, 97, 99, 103, 106, 121, 126–131, 145, 147 f., 153–155, 157, 161, 162, 171, 178, 180 f., 186, 190, 199, 201, 203, 216, 232 f., 255, 262, 270, 272, 286, 291 – Christlicher Platonismus/ Platoniker  115, 139, 153, 161, 179, 195, 217, 291 πνεῦμα 77 potestas  163, 170, 188 f., 205 Prädestination  119, 239

334

Register

Präexistenz der Seele  232 Prinzip siehe Ursprung προαίρεσις  9 f., 65–67, 70, 72, 109 f., 112–115, 129, 134, 136, 138, 145, 158 f., 162, 170, 181–183, 185 f., 202 f., 231, 253, 277 – προαίρεσις ἐλεύθερα 115, 146 f., 155 f., 164, 171, 177 προπάθεια 242 Prozesstheologie  273, 292 Pythagoreismus 255 Quelle  249 f. Rhetorik  115, 125, 146, 176, 184, 245 Sadduzäer  103 f., 254 Schau (Gottes)  264, 272 Schicksal  passim – Schicksalsfügung (Heimarmene)  77–80, 84, 86, 91, 94 f., 102–104, 116, 122–130, 135, 140, 152–154, 157–159, 165 f., 168 f., 179, 185, 189, 191, 287 – Schicksalsglaube  101, 132, 188, 193 Schlange 254 schlecht siehe böse Schlechtigkeit  135, 145, 153, 203, 237, 253, 256, 267 Schöpfung  169, 261, 264, 266 f., 269 f., 273 f., 278, 280, 282, 292 Schuld  30 f., 39–41, 43 f., 51 f., 61, 207 f., 233, 240 – Kollektivschuld 44 Seele  87 f., 95 f., 108, 112, 131, 166, 182, 187 f., 192, 208, 213,

221, 226, 235, 242, 249, 254, 272, 281 – Seelenlehre  83–85, 248 – Seelenwanderung  54, 61, 255 – Weltseele  257, 262 Selbst  68–72, 84, 86, 95, 114, 136, 210–214, 216 – Selbstbeherrschung  111 f., 150, 174 – Selbstbestimmung passim – Selbstmitteilung 264 – Selbstsorge  56, 102, 108 f., 245 f. Seraphim 261–263 series causarum  76 f., 123 Sokratik  76, 85, 110 f., 114, 126, 144, 174 Soteriologie  268 f., 271 Spinne  198, 251 Spontaneität  93, 95–97, 136, 171 Sprechakt  214 f. Stein  185, 207, 249 Stoa/Stoiker  passim – Alte Stoa  111–113, 179 Strafe  40, 42, 71, 75, 133, 154 f., 158 f., 164 f., 182, 192–194, 206, 220, 240, 242 – Kollektivstrafe  39, 42, 46, 239–244 – Strafrecht/Justiz  12 f., 63 Streben  69 f., 81, 96, 104, 114, 116, 120, 172, 254, 287 f. Subjekt  12, 70, 93, 210 f., 214–216, 245 f., 253, 257, 286 Substanz  173, 184, 252, 260 šulṭān nafšhōn 171 Sünde  45 f., 150, 158, 168 f., 181, 188, 192, 194, 240–244, 254, 266, 279

3. Begriffe Synergismus  183, 222, 226, 231, 279 συγ(καθ)ειμαρμένα 80 συγκατάθεσις  81, 183 f. συναίτιον 82 σωφροσύνη 111 Tadel  63, 75, 91 f., 130, 133, 148, 155, 165, 182 f., 189, 203, 206, 214 f., 267 Teilhabe  264, 267–269 Teleologie  283, 289 Teufel 241–243 Theodizee  105 f., 167–169 Theologie  174, 259–282 Tier  66 f., 159, 198, 211, 249–252, 254–256 Tora  36, 41 f. Tragödie  13, 17, 20, 46, 52, 64, 73, 118, 128 Transzendenz  264 f., 267, 275 Trieb  7, 15, 81, 83–85, 110–112, 119, 202, 207, 229, 251, 255, 277 f. Trinität  193 f., 266–273 – Vater  264, 267–269, 272 f., 275 f., 280 – Sohn  263 f., 266 f., 272 f., 275 f., 279 – Heiliger Geist  193 f., 263, 268 f., 272 Trunkenheit  71 f. Tugend  58, 71, 75, 104, 120, 131, 135, 148, 153, 184, 188, 203, 237 f., 256, 268, 271, 273 – Tugend als Wissen  57 f., 85, 111, 182, 201 Umkehr siehe Bekehrung

335

Universalismus  177, 229, 258, 266, 281 Unwissenheit  64, 206 f., 270 Ursache  30, 51 f., 54 f., 62–64, 68, 73 f., 76–78, 80–89, 91–95, 98, 106, 109, 113, 121, 123, 127, 129, 131, 133–137, 161, 168, 180 f., 190, 207, 219, 222 f., 226, 231–233, 235–237, 249 f., 284 f., 287 f. – natürliche Ursache  122 – (vorausgehende) Nebenursache  82–84, 86 f., 89, 98, 135, 205, 222, 231 f. – (wirksame/effektive) Hauptursache  81–84, 86 f., 89, 133, 135, 206, 208, 222 Ursprung  62–65, 68–71, 95, 137 f., 214, 260, 262 f., 265, 282 Veränderung  157, 180 f., 209, 243, 252 f., 283 Verantwortung  13–15, 20, 27, 29–36, 38–47, 50, 52, 54–56, 63, 69, 71, 75, 76 f., 79, 84, 86, 88, 91–93, 99, 101, 107, 127, 133, 135, 154 f., 164 f., 169, 175, 179–181, 192, 203 f., 214, 229 f., 239, 243 f., 246, 267, 290 f. Verdienst  226, 283 Verkündigung  155, 192, 206 Vernunft  10, 50, 57, 67, 69 f., 77 f., 81, 83, 85, 87, 90, 104, 109, 111, 113, 116–118, 120, 134–137, 156, 159, 177, 179, 185, 196–202, 204, 206 f., 210 f., 216, 226, 235, 250–252, 255, 257, 264, 266–270, 272 f., 278, 280 f., 290 f.

336

Register

– praktische Vernunft  13, 84, 215 Verstand siehe Intellekt visum  81, 87 Vollendung/Vollkommenheit  58, 114 f., 120, 178, 257 f., 269–272, 279–283, 287, 292 Voluntarismus  11, 171, 201, 210 voluntas  10, 94 f., 98, 122, 171 f., 180, 186, 237 – libera voluntas  94 f., 122 f., 126, 192 Vorherbestimmung siehe Prädestination Vorherwissen  225, 283 f., 286 Vorsatz  206 f. Vorsehung  78, 104, 106 f., 116, 118, 196, 224 f., 278, 283, 289 f.

142 f., 171 f., 180, 183, 192, 201 f., 210, 237 – Willensfreiheit/freier Wille  1, 49, 63, 85, 94–96, 99, 121–126, 140, 152, 156, 169, 191, 193 – Wille des Zeus  53, 120 – Wille Gottes  116, 168 f., 227 f. Wissen  56–58, 108, 111, 150, 182, 184, 199 f., 203 f., 206, 208, 270, 284, 286 Wort (Logos)  264–269, 274, 280, 288 Wunsch 67 Würde/Würdigkeit  226, 258 f., 271

Wahl  36 f., 53 f., 56–61, 65–67, 69 f., 72, 106, 113–115, 129, 134–137, 147 f., 157, 159, 167 f., 176, 180, 183, 194, 201 f., 204, 208 – Wahlfreiheit  118, 132–138, 181 Wahrheit  192, 194, 214, 265, 269 Walze 86–89 weise/der Weise  89 f., 102, 111 f., 118, 142, 177 Weisheit  264–266, 269–271, 278, 280, 287 f. Weltenzyklen 89 Wesen  140, 147, 178, 184 f., 188, 198, 216, 221, 248, 252 f., 282, 288 Wille  1, 7–11, 49, 63–65, 69, 95 f., 98 f., 114, 121–123, 126,

Ziel (Telos)  67, 109, 117 f., 120, 147, 194 f., 256, 272, 280, 287 Zorn  19, 21, 23 f., 30, 227, 274, 278 Zufall  59 f., 63, 76, 78, 92, 97, 100, 106, 129, 225 f. Zustimmung  50, 72, 81–83, 85–88, 97, 109 f., 120 f., 133, 136 f., 179, 182–184, 190, 206 f., 212 f., 251, 258, 260, 291 Zwang  64, 93, 110, 112, 115, 118 f., 123, 128, 145, 151, 153, 159, 168, 206, 280, 288 Zweite Sophistik  176 Zylinder 86

ὑπόστασις  184, 252, 258

φαντασία  81, 87, 182, 199, 204 φύσις  62, 184, 249